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German Pages [372] Year 1991
HANS-GEORG
KEMPER
Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit Band 3
HANS-GEORG KEMPER
Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit BandS Barock-Mystik
MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1988
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Kemper, Hans-Georg: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit / Hans-Georg Kemper. Tübingen : Niemeyer Bd. 3. Barock-Mystik. - 1988. ISBN 3-484-10568-2 Leinen-Ausgabe ISBN 3-484-10561-5 kart. Ausgabe © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1988 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany. Satz: pagina GmbH, Tübingen Druck: Allgäuer Zeitungsverlag GmbH, Kempten/Allgäu Einband: Heinrich Koch, Tübingen
Inhaltsverzeichnis
Zur technischen Einrichtung des Bandes
VIII
Vorwort
IX
Einleitung a) Forschungsprobleme und Versuch einer Definition von Mystik . . . b) Zur Besonderheit der frühneuzeitlichen Mystik c) Der politische Kontext: Die Genese der Habsburgermonarchie . . .
l l 7 25
I. CHRISTUS-MYSTIK UND NATUR-MYSTIK 1) Protestantische Häresien der Selbstvergottung (Schwenckfeld, Weigel, Arndt, Arnold-Sudermann, Hoyers, Czepko, Hoburg)
37
a) Geist-Besitz und Kirchen-Verachtung b) Weltverlust und Autonomisierung des Subjekts c) Das »himmlische Fleisch« Christi und die Rechtfertigung als »Wiedergeburt« d) Spiritualismus als »unio mystica« der Konfessionen (Sudermann) . .
57 63
2) Moses und Hermes - Zur Rezeption nicht-christlicher Mystik . .
71
a) »Adam Kadmon« und die »trinitarische« Kabbala b) Das »Systema Theosophorum« (Czepko)
37 53
71 74
3) Mystik und Zauberei — Zur magischen Macht der Phantasie . . .
79
a) Neuplatonische Mystik im Dienst der Magie (Nettesheim) b) Kosmogonie durch göttliche Imagination c) Die »unio« durch Augen-Blitz und Herzens-Feuer (Spee, Greiffenberg) d) Behexung durch den bösen Blick der Einbildungskraft e) »Fleischliches Weh« - Zur Tabuisierung und Spiritualisierung der sexuellen Phantasie
79 83
4) Vergoldung und Vergottung im »Feuer« der Alchimie a) b) c) d)
86 92 95 101
Alchimie als Religion der Selbsterlösung 101 Das >Chymische Lustgärtlein< in der »Fäulung« der Zeit (Stoltzius) . 107 Medizin auf der Spur des »Lichts der Natur« (Paracelsus) 120 Die »chymische Hochzeit« als Liebes-Werk der >Rosenkreuzer< (Andreae) 127
VI
5) Imaginationen - Christus als Natur, Adam als Christus (Böhme) 136 a) Schuhbank und Prophetentum b) Der »Gottessohn« als Gebär-Mutter und die Welt als »Leib Gottes« . c) Der »selbst eigene Macher« und die soteriologische Kraft seiner Imagination d) Soziale Berührungsängste des »neuen Adam« e) Die Signaturenlehre und das Tönen der Natur-Sprache f) Aspekte der Rezeption (Franckenberg, Tschesch u. a.)
136 138 142 147 150 152
II. POESIE — MAGISCHES MEDIUM DER MYSTIK 1) Mystik und Magie: Heil-Versuche durch die Einbildungskraft (Spee) a) Ein »Cholericus« im Dienst an Kirche und Welt b) Die Versinnlichung der allegoretischen Tradition - Zur Bildlichkeit der geistlichen Lieder c) Die »Verschmelzung« von Himmel und Erde im »Feuer« der >TrvtzNachtigal< d) Poesie als Organ der »unio mystica«
2) Pantheismus als Selbstbefreiung des Menschen (Czepko) a) Mystiker und Hofmann - ein »kontradiktorischer« Lebenslauf . . . b) »So schleuß beyd' Augen zu«: Epigrammatik als Medium der Meditation c) Leben als Tod und Tod als Leben — Zur mystischen Strategie des Über-Lebens d) »Alliebende Natur« — »Pan-Christismus« und Liebes-Ethik im Spätwerk
159 159 164 173 176
183 183 188 191 202
3) Poesie als Sprachrohr mystischer Häresie (Angelus Silesius) . . . 208 a) b) c) d)
Der Sturz des Engels - Zur Biographie des »Doctor ecstaticus« . . . 208 Häresie und Orthodoxie im >Cherubinischen Wandersmann< . . . . 216 >Heilige Seelen-Lust< unter der Tarnkappe der Allegorie 230 Der cherubinische und der seraphinische Weg — Zur Interdependenz der poetischen Werke 238
4) Ketzereien aus Rechtgläubigkeit (Greiffenberg) a) Die Erden-Lasten der »Uranie« b) Doketische >Betrachtungen< über den »Gold-Geist« Christus . . . . c) »Das allerliebste JEsulein / Will mit Gewalt ergriffen seyn« - Zur Einverleibung der Himmels-Kraft d) »Jesus-Frühling«: Anfänge der Naturpoesie e) »Gott trieb und schrieb durch mich« — Zur Poetik der »Deoglori« . .
245 245 252 259 269 273
VII
5) Der »Sohn des Sohnes Gottes« als Poet (Kuhlmann) a) b) c) d)
Sendung und Opfergang des »Kühlmonarchs« >Himmlische Libes-Küsse< — ein »Hohelied« auf die Gelehrsamkeit . >Der Kühlpsalter< - Schrift-Erfüllung in der Poesie »Hasst euren unterscheid! Seid Brüder allesamt« - im »Kühlreich« der »Jesueliter«
279 279 287 290 304
Verzeichnis der zitierten Literatur
312
Personenregister
338
Sachregister
344
VIII
Zur technischen Einrichtung des Bandes
Im Darstellungsteil des vorliegenden Bandes werden die im Verzeichnis der zitierten Literatun innerhalb von Sachgruppen alphabetisch aufgeführten Publikationen durch die Angabe der römischen Ziffer des Abschnitts der Bibliographie sowie des Verfassernamens, bei mehreren im selben Abschnitt aufgeführten Titeln desselben Autors auch durch das Erscheinungsdatum der Publikation sowie mit der Seitenzahl zitiert. Die Forschungsliteratur aus Abschnitt II des Verzeichnisses wird mit hinzugesetzter arabischer Ziffer aufgeführt, welche auf den jeweiligen historischen Bezugs-Autor verweist. Der Name eines im Satzzusammenhang bereits erwähnten oder eines im betreffenden Kapitel behandelten Autors wird in den Klammern nicht wiederholt. Bei Autoren, denen ein Kapitel oder ein Abschnitt der Darstellung gewidmet sind, entfällt die Repetition der römischen Ziffer nach ihrer ersten Notierung. Darüber hinaus werden entweder die zitierten Ausgaben nach den in der Forschung eingebürgerten Abkürzungen genannt oder die Hauptwerke nach den Titel-Initialen aufgeführt. Die betreffenden Abkürzungen selbst sind im Literaturverzeichnis unter dem jeweiligen Autor zitiert und aufgeschlüsselt.
IX
Vorwort
Vor einem halben Jahrhundert erblickte die Forschung in der Mystik des 17. Jahrhunderts noch die »geistige Mitte des deutschen Barock« (III Vietor, S. 60); als »religiöser Irrationalismus« stand sie danach der »humanistischen Verweltlichung des Menschentums durch rationale Autonomie« wie ein Bollwerk gegenüber (ebda.). Heutzutage indessen spielt die Barock-Mystik in den literarhistorischen Darstellungen zumeist nur noch eine Nebenrolle (vgl. III Szyrocki 1968 und 1979; Wiedemann 1973; IV Herzog 1979; Browning 1980; Meid 1983 und 1986; III Grimm 1984; Steinhagen 1985), und außerhalb Deutschlands ist sie - abgesehen von Angelus Silesius - auch in der Fachwelt kaum bekannt (vgl. III Gorceix 1977, S. l Iff.): Zum einen reklamiert eine vorwiegend geistesund ideengeschichtliche Forschung den Begriff »deutsche Mystik« bis heute ausschließlich für die »mystische Literatur des Spätmittelalters in der deutschen Volkssprache« (III Haas 1987, S. 234) und wertet von daher die unter diesem Begriff firmierende Frömmigkeitsform des 16. und 17. Jahrhunderts nur als verfälschte, verwässerte oder durch den Konfessionsstreit belastete »Wiederaufnahme« der mittelalterlichen Mystik ab (vgl. III Wentzlaff-Eggebert, S. 186ff.); zum ändern erarbeitet eine vorwiegend sozialgeschichtlich interessierte Forschung seit mehr als zwei Jahrzehnten ein an der Gelehrten-Literatur des 17. Jahrhunderts orientiertes säkulares Epochen-Bild, in dem die Mystiker angesichts der mit dem frühmodernen Staat paktierenden Barock-Humanisten ebenfalls nur noch als unzeitgemäße und epigonale Nachfahren einer geschichtlich überholten Frömmigkeitsform und Lebenshaltung erscheinen. - In der vorliegenden Darstellung indessen erhalten diese »Außenseiter« ihr >epochales< Gewicht im Kontext des Konfessionalismus zurück. Dies zunächst in ihrer Funktion als komplementäre Ergänzung zum Humanismus des 17. Jahrhunderts (vgl. dazu die folgende Einleitung b u. c), sodann aber auch mit Blick auf die Genese der frühen Neuzeit insgesamt. Dazu vorab einige Hinweise, die zugleich die Konzeption dieser Lyrik-Darstellung und den Stellenwert des vorliegenden Bandes darin verdeutlichen sollen. Kulturgeschichtlich nicht weniger bedeutsam und folgenreich als die in Deutschland vergleichsweise späte und uneinheitliche Entwicklung
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Vorwort
zum Absolutismus ist die mit der Reformation einsetzende tiefgreifende Konfessionalisierung aller Gebiete des Reiches (vgl. Bd. I). Vor allem in der Epoche des Konfessionalismus (1555/63-1685) versucht eine machtbewußte katholische, lutherische und calvinistische Geistlichkeit im Verbund mit den verschiedenen territorialen Mächten das eigene Kirchentum auch mithilfe der pragmatischen Formen der Lyrik rücksichtslos durchzusetzen und zu festigen (vgl. Bd. II). Deshalb beherrscht die angstbesetzte >Gretchenfrage< nach der christlichen Religion bzw. dem richtigen Bekenntnis wie kein anderes Thema diesen Zeitraum. Sie reguliert tiefgreifend das Leben im frühmodernen Staat: Glaubensgrenzen sind in ihm Landesgrenzen, trennen Gläubige von Ketzern, schaffen kollektive - z. T. bis heute nachwirkende - Feindbilder. Das christlichkonfessionelle Dogma ist verbindliche Lehrdoktrin und Lebensmaxime. Die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Grundlagen der Moderne - insbesondere das neue Weltbild, die Autonomie der Wissenschaften und Künste - können sich in diesem Zeitraum weithin nur gegen die zur Orthodoxie erstarrten Kirchen etablieren. In solchem Machtkampf um die Durchbrechung der Konfessionalisierung und die Durchsetzung der Säkularisierung spielen die protestantischen Mystiker des 17. Jahrhunderts eine gewichtige Rolle. Mit ihrem Streben nach einer nicht mehr durch die Amtskirche vermittelten und an deren Autorität gebundenen, sondern vom einzelnen selbst verantworteten, unmittelbaren Teilhabe am Numinosen stellen sie den Höheund zugleich Wendepunkt der mit der Reformation einsetzenden religiösen Reformversuche dar. Sie sprengen die Grenzen ihrer Konfession, treiben die mit der Renaissance einsetzende und auch vom Humanismus angestrebte Neubegründung des Subjekts bis zur ketzerischen Deifizierung und bereiten gerade dadurch - zugleich als Vermächtnis für die Aufklärung - seine Säkularisierung vor. Sie stärken den frühneuzeitlichen Weg von Gott zum Menschen, indem sie die »unio« im Gegensatz zur mittelalterlichen Mystik durch Umdeutung zentraler Dogmen und Rückgriff auf die Magie in die Verfügbarkeit des Menschen transponieren. Ihr Werk gewinnt im Zusammenhang damit auch vielfach bereits einen authentisch-autobiographischen Charakter und weist stärker als die von Rhetorik und Poetik genormte Poesie des Humanismus individuelle Stilmerkmale auf. Mit ihrem Insistieren auf persönlicher Erfahrung und Subjektivität opponieren die Barock-Mystiker - ohnehin zumeist theologische Laien - gegen die scholastischen Systembildungen sowohl orthodox-theologischer wie frühmodern-philosophischer Provenienz (vgl. III Gorceix 1977, S. 323ff.; Sudbrack, S. 143ff.). Zugleich leisten sie dem Pantheismus Vorschub, indem Gott für sie auch in der
Vorwort
XI
Natur anschaubar und erfahrbar wird. Auch dies verstärkt die Tendenz der Barock-Mystik, das »unio«-Erlebnis vom Geist in die Sinne zu verlagern und damit das allegorische Sprechen bereits in ein symbolisches zu überführen (vgl. dazu auch III Gorceix 1978, S. 403ff.). Die der allgemeinen »Schau-Lust« des 17. Jahrhunderts entsprechende Aufwertung der Sinne impliziert die Inthronisation der Phantasie und damit der Poesie als des entscheidenden magischen Mediums zur Herstellung der Gottesgemeinschaft. Damit aber wird das >Allerheiligste< der christlichen Frömmigkeit ästhetisiert und die Poesie - ein wichtiger Schritt auf ihrem Weg zur Autonomie - geheiligt. So hat die Barock-Mystik zentrale Tendenzen der Lyrik des 18. Jahrhunderts - von der Naturpoesie der Frühaufklärung (vgl. Bd. V) bis zur ästhetisierten Religiosität Klopstocks und der mythopoetischen Feier der Selbstermächtigung des Subjekts beim jungen Goethe (vgl. Bd. VI) - mit vorbereitet. - Dies aufzuzeigen, ist die eine Aufgabe des vorliegenden Bandes. Die andere besteht darin, die Besonderheit und Eigenständigkeit der deutschen Mystik des 17. Jahrhunderts aus dem Kontext des Konfessionalismus heraus zu entfalten.
Ines Kharroubi, Martin Röttger, Christine Wand und vor allem Christian Soboth haben sich um die technische Betreuung dieses Bandes verdient gemacht. Dafür sei ihnen auch an dieser Stelle herzlich gedankt. Bochum, 29. 2. 1988
H.-G. K.
Einleitung
a) Forschungsprobleme und Versuch einer Definition von Mystik Die Literaturgeschichtsschreibung hat ernstzunehmende Gründe für ihre Zurückhaltung gegenüber dem Phänomen der Barock-Mystik. Bei den Argumenten für deren Marginalisierung werden immer wieder drei Probleme deutlich: unterschiedliche Definitionen von Mystik und daraus resultierende Werturteile, Vorbehalte vor allem gegenüber dem Zusammenhang von >echter< Mystik und Poesie sowie - wie schon angedeutet - die Schwierigkeit einer Einordnung dieser frühneuzeitlichen Frömmigkeitsform in den Epochen-Kontext. Diese Probleme seien deshalb zunächst erörtert; sie eignen sich überdies zur Einführung in das Thema dieses Bandes und vermögen zugleich dessen Konzeption und Darstellungsschwerpunkte zu begründen. Einige Beispiele sollen zunächst veranschaulichen, in welchem Umfang und Ausmaß die Mystik des 17. Jahrhunderts neuerdings durch das jeweilige Vorverständnis in ihrem Bestand reduziert worden ist. Szyrokki und Meid behandeln den Jesuitenpater Friedrich von Spee (15911635), der ohnehin »abseits von der vorherrschenden >gelehrten< Literaturpraxis des (protestantischen) 17. Jahrhunderts« stehe (IV Meid 1986, S. 108), lediglich als katholischen Kirchenlieddichter (ebda., S. 104ff.; III Szyrocki, S. 270ff.), andere nur als engagierten aufklärerischen Bekämpfer des Hexenwahns (vgl. Bd. II, S. 82ff.); ihn als Mystiker zu betrachten, ist für Meid ein »Mißverständnis« (IV 1983, S. 106). Für Werner Milch ist der Diplomat und Hofmann Daniel Czepko von Reigersfeld (1605-1660) schon allein wegen seiner »Diesseitszugewandtheit« kein Mystiker, und Czepkos Versuch einer Kontamination von Poesie und Mystik erscheint Milch als grundsätzlich verfehlt, weil der dichterische Charakter das mystische Anliegen letztlich verfehle und verfälsche (II.7 Milch 1963, S. IXff., XXXII). Für Krausse sind zwar die Lieder Catharina Regina von Greiffenbergs (1633-1694) »von mystischem Gedankengut durchdrungen«, doch könne man sie »nicht eigentlich als Mystikerin bezeichnen«, da sie den Abstand zwischen Seele und Gott nicht aufhebe (IV, S. 424). Browning hält die Freifrau für ebenso nichtmystisch wie Spee oder Quirinus Kuhlmann (1651-1689), ja sogar der
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Einleitung
berühmteste und insgesamt unangefochtenste Barockmystiker, nämlich Angelus Silesius,muß bei ihm - ebenso wie bei Althaus (vgl.II.58, S. 33f.) - Federn lassen: Mystisch seien nicht dessen >Geistliche Hirtenlieder der in ihren Jesum verliebten PsycheCherubinischer Wandersmannvia mystica< das Heil selbst durch menschliche Gefühls-, Erkenntnis- oder Willensakte verfügbar gemacht wird, muß sich der Protestantismus von der Mystik distanzieren«, erklärt z. B. Zeller (III, S. 53), und mit dieser Charakterisierung hat er wie sich zeigen wird - genau die Intention bedeutender protestantischer Mystiker des 17. Jahrhunderts getroffen. »Erst recht hat das Luthertum jene Formen der Mystik abgelehnt, in denen ein radikaler Spiritualismus Geist und Wort auseinanderriß oder bei denen die Transzendenz der Offenbarung durch eine absolute Immanenz des >innern Wortes< gefährdet wurde« (ebda., S. 54): Auch dies trifft auf bedeutende protestantische Autoren jener Zeit zu (vgl. Kap. II). Von daher schwankt das theologie- und kirchengeschichtliche Urteil über die frühneuzeitliche Mystik auf eine für die Germanistik wenig hilfreiche Weise hin und her und überträgt sich auf die Definitions- und Abgrenzungsversuche, etwa im Blick auf Mystik und Spiritualismus. Während z. B. Bornkamm für eine Trennung zwischen ihr und dem Spiritualismus plädiert und als Beweis für den Sinn dieser Unterscheidung »so unmystische Gestalten wie Schwenckfeld und Paracelsus« ins Feld führt (III, S. 11), bezeichnet Martin Schmidt den bedeutenden schlesischen Reformator Kaspar von Schwenckfeld (1489-1561) als »ersten großen Kristallisationspunkt der protestantischen Mystik« (III 1960, S. 1254; ebenso Schoeps, S. 31 f.). Unter dem Namen des von Bornkamm als Spiritualisten eingestuften Va-
Einleitung
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lentin Weigel (1533-1588) »verbirgt sich« für Schmidt »im 17. Jahrhundert die protestantische Mystik« (ebda.)· Der zu Lebzeiten von der Orthodoxie heftig angefeindete lutherische Theologe Johann Arndt (15551621) wiederum, heute auf Grund seiner überragenden Wirkungsgeschichte als »die einflußreichste Gestalt der lutherischen Christenheit seit den Tagen der Reformation« gewertet (II.3 Wallmann, S. 54), jedoch von der Forschung nur wenig beachtet, soll »kein Mystiker, aber ein Liebhaber der Mystik« gewesen sein (ebda., S. 74; ähnlich II.3 Stoeffler, S. 47), während Schmidt ihn und den Haupthäretiker des 17. Jahrhunderts, nämlich den schlesischen Pansophen Jacob Böhme (1575-1624), als »die eigentlichen Leitgestalten der protestantischen Mystik im 17. Jahrhundert« apostrophiert (III 1960, Sp. 1254). Angesichts der Fülle von Wechselbeziehungen und Einflüssen zwischen verschiedenen häretischen Gruppen und Einzelgängern, angesichts der Anverwandlung, Umwandlung oder bloßen Zitation der vorreformatorischen Mystik im Protestantismus der frühen Neuzeit hat sich die Kirchengeschichtsschreibung bis heute auch auf keine klare Unterscheidung von Mystik und Spiritualismus bzw. auf eine brauchbare Definition der »Gottesgemeinschaftskunst« einigen können. Und wenn nun heutzutage von Seiten der katholischen Theologie versucht wird, gerade über diese Frömmigkeitsform die Gemeinsamkeit der Konfessionen in Kernfragen des Glaubens wiederzuentdecken (vgl. III Sudbrack), dann dürfte sich die protestantische Verlegenheit gegenüber der Mystik in der eigenen Konfessionsgeschichte kaum verringern. Ein solcher Forschungsstand stimmt skeptisch gegenüber der an sich plausiblen These, »daß wir, um auch nur im Ansatz fassen zu können, was Mystik ist oder sein soll, am Ort ihrer historischen Verwirklichung ansetzen müssen« (III Haas 1986, S. 323), oder gegenüber der Empfehlung, sie »als ein umfassendes historisches Phänomen zu verstehen und demgemäß in den Begriff der Mystik all das einzubeziehen, was aus mystischen Traditionen stammt oder zu eigenständigen Formen mystischer Frömmigkeit beigetragen hat«, anstatt vorab »durch eine begriffliche Festlegung die Thematik zu verengen« (III Zeller, S. 35). Solcher Pragmatismus enthält eine zirkuläre Argumentation, weil er doch immer schon ein Vorverständnis dessen voraussetzt, was als historische Erscheinungsform von Mystik überhaupt aufgesucht werden könnte. Da die mystische Erfahrung von den Quellen auch noch »in verschiedener Weise expliziert werden« kann (11.40 Hägglund, S. 88; vgl. auch 11.40 Oberman 1967, S. 20ff.) und da - wie illustriert - mehrere am Untersuchungsgegenstand beteiligten Disziplinen und Erkenntnisinteressen bei dem vorgeschlagenen pragmatischen Verfahren einen definitorischen
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Einleitung
Konsens auch schon im Blick auf eine Epoche kaum zu erzielen vermögen, ist die Voranstellung einer Mystik-Definition vorteilhaft und sinnvoll: zur Verdeutlichung des Vorverständnisses, damit auch zur besseren Überprüfbarkeit durch andere Forschungsrichtungen, sowie zu heuristischen Zwecken. Eine solche Begriffsbestimmung sollte so spezifisch sein, daß sie Mystik von anderen Formen der Frömmigkeit unterscheidet. Wenn Zimmermann sie z.B. als »eine religiöse Deutungsaktivität« charakterisiert, »die bestimmte bewegende Erfahrungen, Informationen oder Wahrnehmungen aus unterschiedlichen Bereichen (z.B. der eigenen Seelenregungen, der physischen Welt, des historischen Lebensgeschehens) mit dem konfessionell-dogmatischen Vorwissen vom Göttlichen verbindet und dadurch erst klärt und entfaltet« (III, S. 14), dann wird das Unbefriedigende dieser Definition daran deutlich, daß man sie zugleich auf die Gegnerin der Mystik, nämlich die lutherische Orthodoxie, applizieren könnte. Bei aller richtigen Betonung des die mystische Erfahrung begleitenden Reflexionscharakters darf doch das eigentliche Anliegen, um dessentwillen der Mystiker zu Deutung und Systembildung neigt, nicht ungenannt bleiben (vgl. dazu auch III Haas 1986, S. 333; IV Dinzelbacher, S. 53ff.). Zugleich sollte die Definition aber auch so allgemein sein, daß sich Frömmigkeitsformen verschiedener Epochen gegebenenfalls als historische Ausprägungen >der< Mystik erkennen lassen; insofern weicht eine typologische Begriffsbestimmung auch der Gefahr eines an einer historischen Epoche gewonnenen Mystik-Verständnisses aus, welches - wie bereits gezeigt - dazu neigt, die spezifische Form dieser Epoche dann auch zum alleinigen Maßstab >echter< Mystik zu verabsolutieren. - Mystik, so sei das Phänomen hier beschrieben, ist die von persönlichem Bekenntnis und von Begründung begleitete Suche nach und Erfahrung von dem Einswerden des Menschen mit dem Numinosen (»unio«) und schließt die Übung der Gottesliebe im Dienst an der Welt mit ein (»contemplatio et actio«). Diese Definition als Arbeitsbegriff ermöglicht uns zunächst, die zuvor genannten historischen Autoren sowie verwandte Begriffe wie Spiritualismus, Pan- oder Theosophie unter den Ober-Begriff der Mystik zu subsumieren und ihre Modifikationen des »mystischen Weges« später im einzelnen herauszuarbeiten. Ferner läßt sich von dieser Definition her in einem ersten Schritt die historische, traditionsbildende Kohärenz der Frömmigkeitsform im Blick auf strukturell identische Merkmale in spätmittelalterlicher wie frühneuzeitlicher Mystik aufzeigen: Wegen der überwältigenden, aber nur punktuell gewährten bzw. gelingenden Gotteserfahrung neigen die Mystiker in autobiographischen Zeugnissen zu (Selbst-)Aussprache und Zwiegespräch (mit Gott). »O du mein Herr und
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Gott!« ruft z. B. Teresa von Avila (1515-1582) aus. »Man kann sich mit dir einfach über alles unterhalten« (zit. in III Böhme, S. 38). Die Überfülle des Erlebens drängt den Mystiker zugleich zur Selbstmitteilung. »Were hie nieman gewesen,« erklärt z. B. Meister Eckhart (um 12601328) am Schluß einer Predigt, »ich müeste si ( = die Predigt) disem stocke geprediet han« (II, S. 181). Oder Johannes vorn Kreuz (1542-1591) betont in der Vorrede zu den Erläuterungen seines >Geistlichen GesangsBegnadete< waren die Mystiker häufig religiöse Außenseiter - etwa Laien wie die Beginen oder die sog. »Gottesfreunde« im Spätmittelalter, deren »mystische Agitation« auf die »Herausstellung einer Laienherrschaft im Religiösen gegenüber einer Priesterschaft« zielte, »die weder geistlich noch lebensmäßig mehr vorbildlich war« (III Haas 1987, S. 303) -, und nicht selten wurden sie von Anhängern verehrt und von der Kirche oder der Ordensgemeinschaft verfolgt wie z. B. Meister Eckhart oder Heinrich Seuse (ca. 1295-1366; vgl. II, S. 75ff.), Teresa von Avila oder Johannes vom Kreuz, Jacob Böhme oder Quirinus Kuhlmann (vgl. Kap. I 5 f u. II 5 a). Die Adepten nötigten sie, den »mystischen Weg« der Frömmigkeit zu offenbaren, zu erklären und zu verteidigen, gelegentlich aber auch zu verdunkeln. Die Notwendigkeit von »Bekenntnis und Begründung« der »Gottesgemeinschaftskunst« erfolgte auch aus Gründen der Selbstlegitimation oder eines prophetischen (wie bei Böhme) bzw. missionarischen Selbstbewußtseins (wie in der Jesuitenmystik; vgl. III Sudbrack, S. 154ff.). In diesen Begründungen wird immer wieder die Neigung erkennbar, aus der spezifischen Gotteserfahrung die zentralen Aspekte des religiösen Weltbildes neu und anders zu beantworten als die orthodoxen religiösen Systeme. Vor allem mit dem von ihm selbst ausgehenden Streben nach der »unio« mit dem Numinosen kehrt der Mystiker den von den Kirchen verwalteten »Gnadenweg« um, wonach Gott selbst - durch die »gratia praeveniens« und die sakramentalen Mittel in der Katholischen Kirche oder durch die Verkündigung des »Wortes« im Luthertum - den Menschen begegnet und sie zum Heil beruft, »wo und wann er will« (»ubi et quando visum est Deo«); diese Tendenz zeigt sich sogar in der Mystik des besonders kirchentreuen Ignatius von Loyola (1491-1556; vgl. ebda.). Die einmal erlebte »unio mystica« führt
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Einleitung
zur immer erneuten Bemühung um sie, auch wenn letztere nur in einer passiven ethisch-asketischen Vorbereitung (als einer Stufe der Heiligung) besteht. - Der Wechsel von »Suche und Erfahrung« verweist auf eine tendenziell »antinomische« Struktur der Gottesbeziehung, auf Gottferne und Gottnähe, Liebe und »Genuß« einerseits sowie Entbehrung, Fremde und Abwesenheit Gottes andererseits, und auf die häufig daraus abgeleiteten gnostisch-dualistischen Kosmogonien und Weltanschauungen; Erfahrung und Überwindung des >Risses< zwischen Gott und Welt charakterisieren den mystischen Denk- und Erlebnishorizont, Erniedrigung und Erhöhung des Ich, Weltabkehr und Weltzuwendung sind jeweils mit der Ferne und Nähe verbundene Stadien der mystischen Erfahrung. »Einswerden« meint die Erfahrung vom tatsächlichen Eingehen des Göttlichen in den Menschen, nicht nur in seine Seele, sondern gegebenenfalls - wenn Gott nicht nur als »Geist«, sondern z. B. als »Kraft« wie bei den Pansophen gedacht und erlebt oder als leib-haftiges Mysterium im Sakrament genossen wird (Sakramentsmystik) - auch in seinen Körper. Die neutestamentliche Verheißung, »daß ihr teilhaftig werdet der göttlichen Natur« (2. Petr. 1,4), sowie das Bekenntis des Apostels Paulus: »Ich lebe aber; doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir« (Gal. 2,20), verweisen auf die beiden Möglichkeiten des mystischen Gottesbegriffs: einerseits das tendenziell -Personale der apophatischen, neuplatonischen und theosophischen Richtungen, andererseits die konkrete »Sinnlichkeit« der an der Person Christi orientierten Brautmystik. Keineswegs selten begegnen beide Vorstellungen nebeneinander oder gehen - vor allem im Umkreis des Luthertums und bedingt durch dessen eigentümliche Christologie - ineinander über. Wenn Gott pansophisch oder pantheistisch gedacht und von daher die Natur als »Leib Gottes« begriffen wird, sind Epiphanien des Göttlichen in (naturhaften oder geschichtlichen) Ereignissen sowie ein Gotteserleben aus der »Betrachtung« der Natur möglich (Natur-Mystik). - Der Schluß der Definition verweist darauf, daß »Weitabgewandtheit« kein Echtheitskriterium für mystische Daseins- und Frömmigkeitshaltung ist. Im Gegenteil. Daß christliche Mystik »nicht allein auf innerer Erfahrung« gründet, »keine reine Innerlichkeit« darstelle, betonen vor allem die Theologen (III Böhme, S. 12). Die »wahre Mystik«, so definiert Massa im Blick auf westliche und östliche Mystik, »ringt« »um die aus der Einheit mit dem göttlichen Willen zu vollziehende Gestaltung der Welt« (III, S. 17). So haben sich auch die spätmittelalterlichen Mystiker keineswegs nur »völlig mit ihrem religiösen Innenleben befaßt«, sondern (u. a. durch seelsorgerliche Tätigkeit) intensiv »mit öffentlichen Aufgaben im Leben der Kirche
Einleitung
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abgegeben« (III Haas 1979, S. 17; vgl. Haas 1987, S. 244f., 260ff., 274, 288f.). Analoges gilt - wie später noch illustriert wird - auch für die katholische und protestantische Mystik der frühen Neuzeit. b) Zur Besonderheit der frühneuzeitlichen Mystik Nach diesen ersten - die Definition erläuternden - Hinweisen auf die historische Konstanz wichtiger mystischer Phänomene in Mittelalter und früher Neuzeit gelangt mit dem zweiten Problem, dem Zusammenhang von Mystik und Poesie bereits eine bedeutsame Unterscheidung innerhalb der Gottesgemeinschaft beider Epochen in den Blick. Im Zusammenhang mit seiner >Grundlegung einer Theorie des mystischen Sprechens< fordert Walter Haug, »Alltagssprache und poetische Sprache seien . . . grundsätzlich zu unterscheiden von mystischer Sprache, und zwar genau dann, wenn man berücksichtige, daß in der mystischen Sprachstruktur der Sprechende angewiesen sei auf ein Entgegenkommen von jenseits des ihm sprachlich Faßbaren, was sein menschliches Sprechen wiederum aufhebe« (III Küper, S. 532). Aus der Perspektive des Menschen gebe es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen der Sprache des Alltags, der Poesie und der Mystik, vielmehr seien die von Quint so sehr betonten Stilphänomene mystischen Sprechens wie Negationen, Übersteigerungen, Reihungen, Hyperbeln, antithetische Formulierungen (insbesondere Oxymoron und Paradoxie) sowie die Metapher auch in Poesie und Umgangssprache anzutreffen (vgl. III Haug, S. 494; vgl. auch III Seyppel, S. 178ff.). Von Gott her betrachtet sei dieser SprachUnterschied dagegen fundamental, weil Gottes vorausgehendes und antwortendes Sprechen immer zugleich ein Schaffen sei und damit in absoluter Differenz, im Widerspruch der »unähnlichen Ähnlichkeit« zum Sprechen des Mystikers stehe; denn dessen sprachlichem Akt fehle diese Identität von Sprechen und Sein gerade und er erfahre deshalb in der erstrebten Kommunikation mit Gott immer auch die »radikale Unähnlichkeit« und damit zugleich den Verlust der Identität (vgl. III Haug, S. 495f.). Haugs generell formulierte These ist erhellend für die (spät-)mittelalterliche, keineswegs aber für die frühneuzeitliche Mystik. Vielmehr kann an seiner Theorie das entscheidend Neue des barockmystischen Sprechens verdeutlicht werden, wie es von Böhme auf Czepko, Scheffler und Kuhlmann wirkt: Für Böhme ist die Adam von Gott mitgeteilte ursprünglich-paradiesische Natursprache als wesenhaftes namengebendes Nachschaffen des göttlichen Sprechens ein »Spiegel der Theogonie des göttlichen Worts« (III Rusterholz, S. 189), und mit der von Böhme propagierten Rückkehr zur Natursprache partizipiert der Mensch auch
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wiederum an diesem wesentlichen, schöpferischen, mit dem Benennen zugleich Sein setzenden Vermögen Adams: »Also hat nun der Mensch den Gewalt von dem unsichtbaren Worte GOttes empfangen zum Wiederaussprechen, daß er das verborgene Wort der Gottlichen Scientz wieder in Formungen und Schiedlichkeit ausspricht, auf Art der zeitlichen Creaturen« (II MM, Vorrede S. 2; vgl. dazu III Rusterholz, S. 190). Gerade im »Leib«, in der Sinnlichkeit der Sprache liegt ihr Kraft-Quell und hebt die Vielheit der Erkenntnis zugleich in die Einheit des »Empfindens« als Koinzidenzpunkt der Gotteserfahrung auf. Indem Gott in die Immanenz geholt und hier wesenhaft erfahrbar wird, vermag auch die Sprache vom bloß uneigentlich-allegorischen zum symbolischen Bezeichnen überzugehen und damit das begehrte »Objekt« wesenhaft in der Evokation zu erfassen, ja geradezu zu bannen. Durch das Herabholen Gottes in die Immanenz und die Deifizierung der menschlichen Sprache wird die Differenz zwischen Gott und Mensch so entscheidend relativiert. Von daher besteht für die frühneuzeitlichen Anhänger der »Gottesgemeinschaftskunst« aber auch kein Gegensatz mehr zwischen dieser und der Poesie. Daß dies für den Katholizismus gilt, kann Johannes vom Kreuz, dessen größere Prosawerke als Kommentare zu seinen Gedichten entstehen (vgl. 11.34 Boldt, S. 36ff.), ebenso bestätigen wie die Jesuitenpoesie Spees (vgl. Kap. II 1) oder seines lateinisch dichtenden Ordensbruders Jacob Bälde (1603/4-1668), des mystisch inspirierten »deutschen Horaz« (vgl.II.5 Galle, S. 9ff.). Und im häretischen Umkreis des Luthertums erhebt nur der in den Niederlanden tätige Adept Böhmes und erste Herausgeber seiner Schriften Johann Georg Gichtel (1638-1710) briefliche Vorbehalte gegenüber einer künstlerischen Gestaltung der mystischen Erfahrung (vgl. III Gorceix 1977, S. 314). - Im Mittelalter freilich hatte sich ein solches Gegenüber von Theologie und Dichtung als »zweier sich immer nur notdürftig vertragender Erbfeinde« entwikkelt, deren Träger unterschiedliche Stände - Mönch und Priester auf der einen, der ritterliche Laie auf der anderen Seite - waren (vgl. III Haas 1979, S. 69f.). Bezeichnenderweise hat sich denn auch die vom geistlichen Stand, von Theologen, Nonnen und Beginen getragene spätmittelalterliche deutsche Mystik der Prosa - und zwar hauptsächlich in den Gattungen der Predigt und des Traktats - und nur selten (vor allem bei Mechthild von Magdeburg) der Poesie bedient (ebda., S. 14, 67ff.; vgl. II Mechthild; I Kemp, S. 41 ff.; Lanczkowski, S. lOOff.; 11.43 Mohr; III Kemper 1979). Mit der Renaissance trat dann - wie gezeigt (vgl. Bd. I, S. 65, 84ff.) - der Typ des humanistisch gebildeten »poeta-theologus« neben den Priester und in Konkurrenz zu ihm und reaktivierte den
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altehrwürdigen, auch von Opitz zu Beginn seines >Buchs von der Deutschen Poeterey< zitierten poetologischen Topos von der Dichtung als einer »verborgenen Theologie / vnd vnterricht von Gottlichen Sachen« als Rechtfertigung für seine geistliche Schriftstellerei (II, S. 7). Umgekehrt hielt die Theologie den Topos von der Dichtung als Lüge und damit auch den »Verdacht uneigentlicher Erfahrung der Theophanie« aufrecht (vgl. III Haas 1979, S. 69) und fand in der Literaturwissenschaft dafür - bis heute - sogar Schützenhilfe. Indessen wurde von der hermetischen Sprachauffassung Böhmes her mit dem Postulat einer Rückkehr zur Natursprache und deren Wiederherstellung die Form - und insbesondere auch die »Schallform« - der Sprache von solch fundamentaler Bedeutung, daß sich die Poesie als angemessenes Medium mystischen Sprechens geradezu aufdrängen mußte, und dies nicht nur als herausgeputzter Rahmen und Spiegel des göttlichen Sprechens in seiner Schöpfung, sondern als sinnlich-geistiges Instrument zur Herstellung der »unio mystica« selbst (vgl. dazu Teil II). Der frühneuzeitliche Verweis auf das poetische Sprechen der Bibel gerade im Hohenlied als dem mystischsten ihrer Bücher, aber auch in den Liedern der Psalmen vermochte die Poesie als Form der Mystik zusätzlich zu legitimieren und kulminierte schließlich in Quirinus Kuhlmann, dem Propheten Gottes, der die Offenbarung als Dichtung fortzuschreiben suchte und sie damit vollständig poetisierte (vgl. Kap. II 5). Als immanente Entwicklung betrachtet war die Kontamination von Mystik und Poesie durchaus konsequent und verbürgte im Kontext theosowie pansophischer Theorie auch echte, authentische mystische Erfahrung. Von Seiten der Theologie war sie freilich illegitim, weil sich die Mystik im Medium der Poesie aus der kirchlichen Vormundschaft zum eigenständigen Kommunikationsorgan mit dem Numinosen, ja zum Instrument der individuellen Selbsterlösung erhob. Dabei ermöglichten die rhetorischen und poetischen Mittel ein hohes Maß an affektiver Vergegenwärtigung des Göttlichen, und das poetische Formeninventar - vor allem die emblematische und allegorische Bildlichkeit - eröffnete Spielräume für die Entfaltung heterodoxer Ideen, die freilich im »sensus literalis« des Textes nicht ohne weiteres dingfest zu machen waren und deshalb die konfessionelle Zensur zu täuschen vermochten (vgl. Kap. II 3). Funktionsgeschichtlich und damit von außen betrachtet, stellt sich die Poetisierung der Mystik als bedeutsame Phase im Säkularisierungsprozeß dar: Die Poesie usurpierte »von innen« die christliche Heilsaneignung, und indem sie sich zu deren entscheidendem Organ erhob, ersetzte sie ästhetisierend die Funktion der Kirche und heiligte sich selbst. Hier schon, in der theologischen Ästhetik poetischer Barock-My-
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stik, erreichte die frühneuzeitliche Poesie ihre höchste Dignität, - aber es bedurfte noch des Durchgangs durch die Aufklärung, bis aus der gläubigen Heteronomie eines - wenn auch ästhetischen - Bezuges zum Numinosen die prätendierte Autonomie des prometheischen Selbstgefühls zu werden vermochte: »Hast du's nicht alles selbst vollendet, / Heilig glühend Herz?« (II Goethe GUE, S. 45).
Vier weitere Characteristica sollen im folgenden summarisch die sowohl konfessionsübergreifende als auch -spezifische Stellung und Bedeutung der Barock-Mystik im Epochenkontext des Konfessionalismus skizzieren. 1) Durch die Rezeption der (spät-)mittelalterlichen Mystik im Bereich der katholischen und der deutsch-lutherischen Frömmigkeit trug die Mystik der frühen Neuzeit in einigen Aspekten überkonfessionelle Züge. Der Einfluß Bernhards von Clairvaux (1090-1153) mit seiner asketisch strukturierten, gefühlshaften und zugleich auf die Lebenspraxis gerichteten Christusmystik reichte über Heinrich Seuse und Thomas von Kempen (d. i. Thomas Hemerken ca. 1379-1471) einerseits bis zu Johann Arndts >Wahrem Christentum< und führte dort zusammen mit dem starken Einfluß Johannes Taulers (ca. 1300-1361) zu einem an der »imitatio Christi« orientierten Frömmigkeitsideal (vgl. Bd. II, S. 250ff.), andererseits zur individualistisch-psychologischen spanischen Christusmystik der Teresa von Avila, die Johannes vom Kreuz und Miguel de Molinos (ca. 1628-ca. 1697) beeinflußte und vor allem durch letzteren wiederum auf den Pietismus in Deutschland zurückwirkte (vgl. dazu auch III M. A. Schmidt). - Neben der seraphisch-gefühlshaften, durch nacherlebende Adaption der Bildwelt des Hohenliedes erotisch inspirierten (Braut-) Mystik wirkte die cherubinisch-intellektuelle Form der DominikanerMystik des Meister Eckhart auf die frühe Neuzeit weiter und gewann namentlich auch in schlesischen Kreisen Einfluß. Johannes Scheffler hat die Komplementarität beider Ausprägungen exemplarisch in seinem intellektuell-meditativen >Cherubinischen Wandersmann< und seinen brautmystisch-affektiven >Geistlichen Hirtenliedern< gestaltet (vgl. Kap. 113). Die Krisen, Katastrophen und die unentwegten Lehrstreitigkeiten in der Epoche des Konfessionalismus führten seit etwa 1600 zu einer Neubesinnung im Luthertum, zu einer von einem umfangreichen Erbauungsschrifttum getragenen Frömmigkeitsreform (vgl. Bd. II, S. 227ff.). In diesem Zusammenhang rezipierte die Reformorthodoxie intensiv die mystischen Quellen des Mittelalters, insbesondere im Rahmen
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der lutherischen Gebetsfrömmigkeit (vgl. vor allem Martin Mollers >Meditationes sanctorum patrum< 1584/91). In der auf das kirchenorientierte geistliche Lied übergreifenden »andächtigen Betrachtung« schloß man sich in der Form des »Herzensgebets« »an die Innigkeit und Innerlichkeit der christlichen Mystik« an (III Zeller, S. 43; vgl. als Beispiele dazu die Gebete von Arndt und Paul Gerhardt in Bd. II, S. 273ff.). Neben Moller (1547-1606) gewährten vor allem Philipp Nicolai (15561608) und Johann Arndt der Mystik Einlaß in das Luthertum (vgl. III Zeller, S. 42ff.; Kemper 1985, S. 165ff.; Bd. II, S. 241 ff.). »Die Wiederentdeckung der Mystik«, konstatiert Zeller, »führt im Luthertum zur Überwindung jener Frömmigkeitskrise, die sich in der dritten nachreformatorischen Generation bemerkbar macht und die zugleich Teil einer allgemeinen geistigen Krise ist« (III, S. 43). Und er betrachtet es als einen »hohen Gewinn, daß auf dem Felde der Erbauungsliteratur durch den Austausch des besten und tiefsten Gebetsgutes vielfach eine gesamtchristliche Gemeinsamkeit erreicht wurde« (ebda., S. 44). Indessen verbleibt diese dogmatisch stark abgesicherte Mystik mit Ausnahme Arndts noch ganz in den Bahnen des orthodoxen Lehrgebäudes und unterscheidet sich damit wesentlich von den im vorliegenden Band zu besprechenden Autoren und Werken. Ferner kam es durch die Einführung des - als menschliche »Vorleistung« für die Stufen der »confirmatio« und »unio« erforderlichen Ideals der »imitatio Christi« in die lutherische Frömmigkeit durch Arndt im Bereich der Ethik und im Blick auf die ansonsten zwischen den Konfessionen heftig umstrittene Bedeutung der »guten Werke« für die Heilsgewinnung zu einer pragmatischen Annäherung und zu Formen der Toleranz (vgl. Bd. I, S. 205ff.; Bd. II, S. 263ff.). Zugleich führte das intensive, affektive Interesse am Leben Jesu, vor allem an seinem Leidensweg (»Passionsmystik«), zur Gefährdung der Christologie selbst im Blick auf die Einheit der beiden Naturen in der Person des Erlösers. Für Johann Arndt war Christus einerseits der nachzuahmende irdische Jesus, andererseits das erhöhte Schöpfungs-»Wort« Gottes, das freilich in Gefahr stand, als »Kraft«-Prinzip der Natur selbst zu fungieren. Indem Arndt im vierten Buch des >Wahren Christentums diese als Lehrerin des Menschen auf dem Weg zu Gott beanspruchte, knüpfte er u. a. auch wieder an eine mittelalterliche Tradition der Mystik an, die durch Anselm von Canterbury (ca.1033-1109) und Bonaventura (d. i. Johannes Fidanza 1221-1274) einen »Weg des Geistes zu Gott« (>Itinerarium mentis in DeumAscensio mentis in DeumCorpus hermeticum< (vgl. Bd. II, S. 57ff.; Kap. I 2). Diese Entdeckungen führten zu einer Relativierung des Absolutheitsanspruches der christlichen Religion und Weltanschauung. So erklärte Pico della Mirandola in seiner berühmten >Oratio< >De dignitate hominislogos spermatikos< - zu allen Zeiten in verschiedenen weltanschaulichen Systemen und in der Natur offenbart, die also alle einen Wahrheits-»Funken« in sich trügen (vgl. Bd. I, S. 67). Die christliche Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen wurde - im Zusammenhang mit der Neubelebung der Mikrokosmos-Makrokosmos-Spekulationen - zu der Auffassung radikalisiert, der Mensch sei - vom Geist Gottes erfüllt und als dessen Repräsentant ein »Gott auf Erden«, dazu berufen, zu erkennen, »was ringsum in der Welt ist«, und er agiere in dieser philosophischen Funktion als »erhabener göttlicher Geist in der Hülle menschlichen Fleisches« (vgl. II Pico, S. 33; III Trinkaus). Die Faszination dieser Ideen wirkte sich in einer langanhaltenden Rezeptionsgeschichte aus, und zwar sowohl im Bereich
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der humanistischen wie der mystischen Literatur. Die Aufwertung des Menschen im Zeichen der »imago Dei« erhöhte das Selbstbewußtsein des Mystikers und schuf mit der Verringerung der ontologischen Differenz zwischen »Urbild« und »Abbild« die entscheidende Voraussetzung zu der vom Menschen im Medium der Poesie initiierten Begegnung mit Gott. Vor allem das hermetische Schrifttum blieb bis in die Romantik hinein lebendiger Denkanstoß (vgl. 11.18 Zimmermann; III Faivre/Zimmermann; IV Kemper), es strahlte aus auf verschiedene Bereiche der Naturkunde und -Wissenschaft, so auf Magie und Astrologie (vgl. Bd. II, S. 66ff.), auf Alchimie und Medizin, und förderte gleichermaßen rückschrittlich-abergläubische wie fortschrittliche Entdeckungen. Alle diese von hermetischem Gedankengut inspirierten Disziplinen hielten an der Aufwertung des Bildes vom Menschen fest: Dieser trat der Natur nun in Deutschland besonders eindrucksvoll bei Agrippa von Nettesheim (vgl. Bd. II, S. 66ff.) und Paracelsus (vgl. Kap. I 4 c) - als geisterfüllter Forscher und Gestalter gegenüber, die Versenkung in die Natur war nicht mehr nur Mittel mystischer Begegnung mit dem Göttlichen, sondern auch rationales Mittel der Naturerkenntnis zum Zwecke ihrer Beherrschung. Insofern gehört es ebenfalls zum Kennzeichen frühneuzeitlicher Mystik, daß sie - wie Paracelsus, auf den sich das folgende Zitat bezieht - »im Dienste eines neuen Empirismus. . . die mystischen Elemente mehr und mehr rationalisierte« (III Schmidt 1960, Sp. 1254). Auch hierin zeigt sich eine enge Beziehung zu den zeitgleichen humanistischen Intentionen. 3) Die Mystik der frühen Neuzeit war eng verschwistert mit der Magie (zum Verhältnis von Magie und Religion allgemein vgl. III Petzoldt), auch dies zunächst als Erbe von Renaissance und Humanismus. Deren »verworrene Mischung aus rationaler Neugier und irrationaler Gläubigkeit« hatte eine »Flut okkulter Studien jeglicher Art« zur Folge: »Astralmagie, Zauberei und Mystik waren ein wesentlicher Teil des platonischen Kultes, und der ernsthafte Glaube . . . an esoterische Offenbarung brachte einen weitverbreiteten Enthusiasmus für andere alte Mysterien mit sich: die ägyptischen Orakel des Hermes Trismegistos, Zarathustra, Orpheus, die Sibyllen, ja selbst die jüdischen Arcana der Kabbala, deren Verbreitung eine Folge der tieferen Einsicht in das Hebräische als der Sprache der protestantischen Theologen war.« (III Evans, S. 42f.) Die These, »daß es keinen klaren Unterschied zwischen Humanisten und Okkultisten gab« (ebda.) und infolgedessen eine »Überlappung von Humanismus und Magie im Europa des späten 16. Jahrhunderts« festzustellen sei (ebda., S. 44), faßt Magie in einem sehr weiten Sinne als Okkultismus und begreift von daher Mystik als »Teildisziplin« dieses all-
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gemeinen Phänomens. Seinerseits hat aber auch der Mystikbegriff »immer schon - gewissermaßen auf seiner tiefsten semantischen Ebene auch jenen Bereich des Okkulten, Magischen, Mantischen und Astrologischen . . . mitabdecken müssen«, also das, was man heute als »Mystizismus« von der Mystik zu unterscheiden sucht (III Haas 1986, S. 320). In der frühen Neuzeit haben die Humanisten aller Konfessionen ein weitgefaßtes Magieverständnis gehabt, wie es aus dem Titel von Kaspar Schotts (1608-1688) >Magia Universalis Naturae et Artis< spricht: die »universale Magie« war für Schott »eine Dimension aller anderen Wissenszweige«, die »den Kontakt des Menschen mit der zugrundeliegenden göttlichen Weisheit« lehrte und deshalb mit dem Ziel einer »Kontemplation Gottes« »leicht mystisch gefärbt werden« konnte (ebda., S. 245). Deshalb war die von Agrippa von Nettesheim systematisch zusammengefaßte Lehre der »Magia naturalis« von den im Kosmos wirkenden geheimen Kräften, den Analogien und Sympathien, an denen der Mensch partizipierte und die er sich zunutze machen konnte (vgl. Bd. II, S. 66ff.), auch Bestandteil der humanistischen Weltanschauung im 17. Jahrhundert (vgl. ebda., S.67ff.; III Emrich, S. 57ff.; Evans, S. 245). - Als entscheidendes Vermächtnis der Renaissance hebt Jacob Burckhardt jene Idee der Akademie von Florenz hervor, »daß die sichtbare Welt von Gott aus Liebe geschaffen, daß sie ein Abbild des in ihm präexistenten Vorbildes sei und daß er ihr dauernder Beweger und Fortschöpfer bleiben werde. Die Seele des einzelnen kann zunächst durch das Erkennen Gottes ihn in ihre engen Schranken zusammenziehen, aber auch durch Liebe zu ihm sich ins Unendliche ausdehnen, und dies ist dann die Seligkeit auf Erden.« (III, S. 560f.) Sich an das Numinose hinzugeben, ist nur die Kehrseite des Vermögens, das Göttliche - im klassischen Sinne der Magie - auch zu sich herabzuziehen. In beiden Fällen war es das »Ich«, war es sein Wille, der - je nach Bedürfnis - das Göttliche »attrahierte« oder zu diesem hin »expandierte«. Daß die »unio mystica« vom Menschen ausgeht, war - u. a. legitimiert durch die Lehre des Paulus, »daß sie den Herrn suchen sollten, ob sie doch ihn fühlen und finden möchten« (Apg. 17, 27) - ein genuin mystisches Motiv, mit dem auch die - im Blick auf das Mittelalter einflußreichste - Mystik des (Pseudo-)Dionysius Areopagita einsetzte (vgl. III Haas 1986, S. 326). Die Suche nach dem Numinosen und dessen »Zusammenziehen« im »Ich« sowie die willentliche Hingabe ans Unendliche in der frühneuzeitlichen Mystik besaßen unverkennbar einen magischen Charakter, weil der Mensch die »unio« auf Grund seines geheimen Wissens und mit zauberischen Mitteln glaubte herstellen zu können, weil er wie der Magier über das Göttliche verfügte und weil die Vorstellung von der
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»unio« nicht ein lediglich innerpsychisches, entsinnlicht-weiseloses »Entwerden« in der - Eckhartschen - »Abgeschiedenheit« als einem völligen »Freiwerden von allen Formen und Weisen auch des frommen Verfügens über Gott und seine Gnade« meinte (III Haas 1987, S. 260), sondern umgekehrt und nach dem Exempel der Alchimie die Erwartung einer realen Partizipation an der göttlichen Kraft im Sinne einer vitalen - auch lebensverlängernden - Seele und Leib veredelnden oder verklärenden geistigen Substanz (»Lebenselixier«) implizierte. Die hohe Bedeutung der Sakramentsmystik auch im Protestantismus gründete in der Überzeugung, durch Einnahme des verklärten Leibs Christi sich diesem substantiell anverwandeln zu können. Nicht zufällig nannte deshalb auch der Spiritualist Christian Hoburg (1607-1675) die Theologia mystica eine »geheime Krafft-Theologia der Alten«, und noch im 18. Jahrhundert bezeichnete Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760) »die unmittelbare Wirkung der Person des Heilandes als etwas Magnetisches und Sympathetisches« (zit. in III Zeller, S. 50). Die Legierung mit der Magie und Phantasie (s. u.) ermöglichte den jederzeitigen Zutritt zum Numinosen und ließ die mystische Erfahrung früherer Epochen von einem sich versagenden Gott weitgehend zurücktreten. Man wird dies im Kontext der Katastrophenzeit des Konfessionalismus als Ausdruck eines äußersten Strebens nach Sicherheit des Gottes-Besitzes interpretieren müssen. Deshalb erscheint mir eine - wenn nicht gar die Hauptthese Gorceixs nicht haltbar, neben der Entwicklung zum Subjektivismus (s. u.) sei als zweite thematische Konstante in der Mystik des 17. Jahrhunderts die »tragische Vision« und der Verzicht auf ein geschlossenes philosophisches System auszumachen, worin die unsichere Suche nach einem Echo, Angst und der Wunsch nach Befreiung zum Ausdruck gelangten (III 1977, S. 327ff.). Die Mystik ist gewiß Ausdruck der Epochen-Angst, aber vor allem insofern sie kompensatorisch deren in der »unio« gipfelnde Überwindung darstellt und tatsächlich auch intentional vollzieht. Denn alle bedeutenden Mystiker des 17. Jahrhunderts von Böhme bis Kuhlmann und von Czepko bis zur Greiffenberg verfügen - wie sich zeigen wird - über ein »geschlossenes philosophisches System«, und sie greifen nicht aus (moderner) Skepsis gegenüber der Sicherheit des systematischen Traktates zur »offenen Form« der Poesie, sondern weil - wie gezeigt - auf Grund der platonischen Auffassung von der Sprache als einer nicht-arbiträren, >physischen< Beziehung zwischen Wort und Sache die Poesie für sie zum magischen Mittel der Attraktion des >wesentlich< benannten und durch sinnlich-suggestive Sprachmagie ins Wort gebannten Göttlichen wird.
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Ein zweiter wichtiger Faktor für die Verschwisterung von Mystik und Magie ging vor allem von der Katholischen, in abgeschwächter Form auch von der Lutherischen Kirche aus. Dies macht schon die Herkunft des Begriffs »mystikos« aus den griechischen Mysterien und seine Applikation auf die Kirche als »Corpus Christi mysticum« deutlich (vgl. I Neuner-Roos, S. 254 u. ö.)· Im Zuge der kirchlichen Erneuerung seit dem Konzil von Trient (1545-1563) und der erfolgreich verlaufenden »Gegenreformation« (vgl. Bd. II, S. 133ff.) nutzte die »ecclesia triumphans« die auch in der Volksfrömmigkeit verbreitete Sehnsucht nach direktem Umgang mit den himmlischen Mächten, indem sie ihr Selbstverständnis als »mystischer Leib Christi« vor allem durch Ausgestaltung der Liturgie und durch Verstärkung des sakramentalen Charakters der Messe betonte und in ihr mit der häufig architektonisch zentralen »Komposition des barocken baldachingekrönten Altars« das »eucharistische Element« und damit die Sakramentsmystik stark hervorkehrte (III Lenhart, Sp. 1259). Das Tridentinum hatte den Mysteriencharakter der Messe ausführlich begründet: »Weil in diesem göttlichen Opfer . . . derselbe Christus enthalten ist und unblutig geopfert wird, der sich selbst am Kreuzaltar einmal blutig dargebracht hat«, war das Meßopfer »ein wirkliches Sühneopfer, und es bewirkt, daß wir >Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden zu rechtzeitiger Hilfe< (Hebr. 4, 16)« (I Neuner-Roos, S. 394 ). Damit entsprach dieses »heiligste Sakrament der Eucharistie« als zugleich wichtigstes unter den sieben katholischen Sakramenten intentional und strukturell den Mysterienkulten, in denen es wie in der Gnosis auch »um eine Vergottung des Menschen durch den Empfang der Mysterien« ging (V Diem, S. 89): Durch das genau eingehaltene kultische Ritual vermochte der - selbst durch das Sakrament der Weihe noch eigens mit einem »Charakter indelebilis« ausgestattete, in das Mysterium »eingeweihte« - Priester das göttliche Geschehen - wenn auch »unblutig« - zu wiederholen, zu »repräsentieren« und die göttlichen Wirkungskräfte an die daran Teilnehmenden zu vermitteln (vgl. ebda., S. 94). Was war es anderes als Glaube an priesterliche Magie, wenn Spee den Geistlichen die »gewalt, vnd gleichsam allmacht« zusprach, »durch die wort der Verwandlung den lebendigen Christum warhafftig verursachen, her für bringen, vnd darstellen« zu können (II GTB, S. 476; vgl. dazu 11.62 Heinz, S. 234f.; TN, S. 290ff.)? Insofern war die Sakramentsmystik eher eine Sakramentsmagie. Dieser Charakter wurde unterstützt durch den im Tridentinum nachdrücklich bestätigten Glauben an eine - durch das Nachsprechen der Einsetzungsworte automatisch erfolgende - »Wesensverwandlung« (»transsubstantiatio«): »Durch die Weihe von Brot und Wein vollzieht sich die Wandlung der ganzen Brotsubstanz in die
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Substanz des Leibes Christi, unsers Herrn, und der ganzen Weinsubstanz in die Substanz seines Blutes« (I Neuner-Roos, S. 386). Kein Wunder von daher, daß selbst eine so sehr auf psychologisierende Verinnerlichung der »unio« bedachte Mystikerin wie Teresa von Avila die Realpräsenz Christi sogar als magisch-medizinische Arznei verstand: »Meint ihr, daß dieses heiligste Sakrament keine Speise für unsern Leib wäre, kein ganz wirksames Heilmittel auch für körperliche Leiden?« (II, S. 135) Um dieses zentrale Mysterium einer übernatürlichen - reinen, also >weißen< - Magie entwickelte bzw. reaktivierte der nachtridentinische Katholizismus vor allem unter der Regie der Jesuiten (vgl. Bd. II, S. 127ff., 163ff.) einen reichen Kult öffentlich-repräsentativer Frömmigkeit (eucharistische Andachten, Maiandachten, Marienkult, Heiligen- und Reliquienverehrungen usw.) und profilierte sich insbesondere durch die Verbreitung immer neu entstehender Wunder als Alleinbesitzer und -Verwalter der übernatürlichen Gnadenkräfte: Die weiße Magie erwies sich dabei unentwegt als unfehlbar überlegenes Heilmittel gegenüber den teuflischen Machinationen der >bösenschwarzen< Magie (vgl. Bd. II, S. 74ff., 167f.). Bei Friedrich von Spee offenbart sich das Bedingungsverhältnis exemplarisch: Seine Mystik war weiße Magie im Kampf gegen die schwarze, die rastlos tätige Vergottungssehnsucht war die Komplementär- und Kompensationsbewegung, das Heilmittel gegen die Hingabe (der Hexen und Hexer) an den Geist des Bösen (vgl. Bd. II, S. 82ff.; Kap. II 1). Überdies verfügte die Kirche noch über das magische, auch im Luthertum sehr beliebte (vgl. Bd. II, S. 189) und im Zusammenhang mit Taufe und Teufelsglaube ausgeübte Ritual des Exorzismus (vgl. II Sprenger/Institoris II, S. 3ff., 243ff.; Ill Beyer, S. 53ff.). Damit gelangen das sozialpolitische Interesse und die historische Funktion des magischen Selbstverständnisses der Katholischen Kirche in den Blick: Der durch die Renaissance und sie selbst nachhaltig geförderte Glaube an die Magie festigte auch bei den Gelehrten, die im allgemeinen relativ ungehinderten Zugang zum okkulten Schrifttum hatten (vgl. III Evans, S. 250), die fragwürdig gewordene soziale und politische Bedeutung der Kirche: Sie war die von Gott eingesetzte, mit Christus »mystisch« verbundene und an seinen Kräften magisch partizipierende Institution, welche - darin auch den weltlichen Potentaten überlegen - die okkulten Kräfte der Welt beherrschte. Und zweifellos hat die Kirche mit der frühneuzeitlichen Forcierung des Teufels-, Dämonen- und Hexenglaubens »die Menschen getrieben«, »auf ihrer Hut zu sein« und »Christi Leiden und die Gebräuche der Kirche zu verehren« (II Sprenger/Institoris II, S. 8), sie hat damit auch und gerade den gemeinen Mann diszipliniert und an sich gebunden, insgesamt also mit
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ihrer Nachsicht gegenüber den traditionellen und individuellen Formen mystischer Heilsaneignung und ihrer Propagierung eines magischen Selbst- und Weltverständnisses die eigene Position innerhalb von Staat und Gesellschaft in der Epoche des Konfessionalismus beträchtlich gestärkt (vgl. Bd. II, S. 76; III Evans, S. 245ff, 271 ff.). Während die calvinistischen Kirchen-Formen gegen ein solch magisch-mystisches Selbstverständnis weitgehend gefeit waren, weil sie sich auf Grund des Prädestinationsglaubens nicht als Heilsmittler verstehen und auch die Eucharistie nur als schlichtes Gedächtnismahl begehen konnten (vgl. Bd. II, S. 185ff., 207ff.), nahm das Luthertum eine Mittelstellung ein. Martin Luther (1483-1546) stand der Mystik ambivalent gegenüber. Zunächst hatte er sie als »klösterliche Pflichtlektüre« kennengelernt (11.40 Haas, S. 180) und dann auf dem Wege zum »reformatorischen Durchbruch« intensiv rezipiert (vgl. III Zeller, S. 36ff.). Vor allem die Predigten Taulers, dem er »lebenslang unverminderte Hochschätzung« entgegenbrachte (11.40 Benrath, S. 51) und dessen Werk er bezeichnenderweise als »sapientia experimentalis et non doctrinalis« also als Erfahrungsweisheit anstelle von Schulwissen - lobte (vgl. III Sudbrack, S. 145), bestärkten ihn in der hohen Einschätzung der Menschheit Christi für die Erlösung (vgl. Bd. I, S. 184; dasselbe gilt für die Position der Teresa von Avila; vgl. dazu III Sudbrack, S. 152f.). Mit der Evidenz der persönlichen Erfahrung öffnete sich für Luther ein Weg zur Emanzipation aus der Scholastik, zugleich ein Weg zu Gott durch das volkssprachliche Hören des »Wortes« (vgl. 11.40 Haas, S. 185ff., 195ff.; III Zeller, S. 38ff.). Der frühe Luther edierte einen spätmittelalterlichen mystischen Traktat, die von ihm so genannte >Theologia Deutsche (1516 als Teildruck, vollständig 1518) und verschaffte ihr damit eine außerordentliche Publizität im spiritualistischen und pietistischen Luthertum (vgl. III Haas 1987, S. 303). Bezeichnenderweise hat Calvin diese Schrift scharf abgelehnt (vgl. II.3 Wallmann, S. 64). Andererseits scheint Luther gerade durch seine Anthropologie und Rechtfertigungslehre aller mystischen Intention den Boden entzogen zu haben: Seine radikale Auffassung vom Sündenfall ließ keinen Platz mehr für ein neuplatonisch-eckhartisches »Seelenfünklein«, und der selbstbewußte »uomo universale« der Renaissance sowie des erasmischen Humanismus wurde unter soteriologischem Aspekt zur ohnmächtigen Materie des ausschließlich an ihm handelnden Gottes abgewertet (vgl. Bd. I, S. lOOf.). Luthers häufiger Gebrauch des brautmystischen Vokabulars betonte vor allem seit der Reformation nicht den Vereinigungs-, sondern den Treue-Aspekt im Umgang Christi mit der Gemeinschaft der Gläubigen, wobei er diese Partnerschaft häufig mit Bildern
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des Hausstands illustrierte (vgl. 11.40 Schwarz, S. 133ff., 137). Indem der Reformator jegliche Mitwirkung des Menschen am Heilserwerb ausschloß, entzog er auch dem mystischen »itinerarium« hin zu Gott den theologischen Boden. Indessen hat man von theologischer Seite auch wiederum sein Verständnis des Glaubens als einziger menschlicher Bedingung des Heilsempfangs der obersten - passiven - Stufe des mystischen Weges vor der Einstrahlung des Numinosen analogisiert und als eine Art Lutherscher »Demokratisierung« der »Hochmystik« interpretiert (11.40 Oberman, S. 54), und zugleich geschah seine Abwertung des Menschen zur bloßen »Larve« Gottes letztlich doch nur um der Gewißheit willen, daß Gott selbst am und im Menschen das Heil wirkt, daß der ohnmächtige Mensch also - in deutlicher Analogie zu Meister Eckharts Lehre vom Leersein, um Gottes voll sein zu können (vgl. III Haas 1987, S. 261) - an der göttlichen »Form« wirklich »teilhat« (vgl. IV Kemper I, S. 189ff.). Von diesem zentralen Interesse her waren auch sein Glaubensbegriff im Sinne eines Geist- und Christus-Besitzes und seine frühe Lehre von der Vereinigung der Seele mit Christus mystisch ausdeutbar, und tatsächlich hat letztere zum Einzug der Christus-Mystik in das lutherische Frömmigkeitslied geführt (vgl. Bd. II, S. 236ff.). Von magischen Vorstellungen geprägt ist seine Christologie, und hier vor allem die Ubiquitätslehre (vgl. Bd. I, S. 185ff.). Sie verlockte die Spiritualisten zu Spekulationen über die Beschaffenheit des »himmlischen Fleisches« Christi (vgl. Kap. I l c) und seiner Wesensgemeinschaft mit den Gläubigen (vgl. III Bornkamm, S. 5; 11.40 Iserloh, S. 72). In dieser Lehre zeigten sich beim Reformator Neigungen zu einem möglichst sinnlichen Verständnis der Gegenwart des »Retters«, wie es auch in seiner in der Ubiquität begründeten Lehre von der Realpräsenz Christi im Abendmahl zum Ausdruck gelangt. Die Betonung der Sakramente bei Kaspar von Schwenckfeld (1489-1561), Böhme oder bei der Greiffenberg ist diesem magischen Kern des Lutherschen Bedürfnisses nach greifbarer Heilsversicherung nahe verwandt. In der Auseinandersetzung mit Karlstadt, Müntzer, Schwenckfeld und dann mit Weigel und Arndt eliminierte die lutherische Orthodoxie mehr und mehr ein mystisches Verständnis der Lutherschen Position, während die Spiritualisten tatsächlich Grund hatten, sich vor allem auf den frühen Reformator zu berufen (vgl. Kap. I 1). Die Position der Freifrau von Greiffenberg zeigt exemplarisch, wie auch eine konsequente gedankliche Durchdringung und Anwendung der orthodoxen lutherischen Position zu mystisch-magischen Konsequenzen zu führen vermochte (vgl. Kap. II 4).
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Eine besondere frühneuzeitliche Gemeinsamkeit katholischer und lutherischer Mystik resultierte aus deren Sinnlichkeit und Affekthaftigkeit. Gewiß lebte in beiden Konfessionen auch die Wege- und Aufstiegsmystik fort, in welcher die Sinne und die Phantasie immer nur eine erste - vordergründige - Phase der Meditation darstellten, die dann in der Kontemplation durch »die Reinigung des sinnlichen Verlangens« und die »Nacht der Sinne« abgelöst werden sollte (II Johannes vom Kreuz, S. 146f.). Indessen entwickelte und pflegte gerade der Jesuitenorden eine stark am Willen und an der Phantasie orientierte Mystik (vgl. Bd. II, S. 82ff., 163ff.; Kap. II 1), in welche zugleich die Visionsliteratur als spätmittelalterliche Modegattung breiten Eingang fand (Verbildlichung visionärer Räume wie Hölle und Fegefeuer, Paradies und Himmel sowie abstrakter Heils-Sachverhalte; vgl. IV Dinzelbacher, S. 53ff., 90ff.; vgl. dazu auch Bd. I, S. 271 f.; Bd. II, S. 163ff.). Im Gegensatz zur ursprünglichen Wortbedeutung (gr. myein = die Augen schließen) hat vor allem die katholische Kirchenmystik einen stark an sinnlicher Vergegenwärtigung des Göttlichen orientierten, gefühlsbetonten Charakter, der mit der »Schaulust« des 17. Jahrhunderts konvenierte und sich besonders in der bildenden Kunst und Architektur der Zeit ein Denkmal gesetzt hat. Gerade in diesem Punkt also stimmt ein beachtlicher Teil der Mystik des 17. Jahrhunderts mit den Implikationen des kunsthistorischen >BarockTrvtz-Nachtigal< sogar ein eigenes ehrgeiziges Kunst-Programm (vgl. Kap. II l b). Das hermetische Welt- und Menschenbild der Renaissance war eine gemeinsame Grundlage beider Richtungen (vgl. Bd. II, S. 66ff.). Und weil sie an dessen Fortbestand und Weiterentwicklung interessiert waren, bedienten sie sich nicht nur einer formenreichen Poesie, sondern unabhängig von der Stilhöhe auch einer vieldeutigen Sprechweise. So lautete ein Hauptvorwurf der Orthodoxie gegenüber Johann Arndt, dieser »rede auf solchen Schlag«, »das . . . es auff alle Sättel gerecht / Vnd ein Rechtgläubiger auff die seine / ein Schwenckfelder / Widertäuffer vnd Wigelianer aber / gar wol auch auff seine verkehrte Meinung ziehen kann« (II Osiander, S. 4): In der Epoche des Konfessionalismus verrät uneindeutig-polyvalentes Sprechen häufig das Interesse an der Einbeziehung nicht-orthodoxer Ideen und ist tendenziell eine Sprache der Toleranz, deren Mehrdeutigkeit unter den orthodoxen Textsignalen allerdings oft nicht leicht zu erkennen ist. Darüberhinaus lag auch die magische Sprachauffassung manchen humanistischen Werken etwa der Poesie der Nürnberger Pegnitz-Schäfer - zugrunde (vgl. Bd. IV), und umgekehrt übernahmen die Mystiker kontrafazierend Bilder und Motive aus der >weltlichen< Poesie, speziell aus der Bukolik und Liebespoesie. Auch darin wird eine Übereinstimmung erkennbar: Im Angesicht der Zerstörungen in der Epoche des Konfessionalismus beschwor weltliche wie geistliche Poesie eine »heile« Welt, aber nicht primär als Ausdruck von Jenseitssehnsucht und zur Ablenkung vom Elend der bestehenden Verhältnisse (obgleich sich dieser Effekt immer wieder eingestellt haben mag), sondern als Seelenmedizin im Sinne der hippokratisch-galenischen Arzneikunst, daß das Entgegengesetzte Heilmittel für das Entgegengesetzte sei (vgl. Bd. II, S. 96), als Gegen-Bild, das in der Katastrophen-Zeit den »Riß« zwischen Schöpfer und Schöpfung zu kitten und das Böse - durch imaginativ-affektive Beeinflussung des Willens zum Guten - aus der Welt zu verdrängen und Kräfte für deren Restitution zu entbinden suchte. Darin wird das gemeinsame Interesse von Barock-Mystik und Barock-Humanismus an einer befriedeten Schöpfung und an der Verantwortung für sie deutlich. Dies gilt auch für die monastisch orientierte Mystik Spaniens. Für Teresa von Avila ist »das Verhalten zum Mitmenschen« »der Prüfstein für die Echtheit der Gottesliebe und überhaupt der gesamten Frömmigkeit« (II Teresa, S. 169;
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vgl. ebda., S. 172ff.), und auch für Johannes vom Kreuz dient die mystische Erfahrung »dem Aufbau des Leibes Christi, der Kirche« (II, S. 193). »Die wunderbare Erfahrung Gottes in der mystischen Liebesvereinigung«, so faßt Boldt diese Lehre des Johannes zusammen, »entzieht nämlich den Menschen nur für Augenblicke der Welt, in denen er in die Gottesliebe und Umarmung hineingenommen wird, um danach, durchtränkt und gestärkt durch diese, um so leichter, besser und Gottes Willen entsprechender für die Menschen da sein zu können« (ebda.; vgl. dazu auch Bd. II, S. 256f.). Deshalb auch kehren die mystischen Werke exemplarisch Spees >Trvtz-Nachtigal< (vgl. Kap. II l c) und Schefflers >Cherubinischer Wandersmann< (vgl. Kap. II 3 b) - nach einem zunächst welt-verachtenden Aufstieg der Seele zu Gott am Ende vom »Himmelsflug« auf die Erde zurück, um die Erfahrung der Gottesgemeinschaft im tugendhaften Dienst an der Welt wirksam werden zu lassen. Und nicht zuletzt deshalb auch führten die bedeutenden Mystiker im Luthertum (denen freilich ohnehin keine Klosterexistenz mehr offenstand) und im Katholizismus innerhalb oder außerhalb ihres Bekenntnisses ein aktiv auf die Gesellschaft bezogenes Leben: nicht nur als Geistliche (Weigel und Spee), sondern auch als Ärzte (Paracelsus und seine Anhänger, Scheffler), als Juristen und Diplomaten (Tschesch und Czepko), als Handwerker (Böhme und ein Teil seiner Anhänger) oder als missionarisch gesinnte Ketzerbekehrer (Spee, Scheffler, Greiffenberg, Kuhlmann). Dennoch dürfen die Unterschiede zwischen Barock-Mystik und Barock-Humanismus nicht verwischt werden. Im Gegensatz zu den Hauptvertretern einer weltlich-gelehrten Barockpoesie, die sich und ihre Feder überwiegend in den Dienst des sich etablierenden Absolutismus stellten, gehörten die wichtigsten Repräsentanten der Mystik jenen Schichten an, die im Gefolge der Herausbildung des modernen Fürstenstaates »sowohl Macht als auch Wohlstand verlieren« (vgl. III Gorceix 1985, S. 210ff.; Gorceix 1977, S. 33ff.). So entstammten dem (ländlichen) Kleinadel: Friedrich Spee von Langenfeld, Abraham von Franckenberg (15931652), Johann Theodor von Tschesch (1595-1649), Daniel Czepko von Reigersfeld, Johann Scheffler (geb. »als Sohn eines >Herrn zu Borwicze< oder >von und auf Koberschinunteren Mittelschicht« der Handwerker und kleinen Kaufleute, gehörten u. a. Jacob Böhme und viele seiner Anhänger an. Da die für die deutsche Literaturgeschichte besonders wichtige Mystik aus dem Umfeld des Luthertums von dessen Orthodoxie im allgemeinen unterdrückt und verfolgt wurde (vgl. zur Ausnahme Bd. II, S. 240ff.),
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tendierten die Mystiker aus dem lutherischen Amtsbereich im Gegensatz zu den Repräsentanten katholischer Mystik und der weltlich-humanistischen Poesie - zur Separation, Zirkelbildung und Geheimhaltung ihrer Neigungen. Unter den Proselyten Böhmes ist vor allem der schlesische Zirkel um Abraham von Franckenberg wichtig, dem auch Daniel von Czepko und - vor seiner Konversion - Johann Scheffler angehörten. Dieser Gruppe empfahl Franckenberg folgendes Verhalten: »Ich halte, man bleibe in der Einfalt, im Gebete, in der Liebe, halte sich eingezogen, richte sich selber, lese fleißig in der Bibel, sonderlich das neue Testament mit kindlichem Geiste, lasse die Glossen und Streitbücher fahren, dringe zu Gott ein durch den Glauben ins Verborgene, binde sich nicht an die Zeremonien, ärgere aber auch nicht die Einfältigen; halte sich zu Gott, lasse die Welt zürnen, sei still und verschwiegen, betrachte die göttlichen Reden, Wunder, Werke und Geheimnisse« (zit. in: III Victor 1928, S. 39).
Ganz in diesem Sinne verfuhr Daniel von Czepko, wenn er seine mystischen Schriften nicht zum Druck gab und seine als Buch publizierten geistlichen Gedichte (>Sieben-Gestirn königlicher BußeConfessiones< nachhaltig beeinflußte spätmittelalterliche Nonnen-, Beginen- und Dominikanermystik autobiographische Bezüge auf und beschreibt bzw. reflektiert die je eigene Gotteserfahrung. Jedoch war das Erleben - das gilt selbst für Mechthild von Magdeburg noch stark an den typologischen Nachvollzug biblischer Schriften und heiliger Formen gebunden: Die eigene Erfahrung war Resultat der spirituellen Adaption der >objektiv< vorgegebenen Tradition. »Erst seit dem 16. Jahrhundert« aber kam Erfahrung »nicht mehr aus dem objektiven Wissen und Glauben auf den Menschen zu,« sondern wurde »in sich selbst wahrgenommen, analysiert und bewertet« (III Sudbrack, S. 144f.), und dies läßt sich durchaus mit der frühneuzeitlichen Entwicklung vor allem der Naturwissenschaften zu »Experimental-Erfahrungswissenschaften« in Beziehung setzen (ebda.; vgl. III Gorceix 1977, S. 327ff.). Gerade weil die primäre und entscheidende Krise in der Epoche des Konfessionalismus die der christlichen Religion selbst war, weil der Wahrheitsgehalt der theologischen Überlieferung und Lehre zutiefst infragestellt erschien und dem Lebensvollzug des Gläubigen im Luthertum keine heilsentscheidende Bedeutung zukam, sahen sich die Mystiker auf die Evidenz der eigenen Erfahrung verwiesen. Und diese prägte auch ihr literarisches Werk, dessen poetischer Teil für sie zum Ausdruck und Instrument der »unio« wurde. Insofern lag die Wahrheit nicht mehr außerhalb der Poesie, sondern in ihr und wurde nur durch sie selbst erfahrbar, und daher ist die These Gorceixs nicht zu gewagt, daß in der spirituellen und poetischen Erfahrungskonstitution der lyrischen Mystik des 17. Jahrhunderts »möglicherweise die moderne Literatur geboren« wurde (III 1977, S. 329). Aus der Perspektive frühneuzeitlicher Säkularisierung ergänzen sich Barock-Mystik und Barock-Humanismus komplementär: Während erstere im magisch inszenierten poetischen Vergottungsprozeß die christliche Heilsaneignung »von innen« ästhetisierte und damit ent-kirchlichte, stellte letzterer mit seinem weltanschaulichen Synkretismus, seiner Überkonfessionalität, seinem Einsatz für den Staat als weltliche Ordnungsmacht auch gegenüber der Kirche und mit seiner poetischen Aufwertung des Diesseits den Geltungs- und Machtanspruch der Orthodoxien »von außen« infrage. Mystik und Humanismus bereiteten so gleichermaßen der Aufklärung den Boden.
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c) Der politische Kontext: Die Genese der Habsburgermonarchie Mit Ausnahme des Rheinländers Spee stammten die bedeutenden deutschsprachigen Mystiker des 17. Jahrhunderts aus Schlesien (so Böhme, Franckenberg, Czepko, Scheffler und Kuhlmann) bzw. aus Österreich (Greiffenberg); ihr Lebensraum war daher eng mit dem politik-, sozial- und kulturgeschichtlichen >Werden der Habsburgermonarchie 1550-1700< verbunden (III Evans; zum folgenden vgl. Abb. l aus dessen Werk; ebda., S. 418). Die Habsburger, die wegen ihrer starken Hausmacht Österreich, Steiermark und Krain sowie der luxemburgischen Besitzungen Böhmen und Mähren 1452 die Kaiserkrone erhielten und diese auch fast ohne Unterbrechung bis zum Ende des deutschen Reiches (1806) für sich bewahren konnten, teilten sich unter Karl V. (1519-1559) in eine spanische und eine österreichische Linie. Nachdem die Lehnshoheit über das deutsch besiedelte Schlesien im 14. Jahrhundert bereits von Polen an Böhmen übergegangen war, fiel Schlesien 1526 - zeitgleich mit der Einführung der Reformation - an das österreichische Habsburg (vgl. III Sante, S. 597ff.). Als >Nebenland< Böhmens hatte Schlesien aber eine nicht eindeutig geklärte reichsrechtliche Stellung und wurde deshalb nur indirekt in die Abmachungen des Augsburger Friedensvertrages von 1555 aufgenommen (vgl. dazu Bd. II, S. Iff.). »So konnte späterhin die schwerwiegende Frage entstehen, ob Schlesien vom Religionsfrieden überhaupt miterfaßt worden sei, oder ob es außerhalb geblieben sei, da ihm ja die Reichsstandschaft fehle« (III Schöffler, S. 7; vgl. III Garber 1987, S. 333). - »Um die Mitte des 16. Jahrhunderts« waren die Habsburgerländer »ihrem Wesen nach protestantisch« (III Evans, S. 25), und zwar zunächst fast ausschließlich lutherisch. Dabei kam auch der Position Philipp Melanchthons (d. i. Schwarzerd 1497-1560) eine zentrale Stellung zu, und dies wiederum »in Breslau und anderen schlesischen Städten« (ebda., S. 33; zu Melanchthon und den durch ihn ausgelösten »kryptocalvinistischen Streitigkeiten« vgl. Bd. I, S. 129ff.; Bd. II, S. 185ff.). Der Calvinismus hatte dann in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts große Erfolge in Ungarn sowie im böhmischen, österreichischen und schlesischen Adel. »Wie zahlreiche Territorien, große und kleine, in Westdeutschland bis fast zu den Toren von Wittenberg (Anhalt 1596) sich der radikaleren westlichen Form des Protestantismus erschlossen, so fielen selbst am östlichen Rande des Deutschtums, eben in Schlesien, zahlreiche einflußreiche Herrn diesem Glauben anheim, vor allem die selbständigen evangelischen Herzöge Nieder- und Mittelschlesiens, d. h. die von Münsterberg-Oels und die von LiegnitzBrieg-Wohlau, dazu eine Anzahl Adliger, wie die Herren von Carolath-
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Beuthen, und in Oberschlesien der hohenzollerische Inhaber von Jägerndorf« (III Schöffler, S. 8f.). Hinzu kam eine große Zahl von Sekten in den Ländern Habsburgs, hauptsächlich böhmische Brüder, Unitarier und Täufer, unter diesen insbesondere die Hutterer in Mähren (vgl. Bd. I, S. 228). Diese Bekenntnisse und Gruppen übten faktisch untereinander Toleranz, wobei z. B. »Breslau, die Hauptstadt Schlesiens, in leidlicher Harmonie einem katholischen Bischof, einem lutherischen Bürgertum sowie einer kryptocalvinistischen, wenn nicht überhaupt völlig unorthodoxen Intelligenz eine Heimstätte bot« (III Evans, S. 32). Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts hielt dieser prekäre und labile Zustand des konfessionellen Nebeneinanders im großen und ganzen an. Die Nachfolger Karls V., die Kaiser Ferdinand I. (1503/58-64) und Maximilian II. (1527/64-76) brachten nicht zuletzt deshalb dem Luthertum Toleranz entgegen, weil sie gegenüber dem Reform-Papsttum des nachtridentinischen Katholizismus und seinen Einfluß-Versuchen die dynastische Autonomie zu betonen suchten und die kulturellen Leistungen der Renaissance und des Humanismus bewahrt wissen wollten (vgl. ebda., S. 34f.). Der Wiener Humanismus der 60er und 70er Jahre des 16. Jahrhunderts mit der zentralen Bedeutung von Justus Lipsius (d. i. Joest Lips 1547-1606; zum ihm vgl. Bd. IV) war mit seiner auf Harmonie und Synkretismus bedachten Intention ein »öffentliches Bekenntnis zur Neutralität« (III Evans, S. 59). Die gleichzeitige Wahl und Annahme einer protestantischen Konfession insbesondere durch die Stände - Adel und Städte - war in den Habsburgerländern freilich auch ein politisch brisanter Akt, insofern die Stände damit demonstrativ ihre eigenständige Position gegenüber dem katholischen Herrscherhaus hervorzuheben suchten. So mußte Maximilian den lutherischen Ständen Österreichs und Böhmens 1568 und 1575 das Recht auf freie Glaubensausübung ausdrücklich zusichern. Doch gerade diese enge Verquickung von ständischem und religiösem Selbstbehauptungswillen hat dann auch im Habsburgerreich dazu geführt, daß sich der lange politische Kampf um die Durchsetzung des Absolutismus, der in den einzelnen Ländern der Krone ganz unterschiedlich verlief, mit der Durchsetzung der »Gegenreformation« verband. Die gewaltsame Etablierung der Katholischen Kirche zur allein gültigen >Staatskirche< hatte zugleich die politische Entmachtung und Disziplinierung der protestantischen Stände und Untertanen zum Ziel, und deshalb waren auch die Kämpfe um Religion und Konfession in den Ländern Habsburgs besonders heftig und dauerten vor allem in Schlesien noch über das 17. Jahrhundert hinaus fort (vgl. III Raab, S. 58f.; Sante, S. 608ff.).
