Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit: Band 2 Konfessionalismus 9783110939590, 9783484105607


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German Pages 335 [336] Year 1991

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Table of contents :
Zur technischen Einrichtung des Bandes
Vorwort
Einleitung
I. NATUR-MACHT UND LEBEN MIT DER ANGST
1) Gott und der »Fürst dieser welt«
2) Krisen-Bewältigung durch Exegesen des »Buchs der Natur«: Mirakelglaube und Astrologie
3) Eingriffe in das Über-Natürliche (weiße und schwarze Magie)
4) Arzneikunst in Not und Poesie als Medizin
II. GLAUBENSSTREIT UND NEUE FRÖMMIGKEIT
1) Die Erneuerung des Katholizismus
2) Bedrängtes Luthertum
3) Calvinistische Frömmigkeit und Krisen-Bewährung
4) »Du bist ja GOTT und nicht ein Stein / Wie kanst du denn so harte seyn«: Das lutherische Frömmigkeitslied nach 1600
5) Lutherische Nach-Kriegs-Nöte: ›Wider das Ergerniß der bösen glͤckseligen Welt‹ (P. Gerhardt)
Verzeichnis der zitierten Literatur
Personenregister
Sachregister
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Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit: Band 2 Konfessionalismus
 9783110939590, 9783484105607

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HANS-GEORG KEMPER

Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit Band 2

HANS-GEORG KEMPER

Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit Band 2 Konfessionalismus

MAX N I E M E Y E R VERLAG TÜBINGEN 1987

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Kemper, Hans-Georg: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit / Hans-Georg Kemper. Tübingen : Niemeyer Bd. 2. Konfessionalismus. - 1987. ISBN 3-484-10567-4 Leinen-Ausgabe ISBN 3-484-10560-7 kart. Ausgabe Max Niemeyer Verlag Tübingen 1987 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany. Satz: pagina GmbH, Tübingen Druck: Allgäuer Zeitungsverlag GmbH, Kempten/Allgäu Einband: Heinr. Koch, Tübingen

Inhaltsverzeichnis

Zur technischen Einrichtung des Bandes Vorwort Einleitung

VII IX l

I. NATUR-MACHT UND LEBEN MIT DER ANGST 1) Gott und der »Fürst dieser weit«

17

a) »Der Teuffei itz antasten thut vil Christen blut«: Angst und Schutz vordem »Diabolos« (Herman, Ringwald, M. Böhme, Helmbold) . . . . 17 b) Theodizee als Anthropodizee (M. Böhme, Helmbold) 27 2) Krisen-Bewältigung durch Exegesen des »Buchs der Natur«: Mirakelglaube und Astrologie a) Endzeitstimmung und Kometendeutung b) Die Prognostiken - Kontingenzbewältigung und Handlungsanweisung für den Alltag des gemeinen Mannes c) Anthropozentrik und Heliozentrismus - die Vertagung des »heliozentrischen Schocks« durch den »sensus astrologicus«

34 34 45 57

3) Eingriffe in das Ober-Natürliche (weiße und schwarze Magie) . . . . 66 a) Beherrschung und Korrektur der Himmelskräfte (Nettesheim, Paracelsus - Opitz, Fleming, Lohenstein) b) »Ecclesia« und »iustitia« im Hexenwahn c) Entzauberung der Hexen durch Mitmenschlichkeit (Spee) 4) Arzneikunst in Not und Poesie als Medizin

66 71 82 89

a) Krankheit als Quadratur der zirkulierenden »humores« Zu Theorie und Praxis des hippokratisch-galenischen Heilwesens . . . . 89 b) Die Pest - Versagen und poetisches Beschwören des Naturgesetzes (H. Sachs, Gryphius) 105 c) Diätetik als Fundament der Medizin und Poesie als diätetisches Rezept (Opitz) 118

VI

II. GLAUBENSSTREIT UND NEUE FRÖMMIGKEIT 1) Die Erneuerung des Katholizismus a) Reform und Gegenwehr - Grundlagen und Tendenzen des katholischen Ruck-Schlags b) »Jesuiter« - »Jesuwider«: Zum Image eines Proteus c) »Heut Ja / Morgen Nein / war deß Luthers Latein«: Altgläubige Ketzerschelte (Nas, Spee, Kedd) d) »Eynbildung« der Frömmigkeit im Lied (Loyola - Spee, Templin, Schnüffis) 2) Bedrängtes Luthertum

127 127 137 150 163 171

a) Das >Lied von der lieben Rute< - Zum Gehorsam des autoritären Charakters und zur Allianz von Thron und Altar 171 b) Feindbilder und Aggressionen Die »kryptocalvinistischen Streitigkeiten« (Weigel, Seinecker, Nicolai) . 185 3) Calvinistische Frömmigkeit und Krisen-Bewährung a) »Bibliokratismus« und Psalmen-Gesang (Zwingli, Calvin, Schede, Lobwasser) b) »Trübsale« und ihre Überwindung als Zeichen der Erwähltheit c) Erwähltheit als Zeichen der Vernunft Publizistik im Dienst des Protestantismus (Fischart)

198 198 204 213

4) »Du bist ja GOTT und nicht ein Stein / Wie kanst du denn so harte seyn«: Das lutherische Frömmigkeitslied nach 1600 227 a) Rettung vor dem Vater: Christus als Zentrum der Frömmigkeit (Nicolai, Alardus, Heermann, Rinckart, Stegmann, Rist) 227 b) Jenseitssehnsucht als Ich-Bewahrung und »memento mori« als Lebens-Lehre (Herberger, Meyfart, Saubert d.Ä., Gryphius) . . . . 243 c) Vom Masochismus des Leidens zur »Besserung deß Lebens« im Kontext der Reformorthodoxie (Arndt, J. Gerhard, Dannhauer, Saubert d.Ä. - Nicolai, Heermann, Meyfart, Harsdörffer) 250 5) Lutherische Nach-Kriegs-Nöte: >Wider das Ergerniß der bösen glückseligen Welt< (P. Gerhardt) . . 266 a) Ein friedfertiger Streiter und Ökumeniker wider Willen 266 b) Dogmatisierte Mystik und biblische Tyrannenschelte 272 c) »Dann Gnade gehet doch für Recht / Zorn muß for Liebe weichen«: Anticalvinistische Heilssicherung 279 Verzeichnis der zitierten Literatur

291

Personenregister Sachregister

314 319

VII

Zur technischen Einrichtung des Bandes

Im Darstellungsteil des vorliegenden Bandes werden die im Verzeichnis der zitierten Literatur< innerhalb von Sachgruppen alphabetisch aufgeführten Publikationen durch die Angabe der römischen Ziffer des Abschnitts der Bibliographie sowie des Verfassernamens, bei mehreren im selben Abschnitt aufgeführten Titeln desselben Autors auch durch das Erscheinungsdatum der Publikation sowie mit der Seitenzahl zitiert. Die Forschungsliteratur aus Abschnitt II des Verzeichnisses wird mit hinzugesetzter arabischer Ziffer aufgeführt, welche auf den jeweiligen historischen Bezugs-Autor verweist. Der Name eines im Satzzusammenhang bereits erwähnten oder eines im betreffenden Kapitel behandelten Autors wird in den Klammern nicht wiederholt. Bei Autoren, denen ein Kapitel oder ein Abschnitt der Darstellung gewidmet sind, entfällt die Repetition der römischen Ziffer nach ihrer ersten Notierung. Darüber hinaus werden entweder die zitierten Ausgaben nach den in der Forschung eingebürgerten Abkürzungen genannt oder die Hauptwerke nach den Titel-Initialen aufgeführt. Die betreffenden Abkürzungen selbst sind im Literaturverzeichnis unter dem jeweiligen Autor zitiert und aufgeschlüsselt.

IX

Vorwort

Die Epoche des Konfessionalismus umfaßt im Rahmen dieser LyrikGeschichte den Zeitraum von 1555/63 bis 1685 und löst damit zugleich den Barock-Begriff als Epochen-Bezeichnung ab. Dieser bleibt lediglich als eingeführtes Verständigungsmittel für zwei spezifische Richtungen der Literatur des 17. Jahrhunderts erhalten, denen die beiden nachfolgenden Bände (>Barock-Mystik< und >Barock-HumanismusDeclaration Wider Kaiser Carl... Vnd Bapst Paulum den drittens Darin bekennt sich Gott eindeutig und in allen Lehrartikeln zum Luthertum als der einzig richtigen und wahren Kirche und verurteilt den katholischen Glauben als »wider solche vnsere Lere vnd befelh« gerichtet (II, S. B iij r). Deshalb, so schließt die »Allmechtige Maiestat« in dem an den gemeinen Mann adressierten Pamphlet, »gilt alhie nicht / das du dich Neutralisch halten . . . wolst« (ebda., S. F ij r). Luther selbst, von dem der erste sprachliche Beleg für das Wort »tollerantz« stammt (von 1541), hat diese als einen stets faulen Kompromiß in Glaubenssachen und die Forderung danach als Täuschungsmanöver seiner innerprotestantischen wie katholischen Gegner aufgefaßt (vgl. III Lutz 1977, S. IXf.). Wem die Wahrheit unteilbar war, dem mußte die Duldung Andersgläubiger ein Ärgernis sein. Von solcher Einstellung her stand der Augsburger Religionsfrieden unter keinem günstigen Stern. Mit ihm erreichte das Luthertum seine reichsrechtliche Anerkennung, aber eben damit besiegelte er auch die konfessionelle Spaltung in Deutschland und leitete die Epoche des Konfessionalismus ein. Zwar hat sich rückschauend betrachtet der Augsburger Religionsfrieden als entscheidende Voraussetzung und Grundlage für den mühsamen Prozeß einer Etablierung von theoretisch postulierten und praktisch gelebten Formen religiöser Toleranz herausgestellt: Erst die von katholischer Seite zugestandene Existenz des anderen Bekenntnisses hat das geordnete Nebeneinander verschiedener Religionsgemeinschaften ermöglicht, das vereinzelt bereits im 16. Jahrhundert auch schon zur Duldung von religiösen Minderheiten innerhalb eines von einer Konfession beherrschten Staatsgebildes führte. Indessen haben die vertragschließenden Parteien von 1555 für den »Gedanken der Religionsfreiheit im modernen Sinn« »weder auf katholischer noch auf protestantischer Seite ein Verständnis gehabt« (III Paulus, S. 41). Neutralität und Wahlfreiheit in Religionssachen war für die Lutheraner ohnehin durch die Ablehnung der katholischen Lehre vom freien Willen ausgeschlossen. Deshalb galt auch das persönliche Gewissen bei Luther nicht als freies oder gar autonomes, sondern stets als »das an Gottes Wort gebundene Gewissen« (III Wolf, S. 138). Auch von daher ist zu begreifen, warum die »Freistellung« der Religion 1555 noch nicht - wie dann im Westfälischen Frieden 1648 - allen Bürgern, sondern nur dem jeweiligen Landesherrn zugebilligt wurde, während die Untertanen dessen Bekenntnis zu folgen hatten (vgl. I Raab, S. 163ff.). Und eben diese Bestimmung des »cuius regio - eius religio« erwies sich als keineswegs toleranz-

Einleitung

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fördernd, sondern wirkte sich auch in den protestantischen Territorien als ständiger Unruheherd aus, »fast einer Folge von Kriegen vergleichbar« (III Wohlfeil, S. 36f.; vgl. dazu Kap. II l a und II 2). Daß Katholiken und Lutheraner 1555 die Calvinisten vom Reichsfrieden ausschlössen, wirft ebenfalls ein bezeichnendes Licht auf dessen intoleranten Charakter. Als sich gleichwohl einige ursprünglich lutherische Territorien durch Gesinnungswandel der Landesherren dem Calvinismus öffneten - so zuerst und vor allem die Kurpfalz seit 1563, ferner Nassau-Dillenburg seit 1572 sowie Hessen-Kassel seit 1605 -, da konnte dies nur mit äußerster Vorsicht im Bereich von Lehre und Kirchenverfassung geschehen. So erhielt sich Pfalzgraf Friedrich III. auf dem Augsburger Reichstag 1566 auf öffentliches Befragen den Religionsfrieden, indem er sich zur Confessio Augustana und dazu bekannte, er habe « Caluini Bücher nie gelesen« (vgl. III Münch, S. 102). - Die ungesicherte rechtliche Lage der Reformierten, wie sich die Calvinisten denn auch vorsichtshalber im Reich nannten, war ein wichtiger Grund dafür, daß diese Konfession hier keine rein calvinistische Kirchenstruktur ausgebildet hat, sondern wichtige Organisationsformen der lutherischen Territorialkirche übernahm, aus der sie ja auch hervorwuchs (vgl. ebda., S. 14f. u. ö.). Ebenso weist der Calvinismus in seiner reformierten deutschen Version keinerlei signifikant demokratische oder gar revolutionäre Züge auf (ebda., S. 191), und deshalb hat man seine Bedeutung in diesem Zeitraum lange unterschätzt. Auch und gerade aus literaturgeschichtlicher Sicht aber wird man die historische Wirkung dieses dritten Bekenntnisses hoch veranschlagen und die Epoche deshalb nicht länger nur als vom Katholizismus dominierte »Gegenreformation«, sondern als Konfessionalismus bezeichnen müssen: Im Vergleich zum Luthertum bot der Calvinismus dem europäischen Humanismus eine sehr viel liberalere Heimstatt, und dieser wirkte vor allem aus den calvinistischen Niederlanden, wo auch die bedeutendsten deutschen Dichter des 17. Jahrhunderts studierten, nach Deutschland zurück; nicht zufällig entstand in Heidelberg, der Residenzstadt der Kurpfalz, ein Zentrum des Humanismus, von dem denn auch der calvinistisch gesinnte Martin Opitz wichtige Anregungen für sein poetisches Reformprogramm gewann. Dieses ist angemessen nur im Kontext der von den reformierten Höfen aus gesteuerten antikatholischen Kulturpolitik zu begreifen, die zugleich auf eine Einigung der Protestanten abzielte und diese auch durch institutionelle Korporationen wie etwa die Sprachgesellschaften zu verwirklichen suchten (vgl. dazu III Garber; vgl. ferner Bd. I, S. 23ff., und vor allem Band IV). Wegen ihrer modern anmutenden, weil auf rationale Evidenz setzenden

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Glaubenslehre und ihrer sowohl missionarischen wie ökonomischen Erfolge wirkten die Calvinisten auf die beiden anderen Konfessionen geradezu unheimlich und wurden in hohem Maße Zielscheibe von deren eifernder Polemik (vgl. Kap. II2 b). Als die Reformierten dann im Westfälischen Frieden endlich ihre reichsrechtliche Anerkennung und damit zugleich auch größere politische Handlungsfreiheit erlangten, die sie auch sogleich ausnutzten, da rief dies erst recht - wie sich exemplarisch an Paul Gerhardt zeigen wird (vgl. Kap. II 5) - Mißtrauen und Ablehnung der orthodoxen Lutheraner auf den Plan, die nach wie vor jede Zusammenarbeit mit den »Sakramentierern« ablehnten. Und bezeichnenderweise waren es die reformierten Landesherren, die eine solche konfessionelle Abschottung in ihren Territorien bewußt zu durchbrechen suchten. Auf epochemachende Weise gelang ihnen dies aus Anlaß der Hugenotten Vertreibung von 1685 (vgl. Bd. I, S. 30ff.). Dieses Datum markiert deshalb das Ende der Epoche des Konfessionalismus. Die Aufhebung des Edikts von Nantes (1598) durch Ludwig XIV. am 17. Oktober 1685 zeigt das zweifache Ergebnis des konfessionellen Zeitalters: zum einen den gänzlich intoleranten Willkürakt eines absolutistischen Monarchen, der per Dekret in seinem Herrschaftsbereich die konfessionelle Geschlossenheit restaurierte, zum ändern in den reformierten Nachbarterritorien mittels einer großangelegten Hilfsaktion die ebenfalls von der weltlichen Obrigkeit verordnete Durchbrechung der konfessionellen Geschlossenheit des eigenen Territoriums durch Toleranz erzwingende Ansiedlung der vertriebenen Hugenotten. In beiden Fällen demonstrierten der absolutistische Herrscher und der säkulare Staat ihre Macht gegenüber den Kirchen und etablierten sich als ordnungs- und einheitsstiftende Macht, während die Religion mehr und mehr zur Privatsache der Bürger heruntergespielt wurde. Toleranz erwies sich in den deutschen Territorien auch noch zu Beginn der Aufklärung als ein obrigkeitlich verordneter sozialer Akt, dem auf Seiten der Betroffenen weitgehend noch keine Gesinnung entsprach. Diese zu erzeugen, sollte dann eine zentrale Aufgabe des 18. Jahrhunderts werden. Die z.T. europäischen Krisensymptome der Epoche des Konfessionalismus zeigen sich in ihren beiden Aspekten - den historischen Fakten und Geschehnissen einerseits und den Reaktionen der Zeitgenossen darauf, ihren Bewältigungs- und Verarbeitungsstrategien andererseits - in vier entscheidenden Lebensbereichen (wobei hier die Auswirkungen der konfessionellen Auseinandersetzungen als religiöser Krisen-Beitrag mitverzeichnet werden): 1) Symptome einer Wirtschaftskrise: Seit etwa 1560 mußte die Landwirtschaft eine anhaltende Ertragsverschlechterung hinnehmen. Seit

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kurzem weiß man, daß es etwa zwischen 1550 und 1700 in Europa eine »kleine Eiszeit« gegeben hat, d. h. eine allgemeine Klimaverschlechterung mit niedrigen Durchschnittstemperaturen, mit naßkalten Sommern und harten Wintern (vgl. dazu III Imhof, S. l Of.). Die exorbitante Serie von Mißernten wirkte sich destabilisierend auf alle Lebensbereiche aus. Schon zu Beginn der 1570er Jahre gab es Zeichen für eine Hungerkrise und für eine bis 1600 anwachsende Teuerungsrate, seit 1600 eine ökonomische Depression mit einer »schweren Agrarkrise«, »auf die 1619 bis 1622 eine kurzfristige, schwere Störung von Handel und Gewerbe folgte, die dann ihrerseits in eine langanhaltende Krise des handwerklichen und des kaufmännischen Sektors mündete.« (III Lehmann, S. 110). Die schlechte Versorgung führte zu »allgemein erhöhter Mortalität« (ebda., S. 109), die »bedeutende wirtschaftliche Zerrüttung der Zeit« (III Peuckert, S. 79) zu einer rapiden Geldentwertung und einer »Inflation der Scheidemünze«; es ist die Zeit der Kipper und Wipper, d. h. jener Inhaber oder Pächter von Münzstätten, die durch Abschneiden oder Kippen der Münzränder und durch Wippen oder ungenaues Wiegen immer schlechtere Münzsorten unter die Leute brachten. 2) Symptome einer politischen (Staats-, Rechts- und Verfassungs-)Krise: »Eine Serie von menschenvernichtenden Kriegen in allen Teilen Europas« verschärfte die Wirtschaftskrise und trug zur rapiden Ausbreitung einer ganzen Serie von schweren Seuchen bei (III Lehmann, S. 109). Sie waren Ausdruck und Mitursache einer ständigen außen- und innenpolitischen Instabilität der einzelnen Staaten sowie einer steten Gefährdung des Religionsfriedens, die durch das Anwachsen der Gegenreformation, durch die Macht der Spanier, die diplomatischen und missionarischen Erfolge der Jesuiten (vgl. Kap. II 1), aber auch durch die andauernden Streitigkeiten im protestantischen Lager (vgl. Kap. II 2 b) hervorgerufen wurde und die zugleich zu einer starken Rechtsunsicherheit, ja zu einem Rechtsverfall führte. Je mehr sich nämlich die Konfessionsparteien zu eigenständigen Kirchen und Bekenntnissen entfalteten - dieser Prozeß der Konfessionsbildung war um 1580 mit dem Erscheinen des Konkordienbuches abgeschlossen (vgl. Kap. II 2 b) -, desto unterschiedlicher interpretierten sie auch die zuvor noch aus dem einheitlichen göttlichen Recht abgeleiteten Ordnungen: »Die Kirchenverfassung, aber auch die weltliche Rechtsordnung wurde . .. durch die reformatorischen Lehren über Amt und Gemeinde, Sakrament und allgemeines Priestertum, Kirche und Kirchengewalt, Obrigkeit und Widerstand zutiefst getroffen, ja umgestürzt. Bischofsamt und Pfarramt, Kirchengut und Pfründen, Ehe und Erbrecht, Ebenbürtigkeit und Thronfolge, Kompetenz und Rang der weltlichen Obrigkeit wurden nun von beiden Konfessionen

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weithin verschieden bestimmt - was der einen Seite als Schutz und Freiheit Rechtens schien, war für die andere Unterdrückung und Rechtsbruch.« (III Heckel 1985, S. 34) Unterschiedlich interpretierten die Lager deshalb alsbald auch die Bestimmungen des Augsburger Friedensvertrages und der bestehenden Rechtsinstitutionen, »bis 1588 die Kammergerichtsbarkeit zum Erliegen kam, 1608 der Reichstag auseinanderbrach und dann 1618 der Dreißigjährige Krieg entbrannte«. (Ebda., S. 35) Der prätendierte Alleinvertretungsanspruch säkularisierte so das Recht, weil nur eine neutrale Jurisprudenz das Nebeneinander zweier Kirchen zu garantieren vermochte, und er verweltlichte zugleich die zuvor ebenfalls religiöse Begründung der Reichseinheit zu einem säkularen politischen Zweckverband, in dem sich fortan die absolutistischen Interessen der Fürsten (und Religionsparteien) umso selbstsüchtiger zu entfalten vermochten (vgl. ebda., S. 36ff.). Dies u. a. auch durch die Ablösung der feudalen Statusverträge durch freie politische Verträge (vertragliche, jederzeit kündbare Vereinbarungen über Gebiets- und Bevölkerungsabtretungen; vgl. III Oestreich 1969, S. 162). - Die konfessionellen Streitigkeiten verstärkten im übrigen nur eine ohnehin aus dem Mittelalter bereits ererbte Strukturkrise (vgl. Bd. I, S. 2 f.) der Verfassung des »Reichsmonstrums«, die aus der Rivalität von Zentralmacht und Reichsständen und aus der Vielzahl unterschiedlich gewichtiger territorialer Gebilde resultierte. Diese Krise intensivierte sich zunehmend gegen Ende der Epoche des Konfessionalismus zum absolutistischen Herrschaftssystem. »Die absolute Monarchie«, so definiert Gerhard Oestreich, »ist gekennzeichnet durch die Tendenz, die Sphäre gesamtstaatlicher Lenkung im Innern und die gesamtstaatliche Vertretung nach außen von jeglicher Mitwirkung anderer Kräfte, besonders der Reichs-, Provinzial- oder Landstände als der partikularen Gegenkräfte des fürstlichen Zentralisierungs- und Machtwillens, frei zu halten und unabhängig zu gestalten.« (III 1969, S. 180) Folge dieses Machtstrebens war eine kontinuierliche Beschneidung alter liberalistischer, ständischer Freiheiten für alle Schichten in einem Prozeß der »Sozialdisziplinierung«, der zugleich durch die Anstrengung, der zahlreichen Katastrophen - von den Seuchen bis zu den Kriegsfolgen - Herr zu werden, beschleunigt wurde (vgl. ebda., S. 187ff.). Zugleich verstärkte sich die Rivalität zwischen den Fürsten und den im 16. Jahrhundert zu Handels- und Kapitalzentren angewachsenen Städten, die im 17. Jahrhundert ihre führende wirtschaftliche Position nicht zu behaupten vermochten (III Erbe, S. 28ff.). - Die Herausbildung des Absolutismus und die Krise des 17. Jahrhunderts sind für Lehmann die entscheidenden, einander vielfältig bedingenden, geschichtsbildenden Faktoren dieses

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Zeitraums. »Indem absolutistische Politik die Krise verschärfte und doch zugleich auch den politischen Gewinn aus der Krise zog, entstand in mehreren europäischen Ländern über mehrere Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts hinweg eine Art circulus vitiosus zwischen diesen beiden Kräften.« (III Lehmann, S. 18). 3) Symptome einer sozialen und kulturellen Krise: Daß die bisher genannten Krisenmerkmale auch soziale Spannungen und Umwälzungen zur Folge hatten, wurde bereits deutlich; die allgemeine Lage vergiftete das soziale Klima in Städten und Gemeinden, vor allem unter den Bauern herrschte erneut eine explosiv-revolutionäre Stimmung (vgl. III Peuckert, S. 79f.; dazu Erbe, S. 25ff.). Ethnische und soziale Minderheiten wurden verfolgt und unterdrückt. Es kam zu ausgedehnten Judenprogromen, und der Hexenwahn erreichte in den Jahrzehnten vor und nach 1600 in Deutschland in mehreren epidemischen Verfolgungswellen seinen traurigen Höhepunkt, der hunderttausende vor allem des Schadenzaubers Angeklagte das Leben kostete (vgl. Kap. I 3 b). In den Städten verschärfte sich der Konflikt zwischen der relativ kleinen Zahl von Einwohnern mit Bürgerrecht und der Mehrzahl der übrigen Bewohner, den »Schutzverwandten«, und auch die sozialen Abgrenzungen zwischen den Ständen verfestigten sich im Laufe der Epoche (vgl. III Erbe, S. 29f.). Infolge der chronischen Ernährungsmängel, der Seuchen und Kriege ging die Bevölkerungsentwicklung im 17. Jahrhundert - besonders im Alten Reich und in Spanien - zurück. Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) reduzierte (bei starken regionalen Schwankungen) die Bevölkerung im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation um insgesamt ein Drittel auf 13 Millionen. Erst zwischen 1730 und 1750 wurde mit etwa 20 Millionen wieder der Vor-Kriegsstand in der Einwohnerzahl erreicht (vgl. III Erbe, S. 18f.). »Kein Land«, betont Vierhaus im Blick auf das 17. Jahrhundert, »ist durch Kriege so sehr erschöpft, in seiner biologischen und ökonomischen Substanz so schwer getroffen worden wie Deutschland; keines wurde in seiner sozialen und kulturellen Entwicklung so zurückgeworfen und so sehr der Überfremdung oder dem Rückzug in Enge und Innerlichkeit überlassen - vergleichbar nur Italien im 16. und Spanien im 18. Jahrhundert« (III, S. 21). - Der Bevölkerungsrückgang beeinträchtigte auch die kulturelle Entwicklung. So kam es »in einigen Ländern Europas sowohl zu einer Abnahme der Buchproduktion als auch zu einem Rückgang der Lesefähigkeit, also einer Zunahme des Analphabetentums« (III Lehmann, S. 11 Of.). Nach einer Verdopplung des Lesepublikums und einer Verzehnfachung der Buchproduktion im 16. Jahrhundert hatte das nachfolgende Säkulum eine starke Einbuße zu verzeichnen. »Die Zahl von etwa 50 000 Ge-

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bildeten, also Bücher kaufenden und lesenden Personen, die Deutschland um 1600 besaß, wurde erst um 1770 wieder erreicht.« (Ebda., S. 111). 4) Symptome einer kirchlichen und weltanschaulichen Krise: Hatten zu Beginn des 16. Jahrhunderts im Zeichen von Renaissance und Humanismus noch Optimismus und Zukunftshoffnung das Bewußtsein der Gebildeten beherrscht, so dominierte an dessen Ende angesichts der verschlechterten Situation ein zunehmender Glaube daran, daß das Ende der Zeiten bevorstehe. Die folgenden Verse Georg Heckhels von 1594 handeln - so der Titel des Werkes - >Vonn der Erschrecklichen Zukunfft Und letzten Gericht GottesTheologia didactico-polemica< erschien als Summe des dogmatischen Nachdenkens der altprotestantischen Orthodoxie 1685 - damit ebenfalls den Abschluß der Epoche markierend - und stellte neben anderen ähnlichen Werken den eindrucksvollen Versuch dar, der zunehmenden äußeren und inneren Gefährdung eine nach allen Richtungen abgesicherte - allerdings nur mehr papierene - Glaubensfestung gegenüberzustellen. Der Glaubensbestand als »reine Lehre« und die Glaubensunterschiede wurden so geradezu zementiert, der schlichte Luthersche Glaube, die »fiducia«, wurde immer mehr zum Wissen der Glaubensartikel, zur Lehre vom Glauben veräußerlicht. Am Ende der Epoche präsentierte sich die Orthodoxie in monumentaler dogmatischer Starre. So konnte sie sich zwar als institutionelle und politische Macht noch halten - das werden ebenfalls die beiden folgenden Bände zeigen -, und doch hat kaum etwas so sehr dem Säkularisierungsprozeß in den protestantischen Territorien den Boden bereitet wie die unaufhörlichen Streitereien und Rechthabereien, die Unterdrückung und Verfolgung Andersdenkender durch ein nicht zuletzt aus innerer Schwäche autoritäres und intolerantes lutherisches Prädikantentum.

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Man kann darüber streiten, ob sich der Begriff Krise im Blick auf seinen Wortsinn als »Entscheidungsphase« überhaupt im Sinne einer »langanhaltenden Schwächung der Kräfte«, einer »generellen Reduktion des Lebensstandards«, einer »Bedrohung der Lebenssicherheit« und eines »Nachlassens des Lebensmutes«, kurzum einer »Strukturkrise von Gesellschaft und Kultur«, zur Kennzeichnung eines Zeitraums von ca. 150 Jahren (von etwa 1570 bis etwa 1720 nach III Lehmann, S. 108f.) sinnvoll verwenden läßt. Aus literarhistorischer Sicht scheint eine konfessionell-geographische und eine zeitliche Einschränkung angebracht zu sein. Trotz der europäischen Verbreitung einiger der genannten Symptome sind doch die katholischen Territorien in Deutschland nicht in gleicher Weise wie die protestantischen von einem Krisenbewußtsein geprägt. Die Neuordnung der katholischen Lehre und die Kirchenreform im Konzil von Trient, das erfolgreiche Wirken der Jesuiten, der konsequent betriebene Ausbau Bayerns unter den Herzögen Albrecht V. (1550-1579), Wilhelm V. (1579-1598) und vor allem Maximilian I. (1598-1651) zum streng reglementierten, gut funktionierenden, absolutistischen Territorialstaat, die zunächst für die katholische Sache erfolgreiche »Gegenreformation« und der Verlauf des Dreißigjährigen Krieges haben viele Krisensymptome offenbar besser verkraften lassen (vgl. dazu Kap. II l a). Und die Calvinisten wiederum vermochten - nicht zuletzt als Folge ihrer spezifischen Erwählungslehre - durch eine intensivierte Arbeitsethik die Notsituation gleichsam produktiv aufzuarbeiten und ökonomisch sowie emotional zu bewältigen (vgl. Kap. II 3 b). Das Luthertum zeigte dagegen die tiefsten Krisenspuren (vgl. Kap. II 2). Und es dürfte nicht zuletzt deshalb kein Zufall sein, daß die bedeutendsten deutschsprachigen Autoren des 17. Jahrhunderts aus dem religiösen und territorialen Umkreis dieser Konfession stammen. Aus beiden Gründen steht die in ihrem Kontext hervorgebrachte Literatur im Mittelpunkt dieser Lyrikgeschichte. - Eine zeitliche Einschränkung ergibt sich aus der Tatsache, daß nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in allen Gattungen geistlicher und weltlicher Poesie die angstnahen Themen und die weltverachtenden Appelle gegenüber den diesseitsorientierenden Exempeln eines rechten Verhaltens in der Welt deutlich ins Hintertreffen gerieten.

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Aus dieser gesamten Not- und Leidsituation werden im folgenden zwei zentrale, für die Epoche konstitutive, nach Gegenstandsbereichen und Struktur aber signifikant unterschiedliche Krisenkomplexe exemplarisch dargestellt. Der erste Teil - >Natur-Macht und Leben mit der Angst< behandelt die weitgehend konfessionsunabhängigen Krisenphänomene, insbesondere die Naturkatastrophen und die Versuche zu ihrer psychischen Verarbeitung, >wissenschaftlichen< Bewältigung und damit auch zur noch gänzlich vor-modernen Natur-Beherrschung. Die Ambivalenz von noch unbegriffener, zerstörerischer Natur-Gewalt und den nicht zuletzt daraus resultierenden Anstrengungen zur Natur-Bewältigung - mithin den Prozeß einer Dialektik zur Aufklärung - soll der Begriff NaturMacht als Genitivus subjectivus und objectivus zum Ausdruck bringen und damit verdeutlichen, daß die Reaktion auf die Unglücks- und Notsituationen nicht nur in Furcht vor den einzelnen Ereignissen und in einer allgemeinen Angst bestand, sondern auch in dem Versuch, mit und trotz dieser zu leben und sich vor dem Kontingenten nach Möglichkeit zu schützen. So steigerte die Angst einerseits die Frömmigkeit, rief hier und da auch Lebensüberdruß und Jenseitssehnsucht hervor, führte andererseits aber auch zu einer starken Diesseits- und Lebenszugewandtheit, zu einem Sich-Anklammern an das Vertraute, Gewohnte, damit auch an die tradierten Denkgewohnheiten in den verschiedenen Wissenschaften. - Dieser Teil steht auch deshalb am Anfang, weil er mit seinen Gegenständen - Teufels- und Dämonenglaube, Astrologie, Magie und Medizin - zugleich auch wichtige Epochenaspekte der Reformationszeit behandelt und damit Kontinuität, aber auch Wandel frühneuzeitlicher Natur-Erfahrung und -bewältigung zu verdeutlichen vermag. - Der Weg der Darstellung führt von der größten Ohnmachtserfahrung - der Mensch als hilfloses Opfer und Streitobjekt zwischen Gott und Teufel (Kap. I 1) - über die schon selbständigeren Ansätze zur vorausdeutenden Exegese des »Buchs der Natur« (Kap. 2) bis zu den Versuchen zur magischen Naturbeherrschung (Kap. I 3) und zur Medizin (Kap. I 4), deren Aufgabe es war, dem »Jammertal« des Diesseits eine menschenwürdige, lebenswerte Perspektive zu eröffnen, und die doch angesichts der Seuchen weitgehend auf verlorenem Posten stand. An dem aus der Antike ererbten System der frühneuzeitlichen Arzneikunst lassen sich die Schwierigkeiten, die der Genese des modernen Weltbildes entgegenstanden, besonders gut ablesen. Die Darstellung beschreibt dabei nicht nur die verschiedenen Funktionen des kirchenorientierten geistlichen Liedes, sondern auch die der poesiebestimmten geistlichen Poesie (vgl. Bd. I, S. 50ff.) aus der Feder humanistischer Autoren und tritt damit der bislang unwidersprochenen These entgegen, die gelehrte Barock-Dich-

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tung sei - mit Ausnahme von politischen und standesideologischen Fragen - anscheinend »an der historischen Wirklichkeit vorbei« gegangen: »Geradezu tabuisiert erscheinen zwei Dinge, die man als Geißel der Zeit bezeichnen könnte: die großen Seuchen und die Hexenfrage« (III Wiedemann, S. 26). Vielmehr, so zeigt sich, erhält die Poesie gerade in diesen beiden Bereichen dieselbe interkonfessionelle Funktion einer Einübung in das Naturgesetz der Nächstenliebe, um den Opfern beizustehen (vgl. Kap. I 3 b und 4 b) oder auch die Aufgabe, vor den Seuchen zu schützen (vgl. Kap. I 4 c). Der zweite Teil - ^Glaubensstreit und neue Frömmigkeit - behandelt sodann die zentralen historischen Ereignisse und Tendenzen des Konfessionalismus. In der wieder erstarkenden katholischen Kirche (Kap. II 1) sind vor allem das Wirken und die publizistischen Strategien der Jesuiten als der »Speerspitze der Gegenreformation« von literarhistorischem Interesse, bei den Lutheranern (Kap. II 2) die aus Angst und Aggression resultierende Gegenreaktion, in welcher gegenüber den inneren und äußeren Gegnern ideologische Feindbilder errichtet wurden, die als konfessionelle Vorurteile weit über das Zeitalter hinaus fortlebten und die Durchsetzung von Toleranz sehr erschwerten. Indessen mit als Reaktion auf den in der Sache fruchtlosen sowie in Stil und Ton höchst unerquicklichen Theologen-Hader über dogmatische Differenzen, als Reaktion auch auf die zahlreichen Naturkatastrophen zeigten sich seit der Jahrhundertwende in allen Konfessionen (vgl. III Breuer 1984), besonders auffällig aber im Luthertum, starke Tendenzen zu einer Frömmigkeitsreform in einer >zweiten Reformation^ in der sich die kirchenorientierte geistliche Poesie (vgl. dazu IV Dürr/Killy) vom gottesdienstlichen Bekenntnis- zum privat rezipierten Frömmigkeitslied wandelte und zum zentralen Organ dieser neuen »praxis pietatis« wurde (Kap. II 4). Dabei setzte sich vor allem bei den Vertretern der Reformorthodoxie die Überzeugung durch, daß nur auf dem Wege praktischer Frömmigkeit jene Toleranz zu erzielen war, welche die andauernden konfessionellen Streitigkeiten zu überwinden vermochte: »Es eifre jeder seiner unbestochnen / von Vorurteilen freien Liebe nach!« (II Lessing, S. 72) Die lutherische Reformorthodoxie hat mitten im Dreißigjährigen Krieg den Prozeß eingeleitet, in dem sich die Echtheit der Religionen im Reichtum praktizierter Frömmigkeit erweisen sollte. Wie schmal indessen noch der Grad zwischen Toleranz und Intoleranz im Wettstreit der Frommen war, lehrt ausgerechnet jener Autor, dem als größtem protestantischen Liederdichter nach Luther zugleich das Etikett eines »ökumenischen« Verfassers von »überkonfessionellen Liedern« anhaftet: Paul Gerhardt (vgl. Kap. II 5; 11.28 Krummacher, S. 271, Lehnertz,

Einleitung

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S. 772). In seinem Eifer, das calvinistische Erwählungsbewußtsein (vgl. Kap. II 3) durch Verweis auf den zuverlässig-berechenbaren Gott der Liebe lutherisch zu übertrumpfen, bereitete er allerdings ebenfalls, wenn auch ungewollt, am Ende der Epoche des Konfessionalismus im geistlichen Lied religionsphilosophischen Ideen der Aufklärung die Bahn (dazu Bd. V).

I. Natur-Macht und Leben mit der Angst

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a) »Der Teuffei itz antasten thut vil Christen blut«: Angst und Schutz vor dem »Diabolos« (Herman, Ringwald, M. Böhme, Helmbold) »Nichts ist schwieriger«, erklärt Delumeau mit gewissem Recht, »als die Angst analysieren zu wollen« (III Bd. I, S. 25). Dabei läßt sie sich relativ einfach definieren: »Mit Angst bezeichnet man in der Regel einen unangenehmen, spannungsreichen emotionalen Zustand, der aus der Unklarheit oder Unbestimmtheit einer Situation erwächst, die als bedrohliche allgemeine Lage eingeschätzt und mit Betroffenheit zur Kenntnis genommen wird« (V Fröhlich, S. 63). Doch die Probleme liegen in der historischen Herleitung und Applikation, der diagnostischen Ermittlung und Erklärung, der typologischen Abgrenzung und Funktionsbestimmung der vielfältigen, unter dem Begriff Angst subsumierten Erscheinungsformen. In der definierten Allgemeinheit scheint das Phänomen auf eine biologische Schutzfunktion zu deuten, die der Mensch mit den höher entwickelten Tieren teilt und zur Arterhaltung braucht; insofern ist sie eine kollektive, damit aber auch soziale Verhaltensweise, zugleich indessen ein individuelles, nicht nur exogen, sondern auch endogen gesteuertes Verhalten. Denn es gibt nicht nur Real-Ängste oder Phobien vor konkreten Objekten, Personen oder Ereignissen, sondern auch diffuse Angstneurosen, die als Existenzangst eine besondere Form der neurotischen Binnenangst darstellen (vgl. ebda., S. 92ff.), es gibt lang andauernde Gewissens- und eruptiv ausbrechende Kollektiv-Ängste, bei letzteren mit beträchtlichen gruppen- und schichtenspezifischen Unterschieden. Kein Wunder, daß sich an der Erforschung eines so komplizierten und weitverzweigten Phänomens mehr als ein Dutzend verschiedener Wissenschaften - von der Biologie über die Psychiatrie und Soziologie bis zu Philosophie und Theologie - mit entsprechend unterschiedlichen Zielsetzungen, methodischen Verfahren und Resultaten beteiligen (vgl. ebda., S. 12). Vieles, was im Rahmen der vorliegenden Darstellung besonders interessieren würde, ist noch nicht oder noch keineswegs zureichend beantwortet. So die Fragen nach dem Zusammenhang von Krisen-Bewußtsein und Angst-Erfahrung, nach einer möglichen Angsthierarchie (offenbar hat der Mensch wegen seines Verdrängungs-Ver-

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mögens vor dem Tod nicht - nicht einmal im Alter - die größte Angst; vgl. ebda., S. 40ff.), nach der Eruierbarkeit des tatsächlichen »Angstpotentials« einer Bevölkerung, nach der Bedeutung von Emotion und Kognition, von Konformitätsdruck der Öffentlichkeit und Intensitätsgrad der Furchtappelle bei der Angstentstehung bzw. -Überwindung. Und in unserem Zusammenhang stellt sich als besonders gravierendes Problem die Angstanalyse bei einer historisch weit zurückliegenden Epoche, die über einen weitgehend anderen Realitätsbegriff verfügte und für die deshalb z. B. Phänomene wie Teufel und Dämonen nicht einfach - wie Freud meinte - verworfene Wünsche oder Abkömmlinge verdrängter Triebregungen waren; deshalb sind grundsätzliche Zweifel an der Übertragbarkeit psychoanalytischer Modelle auf diesen Zeitraum angebracht (vgl. dazu auch III Kästner). Eine psychohistorische Forschung, auf die man sich stützen könnte, steckt überdies erst noch in den Kinderschuhen. In dieser Situation kommt es vorrangig darauf an, die frühneuzeitlichen Dokumente - möglichst unvoreingenommen durch eine spezielle Theorie - auf die von ihnen als angstauslösendes Phänomen und als Angst erfahrene Zustände sowie auf die Angst verarbeitenden Strategien hin zu befragen. Dabei drängt sich in den Jahrzehnten um 1600 zunächst der Eindruck auf, die Angst habe als Reaktion auf die zahllosen realen und eingebildeten Gefahren zu einer tiefgreifenden Deprimiertheit und daraus resultierenden Verhaltenslähmung geführt. Für Luther und seine Parteigänger waren die unheilschwangeren Zeitläufte der beste Beweis für ihr Menschenbild, das - basierend auf dem Diktum von der radikalen Verfallenheit an die Erbsünde und überzeugt von der absoluten Unfreiheit des Willens in Heilsdingen - vom Glauben an die menschliche Ohnmacht gegenüber den als göttliches Handeln erfahrenen Katastrophen geprägt war. Auch die kirchenorientierten geistlichen Lieder des 16. Jahrhunderts spiegeln diese Verhaltenslähmung u. a. dadurch, daß sie die angstauslösenden Faktoren unterschiedslos aufzählen und deren Beseitigung der Trinität zuweisen. Die apokalyptischen Reiter Hunger, Krieg, Pest und Tod verwandeln die Welt so sehr in ein Jammertal, daß der Gläubige sich aus ihr hinaussehnt: »Es strafft vns der gerechte Gott mit tewrung, Krieg vnnd Hungers not, Vnd mit der Pestilentz : Es ruckt an vnser grentz

heran, darumb wir billich Busse than.

1) Gott und der »Fürst dieser weit«

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Die weil es muß gestorben sein, so ergib dich auch willig drein vnd fahr dahin mit frewd, Trost dich der Seligkeit, danck Gott, das er dir helff auß aller not.« (Paschasius Reinigke I Wa V, S. 96f.)

Doch auch diese Jenseitssehnsucht als Reaktion auf die Katastrophen ist eine Form der Ich-Bewahrung (vgl. dazu Kap. II 4 b) und als solche Resultat einer Angstverarbeitung. Und dieser Aspekt verdient unsere besondere Beachtung; denn indem die Angst als Abwehr-Haltung und Schutz-Funktion teils aversive - also auf Abwehr, Schutz und Vermeidung gerichtete -, teils auch aggressive Abwehr-Reaktionen auslöst, ist sie eine »Phase von Auseinandersetzungs- und Bewältigungsprozessen«, bei der auf den anfänglichen emotionalen Schock der »Aufrüttelung« alsbald die Tendenz zur Selbstbewahrung, die Motivation zur Überwindung der Gefahr folgt, um das psychische Gleichgewicht wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten (V Fröhlich, S. 65ff.). Dabei war es in der frühen Neuzeit bereits ein entscheidender Teil einer solchen Abwehrstrategie, daß dieselben angstauslösenden Phänomene wegen ihrer häufigen Rekurrenz bereits als erwartete, vorhersehbare Gefahren bewertet werden konnten, denen gegenüber daher auch Abwehrstrategien geradezu als Routine-Maßnahmen entwickelt wurden und zur Verfügung standen. Delumeau hat auf zwei wichtige Leistungen hingewiesen, an denen die Kirchen maßgeblich beteiligt waren: Zum einen habe das Abendland »in einer langen Folge kollektiver seelischer Erschütterungen« »die Angst besiegt, indem es einzelne Ängste >benannteVaterunser< (»Unser täglich Brot gib uns heute«) im >Catechismus Maior< von 1529: »Denn das ist all sein Sinn und Begehren, solches alles, was wir von Gott haben, zu nehmen oder zu hindern,und läßet ihm nicht genügen, daß er das geistliche Regiment hindere und zustöre, damit, daß er die Seelen durch seine Lügen verführe und unter seine Gewalt bringe, sondern wehrt und hindert auch, daß kein Regiment noch ehrbarlich und friedlich Wesen auf Erden bestehe. Da richtet er so viel Hader, Mord, Aufruhr und Krieg an, item Ungewitter, Hagel, das Getreide und Viehe zu verderben, die Luft zu vergiften etc. Summa es ist ihm leid, daß jemand ein Bißen Brots von Gott habe und mit Frieden eße; und wenn es in seiner Macht stünde,... würden wir freilich keinen Halm auf dem Felde, keinen Heller im Hause, ja nicht eine Stunde das Leben behalten, sonderlich die, so Gottes Wort haben und gerne wollten Christen sein.« (I SB, S. 477)

Das kirchenorientierte geistliche Lied des Luthertums aus der Epoche des Konfessionalismus ist eine Fundgrube für diesen Teufelsglauben, der sich zumeist auf die Person des Hauptfeinds konzentrierte und damit Luthers Kernthese von der Ohnmacht des Menschen bei der Heilsgewinnung bestärkte: »Mit vnser macht ist nichts gethan / wir sind gar bald verloren« (vgl. Bd. I, S. 188ff.). Nikolaus HERMAN (um 1480-1561; vgl. zu ihm auch IV Klein, S. 47f.), Kantor im böhmischen Joachimsthal und mit über 100 Liedern bei Wackernagel vertreten (I Wa III, S. 1161 ff.), von denen sich noch sechs im heutigen >Evangelischen Gesangbuchs finden, faßte in seinem Lied >Am tag Michaelis, von lieben Engeln< das Teufelswüten im Bereich von Zivilisation und Natur in enger Anlehnung an Luthers Katechismusdeutung in Verse:

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I. Natur-Macht und Leben mit der Angst

»Erstlich erregt er Ketzerey, auffruhr, mord, krieg vnd Tyranney, Gotts Ordnung er zerrüttet, König vnd Fürsten zusam er hetzt, all bündnis trent er vnd verletzt, sein zorn er gar ausschüttet. Gros vngewitter er erregt, das offt der Hagel als (= alles) erschlegt, die luff t er auch vergifftet: die frucht der erd gönt er vns nicht, beschmeist, verterbt als der Böswicht, vnd allen jamer stifftet.« (Ebda., S. 1181)

Es wäre möglich, ist aber nicht nötig, alle aufgezählten teuflischen Untaten im einzelnen mit Lied-Zeugnissen zu belegen (zum Fluch der Ketzerei vgl. Teil II; wenn - wie häufig - in den Liedern die Kriegsangst thematisiert wird, so ist damit vor dem Dreißigjährigen Krieg - vgl. dazu Bd. IV - stets die andauernde Gefahr durch die Türken gemeint; es gibt keinen besseren Tod, als sich für Christus und die Seinen gegen diese »lesterliche rott« erschießen zu lassen: I Wa IV, S. 994f.; vgl. zum Krieg gegen diesen »Erbfeind« ferner I Wa I, S. 415, 467, 584f.; III, S. 826ff.; IV, S. 791f., 1180ff.; V, S. 289, 325). Für die alltägliche Angst bestimmender und typischer war wohl die menschliche Urangst vor Nacht und Finsternis (vgl. dazu V Fröhlich, S. 87ff.; III Delumeau I, S. 125ff.): »Es ist vnghur vnd grosse gfar / des nachts im finstren, das ist war« (I Wa III, S. 611), heißt es exemplarisch bei Johannes ZWICK (1496-1542), dem Herausgeber des Zürcher Gesangbuches von 1536, und diese Angst wurde durch den Glauben an das hauptsächlich nächtliche Wirken des Teufels verstärkt, denn im Schlaf - willenlos und ohne Bewußtsein - fühlte sich der Mensch dem Beelzebub besonders wehrlos ausgeliefert: »das er mir«, so befürchtete der mit mehr als 200 Liedern bei Wackernagel repräsentierte neumärkische Pfarrer Bartholomäus RINGWALD (15301599; vgl. I Wa IV, S. 907ff.), »nicht krencke leib vnd sinn / wenn ich da lieg und schlafe / vnd meiner nichtes mechtig bin« (ebda., S. 987). »Ich schlieff vnd wüst nit wie mir wehr, / so schleich der Teuffei vmb mich her« (I Wa V, S. 215), bekannte auch Martin Böhme (oder Behm 15571622; vgl. zu ihm II.8 Schade, S. 56ff.), seit 1586 Hauptpastor in seiner Heimatstadt Lauban (Ober-Lausitz) und Verfasser von rund 500 kirchenorientierten geistlichen Liedern (vgl. I Wa V, S. 196ff.), von denen sich noch sieben im Evangelischen Gesangbuch erhalten haben. Und obwohl im Protestantismus die Angst vor Gespenstern ebenso wie die vor dem Fegefeuer theologisch im Prinzip überwunden war (vgl. dazu

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III Delumeau I, S. 108ff.), bestand erstere faktisch doch - zumeist in Verbindung mit dem Dämonenglauben - fort und fand ihren Niederschlag ebenfalls im Arsenal der Nyktophobie: »Dieb, reuber, mörder, wasser, fewr,/ seuch furcht von Gespenst vngehewr, / Angst, not, Sünde vnd laster schwer / bringen dem Menschen gros gefehr« (anonym in I Wa III, S. 495). Zu Intensität und Ausmaß des Teufelsglaubens am Beginn der frühen Neuzeit hat Delumeau eindrucksvolle Belege aus ganz Europa zusammengetragen, die zugleich die vielfache Teufelsdarstellung in der bildenden Kunst jener Zeit und in den außerordentlich verbreiteten theologischen Spezialwerken zum Satanismus - also Dämonologien vom Typ des >Hexenhammers< - mitumfassen, (vgl. III Bd. H, S. 358ff., 368ff.; als Abbildung des Teufels begegnet man z. B. auch dem von Luther und Melanchthon auf den »Antichristen« in Rom bezogenen Holzschnitt des >Bapstesels zu RomCatechismus Maior< nachdrücklich bekräftigte, im Gebet, dem der Reformator eine fast magische Wirkung zuschrieb: »Denn das sollen wir wißen, daß alle unser Schirm und Schutz allein in dem Gebete stehet... Denn was meinest du, das bisher so große Ding ausgerichtet habe, unserer Feinde Rathschlagen, Fürnehmen, Mord und Aufruhr gewehret oder gedämpft, dadurch uns der Teufel sammt dem Evangelio gedacht hat unterzudrücken, wo nicht etlicher frommer Leute Gebet als ein eiserne Mauer auf unser Seiten darzwischen kommen wäre? Sie sollten sonst selbst gar viel ein ander Spiel gesehen haben, wie der Teufel ganz Deutschland in seinem eigen Blut verderbet hätte.« (I SB, S. 467)

Von daher ist die reiche lutherische Gebetsliteratur in der Epoche des Konfessionalismus zu verstehen (vgl. dazu IV Althaus 1927/1966), von daher auch die große Zahl kirchenorientierter geistlicher Lieder, die sich als >Gebete< bezeichnen und bei denen vor allem die Tageszeiten (Morgen, Abend) sowie Anlässe im Kirchenjahr (vor allem das Erntedankfest) den Schutz der eigenen Person und der Natur vor dem Beelzebub thematisieren. Beistand gegenüber der Teufelsbrut boten ferner nach übereinstimmender Ansicht aller Konfessionen auch die Heerscharen der Engel. Die Bibel enthielt ein so reichhaltiges Arsenal von Engelsfiguren, daß die Reformatoren ihre Existenz nicht zu leugnen vermochten. Luther hatte gleichwohl beträchtliche Vorbehalte gegenüber ihrer Funktion im Kultus der Katholischen Kirche. Im zweiten Teil der >Schmalkaldischen Artikel< (1537) brandmarkte er es als »Abgötterei«, »daß wir die Engel und Heiligen anrufen, anbeten, ihnen fasten, Messe halten, opfern, Kirchen, Altar, Gottesdienst stiften, und ander Weise mehr dienen, und sie für Nothhelfer halten und allerlei Hilfe unter sie theilen und jeglichem eine sonderliche zueigen sollten, wie die Papisten lehren und thun« (I SB,S. 305). In seinen eigenen Predigten zum Tag der Engel, dem Michaelstag (29. September) akzentuierte der Reformator deshalb das Engelfest als Dankfest gegenüber Gott, um den Glauben an die Engel als Heilsmittler abzuwehren (vgl. V Scheidweiler, Sp. 465f.): »und habens alles tausendmal beßer an Christo« (I SB, S. 305). Diese

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Aussage ist insofern verräterisch, als sie darauf hinweist, daß Christus im Luthertum tatsächlich der Sache und Funktion nach die Engel und Heiligen ersetzte - mit der Folge, daß er im Glauben der Gemeinde aus der trinitarischen Sphäre heraustrat und zum allgegenwärtig-gigantischen Widersacher des Teufels und Schutzengel, zugleich damit auch zum »Busenfreund« und Seelentröster wurde (vgl. dazu Kap. II 4 a). Doch ist es ebenso bezeichnend für die Seelennöte zu Beginn der frühen Neuzeit, daß die Lutheraner auf die Schutzfunktion der Engel »unter« Christus gleichwohl nicht verzichten konnten. In einer Reihe von Liedern vor allem zum Michaelstag wird diese Aufgabe der guten Geister unter Verweis auf ihre biblischen Rettungstaten hervorgehoben: »Wenn wir stehn in der grosten gfahr / nemen die Engel vnser wahr / vnd aus der not erretten« (Herman in I Wa III, S. 1181; vgl. auch I Wa IV, S. 676). Dabei werden die Engel nie - ganz im Sinne Luthers - direkt angesprochen oder gar angefleht, sondern stets sind Gott oder Christus die Adressaten, doch der Glaube an die Kraft des Gebets ist zugleich Bürge für das Eintreffen des erflehten, wahrhaft umfassenden Beistands der »himmlischen Heerscharen« wie im folgenden Lied Martin Böhmes: »Gib, das sie vns behüten wider des Teuffels list, Das vns nicht schad sein Wuten, weil er so grimmig ist: Laß sie auff allen seilen wider den Satan streiten, das er nicht schaden thu. Zu allen vnsern sachen dein heilig Engel send, Das sie mit fleiß bewachen Kirch, Schul vnd Regiment, Auch Hauß, Hoff, Weib vnd Kinde, die Gutter vnd Gesinde vnd alles was wir han.« (I Wa V, S. 215)

Luthers Gigantisierung der realen Macht Satans hatte - wie am Beispiel des >Großen Katechismus< zitiert - schon bei ihm selbst zur Folge, daß bereits das banale und geordnete Fortbestehen der alltäglichen Existenz als Beweis der göttlichen Gegenmacht, als Ausdruck oder gar Erweis der Güte des Schöpfers aufgefaßt werden konnte. In diesem Sinne argumentierten viele lutherische Danklieder. Das folgende, an Gott adressierte Beispiel stammt aus der Feder von Ludwig HELMBOLD (1532-1598), einem von den Katholiken als Konrektor aus Erfurt vertriebenen form-

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gewandten Humanisten, der dann als Pfarrer in seiner Heimatstadt Mühlhausen unterkam und mit seinen aufschlußreichen sozialkritischen Liedern besondere Aufmerksamkeit verdient (vgl. I Wa IV, S. 630ff.): »Es würd die weltlich Oberkeit gar baldt auch vntergehen, Kein Friede noch Gerechtigkeit der Vnterthan bestehen, Kein Ehgemahl ohn grossen fall, kein Knecht noch Magd sich halten Wie sichs gebürt an jedem ort wenn du den Feind liest walten. Kein bissen Brodts, kein Wassertrunck würd bleiben vnuergifftet, Kein Hand, kein Fuß, kein Äug gesundt, vnd was du mehr gestifftet: Es würd kein krafft, die du geschafft, inn vns natürlich wircken, Wenn du solch gut durch deine hut nicht jmmer thettest stercken.« (Ebda., S. 680)

Wenn der häufig mehr schlecht als recht funktionierende Alltag und damit auch die bestehende Ordnung als tröstlicher Evidenzbeweis für den unmittelbaren göttlichen Schutz gelten durften, jede Störung und Unordnung dagegen als Werk des Teufels empfunden wurden, so zeigt sich hierin zum einen eine wichtige psychologische Wurzel für den Konservatismus des - der Katholischen Kirche hierin ebenbürtigen - Luthertums, ja für seine Fortschrittsfeindlichkeit, die den progressiven Kräften des Absolutismus häufig das Leben schwer machte, zum ändern eine aus der Zeitnot in die Theologie hineingetragene Schwierigkeit, die ihre Glaubwürdigkeit und damit letztlich sogar die Glaub-Würdigkeit Gottes selbst tangierte. Warum übte der Teufel solch zerstörerische Macht aus, warum ließ Gott ihn gewähren, wenn er doch gleichzeitig in aller Güte für die Seinen sorgte? Standen sich hier die Mächte des Lichts und der Finsternis in einem noch unentschiedenen Kampf gegenüber? Wenn aber der Teufel - wie Luther lehrte - nur eine Funktion des göttlichen Zorns war, war Gott dann nicht letztlich doch für das Gute wie für das Böse in der Welt verantwortlich und widersprach er sich nicht,

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wenn er die Seinen schützte und sie doch zugleich den Anfeindungen des Teufels aussetzte? b) Theodizee als Anthropodizee (M. Böhme, Helmbold) Hier ist vor allem die Antwort interessant, die in den Liedern dem gemeinen Mann vermittelt wurde. Dabei leuchtet natürlich zunächst ein, daß die geistlichen und weltlichen Gesänge alle moralisch bösen Handlungen der Menschen dem Teufel in die Schuhe schoben - Gott blieb dabei ausgeblendet. Anders sah das vor allem im Bereich der Naturkatastrophen oder bei Unwettern aus, wobei vor allem so alltägliche, aber eben naturwissenschaftlich noch nicht überzeugend erklärbare Phänomene wie Blitz und Donner in der frühen Neuzeit sehr angstbesetzt waren, weil sie als unmittelbare »Sprache« des zornigen Gottes aufgefaßt wurden. So auch im folgenden Lied >Weil das wetter wehret< von Martin Böhme: »Hort doch, wie donnert Gott der HErr, vnd gebt seim nahmen Lob vnd Ehr! Wie schrecklich geht zu dieser stund ein hart gesprech auß seinem Mund. Verzehrend fewer für jhm steht, groß dampff auß seiner Nasen geht; Er neigt den Himmel, ferth herein, das man in wolcken sieht den schein. Wenn Gott im zorn so vmb sich schlagt, so wirdt das Erdtreich sehr bewegt, Die grossen berg gar hefftig bebn, das sich jhr festen gründ erregn.« (I Wa V, S. 228)

Auf diese furchteinflößenden, Gott mit Hilfe von Bildern aus den Schöpfungspsalmen zum tobenden Koloß mythisierenden Strophen folgt wie stets in solchen Liedern deren Schutz- und Selbsterhaltungsstrategie in Gestalt der Bitte um die - bei Gewittern ohnehin voraussehbare, dann aber als Erhörung interpretierbare - Beendigung des göttlichen Zorns: »Zur straff mit vnß im zorn nicht eyl, die wolcken, dämpff vnd wind zutheil, Gebeut dem donner vnd dem Plitz, dein Sohn vnß all für schaden schütz. Dem Satan vnd sein wercken wehr, sein boßheit, grim vnd macht zerstör,

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Die geister in der lufft verjag, das nicht auff vnß das wetter schlag.« (Ebda., S. 229)

Wenn sich der Teufel so als Funktion des göttlichen Zorns begreifen und diesem letztlich subsumieren ließ, dann konnte auch der Schöpfer allein für das verantwortlich gemacht werden, was ohnehin mit der Schöpfungserhaltung (»creatio continua«) seines Amtes war (vgl. dazu auch Bd. I, S. 187ff.; ferner Kap. II4 a). Denn das göttliche Wirken setzte sich nach Ansicht Luthers bis in die Gegenwart hinein ununterbrochen fort, und deshalb waren die Natur-Ereignisse Zeichen von Gottes »lebender Sprache«, die freilich jeweils der Auslegung bedurfte. Zwei Beispiele, diesmal aus der Gattung des Zeitungsliedes, mögen die damals übliche Schöpfungshermeneutik für den gemeinen Mann und damit die lutherische Theodizee um 1600 illustrieren. Das erste ist eine - so der Titel - >Newe geschieht Vom Zorn vnd Gute Gottes / so er vber die Statt Hilperhausen / am 14. Septemb. dises 72. jars / zu nacht vmb 7 vhr / durch ein schrocklichs Wetter / mit Verwüstung Schulen / Kirchen / Rhathauß / vnd aller anderer Burger Häuser / hat gehen lassenwahrer Bericht< >Von dem erschrocklichen vnd plötzlichen Vntergang deß weitberühmbten Flecken Pluers< aus dem Jahr 1618 beginnt mit einem - spannungsfördernden bewegten Aufruf, das Herz nicht an die Welt, sondern an Gott zu hängen, damit dieser nicht »schnell in einem Augenblick / mit Zorn durch seine Pfeile / Ellendiglich / vnd jämmerlich dich hinricht und vrtheile« (IV Brednich II, Abb. 127): »Ob aber wol diß alls geschieht / wills die Welt doch nicht achten :/: Will Gottes Wort auch horen nicht / noch seine Straff betrachten: Drumb er dann bald / beyd Jung vnnd Alt / im Zorn wie Schaff thut schlachten.« (Ebda.)

Was war geschehen, daß der anonyme Verfasser zu einem derart krassen Bild - Gott als Schlächter seiner Schafe - greift? Das Lied beschreibt zunächst die Schönheit des Ortes und dann die Katastrophe: Ein Bergrutsch mit anschließender Überflutung vernichtet auf einmal den ganzen Flecken: »Mann / Weib vnd Kind kamen da vmb / auff das geringst geschatzet :/: Funfftzehenhundert in der Summ / ein Mensch sich drob entsetzet: Wie jämmerlich / gantz schnelliglich / All Ding da wurd verletzet.« (Ebda.)

