Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit: Band 5/2 Frühaufklärung [Reprint 2010 ed.] 9783110942071, 9783484105560

Die immer noch zu wenig betrachtete erste Hälfte des 18. Jahrhunderts wird in der deutschen Kultur- und Literaturgeschic

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German Pages 258 [260] Year 1991

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Table of contents :
Zur technischen Einrichtung des Bandes
Vorwort
Einleitung
I. AUTONOMIESTREBEN IM ZEICHEN DER NATUR
1) Zum Stil- und Funktionswandel der Lyrik um 1700
2) Die Auflösung der Harmonie zwischen Vernunft und Offenbarung
3) Poetisierung des Naturrechts
II. POESIE ALS »DOLLMETSCH« DER NATUR
1) Poetischer Gottesdienst (Brockes)
2) Lehrdichtung als Aufklärungskritik (Haller)
3) »Und glücklich macht uns die Natur« – Poesie als Selbstmedikation (E. Chr. v. Kleist)
4) Die tugendhafte Aufklärung und ihr anakreontischer Sündenfall
Verzeichnis der zitierten Literatur
Personenregister
Sachregister
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Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit: Band 5/2 Frühaufklärung [Reprint 2010 ed.]
 9783110942071, 9783484105560

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HANS-GEORG KEMPER Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit Band 5/II

HANS-GEORG KEMPER

Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit Band 5/II Frühaufklärung

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1991

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Kemper, Hans-Georg: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit / Hans-Georg Kemper. - Tübingen : Niemeyer. Literaturangaben Bd. 5. 2. Frühaufklärung. - 1991 ISBN 3-484-10555-0 kart. ISBN 3-484-10556-9 Gewebe © Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1991 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz: pagina GmbH, Tübingen Druck: Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten Einband: Heinr. Koch, Tübingen

Inhaltsverzeichnis

Zur technischen Einrichtung des Bandes Vorwort Einleitung

VIII IX l

I. AUTONOMIESTREBEN IM ZEICHEN DER NATUR 1) Zum Stil-und Funktionswandel der Lyrik um 1700 . . . .

11

a) Von »Schminke« und »Schwulst« zu »Witz« und »Natur« (Leibniz, Weise, Boileau, Feind - Canitz, Wernicke, Gottsched, Lessing, Kästner u. a.) b) »Und reimte Tag und Nacht«: Zur Kritik und Didaktisierung der Gelegenheitspoesie (Canitz, Gottsched, Weichmann, Hunold u.a.) c) Autoren und Gattungen auf dem Weg zur lehrhaften Dichtung (Brockes, Drollinger, Triller, Gottsched, Kästner, Lessing u. a.)

32

2) Die Auflösung der Harmonie zwischen Vernunft und Offenbarung '

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a) Die janusköpfige Physikotheologie (J. Müller, Derham, Fenelon, Wolff, Reimarus - Brockes, Triller, Ebeling) b) Zur Verarbeitung des »heliozentrischen Schocks« (Fontenelle, Huygens, Scheuchzer, Derham - Brockes) c) Die natürliche Religion des Deismus als »wahres Christentum« (Herbert v. Cherbury, Tindal, Reimarus - Gottsched, Pope, Brockes) 3) Poetisierung des Naturrechts a) »Nichts als befohlne Seeligkeit«: Das Recht der Vernunft als Tugend-Zwang (Pufendorf, Wolff - Lichtwer, Sucro u. a.) . . .

11

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47 52

62 76 76

VI

b) Die Fabel als »Exempel der praktischen Sittenlehre« (Wolff, Lichtwer, Lessing, Herder) c) Naturnachahmung als poetologisches Konzept der Wahrheitsvermittlung und sittlichen Erziehung (Gottsched) d) Herrschaft des Willens und Nachahmung als Sozialisierung zur »vernünftigen Liebe« (Thomasius) e) Naturnachahmung - »Gubernirung« der Affekte durch sinnliche Wahrnehmung (Descartes, Locke, Thomasius, Breitinger Brockes)

85 90 96

99

II. POESIE ALS »DOLLMETSCH« DER NATUR 1) Poetischer Gottesdienst (Brockes)

109

a) Der Lebenslauf als Demonstration irdischer Glückseligkeit . . 109 b) Poetische Alchimie - die >Drey Reiche der Natur< 114 c) Vergottung durch Natur-Betrachtung 121 2) Lehrdichtung als Aufklärungskritik (Haller)

128

a) »Alpenlast der Gelehrsamkeit« und poetische Selbstbesinnung 128 b) Zuchtmeisterin Natur - >Die Alpen< 136 c) Glaubenszweifel, scheiternde Theodizee, verstummende Depression 143 3) »Und glücklich macht uns die Natur« - Poesie als Selbstmedikation (E. Chr. v. Kleist) 158 a) Kaserniert für Preußens Gloria:.Ein Leben zum Sterben . . . 158 b) »Muse Melancholie« 160 c) Empfindsame Natur-Ergebung im >Frühling< 165 4) Die tugendhafte Aufklärung und ihr anakreontischer Sündenfall 173 a) Aufwertung der Sinnlichkeit - »musa iocosa« und Anakreontik 173 b) Lehre des Vergnügens: »Glück und Genuß« im »Mittelstande« (Hagedorn) 176 c) Spott auf Vernunft- und Moralapostel, Geschmack an der »Einfalt der Natur« (Baumgarten, Meier - Gleim, Uz, Götz) . . . 187

VII

Verzeichnis der zitierten Literatur

206

Personenregister

231

Sachregister

236

VIII

Zur technischen Einrichtung des Bandes

Im Darstellungsteil des vorliegenden Bandes werden die im »Verzeichnis der zitierten Literatur« innerhalb von Sachgruppen alphabetisch aufgeführten Publikationen durch die Angabe der römischen Ziffer des Abschnitts der Bibliographie sowie des Verfassernamens, bei mehreren im selben Abschnitt aufgeführten Titeln desselben Autors auch durch das Erscheinungsdatum der Publikation sowie mit der Seitenzahl zitiert. Die Forschungsliteratur aus Abschnitt II des Verzeichnisses wird mit hinzugesetzter arabischer Ziffer aufgeführt, welche auf den jeweiligen historischen Bezugs-Autor verweist. Der Name eines im Satzzusammenhang bereits erwähnten oder eines im betreffenden Kapitel behandelten Autors wird in den Klammern nicht wiederholt. Bei Autoren, denen ein Kapitel oder ein Abschnitt der Darstellung gewidmet ist, entfällt die Repetition der römischen Ziffer nach ihrer ersten Notierung. Darüber hinaus werden entweder die zitierten Ausgaben nach den in der Forschung eingebürgerten Abkürzungen genannt oder die Hauptwerke nach den Titel-Initialen aufgeführt. Die betreffenden Abkürzungen selbst sind im Literaturverzeichnis unter dem jeweiligen Autor zitiert und aufgeschlüsselt.

IX

Vorwort

Keine andere Poesie - außer der deutschsprachigen Lyrik des 16. Jahrhunderts - hat so schlechte Noten erhalten wie diejenige der deutschen Aufklärung. Von den glänzenden Gipfeln barocker Formkunst, so warnt ein Fachlexikon, fällt die Gattungsgeschichte unversehens »in die seichte Klarheit der malenden, beschreibenden Dichtung«, bevor sie sich nach diesem gattungsgeschichtlichen Wellental zur »ragendsten Höhe« der Goetheschen Erlebnislyrik emporschwingt (IV Closs, Sp. 105; zur Forschungs- und Urteilsgeschichte über die »Gänsefüßchen-Lyrik« der Aufklärung vgl. IV Ketelsen 1974, S. 6ff., 20ff.; Siegrist 1974, S. Iff.; Segebrecht, S. Iff.; Kemper I, S. 3ff., l Off., II S. 3ff.; Huyssen, S. 177ff.). Und bestätigen nicht die vielen zumeist vergessenen »poetae minores«, welche den verschiedenen Wissenschaften - allen voran der Philosophie - die Schleppe trugen, die These von der Aufklärung als einem »Zeitalter ohne Poesie« (III Hazard 1939, S. 383)? War solche Poetisierung der Weltweisheit nicht eine Mesalliance, die Dichtung und Wissenschaft gerade ihres jeweiligen »propriums« beraubte, eben nur versifizierte Gelehrsamkeit, dabei ohne Tiefgang und Formbewußtsein, optimistisch und langweilig, unfröhlich und philisterhaft, eklektizistisch und aus zweiter Hand (vgl. III M. Schneider S. 89ff.)? Um die Korrektur solcher Vorurteile geht es vornehmlich im vorliegenden Teilband. Bereits in der ersten Jahrhunderthälfte - dies gilt es zu zeigen - fand die deutsche Aufklärung Anschluß an das westeuropäische Denken, mußte aber die »new science« unter sehr viel schwierigeren Umständen als in Holland, Frankreich oder England durchsetzen. Durch die starke Stellung der Kirchen und die bedrohliche Radikalität des Pietismus ereigneten sich hier bereits die heftigsten und folgenreichsten Auseinandersetzungen um die christliche und natürliche Religion, um hermetische Naturphilosophie und das mechanistische Denken Descartes' (vgl. Bd. V/l), hier entwickelten sich die Grundlagen für die neue Wissenschaft der Anthropologie und überhaupt ein säkulares Welt- und Menschenbild im Zeichen einer vieldeutigen Natur. Anders als in Frankreich oder England, wo die philosophische Prosa dominierte, gehört die Aufklärung in Deutschland »zu den eher reichen lyrikge-

X

Vorwort

schichtlichen Epochen« (IV Richter 1983, S. 9), und ihre Poesie war aktiv und maßgeblich an der schwierigen Durchsetzung der Moderne beteiligt (vgl. III Guthke 1983, S. 274). Zur Bewältigung dieser Aufgabe bedurfte die Lyrik allerdings einer gegenüber der >Barock-Dichtung< gewandelten Struktur (vgl. Kap. I 1). Die sprachpflegerisch und didaktisch orientierte Poesie der Aufklärung vermittelte die Erkenntnisse der »new science« an ein wachsendes Laienpublikum und verdrängte mehr und mehr die auf dem Buchmarkt zunächst noch übermächtige erbauliche theologische Literatur (vgl. Bd. I, S. 18). Sie schuf damit entscheidende Voraussetzungen zur Emanzipation und Autonomisierung der Dichtung, an die Empfindsamkeit und Sturm und Drang anknüpfen konnten (vgl. Bd. VI). Von daher besteht kein Grund, das von den beiden ersten Autoren-Generationen verbreitete Aufklärungslicht unter den historischen Scheffel zu stellen (vgl. dazu auch IV Ketelsen 1974, S. Iff., off., 25ff.). Als Organ des Aufklärungsprozesses ist die Lyrik des Zeitraums aber auch nur aus dieser kultur- und problemgeschichtlichen Konstellation heraus angemessen darstellbar. Im vorliegenden Teilband konnte ich im Blick auf Brockes, Haller und Kleist auf Ergebnisse meiner 1981 erschienenen Habilitationsschrift >Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß. Problemgeschichtliche Studien zur deutschen Lyrik in Barock und Aufklärung< zurückgreifen. Diese Studie stützt vor allem Teil I (Kap. 2 u. 3) des hier vorgelegten Bandes durch breiteres Quellenmaterial, andererseits basiert insbesondere die Darstellung von Brockes, dem problemgeschichtlich interessantesten Lyriker der deutschen Frühaufklärung (vgl. Einleitung), im folgenden weitgehend auf bislang von mir nicht berücksichtigten Texten. Da die Habilitationsschrift die bis etwa 1980 erschienene Forschung extensiv verarbeitet hat, erwähnt die vorliegende Darstellung zur Entlastung des Apparates vor allem die seither publizierten Beiträge und erweitert im übrigen die frühere Konzeption um biographische, gattungs-, stil-, sozial- und mentalitätsgeschichtliche Aspekte sowie um die Einbeziehung einer Vielzahl von Lyrikern. Auch bei diesem Band habe ich Ethel Matala de Mazza, Monika Wenzel und Christian Soboth für tatkräftige Unterstützung (von der Literaturbeschaffung über die Manuskripteinrichtung bis zur Anfertigung der Register) herzlich zu danken. Bochum, 28. 2. 1990

H.-G. K.

Einleitung

Vorbehalte gibt es nicht nur gegenüber der Lyrik der Aufklärung, sondern gegenüber der Epoche selbst, die doch den Kampf gegen die »praejudicia« auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Da ist vor allem die Ansicht von der Inferiorität der deutschen Kultur und Gelehrsamkeit in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, insbesondere im Vergleich zu Frankreich. Kein Geringerer als Christian Thomasius eröffnete nach verbreitetem Urteil die deutsche Aufklärung unter diesem Aspekt mit dem >Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen im gemeinen Leben und Wandel nachahmen solle< (1687; zur Terminierung des Beginns der Aufklärung vgl. Bd. I, S. 29ff.). Darin forderte er unter Berufung auf die These des Jesuitenpaters Dominique Bouhours, »daß alle andere Nationes gegen die Frantzosen gerechnet den Kopf mit Gritze gefüllet hätten« (II D, S. 29), zur vernünftigen Aneignung der französischen Gelehrsamkeit und Kultur auf, um auf diesem Wege »bei esprit« und »bon goüt« zu erwerben und damit ein den Franzosen ebenbürtiger »parfait homme galant« zu werden. Wenn auch gerade zu dieser Zeit der Ruf Frankreichs im protestantischen Ausland durch die Aufhebung des Edikts von Nantes (1685) nachhaltig »ruiniert« war (III von Stackelberg 1980b, S. 30; vgl. zu diesem epochalen Ereignis Bd. I, S. 31 f.), dominierte alsbald trotz bedeutender, zeitlich voraufgehender Anstöße zu einer bürgerlichen Aufklärung in England eine »imitatio franciorum«, die statt nationaler Ebenbürtigkeit den europäischen Hegemonialanspruch der auch durch eine Vielzahl von Übersetzungen importierten - französischen Kultur festigte (»l'Europe fran£aise«; vgl. von Stackelberg 1980a, S. 13; vgl. III Fromm). In Deutschland war bekanntlich vor allem der Hof Friedrichs des Großen ein Zentrum der Frankreich-Verehrung (vgl. III Zelle 1987, S. 71) und zugleich tonangebend bei der Geringschätzung der heimischen Kulturszene, wie auch das drastische Urteil des Monarchen >De la litterature allemande< paradigmatisch bezeugt (vgl. II Friedrich d. Gr., S. 5ff., 46ff.). Selbst Christian Wolff, der »Fürst« der deutschen Aufklärung (11.101 Patzig), wurde (nach dem Erdbeben von Lissabon, bei dem in einer Nacht 60 000 Menschen umkamen) wegen seiner optimistischen Glückseligkeitsphilosophie von Voltaire als »Docteur Pangloss« im >Candide< (1759) mit beißendem Spott geradezu ver-

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Einleitung

nichtet (vgl. dazu 11.92 Thomann; Pomeau; Ferenczi). Zu diesem Zeitpunkt indessen wich die »Frankophilie« bereits einer tiefgreifenden »Anglophilie« der Deutschen (vgl. dazu umfassend III Maurer, S. 13ff., 60ff., 409ff.), und die literarische Avantgarde fühlte sich schon vom Rationalismus der Aufklärung abgestoßen, als diese in Deutschland erst ihre eigentliche Breitenwirkung zu entfalten begann. Der vielfach trokken-pedantische Charakter der von Friedrich Nicolai beherrschten Berliner Spätaufklärung erweckte gerade bei den auf Selbständigkeit bedachten Geistern den Verdacht, dem kirchlichen Despotismus folge nun die Alleinherrschaft einer nicht minder tyrannischen Vernunft. So arbeitete die Aufklärung selbst dem »gegenaufklärerischen Irrationalismus« in die Hände, der in der Romantik bereits einen Höhepunkt feierte und in die Restaurationsepoche hinüberführte (vgl. Ill J. Schmidt 1989, S. 20ff.). Die Aversion der Klassiker und Romantiker gegenüber der Aufklärung wurde in der Rezeptionsgeschichte vielfach geteilt, zumal Frankreich im 19. Jahrhundert zum deutschen »Erbfeind« avancierte und die Nähe der deutschen Aufklärung zum französischen Geist nun als besonders unehrenhaft galt. Manches Germanistenherz schlug erst beim deutsch-wirrationalen« Sturm und Drang höher, der angeblich den deutschen Geist vom Joche des kalt-zersetzenden französischen Rationalismus befreit habe (so z. B. III Korff, S. 74f. u. ö.). Eine nüchterne komparatistische Forschung wiederum nahm - erneut orientiert am Vorbild Frankreichs - vielfach nur vergleichbare Aspekte in der deutschen Entwicklung wahr und konzentrierte sich auch deshalb - unterstützt durch die Einführung des Exemplarischen und Paradigmatischen in den Lehrbetrieb der Hochschulen - auf die großen Namen, vor allem auf einen, nach dem neuerdings wieder die Aufklärung als »das Zeitalter Lessings« apostrophiert und mit dessen Lebensdaten (1729-1781) terminiert wird (III Merker, S. 11 f.; vgl. dazu auch 11.56 Barner u. a., S. 17ff., 24ff.). Von diesen Tendenzen her ließ sich die deutsche wie die europäische Aufklärung als Durchsetzung des Rationalismus und als > Herrschaf t der VernunfK beschreiben (vgl. HI Hazard 1949; Cassirer, S. 15ff.; Mittelstraß, S. 377ff., Pütz, S. 79ff.; Kondylis, S. 170ff.; Wegmann, S. 11, 21 u. ö.). Und dies hat ihr bekanntlich die heftigsten Feindschaften eingetragen (vgl. III Horkheimer/Adorno; dazu III Habermas; J. Schmidt 1989, S. 26ff.), die Kehrseiten des zivilisatorischen Fortschritts werden dem Erbe der Aufklärung angelastet, und mit der Annullierung der Herrschaft des »Logozentrismus« und der schieren »Vernunft der Machbarkeit« fordert man zugleich das Ende der solchermaßen perhorreszierten »ratio« (vgl. III Hassauer/Roos, S. 41; M. Schneider, S. 78ff.; V Welsch, S. 148 ff.). Dagegen erhebt sich gegenwärtig energischer Pro-

Einleitung

3

test, der unter Verweis auf die stets gefährdeten und noch keineswegs erfüllten humanen Ziele der Aufklärung eine »bewußte Wiederaneignung von Aufklärungstraditionen« verlangt (III Rüsen u. a., S. 10; vgl. III Baumgart; M. Schneider; Eschenhagen; Oesterle/Schiele; J. Schmidt 1989). Doch was sind diese? Und: >Was ist Aufklärung?< (Vgl. I Hinske; Bahr) Über sie läßt sich heute als europäisches Phänomen kein einheitliches Bild mehr gewinnen. »Fragmentation des Lumieres« und »Dezentralisierung des Blickes« lauten die Stichworte der neuesten ForschungsBerichterstattung (vgl. III Zelle 1987a, S. 74ff.). Diese Situation ermöglicht und rechtfertigt nun allerdings auch eine »Re-Regionalisierung« der historischen Perspektive (III Gumbrecht, S. 43; vgl. Bd. I, S. 14), und das umso mehr, als die zuvor skizzierten Ansichten über die deutsche Aufklärung mit dazu beigetragen haben, daß der gesamte Zeitraum von 1685 bis 1750 immer noch als »wenig gründlich untersucht« gelten muß (III Martens 1989, S. VII). Die Epochenproblematik der deutschen Aufklärung wurde in der Einleitung zu Band V/1 bereits ausführlich erörtert. Die Aufklärung, so lautete unsere Definition, verhilft den gegen die kirchlichen Orthodoxien gerichteten frühneuzeitlichen Autonomiebestrebungen zum epochalen Durchbruch und leitet damit das Zeitalter der Moderne ein. Der nachfolgende Teil I thematisiert dieses aufklärerische >Autonomiestreben im Zeichen der Natur< an drei besonders wichtigen Problemkomplexen. Schon bei der Frage, warum eine ganze Autoren-Generation den glänzenden Gipfeln der >barocken< Form-Kunst den Rücken kehrte und eine so kunstlos erscheinende, prosanahe Poesie entwickelte (Kap. I 1), gelangt die Korrelation von Vernunft bzw. Witz und Natur als neues stilistisches und inhaltliches Regulativ der Poesie in den Blick: Vernünftige Naturnachahmung erschöpfte sich keineswegs in der Bezeichnung eines poetologischen Verfahrens und kann deshalb auch nicht zureichend nur innerhalb der Rhetorik- und Poetik-Tradition erfaßt werden; vielmehr gewann die Dichtung über diesen Begriff Anschluß an den allgemeinen Diskurs über die »imitatio naturae« und ist daher nur in diesem breiten problemgeschichtlichen Kontext historisch angemessen zu erfassen. Natur war ein entscheidender Kampfbegriff der Aufklärung in verschiedenen Künsten und Wissenschaften, sein diffuser Gebrauch, über den schon die Zeitgenossen klagten (vgl. IV Ketelsen 1974, S. 43ff.; Kemper I, S. 9ff.), war selbst ein Mittel in dieser Auseinandersetzung um eine natürliche, also nicht mehr aus der biblischen Offenbarung deduzierte und deshalb tendenziell säkulare Welterklärung (vgl. dazu auch IV