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Aus dem Verlauf dieser Auseinandersetzungen kann hier nur an einige wichtige Geschehnisse erinnert werden (zu weiteren Einzelheiten vgl. die Lebensläufe der Mystiker in Teil II). Am Kaiserhof Rudolfs II. (1552/1576-1612) setzte allmählich die Beseitigung des Humanismus ein, unter Kaiser Matthias (1557/1612-1619) galt der Humanismus nach einer Phase seiner Instrumentalisierung für die politische katholische Sache - bereits als heterodox. In dieser von den Jesuiten - vor allem von Petrus Canisius (1521-1597) - sowie von anderen sich reorganisierenden Orden durchgeführten Phase der Gegenreformation profitierten die Protestanten allerdings noch von den politischen Ereignissen von dem 15jährigen Krieg mit dem osmanischen Reich (1591-1606), vom großen Ungarnaufstand Stephan Bocskays (1604-1606) sowie vom Habsburger Bruderzwist -, weil sowohl der kränklich-schwache Rudolf als auch sein Bruder Erzherzog Matthias bei diesen Auseinandersetzungen auf die politische Unterstützung der protestantischen Stände ihrer Länder angewiesen waren (vgl. dazu III Heckel, S. 105ff.; Zeeden, S. 64ff.). 1608 mußte Matthias im Zusammenhang mit seiner Wahl zum König von Ungarn den dortigen - vorwiegend calvinistischen - Protestanten ebenso die Religionsausübung garantieren wie ein Jahr später Kaiser Rudolf in dem von den böhmischen Ständen erzwungenen >Majestätsbrief< vom 9. Juli und einem weiteren >Majestätsbrief< >für die Evangelischen Augsburgischer Konfession in Schlesien< vom 20. August. In diesem bewilligte Rudolf, »daß die gehorsamen Fürsten und Stände, und also alle und jede Einwohner des gantzen Landes Schlesien, sie seyn unter geyst- oder weltlichen Fürsten, Herrn Commendatorn, auch in unsern Erbfürstenthümern gesessen, auffm Land, Städten und in Dörffern, welche der Augspurgischen Confession verwandt seyn und sich zu derselben bekennen, keinen ausgenommen, ihre Religion, laut jetzt erwehnten Confession frey und ungehindert überall an allen Orten verrichten, . . . keiner aus denselben zu einer ändern Religion, als wie sie die bisshero gehabt, . . . gedrungen, oder derowegen verjaget, . . . und also auff keinerley weise noch wege in ihrem Gewissen bedrenget oder betrübet, sondern vielmehr alle und jede dieser Augspurgischen Confessions-Verwandte ... ruhig und unangefochten gelassen werden sollen . . . « (I Raab, S. 168f.)
Zur gleichen Zeit gründeten - wenige Tage nach der Sprengung des Regensburger Reichstages - einige protestantische Fürsten und Städte im Reich unter Führung der reformierten Kurpfalz (und nicht zuletzt deshalb ohne Beteiligung des lutherischen Kursachsen) am 15. Mai 1608 das Schutz-Bündnis der >Union< - ein Jahr später brachte Herzog Maximilian I. von Bayern (1573/1598-1651) das katholische Gegen-Bündnis, die >Liga< zustande (vgl. III Heckel, S. 113; Zeeden, S. 70ff.). Als dann am 9. April 1609 die calvinistischen niederländischen Generalstaaten durch
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einen Waffenstillstand mit Spanien ihre Souveränität erhielten, als 1613 der kurbrandenburgische Kurfürst Johann Sigismund (1572/1608-1620) das reformierte Bekenntnis annahm, ohne allerdings seine lutherischen Untertanen ebenfalls zum Glaubenswechsel zu zwingen (vgl. III Heussi, S. 350), als er im Jülich-Kleveschen Erbfolgestreit 1614 das an die calvinistischen Niederlande anschließende Herzogtum Kleve mit den Grafschaften Mark und Ravensburg erhielt (vgl. III Zeeden, S. 73) und als schließlich nach dem Prager Fenstersturz (1618) der reformierte Friedrich V. von der Pfalz (1595/1614-1632) zum König von Böhmen gewählt wurde und die schlesischen Gesandten sich 1619 dieser Wahl ausdrücklich anschlössen (vgl. III Sante, S. 605), da blühte für kurze Zeit die Hoffnung, »daß im Herzen Europas, in Böhmen, wo über die Geschicke Zentraleuropas seit je entschieden wurde, der Protestantismus in seiner reformierten Version verankert gewesen wäre, von hier aus die Sammlung aller protestantischen Kräfte auf deutschem Boden hätte betrieben, die Konföderation der protestantischen Kommunen und Territorien hätte gelingen, womöglich gar die Kaiserkrone den Habsburgern hätte entwunden werden können« (III Garber 1986, S. 168). In dieser Zeit entstand vor allem in Heidelberg und Schlesien der deutschsprachige Humanismus als kulturpolitische Offensive des - auch hier vom Calvinismus angeführten - Protestantismus gegen den Katholizismus (vgl. Bd. I, S. 27ff.; Bd. II, S. 3f.; III Garber 1987). In den Ländern Habsburgs leitete indessen die Niederlage des »Winterkönigs« Friedrich V. nach der Schlacht am Weißen Berg und dem Zusammenbruch des böhmischen Auf stands 1620 die entscheidende, mit dem Dreißigjährigen Krieg verquickte militante Phase der Gegenreformation ein. Für Kaiser Ferdinand II. (1578/1619-1637) war seit dieser Schlacht der Protestantismus gleichbedeutend mit Untreue, war Häresie und politische Opposition in einem und deshalb aus der theokratisch regierten katholischen Gesellschaft zu eliminieren: »Diese Überzeugung, so entwaffnend einfach, sollte die habsburgische Grundeinstellung bis tief in das 18. Jahrhundert prägen« (III Evans, S. 66). Die Theorie des konfessionellen Absolutismus setzte der Kaiser vor allem im ersten Kriegsjahrzehnt durch: Im >Dresdener Akkord< von 1621 wurde der militärische Oberbefehlshaber der schlesischen Anhänger Friedrichs V., der calvinistische Markgraf Johann Georg (1577/1607-1624), Herzog von Jägerndorf, geächtet und sein Land dem katholischen Herzog Karl von Liechtenstein zugesprochen, der unverzüglich mit dessen Rekatholisierung begann. Nach Johann Georgs Tod fielen seine Gebiete (vor allem die Grafschaft Glatz, Oppeln-Ratibor und seit 1626 auch das Herzogtum Schweidnitz-Jauer) an Ferdinand selbst zurück (vgl. III Sante,
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S. 606). Dieser hatte bereits seit 1621 die Calvinisten als »Volksverhetzer« aus Böhmen verwiesen, die lutherischen Geistlichen vertrieben, und er verbot ab 1625 den öffentlichen protestantischen Gottesdienst. Von 1625 bis 1630 wurde seine Politik durch die militärischen Siege Wallensteins (1583-1634) unterstützt, der sich seit 1626 - mit dem Herzogtum Sagan belohnt - auch in Schlesien festsetzte. 1627 erließ Ferdinand eine neue Verfassung, in der die Katholische Kirche als alleinige Religion zugelassen war, und stellte dem protestantischen Adel eine Frist von sechs Monaten, diese Verfassung zu akzeptieren oder zu emigrieren (vgl. dazu auch Kap. II 4 a). Mit dem Restitutionsedikt von 1629, das die Rückgabe aller seit dem Augsburger Religionsfrieden (1555) von den Protestanten übernommenen Kirchengüter im Reich anordnete, erreichte seine Politik ihren Höhepunkt. Indessen führte gerade diese äußerste Provokation der Protestanten zum Eingreifen der Schweden und damit zu Rückschlägen für den Kaiser im nachfolgenden Jahrzehnt. In Schlesien allerdings vermochte er durch den Prager Sonderfrieden mit Sachsen 1635 die »Konjunktion« der Protestanten entscheidend zu schwächen. Der calvinistische Piastenherzog und Anhänger des »Winterkönigs« Johann Christian von Brieg (1591/1609-1639) mußte sein Land verlassen, die Stadt Breslau verlor ihre Landeshauptmannschaft (vgl. III Sante, S. 607). Der Friedensschluß von Münster und Osnabrück (1648) trug den Habsburgern zwar den Verlust ihrer politischen Vormachtstellung im >Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation< ein, doch gewannen die Kaiser Ferdinand III. (1608/1637-1657) und Leopold I. (1640/1658-1705) nun die »ungehinderte Souveränität über die Erblande und Böhmen« und hatten damit »freie Hand, um die Verdrängung des Protestantismus abzuschließen« und damit den Absolutismus endgültig durchzusetzen (vgl. III Evans, S. 71 f.). Während die Fürsten in den anderen Teilen des Reiches den Friedensbestimmungen entsprechend den konfessionellen Besitzstand des Stichjahres 1624 anerkannten (vgl. I Raab, S. 174), verweigerte Ferdinand III. die Übernahme dieser Religionskonzession für seine Erblande: »Hier galt das ius reformandi und damit die Gegenreformation, von einigen Zugeständnissen in Schlesien und Niederösterreich abgesehen« (III Heckel, S. 203). So bedeutete der Westfälische Frieden für die böhmischen, schlesischen und österreichischen Protestanten den »Todesstoß« (III Evans, S. 72); er verhinderte die Rückkehr des ins Exil vertriebenen Adels und forcierte die Rekatholisierung der Daheimgebliebenen. Daß in dieser Zeit Mystizismus und Rosenkreuzertum im Protestantismus aufblühten, hält Evans nicht ohne Grund für eine unfnittelbare Folge dieser politischen Entwicklung (ebda.).
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In Schlesien wurde der Protestantismus, der sich bis zur Jahrhundertmitte noch bemerkenswert lebendig erhalten hatte, nun besonders brutal niedergerungen. Die lange Regierungszeit Leopolds I. stellte die Blütezeit der Gegenreformation in seinem Herrschaftsbereich dar: »Trotz nomineller Garantien an die schlesischen Lutheraner im Westfälischen Frieden kam es jetzt in den von den Habsburgern kontrollierten Erbherzogtümern (Glogau, Schweidnitz-Jauer, Oppeln-Ratibor) zur Schließung von 600 lutherischen Kirchen.... 1675 starb der letzte heimische Piastenfürst, und seine Lehensgüter (Liegnitz-Brieg-Wohlau) waren das Ziel eines neuerlichen Angriffs. Mehr als 100 lutherische Kirchen wurden geschlossen und die calvinistischen Gottesdienste in den Kapellen des ehemaligen Herrscherhauses eingestellt. Um 1700 verfügten die schlesischen Protestanten nur mehr über etwa 220 Gotteshäuser im Vergleich zu über 1500 ein Jahrhundert zuvor. In ihrer städtischen Hochburg Breslau und anderen halbgeschützten Gebieten verteidigten sie sich auf das entschlossenste. . . . Im gesamten Gebiet der Erbherzogtümer besaßen sie lediglich drei Kirchen, bekannt (ironischerweise) als Friedenskirchen, und selbst diese mußten aus Holz sein.« (III Evans, S. 101; vgl. dazu auch Kap. II 2 a).
Diese Unterdrückungs-Kampagne ließ vor allem die reformierten Schlesier auf Hilfe aus dem benachbarten Brandenburg hoffen, dessen Ansprüche aus dem plastischen Erbvertrag durch die Habsburger Politik faktisch übergangen wurden. Seit dem Tod von Georg Wilhelm, dem letzten reformierten Piasten, zeichnete sich am Ende der Epoche des Konfessionalismus bereits die für die Aufklärung konstitutive Konfrontation der beiden deutschen Großmächte Brandenburg-Preußen und >Österreich< ab (vgl. Kap. II 5 d). Die Annektion Schlesiens durch Preußen konnte noch mitten im 18. Jahrhundert als legitime Befreiungstat des Protestantismus gegenüber einem despotischen Katholizismus hingestellt und das Aufgehen Schlesiens in Preußen damit ideologisch gerechtfertigt werden (vgl. III Raab, S. 58; vgl. dazu Bd. V). Gewiß erwuchs aus der politisch-konfessionellen Spannungssituation Schlesiens »einzigartige Rolle als Vermittler« (III Evans, S. 220), und zwar sowohl zwischen den Konfessionen, die im Alltag nach einem »modus vivendi« des »friedlichen Nebeneinanderlebens bei Vermeidung jedes tiefergehenden Zugeständnisses« suchen mußten (III Schöffler, S. 30), als auch zwischen den Habsburgerländern und dem Reich (III Evans, S. 220). In diesen Kontext gehören auch die schlesischen Mystiker und Barock-Humanisten, unter letzteren die bedeutendsten weltlichen Dichter des 17. Jahrhunderts: Martin Opitz (1597-1639), Friedrich von Logau (1604-1655), Andreas Gryphius (1616-1664), Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1617-1679), Daniel Casper von
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Lohenstein (1635-1683) und Johann Christian Günther (1695-1723). Ihr Leben und Werk ist nur aus dem skizzierten Spannungsfeld heraus angemessen zu begreifen. Dann aber stellt sich auch das vielfach ÜberKonfessionelle ihrer Werke nicht als »Vorbeigehen« an den eigentlichen Problemen der Zeit, sondern als Zeichen einer »konfessionellen Befriedungspolitik« dar, in der man mit Recht »das geschichtlich größte Verdienst der europäischen Späthumanisten« erblickt hat (III Garber 1987, S. 387; vgl. dazu Bd. IV). Daß dies freilich auch den aktiven Einsatz für das Lebensrecht der eigenen bedrängten Konfession keineswegs ausschloß, wird die Position der schlesischen Mystiker zeigen. Aus beidem zusammen erwuchs die literarhistorische Spannung der Epoche des Konfessionalismus und resultierte die Einsicht in die Notwendigkeit religiöser Toleranz als Vermächtnis an die Aufklärung.
Aus der einleitenden Skizze zur Barock-Mystik ergeben sich zugleich Konzeption und Darstellungsschwerpunkte des vorliegenden Bandes. Hatte Band II zunächst die Kenntnis der dogmatischen Positionen der drei Haupt-Konfessionen der Epoche vermittelt, so führt der nachfolgende erste Teil vor dieser Verständnis-Folie in die wichtigsten häretischen Weltanschauungen des 16. und 17. Jahrhunderts ein. Er entfaltet sie unter den beiden zentralen, zumeist aufeinander bezogenen Aspekten der >Christus-Mystik und Natur-Mystik< in ihrem problemgeschichtlichen, an theologischen und humanistischen Weltbildern orientierten Kontext, und zwar in Stufen zunehmender Komplexität, »Verweltlichung« und Entwicklung zur unverwechselbaren frühneuzeitlichen Eigentümlichkeit der Barock-Mystik. Kapitel I zeigt an den beiden lutherischen Haupthäresien des 16. und 17. Jahrhunderts, dem »Schwenckfeldianismus« und »Weigelianismus« sowie an den vor-pietistischen Rezeptionen Arndts, wie sich aus genuin reformatorischen Anliegen heraus und durch Rückgriff auf die spätmittelalterliche Mystik entscheidende Umdeutungen der protestantischen Erlösungslehre mit naturmystischen Konsequenzen ergaben. - Letztere machten auch die protestantische Mystik empfänglich für die in der Renaissance wiederentdeckte außerchristliche Mystik (Kap. I 2). Diese wiederum verhalf ihrem christlichen Pendant in der frühen Neuzeit zu einem magischen Selbst- und Realitätsverständnis (Kap. I 3), und sie wirkte nachhaltig auf Astrologie und hermetische Medizin, welche wiederum nicht nur als Bildspender, sondern als realer Erlebniskontext und Erfahrungsraum für die Vergottungsintentionen der Mystiker fungierten (Kap. I 4). Zentrale Elemente aus all diesen ketzerischen und hermetischen Künsten und Weltbildern
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kulminierten in dem synkretistischen und zugleich originellen theo- und pansophischen System Jacob Böhmes, des einflußreichsten Anregers auch für die mystischen Poeten des 17. Jahrhunderts (Kap. I 5). - Teil II analysiert sodann an dem Kanon der fünf bedeutendsten deutschsprachigen Mystiker-Poeten dieser Zeit in chronologischer Folge die Variationen und Funktionen der Poesie als eines >magischen Mediums der MystikTheologia DeutschFreiheit eines Christenmenschen< und des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen, der Entdecker und Überbringer der ganzen biblischen Botschaft, der mutige Kämpfer gegen die Verweltlichung der Amts-Kirche, der standhafte Bekenner vor dem Wormser Reichstag von 1521 - dies zugleich Stereotypien der Luther-Hagiographie (vgl. Bd. I, S. 157f.): dieser Luther war nicht nur für den Sozialrevolutionären Thomas Müntzer und die Täufer (vgl. ebda., S. 198f., 216ff., 232ff.), sondern blieb auch für die spiritualistisch-mystischen Radikalen im Umfeld Kaspar von Schwenckfelds (1489-1561), Valentin Weigels (1533-1588) und Johann Arndts (1555-1621) eine geachtete Autorität (vgl. 11.73 Wollgast, S. 94; Weigel DC, S. 500). Freilich hatte der Reformator mit ihnen ebenfalls Geister ins Leben gerufen, die sich der von ihm verkündeten Freiheit auf eine Weise bemächtigten, welche rasch die Autorität seiner Lehre und die der darauf gegründeten Amtskirche nachhaltig infragestellen sollten. Mit dem »Schwenckfeldianismus«, »Weigelianismus« und dem auch wesentlich auf Arndt gründenden Pietismus erwuchsen dem Luthertum die gefährlichsten innerkonfessionellen Oppositionsgruppen, und dementsprechend heftig wurden sie auch von der Orthodoxie bekämpft, unterdrückt und in einzelnen Territorien wie die Täufer ausgerottet (zur konfessionspolemischen Auseinandersetzung mit den Schwärmern, insbesondere den »neuen Propheten« vgl. II Hunnius). Umgekehrt entwickelten die Schwärmer nicht zuletzt auf Grund dieser Verfolgung ein mit Ablehnung, ja nicht selten sogar mit Haß gegenüber der Orthodoxie gepaartes Erwählungsbewußtsein, das dem der Calvinisten in nichts nachstand und auf einer strikten Separation von der bisweilen sogar verteufelten Amtskirche insistierte: Das Phänomen des Konfessionalismus als Hauptkennzeichen der Epoche wirkte - wie sich zeigen wird - von daher also sogar innerhalb der Bekenntnisse fort und schuf auch dort Barrieren und Feindbilder, die nur schwer zu überwinden waren. Auf der anderen Seite fühlten sich aber immer wieder gerade Spiritualisten, denen das äußerliche Kirchentum sowie die
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Unterschiede in Dogmen und Zeremonien ohnehin nur wenig bedeuteten, dazu berufen, auf der Basis ihres »Geist«-Christentums zwischen den Konfessionen zu vermitteln, Toleranz anzumahnen, ja auf Einigkeit und Versöhnung hinzuarbeiten (dazu exemplarisch die Position Sudermanns in Kap. I l d). Ein kurzer Blick auf die Lebensläufe der im vorliegenden Zusammenhang wichtigen Spiritualisten erweist sich als lehrreiche Einführung in die konkreten Formen kirchlicher Unterdrückung und spiritualistischer Opposition. - Bereits SCHWENCKFELD mußte nur wenige Jahre nach Beginn der Reformation die Verfolgung durch die Rechtgläubigen am eigenen Leibe erfahren. Zunächst hatte er als Hofrat und Vertrauter von Herzog Friedrich II. von Liegnitz (1480-1547), der auch Brieg und Wohlau regierte, zur Einführung der Reformation in Schlesien seit 1521 wesentlich beigetragen, sich dann jedoch 1525 mit Luther vor allem über der Abendmahlsfrage entzweit (vgl. hierzu und zum folgenden 11.60 McLaughlin). 1529 mußte er Schlesien und damit seinen reichen Grundbesitz verlassen und war fortan zeitlebens auf die Unterstützung von Freunden und Anhängern angewiesen. Zu Beginn der dreißiger Jahre nahmen ihn die irenisch gesinnten Straßburger Reformer Wolfgang CAPITO (1478-1541) und Matthäus ZELL (1477-1548) bei sich auf, von 1535 bis 1539 weilte er in Ulm. Als er dann 1540 auf dem Theologenkonvent von Schmalkalden verdammt und damit faktisch den Täufern gleichgestellt wurde, drohte ihm dieselbe gnadenlose Verfolgung wie diesen. Nun aber fand er - mit größeren Unterbrechungen wegen seiner zahlreichen geheimen Missionsreisen vor allem ins benachbarte Allgäu - ein Residuum in den zwischen Ehingen (Donau) und Ulm gelegenen freybergischen Herrschaften Justingen und Öpfingen. Sein Anhänger und Freund Georg Ludwig von Freyberg (1507-1562) mußte diese Gastfreundschaft allerdings teuer bezahlen: Im sog. »Schwenckfeldischen Krieg« (1547) konfiszierte Kaiser Karl V. (1500/1519-1558) kurzerhand seine Herrschaft und betraute sie mit einem katholischen Verwalter, und nur mit Mühe und gegen Zahlung einer hohen Strafe konnte der Freiherr 1549/50 in sein Besitztum zurückkehren. Trotz des ausdrücklichen Verbots, weiterhin Ketzer bei sich aufzunehmen, bot er Schwenckfeld bis zu dessen Tod und damit über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten eine geheime Bleibe (vgl. dazu 11.60 Weber, S. 38ff.). Die Orthodoxie verstärkte vor allem seit 1540 die publizistische Polemik gegen Schwenckfeld, nach Luther und Melanchthon vor allem der Jenenser Streittheologe Matthias Flacius (d. .i. Vlacich, gen. Illyricus 1520-1575), gegen den der Schlesier seinerseits 14 Streitschriften richtete. Der zeitüblich-grobianische Ton der Polemik hallte auch im kir-
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chenorientierten geistlichen Lied der Zeit nach - wie in Esaias Tribauers >gesang wider die Teufflische vnnd verfurische Sect der Schwencksfelden (1571): »Wolln sie sich nicht bekeren, abstehn von jrem thun, So wollstu jnen wehren durch deinen lieben Son, Das sie erkennen doch, das du ein feind der Schwencker, der Stencksfeldischen Stencker, im Himmel lebest noch. Gib auch, du lieber Herre, der Obrigkeit den Geist, Das sie zu lob vnd ehre Deim Namen allermeist Jr schwerdt recht brauchen thu, das sie solch Sect auß rotte die im Land thut groß schade: O Herr, sich ( = sieh) nimmer zu!« (I Wa V, S. 545)
Doch die solchermaßen angemahnte »Außrottung« dieser Sekte war nicht so einfach wie diejenige der Täufer (vgl. dazu Bd. I, S.237ff.). Denn zum ersten lehnte Schwenckfeld im Unterschied zu jenen ein äußerlich verfaßtes - und damit für die Behörden auch greifbares - Kirchentum ab und konstituierte stattdessen eine innerlich erweckte Gemeinde der Heiligen (vgl. 11.60 Weber, S. 4). Zum zweiten gewann er Anhänger vor allem unter dem städtischen Patriziat, ferner im süddeutschen, aber auch im schlesischen Raum »viele vornehme, gräfliche freyherrliche und adeliche personen« (II Arnold KKH I, S. 718), die sich vor Verfolgung besser zu schützen wußten als die überwiegend klein- und mittelständischen Täufer. Und diese auch finanziell gutgestellten Adepten ermöglichten ihrem Standesgenossen drittens eine rastlose publizistische Tätigkeit, mit welcher er zum einen die »reformatorische Öffentlichkeit« für seine Sache zu gewinnen und zum ändern seine verstreuten Anhänger pastoral zu betreuen suchte. Der »hunderthändige Schwenckfeld« so Melanchthon (zit. in 11.60 Weber, S. 22) - lehrte mit seiner Produktivität die Rechtgläubigen das Fürchten: Wo immer möglich, ließen sie seine Schriften zwar konfiszieren und verboten ihren Verkauf, doch obwohl er selbst darüber Klage führte, daß er sich wegen der verhängten Druck-Sperren »nicht ohne grosse gefahr« gegen die »unwahrhafften zulegungen« »verantworten« könne (II Arnold KKH I, S. 714), verbreitete er pausenlos handschriftlich und im Druck seine Lehren. Allein
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während der Justinger Zeit in den vierziger Jahren soll er rund 50 Einzelschriften publiziert haben (11.60 Weber, S. 23; Arnold nennt eine Zahl von 80 bis 86 Einzelwerken insgesamt; KKH I, S. 714). Ab 1564 erschienen seine Abhandlungen auch in Sammelbänden, anonym ediert und finanziert von seinen Anhängern; als besonders eifriger Herausgeber betätigte sich dabei Daniel Sudermann (1550-1631; vgl. Kap. I l d). So hatten die Maßnahmen der Orthodoxie gegen Schwenckfeld und seine Adepten im 16. Jahrhundert nur begrenzten Erfolg, und dies stärkte wiederum deren Selbstbewußtsein ungemein. Vor allem die Tatsache, daß er seinen Häschern hatte entgehen können, deuteten seine Anhänger als göttlichen Gnadenerweis für ihn, den auserwählten Propheten, und damit als Beweis für die Wahrheit seiner Lehre: »Sie musten ihn passieren lassen Frey unbeschädigt seine strassen. Er hat gelebet Gott zum preiß / Vnd ruhet itzt im Paradeys: Sein Bucher gehn / Satan zum trotz / Durch Stät und Land / sind vielen nütz / Auch kommen Gott sey lob zu mir / Viel gutes ich darinnen spfihr/..« (II Hoyers, S. 163)
Diese Verse aus dem Gedicht >Bedencken von ( = Nachdenken über) Schwenckfelds Buch vom Wort Gottes< stammen aus einer 1650 in Amsterdam erschienenen Sammlung >Geistlicher und Weltlicher PoemataLieder verfasset oder gesammelt von Anna Ovena Hoijer 16241655< bekannt ist (vgl. dazu die Auswahl in 11.30 Becker-Cantarino, S. 127*-191*), aus der nur ein Dutzend mit zum Teil wiederum aggressivchiliastischen Zügen in die >Poemata< übernommen wurde, darf man der gedruckten Sammlung die polemische Absicht, ja auch den Charakter einer persönlichen Abrechnung mit den für ihre schwierige Exilsituation verantwortlichen Kirchenvertretern unterstellen. Unermüdlich repetiert und variiert die Hoyers ihre Vorwürfe: gegen die aristotelisch-sophistische Buchstabengelehrsamkeit der hohen Schulen, die Glaubenstyrannei, die Zänkereien und Streitereien der Konfessionen, welche allesamt die Wahrheit unterdrücken, weil ihnen diese mit dem Postulat, das Schicksal(l) Jesu auf sich zu nehmen, zu beschwerlich erscheint (vgl. II, S. 29ff., 35ff., 43ff., 51 f., 59ff. u. ö.). Gemessen am »Syllogismus practicus«, dem Rückschluß vom Lebenswandel auf Glauben und Frömmigkeit, sind die Theologen «.. . mit stoltz und hoffart besessen / Ehrsuchtig / geitzig / Gotts vergessen / Häßig / fräßig / leicht zuentrusten / Vnrein und folgen jhren lüsten / Predign umb Gelt / lieben die Welt /
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Vnd thun nicht das Gott wolgefelt / Sind vieler schand' und laster voll Darumb man solche meiden soll / Sich nicht nach jhren nahmen nennen / Oder zur jhrer Sect bekennen: Dann mans an jhren fruchten sieht / Das sie sein Christi Janger nicht ...« (II, S. 31)
Die Stereotypien dieser flüssig »geknittelten« Lasterkataloge, von denen auch Arnold eine Reihe mit warmer Anteilnahme zitiert (vgl. II KKH II, S. 104ff.), verdanken sich in Typik, Technik und Argumentation ebenso der Gattung der theologischen Streitschriften (vgl. dazu III Kemper 1985, S. 146ff.) wie Formtraditionen des Pasquills und der Satire. Gewiß wird man den obsessiven Charakter dieser Tiraden auch auf eine durch brutale Gewalt aus ihrer Lebensbahn geworfene, verletzte und beleidigte Psyche zurückführen dürfen. Die Autorin selbst indessen deutete ihr Schicksal wie dasjenige Schwenckfelds auch als Zeichen der Erwähltheit und bezog daraus die Kraft, als Botin der Wahrheit aufzutreten, als eine der Auserwählten Gottes, an denen dieser zum Trost für seine verfolgte Gemeinde seine Treue bezeugte. Ein eindrucksvolles Erlebnis besonderen Gottesschutzes widerfuhr ihr 1634, als sie - aus dem schwedischen Exil zufällig als Gast in ihr altes Domizil Tönning im Eiderstädter Land zurückgekehrt - in der Nacht vom 11. auf den 12. Oktober Zeugin einer Sturmflut an der nordfriesischen Küste wurde, welche zwischen 8000 und 15000 Menschenleben forderte: eine für das verhältnismäßig schwach besiedelte Küstengebiet ungeheure Katastrophe (vgl. dazu III Hinrichs/Panten/Riecken; zu Verlauf und Verlusten Riecken, S. 35ff., 40ff.). Die Toten waren Repräsentanten und Anhänger der verhaßten Amtskirche - sie aber, die »Ketzerin«, durfte überleben (vgl. dazu III Hinrichs, S. 98ff.): »Reich vnd arm seind vmbkommen, Viel 1000, in der Nacht, Durch die Fluth hingenommen, vnd schnei zu Nicht gemacht, Pferd, Kuh, schaff, Schwein vnd rinder, auch leüth im Krancken bett, Ja halb geborne Kinder, ich aber bin errett.« (Zit. in III Hinrichs, S. 104)
Wo der gerechte Gott so gnadenlos verfuhr, durfte sich seine Erwählte offenbar von aller Feindesliebe suspendiert fühlen. Und dies ohnehin angesichts der auch von ihr geteilten - wenngleich chiliastisch modifi-
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zierten - Erwartung der Parusie (vgl. Bd. II, S. 34ff.), in welcher »er wirt üben räch« (11.30 Becker-Cantarino, S. 149*), und zwar auch und gerade an den Unterdrückern der wahrhaft Frommen, deren dann als Kompensation gewährtes Glück die Autorin triumphierend ausmalt: »Euch wirt nun, kein Vnglück mehr verletzen, Kein feindt euch schaden thun Den sie seint all auffgeriben, Darumb danckt dem Herrn ihr Lieben, Die ihr seyt, erwehlt zur Herligkeit, Kompt nun euch zu ergetzen, Der Tisch ist voll bewirtt.« (Ebda., S. 152*f.)
Keineswegs zufällig konnte die Hoyers von daher ebenfalls 1634 in einer umfangreichen Versifizierung des alttestamentlichen Buches Ruth, die sie der schwedischen Königin Maria Eleonora (1599-1655), der Witwe Gustav Adolfs und Tochter des zum Calvinismus übergetretenen Kurfürsten Johann Sigismund von Brandenburg (1572/1608-1620), widmete, die calvinistische Lehre von der »Fürsehung Gottes« als Determination des Weltablaufs und gleichzeitige Fürsorge für die Erwählten aus eigenem Glauben explizieren (vgl. II, S. 112, 127ff.). Aus dieser Überzeugung heraus schickte sie auch ihren kirchenfeindlichen Band aus dem Exil: »Es helffet ewr vertreiben nicht / .. . Warheit kompt doch endlich ans Hecht / .. . Gott steht allzeit auff ihrer seit / Lesst sie nicht untertrücken« (II, S. 71). Hier griff eine Sektiererin zu jener Argumentation, mit der Luther einstmals in seinem ZeitungsGesang >Eyn newes lied wyr heben an< die Hinrichtung der beiden ersten Märtyrer seiner Bewegung durch Feier ihres Opfers in einen Sieg der »Wahrheit« zu verwandeln suchte (vgl. Bd. I, S. 175ff.). Und wie Luther vermochte sich auch die Hoyers eine Aussöhnung mit der Kirchenmacht nur durch deren vollständige Bekehrung zu ihrem Glauben vorzustellen: »Heran ihr Pfaffen all heran / Lasst euch zur Schulen fuhren Von Herrn Tetinge und Lohmann / Lernet weißheit studiren / Vnd gebt euch unter Gotts gewalt / Jn ihrer Lehr beyzeiten . . . « (Ebda.)
Die Orthodoxie reagierte indessen auf diese Provokation in der gewohnten Weise: Schon im März 1651 verurteilte ein herzogliches Dekret den wie viele andere »schwärmerische« Texte in der Niederlanden gedruck-
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ten - Band als ketzerisch, verbot seinen Verkauf sowie seine Verbreitung im Gottorper Gebiet und ordnete die Einziehung der bereits veräußerten Exemplare an (vgl. 11.30 Becker-Cantarino, S. 67*). Solchermaßen in den Untergrund gedrängt, dürfte das Buch denn auch nur unter den Glaubensgenossen der Dichterin gewirkt und mitsamt seinem Schicksal deren antiorthodoxes Feindbild bestärkt haben. Im Gegensatz zu Schwenckfeld und Hoyers, welche die ihnen zudiktierte Rolle der Opposition und Emigration offensiv aufgriffen, scheute Valentin WEIGEL zeitlebens die offene Auseinandersetzung mit der Amtskirche. Vielmehr versah er einundzwanzig Jahre lang unauffällig sein Amt als Pfarrer der kursächsischen Stadt Zschopau, erhielt sich im Ruf der Rechtgläubigkeit, unterschrieb anstandslos auch die Konkordienformel, die der Wiederherstellung der reinen lutherischen Lehre dienen sollte, und lebte in einer Art »inneren Emigration«, die den »wahren« Schatz im Herzen wußte und für die deshalb alle äußeren Zeremonien - welcher Konfession auch immer - nebensächlich waren; nur in aller Heimlichkeit ließ dieser »Säuweigel« sein häretisches Werk handschriftlich und anonym zirkulieren - erst postum erschien es seit 1609 im Druck (vgl. dazu auch II Arnold KKH I, S. 1089ff.; zu Weigels Dialektik von Anpassung und Selbstbehauptung vgl. Bd. II, S. 187f.). Wieviele seinem Verhalten äußerer Anpassung und stillschweigender Opposition folgten und wie groß die Anhängerschar Weigels tatsächlich war, blieb das Geheimnis dieser »Stillen im Lande«, zugleich aber auch steter Gegenstand orthodoxer Beunruhigung. Johann ARNDT wiederum, der seine von der Orthodoxie inkriminierten Werke zu Lebzeiten im Druck herausgab (1606/10 das >Wahre ChristentumParadiesgärtleinWahren Christentums< (1606) bereits heftigen Angriffen seiner Braunschweiger Kollegen, dann auch des Danziger Predigers Johannes Corvinus (d. i. Rabe) und vor allem des Tübinger Theologieprofessors Lucas Osiander (15711638) ausgesetzt sah; ersterer verketzerte ihn als Handlanger des Teufels, letzterer »hat den guten mann durchgehende als einen Papisten, Calvi-
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nisten, Flacianer, Schwenckfelder, Weigelianer abgemahlet« (II Arnold KKH I, S. 944; vgl. KKH II, S. 115f.; vgl. zur Biographie und zu den Streitigkeiten um Arndt auch II Walch III, S. 193ff.; II.3 Koepp; Stoeffler). Die Vieldeutigkeit des Arndtschen Werkes (vgl. dazu auch die Einleitung b) war freilich ein Hauptgrund für seine außerordentliche und zugleich schillernde Rezeptionsgeschichte. Auf ihn beriefen sich sowohl Vertreter der Kirche, vor allem die Gruppe der sog. Reformorthodoxie (vgl. zu dieser Bd. II, S. 250ff.), als auch viele der Ketzerei verdächtigte Schwärmer. Zu letzteren gehörte auch Christian HOBURG (1607-1675), der selbsternannte »Arndus redivivus«, der aus dessen Schriften einen >Arndischen Wegweiser zum Himmelreich< extrahierte und heute als »Hauptvertreter der radikal kirchenkritischen mystischen Spiritualisten« gilt (11.29 Schmidt, Sp. 373). Hoburg war durch die Schriften Schwenckfelds für den Spiritualismus gewonnen und zugleich von Weigel und Arndt stark beeinflußt worden. Er mußte seine Deutung des Arndtschen Werkes damit büßen, daß er sich innerhalb der Kirche nicht zu halten vermochte. Immer wieder verschiedener Pfarrämter enthoben, auf der Flucht und im Verborgenen lebend, fand er schließlich eine Bleibe in der »Spiritualisten- bzw. Mennonitenfreistatt Altona« vor den Toren Hamburgs; möglicherweise wurde Philipp Jakob Spener (1635-1705) bei der Konzeption seiner >Pia desideriaEmblemata sacra< eingearbeitet (zu ihrer Meditation über die »pictura« von Abb. 2 vgl. II Greiffenberg AB VIII, S. 873ff.)
Nach diesen ersten Hinweisen auf persönliche spiritualistische KirchenErfahrungen sollen nun die wichtigsten dogmatischen Differenzen zwischen den »Schwärmern« und der orthodoxen Kirche entfaltet werden. Dabei geht es im vorliegenden Abschnitt vor allem um die theologische Begründung der spiritualistischen Kirchen-Verachtung. Drei Aspekte sind dabei wichtig: erstens die Frage, wo und wie das »Wort« Gottes wirkt, zweitens die Bestimmung des Verhältnisses von »Wort« und Schrift, drittens das Problem der Überprüfung von Wahrheitsanspruch und richtigem Glauben am Erscheinungsbild der Kirche Christi. Als Ausgangspunkt für diese Debatte und zur Illustration des ersten Aspekts greife ich zunächst - zugleich als Exempel für eine geistliche Em-
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blemsammlung - auf Hoburgs >Emblemata sacra< oder >Göttliche Andachten / Voller Flammender Begierden< zurück. Sie vollziehen in einem Dreierzyklus den spiritualistischen Rechtfertigungsprozeß >einer Bußfertigen / geheiligten und liebreichen SeelenWiedergeburK, erfüllt bereits hier und jetzt jene Hoffnungen, welche die Anhänger der etablierten Konfessionen erst mit der Wiederkehr Christi am Jüngsten Tage verbanden. Was das Titelbild von Band II (vgl. auch Bd. II, Abb. 12, S. 227) aus Anlaß des 100jährigen Jubiläums der Reformation als Gefahr angesichts der konfessionellen Streitigkeiten andeutet, das ereignet sich hier: die Ab-Wendung und Auswanderung der wahrhaft Gläubigen aus den Mauern der »ecclesia«. Die »subscriptio« in der ungewöhnlich-zufälligen paargereimten Form eines Sonetts - lautet:
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»Seufftzer.
KOmm liebster Seelen = Freund / Es ist genug gelebt / Jm Lust der eitlen Welt / so in den Städten schwebt. Ey laß uns gehen aus / ey laß uns in den Felden / Jn stiller Einsamkeit des HERREN Lob vermelden: Allda wil ich mein Traur'n und meiner Seelen = schmertz / Und alles was mich krSnckt / Dir beichten / O mein Hertz. Da will die Thrlnen = Flut /das Seufftzen in Verborgen / Ja alle meine Noth / und was mir machet Sorgen / Ich vor Dir schütten aus / aufopffern in Gedult / Auch meiner Glieder = Noth / sampt aller ändern Schuld / Da wil mit gantzem Fleiß in Einsamkeit und Stille / Jch prüfen was da sey / Dein heilig guter Wille. Da soll dein heiligs Wort / welchs geht aus deinem Mund Tieff sincken in mein Hertz / ja dringen in den Grund.« (II Hoburg, GA, S. 77)
Mit dem Entschluß, aus der kirchlichen »socialitas« auszubrechen und den Gottesdienst als schlichtes, unzeremoniöses »HERREN Lob« »in den Felden« zu »vermelden«, arbeiten die Spiritualisten jenen Tendenzen zu einer natürlichen Religiosität vor, die ebenfalls unter Verzicht auf alle Formen genormten kirchlichen Gotteslobs einen natürlichen Gottesdienst im Medium der Natur vollziehen wie Brockes und seine Jünger zu Beginn der Aufklärung (vgl. dazu IV Kemper I, S 9ff., 265ff.). Prononciert wird im Text das »beichten« - vielfach von den Konfessionen zur orthodoxen Seelenerforschung benutztes Instrument kirchlicher Schuld- und Gnadenzuweisung - ebenfalls in die Unmittelbarkeit der Beziehung zwischen Erlöser und Seele verlagert. Die »Stadt« wird deutlich zum Ort der Uneigentlichkeit, des Sich-Verbergen-Müssens, der Unterdrückung der wahren Frömmigkeit; die Sorgen und die körperlichen Plagen werden nur noch dem Arzt und »Seelen = Freund« Christus enthüllt. Zureichend sind diese Verse freilich wiederum nur im konfessionsgeschichtlichen Kontext zu begreifen. Im Grunde spricht das Emblem einer verfaßten Kirche als Gnadenvermittlerin die Existenzberechtigung ab. - Die Lutheraner waren hier tatsächlich in einer schwierigen Situation. Einerseits hatten die Reformatoren mit der Berufung auf das Prinzip des »sola scriptura« eine einfache, heilsgewisse Annahme der biblischen Botschaft durch deren unverfälschte Predigt ohne Abhängigkeit von der bisherigen Gnadenvermittlungspraxis der katholischen Kirche als befreiende Tat herbeigeführt. Andererseits standen sie damit aber selbst in der Gefahr, die Autorität von verfaßter Kirche und kirchlicher Verkündigung infragezustellen. Nicht zuletzt um der eigenen Exi-
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stenzsicherung willen mußten sie deshalb die Zuteilung des biblischen Wortes an den Akt der Verkündigung im Gottesdienst binden, um so auch theologisch das Gefalle der Gnadenzuwendung vom »Christus extra nos« zum Gläubigen aufrechtzuerhalten und damit auch die Unverfügbarkeit des göttlichen Heilshandelns sicherzustellen und Christus nicht zum - gleichsam ontologisierten - »Besitz« des Gläubigen werden zu lassen. Denn durch einen solchen »Christus in nobis« wurde die Funktion der verfaßten Kirche obsolet. Genau in diese Richtung aber zielte die Intention der Spiritualisten. Für Schwenckfeld bedeutete es eine unerträgliche Beschneidung der göttlichen Freiheit, daß er seine Gnadenzuwendung an die verkündigende oder sakramentale Handlung einer äußerlich sichtbaren, »kreatürlichen« Kirche binden sollte: »Gott würket in der seel on ainig eusserlich mittel oder bild allein durch ein gleiches mittel seines lebendigen worts und athems, so on mittel von dem mund Gottes gehet, darinn der Mensch allain lebt Deut.8. . . . Gott muß dich im grund rüren mit seinem ainfältigen wesen on mittel jrrgendt ains Bilds, Ceremoni Creatur oder Sacrament in der grösten gelassenheit, stil deines gmüts, außgang dein selbs und fried deines hertzens.« (I Schwager, S. 53)
Die hier kursiv gesetzten Worte verdeutlichen die Übereinstimmung des Zitats mit dem Wortlaut der »subscriptio« von Hoburgs Emblem. Auch Valentin Crautwald (1490-1545), der »Melanchthon« Schwenckfelds, hob das ausschließliche Gnadenhandeln Christi durch den Heiligen Geist hervor (vgl.I Seyppel, S. 41 f.). Die Ablehnung der sichtbaren »ecclesia« und ihrer biblischen Verkündigung resultierte ferner aus der durch den jungen Luther gegenüber der Katholischen Kirche beanspruchten Lehre vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen. Wenn das »Ich« im abschließenden Vierzeiler des »Sonetts« verspricht, zu »prüfen was da sey / Dein heilig guter Wille«, dann verweist dieses für die Selbstrechtfertigung der Spiritualisten typische »Prüfen« auf ein selbstbewußtes, selbstverantwortliches Subjekt, das nicht mehr bereit ist, den Glauben nur auf Autorität hin anzunehmen. Auch Anna Ovena Hoyers nimmt dieses Recht auf ein eigenes Urteil immer wieder selbstbewußt und polemisch gegenüber den Repräsentanten der Amtskirche in Anspruch. So vergleicht sie im folgenden Beispiel aus ihrem massiv kirchenkritischen Gedicht >Einfältige Warheit< das Predigtverhalten der »Pfaffen« ihrer Zeit mit dem des Apostels Paulus, ja Jesu selbst: »Hat Paulus so gelehret? Nein / das hab' ich gelesen nicht / Viel anders hat er uns berichtt /
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Niemands einred' gewehret. Christus selbst hielte den gebrauch / Daß er in seiner Predigt auch Gern hort antwort und fragen. Welcher Pfaff folget ihm hierin ? Sehr weinig haben seinen Sinn / Leider in diesen tagen. Sanct Paulus will auch daß man soll / Was uns gelehrt wird / prüfen wol / Die geister unterscheiden. Ist einer der diß thut itzundt? So bald es wird dem Pfaffen kunt / Will Er ihn nicht mehr leiden. Macht seinen nahmen sehr verhasst / Daß die Gemein ein argwöhn fasst / Merket doch / kan's ja sehn ein kindt / Daß sie recht seelen = würger sind / Vnd darum auch zumeiden.« (II, S. 52f.)
Die Verse verweisen zum einen auf das pyramidal gestufte Ordnungsund Überwachungssystem der Orthodoxie mit der kirchlichen Predigt als wirkungsvollstem Ort zur Ächtung häresieverdächtiger Personen (vgl. dazu Bd. II, S. 171ff., 18Iff.; mit diesem Mittel wurde auch Jacob Böhme geächtet; vgl. II.6 Wehr, S. 24f.), sie verweisen zum ändern auf eine problemgeschichtliche Entwicklung, nämlich auf den systemsprengenden Charakter des spiritualistischen Diskussions-Begehrens. Denn dies »Prüfen« zielt auf argumentative Widerlegung des kirchlichen Dogmengebäudes und hat nicht unerheblich zur Fragwürdigkeit der christlichen - aber damit schließlich auch der spiritualistischen - Botschaft selbst im Urteil der gestrengen Vernunft beigetragen. - Der fundamentale Gegensatz zu aller aufklärerischen »ratio« im Spiritualismus wird freilich in den beiden Schlußversen des Hoburgschen Gedichts deutlich, in denen nun das »heilige Wort« selbst zum Subjekt wird, welches an der Seele als dem Objekt handelt und bis in seinen »Grund« ein Zentralwort auch mittelalterlicher Mystik - dringt. Darin zeigt sich das Aufeinanderverwiesensein von Seele und Gott: Dieser vermag nichts ohne »Prüfung« und Bereitschaft des Menschen, der Mensch ist nichts ohne Gemeinschaft mit dem »Wort«. Der nächste Aspekt, nämlich die Frage, was denn als »Wort« Gottes anzusehen sei, entzweite von Anfang an die »linken« von den »rechten« Lutheranern. Unter Rückgriff auf den Prolog des Johannesevangeliums war für SCHWENCKFELD klar, daß die Lutheraner den Sohn Gottes als »logos« unzulässig mit dem geschriebenen Wort der Bibel vermengten,
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wenn sie behaupteten, Gott mache durch das »Wort« der Schrift lebendig (II BV, S. IX). Die Bibel war für ihn nur toter Buchstabe, aus welchem nie und nimmer - weder durch eigene Lektüre noch durch die Predigt - die Erlösung folgen könne, wenn nicht - wie Anna Ovena Hoyers poetisch dolmetscht - der Geist Gottes zuvor bereits im Herzen des Menschen gewirkt hat: »Der Geist ist Herr / der Buchstab knecht. / So ich des Worts krafft soll geniessen / Muß der Herr selbst mein hertz auffschliessen.« (II, S. 163f.; vgl. II Schwenckfeld LW, S. A VIII v) Daraus folgte ferner, daß der »Buchstab« der Bibel, wenn er auf das eigentliche »verbum« verweisen sollte, über den Literalsinn hinaus figural verstanden werden mußte. Damit setzten gerade die »Laien«, in deren Interesse Luther die alleinige Gültigkeit des biblischen Wortsinns proklamiert hatte (vgl. Bd. I, S. 153f.), die katholische Tradition der >geistlichen< Bibel-Auslegung nach dem mehrfachen Schriftsinn fort und konnten von daher auch mühelos die Schrift-Belege für die Notwendigkeit einer sichtbaren, verfaßten Kirche ihres »sensus historicus« entheben: »Solche und dergleichen Zeugnisse müssen recht verstanden werden. . .. Denn nicht vom äußerlichen Gebäude, Haus oder Tempel, sondern vom geistlichen, innerlichen, unsichtbaren Tempel müssen solche Zeugnisse verstanden werden.« (II Weigel DC, S. 541) - Johann ARNDT machte sich in den Augen der Orthodoxie der Nähe zu dieser Position ebenso verdächtig (vgl. II WCH, S. 37ff.; II.3 Osiander, S. 67f, 85ff.) wie der Pietismus. Dessen radikaler Vertreter Gottfried ARNOLD (1666-1714) deklarierte »die geistlichen / verblümten und tieffen Auslegungen und Applicationes der Heil. Schrifft / wie selbige von dem Buchstäblichen und historischen Sinn unterschieden werden«, als eigentlichen »mystischen verstand der Schrifft« (II HMT, S. 26); die den wahren Theologen und Mystiker inspirierende »Lehre« ist danach überhaupt nicht im Buchstabensinn der Sprache formulierbar (ebda., S. 24f.). Der dritte Aspekt der spiritualistischen Kirchenkritik erwuchs aus der in persönlicher Erfahrung und biblischer Begründung wurzelnden Zeitdiagnose, die sich bei Arnold zur Geschichtsdeutung erweiterte. - Der Blick auf die Realität der eigenen Zeit mußte immer kritischer ausfallen, je mehr sich die Konfessionen herausbildeten und gegeneinander sowie gegen Andersdenkende Krieg führten. Einen eindrucksvollen Beweis für diese Form der »Prüfung« lieferte Hoburg selbst mit seinem umfangreichen Zeitgemälde >Teutsch = Evangelisches Judenthumb< von 1644. Einerseits bestritt er darin den Charakter des Dreißigjährigen Krieges als eines Religionskrieges (ebda., S. 15ff.), indem er u. a. fragte, »OB GOTT durch Gottlose Raub = vnnd Raach = Kriege / durch Rauben / Morden / Bluthunde / &. seine Religion / vnnd also durch deß Teuffels
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Glieder seine Glieder vertheydigen wolle?« (Ebda., S. 17f.) Andererseits aber machte er das »newe Evangelium« der Orthodoxie für diesen Krieg und für die Verwüstungen seiner Zeit verantwortlich (ebda., S. 722f.) und geißelte scharf die »Allianz von Thron und Altar« (vgl. dazu Bd. II, S: 171 ff.): Diese sichere verbunden mit dem durch die Amtsträger miterzeugten Untertanengehorsam ihre gemeinsame Machtposition; dadurch trieben sie mit dem von Gott aufgetragenen Seelsorgeamt böswillig Schindluder und ließen die Menschen verderben (ebda., S. 434ff.; vgl. dazu auch IV Kemper II, S. 254ff.). Anna Ovena HOYERS ging noch einen entscheidenden Schritt über Hoburg hinaus. Auch sie leitete zunächst das Elend ihrer Gegenwart aus den kirchlichen Machenschaften und dem Zusammenspiel von weltlicher und geistlicher Macht her: »Seht einmal auff / seyt nicht mehr blindt / Wer hat doch das feur angezündt / Das so sehr brennt im ROmschen Reich? Wisst ihrs? Sagt mirs / ich frage euch / Hats nicht gethan der Pfaffen = teuf fei? Ja freylich / daran ist kein zweiffei / Er hat so lang das spiel regiert / Die Herrn im streit zusamm'n geführt / Daß so viel Stlt sind destruirt / DOrffer und Länder ruinirt / Wie man üb'r all in Deutschland spfihrt; Vnd nimmt der streit und die vnruh' Von tag zu tagen / immer zu / Wird auch wol nimmer haben end / Bey diesem Pfaffen Reglement.« (II, S. 235; vgl. ebda., S. 189f.)
Doch auf Grund ihrer chiliastischen Parusie- und Zukunftserwartungen - so malte sie das anbrechende tausendjährige Reich vor allem in dem Lied-Zyklus >Posaunenschall / Vom Abendmahl Jns Königs Sahl / Nach Babels fall< in den leuchtendsten Farben aus (vgl. II, S. 181-230) forderte sie bereits vor der Ankunft des Erlösers eine Beendigung der unerträglichen Pfaffen-Herrschaft und wandte sich deshalb - wie später auch Kuhlmann (vgl. Kap. II 5) - an die einzige irdische Macht, welche diese in ihre Schranken zu weisen vermochte - die weltlichen Regenten: »O lieben Leut seht auff beyzeit / Jhr Fürsten liebt Gerechtigkeit / Schaffet ab allen zanck und streit / Jm urtheil'n unparteylich seyt. Jn gnaden neigt die obren beid / Mit fleiß auffmerckend / ohn verstoren /
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Des gegentheils wort auch zuhören. Da die Gerechtigkeit im Land / Vnd in der Statt / hat fiberhand / Steht's Excellent im Regiment / Jst fried und freud wo man sich wendt / Da scheint Warheit hell wie ein blitz: Vnd wo die Witz hat ihren sitz / Da haben auch die Frommen schütz Wieder der bösen menschen trotz ...« (Ebda., S. 236f.) Mit dieser Diagnose und diesem Postulat sprach sie vielen Zeitgenossen aus dem Herzen, nicht nur den Spiritualisten, sondern auch den Humanisten und nicht zuletzt den Regenten selbst. Ihre Verse signalisieren so wie diejenigen Kuhlmanns (vgl. Kap. II 5) eine epochentypische Allianz zwischen geistlicher und weltlicher Opposition gegenüber der Glaubenstyrannei der Orthodoxien, sie entwerfen ein Programm, an dem sich noch die Epoche der Aufklärung abarbeiten sollte, und setzen erstaunlich hellsichtig auf den »witz«, also die Vernunft, und die säkulare Instanz der Gerechtigkeit und des Rechts, die als entscheidendes Regulativ gesellschaftlichen Miteinanders die weltanschaulich orientierte Glaubens- und Gewissensinstitution der Kirchen ersetzen und zugleich deren friedliches Nebeneinander garantieren sollte. Ohne diese Ziele expressis verbis zu unterstützen (oder auch nur zu zitieren), lieferte Gottfried ARNOLD gleichwohl den Intellektuellen des 18. Jahrhunderts mit dem Monumentalgemälde seiner >Unpartheiischen Kirchen = und Ketzer = Historie< den imponierenden Geschichts->Beweis< für die Notwendigkeit, die Herrschaft der Orthodoxie endlich zu brechen (vgl. dazu II.4 Goeters). Gestützt auf einen außerordentlichen Materialreichtum, aus dem er unermüdlich und ausführlich zitierte, stellte Arnold die offizielle Kirchengeschichtsschreibung gerade auf den Kopf. Die wahre Geschichte der Kirche Christi verlief bei ihm nicht dort, wo das biblische Wort in Lehre und Verkündigung »verwaltet« wurde, sondern dort, wo sich von der Kirche verfolgte »geisterfüllte Individualität« zeigte. Man hat in diesem Ketzerverständnis »ebenso ein elementar Humanes wie die Potenz des Inhumanen« diagnositziert, weil der »überwältigende Impetus zur Toleranz« gegenüber den bislang Verfemten sich mit einer »vernichtenden Intoleranz gegenüber der geronnenen Legitimität oder Legalität der Institution« der »vielen durchschnittlichem« verbunden habe (III Brinkmann, S. 175). Freilich: diese Intoleranz war unmittelbare Folge der Unterdrückung der »outsider« durch die Mehrzahl der »Durchschnittlichen«; sie wurde bei Arnold nur
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geschichtsgesättigt auf den Begriff gebracht. Allerdings bereitete er gerade damit »im Medium einer religiösen Welthaltung deren Säkularisierung« vor (ebda., S. 180), indem er einerseits zeigte, daß der Ketzer, je mehr er sich in seiner Geisterfülltheit verabsolutierte und absonderte, aber auch gegen die etablierte Gesellschaft und Gemeinschaft durchzusetzen und zu behaupten versuchte, der »socialitas« beraubt wurde und deshalb in diesem Leben scheitern mußte (von daher ist die Parallele zu Goethes >Werther< einleuchtend), und indem er zugleich auf die Möglichkeiten eines sich von allen religiösen Gehalten befreienden, sich selbst absolut setzenden Subjekts vorausverwies (vgl. ebda., S. 181), wie es sich innerhalb der großen »Sturm-und-Drang«-Hymnen Goethes exemplarisch am >Prometheus< nachweisen läßt (vgl. Bd. VI). Insofern führt - problemgeschichtlich betrachtet - eine nicht unwichtige Entwicklungslinie von dem »innwendigen Himmel Reich« der Spiritualisten des 16. und 17. Jahrhunderts zur großen lyrischen Selbstaussprache des schließlich den Göttern selbst trotzenden modernen Subjekts. b) Weltverlust und Autonomisierung des Subjekts Eine weitere beträchtliche Stärkung der Seele - und damit des Subjekts nicht nur gegenüber der Kirche, sondern gegenüber dem Bereich der Transzendenz überhaupt ergab sich aus Valentin WEIGELS Umformung der traditionellen Mikrokosmos-Makrokosmos-Lehre. In seiner Schrift >Gnothi seautom entwickelte er die Auffassung, daß der Mensch aus drei Teilen besteht (dieselbe Anthropologie entfaltete Franckenberg wie Weigel auf der Basis der Dreiprinzipienlehre des Paracelsus; vgl. II OA, S. 4ff., 80ff., 97ff.; Kap. I 4 c). Mit der unsterblichen Seele reicht der Mensch ins Göttliche, für seine geistigen - wissenschaftlichen, künstlerischen - und handwerklichen Fähigkeiten ist ein von Geburt an mitgegebener und sterblicher »siderischer Geist«, also ein Geist »von dem Firmament des Gestirnes« (II GS, S. 174), verantwortlich, und mit seinem sterblich-leiblichen Teil umfaßt der Mensch, der von Gott erst nach allen anderen Lebewesen geschaffen wurde, diese wesentlich in seiner Leiblichkeit, weil der Klumpen, aus dem Adam geformt wurde, eine Art Extrakt oder Kondensat der >Materialität< aller anderen Kreaturen darstellt (auch mit dieser Ansicht folgt er Paracelsus): »Also ist der sterbliche Mensch aus der Welt und ist in der Welt, und die Welt ist in ihm. Ehe Adam gemacht wurde, lag er verborgen in allen Geschöpfen im Firmament und Elementen und in allen Tieren, Fischen, Vögeln, Gewächsen etc. Aus diesen allen hat Gott gezogen das fünfte Wesen. Dieses ist die materia und (der) Erdenkloß, daraus Adam gemacht wurde. . . . Also hat
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Adam alles, was die große Welt hat, doch in einer anderen Form und Gestalt, als ein lebendiger, natürlicher Mensch.« (Ebda., S. 179)
Folgerichtig bedarf die Erkenntnis des Menschen nicht eigentlich mehr des Blicks nach »draußen«, eines Objektbereiches, sondern kann und muß in letzter Konsequenz Selbsterkenntnis sein, da nichts Wesentliches außer dem Menschen ist, was nicht zugleich in ihm wäre. - Dies hat Weigel zwar nicht daran gehindert, >Ein nützliches Traktätlein Vom Ort der Welt< zu verfassen und darin die damals bekannten geographischen, physikalischen und astronomischen Kenntnisse im Kontext des alten Weltbildes auszubreiten (TOW, S. 261 ff.), doch stehen diese Informationen am Anfang der Schrift, während deren Scopus durch die Überschrift des letzten Kapitels bezeichnet wird: »Daß der Himmel - das Reich Gottes, das rechte Vaterland - uns viel näher ist als wir uns selbst, darum muß man es nicht außerhalb unser suchen, sondern im Geiste inwendig erwarten« (ebda., S. 349). Weigel bringt es in diesem Traktat fertig, die raumzeitlichen Dimensionen, die auch den christlichen Erlösungsspekulationen zugrundelagen, radikal zu spiritualisieren und zu verinnerlichen. Himmel und Hölle sind für ihn keine extramundanen Lokalitäten, in die man - nach langer Sternenreise - gelangt (wie noch Klopstock dies in seinem >Messias< ausmalt), sondern sie sind Resultate der Willensentschlüsse des Subjekts: »So heißet nun in der Hölle sein: nach eigenem Willen leben, abgekehret sein vom Zentrum, wie denn dagegen im Himmel sein heißet: in dem Willen Gottes leben, mit Gott eins sein, im Zentrum bleiben, welches ist das vorgestreckte Ziel Christus, der ausdrückliche Wille Gottes.« (Ebda., S. 342) Damit radikalisiert Weigel zugleich ein zentrales Motiv spätmittelalterlicher Mystik, das sich z. B. auch leitmotivisch durch die >Theologia Deutsch< zieht und im menschlichen Eigenwillen das luziferische Aufbegehren des »eritis sicut Deus« erblickt (vgl. I ThD, S. 41 f., 44f., 62f. u. ö.), doch dient das Motiv dort nur als paränetischer Appell zur Umkehr des Menschen, um die künftige Seligkeit nicht zu verlieren, während Weigel die eschatologische Dimension zu einem »Psychodrama« internalisiert. Eine solch radikale Subjektivierung und Verinnerlichung der Welterkenntnis als Selbst-Tätigkeit des sich gerade dadurch autonomisierenden Individuums muß sicherlich auch als Kompensationsphänomen im Blick auf die überwachte und eingeschränkte biographische Situation Weigels gesehen werden. Da indessen der Zwang zur Heimlichkeit auch unter seinen Jüngern fortbestand, hat diese Theorie im selben Maße, wie sie das Selbst-Bewußtsein zu stärken vermochte, zu einem beträchtlichen Welt-Verlust geführt. Dies gilt für die Abwertung der Astrologie (vgl. Bd. II, S. 56f.) und der Astronomie gleichermaßen. Auch die Entdeckun-
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gen eines Kopernikus, Kepler oder Galilei erhielten für die Mystiker und Spiritualisten bestenfalls den status von »adiaphora«. Abraham von Franckenberg vergleichgültigte den Streit um die Richtigkeit des alten oder neuen Weltbildes, indem er ihn als von der Vernunft nicht entscheidbar und für den Glauben unwichtig zu den Akten legte (II OA, S. 124). Und Daniel von CZEPKO stellte im programmatischen Einleitungs- und Dedikationsgedicht zu seinen >Sexcenta Monodisticha Sapientum< von 1653 den Bemühungen, »den Ticho de Brahe übersteigen« zu wollen, die mystische Introspektion als das jedem wissenschaftlichen Zugriff bei weitem überlegene Verfahren der Gotteserkenntnis gegenüber: »Er: wann er durch das Fern Glas auf den Höhen In die Sterne des Himmels sucht zu gehen, Und die Raumstadt, ein Reich von keinen Gräntzen In Gesicht und Gemüthe siebet gläntzen; Mag die Reime, durchfärbt von Wonn und Wesen Der Beschauer der Wunder Gottes lesen: Er kan inner sich Gott: in Gott die Sachen Ihm ( = sich) bekannter als Galilaeus machen.« (II, SMS, S. 207)
In der Konzentration auf die spirituelle Seel-Sorge und die mystische Gotteserfahrung wurde die Welt in ihren raumzeitlichen Dimensionen ent-wirklicht und auf ihre heilsgeschichtliche Bedeutung hin funktionalisiert. Auch »Himmel« und »Hölle« waren für Weigel keine einander räumlich gegenüberliegende »Orte«, sondern ereigneten sich immer schon im »Hier« und »Jetzt« der ergriffenen Innerlichkeit. Und so wie für ihn eine leibliche Himmelfahrt Christi undenkbar war, hielt er auch nichts vom christlichen Zentraldogma der Auferstehung des Fleisches. »Da achten sie«, kritisierte er die Orthodoxen aller christlichen Konfessionen, »nichts anderes, sie werden mit ihrem natürlichen, groben, adamischen Leib aufstehen und solche äußerlichen, natürlichen Glieder haben, daß sie in einem Ort sitzen und dergleichen.« (TOW, S. 329) - Tatsächlich entwickelte der orthodoxe Lutheraner Philipp Nicolai (15561608) in seiner bekannten >Theoria vitae aeternae< die Auffassung, die gegenwärtige Welt sei »ein Furbilde der zukünftigen / eben wie der erste Adam ist gewesen ein Furbilde deß ändern /Rom.5« (II, S. 715), und daher sei die »newe Erde« eine substantiell und qualitativ verbesserte Neuausgabe der jetzigen Welt, in welcher auch die Kategorien von Raum und Zeit unveränderte Geltung besäßen: »Also halt ich / daß auch die Gestalt der Erden sol vernewet werden / aber doch nach jhren vnterschiedlichen Orten vnd Landen erkennlich bleiben
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/daß man sagen könne: Sihe / da ist ein new Europa / ein new Asia / ein new Africa / ein new America / ...« (Ebda., S. 720; vgl. dazu auch Kap. II 3 d).
Solche »Örtlichkeiten« konnte es aber für Weigel nach dem Untergang der bestehenden Welt gar nicht mehr geben, weil Räumlichkeit immer noch Begrenztheit und damit Unvollkommenheit voraussetzte, die mit dem Begriff der Ewigkeit nicht vereinbar war: »Nach Aufhebung der Welt wird man nicht dürfen ziehen von einem Land zum anderen, aus Europa nach Asien, aus einem Ort in einen anderen, denn es wäre eine Unvollkommenheit, von einem Ort zum anderen hier- und daher beweget zu werden und nicht im Geist alle Dinge zu besitzen, wie die Engel und Gott selber. . . . Du seiest in Afrika oder Amerika, du seiest in der Welt oder außer der Welt, so findest du doch das Reich Gottes - den Himmel, dein Vaterland - nicht außer dir, sondern inwendig in dir im Geist.« (TOW, S. 349)
Diesem gedanklichen Kontext ist auch das folgende Epigramm aus Czepkos >Innwendigem Himmel Reich< entsprungen: »Je inniger, ie vollkommner. Halt an, wo wiltu hin? Du darffst nicht Himmel an, Nicht, wo die Zier der Welt, der Sonnen schöne bahn: komm mit mir in dich selbst. Du hast, erkennstu dich: Ja mehr als Sonn und Welt und Himmel schleust in sich, Schau in dich, lieber Mensch, du findest dich ohn Tod: Die Zier ohn Welt: den Glantz, ohn Sonn: ohn Himmel, Gott.« (II IHR, S. 4)
Diese - noch erkennbar mühsam »alexandrinisierten« - Verse entstanden etwa zur gleichen Zeit wie DESCARTES' 1641 erschienene > Meditationen über die Erste Philosophien Dieser Hinweis enthüllt freilich mehr als nur die »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen«; denn zwar begründet Descartes den neuzeitlichen Subjektbegriff in der >Zweiten Meditation< durch eine radikale Autonomisierung des Denkens, der »ratio« (»cogito, ergo sum«; II, S. 45), und grenzt Gott auf Grund seines ontologischen Gottesbeweises in der >Dritten Meditation< als das schlechthin Vollkommene gegenüber allem Begrenzten und Endlichen ab - und insofern scheint ein größerer Gegensatz zu Formen und Tendenzen einer »unio mystica« kaum vorstellbar; andererseits aber ist die Position Weigels und Czepkos unter dem Aspekt der Begründung des modernen Subjektbegriffs noch radikaler als diejenige Descartes', weil sie die Seele nicht im Sinne früherer Mystik durch Aufgehen in die göttliche Transzendenz aufheben, sondern im Gegenteil das Göttliche im Prozeß der Selbsterkenntnis radikal in die Seele »incarnieren« (»Du hast, erkennstu dich«) und es damit als eine prinzipiell überlegene, au-
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ßerpsychische Macht für sich annullieren. Das geisterfüllte, göttliche Subjekt ist somit schlechthin autonom, es ist zu seiner Selbstverwirklichung auf keine himmlische oder irdische Welt außer sich angewiesen: »Die Seele hat in Ihr der Ding' ihr Eigenschafft, Und alles blüht heraus aus selbst gebehrnder Krafft: Mensch, kenne dich nur selbst, es hat sonst keine Noth, In dir sind alle Ding' und in den Dingen Gott.« (II IHR, S. 7)
c) Das »himmlische Fleisch« Christi und die Rechtfertigung als »Wiedergeburt« Ein Spiritualist und Mystiker konnte sich nicht mit der traditionell-orthodoxen lutherischen Rechtfertigungslehre auf Grund des »sola gratia« und »sola fide« begnügen. Ein weiteres Emblem aus der Sammlung von HOBURG mag dies erst einmal veranschaulichen. Es zeigt >Eine Seele auswendig nach dem Fleische gestorben / und inwendig nach dem Geiste lebendem Auf der »pictura« (vgl. Abb. 3 in II GA, S. 130) umklammert ein »Knochenmann« - Zeichen des Todes wie des »gestorbenen Fleisches« - mit seinen Rippen eine als Engel gekennzeichnete Seele, die mit gefalteten Händen zum Himmel aufschaut - dies als Illustration zu der entscheidenden RechtfertiAbb. 3 gungsfrage von Rom. 7,24: »Ach mich elenden Menschen / wer soll mich erlosen von diesem Leibe des Todes?« Die »subscriptio« greift dies auf und gibt zugleich die Antwort: »ACH ich elender Mensch / wer wird mich doch erlosen / Indem mein Fleisch und Blut sich neigt zu allem Bösen? Zwar( = gewiß) bin ich drauff getaufft / daß mein Fleisch untergeh / Und ich in Christi Krafft ein neuer Mensch ersteh. Drumb tödt ich stets in mir des alten Adams Wesen / Grünt nur durch Gottes Gnad was er in mir erlesen: Das auserwehlte Kind / der neue Mensch genennt /
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Das niemand / als der es besitzet / recht erkennt. So stirb dann fort und fort du alter Mensch der Sunden / Köm neuer Mensch, den ich durch Christi Blut muß finden: Laß ich gleich diesen Balg / so ist mirs doch nicht leid / / Was meine Seel vergnügt ist dieses neue Kleid.« (G A, S. 11 Of.)
Hinter der Konfrontation von »neuem« und »altem« Menschen, hinter dem Begriff von»Christi Krafft« und dem Hinweis, daß nur der »beatus possidens« den »neuen Menschen« wirklich kenne, steckt der Verweis auf ein häretisches Rechtfertigungsverständnis. Diesem lag die Vorstellung von der Einwohnung Christi zugrunde (»Und ich in Christi Krafft ein neuer Mensch ersteh«). Im Blick auf die sich dahinter verbergende Christologie beschuldigte Matthias Flacius SCHWENCKFELD u. a., er leugne die Menschheit Christi, weil er lehre, diese »sey von der Natur / Substantia, vnd wesen Gottes genomen«, ja sie habe ihren Ursprung nicht aus Adam und Eva und sei folglich »keine Creatur je gewesen« (II, S. B iv). Mit diesem Vorwurf hatte Flacius im wesentlichen recht. Der schlesische Edelmann stellte nämlich unmißverständlich fest: »Kurtzlich aber so ists gewiss das sich Gott vnnd creatur in einer person kheins wegs vertragen / noch einander dulden mögen / Es ist Christo als dem eingeboren son gottes gantz nachtheilig / that ihm vnd seinem vatter abbruch wenn man seine menscheit die vom heiligen geiste ist empfangen zur geschaffnen creatur wil machen.« (II GC, S.C ij r)
Der göttliche Heilige Geist konnte also keinen fleischlichen Leib erzeugen. Anders gesagt: Die göttliche Beteiligung an der Zeugung ließ zwar im Medium der Jungfrauengeburt eine menschliche Gestalt, doch keine kreatürliche Fleischlichkeit zu (vgl. dazu III Schoeps, S. 25ff.). Und dieser menschliche, im Grunde aber unmateriell-pneumatische »Leib« Christi kehrte nach erfülltem Auftrag zurück in seinen ursprünglichen Stand, um hierdurch und hier erst (also nicht durch das »kreatürliche« Opfer am Kreuz!) die Erlösung des Menschen zu wirken, »weil auch das Fleisch Christi genügendes Instrument dazu war: er (Christus) muß zuvor verklärt, in das himmlische Wesen gezogen und vor unseren Augen weggenommen werden (Joh. 16)« (so Crautwald; in: I Seyppel, S. 42). In dieser Verklärung verwandelte sich die Menschlichkeit des Leibes zurück in die anfängliche Geistigkeit und Kraft Christi als des Schöpfungs»Wortes« Gottes. Die orthodoxen Theologen erblickten in dieser Lehre mit Recht ein Wiederaufleben des auf dem Konzil von Chalzedon als Häresie verurteilten Monophysitismus (Christus hat nur eine göttliche Natur; vgl. dazu III Schoeps, S. 9ff.; V Gilg, S. 55ff.). Doch ergab sich für die Spi-
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ritualisten daraus eine gedanklich plausible Vereinheitlichung von Person und Funktion Christi, die sie triumphierend und lehrhaft zugleich auch in ihrem geistlichen Liedgut ausbreiteten (vgl. z. B. I Wa V, S. 512): Christus war so mit seiner »himmlischen« Natur voll in die Trinität integriert, und auch an seinen beiden wichtigsten Funktionen, der Schöpfung und Erlösung, war der eine, nicht der in zwei Naturen getrennte Gottessohn beteiligt. So wie er als »Wort« den Kreaturen nur duch seine Kraft zur Verleiblichung verhelfen hatte, ohne dabei selbst Materie zu werden, so ermöglichte er nun auch die Rückkehr der leiblichen Kreaturen in jenes »himmlische Fleisch«, das er selbst seit der Auferstehung wieder angenommen hatte. Diese Auffassung ermöglichte Schwenckfeld und zahlreichen Spiritualisten und Mystikern, sich die hier und jetzt zu vollziehende Wiedergeburt (als entscheidenden Akt der >Rechtfertigung< und des Gewinns der Seligkeit) als eine reale Einwohnung des ganzen - leibseelisch spiritualisierten - Christus in der Seele des Gläubigen vorzustellen, wobei dieser zugleich von der »Kraft« Christi auch physisch verwandelt werden sollte. Derselbe Gedanke vom »himmlischen Fleisch« Christi war auch bei WEIGEL »einer seiner hauptsächlichen theologisch-philosophischen Grundsätze« (11.73 Wollgast, S. 123ff.; III Schoeps, S. 56ff.; II Weigel DC, S. 476, 504f. u. ö.). Für ihn bestand demnach die Rechtfertigung in dem von jedem einzelnen zu wiederholenden Abtöten des alten adamitisch-sündhaften Leibes und dem »Anziehen« des »neuen Menschen« nach der Analogie der Natur: »Denn im Tod liegt die Frucht, wie die ganze Natur bezeuget.« (DC, S. 518) Die Aussage Christi: »Ohne mich könnt ihr nichts tun« interpretierte er so: »ohne meine leibhaftige Einwohnung, wenn ihr nicht in mir bleibet und ich in euch, so seid ihr nicht gerecht und selig« (ebda., S. 483). Daraus ergaben sich folgerichtig die bekannten Aussagen über die Vergottung des Wiedergeborenen, die verdeutlichen, wie wenig sinnvoll es ist, im Blick auf dieses Ziel zwischen Spiritualismus und Mystik zu unterscheiden: »Christus der Fels muß in uns sein und wir in ihm. Denn der Glaube ist Christus in uns, Christi Reich ist in uns, so wir in ihm wandeln, und wir sind in seinem Reich. Wäre Christi Reich nicht in uns, wir könnten nicht beten: >Dein Reich komme!< Wäre der Himmel nicht in uns, nimmermehr könnten wir in den Himmel kommen. Gott ist unser Himmel . .., wir sind sein Himmel.« (Ebda., S. 489)
Diese Ansicht hat offenkundig nicht nur Czepkos, sondern auch SCHEFFLERS mystische Inspiration nachhaltig beeinflußt. Die folgenden Epigramme aus dem ersten Buch des >Cherubinischen Wandersmanns< atmen ganz den Weigelschen Geist:
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»61. Jn dir muß GOtt gebohren werden. Wird Christus tausendmahl zu Bethlehem gebohrn / Und nicht in dir; du bleibst noch Ewiglich verlohrn. 82. Der Himmel ist in dir. Halt an wo lauffstu hin / der Himmel ist in dir: Suchstu GOtt anders wo / du fehlst Ihn für und für. 295. Es mus in dir vor seyn. Mensch wird das Paradiß in dir nicht erstlich seyn / So glaube mir gewiß / du kommest nimmer drein.« (II CW, S. 36, 39, 70)
Die Umdeutung der Rechtfertigung zur Wiedergeburt läßt sich ebenfalls in ARNDTS so überaus wirkungsmächtigem >Wahren Christentum< wiederfinden, und zwar gleich im dritten Kapitel des ersten Buches: »Und gleichwie uns durchs Fleisch Adams Hofart, Geiz, Wollust und alle Unreinigkeit angebohren wird: Also muß durch den Heiligen Geist unsere Natur erneuert, gereiniget und geheiliget werden, und alle Hofart, Geiz, Wollust und Neid muß in uns sterben, und müssen aus CHristo einen neuen Geist, ein neu Herz, Sinn und Muth bekommen, gleichwie wir aus Adam das sündliche Fleisch empfangen haben. . . . Also leben wir in der neuen Geburt, und die neue Geburt in uns; also leben wir in CHristo, und CHRISTUS in uns, Gal. 2. v. 20.« (II WCH, S. 19f.)
