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German Pages 394 [396] Year 2006
HANS-GEORG KEMPER
Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit Band 4/II
HANS-GEORG KEMPER
Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit Band 4/II Barock-Humanismus: Liebeslyrik
MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 2006
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 13: 978-3-484-10868-4 ISBN 10: 3-484-10868-1 kart. ISBN 13: 978-3-484-10870-7 ISBN 10: 3-484-10870-3 Gewebe © Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2006 Ein Unternehmen der K. G. Säur Verlag GmbH, München http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: pagina GmbH, Tübingen Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Buchbinderei Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach
Inhaltsverzeichnis
Zur technischen Einrichtung des Bandes Vorwort Einleitung a) Vom >Canzoniere< und >Decamerone< zum >Hexenhammer< - Liebe unter Verdacht b) Opitz und die Epochenzäsur im Liebes-Diskurs c) Liebe als Vor-Spiel der Ehe 1) Liebe in der frühen Neuzeit - sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte a) Hexe - Heilige - Hausmutter: Zum theologischen Frauenbild . b) Evas Tochter als Gebär-Mutter: Zum medizinischen Frauenbild c) Die leidige Lust und die christliche Ehe als Instrument ihrer Unterdrückung d) Himmelsmacht und Teufelswerk - Liebe als Magie 2) Einführung der Liebes-Sprachen (Opitz) a) Neuplatonismus - Liebe als kosmisches Tugendprinzip (Hochzeitsode auf Nüßler) b) Profanisierung als philologische Diplomatie (Poetische HoheliedÜbersetzung) c) Natürliche gegen schwarze Magie (>Schäfferey von der Nimfen Herciniebei Gelegenheit (Dach) a) »Reime sind in dieser Welt / Das worzu mich GOtt bestellt« - Zur Biographie und Wirkungsgeschichte b) »Süße Harmonie«: Hof- und Fest-Dichtung c) Hochzeitsgedichte zwischen Orthodoxie und »Rache des Mythos« d) Lieder »bey Heirath und bey Leichen« - Gattungsprobleme . . e) Geselligkeit und Freundeskreis (Albert, Robertin, Kaldenbach) . 4) Liebe als Lebens-Macht (Fleming) a) Der »Himmelflammende Flamming« und das Gewicht der Tradition b) Leipziger Anfang zwischen >Kuß< und >Krieg< c) Schiffbruch - Zum äußeren Verlauf der Gesandtschaftsreise . .
VIII IX l l 4 6 10 10 20 28 40 52 52 62 68 80 80 84 89 97 104 109 109 111 115
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Inhaltsverzeichnis d) e) f) g) h) i) j)
Reiselust und -frust: Poetische Selbstversicherungen Gelegenheitsgedichte auf Freunde und Reise-Erlebnisse . . . . Elsabe und Anna: Autobiographische Liebes-Topik »Meister seiner selbst« - Zur Lebensbilanz Petrarkismus und Antipetrarkismus Poetisches Spiel mit Neuplatonismus und Petrarkismus . . . . Liebe als Krankheit und Medizin
119 124 127 132 136 140 144
5) Dichtung als Liebes-Kraft (Zesen) a) Geachtet und geächtet - Zu Biographie, Werk und Wirkung . . b) Verfeinerung der Dicht-Kunst und Ausgriff ins Geistliche (>Deutscher HeliconRosen=mandLustinnePhoenix< (Rist) g) Sympathie zwischen den Fronten: >Geharnschte Liebinne< (Stieler)
146 146
6) Das Naturrecht der sinnlichen Liebe (Hoffmannswaldau) . . . . a) Breslauer Ratsherr mit erotischen >Nebenstunden< - Zur Biographie b) Die begnadigte Sünderin - Hinweise zur geistlichen Dichtung . c) Satirisch-erotische >Grab-Getichte< d) >Helden-Briefe< über die Lust der Sünde e) >Schiffahrt< zum >Garten Eden< - Erotische Exkursionen . . . . f) Der (un-)galante Tod - >vanitas< als >carpe diem< g) Das Recht des Anderen: >Wollust< contra >Tugend< h) Erotica aus Lebens-Lust
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7) Weisheit durch die >Blumen< (Lohenstein) a) »Das Glocke spielt mit ihm / und er mit allen Sachen«: Zur Biographie b) Der dreimal Größte: Literarische Überbietungen (Werküberblick) c) Hermes als Schlüssel->Blume< d) Die »Vermischung« von Gott und Mensch als >Himmel-Schlüssel< - Zur geistlichen Dichtung e) Dorn->RosenHelden-Briefe< und >Rede< der >Maria Coronelia< f) »Des Leibes faulend Staub ... in mehr als Gold verkehret«: Grab>Hyacinthen< g) Weltmacht Liebe - >VenusGalante< Abkehr vom Manierismus in der >Neukirchschen Sammlung a) »Aber ad propos was ist galant...?« Zwang-lose Emanzipation im Dienst der Frühaufklärung
153 155 160 165 172 184
193 198 200 202 207 210 216 219 223 223 228 233 242 257 270 276 281 281
Inhaltsverzeichnis
b) Von der Sammlung zur Anthologie - Zur Struktur und Entwicklung der Bände c) Herausgeber- und Dichterprofile (Neukirch, Hölmann, Alberti, Stolleu, a.) 9) Distanz und Nähe (Günther) a) Scheiternder Dichter - gelingende Poesie: Rezeptions- und Forschungsprobleme b) »So fluch ich Hiob nach bei allzu langen Schmerzen«: Zum Lebenslauf c) Transformationen der Tradition, Hybridisierung der Gattungen und Individualisierung der Poesie d) Erlebnislyrik als unersetzbare Erinnerungslyrik e) Lyrik als Leichentext im Zeichen des Hohenliedes f) »Bau eifrig auf den Grund, den Wolf und Leibniz legt«: Vernünftiges Christentum in geistlicher Dichtung g) Rebellion gegen die Vaterwelt und Selbstbewahrung des Ich (Klagelieder)
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284 289 300 300 304 310 318 320 322 328
Verzeichnis der zitierten Literatur
337
Personenregister
365
Sachregister
373
Zur technischen Einrichtung des Bandes
Im Darstellungsteil des vorliegenden Bandes werden die im Verzeichnis der zitierten Literatur< innerhalb von Sachgruppen alphabetisch aufgeführten Publikationen durch die Angabe der römischen Ziffer des jeweiligen Abschnitts der Bibliographie sowie des Verfassernamens, bei mehreren im selben Abschnitt aufgeführten Titeln desselben Autors auch durch das Erscheinungsdatum der Publikation sowie mit der Seitenzahl zitiert. Die Forschungsliteratur aus Abschnitt II des Verzeichnisses wird mit hinzugesetzter arabischer Ziffer aufgeführt, welche auf den jeweiligen historischen Bezugs-Autor verweist. Der Name eines im Zusammenhang bereits erwähnten oder eines im jeweiligen Kapitel behandelten Autors wird in den Klammern nicht wiederholt. Bei Autoren, denen jeweils ein Kapitel oder ein Abschnitt der Darstellung gewidmet sind, entfällt die Repetition der römischen Ziffer nach ihrer ersten Notierung. Darüber hinaus werden entweder die zitierten Ausgaben nach den in der Forschung eingebürgerten Abkürzungen genannt oder die Hauptwerke nach den Titel-Initialen aufgeführt. Die betreffenden Abkürzungen selbst sind im Literaturverzeichnis unter dem jeweiligen Autor zitiert und aufgeschlüsselt. Hervorhebungen in den Zitaten stammen - wenn nicht ausdrücklich anders vermerkt - aus den jeweils angeführten Werken. Die Bände der vorliegenden Reihe (vgl. IV Kemper) werden nur nach Band- und Seitenzahl zitiert.
Vorwort
Kurz nach Erscheinen der beiden ersten Bände der >Neukirchschen Sammlung< mit den pikanten Nachlaß-Erotica von Hoffmannswaldau und Lohenstein erschien mit einer Vorrede von Nicolaus Remigius 1698 eine erweiterte Neuausgabe von Jean Bodins schrecklicher >Daemonomania< (dt. 1581). Remigius suchte durch theoretische Überlegungen und eine Vielzahl »historischer« Beispiele zu erweisen, »daß zwischen dem Satan und den Menschen eine wahrhafftige Verbindnuss furgehe« (II Remigius, S. [3]), und er beschloß seine Vorrede mit einem Gedicht, in dem es u. a. heißt: »Deine Wollust=Funcken hier / Sammlen H6llen=Flammen dir / Du verläßt den besten Freund / Und bedienst den Seelen=Feind; Und verschertzst das Himmels=Heyl / Mit dem schnöden Laster=Seil. So ist GOtt und Himmel hin / Und die Holle zum Gewinn.« (II Remigius, unpag.)
Ganz in diesem Sinne dachten die christlichen Konfessionen in der frühen Neuzeit und erst recht die Pietisten und auch manche Aufklärer des 18. Jahrhunderts. So konnte es nicht ausbleiben, daß alsbald eine von allen Obszönitäten gereinigte Ausgabe des ersten Bandes der >Neukirchschen Sammlung< erschien und die späteren Bände die >Lust< auf erotische Provokation immer stärker unterdrückten. Zwischen »keuscher« und »übelkeuscher Brunst« lag der Abgrund zwischen Himmel und Hölle, Christus und Teufel, ewiger Seligkeit und ewiger Verdammnis. Erst vor dieser Folie und in diesem Kontext wird die Leistung der weltlichen Liebespoesie ganz ersichtlich, die sich im 17. Jahrhundert vielstimmig und bisweilen auch kühn zu Wort meldete. Die Liebeslyrik des >Barock< hat dem modernen Liebesverständnis den Boden bereitet, und dabei ist sie selbst auf einem steinigen Acker erwachsen. Wenn sie zum Teil die neuplatonische Liebe bzw. die unerfüllte petrarkistische Liebe bevorzugt und zum ändern Teil in der größten Gruppe vormoderner Liebesgedichte, nämlich den Hochzeitsgedichten als Gelegenheitsgedichten, die zur Ehe führende und die eheliche Liebe preist, dann deshalb, weil die frühneuzeitliche Liebe von erheblichen Ängsten und Bedrohungen umstellt war. Unter Einbezug von Lust und Sexualität begegnete die Liebe von außen lange als im Teufel und seinen Helfershelfern personifizierte und dämonisierte Macht, so daß die Liebespoesie sich über erotische und sexuelle Aspekte nicht oder nur negativ zu äußern wagte. Die Hexen - das war Bestandteil des
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Vorwort
Glaubens an sie - trieben Unzucht mit dem Teufel, die unersättliche - und deshalb bedrohliche - Sexualität als Wesensmerkmal weiblicher Natur trieb sie dazu. Was die Kirchen über Sex und Gender lehrten, fanden die Gelehrten zum Teil in den frühmodernen Magie-Diskursen bestätigt. Und die Medizin, die mit ihrer Erforschung der weiblichen Anatomie seit dem 16. Jahrhundert mehr zur Konstitution des weiblichen Körpergeschlechts beigetragen hat, als die - bislang noch vorwiegend auf die Moderne konzentrierte - Gender-Forschung bislang wahrnimmt, entdeckte zunehmend an der >Natur< der Frau, wie sehr diese in Differenz zum Manne ganz funktional auf das Gebären hin ausgerichtet war. Und dies verstärkte eine soziokulturelle Konstruktion der Geschlechterverhältnisse, die als relativ sicheren Hafen für die Liebe und für die Ausübung von Sexualität - jedenfalls im Protestantismus nur die Ehe und damit für die Frau die Rolle der Haus-Mutter festlegte. Es gab auch keine andere Versorgungsmöglichkeit für diese als die Ehe (und damit die Mitarbeit im >großen Haustexturales< Phänomen behandelt werden. Im vorliegenden Band geht es indes nicht nur und nicht vor allem um sex- und gender-spezifische Aspekte der Liebeslyrik. Von der Konzeption dieser Lyrik-Geschichte her wird ein Gesamtüberblick über die Lyrik jedes der hier vorgestellten Autoren angestrebt, und dabei gehören die sich abzeichnenden Grenzüberschreitungen zwischen der geistlichen und weltlichen Liebessprache in den Gedichten zu den besonders aufschlußreichen und innovativen Entwicklungen der Lyrik des 17. Jahrhunderts. Ferner zeigt sich, daß unter den besonderen Bedingungen der frühen Neuzeit Liebesdichtung häufig in einem theologisch und (natur-)philosophisch vorgegebenen universalen Sinnzusammenhang steht, der deshalb mitzuerörtern ist. Auch die neue weltliche Begründung eines >Naturrechts< auf sinnliche Liebe bedurfte ihrerseits wieder einer (rechts-)philosophischen Legitimation. So entwickelten sich in den Diskursen um die Liebe plurale Konzepte und Lebensentwürfe, die sich als folgenreich für eine Säkularisierung der Kultur erwiesen haben. Dabei spielt erneut die hermetische Tradition eine wichtige Rolle, in der die >Sympathie< als dominante kosmische Lebens-Kraft gilt. In verschiedenen Weltbildern erweist sich die Liebe als wichtigstes Heil-Mittel gegen die Krisen der Zeit. Liebe wird zur entscheidenden Eigenschaft Gottes, sie erweist sich als die Kraft, die den ganzen Kosmos zusammenhält, welche die Bindungen zwischen den Menschen und ihre Einkehr ins Göttliche - in diesseitigen Glücksmomenten sowie in der schließlichen Rückkehr in das himmlische Paradies ermöglicht. Sie ist die dominante Lebens-Kraft, die auch schon individuellen Beziehungen - bei Fleming oder Günther - zum Ausdruck verhilft, und die Poesie wiederum wird zum Medium magischer Vermittlung sympathetischer Beziehungen (nicht nur zwischen einem Liebespaar, sondern auch zwischen Autor und Leser wie bei Zesen!). Zugleich ist das Thema Liebe aber auch textuelles Spiel-Material, das Martin Opitz in der Aneignung literarischer Traditionen von Anfang an zur Etablierung der gelehrten deutschsprachigen Poesie nutzt. Er trägt damit, wie sich einleitend zeigen soll, zum >Bruch< mit der deutschsprachigen Liebesdichtung des Mittelalters bei. Gerade an dem für den Barock-Humanismus so bedeutenden Thema >Liebe< läßt sich daher das frühneuzeitliche Epochenprofil besonders gut herausarbeiten. Das Thema dieses Bandes bietet mir auch die schönste Gelegenheit, zum Schluß meiner Frau Liane Kemper aufs herzlichste zu danken: Sie war stets meine erste fachkundige Leserin, und ohne ihr liebevolles Verständnis für meine Arbeit gäbe es diese Lyrik-Geschichte nicht! Tübingen, Reformationstag/Allerheiligen 2005
H.-G. K.
Einleitung
a)
Vom >Canzoniere< und >Decamerone< zum >Hexenhammer< - Liebe unter Verdacht
Die materialreiche und monumentale geistesgeschichtliche Darstellung frühneuzeitlicher Liebe durch Paul Kluckhohn (1921) konzentriert sich aus einsichtigen Gründen auf den Zeitraum der Entstehung moderner Individualität. Sein Blick auf die Jahrhunderte zwischen Renaissance und Aufklärung ist vergleichsweise kurz; denn in der italienischen Renaissance entdeckt er mit Recht sogleich einen solchen Höhepunkt der Liebesdichtung, daß die nachfolgende - vor allem die deutschsprachige - Literatur unter diesem komparatistischen Blick nur abzufallen vermag. Es sind bekanntlich vor allem Francesco PETRARCA (1304-1374) und Giovanni BOCCACCIO (1313-1375), welche das Hohelied der weltlichen Liebe anstimmen, ersterer mit den 366 Gedichten des >Canzoniere< (erschienen 1470), letzterer mit dem zwischen 1349 und 1353 entstandenen >Dekameron< (>I1 Decameronequinquecento< wirft indessen vor allem bei Petrarca ein überraschendes Licht auf den Problemkontext frühneuzeitlicher Liebespoesie. Denn folgerichtig - im Blick auf die Dominanz der >Gretchenfrage< in der Epoche des Konfessionalismus (vgl. Bd. II; IV/1) - und paradox zugleich führt die öffentliche Anerkennung der petrarkistischen Liebessprache über ihre verfremdende Adaptation durch die geistliche Dichtung: Was diese überbieten und ersetzen wollte, ersetzte sie schließlich selbst, und so machte erst die geistliche Liebesdichtung die weltliche >hoffähigCanzoniere< enthaltenen berühmten Sonetten an Laura< wurde Petrarca einer der einflußreichsten Lyriker der frühen Neuzeit. In allen europäischen Ländern - auch in Deutschland, wie wir sehen werden gab es Nachahmer seines Stils und seiner geradezu topisch gebrauchten Motive. Nicht zuletzt wegen dieses großen Erfolges seiner weltlichem Liebesdichtung erschien Petrarca aber bereits den Geistlichen Italiens vor und während des Tridentinums als Ärgernis und moralische Gefahr, und geistliche Dichter - voran der Franziskaner Girolamo MALIPIERO mit seinem >Petrarca spirituale< (zuerst 1536), ferner der Prediger, Chorherr und spätere Bischof Gabriel FIAMMA mit den >Rime spirituals (vor 1570) - unternahmen in ihrer geistlichen Poesie »eine planvolle Assimilierung des weltlichen Vorbildes« »bis zu dessen Unkenntlichkeit« (IV Föcking, S. 53). Um die von Petrarca ausgehende »böse Lust« auszumerzen, kontrafazierten diese Poeten die Lyrik Petrarcas durch eine Art »geistlichen Petrarkismus«, wobei Malipiero sogar Gedicht für Gedicht des >Canzoniere< reinigte und Laura durch die >Virgina Maria< ersetzte (ebda., S. 61 ff.). Bei nachfolgenden Autoren ergab sich aber durch die Integration der weltlichen in die geistliche Liebessprache auch ein Mo-
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Einleitung
dernisierungsschub, welcher der geistlichen Poesie Italiens im 16. Jahrhundert sogar eine Vorreiterrolle in der Überwindung des Renaissance-Klassizismus und in der Herbeiführung des >Barock-Stils< bescherte (vgl. ebda., S. 103ff., 155ff., 251ff.). Dieser geistliche Petrarkismus findet sich in der deutschen Literatur vor allem in der Barock-Mystik, also bei Friedrich von SPEE (1591-1635) und ANGELDS SILESIUS (d. i. Johannes Scheffler 1624-1677), wo sich die Kehrseite der Introduktion der weltlichen in die geistliche Liebessprache in einer das fromme Gefühl bisweilen schon übersteigenden sinnlichen Aufladung der Affekte bemerkbar macht (vgl. Bd. III, S. 164ff., 230ff.). Solche tendenziell säkularisierenden Effekte zeigen sich bereits in der italienischen geistlichen Dichtung, welche sukzessive auch andere weltliche Liebessprachen assimiliert und sich so mit deren Bildlicheit und Motivik anreichert. Vor allem in den >rime sacre< der >Lira< (1602/1614) von Giovan Battista MARINO (1569-1625) fällt die geistliche Liebesdichtung sodann in »weltliche Hände« (vgl. IV Föcking, S. 251 ff.). Marino plaziert seine zuletzt 163 geistlichen Gedichte jeweils am Ende seiner großen Sammlung von insgesamt 1076 Gedichten (bei den deutschen Humanisten ist die Reihenfolge zumeist umgekehrt), und er durchsetzt und zersetzt die weltlichen (bukolischen, petrarkistischen, neuplatonischen) und die geistlichen (brautmystischen) Liebessprachen so sehr, daß die Herkunft einzelner Motive kaum noch erkennbar und ihre Zuschreibung kaum noch möglich sind, so daß etwa Maria Magdalena mit einer beliebigen >donna< austauschbar wird (vgl. ebda., S. 261). Solche Tendenzen vollziehen sich in der deutschen Liebesdichtung des >Barock< ebenfalls, aber erst bei Hoffmannswaldau und Lohenstein, die jedoch solche Gedichte selbst kaum zu veröffentlichen wagten (vgl. dazu Kap. 6 b, 7 e). 2) Naturrecht auf Liebes-Lust: Während Petrarca eine unerfüllte, zutiefst leidvoll erfahrene Liebe besang, die deshalb einer spirituellen Kontrafazierung probable Anknüpfungsmöglichkeiten bot, feierte Boccaccio dagegen die Liebe als Ausdruck naturgegebener Lebenslust, und diese Position war für die frühneuzeitliche Gesellschaft und ihre Theologen noch nicht assimilierbar, sondern vorerst nur dämonisierbar. Das >Dekameron< besteht aus zehn mal 10 Geschichten, die sich 10 junge Leute an 10 Tagen »zur verderblichen Zeit der letzten Pest« erzählen (daher der Name deka=gr. 10; hemera=der Tag). Es handelt sich dabei um die von Boccaccio realistisch beschriebene, verheerende Pest von 1348, vor der die sieben Damen und drei Herren aus Florenz aufs Land geflohen sind. Die daseinsfrohen, teils schwankhaften und derben erotischen Erzählungen dienen nicht nur der Vertreibung der Langeweile, sondern folgen einem medizinischen Grundsatz der mittelalterlichen, hippokratischgalenischen Schulmedizin, der besagte: »Das Entgegengesetzte ist Heilmittel für das Entgegengesetzte«. Um Trauer, aber auch Angst und Furcht vor Ansteckung zu vertreiben, war die Erheiterung des Gemütes also das probate Rezept, das auch in der frühen Neuzeit (etwa bei Hans Sachs oder bei Geliert) immer wieder angewandt wurde (vgl. Bd. I, S. 246ff.; Bd. VI/1, S. 329ff.). Zwei Beispiele sollen kurz die säkulare emanzipatorische Potenz des hier waltenden Liebes-Verständnisses - zugleich als Folie und Maßstab für den nachfolgend zu zeichnenden Weg der frühneuzeitlichen Lyrikgeschichte aufzeigen. Der erste Fall handelt von einem Bürger, der aus Kummer über den frühen Tod seiner geliebten Frau zum Einsiedler wird und den einzigen Sohn ebenfalls ganz als
V. Weitere Forschungsliteratur
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Eremiten erzieht. Erst als ISjähriger darf der Sohn Philippe den Vater zum ersten Mal nach Florenz begleiten und erblickt hier auch erstmals in seinem Leben eine »Schar hübscher, geschmückter junger Frauen, die von einer Hochzeit kamen«; »als die der Jüngling sah«, berichtet der Erzähler, »fragte er den Vater, was sie seien. Und der Vater sagte zu ihm: >Mein Sohn, schlage die Augen zu Boden und sieh sie nicht an; denn das sind schlechte DingeWie heißen sie denn?< Um nicht in dem begehrlichen Triebe des Jünglings eine unnütze, hingebende Sehnsucht zu erregen, wollte er sie nicht mit ihrem rechten Namen, nämlich Frauen, nennen, sondern sagte: >Sie heißen Gänse.Dekameron< betreffen dessen Frauenbild. In der siebenten Geschichte des sechsten Tages wird eine Madonna Filippa von ihrem Gemahl in flagranti bei einem Schäferstündchen erwischt und deswegen vor Gericht der Stadt Prato gestellt. In einer flammenden Verteidigungsrede vermag sie jedoch nicht nur das Todesurteil von sich abzuwenden, sondern veranlaßt die Einwohner auch, die Todesstrafe bei Ehebruch zu revidieren. Dabei bestreitet sie ihren Fehltritt nicht, sondern rechtfertigt ihn u. a. mit der >Natur< der Frauen, deren Liebesvermögen so groß sei, daß sie »viel besser als die Männer mehreren Genüge tun könnten«, daß sie also neben ihrem Ehegatten auch noch einen Liebhaber zu beglücken imstande seien (ebda., S. 552f.) - Ungewöhnlich, mit welcher Souveränität und Klugheit hier eine Frau agieren und gegen die patriarchalische Jurisprudenz dem Eigenrecht der weiblichen Natur zum Sieg und Recht verhelfen darf. Das Naturgesetz der Liebe steht über allem positiven Recht, das sich bemüht, die Sexualität im Sinne der Gesellschaft entschärfend zu regulieren und zu kanalisieren. Das männlich-positive Recht wird hier - im angeblich »finsteren Mittelalter« - auf utopische Weise unter faunischem Gelächter durch ein weibliches Naturrecht ersetzt, das jede Konvention und »paternale Ordnung« - selbst die unauflösliche der Ehe - sprengt und »neue Handlungsspielräume und Möglichkeiten der Selbstbestimmung für Frauen« zu eröffnen scheint (vgl. II.8 Kasten, S. 178). 3) Lust-Verteufelung und Verengung des Liebes-Diskurses: Indessen gerade diese Begründung, die nicht mit dem »eigenen Recht der Gefühle, sondern mit dem Über-
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Einleitung
schuß ihres Lustpotentials« argumentiert (ebda., S. 180), hat im Übergang vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit die antifeministischen und antilibertinistischen Tendenzen des theologischen Frauenbildes verstärkt, die dann im berühmt-berüchtigten >Hexenhammer< (1487ff.) der Dominikanerpatres Heinrich INSTITORIS (1430-1505) und Jakob SPRENGER (ca. 1436-1495) ihren schrecklichen, gesellschaftsund kulturgeschichtlich höchst folgenreichen Höhepunkt erfuhren (vgl. Bd. II, S. 71 ff.; Kap. l a- ). Die Freizügigkeiten des >Dekameron< wurden zum besten Beweis für die Notwendigkeit einer präventiven kirchlichen Moral. In der einseitigen, moralisierend-abwertenden deutschen humanistischen Boccaccio-Rezeption wurden dessen Erzählungen zum Mahnexempel dafür, »daß die >natürliche< Liebeskraft des Menschen im gesellschaftlich sanktionierten Lebensrahmen sich abspielen sollte« (IV von Ertzdorff, S. 22; vgl. dazu auch III von Matt, S. 33ff.). In dieser Rezeption kündigt sich die umfassende Reglementierung der Liebe in der frühen Neuzeit an, die uns hier noch ausführlich beschäftigen wird. - Rüdiger Schnell hat deshalb auch zutreffend auf eine Verengung des Liebes-Diskurses in der frühen Neuzeit gegenüber der Breite und Vielfalt »weltlicher Liebeskonzeptionen im Mittelalter« hingewiesen. Aber schon die spätmittelalterliche Liebesdichtung radikalisierte diesen Diskurs auf einen Aspekt, nämlich auf die »gesellschaftskonforme, tugendhafte Liebe«: »Meines Erachtens erhält die Subjektivität und Individualität in der Dichtung des 12./13. Jahrhunderts mehr Spielraum als im 15./16. Jahrhundert. [...] Was im Hochmittelalter das geistvolle, raffinierte Spiel eines ganz kleinen (hochadligen) Zirkels mit literarischen Entwürfen gewesen war, gerät nun unter den Disziplinierungsdruck einer breiten städtischen Oberschicht: was vorher als literarische Fiktion goutiert wurde, muß sich nun den in der sozialen Realität geltenden Normen anpassen, gerät zum verpflichtenden Vorbild.« (III Schnell, S. 104)
Die Verengung des Liebes-Diskurses beim Übergang vom Mittelalter zur frühen Neuzeit um 1500 ist nicht zu leugnen. Hinzu kommt aber um 1600 noch ein weiterer gravierender Epochenbruch, der sich mit dem Wirken von Martin Opitz verbindet.
b) Opitz und die Epochenzäsur im Liebes-Diskurs 1) Abkehr von der Volkspoesie: Martin OPITZ (1597-1639; vgl. zu ihm Bd. IV/1; Kap. 2) überträgt die Tradition der lateinischen humanistischen Dichtung nach den Vorbildern in Frankreich, England und Holland in die deutsche Nationalsprache. In seinem >Buch von der Deutschen Poeterey< (1624) demonstriert er auch an zahlreichen Beispielen aus der eigenen Werkstatt, daß die deutsche Sprache bemerkenswert mühelos den großen Mustern der Latinität zu entsprechen vermag. Die Kehrseite ist, daß durch seine so erfolgreiche Reform die zuvor verbreitete volkssprachliche, auch an die Illiteraten gerichtete Literatur in Mißkredit geriet - also die Traditionen der Fastnachtsspiele, der Volksbücher, Schwanke und Schwanksammlungen, auch der Volkslieder - und erst Herder hat hier im 18. Jahrhundert den Anstoß dazu gegeben, daß auch diese >Volkspoesie< wieder einen historischen Ehrenplatz in der deutschen Literaturgeschichte erhielt (vgl. Bd. VI/2, S. 212ff.).
b) Opitz und die Epochenzäsur im Liebes-Diskurs
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2) Abkehr vom Minnesang: Ebenso wenig knüpft Opitz in der Liebespoesie an den sehr kunstvollen Minnesang an, obwohl er sich nachweislich für die deutsche Literatur des Mittelalters interessiert, und zwar als Legitimation zum poetischen Übergang in die Nationalsprache (vgl. II BDP, S. 23 ff.), und obwohl er sogar das mittelhochdeutsche >Annolied< ediert (1739). Dafür gibt es keine einfache und einleuchtende Erklärung. Aber Opitz ist das prominenteste Beispiel dafür, daß die Tradition des Minnesangs im Bewußtsein und Interessenhorizont der humanistischen Gelehrtendichtung des >Barock< keine Rolle mehr spielte - und dies nicht, weil Opitz diese Tradition nicht kannte, sondern obwohl er sie (sogar am Beispiel Walthers von der Vogelweide) kannte, obwohl er 1619/20 in Heidelberg weilte und dort Zugang zu den wichtigsten Handschriften des Minnesangs hatte, und obwohl die dominante Liebeskonzeption des Minnesangs, nämlich die klagende, unerfüllte, edle und zuchtvolle Liebe, aber auch und erst recht die auf »partnerschaftliche Gegenseitigkeit« zielende Minneauffassung Walthers sich sehr gut dem Opitzschen Postulat einer geordnetem und in »triuwe« gründenden Liebe hätte assimilieren lassen (vgl. 11.89 Brunner u. a., S. 74ff.; vgl. dazu IV Kemper 1999, S. 33f.). 3) Anknüpfung an Petrarca und den Renaissance-Humanismus: Statt dessen wird der Minnesang durch Petrarca und dessen poetische Tradition ersetzt. Ein Grund dafür dürfte sicherlich auch in der eingangs skizzierten komplexen Petrarca-Rezeption der italienischen Dichtung gewesen sein. Opitz wollte seine Dichtungsreform auf dem neuesten Stand der poetischen Diskussion präsentieren. Dies zeigt sich auch in seinem Gelegenheitsgedicht >An Nüßlen (1623), in dem er die Liebeskrankheit an sich selbst diagnostiziert, heftig darüber klagt und sich dazu in eine illustre Kollegenschar einreiht, die von der Antike bis zu den späthumanistischen Neulateinern reicht (ohne beispielsweise wiederum die Minnesänger zu erwähnen): »Wer hat / O Amor / dir doch die Gewalt gegeben / Daß der Poeten Volck / die sonst am Himmel schweben / Vnd fast nicht jrrdisch sind / in deiner Dienstbarkeit Vor allen auff der Welt bestrickt ist jederzeit? Menandern / dessen Geist so hoch empor gegangen / Hat das verruchte Weib die Glicera gefangen / Corinnen / wie man weiß / die hatte Naso lieb; Catullus Lesbien; Tibullus was er schrieb War nichts als Nemesis; Toscanien wird sagen Wie sehr Petrarcha kan von seiner Laura klagen; Lucretius ward toll' auff seinen Liebestranck Franciscus Molsa lag an den Frantzosen kranck / Vnd starb auch so dahin; kein Mensch hat je vernommen Wohin doch Gauricus sey vnterweges kommen / Als er anß buhlen gieng: der Strozza ward bey Nacht Auß Eyffer vmb ein Weib erbärmlich vmbgebracht. Den Edlen Ariost hat die Begier im lieben Durch Schreiben sein Ferrar zu ziehren angetrieben: Pontanus Aretin / Secundus / Sannazar / Mein Ronsard / Scaliger / Lotich vnd wie die Schar Der grossen Leuthe heist / die haben jhre Sinnen /
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Einleitung Vnd unerschopfften Witz / nie hoher bringen können / Als wenn die strenge Brunst / die Kranckheit ohne Rath / Die Pest der thewren Zeit / sie angesprenget hat.« (II WPII, S. 315)
Der Verweis auf Ronsard in der Poetik und im Gedicht (»Mein Ronsard«) erinnert insbesondere daran, daß die Pleiade - mit Du Bellays Manifest >La Deffence et Illustration de la Langue Francoyse< (1549) - in der »erklärten Absicht« antrat, »kompromißlos mit den hergebrachten französischen Dichtungsformen und -gattungen zu brechen und an ihrer Stelle ein neues Gattungssystem zu etablieren. [...] Modell für den eigenen Entwurf ist die aus allen historischen Bezügen gelöste, idealtypische Reihe der durch die besten römischen, italienischen und neulateinischen Dichter repräsentierten Dichtungsgattungen.« (IV Janik, S. 206f.) Und dieses Bewußtsein eines epochalen literarischen Neubeginns im Zeichen eines humanistisch inspirierten Dichterideals artikuliert sich auch in Opitz' Poetik. Dazu gehörte natürlich - in signifikantem Unterschied zur Dichtung des Mittelalters - der Buchdruck, der die Entwicklung vom Vortrag einer Einzeldichtung zum Lesen komponierter Textsammlungen beschleunigt hat, der die Quellen und die gelehrte Tradition in neuer Weise zur Verfügung stellte, und dazu gehörten der neue Anspruch, wie er sich in der Renaissance- und Barock-Poetik artikulierte, das Selbstverständnis einer Bildungselite, einer »nobilitas litteraria« (vgl. III Kühlmann, S. 51), die Verankerung der »studia humanitatis« an Schulen und Hochschulen (vgl. III Grimm, S. 70ff.), die Begeisterung für das antike Bildungsgut, das Ringen um »Nachahmung« und »Überwindung« dieses Erbes, das zu sehr artifiziellen Formen des Umgangs mit ihm und zu virtuosen intertextuellen Spiel-Formen führte, die sich auch bereits auf die seit der Renaissance neu entdeckten und etablierten Konzeptionen erstreckten (vgl. IV Hempfer/Regn; IV Hempfer; 11.84 Regn, S. 71 ff.; 11.67 Warning; IV Warning).
c)
Liebe als Vor-Spiel der Ehe
1) Das Ideal ehelicher Liebe: Noch zu Beginn seiner >Schäfferey von der Nimfen Hercinie< singt >Opitz< - der Sprecher agiert unter dem Eigennamen des empirischen Autors - das folgende Schäferlied (im Rückgriff auf eine Strophe des französischen Hugenottenpsalters; vgl. dazu Kap. 2 c-6): »Ist mein Hertze gleich verliebet. Jn ein schlechtes Mägdelein / Die mich tröstet vnd betrübet / Soll ich darum vnrecht seyn? Liebste deiner Schönheit Liecht Mindert sich durch Einfalt nicht. Was das Glücke dir nicht schencket / Das verdient doch deine Ziehr / Vnd worauff mein Hertze dencket Solches hast du gantz bey dir; Was mein hertze denckt hast du / Vnd das Hertze selbst dazu /
c) Liebe als Vor-Spiel der Ehe
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Ein bestendiges Gemüte / Das auß keiner furchte weicht / Sucht jhm (= sich) gleichfals ein geblüte / Eine Seele die jhm gleicht / Sieht für allen dingen an Trew auff die es bawen kan. Niemand wird mir vnrecht geben; Hohe brunst bringt Furcht vnd Neidt; Deiner liebe Frucht mein Leben / Jst begabt mit Sicherheit / Die ich einzig mir erkiest / Vnd mein reiches Armut ist / Dich mit Rhue besitzen können Jst mein Trost vnd gantze Lust: Bleib aufff deinen trewen Sinnen / Liebste / wie du jetzund thust; Meine Freyheit soll allein Deiner Liebe dienstbar seyn. (II Opitz SNH, S. 408f.)
Mit Recht hat sich Gellinek bei der Unterscheidung von »hoher Brunst« und »Deiner liebe Frucht« (Str. 4) an die »mittelalterliche Trennung zwischen >hoher< und >niederer< Minne« erinnert (11.54 Gellinek, S. 168); doch keineswegs ist mit der »hohen brunst« auch wenn sie hier nicht im pejorativen Sinn von »Wollust«, sondern von »Leidenschaft« zu verstehen ist (Opitz verwendet das Wort in beiderlei Bedeutung) - die in aller Regel unerfüllte und aus Standesgründen auch unerfüllbare >hohe< Minne des Minnesangs gemeint, sondern eine bestehende, erfüllte Liebesbeziehung zwischen Personen ungleichen Standes, die deshalb »furcht« (bei den Liebenden, ähnlich wie im >TageliedFreiheit< vorzieht und als Voraussetzung für deren Beständigkeit eine ausgeprägte charakterliche und soziale Gleichheit der Liebenden postuliert: Opitz geht es also darum, »die Standarte der wahren Liebe, das ist der treuen, beständigen, beinahe ehelichen Liebe zu tragen.« (11.54 Gellinek, S. 167; ebenso 11.54 Berent, S. 152ff, bes. S. 155f.). Damit introduziert Opitz die für die Liebes-Dichtung der frühen Neuzeit wahrhaft grund-legende Idee einer Liebe, die sich weder hedonistisch in der (verteufelten) Sexualität erfüllt noch >petrarkistisch< in der unerfüllten Liebe verzehrt, sondern die sich immer schon als Treueverhältnis auf die Ehe hin und als deren Vor-Spiel entwirft und damit gesellschaftlich legitimiert. Dieser Zusammenhang wird gelegentlich sogar schon im Titel der lyrischen Werke annonciert (so bei Georg NEUMARK: Poetisch- und Musikalisches Lustwäldlein / In welches erster Abtheilung absonderliche geist-/ und weltliche / wie auch keusche Ehren- und Liebeslieder [...] enthalten sind< [1652]; Ders: >Fortgepflantzter Musikalisch-Poetischer Lustwald / In dessen erstem Theile [...] auch zu keuscher Ehrenliebe dienende Schäferlieder [...] enthalten sind.
Musa iocosa Verehelichung< des Petrarkismus: Die Konfessionalisierung trug zur völligen Einvernahme und intentionalen Umkehrung des die Unerfüllbarkeit der Liebe voraussetzenden petrarkistischen Diskurses bei. Auch in England wurde der Petrarkismus der protestantischen Ethik assimiliert, indem er auf die Ehe bezogen, ja - als Höhepunkt in Edmund SPENSERS (1552-1599) >AmorettiBarockplatonisch< zu gestalten (11.90 Borgstedt, S. 253f.). Damit entfiel natürlich auch der alte petrarkistische »Gegensatz von Konflikt und Norm« (ebda., S. 254f.), und Spensers Zyklus endet mit dem berühmten >Epithalamiom, einem Gipfelpunkt englischer Renaissance-Poesie. Von dieser ehebezogenen Liebesauffassung her halten auch antipetrarkistische Tendenzen von Fleming bis Günther Einzug Sir bcne cmveruurü~,cdro cum Coniiye Coniux, in die deutsche Liebeslyrik (deren Cum wichtiger Teil ja ohnehin schon die £^ mxmun vroluit dlteruis Epithalamia sind; zur weiteren Entwicklung der Ehelyrik - vor allem bei Samuel Gotthold Lange und den >Bremer Beiträgen« vgl. Bd VI/1, Abb. l S. 121ff., 128ff., 277ff., 283ff.).
c) Liebe als Vor-Spiel der Ehe
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Deshalb ist Gabriel ROLLENHAGENS Emblem mit dem Ehepaar, das sich in Liebe und Treue die Hand wäscht (>Manus manum lavatLiebes-Verdacht< eine spannende, nachvollziehbare Plausibilität.
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1) Liebe in der frühen Neuzeit - sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte
a)
Hexe - Heilige - Hausmutter: Zum theologischen Frauenbild
Es geht in diesem Kapitel nicht um eine moralische Verurteilung derer, die früher als Kinder ihrer Zeit im Bereich des Sexus moralisch streng und >repressiv< geurteilt haben, sondern um den - im Rahmen dieser Lyrik-Geschichte nur skizzenhaft möglichen, gleichwohl wichtigen - Nachvollzug einiger Aspekte des diskursiv erzeugten gesellschaftlichen Wissens über Liebe und Sexualität, der Konstruktion von Weiblichkeit und der Herausbildung der Geschlechtscharaktere - und damit um einen Diskurs, der Macht in den Köpfen und im Sozialverhalten der Menschen in der frühen Neuzeit ausgeübt und daher auch Interessen, Schwerpunkte und Tabus der Liebesdichtung beeinflußt hat (zu einer genderorientierten frühneuzeitlichen Literaturgeschichte, zur vormodernen Geschlechterbeziehung und zum Frauenbild vgl. mit Hinweisen auf die kaum noch überschaubare Literatur III Kormann, S. 19ff.; Farge/Davis; Möbius; Wunder; zur weiteren Entwicklung in der Moderne u. a. III Honegger; Leites; von Bredow/Noetzel). 1) Zur beherrschenden Stellung der Kirchen in der Vormoderne'. Der Forschung ist aufgefallen, daß die Liebespoesie in Opitz' Poetik gerade nicht an seiner ansonsten zu beobachtenden Reformfreude partizipiert. Er sei »extremely defensive and cautios in this statement, since the subject of love had been treated with a great lack of discernment and decency during the preceding late medieval and Reformation period.« (IV H. Wagner, S. 197f.). Tatsächlich tadelt Opitz »etliche alten«, »die jhre reine Sprache mit garstigen epicurischen schrifften besudelt / vnd sich an jhrer eigenen schände erlustiget haben.« (II BDP, S. 21) Diese müsse man nach Art der Bienen behandeln, »welche jhr honig auß den gesunden blumen saugen / vnd die gifftigen Krauter stehen lassen.« (Ebda.) Und dann legitimiert er die Liebespoesie unter der Bedingung moralischer Unanstößigkeit als besonders geeignetes Demonstrationsobjekt für die >argutiaAnemons und Adonis BlumenBuhlereyenNeukirchsche Sammlung< für den >galanten< Geschmack eines Hof-Publikums zur Zeit der Frühaufklärung war in erotischen Freizügigkeiten weit zurückhaltender als ihr Ruf (vgl. Kap. 8 a). Wie sehr Hoffmannswaldau nach der Publikation seiner erotisch-galanten Gedichte von der Orthodoxie als Sittenstrolch und Jugendverderber verunglimpft wurde, mag das Beispiel des schlesischen orthodoxen Theologen Gottfried Ephraim SCHEIBEL verdeutlichen, der 1734 ein Werk mit dem Titel >Die Unerkannte Sünden Der Poeten. Welche man Sowohl in ihren Schrifften als in ihrem Leben wahrnimmt. Nach den Regeln des Christenthums und vernünftiger Sittenlehre geprüfet< veröffentlichte. Mit der schlesischen Literaturszene am besten vertraut, greift Scheibel immer wieder zur Illustration dessen, was er für atheistisch und teuflisch hält, auf Hoffmannswaldau und auf Johann Christian Günther zurück (vgl. II Scheibel, S. 37), und seine Angriffe lesen sich wie ein Echo auf das Gepolter des DichterPfarrers Johann Rist gegen seine der Venus huldigenden poetischen Zeitgenossen (vgl. Kap. 5 f-5); »gleich wie das Fliegen=Geschmeisse auf den Honig«, so seien diese »weltliche Poeten« »über die geilsten und frechsten Gedichte gefallen«: »Daß aber auff den Nahmen JEsu Christi getauffte Seelen, dieses ihres Genaden=Bundes, des BerufTes zur Heiligung, und der Hoffnung des ewigen Lebens so gar vergessen können, daß sie sich auch nicht scheuen, durch Öffentliche gedruckte Zoten und unkeusche Huren=Gedichte sich einen ewigen Nahmen bey der Welt zu wege zu bringen, es ist in Wahrheit ein Greul, der umoglich ärger seyn kan. Und was mich am meisten betrübet, ist, daß solche Poeten sich nicht scheuen ihren Unflätereyen, bald forne bald am Ende allerhand geistliche Gedichte, ja wohl auch gar Buß= und Paßions-Andachten beyzufügen, quasi re bene gesta daß man glauben soll, sie konnten auch geistliche Gedichte so gut
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1) Liebe in der frühen Neuzeit - sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte als Huren=Lieder verfertigen. Hat ein solcher Mensch einen eintzigen redlichen Gedancken gegen GOTT, lieber, warum hat er denn seine Zoten nicht im Feuer verbrennet, damit sie nimmermehr, weil sie doch anfangs im geheim geschrieben worden eine Christliche Seele zu lesen bekäme? Dergleichen Poeten kommen mir wie stinckende Pfützen vor, worinnen nichts als Ungeziefer hecket: [...]. O! Schande Christlicher Poeten! O! Sünden, die weit fiber Jerobeams Sonden gehen! Daß ich fast schliessen muß, es würde ein Theil von unserm Frauenzimmer sich züchtiger aufführen, wenn nicht dergleichen Zoten=Lieder und Romanen wären (denn diese letztre geboren auch mit zur Poesie, weil ihnen nur die Reime fehlen) die sie zum Zeitvertreib in die Hände nehmen.« (II Scheibel, S. 160f.).
Scheibel operiert hier mit dem bewährten Instrumentarium der Lust-Verteufelung. Als orthodoxer Theologe hat er ein gutes Gespür für die säkularisierende Funktion, die in der Sakralisierung der Geliebten und der Erotik überhaupt steckt. Und im Blick auf die Motive, die er aufzählt, übertreibt er nicht einmal (vgl. dazu das Beispiel Christian Friedrich Hunolds in Bd. V/l, S. 64ff.; vgl. dazu auch III Martens 1989, S. 146ff.). Auch die scherzende Muse (»musa iocosa«) und Anakreontik des 18. Jahrhunderts hatten einen schweren Stand gegen die Hüter der Moral, zu denen sich sogar viele ansonsten kirchenkritische Aufklärer ebenfalls berufen fühlten (vgl. Bd. V/2, S. 173ff., 203ff.). Die fromme Lyrik der Empfindsamkeit pflegte die Gattungen der »musa iocosa« kaum. Die erotischen Dichter der Antike wurden aus Immanuel Jakob Pyras (1715-1744) >Tempel der Wahren Dichtkunst verbannt (vgl. Bd. VI/1, S. 103ff.), der verehrte Horaz in Samuel Gotthold Langes (1711-1781) Übersetzung seiner »anstößigen« Stellen beraubt - diese, bekannte Lange freimütig, habe er entweder erst gar nicht übersetzt oder umgedichtet (vgl. II Lange, Vorwort) -, und Lessing, der sonst fast alles an Langes Translation kritisierte, tadelte gerade dies nur halbherzig (vgl. ebda., S. 114ff.; vgl. zum »eher traurigen« Schicksal der erotischen Literatur im Deutschland des 18. Jahrhunderts III Kluckhohn, S. 193f.; 11.37 Glaser, S. 113 ; vgl. dag. für die französische Poesie IV Meyer-Minnemann sowie IV Hempfer/Kablitz; III Prange; V Wagner). Wenn die Rehabilitation der Sinnlichkeit, die Überwindung der Leibfeindlichkeit - und im Zusammenhang damit auch die Enttabuisierung und Entsündigung der Sexualität -, die schließliche Versöhnung von Leib und Geist zum >ganzen< Menschen ein epochales emanzipatorisches Anliegen der Aufklärung war, dann hat die Liebesdichtung zugleich den härtesten Kampf um diese Emanzipation der Sinnlichkeit führen müssen. 3) Inferiorisierung der Frau in christlich-katholischer Sicht: Im folgenden hebe ich nur solche Aspekte der biblischen und katholischen Sexuallehre hervor, die zu Beginn der frühen Neuzeit aktualisiert und dominant wurden, während die Kirche im Mittelalter - wie die z. T. freizügigen weltlichen Liebesdiskurse bezeugen - offenbar pluralistischer und toleranter mit dem Thema umging (vgl. III Schnell). Als maßgebliche neutestamentliche Autorität in Fragen christlicher Sozialethik galt allen Konfessionen der Apostel Paulus. Dieser hatte im l. Korintherbrief Hurer, Ehebrecher und »Weichlinge« und nur auf erotischen Genuß bedachte Lüstlinge den Dieben und Räubern gleichgestellt und ihnen mit dem Verlust des ewigen Lebens gedroht (vgl. 1. Kor. 6, 9-10; vgl. auch 1. Tim. l, 9-10 ; vgl. Ill Aries 1984a, S. 52). Der Apostel etablierte also eine Sexualmoral, die Fleischeslust oder Konkupiszenz
a) Zum theologischen Frauenbild
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als Sünde gegen den Leib auf eine Stufe mit Formen des Mordes und »Sünden gegen das Eigentum« stellte (vgl. ebda., S. 53). Unmißverständlich erklärt der Junggeselle Paulus: »Es ist dem Menschen gut, daß er kein Weib berühre. Aber um der Hurerei willen habe jeglicher sein eigen Weib, und eine jegliche habe ihren eigenen Mann.« (1. Kor. 7, 1-2) Wenn die Witwen und Ledigen ihren Trieb nicht beherrschen können, »so laß sie freien; es ist besser freien denn Brunst leiden.« (1. Kor. 7, 9) Die Ehe soll also dazu dienen, die Lust zu »löschen« (vgl. Ill Aries 1984b, S. 169). Damit lief das christliche Moralverständnis auf eine Trennung von Erotik bzw. sinnlicher Leidenschaft und Ehe hinaus und wurde darin bestärkt durch stoische Auffassungen, welche schon die Kirchenväter eifrig rezipierten. So etwa die folgende Ansicht Senecas: »Schändlich handelt aber auch, wer in allzu großer Liebe zu seiner eigenen Frau entbrennt. (Allzu große Liebe, das ist die unbändige Liebe, die Leidenschaft, welche die Geliebten außerhalb der Ehe empfinden.) Ein vernünftiger Mann soll seine Frau mit Besonnenheit lieben, und nicht mit Leidenschaft; er soll seine Begierde zügeln und sich nicht zum Beischlaf hinreißen lassen. Nichts ist schändlicher, als seine Frau wie eine Mätresse zu lieben. ... Der Mann soll sich seiner Frau nicht als Geliebter, sondern als Gatte nähern.« (Zit. in: III Aries 1984b, S. 169)
Seit Origenes (gest. 254 n. Chr.) lehrte die Katholische Kirche, der Sündenfall im Paradies sei ein sexuelles Vergehen gewesen, das nun als Erbsünde alle Nachkommen von Adam und Eva belaste, die als schon durch den Zeugungsakt verunreinigte Wesen auf die Welt kämen (vgl. III Denzler, S. 40). Auch Augustinus (354—430 n. Chr.) betrachtete die Konkupiszenz als Erbsünde und verschärfte das sechste Gebot (du sollst nicht ehebrechen) zum Verbot der Unkeuschheit schlechthin. In seinen >Confessiones< (Buch 8, Kap. 12) schildert er sein berühmtes Bekehrungserlebnis von einem sinnlichen Saulus zu einem zölibatären Paulus, der Gott dafür dankt, »daß ich nichts mehr nach dem Weibe fragte« (II, S. 148f.). Eine Folge solcher Einstellung waren die zunehmende Dichotomie zwischen Geist und Leib, wie sie auch durch Platonismus und Neuplatonismus propagiert wurden, sowie die Favorisierung der Virginität und des Zölibats als der gottseligsten Lebensform in der Kirche. Den Frauen widerfuhr aus diesen Anschauungen im Laufe des Mittelalters eine doppelte Herabsetzung, und zwar erstens eine moralische Diffamierung und zweitens eine physiologisch-biologische Inferiorisierung. Eva trug die Hauptschuld am Sündenfall. Deshalb hatte Gott sie besonders gestraft und ihr das Gebären unter Schmerzen auferlegt (Gen. 3, 16). Auch die monatliche Blutung wurde noch in diesen Zusammenhang eingeordnet, und auch hierbei konnten sich die Theologen auf die Bibel berufen (vgl. Lev. 15, 19ff.). Die Menstruierende »galt als unrein im materiellen wie im moralischen Sinn, denn ihr Blut war schädlicher Stoff und Sündenmal zugleich. Es konnte Pflanzen verdorren lassen, Krankheiten übertragen und in Form giftiger Dämpfe durch die Augen austreten, um den bösen Blick zu verursachen. Darüberhinaus galt das Menstrualblut als wichtige Zutat bei der Giftmischerei, die ohnehin als typisch weibliches Verbrechen betrachtet wurde.« (III Simon, S. 81; über den Zusammenhang von >veneficium< und >maleficium< vgl. Kap. l b—2) Dies berührt auch bereits die körperlich-biologische Herabsetzung der Frau. Eva war ja nach Adam erschaffen - als »eine Gehilfin«, »die um ihn sei« (Gen. 2, 18) -, und zwar (nur) aus einer seiner Rippen (Gen. 2, 21).
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1) Liebe in der frühen Neuzeit - sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte »Im späteren Mittelalter wurden die Ansichten von der weiblichen Minderwertigkeit wesentlich ergänzt und verschärft, und zwar durch die Synthese der biologisch bestimmten Anthropologie des Aristoteles mit der katholischen Theologie durch Albertus Magnus und Thomas von Aquin. Nach den Vorstellungen, die damit in die autoritative Theologie aufgenommen wurden, ist die Frau auf Grund ihres feuchten und kalten Temperaments im Vergleich zum Mann physisch und psychisch schwach, passiv und unvollkommen. Sie begehrt und braucht den Mann, wie die Materie die organisierende Form, wie das Unvollkommene das Vollkommene erstrebt. Bei der Zeugung stellt der männliche Samen das aktive, formierende und kreative Prinzip, während die Frau mit dem Gebärmutterblut das passive Material, den Werkstoff zur Verfügung stellt. Als Individuum ist die Frau etwas Mangelhaftes und Verunglücktes, denn der männliche Samen zielt grundsätzlich darauf ab, etwas ihm völlig Ähnliches und damit Perfektes, also nur männlichen Nachwuchs zu erzeugen. So wird die Frau nur hervorgebracht als Resultat einer Beschädigung des männlichen Samens.« (III Simon, S. 3; vgl. III Fischer-Homberger 1979, S. 176, 184)
Die schon von Aristoteles stammende These von der Frau als unvollkommenem Mann wurde u. a. mit dem Hinweis auf die Lage der weiblichen Geschlechtsorgane begründet, die als inversiv zu denen des Mannes gedacht wurden: Was sich beim Mann als sein »Gemachte« nach außen bis zur Vollkommenheit entwickelt hatte, war bei der Frau unvollkommen im Leibe stecken geblieben (die Vagina also ein inversiver Penis; die Eierstöcke unentwickelte Hoden; vgl. III Fischer-Homberger 1979, S. 14ff). 4) Hexe oder Heilige - das Frauenbild des > Hexenhammer sHexenhammer< (>Malleus MaleficarumMalleus MaleficarumHexenhammers< den Dämonen und Hexen zusprachen, bezogen sich auf Sexualität und Zeugungsakt: »Indem sie den Liebesakt und die Empfängnis im Mutterleibe mit verschiedenen Behexungen infizieren: erstens, daß sie die Herzen der Menschen zu außergewöhnlicher Liebe etc. verändern; zweitens, daß sie die Zeugungskraft hemmen; drittens, die zu diesem Akte gehörigen Glieder entfernen; viertens die Menschen durch Gaukelkunst in Tiergestalten verwandeln; fünftens, die Zeugungskraft seitens der weiblichen Wesen vernichten; sechstens, Frühgeburten bewirken; siebentens, die Kinder den Dämonen opfern; ...« (II Sprenger/Institoris I, S. 107)
Diese Schäden ließen sich somit als von Gott zugelassene Strafen interpretieren. Gleichzeitig wurde das Wesen der Nachfahrinnen der für den Sündenfall eigentlich verantwortlichen Gefährtin Adams geradezu als »Begehrlichkeit des Fleisches« de-
a) Zum theologischen Frauenbild
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finiert (ebda., S. 97) und auf eine natürliche Anlage zu außergewöhnlichen Affekten und Leidenschaften reduziert (vgl. ebda., S. 102). Die Weiber, erklären die Dominikaner, zeigen sich »in größerer Zahl als die Männer abergläubisch« (I, S. 97), weil sie leichtgläubig und »von Natur wegen der Flüssigkeit ihrer Komplexion leichter zu beeinflussen sind« (ebda.) und weil »ihre Zunge schlüpfrig ist«. Der Verstand des Weibes gelangt über den eines heranwachsenden Kindes nicht hinaus (ebda., S. 98f.), und eben deshalb ist es auch »fleischlicher gesinnt« »als der Mann, wie es aus den vielen fleischlichen Unflätereien ersichtlich ist« (ebda., S. 99). Zum Beweis zitieren die Verfasser u. a. Spr. 2, 22: »Ein schönes und zuchtloses Weib ist wie ein goldner Reif in der Nase der Sau« (ebda.). Das Weib ist ein unvollkommenes Tier und hat weit geringeren Glauben als der Mann, wie schon die Verführungsgeschichte im Paradies beweise. Auch die Etymologie des Wortes Weib erkläre sich so: »das Wort femina kommt nämlich von fe und minus (fe = fides, Glaube, minus = weniger, also femina = die weniger Glauben hat)« (ebda.). »Alles geschieht aus fleischlicher Begierde, die bei ihnen unersättlich ist«, resümieren Sprenger und Institoris. »Darum haben sie auch mit den Dämonen zu schaffen, um ihre Begierden zu stillen. ... Daher ist auch folgerichtig die Ketzerei nicht zu nennen die der Hexer, sondern der Hexen, ... und gepriesen sei der Höchste, der das männliche Geschlecht vor solcher Schändlichkeit bis heute so wohl bewahrte: da er in dem selben für uns geboren werden und leiden wollte, hat er es deshalb auch so bevorzugt.« (Ebda., S. 106f.) Auf Grund der großen Verbreitung dieses Buches und der Hexenverfolgungen im 17. Jahrhundert ist es kein Wunder, daß dieses Frauenbild auch im Protestantismus Wurzeln schlug. In seinem Epigramm >Weiber sind Menschen< stellt Friedrich von Logau (1605-1655), der seine >Sinn=Getichte< gerne nach der Opitzschen Empfehlung für diese Gattung dem »Venerischen wesen« widmete (vgl. II Opitz BDP, S. 31), genau diese Überschrift im Blick auf die Unersättlichkeit der weiblichen Begierde in Frage: »OB Weiber Menschen sind? Sie haben ja Vernunfft / Sie lieben fort vnd fort: Dann wilder Thiere Zunfft Hegt nur zu mancher Zeit der sfissen Liebe Brunfft.« (II SG, S. 150, III, 2, 64; vgl. auch II SSG, S. 321, II, 5, 56)
In einer großen Zahl weiterer Epigramme faßt Logau die zeitgenössischen männlichen Vorurteile über die Frau in eingängige Verse, und dabei nutzt er das pejorative Frauenbild für die >argute< Pointe. Die schon in den Sprüchen Salomos vermerkte Schwatzhaftigkeit der Frau nimmt er zum Anlaß des Epigramms >Das Weib schweigeWeiber< spottet Logau - und indiziert damit den moralischen Wert des epigrammgerecht am arguten Schluß genannten >locusentfrauten< theologischen Konstruktes ist die Kehrseite der Degradierung des Weiblichen und bestätigt die Herabsetzung jeder natürlich lebenden Frau. Damit bilden die beiden Figuren der Hexe und der Maria aber auch die gedanklichen Pole des ethischen Bezugssystems, in dem sich die Deutung und Bewertung des Weiblichen vollzog. Alle wesentlichen positiven oder negativen Attribute, die der Frau zugesprochen wurden, ordnen sich diesen beiden Figuren zu, sind in ihrer Beschreibung schon vorweggenommen.« (III Simon, S. 5-7)
Diese Konstellation ist in der Tat von großer Bedeutung für die katholische Literatur der frühen Neuzeit, und die Polarität von »sponsa« (= Braut) und »Saga« (= Hexe) hat sich auch als geheimer Bezugspunkt des literarischen Werkes von Friedrich von Spee, einem der bedeutendsten Gegner des Hexenwahns im 17. Jahrhundert, herausgestellt (vgl. Bd. III, S. 180f.; zu einem positiven Aspekt der Jungfräulichkeit für die adligen Beginen, die sich damit den Zwängen einer patriarchalischen Familie entziehen konnten, vgl. III Becker-Cantarino, S. 72). Auch den verheirateten Frauen wurde Maria als Vorbild empfohlen, und zwar wegen ihrer sozialen Tugenden selbstloser Hilfsbereitschaft (vgl. III Spangenberg), aber auch, weil sie mit ihrem Mann eine sexuell enthaltsame Ehe - die sprichwörtliche »Josephsehe« - geführt hatte. »Der Geschlechtsverkehr wurde - soweit man ihn überhaupt billigte - von fast allen Theologen nur als Zeugungsakt legitimiert, als lustvolles und emotionales Erlebnis aber grundsätzlich verdammt, meist sogar zur Todsünde erklärt.« (III Simon, S. 10; vgl. dazu auch III Matthews Grieco, S. 79ff., 8 5 ff.) Die Kirche verfügte über die Mittel, das Sexualverhalten ihrer Gläubigen zu kontrollieren. Am wirksamsten war die Beichte, die in den meisten Fällen mit einer eingehenden Befragung nach dem 6. Gebot begann (vgl. dazu auch Kap. l c-1). Allerdings ließen vor allem die einflußreichen Jesuiten eine gewisse Großzügigkeit walten und gingen nur dann von einer zurechenbaren Sünde wider das Fleisch aus, wenn diese mit freiem Willen begangen war, so daß sie dem »viehischen appetit« des Fleisches (Spee) mancherlei in Gnaden zugute hielten. Doch mußten sie deshalb jeden einzelnen Fall kasuistisch genau überprüfen, um zu einem Urteil zu gelangen, das immer nur Wahrscheinlichkeit (»probabilitas«), aber nie Sicherheit für sich beanspruchen konnte. Immerhin führte diese Beichtpraxis dazu, »in sehr vielen Fällen Milde walten zu lassen und auf läßliche Sünde oder auf völlige Unschuld zu erkennen« (III Fülöp-Miller, S. 305f.) - und dieses Beweisverfahrens bediente sich auch Friedrich von Spee in seiner mutigen, gegen den Hexenwahn gerichteten >Cautio criminalist - Jedenfalls wurde in der katholischen Morallehre gerade jene Rolle der
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Frau, der die bürgerliche Zukunft gehören sollte, nämlich die der Haus-Mutter, eher ambivalent betrachtet und alles andere als propagiert. Damit stand die Katholische Kirche - wie wir nun sehen werden - von Anfang an in einem deutlichen Gegensatz zu den aus der Reformation hervorgegangenen Konfessionen. 5) Die Frau als Hausmutter im Protestantismus: Mit der Abschaffung des Zölibats und der Frauenklöster (vgl. III Schorn-Schütte, S. 109ff.) hat die Reformation ihren Geistlichen den Weg in die Ehe geebnet (vgl. dazu den Artikel XXIII. >De coniugio sacerdoturm in: I AC, S. 235ff.), aber sie hat damit zugleich auch den Lebensraum sowie den Rechts- und Gesellschaftsstatus der Frau auf die eine - und im Grunde einzig legitime und anerkannte - Rolle der »Hausmutter« festgelegt. Martin Luther bot auch auf diesem Gebiet das wirkungsmächtige Vorbild. Sein Mitstreiter Erasmus Alberus dankte 1550 in einer >Predigt vom Ehestand< Gott dafür, daß der Reformator »die Weiber wider zu ehren bracht hat / das nu so viel tausent Eheweiber sind / da zuvor (mir vrlaub) eitel Huren waren / Vnd hat vns gezeigt /wie ein herrlicher Stand das Eheleben ist« (II Alberus, S. A iij v). Diese gesellschaftliche Aufwertung der Ehe zeichnete sich schon im 15. Jahrhundert ab (vgl. III Schnell; II Eyb; II Oswald von Wolkenstein, S. 44ff., 52ff.; 11.91 J.-D. Müller) und wurde in der Katholischen Kirche insofern mitvollzogen, als diese auf ihrem Reformkonzil, dem sog. Tridentinum (1545-1561), die Ehe unter die Sakramente aufnahm (vgl. I Neuner/Roos, S. 469ff.). Dadurch sicherte sie sich freilich auch - zusammen mit dem effektiven Beichtinstrument - ihren Einfluß auf diese zentrale Organisationsform des >privaten< Lebens (vgl. III Schröter, S. 293ff.). Durch Luther aber fanden die Frauen im Protestantismus in der Ehe nahezu ausschließlich ihren eigentlichen Bestimmungsort. Luther hat den Status der Ehe und damit auch den Status der Frau in der Ehe aufgewertet und der Frau »das Regiment im Hause« zugesprochen, aber sie eben damit auch auf ihre Hausfrauenrolle festgelegt: »Wenn sie aber außer der Haushaltung reden, so taugen sie nichts. Denn wiewohl sie Wort genug haben, doch feilet und mangelts ihnen an Sachen, als die sie nicht verstehen, drum reden sie auch davon läppisch, unordentlich und wüste durcheinander über die Maaße. Daraus erscheinet, daß das Weib geschaffen ist zur Haushaltung, der Mann aber zur Policey, zu weltlichem Regiment, zu Kriegen und Gerichtshändeln, die zu verwalten und führen ...« (Zit. in III Becker, Bovenschen, Brackert, u. a., S. 21)
Mit der Funktionszuweisung der Frau als Haus-Helferin des Mannes eröffnete Luther zugleich die Möglichkeit zur Entwicklung des >Zwei-Geschlechter-ModellsHausstand< der Schöpfung regierten. Die folgenden Verse von Friedrich von Logau, die aus dem >Ehzuchtbüchlein< (1574) von Johann Fischart (vgl. zu ihm Bd. II, S. 213ff.) angeregt zu sein scheinen, zeigen, daß diese Konstellation nicht zuerst einen >Dualismus< der
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1) Liebe in der frühen Neuzeit - sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte
Geschlechter indizierte, sondern analog zur »himmlischen Concordantz« der Gestirne eine zwar patriarchalisch strukturierte, aber doch einverträglich geregelte und funktionierende Gemeinschaft der Geschlechter im Blick auf eine gemeinsame Haushaltsführung intendierte (noch stärker schon im Sinne einer Liebes-Gemeinschaft II Zesen JF, S. 325: »Das Mahn sucht stets sein Sonnen-licht [...] so tuhn auch zwei Liebsten in liebe verstrükt / mit seeligen / lieblichen stunden beglükt.« Vgl. zum Kontext auch III Wunder, S. 265ff.): »Die Weiber sind die Monden; die Männer sind die Sonne; Von diesen haben jene Nutz, Ehre, Wärmde, Wonne. Die Sonne herrscht den Tag; der Monde herrscht die Nacht; Bey Nachte hat das Weib, der Mann bei Tage Macht.« (II Logau SSG, S. 552, III, 7, 40; vgl. ebda., S. 202, I, 9, 86)
Luther selbst argumentierte schon mit der unterschiedlichen Anatomie von Mann und Frau, um die Hausmutter-Funktion der »Weiber« gleichsam aus der Natur zu begründen, und eben diese als so unwiderleglich objektiv erscheinende Argumentation hat wie wir sehen werden - die Hausmutterfunktion der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft mit nachhaltiger Wirkung verankert: »Männer haben eine breite Brust und kleine Hüften, darum haben sie auch mehr Verstandes denn die Weiber, welche enge Brüste haben und breite Hüften und Gesäß, daß sie sollen daheim bleiben, im Haus still sitzen, haußhalten, Kinder tragen und ziehen.« (Luther TR I, S. 19; ähnlich II Logau SSG, S. 332, II, 6, 20)
Opitz plausibilisiert die männliche Tauglichkeit und Pflicht zum Kriegsdienst in seiner Satire >Lob des Krieges Gottes Martis< ebenfalls drastisch mit den >natürlichen< Gegebenheiten der Anatomie: »Wer sagt daß Männer nit zum kriegen sind erkohren / Die Frawen zur Geburt? Wir werden nicht gebohren Mit dutten als ein weib / darmit die Brust vns frey Zum Schild' / vnd beyde Hand im Fechten leichter sey. Des Weibes vntertheil ist schwer vnd groß zum tragen, Deß Mannes leicht' vnd schmal zum reiten / sprung' vnd jagen...« (II WPI, S. 154)
In der deutschsprachigen protestantischen Erbauungsliteratur des 16./17 Jahrhunderts wurde dieses Hausmutterideal vielfältig verkündet, so etwa durch Nikolaus SELNECKER (II SCP 1589/1600; vgl. zu ihm Bd. H, S. 196ff.) oder Johann Konrad DANNHAUER (1603-1666), Straßburger Theologieprofessor und Prediger am dortigen Münster (ein Lehrer Philipp Jakob Speners), in seiner zehnbändigen >Catechismus Milchx, der ausführlichsten homiletischen Auslegung des lutherischen Katechismus (1624ff.). Sie propagierten diese theologische Moral, welche das auch noch in der Scholastik gepflegte Vorurteil von der Inferiorität der Frau funktional umdefinierte: Ihre geistige Schwäche und körperliche Unterlegenheit vermochte sie im Hause zu kompensieren, wo sie vor allen negativen äußeren Einflüssen am besten geschützt war und unter der Rechtsaufsicht und Anleitung des Hausvaters ihren hausmütterlichen Pflichten nachkommen konnte. Weckherlin hat dieses lutherische Frauenbild in einer Strophe seines Gedichts >Meine meinung wie ein Weib zu wöhlen< prägnant zusammengefaßt:
a) Zum theologischen Frauenbild
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»So darf sie auch nicht sein gelehrt, Vil weniger sprachen studieren; Der verstand des weibs ist vil wehrt, Der gnug ist Ihr hauß gnug zuzieren: Die nur ein solches gespräch hab Als ein köstliche Gottes gaab; Und mehr nicht dan mein thun und lassen (Als mein Spiegel) in sich thu fassen.« (II Weckherlin, G I, S. 277f.)
Als wichtigstes Geschäft der Haus-Frauen galt das Gebären und Aufziehen der Kinder. »Wann sie gebiert / wie sich's gebührt / Dadurch wird eine Frau geziert«, pointierte denn auch Logau die Aufgabe der Frau in seinem Epigramm >Ein fruchtbares Weib< (II SG, S. 101, II, 4, 16). Seit Einführung der Anatomie als medizinischer Wissenschaft erkannten die Ärzte zunehmend, wie vollkommen der weibliche Körper auf die Gebärfunktion hin ausgerichtet war. Sie konstruierten die soziale und kulturelle Funktion der Frau, indem sie diese scheinbar unabweislich aus der weiblichen Natur< selbst herauslasen - mit der Folge, »daß die Verwendbarkeit der Frau als Hausfrau und Mutter immer detaillierter in ihre Anatomie eingeschrieben« wurde (III Simon, S. 13): Die Frau hatte Mutter zu sein, weil >Mutter Natur< es ihrem Leibe einprogrammiert hat. Selbst in der höfischen Mode der >entblößten Brüste< erblickte der Hofmann von Logau ironisch ein Zeichen für die Begierde nach Schwangerschaft: »Ihr stellt das weiße Milch-Gefäß, ihr Jungfern, an den Tag; // Ihr hättet gerne Milch darein und, was sie trincken mag.« (II SSG, S. 587, III, 9, 62) Äußerlich trat an die Stelle des Ideals der Jungfräulichkeit das der Mütterlichkeit, dem noch Schiller in seinem >Lied von der Glocke< (1799) ein wirkungsmächtiges zu geflügelten Worten geronnenes, aber auch parodiertes - Denkmal gesetzt hat: »Und drinnen waltet / Die züchtige Hausfrau, / Die Mutter der Kinder, / Und herrschet weise / Im häuslichen Kreise« (II Schiller SW I, S. 432f.). Aber eben züchtig: Das Ideal der Jungfräulichkeit blieb nicht nur als in den Policey-Ordnungen der frühen Neuzeit mit schweren Strafandrohungen abgesichertes Gebot bis zur Ehe erhalten (vgl. Abschnitt l c-2), sondern setzte sich in diese hinein fort: Die eheliche Liebe sollte keusch sein, jungfräuliche Gesinnung sollte die Zuneigung in der Ehe so wünschte sich dies Weckherlin - aufrechterhalten (vgl. zu diesem für Weckherlin singulären Gedicht auch 11.54 Berent, S. 149ff.): »Das Sie niemahl ab dem werd roht Was sie begangen und versäumet; Das Sie sey keusch, ohn schand und spot, Das Ihr ie nichts böses getraumet. Dan die Jungfraw in deren brüst Sich einmahl nistet böser lust, Die hat, eh Sie thut böse thaten, Ihrer zucht vöstung schon verrahten. Sie soll stehts mit forcht, schäm und ehr, Wan ich sie besuch, der lieb pflegen: Doch wolt ich das sie fruchtbar war,
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1) Liebe in der frühen Neuzeit - sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte Zwar mehr Namens dan wollusts wegen: Dan die so in dem werck schamhaft, Hat stehts ein newe Jungfrawschaft; Und die zucht kan die Trew erhalten, Das der Heurath nicht kan veralten.« (II Weckherlin G I, S. 278f.)
6) Hermetische Geschlechter-Harmonie: Doch auch in der frühneuzeitlichen Konstruktion der >Geschlechtscharaktere< gibt es gewichtige, sozial, aber auch weltanschaulich bedingte Differenzierungen in den Bildern von >Männlichkeit< und >Weiblichkeitconcordia< sorgte. In seinem >Chymischen Lustgärtlein< (1624; vgl. Bd. II, S. 107ff.) läßt Stoltzius von Stoltzenberg Hermes Trismegistos selbst diese Weisheit verkünden: »Deß Ehstands Vatter ist die Sonn / Aber die Mutter ist der Monn. / Der dritte / so alls dirigirt / Muß sein das Fewr (wie sich's gebürt.)« (II Stoltzius, Fig. XVI, mit Abb.). Im Abschnitt >Männer oder Weiber< von Harsdörffers >Frauenzimmer Gesprächsspielen< ist dann Mercurius selbst der für Harmonie sorgende Dritte - mit Formulierungen, welche schon auf das Eheideal der Empfindsamkeit vorauszudeuten scheinen (vgl. Bd. VI/1, S. 128ff.): ».. .es sol Venus in dem Ehestande zur Gespielin haben die Musen / den Mercurium und die Gratien / oder Gottinnen der Hulde; Die Musen zu tugendreichen Belustigungen; Den Mercurium zu friedsamen Beratschlagungen zu dem Haushalten; Die Gratien zu süßfreundlichster Gefälligkeit (welche gleichsam die Seele und der Geist in der Ehe Freundschaft heißen kann / und ohne welche auch die Tugend selbst unangenehm ist).« (II Harsdörffer FG IV, S. 448).
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Evas Tochter als Gebär-Mutter: Zum medizinischen Frauenbild
1) Anatomische Phantasien in der hippokratisch-galenischen Tradition'. Erst im 16. Jahrhundert wurde durch den bedeutenden flämischen Arzt Andreas VESALIUS (1514-1564; Leibarzt von Karl V. und Philipp II. von Spanien) die moderne wissenschaftliche Anatomie begründet, aber noch längst nicht durchgesetzt. Vor allem in Deutschland hielt sich auch im 17. Jahrhundert hartnäckig der Widerstand gegen eine medizinische Ausbildung an Leichen (die für diese Zwecke denn auch nur schwer zu bekommen waren). Immerhin hatte Vesal durch genaue Schautafeln die Kenntnisse über den menschlichen Körper entscheidend verbessern helfen, was indes keineswegs sofort alle alten Irrtümer ausschloß oder neue falsche Spekulationen verhinderte. Dies läßt sich auch an den Ansichten über die weibliche Anatomie belegen. Je genauer man den Frauen-Körper obduzierte und inspizierte, desto mehr legte man die Vorurteile über die Frau als einen »minderwertigen Mann« ab, desto besser lernte man begreifen, wie vollkommen die weibliche Anatomie auf ihre Gebärfunktion hin ausgerichtet war, und diese eigentliche Aufgabe und Funktion der Frau konzentrierte sich auf Schwangerschaft, Geburt, Stillen und Aufzucht des
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Nachwuchses (vgl. III Simon, S. 79f.). »Der Inferioritätsgedanke nimmt dabei selbst funktionale Züge an: Die Frau muß kälter, feuchter, weniger dicht und weniger stark konstituiert sein, um ihre Aufgabe der Mutterschaft erfüllen zu können.« (Ebda., S. 80f.) Die interessante Verquickung von anthropologischer und gesellschaftlicher Aufwertung der Frau und ihrer gleichzeitigen biologischen Funktionalisierung sei an vier Aspekten illustriert, die den Schwangerschaftsprozeß vom Zeugen (mittels beiderlei Samen) bis zum Säugen betreffen. Dazu greife ich auf ein das AlltagsFachwissen der Zeit vermittelndes >Hebammenbuch< des Zürcher Stadtarztes Jacob RÜFF zurück, das schon im Titel verspricht, man könne daraus »alle Heimligkeit deß Weiblichen Geschlechts erlehrnen« (1563). Rüff hat die anatomischen Einsichten Vesals zur Kenntnis genommen und bietet auch eine Abbildung der weiblichen Anatomie aus dessen Lehrwerk an (II Rüff, S. 28f.). Umso aufschlußreicher sind seine Ausführungen, die zeigen, daß die richtige >Sicht< des Körpers noch keineswegs dessen richtige >Einsicht< bzw. Interpretation impliziert. Die verbesserte Kenntnis des Körperinneren wurde durchaus noch im Rahmen der alten hippokratisch-galenischen Schulmedizin gedeutet und eingeordnet. Erstens war der zur Fortpflanzung erforderliche männliche Samen nach Ansicht der Ärzte ein Extrakt und Kondensat sowohl aller genossenen Nahrungsmittel als auch aller Körperteile des Menschen. Er entstand auf dem Wege der normalen Verdauungsvorgänge in einer Art alchimistischem Destillierverfahren im Zusammenhang mit einem viermaligen »scheiden vnd verwandlen« (ebda., S. 2), und zwar zuerst im Magen, dann in der Leber, schließlich im Herzen und von diesem (die Entdeckung des Blutkreislaufs durch Harvey stand damals noch aus) verteilte sich der solchermaßen bereits zum reinen Blut gesäuberte Saft in alle Körperteile, wobei das Unsaubere durch die Körpertemperatur und den Schweiß ausgesondert wurde, und sammelte sich dann im Hodensack. Diese viermalige Scheidung der Nahrung im Menschen entspricht nach Rüff der viermaligen Scheidung in den Wachstumsprozessen der Natur, und hier wirkt zweifellos noch die Faszination des alten humoralpathologischen >Viererschemas< in die Neuzeit nach, wonach es vier Säfte im menschlichen Körper gibt (die schwarze Galle aus der Milz, die gelbe Galle aus der Leber, das Blut aus dem Herzen und den Schleim aus dem Gehirn), und jeder dieser Säfte war in unterschiedlicher Zusammensetzung aus den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft zusammengesetzt. Der Mensch veränderte seine Säfte-Konstellation im Durchlauf der vier Lebensalter und je nach Zugehörigkeit zu einem der vier Temperamente und den Lebensumständen in einer der vier Jahreszeiten unter einer der vier Himmelsrichtungen und auf einem der vier Erdteile (vgl. dazu Bd. II, S. 96ff.). Schon hier wird erkennbar, daß die Ärzte der frühen Neuzeit über keine erkenntnistheoretische Alternative, kein anderes Modell verfügten, um die Grundlagen der alten humoralpathologischen Schule (benannt nach den >humores< = Säften) und damit die Autorität von HIPPOCRATES (ca. 460-377 v. Chr.) und GALENUS (129-199 n. Chr.) aus den Angeln zu heben. Vor allem waren die Lehren Galens außerordentlich differenziert und komplex (vgl. dazu Bd. II, S. 97f.). So konnten zunächst nur mühsam einzelne Ansichten infragegestellt werden, aber die neuen Einsichten suchte man noch in das alte System zu integrieren. Auch dies veranschaulicht die vorgestellte >moderne< Samentheorie. Rüff glaubt damit die alte
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These zu widerlegen, der Samen werde als Schleim ausschließlich im Hirn produziert. Nach Rüffs Überzeugung muß der Same aber aus dem ganzen Körper stammen, sonst könnte aus ihm auch nicht wieder ein ganzer Körper entstehen. Käme er nur aus einem Organ, würde er nur dieses reproduzieren (II Rüff, S. 7): Diese Annahme ermöglicht es ihm nun, die Ursachen der kindlichen Mißbildungen höchst einfach zu erklären: Sie stammen aus einem Samen, der Defekte aus jenen Körperteilen mitbekommen hat, die sich als Mißbildungen an den Kindern zeigen. Innerhalb dieser Prämissen erscheint das natürlich als >logischlogisch< erschien den meisten Ärzten, aber auch vielen Theologen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts auch, daß nicht nur der Mann, sondern auch die Frau einen Samen besitzt. Sogar auf den Kanzeln, empört sich >Wahrmund< in einem Drama Rists, verkündigten die Pfarrer »die Lehre von Erzeugung deß Menschen / wie derselbe auß Vermischung beyderley Saamen herkomme« (II Rist FJT, S. 351). »Wie bald aber«, so Rüff, »die Bärmutter oder das Geburtglied / den naturlichen Samen deß Manns auffgehebt vnd empfangen hat / wirt der Weibliche Samen dem Männlichen vermischt.« (II Rüff, S. 9) Dazu beruft sich Rüff wieder auf die Autorität des Galenus und fährt fort: »Wiewol vnter disen beyden Naturen der Männlich Same hitziger vnd dicker ist / vnd deß Weibs Same feuchter vnd kelter gespurt wirt / doch auß solcher ursach wirt der Weiblich Same gleich geachtet einem Geleitßmann vnd Führer / der den ändern vnd Männlichen Samen leitet / weiset vnd fordert / durch jre krafft / zu warer Geburt vnd natürlichem wachsen/...« (Ebda., S. 9) Die Annahme eines weiblichen Samens war natürlich auch >logisch< und erleichterte die Erklärbarkeit der Ähnlichkeit des Kindes mit beiden Eltern (vgl. III Simon, S. 98). Im übrigen - so schließt der moderne Medizinhistoriker >logisch< - hatte diese Hypothese eine ungeahnte Durchlöcherung des Virginitätsideals sowie eine Aufwertung der Frau im Blick auf Gattenwahl und Ehe zur Folge. Wie beim Samenausstoß des Mannes setzte man auch bei der Frau ein gewisses Lustempfinden als Bedingung und Begleitung ihrer Samenemission voraus. Insofern war das weibliche Lustempfinden als Bedingung des Samenflusses auch Voraussetzung für eine erfolgreiche Kindeszeugung. Demnach schien es geboten, zu diesem Zweck die Lust der Frau zu erregen, und deshalb gibt es auch gutgemeinte ärztliche Ratschläge, wie dies zu bewerkstelligen sei. So empfiehlt beispielsweise der Chirurg Ambroise PAR (l 51 590) in seinem Lehrbuch >Wund Artzney oder Artzneyspiegell< (1635) dem Mann folgendes Verfahren: Er soll die Frau »zuvor in seine Arme nemmen / freundlich umbfassen / erwärmen / begütigen / und mit aller Holdseligkeit hin und wider kitzeln / und nicht ... so bald ihn die Begierde ankommen / sich deß Kampffs und Anlauffs unterstehen / sondern etliche liebliche und bülerische Küß ... lassen vorher gehen / die Brüstlin und anders betasten / und nachmals den Handel antretten. Denn also werden sie je mehr und mehr angereitzt und entzündet / und last die Gebärmutter ... ihren selbst eygenen Samen desto besser und frewdiger von sich.« (Zit. in III Simon, S. 72)
Je mehr die Ärzte die Auffassung des Aristoteles von der rein passiven Rolle der Frau bei der Empfängnis zugunsten der Gleichberechtigungs-These Galens verwarfen und je mehr sie sich auch für ein störungsfreies Funktionieren von Zeugung, Schwangerschaft und Geburt verantwortlich fühlten, desto mehr versuchten sie auf das Sexualverhalten Einfluß zu nehmen und setzten sich in diesem Punkt in Wider-
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spruch zu der lustfeindlichen Sexualmoral der Kirchen (vgl. ebda., S. 73). Die aus der Zwei-Samen-Theorie entstandene Überzeugung, nur ein lustvoll erlebter Koitus führe zur Furchtbarkeit der Frau, habe dann, so behauptet Simon, auch die »Tendenz zur Emotionalisierung der Ehe« verstärkt: »Freiwilligkeit der Ehe, gegenseitige Zuneigung und Freundlichkeit wurden verstärkt propagiert, sogar Zärtlichkeit unter den Eheleuten wurde mitunter empfohlen.« (Ebda., S. 101) Ja sogar das Postulat freier Gattenwahl leitet Simon aus dieser Theorie her, weil bei der Heirat mit einem unsympathischen Mann die Fruchtbarkeit der Ehe nicht gewährleistet sei (ebda., S. 102). Auch als sich Mitte des 17. Jahrhunderts die Ansicht durchsetzte, »der weibliche Zeugungsbeitrag bestehe in dem Ei, das dem männlichen Samen ebenbürtig sei« (ebda., S. 101), habe die Theorie von der notwendigen »libido« der Frau keine Einbuße erlitten. - Indessen sind an dieser emanzipatorischen These doch starke Abstriche zu machen. Simon bringt nicht einmal eine Handvoll Quellenbelege dafür auf. Die große Mehrzahl der anderen Quellen spricht - wie wir sehen werden - eine andere Sprache, auch und gerade in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in der der Hexenwahn grassierte - ein Zeitraum, den Simon völlig außer Betracht läßt. Aber es liegt doch auf der Hand: Wer so von der »libido« der Frau schrieb, der vermochte das Frauenbild des >Hexenhammers< nicht nachhaltig zu erschüttern. Nach der Empfängnis spielte nun zweitens das Menstrualblut eine entscheidende Rolle. Die Ansicht von seiner Gefährlichkeit und Giftigkeit hielt sich bis weit ins 16. Jahrhundert hinein, doch wurde ihr dann mehr und mehr widersprochen, und es setzte sich die Theorie durch, das Menstrualblut, das ja nach der Empfängnis aussetzte, diene nun dem Fötus als Hauptnahrung. Das Kind entwickelt sich drittens in der Gebärmutter und kommt im 9. Monat zur Welt. »Vnd ist dieses die gemeineste zeit / furnemlich den Knäblein. Aber die Meidlein werden gemeinigklich im zehenden Monat geboren« (II Rüff, S. 26) - und hier wirkt die Inferioritätstheorie nach: »Die Knäblein werden mehr in der rechten Seiten der Bärmutter empfangen / vnd mehr von dem Samen der von dem rechten Gemächt kompt / Aber die Meydlein in der lincken Seiten der Bärmutter / von dem lincken Gemächt empfangen. Denn die rechte Seit von wegen der Leber hitziger ist im Leib / vnd die linck Seit kälter. Aber furnemlich ist die groste Hitz deß Samens ein vrsach der Knäblein.« (Ebda., S. 44)
Wenn man aus »fürwitz« erkennen will, ob es ein Junge oder Mädchen wird, dann >logischerweise< an folgenden Zeichen: Eine Frau, die einen Knaben trägt, hat ein beweglicheres rechtes Auge, eine härtere und größere rechte Brust, eine farbigere rechte Backe. »Insonderheit aber ist zu verwundern / daß das Weib so ein Knäblein trägt / im gang alle zeit den rechten fuß försetzet / vnd wenn sie auffstehen wil / steuret sie sich mit der rechten Handt viel mehr dann mit der lincken.« Bei Frauen, die Mädchen tragen, »befindet sich an allen solchen Zeichen das widerspil oder gegentheil.« (Ebda., S. 141 f.) Im übrigen tragen letztere »mit grosser beschwernuß / vnd geschwellen jnen Bein vnd Gemächt auff« (ebda., S. 142): Da wirkt sich Gottes Strafe für Evas Sündenfall noch besonders auf das Austragen des weiblichen Geschlechtes aus (vgl. dazu auch III Fischer-Homberger 1979, S. 176), und deshalb galt die Geburt eines Knaben als einfacher denn die Geburt eines Mädchens (vgl. ebda., S. 226f.).
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»Die Gebärmutter (gr. hystera) galt seit der Antike als ein eigenwilliges Organ«, das sich im Körper zu bewegen und Erstickungsanfalle zu bewirken vermochte (III Simon, S. 63f.). So enthält auch Rüffs >Hebammen Buch< ein Kapitel >Von der emporung vnd vbersichsteigung der Bärmutter / was die sey / auch jren zeichen< (II Rüff, S. 188ff.) mit erschreckenden Symptomen, die bis zu Krämpfen und Ohnmächten führen. Simon spricht mit Recht von einem »Uterozentrismus in der Medizin« des 16. Jahrhunderts (III Simon, S. 104ff.). Nach der Geburt spielte viertens das »Saugen« oder Stillen des Kindes eine besondere Rolle. - Die Frauen werden ermahnt, ihre Kinder selbst zu stillen, »weil >sie damit ihre liebe / auß ihrem Hertzen in das Kind giessen sollendaß das Weib ihr Kind desto in fleissigerem gedechtnuß haben sol / und das nicht lassen auß ihrem Hertzen kommenHebammen Buch< gilt nun aber nicht dem Funktionieren, sondern dem Nichtfunktionieren von Zeugung, Schwangerschaft und Geburt und damit den Anomalien im Bereich menschlicher Fortpflanzung. Bedenkt man, daß Sprenger und Institoris den Hexen gerade auf diesem Gebiet ein Hauptbetätigungsfeld eingeräumt hatten, dann muß man es als Leistung anerkennen, daß Rüff und manche seiner Kollegen alle diese prekären Symptome wie Unfruchtbarkeit von Mann und Frau, Mißbildungen, Fehl- und Totgeburten auf >natürlichenatürlichen< Erklärungen und auch die empfohlenen Heilmittel eine frappante Nähe zu magischem Denken auf, und dies zeigt, wie anfällig die Zeitgenossen für magische Deutungen von letztlich noch undurchschauten biologischen Prozessen und Störfaktoren waren und wie schwer es ihnen deshalb fallen mußte, den Glauben an die Magie und auch an die Hexen zu überwinden. Dieser Glaube konnte indessen auch schon klug instrumentalisiert werden. Zur Illustration mag ein weiteres Epigramm von Logau mit dem Titel >Eine FrühMutter< dienen:
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»Eine war von zwanzig Wochen schwanger, aber noch nicht Frau, Gieng mit einem fromen Manne wie gebräuchlich zu der Trau. Als er sie ein wenig hatte, merckt er, daß sie ungesund, Weil er Schwulst an ihrem Leibe, vielmahls gar auch Beulen, fund; Klagte drüber, fragte Hülffe; letztlich ward es rauß gebracht, Daß ihr solches böse Leute hatten unversehns gemacht.« (II SSG, S. 338, II, 6, 53)
Die Schwangerschaft kann also auf schwarze Magie zurückgeführt werden (daß Logau die »bösen Leute« möglicherweise als Metapher für die Buhler versteht, ist angesichts des ironischen Duktus denkbar; dennoch verweist seine Formulierung auf die diesbezügliche Leichtgläubigkeit der Zeitgenossen, die sich wie der fromme Ehemann mit der gefundenen Erklärung zufriedengeben). Die damaligen Schwierigkeiten, den Glauben an die Magie in diesem Bereich zu überwinden, seien an vier Beispielen verdeutlicht. Das erste ermöglicht einen sozialgeschichtlichen Einblick in die Praktiken der Abtreibung. Rüff merkt an, die Not zwinge ihn, diese Dinge zur Sprache zu bringen, und damit meint er offenbar die Häufigkeit, mit der abgetrieben wurde und mit der die Abtreibung von den Frauen mit Erfolg verschleiert werden konnte, so daß die Obrigkeit nicht strafend einzugreifen vermochte. Sobald also »Dienstmägde / Jungfrauwen vnd Wittwen« an sich eine Schwangerschaft bemerken, »sind sie schnell mit diesem argen Fundt gerästet / daß sie sich hart vmbgürten vnd auffschürtzen / vnd tragen die Hände vnter dem Fürthuch mit verkehrten vnd gläßechten Augen / einer tauben Eulen gleich / darmit sie den Handel verbergen vnnd vntertrücken / das Kindt in Mutterleib verderben vnnd ersticken. So baldt aber das nicht helffen wil / vnnd sie jnnen werden / daß sich jhre Büberey selbst an Tag vnd an das Licht bringen wil / als denn wollen sie jre Schmach vnd Schandt weiter verdrehen / das kleine vnehrliche fliehen / vnnd sich in das grosser Mordtlaster begeben. Gehen demnach / durch eyngebung deß Teuffels / auß vnordenlichem bösem Gemüt vnnd Hertzen / zu einem abgefäumbten / bösen / lasterhafften / in diesen Stücken gelehrten / alten vnnd viel erfahrnen Weib / die viel Künstlet / vnd jr Lebenlang sich deren dingen gebraucht vnd geübet hat / die auch darinn vberauß berühmbt / mit offensichtlichem Geschrey / lange zeit vnd viel Jar gewesen ist.« (II Rüff, S. 39f.)