4

Einleitung

Grimm 1984, S. 208ff.). Die Dichter der Frühaufklärung engagierten sich in dieser Debatte. Für sie stand Natur deshalb ebenfalls in ihrer Totalität mit den traditionellen metaphysischen Deutungsmustern zur Debatte (war also noch keineswegs auf eine >Landschaft< oder ein lyrisches »Naturgefühl« reduziert; vgl. dazu IV Richter 1972, S. l Iff., 46ff. u. ö.; III Schatzberg, S. 135ff.; Ketelsen, S. 169ff.; 11.13 Kimber 1969, S. 15ff.). Diese Auseinandersetzung um den Wahrheitsanspruch von Bibel und »Buch der Natur« illustriert Kapitel I 2 an der janusköpfigen Physikotheologie, an der Verbreitung und Verarbeitung der dem biblischen Weltbild widersprechenden nachkopernikanischen Pluralität der Welten und an der Auseinandersetzung um die natürliche Religion und Kirchenkritik des Deismus (dabei wird auch die Behauptung von Saine zu korrigieren sein, der Deismus sei »nie« oder »nur als Schreckgespenst« nach Deutschland gekommen; III 1987, S. 219). Der Deismus hatte bereits die Ausübung des Sittengesetzes zum Hauptinhalt seiner natürlichen Religion proklamiert. Und diesem praktischen anthropozentrischen Interesse der Aufklärung verdankte u. a. das auch für Fabel und Poesie grundlegende Naturrecht seine epochale, freilich immer noch zu wenig beachtete Stellung im 18. Jahrhundert (Kap. I 3). Selbst die naturmalende Poesie verfolgte mit ihren physikalischen Beschreibungen noch moralische Zwecke. Der zweite Teil - >Poesie als »Dollmetsch« der NaturNaturlyriker< der Aufklärung, sodann die »musa iocosa« und Anakreontik als vorgeschobenste bürgerliche Opposition gegen eine allzu tugendhafte Aufklärung und ein engherziges pietistisches Frömmlertum. Damit zeichnet die vorliegende Darstellung der Aufklärung mit beiden Bänden jene Epochen-Spannung zwischen größter (pietistischer) Weltverachtung und demonstrativem (anakreontischem) Weltgenuß nach. Beim Abschreiten der Problemfelder wird im folgenden immer wieder einem Autor besondere Aufmerksamkeit zuteil: Barthold Heinrich BROCKES (1680-1747; vgl. dazu Abb. l: ein als realistisch geltendes Porträt des Autors von Dominicus van der Smissen; aus III Stenzel, S. 36). Er ist in der Tat »the most remarkable poet of the early Enlightenment in Germany« (III Ketelsen, S. 174), und das vor allem aus drei Gründen: Kein anderer Autor der Epoche hat ein so umfangreiches lyrisches Werk verfaßt, kein anderer hat zu Lebzeiten mit seiner Lyrik einen solchen Erfolg gehabt, und keiner hat in seinen Versen eine so vollständige, aber heterogen erscheinende und deshalb in der Forschung konträr diskutierte Natur- und Weltanschauung vermittelt wie er. Dazu vorab nur einige

Einleitung

Abb. l

Hinweise. Allein die neun Bände seines >Irdischen Vergnügens in Gottx umfassen mehr als 5 000 Seiten. Hinzu kommen seine Gelegenheitsgedichte, ebenfalls in stattlichem Buchumfang (vgl. Kap. II l a), sowie seine Übersetzungen, u. a. von Marines >La Strage degli InnocentiEssay on Man< und Thomsons >Seasons< (vgl. II Brockes). Seine außerordentliche Wirkung läßt sich allein schon an den Auflagen und Ausgaben seiner Werke ablesen: Die ersten sieben der durchweg zwischen 500 und 700 Seiten starken Bände des >Irdischen Vergnügens< erfuhren

6

Einleitung

zu seinen Lebzeiten mehrere Auflagen (der erste sieben, die beiden folgenden vier, Band IV drei, die nachfolgenden je zwei, nur die beiden letzten lediglich je eine; insgesamt also 26 Auflagen der gewiß nicht billigen Einzelbände; die postumen Auflagen sind offenbar noch nicht vollständig erfaßt; so liegt mir beispielsweise eine 1770 in Hamburg veröffentlichte dritte Auflage von Band V des irdischen Vergnügens< vor, die von 11.13 Fry/Guntermann nicht verzeichnet wird). Darüberhinaus erschienen zu Lebzeiten noch eine >Tübinger Ausgabe< der ersten sieben Bände (1739-1746), der >Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen< (1738), die von einem Sohn des Dichters herausgegebene >Harmonische Himmels-Lust im Irdischem mit >musicalischen Gedichten und Cantaten< (1741; 2. Aufl. 1744) sowie eine Edition mit Vertonungen von Johann Kaspar Bachofen (1740). Zahlreiche Komponisten, darunter vor allem Georg Friedrich Händel und Georg Philipp Telemann vertonten Arien aus dem >Irdischen Vergnügen< bzw. benutzten Vorlagen daraus für >Singe-, Spiel- und Generalbaß-UebungenBethlehemitische Kindermord< als auch die >Poesie der Niedersachsem, in denen sie gesammelt waren, erlebten jeweils mehrere Auflagen (vgl. Kap. l i b und II l a), und sein zuerst 1712 im Druck erschienenes >Passionsoratorium< erreichte schon 1727 30 Auflagen und wurde von nicht weniger als 11 Komponisten - darunter Keiser, Mattheson, Händel und Telemann - vertont (vgl. dazu und zur Brockesschen Wirkung insgesamt IV Ketelsen 1974, S. 25ff.; 11.13 Fry 1980, S. 78ff., 103f.; Fry/Guntermann ; Guntermann). - Allein schon eine solche Wirkung fordert zu der Frage heraus, welche Ideen und welches Weltbild der Hamburger Jurist und Senator vermittelt hat. Die Meinungen darüber gehen weit auseinander, - so weit, daß man ihm sogar »ein höheres Maß an reflektierender Intelligenz« abspricht und lediglich zugesteht, »daß er die Ansichten seiner Zeit« »ganz naiv widerspiegelt« (11.13 Albertsen, S. 61 f.). Andere ordnen die Weltanschauung des Ratsherrn den verschiedensten Richtungen zu. David Friedrich Strauß hielt den Reimarus-Freund Brockes für einen Anhänger der »innern Vernunftreligion«, der seine Kirchlichkeit nur noch als Maske beibehalten habe (II, S. 8), spätere Interpreten sahen in ihm einen »Spinozisten« und Pantheisten oder im Gegenteil einen physikotheologischen Verteidiger des Christentums (letzteres III Zöckler II, S. 110; IV Ketelsen 1974; 11.13 1984, S. 844ff.; 1988a, S. 19; Martens, S. 264f.; IV Browning, S. 6). Und jeder Interpret hat aus diesem Riesen-

Einleitung

7

werk Belege für seine Deutung gefunden! Dies weist bereits darauf hin, daß Brockes wie andere Zeitgenossen auch Eklektiker war, und schon von daher ist es, scheint mir, problematisch, ihn nur auf die »erfolgreichste Harmonisierungsideologie der Frühaufklärung«, nämlich die (obendrein noch als rein christlich interpretierte) Physikotheologie, festzulegen und gegen die Fülle der doch aus Brockes' eigener Feder stammenden Häresien dessen Vernunftfeindlichkeit ins Feld zu führen (11.13 Ketelsen 1988a, S. 19). Schon die Zeitgenossen selbst haben die Physikotheologie für unterschiedliche weltanschauliche Positionen »vereinnahmt« (vgl. Kap. I 2 a) und damit als »geschlossenes Vorstellungsschema zerschlagen«, doch wer unter ihnen hätte es öffentlich ohne Selbstgefährdung - erinnert sei nur an Reimarus (vgl. Kap. I 2 c) - wagen können, sich nicht als christlich zu bezeichnen? - Gerade die kirchliche Einschränkung der Meinungsfreiheit macht die Untersuchung der weltanschaulichen Grabenkämpfe der Frühaufklärung spannend, und dabei bewährt sich die von heterogenen Einflüssen geprägte Weltanschauung von Brockes als signifikanter und markanter Wegweiser. Von der hier schließlich vorgeschlagenen Positionsbestimmung seines Werkes her läßt sich nur ein Autor als wahrer Schüler von Brockes bezeichnen: der gebürtige Hamburger Pastor Albrecht Jacob ZELL (1701-1754) mit seiner >Erweckten Nachfolge zum Irdischen Vergnügen in GOTT< (1735; vgl. dazu III Ketelsen, S. 180; IV Kemper I, S. 358f., II, S. 416). - Im übrigen werden diejenigen, denen die Verse des Hamburger Ratsherren nicht gefallen, »ersucht zu vergessen, daß es Verse sind«, und sie »wie Prose zu lesen« (so Kleist über seinen >FrühlingL'Art poetique< von Nicolas BOILEAU-DESPREAUX (1636-1711), einem Alexandriner-Lehrgedicht in vier Gesängen, das allgemein als Summe der klassischen französischen Poetik gilt (vgl. dazu 11.16 Stenzel, S. 568). Boileau subsumierte darin viele traditionelle Ratschläge unter die allgemeine Regel: »Aimes done la Raison« (»haltet euch also an die Vernunft«; II Boileau, S. 6), und dies implizierte für ihn die Warnung sowohl vor zu einförmigem Stil und zu großer Simplizität als auch vor der »Schminke« des Marinismus (»... Soies simple avec art: / Sublime sans orgueil: agreable sans fard«: »seid schlicht, aber doch kunstvoll, erhaben ohne Dünkel und anmutig ohne Schminke!« Ebda.,

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I. Autonomiestreben im Zeichen der Natur

S. 10f.). Nicht nur Canitz, der Boileaus Werke »als Steinbruch benutzt hat« (11.16 Stenzel, S. 568), sondern auch zahlreiche Galante, aber auch Weise-Schüler und vor allem Gottsched haben sich von Boileau inspirieren lassen. Auch Christian Weise hat für die Vernunft-Orientierung der frühaufklärerischen Poesie entscheidend die Weichen gestellt. Mit dem Verlangen nach den Stiltugenden von »Klarheit, Deutlichkeit und Verständlichkeit« gelang es ihm, Rhetorik und Logik miteinander zu verbinden und so dem allgemeinen Übergang von der Rhetorik zur Logik als der Vernunftlehre der Aufklärung den Weg zu ebnen (vgl. IV Beetz, S. 6, 20ff.). Und eben von der »Scharffsichtigkeit des Verstandes«, so urteilten 1727 die Schweizer Johann Jakob BODMER (1698-1783) und Johann Jakob BREITINGER (1701-1776), hänge wiederum auch der literarische Geschmack ab: »Also ist kein Wunder / daß bey unsern Poeten der Geschmack so elende ist / da sie die Philosophie / die den Verstand reinigt und erhöhet / verachten / oder versäumt (!) haben: Da sie an statt der Logick die Rhetorischen Blumen und Figurn eingesetzt haben / und die Qualitäten der Sachen von denen sie reden / nicht aus der Natur der Dingen / sondern den Lexicis der Bey = Wörter herholen.« (Zit. ebda., S. 36)

Das Bemühen, in der Poesie den Anforderungen der Vernunftlehre zu genügen, zeigt sich auch in den Definitionen jener Zeit. »Die teutsche Poesie«, formulierte z. B. Erdmann UHSE (1677-1730) 1719, »ist eine Geschicklichkeit, seine Gedanken über eine gewisse Sache zierlich, doch dabei klug und deutlich, in abgemessenen Worten und Reimen vorzubringen« (zit. in IV Große, S. 145). Und diese Absicht deutlicher Darstellung trug mit zur frühaufklärerischen Ablehnung des > barocken < Form- und Regelzwanges bei. Dies galt auch für einige der im 17. Jahrhundert besonders beliebten Gedicht- und Versarten. So im Blick auf erstere vor allem für das Sonett (vgl. dazu auch I Wiedemann, S. 11 Of f.). Beispielsweise verfaßte Johann Burkhard MENCKE (1674-1732) in seinen >Schertzhafften Gedichtem von 1706 ein »Kling-Gedicht« unter dem Titel >Kein SonneK: »Bey meiner Treu es wird mir angst gemacht: Ich soll geschwind ein rein Sonnetgen sagen, Und meine Kunst in vierzehn Zeilen wagen, Bevor ich mich auff rechten Stoff bedacht; Was reimt sich nur auff agen und auff acht? Doch eh ich kan mein Reim-Register fragen, Und in dem Sinn das ABC durchjagen, So wird bereits der halbe Theil belacht. Kan ich nun noch sechs Verse darzu tragen,

1) Zum Stil- und Funktionswandel der Lyrik um 1700

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So darff ich mich mit keinen Grillen plagen: Wolan da sind schon wieder drey vollbracht; Und weil noch viel in meinem vollen Kragen, So darff ich nicht am letzten Reim verzagen, Bey meiner Treu das Werck ist schon gemacht.« (I Stenzel, S. 42f.)

Die bloße Erfüllung einer mit technischen Hilfsmitteln - wie der Autor zeigt - spielerisch zu bewältigenden Form verdiente nicht nur keinen Respekt, sondern verhinderte geradezu die klare und deutliche Explikation einer wichtigen Sache (vgl. Z. 10: »So darff ich mich mit keinen Grillen plagen«). Deshalb wurden noch am ehesten jene Kleinformen beibehalten, in denen sich der »Witz« und »Scharfsinn« des Autors zum Vergnügen des Lesers demonstrieren ließen. Dazu gehörten auch die anakreontischen Scherzgedichte, die indessen z. B. Gottsched für unter seiner Würde erachtete (vgl. II G, S. 365f., 487f.), wofür er von den Anakreontikern denn auch prompt die scherzhafte Quittung erhielt (vgl. Kap. II 4 c). Neben der Fabel (vgl. dazu Kap. I I c; 3) zählte dazu ferner das Epigramm (vgl. zu diesem Bd. III, S. 188ff., 216ff.; Bd. IV). Hier hatte sich vor allem Christian WERNICKE (1661-1725; Privatgelehrter in Hamburg, 1708-1723 dänischer Gesandter in Paris) vom spätbarocken »Saulus« zum frühaufklärerischen »Paulus« gewandelt und vertrat in seinen >Uberschriffte Oder Epigrammata< (1697, vermehrt 1701 und 1704) das Stilideal des französischen Klassizismus (»Ich folge der Natur, und schreib' auf ihre Weis'«; vgl. IV Richter 1983, S. 23; vgl. auch III Böckmann, S. 492ff.). Entsprechend richtete sich seine Satire gegen den marinistischen Stilprunk und die »Zwilling-Wort«-Manie der PegnitzSchäfer (I Stenzel, S. 20; vgl. dazu auch 11.98 Beetz). Der pessimistischen, vor allem theologischen Zeitalterklage stellte er den >epochalen< Optimismus der »moderni« entgegen (zur Querelle des Anciens et des Modernes, die hier hineinspielt, vgl. V/1 Einleitung d): »Auf die unnütze Klagen über die itzige Zeiten. Man klagt daß wir die Lieb und alte Treu verlohren / Und daß der Seegen sich verkehrt in einen Fluch: Jedoch / wenn ich mit Fleiß die vor'ge Zeit durchsuch' / So danck ich GOtt / daß ich in dieser bin gebohren.« (I Stenzel, S. 20; Hervorhebung im Text)

Mit der Theorie des Epigramms beschäftigten sich neben Gottsched (vgl. II CD, S. 681 ff.) vor allem LESSING und Herder (vgl. dazu 11.56 Grimm, S. 392ff.). Nach ersterem bestand das Sinngedicht aus den konstituieren-

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den Elementen der »Erwartung« und deren »Aufschluß« in einer überraschenden Pointe, die in kritischer oder satirischer Absicht den Leser zum Nachdenken veranlassen soll. Lessing schrieb selbst etwa 200 deutsche und 22 lateinische Epigramme von großer thematischer Vielfalt die meisten davon in seinen Jugendjahren - und veröffentlichte eine erste Sammlung 1753 in seinen >SchrifftenVermischten Schriftem (vgl. II SG, S. 5ff.', 41ff.; außerdem edierte er 1759 zusammen mit Karl Wilhelm Ramler die Epigramme Friedrich von Logaus; vgl. zu diesem Bd. IV). Mit Recht freilich bezeichnete er seine Sinngedichte als Übersetzungen und Nachahmungen, denn ein großer Teil von ihnen stellt sich als leicht variierte und aktualisierte Adaptation klassischer Vorläufer dar, so vor allem der Epigramme des Marcus Valerius Martialis (40-104 n. Chr.) wie das folgende: »Heirats(un)lustig Paula will mich zum Manne, doch ich will Paula nicht haben: sie ist ein altes Weib - war' sie noch älter, dann wohl.« (II Martial, S. 90) »Auf die Magdalis Die alte reiche Magdalis Wünscht mich zum Manne, wie ich höre. Reich wäre sie genug, das ist gewiß; Allein so alt! - Ja, wenn sie älter wäre!« (II Lessing SG, S. 32)

Wie der Lessingsche »Witz« es schafft, den Herkunftsdünkel eines ganzen Standes durch Verweis auf die Schöpfungsgeschichte in drei Zeilen satirisch ad absurdum zu führen und damit die Gleichheit der Menschen zu postulieren, mag folgendes Beispiel zeigen: »Auf einen adligen Dummkopf Das nenn ich einen Edelmann! Sein Ur- Ur- Ur- Ur- Älterahn War älter einen Tag, als unser aller Ahn.« (Ebda., S. 12)

Satirisch-pasquillantische Anprangerung bekannter Personen hat Lessing zumeist vermieden. Hierin unterscheidet er sich auffällig von seinem Leipziger Lehrer Abraham Gotthelf KÄSTNER (1719-1800; Student der Jurisprudenz, seit 1739 Mathematikdozent in Leipzig, seit 1756 Ma-

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thematik- und Physikprofessor in Göttingen, Leiter der dortigen Sternwarte). Kästner war ein gefürchteter, bissiger, auch persönlich verletzender Epigrammatiker, der eine erste Sammlung 1755, eine zweite wesentlich erweiterte 1781 veröffentlichte und seinen Sinngedichten vielfach umfangreiche Anmerkungen beifügen mußte, um zu verdeutlichen, auf welche konkreten Umstände und Personen sie sich bezogen. Kästner war ein erbitterter Gegner der Überfremdung durch die französische Sprache und Kultur und attackierte selbst Friedrich den Großen wegen dessen Frankophilie (II Kästner I, S. 71). Auch an Voltaire, dessen Verstand er an sich schätzte, demonstrierte er seinen bärbeißigen »Witz«: »Aus Voltaire's Leben. Die Kränklichkeit des Knäbchens nicht zu mehren, Gab man die Taufe spät Voltairen; Und hätte man gekannt, was schon in ihm gewohnt, Man hält' ihn gar damit verschont.« (Ebda., S. 62)

Vor allem aber rieb sich der Göttinger Ordinarius, der das aufklärerische Ideal des deutlichen Schreibens verfocht (»Könnt ihr nun nicht verständlich schreiben, / So mögt ihr ungelesen bleiben«; ebda., S. 90), an der durch Klopstock und dessen Nachahmer in Mode geratenen neuen >dunklen< poetischen Schreibart der Empfindsamen und der Stürmer und Dränger und zeigte so selbst seinen in der zweiten Jahrhunderthälfte bereits überholten poetologischen Standort an (in »Both'ng'stamm'l« karikierte er die Neigung der >Neuen< zum Apo- und Synkopieren): »Altes und Neues. Bardenton, Knittelvers, Minneklingklang, Both'ng'stamm'l, Mordgeschicht, Hexengesang, Hat man in jetzigen Zeiten so gern: Bibel und Glauben verlangt man modern.« (Ebda., S. 53)

Auch im Bereich der Metrik hatte für die Aufklärer der »Wohlklang«, im wesentlichen noch verstanden als handwerklicher Schmuck und Zierde, die Klarheit, Flüssigkeit und Verständlichkeit des Inhalts bestenfalls >witzig< zu unterstreichen (vgl. IV Vietor, S. 88). Die zahlreichen Anweisungspoetiken der Zeit lehrten diesen Stoff ganz schulmeisterlich und - abgesehen von den Nürnbergern - ohne nennenswerte Überschreitung der durch Opitz und Buchner gesetzten Grenzen (vgl. dazu Bd. IV). Auch GOTTSCHED beklagte zwar die durch den »Vater der deut-