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Im Kontext der in der Frömmigkeit tief verwurzelten Vorstellung von Christus als dem »guten Hirten«, der die ihm anvertrauten Schafe vor allem Unheil bewahrt, wirkt das Bild von Gott, der seine Schafe »im Zorn« »schlachtet«, als geradezu brutale Provokation des Bildes vom »Vater«, über dessen Handeln sich ein Mensch nur noch zu »entsetzen« vermag - dies gilt nicht nur für die weltlichen, sondern auch noch für die kirchenorientierten geistlichen Lieder des 17. Jahrhunderts (vgl. Kap. II 4 a). Und in diesem Zusammenhang verwandelt sich - dies der zweite Aspekt - gleichsam unter der Hand die Anthropodizee doch wieder zurück in das Problem der Theodizee. Dies nicht für die Calvinisten, deren Begriff von der unumschränkten Herrlichkeit und Größe Gottes sich auch und gerade darin bestätigte, daß dieser den größeren Teil der Menschheit für die Verdammnis bestimmt hatte und deshalb verderben ließ, wohl aber für die Katholiken und Lutheraner, die am Begriff des guten und gnädigen Gottes festhielten, der alle Bußfertigen und Gläubigen gewiß vom Verderben erretten will. Und nun diese Massenvernichtung! Der Begriff eines gütigen Gottes ließ sich hier nur noch dadurch retten, daß dieser den exemplarisch für die Sündhaftigkeit aller Christen Getöteten auch die ewige Seligkeit zuteil werden ließ. Doch wenn sie das ewige Leben »verdienen«, dann doch nicht zugleich die solcherart über sie verhängte Todes-Strafe. Das Lied selbst klagt denn auch bemerkenswerterweise - in eine Bitte gekleidet - den Anspruch der Katastrophenopfer auf die »ewig Freud« ein: »Daß dein Augen wem Thrlnenquelln / solch Volck recht zubeweinen -J: Die so plötzlich der Todt thut fälln / schrocklich vnd ehe wir meynen. Behut Herr Gott / für solcher Noth / in Gnad thu vns erscheinen. Gib diesem Volck daß so Eilend / Erbärmlich ist vmbkommen :/: Welchs vnversehn sein letztes End / ErschrOcklich hat genommen / Die ewig Freud / die vns bereit / Erweck sie als die Frommen.« (Ebda.).

Hier macht sich ein aus dem Gottesbegriff abgeleitetes und auf den Schöpfer zurückprojiziertes christliches Mitleids- und Gerechtigkeitsempfinden bemerkbar, das, indem es auch die Konfession der Opfer nicht eigens erwähnt, nur noch in der Gleichstellung und Gleichbehandlung der Toten mit allen frommen Christen der Sinnlosigkeit ihres Opfer-Todes Sinnhaftigkeit zu verleihen vermag. Was als Strafverkündigung über die Sünden der Menschen begann, endet unversehens in einer Apotheose des Opfers im Sinne eines Martyriums. In dem ihnen zugefügten Leiden und Tod sind die scheinbaren Nachfahren der »Sodomiter« - in diese Nähe werden sie zunächst in Strophe 4 gerückt - gerechtfertigt und erlöst. - Dies weltliche Zeitungslied ist ein Beispiel dafür, daß sich

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unter dem Trommelfeuer der Katastrophen jener Zeit die Zweifel an der Theodizee und damit an einem gütigen, gnädigen Gott verstärkten. Das willkürlich-kontingente Handeln und »Strafen« des »Vaters« hat in der Epoche des Konfessionalismus das Seine dazu beigetragen, daß sich für den Menschen einsichtigere, gerechtere Prinzipien ethischen Handelns auf der Basis des neuzeitlichen Naturrechts entwickeln konnten. Im Bereich der Lyrik erreicht diese Konfrontation zwischen göttlichem Willkür-Recht und Naturrecht bei Andreas Gryphius ihren Höhepunkt (vgl. IV Kemper I, S. 275ff.). Gottes Tun mit menschlichem Gerechtigkeitsempfinden zu begegnen, ist zugleich - dies der dritte Aspekt - ein erster bedeutsamer Schritt zur Verwirklichung der in der Anthropodizee verborgenen Möglichkeit menschlicher Autonomie: Wenn die Schuld an allem Übel in der Welt, damit auch am göttlichen Wüten in der Natur, letztlich dem Menschen selbst zuzuschreiben ist, hat er es dann nicht auch in der Hand, durch Selbst- und Natur-Beherrschung für ihre Beseitigung zu sorgen? - In diesem Zusammenhang ist es nun interessant zu sehen, daß Passivität und Lähmung dort besonders ausgeprägt waren, wo die Katastrophen ohne »Umweg« über den Teufel Gottes Zorn unmittelbar zugeschrieben wurden. Hier war das Bewußtsein verbreitet, man dürfe ihm durch »Gegenwehr« gegen das verhängte Geschick nicht in die Straf-Rute fallen (vgl. dazu ebda., S. 299f.). Zum Teil anders reagierten dagegen solche Autoren, die dem Teufel die Schuld an den Katastrophen und Unglücksfällen zusprachen. Hier war individuelle und soziale Gegenwehr zwar im Blick auf das Kräfteverhältnis ziemlich hoffnungslos, aber keineswegs verboten. Die geistlichen Lieder von Ludwig Helmbold sind ein Beleg für die These, daß der Glaube an das Wirken des Teufels soziale Kritik und Abwehrkräfte mobilisierte, die zur Überwindung der Passivität , zu sozialem Handeln, damit auch zur Beseitigung solch teuflischer Plagen wie etwa der Teurung und mit der Abnahme der Katastrophen letztlich auch zur Reduzierung des Teufelsglaubens selbst führten. In einem >strafflied, wider die falschen Lutherischen, vnd Maulchristen< stellte Helmbold Luther als den überragenden Satansbekämpfer dar, der alle von »Teufel vnd Welt« zugesandten Hindernisse und Gegner - von Papst und Kaiser bis zu Erasmus und Zwingli - »zu boden geschlagen« hat: »es war zu seiner zeit kein Man / den er nicht überwunden« (I Wa IV, S. 671). Bei diesem aktiven Kampf brauchte Luther nicht zu verzagen: »Der jhn erweckt zu solchem streit, / Gott ist jhm beygestanden«, sodaß er »alles leidt ritterlich vberwunden« (ebda., S. 672). An diesem elogisch errichteten Vorbild bemaß Helmbold sodann den Zustand des Luthertums in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und entdeckte

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dabei lauter soziale Untugenden, gegen die kein Betroffener anzukämpfen gedachte. Eben dies aber machte sich Helmbold nun in seinen Liedern zur Aufgabe. Denn die Trägheit des Fleisches war für ihn Zeichen des Unglaubens, und »Inn des Vnglaubens Kindern / sein Werck der Sathan hat« (ebda., S. 682). Während andere eine Plage wie die Teurung ausschließlich als von Gott verhängt betrachteten - wie Martin Böhme in seinem >Gebet, wider die ThewrungWarnungslied, Wider den Geitz, aus Götlicher Drawung, vnd Zeichen der vngewöhnlichen Schlössen ( = Hagelkörner), zu Mülhausen in Düringen gfalln, am 17. Tag Julij, Anno 1571Vom Reich des Antichrists vnnd von plagen vber die arge welt< aus der Feder von Adam REUSNER (oder Reisner ca. 1500-1582), dem Gehilfen von Kaspar von Schwenckfeld (1489-1561), und eben deshalb herrscht der Satan »ungehewr« (I Wa III, S. 155f.). »Er spürt vnd fult den Jüngsten Tag, / drum tobet er so hoch Er mag /widder Gottes Gemeine«, erklärt auch Johann WALTER (1496-1570; ebda., S. 201), und dies entsprach nicht nur völlig der Ansicht der Reformatoren, sondern der Glaube an das bevorstehende Weltende war allem (oftmals überschätzten) Renaissance-Optimismus, der Diesseitsfreude und dem Pioniergeist im Zeitalter der >Entdekkungen< zum Trotz ein europäisches Phänomen (vgl. III Delumeau II, S. 311 ff.). Indessen hatten Luthers Entlarvung des endzeitlichen Antichristen im Papsttum (vgl. Bd. I, S. 156ff.) und die eschatologische Deutung seines Kampfes gegen Rom, sein wörtliches Bibelverständnis, das zum neuen Ernstnehmen auch der eschatologischen Botschaften Christi und der Prophezeiungen der Apokalypse führten, zusammen mit den exorbitanten historischen Zeitereignissen die Endzeitstimmung auch und gerade unter den Lutheranern verstärkt. Die von Jesus selbst geweissagten Zeichen des Weltendes schienen genau auf die eigene Situation zu passen: ».. .vnd werden geschehen grosse Erdbebunge hin vnd wider / Thewrzeit vnd Pestilentz / auch werden Schrecknis vnd grosse Zeichen vom Himel geschehen. Aber vor diesem allen werden sie die Hende an euch legen vnd verfolgen / vnd werden euch vberantworten in jre Schulen vnd gefengnisse / vnd für Könige vnd Fürsten ziehen /vmb meines Namen willen« (Lk. 21, 11 f.).

Caspar FÜGER faßte diese Symptome 1584 in seinem >Prognosticon Oder Weissagung / von gefehrlichen Verenderungen in dieser Welt / welche im Achtzigsten Jahre angangen / und endlichen biss auffs 84. vnd 88. Jar / ja biss ans ende der Welt sich erstrecken sollen vnd geschehen werden< wie folgt zusammen:

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»Sihe / wie doch als (= alles) zum Ende eilt / Der Himmel knackt / die Erde hiebt / All Creatur seind sehr betrübt / Das wilde Meer / die Wasser all / Brausen vom Wind mit Sturm vnd schal / Die Welt ist wie ein boses Haus / Zum fall geneigt gantz durchaus / Ist nicht gros Theurung für der Handt? Pestilentz wuett ja durch alle Landt. Seind nicht gros Krieg in aller Welt? Ein jeder thut was jhm gefeit / Der rechte Glaub verlischet gar / Die Lieb erkalt in vielen zwar (= gewiß). Man übt gewalt vnd treibet pracht / Ach /fromme Christen seind veracht / Leidend Verfolgung vberal / Vnd ist jhr doch ein kleine zal Vom Himmel sieht man Zeichen viel / Wer ist / der solches leugnen wil?« (II Fuger, S. B iij v/B iiij r)

So hatte das »Buch der Bücher« mit den angekündigten Zeichen selbst auf das »Buch der Natur«, die zweite Offenbarungsquelle Gottes, verwiesen, und eine vom Erleben exorbitanter Zeitläufte geprägte und daher auf das Eintreffen solcher Zeichen geradezu gespannte Gläubigkeit fiel auf die abstrusesten Wundergeschichten herein, die in den >Zeitungen< kolportiert wurden. Der Straßburger Publizist, Humanist und Rechtsgelehrte Johann FISCHART (1546/47-1590; vgl. Kap. II 3 c) veröffentlichte beispielsweise 1575 >Ain Gewisse Wunderzeitung von ainer Schwangeren Jüdin zu Binzwangen, vir meil von Augspurg, welche kurzlich den 12. Decembris, des nächst verschinenen Jahrs, anstatt zweier Kinder, zwai leibhaffte Schweinlin oder Färlin (zur Welt) gepracht hatWunder Spiegel< der >fürnemmsten Cometen vnd Wunderstern / von anfang der Welt her / biß zu gegenwertiger zeit / vnd was allemal darauff erfolget< mit diesem Argument:

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»Was man hie lieset / das ist war. Ob mich jemand wolt lügen straffen / Mit Hohn vnd schmach wolt vmb sich werffen / Der sol wissen zu dieser stund / Das er sich selbst mit seinem Mund / Sein Hertz vnd Gwissn beschweren thut / Auch GOTT veracht / das höchste Gut / Als das der nicht Allmächtig wer / Welche were die höchste Vnehr / Die man anthet dem frommen GOTT / Als zu treibn mit jhm nur spott.« (II, S. A ij v; vgl. auch II Köstner, S. A ij r)

Weitere Plausibilität gewann die Parusieerwartung durch verschiedene Weltalterberechnungen. Man glaubte damals, im letzten der sieben dem Siebentagewerk Gottes bei der Schöpfung entsprechenden - Weltalter zu leben, wonach das »sechste zu Caroli Magni zeiten / da das Romische Kaysertumb an die Teutschen gelangtet(l) / nunmehr auch das sibende vnd letzte Alter zu Ende lauffet / vnnd der Welt einen Sabbath oder Ruhzeit neben mercklichen grossen vorhergehenden Verenderung verkündiget.« (II Brahe, S. A iiij r) Zu einer ähnlichen Berechnung gelangte man dadurch, daß man die in der Johannes-Apokalypse genannten 1260 Tage als Jahre interpretierte; »jetzt zählte man vom Beginn des Verfalls, von Constantin an. 325, die Zahl des Konzils von Nicäa, plus 1260 ergibt 1585.« (III Peuckert, S. 82) Oder man legte die traditionelle Weltalterrechnung zugrunde, die das 17. Jahrhundert hindurch Gültigkeit besaß: »Die Welt besteht 6000 Jahre lang, bis zu Christi Geburt sind bereits etwa 4000 vergangen, die restlichen 2000 sollen nach Matth. 24, 22 verkürzt werden, darum ist das Ende nahe« (III Korn, S. 11). Wieder andere Datierungen gingen von Tierkreis- und Planetenkonstellationen aus. Da die erste Welt durch Wasser in der Sintflut untergegangen war, sollte die letzte Welt durch Feuer vernichtet werden. Eine besonders »feurige« Konjunktion errechnete man für die Zeit zwischen 1583 und 1588 (vgl. III Peuckert, S. 83). Während Luther den »lieben Jüngsten Tag« noch selbst zu erleben hoffte (vgl. 11.15 Quistorp, S. 112), glaubte Philipp MELANCHTHON (d.i. Schwärzen 1497-1560) ebenso wie zuvor REGIOMONTANUS (d. i. Johannes Müller 1436-1476), der bedeutendste europäische Astronom vor Kopernikus, an das schon von »etlichen alten Lehrern« vorausgesagte Jahr 1588 (vgl. III Korn, S. 8): »Wenn man schreibt 1580. vnd acht / Das ist das Jahr das ich betracht / Gehet in dem die Welt nicht vnder / So geschieht doch ein gros mercklichs wunder.« (II Füger, S. Biiij r)

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Daß im Luthertum die Parusieerwartung am stärksten verbreitet war, bezeugt auch der Buchmarkt. 68 deutschsprachigen Werken mit eschatologischer Thematik aus dieser Konfession stehen in den Jahrzehnten um 1600 20 calvinistische und nur ein katholisches gegenüber (das lateinische Schrifttum weist analoge Zahlen und Relationen auf; vgl. III Korn, S. 57). Johannes CALVIN (d. i. Jean Cauvin 1509-1564) selbst stand noch am wenigsten unter der Aktualität der Naherwartung. Für ihn spielte der individuelle Todestag als persönliches Jüngstes Gericht eine entscheidendere Rolle, und er suchte die apokalyptischen biblischen Ankündigungen im geistlichen Sinne entschärfend als Akkomodationen zu deuten (vgl. 11.15 Quistorp, S. HOff., 125). Und die Katholische Kirche wiederum hatte im Gegensatz zum Luthertum keinen Parusie-Bedarf: Sie verstand sich als mystischen Leib Christi, repräsentierte damit bereits das Jenseits im Diesseits und gewährte schon hier und jetzt (brautmystischen) Umgang mit Christus, sie vermochte keinen >Antichristen< als Vorzeichen des Weltendes zu erkennen (die Person Luthers erschien ihr dafür denn doch zu unbedeutend, vgl. ebda., S. 12), und sie befand sich seit dem Tridentinum auf dem Wege der Wiederherstellung ihrer Macht, so daß sich ihr Krisen-Bewußtsein in engen Grenzen hielt (vgl. Kap. II l a). Bestes Beispiel für die irdischen Langzeit-Perspektiven, in denen sie dachte, war die Kalenderreform Papst Gregors XIII. 1582; mit ihr wurde die durch den julianischen Kalender im Laufe der Jahrhunderte verursachte Verschiebung des Jahresbeginns um 10 Tage rückgängig gemacht. Der gregorianische Kalender berechnete das Jahr so genau (365, 2425 Tage), daß erst in 3333 Jahren seit seiner Einführung wieder eine Zeitverschiebung von einem Tag gegenüber dem tropischen Jahr eintreten wird: Die Lutheraner empfanden diese Reform als eine weitere Provokation des >AntichristenVom Jüngsten Tage< zeigt in ihrem befehlend-apodiktischen Ton, welche Gesinnungsarbeit die Geistlichen hier beim gemeinen Mann zu leisten hatten: »Frewt euch, jr Christen alle gleich / sich naht herbey das Himelreich, / Der Jüngste Tag ist für der thür, / kein fromer Christ erschreckt dafür.« (I Wa III, S. 1217). Die lutherische Wahrheit des »glaubst du, so hast du« hatte ihren scopus ja in der Gewißheit der Teilhabe am ewigen Leben. Zu den Seinen kam Christus nicht als furchtgebietender Richter, sondern als der, der sein Erlösungswerk an ihnen vollendete (vgl. III Korn, S. 22). So wurde der Jüngste Tag als »Tag des Sieges und Triumphes Christi« erwartet, bei dem sich seine Gemeinde als »Baustein des Gottesreiches« fühlen durfte (ebda., S. 15f.), als Tag des Gerichts aber galt er nur für die Andersgläubigen - und ebenso dachten aus ihrer Perspektive auch die Katholiken (ebda., S. 61). Infolgedessen retuschierten diese frühen lutherischen Lieder im frischen Glaubens- und Erwählungsbewußtsein die Ängste vor dem Jüngsten Tag, indem sie - wie in Johann Walters mit wenigen Strophen noch heute im >Evangelischen Gesangbuch< vertretenen Lied »Hertzlich thut mich erfrewen / die liebe Sommer zeit« (I Wa III, S. 187ff.) - die damit anbrechende Zeit des »ewig Paradeis« ganz in Übereinstimmung mit Luthers Vorstellungen (vgl. III Delumeau II, S. 323f.) als Schlaraffenland vorstellten: »All vnser lust vnnd willen, / was vnser hertz begert, / Was wir nur wündschen wollen / soll alles sein gewert« (I Wa III, S. 189). In >Des Tichters Zugabe< zu diesem Lied bekennt Walter freimütig, sein 34strophiges Antizipieren der himmlischen Herrlichkeiten habe die Funktion, ihn vom irdischen Elend abzulenken: »Mein gemut thut sich hoch schwingen / von dieser Welt mit macht, / sehn mich zu solchen dingen / der Welt ich gar nicht acht.« (Ebda.) Und er fordert die Gemeinde auf, in der Vorfreude auf die künftigen Seligkeiten die irdischen Lasten und Trübsale umso geduldiger zu ertragen, als ja das Ende der Plagen mit Gewißheit abzusehen sei. Damit gelangt eine weitere wichtige rationale und emotionale Begründung für die lutherische Naherwartung in den Blick: Zum einen entlastete sie theologisch Seelsorger und Gemeinde. An den geistlichen Liedern, die z. B. aus den Federn von Adam Reusner, Johann Walter, Erasmus Alberus (1500-1553) oder Nicolaus Herman früh in die Gesangbücher aufgenommen wurden, läßt sich ablesen, daß all die für die Lutheraner so ungünstigen Zeichen der Zeit - die unbezwingliche Stärke des >AntichristenChronickAller Practick Großmütter< (1572) aus der Überzeugung heraus gegen das Prognostizierwesen der Astrologie, daß »Das Sternen geschopf f nichts schaden kan, / Wan wir des schöpf fers huld nur han«: »Es ist ein astrolugium, Vnd macht die leut mit nichten frumb, Sonder weißt sie von Gott zön Sternen, Das ist zur schalen von dem kernen. Glaubt aber, bit ich nun, voran Dem Rechten gstirn erfahrnen Mann, Welcher verzuckt ist worden gar Bitz in den dritten Himmel zwar. Der spricht, wann Gott hie für vns ist, Was schads, wan sichs alls gen vns rust?« (II K III, S. 38)

Doch trotz dieser Berufung auf die biblische Offenbarung konnten auch die Protestanten nicht leugnen, daß Gott als Schöpfer und Erhalter der Natur durch sein Schöpfungshandeln im Bereich der Gestirne wie etwa auch bei Naturkatastrophen mit den Menschen kommuniziert: Bei hartnäckigem Ungehorsam predigt er »nicht mehr mit Worten vnd durch Menschliche Stimme / sonder mit Donner / Fewer / Hagel / Vngewitter

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/Sturmwinde vnnd Sundfluten / auff daß die Welt sehen solle das Vrtheil / das er hat gehen lassen« (II Major, S. C ij r). Diese Ansicht entsprach der Auffassung Luthers. Zwar stand dieser den astrologischen Bemühungen um die Schicksalsberechnung aus den Sternen skeptisch gegenüber, weil er sie als menschliche Anmaßung und als Verkleinerung der göttlichen Freiheit empfand, aber er konnte nicht leugnen, daß Gott dem der Erbsünde verfallenen Menschen in und mittels der Natur gegenübertrat, um ihn zum Heil zu drängen und damit die ursprüngliche Schöpfungsfreiheit wiederherzustellen (vgl. IV Kemper I, S. 215). Daher konnten Himmel und Sterne als göttliches »Sprachrohr« nicht ausgeschlossen werden. So galt denn auch im Luthertum während der Epoche des Konfessionalismus die alte astrologische Grundüberzeugung weitgehend unangefochten, daß Gott durch die Gestirne die irdische Welt regiert: »Weil Gott all ding durchs Himmels lauff Regiert / so sol man sehen darauff / Das mans veracht / noch spott drauff nicht / Dann Gott regiert fast wunderlich Durch das Gestirn / all ding gemein Obs schon für uns ist ein geheim.« (II Letzner, S. B iij r)

Zum besseren Verständnis dieser Auffassung, daß alles Sublunarische unter der Herrschaft der Sterne, d. h. unter dem Einfluß ihrer durch Strahlen vermittelten unterschiedlichen Kräfte stehe, seien einige der astrologischen Grundannahmen näher erläutert. Der vielseitig begabte, »faustische« Renaissance-Gelehrte Heinrich Cornelius AGRIPPA VON NETTESHEIM (1486-1535) faßt diese aus der Antike ererbte Ansicht in seinem magischen Hauptwerk >De occulta philosophia< von 1510 (hier nach der 2. Auflage von 1532) so zusammen: »Alle Sterne haben ihre eigentümliche Natur und Beschaffenheit, deren Zeichen und Merkmale sie durch ihre Strahlen auch in unsere Welt den Elementen, Steinen, Pflanzen, Tieren und deren Gliedern mitteilen. Jede Sache erhält daher gemäß der harmonischen Ordnung und von ihrem sie bestrahlenden Sterne ein besonderes Zeichen oder Merkmal eingedrückt, das den betreffenden Gestirneinfluß genau charakterisiert und eine besondere, entweder nach der Gattung oder der Art oder der Zahl des Gegenstandes von ändern verschiedene Kraft in sich enthält. Es erhält somit jedes Ding zum Zwecke einer bestimmten Wirkung seinen eigentümlichen Charakter von einem Sterne, besonders von jenem, der vor den übrigen eine Herrschaft über dasselbe ausübt.« (II, S. 74f.)

Deshalb ist eine so alltägliche Gedichtaussage wie die folgende durchaus nicht nur als metaphorisch-rhetorischer Schmuck abzutun:

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»Mars gab ihm dapferkeyt samt einer starken hand; Der Jupiter gab ehr' und gluk sich hoch zu schwingen; Die Juno gunst und gnad in allen seinen Dingen / . . . . « (II Schneuber, S. 75) Denn im aristotelisch-ptolemeischen Weltbild hatten sowohl die sieben damals bekannten »Laufsterne« oder Planeten (in »aufsteigender« Reihenfolge: Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter, Saturn) einen je eigenen Charakter mit entsprechenden Wirkungen als auch die zwölf Sternbilder in der festen Fixsternsphäre, mit denen sie in unterschiedliche Konjunktionen traten. »Außerdem tragen die saturnischen Dinge zur Traurigkeit und Melancholie bei; die dem Jupiter angehörigen zur Heiterkeit und Würde; die martischen zur Kühnheit, Zanksucht und zum Zorn; die solarischen zum Ruhm und Siege und zur Hochherzigkeit; die der Venus angehörigen zur Liebe und sinnlichen Lust; die merkurischen zur Beredsamkeit; die lunarischen zum täglichen Leben. Selbst die Lebensweise und die Sitten der Menschen sind nach den Planeten eingeteilt. Saturn regiert die Greise, die Mönche, die Melancholiker, die verborgenen Schätze und alles, was durch lange Reisen und durch Mühe erworben wird; Jupiter hat unter sich die Ordensleute, die Prälaten, die Könige und Fürsten, sowie den erlaubten Gewinn; Mars die Bartscherer, Chirurgen, Ärzte, Liktoren, Henker, Fleischer, Schmiede, Bäcker, Soldaten, welche überall Söhne des Mars heißen.« (II Nettesheim, S. 58f.) Darüberhinaus herrschte jeder der Planeten vermöge seiner Eigenschaften sogar über einzelne Organe des Menschen: »Wie man von den Arabern weiß, steht die Sonne dem Gehirn, dem Herzen, den Schenkeln, dem Marke, dem rechten Auge und dem Lebensgeiste vor; der Merkur der Zunge, dem Munde und den übrigen Sinneswerkzeugen, sowohl den innern als den äußern, überdies den Händen, Füßen, Beinen, Nerven und der Einbildungskraft; der Saturn der Milz, dem Magen, der Blase, dem rechten Ohr und der Fassungskraft; der Jupiter der Leber, dem fleischigeren Teil des Magens, dem Bauche und dem Nabel, . . . Mars steht dem Blute, den Adern, den Nieren, der Gallenblase, dem Hintern, dem Rücken, dem Samengange und der Zornsucht vor; Venus dem Geschlechtstriebe, überdies dem Fleisch und dem Fette, dem Bauch, den Schamhaaren, dem Nabel und allem, was zum Venuswerke dient, auch den Nieren und Hoden, der Scham und Gebärmutter . . . Dem Monde . . . werden . . . besonders das Gehirn, die Lunge, das Rückenmark, der Magen, die monatliche Reinigung, die Exkremente, das linke Auge nebst der Kraft des Wachstums zugeschrieben.« (Ebda., S. 57f.) Auch bei diesem System ist nicht solche Willkür am Werke, wie die Zitate vermuten lassen. Vielmehr bezieht es seine Plausibilität aus einem hohen Grad an Anschaulichkeit und darauf gegründeter jahrtausendealter Erfahrung. Denn wiederum ist die Zugehörigkeit der Dinge zu bestimmten Sternen ihrer Ähnlichkeit zu entnehmen. Der Sterneneinfluß

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wirkt sich in einer Nachahmungstendenz des irdischen Dings aus, und zwar einer Imitation im Bereich des Strahlens selbst, der Bewegung oder der Figur des jeweiligen Himmelskörpers. So gehören z. B. zur Sonne unter den Elementen das Feuer, »unter den Metallen wegen seines Glanzes das Gold«, »unter den Steinen solche, welche durch goldene Punkte die Sonnenstrahlen nachahmen.« »Von den Pflanzen und Bäumen sind diejenigen solarisch, welche sich nach der Sonne kehren«. »Unter den Tieren gehören der Sonne die großmütigen, beherzten, nach Sieg und Ruhm trachtenden, wie der Löwe, der König der Tiere, das Krokodil, der Fuchs, der Widder, der Ziegenbock, der Stier, der König der Herden...« (Ebda., S. 59ff.). - Bereits Claudius Ptolemäus (um 100-um 180 n. Chr.) hatte die in der Antike bekannten Regionen auf Grund ihrer Beschaffenheit unter die Sterne aufgeteilt. So regierte der finstere, kriegerische Mars mit dem Sternbild des Widder u. a. England, Frankreich und Deutschland; der heißen, goldenen Sonne mit dem Löwen dagegen unterstanden Italien, Apulien und Sizilien (vgl. ebda., S. 71). Die andauernden (Religions-) Kriege in der Epoche des Konfessionalismus haben ohnehin nicht dazu beigetragen, den Glauben an das Regiment des Mars in den nordeuropäischen Gefilden zu erschüttern. Überhaupt war ein solches gleichermaßen kompliziertes wie durchsichtiges System keineswegs im Handstreich zu überwinden. Auch ein Anhänger des kopernikanischen Weltbildes wie Johannes KEPLER (1571-1630) und damit ein denkbar großer Gegensatz zu Agrippa von Nettesheim teilt noch ein Jahrhundert später dessen hier explizierte Grundannahmen. So wie die Sterne für Kepler Lebewesen sind und eine Seele haben, so besitzt auch die Erde, wie er in seiner >Weltharmonik< ausführt, eine Seele (II WH, S. 261 f.); und aus der Tatsache, daß letztere die Sterne und deren Konstellationen wahrzunehmen vermag, erklärt er sich die von den Gestirnen auf die Erde ausgehenden Witterungseinflüsse (11.41 Hübner, S. 232). Ebenso glaubt Kepler an die Affizierung der menschlichen Seele durch die von dort stammenden Kräfte, die zum Zeitpunkt der Geburt und im ersten Vierteljahr danach besonders prägend sind. Die Seele nimmt dabei den spezifischen Charakter der Himmelszeichen in sich auf (vgl. ebda., S. 232f.). Von daher erklärt sich, warum es so wichtig war, bei der Erstellung der Individualhoroskope die genaue Sternkonstellation während der Geburtszeit zu ermitteln. Den natürlich-materiellen Einfluß der Sterne auf die Erde stellt sich Kepler als tatsächliche - immateriell genannte, aber materiell gedachte - KraftÜbertragung im Medium der Strahlen vor, dadurch nämlich, »das der Planeten jnnerliche Leibsqualiteten/durch solche stättigs außfließende species immateriatas zu vns auff den Erdboden reychen«, und zwar

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»durch vermittelung jhres Liechts« (zit. in 11.41 Hübner, S. 235). Unabhängig von dieser individuellen Affiziertheit unterliegt der Mensch allgemein noch einem stellaren Einfluß, der sich aus dem Betrachten der geometrischen Proportionen (Kreisen, Winkeln, Vielecken) des Sternenhimmels ergibt. Da sich die Sterne auch untereinander affizieren, lassen spezielle oder außergewöhnliche Konjunktionen auch ganz besondere Einflüsse erwarten: »es setzen auch die Gemüther bey grossen conjunctionibus viel eyfferiger, und nach gestallt der Sachen, viel furiosischer vnd Auffrührischer zusammen, dann sonsten zu gemeinen zeiten« (zit. ebda., S. 234). Der Glaube an den Einfluß der Sterne auf Schicksal und Leben der Menschen zeigt sich vielfach in der Gelehrtenpoesie des Renaissanceund Barock-Humanismus. Über den auch von Kepler geteilten Glauben an die stellaren Wirkungen auf die Seele konnte sich das Weltbild der Astrologie dabei mit dem der Magie eng verbinden, während für strenge Aristoteliker die Sterne direkt nur auf Leib und Körperwelt Einfluß hatten (»Sidera corporibus praesunt coelestia nostris«; vgl. II Sibenbürger, S. A iv) und nur über diese - wegen der Abhängigkeit der Seele von körperlichen Zuständen - indirekt auch auf die Psyche. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert vor allem die Frage, wie die Astrologie ihre >akademischen< Einsichten in die Öffentlichkeit vermittelte und damit »gesellschaftlich relevant« zu sein vermochte. Dies geschah hauptsächlich in der Gattung der historische< Interesse der Zukunftsdeuter, durch welches zugleich einheitliche Deutungsmethoden festgeschrieben wurden. Sowohl im Bereich der »Himmelsgeschichte« wie auch in der Deutungsmethode bemühten sich die Astrologen um popularisierende Vermittlung. So ließ man sich geschickt auf den breiten Erfahrungshorizont der Adressaten ein - bis hin zu »Erfahrungen« aus der Volkstradition wie Bauernregeln u. ä., wie z. B. Albinus Moller in seiner >Practica Astrologica... auf das Jahr 1595< bei der Wettervorhersage (hier für den November): »Wer da wil verstehen fürbaß / Ob der Winter dörr oder naß. Den alten Martins tag betracht Das Siebengestirn nehm in acht. Denn auff ein naß wetter zuhand / Folgt ein Winter mit vnbestand. Wenn aber die Sonn scheinet wol / Ein harter Winter kommen sol.« (II 1595, o. S.)

Und natürlich bedachten die »Sterngucker« all das, was sich für den Erdenbürger erfahrungsgemäß im Ablauf der vier Jahreszeiten regelmäßig, jedenfalls mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit einzustellen pflegte - wie z. B. »typische« Frühjahrskrankheiten im April: »Hirn sucht Schwindel / S. Cyprian Febres, Catharr, komn heuffig an / Angina thut sich auch heruor / Vnd kreucht in vieler Menschen Thor / Der Hust / der Blutgang vnd die Pest Wird vacuiren mannig Nest / Sey Stil / sey from vnd messig leb Das Gott dir deine Sand vergeh / Sonst wird dir lohnen Cerberus, Jm Heischen Fewr mit vberflus /« (II Stuer, S. C ii j v)

Auch stilistisch orientierten sich die gelehrten Prognostiker am gemeinen Mann. Meist waren ihre Arbeiten in deutscher Sprache verfaßt, die Knittelverse im Durchschnitt womöglich noch sorg- und kunstloser ge-

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fügt als in der sonstigen Gebrauchspoesie der Zeit. Und mancher gar wie Albinus Möller in seiner >Practica Astrologica< auf das Jahr 1594 zielte mehr auf das Herz als auf den (scholastisch ungeschulten) Verstand seiner Leser: »Den einfeiligen Christen gut / Solches allhier vermelden thut. Der subtilen Glossen ist nicht noth / Einf eiliges Hertz gef eilet Gott.« (II 1594, S. D i r)

In der Prognostizier methodik selbst befleißigten sich die Astrologen zweier entgegengesetzter, aber gleich wirksamer Verfahren. Beim ersten befolgten sie das Motto: Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen. So kündigte der Arzt Dionysius SIBENBÜRGER in seiner >Practica Teutsch / Auff das 1547 Jare< seinen Lesern zusätzlich zur »grausam pestilentz« noch die geballte Invasion folgender Krankheiten an: »Sunst werden vil kranckheyten in disem jähre bey vilen sich erzeygen / bose hitzige tritegliche (= dreitägige) Fieber / Rote bose geschweer / weetagen der äugen / des hals / der brüst / vnd seittengeschweer / grosse kranckheyt in haupt / verschwellung der zungen / des plats (= Herz- oder Schulterblatt) / zanwehe / heyserkeyt / dorsucht / den schlag / den fallenden schwinde! / betriebung der tierischen geyst / das hinfallend! / der schultern / rucken vnd magens / der fuß / als podagra / glidtsucht.« (II, S. A iiij)

Andererseits verblieben die Zukunftsdeuter gern im Spökenkiekerisch-Vagen. So heißt es in >Ettlichen schonen Reymen der zwolff Monat< des Jahres 1632, die dem Italiener Giovanni Antonio MAGINI zugeschrieben wurden: »Jenner. »Ein grosser Herr vnter dem Slier / Setzt jhm den Krieg noch Sieghafft für / Deß Kriegs Pressuren gehn noch fort / Wie man erfährt an manchem Ort / Eim hohen Haupt droht es den Fall / Vnd ein betrübte Zeit dißmal. Hornung. Im Wassermann ist grosse klag / Auch viel vnruh bey Nacht vnd Tag / Der feurig Bund continuirt / Vnd wirdt der Krieg noch stets geführt / Ein Reformation der Zeit / Siht man in Ländern weit vnd breit.« (II, S. B iij v)

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So geht das fort, und wenn man hier auch zu berücksichtigen hat, daß die Verse nur ausführlichere Prosa-Erläuterungen zusammenfassen, so hüten sich doch auch diese vor zu großer Genauigkeit; im nachhinein wird man dann wissen, welch »hohes Haupt« vom Fall bedroht gewesen war. Im übrigen generalisieren die Prognostiken, wenn es gilt, einzelnen Berufsgruppen angesichts bevorstehender Gefahren Trost und Rat zukommen zu lassen. Die folgende seelische Aufmunterung für Söldner des Dreißigjährigen Krieges aus demselben Prognosticon läßt sich für die Soldateska jeder kriegführenden Partei verwenden und entwertet obgleich nicht so gemeint - im Grunde schon dadurch die inhaltliche Argumentation zu blankem Zynismus: »Derowegen Jhr Soldaten / seyt frisch vnd vnverzagt / Gott ists der für euch selbsten streiten vnnd die Victorien / über alle vnsere der Heyligen Christlichen Kirchen Feind / geben vnd verleyhen will. Vnnd es wirdt bald heissen Cecidit Babylon. Vnterdessen aber wirdt es viel bleicher Nasen setzen / vnd mancher in das Graß beysen vnnd sein Leben drauff setzen müssen / doch hat er sich zugetrosten / was vor alters ... vor Reymen gefunden worden. Wer ein gut Gewissen bey sich trä Zu Nacht sich frolich schlaffen lägt Oder wirdt von dem Feind erschlagn / .Begrabn vnd auff Spiesn getragn / So er vmb Christi willen sterben will Hat ein Ehrlichs Grab / leg wo er will.« (II Ebda., S. A iij v)

Ein solches Beispiel legt den Verdacht nahe, die entscheidende Botschaft und Funktion der Prognostiken sei es gewesen, die Adressaten auf das von den Sternen verordnete Unvermeidliche vorzubereiten, sie psychisch auf das Ertragen der jeweils nächsten Katastrophen einzustimmen. Tatsächlich ist eine solche Wirkung nicht von der Hand zu weisen. Andererseits indessen sprachen sie den Zagenden und Verzweifelten auch immer wieder Mut zu, indem sie eine glückhafte Wendung der Lage in Aussicht stellten. So wurde die Wahrheit der göttlichen Zeichenschrift auch als unhinterfragbare Autorität für den Sieg des eigenen Glaubens reklamiert: »Die Warheit kan man wol drucken / Mit arglist vnd bosen ducken. Doch die Warheit wird siegen fort / Wie Palmbewm grün hie vnd dort. Der Caluiner Jrrthumb vnd Streit / Wird gestewrt in kurtzer zeit. Christus vnd Luther wolbestahn.

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Caluiner Sect wird vntergahn. Das wird jedermann erfahren / Was geschehen sol in den Jahren. Saturn vnd louis Gegenstand / Vertreibt die Caluiner ausm Land.« (II Moller 1594, S. C iiij v)

Im Blick auf Funktion und Nutzen für die Sozietät sowie für Mentalität und Psyche des Einzelnen hat die astrologische Prognostizierpraxis und Kalendermacherei vor allem drei wichtige Aufgaben erfüllt. Erstens haben die >Practica< offenbar ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis der von lauter Kontingenzerfahrungen gebeutelten Menschen jener Zeit zu befriedigen vermocht. Dies setzte zwei einander scheinbar ausschließende Prämissen des Systems voraus: Die Prognosen mußten wahr sein und doch zugleich nicht unabweisbar eintreffen. Zu wissen, was die Zukunft an Gutem oder Bösem brachte, gewährte ein Stück Sicherheit; das Vorausgesagte verlor etwas von seinem kontingenten Charakter und war als angekündigte Handlungsweise Gottes legitimiert. Ja, die Prognostiken operierten dabei sogar mit einer Theodizee, wonach das dem Menschen widerfahrende »Böse« sich nur um seines »Besten« willen ereignete: »Der alle ding hat wol gemacht Der hat auch dises recht betracht Das nit gueth sey das alle zeit Der Mensch auf erden wehr erfriet(!) Sunder das er auch trawren heb Dardurch er wider sich begeb Zu Got / deß er sonst baldt vergist« (II Stathmion, S. B iiij v)

Die angekündigten Katastrophen mußten aber auch verhinderbar sein, und zwar durch ein dem Gebot Gottes gemäßes Verhalten. Der »sensus astrologicus« des >Buchs der Natur< erwies sich so im Kern als ein »sensus moralis«. Freilich signalisierte diese letztlich vom menschlichen Verhalten abhängige Variabilität göttlichen Handelns eine fundamentale theologische Schwierigkeit. Hatte Gott die Sterne, ihre Kräfte und Eigenschaften, ihren Lauf und ihre Konjunktionen nicht bei der Schöpfung unveränderlich geschaffen? Konnte er sie jedesmal bei Bedarf ändern? Andererseits: Drohte Gott nicht bei der aristotelischen Annahme einer Ewigkeit planetarischer Gesetzmäßigkeit zum Gefangenen seiner eigenen Schöpfungsgesetze degradiert oder zu einem extramundanen deistischen Maschinen-Schöpfer zu werden? Gerade das Luthersche Verständnis von Gott als einer souverän über seine Schöpfung verfügenden sowie in ihr und durch sie handelnden Person hatte gegen diese Gefahr Front gemacht und damit auch zusätzliche »Bewegung« in die Astrolo-

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gie gebracht. Christoph STATHMION erörtert dieses Problem in der Vorrede zu seinem Kalender »auff das 1547. Jar« und sucht es vorsichtig im Sinne eines »Sowohl-Als Auch« zu harmonisieren: »Vnd wiewol war dz der Schöpfer an die Creaturn / nit ist gebunden / Also das er was die stern / troen (= drohen) thon muß / so ist doch wider war / das er allen Naturlichen wirckungen vnd aygenschafften jeren fürgang ainmal gegeben hat / als lang die weit stehet / vnnd sie darin bestettiget vnd gesegnet / Derhalben er auch dise nit verhindert / auch sein wort nit änderst macht / Nur allein / er wer dann von vns getrutzet oder aber hertzlich gebeten / wie vns dann die schrifft / vol sollicher Exempel warnet vnnd tröstet.. .Darnach auch das mir jn täglich für das kunfftig vnglück mogen bitten / nach der schrifft nichts baß auff dem Erpoden / dann eben die Astrologey nutzet / welliche vns baide gültigen vnd vngüttigen willen Gottes / für äugen stell Järlich / tanquam specialis quaedam Teologia siue maius Teonomia.« (II, S. A Ü v)

Als Sprachrohr Gottes nahm die Astrologie damit im Bereich des >Buchs der Natur< tatsächlich jene Stelle ein, welche die theologische Verkündigung im >liber scripturae< besaß. Aber sie war aktueller, konkreter im Blick auf die Alltagsbewältigung. Dies wird auch deutlich am zweiten Aspekt: einer eminenten Aufwertung des Diesseits und des alltäglichen Lebens. Das Walten des Makrokosmos wurde abhängig gemacht vom Verhalten des Mikrokosmos! Im Unterschied zum astronomischen Blick in die Sterne erweist sich der astrologische als erdverhaftet, ja als sol-ipsistisch, denn er spiegelte dem Menschen in der Unsicherheit der Zeiten und des sich etablierenden heliozentrischen Systems noch immer das beruhigende mittelalterliche Welt-Bild vor, daß sich alles - auch die Sterne - um die Erde und um den Menschen als Entsprechung des Makrokosmos drehe. Zwar waren den Anhängern des Ptolemäus die riesenhafte Dimension des Kosmos und auch der Schrecken darüber keineswegs unbekannt (vgl. IV Kemper II, S. 26), und dennoch gab die Anthropozentrik des alten Weltgebäudes den Menschen das Gefühl einer Geborgenheit, für die Philipp Nicolai um 1600 den Vergleich mit dem pränatalen Zustand im »mütterlichen Leibe« wählte: »Schaw an diß grosse Gebtw Himmels vnd der Erden/ welches vmbher ist / wie ein runde Kugel / vnd beschleust mitten in sich das Menschlich Geschlecht / alle Adams Kinder / die auff Erden wohnen / Da sind wir mit der Lufft / vnd mit dem hohen runden Firmament des Himmels allenthalben vmbgeben vnd beschlossen / vnnd liegen mitten ein / wie viel Kinder in einem Mütterlichen Leibe: Denn da muß vns das gantze GeschOpff Himmels vnd der Erden / mit allem / was darinnen ist / dienen / gleich als ein Mutter / sintemahl die Sonn der Mond / die Sterne / die Lufft / das Meer / vnd der Erdboden / sampt allen vnvernünfftigen Thieren vnnd allem Gewächs / sind dem Menschen zu Nutz vnnd Dienst geschaffen.« (II Nicolai, S. 251)

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Konsequenterweise betrieben die Astrologen ihr prognostisches Geschäft im Gegensatz zu den Astronomen über die allgemeine Anthropozentrik hinaus bis in die Sphäre konkreter Sozialität und Individualität hinein. Es ging nicht um das Schicksal der Erde schlechthin, sondern um die berechenbare Zukunft einer Gemeinde mit ihren je spezifischen Eigenheiten. Und daß der gewaltige Gott im Sternenlauf deren jeweiliges Schicksal vorprogrammiert hatte und sogar noch offenbarte, verlieh der Prognose eine überragende Bedeutung, stärkte das Selbstgefühl und wertete notgedrungen den prognostizierten Bereich von Alltag und Umwelt auf. Indem sich an ihm Gunst oder Ungunst des Numinosen enthüllte, wurde er aller Banalität entkleidet und gewann über Luthers theologische Begründung hinaus (vgl. Bd.I, S. 203) eine eigene Dignität. So gesehen bildeten die Prognosen ein starkes Gegengewicht gegen eine Auffassung vom Diesseits als einem Jammertal, das des menschlichen Interesses und Engagements unwert sei. Drittens schließlich stellten die Prognostiken einen Appell zum selbstverantwortlichen Handeln in der Sozietät dar. Mit stets neu erhobenem Zeigefinger verwies die Astrologie auf die Notwendigkeit ständig zu leistender Besänftigung des göttlichen Zorns durch Buße, Bekehrung und Gott wohlgefälliges Verhalten: In breiter Front klagte sie damit zugleich die »guten Werke« ein. Wenn diese im Luthertum auch keine heilsnotwendige Bedeutung hatten, so doch eine lebensentscheidende! - In diesen Kontext gehört es zweifellos, daß die Prognostiken, zu deren Verfassern ohnehin eine nicht geringe Zahl von Ärzten gehörte, auch - wie gezeigt - vorhersagten, »was für Kranckheiten regirn werden«, und damit unter Beweis stellten, »das diese Kunst vil zur Artzney diene« (II Caesius 1596, S. A ij). Daher fehlte es ihnen auch nicht an medizinischdiätetischen Ratschlägen, die auf ein bereits »weltliches« Interesse der Adressaten an Katastrophenschutz dieser Art schließen lassen. Letztlich also darf man die Prognostiken als fortgesetzte Versuche interpretieren, im Chaos jener Jahre vorausschauend Kurs zu halten, Ordnung und Überschau zu wahren und nach Möglichkeit appellativ gegenzusteuern. Insofern hat man bisher, scheint mir, die sozialpsychologische Funktion und Bedeutung dieses Teils der Astrologie in der frühen Neuzeit weit unterschätzt. Wenn der Mystiker Daniel von CZEPKO (1605-1660; vgl. zu ihm Bd.III) in der für seine Position charakteristischen Überschrift >Das gewißeste unter allen Ungewißesten ist der Todt. An die Stern-Fragen deren emsige Geschäftigkeit als unangemessene Zeitvergeudung für die diesseitige Existenz kritisiert, dann bestätigt er die vorherige Analyse und zeigt, welches Bollwerk die Astrologie auch im Bewußtsein der Zeitgenossen selbst gegen die Stimmung der Weltverachtung darstellte:

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»Umsonst quartierest du in die zwölff Häuser ein Die Herrscher der Geburt: Umbsonst suchst du die Wercke, Der Zeichen Fall und Gang, der Lichter Schwäch und Stärcke: Und ihren dritt- und vierdt- und sechsten Angelschein. Wann den Gebuhrts Stamm du darauff von Jahr auff Jahr Dem Himmel nachgewaltzt, und iede Stellung funden, Was hast du denn davon? O Mensch, kaum einer Stunden: Ja zwischen dem ein Blick kaum ist und seiner Baar.« (II Czepko, S. 12f.)

Als aber der Dinkelsbühler Arzt Nikolaus Eberhard WINKLER die Astrologie bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts >säkularisierteZwiegesprächen vom unendlichen All und den Weitem eher an als an Kopernikus (III Guthke, S. 67). Im Bewußtsein der Zeitgenossen war demnach der Kopernikanismus zunächst und vorrangig mit dem Stichwort des Heliozentrismus verknüpft, das Problem der Weltenvielfalt war demgegenüber eine (allzu hypothetische) »cura posterior«, die umso weniger zu beunruhigen vermochte, als der verbreitete Glaube an das unmittelbare Wirken Gottes sowie der himmlischen und höllischen Heerscharen in allem irdischen Geschehen an der Anthropozentrik des göttlichen Heilshandelns keinerlei Zweifel aufkommen ließ. Der Heliozentrismus aber wurde vor allem von den Kirchen weniger als wissenschaftliches denn als weltanschauliches Problem betrachtet, und in diesem Zusammenhang spielten bei seiner Rezeption in Deutschland zwei von Guthke kaum beachtete Aspekte eine Rolle: Hermetismus und Astrologie.

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Zunächst einmal stellte sich das heliozentrische Weltbild für seine ersten Anhänger als Bestätigung ihres eigenen, auf Hermes Trismegistos zurückgeführten Weltbildes dar (vgl. zu diesem Bd.III). Von Anfang an nämlich bewerteten die lichtsüchtigen Hermetiker und Neuplatoniker die Sonne in der Himmelshierarchie als bedeutendsten Lichtträger und als entscheidende lebensspendende Kraft sowie als Abbild bzw. als welterzeugenden »Sohn« des göttlichen Logos bzw. des Archetypus. So wurde es bekräftigt, als Marsilio FICINO (1433-1499) in der Renaissance »das ganze Corpus Hermeticum ins Lateinische« übersetzte und »ihm damit für die nächsten zwei Jahrhunderte eine epochale Wirkung« sicherte (III Zimmermann, S. 18f.). Beispielsweise erklärt er: »Nichts enthüllt uns vollständiger die Natur des Guten (also Gottes) als das Licht (der Sonne). Denn erstens ist das Licht das glänzendste und hellste von allen sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen. Zum zweiten gibt es nichts, das sich so leicht und weit und schnell ausbreitet wie das Licht... Betrachtet doch nur den Himmel, ich bitte euch . . . Die Sonne ist ein Wahrzeichen Gottes selbst, und wer wollte behaupten, daß die Sonne lügt.« (Zit. in III Kearney, S. 100)

Agrippa von Nettesheim führt ebenfalls eine Reihe antiker Autoritäten an, welche die Sonne »das Herz des Himmels genannt« und »in die Mitte der Planeten gesetzt« haben (II, S. 287). Und er fährt fort: »Sie steht in einer so innigen Beziehung zu Gott, daß Plato sie den sichtbaren Sohn Gottes nennt. Jamblichus nennt sie ein Bild des göttlichen Geistes, und Dionysius Areopagita ein sichtbares Bild Gottes. Als Königin hat sie ihren Sitz in der Mitte der übrigen Planeten, alle an Schönheit und Größe übertreffend, alle erleuchtend, ihnen zur Ordnung der unteren Dinge Kraft mitteilend und ihren Lauf regelnd und bestimmend, . . . Da also die Sonne die Mitte der Welt einnimmt, und da, wie bei den lebendigen Geschöpfen das Herz dem ganzen Körper, sie ihrerseits dem Himmel und der Welt vorsteht, über das ganze Universum und alles, was darin ist, das Szepter führt, so ordnet sie auch die Zeiten und es kommen von ihr Tage und Jahre, Kälte und Wärme, sowie die übrigen Eigenschaften der Zeiten her ...« (Ebda., S. 288)

Da kann es kaum verwundern, wenn ein anderer Neuplatoniker und Hermetiker die Sonne folgendermaßen rühmt: »In der Mitte von allem sitzt die Sonne auf ihrem Thron. Könnten wir uns in diesem herrlichen Tempel einen besseren Platz für dieses leuchtende Gestirn denken, von dem aus es das Ganze zu gleicher Zeit bestrahlen kann? Zu Recht nennt man es die Leuchte, den Geist, den Beherrscher des Universums; Hermes Trismegistos heißt die Sonne den sichtbaren Gott, und die Elektra des Sophokles nennt sie allsehend. So sitzt die Sonne wie auf einem Königsthron und herrscht über ihre Kinder, die Planeten, die sie umkreisen.« (Zit. in III Kearney, S. lOOf.)

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Der dies schreibt, ist kein Geringerer als der Frauenburger Domherr Nikolaus Kopernikus, der in Bologna die Rechte studiert hatte und dabei mit der hermetisch-neuplatonischen Tradition auch des Marsilio Ficino in enge Berührung gekommen war (vgl. ebda., S. 100; Philipp, S. 82). »Kopernikus' neuplatonischer Hintergrund erklärt auch, warum seine Theorien im 16. Jahrhundert auf nahezu allseitige Ablehnung stießen« (III Kearney, S. 104; vgl. dazu auch 11.44 Kirchhoff, S. 57ff.); also nicht nur die mathematischen Fakten selbst, sondern auch die hinter ihnen stehende häretische religiöse Weltanschauung machten seine Theorien in den Augen der orthodoxen aristotelischen Scholastiker verdächtig. So mochte man sich in dieser Zeit »lediglich von seilen der PythagoreischHermetischen Tradition mit dem heliozentrischen Weltbild befreunden. Nach hermetischen Voraussetzungen galt die zentrale Stelle der Sonne innerhalb des Universums als axiomatische Wahrheit, weil es so >passend< war.« (Ill Kearney, S. 105). Deshalb ist z. B. auch Jacob BÖHME (1575-1624) unter den frühen Anhängern des »heliozentrischen« Weltbilds zu finden (vgl. dazu auch II.7 Wehr, S. 66): »60. Nun mercke: Die Sonne hat ihren eigenen königlichen locum für sich, und wicht von ihrem Orte, da sie ist zum erstenmal worden, nicht ab, wie etliche meinen, sie lauffe in Tag und Nacht um den Erdboden, und auch solches etliche Astrologi schreiben: und haben sich auch etliche unterstanden zu messen, wie weit ihr Umcirk sey. 61. Diese Meinung ist unrecht: sondern die Erde drehet sich um, und lauf f et mit den ändern Planeten als wie in einem Rade um die Sonne. Die Erde bleibet nicht an einem Orte stehen; sondern lauf f et in einem Jahr einmal um die Sonne, wie auch die anderen Planeten unter der Sonnen: ausgenommen Saturnus und Jupiter konnens von wegen ihres weiten Umgangs und grossen Hohe nicht (in einem Jahre) thun, dieweil sie hoch über der Sonnen stehen. 62. Nun fraget sichs: Was ist dann die Sonne und die ändern Planeten? oder wie sind sie worden? Siehe die ändern Planeten sind eigene COrper, die ihr corperlich Eigenthum haben, und sind an keinen stillstehenden Ort gebunden, als nur an ihren Umcirk, da sie inne lauffen: die Sonne aber ist kein solch COrper, sondern sie ist ein angezündeter Locus durch das Licht GOttes.« (II A, S. 376f.)

Die auch bei Böhme erkennbare Integration der neuen wissenschaftlichen Erkenntnis in eine umfassendere Weltanschauung macht deutlich, daß die Berechnungen des Kopernikus keineswegs sogleich zu einer neuen Welt-Theorie führten, sondern vorerst nur ein altes Weltbild bestätigten. Kopernikus selbst hat »von der Dimensionalität seiner Wirkungen« »nicht das geringste geahnt, die physikalische und philosophische Problematik einer bewegten Erde nur unzulänglich wahrgenom-

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men« (11.44 Kirchhoff, S. 22). Er verstand sein Werk vielmehr als vereinfachende mathematische Reform des ptolemäischen Systems, ließ es als Hypothese apostrophieren und schien wie seine Anhänger zunächst auch »von der Integrierbarkeit des heliozentrischen Gedankens in das Weltschema der Spätscholastik überzeugt gewesen zu sein« (ebda., S. 60). Jedenfalls hielt er an der ptolemeischen Theorie der Himmelskreise fest, und der oberste, die Fixsternsphäre, sei, so erklärte er im >CommentariologusEinleitungs-Schreibens< zu den >Zwiegesprächen< artikuliert (hier in den beiden Schluß-Terzetten): »Die Schwingen darf ich selbstgewiß entfalten, Nicht furcht' ich ein Gewölbe von Kristall, Wenn ich der Äther blauen Duft zerteile. Und nun empor zu Sternenwelten eile, Tief unten lassend diesen Erdenball Und all' die nied'ren Triebe, die hier walten!« (II Bruno, S. 26)

Die Unendlichkeit der Welt ist mit dem Hermetismus vereinbar, weil sie die schmerzliche Erfahrung des Ikarus annulliert und zugleich die (gnostisch-neuplatonische) Sehnsucht nach Befreiung der Seele von ihrem Gebundensein an die körperliche Materie und ihren Aufstieg in die Reinheit überätherischer Lichtwelt stimuliert. Die Vielzahl der - von Bruno animistisch gedachten - Welten als eines unendlichen göttlichen Spiegelbilds (vgl. ebda., S. 36) erhöht die Vorfreude der Seele, dieser endlosen Vielfalt ansichtig zu werden und ihr anzugehören. Erst da, wo die Hermetiker ihren Glauben an eine Erlösung aus der Materialität des Irdischen zu einer qualitativ höheren und besseren Welt hätten preisgeben müssen, nämlich bei der mechanistischen Voraussetzung einer überall gleichen Materie der Stern-Körper im Universum, war die Grenze der Akzeptanz des neuzeitlichen Weltbilds erreicht, und nicht zufällig gehörten die Hermetiker auch in Deutschland zu den heftigsten Geg-

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nern des mechanistischen Weltbilds von Descartes (vgl. dazu Bd. V). Isaac NEWTON (1642-1727; zu ihm vgl. 11.67 Wickert) begriff seine von den Cartesianern abgelehnte Entdeckung der Gravitationsgesetze durchaus als Bestätigung der hermetischen Tradition und übernahm die Begriffe »attraction« und »repulsion« als Übersetzungen aus Jacob Böhmes Werk (vgl. III Benz, S. 73). So gilt vor allem für die Rezeption der kopernikanischen Erkenntnis in dem von Konfessionskämpfen gebeutelten Deutschland, daß sie schon beginnend bei Melanchthon (vgl. III Guthke, S. 51 ff.) - nicht als naturwissenschaftliches, sondern als ein primär weltanschaulich-häretisches Phänomen aufgefaßt wurde, das mit dem entscheidenden Stichwort des Heliozentrismus zum biblisch-christlichen Weltbild in diametralem Gegensatz stand. - Symptomatisch hierfür und nicht zuletzt deshalb bemerkenswert ist ein Epigramm, das der sternkundige Andreas Gryphius (1616-1664; vgl. dazu 11.31 Mannack, S. lOf.) >Vber Nicolai Copernici Bildt< verfaßt hat. In deutlicher Allusion auf Hermes' Beinamen »Trismegistos« ( = der dreimal Größte) rühmt Gryphius den Frauenburger Domherrn u. a. als »dreymall weisen geist« und »mehr den (= denn) grossen Mann«, weil dieser der »nacht der Zeit« und dem »blinden wähn« widerstanden, mit seinen »sinnen« »den lauff der schnellen erden funden« und dadurch »der alten träum und dünckel widerlegt« habe (II OE, S. 152, 186f.; vgl. dazu III Kühlmann, S. 125ff.; Guthke, S. 116; IV Kemper II, S. 321ff.; vgl. dazu ferner Bd.IV). Gryphius kehrt mit der hermetischen zugleich die wissenschaftliche Haltung hervor, die sich zum tradierten und biblisch verbürgten Weltbild in Gegensatz gebracht hat. Daß auch die Katholische Kirche bei der Auseinandersetzung um den »Heliozentrismus« vorrangig in Kategorien des Häretischen dachte, hat sie durch ihr inquisitorisches Vorgehen gegen Giordano Bruno und Galileo GALILEI (1564-1642) aufs deutlichste bestätigt (vgl. dazu 11.26 Blumenberg; III Koestler, S. 431 ff.). Eben deshalb aber waren im Einflußbereich der Konfessionen die Versuche besonders ausgeprägt, das Bekenntnis zum Kopernikanismus mit dem alten Weltbild und sogar mit dem Glauben der Kirchen in Übereinstimmung zu bringen. Bei Johannes KEPLER zeigt sich dies auf exemplarische Weise zum einen durch die Harmonisierung der beiden Offenbarungsquellen Gottes, Bibel und Natur, zum ändern durch die »wechselseitige Erhellung« des »Buchs der Natur« durch astronomische und astrologische Einsichten (zum Astrologen Kepler vgl. Kap. I 2 b). Kepler schließt sein Jugendwerk >Mysterium cosmographicum< mit einem Hymnus auf den Schöpfer ab. Astronomie ist für ihn (ganz in der ptolemäischen Tradition) Erkenntnismedium der erhabenen geometri-

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sehen Proportionen des Weltalls, dessen heliozentrischer Bau die Spuren des göttlichen Geistes selbst ablesen läßt. Dann folgt im bruchlosen Übergang die Reflexion auf die Stellung des Menschen, und diese erscheint nicht wie die Position der Erde aus dem Zentrum verdrängt, sondern sie wird sogar noch renaissancehaft erhöht, weil der Mensch geadelt ist, den göttlichen Weltplan als Lehre aus dem >Buch der Natur< selbst geistig erfassen zu können, und weil er trotz seines Daseins auf der »winzigen Scholle« der Ehre des göttlichen Erlösungshandelns würdig und Herr der teleologisch auf ihn zugeordneten Erde ist (hier greift der Autor auf die biblischen Aussagen zur Anthropologie zurück): »Schöpfer der Welt! Wie vermochte der Mensch aus Adams Geschlechte Er, der so arm und niedrig, bewohnt die winzige Scholle, Dich zu zwingen, auf daß du dich kümmerst um all seine Sorgen? Ohne Verdienst ist er; du hebst ihn empor in die Höhe Ueber der Engel Geschlecht und schenkst ihm Ehre um Ehre, Krönst annoch sein herrliches Haupt mit strahlender Krone, König soll er sein über alles, was du gemacht hast. Was zu Häupten ihm ist, die beweglichen Bahnen des Himmels, Seinem Geist unterwirfst du sie. Was die Erde hervorbringt, Vieh, geschaffen zur Arbeit, bestimmt zum dampfenden Hausherd, Alles andere Getier, das die dunklen Wälder bewohnet, Alles, was in der Luft mit leichtem Flug sich beweget, Was in den Fluten des Meers und der Flüsse sich tummelt, die Fische, Alles soll er mit Macht und Gewalt regieren, beherrschen.« (II Kepler WG, S. 147)

Wie aber konnte sich Kepler z. B. über Psalm 19, Vers 6f. hinwegsetzen, dessen Literalsinn eindeutig den Umlauf der Sonne um die Erde beschrieb? »Vnd dieselbe gehet her aus / wie ein Breutigam aus seiner Kamer / Vnd frewet sich / wie ein Heldt zu lauffen den weg. Sie gehet auff an einem Ende des Himels / vnd leufft vmb bis wider an das selbe ende / Vnd bleibt nichts für jrer hitze verborgen.« Kepler greift auf die von Luther inkriminierte Auslegungspraxis nach dem mehrfachen Schriftsinn zurück, wie sie in der Patristik vor allem bei der Auslegung des Hohenliedes entwickelt worden war, um den anstößigen Literalsinn des biblischen Wortlauts zu entschärfen (vgl. dazu Bd.III). Die zitierte Psalmstelle, erklärt er, meine im »sensus allegoricus« »den Lauf des Evangeliums und also die Wanderung Christi, die er unseretwegen durch diese Welt unternommen hat.« (11.41 Hübner, S. 223) Außerdem operiert Kepler mit der - ebenfalls bereits aus dem Mittelalter stammenden - sog. Akkommodationstheorie. Sie besagt, daß Gott sich in seiner Offenbarung dem Vorstellungs- und Verständnishorizont der Menschen anbequemt (»akkommodiert«), sich um der Verstehbarkeit willen

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gleichsam auf ihr Niveau herabgelassen hat, so daß es nun wohl erlaubt sein mußte, bei fortschreitender Naturerkenntnis den biblischen Wortsinn - also auch den vom Lauf der Sonne um die Erde - an der anderen Offenbarungsquelle Gottes, nämlich der Natur, auf sein richtiges Verständnis hin zu korrigieren. Problemgeschichtlich betrachtet, ist es nun aber aufschlußreich, daß Kepler dasselbe Verfahren der allegoretischen Deutung auch für die Lektüre der »Himmelsschrift« reklamiert. Eben weil beide Offenbarungsquellen Gottes in ihrem »sensus Hieraus« divergierten, konnten sie nur noch auf anderer, un-eigentlicher Sinnebene miteinander harmonisiert werden. Für die Sternkunde selbst bedeutete dies ein Doppeltes: Zum einen konnte sich Kepler eine besonders genaue Erforschung der »Himmelsschrift« durch exakte astronomische Beobachtung im Bereich des »Literalsinnes« leisten, zum ändern aber mußte er zu ihrer Interpretation auch die ganze Komplexität der astrologischen Verfahren in Anspruch nehmen, so daß er die Meinung vertrat, das »mit dem objektiv Sichtbaren eigentlich Gemeinte« sei »nur den hierfür gewissermaßen Prädestinierten, durch die Geburtskonstellation dafür Programmierten« erkennbar (ebda., S. 252). Auch die Entdeckung des neuen Weltbildes führte also zunächst nicht etwa zur Reduzierung, sondern zur intensivierten Inanspruchnahme der Astrologie! So erklärt sich ferner, daß und warum Kepler zeitlebens den Schritt zur reinen, von astrologischer Bedeutungssuche abgelösten, naturwissenschaftlichen Astronomie nicht vollzogen hat (vgl. ebda., S. 253). Die Astrologie und die allegoretischen Deutungsverfahren behinderten nicht seine Entdekkerfreude, aber sie verhinderten einen Riß in seinem Weltbild. Mit dem allegorisch-emblematischen Verfahren astrologischer Sinngebung beweist und bewährt sich der damalige Leser des »Buchs der Natur« in einer langandauernden Krisenzeit als »Krisenmanager«, als sinnstiftendes Organ der Selbst- und Weltdeutung. Unter dem Anschein einer fortgesetzten Tradition sorgt der Sterndeuter für die Aufrechterhaltung eines menschlichen Selbstverständnisses, das den Makrokosmos um den Mikrokosmos zentriert, dabei sogar die Vielzahl der Welten wegen ihres astrologischen Einflusses auf die Menschen legitimierend entschärft - so bei dem bekannten Jesuitenpater Athanasius Kircher (16021680; vgl. III Guthke, S. 114f.) und somit den Menschen mit der Würde und Bürde eines verantwortlichen Handelns in seiner irdischen Welt behaftet. In der sich abzeichnenden Dissonanz der Offenbarungsbücher Gottes wird es nun Aufgabe des Menschen, die Einheit des Weltbildes selbst zu garantieren. Noch geschieht dies durch allegoretische Harmonisierung.