Dieses Zitat vermag den bereits zitierten Vorwurf Osianders zu illustrieren, Arndt rede »auff alle Sättel gerecht« (vgl. Einleitung b). Das orthodoxe Luthertum, so stellte Osiander klar, kennt keine andere »Vereinigung mit Gott« als »welche die Versöhnung mit Gott ist / durch den Glauben an Christum«, während Arndt offenkundig »vber dieselbige noch eine andere vnnd Newe Vereinigung / die auff die jetzgedachte hernacher erst erfolgen müsse«, postuliere, »welche der Heiligen Schrifft gantz vnbekandt / aber in Schwärmerischen Büchern vilfältig angezogen vnnd hoch getriben wurdt.« (II, S. 331; vgl. II Hoyers, S. 59.) Christian HOBURG, an dessen Emblem wir den »rechtgläubigen Schlag« der Rede vom »neuen Menschen« bereits aufgezeigt haben, hat in seiner Schrift >Arndus redivivus, Das ist: Arndischer Wegweiser zum Himmelreich/ das spiritualistische Verständnis der »renovatio« unmißverständlich und mit starker Betonung der leibhaftig-physischen Einwohnung Christi in die Natur des Gläubigen hervorgehoben (und dies mag zugleich als Interpretation des zitierten Emblems gelten): »... so ist / in Summa / die neue Geburt ein göttlich Werck / ja eine lebendige Krafft Gottes in der Seel / die das Hertz gantz verwandelt und neu
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machet / den alten Adam tödtet / und gar einen anderen Menschen aus uns machet / von Hertz / Muth und Sinn / Natur und Eigenschafft / weil wir werden Fleisch aus seinem Fleisch / und sein Lebens = Safft als lebendige Reben aus ihm in unser Hertz ziehen / und darin auffwachsen zur göttlichen grösse etc.« (ThK, S. 56)
Wie die Zitate von Arndt und Hoburg bereits verdeutlichen, war die Wiedergeburt untrennbar mit einer Umgestaltung des Lebens - eben dem Kampf gegen den »alten Adam« - verbunden. Wo Christus wohnte, konnte und durfte es eigentlich keine Sünde mehr geben. So schloß die Tötung des adamitischen Fleisches für Weigel zwar noch ein, daß der Wiedergeborene Sünde »habe«, aber nicht mehr zu sündigen bereit sein dürfe: »die Sünde herrschen lassen in uns, das gebühret keinem Gläubigen oder Getauften« (DC, S. 504). Ebenso äußerte sich Hoburg (ThK, S. 30f.), und Anna Ovena Hoyers riet ihrem Sohn in einem - später auch im Pietismus verbreiteten - >Geistlich Gespräch / Zwischen Mutter vnd kindt, Warin das wahre Christenthumb bestehe / vnd wie es zu fuhren sey< (II, S. 3-39), unverzagt gegen die Lüste des Fleisches und der Welt zu streiten, um damit selbst zur Einlösung des apostolischen Versprechens beizutragen, »Auff das wir durch jhn werden sollen / Kinder Gottes / from / rein und pur / Teilhaff tig Gottlicher Natur« (II, S. 14; vgl. 2. Petr. 1,4 und dazu III Schmidt 1958; vgl. ferner II Hoyers, S. 135, u. Kap. I 3 e). Von der spiritualistischen Christologie her ergeben sich noch zwei wichtige Aspekte im Blick auf die Entwicklung einer Sakraments- und einer Naturmystik im Protestantismus. In der Sakraments- und insonderheit der Abendmahlslehre, die ohnehin den Hauptstreitpunkt zwischen den Konfessionen ausmachte (vgl. Bd. II, S. 185f., 191 f.), nahmen die Spiritualisten eine ambivalente Haltung ein. Einerseits bekämpften sie aus der Überzeugung heraus, daß der »Besitz« Christi das heilsentscheidende Ereignis sei, den »verdinglichten« Abendmahlsgebrauch der Kirchen, welcher prätendierte,»daß durch die Sakramente und mit ihnen die Gnade Gottes zu uns käme, oder sie uns dieselbige brächten und gäben«, woraus folgen würde, »daß Christus der Herr nicht unser einziger Mittler wäre« (Crautwald, in: I Seyppel, S. 536). Deshalb mahnte SCHWENCKFELD im >Sendbrief der Liegnitzer Brüder zum Abendmahl< geradezu, die Menschen sollten - wie er selbst - »eine Weile mit dem Brauch des hochwürdigen Sakraments stillstehen« (ebda., S. 33). Außerdem sei beim Abendmahl jede Ansicht von einer »creatürlichen« Realpräsenz des Leibes und Blutes fernzuhalten (vgl. II WFV, S. B ij v). Andererseits bezeugten die Spiritualisten auch wiederum eine außerordentliche Hochschätzung des Sakraments, die es allerdings nur
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für den wahrhaft Wiedergeborenen, den »neuen Menschen« hatte. Denn diesem teilten sich im Abendmahl Fleisch und Blut Christi in ihrer verklärten himmlischen Substanz mit (vgl. II Weigel DC, S. 555; Alexander Heldt in I Wa V, S. 524; III Schoeps, S. 32; zur Nähe dieser Vorstellung zu der von Luthers Ubiquitätslehre her entwickelten Sakramentsmystik der Greiffenberg vgl. Kap. II 4 c). Das Abendmahl eröffnete somit die faszinierende Möglichkeit der realen Partizipation an der göttlichen >Natur< Christi und damit die Initiation einer auch das Leibliche involvierenden Erneuerung des Wiedergeborenen bereits im Hier und Jetzt. Und fand diese Palingenesie nicht auch in der gesamten Natur statt? Wiesen nicht zahlreiche Prozesse in ihr auf eine allgemeine »Kette des Seins«, innerhalb derer die niedrigen Dinge in eine höhere geistige Form verwandelt wurden, aus der sie ursprünglich einmal emaniert waren? »11. Goldene Kette. Aus sich geht Gott: aus Gott die Seel: aus ihr das Leben: Gehst du nicht so zurück: ich weiß, du komst darneben.« (II Czepko SMS, S. 231)
Und lag es dann nicht nahe, Christus selbst in seiner Eigenschaft als schaffendes und erhaltendes »Wort« Gottes eben in der gesamten Natur als solche »Kraft« tätig zu glauben? So ebenfalls Czepko in seinen >MonodistichaFallAin alt vnd werdes Buchlein< des bedeutenden flämischen Mystikers Jan van Ruusbroec (1294-1381; vgl. zu ihm III Cognet, S. 199ff.), hauptsächlich aber Werke Taulers, auch Seuses (vgl. 11.66 Pieper, S. 72ff.; ein Verzeichnis der von Sudermann edierten Texte mystischer und spiritualistischer Provenienz< ebda., S. 209ff.). 1622 reichte die Universität Tübingen beim Straßburger Magistrat eine Klageschrift gegen Sudermann wegen seiner Edition »schwermerischer tractätlein« ein; der Rat verhandelte die Angelegenheit mehrmals, doch sind keine Sanktionen gegen den Lehrer der Domherren bekanntgeworden, »wo doch Arrest oder Ausweisung aus der Stadt für andere Mitglieder nicht geduldeter Sekten vom Rat schon früher und auch noch in späteren Zeiten häufig als Strafe verhängt wurden« (ebda., S. 42). Für diesen glimpflichen Verlauf gab es mehrere Gründe: den guten Leumund Sudermanns, dem ein Ratsprotokoll aus anderem Anlaß bereits 1597 bescheinigte, daß er »ein stiller vnd aufrichtiger gesell sei« (zit. ebda., S. 36), ferner den Schutz der Domherren, schließlich wohl auch den irenischen Charakter seines Wirkens, das der komplizierten konfessionellen und politischen Situation Straßburgs gerade in den zwanziger Jahren besonders entsprach: Die Freie Reichsstadt, Mitglied der protestantischen Union unter Führung des pfälzisch-böhmischen »Winterkönigs« Friedrich V., sah sich nach der verlorenen Schlacht am Weißen Berg (1620) unter dem militärischen Druck Spinolas 1621 zu einem Ausstieg aus der Union genötigt (wofür Kaiser Ferdinand II. u. a. als Gegengabe der Straßburger Akademie das Universitätsprivileg verlieh) und suchte in den nachfolgenden Kriegswirren, die immer wieder das eigene Territorium bedrohten, strikte Neutralität zu wahren (vgl. dazu 11.47 Kühlmann/Schäfer, S. 16, 69ff.), die auch angesichts der konfessionellen Spannungen zwischen dem katholischen Bistum Straßburg und der lutherischen Geistlichkeit des Stadtstaates erforderlich war (vgl. Bd. II, S. 213ff.). Mit dieser politischen Haltung konvenierte die weltanschauliche Position Sudermanns. Anders als Fischart hielt er sich nämlich in seinen Werken gänzlich aus allen politischen und konfessionellen Streitigkeiten heraus (damit unterschied er sich zugleich von Schwenck-
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feld) und suchte stattdessen nach einer gemeinsamen Frömmigkeits-Basis für die miteinander rivalisierenden Religionsparteien. Damit ging er sogar noch über die Intentionen der Straßburger Humanisten hinaus, die - von Jakob Sturm (1489-1553) über den mit Calvin befreundeten Johannes Sturm (1507-1589) bis hin zu Matthias Bernegger (1582-1640; vgl. zu ihm Kap. II 2 a) - eher wie Fischart den Ausgleich zwischen den protestantischen Konfessionen suchten, um die Allianz gegen Habsburg zu stärken. In Sudermanns Werk übertrifft der handschriftliche Nachlaß sein publiziertes Schrifttum um ein Vielfaches (vgl. 11.66 Pieper, S. 6ff.). Hier ist auch oft kaum zu unterscheiden, wo er noch Fremdes kopiert oder dieses - u. a. in Übersetzungen, Zusammenfassungen, Variationen oder Erweiterungen - in geistiges Eigentum transformiert. Dieser Nachlaß enthält auch frühe Fassungen oder Versionen später oder gar nicht publizierter Gedichte und Lieder, und deshalb schwanken die Schätzungen über seine lyrische Produktion: Etwa zwei- bis dreitausend Lieder und Gedichte soll er geschrieben haben, von denen nur 435 Lieder zum Druck gelangten (vgl. ebda., S. 9, 28f.). Die umfangreichste neuere Kollektion aus gedrucktem und ungedrucktem Nachlaß bietet Wackernagel mit 211 Liedern (I WA V, S. 546-676). Sudermann wollte in den bewährten Formen und Traditionen und mit den Mitteln der Poesie über die konfessionellen Grenzen hinweg der religiösen Erbauung und Erziehung dienen. Dezidiert richtete er sich mit seinen deutschsprachigen Liedern und Gedichten an den gemeinen Mann und reihte sich damit in die seit Beginn der Reformation entwikkelte wirkungsvolle Tradition einer literarischen Persuasionsstrategie auch für Analphabeten ein (vgl. Bd. I, S. 147ff., Bd. II, S.163ff., 171 ff.): »Geistlich spruch in Reimen ghört / Man ehe behält dan lange wört« (zit. in 11.66 Pieper, S. 80). Deshalb ist seine Sprache »mit Methode« kunstlos und einfach, seine im »niedrigen Stil« verfaßten Verse sind häufig sorglos gebaut und gereimt. Inhaltlich erweisen sie sich wie die Lieder Paul Gerhardts (vgl. Bd. II, S. 266ff.) als eng am biblischen Wortlaut orientiert (vor allem am Hohenlied und an den Schriften des Neuen Testaments (vgl. 11.66 Pieper, S. 82f.). Zumeist enthalten sie sich auch jeder eindeutigen Explikation spiritualistischer Ideen, um ihre intendierte Wirkung nicht durch konfessionelle Vorbehalte der Adressaten infragezustellen. In Vermittlerdiensten standen auch die gedruckten poetischen Schriften Sudermanns, die er ebenfalls hauptsächlich in den zwanziger Jahren publizierte und deren Erscheinungsort - zumeist Straßburg - durch Angabe des Verlegers (und Kupferstechers) Jacob von der Heyden für die
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Zeitgenossen zu erschließen war. In diese Werke nahm Sudermann zum Teil früher anonym publizierte illustrierte Flugblätter und Flugschriften wieder auf (als Beispiel hierfür vgl. I Harms, Paas, Schilling, Wang, S. 43). - Zwei thematische Schwerpunkte, die sich vielfach miteinander verbinden, lassen sich dabei unterscheiden: Bibel-Dichtung und MoralDidaxe. Letzterer dienten die beiden 1624 und 1626 erschienenen lateinisch-deutschen >Centuria similitudinum< oder >Hundert Gleichnussen, In welchen durch Vorstellung Leiblicher Figuren gar schöne geistliche Lehren Fürgebildet Werdern. Den ersten Band widmete der Autor keinem Geringeren als Kaiser Ferdinand II. In der Zuschrift an diesen verwendete er mit Recht den Begriff »Emblemata« für sein Werk: Auf die »picturae« - übrigens qualitativ hochwertige, sehr detailgetreue Kupferstiche - folgt jeweils ein vierzeiliges lateinisches Gedicht mitsamt dessen deutscher Vers-Übersetzung als »subscriptio«, und stets wird dabei ein Alltags-Beispiel auf geistliche Sachverhalte hin ausgedeutet. Dabei dient häufig der Kaiser selbst als »Figur« - meist für Gott wie im folgenden Beispiel: »Wer zu deß Kaysers Tisch will gähn, Der zeuch sein schönste kleider an: Solchs thue bey Gottes Tisch vil mehr, Wurffs alt kleyd weg, dein Sünde schwer.« (CS, S. 11)
Zum zweiten, für die Mystik wichtigeren Komplex gehören neben einem kleinen allegorischen Gespräch zwischen Glaube, Liebe und Hoffnung (II TS) vor allem die >Hohen geistreichen Lehren / vnd Erklärungen: Vber die fürnembsten Sprüche deß Hohen Lieds Salomonis< und eine zwischen 1620 und 1628 erschienene fünfbändige Sammlung von >Schönen außerlesenen Sinnreichen Figuren< über ausgewählte Kapitel sowohl aus der Bibel wie auch »auß der alten Christlichen kirchenlehrer Schrifften gezogen< (zu den leicht variierenden Titeln vgl. 11.66 Pieper, S. 195ff.). Diese Werke sind formal ebenfalls emblematisch aufgebaut. In ihnen erweist sich Sudermann als getreuer, behutsamer Vermittler der spätmittelalterlichen Mystik und ihrer Deutungstradition. Ohne eigene Akzente setzen zu wollen, sind sie insbesondere interessant als Folie, vor der sich erst die - keineswegs selbstverständliche - Kühnheit der vor allem im zweiten Teil des vorliegenden Bandes behandelten BarockMystiker enthüllt. - Dazu nur einige Beispiele. Die »subscriptio« in den >Hohen geistreichen Lehrern, die aus einem in der Länge variierenden Gedicht oder aus mehreren, zum Teil durch Prosaerklärungen und Kirchenväterzitate untermischten Versgruppen besteht, treibt durchweg didaktische Allegorese; daher dient der Literalsinn des Hohenliedes - vor
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allem die Figur der Braut - keineswegs als Identifikationsangebot für das »lyrische Ich« zum mystischen »Rollenspiel« mit dem Bräutigam Christus wie bei Spee, Angelus Silesius, der Greiffenberg oder Kuhlmann, sondern nur - dem Titel entsprechend - als Gegenstand erbaulicher Lehre. Der berühmte Eingangsvers des Hohenliedes (»Er küsse mich mit dem Kuß seines Mundes«) wird sofort in dreifachem Sinne geistlich gedeutet: Er ist erstens Initiation der Verzückung und der Schau des himmlischen Paradieses, zweitens im Blick auf die Kirche Sinnbild, »das Gott im Geist / Redet in jhr / sie underweist / Aller Welt sprach zu reden wol / Vnd wissen was sie wissen sol«, und schließlich verweist der Kuß auf die Süssigkeit der »unio« selbst, über die Sudermann aber nur im Topos des mystischen Schweigens zu sprechen wagt: »Das Dritt ist / Gott laßt sie mit freud Empfinden solche Süssigkeit / Auch vber groß / das hie kein Mann / Davon reden vnd schreiben kan / Ist auch nützlich vnd gut fürwahr / Solchs zu verschweigen gantz vnd gar.« (HOL, S. l r)
Indem der Dichter so eklektizistisch den spätmittelalterlichen Stand der allegorischen Hoheliedauslegung in seine Verse einbringt (vgl. dazu Kap. II l b u. 3 c), vermag er mühelos auch die heikelsten Bilder dieses ursprünglich weltlichen Liebesliedes geistlich zu entschärfen. Die Brüste Christi - für die Böhme-Adepten Zeichen der Androgynität des Gottessohnes (vgl. Kap. II 3 c) - bedeuten bei Sudermann »geistlicher weiß« den Stand seiner Erniedrigung und Erhöhung (HGL, S. 5 r), die Brüste der Kirchen-Braut wiederum »figuriren« die Apostel, weil diese die »Säugmutter« der Juden und Heiden waren (Hl, 4,5; HGL, S. 33 r), und Hl. 2,11 (»Denn siehe, der Winter ist vergangen«) - ein Vers, der für Angelus Silesius und die Greiffenberg zum willkommenen »Einfallstor« für ihren »Panchristismus« wird (vgl. Kap. II 3 c u. 4 d) -, bedeutet bei Sudermann, daß man aus dem Winter von irdischem »Creutz / vnd Peinlichheit«(!) die »Seligkeit« der soteriologischen Gaben gewinnt (HGL, S. 17 r). Dasselbe Verfahren wendet er in den >Schönen außerlesenen Sinnreichen Figuren< an. Hier stehen die ersten fünfzig Sinnbilder unter dem Generalthema der Weltflucht (»Ach waß soll mir die weltlich freud / Welche vergeht noch etwan heut?« SSF, S. 105), während sich nach dieser Vorbereitung die zweiten fünfzig wiederum ausschließlich mystischen Themen (davon zur Hälfte erneut aus dem Hohenlied) widmen. Didaktische Absicht und allegoretisches Verfahren überspringen hier
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ebenfalls die Ebene sinnlicher Konkretion, die übrigens auch in den Kupferstichen nur auf eine dürftig-stilisierte Weise zur Anschauung gelangen darf, und so negieren sie im demonstrativen Gestus von Weltabkehr und Himmelsflug gerade das Instrument der Phantasie, dessen sich die anderen Barock-Mystiker in ihrer »Schau-Lust« so ausgiebig bedienen: »Hör lieber Christ die Natur hat Nichts schnellers dann deß Himmels Rad: Doch ist die Seel in Ihrem lauff / Noch vil schneller zu Gott hinauff / Wann sie nur blieb ledig vnd frey / Von allem Gschöpff vnd Phantasey So vberstiegs den Himmel clar / Hett auch kein ruh, dort gantz vnd gar / Biß daß sie kähm zum höchsten Gott / Vnd würd gespeyßt mit seinem Brodt«. (SFL, S. 128)
Doch am Schluß der Sammlung kehrt Sudermann interessanterweise wie die >Trvtz-Nachtigal< oder der möglicherweise gerade in dieser Konzeption von den >Figuren< des Straßburgers beeinflußte >Cherubinische Wandersmann< - auf die Erde zurück: In das himmlische Paradies wird nicht einkehren, »wer mit Christo nicht leiden wil« und wer nicht gegen alles Weltliche ankämpft: »Des Christen leben ist ein Streit / Drumb wer nicht Kämpft zu aller zeit / Mit dem Sathan / seim fleisch / die weit / Derselbig schon zu gründe feit«. (Ebda., S. 172)
Dies ist der Kern seiner Botschaft, daß der Mensch sich als »miles« im ständigen Krieg gegen die Mächte der Finsternis Christus nähern könne und solle. In einem >trostlied, Vom Christlichen streit< bringt er denselben Gedanken auf einen erasmisch-jesuitischen Nenner (vgl. dazu auch Bd. I, S. 93f.): »O Frommer Christ, dran, wider dran \ dein hauss ist nur dess kampfs ein plan (= Platz) Zustreitten offt wider die weit, Sathan vnds fleisch: du bheltst dz feldt, Wa du beharst im streit alltag: fälst offt, steh vff, ohn forcht vnd klag: Dran, wider dran \ dich nit vmbwendt, vff Christo bleib, deim Fundament.« (I WA V, S. 621)
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Dies impliziert hauptsächlich ein passives Verhalten geduldigen Ertragens des auferlegten »Kreuzes« in dem Bemühen um wahre »imitatio« der Tugenden Jesu, wie dies auch die erste Generation der lutherischen Reformorthodoxie um Johann Arndt, Philipp Nicolai und Johann Gerhard postulierte (vgl. Bd. II, S. 253ff.), schließt aber auch zum Teil heftige Polemik gegen ein unchristliches Sozialverhalten keineswegs aus. Ganz besonders attackierte Sudermann als hautnah betroffener Straßburger Bürger den seit 1618 ausgebrochenen »Religionskrieg« und beklagte, daß Katholiken und Lutheraner »Allbeid Christum / zu eim Kriegsmann« gemacht hätten, dem sie doch »Auffs Creutze weg nachfolgen« sollten (SFL, S. 194 r). In seinem - ursprünglich vermutlich auch als Flugblatt verbreiteten - >Bericht vom Krieg vnd Friede Haß und Liebe / auch jhrer beyde vnterscheid: Das der Krieg nicht allein / in das Reich Christi nit gehöre / sonder auch nit sey / dann ein Teufflisch / Viehisch / vnchristlich / Vnmenschlich ding / Ein erschreckliche / grewliche plage vnd lauter Vnsinnigkeit< beschreibt er unter Berufung auf die >Querela pacis< des Erasmus von Rotterdam (ca. 1469-1536; vgl. dazu Bd. I, S. 95) diesen Kriegszustand als »Teuffels Reich«, das er am Schluß des Werkes zugleich als Beweis für das Herannahen der Apokalypse deutet (SFL, S. 197 r): »HOer doch / wo ist des Teuffels Reich / Dann im Krieg der Christen vngleich? Da eytel Klag vnd Vbelstand / Trawren / armut / Mord / Raub vnd Brand / Hunger / Vnlust / Verrlhterey / Lärmen / Verzweifflung / boß Geschrey / Heulen / Weinen / auch Niederreissen / Alles Gebew / schlagen vnd Schmeissen / Auffruhr / vnd Stähln / Jungfrawen schendn / Schmach / fährlichkeit / schad ohn abwendn / An Ehr / Gut / Leib / vnd Seel danebn:.. .« (Ebda., S. 194 r)
Die Welt galt Sudermann als Reich der »Finsternis«, in dem Satan herrschte (vgl. dazu II. 66 Pieper, S. 97ff.), Weltliebe war demzufolge geradezu ein »Ehebruch« am »Breutigam« Christus (I Wa V, S. 647). Von daher ging sein soziales Engagement ganz in seiner publizistischen Propaganda für eine Erneuerung der Frömmigkeit und für sein religiöses Hauptanliegen, nämlich das friedliche Miteinander der Konfessionen, auf. Das deutlichste öffentliche Zeugnis für letzteres ist die von ihm 1613 im Druck edierte >Harmonia oder Concordantz. Das ist, Ein Zusammenstimmung, vergleichung und einhellung etlicher puncten und artickeln Christlicher lehre, dere(n), so die weit nun mehr Catholische,
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Lutherische, Caluinische, etc. nennet,... allein drümb uffgezeichnet, ob ir etliche, durch Gottes gnad, und wahre liebe zu Einigkeit und Rhüe, möchten etwas näher wider zusammen tretten, und also einander unverfolgt lassenSoharUnterricht von der teutschen Sprache und Poesie< ernsthaft die »Meinung«, »daß die Figur der Hebräischen Buchstaben den Menschen angebohren / und am Himmel zu lesen« sei (H, S. 21; vgl. ebda., S. 23f.; vgl. zur »Ursprachen-Diskussion« auch III Hankamer 1927/65, S. 117ff., 151ff. u. ö.). So setzten die kabbalistischen Spekulationen denn auch bei den hebräischen Gottesnamen an (vgl. III Papus, S.74ff.), und es versteht sich, daß der >Sohar< aus dem Wortlaut des Schöpfungsberichtes eine mit dem Literalsinn ganz unvereinbare, vielmehr in den Zeichen als Geheimnis enthaltene Kosmogonie und Welt-Anschauung herauslas. Danach hat sich die Welt in einer Folge von Emanationen aus dem »En Sof«, dem infiniten, verborgenen göttlichen »Licht«, entwickelt und immer mehr materialisiert. Diese Schöpfungsentstehung begreift der >Sohar< als Erscheinen des lebendigen Gottes, »dessen geheimes Leben sich unter einer Reihe von Aspekten darstellt, die unter vielen Symbolen . .. eingehend erörtert werden« (III Scholem 1971, S. 27; vgl. ebda., S. 60ff.; I Sohar, S. 49ff.; III Papus, S. HOff.). Diese zehn »Sefirot« genannten »Aspekte« oder »Urpotenzen sind keineswegs erschaffene, von Gottes Wesen abgetrennte Kräfte oder Kreaturen«, sondern Emanationen, in denen sich die göttliche Schöpferkraft »in alle Stufen verströmt und in allen leuchtet« (ebda., S. 27f.). Die kabbalistische Emanationslehre enthält zugleich die Vorstellung der Expansion in die Vielfalt der Kreaturen und der schließlichen Konzentrierung im Sinne der Rückkehr in die Ursubstanz als »Endzweck aller Dinge« (III Papus, S. 48). Im Gegensatz zum mosaischen Monotheismus kennt die Kabbala ein trinitarisches Gottesgeschehen im Prozeß der »Scheidung des >Vaters< und der >Muttereinwohnenden< Göttlichkeit, besonders stark zur Betonung« (III Müller, S. 19) - diese Aspekte haben ebenfalls in Jacob
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Böhmes Pansophie deutliche Spuren hinterlassen (vgl. Kap. I 5 b). Wenn die Kabbala auch am Begriff eines extramundanen, im Prinzip unerkennbaren Geistig-Göttlichen festhält, so ist der aus dem Emanationsgedanken folgende latente Pantheismus ihrer Lehren gleichwohl unübersehbar. Nachdem Christian KNORR VON ROSENROTH (1636-1689) den >Sohar< erstmals in einer zweibändigen lateinischen Ausgabe 1677/84 publiziert hatte (>Kabbala DenudataSohar< »die vollkommenste Gestalt«: »Die ersten Welten wurden zerstört, weil diese wahre Gestalt des Menschen noch nicht ihre Vollendung erhalten hatte« (III Scholem 1962, S. 37). Aus der »imago Dei«-Stelle Gen. l,26f. folgert der >SoharCorpus Hermeticum< ins Lateinische und ermöglichte ihm damit eine intensive Wirkung über den gesamten Zeitraum der frühen Neuzeit (vgl. III Zimmermann 1979, S. 18f.). Den synkretistischen Neigungen der Mysterienreligion entsprechend stellt sich das hermetische Schrifttum als ein »Gemisch aus den unterschiedlichsten religionsphilosophischen Schulen und Strömungen der Antike« dar: »Die Einkleidung ist ägyptisch, der Inhalt unzweifelhaft vorwiegend griechisch. Die Basis ist eine Umsetzung platonischer Philosophie in religiöse Offenbarung; es werden aber die philosophischen Elemente mit neupythagoräischen, orphischen, aber auch jüdischen Vorstellungen verquickt. Diese Schriften sind durchaus Erbauungsliteratur« (III Dörrie, Sp. 265). Die älteste und wichtigste unter ihnen, der >PoimandresCorpus hermeticum< in verschiedenen Sammelbänden weitere »heidnische« Neuplatoniker zur Seite zu
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stellen, die ihrerseits z. T. bereits auch schon die Mystik des Mittelalters so vor allem deren Hauptgewährsmann (Pseudo-) DIONYSIUS AREOPAGITA (um 500 n. Chr.) - beeinflußt haben: PORPHYRIOS (232/33-304/05 n. Chr., unmittelbarer Schüler Plotins und radikaler Gegner des Christentums), dessen Schüler JAMBLICHUS (gest. um 330 n. Chr.) sowie dessen Adepten PROCLUS (410-485 n. Chr.), der die Lehre des Neuplatonismus systematisierte (vgl. zu diesen Autoren Abschnitt II des Verzeichnisses der zitierten LiteraturCorpus hermeticum< von dessen angeblich hohem Alter aus. Da Moses, wie aus Exodus 2,10 hervorgeht, als Sohn von Pharaos Tochter aufwuchs und damit in der ägyptischen Weisheit erzogen wurde, welche wiederum - wie man annahm - in den Lehren des Thot-Hermes niedergelegt war, glaubten die Hermetiker vor allem aus gewissen Ähnlichkeiten des >Poimander< mit dem mosaischen Schöpfungsbericht schließen zu können, daß beide im Grunde eine göttliche Weisheit und Offenbarung verkünden wollten, nur daß die des Hermes die ältere und daher vielleicht auch die glaubwürdigere, weil unverfälschtere sei. So erklärt beispielsweise Daniel von CZEPKO in dem interessanterweise für die fruchtbringende Gesellschaft bestimmten Dedikationsgedicht seiner >Sexcenta Monodisticha SapientumMonodistichaPhysik< (den >Versuch von Wesen des GeistesDichtung und Wahrheit< bezeugt (vgl. II DUW, S. 342ff.), durch intensives Studium auch hermetischer Autoren herausbildete, haben vor allem Zimmermanns Forschungen eindrucksvoll bestätigt. Im Laufe der frühen Neuzeit strahlten die hermetischen Ideen in verschiedene Disziplinen aus, durch Paracelsus vor allem in die Medizin. Wegen dieser Ausbreitung wurden die Anhänger des ägyptischen Gottes auch unter verschiedenen Etikettierungen - z. B. als Theosophen oder Pansophen - geführt, indessen ist Peuckerts Versuch, Theosophie und Pansophie im Zusammenhang mit der Lehre von den beiden Offenbarungs-»Büchern« sowie dem »Weg der Gnade« und dem »Weg der Natur« als Gottes- und Naturmystik systematisch zu unterscheiden (vgl. III Peuckert 1956, S. 185ff.; 1967, S. 11 ff.; 1973, S. 66ff.), schon allein wegen des emanatistisch-pantheistischen Gottesbegriffs der Hermetiker nicht aufrechtzuerhalten (vgl. dazu auch III Zimmermann 1973, S. XXIIf.). Auch die Christus-Mystik geht immer wieder in Natur-Mystik über. Angesichts eines gemeinsamen Grundbestands der Geheimlehren und der synkretistischen Neigungen ihrer Vertreter wurden diese daher in der frühen Neuzeit auch unter einem Etikett subsumiert. So erscheinen z. B. die Ärzte Paracelsus und Johann Baptist von Helmont, der Theologe und Religionsphilosoph Valentin Weigel und der Philosoph Jacob
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Böhme in Zedlers >Universallexikon< aus der Zeit der Aufklärung unter dem Sammelbegriff >TheosophiciSystema Theosophorum< gehet nämlich . . . dahin, daß 1) aus dem Wesen Gottes alles ausgeflossen, und wiederum dahin zurückgehen müsse. 2) folglich auch unsere Seele, gleichwie diesen Ursprung, also auch diesen Endzweck haben müsse, wiederum in Gott als ihr Centrum einzugehen; daß 3) daher die Loßreissung der Seele von dem Dienst der fleischlichen Begierden durch Busse und Reinigung des Hertzens der Anfang seyn müsse, um zu GOtt aufzusteigen; welche Philosophie man nicht von Aristoteles oder den Heiden, sondern aus der innerlichen Erleuchtung des H. Geistes in der Stille der Seelen erlernen müsse. Zu welchem End 4) GOtt das Bild seines Wesens allen Dingen eingedrucket , um sein Wesen in denselbigen zu erkennen, von welchem man auf die Creaturen absteigen müsse, um sie aus und in ihm zu erkennen. 5) In solcher Erkänntniß und Einsicht der Verbindung des Göttlichen Wesens mit dem Wesen der geschaffenen Dinge, und der aus demselbigen in ihnen liegenden Krafft, bestehe die Magia naturalis, durch welche man wunderwürdige Würckungen hervor bringen könne, wenn man also das Wesen der Natur aufgeschlossen habe, und da dieser göttliche Ausfluß durch die Gestirne würcke, so bestehe auch 6) die wahre Theosophie in einer gründlichen Erkänntniß der wahren Astronomie, deren Harmonie 7) mit der Erde und deren Gewäcksen(l), Mineralien und Metallen, den wahren Saamen derselben aufschlüsse; welche man 8) sodann extrahiren und dadurch zu dem gesegneten Geheimnis kommen könne, die Metallen zu verwandeln, und eine allgemeine Artzney zu bekommen, um sich vor allen Kranckheiten zu verwahren, und sein Leben auf ungewöhnliche Jahre zu verlängern, worzu 9)der allgemeine Welt = Geist, der alle Dinge zeichne, würcke und bilde, das Seinige beytrage, welcher dadurch erweckt und dirigiret werden könne. 10) Es bestehe auch der Mensch aus einem Göttlichen Funcken, einem Astralischen Geist und dem Leibe; so lange er diesem diene, stehe er in einem viehischen Zustand, aus dem er aber erstlich durch den Astralischen Geist zu einen(!) Menschen werden, von demselbigen aber durch vielerlei revolutiones und Reinigungen durch den Göttlichen Funcken zu GOtt aufsteigen, und also 11) Die in dem Cörper und Stern = Geist liegende Quelle des Bösen verlassen, und in die Quelle seiner Ruhe und Glückseligkeit eingehen müsse; welches 12) In der bevorstehenden glückseligem Zeit insonderheit geschehen werde, wo alle Künste und Wissenschaften in einem vollkommenen Flor erscheinen werden.« (II, Sp. 1120f.)
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3) Mystik und Zauberei - Zur magischen Macht der Phantasie a) Neuplatonische Mystik im Dienst der Magie (Nettesheim) Hermes hatte den Beinamen »Trismegistos« (= der dreimal Größte): In Magie, Alchimie und Astrologie galt er als Inbegriff der Weisheit. Diese drei >artes< hatten bereits im Mittelalter vor allem durch den Einfluß arabischen Gedankenguts beträchtlichen Auftrieb erfahren. Trotz mannigfacher Verbindungen mit dem scholastischen Denken und vielfach hohen Ansehens unter den Gelehrten galten sie gleichwohl als »verboten künste«; vor allem Magie und Alchimie wurden immer wieder verfolgt und unterdrückt und waren deshalb genötigt, ihr Wissen und ihre Praxis geheimzuhalten (vgl.III Peuckert 1956, S. 46ff.; Schmitt, S. 167ff.; Schipperges, S. 71ff.; Buntz 1970, S. 123ff.). Im 16. und 17. Jahrhundert erlebten alle drei >artes< eine Blütezeit, die Alchimie wurde in der Epoche des Konfessionalismus geradezu zur »Sucht« (vgl. III Ploss 1970, S. 38). Gleichzeitig aber änderten sich ihre Funktion und ihr Charakter im Laufe der frühen Neuzeit zum Teil beträchtlich. Am Anfang dieser Wandlung stand die Wiederentdeckung der Weisheit des »Trismegistos«, die fortan zur »Leitideologie« der geheimen Künste avancierte und deren im Mittelalter vielfach handwerklichen Charakter durch einen einheitlichen philosophischen »Überbau« teils zu ergänzen, teils auch zu verdrängen, insgesamt aber aufzuwerten vermochte. - Daß und warum sich die Astrologie in dieser Zeit besonderer Beliebtheit erfreute, wurde schon erörtert (vgl. Bd. II, S. 45ff.). Über ihre lebenspraktische Funktion hinaus geriet sie aber bereits als Auslegung des »Buchs der Natur« in eine Konkurrenzsituation zur Theologie, und nicht zuletzt war es der Gedankenkontext des Licht, Feuer und Sonne verehrenden Hermetismus, der dessen Anhänger Kopernikus, Kepler, Böhme und Newton das neuzeitliche Weltbild als wahr erkennen und beglaubigen ließ (vgl. ebda., S. 59ff.). Für die Magie, deren »weiße« und »schwarze« Versionen ebenfalls bereits in einigen wichtigen Aspekten im Rahmen des Konfessionalismus betrachtet wurden (vgl. ebda., S.66ff.), erstellte erstmals der Renaissance-Gelehrte Heinrich Cornelius AGRIPPA VON NETTESHEIM (14861535) in seinem dreibändigen Werk >De occulta philosophia< (1531) eine »Summa« und ein System magischen Wissens, in dem er die Magie mit Hilfe des Neuplatonismus zu einer Weltanschauung und damit zugleich zu einem Konkurrenzsystem der christlichen Religion zu veredeln gedachte (vgl. III Müller-Jahncke). Schon die Eingangssätze des Werkes thematisieren die Grundspannung seines Systems, die aus der Konta-
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mination neuplatonisch-mystischen und magischen Denkens resultiert: mystische Entgrenzung im anschauenden Aufstieg der betrachtenden Seele zum »Archetypus« als Voraussetzung von dessen Indienstnahme im magisch-attrahierenden Herabziehen der höheren geistigen Kräfte, um sie zu beherrschen: »Da die Welt dreifach ist, elementarisch,himmlisch und geistig, und da immer die niedrigere von der höheren regiert wird und den Einfluß ihrer Kräfte aufnimmt, so daß das Vorbild des Weltalls (der Archetypus) selbst und der Schöpfer aller Dinge durch die Engel, die Himmel, die Gestirne, die Elemente, die Tiere, die Pflanzen, die Metalle und die Steine die Kräfte seiner Allmacht auf uns Menschen ausströmt, zu deren Dienst er dies alles geschaffen hat, so halten die Magier es für keine unvernünftige Sache, daß wir auf denselben Stufen, durch die einzelnen Welten, zu der urbildlichen Welt selbst, dem Schöpfer aller Dinge und der ersten Ursache, von welcher alles ist und ausgeht, hinaufsteigen, und daß wir nicht nur die in den edleren Naturgegenständen schon vorhandenen Kräfte benützen, sondern noch überdies von oben herab neue an uns ziehen können.« (II, S. 12)
Die Magie funktionalisiert - das wird hier exemplarisch deutlich - die neuplatonische Mystik zum Vehikel für ihre irdischen Zwecke. Zugleich schwingt sich die Magie bei Agrippa zu Beginn der Reformation und damit der Glaubensspaltung zur Richterin über die Wahrheit der Religionen auf. Auf der Basis der stoischen Lehre vom »logos spermatikos« (vgl. die Einleitung und Bd. I, S. 67) sowie der humanistischen Idee der Toleranz (ebda.) entwickelt Agrippa bereits das Konzept einer »natürlichen Religion«. Gott hat »kein Geschöpf der Welt ohne Religion gelassen: . . . Die religiösen Gebräuche und Ceremonien aber sind nach Zeit und Land verschieden; jede Religion hat etwas Gutes, was zu Gott, dem Schöpfer selbst leitet, und obwohl nur die christliche Religion von Gott gebilligt wird, so verwirft er doch in seiner Gnade die anderen Formen des Gottesdienstes nicht durchaus . . .« (II, S. 359) Jede historische Religion - auch die christliche, so macht Agrippa deutlich -, ist von abergläubischen Zeremonien durchdrungen, die es zu eliminieren gilt, um den wahren Kern der Gottesverehrung zu praktizieren. Der von Liebe, Glaube und Hoffnung durchdrungene Magier aber kann allein »in der Natur stehend, das, was über der Natur ist, erkennen und alle Dinge der Welt wissen«; ihm wird die wahrhafte göttliche Offenbarung zuteil, und zu deren Beweis erhält er wie die alten Seher und Propheten auch »eine wunderbare Macht, die Dinge durch seinen Befehl zu verändern« (ebda., S. 362f.). Diese natürliche Magie faszinierte sowohl mit der Annahme der den Makro- wie Mikrokosmos durchziehenden geheimen Kräfte als auch mit der herausgehobenen Stellung des Menschen die Intelligenz - Humani-
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sten wie Mystiker - im 16. und vor allem auch im 17. Jahrhundert, und zwar in allen konfessionellen Lagern (vgl. die Einleitung b). Doch weil sie als Teil der weißen Magie zwar in Opposition zur schwarzen, jedoch zugleich in Konkurrenz zur weißen Magie vor allem der Katholischen Kirche stand und sich überdies als eigenständige und den Kirchen überlegene Weltanschauung begriff, wurde sie von den Konfessionen als Häresie verfolgt. Die Selbsterhöhung des Magiers galt als Paradebeispiel des diabolischen »eritis sicut Deus«. Da zudem vor allem im Bereich der konkreten Zaubermittel der Übergang von der weißen zur schwarzen Magie fließend war - so behandelt Agrippa z. B. ebenso das »Bannen der Menschen in Liebe und Haß« wie der >Hexenhammer< (vgl. II, S. 87ff.; II Sprenger/Institoris I, S. 109ff., II, S. 212ff.) -, fiel es den Kirchen nicht schwer, die >natürliche< Magie als schwarze zu diskriminieren. Die 1587 erstmals im Druck erschienene >Historia von D. Johann Fausten Dem weitbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler demonstrierte nicht zufällig gerade am Schicksal eines Magiers, »wohin die Sicherheit / Vermessenheit und Fürwitz letztlich einen Menschen treibe« (I Anon.: Faust, S. 4). Doch auch diese verlegerisch erfolgreiche Fratze der Agrippaschen Intentionen bezeugt den ängstlichen Glauben an die Wirkungsmacht der Magie in der Epoche des Konfessionalismus. Indessen war dieser Glaube eng mit dem Realitätsverständnis der Zeit selbst verknüpft. Viele Grundannahmen des Agrippa beruhten nicht nur auf dem (neu-)platonischen Weltbild,sondern auch auf den gängigen naturkundlichen und philosophischen Vorstellungen des Aristoteles und der auf diesem gründenden Scholastik, auf der hippokratisch-galenischen Konstitutions- und Säftelehre sowie auf den Axiomen der Astrologie. Dies erhöhte ihre zeitgenössische Plausibilität ungemein, und die Integration des Neuplatonismus in die Mystik des 17. Jahrhunderts machte diese wiederum empfänglich für die Magie. Dies soll sich im folgenden an den zeitgenössischen Vorstellungen über das »Funktionieren« einer »unio mystica« zeigen. An ihnen wird zugleich deutlich, wie sehr die mystischen Vorstellungen an der weißen Magie partizipieren und sich damit der Abwehr und Kehrseite der schwarzen Magie verdanken. Wenn Spee oder die Greiffenberg z. B. die »unio« als einen von den Augen Christi oder der Seele ausgehenden Bannzauber beschreiben, dann beschützt dieser »gute Blick« zugleich vor dem »bösen« der schwarzen Magie. In der Forschung zu dem kulturgeschichtlich von der Antike bis zur Gegenwart außerordentlich weitverbreiteten Glauben an den »bösen Blick« wird diese Korrelation nicht gesehen - nicht einmal, wenn Beispiele dafür zitiert werden (vgl. III Hauschild, S. 121, 197ff.):
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»Hat dich der Teufel angesehen mit seinen bösen Augen so seh dich Kind Mutter Maria mit ihren guten Augen an.« (Ebda., S. 200; vgl. dazu III Spangenberg, S. 130ff.)
Deshalb aber sind auch beide Aspekte darzustellen. Die Gestaltung der »unio« als feurig-visuelles Erlebnis zeigt, wie sich taktile Bedürfnisse des »Gottsuchenden« auf das Auge konzentrieren und damit das »myein« Lügen strafen: Die Abschottung gegenüber der Außenwelt öffnet den Blick vielmehr gerade für die äußerst sinnliche Realisierung der personhaft »geschauten« göttlichen Bezugsperson. Das »Sehen« des Mystikers ist identisch mit dem Imaginieren, die Einbildungskraft ist das entscheidende Organ, in dem die »Gottesgemeinschaft« >real< und deshalb im Medium der Poesie wie auch der bildenden Kunst darstell- und nachvollziehbar wird (vgl. dazu Abb. 4, die »pictura« des in Bd. II, S. 256,bereits behandelten Emblems aus Johann Sauberts Sammlung >Dyodekas Emblematum sacrorurm von 1625, S. 16). Und eben daß Phantasie und
TE TOTUM SUBTRAHE M UNDO
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Abb. 4
Realität in der frühen Neuzeit noch keine gegensätzlichen Welten konstituieren, sondern Imaginiertes und sinnlich Wahrgenommenes in einem magischen Bedingungsverhältnis zueinander stehen, soll der folgende >Blick< auf einige >wissenschaftliche< Grundannahmen jener Zeit verdeutlichen.
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Bei der Antwort auf die Frage, mit welchen psychischen Vermögen die Magie die himmlischen Kräfte zu bannen -vermag, verweist Agrippa auf die Einbildungskraft. Diese holt die archetypischen Potenzen herab und vermag sie sogar noch zu verstärken und damit sowohl Gemüt wie Körper, Geist wie Materie zu beeinflussen (vgl. IV Kemper I, S. 55f.). In der Phantasie also liegt eine entscheidende Homologie zwischen Mystik und Magie. Da die Einbildungskraft überdies das für die Poesie schlechthin konstitutive sinnliche Medium ist und die bedeutenden Mystiker des 17. Jahrhunderts sich gerade dieses Mediums bedienen, ist die Einsicht in die damaligen Auffassungen über Bedeutung und Möglichkeiten der Einbildungskraft in unserem Zusammenhang von grundlegender Bedeutung. Diese Einsicht wird gerade dort nicht vermittelt, wo der Literarhistoriker sie vielleicht am ehesten vermuten würde, nämlich in den zahlreichen Poetiken des 17. Jahrhunderts (vgl. dazu III Herrmann, S. 84ff.; Vietta S. 43ff.); die dort beobachtbare geradezu ängstliche und mißtrauische Zurückhaltung gegenüber der Phantasie dürfte mit dem Glauben an ihre gefährliche Macht zusammenhängen, die es nicht geraten erscheinen ließ, die Poesie gerade auf dieses Vermögen zu gründen. Wie so viele Probleme führt auch das Nachdenken über die Einbildungskraft bis auf die Kosmogonie zurück und gewinnt von dort ihre vielleicht mächtigste spekulative Triebfeder: in der Übertragung dessen, was Gottes Phantasie vermochte, auf sein irdisches Ebenbild. b) Kosmogonie durch göttliche Imagination In der hermetischen Tradition und Kosmogonie hatte der Emanationsgedanke zu Spekulationen über die Mitwirkung der göttlichen Einbildungskraft bei der Schöpfung geführt. Gegenüber der orthodoxen christlichen Auffassung, daß Gott als reiner Geist die materielle Welt entsprechend dem mosaischen Schöpfungsbericht - aus dem Nichts geschaffen habe, hatte sich im kabbalistischen und hermetischen Schrifttum die Vorstellung entwickelt, der Schöpfer habe sich die Welt zuvor in seinem »Gemüt« vorgestellt oder »eingebildet« (so daß sie in ihm ihrer geistigen Form nach bereits präexistierte), um sie dann in liebendem Begehren magisch aus sich herauszuführen. Für PARACELSUS (1493-1541; vgl. Kap. I 4 c) z. B. hatte Gott die Welt mithilfe des FIAT aus seiner Imagination in ein »sichtig corpus« geleitet (II Paracelsus LN, S. 136): Es existierte eine unerschaffene »prima materia« als Ansammlung aller geistigen Kräfte und Formen, aus der heraus die Elemente und Dinge der Welt wie durch einen alchimistischen Prozeß »generiert« wurden (vgl. 11.53 Pagel, S. 68f.). Dabei behielten die Elemente und Gestalten des
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Makrokosmos ihre unsichtbar-geistigen Form-Kräfte als individuelle Partikel der »prima materia« bei (vgl. dazu auch die Weltentstehungstheorie Böhmes in Kap. I 5 b). Das »creavit« des mosaischen Schöpfungsberichtes verstanden die Hermetiker also im Sinne eines »produxit«; so auch Franciscus Mercurius van Helmont (1618-1699) in seinen >Cogitationes< (vgl. IV Kemper II, S. 261 f.). Der Jesuitenpater Friedrich von SPEE (1591-1635) deutet dieses Kosmogonieverständnis in einem Lied aus der >Trvtz-Nachtigal< an: »Der Vatter sich von Ewigkeit Notwendiglich betrachtet, Sein Wesen, Pracht, vnd Herrlichkeit Er mitt verstand erachtet. Sich selbsten er ihm bildet ein / Vnendlich sich begreiffet; Jn ihm Geschöpff / so Müglich sein / Jm selben Blick durchstreiffet. Er gründet seine tieffe Macht, Wiewol doch Vnergründet: Beschawet seine Pomp, vnd Pracht, Sein Wesen er erkündet, Die Gottheit sein, vnd gantzen Gwalt Von ewig-alten tagen Er deutlich fasset in gestalt, Was wil man weiter sagen?« (II TN, S. 155f.)
»Beschauen« und »Einbilden« sind hier Kennzeichen göttlichen Schaffens, Ursache und Mittel des Mysteriums (»Was wil man weiter sagen«!) der Weltentstehung. Christian KNORR VON ROSENROTH, der Herausgeber der Kabbala sowie Verfasser von >Geistlichen Sitten = Liedern< (1684) und Andachtsliedern, die z. T. auch in das Gesangbuch aufgenommen wurden (so bis heute: >Morgen-Glantz der EwigkeitVerlangen nach dem Göttlichen Lichte. Auß deß Boethii 3. Buche< (1684): »Und da hastu nach dem Muster / daß sich in dir selbst befind't Alle Sachen außgewürcket / wie sie nun erschaffen sind. Denn du / als der Allerschönste / trägst die wunderschöne Welt Würcklich selber im Gemüthe: und was du dir vorgestellt / Hat deß Bildes Aehnligkeit stracks von außen angenommen / Und so hat das gantze Rund auch die Stücke gantz bekommen.« (I Wagenknecht, S. 310)
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Die irdische Welt ist ein »materialisiertes« Abbild der himmlischen, und die menschlichen Seelen sollen kraft ihrer Imagination die höheren englischen - nachahmen, um sich deren Vollkommenheit nach Möglichkeit wieder anzugleichen, so daß auch für die menschlichen Geister gilt, »Daß sie wieder zu dir kehren / und sich auch im Feu'r erhöhn« (ebda., S. 311). Voraussetzung für eine solche Denkmöglichkeit ist das enge Miteinander von Imagination als Ursache der Affekterregung und der Willensbewegung. Im Prinzip funktioniert dieser Zusammenhang im Menschen, dem Ebenbild Gottes, ebenso wie beim Schöpfer selbst. Die Erklärung Jacob BÖHMES (1575-1624), welcher der Imagination ebenfalls eine entscheidende kosmologische und soteriologische Bedeutung in seiner Weltanschauung beimißt (vgl. Kap. I 5 c), gilt denn auch für beide: Der sich sehnende und eine Vorstellung oder einen Gedanken fassende Wille »imaginiert«, d.h. »>er faßt sich in ein Bild einWeg = Weiser zum Liecht und Recht in Der äussern Natur< (1704) eine Kosmogonie, in der Gott ebenfalls die Welt aufgrund seiner Imaginationskraft hervorgebracht hatte. Seit dem durch Luzifers Sturz und dem durch Adams begehrliche - zum Sündenfall führende - Imagination in die Welt gelangten Bösen hat sich »der Fluch durch alle Creaturen« ausgebreitet; deshalb kann und muß jeder Mensch durch eine gute Tätigkeit seiner Imagination das Böse wenigstens ein Stück weit aus der Welt zu vertreiben suchen (II, S. 48). Denn wenn der Mensch, vom »guten Principio« angetrieben, »gute Imagines der eussern Natur imprimiret / und imprimiren kan / so ist gewiß / daß der Mensch so wohl als die gute Engel . . . dem Fluch kan entgegen gehen / und der leydenden Natur zu Hülff kommen / das Böse zu überwinden und von sich zu stossen.« (Ebda., S. 54f.) Bemerkenswert ist auch hier wieder, wie Eigenart und Funktion der Einbildungskraft an die Rezeption von Bildern aus der »eussern Natur« gebunden werden. Dies deshalb, weil die Phantasie gerade nicht eine weltabgewandt-fiktionale, sondern eine realitätsbezogene, soteriologische Funktion der Schöpfungserneuerung durch Reduzierung und Überwindung des Bösen erhält. »Gebenedeyet sey die angenommene Einbildungs-Kraft des jenigen«, ruft Catharina Regina von GREIFFENBERG (1633-1694) aus, »kraft des-
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sen Ureinbildung / alle Einbildungs-Kräften erschaffen worden!« (II AB III, S. 280) Die menschliche Imaginationsfähigkeit ist Abbild und Spiegel der göttlichen »Vorher-Sehung« und daher von ihrem Ursprung her in das nobilitierende Prädikat der »imago Dei« einbezogen: »HErr / deine Heiligkeit / sich selber zu besehen halt eine GOttes = Lust, die Allheit fund' in ihr ein reichs ErgStzungs = Feld / betrachtend ihre Zier. daß du uns schuffst /geschah allein uns zuerhohen.« (II GSL, S. 10)
Diese Erhöhung wird besonders dem geistlichen Dichtertum zuteil, welches die ursprüngliche Funktion der Kreatur, nämlich das Gotteslob, in immer neuen Bildern auf exzeptionelle Weise zu verwirklichen und damit wenigstens einen Teil der ursprünglichen Schöpfungsschönheit wiederherzustellen sucht (vgl. dazu Kap. II 4 d. u. e). Die geistliche Poesie dient so als Dank- und Lobspiegel der Revision der negativen Folgen des Sündenfalls. Im Prinzip funktioniert auch die ganze Speesche Mystik - Imagination guter göttlicher Bilder zur Abwehr der teuflischen Machinationen - nach dieser Vorstellung (vgl. Kap. II, l d). Und auch die »unio mystica« selbst ereignet sich bei ihm und bei der Greiffenberg - wie nun zu zeigen ist -im Kontext damaligen psychologischen und physiologischen Wissens und Glaubens durch einen phantasiegeleiteten ZauberBlick. c) Die »unio« durch Augen-Blitz und Herzens-Feuer (Spee, Greiffenberg) Ihre in einen Traum gekleidete Begegnung mit dem Bräutigam Jesus auf dem >Creutzweg< schildert die Seelen-Braut in SPEES >Trvtz-Nachtigal< folgendermaßen: »Er gleich zu mir that zihlen Mitt reinem augenblitz: Auff mich mit hauffen fielen Die Straalen voller hitz: Die pfeil da kamen loffen Von seinen äuglein thewr, So mir das Hertz getroffen, Mitt bitter = süssem fewr. Von seinen gläserbogen Zu mir mit süssem schein
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Die süsse Flämlein flogen, Auß beyden Fensterlein.« (Spee TN, S. 50)
Man muß sich davor hüten, diese poetische »Kindersprache« nicht wörtlich zu nehmen. Für modernes Empfinden steckt die Beschreibung voller Metaphern, für Spee und seine Zeitgenossen indessen dürfte nur die Bezeichnung »fensterlein« für die Augen als Metapher gegolten haben; alles andere entsprach einer korrekten Wiedergabe des damaligen Wissens und Glaubens über die Beschaffenheit des Augen- und HerzensFeuers. In den medizinischen und philosophischen Theorien des 17. Jahrhunderts lebte die bereits im Mittelalter mit Vehemenz geführte Debatte darüber fort, ob das Sehen »wässeriger« oder »feuriger« Natur sei. Gudrun Schleusener-Eichholz hat diesen Streit zwischen der aristotelischen und platonischen Schule und die Vermittlungsversuche materialreich dokumentiert. Waren schon die Mystiker des Mittelalters Anhänger der Theorie Platons, so erst recht - mitbedingt durch die Wiederentdeckung der hermetischen und neuplatonischen Tradition - die Mystiker, aber auch viele Mediziner der frühen Neuzeit. Nach Platon war das Sehen ein aktiv von der Seele ausgehender Vorgang, der »durch Ausstrahlung des Auges zustande kommt« (III Schleusener-Eichholz I, S. 53f.). Auch Augustinus z.B. folgte dieser sog. »Emissionstheorie«: »Danach enthält das Auge ein Licht, das beim Sehen aus dem Auge austritt und sich mit dem gleichgearteten Tageslicht zu einer Lichtsäule verbindet. Wo diese auf einen Gegenstand stößt, überträgt sie diesen ihn gleichsam abtastend - auf das Auge und von dort auf die Seele« (ebda., S. 59f.). Johannes Scotus ERIUGENA (um 810 - um 877), der Übersetzer der Schriften des Dionysius Areopagita, stellte sich als Neuplatonist den Sehakt folgendermaßen vor: »>Vom Feuer des Herzens soll zur Hirnhaut . . . Licht emporsteigen und von da durch feine Öffnungen zu den Augen herabströmen.< - >Das Sehen geht so vor sich, daß vom Gehirn durch die Augen Strahlenbündel ausgehen, die sich um die farbigen Formen der Körper ergießen und ihnen mit erstaunlicher Schnelligkeit gleichgestaltet werden. . . . Es ist das Licht, das diese Strahlen hervorlockt und so die Ursache des Sehens ist.Über die Trau-
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me< stützen, welches behauptete, die Augen könnten nicht nur passiv aufnehmen - dies an sich die aristotelische Gegenthese gegenüber Platon -, sondern auch eine Wirkung auf die Außenwelt ausüben. »Der Grund liegt«, erklärte das Fragment, »darin, daß das Gesicht von der Luft nicht nur etwas erleidet, sondern auch auf sie einwirkt, wie alles Leuchtende. Denn das Auge ist ja leuchtend und farbig.« (II Aristoteles P, S. 95). Sogar in Leiden, der im 17. Jahrhundert fortschrittlichsten Universität Europas, wurde die These von der »feurigen Natur« des Auges mit Vehemenz vertreten. So von Johannes HEURNIUS, dessen Lehrwerke dem dortigen medizinischen Lehrbetrieb zugrundelagen. In seiner Schrift >De morbis oculorum, aurium, nasi, dentium et oris< von 1608 beruft er sich dazu - dem damaligen Brauch des Beweisens durch Verweis auf alte Autoritäten entsprechend - auf die platonisch-neuplatonische Tradition. Schon Platon »nennt den Blick eine Flamme, die in den Augen gefunden wird und den Augen Licht gibt. Einige glauben, die Flamme sei den Augen eingepflanzt, die dann zuweilen aus ihnen hervorleuchtet, wie sie auch in einigen Tieraugen bei Nacht erscheint« (II, S. 3). Van Heurne selbst nimmt noch wie Eriugena an, die Flamme stamme von Lebensgeistern, die ständig aus dem Körperinnern ins Auge flössen, um es zu erleuchten, damit es sehen kann. Für ihn als Verehrer Platons war der Beweis für seine Auffassung immer noch naheliegend: Wenn das Sehen wie nicht zu bestreiten - der reinste und von den Bedingungen der Materie am weitesten entfernte Sinn ist, kann es nicht »wässerig« sein, da ja das Wasser qualitativ der Erde zuzuordnen ist. Deshalb kann van Heurne auch nicht nur einen metaphorischen Vergleich, sondern eine analogische Beziehung zwischen Auge und Gestirn im Kontext der Mikrokosmos-Makrokosmos-Theorie ziehen: »Was im Himmel Sonne und Mond, das sind im Menschen die Augen, die bestimmten göttlichen Sternen gleich in einem luftigen Körper strahlen und wie Kundschafter in wunderbarer Kreisbewegung für uns auf der Hut sind.« (Ebda., S. 7). Ganz im Kontext dieser Vorstellungen beschreibt z. B. auch Catharina Regina von GREIFFENBERG die Augen des irdischen Jesus (II AB III, S. 283) und deren Wirkung auf seine Umgebung. So interpretiert sie die Reue des Petrus nach seiner Verleugnung Jesu im Zusammenhang mit Luk. 22,61 (»Und JEsus wandte sich um. Er sähe Petrum an«) als Wirkung von Jesu Feuer-Blick: »Ach ja! die lieb = feurigen äugen JEsu Christi thun einen ganzen stralen = streich auf Petrum / seine Liebe durch liebe wieder zu erwecken und zu bekecken. . .. Die lieb = und bekehrung = Geisterlein / springen aus den äugen JEsu / in Petri äugen / und fordern seine seufzer und tränen heraus.« (AB IX, S. 195f.).
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Zum feurigen Auge (vgl. dazu auch III Schleusener-Eichholz II, S. 853f.) gesellte sich das feurige Herz, das auch bei der Greiffenberg ständig in Flammen stand: »NAch dir / O Erz = ziel aller gier! O JEsu! brennt das Herze mir. Es pfeilet / eilet / flammt und fliegt. Ach! mach es bald mit dir vergnügt.« (AB X, S. 847) »Die Augen stehn voll glut und schweben in dem süßheit = see / der oft för freuden übergeh / mit klarer Sonnen = flut! Die Geister fliegen zu / sie glöhn und blitzen lauter lieb / biß kein herz = stral mehr fiberblieb. Eh hab ich keine ruh!« (AB IX, S. 65)
Das Ich fühlt sich durch das starke Liebes-Feuer geradezu »verfonixt« und zersprengt: »JESU! ich bin voller Flammen: JESU! ich bin voller Brand! Lob und Liebe schiigt zusammen / setzt mich in entzündten stand. Deine Brunst verzehrt mich ganz. Steh in Hechten lohe Glanz! Wann ich mich / in heisser Liebe / auch verfonixt' alle stund; wann ich alle Hitzes = triebe / in die Adern laden kunt; das Geblüt zu Pulfer macht / alle meine kraft verkracht / dir zu ehren / herzen = Konig! wir es doch noch viel zu wenig. Wären Adern flamen = Minen und die Geister Zunde = stuck / giengen an und loß von innen / sprengten auch im Augenblick meine Seel in Ursprungs = luft und den Leib in seine Grufft: wer es zwar die Lieb geubet / aber noch nicht satt geliebet.« (Ebda., S. 603)
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Die der »heißen« »unio«-Sehnsucht zugrundeliegende Vorstellung vom Feuer im Herzen war auch im damaligen wissenschaftlichen Verständnis keineswegs eine Metapher. Das Herz war nach aristotelischer Anschauung, die bekanntlich auch für das damalige Weltbild der Katholischen Kirche grundlegend war, Sitz des mittleren Teils der Seele, nämlich der »anima sensitiva« (so auch II Franckenberg OA, S. 102f.). Da diese animalische Seele, die auch die Tiere besaßen, nicht rein geistig war, und doch die Lebensgeister beherbergte, welche wiederum als feinste Bestandteile des Körperlichen Leib und Seele als Bindeglied zusammenhielten (und damit der hermetischen »quinta essentia« entsprachen), mußte auch sie aus dem reinsten und feinsten der Elemente sein. Der im 17. Jahrhundert berühmte englische Arzt Thomas WILLIS folgerte in seiner Schrift >De anima brutorum< von 1674 sogar, daß die Seelen aller Lebewesen Nahrung brauchten: Wie das Feuer ständig Schwefel und Natron verzehre, so könnten auch die animalischen Seelen nur solange existieren, solange sie mit Schwefel und Laugensalz versehen würden (II, S. 13; vgl. zu ihm auch III Foucault, S. 197f., 213, 271 ff.). Selbst William Harvey, der Entdecker des Blutkreislaufs, behauptete, »bei näherem Zusehen in der Herzgegend >kleine Feuerfunken< (>scintillulae ignisGüldenen Tugend-Buch< bezeugt:
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»In dir auch fliegen rein und zart, Fast aller ding gestalten, So sich von färben aller Art Vnmercklich abgespalten: Auch athem süß von blumen all, All ruch vnd krafft der erden, All sang vnd klang, all ton, vnd schall In dir gezilet werden.« (II GTB, S. 303)
Auch an die negative Schlußfolgerung aus dieser Ansicht glaubte Spee, daran nämlich, daß die Luft dann auch »böse« Formen oder »gestalten« wie z. B. Epidemien übertragen kann, »als da seind allerhand entzündungen der bedröwlichen Cometen, der fliegenden Fewr vnd flammen« (ebda., S. 303f.). Den Form-Begriff erklärte ARISTOTELES in seinen >Drei Büchern über die Seele< in diesem Zusammenhang der Sinneswahrnehmung so, »daß der Sinn die wahrnehmbaren Formen ohne den Stoff erfaßt, wie das Wachs das Zeichen des Siegelringes ohne das Eisen oder Gold aufnimmt; es empfängt das goldene oder eherne Zeichen, aber nicht so weit es Erz oder Gold ist. Ähnlich erleidet der Sinn etwas von allem, was eine Farbe oder einen Geschmack oder einen Ton hat, aber nicht insofern es diese Sache ist, sondern nur als solche Beschaffenheit und dem Begriffe nach.« (II BS, S. 122)
In die Sinnen gingen also nicht etwa der Stoff des Wahrgenommenen, aber auch nicht nur dessen Abbilder ein, sondern dessen Formen, die Aristoteles »eidos«, aber auch Begriff (logos) oder Kraft (dynamis) nennt. Und von den Sinnen aus wirkten diese Formen auf die denkende Seele. Hier liegt nun auch der entscheidende Punkt, von dem her sich erklären läßt, warum Spee seinen poetischen Erfindungen einen solchen Realitätscharakter beimaß. Die Phantasie selbst nämlich als das Medium der dargestellten mystischen Begegnung und ihrer Rezeption besaß auch im Rahmen der aristotelischen >Erkenntnistheorie< eben durch ihre Tätigkeit eine dem sinnlich Wahrgenommenen analoge Wirkungsfunktion auf die Seele, insbesondere auf deren Begehrungsvermögen. »Der denkenden Seele«, erklärte Aristoteles, »wohnen die Bilder der Einbildungskraft gleich dem Wahrgenommenen inne; wenn sie nun etwas Gutes oder Schlechtes bejaht oder verneint, so verabscheut oder verlangt sie danach. Deshalb denkt die Seele niemals ohne die Bilder der Einbildungskraft.« (Ebda., S. 179f.) Die in der Phantasie erzeugten Bilder prägten sich also ebenfalls formend in die Seele ein und beeinflußten sie. Zwar war die Einbildungskraft neben der Erinnerung ein unterer Bestandteil der auch aus Vernunft und Begehrungsvermögen bestehenden Seele, doch da sie nicht immer und zuerst der Kontrolle des Denkens
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unterlag, vermochte sie auch das Begehrungsvermögen direkt zu beeinflussen und - falls sie Böses imaginierte - auch zum Bösen zu verleiten, mit Folgen, die uns von der weißen in die schwarze Magie hinüberführen. d) Behexung durch den bösen Blick der Einbildungskraft Der Glaube an die zauberischen Fähigkeiten der Phantasie ließ sich naturgemäß nicht auf den Bereich der weißen Magie einschränken. Eine verderbte Imagination konnte sich nicht nur »formend« der Seele bemächtigen, sondern über deren Begehrungsvermögen sogar ohne Benutzung körperlicher Handlungen unheilbringend auf fremde Körper einwirken. Von der platonischen Theorie her vermochte man sich den sog. »bösen Blick« natürlich leicht von den aus den Augen ausgesandten Strahlen her zu erklären (vgl. dazu III Hauschild, S. 20; SchleusenerEichholz I, S. 238ff.). AGRIPPA VON NETTESHEIM faßt die Einsichten der Magie zu dem Vorgang des in guter oder böser Absicht erfolgenden Bannens folgendermaßen zusammen - und erklärt damit zugleich, wie der »gute Blick« zwischen Jesus und der »Gespons« in Spees Versen funktioniert (vgl. auch II Kuhlmann KP II, S. 184): »Die Bezauberung ist ein Bannen, das, von dem Geiste des Zauberers ausgehend, durch die Augen des Bezauberten bis zu dem Herzen desselben gelangt. Das Werkzeug der Bezauberung ist der Geist, d. h. ein gewisser reiner, heller, feiner, von der Wärme des Herzens aus dem reineren Blute erzeugter Dunst, der stets ihm ähnliche Strahlen durch die Augen aussendet. Diese ausgesandten Strahlen führen den geistigen Dunst mit sich, der Dunst aber das Blut, wie man bei triefenden und roten Augen sieht, deren bis zu den Augen eines ändern gesandter Strahl zugleich den Dunst des verdorbenen Blutes mit sich führt und die Augen des Begegnenden mit einem ähnlichen Übel ansteckt. So schleudert das geöffnete und mit Lebhaftigkeit auf jemanden gerichtete Auge nach der Schärfe seiner Strahlen, welche die Leiter des Geistes sind, dieselben nach den entgegenstehenden Augen, und der vom Willen des Zauberers getriebene Geist trifft die Augen des Bezauberten, dringt ein, nimmt von dem Herzen desselben Besitz und steckt als ein fremder Geist den Geist des Bezauberten an.« (II, S. 109)
Aber auch im Rahmen der aristotelischen Tradition ließ sich das Funktionieren des »bösen Blicks« genau beschreiben. Kein Geringerer als der größte Kirchenlehrer des Mittelalters, THOMAS VON AQUIN (1225-1274), den natürlich auch der Theologe Spee studiert hat, behandelte in Quaestio 117,3 seiner >Summa Theologiae< die Frage: »Kann der Mensch durch die Kraft der Seele den körperlichen Stoff verändern?« Er bejahte dies. Und im Anschluß an den berühmten islamischen Philosophen und Mediziner Avicenna erklärte er diese Wirkung dadurch,
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»daß aus der starken Einbildungskraft der Seele die Lebensgeister des (mit der Seele) verbundenden Leibes verändert werden. Diese Veränderung der Lebensgeister erfolgt am meisten in den Augen, wohin die feineren Lebensgeister gelangen. Die Augen aber beeinflussen bis auf eine bestimmte Strecke den benachbarten Luftraum. Wenn also eine Seele sich heftig zur Bosheit hinreißen ließe, wie es vor allem bei alten Weibern vorkommt, so wird dadurch der Blick auf die eben besagte Weise giftig und schädlich, besonders für die Kinder, die einen zarten und für die Eindrücke empfänglichen Leib haben.« (II, S. 28ff.)
Diese Quelle zitiert Thomas Mann ohne Kennzeichnung in seinem >Doktor FaustusHexenhammer< von Jakob SPRENGER (ca. 1436-1495) und Heinrich INSTITORIS (1430-1505; vgl. Bd. II, S. 71) wurden sie und andere - wohlgemerkt noch natürliche, also nicht durch Hexerei bewirkte Erklärungen des »bösen Blicks« ebenfalls aufgenommen. Zweifellos konnte dieses dreibändige Hauptwerk über Hexen und Hexer im Kontext damaliger wissenschaftlicher Anschauungen und Realitätsvorstellungen soviel Plausibilität für sich beanspruchen, weil es zugleich auch die natürlichen Erklärungen für okkulte Erscheinungen mit berücksichtigte und damit den Kritikern des Hexenglaubens von vornherein den argumentativen Wind aus den Segeln nahm.Für die Verfasser des >Hexenhammers< war die Phantasie zunächst eher das, was wir heute Gedächtnis nennen würden, nämlich »die Schatzkammer oder der Aufbewahrungsort der durch den Sinn aufgenommenen Formen«, während das Gedächtnis - eher unserem Verständnis von Phantasie entsprechend - »der Schatz der Intentionen« war, »die durch den Sinn nicht aufgenommen werden« (II Sprenger/Institoris I, S. 115). Damit aber besaß das Eingebildete immer einen Bezug zur Realität (also auch die >Einbildungen< vom Hexensabbath!), und da die >Formen< im aristotelischen Sinne als die entscheidenden Wirkkräfte der Dinge galten, erhielten sie sich in der Phantasie so frisch wie die unmittelbaren Eindrücke der sensitiv wahrgenommenen Dinge (ebda.). Zugleich bildeten sie einen ständigen Unruheherd und drängten sich aus der Phantasie in das Begehrungsvermögen und über dieses hinaus in die Umwelt. So heißt es über die >natürliche< Entstehung des »bösen Blicks«:
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»Es kann nämlich geschehen, daß ein Mann oder eine Frau, wenn sie den Leib eines Knaben ansehen, ihn durch Vermittlung des bloßen Anblicks und der Einbildung oder irgend einer sinnlichen Leidenschaft erregen; und weil eine solche mit körperlicher Veränderung verknüpft ist, und die Augen sehr zart sind, weshalb sie Eindrücke sehr leicht aufnehmen, deshalb trifft es sich manchmal, daß durch irgend eine innere Erregung die Augen in eine schlechte Beschaffenheit verändert werden, wobei am meisten mitwirkt eine gewisse Einbildung, deren Eindruck schnell in den Augen sich ausdrückt wegen ihrer Zartheit und wegen der Nachbarschaft des Sitzes der Einzelsinne mit dem Organe der Einbildung; wenn aber die Augen in irgendeine schädigende Beschaffenheit verwandelt sind, dann kann es sich ereignen, daß sie die ihnen benachbarte Luft in eine schlechte Beschaffenheit verwandeln, und dieser Teil andere, und so fort bis zu der Luft, die den Augen des Knaben, den man ansieht, am nächsten ist; und diese Luft wird bisweilen die Augen des Knaben in den disponierten Stoff, zu dem sie paßt, mehr als in den nicht disponierten, in eine andere, schlechte Beschaffenheit verwandeln können, und durch Vermittlung der Augen andere, innere Teile des Knaben selbst. Daher wird er unfähig sein, Speise zu verdauen, an den Gliedern zu erstarken und zu wachsen. Dies läßt sich durch die Erfahrung handgreiflich zeigen, weil wir sehen, daß ein an den Augen leidender Mensch bisweilen durch seinen Blick die Augen dessen schädigen kann, der ihn ansieht, was daher kommt, daß die mit der bösen Eigenschaft behafteten Augen die Mittelluft infizieren und die infizierte Luft die Augen infiziert, welche auf die kranken gerichtet sind, sodaß in gerader Linie jene Infizierung übertragen wird, gerade in die Augen derer, die (auf die kranken) schauen; wobei die Einbildung des Betreffenden viel tut, welcher meint, er werde durch den Anblick der kranken Augen geschädigt.« (Ebda. I, S. 32f.) Daß Hexen auf Grund ihres Paktes mit den Dämonen erst recht über die Fähigkeit des »bösen Blicks« verfügten und dessen Wirkung durch die Kraft der Dämonen noch bis zur sofortigen Tötung zu steigern wußten, versteht sich nach dem Explizierten von selbst (vgl. ebda. I, S. 22ff., 30ff., 83; II, S. 133, 151, 190; III, S. 92f.). Damit sie die Richter nicht durch den »ersten Blick des Auges« zur Milde behexen konnten, wurden die Angeklagten - einer Empfehlung des >Hexenhammers< folgend (ebda. III, S. 93) - später nicht selten mit verbundenen Augen und rückwärts in den Gerichtssaal geführt (vgl. III Hammes, S. 105, 122). Auch wer sich dem Hexen- und Dämonenglauben weitgehend verschloß, glaubte doch an die Übertragung der Epidemien und Seuchen vor allem der Pest, der Ärzte und Behörden weitgehend hilflos ausgeliefert waren und vor der im Grunde nur die Flucht half (vgl.Bd. II, S. 107ff.) - durch Einwirken eines bösen, nämlich infizierten, vergifteten Blicks mit Hilfe der Luft als Transportmittel. Und der Arzt Johann WEYER (1515/16-1588), der mit seinem Buch >Von verzeuberungen/verblendungen/ auch sonst viel vnd mancherlei gepler des Teuffels< 1565 als einer der ersten tapfer, aber vergeblich und von den Gegnern selbst
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der Hexerei verdächtigt gegen die Wahnvorstellungen des >Hexenhammers< zu Felde zog und der erklärte, »daß offtermelte Hexen oder vnholden niemandts weder mit jrem boshafften willen / von grausamen verfluchen / oder auch schalckhafftigen anschawen etwas schaden zufügen mögendt« (II, S. iiij): dieser Johann Weyer vergaß doch gleichwohl nicht das aus dem Alten Testament bekannte und deshalb auch von Weyer in seiner Existenz noch nicht ernsthaft bezweifelte Ungeheuer des »Basilisken« zu erwähnen, »der mit dem ersten anblick den menschen vmb leib und leben bringt« (ebda., S. 129; vgl. ebenso II Sprenger/Institoris I, S. 33f.)· So wie der Vogel Strauß - als Beweis für die positive Zauberkraft des Blicks - nur mit seinen Augen die eigenen Kinder ausbrütete (vgl. III Schleusener-Eichholz I, S. 238ff.), so wirkte umgekehrt der Blick des Basilisken tödlich. Dieser, so erklärte Paracelsus die Tatsache, daß »über dessen Aussehen und Gestalt kein Mensch etwas Genaues weiß«, »führt so rasch den Tod herbei, daß niemandem Zeit bleibt, ihn zu beschreiben« (II SW I, S. 259f.). - Scholastisches Denksystem, die Macht der Tradition und die durch die Reformation neu gefestigte, am »sensus literalis« orientierte Bibelgläubigkeit vereitelten zu Specs Zeiten jede auf Erfahrung gegründete Möglichkeit, die im Kontext ihrer Zeit durchaus rational erscheinenden Axiome des Hexenwahns aus den Angeln zu heben (vgl. Bd. II, S. 71 ff.; vgl. dazu ferner III Schwerhoff). e) »Fleischliches Weh« - Zur Tabuisierung und Spiritualisierung der sexuellen Phantasie Weil die Einbildungskraft solch bedeutende Macht über den Willen des Menschen hatte und ihn so leicht zum Bösen zu verführen vermochte, war gerade sie auch - das ist ein entscheidendes Argument für SPRENGER und INSTITORIS - das bevorzugte Manipulationsinstrument des Teufels und seiner Dämonen (vgl. dazu auch Kap. I 5 c)! Denn da es ihnen versagt war, unmittelbar in die oberste Seele des Menschen zu gelangen dies blieb allein Gott vorbehalten (vgl. II Sprenger/Institoris I, S. 126) -, so schlüpften sie besonders gern in die Phantasie (ebda. I, S. 124). Dies widerfuhr Schlafenden und Wachenden, denen die Dämonen »die inneren Geister und Säfte bewegen und erregen können, so daß die in den Aufbewahrungsorten aufgespeicherten Gestalten aus den Schatzkammern zu den sensitiven Hauptsitzen, d. h. zu jenen Kräften, nämlich der Einbildungskraft und Phantasie, herausgeführt werden, so daß solche irgendwelche Dinge einzubilden hat; und eine solche wird eine innere Versuchung genannt werden« (ebda. I, S. 116; vgl. ebda., S. 139; vgl. dazu auch Kap. I 5 c). Von daher wurde die sexuelle Phantasie natürlich
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besonders tabuisiert (vgl. dazu auch III Schleusener-Eichholz II, S. 803ff.). Sprenger und Institoris lehrten in diesem Zusammenhang unter Berufung auf Thomas von Aquin, Gott habe dem Teufel »größere Hexenmacht über den Beischlaf als über andere menschliche Handlungen gegeben«, so daß jene Männer und vor allem Frauen hexenverdächtiger sind, »welche diesen Handlungen mehr nachgehen« (II I, S. 108). ».. .deshalb stacheln die Dämonen, welche durch die Handlungen der Menschen erfahren, welchen Leidenschaften sie mehr ergeben sind, sie zu so ungewöhnlicher Liebe oder Haß an, indem sie um so stärker und wirksamer das, was sie erstreben, in ihre Einbildung einprägen, je leichter sie das können. Aber sie können es umso leichter, je leichter auch der Liebende die aufgespeicherte Gestalt zum Sitze des Fühlens, d. h. zur Vorstellung herausführt und je entzückter er bei der Betrachtung jener verweilt.« (Ebda. I, S. 117)
Durch ein solches Imaginieren, auf welches die Theologen warnend Mt. 5,28 bezogen (vgl. III Schleusener-Eichholz II, S. 81 Of.), entstand nach PARACELSUS im Manne das Sperma. Denn Gott hat ihm »den Samen gesetzt in die Phantasei. . . . Will der Mann, so macht ihm seine Spekulation eine Begierd, die Begierd macht den Samen.« (II LN, S. 148) Umso schlimmer war »der Zustand eines Menschen, der sich selbst eine Frau phantasiert und mit dieser phantasierten Frau den Beischlaf vollzieht«, denn dieses hat »die Aussonderung eines wertlosen, zeugungsunfähigen Spermas zur Folge.« Auf dies aber waren die »nächtigen Geister« scharf, sie verschleppten es an geheime Stellen und begatteten damit Tiere und Hexen, wodurch sie seltsame Ungeheuer (Monstren) erzeugten. »Üppige Unkeuschheit« mittels der Imagination führte auf Dauer zur »Unfruchtbarkeit solcher Buhler und Buhlerinnen« (II SW I, S. 259). Daß solche Ansichten und Theorien Ängste und Verdrängungsmechanismen auslösten, leuchtet wohl ein, und daß sich von daher auch und gerade im Kontext des häufig gnostisch-dualistischen Weltbildes der Spiritualisten und Mystiker die Beschäftigung der Phantasie mit allem Himmlischen statt Irdischen als sicherstes Heilmittel gegen die Verführungskünste des Teufels erweisen sollte, ist vielfach bezeugt. So im folgenden >Geistlich Lied, Allen wahren Christlichen vnd Geistlichen Jungfrawn, hoch zu ermahnen jhrem Herren vnd Breutigam Christo nachzufolgen von Daniel SUDERMANN (vgl. Hl.2,2): »Darumb, jhr schone Blummen vnd Gilgen( = Lilien) weiß zumal, Zwischen viel dornen kommen, bötet euch vberall: Viel bose Geister schleichen als Dornen mancherley
3) Mystik und Zauberei
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die Welt sticht auch, dergleichen das Fleisch last niemand frey. Welche hiedurch wolt fahren alle tag vnversehrt, Gott mfiste sie bewahren, thuts auch, bald mans begert Mit eim vesten anhencken zu jhm, gescheiden ab von Jrrdischen gedancken, auch der Welt Glüst vnd Haab.« (I WaV, S. 641)
Auch Christian KNORR VON ROSENROTH beklagt in seinen >Geistlichen Sitten = Liedern< das »Unglückselige Gefdngnüs der Leidenschafften«, wobei in seiner Formulierung vom »fleischlichen Weh« die durchaus intendierte Symbiose von Leib- und Sexualitätsfeindlichkeit zum Ausdruck gelangt, die in der >Sexualgeschichte des Christentums< eine lange Tradition hat (vgl. dazu III Deschner, S. 45ff.; zur Mystik ebda., S. 102ff.): »2 Ich solle begehren Die Freyheit der : Und muß mich doch kehren Zum fleischlichen Weh. Ich suche nur Erde / nur Hoheit und Lust; Wie Schweine die Pfützen und schlammichten Wust! Drauff dring ich / drauff seufftz' ich mit ächzender Brust 10 Wie wil ich dich preisen Erretter der Welt; So bald du die Eisen Des Fleisches zerschellt. Nun werden die Welt und der Satan entflieh'n: Nun werd' ich die Wohnung der Freyheit beziehn; Und ewig vom Loben und Dancken ergluh'n.« (II, S. 32, 34)
Vor allem die ältere Psychoanalyse, welche die Religion und damit auch die Mystik universal- und individualgeschichtlich aus der Sexualität des Menschen herleitete (vgl. V Schroeder, S. 68ff.; Reich, S. 77ff.), hätte an diesen epochentypischen Zitaten einen weiteren Beleg für ihre These gefunden, daß »die religiöse Grundidee« »in sämtlichen patriarchalischen Religionen das Negativ des sexuellen Bedürfnisses« sei (V Reich, S. 77); nachdem der religiöse Kult nach seiner anfänglichen Identität mit dem sexuellen zu dessen Gegensatz wurde, habe »die religiöse Erregung gleichzeitig ein Ersatz für die verlorengegangene, gesellschaftlich bejah-
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te Lusthandlung werden« müssen (ebda.). Das religiöse Gefühl sei deshalb antisexuell und Sexualersatz zugleich, es verhindere eine »gesunde Sexualität« (V Schroeder, S. 67), ja die Kirche erziehe die Gläubigen geradezu zur Glücksunfähigkeit im Diesseits, indem sie ihnen von früher Kindheit an Gott als angsteinflößenden Vater-Ersatz und »Schutz gegen die eigene Sexualerregung« vor Augen führe (ebda., S. 79f.). Ganz in diesem Sinne riet auch Anna Ovena Hoyers in ihrem >Geistlich Gespräch / Zwischen Mutter und KindtRäubern< als auch im folgenden Rollengedicht das Phänomen: »Das Muttermal Mann Sieh, Schätzchen, wie der Bub mir gleicht, Selbst meine Narbe von den Pocken! Frau Mein Engel, das begreif ich leicht, Bin auch 'nmal recht an dir erschrocken.« (II G, S. 98; R., S. 547)
Noch der klassische Herder verweist in den >Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit auf dies mysteriöse Vermögen: »Ebenso unleugbar, obgleich schwer zu erklären, ist der Einfluß mütterlicher Gemüts- und Leibeszustände auf den Ungebornen, dessen Wirkung manches traurige Beispiel lebenslang mit sich traget« (II XIII, S. 282f.). Für
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Herder ist »die Phantasie noch die unerforschteste und vielleicht die unerforschlichste aller menschlichen Seelenkräfte«. Gerade wegen ihres engen Zusammenhangs mit »dem Gehirn und den Nerven«, »wie so viele wunderbare Krankheiten zeigen«, erscheint sie ihm als »der Knote des Zusammenhanges zwischen Geist und Körper«, »gleichsam die sproßende Blüthe der ganzen sinnlichen Organisation zum weiteren Gebrauch der denkenden Kräfte« (ebda., S. 307f.). Im zweiten Gespräch über >Gott< faßte Herder als entscheidenden Mittelbegriff zwischen Geist und Materie in Umdeutung Spinozas die »Kraft«. Denkt man sie als Element der Phantasie, dann werden solche »naturmagischen« Wirkungen auch für den Herder der Klassik - und erst recht wieder für die Romantik - plausibel.