Die abtreibungswilligen Frauen werden hier nicht geradezu dämonisiert, folgen aber der »eyngebung deß Teuffels«, und wie leicht waren dann gerade diese Frauen in Zeiten ausbrechenden Hexenwahns als Hexen zu denunzieren! Das gilt auch und erst recht für das hier genannte »alte«, »abgefäumbte«, »b6se« und »lasterhafte« Weib, jenen in den vormodernen Dorf- und Stadtgemeinschaften offenbar verbreiteten Typ heilkundiger alter Frauen, die ererbte Heilpraktiken beherrschten, kräuterkundig und wohl selbst auch magiegläubig waren und die u. a. mit Krauter- und Liebestränken ihren spärlichen Lebensunterhalt verdienten. Andreas Gryphius hat diesem Frauentyp in der schlitzohrigen »alten Kuplerin« »Frau Salome« seines Lustspiels >Geliebte Dornrose< ein realitätsnahes Denkmal gesetzt (vgl. II Gryphius GD). Rüff vermeidet auch hier das Wort »Zauberin« oder »Hexe«, aber es ist historisch - aus zahlreichen Prozeßakten - erwiesen, daß gerade diese Frauen immer zu den ersten Opfern der Hexenprozesse gehörten (vgl. I Bruns). Dieser böse Frauentyp nun, so Rüff, nimmt die Abtreibung nicht selbst vor, sondern
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1) Liebe in der frühen Neuzeit - sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte »zeigt jr etliche Kreuter an / die muß sie in der Apoteck bey einem jres gleichen Knecht oder Apotecker / nemmen vnd fordern. (Ich rede vnd schreibe von den BOsen: Darumb du fromme Frauw / vnd frommer Apotecker / nimm dich dessen hie nichts an) Ab dem einen sol sie trincken / ob dem ändern sich dimpffen / das dritte in die Schuch legen / vnd von dem vbrigen aber / alle Morgens vnd Abends ein Fußwasser sieden / vnd darinnen die Fuß vnnd Schenkel baden / Auch ab etlichen Morgens vnd Abends trincken. Vnd wo das alles nicht helffen wil / so lehret sie dasselbige Mensch zu dem Scherer oder Bader gehen / daß man jr auff bey den Fassen lasse (= zur Ader lasse): Der Scherer ist auch der Sachen nit weiß vnd witzig gnug (= er durchschaut die Absicht des Schwangerschaftsabbruchs nicht) / vnd on alle Nachfrag / läßt jhr / biß daß die blode (= schwächliche) vnd zarte Frucht / vnd das Kind in Mutterleib verderbet vnd zu nichts gemacht wirdt.« (Ebda., S. 40)
Hier deutet sich ein ganzes Geflecht von Hilfswilligen und heimlichen Helfer-Berufen an, die aber eben deshalb - wie die Hebammen auch - bei Hexenprozessen aufs höchste gefährdet waren, weil sie bei ihrem Tun mit dem Bösen im Bunde schienen, und sie waren, wie das folgende Zitat zeigt, durch Flüsterpropaganda den interessierten Frauen besonders bekannt: »Vnd ob das etwan von den Haußvattern oder Meistern gespüret vnd gemercket wil werden (die denn auch den Handel etwan sehen / daß sie gleissen wie die gelben Biern (= Birnen) / vnd sehen als ob sie kätzlet haben) so können sie es mit schnell erdachter Lugen verneynen vnd widersprechen / vnd sagen / sie haben die Mutter (= die Gebärmutter) im Haupt vnd im Bauch / mit großem Hertzenweh / vnd darmit muß die Sach erlogen seyn. Vnd so bald sie jnnen wirdt vnd erfehret / daß jhr Zeit vorhanden ist / vnd das Kind mit dem Fluß verderbet vnd außgeschuttet hat / vnd auß der Not aller Schande (als sie vermeynet) entrunnen ist / fasset sie die Kunst / vnnd mittheilet die auch den ändern jhres gleichen Sacken vnd Breckinnen (= Hündinnen) / darauß hernach viel Schande / Mordt vnnd Todtschlag erfolget.« (Ebda., S. 40f.) Mit einer >hysterisch< im Leibe hüpfenden Gebärmutter ließen sich damals offenbar glaubwürdig eine Abtreibung und deren Symptome verschleiern. Die beiden folgenden Beispiele allerdings verdeutlichen, zu welch fatalen Annahmen die damaligen gynäkologischen Lehren zu führen vermochten. So mußte zweitens der Glaube an die Existenz des weiblichen Samens dazu herhalten, die Entstehung von »Mißgewachßen vnnd falschen Emfengnussen« in der Gebärmutter zu erklären (ebda., S. 93ff.). Rüff stellt hier mehrere Hypothesen nebeneinander, deren Richtigkeit er offenbar nicht zu beurteilen vermag. Die einen erklären solche »Mißgewächse« aus »vnnutzem biOden (= schwächlichen) vnnd schwachen Samen deß Manns vnd Weibs«. »Aber die anderen sagen / daß solches Muttergewechß sein vrsprung habe von dem grossen vberfluß der Frauwen Kranckheit / welche von wegen der Hitz deß Geburtglieds oder Bdrmutter zusamen getrieben / vnnd zu einem groben feuchten vnd harten stuck Fleisch geformiert vnnd gestaltet werde / das denn ein falsche empfengniß genent wirdt. Aber andere so die heimligkeit der Naturen auch erfaren / sagen daß solche Muttergewechß oder Monskinde wachsen vnnd entspringen von vielem vnnd vberflüssigen Samen der Frauwen / so der liebe begirig / aber wenig gewert werden / derhalben die Natur in jnen selber anziehen / welche von jren Flüssen gemehret / durch Hitz der Barmutter zunimpt vnd wie ein rechte natürliche empfengniß wechst / biß sie zu einem Muttergewechß oder Kugel geformiert wirdt.« (Ebda., S. 94f.)
b) Zum medizinischen Frauenbild
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So entsteht aus dieser weiblichen Selbstbefruchtung aus zu großer Liebesbegier nur ein Klumpen Fleisch im Uterus, der die Frauen jahrelang zu plagen vermag und dessen Vorstellung allein die Frauen überaus geängstigt haben dürfte (zahlreiche Abbildungen in Rüffs Buch zeigen solche Mißbildungen und erhöhen auf diese Weise den Realitätscharakter dieser >natürlichen< Erklärung des Unnatürlichen). Logaus Epigramm >Mißgeburt der JungfrauenKurfürstlichen Sächsischen Landesordnung< (1666) u. a. folgendermaßen >Von Bestraffung des Ehebruchs, der Nothzucht, Blutschande, Hurerey, und aller unehelichen BeywohnungHelden-Briefe< lyrisch verarbeiteten Ausnahmen vgl. Kap. 5 d u. 6 e). 3) Verbot und Duldung der Prostitution: Generell blieb Prostitution in der frühen Neuzeit - und darüber hinaus - untersagt. Als ein Beispiel für die darauf gelegten Strafen sei nochmals aus der >Kurfürstlichen Sächsischen Landesordnung v. l. Sept. 1666< zitiert: »Oeffentliche oder sonst gemeine Huren sol man in unsern Landen gantz nicht dulden noch leiden, sondern die, so dieses Lasters schuldig erfunden werden, gefänglich einziehen, fürter an Pranger stellen, und auch zum Lande auspaucken und weisen.« (Zit. in: III Wächtershäuser, S. 157)
Allerdings konnte sich das generelle Verbot der Prostitution nicht überall dauerhaft behaupten. Obwohl die Prostituierte als geächtet, ehr- und rechtlos galt und deshalb »auch die gelegentlich praktizierten Polizeistrafen für Huren wie Pranger, Stäupen, Haarabschneiden von der Öffentlichkeit gebilligt« wurden (III Möbius, S. 69), bekamen vor allem die größeren Städte die Prostitution trotz aller Verbote nie richtig in den Griff (vgl. dazu auch III Norberg; Roeck, S. 122ff.). Seit dem Spätmittelalter unterhielten oder duldeten alle größeren Städte speziell für die Unverheirateten, namentlich für die Gesellen, Bordelle oder Freudenhäuser (vgl. III Schubert, S. 113ff.; vgl. Bd. I, S. 269f.). Im 18. Jahrhundert suchte man des Dirnenwesens durch öffentliche Kasernierung Herr zu werden. So verfügte das allgemeine Preußische Landrecht: »Liederliche Weibspersonen, welche mit ihrem Körper ein Gewerbe treiben wollen, müssen sich in die unter Aufsicht des Staates geduldeten Hurenhäuser begeben« (zit. in: III Möbius, S. 68). Unverheiratete Frauen galten als besonders anfällig für die Ausübung dieses Gewerbes - es gab eben außerhalb des adligen, bürgerlichen und bäuerlichen Hauses kaum Berufe für die Frauen - außer dem inquisitionsgefährdeten der Hebammen. Die Zünfte ließen das weibliche Geschlecht nur zu den einfachsten Hilfsdiensten zu,
c) Die leidige Lust und die christliche Ehe
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und die Löhne in den Manufakturbetrieben bewegten sich auf niedrigstem Niveau. Aber auch die fest verdingten Mägde erhielten nur einen Hungerlohn und wurden erheblich schlechter bezahlt als die männlichen Arbeitskräfte: »Die sächsische Taxordnung der Mitte des 17. Jahrhunderts legte für die Knechte einen jährlichen Lohn von 20-30 Gulden fest, für das weibliche Gesinde durchweg unter 10 Gulden; die Großmagd bekam in einigen Gebieten 3-3 1/2 Gulden (ein Paar Schuhe kostete etwa einen Gulden). In Hessen erhielten zwischen 1720 und 1740 die Großknechte 18 Taler, Hausmägde 7, Viehmägde 8, Kindermägde gar nur 4 Taler. Zwar waren daneben oft noch Naturalbezüge oder Geldgeschenke zu Festtagen üblich, aber auch das war wenig genug und blieb zu einem großen Teil der Willkür der Herrschaften überlassen.« (III Möbius, S. 89)
Daß hier manche Frau der Versuchung erlag, der erdrückenden Armut durch leicht verdientes Geld zu entgehen, liegt auf der Hand. Dies unterstreicht nur, daß die sicherste Versorgung für eine ehrbare Frau im damaligen Gesellschaftssystem die Ehe war, während die Alternative der »freien Liebe« den Frauen dann aber als Finanzgrundlage dienen mußte und sie ehrlos machte. Logaus Spott in dem Epigramm Wohlfeiler Frauen-Stand< spricht eine deutliche Sprache: »Man darff daselbst nicht viel, was wenig kann erlangen. Will eine Magd sein Fraw, so darff sie nicht viel prangen; Sie wird zur Hure nur, so ist die Kirchenfahrt Und aller Hochzeit Pracht erhalten und erspart.« (II SSG, S. 163, I, 8, 16)
4) Partnerwahl und Eheschließung: Angesichts der nachhaltigen Ächtung vorehelicher Sexualität kann es nicht verwundern, daß Liebe im Sinne erotischer Anziehungskraft bei Partnerwahl und Eheschließung im 16. und 17. Jahrhundert kaum eine Rolle spielte (vgl. III van Dülmen 1988, S. 74ff.). Solche Liebesheiraten galten vielmehr eher als suspekt. In der >Verneuwerten Ehe Ordnung< der Kurpfalz von 1583 werden »vnordentliche Ehe Verlubnüsse«, die von Jugendlichen ohne Einwilligung von Eltern oder Vormündern geschlossen wurden, als »ärgerliche vnd schädliche Leichtfertigkeit« gescholten, die »auß lauterem Mutwillen«, aus »Falsch vnd Betrug« sowie aus »Vnwissenheit« entstanden seien. »Solchem VngOttlichen Wesen vnnd Vngehorsam / darauß anders nicht / dann Hertzenleidt und Betrubnüß der Eltern / Verderben der Kinder / vnd sonst allerhandt schädtlicher Vnrath vnd Ergernüß erfolget«, sei »der Gebur zu begegnen« (II Ludwig, Bl. 56r). Sozialgeschichtliche Voraussetzung dieses Ordnungs-Versuchs war zunächst die Zulässigkeit der Frühehe. Seit dem Mittelalter galten Mädchen nach vollendetem zwölften und Knaben nach vollendetem vierzehntem Lebensjahr als heiratsfähig (vgl. III Deschner, S. 246; vgl. Logaus Epigramm >Zeit zum heurathem, SG, S. 186, III, 9, 37). Und wenn man im allgemeinen auch einige Jahre bis zur Heirat zugab, konnte man auch solchen Jugendlichen eben noch nicht jene Vernunft und Lebenserfahrung zutrauen, die bei der Partnerwahl angebracht schien. Deshalb war die Zustimmung der Eltern oder Vormünder bei Frühehen eine wichtige Bedingung. Bedeutsamer freilich war noch, daß die Familie in der frühen Neuzeit als großes Haus fungierte und als wichtigste Säule des Sozialverbandes galt (vgl. III Münch, S. 191 ff.). Die Heiratsfähigkeit war deshalb nicht nur an ein bestimmtes Alter, son-
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dem vor allem auch an bestimmte materielle Voraussetzungen gebunden, die gegenüber der Obrigkeit nachgewiesen werden mußten. Den Knechten und Mägden oder auch den Handwerksburschen und Soldaten war das Heiraten deshalb ohnehin kaum möglich. Das ländliche Adelshaus und die großbürgerliche Familie bildeten eine Produktionsgemeinschaft, die eine ganze Anzahl von Bediensteten unter ihrem Dach versammelte (vgl. III Möbius, S. 36). Von der Frau wurde deshalb in der Regel eine ansehnliche Mitgift als »Heiratsgut« und hausfrauliche Tüchtigkeit erwartet (vgl. Logaus Epigramm >Der Weiber Mitgifftx: »Jungfern, wenn man euch sol kauffen, must ihr Geld zu geben; // Die nichts zugibt, bleibt wol sitzen, ist niemanden eben.« SSG, S. 464, III, 2, 15). Georg GREFLINGER (um 1620 - um 1677) hat in einem scherzhaften Lied >Hylas will kein Weib nicht haben< auf diese finanziellen Implikationen von Heirat und Eheleben hingewiesen (hier die Strophen l, 3-5): »Schweiget mir vom Frauen nehmen / Es ist lauter Ungemach / Geld außgeben / wiegen / grähmen / Einmal Juch und dreymal ach / Ist sie jung / so wil sie fechten / Ist sie alt / so ists der Todt / Ist sie reich / so wil sie rechten / Ist sie arm / wer schaffet Brodt. Denckt / was auff die Hochzeit lauffet / Was die Braut zur Kleydung kiest / Wann man uns ein Kindlein tauffet / Das der nechste Haußrath ist / Was die Amme / die es seuget / Die man mit Covent (= Dünnbier) nicht stillt / Die zu keiner Gritze schweiget / Die man nie genug erfüllt. Und was kosten Kasten / Kisten / Schlüssel / Schlosser / Schüssel /Rost / Mägde / die uns koch- und misten (= das Haus sauber halten) / Dencket was der Haußzins kost / Was die Bette / was die Kannen / Teller / Leffel / Leuchter / Liecht / Spiesse / Brater / Holtz und Pfannen / Und was kost die Kleidung nicht? Wie viel Mäuler muß man speisen / Was verschleppen Hund und Katz? Und wann sich die Freunde weisen / Was für Geld bleibt auff dem Platz / Über Fische / Fleisch und Gritze / Bier und Wein / und liebes Brod. Wann nun erst die Fraw nicht nütze / Scheyde Gott die liebe Noth.« (I Mache-Meid, S. 107f.)
c) Die leidige Lust und die christliche Ehe
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Die letzten Verse verdeutlichen bereits, worauf es für den Heiratswilligen bei der Brautschau ankam. - In einer Predigt über die »Qualitäten / worauff man bey ehelicher Vermählung zu achten« habe, nennt Dannhauer als die drei wichtigsten Vorzüge der Zukünftigen erstens die hausfraulichen Fähigkeiten, also »die blose einfältige / unfalsche Weißheit und häußliche Klugheit / das gantze Hauß=wesen verständig erbawlich zu führen / den so wol zugebrachten / als erworbenen Segen weißlich zu erhalten und zu verwalten« (II Dannhauer III, 1661, S. 277), zweitens die »Fromheit« und drittens »Ehr vnd Gesundheit«. Wer diese Tugenden an seiner Zukünftigen ausspäht, der kann guten Gewissens auch auf eine Aussteuer verzichten, denn eine solche Frau wird sich in der Ehe schon bezahlt machen: »Wer nun mit Heuraths=Gedancken umbgehet / und findet an einer Person die allererst beschriebene Qualitäten / der wags in Gottes Namen / vertrawe GOTT / der uns allzeit will ernehren; nehme sie / wie sie geht und steht / das Pferd ohne den Sattel und Zaum.« (Ebda., S. 278) Dieselbe Ansicht setzt Simon Dach in Verse um: »Sucht ein Mensch, das Euch an Trew, / Sinn und Sitten ähnlich sey.« (II Dach Z I , S. 251) Dennoch spielt auch die Liebe bei der Ehe eine Rolle, aber nicht als deren Voraussetzung, sondern als ihre Folge und Grundbedingung. So fordert Dannhauer von den Partnern im Umgang miteinander »Lieb= und Gegenlieb«: »Also sollen auch Eheleuth / die mit einander heben und legen / schalten und walten müssen / gleiches sinnes / gleicher Art / von gleichen Sitten seyn. Sie werden deß wegen genennet Conjuges, das ist zween Ochsen / so an einem Joch ziehen: ... Soll Baß und Discant lieblich gehen / und zusammen lauten / so müssen sie gute consonantias haben / die Lieb muß die Capellmeisterin seyn / die Seyten zusammenstimmen / ehe man anfangt.« (II Dannhauer III, S. 281 f.)
Liebe ist also hier als eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl, Verträglichkeit, familiale Harmonie, als soziale Interessengemeinschaft und bezeichnenderweise auch als Konformität des sittlichen Verhaltens verstanden. In analogem Sinne definiert auch die reformierte Heidelberger Eheordnung von 1583 den Ehestand als ein Instrument zur wechselseitigen Beförderung der Tugend: Er ist von Gott dazu eingesetzt worden, »daß er zwischen Mann vnd Weib ein stäht vnauffloßlich Bandt der Seelen / Leibs vnd Guts / höchster Lieb / Trew / vnd Forderung zu allen Tugenden seyn soll.« (II Ludwig, Bl. 66 v) Im übrigen täuscht das Bild von den beiden an einem Joch ziehenden Ochsen darüber hinweg, daß ein deutliches Unterordnungsverhältnis zwischen den Ehepartnern gefordert wurde. Dannhauer zitiert dazu im Blick auf Esther 1,22 die Verse: »Wann die Lands=knecht sieden und braten / die Geistlichen zu weltlichen Sachen rahten / Vnd die Weiber führen das Regiment / So nimt es selten ein gutes End.« (II Dannhauer III, S. 328f.)
»Heva solte Gottin seyn / aber sie muste Dienerin werden / und sich in Adams Kopff schicken / dannenhero befahl GOTT der HERR: Dein Will soll deinem Mann unterworfen seyn / und er soll dein Herr seyn.« (Ebda., S. 332; vgl. Gen. 3, 16) So hat die »hertzliche Lieb« der Frau zu ihrem Mann sich stets als ein »Liebs=Gehorsam« zu erweisen (ebda., vgl. dazu auch II Dach Z II, S. 73; II Logau SSG, S. 314, II, 5, 16).
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1) Liebe in der frühen Neuzeit
sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte
Und zu diesem gehörte insbesondere auch die Bereitschaft zum - in der frühen Neuzeit angesichts des unzulänglichen medizinischen Wissens und Könnens häufig lebensbedrohlichen - Gebären. Nachwuchs fordern alle Hochzeitslieder am Schluß stereotyp und zumeist augenzwinkernd ein. Logau bringt den Zweck der Eheschließung in dem Epigramm >Hochzeits-Wuntsch< auf den Punkt: »Seyd morgen Mann und Frau, seyd Eltern übers Jahr; // So habt ihr denn erlangt, was zu erlangen war.« (II SSG, S. 38, I, 2, 23) Simon Dach formuliert die Nachwuchshoffnung als fromme Bitte an Gott: »Breit jährlich auch jhr Ehbett aus Zu mehren deinen Himmel, Gieb, daß jhr Samen=reiches Hauß Von Kindes^ Kindern wimmel, Jn denen sie sich satsamlich Bespiegeln vnd vergnügen, Vnd die, wie Orgel=Pfeiffen, sich Rings vmb den Tisch her fügen.« (II Dach Z I, S. 128)
Kinderreichtum wurde vor allem im 16. und 17. Jahrhundert in allen Konfessionen als Segen betrachtet (vgl. III Deschner, S. 250f.; Flandrin, S. 149). Auch für die weltliche Obrigkeit war von höchstem Interesse, »Das durch dieses thun auff Erden, Was durch Sterben, Krieg vnd Schwerd Glut vnd Wasser wird verheert, Wieder mög ersetzet werden, ...« (11 Dach I, S. 27; vgl. II, S. 36)
Noch 1768 erklärte Friedrich der Große in seinem Politischen Testamente »Der erste Grundsatz, der allgemeinste und wahrste ist der, daß die wahre Kraft eines Staates in einer hohen Volkszahl liegt.« (Zit. in III Kiesel/Münch, S. 13) Im 17. Jahrhundert indessen war bei dem geringen Stand der Medizin und Hygiene die Kindbettund Kindersterblichkeit besonders hoch. Zuverlässige Zahlen darüber gibt es freilich nicht. Doch wenn noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in einzelnen Orten bis zu 70% der Kinder nicht älter als 14 Jahre wurden, nahezu ein Drittel der Neugeborenen im ersten Lebensjahr starb und die Familien vielfach nur zwei bis drei Kinder aufzuziehen vermochten (vgl. ebda., S. 17), dann wird man für das 17. Jahrhundert zum Teil mit noch düstereren Verhältnissen und Relationen rechnen müssen. Vor allem vom Versorgungsaspekt her erklärt sich die unverdrossene Heiratsfreudigkeit der verwitweten Frauen und Männer (vgl. Logaus Epigramm >WitwentrostErstemal< - die Hochzeitsnacht. Denn die Partner sollten ja offizieller Lehre gemäß keine sexuellen Erfahrungen besitzen. Das galt insbesondere für die Frauen. Also lag es für sie nahe, sich >einfältig< zu stellen: »Jungfern, wann sie mannbar seyn, wollen dennoch nichts nicht wissen, Was ein Mann sey für ein Ding, wie ein Mann sey zu genießen; Weil sie aber meistens doch lieber jung als alte nehmen, Fehlt es nicht, sie haben Wind, was dabey sey für bequemen.« (II Logau SSG, S. 336, II, 6, 39)
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Dieser »Wind« wehte offenbar in mancherlei Gerüchten und Getuschel: »Diß und jenes schneidt man auff von der Hochzeit ersten Nacht. Mich, sagt Elsa, schreckt es nicht, werde brünstig nur gemacht, Unter Augen dem zu gehn, was mir letztlich kummen soll; Der, was ihm verordnet ist, fliehen will, der thut nicht wohl.« (Ebda., S. 332, II, 6, 23)
Von daher versteht sich der Ratschlag >An einen Bräutigame »Wann du die Braut ins Bette ruffst, so wehrt sie sich beym bitten; // Nicht bitte! Denn sie hat schon selbst viel vom Verzug erlitten.« (Ebda., S. 592, III, 10, 98; vgl. ebenso II Zesen DRLT, S. 343f.) - Simon Dach besingt in einem Hochzeitslied eine Braut, die - wie es im Strophenrefrain heißt - »nichts vom Lieben« weiß. Gespräche über die »Heyrath« hatte sie noch »in Vnschuld angehört«, und nun rät der Autor dem Bräutigam: »Nim dich Ihrer weiter an, Bräutgam, lehr was sie nicht kan, Fleuch hie etwas auffzuschieben, Aber halt auch Maaß dabey, Vnd bedenck doch was Sie sey, Denn Sie weis nicht groß von lieben.«
Und zum Schluß ruft der Dichter aus: »Preiß an Ihr den keuschen Muth, O ein schönes Heyrath=Gut, Daß sie nicht weis groß von lieben.« (II Dach Z I, S. 184)
Die Frauen vor allem sollten in der Hochzeitsnacht ihre Unschuld, aber nicht ihre Keuschheit verlieren. Dazu zwei Beispiele. - Je schneller sich dies Ereignis vollzog, desto besser war es für die Keuschheit. Im folgenden Exempel sucht die Mythologie zunächst mehrstrophig-spannungssteigernd - wenn auch in der gebotenen Züchtigkeit - auf dieses Ereignis verlockend und reizend vorzubereiten, doch dann holen die dichterische Phantasie die »nackten Tatsachen« des gefühllosen sozialgeschichtlichen Brauchtums ein, vor dessen imperativischem Gestus die mythischen Göttinnen Reißaus zu nehmen haben: »Pallas hat mit milder Hand, Bräut'gam, euch sich zugewand, Juno ziert die Braut mit Pracht, Venus mit der Schönheit Macht, Cynthia mit keuscher Zucht, O der schönen Liebe Frucht, Die als solcher Tugend Lohn, Seyn wird ewres Hauses Krohn. Auff und säumt euch länger nicht, Luna wacht mit ihrem Liecht, Auch des Abend=Sternes Gold Wil, daß ihr euch förtern sollt.
c) Die leidige Lust und die christliche Ehe
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Wil die Braut es nicht verstehn, Nicht gern von dem Tantze gehn, Bräut'gam, greifft sie ernstlich an, Vnd seyd in der Zeit ihr Mann. Wendet sie wo Einfalt vor, Gebt der Ausflucht nicht ein Ohr, Keine Wissenschaft ist je Leichter ausgelernt als die.« (II Dach Z I, S. 258)
Das war eine dezidierte Absage an jegliche »ars amatoria«. Und möglicherweise hing sie mit der medizinisch begründeten Annahme zusammen, daß der erste Beischlaf durch die mit der Entjungferung verursachten Schmerzen ohnehin keinerlei »wollüstige Empfindung« - und damit auch keine Schwängerung - bewirke und daher als notwendiger Initiationsakt so schnell wie möglich zu vollziehen sei (vgl. III FischerHomberger 1979, S. 221). Logau deutet dies in dem Epigramm >Köstlich Wasser< an: »Wasser, die die Alchimisten brennen, sind gar hoch geacht, // Höher Threnen, die die Bräute gießen in der ersten Nacht.« (SSG, S. 611, III, ZG, 7) In einem langen Gedicht auf eine Adelshochzeit läßt Simon Dach den Gott Amor für den offenbar schon älteren Bewerber zu dem als Braut erkorenen noch jungen Mädchen eilen, um ihm den Eheantrag zu übermitteln. Dieses wird von der Mission augenscheinlich völlig überrascht: »Was thut sie, als sie erblickt Vnverhofft dieß Vngehewer Vnd die Wort' hört? Sie erschrickt, Ihrer Wangen Milch wird Fewer, Denn was Lieb vnd Heyrath sey, Kömpt der zarten noch nicht bey.« (II Dach I, S. 248)
In diesem Gedicht wird Amor die Aufgabe zuteil, dem Mädchen den Begriff der Liebe sinnlich nahezubringen: »Wie erwiegt er jhre Zier, Seiner Seufftzer ist kein Ende, O wie offtmahls küsst er Ihr Auff die Alabasterhände, Also daß er auch zuletzt Gar in jhren Schoß sich setzt. Vnterdessen was geschieht? Er beginnt mit jhr zu schertzen, Vnd nun er die Zeit ersieht, Bläst er jhr sein Gifft zum Hertzen, Wie er dieß auff Venus Raht Sonst auch dir, o Dido that.« (Ebda.)
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1) Liebe in der frühen Neuzeit - sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte
Während Amor bereits die gute Nachricht vom Erfolg seiner Mission dem Zukünftigen überbringt, fällt das überrumpelte Mädchen in ein »Fieber«, dessen »Krisis« ihren Tod befürchten läßt: »Hier ist eines, Wort vnd That, Julianchen legt sich nieder, Stracks verfangt auch gantz kein Rath, Hin sind Krafft vnd alle Glieder, brennt Vesuvius gleich sehr, Ihr Geblühte wütet mehr.« (Ebda., S. 249)
Den inbrünstigen Gebeten des Bräutigams verdankt sie so Dach - schließlich ihre Rettung. Das ist deutlich genug. Die mythologische Einkleidung läßt ein Stück sozialgeschichtlicher Realität durchscheinen, gerade weil sie sie zu kaschieren, ja zu kompensieren sucht. Die Braut ist hier Objekt eines Handelns, das ihr nur in der >Lüge< des Mythos als Liebe begegnet. Dessen Uneigentlichkeit entlarvt auch das durch Amor inszenierte Werbungs-Spiel als Fiktion. Angesichts dessen, was über sie bestimmt ist, bleibt der Braut nichts als die Flucht in die Krankheit und dann die Annahme des Ehe-»Jochs«, vor dessen erdrückender Realität der Pfeile schießende Amor längst schon die Flucht ergriffen hat. d) Himmelsmacht und Teufelswerk - Liebe als Magie 1) Natürliche, schwarze und weiße Magie: Das vormoderne Weltbild selbst - sowohl das der Renaissance und des Humanismus wie das der Kirche - war tiefgreifend von magischem Denken bestimmt. Dabei gab es verschiedene Begriffe von Magie. Zunächst den einer >Magia universalis naturae et artisPoetik< spielt die Phantasie keine Rolle, dort dominiert als Prinzip die Kategorie der Mimesis; vgl. dazu auch III Vietta, S. 45). - Demgegenüber aber läßt sich die unentwegte Darstellung der heiligen und himmlischen Bezugspersonen in der Jesuitenpoesie und Barock-Mystik und die Beschäftigung der Phantasie und der >memoria< in der Meditation als Versuch begreifen, nach der rhetorischen Devise »Sehen macht Sehnen« - die Einbildungskraft mit himmlischen Bildern zu füllen, die Seele dadurch zur Gottesliebe zu bewegen und so auch gegen die Teufelsbuhlschaft zu immunisieren. »... hätte ich gottselige Gedanken gehabt«, hadert denn auch Dr. Faustus nach dem Pakt mit dem Satan, »und mich mit dem Gebet zu Gott gehalten, auch den Teufel so sehr nicht bei mir einwurzeln lassen, so wäre mir solches Übel an Leib und Seele nicht begegnet.« (I Historia, S. 27)
d) Liebe als Magie
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Ebenso läßt sich von daher auch der bemerkenswerte Tatbestand verstehen, daß die Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts das grassierende Phänomen des Hexenwahns ebenso wie das der Seuchen weitgehend tabuisiert und verdrängt, auf jeden Fall verhältnismäßig selten aufgreift: offenbar aus Angst, Einbildungskraft und Gedächtnis überhaupt mit solch gefährlichen Gegenständen zu beschäftigen. Daß das Motiv selbst dann in Klassik - z. B. in Schillers Gedicht >Das Muttermak (II SW I, S. 98), in Goethes >Wahlverwandtschaften< (II WV, S. 321, 420f.) - und Romantik so in E. Th. Hoffmanns >Fräulein von Scuderi< (II FC, S. 55ff.) - eine bedeutende Rolle spielt, sei hier nur am Rande vermerkt. - Diese lange tradierten Aspekte kulturellen Wissens können neben dem Verdikt des Unmoralischen die poetische Zurückhaltung bei der Imagination körperlicher Schönheit oder gar sexueller Vorgänge in der Liebesdichtung (bis fast zum Ende des 17. Jahrhunderts) miterklären.
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2) Einführung der Liebes-Sprachen (Opitz)
a) Neuplatonismus - Liebe als kosmisches Tugendprinzip (Hochzeitsode auf Nüßler) Martin OPITZ (1597-1639; vgl. Abb. 3 in Bd. IV/1, Kap. 4 a-1) war - wie gesehen (vgl. Einleitung b) - besonders vorsichtig und zurückhaltend beim Thema >LiebesdichtungEpithalamium< der Gattung der Gelegenheitsgedichte an (vgl. Bd. IV/1, Kap. 2d-l). Das Gedicht wiederholt die Dreierstruktur dreimal, besteht also insgesamt aus neun Strophen. Die erste Dreiergruppe befaßt sich mit dem potentiellen Gegensatz von >Poesie und Liebe< bzw. >Poesie und Lebern (der Arzt Nüßler trat selbst ebenfalls als Dichter hervor), die mittlere Trias, die uns insbesondere interessiert, enthält den >locus causae efficientisBild< für die im folgenden dargestellte Liebe zwischen Gott und seiner Schöpfung. Die Poesie vollzieht zu Beginn der zweiten Trias also selbst den Aufschwung in die kosmologischen Höhen, dient der Mnemosyne (diese ist Mutter der Musen) und erweckt damit selbst den Eros, indem sie ihn darstellt: »Die Lieb' hat erstlich Gott gerührt Das er der dinge grund vollführt; Sie ist es die den baw der weit Vor allem brechen frey behelt; Sie pflegt die Sternen zue bewegen / Das sie den elementen nicht Versagen jhrer Schönheit Hecht; Das fewer pflegt die lufft zue regen Durch hitz' auff jhren angetrieb / Die lufft hat dann das wasser lieb / Das wasser das bewegt die erden; Vnd wiederumb / die wasser werden Gesogen von der erden klufft / Das wasser zeucht die lufft zusammen / Das fewer wird mit seinen flammen Verzogen in die kühle lufft.« (BDP, S. 64f.)
Diese Strophe ist nahezu die versifizierte Übersetzung der folgenden Stelle aus Ficinos >De amore< (Opitz erwähnt Ficino zusammen mit Pico della Mirandola und anderen Gelehrten aus Florenz in II WP I, S. 237): »Darum sagt Dionysios: >Die göttliche Liebe ließ nicht zu, daß der Herrscher des Alls ohne zu zeugen in sich selbst abgeschlossen bliebx Der gleiche Trieb, sich zu vermehren, ist allen Wesen von dem höchsten Urheber eingegeben. Durch ihn bewegen die heilige Geister die Himmelssphären und teilen ihre Gaben an alle Geschöpfe, welche unter ihnen stehen, aus. Durch ihn strahlen die Gestirne ihr Licht zu den Elementen hin. Durch ihn teilt das Feuer sein Wesen der Luft, diese das ihrige dem Wasser, diese das ihrige der Erde mit, und zieht umgekehrt die Erde das Wasser, dieses die Luft, und die Luft das Feuer an.« (II L, S. 83).
Gewiß sprachen auch die Theologen von der Liebe Gottes, durch welche er die Welt erschaffen habe und erhalte; zudem hatte das Christentum die heidnisch-stoische Lehre von der das All durchwaltenden >Sympathie< zu integrieren versucht. Jedoch hatte Luther diese Kette des Seins durch seinen geschichtlich-eschatologischen und personalen Gottesbegriff zerbrochen (vgl. Bd. I, S. 186; Bd. IV/1, Kap. l b-7). Seine - nicht unberechtigte - Furcht vor einer Ineinssetzung Gottes mit seinen »Kreaturen« und seine radikale - auf die Natur ausgedehnte - Sündenfalltheorie sollten auch der Fortdauer dieser Sympathien-Lehre einen Riegel vorschieben. Wie das zitierte prominente Beispiel zeigt, gehörte sie indessen zum Bildungs- und Weltanschauungsgut auch der Humanisten des 17. Jahrhunderts (vgl. dazu auch III Kemper 1980, S. 90ff.). Die ganze Natur hängt also in einer großen »Kette des Seins« (»chain of
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2) Einführung der Liebes-Sprachen (Opitz)
being«) zusammen. Von Gott geht diese Liebeskraft aus. Sie ist der Grund dafür, daß die Schöpfung entsteht und bestehen bleibt. Auf Gott folgen in der kosmischen Hierarchie bei Ficino die Engel oder himmlischen Geister, die Opitz weggelassen hat. An die Geister schließen sich sowohl bei Ficino wie bei Opitz die Sterne an. Sie sind vollkommene, aus Licht und Feuer als dem reinsten Element bestehende und als lebendige Intelligenzen gedachte Wesen, die in den Sphären kreisen, weil sie von der Liebe angetrieben werden: Der Kreis galt seit alters als die vollkommenste geometrische Figur, das Kreisen der Sterne war Ausdruck ihrer Liebe zu Gott, war Kennzeichen ihrer umkreisenden Sehnsucht nach dem Zentrum des Seins. Und dieser Kreislauf wiederholt sich nun - wenn auch weniger vollkommen - im Bereich der vier Elemente Feuer, Luft, Wasser und Erde: Es ist die Liebe als Sympathie, mit welcher das von den Himmelssphären ausgehende Feuer die Luft erhitzt, so daß sie sich ausdehnt und auf das Wasser einwirkt, das sich wiederum fester an die Erde drückt oder »anschmiegt«. Aber auch umgekehrt wird das Wasser von der Erde angezogen und aufgesaugt, es zieht die Luft nach und kühlt sie dabei aus, so daß sie sich verdichtet und ihrerseits das Feuer vom Himmel herabzieht, indem sie ihm Gelegenheit zur Ausdehnung verschafft (und damit wiederum zur Erwärmung der Luft): ein Kreislauf also in Gestalt von wechselseitiger Ausdehnung und Anziehung. Die Anschaulichkeit, die Nähe zur sinnlichen Erfahrung, die der antiken, mittelalterlichen und vormodernen Theoriebildung im Bereich der Naturwissenschaften eigen sind, zeigt sich auch an dieser Vorstellung. Nach der kosmisch-elementaren Dimension der Liebe führt Ficino ihre Macht im unmittelbaren Anschluß an die zitierten Sätze auch im Bereich der lebendigen Natur vor: »Auch die Gräser und die Bäume bringen, begierig, ihren Samen fortzupflanzen, ihnen Gleichartiges hervor. Ebenso werden die Tiere und die Menschen durch dieselbe Begierde dazu getrieben, Nachkommenschaft zu erzeugen.« (L, S. 83)
Opitz amplifiziert diese Aussagen in der nachfolgenden Strophe (»Antistrophe ß«) seines Hochzeitsgedichts: »Das hier vnd dorte Berg vnd Waldt Mit grünen Bäwmen mannigfalt Sehr lustig vberschattet steht / Das so manch heilsam kraut auffgeht / Das Wiesen / Felder / Bosch' vnd Awen Mit zarten blumen sein geziehrt / Das Saate newes körn gebiehrt / Das so viel wildpret ist zue schawen / Das wann der Lentz das Jhar verjüngt Ein jeder Vogel frolich singt / Vnd leßt sich nicht gern' vber stimmen / Das so viel Fisch' im Meere schwimmen / Ja das wir Menschen selber sein / Vnd vns das blutige beginnen Der waffen nicht hat tilgen können / Das thut die liebe nur allein.« (BDP, S. 65)
a) Neuplatonismus - Liebe als kosmisches Tugendprinzip
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Die Auffassung von der qualitativen Unterschiedlichkeit alles Seienden prägt den Aufbau der Strophe in mehrfacher Hinsicht. Sie führt zunächst zu einer »aufsteigenden Linie« vom Bereich des Vegetativen - z. B. Wald, Kraut, Blumen, Saat - über den des Animalischen - z. B. Wildpret, Vogel, Fisch - bis zum Menschen. Und an der Liebe, die sich in den Beispielreihen ausdrückt, werden drei Qualitäten - jeweils im Pflanzen- und Tierbereich - hervorgehoben: ihre Schönheit, ihr Nutzen und ihre unergründliche Fülle. Die Betrachtungsperspektive verrät die Orientierung am Menschen, der Fülle und Schönheit der Schöpfung wahrnimmt und sie sich zugleich »zunutze« macht. Die im »Keimen« zweimal ausgesprochene teleologische (zielgerichtete) »Liebeskraft« der Schöpfung erfüllt sich im Gebrauch durch den Menschen. - Daß die Macht dieser Sympathie sich bis in den anorganischen Bereich erstreckt, illustriert auch Daniel Casper von Lohenstein in seinem großen Preisgedicht auf die >Venus< und - in Verbindung mit der Astrologie - Paul Fleming in einem >Frülings Hochzeitsgedicht< (vgl. Bd. II, S. 68f.). Auch im Menschen also wird die elementare Kraft der Liebe wirksam, die ihn sogar die in den Waffen (des deutschen KriegesEpode< zieht Opitz nun die »conclusio« aus der zuvor entfalteten Einsicht in die Liebe als einer von Gott selbst ausgehenden und deshalb gerechtfertigten, schlechthin dominierenden Natur-Kraft, doch im gleichen Atemzug erteilt Opitz wie Ficino auch einer dominant gesetzten sinnlichen Lust eine dezidierte Absage: »Liebe nun wer nur zue lieben Rechten fug vnd mittel hat; Es ist keine solche that Die verbotten ist zue vben / Wann du nur bestrickt nicht bist Von der wollust hinterlist / Die mit jhrem falschen scheine Jvng vnd nicht jung in gemeine Leitet an verkehrten wähn / Außer diesen eiteln sachen / Die den klügsten wahnloß (= sinnlos, ohne Verstand) machen/ Liebe wer da lieben kan.« (BDP, S. 65f.)
Die Wollust, die als Trieb in der Natur soviel Gutes - Schönes und Nützliches bewirkt, weil sie dort in den Bahnen naturgesetzlicher Ordnung verläuft, stiftet beim Menschen eher Schaden, wenn sie nicht auch hier geordnet wird. Deshalb wird die »Tugend« als Zentralbegriff für das ethische Verhalten der Liebe regulativ vorgeordnet und erweist sich überhaupt - auch schon in der Opitzschen Poetik - in der engen Verbindung mit der Poesie als »das auffallendste Merkmal der Dichtung des 17. Jahrhunderts« (II. Mauser, S. 219f.), aber auch noch des nachfolgenden Säkulums der Aufklärung. Aus dem Gedichtablauf wird deutlich, daß Opitz hier Tugend als die spezifisch menschliche Entsprechung zur im ganzen Kosmos wirkenden Liebes-Kraft betrachtet. Insofern Tugend eine geordnete Liebe ist, enthält sie keine stoische Verneinung der Leidenschaften, wohl aber deren Regelung. Hingegen bleibt bis hin zu Hoffmannswaldau und Lohensteins Preisgedicht auf die >Venus< (vgl.
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2) Einführung der Liebes-Sprachen (Opitz)
Kap. 7 g) die aus ungeordnetem Affekt und Wollust, Trieb und Sexualität bestehende sinnliche Liebe eine Leiden schaffende, krank machende Seelen-Pest. »Die Liebesansteckung«, so hatte auch Ficino gewarnt, »ist die schlimmste aller Seuchen.« (L, S. 329ff.). 4) Das Brautpaar als Ideal-Fall: Nach diesem Ausgriff ins Allgemeine wendet die letzte Trias der Pindarischen Hochzeitsode die kosmische Eros-Lehre nun konkret auf das Brautpaar an, greift zugleich den in der ersten Trias thematisierten Konflikt von Musen- und Venus-Liebe nochmals auf und löst ihn galant und charmant durch eine huldigende Beschreibung der Braut, die beide Eros-Ideale in sich vereint: »Du / Bernhardt Wilhelm / den zuevor Der drey mal dreyen Schwestern chor (= die Musen) Mit alle dem was er gehabt Gantz ohne masse hat begabt / Wirst ietzt von Venus auch verehret (= beschenkt) Mit einer ohne welcher gunst Du hassen kanst verstand vnd kunst / Vnd was zur Wissenschaft gehöret; In derer äugen freundtligkeit / Im munde die Verschwiegenheit / Zucht in den hofflichen geberden / Im gange demut funden werden; Die der natur bekandte macht An tugendt / witz' vnd ändern gaben Fast vber jhr geschlecht' erhaben / Vnd als jhr Meisterstück' erdacht.« (BDP, S. 66)
In die Darstellung der Braut geht nichts Persönliches ein, ihr Bild ist stilisiert und idealisiert. Auffällig aber werden jene Phänomene an ihr gelobt, die in der schwarzmagischen Literatur zum Einfallstor des Hexenverdachts führen: die »freundtligkeit« der »äugen« verweist ebenso auf den Kontrapost - den begehrlichen und damit bösen Blick - wie die »Verschwiegenheit« auf den Vorwurf, die Frauen vermöchten ihre Zunge nicht im Zaum zu halten. »Zucht« - als Gegensatz von »Unzucht« - und ihre »demut« als Ausdruck ihrer Einordnung in das patriarchalische Gefüge verweisen auf ihre moralische Vorbildlichkeit, die mit »tugendt« auf den schon erwähnten Zentralbegriff gebracht wird, während »witz« die geistige Begabung meint, also Verstand, Klugheit, auch Scharfsinnigkeit. In der vorletzten Strophe wird der Bräutigam nun auch wieder in seine Rechte als Poet eingesetzt, der fortan sein eigenes Glück besingen kann, das allem Glück und Reichtum der Welt vorzuziehen ist: »Nichts bessers wundsch ich selber mir Du wirst hinfort mit grosser ziehr / Durch deine hochgelehrte handt / Die ohne diß weit ist bekandt / Dein' eigne frewde können schreiben: Du wirst besitzen alles gut
a) Neuplatonismus - Liebe als kosmisches Tugendprinzip
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Was Hermus aus der gelben flut An seinen reichen strandt soll treiben; Was der verbrandte Mohr besitzt Wo stets die rote Sonne hitzt / Was Spanien von edlen dingen Pflegt auß der newen weit zue bringen. Getrewe hertzen bleiben rein Von kummer schätz' vnd Goldt zue kriegen / Ihr meistes hoffen vnd genügen Ist lieben / vnd geliebet sein.« (BDP, S. 66f.)
Geschickt wird mit der Exempelreihe - vom goldhaltigen kleinasiatischen Fluß Hermos über die »rote Sonne« bis zum »Goldt« aus der neuen Welt - die magisch-alchimistische Vorstellung vom Gold als dem höchsten und kostbarsten Aggregatzustand der Metalle in Vergleich gesetzt zu dem, was zwischen Menschen am kostbarsten und wertvollsten ist (und dem Gold daher überbietend korrespondiert): die »Reinheit« »getrewer hertzen«, die zugleich alles materielle Gut ersetzt. Im Begriff der »trewen hertzen« vereinigt sich der ethische Aspekt der Treue mit dem emotionalen der Liebe zum Ideal der dauerhaften Partnerschaft, und dieses Ideal begegnet noch oft in der Liebesdichtung der frühen Neuzeit. Die Schlußstrophe spielt unverblümt und der Tradition der Hochzeitscarmina entsprechend auf den >locus finisMännlichkeit< (schon seit der Adressierung des Gedichts an den Freund) - als sinnvoll, weil es in allem Scherz die neuplatonische Gedankenwelt erst zu ihrem Abschluß führt; denn die »züchtige Liebe« erstreckt sich nach Ficino nur auf Gleichartiges und soll etwas Gutes und Schönes zeugen (also einen Mann! L, S. 31). Die Geburt eines Poeten ist ein augenzwinkernder Verweis auf die Züchtigkeit der Zeugung selbst - und auf das Fortdauern der Poesie, die mit ihrer >Leyer< hier einen im Kontext der Zeit schicklichen und im >AnweisungsPoeterey< - vor-bildlichen Liebesdienst verrichtet hat!
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2) Einführung der Liebes-Sprachen (Opitz)
b) Profanisierung als philologische Diplomatie (Poetische Hohelied-Übersetzung) 1) Kanonisierung und Deutungsgeschichte des Hohenliedes: Das Hohelied gehört zu den beliebtesten biblischen Büchern des 17. Jahrhunderts (Goebel hat 50 im Druck erschienene deutsche Bearbeitungen dieses Buches gezählt, ohne dabei Texte wie die >Trvtz-Nachtigal< mit einzubeziehen, denen eine explizite Bezugnahme auf die >Cantica Canticorum< fehlt; IV Goebel, S. 52; einige Hinweise im folgenden verdanke ich 11.54 Kestin). Dabei handelt es sich um eine Sammlung ursprünglich »profaner Liebes- und Hochzeitslieder«: »Ohne Zweifel sind solche Lieder mit ihrem Austausch der Liebeserklärung zwischen Braut und Bräutigam in Israel von den Liebenden selbst und von den Gästen während der Hochzeitsfeier gesungen worden; dabei wurde sehr offenherzig der Freude über Liebesspiel und Liebesgenuß Ausdruck verliehen.« (III Hülst, Sp. 430)
Von daher ist unklar, wie dieser Text mit seiner sinnlich-erotischen Sprache und Bildlichkeit in den Kanon des Alten Testaments gelangen konnte. Maßgeblicher Grund dafür war vermutlich die im ersten Vers behauptete, aber nicht haltbare Verfasserschaft Salomos (vgl. ebda., Sp. 428). Wahrscheinlich wurden verschiedene Liebeslieder, die zunächst einzeln mündlich und schriftlich überliefert (und »zersungen«) wurden, zu einer Sammlung verschmolzen, die angesichts auffälliger Parallelen in ugaritischer, sumerischer und altägyptischer Literatur zu dem »kulturellen Erbe« zählt, »das Israel in Kanaan übernommen hat« (IV Loretz, S. 65). Dabei handelt es sich um Lieder, »die bald ländliche, bald städtische, zumeist aber einfache Verhältnisse voraussetzen.« (IV Höhne, Sp. 189) Mehrfache redaktionelle Überarbeitung von Glossatoren hat zu Brüchen und Überlagerungen geführt. Das gilt insbesondere für die Sprecherfiguren: Aus dem ursprünglichen Hirten wurde in Jerusalem König Salomo (IV Loretz, S. 62; in Hl. 8,11 f. wird der - historisch ältere - Hirt sogar dem König Salomo gegenübergestellt; III Höhne, Sp. 189). Als Braut, mit der Salomo kommunizierte, galt zunächst die in Hl. 7,1 genannte >Sulamith< (»Kehre wieder, kehre wieder, o Sulamith!« [vielleicht eine Femininbildung zu >SalomoVergeistlichung< dieses provozierend erotischen Textes, und diese »Auslegungsgeschichte« »gleicht weithin eher einem theologischen Raritätenkabinett als sinnvoller Geschichte.« (IV Lerch, Sp. 431)
b) Profanisierung als philologische Diplomatie
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Schon im vorchristlichen Judentum setzte sich die Vorstellung durch, das Hohelied schildere die Liebe Jahwes zu seinem Volk (vgl. IV Ohly, S. 13). In der christlichen Allegorese entwickelte sich dann seit dem Kirchenvater Origines an diesem Text die Lehre vom vierfachen Schriftsinn: Dem Wortsinn (>sensus litteralis/historicussensus allegoricus< unter der Voraussetzung, daß der Bräutigam mit Gott oder Christus und die Braut mit seiner Gemeinde, der christlichen Kirche, identifiziert wurden. Dann ließ sich den Versen ein heilsgeschichtlich-kirchlicher Sinn entnehmen. Wenn man unter der Braut aber die Einzelseele verstand, konnte man dem Text einen individuell-moralischen Sinn (den >sensus tropologicus/moralissensus anagogicusgeistlich< -, aber es ist nicht unwahrscheinlich, daß sie diese Vereinigung mit Christus oft doch ganz sinnlich-affektiv im >Wortsinn< zu gestalten und zu erleben schienen (vgl. dazu auch ausführlich IV Dohm). Damit verfuhren sie weit kühner als auch die Reformatoren erlaubten. Diese hatten zwar die Lehre vom mehrfachen Schriftsinn im Prinzip als »wider den heiligen Geist« verworfen, aber auch sie wagten es nicht, im >sensus litteralis< des Hohenliedes dessen eigentlichen Sinn zu sehen: »Luther verstand das Hohelied als Salomos Lobpreis Gottes für die göttliche Segnung seiner Regierung.« (IV Lerch, Sp. 431) 2) Von der Allegorese zum Wortsinn: In diesem Zusammenhang ist nun von hohem Interesse, wie der humanistische und calvinistische Nicht-Mystiker Martin Opitz das Hohelied behandelt. Zur Entstehungszeit seiner Hoheliedübersetzung (sie erschien zuerst 1627; vgl. GW IV) stand er im Dienst des katholischen schlesischen Kammerpräsidenten Karl Hannibal von Dohna als dessen Sekretär und Leiter der Geheimen Kanzlei. In dieser schwierigen Situation erscheint es so, als suche der von seinen Glaubensgenossen mißtrauisch beäugte Opitz gerade an diesem bedeutungsschwangeren Text eine Herausforderung zur Demonstration der Überlegenheit eines humanistisch-poetischen Umgangs mit umstrittenen biblischen Büchern. Tatsächlich erbringt er mit seiner Übersetzung eine diplomatische Meisterleistung, die äußerlich schon daran ablesbar ist, daß er mit dieser Hohelied-Übertragung den
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2) Einführung der Liebes-Sprachen (Opitz)
elf Jahre später und damit ein Jahr vor seinem Tod von ihm selbst edierten Band seiner >Geistlichen Poemata< eröffnen kann, den er der reformierten Gräfin Sibylle Margarethe Dönhoff, einer Tochter des Herzogs Johann Christian von Liegnitz und Brieg widmet, in dessen Diensten er von 1633 bis 1636 gestanden hatte (vgl. 11.54 Trunz 1975a, S. 19*). Schon der Titel verweist auf die von Opitz verwendete Strategie: >Salomons Deß Hebreischen Koniges hohes Liedt: Von Martin Opitzen in Teutsche Gesänge gebracht (SHL, S. 7-34). Opitz orientiert sich unverfänglich am Wortsinn und der ursprünglichen Identifizierung des Sprechers mit Salomo. In einer >Vorrede< >An den Lesen sichert er sein genuin humanistisch-philologisches Vorgehen aber zugleich durch Verweis auf die Geschichte der Auslegungstradition ab: Er erwähnt die unterschiedlichen Zuschreibungen der Sprecher-Figuren, auch die »Sulamithinn Abisag«, verwahrt sich aber unter Berufung auf die Interpretationsgeschichte dagegen, daß es sich um ein »Buhlergetichte« handle. Er zählt namentlich vierzehn Ausleger der Alten Kirche (und zwei hebräische) auf (mit dem Zusatz: »der Menge newer Außleger zugeschweigen«; SHL, S. 8f.), und zwar als Beweis dafür, daß es sich beim Hohenlied um eine »viel heiligere und höhere Liebe« handele (SHL, S. 8). Von daher scheint er die von seinen Gewährsmännern entwickelte allegoretische Tradition zu billigen; tatsächlich aber nennt er das Hohelied ein »edles Hochzeitslied« (ebda., S. 9) und wählt bei seiner poetischen Übersetzung als weibliche Sprecherfigur nicht - wie es zum Verständnis eines Hochzeitsgedichtes passen würde Salomos »Gemahlin (eines Pharaos Tochter)« (ebda., S. 8), sondern die (von Salomo nicht geheiratete) »Sulamithinn«. Damit deutet er an, daß er das Hohelied seinem Wortsinn nach als Liebesdichtung versteht, führt im Vorwort aber verschleiernd (und zum Nachweis seiner theologischen Kenntnis) das allegoretische Textverständnis auf: »Die Braut ist ein Hertze das Gott liebet: oder / wie die meisten Meynungen gehen / die außerwehlte Kirche deß Höchsten / das newe Jerusalem / die Versamblung der Gerechten / das heilige Volck / die sieghaffte Konigin / die unser Heylandt Christus / der die Liebe selber ist / also mit jhm vereiniget / daß sie niemand aus seinen Händen reißen kann.« (Ebda., S. 9)
Nach dieser Verbeugung vor der katholischen Deutungstradition kehrt Opitz indes faktisch zur Konzentration auf den Wortsinn zurück: »Ich bin dem rechten Sinne deß allerweisesten Königs / so viel meine Wenigkeit zu thun vermag / nachgegangen / vnd habe mich einer solchen Deutligkeit befließen / die an vielen Orten an statt einer Erklärung seyn kann.« (Ebda.) Statt theologischen Auslegungsstreites setzt der Humanist hier also auf philologische Tugend der Texttreue und -genauigkeit. Und da er sogar einige Übersetzungsfehler der Vulgata und der Lutherbibel stillschweigend korrigiert, vermutet Goebel, Opitz habe eine Polyglotte mit Lesarten des Urtextes benutzt (IV Goebel, S. 114f.). Statt den Text im Bereich des »sensus mysticus« zu harmonisieren, glättet Opitz die Brüche und Unklarheiten der Sprecherwechsel im Bereich des Wortsinns, klärt die Identität der Protagonisten im Textverlauf, teilt ihnen klare, mindestens eine Strophe seiner Übersetzung umfassende Wortanteile zu, >dramatisiert< auf diese Weise das Hohelied und versucht, die Ambivalenz der Sprecherfiguren (Hirt - Sulamith vs. König - Königin) zugunsten der älteren Bedeutung des Hirten und der »Sulamith« zu vereindeutigen.
b) Profanisierung als philologische Diplomatie
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Die Form zeigt insgesamt im Rahmen des mittleren Stils das Spektrum der von Opitz geschaffenen Möglichkeiten. So verwendet er in den ersten fünf Kapiteln eine Strophenform des Hugenottenpsalters, eine relativ einfache, auch in seinen weltlichen Liedern - z. B. in dem in der Einleitung (c-1) zitierten Schäferlied - benutzte sechszeilige stollige Strophe entweder mit Kreuzreim im Aufgesang und Paarreim im zweizeiligen Abgesang (so im >ersten< und >andern Liedtvierdten Liedfunfften Lieddritten Liedvers commun< mit fester Zäsur nach der zweiten Hebung; vgl. BDP, S. 55f.) in Lied sechs und sieben und finden ihre Apotheose im >heroischen< Alexandriner des >achten LiedesHeiligungssensus litteralisLiebeskrankheit< (Hl. 2,5 u. 5,8), »Herzensraub« (Hl. 4,9) oder bei den verwirrenden Liebes-Blicken (Hl. 6,5: »Wende deine Augen von mir; denn sie verwirren mich.«): »Salomon: Ach wende doch mit deinen Augen dich / Von meinen weg / dann sie entzünden mich; Sie martern mich mit Tausent harten quälen Vnd Tausent noch der Augen heiße Stralen.« (SHL, S. 29)
Die ergiebigere, mit der Überlieferungsgeschichte des Hohenliedes gegebene - und längst vor Opitz (auch von Spee in der >Trvtz-Nachtigal< genutzte - Chance zur Verknüpfung mit der Hirtendichtung hat Opitz schon in der >Vorrede< energisch genutzt. Seine Bilder und Vergleiche seien dem ursprünglichen Text entsprechend »vom Felde genommen. Sie verlassen die Statt / bleiben auff den Aeckern / essen in den Gärten / singen vmb das Obst vnnd die Bäume.« (SHL, S. 10) Darin erblickt Opitz »alle Ziehr / Art vnd Eygenschafft der Eclogen oder Hirtengetichte begriffen« und zieht deshalb anhand mehrerer Beispiele den Vergleich zum »Virgilianisehen Corydon« (SHL; S. l Of.) - eine unverfrorene Kühnheit, denn bei >Corydons Liebesklage< handelt es sich um eine homoerotische Beziehung (vgl. II Vergil E, S. 6ff.), die Opitz keineswegs verschweigt (»Der Virgilianische Corydon sucht in der Mittagshitze seinen Alexis...«; SHL, S. 10). Tendenzen zur >Bukolisierung< mit den traditionellen Requisiten des >locus amoenus< durchziehen den ganzen Opitzschen Text und liegen angesichts der Darstellung überwiegend erfüllter Liebe< nahe. So entfaltet sich mehr das Bild eines »weltlichen Arkadiens« als eines >Paradiesgärtleinsmagia naturalis< sowie der weißen und schwarzen Magie glaubwürdig war und wie man sich vor der schwarzen Magie schützen könne, beschäftigten die Gelehrten in hohem Maße. Opitz nutzte seine 1629 verfaßte >Schäfferey von der Nymfen Hercinie< als literarisches Forum zur Diskussion dieser Probleme. 2) Gattungstradition und -innovation: Im Rahmen seiner humanistischen Literaturreform versuchte Opitz, Muster verschiedener, zum großen Teil bereits aus der Antike überlieferter Gattungen in deutscher Sprache nachzuahmen. Mit der >Schäfferey von der Nimfen Hercinie< griff er zwar ebenfalls auf eine antike Gattung, die Bukolik oder Hirtendichtung (von gr. >bukolos< der Rinderhirt) bzw. die Ekloge (gr. >eklegein< auswählen) oder Schäferdichtung nach dem Vorbild THEOKRITS (um 305 - um 250 v. Chr., >EidylliaBucolicaGeorgica< als Lob des Landlebens; vgl. dazu auch Bd. VI/3, S. 352ff.) zurück, doch schuf er mit seiner >Hercinie< zugleich einen neuen Gattungstyp: »eine zwischen Ekloge und Schäferroman angesiedelte pastorale Erzählform, die in der europäischen Tradition kein direktes Vorbild hat« (11.54 Garber 1982, S. 547). Diese neue Gattungsform fand vor allem in Deutschland alsbald viele Nachahmer, denn sie erwies sich als idealer Typ zur gesprächsweisen Erörterung oder lyrischen Darstellung verschiedener - auch alltagsnaher - Themen in unterschiedlicher Stillage (vgl. hierzu 11.54 Forster; Bd. IV/1, Kap. 7). Wie die meisten Hirten- oder Schäfergedichte der Tradition ist auch die >Hercinie< als Gelegenheitsdichtung entstanden, als Huldigung auf Opitz' Gönner Hans Ulrich von Schaffgotsch, einen früheren Parteigänger des >Winterkönigs< Friedrich V. von der Pfalz. Das Haus Schaffgotsch galt »als das reichste grundbesitzende Adelshaus Schlesiens« (11.54 Garber 1982, S. 556) und führte - nomen est omen - ein Schaf im Familienwappen: Diesem Umstand mag die »inventio« für die >Schäfferey< zu verdanken sein (vgl. 11.54 Forster, S. 241). Die politischen Implikationen dieses Huldigungswerkes auf den durch die Gegenreformation in Bedrängnis geratenen Freiherrn, der zur Entstehungszeit der >Hercinie< - wie Opitz selbst - mit der kaiserlich-katholischen Seite paktierte, sich um 1630 aber eng mit Wallenstein verbündete und deshalb 1634 auf Befehl des Kaisers hingerichtet wurde, kann ich hier nicht weiter verfolgen (vgl. dazu 11.54 Garber 1982, S. 555ff.). Doch seien zwei Aspekte hervorgehoben. Zum einen wird in diesem Werk die Natur insgesamt als von Gott harmonisch und zweckmäßig geordneter Kosmos vorgestellt. Die »Welt« wird als »grosser Mensch« bezeichnet (II SNH, S. 416), also als »Makroanthropos«, und damit verweist Opitz auf die Korrelation von Makrokosmos und Mikrokosmos. Die Welt des Menschen und auch die Welt des Adels hat sich in diesen von Gott geordneten Kosmos einzufügen. »Aufgabe des aristokratischen Machthabers ist die Umsetzung der die Natur durchwirkenden Prinzipien in seinem Wirkungsbereich; sein Handeln hat auf die Förderung und den Erhalt einer politisch regulierten, ökonomisch gedeihenden und ästhetisch strukturierten Welt zu zielen.« (11.54 Tschopp, S. 247) »Der herrschaftliche Adel erscheint
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2) Einführung der Liebes-Sprachen (Opitz)
nicht als Usurpator göttlicher Macht, sondern als Repräsentant einer Ordnung, in die er nicht weniger eingebunden ist als die ihm untergebenen Individuen.« Wenn demnach das »dynastische Zentrum« der Schaffgottschen Herrschaft in eine unterirdische Grotte verlegt wird, dann symbolisiert dies die Verbindung des Adelsgeschlechtes mit der Natur, und die Grotte wird als eine Verbindung von Elementen der Natur und ihrer kulturellen Ausstattung dargestellt, als Zeichen für die Grenzüberschreitung von >natura< und >arsunaussprechlichen< Dinge in Geheimriten und Geheimlehren (vgl. III Fauth, Sp. 1534). Als Ideen und Ziele der Mysterien galten u.a. die »teletä« (die Einweihung); »nach Eingang in die Nacht des Todes und Erlebnis unterweltlicher Schrekken Refrigerium (Abkühlung; Wahrzeichen: Quelle, Wassergefäß) und seliges Leben im Jenseits. ... Schau der verborgenen Wahrheit als höchstes metaphysisches Glück« (ebda.). Ein solches Mysterium widerfährt z. B. Aeneas im 6. Gesang der >Aeneisars< und >natura< - die Geschichte des Adelsgeschlechtes ruhmvoll in Stein gehauen ist. Doch darüber hinaus führt die Nymphe ihnen in verschiedenen Höhlen alle möglichen anderen Wunder vor. Opitz entwirft wahrhaft bezaubernde, märchenhafte Phantasiewelten, die von zahlreichen Geistern und Nymphen bewohnt sind (SNH, S. 426). 5) Zum Realitätscharakter der schwarzen Magie: Solche märchenhaften Passagen scheinen auch in ihren Bezügen zur antiken Mythologie nur gelehrtes Bildungsgut und reine Fiktion zu sein, und dies auch im Blick auf die orthodoxe Mythologiekritik und Opitz' diesbezügliche Rückversicherungen in der >PoetereyHercinie< gibt. Dazu gehört ferner die in den Katakomben des Riesengebirges in Stein gehauene Würdigung des Hauses Schaffgotsch: Wäre der Inhalt der Tafeln aus zeitgenössischer Sicht als unglaubhaft erschienen, hätte Opitz natürlich das Gegenteil seiner poetischen Huldigung erreicht. Interessanterweise verschärft Opitz aber im Verlauf der >Hercinie< das Realitätsproblem seines Textes, indem er es einerseits aus dem - am ehesten allegorisch wirkenden Bezug zur klassischen Antike löst und ganz in die heimische schlesische Geisterwelt hinüberspielt und indem er andererseits die Zweifel an der Wahrheit des poetisch Dargestellten in der Erzählung selbst diskutieren läßt. Dazu die folgenden Hinweise. - Gegen Ende ihrer Bergführung rührt Hercinie, die sich als guter NaturGeist erwiesen hat, sogar noch an die Sphäre des Dämonischen und leitet damit zur zweiten »Gemüths«-Probe der Freunde über. Denn sie zeigt ihnen in einer schwefelvollen Kluft »zweene mächtige Giganten«, die sich (wie der Teufel) »an dem Himmel zu vergreiffen vnterstanden / vnd von den Gottern vnd' (= unter) diese Klüfften sind verstossen worden.« Der Schwefel verweist auf Blitz und Donner, »darmit sie Jupiter hat herab gestürtzt.« Das ist eine Parallelgeschichte zum Aufstand Luzifers gegen Gott. (Ebda., S. 442f.) Hierauf verschwindet Hercinie, und die vier HirtenHumanisten finden sich unversehens auf der anderen Seite des Gebirges in einem Gefilde, das ihnen »etwaß selßam (!) furkam«, vor allem, »als sich bey so lieblichem Wetter dennoch ein Dunner Schnee sehen ließ / der aber auff der Erden also bald zu Tawe vnd Wasser ward« (ebda., S. 443): Schnee im Sommer, das war ein untrügliches Anzeichen für ein Hexenwetter, und unverhofft stößt das Quartett auf folgendes, in einen Lindenbaum eingeschnittenes Gelübde: »Du Geist der du allhier bewohnst den Oden Plan / Du seyst auch wer du wilt / wann ich vollbringen kan Was mein Gemfithe sucht durch deine Kunst vnd Rath / So wil ich allhier an dieser grünen Stadt Erhohen ein Altar / darauff zur Danckbarkeit Ein Opffer das du liebst soll brennen jederzeit. Du Riesen Herr / du Artzt / du Berggott / komm herffir; Der jene so dich ehrt erwartet deiner hier.« (Ebda., S. 443)
Ob dieser Geister-Beschwörungsverse entspinnt sich nun ein Disput zwischen den gelehrten Freunden über den angerufenen Berggott, nämlich Rübezahl, den Herrn des Riesengebirges, dessen Existenz als Geist überhaupt und dessen Qualifikation als guter oder böser Geist unter den Gelehrten der Zeit umstritten waren. Nüßler, Venator und Opitz selbst äußern vorsichtig-ironische Zweifel an Rübezahls Existenz, doch Augustus Buchner verteidigt die Gegenwärtigkeit des Berggeistes vehement, ausführlich und mit allerlei Beispielen auch aus der natürlichen Magie (ebda.,
c) Natürliche gegen schwarze Magie
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S. 446f.). Venator, dem diese Argumentation offenkundig nicht ganz »geheuer« und damit unvernünftig vorkommt, versucht zu spotten. Doch Buchner insistiert auf der Wahrscheinlichkeit solcher Magie und erklärt zur Existenz Rübezahls: »... von ändern Gespensten redet die ganze Welt / vnnd von diesem viel Leut hierumb wohnen; die jhn zu weilen in Form eines schonen Rosses / einer Kröten / eines Rabens / einer Nachteule / eines Bergmännlins / eines Munches vnnd dergleichen gesehen haben. Eines Munches? sagt Venator. Warumb nicht / gibt Buchner zur Antwort? Pflegt sich nicht der Teuffei in einen Engel deß Liechts zu verkehren / vnd hast du nie gehört / daß er dem heiligen Martin in Gestalt deß Heylands der Welt erschienen sey?« (Ebda., S. 446)
Buchners Antwort wird hier in zweifacher Weise beglaubigt. Der erste Teil seiner Replik erweist sich als nahezu wörtliche Übernahme aus einer gelehrten historischen Darstellung, der >Hirschbergischen Warmen Bades ... Beschreibung< (Görlitz 1607) von Caspar Schwenckfeldt, worin es heißt: »Hieher (= zu den zahmen Geistern) mag man auch rechnen den Riebenzahl welcher sich viel mal in mancherley gestalt hat sehen lassen jetzt als ein Bergmännlein .,. bald als ein Mönch/ bißweilen als ein schön Roß / zuzeiten als ein große Kröte / oder Puhuy (= Nachteule) und dergleichen mehr.« (Zit. in: 11.54 Forster, S. 245) Mit dem zweiten Argument, dem Hinweis auf die Verwandlung des Teufels in einen Engel des Lichts, greift Buchner dezidiert auf die Bibel zurück, die für Anhänger und Gegner des Hexenwahns (und der schwarzen Magie!) als höchste Autorität herangezogen wurde. »Der Teufel«, erklärt z. B. Friedrich von SPEE (1591-1635) in seiner >Cautio criminalisHexenhammer< keineswegs widerlegen, in dem Sprenger und Institoris sich natürlich auch die Geschichte von Jesu Versuchung durch den Satan nicht hatten entgehen lassen (vgl. Matth. 4, 1-11): »Und um mit heiliger Scheu zu reden: hob nicht der Teufel unseren Heiland hoch und entführte ihn und stellte ihn hierhin und dorthin, wie das Evangelium bestätigt?« (II Sprenger/ Institoris II, S. 46) Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie schwer es in jener magie- und bibelgläubigen Epoche fallen mußte, das Bollwerk des Teufels-, Dämonen- und Hexenglaubens zu widerlegen. Denn auch die Erfahrung - etwa der Bergbewohner, auf deren Zeugenschaft sich Buchner ja jedenfalls beruft -, war von dem Glauben an die Magie bestimmt und deshalb als Korrektiv dazu ganz untauglich. Raffiniert hat Opitz damit seine heidnische Nymphen-Geschichte, ohne sie zu allegorisieren, mit der biblisch-theologischen Begründung Buchners in theologisches Fahrwasser gelenkt. Die drei Freunde widersprechen Buchner denn auch nicht länger und akzeptieren seine Erklärung, warum der teuflische Rübezahl gerade »vmb diese Felsen vnnd tunckele Holen seinen Wohnplatz haben« soll: »Er ist / antwortet Buchner / ein Vatter der Trawrigkeit / vnd bezeuget solches mit den EinOden trawrigen Ortern / da er zu nisten pfleget.« (S. 446)
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2) Einführung der Liebes-Sprachen (Opitz)
6) Die Hexenszene - Beglaubigung und Bekämpfung der schwarzen Magie: Als geradezu plakative Bestätigung der Buchnerschen Position muß es wirken, daß das Quartett im unmittelbaren Anschluß an seinen Geisterdisput zu unfreiwilligen Zeugen einer Teufelsbeschwörung wird, die Opitz nach allen Regeln der schwarzen Magie und des Hexenglaubens inszeniert. Dabei handelt es sich um die vom >Hexenharnmen als erste genannte, durch Dämonen und Hexen verursachte Schadensart, nämlich darum, »daß sie die Herzen der Menschen zu außergewöhnlicher Liebe etc. verändern« (II Sprenger/Institoris I, S. 107). Dies trifft hier auf eine Jungfrau zu, die aus Verzweiflung darüber, daß der Auserwählte ihre heftige Zuneigung nicht erwidert, anfällig wird für die schwarze Magie und offenbar eine Hexe um einen Liebeszauber bittet (eine analoge Geschichte bestimmt auch die Handlung von Gryphius' Trauerspiel >Cardenio und CelindeHercinie< nicht der zwischenzeitlich artikulierte Zweifel am Hexenglauben, sondern dieser selbst das letzte Wort. Gewiß handelt es sich bei der Schilderung der Hexenbeschwörung um eine darstellerische Fiktion, aber diese gewinnt ihren Reiz nicht durch den Entwurf einer unglaublichen Welt reiner Phantasie, sondern durch die nachahmende Erfindung einer im zeitgenössischen Kontext als Realität beglaubigten Handlung. So sieht es offenbar Opitz selbst, wenn er die Funktion der Poesie u. a. darin erblickt, den Menschen mit solchen »Sachen« Vergnügen zu bereiten, die sie in der Realität »zue sehen nicht begehren«: »Es sehen aber die menschen nicht allein die sachen gerne / welche an sich selber eine ergetzung haben; als schone Wiesen / Berge / Felde / flüße / ziehrlich Weibesvolck vnd dergleichen: sondern sie hören auch die dinge mit lust erzehlen / welche sie doch zue sehen nicht begehren; als wie Hercules seine Kinder ermordet / wie Dido sich selber entleibet / wie die Städte in den brandt gesteckt werden / wie die pest gantze Länder durchwütet / vnd was sonsten mehr bei den Poeten zue finden ist. Dienet also dieses alles zue vberredung vnd vnterricht auch ergetzung der Leute; welches der Poeterey vornemster zweck ist.« (II BDP, S. 19)
Gerade weil sich die Dichter in der Zeit des Konfessionalismus verstärkt dem alten Vorwurf des Lügens ausgesetzt sahen (vgl. BDP, S. 16), sollten sie nach Opitz neben dem Vergnügen - in diesem Falle also der Evokation eines »angenehmen Grauens« vor dem Hexenzauber - auch der Belehrung dienen, und deshalb will er auch in diesem Werk »erweisen / daß ein Hirt mehr als weyden / vnd ein Poet mehr als lögen kann.« (SNH, S. 447) Und die Belehrung bestand in unserem Beispiel weniger in der Vermittlung von Einzelheiten des Zauberns, als vielmehr in der persuasiven Botschaft, sich auf den Umgang mit solchen Liebeszauber-Praktiken erst gar nicht einzulassen. Heilmittel gegen die krankmachende Liebe hatten die Freunde ja bereits in ihrem Eingangsgespräch erörtert. Wie in einer Kreiskomposition kehrt die >Hercinie< nach der unkommentiert gebliebenen Hexenszene zu diesen Eingangsgedanken zurück. Opitz spricht die Lehre selbst unzweideutig aus, und zwar mit den Strophen des nachfolgenden, von ihm gesungenen Schäferliedes, das sich erkennbar als neuplatonische Kontrafaktur der schwarzen Liebes-Magie zu erkennen gibt: »Meine Frewde die mich bindet Ist der List vnd Krauter frey; Zwar sie hat mich angezündet / Doch ohn alle Zauberey:
c) Natürliche gegen schwarze Magie
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Daß mein Sinn sich jhr ergiebt / KOmpt daher weil sie mich liebt. Diese Circe hat beysammen Ihrer Augen Plitz vnd Glantz / Deß Gesichtes helle Flammen Das mir meines nicht lest ganz: Jhre Worter die sie weiß Nemen aller Kunst den Preiß. Jhre Ziehr darff nichts begehren Was man sonst zu Hfilffe rufft / Darff den Monden nicht beschweren / Rath nicht suchen bey der Lufft: Lufft vnd Monden darff nicht seyn / Wo schon ist jhr Tageschein. Welchem nicht zu Hertzen steigen Dieser Wangen Milch vnd Blut / Dieses reden / dieses schweigen / Diese Jugend / dieser Muth Der mir meinen Muth zerbricht / Den bekehrt kein Zaubern nicht. (SNH, S. 453f.)
Das Lied setzt der mit dem Fachbegriff der Zauberei bezeichneten schwarzen Magie den Liebes-Zauber der neuplatonischen Eros-Sympathie entgegen. Immerhin ist die Geliebte eine »Circe«, die sich aller Ingredienzien einer natürlichen Liebes-Magie zu bedienen weiß; so des Augenzaubers, den Ficino ausführlich beschreibt: Der von der Fülle und Liebe des göttlichen Vaters ausgehende »Lichtstrahl der Schönheit« teilt sich den Liebenden mit: »Aus diesem schönen Körper leuchtet er dann hervor, und zwar besonders aus den Augen wie aus durchsichtigen Fenstern. Sogleich durcheilt er die Luft, dringt in die Augen des ihn Anschauenden ein, trifft die Seele und entzündet in ihr das Verlangen.« (II Ficino L, S. 241; vgl. auch ausführlich ebda., S. 323ff.). Auch die von Opitz erwähnten »Worter die sie weiß« sind im Gegensatz zu den von der Hexe benutzten Zauberformeln der schwarzen Magie ihrem rhetorischen Können entsprungen und daher begeisternde Verse oder Gesänge (vgl. ebda., S. 247). »Darum besteht kein Zweifel daran, daß Eros ein Zauberer ist; denn alle magischen Kräfte beruhen auf der Liebe, und das Wirken des Liebesgottes vollzieht sich gewissermaßen durch Zauberblicke, Zaubersprüche und Zaubertränke.« (Ebda.) Deshalb aber auch bedarf die Schönheit und »Zier« der Geliebten keiner Beschwörung der Gestirne und Elemente: der »Tagesschein« ihrer »natürlichen« Magie ist dem schwarzen Mond-Zauber bei weitem überlegen. Wer sich also nicht durch den Liebreiz ihrer Schönheit bezaubern läßt, dem hilft auch kein Hexenwerk: Das ist die vernünftige und persuasive Botschaft dieses Gedichts, das Beelzebub mit Zoroaster bzw. die schwarze Magie mit der natürlichen auszutreiben sucht. Aber eben dies zeigt auch die Grenzen der humanistischen Position von Opitz: Als Neuplatoniker und Gefolgsmann Ficinos war er außerstande, die schwarze Magie zu widerlegen. Er beschrieb sie, um in der Evokation des »angenehmen Grauens« zugleich vor ihr zu warnen. Aber er bot zugleich mit der Darstellung auch der Phantasie und der >memoria< nicht ungefährlichen Zünd-Stoff.
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3) Liebes-Dienste >bei Gelegenheit< (Dach)
a)
»Reime sind in dieser Welt / Das worzu mich GOtt bestellt« Biographie und Wirkungsgeschichte
Zur
1) Zu Werkausgaben und Rezeption: Simon DACH (1605-1659; vgl. Abb. 2, ein Kupferstich nach einem 1944 in Königsberg durch Bomben zerstörten Ölgemälde; in: III Bircher, S. 56) ist einer der bekanntesten und fleißigsten Gelegenheitsdichter des 17. Jahrhunderts (zur Casualpoesie vgl. Bd. IV/1, Kap. 2 d-1). Neben 259 lateinischen, nie gesammelt veröffentlichten Poemen (vgl. die Übersichten in II Dach Z II, S. 344ff.; Z IV, S. 507ff.), die er selbst als Königsberger Poesieprofessor auf bedeutende Anlässe in Universität, Stadt und am Hofe verfaßt hat, schrieb er rund 1250 deutsche Gedichte auf Bestellung:. »778 der namentlich adressierten Gelegenheitsgedichte Dachs sind an Bürgerliche, 179 an Angehörige des Adels gerichtet«, weitere 74 Texte an Angehörige des kurfürstlichen Hauses (11.16 Schöne, S. 46). Dach selbst traf aber offensichtlich keine Anstalten zu einer Ausgabe seiner Lyrik. Die meisten seiner Gelegenheitscarmina sind nur in kleiner Stückzahl zum jeweiligen Anlaß gedruckt und verteilt worden. Viele dürften deshalb als verloren gelten. Dachs Berühmtheit begann mit der Aufnahme von rund 120 seiner «angbarem weltlichen und geistlichen Lieder in die zwischen 1638 und 1650 erschienenen acht Foliohefte der >Arien< des Königsberger Domorganisten Heinrich ALBERT (1604-1651), versehen mit dessen Melodien. Diese Sammlung erlebte zahlreiche Auflagen und auch unerlaubte Raub- bzw. Nachdrucke (die heute als Reprint zugängliche Ausgabe von Ambrosius -a. r ,
Abb. 2
druck zurück; vgl. II Albert; vgl. dazu 11.16 Kelletat, S. 362f.). Etwa 40 sei-
Zur Biographie und Wirkungsgeschichte
81
ner geistlichen Lieder (meist Sterbelieder) fanden Eingang in die Gesangbücher (vgl. IV Scheitler, S. 206ff.; vgl. dazu Abschnitt b). Dachs Erben veranstalteten 1680 (zum vierzigjährigen Regierungsjubiläum des Großen Kurfürsten) eine Ausgabe mit seinen Gedichten und Liedern auf das Haus Brandenburg (>Churbrandenburgische Rose, Adler, Löw und ScepterFünfften Theil< der >Neukirchschen Sammlung< (1705), in dem 29 seiner (schon aus Alberts >Arien< bekannten) Lieder nochmals abgedruckt wurden (vgl. I Hoffrn. V, S. 41-83, 303-319, 396-406). Eine Sammlung von Originaldrucken seiner >Carminaliedhaften< Gedichte - modernem Geschmack gemäß bevorzugende Auswahlband >Simon Dach und der Königsberger Kreis< des Ostpreußen Alfred Kelletat (II K). Er enthält auch eine Reihe wohlwollender >Dokumente zur Wirkungsgeschichte< von Heinrich Albert bis zu den ostpreußischen Dichtern Oskar Loerke und Johannes Bobrowski sowie zum gebürtigen Danziger Günter Grass (ebda., S. 315ff.), die den lyrikgeschichtlichen Geschmackswandel und die gleichbleibende Hochschätzung des Königsberger Poesieprofessors verdeutlichen: So stufen die Rezipienten ihn zunächst noch unter dem für die Aufklärung abschreckenden Eindruck des >barocken ManierismusGelegenheitenmusikalischen Helicon< des Freundeskreises.
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3) Liebes-Dienste >bei Gelegenheit< (Dach)
2) Ein Leben in der Provinz: Simon Dach wurde in Memel als Sohn eines gering besoldeten Gerichtsdolmetschers geboren (vgl. dazu auch 11.16 Segebrecht 1984, S. 247ff.). Eine Schwester der Mutter ermöglichte dem Vierzehnjährigen den Besuch der angesehenen Domschule in Königsberg. Nach kurzen Aufenthalten in Wittenberg (als Reisebegleiter) und in Magdeburg (bei Verwandten) kehrte er wegen Pestund Kriegsgefahr, ohne mehr von Deutschland und Europa gesehen zu haben, als Zwanzigjähriger für immer in seine ostpreußische Heimat zurück: »Mein VaterGut war schlecht, sonst war auch ich gezogen / Dem weisen Leiden zu«, bedauert Dach selbst in seinem autobiographischen Dankgedicht an seinen gelehrten Förderer und weitgereisten Freund Robert ROBERTIN (1600-1648) diesen etwas provinziellen Lebenszuschnitt (II Dach K, S. 81). Als Student der Theologie 1626 (wenige Tage nach Heinrich Albert) immatrikuliert, interessierte er sich offenbar mehr für klassische Sprachen, Rhetorik und Poesie (vgl. 11.16 Mache, S. 505). Ohne zuvor einen förmlichen Studienabschluß erreicht zu haben, wurde er 1633 als Lateinlehrer an der Königsberger Domschule angestellt, drei Jahre später deren Konrektor, nach drei weiteren Jahren - im Sommer 1639 auf Empfehlung Robertins und unter dem Eindruck »geschickt lancierter Gratulationsgedichte für den Kurfürsten und Kronprinzen« (11.16 Mache, S. 506; vgl. II Z II, S. 146ff., Nr. 105; 155f., Nr. 106) gegen den Widerstand der Universität auf allergnädigsten Befehl des Landesherrn zum Professor der Poesie an der Universität Königsberg ernannt (vgl. 11.16 Schöne, S. 48f.). 1640 erfolgte die Promotion zum Magister; bei der Disputation verteidigte Dach u. a. die These, »daß ein Gedicht nur rein und ohne Obszönität sein könnte und daß schamlose Darstellungen nicht Dichtung genannt werden dürften.« (11.16 Kelletat, S. 344; vgl. den Wortlaut in Z II, S. 341 ff.). Im Jahr darauf heiratete Dach Regina Pohl, die Tochter eines Juristen am Hofgericht (vgl. Z II, S. 362f.). Fünfmal übernahm er das Dekanat, 1656 war er Rektor der Universität. 3) »Reime« als »Gewerb' und Handel« (K, S. 126): Mit Dachs Lehrtätigkeit an der Domschule begann auch seine Karriere als Gelegenheitspoet. Wie in ganz Deutschland üblich wurden auch die Lehrer an der Domschule sehr schlecht bezahlt (ein Teil des Gehalts bestand aus Naturalien). Daher waren die neun Erzieher der Anstalt unbedingt auf Nebeneinkünfte angewiesen. Zusammen mit den Pauperknaben der Schule, die für den ihnen gewährten freien Unterricht der Kirche, welcher die Anstalt unterstand, und der Schule selbst Dienste zu leisten hatten und den Kirchenchor bildeten, begleiteten sie deshalb die Leichenbegängnisse und verfertigten als Auftragsarbeiten und gegen ein Entgelt Gedichte auf die Verstorbenen (Leichencarmina oder Epicedien; vgl. dazu 11.16 Schöne, S. 48f.; vgl. auch die Leipziger Situation Paul Flemings; Kap. 4 a). Simon Dach erwies sich als besonders begabter und deshalb gefragter Poet, den freilich auch Aufträge zu allen möglichen anderen Gelegenheiten - vor allem auch zu Hochzeiten - aus Adel und gehobenem Bürgertum der Stadt erreichten (den unteren Schichten war die Nutzung der Casualdichtung behördlich untersagt; vgl. 11.16 Schöne, S. 47). Dach klagte in seinen Gedichten über die Menge der Bitten, die ihn neben der normalen Berufstätigkeit noch zu einer nächtlichen Fließbandproduktion im Verseschmieden nötigten (was freilich auch seine eigene Unentbehrlichkeit bei solchen Anlässen unterstrich und den >Marktwert
bei Gelegenheit Bitt-Gedichte um eine Lieferung Holz, ein Stipendium für seinen Sohn oder um ein Schaf (vgl. K, S. 113ff.). Hauptsächlich aber hat er wohl für seine Gedichte bares Geld eingenommen, ja offenkundig erschrieb er sich mit seiner Verseschmiederei ein kleines Vermögen. Denn als er 1650 für 3 000 Mark Grundbesitz erwarb (einen Garten mit Speicher), da konnte er dies Geld nicht von seinem Professorensalär erspart haben, das lediglich aus 100 Talern Jahresgrundgehalt bestand (hinzu kam noch einmal die doppelte Summe als kurfürstliches »Gnadengeld« seit 1644; das waren zusammen umgerechnet etwa 1000 Mark; vgl. 11.16. Schöne, S. 55f.). Eine Summe von drei Jahresgehältern hätte der Familienvater Dach aber nicht in den wenigen Amtsjahren nur aus seiner Professorenstelle ersparen können. Überdies hatte er häufig Anlaß, sich auch in seinen Gedichten über die schlechte Zahlungsmoral seiner Dienstbehörde (vgl. z. B. Z I, S. 170f.) und über seine Schulden zu beklagen und um Unterstützung zu bitten (vgl. Z I, S. 290, 292f.). Immerhin gewährte ihm der Rat des Kneipphofs, dessen Mitglieder zur Hälfte studiert hatten und den öffentlichen >MarktDank-Reime< in K, S. 65ff.). Insgesamt aber war für Dach und seine Stadt die Lage drückend. Zwar blieb Königsberg vom Dreißigjährigen Krieg unmittelbar verschont, und deshalb wies die Universität wegen der vielen Flüchtlinge aus dem Reich mit fast 400 Inskriptionen (1641) »die mit Abstand höchste Studentenzahl im Reich« auf (an zweiter Stelle lag Leipzig mit 290 Studierenden; vgl. 11.16 Schöne, S. 38), dennoch blieben der schwedisch-polnische Krieg (1621-1635; 1626 Landung der schwedischen Flotte unter Gustav Adolf in Pillau und Forderung einer Neutralitätserklärung von Königsberg) sowie das schwedische Vormachtstreben im Ostseeraum eine ständige Bedrohung. Im
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3) Liebes-Dienste >bei Gelegenheit (Dach)
Zusammenhang damit verschlechterte sich gleichzeitig die wirtschaftliche Lage der Stadt. Mit Beginn der 30er Jahre gingen wegen erhöhter Zölle der Schiffsverkehr und damit die Einnahmen aus dem Hafen rapide zurück (vgl. ebda., S. 33f.), vom Großen Kurfürsten geduldete und vor der Stadt angesiedelte calvinistische Großhändler, die der fürstlichen Kasse zugleich Kredite verschafften, bedrohten die alteingesessene Wirtschaft und die Ordnung der Zünfte, in der Universität bekämpften sich die Landsmannschaften, in der Theologischen Fakultät und in den Kirchen die Konfessionen, wobei auch innerhalb der Lutheraner der Streit zwischen Orthodoxen und den Anhängern des friedfertigen Helmstädters Georg Calixt wütete (vgl. dazu Bd. IV/1, Kap. l b-2; 11.16 Schöne, S. 38; zum Calvinismus vgl. Abschnitt c). Und die Pest grassierte periodisch in Königsberg (wie auch andernorts vor allem in Preußen): »1601/02 10000 Tote in Königsberg, 1620 11425, 1629 4113, 1639 1262 Tote, und so geht das weiter« (11.16 Schöne, S. 35). So stellte Dach denn auch resigniert fest: »Ich fodder' auch zwar viel mit Recht, Es fällt in tieffen Keller, Bey Pest=Zeit ist die Nahrung schlecht, Man zahlt schier keinen Heller.« (Z II, S. 27; vgl. auch Z IV, S. 492f.)