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Und doch ist der sinnstiftende Akt selbst bereits die Leistung des Menschen, der vom schlichten Leser des »Buchs der Natur« zum Schöpfungshermeneuten avanciert und der alsbald damit beginnen wird, in beiden Offenbarungsbüchern ohne allegoretische Rückversicherung Quellenforschung zu betreiben (vgl. dazu auch Bd. V).

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a) Beherrschung und Korrektur der Himmelskräfte (Nettesheim, Paracelsus - Opitz, Fleming, Lohenstein) Auf anderem Wege stärkte die Magie Selbstbewußtsein und Autonomie des Menschen gegenüber dem Regiment der Sterne. Dies läßt sich am Beispiel von AGRIPPA VON NETTESHEIM sowie Theophrast Bombast von Hohenheim, gen. PARACELSUS (ca. 1493-1541; vgl. zu diesem auch Bd.III) zeigen. Ersterer suchte in seiner >Occulta philosophia< das traditionelle Wissen im Bereich der »magia naturalis« eklektizistisch und doch zugleich systematisierend zusammenzufassen. Der entscheidende Unterschied gegenüber der traditionellen Astrologie, deren Ansichten er gleichwohl zu integrieren suchte, besteht darin, daß Agrippa die übermächtige Dimension des Himmels nicht mehr passiv als gebannter Interpret zukünftiger Ereignisse, die sich im Buch der Natur andeuteten, betrachtete, sondern daß er die Himmelskunde auf Einflußmöglichkeiten durch den Menschen für sein Erdenleben befragte. Die z. T. haarsträubenden Beispiele und Einzelheiten angeblicher magischer Praxis müssen wir hier beiseitelassen, uns interessiert nur der theoretische Ansatz des Werkes. Jedes der drei Bücher ist einem Seinsbereich und zugleich einer zugehörigen Wissenschaft gewidmet. Denn die Welt ist für Agrippa in vertikaler Schichtung dreigeteilt, elementarisch im sublunarischen Bereich, darüber - im Reich der Sterne - himmlisch und über diesem dann in der Sphäre des »Archetypus« geistig. Dementsprechend beschreibt das erste Buch eine (physikalisch-)natürliche, das zweite eine (astrologisch-)mathematische und das dritte eine (theologisch-)zeremonielle Magie. So erhebt die Magie schon vom Ansatz her den Anspruch, die bisherigen Wissenschaften einschließlich der Theologie als »vollkommenste und höchste« und als »absolute Vollendung der heiligen Philosophie« zu integrieren, zu übertreffen und letztlich auch zu ersetzen (vgl. dazu auch III Müller-Jahncke, 1979; IV Kemper I, S. 5Iff.). Die drei Welten sind vollkommen spiegelbildlich aufeinander bezogen, es gibt in der untersten nichts, was nicht sein - himmlisches oder geistiges - Pendant hätte, mit Ausnahme natürlich des Schlechten und

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Bösen, welches allein der sublunarischen Sphäre angehört, denn auch schon »am Himmel selbst, wo nichts mangelt, wo alles durch Liebe regiert wird, kann weder Haß noch Feindschaft stattfinden.« (II Nettesheim, S. 161). Einerseits liegt diesem Weltbild unverkennbar die Platonische Ideenlehre zugrunde, andererseits aber auch das aristotelische »forma-materia«-Schema. Letzteres sorgt dafür, daß die jeweils höhere Welt als »Form« auf die jeweils niedrigere als ihre »Materie« einzuwirken, daß aber auch die untere die obere an sich zu ziehen vermag. Dies geschieht auf zweifachem Wege. Dafür, daß sich überhaupt Geistiges und Körperliches verbinden können, sorgt die sog. »quinta essentia« als fünftes, von der archetypischen Weltseele ausgehendes fluidales KraftElement: »In der ganzen Welt gibt es nichts, das nicht einen Funken ihrer Kraft hätte, am stärksten fließt sie aber in solche Dinge ein, die von jenem Geiste in reichlichem Maße besitzen. Er wird erlangt durch die Strahlen der Sterne, insoweit die Gegenstände zur Aufnahme der Strahlen sich eignen. Durch diesen Geist also ergießt sich jede verborgene Eigenschaft in die Krauter, die Steine, die Metalle und in die lebenden Geschöpfe vermittelst der Sonne, des Mondes, der Planeten und der Sterne, welche höher als die Planeten sind.« (Ebda., S. 42)

Zum zweiten hat jedes Element zwei »spezifische Eigenschaften, wovon es die erste für sich ausschließlich besitzt, durch die zweite aber wie durch ein Medium mit dem folgenden zusammenhängt. Das Feuer ist warm und trocken, die Erde trocken und kalt, das Wasser kalt und feucht, die Luft feucht und warm.« (Ebda., S. 16) Analoges gilt für alle anderen, aus diesen Elementen zusammengesetzten Dinge in der Welt. Deshalb ergibt sich im Weltaufbau eine »goldene Kette« der »Anziehung in Folge der gegenseitigen Übereinstimmung der Dinge, des oberen mit dem unteren«, und eben dieses »Phänomen nannten die Griechen Sympathie« (ebda., S. 83): »Die Steine und Metalle stimmen mit den Krautern überein, diese mit den Tieren, die Tiere aber mit den Himmeln, die Himmel mit den Intelligenzen und diese mit den göttlichen Eigenschaften und Attributen und mit Gott selbst, nach dessen Bild und Ähnlichkeit alles erschaffen ist. Das erste Bild von Gott aber ist die Welt, von der Welt der Mensch, von dem Menschen das Tier, von dem Tiere die Tierpflanze, von dieser die Pflanze, von der Pflanze die Metalle, und Bilder von diesen sind die Steine.« (Ebda.)

An hervorgehobener Stelle, nämlich am Schluß des >Buchs von der Deutschen Poeterey< (1624) sowie am Schluß seiner Sammlung von Hochzeitsgedichten hat Martin OPITZ (1597-1639; vgl. zu ihm Bd. IV) die hermetisch-kosmische Sympathien-Lehre zusammengefaßt:

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»Die Lieb' hat erstlich Gott gerührt Das er der dinge grund vollfuhrt; Sie ist es die den baw der weit Vor allem brechen frey behelt; Sie pflegt die Sternen zue bewegen / Das sie den elementen nicht Versagen jhrer schonheit Hecht; Das fewer pflegt die lufft zue regen Durch hitz' auff jhren angetrieb / Die lufft hat dann das wasser lieb / Das wasser das bewegt die erden; Vnd wiederumb / die wasser werden Gesogen von der erden klufft / Das fewer wird mit seinen flammen Verzogen in die kühle lufft.« (II, BDP, S. 48)

Gewiß sprachen auch die Theologen von der Liebe Gottes, durch welche er die Welt erschaffen habe und erhalte; zudem hatte das Christentum die heidnisch- stoische Lehre von der das All durchwaltenden »Sympathie« zu integrieren versucht. Jedoch hatte Luther diese »Kette des Seins« durch seinen geschichtlich-eschatologischen und personalen Gottesbegriff zerbrochen (vgl. Bd. I, S. 186). Seine - nicht unberechtigte Furcht vor einer Ineinssetzung Gottes mit seinen »Kreaturen« und seine radikale - auf die Natur ausgedehnte - Sündenfalltheorie sollten auch der Fortdauer dieser Sympathien-Lehre einen Riegel vorschieben. Wie das zitierte prominente Beispiel zeigt, gehörte sie indessen zum Bildungs- und Weltanschauungsgut auch der Humanisten des 17. Jahrhunderts (vgl. dazu auch III Kemper 1980, S. 90ff.). Daß die Macht dieser Sympathie sich bis in den anorganischen Bereich erstreckt, illustriert auch Daniel Casper von LOHENSTEIN (1635-1683) in seinem großen Preisgedicht auf die >VenusFrülings Hochzeitgedicht< - im Frühling sind die Sterne allgemein der Liebe günstig: »Es muß geliebet seyn / Soll dieses alles nicht in kurtzen gehen ein. Der hohe Himmel liebt die tieffe Schoß der Erden

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Die Lufft pflegt mit der See und ihr vermählt zu werden die beyde schwängert itzt. dis macht der Liebe Band daß allzeit Tag und Nacht so bleiben im bestand und wechseln friedlich ümm. Die Zeiten tauschen abe mit höchster Einigkeit. Die Sonne steigt herabe / macht / daß sich alles liebt der Widder und der Stier darinnen sie itzt laufft / die sind verbuhlte Thier' / als wie ein ieder weiß. Die Zwillinge die wollen / daß wir ümm diese Zeit uns auch umfangen sollen / und gehen Paar und Paar. Der Silber = blasse Mond / heißt uns den folgen nach / was sie noch nicht gewohnt / Dieweil die Jungfrau bleibt. Die lieben Sternen blincken diß lehrt uns / wie auch wir der Liebsten sollen wincken.« (II, S. 152f.)

Bei Agrippa selbst zeigen sich Ansätze, die Ansicht über Freundschaft und Feindschaft in den Phänomenen in Richtung auf die Annahme zweier sich bedingender Kraft-Prinzipien (nicht mehr nur einer Vielzahl analoger, aber qualitativ unterschiedlicher Eigenschaften der Körper, wie bei der scholastischen Ansicht von der »Sympathie und Antipathie« der Dinge ; vgl. dazu II Milich) zu verändern und zu vereinheitlichen. Allerdings steht bei ihm einer durchgehenden Vereinigung von »Attraktion« und »Repulsion« die Dichotomie zwischen Himmel und Erde und damit die gnostische Konfrontation von Gutem und Bösem bei diesen Kräften im sublunarischen Bereich noch entgegen. Der Mensch ist nun unmittelbares Abbild der himmlischen Welt, des Makrokosmos. Seine Natur enthält »als das vollständigste Bild des ganzen Universums alle himmlische Harmonie in sich, und wir finden daher in ihr die Zeichen und Charaktere aller Sterne und himmlischen Einflüsse im Überflusse, und zwar umso wirksamer, je weniger sie von der himmlischen Natur entfernt sind« (II Nettesheim, S. 75). Darin liegt nun aber auch die große Macht des Menschen. Er kann als oberstes sublunarisches Wesen alle ihm unterstellten Dinge »formend« beeinflussen, er kann zugleich aber auch die himmlischen Einflüsse zusätzlich gezielt »attrahieren« und für seine Zwecke einsetzen. »Denn die Harmonie der Welt ist von der Art, daß das Überhimmlische von den Himmlischen angezogen wird, und das Übernatürliche von dem Natürlichen, weil eine schöpferische Kraft und eine Teilnahme der Arten durch alles verbreitet ist« (ebda., S. 84). Der Magier, der die himmlischen Kräfte anziehen möchte, bedient sich dabei solcher natürlicher Dinge, die in besonderer Beziehung zu jenen übernatürlichen Sachen stehen, deren Kraft eben attrahiert werden soll. Hierbei ist der Sympathiegedanke grundlegend, weil jede Sache »sich zu dem ihr Ähnlichen kehrt und es zu sich zieht« (ebda., S. 43). »Willst du z. B. die Kraft von

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der Sonnen anziehen, so wähle unter den Pflanzen, Metallen, Steinen und Tieren die solarischen« (ebda., S. 78). Da es im Bereich des Himmels zwar gegensätzliche, aber - wie wir bereits sahen - keine bösen Kräfte gibt, kann der Repräsentant der »weißen Magie« mit seiner Beschwörung - seine moralische >Reinheit< vorausgesetzt (vgl. ebda., S. 471 ff.) - nur gute Kräfte zur Verbesserung der sublunarischen Zustände herabholen und so durch seine Tätigkeit die irdischen Zustände verbessern helfen. (Böse werden die guten Kräfte nur, wenn sie »in einem schlimmen Subjekte aufgenommen« werden; ebda., S. 471). Hierin liegt ein weiteres Moment der Stärkung des Subjekts, welches seine Abhängigkeit von den »höheren Mächten« geschickt zur Verbesserung seiner Lebenssphäre auszunutzen sucht. Einen entscheidenden Schritt weiter ging PARACELSUS. Er hatte ausgerechnet in einem Prognosticon unter Hinweis darauf, daß alle exorbitanten Ereignisse sich nicht zureichend von den normalen Himmelsbewegungen ablesen ließen, empfohlen, mehr »auß der kunst Magica zu reden / vnd Astronomiam durch sie zu declarieren«, weil die Magie auch solches Wissen bereithalte, das »aus dem gestirn nit müglich« sei (II P, S. A ii v). Das magische Wissen fungierte so für ihn als irdische Korrektur der himmlischen Zeichen-Sprache: »Wer da will prognosticiern / bedarff am aller ersten / das er die erden wol erkenn / das ist was von der erden lebet / Demnach was er im himelischen lauff erkennen mag steet jm wol an /gegen dem irdischen zu concordieren...« (Ebda., S. A ij r)

Ein solches Verständnis von Magie schloß die Erforschung der naturgesetzlichen Ordnung mit ein, eröffnete damit die Möglichkeit zu autonomer naturwissenschaftlicher Forschung im Medium des »Lichts der Natur« (vgl. II LN, S. 33ff.). Dieses leuchtet nicht mehr nur in den Sternen, sondern auch unsichtbar, aber erforschbar in den irdischen Dingen, und dieser Erfahrungsbereich ist dem Menschen naturgemäß näher als der himmlische Teil des Kosmos. Zwar bleibt der Blick auf die Sterne für Paracelsus wichtig, aber er hat kein Übergewicht mehr gegenüber demjenigen auf die Elemente in der Physik oder Alchimie: Überall sind die qualitativ gleichen Kräfte wirksam, und sie wirken auf dieselbe Weise auch im Menschen. Von daher ergibt sich auch ein enger Zusammenhang zwischen Magie und Medizin (vgl. dazu IV Kemper I, S. 63ff.). Freilich bleibt die Weiterentwicklung des Menschen und seiner Natur-Erkenntnis an den nachahmenden Gebrauch der Naturkräfte gebunden. Dies verhindert bei Paracelsus eine Subjekt-Objekt-Relation im Verhältnis von Mensch und Natur, impliziert vielmehr die Fortdauer der »Sympathie«.

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So läßt sich aus dieser hermetischen Tradition als wichtigstes Resultat - ebenso wie bei der Wincklerschen Säkularisierung der Prognostik - ein ethischer Appell erkennen, nämlich die sympathetische Sternen-Energie als wichtigste stellare »Mitgift« auch im Verhältnis von Mensch und Natur und zwischen den Menschen selbst walten zu lassen. Und wenn dies geschieht, dann - so bezeugt die Position des Paracelsus - hat sich der Mensch damit zugleich aus der Abhängigkeit vom Sternen-Einfluß befreit (vgl. dazu auch Bd. III; zum Einfluß der Magie auf die Sprachkonzeption der Barock-Humanisten vgl. Bd. IV). b) »Ecclesia« und »iustitia« im Hexenwahn Der handfeste und wuchernde Teufelsglauben implizierte in der Epoche zugleich die Überzeugung von der Existenz der schwarzen Magie, also der Zauberei oder Hexerei als dem vom Satan und seinen Helfern gesteuerten System übernatürlicher Praktiken zur vielfältigen, gegen Gott, Natur und Mensch gerichteten Schadenszufügung. In umfassenden Lehrwerken, vor allem in den sog. >DämonomanienHexenhammer< (>Malleus MaleficarumDe la demonomanie des sorciers< (>Vom Außgelaßnen Wütigen Teuffelsheer der Besessenen Vnsinnigen Hexen und Hexenmeyster, Vnholden, Teuffelsbeschwerer, Warsager, Schwartzkunstler, Vergiffter, Nestelverknipffer, Veruntreuer, Nachtschädiger, Augenverblender, vnd aller anderer Zauberer geschlecht, sampt jhrn vngeheurn handln: Wie sie vermog der Recht erkant, eingetrieben, gehindert, erkündigt, erforscht, Peinlich ersucht vnd gestrafft sollen werdenDe praestigiis daemonum< (1563) mit freilich noch unzulänglichen Argumenten zu widerlegen. Zwar vermochte er die von der Kirche behauptete Wirkungsmacht des Bösen nicht infragezustellen, suchte den Spieß aber herumzudrehen und die vermeintlichen Hexer und Hexen gerade als Opfer der Dämonen zu entlasten. So schrieb er einerseits die Macht der menschlichen Verfehlungen der Einwirkung des Teufels und der bösen Geister zu (II Weyer, S. 60ff.); denn diese bemächtigten sich des Menschen, um sich mit dessen Hilfe auch den fleischlichen Genüssen hingeben zu können, denen sie sonst - ohne Leib - entsagen müßten (vgl. ebda., S. 113ff., 336f.). Andererseits führte Weyer auch schon natürliche Ursachen für eine angebliche Hexerei ins Feld, z. B. eine »verruckte verderbte Imagination« (ebda., S. 368ff.) oder »phantasey deß menschen« (ebda., S. 374ff.): Die Hexen bildeten sich danach ihren Hexensabbath und Teufelsumgang nur ein (vgl. dazu die Darstellung des Hexensabbaths in Abb. 3 aus Johannes Praetorius' >Blockes-Berges VerrichtungHistoria von D. Johann Fausten, dem weitbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler von 1587 enthält in episodischer Reihenfolge nahezu eine - aus Legendenbüchern angereicherte - Summe der den Teufelsbündlern angedichteten übernatürlichen Fähigkeiten. - Das folgende Flugblatt, eine moritatenhafte >Warhafftige erschrockliche Zeytung vnd Geschieht aus Kempten von 1627 über die Begegnung eines Försters mit einer Gruppe von Hexen mag den Charakter solcher Berichte illustrieren - auffällig die Tendenz, das Erzählte als tatsächliches Geschehnis historisch zu beglaubigen (zitiert seien nur 5 von 32 Strophen): »2. Ein HoltzfOrster mit Name der hieß Elias Schmitt / zu Morgens fru nauß gienge / seinen Sohn nam er mit / in das Holtz zu verrichten zwar ( = wirklich, tatsächlich) / was sein Dienst thet außweisen / vnd jhm befohlen war. 3. Auffs Holtz vnd Wild zusehen / wie er in Wald nein kam / viel Hexen thSten stehen / auff einem Eichenbaum / sie reden wie die Menschen zwar / daß sie hetten erfröret / Koren vnd Wein diß Jar. 4. Noch 5. Jar wir es treiben / die eine Hexen spricht / Ruben vnd Kraut deßgleichen / kein Obst soll gerahten nicht / in vielen Landen vnd ändern Ort / der Förster vnd sein Sohne / verstanden alle Wort. 5. Die dritt Hexen thet sagen / wir machen Nebel vnd Wind / der Forster thet es wagen / schoß vnder sie geschwind / die eine Hexen fallen liß / ein Beutel vnd bund Schlüssel warhafftig vnd gewiß. 6. Der Forster thete dencken / das ist ein seltsams Ding / in dem da sah er ligen / ein Finger vnd Bitschiring (= Siegelring) / er hüb es auff vnd steckt es ein / thet in die Statt nein gehen / wol zu dem Brandewein« (IV Brednich II, Abb. 124).

Solche märchenhaften und gleichwohl als historische Geschehnisse beglaubigten »Berichte« finden sich in dieser Zeit nicht nur in weltlichen, auf die Vermittlung von Sensationen bedachten Zeitungsliedern, sondern ebenso in der geistlichen Poesie aus beiden großen theologischen Lagern. So erzählt ein jesuitisches Exempellied in 44 Strophen von Rosalia, die sich ihrem Bräutigam Christus geweiht hat und deshalb dem Liebesbegehren eines Tischlergesellen eine Abfuhr erteilt. Als dieser in seine ungarische Heimatstadt Raab zurückkehrt und der Mutter sein

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Abb. 3

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Liebesleid klagt, entpuppt diese sich als böse Zauberin, die einen Bock der Teufel wird häufig in Bocksgestalt dargestellt (vgl. Abb. 3) - ausschickt, um die keusche Rosalia zu entführen: »20 Die Mutter sprach: Mein Sohn gemach, Ich weiß schon Rat in dieser Sach, Willst du die Jungfrau haben hier, So schicke ich den Bock nach ihr. 21 Die Red dem Sohne nicht wohl gefiel, Doch war es endlich auch sein Will. Weil er war voller Liebesbrunst, Die Mutter durch ihre Zauberkunst 22 Macht Anstalt durch den Teufelsrat Und schickte aus auf frische Tat. Sie sprach zum Sohn: In drei Stund Sehen wir die Jungfrau gesund. 23 Des Abends um die achte Stund, Die Jungfrau das Vieh melken begunnt, Da kommt der höllisch Bock gerennt Und nahm die Jungfrau weg behend. 24 Und führet sie in aller Eil In zwei Stunden hundertfünfzig Meil. Als jetzt die Uhr zehen geschlagen, Bracht er sie schon auf Raab getragen.« (Zit. in IVMoser, S. 119)

Glücklicherweise entgeht nun aber Rosalia der drohenden Vergewaltigung, weil sie noch das Gnadenbild der Mutter Gottes in der Heimatstadt Weyer um Hilfe anzurufen vermag, bevor sie in Ohnmacht fällt. Und siehe da: »39 Im Ungarlande schlief sie ein, Wacht auf zu Weyer bei Maria rein, In der Kirche im Stift Bamberg, Mirakul, o groß Wunderwerk.« (Ebda., S. 121)

Die weiße Magie - so der Scopus des Liedes - erweist sich also der schwarzen als überlegen, schützt zuverlässig vor ihr: Der Glaube an die Existenz böser Zauberei bindet die Verängstigten umso enger an die Kirche und den von ihr vermittelten Heil-Zauber. Das ist eine - vielleicht sogar die wichtigste - Funktion des von den Konfessionen geradezu gepflegten Glaubens an die bösen Praktiken des »Fürsten dieser Welt«, aber sie vermag das Phänomen des Hexenwahns

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selbst nicht zureichend zu erklären. Dieser war ein gesamteuropäisches Phänomen und hatte allein in Deutschland durch die Hexenprozesse »nach den Judenverfolgungen die größte nicht kriegsbedingte Massentötung von Menschen durch Menschen« zur Folge: nach seriösen Schätzungen etwa 100 000 Opfer zwischen 1560 und 1660 (vgl. III Schormann 1981, S. 52ff., 71; eine kartographische Darstellung in I Bruns, S. 191). Vieles spricht für die These, daß die »Geißel der Hexenverfolgung« niemals um sich hätte greifen können, »wenn nicht die den Geist der Zeit bevormundende Kirche sie wissenschaftlich erwiesen und mit ihrer Verwertung gegenüber den Opfern der Ketzerinquisition voraufgegangen wäre« (III Hansen, S. 153f.). Und wenn man als Christ - und gar noch als Mystiker wie Spee - an eine wahrhaftige Verbindung Gottes mit den Menschen glaubte, - mit welchen Gründen wollte man dann eine solche Konnexion zwischen dem Satan und den Menschen leugnen? Spees Beteuerungen, daß er an die Existenz von Hexen glaube, sind daher keineswegs - wie immer wieder behauptet wird (vgl. zuletzt III Schormann, S. 38; 11.82 Rupp, S. 57ff.) - rein taktischer Natur, zumal er selbst in der >Cautio criminalis< einige ihm gefährliche Personen ausdrücklich als Hexen oder Hexer verdächtigt (vgl. II CC, S. 251) und statt der Opfer die Dämonologen selbst für Teufelsbündler zu halten scheint (vgl. 11.82 Battafarano, S. 181). Im übrigen brachten die bibel- und hexengläubigen Theologen alle zeitgenössischen Gegner des Hexenwahns durch das schlichte Argument in Lebensgefahr, daß derjenige, der die Existenz von Hexen bestreite, unmittelbar den Interessen des Teufels diene und daher - ob er wolle oder nicht - objektiv in dessen Diensten stehe. Dies schüchterte offenbar auch die Anhänger des neuzeitlichen Weltbildes derart ein, daß sie nicht offen gegen diesen Wahn vorzugehen wagten, auch wenn sie selbst - wie Kepler, dessen Mutter als Hexe angeklagt war - unmittelbar davon betroffen waren (vgl. III Koestler, S. 390ff.). Unbestreitbar ist auch, daß die neuen protestantischen Konfessionen nichts zur Überwindung des Hexenwahns und seiner dämonomanischen Grundlagen beigetragen haben (vgl. dazu III Diefenbach, S. Iff.) - Luther war ebenso hexengläubig wie Calvin, der sich unter Berufung auf Bibelstellen wie: »Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen« (2.Mos.l8,22) sogar aktiv im Kampf gegen die Hexen engagierte (vgl. III Honegger, S. 104). »Was ist denn Zaubereye?« fragt z. B. auch der Lutheraner Helmbold in einem Lied >Von Verachtung der predigK und wertet sie mit der Antwort: »ists nicht des Teuffeis werck? ists nicht Abgötterey?« (I Wa IV, S. 648) als vor allem gegen das erste Gebot gerichteten Frevel, als schwere Gotteslästerung (»Dv soll kein andere Göt-

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ter neben mir haben«, 2.Mos. 20,3), die daher auf Gottes eigenen Befehl hin strengstens zu ahnden war. Von daher wird auch verständlich, daß die Hexerei bis in alle konkret ausgemalten Einzelheiten hinein von den Theologen als »eine in sich vollendete diabolische Parodie des Christentums« begriffen und entfaltet wurde (vgl. III Soldan-Heppe-Bauer I, S. 297). Folgerichtig waren vor allem die Ungläubigen anfällig für die Einflüsterungen Beelzebubs: »Jnn des Vnglaubens Kindern sein Werck der Sathan hat: Etliche thut man finden die nach des Feindes rhat Treiben schreckliche Zäuberey, viel Menschen vmbzubringen, wenn du nicht werst ( = wehrst) dabey.« (Helmbold in I Wa IV, S. 682)

Doch hat gerade das Luthertum kaum Abwehr-Strategien des einzelnen gegen die Satanspraktiken zur Verfügung gestellt, sondern auch auf diesem Gebiet den Ruf nach obrigkeitlichen Prozeßmaßnahmen gefördert. Die Hexenjustiz selbst hat sich - wie im zitierten Beispiel orientiert an der Herleitung der Zauberei aus dem »Vnglauben« - bereits auf dem Boden der alten Kirche, und zwar aus den Ketzerverfolgungen des Mittelalters, wo Hexen und Hexer wegen ihres durch den Pakt mit dem Teufel bedingten Abschwörens von zentralen Glaubenswahrheiten von der Inquisition vor Gericht gestellt wurden, zu einem eigenen Rechtsverfahren herausgebildet (vgl. III Döbler, S. 15ff.; zu Rechtsauffassung und Rechtssystem der frühen Neuzeit vgl. III van Dülmen). Für dieses waren vier Anklagepunkte ausschlaggebend: zunächst der Pakt selbst als Verbrechen der Gotteslästerung, zweitens der Vollzug dieses Paktes durch den Geschlechtsverkehr mit dem Teufel, drittens der Schadenzauber durch Vernichtung von Menschen, Tieren und Ernten bzw. einzelnen landwirtschaftlichen Erzeugnissen, schließlich die Beteiligung der als Hexen und Hexer Angeklagten am Hexensabbat (vgl. III Hammes, S. 24ff.; Schormann 1981, S. 22ff.). Mit der Konfessionalisierung des Christentums ergab sich nun die große Verlockung, die Andersgläubigen, die man als Ketzer betrachtete, der Hexerei besonders zu verdächtigen und die Hexenverfolgungen und -prozesse zugleich als konfessionelles Kampfinstrument einzusetzen. Nach Trevor-Roper »kann man fast jeden örtlich begrenzten Ausbruch von Hexenwahn auf die Aggression einer Religion gegen die andere zurückführen. ... Die fürchterlichen Ausbrüche in Deutschland, Flandern und im Rheingebiet in den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts und erneut 1627 bis 1629 kennzeich-

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nen Etappen der Rekatholisierung« (III 1978, S. 203; zur Situation in Kurköln vgl. I Bruns). Tatsächlich gibt es zahlreiche Beispiele dafür, daß man die Andersgläubigen - auf protestantischer Seite vor allem die Jesuiten (vgl. Kap II l b u. d) - als Handlanger des Teufels dämonisierte. So beschreibt das folgende >Neue geistliche Lied< aus dem Umkreis des Franziskanerordens, wie nach dessen Vertreibung von einem Ort in der Steiermark durch die Lutheraner die Linde vor der Kirche verdorrt und eine lutherische Frau ihren Schabernack vor dem kirchlichen Gnadenbild der Mutter Gottes mit ihrem plötzlichen Tod zu büßen hat: »Bald die Andacht ist gewichen / Da sich Luther eingeschlichen / Hat dis Orth mit G'walt begehrt; Franciscaner hat vertriben / D'Linden war da dürr verbliben / Bis die Patres widerkehrt. Da die Kirchen außgeraubet / Kam ein Frau / die auch geglaubet / Dises Luthers falschen Lehr; Die Spott mit dem Bild getriben / Dem ins Angesicht gespyen / Schimpflich hat verletzt ihr Ehr. Auch die Nadel sie ansetzet / Und des Bildleins Mund verletzet / Trib mit disem grossen Spott; Kaum hat sie die That begangen / Haben Schmerzen angefangen / Schröcklich war ihr gschwinder Todt.« (Zit. in III Moser, S. 302)

Die Härte, mit der die Jesuiten - insonderheit auch Spee (vgl. Kap. II l b u. c.) - dem Handwerk der Rekatholisierung oblagen, entsprang ihrer Überzeugung, mit jeder bekehrten Seele zugleich ein Opfer des Teufels vor dessen Zugriff gerettet zu haben. Dennoch sind weder für Spee noch für die Befürworter der Hexenverfolgungen innerhalb des Jesuitenordens die protestantischen Ketzer zugleich Hexer. Auch Spees Ordensbruder Martin DELRIO (1551-1608), ein berühmt-berüchtigter Hexentheoretiker, hielt bei aller Schärfe der Inkriminierung von Ketzern als »Wohnstätten« des Teufels doch an einer formalen Trennung von Hexerei und Ketzerei fest: »Die Teufel haben in den Ketzern wie einst in den Götzenbildern ihre Wohnstätten; aus den Götzenbildern sind sie vertrieben worden, so haben sie sich in den Ketzern neue Wohnungen gesucht; auch die Teufel, die Christus austrieb, fuhren in die

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Schweine. Wie die Pest der Hungersnot folgt, so folgt die Hexerei der Ketzerei«. (Zit. in III Schormann 1981, S.llOf.). Die letztere Ansicht paßt zur Erkenntnis der neueren Forschung, daß die Hexenprozesse »erst nach den eigentlichen gegenreformatorischen Maßnahmen« sowie zeitlich weit über diese hinaus geführt wurden - nicht zuletzt auch in Gebieten, die vom Konfessionswechsel kaum betroffen waren (vgl. ebda., S. 115f.). Insofern waren sie offenbar weniger ein Mittel zur Durchführung der Gegenreformation selbst, sondern erfolgten nach der Rückeroberung der Gebiete als ein Akt der »Sozialdisziplinierung im Sinne konfessioneller Absicherung und Besitzstandswahrung« (ebda.). Da die Schwerpunkte der Verfolgung im zersplitterten deutschen Reich aber eher in den kleineren als den größeren Territorien lagen, kann man diese Prozesse wiederum auch nicht als willkommene Instrumente der Sozialdisziplinierung in den Händen machtbesessener, absolutistischer Fürsten deuten. Die Dokumente belegen vielmehr eindrucksvoll auch die entgegengesetzte Tendenz: In den Augen der Zeitgenossen war das Teufelsheer für die zahlreichen Katastrophen verantwortlich, die nicht unmittelbar dem göttlichen Handeln selbst zugerechnet werden konnten. So animierte der Glaube an den Schadenzauber als Element hexischen Unwesens dazu, Schicksalsschläge und Naturkatastrophen, aber auch schon einen ungewöhnlichen Hagelschlag oder gehäuftes Tiersterben auf Umtriebe der Beelzebuben zurückzuführen, und es gibt eine große Zahl von Dokumenten aus jener Zeit, in welcher ganze Gemeinden Petitionsschriften an ihre Landesherren richteten, nach solchen Unwettern den dafür verantwortlichen - oft auch schon als Personenkreis genannten - Hexen und Hexern durch Prozesse zur Vermeidung künftigen Schadens und landwirtschaftlichen Bankrotts zu Leibe zu rücken, so daß sich manche Territorialherren - auch um sich nicht selbst verdächtig zu machen - aus Fürsorgepflicht und um des sozialen Friedens willen zur Durchführung von Hexenprozessen genötigt sahen (vgl. ebda., S. 57ff.). Einmal in Gang gesetzt, zogen diese häufig eine Prozeßlawine nach sich, der zwar auch Männer, hauptsächlich jedoch Frauen - und zwar im europäischen Durchschnitt zu 80% -, zum Opfer fielen (vgl. ebda., S. 118). Auch dies hat wieder mit der traditionellen kirchlichen Einstellung gegenüber der Frau zu tun, die in der aristotelischen Tradition als »verstümmelter Mann« betrachtet wurde und der die Theologen nie den erbsündig belasteten teuflischen Fehltritt im Garten Eden verziehen und sie deshalb als minderwertiges »Gefäß der Sünde« diskreditiert haben (vgl. III Becker, Brackert u. a., S. 14ff., 57; Schormann 1981, S. 117). Mit dieser Geringschätzung der Frau ging ihre ungesicherte rechtliche und

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ihre mindere soziale Stellung in Mittelalter und früher Neuzeit einher (vgl. Becker, Brackert u. a., S. 31 ff., 52ff.). Nicht von der Hand zu weisen - wenn auch schwer zu belegen - ist die These, die einen Zusammenhang zwischen der auftretenden Prüderie im 16. Jahrhundert (vgl. dazu auch Bd. I, S. 269ff.) und verstärkter Hexenverfolgung herstellt und in letzterer einen sexuellen Verdrängungs- und Verschiebungsvorgang erblickt (vgl. dazu III Dürr, S. 52ff.). Angesichts der tatsächlich in jener Zeit von allen Kirchen betriebenen Verteufelung der sinnlichen Lust und der für das Hexenbild gegenüber dem Mittelalter neuen Betonung der geschlechtlichen Aktivitäten zwischen dem Teufel und seinen Buhlen ist diese These nicht abwegig; jedenfalls konnten in den Prozessen die perversesten und abenteuerlichsten Sexualphantasien zur Sprache gelangen, die in der Sozietät selbst erfolgreich tabuisiert oder verdrängt waren und über die deshalb nur als Teufelszeug zu verhandeln war. Indessen spielen bei der Verfolgung von Frauen auch sozialgeschichtliche Faktoren eine gewichtige Rolle. So etwa die Tatsache, daß insbesondere die Berufsgruppe der Hebammen, auf die auch schon Jakob Sprenger und Heinrich Institoris warnend hingewiesen hatten (vgl. II, T. l, S. 116ff.; T. 2, S. 87 ff.), besonders gefährdet war. So wurden in Köln zwischen 1627 und 1630 die Hebammen »nahezu ausgerottet« (III Hammes, S. 62). Die eminent hohe Wochenbett- und Kindersterblichkeit vermochte man sich nicht anders als durch die Einwirkung dämonischer Kräfte zu erklären und verdächtigte die Hebammen, die neugeborenen und ungetauften Kinder als unentbehrlichen Bestandteil für ihre Hexensalbe zu gebrauchen (vgl. ebda., S. 62; ferner III Dürr, S. 11 ff.). Aufgabe der Hexenprozesse war es nicht nur, denunzierte Opfer zu überführen, sondern neue ausfindig zu machen, um dadurch die Macht des Teufels so umfassend wie möglich zu dezimieren. Deshalb waren Denunziationen oder - wie es damals hieß - »Besagungen« fester Bestandteil der Prozesse und wurden wenn nötig auf der Folter (meistens durch Arm- und/oder Beinschrauben) erpreßt (vgl. dazu III van Dülmen, S. 29ff.). Grundlage hierfür war die Annahme, daß die Hexen einander von der Teilnahme am Hexensabbath kennen mußten (vgl. III Schormann, S. 18ff.). Die erzwungene Denunziation anderer Personen erstreckte sich auf ohnehin schon gerüchtweise in Dorf oder Stadt der Hexerei Verdächtigte, auf Außenseiter, Ortsfremde, nichtintegrierte Zugezogene, auf alte Frauen, aber auch auf Verwandte und Bekannte, mit denen man in Haß oder Streit lebte. Es ist erstaunlich, »wie unglaublich schnell man sich der Zauberei beschuldigt, selbst in Situationen, in denen das eigentlich allen Beteiligten als lebensgefährlich bewußt gewesen sein muß, etwa auf dem Höhepunkt einer Prozeßwelle. .. . Die

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Aussagen enthüllen nicht nur ein Haßpotential von erschreckendem Ausmaß in Familien und Nachbarschaftskonflikten, sondern auch seine Entladung im Willen zur physischen Vernichtung« (ebda., S. 99). So vermitteln die Prozeßakten einen bedrückenden Einblick in den erreichten Tiefstand zwischenmenschlicher Beziehungen zu jener Zeit und bilden eine wichtige Folie für die von den Theologen empfundene Notwendigkeit der Disziplinierung, aber auch der Erbauung, der Frömmigkeitsreformen, schließlich auch für die mystische Sehnsucht nach unmittelbarem Umgang mit dem Göttlichen angesichts der vom Teufel beherrschten Welt. Und in diesem konkreten Bereich der Seel-Sorge und Frömmigkeitsreform liegt denn auch der entscheidende Schlüssel für die Antwort auf die kulturgeschichtlich so bedeutsame Frage, wodurch dieser Hexenwahn denn eigentlich hat erschüttert und gestoppt werden können (der Teufels- und Dämonenglaube ist ja bis heute von den Kirchen zwar vielfach abgeschwächt und uminterpretiert, aber keineswegs aus dem Dogmenbestand eliminiert worden). Am Werk Friedrich von Spees, des bedeutendsten Gegners der Hexenprozesse im 17. Jahrhundert, läßt sich dies besonders eindrucksvoll ablesen. Zugleich weist er der Poesie eine wichtige Rolle bei der Überwindung des Hexenwahns zu. c) Entzauberung der Hexen durch Mitmenschlichkeit (Spee) Daß das Prozeßverfahren selbst überhaupt erst die Hexen hervorbringt, ist eine zentrale These Spees, die er in seiner >Cautio criminalis< zu beweisen versucht. Dabei vertraut er auf zwei für die Genese der Neuzeit an sich höchst bedeutsame Erkenntnisinstrumente: auf seine Prozeßbeobachtung und die darin gründende Erfahrung. Um dieses Zentrum herum gruppiert er alle anderen Argumente, die ihm geeignet erscheinen, den Massenwahn wenigstens entscheidend einzuschränken. In diesem der Empirie verhafteten Analyseverfahren liegen Modernität und kulturgeschichtliche Bedeutung seines Buches. Wann und wo der Pater im einzelnen seine gründlichen Erfahrungen in diesem gefährlichen Umfeld als Beichtvater der Angeklagten und Verurteilten sammeln konnte, ist bis heute unklar. Daß er aber aus eigener Anschauung schreibt, kann keinem Zweifel unterliegen. Dabei sieht er durchaus auch die sozialgeschichtlichen Zusammenhänge: Die angebliche Vielzahl von Hexen in Deutschland, erklärt er, gründe lediglich im größeren Leichtsinn, Aberglauben und Unglauben, aber auch in Neid und Mißgunst des Volkes, welches allzu schnell mit haltlosen Denunziationen zur Stelle sei. Sobald ein vager Verdacht in die Welt gesetzt sei, müsse die Obrigkeit eingreifen. Diese behandle die Hexerei aber als ein Sonderverbre-

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chen und überlasse sie zugleich - unter Aussetzung eines Kopfgeldes bestimmten Inquisitoren, die ihre habgierige Zügellosigkeit und brutale Selbstherrlichkeit als Gerichtsherren eben auf diesen Sonderstatus und auf die juristische Uninformiertheit der Fürsten gründen könnten. Immer wieder indessen fordert Spee, daß auch bei diesem »crimen magiae« die Prinzipien des Naturrechts und damit der »gesunden Vernunft« uneingeschränkt Gültigkeit haben müßten. Besonders ausführlich und eindrucksvoll beschäftigt er sich mit der fatalen Folterpraxis. Die dort erpreßten Geständnisse und Denunziationen hält er für null und nichtig: »Ich pflege mir darum oft zu sagen, daß wir nicht allesamt Zauberer sind, hat nur den einen Grund, daß wir noch nicht mit der Folter in Berührung gekommen sind.« Und er stimmt einem Inquisitor zu, der sich gerühmt habe, »wenn der Papst selbst ihm unter die Hände und Folterwerkzeuge geriete, so würde er auch am Ende gestehen, ein Hexenmeister zu sein.« (II CC, S. 248). Den einzelnen Beichtvater, dem oftmals sogar ebenfalls ein Geldpreis für jeden Angeklagten ausgesetzt war (ebda., S. 23), ermahnt er, nicht weiter Handlanger der Inquisitoren, sondern geistlicher Anwalt der Opfer zu sein, damit »sie ihm völlig vertrauen können, keinen Betrug argwöhnen, nicht mißtrauisch sein sollen. Daß er ihnen alle die Liebe erzeigen wolle, die der treueste Vater jemals seinen geliebten Kindern erweisen könne« (ebda., S. 143). Gegen Schluß seines Werkes faßt er seinen Erkenntnisprozeß noch einmal zusammen. Es sei ihm »zunächst freilich niemals in den Sinn gekommen, zu bezweifeln, daß es viele Hexen auf der Welt gebe; nun aber, da ich die Tätigkeit der Gerichte näher betrachte, sehe ich mich nach und nach dahin gebracht, zu zweifeln, ob es überhaupt welche gibt. Hinsichtlich der Hexensabbate oder Hexentänze jedenfalls kann man sehr zweifeln, ob sie jemals leiblich begangen werden« (ebda., S. 255). Und als Beichtvater der Beschuldigten legt er das berühmt gewordene Bekenntnis ab: »Persönlich kann ich unter Eid bezeugen, daß ich jedenfalls bis jetzt noch keine verurteilte Hexe zum Scheiterhaufen geleitet habe, von der ich unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte aus Überzeugung hätte sagen können, sie sei wirklich schuldig gewesen.« (Ebda., S. 153)

Diese Formulierung, mit der wir heute den Anspruch wissenschaftlicher Gründlichkeit verbinden, verwies im damaligen Kontext dagegen auf ein spezifisch jesuitisches, aus der Beichtpraxis entwickeltes und von Spee nun auf die Untersuchung der Hexenprozesse übertragenes Verfahren der Kasuistik auf der Grundlage des berühmt-berüchtigten Proba-

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bilismus: Im Anschluß an Aristoteles lehrten die Jesuiten, das moralisch Gute oder Böse sei nicht schon mit der Instanz des Gewissens unzweifelhaft gewiß (so die Auffassung der Protestanten und später auch Kants), sondern hänge in seiner Bewertung ab von dem - dem Urteil des Verstandes folgenden - Entschluß des freien Willens (vgl. dazu III Fülöp-Miller, S. 293ff.). Der Verstand aber als Richtschnur des Gewissens folgt seiner begrenzten Einsicht, berücksichtigt die besonderen Umstände des jeweiligen Falles und bringt es im Urteil über die Rechtmäßigkeit des Handelns daher immer nur zur Wahrscheinlichkeit ( = probabilitas), nie zur absoluten Sicherheit. Bei der Beurteilung solchen Verhaltens haben sowohl der Jurist als auch der Beichtvater nach Ansicht der Jesuiten kasuistisch zu verfahren und die Freiwilligkeit und Absichtlichkeit einer bösen Handlung zu prüfen. In seinem >Güldenen Tugend-Buch< hat Spee diesen probabilistischen Grundzug der Ethik ausführlich erläutert und am Beispiel des schwersten Gebots der Nächstenliebe, der Feindesliebe, illustriert. Der Haß auf einen anderen Menschen, der rein aus Affekt und Gefühl heraus entsteht, ist demnach keine Sünde, ebensowenig, wenn »der vnderste mensch, das ist, der viehische appetit, ettwas liebet, hasset, förchtet, vnd dergleichen, was oder wie es Gott von dem Menschen nicht haben will« (GTB, S. 372). Und wenn der Mensch sich von seinen Affekten zu unrechtem Handeln hinreißen läßt, dann ist dies auch dann noch keine Sünde, solange der »vernünftige will« »allezeit mitt bedacht ernstlich widerspreche, vnd sich gerad auff die andere seit lencke. Dan auff diese weiß sündiget der mensch noch nicht, sondern halt viel mehr einen grossen verdienst, weil er nach anleitung des Verstands, vnd Gottlichen gebotts, also dapffer mitt dem vernünfftigen appetit gegen den vnuernünfftigen sinnlichen appetit kämpffet« (ebda., S. 372f.). In jedem Falle sind also die Relationen von Affekt und Wille, ihr Zusammen- oder Widerspiel bei einer Tat zu prüfen. Dies gilt für Spee folgerichtig auch bei der Frage nach Schuld oder Unschuld der Hexen, soweit sie nicht schon auf Grund der Erzwingung der Geständnisse unschuldig sind. Deshalb betont er so sehr die »Berücksichtigung aller Gesichtspunkte« seiner Beurteilung. Wo der Teufel selbst die Phantasie der Frauen manipuliert, da ist diesen keine eigen-willige Absicht zu unterstellen; sie sind als unschuldig zu betrachten, solange der Vollzug des Teufelswerkes, das sie faktisch zu Hexen macht, nicht auch ihre willentliche Zustimmung gefunden hat. Von dieser Ansicht her löst sich auch der scheinbare Widerspruch zu Spees eigener Verdächtigung bestimmter Personen als Hexen oder Hexer: Diese haben sich bewußt dem Teufelsdienst ergeben! - Indessen dürfte auch und gerade diese kasuistisch-probabilistische Argu-

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mentationsstruktur mit dazu beigetragen haben, daß der Schrift Spees der gewünschte Erfolg zu seiner Zeit versagt blieb. Denn sowohl für die Protestanten als auch für die innerkatholischen Gegner der Jesuiten etwa die Jansenisten - war die rationalistisch-kasuistische Ethik der Jesuiten Inbegriff teuflischer Vernebelung und Auflösung ethischer Maximen. Sie führte dazu, »in sehr vielen Fällen Milde walten zu lassen und auf läßliche Sünde oder auf völlige Unschuld zu erkennen« (III Fülöp-Miller, S. 305f.). Die Milde des Beichtvaters Spee gegenüber »seinen« Hexen ließ sich also als probabilistischer Fehltritt abtun. Für die Gegner war seine Unschulds-These und die daraus abgeleitete Absicht, »zahllosen Unschuldigen zu helfen« (CQS.24), ohnehin eine Provokation, weil die gelehrten Propagatoren der Hexenverfolgungen auf der Annahme beharrten, »Gott werde es nicht zulassen, daß unter der Beschuldigung eines so gräßlichen Verbrechens Unschuldige mit Schuldigen in einen Topf geworfen würden« (ebda., S. 27). Eine Verurteilung auf Grund eines - auch erpreßten! - Geständnisses galt deshalb als rechtmäßig. Andernfalls müßte man Gott unterstellen, absichtlich ungerecht zu sein und Böses herbeizuführen. Dagegen argumentiert Spee, Gott habe schon in früheren Zeiten zugelassen, daß unschuldige Märtyrer, ja daß sogar sein eigener Sohn als Unschuldiger hingerichtet wurde. Und dies wiederum bedeutete nichts anderes, als daß er die Hexen auf Grund seiner beichtväterlichen Unschuldserklärung in eine Reihe mit den Märtyrern und dem Opfer Christi selbst zu stellen vermochte in den Augen der Hexenverfolger gewiß eine abscheuliche Gotteslästerung, für welche Spee die Todesstrafe hätte gewärtigen müssen, hätte er sie offen und ungeschützt ausgesprochen. Der Sache nach aber vertrat der Jesuitenpater diese Position. Dies wird auch deutlich an der Art, wie er in seinem >Güldenen TugendBuchExerzitien< Übungen zum Erwerb der christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe enthält (vgl. 11.82 Kemper 1984, S. 94ff.; ferner Kap. II l d), die Einbildungskraft des Meditanten beim Training der Tugend der Nächstenliebe u. a. in die Folterkammern führt (und dabei ganz offenkundig auch das Los der Hexen vor Augen hat): »1. Bilde dir für, wie durch die gantze weit, hin vnd wider, vnzahlbare viel arme gefangene sünder vnd Sünderinnen, schuldige vnd unschuldige, bey Christen vnd Vnchristen, in schweren banden vnd kercker liegen. Gar viel, ia vnzahlbar viel, werden vnschuldig gefoltert, gepeiniget, gereckt, gegeisselet, geschraubet, vnd mitt newer grausamen vnmenschlichen marter vbernommen, müssen für vnleydlicher grösse der pein auff sich vnd andere bekennen, das sie nie gedacht haben: vnd wan sie schon tausendmahl vor Gott

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vnschuldig seind, will mans ihnen doch nitt glauben. . . . Es hilfft ja da kein heulen, noch weinen, kein entschuldigen noch außreden, weder dis weder das, sie müssen schuldig sein. Da peiniget man sie dreymahl, viermahl, fünffmahl, biß sie endlich entweder sterben, oder bekennen,... O Gott was ist dieses für ein grewel? was ist dieses für ein gerechtigkeit? da ist niemand der so betrübte vnd betrangte hertzen tröste, der sie anmuntere vnd ermahne, ia der solches thun wolle oder könne, wird nicht zugelassen, sondern müssen die arme eilende creaturen, für die Christus am creutz gestorben ist, in ihrem kott vnd gestanck voller schmertzen leibs vnd der seelen, gantz verlassen liegen, vnd verschmachten. Dahero nicht wunder, daß ihrer viel endlich verzweifflen, sich selbst vmbringen, oder dem leydigen Sathan vbergeben. 2. Nach dieser fürbildung frage dich also. Was duncket dich nun meine Seel, wann es in deinem gewalt stünde, allen vnschüldigen gefangenen trost, hülff vnd beystand zuerzeigen, wöltestu es nicht von hertzen thun, vnd noch diese stund sie auß so grossen schmertzen, angst vnd noth erledigen, damitt so trostlose creaturen deines Gottes nicht länger also gequellet würden? Antwortt. Ja freylich freylich, weiß Gott wie es mir so leyd ist, daß ich nicht helffen könne. Mich dunckt ich wolle gern alßbald niederknien, vnd mir den köpff herunter hawen lassen, wan ich nun damitt sie alle erledigen (= erlösen, befreien) könte.« (GTB, S. 354f.).

Genau nach diesem Muster mitleidiger Affekterregung baut Spee auch die >Cautio criminalis< auf. In fast einem Drittel dieses Werkes befaßt er sich mit der Grausamkeit und Unzulässigkeit der Folterpraxis. Immer wieder greift er dies Thema auf, obwohl er es schon erschöpfend abgehandelt zu haben schien. »Aber«, so rechtfertigt der aus Mitleid listige Pater sein Verfahren, »weil wir durch ständige Abwandlung und Wiederholung des Gedankens ihn dem Leser besser einprägen können und eben das unsere vorzüglichste Absicht ist, so mögen uns trotzdem auch diejenigen verzeihen, die uns sonst lieber weniger weitschweifig sehen würden« (CC, S. 123). So wird die Lektüre der >Cautio criminalis< für den Leser unversehens zu einem jesuitischen exercitium der Nächstenliebe, das den Affekt des Erbarmens und des tätigen Einsatzes für die geschundene Kreatur hervorrufen und »antrainieren« möchte (vgl. 11.82 Kemper 1985, S. 60ff.). Auch wenn Spee die Prämissen des Hexenglaubens theoretisch nicht aus den Angeln zu heben vermag, so versucht er es durch imaginative Herstellung von Tugend-Praxis als Appell an MitMenschlichkeit und Liebes-Tätigkeit. In diesem Sinne setzt er nun auch die Poesie seiner >Trvtz-Nachtigal< ein. Der artistisch-komplizierte Aufbau seiner poetischen Imagination (vgl. dazu 11.82 Kemper 1984, S. lOOff.) ist angesichts drohender Gefahren beim Hexen-Thema Voraussetzung für dessen Integration in den Werk-Kontext. In seiner >Ecloga oder hirten gespräch von Christo dem

3) Eingriffe in das Ober-Natürliche (weiße und schwarze Magie)

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gecreutzigten, vnder der person deß hirten Daphnis, vnd bey gleichnuß eines jungen wilds< analogisiert Spee im kontrafazierenden Wechsel der Strophen das allmähliche Verbluten und Leiden eines Rehs auffällig mit dem Verbluten Christi am Kreuz. Die schäferliche Einkleidung des Hirten Daphnis erscheint hier offenbar als unverfängliches Kostüm für die Identifizierung eines im Reh vorgestellten unschuldig Leidenden mit der Opfertat Christi. Zunächst berichtet das schäferliche Ich, daß es frühmorgens mit seinem Bogen »Schoß ein Reechlein wolgestalt«. In der zweiten Strophe wird bereits die Analogie zum Kreuzesbaum Christi deutlich vorbereitet: »Griff zum Degen / wolts entlegen / Hiengs an einen eychen = bäum / Gleich zur stunden / von der wunden / Rann herab der purpur = schäum. Bald Palaemon, vnd Phidaemon / Meine beyde mit = gespan / Kamen gangen / schawtens hangen: Sich bey seilen stellten dran.« (TN, S. 298)

Nun beginnen die beiden Hirten über dieses Jagdglück zu klagen und werden zum Sprachrohr der Empörung über die Mißhandlungen, die das Reh und Christus gleichermaßen auszuhalten genötigt werden. Palaemon kontrafaziert das Leid des Rehs auf den »guten Hirten« Daphnis, alias Christus: »Armes kitzlein! frommes hitzlein! Mir nun Daphnis kombt in sinn / O wie newlich / also grewlich / Daphnis ist gerichtet hin! Jhn betrawren / jhn bedawren / Mich ermahnet deine wund: Wers betrachtet / wers erachtet / Fallen jhm die thränen rund.« (Ebda., S. 299f.)

In der unmittelbar nachfolgenden Strophe erklärt Phidaemon das am Eichenbaum aufgehängte und allmählich verblutende Reh bereits zum strukturidentischen postfiguralen Typ des leidenden Erlösers: »An dir scheinen Daphnis peinen / O du schwach = vnd kranckes Reeh. Ich nun denke seiner kräncke / Weil ich dich verwundet seh. O wie neulich gar abschewlich Daphnis ist gehencket auff!

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Sehr michs rühret / vnd entschnüret / Schier in zähren ich ersauf f.« (Ebda., S. 300)

Und wieder unmittelbar anschließend leitet Palaemon bezeichnenderweise das mit der Kontrafaktur eigentlich gegebene Interesse am geistlichem »Comparatum« zurück auf das »Comparandum«: Das Leiden des Rehs ist nicht nur unwesentlicher Bildspender für Christus, sondern verdient seinerseits eben wegen der Leidensidentität mit ihm eine analoge mitleidige Zuwendung: »Du nun hangest / vnd erbangest / Frommes thierlein ohn betrug! Zagest / bebest / kaum noch lebest / Ruckest zu dem letzten zug. Kaum dich regest, näwlich wegest: o der wunden / pein / vnd schmertz! Zwar von heissen purpur = schweissen Möchten schmeltzen stein / vnd Ertz.« (Ebda., S. 300)

So wird noch mehrere Strophen das qualvoll-langsame Sterben beider affektsteigernd in »wechselseitiger Erhellung« »verglichen«. Die Vorstellung des unschuldigen Opfers ist das entscheidende »tertium comparationis«, ja mehr noch das identitätsstiftende Motiv zwischen beiden. Dieses Lied ist ganz unanstößig auf seine literarische Tradition zeitentrückter Bukolik hin auszulegen (vgl. dazu auch Bd. I, S. 21 Of f.), aber eben diese Absicherung im poetischen Gewand ist die Voraussetzung, um auch die Hexen als unschuldige Opfer in der Nachfolge Christi in den Bedeutungsspielraum des Gedichts aufnehmen zu können. Dieses ist zugleich ein erstes Beispiel für die bei der gelehrten Barock-Poesie auftretenden Schwierigkeiten zeitgeschichtlicher Dechiffrierung. Häufig lassen sich nur hermeneutische »Indizienprozesse« führen, die kein absolut sicheres Urteil erlauben. Und dies vor allem bei so angstbesetzten Themen wie der Zauberei. Schon allein der Gedanke an dieses Teufelswerk machte nach zeitgenössischem Urteil anfällig für satanische Machinationen. Deshalb ist das weitgehende Schweigen über diesen Bereich in der Gelehrten-Poesie verständlich; es kann freilich auch - im Gegensatz zu den an den gemeinen Mann adressierten Liedern - als Totschweigen und damit als faktisches Aus-der-Welt-Schaffen des naiven Glaubens an die Praktiken der schwarzen Magie verstanden werden. Spees Umdeutung der Hexen zu unschuldigen Opfern in der Nachfolge Christi ist eine einsame Leistung in der Poesie des 17. Jahrhunderts, doch ist gerade diese radikale Uminterpretation auch wiederum Voraussetzung ihrer Thematisierung.