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sehen Dichtung« eingetretene Verarmung im Gebrauche der Versmaße, indessen rechtfertigte er den von Opitz eingeführten hauptsächlichen Gebrauch von Jamben und Trochäen auch in der frühaufklärerischen Poesie damit, daß »dieselben unsrer Sprache am naturlichsten sind« (II CD, S. 386). Daneben aber demonstrierte er immerhin anhand eigener Beispiele, daß sich alle antiken Versmaße im Deutschen nachahmen ließen, ja er empfahl sogar ebenso wie Breitinger die »imitatio« des reimlosen Hexameters und setzte sich wie der Schweizer für eine Lockerung des als unnatürlich empfundenen Reimzwangs in der Poesie ein (selbst die reimlosen antiken Verse etwa eines Tibull oder Ovid wurden in Reimen übersetzt; vgl. II Breitinger CD II, S. 460), doch wollte er die Reime gelten lassen, »wenn sie ungezwungener Weise kommen, und gleichsam von sich selber fließen« (II Gottsched CD, S. 404). Zu große metrische Freiheiten empfand er dagegen als unpoetisch und kritisierte deshalb die von der Brockes-Schule extensiv benutzten ungeregelten Madrigalverse als »libertinistische Dichtungsart« und »Poesie der Faulen« (ebda., S. 695f.). - BODMER und BREITINGER griffen insbesondere die zeitgenössische Kritik an den im 17. Jahrhundert besonders verbreiteten Alexandrinerversen auf, obgleich diese doch, wie Opitz betont hatte, »wegen jhrer weitleufftigkeit der vngebundenen vnnd freyen rede zu sehr ähnlich sindt« (II, S. 39). Aber der Zwang zur Binnenzäsur, so kritisierte Breitinger unter Berufung auf La Mottes Alexandriner-Kritik, lasse den Vers wie eine Schlange erscheinen, »die mitten entzwey geschnitten worden, und den Hintertheil gantz beschwerlich nach sich zieht«, und er empfand den Alexandriner im Deutschen »um so viel unbequemer«, als er für die hier üblichen »vielen zusammengesetzten Worter« »keinen Raum herzugeben weiß« (II Breitinger CD II, S. 453f.). Die Gefahr des »Klapperns« bei diesem »zweischenklichten Vers« demonstrierte Bodmer an einem eigenen Alexandriner-Gedicht auf den Tod seines Landsmanns Carl Friedrich Drollinger (1688-1742): »Gleichwie ein Maultier dann mit leichten Schenkeln flieht, Wenn keine schwäre Bord es nach der Erde zieht: So laufft ein leerer Vers, wo wir den Inhalt missen, Und klingelt nach dem Schlag von Drey Paar leichten Fussen . ..« (Zit. in II Drollinger, S. 384)

Breitinger empfahl, das Versmaß im Vers zu variieren, um eine »widrige Monotonie« zu vermeiden, und setzte sich ebenfalls für den Hexameter sowie größere Unabhängigkeit von dem Reim ein (CD II, S. 447, 460). Reimlose Verse entstanden am Ende der Frühaufklärung vor allem in den anakreontischen Oden (vgl. Kap. II 4). Insgesamt aber führte erst Klopstock - angeregt durch die Schweizer und durchaus noch orientiert

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an der Nachahmung antiker Muster - einen grundsätzlichen Vers- und Formenwandel durch, bei dem die Form wiederum - wie es bereits bei Breitinger anklang (CD II, S. 444f.) - zu einem wesentlichen Konstituens und Organ der Poesie und ihrer Aussage heranreifte (dazu Bd. VI; vgl. dazu auch IV Behrmann, S. 73ff.). In Klopstock gelangte zugleich die auf den Genie-Gedanken hinführende poetologische Orientierung am Autor und seinen Fähigkeiten zu einem ersten Höhepunkt in der deutschen Lyrik-Geschichte. Gewiß waren Witz, Geschicklichkeit und Klugheit topische Anforderungen an einen Dichter, indessen erhielt dieser in der Frühaufklärung eine gegenüber der Tradition herausgehobene Bedeutung als einheitsstiftender Garant der von ihm konstruierten (poetischen) Welt. Denn weder konnte er die tradierten Wahrheiten länger in den scheinbar objektiven Formen der Gattungsgeschichte autoritätsgläubig und allenfalls variierend aussagen noch sich bereits auf die allgemein anerkannte Wahrheit eines neuen Weltbildes berufen. Also mußte er stets wählen und seinen Standort begründen (vgl. V/l Einleitung d): »So thun Eclectici! Man wählt aus alt und neu, Das Gute nimmt man an, und bleibt in allem frey, So steigen Witz und Kunst.« (II Gottsched G, S. 399)

Wo neue Einsichten über die Welt zu vermitteln waren und ihre Plausibilität sich aus dem Gegenstandsbereich selbst ergeben mußte, da waren erhöhte Ansprüche an die wissenschaftlichen Kenntnisse der Autoren erforderlich. Nicht zufällig handeln das zweite und dritte Kapitel von GOTTSCHEDS >Critischer Dichtkunst >Vom Charaktere< und >Vom guten Geschmacke eines PoetenCritischen Dichtkunst mit dem Versuch einer Synthetisierung der alten rhetorik-bestimmten PoetikTradition mit den neuen Logik-orientierten Prinzipien Wölfischen Philosophierens selbst eklektisch verfuhr (vgl. dazu III Grimm 1983, S. 620ff.), die Poesie - so gleich im ersten Satz - »eine von den wichtigsten freyen Künsten, ja der vornehmste Theil der Gelehrsamkeit« (CD, S. 67), also eine »wissenschaftliche Disziplin« (III Grimm 1983, S. 627; IV Scherpe, S. 30f.), die sowohl in Ausübung wie Beurteilung das denkende Subjekt als wählende und wertende Instanz erforderte. - In weit

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stärkerem Maße als Gottsched, der die individuellen kreativen Vermögen den starren Gesetzen »der« Vernunft subordinierte (vgl. dazu auch Kap. I 3 c), setzten dann die Schweizer - so im folgenden Bodmer in seinem Gedicht zum Tod Drollingers - bereits auf die individuelle Schöpferkraft des Autors (zum sog. Literaturstreit zwischen Gottsched und den Schweizern vgl. I Crüger; III Wilke; Horch/Schulz; Kap. I 3 c): »Wo lebt jetzt der Poet, der Urteilskraft und Geist, Der Jugend Munterkeit, des Alters Reiffe weist? Der kühn, und doch gesetzt, durch Kunst, doch unbemuhet, Zwar fliessend, doch nicht leer, die Herzen an sich ziehet? Der / was er denken soll, stets in der Sache findt; Und, was uns rühren soll, zuerst bey sich empfindt? Der die Natur nicht bloß in denen Werken sihet, Die sie vor uns gelegt, und keinem Äug entziehet? Der aus der Dinge Spur, so sie im Werk vollbracht, Erkennt, was sie vermag, und dann mit ihrer Macht Nach ihren Regeln wirkt, nach ihrer Zeichnung schildert; Was sie erfunden hat, umschränkt, erhöhet, mildert?« (Zit. in II Drollinger, S. 384f.)

Naturnachahmung wurde hier nicht mehr als poetisches Kopieren der Realität verstanden, sondern als ein - wenngleich noch an den »Regeln« der Natur orientierter - aposteriorisch und eigenständig konstruierender schöpferischer Akt. Dieser war auch nicht mehr aus den Regeln der Poetik ableitbar, sondern eine individuelle Leistung des Autors, der damit zur entscheidenden, formgebenden und sinnsetzenden Instanz aufrückte. Doch waren das Werk und seine Sprache nicht nur »ein heller Spiegel des Verstandes« (II Leibniz ED, S. 67), sondern - Bodmers Forderung entsprechend - auch ein Ausdruck seines Herzens und Gefühls (vgl. dazu Kap. II 4). Gleichwohl war es nicht nur von Gottsched, sondern auch von Bodmer und Breitinger noch ein beträchtlicher Schritt bis zum neuen Verständnis des Dichters als eines Genies. Immerhin aber zeichnete sich das Bewußtsein eines neuen Autor-Selbstverständnisses und der Verdrängung des altehrwürdigen »poeta doctus«-Ideals, dem sich auch die Schweizer noch zugehörig fühlten, unübersehbar um die Jahrhundertmitte ab (vgl. dazu III J. Schmidt 1985; Bd. VI). Dafür hier nur ein weniger bekanntes Beispiel. Der kursächsische Hofrat und Wittenberger Medizinprofessor Daniel Wilhelm TRILLER (1695-1782) hatte als »gelehrter Dichter« und als Anhänger des klassisch-humanistischen Stils 1746 eine vierbändige Opitz-Ausgabe ediert, die sich offenbar besser verkaufen ließ als der ein Jahr zuvor erschienene, philologisch ungleich aufwendigere erste Band einer von Bodmer und Breitinger besorgten

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Opitz-Ausgabe. Letztere tadelten - ebenso wie Lessing - Trillers Ausgabe heftig (>Der Gemißhandelte OpitzMessias< (1748) inaugurierten neuen poetischen Stil (>Der Wurmsamen. Ein HeldengedichtFunften Theils< seiner >Poetischen Betrachtungen das neue, der »Nachahmung« deutlich entgegengesetzte dichterische Selbstverständnis des Schöpfers (»Esprit Createur oder schöpferischer Geist«) als »poetische Schwärmerey und Enthusiasterey« heftig an. In der Pose eines besorgten Mediziners mutmaßte er, »daß einige strenge Kunst = und Sittenrichter sodann alle mit hitzigen Fiebern behafteten und irre redenden, imgleichen alle schwermuthigen und wegen verwahrlosten Verstandes, in gewisse traurige Häuser eingeschlossenen, wie nicht weniger auch alle Trunkene, Träumende und Mondsuchtige, in diese seltene Classe der schöpferischen Geister setzen mochten .. .« (II PB V, S. b 5 r) Und tatsächlich mußte Triller noch erleben, daß einer der neuen »Sittenrichter«, nämlich Herder, erklären konnte, »der Vorsteher eines Toll- und Siechhauses gäbe die frappantesten Beiträge zur Geschichte des Genies aller Zeiten und Länder« (1774; II Herder EuE, S. 20) und daß damit in der Tat die bislang vom Aufklärungslicht verdrängten >Nachtseiten< der Psyche als vom Schöpferischen unabtrennbare Wurzeln kreativer Originalität in den Geniebegriff integriert wurden (vgl. Bd. VI). Bei der Herausbildung und Begründung dieses neuen Dichterideals sollte die Lyrik, die seit Platon und Aristoteles trotz des Redekriteriums (»der Dichter spricht selbst«) nicht als eigene Gattung aufgefaßt wurde (vgl. IV Scherpe, S. 6ff.), eine bedeutende Rolle spielen, weil sie sich als Medium zur individuellen dichterischen Selbstaussprache besonders eignete. In diesem Zusammenhang ist nicht uninteressant, daß der Hamburger Jurist und Schriftsteller Barthold FEIND (1678-1721) im ausführlichen >Vorbericht< zu seiner Sammlung >Deutscher Gedichte< (1708) zu erweisen suchte, wie >Temperament und Gemuhtsbeschaffenheit eines Poeten< in seinem Werk unmittelbar zum Ausdruck gelangen. Für ihn waren z. B. die Choleriker und die (vollblütigen) Sanguiniker am geschicktesten zur Poesie; denn weil die Säfte in ihrem Leib kräftig flössen, »so muß auch der Antrieb / Druck und Bewegung hurtiger und kräfftiger seyn« (II, S. 16). Ein cholerisch-ehrsüchtiger »Feuerkopf« erfüllte die Erfordernisse des rhetorisch-poetischen »decorums« gleichsam

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I. Autonomiestreben im Zeichen der Natur

von Natur (ebda., S. 29). Mit diesem feurigen Temperament, der seinen Gedichten »Zunder« gab (ebda., S. 43), verglich Feind nun spöttisch den saft- und kraftlosen Stil der Weise-Schule (vgl. zu dieser auch IV Beetz), indem er zunächst einige Verse aus einem >EhrenTheurer Hertzog / unser Trost / edles Kleinod dieser Erden / Soll uns deine Helden = Krafft noch auffs neue kundbar werden? Kan die Oesterreichsche Donau / und der nun befreyte Rhein / Gleich wie woll bey ändern Fürsten / nicht statt grosser Zeugen seyn? Oder hat der weite Belt nichts von deinem Geist erfahren? Oder will aus Überfluß Er dem Neide zum Verdruß Wider sein gestecktes Ziel sich mit jenen Flössen paaren ?< Ich dencke immer / der Hochgeehrte Herr Auctor müsse ein wässerichtes Temperament haben / indem er so fleißig schreibet. Es kan auch seyn / daß er mit Flüssen versehen gewesen / da er dieses fliessende Gedicht gemacht...« (II Feind, S. 67)

Da meldeten sich schon in der Frühaufklärung selbst die Vorbehalte gegenüber dem einförmigen prosanahen »mittleren Stil«, der sich höheren Aufgaben (und der Darstellung des Erhabenen) kaum mehr gewachsen zeigte. Und wenn Feind an diesem Beispiel insonderheit kritisierte, daß der Autor »Ehren = Gedichte auf Durchlauchtige Personen von gemeinen Wortern zusammenreime« (ebda., S. 66), dann schlugen in solchem Argument die pragmatischen poetischen Erfordernisse einer vielfach an der Hof-Kultur orientierten Poesie durch, die nur in der angemessenen Würdigung der ranghohen Adressaten die eigene Würde zu wahren und den eigenen Marktwert zu erhalten vermochte, dann erwies dieser Stil aber im Spiegel solcher Kritik auch sein demokratisierendes >Temperament< und seinen bürgerlichen >Charaktere Und dieser drang nicht nur vereinheitlichend in die überkommenen Gattungsformen ein, sondern rüstete diese auch - wie die nächsten Abschnitte zeigen - in besonderer Weise für die eigenen Zwecke um. b) »Und reimte Tag und Nacht«: Zur Kritik und Didaktisierung der Gelegenheitspoesie (Canitz, Gottsched, Weichmann, Hunold u. a.) Der skizzierte Stilwandel war Teil eines tiefgreifenden Funktionswandels der Literatur im Übergang zur Aufklärung. Diese Entwicklung, die den Zeitgenossen erst allmählich zu Bewußtsein kam, manifestiert sich

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im Bereich der Lyrik am deutlichsten daran, daß der unter funktionalem Gesichtspunkt das 17. Jahrhundert beherrschende Gattungstyp, nämlich das Gelegenheitsgedicht, nun zunehmend kritisiert, durch lehrhafte Tendenzen ergänzt und zum Teil ersetzt wurde. »Ists möglich, kan dir noch die Tichter = Kunst gefallen?« seufzte CANITZ in der schon erwähnten Satire >Von der Poesie< und prangerte dann die massenhafte Verbreitung einer Spezies von Poesie an, bei der die Dichter zu allen möglichen Gelegenheiten ihrem >Verdienst< nachgingen: »Vor alters, wo mir recht, ward nie ein Held besungen, Wenn er nicht, durch Verdienst, sich in die geschwungen; Und eine Redens = Art, die Gottlich solle seyn, Ward zu derselben Zeit den Sclaven nicht gemein. Wo lebt itzt ein Poet, der diß Geheimniß schonet? So bald er einen merckt, der ihm die Arbeit lohnet, Wird seinem Pegasus der Sattel aufgelegt, Der ein erkaufftes Lob bis an den Himmel trägt; Geht wo ein Schul = Regent in einem Flecken ab, Mein GOtt! wie rasen nicht die Tichter um sein Grab; Der Tod wird ausgefiltzt, daß er dem theuren Leben Nicht eine längre Frist, als achtzig Jahr, gegeben; Die Erde wird bewegt, im Himmel Lerm gemacht. Minerva, wenn sie gleich in ihrem Hertzen lacht, Auch PhObus und sein Chor, die müssen, wider Willen, Sich traurig, ohne Trost, in Flor und Boy ( = locker gewebtes Wollzeug) verhüllen. Mehr Gotter sieht man offt auf solchem Zettel stehn, Als Burger in der That mit zu der Leiche gehn.« (II Canitz, S. 263f.)

Zu der hier attackierten Gelegenheitspoesie zählen »alle in Gedichtform erscheinende und auf tatsächliche, herausgehobene Fälle des menschlichen Lebens bezogene, von einem Absender verantwortete, publizierte, adressierte und öffentliche Glückwünsche (Huldigungen, Beileidsbezeugungen usw.) von den Anfängen bis zur Gegenwart und unabhängig von ihrem poetischen >WertDer älteste GOttesdiensK - so der programmatische Titel eines Gedichts (IVG V, S. 149; A, S. 550) - war deshalb auch noch gegenwärtig die beste Übung der Frömmigkeit: »Denn nichts so sehr, als dieß, kann unsre Seelen leiten/ Zu den verlohr'nen Herrlichkeiten« (ebda.); das göttliche Wort war daher auch für Brockes das Schöpfungswort, d. h. Gottes Offenbarung in seinen Werken (vgl. IVG VII, S. 617). Da übrigens auch John MILTON (1608-1674) in seinem erstmals 1667 gedruckten und selbst der Nähe zum Deismus verdächtigten > Paradise Lost< den adamitischen Gottesdienst ausführlich beschrieben hatte, gab Brockes diese Passage aus dem 5. Buch des Epos bezeichnenderweise seiner Pope-Ausgabe bei (II P, S. 145-167). Gegenüber der Idee einer von Schöpfungsbeginn an unveränderlichen natürlichen Religion versuchten die Theologen das Bollwerk der Lehre vom Sündenfall aufrechtzuerhalten. Indessen gegen diese liefen - das der zweite Aspekt - die Deisten natürlich Sturm und zweifelten sie mit den unterschiedlichsten Gründen an (vgl. dazu auch II Trinius, S. 92ff. u. ö.). Tindal und Reimarus argumentierten übereinstimmend, die Eltern des Menschengeschlechtes bewiesen gerade mit der leichten Verführbarkeit durch die Schlange, daß sie schon im Paradies selbst nur über normale geistige Fähigkeiten verfügt hätten und deshalb fehlen und sündigen konnten - wie die heutigen Menschen auch (II Reimarus A I, S. 107; II Tindal, S. 674ff.). Brockes griff diese Argumentation ironisch durch Verweis auf den Vernunftgebrauch der heutigen Theologen auf, verschärfte sie aber polemisch, indem er eben diese (wie die Gottesmänner von ihrem Dogma her selbst eingestehen müßten: korrumpierte) theologische Vernunft im Blick auf ihre Folgen als eigentlichen Sündenfall brandmarkte: »Sagen doch die Geistlichen, daß, nach Adams Fall, der Seelen / Das vorhin beseßne Licht und die besten Kräffte fehlen, / Und dennoch verfahren sie so, daß Adam nimmermehr / Hätte fester schliessen können, wenn er nicht gefallen war. / Viele gehen gar so weit, daß sie würgen und verbrennen / Alle, die nicht so, wie sie, glauben und gedencken können. / Da es doch, wenn jene nicht durch der Gründe Krafft besiegt, / Offt so wohl an ihrer Gründe = als der Ketzer Schwäche, liegt.« (IVG VI, S. 623)

Noch bissiger formuliert das folgende Epigramm:

2) Die Auflösung der Harmonie zwischen Vernunft und Offenbarung

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»Wenn nicht die Obrigkeit gelindre Triebe nährte, Und vielen Geistlichen den heiigen Eifer wehrte; Es wurde, dem zur Ehr, der diese Welt gemacht, Der große Theil der Welt, gelassen, umgebracht.« (II P, S. 202)

Was Brockes auch in dem Gedicht >Atheistenkriege unnutz und unnothig< als »ärgerlichs beständige Zancken« attackierte, das wäre nach seiner Überzeugung bei der (alleinigen) Lektüre des »Kreaturbuches« nicht entstanden (IVG IX, S. 431). Wie Herbert von Cherbury konstatierte er verschiedene Ideen von Gott auf der Welt: »Aus welchem ich denn so viel fasse, / Daß Gott von allen Menschen keinen, wenn er ihm redlich dienet, hasse« (ebda., S. 428). Dies galt folgerichtig auch für alle Heiden (zur analogen Kritik an theologischer Streiterei und Ketzermacherei, die im Deismus nur das neueste Opfer suche, vgl. II Tindal, S. 179ff., 199ff, 204ff, 255ff.; Reimarus A I, S. 56ff. u. ö.). - Der einzige Sündenfall, den der Ratsherr folglich einräumte, beklagte und mit seinem Werk bekämpfte, war der Abfall vom adamitischen Gottesdienst (vgl. IVG VI, S. 251 f., 256ff., 264f.). Denn daraus resultierten für ihn alle weiteren Übel des Christentums. So - dies der dritte Aspekt - die mit der Vernunftkritik verbundene allgemeine christliche Diesseitsverachtung und Jenseitsorientierung, in welcher er - gleich im ersten seiner Neujahrsgedichte - den >Ursprung des Menschlichen Unvergnügens< erkannte (IVG I, S. 317-326): »Dein Danckel, der aufs künfftige stets harr't, Und der, was künfftig ist, fast ohne Gegenwart, Beständig an's vergang'ne bindet, Verblendet dein verworrenes Gesicht, Daß es der Freuden Glantz nicht sieht, als wenn er schwindet, Jm allergrosten Glück' empfindest du kein Glucke, Die gegenwärt'ge Kost beglückter Augenblicke, So dir dein Schopffer offt bescher't, Tauscht dein Lust = hungrig Hertz mit leeren Hoffnungs = Früchten, Darüber wirst du nun mit anders nichts genährt, Als mit stets künfftigen Phantastischen Gerichten.« (Ebda., S. 318f.)