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4) Vergoldung und Vergottung im »Feuer« der Alchimie
a) Alchimie als Religion der Selbsterlösung Wie die Astrologie (vgl. Bd. II, S. 57ff.), so gelangte auch die Alchimie ausgerechnet in jenem Zeitraum zur Blüte, in dem das von den Naturwissenschaften erarbeitete neuzeitliche Weltbild entstand. Und so wie Kepler aus Überzeugung Astronom und Astrologe zugleich war (ebda.), so betrachtete Isaac Newton (1642-1727; vgl. ebda., S. 62), der Entdecker der Gravitation und der Infinitesimalrechung, die Alchimie »als eines der wichtigsten, wenn nicht gar als das wichtigste seiner vielen Arbeitsgebiete« (11.49 Dobbs, S. 149). Wie die Sternkunst hat offenbar auch die Alchimie wichtige zeitgenössische Bedürfnisse und Funktionen erfüllt nicht zuletzt religiöse, und dies ist auch der Grund, sie im Kontext der Barock-Mystik abzuhandeln. Dabei erfuhr diese Kunst im Übergang zur frühen Neuzeit einige wichtige Veränderungen. Während im Mittelalter die alchimistischen Experimente zumeist in den Klosterküchen stattfanden und dem Ziel besserer naturkundlicher und naturphilosophischer Einsicht dienten, verstärkte sich seit dem 15. Jahrhundert unter dem Druck und Interesse goldgieriger Potentaten, welche die Alchimisten nun an ihre Höfe zogen (vgl. III Obrist, S. 48ff.), ihr Charakter als handwerklich experimentierende »Goldkocherei«. Der Glaube an die künstliche Veränderbarkeit der Metalle und damit an die Herstellbarkeit des Goldes zog sich durch alle Religionsparteien. Der lutherische Kurfürst August von Sachsen (1526-1586) experimentierte ebenso im eigenen Laboratorium wie der gelehrte reformierte Landgraf Moritz von Hessen-Kassel (15721632), der sich bei seinem ruinösen Steckenpferd einer komplizierten Geheimschrift bediente (vgl. III Schmitz/ Winkelmann; Broszinski, S. 24f.), und Kaiser Rudolf II. ließ an seinem Prager Hof neben berühmten Astronomen (in ihrer Funktion als Astrologen!) wie Tycho de Brahe und Kepler auch reihenweise Alchimisten ihr Glück versuchen (vgl. III Buntz 1970, S. 188). Selbst in der Epoche der Aufklärung war der Glaube an die Goldmacherei noch nicht gebrochen, wenn »Monarchen wie Friedrich II. von Preußen oder Joseph II. den Alchimisten Glauben schenken und ihnen sogar Geld vorschießen« konnten (ebda.; vgl. auch
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III Meinel, S. 7). Doch begleitete auch Kritik und Spott das Handwerk der Goldmacher über den gesamten Zeitraum der frühen Neuzeit (vgl. III Buntz 1970, S. 96ff.), wie der folgende derbe Spruch illustrieren mag: »Alchemist wiltu werden reich So thu dein ding klugleich Isch dreck vnd scheiß golt So werden dir alle leut holt« (zit.inlll Buntz 1969,8-66)
Von dieser handwerklichen Laborversion distanzierte sich eine durch die Renaissance naturphilosophisch-hermetisch inspirierte und religiös interessierte Alchimie, die in kleinen und zumeist verborgenen Zirkeln auch im Umkreis der Rosenkreuzer (vgl. I 4 d) - lebte. Ihre Anhänger betrachteten diese Kunst als Privatreligion und damit - in Analogie zur Magie - als Konkurrenz zu der durch die Kirchenspaltung und die dogmatischen Streitigkeiten in Mißkredit geratenen kirchlichen Orthodoxien (vgl. III Hoheisel, S. 61 ff, 76ff.; Teile 1986, S. 131 ff.). Dabei bezog das Gedankengebäude der theoretisch-spekulativen Alchimie seine Ideen und seine Plausibilität freilich aus dem >Werk< der alchimistischen Praxis und ist daher ohne dessen Grundannahmen und -verfahren nicht zureichend zu verstehen: »258. Das Tingiren. Betrachte das Tingirn / so sihstu schon und frey / Wie dein' Erlösung / und wie die Vergottung sey.« (II Scheffler CW, S. 64)
»Die Alchimisten«, erklärt Coudert, »haben sich die Erde immer als eine fruchtbare Mutter vorgestellt und die Erze im Boden als Embryos im Mutterschoß« (III, S. 131). In der Natur, so glaubten sie, vollzöge sich ein langsamer Prozeß, in dem sich die untersten und niedrigsten Metalle bis hin zum Gold entwickeln würden. Dieses galt als »höchste Möglichkeit der Materie«, weil es im Unterschied zu den anderen Metallen und Mineralien aus einer vollkommenen Mischung der vier Elemente bestand (vgl. III Hartlaub, S. 16; Ploss 1970, S. 19f.; Coudert, S. 20). Diesen in der Natur nur unendlich langsam ablaufenden Veredlungsprozeß suchten die Alchimisten in ihren Destillierverfahren experimentell nachzuahmen, um ihn beherrschen zu lernen und ihn dann in eigener Regie beschleunigt ausführen zu können, wobei sie ihren Labor-Versuchen zwar Zeit und Geduld verordneten, die Prozeß-Dauer aber höchst unterschiedlich auf einen Zeitraum von einem Tag oder auch von sieben Jahren festzulegen vermochten: Dabei spielten gewiß nicht nur Zäh-
4) Vergoldung und Vergottung im »Feuer« der Alchimie
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lensymbolik, sondern auch Langmut und finanzielle Potenz des jeweiligen Adepten bzw. Auftraggebers eine wichtige Rolle. - Voraussetzung für diese Operation war das Mittelalter hindurch das aristotelische >forma-materiaForm< bestand (vgl. Kap. I 3 c). »Für die Chemie der Stoffe bedeutet dies, daß sie sich auf ein form- und eigenschaftsloses Substrat reduzieren lassen müssen, dem dann planmäßig die gewünschten, an entsprechende feinstoffliche Fluida gebundenen Eigenschaften zugeführt werden können« (III Hoheisel, S. 67). Danach organisierten die Alchimisten den gesamten Metallveredlungsprozeß im Labor, der aus einer divergenten Zahl von Stufen bestand und nach unterschiedlichen Geheimrezepten durchgeführt wurde (vgl. dazu auch III Coudert, S. 49ff.). Am Anfang stand die sog. »prima materia«, entweder verstanden als ein - jeweils unterschiedlich definierter - bestimmter Stoff wie Blei (als unterstes Metall) bzw. Erdreich - oder als Resultat des ersten Prozesses, in dem die »Materie an sich« als das gewonnen wurde, »was in nuce bereits alle späteren Vollkommenheiten in sich enthält« (ebda., S. 66). Über weitere Schritte (»calcinatio« oder »Verkalkung«, »solutio«, »putrefactio« oder Vermoderung, »reductio«, »substitutio«, »coagulatio«) gelangte der Prozeß schließlich zur »extractio«. In ihr sollte der Stein der Weisen gewonnen sein, »der alles, nur kein gewöhnlicher Stein« war (ebda.). Vielmehr sollte es sich dabei »nach vorherrschender Meinung um ein dunkelrotes Pulver handeln, das zwar wie Wachs glänzt, doch erst bei großer Hitze schmilzt und beim Erkalten anscheinend seine ursprünglich pulvrige Form annimmt« (ebda.). Dieses »Elixier« galt als die entscheidende Substanz, die den gesamten anorganischen Bereich der Materie in Gold zu verwandeln und damit zur Perfektion zu bringen vermochte (vgl. III Sheppard, S. 13). Zugleich repräsentierte er das geistige Ziel des alchimistischen Strebens, nämlich eine »Vereinigung von Gegensätzen in völliger Harmonie, von feucht und trocken, männlich und weiblich, Körper und Seele. Das ist der Grund, weshalb man ihn Rebis ( = res bina) oder Hermaphrodit nennt. Er ist ganz und vollständig in sich selbst« (III Coudert, S. 74; vgl. als Beispiel für die Darstellung des Steins als Hermaphrodit mit dem Y-Symbol die 21. Figur aus dem >Chymischen Lustgärtlein< von Stoltzius, Abb. 5; zur analogen 98. Figur ebda, vgl. III Aurnhammer 1986a, S. 184; zur >Androgynie in alchemistischer Mythenallegorese< III Aurnhammer 1986b, S. 118ff.). Die Erreichung eines solch ambitionierten Ziels setzte umfassende Bildung - metallurgische und chemische sowohl wie magische und astrologische Kenntnisse voraus. Da die Metalle ganz besonders planetarische Einflüsse in sich
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Abb. 5
aufnahmen, war die astrologische Bestimmung für die Durchführung des Prozesses ebenso unerläßliche Voraussetzung wie die magische Fähigkeit zur Beherrschung der Form-Kräfte der Materie. Die in Hermes Trismegistos repräsentierte Einheit der drei okkulten Künste besaß von daher für seine Adepten hohe Plausibilität. Der ägyptisch-griechische Gott hat die Alchimie vor allem durch die sog. >Tabula Smaragdina< beeinflußt, ein aus dreizehn kurzen und z. T. obskuren Lehrsätzen bestehendes, seiner Herkunft nach umstrittenes Schriftstück, aus dem seine Anhänger die alchimistischen Grundauffassungen gleichwohl heraus-»destillieren« zu können glaubten (vgl. den Text in III Coudert, S. 29f.). Mit dieser Einbindung des »Werkes« in die Kräfte-Konstellation des Kosmos öffnet sich der Blick auf die Alchimie als Weltanschauung. Nach deren kirchlicher Vereinnahmung im Mittelalter (vgl. III Hoheisel, S. 76f.) gelangten mit der Renaissance die ursprünglich heidnischgnostischen Grundlagen der »Scheide-Kunst« wieder in den Blick, und unter ihren Adepten herrschte die Überzeugung von der Welt als Emanation Gottes, von der »Kette des Seins«, von der geheimen Analogie, ja der graduellen Übereinstimmung der unteren mit der oberen Welt, zu-
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gleich freilich der gnostische Glaube an ein Reich der Finsternis und ein Reich des Lichts, die miteinander im kosmischen Maßstab um die Vorherrschaft kämpften (vgl. III Leisegang, S. 18ff.), schließlich der neuplatonische, gnostische und stoische Glaube daran, daß die Welt als ein großer Organismus, der aus dem »Geist«-Feuer entstanden ist, auch wieder »verwesen« bzw. verbrennen und damit in sein feuriges Urelement zurückkehren werde (vgl. ebda., S. 13f.). Von daher galt der »Stein der Weisen« auch - deshalb das große Interesse der Medizin an der Alchimie - als »Panazee« oder Universalmedizin im animalischen Bereich, der eine beträchtliche Lebensverlängerung bzw. -Verjüngung bewirken oder gar den Körper vor dem Tode schützen konnte (III Buntz 1970, S. 121). Von diesem Grundgedanken der Vergoldung und »Renovation« her läßt sich wiederum die Faszination verstehen, die von der Alchimie auf die religiöse Erlösungssuche der frühen Neuzeit ausstrahlte. Der Vergoldungsprozeß im Bereich der Materie und der Metalle war nur - unterster - Teil und zugleich Symbol bzw. »Figur« für den Vergottungsprozeß des Menschen, verdeutlicht besonders eindrucksvoll an der Parallelisierung des »Steins« mit dem Wirken Christi, der sog. »Lapis-ChristusParallele« (vgl. III Hoheisel, S. 72ff.). Sie zeigt zum einen »den Anspruch der spekulativen Alchemic, mit Religion und Kirche auf einer Stufe zu stehen« (ebda., S. 72), und zum ändern die Intention, den Veredlungsprozeß »von der Ebene objektivierender Naturforschung und technischer Bewältigung zur höheren Würde eines Weges zu Gott und zur Läuterung der am Prozeß Beteiligten selbst« zu erheben (ebda., S. 75). Die aus der materiellen Vergoldung extrapolierte alchimistische Erlösungsidee war vor allem wegen des Gedankens der Selbsterlösung des Menschen durch die in ihm liegenden Kräfte des »pneuma« häretisch (vgl. ebda., S. 84). Sie verstärkte ihrerseits den magischen Charakter der Mystik und verwischte zugleich deren Unterschied zur »Theoalchemie« (III Teile 1986, S. 131). -
Um Sprache, Bildlichkeit und Poesie der religiösen Alchimisten zureichend erfassen zu können, ist ein Blick in ihre Zeichen-Sprache unumgänglich. - Ihrer antiken Herkunft und ihrer Verbreitung in der frühen Neuzeit nach war die »Scheide-Kunst« eine europäische Erscheinung. Sie setzte daher auch kulturgeschichtliche und fremdsprachliche Kenntnisse voraus, so im Arabischen, dessen Sprache und Bildwelt die Alchimie entscheidend prägte (vgl. z. B. die Begriffe Alchimie aus >alkimiaal-qalial-kuhlal-iksirSchwärzung< der Metalle auch »Schwarzkünstler« genannten Alchimisten zur Darstellung ihres >Werkes< und zur geheimen Verständigung darüber eine höchst komplizierte, in der stilistischen Neigung zu Antithetik und Negation der Mystik verwandte Fachsprache und eine nicht weniger komplexe, genrespezifische (Bild-)Symbolik (vgl. III Ploss 1965, S. 242ff.; Buntz 1969, S. 59; Buntz 1973). Keine andere Geheimwissenschaft hat ein derart schwer erschließbares Motiv-Inventar geschaffen wie die »Chymie«, auf das auch unsere poetologischen Begriffe Metapher, Symbol oder Allegorie nur von Fall zu Fall, aber nicht durchgängig anwendbar sind. Bisweilen gibt es einerseits wie in der Magie auch (vgl. Bd. II, S. 66ff.) einleuchtende Analogisierungen mit symbolischem Charakter, etwa wenn die jeweils ranghöchsten Vertreter ihrer Klasse füreinander einstehen, so etwa der menschliche König und sein tierisches Pendant (der Löwe) sowie die Sonne als wertvollster Planet für das Gold als edelstes Metall, andererseits willkürlich-arbiträre Allegorisierungen und auf Grund ambivalenter Bedeutung situativ unterschiedlich einsetzbare sowie aus divergenten Traditionen übernommene Bilder und Motive. In der Tat haben die Alchimisten ihre Zeichen aus ganz verschiedenen Disziplinen und Traditionen »zusammengewittert«. Die älteste Adaptionsschicht stellen vermutlich die Planetenzeichen für die Metalle dar: Sonne für Gold, Mond für Silber, Mars für Eisen, Venus für Kupfer, Saturn für Blei, Jupiter für Zinn, Merkur für Quecksilber (III Buntz 1969, S. 60). Im Laufe des Mittelalters beerbten die Goldmacher auch zunehmend biblische Figuren, Stoffe und Motive für ihre Kunst, zunächst einzelne Personen wie Moses als Hersteller des »aurum potabile«, weil er das goldene Kalb geschmolzen und den Juden zu trinken gegeben hatte (2. Mose 32,24), ferner Salomo, der seinen Reichtum an Gold und Silber selbst zusammengekocht haben sollte, sowie Hiob und Johannes, sodann natürlich deren Werke, und schließlich benützten sie »die ganze Bibel« »als Anleitung zum alchemistischen Prozeß« (III Buntz 1969, S. 58; 1970, S. 139). Diese Anlehnung an die heilige Schrift, aber auch an das sakramentale Geschehen des kirchlichen Meßopfers sollte zugleich die Würde der Alchimie erhöhen (vgl. III Hoheisel, S. 71 ff.). - Die frühe Rezeption der antiken Götternamen für die »chymische« Bild-Kunst weitete sich - vor allem inspiriert durch die Wiederentdeckung der alten Weltbilder in der Renaissance - zu einer alchimistischen Deutung der gesamten antiken Mythologie aus (III Buntz 1969, S. 59; Aurnhammer 1986a, S. 192ff.). - Teile spricht mit Recht von den »Mythoalchimisten« des 16. und 17. Jahrhunderts, die auch »das gesamte Fabelcorpus der
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Alten für alchemisch belangvoll hielten« und vor allem antike Autoren wie Ovid (namentlich mit den >MetamorphosenAeneisChymische Lustgärtlein< in der »Fäulung« der Zeit (Stoltzius) Einige spätmittelalterliche und frühneuzeitliche alchimistische Lehrgedichte - u. a. von Hans Folz, Christoph von Hirschenberg, Leonhard Thurneisser, Herbrandt Jamsthaler, Michael Maier, Georg Füeger und Daniel Stoltzius von Stoltzenberg - hat die Forschung in den letzten Jahren ediert und zum Teil auch analysiert (vgl. 11.14 Fischer, Buntz; 11.28 Teile; 11.33 Teile; vgl. ferner III Teile 1976; Meinel, S. 218ff.). Das >Chymische Lustgärtlein< des Daniel STOLTZIUS sei hier als in mehrfacher Hinsicht symptomatisches Exempel herausgegrffen. Es kam 1624 in einer lateinischen und deutschen Ausgabe heraus - auf dem Höhepunkt der Krisenjahrzehnte der Epoche des Konfessionalismus also, auf dem zugleich auch die alchimistische Literatur beträchtlich anwuchs: Zwischen 1610 und 1620 erschienen jährlich mehr als 20 alchimistische Bücher (III Buntz 1970, S. 122), ein großer Teil davon - mehr als zweihundert - wie das Werk von Stoltzius beim Frankfurter Verleger Lukas Jennis (vgl. 11.65 Weinhandl, S. 4ff.; 11.33 Teile, S. 428f.). Der Handel mit hermetischem Schrifttum war in den ersten Kriegsjahren noch ein einträgliches Geschäft, der Markt vertrug offenbar auch eilig gedruckte
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Sammelschriften mit Auszügen aus den Werken damals geachteter hermetischer Autoritäten. Deren Namen waren freilich nicht selten erfunden oder hatten - wie Albertus Magnus bzw. Thomas von Aquin - mit der Alchimie tatsächlich kaum etwas zu tun. Auch das >Chymische LustgärtleinZwölf Schlüsseln Basilii Valentini< (eines angeblichen, historisch nicht nachweisbaren Benediktinermönchs; vgl. dazu III Priesner), aus Michael Maiers >Symbola Aureae Mensae< von 1617 und aus Daniel Mylius' >RosariusChymischen Lustgärtlein< sind die Verse nur die Neben-Sache, und
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mit ihrem dienenden Charakter als »Lese-Anweisung« für die Kupferstiche bemühen sie sich selbst kaum um stilistische und poetische Qualität. Komplexität und Vieldeutigkeit, auf welche die Verse selbst immer wieder verweisen, stecken nicht als poetische »Potenz« in ihnen selbst, sondern im außertextuellen Referenzbereich der alchimistischen Vorstellungswelt, die immerhin in den Bildern eine nicht selten auch künstlerisch anspruchsvolle Gestalt gewinnt (vgl. dazu 11.65 Weinhandl, S. 22ff.). Einige Beispiele mögen die enthüllend-verhüllende Geheimniskrämerei der alchimistischen Bilder-Sprache illustrieren. Der erste Zyklus des >Chymischen Lustgärtleins< (Fig. I-XIII) bietet die damals häufiger abgedruckten >Zwölf Schlüssel< des Basilius Valentinus. Dabei gibt der >erste Schlüssel< eine Art vorausschauenden Überblicks über den gesamten »Prozeß« (vgl. Abb. 6; die Übersetzung aus dem Lateinischen ließ Jennis von Daniel Meißner besorgen):
Abb. 6 »Die Cron deß Koniges soll sein Von Golt schon / lauter / klar vnd rein. Ein keusche Braut (wie sichs gebort.) Werd jhrem Breuttgam zugeführt. Drauff reich hin den Konig zu essn Dem grawen Wolff / der stets wil fressn.
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Das thu dreymahl / mit starckem Fewr / Verbrenn den Wolff gantz vngehewr. So wird der Konig hierfür gehn / Ohn Mackel / saubr vnd rein da stehn. Der kan mit seim Blut schmückn vnd ziern / Vernewern vnd dich renouirn.«
Der Text deutet die Figuren nicht, aber ebensowenig beschreibt er das Kupfer nur, sondern er versucht, die Darstellung als ein prozessuales Geschehen einsichtig zu machen, indem er den Blick von König und Königin in den linken Vordergrund zum Wolf, dann - mit den beiden vorletzten Versen - zum rechten Vordergrund mit dem brennenden Ei (wie sich zeigen wird) und zum Schluß wieder zum König zurückführt. Die Kenntnis der Figuren und der Symbolik setzt er voraus: Die Krone gilt als Symbol für die wiedergeborene Materie, die Quintessenz als Krönung des Werkes, sie steht also für das Ziel des ganzen Prozesses. Der König repräsentiert allgemein die Materie auf ihrem Weg zum Stein der Weisen; hier ist er zugleich Sinnbild des männlichen Schwefels, seine Braut figuriert für das (weibliche) Quecksilber: beide waren für die Alchimisten, wie schon gesagt, die Eltern aller anderen Metalle, und auch die Geburt des Steins galt schließlich als Frucht ihrer »Vereinigung« (vgl. III Coudert, S. 22, 131). Das mit der Übergabe an den Wolf beginnende alchimistische Werk umfaßte mehrere Stadien, bei Stoltzius in Anlehnung an Basilius Valentinus elf, die in der ersten Figur freilich nicht im einzelnen aufgeschlüsselt sind. Der Wolf symbolisiert als »lupus metallorum« das aggressive Antimon, das mit der noch unreinen (Gold-) Verbindung des Königs legiert wird, um diese zu reinigen, wobei sich das Antimon selbst durch die Legierung entgiftet (»verbrennt«). In dem 1617 erschienenen Emblembuch >Atalanta Fugiens< von Michael MAIER (1568-1622; vgl. zu ihm und dem Werk III Meinel, S. 212ff.), dem rosenkreuzerischen Leibarzt des alchimistischen Kaisers Rudolf II., finden sich Tod und Auferstehung des »Königs« ebenfalls als wölfische Freßszene symbolisiert (vgl. Abb. 7 aus II Maier, S. 70). Sie illustriert zugleich im Hintergrund rechts die Verse: »Verbrenn den Wolff gantz vngehewr. / So wird der Konig herfür gehn . ..« In einer späteren Version lautet die »subscriptio« zu diesem Bild bei Maier: »Den Wolff mit grossem Fleiß zu fangen dich bemühe / Auff daß er fressen mog des Königs edlen Leib: Sey weiters auch bedacht daß ihn die Flamme ziehe / Und durch ZerstOrungs = Krafft zum neuen Leben treib. Wann Offters diß mit ihm wird angefangen / So wird des Königs Leib auch LOwen Stlrck erlangen.« (Ebda., S. 70)
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Abb. 7
So wie der linke Vordergrund des Bildes bei Stoltzius mit dem über das Feuer springenden Wolf dessen »Fressen« und zugleich Verzehrtwerden durch das Feuer anzeigt, so der rechte mit dem »Sensenmann« und dem brennenden Ei das »stirb und werde!«, das nach dem dreimaligen Lösungs- und Verbrennungsvorgang entspringende »Wachsen« der reinen Materie. Das »philosophische« Ei ist umfassendes Symbol für Geburt und Schöpfung und repräsentiert zugleich die dem »uterus« nachgebildeten dickbauchigen Destilliergeräte der »Schwarzkünstler«, in denen sich die Genese der reinen Materie vollziehen sollte (vgl. dazu III Coudert, S. 133f.). Wie ein weiterer Kupferstich aus Maiers Werk verdeutlichen kann (vgl. Abb. 8 aus II Maier, S. 22), symbolisiert die Figur mit der Sense auch die Tätigkeit der »Scheide-Kunst«. Dabei dienen »feurige« Sensen, Beile oder Schwerter häufig als Sinnbilder der »separatio« von Irdischem und Himmlischem (das Feuer als reinstes und zum Himmel zurückführendes Element), zugleich aber repräsentieren sie auch - wie in den beiden vorliegenden Bildern - den Gegensatz und die Kooperation von Mars (Eisen) und Vulkan (Feuer) bei der Erzeugung
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Abb. 8
des Eis, das diese zugleich überwinden wird (vgl. III Sheppard, S. 16), Der Aufbau des Stoltzius-Bildes zeigt auf der vom Betrachter aus linken Seite vom Hintergrund mit dem mehrtürmigen Schloß, vielleicht einem Sinnbild für das fertige Werk, über den König bis zum hochspringenden Wolf eine Betonung der Vertikale als Verdeutlichung des »männlichen« Pols, die rechte Seite betont dagegen auch mit der horizontalen Landschaft im Hintergrund, mit der Königin und den Lilien als Sinnbild der Keuschheit in ihrer rechten Hand sowie dem Ei das dem Männlichen entgegengesetzte Weibliche, eine Polarität, die zugleich in der Mittelstellung der beiden Figuren - als Resultat des Prozesses betrachtet - zum Ausgleich gelangt. Die Alchimie muß erst das Alte trennen und töten, bevor und damit die Vereinigung der Gegensätze und das neue Leben entstehen können. Der »achte Schlüssel Basilii« in Stoltzius' >Lustgärtlein< ist dieser »separatio« als der achten Station im alchimistischen Prozeß gewidmet (vgl. Abb. 9): »Der Samen zu der Feulung werd Fleissig befohlen nur der Erd.
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Abb. 9
Jm Grab vnser leiber (ohn sorgn.) Daß sie widrkommen / liegn verborgn. All Elementa findst du bhend Jn einem eintzign Element: Wenn du nur kanst / in solchen dingn / Zugleich auch all auß einem bringn. Diß ist vnsers Wercks zweck vnd ziel / Auch der Vorsatz vnsr Arbeit viel. Richtestu nun den Pfeil fein recht / So hast deß Schlüssels Schätz / nicht schlecht.«
Basilius Valentinus illustrierte mit diesem Kupfer zugleich den Ausspruch Jesu (Joh. 12,24): »Es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt's allein; wo es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte.« Der Text stellt in den ersten vier Zeilen die beiden entscheidenden Bildsequenzen kurz in ihrer Analogie heraus und bezieht sie dann deutend auf die Herstellung des philosophischen Steins, der als wahres Lebens-Elixier alle Elemente in sich vereinigt und allem Leben zu geben vermag. »Scheidung«, »Feulung« und Tod sind dabei ihres Gewichts als eines unwiderruflichen Endes beraubt und fungieren nur als notwendige Zwischenstation auf dem Weg zur Neu-Geburt. - Während die Bildelemente des »ersten Schlüssels« in der »pictura« aus sich selbst keinen einleuchtenden Bezug zueinander hatten und sich in ihrer
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allegorischen Uneigentlichkeit nur von der Sinnebene her erschließen ließen, erzählt die »achte Figur« eine eigentliche, in der Bildebene selbst begreifliche »Geschichte«. Der in der »pictura« dargestellten Analogie vom Sterben und Erblühen im Vegetabilischen und Animalischen gesellt sich auf der Sinnebene nur eine weitere Analogie desselben Vorgangs im anorganischen Bereich hinzu: Der Bauer, der die Körner in den Acker sät, ist der Alchimist, der die Goldsaat in die kalzinierte Materie eingibt; die Krähen hinter ihm symbolisieren das schwarze Stadium der Verwesung der Materie ebenso wie die Leiche; doch so wie in der Bildmitte aus den verfaulten Körnern das Getreide wächst, so erstehen auch der verklärte Leib aus dem Grab - und der philosophische Stein (die Zielscheibe der Schützen) aus der »separatio«. Der Engel rechts vorn verkündet diese »Auferstehung«, die beiden Bogenschützen repräsentieren entweder den wahren und den falschen Adepten (vgl. dazu III Coudert, S. 143f.) oder - wie auf anderen Darstellungen auch (vgl. z. B. III Hartlaub, S. 16; Coudert, S. 145) - im Zusammenhang mit den abgeschossenen Pfeilen den Vorgang des »Tötens«, um damit den Fäulungsprozeß als Vorbedingung des neuen Lebens in Gang zu setzen und dadurch ins alchimistische »Ziel« zu treffen. Das Bild ist u. a. deshalb so interessant, weil es verdeutlicht, daß der alchimistische Animismus nicht nur die anorganischen, sondern auch die organischen Lebensprozesse im Auge hat und mit dem Stein der Weisen unsterblich machen will. Gerade der im Rahmen der verschiedenen Zyklen des >Lustgärtleins< mehrfach dargestellte Vorgang der »Fäulung« macht deutlich, daß die Alchimisten möglicherweise auch die Katastrophen der eigenen Zeit, vor allem Kriege und Seuchen, als Stadium einer Zerstörung um eines großangelegten Erneuerungsprozesses willen verstanden und verarbeitet haben. Die 89. Figur mit dem Titel »Die Fäulung« liefert dafür ein Exempel (vgl. Abb. 10): »Die Statt verwüstet wird vom Fewr Vnd vielen Feinden vngehewr: Es stirbt vnd verdirbt bald darauff Mit seim Konig der Bawershauff. Die schwartzen Rappen ( = Raben) thun verzehrn Die todten COrper / nah vnd ferrn: Was Seel vnd Geist hat / hie auff Erd / Dasselbe bleibt ganz vnzerstort. Welchs / wann es mit dem Leib sehr fest Des Königs sich vereinign last: So wird alsdann allen gegebn Ein Anfang zu eim newen Lebn.«
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I. Christus-Mystik und Natur-Mystik
Abb. 10
Wiederum läßt sich alles (einschließlich der Raben, die den Prozeß selbst - und als auffliegende Vögel die »sublimatio« - symbolisieren) auch im Kontext des Zyklus auf das alchimistische »Werk« beziehen, und doch verstärkt hier gerade der Text die Affinität der »separatio« zur zeitgenössischen Realität; wäre nur diese Universalmedizin, die Panazee als lebensstiftender »König« künstlich herstellbar gewesen, dann hätten die Alchimisten dem Sterben ihrer Zeit nicht nur einen Sinn, sondern eine paradiesische Zukunft abgewinnen und folgen lassen können! Im Grunde aber bleiben die Anhänger dieses Glaubens religiöse Esoteriker. Das wird deutlich an der drittletzten Figur des >Chymischen Lustgärtleins< mit der Überschrift »Das gantze Philosophische Werck« (vgl. Abb. 11): »All ding / welche zuvor mit fleiß Sind vorgebild in Figurs weiß: Die kanstu alle (glaub es mir.) Jn eim runden Kreiß sehen hier. Der alt Man ist der Anfang klar / Der raicht dir auch den schlfissel dar: Der Schwefel vnd Mercurius,
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Abb. 11
Mit dem Saltz / das werck geben muß. Sihstu hier nichts / so ist es nichts / Warumb begehrstu mehr Berichts? Dann also wirst bey hellem schein Mitten im Liecht gantz stockblind sein.«
Das Bild enthält eine Variation der Quadratur des Zirkels, wie sie etwa auch Maiers >Atalanta Fugiens< bietet (vgl. II, S. 61), und bezeichnet als ganzes den vom alchimistischen Werk angestrebten Zustand eines Ausgleichs der Gegensätze. Der Kreis symbolisiert - durchsetzt von den sieben Planetenzeichen - den durch diese gelenkten »chymischen« Prozeß als Gebär-Vorgang (in Analogie zum hermetischen Ei), das äußere Quadrat hingegen stellt den Makrokosmos dar mit den vier Elementen (links oben Feuer, links unten Erde, rechts oben Luft, rechts unten Wasser), die linke Bildhälfte repräsentiert zugleich vom brennenden (sich
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erneuernden) Salamander bis hinab zum feuerspeienden Wolf oder Drachen (letzterer als Sinnbild der »prima materia«) den männlich-aktiven Pol, die rechte den weiblich-passiven. Das vom Quadrat umschlossene und selbst den Kreis umschließende Dreieck symbolisiert die Dreiteiligkeit von Makro- und Mikrokosmos, nämlich in Geist, Seele und Körper, denen die Prinzipien des (männlich-feurigen) Schwefels, des (weiblichen) Mercurius oder Quecksilbers und des irdischen Salz korrespondierend zugrundeliegen. Trotz aller prätendierten Universalität dieses Lehrbildes zeigt der in den Kreis eingeschriebene und dem Basilius Valentinus zugeschriebene Spruch »Visita Interiora Terrae, Rectificando, Inveniens Occultum Lapidem« (»Suche das tiefe Innere der Erde auf, durch Reinigung wirst du den verborgenen Stein finden«), der das berühmte Akrostichon VITRIOL ergibt, daß die Kunst der Alchimisten letztlich doch im Verborgenen blühte, daß sie sich auf das Innere, auf den »Mutterschoß der Natur« konzentrierten, aus dessen lunarischem Dunkel die feurige Sonne des philosophischen Steins hervorkommen sollte (vgl. III Coudert, S. 154). Gerade diese Esoterik indessen hat der Alchimie eine breite Resonanz und Wirkungsgeschichte weit über die frühe Neuzeit hinaus - vor allem, aber nicht nur als Bildspender der Poesie - beschert. Daß die Zeitgenossen von Reformation und Konfessionalismus in der Alchimie tatsächlich den »Heilsplan einer animistischen Philosophie« zu erblicken vermochten, der Religion, Wissenschaft und Gesellschaft zu reformieren versprach (vgl. III Coudert, S. 238), bezeugt auch ein Kupferstich von Hans Vredemann de Vries (1527-1604) in Heinrich KHUNRATHS (1560-1605) >Amphitheatrum Sapientiae Aeternae< von 1608. Er illustriert die alchimistische Kombination von Religion und Wissenschaftlichkeit, Theorie und Praxis, aber damit auch die Spannung, ja Konkurrenz zum offiziellen Kirchentum und verdeutlicht somit, »daß es sich bei Alchemie und Christentum um zwei Felder eines voll und ganz gleichartigen Bemühens handelt« (III Hoheisel, S. 71; vgl. Abb. 12; vgl. ferner dazu III Coudert, S. 63f.; Buntz 1970, S. 120f.;Hartlaub, S. 50; Meinel, S.201f.). Rechts im Bild befindet sich das >Laboratorium< mit Ofen, Blasebalg und Destilliergeräten auf dem Sims, links das >OratoriumWissenschaftlichkeit< und >Aberglauben< festzumachen sind. Wegen der unaufhörlichen Vermischung beider Bereiche im Lebenswerk des Paracelsus tut sich vor allem die Medizingeschichte bis heute schwer mit einer Wertung dieses überaus einflußreichen Hermetikers der frühen Neuzeit (vgl. III Lichtenthaeler II, S. 443; 11.53 Aschner, S.XIVff.; 11.53 Schipperges, S. 42ff.). - Die Rezeptionsgeschichte des 16. Jahrhunderts akzentuiert vor allem die okkulten Phänomene seines LebensWerkes: »Ob er in Heilger Schrifft studiert, Wirde aus seinn büchern gnug probirt. Dan aus seinn bej vierhundert schrifften Leern Arczt, Theologen, vnd luristen. Was nur in Himml vnd Erden ist, Wust dieser Doctor z' aller frist. Doch war er feint der schwartzen kunst,
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Die man Ihn bzichtigt aus vngunst. Auch Philosophisch stein hat gmacht, Damit die menschen wider bracht Vom doot. Darzu die grobn metall Hat er fein säubern können all In silber vnd in rotes Golt: Wer wolt nun solchem nicht sein holt. Hat all sein gut den armen geben, Gott geb jhm jetz das ewig leben.« (III Peters, S. 92)
Auch im Blick auf seine Rezeption unter den Spiritualisten und Mystikern ist es von daher wenig sinnvoll, diese - häufig dubios erscheinenden - Aspekte zugunsten eines Bildes von Paracelsus als »Vorläufer der Aufklärung« beiseitezulassen. Hier können indessen nur einige seiner Grundgedanken beleuchtet werden, die zugleich auf die Einheit in der Vielfalt seines Werkes verweisen. - In dieser Hinsicht sind von der »Laientheologie« des Paracelsus nur zwei Aspekte von Belang. Der eine betrifft seine Stellung zu Kirche und Reformation. Hier hält er die sichtbare Gestalt der Amtskirche(n) für überflüssig im Blick auf Frömmigkeit und Heilsgewinnung: »Was lauft ihr an die Predigt, was geht ihr in die Schul, was in die Bericht ( = Unterricht) der Gesatz, zu lernen, wie ihr einander halten sollt, dieweil Ihr's doch alles bei euch selbst habt? Tut allein das, das euch euer eigen Gewissen lehret, so habt ihr alles erfüllt!« (II LN, S. 154)
Von daher kann es nicht verwundern, daß sich der Hohenheimer äußerst kritisch zu den Religionsstreitigkeiten seiner Zeit geäußert hat und nachdrücklich für Toleranz - nicht nur zwischen den christlichen Konfessionen, sondern auch zwischen Christen und Heiden - eingetreten ist (vgl. ebda., S. 169ff.). - Der zweite Aspekt - damit zusammenhängend betrifft seine Bestimmung des Verhältnisses von Gottes- und Welterkenntnis durch die christlich-theologische Allegorese des »Buchs der Bücher« einerseits und die heidnisch-hermetische Erschließung des »Buchs der Natur« andererseits. Zwar anerkennt Paracelsus die unmittelbare theologische - Gotteserkenntnis als den überlegenen Heilsweg, dennoch betont er, er schreibe unbeschadet seines christlichen Glaubens auch im »Heydnischen Stylus« »auß vrsachen / daß der Heydnische Brauch nach der Natur gehet / vnd auß jhr / daß vns von Gott also Prädestinirt ist« (O I, S. 21 A). Wenn uns dieser Weg durch die Natur von Gott vorbestimmt ist, kann er auch nicht unchristlich sein. Und in seinem >Buch der Philosophie des himmlischen Firmaments< hält Paracelsus den naturfeindlichen Vertretern der Kirche entgegen, »daß Christus und die Seinen dem Lichte der Natur nichts genommen haben, aber der phari-
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säische Sauerteig, die, die in ihren Schulen wandeln, die wollen der Natur ihre Macht brechen und nehmen und sie selbst folgen weder Christus noch dem natürlichen Lichte.« (SW IV, S. 424) Deshalb sollen die natürliche Vernunft im Bereich des »Buchs der Natur« und die »ewige Weisheit« biblisch-theologischer Gotteserkenntnis miteinander verbunden werden - man sieht, daß Paracelsus der Czepkoschen Funktionsbestimmung beider Offenbarungsquellen Gottes Pate gestanden hat (vgl. Kap. 12 b)-: »Also kann die natürliche Vernunft und die ewige Weisheit wohl vereinigt sein, aber die natürliche Vernunft kann wohl ohne die ewige Weisheit sein, da sie sich nach Heidnischem richtet und nicht aufs Ewige achtet. Die ewige Vernunft aber kann ohne die natürliche Weisheit nicht sein, da der Mensch aus dem Natürlichen das Ewige erkennen soll. Darum wohnen sie beide dem Menschen inne, der in allen Dingen vortrefflich liebt in Gott.« (Ebda., S. 425)
Die Naturphilosophie des Hohenheimers wird gerade dadurch zu einem heimlichen Konkurrenzsystem der Theologie, daß er überall nach den geistigen Wirkprinzipien in der Natur als den Medien des Göttlichen sucht, so daß man mit Recht vom »Primat des Geistigen« als »erstem Anliegen der paracelsischen Naturphilosophie« gesprochen hat (11.53 Pagel, S. 73). Dabei spielt die Kraft der Seele - im Zusammenhang mit dem Glauben an die »Magia naturalis« - eine hervorragende Rolle. Während Galen glaubte, »daß die Kräfte der Seele den Mischungen des Körpers folgen« (vgl. den gleichnamigen Traktat), dominiert für Paracelsus die Seele über den Körper. Die gesamte Wirklichkeit spaltet sich für ihn gleichsam in einen sichtbaren und einen unsichtbaren Teil. Zwar hält er an der höheren Qualität des unsichtbaren Teils - und damit auch der Seele - fest, aber er zerstört gleichsam die platonische und aristotelische »Wertgeographie«, indem er nicht mehr das Himmlische für das Gute, das Irdische für das unveränderlich Unvollkommene hält, sondern indem er von einem einheitlichen Naturbegriff ausgeht und Sichtbares und Unsichtbares, Geistiges und Materielles in allen Bereichen des Himmels und der Erde und damit auch im Menschen gleichermaßen anerkennt. Mensch und Natur, Mikrokosmos und Makrokosmos stehen sich ebenbürtig gegenüber. Die vor allem im medizinischen Teil seines Werkes erkennbare Tendenz zum praktischen Empirismus steht deshalb nicht im Widerspruch zur Dominanz des >Geistigen< in der Natur; die medizinische Praxis ist vielmehr nur Gegenstand der Suche nach dem »Licht der Natur« und dessen Anwendungsbereich im Sinne einer Wiederherstellung der durch Krankheit geschädigten vitalen Formprinzipien und Kräfte (vgl. IV Kemper I, S. 63ff.).
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Mit dieser unablässigen Suche nach dem »Wissen«, der »szienz« der Natur, tritt uns Paracelsus zunächst als Erbe von Renaissance und Humanismus entgegen, wenn er sich auch vom Wissen der Antike freimachen will. »Wir werden uns nicht an die Vorschriften der Alten halten«, erklärt er in der programmatischen Ankündigung seiner ersten Vorlesung an der Universität Basel (seine dortige Lehrtätigkeit dauerte nur 10 Monate), »sondern an diejenigen, welche wir teils durch Erforschung der Natur, teils durch unsere kämpfenden Bemühungen gefunden und durch lange Übung und Erfahrung erprobt haben« (SW III, S. 1055). »Erfahrung und Vernunft« (»experimenta ac ratio«) werden zur Grundlage seines ärztlichen Tuns. Als Zeitgenosse Luthers, der satirisch-skeptischen Narrenliteratur und allgemein verbreiteter Weltuntergangsstimmung polemisiert er zwar auch gegen eine fehlgeleitete menschliche »ratio«, die sich in scholastischen Spitzfindigkeiten verliert und nur das Sichtbare für wirklich hält (vgl. 11.53 Pagel, S. 52f.), zugleich aber glaubt er an die über-natürlichen Fähigkeiten der Vernunft und gibt das Erbsündendogma zugunsten eines dem Geist der Renaissance verpflichteten, aus Gottes Schöpfungswillen deduzierten Fortschrittsoptimismus preis: »Dann er will vns nicht haben dumme Narren / nichts wissend / nichts köndig / nichts verstendig: Sondern er will vns haben erweckt in seinen grossen Natürlichen dingen / die er geben halt/ auff daß der Teuffei sehe / daß wir Gottes sind / vnd Engel sind. . . . Vnd wie er für vns alle gelitten halt vnd erlößt / so will er auch daß wirs alle seyend im Erbtheil der Weißheit vnd Künsten. Dann die ding sind darumb beschaffen / daß wir menschen darinn ein erkanntnuß sollen haben / vnd sind die wahren rechten Zeichen eines rechten Ehelichen Kinds Gottes.« (O II, S. 323A)
Damit wird zugleich ein Weg zur »Vergottung« durch rechte »erkanntnuß« der »grossen Natürlichen dinge« gewiesen, durch dessen Benutzung die Menschen ihre Gottebenbildlichkeit und damit ihren Schöpfungsauftrag erfüllen und als Gottes »Eheliche Kinder« zugleich irdische »Götter« (ganz im Sinne der Renaissance; vgl. III Trinkaus I, S. XIVff.) zu sein vermögen, für die jeder Akt der Natur-Betrachtung zur magisch hergestellten »unio mystica« wird (vgl. Kap. I 3 c): »Darauff merckend nuhn / so wir Kunst können vnnd Weißheit / vnd können sie nicht vollkommen und ganz / so sind wir nicht Kinder Gottes: Dann er zerbricht vns nichts an vnserm Erb / sondern er gibts vns ganz vnd vollkommen. . . . Das ist die Anatomey Gottes / daß wir in Gott sehend / vnd also vns selbs darbey erkennen vnd verstanden / daß wir nichts sind / allein wir seyen dann Gott gleich: Vnd als vollkommen als vnser Vatter im Himmel ist / dann wir sind auch Götter / darumb daß wir seine Kinder sind / aber der Vatter selbst nicht : darum bleibet allein ein Gott / vnd nicht mehr / vnd wir
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für vnd für Kinder. Darumb folget nuhn auß dem / daß wir Götter vnd vollkommen.« (O II, S. 321 B-C)
Den Menschen hat Gott als Mikrokosmos und damit als reale geistleibliche Entsprechung, als »Konzentrat« bzw. Summe aller dieser im Makrokosmos verstreuten geistigen Kräfte (vgl. 1. Mos. 2,7) gestaltet, und zwar in seiner Doppelheit als psychosomatisches Wesen. So ist der Mensch zu seiner körperlichen Erhaltung auf den »Stoff« der »grossen Welt« angewiesen (vgl. SW I, S. 109). Zugleich verfügt der Mensch auch über eine geistige Kraft, die es ihm ermöglicht, die im »Licht der Natur« unsichtbar verborgenen Formkräfte als Verursacher und Gestalter der vitalen Prozesse in der Natur zu erfassen (vgl. LN, S. 168f.). Das »Licht der Natur« korrespondiert daher für den Hohenheimer genau mit der menschlichen Vernunft: »So dann alles das / so der Mensch thut / vnd thun soll / das soll er thun auß dem Liecht der Natur. Dann das Liecht der Natur ist allein die Vernunfft / vnd nichts anders.« (O II, S. 67 A-B) Dies verlangt eine sowohl selbstbewußte wie dienende Orientierung an der Natur, an der Erforschung ihrer »arcana« zum Zwecke der Nachahmung der in ihr wirksamen Kräfte im umfassenden Dienst einer Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen. Die prinzipielle Gleich-Artigkeit von Mikro- und Makrokosmos befähigt den Menschen, sein »Wissen« durch imaginativ-meditative »unio« mit dem Erkenntnisobjekt im Medium des »Lichts der Natur« zu erreichen (vgl. 11.53 Pagel, S. 57f.). Zur Erkenntnis der Natur-Kräfte darf kein Bereich der Schöpfung und damit auch keine naturkundliche und -wissenschaftliche Disziplin übergangen werden: »Dann GOtt hatt sein Macht in Kreuttern geben / in Stein gelegt / in die Sahmen verborgen / in denselbigen sollen wirs nemmen vnd suchen.« (O II, S. 322 B) Dabei ist aber die Arzneikunst jene Wissenschaft, die alle diese Gebiete integriert und praktiziert. Gerade die Forschung der Ärzte aus der Paracelsus-Schule richtete sich auf die Suche nach jener lebensverlängernden Universalmedizin oder >PanazeeGases< berühmt gewordene - Paracelsus-Schüler Johann Baptist von HELMONT (1579-1644) führte dieses Ziel als werbewirksames Versprechen im Untertitel seines Werkes >Aufgang der Artzney-Kunst< (vgl. 11.24). Als Versöhner zwischen Gott und den Menschen - so Helmont in der Vorrede - sollte der Arzt die Menschheitsgeschichte als Prozeß zunehmender Morbidität aufhalten und den Paradieseszustand körperlicher Unversehrtheit, ja Unsterblich-
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keit wiederherstellen (ebda., S. 1262ff.) - eine Hoffnung, die chiliastischen Spekulationen Vorschub zu leisten vermochte und die zugleich ein Anzeichen für das >vitale< Interesse der hermetischen Ärzte an der Verbesserung der Konstitutionsbedingungen des Mikrokosmos war. Der hermetische Erkenntnisgewinn sollte auch der »äußeren« Natur Kräfte zuführen, und häufig war das Innere auch nur durch das Äußere zu erkennen. Letzteres zeigt sich insbesondere an der von Paracelsus breit entfalteten, von der Kabbala inspirierten Signaturenlehre, die Böhme weiterentwickeln sollte: »Durch die Kunst chiromantiam, physiognomiam und magiam ist (es) möglich, gleich von Stund an, dem äußerlichen Ansehen nach, eines jeden Krauts und Wurzeln Eigenschaft und Tugend zu erkennen an seinen signatis, an seiner Gestalt, Form und Farbe.« (LN, S. 146) So verrät z. B. die stachlige Distel, »daß eine verborgene Kraft für das Stechen in der Brust und in den Seiten in ihm verborgen ist« (SW I, S. 656); in der Physiognomie enthüllt eine lange Nase »einen bei allen seinen Werken langsamen Menschen«, und ein »großer weiter Mund bedeutet und zeigt an einen großen Fresser, Ungeschicklichkeit, Torheit, Unverschämtheit und Unverzagtheit« (SW III, S. 292). Bis hin zu Lavaters >Physiognomischen FragmentengeisternFama< und >Confessio< oder als deren Folge ausfindig zu machen (vgl. III Wehr, S. 23ff.). Dennoch war der Einfluß ihrer Ideen beträchtlich und fand in den Geheimbünden des 18. Jahrhunderts eine Heimstatt. Den Autor der >Fama< hat man mit einiger Sicherheit ausfindig gemacht, und zwar in dem schwäbischen Theologen und späteren - der lutherischen Reformorthodoxie zuzurechnenden - Superintendenten Johann Valentin ANDREAE (1586-1654; vgl. zu ihm II.l Brecht). Dieser hatte in seiner Tübinger Studienzeit einem paracelsisch und pansophisch inspirierten Freundeskreis angehört. Bereits 1605/06 schrieb er den handschriftlich, seit 1616 im Druck verbreiteten Roman >Chymische Hochzeit: Christiani Rosencreutz: Anno 1459Liebe< bringt: »I. Nichts besser ist auff Erden, Dann die schön edel Lieb, Damit wir Gott gleich werden, Daß keins das ander trüb. Darumb last dem König singen, Daß gantze Meer thu erklingen, Wir Fragen, Antwort ihr. II. Was hat uns bracht das Leben? Die Lieb. Was hat Gnad wider geben? Die Lieb. Waher seind wir gebohren? Auß Lieb. Wie wären wir verlohren? Ohn Lieb. IV. Was thut diß überwinden? Die Lieb. Kan man auch Liebe finden? Durch Lieb. Wan lest man gut Werck scheinen? In Lieb. Wer kan noch zwey vereinen? Die Lieb.« (II Andreae CH, S. 102f.)
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Die hier besungene Liebe sucht hermetische und christliche, kosmologische und moralische, ethische und ästhetische, soteriologische und erotische Aspekte eines Phänomens zu synthetisieren, das als große, von Gott ausgehende »Sympathie« den gesamten Makro- und Mikrokosmos entstehen ließ und als »catena aurea« erhält. Marsilio FICINO hatte diesen Liebesbegriff in seinem grundlegenden Werk >Über die Liebe oder Platons Gastmahl< entwickelt: Auch das Chaos formte sich zur Schönheit der Schöpfung durch die Kraft des Eros, dessen Eigenschaft es ist, »daß er zu der Schönheit hinreißt und das Ungestaltete dem Schönen zuführt« (II Ficino L, S. 23). »Die göttliche Schönheit hat in allen Dingen die Liebe, d. i. das Verlangen nach ihr selbst, erzeugt. Da eben Gott die Welt zu sich hinzieht und die Welt zu ihm hingezogen wird, so besteht eine dauernde Anziehung zwischen Gott und der Welt, welche von Gott ausgeht, auf die Welt sich überträgt und in Gott zum Abschluß kommt, demnach sozusagen im Kreislauf zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt.« (Ebda., S. 39)
Auf diesen hermetischen Gedankenkontext spielen die Eingangsverse an, wenn sie der »schön edel(!) lieb« die Fähigkeit zusprechen, die Gottgleichheit(l) des Menschen herbeizuführen. Die Strophen zwei und vier konnotieren nun dieses Eros-Verständnis mit der christlichen Soteriologie (»Was hat Gnad wider geben? Wie wären wir verlohren? Wan lest man gut Werck scheinen?«), wobei allerdings weder von Gott noch von Christus die Rede ist. Die Pointe der stereotypen Repetition des Liebesbegriffs liegt eben darin, daß dadurch auf der Einheit einer, für alle im einzelnen aufgezählten Phänomene von Schöpfung und Geburt bis zum sozialethischen Verhalten und zur sexuellen »Attraktion« verantwortlichen »Universalie« insistiert wird, die also auch die Funktion Christi erfaßt, so wie der Eros-Begriff Ficinos in der Tat vor allem die kosmogonischen (s. o.) und schöpfungserhaltenden Funktionen der zweiten Person der christlichen Trinität ersetzt, weil »Eros in allen Dingen ist und alles durchdringt«, weil er »Schöpfer und Erhalter aller natürlichen Gebilde« und schließlich »aller Künste Meister und Herr ist« (ebda., S. 79). So wie Eros auch für die Anziehung in der Natur - also etwa zwischen den Sternen und den Elementen (vgl. ebda., S. 83; dazu das Gedicht von Opitz in Bd. II, S. 68) - verantwortlich ist, so auch für die »Attraktion« unter den Menschen, wie sie am Schluß der vierten Strophe angedeutet wird: »So ist die gegenseitige Liebe der Menschen zwecks Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes entstanden, aus dem Bestreben nämlich, zwei zu einem zu verbinden und so das Gebrechen der Menschennatur zu heilen« (II Ficino L, S. 97).
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Die Liebe also als Ausdruck der Sehnsucht nach Wiederherstellung der ursprünglichen Androgynität: dies führt unmittelbar in die alchimistische Gedankenwelt auch des Liedes zurück. Denn mit den drei restlichen Strophen wendet es sich wieder dem Romangeschehen zu. Während die zitierten Verse vor dem entscheidenden Prozeß zwischen Tötung und Wiederauferweckung des Königspaares den alchimistischen Prozeß als Teil des weltumfassenden Liebesgeschehens auslegen, gewinnen die drei letzten Strophen daraus die vorausdeutende und zugleich handlungsfördernde Funktion des Verweises auf ein Gelingen des »Werkes« : »V. So singt nuhn alle, Mit großem Schalle, Der Lieb zu ehren, Die wöll sich mehren, Bey unserm Herrn König und Königin, Ihr Leib sein hier, die Seel ist hin. VI. So wir noch leben, So wirdt Gott geben, Das wir die Lieb und groß Huldschafft, Sie theilet hat mit grosser Krafft, Also wir auch durch Liebes Flamm, Mit Glück sie wider bringen zusamm.
VII. Da soll diß Leyd, In grosse Frewd, Wens noch viel tausent Junge geit, Verkert werden in Ewigkeit.« (II CH, S. 103)
Strophe VI betont, daß auch das Zerteilen (Töten, Separieren) ein von der Liebe diktierter Teil des alchimistischen Prozesses ist und daß die Renovation nur durch die Kraft der Liebe zu gelingen vermag. Die letzte Strophe wertet den Einzelvorgang - an den ersten Teil anknüpfend - als Exempel für einen allgemeinen soteriologischen Prozeß, in dem das Leid der Teilung als notwendige Vorbedingung für die endgültige Einkehr in einen - von der Liebe unablässig angestrebten - Zustand ewiger Freude erscheint. Das Lied evoziert - und initiiert - im Gesang vor allem des zweiten Teils ein Gefühl des Eingebettetseins in eine makrokosmische »Sympathie«, welche die mikrokosmische Liebes-Aktivität stimuliert und zugleich auch legitimiert. Alchimie erscheint dabei zugleich als ak-
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tives Tun in der Welt und an der Welt, das »gute Werk« der »coniunctio« ist Bedingung der Herstellung eines himmlisch-irdischen Paradieses (über eine Lokalisierung der »Ewigkeit« schweigt sich das Werk bezeichnenderweise aus). Nicht ohne, sondern nur mit der sympathetischen Tätigkeit des Menschen läßt sich die Welt in einen paradiesischen Zustand (zurück-)versetzen: Das ist die entscheidende Botschaft der >chymischen HochzeitFama< und die wohl aus seinem Freundeskreis stammende >Confessio< von ihnen ebenso öffentlich distanziert wie von der >Chymischen Hochzeit< (vgl. II. l van Dülmen, S. 9; III Wehr, S. 24ff.): Je höher er in der württembergischen Kirchenhierarchie stieg, desto gefährlicher konnten ihm seine paracelsisch-alchimistischen Schriften werden. Dennoch hat er zeitlebens sein Interesse für einen praxisbezogenen Hermetismus beibehalten (vgl. II. l Brecht, S. 128ff.). Dies bezeugt auch seine >Christianopolis< von 1619, die erste »selbständige Sozialutopie« des Luthertums (III Wehr, S. 33), die er Johann Arndt widmete, auf den »alles« »zurückgeführt« werden müsse (II CP, S. 6). Einleitend attackiert er hier aufs schärfste die konfessionspolemischen Eiferer, bezeichnet die >Fama< zwar als »irreführenden Scherz« und beklagt sich doch darüber, »daß es Leute gegeben hat, die das nachdrückliche Eintreten für ein christliches Leben der Ketzerei und schwärmerischen Sektiererei beschuldigten« (ebda., S. 11). Ziel der >Christianopolis< sei es, mithilfe eines utopischen Modells von gesellschaftlichem Zusammenleben zu erkennen, »unter welchen Gesetzen wir dagegen leben müssen« (ebda., S. 13). Wie sich rasch zeigt, sind auf der Insel der Seligen die wahren »Chymisten« und Theosophen ganz besonders hoch geschätzt (vgl. ebda., S. 29f., 69ff., 87ff.). Religion hat nichts mit jenseitsgerichteter Schwärmerei zu tun, sondern legitimiert und reguliert zugleich das Leben in der Welt (vgl. ebda., S. 48ff.). Die Einwohner von Christianopolis hören zwar »die Bezeichnung >Lutheraner< nicht ungern«, doch betonen sie, »einfach Christen zu sein« (ebda., S. 107), und sie »bewundern auch nicht die, für die sich die gesamte Theologie in Schwerter, Degen und Bogen verwandelt, und die als Verehrung Gottes nur Zank und Streit zulassen« (ebda., S. 108). Stattdessen pflegen sie eine Religion, bei der sie »lieber sich mit dem Aufbau eines christlichen Lebens beschäftigen wollen, da Christus den Frommen mehr zugetan ist als den Wissenden und den Gehorsamen mehr als den Disputierenden« (ebda.). Die höchste Erkenntnis-Stufe der christlichen Gemeinschaft ist
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auch hier wiederum die Theosophie, doch ist diese zugleich ein »Instrument, um die volle Menschwerdung des Menschen als Gemeinschaftswesen . . . im Geiste Christi in die Wege zu leiten« (III Wehr, S. 34). Von daher erweist sich auch der Lebenslauf Andreaes selbst als konsequent, der nicht nur die württembergische Kirche zu reformieren suchte, sondern der, als seine Pfarrgemeinde Calw 1634 von einer verheerenden Feuersbrunst und kurz darauf von der Pest heimgesucht wurde, einen gleichzeitigen ehrenvollen Ruf nach Nürnberg ablehnte, um seiner Gemeinde bei der Überwindung der Katastrophe zu helfen: »Der Jugendtraum des bruderschaftlich gesinnten Pansophen und Rosenkreuzers sollte in einer sehr engagierten, konsequent und selbstlos betriebenen Sozialarbeit aufgehen.« (Ebda., S. 30). In Person und Werk Andreaes begegnen wir damit nicht nur dem Exemplar eines hermetisch inspirierten lutherischen Reformorthodoxen, sondern zugleich einem Geistlichen, der die hermetische Tradition keineswegs etwa zu »mystischer Weltflucht«, sondern umgekehrt für die tatkräftige Einrichtung einer »general-reformierten« christlichen Liebes-Gemeinschaft einzusetzen suchte.
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5) Imaginationen - Christus als Natur, Adam als Christus (Böhme)
a) Schuhbank und Prophetentum Der Görlitzer Schuster Jacob BÖHME (1575-1624) ist »der einzige deutsche Autor des frühen 17. Jahrhunderts«, »der Weltgeltung erlangt und behalten« hat und »dessen Schriften bald nach seinem Ableben in Westeuropa zur Kenntnis genommen, gedruckt, übersetzt und ausgelegt wurden« (II.6 Kemp, S. 211). Seine zeitgenössischen Anhänger erblickten in ihm - seinem Selbstverständnis folgend (vgl. II Böhme IV, S. 101) - den großen Propheten. Wie so oft schon in der Geschichte hatte sich Gott für die Offenbarung seiner Geheimnisse einen ungelehrten, einfachen Mann auserwählt und ihm in Zuständen der Entrückung, Erleuchtung und visionären Schau die Wahrheit über sich, die Schöpfung und den Menschen mitgeteilt. In einer vom Bösen beherrschten Welt, deren Ende, wie Böhme verkündete, unmittelbar bevorstand (vgl. ebda., S. 117), sollten indessen nur die wenigen auserwählten »Kinder Gottes«, die »in dieser Welt nicht erkant« werden (ebda., S. 104), diese göttlichen Geheimnisse erfahren. In dieser Zeit müssen sie sich in der Nachfolge Christi »lassen verfolgen, hohnen, spotten und todten« (ebda., S. 100), - im Fall Böhmes durch die lutherische Orthodoxie in Gestalt des Oberpfarrers Gregor Richter, der, nachdem er Kenntnis von Böhmes erster, bekanntester, - und wie fast alle seine Werke nur handschriftlich verbreiteter - Schrift >Aurora oder Morgenröthe im Aufgang< (1612) erhalten hatte, den eifrigen Kirchgänger Böhme öffentlich als Häretiker abkanzelte und ihm Schreibverbot auferlegte, woran sich dieser immerhin fünf Jahre hielt (vgl. II.6 Wehr, S. 24ff.). Der Prophet selbst - so sein >Image< - führte derweil ein Leben in »Abgeschiedenheit« und Stille, ganz auf die in - von »melancholischen« Zuständen begleiteten - Intervallen widerfahrende Schau und ihre Verarbeitung konzentriert (vgl. ebda., S.47ff.): Dieses Bild vom Görlitzer Schuster und seiner Geheimlehre entsprach denn auch den Topoi vom Prophentum und von der Erlebnisund Erfahrungssituation des Mystikers im Kontext der arkanen Tradition. Erst in den letzten Jahren haben Archivarbeiten einige Stereotypien der Böhme-Hagiographie zurechtzurücken vermocht. Der schlesische
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Schuhmacher war weder arm noch ungelehrt, weder ganz schutzlos den Angriffen der lutherischen Orthodoxie ausgesetzt noch unbeteiligt an der Verbreitung seiner Gedanken und Schriften (vgl. dazu auch II.6 Asmuth, S. 20ff.). Er war Sohn eines nicht unbetuchten Freibauern, und als er 1599 in Görlitz Schuhmachermeister wurde und heiratete, konnte er sich ein Haus und eine »Schuhbank« kaufen (vgl. II.6 Wehr, S. 20ff.). Er engagierte sich zunächst in der Schusterinnung und verkaufte sein Geschäft erst im März 1613, drei Monate vor seiner öffentlichen »Ächtung« durch Gregor Richter, um mit seiner geschäftstüchtigen Frau in den Garn- und Lederhandel einzusteigen, der ihm ausgedehnte Reisen ermöglichte, bei denen er geistliche und - so Gorceix - »nicht gerade legale« weltliche Geschäfte zu verbinden wußte (vgl. II.6, S. 51). Erst in seinen letzten vier Lebensjahren »scheint Jacob Böhme aufs Geschäft verzichtet und sich ausschließlich seinen Büchern und seinen Anhängern gewidmet zu haben«: »In der Verbreitung seiner Lehre war er längst nicht so passiv wie er immer wieder vorgibt« (ebda.). Obwohl er von der Orthodoxie hart bedrängt wurde, hatte er doch zugleich das Glück, in einem relativ toleranten religiösen Terrain - in der Oberlausitz an der Reichsgrenze - beheimatet zu sein, in dem nicht nur Lutheraner und Katholiken, sondern auch häretische Gruppen lebten, darunter zahlreiche Anhänger des Paracelsus, die zugleich zum Görlitzer Humanistenkreis gehörten, mit denen er in regem Gedankenaustausch stand und die ihn offenbar vor direkten Invektiven des Görlitzer Rates immer wieder zu schützen vermochten (vgl. ebda., S. 52). Obwohl persönlich leicht einzuschüchtern, von schmächtiger Statur und kein Mann der öffentlichen Rede, wußte Böhme sich doch selbst gegen die Vorwürfe der Orthodoxie mit gewandter Feder zu wehren. Seine Verteidigungsschrift gegen Gregor Richter läßt an pasquillantischer Schärfe nichts zu wünschen übrig (vgl. II AP). Auch sonst attackierte Böhme nicht nur unermüdlich die »äussere Vernunft« in Glaubensfragen - dies tat bekanntlich die Orthodoxie auch -, sondern er reagierte auf seine in der Tat stets gefährdete biographische Situation und auf die Unterdrückung Andersgläubiger mit einer regelrechten Verteufelung der kirchlichen Amtsträger als Handlanger Satans, welche die wahre Kirche Christi auszurotten suchten (IV, S. 102ff.) und die er deshalb als leibhaftig in Erscheinung getretenen Antichristen brandmarkte (ebda., S. 117). Entsprechend gleichgültig waren ihm Fragen der Konfessions- und Kirchenzugehörigkeit. Ein Böhme, der er sich klug um die Ausbreitung seines Geistes und seiner Anhängerschar kümmerte, paßt glaubwürdiger zu diesem kämpferischen Ton und zu seinem Sendungsbewußtsein. Dieses kompensiert
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zugleich die Selbstzweifel des theologisch-philosophischen Autodidakten. Doch wenn er auch des Lateinischen nicht mächtig war, so stehen seine Schrift-Gelehrsamkeit und auch seine Belesenheit vor allem im Bereich des hermetischen Schrifttums außer Frage. - Böhmes Zeitgenossen interessierten sich besonders für die geschichtstheologischen, eschatologisch-chiliastischen, christologischen und anthropologischen Aspekte seiner Pansophie (vgl. dazu auch II.6 Benz, S. 422ff.) sowie für seine Sprach-Alchimie und Signaturenlehre (vgl. III Benz). Im vorliegenden lyrikgeschichtlichen Kontext ist dagegen zunächst Böhmes Schöpfungslehre und sein pantheistisches Naturverständnis, das er u. a. auch in seiner ersten und verbreitetsten Schrift >Aurora< als Auslegung der mosaischen Genesis breit entfaltet, im Blick auf die poetische Natur-Mystik des 17. Jahrhunderts von besonderem Belang, und dieser Aspekt eignet sich auch besonders gut zur Einführung in seine bildhafte Gedankenwelt.
b) Der »Gottessohn« als Gebär-Mutter und die Welt als »Leib Gottes« Ein längeres Zitat mag zunächst einen Eindruck von Böhmes Sprache und Stil vermitteln. Es handelt sich um seine Darstellung der Gottheit in der »Ewigkeit« oder im »Ungrunde«, also vor der Kosmogonie: »Derselbe Ungrund ist gleich einem Auge, denn er ist sein eigener Spigel,er hat kein Wesen (Weben), auch weder Licht noch Finsterniß, und ist vornemlich eine Magia, und hat einen Willen, . . . Und finden also, daß alle Wesen sind in ein Auge geschlossen, das ist gleich einem Spigel, da sich der Wille selber beschauet, was er doch sey: und in dem Schauen wird er begehrend des Wesens, das er selber ist; und das Begehren ist ein Einziehen, und ist doch nichts, das da konte gezogen werden, sondern der Wille zeucht sich im Begehren selber, und modelt ihme in seinem Begehren für, was er ist; und dasselbe Model ist der Spigel, da der Wille siehet, was er ist. . . . Nun ist dieser Spigel auch nicht das Sehen selber, sondern der Wille, der begehrend ist, das ist, des Willens ausgehende Lust, die aus dem Willen ausgehet, die ist ein Geist, und machet in der Lust des Begehrens den Spigel: Der Geist ist das Leben, und der Spigel ist die Offenbarung des Lebens, sonsten erkennete sich der Geist selber nicht;... Also ist die Weisheit, als der Spigel des Geistes der Gottheit, für sich selbst stumm, und ist der Gottheit, als des Geistes, Leib, darinn der Geist wohnet; Er ist eine Jungfräuliche Matrix, darinnen sich der Geist eröffnet, und ist GOttes Wesenheit, als ein heiliger Gottlicher Sulphur, gefasset in der Imagination des Geistes, des Ungrundes der Ewigkeit; Und ist dieser Spigel oder Sulphur der ewige erste Anfang, und das ewige erste Ende, und gleichet sich allenthalben einem Auge, da der Geist mit siehet, was er darinnen sey, und was er wolle eroffnen.« (IV, S. 121 f.)
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Diese Passage ist in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich. Zunächst gilt sie in der Forschung als Beleg dafür, daß Böhme der christlichen Lehre entsprechend einen weit-, d. h. materielosen Zustand göttlicher Ewigkeit kennt (vgl.II.6 Wehr, S. 82f.). Zugleich indessen enthüllen die Zeilen einen Gott, der zwar ein reines Geist-Prinzip ist, aber nicht primär von der »ratio«, sondern von - im aristotelischen Sinne - »unteren Seelenvermögen« bestimmt wird: von der Begierde und Sehnsucht, seiner selbst mittels der magischen Imagination ansichtig zu werden; und dies wollüstige Begehren löst bereits einen innergöttlichen Geburtsvorgang aus: Für Böhme ist Gott nicht anders als »gebärend« vorstellbar. Er unterscheidet deshalb zunächst zwei göttliche Grundprinzipien. Das männliche nennt er »Vater«, das weibliche »Sohn« oder auch »Herz Gottes«. Beide sind durchsetzt mit sieben Grundkräften oder »Quellgeistern«, die für bestimmte Qualitäten und Eigenschaften zuständig sind (wohl eine Anleihe an die Sefiroth-Spekulationen der Kabbala; vgl. I Sohar, S.65ff.). Im ersten Prinzip, dem ersten innergöttlichen Gebärakt, konzentrieren sich im »Vater« die Eigenschaften des Bitteren und Herben bis zur Schärfe oder zum »Zorn«. Aus dieser Kontraktion erwächst ein vehementer Druck der Quellgeister im Inneren, es entsteht eine übermächtige, energetische Hitze des väterlichen Feuers. Im zweiten Prinzip oder Geburtsvorgang befreit sie sich in einer Eruption und Expansion, indem sie ausfließt, und zwar in den »Sohn«, welcher die bittere Schärfe des vorherigen Kraft-Zustandes besänftigt und sich so als ausgleichender, lichtvoller, liebevoller Gegenpol konstituiert (vgl. TP, S. 8ff., 14ff.). In diesem polaren Verhältnis muß der »Sohn« noch vor aller Weltentstehung ständig geboren werden und wäre nicht ohne den Vater, und dieser wiederum müßte ohne Sohn »ein finster Thal« bleiben (A, S. 44). Indessen drängt nun diese göttliche Kraft im dritten Prinzip zur »Geburt dieser Welt« (TP, S. 50), indem er im »Fiat« seines »Wortes« in die »Begreiflichkeit« emaniert. Spätestens an dieser Stelle kommen indessen jene beiden weiteren innergöttlichen Kräfte ins Spiel, die Böhme in der zitierten Passage aus >De incarnatione verbi< beschreibt und u. a. als »Geist« und »Weisheit« bezeichnet. Ersterer stellt eine Analogie zur christlichen Vorstellung des Heiligen Geistes dar, weshalb Böhme für sich einen trinitarischen Gottesbegriff in Anspruch nimmt. Indessen haben seine orthodoxen Widersacher nicht Unrecht, wenn sie ihm einen häretisch-quaternalischen Gottesbegriff unterstellen, weil er offenkundig diesem Geist die himmlische Weisheit oder »Sophia« als vierte Wesenheit zugesellt (vgl. dazu auch II.6 Wehr, S. 84). Der »Geist« ist der aktiv-begehrende Wille, der schauen und »zeugen« will und deshalb das zu Gebärende magisch »ima-
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giniert«, die passive »Weisheit« ist der »Spiegel«, in dem der Geist das zu Schaffende erschaut, sie ist dessen Offenbarung, das »Ausgesagte«, die weibliche »matrix«, gleichsam die Gebär-Mutter, in die hinein sich der Geist-Wille Leben zeugend ergießt. Der »Panerotismus« seiner Kosmogonie-Vorstellung ist unübersehbar und wird durch die Unterscheidung von männlichen und weiblichen Prinzipien mitkonstituiert. In einem Schema läßt sich die göttliche Quaternität auf Grund der wichtigsten ihnen von Böhme zugeordneten Begriffe grob folgendermaßen bestimmen : Das Schema verdeutlicht, wie genau Böhme die göttliche Vier-
Vater Feuer männlich Zorn Angst Kontraktion
Hl Geist Licht männlich Wille -Imagination / Magie sagend / zeugend
Sohn Licht ~ weiblich Liebe 'Sanft-Mut Expansion
Weisheit/Sophia Feuer weiblich / »matrix« Gewölkes Auge / Spiegel / Gleichnis Ausgesagtes / Offenbarung
heit mit komplementären Eigenschaften ausstattet. Zunächst mit Licht und Feuer. Hierbei sind paracelsische und kabbalistische Einflüsse wirksam. Die Ewigkeit, erklärt er, erkennen wir »im Lichte der Majestät fur die GOttheit« »und im Feuer fur die ewige Natur« (IV, S. 6). Das Feuer ist also jenes Prinzip, das »in der Tieffe der Natur und in allem Wesen verborgen lieget, sonst mochte kein äusserlich Feuer hervorgebracht werden« (ebda.), es ist jenes Prinzip, aus dessen Kontraktion als Verbrennung das (göttlich-sohnhaft-weibliche) Licht geboren wird. So ist es auch in der ganzen Natur, »denn das Licht gibt, und das Feuer nimmt«, das Feuer spendet Licht und Leben, indem es (sich) verzehrt, es gebiert das Licht, dessen Eigenschaft der Expansion Böhme gern am Beispiel der von der Sonne ausgehenden Lichtstrahlen exemplifiziert. So sind beide Prinzipien einander entgegengesetzt und zugleich aufeinander verwiesen. Entsprechend sind sie auf »Vater« und »Sohn« verteilt.
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Zugleich aber werden das »weibliche« Licht dem »männlichen« Geist und das »männliche« Feuer der »weiblichen« Sophia zugeordnet. Auch diese Ausstattung der vier Einzelpole der Gottheit mit komplementären Eigenschaften hat System und Sinn, weil dadurch nicht nur der innergöttliche Ausgleich der Kräftekonstellation zu einer wirklichen Polarität (im Unterschied zum Dualismus) angezeigt, sondern auch der »androgyne« Charakter der Vierheit hervorgehoben wird. Das ist - wie wir sehen werden - von geradezu fundamentaler Bedeutung für Christologie und Anthropologie. Gott, das absolut vollkommene gute und schöne Wesen vermochte im Spiegel der >Weisheit< auch nur Vollkommenes als »Gleichnis« seiner selbst zu imaginieren, nach dem er Sehnsucht hatte, es begehrte und ihm damit magisch zur Verwirklichung in der »Begreiflichkeit« verhalf (vgl. dazu Kap. I 3 b). So entstanden der >Aurora< zufolge zunächst drei glänzende »Principal = oder Fürsten = Engel« als Untergötter: Michael, Lucifer und Uriel. Sie repräsentieren jeweils eine trinitarische Person, nämlich Michael Gott, Lucifer Christus, Uriel den Heiligen Geist. Lucifer ist anfangs in Liebe mit dem innertrinitarischen »Sohn« verbunden gewesen, der seine »vornehmste Mutter« war (A, S. 162), wollte dann aber - wie Gott selbst - gebären und sich über den »Sohn Gottes« durch Wiederholung des göttlichen Schöpfungsaktes erheben. Der von Böhme als unerlaubter Gebärvorgang interpretierte Aufstand Lucifers hat indessen die Entstehung der Hölle und der Teufelsbrut als Strafe zur Folge. Mit diesem Vorgang kommt auch erst das Böse in die Welt, aber zugleich entsteht dabei wieder die entsprechende Gegenkraft, denn Gott »schuf in Mitten unsrer Zeit einen ändern Konig aus derselben Gottheit, daraus Herr Lucifer war geschaffen . . . und setzte ihn auf den königlichen Stuhl Lucifers, und gab ihm Macht und Gewalt, wie Lucifer vor seinem Fall hatte, und derselbe Konig heißt JEsus Christus, und ist GOttes und des Menschen Sohn« (Ebda., S. 194). Als nun auf der dritten und letzten Emanationsstufe, nämlich der »äussersten Geburt«, in der die sichtbare Welt in ihrer jetzigen Gestalt entstand (und hier erst, meint Böhme, setze der mosaische Schöpfungsbericht ein), durch den Sündenfall eine weitere »Verfinsterung« des anfangs göttlichen Ebenbildes und als Folge dieses Fehltritts auch eine Verschlechterung der körperlich-leiblichen Beschaffenheit (Krankheit, Tod), eintraten, mußte Christus schließlich auch noch »menschlichen Leib« annehmen, um das Ebenbild Gottes vor seinem endgültigen Untergang zu bewahren. Auf jeder Emanationsstufe erscheint der Gottes»Sohn« also in anderer Gestalt, behält aber seine ursprüngliche LichtQualität und Liebes-Funktion bei. Seine Menschheit ist somit als
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Menschwerdung nur funktional an die dritte Emanationsstufe gebunden, gehört Christus also keineswegs wesentlich zu.Wesentlich ist an ihm ebenso wie an den anderen Kräften der göttlichen Vierheit ohnehin nicht die Personalität, sondern die Kraft und die daraus abgeleiteten Eigenschaften, die sie im Rahmen des Kosmos ausüben. Dazu gehört beim »Sohn« der universale Liebes-Kampf um die Natur, zugleich gegen das Böse. Denn mit dem Sturz Lucifers wandelte sich die zuvor gute innergöttliche Polarität in einen Dualismus, ja Antagonismus von guten und bösen Kräften, der sich - so verkündete es Böhme seinen Zeitgenossen - in ihrer Epoche zum entscheidenden Kampf zuspitzte. Da Lucifers Sturz und Adams Fall »aus dem Haus der Freuden ein Haus der Trübsal« gemacht hatten, so daß sich die Schöpfung noch mehr »materialisierte«, d. h. verhärtete, verbitterte und »vertrocknete« (vgl. ebda., S. 232) bzw. ganz »grimmig, herbe, kalt, hitzig,bitter und sauer« geworden war (ebda., S. 240), fiel dem »Sohn« neben der Rettung der Nachkommen Adams zugleich die Aufgabe zu, diese »vereiste« Welt wieder »aufzuschliessen« (ebda., S. 254). Deshalb ist die soteriologische Funktion Christi bei Böhme - wie bei Luther - ganz eingebettet in seine kosmologische Mission, deshalb ist der »Sohn« für Böhme aber auch entschieden radikaler und konsequenter als bei Luther neben seiner vorübergehend menschlichen Statur und Funktion letztlich ein apersonales, die ganze Natur durchwaltendes Liebes-Kraft-Prinzip. c) Der »selbst eigene Macher« und die soteriologische Kraft seiner Imagination In seinem späteren Werk hat der Görlitzer Philosoph die Christologie seiner >Aurora< an einer für sein anthropologisches Denken entscheidenden Stelle geändert.Nachdem der Teufel ausgestoßen war, trat an seine Stelle nicht Christus, vielmehr schuf Gott »einen ändern Fürsten, den Adam und ersten Menschen, welcher auch ein Thron = Fürst vor GOtt war« (IV; S. 13). Hier liegt vermutlich eine Anleihe an die >Adam KadmonPhilostrats Gemälden< zu sprechen - »die Sache, ohne die Sache zu sein, und doch die Sache« (II Goethe PG, S. 142). Indessen gilt dies Symbolische nur für die gegenwärtige, aber zu überwindende Emanationsstufe, und da, wo der Görlitzer über die innergöttlichen Prozesse spricht, wird seine personifizierende Sprache ohnehin notgedrungen allegorisch. Die »Wiedergeburt« zur »neuen Creatur« vollzieht sich - dies ist der dritte Aspekt - für den schlesischen »Anthroposophen« schon im Diesseits; durch stetige magische Imaginierung der göttlichen Wesenheit vermag der Mensch in den ursprünglichen Adamsstand zurückzukehren: »Sind wir doch anfänglich aus GOttes Wesenheit gemacht worden, warum sollen wir nicht auch darinn stehen? Gleichwie die Luft und das Wasser diese Welt erfüllet, und wir derselben alle geniessen; Also im Verborgenen die GOttliche Wesenheit, der wir geniessen, so wir mit Ernst imaginiren, und mit dem Willen uns darein ergeben. Das ist nun Christi Fleisch und Blut in der Gottlichen Kraft, denn der Creatur Christi ihr Fleisch und Blut stehet darinnen, und ist ein Wesen, eine Kraft, ein Geist, ein GOtt, eine Fülle, gantz ungetrennet von keinem Orte, aber in seinem Principle. Es solte wol ein Sau = Mensch sagen: Ey wie wollen wir ihn zufressen; O du Esel, komm vor ehe dahin, daß du ihn auch erreichest, denn du wirst ihn nicht mit dem Sussern Munde fressen. Er ist ein Principium tiefer, und ist doch der äussere:...« (IV, S. 66)
Das bedeutet - und dies ist wohl auch das eigentlich Faszinierende an Böhmes Lehre für seine Zeitgenossen gewesen -, daß der Wiedergeborene, der in Wahrheit ein ständig sich Gebärender ist, nicht nur rein geistig und spirituell in den ursprünglichen Adamszustand hineinwachsen kann, sondern daß sich unter seinem alten Adamskleid, unter seiner nach dem Sündenfall angenommenen Körperlichkeit, die dem Tod verfallen wird, doch auch bereits jene feine durchlässig-ubiquitäre, gestalthafte >Leiblichkeit< ausbildet, welche Adam vor dem Sündenfall und die auch Christus während seines Erdenlebens besaß und die unsterblich macht. Insofern ist Böhmes Reden vom »Essen« des Fleisches und Blutes Christi in der Imagination keine reine Metapher, sondern zugleich
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die Sache, um die es ihm vor allem geht. Glauben ist für Böhme »ein Nehmen aus GOttes Wesen, aus GOttes Wesen essen, GOttes Wesen mit der Imagination in sein Seelen = Feuer einfuhren, seinen Hunger damit stillen, und also GOttes Wesen anziehen, nicht als ein Kleid, sondern als einen Leib der Seelen« (ebda., S. 88). Daher wundert es nicht, wenn der Wiedergeborene schließlich Christus selbst (als der ursprüngliche Adam) zu sein vermag: »setze deine Begierde in Christi Leben, Geist, Fleisch und Blut, imaginire darein, als du hast in die irdische Sucht imaginiret, so wirst du Christum in deinem Leibe, in deinem Fleisch und Blut anziehen; du wirst Christus werden, seine Menschwerdung wird sich zuhand in dir erregen, und du wirst in Christo neugeboren werden« (ebda., S. 96). Theo- und Pansophie, Kosmologie und Christologie dienen - das wird hier deutlich - der Anthropologie, sind so durchdacht und konzipiert, daß die Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit des Menschen als realer Prozeß der Selbstvergottung vorstellbar wird und nachvollziehbar erscheint. Ein größerer Gegensatz zur zeitgenössischen Lehre der lutherischen Orthodoxie scheint kaum denkbar: dort - in der Zeit des Kriegs und der Katastrophen - das unablässige Predigen vom zornigen Gott über die unbußfertigen, dem Verderben ausgelieferten Menschen, an denen - in Glück oder Unglück - gehandelt wird und die ihr Heil bestenfalls in der permanenten Selbsterniedrigung vor Gott zu suchen vermögen, bei Böhme dagegen der verheißungsvolle Aufruf, hier und jetzt - mitten in allem äußeren Jammer und Elend - in die ursprüngliche Göttlichkeit und Unsterblichkeit aus eigener >Kraft< zurückzukehren: »bist du doch dein selbst eigener Macher, warum machst du dich bose?« (Ebda., S. 43) d) Soziale Berührungsängste des »neuen Adam« Aber eben in dieser Abwertung alles Äußerlichen, Weltlichen ist Böhme noch radikaler als die Repräsentanten des offiziellen Luthertums, und hier schlägt das lutherische Erbe verhängnisvoll zu Buche: Die Selbstvergottung des Menschen gelingt beim »philosophus teutonicus« nur im Verzicht auf ein soziales oder gar politisches Engagement in der »äußeren Welt«. Diese These mag zunächst insofern überraschen, als Böhme mehrfach die Bedeutung der »guten Werke« im soteriologischen Prozeß betont. So vor allem in seiner >Christosophia oder Der Weg zu ChrisUx, einer Sammlung von neun Einzelschriften, aus welcher Johann Sigmund von Schweinichen, ein erleuchteter Böhmeschüler, nicht ohne Wissen und geheimes Einverständnis des Meisters drei Traktate (>Die wahre
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BußeDie wahre Gelassenheit < und das Gespräch >Vom übersinnlichen LebenGrundlicher und wahrhafter Bericht von dem Leben und Abscheid des in GOtt selig = ruhenden Jacob B6hmensMir Nach< (zuerst 1638) enthält u. a. unter dem Motto »CHRISTO sey die Ehr / ADAM gilt nichts mehr« eine Reihe von Sprüchen, Gedichten und schlichten, kirchenorientierten geistlichen Liedern, deren Themen und Bilder sich zum Teil bei Angelus Silesius wiederfinden (MN, S. 102-123): »O treuer GOtt / wir bitten dich / Gieb daß dein Sohn In uns auch werd gebohren; Und daß Er bey uns Innerlich Im Hertzen wohn / Als bey seinn Außerkohrnen« (Ebda., S. 103)
Die Lehre Böhmes verarbeitete Franckenberg umfassend in seinem >Oculus aeternitatisMonodisticha< und Schefflers >Cherubinischem WandersmannAurora< eindeutig zur Theorie vom Umlauf der Erde um die Sonne bekannt (vgl. Bd. II, S. 60), und als Newton Ende des 17. Jahrhunderts das im gesamten Kosmos herrschende Gravitationsgesetz von der wechselseitigen Anziehung der Massen errechnete, da übernahm er die Begriffe »attraction« und »repulsion« als Übersetzungen Böhmescher Zentralbegriffe, die ihm durch seinen Lehrer Henry More, den führenden Vertreter der »Cambridge Platonists«, vermittelt worden war (vgl. dazu III Kearney, S. 188ff.; 11.18 Zimmermann 1974, S. 311): Newton hatte, so konnte es scheinen, den wissenschaftlichen Beweis für Böhmes polares Gottes- und dualistisches Weltbild erbracht. Und als - ein Jahrhundert später - Antoine Laurent LAVOISIER (1743-1794) die Zusammengesetztheit der alten aristotelischen Elemente Luft und Wasser aus (brennbarem) Sauerstoff und Stickstoff bzw. aus Sauerstoff und Wasserstoff nachwies (vgl. III Moore, S. 15), bestätigte er damit ebenfalls eine Auffassung Böhmes, der das Feuer als göttliches Grundprinzip und als Lebens-Elixier schlechthin aufgefaßt hatte, das deshalb »essentialisch« in der Luft und auch »gleichwie verschlungen im Wasser« existieren mußte (IV,S. 6). - Als höchst modern erschien den Spinozisten des 18. Jahrhunderts ferner Böhmes Pantheismus; wenn er auch Gott und Natur nicht identifizierte, so betrachtete er doch den gesamten Kosmos als »Leib Gottes«: »Du must aber deinen Sinn alhie im Geist erheben und betrachten, wie die gantze Natur mit allen Kräften, die in der Natur sind, darzu die Weite, Tieffe, Hohe, Himmel, Erde und alles, was darinnen ist, und fiber dem Himmel, sey
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der Leib GOttes; und die Kräfte der Sternen sind die Quell = Adern in dem natürlichen Leib GOttes in dieser Welt.« (A, S. 32f.)
Im Unterschied zu dem »more geometrico« verfahrenden Spinoza und zu Descartes war der Welt-Leib für Böhme - wie das Zitat ebenfalls bezeugt - keineswegs eine mechanisch funktionierende Maschine, sondern ein dynamischer, in ständiger Bewegung und Veränderung befindlicher Kraft-Organismus; daher konnten sich auf ihn in Deutschland gerade diejenigen Naturkundigen berufen, die ein Ungenügen am mechanistischen Weltbild empfanden, weil dieses die vitalen und organischen Prozesse in der Natur nicht überzeugend zu erklären vermochte (vgl. Bd. V). - Schließlich faszinierte die Romantiker die dem dynamisch-fluktuierenden System entsprechende sinnenhafte Bildersprache Böhmes, die sich kaum auf den philosophischen »Begriff« bringen läßt und in ihrer anschaulichen Unanschaulichkeit eine Universalmythologie entwirft, in deren Zentrum die für die Weltgenese selbst verantwortliche »Imagination« steht: Stärker als durch den Görlitzer Schuster war diese als heilsentscheidende, weltverändernde Kraft kaum in ihre magischen Rechte gesetzt worden! Und indem dieser sogar den christlichen Glauben mit der Phantasie identifizierte (vgl. IV, S. 88), eröffnete er den Romantikern die Möglichkeit, sein Weltbild im Sinne einer Poetisierung der Religion selbst zu rezipieren (vgl. II.6 Paschek 1967, 1976). - Eine solche aber ereignete sich bereits - wie der folgende Teil zeigen soll nicht zuletzt unter Böhmes Einfluß in der mystischen Poesie des 17. Jahrhunderts.