4) Krankheit und Schwermut: Schon ab dem vierzigsten Lebensjahr begann Dach in seinen Gedichten über nachlassende Arbeitskraft und schleichende Auszehrung zu klagen (vgl. K, S. 88). Attacken von nächtlicher »Engbrüstigkeit« und Atemnot verdanken wir einige autobiographische Gedichte (so das Sonett >Anno 1647 des Nachts, da ich vor Engbrüstigkeit nicht schlaffen können, auff dem Bette gemacht24. Dezember 1647Amtes< seien nur noch die >GrabgedichteWinterkönigs< Friedrich V. von der Pfalz, verstrickt in den KlevischJülischen Erbfolgestreit und bedroht von der Eroberung Pommerns durch Gustav Adolf, schloß einen Separatvertrag mit Schweden und suchte sich im schwedischpolnischen Krieg neutral zu halten. Seit 1638 weilte er verstärkt in Königsberg, wo er auch 1640 starb und 1642 beigesetzt wurde. Er setzte deshalb die poetische Feder Dachs öfter in Bewegung. Sein Sohn FRIEDRICH WILHELM (1620-1688), der sog. >Große KurfürstLogesang JESU CHRISTI wegen seiner Sieg- und Freudenreichen Aufferstehung von den Todtem (Z III, S. 435-459) zu Ehren der Gemahlin des Kurfürsten, viele Heiden (darunter Ovid!) seien angesichts der Ungerechtigkeit in der Welt Atheisten geblieben, der Glaube an die Auferstehung Christi ermögliche aber nun zugleich den Glauben an die göttliche Vergeltung für begangenes Unrecht und entziehe dem Atheismus damit sein Fundament. In diesem allgemein-christlichen Zusammenhang folgt der Dank des Dichters für die Ermunterung zum Schreiben solcher christlicher Lieder und dann eine Ergebenheitserklärung, die das kurfürstliche Haus als Anerkennung seines Bekenntnisses lesen konnte, obschon Dach nur dessen »Christlichkeit« betont: »deßwegen dann ich mein liebes Vaterland überaus glückselig schätze, daß es GOtt mit so Christlicher Herrschaft versehen.« (Ebda., S. 436)
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3) Liebes-Dienste >bei Gelegenheit< (Dach)
Im übrigen durchziehen Dachs Hof- und Festdichtungen nachdrückliche, keineswegs unpolitische Appelle zum friedlichen Miteinander aller (Kriegs-)Parteien. Was Dach in der Schlußstrophe seines bekanntesten >Volkslieds< >Anke van Tharaw< im Blick auf die Einheit der Partner in Liebe und Treue resümiert, war für ihn auch Maxime im gesellschaftlichen und politischen Handeln: »Dit mahckt dat Lewen torn Hämmlischen Rihk, / Dörch Zancken wart et der Hellen gelihk.« (K, S. 14; zur Diskussion um Dachs Autorschaft an diesem Epithalamium und zu dessen Aufnahme in Herders Volkslied-Sammlung vgl. Z II, S. 393f.; 11.16 Kelletat, S. 383ff.; Bd. VI/2, S. 248) Der Große Kurfürst, so wird berichtet, »liebete den Dachen dermassen, daß er viele seiner Verse auswendig kunte, auch niemahlen in Königsberg eintraff, daß er den Dachen nicht hätte sollen mit seiner Pohlin (=Regina Dach geb. Pohl) nach Hofe hohlen lassen.« (Zit. in 11.16 Schöne, S. 45f.). Und Dach selbst bestätigte: »Mein ChurFürst, sagt man mir durch gründlichen Bericht, / Erkennt, ob ich ein Lied geschrieben oder nicht, / So kündig bin ich Jhm.« (Z II, S. 186f.) 2) Dach als Hof-Poet: Ohne förmlich dazu bestellt zu sein, war Dach doch faktisch zeitlebens - mit 74 Texten an die Mitglieder des Hauses Brandenburg (vgl. 11.16 Schöne, S. 46) - der preußische Hofpoet, der bei entsprechenden Anlässen - u. a. bei allen Geburtstagen des Kurfürsten - die dichterischen Honneurs zu machen hatte. Diese nutzte er geschickt zur Stärkung der eigenen Position, indem er z. B. anläßlich des kurfürstlichen Geburtstages 1652 alle damals noch unzusammenhängenden Territorien des kurfürstlichen Herrschaftsgebietes, das von der polnischen bis zur niederländischen Grenze reichte, als Schall-Raum der eigenen Gratulation nutzte: »Hört, O Spree und Oder, mich, Hör, O Elbe, mich von weiten, Und du Rein=Strom sonderlich, Hör die Anmuth meiner Seiten, Was in Cleve sich eräugt Werde meinem Spiel geneigt, [...] Daß ich diesen wehrten Tag, Wie gebührt, begehen mag.« (Z II, S. 224; vgl. auch 11.16 Segebrecht 1984, S. 243)
Wie auch dies Beispiel zeigt, verzichtet er aber zumeist in diesen Liedern und Gedichten auf den Pomp des »großen Stils«. »Es sind Gedichte, die das barocke Fürstenlob zuweilen in naiv-vertrauliche Töne transponieren.« (11.16 Kelletat, S. 298) Noch kurz vor Dachs Tod erfüllte Friedrich Wilhelm die mehrfache Bitte Dachs und schenkte ihm ein kleines Gut im Samland. In seiner >unterthänigsten letzten FlehSchriffK (vgl. dazu 11.16 Segebrecht 1988) hatte Dach zuvor selbstbewußt auf seine poetischen Leistungen zum Ruhme des Hauses Brandenburg verwiesen (»Hab' ich mit berühmter Zungen / Deinem Haus und Dir gesungen, / Was kein Rost der Zeit verzehrt«) und die eigene Bedeutung als Dichter Preußens hervorgehoben: »Phöbus ist bei mir daheime. / Diese Kunst der Deutschen Reime / Lernet Preußen erst von mir.« (K, S. 152) Drei weitere Beispiele mögen diese poetische Öffentlichkeitsarbeit Dachs kurz illustrieren. Das erste gilt jenem Ereignis, dem er seine >Lebenszeitstellung< an der
b) »Süße Harmonie«: Hof- und Fest-Dichtung
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Universität wesentlich mitverdankt, dem Huldigungs-Gedicht, als die kurfürstliche Familie - Georg Wilhelm mit Sohn Friedrich Wilhelm und weiblicher Begleitung »hieselbst in Königsberg den 23sten HerbstM. 1638. erfreulichst einkahm« (G II, S. 146-155, Nr. 105). Zur angemessenen poetischen Bewältigung des festlichen Anlasses folgte Dach einem damals weit verbreiteten Brauch, er belebte und personifizierte nämlich die ganze ostpreußische Landschaft, deren Grußbotschaften in narrativen Alexandrinerpassagen >referiert< werden, und rief die Mythologie zu Hilfe: Die drei Damen des hohen Hauses ließ er als Juno, Minerva und Clio selbst auftreten und in strophisch abgesetzten, also liedhaften Passagen auch sprechen. Ein artiger Einfall, der freilich im Blick auf die vor allem der Juno angelasteten Schandtaten auch nicht ohne Tücke war. Dach meistert dies Problem, indem er die Landesmutter fragt: »Was aber hat man Dich für Juno angesehn? Verzeyh', O unser Liecht, was dießfals ist geschehn. Dein Ansehn, so an Dir nur himmlisch sich eräuget, Jst dieses Jrrthums Schuldt. Zwar Juno hat gezeuget Den grimmen Bluthundt Mars, Du bringst an dieses Liecht Den Herren, der uns Huld und Freundlichkeit verspricht, Die Du Jhm angeerbt, ... ... Durch Haß und wilden Brandt Hat Juno, wie man weiß, viel Länder umbgewandt Und auff den Grundt zerstört, durch Langmut Deiner Sinnen Und grosse Liebe wird viel feindliches Beginnen, O Fürstinn, eingestellt, Dein Wunsch ist fort und fort Nur Glück und guter Standt, ...« (Z II, S. 150f.)
Da wird die »Göttermutter« also vorsichtshalber zur negativen Folie, vor der sich die Eigenschaften der Landesmutter um so herrlicher hervorkehren lassen: Dies erst ist die Pointe. Die mythologische »Verwechslung« dient nur als Vorwand und geschicktes Mittel der Lobrede. Damit hat Dach der - bei der Feierlichkeit anwesenden - Orthodoxie und zugleich dem hohen Stil der Poesie Genüge getan. Daß er sich hier (als kleiner Schulmann eigentlich unbescheiden) auch mit Opitz vergleicht und diesem bescheiden den Vortritt läßt (ebda., S. 151), stellte sich angesichts seiner alsbaldigen Berufung zum Poesieprofessor als gelungener Schachzug heraus. 3) Singspiele: Als Anlaßdichtungen entstanden auch zwei dramatische Singspiele. Das erste >CleomedesArien< verlorenen) Musik von Heinrich Albert beim Besuch des polnischen Königs (und katholischen Lehnsherrn) Wladislaw IV. (1595-1648) in Königsberg aufgeführt, der seit 1632 regierte, sich mit Russen und Türken im Kriegszustand befand und aus Anlaß seines Besuches von den Königsbergern den Huldigungs- Eid forderte (vgl. Z II, S. 281-310; 11.16 Kelletat, S. 372). Dach meistert die heikle politische Konstellation, indem er sein Singspiel als Friedensbotschaft und -prophetic nutzt. Schon im Prolog verkündet >Mercurius< mit der Autorität des Himmelsboten, Mars sei vor dem kühnen, tugendhaften Helden Cleomedes (al. Wladislaw) erschrocken und habe seine Waffen niedergelegt (Z II, S. 282). In fünf Akten wird dann in der Staffage eines Hirtenspiels und mit Hilfe der Personifikation be-
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3) Liebes-Dienste >bei Gelegenheit< (Dach)
nachbarter Länder die Geschichte Polens in geraffter Form dargestellt, wobei sich inmitten verschiedener kriegerischer Aktivitäten die Liebe zwischen dem Held Cleomedes und seiner Venda (der Krone Polens) entwickelt. Und diese vom Chor der Hirten eifrig kommentierte Liaison enthält denn auch die entscheidende Botschaft: »Schlacht und Streit jagt Schrecken ein, / Liebe kömpt durch gütig seyn.« Daraus folgt die Lehre für die anwesenden Regenten: »Mit der süßen Güte Kunst / Kriegt man aller Menschen Gunst.« (Ebda., S. 290) So kann Venda zum Schluß ihren Cleomedes rühmen: »Er hat dem wilden Krieges=Schwer dt / Das auf uns Arme drang, gewehrt« und Cleomedes zum Dank den »grünen Lorbeer=Krantz« »zu seinen Füssen« niederlegen (ebda., S. 309), und die Hirten jubilieren im Schlußchor: »Edler Friede, Gold der Zeiten, Vater aller Fruchtbarkeiten,...« (ebda.). Im selben Jahr noch schloß Wladislaw dann tatsächlich mit Schweden den Frieden von Stuhmsdorf. Vom zweiten Singspiel >Sorbusia (Prussiarchus)< hat sich leider nur der >Theaterzettek mit den Inhaltsangaben der fünf Akte, aber auch mit dem Wortlaut der jeweiligen Schlußchöre, erhalten (Z II, S. 311-318). Das Spiel feierte - wieder in der musikalischen Komposition Alberts - im September 1644 im Auditorium Maximum das hundertjährige Bestehen der Königsberger Universität mit einer Darstellung der Kolonisierung Sorbusias (= Preußens) und dem Heimischwerden der Musen auf dem Königs-Berg (vgl. Z II, S. 311-318). Hier spielte offenbar die Inszenierung böser Magie eine wichtige Rolle; durch diese Magie verwandelt der heidnische Götzenpfaffe Wuschkaytes den brutalen >Wustlieb< (als sprechenden Namen für die Preußische Barbarek) in Sabnius, den ersten Rektor der Universität. Doch schon der Chor des dritten Akts beschwört die Gegenwelt mit Apollo und den Musen, die der Barbarei ein Ende bereiten und die Mißtöne »in süße Harmonie« verwandeln werden: »Daß Streitigkeit, Zwietracht und Zanck / Sich immer in Einigkeit zwingen« (ebda., S. 316). Und wenn auch im vierten Akt der falsche Sabnius noch sein Unwesen treiben und die Musen noch einmal vertreiben darf, so wird er doch vom wahren Sabnius enttarnt und überwunden, im »Freudenspiel« des fünften Aktes nehmen die Musen den »preußischen Helicon« wieder ein und beschwören im Schlußchor den Landesherrn, »Mit Unterhalt die Kunst [zu] begaben.« Denn in Königsberg blühen Wissenschaften und Künste, weil in Deutschland Krieg herrscht (»ex bello ars« aus Königsberger Sicht; vgl. III Kaminski): »Die Jugend seh' ich als ein Heer Getrieben durch der Zeit Beschwer Nach Königsberg in Preußen ziehen, Indem das Deutschland untergeht Im Brand und seinem Blute steht, Wird Fried' und Kunst in Preußen blühen.« (Z II, S. 318)
Diese Werke schrieb Dach für die politische Öffentlichkeit; doch charakteristischer für seine Feder sind die Poesien seiner Nacht- und Nebenstunden in Gestalt seiner alltags- und brauchtumsnahen Gelegenheitsgedichte (vgl. dazu auch Kap. l c). Auch hier agierte Dach thematisch und strukturell variabel und einfallsreich, obwohl vor allem bei den Hochzeitsgedichten die Spielräume für die >inventiones< durch die obrigkeitliche Aufsicht und das Postulat der Züchtigkeit eng begrenzt waren. Was Dach hier gefahrlos wagen konnte und wo er sich fast bis an die Grenze des Ket-
c) Hochzeitsgedichte zwischen Orthodoxie und »Rache des Mythos«
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zerischen wagte, läßt sich an seinem Umgang mit der auch in der Hof-Dichtung genutzten, aber von der Orthodoxie inkriminierten >heidnischen< Mythologie in den Hochzeitsgedichten verfolgen (vgl. dazu Bd. IV/1, Kap. l b-9).
c)
Hochzeitsgedichte zwischen Orthodoxie und »Rache des Mythos«
1) Heiraten in Zeiten göttlichen Zorns: Ein Grundproblem für alle Hochzeitswilligen war zunächst die Frage, ob eine Heirat in Zeiten göttlichen Zorns nicht als Mißachtung der gerechten väterlichen Strafe aufgefaßt werden könnte. Es gibt historische Belege dafür, daß die christlichen Kirchen Hochzeiten erst dann durchführten, wenn Gott seine Strafaktion in Gestalt von Kriegen oder Seuchen beendet hatte (vgl. Bd. IV/1, Kap. 4k). Auch bei Kriegsgefahr ist offenbar manchem die Heiratslust vergangen, wie Simon Dach bezeugt, doch auch in solcher Situation rät er zum Schritt vor den Traualtar; denn kommt der Krieg, können sich die Ehepartner Hilfe leisten, kommt er nicht - und auf diese Gnade Gottes muß und darf man im entlegenen Reichszipfel Königsberg hoffen -, dann hat das Brautpaar ohnehin mit der Heirat recht getan. Daraus spricht bereits ein handfester »weltlicher« Pragmatismus (vgl. Z I, S. 29). 2) Epithalamia und die Tradition heidnischer Liebespoesie: Das außerordentlich umfangreiche Corpus der Hochzeitsgedichte oder Epithalamia ist zwar der aus der Antike stammenden Gattung der erotischen Poesie nicht zuzurechnen, dennoch partizipiert es an deren Themen- und Formenarsenal und damit zugleich auch an dem problemgeschichtlichen Befund, daß sich die erotische Dichtung unter allen aus der Antike überkommenen Gattungen offenbar »am wenigsten christianisieren« ließ (IV Schlaffer 1971, S. 161). Wo eine Göttin der Liebe oder ein Pfeile schießender Amor fehlen, da wird das sinnliche Reden über die hochzeitliche Liebe schnell »unverblümt«. Ohne den bezaubernden Schleier der Mythologie ent-arteten die Hochzeitsgedichte leicht zu versifizierten Tugendkatalogen, pragmatischen Handlungsanweisungen oder frommen Gebeten. Bei Simon Dach finden sich, wie das erste Beispiel zeigen soll, solch fromme orthodoxe Hochzeitslieder, aber ebenso Ausflüge in die Mythologie. Hierbei kam erschwerend für diesen frommen Auftragsdichter das orthodoxe Mythologieverbot hinzu (vgl. Bd. IV/1, Kap. l b-9); dabei stellten die amourösen Abenteuer der antiken Göttergestalten ein schier unerschöpfliches inventorisches Arsenal zur Verfügung, dessen Nichtbeachtung die poetische Produktion (auch angesichts der Erwartung der vielfach gebildeten Adressaten) vor nicht geringere Probleme zu stellen schien als ihre Berücksichtigung. Wie hat sich der fromme Lutheraner Dach in dieser Situation verhalten? Im folgenden einige Beispiele zu dieser bisher an seinem Werk nicht untersuchten Frage. 3) Ein frommes Hochzeitscarmen: Dach hat eine Reihe von mythologielosen, lutherisch und calvinistisch orthodoxen Hochzeitsliedern verfaßt, von denen eines hier - zugleich als Folie zur Beurteilung von Abweichungen bei ihm, aber auch anderen Autoren in diesem Band - vorgestellt sei. 1644 schrieb er ein kurzes Lied auf die Vermählung von Dominic Meyer und Regina Rentel in einem schmucklosen mitt-
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3) Liebes-Dienste >bei Gelegenheit (Dach)
leren Stil, und solche Lieder haben die These angeregt, Dach sei weniger vom humanistischen Reformprogramm des Martin Opitz als vielmehr von der Tradition des geistlichen Liedes beeinflußt worden (IV Krummacher, S. 122; vgl. auch 11.16 Schöne, S. 66). Die erste Strophe ruft Gott um Segen für das Ehebündnis an (»ERzeig, O Gott, Barmherzigkeit / Den jungen EhgenossenEigentlichkeit< im >sensus litteralisornatus< wird dagegen die »keusche brunst« als das Eigentliche hochzeitlichen und ehelichen Verhaltens (auch noch durch das Hörensagen!) eingefordert. - Um nun doch auch noch der von einem Hochzeitscarmen zu erwartenden fröhlichen Stimmung zu entsprechen, wendet es sich einem weltlichem Freuden-Stimulans zu, um welches Gott zu bitten seit der Hochzeit zu Kana (Joh. 2, 1-12) allerdings nicht als anstößig gelten konnte (Strophe 3): »Vnd wann es dan an Wein gebricht, Sie aber zu dir schreyen, Ach, Vater, so verlaß sie nicht, Komm sie zu benedeyen, Sie werden sich in Creutz vnd Pein Nach deiner Hülffe sehnen, Komm, kehr in süssen Frewden=Wein Das Wasser jhrer Thränen!« (Z I, S. 128).
Rhetorisch nicht gerade meisterlich endet die Strophe wieder bei den Tränen, die sie doch durch die Bitte um Wein vertreiben wollte. Indessen so wie der anfängliche Rebensaft im vorletzten Vers nur noch als entwirklichte Freuden-Metapher erscheint, so wird auch das mit ihm zunächst gesetzte Vergnügungs-Signal alsbald durch die ahnungsvolle Vorwegnähme von zukünftigem »Creutz vnd Pein« im imaginativen »Thränen«-Wasser als einer Art »gebenedeytem« »Weihwasser« ertränkt.
c) Hochzeitsgedichte zwischen Orthodoxie und »Rache des Mythos«
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Dem Nutzen »bescheidener hochzeitlicher Frolichkeit« dienen auch die beiden Schluß-Strophen des Dachschen Hochzeitsliedes. Mit der vorletzten erbittet der Autor - wie schon zitiert (vgl. Kap. l c-4) - die »jährliche« Ausbreitung des »Ehbetts« und einen Nachwuchs »wie Orgel=Pfeiffen« (Z I, S. 128). Die Schlußstrophe verstärkt den Eindruck, bei dem (nicht näher bekannten) Ehepaar handele es sich um Calvinisten: »Pflantz deine Furcht ohn Heucheley Sehr tieff in jhren Sinnen, Die jhr Befehlichs=haber sey Jn dem, was sie beginnen! So werden sie jhr Leben lang Rhue, Heil vnd Wolstand spüren, Dir aber soll Lob, Preiß vnd Danck Hie ewig vor gebühren.« (Ebda.)
Furcht vor dem gestrengen Gott soll den »Sinnen« der Eheleute eingepflanzt werden und ihnen nicht nur zur Richtschnur, sondern zum »Befehlichs=haber« ihres Gewissens und ihres moralischen Handelns werden, ein »Über-Ich«, dessen zugleich gesellschaftliche Vermitteltheit sich in dem - auf ein vulgärcalvinistisches Motiv verweisendem - Versprechen von Heil und Wohlstand bei entsprechendem Wohl-Verhalten zu erkennen gibt - zum Wohlgefallen auch von »Thron und Altar«. 4) Entzauberte Götter und entzaubertes Gedicht: Dach hat sich nun allerdings auch, wie einige Beispiele zeigen mögen, der heidnischen Mythologie bedient. - In einem langen Alexandrinergedicht (1635) zur Hochzeit des Königsberger MathematikProfessors Albert Linemann mit Anna Gericke, der Tochter eines Amtsschreibers, entfaltet er eine artige mythologische Szenerie, malt ein Geschehen aus, dessen Einzelheiten auf die Umstände der Person des Bräutigams und seiner astronomischen Kenntnisse bezogen sind: Uranie, die Muse der Gelehrten - sie führt den wissenschaftlichen Geist himmelan (vgl. I Hederich, 1967, Sp. 2478) - tritt vor Jupiter und dessen Hofstaat hin und berichtet von den großartigen astronomischen Kenntnissen Linemanns, der sogar wisse, »das Cometen / Sich hetten lassen sehn auch zwischen den Planeten« (Z I, S. 31), und der es deshalb wohl verdient habe, daß Jupiter ihn mit einem Besuch bei seiner Hochzeit ehre. Der Göttervater, so zeigt sich, kennt durchaus die glänzende Gelehrsamkeit des Bräutigams, doch möchte er den Himmel gerade in den jetzigen Zeitläuften nicht verlassen, weil er gehört hat, daß die alten Riesen und Titanen, die er alle schon einmal besiegt und auf die Erde geschmettert hat, sich neu zu regen beginnen und vom Himmel Besitz ergreifen könnten, wenn sie Jupiter dort nicht anwesend fänden. Er beschließt deshalb, Venus als seine würdige Stellvertreterin zu Linemanns zu schicken. Diese erscheint mit großem Gefolge. Hier wendet sich der Poet an den Bräutigam und versichert ihm, die Hochzeitsgesellschaft selbst, vor allem die anwesenden Damen, die es mit Venus aufnehmen könnten, machten ganz den Eindruck, als ob das »Himmel=Volck wer' jetzt hie eingekehrt« (Z I, S. 32). Die Hochzeitsgesellschaft ist also selbst bereits der »Götterhimmel« und braucht damit den zusätzlichen himmlischen »ornatus« nicht. Damit wäre die mythologische »inventio« zugleich gerechtfertigt und allegorisch durchschaut, der
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3) Liebes-Dienste >bei Gelegenheit< (Dach)
Hochzeitsgesellschaft wäre galant und augenzwinkernd eine »himmlische« Reverenz erwiesen worden. - Indessen daß Dach hiermit sein Gedicht nicht beendet, sondern auf Kosten der galanten Fiktion und vermutlich auch mit Rücksicht auf seine rechtgläubigen Adressaten antimythologische Belehrungen folgen läßt, wirft ein historisches Schlaglicht auf die engen Grenzen, die der poetischen Phantasie auch bei solch fröhlichen Anlässen offensichtlich gesetzt waren: »Wenn mir es nicht bekant, daß alles, was die alten Von Göttern vorgebracht, vor nichts nicht sey zu halten, Vor einen Tichter=trawm vnd blossen Menschen=fundt, Der von der blinden Schar der Heyden ohne grund Sich erst entsponnen hat.« (Z l, S. 32)
Ja, mit diesen Versen beginnt überhaupt erst eine Ebene des »Eigentlichen«, auf die sich alles Vorige als negative Folie bezieht. Die Fähigkeiten und Tugenden des Bräutigams bedürfen keiner Uranie, um himmelan zu steigen (Z I, S. 32f.) und der zögerliche Jupiter, der sich aus dem sicheren Himmel nicht gern auf die unsichere Erde begibt, entpuppt sich im nachhinein als ein funktional auf seinen christlichen Antipoden hin entworfenes Gegen-Bild: »Daß aber sol kein Mensch sich überreden lassen Was von den Göttern vor (=vordem, früher) die Heyden aller massen Zu gleuben auffgesetzt, weil jhrer ohne ziel Vnd masse der Vernunfft zu wieder mächtig viel Ertichtet worden sind. Diß glaub' ich ohne schaden, Das Jhr, Herr Breutigam, den HERREN eingeladen, Der da drey einig ist vnd dem die gantze Welt Mit allem was sie trägt zu seinen Füssen feilt Vnd ehret seine Macht. Der pflegt sich einzustellen, So bald wir durchs Gebet vns nur zu Ihm gesellen; Vnd wo schon Er hinkömpt, da folgen immerdar Die Menschen Wächter auch der weissen Engel Schaar.« (F I, S. 33)
Dem ängstlichen, weil seiner Macht offenbar nicht sicheren und deshalb dem Menschen unzugänglichen Jupiter steht der Christengott gegenüber, dessen Allmacht sich alles freiwillig unterordnet und der sich zugleich »einzustellen« pflegt, wenn man ihn nur um seine Gegenwart bittet. Im nachhinein entpuppt sich das ganze Gedicht sogar als »Rache am Mythos«, ohne wiederum dessen Rache ganz entgehen zu können. Die Geister, die es rief, wird es nämlich so leicht nicht mehr los. Gerade weil es die Venus so plötzlich hinausgepredigt hat, wird die Lücke um so fühlbarer, welche die männlich geprägte göttliche Trinität des Christentums in diesem delikaten Fall von Menschenliebe nicht auszufüllen vermag. 5) Der Bräutigam als »andrer Juppiter«: Die »inventio« des folgenden Gedichts auf die Hochzeit des Kaufmanns Johannes Rackau mit Barbara Rösenkirch (1636) lebt ebenfalls vom Vergleich zwischen den bösen antiken Göttern und den tugendhaften und deshalb überlegenen christlichen Adressaten, in diesem Fall vom Vergleich zwischen dem alten Jupiter und dem Bräutigam, welcher angesichts der Schönheit seiner
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Angetrauten mit der Konkurrenz des stets auf Liebesabenteuer bedachten Göttervaters gefaßt sein müßte. Indessen, daß der sich diese Gelegenheit entgehen läßt, stellt seine Omni-Potenz, ja seine Existenz überhaupt in Frage. Doch dies ist nur ein Aspekt der im Gedicht entfalteten »negativen Mythologie« (vgl. dazu Bd. IV/1, Kap. l b-9), und keineswegs etwa soll der Bräutigam aus dem Vergleich als der »potentere« hervorgehen: »Laß den Jupiter auch sterben, Du kanst seine Stell vnd Kunst Doch mit bessern fortgang' erben, Nicht in solcher wilden Brunst, Die auß aller Tugend weicht, Vnd viel böses auff sich zeucht.« (Z l, S. 36f.)
»Darumb wirstu folgende leben /Als der andre Juppiter«, und die Braut erweist sich als tugendhafter Fels, der auch der »Brandung« von hundert wollüstigen »Joves« widerstehen würde. So kann der Bräutigam die »Stell vnd Kunst« Jupiters nur dadurch einnehmen, daß er sich der »wilden Brunst« enthält und durch seine Tugendhaftigkeit die »Seele« der Braut für sich zu gewinnen vermag. Während der Göttervater die Opfer seiner amourösen Abenteuer in den Himmel entführte und unter die Gestirne aufnahm, soll der Bräutigam mit seiner Auserwählten ein irdisches Himmelreich gründen, wobei das Licht der Tugend, das aus den Augen der Angetrauten strahlt, alle Sternenlichter des Himmels übertrifft. Der glückliche Gatte wird als »der andre Juppiter« geradezu zum irdischen Antipoden von Zeus, er regiert als »Liecht vnd Herr« seiner Gattin seinen irdischen Ehe-Himmel und entzündet an diesem jährlich neue Augen-Lichter durch die wachsende Kinderschar: Ein weiteres Paradebeispiel für den orthodoxiegemäßen und damit systemkonformen Gebrauch der Mythologie im 17. Jahrhundert! 6) Christianisierung der Venus: Dachs Mut bei der Verwendung der Mythologie ist dort am größten, wo seine Adressaten Adlige sind. Das hat mit dem »hohen Stil«, aber gewiß auch damit zu tun, daß die Adligen sich im allgemeinen doch mehr Freiheiten gegenüber den rigiden moralischen Zumutungen der Kirche zu erhalten wußten als die Repräsentanten des städtischen Bürgertums. Eine schichtenspezifische Analyse des Dachschen Mythologie-Gebrauchs wäre deshalb nicht uninteressant. Doch zeigt der nachfolgende Ausschnitt aus einem Gedicht auf die Hochzeit eines Adligen mit einer Königsberger Bürgermeisterstochter, daß Dach auch hier bemüht ist, die Grenzen zwischen mythologischer Amoralität und christlicher Tugendhaftigkeit deutlich zu markieren, und sei es um den Preis einer »Persönlichkeitsspaltung« der Göttin Venus, die er für die Eheschließung verantwortlich macht (die seltene sechszeilige Strophe besteht in den ersten vier Versen aus dem Wechsel von jambisch-männlichen Fünf- und jambisch-weiblichen Dreihebern mit Kreuzreim und einem abschließenden, paargereimten trochäischen Vierheber mit männlicher Kadenz): »Du kanst dich tieff in vnsre Hertzen sencken, Vnd nimst mit süsser Pein Da, wo es wir am wenigsten gedencken,
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3) Liebes-Dienste >bei Gelegenheit< (Dach) Den Platz der Seelen ein, Das man liebet ohne ruh, Süsse Venus, daß machst du Nicht die du pflegst die Hertzen zu vergeilen, Dich Arge mein ich nicht, Die du vns triffst mit keuschen Liebes=Pfeilen, Vnd Eheliche Pflicht Zweyen Hertzen aufferlegst, Vnd ein keusches Fewr erregst: Dir ruff ich zu, du must von dem her kommen, Der alles geben muß, Du kanst auch nichts, als nützlich seyn und frommen, Du bringest nie verdruß, Segen, ruh vnd einigkeit Geben stets dir das geleit.« (Z I, S. 35)
In deutlicher Abgrenzung zur antiken Liebesgöttin wird »Venus« hier im von Opitz propagierten Sinne (vgl. II BDP, S. 20) einer Eigenschaft Gottes selbst, also als Allegorie der göttlichen Liebe, gebraucht, - eine Verwendung, die der Theologe Gockel nicht hatte gelten lassen (II Gockel; vgl. Bd. IV/1, Kap. l b-9). Daß die Venus von Gott abstammen soll, ist als Gedanke nur dann akzeptabel, wenn sie ihre »heidnische« Identität völlig preisgegeben hat, - aber dann ist sie eben nicht mehr Venus. Wenn sie jedoch ihre Namensidentität ausdrücklich behält, dann zieht »Heidnisches« und Weibliches unter dem Schutz der Personifikation einer göttlichen Eigenschaft - und sei es zunächst auch nur konnotativ - in das christliche Gottesbild ein. 7) Amor als sinnlicher Christus-Ersatz: Solche säkularisierenden Folgen des Mythologiegebrauchs zeigen sich nicht erst bei Hoffmannswaldau und Lohenstein (vgl. Kap. 6 u. 7), sondern auch bei einem insgesamt so vorsichtigen und orthodoxiekonformen Autor wie Simon Dach, wenn er die göttliche Eigenschaft der Liebe nicht nur mit Venus, sondern - wie im folgenden Beispiel auf die Hochzeit von Hieronymus von Weinbeer und Catharina Pantzer (1641) - mit dem antiken »Hertzen=Binder« Amor personifiziert (die auch von Tscherning genutzte, sonst im 17. Jahrhundert noch seltene Strophe besteht aus jambischen Dreihebern, in denen durch Reim verbundene Verse mit weiblicher Kadenz ein männliches Reimpaar umschließen; vgl. IV Frank, S. 105): »Der Liebe Lob=Gesang. 1) O Amor, Hertzen=Binder, Du Herr der Freundlichkeit Vnd aller guten Zeit, Du zweitracht=überwinder! [...] 5) Du machst dich in die Wangen Der Frawen=Bilder hin,
c) Hochzeitsgedichte zwischen Orthodoxie und »Rache des Mythos«
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Vnd führst den starcken Sinn Der Männer so gefangen. [...] 16) Glückseelig ist die Stunde, Kriegt anders Zeit hie stat, Da Gott gezeugt dich hat, Aus seines Hertzens Grunde! [...] 21) Du bist es, den wir singen, Du vnd das wahre Gut, Der vns das liebste thut, Gott selbst für allen Dingen. 22) Wir werden angetrieben Zu sagen: Er allein Muß selbst die Liebe seyn, Die Er so rein kan üben. 23) O selig, selig weren Wir Menschen allerseit, Die wir durch Haß vnd Streit Erbärmlich vns verzehren, 24) Wenn doch auch vns die Liebe, Die alles hie vnd da, Vnd selbst den Himmel, ja Am meisten Gott treibt, triebe! (ZI, S. 101 f.)
In der Mythologie und deren allegorischer Deutung galt Amor oder Cupido als Gott der Liebe, meist als Sohn oder auch als Diener der Venus, dessen äußere Gestalt und Attribute in Hederichs Gründlichem mythologischen Lexikon< (1770) folgendermaßen gedeutet werden: »Er wird hierbey als ein Kind gebildet, weil verliebte Leute viel kindische Dinge begehen; er ist blind, weil die Liebe dergleichen ist, und oft etwas ungeheures fur etwas angenehmes, etwas häßliches für etwas schönes ergreift, und also des Geliebten Mängel nicht sieht. Er ist nackend, weil die Liebe offenherzig ist und nichts von dem Geliebten verheelet. Er hat Flügel, weil die Liebe geschwind, allein auch sehr veränderlich ist, und führet Pfeil und Bogen, um die Durchdringlichkeit der Liebe anzuzeigen«. (I Hederich, Sp. 812)
Die Attribute verraten zugleich auch negative Aspekte der sinnlichen Leidenschaft, und so ist es nur konsequent, daß der Herrscher im Reich der Erotik »zugleich für einen Urheber alles Unglücks unter den Menschen gehalten wird; daher denn insgemein VOllerey, Trägheit, Mussiggang und Ueppigkeit vor ihm herzugehen, Zank, Krieg, Haß und Schande aber ihn zu begleiten pflegen, ... welchen andere nicht unbillig noch die Klagen, den Schmerz u. d. g. beyfugen« (ebda., Sp. 810). Einer strengen christlichen Moral ist es also stets ein Leichtes gewesen, an Amor - und übrigens ebenso an Venus - als mythologischen Negativfiguren vor den Gefahren der sinnlichen Liebe zu warnen.
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3) Liebes-Dienste >bei Gelegenheit (Dach)
Nichts dergleichen jedoch in Simon Dachs Lied, zu dem übrigens wie so oft Heinrich Albert die Melodie komponiert hat. Amor ist hier seiner mythologischen Requisiten ganz entkleidet und als positive Figur gesehen. Dem rhetorischen Argumentations- und Dispositionsschema der encomiastischen Tradition folgend hebt der Dichter vor allem die >praxeis< oder Taten und Eigenschaften des zu Lobenden hervor, vor allem seine Macht über alle Stände und Altersstufen, über die Elemente und alle Lebewesen, über Erde und Himmel schlechthin. Wenn Amor dann in Strophe 16 als aus Gottes »Hertzens Grunde« »gezeugt« apostrophiert wird, dann ist offenkundig, daß er hier zum »Sohn Gottes« avanciert, welcher der zweiten Person der Trinität gleichgestellt zu werden scheint. Und in dedizierter Wendung gegen die in der mythologischen Tradition überlieferten negativen Aspekte Amors entfalten die Strophen 17 bis 19 das Bild eines Liebesgottes, der überall nur Lust, Freude, Friede, Gerechtigkeit und »grosses wolergehn« verbreitet. Erneut erfolgt in den Strophen 21 und 22 die Zuordnung Amors zu Gott, der »selbst die Liebe seyn muß« und der - so der Schluß - von ihr umgetrieben wird. Hier erscheint Amor als Personifikation und Allegorie der Liebe des Schöpfers, die alles geschaffen hat und alles erhält und die deshalb rein und gut ist. Diese Liebe ist zugleich - so rühmen die Strophen 7 bis 11 Grundlage der Kultivierung und Erforschung der Welt, Garant der Beseitigung materieller Not und Motor des gesellschaftlichen Fortschritts. Vor allem am Beispiel der geistlichen Lieder aus dieser Zeit wurde deutlich, daß diese Funktion des Schöpfungsmittlers und agrarischen Segen-Spenders dem erhöhten Christus als dem erhaltenden »Wort« des Schöpfers zugesprochen wird (vgl. Bd. II, S. 236ff.). Und umgekehrt kennen wir auch aus der Mystik des 17. Jahrhunderts bei Friedrich von Spee oder Angelus Silesius - Christus als geistlichen Amor, der seine Seelenbraut mit dem Liebespfeil verwundet (vgl. Bd. III, S. 173ff., 230ff.). Gleichwohl handelt es sich im vorliegenden Lied Simon Dachs nicht um eine Kontrafaktur oder um eine Identifizierung Amors mit Christus, obwohl auch dem heidnischen Liebesgott das Attribut göttlicher Sohnschaft zugesprochen wird. Vor allem am Anfang des Gedichts - besonders in den Strophen 4 und 5 - umschließt Amor deutlich auch die sinnliche, sexuelle Liebe, die man Christus nicht zuordnen kann. Im Zeichen Amors erfolgt also der Versuch, in den Liebes-Begriff auch die Erotik zu integrieren und das Phänomen der Liebe somit als einen kosmischen Ordnungsbegriff zu verstehen, der - ausgehend vom kreatürlichen Fortpflanzungstrieb über die Steuerung gesellschaftlichen Verhaltens bis hin zu sublimierten Formen des Eros und zur Agape in hierarchischer Abstufung die Schöpfung von >unten< bis hinauf zu Gott durchzieht. Das ist ein zukunftweisendes Konzept. Wenn Liebe in diesem umfassenden Sinne die Welt trägt und erhält, wenn die Menschen - so die beiden Schlußstrophen - sich von dieser Liebes-Kraft anstecken lassen und verbrüdern, dann entsteht eine Welt, in der Haß und Zwietracht sowie das Böse überhaupt keinen Platz mehr haben, in der es sich zu leben und zu lieben lohnt. Liebe erscheint so als entscheidende Bedingung und Grundlage einer Aufwertung des Diesseits, und es ist kein Zufall, daß Amor und nicht Christus als ihre Personifikation erscheint. Für das 17. Jahrhundert ist Christus noch zu sehr spiritualisierte jenseitige Figur und Erlöser von den Qualen und Sünden des Jammertals, als daß er schon zur Vorbildfigur eines irdischen Liebes-Christentums wie in späteren Epochen hätte werden können. Amor indessen mußte bei Simon Dach seine mythologischen Federn lassen,
d) Lieder »bey Heirath und bey Leichen« - Gattungsprobleme
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seine pralle Sinnlichkeit und Gefährlichkeit einbüßen, um zum Sinnbild einer geordneten Liebe werden zu können. So widerfährt ihm eine Entmythologisierung und eine Sakralisierung zum »Sohn Gottes« zugleich, dessen Funktionen er übernimmt und im Bereich des Diesseits ersetzt. Der Preis seiner Glaubwürdigkeit ist freilich seine Keuschheit, doch diese paßt so wenig zum befiederten Götterknaben wie der Keuschheitsgürtel zur Venus. - Indessen noch im 17. Jahrhundert werden beide aus dieser ihnen von Simon Dach verordneten >Identitätskrise< befreit.
d) Lieder »bey Heirath und bey Leichen« - Gattungsprobleme 1) Epicedien und Sterbelieder: Eine Beobachtung Krummachers (IV, S. 122) differenzierend hat Irmgard Scheitler im Blick auf die zwei Bände mit insgesamt 578 geistlichen Liedern und Trostgedichten< (Z III u. IV) vorgeschlagen, zwischen der klassischen, aus der Antike und der neulateinischen Tradition in der Nachfolge von Opitz ins Deutsche übernommenen Gattung der Epicedien und einer weiteren Gattung von Sterbeliedern zu unterscheiden. Epicedien reichen in der Form vom durchgängigen (elegischen) Alexandrinergedicht bis zur strophischen Gestaltung (mit zwanzig oder mehr Strophen) und wurden anstelle oder in Ergänzung einer ProsaLeichabdanckung am offenen Grabe deklamiert, aber nicht gesungen. Sie enthalten die Würdigung der verstorbenen Person, deren Lebenslauf und charakterliche Besonderheiten, die in der Vielzahl der Strophen dargelegt werden, sie gehen auf den Schmerz der Hinterbliebenen ein und spenden Trost. Im Titel verwendet Dach dafür die Bezeichnungen >Poetisches Denckmal, >ReimeKlageGedächtnis< oder >Trawer-Geticht< (vgl. Z III, S. 469; IV Scheitler, S. 203) oder er benennt sogleich konkret den Anlaß und Namen der Trauernden bzw. Verstorbenen. Im folgenden >Wolerworbenen Lob Spruch der ...Fr. Annen geb. Friesin, des Hn. Hieronymus Fahrenheids Hausfrawen< (Z IV, S. 500) charakterisiert Dach die Frau eines Theologen in 24 Strophen als besonders belesene Fromme, die das gesamte Erbauungsschrifttum der Zeit kannte und an der sich die Männer ein Exemplum zu nehmen hätten (Z III, S. 401 ff.; hier eine Strophe mit der Aufzählung der frommen, z. T. mystischen Erbauungsschriften von Johann Arndt bis zur Thomas a Kempis): »Was Arend lehrt, war jhr bekannt, Als vns die recht' vnd lincke Hand, Was Philipp Nicola geschrieben Sein' Ewigkeit vnd Christi Reich, Bail, Gerhard Meyfahrt vnd zugleich De Kempis pflagen sie zu üben.« (Z III, S. 402)
Es handelt sich um eine Schweifreimstrophe aus jambischen Vierhebern, bei der ein männliches Reimpaar jeweils in einen weiblichen Vers endet, wobei die weiblich endenden, durch Reim verbundenen Verse zugleich die beiden Strophenhälften verbinden und die Strophe abrunden (aab, ccb; vgl. IV Frank, S. 487). Diese Form stammt aus dem Hugenottenpsalter und wurde mit der Melodie des 24. Psalms übernommen. Opitz stellte sie im >Buch von der Deutschen Poeterey< als (siebenstrophigen) »Jambischen gesang« unter dem Titel >Ode< vor (»Derselbe welcher diese
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3) Liebes-Dienste >bei Gelegenheit< (Dach)
nacht / Erst hat sein leben hingebracht/...« II BDP, S. 60f.), gewiß ein »Sterbelied«, aber kein christliches, denn anstatt christlicher Verstorbener, die der »Ruhe« genießen, dienen die heidnischen Dichterkollegen »Homerus / Sappho / Pindarus // Anacreon / Hesiodus« als Kronzeugen für die nach dem Tod zu erwartende tröstliche Sorglosigkeit (Opitz hat die Strophe auch in seiner Hohelied-Paraphrase [Nr. 4] und in seinem Epistellied auf den 11. Sonntag nach Trinitatis verwendet; vgl. IV Frank). Obwohl also als Sing-Strophe im Kirchenlied und geistlichen Lied nachgewiesen, wird die Strophe hier in einem Sprech-Gedicht eingesetzt (dessen Inhalt, wie die zitierten Zeilen bezeugen, niemals in einem Kirchenlied denkbar wären oder in einem Gesang akustisch adäquat zur Geltung kämen!). Simon Dach nutzte die Strophenform in leichter Variation der Reimfolge in der zweiten Hälfte (aab, cbc) in einem anderen Todesfall auf den Adligen Georg Adam von Schlieben (1649) zu einem fünfstrophigen Lied mit dem Zusatz: »Genommen aus den Klageliedern Jeremiae am 3. vom 22. bis 34sten Vers« - im folgenden die erste Strophe: »DEs HErren Güte macht allein Daß wir noch etwas übrig seyn Vnd nicht zusammen auffgerieben, Denn mächtig groß ist seine trew, kein End hält seine gnad umbschrieben, Sie ist ja alle morgen new.« (Z III, S. 260)
Zu diesem Text schuf Heinrich Albert eine Melodie und nahm das Lied in seine Arien (8, 6) auf. Diesen zweiten Typ nun definiert Scheitler als Sterbelied. Es entstammt ebenfalls casuellem Anlaß, ist mit meist fünf bis acht Strophen kürzer als das Epicedium, stets sangbar auf Melodien aus dem Lobwasser-Psalter (vgl. zu ihm Bd. II, S. 203ff.) oder aus anderen Kirchenliedern, welche Dach gelegentlich selbst angibt. Inhaltlich abstrahieren die Sterbelieder im Gegensatz zum Epicedium vom konkreten Fall und Anlaß, orientieren sich stärker an Bibelsprüchen, die vielleicht bei der Trauerfeier (als Wahlspruch der Verstorbenen oder als Predigtgrundlage) eine Rolle spielten. Da sich manche ihre Sterbelieder im voraus bei Dach bestellten, darunter auch Robertin (vgl. >Christliche Todes Erinnerung Des ... Herrn Robert Robertihns, ... Auff dessen Begehren schon vor etzlichen Jahren geschrieben von Simon Dachen Vnd anitzo Bey seinem recht sehligem wiewol Hochbetrübten Ableiben aus schuldigster Pflicht in 5 Stimmen gesetzet von Heinrich Alberten ... 1648Verlangen nach der Ewigkeit< auf die gelehrte Anna Fahrenheid. Ihrer >vorpietistischen Frömmigkeit< entsprechend (die Schlußstrophe des Epicediums verklärt sie zum preußischen Pendant der niederländischen Mystikerin Anna Maria van Schurman [1607-1678]; Z III, S. 404) weist auch dies Lied deutliche brautmystische Allusionen auf - im folgenden die Strophen drei und sieben, wobei
d) Lieder »bey Heirath und bey Leichen« - Gattungsprobleme
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die letztere sich sehr gut - wie der Titel schon annonciert - als tröstliche Vorbereitung auf das Sterben eignet: »Da wird des Lammes schöne Braut Dem Bräutgam heimgeführt geschaut, Der sie von Hertzen liebet Als seine Zier Vnd gantz sich jhr Selbs zu genießen giebet.. [...] Da sehn' ich hertzlich mich hinauff, Wer endet mir den Lebens=Lauff? Jch will befreyet werden: Komm, JEsu, bald, Mein Aufenthalt, Vnd nimm mich von der Erden!« Die Strophe ist kunstvoll gebaut: Auf ein Reimpaar mit männlich endenden jambischen Vierhebern folgt ein weiblich endender Dreiheber; die zweite Hälfte verkürzt sich auf einen paargereimten männlichen Zweiheber, bis die Strophe in der sechsten Zeile zum gleich gereimten Dreiheber von Vers drei zurückkehrt und die Gedankenund Vers-Bewegung zum Abschluß bringt. Es ist eine rein geistliche Liedstrophe (ursprünglich zum 31. Psalm), die u. a. auch von Gryphius und Harsdörffer benutzt wurde (vgl. IV Frank, S. 441 f.). Zum Begräbnis im vorliegenden Fall »verfertigte« Heinrich Albert eine Melodie (Z III, S. 500). 18 von Dachs Sterbeliedern und 27 weitere zu anderen Themen wurden vor allem in preußische Kirchengesangbücher aufgenommen, wobei Dach einige selbst nach Kirchenliedweisen eingerichtet und so die Übernahme erleichtert hat (vgl. IV Scheitler, S. 207ff.). Von daher ist der Übergang vom anlaßbezogenen geistlichen Lied zum Kirchenlied bei ihm in der Tat fließend, und der eher dem >stilus humilis< als dem >stilus grande< angenäherte mittlere Stil der Dachschen Lieder hat eine solche Grenzverwischung oder Transgression der Liedtypen erleichtert. 2) Gesänge zur Hausmusik: Vermutlich ist die gesamte Lyrik Dachs aus oder zu >Gelegenheiten< entstanden, auch wenn in nicht wenigen Fällen die konkreten Anlässe nicht überliefert sind. Auf eine >Autonomisierung< der Poesie wird man jedenfalls bei diesem Autor keineswegs schließen können. Aber eine ganze Reihe von Liedern ließ sich auch losgelöst vom ursprünglichen Funktionszusammenhang weiterverwenden. Das gilt natürlich auch für Lieder zu verschiedenen anderen Gelegenheiten, z. B. zu mancherlei Katastrophen (zu Unwettern, Kriegsläufen, Pest usw.). Drei zum Teil innovative Implikationen und Konsequenzen dieses Faktums seien hervorgehoben. Erstens gibt es eine Reihe von geistlichen Liedern, die aus der bisherigen Typologie von Epicedien und Sterbeliedern herausfallen (vgl. dazu IV Scheitler, S. 21 Off.). Dazu gehört z. B. >Christi Rede, da er vor die Sünde der gantzen Welt sterben sollte< (1635; Z III, S. 18ff.), ein 35strophiges, potentiell sangbares, aber nicht komponiertes >Liedbei Gelegenheit< (Dach)
Sterbens deutlich über Luthers Anweisung einer nur lehrhaften Behandlung der Passion hinwegsetzt und Anleihen bei der meditativen katholischen Frömmigkeit nimmt (vgl. IV Scheitler, S. 212ff.), wie sie etwa Friedrich von Spee im Passionszyklus seiner >Trvtz-Nachtigal< in der Tradition des >Pastor bonus< Christus gestaltet hat (vgl. II TN, S. 197ff., Nr. 37ff.; vgl. dazu 11.31 Yu, S. 167ff.). Das gilt unmittelbar auch für Dachs Übersetzung des Passionszyklus >Leidender Christus< aus den >Poemata< (1616) des belgischen Jesuiten Carolus Malapertius (Z III, S. 370-383) mit neun >Klagliedern< vom >Abendmahl< bis zum >TodGroßwetterlage< zu verstehen (d. h. aus dem heimlichen Paktieren des Rates und der Stände mit dem katholischen Lehnsherrn Polen gegen den absolutistischen Kurs des calvinistischen Landesherrn, Preußen aus der Lehnsherrschaft zu >befreienweltliche< Hochzeit zum Anlaß für die inventio der Übertragung auf Christus (»So komm ich, Heyland, recht darauff, / Wie ich Dir auch bin zugeträwet«; ebda., S. 68). - Ein weiterer Aspekt, der die Ablösung vom konkreten Anlaß begünstigt, ist die performative Gestaltung des Liedaufbaus, der im Liedverlauf affektiv hergestellte Heilsgewinn durch »Mittel aktionaler Belebung« (IV Scheitler, S. 216; vgl. Z IV, S 81, Nr. 49; ebda., S. 484, Nr. 272). Zweitens zeigt sich, daß gerade diese vom ursprünglichen Anlaß lösbaren Lieder zum bevorzugten Gegenstand der Vertonung durch Heinrich Albert und der Aufnahme in seine >Arien< wurden. Alberts Liedersammlung wurde berühmt wegen der Einführung des monodischen Sologesangs als dominanter Kompositionsart der Hausmusik (vgl. IV Scheitler, S. 217). Während beim konkreten Anlaß der Sterbelieder traditionsgemäß ein polyphoner - fünfstimmiger - Satz erwartet wurde, weshalb Dach die meisten seiner Texte von Johannes STOBÄUS (1580-1646), dem Kantor des Kneipshofs (bis 1626) und späteren Hofkapellmeister, komponieren ließ, griff Heinrich Albert interessanterweise stilsicher gerade auf solche geistliche Lieder Dachs für seine >Arien< zurück, welche sich vom Anlaß lösen und für die Gattung des Sololiedes verwenden ließen. Dieses galt den Traditionalisten als zu simpel. Insofern mußte Albert sich in den Vorworten zu seinen Ausgaben noch nachhaltig für diese durchkomponierte und instrumentierte Liedform einsetzen, wobei er mit seiner Musik den Text zur Geltung bringen wollte. Albert erstrebte so also neben Kirchenlied und Gelegenheitspoesie einen dritten Lied-Typ, den Scheitler als Gesänge zur Hausmusik charakterisiert (IV, S. 218). Bei diesen ist nun drittens eine gattungstypologische Unterscheidung zwischen weltlichen und geistlichen Liedern in vielen Fällen kaum noch durchführbar. Das gilt für ein stoizistisch geprägtes Weisheitslied (»Wer die Weißheit jhm erkohren«; Z III, S. 40) ebenso wie für ein auf Spr. 25, 13ff. bezogenes >SpruchArien< aufgenommen; 3, 11 und 5, 3). Das gilt aber ebenso für die beiden ersten Bände von Ziesemers Ausgabe. (VWeltliche Lieder. HochzeitsgedichteAlbrecht Wiehert und Catharina FeyerabendArien< aufnahm. Dazu gehört das siebenstrophige Lied >Orbis ad exemplum se quoque formet homo< (»Nach dem Beispiel des Erdkreises richtet sich auch der Mensch«; Z I, S. 44; K, S. 23f.). Die erste Strophe nennt noch die »Heirath«, ordnet diese aber sofort im Kontext des Mikrokosmos-Makrokosmos-Gedankens in die von der »großen Welt« vorgegebene Liebes-Ordnung zu Frühlingszeiten ein: »Sol sich der Mensch, die kleine Welt, Jetzt nicht auff süße Heyrath lencken? Muß doch das prächtige Gezelt Der großen nur an Liebe dencken.«
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3) Liebes-Dienste >bei Gelegenheit< (Dach)
Die zu Dachs Zeit nur aus weltlichen Liedern bekannte Vierzeilenstrophe mit jambischen Vierhebern, Kreuzreim und wechselnd männlicher und weiblicher Kadenz (vgl. IV Frank, S. 225) weist eine Wiederholungs- bzw. Spiegelungs-Struktur auf und paßt von daher gut zum Nachweis der Korrespondenzen zwischen Mensch und Natur. Die nachfolgenden fünf Strophen thematisieren zunächst den »hieros gamos«, die Hochzeit von Erde und Himmel, »Der sich herab in jhren Schoß / Durch einen warmen Regen machet« (Str. 3), und verweist auf weiteres >PaarungsArien< aufgenommene Lied (l, 16) ist zugleich ein Beispiel für Dachs Behandlung von brisantem Gedankengut. Während andere Autoren - wie etwa Fleming oder Lohenstein (vgl. Bd. II, S. 68 ; Kap. 4, 6) - den Mikrokosmos-Gedanken in hermetischem Sinne ausdeuten oder aus ihm wie Hoffmannswaldau das Naturrecht der Liebe ableiten (vgl. Kap. 6 d^4), verwendet Dach den Gedanken hier ganz unanstößig im Sinne der traditionellen >natura docetBoberSchwans< zu kleiden: »Man erschricket, wenn er nun / Seiner tieff erforschten Sachen / Abgrundt anhebt auff-zuthun« (K, S. 29f.) und wenn man darin »Welschlandt vnd Athen« erblickt! Dies Erschrecken ist bei Dach und seinen Freunden vermutlich gar nicht metaphorisch und nur scheinbar laudativ gemeint. Opitz' kühne Herleitung der Poesie aus Athen haben die Königsberger Freunde jedenfalls nicht mitvollziehen können. Die gelegentlich erwähnte heidnische Philosophie (Aristoteles und Platon) dient nur als negativer Kontrapost zur christlich-biblischen Lehre, und so ist es nicht nur den Regeln dieses Gratulations- und Begrüßungsgedichts geschuldet, wenn Dach schon einen Blick auf die himmlische Zukunft von Opitz wirft: Dort wird er die eigentliche »Ehrenkrone« tragen, »Die euch David gern gesteht, / Weil Jhr seinen Fußpfad geht.« (K, S. 31) Mit David und Jerusalem hat Dach aber zugleich seine eigene poetologische Position markiert! Die Regeln der Opitzschen Anweisungspoetik machen er und seine Freunde sich zu eigen, Inspiration und Antrieb für ihre
d) Lieder »bey Heirath und bey Leichen« - Gattungsprobleme
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poetische Tätigkeit dagegen beziehen sie aus fester, christlich-lutherisch geprägter Frömmigkeit. Von daher erklärt sich auch Dachs Orientierung am mittleren, von Bibelzitaten durchsetzten Stil. Andererseits sind seine geistlichen Lieder weder Kirchenlieder noch gehen sie im Begriff des (auf die Hausandacht bezogenen) >kirchenorientierten< Liedes auf (vgl. zu dieser Unterscheidung Bd. I, S. 50ff.). Ebensowenig eindeutig erfüllen sie das Kriterium >poesiebestimmter< geistlicher Poesie, d. h. einer bewußt kunstvollen, für die häusliche Lektüre bestimmten Lyrik. Dafür sind seine Lieder zu schlicht und zu gesellig. In diesem Sinne scheint eine seiner poetologischen Reflexionen in einem alltäglichem strophischen Epicedium charakteristisch für sein Verständnis vom Amt des Dichters zu sein. Das Begräbnis-Gedicht auf Andreas Schmitner, den kurfürstlichen Leiter der Forstbehörde (Z III, S. 129ff.), eröffnen Unmutsbekundungen über die Zumutung der unentwegten Auftragsdichtung (»Daß sich dein Fleiß so dienstbar hält, / Und alle Leichen muß besingen, / Als währstu hierzu nur bestellt.« Z III, S. 129). Besser wäre es, den »Helden« zu erheben, »der dich liebt«, doch aus dieser >geistlichen< Hinwendung zu Christus erfolgt sogleich der nächstenliebende Impuls mit der Bereitschaft, auch diesem Toten ein »Denckmal« zu setzen: »Herr Schmitner ist anjetzt verblichen, / Jst Er nicht eines Liedes wehrt?« Mit der anschließenden poetologischen Begründung hat Dach dem eigenen Dichten bei Gelegenheit selbst ein tugendhaftes »Denckmal« gesetzt: »Worzu wird anders euch Poeten Der Geist vom Himmel selbs gerührt, Als daß jhr aus den SterbensNöthen Das Lob der wahren Tugend führt? Ihr sollt Fluch, Todt vnd Helle drewen Den Lastern der verkehrten Zeit, Die Vnschuld aber auch erfrewen Mit Lobe, Danck vnd Seeligkeit. Was solt' ich thun? Durch meine Lieder Empfind ich auch sonst Lieb vnd Trew, Ich stimme meine Seiten wieder Jn eine Trauer-Melodei.« (Z III, S. 29; vgl. analog ebda., S. 392)
Dach wollte seine Dichtung also als Dienst-Leistung gewürdigt sehen, und auch und gerade die Leichencarmina sollten als Liebes-Dienste gegenüber den Verstorbenen oder ihren Hinterbliebenen verstanden werden. Solcher Dichtung maß er offensichtlich im Laufe der Jahre größeren humanen Wert bei als den humanistischen PrunkGebilden, zu deren Verfertigung er als Poesieprofessor auch verpflichtet war. Insofern beurteilte er seine deutschsprachigen Casual-Gedichte als seine eigentliche, allerdings qualitativ (gemessen an Opitz und den bedeutenden humanistischen Vorbildern) nicht hoch zu schätzende poetische Leistung. Charakteristisch hierfür ist die Selbsteinschätzung im Memeler Abschiedsgedicht. Wenn man von seinem Sterben höre, solle man ihm einen »Seufftzer« gönnen:
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3) Liebes-Dienste >bei Gelegenheit< (Dach) »Was wichtigers begehr' ich nicht, Mein Wert ist zu geringe, Es wäre, daß ich die Geticht' Erst her in Preußen bringe, Ich erst den deutschen Helicon Nach Königsberg versetzet, Ob dessen Danck ist oder Lohn, Mir wird es gleich geschätzet.« (K, S. 124)
e)
Geselligkeit und Freundeskreis (Albert, Robertin, Kaldenbach)
1) Das Naturrecht der Geselligkeit: Geselligkeit und Freundschaft hatten für Dach einen hohen biographischen und poetologischen Stellenwert, weil er seine Feder vielen freundschaftlichen Anlässen lieh. Bei einer solchen Gelegenheit - einer Einladung zum Namenstag der Gattin eines Bekannten - hat Dach in einem Alexandrinergedicht sogar die entscheidende naturrechtliche Begründung für die Verpflichtung des Menschen zur >socialitas< expliziert, wie sie auch von Hugo Grotius (II JBP) als Grundlage des modernen Naturrechts entwickelt wurde (vgl. dazu Bd. V/2, S. 79f.): »Was sind wir, wenn wir nicht einander wollten trauen Und gute Freunde seyn. Die stets nur vor sich hin Und Menschen-scheue sind, was thun die ihrem Sinn Vor Leid und Pein nicht an! Sie haben sich verziehen Des Rechtes der Natur, die anfangs uns verliehen Vnd noch will, daß ein Mensch den ändern suchen soll, Mit welchem er, es geh ihm übel oder wohl, Zusammenhalten mag. ...« (K, S. 96)
Anschließend folgen Beispiele aus der Natur, die dem Menschen das gesellige Verhalten zusätzlich als Gottes Ordnung vor Augen führen. - Viele Zeugnisse ließen sich für die praktizierte poetische Geselligkeit Dachs und seiner Freunde anführen. Am bekanntesten ist das folgende Lied, das Herder als >Lied der Freundschaft< in seine Anthologie aufnahm und das als >Geistliches Volkslied< lange zum Bestand des Evangelischen Gesangbuchs gehörte, aber die Revision von 1996 nicht mehr überstand (heute ist dort kein Text von Dach mehr vertreten; im folgenden nur die erste Strophe): »DEr Mensch hat nichts so eigen, So wol steht jhm nichts an, Als daß er Trew erzeigen Vnd Freundschafft halten kann; Wann er mit seines gleichen Soll treten in ein Band, Verspricht er nicht zu weichen Mit Hertzen, Mund und Hand.« (K., S. 33; vgl. dazu 11.23 Sturzenegger, S. 33ff., 65ff.)
e) Geselligkeit und Freundeskreis (Albert, Robertin, Kaldenbach)
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2) Freundeskreis: Schöne hat mit guten Gründen den lange in der Literaturgeschichte genährten Mythos vom Königsberger Dichterkreis, einem nach dem Vorbild der >Accademia della Crusca< und der fruchtbringenden Gesellschaft - allerdings ohne Satzung - gebildeten Zirkel, in Frage gestellt: »Es gab da offensichtlich gar nichts anderes als eine fluktuierende Gruppe der Art, wie die humanistisch geschulten Theologen, Beamten, Professoren und Lehrer, Richter und Ärzte sie seit dem 16. Jahrhundert überall in großen und kleinen Städten, selbst in den ländlichen Gegenden gebildet haben.« (11.16 Schöne, S. 42) Gleichwohl haben Robertin, Albert und Dach durch freundschaftliche Unterstützung, auffallende Gleichheit der Gesinnung, intensive Geselligkeit, (neben-)berufliche und musikalisch-poetische Kooperation für ein Dutzend Jahre eine besondere Konnexion gebildet, die 1636 mit der endgültigen Rückkehr Robertins nach Königsberg begann und durch seinen sowie Alberts Tod (1648/1651) schon wieder beendet war. Dabei dürfte ALBERT »als die eigentliche Integrationsfigur der Königsberger angesehen werden« (11.16 Segebrecht 1984, S. 256). Er hatte ab 1622 in Dresden bei seinem Vetter Heinrich SCHÜTZ (1585-1672) Komposition studiert, der als Stipendiat des Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel aus Italien die neue Idee von der Melodie als Ausdrucksmöglichkeit im Unterschied zum alten Kontrapunkt mitgebracht hatte und der die erste deutsche Oper >Daphne< nach einem Übersetzungstext von Opitz schuf. Albert hatte sich dann beim Leipziger Thomaskantor Johann Hermann SCHEIN (1586-1630; vgl. dazu auch Kap. 4) weitergebildet. Dieser bereicherte nicht nur die geistliche Musik mit Motetten und dem >Cantional oder Gesangbuch augsburgischer Konfession zu vier bis sechs Stimmern (1624), sondern auch die weltliche mit heiteren Liedersammlungen (>Venus-KränzleinWald-Liederlein< [Musica boscarecciaSehnlichen Klage< über Alberts Tod: »Meine Arbeit zog durch deine Weisen / In Warheit newe Kleider an.« (K, S. 198) Auch Albert praktizierte in beiden Künsten. Seine >ArienWald-Liederlein< als eines der repräsentativsten deutschen Liederwerke im 17. Jahrhundert (vgl. II K, S. 295 ). Sein bekanntestes Lied hat sich bis heute (mit Alberts Melodie) im Evangelischen Gesangbuch erhalten: das >Morgen-Lied< »Gott des Himmels vnd der Erden« (K, S. 215f.). Der Pfarrersohn Robert ROBERTIN wiederum gilt als »der geistige Führer des Dichterbundes« (K, S. 301). Nach Beginn seines Studiums in Königsberg (1617) konnte er seine Studien mit einem kurfürstlichen Stipendium in Leipzig und in Straßburg bei Matthias Bernegger (1620/21) fortsetzen, anschließend war er auch als Hofmeister und Erzieher mehrfach (1625-1630, 1633-1636) weit gereist und hatte in den Niederlanden, wo er mit Hugo Grotius Freundschaft schloß, sowie in England, Frankreich (Paris) und Italien enge Beziehungen auch zu bedeutenden Gelehrten (darunter zu Heinsius) geknüpft (vgl. 11.65 Mache). 1636 ernannte ihn Kurfürst
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3) Liebes-Dienste >bei Gelegenheit (Dach)
Georg Wilhelm zum Sekretär beim Königsberger Hofgericht, unter seinem Sohn wurde er 1645 kurfürstlicher Rat. Robertin gilt als Berater Dachs und als Förderer seiner Karriere. Er hat die Geselligkeit des Kreises gepflegt und mit eigenen poetischen, an Opitz geschulten Beiträgen (oft Übersetzungen) bereichert, von denen Albert 15 in den >Arien< vertonte (vgl. K, S. 231 ff.; II.2 Eggebrecht, S. 86). Zum Freundeskreis gehörte bis zu seiner Berufung als Rhetorik- und PoesieProfessor nach Tübingen (1656) auch der gebürtige Schlesier Christoph KALDENBACH (1613-1698), der sich - vom Krieg aus Frankfurt/Oder vertrieben - 1631 in Königsberg immatrikulierte und der eine ähnliche Karriere wie Dach durchlief (1639 Konrektor, 1645 Prorektor an der Altstädtischen Lateinschule, 1651 Professor Linguae Graecae an der Albertina; vgl. 11.40 Barner, S. XVIff.). Kaldenbach arbeitete ebenfalls als Gelegenheitsdichter (>Deutsche Grab=Getichte< in 2 Teilen 1648 mit einem Abriß der Geschichte des Epicediums in der Widmung an den Rat der Stadt Königsberg; II Kaldenbach, S. 79ff.), er edierte im selben Jahr eine Sammlung >Eclogen< mit einem langen >Grab=Lied< auf Opitz (ebda., S. 70ff.) und gab 1651 unter dem Titel >Deutsche Sappho / Oder Musicalische Getichte / So wol mit lebendiger Stimme / als unter allerhand Instrumente / auch wol von einer Person allein zugleich zu spielen und singen / gesetzt< eine Probe als Komponist. Als solcher arbeitete er auch mit Dach zusammen. So wurde ein >Braut=Tantz< zu Ehren eines hohen Beamten »geschrieben von Simon Dachen und componiret von Christoph Kaldenbachen« (zit. in 11.40 Barner, S. XXIII). Im Unterschied zu Dach publizierte Kaldenbach auch seine lateinischen Gedichte (>Lyricorum libri tresSylvae TubingensesDeutsche Lieder und GetichteArien< aufgenommen (vgl. 11.16. Kelletat, S. 304). Was diese Gruppe, zu deren weiterem Umkreis noch der Archivar und Notar Christoph WILKOW (1598-1647) und Valentin THILO (1607-1662), Dachs Kollege als Professor der Beredsamkeit, zu zählen sind, im Kern verbindet und was die von Kelletat aus ihrer Feder abgedruckten Proben bezeugen (II K, S. 213ff.), ist ihre Vorliebe für die Verbindung von Gedicht und Gesang in der neuen monodischen Form nach dem Vorbild der italienischen Arie, welche die alte polyphone Form der Motette, wie sie noch von Stobäus und - der Konvention gehorchend - von Albert und Kaldenbach gepflegt wurden, zu überwinden suchte (vgl. dazu auch 11.40 Barner, S. XVIIf.). Daß dies nicht so einfach war, zeigt die Entwicklung der Albertschen >Arientheils Geistliche, theils Weltliche, zu guten Sitten vnd Lust dienende Lieden ankündigte (ebda.), durchbrach ebenfalls eine auf Trennung der Bereiche verpflichtete Konvention, eine Provokation für die Orthodoxie, worüber sich der Theologe Scheibel - wie zitiert (vgl. Kap. l a-2) noch ein Jahrhundert später angesichts der Nachahmung dieses Verfahrens bei Hoffmannswaldau und Günther erregte. Albert hatte im ersten Vorwort schon beschwichtigend erklärt, die in seiner Sammlung abgedruckten »Bulenlieder« zielten »mehr auff Tugendt vnd Sittsamkeit als Geilheit« (K, S. 316). Wie indes auch die zahlreichen Neuauflagen und Nachdrucke zeigen, gehörte Alberts Sammlung und seiner Innovation des monodischen Liedes die Zukunft. Insofern ist zwar nicht für Dachs umfangreiche poetische Produktion, aber für den Freundeskreis die Albertsche >ArienMusicalische Kürbs-Hütte, Welche uns erinnert Menschlicher Hinfälligkeit (1641, erschienen 1645; vgl. K, S. 225ff.; der Name bezieht sich auf Jona 4, 5-11; vgl. dazu 11.16 Schöne, S. 16f.). Die 12 Sätze beziehen sich auf zwölf Sinnsprüche, die, wie Albert im Vorwort erklärt, aus dem geselligen Zusammensein mit den Freunden in seinem vor den Toren Königsbergs auf der Thomseinsel gelegenen Gärtchen hervorgegangen sind. Er habe den dort gepflanzten Kürbissen den Namen seiner Freunde und einen kurzen Reim eingeritzt, und Robertin habe ihn zu deren Vertonung angeregt, damit man sie gemeinsam aufführen könne. Der Titelkupfer scheint den schmalen Garten mit den Kürbissen und der Regenhütte recht genau abzubilden (vgl. 11.16 Schöne, S. 33; Kelletat, S. 364ff.). Noch bekannter als durch dies nur einmal gedruckte Werk wurde die >KürbsHütte< als Ort der in Königsberg gepflegten Freundschaft durch Dachs - vor allem in Schönes sozialgeschichtlicher Interpretation mustergültig erschlossene - >Klage über den endlichen Vntergang vnd ruinierung der Musikalischen Kürbs-Hütte vnd Gärtchens< in 230 Alexandriner-Versen (K, S. 54-61). Anlaß ist die Klage darüber, daß der kleine Garten, der den Freunden oft als Ort der Geselligkeit und wechselseitiger Inspiration gedient hatte, einem Straßenbau weichen mußte (vgl. dazu 11.16 Schöne, S. 64; zur unsicheren Datierung vgl. 11.16 Kelletat, S. 372ff.). Diese Zerstörung des Königsberger Musen-Ortes verdeutlichte so wie die schnell wachsende, aber auch verwelkende Kürbispflanze einmal mehr die Vergänglichkeit alles Zeitlichen: zuvor »Ein kleines Paradieß«, jetzt »auff den Grund geschleifft« (K, S. 55, 57); aus düsteren Erinnerungen und Gedanken (auch an das Schicksal der durch Tilly zerstörten Stadt Magdeburg; ebda., S. 60) versucht sich das Ich in dieser Elegie im Medium und durch das Medium der Poesie wieder Mut und Sinn zuzusprechen, aber sinnstiftende Dichtung gelingt damit nur noch im Blick auf ein ganz ins Christ-
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3) Liebes-Dienste >bei Gelegenheit (Dach)
liehe gewendetes »Exegi monumentum acre perennius« des Horaz (vgl. dazu auch K, S. 139): »Mein Lied soll mit der Zunfft der Götter mich vermengen, darauß mich weder Fall noch Zeit noch Tod soll drengen.« (Ebda.) Für Dachs irdische >Liebes-Dienste, für sein immenses poetisches Schaffen und für die Grundlage des Freundschafts-Bundes hat Robertin in einem Gratulationsgedicht zu Dachs Hochzeit (1641) mit einem »aus dem Holländischen« verdeutschten >Lobgesang der Liebe< die entscheidende Motivation genannt, - und sie klingt wie ein freundschaftliches Echo auf Dachs eigene Gestaltung des Themas (vgl. Kap. d-3, e-1): »Dieser Ordnung festes Werck Ist der Liebe groß Gemerck, Die den Reichsstab führt vmbher Vber Himmel, Erd' vnd Meer. [...] Liebe knüpffet Leut vnd Land In ein heilig Friedens Band. Liebe füget keusche Brunst In des treuen Ehbetts Gunst. Lieb' ertheilet auch Bericht Von der wahren Freundschafft Pflicht.« (K, S. 239)
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4) Liebe als Lebens-Macht (Fleming)
a)
Der »Himmelflammende Flamming« und das Gewicht der Tradition
1) Zur Rezeption: Paul FLEMING (1609-1640; vgl. Abb. 3, ein unbezeichneter Kupferstich aus der posthumen Sammlung seiner >Teütschen PoemataErlebnislyJector·': caj'mine talis et rikPoeterey< empfohlenen Bestand an
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4) Liebe als Lebensmacht (Fleming)
Versmaßen (Jambus, Trochäus), Versen (Alexandriner, Vier- und Fünfheber) sowie Gattungen (vor allem das Sonett, das paargereimte Alexandriner-Gedicht, die Ode mit einfachen Strophen und das Epigramm; vgl. 11.23 Fechner, S. 376). Ferner war ihm das Dichten in neulateinischer Sprache so wichtig wie in der deutschen, wie die je nach Zählung - 860 bis 930 lateinischen und rund 500 deutschen Gedichte zeigen (vgl. 11.23 Pohl, S. 53, 190; vgl. dazu 11.23 Fechner, S. 372ff.). Der größte Teil seiner noch von ihm selbst für den Druck vorbereiteten lateinischen Gedichte, die er in einer Schreiberabschrift mit eigenhändigen Korrekturen versehen hatte, wurden nicht mehr publiziert - ein Zeichen für das nachlassende öffentliche Interesse an der lateinischen Dichtkunst. Die Handschrift fand schließlich auf Umwegen und über Nachlaß-Käufe den Weg in die Wolfenbütteler Bibliothek (vgl. ebda., S. 373). Diese Sammlung wie seine posthum 1646 erschienenen >Teütschen Poemata< hat Fleming nach dem Vorbild von Statius und Opitz in einzelne >Libri silvarum< bzw. >Poetische Waiden eingeteilt (vgl. dazu Bd. IV/1, Kap. 2 d). 3) Geistliche Hermetik: Dabei sind als weiterer traditioneller Zug das >erste Buch< und auch das spätere >erste Buch< der >Oden< wie bei Opitz der geistlichen Dichtung vorbehalten. Auch hier bleibt Fleming formal und thematisch im Rahmen der Gattungen geistlicher Dichtung. Der Höhepunkt ist ein langes (Alexandriner-) >Klag=Gedicht Vom unschuldigen Leyden Christk (TP, S. 2-15), das im poetischen Eilverfahren (bisweilen auch die Zäsuren des Alexandriners für einen Bild- und Stationen-Wechsel nutzend) das ganze Leben Jesu von der Geburt bis zu Kreuzigung und Tod vergegenwärtigt. Dabei fallen inhaltlich zwei Besonderheiten auf: Für den hermetisch interessierten Fleming stirbt dezidiert der >Mensch< Jesus, um damit die >pelicanische< Kraft der Transformation zu bezeugen: »O wahrer Pelican, der seine todten Jungen / durch sein selbst Blut belebt«, er erweist sich somit als »ehrne Schlange« und »edle Medicin«: »Du stirbest als ein Mensch / auff daß du uberwundest // Den Tod / als wahrer GOtt.« (Ebda., S. 12) Zum anderen bleibt Fleming in seinen Glaubensaussagen überkonfessionell (so auch 11.23 Fechner, S. 376, 379): »Weil der gestorben ist / so stirbet nun kein Christ.« (TP, S. 15) Die anderen Stücke im ersten Buch sind sieben Psalmenübersetzungen sowie Translationen des >Gebets Manasse< und kleinere Übersetzungen anderer Autoren (darunter Scaligers) in Alexandriner-Versen. Das erste >OdenAuff die seligmachende Gebührt unsers Erlösers Jesu Christi< (TP, S. 295ff.). Wieder kommt das hermetische Interesse des Autors voll zur Geltung: Christus ist das >merkurialische Wassen, also der >Stein der Weisen< (vgl. dazu auch Kap. 5 f-2), der im Frühling auf die Erde kommt und die Resurrektion der Schöpfung einleitet und der folgerichtig am Schluß als Schöpfungserhalter angerufen wird, der als UniversalTinctur die Luft von bösen Kräften entgiften soll; die Form der sechszeiligen Strophe mit trochäischem Vierheber in weiblich-männlichem Kreuzreim und weiblichem Paarreim nutzt Fleming häufig auch in seinen weltlichen Oden; Opitz hatte diese Form in umgekehrter Reimfolge bereits in seiner >Poeterey< vorgestellt (vgl. II BDP, S. 60f.; im folgenden die zweite sowie die zehnte und letzte Strophe):
b) Leipziger Anfang zwischen >Kuß< und >Krieg
In allen meinen Taten< als sein bekanntestes geistliches Lied im Evangelischen Gesangbuch erhalten, obwohl es den neustoizistischen Einfluß (»So sei nun, Seele, deine«; I EGB, S. 713, Nr. 368) nicht leugnet. 4) Biographie als Leitfaden für die Poesie: Der Zugang zur schon von den Zeitgenossen empfundenen Sonderstellung des »Himmelflammenden Flamming« (II Zesen HH, S. 304 u. ö.) erschließt sich nicht primär aus seiner Rückbindung an die neulateinische und humanistische Tradition, wobei er »auch hier unter dem bestimmenden Einfluß von Opitz« zeige, »was mit den begrenzten Forderungen der >Poeterey< und dem praktischen Beispiel der Dichtungen Opitzens erreichbar ist.« (11.23 Fechner, S. 376) Das Besondere wird eher faßbar in den Spannungen, in welche die lyrischen Traditionen und Gattungen in der Applikation dieses Autors auf die exzeptionellen >Gelegenheiten< seines ungewöhnlich abenteuerlichen Lebenslaufs geraten. Dieser bietet sich - wie im folgenden zu zeigen ist - als Leitfaden auch für eine Werkübersicht und für die Innovationen an, welche durch die poetische Bewältigung komplexer Situationen hervorgerufen werden, in denen Fleming von den literarischen Sozietäten und den poetischen Entwicklungen in Deutschland abgetrennt war. b)
Leipziger Anfang zwischen >Kuß< und >Krieg
bei Gelegenheit dichtenden Studenten, zu dem insbesondere auch der Lyriker und spätere Brasilienfahrer Gottfried FINCKELTHAUS (1614-1648; >Deutsche Oden oder GesängeManes Glogeriank ein eindrucksvolles hagiographisches Denkmal gesetzt (II LG, S. 213ff.; ALG, S. 49ff.). Hier erscheinen zum ersten Mal über die Demonstration der Verfügbarkeit der antiken und humanistischen Tradition hinaus Züge einer sehr persönlichen Betroffenheit über den Tod des Freundes. In dem Epigramm-Zyklus >Vom Tode des seligen Gloger< werden im einzelnen >Des seligen Gloger Schlaf«, >GebetAbendmahlFieberSargKranzStirneHändeGebete< und >Abschiedsworte< vergegenwärtigt (ALG, S. 49ff.; LG, S. 224ff.), und in dem Epigramm >Über den eigenen Wahlspruch: >Meine Hoffnung beruht auf Gott« gibt sich Fleming geradezu verbittert einer hoffnungslosen »Verzweiflung« (als Höhepunkt in der letzten Zeile) hin: »Gloger, du bist nach Jehova allein meine Hoffnung gewesen, Und meine Hoffnung nach dir war mir Jehovah allein. Ach, was für glückliche Zeit in der doppelten Hoffnung verbracht' ich! Damals erschien ich mir selbst selig in jedem Betracht. Hat mich der Hoffnungen eine getäuscht, ach so täuscht auch die andre, Der ich zu Gott mich versah; beider bin jetzt ich beraubt. Weh mir: Überall hör' ich ins Ohr mir raunen die Worte: Nur die Verzweiflung bleibt, Mensch, dir als sicheres Los.« (ALG, S. 61; vgl. LG, S. 220f.)
2) Studenten-Poesie: Schon als Student erwarb er sich - deutsch und lateinisch vor allem >bei Gelegenheit dichtend - den Ruf eines begabten Poeten. Sein Vater veröffentlichte in seiner Sammlung von Leichenpredigten erste Gelegenheitsgedichte des Sohnes. Ab 1630 erschien eine Reihe von Casualcarmina im Druck, 1631 publizierte Fleming gesondert gleich mehrere Dichtungen: eine Sammlung versifizierter Psalmen (>Davids / Des Hebreischen Königs und Propheten BuszpsalmeGermaniae exsulis ad suos filios sive Proceres regni epistola / Schreiben Vertriebener Fr. Germanien an ihre S0hneKuß< und >Krieg
Promus miscellaneorum epigrammatum et odarumRubella, seu Suaviorum über ISuaviaOfft begehrte Beschreibung Der Newen Orientalischen Reise< und dann 1656 um das Doppelte (vor allem um landeskundliche Informationen) erweitert unter dem Titel Vermehrte Newe Beschreibung Der Muscowitischen vnd Persischen Reyse< als imponierenden Folianten veröffentlicht hat, sowie den auf dieser Reise entstandenen Gedichten Paul Flemings, die z. T. in Olearius' Reisedarstellung Eingang gefunden haben (vgl. dazu 11.23 Kemper, S. 320ff.). Bei Fleming erweist sich die Einstellung zur Reise als entscheidende Voraussetzung zur Bestimmung der >Poetologie< seiner während der Expedition entstandenen Lyrik und seiner >ReiseGedichte< im engeren Sinne. 1) Besuch im Lande der Magier. Fleming hat 1638 in einer Anrede an sein Vaterland in Astrachan als Hauptmotiv für seine Teilnahme an der Expedition die Flucht vor den Kriegshandlungen genannt: »[...] So hast dus auch nicht Not, daß ich für Gott und dich mich lasse schlagen tot in einer tollen Schlacht. [...] [...] [... ] Ich trug für manchen Sieg schon manchen Lorberkranz. Als aber gleich der Krieg, erbarm' es Gott, der Krieg, mit welchem wir uns Deutschen von so viel Jahren her nun ganz zu Tode peitschen, mein M e i ß e n drittens traf, so gab ich mich der Flucht, die niemand schelten kan und ich mir oft gesucht. [...] Mein Bleiben war nicht mehr. Zudem war dieß mein Rat: was gilt bei uns ein Man, der nicht gereiset hat?« (DG I, S. 186)
Vor Reisebeginn gab er aber auch Neugier auf das bevorstehende Abenteuer zu erkennen. In einer Strophe aus einer Trauerode von 1633 rechtfertigt er seinen Entschluß in diesem Sinne auch mit der Vorfreude auf die zu erwartende Bereicherung seiner Welt-Weisheit in der Begegnung mit der als heidnisch und barbarisch verschrieenen Fremde: »Meint nicht, wie der Pöfel spricht, Mitternacht sei ganz ohn' Ehren, Persien, das habe nicht, was uns könne Weisheit lehren! Denkt, daß in der Barbarei Alles nicht barbarisch sei!« (DG I, S. 273)
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4) Liebe als Lebensmacht (Fleming)
Dies Argument entspricht ganz dem Denken von Olearius, dem Fleming die zitierten beiden Schlußzeilen deshalb auch 1635 in seinen Revaler Epithalamia auf Reiner Brockmanns Hochzeit in den Mund legen kann (DG I, S. 86). Als Anhänger des Paracelsus, den er in einem lateinischen Epigramm als menschlichen »Gott« und trefflichen Sohn Europas rühmt (vgl. >Lob des Theophrastus Bombastus ParacelsusHofdichter< mitreisen zu können, und er hat diese Aufgabe auch mit einer großen Zahl von Gelegenheitsgedichten wahrgenommen. Zugleich aber wurde er auch zu anderen Aufgaben herangezogen. Um die für Schlitten günstigen winterlichen Verhältnisse auszunutzen, schickte man das schwere Gepäck unter seinem Kommando von Riga aus voraus nach Nowgorod, wo er dann fast fünf Monate (von Anfang März bis Ende Juli 1634) auf die Hauptgesandtschaft warten mußte (II Olearius VNB, S. 10). In dieser Situation von Einsamkeit und Verlassenheit in der Fremde tröstete sich Fleming noch einmal mit der anfänglichen Zuversicht: Er will die Vorurteile gegenüber den »mitternächtigen« Ländern nicht gelten lassen, will das »Wahre« erfahren, und damit verbindet er neustoizistisches Gedankengut, das doch zugleich auch seine Zweifel nähren mußte; denn der Belgier Justus LIPSIUS (1547-1606) hatte in seiner berühmten Ethik >De constantia< angesichts der Kriegsnot der Niederlande vor einer Flucht und vor dem Verreisen gewarnt. »Sihe / du wilt dein Vaterland verlassen«, heißt es dort gleich im zweiten, der Vergeblichkeit des Reisens gewidmeten Kapitel, »aber sage mir die Warheit / wirstu dich auch selbst verlassen können?« (II Lipsius, S. 4r) »Was hilffts«, fragt Lipsius weiter, »wenn du noch an so friedliche vnnd ruhsame Orter kommest / so du den Krieg mit dir schleppest / vnd vnruhe vmb vnnd in dir ist?« (Ebda., S, 8r) Dagegen empfiehlt er die »Bestendigkeit« als »eine rechtmessige vnnd vnbewegliche stercke des gemuts / die von keinem eusserlichen oder zufelligen dinge erhebt oder vnterdrückt wird« (ebda., S. lOr). Diese Idee greift Fleming auf, erhebt sie - am nachdrücklichsten in seinem berühmten Sonett >An sich< zur Lebensmaxime und verbindet dies mit dem ebenfalls neustoizistischen Gedanken, daß man sein »fatum« anzunehmen habe, das Lipsius mit Seneca definiert als »eine notwendigkeit aller Menschlichen dinge vnd hendel / welche keine gewalt brechen kan« (ebda., S. 53v). Eine widersprüchliche Summe all dieser Überlegungen bietet eine während der Wartezeit in Nowgorod 1634 verfaßte, an sich selbst gerichtete Standortbestimmung >In Groß-Neugart der Reußen, M. De. XXXIV< (DG I, S. 128-131; vgl. DG, S. 41-45; vgl. dazu 11.23 J. Schmidt 2002): »[...] Ein himmlisches Gemüte ist irdnen Sachen feind, ermannet sein Geblüte, schätzt ihm kein Gut nit gleich, ist an sich selbst vergnügt,
d) Reiselust und -frust: Poetische Selbstversicherungen
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in höchster Armut reich. Du auch, machs, wie sichs fügt, und hülle dich in dich, biß daß sich Sturm und Regen, nachdem sich Phöbus zeigt, hin wieder werden legen! [...] [...] Tu', was der Himmel heißet! Nimm der Bequemheit war, eh' sie sich dir entreißet! Zeuch in die Mitternacht, in das entlegne Land, das mancher tadelt mehr, als das ihm ist bekant! Tu', was dir noch vergünnt der Früling deiner Jahre! Laß sagen, was man will! Erfahre du das Wahre! Dem traut man, was man sieht. Und hoffe diß darbei, daß in der Barbarei auch was zu finden sei, das nicht barbarisch ist! Wolan, ich bin vergnüget. Es hat mich nicht gereut, daß ich mich her verfüget.« (DG I, S. 129)
Anschließend zeichnet er - antiker Idyllen-Tradition und dem Opitzschen IdyllenMuster >Zlatna< folgend (vgl. 11.23 Entner, S. 375ff.) - ein ganz unrealistisches Bild vom einfachen, bedürfnislosen und friedlichen Landleben der Russen (in dem feudale Ausbeutung offenbar keine Rolle spielte) und konfrontiert es bukolischer Tradition gemäß mit dem verderbten zivilisatorischen Leben in Deutschland (Olearius beschreibt das genaue Gegenbild der trunksüchtigen, liederlichen, groben und unzuverlässigen Russen, druckt aber am Ende seiner Landeskunde im dritten Buch wie zur Versöhnung die besprochenen Verse von Fleming ab; vgl. II Olearius VNB, S. 330ff.; vgl. dazu auch 11.52 Liszkowski; 11.23 Kemper, S. 329). 3) Krise und scheiternde Fluchtpläne: Trotz des guten Vorsatzes sind Anzeichen einer Krise nicht zu übersehen. Fleming hat auf der ersten Reise (Nov. 1633 bis Januar 1635) »erstaunlich wenig« gedichtet. »Vor allem fällt auf«, so sein bislang bester Biograph Heinz Entner, »daß nur sehr wenige Gedichte unmittelbar Reiseeindrücke verarbeiten, fast sieht es aus, als wäre er mit verbundenen Augen gereist.« (11.23, S. 377) Diese »künstlerische Blockade« (ebda., S. 378) wird durch »Heimweh und >Verdruß des ReisensDer Brief Basilenes< vom August 1636 und damit wenige Wochen nach der Abreise aus Moskau deutet Fleming eine solche Vereinbarung an und spricht von eigener »Schuld«: »Blitze mich treffen so viele, wie Zeichen du auf das Papier schriebst, Welches mit grausamer Hand, Freundin, du schicktest an mich. Zwar bist du völlig im Recht, wenn begründetem Zorn du dich hingiebst Und mich wie Jupiters Faust grimmig mit Donner bedrohst Ja, ich bin schuldig, und noch übertret' den geleisteten Eid ich Aber wie dich der Verzug martert, so quält er auch mich.
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4) Liebe als Lebensmacht (Fleming) Darum die finsteren Wolken zerstreu, hell strahlende Sonne Während ich spreche, vereint Raschheit der Schritte mich dir.« (ALG, S. 141f.;vgl. LG, S. 328)
Hier scheint Fleming seinen Fluchtplan noch nicht aufgegeben zu haben. Doch die strengen herzoglichen Vorschriften, welche den Kodex der Gesandtschaft mit Gesetzeskraft regulierten, untersagten ein vorzeitiges Ausscheiden (vgl. 11.23 Entner, S. 440). So hat Fleming den mit harter Strafe bedrohten Makel des Ehrverlustes auch im weiteren Verlauf der Reise nicht auf sich zu nehmen gewagt. Und dies wiederum hat offenbar Elsabe als Treuebruch empfunden. Nach besonders unerträglichen Eskapaden Brüggemanns (im Anschluß an den zweiten Schiffbruch Ende 1636 sowie in Isfahan vor der Rückreise der Delegation) lebten die Fluchtpläne Flemings allerdings auch in seinen Gedichten wieder auf: »Was nutzet uns diß Tun als nur zu unserm Schaden? Indeß dreht Klotho hart an unsrem schwachen Faden, an dem diß Leben hängt. Die Jugend, die wird alt, die Schönheit schwindet hin, wir werden ungestalt. Wir sind an Mangel reich, vergessen das wir wissen. Wer wird wohl dermaleins uns alte Jungen küssen, uns kluge Toren ehrn? Freund, auf und laß uns gehn! Auf! es ist hohe Zeit dem Übel zu entstehn. Versichre dich an mir! Und wolltestu gleich ziehen Nach beiden Indien, in Nord und Osten fliehen Durch Stürme, Hitz' und Frost, durch rauhes Land und Meer, ich ziehe mit dir hin und komme mit dir her.« (DG I, S. 178)
Doch fast ein Jahr später berichtet er in einem >Reise-Gedicht< an seinen Freund Hartmann Grahmann, den Leibarzt der Gesandten (und späteren Leibarzt des Zaren) aus Astrachan über den mißlungenen Fluchtplan aus Isfahan (DG I, S. 193). 4) Spannungen in der Gruppe: Flemings Fluchtpläne scheiterten - warum, wissen wir nicht -, aber er war ohnehin in der Reisegesellschaft eigentümlich absent. Das anfangs bekundete Interesse für die fremden Länder und Kulturen, das Olearius mit nicht erlahmendem wissenschaftlichen Eifer an den Tag legte (vgl. dazu 11.23 Kemper, S. 320ff.), läßt sich bei Fleming nicht belegen (und Olearius erwähnt und zitiert seinen Freund auch nur als Dichter, nicht als Teilhaber an seinen landeskundlichen Interessen). Bei den vor allem von Brüggemann ausgehenden starken Polarisierungen und Freund-Feind-Gruppierungen scheint Fleming ebenfalls unbeteiligt gewesen zu sein. Obwohl vor allem Brüggemann wenig von dem >Hofpoeten< gehalten zu haben scheint und Fleming unter dieser Zurücksetzung offenkundig litt, wahrte er wie seine höflichen Gelegenheitsgedichte auf den Gesandten bezeugen - bis zum Schluß die Form, und er ermahnte auch Olearius, der sich sogar zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit dem Gesandten und zu spektakulären Fluchtreaktionen in Isfahan verleiten ließ, nachdem Brüggemann ihn mit einem Messer bedroht hatte (vgl. II Olearius NVB, S. 518; vgl. zu Brüggemann 11.23 Kemper, S. 333f.), in einigen Epigrammen zur Mäßigung und >constantia< (vgl. ALG, S. 181). In einem Gedicht an Olearius »vor Astrachan« im September 1636 rechtfertigt Fleming seine stoischirenische Position nicht ohne Spitze gegenüber dem parteilichen Freund:
d) Reiselust und -frust: Poetische Selbstversicherungen
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»Ich bin von Jugend an in Sanftmut auferzogen, von mir ist niemand noch belogen, noch betrogen. Viel Wesens mach' ich nicht. Läßt man mir meinen Glimpf (= Ehre), so müste mirs sein leid zu bringen einen Schimpf auf diesen oder den. Ich aber will nur schweigen und mich auf allen Fall mir ähnlich stets erzeigen.« (DG I, S. 164; vgl. auch ebda., S. 204) 5) Grauen vor der Rückkehr in den >Teutschen Kriege. Je länger die Reise allerdings dauerte, desto verbitterter wurde Fleming - aller stoischen Selbsterziehung zum Trotz. An ihm bewahrheitete sich die reiseskeptische Erfahrung von Lipsius: »Eben dasselbige anschawen der Städte vnd der Berge / wird dich mit gedancken in dein Vatterland fuhren: vnd mitten vnter der Frewde wirstu etwas sehen oder horen / das dir deinen schmertzen ernewern wird.« (II Lipsius, S. 7v) So ergeht es Fleming im Oktober 1636 bei der Abfahrt der >Holsteinischen Gesellschaft von Astrachanan sich< unerachtet war Fleming im Gram über all dies weniger als je zuvor »Meister seiner selbst«.
e)
Gelegenheitsgedichte auf Freunde und Reise-Erlebnisse
Der poetische Ertrag der Reise besteht zunächst einmal in einer Vielzahl von lateinischen und deutschen Gelegenheitsgedichten. Flemings Hauptaufgabe war es ja, als mitreisender Poet auf alle vorfallenden - personen- und ereignisbezogenen - >Gelegenheitem Verse zu schmieden. In seiner Handhabung zeigt sich die Stärke dieses funktionalen Gedichttyps: Im Rückgriff auf verschiedene Gattungsformen (Sonett, Ode, Lied usw.) gelingt es dem jungen Autor, allen Fällen mit routinierter Feder >Sinn< zu verleihen, und dabei nutzt er - in den lateinischen Gedichten noch mehr als in den deutschen - das ganze Arsenal der antiken Mythologie, und er geizt nicht mit seinem humanistischen Wissensfundus. Insgesamt ist dabei - wie sich im folgenden zeigen soll - eine gegensätzliche Entwicklung zu beobachten: Einerseits scheinen der Typ und die Topik des Gelegenheitsgedichts den Autor an der adäquaten Erfassung und Beschreibung des Reisens eher zu hindern. Andererseits verändern das langjährige Beisammensein derselben Gruppe unter gefährlichen Bedingungen und die angesammelte gemeinsame Erfahrung, Personenkenntnis und Vertrautheit im Umgang miteinander in einigen Fällen auch die Struktur des Gelegenheitsgedichts in Richtung auf die Darstellung gemeinsamer Erfahrungen und autobiographisch grundierter Erlebnisse. 1) Reisen ohne Landschafts-Blick: Auf der einen Seite also hat sich Fleming kaum bemüht, die Reise selbst in ihrem Verlauf oder in ihren besonderen kulturellen oder landschaftlichen Höhepunkten zu beschreiben (vgl. dazu 11.23 Pohl, S. 189ff.). Dieses »Versagen vor der durchreisten Landschaft« (11.23 Entner, S. 454) zeigt sich auch - wie in dem zitierten >Porträt< der »königlichen Stadt« Astrachan - in der durchgängigen Verwendung mythologischer Figuren. In dem Sonett >auf den lustigen Flekken Rubar in Gilan< wirken sich die in dichter Folge evozierten Namen und Figuren Nais, Chloris, Thetis, Dryaden, Silenus, Osiris, Oreaden, Pomona geradezu als »Landschaftstöter« aus: »Auf den lustigen Flecken Rubar in Gilan, hinter den Casbinischen Gebirgen, in welchem die Holsteinische Gesandtschaft den xxiij. Jenner MDCXXXVIII im Rückzuge aus Persien übernachtete. Du Lusttal der Natur, aus welchem wir von Weiten des T a u r u s langen Gast, den Winter, lachen aus; hier tief spazieren gehn in einer Nais Haus, die gülden heißt und ist; da alle Fruchtbarkeiten auf Chloris grüner Brust und Thetis Schoß sehn streiten,
e) Gelegenheitsgedichte auf Freunde und Reise-Erlebnisse
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dort so viel Dryaden die Hügel machen kraus, darvon Silenus bricht so manchen dicken Strauß und jauchzet durch den Pusch mit allen seinen Leuten. Osiris, der umarmt die Oreaden hier; Pomona hegt das Gold der hohen Pomeranzen, läßt die Narzissen stets mit den Violen tanzen. Fürst aller Lieblichkeit, was sing' ich deine Zier? Das Luftvolk führt um dich ein ewiges Getöne, daß ja nichts um und an gebreche deiner Schöne.« (DG I, S.486; vgl. DG, S. 116f.)