Solche Christen nannte Brockes auch >glaubige Atheistem (IVG VII, S. 683; vgl. ebenso IVG IX, S. 427), weil sie ihren kirchlichen Gottesdienst nur aus eigensüchtigen Motiven als »Selbst = Dienst« betrieben, »Aus welchem scheußlichen verdammten Saamen / Des Eigennutzes Blüht und Hollen = Fruchte kamen« (IVG II, S. 220ff.). Vielmehr sei es der mit dem Dasein der Welt gegebene göttliche Wille, daß sich der Mensch als >Das vernunftige Werkzeug< an der Schöpfungspflege und

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I. Autonomiestreben im Zeichen der Natur

-Verbesserung beteilige und auch dadurch das schuldige Gotteslob erbringe (IVG IX, S. 422). Nun beriefen sich die Priester als Hüter der reinen Lehre - dies der vierte Aspekt - für ihre unentwegten Kämpfe auf den um 1700 durch das Dogma der Verbalinspiration geschützten Wortlaut der Bibel (vgl. III Adam, S. 409; Ratschow I, S. 77ff.; Bd. III, S. 253). Dagegen brachte Brockes in seinem Lehrgedicht >Die schlimmste AbgOtterey< (IVG VI, S. 286-290) die einschlägigen deistischen Argumente vor (vgl. dazu auch II Tindal, S. 44ff, 417ff., 499, 589 u. ö.; Reimarus A I, S. 74, 124f, 179ff., 188ff. u. ö.; vgl. auch Kap. I 2 a): »Wenn wir an vielen Orten lesen: GOtt hab ein Auge, Fuß und Hand: / So wird ja die Figurlichkeit von solchen Stellen leicht erkannt. / Demselben tritt noch ferner bey, / Daß ja die Art der Morgenländer zu lehren, meist figurlich sey.« (IVG VI, S. 288)

Überdies hätten Moses und die Propheten Gott wegen »der Juden so verstocktem Wesen« »als einen grimmigen, erzürnten Herrscher« zeigen müssen: Das entsprach ganz den Einsichten und dem Tenor der Reimarusschen Untersuchung des Alten Testaments im ersten Band der >Apologiemenschliche< Reden der Bibel über den Schöpfer als unvernünftig attackierte (vgl. ebda., S. 74f., 90ff., 183ff., 188ff. u. ö.), erklärte auch Brockes: »Gebrauchten wir nur die Vernunft: So würd uns Sonnen = klar entdecket, / Daß alle leibliche Gedancken, und was nur nach der Menschheit schmecket, / Der GOttheit unanständig s e y ; . . . « (IVG VI, S. 288)

Als besonders »unanständig« am christlichen Gottesbegriff - dies der fünfte Gesichtspunkt - empfand Reimarus, wie er im >Vorbericht< seines Werkes betonte, die Trinität (»ein einfaches eintzeles Wesen von so vielen Personen, Naturen, Substantzen und Theilen, bin ich nimmer fähig gewesen zu gedenken«; A I, S. 48). Und genau dies kritisierte auch Brokkes bereits im ersten Band des >Irdischen Vergnügens< (im Neujahrsgedicht auf das Jahr 1721): »So können auch wir armen Horer, / So lange wir durch uns'rer Schulen Lehrer / Theils gar zu allgemein, theils gantz verwirret, / Theils Dreylings = formige / Gedancken und Ideen / Von GOttes Majestät bekommen, nichts verstehen.« (IVG I, S. 344)

Folgerichtig blieb Christus als zentrale Erlöserfigur der nach ihm benannten Offenbarungsreligion im riesigen Werk des Ratsherrn fast voll-

2) Die Auflösung der Harmonie zwischen Vernunft und Offenbarung

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ständig ausgeblendet (ebenso wie der Heilige Geist!). Fast - denn wo er den Gottessohn erwähnte, erschien dieser nur als Mensch und in der Funktion, die ihm auch die Deisten (und später die Neologen; vgl. dazu III Sparn 1988, S. 8ff.; Bd. VI) einzig noch zugestanden hatten: als Erneuerer jenes Naturgesetzes, das auch Moses im Dekalog mit seinen beiden - auf die Pflichten gegenüber Gott (Gebot 1-4) und den Menschen (Gebot 5-10) - bezogenen Tafeln des Gesetzes hatte wiederherstellen wollen (vgl. dazu II Reimarus A I, S. 69; II, S. 25ff., 46 u. ö.): »Was Christus von der Nächstenlieb, im Testament der neuen Zeit, / Mit soviel Lieb und Sanftmuth lehrt, hat das Gesetz vom alten Bunde, / Und, in demselben, unser Bestes, in heilsamer Geselligkeit, / Durch Demuth, durch Verträglichkeit und Friede ebenfalls zum Grunde.« (IVG II, S. 548)

Zugleich damit polemisierte Brockes gegen den Bußcharakter der Lehre Luthers, die Gebote seien »nur dazu bestimmt, daß der Mensch drin sehe sein Unvermögen zu dem Guten und lerne, an sich selbst verzweifeln« und »anderswo Hilfe suchen«, nämlich im Glauben an die Erlösungstat Christi (II Luther, S. 129): »Man spricht vom donnernden Gesetz, als wenn uns selbiges zur Last, / Zur Plag, und einzig zum Beweis, von Gottes Strenge, nur verfaßt, / Zum Schrekken uns gegeben wäre, da doch, wenn wir es überlegen, / Und des Gesetzes wahren Endzweck, aus seiner Absicht wohl erwegen / Wir, wie des Schöpfers Lieb und Huld, mit unsrer Liebe, sich verbinden, / In der gebothnen Nächstenliebe, in jeglichem Gebothe finden. / Die andre Tafel des Gesetzes zeigt nichts, als wie die wilden Triebe / Der uns nur selbst verderblich-schädlichund recht fatalen Eigenliebe, / (Wann selbe nemlich ausgeschweift,) durch unsre Nächstenlieb allein, / Zu einem allgemeinen Nutzen, zu mildern und zu zähmen seyn.« (IVG II, S. 206)

So reduzierte auch Brockes, ein studierter Jurist, die ganzen alt- und neutestamentlichen Gebote auf den Kern des >liebreichen Gesetzes< (so der Titel eines Gedichts in IVG VI, S. 545ff.), und dieses war - sechstens - auch für ihn das von Gott jedem Menschen ins Herz gelegte Naturgesetz mit seinen beiden Teilen, den Pflichten gegenüber Gott und Mitmensch: »Dieß wird von der Natur gelehrt: / Der Mensch muß im Geschöpf den SchOpfer, und Gott in seinen Wercken ehren, / Und so, von der Vernunft erklärt:/ Daß, unter gottlichen Geschöpfen, auch alle Menschen mit gehören. / Wir sehn aus dieser kurzen Lehre des großen Schöpfers gnädigs Wollen, / Daß wir, in Werken, ihn bewundern, und unsern Nächsten lieben sollen.« (IVG IX, S. 407; vgl. auch IVG II, S. 206; V, S. 254)

Damit ersetzte das Befolgen des Naturgesetzes vollständig die soteriologische Funktion Christi und der auf ihn bezogenen Heilslehren.

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I. Autonomiestreben im Zeichen der Natur

Brockes hat sich offenbar selbst darüber gewundert, daß die Orthodoxie ihn nicht des Deismus oder Naturalismus verdächtigte. Als Triller 1725 den >Ersten Theil< seiner >Poetischen Betrachtungen dem ihm persönlich unbekannten Hamburger widmete, schrieb dieser in einem Dank-Gedicht u. a.: »Ich . . . dichtete fur mich; man ließ mich dichten; / Man schwieg zu meinen Lehren still; / Man lobete sie nicht; man tadelte sie nicht« (in: II Triller PB I, o. S.). Dabei geht es nicht nur um DichterNeid, sondern auch um seine Rechtgläubigkeit - erstaunlich, daß Brokkes diese in der Öffentlichkeit selbst thematisiert und in einer fingierten Selbstkritik problematisiert: »Er schwatzt vom Irdischen beständig, und man trifft / Vom Himmlischen nicht viel, fast nichts von heil'ger Schrift/ In seinen Schriften an:/ Woraus doch, wie kein Mensch es leugnen kann, / (Der Neid vergißt mit Fleiß, daß dieß der Priester Amt,) / Nun einzig unser Heil, nicht aus der Erde stammt.« (Ebda.)

Zu diesem Zeitpunkt war nur der erste Band des >Irdischen Vergnügens< erschienen. Offenbar hat das Schweigen der Geistlichkeit fortgedauert und so den berühmten und als Senator politisch gewichtigen Autor ermutigt, mit Kirchenkritik und adamitischem Gottesdienst bis zum Lebensende fortzufahren. Mit seinem hermetisch inspirierten Pantheismus (vgl. Kap. 12 b) stand Brockes allerdings im deutlichen Gegensatz zur »vernünftigen Religion« des Reimarus (vgl. II Reimarus A I, S. 69, 99, 113, 126 u. ö.). Zur »ratio« selbst hatte der Ratsherr eine ambivalente Einstellung. Die Erörterung ihrer Fähigkeit und ihrer Grenzen zieht sich wie ein roter Faden durch die Bände des >Irdischen Vergnügens< (vor allem durch Bd. V; vgl. auch V/l Einleitung d). Immer da verwies er auf ihre Grenzen, wo sie seiner hermetischen Überzeugung gefährlich werden konnte - wie etwa bei der Ersetzung der Geister-Lehre durch einen mechanistisch verstandenen Kraft-Begriff: »Vielleicht sind wir nicht unterschieden, vielleicht ist es fast einerley, / Ob, was ich Geister nenne, kräfftig; ob, was du Krafft heist, geistig sey. / Denn wir begreiffen ja so wenig, was eigentlich dergleichen Krafft, / Als was von Geistern, welche bilden, recht eigentlich die Eigenschaft« (IVG I, S. 227). Alles in allem hielt er die Vernunft aber für »ein gottliches Geschencke, / Ob sie gleich nicht alles faßt, was du fassen willt.« Es genüge, »Daß wir hier empfinden sollen, wie so liebreich, weise, groß, / Aller Ding und unser Schopfer« (IVG VI, S. 628). Indem Brockes so die Vernunft an die Empfindung knüpfte (vgl. dazu auch Kap. I 3 e), eröffnete er seinem »sinnlichen Gottesdienst« eine affekt- und gefühlshafte Dimension, in der sich Religiosität in der Erfahrung der Gegenwärtigkeit des Numinosen entfalten

2) Die Auflösung der Harmonie zwischen Vernunft und Offenbarung

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konnte. Darin erwies sich seine pantheistische Naturreligion der moralischen Vernünftigkeit des Deismus als überlegen. Ohnehin hat dieser im Gegensatz zu den Versionen des Pantheismus - weder als Religionsphilosophie noch als vernünftige Religion die Aufklärung überlebt. Dafür gibt es mancherlei Gründe (vgl. III Gawlick 1973, S. 36ff.): die kirchlichen Repressionen, das Fehlen überragender geistiger Vertreter, die Berücksichtigung deistischer Gedanken in der Aufklärungstheologie (Neologie), die wachsende, vom Staat geforderte Toleranz, nicht zuletzt auch die philosophische Kritik am Deismus, am aposteriorischen wie apriorischen Gottesbeweis - so durch David Hume (1711-1776; zu dessen Wirkung vgl. 11.46 Gawlick/Kreimendahl) und Kant (vgl. dazu IV Kemper I, S. 96ff.) - sowie an der Ungeschichtlichkeit des deistischen Denkens (etwa bei Herder und Lessing; vgl. ebda., S. 99ff.). Entscheidend war aber auch, daß der Deismus seine Handlungsmaximen im Naturgesetz verankert hatte; denn damit löste er sich mit seiner >religiösen< Praxis in dessen säkularer Handhabung auf. Das frühneuzeitliche, vor allem in Philosophie und Rechtswissenschaft entwikkelte Naturrecht hatte indessen seine eigene, vom Deismus ganz unabhängige Geschichte und konnte deshalb - unbelastet von einer unmittelbaren Konkurrenz zur Religion - eine stärkere gesellschaftliche Wirkung entfalten, und dies auch - wie sich nun zeigen soll - in der Poesie. Durch die Vereinnahmung des Naturrechts für die natürliche Religion lebte andererseits aber auch der Deismus im Naturrecht fort und damit virtuell auch in jenen Programmen, die ihre eigenen Handlungsmaximen - wie die frühaufklärerische Poesie - aus einer »imitatio naturae« ableiteten.

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3) Poetisierung des Naturrechts

a) »Nichts als befohlne Seeligkeit«: Das Recht der Vernunft als Tugend-Zwang (Pufendorf, Wolff - Lichtwer, Sucre· u. a.) Magnus Gottfried LICHTWER (1719-1783), der als Dr. iur. et phil. 1747/48 an der Universität Wittenberg Vorlesungen über Christian Wolffs >Logik< und >Moral< gehalten hatte und seit 1749 als Regierungsrat und später auch als Kriminalrichter in Halberstadt wirkte, veröffentlichte 1758 ein groß angelegtes Lehrgedicht über >Das Recht der VernunftVorrede< und zugleich, daß er dessen »systematischer Ordnung« mit Rücksicht auf die »Gesetze der Dichtkunst« nicht »überall« habe folgen können: »Ich habe ein Lehrgedicht, und kein Compendium schreiben, vielweniger dergleichen übersetzen wollen.« (II Lichtwer RV, o. S.). Seinen umfangreichen Stoff teilt er gleichwohl systematisch in fünf Bücher ein, wobei er die Verse zu Strophen mit wechselnder Zeilenzahl und durchweg paargereimt ordnet; im ersten Buch entfaltet er eine historische und systematische Begründung des Naturrechts, in den übrigen Büchern werden dann »die drey Arten menschlicher Pflichten vorgetragen« (ebda.), und zwar im zweiten und dritten die Pflichten des Menschen gegenüber sich selbst, getrennt nach Seele (Buch II) und Körper (Buch III), dann gegenüber Gott im natürlichen Gottesdienst< (Buch IV) sowie gegenüber dem Nächsten (Buch V). Die Frage, warum er eine so >trockene< und weitläufige Materie überhaupt in Versen darzustellen versuche, beantwortet er mit dem Hinweis: »Erhabnere und nützlichere Gegenstände« als »das große Feld der Tugend und Wahrheit, mit mehrerm Geiste in seinem ganzen Umfange, abzuschildern«, »kann der Poet niemals wählen« (ebda., o. S.). Die Wahrheit fungiert als Prinzip und Regulativ aller »Erfahrung und Vernunft«, aller Wissenschaften und menschlichen Handlungen, und deshalb errichtet Lichtwer ihr später auch einen allegorischen Tempel, sakralisiert sie somit als oberste Instanz menschlicher Sinn-Orientierung anstelle Gottes zur »GOttinn« und inthronisiert zugleich die Vernunft als ihre unbeirrbare Statthalterin im Menschen (ebda., S. 38). Das Recht der Vernunft

3) Poetisierung des Naturrechts

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oder Natur enthält die Wahrheitsprinzipien im Blick auf das menschliche Handeln, verhält sich also wie die Theorie zur Tugend- und Sittenlehre als deren Ausführung: »Ich nenne es ein Recht der Vernunft, weil es die Gesetze in sich fasset, die den Menschen, als einen Menschen, im Stande der Natur, wo an keine Unterwürfigkeit gedacht wird, verbinden. Es ist also das Recht der Natur ein wahres Recht der Menschen überhaupt, eine Theorie des Guten und BOsen, davon die Sittenlehre die Ausübung zeiget.« (Ebda., o. S.)

Die Wahrheit im Rahmen der Sittenlehre zu veranschaulichen, ist nun insbesondere die Poesie und unter deren Gattungen die Fabel berufen. Lichtwer illustriert dies durch den Rang, den er letzterer in der Etikette seines allegorischen Wahrheits-Tempels zubilligt: »Die Wahrheit selbst ist bloß; die Fabel steht zur Seiten, Die ihren Schleyer tragt. In gleich entfernten Weiten Sieht man die Weltweisheit und Meßkunst neben ihr, Und Künste mancher Art auf Stülen von Porphyr.« (Ebda., S. 38)

Insofern sind die Wahrheiten, welche die Fabel im großen Reich der Sittenlehre zur anschaulichen Evidenz bringt, stets Ausdruck der einen, im Grundsatz des Naturrechts verankerten Wahrheit, die alle moralischen Regeln als unveränderliche Richtschnur bestimmt. Deshalb fundiert das Naturrecht - dies hat die Forschung bislang kaum gesehen auch die Theorie der Fabel. Lichtwer selbst dokumentiert diesen Zusammenhang von Vernunftrecht und poetischer Sittenlehre durch sein eigenes dichterisches Werk: Mit seinen 1748 herausgegebenen >Vier Buchern Aesopischer Fabeln< avancierte er zum bedeutendsten Fabeldichter der Aufklärung nach Geliert (vgl. Kap. I 3 b). Und seine poetische Darstellung des Naturrechts verhilft - vor allem in seinen beiden ersten Büchern - mit dem Einblick in Geschichte und Stellenwert des Naturrechts im Rahmen des Aufklärungsprozesses zu einem besseren Verständnis auch der Fabel als einer poetischen Hauptgattung der Aufklärung allgemein (Kap. I 3 b) sowie des Gottschedschen Fabelbegriffs insbesondere (Kap. I 3 c). »Das Recht, das mir befahl, Gott, mich und dich zu lieben, In die Natur gelegt, von ihr ins Herz geschrieben, Sey meiner Muse Lied. O du des Himmels Kind, Vernunft, du weist allein, was meine Pflichten sind. Die Wahrheit steckt in dir; du leitest mich: ich dringe In den Zusammenhang und innern Bau der Dinge. Dein Adel scheidet mich von halb beseeltem Vieh: Du bist des Weisen Stab: wer dir folgt, irret nie.

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I. Autonomiestreben im Zeichen der Natur

Eroffne das Gesetz, das Gott nicht Indern können, Und sage, was ich soll gut oder bose nennen?« (II Lichtwer RV, S. 3f.)