II. Poesie - magisches Medium der Mystik
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1) Mystik und Magie: Heil-Versuche durch die Einbildungskraft (Spee)
a) Ein »Cholericus« im Dienst an Kirche und Welt Kein Lebenslauf eines Barock-Poeten hat angesichts vieler ungeklärter und rätselhafter Umstände soviel nachdichtende Spekulation auf sich gezogen wie derjenige des Jesuitenpaters Friedrich von Spee (1591-1635), kaum ein anderes Werk der Epoche wurde so wie das seinige als inhaltlich sowie qualitativ gegensätzlich empfunden: auf der einen Seite der scharfsinnige und unerschrockene Intellektuelle als Verfasser der >Cautio CriminalisGüldenes Tugend-BuchTrvtz-Nachtigal< schon Leibniz und viele nach ihm für »sehr schlecht«, ja für »zu zeiten fast lächerlich« hielten (zit. in 11.62 Ritter, S. 145). Und bis heute ist sich die Forschung in der Frage uneins, ob Spee nun ein getreuer »Apostel der deutschen Gegenreformation« (11.62 Rosenfeld 1963, S. 73) oder eher ein »irenisch gesinnter Jesuit« (11.62 Haas, S. 13) und »humaner Verfechter einer Una-Sancta« (11.62 Keller, S. 7), also »gewiß kein Fanatiker« gewesen sei (11.62 Ritter, S. 7; zur umfangreichen Spee-Forschung vgl. die Bibliographien von 11.62 Dimler 1984 u. 1986; Reichert). - Paradoxerweise können sich alle Ansichten auf Belege in Biographie und Werk des Paters stützen. Im folgenden soll an einigen Aspekten ein historischer Sinn- und Erfahrungszusammenhang verdeutlicht werden, aus dem sich das Werk trotz der angedeuteten Gegensätzlichkeit als innere Einheit begreifen läßt. Nach der Würdigung des »Hexenanwalts«, Kirchenlieddichters und Ketzerbekehrers im >KonfessionalismusDreikönigs-Gymnasium< zu schicken, das von Jesuiten geleitet wurde (doch vgl. dazu 11.62 van Oorschot 1984a, S. 9). 1610 begann Spee sein Noviziat im Jesuitenorden und absolvierte dieses ebenso vorschriftsmäßig wie das anschließende dreijährige Philosophiestudium (in Würzburg) und den - vor Aufnahme des Theologiestudiums geforderten - Dienst im Lehramt an den unteren Gymnasialklassen (in Speyer und Worms). Noch vor Ende des vierjährigen Theologiestudiums in Mainz empfing er im Frühjahr 1622 die Priesterweihe. - Sein mit schwärmerischer Sehnsucht vorgetragener Wunsch, in die Indienmission gehen zu dürfen (vgl. dazu auch II Spee, GTB, S. 364), wurde ihm von der Ordensleitung versagt. Diese bestimmte ihn vielmehr zur Ketzerbekehrung in den deutschen Provinzen. Bald nach seiner Priesterweihe wurde er deshalb an die 1614 gegründete Jesuitenuniversität in Paderborn gesandt, wo er neben seinem Amt als Katechet von 1624 bis 1626 jeweils ein Jahr Logik, Physik und Metaphysik lehrte und sich nebenher wie seine Confratres auch dem Geschäft der Rekatholisierung der Stadtund Landbevölkerung widmete. Dies offenbar mit solchem Erfolg, daß ihn seine Ordensprovinzial Ende 1627 mit der verantwortungsvollen Aufgabe einer nach dem Sieg Tillys in Westfalen möglich gewordenen Rekatholisierung des Amtes Peine beauftragte. Peine war ein gefährliches Pflaster, die Stimmung der protestantischen Bevölkerung durch verschiedene Pressionen des Kölner Kurfürsten gereizt. Spee verfuhr gleichwohl - hierin ganz Kind seiner Zeit, wie auch seine Missionsbriefe bezeugen (abgedr. in 11.62 Ritter, S. 156ff.; 171 ff.; vgl. auch Bd. II, S. 163) - gnadenlos bei der »Rückeroberung« der protestantischen Seelen: »Ein Pater kam nach Peine, o Pein, o Pein, o Pein! Bald werden Ochs und Schweine auch gut katholisch sein!« (Zit. in 11.62 Mörchen, S. 104).
Den Behörden empfahl er zur Abschreckung verschärftes Vorgehen gegenüber den Bekehrungsunwilligen (u. a. Ausweisung innerhalb einer Woche, Verkauf ihres Besitzes nur an Katholiken; vgl. 11.62 van Oorschot 1984b, S. 26f.; Mörchen). Die Bürger Feines ließ er einzeln durch eine Kommission überprüfen, der er auch selbst angehörte. So gewann er offenbar viele Seelen, aber kaum Freunde. Am 30. April oder 1. Mai 1629 wurde sogar ein Mordanschlag auf ihn verübt: »Diesen morgen wie der Herr Pater Spee naher Woltorff reiten wollen, daselbst diuina zu uerrichten, hat ein Mörderischer Reuter demselben vorge-
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wartet, Beide Pistollen auf Ihn geloset, welcher aber gefehlet,darauff Er den gueten frommen Patrem mit dem Degen dermaßen zerhacket, daß Er Sieben Wundenn ins Haupt unddt zween in den Röcken bekommen unddt lassenn sich die Haubttwunden fast miteinander ThOttlich ansehen, weil die Hirnschal unterschiedtliche mahlen hart gespaltet, auch pia mater besorglich laediret, habe Ihnen zwar durch hiesigen Balbirer verbinden laßen, besorge aber Er werde zu schlecht sein.« (II Ritter, S. 22)
Spee überlebte den - übrigens nie aufgeklärten - Anschlag, litt fortan aber bis zu seinem Tod unter Kopfschmerzen und Schwindelanfällen. 1630 übernahm er gegen den Widerstand der Fakultät - ihm fehlte die Promotion - eine Professur für Moraltheologie in Paderborn, wurde aber schon im Jahr darauf entlassen und zum Beichtvater degradiert; die Gründe dafür sind unklar. Wahrscheinlich aber stehen sie im Zusammenhang mit Spees 1631 anonym erschienenem berühmtesten Werk, der >Cautio criminalis seu de processibus contra sagasCautio criminalis< erschien, verfügte der Ordensgeneral persönlich die Entlassung Spees aus der »Societas Jesu«. Diesem Ansinnen widersetzte sich aber der zuständige Ordensprovinzial mit Erfolg und schickte Spee gleichsam auf Bewährung als Professor für Moraltheologie, Beichtvater und Examinator der Priesteramtskandidaten ins Trinitätskolleg nach Trier. 1635 half Spee dort selbstlos als Sanitäter bei Straßenkämpfen zwischen kaiserlichen und französischen Truppen und stellte sich im Sommer des Jahres trotz einer sich ausbreitenden Seuche als Krankenpfleger und Seelsorger zur Verfügung. Dabei infizierte er sich und starb am 7. August 1635. Die dauernden Schwierigkeiten, die er mit seinem Orden hatte, dürften einen gewichtigen Grund auch in seinem »Temperament« gehabt haben. Nach damaligem Verständnis war er ein »Cholericus«, ein Feuerkopf, dem - mitbedingt durch seine adlige Abstammung und Erziehung die im Orden geforderten und intensiv gepflegten Tugenden des Gehorsams und der Demut offenbar schwerfielen. So mißachtete er, wie seine Briefe bezeugen, häufig den vorgeschriebenen Dienstweg und beschwerte sich - z. T. aus verletztem Ehrgefühl - direkt in Rom über seine unmittelbaren Vorgesetzten. Offenbar übte er auch Kritik an gewissen Ordensregeln, neigte zu impulsiven Entschlüssen und hielt doch zugleich beharrlich an Zielen und Maximen fest, die er als richtig erkannt hatte.
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II. Poesie - magisches Medium der Mystik
Die Gegensätzlichkeit und das widersprüchlich Erscheinende in Person und Werk dieses rheinischen Jesuiten lassen sich am besten aus der Zeit selbst verstehen. So zunächst der Antagonismus von gnadenlosem Ketzerjäger und hilfreichem Samariter. Zum einen ist dies ein für die Epoche des Konfessionalismus gerade unter Geistlichen typisches »Charaktersyndrom« (vgl. Bd. II, S. 195ff.), zum ändern bezieht sich die Glaubensstrenge Spees durchaus auch auf die Angehörigen seines Bekenntnisses. In seiner Erbauungsschrift >Güldenes Tugend-Buch< (1649), in der er eine Vielzahl von Meditationen zur Einübung der drei christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe - in dieser Reihenfolge ersonnen hat, soll die Seele so fest an die Glaubensartikel der Katholischen Kirche glauben, daß sie versichern kann: »Ich glaube, vnd für disen glauben bin ich bereit meinen kopff darzu geben: Vnd wann du solches sagest, so strecke deinen kopff (dar), vnd bilde dir für, als wann du ietzt für disen Articul vom Tyrannen solltest enthauptet werden. Dann thue darauff einen Seufftzer, halt etwas still, vnd schreit zum ändern articul, vnd mach es auff dieselbe weiß. . .« (GTB, S. 40). Am Ende des ersten Teils führt Spee sogar ein >Register allerhand vnderschiedlichen pein, vnd Marter, so die Heyligen Gottes für den glauben außgestanden< mit insgesamt 134 Beispielen für das Märtyrertum auf, und er empfiehlt der Seele, bei jedem einzelnen zu erwägen, »wie schmertzlich doch die vorhabende art der Marter gewesen sein müße, also daß du gleichsam sie recht schmeckest oder innerlich bey dir empfindest, vnd zugleich auch dich erforschest, ob auch du für den Christlichen Apostolischen Glauben bereit werest mit der gnaden Gottes dieselbe zu vberstehen, oder nit?« (Ebda., S. 98) Auch in seinen bisher bekannt gewordenen - durchweg anonym veröffentlichten - Kirchenliedern (van Oorschot führt 166 tentative Speelieder auf: 11.62 1984 c, S. 75ff.) hat der Pater unzweideutige Beweise für seinen Glaubenseifer hinterlassen, und zwar sowohl bei der Ketzerbekehrung wie auch bei der Katechese der eigenen Konfessionsangehörigen (vgl. Bd. II, S. 159ff., 163ff.; 11.62 Keyser, S. 80). Insofern ist er ein typischer Vertreter seines Ordens, der als »Speerspitze der Gegenreformation« fungierte (vgl. Bd. II, S. 137ff.). Vor allem durch Petrus CANISIUS (1521-1597), der seinen >Kleinen Katechismus< zugleich als Gesangbuch herausgab und damit erstaunliche Lernerfolge erreichte so berichtet ein Pater 1586 begeistert: »Ich hatte mich mit nur wenigen Knaben vom Lande fast ein ganzes Jahr abgemüht, kaum das Vaterunser hatten sie gelernt. Jetzt prägen sie sich durch Singen das Glaubensbekenntnis und die zehn Gebote in wenigen Stunden exakt ein« (zit. in 11.62 Arens, S. 102) - hatten die Jesuiten und damit auch Spee das Lied
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als erfolgreiches Bekehrungsinstrument schätzen und gebrauchen gelernt. Insgesamt freilich muß man Spee zugleich attestieren, daß er in seinen Liedern wie auch in seinem >Güldenen Tugend-Buch< eine dogmatische Position vertrat, welche in der Frage der Rechtfertigung - der wichtigsten für Lutheraner und Calvinisten - diesen weit entgegenkam, indem er das protestantische »sola gratia« durch besondere Betonung der göttlichen »gratia praeveniens« auf Kosten des menschlichen Anteils am Heilserwerb hervorhob (vgl. Bd. II, S. 159ff.). Da er hiermit aber die reformatorischen Belange in die katholische Gnadenlehre gleichsam aufgehoben hatte, vermochte er offenbar nicht einzusehen, warum die »Ketzer« sich länger einer Rückkehr in die alleinseligmachende Kirche widersetzten. Von daher erklärt sich sein Engagement, sie aus Sorge um ihr Seelenheil mit Schärfe zu diesem zu zwingen. Auch ein zweiter »Gegensatz« entpuppt sich eher als Problem heutiger Wertung der Person Specs, nämlich der zwischen dem »Rationalismus« der >Cautio criminalis< und der »Mystik« seiner Lieder. Zunächst hat Spee - das wird zu wenig beachtet - als Anhänger des aristotelischscholastischen Weltbildes der Katholischen Kirche seiner Zeit den Hexenglauben weder widerlegen wollen noch können (dazu Kap. I 3; 11.62 Hahn; Holzhauer, S. 154ff.). Sodann gewann er die entscheidenden Einsichten über die Hexenprozesse nach eigenem Zeugnis als Beichtvater (vgl. dazu CC, S. 31f.;145; 11.62 Ritter, S. 50f.); dabei gelangte er zu seinem Urteil über die Unschuld der ihm anvertrauten Angeklagten durch die Anwendung des in der jesuitischen Kasuistik gebräuchlichen Probabilismus (vgl. Bd. II, S. 82ff.), den er auch im >Güldenen TugendBuch< (vgl. GTB, S. 369ff.), als Professor für Moraltheologie und Vorsitzender der Kasus-Konferenzen des Ordenskollegs in Paderborn sowie in einer leider verlorenen >Kasus-Summe< aus seiner Feder praktizierte (vgl. zu deren Rekonstruktion 11.62 Weber, S. 184, 194ff.). Im übrigen stimmt gerade die Persuasionsstrategie des Kernstücks der >Cautio criminalisGüldenes Tugend-Buch< und die Kirchenlieder bestimmen (vgl. Bd. II, S. 82ff.). Und weil er ein Aufklärer mit den Mitteln und Denkvoraussetzungen seiner Zeit und seines Ordens war, erscheint auch seine ignatianisch geprägte Mystik als zeitgenössisches »Therapeutikum« gegen die teuflischen Mächte, die er (u. a. auch im Phänomen der Hexenprozesse selbst!) am Werke sah. Von seinem Selbst- und Weltverständnis her ist es daher völlig verfehlt, den angeblich rückständigen
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»Mystiker« Spee gegenüber dem »Aufklärer« abzuwerten. - Im übrigen muß es im folgenden darum gehen, die Lieder der >Trvtz-Nachtigal< vom Odium des Naiven, ja Lächerlichen zu befreien und den Blick auf die Komplexität zunächst der Bildstruktur, dann auch der Komposition der Liedersammlung zu öffnen. Von daher wird es abschließend möglich sein, beide Bereiche seines Werkes als aufeinander bezogene, ja einander bedingende Aspekte einer - im unbedingten jesuitischen Willen zum Gottes-Dienst gründenden - Aktion zur poetisch-magischen Beschwörung einer erlösten, mit Gott und der Schöpfung versöhnten »Una Sancta« zu begreifen, einer Beschwörung, die nicht nur kompensatorischen, sondern auch stimulierenden Charakter hat und sich von daher als poetischer Dienst an der Welt erweist, der mit dem praktischen Engagement des »Seelenfängers« und Samariters Spee konveniert. b) Die Versinnlichung der allegoretischen Tradition - Zur Bildlichkeit der geistlichen Lieder Spee hat den Übungen seines >Güldenen Tugend-Buchs< zahlreiche Gedichte bzw. geistliche Lieder beigefügt und 24 von ihnen in seine berühmte - wie das >Güldene Tugend-Buch< erst posthum 1649 erschienene - Liedersammlung >Trvtz-Nachtigal< übernommen, die aus 51 bzw. 52 Liedern besteht. Schon darin zeigt sich der enge Zusammenhang von Erbauung und Poesie in seinem Werk. Die >Trvtz-Nachtigal< vor allem hat Spee seit ihrer Wiederentdeckung in der Romantik den Ruf eines Mystikers eingetragen, indessen ist die Qualität der Lieder auch heute noch umstritten. So weist man auf die Diskrepanz von Gefühlsüberschwang und »grandioser Einförmigkeit« in Inhalt und Ablauf der Lieder hin (11.62 Rosenfeld 1958, S. 218) und hebt den »mechanical and artificial character« der Landschaftsdarstellung dieses früher wegen seines Naturgefühls noch als »männlicher Droste« gefeierten Autors hervor (vgl.II. 62 Rener, S. 974). Andererseits hat man dieses Werk mit der Zeit immer besser als »Schmelztiegel aller literarischen Strömungen der Zeit« erfaßt und zum poetischen »Meisterwerk« erhoben (11.62 Rosenfeld 1963, S. 61 ff.). Worin indessen diese Meisterschaft besteht, ist angesichts der in der Liedersammlung erkennbaren Disparatheit der literarischen Traditionen und ihrer äußerlich ungegliederten Anordnung nur schwer auszumachen. So hat Spee mit den Liedern nicht zugleich auch die Komposition des >Güldenen Tugend-Buchs< übernommen (wenn man bei den ersten 32 Liedern der >Trvtz-Nachtigal< auch die Werke von Hoffnung und Liebe wiederzufinden glaubt; vgl. 11.62 Dimler 1974, S. 791 ff.).
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Zunächst stellt die >Trvtz-Nachtigal< schon im Blick auf ihre Intention und Gattungszugehörigkeit etwas Besonderes dar. Der Untertitel des der historisch-kritischen Ausgabe nunmehr zugrundeliegenden sog. >Trierer Autographen< (vgl. dazu 11.62 van Oorschot 1985, S. 527ff.) dient die Liedersammlung »allen geistlichen, gottliebenden Seelen, vnd sonderlich der poetischen Kunst gelehrten Liebhabern zur Erquickung« an (TN, S. 3). Spee will also erbaulich wirken und doch zugleich auch als »poeta doctus« den Anforderungen des Unterrichtsfaches Poesie selbst Genüge tun: ein ambitionierter Versuch, in einer Verbindung von kirchenorientiertem und poesiebestimmtem geistlichen Lied (vgl. Bd I, S. 50ff.) dem weltlichen Sing-Vogel, aber in der Epoche des Konfessionalismus natürlich auch den gesangsmächtigen Anhängern der »Wittenbergisch Nachtigall« - wie Luther im berühmten Spruchgedicht von Hans Sachs apostrophiert wurde (vgl. Bd. I, S. 152f., 252f.) - »Trvtz« zu bieten (vgl. dazu auch 11.62 Schaub, S. 115ff.; Küppers, S. 85f.). Als Vorlage diente Spee dabei die 1613 erschienene Hymnen-Übersetzung >Paradeißvogel, d. i. Himmlischer Lobgesang, vnd solche Betrachtvngen, dadurch das Menschliche Hertz mit Macht erlustiget, von der Erden zum Paradeiß vnd Himmelischen Frewden gelockt, erquickt, entzündt, vnd verzückt wird< aus der Feder seines schwäbischen Ordensbruders Konrad VETTER (1548-1622), der ansonsten zu den gröbsten und militantesten Anti-Lutheranern seiner Zeit gehörte und deshalb sogar vom Ordensgeneral zur konfessionspolemischen Mäßigung genötigt werden mußte (vgl. 11.62 Miesen, S. 244ff.). Spee gibt nicht zu erkennen, ob er die hauptsächlich in protestantischen Territorien verbreitete - Opitzsche Poetik von 1624 kennt - ausgeschlossen ist dies bei einem so gebildeten und weitgereisten Universitätslehrer wie ihm freilich nicht (vgl. dazu ebda., S. 244) -, jedenfalls entwickelt er in den einleitenden >Merckpünctlein für den Lesen ein knappes poetologisches Programm, das demjenigen von Opitz ähnelt und deshalb als katholisches auch mit ihm konkurriert (zur kulturpolitischen Konkurrenzsituation der Konfessionen vgl. III Garber 1987): Der Autor erhebt den Anspruch, daß seine Poesie »sich auch wol bey sehr guten Lateinischen, vnd ändern poeten dörffe hören lassen«, und er sucht zu beweisen, »daß auch in der Teutschen Spraach man gut poetisch dichten, vnd reden könne« (TN, S. 5), ja Spee führt sogar dieselbe Versreform wie Opitz ein, nämlich den Zusammenfall von Versakzent und natürlicher Wortbetonung bei den von ihm allein - als dem Deutschen besonders angemessen - benutzten jambischen und trochäischen Versen: »Die Quantitet aber, das ist, die Länge vnd Kürtze der Syllaben, ist Gemeinlich vom accent genommen, also daß dieienige Syllaben auff welche in gemeiner außspraach der accent
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feilt, für Lang gerechnet seind, vnd die andere für Kurtz« (ebda., S. 6). Von solchem ambitionierten poetologischen Programm her wird verständlich, was die historisch-kritische Ausgabe der >Trvtz-Nachtigal< neuerdings umfangreich dokumentiert, nämlich eine modern anmutende, geradezu versessene Detailarbeit des Dichters an den Versen und Strophen seiner Lieder. Wie die Autographen bezeugen, »hat Spee mit Hilfe von Radierungen, kleinen Überklebungen und Streichungen viele, viele Textstellen oft x-mal umgemodelt« (11.62 van Oorschot 1985, S. 523). Zugleich weisen sie durch freigelassene Stellen darauf hin, daß Spee zwischen Gedichtüberschrift und Text der Lieder je eine Zeichnung plazieren und seinem Werk insgesamt dadurch einen - damals beliebten - emblematischen Charakter verleihen wollte (vgl. die Abb. in 11.62 Stadtbibliothek Trier, S. 133). Mit diesem anspruchsvollen Programm darf man Spee in der Tat als wichtigsten Repräsentanten der oberdeutsch-katholischen deutschsprachigen Poesie bezeichnen, doch »eine Opitz vergleichbare Position« (so 11.62 Schaub, S. 126) hat sein Werk schon allein deshalb nicht erreicht, weil die katholischen Dichter seiner Versreform weitgehend die Gefolgschaft versagten (vgl. ebda.). Und wo es über die konfessionellkulturellen Grenzen hinaus in den protestantischen, gänzlich von der Opitzschen Reform bestimmten Bereich hineinwirkte - hier vor allem nach Nürnberg -, da wurden seine Verse entweder im Opitzschen Sinne verbessert, wenn sie zitiert wurden wie im >Poetischen Trichter< von Georg Philipp HARSDÖRFFER (1607-1658; vgl. dazu 11.62 Stadtbibliothek Trier, S. 138f.), oder kritisiert wie von Catharina Regina von GREIFFENBERG, die an Sigmund von Birken (1626-1681) schrieb, sie habe das »Jesuiterische Büchlein >Troz-NachtigalGüldenen Tugend-Buch< übernommenen Lieder war vermutlich der Unterricht für Kinder an Katechismusschulen (vgl. 11.62 van Oorschot 1979). Doch ist die Bildwelt der Lieder nur scheinbar einfach und naiv auf ein kindliches Fassungsvermögen hin konzipiert (vgl. dazu auch 11.62 Gentner). Mit dem >Trvtz< des Titels verweist Spee nämlich auch bereits auf eine im 17. Jahrhundert gerade in der geistlichen Poesie verbreitete Technik des Kontrafazierens, bei der eine weltliche Vorlage im Blick auf Melodie oder Text (oder beides) für geistliche Zwecke adaptiert bzw. uminterpretiert wird, bei der gelegentlich auch - wie in Lied 49 (TN, S. 276ff.) - jeweils eine nachfolgende Strophe die vorhergehende »auff das Geistliche nachdeutet«:
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»Der Dämon. Wan die Vöglein vmb, vnd vmmen, Hoch in weitem WolckenFeld, Hinn, vnd her sich müd geschwummen, Suchens wider grüne Wald. Rasten auff den Aest, vnd Zweigen, Schöpffen wider Athem gut, Trutz auch allen Pfeiff- vnd Geigen Machens einen frischen Mut. Haiton. Wan die Seel sich müd geflogen, Auff, vnd ab in falscher Welt, Endlich kompt sie wider zogen, Vnd sich zu dem Creutz gesellt. JESV, JESV rüfft, vnd wainet, Nider zu der Erden feit, Vnd an wunden JESV leinet, Biß das Hertz in ruh gestelt.« (TN, S. 277f.)
Dieses Verfahren ermöglicht es Spee, die Tradition der Theokritischen und Vergilschen Hirtendichtung aufzunehmen und in 15 geistlichen Eklogen zu kontrafazieren. Bei der »Umdichtung« der zitierten ersten Strophe durch die zweite tritt an die Stelle der »Vöglein« die »Seel«, an die Stelle der »grünen Wald« das »Creutz«. Dies verweist auf letzteres als »Lebensbaum«. Tatsächlich hat Spee dem Straßburger Manuskript der >Trvtz-Nachtigal< eine aus dem Erbauungsbuch >Pia desideria< seines belgischen Ordensbruders Herman Hugo (1558-1629) entlehnte (vgl. die Abb. in 11.62 Küppers, S. 89) und vermutlich eigenhändig modifizierte Federzeichnung als Meditationsbild vorangestellt, in welcher eine mit einem Liebespfeil durchbohrte Figur vor einem geflügelten Christus/Cupido kniet, der an einem Baum - eben dem Lebensbaum - hängt (vgl. Abb. 13). Im Hintergrund der Zeichnung sitzt eine Nachtigall auf einem Springbrunnen, aus dem das Wasser des Lebens, das Blut Christi, fließt (vgl. 11.62 Schaub, S. 120), und blickt ebenfalls zu Jesus auf. In der Mönchs-Figur, so hat man interpretiert, zeige sich der Dichter »als Sponsa-Anima und als Nachtigall, die auf dem Brunnen, dem Quell des wahren Lebens sitzt und als geistliche Sängerin der weltlichen Verkörperung des Liebesgesanges, der Nachtigall, Trutz bietet« (11.62 Rosenfeld 1963, S. 78). Insofern verbindet sich die Vorstellung von Arkadien hier mit dem Garten Eden, der am Lebensbaum gekreuzigte Christus erneuert die Frühlingswelt des Paradieses (vgl. dazu 11.62 Jacobson, S. 8, 11, 13). Dies verweist auf einen zweiten größeren Motivstrang, nämlich das Schöpferlob mit 11 »laudes«, in deren wuchernder Amplifika-
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Abb. 13
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tion bisweilen auch Motive aus der heimischen Landschaft erscheinen, Darüberhinaus bezieht die dargestellte Szenerie aber auch zentrale Motive des Hohenliedes mit ein (vgl. H1.2, l Of f.), wo die Braut sogar als »verschlossener Garten« und »verschlossene Quelle«, als »Gartenbrunnen« und »ein Born lebendiger Wasser« apostrophiert wird (H1.4, 12ff.). Und das insbesondere in der Mystik beliebte Hohelied mit seiner reichen Deutungsgeschichte ist als weiterer gewichtiger Traditionsstrang durch einen »sponsa-Zyklus« mit 15 »Gesängen« in der >Trvtz-Nachtigal< vertreten. Auf der Zeichnung hat es Spee vermocht, die verschiedenen Traditionen gleichsam in eine Bildebene zu integrieren. Gelingt ihm dies auch in den Liedern? Das Verfahren der Kontrafaktur hat zunächst allegorischen Charakter. Die »Vöglein« im zitierten Beispiel dienen als Veranschaulichung für das Abstraktum der »Seel«, die »grünen Wald« für das »Creutz«, die Szenerie der ersten Strophe ist um der Verdeutlichung der psychischen Situation der folgenden Strophe entworfen. Dies stimmt und stimmt doch auch wieder nicht. Denn weder illustriert noch deutet die erste die zweite Strophe (oder umgekehrt), vielmehr entwickelt letztere ihre eigene - in sich verständliche - metaphorische Bildlichkeit (die Seele »fliegt«), ja sie verbleibt durchaus im Medium des Anschaulichen, um Innerpsychisches zu verdeutlichen. Gleichwohl illustriert auch die zweite Strophe nicht einfach Abstrakta wie »Liebe« oder »Sehnsucht nach Gott«, sondern sie beschreibt die zugehörigen Affekte, in denen diese sich äußern und auswirken. Auf das ganze Werk übertragen bedeutet dies zweierlei: Zum einen ist der >weltliche< Bildbereich nicht nur allegorischer oder metaphorischer Bildspender für >geistliche< Sachverhalte, vielmehr besteht zwischen beiden ein Analogieverhältnis, in dem sich zwar die auf aristotelischem Qualitätsdenken basierende ontologische Stufung der Schöpfungsordnung spiegelt, in dem aber die Natur bzw. das >Weltliche< nicht bloß zum allegorisch-metaphorischen Bildspender für das Eigentliche des geistlichen Bereichs entwertet wird, sondern gerade in der Funktion des >Typos< vom >Antitypos< in den heilsgeschichtlichen Vorgang miteinbezogen werden kann. Denn genau betrachtet übernehmen auch die »Vöglein« der ersten Strophe am Ende mit ihrem »Trutz« gegenüber »allen Pfeiff- vnd Geigen« und ihrer Funktion des »frischen Mut«-Machens jene Funktion, die in der nachfolgenden Strophe Jesus an der Seele erfüllt. Und indem sie so auch Präfigurationen Christi sind, schaffen sie jene typologische Beziehung, die es dem Erlöser - wie noch zu zeigen sein wird - ermöglicht, ihr Verhalten nach dem bereits in der Patristik entwickelten und im Lauf des Mittelalters von geschichtlichen auch auf naturale und mythologi-
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sehe Motive übertragenen typologischen »Geschichts«-Modell figural zur Erfüllung zu bringen (vgl. zu dieser am Verhältnis von Moses als dem >Typos< und Christus als dem das mosaische Gesetz zur Erfüllung bringenden >Antitypos< entwickelten typologischen Methode III Auerbach; Ohly 1979). - Zum ändern verbleibt auch der Bereich des »comparatums«, des »Eigentlichen«, auf der Ebene sinnenhafter, anschaulicher Bildlichkeit, weil sich in dieser selbst das Gemeinte ereignet: Die Begegnung mit Christus am Kreuz ist nicht etwa die Allegorie einer in Wahrheit unbeschreibbaren und unaussprechlichen Erfahrung, einer »weiselos«-ekstatischen »unio mystica«, sondern die affekterregende und liebessüchtige Beziehung mit Jesus vollzieht sich so - und nur so -, wie sie beschrieben wird, nämlich in der Phantasie, und für diese sind nun einmal Bilder das »Eigentliche«! Dies sei an einigen der 19 Strophen von Spees Lied >Die gespons JESV sucht ihren geliebten, vnd find ihn im garten, alda er gefangen wird< (TN, S. 44-49) verdeutlicht. Zunächst läßt sich die Braut im Zwiegespräch mit den Sternen den Aufenthaltsort Jesu im Garten Gethsemane verraten (Str. l -7). Dann begegnet sie ihm dort und erlebt seine Gefangennahme ganz nach den Anweisungen der >Geistlichen Übungen< des Ignatius von LOYOLA mit (vgl. II, S. 70; vgl. dazu Bd. II, S. 164ff.): »11. Drauff band ich ihn in armen, Küßt Ihn mitt süssem truck; Gleich schallet ein Alarmen; Da wand ich mich zurück. Alßviel ich kond vmgreiffen Mitt meinen äugen beyd, Ich mörder sah durchstreiffen Die Felder weit, vnd breit. 12. Beyn Facklen, vnd Laternen, Ein Rott gewaffnet gantz Von waffen gab von fehrnen Gar breiten eysenglantz. Bald ruckten sie zum garten, O wee dem Liebsten mein! Mitt Spiessen, Beyl, vnd Barten Zur thur sich drangen ein. 13. Zugleich mitt Zähnen kirrten, Grißgrammten vngeschewt: Den halber Todten Hirten Sie grieffen an zur beut. O wee mir nun geschwindet (= ich falle in Ohnmacht) Mirs hertz in stuck zerbricht;
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Ach nitt, nitt ihn doch bindet, Den Jüngling greiffet nicht. 14. Ach schönet ( = schonet) seiner haaren, Der gülden haaren sein; Ach schönet seiner Schaaren, Der zarten Lämmerlein. Wer wil nach ihm dan waiden Die Schaff lein silberweis? Nun wird vnvnderscheiden Das Wüllen Völcklein preiß.« (TN, S. 47f.)
So geht das fort, und die in Diminutive gekleidete Bildwelt vom »guten Hirten«, der seine »Schafe« hütet, drängt sich in den nachfolgenden Strophen noch aufdringlicher in die poetische Szenerie. Leibniz' Ansicht über die »zu Zeiten fast lächerliche« Bildlichkeit der >Trvtz-Nachtigal< ist durchaus nachvollziehbar. Indessen handelt es sich auch hier um eine komplizierte poetische Struktur, in der zwei Motivtraditionen miteinander kontaminiert werden. Zunächst steht das Lied - in der Struktur den Schefflerschen >Geistlichen Hirtenliedern< eng verwandt (vgl. Kap. II 3 c) - in der reichen Tradition der Hohelied-Adaptionen. Der Wortsinn der Liebeslieder der >Cantica Canticorum< galt bereits der alten Kirche als anstößig, und so entschärfte sie ihn, indem sie die Beziehung zwischen Braut und Bräutigam allegorisch auf das Verhältnis von Christus und seiner Kirche deutete (vgl. Kap. I l d). Vor allem in der Mystik des Mittelalters wurde die Braut dann auch auf die Einzelseele appliziert und das Hohelied somit »zum Spiegel des inneren Dramas vom Kommen und Gehen Gottes in der Seele« (III Ohly 1958, S. 145f.). Dabei entwickelten sich Deutungen, welche die Methode der Allegorese nach dem vierfachen Schriftsinn mit Formen der poetischen Allegorie verbanden (vgl. III Kemper 1979). Entsprechend dieser mittelalterlichen Mystiktradition ist auch in Spees >sponsaBraut< des Hohenliedes. Diese ist also eine biblische Figur, doch steht sie gerade durch ihre spirituell-tropologische Deutung - ganz im Gegensatz zu Sudermann (vgl. Kap. I l d) - als Identifikationsmuster für einen neuen »sensus historicus« zur Verfügung: Das »Ich« schlüpft in diese Figur und bewegt sich in ihr - weit über den Literalsinn des Hohenliedes hinaus, aber im Einverständnis mit dem »sensus mysticus« der Bibelexegese - im Bereich der Lebensstationen ihres Bräutigams Jesus. Und hier erlebt sie seine Gefangennahme und damit wiederum den Literalsinn des neutestamentlichen Textes (Mt. 26, 47ff.) unmittelbar so nach, als wäre
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sie dabei(gewesen). Die allegoretische Tradition ist nur noch willkommenes Instrument zur Legitimierung eines sinnlich-affektiven Umgangs mit Jesus in der Imagination. Auch der zweite Motivbereich, nämlich die Bukolik, die hier kontrafazierend auf den »guten Hirten« und seine »Schafe« übertragen wird und die zugleich auf die exegetische Tradition des Hohenliedes als Darstellung des Verhältnisses von Christus und Kirche anspielt, eröffnet keine allegorische Deutungsebene, sondern hat hier eher metaphorische Funktion als Bildspender für das Schicksal der von Jesus getrennten Jünger. Die traditionellen Deutungselemente werden dem eigentlichen Interesse dieser Strophen - und auch der anderen Lieder - subordiniert, und dieses besteht in der möglichst intensiven bildhaft-sinnlichen Vergegenwärtigung der Liebesbeziehung zwischen Braut und Bräutigam. Die »unio« zwischen beiden läßt sich auch am Titel des Werkes verifizieren. Das Motiv der Nachtigall ist nicht nur auf die »sponsa«, sondern auch auf Christus selbst beziehbar. So heißt es im >Güldenen Tugend-Buch^ »Mein kind: hörestu dan nicht die süsse Nachtigall auff disem Baum deß Creutzes? Mein Gott, mein Gott, warumb hastu mich verlassen? Da lehrne nun wie du singen solst.« (GTB, S. 164) »JESUS ist mein bräutigam: dann er auff dem bäum des Creutzes, wie ein Nachtigal gar lieblich singet«. (Ebda., S. 404) Daß Christus dabei die sieben Worte am Kreuz singt, geht u. a. sowohl aus der >Trvtz-Nachtigal< selbst (vgl. TN, S. 278) als auch aus einem Gedicht aus der >Heiligen Seelen-Lust< des Angelus Silesius hervor (vgl. 11.62 Jacobson, S. 15f.). So ist die >Trvtz-Nachtigal< Sinnbild sowohl für die >sponsa< als auch für den >sponsusTrvtz-Nachtigal< sind - Medium und Sinnbild einer Vereinigung zwischen >Braut< und >BräutigamTrvtz-Nachtigal< und zu ihrem Gehalt.
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c) Die »Verschmelzung« von Himmel und Erde im »Feuer« der >Trvtz-Nachtigal< Die Liedersammlung bringt die angedeutete figurale Geschichtskonzeption in einem auf Dynamisierung bedachten Kompositionsprinzip gleichsam selbst zur Erfüllung. Anfangs ist die Schöpfung Gegenstand der Verachtung, wo die Gespons ihren Geliebten noch selbstsüchtig und eigennützig sucht und begehrt (vgl. TN, S. 39ff.). Daß man solche Tendenzen der »Weltverachtung« in Spees Werk auf keinen Fall verabsolutieren darf, zeigen sowohl das >Güldene Tugend-Buch< wie auch die Komposition der >Trvtz-NachtigalTrvtz-Nachtigal< wird die Natur alsbald - gleichsam Schritt für Schritt in ihrer heilsbedeutsamen Funktion erkannt und damit zur >Eigentlichkeit< hin aufgewertet. Zunächst avanciert sie zum Gegenstand physikotheologischer Didaxe im Rahmen der Vorstellung vom »liber naturae«: eine an einem Tag verblühende Blume wird zum »Sinnen-Bild« für die Sterblichkeit und Vergänglichkeit des Menschen (vgl. TN, S. 73ff.), doch bereits mit Lied 20 setzt eine Reihe ein, in der das Lob Gottes aus seiner Schöpfung variierend geübt und postuliert wird, und in Lied 21 werden dann schon die Eigenschaften des Schöpfers aus der Fülle, Schönheit und dem Nutzen der Natur selbst abgeleitet: »Das Maisterstuck mitt sorgen Wer nur wilt schawen an, Jhm freylig nitt verborgen Der Maister bleiben kan: Drumb wer nun heut, vnd morgen Erd.Himmel schawet frey, Denck nach mitt gleichen sorgen, Wer je der Maister sey? O Mensch, ermeß im hertzen dein, Wie wunder muß der Schöpffer sein!« (Ebda., S. 104; Hervorhebung im Original)
Dieses Schöpferlob, bei dem zugleich die Konturen des ptolemäischen Weltbilds entfaltet werden (vgl. ebda., S. 144ff.), kulminiert - der traditionellen Reihenfolge etwa des >Itinerarium mentis in Deum< von Bö-
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naventura oder der >Ascensio mentis in Deum< von Robert Bellarmin entsprechend - von den Kreaturen aufsteigend in der Darstellung des innergöttlichen Schöpfungsvorgangs (vgl. ebda., S. 152ff.). Bei der »Geburt« Christi und des Heiligen Geistes dominiert der »Hertzenbrand«, der sich im »Seufftzen« äußert. Dieses »Feuer« beherrscht die nachfolgende Reihe von Eklogen, läßt die Sonne als »weltliches« Sinnbild der göttlichen Liebesstrahlen erscheinen (ebda., S. 166ff.) und entzündet diese zugleich in den Herzen der Hirten (ebda., S. 171 ff.). In Lied 33 geschieht ihnen die Verkündigung der Geburt Jesu, dessen »süsser hertzenBrand« ihn zu seiner Erlösungstat antrieb und nun die »feurige« Liebe auch in den Hirten anfacht (ebda., S. 178ff.). Einem physikotheologischen »Aufstieg« folgt damit ein soteriologischer »Abstieg« als kompositorische Bewegung der >Trvtz-NachtigalTrvtzNachtigal< eröffneten sich Spee zwei entgegengesetzte Möglichkeiten: Zum einen bot die jederzeit erkennbare Herkunft der Bilder aus dem Schatz des von der Kirche sanktionierten Allegoresegutes (z.B. Christus als der »gute Hirte«) die poetische Gestaltung von so brisanten Themen wie der Hinrichtung einer Unschuldigen unter der Tarnkappe eines erlegten »Wilds« (ebda. Nr. 47, S. 259ff.; vgl. Bd. II, S. 86ff.). Zum anderen vermochte Spee durch die formelhafte Beschränkung auf wenige Motive die Bedeutungskomponenten verschiedener - auch hermetischer - Traditionen in einen einzigen »sensus historicus« »einzuschmelzen«. Dabei spielte der umfassende - in der Titelzeichnung durch den Pfeil in der Brust der »sponsa« gekennzeichnete - Bereich der Liebe als eines »Feuers« eine überragende Rolle (vgl. dazu Kap. I 3c). Man kann dieser Liedersammlung mit ihrer imaginativen Verschmelzung der Bereiche von Natur und Gnade und dem Ziel einer erneuerten, paradiesischen Schöpfung, in die hinein sich der Erlöser zu verwandeln scheint, eine mystische Intention und Konzeption nicht absprechen. In diesen Liedern vollzieht sich das Mysterium der Wiederherstellung der verlorenen Einheit von Schöpfer und Geschöpf, als dessen sichtbarstes Zeichen in Lied 51 die Wandlung im »hochwürdigen Sacrament des Altars« in allen Einzelheiten ausgemalt wird. Damit und mit Lied 52 (»Die Gesponß IESV erweckt die vögelein zum Lob GOTTES«) kehrt die >Trvtz-Nachtigal< nach ihrem heilsgeschichtlich-anagogischen »Höhenflug« in die Gegenwart, die Zeit der Parusie-Erwartung, zurück und schließt sich zur Ringkomposition. Die Rückkehr in ein nun nicht mehr wie am Anfang verachtetes Diesseits findet sich charakteristischerweise auch in den mystischen Werken des Angelus Silesius (vgl. Kap. II 3 b) und impliziert statt einer Entwertung des Diesseits um eines die Freuden des Jenseits bereits antizipierenden Gottesbesitzes willen eine Aufwertung von Gottes Schöpfung, deren natürliche Schönheit und Ordnung Organ und Medium des Gotteslobs wird und deren kreatürliche Unvollkommenheit die Tugend sozialen Engagements erfordert. Und damit schließt sich der Kreis: Ketzerbekehrung, Tugendübungen
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und Engagement für die Hexen sind kein Gegensatz zur mystischen Vergottungssehnsucht, sondern sind Akte der Nächstenliebe, welche zur Restituierung des Paradieses auf Erden ebenso notwendig sind wie die antizipierende poetische Vorstellung der Seligkeit. Zugleich spiegelt sich in dieser Speeschen Werk-Konstellation das Grundmuster der hermetisch-alchimistischen Aktivität, welche die praktische Arbeit der Vergoldung oder Reformierung der Welt stets mit der spekulativen Schau des göttlichen Lichts zu verbinden suchte. Und was hier letztlich die Einheit des psychischen und des physischen Werks garantiert, nämlich der Glaube an die magische Manipulierbarkeit und Funktionalisierung des Numinosen, das liegt auch, wie nun zu erläutern ist, dem Werk des Jesuiten zugrunde. d) Poesie als Organ der »unio mystica« Es kann, scheint mir, kein Zweifel darüber bestehen, daß die sinnliche Mystik Spees im Kontext dieser zeitgenössischen Vorstellungen anzusiedeln ist und von dorther auch erst ihren besonderen Charakter und ihren nahezu blasphemischen Anspruch gewinnt. Beides läßt sich in fünf Aspekten spezifizieren. Zunächst einmal greift Spee vor allem bei der Konzeption seines >Güldenen Tugend-BuchsGeistlichen Übungem die Einbildungskraft ins Zentrum seiner Exerzitienanleitungen gestellt. Der fundamentale Unterschied zwischen seiner Frömmigkeit und den mittelalterlichen Formen der Mystik, die in Abgeschiedenheit, Passivität und Loslösung von aller Sinnlichkeit die »unio« als Geschenk Gottes erfuhr, beruhte gerade auf der »Anwendung der Sinne« (vgl. III Fülöp-Miller, S. 22f.), auf ihrem aktiven Gebrauch in einem vom menschlichen Willen selbst ausgehenden Prozeß ethisch-asketischer Vervollkommnung, an dessen Ziel die Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen stand. Nicht mehr nur besonders Begnadete und Auserwählte, sondern jeder zu diesem Weg Entschlossene sollte dieses Ziel erreichen können. Dessen Voraussetzung war ein genau einzuhaltendes methodisches Verfahren, das die Geistlichen Übungem als vierwöchiges Programm unter Anleitung eines Exerzitienmeisters beschreiben. Durchweg haben sich die Teilnehmer dabei mittels der Phantasie so eindringlich und unmittelbar wie möglich - unter Zuhilfenahme aller ihrer Sinne - die Schrecklichkeit der Hölle
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und dann einzelne Lebensstationen Jesu zu vergegenwärtigen, als hätten sie selbst an den jeweiligen Schauplätzen als Personen handelnd teilgenommen (vgl. Bd. II, S. 164ff.)· Ziel solch sinnlicher Imagination war es, den Willen der Exerzitanten zu einer klaren Entscheidung gegen den Teufel und für den Aufbau des Reiches Christi in dessen Nachfolge zu gewinnen. Spees Übungen, als deren Bestandteile auch die Gedichte im >Güldenen Tugend-Buch< fungieren, sind ebenfalls Vorschriften eines Exerzitienmeisters - und auch ursprünglich als Einzelübungen pro Woche in dieser Absicht entstanden (vgl. 11.62 van Oorschot 1968, S. 707ff.) -, und zwar, wie der Pater in Übereinstimmung mit Ignatius betont, »zum brauchen, vnd nicht nur zu lesen« (GTB, S. 15). Auch die Technik der imaginativen Vergegenwärtigung mittels der aus der Rhetorik bekannten Methode einer affektsteigernden Vergrößerung des zu Betrachtenden, der Konzentration auf Details, der daraus resultierenden Repetition und Amplifikation mit entsprechender Klimax, der aufmerksamen Berücksichtigung der »circumstantiae« des anzuschauenden und zu bedenkenden geistlichen Sachverhalts (»Personen, Worte, Handlungen, Ursache, Zeit, Ort, Weise usw.«: V Rabbow, S. 72) sind bei Spee - wie die zitierten Beispiele bereits hinreichend belegen - nachweisbar. Doch geht der Pater in zweierlei Hinsicht über seinen Vorgänger hinaus. Zum einen erstrebt Ignatius von Loyola >nur< ein »exercitium spirituale«, eine geistliche Vorbereitung der Seele auf die Begegnung mit Gott durch »Akte des reinen Innenlebens« (vgl. ebda., S. 19), und er warnt nachdrücklich davor, mit Hilfe solcher Übungen auf ein Versprechen oder Gelübde des Meditanten nach ethischer Besserung, Vervollkommnung oder Aktivität zu dringen (vgl. II, S. 19); Spee indessen geht es gerade um ein solches »exercitium morale«, wobei sich der imaginierten Aktion entsprechend und als deren Folge die abschließende Willensbekundung des Examinierten als Tugend-Akt enthüllt. So soll sich die gläubige Seele z. B. ein »bilder-buch« anlegen, »darin das gantze leben, vnd leiden Christi, oder andere historien der heiligen schrifft begriffen seind« (GTB, S. 72ff.). Zum ändern gibt der Begründer der »Societas Jesu« in seinem Text oft nur stichwortartige Hinweise auf die zu berücksichtigenden Punkte, überläßt jedoch die Ausführung selbst ganz dem Exerzitienmeister und der Phantasie der Meditanten; Spee indessen lilerarisiert seine Übungen, formt sie häufig zu dramatischen Szenen aus (vgl. 11.62 van Oorschot 1979) und reichert sie mit Liedern an, um die »Gemütserregungskunst« (Novalis) durch poetische Mittel zu steigern. Die Bilder malen die Schauplätze und Gegenstände aus, strukturieren und steigern damit den Gang der Phantasie der Übenden vor, und Ana-
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loges gilt für die >Trvtz-Nachtigal< und ihre Leser. Damit werden beide Werke selbst zum entscheidenden Medium, in dem und durch dessen Gebrauch sich der meditative Heilserwerb vollzieht - ein unausgesprochener, aber fast blasphemischer Anspruch, den die Theologen im Grunde nur dem »Buch der Bücher« sowie den kirchlichen Gnadenmitteln selbst zubilligen konnten. Zweitens ist im Blick auf den gleichzeitigen desolaten Zustand der lutherischen Ethik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bedeutsam, daß Spee mit dieser Methode nicht nur spirituelle Tugenden der >HeiligungTrvtzNachtigal< die neuplatonische Version der Schöpfungsentstehung durch die göttliche Imagination und der daraus abgeleiteten Aufgabe des Menschen mit ein (vgl. Kap. I 3 b) und erweitert in diesem Zusammenhang den Phantasiebegriff. Da die Welt der göttlichen Phantasie entsprungen ist, ist sie auch ursprünglich schön und soll - nach dem Sündenfall wieder so schön werden. Die Kreaturen selbst waren zum Lob Gottes erschaffen, in ihnen - vor allem im Menschen als seinem Ebenbild wollte sich Gott - ein kryptonarzistisches Motiv - spiegeln. Daher wird Spee nicht müde, dieses Schöpferlob als optische Spiegelung Gottes in seinen Geschöpfen zu charakterisieren (vgl. GTB, S. 278ff., 286f. u. ö.). So muß der Meditant Gott versprechen, »daß in meiner Fantasey vnd Seelen desto mehr gute vnd dir angenäme biltnüssen versamlet werden, vnd du hernacher, allezeit in denselben, als in schönen Spiegeln vnd taffeien dein lob anschawen mögest« (eba., S. 456). Auch deshalb nehmen im >Güldenen Tugend-Buch< wie in der >Trvtz-Nachtigal< Naturphänomene einen so breiten Raum ein, darunter Lieder, die man mit Recht zur Vorgeschichte der Physikotheologie der Aufklärung zählen kann, weil in ihnen auch schon die Eigenschaften des Schöpfers aus der Fülle, Schönheit und dem Nutzen der Natur (im Übergang vom Schauen zum Denken) abgeleitet werden (vgl. dazu auch Kap. II 4 d). Ist die Phantasie hier noch im traditionellen Sinne auf die Bilder aus der Realität konzentriert, so erweitert Spee den Spielraum des Imaginationsverständnisses, indem er die Einbildungskraft ausdrücklich aus einem nur reproduktiven zu einem kombinatorischen Vermögen macht:
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»Dan weil vnsere Fantasey eine solche krafft hat, daß sie auß denen bildnussen, die sie allbereit ihr gantzes leben durch eingenommen hat, widerumb durch deren vilfältige Vermischung vnd zusamenfügung, auch zertrennung, Veränderung, Vermehrung &c newe andere seltzame, manigfältige, vberauß wunderliche vnd herrliche Vorbildungen (machen kan: vnd weil dan diese newe Vorbildungen) sich auch also bald abbilden &c so ist leicht zu ermessen, wie wunderbarliche schöne Sachen man Gott zu ehren erdencken, vnd in die Seel abreissen könne.« (GTB, S. 462).
Daß Kunstwerke der Ehre Gottes dienen, ist keine ungewöhnliche These. Ihre Brisanz erhält sie durch Spees Behauptung, auch eine frei kombinierende, Wunderbares imaginierende Phantasie könne - als Schmuck der Seele und dadurch als Lob Gottes - zugleich ein Tugendakt sein und damit zum Erwerb der ewigen Seligkeit unmittelbar beitragen (vgl. dazu auch GTB, S. 43). Die Phantasie vermag ferner auch Realien eine Bedeutung beizulegen, die sie von Natur aus nicht >besitzenEinbildung< waren, sondern durch die Phantasie in Gefahr bringen und überwunden werden konnten. Fünftens schließlich vermag sich der magische Charakter des Speeschen Imaginationsbegriffs im Schutz der katholischen Christologie zu entfalten und deren Grenzen faktisch doch zugleich in Richtung auf eine Annäherung an die lutherische Christologie zu überschreiten. Denn die als »starckes fewr« (GTB, S. 108) erfahrene Christus-Liebe simuliert als poetische Magie nicht nur, sondern stimuliert Willen und Affekte des - imaginierenden - Exerzitanten und nimmt ihn in eine Liebes-
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Begegnung hinein, die auch sinnlich spürbare Macht in Form von »Hitzes = trieben« und damit körperlichen Erregungszuständen auszuüben vermag (vgl. Kap. I 3 c). Insofern kompensiert die Poesie gleichsam das Defizit der äußer-sakramentalen leiblichen Abwesenheit Christi im katholischen Dogma und stellt in der >Simulation< von im damaligen Verständnis realistischen Beschreibungen >feuriger< Blick-Kontakte und Liebes-Beziehungen die Bedingungen für die sinnliche Begegnung mit dem Numinosen her, sie ist deren Initiator und Medium zugleich, sie stiftet geradezu diese mystische Erfahrung - und erhebt damit den Anspruch eines >Mittlertumserlebbar< wird. Damit »schmilzt« der Unterschied zum »ubiquitären« lutherischen Christus dahin; denn auch dieser ist - wie das Werk der Greiffenberg zeigt (vgl. Kap. II 4) - faktisch nur in der (poetischen) »Einbildung« gegenwärtig. Zugleich vollzieht und spiegelt die poetische Phantasie das Heilswerk der Versöhnung von Schöpfer und Schöpfung - in der Zuversicht, diese blitzende poetische Welt -Kristallkugel werde ihre Wirkung auch auf das Numinose nicht verfehlen. Das ist mehr als Fiktion, auch mehr als Utopie; nicht zufällig endet die >Trvtz-Nachtigal< (wie später auch die Betrachtungen der Greiffenberg; vgl. Kap. II 4 c) mit dem sich real ereignenden, sichtbarsten Zeichen des Mysteriums einer Einheit von Göttlichem und Menschlichem, nämlich mit dem »hochwürdigen Sacrament des Altars«. So kann das in einem Autographen noch hinzugefügte 52. Lied >Die Gesponß IESV erweckt die vögelein zum Lob GOTTES< (TN, S. 296ff.) die wirkliche Welt bereits als eine neue, vom Sündenfall befreite Schöpfung präsentieren; denn indem und solange die Kreatur den Schöpfer lobt und damit ihrem Auftrag nachkommt, ist die Welt auch schön, ist sie - durch die Macht der Imagination - auch entdämonisiert, weil dadurch nämlich - so heißt es in den letzten Strophen »höll vnd Teuffei greine(n)«; »Frewd bringen wirds den Engelein / Den bösen bringt es peine« (ebda., S. 298). Indessen rückt damit nochmals die für Specs priesterliches wie literarisches Schaffen zentrale Dichotomie in den Blick: der Kampf der guten gegen die bösen Kräfte. Wie sehr dieser auch das ganze Dichten Spees beherrschte, geht u. a. aus den Vorfassungen der >Trvtz-NachtigalTrvtz-Nachtigal< verweilt die Endversion in der andächtigen Betrachtung der himmlischen Welt und eröffnet der Einbildungskraft damit die Möglichkeit, zu deren Spiegel zu werden. Das scheinbar Zeitenthoben»Seraphische« und »Cherubinische« dieser Poesie erwächst aus dem »Teufels-Toben« der Zeit und erweist sich als dessen mystische Therapie: »Dich loben deine Seraphim, Jn Glantz vnd Fewr bekleidet: Dich loben deine Cherubim, Zu deinem Lob veraydet.« (TN, S. 161;TNHK, S. 149)
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2) Pantheismus als Selbstbefreiung des Menschen (Czepko)
a) Mystiker und Hofmann - ein »kontradiktorischer« Lebenslauf Daniel von Czepko (1605-1660; vgl. zu ihm auch Kap. I l b u. c; 2 b) sei, erklärt Werner Milch, »als Dichter, mystischer Denker, Politiker, Historiker, Mediziner, Landwirt und Verwaltungsbeamter vielleicht der universellste unter den Schlesiern des 17. Jahrhunderts« (II.7 Milch 1930b, S. 262), ein »Verbindungsmann zwischen manchmal kontradiktorischen Anschauungen und Formen« (II.7 Milch 1934, S. 44). Freilich wirft solche Universalität die Frage auf, wie - so Milch selbst - »ein Hofmann zugleich Mystiker, ein homo religiosus den Normen galantgesellschaftlicher Repräsentation unterlegen sein kann« (ebda., S. 45). Milch entscheidet das Problem durch Abwertung des Mystikers und Aufwertung des Hofmanns Czepko (vgl. die Einleitung a), und er stuft ihn im Blick auf seine mystischen Prosaschriften als »unoriginellen Denker« ein (II.7 Milch 1930b, S. 278). Daß sich die Korrelation von Leben und Werk auch anders bestimmen läßt, soll sich im folgenden zeigen. Dabei können die materialreichen Arbeiten des verdienstvollen Czepko-Herausgebers Milch als wichtiger Wegweiser dienen. Czepkos Vater war lutherischer Pfarrer in Schweidnitz. Wie viele andere Studenten der Stadt hatte er sein Studium an der Brandenburgischen Universität Frankfurt an der Oder und dort vor allem bei dem mehrmaligen Universitätsrektor Christoph PELARGUS (1565-1633) absolviert. Dieser galt trotz mehrerer Streitschriften gegen den Katholizismus - u.a. gegen Kardinal Bellarmin - und gelehrter Kommentare zu den Büchern Moses bei den strengen Lutheranern als ideologischer »Wetterhahn«: nach außen sei er rechtgläubig, im Herzen dagegen ein Calvinist gewesen (vgl. II.7 Milch 1934, S. 126ff.). Bemerkenswerterweise genossen die »kryptocalvinistischen«, der Vermittlungslehre Melanchthons nahestehenden Lehren des Pelargus in der Schweidnitzer Gemeinde offenbar Sympathie und Ansehen, denn Czepkos Vater berief sich bei seiner Einstellung in Schweidnitz 1606 ausdrücklich auf sie - ein deutliches Zeichen dafür, in welch religiösem Geiste Daniel von Czepko aufwuchs. Seine Jugend- und Schulzeit verlebte er in dieser Stadt bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. 1623 begann er mit dem
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Medizin-Studium in Leipzig, ein Jahr später immatrikulierte er sich in Straßburg für das Jura-Studium und gehörte dort zum Kreis um den Polyhistor Matthias BERNEGGER (1582-1640). Dieser stand Melanchthons Auffassungen ebenfalls nahe; ihm waren die konfessionellen Gegensätze im Grunde gleichgültig, als Ireniker interessierten ihn vielmehr die Wechselbeziehungen zwischen Theologie und Philosophie allgemein, und er hielt sein Haus offen für Lutheraner und Calvinisten ebenso wie für Häretiker und Hermetiker aller Schattierungen (vgl.II.7 Milch 1934, S. 129f.). So verkehrten bei ihm u. a. der schwäbische Verfasser der hermetischen Rosenkreuzer-Schriften, Johann Valentin Andreae (vgl. Kap. I 4 d), und der dem calvinistischen Bekenntnis zuneigende Martin Opitz (1597-1639; vgl. II.7 Milch 1930 b, S. 263). Von Bernegger nahm Czepko »das Wissen um den Gedanken einer Irenik um des synkretistischen Systemgedankens willen mit nach Schlesien« (II.7 Milch 1934, S. 130). Nach Abschluß seines Studiums kehrte er genau zu dem Zeitpunkt (1626) nach Schweidnitz zurück, als das Herzogtum Schweidnitz und Jauer Kaiser Ferdinand II. unmittelbar unterstellt wurde und die Gegenreformation damit in voller Wucht einsetzte (vgl. Einleitung c). Czepko wandte sich deshalb alsbald in das Fürstentum des calvinistischen Piastenherzogs Johann Christian von Brieg (1591-1639), dessen Untertanen wie die von Liegnitz und Wohlau am lutherischen Bekenntnis festhielten. In den Jahren nach 1631 lebte Czepko - wohl auch als Hauslehrer auf den Gütern verschiedener Freunde (vgl. II.7 Milch 1934, S. 12ff.). Besonders wichtig war sein zweijähriger Aufenthalt auf dem Gut Dobroslawitz bei den Freiherren von Czigan. Diese waren katholisch (vgl. II.7 Sudhoff, S. 231), zugleich aber hielten sie enge Verbindungen zu Bernegger und zum Anhänger-Kreis um Jacob Böhme. Hier schrieb Czepko seine drei wichtigen mystischen Jugendschriften >Das innwendige Himmel Reichx, >Gegen Lage der Eitelkeit< und >Consolatio ad Baronissam Cziganeam< (1633). - 1635 wurde er in Schweidnitz seßhaft und heiratete ein Jahr später die sechzehnjährige Arzttochter Anna Catharina Heinze. Diese machte ihn durch ihre Mitgift - ein Stadthaus und vier Meierhöfe in der näheren Umgebung - mit einem Schlag zum wohlhabenden Mann (vgl. II.7 Milch 1934, S. 17f.). Als freier Gutsherr hatte er nun Muße, u. a. für das Sammeln und Schreiben von historischen heimatgeschichtlichen - Werken. Daneben schaltete er sich aktiv als Vermittler zwischen Schweidnitz und den wechselnden Besatzungen durch schwedische und katholische Truppen ein und half dem Rat der Stadt auch in verschiedenen anderen Vermittlungsmissionen (vgl. II.7 Milch 1930, S. 266).
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Seine diesbezüglichen - seit kurzem im Druck zugänglichen - >ProsaSchriften< werfen ein überaus anschauliches Licht auf die katastrophalen Folgen, welche sowohl die Konfessionalisierungs-Politik als auch der Verlauf des Dreißigjährigen Krieges für Schweidnitz und Jauer hatten, sowie auf die schwierige >ideologische< Position Czepkos, die aus seinem Einsatz für den Protestantismus und zugleich seiner Treue gegenüber dem in Schweidnitz regierenden Habsburg resultierte. Dem Kaiser wies er mit Zahlen und Fakten schonungslos die Folgen seiner Rekatholisierungsversuche nach: Landflucht und Emigration, Verödung ganzer Dörfer und Bekehrung von lauter »Schein-Heiligen«, die katholisch wurden, um ein Amt zu erhalten, ohne sich dazu zu eignen: »Der ehgestern Kälber führt / Heut Stadt u. Land regiert.« (II ÜB, S. 17; vgl. RE, S. 89) Und nüchtern erklärte er die fiskalischen Verluste für die habsburgische Staatskasse: »Dann wo die Obrigkeit nicht Unterthanen hat, da hat sie kein Einkommen: wo nicht Einkommen sind, da kan ihre Hoheit nicht befestiget werden, und so fort an« (ÜB, S. 11; vgl. RE, S. 91). Deshalb empfahl er dem Kaiser, der 1627 die Katholische Kirche zur alleinigen Staatsreligion proklamiert hatte, mit Nachdruck, »das Exercitium der Augspurgischen Confession den Städten dieser Fürstenthümer zuzulassen« (ebda., S. 3). Und wohl wissend um das Mißtrauen Habsburgs gegenüber der Loyalität der Andersgläubigen (vgl. Einleitung c) prägte er seinen Glaubensgenossen ein, »daß es besser und rühmlicher gewesen unter dem Hause von Oesterreich ohne Haus und Hof, ohne Haab und Gut zu sterben, als wol vergnüget unter anderen Herren zu leben« (VAS, S. 54). Denn Gehorsam sei »eine Grundsäule allgemeiner Wolfarth« (ebda., S. 62). In genauer Korrelation dazu stand freilich für Czepko der an die Adresse des Kaisers gerichtete Grundsatz: »Salus populi suprema lex esto«, den er geradezu als ein Naturgesetz definierte, »welches auch von der Göttlichen Majestät nicht verändert werden kan« (VAS, S. 37ff.). Wenn Regent und Untertanen jeweils ihr Gesetz befolgten, stünde einer freien Religionsausübung kein Hindernis im Wege - eine bemerkenswerte Argumentation, die erst durch den aufklärerisch gesinnten Friedrich II. in Preußen zur Staatsideologie erhoben werden sollte (vgl. Bd. V). Czepko blieb freilich die Nagelprobe auf seinen Gehorsamsgrundsatz nicht erspart, als den konfessionsverwandten Schweden - wie es Habsburg scheinen mußte - die Eroberung von Schweidnitz allzu leicht gemacht wurde. Die vorzeitige Übergabe der Stadt ließ Zweifel an Czepkos Kaisertreue aufkommen und nötigte ihn zu umfänglichen Verteidigungsschriften, die ihn gleichwohl nach Abzug der Schweden nicht vor Schikanen zu schützen vermochten (für Czepko trugen jedenfalls vor
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allem der unfähige, zum Katholizismus bekehrte Bürgermeister und seine Amtsleute die Hauptschuld; vgl. SDS, S. 253f.). - Nach Kriegsende war er ein entscheidender Förderer des Baus einer der - den schlesischen Lutheranern im Westfälischen Frieden für die habsburgischen Gebiete zugestandenen - sog. Friedenskirchen in Schweidnitz (bei Errichtung und Einweihung der Friedenskirche von Glogau setzte sich gleichzeitig Andreas Gryphius ein; vgl. 11.21 Mannack, S. 18). Während dieses Zeitraums als Gutsherr, Diplomat und Geschichtsschreiber sind keine mystischen Werke aus seiner Feder erschienen (allerdings soll er zwischen 1640 und 1647 die >Monodisticha< geschrieben haben; vgl. II.7 Sudhof 1984, S. 236). Mit dem Friedensbeginn änderte sich dies, und man hat die erneute Zuwendung Czepkos zu mystischhermetischen Ideen - seine dritte literarische Schaffensphase - einerseits mit seiner persönlichen Bekanntschaft mit Abraham von Franckenberg und dessen Kreis, andererseits auch mit der veränderten politischen und persönlichen Situation zusammengebracht (vgl. II.7 Milch 1930, S. 267). Seine Güter waren durch den Krieg nahezu vollständig zerstört (vgl. dazu auch SDS, S. 264f.), vier seiner sieben Kinder verstarben früh, seine Frau 1656. Im selben Jahr wurde nach zwanzigjährigem, in Gerichtsprozessen verfolgtem Streben seine »Adelssucht« befriedigt; sein nunmehriger Namenszug »von Reigersfeld« war »ein vom Dichter selbst geschaffenes Phantasieprädikat« (II.7 Milch 1934, S. 42; zur Nobilitierung vgl. auch ebda., S. 199ff.). Czepko trat nun als Verwaltungsbeamter in die Dienste der reformierten Herzöge von Liegnitz, Brieg und Wohlau. In ihrem Auftrag unternahm er im Herbst und Winter 1658 eine heikle Gesandtschaftsreise an den Wiener Hof, um dort Kontributionserleichterungen und eine großzügigere Erbfolgeregelung zu erreichen. Seine ausführliche >Gesandschaffts-Relation< hierüber zeichnet ein analytisch scharfes Bild der Kaiser-Residenz und der dort herrschenden Intrigen- und Mächtekonstellation, wobei »zu Hofe alle gutte Freunde sind, einander aber nicht weiter Trauen alß Sie sehen« (GR, S. 176), und läßt an der diplomatischen Geschicklichkeit Czepkos keinen Zweifel zu. Bei dieser Gelegenheit wurde er denn auch zum Kaiserlichen Rat ernannt. - Im Dienst der Herzöge erwachten - vermutlich im Zusammenhang mit seiner Bergwerksaufsicht - erneut seine alchimistischen Interessen, die auch den Inhalt seiner Leichenrede auf den Tod der knapp dreijährigen Tochter Louise seines Dienstherrn, des Piastenherzogs Christian, prägte (vgl. AL; dazu II.7 Rusterholz, S. 242ff.). 1659 erkrankte er an Skorbut, 1660 zog er sich eine Vergiftung »durch Einatmen von Grubengasen« zu, an deren Folgen er gestorben sein soll (II.7 Milch 1934, S. 33).
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Die lebenszugewandten Züge in der Biographie dieses temperamentvollen »sanguineo-cholericus« (ebda., S. 31) sind nicht zu übersehen. Im Zusammenhang mit seinem »Adelstick« wird ihm sogar eine gewisse Verschwendungssucht nachgesagt, welcher der Krieg allerdings rasch die wirtschaftliche Grundlage entzog. Unabhängig davon liegt der Schwerpunkt seiner Biographie - wie deutlich wurde - eher im Mittlertum, im synkretistischen, auf Friedensstiftung bedachten geistigen und politischen Umgang mit Anhängern verschiedener Konfessionen und Parteien, und diese Haltung kam damals den calvinistischen bzw. reformierten Interessen besonders nahe. Und wenn er sich für den Bau der lutherischen Friedenskirche einsetzte, dann darf man darin auch ein Zeichen für seine Abscheu gegen jede Art von Glaubensunterdrückung und für die Glaubensfreiheit als Bedingung des allgemeinen Friedens sehen. Diese Haltung entsprach zugleich dem Hauptanliegen des protestantischen Humanismus. So ist Czepko sowohl im Blick auf seine Biographie als auch auf seine weltliche Poesie ein Paradebeispiel für die Vereinbarkeit von Mystik und Humanismus in der Epoche des Konfessionalismus. Die Literaturwissenschaft hat Czepkos Werk bisher eher stiefmütterlich behandelt. Es geriet alsbald in den Schlagschatten von Angelus Silesius, den Czepko im Franckenberg-Kreis möglicherweise auch persönlich kennengelernt hat. Wo die Literaturwissenschaft die Qualität der Verse zum Maßstab erhob, gelangte sie stereotyp zu dem Urteil, »daß Scheffler der weit bessere Dichter ist« (IV Browning, S. 62). Dies sei hier auch nicht bestritten. Dennoch wird dieses Kriterium allein der Bedeutung Czepkos keineswegs gerecht. Vor allem dessen Frühwerk, das Browning z. B. überhaupt nicht erwähnt, verdient als bemerkenswert eigenständige Leistung im Kontext der hier zuvor explizierten mystisch-hermetischen Tradition besondere Beachtung. Es ist bezeichnend, daß die ältere Forschung, die sich bemüht hat, Czepkos Position von Paracelsischen, Weigelschen und Böhmeschen Einflüssen her zu verorten, zu dem Ergebnis eines Czepkoschen Synkretismus gelangte, der ihn zugleich als unoriginell erscheinen ließ (vgl. II.7 Milch 1934, S. 122ff.). Dabei wurden weder die ihm eigentümlichen Akzentuierungen beachtet noch die historische Situation, in der Czepko lebte und schrieb. Durch sie genötigt, schuf er aus Elementen der genannten Tradition, aber auch aus stoischem und calvinistischem Gedankengut einen kühnen Weltentwurf und eine konsequente Überlebens-Strategie, die vor allem seinem Frühwerk einen selbständigen Charakter und damit auch einen eigenständigen Rang im Spektrum der deutschen Barock-Mystik zuweist.
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b) »So schleuß beyd' Augen zu«: Epigrammatik als Medium der Meditation Die beiden Gedichtsammlungen >Das innwendige Himmel Reich< und >Gegen Lage der Eitelkeit< stehen mit ihren 24 bzw. 31 Gedichten einander komplementär gegenüber. Letztere kommt mit ihrem Formenund Themeninventar der weltlichen Lyrik noch relativ nahe - Czepko ist auch Verfasser von zahlreichen >weltlichen GedichtenSatyrischer Gedichte< (ebda., S. 361-413; 1640-1648) und einem Versepos >Corydon und Phyllis< (ebda., S. 1-303; vgl. II.7 Sudhof, S. 233ff.). - »Nur aus der Eitelkeit der Welt kann ich ihr Gegenteil oder ihre >GegenlageVon der Eitelkeit zur Wahrhehx« (II.7 Meier, S. 116). Von den vielfach auch zeitbezogenen Themen der >Gegen Lage< wendet sich das >Innwendige Himmel Reich< der göttlichen Wahrheit selbst und ausschließlich zu. Radikal vertritt Czepko hier die für die protestantischen Spiritualisten und Mystiker zentrale, gegen die kirchliche Lehr- und Verkündigungsautorität gerichtete Überzeugung, daß nicht der Buchstabe den Geist wirke. Die Wiedergeburt ereignet sich nach Analogie der Natur, in der ebenfalls die Früchte »von innen heraus« wachsen (vgl. dazu II Weigel DC, S. 499): »Wiedergeburth geschiehet von Innwendig heraus. O Mensch! Im Fall du nicht vom Innern wirst bewegt, So bist du todt, eh' als man dich zu Grabe trägt: Das eusre wecket doch das innre niemals nicht, Dieweil ein ieder Reiß aus seinem Stipffchen bricht: Erwecke deine Seel, in ihr ist schon die Krafft, Die Ihr das Leben giebt und auff das neue schafft.« (IHR, S. 3)
Das Göttliche gehört gleichsam zur ontologischen Ausstattung der Seele (vgl. dazu auch III Haas 1979, S. 374). Diese ist Teil des Göttlichen, weil sie von Gott ausgeflossen ist, und daher ist »Wiedergeburt« ein von der Seele - als dem im Sinne Böhmes »selbst eigenen Macher« - ausgehender Akt der »Selbsterlösung« (»Erwecke deine Seel«, Z.5) im Sinne eines Ergreifens ihrer eigenen, ihr selbst bislang verborgenen Göttlichkeit. Damit knüpft Czepko zugleich an Meister Eckharts - von der Inquisition verurteilte - Lehre von der Seele als göttlichem »Funken« an. Die formale Variabilität des >Innwendigen Himmel Reiches< ist eingeschränkt zugunsten einer epigrammatischen Form, die wie der Inhalt
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auch diese Gedichtsammlung bereits den >Monodisticha< naherückt: 15 der 24 Gedichte weisen - wie das soeben zitierte - eine sechszeilige epigrammatische Form in Alexandrinerversen auf - in jenem Versmaß also, das Martin Opitz erst 1624 in seinem >Buch von der deutschen Poeterey< zusammen mit der >natürlichen< Wortbetonung für die hohe Poesie verbindlich gemacht hatte (zu Theorie und Geschichte des Epigramms in der frühen Neuzeit vgl. IV Barner; mit sporadischen Hinweisen auf Czepko und Scheffler IV Weisz). Und dem von ihm verehrten Opitz eifert Czepko von Anfang an nach. Auch das folgende Gedicht aus der Sammlung repräsentiert diesen Typ: »Ohne die Ruh keine Seeligkeit. Ruh ist das höchste Werck, das iemals Gott bedacht, Da, als er schuff, hat er sich selbst zur Ruh gemacht, Ein iedes Ding schreyt: Ruh. Und wo die Ruh entbricht, Ist alle Seeligkeit, ist Gott, ist Tag und Licht: O Mensch, hier zeig ich dir,schau in dich, diese Ruh: Doch wiltu sie recht sehn, so schleuß beyd' Augen zu.« (IHR, S. 5)
Man könnte diesen Sechszeiler von Form und Inhalt her in drei >Monodisticha< zerlegen und hätte dann eine Epigrammkette, wie sie für Czepkos poetisches Hauptwerk charakteristisch ist (vgl. zu diesem die Formanalyse von II.7 Meier, S. 88ff.). Czepko nutzt den Bau des Alexandriners mit der Zäsur in der Mitte für die inhaltliche Kontrastierung und Pointierung. Die Antithetik von Schaffen und Ruhen bringt schon in der zweiten Zeile - auf beide Vershälften verteilt - den ersten Gedanken zu einem verblüffenden (vorläufigen) Höhepunkt. Damit befolgt das Distichon die Opitzsche Definition, wonach das Epigramm »eine kurze Satyra« ist: »denn die kürtze ist seine eigenschafft / vnd die Spitzfindigkeit gleichsam seine seele vnd gestallt; die sonderlich an dem ende erscheinet / das allezeit anders als wir verhoffet betten gefallen soll: in welchem auch die Spitzfindigkeit vornemlich bestehet« (II Opitz, S. 21). Auch der nächste Zweizeiler führt zu einem Paradox; daß ein Zustand der Passivität wie »Ruhe« herein- oder hervorbricht (diese Bedeutung schreibt das Grimmsche Wörterbuch dem Verb an dieser Stelle zu), erscheint so widersprüchlich wie das »schreyen« der Dinge nach der Stille, der »Ruhe«. Und daß diese u. a. auch mit »Licht« kontaminiert wird, ergibt wiederum einen Kontrast zum Schluß des nachfolgenden Zweizeilers, der vor dieser Licht-Seligkeit die Augen zu schließen auffordert, also »Ruh« mit »Dunkel« assoziiert. Im übrigen wird in den Verben des Schlußdistichons diese Pointe dreimal durch ihr Gegenteil (»zeigen«, »schauen«, »sehn«) effektvoll vorbereitet. - Das Gedicht ist durchaus
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typisch für die rhetorisch eindrucksvoll inszenierte Art der Czepkoschen Mystik: Keineswegs zufällig taucht die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs im »Augenschließen« als »spitzfindiges«, Ruhe selbst herstellendes Schluß-Motiv auf. Czepkos Mystik lebt nicht primär von der Sinnlichkeit und Anschaulichkeit als Voraussetzung Speescher oder Böhmescher Magie - Böhmes Lieblingsbegriff der Imagination spielt denn auch bezeichnenderweise bei Czepko keine Rolle -, vielmehr sind »Tag« und »Licht« - auf eine noch zu bestimmende Weise - nur als »GegenLage«, als Kontrapost für eine letztlich auf Meditation, auf Nach-Denken abzielende Form intellektueller >Gottesschau< erforderlich, die sich ihres >Schatzes< im Innern gewiß ist (vgl. II.7 Meier, S. 53f.). Die in den vierziger Jahren entstandenen >Sexcenta Monodisticha SapientumMonodisticha< zutreffend unter Rückgriff auf Äußerungen des Autors als das >wesentliche< Lesen charakterisiert (II.7, S. 95ff.). So wie das zitierte Gedicht mit dem »myein« endet, so verweisen die sechs Bücher der >Monodisticha< mit ihren jeweils genau hundert Epigrammen am Schluß - in Analogie zum Sechstagewerk Gottes - auf den - deshalb nicht mehr ausgeführten - >Sabbath< (vgl. SMS, S. 268;II.7 Föllmi, S. 42). Damit hat Czepko zweifellos die Konzeption von Schefflers Cherubinischem Wandersmann< maßgeblich beeinflußt (vgl. Kap. II 3 b). Ihm selbst kommt das historische Verdienst zu, trotz verschiedener vorausgegangener Versuche zur Umsetzung mystischer Gedanken in eine poetische Kurzform durch Sebastian Franck, Daniel Sudermann (vgl. Kap. I l d), Theodor von Tschesch und Abraham von Franckenberg (vgl. dazu Kap. I 5 f., II.7 Meier, S. 9ff.) das Epigramm zu einer - wenn auch im Einzelfall noch mühsam-uneleganten, so im ganzen doch schon überzeugenden - Form für jene zuletzt von Meister Eckhart meisterhaft gepflegte intellektuelle Mystik gestaltet zu haben, die auch im Blick auf ihr
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Sprachproblem - im Gegensatz zur imaginationsgeleiteten und damit wortreichen Mystik Spees - das Schweigen gleichsam als Vehikel und Ziel aus sich heraussetzen muß. Sprechen und Schweigen sind so die Korrelate von »Schöpfen« und »Ruhen«, die - als Prinzipien der Czepkoschen Weltanschauung, wie nun zu zeigen ist - in einem fundamentalen wechselseitigen Bedingungsverhältnis stehen, das sich - formal >symbolisiert< im Ablauf der sechshundert Distichen - ständig reproduzieren muß, weil die >Ruh< nur über ihr Gegenteil zu sich selbst zu kommen vermag. So ist die poetisch-epigrammatische Form also von der Sache her eine besonders angemessene Umsetzung der mystischen Intentionen Czepkos. Darüberhinaus ist sie - wie wir an der strukturell analogen Poesie Schefflers sehen werden - wegen ihrer abbreviaturhaften Technik des Andeutens, Perspektivierens, Relativierens, Kontrastierens ein vorzügliches Medium zur Artikulation von häretischen Auffassungen, welche der Eingeweihte verstand, ein Zensor aber nicht voll zu greifen vermochte. Ein Todesfall versetzt uns in die Lage, das »Schweigen« der Czepkoschen >Lücken< und damit auch die Paradoxien des zitierten Gedichts authentisch aufzufüllen: Czepko schrieb seiner Geliebten Barbara Czigan zum Tode von deren Schwester eine umfangreiche Trostschrift (>Consolatio ad Baronissam CziganeamMonodistichaConsolatio< und legen den Gedanken nahe, daß zumindest Teile der Epigramm-Sammlung zeitlich im Umkreis dieser Trostschrift entstanden sind (vgl. II.7 Meier, S. 70). Daher scheint es mir auch legitim zu sein, im folgenden die Explikation der zentralen Gedanken dieses ungewöhnlichen Werkes mit den entsprechenden Epigrammen zu illustrieren: Poetische Praxis und prosaische Theorie bieten im Vollzug des hermeneutischen Zirkels die willkommene Gelegenheit zur wechselseitigen Erhellung! c) Leben als Tod und Tod als Leben - Zur mystischen Strategie des Über-Lebens Die >Consolatio< entwickelt zwar die Grundzüge der Weltanschauung des frühen Czepko und enthält insofern auch ein System, doch der aus der Tröstungs-Absicht resultierende, rhetorisch geprägte Charakter des Werkes führt zu einer zeittypisch-akkumulierenden Argumentation, die zu einzelnen Trostgründen alle denkbaren Gesichtspunkte sammelt und
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sich dabei vordergründig in einige gravierende Widersprüche verwickelt. So etwa, wenn Czepko den Leib einerseits als »Speise Kammer der Wurme« abwertet (CB, S. 55), ihn andererseits aber als Gefäß der Seele am Vergottungsprozeß beteiligt, oder wenn er die Welt im Blick auf seine eigene, von Verwüstungen und Verheerungen aller Art gezeichnete Zeit als ein solches Jammertal vor Augen führt, »indem das Leben eine unaufhörliche Marter ist, und der Tod ein steter Wunsch«, dessen Nichteintreten eine härtere Strafe ist als das Weiterlebenmüssen (ebda., S. 166), und wenn er andererseits ein rhetorisch durchgefeiltes Loblied des Menschen auf die Erde singt: »Dann nichts überschüttet ihn mehr mit unerschöpfflichen Wolthaten, als sie« (ebda., S. 95f.). Solche Widersprüchlichkeiten lösen sich indessen von Czepkos Grundgedanken her auf, von denen vier hervorgehoben seien, die zugleich geeignet sind, die Originalität seiner synkretistischen Konzeption zu verdeutlichen. Der erste Kerngedanke der Schrift lautet: »Das gantze Leben heist Sterben« (ebda., S. 37). Von der Geburt an ist der Prozeß des Lebens nicht nur im metaphysischen, sondern auch im physischen Sinne ein Alt-Werden, ein Leben auf den zeitlichen Tod zu. »O Tod, oder o Leben! Du bist nichts anders, als die gewünschte Ruh aller geschaffenen Dinge. Zu diesem Ende und Ziel nimmt ein iedwedes seinen Anfang und Lauff, darumb bist du das alleredelste, weil die vollkommentlichste Vergnügung in dir verborgen.« (Ebda., S. 45) Das Leben endet im Tod als der »Ruh«, nach der es sich sehnt und um derentwillen es sich überhaupt nur gebiert. Dies ist zugleich das Prinzip des Mikro- wie des Makrokosmos, ja der Grund der Weltanschauung selbst und somit Ausdruck des Wesens Gottes. Das folgende Zitat über die »Ruh« liest sich wie eine Interpretation des zuletzt zitierten Gedichts: »Aus ihr entspringet die Begierde und das Leben, darumb wird sie aufs höchste gesucht, und ist doch das ruhsamste und Stilleste, in der die Begier und das Leben verschlucket wird. Sie ist ihre eigene Ursach, und gebährt sich selber, aber in sich selber. Alles kommt aus ihr, und ist in steter Bewegung, biß es wieder in sie gehet. Sie ist das niedrigste und das höchste Wesen, in das Gott selber nicht kommt, er muß das eigene seines Wesens herauslassen: und hat sich in ein iedes Ding zum Mittel gesetzt: als ein ewiger Brunquell aller Sachen. Dis beweiset die Natur in allen Geschöpften.« (Ebda.)