Fleming verspürte keinerlei Neigung, über das ihm aus der gelehrten Poesie-Tradition bekannte Bild-Arsenal und die Beschreibungsverfahren hinaus neue Deskriptionsweisen zu erproben oder die Landschaftstopik zu erweitern; bei ihm hatten anders als bei den >Pegnitz-Schäfern< - Natur und Landschaft noch keinen ästhetischen Eigenwert (vgl. 11.23 Entner, S. 454f.). Analoges gilt für die lyrischen Gattungen. Außer dem Reisegedicht (>HodoeporikonBeglückwünschungen< - entgegenkam. Es ist bezeichnend für diese Macht der Tradition, daß Fleming seine eigene Ausgabe der >Teütschen Poemata< nach diesem Dispositionsschema der >Poetischen Waiden gliederte (vgl. Bd. IV/1, Kap. 2 d-2), während Olearius im Vorwort seine Poesie als »Reise-Lyrik« anzupreisen suchte, indem er euphemistisch behauptet, es habe »... fast nichtes auf der Reise sich eussern / begeben oder ihme und ändern fürkommen mögen / darüber Er nicht alsobald nach beschaffenheit der Sachen herrliche Inventiones gehabt / vnd einem ieden seine Zierligkeit pro re natä gegeben.« (II Olearius VNB >VorredeGlückwünschungenElegie an sein Vaterland< (DG I, S. 128ff., 167ff., 173ff.). 2) Erfahrungslyrik: Andererseits verweisen gerade die Inkonsequenzen in dieser Rubrik auf einen poetologischen Mehrwert der auf der Reise entstandenen Gedichte. Als gattungskonstitutiv erweist er sich vor allem in zwei Bereichen. Zunächst in einer Veränderung des Gelegenheits-Charakters im Sinne einer Einbindung der adressatenbezogenen >occasio< in ein gemeinschaftliches, vom lyrischen Ich< vorgegebenes
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4) Liebe als Lebensmacht (Fleming)
und getragenes >Erlebnisverteufelten< Träume das ihrige tun, um die Liebe zwischen den Getrennten >wach< zu erhalten. Die Beziehung zu Elsabe scheint schwierig gewesen zu sein - wenn man den Gedichten trauen darf, denn andere autobiographische Zeugnisse stehen uns nicht zur Verfügung. Elsabe, so konstatiert Heinz Entner, »scheint so leicht zu verletzen gewesen zu sein und so oft geschmollt zu haben, daß beleidigte Verweigerung bei ihr wohl fast ebensooft vorkam wie vertrauendes Gewähren.« An einer Gruppe von fünf Oden meint er »Zerwürfnis und Versöhnung ablesen« zu können. Die erste hat die Überschrift >Die verletzte Schäferim, die nächste lautet: >An die StolzeDie versönte Charitinne< (DG I, S. 413-417; vgl. 11.23 Entner, S. 429). Doch Gedichtteil und Zusammenstellung stammen vom Herausgeber Lappenberg: Man sollte hier nicht zuviel spekulieren. Aus einigen Gedichten glauben die Interpreten auch herauslesen zu können, daß Fleming, der »ein hübscher Bursche gewesen sein« »muß« (ebda., S. 432) und leicht Kontakte schloß, schon 1635 von beiden jüngeren Schwestern Avancen bekommen habe, woraus sich auch Elsabes Eifersucht erkläre, die damals zwei bis drei Jahre älter als ihre 14jährige Schwester Anna gewesen sei (ebda., S. 434). Jedenfalls heißt es in einem lateinischen Epigramm an seinen damaligen Freund Reiner Brockmann, zu dessen Hochzeit er eine an Opitz' >Schäferey
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4) Liebe als Lebensmacht (Fleming)
von der Nimfen Hercinie< orientierte Schäferdichtung mit durch Prosa verbundenen Gedichten verschiedener Gattung verfaßte (vgl. DG, S. 10-38): »Was Basilena fordert, das verlangt Anemona auch. In beider Sinn ist dieselbe Glut. Weh mir! Denn ich Kranker werde umso gewisser sterben, nun mich doppelte Liebe mit zweifachem Stachel ins Herz sticht.« (Zit. ebda.; vgl. LG, S. 330) Aus Gründen der »Schicklichkeit«, so Entner, habe Lappenberg dies Epigramm auf Juni 1638 datiert: Zu diesem Zeitpunkt sei Elsabe bereits verheiratet gewesen, so daß man das Epigramm als Scherz lesen müsse. Dagegen spreche aber der Wortlaut des Epigramms: die Gegenwartsform aller Verben und die Anrede an den »glücklichen Reiner«, also an den soeben (1635) vermählten Brockmann. Auch das muß mangels weiterer Belege Spekulation bleiben. Die anderen Texte verraten jedenfalls kein fortdauerndes Doppelverhältnis (11.23 Entner, S. 435). Vor der Abreise aus Reval scheint Fleming sich seiner Elsabe ziemlich sicher gewesen zu sein, jedenfalls kündigt er in einem anderen Hochzeitsgedicht in kaum verschleierter Form die eigene Vermählung an. Indes der vereinbarte Plan, aus Moskau nach Reval zurückzukehren, scheiterte, und während Fleming fast beschwörend seine Treue-Ode sang, wandte sich Elsabe allmählich von ihm ab. Ihre Grüße blieben aus (seit September 1636, also in Astrachan; ebda., S. 465). Im März 1637 erreicht Fleming die Nachricht, daß Elsabe sich mit dem Magister Salomon Matthiae verlobt hatte (ebda., S. 466). Darauf schrieb er folgendes Sonett: »An Adelfien. Ists wahr, Adelfien, als wie man sagt vor wahr, du habest, also bald ich sei von dir gezogen, mit eines Ändern Gunst der Freundschaft so gepflogen, daß dus ihm zugesagt und nun auch Braut seist gar? Ich furcht' und glaub' es fast. Am allermeisten zwar, daß etwan dich hierzu mein langer Weg bewegen und ein vergälltes Maul dir etwas vorgelogen, damit du dich und mich so setzest in Gefahr. Ich furcht' und glaub es fast. Nichts wird so hoch versprochen, das schändlich werde nicht durch Mißtreu' itzt gebrochen. War, Schwester, das dein Mut, der sich so hoch verschwur? Hast du mir das getan, so wird' ich einer Frauen auf ihren höchsten Eid nicht so viel künftig trauen. Verzeiht mirs Alle denn, die Eine macht es nur!« (DG I, S. 526)
Auch dies Sonett mit seinem besonderen Ton persönlicher Betroffenheit gibt als autobiographisch gelesenes besonderen Sinn. - Fleming hat Elsabe, die nach ihrer Hochzeit mit ihrem Mann Reval verließ, nie wiedergesehen. Er hat ihr sogar ein verspätetes Hochzeitsgedicht zugesandt (vgl. 11.23 Entner, S. 468f.), höflich Glück wünschend, aber über diese Trennung selbst ist er offenbar nur schwer hinweggekommen. 3) Wechsel zu Anna: Als Fleming am 13. April 1639 wieder in Reval eintraf (nach drei Jahren und 42 Tagen! Vgl. ebda., S. 517), war Anna nun fast 18 Jahre alt geworden. Er begann alsbald - wie die nun einsetzenden >AnnaDas getreue Elsgen< (Titel von Lappenberg) lautet die erste Strophe (wieder in der bekannten Strophenform, hier im Aufgesang mit umarmendem Reim): »Es ist unverwant mein Herze, Das ich trage gegen dir, es ist unverwant in mir, du mein Trost und auch mein Schmerze. Was sich regt in meinem Blute weiß von keinem Wankelmute.« (DG I, S. 425)
In der Anna gewidmeten Ode mit dem Titel >Anemone< von 1639 heißt es (nun mit Kreuzreim im Aufgesang, sonst formal unverändert): »Neige deiner Liebe Feuer auf mich, der ich deine bin. Halt mich wert, wie ich dich teuer, diß ist steter Liebe Sinn. Was sich regt in meinem Blute, weiß von keinem Wankelmute. A n e m o n e , meine Treue sei hiermit dir zugesagt. Tu stets, was ich mich stets freue, daß mein Herze nicht mehr klagt. Was an jener ist verloren, das ist mir an dir geboren. Nun, mein Herze, sei geschieden Und gieb jener gute Nacht. Eine stellet dich zufrieden, die dich einig frölich macht. A n e m o n e, die dir scheint, die ists, die dich ewig meint.« (DG I, S. 436f.)
Gerade weil er auch hier noch an Elsabe denkt, muß man das wörtliche Zitat aus der Ode an Elsabe (jeweils in den Versen 5 und 6) auch als bewußte Treue-Übertragung auf Anna deuten. Er transponiert seine Liebestreue auf Anna, weil Elsabe verloren ist - und vielleicht auch, weil Anna ihn an Elsabe erinnert (wie dies im Gedicht ja auch geschieht). Aus psychologischer Perspektive wäre diese Beziehung natürlich besser zu verstehen, wenn sich aus dem zuvor zitierten lateinischen Epigramm tatsächlich eine frühere Bindung Flemings zu Anna herleiten ließe, an die er nun anknüpft; sie würde auch erklären, warum Anna nach der eindeutigen Entscheidung Flemings für Elsabe zunächst zögert, seine Werbung zu akzeptieren. Die Tatsache, daß Flemings Liebesgedichte an Anna in Inhalt, Stil und Ton kaum von denen an Elsabe zu unterscheiden sind, dürfen wir auch nicht als poetische Unfähigkeit oder als emotionale Gleichgültigkeit mißverstehen. Die motivische und
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4) Liebe als Lebensmacht (Fleming)
petrarkistische Ähnlichkeit der Gedichte gehört in den Zusammenhang dieser Liebesund Treue-Übertragung, die gleichfalls zeigen soll, daß dieses Ich sich treu geblieben ist und sich vielleicht auch deshalb weigert, die unterschiedliche Individualität von Elsabe und Anna zu modellieren. Man kann deshalb auch nicht einfach auf ein fehlendes Bewußtsein für Individualität schließen. Wohl aber wirkt sich hier die Bedeutung der Wertsysteme aus, an denen sich ein >Neustoiker< wie Fleming orientierte. Auch und gerade in der von der launenhaften Fortuna beherrschten Welt irdischen Glücks und irdischer Liebe haben sich ethische Haltungen zu bewähren, und eben seine Beständigkeit möchte Fleming beim Wechsel von Elsabe zu Anna unterstützt von einer identischen Motiv- und Formensprache - demonstrieren. Aber darin bilden sich doch auch schon die Konturen dieses Individuums aus.
g) »Meister seiner selbst« - Zur Lebensbilanz 1) Poesie als Lebensleistung und Nachruhm: 1639 wurde Fleming in Reval die Stelle eines Stadtarztes angeboten. Voraussetzung für deren Annahme war allerdings die medizinische Promotion. Deshalb immatrikulierte er sich im Herbst 1639 in Leiden (zu einem Zeitpunkt, wo auch Gryphius sich dort aufhielt, doch sind sich die beiden offenbar nicht begegnet; vgl. 11.23 Entner, S. 526) und erwarb am 23. Februar 1640 den Doktor der Medizin mit einer Disputation über die Syphilis. Mit der Aussicht auf eine gesicherte bürgerliche Existenz trat er die Rückreise nach Reval an. Doch erkrankte er plötzlich in Hamburg und starb dort dreißigjährig am 2. April 1640. Kurz zuvor verfaßte er noch: »Herrn Pauli Flemingi der Med. Doct. Grabschrifft /so er ihm selbst gemacht in Hamburg / den xxiix. Tag deß Mertzens m. de. xl. (= 1640) auff seinem Todtbette drey Tage vor seinem seel: Absterben. Ich war an Kunst / und Gut / und Stande groß und reich. Deß Glückes lieber Sohn. Von Eltern guter Ehren. Frey; Meine. Kunte mich aus meinen Mitteln nehren. Mein Schall floh fiberweit. Kein Landsmann sang mir gleich. Von reisen hochgepreist; für keiner Muhe bleich. Jung / wachsam / unbesorgt. Man wird mich nennen hören / Biß daß die letzte Glut diß alles wird verstOren. Diß / Deutsche Klarien (= Musen) / diß gantze danck' ich Euch. Verzeiht mir / bin ichs werth / Gott / Vater / Liebste / Freunde. Ich sag' Euch gute Nacht / und trette willig ab. Sonst alles ist gethan / biß an das schwartze Grab. Was frey dem Tode steht / das thu er seinem Feinde. Was bin ich viel besorgt / den Othem auffzugeben? An mir ist minder nichts (- nichts weniger) / das lebet / als mein Leben.« (DG, S. 112)
Der >Witz< des Sonetts besteht darin, daß sein Autor damit an die Tradition epigrammatischer >Grabschriften< anknüpft (vgl. dazu 11.23 J. Schmidt 2004) und zugleich ein Epicedium auf sich selbst verfaßt und dazu auch einen Teil der zu diesem Zweck üblichen Topoi in Anspruch nimmt: von der repräsentativen Überschrift mit
0 Elsabe und Anna: Autobiographische Liebes-Topik
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den >Umständen der Zeit< über die Darstellung der >Umstände der Person< in den beiden Quartetten und dem Ziel, die Lebensleistung des Verstorbenen zu bilanzieren und damit zugleich seinen Nachruhm zu begründen (vgl. dazu auch IV Segebrecht, S. 119ff., 186f.). Dabei verdeutlicht die Klimax des Aufbaus, wobei sich jeweils die Schlußverse der Quartette sowie der Beginn und der Schluß der Terzette motivisch aufeinander beziehen, daß das Dichtertum als eigentliche Lebensleistung gilt. Die Prophetic des Nachruhms bis zum Weltende (V. 7) impliziert die »aemulatio« gegenüber Opitz und die Gleichstellung mit dem »aere perennius« des Horaz (II Horaz SG, S. 202f. [III, 30]), ist also selbst literarischer Topos. Die Verheißung diesseitiger Unsterblichkeit im Fortleben des literarischen Werkes ist die Begründung für die in einer >figura etymologica< argut formulierte Schlußpointe: Das irdisch-biographische Leben ist im Vergleich zum Fortleben des Dichters das geringste, am leichtesten aufzugebende Leben, das der Tod deshalb seinem >Feinde< (hier vielleicht auch in der Zusatzbedeutung: seinem besonderen Feind, dem auf Lebensbewahrung bedachten >Doctor der MedizinTeütsche PoemataAd me ipsum< (vgl. dazu auch 11.23 Neymeyr, S. 240ff.) - prägnanten Ausdruck verliehen: »An Sich. Sey dennoch unverzagt. Gieb dennoch unverlohren. Weich keinem Glücke nicht. Steh' hoher als der Neid. Vergnüge dich an dir / und acht es für kein Leid / hat sich gleich wieder dich Glück' / Ort / und Zeit verschworen. Was dich betrübt und labt / halt alles für erkohren. Nim dein Verhängnüß an. Laß alles unbereut. Thu / was gethan muß seyn / und eh man dirs gebeut. Was du noch hoffen kanst / das wird noch stets gebohren. Was klagt / was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke ist ihm ein ieder selbst. Schau alle Sachen an. Diß alles ist in dir / laß deinen eiteln Wahn / und eh du f6rder gehst / so geh' in dich zurücke. Wer sein selbst Meister ist / und sich beherrschen kan / dem ist die weite Welt und alles unterthan.« (DG, S. 114)
In diesem Sonett spaltet sich das »Ich« in Sprecher- und Adressatenrolle und vollzieht in einer Art philosophischem Diskurs »die meditierende Aneignung überpersönlicher Wahrheiten«, und deren »Allgemeingültigkeit« »verbürgt die individuelle Betroffenheit« (11.23 Kühlmann 1982a, S. 160). Diese wiederum wird objektiviert in der Exemplifizierung des Selbst als Repräsentant allgemeiner Vernünftigkeit, so daß individuelles und gnomisches Ich hier ununterscheidbar zusammenfallen. Erneut geht es nicht um »die Botschaft der Eitelkeit alles Irdischen«, vielmehr »formuliert Fleming Imperative der Lebensführung, Maximen einer moralischen Grundhaltung« (ebda.), wie sie auch in der Unerschütterlichkeit und »bewehreten Beständigkeit« der >Catharina von Georgiern und des >Papinian< begegnen. Doch wird der gedankliche Kontext bei Fleming bezeichnenderweise wiederum ganz säkular gestaltet, also ohne expliziten Bezug auf christliches Gedankengut, wie dies bei Gryphius der Fall war. Dies läßt sich durchaus als Versuch zu einer Autonomisierung des Subjekts interpretieren, das sich - zur Zeit der beginnenden Wirkung auch von Descartes - der eigenen Vernunft anvertraut und - nicht ohne Zug zur Resignation und Sehnsucht nach dem Glück in der Idylle (vgl. 11.23 Kühlmann 1982a, S. 164f.) - das vom Schicksal Verhängte und nicht Änderbare als vorherbestimmt akzeptiert (»Nim dein Verhängnuß an«), und dieser Zug mag erklären, warum diese neustoizistische Ethik auch im Calvinismus Anklang fand. 3) Hermetisches Weltbild: Ein solches »Ich« lebt in vernünftiger Übereinstimmung mit dem Gesetz der Welt. So heißt es in einer geistlichen Ode< Flemings (wieder in der vertrauten Strophenform): »Weißheit ist nicht wie ihr denckt / eine Kunst die so zu lernen / Weißheit kommt her aus den Sternen.
f) Elsabe und Anna: Autobiographische Liebes-Topik
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Sie ists / die der Himmel schenckt / und in solche Seelen sencket / die sich vor zu ihm gelencket.« (II TP, S. 299)
Wer sich als Weiser selbst zu beherrschen vermag, der herrscht damit auch über die Welt, weil er in Übereinstimmung mit deren Ordnung steht, die ihm vom >Himmel< »geschenckt« wird. Daß die »Weisheit« (»sophia«) - und das meint erneut mehr als >Wissenschaft< (»lernen«, V. 2) im modernen Sinne - »aus den Sternen« kommt, ist wiederum keine Metapher. Fleming war als Hermetiker und Paracelsist ebenso wie Olearius Anhänger der Astrologie (vgl. 11.23 Kemper, S. 329 ). Der Einfluß der Gestirne für den Fortgang der Gesandtschaftsreise spielte deshalb eine große Rolle (vgl. z. B. das lateinische Epigramm >Er beklagt sich über den durch den Einfluß der Gestirne veranlaßten Verzug in Nowgorod^ ALG, S. 121f.; LG, S. 363). Allerdings unterstehen die Sterne dem göttlichen Regiment, und mit Berufung darauf darf der Mensch auch einmal eine astrologische Warnung mißachten: »Am 5. März 1634, als er bei Mondfinsternis des Abends in Nowgorod eintraf. Dennoch betret' ich die Stadt, gleichviel ob's die Sterne verbieten, Da mir der himmlische Herr weiter zu reisen gebeut, Ihre verehrte Gewalt die prophetischen Sterne vereinen, Doch ein verderblich Geschick künden sie ängstlich mir nur. Zwar unterstehn wir da unten dem Oben, die Erde dem Himmel, Doch wie Gestirnen der Mensch, fügen Gestirne sich Gott. Er ist das Licht der Gestirne; umfangen mich Strahlen des Höchsten, Kann mir verderblich gewiß keine Verfinsterung sein.« (ALG, S. 114f.; vgl.LG, S. 362)
Hier tritt dieselbe >naturmystischeSternenWeisheitSternen< kam, noch nicht in Widerspruch. Vielmehr schien gerade die weithin noch unerforschte Natur mit ihren geheimen Kräften Einsichten über die Welt und Heilmittel für die menschlichen Gebrechen zu eröffnen. Deshalb sind für Fleming wie für Paracelsus die Astrologie und die Alchimie Grundlagen der Medizin (vgl. Bd. III, S. 120ff.): »[...] Ihr Kinder der Natur (= die >paracelsistischen< Ärzte) Geht einen weisern Weg. Saltz / Schwefel und Merkur
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4) Liebe als Lebensmacht (Fleming) Sind eure (!) fester Grund; die / wie sie alle Sachen Zu diesem / was sie seyn / und eignen dingen machen Und so ihr Ursprung sind / so auch ihr Ende seyn. Aus was vor etwas kaam, / da geht es wieder nein. [...] [...] Ihr zieht die Kunst zusammen / Macht weinig aus so viel. Lehrt grundlich / wahr und frey / Wie daß die groosse Welt gantz in der kleinen sey / Und was sie beyde seyn. Bald weist ihr auff die Sternen / Wie man von ihnen sol der Kranckheit Außschlag lernen. Bald zieht ihr auff das Feld / und tragt die Krauter ein / Die für so manchen Gifft und Schmertzen dienlich seyn.« (TP, S. 84)
Die im Gedicht nachfolgend dargestellte Ahnengalerie für diese ärztliche Weisheit umfaßt am Anfang auch das, was »Hermes hat geschrieben / Der dreymal groosse Mann«, und reicht bis zu Paracelsus (»Der hohe Theofrast / Der mehr / als billich ist / von vielen wird gehaßt / Der ist dier ganz bekandt.« Ebda., S. 85) Von daher liegt - analog zu Opitz' Hochzeitsode auf Bernhard Nüßler (vgl. Kap. 2 a) - dem Flemingschen Weltbild auch die kosmische Sympathienlehre zugrunde, die als himmlische Kraft gerade durch die Sterne auf die Erde vermittelt wird und im Frühling auch den Mikrokosmos zum Lieben auffordert (»Die lieben Sterne blinken / diß lehrt uns / wie auch wir der Liebsten sollen wincken.« TP, S. 153; vgl. dazu Bd. II, S. 68f.) - Im folgenden stellt sich die Frage, wie Fleming dieses Phänomen der Liebe - ein Prinzip der Lebenszugewandtheit zugleich - als ein Hauptthema seiner Lyrik und seiner Lebenserfahrung mit der neustoizistischen Ethik zu vermitteln vermag.
h) Petrarkismus und Antipetrarkismus 1) Rezeption petrarkistischer Motivik: »Überall«, erklärt Hans Pyritz in seiner wegweisenden Studie >Paul Flemings LiebeslyrikCanzoniere< (1356-60) und der poetische Liebes->CodeCanzoniere< und bei dessen Imitationen um das Thema der unerfüllten und damit der leidbringenden, krankmachenden Liebe handelt. Das Motiv selbst wiederum ist
h) Petrarkismus und Antipetrarkismus
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alt. Schon Sappho beschreibt die bis zu »tiefer Ohnmacht« führenden psychophysischen Symptome des Außersichgeratens der bezauberten und klagenden Liebe (vgl. I Marg, S. 41 f.). Ovid und Catull besingen die Liebe als »dulce malum«, ja als unheilbare Krankheit, von der loszukommen kaum in des Menschen Willen liegt und nur mit Hilfe der Götter möglich erscheint: »Götter, gehört das Erbarmen zu euch und habt ihr schon Menschen Selbst an der Schwelle des Tods äußerste Hilfe gebracht, Schaut auch mich Ärmsten jetzt an, und, verbracht' ich mein Leben in Reinheit, Oh, so reißt mir die Pein und diese Pest aus der Brust, Die mir allmählich so tief in die Glieder gedrungen wie Lähmung Und aus dem Busen mir ganz jegliche Freude vertrieb!« (II Catull, S. 103)
Über den Minnesang gelangt diese Liebesauffassung der »süßen Bitterkeit« zu Petrarca und bestimmt dessen >Canzoniere< »in nie vorher gekanntem Maße und immer neuen Wendungen«; darüber hinaus aber »wird diese Doppelheit der Liebe bewußt bejaht, als einziges mögliches Glück empfunden: der Dichter will den Schmerz und liebt ihn, preist seine Liebe in aller ihrer Qual... Für diesen Dichter ist der Liebesschmerz eine seelische Notwendigkeit.« (11.23 Pyritz, S. 142) - Bei den »echten Petrarkisten« wiederum erfährt diese Haltung ihre Vollendung: »Hier ist nicht mehr bloß der Liebesschmerz das Wesentliche, sondern die Unentrinnbarkeit des Liebesschmerzes, ganz gleich ob die Geliebte spröde oder gnädig, nahe oder fern ist, die Autonomie des Schmerzes also, die Liebe als Schmerz schlechthin. Alle ihre Erfahrungen, die positiven wie die negativen, geben nichts als Schmerz.« (Ebda., S. 148) Als Ausdruck dieses Liebe und Leid gleichermaßen umfassenden Zustandes entwickeln Petrarca und seine Nachahmer einen Hang zur »antithetischen Formulierung«, welcher Stil und Struktur der Gedichte zu bestimmen vermag (vgl. IV Hoffmeister, S. 28). Pyritz zählt neben Leben und Tod noch folgende »grundlegenden Antithesenpaare« auf: »Leid - Freude; Bitternis - Süße; Furcht - Hoffnung; Knechtschaft - Freiheit; Tränen - Flammen; Frost - Glut; Finsternis - Licht usw.« (11.23 Pyritz, S. 227f.; vgl. dazu auch IV Forster) Diese sowohl inhaltliche wie strukturelle und stilistische Antithetik suchen die Petrarkisten nun noch hyperbolisch zu übersteigern, und gerade im Blick auf »diese Art der Liebessprache« bezichtigt Pyritz Paul Fleming einer »fanatischen Gefolgstreue« 11.23, S. 207). 2) Liebe als Zauberei: Tatsächlich bietet Flemings Lyrik virtuose Beispiele für solche Hyperbolik. Im folgenden wird die Liebe zugleich wie bei Opitz als Magie verstanden. Allerdings ist die Geliebte eine wankelmütige Zauberin - das ist ihre paradoxe »constantia«, die in der Sprechinstanz einen »süßen Haß« erweckt und - in der Pointe des Schluß verses - als Schadenzauber empfunden wird: »An Kordolien (= Die Herzschmerzende [Gedicht an Elsabe]) WAS hab' Jen anders doch / Kordolie /an dir / als Leid / als Hertzens=angst / als gantz ein todtes Leben; Du / große Zäuberinn / hast mir die Liebe geben / die einen süßen Haß erwecket stets in mir.
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4) Liebe als Lebensmacht (Fleming) Du schlägst und heilest mich mit deiner starcken Zier; Du heilst und schlagest mich; Ach schone doch beyneben; Dein Trost auch macht mir noht. O friedsams wiederstreben / Die Unlust auch von dir macht mir nach dir Begier. Wolan / Kordolie / du mein gefurchter Trost / und auch getroste Furcht / Jch kans nicht ummgang haben / Jch muß mich über dir an meinem Eckel laben. Es scheint / Kupido hat so über uns gelost. Du bleibst Kordolie / und kanst dich nicht verwandeln. Und ich muß stets mit dir auff meinen Schaden handeln.« (II TP, S. 193 )
In einem einzigen Sonett vermag Fleming also die Gegensätze von Bitternis und Süße, Liebe und Haß, »Leid' und Lust«, »Lust und Noth«, Pein und Freude zu akkumulieren, und dies bis hin zum Paradox und schließlichen Oxymoron von »todtem leben«, »süßem Haß«, »gefurchtem Trost« und »getroster Furcht«, um darin die petrarkistische Pathologisierung der Liebe zur Autonomie des todbringenden Schmerzes schlechthin zu steigern, doch richtet sich das lyrische Ich bei Fleming von vornherein dialogisch an ein konkretes >Du< und benutzt das Gedicht im Gegensatz zu Petrarca als rhetorisches Instrument des >movereargute< Argumentation im Verwirrspiel hyperbolischer Bilder die Persuasion der Adressatin zum Ziel hat. Diese wird allerdings verdeckt durch eine die traditionellen petrarkistischen Elemente und das Spiel der Antithesen gleichsam zeitgeschichtlich plausibilisierende und aktualisierende Dimension, indem das lyrische Ich die Freundin als »Zäuberinn« apostrophiert (vgl. dazu auch 11.23 Entner, S. 427). Dadurch erhält die von ihr verursachte Liebespein den Charakter eines Schadenzaubers, und mit dieser Pointe endet ja auch das Gedicht: »Und ich muß stets mit dir auff meinen Schaden handeln«. Liebe wird hier unter die Kategorie der Magie gestellt und als sexuelle Lust verstanden, deren Versagung durch Kordolie die »Begier« erhöht (Z. 8: »Die Unlust auch von dir macht mir nach dir Begier«) und deren Erfüllung »noht« und »Eckel« über das sexuelle Begehren selbst hervortreibt und verstärkt. Kupido oder Eros erscheint mit seinem Los als willkürliches Verhängnis. Dem Zufallslos steht - scheinbar antithetisch - die »constantia« der Wankelmütigkeit Kordoliens gegenüber: Sie schlägt und heilt, heilt und schlägt das Ich. Was an ihr unwandelbar ist, ist ihre Wandelbarkeit in der Zu- und Abneigung gegenüber dem Ich. Und dessen »stetes Handeln« besteht in der Fortsetzung dieser zauberischen Liebesbeziehung. Die eigentliche, im Schlußterzett durch die Motivik der Stetigkeit und Dauer angesprochene Antithetik besteht also in der - uns bereits vertrauten - Gegensätzlichkeit von affekthafter Unbeständigkeit in der sinnlich-erotischen Liebe und - hier nicht ausgesprochen, aber für den Leser deutlich - einer dauerhaften, auf Treue und nicht auf Wankelmut gegründeten Beziehung. 3) Das Hohelied auf die weltliche Liebe: Dementsprechend kennt Flemings Poesie wie diejenige anderer >Barockanti-petrarkistische< Jubelrufe über eine erfüllte Liebesbeziehung wie den folgenden, der sich auf Anna bezieht (vgl. 11.23 Pyritz, S. 206) und von einer
h) Petrarkismus und Antipetrarkismus
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irdischen Glückseligkeit in einer erotisch-sexuellen Beziehung zu berichten weiß (vgl. auch >Als Er wieder mit Ihr außgesöhnet warsensus litteralis< im 17. Jahrhundert (durch Mystiker und Humanisten) in der humanistischen weltlichen Poesie zum Gebrauch einer intimen weltlichen Liebessprache ermutigen. Das Hohelied dient den antipetrarkistischen Tendenzen als >Bildspender< (und auch als Schutz vor biographischer Deutung!). Zugleich aber erfährt die >weltliche< Liebe durch den Rekurs auf das Hohelied zugleich eine Sakralisierung, die hier ironisch durch Vergleich mit den als unkeusch geltenden (heidnischen) »Göttern« hervorgehoben wird, - und dabei erinnert dieser Verweis kontrafazierund wieder an die >Keuschheit< zwischen der >sponsa< und ihrem >Liebes-Gottsensus allegoricussensus anagogicuspassende< Situation bezogen: Darin liegt eine wichtige Parallele zu einigen Reise-Sonetten. Der eigene Ton zeigt sich in der Liebespoesie in der komplexen, zugleich spielerisch-ironischen Applikation der Liebessprachen auf die darin verhüllte, aber im Titel autobiographisch enthüllte >GelegenheitDuargute< Argumentation ein dem Zeitgeist >geschuldetes< typisches Merkmal des frühneuzeitlich-gelehrten Liebesgedichts, das im augenzwinkernden Verwirrspiel hyperbolischer Bilder die Persuasion zum Ziel hat (IV Schlaffer, S. 164ff.) - eine dem großen >Dreigestirn< barocker deutschsprachiger Liebeslyrik (Fleming, Hoffmannswaldau, Günther) durchaus gemeinsame Funktion der Liebeslyrik. Höhepunkt des arguten Verwirrspiels ist der prätendierte Rollentausch am Beginn der Terzette (»Wer' ich / wie du gesinnt«), der das Verhalten der Partner einander an-
1) Poetisches Spiel mit Neuplatonismus und Petrarkismus
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gleicht - aber eben in der Zurückweisung der Liebe des anderen, eine Haltung, der die wechselnden Gemütszustände des Ungeliebten gleichgültig sind (und damit wäre die Liebesbeziehung beendet). Da dem Ich eine solche Haltung nicht möglich ist, sondern seine Liebe sich als »standhaft« erweist, wird auch Dulkamara zur ständigen Abweisung genötigt, und die Beständigkeit liegt hier in der schließlichen »discordia concors« der Gemüter. Der Eindruck des Spielerisch-Witzigen und beinahe schon Parodistischen im Umgang mit dieser Motivtradition wird wirkungsvoll unterstützt durch eine ausgefeilte Lautsymbolik, welche die inhaltliche Antithetik auf der Vokalebene bis hin zu Kontrastvariationen unterstreicht; so wenn die für >Liebe< stehende >iaSymposionKußdrohtmesotes< war nicht nur wichtiges Motiv der Liebesdichtung seit Catull, sondern auch der hippokratischen Schulmedizin als Prinzip der Diätetik. Das erste Terzett variiert im imaginierten Rollen tausch das Gleichheitsmotiv durch ironische Umkehrung (»similitudo« in der Nicht-Übereinstimmung), zu der das Ich aber - so das Schlußterzett - nicht fähig ist, weil es liebt und durch die abweisende Haltung der Geliebten zugrunde gehen muß. Der im Rahmen der neuplatonischen Liebesphilosophie begründbare Ernst des Liebebegehrens wird durch die concettistische Handhabung petrarkistischer Motive überspielt, aber keineswegs aufgehoben. Beide Liebesdiskurse dienen vielmehr entgegen ihrer ursprünglichen Intention dem Werben um den »amor mutuus«. Dieses Spiel mit unterschiedlichen >Diskursen< in einem Text entspricht durchaus späthumanistischer poetischer Praxis, aber auch dem Petrarkismus selbst als einem »Vertextungssystem« (vgl. IV Borgstedt 1994, 2001). 3) Liebes- als Lebensverlust: Eine ähnliche Konstellation, bei der nun der neuplatonische Liebesdiskurs den >cantus firmus< spielt, weist das folgende Beispiel aus der Zeit der Abwendung Elsabe Niehusens von Fleming auf: »Zur Zeit seiner Verstossung. Ein Kauffmann / der sein Gut nur einem Schiffe traut (=anvertraut) / Ist hochgefährlich dran / in dem es bald kann kommen/ Daß ihm auff einen Stoß sein gantzes wird genommen. Der fehlt / der allzuviel auf ein Gelucke traut. Gedenck' ich nun an mich / so schauret mir die Haut. Mein Schiff das ist entzwey. Mein Gut ist weggeschwommen. Nichts mehr das ist mein Rest; das machet kurtze Summen. Ich habe Müh und Angst / ein ander meine Braut. Ich unglfickseeliger! Mein Hertze wird zerrissen / mein Sinn ist ohne sich. Mein Geist zeucht von mir aus. Mein alles wird nun nichts. Was wird doch endlich drauß? Wer eins doch übrig noch / so wolt' ich alles missen. Mein theuerster Verlust der bin selb-selbsten ich. Nun bin ich ohne Sie / nun bin ich ohne mich.« (II DG, S. 121 f.)
Das erste Quartett wirkt mit dem kurzen piktural-emblematischen Verweis auf den leichtfertigen Kaufmann und mit der abschließenden Lebensweisheit wie ein in sich abgeschlossenes Epigramm. Mit Beginn des zweiten Quartetts wird die allgemeine Didaxe auf den besonderen Fall der Sprechinstanz appliziert. Das Kaufmannsschiff wird zugleich zum Lebensschiff des Ich allegorisiert, dieses hat das Schicksal des Kaufmanns ereilt. Daß das Gedicht schon mit seiner Form die Spannung zwischen
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allgemeinem, sentenzhaftem und persönlich-subjektiven (nicht individuellem) Sprechen bewußt macht, zeigt der Gegensatz zwischen erstem Quartett im Stil des unpersönlichen Paradigmas und den nachfolgenden 10 Versen, in denen sich das »Ich« als Sprechinstanz mit den Deklinationen der l. Person des Personal- und Possessivpronomens (»ich«, »mich«, »mir« »mein«) nicht weniger als zwanzigmal geradezu aufdrängt. Das verlorene Gut des Ichs ist - das enthüllt pointiert erst das letzte Wort des Oktetts - die Braut. Und wenn die durch den umarmenden a-Reim miteinander verbundenen Schlußwendungen der beiden Quartette aufeinander bezogen werden (»Gelücke traut / meine Braut«), dann wird unterschwellig die launisch- treulose Fortuna zum >Sinnen-Bild< der abtrünnigen Verlobten. So ist das Ich »unglück-seelig«. In dieser selbstmitleidigen Exklamation zu Beginn des ersten Terzetts scheint sich wiederum der petrarkistische Liebes-Schmerz Bahn zu brechen, welcher der vermutlich unerreichbar gewordenen Geliebten gilt. Dieser Schmerz erfaßt über »Herz«, »Sinn« und »Geist« die Lebenszentren des Ich mit der Folge des - in paradoxer Antithetik formulierten - totalen Selbstverlustes: »Mein alles wird nun nichts.« (V. 11) Aber dieser Endpunkt der allegorischen Deutung ist noch nicht das Ende des Sonetts: »Was wird doch endlich drauß?« (V. 11) Diese rhetorische Frage scheint doch subkutan noch einen Hoffnungsschimmer zu indizieren, und dieser zeigt sich auch im Optativ zu Beginn des zweiten Terzetts: »Wer eins doch übrig noch / so wolt ich alles missen.« Dieser Wunsch widerruft zugleich - das ist seine unausgesprochene Pointe - die Sentenz vom Ende des ersten Quartetts: »Der feit / der allzuviel auf ein Gelücke baut.« Das Ich weigert sich, diesem Rat zu folgen und anderswo sein Glück zu suchen oder sich wie ein kluger Kaufmann zu verhalten. Indem das Ich in den beiden Schlußversen den neuplatonischen Ernst seines Selbstverlustes durch den Verlust der Braut betont, bekräftigt es die Ernsthaftigkeit seiner Liebe, die sein ganzes und einziges Glück ist. Es ist - im Kontext von Ficinos >De amore< - zugleich der stärkste Liebesbeweis, der vielleicht noch in der Lage ist, das Unglück zu wenden (obwohl das Gedicht diese Hoffnung nicht mehr auszusprechen wagt). 4) Liebe als Treue: Auch bei Fleming wird diese Liebe auf Dauer gestellt. So im >antipetrarkistischen< Motiv der »erfüllten Liebe« oder im Motiv des »treuen Herzens« wie in den Oden >Eine hab' ich mir erwählet< (mit den charakteristischen Versen »So erstreckt sich mein begehren / weiter als auff Treue nicht.« DG, S. 84f.), sowie >An Basilenen / Nach dem Er von Ihr gereiset war< mit der die mystische >unioElsgen< gerichtete - Ode, die erneut belegt, wie die neuplatonische Liebesvorstellung des Ineinandereingehens und Einswerdens gleichgesinnter Liebender (»Jeder der beiden Liebenden tritt aus sich heraus und geht in den anderen über«) auch die Flemingsche Liebes-Ehe-Konzeption entscheidend bestimmt (zitiert werden die erste und letzte Strophe): »Ein getreues Hertze wissen / hat deß höchsten Schatzes Preiß. Der ist seelig zu begrfissen / der ein treues Hertze weiß. Mir ist wol bey höchstem Schmertze / denn ich weiß ein treues Hertze. [...] Nichts ist sfißers / als zwey Treue / wenn sie eines worden seyn. Diß ists / das ich mich erfreue. Und Sie giebt ihr Ja auch drein. Mir ist wol bei höchstem Schmertze / denn ich weiß ein treues Hertze. (DG, S. 90f.)
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Liebe als Krankheit und Medizin
1) Liebe als Lebens-Wert: Wenn auch - wie wir schon sahen - Skepsis gegenüber der These von Fleming als »Vorläufer einer persönlichkeitsbezogenen Lyrik« angebracht ist, insofern sich hier noch kein individueller Ausdrucks- und Stilwille geltend macht, so ist gleichwohl eine Aufwertung der Persönlichkeit für ein selbstverantwortetes Leben und damit auch eine Aufwertung, ja Autonomisierung des Wertes zwischenmenschlicher Beziehungen erkennbar. Dies zeigt sich besonders, wenn die Liebe auf den Prüfstand des Todes gerät. In dem Sonett >An Ihr Hertze / In Ihrer Kranckheit< interpretiert Fleming die »typisch petrarkistische« Antithetik von Motiven wie Tod - Leben, Hitze - Kälte, Feuer - Frost, Eis - Flammen usw. ganz im Sinne der galenischen Krankheitslehre und unterlegt dem petrarkistischen Metaphernspiel damit eine neue, lebensbedrohliche Ebene des >Eigentlichen< (im folgenden nur die Terzette): »Macht nun die Hitze Frost? und löscht das Eyß nicht mehr? Ach wiedrige Natur! Du schertzest unsre Schmertzen. O gar nicht gleicher Todt zwey gleich=gesinnte Hertzen! Doch wird uns scheiden nichts / und zürnt sie noch so sehr. Der Todt der macht uns gleich. Wir sterben doch zusammen. Dein Feuer nehrt mein Eyß / mein Eyß nehrt deine Flammen.« (TP, S. 617)
Gegenüber der »wiedrigen natur«, die den Tod der Geliebten beschlossen hat, behauptet sich die Treue des lyrischen Ichs, und sein Entschluß, mit ihr zu sterben, überwindet die »Leben-Tod«-Antithetik durch eine die »similitudo« bis in den Tod hinein bewährende Gemeinschaft. Das in der Gedichtsammlung unmittelbar folgen-
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de Sonett >Nach dem sie wieder gesund worden war< formuliert einen Dank an die >Göttergeordneten Liebe< liegt für Fleming die >mesotesVorrede< zu seiner sprachtheoretischen Schrift >Rosen=mand< (1651) - so aufdringlich um die Zuneigung seiner Leser »buhlt«, dann hat dies zunächst handfeste biographische (Hinter-)Gründe. Denn Person, Werk und Wirkung dieses möglicherweise ersten >freien Schriftstellers< in Deutschland erschienen schon den Zeitgenossen in einem zwiespältigen Licht. Auf der einen Seite hat er, der Prototyp eines >poeta doctusDeutsche Helicon< (1640, jeweils erweitert und vermehrt 1641 und 1649/1656), worin er die Opitzsche Versfußbegrenzung auf Jambus und Trochäus zugunsten von Daktylus und Anapäst durchbrach und damit in seiner eigenen umfangreichen Poesie auch gemischte Metren der Antike wie die sapphische Ode nachzubilden vermochte (vgl. IV Derks, S. 61 ff.). Er schrieb den ersten originellen deutschen Roman >Adriatische (= venezianische) Rosemund< (1645), eine »keusche libes=beschreibung« (II Zesen AR, S. 10) mit einem sehr aktuellen Thema aus der Epoche des Konfessionalismus: Die Liebe zwischen der katholischen Rosemund, die mit ihrem Vater vor den Wirren des Dreißigjährigen Krieges nach Amsterdam geflohen ist, und dem protestantischen Schlesier Markhold scheitert durch Einspruch von Rosemunds Vater unwiderruflich an den konfessionellen Grenzen, Markhold zieht sich zurück, Rosemund, die einer Liebes-Ehe das Wort redet (ebda., S. 274f.), vertrauert den kurzen Rest ihres Lebens (ebda., S. 278ff.). - Zesen gründete auf eigene Faust die zweite deutsche - und erste bürgerliche, auf adlige Patronage verzichtende - Sprachgesellschaft, die >Deutschgesinnete Genossenschaft (1643; vgl. 11.92 van Ingen 1970, S. 91 ff.) und baute sie kontinuierlich aus. Sein umfangreiches Werk umfaßt neben mehreren Bänden geistlicher und weltlicher Lyrik sowie Schäferdichtung noch Übersetzungen mehrerer Romane
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(>Lysander und KalisteIbrahimDie Afrikanische SofonisbeAssenatx, 1670; >SimsonAdriatischen RosemundSämtlichen Werke< beschworene Tendenzwende der Forschung hat sich bis heute noch nicht recht einstellen wollen. Der Fülle von Zesens Werken steht keine vergleichbare Forschung zur Seite. So ist van Ingens Resümee von 1970 (»An Forschungsaufgaben herrscht also einstweilen kein Mangel«; ebda., S. 98) nach wie vor aktuell. Mit Recht verweist der verdienstvolle Hauptherausgeber der >Sämtlichen Werke< darauf, daß die poetologischen, sprachtheoretischen und dichterischen Werke Zesens »eine untrennbare Einheit« bilden (11.92 van Ingen 1979, S. 185). Der Grund für diese Einheit, dem die Forschung bislang noch kaum nachgespürt hat, ist, wie mir scheint, eng mit jenem fast aufdringlich klangmalerisch >durchgespielten< Liebes-Begriff aus der >Vorrede< zum >Rosen=mand< verbunden. Deshalb muß - im Anschluß an den Überblick zum lyrischen Werk und die Hinweise zu Biographie und >Deutschgesinneter Genossenschaft - der fundierende Blick auf Zesens Poetik und Sprachtheorie (Abschnitt b, c) der Darstellung seines lyrischen Werkes vorausgehen (Abschnitte d, e). 2) Überblick zum lyrischen Werk: Zesen hat seine eigene Lyrik zwischen 1638 und 1680 in ca. 16 größeren oder kleineren separaten Texteinheiten veröffentlicht, die vom Einzelgedicht bis zu umfangreichen Liedsammlungen reichen. Auch ohne seine Cats-Übersetzungen (d. h. die Vers-Translation zweier medizinischer Bücher des Dordrechter Arztes Johan van Beverwijck >Schatz der Gesundheit und >Schatz der UngesundheiK mit den niederländischen Versen von Jacob Cats; vgl. II SG) und ohne die Beispielgedichte aus seiner Poetik umfaßt dies lyrische Werk die ersten vier stattlichen Bände der >Sämtlichen Werke< (SW I/1-III/l). Dabei machen die »Liebeslieder« »etwa die Hälfte seines lyrischen Schaffens aus« (II. van Ingen 1970, S. 72), und in ihnen hat Zesen auch zusammen mit der Erprobung neuer metrischer Formen den innovativsten Beitrag zum weltanschaulichen Spektrum barock-humanistischen Liebesdichtung geleistet (vgl. Abschnitt e). Dieser hängt allerdings eng mit seiner geistlichen Dichtung zusammen (Abschnitt d). Demgegenüber sind hier einige kleinere (Gelegenheits-)Dichtungen und Werkeinheiten vernachlässigbar. So die mit gelehrten Anmerkungen gespickte Alexandriner->Lobrede< auf die >Buchdrückerey-Kunst< (1642), wo die Erfindung Johann Guttenbergs nicht nur in allen technischen Einzelheiten (und Schrifttypen und -graden) beschrieben wird, sondern insbesondere den (protestantischen) Patriotismus Zesens beflügelt (II GLBK, S. 208ff.). Solche Jubiläumsgedichte erschienen damals häufig (vgl. auch >Von loblicher erfindung der Buch-truckereyPoetischer Rosen-Wälder Vorschmack öde Gotter= und Nymfen=Lust< (1642) ist als Auftragsarbeit nur eine blasse Nachahmung der Opitzschen >Schäfferey von der Nimfen Her-
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cinie< (vgl. Kap. 2 c), ohne Spannung, ohne jedes Lokalkolorit und mit Beschreibungen von mythologischen Aufzügen, wie sie aus Festbeschreibungen nach Art von Weckherlins >Triumf< bekannt sind (II PRWV, S. lOff.; vgl. II Weckherlin T, S. 35ff.). Kirchenliedhaften Gebrauchscharakter haben einige >Kriegslieder< (1776), die vorsichtshalber Lieder für Sieg und Niederlage bereitstellen (KL), sowie - nicht verwunderlich bei diesem Vielgereisten - eine Gruppe von >Reise=Liedern zu Wasser und Lande für Schif= Fuhr= und Handels=Leute< (1677; RL) und schließlich >Drei Danklieden im Zusammenhang mit einem Dankgottesdienst anläßlich eines Sieges über die Türken (1685; DD). Auftragslieder für den Dessauer Hof enthält die Sammlung >Die Reinweisse Hertzogim (1668; SH/RH). 1666 hatte Zesen in seiner Bearbeitung des >Geistlichen Frauen=Zimmer=Spiegels< an biblischen Figuren als Exempeln für gutes und schlechtes Verhalten (letzteres z. B. auch an >Loths WeibSchOne Hamburgerinschöner Leibschöne Seele< und >Libligkeit< gefeiert werden. Die Bild-Betrachtung der Hanseatinnen ersetzt nun die der biblischen Exempel, erweckt jedoch nach demselben Muster zuerst die >Wider-Liebe< des Poeten (SH/RH, S. 248) und entflammt schließlich sogar die des Himmels (»Der Himmel / der sich selbst selbst über Sie verwundert // und / gleich als ganz verliebt / so lieblich Sie anbükt« (ebda., S. 251). - Dies ein kleiner Vorgeschmack auf Zesens poetische Liebes-Blicke, die er so freigebig verstreute, um sie zurückzuerhalten. 2) her bivium - zwischen Deutschland und Holland: Zesen (auch Caesius [= lat. blau]; Pseud. Ritterhold von Blauen) wurde als Sohn eines Pastors in Priorau bei Dessau geboren. Dem Geburtsort hat er 1680 ein amüsantes, detailgesättigtes und zugleich höchst gelehrtes Gedicht in der Tradition der Landlebendichtung gewidmet (zur Erklärung der 1000 Verse benötigte er 130 Seiten Anmerkungen! Vgl. P). Von 1631 an besuchte er das vom bekannten Sprachwissenschaftler Christian Gueintz (>Deutscher Sprachlehre Entwurf, 1641; vgl. dazu III Straßner, S. 66f. u. ö.) geleitete Gymnasium in Halle/Saale (vgl. 11.92 Blume 1992, S. 483) und studierte von 1639 bis zum Magister-Abschluß 1641 in Wittenberg, wo ihn vor allem Augustus Buchner zu seinen metrischen Innovationen anregte (was er im >Deutschen Helicom auch dankbar vermerkte). Von nun an begann auf der unermüdlichen, aber letztlich vergeblichen Suche nach einer festen Anstellung in städtischen oder höfischen Diensten ein unstetes Reise-Leben, das ihn bestenfalls einige Jahre, oft nur einige Monate zur Ruhe kommen ließ. So lebte er zunächst ein halbes Jahr in Hamburg, das er als Gründungsort seiner >Deutschgesinneten Genossenschaft betrachtete, wo er Johann Rist kennen lernte und wohin er auch später zurückkehrte (1667/1668, 1683-1689). Doch zunächst zog er von dort in die Niederlande (1642-1648) und arbeitete in Leiden, Amsterdam und Utrecht als Korrektor und Übersetzer vor allem für den renommierten Verleger Ludwig Elzevier. Eine Paris-Reise (1645) verarbeitete er in der >Adriatischen RosemundEucleriaHelikon< von 1649 enthielt ein Spruchlied auf ihren Wahlspruch »Meine Liebe ist gekreutziget«, die >Jugend-Flammen< von 1651 boten zwei >heroische Alexandriner auf ein »Bild der »weisen Jungfer« (vermutlich ihr Selbstporträt von 1640; vgl. den Vers: »das niemand als sie selbst folkomlich bilden kann«; JF, S. 306; dies Porträt ist abgebildet in III van den Berg, S. 104). Mit dem >Spruch-lied< auf Schurmans Wahlspruch eröffnete Zesen sodann seine Sammlung >Gekreutzigter Liebsflammen oder Geistlicher Gedichte Vorschmak< (1653; GLF, S. 9f.) und brachte diese Lieder in der Vorrede »als die ersten zu tage gebrachten fruchte meiner himmlischen liebe« (ebda., S. 7) in enge Beziehung zur mystischen Liebestheologie der Schurman (vgl. dazu auch 11.92 van Ingen 1970, S. 12). In den separatistischen Zirkeln in Utrecht und Amsterdam, wo sich seit 1656 auch Johann Amos COMENIUS (1592-1670) niedergelassen hatte und Zesen offenbar inspirierte (vgl. ebda., S. 12f.), wurde auch das Erbe Jacob BÖHMES (1574-1624; vgl. zu ihm Bd. III, S. 136ff.) gepflegt. Und hier dürfte Zesens Interesse an der >SophienUrsprachenLiebe< und >HaßRosen=mand< (1651) scheint ein Ergebnis dieses ersten Aufenthaltes in Holland zu sein, in dem der Hauptsprecher >Mahrhold< sich selbst für die letzten Jahre große Fortschritte in der »folkommenheit« und in der Einsicht in die »unzählbaren geheimnusse« der Natur bescheinigt (II RM, S. 222 ). 1648 zog es Zesen nach Deutschland, u. a. an den Köthener Hof, um beim Oberhaupt der fruchtbringenden Gesellschaft persönlich seine Aufnahme in diese Sozietät zu betreiben. Zwar hatte er Erfolg und wurde als der »Wohlsetzende« registriert, doch schon dieser Name sollte ihn eigentlich zum »Wohlverhaltenden« machen (vgl. 11.92 Blume 1992, S. 484), und als er sich nicht daran hielt und seine spachpuristischen Überzeugungen ein Jahr später in der dritten Auflage des >Helikon< auf die Spitze trieb, kam es zu erheblichen Differenzen und Spannungen zwischen ihm und dem >Palmen-OrdenRosen=mand< ganz unmißverständlich und öffentlich zur Geheimlehre der Hermetik - insbesondere zu Paracelsismus und Alchimie - bekannte (vgl. 11.92 Bergengruen, S. 135): »Rosen=mand: das ist in ein und dreißig gesprächen Erofnete Wunderschacht zum unerschätzlichen Steine der Weisen: Darinnen unter ändern gewiesen wird / wie das lautere gold und der unaussprächliche schätz der Hochdeutschen spräche / unsichtbarlich / durch den trieb der Natur / von der Zungen; sichtbarlich aber durch den trieb der kunst / aus der feder / und beiderseits / jenes den ohren / dieses den äugen / vernähmlich / so wunderbahrer weise und so reichlich entsprüßet. Zu Hamburg / ... im 1651 Jahre« (II RM, S. 79)
Zwischenzeitliche Versuche, an den Höfen in Dessau, Kopenhagen oder im Baltikum unterzukommen (1652-1655), blieben ergebnislos. So kehrte Zesen erneut (bis 1664) in seine Wahlheimat Holland zurück, für die er auch bedeutende landeskundliche Werke verfaßte, u. a. eine umfangreiche Beschreibung der Stadt Amsterdam< (1664).
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1665 veröffentliche Zesen mit einer Widmung an den Rat der Stadt Zürich eine bedeutende Quellensammlung gegen den Gewissens- und Glaubenszwang und damit gegen den Epochen-Geist der Konfessionalisierung. Glaubenszwang sei besonders »greulich«, wenn er »von Kristen selbsten wider die Kristen / mit Übertretung ihres neuen und höchsten Hauptgesetzes / der Liebe / verübet wird.« (GSVG, S. 13) Nachdrücklich fordert Zesen zum toleranten Miteinander auch in gemischt-konfessionellen Sozietäten auf (ebda., S. 12f.). Von 1667 bis 1689 wechselte er - seit 1672 mit der Stader Bürgerstochter Maria Becker(s) verheiratet - fünfmal seinen Wohnort zwischen Amsterdam und Hamburg, wo er - von materiellen Sorgen und Krankheit (seit 1679) zermürbt - starb. In seinem Vaterlandsgedicht hat Zesen die Liebe zu seinem Geburtsort Priorau mit der Klage über das »Verhängnis« seines steten Lebens-Wechsels verbunden: ».. .Nimmermehr vergess' ich deiner / mein geliebtes Vaterland. Eher noch vergess' ich meiner. Lieber hab' ich dich / als mich. Kann ich schon bei dir nicht sein / Trekt und schlept mich schon von dir mein Verhängnis an den Rein / An die Amstel / ferne weg; dannoch denk' ich / liebste Mutter / Liebstes Prirau / stähts an dich. ...« (P, S. 197) 3) >Die Deutschgesinnete Genossenschaft: Diese von Zesen nach dem Vorbild der >Fruchtbringenden Gesellschaft Anfang der vierziger Jahre (das genaue Datum ist unklar; vgl. 11.92 van Ingen 1970, S. 91f.) ins Leben gerufene Sozietät bestand bis in den Anfang des 18. Jahrhunderts und wies nach spärlichen Anfängen zahlreiche Mitglieder auf. 1645 gehörten ihr 35 Personen an, darunter Harsdörffer, Rompier von Löwenhalt, Klaj, Birken und Moscherosch (vgl. ebda., S. 92). Nach der angeblichen Gründung in einem Rosengarten nannte sich die Gesellschaft auch >Rosenorden< (vgl. dazu II DRTL, S. 104; GS, S. 338). Im Blick auf die >heilige Zahl< vier (vgl. dazu Abschnitt c-3) hatte Zesen eine Organisation in vier Zünfte inauguriert. Die erste Zunft, deren Vorsteher und >Erzschreinhalter< er selbst (mit dem Zunft-Namen >Der FärtigeRosenzunft< genannt. Als die in 9 Zunftsitze zu je 9 Zunftgenossen eingeteilte Rosenzunft 1669 gefüllt war, gründete man die >LiljenzunftNägleinGesellschaftsschriften< zu den einzelnen Zünften beeindruckt die überaus gelehrte Allegorisierung der Zunft-Symbole. Das betrifft zunächst die Ausdeutung der gewählten Blumen-Namen im Blick auf ihre botanischen, medizinischen, ästhetischen und moralischen Eigenschaften sowie ihre mythologische Ätiologie. Von daher sind diese Schriften auch ein nützlicher Kommentar zur Bedeutung dieser Blumen in Zesens Lyrik. Hier nur ein kleines summierendes Exempel:
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5) Dichtung als Liebes-Kraft (Zesen)
»Gleichwie nun die Rose der Venus oder der Liebe / als ihr eigenes / und aller Liebligkeiten / aller Holdsäligkeiten / ja aller Gunst= und Liebes-reitzungen zugeteiltes Wahrzeichen / wie auch die Lilje der jungen Jahre Vorsteherin / der Juno / welche die Hofnung giebet zum Alter und Wachsthume / daher man auch jene die Bluhme / ja die Krohne der Liebe / und diese die Bluhme und Rose / ja selbst den Reichsstab der Juno zu nennen pfleget / von den Alten geheiliget worden; so heiligen und eignen wir der Pallas oder Minerve / die der Klugheit und Weisheit Alsgottin ist / das Hertz- und Hirn-stärkende Näglichen zu / ja nennen es zugleich der Pallas Bluhme / wie auch Stern oder Sternkrohne.« (GS, S. 342)
Offenkundig wird hier ein Kult inszeniert, der mit der Sakralisierung seiner Symbole einen Altar außerhalb des Kirchen-Raums, nämlich in der Natur, errichtet. Die Symbole des Christentums werden keineswegs ausgeschlossen (so verweist die Rose auch auf die Liebe, die Lilie auf die Hoffnung, die Nelke auf den Glauben; vgl. 11.92 Otto jr., S. 275), bilden aber eher einen >Neben-Altan. Auffällig im Blick auf diesen auch aus heidnischen Ingredienzien gespeisten Kult ist ferner die außerordentliche Bedeutung der Zahlensymbolik und -Deutung, die sich vor allem aus den gewählten Kult-Blumen (ihrer Form, der Anzahl ihrer Blüten usw.) ergeben und woraus Zesen auch die Anzahl der Zunftsitze herleitet. Bei der Rose ist dies die Zahl 9 (auch im Blick auf die neun Musen; vgl. GS, S. 379), bei der Lilie die Zahl 7 (und hier bietet Zesen einen staunenswerten Überblick über die Bedeutung dieser Zahl mit weit mehr als 100 Belegen aus der abendländischen Kulturgeschichte, GS, S. 360ff.), bei der Nelke wegen ihrer fünf Blütenblätter die 5 (ebda., S. 400ff.). Schließlich und vor allem zeigt sich neben allem Commentmäßigen der Satzung sogleich, daß auch diese Sozietät sich in erster Linie nicht nur als eine Art »Tugendgesellschaft« (so 11.92 van Ingen 1972b, S. 13), sondern in der funktionalen Bezogenheit auf die Kultsymbolik als eine daraus abgeleitete quasireligiöse >Gemeinde< verstehen sollte, die dem Ideal der >rosenkreuzerischen< Geheim-Gesellschaft (vgl. dazu Bd. III, S. 127ff.) gar nicht so fern steht. Denn vom Rosen-Symbol ausgehend hat Zesen seinem Verein die Liebe (wie bei den Rosenkreuzern) als wichtigstes Prinzip verordnet: Da die Rose oberstes Zunft-Zeichen und damit »ein Bild ist der lieblichen Liebe / der leutseeligen Hulde / ja der Demuth / und Sanftmuht Selbsten; welche alle des häslichen hasses / und übermuthigen trotzigen neides abgesagte feindinnen zu sein pflegen: so ist die Rose um so viel mehr beliebet worden; damit die sämtlichen Rosengenossen / durch solcher ihr algemeines und absonderliches Sinbild / angereitzet würden/ sich untereinander lieblich / freundlich / treu= und deutschgesint zu begehen.« (HHR, S. 201 f.)
Von daher annonciert das Zitat am Beginn dieses Zesen-Kapitels die Umsetzung des Auftrags der Rosen-Zunft zu einem Liebes->WerkLiebesDeutscher HeliconVorrede< und dem ersten Satz der >Ersten Abtheilung< seiner Poetik (>Deutscher HeliconHelicon< das erste deutschsprachige Reimregister beifügt (vgl. dazu auch 11.92 Mache, S. 202f.). Von der Konzeption her fällt im Vergleich zu Opitz auf, daß Zesen wie Justus Georg SCHOTTEL (1612-1676) in seiner deutschen Vers= oder Reim=Kunst< (1656; II Schottel TVRK, S. 266f.) die Frage nach Ursprung, Alter und Genealogie der Dichtkunst in seiner Poetik ausklammert, aber zugleich auffällig viele Beispiele geistlicher Lyrik in seinen >Deutschen Helicon< aufnimmt. Damit kommt er offensichtlich einem eminenten Bedürfnis der religiösen Praxis nach; denn die geistliche Literatur übertraf die Produktion der weltlichen Poesie um ein Vielfaches (vgl. 11.31 Krummacher 1976, S. 37ff., 393ff.; III Krummacher; IV Krummacher 1986) und besaß eigene, von den Reformatoren zum Teil inspirierte und poetologisch profilierte Gattungstraditionen, welche bislang in den Renaissance-Poetiken - Opitz ist ein Beispiel dafür - kaum Berücksichtigung fanden (vgl. dazu Bd. IV/1, Kap. 2 c). Schon 1641 vertrat Zesen in der Frage des Gebrauchs heidnischer Götternamen gegen Opitz, dessen Ansicht er zitiert, die Position, man solle diese Namen eindeutschen, um den Verdacht zu vermeiden, die deutsche Sprache sei zu einer solchen Umbildung nicht fähig (DH, S. 250ff.). Am Schluß des >Ersten Teils< seines deutschen Helicon< plaziert Zesen noch einige Gedichte, die sich als konfessionsversöhnende Geste deuten lassen: einige meditative >Betrachtungen< auf katholische Heilige (>Auff Agnisen BildnüßAuff Katharinen Bildnfiß< usw.), denen zwei >Betrachtungen< auf lutherische Zeugnisse folgen: >Auff D. Stegmanns Schwanen-gesang< (gemeint ist vermutlich der auch von Gryphius und Rist verehrte Theologieprofessor und Erbauungsschriftsteller Josua Stegmann 1588-1632; vgl. Bd. II, S. 237 u. ö.; Bd. IV/1, Kap. 6 n) sowie >Auff das Augspurgische Gebethbuch< (DH, S. 255ff.). Doch trotz dieser klugen humanistischen Einverträglichkeit und Toleranz entging Zesen nicht der >rabies Theologorumstilus humilis< verpflichtete Kirchenlied (vgl. III Marquardt, S. 193ff.; IV Scheitler; Bd. I, S. 44ff, 50ff.) der Unmut der Theologen entzündet. Denn er versuchte, auch den »geistlichen gedienten« eine »färtige und hurtige dattel=ahrt« anzuempfehlen, worüber er mit einigen Geistlichen, namentlich mit dem Kirchenlieddichter Martin Rinckart (1586-1649; vgl. Bd. II, S. 237), in Streit geriet. Doch solch »einsiedlerischen Michael skopffen« hielt er in der Frage, ob »dergleichen hüpfende reim=ahrten« für die geistliche Poesie nicht ungehörig sind »und endlich zu nichts als zu leicht=färtigen und weltlichen liedern konten und müsten gebraucht werden« (HDH II, S. 576) - fröhliche Exempel aus der Bibel und aus der eigenen Feder entgegen, z. B. die folgenden Verse mit metrischem Übergang von daktylischen (V. l u. 2) zu anapästischen Versen (V. 3-6; vgl. dazu IIDH, S. 38): »Heilig ist! heilig ist! heilig ist Got! freilich ist! freilich ist! freilich ist Got Hoch=heilig / hoch=heilig / o freilich! o freilich! Hoch=heilig! hoch=heilig! hoch=heilig ist Got o freilich! o freilich! o freilich ist Got!« (H-DH II, S. 576f.)
Sogar dieses Beispiel vermag noch zu verdeutlichen, welch große Bereicherung das Kirchenlied durch die von Opitz eingeleiteten und von Buchner und Zesen verfeinerten metrischen Reformen erfuhr. 2) Dicht-Kunst als Vervollkommnung der Natur. Zesen hat in der 1668 erschienenen >Hochdeutschen Helikonischen Hechel< die in seiner Poetik umgangenen Fragen nach der Bedeutung von Dichter und Dichtkunst bemerkenswert eindringlich und Opitz ebenbürtig beantwortet. Laut Vorrede war die Schrift zur Zeit der Publikation aber schon »achtzehnjährig« (HH, S. 280) und wäre von daher in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem >Rosen=mand< (1651) zu sehen. Das ist auch sachlich gerechtfertigt, denn zum einen stimmen >inventio< und äußerer Aufbau überein - in beiden Werken handelt es sich um Gespräche, die in eine dem göttlichen Schöpfungswerk (vgl. RM, S. 220) entsprechende »Sieben-Tage«-Beschreibung eines großen Festes (mit deutlichen Anleihen bei höfischen Fest-Beschreibungen wie in Weckherlins >TriumfAuferstehung< feiern -, zum ändern kongruieren beide Werke in der Sache, vor allem in der Sprach- und Dichtungsauffassung. Im Anschluß an Rosemunds Preis Petrarcas entwickelt Mahrhold als Zesens Sprachrohr unter zustimmendem Rückgriff auf die einschlägigen Passagen aus Opitz' >Poeterey< das Bild des Dichters als eines in allen Künsten und Wissenschaften erfahrenen >poeta doctus< (HH, S. 297ff.). In der Frage nach dem Verhältnis von >natura< und >arsRosen=mandNaturDe signatura rerum< (1622; vgl. dazu Bd. III, S. 150f.). Zesen erwähnt Böhme vermutlich nicht, weil dieser im deutschen Reichsgebiet als großer Ketzer galt, dessen Schriften nicht publiziert werden durften (vgl. dazu Bd. III, S. 136ff.; RM erschien in Hamburg!). Immerhin zitiert Zesen aber gleich zu Beginn als entsprechendes Signal Abraham von FRANCKENBERG (nur mit dessen Initialen; RM, S. 101), Böhmes treuen Adepten und ersten Biographen, der sich auch 1643 in den Niederlanden aufgehalten hatte, um dort die Publikation der Schriften Böhmes zu fördern (vgl. Bd. III, S. 152f.).Durch die drei großen göttlichen Strafen - Sündenfall, »Sündfluht« und Turmbau zu Babel - habe die adamitische Ursprache einen großen Teil ihrer gottähnlichen »physischen« Kraft (Gott sprach und es ward!) und ihrer Einheit verloren, sie unterliege seither dauernder Veränderung wie alle anderen sublunarischen Dinge auch und habe zu großen Teilen das Merkmal der Arbitrarität angenommen (ebda., S. 99f.; so auch II Schottel AATH I, S. 135ff.). Dennoch gebe es noch >Reste< der ursprünglichen, auf der >physischen< Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem basierenden Sprache, die eben als »Wunderschacht« zum »Stein der Weisen« sprachalchymisch freizulegen sind. Daß die alte >physische< Nenn-Kraft der Sprache außerdem noch vorhanden sei, zeige sich auch bei der Bildung von Neologismen; denn diese flössen - dem Erfinder unbewußt - »nicht allein aus dem rechten gründe der alten spräche / sondern auch aus dem gründe der natur und eigenschaft des benennten dinges selbst« (RM, S. 107). Kein Wort könne »von ohngefahr« gebildet werden, sondern müsse »seine bedeutung aus der natur haben / wan es auch nur vom knalle / geräusche oder halle des klanges und getöhnes / das es giebet / entsprösse. Sonst würde es kein mensch annehmen.« (Ebda., S. 108) Ja es sei überhaupt kein neues Wort denkbar, »das nicht seinen uhrsprung aus den ersten / natürlichen und alten wortern genommen / und von anbegin schon in der natur der spräche verborgen gelegen.« Das ist eine linguistische Präformationstheorie, die sich als organologischer Determinismus bei Leibniz wiederfinden wird (vgl. II Leibniz T, S. 155; M, S. 61) und die Zesens eigenwillige Eindeutschung der Fremdworte und der Fachterminologie sowohl als Rückkehr zur Sprach-Natur und zu den alten Sprach-Kräften als auch als Versuch zur Vervollkommnung der >Natur< der Sprache verständlich macht (vgl. RM, S. 203ff.) - und diese künstlerische Spracharbeit setzt Zesen hier selbst in Parallele zur Alchimie: »weil der kunstler und känner der natur / durch seine kunst und erkäntnüs / solcher gestalt in bildung neuer dinge und ihrer namen / der schwachen natur aufhülft / zu statten kommet und selbige vermehret oder ausfündig und reiffen machet. Indessen liegt alles / was durch kunst erfunden wird / und noch kann ausgefunden werden / im reichen und unerschöpflichen schatzkasten der natur alwege verborgen und versenket: und auf solche weise werden durch die Scheidekunst / als die rechte auswürckerin der natur / und durch das Gold-machen viel unzählige geheimnfisse und Verborgenheiten / welche die natur angefangen / aber noch nicht austrükken oder ausarbeiten können / und so lange in ihrem schoße verborgen gehalten / täglich gefunden und durch menschliche kunst-geflissenheit und Vernunft zu ihrer folkommenheit gebracht und fol-end ausgewürket.« (RM, S. 111 f.)
c) Sprach-Alchimie (>Rosen=mandStammwörter< - anhand der Rückverfolgung der Lautverschiebungen bis in die Vorzeit - zu erkennen sei (RM, S. 207ff.). Dies versucht Zesen sprachhistorisch und am Lautstand der deutschen Sprache nachzuweisen. 2) Vorrang der Mündlichkeit vor der Schriftlichkeit: Die hebräische »kabel« (= Kabbala; vgl. dazu Bd. III, S. 71 ff.) als ursprünglich mündliche, erst nach der »Sündfluht« verschriftlichte göttliche Ur-Offenbarung an die Erzväter zeige, daß die Laute - damit auch das Unsichtbare - Priorität vor dem Sichtbaren (und damit den Schriftzeichen) hätten. Darin sei auch der Vorrang der Dichtung vor der Malerei begründet. Während diese nur sichtbare Dinge nachahmen könne, sei der (poetische) »Schreiber« »ein ab-bilder und entwerfer der unsichtbaren dinge sichtbarlicher weise. Ja die schrift ist eine stumme / doch sichtbahre rede; und die schreiberei ist eine halb-götliche kunst und unbegreifliche Mahlerei ihres verborgenen uhrsprungs wegen.« (RM, S. 130f.) Darin zeigt sich die genaue Nach-Bildung des göttlichen Sprechens, denn die sichtbaren Dinge der Natur sind Aus-Druck seiner SchöpfungsSprache. Jedes sprachliche Werk entstehe erst in der unsichtbaren Seele, werde dann durch den Laut der Zungen zunächst den Ohren vernehmlich und erst dann durch die Schrift sichtbar analog zu den »naturlichen buchstaben im groß- und kleinen welt-buche der Natur« (ebda., S. 115). Solche generische Priorität des Mündlichen vor dem Schriftlichen zeige sich auch am hebräischen Alphabet, das von Anfang an keine Zeichen für die grund-legenden Selbst-Lauter, sondern nur für die sekundären »Mit-Lauter« kenne. »Dan / weil die lauter die seele und den lebendigen klang den mit-lautern geben / und selbige als stumme lebendig und lautend machen / so haben die ersten erfänder gemeinet / es were unnothig / daß man solchen lebendigen klang durch buchstaben oder schreibe-zeuchen abbildete / indem es die menschliche zunge im lesen durch die aussprache selbst tähte.« (Ebda., S. 142f.) Auch diese Ideen sind durch Böhme inspiriert, für den gerade aus dem »Hall« des Wortes dessen »gestaltniß« »ausgehet«. Darin spiegelt das menschliche Sprechen den durch das göttlichen »Aushauchen« im »Wort« vollzogenen Prozeß der Kosmogonie und setzt ihn fort, wobei sich im >Tönen< das >Wesen< des Ausgesagten und seine Signatur in besonderer Weise mitteilen (vgl. Bd. III, S. 150). Von daher versteht sich, warum Zesen mit Vorliebe Oden und Lieder dichtet und dabei sowohl der »Klanglichkeit« im Bereich der Prosodie, Onomatopoie (also der Wortschöpfung um der Klangmalerei willen) und der »Lautanalogie« (11.92 Weber) als auch der Sangbarkeit selbst so große Bedeutung beimißt, daß er in seine LyrikSammlungen vielfach nicht nur Melodienangaben, sondern komplette Melodien (großenteils von heute unbekannten Komponisten, einige aber auch von Heinrich Albert; vgl. z. B. DRLT, S. 294, 385) aufnimmt. 3) Die vier >Elemente< der Sprache'. Die außerordentliche Bedeutung der Zahlenmystik, die sich in den >Gesellschaftsschriften< in seitenlangen Aufzählungen der Bedeutungen der Zahlen 5, 7, 9, 12 niederschlägt und die sich bei der Vierteilung der
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>Deutschgesinneten Genossenschaft< zeigt, findet hier ihre Entsprechung in Zesens Überzeugung, daß es ursprünglich in Analogie zu den vier Elementen auch nur vier Sonanten und vier Konsonanten gegeben habe (zur Bedeutung der Vierzahl im Blick auf Tages- und Jahreszeiten, Menschenalter, Kontinente, Himmelsrichtungen usw. vgl. ebda., S. 188f.; vgl. dazu auch Bd. II, S. 89ff.), und auch diese Orientierung an den einzelnen Buchstaben (und allenfalls Silben) als Bausteinen der Ursprache geht wieder auf Böhme zurück, da sie sich für ihn als Invarianten in allen Sprachen finden, während die Wörter und deren Bedeutungen bereits in allen Einzelsprachen differieren (vgl. Bd. III, S. 150): »gleich wie in dem gantzen wesen der dinge nicht mehr als vier uhrwesen seind / wasser / erde / feuer / luft: daraus alles / was einen leib hat / in der gantzen weit entstehet: so findet man auch in der menschlichen spräche nur viererlei uhrklang / oder uhr-laut / daraus alle das andere geläute / durch Vermischung des uhr-geläutes / wie auch die vernehmliche stimme oder spräche selbst entstehet. Dieser vierfältige uhrklang nuhn wird durch a / e / u / und o abgebildet und geschrieben.« (RM, S. 153; vgl. ebda., S. 175f.)
Der Sonant i ist dagegen zusammen mit ü eine spätere, aus dem e abgeleitete Erfindung zur Bedeutungsdifferenzierung von ansonsten ursprünglich gleichlautenden Wörtern (ebda., S. 153, 180f.). Jeder der vier »uhr-lauter« hat durchaus eine ursprüngliche >physische< Bedeutungsbeziehung zu einem der Elemente, weil man »in dem a eine durchdringende kraft des wassers / in dem e das Sinken der erden / in dem u / ... das sanfte steigen und schweben der luft / in dem o aber die hohe und steigende kraft des feuers / gleichsam als in einem halle vernimmet.« (Ebda., S. 153f.). Und mit genauem Bezug auf die Elemente, bei denen die jeweils (nach Schwere bzw. gradualistischer Schichtung in der Natur) benachbarten auch miteinander sympathisieren wie das Wasser mit der Erde, diese mit der Luft und letztere mit dem Feuer, so harmonieren analog a und e, e und o sowie o und u, während sich a und o wie Wasser und Feuer >polar< gegenüberstehen, aber gerade dadurch zugleich das >Ganze< der (Welt-)Weisheit zum Ausdruck bringen (ebda., S. 189f.). Zesen erhärtet dies u. a. durch Verweis auf Apokal. l, 8 (»Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, spricht Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige«; hier mit Bezug auf das griechische Alphabet, das mit dem Omega endet; RM, S. 187f.). Daß Zesen natürlich selbst vielfältig mit dieser LautSymbolik spielt, zeigt sich schon vom Titel des Werkes >Rosen=mand« bis zu den Hauptprotagonisten: Der Name Rosemund erklingt aus sympathetischen Vokalen, Mahrhold verkündet das A und O der Zesenschen Weisheit - und der Ausruf »Ao!« oder »Az!« eröffnet einige Zesensche Schriften als Code für die »Eingeweihten« (vgl. GS, S. 183; GLV, S. 5; LKN, S. 287; DRLT, S. 5; KL, S. 125; P, S. 169). Analog dazu gab es ursprünglich auch nur vier »uhr- oder stam-mitlauter«: b, d, l, s. Diese stehen ihrerseits ebenfalls in semantischer Beziehung zu den Elementen: »Dan b bezeuchnet die eigenschafft des wassers / und klinget auch so blatschricht: das d hat die Steifheit / unbewäglichkeit / und das sinken der erde gleichsam in seinem klänge: das l zeiget an die leichtheit und dinnigkeit der luft: das s schwinget sich auch gleichsam über alle buchstaben hinauf/ wie das feuer über alle andere uhrwesen.« (RM, S. 176)
So gehören also unter den Sonanten und Konsonanten »ab / ed / ul / os« zusammen (ebda., S. 179). Der Ordnung der »großen Zeugemutter« Natur folgend, die - auch
c) Sprach-Alchimie (>Rosen=mandDinge< auch klanglich wiederzugeben, und es gibt Lautanalogien, welche in der »Gleichlautung analogistische Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Wörtern« herstellen, wodurch im Gehör quasi eine naturhafte Verwandtschaft zwischen ihnen hervorgerufen wird, die nicht unbedingt auch noch zur Bezeichnung einer außersprachlichen Sache dienen (vgl. 11.92 Weber, S. 167). Vielmehr verweisen sie innerhalb des sprachlichen Kosmos >naturhaft< auf kosmische Entsprechungen, bringen - gesteigert durch die Musik Korrespondenzen zwischen Mikro- und Makrokosmos zu Gehör und »vermählen« die Bereiche von »oben« und »unten« (vgl. ebda., S. 174; vgl. dazu Abschnitt e). Dabei können im Blick auf Lautverschiebung und die ebenfalls vorhandene Arbitrarität vieler Worte die einzelnen Buchstaben nicht immer lautsymbolisch (oder im Blick auf ihre >elementarische< Ursprungs-Bedeutung) interpretiert werden; andererseits legt Zesen seiner Kombinationslust auch keine Zügel an, weil er darauf vertraut, daß auch jedes neue Wort mit seinem Klang eine Bedeutung »aus der Natur« hat und diese im Klang-Kontext des Gedichts auch zur Geltung bringt. Diese Spekulationen fundieren aber nochmals Zesens Sprachpurismus mit der hier erneuerten Aufforderung zum Ausmerzen der Fremdworte (RM, S. 203ff.). Gerade die alte und ehrwürdige deutsche Sprache ermöglicht »eine naturliche schreibe-richtigkeit«, und man könne sie im Unterschied zu anderen Sprachen auch so schreiben, wie sie ausgesprochen werde (ebda., S. 201). Zesen ist stolz auf seine sprachtheoretischen Einsichten, auch im Blick auf die Suche nach den >stamwörternMelpomene< (1638) ein Lied aus 43 je achtversigen Alexandriner-Strophen auf Leiden und Sterben Christi, >Himmlische Kleio< (1641) insgesamt acht unterschiedliche Gedichte (darunter Lieder, zwei Sonette und eine pindarische Ode) auf Christi Geburt. >Melpomene< nutzt statt der konzentrierten Beschreibung des Leidens Jesu, wie es der geistlichen Topik entspräche, jede Möglichkeit zur gelehrten Digression und verteidigt dabei z. B. auch das lutherische Abendmahlsverständnis (»Da GOtt im Brodt und Wein von uns genossen wird / Nicht wie Calvinus lehr / nicht wie dort Beza irrt;« M, S. 7). Die »compassio« wird überlagert und aufgehoben durch das freudige Bewußtsein der Auferstehung. In der 39. Strophe dürfen schon die Nachtigallen ein »frewdenLied« singen: »Jetzt bricht die Lust herfür.« (Ebda., S. 15) Schon hier zeichnet sich ab, daß von Zesens geistlicher Lyrik weder eine schwergewichtige gedankliche noch eine eindringliche meditative Aufbereitung der geistlichen Themen zu erwarten ist. Und das liegt nur zum Teil - wie die Oden von Gryphius zeigen - an der bevorzugten Wahl strophischer und damit sanghafter Formen. Diese Tendenz zu eher formelhaftem und oberflächlichem Umgang mit dem Glaubensgut zeigt sich noch stärker an der zweiten Sammlung, in der es bereits mehr um die Demonstration formaler Kunstfertigkeit in verschiedenen Liedtypen als um Christi Geburt geht. Vielmehr wird das »Jesulein« in seiner Krippe zierlich ausgeschmückt (»Die Wiege sollte seyn besteckt mit Roßmarien«; HK, S. 23), mit schönen »inventiones« bedacht, die auch aus der im Barock beliebten Buchstabenvertauschung erwachsen (>Sonnet. Jesus Christ Durch Buchstaben=versetzung reuchst süßcausa efficiensSalomons Des Hebräischen KOnigs Geistliche Wollust / oder Hohes LiedDeutschen HeliconIn Dactylische und Anapästische Verse gebracht (SGW I, S. 355). Die äußere Einteilung (acht Abschnitte entsprechend den acht Kapiteln des Hohenliedes) behält er bei, übernimmt von Opitz aber auch weitgehend die Aufteilung der Redeanteile auf den >König< und die >SulamithinJungfrauen< (ebda., S. 378, 380) sowie das vorangestellte Augustinus-Zitat aus >De Civitate Deifalschen< Liebe zu Christus. In einer langen >Erklährung< dazu weist Zesen ausdrücklich auf diesen Umstand hin: Natürlich sei der Sitz der »reinen und keuschen Liebe« »im hertzen« und der der »weltlichen und brünstigen« »in der leber« (so auch in der >LustinneGekreutzigter Liebsflammen...VorschmackGekreutzigter Liebsflammen oder Geistlicher Gedichte Vorschmack< (1653) als Beleg für das die Kollektion eröffnende >Spruch-lied< auf den Wahlspruch Anna Maria von Schurmans dient (»Meine Liebe ist gekreutziget«), der sich im Strophenrefrain wiederholt (hier Str. 2): »Die liebe / die vergänglich bleibet / ist schon aus meinen sinnen hin: ich bin derselben einverleibet / Die / JESU / Dich führt zum gewinn. Dan ob mich weit und lust schohn triebe / Bleibt doch gekreutzigt meine liebe.« (GLV, S. 10)
Doch fällt auch hier auf, daß die sinnliche Liebe bei aller Kontrastierung zur »gekreutzigten« nicht gänzlich verworfen, sondern eher in ein zeitliches (Unterordnungs-)Verhältnis gesetzt wird: Die vergängliche sinnliche Liebe hat ihre Zeit und verbleibt in der Zeit. Danach kommt und darüber erhebt sich die geistliche Liebe. Diese Position ermöglicht Zesen die Übernahme der Hohelied-Motivik in seine weltlichen Lieden (vgl. Abschnitt e). Wo die >bräutliche< Jesus-Liebe thematisiert wird wie auch in Zesens >Seufzer einer frommen Seelen / welche von der weit begehret aufgeloset zu werden und bei ihrem
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süßen Jesu zu sein< (GLV, S. 12ff.), zeigt sich das genaue Analogen zum geistlichen Petrarkismus< Friedrich von SPEES (1591-1635), der seine Jesus-Liebe ebenfalls mit Hilfe der Figur der bräutlichen >sponsa< des Hohenliedes gestaltet (vgl. dessen Lieder >Anders liebgesang der gespons JESV, darinn Sie ihre Vnruh beklaget... darinn die eigenschafft einer volkommen begierlichen Liebe abgemahlet seinTugendreich die kleine WeltZehenden Lied< des Vierden DutzendWeisheit< spricht von den »liljen der brüst« und verknüpft so auch die Titelmotivik mit der Weisheit, die in einem späteren >Freudenlied / als Er von der Edelen Weisheit / den trauring / zu samt der ehrenkrohne /empfangen sollteBraut< im Hohenlied - auch die Vorstellung der Erneuerung des Paradieses als Blumen-Gartens verbindet (vgl. H1.2, 6: »Er erquickt mich mit Blumen...«; Hl. 2, 1: »Ich bin eine Blume zu Saron und eine Rose im Tal«; Hl. 4,12: »Meine Schwester, liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten...«; Hl. 6, 2f.: »Mein Freund ist hinabgegangen in seinen Garten.., und ich bin sein, der unter den Rosen weidet.«; Hl. 7, 14: »Die Lilien geben den Geruch...« usw.). So auch eine lyrische Einlage in John Pordage' Prosa-Schrift >Sophia< (1698): »Komm / schönstes lieb und ew'ge braut / der seelen wurtzel anzufeuchten / strahl aus der Schönheit glantz und laß dein sösses licht erleuchten [...] Den himmels=saamen ich sie würcklich nun seh bringen; Den ändern Eden auch erfreulich draus entspringen / Die schone Sarons=ros und lilje geht drin auff Im mitten anderer / es ist ein gantzer hauff Der schönsten blumen=zier / und himmlischer genaden...« (Zit. in IV Dohm, S. 138; vgl. auch ebda., S. 157)
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Durch die »Vermählung« mit der himmlischen Weisheit stellt Zesen seiner Sammlung jenes »Eden« und »überirdische Rosenthal« voran, als dessen »Schattenbild« er dann die Liebeslyrik seines >Rosen= und Liljentahls< nach der Maxime »wie oben, so unten« inszeniert. Und nur in diesem Kontext ist auch das bedeutende fünfte Lied das >Meienlied< auf die Kaiserin Eleonore (DRLT, S. 35ff.) - zu verstehen, das die Kaiserin nun in umgekehrter Bewegung im Medium einer ausgefeilten Lautsymbolik mit dem Himmel vermählt und als »unsre Gottin« in >sophianische Höhen< »neben die Sterne« versetzt, »wo sich befindet der himlische bau« (ebda., S. 38; vgl. zu diesem Lied 11.92 Weber, S. 159ff.; Bergengruen, S. 139ff.). Alchimistisches Denken beeinflußt dann insbesondere noch die Begräbnislieder, die - wie diejenigen des Hermetikers Lohenstein - den christlichen Trost auffällig kurz darbieten und sich statt dessen ausführlich an die »chymisch« Sterbe- und Auferstehungslehren des >Buchs der Natur< halten (vgl. dazu Bd. III, S. 107ff., 114; Kap. 7 d-4): »Ein Weitzenkorn verdürbet und faulet stähts zuvor / eh dann es grfihnt empohr: Also verfault und stürbet Der Mensch auch; der vergeht / Eh als er aufersteht.« (DRLT, S. 364)
Vielleicht erwacht die Zesen-Forschung am ehesten aus ihrem >Dorn-RosenWeisheit< dringlich geäußerte Bitte: »Lieber Leser, liebe deinen Zesen!« (SGW II, S. 99; ebenso DRLT, S. 10). f)
»Monsieur Sausewind« und der »reim-leimende« >Phoenix< (Rist)
1) Geistlicher, Poet und Chymicus - der drei-einige Rist: In Hohn und Haß dagegen verwandelte sich die anfängliche Sympathie zum >Färtigen< bei Johann RIST (1607-1667; vgl. Abb. 6, ein radiertes und gestochenes Porträt von F. Steürhelt, das den Autor in Amtstracht mit der Bibel und zugleich >umwunden< von der Gloriole seiner poetischen Ehrentitel zeigt; in: III Bircher, S. 144). Rist ist ein kulturhistorisch interessanter Autor, - leider am wenigsten mit jenem Teil seines umfangreichen Werkes, mit dem er sich unter den Zeitgenossen vor allem Ruhm erwarb: mit seiner geistlichen und weltlichen Lyrik (in der Ausgabe >Sämtlicher Werke< [l967ff.] ist seine Lyrik bisher nicht erschienen)! Rist führte in seinem Leben drei Existenzen nebeneinander: Zunächst und vor allem war er lutherischer Pfarrer und dichtete in diesem Amt zugleich 658 geistliche Lieder, die er in 12 Sammlungen herausgab (eine 13. Kollektion folgte posthum). Aus rezeptionsgeschichtlicher Perspektive am wichtigsten sind dabei folgende Ausgaben: die Sammlungen der >Himlischen Lieder< (1641-1643 [II Rist HL], >Neue Himlische LiederPhoenix< (Rist)
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Gryphius' Perikopensonetten vergleichbare >Sabbahtische Seelenlusi [...] über alle Sonntägliche Evangelien des gantzen Jahres< (1651; SS), ferner >Frommer und Gottseliger Christen Alltägliche Haußmusik / Oder Musikalische Andachten< (1654) sowie >Neüe Musikalische Fest=Andachten< (NMFA, 1655; vgl. dazu IV Scheitler, S. 238; vgl. ferner NMDS, NMKA), Wie die >Königsberger< maß Rist, der selbst komponierte, der Sangbarkeit seiner Lieder große Bedeutung bei und fand vor allem im norddeutschen Raum eine Reihe damals namhafter, über Jahre mit ihm zusammen arbeitender Tonsetzer - meist Organisten -, die in der Musikwissenschaft unter der Bezeichnung Hamburger Liedschule figurieren (so vor allem Johann Schop [um 1590-1667], Thomas Seile nVuit [1599-1663], ferner Michael Jacobi, jti" Saß Stern jtruft« malt Martin Coler, Peter Meier und ande'. und «m fcfb «IU* re; vgl. 11.64 Lohmeier/Reichelt, S. 354; IV Scheitler, S. 241). Ihren musikalischen Erfindungsreichtum Abb. 6 suchte er auf das Ideal der Einfalt einzuschwören, dem auch seine Texte folgten. So entstanden - analog zu den >Königsbergerm - einfache Arien, die der neuen monodischen Arie zum Durchbruch verhalfen (vgl. ebda., S. 243f.). Diese Lieder waren für alle Formen der häuslichen Andacht bestimmt, aber vielfach auch mit ihrem einfachen Stil, ihrer unindividuellen, inhaltlich unanstößigen, auf liturgische Fest- und Feiertage konzentrierten Thematik auf kirchlichen Gebrauch hin angelegt, und tatsächlich wurde mehr als ein Drittel dieser Lieder - vor allem aus den genannten Sammlungen, aber meist ohne die ursprünglichen Melodien - im Laufe des 18. Jahrhunderts in die Evangelischen Gesangbücher aufgenommen (vgl. dazu ebda., S. 235ff.; sechs von ihnen haben auch die neueste GesangbuchRevision überstanden, darunter aber nicht mehr Rists bislang bekanntestes Lied: >O Ewigkeit, du DonnerWort!«). Damit handelt es sich nach der in dieser Lyrik-Geschichte in Auseinandersetzung mit Scheitler entwickelten Definition um Kirchenlieder, nicht um poesiebestimmte geistliche Dichtung (vgl. Bd. I, S. 50ff.). Rists Lieder fanden deshalb mit einer Reihe von Beispielen Eingang in die kulturgeschichtliche Darstellung des lutherischen >Frömmigkeitsliedes< der Epoche (vgl. Bd. II, S. 231 ff., 251 f.). Zweitens verstand er sich auch als weltlicher Dichter, der ein umfangreiches Werk in allen drei großen Gattungen, aber hauptsächlich in der Lyrik schuf. Dazu gehören
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seine ersten, der Karriere-Förderung dienenden Sammlungen >Musa Teutonica< (1634) und >Poetischer Lust-Garten< (1638; vgl. 11.64 Mannack 1991, S. 482f.). Auf zwei pseudonym edierte Sammlungen mit Schäfergedichten (vgl. Abschnitt 5), an deren Melodien die selben Komponisten wie bei den geistlichen Liedern beteiligt waren, folgten an größeren Sammlungen der >Poetische Lust-Garten< (1638; mit einigen Sonetten und Grab-Inschriften, u. a. auf Bethlen Gabor, Friedrich Pfalzgraf bei Rhein und Gustav II. Adolf von Schweden sowie auf das Schicksal Magdeburgs), der >Poetische Schauplatz< (1646) mit dem von Herder in seine >VolksliederAn eine Blume< (vgl. II Herder VL, S. 263f.; vgl. dazu Herders Bemerkung ebda., S. 418), ansonsten mit einem hohen Anteil von Casualdichtung vor allem auf Hamburger Personen und Ereignisse, sowie als bekannteste weltliche Lyrik-Sammlung Rists der >Neue Teutsche Parnass< (1652). Daneben erschienen noch mehrere, zum Teil umfangreiche und separat publizierte, sämtlich auf Holstein bezogene Alexandriner-Gedichte (>Kriegs und Friedens Spiegek, 1640; >Holsteins Erbärmliches Klag- und Jammer-Lied< [Harsdörffer gewidmet], 1640; >Friedens-PosauneRüstige< in dem >Nothwendigen Vorbericht< zum >Neuen Teutschen Parnass< einen fulminanten Exorzismus der »unzüchtigen« erotischen Dichtung vollzieht (und in den folgenden Hochzeitsgedichten noch inventorisches Kapital daraus bezieht, daß er nichts von der »unbekanten Lust« verstehe; NTP, S. 250): Nichts finde sich in seiner Sammlung, was »ein christliches Hertz ärgeren oder die Jugend zur Leichtfertigkeit / unzuchtigen Gedanken und dergleichen Üppigkeiten verleiten / oder dieselbige auff den Weg der heidnischen Narrentheidunge konte führen.« In den Epithalamia und »frolichen Gedichten« des Bandes, die er mit anderen Gattungen in »lustiger Unordnung« folgen lasse, werde man keine heidnischen Liebesgötter finden: »diese Künste lasse Jch den elenden und närrischen Reimmacheren / die keine andere noch bessere Erfindungen auß Jhrem dummen Gehirn / an den Tag wissen zu geben.« (NTP, o. S.) Hoffmannswaldau, der gleichzeitig seine Erotica dichtete, wußte schon, warum er sie zeitlebens nicht zu veröffentlichen wagte! Umso unbekümmerter glaubte Rist demgegenüber das erotische Bildfeld der Liebesmystik weniger bei den Epithalamia als vielmehr bei den Epicedien heranziehen zu können, das er verschiedentlich auch in seinen geistlichen Sammlungen, vor allem in den >Himlischen Liederm, ohne erkennbaren inneren Bezug zur Mystik gestaltet hatte (vgl. Bd. II, S. 242; vgl. dazu auch IV Scheitler, S. 257f.). In einem >Traur=Trost/ und Lobgesang< über das Absterben der >begabten Jungfrauen J. Anna Koops auß Hamburg / Daselbst Kloster Jungfrauen zu St. Johannis< bietet Rist die doppelte Jungernschaft der jung Verstorbenen die willkommene »inventio«, um Tradition und Bildfeld der Brautmystik heranzuziehen (im folgenden die Strophen 13 bis 16 des ISstrophigen Liedes, wobei die acht trochäischen Vierheber der einfach gebauten Strophen im ersten Teil kreuz- und im zweiten Teil paargereimt sind): »Jungfrauschafft ist stets zu preisen / Jungfrauschafft behält die Krohn / Christus selbst kann diß erweisen / Den Er ist ein Jungfern Sohn / Jungfrauschafft muß oben schweben / Darum hat sich auch ergeben
f) »Monsieur Sausewind« und der »reim-leimende« >Phoenix< (Rist)
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Jungfrau Koops der Jungfrauschafft Welch Jhr nicht ward hingeraft. Christus war in Sie verliebet Alß ihr trauter Bräutigam / Der ein kleines zwahr betrübet / Aber alß ein sanfftes Lam Heilet bald / was er geschlagen / Lässet keine Braut verzagen / Nimt sie gern in seinen Schooß/ Ach sein Lieben ist zu groß! Komm mein allerschonste Seele (Rieff Er) komm mein liebstes Hertz/ Komm auß dieser finstern Hohle / Da dich quählet Angst und Schmertz / Komm aus diesem WeltGetümmel Her zu mir in meinen Himmel/ Der vor dich ist auff gebaut / Komm' mein allerliebste Braut! Diß gesagt / hat sie befohlen / Jhre Seel' in Gottes Hand / Ach mein Heiland / laß mich hohlen / Gib mir doch ein seligs End' / Auff! Ich will im Friede fahren Jesu mich mit dir zu paaren / Hulff mir in der leisten Noht / So gebehtet / war sie tod.« (NTP, S. 186f.)