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4) Arzneikunst in Not und Poesie als Medizin

a) Krankheit als Quadratur der zirkulierenden »humores« Zu Theorie und Praxis des hippokratisch-galenischen Heilwesens Zwischen Poesie und Medizin bestehen von der Antike bis zur Gegenwart vielfältige Wechselbeziehungen (vgl. dazu III Engelhardt). Im Kontext der frühneuzeitlichen Lyrik-Geschichte sind dabei drei Aspekte von besonderem Belang: zunächst die Funktion der Poesie für die Medizin im Prozeß zunehmender Verbreitung medizinischen Wissens (bis hin zum medizinischen Lehrgedicht der Aufklärung; vgl. IV Siegrist, S. 62ff.), zum zweiten die Einsicht in den therapeutischen Stellenwert der Poesie selbst im Rahmen der ärztlichen Diätetik, zum dritten die Kenntnis des medizinischen Wissens der Zeit als bislang von der Literaturwissenschaft kaum genutzter, aber mentalitätsgeschichtlich aufschlußreicher Zugang zum Realitätsverständnis der Epoche (dazu auch die Bde. IH-VI). Im folgenden seien nach einem Hinweis auf die Haltung der Kirchen zur Medizin und auf das neuerwachte ärztliche Selbst- und Sendungsbewußtsein seit der Renaissance einige Grundgedanken der hippokratisch-galenischen Schulmedizin und die daraus abgeleiteten Behandlungsmethoden im Blick auf ihre Relevanz für die Poesie vorgestellt. Das ganze Mittelalter hindurch bewahrte die Kirche ihre ablehnende Haltung gegenüber den irdischen Heilmitteln. Wichtiger als die Verwendung von Arzneien »war das Gebet und das Vertrauen auf die Hilfe einzelner Heiliger, die im Volksglauben zuständig für eine bestimmte Krankheit waren« (V Völker, S. 19f.). Auch nachdem die Medizin als Wissenschaft Anerkennung gefunden hatte, war ihre Hilfeleistung nicht frei vom Odium des Eingriffs in den göttlichen Willen. »Der Bereich der Wundarznei, der heutigen Chirurgie, blieb bis ins späte Mittelalter den Klerikern durch päpstliche Erlasse verboten.« (Ebda., S. 20) Mit Humanismus und Reformation standen sich sodann zwei unterschiedliche Auffassungen über Medizin und Krankheit gegenüber, die im Grunde ein Konkurrenzverhältnis zwischen Medizin und Theologie in der Sorge um das diesseitige Wohl des Menschen begründeten. - Luther knüpfte mit seinen Ansichten über Medizin und Krankheit bruchlos an die kirchlichen Vorstellungen des Mittelalters an. Für ihn be-

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scherte der Sündenfall dem Menschen seine Krankheiten. Diese waren deshalb Zeichen für dessen Sündhaftigkeit und Vergänglichkeit. Sie wehrten seiner Selbstüberschätzung, waren Anzeichen dafür, daß er das alttestamentliche Gesetz Gottes nicht zu erfüllen vermochte (vgl. 11.56 Braun, S. 28), und grundsätzlich durch den Teufel verursacht. Die medizinische Therapie stand angesichts seiner Macht weitgehend auf verlorenem Posten, denn er konnte die Ursachen der Krankheiten und ihre Symptome nach Belieben verändern, und in solchen Fällen halfen nur wie auch im frühen Christentum - »der Glaube und das Gebet« (vgl. ebda., S. 50). Luther selbst freilich hat sich - im Glauben an den Teufel als Verursacher auch seiner eigenen Gebrechlichkeiten - kräftig >geistlich< gegen das Kranksein gewehrt (vgl. ebda., S. 85ff.; 11.56 Brecht, S. 203ff., 412ff.). Das den medizinischen Fortschritt Hemmende und der psychische Widerstand gegen das Kranksein werden in seiner Position gleichermaßen deutlich. So galten im Luthertum Krankheiten wie andere Unglücksfälle auch als vom Teufel, der Funktion des göttlichen Zorns, und damit letztlich von Gott selbst verursachte Strafaktionen für begangene Sünden. Daher schätzte man vielfach - wie exemplarisch im folgenden >fein Sommerlied< (1590) von Bartholomäus Ringwald - die Wirksamkeit der Sündenabkehr weit höher ein als alle Kunst der Ärzte, die man gleichwohl wie Luther selbst (vgl. 11.56 Brecht, S. 204) - in Anspruch nahm: »Der Medicus im Meyen / viel gute wasser brent / verhofft einmal zurfrewen / gar manchen Patient / durch diese mittel wunder / von seiner kranckheit scharff / die doch nie seind gesunder / als wann man sein nicht darff. Jr etlich Aderlassen / mit einem solchen grund / Das man zu guter masse / soll bleiben lang gesund / Ich aber daraus schliesse / vnd sag bey meiner Ehr / Wenn man von sünden Hesse / das hülffe gar viel mehr.« (I Düwel, S. 271; I Wa IV, S. 1032; vgl. auch I Wa III, S. 746f.)

Vor allem war es wiederum das Gebet - und damit erneut das kirchenorientierte geistliche Lied als dessen Medium -, von dem man sich eine Wendung des Geschicks erhoffte. Das folgende Beispiel, ein Bußlied aus Johann Heermanns (1585-1647) >Poetischen Erquickstunden . . . für Angefochtene / Krancke und SterbendeIdeologie< hierfür lieferte u. a. ERASMUS von Rotterdam (1466/69-1536; vgl. zu ihm Bd. I, S. 91 ff.) mit dem rhetorischen Feuerwerk einer >Declamatio in laudem Artis Medicae< von 1518. Hier sang er das Loblied der Medizin gerade wegen ihrer besonderen Fürsorge für das irdische Wohlergehen des Menschen. Ihre Funktion leitete er sogar aus dem Gottesbegriff her: »Wenn man also mit Recht gesagt hat, >Gott bedeutet Helfer des MenschenDer Mensch ist des Menschen Gott< entweder nirgends am Platze sein oder gerade bei einem gewissenhaften und tüchtigen Arzt, der nicht nur hilft, sondern auch rettet.« (II, S. 7f.) Dieser ahmt zugleich den Gottessohn nach, denn Christus hat sich selbst als einen Arzt bezeichnet und die Kranken geheilt (ebda., S. 17). Zugleich war er während seines Erdenwandels nie krank: »Wäre es wohl nicht etwas Herrliches, wenn wir unserem Herrn auch in dieser Hinsicht nach Kräften nacheiferten?« (Ebda., S. 13) »Imitatio Christi« im medizinischen Bereich bedeutete freilich, den bloßen Willen, mit welchem Christus zu heilen vermochte, durch die medizinische Kunst der Behandlung zu ersetzen; »aber auch den Ärzten fehlt es nicht an einer göttlichen Kraft, weil offenbar von Gott die Kräfte des Heilens für diese Verwendung in die Dinge hineingelegt worden sind.« (Ebda., S. 17)

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So wurde die Medizin für Erasmus zur ernsthaften Konkurrentin der Theologie. Er nannte die Heilkunst »die nächst Gott zweite Erzeugerin, Beschützerin, Erhalterin und Wiederherstellerin des Lebens« (ebda., S. 8). Und eben dieses Selbstverständnis der Arzneikunst als einer von Gott selbst geschenkten und in die drei Reiche der Natur gelegten Heilkraft, mit deren Hilfe der Mensch imstande sein konnte, seine Krankheiten eigenmächtig zu überwinden, seine Natur zu verbessern, sein Leben zu verlängern und allmählich das adamitische Paradies auf Erden zurückzugewinnen, inspirierte nicht nur die hermetischen Mediziner in der Nachfolge des Paracelsus (vgl. dazu Bde. III-V), sondern schmückte auch die Vorreden zu Werken der offiziellen Schulmedizin (vgl. III I. Müller, S. 27). Ein Ausdruck dieses gewachsenen Selbst- und Sendungsbewußtseins war - zugleich wiederum als Reaktion auf die Plagen der Zeit - ein bemerkenswerter Anteil des medizinischen Schrifttums seit Erfindung des Buchdrucks. Viele Ärzte schrieben - dem Vorbild der Theologie schon im 16. Jahrhundert folgend - in deutscher Sprache (vgl. dazu III Teile, S. 43ff.), um angesichts eines vor allem auf dem Lande desolaten Gesundheitswesens wenigstens den lesekundigen gemeinen Mann, also den politischen Untertan, der gleichwohl nicht zur besitzlosen »Unterschicht« gehörte, sondern in der Regel Hausvater und Grundstücksbesitzer war (vgl. dazu Bd. I, S. 4ff.; ferner in diesem Zusammenhang III Schenda, S. 13ff.), mit Anweisungen zur Selbstmedikation im Bereich seines Hauses bei allen möglichen Krankheiten zu unterstützen. So erklärte der landgräflich-darmstädtische Leibarzt Konrad Ratz in der Vorrede zu einer Ausgabe der >Sechs Bücher auserlesener Arznei und Kunst-StückeDas Entgegengesetzte ist Heilmittel für das Entgegengesetztem« (W I, S. 33)

4) Arzneikunst in Not und Poesie als Medizin

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Ferner bestand eine Korrelation zwischen den vier Säften und den vier Temperamenten des Menschen. Das sanguinische Temperament entstand durch ein Überwiegen des feuchten und warmen Elements im Blut, das phlegmatische durch die Dominanz des Feuchten und Kalten im Schleim und das cholerische durch die Vorherrschaft des Trockenen und Warmen in der gelben Galle. Wo durch eine Überproduktion von schwarzer Galle das kalte und trockene Element überwog, da bildete sich der »humor melancholicus«. Das »>dicke und dürre< Blut mindert das Lachen des Menschen und ruft Hypochondrie hervor« (V Benjamin, S. 158). Der Melancholiker war aber zugleich - wie an Hans Sachs bereits exemplifiziert (vgl. Bd. I, S. 246ff.) - der Grübler, der den Dingen auf den Grund ging, der kontemplative und damit zugleich der intelligente Geist, so daß er also Gegensätzliches in seiner Wesensart vereinigte. - Neben den kosmischen Einflüssen auf den Menschen (vgl. Kap. I 2 b) nahmen die Mediziner seit der Antike schließlich noch die Einwirkungen aus der umgebenden Natur an: aus den vier Elementen, in denen die Menschen lebten, sowie den vier Jahreszeiten. Daß sich zugleich mit letzteren »auch die Beschaffenheit des Leibsinnern bei den Menschen« änderten, hatte im übrigen schon Hippokrates in seiner Schrift >De aere aquis locis< geschlossen und zugleich bestimmte Gestirnskonstellationen für Krankheitskrisen verantwortlich gemacht (vgl. II, S. 27, 46ff., 53ff.). Es fragt sich natürlich, welche Gründe es für die Langlebigkeit dieser Auffassungen gegeben haben mag. Da ist zunächst die nahtlose Einbettung dieses Systems in das mittelalterlich-scholastische Weltbild mit dem von Qualitäten bestimmten »Ordo« zu nennen, dann aber auch seine Anschaulichkeit und Systematik, für deren Richtigkeit die antiken Autoritäten garantierten, die dies System entwickelt hatten. Autoren wie Hippokrates oder Galen, die zwei bzw. anderthalb Jahrtausende die Geschichte der Medizin nachhaltig beeinflußt haben, kann man nicht mit den hier gebotenen wenigen Hinweisen gerecht werden. So habe ich die Lehren Galens für unsere Zwecke stark vereinfacht. Die Faszination seiner medizinischen Anschauungen liegt zum nicht geringen Teil in der Mischung zwischen Nachprüfbarkeit in der Empirie und daraus entwikkelter logischer Spekulation. Galen fordert nachdrücklich das Studium der Logik für den Arzt, da sich Beweise nur mit deren Hilfe erbringen ließen (AP, S. 23). Mögliche Einwände gegen sein System hat der streitbare und wortreiche Mediziner in seinen Schriften bereits weitgehend erörtert und zurückgewiesen. Seine Beobachtungen hatte er durch anatomische Untersuchungen selbst überprüft - allerdings an Tieren, da ihm menschliche Leichen nicht zur Verfügung standen. Auch hier schloß er per analogiam auf die menschliche Anatomie, und der Glaube

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an die Richtigkeit seiner Auffassung war so stark, daß die Anatomen des 15. und 16. Jahrhunderts, als sie endlich an menschlichen Leichen sezieren durften, bei von Galen abweichenden Befunden zunächst eher glaubten, sie hätten eine in dieser Hinsicht anomale Leiche erwischt, als daß sich Galen geirrt haben könnte. Denn dieser bewegte sich - z. B. bei der Erörterung des Magnetismus als eines Beispiels für eine attrahierende und repulsierende Kraft in der Natur (vgl. W V, S. 30ff.) - argumentativ sogar in Bereichen, die in der beginnenden Neuzeit nicht einmal mit Hilfe des Mikroskops, sondern erst mit Hilfe des Elektronenmikroskops angeschaut werden konnten. Und hier wird deutlich, daß die verbesserten Möglichkeiten der naturwissenschaftlichen Beobachtung an sich noch nicht viel weiter halfen und den Galenismus daher auch nicht sogleich zu überwinden vermochten, sondern daß erst die Grundlagen für eine neue Wissenschafts- und Erkenntnistheorie gefunden werden mußten, von denen aus die Beobachtungen anders und neu interpretiert und im Experiment falsifiziert oder verifiziert werden und von denen aus dann auch planmäßig neue Fragen gestellt und Untersuchungen in Angriff genommen werden konnten. -

Aus der medizinischen Theorie ergab sich eine für unsere Begriffe geradezu abenteuerliche Praxis des Arzneiwesens in der frühen Neuzeit, deren charakteristische Aspekte immerhin von der Theorie her nachvollziehbar werden. - Wichtigstes Mittel der Diagnose war für diese humoralpathologische Medizin demnach begreiflicherweise jener »Saft«, der als Endprodukt der körperlichen Säfteregulierung über deren Beschaffenheit am besten Auskunft zu geben schien. Auf den bildlichen Darstellungen jener Zeit ist der Arzt deshalb daran zu erkennen, daß er die bauchige Urinflasche prüfend in der Hand hält (vgl. Abb. 6 aus einem Straßburger Kalender von 1537. In: III Teile, S. 37). Ebenso charakterisierte Hans Sachs den Stand des »Doctors«: »Ich bin ein Doctor der Artzney / An dem Harn kan ich sehen frey Was kranckheit ein menschn thut beladn Dem kan ich helffen mit Gotts gnadn Durch ein Syrup oder Recept Das seiner kranckheit widerstrebt / Daß der Mensch wider werd gesund / Arabo die Artzney erfund.« (II EB, S. D iij)

4) Arzneikunst in Not und Poesie als Medizin

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Abb. 6

An der Farbe des Urins versuchte der Arzt zu erkennen, welches Organ die Krankheit verursacht hatte, und man unterschied bis zu dreißig Farben, deren jede einzelne - allerdings wieder in schwankender Zuordnung - jeweils einem einzelnen Organ als Verursacher zugemessen wurde. - Natürlich fehlte es auch nicht an kritischen Stimmen, wie etwa derjenigen des Wetzlarer Stadt-Physicus Johann Hornung, der 1611 seine Warnschrift >De uroscopia fraudulenta Discursus. Kurtzer Bericht Von dem vnvollkommenen vnd betruglichen vrtheil des Menschlichen borns / oder harns< ausgehen ließ und der in einem Gedicht zur Vorsicht im Umgang mit der Harnschau, keineswegs aber zu deren gänzlicher Abschaffung mahnte: »Erfahrne Aertzte wissen wol Wie weit man dem Harn trawen sol: All Leibsschwachheit drauß zeigen thon / Jst thoricht speculation / Wie dich diser Bericht wirdt lehrn / Dem du billich solt glauben gern. Drumb / lieber Leser / nicht vertraw Leichtlich deines leibs schwachen baw Den schwitzigen Harnärtzten frey / Noch der zaubrischen Artzeney ...« (II, o. S.)

Mehr als 100 Jahre später vermochte dann der Brockes-Schüler und Arzt Daniel Wilhelm TRILLER (1695-1782) in seinen >Poetischen Betrachtungen die uroskopierenden Kollegen zwar trefflich zu verspotten:

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»Gesetzt auch, ihr erblickt nichts sonderlichs im Harn; / So seht ihr doch darin stets euren eignen Narrn.« (II Bd. IV, S. 637)

Doch bezeugt er damit - und mit anderen eigenen Ansichten (dazu Bd. V) - nur die zähe Fortdauer der theoretischen und praktischen galenischen Schulmedizin bis in die Zeit der Aufklärung hinein. Die von Hans Sachs als charakteristisch erwähnten Rezepte konnten eine ungewöhnliche Form der Individualisierung, Komplizierung und damit Verteuerung annehmen. Davon profitierten natürlich die Apotheker (vgl. Abb. 7 aus II Sachs EB. In: III Teile, S. 53), doch versuchten sich die Ärzte damit zugleich vor unliebsamen, ihre individuelle Heilkunst nachahmenden Konkurrenten zu schützen (vgl. dazu auch III Teile; Hickel). Paul Fleming, selbst Arzt, mokierte sich über diese Sitte: »Wer wil den Aartzt doch looben / Der einen Zettel schreibt fast einer Ellen lang / Umm daß er nur verdient des Apotekers Dank / Der doch setzt diß vor das? Sol man die Armen schwachen durch einen schweren Trunk noch duppelt schwächer machen / der offt / vom Schmakke nicht geredt, so übel reucht / daß sich der Aartzt wohl selbst fur seiner Lufft entzeucht / Und hält die Nase zu? wer wil jene biOden / die Klugen auff den Schein / was bessere überreden. Sie bleiben/ wie sie seyn.« (II, S. 84)

Eine Folge davon war allerdings, daß auch andere Berufsstände einfachere Medikamente wie Salben feilboten, Hausmittel für die Herstellung in der eigenen Küche offerierten (vgl. III Hickel) oder menschliche sowie tierische Exkremente aus der >Dreckapotheke< zur Automedikation empfahlen (vgl. III Schenda, S. 18f.). Man hat mit Recht im Blick auf die frühneuzeitliche medizinische Versorgung der Bevölkerung von einem »Dreiklassensystem« gesprochen: Ein Zehntel der Bevölkerung, nämlich die Oberschicht, ließ sich durch studierte Hausärzte und Individualrezepte kurieren, zwei weitere Zehntel, eben der gemeine Mann, partizipierte noch halbwegs am Wissen der Stadtärzte durch das von diesen publizierte Schrifttum, griff aber auch auf andere - in Kleinstädten und Dörfern verfügbare - Heilpersonen ohne geregelte medizinische Ausbildung zurück, zwei Drittel der Bevölkerung schließlich, nämlich die Unterschichten in Stadt und Land, waren dagegen von dieser ärztlichen Versorgung weitgehend ausgeschlossen und deshalb auf andere Möglichkeiten angewiesen: »auf den Erfahrungsschatz der von >oben< so verachteten alten Weiber und >zauberSimplicissimusWie er ein landfahgucfrr mit QiÖilrfcot tdj cwficicr render Storger (= Quacksalber, Öftacf) auc$ %)M$At}< n twfc (Tiffftrr/ umherreisender Zahnarzt) und 2lud2 $u ffrrcfc n Den francfr n fcfewac^n Leutbetrüger wordene II, S. Äan icfj manc^rrici? ia&utig mac^n/ 398ff.). Die »Zahnbrecher« standen wiederum in Konkurrenz zu den meist ortsansässigen »BaAbb. 7 dern« und »Balbierern«, die zugleich das Handwerk der Chirurgie ausübten. In der Beschreibung von Hans Sachs gewinnen diese Stände anschauliche Kontur: »Der Balbierer Ich bin beruffen allenthalbn / Kan machen viel heilsamer Salbn / Frisch wunden zu heiin mit gnaden / Dergleich Beinbruch vnd alte Schaden / Frantzosen ( = Syphilis) heyln / den Staren stechn / Den Brandt leschen vnd Zeen außbrechn / Dergleich Balbiern / Zwagen (= Haare waschen) vnd Sehern Auch Aderlassen thu ich gern. (II EB, S.O iij)

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Der Zanbrecher Wolher / wer hat ein bösen Zan / Denselben ich außbrechen kan / On wehtagn / wie man gbiert die Kinder / Auch hab ich Kramschatz (= Kramhandel) nicht destmindr / Petrolium vnd Wurmsamen / Thriacks (= Arzneimittel, Gegengift) vnd viel Muckenschwammen Hab auch gut Salben / für Flohe vnd Leuß / Auch Pulver fur Ratzen (= Ratten) vnd Meuß. (Ebda., S. O iiij) Der Bader Wolher ins Bad Reich vnde Arm / Das ist jetzund geheitzet warm / Mit wolschmacker Laug man euch wescht / Denn auff die Oberbank euch setzt / Erschwitzt / denn werdt jr zwagn vnd gribn / Mit Lassen (= Aderlassen) das vbrig Blut außtriebn / Denn mit dem Wannenbad erfreuwt / Darnach geschorn vnd abgefleht.« (Ebda., S. P i)

Darüber, daß diese »Pfuscher« auch noch kräftig im Heilwesen des 18. Jahrhunderts mitmischten, führte Triller erbittert Klage: »Man findet in der Stadt, bey Hof und auf dem Lande Kein altverschrumpfelt Weib von blindem Unverstände, Die nicht curiren will, die nicht Recepte schreibt, Verwünschte Tränke kocht, und Pferdepulver reibt. Wie ist der Mensch so toll! er holt für Schuh und Kleider Den besten Schuster her, und den geschicktsten Schneider, Und weist die Pfuscher ab: hingegen seinen Leib Giebt er den Pfuschern Preiß, und last ein Schäferweib Zur Parze seines Glücks und seines Lebens, werden; Die bringt ihn endlich auch, nach kurzer Cur, zur Erden.« (II Bd. IV, S. 635)

Solcher sozialgeschichtlich begründeten Hierarchisierung des Arzneiwesens korrespondierte innerhalb des medizinischen Systems ein im Aristotelismus gründendes Qualitätsdenken, wonach gewisse Krankheitsarten und ärztliche Tätigkeiten als mehr oder minder bedeutsam eingestuft und daher unterschiedlichen Berufsständen überlassen wurden. Mitbedingt durch die humoralpathologische Ausrichtung der Medizin waren die eigentlich wissenschaftlich - also an den Universitäten ausgebildeten Ärzte nur die Internisten. Der Hochschulunterricht bestand lange nahezu ausschließlich in kommentierenden Vorlesungen über das Corpus hippokratischer und galenischer Schriften. Erst mühsam konnte sich im Lauf des 16. und 17. Jahrhunderts die Anatomie

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als ergänzendes Lehrgebiet an den Hochschulen durchsetzen. Die Doktoren selbst führten keinerlei Operationen durch, sondern begnügten sich mit der Diagnose. Das Handwerkliche (Aderlassen, Klistieren usw.) überließ man den Chirurgen. Eine Kehrseite dieser »Ämterteilung« macht Trillers Satire deutlich: »Es ist die Chirurgie euch auch nicht Noth zu wissen; Die Bader und Barbier seyn nur darauf beflissen, Wenn ihr nur dieses wißt, das ein zerbrochnes Knie Vorhero ganz gewest; So ist die Chirurgie Bey euch schon hochgebracht;...« (II Bd. IV, S. 632)

Die Chirurgen wurden bis ins 18., teilweise bis ins 19. Jahrhundert hinein von einer Universitätsausbildung ferngehalten. Als Wundärzte erlernten sie das nötige Handwerkszeug und erhielten als Abschluß ihrer praktischen Lehre einen Meisterbrief. Sie waren also den Handwerksmeistern gleichgestellt. Bei der Beschreibung der medizinischen Praxis noch in der Zeit der Aufklärung bemerkt Diepgen: »Es wird entsetzlich purgiert, geschwitzt, die Ader geschlagen und mit Blutegeln gewirtschaftet. Es werden Haarseile gelegt, blasenziehende Pflaster und ableitende Eiterungen in einem Umfange verordnet, daß dem modernen Mediziner die Haare zu Berge stehen, wenn er davon liest.« (III Bd. II, S. 42). Das Vertrauen der hippokratisch-galenischen Tradition in die Selbstheilkraft der Natur und die Ansicht vom Arzt als deren Nachahmer führte zu der Anschauung, daß dieser die Krankheit auch bis hin zur »Krisis« zu unterstützen oder diese sogar herbeizuführen habe, wenn die Natur selbst dieser »Krisis« verstanden als »Peripetie« des Krankheitsverlaufs - nicht zum Ausbruch zu helfen vermag. Da sich ein solcher plötzlich hereinbrechender kritischer Zustand meist mit hoher Körpertemperatur verband, konnte der Begriff »Fieber« geradezu zum Synonym für ihn werden. So in dem Gryphschen Sonett >An die umbstehenden Freunde< : »Dis Feber komt zu spät« (II S, S. 60) oder in Friedrich von Spees >Trutz-NachtigalWund = Artzneyischen Zeug = Hauß< (vgl. 11.79). - Der frühaufklärerische Poet Barthold Heinrich Brockes (1680-1747) empfahl dagegen Schnelligkeit und die Ausnutzung des Überraschungsmoments: »Ein kluger Wund = Artzt schneidet drein, Eh er vom Schneiden viel erzählet. Warum? Er weis, daß insgemein Die Furcht mehr, als das Übel, quälet. Als jüngst mein Kind (wiewohl GottLob doch ohn Gefahr) Durch einen Fall, am Haupt verletzet war, So, daß der Wund = Artzt ihm ein' Oeffnung machen mußte; Bekümmert' es sich nicht, weil von dem Schmertz, Der es betreffen sollt', sein unbesorgtes Hertz Nicht das geringste wüste. Der Schnitt geschähe denn: Drauf fing es zwar Den Augenblick erbärmlich an zu weinen; Allein es sähe kaum das Gold Von einer Zucker = Puppe scheinen, Als es auch schon getröstet war; Die Thränen waren eh, als noch das Blut, gestillt.« (II, S. 559)

Das wegen seiner Beliebtheit in der ärztlichen Praxis noch des 18. Jahrhunderts von Diepgen erwähnte »blasenziehende Pflaster« basierte auf Galens Auffassung, daß jedes einzelne Organ des Körpers nicht nur eine anziehende und eine abstoßende Kraft besaß - denn jedes Organ zieht zunächst die ihm zuträgliche Nahrung an und stößt das ihm nicht Zuträgliche ab (vgl. II V, S. 93ff.) -, sondern eigentlich über vier Kräfte verfügte, nämlich über eine anziehende, festhaltende, ernährende und abstoßende (vgl. ebda., S. 113). Das Pflaster nun bezog seine Legitimation aus Galens These, »daß nicht nur die abführenden Mittel von Natur die ihnen entsprechenden Qualitäten anziehen, sondern auch die, die Splitter herausziehen und auch die Pfeilspitzen, die zuweilen tief im

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Fleisch stecken. Ferner zeigt alles, was das Gift von Tieren und das Pfeilgift herauszieht, die gleiche Kraft wie der herakleische Stein (= Magnetstein)«. (Ebda., S. 42) In dieser Ansicht lag zugleich eine starke »Anziehung« auf die hermetische Medizin und Weltanschauung, und noch um die Wende zum 18. Jahrhundert war dieser organologische Naturbegriff in beiden medizinischen »Schulen« ein starkes Bollwerk gegenüber dem neuen mechanistischen Naturverständnis (vgl. IV Kemper I, S. 227ff., 247ff.). - Für die Tatsache, daß auch noch im 18. Jahrhundert die Poesie unverdrossen als Merkvers-Medium für ärztliche Weisheiten genutzt wurde, mögen zwei merk-würdige Beispiele aus dem Repertoire des alten Triller zeugen: »Wer nur mit vielen Arzeneyen Den Leib zur Apotheke macht Der muß hernach zu spät bereuen Daß er zu früh sich umgebracht. Der Unterleib darf nicht erkalten Und ist beständig warm zu halten Des Oberleibes Wohlergehn Muß durch den Unterleib bestehn.« (Zit. in III Schipperges, S. 231 f.)

b) Die Pest - Versagen und poetisches Beschwören des Naturgesetzes (H. Sachs, Gryphius) Nachdem die Pest sich 1347 mit dem Einlaufen einer von den Tataren infizierten Genueser Galeere im Hafen von Messina im Abendland zurückgemeldet hatte, verursachte sie bis etwa 1720 weit mehr als andere Seuchen dieser Zeit (wie Typhus, Pocken, Syphilis, Ruhr) ein Massensterben ohnegleichen in der Geschichte Europas, dem etwa ein Drittel seiner Bevölkerung (etwa 25 Millionen Menschen) zum Opfer gefallen sein dürften (vgl. hierzu und zum folgenden III Delumeau I, S. 140f.; Statistiken und Graphiken zur Ausbreitung der Pest bei III Imhof, S. 2ff.). Periodisch trat diese Epidemie in einem Zeitraum von 8 bis 11 Jahren in allen Ländern Westeuropas (vor allem in Frankreich, England und Italien) auf, meistens im Sommer und hauptsächlich in den Städten, löste regelmäßig Panik und Chaos aus und hinterließ auch im überlebenden Teil des Sozialgefüges tiefgreifende Spuren traumatischer Erfahrungen (Arbeitskräftebedarf, Versorgungsmängel usw.). Als Hauptkennzeichen des »schnellen Tods«, wie man die Pest wegen des in der Regel höchstens dreitägigen Krankheitsverlaufs nannte, führte Caspar KEGELER, »der Artzney Doctor vnd Physicus«, in seinem >Nutzlichen vnd

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wahren Bericht wider die Pestilentz< (1597) »ein vnnaturliche hitze die vom hertzen durch die ädern geht«, an (II, S. B iij r; zu weiteren Pestschriften der frühen Neuzeit vgl. III Teile, S. 108ff.). Im einzelnen nennt er folgende Symptome: »Vnd sind die / So einem Menschen käbt vnnd hitzt vnter einander ankompt / die bein vnd arm jhm auch der gantze Leib auffs höchste müde / vnnd das heubt mit vber gewonlichem wee beschwert ist / Die äugen wollen schlaffs halben nicht offen bleiben / die zunge wird dürre / der lust zum essen weg genommen oder gantz geringe / Wer solchs oder dergleichen an jhm spuret / der Reusper sich / vnnd wo es jhn am meisten ist stechen hinder den oren vnter den armen / oder bey den heydrussen / da wil haben die gifft ein auß bruch /...« (II, S. A VI r/v)

Genauer als Kegeler beschreibt Martin Opitz, 1639 selbst das Opfer des »schnellen Tods« in Danzig, in einem Gelegenheitsgedicht »nach auffgehorter langwiriger Pest zum Buntzlaw« den Krankheitsverlauf: ».. .Was muste der nun leyden Der an der Kranckheit lag / eh' als er kundte scheyden / Vnd ward deß COrpers loß? das angesteckte Blut / Trat in den gantzen Kopff als eine heisse Glut / Vnd nam die Augen ein / die voller Fewers stunden. Der sprachen weg der Schlund war jämmerlich gebunden / Die Lunge werthe(!) sich / der gantze Leib lag kranck / Vnd ließ die Kräften fort. Ein scheußlicher Gestanck / Wie sonst ein faules Aaß auch von sich pflegt zu geben / Roch auß dem Hals' herauß; das arme schwache Leben Stund auff der Schwelle schon / vnd sähe hin vnd her / Ob in der grossen Qual nicht etwan Labsal wer'? Ach! aber fast vmbsonst. Was salzte nun dem Hertzen / Das auch voll Flamme war / für Kümmernüß vnd Schmertzen / Für Leyd vnd Wehmuth zu / da sämptlich Hand vnd Bein Ihr Ampt nicht kondten thun? es schwand das Marck auß Pein / Der heisse Magen sodt / der Mund blieb offen stehen / Die Zunge litte Durst / der Pulß hüb an zu gehen Geschwinder als zuvor: Viel haben Tag vnd Nacht Nie keinen Schlaff gehabt / vnd gäntzlich sich verwacht / Der Schweiß war auff der Haut / das Prausen in den Ohren / Das Klopffen vmb die Brust. Nicht wenig die verlohren Verstand vnd allen Sinn. Die Kälte trat gemach Den müden Schenckeln zu / biß sie so nach vnd nach Die Glieder gantz vnd gar mit jhrer Gifft durchfahren...« (II WP II, S. 40f.)

Eine diagnostische Unterscheidung zwischen den beiden Hauptarten, der Beulen- und der (besonders bösartigen) Lungenpest war im Anfangsstadium und im Einzelfall nicht immer leicht möglich, weil der schnelle

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Krankheitsverlauf ein Anschwellen der Lymphknoten und eine Entwicklung von Beulen oft gar nicht zuließ. Da die Pest andererseits Symptome wie hohes Fieber, Kopfweh, Kreislaufstörungen und - zum Teil Erbrechen mit anderen Infektionskrankheiten wie Diphterie, Ruhr, aber auch den Pocken teilte, kam es nicht selten - und von der Obrigkeit, welche den Ausbruch der Panik fürchtete, sogar erwünscht - zu Fehldiagnosen, die zugleich der Tabuisierung der Pest und der Verdrängung der heraufziehenden Gefahr dienten (vgl. III Delumeau I, S. 154f.). Über Herkunft und Ursache dieser Epidemie gab es bis ins 19. Jahrhundert hinein nur abstruse Vermutungen. Aus der heutigen Kenntnis heraus, daß die Ansteckung der Lungenpest durch Speichel erfolgte und der Virus der Beulenpest nicht nur durch Ratten, sondern insbesondere auch durch Menschenflöhe übertragen wurde (vgl. ebda., S. 145), wirkt die harmlos-satirische Floh-Literatur vor allem des 16. Jahrhunderts geradezu makaber. Vor allem Johann Fischarts dem satirischen Tierepos zuzurechnendes Reimpaar-Gedicht >Flöh Hatz Weiber Tratz< (1573/77) zeichnet bei aller witzigen Übertreibung aus der Perspektive eines verwundeten, vor Jupiter über die Verfolgung seines Geschlechts vor allem durch die Frauen klagenden Blutsaugers ein realistisches Bild über dessen enorme, auf mangelnder Hygiene beruhende Verbreitung in der Bevölkerung: »Dann disen ganzen Sommerlang Hatten wir ainen sichern gang / Bei den Mägden im Hünerhaus / Si lisen zihen ein und aus . .. Die Köchin und Kindsmaidlin auch / Waren nicht gegen vns vil rauch (= rauh) Diweil sie zu faul waren baid Aufzuheben ir Hemd und Klaid...« (II Flöh Hatz, S. 30)

Ahnungslos läßt Fischart den Floh scherzen: »Entlich stechen wir auch kain beulen / Wie die Schnaken / die dazu heulen / Sonder es gibt ain rotes flecklin / Welchs oft wol steht an ainem Bäcklin / Und wann sie solchen wolstand wüßten / Sie litten oft / das wir sie küßten . . . « (Ebda., S. 14f.)

Das Volk glaubte bei den Ursachen für die Pest an teuflische und magische Praktiken böswilliger Übertragungen und verdächtigte häufig ohnehin mißliebige soziale Randgruppen, Fremde, Andersgläubige und

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Minderheiten wie die Juden, die Seuche u. a. durch Vergiftung der Brunnen hervorgerufen zu haben (vgl. III Delumeau I, S. 184ff.; vgl. dazu Helmbolds Lied >Von vergifftung der brunnen< I Wa IV, S. 686; vgl. ferner III Diepgen I, S. 240f.); außerdem standen die Pestkranken selber im Verdacht, sich auf magische Weise durch Ansteckung anderer von der Krankheit befreien zu wollen; auch Luther berichtet über diesen Aberglauben (vgl. III Delumeau I, S. 190), der natürlich einen willkommenen Grund lieferte, jeden Kontakt mit den Kranken zu meiden und jede Hilfeleistung zu verweigern. - Die Kirchen verwiesen als Grund wie bei den anderen Katastrophen auch auf Gottes Zorn über die Sündhaftigkeit der Menschen und boten geistliche Medizin an, wobei sich die Katholische Kirche als die am besten sortierte »Apotheke« erwies: Sie vermittelte ihren Gläubigen durch vielfältige Büß-, Bitt- und Frömmigkeitsrituale (z. B. Gelübde) das Gefühl, der Seuche nicht hilflos gegenüberzustehen. Neben der Mutter Gottes waren unter den Heiligen Sebastian und Rochus für den Schutz gegen die Pest zuständig, deren Kult sich in der frühen Neuzeit ganz besonders entfaltete. In zahlreichen, sehr umfangreichen Prozessionsliedern wurden ihr Leben nacherzählt und ihre Hilfe erfleht (vgl. I Wa II, S. lOOOff.): »O Heiliger Sebastian, durch dich hat Gott viel zeichn gethan in grosser seuchen nothe Nun wollestu vns auch beystan mit deim gebet bey Gölte.« (I Wa V, S. 1107; vgl. ebda., S. 1146ff.)

Die von der Kirche veranstalteten Prozessionen, an denen die Menschen ebenso rege teilnahmen wie an den Bittmessen, obgleich sie sich sonst in Pestzeiten vor allen Ansammlungen fürchteten, hatten mit den vielen Stationen in den Straßen und an den Plätzen zugleich den Charakter von exorzistischen Aktionen zur Bannung der teuflischen Mächte (vgl. III Delumeau I, S. 194ff.). Iris Origo hat in ihrem fesselnden Porträt des toskanischen Kaufmanns Francesco Datini (1335-1410) gezeigt, daß solche Prozessionen - hier in und um Florenz - gesellschaftliche Großereignisse sein konnten, an denen sich in diesem Falle 30-40 000 Gläubige beteiligten (V, S. 280ff.). Wenn die Menschen schon die Krankheit nicht zu heilen vermochten, so machte ihnen die Kirche doch wenigstens die Hoffnung, die Seuche durch Bitt- und Bußleistungen von sich fernhalten zu können. Die Protestanten mußten sich auch in diesem Fall vor allem auf das Gebet verlassen, und dabei diente insbesondere der sog. »Pestpsalm« 91 als tröstliche Vorlage:

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»DEnn er errettet mich vom strick des Jegers / Vnd von der schedlichen Pestilentz. Er wird dich mit seinen Fittichen decken / vnd deine Zuversicht wird sein vnter seinen Flügeln / Seine Warheit ist Schirm vnd Schild. DAS du nicht erschrecken müssest für dem grawen des Nachts / Für den Pfeilen die des tages fliegen. Für der Pestilentz die im finstern schleicht / Für der seuche die im mittage verderbet. Ob tausend fallen zu deiner seilen / Vnd zehen tausent zu deiner Rechten / so wird es doch dich nicht treffen.« (Ps. 91, 3-7)

Kaum ein anderer Psalm ist im 16. Jahrhundert so häufig in ein geistliches Lied transformiert worden wie dieser (vgl. I Wa I, S. 792; II, S. 1205ff.; IV, S.228ff., 553f., 658, 888, 904ff.; V, S. 342, 352ff.), und die calvinistischem Erwählungsbewußtsein besonders entsprechende Verheißung der Unversehrtheit wurde in eingängigen Merkversen popularisiert: »Vnd ob dir an der Seiten file En(!) tausend oder mehre / Zur Rechten dein zehenmal so viel / Soll dichs doch nicht verzehren.« (II Dannhauer II, S. 12) Unter den Ärzten und den anderen Wissenschaftlern war als natürliche Entstehungsursache für die Pest die Theorie von der unreinen Luft am weitesten verbreitet (vgl. dazu auch Kap. II 3 b), und diese »pestialische« Luft entstand entweder aus Erdausdünstungen oder - wie auch Kegeler meinte - »auß naturlichem lauff / vnd einfluß des Himmels« (II, S. A ij r), also bestimmter Gestirnkonstellationen oder der giftigen Ausdünstung von Kometen. Auf dieser Theorie basierten denn auch die Schutzmaßnahmen, welche die weltliche Obrigkeit bei Ausbruch der Seuche zu praktizieren versuchte und die aus heutiger Sicht ein merkwürdiges Gemisch von kuriosen und - im Blick auf die Durchsetzung besserer Hygiene und strenger Quarantäne - richtigen Maßnahmen darstellten (vgl. dazu auch III Pollack, S. 241ff.). Hans Sachs (1494-1576; vgl. Bd. I, S. 246ff.) hat in einem Gedicht die für seine Zeit vorbildliche Organisation einer Pestkatastrophe 1562/3 durch den Nürnberger Rat beschrieben (II KG 15, S. 17ff.). Dieser schickte der »burgerschaft« seine Verordnung sogar »In truck verfertiget« (ebda., S. 17): »Erstlich weil solch vergiffter lufft Sich mehret durch unreinen dufft, Derhalben sie verbieten Hessen

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Kein härm (= Urin) ant gassen auß zu giessen, Auch ändern unflat bey nacht noch tagen, Sondern in das wasser zu tragen. Auch soll man keinen faulen mist, Welches gstanck auch gefehrlich ist Lassn über zwen tag an der gassen; Und wer ihm auch thet ader lassen, Deß blut solt man in diesen tagen Int Pegnitz oder Vischbach tragen; Auch bestell in den appodeckn Pulver zu reuchern und wolschmeckn, Gut in die heuser, gsund und schwachen, Vergifften lufft mit reyn zu machen; Auch wurd verbotten allen den Krancken unter die leut zu gehn« (ebda., S. 17f.)

Die Stadtväter richteten überdies ein Lazarett vor den Toren Nürnbergs ein, »Versehn mit priestern und ärtzney / mit knechten und mayden darbey«, die zum Transport und zur Versorgung der Kranken ebenso dienstverpflichtet wurden wie alle im Heilwesen tätigen Personen vom studierten Stadtarzt bis zum »balbirer«. »Sonst war verboten allen den Gsunden ins laßareth zu gehn. Dergleichen auch so solt man fliehen, Von ändern krancken sich abziehen. Daß man nicht würd durch sie vergifft. Welchs durch die beywonung zutrifft. Es warn bestell vil weib und mann Und ihn bestimbl ihr läglich lohn, Der kranckn zu warlen in den tagen, So daheim in irn heusern lagen, Die ihr warlen mit allem fleiß.« (Ebda., S. 19)

Solche Organisierung der Krankenpflege war sicherlich die schwierigste und nur zu häufig fehlschlagende Aufgabe. Aus begreiflicher Angst vor einer Ansteckung mit dem »Pesthauch« der Kranken leisteten die Helfer diesen - wenn überhaupt - nur aus größerer Entfernung und dick vermummt Beistand. Der Nürnberger Rat konnte sich mit seiner Dienstverpflichtung auf die reformatorische Lehre berufen. Luther, der sich selbst während der Wittenberger Pestepidemie 1527/28 als vorbildlicher Seelsorger und Krankenpfleger erwiesen hatte (vgl. 11.56 Brecht, S. 206), interpretierte in seinem Traktat >Ob man vor dem Sterben fliehen möge< (II WA 23, S. 323-386) die Angst vor der Pest als Versuchung des

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Teufels, der damit von Christus abspalten wollte. Dennoch gestand er den Schwachen durchaus den Selbstschutz der Flucht und des Arzneimittelgebrauchs zu und wollte nur Amtspersonen wie Seelsorger und Ärzte zur Hilfe verpflichtet wissen. Ein Jahrhundert später nahm Johann Konrad Dannhauer (1603-1666), ein prominenter Vertreter der lutherischen Reformorthodoxie (vgl. Kap. II 4 c), bei seinen Hinweisen zum Verhalten in Pestzeiten noch denselben Standpunkt ein, wenn er im Falle einer grassierenden Pest die Ausübung des Gesetzes der Nächstenliebe bloß von den Amtspersonen verlangte; nur wenn diese und die Obrigkeit versagten, waren auch »die nächsten Nachbauren« verpflichtet, »beyräthig zu seyn und zu zuspringen / und das Leben fur die Brüder zu lassen« (II Bd. H, S. 12): Die Pest wurde offenbar auch von den Theologen als eine so exorbitante Plage empfunden, daß sie sogar das an sich ausnahmslose Gesetz der Nächstenliebe als oberstes Gebot Christi und als Naturgesetz zugleich in diesem Falle für nicht einklagbar hielten. In der Tat gibt es eine Vielzahl von zeitgenössischen Belegen für dessen Versagen, wie etwa den folgenden Bericht eines portugiesischen Matrosen von 1677: »Die Menschen haben sogar Angst vor der Luft, die sie atmen. Sie fürchten sich vor den Toten, den Lebenden und vor sich selbst, denn der Tod kriecht gern in die Kleider, die sie tragen und die ihnen dann zum Leichentuch gereichen, da das Ende so schnell kommt. .. .Die mit Leichen bedeckten Straßen, Plätze und Kirchen bieten einen jämmerlichen Anblick, der die Lebenden die Toten um ihr Los beneiden läßt. Die bewohnten Stätten scheinen sich in Einöden verwandelt zu haben, und allein diese Verlassenheit vergrößert noch das Gefühl der Angst und Verzweiflung. Man versagt sich jegliches Mitleid Freunden gegenüber, da es gefährlich ist, Mitleid zu haben. Obwohl alle in gleicher Weise betroffen sind, kümmert sich kaum einer um den anderen. Alle Gebote der Nächstenliebe und der Natur sind inmitten des Grauens untergegangen und vergessen, Kinder sind plötzlich von ihren Eltern getrennt, Frauen von ihren Männern, Brüder und Freunde verlieren sich aus den Augen - alle betrübt die Abwesenheit von Menschen, die man lebend verläßt und niemals wiedersehen wird.« (Zit. in III Delumeau I, S. 160)

»Die Nachbarschafft sich vor vns scheucht, / ein jeder vor vns leufft vnd fleucht / als weren wir verbannet«, klagt Bartholomäus RINGWALD innerhalb eines Zyklus von Pestliedern (I Wa IV, S. 909). Folgerichtig blieb für die Lutheraner wiederum nur ein Tröster übrig, wie auch der Wolfenbütteler Hofrat und Sprachwissenschaftler Georg SCHOTTELIUS (1612-1676) in einem seiner >Lieder in Pestzeiten< betont: »Wann meine blutesfreunde Sind meiner kranckheit feinde

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Und ihnen ich ein scheu, Wann sich da findet keiner, Der sich erbarmet meiner: So steh mir, Jesu, bey.« (I F/T V, S. 46)

Indessen wurde nicht nur die Hilfe des erhöhten allgegenwärtigen Erlösers erfleht (vgl. dazu auch Kap. II 4 a), vielmehr erschien der irdische Jesus als gekreuzigter »Schmerzensmann« in einem sowohl bei Katholiken wie Lutheranern ausufernden Blut- und Wundenkult als die Identifikations- und Trostfigur der Leidenden. Im Kontext der auch im 17. Jahrhundert weit verbreiteten Themen »Krankheit« und »körperliches Leiden« (vgl. 11.31 Mauser, S. 145) vermitteln die Bilder vom qualvollen Sterben Christi angesichts der eigenen Erfahrung von körperlicher Hinfälligkeit und Bedrohtheit den tröstlichen Glauben, daß der Weg zu Gott wie bei dessen Sohn über Schmerz und Leid führen müsse, daß Leid in diesem Sinne dann auch das Heil erwirke (vgl. ebda., S. 157ff.; vgl. dazu ferner Kap. II 4 c). Jedoch geht es - wie nun zu zeigen ist - bei der Darstellung von Schmerz und Krankheit keineswegs nur um die theologische Interdependenz von Leid und ewigem Heil, sondern auch um eine gänzlich diesseitige, innergesellschaftliche, medizinisch-ethische Wechselbeziehung von Krankheit und Mitleid, Not und Hilfe. Dabei fungierte, wie sich an Andreas GRYPHIUS zeigen soll, die Betrachtung des »Schmerzensmannes« als Modellfall für die Erweckung der wichtigsten sozialen Tugend. Sowohl die erste Lissaer Sonett-Ausgabe (1637) von Gryphius als auch die erweiterte Leidener Ausgabe von 1643 beginnen mit fünf bzw. sechs Gedichten an die Trinität, darunter dreien auf die Leidensstationen Jesu, auf seine Gefangennahme, seine Leiche und seine Qualen am Kreuz. Das Sonett >Uber des Herrn leicheEmileDie beste ArtzneyPoetik< inzwischen von der Forschung anerkannt ist (vgl. II P, S. 33), ebenso wie bei Galenus, der sich bei der Theorie der Gemütsregulierung auf seinen Heimatgott Asklepios beruft, »der nicht wenig Gesänge aufschreiben, Schauspiele mit Scherzen und gewisse Lieder machen ließ« (II W I, S. 37), oder bei einem der einflußreichsten Ärzte und Religionsphilosophen des Mittelalters, dem Juden Moses MAIMONIDES (d. i. Mose ben Maimon 11351204; vgl. zu ihm IV Kemper I, S. 30ff.). Dieser empfiehlt in seinem >Regimen sanitatis< geradezu ein »Psychotraining«, zu dessen Programm es gehört, »die vitalen (geistigen) Kräfte anzuregen, durch Instrumentalmusik, durch Erzählung für den Kranken erfreulicher Geschichten, die seine Seele erfreuen und seine Brust tiefer atmen lassen, durch humoristische Neuigkeiten (die ihn ablenken), über die er mit der Gesellschaft lache« (II, S. 79; vgl. auch Boccaccios >DecameronePodagrammisch Trostbüchlin< von 1577, einer freien Übersetzung zweier lateinischer Lobreden auf das Podraga, also die Gicht, von Johann Carnarus (d. i. Vleeschouwer 1520-1562) und Willibald Pirckheimer (1470-1530), unter Berufung auf diese Tradition das eigene Unternehmen legitimiert, »dz dem Podagra moge durch gesang, lustige spruch, anmutige gespräch, Reden vnd Carmina geholfen werden« (II H III, S. 6). Entsprechend

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reichert er seine beiden Vorlagen aus der Tradition der satirischen Enkomien (hier eines Selbstlobs der Jungfer Gicht bzw. einer forensischen Verteidigungsrede) mit einer Vielzahl von Sprüchen, Merkversen, kürzeren und längeren Gedichten, lustigen Histörchen und den für ihn typischen Wortwitzen an, um durch die Lektüre die Seele der an dem »Zipperlein« Erkrankten zu erheitern und seine Schrift dadurch als Medizin zu verabreichen. Denn: »Nach des Gemüts sitten vnd gstalt / Auch der leib sich sittet vnd halt,/ Das Gmüt ziecht, wie es will, den leib, / Wie den Man ain Maisterlos Weib« (ebda., S. 15). Außerdem erinnert Fischart an die in diesem Zusammenhang wichtige Doppel-Bedeutung Apolls: »Ja darumb hat man dem ersten Arzneierfinder Apollini zugleich die Music vnd Musas zugeben, anzuzaigen, dz die Medicina baides zu leichterung des Leibs schmerzen, vnd minderung des gemüts anfechtung gegeben seie.« Deshalb würden auch »die übliche Reden, künstliche gedieht vnd holdselige Muse solche, wie gehört, kraft, zu aufmunterung angefochtener Leib vnd herzen haben« (ebda., S. 6). Indessen verweist Apoll die Musen nicht nur auf die Funktion der Heilung, sondern mehr noch auf die der Vorsorge: »Apollo lernet uns aus der gesunden Seiten / die rechte Panazee für Sterben zu bereiten. Diß / meyn ich / ist der Stein / den ihr so offte preist / Jhr Sop hen / vnd der Welt doch gar so selten weist.« (II Fleming, S. 221)

Die Panazee (ursprünglich die heilkundige Tocher des Äskulap, später eine in der hermetischen Medizin gern verwendete Vokabel für die Universalmedizin) liegt demnach also in der Diätetik, in der Vorsorge (»der gesunden Seiten«), die vor (= »für«) dem Sterben schützt. Diese Erkenntnis ist für FLEMING der Stein der Weisen, welchen die Hermetiker und Pan-»Sophen« so häufig beschwören, aber so selten finden. Und eben im Dienst dieser Prophylaxe sieht er auch die Poeten: « . . . Die trefflichen Poeten / die Rächer der Natur / die können / Todt / dich todten / Sind / Gif ft / dein Gegen = gif ft: Sie können nicht vergehn / und machen andere / so fallen / wiederstehn.« (Ebda., S. 220)

In doppelter Weise also heilt die Poesie das »Entgegengesetzte durch das Entgegengesetzte«: Den Tod eines Menschen relativiert sie dadurch, daß sie sein Gedächtnis am Leben erhält, und dem, der krank ist, macht sie durch ihre Kunst Mut, indem sie ihn erfreut. Dasselbe bekundet z. B. auch Johann KLAJ (1616-1656) in seiner >Lobrede der Teutschen PoetereyRathsfrag Welchen Glauben man annemmen / oder / zu welcher Religion man tretten sollBekentnis Lied, der einigen, Gütlichen Warheit, wider den falschen wähn, Zweyerlei Religion< verdeutlichen mag: »Wie nur ein Gott, so ist auch gwiß ein Christlich Kirch auff Erden: Zwen Gottesdienst, on arge list, können nicht sein noch werden: Einer ist falsch, der ander war, es scheidet sie beyd eine Lahr, von Jhesu Christ gegeben.« (I Wa IV, S. 644f.)

Folgerichtig wurde jedes andere Bekenntnis - trotz des Augsburger Religionsfriedens zwischen Katholiken und Lutheranern - in der eigenen Propaganda als Ketzerei verurteilt: »Gründlich thö ich euch lehren, setz euch mein seel züpfant:

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II. Glaubensstreit und neue Frömmigkeit

Wer glaubt des Luthers mären ist ewigklich verdampt. Dann er sein lehr mit schaden, mit trug vnd Tyranney der Welt hat auffgeladen, für dwahrheit Ketzerey.« (NasIWaV, S.1026)

Kompromißlos trieben die »Religionen« - wie sie sich im Augsburger Friedensvertrag nannten - den Prozeß der Konfessionsbildung voran. Er dauerte bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, und zwar verstanden als »die geistige und organisatorische Verfestigung der seit der Glaubensspaltung auseinanderstrebenden verschiedenen christlichen Bekenntnisse zu einem halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und religiös-sittlicher Lebensform, zugleich nach ihrer Verflechtung mit außerkirchlichen Mächten wie vor allem der Staatsgewalt« (III Zeeden 1973a, S. 88). Dabei nahm die polemische und apologetische Propaganda nach außen eine nicht minder wichtige Rolle ein als die Anstrengungen, das jeweilige Bekenntnis im eigenen oder neu eroberten Herrschaftsgebiet durchzusetzen und bei den Gläubigen zu stabilisieren. Und wiederum wie schon in der Reformationszeit auf Seiten der Lutheraner (vgl. Bd. I, S. 39ff., 147ff.) - spielten dabei zahlreiche publizistisch besonders gut verwertbare Formen der Lyrik, vor allem Reimpaardichtungen und Lieder, eine hervorragende Rolle. Das geistliche Lied erwies sich in Luthertum und Katholizismus als ideales Medium zur je gesonderten Gestaltung, aber auch zur Verknüpfung von Polemik und Katechetik. So dominierte im Luthertum der religiöse Typ des Bekenntnisliedes (vgl. dazu Bd. I, S. 182f.), im Katholizismus das katechetische >geistliche Volkslied< (vgl. ebda., S. 54f.). Da diese Gattungstypen nicht aus sich selbst, sondern nur aus ihrem Funktionszusammenhang der Konfessionsbildung heraus zu verstehen sind, seien im folgenden zunächst deren wichtigste Konstituentien im Bereich des Katholizismus summierend aufgeführt. Der zweite Abschnitt stellt dann den Hauptträger der »Gegenreformation«, die Jesuiten, in ihrer zeitgenössischen Wirksamkeit und Wirkung genauer dar. Nach diesen sozial-, kultur- und institutionengeschichtlichen Hinweisen behandeln die beiden nachfolgenden Abschnitte dann jeweils das gereimte polemische und das liedhaft-katechetische Schrifttum der Altgläubigen.