Das »ketzerisch Kühne« dieser Lehre von der Ruhe sieht Emrich mit Recht in der Unterscheidung zwischen ihr und Gott, der selbst nicht in sie zu gelangen vermag, weil er - ganz im Sinne Böhmes - als ein stets gebärendes Wesen vorgestellt wird (III Emrich, S. 73). Wenn Gott »das eigene seines Wesens« »herausläßt« (Satz und Verb sind doppeldeutig!), dann emaniert er in die »Begreiflichkeit« des Kosmos, begibt sich zu-
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gleich als Substanz in die Akzidentien der sichtbaren und unsichtbaren Dinge, also in die Unruhe und das permanente Sterben, und in die ewige Ruhe gelangt er selbst nur, wenn er »sich herausläßt« im Sinne einer völligen Selbstaufgabe seines Wesens. Die »Ruh« scheint die Ewigkeit selbst zu sein, vor allem kosmischen Leben, in der sich gleichsam die Sehnsucht nach ihrem Gegenteil, eben dem Leben, bildet, das durch und in Gott Wirklichkeit wird. Erst indem durch Gott Leben als dynamischer Prozeß ständiger Veränderung entsteht, erfährt er sich auch selbst als Gegensatz zur Ruhe als des dialektisch Anderen seiner selbst, in das er nun wieder als in das höchste Ziel und in die schönste »Seeligkeit« mit seiner Schöpfung zurückzukehren sucht. - Czepkos Ansicht wirkt wie ein frühneuzeitlicher Vorläufer der modernen Theorie, daß sich der Kosmos langsam, aber sicher auf einen Zustand vollkommener Entropie zubewegt. Czepkos Gottesvorstellung - dies der zweite Gesichtspunkt - ist folgerichtig pantheistisch. Dabei scheint für ihn zunächst durchaus die Spinozische Formel »Deus sive Natura« zu gelten; denn stärker als Böhme betont er - trotz der anfänglichen Vorstellung von der »Einverleibung« Gottes in die Natur - die Identität beider: »Gleichwie nun Gott der Natur einverleibet ist, als ein Gemüthe, das nichts anders wircket, als was die Natur ist und leidet, weil sie eines sind, und nirgend wohnet, als in der Ewigkeit, daraus denn folget, daß die Natur nicht allein ihm gleich, sondern auch die Ewigkeit selbst sey...« (CB, S. 82)
Im Unterschied zu Spinoza freilich denkt Czepko Gott und Natur nicht als identische Substanz, sondern als zwei einander polar zugeordnete Kräfte, die sich als rein Geistiges (Gott) und als zugleich auch Materielles (Natur) im Verhältnis von »tätig« (Gott) und »leidend« (Natur) gegenüberstehen: »Es ist nur eine Natur, darumb ist sie ewig, durch die Gott alles macht: In ihr hat sich Gott offenbahret, und durch sie wird erkannt, daß auch die himmlischen Dinge natürlich sind. .. .Er wircket alles in der Natur, durch die Natur, und ist die Natur. Wann das Wesen die Natur ledig siebet, so eilet es und thut, als es wolle zubrechen und zu nichte werden, daß es sich in sie gieße, und eilet so in sie, daß es ihr eigen sey, als es sein eigen ist, und ist doch, und wird nichts anders, als Gott ist. So wird die Natur gebohren in Gott, daß sie ist, und Gott wird in die Natur.« (Ebda., S. 99)
Aus theologischer Perspektive betrachtet muß es nun aber geradezu revolutionär wirken, daß der pantheistische Gottesbegriff in Czepkos Frühwerk keinerlei trinitarische Komponente mehr enthält. WentzlaffEggebert, der den >Wandlungen im religiösen Bewußtsein Daniel von Czepkos< nachspürte und sie als allmähliche Rückkehr in die Gläubig-
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keit der lutherischen Religion deuten zu können glaubte, behauptete dagegen, der Dichter habe in der >Consolatio< an einer besonders wichtigen Stelle »neben dem mystischen Vereinigungsbild der Seele in Gottes All-Einheit die Person Jesu als Mittler zwischen Gott und den Menschen« »eingefügt« (II.7 Wentzlaff-Eggebert, S. 139; Hervorhebung v. W.-E.). Die Passage lautet: »Und dis ist das ewige Werck Gottes in dem er aus seinem Hertzen ewig gebietet seinen Sohn, und der Sohn bringet und gebieret sich wieder in das Hertze seines Vaters und bringet mit das Verlohrne durch seinen Gang und eintzig durch ihn, ohne den niemand seelig wird. Und dis ist in einer iedweden Creatur, in allem was da lebet, und diese Geburt geschiehet hundert tausendmal schneller, als ein Augenblick nach unserem Verstande.« (CB, S. 70).
Diese Stelle - die einzige, in der in diesem Frühwerk Gottes >Sohn< erwähnt wird - erweist sich indessen unverkennbar als Adaption von Böhmes Gottesbegriff (vgl. Kap. I 5 b): Der >Sohn< ist gerade nicht die »Person Jesu«, sondern die innergöttliche Gegenkraft zum »Vater«. Beide Kräfte wirken deshalb für Czepko folgerichtig auch in der gesamten Natur. Ja, er polemisiert geradezu gegen das christlich-trinitarische Gottesverständnis, indem er erklärt, »daß Gott ein gantz einfaches und simpel Wesen sey, in dem keine wiederwärtige und unterschiedene Sachen statt haben« (ebda., S. 130). Mit dieser Position geht der frühe Czepko weit über Weigel und Böhme hinaus und verabsolutiert gleichsam den »heydnischen Stilus« des Paracelsus. Im konsequenten Weiterdenken dieser naturmystischen Tradition übernehmen Gott und die Natur selbst jene soteriologische Funktion, derentwegen im Christentum der Glaube an das Heilswerk Jesu unabdingbar war: Sie »erlösen« vom zeitlichen Tod und bewirken durch ihr ständiges Streben nach der »Ruh« zugleich die »Auferstehung«: »Der Anfang zeugt das Ende, und in dem Ende entspringt der Anfang, aus dem die Welt geflossen. Die Aufferstehung gebieret sich im Untergange, und dessen Untergang ist des ändern Aufnehmen. Alles, was da lebet, stirbet, damit es lebe, und suchet ohne Unterlaß seine Verbesserung. Und fragst du den geringsten Wurm, das verächtlichste Gräslein, den schlechtesten Stein, was thust du? Sie werden dir alle antworten: Ich gehe zu Gott.« (Ebda., S. 104)
Eine Reihe von Epigrammen variiert diese Vorstellung: »5. Auf ebener Bahn. Gerad in einem Strich eilt die Natur zu Gott. Folg ihr. Dein Weg ist Gnad, ihr Weg hingegen Noth.« (SMS, S. 220)
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»88. Ruh. Mensch, der Bewegung Quell und Ursprung ist die Ruh, Sie ist das best. Ihr eilt die gantze Schöpfung zu.« (Ebda., S. 238) »100. Alles fragt nach Gott. Ein Wurm, ein Kraut, ein Stein /: ach köntest du es lesen:/ Weiß sonst kein Wort, als das: Ich eil ins höchste Wesen.« (Ebda., S. 248) »74. Alles in Eines. Ruh hat nicht die Natur, biß sie ihr End erreicht, Ihr End ist da, wo sich der Höchst und Sie vergleicht.« (Ebda., S. 265)
Jedes dieser Epigramme entstammt einem anderen Buch der >MonodistichaHundert< des »Sechstagewerkes« ist so ein - ohne erkennbare Binnenstrukturierung angeordneter - Gedankenkreislauf, der dem großen Kreislauf der Natur strukturell entspricht. Hier gelangen wir - dies ist der dritte Aspekt - zur Umkehr des ersten Kerngedankens im zweiten: Alles Sterben heißt leben. Damit ist keineswegs die christliche Vorstellung gemeint, daß der zeitliche Tod dem Erlösten die Pforte zum ewigen Leben eröffne. Ebensowenig ist Czepko der Ansicht, das Sterben eines Lebewesens versetze dieses sogleich bereits unwiderruflich in den End-Zustand ewiger »Ruh«. Vielmehr gehen alle Dinge durch ihren Tod wieder in den allgemeinen Kreislauf der GottNatur ein, und dieser besteht auch für Czepko in einem fortwährenden Gebären: »Denn der gantzen Natur Wesen und Lauff meinet nichts anders durch und durch, als eine Geburt; davon lebet sie.« (CB, S. 84) So wie sich also die Kosmogonie selbst als Gebär-Akt - ganz im Sinne Böhmes - vollzog, so gebiert sich auch die ganze Gott-Natur in einem dynamischen Progreß der Höherentwicklung vom Materiellen ins Geistige in die »Ruh« hinein. Damit gewinnt bei Czepko die Palingenesie-Vorstellung breiten Raum, die auch Weigel bereits - als verdeutlichende Analogie zur Wiedergeburt des Menschen - herangezogen hatte: »Denn im Tod«, erklärte dieser, seinerseits stark von Paracelsus beeinflußt (vgl. dazu 11.73 Wollgast, S. 59, 100; Il.Weigel TOW, S. 298ff.), »liegt die Frucht, wie die ganze Natur bezeuget« (II DC, S. 518). Mit dieser Vorstellung versucht auch Czepko Barbara von Czigan zu trösten: « Ihro Gn. sehen die Baume an, die sind den Winter todt gelegen, und all ihr Leben ist zurücke gehalten: itzund beginnen sie alle an zu grünen. Das
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ist doch ein steter Tod, daraus allezeit ein besser und edler Leben entspringet.« (CB, S. 158) Aber auch der Mensch selbst ist »ein lebendiges Todtenhaus«: »Ist nicht in allen Gliedern ein unendliches Sterben, auf daß sie leben?« (Ebda., S. 114) Das menschliche Leben »verlast sich mit grosser lust, daß es sterbe, weil es ein bessers hofft.« (Ebda., S. 115) Der menschliche Leib selbst wird für Czepko - ganz der hermetischen Tradition von Paracelsus bis Dippel entsprechend (vgl. Kap. I 4 c) - zum Demonstrationsobjekt für die in der materiellen Natur angelegte Tendenz zur »Verbesserung« oder Spiritualisierung der Materie: »Ja die Natur macht aus Fleisch und Brod, und Kraut, das in dem Garten wachset, einen Menschen, ja sie ruhet nicht, sie trägt es gar in die Vernunfft, und stürtzt es in das unendliche Wesen. Aber mancher Tod muß zuvor darauff fallen.... Der Magen scheidet das reine und himmlische von dem groben und irrdischen. Die Leber würcket das Blut, und theilet einem jeden Gliede das seine zu. Ein iedes Glied hat seinen besondern Schiedsmann, und treibet alles in eine höhere Verbesserung. Biß es endlich in das wesentliche Feuer verwandelt wird, und in das verborgene der Seele kömmt. Denn es ist Mensch und wird vereiniget mit ihm auf das Allerhöchste.« (Ebda., S. 115)
Dies ist der Verständnishorizont für die folgende Epigramm-Kette aus der Mitte des letzten Buches der >MonodistichaGegen LageVerachtung des Todes< als >Beste Artzney wieder alle Unglücks Fälle< (GE, S. 22f.; vgl. dazu CB, S. 78), in einem anderen (>Unglück prüfet das Gemüthe. Von der TugendMonodisticha< (SMS, S. 221): »8. le weniger, ie besser. So viel du nihmst, so viel must du zugleich verlieren, Wol dem, der nichts bedarff, denn ihn kann nichts berühren.«
Stoisches Ertragen, christliche Geduld und mystische Gelassenheit werden aber wiederum von Czepkos Gottesbegriff her begründet und als Haltung begreifbar, und von ihm her entfaltet der Autor mitten im Kriegselend eine bemerkenswerte Theodizee, die in ihrer Konsequenz der Leibnizschen Beantwortung dieses Problems um nichts nachsteht. Gott, erklärt Czepko in Übereinstimmung mit der christlichen Tradition, kann nichts wollen, »als was gut, was seelig ist« (CB, S. 138): »Denn, das ist so unmöglich, daß uns Gott was solle zuschicken, daß uns nicht zu ihm leite und führe, als unmöglich ist, daß er sterbe. Ich wil es Gott nicht dancken, daß er mich lieb hat. Denn er kan es nicht lassen, seine Natur zwinget ihn darzu. Das wil ich ihm ewig dancken, daß er es nicht lassen kan von wegen seiner Güte, er muß mich lieb haben. Darumb nimmt ein verständiger Sinn alles Unglück an, und weiß, daß es aus dem innersten und inwendigsten Brunn der allerheiligsten Liebe Gottes fleust und entspringet.« (Ebda.)
Ohne jedes Wenn und Aber zieht er aus seinem Gottesbegriff nun aber auch die Konsequenz, daß, wenn Gott alles ist, es auch kein eigenständiges Böses in der Welt geben kann - eine Auffassung, die ihn radikal von Weigel und Böhme unterscheidet: »und kan ihm nichts zuwieder seyn weder von aussen, noch von innen. Von aussen nicht: Denn er ist der höchste, und niemand unterworffen, von innen nicht: denn in ihm ist nichts, das wieder ihn sey, denn er ist nichts anders, als das er ist, und ist doch alle Dinge. Nichts ist ohne Gott, er ist alles, und alles ist aus ihm, von ihm, und in ihm. Darumb geschiehet sein Willen alle zeit. Was aus ihm ist, das ist er selbst. Denn er giebet sich, und bleibet gantz und einfach.« (Ebda., S. 139)
Diese weltimmanente Gottesvorstellung wird nun gerade im Blick auf den Menschen aufs stärkste betont. Das göttliche Wesen »ist so hoch mit dem Menschen vereiniget, daß es auch eine Verletzung Göttlicher Majestät ist, an einen ohne den anderen gedencken. Und wer sie theilen wil, unterstehet sich die Gottheit, die in der höchsten Einigkeit besteht, zu
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theilen« (ebda., S. 108). »Darumb ist die Seele Gott, und Gott ist die Seele.« (Ebda., S. 113) Deshalb muß die menschliche Seele sich auch ganz in die göttliche ergeben. Tut sie dies, dann wird sie wahrhaft frei, weil das menschliche Wollen dann mit dem göttlichen - und damit mit dem Gang der Vorsehung - vollkommen übereinstimmt: Gerade hier ist die Nähe zur Position Spinozas, zu dem berühmt-berüchtigten Lehrsatz aus dessen >EthikConsolatio< geäußerten Auffassung betrachtet, daß die »Einigkeit« als eine »Verbindung und Verfassung der hohen Gemüther« ein Werk Gottes sei, das aber der entscheidenden Vorarbeit der Menschen bedarf und zwar dadurch, daß sie Gott ihren Friedenswillen bekunden (vgl. CB, S. 167). Dieser hat sich dadurch offenkundig »zwingen« lassen. Das lange Ausbleiben des Friedens ist dann freilich auch nicht Schuld des sich um ihn bemühenden Menschen, vielmehr darf dieser »gewiß schliessen, daß es Gottes Wille nicht ist« (ebda.). Gott - das wird hier deutlich - ist für Czepko subjektiv die über Erfolg und Mißerfolg des Handelns innerlich wie äußerlich entscheidende Macht: Innerlich hilft Gott als mit der menschlichen Seele wesensgleiche Substanz an allen Handlungen des Wiedergeborenen mit, extern fungiert er - vor allem beim Mißlingen sowie bei Leid-Erfahrungen -r als »Fatum«, welches auf diese Weise den Rückkehr-Prozeß der Seele in die »Ruh« und damit das Heil beschleunigt. Psychologisch betrachtet hat der pantheistische Gott für Czepko eine die »Selbheit« eminent stärkende Funktion und wird zugleich zum Alibi und wichtigsten Bezugspunkt einer Überlebensstrategie, die den Lebensmut und die Kraft zur Erneuerung aus dem Bewußtsein der Identität mit Gott gewinnt und die Schicksalsschläge einer zugleich transsubjektiven, die Ich-Identität von Schuldgefühlen entlastenden Macht zuschreibt. Faktisch handelt der Mensch bei Czepko also schon autonom, aber er
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weiß es noch nicht, ja er will es und darf es nicht wissen,weil er angesichts des Übermaßes an Katastrophen noch zu schwach ist, um die Verantwortung für sie allein tragen zu können.
d) »Alliebende Natur« - »Pan-Christismus« und Liebes-Ethik im Spätwerk Czepkos Spätwerk will so gar nicht zum radikalen Denken der >Consolatio< passen. Vielmehr läßt sich für Gesamtkonzeption der >Monodisticha< ebenso wie für seine Gedichtsammlung >Semita Amoris Divini: Das Heilige Drey Eck< (vermutlich 1657 als Chorwerk für die Einweihung der Friedenskirche verfaßt, aber nicht aufgeführt; vgl. II.7 Milch 1930 a, S. XXXV) sowie für seine in Vers- und Strophenform gekleidete Übersetzung der sieben Bußpsalmen (>Sieben-Gestirne Königlicher BußeMonodisticha< plaziert - sind zugleich »Beispiele für Czepkos Buchstaben- und Silbenmystik« (III Emrich, S. 80; zu deren Tradition vgl. auch III Dornseiff), in der sich hermetisch-kabbalistische Spekulationen über Kraft und Bedeutung der göttlichen Ursprache und deren Fortwirken im chaldäischen und hebräischen Alphabet mit der Böhmeschen Signaturen- und Natursprachen-Lehre vermischen (vgl. dazu III Emrich, S. 82ff.). - Im Einleitungsgedicht zu diesem >Sechsten Hundert< mit dem Titel >Heilige den Sabbathx und dem End-Spruch >Denck an Sieben< als Vorausdeutung auf das »Schweige«-Ziel des Werkes weist Czepko prononciert Pythagoras als Repräsentanten der hermetischen Natur-Weisheit aus dem Allerheiligsten und setzt an dessen Stelle Christus:
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»Aber Christum must du lieben, sonsten fehlest du der Bahn, Er ist Schlüssel, Thür und Kirch: Er muß den Gebet entzünden, Tritt Pythagoras zur Seiten: hier ist der Verwandlungs Mann, Heil und Leben können wir all in seinem Tode finden.« (SMS, S. 268)
Damit knüpft Czepko an das im Dedikationsgedicht entworfene Programm an, wonach Gottes Schrift-Offenbarung dem Buch der Natur im Blick auf die Erringung des Heils doch überlegen sei (vgl. Kap. I 2 b). Gleichwohl wird der palingenetische Heilsweg durch die Natur zu Gott auch im >Sechsten Hundert < thematisiert. Dies hängt mit dem Wesen der Schöpfung und Czepkos Christus-Verständnis zusammen. »10. Schöpffung. Was ist die Schöpffung? Nichts, als ein geschloßner Reim, Der klingt, der Gott sein Wort schallt gleichlauts wieder heim.« (Ebda., S. 269)
Hier gelangt die kosmologische Funktion Christi als des »Worts« Gottes ins Gedanken-Spiel. Diese hat Czepko im umfangreichen Vorwort seines >Heyligen Drey Ecks< ausführlich beschrieben (das Werk enthält im übrigen in drei Gruppen Lieder zum »Drey Eck« des Erlösungswerkes: zu Geburt, zu Leiden und Sterben sowie zur Auferstehung Jesu). Diese Darstellung selbst ist in der Tat unoriginell - sie fußt im wesentlichen auf Paracelsus, Weigel und Böhme -, gleichwohl ist sie eben deshalb häretisch und ein in sich geschlossenes, eindrucksvolles Beispiel für die »Hermetisierung« des Christentums, dessen Kernbegriffe ständig gebraucht und doch in ganz unorthodoxem Sinne verstanden werden (dieselben Grundgedanken expliziert die Parentatio auf die Herzogin Louise; vgl. AL und II.7 Rusterholz, S. 244ff.). Zwei Aspekte seien in diesem Zusammenhang hervorgehoben, die zugleich eine Antwort auf das Problem der »Widersprüchlichkeit« von Czepkos Leben und Werk zu geben vermögen. Beide beziehen sich auf sein Verständnis der Christologie. Christus ist tätig »in den Wercken der Natur und Gnade« (SA, S. 305). Innertrinitarisch ist er als »Sohn« ganz im Sinne Böhmes die dem »Vater« entgegengesetzte Liebeskraft, »das allerheiligste Geschöpffe in der Dreyfaltigkeit, in welchem, durch welches, und aus welchem alle Geschöpffe Wesen, Licht und Krafft empfangen« (ebda., S. 306f.). Diese selbst bestehen deshalb aus den drei paracelsischen Prinzipien Schwefel, Salz und Merkur (ebda., S. 286ff.), und auch der Mensch ist als Gottes Ebenbild ein »Drey Eck« aus Seele, Geist und Leib (ebda., S. 299). - Unter den trinitarischen Prinzipien wird für Czepko Christus zur zentralen, die gesamte Schöpfung schaffenden und
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erhaltenden Macht, zu einer Naturkraft, deren Tätigkeit er in einem großen, rhetorisch durchgefeilten Prosa-Hymnus an Beispielen aus dem Gesamtbereich der Schöpfung entfaltet: »Er schlägt der Sonnen ein Gezelt auff, heißet sie scheinen von einem Ende des Himmels biß wider an daßelbige, und wendet ihre Zügel auff den Straßen des Krebses und Steinbocks. Neben uns treibet er den Dampff aus der Erden, machet Wolcken daraus und läßet ihr Wasser zu kleinen Tropffen werden. Was mehr? Er richtet den Plitz nach seinem Winckel Eysen, schmeisset die Donnerklöpffe aus seiner Hand, und zeiget den Sturmgewittern ihre Straße. Was noch mehr? Er unterscheidet die Farben im Regenbogen. Bringet das Eyß aus seinem Leibe herfür, und decket das Wasser wie mit Steinen: Vor uns führet er aus einem dürren Körnlein einen herrlichen Baum, behänget denselbigen auff allen Zweigen mit lieblichen Früchten und verstecket in ihr mitteles wieder ihr erstes Körnlein in unzehlicher Vervielfältigung. Was mehr? Er bringet inner den Eyerschaalen die Arten der Vögel aus, mahlet und ordnet ihre Federn, und heißet Sie ihre Weisen zur bestimmten Zeit singen.« (Ebda., S.307f.)
So geht das fort und endet mit der Beantwortung der Frage: »Und was ist in Ihm die bewegende Ursache solcher Wercke und Geheimnüße nach der Natur und Gnade? nichts, lieber Mensch, nichts, als Liebe. Was begehret und fodert er von uns vor solche seine Barmhertzigkeit? nichts, lieber Mensch, nichts als Liebe. Ey, so lasset uns nun den lieben, der uns zuvor ohn alle Ursache geliebet hat, und die wesentliche Liebe selber ist.« (Ebda., S. 309)
Die Vorstellung von Christus als Erhalter der Natur, die bereits im Kirchenlied des 17. Jahrhunderts begegnet (vgl. Bd.II, S. 237ff.), radikalisiert sich bei Czepko, der dabei die lutherische Ubiquitätslehre geschickt miteinbezieht (ebda., S. 307), zur Vorstellung von Christus als der entscheidenden Natur-Kraft, welcher letzlich kein - von ihm zu besänftigendes - göttliches »Zorn«-Prinzip mehr gegenübersteht, das »Straf«und »Sturmgewitter« (s. o.) über die Menschen schickt. Vielmehr ist Christus in den »Donnerklöpffen« ebenso wie in den »Eyerschaalen« als gewaltige, allgegenwärtig schaffende »Gebär-Mutter« gegenwärtig. Indem er so zum Schöpfungs- und Wachstumsprinzip schlechthin »verdinglicht« und sein Wesen zugleich als Liebe definiert wird, ist bei Czepko in konsequentem Weiterdenken christologischer Spekulationen seiner Zeit bereits eine Position erreicht, die der Sache nach wie der junge Goethe am Ende der frühen Neuzeit von der »alliebenden Natur« sprechen könnte (vgl. Bd. VI). Czepko - und nach und neben ihm auch Angelus Silesius sowie die Greiffenberg (vgl. Kap. II 3 c; 4 d) - ziehen mit dieser Ansicht nur eine konsequente Summe aus Denkansätzen, die nicht nur in der hermetischen Tradition, sondern auch im offiziellen
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Luthertum der Zeit angelegt sind. Auch in Johann Arndts >Wahrem Christentum< ist diese »Kosmisierung Christi« im Kontext paracelsischer Ideen offenkundig (vgl. dazu IV Kemper I, S. 221 ff.). Damit wird eine bedeutsame Nahtstelle erkennbar, an der Christus in die Natur eingeht und an der diese folgerichtig ihn und seine Funktion ersetzen wird (vgl. Kap. I 2 b u. II 4 d). Aber auch die zweite Funktion Christi, sein Gnaden-Werk, erfährt bei Czepko eine für Ethik und Sozialverhalten bedeutsame Zuspitzung. Das »gantze Christentum«, erklärt er, ist »nichts anders« »als eine stete Nachfolge Christi unsers Herrn« (SA, S. 313). Das Verhältnis von Glauben und guten Werken exemplifiziert er denn auch an dessen Beispiel: »Wie nun Lehr und Leben in Christo ein Wesen ist, also sol auch in einem Christen Glauben und Liebe ein Wesen seyn« (ebda.), denn »der Glauben ohne Liebe« ist »eine erschreckliche Sicherheit und hingegen die Liebe ohne den Glauben eine verdammliche Vermessenheit« (ebda.). Gleichwohl trennt Czepko im Anschluß an diese - schon nicht mehr orthodoxe - Bestimmung der wechselseitigen Notwendigkeit von Glaube und Liebe beide voneinander: Der wahre Glaube schließt die Gleichzeitigkeit von Liebe aus, weil das Verdienst an unserer Erlösung allein Christus zukommt; das ist auch orthodoxe Lehre. Doch nun die erstaunliche Umkehrung: »Aber unser Nechster, welchen uns Gott zu Übung und Prüfung des wahren Glaubens vorgestellet, erfodert die Liebe, welche durch ein Gottseeliges Leben die erlangte Gerechtfertigung beweiset: und hier wird der Glauben ausgeschlossen, auff daß niemand sicher werde. Denn wie uns Gott in Christo, als wir noch Feinde waren, außer unserm Verdienst aus lauter Gnade geliebet: also sollen wir unsern Nechsten in Christo als unser Heil und Seeligkeit daran gelegen wäre, außer unserer Rechtfertigung aus gantzem Hertzen lieben.« (Ebda., S. 314)
Nächstenliebe darf für den politischen Mittler und christlichen Hermetiker Czepko nicht an der Grenze der eigenen Konfession Halt machen. Deshalb wendet er sich auch scharf gegen den »Glaubens«-Krieg seiner Zeit, u. a. in einem Gedicht mit dem Titel >Stecke dein Schwerd ein. Schnöde Erretter der bedrängten Kirchem aus dem sechsten Buch seiner weltlichen >Satirischen GedichteNathan< (S.Aufzug, V. 525f.) ausschließlich von der uneingeschränkten, vorbehaltlosen Liebe des Nächsten ab, der uns »zu Übung und Prüfung des wahren Glaubens« gegeben ist. Und darüberhinaus kann es keine Glaubensunterschiede, sondern nur noch eine Liebesgemeinschaft geben, wo der Glaube wie bei Czepko sowie den Spiritualisten und Mystikern seiner Zeit als Wiedergeburt und diese als Eingießung des einen ungeteilten Geistes oder Christi selbst begriffen wird (vgl. Kap. I l a). Folgerichtig wird auch bei Czepko der irdische Jesus mit seiner Liebestätigkeit zum Vorbild; und wenn in dieser Liedersammlung sein Leiden und Sterben mit an Spee, Scheffler und die Greiffenberg gemahnender Ausführlichkeit geschildert wird, so auch mit dem Ziel, diese Liebes-Tugend zu ihm zu erwecken und zu stärken. Damit wird aber auch Czepkos eigene Position anders begreifbar als durch die Theorie einer »religiösen Entwicklungslinie« »vom >Frommen< zum >MystikerGläubigenHeiligen Drey Eck< postulierten Toleranz- und Liebes-Postulats. Der wahrhaft Wiedergeborene bewährt dieses auch und gerade darin, daß er die konfessionellen Schranken für sich nicht mehr gelten last. Im Unterschied zu Böhme, in dessen Lehre diese Konsequenz eigentlich auch schon angelegt war, der sie aber not-gedrungen nicht umzusetzen vermochte, konnte Czepko in der Nachkriegs-Zeit unter den Lutheranern ein wahrhaft Wiedergeborener sein und sein Werk der Nächstenliebe verrichten, ohne damit die Prinzipien seines eigenen »wahren Glaubens« verraten zu müssen. Vielmehr bewährte und bezeugte er ihn durch seine »guten Werke« unter den Mit-Christen und lebte so seine geistliche Lehre und Überzeugung vor.
2) Pantheismus als Selbstbefreiung des Menschen (Czepko)
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Indem er im Bereich des Gnaden-Werkes Christi dessen nachzuahmende Vorbildlichkeit in diesen Liebes-Begriff setzt, gehört er zugleich - neben dem pantheistischen Ersatz für Christi Werk in der Natur - in einen zweiten, von der Christologie ausgehenden Entwicklungsstrang der Säkularisierung, der von der »imitatio Christi« zu einer naturrechtlich verstandenen und begründeten Liebesethik führt, bei der Christus schließlich nur noch als ethisch vorbildlicher Lehrer des Naturgesetzes fungiert (vgl. IV Kemper I, S. 215ff., 238ff.). Gerade in seinen politischen Schriften und Eingaben beruft Czepko sich immer wieder auf das Naturgesetz, welches das Verhalten der Obrigkeit gegenüber den Untertanen und dieser untereinander als unhintergehbare Richtschnur zu leiten habe (vgl. z. B. VAS, S. 37ff.; BE, S. 202f.; SDS, S. 255). Als Zeitgenosse von Baruch de Spinoza (1632-1677) und Hugo Grotius (1583-1645) ist Czepko so ein problemgeschichtlich bedeutsamer Dichter und Denker, - ein Zeuge dafür, daß sich konstitutive Ideen für die Genese der Neuzeit auch aus der frühneuzeitlichen Mystik entwickelt haben.
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3) Poesie als Sprachrohr mystischer Häresie (Angelus Silesius)
a) Der Sturz des Engels - Zur Biographie des »Doctor ecstaticus« Johannes Scheffler (1624-1677) gilt neben Jacob Böhme als herausragendster Mystiker der Barockzeit. In ihm, dem im lutherischen Bekenntnis Erzogenen und zum katholischen Glauben Konvertierten, treffen die protestantischen und katholischen Richtungen der Mystik spannungsvoll aufeinander. Nicht zuletzt deshalb freilich wird die Scheffler-Forschung bis in die Gegenwart hinein durch eine »oft zänkische oder doch rechthaberische Kontroverse zwischen mehr katholisch, evangelischprotestantisch oder >freigeistig< gerichteter Forschung« belastet (11.58 Gnädinger 1966, S. 31), und im Gegenzug erheben sich die Stimmen, die davor warnen, »die Deutung des Schefflerschen Werkes« »mit der Konversion des Dichters« zu »vermengen« (11.58 Kunisch, S. 173), und von »einer psychologisierenden wie konfessionsgeschichtlichen Interpretation« des Dichters abraten, »um dessen dichterische Gestalt voll in den Blick zu bekommen« (11.58 Haas, S. 321). Indessen ist diese ohne die Epoche des Konfessionalismus eben nicht »voll« zu begreifen: Biographie und Poesie Schefflers sind tief von ihr geprägt, und nur im Epochen-Kontext wird verständlich, daß und wie seine Poesie zum entscheidenden Organ der Schefflerschen Identitätskonstitution und Weltanschauung zu werden vermochte. Seine Biographie ist somit ein wichtiger erster, aber keineswegs einfacher Zugang zum Verständnis seines schriftstellerischen Werkes. Wie Spee und Czepko war Scheffler der damaligen Temperamentenlehre nach offensichtlich ein »cholericus« mit einem ausgeprägten Ehrgefühl. Beides hat ihm sein Vater Stenzel ( = Stanislaus) Scheffler, Herr von und zu Borowicze, vererbt, der 1618 aus unbekannten Gründen von Polen nach Schlesien übergesiedelt war und in Breslau von einem stattlichen Vermögen standesgemäß zu leben vermochte. Als bereits 62jähriger ehelichte dieser im Februar 1624 die 24jährige Arzttochter Maria Hennemann. Ende des Hochzeitsjahres wurde Johannes geboren und am 25. Dezember getauft. Von zwei weiteren Geschwistern mußte das jüngste, Christian, den größten Teil seines sechzigjährigen Lebens (1630-1690)
3) Poesie als Sprachrohr mystischer Häresie (Angelus Silesius)
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in geistiger Umnachtung zubringen. - 1637 starb der Vater, die Mutter folgte ihm nur zwei Jahre später. Die Kinder wurden in vormundschaftliche Obhut gegeben. Johannes besuchte das berühmte Breslauer Elisabeth-Gymnasium. 1643 immatrikulierte er sich als ISjähriger in Straßburg für die Fächer Medizin und Staatswissenschaft. Schon im folgenden Jahr aber hielt er sich zum Medizinstudium - einem auch in Schlesien verbreiteten Modetrend folgend - im niederländischen Leiden, der zu jener Zeit fortschrittlichsten europäischen Universität, auf. Hier lernte er, wie er selbst bestätigt, »etliche« Schriften Jacob Böhmes kennen, »weil einem in Holland allerley unterbanden komt« (zit. in 11.58 Held, S. 121). Die Böhme-Lektüre hat offenbar sein Interesse für die Mystik entscheidend gefördert. Andernfalls wäre nicht begreiflich, warum er sich - nach Studienaufenthalt in Padua (1647/48) und Promotion zum Doktor der Philosophie und Medizin dortselbst - bei seiner Rückkehr nach Breslau seit 1650 dem Böhme-Kreis um Abraham von Franckenberg anschloß. Seine Beziehung zu letzterem wurde in der kurzen Zeit bis zu dessen Tod (1652) so eng, daß dieser ihn offenbar zum Erben seiner beachtlichen Bibliothek einsetzte (vgl. 11.58 Held, S. 27). Scheffler hat Böhme sogar ein Epigramm gewidmet, das dessen Kernanliegen zutreffend pointiert: »Unter einem Bildnis Jakob Böhmes Im Wasser lebt der Fisch, die Pflanzen in der Erden, Der Vogel in der Luft, die Sonn im Firmament. Der Salamander muß im Feur erhalten werden: Und Gottes Herz ist Jakob Böhmens Element.« (Held II, S. 27; vgl. dazu das Faks. in: II.6 Wehr, S. 6)
Dieses Epigramm findet sich wieder im >Cherubinischen Wandersmann< mit neuem Titel (>Eins jeden ElementSilesius< wählte er möglicherweise auch zur Unterscheidung von einem spanischen Theologen gleichen Namens. - Schefflers Konversion ist nicht als Beweis dafür zu werten, »daß er bei der Mystik nicht den ersehnten Frieden gefunden hat« (11.58 Reichert, S. 61). Vielmehr hatte er mit dem Tod Franckenbergs und dem Auseinanderfallen von dessen Kreis seine »innere Heimat« verloren (11.58 Gnädinger 1984 b, S. 372), und er suchte nun Ersatz in jener konfessionellen Gemeinschaft, die zumal aus gegenreformatorisch-propagandistischen Gründen die Mystik tolerierte und verinnerlichten Formen von Frömmigkeit eine Heimstatt bot. Daß die Radikalität des Schefflerschen Vergottungsdranges auch die Toleranzgrenzen der katholischen Dogmatik weit überstieg, kann ihm kaum verborgen geblieben sein. So hat er wegen seiner mystischen Interessen ebenfalls Anfeindungen im katholischen Lager hinnehmen müssen. Eben dadurch aber ist seine Position literarhistorisch besonders aufschlußreich: Indem er durch seine Konversion einen Zustand der Unsicherheit und Spannung im Verhältnis zwischen seiner offiziellen Konfession und seinem mystischen Glauben zu bereinigen suchte, handelte er sich doch nur eine neue Identitätsproblematik ein, die ihn biographisch und literarisch zeitlebens beschäftigen sollte. Daß es ihm mit der Konversion wohl in erster Linie um die Legitimierung und die praktische Ermöglichung seiner mystischen Frömmigkeitsvorstellungen ging, ist an mancherlei ablesbar. Zunächst an seiner Rechtfertigungsschrift >Gründtliche Vrsachen vnd Motiven, Warumb er Von dem Lutherthumb abgetretten, Vnd sich zu der Catholischen Kyrchen bekennet hatHeilige Seelen-Lust. Oder Geistliche Hirten-Lieder Der in jhren JESUM verliebten Psyche< (zweite Auflage, vermehrt um einen fünften Teil, 1668), und die >Geistreichen Sinn- und SchlußreimeCherubinischer Wandersmann oder Geist-Reiche Sinn- und Schluß-Reime zur Göttlichen beschaulichkeit anleitendem Am 29. Mai 1661 erfolgte seine Priesterweihe. Von hier ab trat er mehr und mehr als Person und als Polemiker öffentlich in Erscheinung und wurde geradezu »zum fanatischen Führer der schlesischen katholischen Polemik« (11.58 Held, S. 48). So erzwang er beispielsweise 1661 die Aufhebung des seit Einführung der Reformation in Schlesien (1525) bestehenden Durchführungsverbots für öffentliche Fronleichnamsprozessionen in Breslau und trug beim Umzug möglicherweise selbst die Monstranz (ebda., S. 46), und 1664 trat er für zwei Jahre als Hof marschall in die Dienste des neuernannten schlesischen Fürstbischofs und Oberhauptmanns Sebastian von Rostock, eines entschiedenen Förderers der Gegenreformation (ebda., S. 49). Von dieser Zeit an beanspruchte dann auch die Konfessionspolemik alle seine Kräfte. Nicht weniger als 55 Streitschriften flössen in 12 Jahren seit 1664 aus seiner Feder (vgl. Held I, S. 336), in denen er »als starrer katholischer Konfessionalist gegen seine ehemaligen lutherischen Glaubensbrüder mit einer Härte loszog, die noch heute mit Schaudern erfüllt« (III Haas 1979, S. 379f.). Wie soll man diese Entwicklung Schefflers zum konfessionspolemischen Kirchen-Diener verstehen? Er selbst gibt in der bereits auf dem Sterbebett verfaßten Vorrede zu seiner >Ecclesiologia Oder Kirche = Beschreibung^ einer Auswahl von 39 seiner Streitschriften, den theologisch-dogmatisch entscheidenden Grund dafür an, mit dem übrigens die
3) Poesie als Sprachrohr mystischer Häresie (Angelus Silesius)
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häresieverdächtige Mystik in allen Konfessionen konfrontiert wurde: Es sei aus dem biblischen Zeugnis »sonnenklar«, daß Gott seine »Verheissungen nicht der unsichtbahren Kirche, sondern der sichtbahren gethan« (Held I, S. 327), daß das Wort der Verheißung deshalb aber der kirchlichen Verkündigung, der Priester, Lehrer und Wächter bedürfe, während die »unsichtbahre Kirche im Hertzen der Außerwählten bestehende alles schreiben predigen und lehren außschleust und wiederspricht.« (Ebda.) Mystische Innerlichkeit und an die Kirche gebundener Gnadenzuspruch scheinen sich an Schefflers Lebensende wechselseitig auszuschließen. Er gibt dieser Deutung Vorschub, wenn er wenig später seine eigene Entwicklung von der Mystik zur äußerlichen Geschäftigkeit des Kirchen-Kampfes als schmerzlichen, aber aus der obigen Einsicht notwendig folgenden Prozeß darstellt: »Aber die Liebe Christi zwang mich darzue ...« (Ebda., S. 331). Die Streitereien zwischen Scheffler und seinen Gegnern machen seine Klagen über die ihm angetanen Ehrabschneidungen begreiflich. Seine Widersacher warfen ihm z. B. Trunksucht und Unzucht vor, und hartnäckig kolportierten sie - auch in Spottliedern (vgl. ebda., S. 264f.) - die Legende, Scheffler sei beim Tragen der Monstranz in den Kot gefallen; außerdem behaupteten sie wiederholt, er habe sich erhängt (als Zeichen dafür, daß ihn der Teufel geholt habe; vgl. 11.58 Held, S. 53). Der »Doctor ecstaticus« verfügte nicht über die Souveränität, solche Anwürfe zu ignorieren. Er suchte seine Ehre zu verteidigen, provozierte seine Gegner auch bewußt durch seine demonstrativen Prozessionsaktivitäten, und er bediente sich einer immer härteren Sprache. Es war eine wechselseitige Eskalation, und dies empfanden schon die Streithähne selbst. Noa Dresser, einer von ihnen, mahnte Scheffler zum Schluß einer gereimten >ErinnerungSinnliche Beschreibung Der Vier letzten Dinge / zu heilsamem Schroken und Auffmunterung aller Menschen inn Druck gegebenVorrede< zu seiner >Ecclesiologia< stellte sich Scheffler als der große Sieger über seine konfessionellen Feinde dar (Held I, S. 332), eine Pose, die nur zeigt, wie sehr sein Selbstwertgefühl eine solche Deutung brauchte. Tatsächlich hat er unter diesen Streitigkeiten ganz offensichtlich gelitten, ist über ihnen erkrankt und vereinsamt. Abgemagert, mit einem fast »englischen Leib« (zit. ebda., S. 347f.), starb Scheffler im Juli 1677 nach längerer Krankheit im Breslauer Stift St. Mathias, seinem langjährigen Zufluchtsort, nachdem er wochenlang vorher keinen Menschen mehr zu sich gelassen hatte. Der Jesuitenpater Daniel Schwartz
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II. Poesie - magisches Medium der Mystik
zitierte in seiner Leichenpredigt (ebda., S. 341-354) aus einem verlorengegangenen geistlichen Tagebuch des Angelus Silesius mit dem Titel >Libellus Desideriorum Joannis AmatiTestament Johannis< schlicht lauten sollte: »Kinderchen, liebt euch!« (II Lessing TJ, S. 19). b) Häresie und Orthodoxie im >Cherubinischen Wandersmann< Die beiden gleichzeitig (1657) erschienenen mystischen Hauptwerke Schefflers sind nach Gattung, Stil, Charakter und Gehalt auf zunächst irritierende Weise unterschiedlich. Auf der einen Seite die >Geist = Reichen Sinn = und Schluß = ReimeMonodisticha< nahestehen, wenngleich Schefflers Epigramm-Sammlung nicht nur Zweizeiler, sondern auch Quatrains, ja sogar einige Sonette enthält und in fünf (ab der zweiten Auflage sechs) Bücher eingeteilt ist, die auf den ersten Blick - wie schon Leibniz kritisierte - den Eindruck einer »ohne bedächtiges Urteil erfolgte(n) Anhäufung verschiedengearteter Dinge« erwecken (zit. in 11.58 Held, S. 171). Gleichwohl haben die sprachlich-rhetorische Virtuosität sowie Reichtum und Tiefsinn der Gedanken diesem Buch, das sich der Forschung als Schmelztiegel der verschiedensten mystischen Richtungen und Strömungen erwiesen hat (vgl. dazu II. 58 Held, S. 73ff.; 11.58 Gnädinger 1966, S. 170ff.), den Rang eines - wenn nicht sogar des - Hauptwerkes deutscher Barock-Mystik eingetragen (vgl. dazu 11.58 Held, S. 81 ff.). Und unter gattungsgeschichtlichem Aspekt gilt es als »das unübertreffliche Exempel der in den Dienst der mystischen Gotteserkenntnis gestellten epigrammatischen argutia« (IV Barner, S. 364). - Auf der anderen Seite die >Heilige Seelen-LustCherubinischen Wandersmann< geradezu wesensfremden Detailfreudigkeit und Breite werden hier brautmystische Freuden und Leiden im Zusammenhang des Heilsgeschehens und der Leidensstationen Jesu in jener vor allem von Ignatius von Loyola vorgegebenen und auch von Spee praktizierten phantasieerregenden Sinnlichkeit ausgemalt. Dieser gegensätzlich anmutende Charakter der beiden Werke hat die Forschung veranlaßt, ein zeitliches Nacheinander in ihrer Entstehung anzunehmen und ihren Unterschied mit Schefflers Glaubenswechsel zu erklären. So vermutet Ellinger, die ersten fünf Bücher des Cherubinischen Wandersmanns< seien bereits in den Jahren des Umgangs mit Franckenberg (1651/52) entstanden, während die katholisch-frommen >Geistlichen Hirtenlieder< als Ausdruck und Beweis seines neu gewonnenen katholischen Glaubens erst nach der Konversion verfaßt worden seien (11.58 Ellinger, S. XXIIIff.). Auf Grund des geschlossenen Eindrucks der ersten fünf Bücher des Epigramm-Werkes vertritt Held sogar die These, »die ganze erste Ausgabe sei die dichterische Arbeit nur weniger Monate«, und zwar ebenfalls vor 1653 (11.58 Held, S. 80). Dabei stützt er sich u. a. auf ein Selbstzeugnis Schefflers aus der Vorrede zum >Cherubinischen WandersmannHeiligen Seelen-Lust< um den Beweis seiner neuen Rechtgläubigkeit ging, ist es bemerkenswert, daß er die besonders häresieverdächtigen beiden ersten Bücher seines >Cherubinischen Wandersmanns< mitveröffentlicht hat: Sie müssen für ihn offenbar von zentraler Bedeutung gewesen sein. Die Behauptung ihres göttlichen Ursprungs unterstreicht dies und soll den Autor zugleich vor seiner neuen Konfession für deren Aufnahme exculpieren.
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II. Poesie - magisches Medium der Mystik
Nichts spricht von daher gegen, aber manches für die Annahme, daß die beiden ersten Bücher tatsächlich in jener Zeit des Umgangs mit Franckenberg entstanden sind. Vom dritten Buch an dagegen, »welches statt des bisherigen überkonfessionellen Spiritualismus einen im Sinne katholischer Kirchlichkeit verstandenen Sakramentalismus herauskehrt und mit besonderem Nachdruck den Gedanken der Heiligung und der Heiligenverehrung vertritt« (11.58 Althaus, S. 17), wäre die Entstehungszeit der >Sinn = und Schluß = Reime< auf die ersten Jahre nach der Konversion zu datieren, damit zeitgleich mit der Genese der >Heiligen Seelen-LustCherubinischen Wandersmanns< enthalten - das wurde an den bereits früher zitierten Beispielen deutlich (vgl. Kap. I l c, 4 c) - all jene Tendenzen zu einer radikalen Vergottung des Subjekts, zu einer auf die Wechselbeziehung zwischen Ich und Gott reduzierten Soteriologie, bei der sowohl die protestantische Wort-Verkündigung wie auch die katholische, von der Kirche geleitete hierarchische Staffelung der Gnadenzuweisung keine Rolle mehr spielen. Dabei kann es hier nicht darum gehen, all die mystischen Strömungen aufzuweisen, die Scheffler dabei poetisch verarbeitet hat; doch daß gerade der Anfang der >Sinn = und Schluß = Reime< dezidiert Gedanken aufgreift, die auch bei den protestantischen Mystikern, welche Scheffler in der Vorrede zu der Epigramm-Sammlung sämtlich verschweigt, eine zentrale Rolle spielen, soll über die schon zitierten Exempel hinaus noch ein Beispiel zeigen: Valentin Weigel (vgl. dazu Kap. I I ) steigert die Beziehung des Wiedergeborenen zu Gott zu einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis, bei dem der erstere ohne Gott nicht sein kann, der letztere ohne den Menschen nicht sein will; denn Gott hat den Menschen nach seinem Bilde geschaffen, und in dieser Ähnlichkeit liegt für Weigel die ontologische Disponibilität für die Vergottung und zugleich die Bestimmung des Menschen: »Denn eben darum sind wir Menschen geschaffen, daß wir in Gott sind und er in uns. Zu seinem Bildnis sind wir ja geschaffen. Nun ist das Bildnis nicht sein eigen, sondern des, von dem es ist und von dem es kommt. Und so wenig
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wie wir können ohne Gott sein, ebenso wenig will Gott ohne uns sein, sondern er in uns und wir in ihm. Mit ewiger Verknüpfung und Verbindung, wie Eva aus dem Adam kam, und Adam war in ihr und sie in ihm ein Fleisch: also (sind) wir aus Gott und bleiben in Gott und Gott in uns, es sei nun in der Gelassenheit oder Glauben zum ewigen, seligen Leben, oder in Ungelaß, Unglauben zur ewigen Verdammnis.« (II Weigel DC, S. 536; Hervorhebung v. Ke.)
Auch diesen Gedanken hat Scheffler gleich zu Beginn des Cherubinischen Wandersmanns< in einer »Epigramm-Kette« expliziert und bis zum Paradox pointiert (aus dem Weigelschen »Gott will nicht« wird ein »Gott kann nicht«): »8. GOtt lebt nicht ohne mich. Jch weiß daß ohne mich GOtt nicht ein Nun kan leben / Werd' ich zu nicht Er muß von Noth den Geist auffgeben. 9. Jch habs von Gott / und Gott von mir. Daß GOtt so seelig ist und Lebet ohn Verlangen / Hat Er so wol von mir / als ich von Jhm empfangen. 10. Jch bin wie Gott / und Gott wie ich. Jch bin so groß als GOtt / Er ist als ich so klein: Er kan nicht über mich / ich unter Jhm nicht seyn. 11. Gott ist in mir / und ich in Jhm. GOtt ist in mir das Feur / und ich in Jhm der schein: Sind wir einander nicht gantz jnniglich gemein?« (CW, S. 28f.)
Das Ich ist aber nicht nur im »Besitz« Gottes, sondern selbst »mit Haut und Haar« in ihn hineinverwandelt: »216. Die Vergottung. GOtt ist mein Geist / mein Blutt / mein Fleisch / und mein Gebein: Wie sol ich dann mit jhm nicht gantz durchgottet seyn?« (Ebda., S. 58)
Gerade Verse dieser Art hat Angelus Silesius freilich vor Mißverständnissen zu schützen versucht. So merkt er für das hier zuerst zitierte Epigramm ausdrücklich an: »Schawe in der Vorrede« (ebda., S. 28). Diese ausführliche Vorrede ist deshalb auch für all jene Forscher ein wichtiger Beleg, die meinen, »daß der cherubinische Wanderer nirgends in häretisches Fahrwasser gerät« (11.58 Gnädinger 1966, S. 166). Scheffler beruft sich zitierend auf eine breite mystische Tradition - u. a. auf Tauler, Ruusbroec, Bernhard von Clairvaux, Bonaventura und die
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II. Poesie - magisches Medium der Mystik
>Theologia deutsch< -, in der die Rede von der Vergottung des Menschen als nur un-eigentlich oder metaphorisch gerechtfertigt wird. Natürlich könne der Mensch nicht - wie auch im zitierten Epigramm behauptet von Natur, also als leibliche Kreatur Gott werden; den Unterschied zwischen sich und der Kreatur könne nicht einmal Gott selbst aufheben: »Denn obwohl GOtt Allmächtig ist / so kan er doch dises nicht machen (und wan Ers KOnte / wäre Er nicht GOtt)« (CW, S. 14). Indessen eben wegen dieser unaufhebbaren Wesensverschiedenheit zwischen Göttlichem und Kreatürlichem hat Gott dem Menschen die im Naturzustand unmögliche »unio« mit sich auf dem Wege des übernatürlichen Gnadenstandes eröffnet. Hier gelangt das in der mittelalterlichen Scholastik in Anlehnung an die aristotelische »forma-materia«-Konzeption entwikkelte »natura-gratia«-Schema ins Spiel (vgl. dazu V Kühn). Im Naturzustand besitzt der Mensch alle Fähigkeiten und Eigenschaften, die ihn als Geschöpf Gottes das Leben im Diesseits führen und die Fragen nach seiner Herkunft und seinem Ziel stellen und beantworten lassen. Im übernatürlichen, von der Kirche verwalteten Gnadenstand erhält er dagegen alle für sein ewiges Heil bedeutsamen Attribute und Eigenschaften. Dabei ist die »Natur« des Menschen als »materia« auf die »Gnade« hin angelegt und wird von dieser als der »Form« erst zur Vollendung und eigentlichen Bestimmung gebracht. Mit dem Rückgriff auf diese für den Katholizismus konstitutive Lehre übernimmt Angelus Silesius auch die traditionelle Verteidigung des mystischen Redens von der Vergottung. Sie weist deren »kreatürliche« Sprache wie im zitierten Epigramm grundsätzlich als uneigentlich und damit als metaphorisch oder allegorisch aus. Dem katholischen Zensor hat dies offenbar eingeleuchtet. Faktisch aber hat diese Lehre dem Autor nur den dogmatischen Rücken freigemacht: Sie legitimierte ein unbeschwertes »sinnliches Reden«, und in diesem wird die Problematik des »natura-gratia«-Schemas deutlich; denn wie schon bei Thomas von Aquin ist die Gnade nichts Un- oder Widernatürliches, sondern etwas Über-Natürliches, und zwar so, »daß dadurch das Menschsein des Menschen nicht ausgelöscht, sondern auf höhere Ebene transponiert erst recht ins Werk gesetzt wird« (III Ebeling, S. 325). Der Gnadenstand ist hier nicht Widerpart der durch den Sündenfall verderbten und nach Erlösung rufenden Natur, sondern er ist offensichtlich das in der Natur angelegte Ziel: als übernatürliche Vollendung in der Deifizierung des Menschen. Unter dem Deckmantel dieses Begriffs wird der geistlichen Natur des Menschen nun das volle ontologische Gewicht zuteil, der Mensch lebt eigentlich nur im Gnadenstand, aber deshalb besitzt er in ihm auch eine wesentliche Natur aus göttlichem »Fleisch« und »Gebein«, während das kreatürliche, naturhafte
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Sein des Menschen als zufällige, unwesentliche Vergänglichkeit radikal abgewertet wird: »30. Zufall und Wesen. Mensch werde wesentlich: denn wann die Welt vergeht / So fällt der Zufall weg / das wesen das besteht.« (CW, S. 76)
Daraus entsteht - vor allem in den beiden ersten Büchern des Cherubinischen Wandersmannes< - eine radikale Antithetik zwischen Natürlich-Kreatürlich-Vergänglichem und Übernatürlich-Wesenhaft-Ewigem, der Angelus Silesius, wie Benno von Wiese gezeigt hat, in meisterhafter formaler Gestaltung der Alexandriner-Epigramme immer neue Aspekte abgewinnt (11.58 von Wiese, S. 264ff.). Schefflers Kern-Häresie besteht also darin, daß er den Gnadenstand zur eigentlichen Natur des Menschen ontologisiert. Daraus leiten sich fast alle Ketzereien des >Cherubinischen Wandersmannes< ab. Diese beginnen bereits in der Vorrede, wenn er erklärt: »GOtt der Vatter hat nur einen Sohn / und derselbe sind wir alle in Christo. Sind wir nun Sohne in Christo / so müssen wir auch seyn was Christus ist / und dasselbe Wesen haben / welches der Sohn Gottes hat.« (Ebda., S. 14) Die radikale Abwertung des menschlichen Natur-Stands hat - wie bei der Greiffenberg (vgl. Kap. II 4 b) - eine monophysitische Deutung Christi zur Folge: Daß dieser einmalige, unverwechselbare menschliche Natur angenommen und insofern seine Gottheit mit der Kreatürlichkeit vertauscht hat - etwas, was Gott in Schefflers Argumentation angeblich nicht kann, ohne seine Gottheit zu verlieren -, wird hier verdrängt zugunsten seiner geistlichen Natur, die Christus seit der Himmelfahrt für Angelus Silesius angenommen hat. Diese Natur muß allen gleichermaßen zuteil werden, die im Gnadenstand leben. Bezeichnenderweise beruft sich der Dichter hier auf den biblischen Leib- und Magenspruch auch der protestantischen Mystiker, »daß wir theilhafftig werden der gottlichen Natur« (2.Petr. 1,4; vgl. dazu III M. Schmidt 1958) und zitiert dazu einen mystischen Gewährsmann: »Derohalben soltu GOttes Sohn oder Tochter seyn / so mustu auch eben das Wesen haben / welches der Sohn GOttes hat / sonsten kanstu GOTTES Sohn nicht seyn.« (CW, S. 17) Dadurch aber wird der Sohn Gottes - natürlich auch entgegen der offiziellen katholischen Lehre - aus seiner Einmaligkeit und gottmenschlichen Einheit zu einem Prinzip der Gottessohnschaft aufgelöst und zur GnadenNatur verdinglicht. Von daher nimmt es nicht wunder, daß in den beiden ersten Büchern der >Sinn = und Schluß = Reime< Christus als Person kaum eine Rolle
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II. Poesie - magisches Medium der Mystik
spielt. An seine Stelle ist das Ich selbst getreten, das die Ebene der kirchlichen Gnadenvermittlung nicht mehr braucht. Im Besitz Gottes, als dessen geistlicher Sohn, vollzieht es seine eigene >ErlösungCherubinischen Wandersmanns< aufgedrängt. - Da sich andererseits die Rücksicht auf die neue Konfession unverkennbar bemerkbar macht, spiegelt sich darin zugleich der Anpassungsdruck, dem Schefflers Frömmigkeitsideal seit dem Übertritt ausgesetzt war. Gleichzeitig freilich ist aber auch die nominalistische Einkehr in die Vielfalt der geschichtlichen Konkretionen als werkimmanente Notwendigkeit begreifbar. Und dies wäre eine Möglichkeit, um zu verstehen, warum Scheffler auf die beiden ersten Bücher nicht verzichten und sie auch nicht stärker mit weniger häresieverdächtigen Epigrammen vermischen wollte wie in den späteren Büchern: Er hat mit dieser Komposition die Werk-Genese, die eigene biographische Entwicklung und die mystische Grundproblematik von Gottesschau und Liebes-Pflicht in Übereinstimmung zu bringen vermocht. So ist das Werk ein ganz persönliches Konfessionsbuch, und es spiegelt zugleich die allgemeine Problematik des Mystikers in jener Zeit, der, obgleich er mit seiner Sehnsucht die seelsorgerlichen und dogmatischen Grenzen der »ecclesia militans« ständig zu überschreiten sich genötigt sieht, dennoch auf ihren äußeren Schutz angewiesen und zur Nächstenliebe als Teil der Gottesliebe verpflichtet ist. Das sechste Buch der zweiten Auflage zeigt nun doch deutlichere Spuren einer dogmatisierten Frömmigkeit. Die einleitenden Sonette malen u. a. die Qualen der ewig Verdammten und die Freuden der Gerechtfertigten und Erwählten aus, die Welt erscheint als Kampfplatz, und nur in der Bewährung wird die Siegeskrone der ewigen Seligkeit erlangt:
3) Poesie als Sprachrohr mystischer Häresie (Angelus Silesius)
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»55. Kein Krön ohne Kampff. Ein Kampffplatz ist die Welt. Das Kräntzlein und die Krön Trägt keiner / der nicht Kämpf ft / mit Ruhm und Ehrn darvon.« »59. Man muß nach Ehren streben. Die Ehr ist doch nicht nichts. Die nie nach Ehren streben / Die kommen nie zur ruh / auch nicht im andren Leben.« (CW, S. 255f.)
Wieder also bringt Angelus Silesius in diesem Lebens- und WerkAbschnitt seine eigene Position des vor Gott nach Ehren strebenden Kirchen-Kämpfers in dieses Buch ein, und es findet sich gegen Schluß auch ein Epigramm, das die Weisheit und Seligkeit allein seiner Konfession zurechnet : »253. Allein der Catholische Christ ist weise. Miß dir nicht Weißheit zue / wie klug du dir auch bist: Niemand ist Weiß in Gott als ein Catholischer Christ.« (Ebda., S. 284)
Dennoch hält Scheffler auch in diesem letzten Buch ganz unzweideutig an seinem mystischen Anliegen fest: »29. Der Sünder wird zu Koth. Der Heiige steiget auf / und wird ein GOtt in GOtt: Der Sonder fällt herab und wird zu Mist und Koth.« (Ebda., S. 252) »230. Des Weisen und Narren Werk. Des Weisen gantzes Werk / ist daß er werde GOtt: Der Narr bemfihet sich biß er wird Erd und Koth.« (Ebda., S. 281; vgl. auch ebda., S. 266f., Nr. 128-135)
Diese Beispiele illustrieren freilich mit der formalen Spannungslosigkeit, gedanklichen Simplizität und sprachlichen Plattheit den insgesamt an den späten Texten konstatierbaren Niveauverlust. So sind dem >Cherubinischen Wandersmann< im Lauf der Jahre und im Verlauf des Werkes die Flügel immer schwerer geworden, immer größere irdische Liebes-Lasten behinderten seinen Aufschwung zur »Seelen Sonne« (ebda., S. 44). Dies freilich ist von hoher paradigmatischer Bedeutung für das konfessionelle Zeitalter, das dem Mystiker die ersehnte Unabhängigkeit nicht zugestand, sondern ihn unter seine Fittiche nötigte.
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II. Poesie - magisches Medium der Mystik
c) >Heilige Seelen-Lust< unter der Tarnkappe der Allegorie Die >Heilige Seelen-Lustx ist eine Sammlung von 205 Liedern, deren Melodien (vom Breslauer Kapellmeister Georg Joseph) traditionelle und moderne Elemente geschickt vermischen (vgl. 11.58 Gnädinger 1973, S. 102ff.; Scheitler, S. 716ff.)· Die vorgesehene Instrumentierung und die differenzierte Ausführung der Singstimmen lassen darauf schließen, daß die Lieder zunächst nicht für den Gemeindegesang bestimmt waren; immerhin stellt Scheffler eine solche Instrumentierung »zu öffentlichen Kirchen-Brauch« in Aussicht. Dem in der »Singe-Kunst« Unerfahrenen empfiehlt er, sich »dieses Büchlein inner oder ausser der Kirchen statt eines Gebet-Buchs« - also als Erbauungsschrift im Sinne des Speeschen >Güldenen Tugend-Buchs< oder der Greiffenbergschen >Andachten< zu gebrauchen (Held I, S. 303). Angelus Silesius »dichtete diesen vielschichtigen Komplex, der manche poetische Übersetzung aus der lateinischen Hymnik, Stücke nach dem Muster bestimmter evangelischer Kirchenlieder, aber auch Kontrafakturen und Parodien weltlicher Schäferpoesie enthält und zyklisch zusammenschließt, mit der durchgängigen Intention, der ihm zeitgenössischen weltlichen Schäferlyrik einen geistlichen Widerpart zu stellen« (11.58 Gnädinger 1973, S. 99). Gleichwohl tritt dies kontrafazierende Element trotz der Ankündigung des Vorworts deutlich zugunsten brautmystischer Vorstellungen zurück, und in aller Vielgestaltigkeit der Lieder behauptet sich als Grundzug eine phantasiegeleitete Sinnlichkeit, die den >Geistlichen Übungen< des Ignatius von Loyola verpflichtet und Spees >Trvtz-Nachtigal< eng verwandt ist (auch wenn sich kein direkter Einfluß Spees auf Scheffler nachweisen läßt: vgl. 11.58 Held, S. 62). Mit derselben methodischen Gründlichkeit und Insistenz wie bei den beiden Jesuiten (vgl. Bd. II, S. 164ff., Kap. II l b) drängen die >Geistlichen Hirten-Lieder< des Angelus Silesius auf ein innerliches Schauen als Vorbedingung meditativen Bedenkens mit dem Ziel willentlicher Bekräftigung der Jesus-Liebe. Das folgende Beispiel (>Sie beklagt Jesum, da er sein Kreuz trägtTrvtz-Nachtigal< aber sind Schefflers >Geistliche Hirtenlieder< in zunächst vier - von der zweiten Auflage an in fünf - Bücher unterteilt und folgen mit der Thematisierung der Geburt (Buch I), des Kreuzesgeschehens (Buch II) und der Auferstehung (Buch III) den wichtigsten Stationen des Kirchenjahres, während Buch IV alle drei Themenbereiche in der vom Kirchenjahr vorgegebenen Reihenfolge präsentiert (vgl. dazu auch 11.58 Gnädinger 1973, S. 98f.). Im Vorwort betont Scheffler, er habe sich in seinen Liedern »nicht höher und prächtiger reden oder tief-sinniger Sprüche gebrauchet, sondern nach Beschaffenheit meines Gemüttes die Liebe meiner Seelen mit einfältigen Worten geübet« (Held I, S. 303). Aus solchem von ihm selbst nahegelegten Vergleich mit dem >Cherubinischen Wandersmann< hat die Forschung sich z. T. zu dem Urteil verleiten lassen, durch die ausufernde »Versinnlichung der Gegenstände« entstehe »eine entleerte, rationale Konstruktion, die nur noch die bloße Form in der Hand hält« (11.58 von Wiese, S. 269). Tatsächlich indessen verfügen diese Lieder wie diejenigen aus Spees >Trvtz-Nachtigal< über eine komplexe, aus den Verfahren der Kontrafaktur, der reichen, traditionsbeladenen kirchlichen Symbolik und der brautmystischen Allegorese kontaminierte Bildstruk-
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tur. Ein Beispiel soll im folgenden zeigen, wie diese Häretisches zu verdecken und auf Vereinbarkeit mit der dogmatischen katholischen Tradition hin zu entschärfen, wie sie es aber durch diesen Schutz gerade auch erst inhaltlich zu ermöglichen vermag. Die >Heilige Seelen-Lust< entfaltet das brautmystische Bildfeld (in Lied Nr. 86) mit einer solch gefühligen Ausführlichkeit, daß Browning gerade die erste Strophe dieses Liedes als »peinliches Beispiel« für den angeblichen »Edelkitsch« der ganzen Sammlung zitiert (vgl. IV Browning, S. 70): »Sie singt von der Süßigkeit seiner Liebe 1. Jesu, wie süß ist deine Liebe, Wie honigfließend ist dein Kuß! Der hätte gnug und Überfluß, Wer nur in deiner Liebe bliebe, Wie süß ist es, bei dir zu sein, Und kosten deiner Brüste Wein! 2. Wie süß ist es, in deinen Armen, Empfinden deines Geistes Gunst Und von der heißen Liebesbrunst Bei dir, du heiige Glut, erwarmen! Wie süß ist es bei dir allein, Du süßer Bräutigam, Jesu, sein! 3. Wie süß ist es, mit deinen Flammen Entzündet werden und durchglüht Und ganz und gar in ewgen Fried Mit dir geflossen sein zusammen! Wie süß ists, in ein einges Ein Mit dir, mein Schatz, geschmolzen sein! 4. Wohl denen, die schon ganz versunken Im Meere deiner Süßigkeit! Sie jauchzen dir in Ewigkeit Und sind von deiner Liebe trunken. Wie süße mußt du ihnen sein, Du himmelsüßer Liebeswein! 5. Wie süße, Jesu, o wie süße Wirst du mir sein, wenn ich in dir Genießen werde für und für Der ewgen Gottheit ewge Küsse! Wenn ich mit Gott ein einges Ein In dir, mein Schatz, werd ewig sein.« (HS, S. 158f.)
3) Poesie als Sprachrohr mystischer Häresie (Angelas Silesius)
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Zunächst könnte man annehmen, der bildhaft-konkrete Bereich würde lediglich als Bildspender für im Grunde abstrakte Sachverhalte dienen wie häufig in der »Brautmystik« des Mittelalters. So allerdings ließe sich die im Text evozierte Vorstellung eines »Erwärmens« in der heißen »Liebesbrunst« Jesu leicht metaphorisch entschärfen. Und man darf wohl annehmen, daß dieser in der >Heiligen Seelen-Lust< so häufig und zum Teil noch drastischer formulierte Bildbereich im Vertrauen darauf gestaltet wurde, daß der Leser diesen Metaphorisierungsprozeß bei seiner Lektüre vornehmen werde. Angelus Silesius gibt dazu ja auch deutliche Hilfe. Eine Metapher wie »deiner Brüste Wein« in Strophe l bezieht kirchliche Symbole in das physiognomische Bild des Bräutigams ein: Sie ist im Zusammenhang mit einer auf Christus applizierten Deutung der berühmten Eingangsverse des Hohenliedes entstanden (»Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes / Denn deine Brüste sind lieblicher als Wein«; Hl. 1,1) und verweist auf das Abendmahl (zu Motiv und Deutung des >osculum spiritualeDie Psyche begehrt eine Bienelein auff den Wunden JEsu zu seynGüldenem Tugend-Buch< (GTB, S. 522; vgl. 11.58 Gnädinger 1973, S. 111) - mit brautmystischen Vorstellungen verknüpft (ebda.). Solche dogmatische Entschärfung durch die Identifizierung der Brüste Christi mit seinem Leiden und Sterben am Kreuz wird auch in den beiden Schlußstrophen von Lied Nr. 174 (>Sie begehrt in die Brust ChristiHeiligen Seelen-Lust < ist die Bildlichkeit auch da, wo sie sich ins Häretische vorzuwagen scheint, dogmatisch abgesichert: ein literarhistorisch bedeutsamer Befund, weil sich hier - im Bereich katholischer Mystik - derselbe Sachverhalt erkennen läßt, den Osiander Johann Arndt mit guten Gründen glaubte vorhalten zu müssen: daß der Wortlaut doppeldeutig ist, daß die Texte sowohl rechtgläubig wie häretisch verstanden werden können (vgl. Einleitung). Darin bekundet sich ihre besondere Zeitgenossenschaft: sowohl der argwöhnischen Zensur als auch dem eigenen religiösen Bedürfnis Rechnung zu tragen und sich im Falle Schefflers dazu des reichen Schatzes des in der katholischen Kirche gesammelten Allegoresegutes zu bedienen. Der »sensus Hieraus« wird im Vertrauen auf seine allegoretische Rezeption gestaltet, während doch der »Wortsinn« selbst - wie ursprünglich ja auch im Hohenlied der »Hauptsinn« ist. Die Praxis jahrhundertealter Auslegungstradition ermöglicht demnach hier gerade die Formulierung eines häretischen »sensus literalis«. Und daß dem Dichter gerade dieser am Herzen lag, bezeugt er im Vorwort durch den Hinweis auf die »einfältigen Worte«, die er im Unterschied zu den »tiefsinnigen Sprüchen« des Cherubinischen Wandersmanns< benutzt habe. Derselbe Sachverhalt gilt auch für die schöpfungstheologische Funktion Christi, wie bereits am Lied 23 (»Sie jauchzt über der Geburt Christi«) ausführlich gezeigt worden ist (vgl. III Kemper 1979, S. 103ff.; vgl. dazu auch die Lieder 14, 109, 113, 120). Von dieser Funktion her lag es nahe, mit der »Geburt« des Erlösers wie bei Spee und der Greiffenberg zugleich auch eine »renovatio« der Schöpfung selbst zu verbinden: »1. Jetzt wird die Welt recht neugeborn, Jetzt ist die Maienzeit. Jetzt tauet auf, was war erfrorn Und durch den Fall verschneit. Jetzt sausen die Winde Erquicklich und linde, Jetzt singen die Lüfte, Jetzt tönen die Grüfte, Jetzt hüpft und springet Berg und Tal. 5. Jesu, du Heiland aller Welt, Dir dank ich Tag und Nacht, Daß du dich hast zu uns gesellt, Und dieses Jubel bracht: Du hast uns befreiet, Die Erde verneuet, Den Himmel gesenket, Dich selbsten geschenket;
3) Poesie als Sprachrohr mystischer Häresie (Angelus Silesius)
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Dir Jesu, sei Lob, Ehr und Preis.« (HS, S. 65-67)
Die Natur ist hier nicht nur allegorischer Bildspender für die Erlösung des Menschen, sondern partizipiert wie dieser selbst an der »Inkarnation«, d. h. an der »Inkorporierung« Christi als der »guten« Kraft Gottes in die durch Lucifer und Adam verdorbene »äußerste« Geburt der Schöpfung (vgl. Kap. I 5 b). Und bei diesem Eingehen Christi als einer Kraft in die Natur ist dann eine Unterscheidung von »Wort« Gottes und Schöpfungs-»Leib«, von Göttlichem und Natur kaum noch möglich. Wenn die >MaienHeiligen Seelen-Lust< sind in erstaunlichem Umfang in die Gesangbücher nicht nur der Katholischen Kirche, sondern auch der Lutheraner aufgenommen worden: 32 von ihnen bereits zwei Jahre nach ihrem Erscheinen in ein verbreitetes Gesangbuch des reformorthodoxen Rostocker Pfarrers Heinrich Müller (allerdings ohne Angabe des Verfassers), 21 in ein 1663 erschienenes Görlitzer Gesangbuch von Martin Janus, 18 in das >Nürnbergische Gesangbuch< von 1676 (vgl. 11.58 Scheitler, S. 720f.). Besonderer Beliebtheit erfreuten sich Schefflers Lieder im Pietismus (je etwa 50 Lieder im >Freylinghausenschen Gesangbuch< von 1704 und 1714, 50 in Gerhard Tersteegens >Gesangbuch für die reformierten Rheinlande< von 1739, 75 in Ludwig Nikolaus von Zinzendorfs >Christ-Catholischem Singe- und Betbüchlein< von 1727; vgl. ebda., S. 732f.; vgl. ferner 11.58 Held, S. 66ff.; Werner). Im Zusammenhang mit der sich durchsetzenden Aufklärung wurden die Lieder Schefflers dann seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehr und mehr zurückgedrängt oder »umgedichtet« (vgl. 11.58 Scheitler, S. 744ff.). Im heutigen >Evangelischen Gesangbuch< finden sich noch vier: >Mir nach, spricht Christus, unser HeldAch sagt mir nicht von Gold und
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II. Poesie - magisches Medium der Mystik
Schätzern, >Ich will dich lieben, meine StärkeLiebe, die du mich zum Bilde deiner Gottheit hast gemachK. Gravierende konfessionelle Unterschiede bei der Auswahl und Rezeption der Schefflerschen Lieder lassen sich nicht erkennen (ebda., S. 737) - am stärksten wurden Passions- und Jesuslieder in den Gemeindegesang übernommen (ebda., S. 724) -, gleichwohl haben die orthodoxen Lutheraner die Lieder des Angelus Silesius wegen ihres »Papismus« von Anfang an und später wegen ihrer Beliebtheit im Pietismus beargwöhnt (vgl. ebda., S. 738ff., und die Zeugnisse bei 11.58 Held, S. 149ff.). d) Der cherubinische und der seraphinische Weg - Zur Interdependenz der poetischen Werke Die Unterschiedlichkeit von >Heiliger Seelen-Lust< und Cherubinischem Wandersmanm hat ihr Autor selbst als notwendige Korrelation von zwei verschiedenen, aber sich ergänzenden Frömmigkeitsformen zu kennzeichnen versucht. In der zweiten Auflage der >Sinn= und Schluß = Reime< stellt er mit dem neuen Titel aus dem angelologischen Bildfeld das »cherubinische« Prinzip der Epigramm-Sammlung dem »seraphinischen« der >Heiligen Seelen-Lust< als gleichberechtigt zur Seite: »Glukseelig magstu dich schätzen / wann du dich beyde lassest einnehmen / und noch bey Leibes Leben bald wie ein Seraphin von himmlischer Liebe brennest / bald wie ein Cherubin mit unverwandten äugen Gott anschawest: denn damit wirstu dein ewiges Leben schon in dieser sterbligkeit / so viel es seyn kan anfangen / und deinen beruff oder außerwälung zu demselben gewiß machen.« (CW, S. 13)
Beide Formen der Engel-Nachahmung hat Scheffler, wie Gnädinger gezeigt hat, den Lehren des Dionysius Areopagita über >Die Hierarchien der Engel und der Kirche< entnommen (vgl. 11.58 Gnädinger 1966, S. 152). In dessen System bilden Cherubim und Seraphim zusammen mit den von der Materie am weitesten entfernten »Thronen« die oberste Engels-Triade. Scheffler reduziert diese »auf das Gegensatz- und Spannungsverhältnis von Cherubim und Seraphim« (ebda., S. 154). Damit gelangt zugleich die Geschlechterpolarität in die Beziehung von Mensch und Gott, aber auch - an Böhme erinnernd - in den Gottesbegriff selbst. Der cherubinische Weg ist der >männliche< der Erkenntnis, der seraphinische der >weibliche< Weg brautmystischer Affekthaftigkeit und Herzerhebung (vgl. dazu auch 11.58 Haas, S. 182f., 194ff.). Diese Polarität bestimmt vom dritten Buch an aber auch die innere Struktur des >Cherubinischen Wandersmanns< selbst. Dementsprechend begreift sich das Ich in diesem Werk nicht nur als Sohn der Gottheit, sondern es
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möchte als Maria zugleich Gott selbst gebären (vgl. CW, S. 30, 34, 110). In solchem mystischen Geschlechtertausch spiegelt sich wiederum die Sehnsucht nach Aufhebung der kreatürlichen Grenzen und Differenzen, nach Androgynität als Inbegriff der Aufhebung aller Sehnsucht nach dem anderen, als völliges Einswerden von Gegensätzlichem, das mit der Schöpfung als göttlichem »Geburtsakt« in die Welt gekommen ist und nur beseitigt werden kann nach Überwindung der Spannung zwischen dem Erkenntnis- und dem Liebesweg selbst. Der Cherubinische Wandersmann< ist nicht zuletzt deshalb auch das gehalt- und wertvollere Werk, weil es diese Problematik fortlaufend meditiert und gestaltet, ohne sie indessen lösen zu können. Darüberhinaus erweitert Angelus Silesius das seraphinische Prinzip gegenüber seinem neuplatonischen Gewährsmann. Zwar nutzt auch Scheffler die Fähigkeit der Seraphim, »alle tieferstehenden Ordnungen emporzuführen« (zit. in 11.58 Gnädinger 1966, S. 152), doch impliziert das »Brennen« von »himmlischer Liebe« bei ihm zugleich die entgegengesetzte Richtung des göttlich-liebevollen Herabsinkens zu den Kreaturen: Mit der weltflüchtigen »Aufwärts«-Bewegung fängt das Ich das »ewige Leben« bereits im Diesseits an, mit der Herablassung indessen sichert es seine »außerwälung« - eben durch das Tätigsein, durch die Tugendübungen in der Sozietät. So heißt es in Lied 200 am Ende der >Heiligen Seelen-LustSinnlichen Beschreibung der Vier letzten DingeDie Auferstehung< in Abb. 14 aus I Gassen/Holeczek, Nr. 48). Und in seiner Schrift
Abb. 14
>Vom himmlischen Jerusalem< erklärt Meyfart die »Klarheit der auferweckten Leiber« nach Analogie der »leuchtenden Johanniswürmlein«
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(I Zeller, S. 126). Der orthodoxe Lutheraner Philipp Nicolai (1556-1608) imaginiert den Aufflug dieser vergeistigten Körper zum Himmel: »Vnd darauff werden sie alßbald sich von der Erden erheben / vnd in die Hohe fahren / daß es scheinen wird / als sehe man einen grossen hauffen schOner Sonnen vnnd Schoner Sternen nach den Wolcken deß Himmels von der Welt aufsteigen . . . « (II, S. 674)
Über die künftige Beschaffenheit des Leibes spekuliert auch bereits ausführlich Lied 202 der >Heiligen Seelen-Lust< (HS, S. 362ff.), und dieselbe Vorstellung findet sich wieder in der >Sinnlichen BeschreibungBetrachtungen< ein geradezu heils-notwendiges Medium und Organ, in dem sich wie in den poetischen Andachtsübungen Specs und Schefflers oder dem poetischen Evangelium Kuhlmanns dieser Prozeß der Heilsaneignung ereignet, und dann ist die Begegnung mit dem irdischen (historischen) Jesus nicht Ziel und Zweck, sondern nur Anlaß und Mittel zum gegenwärtigen Umgang mit dem Numinosen. Damit freilich geraten Menschwerdung und Opfer Christi bei der Greiffenberg in die Gefahr des Doketismus, und diese ist in ihrer Inter-
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pretation der Ubiquitätslehre angelegt. Nicht zufällig betraf eine der heftigsten christologischen Streitigkeiten im Luthertum des 17. Jahrhunderts die Frage, wie man sich den leiblich ubiquitären und omnipotenten Erlöser auf Erden, also im Stande der Erniedrigung, denn zu denken habe und welche Funktion seine Gottheit während seiner irdischen Lebens- und Leidenszeit hatte. Dieser Streit wurde vornehmlich zwischen den Gießener und Tübinger Theologischen Fakultäten - hauptsächlich in den zwanziger Jahren - ausgetragen. Die Gießener behaupteten, Christus habe sich als Mensch der göttlichen Eigenschaften »nicht bedienet und daher weder seine Allgegenwart, noch Allmacht und Allwißenheit sehen lassen, daß also der Stand der Erniedrigung darin zu setzen, daß sich Christus in den Tagen seines Fleisches des Gebrauchs der gottlichen Eigenschafften entäussert und also sein Leben vielmehr in Leyden und allerhand Schwachheiten zugebracht« (II Walch I, S. 209). Gegenüber dieser »Kenosis«- oder Verzicht-These, die sich allgemein im Luthertum durchsetzte, beharrten die Tübinger auf ihrer »Krypsis«- oder Verhüllungstheorie, die besagte, »daß Christus nach seiner menschlichen Natur krafft der personlichen Vereinigung, folglich so fern er als eine Person anzusehen gewesen, im Stand der Erniedrigung allezeit allgegenwärtig und allwissend gewesen wäre, und daß er sich des Gebrauchs der gottlichen Allmacht niemahls enthalten, ausser bey seinem Hohenpriesterlichen Ammte und denjenigen Verrichtungen, welche bey dem ErlOsungs = Werck wären verhindert worden, wenn er sich als ein allmächtiges Wesen hätte erweisen wollen; da er hingegen bey seinem Königlichen Ammt solche Allmacht gegen alle Creaturen und bey der Regierung der Kirche würcklich und allezeit, wiewol auf eine verborgene Weise ausgeübet hätte.« (Ebda., S. 210)
Die Tübinger Position sicherte insofern Luthers Interesse an der Ubiquitätslehre, als sie die Einheit der Person zu wahren suchte und diese nicht in einen irdischen Jesus und einen göttlichen Christus auseinanderfallen lassen wollte. Aber ihre Gefahr bestand in einem latenten Doketismus; denn wenn der irdische Jesus einen allgegenwärtigen Leib haben sollte, mußte sein menschlicher Körper dann nicht Schein-Charakter gewinnen? Und wenn er im Stande der Erniedrigung unverändert seine göttlichen Königsämter wie im Stande der Erhöhung wahrnahm (vgl. dazu Bd. I, S. 187f.), bestand dann nicht trotz der Tübinger Einschränkung die Gefahr, daß die Allmacht auch bei Leiden und Sterben Jesu mitgewirkt, das Opfer des Menschen Jesus damit entwertet habe, ja daß der göttliche und allmächtige Jesus gar nicht wirklich habe sterben können? Die Greiffenberg vertritt nun diesen Tübinger Standpunkt und den daraus folgenden Doketismus. Zwar betont sie, Christus sei Fleisch ge-
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worden mit einem völlig menschlichen Körper und einer menschlichen Seele, die heranwuchs wie bei anderen Kindern (vgl. AB III, S. 41; IV, S. 780), doch zugleich insistiert sie auf der Allgegenwart des irdischen Jesus trotz seiner für die Augen sichtbaren räumlichen Beschränkung (vgl. AB III, S. 357; im folgenden zu Luk. 2,43): »Das Kind JEsus / das doch zugleich ewig-Vatter und warhaftiger GOtt wäre / bliebe zu Jerusalem / um einen Blick seiner Gottheit aus seiner Kindheit zu thun: Es bliebe da / wo es / seiner Gottheit nach / allezeit war / nämlich bei seiner Kirchen und Tempel / und wäre doch auch / kraft selbiger / auf dem Weege nach Hause bei seinen Eltern; es wäre darbei / wiewol es nicht mitgienge / und bliebe im Tempel / ungehintert es die ganze Welt erffillete.« (AB IV, S. 806)
Aus Anlaß der Verklärung am Berge Tabor (vgl. AB VII, S. 348ff.) erklärt die Autorin zu dem Vers: »Und sein Angesicht leuchtet wie die Sonne« (Mt. 17,2), hier habe Jesus »die Verhullungs = Decke hinweg gezogen«, so daß der »wesend = und wurckliche Glantz des gottlichen Wesens« »von seinem innersten Wesen heraus« einmal sichtbar geworden sei (AB VII, S. 365). Und als es ans Leiden geht, da erhält »die kraft der Gottheit« »das Leben« (AB IX, S. 110), aber damit verhindert die »Allmacht« zugleich, »ihm die Empfindlichkeit vor der zeit zu benehmen« (AB X, S: 353; vgl. ebda., S. 567, 751), d. h. sie erleichtert nicht, sondern erschwert den Opfergang Jesu, - aber sie ist unmittelbar daran beteiligt. In einem Sonett von 1662 >Auf Christi Schmerz = und erbärmliche Creutzigung< spricht sie unverhüllt aus, daß die Gottheit der Menschheit Jesu wesentlich beim Kreuzes-Leiden geholfen habe, ja letztlich dafür verantwortlich sei, daß Jesus sein Opfer habe vollenden können: »Die GOttheit ist in ihm / doch nicht in Leidensplagen Die Sonn wird nicht genetzt / scheint sie im Wasser schon. Die GOttheit / gibt ihm Krafft / ist des Verdienstes Krön / erhält die Mensch = Natur / und last sie nicht verzagen. Die Glori-Strahlen sie einziehet / nicht die Krafft. Er äussert sich allein der Majestät / Macht / Wurden / und seiner GOttheit nicht: die ihm die Krafft verschafft / daß Er vollziehen kan die innern Lieb = Begierden. Sie ist der Gold = Geist / der das schwere Leidens = Bley / vor GOtt Goldgfiltig macht / daß es Erlösung sey.« (GSL, S. 146)
Das Sterben schließlich sei, so läßt die Greiffenberg Jesus selbst beteuern, »kein blendwerk / sondern eine warhaftige wirkliche Auflosung des Bandes der Natur zwischen Leib und Seelen« (AB X, S. 780); und doch ist der Tod Jesu letztlich nur Schein, denn »die Gottheit bliebe der
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Menschheit / auch im tode / unzertrennlich vereinigt / ob schon die Seele vom Leibe geschieden war« (ebda., S. 884; vgl. ebda., S. 779f.). »Ich kan mich nicht enthalten / mein JEsu!« ruft die Autorin nach der umständlichen Explikation dieses Sterbens-Doketismus aus, »ich muß einen Ausruf thun über die Wunder! die ich in diesem Haubt = punct finde«, und sie verfällt - wie so häufig auf dem Höhepunkt ihrer Betrachtungen - in Verse, in denen sie den Gedanken pointiert und variiert: »Du lebst und stirbst zugleich O wunder = volles werke! Es lebet / JEsus und stirbt JEsus doch dahin. Jst doch ein JEsus nur! O Erd und Himmel! merke: derselbig JEsus stirbt der war von anbeginn; und eben dieser lebt / der hier den Geist aufgibet. Er lebt / und stirbet doch; stirbt / lebt zugleicher frist / der jedes wesentlich / doch unverminglich /übet. Jn jedem völlig er / doch unzerteilet / ist.« (Ebda., S. 781)
Die Verse verdeutlichen durch die zeitliche Perspektivierung (»der war von anbeginn; / und eben dieser lebt«) die aus Ubiquität und Doketismus folgende geschichtslos-mythische Betrachtungsweise der Greiffenberg. Geburt, Leben, Leiden und Sterben faßt sie nicht als Daten einer historisch greifbaren Biographie, sondern als eigentümlich präsentische Heils-Stationen, die sie wie Spee oder Scheffler mitvollzieht und nacherlebt. Doch während sich die katholischen Mystiker des Imaginationscharakters ihrer »Eynbildungen« bewußt sind und den irdischen Jesus im Himmel wissen, ist letztlich die präsentische Allheitsvorstellung der Greiffenberg für deren aktualisierende und spiritualisierende BibelAdaption verantwortlich. Indem sie Leben und Leiden Jesu betrachtet, beginnt sie in den omnipräsenten Erlöser hineinzuschmelzen (hier bei der Vergegenwärtigung des Jesus-Kindes): ».. .du kleiner Jmmanuel! du liebfeuriges Flammen-Herz! du Gunst-glühendes Kohlen-Kind / wie brennest du die Seelen? du kleiner Herz-Magnet / wie ziehest? du Sinnen-Zunder und Zucker/ wie entflammest und reitzest du? daß man ganz entglühen und zu Feuer und Aschen werden / ja / dich vor Lieb essen und verschlingen mochte! O! Flammen-fliegender Liebes-Reitzer! wie ists möglich / daß nicht unser Blut zu Flammen wird / wann man dich ansieht / oder deiner gedenkt? du Lieb-entzfindender Zfinde-Strick! wie kan ich / von dir berührt / nicht als ein Schieß-Pulfer alsbald in die Luft aufgehen?« (AB III, S. 334f.)