»So gebehtet / war sie tod« - im Zusammenwirken von gedrängter, gewissermaßen gefühlloser, nur auf Formeln reduzierter Darstellung einer Liebes->Handlung< erinnert das Lied unverkennbar an den Bänkelsang und leistet sich ungewollt auch dessen Stilbrüche: vom deplazierten Hinweis, daß der Verstorbenen die »Jungferschaft« nicht »hingeraft« ward (und was soll in diesem Zusammenhang der Verweis auf Jesus als »der Jungfern Sohn«?) über die Evokation der kuriosen Vorstellung, daß der »traute Bräutigam« seine Braut »ein kleines zwahr betrübet« (ihr also einen >Liebestod< beschert?) habe, über die Formulierung, daß Jesus »keine Braut verzagen« läßt, sondern sie alle »gern in seinen Schoß« nimmt (»Ach sein Lieben ist zu groß!«) bis zu dem wiederum platten Wunsch der Braut, »Jesu mich mit dir zu paaren« und dem abrupten Ende. (Würde man hier dem >Bräutigam< einen weltlichen >Daphnis< supponieren, kämen die Strophen einem Bänkellied noch näher). Hinzu kommen zahlreiche weitere Ungeschicklichkeiten - abgedroschene und unreine Reime (»verliebet / betrübet«, »Getümmel / Himmel«, »Hand / End«, »Herz / Schmerz«, »Noht / Tod«), eine Fülle von Elisionen einerseits und Füllwörtern sowie Füll-Zeilen und -Floskeln andererseits. Hier soll nicht noch einmal Zesens >Hechel< geschwungen werden, aber auch so schneiden Rists Verse - hier im direkten Vergleich einer am Hohenlied orientierten Liebes-Dichtung - einfach so schlecht ab, daß
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5) Dichtung als Liebes-Kraft (Zesen)
man sie nicht einmal als gelungene Parodie auf ein mystisches Brautlied akzeptieren kann. Analoges gilt für seine - in der Sammlung dominanten - Alexandriner-Verse. Rist besaß nicht die Begabung, die Möglichkeiten dieses Verses im hohen Stil zu spannungsvoller Antithetik oder geistreichen Pointen zu nutzen. Das zeigt bereits das erste, an Kaiser Ferdinand III. aus Anlaß der Eröffnung der Friedensverhandlungen 1644 gerichtete Gedicht. Wenn irgendwo, dann hätte Rist hier stilistisch brillieren müssen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Zwar benutzt er die Form des >heroischen AlexandrinersPoemata< als Vorbild; III, S. 54f.). Der Verfasser selbst bestätigt die Orientierung an den beiden einander >geharnscht< gegenüber stehenden Schulen. Einerseits verteidigt er die Liebesdichtung als eine propädeutische poetische Übung durch Berufung auf Opitz' Poetik bereits im zweiten Lied der Sammlung mit dem Titel >Liebe / der Poeten Wezz-stein< (GV, vgl. II Opitz BDP, S. 21: »weil die liebe gleichsam der Wetzstein ist an dem sie [= die Poeten] ihren subtilen Verstand scherffen«), und in der Dedikation zum vorletzten >Sechsten Zehen< führt er diesen Gedanken expressis verbis aus:
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5) Dichtung als Liebes-Kraft (Zesen) »... Wir schärfen uns im Lieben. Das Narr und Fabel-werk bereitet unserm (!) Sinn' aus diesen stiegen wir auff grosse Sachen hin: hat Opitz / Flemming doch und Rist erst so geschrieben / daß diese Männer sich im Dichten mehr gezwungen (= bezwungen) gesteh' ich gern. Mir ist das Urteil all zu schwach / so bald der Eyfer wird in meiner Feder wach / denn weiß ich keinen Halt.« (GV, S. 122)
Daraus spricht keine Distanzierung von den >OpitzianernRosilis< ist, und ihr Name gibt immer wieder und durchgängig die Möglichkeit, ihren >Rosenmund< - als Anspielung auf die Titelfigur in Zesens Roman und auf den >Rosen=mand< zu alludieren bzw. zu besingen. Nach drei allgemeinen Einleitungsgedichten eröffnet das vierte des >Ersten Zehens< mit dem Titel >Seiner Liebe Anfang< die sich leitmotivisch durch alle sieben Teile ziehende, autobiographisch grundierte (und zugleich verschleierte) Liebesgeschichte der Sprechinstanz mit Rosilis gleich mit dem Mund- und Kuß-Motiv: »Als ich auf meiner Liebsten Mund // (ach sanfte Rustat!) brünstig läge...« (GV, S. 26), und dies konkretisiert sich schon im fünften Lied (»Ey wie plötzlich kommt die Stunde // daß uns Kioto in der Eil / schießt die Rosen von dem Munde l durch des Todes FrevelPfeil.« G V, S. 29) und kulminiert sogleich in dem nachfolgenden Lied >Der Haß küsset ja nicht< (hier die erste Hälfte des vierstrophigen Liedes, das Zesens >färtige Dattelart< des Daktylus und den anspruchsvolleren Strophenbau mit dem paargereimten Adoneus (mit Auftakt), der das >RosenmundGeharnschte Venus< zwischen den miteinander verfeindeten Positionen selbst keine >Front< aufbauen, sondern eher versöhnen will. Der Titel des Gedichts >Der Haß küsset ja nicht< ist ein indirektes Friedenssignal, das die Schäferin Rosilis mit dem >Rosen-mund< zugleich an Zesens zentrale Liebesideologie zurückbindet (vgl. dazu Abschnitt 4). Die Anonymität entzieht den streitenden Parteien das >Feindbild< des Autors, der an dieser Front Frieden schafft und seine >Venus< damit besser für andere Kämpfe - vor allem gegen die Liebes-Feindschaft - in >Stellung bringen< kann. 2) Biographie und Autobiographisches in der >Venusechte< Name der Geliebten (»Buschgen«) und zugleich der Vorname des Autors (»Karpas« als Anagramm für Kaspar; vgl. IV. 8; ebda., S. 97f.) auftauchen, auf eine autobiographische Liebesbeziehung geschlossen (vgl. dazu auch I. 4), die in dem bewegenden Lied III. 4 (>Noht prüfet die LiebeGeharnschte Liebinne
De arte poetica< in (Alexandriner-)Versen verfaßt ist (>Die Dichtkunst des Spatem). Von einigen zum Teil ungedruckt gebliebenen Hofund Festdichtungen abgesehen, ist Stielers >Geharnschte Venus< das einzige lyrische Werk aus seiner Feder geblieben, das ihm einen Platz in der Lyrik-Geschichte sichert. 4) Deutsch-gesinnete Venus-Genossenschaft: In seiner insgesamt konservativen dichterischen Poetik, in welcher Stieler im Anschluß an Opitz und in Anlehnung vor allem an Daniel Georg Morhofs >Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie< (vgl. II Morhof; 11.82 Zeman 1978, S. 275ff.) nicht nur die gängigen Teile der Dichtungs- und Gattungslehre abhandelt, sondern immer wieder auch bereits eine literaturhistorische Bilanz seiner Epoche zieht, hebt er gerade im Zusammenhang mit der Behandlung von Liebesgedichten die Bedeutung der »inventio« hervor: »Erfin-
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5) Dichtung als Liebes-Kraft (Zesen)
düng ist der Fuß, drauf alles sich muß gründen, // Sie ist die Seel' und Geist bewährter Dichterey« (DS, S. 22, V. 370f.). Die Erfindung für seine >Geharnschte Venus< entnahm er vermutlich der Opitzschen Übersetzung eines Epigramms aus der >Anthologia GraecaDie gewaffnete Venus< (II WP II, S. 391; 11.82 Zeman 1974, S. 484), doch konstruiert er aus dem Bild der gewaffneten Liebesgöttin etwas völlig anderes als die Epigramm-Pointe, die davon lebt, daß Venus gegenüber Pallas Athene gerade nackend gesiegt hat und deshalb nicht in Waffen mit ihr zu kämpfen braucht. Der Titel der Sammlung und ihr Titelkupfer, das eine eigentlich nur mit einem Helm (wie Pallas Athene) und sonst mit einem fliegenden Kleid >bewaffnetekriegerischen< Erwartungen nur partiell, und auch die >Vorrede< kündigt keine »ins Feld« ziehende Liebesgöttin an, sondern eine, die dem >Filidor< und seinen Freunden die Langeweile im Zeltlager verkürzen soll: »Ich heiße sie darumb die Geharnischte Venus / weil ich mitten unter denen Rüstungen im offenen Feld-Läger / so wol meine / als anderer guter Freunde / verliebter Gedanken / kurtzweilige Begebnüsse / und Erfindungen darinnen erzehle nicht etwa ein Lob darmit zu erjagen / (sintemal / alles / was du siehest / gleichsahm auff der Flucht gemacht worden / und daher seine Entschuldigung auch bey den Scharffsinnigsten verdienet) sondern dir zu beweisen / wie die Heertrompete nicht sogar alle Musen verjagen könne.« (GV, S. 7) Venus fungiert hier also als Sinnbild für die poetische Gegenkraft gegen die Kriegssituation, und genau diese Wirkung auf >Filidor< zeigt das Titelkupfer: Er sitzt - dem Feldlager den Rücken kehrend - neben einer Kanone und läßt sich von Amor seine Liebesdichtung einflüstern und scheint sie - mit dem erkennbaren >Rosil-< - sogleich niederzuschreiben (vgl. auch III Kaminski, S. 52f.). Er läßt sich also durch Amor und Venus in die der kriegerischen Atmosphäre des Feldlagers entgegengesetzte schäferlich-idyllische Welt der Liebe entführen. Von daher ist der Titel irreführend, und auch die nachfolgenden Texte zeigen Venus nicht als Kriegs-Macht und verzichten auf die Aktivierung der Mythologie, von der her Mars und Venus im (Liebes-) Krieg hätten dargestellt werden können. Statt dessen wird die Liebe in allen ihren Facetten beleuchtet: als petrarkistisch zum Leiden führende >Verzweiffelte Liebe< (GV, S. 122ff., VI. 1) und als antipetrarkistische Glücks-Bringerin (».. .hielt mich meiner Liebsten Schoß / eingehullet biß an Morgen.« GV, S. 96, IV.7), als neuplatonische Himmels-Macht und als sinnlicherotische Lust-Bringerin (vgl. >Nacht-GlnkkeNacht-GluckDer beste Sinn / das Fuhlem; ebda., S. 149ff., VII. 3), als keusche, auf Tugend bedachte voreheliche Beziehung (vgl. die Klage »Wie ist der reinen Keuschheit wehrt / doch dieser Zeit so ganz entehrt«; GV, S. 52, II. 6) und als handgreiflich-derbes Abenteuer im Heuschober (>Blinzel-Maußder Liebsten Tod< (ebda., S. 131 ff., VI. 6). Sieben mal werden diese Aspekte in jeweils 10 Stationen durch-lebt, ohne strenge thematische Ordnung und in der erkennbaren Absicht, dem Prinzip des >variatio delectat< Raum zu lassen. Dabei zeigen sich Schwerpunkte in den einzelnen Teilen. Das zweite >Zehen< (als Teil aus 10 Liedern) häuft scherzhafte Scheltlieder auf verschiedene törichte Mädchentypen, das dritte >Zehen< vermittelt einen stärker auto-
g) Sympathie zwischen den Fronten: >Geharnschte Liebinne
Zehen< knüpft in scherzhafter Manier an das zweite an, das sechste mischt die Töne und Motive und das letzte, dem >Priapus< gewidmete >Zehen< pointiert die Liebes-Lust im Zeichen einer ganz und gar »entharnschten« Venus (vgl. dazu auch 11.82 Zeman 1974, S. 487ff.). Von daher freilich ergibt der Harnisch als Symbol der Sammlung einen neuen Sinn: Diese führt ein Gefecht für die Berechtigung einer Liebe, die auf ihrer sinnlichen Erfüllung insistiert! Und deshalb zeigt sie sich »geharnscht« gegenüber ihren Kritikern, vor allem den heuchlerischen Alten, die den Jungen nicht gönnen, was sie doch selbst >einst< genossen haben. Dieses (alte) Motiv kehrt mehrfach wieder (vgl. >Wer küßt die greisen Haare?< GV, S. 28ff., I. 5; >Gedenk wie du es hast getriebenTreugeliebt / unbetrübU, ebda., S. 113ff, V. 7; >In die Scheure gehöret Strohrechte< Lieben als ein maßvolles, tugendhaftes in Szene zu setzen. Die Teilaspekte werden in der Mittelstellung der Sammlung, nämlich im ersten Lied des vierten >ZehenLiebe / die KOniginn der Welt< in der Vorstellung Amors als kosmisch herrschender Kraft vereinigt (ebda., S. 80ff.; im folgenden Strophe l als Sechszeiler mit trochäischen Vierhebern im Paar- und Kreuzreim): »Kind / das Gott- und Väter zwinget / Kind / deß hoher Zepter dringet Durch die Macht der ganzen Welt / Herr der Erden / Zwang der Sterne / Herrscher über Nah und ferne/ Dehm / was lebt / zu Fuße fällt.« (GV, S. 80)
So zeigt sich die >Geharnschte Venus< als ein Lieder-Buch, das die Liebe als entscheidende Lebens-Macht thematisiert. Und in diesen Zusammenhang gehören nun organisch die zahlreichen, fast aufdringlich wirkenden Dedikationen der einzelnen >Zehen< an unterschiedliche Adressaten. >Filidor< stattet jeweils anderen Dank ab für Freundschaft und Hilfe und bestätigt seinerseits die Sympathie, welche die Freunde mit ihren einleitenden Zueignungsgedichten dem Autor bekundet haben. Durch Filidors ungewöhnliche Antworten ergibt sich auf die sechs Zuschriften ein sechsfaches Echo (das siebente Zehen widmet der Autor scherzhaft sich selbst). Die Konvention von Widmung und Dedikation wird so als sympathetischer Aspekt dem Gesamtthema der >Liebe< eingeordnet. Diese erweist ihre Kraft auch in der bewährten und hier erneuerten Freundschaft. Ja es ist, als wolle Filidor mit seiner siebenteiligen Widmung einen Freundschafts-Orden stiften oder zumindest dokumentieren. Das freilich wäre eine weitere Affinität und Analogie zu Zesens >GenossenschaftLiebe< beruht und die eben deshalb - so in Zesens >FrühlingsLust< - sowohl das Plädoyer für eine erfüllte sinnliche Liebe einschließt (vgl. Kap. 5 e-1) als auch die Liebe des »lieben Lesers« zu gewinnen sucht. Jedenfalls wird von daher verständlich, warum Stieler dem viel kritisierten Zesen hier unübersehbar seine literarische Sympathie erweist.
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5) Dichtung als Liebes-Kraft (Zesen)
Der spätere >Hof-SecretariusSpaten< nicht ignorieren konnte, in welchem Maße Zesen bereits in Ungnade gefallen war, hat denn auch dessen Eindeutschungsmanier als übertrieben und die Erfindungen von Daktylus und Anapäst als für deutsche Ohren fremd und erzwungen kritisiert (vgl. DS, S. 143ff., bes. S. 145, V. 5300ff.). Und dennoch hat er sich zum Schluß zu einem harmonischen Urteil durchgerungen, das es ihm erlaubte, nach Fleming, dem der Ehrenplatz gebührte, gleich die Kombattanten dieses Kapitels in harmonischer Eintracht im »trefflichen Parnaßen« zu plazieren: »Nicht, daß auch Opitz, Rist und Zese nichts vermocht' noch, wer nach ihnen schrieb, hier zum Exempel töcht' In jedem ist was fein- und würdiges zufinden Das junge Schüler mag zur Nachahmung verbinden.« (DS, S. 125, V. 4494ff.)
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6) Das Naturrecht der sinnlichen Liebe (Hoffmannswaldau)
a)
Breslauer Ratsherr mit erotischen >Nebenstunden< - Zur Biographie
1) Zur Rezeption und Widersprüchlichkeit des Werkes: Von allen Liebes-Dichtern des 17. Jahrhunderts scheinen sich die beiden ranghohen Breslauer Juristen Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679) und Daniel Casper von Lohenstein (1635 1683) am meisten vom Ideal der eheorientierten Liebe zu entfernen und im Kampf um die sich herausbildende Individualität deren (Rechts-)Anspruch auf Selbstverwirklichung auch im erotischen und sexuellen Genuß gegenüber einer restriktiven und konservativen Umwelt durchsetzen zu wollen, welche das Individuum an die Heterologie der Normen zurückbinden und seiner Selbstverwirklichung auch und gerade im Venus-Reich Schranken setzen möchte. Umfassende Bildung, diplomatische Weitläufigkeit des Amtes und der gesellschaftliche Umgang in der Patrizierschicht Breslaus haben den Charakter der poetischen Produktion dieser Autoren mitbestimmt, aber auch dazu beigetragen, daß sie gerade jene Werke zu Lebzeiten nicht veröffentlicht haben, deretwegen sie später vor allem berühmt und auch berüchtigt wurden: ihre erotische Poesie. Und gerade ihre Biographie verbietet - im Unterschied zu derjenigen Flemings - jede autobiographische Deutung ihrer Dichtung. Das lyrische Ich ihrer Liebeslyrik ist eine fingierte Sprechinstanz (zu Lohenstein vgl. Kap. 7). HOFFMANNSWALDAU (vgl. Abb. 7, ein Kupferstich von Philipp Kilian nach einem von Georg Schulz 1667 geschaffenen Gemälde; in: III Bircher, S. 88) gilt vor Lohenstein als »Begründer der deutschen galanten Dichtung« (11.37 Mannack 1990, S. 423). Kein anderer deutschsprachiger Poet des 17. Jahrhunderts ist nicht Abb. 7 zuletzt deshalb widersprüchlicher be-
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6) Das Naturrecht der sinnlichen Liebe (Hoffmannswaldau)
wertet worden als er. Für die bürgerlichen Vertreter der Aufklärung war der Begründer der sog. >Zweiten schlesischen Schule< mit seiner Introduktion des an Giambattista MARINO (1569-1625) orientierten >Schwulststils< des italienischen Manierismus mit den gesuchten Bildern (Concetti) und der mit Metaphern (»liljen=milch und rosen=purpur«; vgl. IV Schöberl) überladenen Sprache ein Stil- und Sittenverderber ersten Ranges (vgl. Bd. V/2, S. 12f.; Kap. l a-1). In späteren Epochen wurde er wegen seiner Sprachmächtigkeit und Freimütigkeit hoch geschätzt. Karl Wolfskehl etwa konstatierte, er sei »das Barock schlechtweg, in eigener Person«, er sei der »vollkommenste Repräsentant seiner Epoche, ihrer Sitten, ihres Zeremoniells, ihrer Höflichkeit und ihrer Würde« (zit. in: 11.37 Heiduk 1984b, S. [949f.]). Bei Hoffmannswaldau wird die Konfrontation unterschiedlicher Liebesauffassungen geradezu auf die Spitze getrieben, und entsprechend unterschiedlich, ja gegensätzlich wird seine Position bis heute in der Forschung gewertet. Das Spektrum seines >weltlichen< lyrischen Werkes reicht von neuplatonischer Sinnenverachtung mit der Folge eines Aufstiegs zur Schau von Ewigkeit und Schönheit: »Komm Seele / komm / und lerne weiter schauen / Als sich erstreckt der Zirckel dieser Welt. Streich ab von dir derselben kurtzes Prangen / Halt ihre Lust vor eine schwere Last. So wirstu leicht in diesen Port gelangen / Da Ewigkeit und Schönheit sich umbfast.« (II G, S. 103)
bis hin zu einer pornographisch lesbaren »erotico-theology« (11.37 Helmridge-Marsillian!990, S. 713; im folgenden die erste, dritte und sechste Strophe aus dem in den vierziger Jahren entstandenen und posthum im ersten Band der >Neukirchschen Sammlung< veröffentlichten Echogedicht >AlbanieharmonisierbarWinterkönig< Friedrich V., der zugleich das reformierte Bekenntnis in Breslau mit der Erlaubnis zu öffentlichen Gottesdiensten auf der Burg >hoffähig< machte (vgl. ebda., S. 25ff.), überstand der religiös tolerante Johann Hoffmann ohne Folgen in seinem Amte und wurde 1622 sogar zum Kaiserlichen Rat ernannt (ebda., S. 30). Ab 1626 ergaben sich auch berufliche und private Kontakte zu Martin Opitz, als dieser sich in die Dienste des Kammerpräsidenten von Dohna begab, welcher auch der >Patron< Johann Hoffmanns war (ebda., S. 36ff., 46). Da das stark befestigte Breslau von den Kriegswirren der ersten Jahre verschont blieb, wuchs Christian (im Gegensatz etwa zum gleichaltrigen Andreas Gryphius in Glogau) in gesicherten, behüteten Verhältnissen auf. Schulzeit und Jugendjahre in Breslau verbrachte er auf dem renommierten Elisabethgymnasium (1624-1636), dessen wichtigstes Lernziel die »docta pietas« war (vgl. dazu ausführlich ebda., S. 31 ff.). 1633 allerdings brach in Breslau die Pest aus, an der von 36 000 Einwohnern 13123 starben. Zwei Jahre nach Gryphius besuchte Christian Hoffmann das Akademische Gymnasium in Danzig (1636-1638), wo er - wie Stammbucheinträge beweisen auch Opitz wiedertraf (ebda., S. 77ff.). Im Oktober 1638 immatrikulierte sich Hoffmann als Jurastudent an der berühmten niederländischen Universität Leiden, wenige Wochen nach Gryphius, mit dem er hier Freundschaft schloß, und wie dieser widmete er sich hauptsächlich philologischen Studien. Schon im November 1639 ergriff Hoffmann die Gelegenheit, einen Adligen auf dessen Kavalierstour zu begleiten und diese für sich als >peregrinatio academica< zu nutzen. Die zweijährige Reise führte ihn nach England (London), Frankreich (Paris und Lyon), dann ausführlich nach Italien (Genua, Pisa, Siena, Rom, Florenz, Bologna, Venedig). Die vom Vater energisch eingeforderte Rückkehr absolvierte Hoffmann über Wien und traf im Juli 1641
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6) Das Naturrecht der sinnlichen Liebe (Hoffmannswaldau)
- immer noch in unsicheren Kriegszeiten - wieder in Breslau ein. Weitere Reisepläne mußte er wohl auf Druck des Vaters aufgeben. Schon im Februar 1643 erfolgte die Eheschließung mit der erst sechzehnjährigen Maria Webersky aus einer angesehenen und vermögenden Breslauer Ratsfamilie (vgl. ebda., S. 133). Drei Söhne und eine Tochter entsprossen dieser Ehe (1644-1655). 1647 wurde Christian Hoffmann erstmals in den Breslauer Rat gewählt und machte hier, da Ratsstellen lebenslang beibehalten wurden, bis zu seinem Tod Karriere. Trotz wechselnder Funktionen, Aufträge und diplomatischer Missionen war er mehr als 30 Jahre für die Schul- und Kulturpolitik Breslaus als »Vorhut des gesamten lutherischen Schlesiens« (11.37 Heiduk 1984a, S. 478) verantwortlich und mußte sich als Lutheraner mit den katholischen - insbesondere jesuitischen - Expansionsbestrebungen auseinandersetzen. Zunächst war er jüngstes Mitglied des Schöffenkollegiums. 1657 wurde er Consul, »1670 Schöffenpraeses, damit Ratsältester und einer der beiden Stellvertreter des Ratspraeses, 1677 schließlich selbst Ratspraeses« (II. Noack, S. 448; vgl. dazu im einzelnen ebda., S. 228ff., 279ff., 397ff., 438ff.). 3) Souveräner Eklektizismus: Ein aufschlußreiches Dokument für Hoffmanns Einstellung zu den Wissenschaften und Weltanschauungen seiner Zeit ist seine 1659 für Johann Burghard, den Sohn eines Breslauer Ratsfreundes, verfaßte Studienanleitung (>Curriculum studiorumAthen< oder >Jerusalem< (vgl. Bd. IV/1, Kap. l b-9). In dem kenntnisreichen Abriß der europäischen Literaturgeschichte, den er seiner Ausgabe der >Deutschen Übersetzungen
a) Zur Biographie
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und Getichte< voranstellt (und in dem er auch dem Minnesang sowie der >Volksdichtung< von Hans Sachs mit Verständnis und Toleranz begegnet; vgl. V, S. [28ff.]), betont er die ursprünglich religiöse Funktion der Poesie, die »eine Sache« gewesen sei, »derer sich die heiligsten Männer gebrauchet« (ebda., S. [12]); als erster habe Moses »nach der Gelehrten Meynung« ein andächtiges Danklied geschrieben, »nachdem jhn GOTT auß deß Pharao Händen errettet« (ebda., S. [12f.]), womit Hoffmann geschickt an die ältere ägyptische Weisheit erinnert, in der Mose auferzogen war. Dann folgen in der Aufzählung die biblischen Autoren (David, Salomo, Hiob), ohne sie gegenüber den griechischen explizit als die älteren auszuweisen. Für diese gilt Aristoteles als Kronzeuge dafür, daß »die ersten Gottes=Lehrer bey den Grichen / Poeten gewesen« (ebda., S. [13]). Hoffmann verbindet also mit seiner Darstellung explizit auch keine qualitative Priorität. Vielmehr geht es um den Nachweis der ursprünglichen Heiligkeit der Dichtung bei allen alten Völkern. Und diese religiösen Ursprünge der Poesie weist er anhand der Wörter »vates« sowie »Druiden« und »Barden« in Übereinstimmung mit den >Pegnitz-Schäfern< und Schottel auch bei der römischen Dichtung und der Poesie der »Alten Deutschen« nach (ebda., S. [13f.]). Daß sich der Jurist und diplomatische Berufspolitiker kaum von weltanschaulichen Vorurteilen leiten ließ, zeigt sich auch an seiner mäzenatischen Tätigkeit. So zählt ihn Quirinus Kuhlmann (1651-1689), Schüler des Breslauer Magdalenengymnasiums, zu seinen Förderern, und dies offenbar auch noch, als dieser sich mit der >Ars combinatoria< von Athanasius Kircher auseinandersetzte (vgl. 11.37 Noack, S. 409f.; zu Kuhlmann vgl. Bd. III, S. 279ff.). Solche geistige Offenheit, zu der auch sein Interesse für den pansophischen Pädagogen Johann Amos Comenius gehört, dessen Sprachlehrwerke mit der Breslauer Schulordnung von 1643 an den dortigen Gymnasien eingeführt wurden (vgl. 11.37 Noack, S. 148f.), bewährte sich schließlich und nicht zuletzt auch in Hoffmanns poetischem Einsatz für die Liebes-Lust. 4) Werküberblick und Druckgeschichte: Da sich seine berufliche Pflichten mit den Jahren häuften, fällt der Hauptanteil seiner poetischen Produktivität in die mit Mußestunden noch gesegneten Anfangsjahre seiner Karriere, also in die Zeit von 1641 bis 1657 (ebda., S. 163ff.). Später schrieb Hoffmannswaldau nur noch sporadisch und aus Amtsrücksichten Gelegenheitsgedichte auf Mitglieder von Ratsfamilien oder andere diplomatisch bedeutsame Personen. Abgesehen von einigen Übersetzungen - u. a. von Giovanni Battista GUARINIS (1538-1612) tragikomischem Schäferspiel >I1 pastor fido< (1590; >Der getreue Schafen; 1652; DUG, S. [47]-[207]) und Theophile des VIAUS (1590-1626) mit Versen durchsetztem Prosa-Dialog >Mort de Socrate< (>Der Sterbende SocratesDeutschen Übersetzungen und Getichte< (1679/80) rückte-, war der Breslauer Nebenstunden-Dichter vor allem Lyriker. Zum Verständnis dieser Poesie sind vorab drei Aspekte bedeutsam. Erstens hat Hoffmannswaldau seine Dichtkunst - anders als Opitz, Dach, Fleming oder Zesen nur als Hobby betrieben. Er hatte nie die Absicht, sie - von einigen Gelegenheitsgedichten abgesehen - im Druck zu veröffentlichen. Der Mut zur erotischen Freizügigkeit, ja Obszönität resultierte gewiß auch aus diesem Willen, das Gedichtete nur einem kleinen Freundeskreis zum privaten Vergnügen vorzutragen oder hand-
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6) Das Naturrecht der sinnlichen Liebe (Hoffmannswaldau)
schriftlich zu überlassen. Nachdem aber größere handschriftliche Sammlungen existierten und kursierten, wuchs zweitens auch die Gefahr der Raubdrucke. Tatsächlich erschienen zwischen 1662 und 1668 unautorisiert - z. T. anonym, z. T. mit Verweis auf Hoffmannswaldau als Autor - vier z. T. sinnentstellte Ausgaben der von diesem bereits 1643 verfaßten 100 >Poetischen Grab-Schriften< (11.37 Noack, S. 317ff.). Das war für Hoffmann peinlich, weil einige der satirischen Grabschriften sich auch gegen Repräsentanten des Kaiserhauses richteten. Trotzdem entschloß er sich erst ein Jahrzehnt später - unter dem Eindruck von Raubdrucken seiner Guarini-Übersetzung - zu einer eigenen Ausgabe (vgl. II V, S. [9f.]). Zugleich aber sah er sich drittens im Blick auf seine Position als Ratsältester genötigt, in seine früheren Dichtungen einzugreifen, Gedichte fortzulassen, umzuschreiben und Textstellen zu bereinigen (vgl. 11.37 Noack, S. 465ff.). Ungereimtheiten dieser 1679/80 erschienenen Ausgabe lassen vermuten, daß Hoffmannswaldau durch seinen überraschenden Tod im April 1679 daran gehindert wurde, seiner Edition die >letzte Hand< angedeihen zu lassen (vgl. ebda., S. 479ff.). Seine erotischen Gedichte hielt er freilich auch in dieser Ausgabe zurück: »Die anderen Lust=Getichte / so noch unter meinen Händen liegen / habe ich / zu ungleichem Urtheil nicht anlaß zugeben / mit fleiß zurücke gehalten / maßen denn auch viel dergleichen meiner Poetischen Kleinigkeiten allbereit in unterschiedenen Händen seyn.« (V, S. [41])
Sie wurden dann vor allem von Benjamin Neukirch in den beiden ersten Bänden (1695 und 1697) der siebenbändigen Anthologie >Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte< publiziert (vgl. dazu auch 11.37 Heiduk 1984a, S. 482; vgl. dazu Kap. 8 a). Durch diese plakative Werbung mit seinem Namen für eine galante Gedichtanthologie wurde Hoffmannswaldaus Bild auf das des Erotikers konzentriert.
b)
Die begnadigte Sünderin - Hinweise zur geistlichen Dichtung
1) >Geistliche Odenc. Darüber geriet in Vergessenheit, daß er wie viele andere Autoren des 17. Jahrhunderts auch ganz selbstverständlich geistliche Poesie verfaßt hat. So elf >Geistliche Odem (II GO), die sich allerdings nur kurzfristig in den Gesangbüchern halten konnten, und einige seiner >Vermischten GedichteErmahnung zur Vergnugung< (»Ach was wolt jhr trüben Sinnen / Doch beginnen!« VG, S. [806]-[808]; G, S. 128-130) immerhin sogar Eingang in die zweite Auflage von Freylinghausens pietistischem Gesangbuch fand (>Neues Geist=reiches Gesang-BuchPoetischen Geschicht-Redem, z. B. >Die erleuchtete Maria MagdalenaThränen Johannis unter dem CreutzeKlage Hiobs aus dem dritten Capittek (PGR, S. [603]ff., [623]ff., [627]ff.; zum Gattungscharakter der >threni< vgl. 11.45 Eybl, S. 251 f.). In dem erstgenannten, 1643 entstandenen Text (PGR, S. [603]-[616]) dienen die Motive des Gewissens (»Der Hencker sitzt nun itzt beschlossen im Gewis-
b) Hinweise zur geistlichen Dichtung
199
sen«; ebda., S. [612]) sowie der Reue und Buße (»Die Busse blüht itzund / Herr laß sie Fruchte tragen«; ebda., S. [615]) als Grundlage einer der Titelfigur als Sprechinstanz »authentisch« in den Mund gelegten Strafpredigt auf die Verfehlungen der »Brunst« (»Diß was ich itzt gesagt hat auch mein Geist erfahren«; ebda., S. [606]); denn man identifizierte Maria Magdalena mit der »magna peccatrix«, der »Sünderin«, die Jesu Füße im Haus des Pharisäers mit ihren Tränen wusch und der dieser ihre Sünden vergab (Luk. 7, 36ff., 47; vgl. dazu auch Gryphius' Perikopensonett >XX. Auff den Tag Mariae MagdalenaeLust< und Erotik wird hier also - das ist der anfängliche Eindruck, den diese >Buß-Rede< vermittelt - aus berufenem Munde als schändliche Sünde abgeurteilt (im folgenden zwei der 51 sechsversigen Alexandrinerstrophen): »Was lauff ich aber weit? Betracht' ich Brunst und Lieben / Mit welchem ich den Lentz der Jahre hingetrieben? Jst hier denn Honigseim / ist diß der Port der Ruh? Vergoldte Disteln steh'n in ihren geilen Schrancken/ Diß ist die Folterbanck der schlipfrigen Gedancken / Und die Vergnügung druck't hir oft ihr Auge zu. Die Schwindsucht der Vernunft / so man die Liebe nennet / Und manche junge Brust durch sfisses Gift berennet / Theilt keine Rosen aus / wo nicht auch Dornen seyn / Gift der Verzweifelung und Eyversvolle Schlangen / Sind den Verliebten stets an Hertz und Geist gehangen / Die Hoffnung ist ihr Brodt / die Furcht ihr bester Wein.« (PGR, S. [604f.])
Die Rubrik der geistlichen Poesie dient also bewußt der Konfrontation mit den in den weltlichen Gedichten verherrlichten Werten, und darin spiegelt und wiederholt sich die Konfrontation der beiden berühmten >weltlichen< Gedichte >Die WollusK und >Die Tugend< (vgl. Kap. 6 g). Allerdings hat man gerade an dieser - von Marines concettistischer Behandlung der Maria Magdalena in den >Rime< (1602/1614) mit beeinflußten (vgl. IV Föcking, S. 260ff.) - Geschichte auch mit Recht aufgezeigt, »daß im lyrischen Werk Christian Hoffmanns das eigentlich Religiöse des Themas auf weiten Strecken verlorengeht« (11.37 Noack, S. 158f.). Immer wieder nämlich verselbständigt sich die Beschreibung der »Brunst« in der Rede der reuigen Sünderin, der Jesus denn ja auch irritierenderweise wegen ihres großen Sündenregisters vergeben hat (vgl. Luk. 7, 47: »Ihr sind viele Sünden vergeben; denn sie hat viel geliebt...«), und die Stärke des »Brunst«-Triebs erscheint wie eine Entschuldigung der so lange lustvoll in ihn verstrickten Sünderin, die sich nur allzu gerne an ihre Verfehlungen zu erinnern scheint und zur Entschuldigung sogar Gott zum Zeugen anruft: »Doch Vater / wie gesagt / du kennst ja meine Lenden / Ich komme mehrentheils aus deinen großen Händen / Die Schwachheit / so mich druckt ist dir genug bewust /« (PGR, S. [615]; vgl. ebda., S. [613f.])
200
6) Das Naturrecht der sinnlichen Liebe (Hoffmannswaldau)
So wird der Eindruck der Reue im Verlauf der Rede mehr und mehr konterkariert. »Die große Sünderin der Bibel,« so hat man deshalb mit Recht bemerkt, »dient dem galanten Dichter dazu, Normen einer Sexualdisziplinierung zu problematisieren, die sich auf die Autorität der Bibel und der christlichen Tradition beruft.« (11.37 Mannack 1971,8.116) Ganz und gar unbiblisch sind überdies die argute Rede und der galante Wortschatz der Protagonistin. Dieser mittlere poetische Stil, der sich für die geistliche Dichtung schon in Italien herausgebildet hat (vgl. IV Föcking, S. 200ff.), ist ein deutliches Zeichen dafür, daß die geistliche Lyrik Hoffmannswaldaus nicht kirchenorientiert, sondern poesiebestimmt, also ebenfalls dem engen Freundeskreis zugedacht ist, an den sich auch die formal und stilistisch weitgehend gleiche weltliche Liebesdichtung richtet (vgl. dazu Bd. I, S. 50ff; 11.37 Noack, S. 153f., 156f). Von daher ist nun allerdings gerade seine geistliche Poesie ein Beleg dafür, daß man Hoffmannswaldaus weltliche erotische Poesie mit Recht als innovativen Kern seines lyrischen Werkes in den Mittelpunkt stellt.
c)
Satirisch-erotische >Grab-Getichte
Vorwort< zu seiner Sammlung von ursprünglich 100 >Poetischen Grab-Schriften< (PGS, S. [832]). Dabei handelt es sich um Epigramme in Gestalt vierzeiliger Alexandrinergedichte, die hier ihrer seit Simonides von Keos (556-468 v. Chr.) praktizierten Form und Funktion, nämlich als Grab- und Gedenk-Aufschriften zu dienen und die Verdienste Verstorbener knapp und geistreich zu würdigen, wieder dienstbar gemacht werden. Vorbild ist allerdings die satirische Form, wie sie MARTIAL (um 40-102 n. Chr.) als entscheidendes Merkmal der Gattung Epigramm prägte. In der Renaissance-Poetik wurden vom Epigramm Kürze und Spitzfindigkeit verlangt (vgl. dazu Bd. IV/1, Kap. 2 e). Einige dieser >Grab-Getichte< gehen vermutlich in die Leidener Studienzeit zurück, die meisten dürften 1643 entstanden sein (11.37 Noack, S. 138f). Vorbilder könnten die scherzhaften poetischen Grabschriften von Francois Schweerts (>Epitaphia ioco-seriaEpitaphii Giocosi< von Giovanni Francesco Loredano (>I1 CimiterioGrab-Getichte< beginnen bei Adam, würdigen weitere biblische, mythologische, aber auch historische Figuren - vor allem große Liebende beiderlei Geschlechts mit zweifelhaftem Ruf - vom
c) Satirisch-erotische >Grab-Getichte
Cardinal Richelieu< (ebda., S. [837]). Doch sind diese nach dem Prinzip >variatio delectat< eingestreut in die Mehrzahl von Texten, die spöttische, ironische, frivole Töne anschlagen und sich auch vor obszönen Pointen nicht scheuen. Gleich die zweite Grabschrift auf Lot zeigt die bisweilen plakative Unbekümmertheit, mit der auch an die >Blöße< der biblischen Figuren erinnert wird: »Ich eilt' aus Sodoma den Flammen zu entgehen / Und konnte nicht der Brunst der Tochter widerstehen / Wer macht den armen Lot der schweren Sünde loß / Ich baute Sodoma auff meiner Tochter Schoß.« (Ebda., S. [833])
Der von den göttlichen Straf-Flammen errettete Lot erliegt dem strafbaren >sodomitischen< Liebes-Feuer seiner Töchter. Die argute Pointe gibt viel zu denken: Der »arme Lot« ist ja eigentlich schuldlos am Doppelinzest, weil die Töchter ihn betrunken machen (vgl. Gen. 19, 30ff.), und begeht doch »schwere Sünde«, von der er nicht einfach losgesprochen werden kann. Damit intoniert das Epigramm hintergründig eine Kernfrage des Hoffmannschen Werkes: die Frage nach der Sündhaftigkeit der Sexualität mit allen ihren Folgen. Und die Epigramme bestätigen nicht nur die Vorurteile christlicher Moral gegenüber den Unzüchtigen und Liebestollen der Geschichte, sondern die Grab-Gedichte kehren den Spieß auch provozierend um. So heißt es etwa in dem Gedächtnis auf >MessalinaGenüge empfindem): »Die Brunst betaute stets mir meine geile Schoß / Kein Spiel war mir zu lang / und keine Lust zu groß. Das Buhlerische Rom belachte mein Beginnen / Ermüden hat man mich doch nicht vergnügen können.« (Ebda., S. [842])
Und besonders frivol werden die Epigramme da, wo sie das Thema der >Brunst< in den geistlichen Bereich hinüberspielen - wie in dem folgenden auf Maria Magdalena: »Hier ruht das schone Haupt / hier ruht die schone Schoß / Auß der die Liebligkeit mit reichen Strömen floß. Nach dem diß zarte Weib verließ den Huren=Orden / So sind die Engel selbst derselben Buler worden.« (Ebda., S. [841])
Die Schlußpointe ist doppeldeutig, unanstößig und anstößig zugleich: Maria Magdalena wird nach ihrer Bekehrung begnadigt und unter die Engel aufgenommen. Das ist die eine Deutung. Indem das Gedicht aber zugleich die sexuelle Metaphorik (»Huren-Orden« und »Buler«) auch für den geistlichen Bereich beibehält, introduziert es eine frivole Ambivalenz in die »Engelliebe« und verwischt semantisch die
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6) Das Naturrecht der sinnlichen Liebe (Hoffmannswaldau)
Unterschiede zwischen irdischer und himmlischer »Brunst«. Auch weil die Schlußpointe die Bezüge Maria Magdalenas zu Christus überspringt, gibt es im Hinblick auf die hier benannten Liebes-Beziehungen »viel zu denken«. Damit aber deuten sich in dieser Sammlung bereits Tendenzen an, die im Zentrum von Hoffmanns lyrischem Hauptwerk, den >Helden-BriefenHelden-Briefe< über die Lust der Sünde 1) Zur Gattungsgeschichte: Daß es Hoffmannswaldau darum ging, die unterschiedlichen und widersprüchlichen Liebestheorien unmittelbar aufeinander zu beziehen und miteinander zu konfrontieren, bezeugen seine vermutlich 1663/64 entstandenen, aber erst kurz nach seinem Tod 1679 veröffentlichten >Helden-Briefe< (vgl. zu diesen ausführlich IV Dörrie, S. 31 ff., 182ff.; 11.37 Rotermund 1963, S. 37ff.; 1972, S. 36ff.; Helmridge-Marsillian 1991, S. 35ff.; Noack, S. 327ff.). Ovid hatte diese Gattung wirkungsmächtig mit seiner Sammlung >Heroides< begründet. In einer ersten Ausgabe schrieben 15 Heroinen im Versmaß des elegischen Distichons - von Penelope an Odysseus bis zu Sappho an Phaon - Liebesbriefe, die alle Stimmungen und Situationen der Liebe von Sehnsucht, Erinnerungen und Eifersucht über Verzweiflung und Klage bis zu inbrünstigen Rückkehr- und Wiedersehenswünschen thematisierten (vgl. II Ovid H). In einer weiteren kleinen Sammlung hatte Ovid bereits dies Spektum um drei Paar-Briefe erweitert, in denen der Adressat der jeweiligen Schreiberin antwortet (II H, S. 172ff.). Im Laufe der Gattungsentwicklung differenzierten sich die Stoffe und Themen immer mehr aus; es gab bald kein berühmtes Paar aus Mythologie oder Bibel (einschließlich Adam und Eva), die sich in dieser Gattung nicht Liebesbriefe geschrieben hätten (vgl. IV Dörrie, S. 179). In Europa hatte Michael Drayton (1563-1631) mit seiner aus der Nationalgeschichte gewählten amourösen Sammlung >England's Heroicall Epistles< (l 597ff.) anhaltenden Erfolg (vgl. dazu IV Dörrie, S. 30ff., 158ff.; 11.37 Helmridge-Marsillian 1991, S. 61ff.), in Italien riefen Giambattista Marino (1569-1625) und sein Kreis immer neue Sammlungen ins Leben (zwischen 1619 und 1669), weil Freunde oder auch Konkurrenten Marinos seine und später auch ihre eigenen poetischen Briefe öffentlich beantworteten, wobei häufig auf Stoffe aus der eigenen Literaturgeschichte zurückgegriffen wurde (vgl. IV Dörrie, S. 170ff.). 2) Unsichere Textbasis: Die deutsche Literatur beteiligte sich an dieser Gattung erst nach deren Blüte in den anderen europäischen Ländern. Nach je einem Versuch von Johann Peter Titz (1647) und Jakob Bälde (ca. 1640; vgl. dazu ebda., S. 182ff.) waren vor allem Hoffmannswaldaus >Helden-Briefe< der entscheidende deutsche Gattungsbeitrag. Bei seinen Episteln »handelt es sich um 14 fingierte Briefwechsel berühmter historischer Persönlichkeiten vornehmlich der deutschen Geschichte, die je aus einem 100 Alexandriner langen Brief gedieht und einem gleichlangen Antwortschreiben bestehen« (11.37 Rotermund 1963, S. 38; vgl. dazu II HB, S. [432]). Wo er die Stoffe dem Mittelalter entnahm, gab er die Namen der Briefpartner korrekt an (in den Briefen 1-7 und 14), bei den anderen aus der jüngeren Geschichte seit Karl V. verschlüsselte er die Namen der Liebenden unter einer »Maßque«, worauf er
d) >Helden-Briefe< über die Lust der Sünde
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selbst verweist, um sich zu entschuldigen (und zugleich auf die Möglichkeit der Enträtselung hinzuweisen). Vor allem bei den Briefpaaren 8-13 handelt es sich um »die Mesallianzen und die Ehebrüche in deutschen Fürstenhäusern«: »Hier wird also nicht nur das Aktuelle, sondern in wohlbedachter Auswahl das Skandalöse zum Gegenstand der heroischen Briefdichtung gemacht.« (IV Dörrie, S. 33) Helmridge-Marsillian hat auf die großen Unterschiede verwiesen, die zwischen den Manuskript-Versionen und der ersten Druckfassung der >Helden-Briefe< (1779/ 80) bestehen. Unter dem Druck der Zensur und zur Vorbeugung von moralischer Verurteilung seines Werkes hat Hoffmann hier viele Stellen gemildert und beschwichtigende Passagen in die Vorreden eingebaut. Vor allem hat er in der Druckfassung die Reihenfolge der vierzehn Briefe gegenüber den Manuskriptversionen radikal verändert. So zeigen die ersten zwölf Epistel den triumphalen Sieg der Liebe über alle einschränkenden gesellschaftlichen, ständischen, politischen und juristischen Konventionen, wohingegen die beiden letzten Briefe die Tendenz zum Widerruf enthalten. Vor allem der letzte Briefwechsel >Abelard und HeloiseHeldenbriefe< angekündigt, in der sie als Basistext den Cod. III.3.2.14 zugrunde legen will (ebda., S. 59). Bis zum Erscheinen dieser Ausgabe basieren alle Analysen der >Helden-BriefeHeldenbriefe< sollen dies nur verdeutlichen und dabei nicht zugleich den Sittenrichter spielen (vgl. 11.37 Rotermund 1972, S. 68). Sie sollen zeigen, »was die Liebe vor ungeheure Spiele in der Welt anrichte« (II HB, S. [439]), und damit beweisen, »daß man der Poesie mit Entziehung der Liebes Sachen die Hertzwurtzel versteche / und hergegen der Liebe durch Entziehung der Poesie den lieblichsten Blumengarten verschlössen würde« (II HB, S. [433]). So behandeln die >Briefe< »anstößige« Liebesbeziehungen: freie, außereheliche Bindungen, die Entscheidung zugunsten der weltlichen anstatt der geistlichen Liebe, die Propagierung der Ehe zu dritt, die listenreiche Aufrechterhaltung einer ehebrecherischen Beziehung, den »Gattenmord aus erotischer Leidenschaft« (11.37 Rotermund 1963, S. 39f.). Aber auch die Zwietracht überwindenden, heilenden Kräfte der Liebe offenbaren sich in den Positionen der Briefpartner: ihre sinnliche Anziehungskraft stiftet zugleich Frieden zwischen ihren Völkern und vermag auch Standesgrenzen bei der Eheschließung zu überschreiten. 4) Sinnliche Liebe als Naturrecht: In dieser Aspektvielfalt spiegelt sich bereits eine Aufwertung der sinnlichen Liebe. Diese ist für Hoffmannswaldau ein Affekt, eine »passio«, welcher er den Primat gegenüber allen anderen Affekten zuerkennt: »Es geht ihm um ihre Emanzipation« (11.37 Rotermund 1972, S. 11). Doch diese These
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6) Das Naturrecht der sinnlichen Liebe (Hoffmannswaldau)
Rotermunds ist - wie zwei Beispiele aus den >Heldenbriefen< (hier aus der überarbeiteten Fassung der Ausgabe von 1679/80) zeigen mögen - ergänzungs-, vielleicht sogar korrekturbedürftig. Das gilt gleich für den ersten Briefwechsel (>Liebe zwischen Eginhard und Fräulein Emma, Keyser Carlns des Grossen Geheimschreibern und Tochterm (HB, S. [441]-[452]). Hier wird beispielhaft jene Situation durchgespielt, die dem Minnesang überwiegend als Fiktion zugrunde liegt: Ein Dienst-Mann (hier der Geheimschreiber Karls des Großen) betet eine höhergestellte »frouwe« an (hier die Tochter des Kaisers), schildert ihr in persuasiver Absicht seine LiebesKrankheit und bittet um ein nächtliches Stelldichein (S. [448]). Er weiß, daß der Standesunterschied ein solches Verhalten verbietet, daß er sich gefährdet und die Angebetete beleidigt. Deshalb kann er das unerhörte Wagnis auch nur mit der gewaltigen Macht der Liebe begründen, die auf Standesunterschiede keine Rücksicht nimmt: »Der Stände gleichheit ist der Liebe Possenspiel; [...] Der Keyser wird ihr Knecht / der Jäger wird erjaget / Man spührt wie ihre Macht / in Glück und Closter bricht; Jch schreibe / was ich muß / ich steh itzund gebunden / Die Zeile / so du siehst / will selbst nicht meine seyn / Der Gott der alles kan / der hat sie auch erfunden / Jch aber liefre sie dir nur gezwungen ein.« (HB, S. [445])
»Amor vincit omnia«: Mit dieser zum Sprichwort geronnenen antiken Weisheit hat Schnell die hier artikulierte Liebesvorstellung bereits als einen der mittelalterlichen Liebes-Diskurse ausgewiesen: »neutrale Bewertung der Liebesleidenschaft, die keinem Menschen zum Vorwurf gemacht werden kann« (III Schnell, S. 94); dies Argument mag auch zur Begründung und Duldung höfischer Liebesdichtung selbst beigetragen haben. Auch das folgende, das der frühneuzeitliche Autor dem Geheimschreiber Eginhard in die Feder diktiert, liegt schon im Horizont mittelalterlicher Liebesdiskussion: »Liebe als ein Naturphänomen, das allen Lebewesen eigen ist«, »als eine naturhaft-wertneutrale Betätigung des Sexualtriebs« (ebda.), wie es Boccaccios >Decamerone< bereits beschreibt (vgl. II Boccaccio II, S. 551 ff.; vgl. Einleitung a): »Mann nennt die Liebe zwar die süsse Gifft der Tugend / Doch dem (!) Verleumbder selbst lobt Jhre Liebligkeit; Es ist die edle Saat so von dem Himmel kommen / Und auf der Erde nichts als Zucker Früchte trägt / Es ist der beste Leim aus Gottes Hand genommen / So Mensch zu Menschen fügt / und uns zu Lust bewegt; Mein Fräulein meine nicht daß solches dich beflecket / Es ist ein solches Werck / so GOtt uns selber hieß / Ein etwas / so Er uns im Paradieß erwecket / Und mit dem Athem tieff in Adams Nase bließ;« (HB, S. [447])
Bei Hoffmannswaldau rückt dieses Argument allerdings in eine dominante Position. Er läßt es auch als Trost den jungen Fürsten Aleran an Adelheid, die Tochter Kaiser
d) >Helden-Briefe< über die Lust der Sünde
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Ottos, schreiben, als diese ihre Gewissensbisse über eine heimliche Liebesnacht mit ihm beichtet (S. [488]-[498]): »Die Schuld so uns betrifft / besteht in Lust und lieben / Es hat ja die Natur nicht Straff auf diß gestellt / Der Himmel ließ es frey die ersten VOlcker oben; Es war ein Zeitvertreib und Spiel der alten Welt; Seyd fruchtbar hat zwar Gott in Marmel nicht gegraben / Doch schrieb Er in das Bluth diß ParadiesGeboth / Was will man bessern Grund von dieser Sache haben? Die Taffei war der Mensch / der Schreiber aber Gott. Nach diesem haben wir durch Scblrffe der Gesetze / Das schwere Joch verstärckt: Wie irrt die Sterbligkeit! Sie strickt ihr durch die Kunst selbst kummerreiche Netze / Und frist sich der Gestalt durch Klugheit vor der Zeit.« (HB, S. [495])
Die sinnliche Liebe ist also nicht per se »böse«, sondern zur »Schuld« wird sie erst durch die »Schärffe der Gesetze«, welche Kirche und gesellschaftliche Moral aufgestellt haben, um sie zu inkriminieren, zu dämonisieren und eben als »Schuld« zu internalisieren. Kein Wort beim Dichter-Juristen Hoffmannswaldau vom »Sündenfall« und der seither angeblich verderbten Natur des Menschen. Im Gegenteil: die Liebe wird als Gabe des Schöpfers bezeichnet, der sie der menschlichen Natur als »Taffei« eingeschrieben hat. Deshalb ist sie auch von »Natur« aus gut, ihr Gebrauch gewissermaßen nicht nur ein >NaturrechtDecamerone< - und bis hin zur concettistischen Liebesdichtung von Giambattista Marino berufen. Aber Rotermund hat recht, wenn er die besondere Leistung und Kühnheit des Schlesiers darin erblickt, daß dessen Bekenntnis zum Naturrecht der Liebe in einem sehr viel rigideren moraltheologischen Umfeld erfolgt und daß er im Unterschied zu Marino in den >Heldenbriefen< - worauf er in der Vorrede selbst nachdrücklich verweist (HB, S. [438]) - auf eine mythologische Einkleidung verzichtet und Gott, Himmel, Paradies und Natur selbst und unmittelbar zu Garanten und Zeugen seiner Liebestheorie erhebt (11.37 Rotermund 1972, S. 86f.). Indem er dem orthodoxen Mythologieverbot bei diesem Werk gehorcht, läßt er Gott selbst und die Natur die Sache der Venus vertreten! In kühner Weise interpretiert Hoffmannswaldau ferner - wie Schubert eindringlich gezeigt hat - entscheidende »loci« der lutherischen Dogmatik zu Paradies, Sündenfall, Gottebenbildlichkeit und »scintilla conscientiae« (= Gewissensfunke) um; letztere ist nicht mehr der Glaubens- oder Seelen-»Funcken«, sondern »der Funke des Lebens und damit der Lebenstrieb selbst, der dem Menschen durch Gott ins Blut gelegt wird« und der sich beim Anblick körperlicher Schönheit entzündet (11.37
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6) Das Naturrecht der sinnlichen Liebe (Hoffmannswaldau)
Schubert, S. 433ff., hier S. 438; kritisch zu Schuberts Thesen IV Rusterholz, S. 204ff.). Dies Argument zeigt auch bei der Kaisertochter Emma Wirkung: Was die Minnesänger als unerfüllbar beklagten - und nur gelegentlich in Tageliedern erträumten -, das wird für Eginhard poetische Wirklichkeit: Die »Herrin« erhört den »Knecht«, sein Liebesschwur bezwingt sie zur Gegenliebe. Solche Stellen dienen der Forschung als Beleg für den emanzipatorischen Impetus der Hoffmannschen Liebesdichtung, für die These, gerade in seiner >heroischen< - um Selbstversicherung ringenden und diese nur in der Hingabe an das >Nicht-Selbst< gewinnenden - Liebe öffne Hoffmannswaldau »the road to the age of Enlightenment« (11.37 HelmridgeMarsillian 1991, S. 252; vgl. auch II.37 Rasch, S. 459). 5) Ehe als Rettung: Doch diese These kann sich nicht auf den Schluß der Erzählungen berufen: Der Kaiser selbst wird Zeuge des heimlichen Treffens, ist bestürzt, hört aber schließlich doch nicht auf seine Räte, die Eginhards Leben fordern. Vielmehr erweist er sich als »exemplar magnanimitatis«, verzeiht der »hitzigen« Jugend und gibt zur Heilung des Schadens (mit dieser Pointe endet der Prosa-Vorbericht) die beiden - nach probatem Rezept - zur Ehe zusammen! Zur Möglichkeit, dies im Sinne nachträglicher Anerkennung kühner erotischer Selbstverwirklichung zu deuten, bietet der Text kaum Anlaß. Die Figuren fühlen sich als Opfer der Liebe, die sie willenlos und leicht-sinnig macht (»Des Vaters Kronen=Goldt«, schreibt Emma, »sein Purpur / seine Schätze / Das ist mir leichter Koth / ich trett es unter mich / Dein Wort ist mein Geboth / dein Willen mein Gesetze«; HB, S. [451]). Die Briefe entlarven die Unvernunft der Liebenden, während der kaiserliche Ehebefehl Klugheit bezeugt und damit zugleich die Ehe als Allheilmittel auch für solche Liebesverstrickungen bestätigt (vgl. zum Kontext auch 11.37 Borgstedt 1997). 6) Sakralisierung der Liebe als Vor-Schein der Ehe: Dies gilt noch mehr für den >Fall< von Aleran und Adelheid. Denn der von Adelheid so bedauerte nächtliche Fehltritt geschah bereits unter der Bedingung des Eheversprechens: »Eine alte Hofmeisterin leitet den verliebten Fürsten in der Fräulein Schlafgemach / wird Zeugin ihres Ehegelubdnfißes / und last solches alsobald auch fleischlich versiegeln.« (Ebda., S. [489f.]) Und Alerans oben zitierte naturrechtliche Sanktionierung der Liebe als Schöpfungsgabe stellt sich alsbald als ätiologische Vorbemerkung zu einer Darstellung der Entwicklung des Eheverständnisses heraus, dessen zunehmende soziale Institutionalisierung Aleran beklagt, weil er Adelheid verdeutlichen will, daß sein heimliches Ehegelöbnis genauso gültig ist wie ein gesellschaftlich vollzogener Ringtausch vor dem Priester (»Die Eh' war erstlich nur ein Schluß in dem Gemuthe / Der endlich auch den Leib zu einem Zeugen nam«; ebda., S. [495]). Und er stellt seine Treuegesinnung unter Beweis, indem er ihr die gemeinsame Flucht anbietet. Ehe und Eheversprechen erweisen sich so als entscheidendes Mittel in zweifacher Hinsicht: zum einen um vor-eilige und schädliche Liebe in geordnete Bahnen zu bringen, zum ändern um das Paradiesgebot erotischer und sexueller Liebe zu ermöglichen: »Unter den Bedingungen von Aufrichtigkeit, Gegenseitigkeit und Treue erlaubt die Perspektive auf die Ehe eine uneingeschränkte Bejahung des sexuellen Genusses.« (IV Borgstedt 1994, S. 312) Von daher ist der Versuch plausibel, Hoffmannswaldau wie Lohenstein im Zusammenhang mit ihrer naturrechtlichen Begründung der Liebe letzt-
e) >Schiffahrt< zum >Garten Eden< - Erotische Exkursionen
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lieh in den protestantischen Ehe-Diskurs einzubinden und die frivol und provozierend erscheinende »Verbindung von Erotik und Theologie« (11.37 Schubert, S. 463; vgl. 11.37 Mannack 1971, S. 120) mit ihrem Effekt einer Sakralisierung der Liebe als Vor-Schein des sakramentalen Ehe-Akts zu deuten. Dadurch erlangen die verschiedenen Diskursen entnommenen erotischen Motive letztlich vielleicht doch eine gesellschaftsverträgliche Perspektive, auch wenn sie sich zu widersprechen scheinen. Die artistische Formensprache, die Durchsichtigkeit und Verhüllung zugleich ermöglicht, ist Korrelat einer dichterischen Position, die sich dem Gewicht der überkommenen und geltenden M oral Vorstellungen offenbar doch nicht ganz zu entziehen vermag.
e) >Schiffahrt< zum >Garten Eden< - Erotische Exkursionen Das gilt natürlich nicht für eine Anzahl solcher erotischer Gedichte, die erst posthum in der >Neukirchschen Sammlung< unter Hoffmannswaldaus Namen veröffentlicht wurden. Mit ihnen gab er entscheidende Themen, Motive und stilistische Verfahren der von den Zeitgenossen selbst als >galant< bezeichneten erotischen Poesie vor. Einige Beispiele sollen die Eigentümlichkeiten dieses Stils veranschaulichen. 1) Manieristische Stilformen: Die Poetiken der Zeit boten zahlreiche Beispiele für Variationsmöglichkeiten des poetischen Sprechens und seiner metaphorischen Möglichkeiten. Gedankliche und stilistische Beweglichkeit war ein Zeichen dichterischer Virtuosität, und so suchten die Dichter »nach der überraschenden, verblümten, ungewöhnlichen Formulierung, um selbst einfachsten Sachverhalten jenen Rang poetischer Würde zu verleihen, der sie von der Ebene des Alltäglichen distanziert.« (IV Schöberl, S. 50) Hoffmannswaldau hatte durch die Begegnung mit Marino und dessen Nachahmern Möglichkeiten des Kombinierens und Komponierens in Thematik und sprachlichem Ausdruck kennen gelernt, die ihm dazu verhalfen, die aus dem Petrarkismus bekannten Topoi der Liebessprache zu variieren, zu verändern und zu überbieten. Schöberl hat an einer großen Materialfülle solche Tendenzen zur »raschen Bildvariation« oder umgekehrt des variantenreichen Verharrens bei einem Vorstellungsbereich nachgewiesen. Charakteristisch für Hoffmannswaldau ist die von ihm gepflegte Gattung des >IconsAbrißAbbildungGemälde< oder >Entwurf< (vgl. z. B. >Entwurff der liebeDie Welt< gehört zu diesem Typ (G, S. 103; vgl. dazu 11.37 Herzog). So können abstrakte Begriffe ebenso mit einer Vielzahl von oft überraschenden Metaphern und Vergleichen veranschaulicht werden wie konkrete Gegenstände, Verhaltensweisen oder Personen-Typen. Letzteres geschieht etwa in Hoffmannswaldaus >Abbildung einer tugendhafften wittibtertium comparationis< in einer Art Ketten- oder Reihungsstil aus verschiedenartigen, sich im Wert zum Teil aber überbietenden Bildfeldern gepriesen wird (hier nur ein Ausschnitt; vgl. dazu auch IV Schöberl, S. 56):
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6) Das Naturrecht der sinnlichen Liebe (Hoffmannswaldau) »Sie ist ein rautenzweig / an den kein gifft sich leget / Ein feld / das ehren=preiß vor liebe=stöckel traget. Ein keuscher wunder=strahl der sonne wahrer zucht / Da die gelegenheit sich zu verbergen sucht. Ein reines paradiß / und engel auch daneben / Das keine schlänge last in seiner gegend schweben: Ein ancker / der nach thau des milden himmels schmeckt: Ein gleiches spiegelglaß / das nicht die weit befleckt: Ein pfenning / der nicht mehr als ein gepräge leidet: Ein schaf, / das allzeit sich in himmels=schlüsseln weidet; Und dessen keuscher leib nur einen hirten kennt; Ein weißes ehren=licht / so GOtt zu dienste brennt.« (I Hoffm. I, S. 267)
So geht das fort. Die Raffinesse des Lobpreises besteht zum einen in der überraschenden Kontamination der Bilder aus unterschiedlichen Bereichen, zum ändern in dem schon durch den im fünften und sechsten Vers vorbereiteten Wechsel von der weltlichem in die >geistliche< Bildsphäre, wie Hoffmannswaldau dies bei Marino kennen gelernt hatte (vgl. IV Föcking, S. 261 ff.), in welcher die Witwe sogleich als Himmels-Braut erscheint, aber drittens vor allem in der bereits mit der ersten Zeile (»leget«) vorbereiteten, nachfolgend durch latente Ridikülisierung (»pfennig«, »schaf«) genährten und zugleich hinausgezögerten conclusio der Schlußpointe, nämlich dem galanten Bedauern über die Kehrseite dieses tugendhaften Verhaltens auch das wird nicht direkt formuliert, sondern wiederum in ein Lob gekleidet, das sich der galante Leser selbst zu entschlüsseln weiß: »Itzt schließ ich dieses bild in keusche reimen ein / Es ist ein heiligthum / das nicht geküst will seyn.« (Ebda.)
Die Technik solcher akkumulierenden Bildreihen und Vergleiche kann sich auch auf konkrete Gegenstände richten, so auf die >galanten< Körperteile der Frau, die dann mit nicht enden wollenden Vergleichsreihen (»Sie sind..., sie sind..., sie sind..«) bedacht und gepriesen werden. So auch im Eröffnungsgedicht des zweiten Bandes der Neukirchschen Sammlung, in Hoffmannswaldaus >Lob=rede an das liebwertheste frauen=zimmer< (I Hoffm. II, S. 3-6; I Wiedemann, S. 49-52; G, S. 26-29), in welcher die Objekte des erotischen Begehrens eingangs verräterischer Weise gleich als »waaren« charakterisiert werden (»Wer ist so kühn / der darff für eure äugen treten / Wenn ihr die waaren habt der Schönheit ausgelegt?«). Diese »waaren« sind hier die »brüste«, und sie werden in einer Endlos-Kette von Vergleichen inspiziert, betastet und gekostet. Dieses Verfahren eindringlicher Sensualisierung ist ein >Markenzeichen< des marinistischen Stils und des inflationären Preisens von Körperteilen der »synthetischen Frau« (vgl. Hoffmannswaldau: >Auff den mundAuff einen kußAuf ihre AugenAugen/brüsteIhre händeAuf ihren MundStreit der schwartzen äugen / rothen lippen / und weißen brüstex I Hoffm. I, S. 268-272; G, S. 15-18).
e) >Schiffahrt< zum >Garten Eden< - Erotische Exkursionen
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2) Erotische Gärtnerei: Motive, die in solchen Bildreihen immer auch schon vereinzelt auftreten, können auch die Topik eines ganzen Gedichts beherrschen. Wie die eingangs zitierten Verse zum Preis der >wittib< bereits zeigen, sind dies die unerschöpflichen Bildbereiche der Garten-, Pflanzen- und Blumen-Welt, welchen dieser >blümelnde< Stil mit seinen >blumigen< Beschreibungen der Frau geradezu seinen Namen verdankt (vgl. dazu IV Schöberl, S. 68ff., der als Beispiel ausführlich Hoffmannswaldaus Gedicht >Auff ihre Schönheit interpretiert, das den vierten Band der >Neukirchschen Sammlung< eröffnet). Natürlich gehören zu diesem Feld der Gärtner als galanter >GalanBlumenbrechen< und ->pflückenFrüchte< zu genießen und zu >ernten< sind. Vom Garten ist es nur ein Schritt - oder, wie wir sehen werden, eine kleine >Schiffahrt< - zum >ParadißLob=rede an das liebwertheste frauen=zimmer< auch als sündenfall-trächtige Metapher für die Brüste dient (»Sie sind ein paradieß / in welchem äpffel reiffen / Nach derer süßen kost iedweder Adam lechst«; I Hoffm. II, S. 3). Paradies, Garten Eden, >gelobtes Landlocus amoenus< sind die Zielorte poetischen Schreibbegehrens, in denen sich häufig Traditionsstränge weltlicher und geistlicher Liebesdichtung im Stil Marinos vermengen. Dazu gehört noch ein frivoles Spiel mit sakraler Motivik, wenn die Geliebte als »Venus« oder »Göttin« apostrophiert wird, vor deren (Lust)->Altar< man >sündigt< oder für seine Sünden >opferterhört< zu werden und aufs neue >sündigen< zu können (vgl. dazu auch Kap. 7g). 3) Pilgerfahrt zum Heiligtum: Ein Beispiel - Hoffmannswaldaus >galantes Gedicht< >Florida< aus dem Anfang des >Anderen Theils< der >Neukirchschen Sammlung< (vgl. dazu auch IV Schöberl, S. 77ff.) - mag diesen Lyrik-Typ illustrieren, der zwei galante Bildbereiche so raffiniert - verhüllend und andeutend - aufeinander bezieht, daß der Leser dieser nautischen Entdeckungsreise stets zu deren frivoler Decodierung aufgefordert wird: »Florida. MEin schiff treibt lufft und wind / mich treibet lieb und brunst / Ich muß in Florida den steiffen ancker sencken / Beseegel ich die see vergebens und umsonst / Sol ich denn ohne frucht das schwere rüder lencken? Gold / perlen / helffenbein begehrt mein hertze nicht / Das leere Florida soll mir die äugen füllen / Und ob dem lande gleich der diamant gebricht / So ist es doch genung mir meine brunst zu stillen. Da soll mein wohnhauß seyn / da sollen leib und geist In höchster freundlichkeit zusammen sich ergötzen / Da will ich / wann und wie es das verhängnüß heist / Mich in die große zahl der todten lassen setzen. Doch weil so manches schiff auf dieser reise bleibt / Da alles ist umzirckt mit kuppen und mit steinen / So ruff ich Venus an / daß sie die wellen treibt /
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6) Das Naturrecht der sinnlichen Liebe (Hoffmannswaldau) Und vor den Steuermann mir sendet ihren kleinen. Bringt Venus mich an port / und setzet mich ans land / So will ich täglich mich zu ihrem tempel fügen / Und ich verspreche ihr mit sinnen / hertz und hand / Daß ich ins künfftig will auff bloßer erde liegen.« (I Hoffm. II, S. 10)
Das Gedicht lebt von der - auch in geistlicher und hermetischer Lyrik begegnenden Konstruktion eines >mehrfachen Schriftsinnsc Im >sensus litteralis< geht es - im Kontext der damals immer noch aktuellen europäischen Kolonisierung des amerikanischen Kontinents - um die abenteuerliche Seefahrt nach Florida, wobei das Gedicht sogar auf die Motive der europäischen Flüchtlinge anzuspielen scheint, die wie die englischen dissenters aus Glaubensgründen nach Amerika auswandern (»Gold / perlen / helffenbein begehrt mein hertze nicht«). Das Ich sucht die gefahrvolle Überfahrt nur, um sich endlich in leibseelischer Einheit selbst verwirklichen zu können (V. 8ff.). Göttlicher Beistand soll die gefährliche Überfahrt sichern, täglicher Gottesdienst wird dafür als Dank verheißen. Aber natürlich ist diese Motivik nur der Bildspender für den Bezug auf jene >FloridaLand< das Ich - so gleich in Vers 2 - »den steiffen ancker sencken« will. Das ist die galante Verkehrung des >sensus moralis< und die Umkehr des >sensus anagogicusvanitas< als >carpe diem
barokke< Argumentationstopoi aufgreifen und ihnen spielerisch überraschende neue Pointen abzugewinnen vermögen. 1) Überredung zur Zweisamkeit: Das erste - eine titellose >verliebte Aria< - steht der Argumentationsstruktur der zitierten Briefpassage von Aleran an Adelheid nahe (vgl. Abschnitt 6 d-4; vgl. dazu auch das Gedicht >Seine geliebte wollte ins kloster gehen.< I Hoffm. I, S. 72f.; G, S. 42f.). Die Strophe ist kunstvoll in zwei Vierzeiler als Auf- und Abgesang geteilt. Die Verse sind jambisch mit alternierend weiblichem/männlichem Ausgang gebaut. Der Aufgesang verkürzt die Hebungszahl nach dem vierhebigen ersten Paarreim auf drei im zweiten (ein jeweils >halber< Alexandriner); der Abgesang reimt umarmend, wobei Zeile 5 als weiblichen Dreiheber beginnt und der nachfolgende Paarreim zum Vierheber zurückkehrt, bis das ganze kunstvolle Gebilde im Alexandriner des Schlußverses ausschwingen kann:
0 Der (un-)galante Tod - >vanitas< als >carpe diem
Seine geliebte wolte ins kloster gehen< (G, S. 42f.) attackiert der Sprecher hier das rigoristische paulinische und katholisch-priesterliche Ehelosigkeitsideal: Die Argumentation der Ode verläuft also im Duktus der >correctio< und Widerlegung von der einmaligen bis zur lebenslangen Liebes-Verweigerung. Die Schlußstrophe bietet eine bemerkenswerte ironisch-frivole Apotheose. Sie setzt ein mit einem stoizistischen Appell, der sogleich ins Epikureische verkehrt wird. Und dieses wird wiederum biblisch-theologisch legitimiert. In den drei letzten Versen setzt sich der Sprecher gar noch in Analogie zum Schöpfer - er fühlt beim Anblick der Schönen solche Liebes»Funken«, wie sie Gott ins Paradies hineinblies, und erblickt im Liebesakt die Restitution des Paradieses: erneut eine kaum noch steigerbare Blasphemie, die das Reich der Venus mit dem biblischen Garten Eden identifiziert und die erotische Liebe auf geradezu provozierende Weise sakralisiert. Solche Sakralisierungen der Liebestopoi finden sich vielfach - vor allem in den nachgelassenen Gedichten - von Hoffmannswaldau (vgl. z. B. I Hoffm. I, S. 378f., hier S. 379: »Doch wilt du göttin heißen / Zu der dich deine tugend macht? /[...] Die hölle lehret grausam seyn / Der himmel / dem du gleichst / verträgt kein steinern hertze.« Vgl. analog ebda., S. 379ff., 385ff.; I Hoffm. II, S. 15 u. ö.). 2) Metaphern-Spiel: Das zweite >galante< Gedicht gehört wiederum ganz in die petrarkistische Tradition des Rühmens weiblicher Körperteile, die sich bei Hoffmann - wie gesehen - mehrfach zu Kleinzyklen und zu poetischem Wettstreit zwischen den Körperteilen im Blick auf Schönheit und Bedeutung für die Liebe entfalten (vgl. >Streit der schwartzen äugen / rothen lippen / und weißen brüsteVerschleifung< der Mittelzäsur des Alexandriners schon im ersten Vers; vgl. dazu auch 11.37 Zymner, S. 347ff.): »Auff ihre schultern. ISt dieses schnee? nein / nein / schnee kann nicht flammen führen. Ist dieses helffenbein? bein weiß nicht weis zu seyn. Ist hier ein glatter schwan? mehr als der schwanen schein / Ist weiche woll allhier? wie kan sich wolle rühren? Ist alabaster hie? er wächst nicht bey Saphiren / Ist hier ein liljen-feld? der acker ist zu rein. Was bist du endlich doch? weil schnee und helffenbein /
f) Der (un-)galante Tod - >vanitas< als >carpe diem
erfülltenVergänglichkeitsgedichteNeukirchschen Sammlung< unter den >galanten Gedichtem aufgeführt ist (I Hoffm. I, S. 46f.) - darin deuten sich bereits widersprüchliche Lesarten des Sonetts an, das ein traditionelles Thema der >Barocklyrik< schockierend variiert, indem es den »bleichen tod« als Liebhaber introduziert - ein Motiv, das erst Matthias Claudius in aller Radikalität wieder aufgreifen wird (vgl. Bd. VI/3, S. 324ff.): »Sonnet. Vergänglichkeit der Schönheit. ES wird der bleiche tod mit seiner kalten hand Dir endlich mit der zeit umb deine brüste streichen / Der liebliche corall der lippen wird verbleichen; Der schultern warmer schnee wird werden kalter sand / Der äugen susser blitz / die kräffte deiner hand Für welchen solches fällt / die werden zeitlich weichen / Das haar / das itzund kan des goldes glantz erreichen / Tilgt endlich tag und jähr als ein gemeines band. Der wohlgesetzte fuß / die lieblichen gebärden / Die werden theils zu staub / theils nichts und nichtig werden. Denn opfert keiner mehr der gottheit deiner pracht Diß und noch mehr als diß muß endlich untergehen / Dein hertze kan allein zu aller zeit bestehen / Dieweil es die natur aus diamant gemacht.« (G, S. 95)
Das Sonett folgt den Opitzschen Regeln (zwei Quartette mit umarmendem Reim abba, abba, zwei Terzette mit Schweifreim ccd, eed) und dem Versmaß des Alexandriners. Angesichts des Vergänglichkeitsthemas kommen die Verse geradezu leicht und unpathetisch daher, gleichwohl weiß der Dichter die »antithetische« Struktur des Alexandriners mit der Zäsur nach dem dritten Fuß zur kontrastierenden Gestaltung des Themas zu nutzen. Mehrfach wird die in der ersten Vershälfte beschworene Schönheit der Geliebten in der zweiten unmittelbar mit deren Verfall wirkungsvoll kontrastiert. Der Gehalt ist in der Überschrift festgehalten und scheint sich im Schluß zu bestätigen. Das »diamantene« Herz der Geliebten kann natürlich als Sinnbild ihrer unbezwinglichen Tugendhaftigkeit gedeutet werden, die allein das entspricht einem Topos der Epicedien der Zeit - die Sterblichkeit überdauert.
f) Der (un-)galante Tod
>vanitas< als >carpe diem
Wollust< contra >Tugend
Die Wollust< und >Die TugendVermischte Gedichte< einander unmittelbar zugeordnet und formal sowie inhaltlich genau aufeinander bezogen hat (VG, S. [813]-[816]). Der Form nach handelt es sich um eine Palinodie (gr. Gegengesang), also um einen mit dieser Form gesetzten Widerruf eines provozierenden oder verletzenden Gedichts durch denselben Autor bei weitestmöglicher Beibehaltung der formalen Elemente (hier zwei Gedichte mit jeweils sechs sechszeiligen Alexandriner-Strophen). Unter Voraussetzung der Leser-Kenntnis dieser Form konnte Hoffmannswaldau die Provokation des ersten Gedichts wagen. Aus dem zweiten sprach nach diesem Gattungsgesetz die wahre Meinung des Autors. Es kann aber auch sein, daß dieser die Palinodie nur als Schutz gewählt hat, denn seine - offiziell allerdings nicht bekannte - erotische Poesie entspringt ja dem Begründungszusammenhang des ersten Gedichts. Die in beiden Texten eingenommenen Positionen scheinen sich auszuschließen. Auf der einen Seite das Loblied der sinnlichen Lust: »Die Wollust. »Die Wollust bleibet doch der Zucker dieser Zeit / Was kan uns mehr / denn sie / den Lebenslauf versüssen? [...] Nur das Gesetze wil allzu Tyrannisch seyn / Es zeiget Jederzeit ein widriges Gesichte / Es macht des Menschen Lust und Freyheit gantz zunichte / Und flöst vor süssen Most uns Wermuthtropffen ein; [...] Was nutzet endlich uns doch Jugend / Krafft und Muth / Wenn man den Kern der Welt nicht reichlich wil genüssen Und dessen Zuckerstrom last unbeschifft verschüssen / Die Wollust bleibet doch der Menschen höchstes Guth / [...] Wer Epicuren nicht vor seinen Lehrer hält / Der hat den Weltgeschmack / und allen Witz verlohren ...« (G, S. 122-124)
Auf der anderen Seite das »Hohelied« der Tugend: »Die Tugend
[...] Sie heisset unsern Geist im Sturme ruhig stehen / Und wenn die Erde weicht — uns im Gewichte gehen. Es giebt uns die Natur Gesundheit / Krafft und Muth / Doch wo die Tugend nicht wil unser Ruder fuhren /
g) Das Recht des Anderen: >Wollust< contra >Tugend
galanten< und >verliebten Gedientem, die einerseits die sexuelle Lust bis hin zu pornographischen Darstellungen verherrlichen (vgl. I Hoff. I, S. 407f., 449f. u. ö.), andererseits eine »keusche« Liebe anmahnen (»doch daß die keuschheit stets sich zum geferten find.« >An FloridenDie Wollust< und >Die Tugend< die entgegengesetzten Positionen in unmittelbar aufeinander folgenden Gedichten. So propagiert die Versepistel >An Flavien< tabulose Sexualität wenigstens in Wort und Phantasie (vgl. dazu auch 11.37 Borgstedt 1997): »Ach! liebste Flavia / die schrifft und die gedancken Sind ja ein wunderwerck und kleinod dieser weit; Was spielen wir doch nicht in des gemüthes schrancken? Was haben wir da nicht verwegen fürgestellt? Was uns verboten wird / das kann man hier erfüllen / Man lachet / schertzt und küßt / thut was uns wohlgefällt. Kein scharff gesetze stört allhier den freyen willen / Und nichts ist starck genug / das uns zurücke hält.« (I Hoffm. I, S. 78)
Die nachfolgende Versepistel >An Algerthen< indes preist angesichts des »redlichen gemüthes«, das aus dem Brief der Geliebten spricht, die >reine Liebe< (»Die lügend trägt uns stets ihr reines öle zu: / Es wird uns noch die weit das gute zeugniß geben / Es liebe keiner nicht so rein als ich und du.« Ebda., S. 81), und entsprechend widerruft der Sprecher die Freiheiten einer »ungestörten Liebe« (»Wer ungestöret liebt / ist mehr als halb gestorben / Wer täglich zucker käut / spürt keine liebligkeit.« Ebda., S. 82):
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6) Das Naturrecht der sinnlichen Liebe (Hoffmannswaldau) »Man muß / Algerthe / sich mit der vernunfft bestillen / Und dencken daß der durst den krancken anmuth giebt / Vergnügung paart sich nicht mit allzufreyem willen / Der liebet ohne lust / der ungestöret liebt.« (Ebda.)
Folglich ertönt in Hoffmannswaldaus Gedichten auch die Lohensteinsche Zuspitzung des Problems, wie in der >Klage< zu Beginn des zweiten Bandes der >Neukirchschen SammlungAbentheuerlichem Simplicissimus Teutscbx begegnet: Mit aller Schärfe liest Simplicius mit Hilfe der Bergpredigt der weltlichen Gesellschaft die Leviten (II Grimmeishausen ST, S. 86ff.), aber diese entlarvt ihrerseits den »theologischen stylus« als »nicht von dieser Welt« (vgl. dazu III Kemper 2004, S. 33ff.). So prallen bei Grimmelshausen wie bei Hoffmann noch einmal die altehrwürdige christliche >Weltflucht< und die neue >Weltsucht< aufeinander, und gerade weil sich beide Perspektiven wechselseitig in Frage stellen und die Werke keine Lösung bieten, führen sie den Bruch der einen Wahrheit und ihrer Verabsolutierung herbei und plädieren faktisch für das Recht des Anderen und für das - notfalls - unverbundene, aber tolerante Nebeneinander gegensätzlicher Werte und Gesinnungen (vgl. dazu auch 11.29 Merzhäuser, S. 85ff. u. ö.) 2) Ethischer Perspektivismus: Nicht auszuschließen sind freilich auch andere Deutungen. So fragt sich, ob die Tugend in der Aufeinanderfolge der beiden oben zitierten Gedichte und Argumente nicht - der Form der Palinodie entsprechend - vielleicht doch das letzte Worte behält und - gerade auch als Vor-Schein der Ewigkeit und deren spiritualisierter »Lust« - behalten soll. Aber würde Hoffmann damit sein Programm einer Befreiung und Aufwertung des erotischen Affekts nicht widerrufen und verwerfen? Von der artistischen Konzeption seiner Poesie her lag es für Rotermund umgekehrt nahe, diese Konfrontation als ironisches Spiel im Sinne eines »ethischen Perspektivismus« zu begreifen, der sich der »Verkehrung« und »Umdeutung« bedient, um damit bei scheinbarer Dominanz der orthodoxen geistlichen Position doch der weltlich-galanten »eine größere Relevanz« zu »sichern« als zuvor möglich (vgl. 11.37 Rotermund 1972, S. 231). Danach hat Hoffmannswaldau die Widersprüchlichkeiten der von ihm vorgetragenen Positionen weder wertindifferent auf sich beruhen lassen noch zugunsten einer Eindeutigkeit auflösen wollen (ebda., S. 232f.). Diese Deutung ist elegant, aber vielleicht auch zu modern. 3) Die Ehe als >Kompromiß< zwischen Wollust und Tugend: Gerade durch die Verabsolutierung der beiden Positionen von Wollust und Tugend setzt Hoffmannswaldau wie in seinen sonstigen Gedichten auch auf den Scharfsinn des Lesers, der beide Ansichten vergleichen und prüfen und wohl letztlich beide in ihr Recht setzen, ja vielleicht sogar in Einklang miteinander bringen soll. Die Wollust ist eine von Gott geschenkte Gabe, deren Gebrauch keineswegs - wie die Tugend behauptet - verabscheuungswert ist, aber sie bedarf der regulierenden, ordnenden Kraft, um neben der Lust auch lebensspendenden Nutzen zu stiften. Dies etwa könnte die dem Autor
h) Erotica aus Lebens-Lust
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vorschwebende Position sein; sie verweist - wie es scheint - konsequent auf die Notwendigkeit eines lebbaren Kompromisses. Und welcher wäre wiederum so geeignet, »Wollust« zuzulassen und »Tugend« deshalb nicht zu verabschieden, wie die Ehe (vgl. dazu auch IV Rusterholz, S. 201 ff.)? Jedenfalls hat Hoffmannswaldau diese Ansicht in mehreren Gedichten - nicht nur in seinen Epithalamia, wo sie gattungsbedingt nahelag - auch expressis verbis vertreten. So in seinem galanten >Trost auff Roselindens und Sophronillens Klage< (I Hoffm. IV, S. 12-14): »Wie herrlich ist doch wohl der Ehe Ehren=stand Wenn ein gepaartes Paar zusammen kann erwarmen /
Wenn Mund mit Munde schertzt: das Hertz wird angebrant; Und sich satt heben kann aus eines ändern Armen.« (Ebda., S. 14) Nach einem Verweis auf das Brett-Spiel als >Ebenbild unsers Lebens< (vgl. Bd. IV/1, Kap. 6 c) schließt das Gedicht mit Versen, welche das mit Erasmus von Rotterdam gegenüber Luther verteidigte humanistische Credo vom »freien Willen« des Menschen (vgl. Bd. I, S. 91 ff.) mit der göttlichen Vorsehung verbinden und damit das auch für den Menschen reklamierte >Naturrecht< auf Liebe zugleich der göttlichen Ordnung unterstellen, die auch in der Liebe auf Ordnung und >Frucht< bedacht ist: »Doch wird solch Spielen nicht wie blinde Kuh gesucht / Des Himmels freyheit last dem Spieler freien willen / Der Liebe Spiel bringt nur zu rechter Zeit die Frucht / Was das verhängnüß schleust muß erst der Mensch erfüllen.« (I Hoffm. IV, S. 14) Insofern ist die Quintessenz jenes >galanten< Epistel-Gedichts >An Flaviem (zur genaueren gattungsgeschichtlichen Interpretation vgl. 11.37 Borgstedt 1997), mit dem Neukirch den ersten Band seiner Sammlung eröffnet, vielleicht programmatisch sowohl für Hoffmanns Position als auch für die eine Generation jüngeren Herausgeber und Dichter der Sammlung, die in diesen Versen zugleich die Legitimation erblicken konnten, sich vom erotischen Marinismus im Zeichen klassizistischer und frühaufklärerischer Vernunft zu distanzieren (vgl. dazu Kap. 8): »Schau meine liebe nicht als wollust=sprossen an / Die aus dem hertzen nichts als geile blüthe treiben / Du weist es / daß man auch vernünfftig lieben kann / Und lieb und tugend wohl geschwister können bleiben.« (I Hoffm. I, S. 33)
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Erotica aus Lebens-Lust
1) Kluge Selbstermächtigung·. Hier wäre auch eine Möglichkeit, den Zeitbezug, in dem Hoffmanns Poesie steht, mit seiner Biographie zu verbinden. Für ihn sei, erklärt Heiduk, das Leben »auch unter den widrigsten Umständen lebenswert« gewesen, da Gott »eine unverkürzte, freudige Annahme der Wirklichkeit« verlange (11.37 Heiduk 1984a, S. 489). Entsprechend will auch Hoffmanns Dichtung »den rechten Gebrauch der Welt lehren, einen liebevollen, einen freundlichen Umgang mit ihr« (ebda., S. 492): »Freud und auch Heiligkeit die können Schwestern seyn, / Und Trauersucht bleibt stets verwandt der Hollenpein.« (Zit. ebda., S. 490)
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6) Das Naturrecht der sinnlichen Liebe (Hoffmannswaldau)
Gegen solche seiner Zeit tief eingeprägte Melancholie, die er nicht als Krankheit, sondern als Laster verstand, setzte er seine >Ermahnung zur VergnügungL'Adone< verpflichteten Hochzeitsgedicht mit dem Titel >Die versöhnte Venus< wird dieser Zusammenhang thematisiert (zu seinen sieben großen, mythologiehaltigen Hochzeitsgedichten vgl. u. a. 11.37 Noack, S. 287ff. u. ö.). Venus beklagt sich über die Erfolge des Mars und die eigene Ohnmacht über die Menschen: »So merck' ich wenig mehr / als Wüten /Mord und Kriegen / Ich finde hin und her die todten Leichen Hegen / Die Männer stehn verwund / die Weiber stehn verblast / Mein Mars wird angeruft und Venus wird verhasst / Mars der mich selber nicht gescheuet hat zuküssen / Man schaut das rothe Bluth vor (=anstatt) Liebes-Thränen flüssen/ Kein Seuffzer kommet fast von meiner Regung hier /...« (G, S. 62)
Und deshalb bestraft Venus den müßiggängerischen Amor und schickt ihn auf die Erde, um ihren früheren Einfluß wiederherzustellen. In solchen Gedichten blitzen in der Tat »Ansätze zu einem panerotischen Weltbild« auf (11.37 Windfuhr, S. 141). Selbst da noch, wo die erotische Poesie Hoffmannswaldaus ganz »verdinglicht« erscheint und die Frau als Opferpriesterin auf ihre schiere Körperlichkeit, auf »fetischisierte Sexualzonen« und den Mann »auf nichts als sein Begehren« reduziert (vgl. 11.37 Ketelsen, S. 354): selbst da noch dient sie dem humanen Ziel, der »Trauer-
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sucht« der Zeit ein vitales Lebens-Zeichen entgegenzustellen. Unter diesem Aspekt setzt diese Dichtung - stoische Maximen miteinbeziehend - die schon bei Opitz und Fleming erkennbare Tendenz fort, sich gegenüber den Unsicherheiten der Zeitläufte auf sich selbst zu besinnen, sich zu ermächtigen, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und für sein >Glück< selbst zu sorgen. In diesem Sinne läßt sich Hoffmann auch jenem Autonomiestreben zurechnen, welches das nachfolgende Säkulum zunehmend bestimmen wird und dem er mit der poetischen Diskussion um die Einbindung der Sinnlichkeit in das Bild des mit sich versöhnten >ganzen Menschern einen großen Dienst hätte leisten können, wenn er nicht - eben wegen seiner Feier der »Wollust« - >verteufelt< worden wäre: »Auff O Seele! Du must lernen Ohne Sternen / Wenn das Wetter tobt und bricht / Wenn der Nächte schwartze Decken Uns erschrecken / Dir zu seyn dein eigen Licht.« (G, S. 129)
2) Süßer Liebestod und ausgeleerte Süßigkeit: Allerdings war es Hoffmannswaldau in seinen erotischen Gedichten noch nicht möglich, das concettistische Versteck- und Rollenspiel in Richtung auf eine konkrete, individuelle Liebesbeziehung hin zu durchbrechen. Die Geliebten seiner Gedichte heißen Flavia, Melinda, Ciorinde oder Lesbia, sie sind typenhaft und deshalb austauschbar, durchweg säkularisierte »Göttinnen« der Liebe, Abziehbilder der Venus (vgl. dazu auch 11.37 Windfuhr, S. 139ff.). Autobiographische Chiffrierung darf man hinter diesen Poemen eines treusorgenden Familienvaters ohnehin nicht vermuten, auch und gerade da nicht, wo die Sprechinstanz sich bis zur poetischen Beschwörung des Liebestodes für eine dieser namenlosen Göttinnen aufschwingt: »So dich mein feuer lencken kann / So schaue dessen funcken an / Und laß mich nicht so schmählich sterben; Doch / sol es ja gestorben seyn / So laß mein leben samt der pein Durch deiner äugen glut verderben. Es komme leben oder tod / Es komme Wohlfahrt oder noth / Ich nehm es an mit tausend küssen / Dein urtheil stärcket meinen muth / Ich bin bereit / mein treues blut Vor deinen füssen zu vergießen.« (G, S. 40)
Da ist das »mit tausend küssen« der Geliebten überantwortete »Todesurteil« nur die beste Lebensversicherung! - Hier wird erst Johann Christian Günther die persönliche Liebesbeziehung zum weltimmanenten Ort individueller Liebes- und Lebenserfüllung machen (vgl. Kap. 9)!