Politischer und reichsrechtlicher Ausgangspunkt waren für alle Mächte die Regelungen des Augsburger Religionsfriedens von 1555 (vgl. dazu

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die Einleitung). Die Bestimmung des »cuius regio, eius religio« (vgl. dazu I Raab, S. 163ff.) war Anlaß zu ständiger Gefährdung, bot aber auch Möglichkeiten zur Konsolidierung des konfessionellen Besitzstandes. Der Artikel wirkte sich in den Territorien als ständiger Unruheherd aus, »fast einer Folge von Kriegen vergleichbar« (III Raab, S. 38f.). Durch ihn waren die Kirchen in ihrem materiellen Bestand faktisch der religiösen Gesinnung des jeweiligen »Landesvaters« ausgesetzt, die sie deshalb nach Kräften zu beeinflussen suchten, die aber hauptsächlich von politischen Ereignissen und Zweckmäßigkeiten bestimmt wurde. Von daher entwickelte sich in dieser Zeit eine starke Interessenallianz von Kirche und Territorialherrschaft. Allein viermal z. B. ereilte das Schicksal des Konfessionswechsels im 16. Jahrhundert die Kurpfalz. Pfalzgraf Ottheinrich (1556-1559) brachte die lutherische Reformation in seinem Stammland Pfalz-Neuburg und in der Kurpfalz zum Abschluß. Nachdem sein Nachfolger Friedrich III. (1559-1576) das Land 1563 dem reformierten Bekenntnis geöffnet hatte, kam es in der Amtszeit Ludwigs VI. (1576-1583) zu einer gewaltsam durchgeführten lutherischen Restauration mit Vertreibung der reformierten Theologen. Anschließend - nach nur sieben Jahren also - stellte Johann Casimir (1583-1592) die reformierte Lehre wieder her (vgl. III Münch, S. 99ff.), und wieder mußten sich die Gemeinden an neue Pfarrer gewöhnen (vgl. III Zeeden 1973a, S. 115f.). - Auch für das katholische Lager entstanden aus dem Vertrag brenzlige Situationen; denn weil es in den geistlichen Territorien keine natürliche Erbfolge gab, galt es bei der Wiederbesetzung immer wieder, dynastische Ansprüche der Protestanten abzuwehren. Besonders aufregend gestalteten sich dabei die Auseinandersetzungen um die Regentschaft im Erzstift Köln (1580-83). Obgleich der Augsburger Vertrag in einem sog. »geistlichen Vorbehalt« festlegte, daß ein zum Luthertum übertretender geistlicher Potentat das ihm anvertraute Gut an Land, Leuten und Pfründen nicht in das gegnerische Lager mit hinübernehmen dürfe, mißachtete der Kölner Erzbischof Gebhard II. Truchseß von Waldberg (1577-1583) diese der Besitzstandswahrung dienende Regelung nach seinem Übertritt zum Protestantismus. Doch sein Versuch, das Territorium zu behaupten, scheiterte am Widerstand des Domkapitels und der Stadt Köln, und dieser Sieg des Katholizismus leitete zugleich die gegenreformatorische Wende am Niederrhein und in Westfalen (Münster und Paderborn) ein (vgl. III Heussi, S. 345; Heckel, S. 85f.). Dies geschah in Zeiten des äußeren Friedens. Während des Dreißigjährigen Krieges, der aller politischen Interessen unerachtet als ein Religionskrieg legitimiert und geführt wurde, traf diese Plage des Konfes-

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sionswechsels unmittelbar die meisten jeweils vom Gegner eroberten Gebiete. Was dies zugleich für Bildung und Kultur bedeutete, mag - als Schlaglicht - wiederum das Beispiel der Pfalz zeigen. Die Heidelberger Universität galt als »Pflanzstätte des europäischen Calvinismus«, an ihr studierten auch viele Schlesier, darunter Martin Opitz 1619/20. Seit der katholische Heerführer Tilly (1559-1632) die Stadt 1622 eroberte, verlor sie die meisten Studenten und Professoren. Zwischen 1623 und 1625 immatrikulierten sich jährlich nur ein bis zwei Studenten (1588 hatte die Universität bei 6291 Einwohnern immerhin 385 Studenten und 13 Professoren gezählt; vgl. III Trunz, S. 160). 1626 verfügte Herzog Maximilian I. von Bayern (1597-1651) als katholische Besatzungsmacht die Entlassung aller bisherigen Professoren. 1629 wurde die Universität dann als katholische Hochschule in der Obhut der Jesuiten wiedereröffnet, von 1631 bis 1635 indessen unter schwedischer Besatzung wiederum reformiert, anschließend - nach erneuter Rückeroberung durch die Gegenseite - katholisch, und dies bis zum endgültigen Rückzug des Bayernherzogs aus der Pfalz infolge der Regelungen des Westfälischen Friedens, die der Pfalz und ihrer Universität das reformierte Bekenntnis zurückbrachten (vgl. III Hengst, S. 158ff.). Dieses starke Interesse an rascher Re-Konfessionalisierung eroberter Gebiete zeigt, daß der Augsburger Vertrag auch die politische Macht der geistlichen und weltlichen Potentaten in den katholischen Territorien stärkte, weil er ihnen ebenfalls die Aufgabe des weltlichen Schutzes der Kirche übertragen hatte. Auch im altgläubigen Herrschaftsbereich förderte die Verquickung von geistlichem und weltlichem Amt faktisch die Unterordnung der religiösen unter die politischen Erfordernisse und Interessen und stärkte die Position der geistlichen Regenten gegenüber der Oberaufsicht Roms. Von dieser politischen Situation gingen daher auch in den katholischen Gebieten entscheidende Impulse zur Konfessionsbildung aus: »militärischer Schutz; politische Rückendeckung; tatkräftige Hilfe und Weisung in Sachen des inneren und äußeren Aufbaus, der Gottesdienstgestaltung, der katechetischen und seelsorgerischen Tätigkeit« (III Zeeden 1973a, S. 120). Ziel war dabei stets, »Frömmigkeit, Sittlichkeit und Gehorsam einzupflanzen« (ebda.), und darin wird die Interessengemeinschaft von »Thron und Altar« in allen Konfessionen offenkundig: Die Sorgen der Kirchen um Selbsterhaltung, um die Reinheit des Glaubens und die Einheit des Bekenntnisses nutzten die Machthaber geschickt zur Sicherung der territorialen und ideologischen Geschlossenheit ihres Herrschaftsbereiches (vgl. ebda., S. 93f.). Zu Beginn der Epoche des Konfessionalismus waren insbesondere die Sorgen der Katholischen Kirche angesichts ihres desolaten Zustande im

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>Heiligen Römischen Reich deutscher Nation< beträchtlich. »Um 1570 schätzte man, daß sieben Zehntel der Einwohner Deutschlands evangelisch wären«, und eine gänzliche Eroberung des Reiches für den Protestantismus schien bei der evangelischen Mehrheit auf dem Reichstag und der unentschlossenen bzw. sogar lutherfreundlichen Haltung der Nachfolger Kaiser Karls V., nämlich Ferdinand I. (1558-64) und Maximilian II. (1564-76) nicht ausgeschlossen zu sein (vgl. III Heussi, S. 344; um 1600 hat sich das Blatt dagegen schon gewandelt; vgl. ebda., S. 344f., vgl. ferner Abb. 8. In: III Burkhardt, S. 118). Selbst in den geistlichen Territorien war die Bevölkerung - nicht zuletzt als Folge der durch die »reformatorische Öffentlichkeit« bewirkten Kenntnis der Schriften und Ideen Luthers (vgl. Bd. I, S. 147ff.) - großenteils oder überwiegend evangelisch. Immer wieder aber stellte sich bei Visitationen auch der geringe religiöse Kenntnisstand der Gemeinden und der Geistlichen - auch im protestantischen Lager - heraus. Die katholischen Priester führten häufig - wenn überhaupt - einen religiösen Kultus mit einem Mischmasch aus lutherischem Gottesdienst und römischer Messe durch, und es konnte durchaus passieren, daß sie mit ihren Pfarrkindern auch lutherische Kirchenlieder sangen, z. B. das anti-katholische >lied vom gesetz vnd glaubem des Paul Speratus (vgl. Bd.I, S. 152, 205; III Schubert, S. 243f.). Umgekehrt blieben in lutherischen Regionen - teils aus althergebrachter Überlieferung, teils auch aus Gründen der Absicherung des Bekenntnisses gegenüber den Reformierten (vgl. III Zeeden 1973b, S. 458) - Teile von katholischen Zeremonien in Gottesdienst und Kultus erhalten. Nicht nur in den protestantischen, sondern auch in den katholischen Territorien hatten die Klosterinsassen und die Geistlichen vielfach ihren Stand verlassen, so daß auch tausende von Pfarreien - hunderte allein in Niederösterreich (vgl. III Zeeden 1973a, S. 104) - verwaist waren. Und die übriggebliebenen Priester, die bisweilen kaum die Absolutionsformel beherrschten, lebten überwiegend (und mit Duldung ihrer Gemeinden, mit denen sie ansonsten freilich auch häufig wegen der Einnahmen in Streit gerieten; vgl. III Zeeden 1973b, S. 458f.) im Konkubinat. Gewiß gab es auch noch intakte katholische Zentren - vor allem vereinzelte Ordensniederlassungen -, doch vor allem die reformerisch Gesinnten waren in Deutschland zum größten Teil in das protestantische Lager abgewandert. Aus eigener Kraft war der Katholizismus im Stammland der Reformation daher zur inneren Erneuerung und zu einer machtvollen Gegenwehr nicht in der Lage (vgl. III Zeeden 1973, S. 2; Jedin 1973a, S. 74). Bedeutende Anstöße zur inneren Regeneration erwuchsen dem deutschen Katholizismus aus spanischen und italienischen Reformvorschlä-

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Konfessionsverteilung um 1600

—T

--r-lTrier

^._ Reichsgrenze Lutherische Landeskirchen Reformierte Landeskirche

Abb. 8

O

Geistliche Fürstentümer Protestantische Minderheiten Konfession umkämpft

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gen und -bewegungen. Indessen war es vor allem der Erfolg der Lutherschen Bewegung, der den reformerischen Kräften nach zähem Ringen auf dem Konzil von Trient (1545-1563) zum Durchbruch verhalf. Das Tridentinum renovierte zunächst die Lehrinhalte der Katholischen Kirche und brachte diese in einen schlüssigen Begründungszusammenhang, der sich gleichermaßen auf die Bibel und die Autorität der Tradition sowie auf die geschliffene Argumentation einer aristotelisch geprägten scholastischen Philosophie stützte. Die dogmatischen Aussagen waren einerseits präzise genug, um die Ansichten der Reformatoren als neuerwachte, von der alten Kirche bereits verdammte und insoweit erneut zu verurteilende Häresien abzuweisen, andererseits aber auch auslegungsund damit integrationsfähig. Eine besonders elegante Lösung hatte das Konzil 1547 bei dem für die Auseinandersetzung mit den Protestanten zentralen Artikel von der Rechtfertigung gefunden (vgl. I Neuner-Roos, S. 496ff.). Es anerkannte, daß die Menschen durch den Sündenfall ihre Unschuld gänzlich verloren haben und »Kinder des Zorns« geworden sind, so daß sie sich von allein (von »Natur«) nicht zu retten vermögen. Auch ihr freier Wille ist durch den Sündenfall geschwächt, aber »keineswegs ausgelöscht« (ebda., S. 498). Deshalb »muß der Anfang der Rechtfertigung von der zuvorkommenden Gnade Gottes durch Christus Jesus ausgehen«, und durch diesen Ruf oder diese »Eingebung«, welche die Menschen auch in freier Entscheidung ablehnen können, werden sie bei Annahme bereitet, »sich ihrer eigenen Rechtfertigung zuzuwenden« und diese in »freier Mitwirkung« mit der Gnade durch gute Werke zu betreiben (ebda., S. 500), und zwar »durch Beobachtung der Gebote Gottes und der Kirche« (ebda., S. 505). Dieser Kompromiß zwischen den prädestinatianischen und pelagianischen Extremen gestattete sowohl unterschiedliche Akzentuierungen innerhalb des katholischen Lagers (so zwischen Dominikanern und Jesuiten) als auch eine nach außen offensive Persuasionsstrategie, die von der Überzeugung getragen war, daß die entscheidenden Anliegen der konfessionellen Gegner im eigenen Dogma voll berücksichtigt seien (vgl. Kap. II l b). Das Tridentinum legte - vor allem in seiner dritten und letzten Tagungsperiode (1562/63) - aber auch den Grundstein zu einer Kirchenreform. Es sorgte in einzelnen Dekreten für die Beseitigung von Mißständen, etwa bei der Heiligen- und Reliquienverehrung sowie beim Ablaß, der nun nicht mehr für Geld erworben werden konnte, die Synode initiierte die Herausgabe eines Index der verbotenen Bücher, aber auch eines katholischen Katechismus (vgl. dazu III Bellinger, S. 20ff.) und eine Revision von Meßformular und Brevier. Vor allem aber entwickelte das Tridentinum Maßstäbe für die Erneuerung des Priestertums und hier

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insbesondere für die Wahl und die Pflichten des Bischofs: Nur der beste sollte jeweils das Amt erhalten und durch ständige Residenzpflicht in seinem Sprengel sowie durch sein persönliches Vorbild ein »guter Hirte« in der Nachfolge Christi sein (vgl. III Jedin 1973a, S. 359ff.). Ämterkauf, -Schacher und -akkumulation war damit der Boden entzogen. Das Konzil verfügte überdies die Errichtung von Priesterseminaren für eine qualifizierte Nachwuchsförderung. Während die Neufassung der Lehrinhalte durch das Konzil nahezu einmütig innerhalb der Katholischen Kirche akzeptiert wurde, wären die Dekrete zur Kirchenreform vermutlich - trotz des persönlichen Vorbilds einiger Reformbischöfe in Italien - kaum verwirklicht worden, hätte nicht das Papsttum durch Pius IV. (1559-1565) alle Konzilsbeschlüsse bestätigt und die »Professio fidei Tridentinae« zur Pflicht gemacht (vgl. III G. Müller, Sp. 1016). Der Katholizismus erlebte in dieser Zeit eine Reihe von Reformpäpsten. Pius V. (1566-1572) vollstreckte die Reformdekrete, drang insbesondere auf Einhaltung der bischöflichen Residenzpflicht und setzte apostolische Visitatoren ein. Unter Gregor XIII. (1572-1585) wurde die 1568 gegründete »Deutsche Kongregation« - ein Kardinalsausschuß zur Behandlung der deutschen Angelegenheiten - planmäßig genutzt und effektiviert. Zugleich stärkte dieser Papst die Funktion der vor allem in den Krisengebieten Deutschlands angesiedelten ständigen päpstlichen Nuntiaturen und machte sie »zu Vorkämpfern der katholischen Interessen« (III Jedin 1973a, S. 78). Der Nachfolger Sixtus V. (1585-1590) ordnete den Kirchenstaat, reformierte die Kongregation, und auch er nutzte geschickt seine geistliche und politische Führungsrolle (vgl. III Heussi, S. 352). - Insgesamt betrachtet, ging somit auch das Papsttum gestärkt und gereinigt aus den Attacken der Häretiker hervor und wußte während der Gegenreformation den institutionellen Vorteil zu nutzen, den eine zentralistisch regierte Kirche gegenüber einem nach Luthers Tod führerlosen und in sich zerstrittenen konfessionellen Gegner besaß. - Mit dem Papsttum erholte sich auch das katholische Ordens-Wesen. Neben den Dominikanern, in deren Hände die Inquisition gelegt war, und den verschiedenen Kongregationen der Franziskaner - unter ihnen vor allem den Kapuzinern - wurde hauptsächlich die >societas Jesu< in Deutschland zur entscheidenden Triebkraft der Gegenreformation (vgl. dazu Kap. II l b). Das Zusammenwirken von geistlicher und weltlicher Macht zeigte sich insbesondere auf dem - im vorliegenden Zusammenhang besonders wichtigen - Gebiet der Wissenschafts- und Kulturpolitik. Da die Theologie in jener Zeit den höchsten Rang unter den Wissenschaften einnahm, war eine Konfessionalisierung der Universitäten in Deutschland

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eine - und keineswegs die geringste - Folge der Reformation. Auch hier dominierten anfangs die protestantischen Aktivitäten. In der Reformationszeit wurden Marburg (1527), Königsberg (1544) und Jena (1558) neugegründet, Wittenberg, Greifswald, Rostock, Tübingen und Leipzig reorganisiert (vgl. III Heussi, S. 310). In der Zeit zwischen Tridentinum und Westfälischem Frieden entstanden in Europa dann weitere 25 neue Hochschulen, davon fast die Hälfte wiederum in Deutschland, aber bereits paritätisch verteilt: fünf protestantische (Helmstedt 1576, Gießen 1607, Rinteln und Straßburg 1621, Altdorf 1622) und sechs katholische (Dillingen 1554/63, Würzburg 1582, Paderborn 1616, Molsheim/Elsaß 1618, Osnabrück 1632, Bamberg 1648; vgl. III Hengst, S. 163). Zusammen mit den alten, aber ebenfalls konfessionalisierten Hochschulen standen schließlich in Deutschland 17 bzw. 18 katholische Landesuniversitäten etwa derselben Zahl protestantischer Hochschulen (14 lutherischen und 3 bzw. 4 reformierten) gegenüber (vgl. ebda., S. 53; zum Sonderfall Erfurt vgl. ebda., S. 148ff.). Die Zahl der Studenten erhöhte sich vom Anfang bis zum Ende des 16. Jahrhunderts von 3200 auf 70008000, von denen etwa 4000-5000 an evangelischen Hochschulen immatrikuliert waren (vgl. III Trunz, S. 154, 157). Auf zum Teil eigens dafür eingerichteten Lehrstühlen gaben sich die Theologen mit Eifer der Konfessionspolemik und - apologetik hin. Der bedeutendste katholische Kontroverstheologe jener Zeit war der Jesuit Kardinal Robert BELLARMIN (1542-1621; 1930 heiliggesprochen und zum Kirchenlehrer erhoben), gegen dessen Hauptwerk >Disputationes de controversiis christianae fidei adversus huius temporis haereticos< (vgl. II Bellarmin) sich mehr als 100 protestantische Gegenschriften richteten. In Niveau und systematischem Format am nächsten kam ihm noch der Lutheraner Johann Gerhard (1582-1637; vgl. Kap. II 4 c) mit seiner >Confessio catholica< (1634-1637) und seinen >Loci theologici< (1610-1622), einer neunbändigen Dogmatik. Es war ein gewichtiger Nachteil des Protestantismus, daß er nach dem Tode Luthers (1546), Melanchthons (1560) und Calvins (1563) keine adäquaten Führungsgestalten mehr hervorgebracht hat. - Die in der akademischen Kontroverse erarbeiteten Standpunkte waren von erheblichem Einfluß auf die breite öffentliche Diskussion. Die Schriften wurden zum Teil verdeutscht und ihre Kernaussagen in Prosa-Dialoge übertragen, welche sich mit den an Latein- und Hochschulen gelernten Mitteln von Logik, Dialektik und Rhetorik auch schon an den gemeinen Mann wandten und durch z. T. lebendige Argumentation Überzeugungsarbeit zu leisten versuchten (vgl. dazu III Kemper 1985, S. 147ff.; IV Kemper I, S. 206ff.).

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Der theologisch-ethische Charakter der Streitschriften darf über deren politische Intention und Funktion nicht hinwegtäuschen. Das Ringen um Wechsel oder Festigung der Konfessionen in den Territorien war stets zugleich eine Auseinandersetzung um politische Macht innerhalb der Kräftekonstellation des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Zudem wirkte das Schrifttum stark sozialisierend nach »innen«, indem es mit der Fixierung der Rechtgläubigkeit zugleich die »Toleranz«-Grenzen der jeweiligen territorialen Gemeinschaft festlegte, jenseits derer jemand als Ketzer galt und als solcher auch gestraft werden konnte. Das Strafmaß selbst reichte dabei von der körperlichen Züchtigung über Geldstrafen und Amtsenthebung bis zum Schicksal der Vertreibung. Dagegen stand auf Gotteslästerung - festgelegt im ersten Paragraphen der Kaiserlichen Reichspolizeiordnung (hier von 1577) - die Todesstrafe: Auch wer gegen »die aller heiligste Menschheit vnsers Erlösers Jesu Christi / oder die Gottliche Sacramenta redet / der soll am leben / oder mit benemmung etlicher glieder / wie sich das nach gelegenheit der personen vnd geübter Gottslästerung / auch Ordnung der Rechten / ereignet vnd geboret / peinlich gestrafft werden...« (I RO, Bl. 2r/v). Im Blick auf diesen Paragraphen begreift man das denunziatorische Ausmaß des in den Streitschriften so häufig erhobenen Vorwurfs vom »gotteslästerlichen Reden« des konfessionellen Gegners. Auch die Zensur wurde nunmehr in den Dienst konsequenter Konfessionalisierungspolitik gestellt. In den katholischen Territorien hatte über die Bestimmungen des Reichs- und Landesrechts hinaus das geistliche Zensurrecht - Einholung der kirchlichen Druckerlaubnis (»Imprimatur«), der »Index verbotener Bücher« sowie die speziellen Ordensvorschriften - weiterhin Gültigkeit (vgl. III Breuer 1982, S. 29). In Bayern, von wo vor allem die Gegenreformation ausging, erließ Herzog Albrecht V. (1550-1579) 1565 ein Mandat, in dem er jeden Handel mit Büchern aus nicht-katholischen Druckorten untersagte (vgl. III Breuer 1979, S. 25). Er begründete diese Literaturpolitik bezeichnenderweise damit, daß »solche schödliche verdambte Irrthumben, Ketzereyen, Zwyspalt, Aufruern vnd Abfaal von unserer waaren Catholischen Religion auch erbärmlicher, verderblicher undergang und verwüestung viler Königreich, Fürstenthumb und Landt merern Thailß und schier allein aus den verbottnen falschen Ketzerischen Püechern, Tractätlen und schrifften, welche Gott und seiner heiligen Kirchen zuwider, allen Christglaubigen zu höchstem schaden und verderben irer Seelen entspringen und heerflüeßen und durch dieselben dem menschen gleichsam durch ein Instrumentum oder Trachter ein süesses gifft und ewiger schaden an Leib und Seel eingeschleicht und eingegossen wierdet.« (Ebda., S. 26).

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Darüberhinaus gründete Herzog Maximilian I. (1598-1651), der Bayern ohnehin zum geschlossensten und modernsten frühneuzeitlichen Territorialstaat im damaligen Reich zu entwickeln verstand, 1614 mit entscheidender Assistenz durch den Jesuiten Emmeran Welser (1560-1618) die Stiftung >Güldenes Almosem, deren Ziel es war, »Geldmittel zur kostenlosen Verbreitung >Haylsamer Catholischer Büechlein< bereitzustellen« (ebda., S. 110). Dabei handelte es sich vorwiegend um die beiden hier interessierenden Gattungen: »vereinfachende kontroversistische Darstellungen der elementaren konfessionellen Argumente« und Erbauungsliteratur, »dadurch die Menschen / zu mehrer erkantnuß / forcht vnd Liebe Gottes gebracht: Auch vnterwisen vnnd angetriben werden / die laster außzureuten / vnd dafür die Tugenten in die hertzen zupflanzen« (ebda., S. 112). Dabei läßt sich das starke obrigkeitliche Interesse an der religiösen Belehrung und moralischen Erbauung auch der ungebildeten unteren Schichten bis in den häuslichen Bereich hinein an dem Appell ablesen, die Hausväter und Hausmütter möchten »solche Büecher . . . dem gantzen Haußgesindt täglich / sonderlich zu abents ain viertl stund lang / dieweil sie spinnen / oder andere arbait beysammen verrichten / vorlesen lassen« (ebda., S. 111). Mit solchen Maßnahmen wurde insgesamt eine konfessionelle literarhistorische Demarkationslinie aufgerichtet, die sich das ganze 17. Jahrhundert hindurch als stabil erwies. Die ideologisch »stubenreine« oberdeutsch-katholische Literatur entwickelte auch eine eigene, an sprachlichen Eigenheiten erkennbare Literatursprache und koppelte sich in mancher Hinsicht von dem durch Opitz eingeleiteten und in den protestantischen Territorien höchst einflußreichen poetologischen Reformprogramm ab (vgl. ebda., S. 51 ff.). b) »Jesuiter« - »Jesuwider«: Zum Image eines Proteus Mit dem von Ignatius von LOYOLA (d. i. Inigo Lopez de Loyola 14911556) 1534 gestifteten und 1540 durch Papst Paul III. bestätigten Orden der Societas Jesu erwuchs sowohl den Päpsten als auch den katholischen deutschen Territorialherren eine für den erfolgreichen Verlauf der Gegenreformation entscheidende Kraft. - Der Orden war straff - geradezu militärisch - organisiert. An der Spitze stand der auf Lebenszeit gewählte General, der mit umfassenden Vollmachten ausgestattet und durch ein ausgedehntes Informationssystem (vor allem regelmäßige intensive Berichte und Briefe aus den einzelnen Provinzen und Ordenshäusern) über alle Vorgänge und Mitglieder bestens informiert war. Jede Ordensprovinz - im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gab es deren vier: Oberdeutschland, Niederdeutschland, Rhein und Österreich - wur-

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de von einem Provinzial, die Ordenshäuser wurden von Rektoren geleitet. Nur die besten und bewährtesten Mitglieder erhielten - in der Regel erst mit 45 Jahren - den Status der »professi«; sie mußten über die drei Mönchsgelübde (Armut, Keuschheit, Gehorsam) hinaus noch dem Papst eigens unbedingten Gehorsam schwören (»Patres quatuor votorum«). In Loyolas zweitem bedeutenden Werk neben den >Geistlichen ÜbungenKonstitutionenDer Jesuiten Monarchi< zu beugen (vgl. I Mache / Meid, S. 54). Jedenfalls gerieten Herz und Feder der Protestanten beim Phänomen der Jesuiten in heftige Wallung. »Man nent sie nachmals Jesuwider / Des Antichrists geschmeiß vnd glider«, wetterte z. B. Hasentödter in seiner >Chronica< (II, Bl. 209v), und in einem Flugblatt über ihre Ankunft in Böhmen wurden sie folgendermaßen etikettiert: »Gar oft ein Name zeiget an, Wie es um den Mann ist gethan: Jesu Christi ärgster Feind, Antichrists vertrautester Freund, Satans beste Frucht und letzte Zucht, Unter dem Papstthum fürgesucht, Auszutilgen das Evangelien, Fortzupflanzen falsch Religion, Zu erfinden alle Tück und List, Reich zu machen den Antichrist.« (I Scheible, S. 24f.)

Keiner aber hat so viel Gift und Galle über die Jesuiten ausgeschüttet wie Johann FISCHART. In seiner gereimten Polemik >Das Jesuiterhütlein< (1580; 1142 Verse) ließ er den Satan selbst die viereckige Jesuitenkappe als stärkste - noch die Tiara des Papstes übertreffende Waffe wider Jesus erfinden. Alle Teufel in der Hölle mußten an der Entstehung dieser Kappe mitarbeiten und ein Maximum an Scheußlichkeit und Boshaftigkeit hineinnähen, die Fischart aufzuzählen nicht müde wird: »Mit Blutpractic vnd Greulichkeyt, Mit Mordstifftung, Vnfridsamkeyt, Mit den Schürgabeln der Verhetzung, Vnd mit Feurpfeilen der Verletzung, Mit den Vergifften Lugenspiesen, Mit Händeln wider das Gewissen,

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Mit Stummer Sund, Verrätherei, Vnd Mamelucken allerley« usw. (II H I, S. 256)

Schließlich setzen sich die Teufel noch selbst in die Kappe: »Schützen das Hütlein in all Macht, Stieben herumb zu den Quartiren, Sie meh zuhetzen vnd zuschüren; Sind recht Brandschürer, Lermenblaser, Vnd aller Rhu Ertzfeind vnd hasser. Keyn Wunder, das vil Hechssenwetter Entstehn, vnd daß der Luft wird zornig, Wann darein kompt diß Thier Vierhornig.« (Ebda., S. 257)

Bedenkenlos wurden die Jesuiten hier also vom hexengläubigen Juristen Fischart (vgl. Kap. I 3 b) als »Schwarzbündler«, als vom Teufel besessene Zauberer und - wegen der Luftvergiftung - auch als Seuchenbringer denunziert und dämonisiert. Anders waren für ihn, der die europäische Szene der Religionskämpfe als glühender Anhänger der Calvinisten verfolgte (vgl. Kap. II 3 c), die politischen Erfolge der Jesuiten nicht mehr erklärbar. In der Tat haben die Patres als geistliche Berater bei fast allen Konfessionskämpfen in Westeuropa in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ihre Hand im Spiel gehabt: in den Hugenottenkriegen (1562-1598) in Frankreich, im niederländischen Freiheitskampf (bis 1648), bei den Rekatholisierungsversuchen Schottlands (durch Maria Stuart) und Englands (und dies trotz schärfster Verfolgung durch die Behörden), bei der Rückeroberung Polens für den katholischen Glauben (vor allem unter Siegismud III., der zugleich in Personalunion König von Schweden war und der damit auch dort Möglichkeiten zur Einflußnahme bot; doch sagten sich die Schweden politisch von Polen los). Darüberhinaus erwiesen sich die gebildeten und weltläufigen Jesuiten aber auch als äußerst geschickte Diplomaten, die von der römischen Kurie mit den heikelsten Missionen betraut wurden. Rene Fülöp-Miller hat in seiner fesselnden Darstellung der Geschichte des Jesuitenordens eine Fülle solcher Begebenheiten und Aktivitäten der Jünger des Ignatius zusammengetragen. Sie zeigen zugleich, daß diese sich auch nicht scheuten, über Leichen zu gehen, wenn dies als Mittel zum höheren Zweck dienlich zu sein schien. - In dem >ABriess einer Wunderseltzsamen / mehr dann Sathanischen / Spinnenstubem, einem Flugblatt von 1620, wird wie in vielen anderen derartigen Pamphleten die Verteufelung der »Bubn / Jn jhren Vierek-

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kichten Kappn« hauptsächlich mit ihrer politisch-diplomatischen Tätigkeit in Verbindung gebracht: »Jndem sie grosse Potentaten Durch Practicken / Teufflische Thatn / Sampt jhren Gattern / Landt vnd Leut / Auch vmb jhr Heyl vnd Seligkeit Bringen durch jhre Heucheley / Recht Spitzfindige Bfiberey. Kein erger Gifft in einer Spinn Man findet als in jhrem Sinn.« (I Harms, S. 279)

Dann werden stichwortartig nur die Ländernamen aufgezählt: Schon dies reichte, um den Zeitgenossen die diplomatischen (Un-)Taten der verhaßten »Römlinge« in Erinnerung zu rufen. - Dieser politischdiplomatische Einsatz der Jesuiten setzte deren positive Haltung zum Staat, zur Rolle des Fürsten und zum Krieg als legitimem Mittel christlich-katholischer Politik voraus. Der Staat war für sie nicht nur - wie für Luther (vgl. Bd. I, S. 202ff.) - ein von Gott zur Aufrechterhaltung der äußeren Ordnung für die vom Sündenfall gezeichneten Menschen geschaffenes Hilfs-Konstrukt, sondern »eine notwendige und an sich gute Form des Zusammenlebens« (III Valentin, S. 183). Diese legitimierte daher auch das Engagement für ein gerechtes Funktionieren des Staates, zumal der Mensch als »animal sociale« zu einem geordneten Leben bestimmt und auch von daher zu dessen Mitgestaltung verpflichtet war. Dabei hatten die Christen zwar einem legitimen Herrscher zu gehorchen, allerdings schlössen die Jesuiten eine Revolte gegen einen illegitimen Eroberer und die Beseitigung eines Tyrannen nicht aus (ebda., S. 184; vgl. III Fülöp-Miller, S. 489). Der kurbayerische Hofprediger Jeremias DREXEL S. J. (1581-1638), der erfolgreichste katholische Erbauungsschriftsteller in der Epoche des Konfessionalismus (vgl. III Breuer 1979, S. 122ff.), entwickelte und propagierte ein Frömmigkeitsideal, das Loyolas Idee von der absoluten Ergebung in Gottes Willen im Kontext eines absolutistischen Gottesbildes auf den Herrscher als dessen Ebenbild transformierte und damit das jesuitische Frömmigkeitsideal mit den Erfordernissen der frühabsolutistischen Staatsreform in Übereinstimmung brachte (ebda., S. 130). Im Gegensatz zu den rein weltlichen macchiavellistischen Staatstheorien bemühten sich die Jesuiten aber darum, die Priorität der Religion im Bereich von Lebenswandel und Politik der Fürsten theoretisch und praktisch aufrechtzuerhalten (vgl. III Valentin, S. 186ff.), doch waren sie um dieses Ziels willen auch immer wieder zu ideologischen Zugeständnissen an die politischen Interessen genötigt.

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II. Glaubensstreit und neue Frömmigkeit

Kompromißlos traten sie dagegen für den Krieg gegen die protestantischen Ketzer ein: Luther, der mit seinen verfänglichen Freiheitsund Zweireiche-Lehren bereits den Bauernkrieg heraufbeschworen habe (vgl. dazu Bd. I, S. 226f.), sei auch für den böhmischen Aufstand (als Auslöser des Dreißigjährigen Krieges) verantwortlich. »Dieweil sie dann«, erklärte Jakob Keller 1621 mit Blick auf Friedrich V. von der Pfalz (1596-1632), den ketzerischen »Winterkönig«, »die erste im Harnisch und zur Wöhr gegriffen / hat man billiche ursach gewunnen sich wider dieselben / zusetzen / und gleichfalls gegen jhnen zuverfahren« (zit. in III Valentin, S. 189). So haben die Jesuiten - vor allem als Beichtväter an den katholischen Residenzen bis hinauf zum Kaiserhof - den politischen Ablauf des Dreißigjährigen Krieges maßgeblich mitbestimmt (vgl. III Fülöp-Miller, S. 544ff.). Auch das scharfe Restitutionsedikt von 1629, mit dem Kaiser Ferdinand II. (1578-1637) nach den erfolgreichen Feldzügen Wallensteins (1583-1634) und Tillys (15591632) die Rückgabe aller von den Protestanten seit 1552 eingezogenen Stifte und Kirchengüter anbefahl, kam unter Einfluß seines jesuitischen Beichtvaters Lamormaini zustande (ebda., S. 547). - Indessen reizte gerade dieses Edikt die Protestanten zum äußersten Widerstand und führte zum schwedischen Eingreifen unter Gustav II. Adolf (1594-1632) (vgl. III Schormann 1985, S. 43ff.). Auch bei der Kriegspropaganda mischten die Patres eifrig mit: von der panegyrischen Verherrlichung der Heerführer - vor allem durch Jakob Bälde (1604-1668), den bedeutendsten neulateinischen Poeten des Ordens - bis zu anonymen Pamphleten, Liedern und Flugblättern zu Einzelereignissen des Kriegsverlaufs, - und entsprechend wurde der »esauitischen rott« auf protestantischen Blättern heimgezahlt: Als Kriegstreiber stellte man sie dar, und auf einem Flugblatt von 1620 bildete man die >Insignia Iesvitarvm< als >Aller Jesuiten oder Esauiten rechtes / eigentliches vnd Naturliches / mit Schildt vnd Helm geziertes Wapen< ab, das aus lauter auf einer Kanone montiertem Kriegsgerät bestand, weil sie »Groß lust haben zu grossem brandt / Zu verbrennen DOrffer / Statt vnd Land . . . Mit Droschflegeln / Buchsn vnd Hellpartn / Dem Evangelic auffzwartn« (I Harms, S. 281; vgl. Abb. 9. Auch in: I Scheible, S. 125). Schwerpunkte dieser rabiaten publizistischen Waffengänge waren dabei der böhmische Aufstand, die Ereignisse um den »Winterkönig«, die Personen und Taten der Heerführer, insbesondere Tillys und Gustav Adolfs, die Zerstörung Magdeburgs (1631; vgl. Bd. I, S. 140), schließlich der Friedensschluß von 1648, den die Protestanten fast einhellig bejubelten (vgl. III van Ingen 1985, S. 254ff.), die Jesuiten indessen wegen der mit ihm verbundenen Schwächung der kaiserlichen und katholischen Position für verhängnisvoll

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1) Die Erneuerung des Katholizismus INSIGNIA IESVJTARVM. M if I

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Abb. 9

hielten und zu untergraben versuchten (vgl. III Valentin, S. 190). Nach dem Friedensschluß von Münster und Osnabrück verschärften sie noch ihre Rekatholisierungsbemühungen - Schlesien war davon besonders betroffen (vgl. Bde. III und IV) - und offerierten den Protestanten gleichzeitig Friedens- und Wiedervereinigungsvorschläge, die indessen alle auf eine vollständige Reintegration der Ketzer in den Schoß der alleinseligmachenden Katholischen Kirche hinausliefen (vgl. III Valentin, S. 191 ff.). Eine in unserem Zusammenhang noch wichtigere Rolle spielten die Patres auf einem anderen Feld: »Weiter auß allen Orden vnd Ständt / Sie notigen jhr Schulr zu werden / So können sie bald auff der Erden Alls vnder sich bringen ins gemein / Weil es all jhr Discipel sein.« (I Harms, S. 515)

Tatsächlich brachten die rastlosen Gefolgsleute des Ignatius als Lehrer und Universitätsgelehrte innerhalb weniger Jahrzehnte das katholische

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II. Glaubensstreit und neue Frömmigkeit

Erziehungs- und Bildungswesen zu einer weithin bewunderten und von der protestantischen Konkurrenz mit Recht wegen seiner Erfolge gefürchteten Blüte (vgl. dazu III Barner, S. 321 ff.). Die genannten fünf katholischen Universitäts-Neugründungen Dillingen, Paderborn, Molsheim (zum Bistum Straßburg gehörig), Osnabrück und Bamberg waren Jesuitenuniversitäten, d. h. sie waren zwar von einem geistlichen Landesherrn und Mäzen gegründet worden, unterstanden aber dem ausschließlichen Einfluß der Gesellschaft Jesu (vgl. III Hengst, S. 164). Sie hatten sowohl architektonisch als auch curricular eine weitgehend einheitliche Konzeption und wirkten damit auch auf andere katholische Universitäten ein. 1648 waren Jesuiten als Lehrer an allen katholischen Universitäten (mit Ausnahme Salzburgs) vertreten (vgl. ebda., S. 53 und 163ff.). Nicht weniger berühmt und noch wirkungsmächtiger waren die allenthalben - vereinzelt sogar in protestantischen Gebieten wie in Breslau - aufblühenden Jesuitengymnasien, -kollegien und -akademien als Gegengewicht zu den protestantischen Gelehrtenschulen, die sich (u. a. als Ersatz für die Klosterschulen) nach den Instruktionen von Melanchthon und Johannes Sturm (1507-1589) teils als Fürsten- oder Landesschulen, teils auch als evangelische Gymnasien in den großen Städten etabliert hatten. Das Curriculum der Jesuitenkollegien suchte scholastisch-aristotelischen Geist mit modernem Denken, kirchlichen Glauben mit neuzeitlichem Wissen zu verbinden. In drei Hauptstufen folgten auf die > Grammatik < mit dem Erlernen der lateinischen Sprache die >RhetorikDialektikTheodizee< denn

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auch den Pater Spee als Verfasser der >Cautio criminalis< öffentlich bekannt machte (vgl. II, S. 160). Im Bereich von Wissenschaft und Kunst also strahlte ein Glanz von diesem Orden aus, der sein Echo ebenfalls in der Publizistik der Zeit fand: »Die Jesuiter haben sich Versehen gar fürsichtiglich Mit Tugenden vnd guter Lehr / Darinnen sie sich üben sehr / Sie sind gelehrt vnd ihr Studiern Muß man gar hochlich commendirn / Und billich rühmen jhre Kunst / Darvon sie haben Ehr vnd Gunst.« (II Ammann, S. X i v)

Das Motiv, die Überlegenheit des Katholizismus zu erweisen, leitete die Jesuiten ebenfalls bei der Berücksichtigung humanistischen Gedankenguts in ihrer Bildungskonzeption. Auch damit machten sie sich erfolgreich zu interessanten Gesprächspartnern für die protestantischen Gelehrten, welche zentrale humanistische Ideen mit Luthers Weltbild nicht in Einklang zu bringen vermochten (vgl. dazu Bd. I, S. lOOff.). Die Patres dagegen verfochten vehement die erasmisch-humanistische These vom freien Willen und schöpften dabei den vom Tridentinum gewährten Auslegungsspielraum voll aus. Bellarmin lehrte, die göttliche Gnade sei zwar nötig, aber sie werde nur dadurch wirksam, daß der Mensch sie auch ergreife; das Entscheidende sei also dessen Werk (vgl. III FülöpMiller, S. 161). Noch stärker betonte der portugiesische Jesuit Luis de Molina (1535-1600) die Bedeutung des freien Willens, indem er erklärte, der Mensch vermöge sich mit seinem Willen immer wieder der göttlichen Gnade geradezu zu widersetzen und diese damit faktisch wirkungslos zu machen. Obwohl sich in der Gesellschaft selbst Bedenken gegen diesen »Molinismus« regten, verteidigte sie ihn doch aus Solidarität gegen die Angriffe der Dominikaner (ebda., S. 162ff.). Hierin wird zugleich das fundamentale jesuitische Interesse erkennbar, den Menschen vor eine wirklich freie Wahl und damit im Zuge der Missionierung in eine existenzielle Entscheidungssituation zu stellen und von dieser tatsächlich ewiges Heil oder ewige Verdammnis abhängig zu machen. Die ganze Wucht und Energie, der rhetorische Aufwand und inszenatorische Pomp des Jesuitentheaters zielten auf diesen Scopus (vgl. III Rädle). Die hohe Poesie sollte ebenso vor solche Wahl stellen wie die geistlichen Volksgesänge im Rahmen der Katechese. - Aus der Anerkennung des freien Willens folgte auch die Respektierung und Pflege der Individualität. Diese tangierte freilich nicht die strenge Gehorsamspflicht inner-

1) Die Erneuerung des Katholizismus

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halb des Ordens - denn deren Wert bestand gerade darin, daß sie nach langer Bedenkzeit aus freiem Willen und damit aus Überzeugung geleistet wurde -, aber die Oberen bemühten sich doch, bei der Verfolgung der Ordensziele jedes Mitglied nach seinen besten Fähigkeiten zum Einsatz zu bringen. Allerdings hatten die Jesuiten dem Humanismus in ihrem Bildungssystem auch wiederum enge Grenzen gesetzt. Denn die Ansicht, er sei für die Verbreitung (wenn nicht gar für die Entstehung) der Ketzerei mitverantwortlich, fand Anhänger unter den Patres und führte (wie im Protestantismus Melanchthonscher Prägung auch; vgl. Bd. I, S. 138ff.) zu einer engen Kanon-Bildung und einer rigiden Eliminierung alles moralisch Anstößigen und Heidnischen aus den Schriften der für den Lehrbetrieb ausgewählten antiken Autoren (vor allem Cicero, Vergil und Horaz; vgl. III Valentin, S. 196f.). Ferner waren der methodische Schematismus des Unterrichts und die strenge Zucht auf den Jesuitenanstalten dem humanistischen Geist wenig förderlich. Insgesamt, so resümiert Valentin mit Recht, »war selbst das Sich-Einsetzen der Jesuiten für die Musen von dem Versuch nicht zu trennen, die in der humanistischen Bewegung spürbaren Tendenzen zur Verselbständigung der Literatur rückgängig zu machen bzw. zugunsten der Kirche zu kanalisieren und was aufs gleiche hinauslief - die Protestanten (d. h. die Lutheraner) in Hinsicht auf die Indienstnahme der Literatur zu konfessionellen Zwekken zu schlagen.« (III, S. 202) Neben »hoher« Politik und Bildungswesen ist noch ein dritter großer Bereich jesuitischer Wirksamkeit von Belang: Als die Katholische Kirche um die Wende zum 17. Jahrhundert in Deutschland von der Bemühung um Einzel-Konversion hochgestellter und einflußreicher Personen zur breit angelegten Volksmissionierung überging, betätigte sich die Gesellschaft auch hier an vorderster Front und mit beträchtlichem Erfolg. Klug und lernfähig hatten die Patres schnell begriffen, welch überragende Bedeutung der Landessprache für den Erfolg der Reformation beizumessen war, und obgleich sie selbst in ihren poetischen und gelehrten Werken sowie auf ihren Schulen am Latein als verbindlicher Verkehrssprache festhielten, wandten sie sich alsbald selbst mit einer Vielzahl deutschsprachiger Schriften - von Übersetzungen bis zu Flugschriften für den gemeinen Mann - an die Öffentlichkeit, allen voran Petrus CANISIUS (1521-1597), der mit verschiedenen lateinischen und deutschen Katechismus-Versionen (als Konkurrenz zu Luthers populären Katechismen) bis ins 18. Jahrhundert hinein als »der Canisi« eine ungeheure Verbreitung im katholischen Deutschland erlangte (allein sein >Parvus Catechismus Catholicorumwirklichen Entscheidungsort im Kampf um die Seelen sein! Auf dem »Welttheater« (vgl. dazu III Barner, S. 86ff.) war deshalb auch grundsätzlich die »simulatio« erlaubt (vgl. II Graciän, S. 13ff., u. ö.). Die Flugblattpolemik ließ sich diese jesuitische Lehre und Eigentümlichkeit natürlich nicht entgehen und illustrierte sie u. a. sinnenfällig mit einem zuvor schon auf den Papst angewandten - Klappbild, bei dem man das ehrwürdig dreinblickende Haupt eines knieenden Jesuitenpaters aufklappen konnte, um darunter einen Hundekopf zu erblicken. In Anspielung auf verschiedene, am Rand gedruckte Bibelstellen heißt es im Text dazu u. a.: »Jn Schaffskleidern gehn sie herein / Jm Hertzen rechte WOlff sie seyn / Der Jesuiter schwartzer Ordn / Jst gantz hundisch vnd mordrisch wordn« (I Harms, S. 517). Im Blick auf den Säkularisierungsprozeß ist die jesuitische »simulatio« in zweifacher Hinsicht bedeutsam: Zum einen hat sie - ähnlich wie die protestantischen Auslegungen des göttlichen Willkür-Willens (vgl. Kap. l i b ) - zur Irritation über kirchliche Moralmaximen und damit zur Umorientierung an verläßlicheren naturrechtlichen Verhaltensweisen beigetragen, zum anderen hat sie den Säkularisierungsprozeß selbst unmittelbar gefördert, indem ein Mitglied des Ordens, nämlich Baltasar Graciän (1601-1658) in seinem wirkungsmächtigen >Oräculo manual y arte de prudencia< (1647) eben diese Verstellung als wesentlichen Bestandteil einer »Kunst der Weltklugheit« im Umkreis der höfischen

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Kultur empfahl: Kein Geringerer als Christian Thomasius (1655-1728), der »Vater der deutschen Aufklärung«, eröffnete sein deutsches Vorlesungsprogramm eben mit einem >Discours< über Graciäns >Kunst der WeltklugheiK (1687) und sah in ihr eine Strategie des Willens, »der eine vergnügliche und dem gemeinen wesen nützliche Lebens-Art einer verdrießlichen und pedantischen vorziehet« (II, S. 17f.), wobei er unter letzterer ausdrücklich die kirchlich-orthodoxe verstanden wissen wollte. Bei Thomasius wird die »simulatio« zum willkommenen Instrument, um bei prätendierter Harmonie mit der Kirche das Recht auf ein glückliches, nicht mehr von der Theologie bestimmtes Leben im Diesseits zu propagieren. Was den Jesuiten als Mittel galt, um eine sich von der alleinseligmachenden Kirche entfernende Welt wieder an diese zurückzubinden, wird von letzterer nun umgekehrt als nützliche Tarnkappe der Emanzipation aus der kirchlichen Obhut genutzt. c) »Heut Ja / Morgen Nein / war deß Luthers Latein«: Altgläubige Ketzerschelte (Nas, Spee, Kedd) Die katholische Polemik, in der Reformationszeit wenig erfolgreich (vgl. Bd. I, S. 169ff.), verschaffte sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mehr und mehr Gehör (vgl. auch III Klaiber). Dabei blieb die Flugblatt- und Flugschriftenliteratur Hauptträger der gereimten Kontroversliteratur. Die dogmatischen Differenzen, über welche sich die Gelehrten stritten - über die Christologie, das Sakraments-, Schrift- und Traditionsverständnis, die Prädestinations- und Rechtfertigungslehre, den Kirchenbegriff sowie über Kultus und Ethik (vgl. III Kemper 1985, S. 146ff.) -, ließen sich auf dem begrenzten Raum der »fliegenden Blätter« kaum in gebührender Differenziertheit darstellen und vermutlich auch nicht wirksam genug an den gemeinen Mann »verkaufen«. Jedenfalls ergingen sich diese Pamphlete zumeist in der bloßen Polemik, die mit plakativen Formen und Inhalten den konfessionellen Gegner verspotten und ächten, ängstigen und einschüchtern, beim eigenen Anhang dagegen bestehende Vorurteile bestätigen und bestärken wollte. Diese Blätter trieben so den Konfessionalisierungsprozeß unermüdlich und an vorderster publizistischer Front mit hoher Breitenwirkung voran. Erst die Kenntnis von Quellen dieser Mach-Art verschafft einen Einblick in das Ausmaß konfessioneller Aggression und Entfremdung in der Zeit des Konfessionalismus und vermittelt zugleich eine Ahnung von der Schwere der Aufgabe, zwischen diesen sich wechselseitig verteufelnden Konfessionen Toleranz zu entfalten oder gar Versöhnung zu stiften!

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Der Franziskanerpater Johannes NAS (1534-1590, ein Jesuitenzögling und -gegner zugleich, Weihbischof in Brixen), der zu den eifrigsten und angefeindetsten altgläubigen Konfessionspolemikern seiner Zeit gehörte (>CenturienFischerey deren Newen ApostlenCom-

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mentaria de actis et scriptis Martini Lutheri< von 1549 die bis in die Moderne gültigen Grundlagen des katholischen Luther-Bildes geschaffen: »Luther kann kein Gesandter Gottes sein, da ihn keine Wunder auszeichnen. Er war vielmehr ein falscher Prophet, ein sündhafter, epikureischer und unmoralischer Mensch, den der Neid zu seinem Angriff auf den Ablaßhandel getrieben hat. Zu seinen Lasten geht die Kirchenspaltung. Seine Lehre ist ketzerisch und widersprüchlich, seine Bibelübersetzung eine bewußte Verfälschung des Gotteswortes. Außerdem stand Luther in Kontakt mit dem Teufel, er war ein Türkenfreund und hat Unruhe und Aufruhr verursacht. Nach seinem Tod wurde Luther auf ewig verdammt.« (III Kastner, S. 240)

Einige Beispiele mögen die polemische Umsetzung dieser katholischen Anti-Luther-Propaganda illustrieren. So mußte der Reformator wegen der Widersprüchlichkeit seiner Theologie auch als Hauptverursacher für die Zerstrittenheit seines Lagers herhalten - wie in der Allegorie von Nas' illustriertem Flugblatt >Sihe wie das ellendt Lutherthumb / durch seine eigne Verfechter / gemartert / anatomiert / gemetzget / zerhackt / zerschnitten /gesotten / gebraten / vnd letzlich gantz auffgefressen wirdt< (1568; vgl. I Harms, S. 32ff.). Darin beerbt der Verfasser sowohl ein lateinisches Flugblatt aus der Feder des Jesuiten Jacob Vitellius (d. i. Vitus Jacobaeus, gest. 1568) mit dem Titel >Anatomia M. Lutheri< (vgl. ebda., S. 62) als auch die Einkleidung der Handlung: Die Darstellung eines Traums, in dem die Personifikation der Kirche als alte, von Calvinisten und Lutheranern vertriebene Frau begegnet, stammt von Hans Sachs (vgl. dessen Gedicht >Die gemartert Theologia« ©trafftnldußgang £nt$crff$fr |$»crm«rn>/to j iV«»T·* f Abb. 10

des Kannibalismus kontaminiert wird (vgl. dazu III Bitterli, S. 25f.). Damit erscheint das sich selbst zerfleischende und verzehrende Luthertum in geschickter konnotativer Anbindung an bedeutsame zeitgeschichtliche Ereignisse als Ausgeburt des angstauslösenden Neuen, Fremden, Unheimlichen, weil zutiefst Un-Menschlichen, vor dem es in die sichere altvertraute Ordnung zurückzukehren gilt (vgl. dazu Bd. I, S. 170f.). Folgerichtig schließt denn auch der Text, der das Bild und die Freveltaten der prominenten kannibalischen Leichenfledderer genau beschreibt (»Sihe wie sie jhrem thewren Man / So billich geben seinen lohn / Caluinus ihm das Hertz absticht / Darzü Melanchthon wenig spricht / Dann er auch ist Caluinisch worn / . . . / Der Zwingel hawt jhm ab ein arm . . .« usw.), mit dem appellativen Anathema aus dem Munde des alten Kirchen- Weibes : »Darumb sie sein verworffen gar Mit aller Antichrist! schar /

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Ihr Affenwerck hat kein bestand / Des hab dir meine trew zfi pfand / Laß jhn ihr flaisch vnd blüt allein Halt bey der Kirchen allgemein / So einig ist darzü Catholisch Hailig / Romisch / Apostolisch / Die ist die rechte seül der warhait Die gemeynschafft hat der hailigkait / Von nun an biß in ewigkait.« (I Harms, S. 33)

Daß dieses Flugblatt die Lutheraner geschmerzt hat, geht u. a. aus Johann Fischarts Gegenpolemik hervor. Er überträgt das Bildmotiv von Nas in einem illustrierten Flugblatt auf >Der Barfüser Secten vnd Kuttenstreit, Anzuzaigen die Romisch ainigkait< (1570/71, gekürzt 1577) und attackiert damit die zahlreichen Abspaltungen und »Filialen« der Franziskaner (Minoriten, Observanten, Konventualen, Kapuziner, Repentiner usw.). Bild und Text zeigen, wie der heilige Franziscus »so scheuzlich würd zerrissen / Von seinen aignen Ordens = Leuten, / Die hin vnd her sein Regul deiten« (II H I, S. 411; vgl. Abb. 11. In: I Harms,

Abb. 11

S. 63). Nas selbst, im Vordergrund als »Nasch« deutlich gekennzeichnet, trägt freilich nur den Kot und den »angstschwais« des gepeinigten Ordensgründers davon (ebda., S. 415). Solche Replik kann freilich nicht verdecken, daß für Fischart in der Tat die Uneinigkeit im protestantischen Lager die größte Schwäche der neuen »Religion« war (vgl. Kap. II 3c).

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Mit einem anderen Flugblatt dürfte Nas kaum geringere Wirkung erzielt haben. Es zeigt auf dem Holzschnitt Luther im Gespräch mit einem Bauern und thematisiert damit die für die Lutheraner geradezu traumatische Erfahrung des Bauernkrieges, der das Ende der Reformation als einer vom gemeinen Mann getragenen Volks-Bewegung bedeutete (vgl. Bd. I, S. 227). Dieser Bauer nun liest im Text-Dialog dem scheinheilig-beschwichtigend und eigentlich nur als Stichwort-Geber auftretenden Reformator wortgewaltig und bäurisch-derb die Leviten; er bezichtigt ihn des Teufelspakts, was dieser ausdrücklich zugibt, und macht seine Prädikanten für den ganzen - u. a. im Bauernkrieg entstandenen Schaden und Umsturz durch Verweis auf das Luthersche Verständnis der Freiheit vom Gesetz verantwortlich: »Dann wie kündts Gottes wort doch heissen Die alten Gotsheüser zfireissen / Drauß machn new zollners speluncken Kaufläden platz vnd dantzboden / Die Kirchenguter sein auch hin Monstrantzn Kelch Klinodin / Die lugen wir für warheit horen Von predigkautzn so vns bethoren / Mfissn jn drumb weib vnd kind ernohren Sie lästern vnd schänden all geschieht So nicht von jhnen sein erdicht / Das betten habens abgethan Das flächen lernt yederman Die fasten ist in fraß verkert Gehorsam sein gilt auch nichts mehr Das macht der freyheit ketzer lehr.« (I Harms, S. 49).

Folge dieser »Freiheit« seien auch die innerprotestantischen Streitigkeiten (»Des zanckens ist bey euch kein zil«) und die ständigen dogmatischen Neuerungen (»All jar macht jhr die glauben new«). Gerade weil Luther durchaus das nationale Pathos »gegen Rom« beschworen hatte (vgl. Bd. I, S. 117f., 155ff.), mußte er sich den abschließenden exorzistischen Keulenhieb - als Dialogpartner längst verstummt - gefallen lassen: »Wer greiffts doch nit mit grossem schaden Das Teütschlant sey mit drüg beladen / Das kumpt ja als (= alles) auß deiner lehr Drumb heb dich weck vnd back dich fer Du loser Münch Sun Lucifer.« (I Harms, S. 49)

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Luther als Vaterlandsverräter und Teufelsbündler: das war die genaue Retourkutsche für die protestantische Dämonisierung des Papstes zum römischen »Antichrist«. Doch die katholische Propaganda zahlte den unermüdlich fortgesetzten lutherischen Schmähgedichten (z. B. »Dz Kappenfleisch darff han kein Weib, / So sucht er was er find fürn Leib, / Esel vnd Vih, Knaben vnd Mägdt: Ablaß vnd Meß es alls zudeckt«: I Wa III, S. 975) auch unterhalb der Gürtellinie unerbittlich mit gleicher Münze heim. Einen Höhepunkt in diesen Bemühungen stellte die Hundertjahrfeier der Reformation 1617 dar, welche die Protestanten - bezeichnenderweise angetrieben durch Friedrich V. (1596-1632), den reformierten Kurfürsten von der Pfalz und späteren »Winterkönig«, unter dem Druck der Gegenreformation als machtvolle - durchaus auch politisch gemeinte - Demonstration der Einheit der evangelischen Stände begingen und dabei die Interessengegensätze und Glaubensunterschiede im protestantischen Lager eher schlecht als recht zu kaschieren vermochten (die Lutheraner waren darüber verärgert, daß die Reformierten sich bei dieser Gelegenheit als Augsburger Konfessionsverwandte darzustellen suchten; vgl. dazu III Kastner, S. 23ff., 34ff., 103ff.). Während in den zahlreichen protestantischen Publikationen aus diesem Anlaß die Hagiographie Luthers - und partiell auch Melanchthons - wahre Triumphe feierte (vgl. ebda., S. 166ff., 249ff.), reagierte die katholische Propaganda mit dem Gegenbild des »Lutherus Diabolus« (ebda., S. 226ff.). Dazu war den zumeist anonymen, aber vermutlich hauptsächlich jesuitischen Verfassern kein Mittel zu schlecht. Zur erbarmungslosen moralischen Verunglimpfung des Reformators boten insbesondere aus dem Zusammenhang gerissene Äußerungen aus seinen Tischreden willkommene Belege. Symptomatisch hierfür ist ein Flugblatt (vgl. I Harms, S. 206), das eine scherzhaft gemeinte Äußerung Luthers aus dem Jahr 1540 und andere überlieferte Sentenzen - z. B. seinen anläßlich einer Ruhrepidemie 1532 in Wittenberg geäußerten Satz: »Wir essen vns zu todt, trinken, schlaffen, fasten(l), scheissen vns zu tod« (II WA Tr. II, Nr. 1781) - unter dem Anschein der Authentizität zu einem wahrhaft grobianischen Pasquill ver-wurstete (»Erhalt vns Herr bey deiner Wurst«: I Harms, S. 206; vgl. dazu III Kastner, S. 231 ff.): »Was wir erzehln mit kurczen werten, Find sich häuffig an Vilen Orten In Luthers Büchern hin vnd her. dem Bauch außwarten war sein Lehr; Sein Jubel hielt er in der Welt, die weit gar gern es mit ihm helt.

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Jn diesem Buch rechtschaffen steht, Was Luther sey für ein Prophet: Ein voller zapff, ein volle Sau, Ein Esel auß der Haller Tau. Vol vnzucht waren seine Nieren, wan die Frau nit wil, so kom die Diren (= Dirne, Magd). Wir, sagt er, Essen, trincken, Feisten Vnd füllen die Wampen biß wir kreisten. Wir scheissen, fartzen(!) vns zu Todn.« (I Harms, S. 206)

Wie die Bearbeitung des Schmähgedichts von Cordus auf den Papst (vgl. Bd. I, S. 167ff.) zielt umgekehrt auch dieses Pamphlet auf die mittels Abscheu und Ekel hervorgerufene vollständige emotionale Abkehr der Adressaten von Luther und damit von seiner Konfession. Diese Kampagne setzte sich noch über das Ende des Dreißigjährigen Krieges hinaus fort. So veröffentlichte der umtriebige und rumorige Jesuit Jodocus Kedd (1597-1675), der zusammen mit seinem Confrater Lorenz Forer (1580-1659) von der Ingolstädter Hochburg der Societas Jesu aus als einer der »Spezialisten für unflätiges Geschimpfe« tätig war (III Fülöp-Miller, S. 535), noch sechs Jahre nach dem Westfälischen Frieden im Zuge der verstärkten Rekatholisierungskampagne des Ordens ein für den Regensburger Reichstag bestimmtes, mit Zitaten aus Luthers Werken gespicktes Pamphlet, in dem er diesen als von acht bösen Geistern besessen schildert, wovon der »in Fleischlicher Wollust brennende Geist« den Reformator und »sein verloffne Nonne« am meisten heimgesucht habe. Und an dem Rand seiner Bibel habe man bei den Sprüchen Salomos 31, l Of f. den Vers gefunden: »Nichts Liebers ist auff Erden / Alß Frawen Lieb wems kan werden« (II, S. 22f.). So geist-los diese Angriffe heute wirken, so sehr zeigten sie damals Wirkung. Während sich die »der vngeänderten Augspurgischen Confession zugethanen Fürsten / Grafen vnd Herrn« auf dem Reichstag 1654 über das Theologengezänk und insbesondere auch über die Polemik von Kedd beschwerten (II Anon. >SendschreibenGründtliche Vrsachen vnd Motiven, Warumb er Von dem Lutherthumb abgetretten, Vnd sich zu der Catholischen Kyrchen bekennet hat< die »Leichtsinnigkeit vnnd Vnschamhafftigkeit« sowie die »höchste Vnbeständigkeit deß Vrhebers Lutheri« neben der Neuigkeit der Lehre und der willkürlichen Schriftauslegung als Hauptgrund für seinen Glaubenswechsel angeführt. Und mit Nachdruck beklagte er, daß »man ins Gemein keine Tuget übet, noch wie man sie üben soll, vnderwisen wird.« Dies Bekenntnis löste eine ausgedehnte Fehde mit den Lutheranern aus und nötigte Schefflers Feder bis zu seinem Todesjahr (1677) nicht weniger als 55 kontroverstheologische Schriften ab (vgl. dazu Bd.III).

Solcher Polemik nach außen korrespondierte ein umfangreiches katechetisches Schrifttum nach innen, welches sich - über den engen kirchlich-kerygmatischen Bereich hinaus - »der Ausbildung und weiteren Ermahnung der Bekehrten im Hinblick auf das neue Leben, das sie führen sollten« (I AKD, S. 5), widmete. Hierbei spielte die polemische Abgrenzung gegenüber den Protestanten ebenfalls eine bedeutsame Rolle. Die katholischen Katechismen, die verbreitetste Gattung innerhalb dieses Schrifttums, waren ja als Kampfwaffe zu dem Zweck entstanden. Im »Canisi«, dem populärsten Werk dieser Art (vgl. Kap. II l b), hieß bereits die erste Frage: »Wer ist und soll ein Christ genannt werden?« Die von den Kindern zu lernende Antwort lautete: »Der nach empfangnem Tauff die hailsame lehr Jesu Christi, des wahren Gottes und Menschen, in seiner kirchen und versamlung bekennt, und nit anhanget einichen secten, Spaltungen, oder irrigen lehr, so wider die Christliche lehr und Catholische Kirch streben« (I Moufang, S. 561; ebda., S. 614). Dann hatten die Kinder bei der Frage: »Welche sein ausserhalb der Christlichen kirchen?« die »ungläubigen« (also die Ungetauften, »Juden, Türcken, Mamalucken«) von den »Ketzern vnd abtrinnigen« zu unterscheiden, »welche nach empfangnem Tauff unchristlich irren, ihren wahren glauben mit irrthumb, falscher lehr oder ketzerey verfelschen und änderst glauben, dann der allgemeinen Christlichen kirchen glaub inhelt« (ebda., S. 567). Nach der Belehrung darüber, daß diese alle »dem zorn Gottes, dem Teufel und dem ewigen tod zugleich unterworffen« seien, erteilte Canisius folgende Anweisung für das katholische Sozialverhalten: »sollen auch von Catholischen billich alle gemeydet, sonderlich aber die ketzer und schismatici als eine schädliche pestilentz geflohen und geschewet werden, wie auch Christus lehret: So jemand die Kirchen nit höret, der soll von dir als ein Haid und publican gehalten werden.« (Ebda., S. 568)

1) Die Erneuerung des Katholizismus

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Bei der katechetischen Sozialisation spielte ferner das von einigen Orden - vor allem den Jesuiten und Franziskanern - entwickelte geistliche Volkslied eine wichtige Rolle (vgl. Bd. I, S. 54f.). Hier fehlte es ebenfalls nicht an Verdammungsurteilen über die Ketzerei und an Gebeten zu deren Ausrottung (vgl. dazu I Bäumker II, S. 295ff.). So auch im folgenden >Beschluß der Kinderlehr< Friedrich von SPEES (1591-1635) - eine Retourkutsche auf Luthers >Kinderlied< »ERhalt vns HERR bey deinem Wort / Vnd steur des Bapsts vnd Turcken Mord« (vgl. Bd. I, S. 182f.): »O Gott! wollest außreuten Jrrthumb vnd Ketzerey / Damit bey allen Leuten Der Glaub ohn Jrrthumb sey: Den Glauben helff vermehren Auff Erden weit vnd breit / Daß alle dich recht ehren / Nun vnd in Ewigkeit. Kyrie / Eleyson.« (II Spec AGL, S. 155)

Die rabiate Verurteilung der Ketzerei diente zugleich als probates katechetisches Mittel der Ermahnung zur Frömmigkeit an die Adresse der Rechtgläubigen: »SChäm dich: schlm dich du fauler Christ / Der du so faul im guten bist / Merck hie der Ketzer List. Die dir das Gifft geblasen ein / Man könn ohn Werck wol selig sein. Der werckloß Glaub am Jüngsten tag / Wird fahren in die Hollisch Plag / Mit Blitz vnd Donnerschlag: Der werckreich Glaub zu seinem Lohn Empfangen wird die Himlisch Krön.« (Ebda., S.128f.)

Neuerdings erst hat man Spee auf Grund von insgesamt überzeugenden Kriterien als Verfasser von rund 60 geistlichen Liedern ermittelt, die er zwischen 1616 und 1622 geschrieben haben dürfte und die - wie bei dieser an den Laien adressierten Gattung des katholischen Volksgesangs im Unterschied zum Luthertum üblich - anonym erschienen sind, und zwar in vier verschiedenen Liedersammlungen in Köln und Würzburg (1621 und 1622; vgl. 11.82 Härting, S. 27ff.; vermutlich hat Spee auch in den nachfolgenden Jahren Lieder verfaßt; vgl. dazu 11.82 Oorschot 1984, S. 160ff.). An seinen Liedern und an seinem missionarischen Wirken läßt sich die jesuitische Doppelstrategie der Polemik und der - von den

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II. Glaubensstreit und neue Frömmigkeit

Protestanten noch mehr gefürchteten - »Umarmung« exemplarisch ablesen. Zu letzterer hatte das Tridentinum mit seiner »kompromißlerischen« Rechtfertigungslehre Raum gelassen (vgl. Kap. II l a). Wie sich dies in ein anonymes Lied umsetzen ließ, das sich während der Missionsarbeit in protestantischen Gebieten auch an die Ketzer als Adressaten richten konnte, mag das folgende Beispiel >Von Glauben vnd guten Wercken< zeigen. Die Eingangsstrophe hätten Lutheraner und Calvinisten aus voller Überzeugung als ihr ureigenes Glaubensbekenntnis mitsingen können: »DAs wahre Heyl vnd allen Trost / Vns Christus hat erworben / Der vns durch seinen Todt erlost / Für vns am Creutz gestorben / Er ist furwar der Mitler gut / Der vns erloßt mit seinem Blut / Das wir nicht sein verdorben.« (II Spec AGL, S. 131)

Die zweite Strophe fragt dann aber, woher es denn komme, daß trotz der Tat Christi noch so viele ins »ewige Verderben« gehen. Die dritte gibt die Antwort: »Ach Gott das thut die Ketzerey / Dauon die Lehr geboren / Daß nichts / nur Glaub vonnothen sey / Wer glaub sey außerkoren: Werck hin / Werck her; Werck auff / Werck ab / Wer nur den blossen Glauben hab / Der konn nicht sein verloren.« (Ebda., S. 132)

Die vierte Strophe behauptet dann, gerade aus dieser Lehre erwüchsen »täglich mehr vnd mehr / Die Laster / Sund / vnd Schanden«: »Ist niemandt der die Tugendt acht / Wo Glaub alleine selig macht / Kein Zucht ist da vorhanden.« (Ebda.)

Dies ist noch keine Widerlegung der ketzerischen Position, deshalb betont Spee anschließend, daß »Zur Seligkeit mehr nothig ist / Als dir die Ketzer liegen (= lügen)«, nämlich eben die »Zucht« als eine selbständig zu erbringende, ja immer wieder zu erringende Leistung des Gläubigen: »Du vmb die Krön must kriegen« (ebda.). Die sechste Strophe legt den Finger auf die entscheidende Wunde insbesondere der Lutherschen Position: Kein Lutheraner hätte bezweifelt, daß ein »Christlich Leben« als

1) Die Erneuerung des Katholizismus

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Ausdruck und Folge des Glaubens zu führen sei; aber daß Gott dieses als Heilsvoraussetzung fordere, mußte er bestreiten. Genau in diesem Sinne aber prononciert Canisius in seinem >Kleinen Catechismus< die Antwort auf die Frage »Warzu nutzen und dienen uns die guten Werck?«:»Auß den guten Wercken, und nit auß dem Glauben allein, wirdt der Mensch gerechtfertiget, und erlanget die Cron der Gerechtigkeit.« (I Moufang, S. 621) So geradeheraus formuliert Spee nun aber bezeichnenderweise nicht. Vielmehr spitzt er das Problem auf die These zu, daß einer, der glaubt, aber nicht danach lebt, dem ewigen Verhängnis anheimfällt. Über dieser »Gretchenfrage« kam es tatsächlich innerhalb des Luthertums immer wieder zu erbitterten Auseinandersetzungen (vgl. Bd. I, S. 205ff.). Wenn das »Christlich Leben« als Konsequenz des richtigen Glaubens anerkannt wurde, dann mußte auch der Umkehrschluß erlaubt sein, dann mußten fehlende »Früchte« des Glaubens auf mangelnde »fiducia« schließen lassen: »Ffirwar die Lieb gehort darzu / Vnd auch ein Christlich Leben / Man sag vnd sing / vnd was man thu / Gott fordert das darneben / Wer glaubt / vnd glaubt / vnd lebt nicht wol / Nur Sand vnd Schand vnd Laster vol / Der wird dem Teufel geben. Nun wiltu dann zum Himmelreich / Meid b6ß vnd thu das gute; Leb keinem falschen Ketzer gleich / Jn solchem Vbermuthe / Mit guten Wercken treib nicht spott / FOrcht Gott / lieb Gott / halt sein Gebott / Sonst hilfft nichts Christi Blute.« (AGL, S. 133)

Hatte Spee anfangs das Opfer Christi als »wahres Heil und allen Trost« für die Christen betont und damit das ganze Gewicht auf die »gratia praeveniens« des göttlichen Heilshandelns gelegt, so besagt der Schlußvers des Liedes demgegenüber, daß ohne Zustimmung, ohne (im freien Willen des Menschen gründende) ethische Anstrengung das Opfer Christi umsonst erbracht sei. Und dies ließ sich sogar noch mit der extrem molinistischen Position vereinbaren! Zugleich hatte er in der entscheidenden »Wunde« der Lutheraner gewühlt, ihre dogmatische Schwäche aufgedeckt und deren Position doch von Anfang an in die eigene katholische integriert, die sich somit als die überlegene erweisen sollte: eine überzeugende Kostprobe jesuitischer Missionierungskunst.