Von daher ist die Vergegenwärtigung aller Einzelheiten des Lebens- und Leidensweges Jesu auch keineswegs ein Beweis gegen den Doketismus des Christus-Bildes. Denn zum einen verstärkt die imaginative »compassio« wie bei Spee und Scheffler den präsentischen Charakter des Chri-
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stus-Opfers: »Jetzt wird es dir / mein liebster HErr JEsu! recht an den Leib / und mir ans Herze / gehen. Ach! es ist mir ein Kreutz / deine Kreutzigung zu nennen / und ein Schmerz / mir solche einzubilden« (AB X, S. 550). Und fast wie bei Spee steigert sich die betrachtende Seele zum realitätsanalogen Mitvollzug des Martyriums, um am »opus Christi« unmittelbar zu partizipieren: »Jch will durch innigliches Mitleiden / aus eigentlichster Einbildung / am Hertzen die schmerzen fühlen / die ihme das unbarmhertzige Kreutzeinstossen in die Erde : an seinen heiligen Hände = und Fusse = wunden verursachet hat« (ebda., S. 566). Zum ändern bekennt die »Braut Christi« aber auch, sich »an des Geliebten schmerzen und jammer« zu »ergetzen«. Als Erklärung für diese »gemischte Empfindung« gibt sie (im Gegensatz zu Schillers Erklärung für das >Vergnügen an tragischen Gegenständen^ gerade ihr Wissen um den »untragischen« Ausgang von Jesu Opfergang an: »Wann ich meinen Erloser nicht in der freude wüste / konte ich keine freude an meiner Erlösung haben. . .. Die wolwissenheit von seiner Herrlichkeit / lasset die freude zu / ob sie schon / das durch die einbildung voriger schmerzen gefasste mitleiden / keinen augenblick zu verringern pfleget« (AB IX, S. 433). - Tod-ernst aber ist das Sterben Jesu für die Greiffenberg auch deshalb nicht, weil ihr ein eigenes Sünden- und Schuldbewußtsein für das Opfer Jesu weitgehend fehlt. Der Unterschied zu den diesbezüglich qualvollen lutherischen Selbstvorwürfen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist jedenfalls sehr auffällig (vgl. dazu Bd. II, S. 249ff.). c) »Das allerliebste JEsulein / will mit Gewalt ergriffen seyn« Zur Einverleibung der Himmels-Kraft In dem bereits zitierten Rollengedicht zwischen Jesus und seiner »Geliebten« bekennt dieser: »Du hast mir mein Herz geraubet durch eins deiner Augenliecht. Wann man brünstig an mich glaubet / man mir gleich das Herze bricht. O du Diebin meiner Sinnen! wer doch lernte dich die Kunst / Mir zugleich mein Herz und Gunst / so verzaubert / abzugwinnen?« (AB III, S. 458)
Auch diese Kunst lehrte die Greiffenberg im Grunde ihr lutherischer Glaube. Die »Allheits«-Vorstellung ist letztlich »schuld« an ihren Umdeutungen weiterer dogmatischer Grundbegriffe wie Gnade (»sola gra-
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tia«), Glaube (»sola fide«) und des Sakramentsverständnisses. Aus ihr erwachsen - wie die zitierten Verse bereits illustrieren - das selbstherrliche Gefühl einer magischen Beherrschbarkeit des Numinosen und der Impetus zur Selbstvergottung, und dies sowohl durch den Gebrauch kirchlicher wie auch außerkirchlich-poetischer »Gnadenmittel«. Dem nur schwach ausgeprägten Büß- und Sündenbewußtsein der Greiffenberg korrespondiert eine schier unerschütterliche Erwählungsgewißheit. Wiederum in völliger Übereinstimmung mit der lutherischen Orthodoxie, die gegenüber dem forensischen Gottesbegriff und der Prädestinationslehre des Calvinismus im 17. Jahrhundert mehr und mehr die Liebe Gottes als dessen entscheidende Eigenschaft betont und von daher seinen Willen, »daß alle Menschen seelig werden / und zur Erkantnüß der Warheit kommen«, bekräftigt hatte (II Winckelman, S. 50), erklärt auch die Freifrau: »GOtt hat seinen Sohn nicht gesandt / dz er die Welt richte / soviel weniger zu Fall bringe / sondern daß die Welt durch ihn seelig werde« (AB IV, S. 668). Und da »eine unveränderliche Güte in GOtt glauben« »der einige wahre Grund der Theologiae und GOtteswissenschafft« ist (AB V, S. 370), stellt die calvinistische Prädestinationslehre für sie eine »Majestät = verletzende Sünde« dar (AB VIII, S. 530). Die Menschwerdung des Gottessohns ist der untrügliche Beweis dieser Gottesliebe: »O Wort! das / GOttes Kind zu werden / gibt Macht dem schnöden Staub der Erden. O Macht / die nur die Allmacht hat / wann sie verschwestert mit der Gnad. Macht! die Macht über Gott selbst gibet! was kan dem Kind er schlagen ab / was kan er weigern / da er liebet? Und was kan er fur eine Gab versagen / der das Herze schon gegeben in und mit dem Sohn?« (AB III, S. 66)
Damit wird noch stärker als bei Paul Gerhardt (vgl. Bd. II, S. 266ff.) die in der Liebe begründete Verfügbarkeit Gottes durch den Menschen betont. Wie für Luther sind für die Greiffenberg die Eigenschaften Gottes keine ontischen Qualitäten mehr, sondern manifestieren sich als Aktivität - bei der Freifrau allerdings in einem Sinne, der sich stark dem hermetischen »Attraktions«-Denken annähert: »dann die eigentlichste Eigenschaft GOttes ist / alles an sich ziehen / und mit ihme vereinigen« (AB IV, S. 669; vgl. AB V, S. 603f.). Wenn der Mensch also den Gottessohn »begehrt«, kann sich dieser ihm gar nicht verweigern (sonst würde er gegen seine Natur verstoßen) - wie weit hat sich ein solch selbstbe-
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wußter »unio«-Anspruch von den spätmittelalterlich-mystischen Erfahrungen der Gottesferne (vgl. dazu III Kemper 1979, S. 94ff.), des göttlichen »Verzugs« (vgl. dazu AB X, S. 870) fortentwickelt! Die philosophisch-vernünftige Erklärung für diese Position zeigt wiederum bereits eine überraschende Nähe zu philosophischen und theologisch-neologischen Positionen der Aufklärung (vgl. Bd. V): »Die Begierde / die eigentlich und einig allein auf Christum gerichtet ist / wird allezeit gewähret / weil sie unlaugbar gut / daher unfehlbar-richtig ist: Dann was rechtschaffen gut / ist schon im Gottlichen Schluß ausgemacht / daß es uns muß gegeben werden; nichts bessers aber ist als Christus / daher auch nichts gewissere.« (AB IV, S. 638)
Die göttliche Liebe ist »verschwestert« mit der Gnade (vgl. zu dieser auch AB IV, S. 927ff.). Insofern letztere das Heilshandeln ausschließlich initiiert, bleibt das lutherische »sola gratia« gewahrt, und doch verkehrt sich die ursprüngliche Intention - das Beharren auf dem »ubi et quando visum est Deo« - ins Gegenteil, weil sich Gott durch Liebe und Gnade so in die Macht des Menschen gibt, daß der Heilsprozeß dessen »Werk« zu werden vermag. Dies zwar nicht durch verdienstliche »gute Werke« wie im Katholizismus, sondern »allein durch den Glauben«, doch dieser ist für die Greiffenberg keineswegs nur ein Fürwahrhalten oder Wissen der Glaubensartikel oder eine »fiducia« im Sinne Luthers, sondern ein dem göttlichen Gnadengeschehen von Seiten des Menschen antwortendes - letztlich magisches - »Bezwingen« Gottes: »Unmögliche ist nur dem unmöglich / wer nicht glaubet / daß alles möglich sey / dem / der glaubt festiglich. das Un im nu / der Glaub / der Unmöglichkeit raubet. Band / Ketten / Thor / und Thor / dem Glauben offnen sich. Er ist die Cabala / so die Natur bezwinget / ja selbst den höchsten GOTT im ringen öberringet.« (AB X, S. 61 Of.)
Dieses »Bezwingen« Gottes geschieht im wesentlichen durch zwei Mittel, die zunächst wiederum kirchlich sanktioniert sind, aber - wie nun zu zeigen ist - im Gebrauch der Freifrau häretisch werden: durch das Abendmahl und das Gebet. - Ihr exorbitantes Interesse am Besuch des Sakraments ist biographisch bezeugt. Immer wieder unternahm sie strapaziöse, mehrtägige Reisen nach Ungarn, Regensburg und alljährlich auch nach Nürnberg, um an dieser kirchlichen Feier teilnehmen zu können (vgl. 11.20 Liwerski I, S. 157). Die heilige »JEsus = Geniessung« ist für sie »eine solche Wunder = Wonne / Wollust = Susse / Freuden = Meer / und Ertz = Lieblichkeit / daß man bey jetziger Geist = Begreifflichkeit fast nicht finden kan / wie es muglich / daß in dem Him-
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II. Poesie - magisches Medium der Mystik
mel eine grossere Wonne seyn kan« (AB VII, S. 409). Der Grund hierfür liegt wiederum in ihrem Wörtlichnehmen der Bibel, hier der Einsetzungsworte Jesu (vgl. Lk. 22,19f.): »HOret doch / um GOttes Willen! was JEsus sagt: Mein Fleisch ist die rechte Speiß / nicht das Brod / nicht das Zeichen / nicht die Einbildung / sondern mein Fleisch / sagt er ausdrucklich. Also muß ja das warhafftige / wesentliche / wörckliche Fleisch JEsu Christi im H.H. Abendmahl seyn.« (Ebda., S. 183)
Und ebenso Christi »eigenes / mit der Gottheit vereinigtes / und krafft selbiger Gottliches Blut«, das deshalb als »der rechte Geist = und Strahlen =Trunck«, »der rechte Krafft = Tranck« »die Krafft und Safft der selb = Selbsten Gottheit mit sich bringet« (ebda., S. 183f.). In einer ganzen Reihe von Abendmahlsliedern und -gedichten (vgl. GSL, S. 177ff.; AB VIII, S. 896ff.; IX, S. 43ff.) verherrlicht die Autorin das Nachtmahl als Ort der leibseelischen Vereinigung mit Leib und Blut des Erlösers, und dabei unterscheiden sich ihre Vorstellungen vom »himmlischen Leib« Christi von denen der Spiritualisten offenkundig nicht (vgl. Kap. I Ic): »GOTT = durch = strahlter JEsus = Leibe / Ewig meine Wollust bleibe / Du durchgottlichts JEsus = Blut / Meiner Brunst Karbunckel = Flut / Engel = Nectar / Himmel = Wein / Aller Liebes = Geister Schrein / Wo der heilig Geist versuncken / Sich verstrahlt im(!) tausend Funcken.« (AB VIII, S. 898; vgl. GSL, S. 178)
Daß die »JEsus = Niessung« bereits jetzt »in sein Wesen verwandelt« (AB VII, S. 186), bedeutet, daß die Gläubigen konsequenterweise auch die im göttlichen Leib Christi verborgenen Kräfte in sich aufnehmen und an seiner Allheit partizipieren (vgl. AB III, S. 528, 535f.), ja damit erhalten sie bereits »das ewige Leben«, bevor sie in die Ewigkeit gelangen, »denn der kan nicht anders als leben / in welchem die Krafft aller lebendigen Geister und Lebens = Kräffte verschlossen ist« (AB VII, S. 181 f.). Nichts zeigt besser, daß die Freifrau den Empfang des Nachtmahls als wesentliche »unio« mit dem Gottessohn auffaßt, als seine Einbeziehung in die brautmystische Bildwelt. In den beiden folgenden Quartetten gestaltet sie den sakramentalen Vorgang als orale LiebesVereinigung von Braut und Bräutigam: »Nicht nur in Noht und Tod / auch wesentlich im Mund / gibt sich mein Liebster mir / mit Sfissigkeit zufühlen. Sein lieb = erhitztes Blut solt meine Herz = Hitz stillen. Jch kuss' / und iss ihn gar vor Lieb' in meinen Schlund.
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Nicht näher er sich ja mit mir vermählen kund. Er gibt sein eignes Herz / mir meine Gier zu stillen: vermacht sich uns selbselbst in seinem letzten Willen / der auch sein Erster war noch vor der Erden Grund.« (GSL, S. 181)
Es ist allerdings kein einseitig von Christus ausgehendes LiebesGnaden-Geschehen, der gewalttätig-»gierige« Gestus der »kannibalischen« bräutlichen Heilsannahme verleiht dem Empfang des Himmelsleibes durchaus den Charakter menschlicher »Vereinnahmung« der göttlichen Himmelskraft. - Diese geschieht nun ferner durch die kirchen-ungebundene Form des Gebets, dem Luther bereits nahezu magische Wirkung zugesprochen hatte (vgl. Bd. II, S. 24). Die Greiffenberg übertrumpft ihn, indem sie ein weiteres Mal ein Jesus-Wort nicht nur im Wortsinn, sondern im wörtlichen Sinne magisch versteht: »Bittet / so wird euch gegeben« (Mt. 7,7). »Mit dem über = glücklichen Betens = Befehl setzt er uns wohl recht das aller gewünschte Wunsch = Hütlein auff / daß wir in die Schatz = Kammer der Allmacht fliegen / und daselbst alles erwünschbare erlangen mögen«, und zwar sowohl »Leibs = als Glücks = Güter« (wie Heilung von Krankheiten) als auch »gar die Gottliche Krafft / was das meiste / die Gottheit selber« (AB VII, S. 109f.; vgl. ebenso AB III, S. 570ff., ferner SS, S. 24f.). Deshalb auch gehen die Betrachtungen unentwegt in Gebete über, und die Freifrau selbst vermochte sich offenbar so stark in ihre Andacht zu versenken, daß - so wird berichtet - selbst ein Erdbeben diese nicht zu durchbrechen vermochte. Indessen bestehen die >Betrachtungen ihrerseits nicht nur aus zahlreichen Gebeten, sondern sind selbst eine unentwegte Andacht, die in sinnlich-imaginativer Vergegenwärtigung und »Begehrlichkeit« mit dem Numinosen »verkehrt«. Dies bedeutet zunächst, daß die Greiffenberg, die bezeichnenderweise in Briefen an Birken die Möglichkeit erwägt, sich selbst das Abendmahl zu spenden (vgl. 11.20 Liwerski I, S. 167ff.), dies offenkundig im Medium ihrer >Andächtigen Betrachtungen unternimmt: Die >Passions-BetrachtungenDes Allerheiligsten Lebens JESUAbendmahls = Andachten (AB VIII, S. 822-1050). Sie schließen dieses Werk also zu einer Kreiskomposition und machen auch von daher die These plausibel, die Betrachtungen seien selbst ihrer Struktur nach ein »exercitium mysticum«, in welchem die Autorin durch die unentwegte »Schau« des sich opfernden Gottessohns selbst
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II. Poesie - magisches Medium der Mystik
dessen Opfer im magisch-imaginativen Akt eines poetischen Priestertums (nach-)vollzieht: »Das Greiffenbergische Lobopfer der >Betrachtungen< ist Eucharistie« (11.20 Liwerski I, S. 308). Methodisch gehört zu dieser magisch-sakramentalen Gottes-Feier der »unio« neben der meditativen die affektive Applikation, das ignatianische Verfahren des Sich-Hineinversetzens in die biblischen Figuren, vor allem in Lebensund Leidensweg Christi selbst. Schon der Titel >Betrachtungen< verweist auf das für die Barock-Mystik so charakteristische Moment des Imaginierens, des optischen Vergegenwärtigens durch die Sprache als das entscheidende Stimulans für die emotionale Bewegung. Der einleitende Kupferstich zur Betrachtung über >JEsu Darstellung im Tempel< bringt dies auf die geradezu epochentypische Formel: »Sehen macht Sehnen« (vgl. Abb. 15, AB IV, S. 1128; vgl. ebda., S. 608). Dieses Sehen umfaßt für die Greiffenberg nicht nur die optische Wahrnehmung, sondern meint ein prozessuales Geschehen, das bis zur »genießenden« Teilhabe am Numinosen führt: »Sehen ist (wie bekannt) in heiliger Sprache und Schrifft so viel / als wissen / erkennen / geniessen und empfinden / ja einer Sache gantz theilhafftig / mächtig / und davon eingenommen werden. Also will JEsus so viel damit / als daß wir seiner Herrlichkeit mithabhafft geniessend' und von und in solche eingenommen und gleichsam in sie verzuckt / und von ihr verschlungen werden sollen. Denn gleichwie eine Sache / durch das Sehen / erstlich in die Augen / folgends in das Gemüt kommet / und solches einnimmet / also soll auch Eusser und Inneres / alle Sinnen und Kräfften des Menschen / von solcher seiner Herrlichkeit erfüllet / ergriffen / erhellet und verherrlicht werden / ja so durchgangen / versüsst / und versenckt in solche seyn / daß nichts / als gottliche Herrlichkeit an = und von uns gesehen wird; Gottliche sag ich; denn die Herrlichkeit die GOtt der Vatter unserm Herrn und Heyland Christo nach seiner Menschheit gegeben / ist eine gottliche Herrlichkeit / eben diese sollen wir sehen / und geniessen in ihm.« (AB VIII, S. 596f.)
Dieses Zitat stammt aus der Betrachtung über das Gebet Christi zu seinem himmlischen Vatter< und verdeutlicht damit die Identität von Beten und »Betrachten«, von Schauen und Glauben. Auch letzteres zielt als »fiducia« für die Greiffenberg ab auf das endliche »Sehen« des Erlösers: »Das Vertrauen gehet endlich auf ein Schauen aus / und lasset sich Christus nicht allein horen / lesen // predigen und ankundigen / sondern auch letztlich sehen / wie von den Weibern und Jungern nach seiner Auferstehung« (AB IV, S. 639; vgl. dazu auch 11.20 Liwerski II, S. 462). Das in den >Betrachtungen< vorweggenommene Sehen impliziert schließlich auch - analog zu Gen. 4,1 - das >Erkennen< als Bezeichnung für die »unio« zwischen Braut und Bräutigam. Wie sehr es der Autorin
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Abb. 15
gelingt, mit Hilfe der Imagination einen solchen affekterregenden Prozeß des Sich-Hinein-Versetzens in Christus und des Durch-Drungen-Werdens von diesem poetisch zu inszenieren, mag folgendes Sonett >auf daß Blut aus JESU Nasen und Angesicht / durch den Bakken = Streich< zeigen: »DU Himmels = Kieselstein / wie spritzt du Blutes = Funcken! Ihr Menschen / die ihr seyd viel härter als ein Stein / Und über Tiger (= ü. T. hinaus) boß / schlagt ihr in den hinein / Vor dem die Cherub selbst im Ehrfurcht = Meer versuncken /
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II. Poesie - magisches Medium der Mystik
Jch wolle /könnt ich mich in dieses Spring = Blut duncken / Vor alles in der Welt / gern Christi Schnuptuch seyn / Das mit dem süßen Blut gefärbet nicht allein / Ja gantz durchdrungen war / und vollig angetruncken O! Hertz = Bekehrungs = Safft / du Safft / der vollen Lieb / Dich mir aus Nas und Mund zu küß = und trincken gieb' / Jndem das Leben selbst der Lieb' und Gottheit lebet / Spring her in Hertz und Mund / Blut! Englisch Himmelreich! Jndem der Göttlichkeit all' ihre Wollust schwebet / Ergetz mich / ob ich schon vor Freuden sterbe gleich.« (AB VIII, S. 936f.)
Bereits die Eingangszeile verdeutlicht die außerordentliche Schwierigkeit, die >Metaphorik< im Greiffenbergschen »Wörterwerk« zu bestimmen. Insofern die erste Zeile nur sagen will, daß Jesu Nase blutet, spricht sie in Metaphern, bei »Blutes-Funken« sogar mit einer kühnen, weil hier Unvereinbares (Feuriges und Wässeriges) kontaminiert sind. Aber eben diese »Metaphern« verleihen der Banalität des Nasenblutens eine weitere Ebene des Eigentlichen: Es ist nicht nur der irdische, sondern zugleich der »Himmels«-Jesus, dessen Nase »blutet«, es ist der »Allheits«Christus, den die Cherubim ehren, der Gottessohn, der auch als Mensch seinen ubiquitären Verklärungsleib besitzt, sein »himmlisches Fleisch«, das aus Glanz und Feuer-»Funcken« besteht und zugleich in seiner »Ertz«-haften Qualität alle irdischen Metalle übertrifft. Im Blick auf diesen himmlischen Jesus repräsentieren die »Funcken« die Ebene des Eigentlichen und das »Blut« nur die (irdisch-) metaphorische Hülle. Im vorangehenden Gedicht spricht die Autorin von »deinen Blut Carbunkkeln« (ebda., S. 936), und unermüdlich greift sie in ihrem Werk auf die Bildwelt der Alchimie zurück, um Christus, sein Blut und den aus diesem fließenden Gnadenprozeß zu beschreiben: Er ist der »himmlische Chymist und Auszugs = Künstler« (AB V, S. 483), »der rechte Theophrastus / der nicht allein das Aurum potabille(l), sondern das Divinum potabile & omnipotens, nicht nur das Trink = Gold / sondern das gottliche Trank / und die selb = selbste Allmacht ist / und hat« (AB VI, S. 1216). Sein Blut ist infolgedessen »der Auszug allen Wesens / die alles verschaffende Himmels = Kraft« (AB X, S. 591), »die Tinctur / Essenz / Extract des Geist = und Erz = Auszugs alles Lebens« (AB VII, S. 181 f.). Dieses ganze alchimistische Bildfeld kann die Greiffenberg in einen Vers zusammendrängen: »JEsu! GOtt-Gold-Geist des Geistes! der es alles Gottlich macht!« (AB III, S. 474)
Und zugleich liegt die alchimistische Vorstellungswelt - in z. T. ausufernden Bildfeldern - ihrem ganzen Werk zugrunde. Das Blut ist also
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auch im zitierten Sonett eine Kontamination von Feuer und Wasser »Der Geist ist im Blut / und dein Blut ist voll Feuer und Flammen. Ach! entzünde / und verbrenne mich damit« (AB X, S. 594) -, ein »Flammen = Fluß« (ebda., S. 605), der in dieser Verbindung der einander entgegengesetzten Elemente zugleich auf die Funktion Christi als einer »quinta essentia« verweist (zur Zusammensetzung des Bluts auch aus Feuer in der medizinischen Theorie Galens vgl. Bd.II, S. 96). Die Autorin begreift das Blut als eine einheitliche, ubiquitäre Substanz, die somit auch in den von Jesus gestifteten Sakramenten, der Taufe (vgl. AB IV, S. 986ff.) und dem Abendmahl, gleichermaßen wirkt. Auch das Blut, das der irdische Jesus vergießt, ist dieses himmlische »aurum potabile«, und nur unter dieser Voraussetzung wird der bildliche und gedankliche Progreß im Sonett vom Nasen-Blut zum »Hertz = Bekehrungs = Safft« mit dem Hinweis auf dessen Niessung im Abendmahl verständlich. Und nur die präsentisch-ubiquitär-doketische Auffassung macht die »Schnuptuch«-Sehnsucht begreiflich, weil das Durchtränktwerden mit dem Blut gleichbedeutend mit der Vergottung ist, sie erklärt, warum das im traditionellen poetischen MitleidsWunden-Kult beheimatete Gedicht mit solchem »Ergetzen« endet, daß das Ich »vor Freuden sterben« könnte, und sie macht begreiflich, daß und warum sich das Sonett von sehnsüchtiger Imagination (»Jch wolle / konnt ich .. .«) zum unmittelbar gegenwärtigen Vollzug steigert (»Spring her«, »Ergetz mich«): Dieser Bewegungs-Ablauf ist zugleich repräsentativ für die Gesamtstruktur der >Andächtigen Betrachtungen^ Sowohl von der brautmystischen Tradition her als auch aus psychoanalytischer Sicht verbinden sich mit dem Motiv vom »Blut Christi« noch weitere Konnotationen. »Als Jesus Christus«, schreibt Hildegard von Bingen (1098-1179; vgl zu ihr 11.27 Führkötter/Sudbrack), »der wahre Sohn Gottes am Leidenskreuze hing, da wurde ihm die Kirche in der Verborgenheit der himmlischen Geheimnisse vermählt, und sie empfing als Hochzeitsgabe sein purpurfarbenes Blut« (zit. in 11.27 Scherer, S. 41). »Ganz überströmt vom Blute der Seitenwunde, das mächtig in die Höhe sprudelte, wurde sie durch den Willen des himmlischen Vaters dem Sohne Gottes selig vermählt und empfing als kostbare Hochzeitsgabe sein heiliges Fleisch und Blut« (ebda.). Diese zunächst traditionell-allegorische Deutung des blutigen Christus-Opfers als Vermählung mit der Kirche erhält aber bereits bei Hildegard eine spezifisch geschlechtliche Applikation auf das Verhältnis der Frau zu Christus. »Die Heilige Hochzeit«, so erläutert Scherer dies, »ist Vermählung im Blute, das aus Frauen wie aus Seitenwunden fließt; Frauen tragen das Stigma des Gekreuzigten, der mit dem Lanzenstoß ihr Geschlecht emp-
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fing. Sein Blut bezeugt wie das monatliche der Frauen eine Fruchtbarkeit, der sich die Kirche verdankt. So fließt auch Jesu Blut für eine grundsätzliche Unversehrtheit des Körpers. Die Heilige Hochzeit lenkt die irdischen Bräute in die Bahn der Frau, die unbefleckt empfing.« (Ebda., S. 41 f.). Der weitverbreitete spätmittelalterliche Marienkult (vgl. dazu jetzt III Spangenberg) führte insbesondere bei den Mystikerinnen zu einer Identifikation mit der Gottesmutter, die Christus wie folgt empfangen hatte: »Der Heilige Geist berührte mit zarter Glut das Fleisch der Jungfrau, ohne die Leidenschaft männlichen Begehrens, ganz so, wie der Tau milde auf die Gräser sinkt« (II Hildegard von Bingen, S. 270). Solche Empfängnis und Gottesgeburt suchte die Rupertsberger Äbtissin Hildegard in ihrem monastischen Konzept auch für ihre Schwestern als exklusive Christus-Bräute zu verwirklichen, wobei ihr ständiges Reden und Schreiben über die »unbefleckte Empfängnis« auch ein körperliches Begehren initiierte (wie Theologen und Mediziner des Mittelalters glaubten, bereitete »allein die Empfängnis der Frau höchstes Lustempfinden«; 11.27 Scherer, S. 87) und doch zugleich dessen Untersagung und Sublimierung regulierte. Analoges findet sich auch bei der Greiffenberg und zumal im zitierten Sonett. Indessen bedarf sie nicht der marianischen Rolle, um eine »unbefleckte Empfängnis« poetisch in Szene zu setzen. Wenn hier der »Himmels = Kieselstein« »spritzt« (Z.l), und zwar den »Safft der vollen Lieb« (Z.9), »Jndem der Göttlichkeit all' ihre Wollust schwebet« (Z. 13) und die Braut ganz »durchdringt« (Z. 8) und »ergetzt« (Z. 14), dann ist das psychologisch Frappierende an diesem Bildfeld, daß hier nicht verdrängte Sexualität als Unbewußtes die »compassio« in einen himmlischen »Verkehr« verkehrt, sondern daß der Text diese Konnotationen offenbar bewußt riskiert, ja geradezu braucht und genießt. Das sich vergießende »Blut« Christi zeugt gleichzeitig das Leben, ist der »Same« zur (Wieder-) Geburt. So fließen Opferblut und Samen in eine »Tinctur« zusammen und sind weder zu trennen noch zu verdrängen. So gesehen ist die Greiffenberg den Psychoanalytikern der »alten Schule« (vgl. Kap. I 3 d) wiederum voraus, und zwar auf einem weiblichem »Weg der Exsistenz«, in dessen Verlauf Gott ganz un-geniert als »getragen durch den weiblichen Genuß« erscheint (vgl. V Lacan, S. 83). So wie - und indem - Jesus sich im Abendmahl »verschlingen« läßt, verschlingt er auch selbst seine »Braut«: »JEsus will mit mir sich galten. JEsus will mein Wallfisch seyn. JEsus schlingt in sich mich ein.« (AB III, S. 465; vgl. ebda., S. 458)
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In der Psychoanalyse gilt die Geschichte des Propheten Jona, der vom Wal verschluckt wird, in der ambivalenten oralen Aktivität des Verschluckens und Verschlucktwerdens als Ausdruck eines die Urszene annihilierenden Wunsches nach Gestilltwerden und nach Rückkehr in den Mutterleib (vgl. V Fingert, S. 187ff.). Bei der Greiffenberg erscheint nun der Bräutigam als weibliches Prinzip, das masochistisch »mit Gewalt ergriffen seyn« will (AB III, S. 330) und zugleich als ubiquitärer »uterus« fungiert. Die fröhliche Unbekümmertheit, mit welcher die Freifrau das Bildfeld der Brautmystik verwendet, hängt - bezogen auf den religiösen Kontext der Erlösung - möglicherweise mit dieser doppelten Absicherung zusammen: Die Allheits-Vorstellung bewahrt sie letztlich davor, sich die »unio« tatsächlich als personale Einigung zu denken, und die omnipotente Unanschaulichkeit der Erlöserfigur erleichtert ihr wiederum eine Erfahrung der Person Jesu nicht nur als Androgyn (vgl. Kap. I 5), sondern auch als allmächtige Weiblichkeit, in deren Funktion Christus - wie nun zu zeigen ist - vor allem als kosmische Gebär-Mutter erscheint. d) »Jesus-Frühling«: Anfänge der Naturpoesie Die »Allheit« des Gottessohnes garantiert dessen »Niessung« auch außerhalb von Bibelwort und Kirchenraum, und hier insbesondere im Bereich der Natur. Aus dieser und der heiligen Schrift leuchtet für die Greiffenberg gleichermaßen »die Liebe / Güte / Allmacht / Weisheit / und der Wille Gottes / mit unendlichen Stralen«, »weil wir / sowohl das Liecht der Natur / als das Liecht der Gnaden / von ihm empfangen« haben (AB III, S. 24). In drei Aspekten läßt sich die erneut aus einem allzu wörtlichen Verständnis dieser an sich orthodoxen Lehre erwachsende Häresie der Dichterin charakterisieren. Zunächst einmal führt die Vorstellung auch die Freifrau zu einem »Pan-Christismus« (vgl. Kap. II 2 d). - Den Schluß der Sonettsammlung von 1662 bildet eine Reihe von Natur = Gedichten, von denen 15 den gleichlautenden Titel >GOtt = lobende Frühlings = Lust< tragen (GSL, S. 223-237). In ihnen wird das »Wort« Gottes als universale Wachstums-Kraft gefeiert (im folgenden Beispiel bezieht sich das ständig repetierte »Es« grammatikalisch auf das »Wort« in Zeile 2): »GOtt sperrt die Erden auf / als seines Schatzes Kasten / der einig Schlüssel ist / sein Wort / durch dessen Krafft ihr / klumen / würzen / grün = und blühen wird verschafft. Es würkt den Wachsthums Safft in Erd = und Sternen = Brüsten / Ja kan die ganz Natur zur Freud und Wollust rüsten.
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Es ist der Wurzel Geist / der Grlslein Herzens = Safft / der Blumen Lebens Lufft / mit sussem Thau behafft / kurz / der Geschöpffe Ruh / nach dem sie all gelüsten: Es zeigt uns GOtt in ihm / als in dem Spiegel Glanz / und weist uns selben auch in all = erschaffnen Dingen: wie seine Schon' herblickt aus bunten Blumen Kranz. Sein Sfißheit sich zu Mund will aus den Früchten schwingen. Ja alls / was sichtbar nur / ist GOttes Ebenbild / Wie schon / süß / gut er sey/ wie hoch! wie reich! wie mild.« (Ebda., S. 224)
Was ist hier von Christus als dem »Wort« und eigentlichen Ebenbild Gottes anderes übriggeblieben als jene lebensspendende und -erhaltende Schöpfungskraft, die in nicht-christlichen - z. B. hermetischen - naturkundlichen und weltanschaulichen Systemen als fluidal wirkend gedachter »Lebenssamen« und »Naturgeist« gekennzeichnet wird? Die Vitalisierung und Anthropomorphisierung der »Natur« (»Sternen = Brüste«, »der Gräslein Herzens = Safft«) ebenso wie des »Wortes« selbst, welches sich in offenkundiger Parallelisierung zum Abendmahl (»Sein Süßheit sich zu Mund will aus den Fruchten schwingen«) dem Menschen zur Vereinigung anbietet, verweisen auf den christologisch fundierten Pantheismus des Gedichts, der unmittelbar sinnlich - mit allen Sinnen! - evoziert wird und erfahren werden soll. In einem Sonett >Auf die liebliche Sommer = und Ernde = zeit< wird die Natur-Kraft Christi in völliger Analogie zu seiner »Gnaden-Kraft« im Abendmahl als für die menschliche Speise insgesamt und damit für die allgemeine Lebenserhaltung verantwortlich gepriesen: »DV tägliches Wunder und Gnaden = Beginnen / du Erde voll heimlich und Himmlischer Krafft / voll unseres Lebens und Hortes Wort = Safft! die Gottlichen Strahlen Lieb = wallen darinnen / biß daß sie gekornet den Ausgang gewinnen / mit sättigem Segen und Leben behafft / den unsere sichere Sichel weg rafft. Sein Gnaden = Lob lasset sich niemal aussinnen. Man fühlet / mit Essen / sein Lieblichkeits = Lust in jeglichem BrOslein ist Allmacht vorhanden. Es war uns kein Segen noch Leben bewust / wann jene nicht neben den Speißen gestanden. Das Sichtbare / weiset unsichtbare Ding / daß jenes aus diesem unmerkbar entspring.« (Ebda., S. 241)
Mit der epigrammatischen Zuspitzung im Schluß-Couplet bündelt dieses Gedicht, welches wie das zuvor zitierte den Haupttyp des Greiffenberg-
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sehen Sonetts repräsentiert (mit der im 17. Jahrhundert sonst ungebräuchlichen Reimfolge abba / abba / cdc / dee; vgl. dazu ausführlich 11.20 Liwerski 1975, S. 246ff.), verschiedene Traditionen, die von der katholischen - sowohl mystischen wie scholastischen - »Wege«-Theorie des gradualistischen Verweises der Natur auf ihren Schöpfer (vgl. Einleitung b) bis zur paracelsischen Lehre vorn »Licht der Natur« reichen (vgl. Kap. I 4 c). Und gerade im Sinne des Hohenheimers und Böhmes ist für die Greiffenberg das Göttliche - wenn auch unsichtbar - als Wachstumskraft in den sichtbaren Dingen so leib-haftig gegenwärtig wie im Abendmahl. Die Identität der lebensspendenden Funktion Christi bei seinem soteriologischen Werk und seinem Wirken in der Natur verdeutlicht die Freifrau anläßlich ihrer >Betrachtungen< über den Einzug Jesu in Jerusalem: Der vor-österliche Beginn des eigentlichen Heilswerkes fällt zusammen mit der Zeit des Natur-Erwachens im Frühling (vgl. AB VIII, S. 620ff.). Deshalb streut sie gerade in diese >Betrachtung< eine Fülle von »Blüh- und Blumenliedern« als »Palm = Zweiglein« ein (vgl. ebda., S. 657ff., 686-741). Der Frühling als Adressat der folgenden Zeilen wird ihr zum Spiegel der göttlichen Heils-Kraft: »Sfissestes Lust Ort / die Sinnen zu weyden! Ruhe = Port / Porten der Wollust und Freuden! SchSnheit = See / deren verlangbare Zier Sehnend' erträncket die Augen vor Gier! Spiegel = Bronn Gottes unsichtbahrn Gesichtes! Sonnen = Sohn / Ebenbild ewiges Lichtes! Begeister die Sinnen / zu Himmels = Beginnen / Giebe mir Safft / Schauend zu preisen die Einzuges = Krafft.« (Ebda., S. 686f.)
Mit der »Einzuges = Krafft« im Schlußrefrain des siebzehnstrophigen Liedes verweist die Dichterin ganz unmetaphorisch auf das frühlingsbedingte Eindringen der Wachstumssäfte in die Natur, zugleich aber aus ihrer Sicht ebenfalls unmetaphorisch - auf den Einzug Jesu in Jerusalem: Gerade mit dieser »Metapher« stellt sie die Identität von Frühlings- und Heil-Kraft im einheitlichen Wirken des »Wortes« her. Und so wie die Heilige Schrift wörtlich genommen sein will und gerade dadurch auch auf einen »sensus mysticus« verweist, dient die Natur in der Vielzahl ihrer Erscheinungen zur geistlichen Erbauung und zu einer katechetischen Natur-Allegorese (vgl. dazu auch AB VIII, S. 712; vgl. dazu III Gorceix 1979, S. 221 f.), wie sie häufig auch noch bei den kirchentreuen Physikotheologen des 18. Jahrhunderts begegnen (vgl. Ill Phi-
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lipp), und führt schließlich auch durch unmittelbare »Schau« der in ihr wirkenden göttlichen Kräfte zur »unio«-Erfahrung selbst (vgl. zum folgenden Gedicht Hl. 10,11 f. und Kap. II 5 b): »Der Frühling kommt daher! Ach! komm in ihm verkleidet! Du allerschonster Schatz / Ach! mache dich zu mir / Mich freut der Frühling nur / der mich vereint mit dir / Der mich / in deinem Blut / als Klee und Rosen weydet. Mein JEsus = Frühling! laß in dir mich stäts erfreuen / Verjüngen / und erstehn / beleben ewig neu / Daß ich die Braut / und Erd der Jesus = Sonne sey / Die all' ihr Strahlen = Krafft in mich pfleg auszustreuen.« (AB VIII, S. 71 Off.).
So »malt« die Dichterin in ihrem poetischen »Schauen« die von der Schöpferkraft Christi erfüllte Natur als ein irdisches Paradies, insbesondere den Frühling. Dieser macht die Erde zur »Kopie« des Himmels: »Sehet! dem Höchsten zu mahlen beliebet // Wie ihm der Himmel ein Vorbild abgiebet!... Wie er den Himmel auf Erden copiret« (AB VIII, S. 688f.; vgl. AB X, S. 671). Dieser Anblick der irdischen Himmels-Natur soll die »Sinnen / zu Himmels = Beginnen« - und damit zum Hauptanliegen der >Andächtigen Betrachtungen - »begeistern«. Die »Lustwandlung in blühender Frühlings = und Mayenzeit« ist für sie die »allerunschuldigste und innigste zugleich Geist = und Leibes = Ergetzung« (ebda., S. 668), sie besitzt bereits einen Wert für sich als eine »Arzney«: »in betrachtung / daß die Gesundheit auch durch die Gemüts = Erfrischung / die durch die Augen ins Herze dringet / erhalten wird« (ebda., S. 674). Und die Verfasserin kann, so prätendiert sie, gar nicht aufhören mit der »mahlenden« Betrachtung der Natur-Schönheiten. So widmet sie eine Reihe von »Blüh = Liedern« (AB VIII, S. 661ff.) der Beschreibung einzelner Frühlingsblumen und ihrer Pracht (hier nur zwei Strophen aus einem 25strophigen Lied): »Euer Biesem ( = Duft) / O Narzissen! Gehet den Arabschen vor / Wann die Bisem = Katzen bliesen / Ihre Krafft in eure Flor / Wann ich am Corallen = Kreißlein / Auf dem güldnen Sommer = Hluslein / Jn Gedancken umspatzir / Gieb' ich tausend Danck dafür! Tulipanen / Kunst Jdeen! Jch bedarff ein Buch vor euch! Wünsch' euch sattsam anzusehen /
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Mich / wie Argus / Augen = reich / Ausserwählte Nazarenner! Keusche Gottes Liebe Brenner! Meister = Stöcke der Natur! Schöpffer = volle Creatur!« (Ebda., S. 669f.)
Wie \>ei Scheffler ist auch bei der Greiffenberg der Pantheismus Bedingung einer bereits auf emotionales Einverständnis von Mensch und Natur abzielenden symbolischen Aussage, bei der das Göttliche in den Phänomenen steckt und sich deshalb durch deren Betrachtung erschließt. So ist diese Frühlingswelt selbst auch schon ein Stück Paradies. Der Sündenfall und seine Folgen (auch für die Natur) haben in dieser Schau nicht einmal mehr als Erinnerung und überwundenes Ereignis wie bei Scheffler Raum. »So schwinge Dich dann hin / mein Herz! in dein Vergnügen in GOtt!« lautet der Beginn eines Sonetts (AB VII, S. 437) und nimmt damit bis in den Wortlaut hinein das Programm des >Irdischen Vergnügens in GOtt< von Barthold Heinrich Brockes (1680-1747) vorweg. Einerseits trennt sie eine Welt - nämlich gerade die.christologische - von diesem Frühaufklärer, in dessen voluminösen Natur-Betrachtungen Christus implizit und explizit keinerlei Rolle mehr spielt (vgl. dazu IV Kemper I, S. 31 Off.), andererseits markiert ihre Position den Übergang zur Aufklärung, indem sie zeigt, wie das orthodoxe Nachdenken über Christus als Schöpfer diesen zu einem Kraft-Element der Natur »verdinglicht«. Von daher ist es dann nur noch ein - von Brockes vollzogener - kleiner, aber überaus folgenreicher Schritt, die Natur selbst - ohne Gottessohn, aber nicht ohne Göttlichkeit - in einem »natürlichen Gottesdienst« zum Mittler zwischen Mensch und »All« zu erheben (vgl. Bd. V). e) »Gott trieb und schrieb durch mich« - Zur Poetik der »Deoglori« Alle Kreaturen sind zu Lob und Ehre Gottes erschaffen: Wieder ist eine orthodoxe Grundüberzeugung - mit ihr hatte auch Luther die Funktion der geistlichen Lieder bestimmt (vgl. Bd. I, S. 178) - Ausgangspunkt für eine letzte und in unserem Zusammenhang entscheidende Häresie. Die Sonettsammlung von 1662 wird ganz im Zeichen eines >Heiligen Lobverlangens< eröffnet (vgl. dazu auch III Stalder, S. 112ff.): »DAß alle StSublein / mein / und lauter Zungen wären / und iedes meiner Haar' ein helle Weißheit Flamm! ich wolt zu GOTTES Lob / sie binden all zusamm. Ach daß mein Mund die Welt vollmachte seiner Ehren!
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II. Poesie - magisches Medium der Mystik
Wollst meinem LebensBaum viel Lobesfrücht bescheren, nur werd die Pflicht verricht; verdorret schon der Stamm, der Leib bleib auf dem plaz: nur werd gepreist dein Nam. nicht sein = nur deines Ruhms erhebung / mein begehren und einigs Wunsch = Ziel ist. Ach gib mir Krafft und Geist / daß nicht im Himmel nur / auf Erd auch werd gepreist dein Allregirungs Ruhm. Weil fiberall zugegen die Wfirkung deiner Gfit und alles GOttesvoll: ists recht / daß überall in allen ieder soll dir opfern Lob und Preiß. Dank ist des Segens Segen.« (GSL, S. 2)
Im Unterschied zu Luther begründet die Greiffenberg freilich ihr »Lobverlangen« nicht mehr nur mit dem fröhlichen Dank für die Gnade der Erlösung, sondern - wie die Schlußverse belegen - erneut mit dem die Welt deifizierenden Pantheismus. Sie selbst beansprucht bei dieser Welt-Spiegelung zu Ehren Gottes die Rolle der Für- und Vorsprecherin (Z. 3f.; vgl. auch GSL, S. 348). Darin offenbart sich ein starkes Sendungsbewußtsein, das die Dichterin gelegentlich auch mit »feministischen« Argumenten stützt, etwa durch Betrachtung der Frauen um Jesus, besonders der Mutter Maria, und der zahlreichen Märtyrerinnen in der Geschichte des Christentums (vgl. AB III, S. 69ff., 148ff., X, S. 900). Auch ihre politische Kampfschrift, die >Sieges-Seule< begründet sie mit unmittelbarer göttlicher Inspiration: »Zwar ist es nicht gemein / daß Weibes-Bilder schreiben // Doch wann der Höchste selbst die Feder kommt zu treiben // wer kan sie halten still?« (SS, S. 240) Und sie bekräftigt: »GOtt trieb und schrieb durch mich« (ebda., S. 241), wobei sowohl das erste wie das letzte Wort des Satzes zu betonen sind. Darin gelangt das ebenso prophetische wie prometheische Auserwähltheitsbewußtsein dieser Autorin zum Ausdruck, ihr Gefühl, Instrument Gottes und als solches doch zugleich selbst göttlich zu sein. Mit diesem Selbstverständnis ragt sie weit über die von der Orthodoxie gesetzten Grenzen erbaulichen Schriftstellertums hinaus. Dies auch und erst recht mit dem Stellenwert, den sie ihrer Poesie beimißt. Als Leistung ergänzt diese wesentlich die lutherischen Prinzipien von »sola fide« und »sola gratia«, als Instrument und Wirkung aber ist die geistliche Dichtung »Deogloria«, Gotteslob. Dieses »eine, alle Lobwörter der Schöpfung enthaltende Lobwort« ist nach einer brieflichen Äußerung der Greiffenberg die zehnte Muse (vgl. 11.20 Liwerski I, S. 335) und als solche zugleich das »geschöpff« der Dichterin. Als Anhängerin einer platonisch-kabbalistischen Sprachauffassung, die von einer realen, »physischen« Beziehung zwischen »verba« und »res« ausgeht (vgl. dazu auch Kap. I 2 a), erklärt sie: »Der Name eines Dinges
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/ ist der kurze / aber gründliche / Begrieff dessen ganzen Wesens und eigentlicher Erkäntnis« (AB III, S. 481). Deshalb ist vor allem ihre Betrachtung von JEsu allerheiligstem Namen< (AB III, S. 427ff.) von hohem Belang, und keineswegs zufällig hat sie gerade diese Andachtsübung mit Liedern und Sonetten geradezu überfrachtet, denn nicht die Prosa, sondern die Poesie ist die Sprache, die das »Wesen« des Göttlichen zu erfassen und »anzubinden« vermag: »Sussester JEsu! In kan mich nicht ersättigen / mit dir Verbindlichsten in gebundner Sprache zu reden / dich damit mir zu verbinden und anzubinden / an deinem allerholdseeligsten Namens-Tag« (ebda., S. 473; vgl. ebda., S. 477). Diese »gebundne Sprache« mit der bei der Greiffenberg auffälligen Dominanz der Nominative und »Zentnerworte« (vgl. IV Scheitler, S. 371) entspricht ganz der Sprache der Engel, denn diese »reden keine vergeblichen Worte / ein jegliches hat seine Centner-Wichtigkeit bei sich: Es ist in einem jeden ein Meer der Weißheit verborgen; wie vielmehr in denen Gottlichen / als deren Abgrunde?« (AB III, S. 249; zur Angelologie Greiffenbergs vgl. u. a. ebda., S. 243ff., 350ff.). Daher vermag im Grunde auch nur die Poesie jene Vieldeutigkeit und Vielbezüglichkeit herzustellen, die - im scheinbaren Metaphernspiel - imstande ist, die Vielschichtigkeit der göttlichen Trinität, insbesondere des Gottessohnes mit seinen vielfachen Erscheinungsformen, wort-spielerisch und unterstützt durch die Sinnlichkeit des Klang-Körpers und doch zugleich in der konzentrierten Form vor allem des Sonetts auszusagen. Beeinflußt und unterstützt wurde die Greiffenberg in ihrer Sprachund Dichtungsauffassung vor allem durch Georg Justus SCHOTTELIUS (1612-1676; vgl. dazu IV Scheitler, S. 360ff.) und die Nürnberger Pegnitz-Schäfer (vgl. III Wiedemann 1968; 11.20 Liwerski II, S. 500ff.; vgl. dazu ferner Bd. IV). BIRKEN selbst hatte in seiner >Rede-bind und DichtKunst< von 1679 eine Inspirationslehre für die Poesie entwickelt, welche diese unmittelbar aus der »Feuer-Flut des himmlischen Geistes« herleitete. »Der Himmel / oder die Wohnung der Herrlichkeit Gottes« sei »der rechte Parnassus / daraus diese Geistes-Flut erqwillet und herabschießet«; »also soll die DichtKunst / weil sie vom Himmel einfließet / wieder gen Himmel steigen und GOtt zu ehren verwendet werden« (zit. in III Wiedemann 1968, S. 88). Denselben Gedanken hatte Birken auch in seiner >Vor-Ansprache< zu Greiffenbergs Gedichtsammlung von 1662 sowie in der Erklärung des >KupferTitels< (!) betont, auf welchem deren Poesie als »Der Teutschen URANIE Himmel-abstammend und Himmel-aufflammender Kunst-Klang und Gesang« apostrophiert wird. Daß eine solche Charakterisierung genau dem Selbstverständnis der Freifrau entsprach, dürfte deutlich geworden sein. Doch will der darin
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steckende poetische Leistungs- und Wirkungs-Anspruch wieder wörtlich genommen werden, um das ganze Ausmaß der Häresie zu entdecken: In ihrem poetischen Wort gibt die geistliche Dichterin dem göttlichen »Wort« zunächst seine Schöpfung als Paradies zurück, dann und darin aber auch ihn selbst, weil das »Wort« der Poesie ja in der »Deoglori« und als solche den »Namen« Gottes in seinen Bildern darstellt (vgl. dazu AB VIII, S. 712) und mit diesem poetischen Benennen wesentlich zu erfassen und magisch »anzubinden« versucht. Insofern ist die »Deogloria« als geschöpfliche Lob-Leistung der geistlichen Dichterin doch zugleich auch ihre »Seelen Göttin« (nämlich Christus! Vgl. AB IV, S. 663) und damit das poetische Medium der »unio« selbst (»O ewiges Wort! Seye du die Gloria meiner Worte . . . Sey und bleibe meine Gloria in Ewigkeit«: ebda., S. 664): In der »schöpferischen Eigenmächtigkeit« ihrer »Jesus-Niessung« vergottet sich somit die dichterische Anima (vgl. 11.20 Liwerski I, S. 334, 446f.). - Von daher sind wir auch vom Selbstverständnis der Autorin her berechtigt, in ihrem monumentalen ProsaWerk der >Betrachtungen< zwar ihr Hauptwerk, gleichwohl in ihrer geistlichen Poesie den Höhepunkt ihres Schaffens zu erblicken, in dem sie als ihrem Kernanliegen zugleich auch ihr Bestes geleistet hat. Deshalb verdient auch nach wie vor die Ausgabe ihrer >Geistlichen Sonette, Lieder und Gedichte< von 1662 unser vorrangiges Interesse. Die Unsicherheit über die Authentizität dieser Sammlung und ihrer Komposition kann ihren Wert nicht entscheidend mindern. Es ist nur schwer vorstellbar, daß die Greiffenberg von den Publikationsabsichten ihres Oheims und Birkens nichts gewußt haben sollte, zumal der mystischhäretische Charakter des Werkes nicht vertuscht, sondern sogar noch betont wurde und die Autorin ja durchaus hätte in Schwierigkeiten bringen können. Gerade von diesem Umstand her aber wird man in der Erklärung, die Veröffentlichung erfolge ohne ihr Wissen (und damit ohne ihr Einverständnis), eher eine Schutzbehauptung sehen müssen, auf welche die Autorin sich im Ernstfall hätte zurückziehen können. Auch die Komposition der Sammlung scheint den Intentionen der Dichterin durchaus zu entsprechen. Vor allem der erste Teil mit den zweihundertfünfzig Sonetten folgt einer am Wirken der Trinität orientierten Gliederung: Die ersten hundert thematisieren das gnädige (trinitarisch verstandene) Wirken Gottes von der Schöpfung bis zu den Glücks- und Unglücksfällen der gegenwärtigen Erhaltung; »Der Sonneten / Anderes Hundert« beginnt programmatisch mit einem Gedicht >Auf die Allerheiligste Menschgeburt meines ErlOsers< (GSL, S. 101), behandelt dessen Lebens- und Leidensstationen, Auferstehung und Himmelfahrt sowie seine Abendmahlsstiftung - von daher wurde mit Recht behauptet, man
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könne im zweiten Hundert »den Keim erkennen, der zu der Riesenblüte der >Betrachtungen< sich entfalten sollte« (11.20 Liwerski II, S. 582). Die letzten fünfzehn dieses Hunderts beziehen das Wirken des Heiligen Geistes als »Wind«, der das Herz entflammen soll, mit ein. In einer >Zugabe< von weiteren 50 Sonetten gelangt schließlich die pan-christliche Poesie aus dem »Buch der Natur« als Pendant zur soteriologischen »Deogloria« ins dichterische Sprach-Spiel (GSL, S. 201 ff.). - Eine Sammlung von 50 (tatsächlich 52) Liedern schließt sich an (zu ihrer Gliederung vgl. IV Scheitler, S. 349ff.). Für sie hat die Dichterin 41 verschiedene Strophenformen benutzt und dazu u. a. auch Melodien aus Schefflers >Heiliger Seelen-Lust< verwendet (ebda., S. 357f.). Obgleich sich diese Gesänge stilistisch und inhaltlich deutlich dem kirchenorientierten geistlichen Lied annähern (vgl. GSL, S. 271 ff.), sind sie in kein Kirchengesangbuch aufgenommen worden. Als integraler Bestandteil der »Deogloria« fungieren auch sie nicht als Lob und Dank der Gemeinde, sondern als mystisch-magische Instrumente der Greiffenbergschen »verlang = und erlangens«-Kunst (zit. in 11.20 Liwerski I, S. 168). - Den Band beschließen eine kleine Sammlung von Emblemen ohne »pictura« als Übersetzungen aus dem Italienischen sowie 50 formal und inhaltlich unbedeutende Epigramme (zur symbolischen Bedeutung der Zahl 50 vgl. III Meyer, S. 164ff.). Indem die Greiffenberg die kirchlich - und damit an Wort-Verkündigung und Sakramentsempfang - orientierte Frömmigkeit übersteigt und selbst eine »unio mystica sacramentalis« vollzieht (11.20 Liwerski II, S. 543), kann man ihr Dichten als für sie »gültigen Religionsersatz« bezeichnen (III Wiedemann 1968, S. 98). Zugleich freilich wird die geistliche Poesie bei ihr in vom Anspruch her kaum noch steigerbarer Weise das, was sie nach Martin Opitz uranfänglich gewesen ist und wovon sie ihren Ausgang genommen hat: »nichts anderes« nämlich, »als eine verborgene Theologie vnd vnterricht von Gottlichen Sachen« (II Opitz BDP, S. 7; vgl. 11.20 Liwerski I, S. 313). Dennoch hat Liwerski nicht recht, wenn sie Greiffenbergs Werk von daher problemgeschichtlich als »retrospektiv« einstuft, während ihr die Barock-Humanisten in der Nachfolge von Opitz, die sich geschickt der geistlichen Poesie als eines »Schirms und Schattens« bedienten, unter dem sie ihre weltliche Poesie zu pflanzen wagten, als zukunftsweisend gelten (ebda., S. 301 ff.): Ebenso wie bei Spee, Scheffler und Kuhlmann dringt bei der Greiffenberg die Poesie ins Allerheiligste des christlichen Glaubens ein, usurpiert im magischen Gestus des »Kunst-Gesangs« die priesterliche Funktion der Heilszuwendung und funktioniert diese zugleich zum poetischen Akt der Selbsterlösung des Subjekts um. Damit werden die Poesie
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geheiligt und die christliche Frömmigkeit zugleich ästhetisiert, und eben dies ist ein hochbedeutsamer Schritt im Prozeß der Säkularisierung, an den im 18. Jahrhundert vor allem Klopstock anknüpfen und der mit dem mythopoetischen Gestus der prometheischen Selbstermächtigung des Subjekts beim jungen Goethe seine frühneuzeitliche Apotheose finden wird (vgl. Bd. VI).
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a) Sendung und Opfergang des »Kühlmonarchs« Leben und Werk Quirinus Kuhlmanns (1651-1689) führen uns an den Anfang dieses Buches - in die Welt des Spiritualismus und Hermetismus - zurück und ermöglichen uns zugleich, eine Summe der barock-mystischen Intentionen am Vorabend der Aufklärung zu ziehen. - Bis heute gilt Kuhlmann »als eine der merkwürdigsten Gestalten des 17. Jahrhunderts« (11.36 Arnold, S. 253; vgl. 11.36 Just, S. 3), als unmystische »absurde Kuriosität« (11.36 Dietze, S. 10, 285), und dies, obgleich oder weil er der »einzige deutsche Dichter« war, »der um seiner Überzeugungen willen auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde« (ebda., S. 6). Kuhlmann selbst zählt bereits die Etikettierungen auf, mit denen schon seine Zeitgenossen ihn bedachten: »ein Enthusiast / Phantast / Fanatik / Melancholik / Narr / Thor / Quäker«, und resümiert: »Si meinen / ich sei unsinnig / daß ich auf disem dornwege wandele / und nicht ihre gleißnerische strasse mit ihnen gehe.« (II Q, S. 20) - Noch mehr als bei den anderen Mystikern der Epoche muß der Versuch, diesen religiösen Nonkonformisten zu begreifen, von seiner Biographie ausgehen, weil Kuhlmann selbst sie in einer kühnen, über die Gepflogenheiten des Renaissance-Humanismus weit hinausgehenden Weise zum Gegenstand seiner Poesie und diese zum Organ seiner prophetischen Sendung erhob (vgl. Bd. I, S. 36f., 138ff.). Vermutlich als Sohn eines Kaufmanns wurde Kuhlmann am 25. Februar 1651 in Breslau geboren. Der frühe Tod des Vaters (1654 oder 1655) machte den Knaben, da die Mutter nicht wieder geheiratet zu haben scheint, von klein auf von Mäzenen und Gönnern abhängig. Da er überdies - wie er später schrieb - ein »Angst-Kind« war (vgl. KP I, S. 109), bis zur Pubertät und auch später immer wieder kränkelte sowie unter einem Sprachfehler litt (vgl. ebda., S. 11 Of.), sonderte er sich früh ab, vergrub sich in die Welt der Gelehrsamkeit - vor allem in der Breslauer »Stadtbibliothek von virzehntausend Büchern« (Q, S. 6) - und erwarb sich als Stipendiat des Breslauer Magdalenen-Gymnasiums (16611670) eine auch für die damalige Zeit und für seine Jugend ungewöhnlich umfassende Bildung. Im Jahr seines Schulabgangs lagen bereits drei
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II. Poesie - magisches Medium der Mystik
poetische Werke aus seiner Feder im Druck vor (eine Epigramm-Sammlung >GrabeschriftenEntsprossene deutsche Palmen< betiteltes Poem in 1000 paarweise gereimten Alexandrinern als Lob auf die >PalmenHimmlischen Libes-Küsse< (vgl. Kap. II 5 b), eine überarbeitete Neuauflage der >Grabeschriften< sowie zwei ProsaKompilationen (>Sonnen-blumen Preißwürdigster Sprüchejungen Gelehrtem. Dieser erhielt denn auch zu seinem 21. Geburtstag zwei gedruckte Lobschriften von Freunden und wurde am 4. März 1672 vom Kaiserlichen Pfalzgrafen und Kanzler der Grafschaft Schwarzburg-Rudolstadt Ahasverus FRITSCH (1629-1701; u. a. erfolgreicher Erbauungsschriftsteller und Herausgeber von Kirchenlied-Sammlungen) zum »poeta laureatus« gekrönt - eine Ehre, die damals freilich keineswegs mehr soviel galt wie noch zu Zeiten Kaiser Maximilians (vgl. Bd. I, S. 73). Doch seine vorgezeichnete bürgerliche Gelehrten-Karriere, der er durch eine eilfertig publizierte Korrespondenz mit dem allseits bewunderten jesuitischen Universalgelehrten Athanasius KIRCHER (16021680, >Ars Magna SciendiArs generalis< des Raimundus LULLUS (1235-1316) noch ein weiteres Glanzlicht aufzustecken suchte (vgl. dazu 11.36 Dietze, S. 82ff., 102ff.; Clark, S. 119ff., Gillespie), erfuhr ein abruptes Ende, als Kuhlmann zur Fortsetzung seines Studiums im Herbst 1673 im niederländischen Leiden eintraf und kurz darauf die Schriften Jacob BÖHMES kennenlernte. Deren intensive Lektüre bewirkte bei ihm im Januar 1674 ein Erweckungs-, ja ein Berufungserlebnis, dem er in der umfangreichen Prosaschrift >Neubegeisterter Böhme< aus demselben Jahre ersten und zugleich umfassenden Ausdruck verlieh. In diesem an den reformorthodoxen Rostocker Propst Heinrich MÜLLER (1631-1675; vgl. zu ihm I Zeller, S. 293ff.) adressierten, aber an die gesamte lutherische wie reformierte - Ortho-
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doxie gerichteten Werk rief er diese in zum Teil aggressivem Ton auf, sich zum Werk des Görlitzer Schusters zu bekehren, dessen Lehre er die eschatologische Dimension betonend - kompendienhaft explizierte. Als erwiesener »Böhmist«, der sich damit selbst aller weiteren Stipendien aus der Heimat beraubte und das Jura-Studium aufgab, erhielt Kuhlmann nunmehr Zutritt zu den von Böhme beeinflußten Konventikeln vor allem in der »Freystadt« Amsterdam. Er schloß persönliche Bekanntschaft mit dem politisch-agitatorischen Chiliasten Johannes ROTHE (1628-1702), den er zunächst als Propheten und Vollender der Jesus-Monarchie anerkannte, ferner mit GICHTEL und vor allem mit BRECKLING (vgl. zu diesen Kap. I 5 f), er hatte Kontakte zum Zirkel um Antoinette BOURIGNON (1616-1680), die sich für die zweite Jungfrau Maria hielt, zu dem ehemaligen Descartes-Anhänger Pierre POIRET (1646-1719) sowie zu Franciscus Mercurius van HELMONT (1614-1699), und er lernte über sie die Schriften zahlreicher - auch täuferisch gesinnter - Häretiker kennen, so vor allem die des David JORIS (1501-1556; vgl. Kap. I l a), der sich als »dritter David« zur Zerstörung Babels berufen fühlte, sowie die des im Amsterdamer Exil verstorbenen Johann Amos COMENIUS (d. i. Komensky 1592-1670), von denen ihn vor allem dessen voluminöse Edition >Lux e tenebris< mit prophetischen Offenbarungen faszinierte. Sie enthielt u. a. 670 Gesichte des 1671 in Preßburg auf dem Scheiterhaufen verbrannten ehemaligen Predigers Nikolaus DRABIK, dessen chiliastische Visionen von unbeugsamem Haß gegen Habsburg geprägt waren, sowie die Weissagungen des Sprottauer Gerbers Christoph KOTTER (gest. 1647), der die brandenburgischen Ansprüche auf schlesisches Gebiet prophetisch beglaubigte und wie Böhme von einem Jüngling weissagte, der als herrlicher Knecht Gottes das gegenwärtige Babylon expurgieren werde (vgl. 11.36 Dietze, S. 147ff.). Rasch und bemerkenswert konsequent begann der bislang schon so egozentrische Kuhlmann, solche Prophezeiungen über einen »Jüngling« als »Figur des Herrn Christus« auf sich selbst zu beziehen (vgl. ebda., S. 138), wobei die handfest-pragmatischen Formen eines »gelebten« Chiliasmus in seinem neuen Bekanntenkreis sein diesbezügliches >Realitätsverständnis< nachhaltig beeinflußt haben dürften. Immer stärker suchte er fortan seinen Lebenslauf, aber auch rückschauend seine Jugendzeit auf die Zeichenhaftigkeit seines Prophetentums hin zu deuten und zu stilisieren. Entscheidende biblische Grundlage war ein Vers aus der Apostelgeschichte (vgl. Apg. 3,19f.: »So tut nun Buße und bekehret euch, daß eure Sünden vertilgt werden; auf daß da komme die Zeit der Erquickung von dem Angesichte des Herrn, wenn er senden wird den, der euch jetzt zuvor gepredigt wird, Jesus Christus«). Was Luther als »Zeit der Erquik-
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kung« übersetzte, lautete in der Vulgata »tempora refrigerii«, also »Zeiten der Kühlung«. Von dieser Anspielung auf seinen Namen glaubte Kuhlmann, jener Auserwählte Gottes, also der »Kühlmonarch«, zu sein, der den Antichrist besiegen und das tausendjährige Friedensreich Christi (nach Apk. 20) als jene »Zeit der Erquickung« vor dem endgültigen Jüngsten Gericht herbeiführen sollte (vgl. Kap. II 5 d). Dabei identifizierte er sein »Kühlreich« zunächst mit dem Millenium, faßte aber später die »Kühlzeit«, die Phase seines Wirkens, nur noch als Anfangsperiode des tausendjährigen Reiches auf (vgl. 11.36 Dietze, S. 247). Kuhlmann staffierte sich mit entsprechenden Würdenzeichen aus, die er sich durch Etymologisierung, Prophezeiung, mystische Traditon oder Zahlensymbolik zusammenkomponierte. Da z. B. >Kühl< nach seinem Zeugnis in Schlesien »blau« bedeutete und das Anagramm seines Geburtsorts Breslau dessen Komparativ »Blauers« ergab, da ferner das Breslauer Stadtwappen einen weißen Löwen auf blauem Grund zeigte und blau ohnehin die Farbe Jesu war (vgl. 11.36 Vordtriede, S. 515f.), trug er auf seinen Missionsreisen ein kostbares weißblaues Gewand; zu seinem Wappen wählte er ein dreifaches Kreuz, umrankt von einem Rosen-Lilien-Kranz (vgl. die Abb. zu Beginn von KP I), womit er bewußt Intention und Tradition der Rosenkreuzer beerbte und zugleich überbot sowie mit Lilie und Rose die alchimistische Bildersprache auf sich bezog (vgl. Kap. I 4; 11.36 Vordtriede, S. 516f.; ein Kupferstich nach einem 1679 von dem Russen Otto Henin gemalten Porträt charakterisiert die hochmütig-heroische Selbststilisierung des 28jährigen Kuhlmann treffend; vgl. Abb. 16 aus II KP I, S. XXV; III Bircher, S. 104). Die »scharlatanesken Züge« in seinem Wirken (11.36 Dietze, S. 124), die auch seinem permanenten Suchen nach finanzkräftigen Mäzenen zur Sicherung seines Lebensunterhalts und seiner Projekte entsprangen, vermischten sich bis zur Ununterscheidbarkeit mit seiner nicht zu bezweifelnden Überzeugtheit von der eigenen Berufung zum prophetischen Messias in das »Himmelreich auf Erden«. Zunächst folgte Kuhlmann im Frühjahr 1675 einer Einladung nach Lübeck, in dem u. a. auch Christian Hoburg gewirkt hatte und wo er in der Schwärmergemeinde der holländischen Prophetin Tannecke Denys Bekanntschaft mit der sehr viel älteren Witwe Magdalena von Lindau schloß. Mit dieser ging er im Herbst desselben Jahres auf ihr Betreiben eine Art geistliche Ehe ein, weil er allerlei prophetische Weissagungen über die Verbindungen des kommenden Erlösers mit einer Witwe »zur Erfüllung« bringen wollte (vgl. ebda., S. 151). Spekulationen über die »echten Züge eines großen Erotikers« Kuhlmann (vgl. 11.36 Bock 1957, S. 25) scheinen mir von daher - aber auch im Blick auf seine ganze
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^ vntoririn Karl i Abb. 16
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Biographie - als ziemlich aus der Luft gegriffen. Der 24jährige Kuhlmann hatte fortan auch für den Sohn und für die beiden erwachsenen lebenslustigen Töchter der Magdalena zu sorgen, die ihm - wie er klagte - viel Erziehungskummer bereiteten, weil sie ihn offenbar für überspannt hielten und nicht ernst zu nehmen vermochten. - Im Frühjahr 1676 siedelte er mit seiner »Familie« nach London über, wo er van Helmont wiedertraf und u. a. auch den Böhme-Verehrer John PORDAGE, den Lehrer der Jean LEADE, kennenlernte (zu ihnen vgl. Kap. I 5 f). Der englische Edelmann John Bathurst gewährte den Kuhlmanns auf einem Landgut bei London Unterkunft und ließ sich auch ideell und finanziell zu konkreten Missionierungsplänen inspirieren: Während er selbst sich zur Bekehrung der Heiden nach Jamaica einschiffte, wollte Kuhlmann gleichzeitig die Türken und die Juden zum Christentum bekehren (zum Sektenwesen im England des 17. Jahrhunderts vgl. den Überblick bei III Greschat, S. 30f.; vgl. dazu ferner III Mönnich, S. 38ff. u. ö.; Heussi, S. 369ff.). Im März 1678 brach er mit Anhang zu seiner Reise nach Konstantinopel auf. Sie führte über Paris und Marseille nach Smyrna, wo er unerschrocken trotz der dort herrschenden Pest an Land ging und deshalb nicht mehr zu seiner Familie auf das Schiff zurückkehren durfte. So gelangte er im Juli allein nach Konstantinopel, indessen befand sich der Sultan, den er bekehren wollte, auf einem Feldzug gegen Rußland. So kehrte Kuhlmann unverrichteter Dinge im April 1679 nach Amsterdam zurück und kompensierte nach kurzer Irritation den Mißerfolg seiner Missionsreise mit der Überzeugung von der »heimlichen Heimlichkeit« der göttlichen Führung, welche seine äußerliche Erfolglosigkeit dennoch in eine »wesentliche Bekehrung« der Türken zu verwandeln vermochte. Fortan sollte er sich immer wieder in diese »recht billige Als-Ob-Theorie« flüchten (vgl. 11.36 Dietze, S. 175). Von nun an gewann Kuhlmanns Lebenslauf noch stärker die Züge einer ununterbrochenen »peregrinatio« (vgl. dazu im einzelnen die biographische Zeittafel im Anhang von KP I, S. 329ff.). Zunächst löste er sich von seiner »Familie«, weil die prophetisch vorgegebene Frist von 42 Monaten vorüber war. Anschließend reiste er nach London (Juli bis November 1679), Paris (Dezember 1679 bis April 1680), Amsterdam (Mai 1680 bis Februar 1681) und wieder London (März bis Juni 1681; vgl. 11.36 Dietze, S. 185): Überall erfuhr er nun - vor dem Hintergrund seiner gescheiterten Mission und seines trotzdem nahezu herrisch aufrechterhaltenen prophetischen Anspruchs - Ablehnung, auch bei früheren Freunden und Anhängern. In dieser Zeit beschäftigte er sich intensiv mit der spanischen Mystik, insbesondere mit Johann vom
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Kreuz (vgl. dazu 11.36 Forster/Parker; Rusterholz). - Im August 1681 brach er zu seiner vermeintlich zweiten großen Missionsreise auf, nämlich zur Juden-Bekehrung nach Jerusalem, doch kam er aus Geldmangel über die Schweiz (Genf - Lausanne - Genf) nicht hinaus, und nachdem er am Wirkungsort Calvins kurzfristig inhaftiert worden war, kehrte er im Oktober 1682 nach London zurück. Was er in der Realität nicht erreicht hatte, das >realisierte< er nun stattdessen in der Poesie seines >KühlpsaltersGeistreise< nach Jerusalem (zur literarischen Tradition einer allegorischen >Jerusalemer Geistreise< in der frühen Neuzeit vgl. III Stadier, S. 11 ff.). »Die Gesamtheit der Jahre 1682 bis 1688 ist wie kaum eine andere Zeitspanne in Kuhlmanns Leben randvoll angefüllt mit Widerständen, Enttäuschungen, Zerwürfnissen« (11.36 Dietze, S. 258). 1683 hielt er sich meist in London auf, zum Jahresende besuchte er verschiedene Städte in den Niederlanden, um sich im März und April 1684 nach London zurückzuwenden und doch im Mai schon wieder nach Holland zu reisen. 1685 war ganz ebenso bestimmt von hastigen Ortswechseln wie auch die nachfolgenden beiden Jahre, in denen er insgesamt dreimal auch Berlin besucht zu haben scheint: Offenbar fühlte er sich angefeindet und daher nicht mehr sicher, und deshalb muß man diese Reise-Hektik sowohl als Flucht- und Sicherheitsmaßnahme wie auch als Zeichen seiner gesteigerten Selbstpropaganda und Proselytenmacherei interpretieren. Sein Bedürfnis nach Anerkennung, das sich schon in dem 1680 publizierten >Quinarius< manifestiert hatte, fand eine gesteigerte Fortsetzung in der von ihm redigierten und 1685 in Amsterdam erschienenen >Historisch Verhaal van Quirin Kuhlmans 21 levendige HoofdgetuyenSteins der Weisen< ausgab, und ihn später nur noch »Hellgraf« oder »Höllgraf« titulierte, glaubte er ebenso noch dessen Visionen von einem Kind, das Welt-Monarch sein sollte und das Kuhlmann natürlich auf sich bezog, wie den - von ihm sogar eigens 1685 publizierten - Offenbarungen Blessets, in welchen dieser ihn als
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Herrn der Welt imaginierte: »Denn so spricht der Herr: Ihn habe ich erwählet über mein Volk, und er sol haben alle schätze der Erden, und ich wil geben ihm Gewalt über die gantze Erde. Denn er ist aus dem Stamm Juda. Drauf erschin Salomon mit dem Zepter und Schwerd in seiner Hand, und überreichte es zu meinem Meister« (zit. ebda., S. 234). Überwiegend aber waren es Zeuginnen, die Kuhlmann zur SelbstBestätigung anzuführen vermochte, darunter nicht nur Tannecke Denys und Magdalena von Lindau, sondern auch seine beiden neuen Lebensgefährtinnen: Mary Gould, die er stets Maria Anglicana nannte, die mit ihm 1684 nach Amsterdam zog, dort das Bürgerrecht erwarb und mit ihm in außerehelicher Gemeinschaft lebte, aber schon im Herbst 1686 starb, sowie Esther Michaelis, die Stieftochter eines seiner Verleger, mit der er im Mai 1687 eine förmliche Ehe einging - auch dies wiederum nicht ohne den Kontext der Prophezeiungen, die von dem Erwählten einen Sohn erwarteten, der sein Werk fortsetzen sollte. Als Esther dann im November 1687 eine Tochter als Frühgeburt zur Welt brachte, die wenige Stunden nach der katholischen Taufe starb und auf dem calvinistischen Friedhof beerdigt wurde, da wurde das Schicksal dieses Kindes, das aus »ursprünglich lutherischem Samen« gezeugt war, als VorZeichen der konfessionellen Versöhnung gedeutet (vgl. ebda., S. 235ff.). Ebenso wie Maria Anglicana unterstützte Esther durch eigene Visionen das Selbstverständnis Kuhlmanns als eines »Kühlmonarchs« (vgl. dazu Kap. II 5 c) und trieb ihn auch zu seiner letzten großen Missionsreise an, die ihn - nach der »Bekehrung« der Türken und Juden - in das »dritte Rom«, zur griechisch-orthodoxen Kirche und zur Integration des Zaren in sein »Kühlreich« führen sollte. Am 27. April traf Kuhlmann in einer kleinen deutschen Vorstadt von Moskau ein, die neben einer lutherischen und calvinistischen Gemeinde auch eine Gruppe von etwa 30 Böhmeanhängern aufwies. Er wohnte bei Conraedt Nordermann, den er als getreuen Anhänger gewann, und begann unverzüglich, Winkelmessen abzuhalten und vor allem gegen den lutherischen Geistlichen Joachim Meincke zu polemisieren. Auf dessen Anzeige hin wurden beide Ende Mai verhaftet. In einem mehrtägigen Gerichtsverfahren, bei dem Kuhlmann - wie die von Dietze ausführlich ausgewerteten Akten bezeugen - als »Ketzer und Schwarzkünstler und Aufrührer« bezeichnet wurde, bekannten sich beide - auch nach zweimaliger Folterung (je zwanzig Schläge und Brennen mit Zangen) standhaft zu Gedankenwelt und Sendung Kuhlmanns. Auf die mehrfache Frage, warum er sich einen »Sohn Gottes« nenne, gab der »Kühlmonarch« die stereotype Antwort: weil er häufig Engelserscheinungen habe (so das Gerichtsprotokoll; vgl. ebda., S. 324ff.):
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»Und sie, Quirin und Conraedt, sagten auf der Folter, daß sie einen neuen Glauben und die Ankunft der zehn israelitischen Stämme verkündigten und daß entsprechend einer Engelserscheinung und der eigenen Offenbarung Gottes alle Menschen in der ganzen Welt sich Jesueliter nennen würden. Und jene Bücher und Briefe, von denen in den vergangenen Verhören die Rede gewesen, würden die volle Wahrheit berichten, und alles würde so geschehen, wie es darin aufgezeichnet wäre, ganz gewiß, und sie seien bereit, für diesen ihren Glauben und ihre Lehre zu sterben. Dafür jedoch, daß man sie foltere und brenne, werde über diese Menschen von Gott eine große Strafe verhängt; aber sie hielten aus in diesem Glauben auf Grund der Engelserscheinung. Und mehr davon sagten sie nicht.« (Aus dem Protokoll; zit. ebda., S. 326)
Am 30. Juni wurden beide als gefährliche Ketzer zum Tod durch Verbrennen verurteilt. Verzögert durch die Wirren um die Machtübernahme von Zar Peter I. (1672-1725) in diesem Jahr, wurde der Feuertod an beiden erst am 4. Oktober 1689 vollstreckt. - An diesem harten Urteil trugen die Vertreter aller Konfessionen - der griechischorthodoxen, katholischen, calvinistischen und vor allem der lutherischen Kirche - erhebliche Mitschuld, da sie von dem Gericht um Gutachten gebeten worden waren. Untereinander verfeindet, fanden sie hier zu einer Einheitsfront gegen den zusammen, der sie einträchtig in seinem Kühlreich zu versammeln gedachte, und nahmen die eher verschwommenen sozial-revolutionären Implikationen seiner chiliastischen Träume tod-ernst (vgl. ebda., S. 332). So zahlte Kuhlmann mit seinem Leben jener Epoche des Konfessionalismus Tribut, als deren Apotheose sich uns doch zugleich seine poetische Sendung darstellen wird. b) >Himmlische Libes-Küsse< - ein »Hohelied« auf die Gelehrsamkeit Kuhlmanns wichtigstes poetisches Jugendwerk, die >Himmlischen Libes-KüsseHimmlische Libes = küsse / über di fürnemsten Oerter der Hochgeheiligten Schrifft / vornemlich des Salomonischen Hohenlides wi auch Anderer dergleichen Himmel = schmekkende Theologische Bücher Poetisch abgefassetLibes-kußLibes-Küssen< erwähnte Martin Opitz für die deutsche Poesie erneuert und propagiert hatte und mit dessen nationalsprachlicher Reform-Intention sich Kuhlmann ebenfalls identifiziert (vgl. HLK, S. 15f.; Bd. I, S. 66ff.; Bd. IV). Den berühmten Neustoizisten Justus Lipsius
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preist der junge Poet bereits in der >Zuschrifft< als den, »den ich vor allen ändern übte« (HLK, S. VII), er wählt sich ein lateinisches Gedicht von Opitzens Hauptgewährsmann Julius Caesar Scaliger (d. i. Giulio Bordone della Scala 1484-1558) zum Eröffnungspoem, das er später übersetzt (ebda., S. 12f.), er versifiziert die Stoiker Seneca und Cicero (ebda., S. 66ff.), und schon das zweite Sonett der Sammlung über >Di H. Dreieinigkeit stellt er unter ein Motto aus dem ersten Kapitel des >Poimandres< von Hermes Trismegistos (HLK, S. 2), dessen »herrliche Worte« er im Prosazusatz des nachfolgenden Sonetts eigens rühmt (ebda., S. 5), - nicht ohne freilich im ersten Sonett auf den »Hoch = erlauchten Johan Arnd« verwiesen zu haben (ebda., S. l f.). Ein geradezu virtuoses poetisches Kabinettstückchen liefert Kuhlmann mit dem 41. >Libes-Kußars combinatoria< übt und sie als sprachalchimistisches »Wechselrad mit Worten« auf die Poesie zu übertragen sucht (vgl. HLK, S. 53ff., 60; vgl. 11.36 Bock 1984, S. 737; derselben Kombinationskunst bedient er sich in einem soeben wiederaufgefundenen Gelegenheitsgedicht auf die Hochzeit seiner Schwester Eleonore Rosine im Jahr 1670; vgl. 11.36 Clark, S. 116ff., 123ff.). Das thematische Spektrum des jungen Humanisten bezieht neben häretischhermetischen Positionen auch den Bereich der verbotenen Künste mit ein. Seine Hochschätzung der Alchimie z. B. entzündet sich nicht nur bei der allegorischen Ausdeutung geeigneter Hohelied-Verse (wie z. B. Hl. 5,14: »Seine Hände sind wie goldene Ringe, voll Türkise. Sein Leib ist wie reines Elfenbein, mit Saphiren geschmückt«; vgl. dazu den 30. >Libes = Kuß< in HLK, S. 34), sondern zeigt sich auch bei dem vernünftigen Nachweis für die Wahrscheinlichkeit der Auferstehung Jesu durch die Analogie der »Schmeltz = Kunst« (im Zusammenhang mit dem >vernünftigen< Glauben von Maria Magdalena an den tatsächlichen Tod Christi Joh. 20,13): »Si ( = die Alchimie) sprach: wil Unvernunfft nun dich Vernunfft umfassen? Komm / Thorin: schau / wi ich beseele Erd und Klos! Si nahm ein reines Glas / lost ihr Metall strakks auf / Dann ward Mercurius dem Silber beigegossen / Si zeigte einen Baum mit tausend Aesten sprossen / Riß si schon einen ab / so wuchs ein neuer drauf. Di Engel stimmten an; kan eine Kunst dis geben / Wi solle JEsus nicht der GOtt der Gotter leben?« (HLK, S. 47)
Dies Beispiel verdeutlicht ferner, daß die Sonettsammlung neben den Hohelied-Bearbeitungen auch wesentliche Stationen des Erdenwandels
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Jesu thematisiert. Indes wenn so auch der Charakter andächtiger >Betrachtung< überwiegt und das Buch sich am Schluß demonstrativ von der »Weltweisheit« abwendet (vgl. HLK, S. 69f.), so tut es dies doch zugleich wiederum mit solcher Gelehrsamkeit (durch Anführung bedeutender heidnischer Philosophen), daß die plötzlich erzwungene Dichotomie zwischen Weltweisheit und Jesus-Liebe (»Ich fluge und sige: Euch kronet di Baar«; ebda., S. 70) nur als gewaltsamer, adressatenorientierter Kunst-Griff erscheinen muß. Mit dieser Sonett-Sammlung präsentiert sich der junge Kuhlmann als erstaunlich belesener und formal bereits gewandter »poeta doctus« in humanistischer und mystischer Tradition. Und gerade weil der prädentierte mystische Gestus der humanistischen Fundierung nicht entbehren kann und will, demonstriert das frühreife Werk die faktische Unentschiedenheit der Kuhlmannschen Lebenshaltung zwischen synkretistischem Gelehrtentum und Christus-Hingabe. Obwohl er mystische Positionen und Traditionen bereits als Schüler kennengelernt hat, faßt er diese - wie die Humanisten seiner Zeit auch - lediglich als legitime »Funken« des göttlichen »logos spermatikos« auf (vgl. Bd. I, S. 66ff.). Erst durch das Böhmesche »Erweckungserlebnis« in Leiden gewinnt die Welt der Mystik jene Priorität für ihn, von der her er dann retrospektiv auch die >Himmlischen Libes = Küsse< seiner Jugendzeit als Stationen auf dem Weg zu seiner göttlichen Berufung zu deuten vermag. c) >Der Kühlpsalter< - Schrift-Erfüllung in der Poesie Kuhlmanns Hauptwerk umfaßt mehr als 20 000 Verse auf etwa 650 Seiten. Seine Entstehungsgeschichte begleitet die Biographie des Autors seit dem 10. September 1670 (dem Datum des 1. Gesangs) bis in seine letzten Lebensjahre. Zunächst erschien 1677 in Amsterdam ein Band mit dem Titel >Funffzehn GesängeErstes Buch< einer um drei weitere Bücher erweiterten Ausgabe: >Der Kühlpsalter / Oder / Di FunffzehngesaengeDes Kühlpsalters / Zweiten Theil< hinzu, der aus Buch V bestand. Wiederum nach Jahresfrist erschienen unter dem Titel >Quirin Kuhlmanns / Wesentlicher Kühlpsalter / Das Wunder der Welt< die Bücher VI und VII und schließlich 1686 das achte Buch unter der Überschrift >Des / Kühlpsalter / Dritter Theil< (vgl. 11.36 Beare, S. IXf.). Im Unterschied zu allen vorangegangenen Büchern, die nach
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dem Muster der Erstpublikation 15 >Gesänge< auf wiesen, bricht das achte Buch mit dem 12. >Psalm< ab. Statt der ursprünglich vom Autor offenbar geplanten 150 poetischen Gesänge in 10 Büchern, die genau der Zahl der alttestamentlichen Psalmen entsprochen hätten, kommt der >Kühlpsalter< insgesamt nur auf 117 Psalmen. Zwar gibt es Hinweise darauf, daß Kuhlmann tatsächlich 150 Gesänge verfaßt habe (uns sind durch Sonderdrucke nur noch der 131., 139., 143. und 149. Psalm bekannt; vgl. 11.36 Dietze, S. 289ff.), indessen erscheint dann die Publikation des unvollständigen achten Buches als umso bemerkenswerter. Für diesen Abbruch lassen sich - wie mir scheint - strukturimmanente und >externe< Gründe geltend machen. Solche Entstehungsgeschichte legt eine chronologische Betrachtung des >Kühlpsalters< nahe, zumal dieser vom Autor eng auf seine Biographie bezogen wird. Vorab indessen seien drei Aspekte zum besseren Verständnis des Gesamtwerkes erläutert. Zunächst fußt es auf zentralen Glaubensinhalten des Spiritualismus (vgl. Kap. I I ) . Das betrifft die kritische Einstellung des theologischen Laien Kuhlmann gegenüber der Spaltung des Christentums in drei Konfessionen (»So bald si sich getheilet, / Ist Christus weggeeilet«; KP I, S. 62), gegenüber dem Ketzermachen (»Di dich, mein Gott, recht kennen, / Di wollen si verbrennen«; ebda.), gegenüber den orthodoxen Spitzfindigkeiten in Glaubensdingen (»Wi wollen wir im forschen himmlisch werden?« Ebda., S. 136) und generell gegenüber dem verfaßten äußeren Kirchentum, dem er die innerliche Geist-Kirche entgegensetzt: »Di Kirche mus in uns gebauet stehn: Es ist in uns, darein wir eifrig treten. Das Reich der Gnaden, Schrifft, Natur, Das hat in uns die beste spur. Gott Vater selbst gebährt in uns den Sohn: Drauf geht der Geist in uns aus Gottes Thron. Drum lasse uns di Gottes-Kirche bleiben; Lass Gottesdinst hirinnen ewigst treiben.« (Ebda., S. 145f.)