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6) Das Naturrecht der sinnlichen Liebe (Hoffmannswaldau)
Immerhin hat noch der schlesische Frühaufklärer Gottlieb Stolle (vgl. Kap. 8 c) Hoffmann im sechsten Band der >Neukirchschen Sammlung< ein hohes - aber zugleich einschränkendes - Lob gezollt, indem er ihn in einem Epigramm >Auf den Herrn von Hoffmannswaldau< über Marino stellte, aber eben damit auch historisch dem Marinismus zuordnete und ihm den zweifelhaften Ruhm zuerkannte, für den Niveau- und Qualitätsverlust der Poesie verantwortlich zu sein, weil er die marinistische »lieblichkeit« »gantz ausgeleeret« habe: »Dein kiel, berühmter Mann! So nur von honig rinnt, Und amber=tropffen führt, hat nirgend seines gleichen: Es muß Marini dir die sieges^crone reichen, Weil deine lieblichkeit der seinen abgewinnt. [...] Daß itzt die lieblichkeit so wenig Musen nähret, Macht deine poesie, die sie gantz ausgeleeret.« (IHoff. VI, S. 401 f.)
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7) Weisheit durch die >Blumen< (Lohenstein)
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»Das Glücke spielt mit ihm / und er mit allen Sachen«: Zur Biographie
1) Ausbildung und poetische Anfänge: Den Zeitgenossen und den Herausgebern jener erfolgreichen Sammlung, die sich im Titel mit dem Namen Hoffmannswaldaus schmückte, galt doch Daniel Casper von LOHENSTEIN (1635-1683; vgl. Abb. 8, ein Stich von Johann Tscherning; in: III Bircher, S. 112) wegen seiner dichterischen Produktivität und stilistischen Virtuosität, seiner Vielseitigkeit, Erfindungskraft, Sprachmächtigkeit und weltanschaulichen Radikalität als der bedeutendste deutschsprachige Poet, den Schlesien im 17. Jahrhundert hervorgebracht hat (vgl. 11.45 Spellerberg 1992, S. 3*; dazu auch Kap. 8 c-1). Daniel Casper wurde als erster Sohn von Johann Casper und seiner Frau Susanna, geb. Schädel, auf Schloß Nimptsch südlich von Breslau geboren. Der Vater, zugleich Ratsältester von Nimptsch, erwarb sich als kaiserlicher Geldeinnehmer in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges Verdienste um den Erhalt der kaiserlichen Kasse. Dies mag mit dazu beigetragen haben, daß er 1670 geadelt wurde und die Familie seither den Namen Casper von Lohenstein führen durfte. Daniel besuchte - durch Kriegswirren in Nimptsch veranlaßt - von 1642 bis 1651 die Magdalenenschule in Breslau, die 1643 zum Gymnasium ernannt und dem dortigen ElisabethGymnasium gleichgestellt wurde (vgl. 11.45 Asmuth, S. 5 ). Die besondere konfessionspolitische Situation Breslaus mit seiner überwiegend lutherischen Bevölkerung und seinen Beziehungen sowohl zum katholischen Kaiserhaus (und den Jesuiten in der Stadt) als auch zu den reformierten Piastenherzögen (vgl. dazu auch Kap. 6 a) erforderte konfessionelle Zurückhaltung und hatte u. a. zur Folge, daß auf den Gymnasien Breslaus, die auch von Söhnen altadliger und besitzbürgerlicher Familien des Umlandes besucht wurden, die religiöse Ausbildung hinter der humanistischen zurückstand (vgl. 11.45 Spellerberg 1992, S. 6*f.). Abb. 8 Diese Ausbildung, die wöchentliche
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7) Weisheit durch die >Blumen< (Lohenstein)
Übungen im Verfertigen von Gelegenheitspoesie einschloß, ist an Lohensteins lyrischem Frühwerk besonders gut ablesbar, in dem es von Gestalten der griechischen und römischen Mythologie nur so wimmelt, und dies sogar in dem Grabgedicht auf den Tod seiner einzigen Schwester Maria 1651 (>Cypresz=TaffelIbrahim (Bassa)< zuerst vermutlich bereits 1650 - von Schülern des Magdalenengymnasiums aufgeführt (vgl. 11.45 Asmuth, S. 25). 2) Bildungs-Wege und Karriere: In der verbesserten Schulordnung Breslaus von 1643 rückt die Ausbildung im Bereich der Justiz als weltlichen Gottesdienstes< bereits neben die religiöse Unterweisung: »Die Schule diene >zur erhaltung deß Reinen Worts Gottes / zur Fortpflantzung heilsamer justitzEcclesiae et Reipublicae< und erziehe die Jugend für die >Göttliche und Weltliche Weißheithernach zu Kirchen / Schulen / unnd Weltlichen Regiment und Aembtern tüchtig< werde« (11.45 Wiehert, S. 175f.) Von daher war Lohensteins weitere Ausbildung im Bereich des weltlichen Gottesdienstes< bereits gut vorbereitet, und mit bemerkenswerter Zielstrebigkeit förderte er seine Laufbahn zum Gelehrten und Juristen. Er begann sein Jurastudium 1651 in Leipzig und beendete es in Tübingen bereits 1655 mit einer Disputation >De voluntate< (vgl. 11.45 Spellerberg 1988, S. 342; zur Disputation vgl. 11.45 Wiehert, S. 13ff.). Die Kürze des Studiums und der Verzicht auf den förmlichen Titel eines Doktors der Rechte darf im Kontext der Zeit als Zeichen für eine wachsende Distanzierung vom alten, als praxisfern geltenden universitären Ideal der Gelehrsamkeit und für einen Wandel hin zu höfisch-weltmännischer, politisch-praktischer Ausbildung gelten (vgl. 11.45 Wiehert, S. 18ff.). Diese Tendenz wird ansatzweise auch erkennbar an Lohensteins Bildungsreisen, die sich in ihren Zielen weniger an der alten humanistischen Bildungsreise, sondern an politischen Bildungswerten orientiert. So nutzte er bereits die Tübinger Zeit u. a. für eine Reise zum Reichstag nach Regensburg und absolvierte anschließend seine >Kavalierstour< als Hofmeister der Gebrüder von Kleindienst (die Reisedaten sind im einzelnen unsicher; vgl. 11.45 Asmuth, S. 8f.). Der Weg führte in die calvinistische Schweiz, von da aus rheinabwärts in das calvinistische Holland mit längeren Aufenthalten in Leiden und Utrecht. Von da aus ging es auf dem Seeweg, wobei das Schiff einen schweren Sturm nur knapp überstand, nach Hamburg und von dort zurück nach Breslau. Indessen genügte das
a) Zur Biographie
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bisher Erlebte Lohensteins Bildungsansprüchen noch nicht. So brach er, der inzwischen nach dem Lateinischen und Griechischen auch das Französische, Italienische und Spanische fließend beherrschte, nochmals auf, diesmal in Richtung Italien und Frankreich, doch nötigte ihn die Pest in Graz - nach einer Visite in Ungarn - zur Umkehr, und damit gab er zugleich (wie analog Hoffmannswaldau) dem Heimkehrwunsch seines Vaters statt. Nun erfolgten fast zeitgleich Familiengründung - im Oktober 1657 heiratete er Elisabeth Herrmann - und die Niederlassung als Rechtsanwalt in Breslau. In dem folgenden Jahrzehnt seiner Anwaltstätigkeit entstand der größte Teil der Lohensteinschen Trauerspiele und seiner Lyrik (11.45 Asmuth, S. 11). Anders als Gryphius oder Hoffmannswaldau verstand es Lohenstein geschickt, seine Dichtungen auch für seine berufliche Karriere zu funktionalisieren (vgl. 11.45 Spellerberg 1992, S. 12*): Die Dramen mit ihren weitläufigen historischen Stoffen und ihrer staatspolitischen, rechtlichen und moralischen Problematik wiesen ihn als aristokratisch gebildeten, weltklugen Hof-Mann aus, und seine Widmungen der Werke und Gelegenheitsgedichte an einflußreiche adlige Gönner verschafften ihm ein Renommee, das seiner weiteren Karriere sehr förderlich war. So wurde er auf Empfehlung Friedrich von Roths, eines einflußreichen Hofbeamten im Fürstentum Oels, dem Lohenstein ein Hochzeitsgedicht zugedacht hatte (vgl. L, S. 289ff.) und dem er später seine lyrischen Sammlungen >Rosen< und >Hyazinthen< widmete (vgl. L, S. 223; vgl. dazu 11.45 Spellerberg 1992, S. 13*), im Jahre 1668 Regierungsrat im Fürstentum Oels. Doch das war nur der Beginn einer bemerkenswerten aristokratisch-diplomatischen Karriere. Denn im Jahr darauf bot ihm Herzog Christian II. von Liegnitz, Brieg und Wohlau die Stelle eines Geheimsekretärs an, die der Dichter aber zum lebenslangen Ärger des Herzogs ausschlug, weil er gleichzeitig erfolgreiche Verhandlungen mit dem Rat der Stadt Breslau führte und dort - unter tatkräftiger Mitwirkung Hoffmannswaldaus (vgl. 11.45 Wiehert, S. 108f.) - im Juni 1670 den gut dotierten und auf 12 Jahre garantierten Posten eines Syndicus antrat. In diesem Amt war er zwar nicht Mitglied des Rates, hatte aber Stimmrecht, Beratungspflicht, Weisungsbefugnis über die unterstellten Beamten und war ausführendes Rechtsorgan der Stadt (ebda., S. 31). Knapp vier Wochen nach seinem Amtsantritt erhielt der Vater das Adelsprädikat, und die Vermutung liegt nahe, daß diese prestigeträchtige Nobilitierung ein von Lohenstein selbst mit veranlaßtes, vom Breslauer Rat initiiertes >Begleitgeschenk< der Berufungsverhandlungen war, das, da es dem Vater galt, für den Sohn in dieser Situation nicht ehrenrührig war (vgl. 11.45 Spellerberg 1992, S. 13*f.). Das Adelsprädikat kompensierte in einer Zeit neu erwachter bürgerlicher >Adelssucht< das Doktorprivileg (11.45 Wiehert, S. 19). Und Lohenstein, der in den siebziger Jahren den Höhepunkt seiner Karriere erlebte, hatte das Glück, seiner Familie auch noch einen der Nobilitierung entsprechenden Landbesitz hinzuzugewinnen: 1673 vererbte ihm der jüngere der beiden kinderlos und unverheiratet verstorbenen Brüder von Kleindienst die Güter Reisau und Roschkowitz, und im selben Jahr erweiterte er den Besitz durch Hinzukauf des Gutes Kittelau von Luise, der ihm wohl gesonnenen Witwe des 1672 verstorbenen Herzogs Christian von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Die standesbewußte und repräsentationssüchtige, kunst- und religiös freisinnige Luise, die für ihren noch unmündigen Sohn Georg Wilhelm bis 1675 die Amtsgeschäfte im Herzogtum führte, bedachte Lohenstein bis zu ihrem Tod (1680) mehr-
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7) Weisheit durch die >Blumen< (Lohenstein)
fach mit Gelegenheitsaufträgen (vgl. 11.45 Spellerberg 1992, S. 15*ff.). Dazu gehörte u. a. auch die Gestaltung der Trauerfeierlichkeiten aus Anlaß des plötzlichen Todes von Georg Wilhelm, zu dessen 12. Geburtstag Lohenstein bereits Graciäns >E1 politico D. Fernando el Catholico< übersetzt hatte (>Lorentz Gratians Staats=Kluger Catholischer Ferdinand< [Privatdruck 1672; vgl. ebda., S. 15*]). Georg Wilhelm starb im November 1675 kurz nach seiner Inventur zum Herzog fünfzehnjährig an falsch behandelten »Blattern« (Pocken), und da mit ihm die männliche Linie der schlesischen Piasten erlosch, fielen die drei Herzogtümer an Habsburg, und dies bedeutete eine gravierende Schwächung des schlesischen Protestantismus. Lohenstein erarbeitete Bildprogramme und Inschriften für Sarkophag und Gedenkmünzen und verfaßte für Luise eine >Lob=Schrifft< auf Georg Wilhelm (1676). Ein Epicedium >Auff das absterben Seiner Durchl. Georg Wilhelms / Hertzogs zu Liegnitz / Brieg und Wohlau< (I Hoffm. I, S. 164-166) nahm Lohenstein vermutlich deshalb nicht in seine >Blumen< auf, weil es sich dabei um eine formal gleichgebaute >Parodie< eines Epicediums von Hoffmannswaldau >Uber Das Absterben Herrn Georg Wilhelms / Des Letzten Pyastischen Hertzogs< handelt (vgl. dazu 11.45 Ketelsen, S. 376ff.). Ferner entwarf Lohenstein für Luise das Konzept zur Ausgestaltung des Hochchors der Liegnitzer Hof- und Begräbniskirche zum Mausoleum für das Piastengeschlecht (II Spellerberg 1992, S. 18*ff.). Im Jahr 1675 errang Lohenstein seinen größten diplomatischen Erfolg, als er im Auftrag des Breslauer Rates am Wiener Hof eine drohende Besetzung Breslaus und erhöhte Steuerzahlungen verhindern konnte. Kaiser Leopold honorierte sein diplomatisches Geschick mit der Ernennung zum Kaiserlichen Rat, und in Breslau wurde er im selben Jahr zum Obersyndicus ernannt (mit dem »stattlichen Gehalt von 1.050 Talern jährlich«; ebda., S. 17*). - Von dieser Zeit an verwandte er - zunehmend von der Gicht geplagt - neben der Überarbeitung einiger seiner Dramen und Gedichte alle Kraft der Nebenstunden auf die Niederschrift seines monumentalen >ArminiusSchule der WeisheitDe voluntate< besonders häufig zitierten - »magnus Grotius« (>De jure belli ac pacisNatur< abgeleiteten irenischen und neutralen Rechtsordnung (vgl. Bd. I, S. 70), die GROTIUS noch empirisch in Auseinandersetzng mit dem göttlichen Rechtx (und der Bibel) sowie den antiken philosophischen Schulen aus der tatsächlichen Rechtsprechung aller Völker zu destillieren suchte: »Das Naturrecht ist so unveränderlich, daß selbst Gott es nicht verändern kann.« (II Grotius JBP, S. 51) Inhaltlich gründeten Grotius und seine Nachfolger (Pufendorf, Thomasius, Wolff) das Naturrecht auf das Prinzip der »Sorge für die Gemeinschaft« bzw. den Trieb zur »socialitas« (»Geselligkeit«, damit auch >FreundschaftSympathieLiebeSophonisbe< huldigen denn auch alle Elemente der >LiebeErleuchtete (!) Hoffmanm. Bei dem 356 Verse umfassenden, die Abkehr vom Hof und die Hinwendung zu Christus thematisierenden Titelgedicht handelt es sich im wesentlichen um eine Übersetzung »Aus dem Frantzöschen Auf Verlangen einer Erlauchten Person« (dahinter verbirgt sich vielleicht die Herzogin Luise; vgl. 11.45 Spellerberg 1992, S. 47*). Angehängt sind noch eine >Arie< auf die Geburt des Prinzen Leopold (1682), mehrere Übersetzungen >Aus dem MarinoLyrica< hat Spellerberg noch einen >Anhang< mit weiteren dreizehn Gedichten hinzugefügt, teils Jugendwerken, die Lohenstein vielleicht wegen ihres zu privaten Charakters nicht in seine Ausgabe aufgenommen hat wie das Epicedium auf seine Schwester, teils weitere Gelegenheitsgedichte im Erstdruck, deren überarbeitete Fassungen in den >Blumen< enthalten sind bzw. auch in der >Neukirchschen Sammlung< in modifizierter Version abgedruckt wurden (L, S. [519]-[620]; vgl. dazu 11.45 Spellerberg 1992, S. 47*ff.). In seinem Nachwort bietet Spellerberg ferner u. a. noch eine textkritische Übersicht über die in der >Neukirchschen Sammlung< veröffentlichten Gedichte Lohensteins (ebda., S. 49*ff.).
c) Hermes als Schlüssel->Blume
Blumen< sowie Gedichtformen: Die Anordnung der Gedichte in den Teilsammlungen folgt adressatenorientiert hierarchischen und ständischen Prinzipien. So widmen sich die beiden ersten geistlichen Gedichte der zweiten Person der Trinität (vgl. Kap. 7 d), und der Komplex der geistlichen Lyrik endet mit den >Thränen< zunächst der >Mutter Gottes unter dem Creutzeder Maria Magdalena zu den Füssen Unsers Erl6sersEines armen Sunders unter dem Creutze Unsers Erl6sers< Die >Rosen< beginnen nach zwei Lobgesängen auf die Königin der Blumen selbst mit einem Hochzeitsgedicht auf die Vermählung Kaiser Leopolds mit Claudia Felicitas, dann folgen die auf die Liebschaften zweier spanischer Regenten bezogenen sechs Helden-Briefe, die - thematisch mit ihnen verbundene - pikante fiktive autobiographische Selbst-Entblößung der wegen erotischer Qualen zum Selbstmord entschlossenen Adligen Maria Coronelia, und daran schließen sich Hochzeitsgedichte zunächst auf adlige, dann auf bürgerliche Adressaten an. Dabei gehört es zur Besonderheit der Lohensteinschen Epithalamien wie Epicedien, daß er diese anlaßgebundenen Gedichte bereits überwiegend unter ein im Titel benanntes generelles Thema stellt (z. B. >Gewalt und Liebes=Streit der Schönheit und FreindligkeitDreyfache Bildung der LiebeSiegender CupidoUnverwehrte Priester=Liebe< oder Wahrer AdelDie Hohe des Menschlichen Geistes< [auf den Tod von Gryphius]), so daß er - abgesehen von den hochadligen Adressaten - die konkreten Anlässe bei vielen dieser Gedichte bereits weglassen konnte. Durch die exemplarische Behandlung ihres Themas erhalten diese Gedichte damit einen lehrhaften Charakter und bahnen so bereits jener Reform den Weg, die Gottsched im Streit um das Gelegenheitsgedicht als >Gelegenheits-Lehrgedicht< empfehlen sollte (vgl. dazu Bd. V/2, S. 30). Im Blick auf die Versform seiner Gedichte bleibt Lohenstein wie bei seinen Dramen überwiegend dem paar- oder kreuzweise gereimten jambischen Alexandriner treu. »Daktylen fehlen, Trochäen sind äußerst selten.« (11.45 Asmuth, S. 53) Strophische Gliederung erfahren vor allem die längeren Gedichte mit zumeist gleichbleibenden Schemata von sechs bis vierzehn - meist jedoch von sechs (ababcc) und acht (abababcc) - Zeilen (vgl. ebda., S. 52). Kühn sind in diesen >Lyrica< weniger die Formen als vielmehr die sprachmächtig, stilsicher und oft provozierend zur Geltung gebrachten Ideen.
c)
Hermes als Schlüssel->Blume
An den geneigten Lesen der >BlumenBlumen< (Lohenstein)
Geschickt nutzt Lohenstein die Vorrede darüber hinaus zur Demonstration seiner Gelehrsamkeit und in deren Kontext - anknüpfend an Platons Vertreibung der Dichter aus seiner >Politeia< - zu einem bemerkenswerten Plädoyer für die Aufwertung der Poesie als eines schönen und gleichwohl oder gerade deshalb auch wahren Organs der Wahrheit und Weisheit: Gegen Platons »allzuscharffes Urthel« hätten andere Autoritäten befunden, »daß die Poesie die erste Wiege der Weißheit gewest sey / und ihr kern so wenig in den Schalen der Getichte / als die Perle in schonen Muscheln etwas von ihrer Gütte verliere. [. . .] andere aber die Poesie für die Sprache der Gotter erkläret haben; als welche auch nur vom Himmel und der Natur eingeflößt / durch keinen Fleiß aber erworben würde.« (Vr,
Damit bestätigt und bekräftigt Lohenstein in Kurzform die kühne und vielfach bestrittene Position von Opitz aus dem >Buch von der Deutschen Poeterey< (vgl. Bd. IV/1, Kap. 4c, d). Und im Blick auf die Komposition der ganzen >BlumenWeisheit< ernst
c) Hermes als Schlüssel->Blume
Vorrede< bereits an. Und erst nach der heidnischen Begründung der Poesie als »Sprache der Gotter« beruft sich Lohenstein für die »Gotlichkeit« der inspirativen, nicht als rhetorisches »Handwerck« zu betreibenden Poesie (vgl. Vr, S. [14]) auch auf die biblisch-christliche Tradition inspirierter (Bibel-)Poesie: »Fürnehmlich aber schicket sie sich zum Gottes=Dienste. Die Andacht lasset sich in selbe so wol / als der hohe Priester in Seide kleiden / oder die Lade des Bundes mit Golde überziehen. Nicht nur die Väter der ersten Christlichen Kirchen haben schon hiermit ihre Geistreiche Gedancken ausgedruckt / sondern der heilige Geist hat selbst in gebundener Rede den Mund des großen Moses / und die Harffe des durch Andacht mehrmals verzückten Davids gereget.« (Ebda., S. [12])
Unausgesprochen reklamiert Lohenstein diesen Anspruch auch für die eigene geistliche Poesie, und überhaupt bekennt er sich in solchem Kontext bemerkenswert selbstbewußt zu seinen poetischen Kindern; diese hätten vielleicht - bedingt durch die »Ernsthafftigkeit« seines juristischen Berufes - eine »gewisse Säure an sich«, doch beruft er sich auf das von einem anderen Rechtsgelehrten gewählte, verbreitete emblematische »Sinne^bild« eines Feigenbaums, der im Frühling keine Blüten, aber im Herbst gleichwohl Früchte hervorbringt (vgl. dazu I Henkel/Schöne, Sp. 241 ff.): »Meine Fruchte sind meine Blumen« (Vr, S. [15]), und verleiht der eigenen >BlumenWeisheitBlumen< zum Ausdruck bringt. Zwar nutzt er zu Beginn der geistlichen Dichtung< noch als Analogon der in Drama und Roman erprobten dialogischen Relativierung und Konfrontation die Möglichkeit des Rollentausches von Vernunft und Glaube als der jeweils dominanten und sich wechselseitig ergänzenden, aber auch relativierenden Positionen (vgl. Kap. 7 d). Indessen behauptet dann doch die von der Vernunft vertretene weltanschauliche >Weisheit< ihre beherrschende Position, und diese erfährt in der vorletzten >Blume< der Sammlung mit dem Titel Vereinbarung der Sterne und der Gemüther< (R, S. [350]-[366]), zugleich dem letzten Hochzeits-Beitrag, ihre Affirmation im expliziten >GlaubensBlumenBlumen< (Lohenstein)
durch eine annehmliche Zusammenstimmung miteinander vermählet.« (R, S. [351]) Dieser Eingangssatz deutet bereits geschickt die spätere Applikation des Themas auf die konkrete >Vermählung< des Bruders an. In unserem Zusammenhang geht es nur um die von Lohenstein entwickelten Kern-Ideen. Es wird erkennbar, wie sich für ihn der naturrechtlich-ethische Grundgedanke von der >socialitas< mit dem hermetischnaturphilosophischen >SympathieDe occulta Philosophia< aufgestellt hat, und zwar unter anderem in den Kapiteln 17 (>Wie die Kräfte der Dinge nach Zwietracht und Freundschaft zu erforschen und zu prüfen sindVon den Abneigungen und Feindschaften; zu Agrippas Werk vgl. u. a. Bd. II, S. 66ff.; Bd. III, S. 79ff.). So findet Lohensteins Beispiel »Der Elephant fleucht für dem Wieder; das Pferd zittert / wenn es ein Kamel siehet oder reucht« (R, S. [350]) bei Agrippa ebenso sein Pendant (»Das Pferd fürchtet das Kamel dergestalt, daß es nicht einmal dessen Bild zu ertragen vermag. Ein wütender Elefant wird durch den Anblick eines Widders besänftigt.« (II Nettesheim, S. 51) wie etwa die Beispielreihe über die Beziehungen unter den Planeten: »Der Saturn hat allein den Mars zum Freunde: Jupiter aber liebt außer diesem alle andere / Mars ist allen unhold / außer mit der holden Venus lasset er sich auch in das Netze des Eyfersüchtigen Mulcibers Verschlüssen.« (R, S. [361]; vgl. dazu II Nettesheim, S. 46: »Freunde des Jupiter sind alle Planeten, außer dem Mars; so hassen auch den Mars alle, außer der Venus...« usw.) Angesichts seiner Belesenheit und der Konstanz des magischen Systems kann Lohenstein seine Exempelreihen auch aus anderen Schriften übernommen haben - etwa aus Giovanni Battista DELLA PORTAS Werk >Magia Naturalis< (1561/1589), das 1680 in einer deutschen Übersetzung Christian Knorr von Rosenroths erschien (vgl. 11.45 Wucherpfennig, S. 120ff.; Borgstedt, S. 102f.) oder aus dem einschlägigen Kompendium von Agrippas Zeitgenossen Antoine MIZAULD (>Memorabilivm aliqvot Natvrae Arcanorvm Sylvula, Rerum variarvm Sympathias, & Antipathias, seu naturales concordias & discordias, libellis duobus complectensanima mundk, und führt diese Erkenntnis auf die Weisheit von Hermes Trismegistos zurück: »Fürnemlich aber hat die Seele der Welt zwischen dem Gestirnten Himmel und der Unterwelt derogleichen Verschwisterung gemacht / daß man nicht weniger in den unterirdischen Grüften an denen Metallen die sieben Irr=Sternen (= Planeten) / als unter denen Gestirnen die Tugenden allerhand Ertztes und die Würckungen kräfftiger Krauter findet. Daher diese von den Weisen nicht unrechter Himmlische Gewächse; als jene Irrdische Gestirne genennet werden. Sintemahl / nach der Lehre des dreymal=großen HERMES, welchen die Vorwelt eine MINERVA der Welt genennet / so wol alle Gestirne des Himmels
c) Hermes als Schlüssel->Blume
Tabula smaragdina Hermetis< verkündet wurde, als deren Verfasser sich Hermes selbst auswies (»Und daher werde ich Hermes Trismegistos genannt, denn ich besitze die drei Teile der Weisheit der ganzen Welt.« Zit. in: III Gebelein, S. 114): »In Wahrheit, gewiß und ohne Zweifel: Das Untere ist gleich dem Oberen und das Obere gleich dem Unteren, zu wirken die Wunder eins Dinges.« (Zit. ebda.; vgl. ebda., S. 109ff. zu Hermes und der hermetischen Überlieferung) »Aus diesem Brunnen«, so Lohenstein im Anschluß an das Zitierte, »haben die scharffsinnigen Erforscher der Natur ihre Wissenschafft gezogen« (R, S. [351]), und die nachfolgenden Beispiele beziehen sich auf astrologische »Venvandtschafften« zwischen den einzelnen Planeten und Tierkreiszeichen sowie zugehörigen Dingen, wobei Lohenstein nacheinander die drei Reiche der Natur (Tiere, Pflanzen, Steine) durchmustert. Insbesondere bekräftigt er die zahlensymbolische Bedeutung, die schon die Ägypter dem Aussehen oder Verhalten mancher Tiere (Wiedehopf und Roß-Käfer) beigelegt haben (ebda., S. [353]f.; die entsprechenden Belege weist Behar bei Mizauld nach; 11.45 1978, S. 593 f.). Ferner dient das Verhalten zahlreicher Blumen als Beleg für die Affinität von Gestirnen und Gewächsen (R., S. [354]f.). Und wenn Lohenstein erklärt: »Endlich müssen auch die Steine beredsame Zeugen dieser Geheimnasse seyn« (ebda., S. [355]), dann impliziert dies natürlich die Annahme eines durchgängig >lebendigen< Universums, in dem es keine tote Materie gibt, wie er dies auch im >Arminius< thematisiert (vgl. 11.45 Wucherpfennig, S. 122ff.; Behar 1978, S. 578ff.). Dies alles ist aber nur argumentative Vorbereitung für ein weiteres entscheidendes Axiom des hermetischen Weltbildes, nämlich die Mikrokosmos-MakrokosmosRelation (in Lehrsatz 9 der >Tabula smaragdina< heißt es: »Also wurde die kleine Welt nach dem Vorbild der großen Welt erschaffen.« Zit. in: III Gebelein, S. 114): »Da nun derogleichen Verwandschafft mit den Sternen in geringen Geschopffen augenscheinlich zu sehen ist / wer wollte zweiffein / daß selbige in dem edelsten geschopffe dem Menschen befindlich sey? Sintemahl ja nach der Lehre des dreimahlgroßen Weltweisen / der Mensch das Alle und etwas gantzes in dem Allen ja die Kleine / oder welches ich für rechter halte / eine große Welt ist.« (R, S. [356])
Lohenstein, der anschließend auf die bekannten und verbreiteten bildlichen Darstellungen (»Land=Taffeln«) und »eine kleine Welt Kugel« verweist, in denen die analogen Proportionen zwischen Mensch und Kosmos in komplizierten Kugel- oder Quadratformen dargestellt wurden (vgl. dazu das Bildkapitel >Human Form Divine< in: III Roob, S. 533ff.), rekurriert hier mit dem »großen Menschen« auf die bekannte Aufwertung des Menschen durch Agrippa von Nettesheim, für den der >gottebenbildliche< Mensch nicht mehr nur gradualistisch in den Stufenkosmos eingeordnet war, sondern zum vollkommenen Zentrum der Schöpfung avancierte (vgl. III Roob, S. 534): »Der Mensch, als das schönste und vollendetste Werk Gottes, als sein Ebenbild und als eine Welt im Kleinen, hat einen vollkommeneren und harmonischeren Körperbau als die übrigen Geschöpfe, und enthält alle Zahlen, Maße, Gewichte, Bewegungen, Elemente,
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7) Weisheit durch die >Blumen< (Lohenstein)
kurz alles, was zu seiner Vollendung gehört, in sich, und alles gelangt in ihm, als dem erhabensten Meisterwerke, zu einer Vollkommenheit, wie die übrigen zusammengesetzten Körper sie nicht besitzen.« (II Nettesheim, S. 269)
Lohenstein führt nun viele Beispiele für die Verwandtschaft des Menschen - aller seiner Sinne und Körperteile - mit Dingen aus der Natur an, indessen »die allergroste Gleichförmigkeit« habe »der Mensch / als ein ewiges Geschopffe mit der Eigenschafft des Himmels« (R, S. [358]). Im folgenden schließt sich Lohenstein mit weiteren Belegen und unter Berufung auf die »scharfsinnigen Egyptier« der Überzeugung der »Sternen=Erfahrnen« von den Konnexionen von Körperteilen, aber auch »der innern Bewegung der Seelen« mit den sieben Planeten an und begründet damit seine »beständige Meinung«, »daß die Tichter durch die mit sieben Seiten bezogene Leyer des Apollo / und durch des Hirten=GOttes siebenfache Schilf=Pfeiffe / nichts als auf dieser Gestirne und der Unterwelt gleiche zusammenstimmung gezielet haben.« (Ebda., S. [359]) Damit integriert er - zugleich auf den >PansPegnitz-Schäfer< anspielend (vgl. Bd. IV/1, Kap. 7 d) - auch noch die »Alchimie der Musik« in sein hermetisches Weltbild (vgl. dazu III Godwin, S. 11 Iff.; zur Harmonie der musikalischen Planetensphären ebda., S. 76ff.; zur Verwandlung der Nymphe Syrinx vor der Verfolgung Pans in die sog. >Pans-Flöte< vgl. II Ovid M, S. 48; zu den hermetischen Spekulationen darüber vgl. auch IV Dohm, S. 47f.; zu Hermes, dem Hirten-Gott, als Erfinder der Leier aus dem Panzer einer Schildkröte vgl. III Gebelein, S. 110). Borgstedts Ansicht, auf Grund der nachfolgenden - casualbedingten - Hinwendung des Textes zur Braut des Bruders, die ihm doch eher durch »Tugend« und »Schönheit« zugeführt worden sei, würden die vorherigen »hermetisch-neuplatonischen Lehren« mittels »scharfsinniger Gegenüberstellung« in ihrem Eigenwert relativiert, ist mir nicht nachvollziehbar (vgl. 11.45 Borgstedt, S. 98). Folgerichtiger ist vielmehr die Deutung, auch diese junge Ehe sei »im Einklang mit den Gestirnen zustandegekommen, gleichsam naturgesetzlich.« (11.45 Wiehert, S. 86) Denn nach dem galanten Lob der Braut, deren Schönheit im einzelnen sogar die stellaren Göttinnen der Mythologie übertrifft, faßt Lohenstein in der >conclusio< »erfreuet« zusammen, »daß euren Heuraths-Vergleich die Sternen selbst haben unterzeichnen helffen« (R, S. [365]). Diese Formulierung (»helffen«) indiziert, daß Lohenstein den individuellen >Casus< zur Erörterung eines weiteren Grund-Problems der erwiesenen >Vereinbarung< zwischen >Gemütern< und >Sternen< nutzt, nämlich des damals viel diskutierten, vom Makrokosmos ausgehenden Determinismus. Der Übergang zum >Frauen-Lob< vollzieht sich nämlich als Erklärung dafür, »daß des Herrn Brüdern freyer Geist (!) allererst von diesen Stricken des Liebreitzes gebunden« (ebda., S. [361]). Die Braut erweist sich als vollkommenes Ebenbild der Venus. Und so wie diese - analog zu Platons und Ficinos >Eros< - durch ihre Schönheit zur Tugend hinziehen möchte (dieses Motiv gestaltet Lohenstein auch im Preisgedicht >VenusBlume
Blumen< an. Zunächst wirkt der Titel wie eine Anspielung auf den voraufgegangenen >BlumenBlumenRosen-Orden< (>Blumen< waren hier fast so beliebt wie die >WälderSchönen Blumenfeld< (1601) des streitbaren AntiJesuiten und Voropitzianers in protestantischen Diensten Theobald HOCK (oder HOCK 1573-1622/24; vgl. I Cysarz 1964a, S. 106ff.; zu ihm 11.35 Kühlmann) bis zu Sammlungen aus der Nach-Kriegs-Zeit wie GREFLINGERS >Poetischen Rosen und Dörnern, Hülsen und Körnern< (1655), den >Singenden Rose^ und dem >Poetischen Rosen-Gepüsche< des Dresdener Hof-Dichters und -Bibliothekars David SCHIRMER (1623-1687; vgl. II SR, PRG), dem >Neu-erbaueten Poetischen Lust- und Blumen-Garten von Hundert Schäffer- Hirten- Liebes- und Tugend-Liedern / Wie auch Zwey Hundert Lieb- Lob- und Ehren-Sonnetten [...] Nebst Vier hundert Denck-Sprüchen< (1660) von Schirmers Freund und Nachahmer Johann Georg SCHOCK (1627-um 1690; vgl. dazu 11.75 Prätorius), oder dem dichterischen Rosen- und Liljen-tahl< (1670) von Philipp von ZESEN (vgl. Kap. 5 e-3). Lohensteins Freund Hans ASSMANN VON ABSCHATZ (1646-1699) betitelte seine Kollektion von Liedesliedern >Anemons und Adonis Blumen< und seine Sammlung geistlicher Gedichte >Himmel-Schlüssel oder Geistliche Gedichte< (II Abschatz, S. 245ff.). Solche Sammlungen bekräftigen den Eindruck, der »Inbegriff der Barock=Natur« sei »der gestutzte Garten mit seinen Hecken und Wasserkünsten, den Lustgebüschen und Liebesgrotten, kurz allem Zubehör des geschmückten Innenraums.« (IV Cysarz 1964b, S. 36f.) Es liegt natürlich auch nahe, Lohenstein zusammen mit Hoffmannswaldau als energischen Vorposten des aus Italien importierten »blümelnden« Stils zu stellen, der - wie schon bei Hoffmannswaldau gesehen (vgl. Kap. 6 e) - das Motiv- und Bildfeld von Pflanzen, Blumen und Garten in reicher Variation als >Spiel-Material< für die galante erotische Poesie benutzte. Doch besteht gerade bei Lohenstein die Gefahr einer Mißdeutung der >blümelnden< Stilphänomene, wenn man sie ohne Kenntnis des magisch-astrologischen Weltbilds und der alchimistischen Symbolik analysiert. Dann ist man schnell mit dem Urteil willkürlicher und kaleidoskopischer Kontaminationen von Bildern und Metaphern bei der Hand, die als Stilintention ausgewiesen werden: »So können kompliziert anmutende Metaphernkonstruktionen entstehen, in denen Bestandteile aus den verschiedensten Herkunftsbereichen miteinander kombiniert werden, ein logischer Zusammenhang im Vordergrund der Bildebene solcher Aussagen jedoch weder vorhanden noch intendiert ist« (IV Schöberl, S. 50; vgl. ebda., S. 81 f.; vgl. dazu auch IV Cysarz 1964b, S. 23) Diese Ansicht, die schon in der Frühaufklärung zum Vorwurf des »Schwulstes« gegenüber Hoffmannswaldau
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7) Weisheit durch die >Blumen< (Lohenstein)
und Lohenstein geführt hat, ist vor allem im Blick auf letzteren nachhaltig zu korrigieren. Schöberl selbst hat immerhin schon den Weg in diese Richtung gewiesen, indem er am Beispiel der >Venus< erkannte: »hier wird ganz bewußt analogisch und nicht logisch argumentiert und geschlossen.« (Ebda., S. 82) In der Tat macht sich Lohenstein die >Analogien< zwischen Mikro- und Makrokosmos zunutze, die ihm das hermetische Weltbild (»so oben wie unten«) und die alchimistische Symbolik offerierten. Und er nutzte, wie sich zeigen wird, dieses auch für Aufbau und Argumentationsverfahren seiner Gedichte, so daß die Korrespondenzen innerhalb dieses Weltbildes für >Eingeweihte< durchaus schlüssig erscheinen. Denn die irdischen Blumen haben ihr Pendant in den »Gestirnten Blumen / welche den Garten des Himmels schöner als ein Apelles mahlen« (R, S. [361]; vgl. dazu auch Gryphius' Anrede >An die Sternem: »Ihr blumen / die ihr schmückt des großen Himmels Auen«; II G, S. 7; vgl. dazu Bd. IV/1, Kap. 6 d-f), für ihre sympathetische Konnexion sorgen die »lichter« mit ihren poetischen >BlumenErden-SterneBlumen< betrieb die Greiffenberg, wie vor allem Burkhard Dohm in seiner ungernein materialreichen und detailgenauen Studie zur >Poetischen Alchimie< gezeigt hat (IV Dohm, S. 19-130), ein zugleich alchimistisches Werk. So führte sie in einem von ihm einläßlich analysierten Gedicht »möglicherweise in einem sehr viel konkreteren, auch physiologisch zu verstehenden Sinn die Verwandlung und Neuformierung ihres Leibes in eine vom Lob Gottes erklingende Blume vor.« (Ebda., S. 55) In die >blaue Blume< der Romantik wird sich bekanntlich auch noch Mathilde, die Geliebte >Heinrichs von Ofterdingenroten< und einer weißen BlumeThe Rose< (vgl. III Gebelein, S. 238). In Lohensteins >Venus< werden sowohl die Rose als auch die Lilie, die dort auch als weiße Blume erscheint (»mit frischem rosen=schnee / und weißen liljen«; V, S. 291) als Blumen der LiebesGöttin Venus gefeiert (V, S. 341 ff.; vgl. Kap. 7 g-2). Hier konnte Lohenstein aber ebenfalls an eine lyrische Tradition anknüpfen: Philipp von Zesen etwa gab einer repräsentativen Auswahl seiner Gedichte den Titel >Dichterisches Rosen- und Liljentahl< (1670; vgl. Kap. 5 e-3). Denn >Blumen< »bedeuten normalerweise die Farben des Großen Werkes« (III Gebelein, S. 28) bzw. sind als »Flores chymici« nach einer Definition in Zedlers
c) Hermes als Schlüssel->Blume
Blumen< insbesondere auf den zugrunde liegenden Glauben an ein »Leben der Elemente«, also auf die animistische Grundlage des alchimistisch-magischen Weltbildes, das auch anorganischen Stoffen ein organisches Wachstum unterstellte (vgl. III Biedermann, S. 91; IV Dohm, S. 55f.). Die Blumen und Gewächse standen ja auch im Zentrum der paracelsisch-hermetischen Medizin, denn Gott hatte, so lehrte Paracelsus, »seine Macht den Krautern gegeben, in die Steine gelegt, in die Samen verborgen, dort sollen wir sie nehmen und suchen.« (II Paracelsus SW IV, S. 377). Agrippa von Nettesheim und Lohenstein beschrieben die durch Einstrahlungen der Planeten erfolgenden makrokosmischen Influenzien auf verschiedene Blumen (vgl. II Nettesheim, S. 62ff.; B, S. [354]f.), und insofern sind Lohensteins lyrische Erzeugnisse durchaus in diesem Bedeutungszusammenhang anzusiedeln. Allerdings sind sie das humanistische - und damit von der Sehnsucht nach Selbstvergottung im Medium der Poesie freie - Pendant zu den poetischen >Blumen< der Barock-Mystikerin Greiffenberg. >Blumen< hatten auch eine spezifisch christliche Deutungstradition und eigneten sich von daher auch als Titel- und Bildspender im Bereich der geistlichen Gattungen. Der >Pegnesische Blumenorden< benannte sich unter dem späteren Vorsitzenden Birken nach der »Passions-Blume« als »stummer Predigerin des Leidens JEsu« (I PS, S. 11 f.). Als dem Makrokosmos entsprechend konnte aber auch der Mensch selbst allegorisch und emblematisch als >Blume< verstanden und - auch im protestantischen Erbauungsschrifttum von Johann Gerhard bis Christian Scriver - als »wohlriechende Blume« gedeutet werden, die ihrer Zentral-Blume Christus (nach Hl. 2, 1: »Ich bin eine Blume zu Saron und eine Rose im Tal.« Vgl. dazu IV Dohm, S. 54f.) zu entsprechen bzw. zu folgen hatte. Im Sinne magischer Liebes-Attraktion haben Gedichte als >Blumen< aber ebenfalls (vor allem mit Bezug auf das Hohelied) auch über das 17. Jahrhundert hinaus eine geistliche Tradition. Vor allem Gerhard Tersteegen hat mit dem Titel seiner Sammlung >Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen< (1729ff.) darauf und im Titelkupfer seiner Sammlung auf Hl. 2,3 als Ausgangspunkt dieser metaphorischen Tradition verwiesen: »Er erquicket mich mit Blumen [...], denn ich bin krank vor Liebe.« Und die Braut wird zugleich als »verschlossener Garten« gepriesen (Hl. 4, 12ff.; vgl. dazu Bd. VI/1, S. 58ff.). Tersteegens poetische >Blumlein< verstehen sich als »einfältige< >Seufzer< der liebeskranken >sponsaBräutigams< und »Christus medicusBlumen< spielen zwar auch mit dieser >einfältigen< geistlichen Tradition, aber die spezifisch christlichen Deutungstopoi, die sich mit den von ihm gewählten Blumen-Namen verbinden (also Himmelsschlüssel oder Schlüsselblume und die Rose als Christus- bzw. Maien-Blumen im >Paradiesgärtlein< bzw. >Rosenhaag< oder die Rose als Symbol des christlichen Martyriums), treten bei ihm (mit Ausnahme der >ThränenHyacinthen< als Titel seiner Grab-Gedichte wählt er eine Blume der griechischen Mythologie, die keine christliche >AuferstehungTranssubstantiation< oder >Transmutation< symbolisiert: Apollo konnte seinen Liebling Hyacinthos nicht
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7) Weisheit durch die >Blumen< (Lohenstein)
mehr zum Leben erwecken und verwandelte ihn in eine Blume, deren Blättern er die Klagelaute »ai, ai« eingeprägt haben soll (vgl. I Hederich, Sp. 1296). Deshalb verbinden sich bei Lohenstein die >Hyacinthen< auch mit dem Motiv des »thränen=saltzes« (vgl. V, S. 291: »Hier schmeltzt das thränen=saltz vom rauchen hyacinth«), wobei den Tränen aber zugleich auch wieder >mercurialische< Eigenschaften zugesprochen werden (vgl. Kap. 7 d-4). Mit den drei Blumen-Namen seiner Sammlung hat Lohenstein - vordergründig die traditionelle Namenssymbolik nutzend - die Sachbereiche der geistlichen und weltlichen (Liebes-)Dichtung sowie die Grabgedichte klassifiziert, überdies aber darunter die Darstellung dreier entscheidender Phasen und Phänomene des hermetischen Weltbildes verborgen. In den Hauptgedichten der >Himmel=Schlussel< geht es um Entstehung und Zusammenhang von Makrokosmos und Mikrokosmos, um die »conjunctio« des Göttlichen und Menschlichen, für deren Erörterung er das zentrale christliche Dogma von der Menschwerdung Gottes wählt, in den >Rosen< um die Weiler-Wirkung der - mitunter auch >dornigen< - Liebe als der zentralen sympathetischen Kraft in der großen wie kleinen Welt, in den >Hyacinthen< um den >TodWiedergeburt< im Sinne einer möglichen, im Horizont der Alchimie denkbaren Rückkehr in das Göttliche. Die >Blumen< durchmessen also pan-sophisch und >triadisch< den gesamten Zeit-Raum von der innertrinitarischen Gottes-Zeugung und Kosmogonie über das gegenwärtige Leben bis zum Übergang in eine paradiesische ewige Existenz, für welche das >Sterben< (zunächst des Gottessohnes, dann auch des Einzelnen) die Voraussetzung ist. - Dabei bemüht sich Lohenstein im Sinne des zeitgenössischen humanistischen Synkretismus um eine »christliche Hermetik«, doch gelingt dies, wie sich nun zeigen soll und wie Lohenstein selbst verdeutlicht, nur partiell, vordergründig und in entscheidenden Aspekten auf Kosten nicht nur orthodoxer Dogmatik, sondern auch zentralen allgemein-christlichen Glaubensgutes.
d)
Die »Vermischung« von Gott und Mensch als >Himmel-Schlüssel< - Zur geistlichen Dichtung
1) Hermetische Christologie: Das große Eröffnungsgedicht >Wunder=Geburth Unsers Erl6sers< (in 646 paargereimten Alexandrinerversen; HS, S. [27]-[54]) besteht aus sechs Themenbereichen: den Bekehrungsversuchen zunächst der Heiden, dann der Juden zum Wunder der Gottesgeburt, dann der dogmatischen Darstellung der Christologie, der anschließenden Doxologie und schließlich dem Lobpreis Marias, dem sich eine für ein geistliches Gedicht merkwürdig profane Schelte aller Huren als Gegenbilder Marias anschließt. Die Darstellung nimmt die Perspektive des »einfältigen« Glaubens ein (»Hier führt die Einfalt euch in zwölften Himmel ein // Die vormals kaum durch Witz in Vorhof kommen seyn.« HS, S. [34]) und versucht zunächst alle anfangs aufgezählten biblisch-christlichen Wunder - von der Erschaffung der Welt aus dem >NichtsVernunft< als glaubwürdig zu verteidigen: »...Dis aber fibertrift Die Enderungen all' und Wunder in der Schrift / Verwirrt der Juden Witz / der weysen Heyden Kopfe / Daß heute Gott ein Mensch / der Schöpfer ein Geschöpfe / Die Jungfrau Mutter wird. Die Schule zu Athen Und zu Jerusalem kann nichts hiervon verstehn.« (Ebda., S. [29])
Es ist der Ehrgeiz der frommen Sprechinstanz, zunächst die Heiden und anschließend die Juden (ebda., S. [36]ff.) zu diesen Glaubenswundern des Christentums zu bekehren. Das geht nun allerdings ohne vernünftige Argumentation nicht ab, obwohl »Andacht und Vernunft meist Stiefgeschwiester sind« (ebda., S. [36]). Die eigentliche Botschaft scheint indes - wie sich nun zeigen soll - die Plausibilisierung des hermetischen Weltbildes durch die Geburt des Gottessohns zu sein. Von Anfang an unterlegt der Sprecher dem christlichen Weltbild das hermetische, indem er die Schöpfung in der Korrelation von Makrokosmos und Mikrokosmos als mit dem christlichen Schöpfungswunder vereinbar darstellt: »...Auch weicht dem Wunder nicht Dis: daß der große Gott Lufft / Erde / Wasser / Flammen / Gestirne / ja den Kreiß der großen Welt zusammen In eine kleine schloos / indem des Höchsten Hand Den ersten Menschen schuff aus einer Handvoll Sand.« (Ebda., S. [27])
Der Sprecher verspottet die Anthropologisierung der griechischen Götterwelt, fordert im gleichen Zusammenhang aber zum Glauben an die Menschwerdung Gottes auf. Das liest sich fast wie die ironische Konstruktion eines »impliziten Autors« (zum Begriff vgl. Bd. VI/3, S. 103f., 107ff.), der hinter dem Rücken des Sprechers all jene Aspekte des christlichen Glaubens häuft, die kurz darauf in der Epoche der Aufklärung von den Deisten und Neologen der Vernunft zugunsten einer matürlichen Religiom zum Opfer gebracht wurden (vgl. ebda., S. [39]; vgl. dazu Bd. V/2, S. 47ff.; Bd. V/l, S. 151 ff.). Als besonderen Beleg für die Glaubwürdigkeit der Menschwerdung Gottes führt der Sprecher mit Blick auf die Heiden ebenso nachhaltig wie Gryphius (vgl. Bd. IV/1, Kap. 6 d-8) das Verhalten der »Chaldeer Schaar«, also der Magier aus dem Morgenlande, an, die sich von einem Stern zur Krippe führen ließen, und ergreift dabei beherzt die Gelegenheit, die Lektüre des Buchs der Natur und den astrologischen Sternen-Glauben zu plausibilisieren (später - beim Versuch der Judenbekehrung - unterläßt er es nicht, im Zusammenhang mit der Geschichte vom goldenen Kalb anzumerken, die Weisen schlössen - wenn auch nicht unwidersprochen - daraus, »daß Moses ein guter Alchymist gewesen sey«; HS, S. [40]): »... Die weisen Fersen haben Den Stern vernunftiger gedeutet auf den Knaben / Der selbst ein Stern im Stall' und Sonn' ist auf der Welt / Und andre Sternen ihm nur zu Trabanten hält.
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7) Weisheit durch die >Blumen< (Lohenstein) Dis ist das kluge Volck / die ihre Kunst der Sternen Im Buche der Natur nicht vom Papiere lernen/ Die durch Scharffsinnigkeit auf Grund und Warheit gehen / Des Himmels Ziffern nicht nach Aberwitz verstehn. [...] Der kann nicht irre ziehn / der nach den Sternen reiset / Den Himmel / GOtt und Licht / selbst leiten mit der Hand.« (HS, S. [32]f.)
Das ist eine nachdrückliche Bestätigung der - in der lutherischen Orthodoxie umstrittenen - Lehre vom Heilsweg über das >Buch der NaturWahren Christentums< offerierte und Gryphius im >Sternenverzichtet< habe, wie die Gießener Fakultät mit der Mehrheit der Lutheraner lehrte (>KenosisKrypsisseiner< Tübinger Hochschule Stellung (vgl. dazu Bd. III, S. 256) und verstößt damit zugleich auch noch gegen die von allen Konfessionen übernommene christologische Formel des Konzils von Chalcedon (451 n. Chr.), wonach die beiden Naturen Christi »unvermischt, unverwandelt, ungetrennt und ungesondert« sind (I Neuner/Roos, S. 130; vgl. den Anhang in Bd. IV/1). Bei Lohenstein sind sie vermischt, und die göttliche ist nach wie vor in der menschlichen wirksam und nur »verhüllt«: »Die Menschheit ist vermischt mit seiner Gottheit Glantze. Er ist ein gantzer GOtt / ein gantzer Mensch / das Gantze Des Heilands aber ist nicht Gott und Mensch allein; Er hüllt als Mensch die Gott- als Gott die Menschheit ein.« (HS, S. [43])
d) Zur geistlichen Dichtung
245
Auch wenn der Sprecher später ausdrücklich sowohl den Monophysitismus des Nestorianismus (die Verabsolutierung der menschlichen Natur) als auch des Marcionismus (Verabsolutierung der göttlichen Natur Christi) verurteilt (ebda., S. [48]f.), so entgeht er selbst doch nicht - wie andere Mystiker von Schwenckfeld bis zur Greiffenberg (vgl. Bd. III, S. 58f., 256ff.) dem Doketismus; denn wenn die Naturen vermischt sind und Jesus Gott bleibt, kann er eigentlich nicht wirklich am Kreuz sterben! In dem Punkt wahrt Lohenstein an dieser Stelle beredtes Schweigen. Sein bevorzugtes Thema ist zunächst Weihnachten, und dies deshalb, weil er an der Möglichkeit der Inkarnation des Göttlichen ins Menschliche interessiert ist (über das leibliche Sterben des Erlösers als alchimistische »Feulung« vgl. Abschnitt 4). Gott wird wie bei Angelus Silesius (vgl. Bd. III, S. 219) - in Christus gleichsam exemplarisch Mensch, damit der Mensch auch wieder göttlich werden kann: »Dis ist der helle Tag / der nie sein Licht verlieret / Der keinen Abend hat / der alle neu gebieret / Mit dem die Zeit sich schleußt / die Ewigkeit fängt an / Da / daß der Mensch aus GOtt gebohren werden kann / GOtt wird ein Mensch gebohrn. Wie groß war GOttes Milde: Daß GOtt den Menschen schuf zu seinem Ebenbilde; Noch größer ist die Hold: daß GOtt des Menschen Stand Und Ebenbild nimmt an.« (HS, S. [45])
Wegen dieses eigentlichen - weniger soteriologischen denn anthropologischen - Interesses an der durch Christus ermöglichten Wiedergewinnung der Gottebenbildlichkeit (vgl. dazu auch 11.45 Eybl, S. 258f.) erinnert der keineswegs >einfältige< Sprecher auch bei dem Bekehrungsversuch der Juden an jene alttestamentlichen Geschichten, welche auf die >Kette der Wesem und auf die >Stufenleiter< vom Himmlischen zum Irdischen und umgekehrt verweisen: ».. .O Tag! den Isaac schon Sah / als er nichts mehr sah / auch selbst nicht seinen Sohn; An dem die Leiter wird / die von der Erde traget Bis in des Höchsten Schoos / an Himmel angeleget / Die Jacob schon im Traum und Schatten hat erblickt; Da uns GOtt auf die Welt den Feuer=Wagen schickt / Auf dem Elias ist ins Paradis gefahren; Da Trepf und Weg zu Gott / die vor unwegbar waren / Uns Menschen wird gebahnt / ja Mensch und Fleisch erhöht / Nun Sonn' und Gott mit uns in einem Zirckel geht.« (Ebda., S. [46])
Damit zeigt sich das hermetische Interesse dieser Christologie: Die »Menschwerdung« des Pantokrators, der auch als Mensch noch allem Lebendigen seinen Geist eingibt, ist die Bestätigung für die Rückkehr auch des kreatürlichen Menschen ins Göttliche, wie er dem magischen Glauben und auch dem alchimistischen Streben nach der Sublimierung, >Vergoldung< und Vergeistigung zugrundelag. Der zuletzt zitierte Vers verweist zugleich auf ein Grundaxiom der hermetischen Kosmologie, wonach Gott als »circulus spiritualis« der »unbegreifflich Kreiss« ist, »dessen Mit-
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7) Weisheit durch die >Blumen< (Lohenstein)
telpunct allenthalben / dessen Umschrenkung nirgend ist / welcher in allen Dingen ist / ohne daß er darinnen beschlossen sey / und auser aller Dinge / ohne ausgeschlossen zu seyn« (vgl. II A I, S. 661b; vgl. dazu mit Verweisen auf Marsilio Ficino und Athanasius Kircher 11.45 Behar 1978, S. 570f.). Der Mensch kann durch den Wiedergewinn seiner Gottebenbildlichkeit auch wieder zum Spiegel dieses Göttlichen werden, das sich zugleich in abgestuften Graden in der Natur spiegelt. Im >Arminius< wird diese Auffassung als »der älteste und deßhalben auch wahrhafftigste Glaube der ersten Welt« gepriesen: »es hätte Pythagoras ... / Parmenides ... / Zoroaster ... Antistenes ... diß gelehret / daß wie die Natur und alles Geschöpffe nicht so wol ein Fürhang / der das göttliche Wesen verstecke / als ein heller Spiegel wäre / in dem die sonst blinde Welt schauen könnte / es sey wahrhafftig ein GOtt / es sey iedwedes Geschöpffe ein Zeugnüß von GOtt / wie der Schatten ein Merckmahl eines vorhandenen Leibes...« (II A I, S. 344a-b; zit. in: 11.45 Behar 1978, S. 567). Der Lobpreis der Jungfrau Maria (HS, S. [51]f.) geht plötzlich in eine lange und ganz un-verblümte Strafpredigt an die Adresse irdischer Freuden-Mädchen über (»Weicht demnach weg von hier ihr unverschämten Weiber! / Ihr geilen Delilen! Die ihr die schnöden Leiber / Die Gott gewiedmet sind / durch böse Brunst entweiht« usw.; ebda., S. [52]). Der Sprecher scheut sogar vor dem Vorwurf imaginativer Selbstbefriedigung nicht zurück (»Die ihr / wenn ihr den Leib gleich fleischlich nicht beflecket / Euch in Gedancken selbst die Jungfrauschaft abmeih't / Im Hertzen auf einmal so Hur' als Hurer seyd / Durch innerliche Brunst;...« Ebda., S. [53]). Diese wenig zum vorhergehenden Thema und Charakter des Gedichts passende Passage verdeutlicht, daß Lohenstein sein erstes Gedicht zugleich auch als Programmgedicht für den ganzen Band verstand und deshalb auch das Thema weltliche Liebe< (als Vorausverweis auf die Teilsammlung >RosenLeitung der Vernunfft Zu der ewigen Zeugung und Menschwerdung des Sohns GOttes< (HS, S. [55]-[65]) verfolgt seine hermetischen Interessen nicht weniger nachdrücklich, wenn auch >verblümtZeugungspiegeltZeugung< im Sinne der Emanation zu begreifen. ».. .so muß aus Gott dem Zeugenden / und aus Gott dem gezeugten / etwas drittes gezeugt werden / nemlich die Liebe«, heißt es auch im >Arminius< (zit. in 11.45 Behar 1978, S. 595). Nur von daher macht es auch Sinn, das heikle Thema der >creatio ex nihilo< wieder aufzugreifen, was bei dem innertrinitarischen Gottesbegriff ja noch gar keine Rolle spielt. Daß aber das >Entstehen< der Trinität als Zeugungsvorgang beschrieben wird, verweist auf Jacob Böhmes Theogonie (vgl. dazu Bd. III, S. 138ff.), ohne daß dessen eigenwillige Terminologie aber - von der >Zeugung< abgesehen - verwendet würde.
d) Zur geistlichen Dichtung
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Das Gedicht ist damit wie auch die poetische Mystik der Epoche ein >beredtes< Beispiel dafür, wie sich im Medium der vieldeutigen Dichtkunst und damit durch die >Blume< Häresien konnotativ andeuten lassen, die dem Wort-Sinn nach besser ungesagt blieben. Dennoch ist das Gedicht auch in seinem Litteral-Sinn noch bemerkenswert kühn. Der Titel ist nur zu Beginn als Genetivus objectivus zu verstehen, wo die »Einfalt« erneut der Vernunft als »blinder Magd« das »Glaubens-Licht« aufstecken möchte. Doch alsbald dreht sich die Versuchsanordnung zum Genetivus subjectivus um; wenn der Verstand des »irrdischen Gottes« über den Glauben nachdenken will, »so raffe die Vernunft vernünftiger zusammen / So wird sie dennoch dir ein Licht zum Glauben seyn« (ebda., S. [55]). Und schon entwickelt die Vernunft nach der Devise: »Was aber die Vernunft nur edles kann erreichen / Das muß sie GOtt traun zu: daß er es kann gewehrn« (ebda., S. [56]), ein Welt-Bild, das aufklärerische Kern-Ideen vorwegnimmt. Das Hauptinteresse geht zunächst dahin, das für alle christlichen Konfessionen mit der >creatio ex nihilo< (vgl. auch 2. Makk. 7, 28) untermauerte Dogma von der prinzipiellen ontologischen Unterscheidung zwischen Schöpfer (als reinem Geist) und seiner Schöpfung (als Materie) aufzuheben. Von Gott das Höchste zu denken, bedeute, ihm nicht zu unterstellen, er >fabriziere< die Welt wie ein Handwerksmann einen Gegenstand: »Solt' er nicht was aus sich zu zeugen haben Macht? [...] Zwar baun / nicht zeugen können? [...] Auch ists ein edler Werck aus sich und seines Gleichen / Als was geringeres aus schlechtem Nichts gebehrn« (ebda.). Das Gedicht bezieht dies zunächst, wie erwähnt, auf das göttliche »Zeugen« des »Sohns« und des »Heiligen Geistes«, die völlig göttlich und deren Ziel auch die »Ewigkeiten« sind. »Gott kann was kleineres nicht / wie sich selber / lieben; [...] Gott wird auch von sich selbst zum Geben stets getrieben; [...] Ja allem / dem er giebt / giebt er auch Kraft zu geben« (ebda., S. [57]), und dies erläutert der Sprecher mit Beispielen aus der Schöpfung (»Die Pflantzen bringen Frucht / die Sterne geben Licht«; ebda.). Von Gedankengang und Motivik her wird deutlich, daß sich Gottes »Zeugen« nicht nur auf die Trinität, sondern auch auf die Schöpfung bezieht, die Gott ebenfalls aus Liebe hervorgebracht hat, auch wenn das Gedicht diesen häretischen Gedanken nicht ausspricht, sondern nur umschreibt. Und zugleich damit deutet es den Gedanken einer emanativen Rückkehr ins Göttliche an und verweist dazu auf den großen Kreislauf der Natur, wie ihn auch Goethe in >Mahomets Gesang< darstellt (vgl. Bd. VI/2, S. 369ff.): »Kanstu's begreiffen nicht / Vernunft? So schwing' die Flügel Zur Sonne / die ihm (= sich) Gott zum Schatten hat erkiest. Sie zeugt das Licht in sich / und wird ihr eigen Spiegel; Nun lerne: daß auch GOtt ein Licht und fruchtbar ist. Vernunft geh' in dich selbst; du zeugest (!) die Gedancken / Und der Gedancke bleibt doch inner' der Vernunft. So darf Gott auser Gott kein Wesen / keine Schrancken / Die Gottheits=Zeugung (!) ist der Gottheit Wiederkunft. Vernunft / verblinde nicht vor diesem neuen Schimmer. Du weist ja: daß der Brunn den Fluß zeugt (!) / der das Meer; Doch fehlt den Brunnen es an keinem Wasser nimmer / Denn aus dem Meere rührt die Flutt der Brunnen her.
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7) Weisheit durch die >Blumen< (Lohenstein) Dergleichen Zirckel hegt Flutt / Dünste / Wolck' und Regen / Wie sollte der / den Gott gezeugt (!) nicht rege seyn? Ist er dem Zeuger (!) gleich / muß Fruchtbarkeit und Segen Ihm folgen / und er auch dem Zeuger (!) was verleihn.« (HS, S. [58])
Nach dem hermetischen Grundsatz »wie oben, so unten« werden also innergöttliche Vorgänge nach Analogie sublunarischer Prozesse plausibilisiert. Und dabei hält sich das »Zeugen« als Metapher für Emanation und zugleich für die Grundkraft der kosmischen Liebe durch die Bildfelder durch. Damit suggeriert das Gedicht faktisch einen Zusammenhang zwischen der inner- und außertrinitarischen göttlichen Zeugung. Die Bildlichkeit entspringt weniger manieristischer Freude an wuchernder Metaphorik als vielmehr genau kalkulierter >Fort-Zeugung< eines häretischen Gedankens, und die Christus-Vorstellung entspricht genau dem >mercurialischen< Verständnis des Gottessohns in Flemings geistlicher Hermetik (vgl. Kap. 4 a-3). Dem Gedicht geht es zugleich erneut um die anthropologische Möglichkeit der Vergöttlichung des Menschen. Die Voraussetzung dafür besteht darin, daß Gott »sein Ebenbild den Seelen eingepregt // Und dis theilt er zugleich der Menschen Leibern mitte // Wenn er die edle Seel' in ihren Kercker legt.« (Ebda., S. [60]). Die Formulierung erinnert an das platonische Seelenverständnis, das bekanntlich keine Erbsünde kennt. Und dieser göttliche Ursprung verhindert, daß die menschliche Seele »der Erde sich vermählt«. Unter dieser Voraussetzung wären eigentlich Leiden und Sterben Christi überflüssig (vgl. dazu auch 11.45 Harris, S. 272f.). Die enge Verwandtschaft zwischen Gott und der Seele ermöglicht sogar die mystisch-magische »unio mystica« (vgl. dazu Bd. III, S. 4, 7ff.): »Was hindert / daß nicht GOtt zur Braut die Seel' erwehlt? Daß sein geschaffen Bild zum ungeschaffnen steige? Daß GOttes Bild und Sohn den Menschen GOttes Bild Vereinbare mit sich und sich zur Erden neige? Weil beydes Gottes Macht und Können eines gilt.« (Ebda., S. [60])
Immerhin reicht das Gedicht aber doch eine Begründung für die Notwendigkeit der Menschwerdung Gottes nach: Die durch das hohe Gut des freien Willens dem Menschen gewährte Möglichkeit, sich der Sünde zuzuwenden, hat die Notwendigkeit der liebenden Zuwendung Gottes durch seinen Sohn erforderlich gemacht. Denn mit der Abkehr und Selbstliebe des Menschen waren auch die übrigen Dinge der Schöpfung, die auf ihn hin zentriert waren, gleichsam funktionslos geworden (ebda., S. [62]): So mußte Gott in seinem Sohn also gleichsam sich selbst in die Menschennatur einzeugen, um die sympathetische Öffnung zum Göttlichen wieder herzustellen. Und da auch bei dieser Konnexion von Göttlichem und Menschlichem gilt: »Was Mensch und Gott nun zeugt / muß Mensch und Gott ja seyn.« (ebda., S. [64]), darf die Vernunft davon überzeugt sein, daß ihr der Weg ins Göttliche wieder offen steht: »Er / als das Licht wird dich schon selbst in Himmel leiten« (ebda., S. [65]). Schließlich seien bei Gott Wille und Verstand eines. Und deshalb wolle er nur das, was vernünftig ist: »so will auch Gott gar nichts / Was wieder die Vernunft« (ebda.). Das liest sich - am Schluß des Gedichts - schon wie die Maxime der frühaufklärerischen Leibniz-AVolffsehen Schulphilosophie. Nur dient die Vernunft bei Lohen-
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stein einer zunehmend rationalen Hermetik, die versucht, zentrale christliche Dogmen mit der Weisheit der Alten im Sinne der Kontinuität einer >theologia prisca< oder >philosophia perennis« zu vereinbaren. Die Forschung hat diesen Zusammenhang bislang kaum gesehen. Spellerberg versucht, die besondere Christlichkeit und »Andacht« als »Grundhaltung« der geistlichen Gedichte Lohensteins herauszustellen, »jene Andacht und Demut in der Einfalt des Herzens, wie sie sich im >Weynacht=Lied< ausgesprochen findet.« (11.45 Spellerberg 1992, S. 37*; vgl. dazu dessen Interpretation durch 11.45 Herzog). Doch auch dieses geistliche Lied, das die Sammlung der >Himmel=Schlüssel< abschließt, greift vielfältig auf die Motive der vorherigen geistlichen Lehrgedichte zurück, wahrt den Doketismus ihrer Christologie und wünscht sich die rechte Aufklärung über Christi Sendung im Lichte der persischen Magier: »Laß um dich recht zuverstehen / Mir der Weisen Stern aufgehen.« (HS, S. [70]) 3) Virtuose Bibel-Dichtung'. Das mit insgesamt 2241 Versen umfangreichste Gedicht Lohensteins sind die den >Himmel:=Schlösseln< der Sache nach zuzurechnenden, aber von ihnen in der Ausgabe von 1680 doch deutlich durch eigenes Titelblatt und eigene Paginierung (aber ohne Vorrede und Widmung) abgesetzten >Geistlichen Gedancken über Das LIII. Capitel des Propheten Esaias< (L, S. [73]-[196]), vielleicht eine Gelegenheits- oder Auftragsarbeit. Darauf könnten gewisse eindeutige lutherische Signale deuten. So die mehrfachen ausführlichen Leidens- und Sterbensdarstellungen des Erlösers (GG, S. [88]ff., [112]f., [132]ff., [142]f., [155]ff.) und vor allem die Überzeugung, daß Christus mit seinem Tod am Kreuz unser »fleckigtes Gewissen« »von todten Wercken« »rein« mache (ebda., S. [88]ff.) und daß Heils- und Gnadengewißheit nur durch den Glauben zu gewinnen seien (ebda., S. [192]ff.). - Das Gedicht gehört zur Gattung der Bibel-Dichtung; denn es handelt sich der Form nach um eine poetische Interlinearversion von Jesaia 52, 13 bis Jes. 53, 12, also um das berühmte >GottesknechtsliedJesus stirbtBlumen< (Lohenstein) »(u) Er hält den Rucken willig dar (w) Die ihn mit Peitsch und Geißeln pflügen. (x) Er recket sein zerrauftes Haar Den Schergen / die ihm Spott zufügen / (y) Ja er heilt Malchus Ohr der um ihn Stricke flicht / (z) Verbirgt sein Antlitz auch für Schmach und Speichel nicht, (aa) Der / welcher Lahme wandeln lehrt / (bb) Last Fuß' und Adern ihm (= sich) durchbohren, (cc) Durch dessen Kraft manch Tauber hört / Dem kommt nur Hohn und Schimpf zu Ohren, (dd) Der hundert Blinde sehen heist / (ee) Hat von Bluttstropfen finstre Augen, (ff) Der durch ein Brodt wohl tausend speist / (gg) Dem müssen Gall und Eßig taugen, (hh) Der Lebens Wasser gibt / dem wird Isop gebracht / (ii) Ja der stirbt mit Geduld / der todte lebend macht.
(u) Esaiae 50, 7. (w) Psalm 139,3. (x) Esaiae 50, 6. (y) Luc. 12, 51. (z) Esaiae 50,5. (aa) Esaiae 35, 6. (bb) Psalm 21, V. 17. (cc) Esaiae 35,5. (dd) Esaiae 35, 5. (ee) Psalm 38, 11. (ff) Joh. 6, 37. (gg) Psal. 69, 23. Joh. 19, 29. (hh) Joh. 4, 14. (ii) Joh. 11, 15. Luc. 7, V. 14. 15.« (GGPE, S. [149]f.)
Gewiß wiederholen sich manche Belege; dafür werden andere Verse mit mehrfachen Bibelstellen bedacht. Häufig sind Bibelstellen, die thematisch eng auf Jesaia und auf das prophetisch verkündigte Leiden Jesu bezogen sind. Daneben gibt es erkennbare Vorlieben für alttestamentliche Bücher (die beiden ersten Bücher Mose, die Psalmen und das Hohelied; vgl. IV Gerling, S. 140f.). Bei den Zitaten geht es insbesondere um Amplifikation und zugleich um »Konkretisierung und Exemplifizierung« (ebda., S. 130). Lohenstein benutzt die Bibelstellen in der Tat »als Sammlung handlicher, verfügbarer >lociKrypsisLeitung der Vernunfft< anheischig macht, die zentralen Offenbarungswahrheiten des Christentums zu durchdringen. Diese Wahrheiten werden geschickt bei passender Gelegenheit erörtert oder auch zusammenhängend vom Paradies und Sündenfall bis zur Wiederkehr Christi im Jüngsten Gericht thematisiert (vgl. GG, S. [190]ff.). Dabei wird jede göttliche Handlung in genauem Bezug zum Menschen gesehen (11.45 Harris, S. 276). Gegen das calvinistische Dogma von der Prädestination wird die absolute Sicherheit der göttlichen Liebe zu den Menschen, die diese
d) Zur geistlichen Dichtung
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Liebe in Freiheit annehmen, betont (ebda., S. 278f.). Gott wird damit in gewisser Weise berechenbar - als Diener seines eigenen ontologisch vernünftigen Erlösungshandelns, und dies erweist die Vernunft ausgerechnet an einem Text, dessen Offenbarungscharakter sie jedesmal neu als Überschrift zitiert und als intellektuelle Herausforderung begreift. So beteiligt sich die Vernunft oder >Seele< am Erlösungswerk und ist selbst - in der Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit - zentrales Objekt heilsgeschichtlichen Handelns: »Rational behavior becomes the guarantee of salvation; conversely, irrational behavior assures damnation. From this position it is a short step to the Rationalist view of the absoluteness of human reason« und damit zur »mancentered cosmology of the Enlightenment« (ebda., S. 281). In diesem Prozeß rationaler Selbstermächtigung muß die Vernunft insbesondere zwei Probleme lösen, die ihr die traditionelle Theologie in den Weg legt: den Sündenfall, der ihr die ursprüngliche Gottebenbildlichkeit weitgehend abspricht, sowie Kreuz und Tod des Erlösers. Beide Probleme behandelt das sechste Gedicht, das für Harris deshalb auch das Zentrum des Groß-Poems ausmacht. Als Überschrift dient Jes. 52, 14 (»Weil seine Gestalt heßlicher ist / denn andere Leute / und sein Ansehen / denn der Menschen Kinder.«). Das auch in diesem Fall mit Exklamationen und imaginativen Vergegenwärtigungstechniken Formen ignatianischer Meditationstechnik nutzende Gedicht (vgl. dazu Bd. II, S. 176ff.; 11.45. Harris, S. 264ff.) nimmt vom Titel her zunächst Bezug auf die Häßlichkeit der eigenen, durch den Sündenfall befleckten Seele (»Auf Seele! Die du dich so häßlich hast beflecket // Die du das Ebenbild des Höchsten hast entweyht«; GG, S. [88]), doch bezeichnenderweise wird dies Eingeständnis des Verlustes der »imago dei« buchstäblich als Relativsatz relativiert, und der Hauptsatz enthält die Aufforderung zur problemlos möglichen Befreiung aus dem »Sündenschlam«: »Wirf einmal von dir weg die sündigen Gedankken«, »Geh aus der Eitelkeit«, »Schreit aus der Spötter Sitz«, »Schwing deinen regen Geist mit Andacht auf zu GOtt«, und in diesem wohlkalkulierten Aufschwung der Seele zu Gott zeigt sich wieder das latente platonisch-neuplatonische Verständnis einer im Kern ihrer Göttlichkeit gewissen Seele. Und dieses platonische SeelenVerständnis bedroht ja die Sinnhaftigkeit des Kreuzestodes Christi und seines Erlösungs-Charakters (vgl. dazu 11.45 Harris, S. 272f.). Zu dieser tendenziellen Relativierung der >Schwere< des Erlösungsgeschehens paßt die unmittelbar folgende ausführliche Beschreibung des Leidens Christi am Kreuz. Auch hier wieder wird die Schrecklichkeit des dargestellten Leidens relatviert durch die Beschreibung der gleichzeitigen Göttlichkeit auch des leidenden Erlösers (»Sein Haupt von feinstem Gold' ist eytricht und voll Beulen« usw.; vgl. dazu die genaue Analyse von 11.45 Harris, S. 273ff.), so daß die Beschreibung drei Seiten später mit der >scharfsinnigen< und theologisch korrekten Sentenz endet: »Kann nun was häßlichere / ja / was kann Schoners seyn?« (GG, S. [91]) Denn die Beschreibung des Leidens »supports the notion of his being fully divine as well as fully human« (11.45 Harris, S. 274). Die Göttlichkeit des Erlösers relativiert die Schrecklichkeit seines Leidens, so wie die Göttlichkeit der Seele die Folgen des Sündenfalls relativiert. Dies verweist wiederum auf das Hauptproblem rationaler Bewältigung des Kreuzesgeschehens: auf den Tod des Erlösers. Lohenstein hat es deshalb eigens - und nunmehr ohne biblische Vorlage - im Schluß-Sonett >Jesus stirbt< thematisiert, und dies zugleich auch als Höhepunkt seines eigenen Glaubens-Verständnisses. In den
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7) Weisheit durch die >Blumen< (Lohenstein)
Quartetten stellt er es als entscheidende Anfechtung des Glaubens heraus, daß Gott, »des Lebens Brunn«, »dem Oel und Licht die Sterne dancken müssen / Sein himmlisch Antlitz hüllt in Sterbe-Kittel ein« (GG, S. [195]). Dabei verweist die gewählte Metaphorik auf ein alchimistisches Verständnis. Ein alchimistischer Bildzyklus in Daniel Stoltzius' >Chymischem Lustgärtlein< (1624) etwa beginnt mit dem Wasser des Lebens< oder >brunn des Lebns(!)< als Ur-Quelle alles Lebendigen, das auf die Gestirne und insbesondere auf Sonne und Mond ausfließt (H Stoltzius, Figur LXI); dabei verweisen »Oel« und »Licht« auf den »wässerigen« Merkur (»aqua mercurialis«) und den »feurigen« Sulphur (bzw. das Licht selbst als erstes wirkendes Wesen der Natur; vgl. dazu 11.11 Kemper, S. 246f.) und damit auf die beiden weiblichmännlichen Prinzipien der Alchimie, die aus dem göttlichen Urquell entspringen und in der alchimistischen Arbeit wiedervereinigt werden müssen (vgl. III Gebelein, S. 68; Biedermann, S. 300f.). In dem fiktiven >Braut-Lied der Holdinnen< zur Hochzeit von Arminius und Thusnelda am Ende des >Arminius< hat Lohenstein das Zusammenwirken der drei paracelsischen Prinzipien Schwefel (»Glut«), Salz und Merkur (»Flut«) im Bilde der »himmlischen Hochzeit« vergegenwärtigt: »Der Himmel ist der Mann / die Erd' ist Braut und Weib / Sein Saamen ist die Glut / Ihr Saamen Saltz und Flut Und ihre schwang're Schoß ein stets gebehrend Leib. [...] Doch alle diese Liebes-Brunst Ist kaltes Wasser / Wind und Dunst Für der verliebten Sonnen Flammen / Die Sternen sind unfruchtbar / ohne Schein / [...] Wenn nicht die Sonn' in sie so Licht / als Saamen flösset. [...] Von ihrer Schwängerung gebiehrt Die Erde Gold / das Meer Korall / die Bäume Früchte.« (II A I, S. 1425f.; zit. in: II. Wiehert, S. 85)
Die Sonnenfinsternis nach Jesu Tod (und damit der Verlust der entscheidenden Lichtund Feuer-Quelle des Lebens) signalisiere, »Es sey in der Natur nicht nur ein Drat zerrissen // In der DreyEinigkeit muß' eine Leiche seyn.« (GG, S. [195]) Diese schokkierende Formulierung am Ende des zweiten Quartetts treibt die Paradoxie des göttlichen Sterbens auf einen theologisch eigentlich gar nicht denkbaren Höhepunkt. Tatsächlich bereitet dieser Gedanke den Umschlag in den beiden Terzetten vor: Wichtiger als das Sterben des Erlösers sei seine Menschwerdung, die geschah, »um das Licht euch zu erwerben«: ».. .Denn zwischen Mensch und Gott / Ist ein viel ferner Ziel / als zwischen Mensch und Tod; Mehr: daß Gott wird ein Mensch / als das ein Mensch kann sterben.« (Ebda., S. [196])
Die mit der Inkarnation des Erlösers ermöglichte Vereinigung des Menschen mit Gott ist das eigentliche Ziel, und dies entmachtet den Stachel des Todes, macht diesen zum Eingangstor der Rückkehr ins Göttliche (wie für Christus als trinitari-
d) Zur geistlichen Dichtung
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sehe >Leiche< auch). Das ist die vernünftige Garantie für die Gottebenbildlichkeit der Seele. Das aber entspricht wieder den alchimistischen Vorstellungen von Sterben und Neugeburt. Es muß erst das Alte zur »Leiche« werden, bevor und damit die Vereinigung der Gegensätze und das neue Leben entstehen können, wie es auch Stoltzius darstellt (vgl. dazu Bd. III, S. 11 Iff., 114). 4) Mercurialische >ThränengeistlichenOden< - zum Umkreis der Passionsdichtung zählenden >Thränen< (L, S. [197]-[220]; zum Gattungscharakter und zur Behandlung der »threni« in den Poetiken vgl. 11.45 Eybl, S. 254f.), und zwar jeweils >Thränen< Marias, ferner der reuigen Sünderin Maria Magdalena (T, S. [212]-[214]) sowie >eines armen Sünders< (ebda., S. [215]-[220]). Dabei handelt es sich jeweils um Gedichte in der Figurenrede (>sermocinatioThränen Der Mutter Gottes unter dem Creutze des HErren< (ebda., S. [199]-[211]) ist mit 43 je sechszeiligen Strophen das längste, stilistisch anspruchsvollste und interessanteste, weil es wieder das hermetische Interesse Lohensteins bezeugt. Die überreichlich von Maria vergossenen mütterlichen Tränen sind, wie sich zeigt, als »Thranen saltz« ein ganz besonderer >SaftHyacinthen< (dort zumeist ohne Bezug auf die zentrale christliche Erlösungs-HÖffnung) vorweggenommen (im folgenden aus den >Trauer= und Trost=Gedancken ober dem Absterben F. Anna AßiginBlumen< (Lohenstein)
»Die kräfftige Geduld wird lehren: daß die See Der Thränen sey ein Thau die Asche zu befeuchten / Daß künfftig aus ihr auff die Unschulds-Lilge geh / Mit welcher wird ihr Leib im Paradisse leuchten. [...] Da / wer auff dieser Welt hat Thranen ausgestreut' / Von bitt'rem Aloe wird Zucker-knospen läsen / [...] Denn den befleckten Leib verklär't der Höchste nicht Er lasse denn zuvor die Hülsen in der Erden.«
Lohensteins Metaphorik umkreist einen Vorstellungs-Kern, der sich an magischen und alchimistischen Vorstellungen orientiert. Das »thränen-saltz« ist ein mercurialischer »Thau«, wie dies auch bei Gryphius bereits erkennbar war (vgl. Bd. IV/1, Kap. 6 h-6), und hat deshalb die Fähigkeit, die »Asche« wiederzubeleben, denn die Alchimisten glaubten in Analogie zur Pflanzendestillation, wobei der PflanzenRückstand schließlich in Gestalt grauer Asche mit destilliertem Wasser auskristallisiert wurde, an die Palingenesie, also an die Möglichkeit, ein Lebewesen »aus der eigenen Asche« wiederzugewinnen (vgl. III Gebelein, S. 25, 59). Der »Thau« (lat. >rosRose< (lat. >rosaernten< versuchte (vgl. ebda., S. 60), wie Rist dies ausführlich beschreibt (II Rist PP). Der Name der >RosenkreuzerRoseThränenRose< übersetzte >Blume< des Hohenliedes (vgl. IV Dohm, S. 82f.). Die schon den >hortus conclusus< des Hohenliedes verzierende >Aloe< (vgl. Hl. 4, 14) oder Agave war ein in den Orangerien des 17. Jahrhunderts - u.a. auch in Stuttgart und Braunschweig - zu besichtigendes Wunder-Gewächs, das nur einmal in seinem (langen) Leben eine Blütenähre treibt und danach abstirbt. Der Neulateiner Johann Laurentius Schmidlin feierte dieses Geschöpf der Göttin Flora begeistert als »Blume der Bäume« und »Baum unter den Blumen«, also als hybrides Sinnbild der Transmutation, aber auch der >Auferstehung< (Blüten) nach oft langer (»bitterer«)
d) Zur geistlichen Dichtung
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Wartezeit im irdischen Wurzelwerk. In der 1658 begonnenen berühmten hermetischen >Lehrtafel der Prinzessin Antonia< steht die Aloe deshalb als Sinnbild noch vor der Rosenhecke am Eingang zum hermetisch-kabbalistischen Garten (vgl. dazu III Betz, S. 51 f.). In den beiden zuletzt zitierten Versen des Epicediums faßt Lohenstein den alchimistischen Glauben an die »Wiedergeburt« aus der notwendigen »Feulung« des Leibes, wie auch Stoltzius dies ausführlich dargestellt hat, zusammen (vgl. dazu Bd. III, S. 114ff.). Von hier aus ist erkennbar, daß der alchimistische Glaube an die >Wiedergeburt< aus dem Prozeß der »Feulung« oder Verwesung auf das Sterben des Erlösers anwendbar war wie in den >ThränenAuferstehung des Leibes< vgl. Bd. II, S. 246ff.). Den Glauben an eine solche leibliche Transmutation hat Lohenstein auch in der >condolatio< seines großen Grabgedichts >Redender Todten-Kopff Herrn Matthaeus M achner s< exemplifiziert: »Verzagte Sterblichen! Komm't schau't die EEren an, / Die durch den holen Kopf mir wachsen aus der Erden! Glaub't Jemand: Daß ein Korn zur Pflantze werden kann; Ja / daß ein Seiden=Wurm mag wieder lebend werden / Der glaub' auch: Wenn der Bau der Erde muß vergeh'n / Wird auch aus dieser Asch' ein Phoenix auffersteh'n. Denn / schleust den Zeder=Baum ein kleines Saam-Korn ein / Hält Dorn und Stock in sich die Rosen und die Reben: So kann kein Todten-Kopf auch nicht verweslich sein. Die leeren Knochen wird viel schöner Fleisch umgeben. Gott kann sein Ebenbild / das er in Menschen preg't / Weil ja kein Unkraut stirb't / nicht ganz vermodern lassen. Dis / was verweslich ist / wird in das Grab geleg't / Des Todten gutten Ruhm kann Sarch und Sand nicht fassen; Ja / wenn der Höchste wird vom Kirch-Hof erndten ein / So werd' ich Todten-Kopf ein Englisch Antlitz sein.« (H, S. [426]) Als letztlich unverwesliche Grundsubstanz in einer grundsätzlich animistisch gedachten Welt wurden auch Wirkungspotenzen und Selbstzeugungsprozesse der Wärme und des Feuers diskutiert, wie sie aus der antiken Naturphilosophie und der hermetischen Tradition überliefert waren (vgl. dazu auch Bd. III, S. 125ff. u. ö.) und wie sie u. a. Zarmar im >Arminius< erläutert: »Warum soll meine Finsterniß nicht aus dem Feuer ihr ein Licht anzünden / welches dem Himmel am ähnlichsten / keiner Fäulniß unterworffen / der Ursprung alles Glantzes ist; welches die todte Erde beseelet / zu allen Geburten der Thiere und Pflantzen behülfflich
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7) Weisheit durch die >Blumen< (Lohenstein)
seyn muß / die stärckste Würckungs-Krafft in sich hat / und als das aller fruchtbarste Wesen sich aus sich selbst zeuget / und daher von eurem Heraclitus die Natur für nichts anders / als für ein würckendes Feuer gehalten worden ist...« (II A, S. 670a; zit. in: 11.45 Behar 1978, S. 579)
Epicedium und >ThränenThränenVermischungsGottessohns< undenkbar ist. In diesem Sinne begreift die Mutter Jesu trotz aller - eigentlich den Prozeß der Wiedergeburt des Sohns bereits befördernder >Tränen< - den Tod des Pantokrators schon von Beginn an als Anfang des eigentlichen ewigen Lebens: »Denn stünde nicht mein Trost auf deiner Allmacht Füssen / So hette Seel und Leib bey mir längst scheutern müssen.« (Ebda., S. [200]) Wie für die Greiffenberg geht auch für die Mutter Jesu bei Lohenstein »Christus durch einen leiblichen Tod und seine Auferstehung in den Kosmos ein«: »Seitdem fungiert der Gottessohn in dieser Sicht als das in der Natur - und damit auch in Blumen und Pflanzen - wirksame göttliche Liebes- und Kraft-Prinzip, welches die Schöpfung stets von neuem belebt und verwandelt.« (IV Dohm, S. 57f.; vgl. dazu Bd. III, S. 269ff.) Zugleich liegt - wie Strophe 23 wieder in petrarkistisch erscheinenden Paradoxien formuliert - die Funktion Christi in dem, was Lohenstein im Eingangssatz seiner Hochzeitsrede an den Bruder über die »Vereinbarung der Sterne und der Gemüthen als allgemeine göttliche Tätigkeit beschrieben hat, nämlich trotz der in den Geschöpfen virulenten Antipathien »die großen Geschopffe der Welt mit einer wunderbaren Kette der Eintracht« zu »vereinigen« und »ihre an sich selbst wiederwärtige Eigenschafften durch eine annehmliche Zusammenstimmung mit einander« zu »vermählen« (R, S. 350). Damit wird nochmals deutlich, wie der Gottessohn in einer »christlichen Hermetik« funktionalisiert, aber eben auch durch ein allgemeines (und damit nicht mehr christliches) Gottesverständnis ersetzt werden kann. Im übrigen illustrieren die Strophen 22 und 23 mit ihrer Motivik die beiden mit dem Grundsatz des »Solve et coagula« bezeichneten Grundoperationen des alchimistischen Prozesses: Strophe 22 den Vorgang der Auflösung bis hin zum Residuum des »Saltzes der Seelen=Angst« und des »Oels der Traurigkeiten«, Strophe 23 den entgegengesetzten »feurigen« Prozeß des Bindens und Zusammenfügens (das »Coagula« wäre in alchimistischem Verständnis »das Wiederverbinden und damit die Erlösung der Welt«; III Gebelein, S. 173; vgl. dazu IV Dohm, S. 50f.). Den >Thränen der Maria Magdalena zu den Füssen Unsers Erl6sers< hat Eybl in einem breit entfalteten ideengeschichtlichen Kontext eine eindringliche Analyse gewidmet. Interessant ist das hybride Aufeinandertreffen weltlicher Liebestopik aus der Renaissancepoesie mit der geistlichen Magdalenenpoesie (vgl. 11.45 Eybl, S. 239ff.). In der büßenden Selbstanklage vermag die Sprecherin die >weltliche< Topik >sündiger< Liebe zu artikulieren und diese zugleich als Vorleistung und gutes Werk zur Wiederherstellung ihrer Gottebenbildlichkeit einzusetzen: »So hilff mir Sünderin / O Heiland doch von denen / Die mich dein Ebenbild verstellen gantz und
e) >Helden-Briefe< und >Rede< der >Maria Coronelia
RosenHelden-Briefe< und >Rede< der >Maria Coronelia
RosenRosen< als an die Adresse der >Hermione< (d. i. Harmonia) versandte poetische Blumen der Beredsamkeit eröffnen zwei Programm-Gedichte aus dem damals noch nicht erschienenen >ArminiusDas von der Sonne gesungene Lob der Rose< (R, S. [238]f.) preist die Rosen als In-»Begrieff« der Schönheit und »wahres Eben-Bild« der Liebe, und von dieser Zentralstellung im sublunarischen ZeichenSystem entspricht sie natürlich dem Zentrum des Planetenystems, so daß hier eine anmutige Analogie zum Mikrokosmos-Makrokosmos-Gedanken konstruiert wird: »Ja wie die Rose wird die Sonne seyn auf Erden: So muß der Sonne Rad des Himmels Rose seyn. [...]