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II. Glaubensstreit und neue Frömmigkeit

Daß Spee aber dem protestantischen Rechtfertigungsverständnis tatsächlich möglichst weit entgegenzukommen trachtete, zeigt seine Erbauungsschrift >Güldenes Tugend-BuchGeistlichen Übungen< des Ordensgründers Ignatius von Loyola die drei christlichen Haupttugenden in der Reihenfolge Glaube, Hoffnung, Liebe einzuüben strebte (vgl. 11.82 Kemper 1984). Der Sache nach subsumiert Spee hier den lutherischen Glaubensbegriff der »fiducia« oder Zuversicht seinem Begriff der »spes« - deutlich in der ständigen Kontamination von »hoffen und vertrauen« (vgl. II Spee GTB, S. 162). Die Hoffnung ist »fiducia« auf Gottes »vberschwenckliche barmhertzigkeit« (ebda., S. 145), von der angesichts der menschlichen Schwachheit alle Hilfe zu erwarten ist (vgl. ebda., S. 152ff.). Und in einem von den Zensoren bezeichnenderweise ganz gestrichenen Kapitel steigert sich Spee zu der Aussage, jene kämen in das Fegefeuer, die entweder der grund-losen Güte Gottes mißtraut oder den eigenen Werken zuviel zugetraut hätten. So rät er der Seele: »Du soltest auch mit nichten auff deine werck gedencken, ob du solche gnad verdienet habest oder nicht; sondern dich nur bloßlich vnd pur lauter auff Gottes freygebigkeit vnd blut Christi verlassen: dann es ja kein kinderspil ist, das Gott für dich gestorben ist.« (Ebda., S. 160) Freilich haftet für Spee der Tugend der Hoffnung noch das Odium eines egoistischen Begehrens an (vgl. ebda., S. 25ff.). Erst die wahre altruistische Gottes- und Nächstenliebe besitzt das Privileg, die Sünden auszutilgen und damit den Sünder zu rechtfertigen (ebda., S. 31). Doch wenn damit auch wiederum die eigene Liebes-»Leistung« zur Bedeutung gelangt und kompositorisch in diesem letzten und umfangreichsten Teil - umrahmt von Gotteslieb' und -lob (vgl. ebda., S. 278ff., 427ff.) - als Nächsten-, ja sogar als Feindesliebe im Zentrum steht (ebda., S. 350ff., 369ff.), so verbleibt am Ende doch die Aussage, daß »alle vnsere gute werck, ehr, lob vnd Gottesdienst« »das geringste nicht bey Gott verdienen könten«, sondern daß Gott solche Liebeswerke nur aus freiwillig geschenkter Gnade und »krafft der Verdiensten Christi« als »des ewigen lebens verdienstlich« annehme (ebda., S. 470). Bedenkt man, daß unter den Jesuiten auch ein »molinistischer« und »canisischer« Standpunkt möglich war, der zu einer schroffen Konfrontation mit den Protestanten führen mußte, dann wird man Spee attestieren müssen, daß er deren Kerndogma durch starke Betonung der »gratia praeveniens« voll Rechnung getragen zu haben glaubte. Einer konfessionellen Polemik vom Schlage seiner Ordensbrüder Forer und Kedd bleibt Spee denn auch fern. Nach innen grenzt er die katholische Glaubenslehre zwar gegen die »Ketzer« ab, nach außen aber sucht er deren Anliegen zu berücksichti-

l) Die Erneuerung des Katholizismus

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gen, um sie - an ihre Einsicht und ihren Willen appellierend - zurückzugewinnen. Gleichwohl darf man sich durch den vergleichsweise gemäßigten Ton in diesen Schriften nicht zu der Ansicht verleiten lassen, Spee sei ein »irenisch gesinnter Jesuit« (11.82 Haas, S. 131) oder ein »humaner Verfechter einer Una-Sancta« gewesen (11.82 Keller, S. 7). Mehrfach wurde er vom Orden zum Geschäft der Rekatholisierung eingesetzt, so auch nach dem Sieg der Truppen Tillys in Westfalen Ende 1627. Aus dieser Zeit sind Missionsbriefe aus seiner Feder an offenbar adlige Adressaten erhalten, in denen er leidenschaftlich, im Ton schon fast grob und aggressiv sowie in der Sache kompromißlos für die Katholische Kirche auf Seelenjagd geht. Den auf Einschüchterung bedachten Stil erklärt er selbst als Teil seiner Bekehrungsmethode: »Und da vileicht, ob meiner so gestrengen und starcken rhett Euer Edel Libden etwaß entsetzen, und ob einer so unhöflichen intrada schrecken mögten, so were doch solcheß eben daß waß ich beghere, ja were also diese meine unhöflichkeit die allerbeste höflichkeit, so ich zu erlangung meineß mir itz vorgestelten zwekß anwenden könde.« (Zit. in 11.82 Ritter, S. 174). Und dieser Zweck besteht darin, die Adressaten in die Glaubenskrisis zu führen, weil - so doziert er - »nur ein eintziger allein der recht glaub sei, alle andre aber falsch und unrecht seind« und »daß keiner könne selig werden, er habe dan den itz gemelten eintzigen rechten waren glauben, wer aber einen falschen irrigen hatt, eß sei gleich, welcher eß wolle, ist und bleibt in ewigkeit verdampt.« (Ebda., S. 176) Eine Una-Sancta war auch für diesen - in der Ketzerbekehrung offenbar sehr erfolgreichen - Jesuiten nur durch eine vollständige, bedingungslose Rückkehr der Protestanten in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche denkbar. d) »Eynbildung« der Frömmigkeit im Lied (Loyola - Spee, Templin, Schnüffis) Bei aller ungewöhnlichen Breitenwirkung der missionarischen und katechetischen Arbeit der Jesuiten, die wegen ihres Erfolgs auch von anderen Orden in vieler Hinsicht kopiert wurde, ist diese doch durch eine erstaunliche strukturelle Einheitlichkeit bestimmt. Dies liegt im wesentlichen daran, »daß alle vom Orden entwickelten Lehr- und Erziehungsverfahren, sowohl bei den Volksmissionen als auch im gymnasialen Unterricht, an den >Exercitia spiritualia< ausgerichtet worden waren« (IV Moser, S. 102). Ignatius von Loyola hatte mit seinen >Geistlichen Übungen< (1548) zwei Eigentümlichkeiten der katholischen Seelsorge vereinigt: zum einen die stärkere Anleitung zur praktischen Übung, zum

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II. Glaubensstreit und neue Frömmigkeit

Vollzug des frommen Verhaltens in der Gemeinschaft, zum anderen die extensive und zugleich systematische Inanspruchnahme der Phantasie. Seine in dürrem, trockenem Anweisungsstil verfaßten >Geistlichen Übungen< waren im Grunde kein Lese-Buch, vielmehr enthielten sie in vier auf jeweils eine Woche berechneten Abschnitten Instruktionen für den Exerzitienmeister, unter dessen Anleitung die Meditationen täglich abgeschieden vom Alltag und in einer kleinen Gruppe - stattfinden sollten. Dabei hatte der Übungsteilnehmer sich unter methodischer Inanspruchnahme aller seiner Sinne in einzelne Stationen des Lebens und der Passion Jesu so hineinzuversetzen, als habe er an ihnen unmittelbar als handelnde Person teilgenommen. Mit der »Schau der Einbildungskraft« wurde so nach rhetorischen Grundsätzen stets zuerst der Schauplatz der »Betrachtung« (»contemplacion«) erstellt, anschließend folgte die »Besinnung« (»meditation«) mit dem Ziel, die Liebe des Probanden zu Jesus zu entflammen, ihn zum »miles Christianus«, zum willensstarken Streiter gegen die Macht des Teufels in der Welt zu machen. Überall im Bereich der Frömmigkeit und der Katechese versuchten die Jesuiten, die sinnlich-imaginative Anschauung als Vehikel für die Affekterregung und damit für die Beeinflussung des Willens einzusetzen : bei den Sakralbauten und Prozessionen, bei Marien-, Heiligen- und Märtyrerkult, beim Theater und eben auch bei Poesie und Gesang. Anfangs gegen letzteren eingestellt, ließen sie sich schnell von der Bedeutung der Lieder für die reformatorische Bewegung überzeugen: Das Singen hatte eine gemeinschaftsbildende Funktion, die Lied-Form verhalf zu besseren Lernerfolgen in der Katechese und vermittelte eine erhöhte Anteilnahme am Lied-Inhalt (ebda., S. 78). Auch die Hauptthemen der von Jesuiten geschaffenen Gesänge folgten zunächst den >Exercitia spiritualia< und vergegenwärtigten die entscheidenden Phasen der Lebensund Leidensgeschichte Jesu durch jeweils genaue Ausmalung der Umstände und durch geschickte, die Identifizierung steigernde Einbeziehung der Lebenserfahrung der Adressaten, sie führten aber auch den Kampf der Seele mit dem Teufel vor Augen und malten in kräftigen Farben die künftigen Qualen der Verdammten und die Freuden der Seligen. Ein katechetisches Lied zum letzteren Themenbereich aus der Feder von SPEE mag dies illustrieren. Es handelt >An aller Seelen Tag. Von einer Seelen im FegfewrMeditation über die HölleAllerseelenfigurae patheticae< wie Apostrophe (direkte Anreden) und apostrophische Exclamationen, Anaphern, Repetitionen, Amplifikationen und Gradationen im Medium aller fünf »sensus« und unterstützt durch die Melodie als Mittel der Affekterregung. Doch war diese nur die erste Stufe, die den Menschen vom »Sehen« zum Urteil, wie es hier am Schluß als resümierender Appell formuliert wird, und schließlich (entsprechend dem aristotelischen Ternar; vgl. IV Moser, S. 86) zum Handeln führen sollte. Moser hat in seiner materialreichen Darstellung zur jesuitischen Liedpropaganda (freilich ohne Einbeziehung Specs) dieses Schema auch bei den anderen von den Patres bevorzugten Themen, vor allem der Marienund Heiligenverehrung nachgewiesen. Dabei formten sie das Bild einer Heiligen Familie zu einer Musterfamilie aus. Sich mit ihr zu vergleichen, sollte das Selbstwertgefühl der Gläubigen mindern und die Tugend der Demut fördern, welche die Patres in ihren Liedern priesen und welche die Einordnung in die Gemeinschaft förderte (vgl. IV Moser, S. 124ff.). Zugleich sollte die heilige Familie die Gläubigen aber auch in die ethische Pflicht nehmen und zur Mimesis anstacheln. So stellten die einzelnen Personen Vorbilder des häuslichen Lebens dar (Anna als Großmutter und Kinderwärterin, Maria als treusorgende Mutter und Hausfrau, Joseph als frommer und arbeitsamer Vater Jesu; vgl. ebda., S. 131 ff.; vgl. dazu auch I Bäumker IV, S. 185ff.). In diesem Sinne heißt es auch bei Spee in einem Lied >Von Sanct. Anna / Der Mutter MariaePleiade Lutherisch Lobwasser < von 1621 als »Vehikel für die Polemik gegen die katholische Kirche und als Mittel, Luthers Worttheologie, Rechtfertigungslehre und Obrigkeitsauffassung in kontroverstheologischer Form an den Mann zu bringen« (ebda., S. 679; vgl. dazu auch IV Schuhmacher, S. 79f.). Er ist ein Beispiel dafür, daß sich Paul Gerhardt mit seinen - gegen den Calvinismus gerichteten - Psalm-Adaptationen in vertrauten Bahnen lutherischer Polemik bewegte (vgl. Kap. II 5 b). - Während des 16. Jahrhunderts hat das Psalmlied im katholischen Raum kaum eine Bedeutung (vgl. IV Reich, S. 693ff.). Auch im nachfolgenden Säkulum sind nur zwei katholische Liedpsalter zu verzeichnen, einer aus der Feder des Jesuiten Albert Curtz von 1659, der aus seinen Übersetzungen an den gemeinen Mann gerichtete antiprotestantische Pamphlete zu machen suchte (vgl. ebda., S. 696ff.), und einer aus der Hand des Mainzer Erzbischofs und Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn, der seine Übertragungen von aller Polemik freihielt und in den Dienst seiner »konfessionellen Einigungsbestrebungen« stellte (ebda., S. 698ff.). b) »Trübsale« und ihre Überwindung als Zeichen der Erwähltheit Die Verbreitung des Lobwasser-Psalters und die »bibliokratische« LiedAuffassung des Calvinismus sind auch wichtige Faktoren für die Beant-

3) Calvinistische Frömmigkeit und Krisen-Bewährung

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wortung der Frage, warum in den Krisenjahrzehnten vor und nach 1600, als im Luthertum Erbauungsschrifttum und Liedschaffen zu einem breiten Strom anschwollen, der reformierte Teil des Protestantismus auf solche Trost- und Frömmigkeitsstimulantien weitgehend hat verzichten können. Dies allein reicht freilich zur Erklärung nicht aus. Wie also wurde im Calvinismus die Krisen-Erfahrung verarbeitet? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Literarische Texte - insonderheit Lieder lassen häufig nicht einmal ihre genaue konfessionelle Herkunft erkennen (ein Umstand, der auch Wackernagel veranlaßte, den Versuch einer Trennung des Liedguts nach lutherischen und reformierten Dichtern im ganzen »als unausführbar« aufzugeben: I Wa III, S. 491), geschweige daß sie den Prozeß der konfessionsspezifischen Konfliktbewältigung unmittelbar dokumentierten. Sie müssen daher stets im Kontext des jeweiligen Dogmenbestandes gelesen werden. Zur Illustration greife ich zunächst auf einen »andechtigen Gesang auf Sterbensleufte gerichtet« aus der Feder des Nassau-Dillenburgschen Leibmedicus und Physikprofessors Johann PINCIER (1556-1624) zurück. Dieses Lied verdankt seine Entstehung offenkundig einer Bedrohung durch die Pest. In Form eines Gebetes wendet es sich an die erste Person der Trinität. Die Frage in Strophe 2 und die folgende Antwort sind eine katechismushaft-schulmäßige Entfaltung rechter Bußgesinnung: »2. Warumb hat sich verkehrt dein angesicht? Warumb hastu auf vns dein pfeil gericht Vnd lest sie fliegen heimlich vnd geschwind Zu tag vnd zu nacht auf der menschen kind Durch die lüft, so dermassen jetzt verderbet, Daß ein mensch Schwachheit auf den ändern erbet? 3. Kein ander vrsach ist als vnser sünd, Damit wir gleichsam als boßhafte kind Dich, Vatter, gegen vns erzürnet han, Wie wir täglich zu thun nicht vnderlan: Darumb wir billich solche schwere zeiten Vnd pestilentz zur strafe von dir leiden.« (I F/T I, S. 229)

Es folgen zwei Strophen mit alttestamentlichen Beispielen über Gottes Zorn- und Straftaten, dann ein nochmaliges Büß- und Reuebekenntnis und der Appell: »Dein gütig angesicht, HErr, zu vns kehre / Vnd durch dein hülf all vnser trübsal wehre.« ( Ebda., S. 230) Die anschließende Strophe dokumentiert die medizinische Hilflosigkeit der Zeit; der Arzt Pincier zeigt sich als Anhänger der Theorie, daß bei der Pest »die korrupte Luft in konzentrierter Form von dem Kranken auf den Gesunden übertragen« werde (III Diepgen I, S. 240):

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II. Glaubensstreit und neue Frömmigkeit

»Erbarm dich vnd verleih vns die genad, Daß vns der luft vnreinigkeit nicht schad. Erfrische sie, mach sie wider gesund, Daß wir nicht ziehen an durch nas vnd mund Das gift der pest, dis leben zu verderben, Dadurch wir falln in Schwachheit vnd bald sterben.« (Ebda., S. 230)

All dies hätte auch in einem lutherischen Bußlied stehen können. Die Unterschiede werden bis hierher eher zwischen den Zeilen faßbar, zunächst beim Gottesbegriff. Dieser war bei den Reformierten - anders als bei den Lutheranern, für welche Liebe und Barmherzigkeit Haupteigenschaften Gottes waren (vgl. IV Kemper II, S. 243f.) - an der Gerechtigkeit Gottes als dessen entscheidendem Wesensmerkmal orientiert, aus welchem folgte, daß er keinen Ungehorsam duldete; vielmehr - so lehrte der Heidelberger Katechismus - »er zürnet schrecklich, beyde, vber angeborne und würckliche sunden / vnd wil sie auß gerechtem vrtheil zeitlich vnd ewig straffen« (I HK, S. 17f.). Deshalb aber hatte auch der Mensch kein Recht, sich über die ihm widerfahrenen Unbilden und Schicksalsschläge zu beklagen: Sie waren die ihm von Gott zugedachten verdienten Strafen. Von daher konnte und durfte es im Calvinismus keinerlei Selbstmitleid und auch keinen Leidensmasochismus geben, wie er sich als Teil einer zerknirschten Bußgesinnung im lutherischen Kirchenlied jener Zeit ausbreitete (vgl. Kap. II 4). Pinciers Lied enthält denn auch keine Leidensdarstellung, sondern nur eine relativ knappe Beschreibung der Unglücksursache. Auch über das Schicksal der Nächsten und Verwandten, ja sogar über das der eigenen Glaubensgemeinschaft als der Kirche Gottes sollte man - so der einflußreiche hugenottische Kontroverstheologe Petrus Molinaeus (d. i. Pierre du Moulin 1568-1658; u.a. 1593ff. Rhetorik-Professor in Leiden und Lehrer von Hugo Grotius) in seinem Erbauungsbuch >Kampffplatz der Kindern Gottes< - »nicht vbermässig wäinen«, weil »wir den schaden ärger machen / in deme wir die Hand immerdar auff den Wunden halten« (ebda., S. 220), und »wann wir Gott lieben / so werden wir die schmach / so seiner Ehr widerfahret / viel schmertzlicher empfinden / dann vnser eigene vngemach« (ebda., S. 221; zu analogen Argumentationen in lutherischen Leichenpredigten vgl. IV P.R. Blum, S. 118f.). In den Trübsalen, erklärt du Moulin weiter, will Gott die Menschen ihre Schwachheit fühlen lassen, ihren Stolz und Hochmut brechen: »Er will vns das vertrawen nemmen / das wir auff vns selbs haben« (ebda., S. 222). Und: »Er wil vnsern Glauben probieren. Er will vns in der gedult üben: vnd will vns in der noth sein hülff vnd errettung erfahren lassen: damit wie der Apo-

3) Calvinistische Frömmigkeit und Krisen-Bewährung

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stel sagt / die gedult bringe erfahrung / die erfahrung bringe Hoffnung / welche nicht laßt zu schänden werden.« (Rom. 5,4; ebda.)

In solchem gedanklichen Kontext ist die achte Strophe aus Pinciers >andechtigem Gesang< angesiedelt: »So du vns auch zur zucht ja nemen wilt, So gib vns kraft, o HErr vnd vatter milt, Auf daß wir mögen deine straf außstehn Vnd dir gedultig vnder äugen gehn: Laß vns nicht vnder deinem joch verzagen, Lad keinem mehr auf, als er kan ertragen.« (I F/T I, S. 230)

Auch dies hätte wiederum ein Lutheraner mitsingen können, und doch waren die Glaubensvoraussetzungen erneut ganz verschieden. Im Unterschied zum Lutheraner, dessen Glauben der menschliche Eigenanteil am Erlösungsprozeß war, durch den er sein Heil gewinnen oder verspielen konnte, stand für die Reformierten fest, daß - so der Heidelberger Theologe David Paraeus (d. i. Wangler 1548-1622) - »nicht nur die Seligkeit vnd Rechtfertigung deß Glaubens / sondern auch der Glaube selbst / ein lautrr(!) Gnaden geschenckt Gottes / vnd ein effect der Versehung ( = Vorsehung) sey« (II, S. 114): »Sonsten / da der Glaube / zum theil oder gantz / von vns selbst herkommen solle: Muste die Rechtfertigung deß Glaubens ohne Werck / alsbald vber einen hauffen fallen« (ebda., S. 115), eben weil ein solcher Glaube bereits als menschliches Werk zu gelten hätte. Mit Nachdruck wiederholt Paraeus deshalb später, der Glaube sei »eine Frucht der ewigen Versehung Gottes: vnnd derwegen der Außerwehlten eigen / so wol den Anfang / als das zunemmen belangend« (ebda., S. 120f.). Der vom Heiligen Geist im Herzen gewirkte Glaube (vgl. I HK, S. 44f.) wurde so im Calvinismus zum Anzeichen für die eigene Erwähltheit. Wenn Gott in Schicksalsschlägen also den Glauben »prüfte«, dann war dies nicht - wie im Luthertum - Anzeichen für fehlende oder ungenügende »fiducia«, sondern ein Probierstein der Erwählung: »Dise trubsalen helffen auch den Glauben stircken: dann wann der gläubige sihet / daß er in grossen nohten beständig geblieben / hat er ein treffenlich zeugnuß seiner gnadenwahl vnnd der hulde Gottes deß Herrn / der jhne bey solcher schwären Versuchung hat erhalten.« (Du Moulin, S. 264)

Deshalb spricht Pinciers Lied auch die Bitte aus: »HErr, mein vertrawen allzeit auf dich rieht, / Laß mein gemüt von dir ja wancken nicht« (I F/T I, S. 230). Ganz ähnlich heißt es in einem >andächtigen Gebett< des Berner Stadtwundarztes Wilhelm Fabricius (1560-1634): »Den Glauben

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II. Glaubensstreit und neue Frömmigkeit

thu mir mehren, / Jn Angst, Noht vnd Beschweren / Gib mir Beständigkeit« (ebda., S. 222). So führten die zahlreichen »Widerwertigkeiten vnd Trubsalen« im Calvinismus gerade nicht wie im Luthertum zur Anfechtung des Glaubens und zur Heilsunsicherheit, sondern im Gegenteil zur Erwählungsgewißheit, sofern - und weil - darin die Bewährungsprobe zu bestehen war: Gerade darauf richtete sich alle Anstrengung, und aller Selbsterniedrigung vor Gott zum Trotz erzeugte der Wille zum Nachweis der Erwähltheit in den Schicksalsschlägen im Verfolg einer »self-fulfilling-prophecy« ein hohes Maß an Selbstbewußtsein. Die Schicksalsschläge konnten, ja durften also Calvinisten wie Reformierten nicht an Gott irre machen lassen, wenn sie sich nicht selbst für verworfen halten wollten. Und deshalb brauchten sie auch letztlich keinen Trost, der bereits auf ein Glaubensdefizit hätte schließen lassen können. In diesem Sinne lesen sich die Eingangsverse von du Moulins Erbauungsschrift geradezu wie ein Motto calvinistischer Katastrophenund Lebensbewältigung: »So wenig als von pfeilen klein Zerspaltet ist ein Marmorstein: So wenig auch ein rechter Christ Durch trübsal vberwunden ist.« (II, S. 182)

Du Moulin verstärkte die Erwählungsgewißheit seiner Glaubensgenossen in den Katastrophenzeiten noch dadurch, daß er in ihnen das Bewußtsein dafür stärkte, die auserwählte Kirche - Gottes Elite - zu sein: Die biblischen Geschichten und die Kirchenhistorie bewiesen zur Genüge, daß gerade die Auserwählten des himmlischen Vaters, die Apostel und Propheten, durch Verfolgung besonderes Leid hatten erdulden müssen. Zu allen Zeiten hatte Gott sich besondere Kämpfer für die Verkündigung und Bewährung seiner Botschaft ausgesucht: die Märtyrer (ebda., S. 230ff.). So berief er auch gegenwärtig solche Zeugen, indem er sie »gleichförmig machet seinem Sohn im leiden« (ebda., S. 231): »Solche Trubsalen tragen / ist nichts anders / dann das creutz Christi auff sich laden / vnd jme nachfolgen« (ebda., S. 231). So gab es also auch - schon vermittelt durch Calvins Ethik - die »imitatio Christi« in der calvinistischen Frömmigkeit als Leidens-Nachfolge. Sie vermittelte zugleich die größtmögliche Erwählungsgewißheit: »Was kan für ein grossere ehr seyn / dann dem Herren Christo gleichförmig werden / vnd an seinem Leib tragen / die mahlzeichen deß Herren JEsu?« (Ebda., S. 270) Und wenn auch Christus gegenwärtig räumlich abwesend im Himmel war, so litt er doch mit seinen irdischen Getreuen mit (ebda., S. 271). Vertreibung aus Besitz und Heimat waren von Gott veranlaßte Nachfolge-Taten:

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»Sehet jhr die nidergerissenen vnd verbrendten Kirchen / vnd müsset euch in sonderbaren Kammern vnd anderen heimlichen orten zu d' Predigt vnd Gebätt versamlen / da entzwischen die falsche Lehr vnder hohen Gewölben vnnd in prächtigen Thumbkirchen wirdt geprediget: so erjnnert euch deß Herrn Christi / der in einem Fischer = schifflin / welches durch Wogen vnnd Wällen auff dem See ward hin vnd wider getriben / hat geprediget: da entzwischen die Schrifftgelehrten vnd Phariseer jhr wesen hatten in dem herrlichen Tempel Salomonis.« (Ebda., S. 272)

So kann es nicht mehr verwundern, daß du Moulin in der Zeit der höchsten Bedrängnis für sein Bekenntnis, des siegreichen Vormarsches der katholischen »Gegenreformation« und der vielfach erkennbaren Einheitsfront von Luthertum und Katholizismus in der Bekämpfung des Calvinismus gerade diese Verfolgung als Zeichen der Echtheit und Wahrheit seiner Konfession interpretierte: »Wir sollen hiemit ein zeugnuß vnserer wahren Religion haben / weil kein andere / dann die wahre Religion so hefftig verhasset vnd verfolget wirdt: vnd das nicht ohn vrsach / dieweil sie allein deß Teuffe 1s Reich widerstehet.« (Ebda., S. 234)

Die Erfolge des Calvinismus, die Ausbreitung des reformierten Bekenntnisses in Deutschland trotz fehlender reichsrechtlicher Anerkennung und trotz aller Krisen und Katastrophen sind ein deutliches Zeichen für die Überzeugungskraft solcher Gedanken: Die Calvinisten waren nicht »unterzukriegen«, je stärker der Druck und die Verfolgung, desto stärker ihr Behauptungswille und Widerstand. In rastlosem Einsatz versuchten sie, zur höheren Ehre Gottes nicht nur zu leiden, sondern auch dafür zu sorgen, »dz sein zerfallene Tempel widerumb auffgerichtet vnd gebawen werde« (ebda., S. 191 f.). Damit gelangt der zweite Bereich in den Blick, an dem sie ihre Erwähltheit abzulesen versuchten: die guten Werke, die Ethik, das Sozialverhalten. Entschiedener als die Lutheraner lehrten die Reformierten die Notwendigkeit der guten Werke als Folge des rechten Glaubens: »Denn es vnmoglich ist / daß die / so Christo durch waren glauben sind eingepflantzt / nit frucht der danckbarkeit sollen bringen« (I HK, S. 44). Wiederum waren »bona opera« keineswegs Bedingung des Heilserwerbes, wohl aber Indikatoren dafür, »daß wir bey vns selbst vnsers glaubens auß seinen fruchten gewiß sein / vnd mit vnserm Gottseligen wandel / vnsere nechsten auch Christo gewinnen« (ebda., S. 60). Ausdrücklich stellte der Heidelberger Katechismus fest, daß »die nicht selig werden« können, »die sich von jrem vndanckbaren vnbußfertigen wandel zu Gott nicht bekeren« (ebda.). Die Werke schlössen also das Halten des göttlichen - alt- und neutestamentlichen - Gesetzes (10 Gebote ebda.,

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S.62ff.; Nächstenliebe ebda., S. 14f.) ausdrücklich ein. Und wenn die zu Gott Bekehrten diese Gebote nicht auch »volkomlich« zu halten vermochten, so »doch also / daß sie mit ernstlichem fursatz / nicht allein nach etlichen / sondern nach allen gebotten Gottes anfangen zu leben« (ebda., S. 76). Dieser Glaube war zugleich die reformierte Legitimation für die obrigkeitliche »Sozialdisziplinierung«, als deren Ausdruck und Mittel sich die Einführung des Heidelberger Katechismus in der Kurpfalz selbst erwies; denn Friedrich III. bezeichnete es als seine vornehmste, »von Gott befohlene« Aufgabe, seine Untertanen zu friedfertigem und tugendsamem Wandel anzuhalten und sie zugleich - zu der »erkanntnuß vnd forcht des Almechtigen / vnd seines seligmachenden Worts / als dem einigen fundament aller Tugenten vnd gehorsams« anzuweisen (ebda., S. 4). Weltliche und christliche Ämter könnten deshalb »änderst nicht bestendiglichen erhalten werden / auch zucht vnd erbarkeit vnd alle andere gute tugenten bey den vnderthanen zunemen vnd auffwachssen mügen / Denn da die jugendt gleich anfangs / vnd vor allen dingen zu reiner / auch gleichförmiger lehr des heiligen Euangelij vnd rechtschaffener erkanntnuß Gottes angehalten / vnd darinnen stetigs geübt wirdt« (ebda., S. 7f.). In dieser Verpflichtung zur Übung des »neuen Gehorsams« steckte zugleich die Legitimation zur strengen Kirchenzucht, in der ohne Skrupel der »Syllogismus practicus«, d. h. der Rückschluß vom Lebenswandel auf den richtigen oder falschen Glauben, geübt und Unbußfertige »biß zu besserung jres lebens« (ebda., S. 57) von den Sakramenten ausgeschlossen werden konnten. Entsprechend heißt es in einem Lied des Zürcher Kanonikus Caspar WOLFF (1525-1601): »Wer in sünden thut stäts verharren, Der wirdt Gotts strengs vrtheil erfaren. Die tädtlich sünd Schleußt auß das kind Von Gotts gesind, Daran sond wir gedencken(.) Es spricht Christus, bey der liebe werd Erkennt sein Jünger hie auff erd; Darumb verlaß Dein neyd, dein hasß Vnd anders, das Dein nechsten möcht verdriessen.« (I F/TI, S. 218)

Das Befolgen der Gebote konnte auch in Form eines Gelöbnisses an Christus in den Dienst seiner Nachfolge gestellt werden wie in folgenden

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vorsichtigen Versen aus einem Abendmahlslied des kurpfälzischen Oberhofpredigers Bartholomäus PITISCUS (1561-1613): »Dein wort das wird vns fehlen nicht, Das glauben wir von hertzen, Nur gib, daß wir nach vnsrer pflicht Auch bdencken deine schmertzen Vnd dir zu lieb auf rechter ban Nach deinen gbotten wandeln Vnd also, wi du vns gethan, Mit vnsern brüdern handeln.« (Ebda., S. 225)

Wenn der Reformierte so mit seinem Glauben und seinem Lebenswandel Gott den verdienstlosen, aber »geschuldeten« Dank für seine Erwähltheit aussprach und in der Bewährung der Krisen seiner Gotteskindschaft immer gewisser sein durfte, so konnte er zugleich von der göttlichen Vorsehung erwarten, »daß ohne den willen meines Vaters im himel / kein haar von meinem haupt kan fallen« (I HK, S. 13), er konnte darauf vertrauen, Gott »werde mich mit aller notdurfft leibs vnd der seelen versorgen / auch alles vbel / so er mir in diesem jamerthal zuschicket / mir zu gut wenden« (ebda., S. 26), kurzum er durfte davon ausgehen, daß Gott über diejenigen, die er zum ewigen Leben berufen hatte, auch schon in ihrem irdischen Lebenswandel seine besondere Gnade und schützende Hand walten ließ. Luise Henriette, reformierte Kurfürstin von Brandenburg (1627-1667), verlieh diesem Glauben auf die Melodie des 42. Psalms, aber inhaltlich als dessen Kontrafaktur, beredten Ausdruck: »l (...) Meinen wolstand, meine zier Danck ich, Vater, einig dir: Du hast reichlich leib und leben, Ehr und guthat mir gegeben.

2 Wo sich hin mein äugen wenden, Was mein hertz bedencken kan, Da erkenn ich aller enden, Was du, HErr, bey mir gethan. Leut und länder ehren mich, Berg und thäler neigen sich, Wild und Wald sampt seinen flüssen Ligen mir zu meinen füssen. 3 Alles muß mein wundsch gewinnen, Alles krönt mich vmb und an, Was ein mensch vergnügter sinnen

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Jn der weit begehren kan; Ja du hebest mich empor Über meiner feinde thor: Jhre Zunge muß sich schweigen Und jhr stoltz sich für mir neigen.« (I F/T V, S. 577f.)

Dieses Lied stammt schon aus der Nach-Kriegs-Zeit (1653) und veranschaulicht exemplarisch, daß die calvinistische und die reformierte Frömmigkeit sich mit ihrem widersprüchlich erscheinenden Dogmenund Trostpotential - Gott »prüft« und segnet die Auserwählten in besonderem Maße - auf die unterschiedlichen Zeitläufte und seelsorgerlichen Bedürfnisse bestens einzustellen vermochte (vgl. dazu Kap. II 5 c). Doch die Hoffnung auf den irdischen Segen Gottes gab es zugleich auch in der Katastrophenzeit. Aus ihr entsprang bereits die zuletzt aus Pinciers >andechtigem Gesang< zitierte Bitte um Kraft zum Ertragen des »jochs«, und sie kommt auch in der unmittelbar folgenden neunten Strophe zum Ausdruck (Zeile 5 fehlt in der Vorlage): »Die kranckheit linder durch die mittel dein, Die von dir, Herr, darzu verordnet sein. Ohn deine hülf, ohn deine genad vnd gunst Gantz nichtig ist des artztes raht vnd kunst. Doch wollen wir dein gaben nit verschmehen.« (I F/T I, S. 230)

Ein bemerkenswerter Wandel von der Buß-Gesinnung am Anfang zur jetzigen Tat-Bereitschaft. Gott hat Mittel zur Eindämmung der Krankheit »verordnet«, und dies impliziert, daß sie auch gebraucht und nicht »verschmeht« werden sollten: Erneut ein wichtiger Unterschied zum Luthertum, denn für dieses waren Seuchen und Naturkatastrophen Straf-Aktionen Gottes, dem man durch Gegenwehr tunlichst nicht ins »Handwerk pfuschen« durfte. Reformierte und Calvinisten dagegen glaubten sich zur Schadensbekämpfung berufen: zur Ehre Gottes und mit dessen Hilfe, um sich auch dadurch in dieser >Prüfung< zu bewähren und zugleich die Größe des Herrn zu bestätigen. Calvin selbst hatte bereits zu einem fröhlichen Gebrauch der zeitlichen Güter oder irdischen Gaben Gottes geraten, »sintemal er sie uns zum Guten geschaffen hat, nicht zum Verderben« (I Hirsch, S. 912). Und der Herr hatte seine Güter durchaus nicht nur knauserig zur Befriedigung eines Minimums an Lebensstandard (der »Notdurft«) bereitgestellt! »Drum fort mit jener unmenschlichen Philosophie, die, indem sie hinsichtlich der Kreaturen lediglich den notwendigen Verbrauch gestattet, uns nicht

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allein mißgünstig einer uns vergönnten Frucht der göttlichen Milde beraubt, sondern auch den Platz nicht behaupten kann, es sei denn, sie entledige den Menschen aller Sinne und erniedrige ihn zu einem Klotz ...« (Ebda.)

Lehren dieser Art dürften erheblich zu dem historischen Faktum beigetragen haben, daß die calvinistischen Staaten und Sozietäten mit den Krisen-Jahrzehnten besser fertig geworden sind als die Lutheraner. Daß die Anhänger des Genfer Reformators deshalb im Laufe des 17. Jahrhunderts - unablässig »in maiorem Dei gloriam« tätig - letzteren auch ökonomisch mehr und mehr den Rang abliefen, wird uns am Beispiel der Reaktion Paul Gerhardts auf diese Entwicklung noch beschäftigen (vgl. Kap. II 5 c). Und daß die aktivistische Komponenente, die Justus Lipsius (1547-1606) seiner Neuformulierung stoischer Lehren gab (vgl. III Oestreich 1969, S. 35ff.), dem calvinistischen Interesse an Kontingenzbewältigung besonders nahe kam, wird nicht erst im Zusammenhang mit der Standortbestimmung des Opitzschen Werkes deutlich werden (vgl. Bd. IV), sondern bereits bei der Betrachtung jenes Gelehrten, der allgemein als der bedeutendste deutschsprachige Autor in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gilt und der wesentliche Intentionen des Opitzschen Programms schon ein halbes Jahrhundert zuvor in die kulturpolitische Tat umzusetzen versuchte: Johann Fischart. c) Erwähltheit als Zeichen der Vernunft - Publizistik im Dienst des Protestantismus (Fischart) In Johann Fischarts Person und Werk bündeln sich zentrale Elemente und Kräfte der Epoche des Konfessionalismus: Mirakel- und Aberglaube (vgl. Kap. I 2), Hexenwahn (Kap. I 3 b), aber auch Ansätze zur Gegenwehr im Kampf gegen die Astrologie (Kap. I 2 b) und gegen die Krankheiten (Kap. I 4 a), dann vor allem unversöhnlicher Glaubensstreit (Kap. II 1), kämpferische Parteinahme für den Protestantismus und zugleich der Versuch, Kirchenzucht mit humanistischem Bildungsanspruch zu verbinden und damit der Poesie eine die protestantischen Kräfte versöhnende politische und kulturelle Aufgabe zuzuweisen. Mit dieser letzteren Funktion nahm er bereits das von Martin Opitz wirkungsvoller inszenierte Reformprogramm des Barock-Humanismus vorweg, und es scheint kein Zufall zu sein, daß Fischart wie Opitz mit dem Calvinismus sympathisiert oder ihm sogar angehört haben (vgl. 11.69 Garber). Es ist nicht möglich, Fischarts vielgestaltigem - ihm häufig nur auf Grund von Indizien zurechenbarem - Werk im Rahmen einer LyrikGeschichte gerecht zu werden. Denn gerade im Bereich dieser Gattung,

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in der er sich vor allem als Polemiker, Pamphletist, Zeitungssänger und Journalist (vgl. II Rainer, S. 61 ff.) - und nur am Rande als Verfasser von 36 wenig auffälligen geistlichen (Psalmen-)Liedern (vgl. I Wa IV, S. 81 Of f.) - betätigt hat, verblieb er auch mit seinen gestalterischen Möglichkeiten im traditionellen Rahmen der Reimpublizistik. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, war dieser Teil seiner Produktion schnell gefertigte, häufig aus Vorlagen übernommene journalistische Dutzendware jener Zeit. Der »Glanz des gelehrten Wissens und der ihm zugehörigen artifiziellen Rhetorik« entfaltete sich bei ihm erst »voll auf dem eigenständigen formbaren Feld der volkssprachlichen Prosa« (II. 22 Kleinschmidt, S. 136). Dagegen machten sich sein assoziativ wuchernder Wortwitz, seine einfallsreiche Allusionstechnik, seine phantasievollen, aber auch formsprengenden Amplifikationen in seinen publizistischen und polemischen Schriften eher nachteilig bemerkbar. Denn dadurch literarisierte er seine Texte, die doch konkrete historische Information oder polemische Vernichtung ihres Gegners sein wollten. Die aggressive Wucht, mit der er z. B. die Jesuiten durch immer neue Namensdeuteleien zu verunglimpfen suchte (»Jesuwider«, »Jesu Bock vnd Wider«, »Jebusiter«, »Jesubitter«, »Esauiter«, »Suiter«, »Sauiter«, »Sataniten«, »Schadaniten« oder - in Anspielung auf den Namen Loyolas - »Lugvolliten« usw.; vgl. H I, S. 244ff.), schlug in Wortspielerei um und brachte sich damit selbst zumindest um einen Teil ihrer ehr-verletzenden Wirkung. Dies Urteil gilt offenbar auch für den damaligen Geschmack; denn Fischart war - gemessen an den Auflagen seiner journalistischen Schriften - nicht sehr erfolgreich und bald nach seinem Tode bis ins 19. Jahrhundert hinein weitgehend vergessen (was gewiß auch damit zu tun hatte, daß er aus Zensurgründen zumeist anonym und pseudonym versteckt hinter wechselnden Anagrammen - publizierte). Andererseits spiegelt sich die Zeitgeschichte in diesem Teil seines Werkes besonders eindringlich und erlaubt einen Einblick in die Physiognomie eines Gelehrten, der in der Volkssprache schrieb, um dem »gemeinen Nutz« dienen zu können (vgl. 11.22 Kleinschmidt, S. 138), der dies aber nicht primär - wie heute betont wird - aus humanistischen, sondern mehr noch aus konfessionellen Gründen und im Dienste des Calvinismus tat. Dies vor allem gilt es im folgenden zu zeigen, weil es für die Epoche des Konfessionalismus von hohem Belang ist, den - wie immer wieder nicht zu Unrecht behauptet wird - bedeutendsten deutschsprachigen Dichter der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus dem kulturellen Kontext jener Konfession heraus zu verstehen, die sich in der Tat damals - auch in den Aktivitäten des Heidelberger Humanistenkreises - anschickte, die kulturelle Vorreiterrolle innerhalb des Protestantismus gegenüber den

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Altgläubigen zu übernehmen (dagegen vergleiche man die klägliche Rolle der humanistischen Poesie im Luthertum am Beispiel des kursächsischen »Hofnarren« Taubmann Bd. I, S. 143f.). Schon der Lebenslauf des Johann Fischart, der an den Rand des römisch-deutschen Reiches in die freie Reichsstadt Straßburg führt, ist ein erstes Indiz für seine Standortbestimmung. In dieser bedeutenden oberrheinischen Wirtschaftsmetropole, die mit mehr als 20 000 Einwohnern im 16. Jahrhundert zu den größten Städten des Reiches zählte, wurde Johann Fischart 1546 oder 1547 als ältester Sohn des reichen Gewürzhändlers Hans Fischer gen. Mentzer (weil aus Mainz stammend) geboren. Nach anfänglichem Besuch des berühmten, von Johannes Sturm (1507-1589) geleiteten Straßburger Gymnasiums wechselte Fischart nach dem Tod des Vaters (1561) und der Wiederverheiratung der Mutter (1562) an die von seinem Verwandten Kaspar Scheldt (gest. 1565) geleitete Lateinschule in Worms. Scheldt, der »Eindeutscher« des >Grobianus< (vgl. Bd. I, S. 267; dazu ferner III Bonfatti, S. 75ff.), vermittelte Fischart sowohl Einblicke in die >Volkskultur< als auch in die französische Sprache und Lebensart. Eine Bildungsreise führte letzteren dann seit 1565 nach Flandern und Paris. 1568 erwarb er an der Straßburger Akademie den Magistergrad, studierte dann in Siena und Basel Jurisprudenz. In Basel wurde er 1574 zum Doktor beider Rechte promoviert. Bis 1580 war er dann ohne öffentliches Amt und ohne feste Anstellung für seinen Schwager, den Straßburger Buchdrucker und Verleger Bernhardt Jobin, als Lektor tätig. In diese Zeit fällt zugleich Fischarts größte schriftstellerische Aktivität. Diese erfuhr eine Unterbrechung, als er 1580 am Reichskammergericht in Speyer - zunächst als Praktikant, dann (1581) als Advokat - tätig wurde. 1583 erhielt er eine Stelle als Amtmann in Forbach und heiratete. Seine publizistische Tätigkeit nahm er erst 1588 wieder auf; bereits zwei Jahre später ist er gestorben (vgl. zur Biographie 11.22 Hauffen I, S. 7ff.; Rainer; Spengler, S. 25ff.). Die schriftstellerisch wichtigste Zeit hat Fischart also in seiner Vaterstadt - in der Nachbarschaft der Schweiz und an der Grenze zu Frankreich - verbracht, und das Interesse für diese Länder sowie für die Niederlande wird auch aus seinem Bildungsgang deutlich. Dies aber bedeutete in jenen Jahren insbesondere eine lebhafte Anteilnahme an den Befreiungskämpfen der Generalstaaten gegen Spanien (seit 1566), am Schicksal der Hugenotten in Frankreich (1572 Bartholomäusnacht) und an den zunehmenden Spannungen zwischen den reformierten und katholischen Kantonen in der Schweiz (vgl. 11.22 Hauffen II, S. 47ff.). Zugleich war Straßburg in dieser Zeit selbst mehrfach Schauplatz konfessioneller Streitigkeiten. Die »milden und gemäßigten Straßburger Re-

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formaleren« kamen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts den Glaubensflüchtlingen aller Couleur - so den Täufern (vgl. Bd. I, S. 232) »freundlich entgegen« (11.22 Hauffen, S. 144); auch Calvin konnte während seines Straßburger Aufenthaltes eine Gemeinde gründen; indessen versuchten die Lutheraner vor allem durch ihren von 1552 bis 1581 wirkenden Kirchenpräsidenten Johannes Marbach, den reformierten Einfluß immer mehr zugunsten des orthodoxen Luthertums zurückzudrängen. Auch die Einführung der Konkordienformel 1597 (vgl. Kap. II2 b) war ihnen dazu ein willkommener Anlaß, doch spielte der Rat der Stadt aus politischer Rücksicht auf die schweizerischen Verbündeten zunächst nicht mit, entsetzte allerdings 1581 als Folge dieser Auseinandersetzungen Johannes Sturm, den calvinistisch gesinnten Hauptgegner Marbachs, seines Amtes (vgl. 11.22 Rührmund, S. 32ff.). Gleichzeitig war die protestantische Stadt vom katholischen Bistum Straßburg umgeben. Der seit 1568 gegen den Willen des Rates gewählte, schroffe und machthungrige Bischof Johann IV. von Manderscheid (1569-1592), dessen Domkapitel zum Teil mit Protestanten besetzt war, was zum Straßburger Kapitelstreit führen sollte (1583-1604; vgl. III Zeeden 1973, S. 60; Heckel 1983, S. 86f.), holte die Jesuiten in sein Bistum (seit 1576) und betrieb die Gründung der von ihm großzügig dotierten Jesuitenakademie im 20 Kilometer entfernten Molsheim (seit 1580; seit 1617 Universität) als Gegengewicht zur protestantischen Straßburger Akademie (seit 1538; seit 1621 Universität; vgl. 11.22 Hauffen II, S. 124f.; III Kastner, S. 47ff.): ein deutliches Signal für den auch hier neu erwachten Selbstbehauptungswillen des Katholizismus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Wie hat sich Fischart nun in dieser spannungsvollen religiöspolitischen Kräfte-Konstellation publizistisch verhalten? Eindeutig ist zunächst seine anti-katholische Position. In ihrem Zeichen beginnt sein Werk: Als der in Rom auf Betreiben der Jesuiten zum Katholizismus konvertierte Straubinger Canonicus und Lebemann Jakob Rabe die Wahl Manderscheids zum Bischof öffentlich verteidigte, antwortete Fischart 1570 mit einem 3755 Verse umfassenden Schmähgedicht >Nacht Rab oder Nebelkräh. Von dem vberauß Jesuwidrischen Geistlosen schreiben vnnd leben des Hans Jacobs Gackels, der sich nennet Rab< (II K I, S. 3-97), in dem er die Darstellung des angeblich lotterbübischen Lebenslaufs seines Kontrahenten bereits zu einer Generalabrechnung mit den Jesuiten nutzte, zugleich aber auch immer wieder die konfessionellen Streitpunkte mit dem Anspruch gelehrter Überlegenheit (etwa bei der Auslegung zentraler Bibelverse) zur Sprache brachte. Dann legte er sich mit dem Franziskaner Johannes Nas an (vgl. Kap. II l c), und 1571

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breitete er in einem polemischen Lehr-Gedicht >Von S. Dominica, des Predigermünchs, vnd S. Francisci Barfussers, artlichem Leben vnd großen Greweln< in mehr als 5000 Versen die Streitigkeiten zwischen diesen beiden Orden aus und attackierte zugleich wiederum die katholischen Hauptlehren (K I, S. 121-252; vgl. dazu 11.22 Sommerhalder, S. Iff.). Von diesem publizistischen Anfang zieht sich ein ununterbrochener Faden antikatholischer Polemik durch Fischarts Werk. Drei Knotenpunkte ragen dabei besonders heraus: der >Binenkorb Des Heyl. Römischen Imenschwarms< (1579) als Prosaübersetzung einer überaus erfolgreichen Satire auf die Katholische Kirche aus der Feder des Niederländers Philipp Marnix (1538-1598), das gereimte Pamphlet vom >Jesuiterhütlein< (1580; vgl. Kap. II l b) sowie - als Übersetzung von Calvins jugendlicher Spottschrift >Traite des reliques< (1543) - der >Heilig Brotkorb Der H. Römischen Reliquiem (1583; vgl. dazu 11.22 Hauffen II, S. 74ff.). Dabei war ihm die katholische Kirche nie nur religiöser, sondern stets auch politischer Machtfaktor. Gerade im sich erneuernden Papsttum seiner Zeit, das er 1577 in einem illustrierten Flugblatt als >Gorgonisch Meduse Kopf< schmähte, sah er die Absicht einer teuflischen Zauberin am Werk, »Dan sie kan sich so hailig schmukken, / Das sich die Welt vor jr mus tucken« (H I, S. 419): »Praucht Bannen, morden, praten, siden, Thut die Biblische Schrift verbiten, Nimt die Leut inn gelübd vnd Aid, Zu loben all jr vppigkait, Trennt Bündnus, vnd lößt auf die Aid, Erregt zu Krig die Oberkait Wider jr aigne Vntertonen, Befilcht, kains Pluts noch Stands zu schonen Stift Ketzermaister, bsold Mordgifter, Sezt KOnig ab, würd neuer Stifter, Vnd will kurzum mit list vnd gwalt Zwingen, das man jr Bulschaft halt« (ebda., S. 421).

In diese Verse sind stichwortartig all jene Erfahrungen eingegangen, die Fischart als Beobachter und Berichterstatter der europäischen Politik machen mußte: »Als Calvinist steht er mit ganzem Herzen auf Seite der Hugenotten in Frankreich, der Aufständischen in den Niederlanden, der mit Straßburg befreundeten reformierten Kantone, der Königin Elisabeth, hingegen ist er ein Gegner der Guisen, der ränkesüchtigen Katharina von Medici, ein glühender Feind der Spanier, ein warnender Rufer im Streite wider die drohend anwachsende Macht der >heiligen LigaReveille Matin< von 1575, in dem das Schicksal der Hugenotten und die Greuel der Bartholomäusnacht breit geschildert werden, und er fügte dieser Publikation ein Gedicht >An jdes Aufrecht Redlich Teutsch geplüt vnd gemüt< hinzu, in dem er seine Landsleute eindringlich zur Anteilnahme mit den Glaubensgenossen aufforderte und ermähnte, zu »lernen draus gelegenhait, / Was euch begegnen mocht«: »Der Herr, des Wacht das Haus verwacht, Geh euch diselbig macht, Das jr bei zeit vnd frü erwacht, Halt Früwacht tag vnd nacht; Dan wans Nachbarn Haus prent vnd kracht, So hab deins haus auch acht. Den man aim an der seilen schlacht, Billich ain sorgsam macht.« (K III, S. 74f.)

Einer im selben Jahr erschienenen Übersetzung der hugenottischen Schrift >Discours merveilleux de la vie, actions et deportemens de la royne Catharine de Mediceis< fügte Fischart einen Zyklus von sieben Sonetten - die ersten überhaupt in deutscher Sprache! - hinzu, in denen er Katharina als Henne verunglimpfte, die mit ihrem zucht- und schrankenlosen Weiberregiment den gallischen Hahn in einen Kapaun verwandelt habe: »Darumb nur, jr Frantzosen, dran, / Erweist, das Hanen muth jr han, /.. .Derhalben dran ins Herren Namen, / Secht, ob man ein wild Henn mag zamen / Vnd jhren grimmigen Eyersamen« (H I, S. 402). Und als im Dezember 1575 ein deutsches Heer unter Leitung des Pfalzgrafen Johann Casimir zur Unterstützung der Hugenotten nach Frankreich zog, Paris belagerte und von Heinrich III. (1574-1589) tatsächlich das Zugeständnis freier Religionsausübung erlangte, erschienen alsbald mit Unterstützung Fischarts drei deutsche Zeitungen zu diesem Ereignis (vgl. 11.22 Hauffen II, S. 31 f.; über Fischarts publizistisches Engagement im Freiheitskampf der Niederländer ebda., S. 33ff.). Einem derart politisch denkenden und um die Lage in Deutschland besorgten Kopf wie ihm mußten die Religionsstreitigkeiten innerhalb des protestantischen Lagers als gefährliche Schwächung erscheinen. Demgegenüber ist die Frage sekundär, ob Fischart zeitlebens nicht doch Lutheraner war oder eine Entwicklung zum Calvinismus durchgemacht hat (vgl. dazu 11.22 Rührmund, S. 28f.). Bezeichnend ist vielmehr, daß sein großes Werk zwar Anzeichen für seine Zugehörigkeit zum reformierten Bekenntnis, aber keine antilutherische Polemik enthält. Geradezu programmatisch Eintracht beschwörend begann er seine poetische

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Tätigkeit (vor 1571) mit drei Bildgedichten, von denen eines dem Erzlutheraner Matthias Flacius, die beiden anderen aber zwei Zürcher Reformatoren gewidmet sind: Heinrich Bullinger (1504-1575), Zwingiis Nachfolger in Zürich, und Rudolph Gwalther (1519-1586; vgl. 11.22 Hauffen H, S. 75ff.). Nachdrücklich bekannte er sich in seiner antikatholischen Polemik zur Augsburger Konfession (»Was schilstu so on vnderlon / Die Augspurgisch Confession, / Die doch in Gottes wort besteht / vnd trutz, wo sie auch vndergeht«; >Nacht RabPsalmen, geistliche Lieder und Kirchengesänge. D. Mär. Luthers. Auch Viler anderer Gotseligen MänerIn haereticis coercendis quatenus progredi liceat: Mini Celti disputatio. Ubi nominatim eos ultimo supplicio affici non debere aperte demonstratun; vgl. K II, S. XLVII ff.). Mit dieser Schrift griff Celsus, der selbst von den Reformierten als Ketzer eingestuft worden war und sich nach Basel geflüchtet hatte, in eine Toleranz-Debatte ein, die vor allem nach der von Calvin betriebenen Hinrichtung des Antitrinitariers Mi-

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chael Servet (am 17. Oktober 1553 in Genf) u. a. von Sebastian Castellio (vgl. Bd. I, S. 69f.) ausgelöst worden war und an der sich u. a. auch Calvin und Theodor Beza rechtfertigend beteiligt hatten (vgl. 11.22 Hauffen II, S. 137ff.). In einer >Praefatio< wendet sich Fischart ausdrücklich auch an die reformierte Kirche und tadelt sie wegen dieser Kainstat, mit der sie versuche, Besitz an heiliger Stelle zu erwerben. Wer aber Ketzer töte, sei selbst ein Ketzer. - 1584 veröffentlichte Fischart anonym zwei Gedichte des Spiritualisten Sebastian FRANCK (vgl. Bd. I, S. 243 f.) mit den Titeln >Die Gelehrten die Verkehrtem und >Vom GlaubenszwangOrdenlichen Beschreibung / Welcher gestalt die Nachbarliche Bundnuß vnd Verain der dreyen Loblichen Freien Statt... ist ernewert / bestättigt vnd vollzogen wordenInstitutio< mit dem aus der antiken Rhetorik stammenden Begriff des »decorum« übersetzt und charakterisiert (»...quid sub illo decoro, quod Paulus commendat...«; zit. ebda., S. 186). Und wenn Calvin mit dieser »zucht« als »decorum« zunächst auch nur »den engen Bereich der Liturgie zu regeln« suchte (ebda., S. 186), so weitete sich die Bedeutung dieses Begriffs gerade in den reformierten Kirchenordnungen doch zur Charakterisierung des ethischen Gesamtverhaltens eines Individuums aus: »Ausgehend vom Wortsinn des >decorum< ..., dessen, was schicklich ist, was sich geziemt, fällt der >Zucht< die Funktion zu, Personen und Sachen in ein rechtes, geziemendes Verhältnis zueinander zu bringen.« (Ebda., S. 187). Von daher ist Fischarts Engagement im Bereich der Katechetik zu verstehen, bei den Gesangbuch- und Katechismus-Ausgaben sowie bei seiner gereimten >Anmanung zu Christlicher Kinderzucht< (K III, S. 203 ff.). Aber er ging nun bezeichnenderweise einen Schritt über diesen engeren kirchlichen Bereich hinaus und suchte - bewußt an humanistische Tradition anknüpfend - die Tugend mit Hilfe der Philosophie und Poesie an ein lesekundiges Stadtbürgertum zu vermitteln. So in seinem im weiteren Sinne zur Hausväterliteratur zählenden - Philosophisch Ehzuchtbüchlin< von 1578, einer aus Prosa und zum Teil seitenlangen Versen gemischten und angereicherten Übertragung zweier Abhandlungen von Plutarch (nach 45 - nach 120 n.Chr.) und eines Gesprächs von Erasmus von Rotterdam über die Ehe (vgl. H III, S. 115-332). Das Vorwort verteidigt vehement die Benutzung der deutschen Sprache neben der lateinischen und griechischen zur Pflege der deutschen Kultur und Kunst. Auch die Apostel hätten Jesu Aramäisch ins neutestamentliche Griechisch übertragen, und bei den Römern habe die Kultur nie in höherer Blüte gestanden, »als da sich allerley geschwinde gutgeartete Köpf« bemüht hätten, in ihrer Landessprache »mit den Griechen gleichsam vmb die wett von den tieffsinnigsten Künsten zuschreiben« (ebda., S. 122). Mit dieser beachtlichen und selbstbewußten Aufwertung der deutschen Sprache als Organ nicht mehr nur für den gemeinen Mann wie in der Reformationszeit, sondern als Medium der Künste und Wissenschaften (»Derhalben so laßt vns nit mehr inn zirung des Vatterlands so vnachtsam sein, das wir mehr fremde als vnsere eygene icker baueten«; ebda., S. 123) ging eine nicht weniger bemerkenswerte Aufwertung der Vernunft einher. Die ehelichen Verhaltensregeln wollte Fischart nicht als obrigkeitliche Verordnungen verstanden wissen, sondern er versprach sich von seinem Buch umso mehr Wirkung, »dieweil es ... mit naturgemäßen vnd Menschlicher Vernunft anmutigen lehren vmbgehet« (ebda., S. 118), weil es an das »Natürlich Liecht« des sokratischen

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»Erkenne dich selbst« appellierte, und dies auf anmutig-poetische, damit ergötzliche Weise. Dabei finden sich mitunter durchaus beachtliche Ratschläge zum liebevollen Umgang in der Familie: »Gewinn deim Weib den Mut, Vnd spar den Kindern die Rut. Wer eyn Weib schlägt, Kleyn ehr darvon trägt, Wer an eyn Weib legt die Hand, Schlägt sein eygen schand, Weil er nicht baß beweisen kan, Als an eym armen Weib den Man.« (Ebda., S. 265)

Indessen kann man von einem derart hexengläubigen Autor wie Fischart nicht erwarten, daß er die geltenden Grundsätze paternaler Macht- und Rollenverteilung im Ehe- und Hausstand (»Dem Weib gzimmt gbären vnd säugen, / Dem Man, das zihen, nehren vnd zeugen«; ebda., S. 216) für un-vernünftig hätte halten können. Literaturgeschichtlich bedeutsamer aber ist, daß sich bei ihm eine Reaktivierung humanistischer Tendenzen auf dem Boden calvinistischer Religiosität erkennen läßt, ein Programm zur Tugend-Verbesserung und zur Selbstverwirklichung der Künste und Wissenschaften in deutscher Sprache, wobei der patriotische Akzent zugleich ein anti-katholischer war. Das eine Generation später initiierte und ungleich erfolgreichere Opitzsche Programm entsprang denselben politisch-konfessionellen Konstellationen und Intentionen (vgl. Bd. IV)! Doch ist es bezeichnend für den calvinistischen Geist, daß er den Begriff der »zucht« auf die Gesellschaft insgesamt, ja letztlich auf die Weltgestaltung selbst ausdehnte. Denn für ihn war »die Welt ein umzugestaltendes Material, das allmählich zur Aufrichtung der Gottesherrschaft zu dienen hatte. Die Arbeit und der Kampf waren Gottesdienst, asketisch und streng, und der erwählte, freie Christ war dazu bestimmt, die Selbstverherrlichung Gottes zu vollziehen« (11.22 Sommerhalder, S. 110). Da für Fischart in diesem Sinne der Freiheitskampf der Niederlande und ihr ökonomischer Aufschwung das »bewunderte Beispiel der Geschichtwerdung calvinistischen Geistes« war (ebda.), gab er auch anderen historischen Ereignissen eine solche Deutung, um damit anspornend und erzieherisch wirken zu können. So bei einer seiner bekanntesten Gelegenheitsdichtungen, die als »Pritschmeisterpoesie« aus Anlaß eines im Sommer 1576 von Straßburg ausgerichteten Schützenfestes entstand. Solche frühbürgerliche »Kirmes« hatte sich als mehrwöchiges, überregionales Ereignis mit Lotterie sowie Preisschießen für Arm- und

3) Calvinistische Frömmigkeit und Krisen-Bewährung

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Büchsenschützen als Ersatz für die aussterbenden ritterlichen Turniere herausgebildet. Das Straßburger Fest nun erhielt seine Sensation, als am 20. Juni abends ein Schiff mit 54 Personen eintraf, die am Morgen desselben Tages aus Zürich aufgebrochen waren und den Straßburgern sogar noch einen warmen Hirsebrei mitbrachten: zur sinnenfälligen Demonstration und Stärkung des Nachbarschafts-Gefühls zwischen den Städten und als Beweis schneller Hilfe, wenn einmal Not am Mann sein sollte. In seinem Reimgedicht >Das Glückhafft Schiff von Zürich< nutzte Fischart die genaue Beschreibung der gefährlichen, aber erfolgreichen Fahrt der kräftig-kühnen Ruderer über die Wellen und Strudel von Limmat, Aare und Rhein, um daran die calvinistische Ideologie zu demonstrieren : »Arbeit und fleis / das sind die flügel So füren über Stram und hügel.« (GSZ, S. 8) »Hie sind diselben Aidgenossen / Welche vollprachten / was sie bschlossen: Wer will forthin meh können sagen Das Arbait nich könn als ( = alles) erjagen? Dis sind recht Nachbarn / die wol weit / Doch / wan sie wollen / nah sind heut / Und nahen Nachbarn auch zugan / Und sich kain müh dran hindern lan: Wie soll man nicht als guts den trauen / Die kain müh noch not hat gerauen« (ebda., S. 28).

Im Blick auf die lutherischen Straßburger Adressaten dieses Gelegenheitsgedichts, die den Bündnisbemühungen mit den reformierten Schweizern ohnehin mit großer Skepsis gegenüberstanden, vermied Fischart geschickt alle weitere theologische Ausdeutung, verwies nur am Rande auf die Prädestination (vgl. ebda., S. 27) und betonte stattdessen schon im Titel das »Glück«, das diesem Unternehmen zuteil geworden war. Indessen lautete die entscheidende, im Grunde schon ganz weltliche Botschaft, daß sich die launische Fortuna zwingen ließ: »Sonder durch kecken Mut allain / Und ubung starker Arm und Bain / Fuhren sie als vom Windsgewalt Und als von Segeln fortgeschalt.« (Ebda., S. 41)

Die Gesinnung, die sich hier artikulierte, bestätigte das lutherische Feindbild von der calvinistischen »Tüchtigkeitsmatrix« recht genau (vgl.