Mit dieser Strophe eröffnet Lichtwer sein Lehrgedicht, und sie enthält in nuce bereits seine säkulare >wolffianische< Position. Von Anfang an erscheint die Vernunft als »des Himmels Kind« und damit als »des Himmels Ersatz« auf Erden. Sie vermag unabhängig von Gott - und den Sündenfall geradezu zum Programm erhebend (vgl. Gen. 3,5 »... und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist«) - zu entscheiden, »was ich soll gut oder bose nennen« (vgl. dazu auch III Bloch 1968, S. 231 ff.; 1975, S. 68ff.). Auch die Tatsache, daß Lichtwer es vermeidet, das Naturrecht aus Gott selbst abzuleiten, und betont, selbst er könne es nicht verändern, verweist auf den säkularen Charakter und die frühneuzeitliche Funktion dieser Sozial- und Rechtsphilosophie, die zwischen 1600 und 1800 ihre Blütezeit erlebte und in Deutschland mit Beginn der Aufklärung an den juristischen und philosophischen Fakultäten gelehrt wurde (vgl. dazu III Stolleis, S. 271 ff., 288ff., 300ff.; zu Forschungsstand und sozialgeschichtlicher Bedeutung des Naturrechts vgl. III Pross, S. 41 ff.). Obwohl es beim Naturrecht um eine unwandelbare Letztbegründung für das Recht ging, reagierten die einzelnen Naturrechtstheorien damit jeweils auf die politischen und soziokulturellen Herausforderungen ihrer Zeit. Und keineswegs zufällig entwickelte sich die säkulare Form des Naturrechts - in Analogie zur natürlichen Religion bei Herbert von Cherbury (vgl. Kap. I 2 c) - als Antwort auf die durch die Konfessionen erschütterte Wahrheitsfrage sowie auf das neue Weltbild, aber auch auf die Erfordernisse des Absolutismus; dieser verlangte nach einem über allen religiösen und politischen Parteien (Adel, Stände, Städte) stehenden Rechtsprinzip, das sich nicht mehr auf Gott als Letztinstanz stützte, auf den sich alle - vor allem die konservativen - Gruppierungen zur Aufrechterhaltung ihrer Rechts-Privilegien beriefen (vgl. III Stolleis, S. 271 ff.). Bei seiner kurzen Darstellung der Genese des säkularen Naturrechts hebt auch Lichtwer stark dessen antitheologische Frontstellung hervor. Für ihn stammte schon das römische Recht »aus Quellen der Natur« (II RV, S. 164), versank dann aber in der »Barbarbei« des finsteren Mittelalters und der frühneuzeitlichen Religionskämpfe (»Ein schwarzes Wunderthier, der Ketzereifer, siegte, / Der Dummheit Tugend hieß, und mit der Wahrheit kriegte«), bevor sich das Licht der Wahrheit und Vernunft durch bedeutende Lehrer der Philosophie und des Rechts durchzusetzen begann (ebda., S. 6). Indessen hatte die Theologie - dies verschweigt Lichtwer bezeichnenderweise - in der Frühaufklärung den

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Kampf um die göttliche Legitimierung des Naturrechts und damit um ihren Einfluß und ihre Vorherrschaft im Bereich von Jurisprudenz und Rechtsprechung noch keineswegs aufgegeben. »Wir haben mit harthäutigen thieren zu thun«, schrieb 1688 Samuel PUFENDORF (1632-1694) aufmunternd und warnend zugleich an den damals bereits von der Leipziger Orthodoxie bedrängten Thomasius, »vnd deswegen musz man sie mit der mistgabel kitzeln.« (II Pufendorf B, S. 17; vgl. ebda., S. 28). So insistierten beispielsweise der Leipziger orthodoxe Theologe Valentin ALBERTI (1635-1697; Hauptgegner von Pufendorf und Thomasius) sowie der Spener-Anhänger und Hallesche Universitäts-Kanzler Veit Ludwig von SECKENDORF (1626-1692; >ChristenstaatDe jure belli ac pacisempirisch< (im Verfahren ähnlich wie Herbert von Cherbury) in der tatsächlichen Rechtsprechung der Völker. Dabei stieß er noch auf eine »der menschlichen Vernunft entsprechende Sorge für die Gemeinschaft« als allgemeine »Quelle« allen Rechts, die selbst

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I. Autonomiestreben im Zeichen der Natur

gelten würde, wenn es keinen Gott gäbe (»etsi Deus non daretur«; II Grotius, S. 33, 51; dieses Diktum zitiert Lichtwer im Vers 9 des Exordiums), doch schon PUFENDORF (>De jure naturae et gentium libri 8Jus naturae methodo scientifica pertractatumInstitutiones juris naturae et gentiumDeutschen Moral< (>Vernunfftige Gedancken von der Menschen Tun und LassenVersuche in Lehrgedichten und FabelnDie Tugend< wünschte er sich vom »Pöbel«, dieses Tugend-Postulat nicht als »Sclavenloos« zu betrachten:

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»Er mischt den Nothzwang in die Pflichten, Und nennt sein Wohl ein Sclavenloos. O! sih er, diesen Zoll entrichten, das mache frey, erhaben, groß; Der Trieb nach Wohlfahrt und Vergnügen, Sey selbst durch dies Gesetz geweyht; Er sah, wie ihr, in seinen Zügen, Nichts als befohlne Seeligkeit.« (II Sucro, S. 63)

Doch wie sehr die »befohlne Seeligkeit« der Wolffschen VernunftMaxime das Subjekt tatsächlich zum heteronomen »sub-jectum« des Naturgesetzes ver-pflichtete, bezeugen die aus dem primären Naturrechtsprinzip abgeleiteten konkreten Handlungsdeterminanten in Wolffs >Deutscher Politik< (Wernünfftige Gedancken von dem gesellschaftlichen Leben der MenschenGalanten< und den >AnakreontikernBlöße< zu geben, und damit doch nur die eine Autorität (Gott) durch eine andere (das Naturgesetz als internalisiertes Über-Ich) zu ersetzen. Mit dieser Verpflichtung des einzelnen und der als Summe sich vervollkommnender Individuen begriffenen Gesellschaft verstand sich das Wölfische Naturrecht zweitens als allgemeinmenschlich-ständeübergreifend, stellte also die hierarchische Gesellschaftsstruktur nicht in Frage. Gewiß bot der auch bei Hobbes und Pufendorf intensiv erörterte, freilich zumindest bei Pufendorf nicht als historische Faktizität, sondern als fiktives Konstrukt konzipierte Naturstand (vgl. II Pufendorf NVR, S. 259ff.; dazu 11.72 Medick, S. 50ff.) die Möglichkeit zur Demonstration des Satzes, alle Menschen seien von Natur aus gleich (»natura homines omnes aequales sunt«), wozu sich bei Wolff als zweites angeborenes Menschenrecht die Freiheit gesellte (vgl. 11.101 Bachmann, S. 162; vgl.

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dazu auch II Lichtwer RV, S. 25, 180), doch galten diese Menschenrechte im faktisch existierenden Gesellschaftsstand nur im moralischen, keineswegs im physischen oder politischen Sinne (»in sensu morali homines aequales«, zit. in 11.101 Bachmann, S. 163). Und eben wegen der moralischen Gleichheit hatte sich jeder in seinem gesellschaftlichen Stand und Ort um die eigene Vervollkommnung zu bemühen und konnte darin sein irdisches Glück verwirklichen (vgl. auch II Lichtwer RV, S. 179). So bejubelte Sucro die >Tugend< deshalb, weil sie den Fürsten und die Knechte gleichermaßen »adelt« (II Sucro, S. 62), und GOTTSCHED berief sogar die »Göttin Dichtkunst« zum Sprachrohr ständischer Systemstabilisierung (als weiteres Beispiel vgl. Gellerts bekanntes Lied Zufriedenheit mit seinem ZustandeIrdisches Vergnügen< hat drittens offenbar den optimistischen Grundzug frühaufklärerischen Denkens und Dichtens stark beeinflußt (vgl. dazu auch V/l Kap. l b; II l u. 4). »Nehmt, was euch die Vorsicht giebt, / Die euch nichts zur Qual gemachet; / Die des Erdballs Zweck und Frucht / Bloß in eurem Glucke sucht« (II Gott-

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sched G, S. 113): In einer solchen Einstellung zur >Welt< vermochten sich sowohl die >galanten< Repräsentanten und Zulieferer der Hof-Kultur als auch die anti-höfisch-bürgerlichen Anakreontiker wiederzufinden (vgl. Kap. II 4). Indessen entlarvte der Eudämonismus prätendierter Glückserfahrung auf Dauer seinen Scheincharakter. Dies zeigt - neben einem wieder anwachsenden Interesse am Problem der Theodizee (vgl. III Saine 1987, S. 68ff.) - auch der grundlegende Funktionswandel des Motivs von Freude und Glück im Verlauf der Aufklärung: Was deren erste Generation noch als real existierendes oder individuell zu verwirklichendes Glück behauptet hatte, das klagten die Empfindsamen angesichts der deprimierenden politischen und sozialen Zustände einerseits tränenreich ein und projizierten es andererseits auf ein - privat tentativ realisierbares - Ideal der »socialitas«, nämlich die Freundschaft, in der eine soziale Identität erfahrbar wurde, die ein von den Zwängen des Absolutismus relativ unabhängiges Leben vorzustellen erlaubte (vgl. III Mauser, S. 226f.). Glückseligkeits-, Freuden- und Freundschaftspoesie entwickelte sich zunehmend im 18. Jahrhundert von einer prätendierten Mimesis der Realität zu einem - gleichwohl gesellschaftlich nicht folgenlosen - Kompensat für politische und soziale Defizite, welche die Autoren häufig genug am eigenen Leibe erfahren mußten (vgl. dazu Bd. VI), und gleichzeitig entstand aus der um sich greifenden Melancholie »das elegische Stimmungsgemälde« (IV Kahn, S. 94). Aus literaturgeschichtlicher Perspektive am wichtigsten aber war viertens - und ist deshalb im folgenden eigens darzustellen -, daß der Poesie der Frühaufklärung aus dem naturgesetzlichen Auftrag zur (Selbst-)Vervollkommnung des Menschen eine entscheidende öffentliche Aufgabe als Organ des Natur- und Medium des Sitten-Gesetzes zufiel. b) Die Fabel als »Exempel der praktischen Sittenlehre« (Wolff, Lichtwer, Lessing, Herder) In seinem allegorischen Wahrheitstempel hatte LICHTWER - wie im letzten Abschnitt gesehen - die Fabel gewürdigt, der nackten Wahrheit den Schleier zu tragen. Seine Sammlung äsopischer Fabeln von 1748 eröffnete er mit einer gereimten Poetologie über >Die beraubte Fabel< (vgl. auch I Windfuhr, S. 40f.), in der er den Funktionszusammenhang von Fabel und Wahrheit veranschaulichte: Die Fabel fällt unter die Straßenräuber, diese bemächtigen sich ihrer zahlreichen Kleider, und plötzlich steht die »helle Wahrheit nackend da«. Indessen diesen Anblick vermögen die Räuber nicht zu ertragen und beschließen: »Man geb ihr ihre Kleider wieder, / Wer kann die Wahrheit nackend sehn?« (II Lichtwer

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F, S. 3; vgl. dazu auch IV Siegrist 1984, S. 250f.). Diese Fabel lebt von drei z. T. widersprüchlichen Pointen, die jeweils einen wichtigen Aspekt der Fabeltheorie und -geschichte illustrieren. Die erste besagt, daß die Wahrheit nur in der Verkleidung ertragen werden kann, und damit spielt Lichtwer auf jene allgemeine Begründung für diese Gattung an, die auch Luther in der Vorrede zu seinen Fabeln anführt: »Ja alle Welt hasset die Warheit / wenn sie einen trifft. . . . So woellen wir sie schmuecken / und unter einer luestigen Luegenfarbe und lieblichen Fabeln kleiden« (I Poser, S. 50). Die Wahrheit trägt das Gewand der Lüge, das »prodesse« versteckt sich unter dem »delectare«: Vor allem die erste Generation der aufklärerischen Dichter staffierte ihre Fabeln oft wie einen »Kleiderschrank« aus (»Ihr gebt ein Weib in unsre Hände, / Die mehr trägt als ein Kleiderschrank«; Lichtwer F, S. 3). So TRILLER (vgl. Kap. I l b) und Daniel STOPPE (1697-1747; >Neue Fabeln oder Moralische Gedichte, der deutschen Jugend zu einem erbaulichen Zeitvertreib aufgesetzt^ 2 Teile, 1738/40; vgl. IV Dithmar, S. 51 f.), Friedrich von HAGEDORN (1708-1754) sowie Johann Wilhelm Ludwig GLEIM (1719-1803; vgl. zu beiden Kap. II4), und Christian Fürchtegott GELLERT (1715-1769; >Fabeln und ErzähhmgenDeutschen Politik< von 1721 Exempel und Fabel ausdrücklich als dienlich für das Erlernen von Gut und Böse empfohlen (vgl. II DPo, S. 256ff.; vgl. auch 11.101 Harth, S. 43ff.). Im Rahmen seiner >Philosophia practica universalis< von 1738 beschäftigte er sich ausführlich mit der Fabel und definierte sie als »die Erzählung irgendeines Geschehens, das erfunden wurde, um eine Wahrheit, zumal eine moralische Wahrheit zu lehren« (I Leibfried/Werle, S. 34). Sie eignet sich vor allem für die Erziehung der Jugend und des Volkes, weil diese eher zu einer intuitiven, d. h. an Vorstellungen gewonnenen Erkenntnis fähig sind (ebda., S. 40), wobei der Fabeldichter wie der wahre Philosoph deduktiv verfährt, indem er vom Allgemeinen der Wahrheit ausgeht und dieses nur in einer anschauenden Erkenntnis illustriert (vgl. dazu 11.101 Harth, S. 60). Während die Exempel - etwa aus der Geschichte - ihre Überzeugung nur aus der Autorität des Erzählers ge-

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winnen, ist die Fabel höher zu schätzen, weil ihre Wahrheitsvermittlung aus der Evidenz des Dargestellten selbst entspringt: »so muß die Fabel aus Elementen gebildet werden, die der breiten Masse bekannt sind« (I Leibfried/Werle, S. 40), und da bieten sich insbesondere die Tierfabeln an. Diese Lehren hat Lichtwer im >Recht der Vernunft < theoretisch weitervermittelt (vgl. RV, S. 31, 42 u. ö.) und in seinen Fabeln praktiziert, in denen die Tierexempel den größten Raum einnehmen. Ein Beispiel mag seine poetische Veranschaulichung moralischer Wahrheit - hier die naturrechtliche Grundauffassung, daß der Mensch zur »socialitas« und nicht zu Einsiedler- und Außenseitertum geschaffen sei - illustrieren: »Die Eule in Gesellschaft. Als vor kurzem Jungfer Eule For Verdruß und langer Weile Unter andre Vogel kam, Wurde sie als ungeschliffen, Von den Ändern ausgepfiffen, Daß sie endlich ihren Ruckweg wiederum nach Hause nahm. Ey da schimpft sie auf die Zeit, Lobt und rühmt die Einsamkeit. *** Liebe zur Geselligkeit ist uns von Natur gegeben, Viel, so stets im Neste sind, Machen von der Stille Wind, Sagt es doch nur deutsch heraus: Herrn, ihr wisset nicht zu leben.« (II F, S. 169)

Die induktive Evidenz oder »anschauende Erkenntnis« der Fabel beruht auf der bekannten »Eigenschaft« des einsamen Nachtjägers, der seine A-sozialität preist, weil er keiner Geselligkeit fähig ist. Dabei ist die Eule im Sinne Lessings ein wirklicher >FallFabel< (1801) aus dem großen Funktionszusammenhang der Natur als deren »Lehrbuch« (I Leibfried/Werle, S. 67). Weil letzterer als ganzer eine geregelte Ordnung und Folge zugrundeliegt, macht auch »die Fabel eine Lehre als Naturgesetz in einem einzelnen Fall der großen Naturordnung anschaubar« (ebda., S. 72); da die Natur eine Kette ist, gibt es in ihr auch abgestufte Grade von Moralität, und zwar durch die Existenz des Phänomens der Liebe: »so hangt Alles, was Leben hat (und was hätte nicht Leben?) dennoch an Einer Kette, der Liebe« (ebda., S. 73). So vermag die Tierfabel moralische Wahrheit zu vermitteln, weil das Moralgesetz kein reines Vernunftgesetz, sondern ein in der Natur gründendes und von da aus den Menschen bestimmendes und in die Natur einbindendes »Natur-Sittengesetz« ist (ebda.). Damit suchte die Fabel gesellschaftliches Handeln normativ zu bestimmen und ging von daher weit über ihre bisherige, am rhetorischen Überzeugungsinteresse im Einzelfall geprägte Verwendungsweise in Predigt und Schulunterricht hinaus (vgl. IV Ketelsen 1980, S. 214f.; 11.101 Harth, S. 46, 58ff.). Sie projizierte ein dezidiert bürgerliches Moralverhalten in die Natur und deduzierte wiederum aus ihr die Wert- und Lebensmaximen eines vernunftorientierten und damit aufgeklärten Bürgertums (auch gegen die Unnatur feudaler Hofkultur, schließlich gegen die absolutistische Willkürherrschaft selbst, vor allem bei Gottlieb Konrad Pfeffel, 1736-1809, >Poetische Versuche in drey Büchernnur< ein »Mährlein« zu sein, »wodurch Mutter und Wärterinnen ihren Kindern zuerst die Tugend einzuflößen gesuchet« (II Gottsched CD, S. 446). Zum zweiten hatte der literaturge-

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schichtlich bedeutendste Schüler Wolffs, nämlich Gottsched, das der äsopischen (Prosa-)Fabel zugrundeliegende Prinzip der Demonstration vernünftiger Wahrheiten des Sittengesetzes - wie im folgenden zu zeigen ist - zur Richtschnur für alle Gattungen der Poesie erhoben und damit den Stellenwert der Gattung Fabel frühzeitig relativiert. Zum dritten fiel die Fabel mit den anderen Typen lehrhafter Dichtung im weiteren Fortgang des Autonomiestrebens dem in Empfindsamkeit sowie Sturm und Drang mit hervorgerufenen Geschmacks- und Funktionswandel der Poesie, insbesondere dem am Individualitäts- und Freundschaftsideal orientierten Kampf gegen die normierende Herrschaft der Vernunft zum Opfer. Und zum vierten schließlich suchte sich das anti-mechanistisch-pantheistische Naturverständnis der Epoche von Anfang an nicht nur in der belehrend-distanzierenden Fabel, sondern in anderen, spezifisch lyrischen Medien unmittelbarer und subjektiver auszusagen. Dies galt bereits für einige frühaufklärerische, anti-cartesianisch gesinnte Poeten: Ihnen bot die mit lehrhaften Elementen durchsetzte »Naturmalerei« bessere Möglichkeiten, ihre aus der Natur abgeleitete Moral zur Geltung zu bringen (vgl. Kap. I 3 e). c) Naturnachahmung als poetologisches Konzept der Wahrheitsvermittlung und sittlichen Erziehung (Gottsched) Der ostpreußische Pfarrersohn Johann Christoph Gottsched (1700-1766) war aus Furcht, als »langer Kerl« in das Garderegiment des >Soldatenkönigs< gesteckt zu werden, nach Leipzig geflohen (vgl. II Gottsched G, S. 371 ff.) und entfaltete dort vielfältige kulturelle Aktivitäten (u. a. gab er nach englischem Vorbild die beiden auflagenstarken Moralischen Wochenschriften >Die Vernünfftigen Tadlerinnem, 1725/26, und den >BiedermannTeutschübenden-poetischen GesellschaftErste Gründe der gesammten Weltweisheit< (1734) hat »die Wolffische Philosophie die größte Verbreitung im deutschen lesenden Publikum gefunden« (ebda., S. 18; vgl. dazu auch II Moritz, S. 252f.). In der >Vorrede< schildert er die Wirkung der Leibniz/Wolffschen Schulphilosophie auf ihn wie »ein religiöses Erweckungserlebnis« (11.38 Schäfer, S. 37). Für etwa 10 Jahre, von 1730 bis 1740, war

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Gottsched unangefochten »der literarische Praeceptor Germaniae« (11.38 Kreutzer, S. 71). Sein unermüdliches Bestreben war es - auch und vor allem mit der zuerst im Herbst 1729 erschienenen >Critischen Dichtkunst -, der Dichtung »einen Platz unter den Disziplinen der Gelehrsamkeit zu sichern« (IV Scherpe, S. 30; III Grimm 1983, S. 620ff.; vgl. Kap. I 1). Schon in den >Ersten Gründen der gesammten Weltweisheit< empfahl er den Künsten allgemein, sich der Demonstration zu bedienen, der Darstellung im Dienst einer Wahrheit und Wahrheitsfindung (II EGW I, S. 62f.). Der Primat der Vernunft und der Vermittlung vernünftiger Einsichten und Handlungsanweisungen wäre so in allen Künsten garantiert. Einen solchen Demonstrationscharakter sollte auch die Poesie gewinnen. Sie spiegelte im Leibniz-Wolffschen Sinne die objektiven Gesetzmäßigkeiten von Welt, Gesellschaft und Natur wider, indem sie sie nachahmend vorstellte, und sie hatte auch aus diesem Grunde wahrscheinlich zu sein. Daß sie es im Bereich des Möglichen tat, sicherte ihr einen eigenen Platz, z. B. gegenüber der deskriptiv verfahrenden Historiographie, und eröffnete ihr die Möglichkeit einer rationalen, am Prinzip des Witzes orientierten Kontrollier- und Konstruierbarkeit. Nachahmen hieß also für Gottsched keineswegs allein, schon Vorhandenes abzubilden oder Fiktives nach den Regeln und nach Analogie des empirisch Vorfindlichen zu gestalten, sondern >Nachahmen< orientierte sich an einer von der Vernunft als richtig erkannten Einsicht, die der Poet um der Verbesserung der Zustände willen in Poesie umsetzen sollte. Wenn die Vernunft - wie Wolff erklärte - die »Lehrmeisterin des Gesetzes der Natur« war, so hatte sich die Naturnachahmung gerade auch da, wo es ihr um die Vermittlung von Prinzipien des Naturgesetzes um der Vervollkommnung des Einzelnen und Ganzen willen ging, an der »ratio« zu orientieren, welche in der Klarheit und Durchsichtigkeit ihrer Denkoperationen der nach mechanischen Gesetzen konstruierten Natur korrespondierte. »Was giebt nicht ferner der Verstand Für auserlesne Sittenlehren? Er zeugt das Recht, der Volker Band, Und hilft der Staaten Wohlfahrt mehren. Er schafft den Burgern Sicherheit; Ja wollte man sich stets nach seinen Regeln richten: So brächt er gar die guldne Zeit, Davon die Alten sonst die schönsten Fabeln dichten.« (II Gottsched G, S. 71)

Seiner >Critischen Dichtkunst hat Gottsched eine wenig beachtete Übersetzung der >Ars poetica< von Horaz vorangestellt und seine natur-

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rechtlichen Intentionen in einem fortlaufenden Kommentar hierzu bereits eindeutig formuliert. Die bedeutsamen Verse des Horaz »Das war vor grauer Zeit die Weisheit jener Alten, / Zu zeigen, was für gut und strafbar sey zu halten«, kommentiert Gottsched so: »Die ersten Poeten waren eigentlich Weltweise und kluge Staatsleute, insoweit es ihre Zeiten zuließen. Sie bedienten sich nur der Poesie, zu ihrem Zwecke zu gelangen, und die widerspenstigen Gemüther dadurch zu bändigen. Ihre Absicht war, das wilde Volk die natürlichen Gesetze der Vernunft, oder das Recht der Natur zu lehren, und es zum gesellschaftlichen Leben anzufahren. Kurz, die Poeten waren die ersten Philosophen, Rechtsverständigen und Gottesgelehrten« (CD, S. 57).