Wer nun die Sonne will fürs Sternen-Haupt erkennen / Der muß den KOnigs-Krantz auch Rosen zugestehn.« (R, S. [239]) Das zweite Gedicht >Lob=Gesang Der Blumen=K6nigin< (ebda., S. [240]f.) variiert und vertieft die Analogie bzw. geheime Verwandtschaft von Himmel und Erde im Medium von Flora und Fauna. Flora, die Blumen-Königin, verkündet als »Welt= und Himmels-Gärtnerin« ebenfalls ihr animistisch-alchimistisches Credo, die Blumen existierten nicht nur in der organischen, sondern auch in der anorganischen Welt (»Sie wachsen in Kristall und Stein / Sie lassen sich in Ertzt und Muscheln zeugen.«), Blumen existierten im Meer und sogar in den Stern-Bildern am Himmel (und dies wird dann noch mit vielen Beispielen amplifiziert):
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7) Weisheit durch die >Blumen< (Lohenstein)
»Der Erdt=Ball stellt ja einen Garten für / Durch meiner Blumen irrdische Gestirne. Der Himmel aber ist ein Garten / seine Sternen / Sind Blumen.« (Ebda., S. 240) Dieser Kern-Gedanke irdisch-himmlischer Analogie liegt auch sogleich dem nachfolgenden ersten Hochzeitsgedicht (>Zuruff Der frolockenden OderCleopatra< etwa manövrieren alle drei Hauptfiguren und Gegenspieler (Cleopatra, ihr Gatte Antonius und Augustus) sich und die Gegenseite in ausweglose Situationen. Und keine Figur wird dabei nur gut oder nur böse gestaltet; auch die von ihnen vertretenen Handlungsmaximen und Werte werden (wie in der >Kurfürsten-Fassung< der Helden-Briefe) weder bestätigt noch widerlegt. In
e) >Helden-Briefe< und >Rede< der >Maria Coronelia
Cleopatra< scheint schließlich noch der am ehesten die Tugend der Beständigkeit bewährt zu haben, der dem unbeständigsten der Affekte, nämlich der »Brunst«, gehorchte, also Antonius. Überhaupt zeichnen sich Lohensteins Trauerspiele wie seine Helden-Briefe durch die außerordentliche Bedeutung aus, die sie den Affekten, der leidenschaftlichen Liebe als einer alles vernünftige Kalkül durchkreuzenden Macht im menschlichen Seelen- und Triebhaushalt zuerkennen, so daß die Figuren die Wollust über Herrschaft und Tugend zu setzen vermögen (vgl. 11.45 Spellerberg 1984, S. 657), wofür sie dann freilich stets auch - wie z. B. Cleopatra oder Sophonisbe - bestraft werden. Dennoch sind diese Figuren nicht ohne Sympathie gestaltet, und ihrer Leidenschaft widerfahrt in den Dramen dadurch poetische Gerechtigkeit, daß ihre Gegner keineswegs durch ihr vernünftiges, kluges politisches Handeln vor dem vom Verhängnis beschlossenen Untergang gefeit sind. Gerade in ihrer Dynamik erweisen sich die Leidenschaften als »nöthig Ampt« zur Stimulation vernünftigen Verhaltens, nötigen die Vernunft aber auch zur Anerkennung der Trieb- und Sinnenhaftigkeit des Menschen als einer ihm zum Gebrauch verliehenen anthropologischen »Mitgift«. Im Übergang zur Aufklärung spiegeln Lohensteins Werke so den Versuch des mündig werdenden Subjekts, bisher verdrängte und unterdrückte Seiten seiner Psyche in eigener Regie zu entbinden und zu beherrschen. Die Vernunft müßte nun das entscheidende ethische Regulativ sein, und in diesem Sinne wäre Tugend »nichts anderes als der >Gebrauch der VernunftRede / Der sich / umb die bosen Lüste zu fliehen / mit einem glühenden Brande todtenden Maria Coronelia< zu (R, S. [279]-[288]). Diese poetische Figurenrede liest sich wie eine radikale Überbietung der Hoffmannswaldauschen Konfrontation von >Wollust< und >Tugend< (vgl. Kap. 6 g). Was dieser kommentarlos und spannungsvoll in zwei gleichgebauten Gedichten nebeneinanderstellte, wird hier in einer fiktiven Selbstanklage in beide Richtungen bis ins Extrem und bis hin zum Tabubruch gesteigert. Thematisch hat Lohenstein diese Rede mit den vier >Helden-Briefen< verknüpft. Die Sprecherin klagt zunächst »Verhängnüs und Natur« als »Hencker meines Leibes« an, weil ihr Ehemann in die Ungnade des Königs Peter gefallen ist und sie durch einen Bann gehindert wird, ihn zu besuchen. Über diesen Liebes-Entzug kommt sie nicht hinweg: »Es nagt ein hefftig Brand an Adern und Gebeinen // Der Kitzel sticht mein Fleisch / die Geilheit regt mein Hertz.« (R, S.[280]) Sie steigert sich immer mehr in sexuelle Ekstase, und zwar planmäßig und performativ, das heißt, der Text wird zur >erlebten RedeSinnenHelden-Briefe< und des Problems der Getriebenheit durch den Trieb geht das erotische Begehren diesmal von einer Frau aus, und diese bringt, wie sie glaubt, gute Gründe für ihre sexuelle Unersättlichkeit vor. So bezichtigt sie sich wegen ihres Geschlechts - wie aus dem >Lehrbuch< des >Hexenhammers< - der besonderen Anfälligkeit für Sexualität (»Das Blut der Frauen ist ja mit mehr Brunst verschwistert«; ebda., S. [282]; vgl. dazu Bd. II, S. 71 ff.; Bd. III, S. 95ff.; Kap. l d) und beansprucht von daher auch dieselben sexuellen Freiheitsrechte für sich, die sie bei den Männern voraussetzt (auch bei ihrem Ehemann, dem sie an seinem Verbannungsort sexuelle Abenteuer unterstellt, wie übrigens auch schon Penelope ihrem Odysseus; ebda., S. [281]f.; II Ovid H, S. 10). Sie stellt ihre Vernunft hier also ebenfalls ganz in den Dienst ihres Begehrens und formuliert dies in einem lautmalerischen Appell: »Vernunft / laß itzt den Zaum nur meinem Fleische schießen« (R, S. [283]). Von daher könnte sie auch als eine Nachfolgerin der emanzipatorischen >Madonna Filippa< gelten (vgl. II Boccaccio II, S. 550ff.; vgl. Einleitung a), wenn sie nicht plötzlich - unmittelbar nach vollzogener Selbstbefriedigung als poetischem Höhepunkt und Tabubruch in der Mitte der Rede - scheinbar wieder zur Vernunft kommen würde. Nun verachtet sie sich für ihr Verhalten und durchschaut ihre Vernunftgründe als leichtfertige Selbsttäuschung um ihres fleischlichen Vergnügens willen. Nach der Rehabilitation ihres untadeligen Mannes fährt sie fort: »Mit was für Frevelthat befleck' ich mein geschlechte / Wenn ich den Perlenschmuck der Keuschheit ihm entzieh? Wenn ich die Hurerey mich durch den Schein der Rechte Durch Reitzung der Natur zu uberfirnssen muh'?« (R, S. [284])
Doch nun steigert sie sich erneut über alles Maß vernünftiger Tugendhaftigkeit hinaus in einen hochaffektiven Strudel des Selbsthasses (»Ich stincke selbst mich an« usw.; ebda.), aus dem der Wunsch nach einer radikalen Selbstreinigung als Selbsttötung entspringt. Vernünftige Entschuldigungen (»Welch Weib ist in der Welt von aller Regung frey? // Ist etwas Menschlicher / als lüstern seyn und lieben?« Ebda., S. [285]) läßt sie nun nicht mehr gelten und verwirft den Weg mönchischer Bändigung und Kasteiung des »Fleisches« als vergeblich, und zwar mit der alchimistischen Vorstellung, daß selbst eine >Versteinerung< die Vitalität des Körpers nicht abtöten könnte: »Entädere den Leib / zeuch's Marck aus dem Gebeine: Entmanne / wo du kanst / durch Stahl und Krauter dich / Schäum' alles Saltz von dir / und mache dich zum Steine /
e) >Helden-Briefe< und >Rede< der >Maria Coronelia
renovatioRede< auch verstehen, und Lohenstein hat der Ehe andernorts - etwa in einem dreiaktigen Ballett im >Arminius< - auch expressis verbis eine »Ehrenpforte« errichtet (vgl. A II, S. 570aff.; vgl. 11.45 Wiehert, S. 89). Jedenfalls ist dies auch das implizite strukturelle Argument für die unmittelbar folgende Reihe von elf themengebundenen Hochzeitsgedichten und für die abschließende Prosarede auf die Hochzeit des Bruders. 6) Liebe als »quinta essentia« in den Epithalamia: Jedes dieser Epithalamia verdiente eine eigene Würdigung, weil es sich ein besonderes Thema wählt und dieses ungemein einfallsreich - bisweilen auch mit nur schwer erkennbaren Bezügen auf die im Titel weggelassenen konkreten Gelegenheiten und Adressaten - durchspielt. Hier ist nur festzuhalten, daß alle Gedichte durch eine ausgefeilte Blumen-Metaphorik im
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7) Weisheit durch die >Blumen< (Lohenstein)
Kontext des magisch-alchimistischen Mikrokosmos-Makrokosmos-Gedankens untereinander verbunden sind (die >RosenHelden-BriefeDreyfachen Bildung der Liebe< (ebda., S. [320]-[324]) geht es zugleich um die drei zentralen Elemente der Welt (und die Frauen als »Himmel dieser Welt« und »Paradies der Erde«). Das Epithalamium >Rosen-Liebe< (ebda., S. [329-333]) beschwört die Liebe als Grund-Kraft der Welt und beschreibt dies in Bildern, welche zunächst - wie im schon zitierten fiktiven Hochzeitsgedicht des >Arminius< - auf den Mythos der »himmlischen Hochzeit« anspielen und dann ihre Beispiele wieder aus dem Katalog der magischen Sym- und Antipathien beziehen - die Passage erinnert im übrigen an eine Vorlage von Paul Fleming (vgl. Bd. II, S. 68f.): »WEm pflantz't der Liebe Geist nicht Lieb' und Flammen ein? Man sieh't das Liebes=Oel in Sternen=Ampeln brennen. Die angenehme Glutt kann nichts als Liebe seyn / Für der sich muß der Thau von Phobens Schleyer trennen. Der Himmel lieb't der Erde schonen Ball/ Und blick't zu Nachte sie mit tausend Augen an. Sie auch: daß sie dem Himmel wolgefall' Flicht ihn(!) ihr grünes Haar / Klee / Lügen / Tulipan.
e) >Helden-Briefe< und >Rede< der >Maria Coronelia
Reine Liebe< entwirft deren Konterfei nochmals als allegorische Geschichte von der Geburt der Liebe bis zu ihrem Mißbrauch in Polaritäten und endet natürlich als Plädoyer einer auf das Brautpaar applizierten keuschen, aber fruchtbaren Liebe. Damit hat Lohenstein in seiner Sammlung den abschließenden Höhepunkt erreicht. Im Gedicht >Unverwehrte Priester=Liebe< (ebda., S. [345]-[349) stellt er sich der zuvor weitgehend vermiedenen Aufgabe, das Naturrecht der so leicht mißbrauchbaren Liebe auch vor den Augen eines Theologen als Adressaten zu rechtfertigen (die ursprüngliche Fassung dieses Gedichts >Auf das Albinische und Kamperische hochzeit=fest< ist wegen seiner Bedeutung im ersten Band der >Neukirchschen Sammlung< wiedergegeben; vgl. I Hoffm. I, S. 150-153). Der Titel des Gedichts in den >Blumen< ist natürlich eine Provokation an die Adresse der Katholiken (und Breslauer Jesuiten) mit ihrem kanonischen Verbot der Priesterehe (vgl. dazu auch 11.45 Wiehert, S. 86f.). Mit der Frage: »Ist Lieben Raserey die die Vernunft bemeistert?« formuliert das Gedicht darüber hinaus aber eingangs das Kern-Problem nicht nur der theologischen Ethik, sondern auch der eigenen >RosenRosenHimmel=Schlussel< auf und erinnert mit ihnen an die den >Rosen< zugrunde liegende Vorstellung des großen Liebes-Zusammenhangs der Schöpfung. Und damit hat er genau den Punkt erreicht, an dem er - mit dem nachfolgenden Gedicht Vereinbarung der Sterne und der Gemüthen - zum hermetischen Glaubensbekenntnis übergehen kann (vgl. Kap. 7 c).
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»Des Leibes faulend Staub... in mehr als Gold verkehret«: Grab->Hyacinthen
Hyacinthen< vereinigt. Der lehrhafte Charakter setzt sich meist auf Kosten der Klage (>lamentatioEhren=Gedächtnuß< der >Freyin von Bibran< reich illustrierte Vorstellung: »Der Rosen ihr Rubin hat auch verdorr't noch Krafft« (H, S. [379]-[388], hier S. [380]) - und damit die Hoffnung, daß das jedesmal mit soviel »thränen saltz« oder mit »Thau der Thränen« »benässte« Grab nicht nur ein Ort des Sterbens, sondern auch der Wiedergeburt sein möge. Lohenstein hat mit Rücksicht auf die jeweilige Trauer-Gemeinde keine Schwierigkeiten, diese Hoffnung in Bildern christlichen Glaubens zu vermitteln. Doch stehen diese keineswegs im Zentrum seiner Epicedien. Bisweilen genügen wenige - oft der abschließenden >consolatio< vorbehaltene - Zeilen in den jeweils mehrseitigen Gedichten, um diese Verbindung herzustellen und damit vielleicht auch eine christliche Lesart des ganzen Gedichts zu eröffnen. Dennoch fällt auf, daß die Hoffnung auf ein Weiter- und Nachleben eher mit Vergleichen und Hinweisen aus dem großen >Buch der Natur< wie in dem genannten Gedicht oder auch mit Exkursionen in die Geschichte der Philosophie und Weisheit genährt wird. Dies geschieht gleich im zweiten Grab-Gedicht >Seele Herren George Friedrichs von Artzat und GroßSchottkau< (ebda., S. [383]-[388]), das hier als Beispiel für diese Tendenz näher betrachtet sei. Durch den Sündenfall, so beginnt das Gedicht, sei auch »des Menschen Kern / was Gott sein Bildnüs nennet // Die Seele / so verstellt: daß sie sich selbst nicht kennet.« (Ebda., S. [384]) Darauf folgt ein gelehr-
f) Grab->Hyacinthen
Buchs der NaturDenckmaal Herren Andreae von Assigs und Siegersdorff / Breßlauischen Syndick (H, S. [394]-[398]), dessen Amt als Obersyndicus Lohenstein 1675 übernahm (vgl. 11.45 Asmuth, S. 12). Schon im Blick auf die unmittelbare Amtsnachfolge bot sich das Gedicht natürlich für die repräsentative Darstellung eines natur- und rechtsphilosophisch fundierten Bildungs- und Lebensideals an. Das Gedicht beginnt mit der Vorstellung der von den Heiden (Phöniziern, Chaldeern) nicht zu ergründenden und nachzuahmenden Meisterschaft Gottes in der schöpferischen »Web-Kunst«, mit der er das »Gewand der Erde so geschmucket« habe. Sein eigentliches Meisterstück aber sei das »Weben« der »kleinen Welt«, nämlich des Menschen im Mutterleib (»Wenn er im schonen Leib wfirckt ein verschmitzt Gemutte // Und die so große Welt bringt in dis kleine Hauß.« Ebda., S. [394]). Während sich der menschliche Körper mit Hilfe von Zeit und Natur als göttlicher Dienstmagd nach Programm entwickelt, hat Gott der Seele des Menschen die Freiheit geschenkt, ihr eigener (Selbst-)Schöpfer zu sein ein Zentralsatz humanistischer - und alles andere als lutherischer - Anthropologie, der dadurch nachträglich wieder christlichen Vorstellungen angenähert wird, daß der Geist explizit die »Vernunft« und nicht der Glaube! - sich an den beiden göttlichen Büchern »bilden« soll, in denen - das ist aus lutherischer Sicht eine weitere bedenkliche Formulierung - »Gott selber abgemahlet« ist (damit wird zugleich wie bei Rist eine Gleichrangigkeit des >Buchs der Natur< mit der Schrift impliziert, und im Gedicht spielt die Bibel als >Bildung< des verstorbenen Juristen denn auch keine Rolle): »Der Seele / pflantzet Gott nur das Vermögen ein: Daß sie durch eigne Müh ihr Werth und Gütte gäbe; Und heißt des Menschen Geist selbst seinen Schöpfer seyn. Damit der Mensch auch weiß / was er für Bilder stücken Sol in das ihm von Gott so schon-gewebte Tuch; So läßt er die Vernunft mit ihren Augen blicken In Spiegel seines Wortt's / in der Natur ihr Buch. In beiden aber steht Gott selber abgemahlet; Nach dem sein Ebenbild der Mensch sich bilden sol.« (H, S. [395])
Hier, an dieser zentralen Stelle auch des Lohensteinschen Selbstverständnisses, begegnen wir der für die >history of ideas< der frühen Neuzeit so überaus folgenreichen
f) Grab->Hyacinthen
Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß< (vgl. IV Kemper l/U): Mehr und mehr wird im Übergang zur Aufklärung die Natur selbst als göttlicher Ordnungszusammenhang und >Bild Gottes< zum Medium und Objekt menschlicher >BildungSpiegel< des Mikrokosmos, der sich auf diesem Wege seiner Gottebenbildlichkeit versichert und damit mehr und mehr aus den traditionellen Bindungen bibelorientierter Frömmigkeit emanzipiert. Und von diesem Funktionszusammenhang her wird auch klar, daß Lohensteins hermetisch grundierte Naturphilosophie eben nicht, wie Wucherpfennig behauptet (11.45, S. 135), »reaktionär ist, sondern auf die Aufklärung vorausweist und auch der Legitimation vernünftigen Denkens und Handelns dient. Der Mensch kann durch »Andacht«, aber auch durch »Wissenschafften« und Weisheitsliebe »ein Halb-Gott hier auf Erden« werden (H, S. [395]). Der Verstorbene hatte sich, so die >laudatioBlumen< (Lohenstein) »Er (= der Mensch) preßt aus Ertzte Saltz / aus edlen Steinen Säfte / Bereitet trinckbar Gold / macht Wasser aus Metall / Gibt in drey Tropfen ein wol hundert Krauter Kräfte / Macht Lebens-Oel aus Gift / und Zucker-Tränck' aus Gall' Kehrt Spiß-Glaß in Artzney / bringt Geister aus Granaten Umb wieder Gift und Tod schon Sterbenden zu rathen.« (H, S. [402])
Anschließend erwähnt Lohenstein in Übereinstimmung mit dem öffentlichen Ansehen durchaus als Höhepunkt der Wissens-Leiter die Theologie - der Mensch »durchforscht die Hohe Schrifft / in der uns Gott heist lesen // Ja Glaub' und Liebe fast der Gottheit tieffes Wesen.« (Ebda., S. [403]) Natürlich ist die Schlußfolgerung nach diesem Durchgang in der >laudatio< als >applicatio< auf den verehrten Dichter-Kollegen zu erwarten: »Herr Gryphens Seele war ein Muster solcher Geister // Ein Bild / wie hoch der Sinn des Menschen klimmen kan« (ebda.), aber daß Lohenstein nun fast penibel die Ausnahmestellung von Gryphius in nahezu allen erwähnten Bereichen zu belegen sucht, ist doch bemerkenswert. Das gilt weniger für das erwartbare Lob im Bereich der Dichtkunst, wo Lohenstein Gryphius als »deutschen Sophocles« rühmt, der den von Opitz für Schlesien erworbenen Ruhm gemehrt habe, weniger auch für die dem Ideal des »poeta doctus« zuzuschreibende Belesenheit und Gelehrtheit in klassischen und modernen Sprachen, sondern für die ausführliche Darstellung seiner Kenntnisse im Bereich okkulten Wissens von geheimen Weisheits-Lehren über >Künste< wie Astrologie und Chiromantie bis hin zur Lehre des MikrokosmosMakrokosmos-Gedankens an der Universität in Leiden: »Er laß / sprach und verstund die Bücher der Ebreer / Durchgrfibelte die Schrifft und Weißheit der Chaldeer. Ja / wenn's die Ziffern kam des Himmels auszulegen / Der Sternen Eigenschafft und Lauf zu nehmen wahr / In Hand und Antlitzen die Strichen zu erwegen / Und ihre Deutungen zu treffen auf ein Haar / Durch ihre Cabala viel selzam Ding zu rechen / Dorft ihm nicht Melchiar nicht Eßra wieder-sprechen. Auf hohen Schulen hat er mitt viel Ruhm gelehret / Wie weit Welt und Natur sich in sich selbst erstreckt; Und Leiden hat von ihm von Glied auf Glied gehöret / Wie in der kleinen Welt die gantze große steckt.« (H, S. [405])
Konsequent von Lohensteins Position her, die er auch in diesem Gedicht bereits zur Geltung gebracht hat, und doch höchst bemerkenswert im Blick auf die Trauergemeinde und das Ansehen des Verstorbenen ist nun aber, daß Lohenstein nach der >lamentatio< darüber, daß der Tod auch vor diesem gelehrten Meister nicht halt macht, in der >consolatio< den Trost über das Fortleben des Verstorbenen zunächst wieder ganz in alchimistische Bildlichkeit kleidet und in diesem Zusammenhang den Alchemisten als »Trismegist« bezeichnet, wie um sich auch deutlich genug auszudrücken. Wenn er bei dieser besonderen Gelegenheit solche Bilder verwendet, muß er sich einigermaßen sicher gewesen sein, damit auch das Interessenspektrum des Verstorbenen zu porträtieren und deshalb auch keine Mißstimmigkeit zu riskieren:
0 Grab->Hyacinthen
Passionheiligen< Aspekte der Liebes-Passion symbolisieren (ebda., S. 341 ff.).
278
7) Weisheit durch die >Blumen< (Lohenstein)
Im Gegensatz zu Simon Dach anerkennt Lohenstein hier in der mythologischen Figur (wie in seinen Dramen) die normensprengende und damit auch die für den Menschen gefährliche Macht der Sexualität, und gleichwohl vermag er sie nicht mehr schlechthin als unmoralisch zu inkriminieren. Vielmehr führt er im encomiastischen Duktus ihre positiven und negativen Seiten vor. Zu ersteren gehört: »Daß dieses alles alle / Nicht stracks in einem nu in einen klumpen falle« (ebda., S. 293). Und dem Sprecher dient wiederum das schon in der Antike diskutierte, auch in anderen Gedichten (wie der >vortrefflichkeit der küsseArminius< (vgl. 11.45 Borgstedt, S. 102ff.; Behar 1978, S. 595ff.) eingehend herangezogene Phänomen des Magnetismus als Beweis für die selbst noch in der scheinbar toten Materie wirksame Anziehungs-Kraft der Liebe, die als große »Kette des Seins« den Kosmos durchzieht: ».. Ja selbst das marck der erden Hat seele / glut und geist zuneigender geberden / Die steine / das metall / regt ein verborgner Strahl. Der ziehende magnet küst den verliebten stahl.« (V, S. 335)
Entsprechend wirkt die Liebe als Lebens-Kraft sogar noch im Tode weiter (»Der schon verweßte leib / die todten=asche / glimmt // In ihrem sarge noch; der liebes=ambra schwimmt // Noch in dem dürren aas / in den verdorrten beinen.« Ebda., S. 349). - So wird der Verweis auf die kosmische und »unverwüstliche« Dimension der Liebe bei Lohenstein zur Begründung und Rechtfertigung, die menschliche Sinnlichkeit und Sexualität, Wollust und Affekt als >naturhaft< anzunehmen, auch wenn solche Liebe - wie auch dies Gedicht keineswegs verschweigt - sich beim Menschen bis hin zu Krankhaftigkeit und Krankheit zum Tode zu steigern vermag: »Viel dachten diese pest mit bittern trüben thränen / Viel mit entäuserung der speisen zu entwehnen; Und als kein kraut nicht halff / so suchten sie den tod Durch messer /sträng und schwerd / den Jammerport der noht/ Den sarg gewünschter pein. Man hieß das übel: lieben; Und ward bey menschen nicht diß wesen nur getrieben / Es fraß diß süsse weh mehr / als ein nagend wurm / Ja als der krebs um sich.« (Ebda., S. 307)
Um gegenüber solchem Ansturm der Venus gewappnet zu sein, bleibt dem Menschen nur die vernünftige Einsicht in die Notwendigkeit eines mäßigen Gebrauchs der »Brunst«. »Wird aber hier umwölckt / durch blinder brünste rauch / Die sonne der vernunfft / so folgt der schiffbruch auch / Der seelen Untergang / und der verderb des leibes: Denn beide tödtet uns der lustbrauch eines weibes.« (Ebda., S. 294)
Eben diese Vernunft, so scheint es, nötigt auch zur Abkehr von der Göttin Venus und zur Hingabe an eine konkrete Geliebte, die Philomene; am Schluß des Preisgedichtes entmythologisiert die poetische ratio die Liebesgöttin, der schöne mythologische Schein war nur ästhetische Vorbereitung und reizendes Vorspiel, Exempel
g) Weltmacht Liebe - >VenusVenus< erotischer »Götzendienst« und christlicher Gottesdienst unversöhnt und unversöhnlich gegenüber. Und das aus christlicher Sicht Skandalöse sind weniger die arguten, auf den Gottes-Dienst bezogenen Metaphern, sondern die weltanschaulichen Grundlagen von der Liebe als letztlich göttlicher und kosmischer Grundkraft, deren legitimer Aus-Druck auch die Sexualität des Menschen ist. Der im Naturrecht beschlagene Jurist Lohenstein wußte, warum er dieses zum >Geist< der >Rosen< eigentlich passende Preisgedicht seinem >BlumenVenus< durchgängig als besonders ergiebiges Demonstrationsobjekt für alle wichtigen Merkmale des >blümelnden< marinistischen Stils der galanten Liebesdichtung. Ein Beispiel muß hier genügen. Im Anschluß an eine metaphorische Kettenbildung zur Beschreibung von »der liebe wercke« (V, S. 314) merkt Schöberl an: »Für die Komposition ist wiederum das Prinzip der variierenden Reihung bestimmend, die als metaphorische Bestimmungen für ein und denselben Sachverhalt so heterogene Begriffe wie Feuer, Kette, Sonne, Pfeil, Blume,
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7) Weisheit durch die >Blumen< (Lohenstein)
Zauberei, Perle und Wurzel aneinanderfügt.« (IV Schöberl, S. 55) Schon diese Motivfolge genügt dem >EingeweihtenNeukirchsche SammlungMarinismus< und galanten Manierismus ausschlaggebend gewesen sein. Die beginnende Aufklärung vermochte offenbar auch mit den hermetischen, magisch-alchimistischen Grundlagen seines Werkes immer weniger anzufangen. Das zeigt sich auch an dem stets nur kurzen, aber durchgängig kritischen Umgang mit der Alchimie in den Bänden der >Neukirchschen Sammlung< (vgl. dazu Kap. 8 b-6). Auch Günther rückt in dieser Hinsicht bereits in deutliche Opposition zu Lohenstein (Kap. 9 f). Dieser selbst indessen hatte - wie gesehen - keine Scheu, die hermetischen Grundlagen seines Werkes offen auszustellen und darüber hinaus auch jene Autoren in den Kontext dieser Weltanschauung zu rücken, die er besonders verehrte: Opitz, Gryphius und Hoffmannswaldau. Letzterem hat er in seiner berühmten >Lob-Rede< unter der Leitsentenz >Der große Pan ist todt< ein Denkmal gesetzt, das in seiner hermetisch-pansophischen Deutung des >Pan< auch als Selbstporträt Lohensteins gelesen werden kann. Unter Berufung auf Hermes Trismegistos oder >Mercurius< - verbunden mit dem Bekenntnis, »in der Poesie« stecke »die älteste Welt=Weisheit« (LRH, S. B 2r) - begreift der Redner Pan wie die >Pegnitz-Schafen vor ihm (vgl. Bd. IV/1, Kap. 7 d) als »Bild der Natur«, erfaßt aber in der Fähigkeit des Begreifens seine Gottebenbildlichkeit selbst und damit die Überlegenheit des Mikrokosmos über die Natur - eine Position, die verdeutlicht, warum die Hermetik einerseits eine >Summe< barocker Naturspekulation und ein Bindeglied zwischen Humanismus und Mystik der Zeit zu sein und zugleich einen Weg in die Aufklärung zu eröffnen vermochte, wo sie denn auch vielstimmig weiterwirkte (vgl. Bde. V/l-VI/3): »Warum sollte unser Pan aber nicht eben so wohl / als des Mercurius eines allererst nach Mosen gelebten Egyptischen Priesters Sohn / ein Bild der Natur abzugeben würdig geschätzt werden? Da doch ieder Mensch eine Mappe dieses großen Alles / eine kleine / oder / rechter zu sagen / eine grossere Welt / als die große abgiebt / da unsere Seele ein rechtes Ebenbild des großen GOTTES / ihre Unsterblichkeit aber etwas so großes ist / was weder der gestirnte Himmel / noch die gantze Natur in ihrem unbegreifflichen Umkreise besitzet.« (LRH, S. A 4r)
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8) >Galante< Abkehr vom Manierismus in der xNeukirchschen Sammlung
Discours, Welcher Gestalt man denen Frantzosen in gemeinem Leben und Wandel nachahmen solle< (vgl. dazu auch III Solbach, S. 241 ff.) schließt sich dessen Klage über die inflationäre und »gemißbrauchete« Verwendung des Begriffs unter seinen Zeitgenossen an (zit. in: I Wiedemann, S. 1). Sein eigener Definitionsversuch illustriert die aus der Bandbreite seiner Bestimmungen resultierende Diffusität des Begriffs. Die »Eigenschafft der Galanterie« sei »etwas gemischtes«, »so aus dem je ne scay quoy, aus der guten Art etwas zu thun, aus der manier zu leben, so am Hofe gebräuchlich ist, aus Verstand, Gelehrsamkeit, einen(!) guten iudicio, Höflichkeit, und Freudigkeit zusammen gesetzet werde, und deme aller Zwang, affectation, und unanständige Plumpheit zu wider sey.« (Ebda.)
Später pointiert er dies Ideal noch dahin gehend, »daß man seine Lebens-Art nach dem guten Gebrauch der vernünftigen Welt richte« (ebda., S. 2). Dieser Bestimmungsversuch ist ein hilfreicher Orientierungsmaßstab zur historischen Verortung eines Phänomens, dessen Bedeutung bis heute wenig erforscht und doch heftig umstritten ist. Wiedemann, der seine Sammlung einschlägiger theoretischer und literarischer (vor allem lyrischer) Texte unter dem Titel >Der galante Stil. 1680-1730< publizierte, gebührt zugleich das Verdienst, das Galante auch als praxisorientierte Verhaltens-Lehre (unter dem Kennwort >decorumNeukirchschen Sammlung< avancierten, dann hatte dies darin seinen Grund, daß die Galanten nun - im Gegensatz zu den diesbezüglich noch >klugen< Autoren selbst - zu dem Wagnis solcher Publikation bereit waren. Damit und mit ihren eigenen erotischen Gedichten, die sie freilich oft nur anonym oder pseudonym zu publizieren wagten, überschritten die Galanten eine bislang respektierte Grenze der Wohlanständigkeit und des Geschmacks, und die Bände durchbrachen damit auch noch eine weitere Grenze literarischer Konvention: Plakativ bildeten die Liebesgedichte Anfang und Mitte der Bände und verdrängten vollständig die geistliche Poesie, die ansonsten (auch in den von Hoffmannswaldau und Lohenstein selbst herausgegebenen Ausgaben ihrer Werke) stets am Anfang gestanden hatten. Den marinistischen Stil der beiden >hochbarocken< Dichter - und ihre Werke, deren Entstehung in die Mitte des 17. Jahrhunderts zurückreicht, stehen im Zentrum der Analyse zur >Metaphorik in der galanten Lyrik des Spätbarock< der >Neukirchschen Sammlung von Schöberl (vgl. IV, S. 50) - nahmen die durchweg mehr als eine Generation jüngeren Galanten eher in Kauf, und von diesem Stilideal wandten sich die Beiträger der Sammlung immer entschiedener ab (vgl. Kap. 9 b, c). Wichtig waren ihnen die von beiden Autoren gepflegten, für ihre eigene kommunikative - auch den Briefstil nachhaltig beeinflussende - Kultur (vgl. I Wiedemann, S. 30ff., 42f.) besonders anschlußfähigen Gattungen wie Dialoggedichte und Versepistel - und mit zwei Versepisteln Hoffmannswaldaus eröffnet denn auch der erste Band der >Neukirchschen Sammlung< (vgl. I Hoffm. I, S. 31 ff., 33ff.; zum ersten Brief >An Flaviem vgl. 11.37 Borgstedt 1997) -; wichtiger indessen dürfte für die Galanten insbesondere die >vernünftige< naturrechtliche Begründung für die >sinnliche Liebe< bei den >Dichterjuristen< Hoffmannswaldau und Lohenstein gewesen sein, die auch Thomasius in sein Konzept einer vernünftigen Liebe< und in seine naturrechtlich fundierte Ethik aufnahm (vgl. dazu auch 11.86 Schneiders; mit anderer Sicht IV Rusterholz, S. 208f.): »Diese Verbindung von Sinnlichkeit und Sittlichkeit, von Erotik und Ethos ist dem naturrechtlich hinterlegten galanten Diskurs im lutherisch geprägten Deutschland durchaus eigentümlich, sie steht insgesamt im Hintergrund der hiesigen erotischen Dichtung und bildet gleichsam den Wahrheitsanspruch, der die scherzhaften erotischen Freizügigkeiten der Galanten flankiert.« (11.37 Borgstedt 2001, S. 19)
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8) >Galante< Abkehr vom Manierismus in der >Neukirchschen Sammlung
Erotica< in der >Neukirchschen Sammlung< legt ihre Plazierung im historischen Kontext dieser Autoren (und damit im vorliegenden Band) nahe. Ihren Intentionen und ihrer Wirkung nach gehören sie indes in den Kontext der Frühaufklärung, die sie mit vorbereiten und deren Vernunft-Orientierung sie vertreten, und deshalb werden sie in der vorliegenden Lyrikgeschichte zum Teil auch im Kontext der Frühaufklärung dargestellt (vgl. Bde. V/l und V/2).
b) Von der Sammlung zur Anthologie - Zur Struktur und Entwicklung der Bände 1) Zur Druckgeschichte der >Neukirchschen Sammlungc. 1695 erschien der erste Band einer bis zum Jahr 1727 auf sieben stattliche Bände anwachsenden Reihe mit dem Serientitel >Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gediehte< (vgl. I Hoff. I-VII). Gegenüber konkurrierenden Nachahmungen (z. B. >Des Schlesischen Helicons auserlesene GedichteNeu eröffnetes Musen-Cabinetx, Leipzig 1702-1715 [vgl. dazu IV Bareikis, S. 50f.]; oder Menantes [d. i. Christian Friedrich Hunold]: >Auserlesene und theils noch nie gedruckte Gedichte unterschiedener Berühmten und geschickten Mannen, 3 Bände, Halle 1718-1720 [vgl. dazu IV Bareikis, S. 55ff.]) erwies sich die nach ihrem ersten Herausgeber auch >Neukirchsche Sammlung< genannte Gedichtkollektion als mit Abstand erfolgreichste Sammlung auf dem Markt (vgl. dazu auch IV Wiedemann, S. 38ff.). Wegen dieses Erfolges - Nachdrucke einzelner Bände sind bis etwa 1760 nachweisbar (vgl. IV Metzger/Metzger III, S. XVII) -, wegen Verleger- und Herausgeberwechsels, zahlreicher Raub- und Nachdrucke sowie partieller Umarbeitungen einzelner Bände (vor allem von Band V; vgl. IV Metzger/Metzger I, S. XXIff.) hat die Reihe eine komplizierte Druckgeschichte, deren Aufhellung zu partiellen Kontroversen in der Forschung, neuen Funden und auch zu Korrekturen bei der sich über 40 Jahre erstreckenden Neuausgabe der Bände durch die auch hier wechselnden Herausgeber (1961-1991) geführt hat, so daß die Editoren der späteren Bände immer wieder auf die Druckgeschichte der früheren Bände zurückkommen und textkritische Entscheidungen auf Grund neuer Forschungseinsichten revidieren mußten (vgl. IV de Capua/Philippson I/II; de Capua/Metzger I/II; Metzger/Metzger I-III). Ein Hauptproblem neben der Rekonstruktion der Druckgeschichte bestand und besteht zum Teil immer noch - in der Entschlüsselung der Herausgeber und Autoren, die sich durchweg (mit Ausnahme des letzten Bandes) hinter Initialen verbergen
b) Von der Sammlung zur Anthologie - Zur Struktur und Entwicklung der Bände
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oder ihre Werke zum großen Teil nur im Schutz der Anonymität zur Verfügung stellten. Entscheidende Fortschritte erbrachten hier vor allem die text- und stilkritischen sowie biographischen Forschungen Arthur Hübschers und Franz Heiduks, die in der Neuausgabe gebührende Berücksichtigung fanden. Dabei zeichnen sich insbesondere die Einleitungen zur Neuedition der drei letzten Bände durch gründliche Information nicht nur zur Textgeschichte, sondern auch zur historischen Situation und zu den biographischen Konstellationen aus (vgl. IV Metzger/Metzger I-III). - Im folgenden sind nur die wichtigsten Informationen zu Verlegern und Herausgebern sowie zur Entwicklung der Reihe, die als solche nicht von Anfang an geplant war, von Belang. 2) Verleger und Herausgeber: Die ersten drei Bände erschienen zwischen 1695 und 1703 zunächst bei dem Leipziger Verleger Thomas Fritsch, die Bände IV (1704) und V (1705) mit etwas verändertem Titel zuerst bei Gotthilf Lehmann in Glückstadt bei Hamburg und Leipzig, dann wiederum unter dem alten Titel - in später zum Teil neu redigierter Form - bei Fritsch. Dieser verlegte ferner als erster wieder den Band VI (1709). 1725 gab der Verleger Paul Sträube in Frankfurt die Bände I, III, IV und V heraus, und ihm ist die Erstausgabe von Band VII (1727) zu verdanken. Ein weiterer Verleger, Michael Blochberger, brachte dann als einziger alle sieben Bände vollzählig zum Abdruck (1734ff.; vgl. IV de Capua/Philippson I/II; Metzger/Metzger II, S. IXff.; vgl. dazu auch die synoptische Übersicht über die Verleger und Ausgaben in IV Metzger/Metzger III, S. X). Die beiden ersten Bände edierte der Jurist, Berliner Professor (l703ff.) und Ansbachische Hofrat Benjamin NEUKIRCH (1665-1729). Es ist unsicher, ob er auch den deutlich minderwertigen dritten Band als Editor zu verantworten hat (vgl. IV de Capua/Philippson I, S. XVI; de Capua/Metzger I, S. IX). Heiduk brachte (ohne durchschlagende Resonanz) auf Grund biographischer Hinweise und textkritischer Vergleiche mit dem >Musen Cabinetx (Leipzig 1702) den Herausgeber von dessen drittem Teilband, Erdmann Uhse (1677-1730), als Editor des dritten Bandes ins Gespräch (IV Heiduk, S. 18f.; vgl. zu Uhses anthologistischer Herausgeberschaft auch IV Bareikis, S. 50f.). - Lehmann holte sich als neuen Herausgeber für die Bände IV und V den schlesischen Arzt Christian HÖLMANN (1677-1744; IV de Capua/ Metzger II, S. VII). Als Fritsch den fünften Band selbst herausbrachte, ließ er ihn durch einen ungenannten Redaktor gründlich überarbeiten. Im Anhang dieses Bandes erschienen >Leanders aus Schlesien Deutsche Gedichte< (I Hoffm. V, S. 520-624). Hinter dem Pseudonym verbirgt sich der Jenaer Polyhistor und Professor Gottlieb STOLLE (1673-1744; vgl. IV Metzger/Metzger I, S. XXXIIff.; Metzger/Metzger II, S. XI). Er könnte der Redaktor des Bandes sein. Ihn beauftragte Fritsch jedenfalls auch mit der Edition des sechsten Bandes, wobei Stolles Freund Ephraim Gerhard (1682-1718) als Mitredakteur zu gelten hat. Paul Sträube wiederum betraute für den aus geschäftlichen Interessen nachgeschobenen Band VII den damals unbekannten Leipziger Thomasius- und Gottsched-Schüler Gottlob Friedrich Wilhelm JUNCKER (1703-1746) mit der Edition. 3) Gliederungen und Gattungen der Bände: Trotz unterschiedlicher Verleger und Herausgeber weisen die sieben Bände über den Serientitel hinaus eine Reihe gewich-
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8) >Galante< Abkehr vom Manierismus in der >Neukirchschen Sammlung
Galante Gedichte< und >Verliebte Gedichte< bzw. (ab Band IV) >Galante und Verliebte Gedichtet Ihnen schließen sich in den ersten Bänden noch >Galante und Verliebte Arien< an. Dann folgen >Sinn=Gedichte< (zumeist mit epigrammatisch-satirischen >GrabschriftenHochzeit=GedichteBegräbnüß=Gedichte< sowie >Vermischte Gedichte< (mit wiederum einem hohen Anteil von Gelegenheitsgedichten: auf Siege, Namens- und Geburtstage, Jubiläen, Besuche, Einweihungen usw.; vgl. IV Metzger/Metzger I, S. XIV). Damit hat also die Liebesdichtung Vorrang, und dieser Eindruck wird noch dadurch unterstützt, daß dem Reihen-Titel entsprechend am Anfang der Bände I bis IV stets Gedichte von Hoffmannswaldau - und in geringerem Maße auch von Lohenstein - stehen (und dies nach Möglichkeit auch am Anfang aller nachfolgenden Rubriken innerhalb der Bände). Allerdings nimmt der Anteil der Liebesdichtung vor allem in Band III und in den beiden letzten Bänden - eingestandenermaßen mangels >Masse< und dies wiederum auf Grund eines erkennbaren Geschmackswandels zu Beginn der Aufklärung - sichtlich ab. Mit mehr als 50% (in Band VII sogar 70%) durchgängig hoch ist in allen Bänden dagegen - trotz wiederholter Klagen über die Fron der Auftragsdichtung - der Anteil der Gelegenheitspoesie (vgl. dazu IV Metzger/Metzger III, S. LX). Dabei fällt auf, daß sich eine Reihe von Verfassern (zum Teil nach dem Vorbild Hoffmannswaldaus und Lohensteins) vom ersten Bande an darum bemühen, ihre Hochzeits- oder Leichengedichte unter ein bestimmtes, bereits im Titel genanntes Thema zu stellen (vgl. I Hoffm. I, S. 153ff., 181 ff., 203ff. u. ö.; I Hoffm. III, S. 170ff., 210ff., 215ff., 220ff. u.ö.; I Hoffm. IV, S. 187ff. [von Hoffmannswaldau], S. 192ff. [von Lohenstein], 207ff. [von Knorr von Rosenroth ] u. ö.). Sie nehmen damit jene Reform praktisch vorweg, die Gottsched in der >Critischen Dichtkunst im Streit um das Gelegenheitsgedicht zu dessen Verteidigung mit dem Vorschlag des Gelegenheits-Lehrgedichts präsentierte (vgl. dazu Bd. V/2, S. 29f.). Van Ingen hat an einer Reihe weiterer Gattungstraditionen - vor allem an den Abschiedsliedern und ihrer bisweilen ins Scherzhafte gewendeten Klagetopik - aufgezeigt, daß und wie die Galanten im Rückgriff auf Stile und Schreibtraditionen doch zu Abwandlungen der Topik und zu Hybridisierungen der Gattungen vorstoßen, wie wir sie exemplarisch dann auch in Günthers Lyrik antreffen (vgl. IV van Ingen 2001, S. 94ff., 101 f.). 4) Abkehr vom >Schwulst< des Manierismus: Damit deutet sich bereits an, daß die Bände eigentlich von Anfang an und gegen den ersten Augenschein kontinuierlich die Ablösung von Stil und Geschmack des von ihren Galionsfiguren Hoffmannswaldau und Lohenstein repräsentierten >marinistischen< Stilideals vorantreiben. Das zeigt sich zunächst äußerlich an der Abnahme des Gedichtanteils der beiden berühmten Schlesien Im ersten Band ist Hoffmannswaldau mit insgesamt mehr als 70 Gedichten und Lohenstein vor allem mit der >Venus< (I Hoffm. I, S. 290-346) und
b) Von der Sammlung zur Anthologie - Zur Struktur und Entwicklung der Bände
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der wortrefflichkeit der küsse< (ebda., S. 347-360), ersterer im zweiten Band mit mehr als 40, ab Band III mit nur noch wenigen Nachlaß-Gedichten vertreten, wobei die Zahl der anzweifelbaren Zuschreibungen (vor allem ab Band V) wächst und von daher keine genauen Angaben mehr möglich sind (vgl. dazu auch 11.37 Heiduk 1975, 1978; IV Heiduk, S. 76ff.; als Glanzstück des sechsten Bandes findet sich immerhin noch die Edition des Erstdrucks einer frühen Fassung von Lohensteins vier >HeroidenStil- und Funktionswandel der Lyrik um 1700< vgl. ausführlich Bd. V/2, S. 11 ff.). Im Zusammenhang damit wurden die Bände auch zunehmend von erotischen Provokationen gesäubert (das gilt schon für einen frühen Nachdruck des ersten Bandes; vgl. IV de Capua / Philippson I, S. XI; zum diesbezüglich engen Spielraum der Galanten vgl. auch IV Rusterholz, S. 21 Off.). Wenn die Herausgeber der Neuausgabe schon für Band III eine »Erschlaffung der barocken Formkräfte und Verdünnung des poetischen Gehalts« konstatieren »Vielfalt anstelle von Können herrscht vor, mehr Verfassernamen, aber weniger gute Gedichte - charakteristische Anzeichen einer Epoche des Endes und des Übergangs« (IV de Capua/Metzger I, S. VIII, XII) -, dann ist dies heute eher im Sinne des bewußten Abrückens von der übermächtigen Tradition zu verstehen. Und wenigstens ein Gedicht eines Anonymus aus der Rubrik >galante Gedichte< mag dies illustrieren, das bedenkenlos Motive, ja sogar syntaktische Strukturen aus Gryphius' berühmtem Gedicht >An die sternen< zitierend plündert (vgl. Bd. IV/1, Kap. 6d), nicht um es zu überbieten, sondern um es - das Thema ridikülisierend und zugleich die Sonettstruktur auflösend - an eine >galante< Pointe zu verraten und so für kommunikatives »Entertainment« zu sorgen (vgl, IV van Ingen 2001, S. 100): »An die Sternen. Jhr bürger stiller nacht / ihr kinder voller flammen / Ihr brüder reiner glut / ihr leichtes himmels=heer / Die ihr voll licht und glantz / von finsternis seyd leer / Ihr Sterne / die ihr hier als freunde kommt zusammen / Jetzt da die mattigkeit die glieder will durchkriechen / Und da ein sanffter schlaff die sinnen überschlichen / Was weist ihr doch umsonst jetzt euer reines licht Und lasset euer äug an goldnen fenstern sehen / Ambrette wird gewiß euch eine nase drehen / Verkocht euch wieder nur; ihr schaut sie heute nicht.« (I Hoffm. III, S. 52)
Den sechsten Band apostrophiert der Herausgeber Stolle in seiner >Vorrede< selbstbewußt als »neuen Hoffmannswaldau« (I Hoffm. VI, S. 19) und vollzieht unter der Ägide der Vernunft und des »witzes« eine definitive Abkehr vom >Schwulst< des Manierismus (vgl. dazu auch IV Metzger/Metzger II, S. XXf.). 5) Anthologie-Charakter: Mit Band VII schließlich wandelte sich die Sammlung vollends zur Anthologie im modernen Sinne. Der Herausgeber Juncker bemühte sich
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8) >Galante< Abkehr vom Manierismus in der >Neukirchschen Sammlung
Vernunft< verpflichteten Unternehmen. »Discret seyn ist ein nothwendiges Stücke der galanterie«, hatte Thomasius im Blick auf den Umgang mit dem »artigen Geschlecht« gemahnt (I Wiedemann, S. 3). Zugleich befleißigte man sich auch in der Poesie des >galanten< als eines »mittleren Stils«, wie ihn Neukirch für den galanten Briefstil als eine Art spannungsvoller Hybridisierung verschiedener Stilarten definiert hatte: »Der galante stylus ist nichts anders, als eine vermengung des scharffsinnigen, lustigen und satyrischen styli: und gleichwol ist er von allen dreyen sehr unterschieden. Denn er ist weder so ernsthafftig als der scharffsinnige; noch so pöbelhafftig, als der lustige; noch auch so stachlicht als der satyrische: sondern was der scharffsinnige zu ernstlich saget, das bringet der galante schertzend für: was der lustige zu niedrig ausdrückt, das ersetzet der galante mit artigen gedancken: und was der satyrische an fremden, und zwar im ernste, durchziehet, das tadelt der galante entweder an dem schreibenden selber, oder doch mit einer so guten manier, daß der leser mehr darüber lachen, als zürnen muß.« (Zit. in: I Wiedemann, S. 40)
>Vernünftig< gehen die Galanten auch mit den miteinander konkurrierenden Weltanschauungen um. Dies zeigt sich u. a. an der durchgängigen Kritik an den hermetischen Disziplinen, worin sich zugleich die explizit kaum eingestandene innerliche Distanz zu Lohenstein und seinem Weltbild erkennen läßt. Großenteils spielen die okkulten Künste keine Rolle. Nur die Alchimie wird (meist in >Sinn=GedichtenVniversal< von Urban Gottfried Bucher enthüllt einen tieferen Grund für die Ablehnung dieses Renaissance-Erbes: In den Zeiten des neugierigen früh-aufklärerischen Eklektizismus fühlte man sich möglicherweise sowohl von dem neuen Allmachts-Anspruch der Vernunft als auch von dem prätendierten hermetischen Holismus abgestoßen: »Ein Metaphysicus und Alchymist, Die sonsten weiter nichts mehr seyn / Die treffen wohl in vielen überein;
c) Herausgeber- und Dichterprofile
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Der will aus allem fast die besten kräffte zwingen / Und jener alles unter eine decke bringen. [...] Was man sonst denckt und sieht in großer zahl Das wissen sie in eins=zuziehen / Dieß ist ihr thun und eintziges bemühen / Sie reden sonst von nichts als vom Vniversal.« (I Hoffm. IV, S. 279)
Allerdings ist sonst vom interessanten weltanschaulichen Eklektizismus aus der Zeit der Frühaufklärung in den Bänden wenig zu spüren. Auch die theologischen und philosophischen Streitigkeiten der Zeit bleiben weitgehend ausgeklammert. Geradezu als eine Art >Wiedergutmachung< für die erotischen Freizügigkeiten der beiden ersten Bände darf im fünften Band der gebürtige Schlesier und Leipziger orthodoxe Theologe Valentin Alberti (1635-1697) mit 131 Gedichten und damit mit 43% der Gesamtzahl der Gedichte des Bandes (darunter allein mit 37 Begräbnis-Gedichten) den größten Platz beanspruchen! Der einzige reizvolle Kontrast dazu ist die Überarbeitung dieses Bandes durch Fritsch, der Albertis Gedichte reduziert, um statt dessen den - allerdings »epigonalen und weitgehend schwachen« Gedichten des Frühaufklärers Stolle Raum zu geben (vgl. dazu IV Metzger/Metzger I, S. XXIX). So hat die Sammlung ihre poetischen Höhepunkte denn zweifellos doch in den erstmals abgedruckten Gedichten Hoffmannswaldaus und Lohensteins. Dennoch ist ein Blick auf die Herausgeber-Intentionen und die weiteren Hauptbeiträger nicht unwichtig, weil sie jenen galanten Geschmackswandel vom >Barock< zur Aufklärung indizieren, in dessen Kontext auch Johann Christian Günthers poetisches Werk entstand und zu beurteilen ist.
c)
Herausgeber- und Dichterprofile (Neukirch, Hölmann, Alberti, Stolle u. a.)
1) Poetik, Herausgeberschaft und Poesie Neukirchs: Der erste Herausgeber Benjamin NEUKIRCH eröffnete Band I mit einer >Vorrede< (I Hoffm. I, S. 6-22; vgl. dazu III Niefanger 2001, S. 153ff.; Arnold), in der er im Zusammenhang mit heftiger Kritik an der Gelegenheitsdichtung die bisherige Dominanz der Poetik für die Dichtkunst einzuschränken suchte. Darin zeigt sich die galante Tendenz zum »Abdrängen der Rhetorik und der Interessenschwund für die Anweisungspoetik«, beides zentrale Tendenzen »der Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts« (IV van Ingen 2001, S. 88). Große Poeten, wie die Römer sie aufzuweisen hätten, ließen sich »alle tausend Jahre kaum einmahl sehen« (I Hoffm. I, S. 7). Eben wegen des hohen Qualitätsanspruchs hält Neukirch am >poeta doctusGalant< meint also hier im Sinne der ursprünglichen Bedeutung
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8) >Galante< Abkehr vom Manierismus in der >Neukirchschen Sammlung
gala< (= höfische Festkleidung) die (zeitlos gültige) Fähigkeit zu elegantem höfisch-aristokratischen Verhalten, bei dem auch eine geistreiche erotische Poesie einen unanstößigen Unterhaltungswert besaß. Der eigenen Zeit und Aristokratie sei dagegen ein rechtes Verständnis der »galanterie« abhanden gekommen (ebda., S. 7f.). Eben deshalb beansprucht Neukirch eine >galante< Lizenz für seine Sammlung, welche der Hebung des Geschmacks dienen soll. Die politische und konfessionell-kulturelle Zerrissenheit Deutschlands führt Neukirch als Grund für die auch in der Poesie bemerkbare Nachahmungssucht ausländischer Kulturen und für die weitgehende Mediokrität der zeitgenössischen deutschen Poesie an. Diese mustert er auf der Suche nach nationalen Vorbildern in einem Überblick (ebda., S. 8ff.). Opitz wird mit ausführlichen Zitaten aus seinem Werk als Begründer der deutschsprachigen Gelehrtenpoesie gewürdigt (ebda., S. 9ff.; vgl. auch ebda., S. 263). Morhofs Bevorzugung Flemings vor Opitz teilt Neukirch nicht. Für ihn sind Gryphius, dessen »gelehrsamkeit unmäßlich / sein verstand unvergleichlich / und so wohl in erfindung als ausbildung der dinge sehr hurtig und schnell gewesen« (ebda., S. 12) sowie Hoffmannswaldau und Lohenstein das unübertreffliche Dreigestirn deutscher Poesie. Hoffmannswaldau habe als Schüler von Opitz begonnen, dann aber von den Italienern gelernt »und die liebliche schreib=art / welche nunmehr in Schlesien herrschet / am ehesten eingeführet.« (Ebda., S. 13) Er sei zwar nur Lyriker, verdiene aber dafür den Titel eines »deutschen Ovidius« und sei sogar den »meisten ausländischen Poeten« überlegen (ebda., S. 14). Das größte Lob wegen seiner poetischen Vielseitigkeit widerfahrt dem »scharffsinnigen« Lohenstein (».. .wenn ich die Wahrheit sagen soll / so findet man bei diesem eintzigen fast alles beysammen / was sich in denen ändern nur eintzeln zeiget.« Ebda.) Über alles rühmt Neukirch den >Arminiusandern theil< eine ausführliche poetische >Lobschrift< (I Hoffm. I, S. 246-251). Ferner wird Lohenstein in der >Vorrede< mit ausführlichen Zitaten aus seinem Werk gewürdigt. Trotzdem nimmt sich Neukirch, wie er freimütig bekennt, als Editor die »kühnheit« heraus, »so wohl in den Hoffmannswaldauischen Sachen / als auch in der Venus des Herrn von Lohenstein / dasjenige / was unrecht geschrieben war / zu verbessern / das ausgelassene zu ersetzen / und etliche hohe gedancken / so sie vielleicht ihrer damahligen Jugend wegen nicht recht bedacht / in Ordnung zu bringen.« (Ebda., S. 21) Zugleich entschuldigt sich Neukirch vorsorglich für mögliche falsche Zuschreibungen von Gedichten an Hoffmannswaldau und nimmt für sich in Anspruch, »allzu=freye gedancken« nicht ins Werk aufgenommen zu haben. Für diejenigen, die man »bißher«- also im Erstdruck - darin gefunden habe, macht er den Verleger selbst verantwortlich (ebda.). Das ist natürlich eine Art Selbstschutz, weil Neukirch damals auf eine Stelle bei Hofe hoffte, doch insbesondere am preußischen Königshof (seit 1700) auf keine Gegenliebe stieß, weil er »nicht höfisch genug« war: »Er traf nicht den damals geschätzten Ton.« (IV Metzger/Metzger II, S. XXIX) Daß er - seine eigene Entschuldigung desavouierend - in seinen Beiträgen zum ersten Band mehrfach die Grenzen zum Pornographischen überschritt (so bei der Beschreibung eines Sexualaktes [I Hoffm. I, S. 94-99; vgl. auch ebda., S. 114-123]), mag in der galanten Absicht nach provozierender Grenzüberschreitung geschehen sein, und zugleich aus dem Bestreben, sich in einigen Kostproben den >Freizügig-
c) Herausgeber- und Dichterprofile
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keiten< Hoffmannswaldaus und Lohensteins als ebenbürtig zu erweisen, und er übernimmt bezeichnenderweise auch deren naturrechtlich-religiöse Begründung (»Ihr thut / was die natur auff erden eingesetzt // Was selbst der himmel hat in eure brüst geschrieben«; ebda., S. 159). Doch gerade an solchen Texten fällt die Stil-Differenz zu den virtuosen >Marinisten< besonders ins Auge. Wo die beiden Häupter der (früher so genannten) >Zweiten schlesischen Schule< (vgl. IV Schöberl, S. 7) ihre erotischen >Enthüllungen< zugleich augenzwinkernd unter artistischer Metaphorik und brillanten Vergleichen zu verhüllen vermögen, befleißigt sich Neukirch hier und in den meisten anderen seiner insgesamt 80 in den ersten Band gerückten Gedichte bereits des schmuckloseren Stils nach dem Vorbild des französischen Klassizismus mit der Folge einer obszön wirkenden Direktheit bei der Darstellung des Sexualaktes, die sogar soweit geht, daß die Liebhaberin im Dialog mit ihrem Thyrsis über ihre Schmerzen bei der Entjungferung klagen darf (I Hoffm. I, S. 121 f.). Im übrigen vermag Neukirch aber auch die neuplatonische Liebe mit Anspielungen auf Fleming (wenn auch mit ironischer Übertreibung; vgl. I Hoffm. I, S. 94) zu versifizieren. Neukirchs beginnende Distanz vom Manierismus, die er mit Rücksicht auf die Geschäftsinteressen des Verlegers noch nicht expressis verbis artikulieren konnte, zeigen sich auch in der Auswahl der anderen Beiträger der beiden ersten Bände: der Berliner (und spätere Dresdener) Hof-Dichter Johann von BESSER (1654-1729), der ebenfalls den meuen Stil< in der Nachfolge Boileaus praktizierte (vgl. zu ihm Bd. V/2, S. 37ff.; jetzt auch II.7 Kiesant), war im ersten Band mit 16, im zweiten bereits mit einer um das Vierfache höheren Zahl und im dritten Band immerhin noch mit 35 Gedichten vertreten (während Neukirch selbst im zweiten und dritten Band nur noch mit acht bzw. sieben eigenen Werken Aufnahme fand; vgl. dazu jeweils die >Verfasserverzeichnisse< in den Einleitungen zu den Bänden der Neuausgabe und das Gesamt->Register der Verfassen in I Hoffm. VII, S. 561 ff.). Der Stilunterschied, den Besser und Neukirch repräsentieren, wird durch das Arrangement zu Beginn des zweiten Bandes bereits sinnfällig als stilistischer Wettstreit inszeniert: Auf 25 Gedichte Hoffmannswaldaus (I Hoffm. II, S. 3-17) folgen neun Gedichte von Besser (ebda., S. 20-25) sowie eins von Neukirch selbst, anschließend wiederum zwei >marinistische< von Lohenstein (ebda., S. 26f). Neben weiteren im Zeitraum um 1700 bekannten Nebenstunden-Poeten vertraten vor allem Erdmann NEUMEISTER (1671-1756; vgl. zu ihm Bd. V/l, S. 55, 64; V/2, S. 12, 15) ebenso wie Neukirchs Berliner Freund Otto Christoph ELTESTER (1666-1738) -jeweils mit einer größeren Zahl von Gedichten in allen drei Bänden (von Ehester waren es allein 110 in den beiden ersten >TheilenSchwulst< gerichteten Stil (zum Verhältnis Neukirch-Eltester vgl. IV Metzger/Metzger III, S. Lllf.). Ehester schrieb formvollendete Sonette und überrascht in kleineren Zyklen durch die ungewöhnliche Konkretheit von Situationsangaben im Titel, die auf Autobiographisches verweisen (vgl. IV Heiduk, S. 44ff., 49f.), doch gelangt der Inhalt über Variationen der allgemeinen Liebes- Topik nicht hinaus (vgl. I Hoffm. II, S. 29-58; vgl. z. B. die Sonette >Als sie sich mit einem glase in die Hand geschnitten< oder >Als er kam / löschte sie das licht aus / daß er sie nicht sehen sollteGalante< Abkehr vom Manierismus in der >Neukirchschen Sammlung
Schreiben an seine Leonore. Von Breslau, Anno 1719, den 22. Dezemberc »Ach Kind, ach liebstes Kind, was war das für Vergnügen! Der Himmel geb' uns doch dergleichen Nächte viel Und laß' uns so vertraut bis an das letzte Ziel Mit Brust und Geist vermählt in Eintrachtsbanden liegen; Denn außer jener Welt und ohne diese Lust Ist doch wohl der Natur kein größrer Schatz bewußt. Wir spielen unverstört mit Redlichkeit und Küssen, Wir haben gleichen Sinn, wir wünschen einerlei, Sind Sklaven süßer Macht, und niemand lebt so frei; Wir schwatzen, daß uns auch die Worte mangeln müssen, Wir schenken uns an uns und nähmen, könnt' es sein, Als Seelen wahrer Treu' nur einen Körper ein. [...] Wir haben unsern Bund die Zeit bewähren lassen; Für dich ist auf der Welt kein beßrer Mann als ich, Ich find auch auf der Welt kein treuer Weib als dich, Wir müßten sonder uns das beste Leben hassen; Da, wo ich dich nicht seh, da ist mir alles leer, Und wenn es auch der Schwärm des größten Hofes war'.« (II G, S. 23f.) Anschließend deutet Günther die Schwierigkeiten an, die dieses erfüllte >private< Glück in einer Umwelt hervorruft, die den Begriff des Privaten und der Intimsphäre noch nicht kennt und deshalb durch rücksichtslose üble Nachrede das Glück der Beziehung bedroht:
c) Transformationen der Tradition
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»Gesegnet sei der Tag, gesegnet sei die Kammer, Die unsern Bund gesehn, die unsern Kuß gehört! Wer jenen durch Verdruß und die mit Fluch entehrt, Dem mach' ein böses Weib den Ehstand voller Jammer. Gesegnet sei auch gar der Kummer und der Neid, Der wegen deiner Gunst mir manchen Stoß verleiht!« (Ebda., S. 24f.)
Natürlich sind auch hier (anti-)petrarkistische Motive und neuplatonische Ideen (zwei Seelen in einem Körper) auszumachen, aber sie sind kein textuelles SpielMaterial mehr wie bei Fleming, sie dominieren den Text nicht mehr, sondern haben eher dienende Funktion bei der Charakterisierung eines individuellen Liebesverhältnisses, das sich einer autobiographischen Beziehung verdankt und in persuasiver Absicht auch wiederum konkret auf sie zielt. Das Gedicht ist ein Beispiel dafür, wie die noch erkennbaren Liebessprachen der Tradition ganz dieser besonderen Beziehung dienstbar gemacht werden, ihr Ausdruck, psychologische Plausibilität, Vertiefung und Präsenz verleihen sollen. Mit Recht betont man auch »die ungewöhnliche Inszenierungskunst in Günthers Gedichten, die eher häufig wie kleine Szenen, Dialoge, gespielte Aktionen erscheinen und den Eindruck unmittelbarer Zeitreferenz, simultaner Geschehensabläufe suggerieren« (11.32 Bölhoff 1998, S. 924; vgl. auch 11.32 Manger, S. 217). Ein gelungenes Beispiel hierfür ist auch das Lied >An SelindenWallung< ist, gewissermaßen als letzten >Akt< zur Überwindung aller inneren Vorbehalte die bei Hoffmannswaldau noch als gewichtige Lehre aus dem göttlichen und natürlichen Recht bekannte epicureische Liebesphilosophie hinzu (vgl. Kap. 6 d; vgl. dazu auch SW VI, S. 137), gleichsam als Höhepunkt der Persuasion, ganz bezogen auf die konkrete Adressatin (hier die Strophen vier bis sieben; vgl. dazu auch 11.32 Osterkamp 1982, S. 50ff.; Bölhoff 1998, S. 1452 ): »Vor was errothest du mein Licht? Ich werde dich nichts böses lehren, Du kennst das süsse Spiel noch nicht, Dein Anblick raubt mir Sehn und Hören. Die Liebe wünscht dich in ihr Reich, Gehorch ihr doch auf mein Erklären, Sie wird sich dir und diß zwar gleich Mit aller ihrer Lust gewähren. Sie ist der Erden höchstes Guth, Sie giebt dem Leben erst das Leben; Erforsche nur dein eignes Blut, Es wird mir heißen Beyfall geben. Ich weiß ein unbekandter Zug Erhitzt dir Adern, Brust und Wangen, Ach werde doch bey Zeiten klug, Und hintertreib nicht dein Verlangen. Die Einfalt macht die Holle heiß, Vermeid des Aberglaubens Netze,
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9) Distanz und Nähe (Günther) Von welchem die Vernunfft nichts weiß, Es ist ein bloßes Welt-Gesetze: Der Himmel flöst den Zunder ein, Und giebt den Saamen treuer Flammen, Wie solt er denn so thoricht seyn, Und, was er selbst befiehlt, verdammen? Beschau die Wercke der Natur, Betrachte Bäume, Feld und Thiere, Und lerne, wie der Liebe Spur Dich überall zum Scherzen führe! Wodurch sind ich und du denn da? Zu was bist du nebst mir gebohren? Der, so die Welt im Wesen sah, Hat uns zum Lieben auserkohren.« (W, S. 792f.; SWI, S. 138f.)
Erinnert sei zugleich nochmals an Goethes Charakteristik des Güntherschen Dichtens: »Ein entschiedenes Talent, begabt mit Sinnlichkeit, Einbildungskraft, Gedächtnis, Gabe des Fassens und Vergegenwärtigens« (vgl. Kap. 9 a-2) - alles Begriffe und Umschreibungen für erlebnishafte Vergegenwärtigung und sinnliche Prägnanz, wie sie Goethes eigene Erlebnislyrik kennzeichnen. Diese Stilqualität zeigt sich insbesondere dann, wenn Günther seine Liebesgedichte zum Medium und Vehikel der Liebesbeziehung selbst gestaltet (zu ihrer Komposition vgl. II. Trautmann).
d)
Erlebnislyrik als unersetzbare Erinnerungslyrik
1) Dichtung als Erinnerung privaten Erlebens: Kehren wir noch einmal zum poetischen >Schreiben an seine Leonore< zurück. Günther hat darin die äußeren Widrigkeiten angedeutet, die seine Beziehung zu Leonore belasteten. Eben wegen dieser Bedrohung wird ihm das Schreiben selbst in einem exzeptionellen Sinne zur entscheidenden Existenzform: »Ich tu, so viel ich kann, dein Denkmal auszubreiten, Um bei der späten Welt durch deinen Ruhm zu blühn; Wie mancher wird noch Trost aus meinen Liedern ziehn, Wie manchen wird mein Vers zur süßen Regung leiten! So merk ich, wenn mein Mund der Alten Arbeit liest, Daß unsre Liebe schon vordem gewesen ist.« (G, S. 25)
Das Faszinierende an Günthers Schreib-Verständnis - das hat Nicola Kaminski mit vielen Nachweisen belegt - ist die dialektische »Einverleibung« der Erotik und des Liebes-»Körpers« in die Buchstäblichkeit des poetischen Textes und die Verleiblichung des Liebes-Textes in der »Wollust« der Lektüre (so wie auch in der zitierten Strophe). Kaminski zitiert dazu auch einen Beleg aus der siebenten Strophe der >Abschiedsaria< (vgl. 11.32 Kaminski 1997a, S. 235f.): »Hier liegt mein Herz, da nimm es aus dem Munde Und heb es auf, die Früchte, so es trägt,
d) Erlebnislyrik als unersetzbare Erinnerungslyrik
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Sind Ruh' und Trost bei mancher bösen Stunde, Und lies, sooft dein Gram die Leute flieht, Mein Abschiedslied.« (G, S. 13)
Es ist im damaligen Verstehens-Kontext aber eben nicht so, daß sich »lebendige Substanz« »erst im Schreibakt zur toten Materie wandelt«, um dann außerhalb des Textes wieder »lebendig« zu werden, vielmehr ist und bleibt die - laut zu lesende (»nimm es aus dem Munde«) - Schrift entscheidender Kraft-Spender, das Gedicht will performativ bewirken, was es sagt - nach Analogie der Zaubersprüche und in Übereinstimmung mit dem sprachmagischen Verständnis des 17. Jahrhunderts, für welches das göttliche Sprechen (vgl. Gen. 1,3: »Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht«) gleichsam die >sprechakttheoretische< »Urszene« darstellt, die es in der Wiederherstellung der adamitischen »imago Dei« zurückzugewinnen galt (vgl. dazu auch >An Selindem, Abschnitt c-5). Günther nutzt dazu aus dem Repertoire der Rhetorik imaginations- und affektsteigernde Vergegenwärtigungstechniken: Konkretionen, Versinnlichungen, Apostrophen und apostrophische Exclamationen (vgl. ferner aus der >Abschiedsariamemoria< bei Günther verweist 11.32 Borgstedt, S. 192ff.). Darin liegt zugleich die Intimität des Sprechens, das den Sprecher und die Adressatin zugleich zu unersetzbaren (und damit nach Zymner individuellen) Figuren macht (vgl. 11.32 Zymner, S. 275), und dieses Sprechen verweist die Adressatin auf ein nur ihr bekanntes textexternes Erleben mit konkreten Augenblicks- und Ortsmerkmalen, das der Text anspricht, aber nicht selbst hervorruft und daher auch nicht im Leser »kreiert«; von daher erweisen sich Zymners und Kaisers Definitionsversuche für Erlebnislyrik (vgl. dazu Bd. VI/2, S. 345ff.) an diesem (und dem folgenden) Beispiel als unzulänglich: In dem Maße, in dem diese Gedichte an die Erinnerung der historisch ersten Adressatin appellieren und das zu Erinnernde im Gedicht nicht >wiederholen< oder darstellen, sind diese Gedichte auf unüberbietbare Weise individuell, triftig und in den Figuren (Sprechinstanz/Adressatin) nicht ersetzbar. Von daher gibt es also bei Günther den Typ eines Erlebnisgedichts, das als Erinnerungsmedium für außertextuelle Erlebnisse des Autors und seiner historischen Adressatin dient. 2) >Privatisierung< geistlicher Meditationslyrik: Das Abschiedsgedicht >An Leonore. Lüben, den 29. Oktober 1715< ist für die historische Adressatin Leonore der memorielle Ersatz des Geliebten, das tägliche Lesen dieses Gedichts ist der rituelle Akt,
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9) Distanz und Nähe (Günther)
in dem sich ihre Liebe wiederbelebt, real ereignet, indem der Geliebte und das gemeinsam Erlebte in den nacheinander aufgerufenen >loci< der Erinnerung lebendig werden: »Die Trennung dient zu größrer Freude, Drum tu doch nicht so sehr um mich! So weit ich auch von hinnen scheide, So nah behalt und küß ich dich, Weil Licht und Nacht in tausend Bildern Dem Herzen dein Gedächtnis schildern. [...] Erwäge stündlich in der Stille Den Anfang der Zusammenkunft, Bedenke nur, dein eigner Wille Beschwur das Bündnis mit Vernunft; Vergiß auch nicht, was mein Verlangen, Nur dich zu sehn, oft angefangen. [...] Besuche fleißig alle Gänge, Wodurch ich dich bisher geführt, Vornehmlich wo der Birken Menge Das Ufer und die Wiesen ziert, Und dort 'naus, wo dein sachtes Küssen Mich oft im Grünen wecken müssen.« (G, S. 15f.)
Damit bedient sich das Gedicht der Vergegenwärtigungstechniken geistlicher Meditationslyrik (vgl. dazu Bd. IV/1, Kap. 2 c). Aber während diese die jedem Gläubigen bekannten und auch durch sakrale Bilder vorgeformten Stationen (vor allem der Passion) vergegenwärtigen, bezieht sich Günthers Gedicht auf privat erlebte >StationenSitzes im LebenMonadologie< zu erkennen meint; 11.34, V II, S. Xf.). Günther hat dies selbst reflektiert (in einem poetologischen Gelegenheitsgedicht auf die Rückkehr von Christian Adam Gorns nach dessen medizinischer Promotion in Leipzig 1718): »Und so, es ist wohl wahr, ergötz ich Ohr und Brust An tiefer Wißenschaft mit unschuldsvoller Lust, Dergleichen auch Horaz und andre mehr genoßen, Die in sich selbst das Thor der Warheit aufgeschloßen, Der Dinge Grund durchforscht, Geschieht und Zeit durchrand, Viel Thorheit übersehn, der Liebe Werth erkand Und, was sie wohl geprüft und was sie selbst gefühlet, In netter Sprach und Art der Nachwelt vorgespielet. Dies ist allein der Grund, warum ich so viel Zeit Und Wachen und Geduld der Poesie geweiht, Nicht, daß ich mir dadurch das Brodt erfiedeln wollte, Nein, sondern daß sie mich zur Weißheit führen sollte, Und zwar durch so ein Gleiß, das angenehmer blüht Als jene rauhe Bahn, worauf der Stagirit (= Aristoteles) Und Helmont und Renat es um den Vorzug wagen Wie Weiber, welche sich bey Leichen Beulen schlagen.« (SW IV, S. 156f.; W, S. 477)
Die Poeten haben also seit alters »in sich selbst das Thor der Warheit aufgeschloßen«, durch intellektuelle und emotionale »Prüfung« aller Dinge sind sie zu Weisheitslehrern geworden, welche diese Weisheit überdies in einer »netten Sprach und Art« übermittelt haben. Darin erweist sich die Poesie den miteinander rivalisierenden wissenschaftlichen Schulen und Paradigmata als überlegen. Und wenn Günther hierfür Aristoteles, den von der Inquisition verfolgten und inhaftierten hermetischen Mediziner und Alchimisten Johann Baptist van Helmont (1577-1640; vgl. zu ihm IV Kemper II, S. 57f. u. ö.) sowie Rene Descartes (1596-1650) heranzieht, dann hat er mit diesen treffsicher die drei großen wissenschaftsgeschichtlichen Paradigmata bezeichnet, die in der frühen Neuzeit und auch noch zu Beginn der Aufklärung um die
f) Vernünftiges Christentum in geistlicher Dichtung
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Deutungshoheit kämpften und die Welt entweder als »Organismus«, als »geheimnisvolles Universum« oder als »Maschine« zu begreifen suchten (vgl. Ill Kearney, S. 80ff., 97ff., 143ff.; Quade, S. 44ff., 58ff.; vgl. dazu auch Hoffmannswaldaus Position, Kap. 6 a-3). - Im Blick auf diese Intention, die sich mit dem Berufswunsch des ausschließlichen Dichters bei Günther plausibel verbindet, darf man ihm bescheinigen, am nachdrücklichsten vor Haller (vgl. Bd. V/2, S. 128ff.) zur Autonomisierung der Dichtung als einer eigenständigen, von den anderen Disziplinen ernstzunehmenden Form kultureller Selbstverständigung beigetragen zu haben. 2) Aufklärerischer Geist und Hermetik-Kritik: Allerdings erwächst Günthers Poesie in allen ihren Gattungen aus der Kenntnis der frühaufklärerischen Weltanschauung, insbesondere aus der Aneignung der an Descartes anknüpfenden Leibniz-AVolffschen Schulphilosophie (vgl. zu dieser Bd. V/l, S. 92ff.) und ihrer orthodoxiekritischen vernünftigen Religiosität (vgl. dazu Bd. V/2, S. 62ff., 76ff.), wie Günther in seinen >Buszgedancken< bekennt: »Ich sah mich als ein Kind den Warheitstrieb schon leiten, Ich schwazte durch die Nacht bey Schriften alter Zeiten, Die Musen nahmen mich der Mutter von der Hand; Ich lernte nach und nach den Werth des Maro (= Vergil) schäzen Und fraß fast vor Begier, was Wolf und Leibniz sezen, Bey welchen ich den Kern der frommen Weißheit fand.« (SW II, S. 219; W, S. 319)
Dasselbe Bekenntnis legt er in dem bedeutsamen Gelegenheits-Bekenntnisgedicht an seinen Vater ab (>Den Unwillen eines redlichen und getreuen Vaters suchte durch diese Vorstellungen bey dem Abschiede aus seinem Vaterlande zu besänftigen ein gehorsamer Sohnmoderni< über die >antiqui< (zur >Querelle des Anciens et des Modernes< vgl. Bd. V/l, S. 28f.) spricht auch aus dem Gelegenheits-Lehrgedicht >Die steigende Gelehrsamkeit^ »So finster sah es aus, bis endlich ein Renat (= Descartes) An dem der Morgenstern der neuen Weißheit blickte, Vom heiigen Stagirit (= Aristoteles) den ersten Abfall that Und dieses Abgotts Macht durch Zweifeln unterdrückte. Die Köpfe streckten drauf den grösten Eifer an Und ließen der Vernunft die Freyheit mit dem Zügel;
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9) Distanz und Nähe (Günther) Ihr todten Väter, steigt aus eurer kalten Gruft Und seht, wie viel wir euch an Hoheit abgewonnen! Der siegende Verstand erforscht die Heimligkeit Und den verborgnen Fleiß der Mutter aller Dinge, Damit auch Menschenwiz durch seine Kunst erzwinge, Was ihre Würckung zeugt und ihre Schoos verleiht. Wir meßen ihre Kraft, wir wegen ihre Stärcke Und thun so gut als sie fast täglich Wunderwercke.« (SW VI, S. 21)
Zu dieser Fortschrittsgläubigkeit paßt auch Günthers Bekenntnis zum kopernikanischen System (»Seitdem Copernicus den Erdkreiß umgedreht«; SW IV, S. 167) und seine auffallende Zurückhaltung gegenüber allen hermetischen Disziplinen. Wenn er in den zitierten Versen von der Erforschung der »Heimligkeit« der Natur spricht, so ist diese Anspielung vielleicht eine Reverenz an den Adressaten, dessen Studienende Günther hier »im Namen eines ändern« feiert. Zwar erwähnt er vereinzelt und mit Respekt Repräsentanten der hermetischen Tradition - u. a. auch Hermes Trismegistos (SW VI, S. 138), der ansonsten aber nur als allegorische Personfikation, nämlich als Götterbote Mercurius neben Phoebus, Mars und der Wahrheit in einer AbendKantate auftaucht (SW IV, S. 259-267) -, aber er übt mehrfach deutliche Kritik an der »Lust verbothner Künste, / Die leider manchen Christ den Aberglauben lehrt« (so in einem Hochzeitsgedicht, in dem er auch Astrologie und Chiromantie als »Gauckelpoßen« verspottet; SW V, S. 73ff.). Den Einfältigen, die einen »Alchymisten« bestaunen, der vergeblich »Bley und Zinn in Trinckgold zu verwandeln« dachte, läßt er durch die »Weißheit« selbst von ihrem Wahrheitsthron die Leviten lesen: »Was steht ihr dort und da bey solchen Gauckelpoßen! / Last es der Einfalt zu, der es am Salze fehlt,...« (SW V, S. 82) In einem autobiographischen Briefgedicht >An einen guten Freund< rühmt er sich, den bis zu den Fürstenhöfen reichenden Aberglauben an die »Goldtinctur« mit satyrischer Feder »ausgestriegelt« zu haben - und diese Verse sind selbst ein Beispiel für Witz, Drastik und Schärfe der Güntherschen Satire und für die behauptete Überlegenheit der Poesie gegenüber solchen Künsten: »Ward weiter hier und da ein tummer Rabulist Vom Glücke, das nur scherzt, ins Fürsten Schoos geküst, Worin der Witwen Ach und armer Waysen Thränen Auch Stümpern insgemein die sichre Straße bahnen, Ja, sah ich manchen Kerl aus stinckendem Urin Durch List und Schwäzerey den reichsten Vortheil ziehn Und, wenn die Goldtinctur ein ganzes Land be- -, An Wein und im Bordel des Nechsten Schweiß vergießen, So schrie mein Satyr gleich: Die schärfste Striegel her! Und wenn auch Rad und Schwerd darauf gestanden war, So hält ich dennoch nicht den Vorwiz zwingen können, Mir nicht das freye Maul in Schriften zu verbrennen.« (SW III, S. 133)
Auch in der Medizin wettert Günther gegen Wunderkuren aller Art (vgl. SW IV, S. 78f.; vgl. auch Bd. II, S. 118), als deren Urheber er »Theophrast«, also Paracelsus, an den Pranger stellt, obwohl er sich positiv auf diesen hätte berufen können, wenn
f) Vernünftiges Christentum in geistlicher Dichtung
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er in der Medizin die Erfahrung beschwört (vgl. dazu Bd. III, S. 120ff.). Indessen bevorzugt er, wie er ausgerechnet in dem Rechenschaftsbericht an seinen Vater, einen konventionell kurierenden Armenarzt, bekennt, die neue, von Descartes ausgehende und von Leibniz-Wolff beeinflußte mechanistische Schule der Medizin, welche den Zusammenhang von Körper und Geist nach der Vorstellung der prästabilierten Harmonie zu erklären versuchte (vgl. dazu Bd. V/l, S. 92ff.) und die ansonsten unter den Ärzten in Deutschland kaum Anhänger fand (vgl. dazu Bd. V/l, S. 94ff; III Kemper 1993, S. 19ff.): »Bücher, Tiegel, Glas und Ring sind zusammen nichts als Plunder, Wenn man die Gesundheitsregeln nicht vorher in Kopf gebracht Noch auch durch vernünftig Schließen die Erfahrung brauchbar macht. Will man nun den Stümpern gleich nicht an jeder Klippe scheitern, So bemüh man sich zuerst, Sinnen und Verstand zu läutern: Man erforsche die Geseze, die der Bauherr schöner Welt Ehmals zwischen Geist und Cörper ewig gleich und fest gestellt. Dies erfordert etwas mehr als in alten Schwarten wühlen Und mit Knochen, Stein und Kraut oder heißem Erze spielen. Wer die Wißenschaft der Größe und der Kräfte nicht versteht, Kann den Leib unmöglich kennen, der wie Waßeruhren geht.« (SW H, S. 201 f.)
3) Vernünftiges Christentum: Natürlich waren von der Leibniz-Wolffschen Schulphilosophie her Konflikte mit der orthodoxen Religiosität nicht zu vermeiden. Denn diese Philosophen ließen auch in der Frömmigkeit nur gelten, was der Vernunft und einem vernünftigen Nachdenken über Gott und seine Einrichtung der Welt gemäß erschien, und ihr Maßstab war weniger die Bibel als das Buch der Natur (oder »Die Bücher der Natur, die groß- und kleine Welt«; SW II, S. 75), das - im Sinne der >new science< ausgelegt - unter dem Theorem der Widerspruchsfreiheit der göttlichen Bücher als Maßstab galt, um die Bibel auf das neuzeitliche Weltbild hin zu korrigieren. Sein auf Vernunft gegründetes Glaubensbekenntnis hat Günther denn auch noch 1722 in einem in Frage- und Antwortform katechismusartig gehaltenen Gedicht mit dem provozierenden Titel >Orthodoxissima seculi nostri paradoxa< in epigrammatischer Konzentration - unter effektiver Nutzung der Mittelzäsur des Alexandriners für die Verteilung von Frage und Antwort - zusammengefaßt: »Wer hat die Seeligkeit? Wer Gott recht ehrt und liebt. Wer ehrt und liebt ihn recht? Der, so sich eifrig übt, Ihn aus Vernunft und Licht und aus der Welt zu kennen. [...] Was macht der Orthodox? Zanck, Ketzer, Atheisten. Wer mehrt der Heuchler Schwärm? Die tummen Pietisten.« (SW II, S. 259; W, S. 542f.)
Damit markiert Günther genau die beiden feindlichen Frontlinien für die eigene Position, mit denen sich vor allem Christian Wolff in Halle, einer damaligen Hochburg des Pietismus (vgl. dazu Bd. V/l, S. 37f., 46f., 103ff. u. ö.; Bd. VI/1, S. 96ff. u. ö.), zum Zeitpunkt der Gedichtentstehung herumzuschlagen hatte. (Allerdings ist Günthers Beziehung zum Pietismus differenzierter zu sehen, als Krämer sie darstellt;
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9) Distanz und Nähe (Günther)
vgl. 11.34, V II, S. XXIf.; der «falsche Pietist» [SW IV, S. 300] verfällt der Kritik, wenn er wie die Vertreter der Orthodoxie Günthers Lebensweise und Liebesdichtung verteufelt; die geduldige Gelassenheit im Glauben verdient aber Lob: »warte mit Gelaßenheit / Wie die Stillen in dem Lande; sie betriegen nicht die Zeit.« SW IV, S. 313) Daß die Vernunft um der eigenen Existenzberechtigung willen die Schwere des Sündenfalls relativieren oder aufheben mußte, versteht sich, und auch Günther hat diese Relativierung (wohl mit Blick auf die verschiedenen Adressaten in unterschiedlicher Rigorosität) vertreten (vgl. SW VI, S. 137). Ferner wandelt sich das Gottesbild. Die zweite Person der Trinität tritt bei Leibniz und Wolff ebenso wie bei Günther zurück. Dagegen rückt Gott der Schöpfer in Korrelation zu der von ihm nach Maß und Gesetz geschaffenen Welt ins Zentrum der Betrachtung. Das Mechanistische des Gottes- und Weltbegriffs wird nun aber vor allem bei Günther relativiert durch die Vorstellung, Gottes hervorstechende Eigenschaft sei die Liebe. Diese Vorstellung, die sich im Luthertum der Zeit selbst anbahnt - besonders prominent bei Paul Gerhardt (vgl. Bd. II, S. 279ff.) - führte in der Theologie und Philosophie der Aufklärung zu einer immer stärkeren Infragestellung aller Dogmen, die vom zornigen Gott und der Ewigkeit der Höllenstrafen handeln. Es erschien als unvereinbar mit der Idee des höchsten Wesens, ihm solch niedere menschliche Gefühle wie Zorn oder Rache bzw. die Absicht ewiger Höllenstrafen für zeitliche Vergehen zu unterstellen. Statt dessen setzte sich vor allem in der Phase der Empfindsamkeit unter den Intellektuellen - darunter Klopstock - die auch in Kreisen des radikalen Pietismus vertretene Lehre von der >Apokatastasis pantom (der schließlichen Errettung aller Kreaturen) durch (vgl. Bd. VI/1, S. 204, 402f, 480 u. ö.). Günther hat diese Konflikte im Medium der Poesie charakteristischer Weise >am eigenen Leibe< ausgetragen. Früh schon mußte er sich gegen Vorwürfe orthodoxer Pfarrer zur Wehr setzen, die Ketzerisches in seinen Gedichten fanden. Seinem Vater gegenüber rechtfertigt er sich empört, ein orthodoxer Ketzermacher habe ihn »verdammt« und »eine Gift der Pietisten« aus einem Leichengedicht herausgelesen, das von »Gottes Liebe« gehandelt habe. Deshalb habe er angeblich »geleugnet: Nur der Glaube macht gerecht.« (SW II, S. 200f.) Und Günther hält solchen Denunziationen noch selbstgewiß (und selbstgerecht!) sein Bild vom liebenden Gott (und Erlöser) entgegen: »Daß Verleumder böser Art auch mein Christenthum vernichten, Mag der Herr, der alles sieht, doch nur mit Erbarmung richten. Mich befestigt bei den Stürmen die gewiße Zuversicht, Daß die Liebe des Erlösers gar was anders von mir spricht. Dies gesteh ich ohne Furcht, daß ich manch verwirrt Geschweze, Das in Glaubenssachen schwermt, vor geringe Poßen schäze;...« (Ebda., S. 200)
Das war zweifellos starker Tobak für den strenggläubigen Vater und seine geistlichen Berater. Günther hat sein Glaubensbekenntnis auch in einem autobiographischen Bekenntnisgedicht auf eine provozierend vernünftige, in den Augen orthodoxer Leser gewiß hoffärtige, alle Dogmen von Sündenfall, Buße, Strafe, Erlösungssehnsucht und Zentralstellung des Glaubens außer Kraft setzende Weise vorgetragen und die säkularisierende Wucht noch dadurch erhöht, daß er diesem Inhalt die Form eines
f) Vernünftiges Christentum in geistlicher Dichtung
327
Kirchenliedes gab (>Als er sein festes Vertrauen auf Gott sezteUm Beständigkeit auf eine numerische Pointe gebracht, wobei er zugleich in fast blasphemischer Weise auf Luk. 23, 42f. anspielt: »Klopft die lezte Botschaft an, Geh ich freudig von der Erden; Wenn dein Wort nicht lügen kann, Muß mir Heil und Himmel werden.