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Kap. II 2 b), - und damit auch die indizierte Hochschätzung der Vernunft bei den »Sacramentierern«. Denn diese nahmen ihr »Glück« beherzt selbst in die Hand. Sie bestätigten damit ihren Glauben, aber zugleich auch die Vorsehung, also die Richtigkeit der göttlichen Prädestinationsentscheidung. Wie die Zürcher Eintagesfahrt vernünftig geplant und ausgeführt und deshalb ein Sieg über die unbeständige Fortuna war, so war die sich selbst und damit den eigenen Glauben bestätigende »ratio« ein der Verherrlichung Gottes dienendes, im eigenen Verhalten dessen Wahl unermüdlich rechtfertigendes Instrument der Weltunterwerfung unter Gottes Willen und damit ein vernünftiger Gottesdienst. Fischart sang deshalb das Lob der Vernunft (im Kontext der Tierfabel >Ausspruch des Eselsandächtigen Bittlied zu Gott, Wen es ohne unterlaß regnet und sich die Wasser hefftig ergiessenGebet zu dieser elenden, beschwerlichen vnd gefährlichen zeit< die Theodizee auf dem Fuß folgen, indem er die Sünden der Menschen für all dies Unglück verantwortlich macht (Str. 5), aber in seine Reue mischt sich wieder - angelehnt an die Sprache der Psalmen - der Ton der Angst und des Entsetzens über den göttlichen Grimm, der über alle Maßen groß ist und jeglicher Barmherzigkeit entbehrt: »11. Für deinm Grimm auch die Felsen dick Zerspringen in viel tausend stück: Was denn wir armen Würmelein, Die wir nur Erd und Asche seyn?« (Ebda., S. 150)

Im nachfolgenden >Gebet vmb Vergebung der Sünden< heißt es entsprechend: »Ach weh, daß wir so ferne Dich habn gereitzt zu zorne, Daß du dein Racheschwert Gescherffet hast zu schlachten, Land vnd Leut zu vernichten, So dir nicht wird gewehrt.« (Ebda., S. 151; vgl. PS. 7, 13f.)

Es ist bezeichnend für die Gesinnung eines Teils des orthodoxen Luthertums jener Zeit, daß der Einsicht in die eigene Sündhaftigkeit hier kein Besserungsgelöbnis folgt, keinerlei Eigenaktivität wie bei den Calvinisten (vgl. Kap. II 3 b) spürbar wird, durch welche die Lutheraner das

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Elend, das sie Gott anlasten, wenigstens partiell selbst hätten beseitigen können. Aber das Lied macht auch über alle dogmatischen Rücksichten hinaus deutlich: Es war einfach zuviel Unglück, nicht Vergebung und Versöhnung war deshalb angesagt, sondern nur noch »Gegenwehr«, die aber die schwachen Kräfte des Lutheraners bei weitem zu übersteigen schien. - Auch Johann Risi brachte in einem Bußlied deutlich die historisch im Blick auf die angefochtene Gemeinde sicher berechtigte Sorge zum Ausdruck, daß Gott das Strafmaß überziehe und die schutzlosen Menschen statt zur Buße zur Abkehr vom Glauben treibe: »Bewahr uns, HErr, Leib, Guht und Hauß, Halt uns im festen Glauben, Laß uns die Furcht durch disen Strauß Der Hoffnung nicht berauben.« (Ebda., S. 227)

In einem flehentlichen Bußlied zu GOtt in schwehren Sterbensläuften, Pestilentz und anderen gefährlichen Krankheiten< appellierte derselbe Autor sodann an Gott, wenigstens nur barmherzig wie ein Vater (und also nicht wie ein gefühlloses Ungeheuer) zu strafen. »Nim von uns dise scharffe Ruht', Hör auf uns so zu plagen: HERR, straff uns, als ein Vater thut, Damit wir nicht verzagen. Jm Glauben hab' Ich dich gefast, Hilff Mir und ändern, dise Last Itz gnädig auch ertragen.« (Ebda., S. 224)

Noch deprimierender freilich wird das Bild beim Blick auf den Trost, den die Lieder während des Krieges noch glaubten ausfindig machen zu können. So etwa Paul GERHARDTS (1607-1676; vgl. zu ihm Kap. II 5) Gesang >Schutz Gottes in bißherigen Gefährlichen Kriegeszeiten< (>Wie ist so groß und schwer die LastVon der heiligen Dreyfaltigkeit< ganz schulmäßig entfaltet (vgl. II GA, S. 164f.). Dieser Lehrbestand nun erleichterte es der lutherischen Frömmigkeit, in heilsbedürftiger Zeit die zweite Person der Trinität auf Grund der ihr zugestandenen Partizipation an allen göttlichen Handlungen »ad extra« zur entscheidenden, die anderen Personen verdrängenden und ersetzenden Bezugsperson zu erheben. Zunächst lag es nahe, daß Christus in die Rolle des »Vaters« schlüpfte, dem gegenüber das gläubige Ich zum »Kind« wurde. Vor allem ging es bei der Vater-Rolle um das Werk der »creatio continua«. Der Hamburger Pastor Philipp NICOLAI (1556-1608; zur Biographie vgl. III Newald, S. 73), polemisch-frommer orthodoxer Lutheraner (vgl. Kap. II 2 b), zeigt überdies, wie sich wiederum Luthers Ubiquitätslehre für die Aufwertung Christi zum Pantokrator aufs beste eignete (vgl. dazu Bd. I, S.

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182ff.). In seiner verbreiteten, noch 1707 neu aufgelegten >Theoria vitae aeternae< spricht er im Rahmen pantheistischer Überlegungen - »Gott ist ein Geist / vnd die Welt mit jhren Einwohnern / Engel vnd Menschen ist sein Corpus« (II, S. 67) - der zweiten Person der Trinität die Funktion der Schöpfungserhaltung zu und treibt damit zugleich den Gegensatz zum Calvinismus auf die Spitze: »Vnd weil er ( = Gott) alles mit seiner ewigen Weißheit gerathschlagt vnd beschlossen / vnnd folgends auch durch dieselbe / nemlich durch Logon aeternum, seinen eingebornen Sohn die gantze Welt mit allen Creaturen bereitet hat / so ist das Wohlgefallen gewest / daß dieselbe Weißheit Logos aeternus, GOttes Sohn / auch das Haupt / der Regent / vnd das Factotum in solchem grossen COrper sein solle / wie ein vernfinfftige Seel in einem Menschen COrper / vnd erhalten alles / vnd erfüllen alles in allen . . . / Der den Himmel mit Wolcken verdecket / vnd gibt Regen auff Erden / Der Grass auff Bergen wachsen lesset / der dem Vieh sein Futter gibt: Durch welchen gibt ers aber anders / als durch den / durch welchen alle ding gemacht sind? Denn durch welchen alles gemacht ist / durch dessen Ffirsichtigkeit werden auch alle Dinge regieret: Wer ist nun dieser anders / denn Logos Dei, das Wort GOttes.« (Ebda., S. 67f.)

Ganz in diesem Sinne übernahm Christus im kirchenorientierten geistlichen Lied der Krisen-Zeit allein die Funktion der »creatio continua«. So applizierte z. B. der Eilenburger Pfarrer Martin RINCKART (15861649; mit seinen >Reformationsdramen< feierte er den Sieg Luthers über Papsttum und Calvinismus, vgl. III Newald, S. 74) den Schöpfungspsalm 65 auf Christus (nach der Melodie >Wie schön leuchtet der MorgensternAbendgesang< lobte der Rintelner Theologieprofessor Josua STEGMANN (1588-1632) Jesus wegen seiner Schöpfungs-Allmacht: »Mit Lob ich dich verehre, Lob dir allein gebührt.

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Dein Hand das wilde Meere, Himmel vnd Erd regiert. Dein Odem kann verrücken Die allerhöchsten berg, Des Wassers grund außtrucknen, Weicht alles deiner stärck.« (I F/T II, S. 488)

Solche alttestamentlichen Applikationen auf Christus waren keineswegs allegorisch gemeint, und man begreift deshalb von solchen Aussagen her, warum gerade auf dem Boden des Luthertums historisch gleichzeitig die spiritualistischen, pansophischen, alchimistischen Systeme und Weltanschauungen - auch und vor allem dasjenige Jacob Böhmes - gedeihen konnten, in denen Christus als allgegenwärtiges und allmächtiges kosmologisches Kraft-Zentrum gedacht wurde, das zugleich als weibliches Liebesprinzip der männlich-zornigen Vater-Kraft gegenübertrat (vgl. dazu Bd. III). Ein schwacher Abglanz dieser gnostisch-häretischen Konstellation spiegelte sich auch in den kirchenorientierten geistlichen Liedern des frühen 17. Jahrhunderts. Theologische Voraussetzung dafür, daß Christus sich auch im Stande der Erhöhung (dem »status exaltationis«) in der Auseinandersetzung mit dem Widersacher für die Seinen unermüdlich und aktiv einsetzte, hatte Luther in konsequenter Anwendung der Trinitätslehre und seiner Christologie in der Lehre von Christi Königsamt begründet und in seinen eigenen Liedern selbst populär gemacht (vgl. Bd. I, S. 190ff.). Diese Lehre verstärkte indessen wieder die unterschiedliche innertrinitarische Funktionszuweisung, und es entwikkelte sich die Tendenz, dem zürnenden Schöpfer den Lebens-Retter Christus entgegenzustellen. Damit aber drohte sich das dogmatische Kernstück der Rechtfertigungs- und Erlösungslehre aus seiner historischen Verankerung im »ephapax« (gr. »ein für allemal«) des Kreuzesopfers zu lösen und in ein mythisch-agonales Geschehen zwischen zwei Gottheiten zurückzuverwandeln. Die Verknüpfung von historischem und präsentischem Erlösungshandeln Christi spielte in den Kirchenliedern des 17. Jahrhunderts eine herausragende Rolle. Die Lutheraner beschworen die unmittelbare Gegenwart der omnipotenten Person Christi auf dem irdischen Feld, damit er selbst erneut für sie »kämpfte« und den Zorn des Vaters hier und jetzt besänftigte. In seinem bereits zitierten >Gebet< richtete Alardus an Christus unverhüllt die Bitte, dem »Rachschwert« Gottes Gegenwehr zu leisten. Dabei behandelt Strophe 17 das bereits erfolgte Kreuzesopfer Christi als einen gegenwärtig zu leistenden Versöhnungsakt, insofern der Vater dadurch erneut zur Barmherzigkeit bewogen werden soll:

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»17. Jesu, du Brunn der Gnaden, Nim dich an vnsers Schaden; Versühn des Vaters Zorn Durch dein Creutz, Leidn vnd Schmertzen: Das bitten wir von Hertzen, Sonst ists mit vns verlohrn. 18. Du kanst dem Rachschwert wehren, Der Feinde Macht zerstören Durch deine grosse Krafft. Tyrannen kanstu schwechen Vnd jhren Arm zubrechen, Daß vns werd Rath geschafft. 19. Du bist der Held von Stercke, Das zeugen deine Wercke, Der allein helffen kan. Ach thu du für vns streiten Vnd steh zu vnser seilen, Sonst ists mit vns gethan.« (I F/T II, S. 152) Allen Ernstes also setzten und pochten die Lutheraner auf die endliche Demonstration der Allmacht und Allgegenwärtigkeit des Erlösers. So bat auch Heermann in seinem Lied >Treuer Wächter IsraelFleisch und Beim mit einem Bande, das viel fester ist als das zwischen Mann und Weib« (I Hirsch, S. 63). Von daher kann es kaum wundern, wenn Heermann in einem >Sterbelied< der Witwe zum Trost Christus als Nachfolger des Verstorbenen hinterläßt: »Er wird seyn mann an meiner stat, Das sol dich freudig machen; Klag ihm dein creutz, er weiß bald rath Vnd hilft in allen sachen.« (I F/T I, S. 336)

In all den Katastrophen war Jesus Christus, der allgegenwärtige Helfer, tatsächlich die einzige Bezugsperson, in die man ohne Angst vor dem

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plötzlichen Tod des Partners psychisch investieren, mit dem man eine auf dauernde Liebe gegründete Partnerbeziehung aufbauen und pflegen konnte - ein individual- und sozialpsychologisch hochinteressantes Problemfeld, das einer umfassenden Untersuchung noch harrt. Johann Heermann besingt diese Gewißheit des Christus-Besitzes: »Lebt Christus, was bin ich betrübt? Ich weis, daß Er mich hertzlich liebt. Wann mir gleich alle Welt stürb ab, Gnung, daß ich Christum bey mir hab. Er nehrt, Er schützt, Er tröstet mich; Sterb ich, so nimbt er mich zu sich. Wo Er jetzt lebt, da mus ich hin, Weil ich ein Glied seins Leibes bin.« (Ebda., S. 287)

Von hier aus war die Tür zu mystischen Anschauungen offen. Weit aufgestoßen hatte sie der irenisch gesinnte »Kryptocalvinist« Martin MOLLER (1547-1606; Erbauungsschriftsteller und seit 1600 Pastor primarius in Jacob Böhmes Heimatstadt Görlitz; vgl. II Wehr, S. 23f.), indem er in seinen weit verbreiteten Erbauungsschriften (u. a. >Meditationes sacrorum patrum< 1584ff., >Praxis evangeliorum< 1601 u. ö.) sowie vor allem in seinem >Mysterium Magnum< (1595) die Tradition augustinischer und bernhardinischer Mystik rezipierte und mit ihrer Hilfe neben Arndt eine Erneuerung der protestantischen Frömmigkeit anstrebte. Allerdings ist seine Mystik - wie sich exemplarisch an der allegorischen Auslegung der »unio mystica« im >Mysterium Magnum< als »Gleichniß« für den »geistlichen Ehestand zwischen Christo vnd seiner Braut« zeigt (II, S. 3f.) - durch den Bezug der Braut auf die Gemeinde und die Einzelseele reformatorisch-dogmatisch abgesichert. Dies gilt auch für sein bekanntes, im >Evangelischen Gesangbuch< verzeichnetes Lied >Ach Gott, wie manches Herzeleid< aus der zweiten Auflage seines >Manuale de praeparatione ad mortem< (1587; vgl. dazu 11.63 Axmacher, S. 44ff.). Innerhalb der Liedtradition verhalf Friedrich Nicolai mystischer Vereinigungssehnsucht mit seinem berühmten Gesang >Wie schön leuchtet der Morgenstern< nachhaltig zum Durchbruch: »14. Von Gott kompt mir ein Freudenschein, wenn du mit deinen Engelein mich freundtlich thust anblicken: O HERR Jesu, mein Trawtes Gut, dein Wort, dein Geist, dein Leib und Blut mich innerlich erquicken. Nimm mich freundtlich

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in dein Arme, daß ich warme werd von Gnaden: auff dein Wort komm ich geladen.« (I Wa V, S. 258)

Wenn auch diese Brautmystik gleich mehrfach theologisch abgesichert ist - u. a. durch die Anlehnung des Liedes an die Eingangsverse von Psalm 45 und einige Hohelied-Verse (vgl. IV Sauer-Geppert, S. 174f.) sowie durch gewisse kirchliche Rechtfertigungssignale (»daß ich warme / werd von Gnaden«; vgl. dazu ebda., S. 177f.; dieselbe Technik benutzte später Paul Gerhardt; vgl. dazu Kap. II 5 b) -, so ist die »unio«-Vorstellung dennoch nicht zu leugnen: Je größer die äußerliche Not, desto nachdrücklicher wird die »innerliche Erquickung« als Liebesumarmung Jesu mit dem Gläubigen erfleht. Bilder aus dem traditionellen Umfeld der Brautmystik zogen in den nachfolgenden Jahren durchaus nicht vereinzelt in das orthodoxe Liedgut der Zeit ein. »Denn ich bin rechter Wollust voll, / Wenn ich dich, Liebster, küssen sol«, heißt es bei Rist (I F/TII, S. 187), und im Blick auf die zukünftige Herrlichkeit des Umgangs miteinander widerfährt Christus auch in dieser Konstellation ein sakramentaler Rollentausch: »Denn wird er mir im FreüdenLeben / Sein außerwehlte Brüste geben« (ebda., S. 193). In Rinckarts Lied >An Jesum denken oft und viel< geschieht dies u. a. auch so: »In meinem Hertz = Schlaffkämmerlein Such ich mein liebstes Brüderlein; Zu Haus und in der KirchGemein Such ich und find mein JESVLEIN« (I F/T I, S. 475)

Diese Tendenz stellt keine Besonderheit lutherischen Liedgutes dar. Sie findet sich auch im katholischen Kirchenlied. Freilich: Die katholische Christusfrömmigkeit war insgesamt und auch in den Liedern stärker auf die Kirche bezogen, die sich selbst als »Braut Christi« verstand; dieser als ihr Bräutigam und Herr wirkte auch in ihren Amtshandlungen, so daß auch schon das »Leben mit der Kirche, der Gehorsam gegen sie usw.« durchaus bereits »eine Form der Christusbezogenheit« war (vgl. III Zeeden 1965, S. 9). Dennoch gab es auch zahlreiche katholische Lieder, welche diesen eher allegorischen Bezug transzendierten und auch über die bloße »Erinnerung« an den irdischen Jesus - die Vergegenwärtigung seiner Lebensstationen bis hin zur Himmelfahrt - hinaus die unmittelbare geistliche Gegenwart Christi beschworen (vgl. dazu die Lieder Spees und Schefflers in Bd. III).

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Dabei ging es um die unmittelbare, affekthafte »Einbildung« des so sehnlich herbeigewünschten Retters. Eben wegen dieses überragenden Interesses an dessen unmittelbarer Präsenz vergegenwärtigten die Lieder zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Lebensstationen Jesu nicht mehr nur wie diejenigen des Reformationszeitalters in lehr- und bekenntnishafter, der Anschauung nur im Zusammenhang mit dem Bekenntnis selbst Raum gewährender Abstraktheit und Kürze; vielmehr gewann - erinnert sei nur an den ausgedehnten Blut- und Wundenkult der Passionsund Karfreitagslieder - das Sich-Hineinversenken in das Leben Jesu, in seine Psyche, seine Gefühle und Schmerzen, eine bemerkenswerte, sehr affekthaltige Eigenbedeutung für die Gläubigen (vgl. am Beispiel Martin Böhmes dazu II.7 Schade, S. 53ff.; vgl. ferner Kap. I 4 b und II 4 c). b) Jenseitssehnsucht als Ich-Bewahrung und »memento mori« als Lebens-Lehre (Herberger, Meyfart, Saubert d. Ä., Gryphius) Je stärker die äußere Not empfunden und als Irritation der Heilsgewißheit erfahren wurde, desto stärker entwickelte sich das geistliche Lied der Zeit zum Kommunikator dieser Ängste. Als Konsequenz der zuvor explizierten Tendenzen nahmen Anthropozentrik und Individualisierung der Frömmigkeit zu, - und die zahlreichen, für den außerkirchlichen Gebrauch bestimmten Liedersammlungen folgten und entsprachen diesem Trend mehr als daß sie ihn erst hätten erzeugen müssen. Diese Anthropozentrik läßt sich besonders deutlich bei den Wandlungen im Bereich der Eschatologie beobachten. Diese verlor einerseits an Gewicht bei denen, die sich des Christus-Besitzes bereits im Hier und Jetzt teilhaftig wußten (sie brauchten auf die Wiederkehr des Erlösers am Jüngsten Tage nicht mehr zu warten), und sie konzentrierte sich andererseits auf die Frage nach der Erlösung des £mze/menschen. Damit stand nicht mehr wie im 16. Jahrhundert der Jüngste Tag als Triumphtag der Gemeinde im Zentrum (vgl. Kap. I 2 a), sondern der individuelle Tod, und damit wurde das »Sterbestündlein« zum heilsentscheidenden »eschaton« für den Gläubigen (vgl. III Korn, S. 15ff.), während die katholische Lehre die Verstorbenen erst noch in das Fegefeuer zur Abbüßung ihrer läßlichen Sünden führte (vgl. Kap. II l d). Ein geistliches Lied von Andreas GRYPHIUS (1616-1664) mit dem Titel >Vanitas! Vanitatum VanitasEvangelischen Gesangbuchx verzeichnet ist, mag den Problemzusammenhang illustrieren: »1) Die Herrlichkeit der Erden Mus rauch vnd aschen werden, Kein fels, kein ärtz kan stehn.

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Dis, was vns kan ergetzen, Was wir für ewig schätzen, Wird als ein leichter träum vergehn. 2) Was sind doch alle sachen, Die vns ein hertze machen, Als schlechte nichtigkeit? Waß ist des Menschen leben, Der jmmer vmb mus schweben, Als eine phantasie der zeit? 10) Wir rechnen jähr auff jähre; Jn dessen wirdt die bahre Vns für die thür gebracht. Drauff müssen wir von hinnen Vnd, ehr wir vns besinnen, Der Erden sagen gute nacht. 14) Verlache weit vnd ehre, Furcht, hoffen, gunst vnd lehre Vnd fleuch den HERREN an, Der jmmer König bleibet, Den keine Zeit vertreibet, Der einig ewig machen kan.« (I F/T I, S. 384f.)

Solche Weltverachtung (»contemptus mundi«) ist als ein altes stoisches und christliches Motiv durch die negative Zeiterfahrung neu belebt und bestätigt und so auch im geistlichen Liedgut in der Epoche des Konfessionalismus vielfach in Verse gebracht worden (vgl. III van Ingen 1966, S. 90ff., 301ff.). Während aber im 16. Jahrhundert die Symptome der »Sterblichkeit« alles Irdischen noch als Vorzeichen des Weltendes gedeutet wurden, modifiziert Gryphius die Vergänglichkeit zur kosmologischen und anthropologischen Grundbefindlichkeit schlechthin und betrachtet sie damit unabhängig vom bevorstehenden Weltende (dieses spielt im Lied keine Rolle). Der kontingent hereinbrechende Tod wird zum entscheidenden »eschaton«, der das irdische Leben zur »schlechten nichtigkeit« entwertet. Ihm steht - in den Strophen l und 14 kontrapunktisch aufeinander bezogen - die Sehnsucht des Menschen nach ewiger Existenz gegenüber. Der Gedanke an das ewige Leben rückt hier in die überragende Funktion einer Annihilierung des Todes. Nur die Gemeinschaft mit Christus vermag das Subjekt vor der Zerstörung zu bewahren. Man hat in der Benutzung der eschatologischen Motivik als eines poetischen Symbols für die Nichtigkeit alles Irdischen in der humanistischen Poesie »eine eigentümliche Verweltlichung des Motives«

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gesehen, »für die wohl die prägende Kraft der stoischen Philosophie verantwortlich ist und die erst bei Gryphius wieder theologisch überhöht wurde« (III Korn, S. 74), doch gerade das zitierte Lied verdeutlicht, daß in der Konfrontation von Vergänglichkeit und Ewigkeit das ebenfalls stoische Interesse an Selbstbewahrung und Erhaltung der Ich-Identität bei Gryphius über das theologische Erlösungsmotiv dominiert. Mutatis mutandis gilt dies auch dort, wo nicht nur die »vanitas« thematisiert wird, sondern die Erlösungssehnsucht selbst im Lied-Zentrum steht. So in dem berühmten, auch im heutigen Gesangbuch noch vertretenen >Valet< des Fraustadter Pfarrers und einflußreichen Erbauungsschriftstellers Valerius Herberger (1562-1627), der während einer Pestepidemie treu bei seiner Gemeinde aushielt und in wenigen Monaten hunderte von Opfern ans Grab begleiten mußte: »l) VALEt wil ich dir geben, Du arge, falsche Welt. Dein sündlich böses Leben Durchaus mir nichts gefeilt. Jm Himmel ist gut wohnen, Hienauff steht mein begier, Da wird Gott ehrlich lohnen Den, wer jhm dient allhier.« (I F/T I, S. 98)

Wenn Herberger leidgeprüft seufzt: »Gleichsam triefend und voll Lebensüberdruß ans Ufer geworfen, finde ich, indem ich der mühevollen Lebensfahrt und der täglich neuen Gefahren mit Beklommenheit gedenke, Nichts, was mich die Fortsetzung des Lebens einem seligen Tode könne vorziehen lassen, als den göttlichen Willen, dem wir alle gehorsam sein müssen« (zit. in III van Ingen 1966, S. 338f.): dann scheint es fast unbillig zu sein, seinem >Valet< noch funktionsanalytisch einen lebensbewahrenden Bezug zuweisen zu wollen. Ingeborg Röbbelen hat gleichwohl in dieser Art von Jenseitssehnsucht ebenso wie in den Bußliedern keine wahre Demutshaltung vor Gott, sondern »eine bestimmte Form von >Selbsterhaltung< der >PersönlichkeitEin Lied vom Himmlischen Jerusalem< bei, das - ebenfalls noch zum heutigen Liederangebot zählend den unmittelbaren Aufstieg der Seele in den Himmel als einen Triumphzug in Schutz und Geborgenheit der Engelsbegleitung imaginiert (daß dies Lied eine poetische Bearbeitung von Augustins Meditationen über das 21. Kapitel der Offenbarung ist, relativiert diese Meyfartsche Aneignung nicht; vgl. dazu ebda., S. 153): »1) JErusalem, du hochgebawte Stadt, Wolt Gott, wer Ich in dir! Mein sehnlich Hertz so groß Verlangen hat Vnd ist nicht mehr bey mir. Weit über Berg vnd Thale, Weit über blache Feld Schwingt es sich überale Vnd eylt aus dieser Welt. 3. Jm Augenblick wird Sie erheben sich Biß an das Firmament, Wann Sie verlest so sanfft, so wunderlich Die Stett der Element, Fehrt auff Eliae Wagen Mit Engelischer Schaar Die Sie in Händen tragen, Vmbgeben gantz vnd gar.« (I F/T II, S. 64)

Mit dieser Preisgabe der psychophysischen Einheit des Menschen bezeugen Herberger und Meyfart, die beide zur lutherischen Reformorthodoxie zählen (vgl. Kap. II 4 c), eine »kryptocalvinistische« Tendenz; denn vor allem Calvin betonte im Gegensatz zu Luther, die Seele sei gegenüber dem Leib eine selbständige Substanz mit einem eigenen Wesen oder Sein, sie sei mithin der eigentliche Mensch, das wahre Ebenbild

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Gottes, zwar geschöpflich, aber doch unsterblich ( Tod der Seele war für Calvin nur im geistlichen Sinne ein Verlassensein von Gott; vgl. 11.15 Quistorp, S. 50ff., 65ff.). So erschien der Tod in Anlehnung an die platonische Tradition als eine Befreiung der Seele aus dem Kerker des Körpers, die Tötung des »Fleisches« zugleich als »Lebendigmachung des Geistes« (ebda., S. 52). Demnach bedeutete der Tod nicht etwa die personale Vernichtung, sondern lediglich die Trennung des lästigen Körpers von der Seele. Bei der Lehre vom Zustand der Seele nach dem Tod war Calvins Lehre widersprüchlich: Einerseits war die Seele wie in den Liedbeispielen sofort in der ewigen Seligkeit, andererseits mußte sie im Zustand voller Funktionsfähigkeit (also nicht - wie einige Häretiker annahmen - im Zustand des Schlafes) bis zur Auferstehung des Körpers im Jüngsten Gericht warten (vgl. ebda., S. 79ff.). Immerhin hielt Calvin aber auch an der Auferstehung des Leibes fest und betonte, um die Kontinuität des einen Leibes und damit die Identität des Ich im Diesseits und Jenseits zu wahren, daß die Seele jeweils mit dem »alten« Leib wiedervereinigt werde, daß dieser aber neue Qualitäten besitze wie der verklärte Leib Christi nach dessen Auferstehung (ebda., S. 79ff.; vgl. hierzu und zum folgenden auch die Positionen Czepkos und Schefflers in Bd. III). Während so unter dem Leidensdruck der Zeit die reformatorische Position Calvins zur Auferstehung und sofortigen Himmelfahrt der Seele verkürzt und verabsolutiert wurde, widerfuhr zugleich auch der Ansicht Luthers eine Radikalisierung. Dessen Eschatologie konzentrierte sich stärker auf die Auferstehung der Toten, und dies implizierte ein sehr viel stärkeres Festhalten an der psychophysischen Einheit (ebda., S. 96). Daß es um ein neues Leben des ganzen Menschen ging, zeigte sich für Luther auch an der Einbindung des Leibes in das sakramentale Geschehen bereits im Diesseits, denn sie erfolgte zu dem Zweck, »daß auch der Leib muß Geist werden oder geistlich leben, wie wir bereits jetzt angefangen haben durch die Taufe, daher wir nach der Seele geistlich leben und Gott auch den Leib für geistlich ansiehet...; denn wir werden nicht allein getauft nach der Seele, sondern der Leib wird auch getauft« (zit. ebda., S. 98). Der Tod erschien Luther als ein bloßer Schlaf, der Zwischenzustand zwischen Tod und Auferstehung als eine kurze Zeit der »Geborgenheit in Christus«, bis dieser sich »leibhaftig offenbar macht« (ebda., S. 99), und war deshalb auch kein Gegenstand neugieriger Spekulationen. - Im 17. Jahrhundert nun wuchs aber das Interesse gerade an dieser Verklärung des Leibes und seinem künftigen Zusammenhang mit der Seele auffallend (vgl. z. B. Meyfarts Ansicht >Von der Klarheit der auferweckten leiben von 1627 in: I Zeller, S. 125ff.; vgl. dazu auch Bd. III).

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Die Lieder versäumten es nicht, das Paradoxon von Verwesung und Verklärung des Körpers pointiert hervorzuheben wie im folgenden >Desiderium gaudii coelestis< aus der Feder des >reformorthodoxen< Nürnberger Stadtpfarrers Johann Saubert d. Ä. (1592-1646): »Hie legt man den Leib in die Erd, / Die Würmer ihn verzehrn, / Dort aber wird er schön verklärt / Durch dich als wie die Stern.« (I F/T III, S. 176). Auch in diesem Beispiel sehnt sich das Ich aus der Welt, aber es möchte mit der Beendigung der Leiden zugleich seine psychosomatische Unversehrtheit wiederherstellen und retten, ja es möchte in der Entwertung der Welt zum Nichts die eigene Identität ganzheitlich erhöhen. Der »krasse Realismus« (III Korn, S. 18), mit dem die Auferstehung des Leibes nicht nur in den erbaulichen Schriften, sondern auch im kirchenorientierten geistlichen Lied - etwa bei dem Doktor der Medizin und der Rechte Ludwig von Hörnigk (gest. 1667; vgl. F/T III, S. 284f.), bei dem Theologieprofessor Christoph Wegleiter (1659-1706; vgl. F/T V, S. 135f.) oder bei dem Rechtsgelehrten Erasmus Finx (1627-1694; vgl. F/T V, S. 257f.; vgl. III Korn, S. 18) - beschrieben wird, ist darüberhinaus nicht nur Anzeichen eines auch in der bildenden Kunst der Zeit zu beobachtenden neuen Interesses für die Realität und das Funktionieren ihrer Details sowie für den Beweiszwang, den die Vernunft gerade diesem Dogma zunehmend abverlangte, sondern auch für ein neu erwachendes Verantwortungsbewußtsein dem Körper gegenüber, der - unter dem Gebot und der Verheißung Gottes stehend - verantwortlich in Zucht zu nehmen war. Damit gelangt eine weitere zentrale Umfunktionierung der Eschatologie im 17. Jahrhundert in den Blick: Diese ist immer weniger Ausdruck der Naherwartung und der einstimmenden, furchtvertreibenden Vorfreude, sondern sie wird umfassend der Paränese, der erbaulichen Mahnung, dem Appell zur ethischen Besserung dienstbar gemacht. Dies vermag zunächst wieder die Position Sauberts zu zeigen. Seine Sehnliche Betrachtung der EwigkeiK zielt mit dem Scopus ihrer 28 Strophen vorrangig auf das Diesseits. Schon äußerlich wird deutlich, daß die Ewigkeit hier als Instrument der Buße und damit der Lebens-Lehre dient; der erste Teil wendet sich nämlich stereotyp an den Sünder und imaginiert dessen ewige Höllenstrafen - dem Verfahren Spees verwandt (vgl. Kap. II l d) - zu keinem anderen Zweck, als ihn zu einer Verhaltensänderung im Diesseits aufzufordern: »Du Sünder in der Ewigkeit, Nicht mehr kanst dich bekehren; Hinwegk ist alle Stund und Zeit Zu deinem Heil und Ehren.

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Kein Wort hat statt, Kein Göttlich Gnad Darffst dir hinfort einbilden, Sondern im lautern Gottes Zorn Must du gäntzlich verwilden.« (I F/TIII, S. 178)

Ferdinand van Ingen hat in seiner das kirchenorientierte geistliche Lied einbeziehenden Studie über >Vanitas und Memento Mori in der deutschen Barocklyrik< nachgewiesen, daß diese Motive »in den Dienst der Ethik treten«, »daß es in dieser Dichtung nicht an erster Stelle um das Problem des Todes, sondern um das des Lebens geht. >Memento mori< bedeutet demnach: >Disce vivereHeiligen< an den Unzumutbarkeiten des irdischen Jammertals verschwimmen. Jedenfalls erscheint das in den Liedern sowohl vorgeführte wie ausgehaltene Leiden in Geduld als Bestandteil rechten Glaubens, sei es als dessen Anfang durch eine aufrichtige Bußgesinnung (vgl. IV Röbbelen, S. 137f.), sei es als dessen Folge in Form des »neuen Gehorsams«, der ebenfalls seit Melanchthon (nach »contritio« und »fides«) noch zur Buße gehörte und diese durch die »bona opera« abschloß (vgl. ebda., S. 167f.).

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Röbbelen, welche die Entwicklung des geistlichen Liedes dieser Zeit mit den Augen und am Maßstab Luthers bemißt und an ihr deshalb einen unaufhörlichen Verfallsprozeß diagnostiziert, der bei Melanchthon beginnt und im Pietismus einerseits, in der Aufklärung andererseits endet, erkennt mit dem Scharfsinn eines orthodoxen Zensors an dieser Bußpraxis die Gefahr einer menschlichen Selbstheiligung, die faktisch doch in den von Luther am Katholizismus so bekämpften Gnadensynergismus führt, weil die Bußgesinnung und die Werke des »neuen Gehorsams« wichtige Bestandteile der »fiducia« wurden, ohne deren Erfüllung sich niemand des wahren Glaubens sicher sein konnte, während ihr Vorhandensein umgekehrt die Sicherheit des Gnadenbesitzes verbürgte (ebda., S. 151 ff.): »Wenn du dich in den Staub legst nieder, / So gibt er dir die Gnade wieder« (Johann Daniel Herrnschmidt; ebda., S. 165). In diesem Sinne also erwarb Leiden Heil. Damit zeigt sich ein paradoxer, f römmigkeits- und kulturgeschichtlich höchst bedeutsamer Befund: »Die liebe Zucht = vnd Vaters = Ruth«, welche Rinckart pries, weil sie zur Gottsuche verhelfe (I F/T I, S. 457), trieb den Gläubigen nicht nur gleichsam willenlos in die Arme des Retters Christus, sondern warf ihn gerade wegen der Suche nach einem gnädigen Gott auch auf sich selbst zurück, nötigte ihn zur umfassenden Selbst- und Lebensanalyse. Dieses Interesse für sich wurde anfangs theologisch dadurch legitimiert, daß es zumeist auf die Einsicht in die eigene Nichtigkeit und in die Überzeugung von der Welt als Jammertal zielte (vgl. IV Röbbelen, S. 112). Und nur mühsam wandelten sich die Gewichte und Perspektiven. Doch der erste Schritt zur Diesseitsorientierung war der in vielen Liedern als Bestandteil der Bußgesinnung zum Ausdruck gelangende Wille zur Besserung im »neuen Gehorsam« (vgl. ebda., S. 151, 167ff.). Inhaltliche Füllung und Wandel dieses für Ethik und Sozialverhalten hochbedeutsamen Frömmigkeitsideals seien hier am Beispiel der ersten und zweiten Generation der lutherischen Reformorthodoxie kurz aufgezeigt - deren Wirken ist bislang leider noch kaum erforscht (bezeichnenderweise ist Röbbelen der Begriff der Reformorthodoxie noch unbekannt; vgl. zu dieser Gruppe inzwischen III Schmidt, S. 28ff.; Beyreuther, S.Bff.; 11.31 Krummacher, S. 477ff.). - Johann Arndt führte als Modell dieser neuen, aus der Buße resultierenden Frömmigkeit das in der katholischen Tradition wurzelnde Ideal der »imitatio Christi« ein, wie es Thomas von Kempen (d. i. Th. Hermeken 1379/80-1471) - ausgehend von Joh. 8,12: »Wer mir nachfolgt, wandelt nicht in der Finsternis« - als ständigen Prozeß einer »conformitas« mit dem ganzen Leben Jesu beschrieben hatte (vgl. II Thomas v. Kempen, S. 11). Arndt übernahm

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dieses - auch das Mit-Leiden einschließende - Ideal der Nachfolge Jesu, weil dessen »heiliges, lebendiges Exempel die rechte Regel und Richtschnur unsers Lebens ist, ja die höchste Weißheit und Kunst, daß wir billig sagen können: Omnia nos Christi vita docere potest. Das ist: Das Leben Christi kan uns alles lehren« (II Arndt, S. (b) 3 r/v). Während für Luther die Nachfolge Jesu nur im Sinne einer »geschenkten Hineinnahme in das Leiden Christi« von Bedeutung war (III Kahler, Sp. 1291) und die Orthodoxie gegenüber Arndt darauf bestand, daß der »recht = Seligmachende Glaube nicht auß der Nachfolg deß Exempels Christi / sonder auß der Lehr Christi her vom Glauben an ihne / als den Einigen Erloser vnd Mittler« hervorgehe (II Osiander, S. 294), verlangte Arndt als Frucht (und Beweis) des wahren Glaubens eine tatsächliche innere Bereitschaft zur (synergistischen, assimilierenden) Nachahmung der an Jesus erkennbaren Tugenden: »Wer Christum lieb hat, der hat auch lieb das Exempel seines heiligen Lebens, seine Demuth, Sanfftmuth, Gedult, Creuz, Schmach, Verachtung, obs gleich dem Fleisch wehe thut« (II, S. (b) 3 r/v). Damit hob Arndt - bezeichnend für das ursprüngliche Mönchsideal und die eigene Krisenzeit - als Tugenden Jesu lauter passive Verhaltensdispositionen des geduldigen Ertragens, der »compassio« hervor, die ganz auf die individuelle Heiligung abzielten und bereits durch weitgehenden Verzicht auf kirchliche sowie soziale Verantwortung zu erreichen waren. »Lernet von mir in gemein, / Sanfft und reich von Demut seyn«, heißt es denn auch entsprechend von Christus bei Rist (I F/T II, S. 194), und Siegmund von Birken (1626-1681; Nürnberger Pegnitzschäfer und Privatgelehrter) beginnt sein Lied >Von der Nachfolge Jesu< ebenfalls ganz in diesem Sinne (vgl. zur »imitatio Christi« im geistlichen Lied der Zeit auch IV Röbbelen, S. 366ff.): »LAsset vns mit JESV ziehen, Seinem Vorbild folgen nach, Jn der Welt der Welt entfliehen, Auff der Bahn, die er uns brach, Immer fort zum Himmel reisen, Irdisch = noch schon himmlisch seyn, Glauben recht und leben fein, In der Lieb den Glauben weisen. Treuer lEsu, bleib bey mir: Gebe(!) vor, ich folge dir.« (I F/T V, S. 62)

Ebenfalls noch das Bild einer stark verinnerlichten, auf den »homo interior« und das ewige Leben ausgerichteten Frömmigkeit bietet Philipp Nicolais >Theoria vitae aeternaeWie schön leuchtet der Morgenstern< und >Wachet auff, rufft vns die Stimme< - kommt diese Gesinnung rein zum Ausdruck. Das zweite faßt als Perikopenlied das am letzten Sonntag des Kirchenjahres bis heute verlesene Gleichnis von den fünf törichten und den fünf klugen Jungfrauen (Matth. 25, 1-13) in aktualisierender Applikation zusammen: Die Perikope, welche die kontingent hereinbrechende Wiederkehr des Menschensohns lehrt und deshalb an die ständige Wachsamkeit der Jünger appelliert, illustriert die Heilsgewinnung keineswegs zufällig an einer für sich betrachtet ganz unsozialen - Verhaltensweise der fünf klugen Jungfrauen, die den törichten die Bitte um Öl schlichtweg abschlagen (vgl. Matth. 25, 6-10). Das Verhalten der Klugen lehrt mit der Wachsamkeit zugleich einen sub specie aeternitatis belohnten Egoismus. Vor dem Richtstuhl Christi hilft letztlich keine Nächstenliebe mehr, sondern nur noch die persönliche »Heiligung«. Der individuelle Charakter dieses Frömmigkeitsideals gelangt mit der Umgestaltung des Christus-Gemeinde-Bezugs von >Wachet auff, rufft vns die Stimme< zum brautmystischen »Ich-Du«-Verhältnis in Nicolais zweitem Lied voll zum Durchbruch (vgl. Kap. II 4 a). Diese im Grunde egoistische Frömmigkeitsform wurde auch im zeitgenössischen Erbauungsschrifttum abgesichert, und zwar durch keinen Geringeren als den von Johann Arndt beeinflußten, bedeutenden lutherischen Dogmatiker Johann Gerhard (1582-1637). In seiner >Schola

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pietatis< beschreibt er den Weg der Wiederherstellung des durch den Sündenfall verlorenen göttlichen Ebenbilds im Menschen. Diese beginnt in der Wiedergeburt, die Gerhard im Sinne Melanchthons als Akt der Gerechtmachung vor Gott durch die Zuteilung des Verdienstes Christi versteht (vgl. II Gerhard, S. 139), wird aber erst in der Ewigkeit vollendet. Im Blick auf diese als Ziel verbannt Gerhard den Bereich sozialethischer Tugenden in die unterste Ebene der theologischen Hierarchie: in die »schola naturae«; denn Gottes Regierung unter den Menschen zählt zur vergänglichen »Natur« (ebda., S. 452), und zu ihr rechnet Gerhard auch das im Herz verankerte Naturgesetz der Nächstenliebe, welches die Sozialtugenden impliziert (ebda., S. 454f.), doch über dieser »schola naturae« als der »ABC Schule« erheben sich erst die eigentlichen »höheren Schulen« der »schola gratiae« und »gloriae«, welche eben nicht auf den »amor benevolentiae«, sondern auf den individuellen »amor concupiscentiae« des Einzel-Ichs bezogen sind. Darin spiegelt sich die auch von Gerhard vertretene Ansicht von dieser Welt als eines transitorischen Jammertals, für das sich zu engagieren letztlich sogar heilsgefährlich sei: »Wir sind in dieser Welt nur Wandersleute in einer Herberge. Dieselben nehmen vor gut / was man jhnen vorsetzet / vnd eilen an den Ort / dahin sie gedencken / also sollen wir in der Welt zufrieden seyn mit deme / was vns darinnen gutes oder böses wiederfähret (!) / vnd allzeit an vnser ewiges immerbleibendes Vaterland gedencken. Das Wesen dieser Welt vergehet / demnach wer durch vnordentliche Liebe der Welt anhanget / derselbe muß auch mit jhr vergehen. I. Johan. 2.vers.l7. Die Welt vergehet mit jhrer Lust / wer aber den Willen GOttes thut / der bleibet in Ewigkeit. Wir mogen zwar der Welt brauchen / aber wir sollen sie nicht lieben . . . « (Ebda., S. 248)

Solche in den geistlichen Liedern der Zeit - wie wir sahen - vielfach thematisierte Weltverachtung dient - das wird hier erneut deutlich - der Sorge um die Unvergänglichkeit des Ich. - Darüberhinaus aber hat die vorwegnehmende Beschäftigung mit diesem Zustand der Ewigkeit für den Auserwählten selbst eine psychisch entlastende Funktion, wie wir sie bereits für das 16. Jahrhundert beobachten konnten (vgl. Kap. I 2 a): »O du herrliche Ewigkeit, Du machst, daß wir ertragen Schmach und Verachtung jederzeit Jn diesen schnöden Tagen.« (I F/T III, S. 180)

Die Verse entstammen Johann Sauberts bereits erwähntem Lied Sehnliche Betrachtung der EwigkeiK. In einer Emblemsammlung hat Saubert dies Motiv ebenfalls gestaltet. Die »pictura« zeigt die Anima, welche

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sich - das »myein« versinnbildlichend - die Augen bedeckt und mit dem Herzen den himmlischen Thron und die um ihn versammelten Scharen der Gerechten imaginiert: »AVffs wenigst einmal alle Tag« soll sich ein Christ auf diese Weise der »Welt« entziehen und »sein Hertz richtn auffs Paradeiß«, »Als wann er schon stund vor dem Thron / Neben den frommen Seelen / Vnd hette auff ein Gulden Cron / Vnd thet jhm nichts mehr fehlen« (II DES, S. 16); dann wird er die Belastungen »dieser schnöden Welt« besser verkraften. Diese Vorausprojektionen der Seligkeit sind also nicht nur Flucht-Indikatoren, sondern ein allen Ernstes anempfohlenes Psychotraining, ein Kraftspender für die Lebensbewältigung. Saubert macht sich dabei die Imaginationstechnik des Ignatius von Loyola zu eigen (vgl. dazu Kap. II l d; zu deren Gebrauch bei Saubert vgl. auch seine Schrift >Icones PrecantivmHeiligung< zu gesellschaftsbezogenen Verhaltensweisen lutherischer Frömmigkeit. Es bittet um das rechte Verhalten in der Welt, um ein besseres Regiment der angefochtenen Kirche Christi: »O du Ewig Dreyeinigkeit, Hilff, daß wir wol bedencken, All Augenblick die Ewigkeit; Dein Geist wöllstu uns schencken, Damit in Summ Dz Christenthumb Besser geführet werde, Als leider jetzt von vieln beschicht Allhie uff dieser Erde.« (I F/TIII, S. 180)

Mit der besseren Führung des Christentums bringt Saubert das zentrale Anliegen der zweiten Generation der Reformorthodoxie in das Lied ein. Sie greift auf Instrumentarien der Kirchenzucht und der Visitationspraxis zurück, die bereits im 16. Jahrhundert von geistlicher und weltlicher Obrigkeit gehandhabt wurden (vgl. Kap. II 2 a), die aber nun in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges nicht mehr in erster Linie der Einführung und Kontrolle des Glaubens, sondern der Pflege der Gemeinschaftstugenden zu dienen hatten. Die »guten Werke« sollten z. T. auch im bewußten Rückgriff auf Melanchthon, dessen theologische Richtung sich seit 1573 auch in Nürnberg durchgesetzt hatte (vgl. III

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Kastner, S. 36ff.) - stärker zur Pflicht gemacht, das persönliche »Heiligkeits«-Ideal auf die Erfordernisse der »socialitas« hin umorientiert und mit den Erfordernissen der Policey-Ordnung koordiniert werden. Es war ein Neuansatz auch in der Zusammenarbeit von Kirche und weltlicher Obrigkeit auf dem Weg in den absolutistischen Staat. Andreas Gryphius stand den Intentionen der Reformgruppe besonders nahe (vgl. 11.31 Krummacher), und daß diese die Poesie im weiten Sinne als Instrument der kulturellen Pflege zu nutzen wußte, zeigte sich an Sauberts Nürnberger Amtskollegen Johann Michael Dilherr (1604-1669; »poeta laureatus« und geistlicher Mittelpunkt der >PegnitzschäferZuchtbüchlein der Euangelischen Kirchen, Darin Von der Nothwendtigkeit der Kirchen Zucht gehandelt wirdtGeist< des Luthertums gleichermaßen bemerkenswerte Lösung: Allsonntäglich legte er im Abendgottesdienst in einem großangelegten - zehn Bände umfassenden - Predigtzyklus den Katechismus im Kontext des mosaischen Gesetzes aus, nahm dabei zu allen aktuellen Problemen Stellung und lehnte seine Lösungsvorschläge eng an die weltliche Policeyordnung an (diese war in Straßburg besonders detailliert und zu ihrer Zeit nicht zuletzt deshalb berühmt; zur religiösen Situation Straßburgs im 17. Jahrhundert vgl. III Kastner, S. 45ff.). Ja, er sanktionierte sie geradezu als Ausführungsbestimmung der von Gott verordneten Nächstenliebe im Sinne von »Einigkeit / Fried und Freundschafft« zwischen den Gruppen und Ständen! Die Nächstenliebe war das oberste Gebot der »anderen Tafel« des Dekalogs (II Dannhauer II, S. 19ff.), und er legte sie eindringlich als Verpflichtung zu sozialem Verhalten innerhalb der Kommune aus: » . . . also hat GOTT uns Menschen allesampt aus einem Geblüt / über den gantzen Erdboden / gleichsam als ein allgemeine Weid außgebreitet / uns allen ein allgemeinen Tisch und Tafel gedeckt / da sollen wir als freundliche Tischgenossen und Kostgänger / ja als Brüder in einem Hauß / dann so werden alle Menschen genennet / friedlich und schiedlich mit einander leben / keiner die Weid allein fressen / Summa wie die holdseeligen Schäflein auff der Weid uns geberden.« (Ebda., S. 23)

Entsprechend sollten sich auch die Mitglieder einer »commun und Statt« der »concordia« befleissigen (ebda., S. 37). Doch nicht genug damit, rechtfertigte er seine Deutung der Nächstenliebe als eines von Gott verordneten friedlichen Zusammenlebens einer sozialen Gemeinschaft (vgl.

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ebda., S. 39) neben zahlreichen Bibelsprüchen auch mit dem Hinweis auf das Naturgesetz: »Was der HERR in seinem Wort befohlen / das hat er auch in die Natur gepflantzt / es ist der Mensch von Natur ein ... geselliges und leutseeliges Thier / und wire auch unter uns Menschen lauter inniglich und hertzliche Freundschafft gepflogen worden / wo der Teufel im Paradiß das pomum eridos den Zanckapffel nicht ins Mittel geworffen / und unsere erste Eltern nicht angebissen hätten.« (Ebda., S. 39)

Am eindrucksvollsten vermochte sich dieses auf das Zusammenwirken von Obrigkeit und Kirchenzucht mit Haus- und Schulzucht angelegte Reformprogramm im Herzogtum Sachsen-Gotha während der Regierungszeit von Ernst dem Frommen (1601-1675) seit 1640 auszuwirken (dazu III König), doch versuchten auch andere protestantische Potentaten - analog zu bayerischen und österreichischen Bestrebungen durch das Vorbild persönlicher »pietas« - durchaus auch im Kontext absolutistischer Interessen - über die Hofkultur prägend auf die Frömmigkeit ihrer Untertanen einzuwirken (wie z. B. Herzog August d. J. zu Braunschweig-Lüneburg (1579-1666); vgl. dazu III Breuer 1984 a, S. 21 ff.). - Wie groß der Erfolg in der Praxis insgesamt war, muß dahingestellt bleiben. In unserem Zusammenhang ist wichtig, daß die theologischen Reformer - allesamt auch als erfolgreiche Erbauungsschriftsteller tätig und vielfältig persönliche Beziehungen über ihren Kreis hinaus pflegend - mitten im Dreißigjährigen Krieg im Luthertum ein öffentliches Bewußtsein für die Notwendigkeit der guten Werke schufen, die das Sozialverhalten einschlössen. Seither finden sich auch im geistlichen Liedgut vermehrt Bitten an Gott um angemessene Nächstenliebe wie im folgenden >Geistlich Lied eines Kämpffenden Christen< von Johann Valentin Andreae: »Sollen auch mein werck dich preisen Vnd mein Glaube seyn bezeugt, Mein Nechsten viel lieb beweisen, Ach mein Fleisch sich aber beugt. Wärm, o Herr, die kalte Lieb, Läutter meine(!) wercke trieb, Brauch du mich, Gott, nach deim gfallen, Daß ich nutzlich sein mög allen.« (I F/T III, S. 249)

Georg Philipp Harsdörffer (1607-1658; >Haupt< des Nürnberger Dichterkreises und Mitbegründer des Pegnesischen Blumenordens) zeigt sich in seinen Kirchenliedern deutlich von seinem Stadtpfarrer Saubert beeinflußt. Schon Titel wie >Lied von dem Weg zu menschlicher Vollkom-

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menheitx, >Von der Gottseligen Vollkommenheit oder >Von der Christlichen Vollkommenheit (I F/T V, S. 14f., 20) weisen daraufhin. Auch inhaltlich machte er sich die Position der Reformorthodoxie ganz zu eigen: »Der Baum ist zu bemerken An seiner Aeste guten Frucht, Gleichwie man an den Werken Erkennt der waaren Christen Zucht.« (Ebda., S. 20)

Harsdörffer war bestrebt, gerade den Begriff der >Heiligkeit< ins Sozialethische zu wenden: »Ich meide Sund' und Missethat Und thue guts durch deine Gnad, So viel mir Huld' erschienen; Jn deines Willens Heiligkeit Bin ich zu jeder Zeit bereit, Den Nechsten stets zu dienen, Und traure, daß ich nicht kan seyn Jn dieser Schwachheit Engelrein.« (Ebda., S. 14)

In seinen >Frauenzimmer Gesprechspielen< nahm Harsdörffer auch zu Todes- und Jenseitsverlangen Stellung. Die veränderte Haltung der Nach-Kriegszeit gegenüber der Endzeitstimmung Herbergers tritt dabei deutlich zutage: Wir sind »nicht uns / sondern unserm Nechsten zu dienen geboren: Wann uns also gleich besser were der Tod / als das Leben / so ist es doch unsrem Nebenchristen nicht besser / der unsrer Dienste benöthiget ist.« (Zit. in: III van Ingen 1966, S. 339) Und er fügte hinzu: »Wer nun ein Christliches Leben führet / sol den Tod nicht wünschen« (ebda.). In seinen kirchenorientierten geistlichen Liedern gebrauchte Harsdörffer bereits die Begriffe der guten Werke, der Liebe und der Tugend synonym: »Dann Sund und Unrecht meiden Ist hier der erste Schritt; Bald man mit Hertzens Freuden Der Tugend Weg betritt.« (Ebda., S. 20)

Eben in dieser Tendenz zur Austauschbarkeit der Begriffe und im Gedanken des »Fortschreitens im Guten« bis zur Vollkommenheit erblickt Röbbelen - aus ihrer gestrengen theologischen Perspektive nicht zu Unrecht - bereits den Anfang zu einer »höchst vernünftigen Moral und Tugendpredigt« (IV, S. 332), und sie zeigt an einer großen Materialfülle,

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wie sich gerade die in den Gesangbüchern stets als Großgruppe vertretenen Lieder zum christlichen Leben und Wandel< beim Übergang zur Aufklärung mehr und mehr mit weltlich-vernünftigen Morallehren vermischten. Als »Höhepunkt« der Problematik dieses »Heiligungsliedes und der Heiligungsfrömmigkeit« erscheint ihr, daß »aus einer von Gott gesetzten und im Glauben zu vollziehenden Aufgabe« »ein eigenmächtig zu betreibender Dienst des Menschen an seiner eigenen Glückseligkeit geworden« sei (ebda., S. 362). Tatsächlich ist diese Tendenz in den Liedern unverkennbar. So etwa bei Magnus Daniel Omeis (1646-1708; Mitglied der Pegnitzschäfer und Professor der Moral und Poesie im nürnbergischen Altdorf). >In Verfolgung und Widerwärtigkeit hielt dieser sich nicht mehr mit Leiden und Klagen auf. Gott, Tugend und ein »gut Gewissen« ließen ihn unverrückt - selbstgerecht, fröhlich und stoisch zugleich - auf die Wendung des Ungemachs noch während seines Erdenwandels hoffen: »Es wird nach Regen einst die Sonne scheinen, Und zwar wann mancher es nicht wird vermeynen. GOtt und die Tugend ist mein Aufenthalten: Ich lasse GOttes Rath nur bey mir walten. Wo gut Gewissen ist und treues Hertze, Da wird das Ungelück zu lauter Schertze. Die Unschuld kommt doch noch einmal an Tage: Was hilf ft es mich, wann ich mich lang drum plage?« (I F/T V, S. 144)

Kein Wunder, daß Omeis bei dieser Einstellung den Himmel bereits buchstäblich - in dem Lied >Der Christen Freude< - auf die Erde verlegen konnte: »Immer frölich! immer frölich! Jch bin auf der Erd schon seelig, Habe meinen Himmel hier. Andre fressen ihre Herzen Durch die schwere Sorgen = schmerzen, Mir kommt gar nichts traurig für.« (Ebda., S. 146)

Selbst wenn Schicksalsschläge hereinbrachen, welche die Christen zu Beginn des Jahrhunderts noch in die tiefsten Selbstquälereien, in Leidens-Masochismus und Gotteszweifel gestürzt hatten, ließ sich Omeis' starkes, wenn auch hartherziges Ich die Freude dadurch nicht mehr verderben:

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»Sterben mir die Anverwandten, Eltern, Weib, Kind und Bekandten, Bleibt die Freud doch unversehrt. Der sie gab, hat sie genommen; Darum sey bey allen Frommen GOttes Name hochgeehrt!« (Ebda., S. 147)

Christliche Erwählungssicherheit und stoische Unerschütterlichkeit trafen hier zu einer Haltung zusammen, die um die Wende zum 18. Jahrhundert entschlossen alles verdrängte, was den Genuß der Seligkeit auf Erden stören konnte. Freilich sollte das Verdrängte, das sich zeitgleich mit Omeis bereits im pietistischen Lied als Melancholie festsetzte (vgl. IV Röbbelen, S. 188), der Aufklärung als ihre »Kehrseite« noch schwer zu schaffen machen (vgl. Bd. V). Indessen gab es im Übergang zur Aufklärung noch weltlichere Positionen im geistlichen Lied. So zum Beispiel die >Ermahnung zur Vergnügung< von Christian Hoff mann von Hoffmannswaldau (1618-1679). In ihr ist von Gott überhaupt nicht mehr die Rede, sondern nur noch vom »Himmel«, den »Sternen« oder vom »Verhängnüß«. Gegenüber dieser (transzendenten?) Macht soll das Ich sich und seine Autonomie behaupten, sein »eigen Licht« ganz aufklärerisch erstrahlen lassen: »Auff, O Seele, du must lernen, Ohne Sternen, Wenn das Wetter tobt und bricht, Wenn der Nächte schwarze Decken Uns erschrecken, Dir zu seyn dein eigen Licht.« (I F/T V, S. 438)

Im Blick auf die außerordentliche Bedeutung, die den religionsphilosophischen Auseinandersetzungen mit dem Höhepunkt des Lessingschen Toleranzpostulats als Kennzeichen und Vermächtnis der Aufklärung zugestanden wird, sei darauf verwiesen, daß auch in diesem Punkt ein zentraler Faden von der Reformorthodoxie gesponnen wurde. Nicht zufällig wuchs im Verlauf des sog. >Religionskrieges< die Einsicht, daß sich die einander befehdenden Konfessionen weder auf dem Schlachtfeld noch auf dem Gebiet der Dogmatik würden überwinden können. So blieb nur ein Wettkampf im Bereich der Frömmigkeit übrig. Wieder war es Saubert, der in seiner Schrift >Psychopharmacum pro Evangeliis & Pontificis< (1636) die Überlegenheit der eigenen Konfession listig in der »Besserung vnsers Lebens« erblickte. Die Fülle der von ihm eingangs zitierten konfessionspolemischen Literatur bestätigte ihn in der Überzeugung, daß »die Papisten zu gewinnen / eine reformation vnsers Le-

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bens nöthiger sey / als das disputiren vnnd Schrifftwechseln / von strittigen Puncten« (H PEP, S. 51). Saubert verwies darauf, daß viele Katholiken »den Fleiß vnd Eyfer Arndii, die Leute fromm zu machen / ihnen sehr belieben lassen« (ebda., S. 66), so daß einige vornehme Katholiken ihm gegenüber bereits bekannt hätten: »Wann viel solche Arndij bey vns vnnd euch weren / so wolten wir Vns noch wol zusammen finden« (ebda.). Und er fährt fort: »So kSnnen wir auch mit Warheit bezeugen / daß vom Gegentheil etliche Gelehrte / in vnserer Gegenwart / von den Schrifften H.D. Gerhardi, D. Johan. Schmidii, Joh. Val. Andreae, Mayfarti, Egardi vnnd anderer / gar honorifice geredt / darumb / daß diese Authores an vielen Stellen / sehr fleissig auff die waare Gottseligkeit vnnd Besserung deß Lebens gedrungen.« (Ebda.)

Der fromme Eifer um eine Reform des »Lebens« hat so faktisch jenen Wettkampf um den »echten« Ring bereits in Gang gesetzt, den Lessings >Nathan< als der aufklärerischen Weisheit letzten Schluß verkündete. Und wenn dessen Verlauf im 17. Jahrhundert zunächst auch nur wenig Erfolg beschieden war, so gehört diese der Konfessionspolemik müde Reformorthodoxie gleichwohl zu den Mitstreitern um die Toleranz. Ja letztlich überholte Saubert sogar noch den agonalen Grundgedanken der Ringparabel, indem er in seiner Emblemsammlung dem - ebenfalls bei Lessing als >Testament Johannis< artikulierten - Postulat >Dilige Cunctos< unter Berufung auf den kategorischen Imperativ Ausdruck verlieh (vgl. Abb. 13): '·??-

Oiuqc CUNCTOS vj.

Abb. 13

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»ALL Menschen auff der Welt

Soll du zum Offtern dir / Gleichsam zusammgestellt Vor Augen bilden für: Als konntest sie zumal Mit beyden Armen dein Hertzend vmbfahen all / Freund vnd Feind / Groß vnd Klein. GOnn jhnen / was jetzund / Du dir selbst wünschen wilt / Mit Hertzen vnd mit Mund. Der Zorn sey gantz gestillt.« (II DES, S. 34)

Wie schwer es indessen auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts angesichts veränderter Kräftekonstellationen fiel, den konfessionellen Zorn zu stillen, muß im folgenden ausgerechnet jener Autor bezeugen, der als bedeutendster Liederdichter des 17. Jahrhunderts und zugleich als ökumenisches Aushängeschild des Luthertums gilt: Paul Gerhardt.