Und daß er selbst den Dichtern seiner Zeit noch dieselbe Aufgabe zuwies, erhellt aus seiner großen Lehr-Ode >Daß die Poesie am geschicktesten sey, die Weisheit unter den rohen Menschen fortzupflanzen< (1733; II G, S. 103-116). Hier tritt die Dichtkunst als Minerva selbst auf und ruft ihren Schützlingen zu - es ist die entscheidende poetologische Botschaft des Gedichts -: »Kommt, ihr Schüler meiner Kunst! Kommt mit euren edlen Werken; Auf! zertrennt der Thorheit Dunst, Helft Vernunft und Tugend stärken. Soll man eure Lieder ehren; Macht der Welt die Weisheit leicht! Denn so wird der Zweck erreicht, Freude, Gluck und Lust zu mehren; Eine Lust, die jedermann Unschuldvoll genießen kann.« (Ebda., S. 114)

Um die Weisheit zu verbreiten und die Sitten zu verbessern, so führt Gottsched auch in der >Critischen DichtkunsK aus, muß der Dichter ein »poeta doctus« sein und u. a. »das Recht der Natur, die Sittenlehre und Staatskunst grundlich« verstehen (II CD, S. 105, 107; vgl. Kap. I 1). Von daher sind auch die drei vielumrätselten Arten der Naturnachahmung des Leipziger Philosophieprofessors zu verstehen (vgl. dazu auch 11.38 Gaede, S. 106ff.; Freier, S. 39ff.; Hiebel, S. 24ff.; weitere Literaturhinweise in IV Kemper II, S. 308ff.). Sie sind gestuft nach dem Grade ihrer Objektivität und Objektivierbarkeit. Die »bloße Beschreibung oder sehr lebhafte Schilderey von einer naturlichen Sache« (CD, S. 142) genügt diesem Kriterium am wenigsten, zumal wenn sie den Historienmalern analog nur empirisch vorfindliche Realität wie vor allem »Pflanzen und Thiere« abzuschildern sucht (ebda., S. 436). Deshalb kritisiert Gottsched auch »die Brockischen Schriften«, »in welchen gewiß weit mehr das gute

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Herz des Dichters, als sein Geschmack und seine Kunst zu loben ist« (ebda., S. 144). Auch in den >Ersten Gründern mißt Gottsched den Deskriptionen im Kontext erkenntnistheoretischer Überlegungen einen geringen Wert zu, weil sie nur das Oberflächliche und damit Unwesentliche einer Sache beschreiben und sich damit gleichsam an die noch ganz undurchschaute Vielfalt der nur sinnlich gegebenen Realität ausliefern (EGW, S. 20, 30f., 42ff., 61). - Die nächsthöhere Nachahmungsart »geschieht, wenn der Poet selbst die Person eines ändern spielet, oder einem, der sie spielen soll, solche Worte, Gebärden und Handlungen vorschreibt und an die Hand giebt, die sich in gewissen Umständen fur ihn schicken.« (CD, S. 144f.; vgl. II Aristoteles, S. 27f.) Hier ermöglicht das »Vorschreiben« von »Schicklichem« bereits die rationale Verfügung über den Gegenstandsbereich. Allerdings bleibt die Nachahmung dabei gebunden an die regelrechte Erfüllung eines von außen an der sinnlich gegebenen Realität meßbaren Sujets. - Erst die dritte Nachahmungsart gewährt dem Poeten völlige Verfügungsgewalt über den Stoff, Demonstrationsvermögen und Kontrolle »a priori«: die »Fabel« als »die Erzählung einer unter gewissen Umständen möglichen, aber nicht wirklich vorgefallenen Begebenheit, darunter eine nützliche moralische Wahrheit verborgen liegt« (ebda., S. 150), mit welch letzterer die ganze Demonstration ihren Ausgangspunkt nimmt und ihr Erkenntnisziel festhält (vgl. ebda., S. 161 ff.). Die Fabel sichert also die richtige Erkenntnis der Wahrheit als entscheidende Bedingung der vernünftigen Einsicht in das Wölfische Naturgesetz, und wie dieses liegt die Fabel allen daraus deduzierten und im Werk veranschaulichten Teil-Wahrheiten als Regulativ zu Grunde. Auch die äsopische Fabel, die Gottsched als eigene Gattung nach der Ode abhandelt (ebda., S. 436ff.), funktioniert nach diesem Muster: »Man setze einen untadelichen moralischen Satz vor, den man durch die Fabel erläutern, oder auf eine sinnliche Art begreiflich machen will«, wobei die »Wahrscheinlichkeit« in der Übereinstimmung von Darstellung und Lehre »das hauptsächlichste« an dieser Gattung sei (ebda., S. 446ff.). - Die strenge Einhaltung des Regelrepertoires, das den Demonstrationscharakter dieser Poesie mitkonstituiert, vermag sie zugleich über individuelle Zufälligkeiten hinauszuheben und damit die angestrebte sichere Erkenntnis des Guten bzw. - in der »Verlachkomödie« - des Fehlerhaften und damit reparierbaren Bösen beim Leser oder Zuschauer zu sichern. Von daher kann Gottsched sogar ein an die Empfindung gebundenes Geschmacksurteil zugestehen: »Derjenige Geschmack ist gut, der mit den Regeln übereinkommt, die von der Vernunft, in einer Art von Sachen, allbereit fest gesetzet worden.« (Ebda., S. 125)

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Eine analog vernunftorientierte Position vertritt auch noch Johann Joachim WINCKELMANN (1717-1768), wenn er das höchste Ziel der Malerei nicht bloß in der vergnüglichen Wiedergabe der Realität - etwa der Landschaften - sieht, sondern darin, daß der »Pinsel, den der Künstler führet,« »im Verstand getunkt sein« soll: »Er soll mehr zu denken hinterlassen, als was er dem Auge gezeiget, und dieses wird der Künstler erhalten, wenn er seine Gedanken in Allegorien nicht zu verstecken, sondern einzukleiden gelernet hat« (II GN, S. 39); denn was in der Dichtung Fabel heißt, »wird in der Malerei insgemein Allegorie genannt« (II EGN, S. 98). »Bloß sinnliche Empfindungen aber gehen nur bis an die Haut, und würken wenig in den Verstand«, die malerischen Allegorien indessen vermitteln einen Begriff von der Wahrheit (ebda., S. 99f.; vgl. dazu auch II Herder P, S. 146ff.; zu Winckelmanns Position allgemein vgl. III Lepenies 1988, S. 91 ff.). - Auch LESSING kritisiert im >Laokoon< u. a. am Beispiel von Hallers >Alpen< und Kleists >Frühling< die poetische Naturschilderung, weil sie keinen »Begriff des Ganzen« zu geben vermag (II L, S. 122ff.), aber auch in der Malerei, die er systematisch von der Dichtkunst (um deren Autonomie willen) zu unterscheiden sucht, gilt der Grundsatz: »Je mehr wir sehen, desto mehr müssen wir hinzu denken können« (ebda., S. 23). Zu großer künstlerischer Realismus in der Nachahmung der äußeren Natur zwingt die Einbildungskraft nur unter das Joch der Sinne, anstatt ihr den Raum zum »Selberdenken« zu eröffnen (vgl. dazu Kap. II 2 b). - Allen zum Teil tiefgreifenden Unterschieden zwischen diesen Autoren zum Trotz halten sie doch im Kern an einem wirkungsästhetischen Konzept fest, das von einer planmäßig konstruierten Fabel ausgeht, um die richtige Lehre oder das gewünschte Gefühl (etwa das Mitleid in der Tragödie) hervorrufen und so letztlich dem Sittengesetz zu immer größerer Geltung verhelfen zu können. Mit dieser Funktionsbestimmung der Literatur partizipierte der Wolffianer Gottsched freilich zugleich an der antiorthodoxen Frontstellung seines philosophischen Lehrers. »Die Tragödie der Alten«, so erklärte er in seinem Horaz-Kommentar, war »eine Schule des Volkes« und die Poeten entsprechend »öffentliche Lehrer der Tugend«: »Man lernte im Schauplatze mehr Morale und rechtschaffenes Wesen, als in den Tempeln der Heyden und von so vielen mußigen Gotzenpfaffen, die nichts, als ihre Ceremonien zu beobachten wußten« (CD, S. 33). Die Darstellung dieser wie anderer in die Antike zurückprojizierter Stellen in der >Critischen DichtkunsK (vgl. z. B. CD, S. 397f.) zielt in die Gegenwart und enthält antikatholische bzw. allgemein antiorthodoxe Signale (vgl. dazu auch 11.38 Schäfer, S. 39f.). Und nur in scheinbarer Übereinstimmung mit der Orthodoxie warnte er - vor allem im Blick auf den von

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Bodmer übersetzten Milton - die Dichter davor, »die geoffenbarte Religion mit ihren abgeschmackten Erdichtungen zu erweitern«, womit sie »Geheimnisse der Religion vortragen, die über alle Vernunft, und folglich über alle Wahrscheinlichkeit sind« (CD, S. 224), denn tatsächlich fürchtete er »für die vernünftige Wahrheit der Dichtung, wenn sie sich mit dem Wunderwerk des Christentums belädt« (11.51 Kaiser, S. 327f.). Andererseits zahlte er für dieses Autonomiestreben auch einen - von den theologischen Gralshütern indirekt aufgenötigten - Preis: Wenn die Literatur im umfassenden Sinne an die Stelle der kirchlichen Erziehung und Predigt treten sollte, dann mußte sie sich an das Kriterium vernünftiger Wahrscheinlichkeit binden, dann mußte sie die Grenzen des Wunderbaren in der Poesie möglichst eng ziehen und kam gerade darin mit den orthodoxen und pietistischen Polemiken gegen eine ausufernde poetische Phantasie überein (vgl. 11.38 Freier, S. 29ff., 60ff.). - Und eben diese Bindung der Dichtung an die Prinzipien der Rationalität und Wahrscheinlichkeit, mit der Gottsched ihre Unabhängigkeit und ihre Wissenschaftlichkeit zu erobern suchte, wurden alsbald ein wesentlicher Grund, um seine Poesiekonzeption - zunächst auf Seiten der Schweizer und ihrer Anhänger - als zutiefst unpoetisch zu empfinden und abzulehnen. So richtig diese Kritik ist, so ungerecht ist sie doch zugleich, wenn sie die historischen Verdienste Gottscheds im Kampf um die Etablierung der Poesie als eines eigenständigen Organs der bürgerlichen Selbst- und Weltverständigung unterschlägt. In einem poetischen Sendschreiben vom Oktober 1750 hat Gottsched sein Wirken selbstbewußt und resignierend-sarkastisch zugleich bilanziert. Einerseits habe er den Geschmack aus dem Geist der Antike erneuert: »Halb Deutschland fiel uns bey, und eiferte mit Sachsen / Wo Geist, Vernunft und Witz am schönsten konnte wachsen« (G, S. 366). Andererseits orientiert sich der Geschmack an Milton und an Klopstocks >Messias< - Bodmer »selbst erstaunt vor dem zu großen Schuler, / Und bethet ihn fast an« (ebda., S. 367). Die klassische Antike, der Gottsched sich stets verpflichtet gefühlt habe, gelte nun nichts mehr: »Zumal seit dem man uns ästhetisch denken lehret, / Vernunft und Licht verwirft, die Dunkelheit verehret« (ebda.). Aus literarhistorischer Sicht mag dieses Urteil über die Zürcher, Klopstock und Baumgarten ungerecht, ja kleinkariert erscheinen, aus der Perspektive des Aufklärers Gottsched indessen war es hell-sichtig: Sein Aufklärungs-Licht wurde durch die literarische Entwicklung unabweislich in den rezeptionsgeschichtlichen Schatten gestellt.

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d) Herrschaft des Willens und Nachahmung als Sozialisierung zur »vernünftigen Liebe« (Thomasius) Dem rationalistischen Naturrechtsverständnis und Menschenbild hat vor allem Christian Thomasius (1655-1728; vgl. zu ihm auch V/l Kap. 2 c) ein voluntaristisch geprägtes gegenübergestellt, das sich auf die Literatur- und Lyrikgeschichte ebenfalls folgenreich auswirken sollte. In der Naturrechtsgeschichte nahm er zwischen Pufendorf und Wolff eine pragmatisch orientierte Sonderstellung ein: Er trennte Recht und Ethik, begründete damit den Rechtsstaat und reduzierte das Rechtsverhalten »auf erzwingbare Legalität«: Moral und auch Religion wurden dadurch zu einer privaten Angelegenheit (vgl. III Schneiders 1973, S. 112; Stolleis, S. 286ff.; 11.62 Rengstorf, S. 40f.). Während der Souverän für das »iustum« zu sorgen hatte, fiel die Moral - aufgeteilt in eine individualethische Sittenlehre (»honestum«) und eine gesellschaftsbezogene Lehre von der anständigen Lebensführung (»decorum«, »bienseance«), diese zugleich als Grundlage für die Klugheitslehre - vor allem in das Aufgabenfeld des Juristen, auch des Philosophen, aber nicht mehr des Theologen, der sich nur noch um das ewige Heil des Menschen kümmern sollte (vgl. II Thomasius PK, S. 52ff., 64ff., 70; vgl. dazu auch 11.86 Schneiders 1989, S. 94ff.). - Bei seinem Einsatz für eine praktische Aufklärung ging es Thomasius vor allem um diesen privatisiertem Bereich der Moral, um eine richtige, vernünftige, vorurteilsfreie Lebensführung, die sich von aller gelehrten Pedanterie ebenso fern hielt wie von einem oberflächlichen »Galantismus«; stattdessen proklamierte er »die Einheit von galanter Weitläufigkeit und nützlicher Wissenschaft«, die sich zugleich als sinnvoll für das Leben in der Gesellschaft erweisen sollte (III Kühlmann, S. 425f.). Und eben mit dieser Bemühung um eine säkulare (Selbst-)Erziehung des Menschen zu einem nützlichen Glied der Gesellschaft hat Thomasius auch für die Literatur der Aufklärung ein zentrales lebenspraktisches Gebiet erschlossen. Dabei sind zwei miteinander verknüpfte Aspekte besonders bedeutsam: seine voluntaristische Bestimmung des Naturgesetzes als vernünftige Liebe und der aus dieser fließende Nachahmungs-»Trieb« als ethisch-pädagogisches Instrument. In der Ethik als Lehre von den »Regeln der Erbarkeit« (II HC, S. 364) entwickelte Thomasius die anthropologischen und psychologischen Bestimmungen der Sittlichkeit. Er setzte fest, »daß / der Wille des menschlichen Hertzens die Haupt = Residentz der menschlichen Seele sey« (VWG, S. 181). Insbesondere wandte er sich gegen den Satz des Descartes: »Homo dum vult, cogitat« - also der Mensch denke, wenn er etwas wolle -, sofern er bedeuten solle, »daß das Wollen in Gedancken beste-

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he« (AS, S. 81). Der Wille war demnach nicht »in das Gehirn einlogiret« und lediglich ausführendes Organ des Denkens, sondern hatte seinen Sitz im Herzen als dem Zentrum sowohl der körperlich-vitalen wie auch der psychischen Prozesse, nämlich des Blutkreislaufs und der Gefühle bzw. Affekte (zur daraus resultierenden Nähe von Mensch und Tier vgl. V/l Kap. 2 c). Folgerichtig legte der »Vater der deutschen Aufklärung« auch die zentrale ethische Bestimmung des Menschen in ein »hertzliches« und nicht in ein »gehirnliches« Vermögen: in die »vernünftige Liebe« (VWG, S. 180f.). Diese allein, so expliziert er auch in seiner Einleitung Der Sitten = LehreMoral< auch nicht zu Christen, sondern zu Menschen erziehen (ebda.) - und diese wiederum zur Gesellschaft. Denn »ohne menschliche Gesellschaft würde ein erwachsener Mensch kein Vergnügen haben, wenn er gleich die gantze Welt besässe« (ebda., S. 90). Damit greift Thomasius auf die Pufendorfsche Bestimmung des Menschen zur »socialitas« zurück und betont sie dezidiert gegen das katholische Mönchswesen und den pietistischen Separatismus, die beide in Gefahr stehen, die Geselligkeit um der Vereinigung mit Gott willen zu vernachlässigen:

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»Das ist die vollkommenste Vereinigung mit GOTT / wenn man Seinen Willen thut; sein Wille aber bestehet in deme / was Er der Natur eingepreget hat; nun hat er ja der menschlichen Natur eingepreget / daß sie gesellig seyn soll.« (PK, S. 112)

Aus demselben Grund kritisiert Thomasius all jene Frommen als Heuchler, die - wie Spener (vgl. II K, S. 376) - behaupteten, die Liebe zu Gott (und damit die inneren, gesinnungsmäßigen Tugenden der SelbstHeiligung) seien der Liebe zum Mitmenschen vorgeordnet: »GOtt weiset dich nach dem Trieb naturlicher Vernunft an die Liebe der Menschen, weil du nach deiner natürlichen Erkdntniß keinen vernünftigem Gottesdienst finden kanst, als wenn du dein Hertze mit ändern Menschen vereinigest« (ESL, S. 191 f.). Dagegen sei der Gottesdienst aus »äusserlichen Ceremonien« nur eine »Schein = Liebe«, um der wahren Menschen-Liebe auszuweichen (ebda.; vgl. dazu auch V/1 Kap. 2 c). Damit hat Thomasius ein Liebes-ideal zur Maxime >geselligen< Verhaltens erhoben, das in Konkurrenz zum pietistischen Liebes- und Freundschaftskult die innerweltliche Glücksbestimmung als öffentliche, ständeübergreifende Aufgabe definierte und als Ausdruck naturrechtlicher Selbstbestimmung des Menschen legitimierte. Zugleich wurde er damit zum wichtigsten deutschen Wegbereiter für die Ethik der Empfindsamkeit. Dabei hat er sich für seine Konzeption des Hauptaffekts altruistischer Liebe offenbar auch an den >Cambridge Platonists< orientiert, die er gelegentlich zitiert. Diese entwickelten in Opposition zur am Egoismus orientierten Ethik von Hobbes die Theorie vom »Moral Sense«, wonach »die altruistischen Neigungen des Menschen, die das Wohl der Gesellschaft befördern, so fundamental seien wie die egoistischen; daß die höchste Belohnung für die Übung von >benevolence< in der dabei zu empfindenden Freude liege und daß es keinen Konflikt zwischen individueller und gesellschaftlicher Wohlfahrt gebe« (III Sauder, S. 73). Im Unterschied zur Schule von Cambridge und zu Shaftesbury ^Characteristics of Men, Manners, Opinions, and Times^ 3 Bde. 1711; von der Orthodoxie als Deist bekämpft, vgl. II Trinius, S. 410ff.; vgl. V/l Kap. l d), der Mitleid und »benevolence« als vom natürlichen Gesetz eingeschriebene Instinkte und »höchste Form erreichbarer Tugend überhaupt« definierte (III Sauder, S. 75), hielt Thomasius an der vernünftigen Regulierung der Liebe fest (und entsprach damit besonders der empfindsamen Suche nach einem »Gleichgewicht von >Kopf< und >HerzNaturmaler< in ihrer aufklärerischen Funktion angemessen erschließt. Da »Gott dem Menschen eine Nachahmung in das Herze geleget, weil er ihm eine Liebe eingepflanzet, die Liebe aber ohne Nachahmung nicht begriffen werden kann«, so muß dieser Imitations-Hang besonders verantwortungsvoll geleitet werden, damit der Mensch »lieber tugendhaftigen Exempeln als lasterhaften und närrischen« nachahmt (DP, S. 57). In Thomasius' Lehre von den Vorurteilen erweisen sich das »praejudicium auctoritatis«, das »aus einer unvernünftigen Liebe gegen andere Menschen« herrührt und das ihm entsprechende »Vorurteil der Nachahmung« als besonders schwer ausrottbar, weil sie den Kindern von klein auf eingeprägt und auch von der Kirche zur Stützung ihrer Autorität herangezogen werden (DP, S. 36f., 54ff.;vgl. bes. PK, S. 46ff.). Doch wegen dieser offenkundigen Wirksamkeit der »imitatio«, die seit alters ja auch in der Begründung der Poesie (vgl. II Aristoteles, S. 29), in der rhetorischen Erziehung (vgl. II Cicero, S. 160ff.), in der Frömmigkeit (»imitatio Christi«) oder in der humanistischen Nachahmung der Antike eine zentrale Rolle spielte, nimmt Thomasius sie als naturrechtlich begründetes und initiiertes Mittel zur Einübung ins Sozialverhalten neu in die Pflicht und gründet die gesellschaftsbezogene Lehre vom >decorum< auf sie. Denn das >decorumSchonkiljeTractatus Ethico-Physicus de Animi & Corporis Passionibus< die »admiratio« für die wichtigste unter den

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»pathemata animi«. Sie entstand vor allem durch die »novitas objecti«, während dessen »bonitas« die Liebe sowie das auf die Zukunft gerichtete Begehren (»cupiditas sive desiderium«) nach seinem Genuß hervorrief (II Bontekoe, S. 4). Während aber für die Cartesianer die >physikalischen< Körper-Affekte wie Muskelbewegungen und Anspannungen von Auge und Ohr den Seelenneigungen nur parallelisiert waren und damit nicht unmittelbar auf den Willen einzuwirken vermochten (diese Theorie erläutert ebenfalls der Cartesianer Claude Genest in seinen umfangreichen Grundsätzen der Welt = WeisheiK, die Brockes übersetzt und im dritten Band seines irdischen Vergnügens< publiziert hat), nahm der Hamburger Ratsherr auch in diesem Fall im Sinne Lockes eine unmittelbare Einwirkung der sinnlichen Wahrnehmung auf die Affekte, den Willen und damit auf das ethische Verhalten des Menschen an. Mit seinen »geschönten« Naturbeschreibungen wollte er also nicht nur ästhetische, sondern durch diese moralische Wirkungen erzielen: »Sag / o Mensch! auf welche Weise Kan sich / zu des Schopffers Preise / Unsre Seele schOner schmücken / Als wenn wir von Seinen Wercken / Dadurch / daß wir sie bemercken / In den Geist ihr Bildniß drücken? Die dadurch erregten Triebe Stiller Freuden / brünst'ger Liebe / Ein durch Lust gewirckt Entzücken GOttes Wunder anzublicken / Und mit Danck sie zu beschauen / Ehrfurcht / Andacht / einen Willen / GOTTES Willen zu erfüllen / Und ein kindliches Vertrauen / Stellen sie in holder Zier Ihrem GOTT gefällig für.« (IVG III, o. S.)