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9) Distanz und Nähe (Günther) Kämen auch nur zween hinein, Will ich doch der andre seyn.« (SW II, S. 96)
4) Einforderung des Tat-Christentums: In einem Auftrags-Perikopengedicht (>Am XV. Sonntage nach TrinitatisLehre< lautet - und damit vertritt er zugleich eine Kern-Überzeugung nicht nur der Jansenisten, sondern auch der Pietisten (vgl. Bd. V/l, S. 39ff., 69) -: »Der eußerliche Gottesdienst, Wozu wir uns bekennen, Ist in der That noch nicht genung, Daß wir uns Christen nennen. Das Wißen macht es auch nicht aus, Viel weniger das Hören: Der Wandel und die gute That Muß unsern Glauben lehren.« (SW II, S. 263 f.) Doch eben diese Überzeugung wurde mitsamt dem vor allem in früheren Gedichten so sieges- und heilsgewiß vorgetragenen vernünftigen Christentum gerade durch die sich häufenden Schicksalsschläge in Günthers Leben auf eine immer härtere Probe gestellt.
g)
Rebellion gegen die Vaterwelt und Selbstbewahrung des Ich (Klagelieder)
In den bereits erwähnten Klagegedichten wird Günther seine eigene aussichtslose Situation zum lebendigen Einwand gegen Gottes Güte und Gerechtigkeit (vgl. 11.32 Dahlke, S. 150ff.). Diese Poesie wird so zum Exempel für jene frühneuzeitliche Entwicklung, in der überindividuelle Deutungs- und Ordnungssysteme an Bedeutung verlieren und durch die subjektive Welt- und Selbsterfahrung des Individuums ersetzt werden. Indem Günther die exorbitante eigene Lage wie Fleming zum Anlaß und Gegenstand lyrischer Reflexion nimmt, gewinnen seine Klagelieder ihren individuellen Charakter und können als gewichtiger Beitrag zur Gattung der Gedankenlyrik gelten.
g) Rebellion gegen die Vaterwelt und Selbstbewahrung des Ich
329
1) Theodizee: In dem großen Rechtfertigungs- und Bekenntnisgedicht an den Vater von 1722 machte sich Günther noch ganz die Kerngedanken von Leibniz' >Theodizee< zu eigen (>Versuch der Theodizee über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des ÜbelsBuch der Nature. Das gilt zunächst für den irdischen Vater und zugleich für die von der Geistlichkeit geprägte und ihm feindlich gesonnene Sozietät. In einer Reihe von Gedichten fühlt sich das Ich in der Überzeugung von einem seine Geschöpfe liebenden Gott geborgen, der ins Herz sieht und auf dessen Urteil es allein ankommt - unbekümmert um die Urteile, welche die Menschen und auch die Kirche fällen (»Was schadet uns der Menschen Richten? / Auf Gottes Urteil kommt es an«; SW II, S. 85). Und von Gott heißt es definitiv: »Gott, bistu, was du bist, so kanstu nicht verdammen Und ewig grausam thun; ich weis, du thust es nicht, Verstelle, wie du willst, dein holdes Angesicht, Ich laße doch nicht ab zu hofen und zu bethen; Mein Glaube trozet dich, du kanst nicht niedertreten.« (SW II, S. 226)
In diesen Zusammenhang gehört auch, daß das Ich sich in der »imitatio« des leidenden Christus sieht, der seinen Vater bat, den Kelch an ihm vorüber gehen zu
330
9) Distanz und Nähe (Günther)
lassen (vgl. Mt. 26, 39): »Mein Schöpfer, denck an dich, / Und leidet es dein Ruhm, so überhebe mich / Des allzu bittern Kelchs, du Brunnquell aller Güte!« (Vgl. dazu auch 11.32 Osterkamp 1981; vgl. dazu auch Gryphius' Verarbeitung dieses Motivs; Bd. IV/1, Kap. 6h-7). Aus der Zeit der ersten großen Enttäuschung in Schweidnitz (1719; vgl. Kap. 9 b-3) stammt vermutlich das »Klage-, Bitt- und Trostgedicht« >An Gott um HülfeRecht< um Hilfe bitten und damit auch an seinem Lebensplan gegen alle Widerstände festhalten (hier wird also die Prädestinationslehre bereits vorsichtig in einen vernünftigen Begründungszusammenhang gebracht): »So deutlich und so wahr ich ietzt mich selbst empfinde, So fest versprech ich mir Vergebung jeder Sünde, Und so gewiß du bist, so stark ist mein Vertraun, Du hast mich längst erwählt, ach! hilf mich ietzt bekehren, Damit ich würdig sey, die Mittel zu begehren, Die inn- und äußerlich mein Glücke fester baun. Ach! hilf mir wider mich, wenn Fleisch und Regung irren, Damit sie die Vernunft durch keinen Dunst verwirren, Laß Leben, Leib und Kraft noch etwas stehn und blfihn; Und dieses nur darum, dein Lob einmal zu preisen, Und endlich auch der Welt die Pflichten zu erweisen, Worzu mir die Natur ein gutes Pfund verliehn.« (W, S. 260) Der Finalpunkt des Gedichts ist also durchaus die Hoffnung auf eine innerweltliche Pflicht- und Glückserfüllung (wohl im Dienst »des hohen Berufs der Poesie«; vgl. 11.32 Lohmeier, S. 91). Doch die Aussichten darauf verdüsterten sich - wie gesehen immer mehr. 3) Hader mit Gott: Deshalb nahm Günther nun zunehmend auch Gott selbst keineswegs mehr aus seinen Klagen und Anklagen mehr aus. In einem als Dialog zwischen Seele und >Weißheit< gestalteten Gelegenheits-Trostgedicht für Elias von Beuchelt (SW IV, S. 308-315) erklärt die Seele:
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9) Distanz und Nähe (Günther) »... Meine Marter zwingt zur Sünde, Da ich stets den Himmel taub und den Höchsten hart befinde, Da ich bitte, schrey und seufze und gleichwohl, so starck ich fleh, Weder Baare noch Errettung und die Plagen wachsen seh.« (SW IV, S. 309)
In dieser Auftragsarbeit läßt die Seele sich dann durch die Weisheit besänftigen, die mit einer Vielzahl von Beispielen aus der Geschichte den einen Trost-Gedanken variiert: »Ohne Läuterung schlecht Gold, ohne Prüfung schlechte Christen!« (Ebda., S. 313) In eigenen Klagegedichten beruhigt sich Günther nur noch zum Teil mit diesem Argument. So in dem Gedicht >Der sich selbst tröstende und befriedigende Redlichem Hier wird der Wunsch, mit dem Schöpfer zu »schmollen, / Als hält er, da er längst mein Leiden und mein Flehn / So gut voraus gesehn, / Mein Wesen und Natur nur möglich laßen sollen«, nur dem »blinden Sinn« angelastet, während sich der Geist in der Erwägung von »Gottes Gut und Wunder«, zu denen auch das »ehrliche Herz« als »Schaz« des Sprechers zählt, in die »Wahl« von Gottes »Schlüßen« ergibt (SW II, S. 76-78). In dem (An-)Klagegedicht >An Gott< rechtet das Ich aber geradezu mit dem Schöpfer und hält ihm wiederum das Übermaß seiner Strafen als unvernünftig, ja eigentlich als seiner unwürdig vor (»Die Strafe beßert sonst die Sünder; / Dies ist mehr Grausamkeit als Zucht.«), und das Gedicht endet mit einem Appell, der im Aufweis der eigenen Hilflosigkeit zugleich die Vernunft auf seiner Seite hat und in der latenten Härte der Abrechnung bereits auf den Beginn von Goethes berühmter >PrometheusDie Zuversicht des Geistes zu Gott< auf die Spitze, wenn er Gottes Zorn, der ihn in die Hölle verdammt zu haben scheint, provozierend die eigene unverbrüchliche Gottesliebe entgegenhält: »Doch wenn mich auch dein Zorn bis in die Hölle triebe, / So predigt ich auch dort die Wollust deiner Liebe.« (SW H, S. 135; vgl. auch SW II, S. 233) Fast schon grotesk prallen hier noch einmal das Bild des im 17. Jahrhundert so oft beschworenen zürnenden und strafenden Gottes und das aufklärerische Bild vom Gott der Liebe aufeinander, und es ist nun der Mensch, der auch als in seinem Leiden gedemütigte Kreatur gleichwohl Gottes wahres Wesen verkündigt, sich darin eigentlich als überlegen erweist und zugleich an seine Liebe appelliert. - Und auf dieses Gefühl und Bewußtsein des eigenen, bei aller Fehlbarkeit und Schwäche doch guten Herzens, das sich das Ich selbst-gewiß zuspricht und von keiner übergeordneten Instanz mehr in Frage stellen läßt, gründet es auch die Gewißheit der eigenen Erwähltheit (»Wer will wohl dem das Glück entwenden, / Der in sich selber fühlt, er hab' es gut gemeint?« SW II, S. 85) Noch
g) Rebellion gegen die Vaterwelt und Selbstbewahrung des Ich
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prometheischer wirken die epigrammatischen >BuszgedanckenAria< >Als er seinem harten Schicksal nachdachte< (vermutlich 1719/1720; vgl. 11.32 Bölhoff, 1998, S. 1079). Es wünscht sich aus übergroßem Leid verzweifelt in der Rolle Hiobs, bereits bei der Geburt gestorben zu sein (»Ach wäre dort dein Geist im ersten Bad erstickt!« W, S. 252; SW II, S. 67; vgl. SW II, S. 67: »Die Stunde der Geburt mit Hiobs Fluch zu seegnen.« Vgl. Hiob 3, 2ff.; vgl. auch SW II, S. 122; zum Hiob-Bezug vgl. 11.32 Krämer V II, S. Vllff.). Es fühlt sich vom Himmel als einziges »Aergerniß erschaffen« (W, S. 253), von ihm sowie von den Freunden und der Welt verlassen. Nur das Lied bleibt ihm als Medium der Klage, Adressaten sind »Wald und Wuste«, in die das Ich zu ziehen hofft, um »Nicht mehr ein Aergerniß der tummen Welt zu seyn.« (W, S. 254). 4) Durch Nacht zum Licht: Doch diese melancholieträchtige Position des einsam auf sich selbst gestellten, an Gott und der Welt leidenden Ichs, die in Hallers großer Gedankenlyrik als >Kehrseite der Aufklänmg< eine Fortsetzung findet (vgl. Bd. V/2, 5. 143ff.), wird in den Klagegedichten Günthers nicht durchgehalten. In seinem vermutlich gegen Ende der Laubaner Zeit entstandenen - Gedicht >Alß er durch innerlichen Trost bey der Ungeduld gestärcket wurdeSprung< in den Christus-Glauben überwinden zu können. Anfangs sagt sich das Ich von allen vernunft-gemäßen Tugenden mit »reiffem Wohlbedacht« los und fährt dann - wohl an die Theologen und Philosophen gewendet - fort: »Ihr Lügner, die ihr noch dem Pöbel Nasen dreht, Von vieler Vorsicht (= Vorsehung) schwatzt, des Höchsten Gnad erhebet Dem Armen Trost versprecht, und wenn ein Sünder fleht, Ihm Rettung, Rath und Krafft, ja, mit dem Maule gebet: Wo steckt denn nun der Gott, der helffen wil und kan?
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9) Distanz und Nähe (Günther) Er nimmt ja, wie ihr sprecht, die gröbsten Sünder an, Ich wil der gröbste seyn, ich warte, schrey und leide, Wo bleibt denn auch sein Sohn? Wo ist der Geist der Ruh? Langt jenes (= Christi) Unschuldskleid und dieses (= Hl. Geist) Krafft nicht zu, Daß beider Liebe mich vor Gottes Zorn bekleide? Ha! blindes Fabel-Werck! ich seh dein Larven-Spiel, Dies geb ich auch noch zu: Es ist ein ewig Wesen, Das seine groste Macht an mir nur zeigen wil, Und das mich obenhin zur Marter außerlesen; Es fuhrt, es leitet mich, doch stets auf meinen Fall, Es giebt Gelegenheit, damit es fiberall Mich rühmlich straffen kan und stets entschuldigt scheine, Bißweilen zeigt es mir das Glücke recht zu gehn, Bald läßt es mich in mir dem Guten wiederstehn Damit die frommste Welt das ärgste von mir meine.« (W, S. 265f.)
Bittere Anklagen gegen seine Spötter und vor allem gegen die Eltern folgen sowie der Versuch einer selbstgerechten Selbstrechtfertigung (er selbst würde niemanden »er sey mir noch so feind« [W, S. 266] - im Stich lassen, wenn er in solche Not geraten würde), und dann verflucht Günther in der berüchtigten sechsten Strophe sogar wieder wie Hiob (und möglicherweise zugleich in Anlehnung an das literarische Vorbild Hoffmannswaldaus; vgl. das Schlußterzett von dessen >galantem< Sonett >Er liebt vergebenem »Ach! daß den schwartzen leib das erste wasserbad / so mir die mutter gab / nicht bald ersäuffet hat / So dörfft ich jetzt allhier nicht wie ein narr verderben.« I Hoffm. I, S. 44) den Zeugungsakt, dem er sein Leben verdankt: »Was wird mir nun davor? ein Leben voller Noth; O! daß doch nicht mein Zeug aus Raben-Fleisch entsproßen! O! daß doch dort kein Fluch des Vaters Lust verbot! O! war doch seine Kraft auf kaltes Tuch gefloßen! O! daß doch nicht das Ey, in dem mein Bildniß hieng, Durch Fäulung oder Brand der Mutter Schooß entgieng, bevor mein armer Geist dies Angst-Hauß eingenommen, Itzt lag ich in der Ruh bey denen, die nicht sind, Ich dürfft ich ärmster Mensch und grostes Elendskind Nicht stets bey jeder Noth vor grosrer Furcht umkommen.« (W, S. 267) Dann folgt plötzlich und unmotiviert - und nur durch die Hiob-Struktur literarischbiblisch vor-gebildet (vgl. dazu 11.32 Stenzel 1982) - der Umschlag, der mit dem Titel bereits angedeutet wird: »Verflucht sei Stell und Licht! — ach! ewige Geduld, Was war das vor ein Ruck von deinem Liebes-Schlage! Ach! fahre weiter fort, damit die große Schuld Verzweiflungs-voller Angst mich nicht zu Boden schlage; Ach! Jesu sage selbst, weil ich nicht fähig bin, Die Beichte meiner Reu, ich weiß nicht mehr wohin Und sincke Dir allein vor Ohnmacht in die Armen,
g) Rebellion gegen die Vaterwelt und Selbstbewahrung des Ich
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Von außen quälet mich des Unglücks starke Fluth Von innen Schrecken, Furcht und aller Sünden Wuth, Die Rettung ist allein mein Tod und Dein Erbarmen.« (W, S. 267)
Man hat sich gefragt, wie ernst dieser Schluß mit pietistisch anmutenden »LiebesSchlag« zu nehmen sei, ob die Strophe nur aus Zensurgründen oder zur Versöhnung möglicher Gönner, an die sich das Gedicht richte, den Abschluß bilde bzw. ob dieser Widerruf der vorangegangenen Infragestellung der Theodizee nicht nur eine literarische Nachbildung des Buchs Hiob sei (vgl. 11.32 Bölhoff 1998, S. 1089f.). Das ist nicht zu klären. Bei aller Spekulation sollte man die Schlußzeile nicht überlesen: Günther wünscht sich den Tod als Rettung - das legitimiert die bitteren Klagen und Selbstrechtfertigungen des Gedichts - und zugleich Christi Erbarmen - im und nach dem Tod (so wie man dies damals jedem irdisch Gescheiterten, sogar dem bereuenden Verbrecher wünschte und zugestand). Die Rettung aus der Selbstverzweiflung in den Glauben wird auch von anderen Autoren der Frühaufklärung als »Sprung« dargestellt, den die »ratio« - überwältigt etwa von den unvorstellbaren Dimensionen der Pluralität der Welten - selbst nicht (mehr) zu leisten vermag - so von Brockes (>Das FirmamentUnvollkommenes Gedicht über die EwigkeitBarock-Humanismus< mit der prometheischen Rebellion zu Beginn und dem pietistischen »Gnadendurchbruch« zum Schluß dieses Gedichts pointiert auf den Widerstreit der beiden Reformkräfte um die Jahrhundertwende, welche die kulturelle Auseinandersetzung in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts beherrschen sollten: Aufklärung und Pietismus (vgl. Bd. V/l)!
Verzeichnis der zitierten Literatur
I. Anonyma, Lexika und Quellensammlungen Anon.: ...Wahrhafftige ...Thatten: Warhafftige vnnd Erschreckliche Thatten vnd handlungen der LXIH. Hexen vnnd Vnholden / so zu Wisenstaig / mit dem Brandt gericht worden seindt. O. O. 1663. AC: Apologia Confessionis Augustanae. Apologia der Confession aus dem Latin verdeutscht durch Justum Jonam. In: I J. G. Müller (Hg.): Die symbolischen Bücher der evangelisch-lutherischen Kirche (s. d.), S. 71-291. Bruns: Hexen-Gerichtsbarkeit im kurkölnischen Sauerland. Red. A. Bruns. Hg. v. Schieferberg-Heimatmuseum Schmallenberg-Holthausen 1984. CHD: Das Corpus Hermeticum Deutsch. Übersetzung, Darstellung und Kommentar in drei Teilen. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften bearbeitet u. hg. v. Garsten Colpe u. Jens Holzhausen. Teil I. Die griechischen Traktate und der lateinische >AsklepiusCardenio und CelindeSonnete< des Andreas Gryphius. München 1976. Steiger, Johann Anselm: Schule des Sterbens. Die >Kirchhofgedanken< des Andreas Gryphius (1616-1664) als poetische Theologie im Vollzug. Heidelberg 2000. Yu, Young-Hee: Feurige Dichtkunst. Die Lyrik von Andreas Gryphius und Friedrich von Spee im Spannungsfeld der Feuertheorien des 17. Jahrhunderts. Frankf./M. 2005. 32 GÜNTHER, JOHANN, CHRISTIAN: G: Gedichte. Auswahl und Nachwort v. Manfred Windfuhr. Stuttgart 1975 (= Reclam). - GG: Gesammelte Gedichte. Hg. v. Herbert Heckmann. München Wien 1981. - SW I-VI: Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Gesamtausgabe. Hg.v. Wilhelm Krämer. Bde. I-VI. Leipzig 1930-1937 (Reprogr. Nachdr. Darmstadt 1964). (= Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 275, 277, 279, 283, 284, 286). - SW I: Liebesgedichte und Studentenlieder in zeitlicher Folge. 1930. - SW II: Klagelieder und Geistliche Gedichte in zeitlicher Folge. 1931. - SW III: Freundschaftsgedichte und -briefe in zeitlicher Folge. 1934. - SW IV: Lob- und Strafschriften in zeitlicher Folge. 1935. - SW V: Gelegenheitsdichtungen bis zum Ende der Wittenberger Zeit (1710-1717). 1935. - SW VI: Gelegenheitsdichtungen vom Beginn der Leipziger Zeit bis zum Tode (1717-1723). Undatierte Gelegenheitsdichtungen. Anhang: Angezweifelte Gedichte. 1937. - W: Werke. Hg. v. Reiner Bölhoff. Frankfurt/M. 1998 (= Bibliothek der frühen Neuzeit Bd. 10). Bölhoff, Reiner: I-III: Johann Christian Günther 1695-1975. Kommentierte Bibliographie. Schriftenverzeichnis. Rezeptions- und Forschungsgeschichte. Bde. I-III. Köln, Wien 1980-1983 (= Literatur und Leben N. F. 19/ - ). - (1988): Zur neueren Günther-Forschung. In: Johann Christian Günther (mit einem Beitrag zu Lohensteins »Agrippina«). Hg. v. Hans-Georg Pott. Paderborn 1988, S. 83-105. - (1997): Probleme der Günther-Edition. In: Jens Stuben (Hg.): Johann Christian Günther (s. d.), S. 289-323. - (1998): Kommentar. In: Johann Christian Günther: W (s. d.), S. 913-1584. Bogner, Ralf Georg: Die Hilflosigkeit des Arztes im Angesicht des eigenen Todes. Biographistische versus rhetorische Deutungen zu Johann Christian Günthers Lyrik am Beispiel seines Trauergedichtes auf Johann Jacob Vogt. In: Jens Stuben (Hg.): Johann Christian Günther (s.d.), S. 113-122. Borgstedt, Thomas: Petrarkismus und Präsenz in Johann Christian Günthers Liebesdichtung. In: Jens Stuben (Hg.): Johann Christian Günther (s. d.), S. 173-196.
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65 ROBERTIN, ROBERT: Mache, Ulrich: Roberthin, Robertin, Robert. In: I LL (s. d.). Bd. 9. 1991, S. 491 f. 66 ROLLENHAGEN, GABRIEL: Sinn-Bilder. Ein Tugendspiegel. Bearb., mit e. Nachw. vers. u. hg. v. Carsten-Peter Warncke. Dortmund 1983. [Zuerst 2 Bde. 1611/1613]
67 RONSARD, PIERRE DE: Warning, Rainer : Petrarkistische Dialogizität am Beispiel Ronsards. In: Die Pluralität der Welten. Aspekte der Renaissance in der Romania. Hg. v. Wolf-Dieter Stempel u. Karlheinz Stierle. München 1987, S. 327-358. 68 RÜFF, JACOB: Hebammen=Buch / Daraus man alle Heimligkeit deß Weiblichen Geschlechts erlehrnen / welcherley gestalt der Mensch in Mutter Leib empfangen / zunimpt vnnd geboren wirdt / Auch wie man allerley Kranckheit / die sich leichtlich mit den Kindbetterin zugetragen / mit kostlicher Artzeney vorkommen vnd helffen könne. Alles auß eygentlicher Erfahrung deß weitberuhmpten Jacob Rüffen / Stattartztes zu Zürich / vor dieser Zeit an Tag geben. Jetzund aber von newem gebessert / mit schonen Figuren geziert ... Franckfort am Mayn 1563. Reprint Grünwald bei München 1964 (= Die historischen Taschenbücher). 69 SCALIGER, JULIUS CAESAR: Poetices libri septem. Faks. Neudr. d. Ausg. Lyon 1561 mit einer Einl. v. August Bück. Stuttgart Bad Cannstatt 1964. 70 SCHEIBEL, GOTTFRIED EPHRAIM: Die Unerkannte Sünden Der Poeten Welche man Sowohl in ihren Schrifften als in ihrem Leben wahrnimmt. Nach den Regeln des Christenthums und vernünfftiger Sittenlehre geprüfet. Leipzig 1734.
11. Zu einzelnen Autoren
353
71 SCHEIN, JOHANN HERMAN Hermelink, S.: Schein, Johann Hermann. In: I RGG (s. d.)- Bd. 5. 1961, Sp. 1394 72 SCHILLER, FRIEDRICH: SW 1: Sämtliche Werke. Erster Band. Gedichte / Dramen I. Auf Grund der Originaldrucke hg. v. Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert, 5., durchges. Aufl. München 1973. 73 SCHIRMER, DAVID: SR: Singende Rosen oder Liebes- und Tugend-Lieder 1654. Hg. u. m. e. editor. Anhang versehen v. Anthony J. Harper. Tübingen 2003 (= Weltliche Liederdichter des 17. Jahrhunderts). - PRG: Poetische Rosen-Gepüsche 1657. Hg. u. m. e. editor. Anhang versehen v. Anthony J. Harper. Tübingen 2003 (=Weltliche Liederdichter des 17. Jahrhunderts). 74 SCHMOLCK, BENJAMIN: Braungart, Georg: Erbaulicher Zweck und poetischer Anspruch: Benjamin Schmolcks Vorreden-Apologetik. In: III Dieter Breuer (1995a): (Hg.): Religion und Religiosität (s. d.), S. 487-502. 75 SCHOCK, JOHANN GEORG: Prätonus, Bernd: Schoch, Johann Georg. In: I LL (s. d.). Bd. 10. 1991, S. 349. 76 SCHOTTELIUS, JUSTUS GEORG: AATH: Ausführliche Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache 1663. Hg. v. Wolfgang Hecht. 2 Teile. Tübingen 1967 (= Deutsche Neudrucke. Reihe: Barock. Bde. 11/12). - TVRK: Teutsche Vers= oder Reim=Kunst darin Vnsere Teutsche Muttersprache, So Viel dero süßeste Poesie betrifft, in eine richtige Form der Kunst Zum ersten male gebracht worden. Franckfurt am Mayn 1656. 77 SELNECKER, NIKOLAUS: SCP: Speculum Coniugale et Politicum. Ehe und Regentenspiegel (1589). 2. Aufl. Eißleben 1600. 78 SPEE, FRIEDRICH VON: CC: Cautio Criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse. Mit acht Kupferstichen aus der >Bilder-CautioUnglückliche, was hast du gehofft?< Zu den Hexenbüchern des 15. bis 17. Jahrhunderts. In: III Becker/Bovenschen/Brackert: Aus der Zeit der Verzweiflung (s. d.), S. 131-187. Bredow, Wilfried von / Thomas Noetzel (Hgg.): Befreite Sexualität? Streifzüge durch die Sittengeschichte seit der Aufklärung. Hamburg 1990. Breuer, Dieter (1982): Geschichte der literarischen Zensur in Deutschland. Heidelberg 1982 (= UTB 1208). - (1995a): (Hg. in Verbindung mit Barbara Becker-Cantarino, Heinz Schilling und Walter Sparn): Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock. 2 Bde. Wiesbaden 1995 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung Bd. 25).
358
Verzeichnis der zitierten Literatur
- (1995b): Vorwort. Ebda. Teil I, S. XI-XXII. Cersowsky, Peter: Magie und Dichtung. Zur deutschen und englischen Literatur des 17. Jahrhunderts, München 1990. Conrad, Anne: »Katechismusjungfrauen« und »Scholastikerinnen«. Katholische Mädchenbildung in der Frühen Neuzeit. In: III Wunder/Vanja (Hgg.): Wandel der Geschlechterbeziehungen (s. d.), S. 154-179. Denzler, Georg: Die verbotene Lust. 2000 Jahre christliche Sexualmoral. München Zürich 1988. Deschner, Karlheinz: Das Kreuz mit der Kirche. Eine Sexualgeschichte des Christentums. Düsseldorf Wien 1974. Neuaufl. 1987. Deventer, Jörg: Gegenreformation in Schlesien. Die Habsburgische Rekatholisierungspolitik in Glogau und Schweidnitz 1526-1707. Köln Weimar Wien 2003 (= Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte Bd. 8). Dülmen, Richard van: (1988): Fest der Liebe. Heirat und Ehe in der frühen Neuzeit. In: R. v. D. (Hg.): Armut, Liebe, Ehre. Studien zur historischen Kulturforschung. Frankf. a. M. 1988, S. 67-106. - (1990): Kultur und Alltag in der frühen Neuzeit. Erster Band. Das Haus und seine Menschen 16.-18. Jahrhundert. München 1990. Evans, Robert J. W.: Das Werden der Habsburger Monarchie 1550-1700. Gesellschaft, Kultur, Institutionen. Wien Köln Graz 1986. Farge/Davis: Arlette Farge u. Natalie Zemon Davies (Hgg.) : Geschichte der Frauen. Bd. 3. Frühe Neuzeit. Frankf./New York 1994 (= Geschichte der Frauen. 5 Bände). Fauth, Wolfgang: Mysterien. In: I KP (s. d.). Bd. 3, Sp. 1533-1542. Fischer-Homberger, Esther: (1979): Krankheit Frau. Bern/Stuttgart 1979. - (1983): Medizin vor Gericht. Bern/Stuttgart 1983. Flandrin, Jean-Louis: Das Geschlechtsleben der Eheleute in der alten Gesellschaft: Von der kirchlichen Lehre zum realen Verhalten. In: III Aries/Bejin (Hgg.): Die Masken des Begehrens (s. d.), S. 147-164. Fülop-Miller, Rene: Macht und Geheimnis des Jesuitenordens. 1929 u. ö. Gebelein, Helmut: Alchimie. München 1991. Glaser, Horst Albert: Annäherungsversuche. Zur Geschichte und Ästhetik des Erotischen in der Literatur. Bern Stuttgart Wien 1993. Godwin, Joscelyn: Musik und Spiritualität. Quellen der Inspiration in der Musik von der Frühzeit bis in die Moderne. Bern, München, Wien 1989. Graf, Holger Thomas/Ralf Prove: Wege ins Ungewisse. Reisen in der Frühen Neuzeit 1500-1800. Frankf./M. 1997. Grimm, Gunter, E.: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland. Untersuchungen zum Wandel ihres Verhältnisses vom Humanismus bis zur Frühaufklärung. Tübingen 1983. Grimm, Gunter E. u. Frank Rainer Max (Hgg.): Deutsche Dichter. Leben und Werk deutschsprachiger Autoren. Bd. 2. Reformation, Renaissance und Barock. Stuttgart 1988. Hankamer, Paul: Deutsche Gegenreformation und deutsches Barock. Die deutsche Literatur im Zeitraum des 17. Jahrhunderts. Bonn 1962. Haug, Walter (Hg.): Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze. Tübingen 1999 (= Fortuna vitrea Bd. 16). Herter, Hans: Nymphai. In: I KP. Bd. 4, Sp. 207-215. Honegger, Claudia: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib. 1750-1850. FrankfVM. New York 1991. Hunzinger, Claus-Hunno: Asmodi. In: I RGG (s. d.). Bd. 1.1957, Sp. 649.
III. Epochenprobleme und -aspekte
359
Kaminski, Nicola: Ex bello ars oder Ursprung der >Deutschen PoetereyLeiden des jungen WerthersMelusine< und bei Paracelsus, Daphnis 20. 1991, S. 81-100. Schorn-Schütte, Luise: »Gefährtin« und »Mitregentin«. Zur Sozialgeschichte der evangelischen Pfarrfrau in der Frühen Neuzeit, in: Wunder/Vanja (Hgg.): Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit (s. d.), S. 109-153. Schormann, Gerhard: Der Dreißigjährige Krieg. Göttingen 1985 (= Kleine Vandenhoeck Reihe 1506). Schröter, Michael: »Wo zwei zusammenkommen in rechter Ehe ...« Sozio- und psychogenetische Studien über Eheschließungsvorgänge vom 12. bis 15. Jahrhundert. Mit einem Vorwort v. Norbert Elias. Frankf./M. 1985.
IV. Gattungsprobleme und -aspekte
361
Schubert, Ernst: Gauner, Dirnen und Gelichter in deutschen Städten des Mittelalters. In: C. Meckseper / E. Schraut (Hgg.): Mentalität und Alltag im Spätmittelalter. Göttingen 1985, S. 97-128. Simon, Manuel: Heilige. Hexe. Mutter. Der Wandel des Frauenbildes durch die Medizin im 16. Jahrhundert. Berlin 1993. Solbach, Andreas: Der galante Geschmack. In: III Borgstedt/Solbach (2001 a): (Hgg.): Der galante Diskurs (s. d.), S. 225-274. Spangenberg, Peter-Michael: Maria ist immer und überall. Die Alltagswelten des spätmittelalterlichen Mirakels. Frankf./M. 1987. Steinhagen, Harald (Hg.): Zwischen Gegenreformation und Frühaufklärung: Späthumanismus, Barock. 1572-1740 Reinbek bei Hamburg 1985 (- Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 3). Steinhagen, Harald/Benno von Wiese (Hgg.): Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk. Berlin 1984. Straßner, Erich: Deutsche Sprachkultur. Von der Barbarensprache zur Weltsprache. Tübingen 1995. Stuckrad, Kocku von: Was ist Esoterik? Kleine Geschichte des geheimen Wissens. München 2004. Trepp, Anne-Charlott und Hartmut Lehmann (Hgg.): Antike Weisheit und kulturelle Praxis. Hermetismus in der Frühen Neuzeit. Göttingen 2001. (= Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte Bd. 171). Van den Berg, Johannes: Die Frömmigkeitsbestrebungen in den Niederlanden. In: Martin Brecht (Hg.): Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert. Göttingen 1993, S. 57-112 (= Geschichte des Pietismus Bd. 1). Vietta, Silvio: Literarische Phantasie: Theorie und Geschichte. Barock und Aufklärung. Stuttgart 1986. Vollhardt, Friedrich: Selbstliebe und Geselligkeit. Untersuchungen zum Verhältnis von naturrechtlichem Denken und moraldidaktischer Literatur im 17. und 18. Jahrhundert. Tübingen 2001 (= Communicatio 26). Wächtershäuser, Wilhelm: Das Verbrechen des Kindsmordes im Zeitalter der Aufklärung. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung der dogmatischen, prozessualen und rechtssoziologischen Aspekte. Berlin 1973 (= Quellen und Forschungen zur Strafrechtsgeschichte Bd. 3). Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 1. Vom Feudalismus des Alten Reichs bis zur defensiven Modernisierung der Reformära 1700-1815. München 1987. Wiedemann, Conrad: Nachwort. In: I Wiedemann: Der galante Stil (s. d.), S. 149-151. Wittern, Renate: Kontinuität und Wandel in der Medizin des 14. bis 16. Jahrhunderts am Beispiel der Anatomie. In: III Walter Haug (Hg.): Mittelalter und frühe Neuzeit (s. d.), S. 550-572. Wunder, Heide: »Er ist die Sonn', sie ist der Mond«. Frauen in der Frühen Neuzeit. München 1992. Wunder, Heide u. Christina Vanja (Hgg.): Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit. FrankfVM. 1991 (= suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 913).
IV. Gattungsprobleme und -aspekte Adam, Wolfgang: Poetische und Kritische Wälder. Untersuchungen zu Geschichte und Formen des Schreibens >bei Gelegenheit^ Heidelberg 1988. Bareikis, Robert P.: Die deutschen Lyriksammlungen des 18. Jahrhunderts. In: Die deutschsprachige Anthologie. Bd. 2. Studien zu ihrer Geschichte und Wirkungsform. Hg. v. Joachim Bark u. Dietger Pforte. Frankf./M. 1969, S. 48-139.
362
Verzeichnis der zitierten Literatur
Borgstedt, Thomas (1994): Kuß, Schoß und Altar. Zur Dialogizität und Geschichtlichkeit erotischer Dichtung (Giovanni Pontano, Joannes Secundus, Giambattista Marino und Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau). In: GRM NF 44, 1994, S. 288-323. - (2001): Topik des Sonetts. Eine pragmatische Gattungskonzeption. Habil.-Schr. (Masch.) Frankf./M. 2001. - (2003): Sonett. In: I RL (s. d.). Bd. 3. 2003, S. 447-450. Breuer, Dieter: Deutsche Metrik und Versgeschichte. München 1981 (= UTB 745). Cysarz, Herbert (1964a): Vorwort zur Neuauflage (1964). In: I H. C: Vor- und Frühbarock (s. d.), S. 4-8. - (1964b): Barocke Lyrik und barocke Lyriker. Ebda., S. 9-88. De Capua/Philippson I: Angelo George de Capua u. Ernst Alfred Philippson: Einleitung. In: I Hoffm. I (s. d.), S. VII-XXXVI. - II: Einleitung. In: I Hoffm. II. (s. d.), S. VII-XLIV. De Capua/Metzger I: Einleitung. In: I Hoffm. III (s. d.), S. VII-XXXVI. - II: Einleitung. In: I Hoffm. IV (s. d.), S. VII-XLVIII. Derks, Paul: Die sapphische Ode in der deutschen Dichtung des 17. Jahrhunderts. Eine literaturgeschichtliche Untersuchung. Diss. Münster 1970. Dohm, Burkhard: Poetische Alchimie. Öffnung zur Sinnlichkeit in der Hohelied- und Bibeldichtung von der protestantischen Barockmystik bis zum Pietismus. Tübingen 2000 (= Studien zur deutschen Literatur Bd. 154). Dörrie, Heinrich: Der heroische Brief. Bestandsaufnahme, Geschichte, Kritik einer humanistisch-barocken Literaturgattung. Berlin 1968. Drux, Rudolf: »Wie reimt sich Lieb und Tod zusammen?« Gestalten und Wandlungen einer Motivkombination in der barocken Lyrik, in: DU 37. 1985, S. 25-37. Ertzdorff, Xenja von: Romane und Novellen des 15. und 16. Jahrhunderts in Deutschland. Darmstadt 1989. Fechner, Jörg-Ulrich: (1966): Der Antipetrarkismus. Studien zur Liebessatire in barocker Lyrik. Heidelberg 1966. - (1969) (Hg.): Das deutsche Sonett. Dichtungen, Gattungspoetik, Dokumente. München 1969. Föcking, Marc: >Rime sacre< und die Genese des barocken Stils. Untersuchungen zur Stilgeschichte geistlicher Lyrik in Italien 1536-1614. Stuttgart 1994 (= Text und Kontext 12). Forster, Leonard: Das eiskalte Feuer. Sechs Studien zum europäischen Petrarkismus. Übs. v. Jörg-Ulrich Fechner. Kronberg/Ts. 1976 (= Theorie-Kritik-Geschichte Bd. 12). Frank, Horst Joachim: Handbuch der deutschen Strophenformen. 2. Aufl. Tübingen Basel 1993. Fröhlich, Harry: Apologien der Lust. Zum Diskurs der Sinnlichkeit in der Lyrik Hoffmannswaldaus und seiner Zeitgenossen mit Blick auf die antike Tradition. Tübingen 2005. (= Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte. Bd. 125). Fullenwider, Henry F. »Eros meus crucifixus est«: Zur Auslegung vom Hohenlied 2,3 in den Künsten, in: III Dieter Breuer (1995a): (Hg.): Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock (s. d.), S. 503-508. Garber, Klaus: Vorwort. In: K.G. (Hg.): Europäische Bukolik und Georgik. Darmstadt 1976, S. VII-XXII (= Wege der Forschung Bd. 355). Gerling, Renate: Schriftwort und lyrisches Wort. Die Umsetzung biblischer Texte in der Lyrik des 17. Jahrhunderts. Meisenheim a. G. 1969 (= Deutsche Studien Bd. 8). Goebel, Martin: Die Bearbeitungen des Hohen Liedes im 17. Jahrhundert. Diss. Leipzig 1914. Heiduk, Franz: Die Dichter der galanten Lyrik. Studien zur Neukirchschen Sammlung. Bern und München 1971.
IV. Gattungsprobleme und -aspekte
363
Hempfer, Klaus: Die Pluralisierung des erotischen Diskurses in der europäischen Lyrik des 16. und 17. Jahrhunderts (Ariost, Ronsard, Shakespeare, Opitz). In: GRM NF 38. 1988, S. 251-264. Hempfer, Klaus W./Gerhard Regn (Hg.): Der petrarkistische Diskurs. Spielräume und Grenzen. Akten des Kolloquiums an der Freien Universität Berlin 23. 10. - 27. 10. 1991. Stuttgart 1993. Hempfer, Klaus W. und Andreas Kablitz: Französische Lyrik im 18. Jahrhundert. In: Dieter Janik (Hg.): Die französische Lyrik. Darmstadt 1987, S. 267-341. Höhne, Ernst: Hohes Lied. In: I EKL (s. d.). Bd. 2. 1962, Sp. 189 Hoffmeister, Gerhart: Petrarkistische Lyrik. Stuttgart 1973. Hübscher, Arthur: Die Dichter der Neukirchschen Sammlung. In: Euphorien Bd. 24. 1922, S. 1-28 u. S. 259-277. Hülst, Alexander Reinard: Hoheslied. I. Das at. Buch. In: I RGG (s. d.). Bd. 3, Sp. 428-430. Ingen, Ferdinand van (1966): >Vanitas< und >Memento Mori< in der deutschen Barocklyrik. Groningen 1966. - (2001): Epochenschwelle und Gattungskonvention in der Galanten Dichtung. Liebesklage und Abschied. In: III Borgstedt/Solbach: (2001): (Hgg.): Der galante Diskurs (s. d.), S. 87-110. Janik, Dieter: Die lyrische Poesie und ihre Gattungen im 16. Jahrhundert. In: Die französische Lyrik. Hg. v. D. J. Darmstadt 1987, S. 178-227. Kemper, Hans-Georg (1981 I/II): Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß. Problemgeschichtliche Studien zur deutschen Lyrik in Barock und Aufklärung. 2 Bde. Tübingen 1981. - (1999): Hölle und »Himmel auf der Erden«. Liebes-, Hochzeits- und Ehelyrik in der frühen Neuzeit. In: III Walter Haug (Hg.): Mittelalter und frühe Neuzeit (s. d.), S. 30-77. - Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. 10 Bde. Tübingen 1987-2006. - Bd. I: Epochen- und Gattungsprobleme. Reformationszeit. 1987. - Bd. II: Konfessionalismus. 1987. - Bd. III: Barock-Mystik. 1988. - Bd. IV/1: Barock-Humanismus: Krisen-Dichtung. 2006. - Bd. IV/2: Barock-Humanismus: Liebeslyrik. 2006. - Bd. V/l: Aufklärung und Pietismus. 1991. - Bd. V/2: Frühaufklärung. 1991. - Bd. VI/1: Empfindsamkeit. 1997. - Bd. VI/2: Sturm und Drang: Genie-Religion. 2002. - Bd. VI/3: Sturm und Drang: Göttinger Hain und Grenzgänger. 2002. Ketelsen, Uwe-K.: Die Anonymisierung des Buchmarktes und und die Inszenierung der >Speaking Voice< in der erotischen Lyrik um 1700. In: The literary culture in the Holy Roman Empire, 1555-1720. Ed. by James A. Parente jr., Richard Erich Schade and George C. Schoolfield. Chapel Hill, London: Univ. of North California 1991, S. 259-275. (= Studies in the Germanic languages and literatures 113). Knörrich, Otto (1981): (Hg.): Formen der Literatur in Einzeldarstellungen. Stuttgart 1981. - (1992): Lexikon lyrischer Formen. Stuttgart 1992. Krummacher, Hans-Henrik (1974): Das barocke Epicedium. Rhetorische Tradition und deutsche Gelegenheitsdichtung im 17. Jahrhundert. In: Jahrbuch der dt. Schillergesellschaft 18. 1974, S. 89-147. - (1986): Probleme des geistlichen Liedes und seiner Poetik im 17. Jahrhundert. Zur Kritik des Buches von Irmgard Scheitler. In: IASL 12 (1986), S. 273-294. Lerch, David: Hoheslied. II: Auslegungsgeschichtlich. In: I RGG (s. d.). Bd. 3. 1959, Sp. 430f.
364
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V. Weitere Forschungsliteratur Ficker, Ludwig von: Der Abschied. In: Erinnerung an Georg Trakl. Zeugnisse und Briefe. 3., erw. Aufl. Darmstadt 1966, S. 195-218. Wagner, Peter: Lust und Liebe im Rokoko. Nördlingen 1986.
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Personenregister
Biblische, mythologische und fiktive Namen s. Sachregister Abschatz, Hans Aßmann v. 11,239 Adam, W. 8, 232, 322 Alberus, Erasmus 17 Albert der Ältere von Brandenburg-Ansbach 85 Albert, Heinrich 80ff., 84, 87f., 96, 98, lOOff, 105ff., 157, 294 Alberti, Valentin 289, 294ff. Albertus Magnus 14 Albrecht Anton, Graf von Schwarzburg Rudolstadt 189 Amthor, Christoph Heinrich 310 Anakreon 98, 301 Andreae, Johann Valentin 179 Angelus Silesius s. Johannes Scheffler Antonia, Prinzessin von Württemberg 255 Aretino, Pietro 5 Aries, P. 12f. Ariosto, Ludovico 5, 47 Aristoteles 14, 22, 47f., 50, 102, 197, 322 Arndt, Johann 97, 164, 196, 244, 296, 328 Arnold, Gottfried 63, 170 Arnold, H. L. 289 Artzat und GroßSchottkau, Georg Friedrich v. 270ff. Asmuth, B. 224f, 230f, 233, 259, 272 Assig und Siegersdorff, Andreas v. 272 Augustinus, Aurelius 13, 160 August II., »der Starke«, König von Polen, als Friedrich I. Kurfürst v. Sachsen 308, 315 Augustus, röm. Kaiser 289 Avicenna 24 Bälde, Jakob 202 Barner, W. 106, 282 Bareikis, R. P. 284f. Bayly, Lewis 196
Becker, G. 17 Becker-Cantarino, B. 16 Behar, P. 229ff, 235ff., 246, 256, 271 f. Berent, E. 7, 19 Bergengruen, M. 150, 155, 173, 240 Bernegger, Matthias 105 Berni, Francesco 52 Besser, Johann v. 291 Bethlen, Gabor (Gabriel), Fürst von Siebenbürgen 174 Betz, O. 255 Beuchelt, Elias v. 331 Beverwijck, Johan van 148 Beyer, C. 44 Beza, Theodor (d. i. de Beze) 159 Biedermann, H. 241, 252, 254 Bircher, M. 80, 146, 172, 193, 223 Birken, Sigmund v. 90, 151, 181, 241 Bianca v. Bourbon 259, 262 Blochberger, M. 285 Blume, H. 147, 149f. Bobrowski, Johannes 81 Boccaccio, Giovanni 1-4, 204f, 266 Bodin, Jean IX, 150 Bölhoff, R. 300-306, 308, 310, 313ff., 317, 323, 333, 335 Böhme, Jacob 49, 156ff., 170, 246 Boileau-Despreaux, Nicolas 287, 291 Bogner, R. G. 311 Borgstedt, T. 8, 141, 206, 217, 219, 229ff, 236, 238, 278, 281ff, 303, 31 If, 314, 319 Bovenschen, S. 17 Brackert, H. 14, 17 Brandes, J. 301, 312 Braungart, G. 305 Bredow, W. v. 10 Brehme, Christian 112 Bressler, Marianne Elisabeth v. 298
366 Breßler und Aschenburg, Ferdinand Ludwig v. 309 Brockes, Barthold Heinrich 176, 240, 310, 335 Brockmann, Reiner 120, 129f. Browning, B. W. 259 Brüggemann, Otto 116, 118, 122 Bruno, Giordano 177 Brunner, H. 5 Bruns, A. 25, 47 Bucher, Urban Gottfried 288 Buchner, August 70, 75, 147, 149, 154 Budde, Johann Franz 296 Buder, Christian Gottlieb 311 Burghard, Johann 196 Bütler-Schön, H. 300 Calixt, Georg 84, 178 Calvin, Johannes (d. i. Jean Cauvin) 160f. Campanella, Tommaso 177, 196 Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig, Freiherr v. 307 Carl Ludwig (von Pfalz-Simmern) Kurfürst zu Heidelberg, Pfalzgraf am Rhein 259ff. Castiglione, Baldassare, Graf 72 Cats, Jacob 148 Catull (Gaius Valerius Catullus) 5, 113, 137, 141, 187, 192 Cersowski, P. 40, 70, 73f. Charlotte, Landgräfin von Hessen 259 Christian II., Herzog von Liegnitz, Brieg u. Wohlau 225 Clairvaux, Bernhard v. 63 Claudia Felicitas, Gemahlin Kaiser Leopolds 233 Claudius, röm. Kaiser 291 Claudius, Matthias 214 Cohen, F. G. 195 Coler, Martin 173, 188 Comenius, Johann Amos 49, 150, 197 Crusius, Philipp 116 Cysarz, H. 239 Dach, Regina, geb. Pohl 82, 86 Dach, Simon 29f., 35f., 38ff., 80-108, 188, 197, 278, 288, 294, 296 Dahlke, H. 300, 302, 304ff., 309f., 328 Dannhauer, Johann Konrad 18, 28ff., 35, 37
Personenregister Davis, N. Z. 10 De Capua, A. G. 284f., 287 Degenfeld, Maria Susanna Loysa v. 259-262 Deifer, Ignatius, Bischof v. Antiochien 163 Delia Porta, Giovanni Battista 236 Denzler, G. 13 Derks, P. 146 Descartes, Rene 134, 196, 293, 322, 331 Deschner, K. 30f., 36, 279 Deventer, J. 28, 31 Dionysius Areopagita 57 Dippel, Johann Conrad 49 Dobricius, Gottfried 276 Dörrie, H. 202f., 259 Dohm, B. 63, 170f., 238, 240f., 244, 254ff. Dohna, Graf Hannibal v. 63, 195 Döhnhoff, Sibylle Margret, Gräfin v. 64 Drayton, Michael 202 Drux, R. 300,303,307,311 Du Bellay, Joachim 6, 52 Dülmen, R. v. 28, 31, 33 Eggebrecht, H. H. 106 Eicheldinger, M. 164 Eleonore, Gemahlin Kaiser Ferdinands III. 172 Ehester, Otto Christoph 291 Elzevier, Ludwig 149 Entner, H. 114, 120ff., 124f., 129f., 132, 138 Epikur 216f., 293 Erasmus v. Rotterdam, Desiderius 219 Eugen, Prinz v. Savoyen 307, 315 Evans, R. J. W. 44f. Eyb, Albrecht von 17 Eybl, F. M. 229, 245, 253, 256f. Fahrenheid, Anna, geb. Friese 97f. Fahrenheid, Hieronymus 97 Farge, A. 10 Fauth, W. 73 Fechner, J.-U. 109ff., 138, 310 Feldheim, Ursula Hedwig v. 141 Ferdinand III., Kaiser 147, 165 Feyerabend, Catharina 101 Fiamma, Gabriel l Ficino, Marsilio 41, 43, 54, 56-61, 79, 141, 238, 246 Ficker, L. v. 303f.
Personenregister Finckelthaus, Gottfried 112,187 Fischart, Johann 17 Fischer-Homberger, E. 14, 23, 32, 39, 49 Flandrin, J.-L. 30, 36 Fleming, Abraham Ulf. Fleming, Dorothea, geb. Müller 111 Fleming, Paul XI, 8, 59, 18, 72, 102, 109-145, 166, 181, 186, 191, 193, 197,215, 221, 248, 268, 286, 290f., 301, 304, 314f. Föcking, M. If., 199f., 208 Forster, L. 69, 75, 77, 137 Frank, H. J. 94, 97, 99, 102 Franckenberg, Abraham v. 156 Freylinghausen, Johann Anastasius v. 198 Friedrich, Balthasar 234 Friederich von Kastilien 263 Friedrich, Pfalzgraf bei Rhein 174 Friedrich II., »Der Große«, König von Preußen 36 Friedrich III., Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf 115 Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz, »Winterkönig« 69, 85, 195 Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Preußen, »Großer Kurfürst« 81, 84-87, 179, 188 Pritsche, Tobias Ehrenfried 309 Fritsch, Thomas 285, 296 Fülleborn, U. 229 Fullenwider, H. F. 321 Fülöp-Miller, R. 16 Galenos 21 f., 196 Galilei, Galileo 177, 271, 273 Gambara, Veronica 52, 72 Garber, K. 69f., 73, 77, 81, 102 Gassendi, Pierre 196, 217, 293 Gebelein, H. 170, 237f., 240, 252, 254, 256 Geliert, Christian Fürchtegott 2 Gellinek, J. L. 6 Georg Wilhelm, Herzog von Liegnitz, Brieg u. Wohlau 225f. Georg Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 85, 87, 105f. Gerhard, Ephraim 241, 285 Gerhardt, Paul 179, 326 Gericke, Anna 91 Gerling, R. 249f. Gillespie, G. 229
367 Glaser, H. A. 12 Gloger, Georg 112, 115 Gockel, Balthasar 94 Godwin, J. 238 Goebel, M. 62, 64, 160 Goethe, Johann Wolfgang 47, 51, 109, 247, 301, 310, 318, 321, 332 Gorn, Christian Adam 322 Gottsched, Johann Christoph 81, 233, 286, 288,292,298, 311 Gracian, Balthasar 220, 226, 282 Grahmann, Heinrich 122, 127, 135 Grass, Günter 81 Greflinger, Georg 34, 239 Greiffenberg, Catharina Regina v. 63, 151, 164, 240f., 244f., 321 Grimm, G. E. 6 Grimmeishausen, Hans Jacob Christoph v. 218 Grotius, Hugo 104f., 227 Grube, Gertrud 36 Grummer, Theobald 181f. Gryphius, Andreas 25, 76, 99, 132-135, 153, 160, 173, 176, 195, 199, 215, 225, 228-231, 233, 240, 243f., 253f., 273-276, 280, 287, 290, 297, 301, 307, 330 Guarini, Giovanni Battista 197f. Gueintz, Christian 149 Günther, Anna, geb. Eichbänder, 304 Günther, Johann 296, 304, 308f., 323, 325f., 329 Günther, Johann Christian XI, 8, 11, 107, 109, 140, 196, 221, 280ff., 286, 289, 296, 298-335 Gustav II. Adolf, König von Schweden 83, 85, 114 , 174,201 Guttenberg, Johann 148 Haberland, D. 116 Hagen, Christian v. 146 Haller, Albrecht v. 323f., 335 Hamann, Johann Georg 81 Hankammer, P. 156 Hansen, T. 175, 178-181 Harper, A. J. 112 Harris, G. 229, 248-251 Harsdörffer, Georg Philipp 20, 99, 109, 151, 179, 181 Harvey, William 21
368 Hederich, Benjamin 91, 95, 139, 242 Heiduk, F. 194, 196, 198, 219, 285, 287, 291 f., 294, 296 Heinsius, Daniel 61, 105 Helmont, Johann Baptist van 322 Helmont, Franciscus Mercurius van 196 Helmridge-Marsillian, V. 194f., 202f., 206 Hemerken, Thomas 97, 164, 296 Hempfer, K. W. 7, 12 Henkel, A. 17, 213, 235 Heraklei tos aus Ephesos 256, 271 Herder, Johann Gottfried 4, 50, 67, 81, 85, 104, 321 Hermelink, S. 111 Herter, H. 72 Herzog, U. 207, 229, 249 Hesiodos 72, 98 Hippokrates 21, 182 Hobbes, Thomas 196 Hock, Theobald 239 Hoffmann von Hoffmannswaldau, Anna, geb. Nagel 195 Hoffmann v. Hoffmannswaldau, Christian IX, X, 2, 11, 32, 59, 94, 107,140, 166, 168, 193-223, 225, 227, 232f., 239, 259ff., 267, 279, 280, 282f., 284, 286f., 289ff., 294, 297, 301, 304, 317, 323, 334 Hoffmann v. Hoffmannswaldau, Georg 195 Hoffmann v. Hoffmannswaldau, Johann 195f. Hoffmann v. Hoffmannswaldau, Maria, geb. Webersky 196 Hoffmann, Ernst Theodor 51 Hoffmeister, G. 109, 112f., 136f. Hölmann, Christian 285, 292ff. Höhne, E. 62, 67 Holm, C. 282 Homer 98 Honegger, C. 10 Horaz (d. i. Quintus Horatius Flaccus) 53, 108, 133, 189, 192, 292, 322 Hübscher, A. 285 Hülst, A. R. 62 Hunold, Christian Friedrich 12, 282, 284 Hunzinger, C.-H. 90 Ingen, F. van 19, 146ff., 150ff., 164, 168, 170, 184, 187, 189, 215, 283, 286f., 289, 313
Personenregister Institoris, Heinrich 75f.
4, 14ff., 24, 42, 44-48,
Jachmann, Leonore 304, 308f., 314ff., 318 Jacobi, Michael 173 Janik, D. 6 Johann Georg I., Kurfürst von Sachsen 114 Johann Casimir, poln. König 188 Johann-Christian, Herzog von Liegnitz und Brieg 64 Johanna de Castro 259, 261 ff. Juncker, Gottlob Friedrich Wilhelm 285, 287, 298 Just, K. G. 231 Kablitz, A. 12 Kafitz, D. 229 Kaiser, G. 319 Kaldenbach, Christoph 106 Kaminski, N. 88, 114, 185, 189f., 303, 307, 318 Karl der Große, röm. Kaiser, König d. Franken 204, 206 Karl V., Kaiser 20 Karl X. Gustav, schwed. König 188 Kasten, I. 3 Katharina, Gräfin von Schönburg 111 Kearney, H. 323 Kelletat, A. 80ff., 85, 87, 106f. Kestin, J. 62 Ketelsen, U.-K. 220, 226, 284 Kiesant, K. 291 Kiesel, H. 36 Kilian, Philipp 193 Kircher, Athanasius 197, 246 Kirchner, C. 109 Klaj, Johann 151 Kleindienst, Gebrüder von 224f. Kleinlogel, C. 265 Klopstock, Friedrich Gottlieb 127, 181, 326, 329 Kluckhohn, P. l, 12 Knorr von Rosenrot, Christian 236 Köbele, S. 67 König, Johann Ulrich 308 Köster, A. 187 Koops, Anna 182 Kopernikus, Nikolaus 177, 293, 324 Kormann, E. X, 10
Personenregister Krämer, W. 302f., 305, 307, 309ff., 322, 325, 333 Krause, Theodor 308 Krummacher, H.-H. 90, 97, 153 Kühlmann, W. 6, 113f., 133f., 147, 239 Kuhlmann, Quirinus 63, 197 Kyra, R. 135 Labadie, Jean de 150, 164 Lange, Samuel Gotthold 8, 12 Lappenberg J. M. 125, 129
369 Lotichius Secundus, Petrus (d. i. Peter Lotz) 5 Löwenstädt [O. V.] 315 Lukrez ( Titus Lucretius Carus) 5 Ludwig, Fürst von Anhalt-Köthen 147, 150 Ludwig VI. von der Pfalz 28, 33 Luise, Gemahlin v. Herzog Christian II. von Liegnitz, Brieg und Wohlau 225f. Luther, Martin 17f., 30, 57, 100, 161, 219, 269
Lau, F. 298 Lavater, Johann Caspar 255 Lehmann, Gotthilf 285, 294, 296 Leibniz, Gottfried Wilhelm 123, 227, 248, 322f., 325f., 329 Leites, E. 10 Le Maistre de Sacy, Isaac-Louis 309 Leopold L, Kaiser 226, 233, 257 Leopold, kaiserl. Prinz 232 Lerch, D. 62f. Lessing, Gotthold Ephraim 12 Leubscher, Johann Christian 306 Linemann, Albert 91 Lipsius, Justus 120, 133 Liszkowski, U. 121 Littmann, Johanna Barbara 309, 315 Lobwasser, Ambrosius 110 Loerke, Oskar 81 Logau u. Altendorf, Balthasar Friedrich v. 228, 234, Logau, Friedrich v. 15, 17ff., 24f., 27, 33, 35-39 Lohenstein, Daniel Casper v. IX, 2, 32, 59, 94, 102, 166, 168, 170, 172, 193, 218, 223-280, 282ff., 286-291, 297, 307, 311, 312 Lohenstein, Elisabeth Casper v., geb. Herrmann 225 Lohenstein, Hans Casper v. 235f., 238, 267 Lohenstein, Johann Casper v. 223 Lohenstein, Maria Casper v. 224, 232 Lohenstein Susanna Casper v., geb. Schädel 223 Lohmeier, A. M. 307f., 331 Lohmeier, D. 116, 118, 173, 175, 181, 184 Loredano, Giovanni Francesco 200 Loretz, O. 62
Mache, U. 34, 82, 105, 153, 155, 194 Machner, Matthaeus 255 Malapertius, Carolus 100 Malipiero, Girolamo l Manger, K. 303, 317 Mannack, E. l, 17, 174, 177, 193, 200, 207, 312 Marg, W. 137 Maria Aurora, Gräfin von Königsmarck 298 Marino, Giovan Battista 2, 194, 199, 202, 205, 207ff., 212, 220, 222, 232 Marquardt, B. 154 Martens, W. 12 Martial, Marcus Valerius 191 Martino, A. 226, 228, 280 Matt, P. v. 4 Matthews Grieco, S. F. 16, 28 Matthiae, Salomon 130 Matthias, Kaiser 195 Mauser, W. 59 Medici, Cosimo de (»der Alte«) 41 Meid, V. 34,109,111,127,194 Meier, Peter 173, 181 Melanchthon (d. i. Philipp Schwarzerd) 269 Menantes s. Hunold Mencke, Johann Burkhard 307, 316 Merzhäuser, A. 218 Messalina, Valeria 201 Metzger, E. A 259, 284-300, 308f. Metzger, M. M 259, 284-300, 308f. Meyer, Dominic 89 Meyer-Baer, K. 188 Meyer-Minnemann, K. 12 Michail Fjodorowitsch, russ. Zar 115f. Milich, Gottlieb 308 Mizauld, Antoine 236f.
370 Möbius, H. 10, 32ff. Molsa, Franciscus 5 Morhof, Daniel Georg 189, 290 Moritz, Landgraf von Hessen-Kassel 105 Moore, D. M. 277 Moscherosch, Michael 109, 151 Müller, J.-D. 17 Müller-Jahncke, W.-D. 43 Münch, P. 33, 36 Nettesheim, Heinrich Cornelius Agrippa v. 42-45, 236ff., 241 Neuber, Friedrike Caroline 298 Neukirch, Benjamin 198, 207, 285, 288-292, 297, 307 Neumark, Georg 7 Neumeister, Erdmann 282, 291 Neuner, J. 17, 44, 244 Neymeyr, B. 134 Nickisch v. Roseneck, Ernst Rudolph 311 Niclas, Albert 232 Niefanger, D. 282, 289 Niehusen, Anna 128-132, 145 Niehusen, Elsabe 121, 123f., 128, 131f., 137 Niehusen, Heinrich 121, 128 Noack, L. 195-200, 203, 220 Noetzel, T. 10 Norberg, K. 32 Novalis (d. i. Friedrich v. Hardenberg) 240 Nüßler, Bernhard Wilhelm 5, 36, 52-79, 136, 232 Ohly, F. 63 Olearius, Adam (d. i. Öhlschlegei) 115f., 118-122, 125ff., 133, 135 Omeis, Magnus Daniel 295 Opitz, Martin XI, 4-7, 10, 15, 18, 52-79, 81, 90, 97, 102, 105f., 109-112, 120, 129f., 133, 136, 146ff., 153ff., 160f., 166, 168, 174, 179ff., 185f., 189ff., 195, 197, 200, 214f„ 221, 230, 232, 234, 273, 277, 280, 286, 288, 290, 293f., 297, 307, 311, 321 Origenes 13 Osterkamp, E. 300, 303, 316f., 330 Otto L, der Große, röm. Kaiser, dt. König 204f. Otto jr., K. F. 152 Ovid (Publius Ovidius Naso) 5, 85, 137, 191, 200, 202, 266, 290, 301
Personenregister Pantzer, Catharina 94 Par, Ambroise 22 Paracelsus (d. i. Theophrastus Bombastus v. Hohenheim) 48f., 135f., 155, 159, 241, 324 Peter L, König von Kastilien 259, 261-265 Petrarca, Francesco l f., 5, 52, 136ff., 154, 301 Pfeiffer, Michael 184 Philipp II., König von Spanien 20, 258 Pico, Giovanni della Mirandola 57 Philippson, E. A. 284f., 287 Pindar 53,98 Platon 41, 54, 102, 234, 238, 242, 297 Plotin 41f., 48 Pohl, M. C. 109f., 124, 127, 128 Pontano Giovanni Gioviano 5 Pordage, John 171 Poster, Martin 188 Prange, P. 12, 32 Proddmann, Catharina 101 Profe, A. 80 Properz (Sextus Propertius) 191 Pufendorf, Samuel 227 Pyra, Immanuel Jakob 12 Pyritz, H. 113f„ 135-138 Quade, R. 229, 254, 323 Rackau, Johannes 92 Rasch, W. 206 Regener, U. 312ff. Regn, G. 6 Reichelt, K. 173, 175, 181, 184 Reimann, Andreas 101 Remigius, Nicolaus IX, 44 Rentel, Regina 89 Richelieu, Armand Jean du Plessis 201 Riedenhausen, Marckard von 308 Rinckart, Martin 154 Rist, Johann 11, 22, 148f., 153, 172-186, 192, 234, 272 Robertin, Robert 82, 84, 98, 105f., 108 Roeck, B. 32 Rollenhagen, Gabriel 9 Rompier v. Löwenhalt, Esaias 148, 151 Ronsard, Pierre de 6, 53 Roob, A. 237 Roos, H. 17, 44, 244
Personenregister Rösenkirch, Barbara 92 Rotermund, E. 195, 202f., 205, 211, 215, 218 Roth, Friedrich von 225, 268 Rüff, Jacob 21-27, 46f. Rusterholz, P. 196, 206, 217, 219, 283, 287 Sachs, Hans 2, 77, 197 Säfi, Schah v. Persien 115, 118 Sannazaro, Jacopo 5, 72, 74 Sappho 98, 137, 202 Scaliger, Julius Caesar 5, 110 Schaffgotsch, Hans Ulrich v. 69f., 74 Scharf, Gottfried, Balthasar 306 Scheffler, Johannes (Angelus Silesius) 2, 63, 96, 164, 245, 294 Scheibel, Gotthold Ephraim 11, 107 Schein, Johann Hermann 105, 111 Scheitler, I. 81, 97f., 99f., 154, 173, 178, 181f. Schiller, Friedrich 19, 51, 127, 258 Schirmer, David 239 Schlaffer, H. 11,89,140 Schlichen, Georg Adam von 98 Schmidlin, Johann Laurentius 254 Schmidt, J. 132 Schmitner, Andreas 103 Schneider, H. 170, 283 Schnell, R. 4, 12, 17, 204 Schmolck, Benjamin 305 Schöberl, J. 194, 207, 209, 213, 239f., 279f., 283, 291 Schoch, Johann Georg 239 Schöne, A. 17, 80, 82ff., 86, 90, 100, 105, 107, 213, 235 Schop, Johann 173, 188 Schormann, G. 45 Schorn-Schütte, L. 17 Schottel, Justus Georg 153, 156f., 167, 189, 197 Schröter, M. 17 Schubert, A. 205ff., 217 Schubert, E. 32 Schulz, Georg 193 Schulz-Buschhaus, U. 52 Schurman, Anna Maria van 98, 149f., 163f. Schütz, Heinrich 105 Schweerts, Francois 200
371
Schwenckfeldt, Kaspar v. 75, 245 Scriver, Christian 241 Secundus, Johannes (d. i. Janus Nicolai Everardi) 5, 301, 310 Segebrecht, W. 81f., 86, 101, 105, 133 Seile, Thomas 173 Seinecker, Nikolaus 18 Seneca, Lucius Annaeus 13, 120, 134 Sennert, Daniel 196 Sidney, Philipp 72, 74 Siebenhaar, Malachias 169 Sigismund L, König von Polen 85 Simon, M. 13f„ 16, 19, 21-24, 27, 48ff. Simonides v. Keos 200 Solbach, A. 281 f. Spangenberg, P.-M. 16 Spee, Friedrich v. 2, 16, 44, 75, 96, 100, 164, 320, 321 Spellerberg, G. 223-226, 228-232, 249, 259, 263ff. Spener, Philipp Jakob 18, 56, 178 Spenser, Edmund 8 Spork, Franz Anton, Reichsgraf v. 309f., 328 Sprenger, Jakob 4, 14ff., 24, 42, 44-48, 75f. Stahl, Georg Ernst 50 Statius, Publius Papinius 110 Stegmann, Josua 153, 176 Steiger, Gottfried 311 Stenzel, J. 334 Steürhelt, F. 172 Stieler, Kaspar 109, 184-192 Stobäus, Johannes 100, 105f. Stolle, Gottlieb 222, 289 Stoltzius von Stoltzenberg, Daniel 20, 252, 255 Straßner, E. 149 Stuckrad. K. v. 229 Stolle, Gottlieb 285f., 296ff. Sträube, Paul 285, 298 Stuben, J. 301 Sturzenegger, B. 104 Sudermann, Daniel 63 Szarota, E. M. 229 Tersteegen, Gerhard 241 Theokritos 69, 73, 77, Thilo, Valentin 106, 188
Personenregister
372 Thomas a Kempis s. Hemerken, Thomas Thomas v. Aquin 14, 47 Thomasius, Christian 50, 227, 281-284, 288, 294, 296 Tibull (Albius Tibullus) 5, 191 Tilly, Johann Tserclaes, Feldherr 107, 114 Titz, Johann Peter 106, 202 Trakl, Georg 303f. Trautmann, W. 318 Trepp, A. Ch. 176f. Trajan us, röm. Kaiser 163 Tscherning, Andreas 94 Tscherning, Johann 223 Tschopp, S. S. 69f. Uhse, Erdmann
285
Van den Berg, J. 150 Venator, Balthasar 71 f., 75 Vergil (Publius Vergilius Maro) 67, 69f., 73,77, 112, 165, 191,305,323 Verhofstadt, E. 229 Viau, Theophile de 197 Vietor, K. 53, 307 Vietta, S. 50 Vosskamp, W. 229, 264 Wächtershäuser, W. 31f. Wagenknecht, C. 215 Wagner, H. 10 Wagner, P. 12 Waldberg, M. 181 Wallenstein, Albrecht, Herzog v. Friedland, Heerführer 69, 114f. Walther von der Vogelweide 5
Warning, R. 6 Weber, R. 157, 159, 172 Weckherlin, Georg Rodolf 8, 11, 18ff., 47, 149, 154, 168 Wehler, H.-W. 11 Weinbeer, Hieronymus von 94 Weise, Christian 282 Wiehert, A. 101, 224-227, 229, 238, 249, 267, 269 Wiedemann, C. 194, 208, 281, 283f., 288 Wiegand, H. 302 Wilkow, Christoph 106 Windfuhr, M. 220f. Wittich, Johann 50 Wladislaw IV., König von Polen 87f. Wolfskehl, Karl 194 Wolff, Christian 227, 248, 296, 322f., 325f. Wolke, Johannes 185 Wolkenstein, Oswald von 17 Wucherpfennig, W. 229f., 236f., 273 Wunder, H. 10, 18 Yeats, William Butler 240 Zedler, Johann Heinrich 240f. Zeman, H. 184-191 Zesen, Maria v., geb. Becker 151 Zesen, Philipp v. XI, 18, 38, 85, 109, 111, 146-172, 176, 179ff., 184-187, 191f., 197, 239f. Ziesemer, W. 81, 84, 101 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig, Graf v. 29, 321 Zymner, R. 212, 214, 303, 31 If., 319
373
Sachregister
Abendlied 164 >Accademia della Crusca< 105 Abschiedsgedicht 313, 319f. Abtreibung 25f. Adam (vgl. Eva) 13f., 155, 200, 202, 204, 293 Adiaphora, adiaphorist. Streit 298 Adoneus 186 Affekte (vgl. Liebe, Lust, Vernunft vs. Affekte) 59f., 263-267, 278, 283 Agave/Aloe 254f. Ägypten, ägypt. Weisheit 197 Alchimie (vgl. Hermetik, Transmutation) 40, 61, 135f., 155, 172, 174ff., 245, 252, 255, 266ff., 270, 274 - der Musik 238 - der Sprache 155-159 Alchimie-Kritik 288, 324 Alexandriner-Dichtung (vgl. Epigramm, >Helden-BriefeNeukirchsche SammlungArminius< (vgl. Roman) 229f., 278 »ars amatoria« 39 Astrachan 118, 122f., 126 Astrologie 59, 135, 176, 229, 237, 243f. Astronomie 176, 271, 273 Atheismus 85 Athen/ Jerusalem 102f., 196f., 243 Auferstehung (vgl. Tod, Transmutation) 275 Aufklärung (vgl. Vernunft) IXf., 59, 81, 206, 221, 229, 231, 243, 247, 273, 280, 282, 284, 294, 301, 303f., 310, 322ff., 330, 335 Authentifizierung 313f. autobiographische Aspekte 128-134, 185-189, 291, 294, 302ff., 306, 314, 317 Autonomisierung (vgl. Individualisierung) 134, 145, 193, 219ff. - der Liebe 203ff. Autorinnen 298 Autor-Problematik 71, 78 Bänkelsang 183 Baltikum 115-118, 150
374 Barock-Begriff 282 Barock-Drama (vgl. Friedens-Dramen) 224, 230f., 263ff. Barock-Humanismus (vgl. Humanismus, Renaissance-Humanismus) XI, 5, 300 Barock-Mystik (vgl. Brautmystik, Mystik, Sophia) 50, 240f. Beichte 16 Bekenntnisdichtung 315f., 326 Bibel (vgl. Hoheslied, Psalmen) 102, 170, 199f., 249f. - und >Buch der Natur< 174, 272, 325 Bibel-Dichtung (vgl. Hohelied-Dichtung, Passionsdichtung) 232, 235, 249-257, 297, 328 Bild->Betrachtung< (vgl. >IconBuch der Natun 166, 172, 264 - vs. Bibel 329f. - und Bibel 176, 272 Buchdruck 6 >Buch von der Deutschen Poeterey< 6, 52ff., 59, 68, 73, 94, 97f., 102f., 109ff„ 146, 153, 185f., 200, 234 Buchstabenvertauschung 160 Bukolik (vgl. Ekloge, Schäferdichtung) 52, 67ff., 87f., 166
Sachregister >Calixtinische Streitigkeiten< 84, 178 Calvinismus 84f., 179, 298 >carpe diem< (vgl. >vanitasPelican< und >Stein der Weisem 11 Of. - als »großer Pan« 244 - als >Pastor bonus< 100 - als Pantokrator, Schöpfungsmittler und -erhalter 96, 245, 256f. - als Person aus zwei Naturen (Krypsis-/ Kenosis-Streit) 244, 250 - und Maria Magdalena 199, 201f. Christi Tod 251f. »Cogito ergo sum« 331 Concetti 194, 199, 205, 207ff., 212-215, 218, 220 >creatio ex nihilo< (vgl. Emanation) 242f., 246f. >curiositas< 68f. Dämonen, Dämonomanie (vgl. Engel, Rübezahl) IX, 14, 47ff., 70, 75ff., 90 Daktylus 146, 153f., 160, 181, 192 Danzig 81, 102, 106, 185, 189, 195 David 197 Dekalog (6. Gebot) 16 >Dekameron< 2ff., 266 Dessau 150 Determinismus (vgl. Fatum, Prädestination) 238f. >Deutscher Helicon< 146f., 153f. >Deutschgesinnete Genossenschaft 146, 148f., 151f., 168, 191 Diätetik 114, 142 Dialoggedicht 283 Dichtkunst - als älteste Weisheit/Religion 197, 234
Sachregister - als Anti-Kriegs-Kunst 168 - als autonomes Organ der >Weisheit< 322ff. - als »furor divinus« 42f. - als geistlich inspirierte Kunst 102f. - als Lüge 78 - als Magie 54 - als Nebenstunden->Hobby< 197 - als Vervollkommnung der Natur 154f. - als zweckfreie Kunst 298 Dionysos 73 Dithyrambus 53 »docta pietas« 195 Dogmatik, orthodoxe 205 Doketismus 245, 249 Dreißigjähriger Krieg 59, 83f., 89, 114f., 120, 123f., 146, 201, 223 Dresden 105,112,300,308 Dr. Faustus 50 Echogedicht 166, 194 Ehe 6, 8f. - als Frühehe 33 - als keusche Vereinigung 29-32 - als Kompromiß zwischen Wollust und Tugend 218f. - als Liebes-Gemeinschaft 35 - als Lust-Unterdrückung 28^40 - als Ort legitimer Sexualität 28ff. - als >Rettung< der sinnl. Liebe 206f. - als Sakrament 17, 28 - als staatliche Institution 28 - als Tugend-Förderung 35 - und Familie (>großes HausElbschwanen-Orden< 177, 185, 189 Elegie 97, 107f., 313 Elemente 57f., 157ff. Elias 245 Emanation (vgl. >creatio ex nihiloHelden-Briefeerotische Gärtnerei< 209, 234 Erwählung 332f. Esoterik s. Hermetik Eva (vgl. Adam, Frauenbild) 13f., 202 Exorzismus 44 Expansion/Kontraktion 58 Fatum, Verhängnis (vgl. Determinismus, Prädestination) 263f., 329 Feuer 255f., 259f., 267, 271, 279 Florenz 195 >Florida< 210 Form (vgl. Gattungshybride, Kalokagathie, Stil) 55, 65, 72, 109f., 207, 233, 313f. - als stilistische Strukturierung 65, 126f., 132f., 138-143 Fortpflanzung 21 Fortpflanzungsanomalien 24-27 Fortuna 15, 132, 263f. Frankreich 105, 195, 225, 281 f. Frauenbild (vgl. Geschlechterbeziehungen) - medizinisches 20-27 - theologisches 10-20 - katholisches 12-14 - protestantisches 14-20 - Frau als Hausmutter 17ff. - als ideale Braut 19f., 60
376
Sachregister
- als Leserin erotischer Poesie 68f. >Frauenzimmer Gesprächspiele< 20 Freundschaft 104ff., 227f. Freundschaftsbund, -kreis 105ff., 191 Frieden 168, 171 Frieden von Oliva 85, 189 Friedens-Dramen (vgl. Barock-Drama)
7 ff. Friedrichstadt an der Eider 115 >Fruchtbringende Gesellschaft 105, 150f., 179, 189 Frühlingslied 165ff„ 172 Galante 281-284 - als historische Formation 11, 217 - als Reformbewegung der Frühaufklärung 283f. - galante Dichtung 193, 200, 207-210, 282, 287f., 292f., 306ff., 312ff. Gattungs- und Texthybride (vgl. Gelegenheits-Lehrgedicht) 100-103, 213, 233, 286,288, 31 Iff. Gattungen, Gattungssystem 6 Gebärmutter 13, 24, 26f., 49f. Gebären, Geburt 23f., 36 Gedächtnis, Memoria (vgl. Erlebnislyrik) 50, 318ff. Gedankenlyrik 127, 303, 315, 328-335 Gelegenheitsdichtung (vgl. Epicedium, Hochzeitspoesie) IX, 5, 52-61, 69, 80-104, 11 Iff., 122, 124-127, 169, 174, 182ff., 187, 197, 224, 226, 231, 286, 294, 303, 306, 310ff., 322, 331 - als Liebes-Dienst 103f. Gelegenheits-Lehrgedicht 233, 235ff., 286, 323f. Gender (vgl. Frauenbild, Geschlechterbeziehungen) Xf., 10 Genua 195 Gesang (vgl. Lied, Kirchenlied, Musik) 97-101, 107 - als Ode 97f. - zur Hausmusik 99ff. Gesangbuch 81, 104f., 305 Geschmack, Geschmackswandel (vgl. Stil, Stilwandel) 106f., 283, 296ff., 300f. Gesellschaftslied Ulf. >Geschichtrede< 198 Geschlechterbeziehungen, -Charaktere Xf., 10, 35ff.
-
als anatomische Konstruktion 18 als hermetische Harmonie 20 als Inferioritätsmodell 13ff., 20f. als >Zwei-Geschlechter-Modell< 17ff., 20ff. Geschlechtsorgane 14 Geschlechtsverkehr 16,42,47,291, Gicht 226 Gießen 187, 244 Goldenes Zeitalter (vgl. Paradies) 231 Gott - als androgynes Wesen 170 - als »circulus spiritualis« 245f. - als extramundane Person 57f. - als Herrscher über die Seelen 47 - als liebender Vater 250f., 326, 331 f. - als Liebes-Grund der Schöpfung u. kosmologische Liebes-Kraft 57f., 166, 204 - als Stifter der sinnl. Liebe 205, 21 If. - als strafender Schöpfer und strenger Richter 89, 91, 224, 295, 329, 332 Gottesdienst, christlicher vs. erotischer 279 Gottebenbildlichkeit (vgl. Anthropologie, Mikro-/Makrokosmos) 205, 235ff., 245f., 251, 253, 256f„ 272f., 280, 319 >Gottesknechtslied< 249-253 Gotteslästerung 333f. Gottorf 115-118 >Grab-Getichte< s. Epigramm griechische Philosophie 243, 271 Grotte 70, 72ff., 239 Gymnasium (Lateinschule) 82, 106, 149, 195, 197, 223f. Halle/Saale 149, 325 Hamburg 116, 132, 149, 151, 176, 184f., 189, 224, 308 Hamburger Liedschule 173 Hartenstein 111 Hausvater 18 f. Hebammen 26 Heidelberg 5, 35 Heidelberger Hof-Skandal 258-261 Heidentum 85 Heilige (vgl. Maria, Maria Magdalena) 16 »Heilige Hochzeit« 279 Heirat, Heiratsfreudigkeit (vgl. Hochzeit) 35ff.
377
Sachregister >Helden-Briefe< (vgl. Epistel-Dichtung) 202-207, 258-263 Hermes Trismegistos 20, 73, 87f., 174f., 235ff., 274ff., 280, 324 - als deutscher Gott >Theut< 175 Hermetik, hermet. Weltbild (vgl. Alchimie, Magie, Mikro/Makrokosmos, Paracelsismus) 40, 134-137, 150, 196, 229, 235-239 - als Konkurrenz zur christlichen Religion 43 - als christliche 11 Of., 256, 275f. - als rationale 248f. Hermetik-Kritik 180, 288f., 323 Heroisches Gedicht s. Preisgedicht Hexen, Hexerei IXf., 14f., 25f., 44-47, 60, 76-79 Hexenprozesse 25f., 47 >Hexenhammer< 4, 14f., 42, 46, 75 Hexenwahn 16, 27, 44f., 51, 75 Hexenwetter 74, 77 >Himmel-Schlüssel< 241f., 249 Hiob 198, 303f., 333ff. »hieros gamos« 101 Hochschulen 83f., 88, 106 Hochzeit (vgl. Heirat) 28f. Hochzeit zu Kana 90 Hochzeitsnacht 37^40 Hochzeitspoesie (vgl. Gelegenheitsdichtung) IXff., 29, 36-40, 52-67, 82f., 86, 89-97, 136, 167, 235ff., 258, 267-270, 286, 310 - geistliche 89ff., 101 - und heidnische Liebesdichtung 89 Hodoeporikon s. Reisegedicht Hof-Dichter, -dichtung 84-89, 189, 308 Hof-Kultur 225f. >Hof-Secretarius< 189 Hoheslied (vgl. Bibel, Schriftsinn, mehrfacher) 62-68, 139, 166f„ 171, 254 Hohelied-Dichtung, -Übersetzung 63-68, 147, 160-163, 166, 320f. Hugenottenpsalter 6, 65, 97, 110 Humanismus (vgl. Barock-, RenaissanceHumanismus) - als Philologie 63-68 Hure s. Prostitution >Icon< (vgl. Bild->Betrachtungimitatio Christi< (vgl. Christus) 327, 329f. »incubi«, »succubi« (vgl. Magie, schwarze) 45f. Indifferentismus 178 Individualitätsproblematik (vgl. autobiogr. Aspekte) 109f., 127f., 221f., 300 Individualisierung (vgl. Autonomisierung) 193, 311-318, 327f. Initiation (vgl. Grotte) 72f. Interkonfessionalität (vgl. Toleranzpostulat) 153 Isfahan 118, 122, 126 Italien 105, 195, 200, 202, 225, 239, 281 Jambus 97f., 146, 162 Jena 31 Of. Jesuitendrama, -theater 224, 230 Jesus s. Christus Jungfräulichkeit 28f. Jupiter 91 ff. Jurisprudenz 193, 196f., 224-228, 235, 260f. Kabbala 157ff., 229, 274 Kalokagathie (vgl. Form, Neuplatonismus, Stil) 42, 55 Kantate 107 Kaspisches Meer 115ff. Katechismus 18 Katholische Kirche (vgl. Kirchen, Protestantismus) 12ff., 16f., 44 >Kette der Wesen< 41, 57f., 235, 245, 256, 278 Ketzerprozeß 271 Kirchen (vgl. Katholische Kirche, Protestantismus) - als soziale u. kulturelle Organisationen l Of., 44f. Kirchenlied (vgl. Gesang, Lied) 98, 106, 129, 147, 154, 172f., 327 Klage- und Rechtfertigungsgedichte 305, 309, 328-335 Klangmalerei (vgl. Lautanalogie, -Symbolik) 157, 159, 165f. >Klassische Walpurgisnacht 47 Kleve 86 Klugheitslehre (vgl. Neustoizismus) 220, 282
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Sachregister
Königsberg 80-87, 105-108, 185, 187f. Konfessionalisierung, Konfessionalismus 8f., 45, 84f., 100, 146, 151, 178, 195, 223, 228, 281 f., 290, 310 Konfessionspolemik (vgl. Kritik an den Kirchen) 84 Konventionalität 127f., 302f., 311 Konzil von Chalzedon 244 Konzil von Trient s. Tridentinum Kopenhagen 105, 150 Kopernikanisches Weltbild (vgl. Pluralität der Welten, Sonne, Sterne) 176f., 271ff., 324 Kosmogonie 157 Kreuzburg 309 >Kriegslieder
Schwachheiten< der Frau 15f. - an Zeiterscheinungen 33ff., 38ff., 168, 191, 281ff, 333f. Krypto-Calvinismus (vgl. Luthertum, Reformierte) 195 >Kürbs-Hütte< 107f. Kukus 309f. Kußgedicht 113f., 276 Labiau 101 Landeshut 309 Lauban 308f. Lautanalogie 157, 159 Lautsymbolik (vgl. Klangmalerei) 141, 158, 172 Lehrdichtung (vgl. Gedankenlyrik) 232, 307 - geistliche 242-253 Leibniz-AVolffsche Schulphilosophie 248, 325f.
Leichenbegängnisse 82f. Leiden (vgl. Niederlande) 132, 195, 224, 229 Leier 53f. Leipzig 105, Ulf., 114f., 187, 306, 308f., 315 Leonoren-Gedichte 303, 314f., 318ff. Liebe (vgl. Liebessprachen, Neuplatonismus, Petrarkismus, Sexualität, Wollust) - als »amor divinus« u. neuplaton. Einkehr ins Göttliche IX, XI, 42, 55 - als antipetrarkistische Glücksbringerin 190 - als Eigenschaft Gottes XI, 42, 57 - als geistl.-sinnl. (Dis-)Harmonie 42, 54ff., 71f., 163f., 218 - als »Königinn der Welt« 191 - als (petrarkist.) Krankheit u. Leid IX, 5f., 60, 71, 144, 190, 278 - als Lebens-Kraft XI, 59, 144, 191 - als Lust-Quelle u. sinnl. Abenteuer 190 - als Magie XI, 59, 137f. - als Medizin 144f., 203, 220 - als Naturrecht 203ff., 207, 219 - als norm- u. sittenwidrige Kraft 203ff. - als platonische Beziehung 8 - als Primär-Affekt (>passioBulenlied< 107 - als geistlich-weltliches 89flf., 102f. - als kirchenorientiertes geistliches 103 - als klangdominantes 169 - als poesiebestimmtes geistliches 80f., 90, 98, 154, 160, 162f., 200, 295, 297 - als Sololied (vgl. Arie) 100, 106f. - als weltliches 65, 165-172, 174 Lilie 152, 212f., 240 Literaturkritik 155, 179ff., 184, 286-290 London 195 Lot 201 Lots Weib 149, 243, 267 Lust, Lustverteufelung (vgl. Wollust) IX, 3f., 29f., 47ff., 59 Luthertum 100, 244, 294ff. Luzifer s. Teufel Lyon 195 Lyrik s. Teilgattungen Madrigal 185 >Mädchenmemento mori< (vgl. >vanitasBuch der Natun, MikroVMakrokosmos) 69f., 72, 176 Naturlyrik (vgl. Frühlingslied) lOlf., 124f. Naturphilosophie 196, 273 Naturrecht (vgl. Liebe) XI, 2ff., 203ff., 211 f., 226f., 269, 279, 283, 291
380 Nelke 15 If. >Neukirchsche Sammlung< IX, 11, 194, 198, 209, 214, 223, 232, 276, 280-299, 301, 308 - Anthologie-Charakter 287ff., 298f. - Druckgeschichte 284f. - Gliederungen und Gattungen 285ff. - Poetologie 289f., 296ff. - Verleger und Herausgeber 285f. Neuplatonismus 8, 40-43, 52-60, 70ff., 141f„ 144, 190, 196, 251, 317 Neustoizismus 120f., 133f. >new science< 325 Niederlande 105, 120, 149f., 224 Nimptsch 223 Norddeutschland 310 Nowgorod 116, 118, 120 Nymphe 72ff., 180, 234, 293 - als Repräsentation der >magia naturaIis< 74 Obszönität 201, 289, 291, 293 Ode (vgl. Liebeslied, Lied) 110, 113, 128f., 131, 143, 303f. - pindarische 52-61, 166, 307 - sapphische 146, 153 -geistliche 110, 134f., 198 - als »Jambischer Gesang« 97f. Öffentlichkeit vs. Privatheit 114 Oels 225 Onomatopöie 157 Oper 105 Ordnung vs. Chaos 70 Orthodoxie, O.-Kritik 12, 87, 89, 159, 162, 178f., 217, 244, 294ff., 298, 305, 323ff„ 327 Ostpreußen 80-97, 188f. Ottensen 175 Palinodie 216 Pan (vgl. Heidentum, Hermetik, Mythologie) 73, 180, 228, 238, 280 Pans-Flöte 238 Pans-Kult 180 Pallas Athene 190 Palingenesie s. Wiedergeburt Pansophie (vgl. Hermetik, Magie) 40, 159, 229 Paracelsismus (vgl. Hermetik) 40, 48f., 135, 155, 159, 241, 252f.
Sachregister Paracelsismus-Kritik (vgl. Hermetik-Kritik) 324f. Paradies, Garten Eden (vgl. >erotische GärtnereiPegnitz-Schäfer< 175, 179ff., 197, 238, 280 Performativität 317ff. Perikopengedicht 328 Persien 115, 118, - als Land der Magier 119f., 243 Petrarkismus (vgl. Antipetrarkismus) 67, 71, 136-141, 144, 190, 317 - geistlicher l f., - als Mittel der Persuasion 140f. - und Ehe 8f. Pest 2,84,115,195,225 Phantasie s. Einbildungskraft Philosophie s. griech. Philos., Hermetik, Leibniz-Wolff, Naturphilos. Physikotheologie 304 Pietismus (vgl. Separatismus) IX, 178, 281, 298, 301, 325f., 335 Pisa 195 Ploiade 6 Pluralität der Welten (vgl. Kopernikanisches Weltbild) 331, 335 >poeta doctus< 146, 154, 300, 302 >poeta laureatus< 113, 147, 179, 300, 306 Poetik (vgl. >Buch v. d. Dt. PoetereyDt. HeliconPolicey-Ordnung< 19, 28f. Pornographie 194, 290f., 310 Prädestination vs. göttliche Liebe 250 , 331 Präformationstheorie (der Sprache) 155f. Prag 195 Preisgedicht 139, 167f., 276-280, 315
Sachregister Priapus 191 Priester-Liebe, -Ehe 269f. Priorau 149, 151 >Prognostica< (vgl. Astrologie) 176 Prostitution 17, 32f., 246, 277 Protestantismus (vgl. Kirchen, Luthertum, Orthodoxie, Reformierte) IX, 17ff. Psalmen 110, 197 Psalmendichtungen, -Übersetzungen 110, 297 >Querelle des Anciens et des Modernes< 323f. >Quinquecento< l Raub- und Nachdrucke 80, 198, 284 Reformierte 195, 223 Regensburg 147, 224 Reim, Reimarten, -folgen 52, 65, 82, 94, 97ff., 179f„ 182 , 191, 210, 233 Reisegedicht 119, 124f. Renaissance-Humanismus (vgl. Barock-H., Humanismus) 5f., 229, 300 Reval 116ff., 132 Rezeption 4-9, 68, 70, 80f., 109f., 146ff., 193ff., 228-232, 300-304 Rhetorik (vgl. Poetik, Poetologie) 106, 127f., 188, 21 Iff., 273, 289, 297, 301ff., 313, 319 Riesengebirge 71, 74 Riga 116ff., 120 Rinteln 176 Rom 195 Roman 146f., 230, 246, 252, 255f. Rose 152, 211, 240f., 254, 257, 268, 277 Rosenkreuzertum 152, 254 Rosenmund-Motivik 146, 154f., 158, 186ff. Rostock 176 Rubar in Gilan 124 Rübezahl 74f., 293 Rußland 116ff., 121 Sachsen 114f. Säkularisierung (vgl. Sakralisierung) XI, 2, 134, 151f., 199f., 230f., 279 Säfte 21 Säugen, Stillen 24 Sakralisierung (vgl. Säkularisierung) 67, 139, 206f., 209 , 212, 231, 279, 293
381
Salomo 62-67, 197 Samentheorie 21 ff. Satire 8, 180, 307f. Schäferdichtung (vgl. Bukolik, Ekloge) 6ff., 52, 69, 129f., 148f., 179, 181ff., 190, 197, 306, 313 Schaumburg 175 Scheltlieder 190f. Schiffbruch 116, 118, 122, 142f. Schlacht bei Lützen 115 Schlacht bei Warschau 188 Schlesien 195f., 223, 301, 305, 309f. Schönheit (vgl. Form, Kalokagathie) 72f., 205f. Schriftsinn, mehrfacher 62ff., 139f., 161ff., 210 Schwangerschaft 21, 24f. Schweden 83ff., 116 Schwedisch-polnischer Krieg 83f. Schweidnitz 305f., 330 Schweiz 224 Schwermut 84, 219ff., 333 »Schwulst« (vgl. Manierismus, Marinismus, Stil) 81, 239f., 283, 286f., 291 Selbstbefriedigung 265f. Selbstmord 267 Selbstverfluchung 334 Sensualisierung des Stils 208ff. Separatismus 149f. Sexualmoral 13f., 23f. Sexualität (vgl. Lust, -verteufelung, Wollust) IXf., 7, 12, 29f., 206, 217, 278, 291 Siena 195 Signaturenlehre 150 Singspiele 87f. Sodom 269 Sonett (vgl. Alexandriner-Dichtung, Epigramm) 52, 70f., 124-127, 130, 132-134, 137-143, 212-215 - Sonett-Zyklus 8 Sonne 257f., 271, 273, 279 Sophia, Sophien-Mystik 150, 170ff. Sprache - deutsche (>MutterspracheStein der Weisen< (vgl. Alchimie, Christus) 175f. Sterne (vgl. Astrologie, Astronomie, Sonne) 135 , 257f., 271 Stern v. Bethlehem 243 Stil, Stilformen, Stilwandel (vgl. Concetti, Form, Manierismus, Marinismus, »Schwulst«) 86, 126, 138-143, 207-215, 282, 284, 286f„ 291 , 302, 307, 31 If., 313f. - manieristischer 207ff., 212ff., 292f. Strafen für Unzucht 31 ff. Straßburg 18, 105 Streitsucht (vgl. Konfessionspolemik) 178f., 196 Striegau 304, 308f. Strophen-Formen 52f., 65, 94, 97ff., 102, 147, 169, 186, 233, 314 Studenten-Poesie 112f. Stuttgart 254 Sündenfall (vgl. Erbsünde) 13, 57, 205, 270f., 326 Sündenvergebung 199f. Sulamith 62-67 >SylvenWälder< 110,232 Sympathie (vgl. Hermetik, Mikro-/Makrokosmos) 41, 136 - als kosmologische und anthropologische Kraft 69, 268f. Synkretismus (vgl. Eklektizismus, Toleranzpostulat) 178f., 242 Syphilis 132 Tat-Christentum 328ff. Teufel IXf., 27, 45ff., 49f., 68, 74f„ 78 Theodizee 329 Theologie (vgl. Orthodoxie) 227f., 296f. >threnk, Tränen-Gedichte 198, 241, 252-257 »Thränen=saltz« 242, 253f., 256 Tod (vgl. Transmutation, Wiedergeburt) - als alchimistische Reinigung 274f. - als Liebhaber 214f. - als Lebens-Rettung 335 Toleranzedikt 85 Toleranzgespräche 179
Sachregister Toleranzpostulat 85, 151, 153, 178, 218 Transmutation (des Leibes; vgl. Alchimie, Wiedergeburt) 172, 177, 241f., 253ff., 266f., 275 Träume 47 Tridentinum l, 17, 44 Trinität 92, 167f., 233, 252f. - und Gotteszeugung bzw. Theogonie 246ff. Trochäus 146, 191, 233 Trostgedicht 315, 33If. Tübingen 106, 224, 244, 254 Tugend (vgl. Wollust) 59f., 216-219 - und ethischer Perspektivismus 218 Ungarn 225 Universitäten s. Hochschulen Unschuld 37ff. Unzucht 30ff. Ursprache s. Alchimie der Sprache Utrecht 224 >vanitas< als >carpe diem< 210-215 Venedig 195 Venus (vgl. Mars) 20, 60, 92, 154,185, 205, 209,211,220,238,240 - als >Lustinne< 167f. - als >Liebinne< 185 - als >geharnschte< 190ff. - als Urheberin der deutschen Dichtkunst 168 - als Welt-Herrscherin 277-280 - und ihre Christianisierung 93f. >Venus-Genossenschaft< 189ff. Vernunft 272f., 329 - vs. Affekte 263-267, 278f. - vs. Glaube 242ff., 246-249, 250 - und Glaube 296ff., 323ff. Versepistel s. Episteldichtung Vers-Kunst (vgl. Strophen-Formen) 52f., 55, 65, 99, 109f., 146f., 160f., 180f., 186, 210, 233 Viererschema (vgl. Zahlensymbolik) 21 Volkspoesie 4, 86, 174, 197 »Wechselvers« 153 Wedel bei Hamburg 176, 180 Weisheit (vgl. Sophia) 135 Weisheitslied lOOf.
Sachregister Welt (vgl. Natur, Mikro/Makrokosmos) - als »Makroanthropos« 69 Weltflucht /Weltsucht (vgl. >vanitasZweite schlesische Schule< 194 Zyklus-Bildung 100, 169, 185f., 190, 212, 242