Insofern teilt Kuhlmann auch die zweifache spiritualistische Dichotomie zwischen »innen« und »außen« (»Sei aussen unter den vir winden: / Inwendig bei den Gotteskinden, / Bei Jesus Christ im Paradeis«; ebda., S. 284; dies ist das Motiv des Titelbildes zum vorliegenden Band) sowie zwischen Gut und Böse bzw. Himmlischem und Teuflischem als gegeneinander kämpfenden Kräften auf der Welt (vgl. z. B. KP II, S. 182ff. und Kap. I 3 d), wobei er sich immer wieder auch von schwarzer Magie bedroht sieht, die ihm - wie er nachträglich zu erkennen glaubt - vor
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allem in der Person Holgraves leibhaftig begegnet ist (vgl. dazu u. a. KP II, S. 227ff.). Die spiritualistischen Grundanschauungen verbinden sich nun zweitens bei Kuhlmann mit Kern-Gedanken der Böhmeschen Weltanschauung zu einer auch am alchimistischen Prozeß orientierten Mystik. Der umfangreiche Psalm 53 erzählt u. a. die Kosmogonie im Sinne Böhmes nach und hebt besonders die Gottebenbildlichkeit Adams hervor, die aus dem »Hineinquallen« Gottes in ihn resultiert: »16. Qual Gott in Adam nicht unendlich? Sein Geist ist uns nur allzukändlich, Darinnen Gott qualificirt, Und den er himmlisch hat durchrührt der geist, den Gott durch Adams nasen Nach sich aus sich ihm eingeblasen Im Paradischen lustgefild Nach seinem eignem Ebenbild, Das er von Gott mit Gott durchgottet, Solt ewig leben unzerrottet.« (KP I, S. 237; Zitat im Original kursiv)
Nach dem Fall Adams hat Christus die Möglichkeit zur Wiederherstellung dieses adamitischen Seins eröffnet. So ist das mystische Einssein mit Gott im Sinne jener anfänglichen kosmogonischen Emanation (»Gott hat in dich sich ausgeflossen, / Und dich mit sich so mild durchgossen, / Aus libeslibeslibes art«; ebda., S. 279) wieder möglich: »Haucht sich neu Gottes hauch in ihr erstbildnis ein, / So wird der einge Mensch ein recht dreieinger Mensch« (KP-R, S. 84). So wiederholt sich auch der göttliche Gebärvorgang im Sinne Böhmes in der Seele (vgl. ebda., S. 83f.). Zugleich damit wird diese zum »Siegel« und »Spiegel« der vom göttlichen Geist ausgehenden »Sophia« (vgl. dazu Kap. I 5 b): »Vernunfft, di überhimmlisch gläntzet, Di aus Sophienslentz uns lentzet, Di ist des Heilgen Geistes frucht; Aus Gott in Gott von Gott besucht: Si ist der Gottesweisheit Sigel, Und sibeneinger Wunderspigel.« (KP I, S. 275; Zitat im Original kursiv)
In Übereinstimmung mit der in Spiritualismus und Mystik des 17. Jahrhunderts verbreiteten Ansicht, daß ein seine Geschöpfe liebender Gott die »unio« nicht zu verwehren vermag (vgl. KP I, S. 282), greift Kuhlmann zur Darstellung der Einigungs-Erfahrung auch auf das schon in seinem Jugendwerk benutzte brautmystische Bildfeld zurück und beschreibt programmatisch im ersten Psalm des Werkes die Liebe zwi-
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sehen Jesus und der Seele als ein wechselseitig hervorgerufenes »Entbrennen« (ganz im Verständnis-Kontext von Kap. I 3 c): »3. Seelenlibster! las mich lodern, Wi zuvor, in Himmels glutt! Las mich deine Libe fodern! Ach durchhitze Blutt und Mutt! Sie lis Libespfeile los. So beflammten ihn di Flammen Heiliglichter Jesus lib.« (KP-R, S. 16f.; vgl. auch KP I, S. 280)
Indem Kuhlmann seine Brautmystik zugleich »mit Sophienkus durchsüsst« (KP I, S. 276), verleiht er dem Wechselspiel von Seele, Christus und »Weisheit« auch noch den Böhmeschen Charakter christologischer Androgynität (vgl. Kap. I 5 c), die sich wiederum mit marianischen Konnotationen und der häretischen Vorstellung von der Gottesgeburt in der Seele zu verknüpfen vermag (»Auf, Adam, auf! Erlange thron und krön! / Das heiige Weib gebaehrt in uns den Sohn!« KP-R, S. 135). Diese Gewißheit des spiritualistischen Geist- und mystischen GottesBesitzes ist nun aber nicht eigentliches Ziel des »Kühlpsalters« und seiner Botschaft; wohl aber gründet in ihr - drittens - das prophetische Sendungsbewußtsein Kuhlmanns, von dem der >Kühlpsalter< mit hoher Ausschließlichkeit handelt. Denn dieses entwickelt sich aus dem Selbstbewußtsein eigenen Erleuchtet- und Durchgottetseins, von dem her er sich - wie andere Mystiker auch - in den Dienst an der Welt stellt, und zwar zur Herbeiführung des tausendjährigen Reiches Christi auf Erden. Das Bewußtsein der eigenen Erwähltheit durchläuft bis zur schließlichen Selbstvergottung mehrere - wenngleich nicht genau abgrenzbare Phasen. Am Anfang steht die im Spiritualismus weit verbreitete Überzeugung von dem geschichtlichen Fortwirken göttlichen Prophetentums, verbunden mit dem Glauben daran, daß das lebendige Wort Gottes weder an den Buchstaben der Schrift gebunden ist noch nur aus dessen Auslegung besteht (vgl. dazu auch Kap. I l a), sondern als Weissagung für die Zukunft eine Offenbarung für die eigene Gegenwart darstellt. Zunächst erschließt Kuhlmann aus den Prophezeiungen Böhmes, Rothes, Kolters, Drabiks und anderer sein eigenes Prophetentum (vgl. Kap. II 5 a) und stellt dieses im ersten Teil - also in den vier ersten Büchern des >Kühlpsalters< dar. Indessen radikalisiert sich sein Sendungsbewußtsein in dieser Phase zu einem messianischen Selbstverständnis, und dieses beherrscht den zweiten Teil des >KühlpsaltersKühlpsalters< aus dem Munde der Trinität selbst bescheinigen: »32. Lernt, Völker, Gottes Will aus unsern Kühlpropheten! Si sind der dritte Theil, der an di Schrifft gebohrt. Kein Wort sei ab und zu dem Gottesgeist gesätzet, Das euch nicht ab und zu von Gott gesätzt! Der heiige Geist geht aus vom Vater und dem Sohne In diser neuen Schrifft, di mit der Schrifft recht eins. Si ist von Gott aus Gott geflossen: Durch Engel abgefasst, durch Jesum gedictirt.« (Ebda., S. 236)
Schließlich unterzeichnet er das Vorwort zum achten und letzten Buch des >Kühlpsalters< als »QUIRIN KUHLMANN, Der Sohn des Sohnes Gottes Jesu Christi und Printz, Prophet, Prister des ewigen erlösten Königreiches Jesuels« (KP II, S. 274), und im letzten Psalm bekräftigt er: »Du bist mein Herr und Gott, und ich dein neuer Sohn« (ebda., S. 325). Vor einer solchen Projektion des Selbst in die Christussohnschaft, in die sich das anfängliche Geltungsbedürfnis Kuhlmanns hineingesteigert und gleichsam >objektiviert< hat (vgl. 11.36 Arnold, S. 272), erschließt sich nun zunächst die Funktion des >Kühlpsalters< als Fortsetzung der
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göttlichen Offenbarung im Sinne von Deutung, Weissagung und Verkündigung sowie als autobiographische Beglaubigung der prophetischen Sendung. »Gegenwärtige Fünffzehngesänge«, so eröffnet er das erste Buch und verweist damit auf ihren inspirierten Charakter, »werden nimals mit blossem lesen oder betrachten, sondern allein in dem stände völlig verstanden werden, darinnen si geschrieben.« (KP I, S. 3) Und zu Beginn des zweiten Buches fordert er seine Leser auf: »12. Forschet nach, ihr Kinder Gottes, in den heutigen Propheten, und si sind, di euch klärer hirvon zeugen. 13. Forschet in den Propheten der H. Schrift, und ihr findet darinn heimlicher, was in disen klährer abgehandelt.« (Ebda., S. 47) Damit konstruiert er ein figurales Verhältnis zwischen den alten biblischen Weissagungen und seinem eigenen »dritten Schrifttheil«: »Das Gesätz währet mit allen Propheten bis auf Johannem: Johannes mit allen Aposteln bis auf den Kühlbund der Kühlordnung; mit welchem di heiligen Propheten und Aposteln vollkommen zugesigelt und entsigelt werden.« (KP II, S. 102f.) Daraus entwickelt er einen typologischen Dreischritt, wonach das Zeichen (der mosaischen Offenbarung) auf die (dieses deutend-überbietende) Figur der Johanneischen Weissagung bezogen ist und diese wiederum auf das Wesen des >Kühlpsalters< vorausdeutet, in dem es sich erfüllt. So bleibt dieser stets - mit reflexivem Gestus - deutend auf die früheren Offenbarungen bezogen, zugleich aber enthalten die Kuhlmannschen Gesänge ihrerseits wiederum Prophezeiungen, deren eigentliche Bedeutung sich erst künftig herausstellen werden. Dabei ermöglicht die lange Entstehungszeit dem Autor, Weissagungen aus früheren Büchern des >Kühlpsalters< in späteren Werkpartien deutend wiederaufzugreifen und somit in seinem Werk selbst eine figurative Deutungsebene von »Typos« und »Antitypos« zu installieren. Eine weitere, »psalmimmanente« Sinnebene ergibt sich daraus, daß jeder Gesang als Deutung einer bestimmten autobiographischen Lebensphase oder Situation konzipiert ist, die jeweils zu Beginn als »Gelegenheit« expliziert wird, so daß der >Kühlpsalter< formal allgemein in der Tradition des damals hauptsächlich verbreiteten Typs der >Casualpoesie< (vgl. dazu IV Segebrecht), konkret jedoch in der bis hin zu Johann Christian Günther (1695-1723) geübten, heroisch-autobiographischen Liebesdichtung in der Nachfolge Francesco Petrarcas (1304-1374) gleichsam als deren geistliche Kontrafaktur - steht (vgl. dazu IV SchulzBuschhaus). »Als er«, so lautet eine typische Einzelüberschrift - hier zum ersten Psalm des zweiten Buchs -, »an seinem 27. Geburtstage ein dreifaches dankfest hilt mit seinem von Gott beigefügtem hause, zu Bromley bei Bow den 25. Hörn. 1678. fünf Tage vor der Reise nach Rom« (KP I, S. 48). Dabei stellen diese biographischen Stationen als gewisser-
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maßen perikopische Vorlage für die Psalmen besondere Lebenshöheoder -tiefpunkte dar, sind durch diese Auswahl schon bedeutend und damit ihres privaten Charakters enthoben. Auch hier ist die Bibel Vorbild: »Welch Schreiber würde doch in einem buch derbücher/ Privatgemeines ding anrühren?« (KP II, S. 341) Aus diesem Grund neigt Kuhlmann aber auch zur andeutenden, das biographische Faktum häufig verschweigenden bzw. bereits auslegenden Redeweise, deren kryptischmystifizierender Charakter Lektüre und Interpretation seines Werkes häufig sehr erschwert. Wenn er z. B. im Vorwort zum zweiten Buch darauf hinweist, »wi wir in unser Reise di drei Welttheile betreten, von dem virden Theil, dem entferntem America, di Kräfte darzu, durch sonderbahre Gottesschikkung, empfangend« (KP I, S. 47), dann stellt er sich als denjenigen dar, der das Missionswort Jesu: »Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur« (Mk. 16,15) gleichsam im Alleingang erfüllt, doch unter dem hochtrabenden Verweis auf die aus Amerika beteiligten »Kräfte« versteckt sich der »privatgemeine« Tatbestand, daß Kuhlmanns damaliger Freund Bathurst, der sich zu Missionszwecken in Jamaica aufhielt, die Reise des Propheten finanzierte. So wie Christi Leben »der allerreinste Spigel« war, »in dem ihr Christi Wort durch Christi Geist könnt sehen« (KP II, S. 341), soll sich auch das Leben seines »Sohnes« im »Wort« des >Kühlpsalters< »spiegeln«. Insofern geht in diesen nur solche autobiographische Faktizität ein, der Kuhlmann soteriologische oder prophetische Bedeutung abzugewinnen vermag. Dies bedeutet nicht, daß in seinen Psalmen nicht auch bereits ein sehr persönlicher Ton sowie Individualität im modernen Sinne spürbar würden - und dies auf bewegende Weise vor allem und immer wieder in den >Klage-PsalmenKühlpsalter< folgt doch den Gattungsgesetzen der alttestamentlichen Vorlage, und auch die ritualisierte Abfolge von Klage-, Dank- und Triumph-Lied (letzteres stets am Schluß der Einzel-Bücher) setzt die im biblischen Psalter angeschlagenen Gattungstöne fort. Dennoch ist es bemerkenswert, daß sich Kuhlmann mit den »Gesängen Davids« einer biblischen Vorlage bedient, die einer individuellen Frömmigkeitshaltung und einer autobiographischen Applikation besonders entgegenkam. Zugleich aber greift er mit dieser Form auf die Poesie des Alten Testaments zurück, denn die Psalmen waren als Hymnen sowie Klage- und Danklieder kultische Gesänge (vgl. V Weiser, S. 35ff.), und es gibt Anzeichen dafür, daß Kuhlmann seinen >Psalter< als Gebetund Liederbuch nicht nur in seiner Familie, sondern auch in seinen Konventikeln hat benutzen lassen. - Keineswegs zufällig erfolgt die inspirierte >Wortwesentlich< ereignet. Dieser Anspruch des >Kühlpsalters< ist wiederum nur im Kontext der Böhmeschen Theorie von der adamitischen Ursprache und ihren »schöpferischen« Fähigkeiten her zu begreifen (vgl. Einleitung a; Kap. I 5 e). Kuhlmann deduziert dieses Sprachvermögen im Sinne Böhmes von der Theogonie her zunächst als innergöttliche Sohnesgeburt (KP I, S. 234). Indem Gott dann »freiflüssend« »von sich gequollen« ist in die »Begreiflichkeit«, ist dieser »Geburts«-Vorgang als Weltgenese zugleich Ausdruck des göttlichens »Sprechens« im »Schall« (Gott ergießt sich mit dem »Willen, / Aus sich in sich mit sich zufüllen, / Aus sich in sich mit sich sein All, / Aus sich in sich mit sich sein schall«; ebda., S. 234). Mit der Erschaffung Adams durch den göttlichen »Hauch« oder »Atem« hat zugleich das »Wort« »sich uns eingesprochen« (ebda., S. 238), mit dessen Hilfe nun der neue Adam in seinem geschöpflichen Sprechen doch zugleich ein »Spiegel der Theogonie des göttlichen Worts« zu sein vermag (III Rusterholz, S. 189): »8. Haucht sich neu Gottes hauch in ihr erstbildnis ein, So wird der einge Mensch ein recht dreieinger Mensch. Er siht in seiner Seel des Vaters Allesnichts In dem unendlichen Nichtsallemallem alls. Er gibt in seinem geist des Sohnes hoechste pracht, Di alls in alls mit alls bestrahlt Er faehrt im euserm leib im heiigen Geistes hauch, Aushauchend sich in formen sonder end. Dann gehn di Wunder auf zu des dreieingen lob, Di sich auf ewigst mehrn, imehr si sich vermehren.« (KP-R, S. 84)
Von dieser Theorie des »wesentlichen« Sprechens her erklärt sich auch der - im Verlauf des Werkes wachsende - poetisch-rhetorische Aufwand im Bereich der >SchallGeistreise< und »Himmelfahrt Kuhlmanns« (11.36 Rusterholz, S. 250). Auffällig auch die zahlreichen Kühlpsalmen, die - zum Teil mehrfach und als »goldenes ABC« bezeichnet - die Strophenanfänge an der Abfolge des Alphabets orientieren (zur Geschichte und Deutung solcher Buchstabenmystik vgl. III Dornseiff, S. 20ff.), sowie der schließliche Übergang Kuhlmanns zur Reimlosigkeit in den letzten 22 Gesängen, weil er sich nur noch nach der »Natur« der Worte richten und aus ihrer »Wurtzel« schreiben will (eine für das reimgläubige 17. Jahrhundert ganz ungewöhnliche Entscheidung; vgl. 11.36 Dietze, S. 281 f.). - Mit diesen Intentionen und Mitteln praktiziert er bereits jene adamitische Sprache (»Di heiige sprach, di nichts von zahnen weist, / Di englisch halb, ward offen unserm Geist«; KP II, S. 128) und fordert die Auserwählten des »Kühlreichs« auf, sie ebenfalls zu erlernen (ebda. S. 187). Deshalb ist die bisweilen geradezu aufdringliche und - wo immer möglich - im Sinne Böhmes etymologisierende Sprache Kuhlmanns, die sich auch der aus der apophatischen Mystik bekannten >überJubilus< gleich im 5. Kühlpsalm (vgl. 11.36 Forster 1958) sowie verschiedener Strophen aus mehreren Gedichten des Johannes vom Kreuz in Psalm 62 (vgl. 11.36 Forster/Parker; Rusterholz, S. 233), und offensichtlich hat er sich im Blick auf die Rollengedichte, in denen er Gott oder Christus selbst in Versen sprechen läßt (vgl. z. B. KP II, S. 189ff.), von analogen Partien in Nikolaus Drabiks Erleuchtungen inspirieren lassen (vgl. 11.36 Dietze, S. 148). Im Sinne Böhmes sind Stil und »Schallform« als sensualistische »Ausdrucksseite« der Sprache zugleich wesentlicher Teil ihres Inhalts und ihrer Wirkung: »Buchstaben sind auch wesentlichs verstehn!« (KP-R, S. 66) Und wenn Kuhlmann ausruft: »NOrd, Sud, Ost, West, steht auf: Empfanget heiige kräfft! / Erlernet neu di allererste zung!« (KP II, S. 187), dann erinnert er daran, daß Gottes Sprechen die Kraft enthielt, das »Ausgesagte« auch wirklich zu schaffen. Und diese auch der adamitischen Sprache ursprünglich eigene Fähigkeit beansprucht Kuhlmann ebenfalls für seine Offenbarungen und Weissagungen. Nur von daher ist im Grunde zu begreifen, warum er das Scheitern seiner Mis-
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sionsreise nach Konstantinopel durch die geistliche Bekehrung in der poetischen Meditation des zweiten und dritten Buches glaubt >wesentlich< ersetzen zu können (vgl. KP I, S. 46ff., 93ff.), warum er die aus Finanzmangel in der Schweiz abgebrochene Missionsreise nach Jerusalem als >Geistreise< verwirklicht (in den Psalmen 73-95; vgl. KP-R, S. 63ff.), und warum er schließlich nicht nur bei seinen Send- und Bekehrungsschreiben an die führenden europäischen Potentaten, sondern bei seiner prophetisch-messianischen Sendung überhaupt auf die Kraft seiner Verse vertraut: In ihnen wirkt, davon ist er überzeugt, die göttliche Macht, die ihn zu diesem Amte treibt (vgl. KP I, S. 49; bezeichnend für diesen Glauben an die Sprachmagie in den von Böhme beeinflußten Zirkeln ist auch die u. a. von Johann Baptist van Helmont in seiner >Morgenröthe< ausführlich begründete Überzeugung von der »Krafft, Krancke zu heilen durch Worte« - eine Form des Heilzaubers, die auch Jesus den Ärzten vorexerziert habe: II, S. 62 u. ö.). Von diesem Vertrauen auf die letztlich magische Wirkung seines dritten Evangeliums her erschließt sich auch ein Zugang zu dem unabgeschlossenen Aufbau des >KühlpsaltersKühlpsalters< einen derart vieldeutig-labyrinthischen Charakter, daß jede einsinnige Erklärung auf verlorenem Posten steht und eine »vielsinnige« sich kaum plausibel durchhalten läßt, jedenfalls bis heute nicht gefunden wurde. Dies läßt sich exemplarisch an der für Struktur und Aufbau des Werkes fundamentalen Zahlensymbolik zeigen. Wie für viele Zeitgenossen manifestiert sich für Kuhlmann in den durch Maß und Zahl regulierten Proportionen der Schöpfung ihr göttlicher Ursprung. Und so wie das >Buch der Natur< unter dem Regiment der Sterne in regelmäßigen Zyklen verlief, hatte Gott auch den historischen Ablauf der Welt bis zum Jüngsten Gericht - wie die Bibel bezeugte - periodisch gegliedert. Die danach möglichen Welt- und Zeitalter-Berechnungen (vgl. dazu Bd. II, S. 37ff.) spielen bei Kuhlmann nun eine große Rolle für seine chiliastische Erwartung, und sie werden ergänzt durch Spekulationen aus anderen Künsten und Wissenschaften, die in der über das Mittelalter in die frühe
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Neuzeit hineinwirkenden Lehre von der Zahlensymbolik ihren Niederschlag fanden (vgl. dazu III Taeger; Meyer). Die Anknüpfungspunkte und Auslegungen im Bereich der Zahlen sind dabei allerdings so vielfältig, daß eine Deutungskombinatorik, wie Kuhlmann sie nahelegt, rasch den Grad zur Beliebigkeit überschreitet. Ich beschränke mich deshalb im folgenden auf einige Hinweise zur Komposition unter dem Aspekt der Werk-Genese. Die ursprünglich separat publizierten ersten >Funffzehn Gesänge< geben den weiteren Büchern die Struktur vor, in der die Zahl 7 eine dominierende Rolle spielt (7 + l + 7), wobei hier der achte Psalm als Zentrumsgesang sieben Strophen aufweist. Damit »erbaut« Kuhlmann - dem Siebentagewerk Gottes entsprechend - sein »Kühlreich« und hält so den »kosmogonischen« Aspekt seines Werkes stets im figuralen Rückbezug auf Gottes Schöpfungswerk gegenwärtig. Die Teilbarkeit der 7 in die trinitarische 3 und die »elementische« 4 eröffnet eine weitere Fülle von Spekulationen. Der erste Teil des >Kühlpsalter< erscheint in vier Büchern. Das entspricht auch der Zahl der Evangelien, und tatsächlich berichten diese Bücher in relativer chronologischer Dichte vor allem über die >irdische< Sendung und Missionsreise Kuhlmanns zur Heidenbekehrung. Damit aber spielt dieser selbst auf die Errichtung des (ikonographisch viereckig dargestellten) neuen Jerusalems an und stellt die Zahl vier - als Zentrumsfigur der Reihe 3 + l + 3 - bereits in einen Kompositionszusammenhang, der die Annahme nahelegt, daß er beim Erscheinen dieses Bandes 1684 möglicherweise ein Gesamtwerk von sieben Büchern des >Kühlpsalters< projektiert hatte: »15. Denn was di virdte Gestalt unter den siben Gestalten, di Sonne unter den Planeten, das Gold unter den Metallen, der Salniter unter den Sibenen, di Rose unter den Blumen: Dises ist gegenwärtiges Buch unter den Fünffzehngesängen nach feuer und Licht, Verdrükkung und Überwindung, dass es sich recht in seinem Mittel aus dem Trübsalsfeuer in das Überwindungslicht herausgescheidet, und in dem September und Oktober dem sibeinigem JaphetSemHam di Mitternachtsgeschenke bereitet. 16. Darum bestehet auch dis Buch aus hauptgrundsteinen des geistlichen Jerusalems nach allen dreien Anfängen, und fanget von weiten schon an zubauen, was di Zeit Salomons auch weit übertreffen mus.« (KP I, S. 201)
So wie das vierte Evangelium, das des Johannes, das sich bei den Spiritualisten und Mystikern wegen seines Neuplatonismus besonderer Beliebtheit erfreute, die drei anderen zur Erfüllung bringt, so stellt sich auch das vierte Buch des >Kühlpsalters< als abschließender Höhepunkt des ersten Teils dar: Es enthält nämlich - im umfangreichsten Kühlpsalm, dem achten als Zentrumsgesang (KP I, S. 233-284) - die zuvor
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vergeblich erwartete Kuhlmannsche >Offenbarung< der Kosmogonie (im figuralen Bezug zu Joh. l, l ff.; und dazu paßt wiederum, daß der Prophet als einzig wirklich inspirierte Schrift des Neuen Testaments die Offenbarung des Johannes gelten lassen will, die »Gottes Geist dictiret dem libsten Jünger Jesu«; KP II,S. 341). Da nun die Kuhlmannsche >Offenbarung< - wie wir sahen - gänzlich »böhmisch« beeinflußt ist, erscheint dies Buch damit zugleich als »Sophia«, als »Weisheits«-Spiegel und vierte Gottheit der sich in sie ergießenden - durch die drei vorangehenden Bücher schon in dem jeweiligen Vorspruch symbolisierten - Trinität (vgl. dazu Kap. I 5 b). Die Zentralstellung des vierten Buches in der Gesamtkonzeption wird vor allem darin manifest, daß Kuhlmann in dessen achtem Gesang (also dem Mittelpunkt des Ganzen) die Gleichnisreden, ja sogar Teile der Bergpredigt Jesu selbst nicht nur versifiziert, sondern auch ergänzt, ja aus der prätendierten eigenen Inspiriertheit heraus sogar modifiziert (vgl. KP I, S. 248ff.) - ein exzeptioneller Fall in der deutschen Literaturgeschichte! So poetisiert er zwar getreulich Jesu Gebot der Nächstenliebe (»Durchdringe mit der reinsten übe / Auch deiner ärgsten Feinde tribe« usw., ebda., S. 256), schränkt dieses aber wenig später - und typisch für seine antikatholische Haltung - auf ein stoizistisches Maßhalten ein: »Mashabend sei in allen Sachen: / Vornehmlich in dem freundschafftmachen. / Zuvil, zuwenig sind zwei gifft: / Recht seelig, der das mittel trifft« (ebda., S. 273). Für die separate Publikation des fünften Buches als »zweiten Theil« des >Kühlpsalters< gibt es wiederum eine Reihe von zahlensymbolischen Gründen. »Unerträgbare Angstnoth«, erklärt Kuhlmann dazu in der Vorrede, »ist in disem fünfftem Buch, nach eigenschafft der virdten Gestalt, ehe si in das fünffte wesen eingehet« (KP II, S. 3): Das spielt an auf die »quinta essentia«, also auf das fünfte Element, das nach Ansicht der Hermetiker als unsichtbar-fluidale Substanz allem Erschaffenen zugrundeliegt und für dessen Zusammenhalt sorgt. Von daher scheint es kein Zufall zu sein, daß Kuhlmann am Ende des Buches jene bereits zitierte alchimistische Mystik expliziert, die von der »aushauchenden« Sublimierung der Seele in die göttliche Licht- und Feuersubstanz handelt (vgl. KP-R, S. 83ff.). Doch dies ist nur das psychische Pendant zur realgeschichtlichen Erwartung des von hier an mit messianischem Sendungsbewußtsein erfüllten Propheten: Nach den vier Kaiserreichen seit Caesar erwarteten die Sektierer und Spiritualisten nämlich mit dem Anbruch der fünften Monarchie (an welche insbesondere die »Quintomonarchisten« jener Zeit unter Bezug auf Dan. 2,44 glaubten) die Wiederkehr Christi zur Errichtung und Durchführung seines Friedensreiches.
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Die gemeinsam wiederum separat erschienenen Bücher VI und VII runden das im vierten Buch angekündigte Siebener-Schema ab. Mit der Darstellung der Jerusalemischen Geistreise< setzen sie zum Teil die Tendenz zur Spiritualisierung fort und scheinen das Geistliche für das Wesentliche zu halten. Zugleich indessen macht sich die entgegengesetzte Tendenz bemerkbar, nämlich das unruhige Drängen auf tatsächliche Herbeiführung des neuen Christusreiches in der Realität: »Von nun an«, heißt es im Vorwort zum sechsten Buch, »weichen di Kaiser den Kühlmännern, die Virreiche der Kühlmonarchi im Wunder der Wunder aller Wunder.« (KP II, S. 102) Aber eben dieses Eintreffen der »Quintomonarchie« hatte schon das fünfte Buch proklamiert, und die unerwartete Verzögerung nötigt den Autor zu neuen Berechnungen und zahlensymbolischen Deutungen. Da hilft vorerst jene heilsgeschichtliche Zahlenkonstruktion, wonach die Kirche Christi »aus den fünf Türmen« der fünf Reformatoren John Wiclif (ca. 1330-1384), Jan Hus (1369-1415), Ulrich Zwingli (1484-1531) sowie Luther und Calvin bestanden habe und nunmehr ein »sechster Turm« als »sechste Reformation« nötig sei, »um den siebenten Turm, das tausendjährige Reich Christi auf Erden zu bauen« (vgl. KP-R, S. 66f.) und damit in jene heilsgeschichtliche Ruhezeit zu überführen, die dem geheiligten siebten Tag in Gottes Schöpfungswerk entspricht. Doch gerade ein solcher Spiegel der heilsgeschichtlichen Ruhe-Phase sind diese beiden Bücher nicht. Sie zielen auch nicht mehr auf einen nur noch geistlichen Vollzug, sondern werden entschieden politischer und aggressiver im Ton (vgl. z.B. KP II, S. 178) als Ausdruck des Willens zur tatsächlichen politisch-konkreten Introduktion des Reiches Christi in der diesem vorausgehenden »Kühlzeit«. Darin spiegelt sich die Veränderung in der Naherwartung Kuhlmanns, mit welcher er zugleich seine vorangegangenen Bücher auch wiederum beglaubigt: In ihnen ging es um den Auftrag zur Missionierung der Christen, Juden und Heiden sowie zur Verkündigung des Reiches. Das »Wesentliche«, worauf die Botschaft des Propheten zielte, die sich daher mit dem >Kühlpsalter< als schriftlicher Botschaft vollauf erfüllte, war der Appell zum Umdenken, zum »Jesuelitenmachen«, war eine Sache des Herzens, über deren Erfolg in der »Heimlichkeit« der Herzen sich der Gottesgesandte glaubte sicher sein zu können. Nach seiner Proklamation mußte das »Kühlreich« nun aber >wesentlich< in Erscheinung treten, und zwar durch Kuhlmann selbst! Dies konnte nicht mehr nur durch den >Kühlpsalter< allein geschehen. Als dessen achtes Buch separat erschien, bezeichnete der Autor es als >dritten Theil< und wandte damit seine Begriffs-Trias auf sein eigenes Werk an: Buch I-IV als >ZeichenFigurWesenWesen< bringen. Während die bisherigen Interpreten diesem Buch aus stilistischen Gründen ein besonders schlechtes Zeugnis ausstellen, erreichen Konflikt und Verzweiflung des Propheten, der sich gerade wegen seiner göttlichen Apotheose selbstkritisch-schonungslos als »Ein König ohne Volk im mitten seiner Feinde« erblickt (KP II, S. 319), ihren Höhepunkt. Aus dieser »Angst-Not« heraus fordert der Statthalter Christi nahezu gebieterisch die göttliche Einlösung der von ihm geglaubten und verkündeten Versprechen: »1. Dreieiniger! Ich schrei vor deinem thron, Eilf Jahr ermüdt durch fremder ihr gesichte! Es ist genug mit der Figur, Di fremde mir als Zeugen dargestellet! Vollführ im ernst, was mir eilf Jahr bezeugt, Und lass mich fangen an, als Mensch, der Menschen Wunder.« (KP II, S. 318)
»Dreieiniger! Komm selber mir zu hülff!« ruft er (ebda., S. 323) und wiederholt an die Adresse Christi im 117. - und letzten - Psalm: »Drum foder ich di macht, di du vom Vater hast, / Das ich die Heiden weid mit deiner eisern Rutte!« (Ebda., S. 325) Damit ist nun konkrete politische Macht gemeint, mit welcher der »Kühlmonarch« der Herrschaft des Gottessohns auf Erden den Weg zu bahnen gedenkt. Von daher läßt sich verstehen, warum er das >wesentliche< achte Buch unvollendet erscheinen läßt. Mit seiner Lücke verweist das Werk auf das intendierte »Praktischwerden« als notwendige Konsequenz seiner Prophezeiungen. Die hektische Reisetätigkeit Kuhlmanns in den letzten Lebensjahren sowie seine Fahrt nach Moskau, welcher seine Richter nicht ohne Grund auch politische Intentionen unterstellten, können dies bestätigen. Das aber führt zu der Frage, welche Zielvorstellungen Kuhlmann vom »Kühlreich« hatte und was er konkret zu verwirklichen gedachte. d) »Hasst euren unterscheid! Seid Brüder allesamt« - im »Kühlreich« der »Jesueliter« Der aus orthodoxer Sicht häretische Chiliasmus leitet sich aus den alttestamentlichen Prophezeiungen (Jes. 50 u. 51, Ez. 40-47, Dan. 2 u. 7) und Hoffnungen Israels auf das Kommen eines Messias her, der »eine
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Zeit des Wohlstands und Friedens« herbeiführen werde (vgl. III Delumeau II, S. 314ff.; Korn, S. 121ff., u. ö.)· Die Offenbarung des Johannes vermittelte diese Hoffnung ins Christentum: Ein Engel werde vom Himmel fahren und den Teufel im Abgrund verschließen, »daß er nicht mehr verführen sollte die Heiden, bis daß vollendet würden tausend Jahre« (Apk., 20,3). Allein die Glaubenszeugen und Auserwählten würden in dieser Zeit von den Toten auferweckt und »mit Christo tausend Jahre« leben und regieren (Apk. 20,4ff.). Immer wieder hat es in der Kirchengeschichte Gruppen gegeben, welche das Kommen dieses Reiches entweder friedfertig erwarteten - vor allem in der Nachfolge des Joachim von Fiore (gest. 1202) - oder aber selbst radikal in die Wege leiten wollten, und zu letzteren gehörten auch Teile der Anhängerschaft Thomas Müntzers (vgl Bd. I, S. 214ff.), die radikalen Münsteraner Täufer (vgl. ebda., S. 244) sowie im 17. Jahrhundert die »Quintomonarchisten« und »Digger« in England, in Deutschland ferner ein Teil der Anhängerschaft Böhmes. Doch während dieser es bei eher unbestimmten Prophezeiungen belassen hatte, gelangte Kuhlmann vor allem unter dem Einfluß des religiös-politisch agitierenden Rothe mehr und mehr zur Überzeugung vom unmittelbaren Anbruch des Reiches zu seiner Zeit, zu dessen Durchsetzung er selbst berufen sei. Dabei hatten die Millenaristen die Vorstellung, Christus werde alle bestehenden politischen Reiche und Systeme auflösen und die weltlichen Herrscher zum Vasallendienst zwingen (vgl. 11.36 Dietze, S. 134f.). In seiner im Herbst 1682 veröffentlichten 16seitigen Prosa-Schrift >De Monarchia Jesuelitica< entwirft Kuhlmann eine Skizze dieses fünften Jesus-Reiches. So wie in der Natur aus den vier Elementen das fünfte als »Quintessenz« herausdestilliert werde, so müsse das Beste aus den bisherigen vier Kaiserreichen in der fünften Monarchie zusammengefaßt werden. Diese läßt Kuhlmann durch Salomo vorausprojizieren: Es wird von einem Elite-Parlament der Fähigsten, weil Erfahrensten regiert, ist also republikanisch verfaßt, besitzt aber mit Christus als Herrscher eine »monarchistische Spitze« (11.36 Dietze, S. 215). Die Gesellschaft ist international und verständigt sich durch eine gemeinsame Sprache. Natürlich herrscht die christliche Religion, basierend auf der unverfälschten Heiligen Schrift und ihrem dritten Teil, dem >KühlpsalterChristiano-
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polis< (vgl. Kap. I 4 d), - insgesamt jedenfalls entwirft er ein für seine Zeit durchaus fortschrittliches Gesellschaftsmodell und zugleich ein tausendjähriges Eldorado für den Humanismus (ein Zeichen dafür, daß er die humanistischen Ideale seiner Jugend keineswegs so radikal verworfen hat, wie der >Neubegeisterte Böhme< dies glauben machen wollte), und alles in allem ein Reich, für das es sich mit ganzer Kraft zu kämpfen lohnte: »Mein irrdsches Reich ist recht ein irrdscher Himmel! / Das Paradeis kommt allgemach an tag!« (KP II, S. 218; vgl. auch KP-R, S. 137ff.). In seinen Kampf-Maßnahmen selbst indessen erweist sich der christliche Utopier Kuhlmann rasch wieder als Kind seiner Epoche, des Konfessionalismus, den er eigentlich zu überwinden sucht. Denn in der Katholischen Kirche erblickt er das Prinzip des Bösen schlechthin. Die Invektiven gegen den Papst, den »Höllenkönig« (KP I, S. 60), durchziehen alle Bücher des >Kühlpsalter< (nach dem Motto: »Wi fället Rom mit krachen / Dem Teufel in den Rachen, / Den es stat Gottes ehrt?« Ebda., S. 68). Nur durch den Sieg über den Katholizismus ist daher die endgültige Befreiung des Christentums und seine Wiedervereinigung auch mit Juden und Heiden möglich. »Rom ist entromt, das eintracht stets gehemmet«, jauchzt denn auch der Eröffnungspsalm des fünften Buches, welches diese Wiedervereinigung realitätsverleugnend proklamiert. Und weil Kuhlmann wie auch Drabik, Kotter und andere Propheten in dem besonders eng mit Rom verbundenen Habsburg, dem militanten Unterdrücker des Protestantismus, das »Zentrum der antichristischen Gewalt« erblickt (11.36 Dietze, S. 148f.), sucht er bei seinen religiös-politischen Überlegungen und Unternehmungen immer zugleich Verbündete gegen das verhaßte Kaiserhaus (nach der Devise: »Erkohrnes Kühlmannsthum, des Kaiserthumes fall!« KP II, S. 250). So möchte er bei seiner Bekehrungsreise nach Moskau zugleich einen antihabsburgischen Bund zwischen den griechisch-orthodoxen Russen und den mohammedanischen Türken stiften (die zu dieser Zeit gegeneinander Krieg führen!), ja sogar der katholische Ludwig XIV. erscheint ihm zunächst als Bündnispartner gegen das Haus Österreich geeignet, bis dessen epochaler Widerruf des Edikts von Nantes 1685 (vgl. Bd. I, S. 31 f.) ihn sowie seine holländischen Glaubensgenossen zum erbitterten Gegner des französischen Sonnenkönigs macht (der 131. Kühlpsalm vom 27. Mai 1686 richtet sich deshalb - in Paris verfaßt - gegen den Herrscher auf dem Lilienthron): »Nun hastdu dich voll offenbahret / Daß blos der Eigenwill ist deines Rechtes grund!
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Was foderstu vor Recht von deinen Unterthanen / Weil du ihr Haupt vor allen bist mit Recht! Wi hastdu dann das Recht des Schöpffers so verhöhnet / Daß du nach deinem sinn vollführtest GOttes sinn?« (KP II, S. 365)
Zuverlässigere Verbündete gegenüber Habsburg und dem Katholizismus glaubt er demgegenüber in den Herrschern protestantischen Bekenntnisses zu finden. Zwar hat er auch an diesen Konfessionen und den Reformatoren mancherlei auszusetzen (»Allein Luther verwünscht Propheten, Prophetinnen: / Baut auf den eignen Kopff di eigne Meinungs lehr«; KP II, S. 340; »Calvinens bitter Werk vom Nachtmahl und vorsehung / Verderbt den gantzen grund der innern Christenheit«; ebda.), indessen zählt er die beiden doch zu den Befreiern der Christenheit von der Herrschaft Satans: »Was gutt im Waldus war, im Wiclef, Hussen, Zwinge/, Luther, Calvin, Comen, Rothe, Dis steh geläutert aus zum nutzen aller Völker Als eine Jesusfrucht, dem Pabstthum stets zur schäm!« (KP II, S. 252; Hervorhebung im Original)
Deshalb sucht er nach dem vorangegangenen Appell an alle wichtigen Potentaten der Welt im 103. Kühlpsalm (KP II, S. 249ff.; hier auch die Titelzeile dieses Abschnitts) in einzelnen gereimten und kommentierten sowie jeweils als Separatdruck an die regierenden Adressaten versandten >Kühl = Jubeln< seit 1687 die konfessionelle und politische Einheit vor allem der Schweden, Brandenburger und Sachsen zu initiieren: »Auf / Auf / Mein Carl vom Carl! Sei Bundgenoß und Freund! Dein guttes Leben ist schon Dir di erste Staffel! Vereine Dich mit Brandenburg und Sachsen / Und werfft den Streit hinweg von thörichten Articeln! Mein Jesuelisch Reich ist nicht von Eurer Art: Doch gibt es Euch vil Stärck auß reiner GOttes = Libe. Wann mehr kein Pabst noch Türk / kein Jude / Heyd / Securer / Dann werdet Jhr mit mir in Euer Nachwelt Eines.« (KP II, S. 359, Hervorhebung im Original; vgl. ebenso das 16. Kühljubel, ebda., S. 372f.)
Dabei vergißt Kuhlmann nicht, den aus dem Hause Pfalz-Zweibrücken-Kleeburg stammenden, bereits seit 1672 regierenden Schwedenkönig Karl XI. (1660-1697) an das Vorbild des schwedischen Retters des Protestantismus im Dreißigjährigen Kriege zu erinnern (eba., S. 357). Und das Haus Brandenburg fordert er auf:
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»VERFOLGT in Brandenburg von Holland biß zu Fohlen Den Papst mit Feur und Schwerdt / eh EUCH der Pabst verfolgt! Geht fort in Schlesien / durch alle Fürstentümer / Und macht mein Breßlau frei von Pabst und Antichrist! Greifft drauff das Mähren an / mit dem befohlnem Ernste / Und sätzt di Mähren = Krön stat der Chur = Mütze auff!« (Ebda., S. 361)
Mit diesem Wunsch sprach Kuhlmann gewiß vielen - vor allem reformierten - Schlesien! aus dem Herzen (vgl. Einleitung c), und Friedrich II. (1712/1740-1786) wußte solche Hoffnungen und »Realprophetien« bei seiner aus machtpolitischem Kalkül erfolgten Annektion Schlesiens im nachfolgenden Jahrhundert propagandistisch geschickt zu nutzen (vgl. Bd. V). Eine Führerfigur des deutschen Protestantismus aber hat es Kuhlmann ganz besonders angetan, sie mystifiziert er, ihre Landesfarben blau-weiß bezieht er ebenfalls demonstrativ auf seine Kleidung (vgl. dazu KP-R, S. 107, 133, 137), sie begegnet ihm in Visionen (vgl. KP II, S. 302ff.), mit ihr identifiziert er sich immer wieder: mit dem politisch so erfolglosen »Winterkönig« Friedrich V. von der Pfalz. Daß in ihm ein Protestant zum Böhmerkönig wurde, deutet Kuhlmann als historische >FigurGeschichte der menschlichen Narrheit< zu subsumieren sei (so Johann Christoph Adelung in seinem gleichnamigen Werk von 1787), und bis heute haben jene Etikettierungen auf ihn Anwendung gefunden, die Kuhlmann selbst bereits aufzählt (vgl. Kap. II 5 a) und die seinen »Größenwahn«
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aus aller Normalität auszuschließen versuchen. Aber abgesehen davon, daß die Grenzen zwischen Normalität und Anomalität schwerlich an den Trennlinien zwischen Vernunft und Glaube oder Orthodoxie und Häresie festzumachen sind: hatte nicht Kuhlmanns »Wahn« seine durchaus eigene, aus der Tradition des Spiritualismus, Hermetismus und der Mystik schlüssig entwickelte Plausibilität, die seine Person und sein Werk geradezu als deren Epochen-Summe erscheinen läßt? Und verweist die Radikalität seiner Position nicht vielmehr auf den »Wahn« der Epochenfuchtel des Konfessionalismus und erhält als dessen scheiternder Kompensationsversuch eine historische Dignität? Er war und blieb diesem Epochen-) Geist < der Zwietracht mit seinem Haß auf die geistliche und politische Macht des Katholizismus tief verhaftet, und doch setzte er alles daran, um diese Konfessionen zu überwinden und in seiner irdischen Friedens-Monarchie zu vereinigen. - Zugleich demonstriert Kuhlmann aber auch mit seinem Werdegang, seinem Zukunftsentwurf und seinen >politischen< Kühl-Jubeln die Nähe zum Barock-Humanismus: In seinem politisch-antipapistischen Impetus und in seiner Verehrung für Friedrich V. wiederholen sich Ideen und Leitfiguren, die am Beginn des 17. Jahrhunderts die kulturpolitische Genese des deutschsprachig-protestantischen Humanismus und das Opitzsche Programm entscheidend stimuliert haben (vgl. dazu III Garber 1986; Bd. I, S. 28f.). Und wenn Kuhlmann zunehmend auf die Politik der Regenten setzt, dann spiegelt sich in seiner Position wie in derjenigen der Hoyers auch (vgl. Kap. I l a) eine epochentypische Allianz von geistlicher, humanistischer und politischer Opposition gegen die Machtausübung der Orthodoxien. Seine phantastisch anmutende Selbsteinschätzung als Statthalter Christi mit quasi-absolutistischer Herrschaftspotenz erweist sich als Widerspiel der vernünftigen Einsicht, daß nur absolutistische Macht die Glaubenstyrannei der Kirchen und der von diesen beherrschten Regenten zu brechen vermag. Auch sein historisches Scheitern kann seine Sendung nicht desavouieren, sondern verleiht ihr einen epochalen Sinn. Dies vor allem im Blick auf sein Geschichts- und sein Selbstverständnis: Mit beidem führt er - wie abschließend zu skizzieren ist - radikal das Ende einer Epoche herbei und gerade damit zugleich in die neue - die Aufklärung hinein. - In Kuhlmanns Mission meldet sich noch ganz in den Kategorien christlich-heilsgeschichtlicher Periodisierung und eines chiliastischen Enthusiasmus das Bewußtsein von der Notwendigkeit einer Zeitenwende zu Wort. Er wollte die mit der Menschwerdung Christi einsetzende lange Geschichtsphase »sub gratia« beenden - und wurde mit seinem Märtyrertod faktisch auch der letzte Prophet, der seine Existenz
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im Kontext christlicher Geschichtsdeutung »als Nachvollzug des Durchgangs durch die Passion zur Erhöhung« begreifen konnte (vgl. III Haug 1987, S. 180). Mit ihm, dem letzten Repräsentanten der poetischen Barock-Mystik, starb zugleich die bis in die Epoche des Konfessionalismus gültige Geschichtsauffassung mit theologisch vorgegebenen universalgeschichtlichen Zeiträumen, die implizierte, »daß sich bis zum Weltende nichts prinzipiell Neues mehr ereignen könne« (III Koselleck 1987, S. 274). Die nachfolgende Epoche erarbeitete sich ein säkulares Geschichtsverständnis, und dies macht u. a. verständlich, warum sie Person und Werk Kuhlmanns so rasch vergaß oder ins Abseitig-Unvernünftige ver-drängte. Doch deutet sich in seiner Position zugleich ein Geschichtsbewußtsein an, das allgemein als bedeutendes Epochenmerkmal der Aufklärung gilt (vgl. ebda., S. 278ff.): Indem er selbst sich in wenigen Jahren vom Verkündigungs-Propheten zum Tat-Menschen entwickelte, begriff er seine Sendung als historischen Auftrag zur Herbeiführung einer Epochenwende und entriß der Transzendenz, auf deren kontingente Wiederkehr die christliche Zeitalterlehre passiv zu warten gebot, das Gesetz des geschichtlichen Handelns; und dies, um eine Zukunft als »Paradies auf Erden« herbeizuführen, dessen politische, gesellschaftliche und kulturelle Strukturen er auch im Kontext humanistischer Ideen vorauskonzipiert hatte. Die Aufklärung suchte dann - kaum weniger illusorisch - die Erde entweder wie in der Frühphase durch die Physikotheologen als bereits existenten »Garten Eden« (und beste aller Welten) zu erweisen oder als säkulares Paradies zu verwirklichen. Auf die neue Epoche voraus verweist Kuhlmann auch durch den im autobiographischen Charakter seines Werkes sich manifestierenden Prozeß der Selbstkonstitution auf dem Wege der Selbstthematisierung (vgl. dazu III Hahn, S. l Of f.). Kuhlmann inszeniert einen Akt der Selbstsozialisation, an deren Anfang er sich noch ganz an der Fremdperspektive und den gesellschaftlichen Erwartungen seiner Gönner orientiert und dem konformen Ideal einer Amplifikation humanistischer Bildung nachstrebt (vgl. Kap. II 5 b), um sich so seiner Identität zu vergewissern (gerade die im Humanismus verbreitete Amplifikation als Element der Rhetorik hat in der frühen Neuzeit lange die Entstehung moderner Individualität verhindert; vgl. V Luhmann, S. 51 f.). So wird Kuhlmanns Individualität erst dort faßbar, wo er sich nach dem kontingenten Bekehrungserlebnis radikal aus den gesellschaftlichen Normen und Vorerwartungen löst - gerade solche für die Mystik typischen Abweichungen sind eine wichtige Voraussetzung für die Herausbildung einer individuellen Identität (vgl. ebda., S. 58ff.). Zwar versichert sich Kuhlmann auch als Prophet und Messias immer wieder der personalen Deutungsmuster
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der christlichen Tradition: der Ideen von Nachfolge und Martyrium, Prophetentum und Jüngerschaft, und er orientiert sein Verhalten an der Erwartungsperspektive seiner häretischen Bezugsgruppen; doch weder geht er mehr demütig in diesen vorgegebenen Rollen auf, um sie einfach »nachzuspielen«, noch begnügt er sich mit der Übernahme der häretischen Weltanschauung. Vielmehr gelingt ihm mit der Applikation des ebenfalls traditionellen Schemas von Erwartung und Erfüllung auf sich eine Selbstprädikation als »Sohn des Sohnes Gottes«, welche das offizielle christliche Glaubens- und Moralsystem radikal konterkariert, weil dieses darin die größte christliche Sünde, die »superbia«, in geradezu luziferischer Dimension erblicken muß, und zugleich zentriert Kuhlmann die häretischen Vorerwartungen seiner Bezugsgruppen auf sich. Damit setzt er sowohl in seiner Umgebung als auch bei sich selbst einen zwischen Konformität und Abweichung, Gruppenbestätigung und Selbstbehauptung schwankenden Prozeß in Gang, der bei ihm zu unablässiger Selbstbeobachtung und -thematisierung und damit zur Konzentration auf die eigene Biographie, zu einer Selbstkonstitution und -Versicherung im Medium der Literatur führt. Im >Kühlpsalter< spricht kein lyrisches Ich, sondern das »empirische«, aber zugleich deifizierte Ich des Autors, und dieser bedient sich der literarischen und poetischen Form nicht mehr, um in Bekenntnis und Geständnis als Funktionen einer Beichte die eigene Subordination unter die sanktionierten Normen seiner religiösen Gruppe zu annoncieren, sondern um diese und die eigene Erfahrung auf sein Selbstverständnis hin zu korrigieren und auszulegen und um seine individuelle Selbst-Deutung durch Publikation der Öffentlichkeit aufzunötigen: Darin kündigt sich bereits der prometheische Anspruch neuzeitlichen Poetentums an. Stärker als die anderen Mystiker der Epoche - und damit als ihr Höhe- und Endpunkt zugleich - funktionalisiert Kuhlmann seine »heilige Poesie« als prätendierte Offenbarung zugleich zum Ausdruck seiner Individualität und Authentizität als eines »second maker under Jove«: Am Ende des Konfessionalismus ereignet sich bereits im Medium der überkommenen christlichen Rollen und Gewänder die poetische Selbstinszenierung eines Genies - eine »Prophetic« des Sturm und Drang! - So ist seine enthusiastische Unvernunft als Kondensat seiner Epoche zugleich Vorschein des nachfolgenden Säkulums. Aus der Perspektive der Aufklärung wirkt sein Prophetentum freilich nur noch als Poesie, immerhin aber als Meilenstein auf deren frühneuzeitlichem Weg zum eigenständigen Organ bürgerlicher Selbstdeutung und Weltverständigung im Spiegel sich literarisch konstituierender Individualität. - Und unter diesem Aspekt erweist sich der Mystiker als Pendant zu Johann Christian Günther, der den BarockHumanismus in die Epoche der Aufklärung überführt (vgl. Bd. IV).
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Verzeichnis der zitierten Literatur
I. Anonyma und Quellensammlungen Anon.: Faust = Historia von D. Johann Fausten Dem weitbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler (Frankf./M. 1587). Mit e. Nachwort hg. v. R. Benz. Stuttgart 1966. Anon.: Musaeum Hermeticum, Omnes Sopho-Spagyricae Artis Discipulos Fidelissime Erudiens, Quo Pacto summa ilia veraque Medicina, qua res omnes qualemcumque defectum patientes, instaurari possunt (quae alias Benedictus Lapis Sapientum appellatur) inueniri ac haberi queat. Continens Tractatus Chymicos nouem praestantissimos, quorum nomina & seriem versa pagella indicabit. Francofurti 1625. Anon.: ThD = >Der Franckforten Theologia Deutsch. In neuhochdeutscher Übs. hg. u. mit e. Einleitung vers. v. Alois M. Haas. Einsiedeln 1980 ( = Christliche Meister Bd. 7). Bertholet, A. (Hg.): Religionsgeschichtliches Lesebuch. 2. erw. Aufl. Bd. 5. O.O. 1927. Fürstenwald, Maria (Hg.): Trauerreden des Barock. Wiesbaden 1973. Gassen, Richard W. u. Bernhard Holeczek (Hg.): Apokalypse - Ein Prinzip Hoffnung? Ernst Bloch zum 100. Geburtstag. Ausstellungskatalog des WilhelmHack-Museums Ludwigshafen a.Rh. Heidelberg 1985. Harms, Wolfgang/John Roger Paas/Michael Schilling/Andreas Wang (Hg.): Illustrierte Flugblätter des Barock. Eine Auswahl. Tübingen 1983. Hirsch, Emanuel: Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik. Die Dogmatik der Reformatoren und der altevangelischen Lehrer quellenmäßig belegt und verdeutscht. 4. Aufl. Berlin 1964. Nachdr. 1974. Kemp, Friedhelm (Hg.): Deutsche geistliche Dichtung. München 1987. Lanczkowski, Johanna (Hg.): Erhebe dich, meine Seele. Mystische Texte des Mittelalters. Stuttgart 1988. Neuner, Josef/Heinrich Roos (Hg.): Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung. Regensburg 8. Aufl. 1971. Raab, Heribert (Hg.): Kirche und Staat. Von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. München 1966. Schwager, Hans Joachim (Hg.): Die deutsche Mystik und ihre Auswirkungen (von Meister Eckart bis Schelling). Gladbeck/Westf. 1965. Seyppel, Joachim (Hg.): Texte deutscher Mystik des 16. Jahrhunderts. Unruhe und Stillstand. Göttingen 1963. Sohar = Der Sohar. Das Heilige Buch der Kabbala. Nach d. Urtext ausgew., übertragen u. hg. v. E. Müller. Düsseldorf/ Köln 1982. Wa = Wackernagel, Philipp (Hg.): Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts. 5 Bde. Leipzig 1864-1877. Unveränd. Nachdr. Hildesheim 1964.
Verzeichnis der zitierten Literatur
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Wagenknecht, Christian (Hg.): Gedichte 1600-1700. Nach den Erstdrucken in zeitlicher Folge. München 1969 ( = Epochen der deutschen Lyrik. Bd.4). Zeller, Winfried (Hg.): Der Protestantismus des 17. Jahrhunderts. Bremen 1962.
II. Zu einzelnen Autoren 1 ANDREAE, JOHANN VALENTIN: CF: Confessio Fraternitatis Oder Bekanntnuß der löblichen Bruderschafft deß hochgeehrten Rosen Creutzes an die Gelehrten Europae geschrieben. In: Fama Fraternitatis (1614) (s. d.), S. 31-42. - CH: Chymische Hochzeit: Christiani Rosencreutz: Anno 1459. Ebda., S. 43124. - CP: Christianopolis. Aus d. Lat. übs., kommentiert u. m. e. Nachwort hg. v. W. Biesterfeld. Stuttgart 1975. - Fama Fraternitatis (1614). Confessio Fraternitatis (1615). Chymische Hochzeit: Christiani Rosencreutz. Anno 1459 (1616). Eingel, u. hg. v. R. van Dülmen. Stuttgart 1973. - FF: Fama Fraternitatis Oder Brüderschaf ft des Hochlöblichen Ordens des R.C. An die Häupter, Stände und Gelehrten Europae. Ebda., S. 15-30. Brecht, Martin-.Johann Valentin Andreae. In: III M. Greschat (Hg.): Orthodoxie und Pietismus (s. d.), S. 121-135. Dülmen, Richard van: Einleitung. In: J.V. Andreae. Fama Fraternitatis (1614) (s.d.), S. 7-12. ANGELUS SILESIUS s. SCHEFFLER, JOHANNES 2 ARISTOTELES: BS: Drei Bücher über die Seele. Übers, u. erl. v. J.H. von Kirchmann. Berlin 1871. - P: Probleme. Paderborn 1961 ( = Die Lehrschriften. Bd. 9). 3 ARNDT, JOHANN : WCH: Sämtliche geistreiche Bücher Vom wahren Christentum, . .. Von neuem sorgfältig übersehen, mit nöthigen Anmerkungen gottseliger Theologen bewähret, und nützlichen Summarien über jedes Capitel,... hg. v. Christoph Matthäus P f a f f . . . Tübingen 1733. Koepp, Wilhelm: Johann Arndt. Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum. Neudr. d. Ausg. Berlin 1912. Aalen 1973. Lau, Franz: Arnd (Arndt), Johann. In: RGG 3. Aufl. 1960. Bd. I, Sp. 629f. Stoeffler, Ernest F.: Johann Arndt. In: III M. Greschat (Hg.): Orthodoxie und Pietismus (s. d.), S. 37-49. Wallmann, Johannes: Johann Arndt und die protestantische Frömmigkeit. Zur Rezeption der mittelalterlichen Mystik im Luthertum. In: III D. Breuer (Hg.): Frömmigkeit (s. d.), S. 50-74. Weber, Edmund: Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum als Beitrag zur protestantischen Irenik des 17. Jahrhunderts. Eine quellenkritische Untersuchung. Diss. Marburg/L. 1969. 4 ARNOLD, GOTTFRIED: HMT: Historic und Beschreibung der Mystischen Theologie. Faksimile-Neudruck der Ausgabe Frankfurt 1703. Stuttgart-Bad Cannstatt 1969.
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Verzeichnis der zitierten Literatur
- KKH: Unpartheiische Kirchen = und Ketzer = Historic, Vom Anfang des Neuen Testaments Biß auf das Jahr Christi 1688. 2 Bde. Reprogr. Nachdr. d. Ausg. Frankf./M. 1729. Hildesheim 1967. Goeters, Johann Friedrich Gerhard: Gottfried Arnolds Anschauung von der Kirchengeschichte in ihrem Werdegang. In: B. Jaspert u. R. Mohr (Hg.): Traditio Krisis - Renovatio aus theologischer Sicht. Fs. f. W. Zeller. Marburg 1976, S. 241-257. 5 BÄLDE, JACOB: Galle, Jürgen: Die lateinische Lyrik Jacob Baldes und die Geschichte ihrer Übertragungen. Münster 1973. 6 BÖHME, JACOB: A: Aurora, oder Morgenröthe im Aufgang. In: Sämtl. Schriften (s. d.). Bd.l. Stuttgart 1955. - AP: Apologia contra Gregorium Richter, oder Schutz = Rede wieder Gregorium Richter (1624). In: Sämtl. Schriften (s. d.). Bd. 5. Abschn. XII. Stuttgart 1960. - CS: Christosophia, oder Der Weg zu Christo. In: Sämtl. Schriften (s. d.), Bd. 4. Abschn. IX. Stuttgart 1957. - IV: De incarnatione verbi, oder Von der Menschwerdung Jesu Christi (1620). In: Sämtl. Schriften (s. d.). Bd. 4. Abschn. V. Stuttgart 1957. - MM: Mysterium Magnum, oder Erklärung über Das Erste Buch Mosis (1623). In: Sämtl. Schriften (s. d.). Bd. 7 und Bd. 8. Stuttgart 1958. - Sämtliche Schriften. Faksimile-Neudruck der Ausgabe von 1730 in elf Bänden. Neu hg. v. W.-E. Peuckert. Stuttgart 1955ff. - SR: De signatura rerum, oder Von der Geburt und Bezeichnung aller Wesen (1622). In: Sämtl. Schriften (s. d.). Bd. 6. Abschn. XIV. Stuttgart 1957. - TP: De tribus principiis, oder Beschreibung der Drey Principien Göttliches Wesens (1619). In: Sämtl. Schriften (s. d.). Bd. 2. Stuttgart 1960. Asmuth, Bernhard: Jakob Böhme 1575-1624. In: H. Hupka (Hg.): Große Deutsche aus Schlesien. München 1969, S. 19-27. Benz, Ernst: Jacob Böhme. Geschichtsmetaphysik. In: DVjs. 13 (1935), S. 421455. Gorceix, Bernard: Jacob Böhme. In: III H. Steinhagen/B.v. Wiese (Hg.): Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts (s. d.), S. 49-73. Grunsky, Hans: Jacob Böhme. Stuttgart 1956. Ingen, Ferdinand van: Jacob Böhme in Holland. In: III L. Forster (Hg.): Studien zur europäischen Rezeption deutscher Barockliteratur (s. d.), S. 227-254. Kemp, Friedhelm: Jakob Böhme in Holland, England und Frankreich. In: III L.Forster (Hg.): Studien zur europäischen Rezeption deutscher Barockliteratur (s. d.), S. 211-226. Paschek, Carl: Der Einfluß Jacob Böhmes auf das Werk Friedrich von Hardenbergs (Novalis). Phil. Diss. Bonn 1967. - Novalis und Böhme. Zur Bedeutung der systematischen Böhmelektüre für die Dichtung des späten Novalis. In: Jb. d. Freien Deutschen Hochstifts. 1976, S. 138-167. Wehr, Gerhard: Jakob Böhme in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1971.
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CZEPKO, DANIEL VON: AL: Abdanckung nach vollendetem Leich-Begängnüß der weiland / etc. Fürstin und Fräulein LOUISE, Gebohrene Hertzogin zur Liegnitz /... In: I M. Fürstenwald (Hg.): Trauerreden (s. d.), S. 119-129. - BE: Belegung oder Einqvartierung. In: Sämtl. Werke. Hg. v. H.-G. Roioff u. M. Szyrocki (s. d.), S. 197-209. - CB: Consolatio ad Baronissam Cziganeam. In: Geistliche Schriften. Hg. v. W. Milch (s. d.), S. 31-173. - GE: Gegen Lage der Eitelkeit. Ebda., S. 11-30. - Geistliche Schriften. Hg. v. W. Milch. Unveränd. fotomech. Nachdr. d. Ausg. Breslau 1930. Darmstadt 1963. - GR: Gesandtschaffts-Relation. In: Sämtl. Werke. Hg. v. H.-G. Roioff u. M. Szyrocki (s. d.), S. 113-195. - IHR: Das innwendige Himmel Reich oder in sich Gesammlete Gemüthe. In: Geistliche Schriften. Hg. v. W. Milch (s. d.), S. 1-10. - RE: Raison d'Estat der Fürstenthümer Schweidnitz und Jawer. In: Sämtl. Werke. Hg. v. H.-G. Roioff u. M. Szyrocki (s. d.), S. 65-111. - SA: Semita amoris Divini: Das heilige Drey Eck oder die drey fürnehmsten Tage unsers Heils, vor welche wir unserm theuern Erlöser Unsterblichen Danck schuldig sind. In: Geistliche Schriften. Hg. v. W. Milch (s. d.), S. 278390. - Sämtliche Werke. Hg. v. H.-G. Roioff u. M. Szyrocki. Bd. IV. Prosa-Schriften I. Berlin New York 1980. - SDS: Schildtbachs Defensions-Schrifft. Ebda., S. 233-296. - SMS: Sexcenta Monodisticha Sapientum. In: Geistliche Schriften. Hg. v. W. Milch (s.d.), S. 201-277. - ÜB: Unverfängliches Bedencken, Warumb das Exercitium der Augspurgischen Confession der Städten dieser Fürstenthümer zuzulassen. In: Sämtl. Werke. Hg. v. H.-G. Roioff u. M. Szyrocki (s. d.), S. 1-24. - VAS: Ursachen der Versterbung und Auffrichtung der Städte. Ebda., S. 33-63. - WD: Weltliche Dichtungen. Hg. v. W. Milch. Unveränd. fotomech. Nachdr. d. Ausg. Breslau 1932. Darmstadt 1963. Föllmi, Hugo: Czepko und Scheffler. Studien zu Angelus Silesius' Cherubinischem Wandersmann< und Daniel Czepkos >Sexcenta Monodisticha SapientumDer Stein der Weisem. Eine zweite Handschrift des Lehrgedichtes von Hans Folz. In: ZfdPh 94. 1975, S. 407-434. Fischer, Hanns: >Der Stein der WeisenFilius Sendivogii< Johann Hartprecht. In: III Chr. Meinel (Hg.): Die Alchimie (s. d.), S. 119-136. 23 HELMONT, FRANCISCUS MERCURIUS VAN: Quaedam praemeditatae & consideratae Cogitationes super Quatuor priora Capita Libri Primi Moyses, GENESIS nominati. Amstelodami 1697. 24 HELMONT, JOHANN BAPTIST VAN: Aufgang der Artzney-Kunst / Das ist: Noch nie erhörte Grund-Lehren von der Natur / zu einer neuen Beförderung der Artzney-Sachen / so wol die Kranckheiten zu vertreiben / als ein langes Leben zu erlangen .. .In die Hochteutsche Sprache übersetzet... Sulzbach 1683. Reprogr. Nachdruck: Christian Knorr von Rosenroth. Aufgang der ArtzneyKunst. 2 Bde. München 1971. - Die Morgenröthe. Das ist: fünf herrliche und geheimnißvolle Receptbücher zum leiblichen Wohl der Menschheit. Vollständiger, originalgetreuer Nachdr. d. Ausg. Sulzbach 1683. Freiburg i. Br. 1978. ( = Edition Ambra. Bibliothek kurioser Raritäten). 25 HERDER, JOHANN GOTTFRIED: Gott. 1787.1800. In: Herders Sämtl. Werke. Hg. v. B. Suphan. Berlin 1877ff. Bd. 16, S. 401-580. - Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 1784. 1785. Ebda., Teil l u. 2: Bd. 13, S. 1-442. Teil 3 u. 4: Bd. 14, S. 1-496. 26 HEURNIUS, JOHANNES: De morbis oculorum, aurium, nasi, dentium et oris. Liber, Editus post mortem auctoris, ab eius filio Othone Heurnio. Raphelengii 1608.
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27 HILDEGARD VON HINGEN: Welt und Mensch. Das Buch >De operatione Dek Aus dem Genfer Kodex übersetzt u. erläutert v. H. Schipperges. Salzburg 1965. Führkötter, Adelgundis und Josef Sudbrack: Hildegard von Bingen. In: III G. Ruhbach u. J. Sudbrack (Hg.): Große Mystiker (s. d.), S. 122-141. Scherer, Wolfgang: Hildegard von Bingen. Musik und Minnemystik. Freiburg i. Br. 1987. 28 HIRSCHENBERG, CHRISTOPH VON: Teile, Joachim: Der Alchemist im Rosengarten. Ein Gedicht von Christoph von Hirschenberg für Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel und Graf Wilhelm von Zimmern. In: Euphorion 71. 1977, S. 283-305. 29 HOBURG, CHRISTIAN: GA: Emblemata sacra. Das ist Göttliche Andachten / Voller Flammender Begierden / Einer Bußfertigen / geheiligten und liebreichen Seelen. Franckfurth u. Leipzig 1692. - Teutsch-Evangelisches Judenthumb. Das ist: Gründlicher Beweiß auß den H. Propheten Gottes / daß wir Evangelische in Teutschland grösten Theils / dem Jüdischen Volck im Alten Testament jetzo gleich . . . Lunaeburg 1644. - THK: Dreyfaches Theologisches Kleeblat / Bestehend aus desselben I. Sicherstem Weg zum Reich GOttes. II. Theologia Mystica oder geheimen Krafft = Theologie. III. Unbekandten Christus. Nürnberg u. Leipzig 1730. Schmidt, Martin: Hoburg, Christian. In: RGG 3. Aufl. 1960. Bd. 3, Sp. 373f. 30 HOVERS, ANNA OVENA: Geistliche und Weltliche Poemata. Nachdr. d. Ausg. Amsterdam 1650. Hg. v. B. Becker-Cantarino. Tübingen 1986 ( = Deutsche Neudrucke. Reihe Barock. Bd. 36). Becker-Cantarino, Barbara: Nachwort. Ebda., S. 1*-200*. 31 HUNNIUS, NIKOLAUS: Mataeologia fanatica, Oder Ausführlicher Bericht Von der Neuen Propheten / Die sich Erleuchtete und Gottsgelehrte nennen / Religion / Lehr und Glauben. Leipzig 1708. 32 JAMBLICHUS: G: Über die Geheimlehren. Übers, u. hg. v. Th. Hopfner. Leipzig 1922. - MA: De mysteriis Aegyptiorum. Proclus in Platonicum Alcibiadem de Anima, atque Daemone. Idem de Sacrificio & Magia. Porphyrius de Divinis atque Daemonibus. Psellus de Daemonibus. Mercurii Trismegisti Pimander. Ejusdem Asclepius. O.O. 1607. 33 JAMSTHALER, HERBRANDT: Teile, Joachim: Bemerkungen zum >Viatorium spagyricum< von Herbrandt Jamsthaler und seinen Quellen. In: H. Arston/B. Gajek/P. Pfaff (Hg.): Geist und Zeichen. Fs. f. A. Henkel zu seinem siebzigsten Geburtstag. Heidelberg 1977, S. 427-442. 34 JOHANNES VOM KREUZ: Zeugnisse mystischer Welterfahrung. Hg., eingel. und übers, v. J. Boldt. Ölten 1980. Boldt, Johannes: Hinführung. Ebda., S. 11-65.
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35 KNORR VON ROSENROTH, CHRISTIAN: Kabbala Denudata. 2 Bde. Nachdruck der Ausgabe Sulzbach 1677 (Bd.I) und 1684 (Bd. II). Hildesheim-New York 1974. - Neuer Helicon mit seinen neun Musen Das ist: Geistliche Sitten = Lieder / Von Erkäntniß der wahren Gluckseligkeit / und der Unglückseligkeit falscher Güter; dann von den Mitteln zur wahren Glückseligkeit zu gelangen / und sich in derselben zu erhalten. Nürnberg 1684. 36 KUHLMANN, QUIRINUS: HLK: Himmlische Libes-Küsse. Hg. v. B. Biehl-Werner. Tübingen 1971 ( = Deutsche Neudrucke. Reihe Barock. Bd. 23). - KP: Der Kühlpsalter. Bd. I: Buch I-IV. Bd. II: Buch V-VIII. Paralipomena. Hg. v. R.L. Beare. Tübingen 1971 ( = Neudrucke deutscher Literaturwerke NF.3). KP-R: Der Kühlpsalter. 1.-15. und 73.-93. Psalm. Hg. v. H.-L. Arnold. Stuttgart 1973 (= Reclam). - Q: Quinarius seiner Schleudersteine wider den Goliath aller Geschlechter/Völker/Zungen... Paris 1680. In: KP-R (s. d.), S. 211-234. Arnold, Heinz Ludwig: Nachwort. In: Q.K.: KP-R (s. d.), S. 253-295. Beare, Robert L.: Einleitung. In: Q.K.: KP (s. d.), S. IX-XXI. Biehl-Werner, Birgit: Nachwort der Herausgeberin. In: Q.K: HLK (s.d.), S. 1*-21*. Bock, Claus Victor: Quirinus Kuhlmann als Dichter. Ein Beitrag zur Charakteristik des Ekstatikers. Bern 1957. - (1984): Quirinus Kuhlmann. In: III H. Steinhagen/B, v. Wiese (Hg.): Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts (s. d.), S. 736-751. Clark, Jonathan Ph.: From Immitation to Invention. Three Newly discovered Poems by Quirinus Kuhlmann. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten XIV. H. 3. 1987, S. 113-129. Dietze, Walter: Quirinus Kuhlmann. Ketzer und Poet. Versuch einer monographischen Darstellung von Leben und Werk. Berlin (Ost) 1963. Forster, Leonard: Zu den Quellen des >KühlpsaltersKühlpsalterCherubinischer WandersmannCherubinischen Wandersmanm des Johannes Angelus Silesius. In: Studi germanici N.S. 4. 1966, S. 29-59; 145190.
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- (1973): Rosenwunden. Des Angelus Silesius >Die Psyche begehrt ein Bienelein auff den Wunden JEsu zu seyn.< (Heilige Seelenlust 11.52). In: IV M. Bircher / A.M. Haas (Hg.): Deutsche Barocklyrik (s. d.), S. 97-133. - (1984a): Angelus Silesius. In: III H. Steinhagen/B, v. Wiese (Hg.): Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts (s. d.), S. 553-575. - (1984b): Nachwort. Die mystische Epigrammsammlung des Angelus Silesius. In: Angelus Silesius CW (s. d.), S. 365-414. Haas, Alois M.: »Christförmig sein« - Die Christusmystik des Angelus Silesius. In: III W. Böhme (Hg.): Zu dir hin (s. d.), S. 178-206. Held, Hans Ludwig: Das Leben des Angelus Silesius. In: Sämtliche poetische Werke (s. d.) Bd. I, S. 13-212. Kunisch, Hermann: Angelus Silesius, 1624-1677. In: H.K.: Kleine Schriften. Berlin 1968, S. 165-175. Reichert, Ernst Otto: Johannes Scheffler als Streittheologe. Dargestellt an den konfessionspolemischen Traktaten der >EcclesiologiaHeilige SeelenlusK. Die Rezeption der >Geistlichen Hirten-Lieder< vom 17. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts. In: H. Buker u. R. Kaczynski (Hg.): Liturgie und Dichtung. St. Ottilien 1983, S. 711-753. Sporn, Elisabeth: OST Cherubinische Wandersmann als Kunstwerk. Zürich 1947 (= Zürcher Beiträge zur deutschen Sprach- und Stilgeschichte. 2). Werner, Matthias: Lieder Johann Schefflers in Zinzendorfs Christ-Catholischem Singe- und Betbüchlein von 1727. In: Jb. f. Liturgik u. Hymnologie 1980, S. 102-110. Wiese, Benno von: Die Antithetik in den Alexandrinern des Angelus Silesius. In: Euphorien 29 (1928), S. 503-522. Wiederabgedr. in: R. Alewyn (Hg.): Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche. Köln/Berlin 1965. 3. Aufl. 1968 ( = Neue wissenschaftliche Bibliothek. 7), S. 260-284. 59 SCHILLER, FRIEDRICH: G: Gedichte. In: Sämtl. Werke in 5 Bdn. Hg. v. G. Fricke u. H.G. Göpfert. 5., durchges. Aufl. München 1976. Bd.I, S. 9-478. - R: Die Räuber. Ebda., S. 481-618. 60 SCHWENCKFELD, KASPAR VON : BV: Beschluß vnnds VALETE. Auff Flaccij IIlyrici leiste zwai schmachbachlen / antwurt vnd gruntliche Verlegung genannt. O.O. 1555. - GC: Ain Geschrifftliche Collation Philippi Melanchthons / vnnd Caspar Schwenckfelds: Ob der Mensch Jhesus Christus ain erschaffene Creatur / oder Gottes aingeborner Son sey. O.O. 1557. - LW: Von dem lauf des worth Gottes / wie das jnner / war / lebendig wort Gots / das Gott selbs ist / dem eüssern bildtlichen wort muß fürgon. (= De Cursu verbi Dt.) O.O. (1538). - WFV: Vom waren vnd falschen verstand vnd glauben / Sampt den vrsachen deß irrthumbs vnd abfals im Artickel von dem H. Sacrament deß leybs vnd Bluts Christi. O.O. 1530. Maron, Gottfried: Schwenckfeld, Kaspar von. In: RGG 3. Aufl. 1960. Bd. 5, Sp. 1620f. - Schwenckfelder. Ebda., Sp. 1621 f.
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McLaughlin, R. Etnmet: Caspar Schwenckfeld. In: M. Greschat (Hg.): Gestalten der Kirchengeschichte. Bd. 5. Stuttgart 1981, S. 307-321. Weber, Franz M.: Kaspar Schwenckfeld und seine Anhänger in den freybergischen Herrschaften Justingen und Öpfingen. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte im Alb-Donau-Raum. Stuttgart 1962. 61 SEUSE, HEINRICH: Deutsche mystische Schriften. Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen und hg. v. G. Hof mann. Düsseldorf 1966. 62 SPEE, FRIEDRICH: CC: Cautio Criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse. Mit acht Kupferstichen aus der >Bilder-CautioHexenhammersChymischen Lustgärtleins< und ihre Symbolik. Ebda., S. 3-52. 66 SUDERMANN, DANIEL: Ain alt vnd werdes Büchlein. Von der Gnade Gottes / Genommen auß dem anfang des Hohen Liedts Salomonis. So nun vor mehr den Dritthalbhundert Jahren / von Joh. Rüsebruch / einem Hayligen Waldt = Priester in Brabandt (welcher bey Tauleri Zeiten gelebt / vnd selbigen in Geistlichen Sachen viel vnterrichtet halt) geschrieben: Auch zuvor nie Getruckt / vnd nuhn erstmahls an Tag gegeben worden. Durch D.S. Anno 1621. - CS: Centuria Similitudinum omni doctrinarum genere plenarum, sub externarum imaginum aeri incisis umbris, Deo devotis mentibus pulcherrimas res spirituales contemplandas proponentium... Hundert Gleichnussen, In welchen durch Vorstellung Leiblicher Figuren, gar schöne geistreiche Lehren Fürgebildet Werden.. (I.Teil). O.O.O.J. (Straßburg 1624). - Harmonia oder Concordantz. Das ist, Ein Zusammenstimmung, vergleichung und einhellung etlicher puncten und artickeln Christlicher lehre, dere(n), so die weit nun mehr Catholische, Lutherische, Caluinische, etc. nennet, . . . allein drümb uffgezeichnet, ob ir etliche, durch Gottes gnad, und wahre liebe zu Einigkeit und Rhüe, möchten etwas näher wider zusammentretten, und also einander unverfolgt lassen. 1613. (Das Wolfenbütteler Exemplar Sign. 520 Theol. 4° ist seit einigen Jahren leider nicht mehr einsehbar.) - HGL: Hohe geistreiche Lehren / vnd Erklärungen: Vber die furnembsten Sprüche deß Hohen Lieds Salomonis / von der Liebhabenden Seele / das ist / der Christlichen Kirchen vnd jhrem Gemahl Jesu Christo. Auß der alten Christlichen Kirchenlehrern vnd jhren Nachfolgern Schrifften gezogen / ferners außgelegt / vnd in Teutsche Reimen verfasset. . . . Durch D.S. . . . Anno 1622. S. 1-63. (Benutzt wurde das Wolfenbütteler Exemplar 519. 1.Theol. 2, in dem die nachfolgend aufgeführten drei Werke angebunden und ab S. 68 handschriftlich durchpaginiert sind). - SFL: Schöne ausserlesene Figuren vnd hohe Lehren von der Begnadeten Liebhabenden Seele / Nemlich der Christlichen Kirchen vnd jhrem Gemahl Jesu Christo. Zum theyl auß dem hohen Lied Salomonis wie auch auß der alten Christlichen Kirchenlehrern Schrifften gezogen vnd in Teutsche Reymen verfaßt.. . .Durch D.S. O.O.O.J. Ebda., S. 118-199. (Ab S. 180 neue Reihe v. >FigurenWerther< und Gottfried Arnolds >Kirchen- und KetzerhistorieHeliand