Die Verse spielen auf das mystische Spiegel-Motiv an (vgl. Kap. II l c). Die genaue Betrachtung der Schöpfungs-Schönheiten reproduziert sich in der Phantasie des Lesers und erweckt von da aus notwendigerweise angenehme Empfindungen und Affekte, damit auch »brunst'ge Liebe« zu dem Dargestellten (»Sehen macht Sehnen!«) und über dieses zum Urheber des Angeschauten. Und dadurch wiederum wird der menschliche Wille angetrieben, das sinnlich Wahrgenommene bzw. Imaginierte als Schönes und Gutes nachzuahmen, sein Wesen ethisch zu vervollkommnen und sich so dem göttlichen liebend-nachahmend anzugleichen und »GOTTES Willen zu erfüllen«.

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Mit der »bloßen Beschreibung«, der nach Gottsched niedrigsten Art der Nachahmung, verfolgte Brockes also die höchsten moralischen und religiösen Zwecke! Und in diese fügen sich nun auch seine deistischen Adaptationen sinnvoll ein (vgl. Kap. I 2 c): Seine Natur-Betrachtung ist sinnlicher adamitischer Gottesdienst. Der eigentliche Sündenfall besteht (im Sinne Lockes) darin, daß »in uns sich Seel und Sinnen trennen, / Die ehedem, im Paradiese, unstreitig sind vereint gewesen, / Wodurch so viele tausend Sprossen, in unsrer Lust zu GOTT zu steigen, / Auf aller Creaturen Leiter, sich unserm Geiste nicht mehr zeigen« (IVG VI, S. 251). Der sich solchermaßen der Natur verschließende Mensch wird Opfer seiner in Unordnung geratenen Affekte, die Geist und Willen zum Bösen bestimmen, weil das aus der Natur-Anschauung in Sinnen und Seele fließende und die Leidenschaften reinigende göttliche »Licht der Natur« nicht mäßigend zu wirken vermag (IVG IV, S. 306f.). Mit Nachdruck gibt Brockes deshalb die ethische Anweisung, »wie Adam vor dem Fall zu leben, / Und unserm GOtt die Ehr allein in aller Creatur zu geben, / Im rechten Brauch von unsern Sinnen, mit froher Andacht uns bestreben« (IVG IV, S. 246f.). »Fall« und Verlust der »imago Dei« sind so durch die Natur-»Betrachtung« korrigierbar, und durch diese erfüllt sich auch das »liebreiche Gesetz« (IVG VI, S. 545ff.): »Es scheint, wenn man es untersuchet, daß man fast uberzeuglich findet, / Daß unsre, mit des Nächsten Liebe, in Gottes Liebe, sich verbindet;/ Und daß, zu unserm eignen Besten, nach ganz untrieglich wahren Schlüssen, / Sie aus der seligen Bewundrung des Schöpfers in den Werken fließen« (IVG VIII, S. 328). Die »Perzeption« der Natur garantiert so die individualethische Vervollkommnung und hat zugleich sozialisierende Funktion im Blick auf das Gemeinwesen. Die Brockessche Naturnachahmung versteht sich gerade dadurch, daß sie nicht reine Phantasiebilder aus dem Reich möglicher Welten und des Wunderbaren zum bloßen »Ergetzen« des Lesers entwirft (so die Forderung von Breitinger: vgl. II CD I, S. 12, 56ff., 128ff., 262ff. u. ö.), als reale >natürliche< und gleichwohl religiös-erbauliche Alternative zum geoffenbarten orthodoxen und pietistischen Gottesdienst. Von daher wird dann auch die den deistischen Tendenzen scheinbar so entgegengesetzte hermetische Rezeption des Senators als integraler Bestandteil seines Werkes plausibel (vgl. Kap. II l b). - Neben der >dogmatischen< Begründung seiner Position gilt es noch zu zeigen, wie er seinen »sinnlichen Gottesdienst« feiert und seiner Poesie und sich damit den Ehrentitel eines »Dollmetsch« der Natur verdient.

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1) Poetischer Gottesdienst (Brockes)

a) Der Lebenslauf als Demonstration irdischer Glückseligkeit Nicht nur mit der Entwicklung seines literarischen Werkes von der Gelegenheitspoesie zur nützlichen Lehr-Dichtung (vgl. Kap. I l c), sondern auch mit seinem Lebenslauf bietet Barthold Heinrich Brockes (1680-1747; vgl. Abb. 1) ein repräsentatives Bild für bürgerliche Tendenzen der Selbst- und Weltorientierung zur Zeit der Frühaufklärung. Geboren in Hamburg als Sohn eines vermögenden Handelskaufmanns, der bereits 1694 starb, wuchs Brockes in der behüteten Atmosphäre und im Umkreis vornehmer Hamburger Familien auf, genoß zunächst Privatunterricht und kam erst mit 16 Jahren zur Erlangung der Hochschulreife auf das Hamburger Gymnasium Johanneum (vgl. 11.13 Klein, S. 14f.). In seiner Lebensplanung war Brockes zweifellos von dem für die bürgerliche Oberschicht charakteristischen »Imitationssog« im Blick auf Hof-Kultur und Adels-Sucht geprägt (vgl. V/l Einleitung b). Eine höfische Karriere verlangte Anpassung an adlige Lebensmuster und die Fähigkeit zu >politisch-galantem< Verhalten (vgl. 11.13 Ketelsen 1988b, S. 4ff.). Da dieses vor allem von Thomasius in Halle gelehrt wurde, begab sich Brockes 1700 für zwei Jahre zum Studium der Jurisprudenz dorthin und bemühte sich dabei in ständigem Umgang mit Adligen um einen aristokratischen Lebensstil. Diesen behielt er auch auf seinen an ein halbjähriges Praktikum in Wetzlar anschließenden - für die Zeit ebenfalls typischen - Bildungsreisen bei, die ihn vor allem nach Italien (u. a. Venedig, Rom, Florenz, Pisa, Livorno, Genua), in die Schweiz (Winter 1703/04 Genf, Lausanne), nach Frankreich (Lyon, Paris) und über Brüssel und Antwerpen in die Niederlande (Rotterdam, Amsterdam, Leiden) führte. In Amsterdam »wurde mir«, so berichtete Brockes in seiner bis 1732 reichenden Autobiographie, »mein Concept, nach Engelland zu gehen und nachgehende mein Fortun bey Hofe zu suchen, ganz verrückt«, und zwar durch die Nachricht vom Tode seiner einzigen Schwester und die Bitte seiner Mutter, nach Hamburg zurückzukehren, wo er deshalb zum Jahresende 1704 wieder eintraf (II SB, S. 207f.). Der zuvor noch rasch in Leiden erworbene Titel eines Licentiats der Rechte hätte ihm gestattet, eine Anwaltspraxis zu eröffnen, indessen da Brockes

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vorläufig offenbar gut von seinem Vermögen zu leben vermochte, beschloß er, sein »eigener Herr« zu bleiben und »durch eine artige Aufführung zu einer reichen Heirath zu gelangen«: »Ich hielte mich zu den vornehmsten Compagnien, gab wöchentlich ein Concert, verschaffte mir ein klein Cabinett von Gemälden &. und gedachte auf solche Weise mich in Estime zu setzen und beliebt zu machen« (ebda., S. 208). Als ein wesentliches Mittel dazu entdeckte er, wie er berichtet, auch die Dichtkunst, in der er sich nun selbst - zunächst durch Übersetzungen aus dem Französischen (Boileau) und Italienischen übte. Daß er sich dabei vor allem ein Werk von Giambattista Marino (1569-1625), dem italienischen Hauptvertreter des Manierismus (»Marinismus«) zur Vorlage wählte, nämlich dessen Epos >La Strage degli Innocenti< (1620), verrät aufs deutlichste seine damalige Orientierung am höfisch-galanten Geschmack. Johann Ulrich König gab den >Bethlehemitischen Kinder = Mord< 1715 heraus und stellte der Übersetzung einen umfangreichen bio-bibliographischen Bericht über Marino voran, den er als »Glanz der Welschen Wohlredenheit« pries (II Brockes BKM, S. 47). Unermüdlich schildert Marino in den Stanzen der vier Bücher die Grausamkeiten der von Herodes veranlaßten Kindestötungen an immer neuen »exempla«. Brockes überträgt die weiblichen Elfsilbler (wie schon 1626 Dietrich von dem Werder bei der Übersetzung von Torquato Tassos >La Gierusalemme liberataDrei Reiche der Natur< (vgl. Kap. II l b). Und schließlich - 1720 - nahm er auch die Wahl zum bürgerlichen Amt des Ratsherrn der Freien Reichsstadt an, das er bis zu seinem überraschenden Tod am 16. Januar 1747 in verschiedenen Funktionen gewissenhaft bekleidete. Die neun Bände seines poetischen Hauptwerks, des >Irdischen Vergnügens in Gott< (1721-1748), begleiten diese Phase seiner Amtstätigkeit und spiegeln auch inhaltlich seine für das Bürgertum dieser Zeit insgesamt nicht untypische kritische Abkehr vom Ideal einer Nachahmung der repräsentativen Hof-Kultur und die Legitimierung der eigenen bürgerlichen Interessen (so auch 11.13 Klein, S. 27f.). Ketelsen faßt das neue Brockessche Ideal unter dem Stichwort des »Patriotischen«, »d. h. des für die Gemeinschaft Hilfreichen und Nützlichen« (11.13 1988b, S. 9), und spielt damit zugleich auf die Hamburger Wochenschrift >Der Patriot< an, die Brockes u. a. mit seinen Freunden Michael Richey, Johann Albert Fabricius und Christian Friedrich Weichmann zwei Jahre lang (vorn Januar 1724 bis Dezember 1726) mit großem publizistischen Erfolg herausgab (vgl. 11.13 Klein, S. 35f.; III Whaley, S. 38ff.). Mit dem beruflichen und poetischen Einsatz für eine Verbesserung der bürgerlichen Verhältnisse geht - auch im >Irdischen Vergnügen< - eine unverkennbare Adelskritik einher (vgl. 11.13 Klein, S. 39). Von 1735 bis 1741 fungierte Brockes als Amtmann im Hamburger Außenposten Ritzebüttel, 1743 übernahm er neben manchen anderen Ämtern auch noch die Leitung der Hamburger Schulbehörde (zur Politik, Verfassung, Wirtschaft und sozialen Schichtung Hamburgs in der frühen Neuzeit vgl. auch III Herzig).

1) Poetischer Gottesdienst (Brockes)

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Aus selbstbewußter bürgerlicher Sicht schildert der allseits geehrte Ratsherr die sichere materielle Basis seines Lebenslaufs, die weder durch äußere Unglücksfälle, noch durch unbedachtes Verhalten von ihm selbst gefährdet erscheint. Galante Abenteuer »mit liederlichen Weibsbildern« suchte er stets zu vermeiden (SB, S. 201, 204f.), wo er aber einmal dem jugendlichen »praejudicium praecipitantiae« anheimgefallen war, durfte er es »der gütigen Vorsehung Gottes zu schreiben«, »daß diese Zufälle vielmehr zu meinem augenscheinlichen Besten dienen müssen« (ebda., S. 203): Dies ist die entscheidende Perspektive, aus der er seinen Lebenslauf darstellt und bewertet, und von daher erweist sich das Scheitern seiner höfischen Laufbahn geradezu als providentielle Fügung und Voraussetzung für die >Vergnüglichkeit< einer (groß-)bürgerlichen Glückserfüllung im Diesseits. Auch das Nichterzählte fiel offenbar dieser Devise zum Opfer; so der ganze Bereich der kirchlichen Streitigkeiten, mit denen Brockes mehrfach hautnah konfrontiert war: als Gymnasiast mit den heftigen pietistischen Auseinandersetzungen in seiner Heimatstadt (vgl. V/l Kap. 2 a), als Student in Halle, als Vetter von Barthold Feind bei dessen publizistischer Fehde gegen den Hamburger Prediger Christian Krumbholz (vgl. Feinds Verssatire >Vom Lobe der GeldsuchK, angehängt an II Feind, S. 651-786, bes. S. 728ff.), als Licentiat bei den konfessionell mitgeprägten Hamburger Unruhen 1708/09 und 1719 (vgl. 11.13 Klein, S. 24f.; III Whaley, S. 56ff.). Aber auch sonst blieb Brockes, der sich bei >Gelegenheiten< gern in Szene setzte und damit hohe Politik zu machen verstand, bei kirchlichen Angelegenheiten auffallend stumm: Kein Wort, kein Vers zum Beispiel anläßlich der Zweihundertjahrfeiern der Reformation (1717) oder des Augsburger Bekenntnisses (1730; vgl. 11.13 Fry 1980, S. 83) und kein einziges Gelegenheitsgedicht auf einen Geistlichen sind uns überliefert (11.13 Ketelsen 1980, S. 174). Gewiß mußte der Politiker Brockes den bürgerlichen und kirchlichen Konventionen Genüge tun, wozu u. a. auch der regelmäßige Besuch des Gottesdienstes zählte. Aber eigentlich lebte er in seiner natürlichen Religion, die eine genußreiche Existenz im Diesseits nicht als Weg in die Hölle, sondern als Einübung in die noch größeren Genüsse verstand, die nach dem Tode auf den Menschen warteten. Dies bezeugt vor allem der Trost, den er beim Tode seiner Kinder fand. Als einer seiner Söhne 31 jährig an den Blattern starb, beruhigte Brockes sich und die bürgerlichen Leser in einem langen Gedicht zunächst mit der Überzeugung, der Geist des Sohnes sei »wirklich noch in der Natur. Kein Nichts / Zerstreuet und verschlingt sein GOtt = gefälligs Wesen« (EG, S. 630). Ein anderer Gedanke tröstete ihn aber noch stärker:

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»Ist es kein grosses Glöck, ein Wesen in der Welt / Durch GOttes Huld erzielt, und nicht erzielt allein, / Auch, durch Dieselbe Huld, es so erzogen haben, / Daß es der ew'gen Lieb', es ewiglich zu laben, / Vermutlich wird gefillig seyn? / Ist es kein grosses Gluck mit höchstem Recht zu nennen, / Sich selbst versichern können, / Durch einen Theil von sich, zu GOttes Lust und Ehren, / Die Zahl der Seligen zu mehren? Hab ewig Dank denn nun dafür, / O grosser Schöpfer, daß Du mir / Solch einen Sohn gegeben und genommen, / Der zur Vollkommenheit früh hier und dort gekommen.« (Ebda., S. 631)

Das Jenseits war keine Kompensation mehr für die Leiden im »Jammertal«, sondern Fortsetzung und Belohnung irdischer »Vollkommenheit«. Und wenn Brockes seinem Sohn zum Schluß eine poetische »Grabschrift« aus lauter bürgerlichen Tugenden setzte, die ein »schönes Leben« ermöglicht haben, dann zog dieser Vierzeiler auch die Summe seines eigenen Lebenslaufs und verdeutlicht dessen aufklärerisch-optimistischen, deshalb der Ästhetisierung würdigen Demonstrationscharakter - im Beweis, daß ein glückseliges Leben auf Erden wirklich möglich sei: »Gottesfurcht und Redlichkeit, Kunst, Geschicklichkeit und Fleiß, Waren meiner Seelen Früchte, waren Werke meiner Hände: Darum schloß, o grosser Schöpfer, auf Dein gnädiges Geheiß, Sich, bey mir, ein schönes Leben, auch mit einem schönen Ende.« (Ebda., S. 632)

b) Poetische Alchimie - die >Drey Reiche der Natur< Brockes' posthum im letzten Band des >Irdischen Vergnügens< im Umfang von 310 Seiten erschienenes Lehrgedicht-Fragment über die >Drey Reiche der Natur< ist offenbar sein eigentlich geplantes Hauptwerk gewesen. Wesentliche Teile davon dürften bereits vor Erscheinen des ersten Bandes des >Irdischen Vergnügens< verfaßt worden sein, doch dann scheint der Ratsherr die Arbeit daran erst seit 1735 wieder intensiver fortgesetzt zu haben, wobei er einige zentrale Gedichte wie die über die Elemente bereits in den ersten Bänden veröffentlicht hat (vgl. 11.13 Fry 1981, S. 261; V/l Kap. 2 d). Immerhin begleitete die Entstehung dieses Lehrgedichtes die drei letzten Jahrzehnte des Autors. Deshalb darf man auch und gerade von diesem systematisch konzipierten Werk am ehesten Aufschluß über seine Weltanschauung erwarten, die in den anderen Bänden einen zum Teil widersprüchlichen und kompilatorischen Eindruck erweckt (vgl. dazu auch 11.13 Kimber 1969 und 1980). Von Gott ausgehend und zu ihm zurückkehrend verfolgt Brockes in den >drey

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Reichern in aufsteigender Linie den Rückkehrprozeß der »Kette der Wesen«, angefangen von den »Metallen / Sammt der Steine Reich« über »der Pflanzen Heer« bis zum »Thierreich« (DRN, S. 4), wobei er im letzteren Abschnitt den Menschen als nächsthöhere Ordnung des großen »Wechselzirkels« der Welt miteinbezieht (ebda., S. 226). Legt man nun die Definition des >Hermesgeistige Copie der Welt< (IVG VII, S. 177f.), von der Brockes behauptet, daß »die Natur, in meinem Klang, / Sich selber und nicht ich, besang, / Daß ich das Werkzeug bloß gewesen« (ebda., S. 694). Aber dadurch, daß sich im poetischen Gottesdienst die >bewußtlose< Natur durch das Gemüt des Künstlers selbst zur Sprache bringt und zum Bewußtsein gelangt, erhöht und verwandelt sie sich zugleich in jene »Geistigkeit«, aus der sie ursprünglich emanierte (vgl. dazu V/l Kap. 2 d, ferner auch IV Kemper I, S. 27ff., 340ff.). Damit scheint es, als erhebe sich die unablässig »gemalte« Natur in der Brockesschen Poesie zur universalen Selbstanschauung und werde dadurch selbst wiederum zum >göttlichen Spiegel< und Medium der Selbstvergottung für den Dichter-Priester und jene Adressaten, die durch seine Kunst die göttliche Natur erkennen:

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»Ein vom Schopfer, durch sein Werck und von deren Wunder = Schein / Angefülletes Gemfithe / Scheinet gleichsam wie ein Spiegel fur den Schopfer selbst zu seyn, / Worinn er, sein Werck vergeistert und mit Danck und Lust geschmückt, / Lauter Weisheit, Allmacht, Gute; ja sich gleichsam selbst erblickt.« (IVG V, S. 255)