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5) Lutherische Nach-Kriegs-Nöte: >Wider das Ergerniß der bosen gluckseligen Weltx (P. Gerhardt)

a) Ein friedfertiger Streiter und Ökumeniker wider Willen Paul Gerhardt ist bis heute nicht nur einer der bekanntesten deutschen Dichter des 17. Jahrhunderts und der »größte Sänger der evangelischen Christenheit« geblieben (vgl. 11.28 Zeller 1978, S. 122), sondern seine Lieder gehören neben Grimms Märchen und noch vor Luthers Bibelübersetzung und Dichtung zu den bekanntesten poetischen Texten überhaupt (vgl. 11.28 Fechner 1976, S. 2). Von seinen einhundertundzwanzig kirchenorientierten geistlichen Liedern - sie sind außer einigen wenigen Casualcarmina das einzige, was der Feder des Dichters Gerhardt entstammt - finden sich noch heute vierzig im >Evangelischen KirchenGesangbuchWie sol ich dich empfangen?< zum Advent, >Kommt und last uns Christum ehren< zu Weihnachten, >Ein Lämmlein geht und trägt die schuld< sowie >O Haupt vol Blut und Wunden< zur Passion) und durch das >Christliche Leben< führt - als Glaubens-, Vertrauens- und Dankbekundung (>Ist Gott für mich / so treteBefiehl du deine WegeDu meine Seele singeNun dancket all und bringet EhrSolt ich meinem Gott nicht singenTageszeitenDie güldne SonneLobet den Herrem, >Wach auf mein Hertz und singeNun ruhen alle WälderGeh aus mein Hertz und suche FreudO Haupt vol Blut und WundenSalve caput cruentatum< Arnulfs von Löwen aus der Mitte des 13. Jahrhunderts diente und das sich auch heute noch im >Katholischen Gebetbuch und Gesangbuch< findet - hat man soeben wieder als Inbegriff des »klassischen, noch heute von allen anerkannten Typus des überkonfessionellen Liedes« gerühmt (11.28 Lehnertz, S. 772). Die breite Rezeptionsgeschichte seiner Werke, die auch in Kantaten und Oratorien von

5) Lutherische Nach-Kriegs-Nöte

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Bach und Telemann als Textgrundlage dienten (vgl. dazu 11.28 Krummacher, S. 270ff.), hat ihn zu einem »ökumenischen Dichter« werden lassen (ebda., S. 271; zum neueren Forschungsstand vgl. 11.28 Zeller 1978, S. 122ff.). Zu seinen Lebzeiten allerdings ist er dies keineswegs gewesen. Er selbst hat keine Ausgabe seiner - zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr verfaßten - Lieder veranstaltet (vgl. II Fechner 1982, S. 185). Diese erschienen vielmehr hauptsächlich in dem >Praxis Pietatis Melica< genannten Gesangbuch von Johannes Crüger (1598-1662), dem Kantor an der Berliner Nicolai-Kirche, und zwar sukzessive seit der zweiten Ausgabe von 1647 (zum Einzelnachweis der Lied-Erstdrucke vgl. II Gerhardt G A, Anhang, S. 44ff.; zur Überlieferungsgeschichte 11.28 Zeller 1978, S. 132ff.). Eine eigene Ausgabe seiner 20 Lieder veranstaltete dann Johann Georg Ebeling (1637-1676), der Amtsnachfolger Crügers, 1666/67 unter dem Titel >Pauli Gerhardi Geistliche AndachtenNeuen Musikalischen Fest-Andachten< 1655 vorausgegangen; vgl. 11.20 Blankenburg, S. 6), und Ebeling hatte mit seiner aufwendigen Folio-Ausgabe und seiner Lied-Instrumentierung »das häusliche Singen und Musizieren wahrscheinlich in erster Linie im Auge« (ebda., S. 8). Inwieweit Paul Gerhardt an dieser Ausgabe mitgearbeitet und etwa für die zahlensymbolträchtigen Anordnungsprinzipien der Sammlung, die in zehn Lieferungen zu je zwölf Liedern erschien, verantwortlich ist, wissen wir nicht (vgl. dazu 11.28 Fechner, 1976, S. 11). Die Edition selbst war nicht besonders erfolgreich, und die Ebelingschen Vertonungen der Lieder Gerhardts vermochten sich in der Kirche kaum durchzusetzen. Wie die meisten anderen kirchenorientierten geistlichen Lieder des 17. Jahrhunderts auch haben die Texte Gerhardts die Kirchengesangbücher erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts erobert. - Welche Kriterien auch immer in dieser späteren Rezeptionsphase für die Auswahl der Lieder, für ihre meist nicht unerhebliche Kürzung und für die Umdichtungen der Texte (vgl. dazu 11.28 Reinitzer, S. 197ff.; IV Sauer-Geppert, S. 212ff.) verantwortlich waren: ihr Zeitbezug, ihre >HistorizitätBodensatz< herausdestilliert. Unsere Aufgabe muß es umgekehrt sein, die Lieder dieses Lutheraners auf ihre Zeitgenossenschaft hin zu befragen und aus jenem Kontext heraus zu verstehen, in dem sie entstanden sind und ihren ursprünglichen »Sitz im Leben« hatten.

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II. Glaubensstreit und neue Frömmigkeit

Wenn auch über Gerhardts Leben wenig bekannt ist, so eröffnet die Biographie doch einen ersten wichtigen Verstehenshorizont für seine geistlichen AndachtenErlebnisdichtung< zu gehören. Zwar führt es leicht in die Irre, einzelne Texte mit der biographischen Situation des Dichters in Beziehung zu setzen (also etwa befiehl du deine Wege< mit seiner Amtsenthebung; vgl. dazu kritisch 11.28 Fechner 1976, S. 3), zumal die Chronologie der Erstdrucke keineswegs mit der tatsächlichen Entstehungszeit der Lieder übereinstimmt, »da Gerhardt offensichtlich zur Vervollständigung der von Ebeling betriebenen erstmaligen Gesamtedition auch in der Frühzeit entstandene und bis dahin nicht veröffentliche Lieder beigesteuert hat« (11.28 de Boor,

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II. Glaubensstreit und neue Frömmigkeit

S. 44). Aber in ihrem Doppelcharakter von lehr- und gefühlshafter Heilsaneignung spiegeln die Verse die Eigentümlichkeit ihres Autors, der des starken dogmatischen Rückhalts bedurfte, um seiner Frömmigkeit Raum und Richtung zu geben und zugleich Psyche und Gewissen in Übereinstimmung halten zu können. Im konkreteren Sinne freilich ist die Ebelingsche Sammlung als ganze mit den Berliner Streitigkeiten Gerhardts verknüpft: Vom 6. Februar 1666 stammt die kurfürstliche Suspensionsandrohung, auf den 16. Februar 1666 datierte Ebeling das Vorwort zur ersten Lieferung der >Geistlichen AndachtenSechsten Dutzet< der Gerhardtschen >Andachten< überprüfen, denen jeweils ein Gebet aus Johann Arndts >ParadiesGärtlein< mit bernhardisch-mystischer Bildtradition und Intention zugrundeliegt. Sie können zugleich das zuvor benannte Zusammenspiel von Lehr- und Gefühlshaftigkeit in Gerhardts Versen illustrieren. Typisch ist hier schon der erste Satz aus Arndts Gebet >Vmb christliche Bestendige Freundschafft< und seine Versifizierung durch Gerhardt: »Ach du allerliebster, du allergetrewester, du aller bestendigster du aller Warhafftigster Freund Jesu Christe, der du dich mit ewiger Brüderschafft vnd Freundschafft mit vns verbunden vnd in Ewigkeit verlobet hast, in Gerechtigkeit, im Glauben.« (II GA, Anhang, S. 34) »JEsu allerliebster Bruder / Ders am besten mit mir meynt / DU mein Ancker / Mast und Ruder / Und mein treuster Hertzens Freund. Der du / ehe was geboren / Dir das Menschen Volck erkohren / Auch mich armen Erden = Gast Dir zur Lieb ersehen hast.« (GA, S. 146)

Der von der Orthodoxie angefeindete Arndt hat in Sprache und Stil Vorsorge getroffen, daß er nicht so leicht der Häresie überführt werden konnte. Das gilt auch für seine bearbeitende Rezeption der katholischen Mystik von der >Theologia Deutsch< bis zu Bernhard von Clairvaux (vgl. II.5 Wallmann, S. 62ff.). Seine Anrede hält sich hier im Rahmen orthodoxer Glaubensaussage, und diese wird durch die Schlußappositionen sogar noch betont. Dies dürfte Voraussetzung für seine Adaptation durch Gerhardt gewesen sein. Doch während Arndts sprachliche Vorsicht durch die - wenn auch rhetorisch erzeugte - hohe Emotionalität, Affektivität und Intimität des Tons geradezu Lügen gestraft wird und die Häufung der superlativischen Adjektive im Grunde weniger die heilsgeschichtliche Dimension als die Unverbrüchlichkeit einer Treue- und

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II. Glaubensstreit und neue Frömmigkeit

Liebes-Verbindung zwischen Christus und dem Gläubigen beschwört, täuscht Gerhardts Strophe durch die Wortwahl des ersten und vierten Verses eine solche intime Nähe nur vor: Faktisch wird sie - der Gattungswechsel bleibe dabei unberücksichtigt - durch dreierlei unterlaufen: durch den Relativsatz in Vers zwei, der Jesus sofort als am Sprecher handelndes Subjekt hervorhebt und die intime Partnerschaft damit in ein Heils-Gefälle umfunktioniert, durch die distanzierende Allegorisierung der Person Christi in Vers drei, vor allem aber durch die bei Arndt in der »ewigen Brüderschafft« eher versteckte orthodoxe dogmatische Explikation des Gnaden-Gefälles im Strophen-Abgesang, daß Christus vor aller Erschaffung von Welt und Mensch bereits an diesem gehandelt hat: Größer lassen sich Distanz und Abstand zwischen Gott und Mensch kaum ausdrücken. Und nur im Rahmen dieser eindeutigen dogmatischen Klarstellung wagt es Paul Gerhardt, Jesus als »allerliebsten Bruder« und »treuesten Hertzens Freund« zu apostrophieren. Zwei weitere Beispiele sollen diese Beobachtung bekräftigen. Wo Arndt >Vmb WeissheiK bittet, da bezieht er die in der Tradition der >Sapientia Salomonis< durch die Mystik ausgeformte Vorstellung von der Weisheit als »weiblichem« Teil der Gottheit mit ein: »Laß dieselbe deine Weißheit meine Braut vnnd Gespons sein, Vnnd laß mich jhre schöne liebe gewinnen, denn sie ist herrliches Adels, Ihr wesen ist bey Gott, Vnnd der Herr aller Dinge hat sie lieb...« (GA Anhang, S. 38). Gerhardt dagegen unterdrückt diesen häretischen Aspekt der Weisheit in seiner Liedbearbeitung vollständig (GA, S. 156f.). Ebenso entschärft er die klassischen Bildfelder der »unio mystica«, die Arndt in seinem >Gebet vmb die Liebe Christi< mit den Motiven des Kusses, der »Vermehlung« und »Vereinigung«, also der mystischen Hochzeit zwischen Christus und der Seele beschwört: »Ach daß sich die Brunnen meiner Augen aufftheten, vnnd für liebe heisse Threnen vergössen, vnd ich dir so lange nachweinete als ein Kind, biß du mich holest, auff deine Arme nimbst, dich mir zu schmecken gibest, vnd dich mit mir vereinigest, durch die Geistliche Himlische vermehlung, daß ich mit dir ein Hertz, ein Geist vnnd ein Leibe werde. Ach zeuch mich nach dir so lauff ich, ach daß ich dich küssen möchte, in meinem Hertzen, vnd aus deinem Munde deinen süssen Trost empfinden, Ach mein Trost, meine stercke, mein Heil, mein höchstes Gut, meine Liebe vereinige mich mit dir, denn alles was ich ohne dich habe vnnd außer dir, ist lauter Pein, vnnd Galle, Jammer vndd Hertzeleidet, Eitel vnruhe, vnd Sorge.« (GA Anhang, S. 35)

Daraus wird bei Gerhardt: »8. O daß ich wie ein kleines Kind Mit weinen dir nachgienge /

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So lange bis dein Hertz entzündt

Mit Armen mich vmbfinge / Und deine Seel' in mein Gemfith In voller susser Liebe Sich erhübe / Und also deiner Gütt / Ich stets vereinget bliebe! 9 Ach zeuch mein Liebster mich nach dir / So lauff ich mit den Füssen: Ich lauff / und wil dich mit Begier In meinen Hertzen küssen: Ich wil aus deines Mundes Zier Den süssen Trost empfinden / Der die Sünden Und alles Unglück hier Kan leichtlich überwinden.« (GA, S. 148)

Einerseits sorgt Arndt wiederum dafür, daß seine Vereinigungs-Bilder im übertragenen Sinne, also als »Geistliche Himlische vermehlung« aufgefaßt werden können, andererseits ebnet er diese allegorische Sinnebene durch die Intensität und Affektivität der sinnlichen Vergegenwärtigung Jesu und der Vereinigungssehnsucht selbst wieder ein, die sich ausdrücklich auf Herz, Geist und Leib bezieht (zur Problematik erotischer Brautmystik Bd. III). Paul Gerhardt dagegen hebt den allegorischen Charakter der brautmystischen Bilder hervor: Das »Hertz« umfaßt das Ich »mit Armen« (diese werden damit zu bloßen Metaphern für die von Christus ausgehende Liebe), die Vereinigung wird tatsächlich zu einer rein spirituellen Einwohnung von Christi »Seel' in mein Gemüth« (Str. 8, Z. 5), und das Ich bleibt nicht der Person, sondern der »Gütt« Christi »vereinget«: Damit ist Arndts glutvolle Vereinigungssehnsucht ganz auf das orthodoxe Verständnis von der Einheit Christi mit dem Gläubigen reduziert (vgl. I Hirsch, S. 61ff.; Kap. II 4 a). Strophe 9 vollends biegt das mystische Kuß-Motiv in das Verkündigungs-Motiv um: Der »süsse Trost« aus dem Mund Christi ist eben die frohe Botschaft, deren Annahme - ein Zusatz Gerhardts gegenüber der Arndtschen Vorlage - die menschlichen Sünden zu tilgen vermag. Damit ist aber das mystische Anliegen einer Vereinigung mit Christus im Diesseits auf Kosten von Kirche und Welt umgekehrt zum Gnadenhandeln Christi am Gläubigen in der Welt; denn der von Arndt konstruierte Gegensatz von »unio mystica« und Welten-Pein wird von Gerhardt in ein soteriologisches Fundierungsverhältnis gebracht: Christus »überwindet« die Sünden und hilft das Unglück in der Welt ertragen.

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II. Glaubensstreit und neue Frömmigkeit

Der Wortlaut der Lieder rechtfertigt somit die These vom Mystiker Gerhardt nicht. Andererseits hat man darauf hingewiesen, daß der im Titel der Ebelingschen Sammlung gewählte Begriff der »Andacht« als Manifestation der »Gottseligkeit« zur Einlaßstelle für die Rezeption der älteren Mystik im Luthertum geworden ist (11.28 Haufe, S. 64), und natürlich hat ein so massiertes Bekenntnis zu dem von Teilen der lutherischen Orthodoxie eben wegen seiner mystischen Neigungen befehdeten Arndt in jener Zeit eine deutliche Signalfunktion (die sechs Gerhardtschen Liedbearbeitungen der Arndtschen Gebete erschienen mit deutlichen Titelverweisen auf die Vorlage zusammen im >Sechsten Dutzet< der Ebelingschen Sammlung im Frühjahr 1667). Und wenn berichtet wird, Gerhardt sei »ständig mit Johann Arndts >Paradiesgärtlein< umgegangen« (11.28 Krummacher, S. 276), dann läßt dies alles in der Tat auf eine Vorliebe für eine der Mystik nahestehende Frömmigkeitshaltung schließen. Doch diese wagt sich in den Liedern gleichsam nur im Gewände einer orthodoxen Zensur als Sebstzensur hervor. Das dogmatische Rückgrat, das Gerhardt seinen Arndt-Bearbeitungen, aber auch vielen anderen, stark affektbetonten Liedern einzieht, wird im direkten Vergleich mit der Vorlage besonders deutlich. Ohne ihn freilich wird sichtbar, daß der Dichter immerhin die mystische Tradition und Bildlichkeit - wenn auch als allegorische - soweit bestehen läßt, daß sie für den zeitgenössischen Benutzer erkennbar, ja daß das Liedgut sogar in deren Kontext rezipierbar bleibt. Dies dürfte die Beliebtheit der Lieder Gerhardts gerade im Pietismus miterklären (vgl. ebda., S. 271). Dadurch baut sich in den Texten eine innere Spannung auf, die vom Einzelbild bis zum Liedganzen reicht: Wo dogmatische Rücksicht und mystisches Anliegen aufeinanderstoßen, da entstehen ständige allegorische Durchbrechungen des Literalsinnes und Katachresen (»Arme des Herzens«), und die strenge strophische Form, die der affektiven Ausmalung enge Grenzen setzt, wird gleichsam überlistet durch Strophen-Häufung und inhaltliche Variation (nur wenige Lieder haben weniger als zehn, die meisten um zwanzig, etliche auch über dreißig Strophen). Unter dem Schutz der Textbearbeitung wagt sich Gerhardt aber auch zum Angriff vor. So läßt er sich in Arndts > Gebet vmb zeitliche vnnd ewige Wolfahrt< dessen unverfängliche Bitte: »Du wollest auch lieber Gott vnnd Vater vnsere fromme Obrigkeit, vnnd unser liebes Vaterland segnen vnnd behüten, für falscher Lehr, für Krieg, Pestilentz vnd Thewrer zeit« (GA Anhang, S. 37) für eine verdeutlichende Akzentuierung vor allem im Blick auf den Fürsten nicht entgehen. Während Arndt eher beiläufig von der Obrigkeit allgemein spricht und dieser das Attribut »fromm« fraglos zuerkennt, formt Gerhardt diesen Hinweis zu einer

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eigenen Strophe aus, in welcher er Gott ausdrücklich bittet, über den Fürsten zu wachen und Fried und Ruh an seinem Hof sicherzustellen, an denen es - so wußte jeder Zeitgenosse - mangelte: »14 Insonderheit nim wol in acht Den Fürsten / den du uns gemacht Zu unsers Landes Krone: Laß immerzu sein Fried und Ruh Auf seinen Stuel und Throne. 15 Halt unser liebes Vaterland In deinen Schooß und starcker Hand / Behalt uns allzusammen Für falscher Lehr und Feindesheer / Für Pest und Feuersflammen.« (GA, S. 155)

Indessen hatte er den Fürsten zuvor schon weit massiver attackiert immer unter Rückgriff auf Bibelstellen. Und eben diese Textauswahl Gerhardts steht unter dem Zeichen besonderer Aktualität. So enthält gleich im >Zweiten Dutzet< die Umdichtung von Rom. 8, 31-39 in dem Lied >Ist Got für mich / so trete< ein immerhin noch zurückhaltendes Bekenntnis: »Kein Zorn der grossen Fürsten / Soll mir ein Hindrung seyn« (GA, S. 39) als Übersetzung von Rom. 8, 36. Das nachfolgende Lied aber liest dem Tyrannen - getarnt als poetische Übersetzung von Psalm 52 - auf geradezu ehrabschneiderische Weise die Leviten und erfüllt den Tatbestand der Majestätsbeleidigung. Jedem der schlichten und kurzen Psalmenverse widmet Gerhardt eine voluminöse achtzeilige Strophe, in der die Vorwürfe variiert, amplifiziert und gesteigert werden. Zitiert seien, da gerade die Summierung eindrucksvoll ist, die ersten drei Psalmenverse und die dazugehörigen Strophen: »Was trotzest du denn, du Tyrann, daß du kannst Schaden tun; so doch Gottes Güte noch täglich währt? Deine Zunge trachtet nach Schaden und schneidet mit Lügen wie ein scharfes Schermesser. Du redest lieber Böses denn Gutes, und Falsches denn Rechtes.« (Ps. 52, 3-5) »l Was trotzest du stoltzer Tyrann / Daß deine verkehrte Gewalt Den Armen viel Schaden thun kan? Verkreuch dich / und schweige nur bald! Dann GOttes des ewigen Güte Bleibt immer in völliger Blüte / Und wehret noch täglich / und stehet / Ob alles gleich sonsten vergehet.

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2 Die Zunge / dein schädliches Glied / Du falscher verlogener Mund / Thut manchen gefährlichen Schnitt / Schlägt alles zu Schanden / und wundt: Was unrecht / das sprichst du mit Freuden / Was recht ist / das kanst du nicht leyden: Die Warheit verdrückst du / die Lugen Muß Oberhand haben / und siegen. 3 Dein Tichten / dein Trachten / dein Thun Ist eintzig auff Schaden bedacht: Da ist dir unmöglich zu ruhn / Du habest dann BOses verbracht: Dein Rachen sucht lauter Verderben / Und wann nur viel Frommen ersterben Von deiner vergälleten Zungen / So meinst du / es sey dir gelungen.« (GA, S. 40)

Daß Gerhardt die biblische Vorlage in seine eigene Situation hinein auslegt, ist ganz offenkundig. Einen Höhepunkt seiner Tyrannenschelte leistet er sich dann noch in der Schlußstrophe, deren erste Hälfte keinerlei Pendant im Psalmenvers hat und mit der Anrede beginnt: »Trotz sey dir / du trotzender Koht« (ebda., S. 41). Dasselbe Wort benutzt er in seiner Bearbeitung von Psalm 62 (V. 10) als Reim auf »Tod«: »Grosse Leute / grosse Thoren / Prangen sehr / und sind doch Koth« (ebda., S. 119). Solche Aggressivität gegen die Tyrannen und Großen der Welt findet man sonst wiederum nicht zufällig vor allem im Schrifttum der Mystiker und Spiritualisten, die, mitbedingt durch ihre Unterdrückung und gesellschaftliche Isolierung, ein prophetisches Sendungsbewußtsein von beträchtlicher Importanz zu entfalten vermochten und die »großen Hansen« sprachgewaltig abkanzelten (vgl. dazu Bd.III). Die Analogie zur gefährdeten Situation Gerhardts ist deutlich, die beiden zuletzt zitierten Psalmenlieder sind nicht zufällig erstmals in der Ebelingschen Gesamtausgabe, also kurz nach der angedrohten Amtsenthebung Gerhardts, erschienen, >Was trotzest du stoltzer Tyrann< gleich am Beginn der zweiten Lieferung aus dem Frühjahr 1666. Wie bei den Mystikern ist auch in Gerhardts Liedersammlung ein ausgeprägtes Sendungsbewußtsein erkennbar, doch mehrfach gebrochen durch das Medium Lied, das sich hinter Gottes Wort versteckt und Sprachrohr der Gemeinde, nicht nur des Autors sein soll. Und im Unterschied zur Kritik der Mystiker, die immer Gesellschafts- und Kirchenkritik ist, richtet sich der Zorn Gerhardts gegen die Feinde außerhalb der eigenen Kirche, sie selbst wird nicht nur verschont, sondern als Hort der Auserwählten gepriesen.

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Im übrigen sind solch massive Verse selten in Gerhardts Werk, und die späteren Redaktoren haben ein Übriges getan, sie in jenen Liedern zu tilgen, die sie der Gemeinde-Rezeption für wert befanden. So haben sie z. B. in seiner bekannten Umdichtung des 146. Psalms (>Du meine Seele singePsalter< doch das reformierte Gesangbuch (vgl. Kap. II 3 a). Immer wieder gelangt er in der dogmatischen Entfaltung seiner Lieder bis zur Ununterscheidbarkeit mit den Positionen der »Sakramentierer«. Zu dieser Annäherungsmöglichkeit trug das reformierte kurbrandenburgische Glaubensbekenntnis von 1613 bei, weil es sich in einigen wichtigen Punkten - vor allem in der Erwählungslehre - den lutherischen Dogmen annäherte und betonte, Gott habe »zum ewigen Leben verordnet und auserwählt« »alle, so an Christum beständig glauben«, und es sei falsch, »daß er nicht alle wolle selig haben« (I Hirsch, S. 172f.). Von daher ist es weniger verwunderlich, daß 37 seiner frühen Lieder in ein 1653 von Christoff Runge im Auftrag der reformierten Kurfürstin Luise Henriette herausgegebenes Liederbuch aufgenommen wurden (vgl. GA Anhang, S. 46ff.). Wenn dadurch allerdings der Eindruck entstand, Gerhardt mache seine Lieder - auch durch Vermeidung aller direkten Polemik - zum Sprachrohr auch reformierter oder gar calvinistischer Frömmigkeit und dies bezeuge seine irenisch-ökumenische Gesinnung, dann war dies ein Trugschluß. Vielmehr sind die Affinitäten zum calvinistischen und reformierten Bekenntnis sowohl Element des Selbstschutzes als auch - wie sich zeigen läßt - wohlkalkulierter Bestandteil einer in der Konfessionspolemik allgemein geübten Strategie, die gegnerische Position so zu »besetzen«, daß sie entweder in die eigene integriert und darin aufgehoben oder aber widerlegt und abgewiesen wird. Das erstere Ziel scheint Gerhardt mit dem reformierten, das letztere mit dem calvinistischen Be-

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kenntnis beabsichtigt zu haben. Einige Beispiele sollen diese Strategie der irenisch erscheinenden, aber polemisch gemeinten Lieder verdeutlichen. Bemerkenswert nachdrücklich setzt sich Gerhardt vor allem in den drei ersten Lieferungen (erstes bis drittes Dutzend) der Ebelingschen Sammlung mit dem Thema der Gnadenwahl auseinander, welches als das für den Calvinismus »am meisten charakteristische Dogma« galt (III Weber, S. 118) und in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg auf Grund der geänderten politischen und wirtschaftlichen Situation vor allem in den calvinistischen Staaten und Territorien zu neuen Deutungen und zu Irritationen bei den Lutheranern führte. Die Vorsicht, mit der Gerhardt dabei zu Werke ging, und die gleichwohl unverkennbare Schärfe seiner Calvinismus-Kritik lassen sich wiederum am besten durch einen Vergleich mit der Vorlage erkennen. In der zweiten Lieferung der Ebelingschen Sammlung findet sich eine (erstmals 1653 erschienene) Umdichtung von Psalm 73. Der Psalmist fühlt sich zutiefst verunsichert, weil es den Gottlosen gut, den Frommen aber schlecht geht auf Erden. Wohlhabenheit und Wohlergehen werden überdies noch vom Volk als Zeichen der Erwähltheit interpretiert: »10. Darum fällt ihnen ihr Pöbel zu und laufen ihnen zu mit Haufen wie Wasser 11. und sprechen: >Was sollte Gott nach jenen fragen? Was sollte der Höchste ihrer achten ?< 12. Siehe, das sind die Gottlosen; die sind glückselig in der Welt und werden reich.«

Paul Gerhardt appliziert diese Verse in seiner Umdichtung >Sey wolgemuth / O Christen Seel< deutlich auf die konfessionelle Situation seiner Zeit: »4 Des PObel-Volcks unweiser Hauff Ist auch auff ihrer Seite: Sie sperren Maul und Nasen auff / Und sprechen: Das sind Leute: Das sind ohn allen Zweifel die / Die GOtt vor allen ändern hie / Zu Kindern außerkohren. 5 Was solle doch der hohe GOtt Nach jenen ändern fragen / Die sich mit Armuth / Creutz und Noth Bis in die Grube tragen? Wem hier des Glückes Gunst und Schein

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Nicht leuchtet / kan kein Christe seyn / Er ist gewiß verworffen. 6 Sols dann / mein GOtt / vergebens seyn Daß dich mein Hertze liebet? Ich liebe dich / und leyde Pein / Bin dein / und doch betrübet. Ich hätte bald auch so gedacht Wie jene Rotte / die nichts acht Als was vor Augen pranget.« (GA, S. 52)

Den Psalm selbst vermochte zunächst durchaus auch ein Calvinist im Brustton der Überzeugung zu beten und zu singen. In der Krisenzeit waren in dieser Konfession, wie gezeigt (vgl. Kap. II 3 b), die permanenten »Anfechtungen /Widerwertigkeiten / vnd Trubsalen« geradezu als Zeichen göttlicher Erwähltheit interpretiert worden. Und der Reichtum konnte durchaus auch Zeichen der Verworfenheit sein. »Dann wann die wohlthaten Gottes«, so lehrte du Moulin, »auff einen Menschen fallen / der deß Geistes Gottes beraubt ist / so verdarben dieselben / weil sein verstandt verderbt ist« (H, S. 200). Und die >Westminster Confession< von 1647 erklärte, daß Gott die von ihm verworfenen Menschen gerade auch mit äußeren Erfolgen bedenken und sie »ihren eigenen Lüsten, den Versuchungen der Welt und der Macht Satans« übergeben konnte, »wodurch es geschieht, daß sie sich selbst verhärten, sogar durch dieselben Mittel, deren Gott sich zur Erweichung anderer bedient« (zit. in III Weber, S. 120). Unter »dieselben Mittel«, die als Indiz für die Erwähltheit oder Nichterwähltheit herangezogen werden konnten, gehörte in den calvinistischen Territorien und Sozietäten nun aber zunehmend auch der Wohlstand: Je mehr er Einzug hielt, desto mehr bedurfte er der Legitimation im Rahmen des Prädestinationsglaubens. Insofern zielt dieses Lied auf einen damals besonders aktuellen und problematischen Aspekt calvinistischer Zeichendeutung. Nun wurde freilich nirgendwo in den Spielarten des europäischen Calvinismus Reichtum als Selbstzweck oder gar als Mittel des irdischen Genußlebens gepriesen, im Gegenteil: »Der Wolstand«, meinte du Moulin, »so nicht wol wirdt zu ehren gezogen / ist viel schädlicher dann der Vbelstand« (II, S. 200), und er warnte vor dem Laster der Besitzgier, denn diese »machet auch /dz ein Mensch den Reichthummen dienet / da jhme doch dieselben dienen sollen: vnd wirdt von den Gutern besessen / da er doch dieselben solte besitzen« (ebda., S. 209). Aber Wohlstand wurde - auch dies wird an dem Zitat deutlich - keineswegs abgelehnt, ja er war nicht unerwünscht, wenn er

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sich als Folge der rastlosen Berufsarbeit »in maiorem Dei gloriam« einstellte: »Nicht freilich für Zwecke der Fleischeslust und Sünde, wohl aber für Gott dürft ihr arbeiten, um reich zu sein«, erklärte z. B. Richard Baxter (1615-1691; zit. in III Weber, S. 172), einer der führenden Köpfe des Puritanismus. »Und da der Erfolg der Arbeit das sicherste Symptom ihrer Gottwohlgefälligkeit ist, so ist der kapitalistische Gewinn einer der wichtigsten Erkenntnisgründe, daß der Segen Gottes auf dem Geschäftsbetrieb geruht hat« (ebda., S. 347). Wenn der calvinistische Gläubige also seine Güter »gebrauchet / als hette er keine« (II du Moulin, S. 238), dann standen einer rastlosen Akkumulation von Kapital auch keine theologischen Bedenken entgegen. Und es ergab sich auch kein Gegensatz zur Ansicht, daß Verfolgung und Not Kennzeichen der Erwähltheit seien; denn dies galt für die Krisen-Zeiten, und schon da hatte du Moulin darauf hingewiesen, daß Gott seiner Kirche zwischenzeitlich auch friedliche Verschnaufpausen als »vnverhoffte Gutthat« zuteil werden lasse (ebda., S. 237), in denen sich die äußerlichen Zeichen der Erwähltheit unverdientermaßen, aber konsequenterweise änderten. Eben in dieser historischen Situation wurde für die Lutheraner der in der Konfessionspolemik schon lange gehegte Verdacht gegen die diesseitsverhafteten, geldsüchtigen »Sakramentierer« (vgl. Kap. II 2 b) offenkundige Realität. Die wachsende Prosperität calvinistischer Staaten und Sozietäten lag den Zeitgenossen des 17. Jahrhunderts provozierend deutlich vor Augen (vgl. Bd. I, S. 30f.). Sie wurde zur tiefgreifenden Irritation gerade in der Zeit nach dem Friedensschluß von Münster und Osnabrück: Gottes Zorngericht war vorüber, er war versöhnt, aber sein neuerliches Wohlgefallen wollte nicht den Lutheranern, sondern eher den anderen Konfessionen zugute kommen. Im Gegenteil verschärften sich gerade in Deutschland die sozialen Unterschiede, »zumal sich an den Höfen ein Verhaltensstil entwickelte, der von der Lebenspraxis der Untertanen weit entfernt war« (III Vierhaus, S. 20). In Kurbrandenburg hatte sich der Große Kurfürst überdies mit einer tüchtigen Funktionselite seines Bekenntnisses umgeben, deren Kirchenpolitik im Rahmen absolutistischer Bestrebungen für einen Lutheraner wie Gerhardt als Inbegriff für eine erfolgsorientierte, schlagkräftige, diesseitszugewandtpragmatische Lebenseinstellung erscheinen mußte. Dieses grob angedeutete Syndrom aus Bestandteilen des (vulgär-) calvinistischen Glaubens, aus konfessionspolemischer Vergröberung, aus allgemein historisch-sozialen und territorialen Gegebenheiten bildet den zeitgeschichtlichen Verständnishorizont für Gerhardts raffiniert abgesicherte Lied-Attacke. In der alttestamentlichen Forschung wird Psalm 73 seit langem »auf die religiösen Parteigegensätze des Spätjuden-

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turns« »zwischen dem levitischen Proletariat und den besitzenden zadokitischen Priestern« bezogen (V Weiser, S. 63, 346). Gerhardt aktualisiert den Konflikt, indem er ihn auf die »Christen« (Str. 5) und dabei wieder durch prononcierte Verwendung der theologischen Fachterminologie am Ende der Strophen 4 und 5 auf die Prädestination und damit auf die Calvinisten bezieht. Und deren Problem spitzt er gegenüber der Vorlage, in der allgemein das Unglücks-, aber nicht das Armutsmotiv dominiert (vgl. Psalm 73, V. 5-9), auf die Alternative von Reichtum als Gottlosigkeit und Armut als Frömmigkeit zu: »3 Sie haben Glück / und wissen nicht Wie Armen sey zu muthe: Gold ist ihr GOtt / Geld ist ihr Liecht / Sind stoltz bey grossem Guthe: Sie reden hoch / und das gilt schlecht / Was andre sagen / klingt nicht recht / Es ist viel / viel zu wenig.« (GA, S. 52)

Darüberhinaus verknüpft Gerhardt den Gegensatz von »arm« und »reich« mit dem der sozialen Schicht. Die Reichen sind die »Großen«, in seinem Land also die reformierte Führungsschicht. Im Abgesang von Strophe 5 zitiert er das calvinistische Kriterium des irdischen Erfolgs als Zeichen der Erwähltheit - freilich nicht ohne in zugleich verschleiernder wie kritischer Absicht den Begriff Gottes durch den der Fortuna zu ersetzen -, und indem er dieses Urteil, das er einem »Christen« in den Mund legt, zugleich als »Weisheit« des »PObel-Volckes« bloßstellt, rückt er den Calvinismus, eben »jene Rotte / die nichts acht / Als was vor Augen pranget« (Str. 6), in die Position der von Gott Verworfenen. Dies in Übereinstimmung mit seinem Urteil, er könne die »Calvinisten qua tales nicht für Christen halten«. Diese auf die Religionsgespräche gemünzte Äußerung ist ein deutliches Anzeichen dafür, daß er die Reformierten am kurbrandenburgischen Hofe als Calvinisten einstufte. Ein zweites Beispiel. Unmittelbar vor der Umdichtung von Psalm 73 polemisiert Gerhardt >Wider das Ergerniß der bosen gluckseligen Welt< (erstmals 1653) und damit wiederum gegen den Glauben vom Erfolg in der Welt als Zeichen der Berufung zur ewigen Seligkeit. Erneut konfrontiert er dabei die armen, unschuldigen, zu aller politisch erfolgreichen »Kunst der sussen Heucheley« unfähigen und unwilligen Frommen, also die Lutheraner, mit jener unheimlichen Kaste skrupelloser Geschäftemacher, die ihrerseits - so Strophe 5 - auch noch die Frechheit besitzen, das unlauter erraffte Gut als Zeichen des göttlichen Segens zu

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II. Glaubensstreit und neue Frömmigkeit

deuten und den konfessionellen Gegner in heuchlerischer Unschuld nach denselben (bei diesem aber fehlenden) Kennzeichen zu bewerten (>Du liebe Unschuld du< in dem »am wenigsten sangbaren Vers« des Alexandriners; vgl. 11.28 Rechner 1976, S. 9): »2 Du gehst geraden Weg / fleuchst vor der krummen Bahn / Ein ander thut sich zu / und wird ein reicher Mann / Vermehrt sein kleines Guth / füllt Kasten / Boden / Scheunen / Du bleibst ein armer Tropff / und darbest sammt den Deinen. 3 Du straffst der BOsen Werck / und sagst was unrecht sey; Ein ander übt die Kunst der süssen Heucheley / Die bringt ihm Lieb und Huld / und hebt ihn an die Hohen / Du aber bleibst zu ruck / und must da unten stehen. 4 Du rühmest viel von GOtt / und streichst gewaltig auß Den Segen / den Er schickt in seiner Kinder Hauß / Ist dann nun dem also / so laß doch / sagt man / sehen / Was ist dann dir für Guts / fur Gluck und Heyl geschehen?« (GA, S. 50)

In einer durch das Kriegsende zumindest psychologisch veränderten Situation, wo das lang angestaute Bedürfnis nach einem gesicherten, angstfreien, von den ständigen Sorgen um das Nötigste befreiten Leben auch im Luthertum Geltung beanspruchte, vertritt Gerhardt die alten Positionen aus der Not-Zeit: »Wann wir in Freuden leben / Daß wir dann unserm höchsten Guth / Am ersten Vrlaub geben« (ebda., S. 86). Unverändert sind Armut und Unglück Mittel Gottes, »damit wir auffwarts sehen« (ebda.) - es ist, als wolle er mit diesen Ansichten, die auch im Calvinismus während der Krisen-Zeit vertreten wurden, diesen auf eine alte Gemeinsamkeit verpflichten. Unverändert auch tradiert Gerhardt den Topos von der Welt als »vanitas«: »Die Welt die deucht uns schon und groß: Und was für Guth und Gaben Sie trägt in ihrem Arm und Schooß Das wil ein jeder haben: Und ist doch alles lauter nichts: Eh als mans recht geneust / zerbrichts / Und geht im Huy zu Grunde.« (Ebda., S. 74; vgl. ebda., S. 46, 51, 70 u. ö.).

Er prangert mehrfach die sozialen Folgeschäden von »aus armer Wittwen Tränen« erschachertem Reichtum an (GA, S. 51) und prophezeit solch frühmodernem Ausbeutertum das gerechte Urteil im Jüngsten Gericht: »O welch ein hartes Wort wird über solche Leut' / Am Tage des Gerichts auß GOttes Trohn erschallen!« (Ebda.). Zwar entwickelt der

5) Lutherische Nach-Kriegs-Nöte

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Dichter durchaus Sinn für ein beschwerdefreies Leben im Diesseits (vgl. dazu seine Lieder in den Kapiteln I 2 a und II 4 a), indessen wiegt für ihn die Gesundheit von Leib und Seele alle anderen irdischen Güter auf wie im >Danck = Lied vor gute Leibes = GesundheiK (>Wer wol auf ist und gesundUmb Glück und Segen zu allem Christlichen Thun und Vorhaben< (>Ich weis / mein Gott / daß all' mein ThunZweiten Reformation im Bereich der rechten Lehre zu suchen. Gewiß sind seine Lieder auch Ausdruck der von der Reformorthodoxie initiierten »praxis pietatis«, und doch sind sie - von wenigen (vor allem Passions-)Beispielen abgesehen - nicht primär Ausdruck affektiven Umgangs mit dem Numinosen, Medium subjektiver Heilsaneignung, sondern sie bleiben durch das ihnen inhärente korrekte dogmatische Gerüst ebensosehr Organ der Verkündigung wie der Antwort darauf. Indem sie stets die dogmatische Grundlage ihres Themas mitentfalten, stellen sie sicher, daß ihr Gebrauch das »Gefalle« zwischen Gott und Mensch nicht umkehrt,

5) Lutherische Nach-Kriegs-Nöte

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daß sie Teil der Verkündigung bleiben und nicht zur menschlichen Leistung einer »Anbetung« werden. Eine Reihe seiner Gesänge sind ohnehin eher Bekenntnis-Akte, die an das Liedgut des 16. Jahrhunderts anknüpfen, Lehrstücke orthodoxen Glaubens auch im Blick auf ein richtiges Sakramentsverständnis (vgl. GA, S. 262f., 264f.). Der »wohltemperierte« Charakter seiner Lieder (vgl. dazu 11.28 Haufe), die Elemente der Distanz und Reflexion verleihen ihnen eine gefühlsregulierende Plastizität, ja Logizität, die der emotionalen Selbst-Entfaltung, wie sie beim affektiven Zugriff auf das Numinose im Kirchenlied während des Dreißigjährigen Krieges begegnet, enge Grenzen setzt. Dazu paßt Gerhardts orthodoxes Lied-Verständnis: »Danckbare Lieder Sind Weyrauch und Widder / An welchen ER sich am meisten ergetzt« (>Die guldne SonneAlso hat GOTT die Welt geliebtO Haupt voll Blut und Wundem und seine lateinische Vorlage, das >Salve caput cruentatum< Arnulfs von Löwen). In: H. Becker / R.Kaczynski (Hg.): Liturgie und Dichtung. Ein interdisziplinäres Kompendium. St. Ottilien 1983, S. 755-773. Matthias, Walter: Paul Gerhardt. In: RGG. 3. Aufl. Bd. 2, Sp. 1413-1415. Reinitzer, Heimo: Paul Gerhardts biblische Bildersprache. In: A. Schöne (Hg.): Kontroversen, alte und neue. Bd. 7. Tübingen 1986 ( = Akten des VII. Internationalen Germanistenkongresses. Göttingen 1985), S. 196-206. Zeller, Winfried: Paul Gerhardt. In: Ders.: Gesammelte Aufsätze. Hg. v. B. Jaspert. Marburg 1971, S. 154-164. - Paul Gerhardt, der Dichter und seine Frömmigkeit. In: Ders.: Theologie und Frömmigkeit. Gesammelte Aufsätze. Bd. 2. Hg. v. B. Jaspert. Marburg 1978, S. 122-149. 29 GRACIAN, BALTASAR: Hand-Orakel und Kunst der Weltklugheit. Deutsch v. A. Schopenhauer. Bremen 1982 ( = Sammlung Dieterich). 30 GRIMMELSHAUSEN, HANS JAKOB CHRISTOPH VON : Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch. Stuttgart 1961. 31 GRYPHIUS, ANDREAS: S: Sonette. Hg. v. M. Szyrocki. Tübingen 1963 ( = Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Bd.I). - OE: Oden und Epigramme. Hg. v. M. Szyrocki. Tübingen 1964 ( = Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Bd.II).

II. Zu einzelnen Autoren

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- VG: Vermischte Gedichte. H§. v. M. Szyrocki. Tübingen 1964 ( = Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Bd. III). Krummacher, Hans-Henrik: Der junge Gryphius und die Tradition. Studien zu den Perikopensonetten und Passionsliedern. München 1976. Mannack, Eberhard: Andreas Gryphius. 2., vollständig neubearb. Aufl. Stuttgart 1986. Mauser, Wolfram: Dichtung, Religion und Gesellschaft im 17. Jahrhundert. Die >Sonnete< des Andreas Gryphius. München 1976. 32 GÜNTHER, JOHANN CHRISTIAN: G: Gedichte. Auswahl u. Nachwort v. M. Windfuhr. Stuttgart 1975. - GG: Gesammelte Gedichte. Hg. v. H. Heckmann. München Wien 1981. 33 HASENTÖDTER, JOHANNES: Chronica. Das ist. Beschreibung der ffirnembsten gedechtnus wirdigen Historien / Geschichten vnd Handlungen / so sich / so wol vnter Geistlichen Prelaten / als Weltlichen Oberkeiten / Hohes vnd Niders Stands / Anfangs der Erschaffung aller sichtbarlichen Dinge / biß auff diese vnsere gegenwertige letzte zeit / eingetragen vnd verlauffen haben. . . . mit allem fleiß in diese kurtze Ordnung verfast / vnd in artliche Teutsche Reimen gebracht. Königsberg 1569. 34 HELDT, ALEXANDER: Ein Schon Lied / von der lieben Rutten vnd Kinderzucht / Allen Gottförchtigen / Christlichen / frommen Eltern vnd Kindern / sehr nütz vnd notig / zu wissen vnd zu singen / Im Thon / Ich stund an einem Morgen. O. O. O. J. 35 HIPPOKRATES: De aere aquis locis. Über die Umwelt. (Griech. / Dt.) Hg., übs. u. komm. v. K. Deichgräber. Mit einem sprachwiss. Beitrag v. E. Schweyzer. Leipzig u. Berlin 1935 (= Pseudo-Hippokrates!) 36 HOLTZHEUSER, JOHANN: Newe geschieht Vom Zorn vnd Güte Gottes / so er vber die Statt Hilperhausen / a m 14. Septemb. dises 72. jars / zu nacht vmb 7 vhr / durch ein schrocklichs Wetter / mit Verwüstung Schulen / Kirchen / Rhathauß / vnd aller anderer Burger Häuser / hat gehen lassen. Zur Warnung vnd trost den Christen Gesangsweise gemacht / Im Thon: Wo Gott der Herr nicht bey vns belt / etc. Nürnberg (1572). 37 HORNUNG, JOHANN: De uroscopia fraudulenta Discursus. Kurtzer Bericht Von dem vnvollkommenen vnd betruglichen vrtheil des Menschlichen borns / oder harns. 0.0.1611. 38 KEDD, JODOCUS: Bedenck es wol Warumb So vil Hohes vnd Nidriges Standts Personen durch GOTTes Gnad das Lutherthumb vnd andere newe Seelen verlassen / vnnd der Alten Catholisch = allein Seligmachenden Kyrchen Christi zugetretten seynd. Ingolstadt 1654. 39 KEGELER, CASPAR: Nützlicher vnd wahrer Bericht wider die Pestilentz / vnnd wie man sich in zeit dero erschrecklichen regierung preseruiern / bewahren vnnd erhalten. Neben etlichen trostlichen vnd vnder ändern außerlesenen

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Verzeichnis der zitierten Literatur

mittein / hülff vnnd Artzeneyen / so man als dann zugebrauchen mit Göttlicher gnaden zur voriger gesundtheit gerathen möge. COlln 1597. 40 KELLER, ANNA: Ein Hochzeit Spruch / zu Ehren vnd glücklicher Wolf art. Dem Erbarn vnd Vesten Junckern / Jacob Pomern / vnd seiner Erbarn vnd Tugentsamen Braut / Jungfrawen Barbara Loffelholtzen. Nurnburg o.J. 41 KEPLER, JOHANNES: WG: Das Weltgeheimnis. Mysterium Cosmographicum. Übers, u. eingel. v. Max Caspar. München Berlin 1936. - WH: Weltharmonik. Übers, u. eingel. v. M. Caspar. Unveränd. reprograf. Nachdr. d. Ausg. v. 1939. Darmstadt 1967. Hübner, Jürgen: Die Theologie Johannes Keplers zwischen Orthodoxie und Naturwissenschaft. Tübingen 1975. 42 KLOPSTOCK, FRIEDRICH GOTTLIEB: Kaiser, Gerhard: Klopstock. Religion und Dichtung. 2. Aufl. 1975.

Kronberg / Ts.

43 KOESTNER, SEBASTIAN: Cometa. Kurtze Beschreibung vnnd Vermutungen / von den Effectibus vnnd Wirkcungen deß wunderbaren geschwind lauffenden Cometen / vnd Schwantzsterns / welcher erstlich den 15. 15. Septembris /A.C. oder 25.26 N.C. im Newen Weinmond Mittwoch Michaelis N.C. in Bohemen vnnd Deutschland in diesem ablauffenden 1607. Jahr / im Himlischen Zeichen Leonis ist gesehen worden. Jederman zur trewen Warnung beschrieben. (Nürnberg 1607). 44 KOPERNIKUS, NIKOLAUS: De hypothesibus motuum coelestium a se constitutis commentariologus. Entwurf seiner Grundgedanken über die Bewegungen am Himmel. In: N. K.: Erster Entwurf seines Weltsystems sowie eine Auseinandersetzung Johannes Keplers mit Aristoteles über die Bewegung der Erde. Nach den Handschriften hg., übs. u. erl. v. F. Rossmann. Darmstadt 1974, S. 9-28. Kirchhoff, Jochen: Nikolaus Kopernikus mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1985. 45 KUES, NIKOLAUS VON: De docta ignorantia. Die belehrte Unwissenheit. Buch II. Übs. u. hg. v. P. Wilpert. Lateinisch-deutsch. Hamburg 1967 ( = Philosophische Bibliothek. Bd. 264b). 46 LEIBNIZ, GOTTFRIED WILHELM: Die Theodizee. Übs. v. A. Buchenau. Einf. Essay v. M. Stockhammer. 2., erg. Aufl. Hamburg 1968 ( = Philos. Bibl. Bd. 71). 47 LESSING, GOTTHOLD EPHRAIM : Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen. Stuttgart 1958. 48 LESSIUS, LEONARDUS : Rathsfrag Welchen Glauben man annehmen / oder / zu welcher Religion man tretten soll.. .auß der zweyten Edition in eil vbergesetzt Durch Matthaeum Timpium. Münster / Westph. 1610.

II. Zu einzelnen Autoren

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49 LETZNER, JOHANNES: Wunder Spiegel / Das Erste Buch. In welchem die fürnemmsten Cometen vnd Wunderstern / von anfang der Welt her / biß zu gegenwertiger zeit / vnd was allemal darauff erfolget. Aus alten vnd newen / geschriebenen vnd gedruckten Chronicken vnd Historien zusammen bracht / vnd in vnterschiedlichen Capitteln ordentlich beschrieben werden. Erffurdt 1604. 50 LICETUS, FORTUNIUS: De monstrorum cavssis, natvra et differentiis. Libri duo. Patavii 1634. 51 LOBWASSER, AMBROSIUS: Halaski, Karl: Lobwasser, Ambrosius. In: RGG. 3.Aufl. Bd. 4, Sp. 424f. 52 LOGAU, FRIEDRICH VON: Sinngedichte. Hg. v. E.-P. Wieckenberg. Stuttgart 1984. 53 LOHENSTEIN, DANIEL CASPER VON: Brancaforie, Charlotte: Lohensteins Preisgedicht >VenusJerusalem, du hochgebaute StadtAch Gott, wie manches Herze leidFreudenspiegel des ewigen Lebens< von 1599. In: Jb. f. Liturgik u. Hymnologie 1975, S. 221-225. 69 OPITZ, MARTIN: BDP: Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Nach der Edition v. W. Braune neu hg. v. R. Alewyn. Tübingen 1963. - WP II: Weltliche Poemata. 1644. Zweiter Teil. Mit einem Anhang: Florilegium variorum epigrammatum. Unter Mitwirkung von I. Böttcher u. M. Szyrocki hg. v. E. Trunz. Tübingen 1975. Garber, Klaus: Martin Opitz. In: III H. Steinhagen / B. v. Wiese (Hg.): Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts (s. d.), S. 116-184. 70 OSIANDER, LUKAS: Theologisches Bedencken / Vnd Christliche Treuhertzige Erinnerung / welcher Gestalt Johann Arndten genandtes Wahres Christenthumb / nach Anleitung deß H. Worts Gottes / vnd der reinen Evangelischen Lehr vnd Bekandtnussen / anzusehen vnd zu achten seye / Allen Gottseligen Christen / denen jetztgemeldtes Christenthumb zur Hand kommen / zu notwendiger Nachrichtung / gestellt vnd publicieret. Tübingen 1623. 71 PARACELSUS, THEOPHRASTUS: SW: Sämtliche Werke. Nach der 10 Bändigen Huserschen Gesamtausgabe (1589-1591) zum Erstenmal in Neuzeitliches Deutsch übersetzt. Mit Einl., Biogr., Lit.angaben u. erklärenden Anm. versehen v. B. Aschner. 4 Bde. Jena 1926-1932. - LN: Vom Licht der Natur und des Geistes. Eine Auswahl. Hg. v. K. Goldammer. Stuttgart 1979. - P: Practica D. Theophrasti Paracelsi / gemacht auff Europen / anzufallen in dem jetz gegenwertigen Dreyssigsten Jar / Biß auff das Vier vnd dreyssigst nachuolgend. Augsburg 1530. 72 PARAEUS, DAVID: Summarische Erklärung Der wahren Catholischen Lehr / so in der Chur Pfaltz bei Rhein / vnnd ändern vom Bapstlichen Sawerteig gesäuberten Kirchen / beständig vnd einmütiglich auß Gottes Wort gefibet wirdt / Von den furnembsten jetziger Zeit strittigen Religions = Artickeln: In kurtze Puncten gründlich verfasset / vnd mit Zeugnussen der heiligen Schrifft befestiget. Gestellet / vnd auffs new vbersehen / Amberg 1615. 73 ROUSSEAU, JEAN-JACQUES: Emil oder über die Erziehung. Vollständige Ausgabe. In neuer dt. Fassung bes. v. L. Schmidts. Paderborn 1971. 74 SACHS, HANS: KG: Hans Sachs. Hg. v. A. v. Keller u. E. Goetze. 26 Bde. Stuttgart 1870 / 1908. Reprogr. Nachdr. Hildesheim 1964. - EB: Eygentliche Beschreibung Aller Stände auff Erden / Hoher vnd Niedriger / Geistlicher vnd Weltlicher / Aller Künsten / Handwercken vnd Händeln / vom grosten biß zum kleinsten / Auch von jrem Vrsprung / Erfindung vnd gebreuchen. Franckf./M. 1568. 75 SAUBERT D. Ä., JOHANN: DES: Dyodekas Emblematum sacrorum. Mit e. Nachwort v. Dietrich Donat. Nachdr. der Ausg. Nürnberg 1625, 1626, 1629 u. 1630. Hildesheim / New York 1972 ( = Emblematisches Cabinet. Bd. 6).

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Verzeichnis der zitierten Literatur

- ZEK: Zuchtbüchlein der Euangelischen Kirchen, Darin Von der Nothwendtigkeit der Kirchen Zucht gehandelt wirdt. Nürnberg 1633. - PEP: Psychopharmacum pro Evangeliis & Pontificis, Seelen Artzney / für die Lutherische vnnd Päbstische / Das ist: Grundliche / Schrifftmässige Erörterung Dieser Frage: Ob nunmehr / wann wir die Papisten zu vnserer Evangelischen Religion bewegen wollen / hierzu nothiger sey / Vnser Disputiren, oder aber die Besserung vnsers Lebens. Nürnberg 1636. 76 SCHEDE, GEN. MELissus, PAUL: Die Psalmenübersetzung. Hg. v. M. H. Jellinek. Halle 1896 ( = Neudrucke deutscher Litteraturwerke des 16. und 17. Jahrhunderts). Jellinek, Max Hermann: Einleitung zur Psalmenübersetzung (s. d.), S. I-CLIX. 77 SCHNEUBER, JOHANN MATTHIAS: Gedichte. Straßburg 1644. 78 SCHNÜFFIS, LAURENTIUS VON: Gedichte. Eine Auswahl. Hg. v. U. Herzog. Stuttgart 1972. Herzog, Urs: Nachwort. In: U.H. (Hg.): Laurentius von Schnüffis (s. d), S. 75-90. Pichl, Robert: Sinnenfrohe Weltflucht. Das >Mirantische Flötleim des Laurentius von Schnüffis als ästhetisches Medium barocker Seelsorgepraxis. In: A. Schöne (Hg.): Kontroversen, alte und neue. Bd. 8. Tübingen 1986 ( = Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses. Göttingen 1985), S. 24-35. Scheitler, Irmgard: Geistliche Lieder als literarische Gebrauchsform. Versuch einer Gattungsbeschreibung am Beispiel der Lieder des Laurentius von Schnüffis. In: Oberdeutsche Literatur im Zeitalter des Barock. München 1984, S. 215-239 ( = Zeitschr. f. Bayerische Landesgeschichte. Bd. 47). 79 SCULTETUS, JOHANNES: Wund = Artzneyisches Zeug = Hauß / .. .Welches auß dem Lateinischen in die Teutsche Sprach übersetzet h a t . . . D. Amadeus Megerlin. Franckfurt 1666. Faks.-Dr. mit separater Biogr. u. Glossar i. Anhang. Stuttgart 1974. Seiz, Anneliese: Johannes Scultetus und sein Werk. Biographie und Glossar. Im Anhang zu Johannes Scultetus: >Wund = Artzneyisches Zeug = Hauß< (s. d.), S. 11-37. Vollmar, /.: Einleitung. In: Johannes Scultetus: >Wund = Artzneyisches Zeug = Hauß< (s. d.), S. 7-10. 80 SELNECKER, NIKOLAUS: Christliche Kurtze Antwort auff die Lesterung vnd Sacramentirische schmaehschrift Lamberti Danai, jtzt Anno 1581 in Druck zu Genff gegeben. Etliche Christliche Gebet wider die Schwermer / aus dem Psalter Dauids. Leipzig 1581. Wittenberg, Martin: Dein Stimm ich hör zu jeder Frist. Beiträge zum Bilde Nikolaus Selneckers (1530-1592). In: Lutherische Kirche in der Welt 29. 1982, S. 57-69. 81 SIBENBÜRGER, DiONYSius: Practica Teutsch / Auff das 1547 Jare. Nürnberg o. J.

II. Zu einzelnen Autoren

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82 SPEE, FRIEDRICH VON: AGL: Die anonymen geistlichen Lieder vor 1623. Mit einer Einleitung hg. v. Michael Härting unter Mitarbeit v. Theo G. M. van Oorschot. Berlin 1979. - CC: Cautio Criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse. Dt. Ausgabe v. J. F. Ritter. Weimar 1939. 2. unveränd. Aufl. Darmstadt 1967. - GTB: Güldenes Tugend-Buch. Hg. v. Theo G. M. van Oorschot. München 1968 ( = F. Spee. Sämtliche Schriften. Histor.-krit. Ausg. in 3 Bdn. Hg. v. E. Rosenfeld. Bd. 2). - TN:Trutz-Nachtigal. Hg. v. G. Balke. Leipzig 1879. Battafarano, halo Michele: Hexen, Richter und Dämonologen im Urteil des Jesuiten Friedrich von Spee. In: A. Schöne (Hg.): Kontroversen, alte und neue. Bd. 7. Tübingen 1986 ( = Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses. Göttingen 1985), S. 176-184. Haas, Alois M.: Geistlicher Zeitvertreib. Friedrich Spees Echogedichte. In: M. Bircher / A. M. H. (Hg.): Deutsche Barocklyrik. Bern 1973, S. 11-48. Härting, Michael: Einleitung. In: AGL (s. d.), S. 7-58. Keller, Karl: Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1635). Seelsorger, Dichter, Humanist. Kevelaer 1968. Kemper, Hans-Georg: Friedrich von Spee. In: III H. Steinhagen / B. v. Wiese (Hg.): Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts (s. d.), S. 90-115. - Dämonie der Einbildungskraft. Das Werk Friedrich von Spees (1591-1635) zwischen Christusmystik und Hexenwahn. In: J. Kolkenbrock-Netz / G. Plumpe / H.-J. Schrimpf (Hg.): Wege der Literaturwissenschaft. Bonn 1985, S. 45-64. Oorschot, Theo G. M. van: Neue Frömmigkeit in den Kirchenliedern Friedrich Spees. In: III D. Breuer (Hg.): Frömmigkeit (s. d.), S. 156-171. Ritter, Joachim-Friedrich: Friedrich von Spee. 1591-1635. Ein Edelmann, Mahner und Dichter. Trier 1977. Rupp, Walter: Friedrich von Spee. Dichter und Kämpfer gegen den Hexenwahn. Mainz 1986. 83 SPRENGER, JAKOB / INSTITORIS, HEINRICH: Der Hexenhammer. Zum ersten Mal ins Deutsche übertragen und eingel. v. J. W. R. Schmidt. 3 Teile in 3 Bdn. Wien 4. Aufl. 1938. 84 STATHMION, CHRISTOPH: Practica auff das 1547. Jar ... Nürnberg o. J. 85 STUER, BARNIM Ä: Prognosticon Doctoris Barnimi a Stuer, Auffs Jahr Jhesu Christi MDCII Darinnen die vier Regiment der Jüdischen Policey / durchs gantze Alte Testament / biß auff des HErrn Christi Tod / sampt der gewissen Jahr Rechnung / vnd ändern Biblischen Historien / wie auch mit den Synodis Oecumenicis, gar artig vnd eigentlich beschrieben. Allen Herren Pastoribus / Studenten vnd Haußveteren / die Bibel zuverstehen / sehr nützlich zu wissen. Magdeburg o. J. 86 TELEMANN, GEORG PHILIPP: Singen ist das Fundament zur Music in allen Dingen. Eine Dokumentensammlung. Hg. v. W. Rackwitz. Leipzig 1985.

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Verzeichnis der zitierten Literatur

87 THOMAS VON KEMPEN: Die Nachfolge Christi. Das Buch vom inneren Trost. Übertragen v. F. Braun. München o. J. 88 THOMASIUS, CHRISTIAN: Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen im gemeinen Leben und Wandel nachahmen solle. In: Ch. Th.: Deutsche Schriften. Stuttgart 1970, S. 3-49. 89 TRILLER, DANIEL WILHELM: Poetischer Betrachtungen, ueber verschiedene aus der Natur = und Sitten = Lehre hergenommene Materien, Vierter Theil. Hamburg 1747. 90 WEIGEL, VALENTIN: Ausgewählte Werke. Hg. v. S. Wollgast. Stuttgart Berlin Köln Mainz 1978. Wollgast, Siegfried: Valentin Weigel in der deutschen Philosophiegeschichte. In: S. W. (Hg.): Valentin Weigel: Ausgewählte Werke (s. d.), S. 17-164. 91 WEYER, JOHANN: Von verzeuberungen / Verblendungen / auch sonst viel vnd mancherley gepler des Teuffeis vnnd seines gantzen Heers: Deß gleichen von versegnungen vnd gifftwercken / funff bucher zum ändern mal widerumb übersehen / gemehrt vnd gebessert. Basel 1565. 92 WINCKLER, NIKOLAUS EBERHARD: Practica. Von kfinfftigem zustandt / auß dem lauff des Gestirns / Finsternissen / vnd Planeten Calculiret, auff das Gnadenreiche Jahr Christi MDCVI. Nürnberg 1605. 93 ZWINGLI, HULDRYCH : Wje man die jugendt in guten sitten vnd / Christenlicher zucht vferziehen vnnd leeren solle / ettliche kurtze vnderwejsung (Zürich 1526) ( = Sammlung selten gewordener pädagogischer Schriften des 16. und 17. Jahrhunderts. Bd. 4. Zschopan 1879). Altendorf, Hans-Dietrich: Zwingiis Stellung zum Bild und die Tradition christlicher Bildfeindschaft. In: H.-D. A. / Peter Jezler: Bilderstreit. Kulturwandel in Zwingiis Reformation. Zürich 1984, S. 11-18.

III. Epochenprobleme und -aspekte Adam, Alfred: Lehrbuch der Dogmengeschichte. Bd. 2. Mittelalter und Reformationszeit. Gütersloh 1968. Barner, Wilfried: Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. Tübingen 1970. Beck, Hermann: Die religiöse Volksliteratur der evangelischen Kirche Deutschlands in einem Abriß ihrer Geschichte. Gotha 1891. Becker, Gabriele / Silvia Bovenschen / Helmut Brackert u. a. (Hg.): Aus der Zeit der Verzweiflung. Zur Genese und Aktualität des Hexenbildes. Frankf./M. 1977. Becker, Gabriele / Helmut Brackert / Sigrid Brauner / Angelika Tümmler: Zum kulturellen Bild und zur realen Situation der Frau im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. In: G. Becker / S. Bovenschen / H. Brackert u. a. (Hg.): Aus der Zeit der Verzweiflung (s. d.), S. 11-128.

III. Epochenprobleme und -aspekte

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