Das Bildfeld des Gedichts verläuft von Gott über die Schöpfung als sein »erstes Ebenbild« (I Hermes, S. 7) bis zum Menschen als (mikrokosmischem) Bild der Welt, und im medialen Vorgang menschlichen und göttlichen Betrachtens erreichen gleichsam die niedrigeren Stufen der Natur ihre Sublimierung und »vergeistern« sich. Diese Imprimation der »guten imagines« erweist sich so als entscheidender Vorgang im Funktionszusammenhang der »Kette« und dient in der Spiegelung offenkundig zugleich der menschlichen Sebstvergottung. Das Wort »Gemüt« ist das nach den Begriffen für Gott häufigste und wichtigste in der Hamburger Hermes-Ausgabe, und zwar als Übersetzung von »mens«, der wiederum, wie Ficino mit Recht erklärt, im >Pymander< mit »pater« gleichgesetzt werde (II Ficino, S. 9; vgl. dazu I Hermes, S. 18, 21). Es ist Teil des Menschen und so die Spitze der in Gott zurückführenden Geschöpfe: »denn der selige GOtt / der gute Daemon, hat bezeuget / daß die Seele in dem Leibe sey / das Gemüth in der Seelen / das Wort oder Sprache in dem Gemuth / das Gemuth in GOtt / und GOtt ist deren aller Vater« (ebda., S. 101; ebenso S. 64). Da das Gemüt feuriger Natur ist (ebda., S. 89) und damit an dem feinsten unter den aristotelischen Elementen partizipiert, hat es wie das Feuer selbst die Fähigkeit, zum göttlichen Licht hinaufzuführen (zur berühmten Licht- und Feuer-Symbolik der Hermetiker vgl. Bd. III, S. 124ff. u. ö.; IV Kemper I, S. 106ff., 282ff. sowie zu Brockes S. 31 Iff.). Zugleich befähigt das Gemüt den wahrheitsliebenden Menschen zur Natur- und (durch diese) zur Gotteserkenntnis: »Und der Mensch hat mehr empfangen als die Thiere und die Welt / von wegen der Sprache und des Gemuthes: denn er wurde gemacht zu einem Beschauer der Wercke Gottes / worüber er sich verwunderte / und den Macher erkennete« (I Hermes, S. 53; vgl. ebda., S. 20). Und da er »nach dem Ebenbilde der Welt ist geworden / und nach dem Willen des Vaters über alle irdische Thiere das Gemuthe hat«, besitzt der Mensch die entscheidende mediale Funktion zwischen »unten« und »oben«, ist er eben der zitierte >göttliche Spiegel< des Brockesschen Gedichts. Das Titelkupfer von Band V des >Irdischen Vergnügens< veranschaulicht diese entscheidende Mittlertätigkeit der >Betrachtung< als Bindeglied zwischen Himmel und Erde und dem sich darin ereignenden Prozeß der Sublimierung in der aufsteigenden Bewegung von der Empfindung über den Affekt der Bewunderung bis zum »feurigen«

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»Danck«-Opfer, in dem sich der >Schöpfer< selbst »vergeistert« zu erblicken vermag (vgl. Abb. 7). Wie diese Vereinigung geschieht, beschreibt das nachfolgende Gedicht über die >SchOnheit der zur Abend = Zeit hinter einem Gebüsche hervorstrahlenden SonneLettres sur les Anglais et les Fran9ais et sur les VoyagesVerdorbenen Sitten< einen »ungezweifelt blühenden Zustand« (G, S. 86). Und so wie Haller jetzt kompromißlos die Caesaropapie in seinem Staate guthieß, so verteidigte er nun auch immer

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vehementer die orthodoxe Form der christlichen Religion gegen alle Freidenker, vor allem gegen Bayle, Voltaire, mit dessen Schriften er sich zeitlebens intensiv auseinandersetzte (vgl. T I, S. 3ff., 12ff., 94ff., 96ff. u. ö.; G, S. 372ff.), oder auch gegen Rousseau (vgl. T I, S. 169ff., 199ff., 223ff. u. ö.) und nicht zuletzt wohl auch gegen die Zweifel in der eigenen Brust (>Briefe über die wichtigsten Wahrheiten der OffenbarungBriefe über einige Einwürfe nochlebender Freygeister wieder (!) die Offenbarung^ 3 Bde., 1775-1777). Solcher Konservatismus irritierte schon die Zeitgenossen, auch und gerade jene, die ihn als Schüler oder als Bewunderer seiner religionskritischen Poesie verehrt hatten. So richtete etwa Gleim ein Gedicht »An die Herren des Raths zu Bern. Als Euer Haller einst die Frage ließ ergehn: >Was Böses ist geschehn, das nicht ein Priester that?< Da saß er wohl noch nicht, ihr Herrn, in Euerm Rath? Noch seines Musengottes voll, Stand auf den Alpen er, gelehnt auf seinen Stab, Und rief ins Thal hinab: >Wer frei darf denken, denket wohl!kleinen Ratdunklen< Stilideals galt. Die Leipziger rügten den dialektalen Sprachgebrauch, die metaphorische Dichte und philosophische Mehrdeutigkeit der Schweizerischen Gedichte< (»in die Poesie gehören solche tiefsinnige, philosophische Begriffe nicht«; so Christlob Mylius 1743; zit. in 11.42 Hirzel, S. CCXI; ebenso Chr. O. von Schönaich in seiner vorwiegend gegen Haller gerichteten Schrift >Die ganze Aesthetik in einer Nuß oder Neologisches Wörterbuch^ 1754; vgl. ebda., S. CCCXXXIIff.). Hallers Anhänger wiederum empfanden die Leipziger Beckmessereien als trivial und bekannten: »Wie süßer ist die Lust, ihm (= Haller) denkend zuzuhorchen, / Als müßig am Gewäsch des Sachsen zu erworgen, / Das sich ohn Ende dähnt, auf Silben Silben häuft / Und einen kleinen Sinn in langem Satz ersäuft« (so Samuel König, zit. ebda., S. CCXVII). Haller selbst trug freilich den entscheidenden Gedanken zur Debatte bei, als er in einer >Schuz-Schrift wegen einiger meiner Schriften< (1733) aus der Unvollkommenheit des Menschen »in Gelehrtheit und Wissenschaften, die uns zu demüthigen eher gemacht sind als aufzublasen« (G, S. 370), das Recht des Dichters auf einen eigenständigen Erkenntnisweg und Aussagemodus ableitete: »Ein Dichter wählet einen gewissen Vorwurf, nicht eine vollständige Abhandlung davon zu machen, sondern einige besondere Gedanken darüber anzubringen. Also soll es ihm frey stehen, so weit zu gehen, als er will, und stille zu stehen, wo es ihm gefält. Er hat sich nicht verbunden, alles zu sagen, also soll man vom Ausgebliebenen nicht schließen, daß er es verachte. Dieser Einwurf könte einem Weltweisen gemacht werden, aber nicht einem Dichter.« (Ebda.)

Damit inthronisierte Haller die Poesie zum eigenständigen Organ subjektiver, durch Authentizität legitimierter Selbst- und Weltverständigung. Trotz ihres fragmentarischen Charakters durfte die Dichtung eine Wahrheit sui generis beanspruchen, die freilich vom Autor selbst (nicht mehr von einer Wissenschaft oder einem Normensystem) zu verantworten und deshalb auch bereits »Ausdruck der Problematik der vielseitigen

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Persönlichkeit« war (11.42 Guthke 1977, S. 88). Gerade die unentwegte Überarbeitung seiner Gedichte zeigt, wie sehr sie Haller auch später noch »am Herzen« lagen, wie sehr er darin auch im Alter noch seine persönliche Problematik artikuliert und gespiegelt fand. »Denn der Konflikt zwischen wissenschaftlich-rationaler Erkenntnis und calvinistischer Gläubigkeit, der den Kosmos des Universalisten Haller zerreißt, wird ja gerade in der Dichtung ausgetragen und als Problem thematisiert« (ebda.). Insofern eröffnet dieses Produkt seiner Nebenstunden einen zentralen Zugang zu seiner gebrochenen und nicht zuletzt deshalb bereits modern anmutenden Suche nach Selbst- und Weltorientierung. b) Zuchtmeisterin Natur - >Die Alpen< So übermächtig und offenkundig wie in keinem anderen Land Europas bestimmte die Natur in Gestalt der majestätischen, aber unwirtlichen Gebirgswelt der Alpen die Lebensbedingungen ihrer Bewohner. Für Einheimische wie Durchreisende blieben sie deshalb bis ins 18. Jahrhundert hinein vor allem ein Ort des Schreckens, ein »Rest und Zeichen« der durch Gottes Zorn in der Sintflut »geborstnen Welt« (wie Brockes in seinem Gedicht >Die Berge< die verbreitete Theorie von Thomas Burnets >Telluris theoria sacra < kritisch referierte; II Brockes A, S. 128; vgl. dazu IV Kemper II, S. 365f.; III Zelle 1987b, S. 244ff.). Andererseits hatte man schon früh begonnen, die Berge unter dem Aspekt des Nutzens als sinnvollen Bestandteil der Schöpfung zu betrachten. Kein Geringerer als Johann Arndt pries im >Wahren Christentum< die Berge als »GOttes Schaz-Kammer / darinn allerley Metall durch die Natur bereitet wird. Denn sie sind als naturliche Destillir-Oefen / darinn GOtt alle metallische / mineralische Dinge kochet und zeitiget. . . . Ja es lehret die Erfahrung / daß die kräftigste Krauter auf den hohen Gebürgen wachsen / von wegen der Influenz des Himmels« (II Arndt Buch 4, S. 34f.). Auch die Physikotheologen - unter ihnen der Schweizer Scheuchzer und Brokkes - versuchten die Existenz der Berge unter dem Aspekt ihres Nutzens im Schöpfungs-Ordo zu legitimieren, und der Schweiz-Reisende Gilbert Burnet hatte bereits nachdrücklich auf das Paradox verwiesen, daß die Schweizer trotz der Kargheit der Landschaft in besseren Verhältnissen lebten als die armen Einwohner in den landschaftlich gesegneten Ländern Frankreichs und Englands (vgl. II G. Burnet, S. 114ff.; zur Vorgeschichte der Alpenliteratur vor allem in der Poesie vgl. 11.42 Sechi, S. 261 ff.). - An solche Tendenzen knüpfte Haller an, um gerade in der Unwirtlichkeit der Lebensbedingungen den entscheidenden Grund für den - wie er prätendierte - real existierenden paradiesischen Zustand des Alpenlandes und seiner Bewohner zu erblicken.

2) Lehrdichtung als Aufklärungskritik (Haller)

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Das Gedicht läßt sich in drei große Teile gliedern: Im ersten (Str. 5-17) schildert der Autor das insbesondere vom ins Herz gesenkten Moralgesetz beherrschte »natürliche« gesellschaftliche und private Leben der Alpenbewohner. Im zweiten Teil (Str. 18-32) gelangt die Alpen-Landschaft als die den Tages- und Jahreszeiten-Rhythmus der Menschen bestimmende Macht ins Blickfeld, im dritten Teil erfolgt dann die besonders berühmt gewordene Beschreibung der Gebirgswelt selbst mit ihrer Majestät und Schönheit (Str. 32-44). In sich werden diese Teile ebenfalls auffällig durch ein strophisches Dreier-Prinzip gegliedert, bei dem jeweils drei - auf je eine Strophe verteilte - thematische Aspekte die politischen, sozialen, kulturellen Zustände sowie den Verlauf eines Alpentags und -Jahres schildern (im politischen Bereich etwa: Str. 5 »Einfalt«, Str. 6 »Freiheit«, Str. 7 »Eintracht«; bei der »Geselligkeit« der Jugend Str. 11 Sport, Str. 12 Tanz, Str. 13 Liebe usw. Vgl. dazu im einzelnen IV Kemper II, S. 426ff.; möglicherweise hat sich Haller dabei vom Triadenschema der Pindar-Ode mitinspirieren lassen; vgl. zu diesem III J. Schmidt 1985, S. 204ff.). Das ganze Gedicht scheint in dem, wie es und was es darstellt, der Naturnachahmung verpflichtet zu sein (vgl. dazu auch 11.42 Sechi, S. 270ff.). - >Die AlpenAlpen< - als einen »malenden«, also naturbeschreibenden Dichter zu charakterisieren. Im Vergleich zu Brokkes, der in seinen Deskriptionen geradezu schwelgte und mit dem detailgenauen Konterfei der Gegenstände modernes empirisches Interesse, ästhetisches Vergnügen, moralische Besserung (durch imaginativen Mitvollzug) und sakramentales Gotteslob zu vereinen suchte, sind Hallers Beschreibungen durch die Alexandrinerverse und -Strophen enge Grenzen gesetzt, die jedes sich verselbständigende »Ausmalen« schon im Ansatz unterbinden. Das gilt selbst für die wenigen Strophen aus den >A1-

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penLaokoon< vor, er verfehle mit dieser Vergleichskategorie der Beschreibung »des Zwecks, den ein Dichter bey solchen Gemälden sich vorgesetzt hat«, und damit reklamierte er im Grunde für sich jene Position des »dogmatischen Dichters«, dem Lessing die Deskription als Mittel zugestanden hatte, wenn es »auf das Täuschende nicht ankömmt, wo man nur auf deutliche und soviel möglich vollständige Begriffe gehet« (L, S. 126f.). Für Haller ist der Dichter wie dem Philosophen so dem Maler gerade dadurch überlegen, daß er nur das Charakteristische hervorhebt und zugleich auch das Unsichtbare und Inwendige darzustellen vermag: »Er will blos einige merkwürdige Eigenschaften des Krautes bekannt machen, und dieses kann er besser als der Mahler: denn er kann die Eigenschaften ausdrucken, die inwendig liegen, die durch die übrigen Sinne erkannt, oder durch Versuche entdeckt werden« (T I, S. 277). Und eben das Inwendige, die »schönre Seele« ist der am Schluß der zitierten Strophe ausgesprochene lehrhafte Zweck, den die ausgewählten Naturbilder mit ihrer Realistik beglaubigen sollen. Insofern trifft auch auf den Verfasser der >Alpen< Schillers Definition eines sentimentalischen Dichters zu: »Dieser reflektiert über

2) Lehrdichtung als Aufklärungskritik (Haller)

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den Eindruck, den die Gegenstände auf ihn machen . . . Der Gegenstand wird hier auf eine Idee bezogen, und nur auf dieser Beziehung beruht seine dichterische Kraft.« (II Schiller NSD, S. 720; vgl. dazu 11.42 Kohlschmidt, S. 21 f., 33). Und in der Charakterisierung Hallers als eines Lehrdichters pointiert Schiller diesen Zug: »Nur überwiegt überall zu sehr der Begriff in seinen Gemälden, so wie in ihm selbst der Verstand über die Empfindung den Meister spielt. Daher lehrt er durchgängig mehr, als er darstellt, und stellt durchgängig mit mehr kräftigen als lieblichen Zügen dar.« (NSD, S. 733; zu Haller als »Ideendichter« auch in den >Alpen< vgl. ferner 11.42 Hirzel, S. LXIX; IV Buch, S. 97ff.) Erst wenn Idee oder Gedanke sich ganz im Medium der poetischen Bildlichkeit und Emotion ausdrücken, wäre der Schritt von der Lehrdichtung zur Gedankenlyrik vollzogen, der Haller immerhin mit einem Gedicht bereits gelungen ist (vgl. Kap. II 2 c). Unter dem Aspekt von Lehrdichtung und Gedankenlyrik wirkt Haller, der Lieblingsdichter Kants und Schillers, in der Tat moderner als Brockes: Einerseits wählte er wie dieser um der Plausibilität und Authentizität der Darstellung und ihrer Botschaft willen die Natur selbst als historisch und empirisch verifizierbares Sujet, und er beglaubigte seine »Malerei« auch noch durch zahlreiche gelehrte Anmerkungen (z. B.: »Diese ganze Beschreibung ist nach dem Leben gemalt«, A, S. 7; »Alle diese Beschreibungen von klugen Bauern sind nach der Natur nachgeahmt«, ebda., S. 13; vgl. ebda., S. 17 u. ö.). Andererseits hob er aber im Unterschied zu Brockes zumeist nur das sprechende Detail als »pars pro toto« hervor und entsprach damit den poetologischen Einsichten seiner fortschrittlichen Zeitgenossen. So beruhte für Breitinger die illusionsstiftende Anschaulichkeit »auf einem expliziten oder immanenten Detaillieren der Gegenstände der Darstellung«, die »geschickt gewählt« werden müßten (III Willems, S. 329f.). Ähnlich hatte Addison im Anschluß an Descartes' > Passions de l'äme< die auf der Ideenassoziation beruhende Theorie entwickelt, daß eine Vorstellung - ein »suggestives Detail« - im Leser bereits einen ganzen Ideenkomplex hervorrufe; auch nach Ansicht Diderots genügte bereits die Wiedergabe einer Einzelheit, um das Ganze zu evozieren (ebda., S. 331). Alexander Gottlieb BAUMGARTEN (1714-1762) formulierte die Einsicht, »cum phantasmate partiali totale repraesentare« sei besonders poetisch, bereits in seiner ästhetischen Frühschrift von 1735 (II MP, S. 30) und beeinflußte damit die zurückhaltende erotische Muse der Anakreontiker (vgl. Kap. II4 c). Auch Klopstock sollte sich dann dieses poetischen Verfahrens bedienen (vgl. 11.51 Kaiser, S. 287ff.). In dieser Theorie spiegelt sich aber auch die kulturgeschichtliche Entwicklung von der Autorität des vorgegebenen

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Textes hin zur Sinndeutung des sich autonomisierenden Lesers. Indem zu genaue poetische Deskription ab Mitte des Jahrhunderts zunehmend als Gängelung der Phantasie und als langweilig empfunden wurde, manifestiert sich darin ferner neben einer Ausdifferenzierung der Gattungen (Lyrik galt nun als Gattung der >kurzen< Texte) die von Büchermarkt und Wissensexplosion herausgeforderte Tendenz zum Viel- und Schnell-Lesen, und bei diesem wurden Rezeptionstechniken favorisiert, die sich um der Leseeffektivität und Gedächtnissicherung willen an der Selektivität und Exemplarik der Darstellung zu orientieren vermochten (vgl. dazu Bd. VI). Hallers Auswahlgesichtspunkt, der auch der zitierten Strophe über das Schlußepimythion hinaus zugrundeliegt, »wird von der ideologischen Opposition >Natur< gegen >Zivilisation< geprägt« (III Zelle 1987b, S. 252). Die - erst in der zweiten Auflage hinzugefügte - Eingangsstrophe stellt das Gedicht unter diese Thematik (vgl. dazu auch II ShaftesburyM, S. 166f, 186f.): »Versuchte, ihr Sterbliche, macht euren Zustand besser, Braucht, was die Kunst erfand und die Natur euch gab; Belebt die Blumen-Flur mit steigendem Gewässer, Teilt nach Korinths Gesetz gehaune Felsen ab; Umhängt die Marmor-Wand mit persischen Tapeten, Speist Tunkins Nest aus Gold, trinkt Perlen aus Smaragd, Schlaft ein beim Saitenspiel, erwachet bei Trompeten, Räumt Klippen aus der Bahn, schließt Länder ein zur Jagd; Wird schon, was ihr gewünscht, das Schicksal unterschreiben, Ihr werdet arm im Glück, im Reichtum elend bleiben!« (A, S. 3f.)

Alle Bilder - durchweg »suggestive Details« - sind leicht auf den zivilisationskritisch-rationalen Begriff zu bringen. Das Gedicht beginnt ironisch - mit einer aufklärerischen Maxime und identifiziert bezeichnenderweise (vgl. V/1 Einleitung d) zentrale Bestandteile dessen, was heutzutage unter >Barock-Kultur< subsumiert wird, mit dieser rationalen Naturbeherrschung: die Springbrunnen der Barockgärten, die die physikalischen Naturgesetze auf den Kopf stellen (»steigende Gewässer«), die als unnatürlich empfundene barocke Architektur, die verschwenderische und verzärtelnde Hof-Kultur des Feudalabsolutismus auf der einen und dessen egoistisch-brutale Willkürherrschaft (Krieg, Jagd) auf der anderen Seite, die Haller zu dieser Zeit vor allem in Württemberg kennengelernt hatte (vgl. G, S. 227; >Im WürttembergischenA1penAlpen< keineswegs mit der Schweiz ineinssetzen darf, läßt sich jener gegen die Städte gerichtete Teil der Zivilisationskritik durchaus auch auf die korrupten Zustände und >verdorbenen Sitten< von Hallers Heimatstadt Bern beziehen (vgl. dazu Kap. II 2 a; vgl. dazu auch 11.42 van Cleve, S. 386f.): »Elende! rühmet nur den Rauch in großen Städten, Wo Bosheit und Verrat im Schmuck der Tugend gehn, Die Pracht, die euch umringt, schließt euch in güldne Ketten, Erdrückt den, der sie trägt, und ist nur ändern schön. Noch vor der Sonne reißt die Ehrsucht ihre Knechte An das verschloßne Tor geehrter Bürger hin, Und die verlangte Ruh der durchgeseufzten Nächte Raubt euch der stete Durst nach nichtigem Gewinn. Der Freundschaft himmlisch Feur kann nie bei euch entbrennen,

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Wo Neid und Eigennutz auch Brüder-Herzen trennen.« (A, S. 21)

Dem Adel und dem Stadtbürgertum stellt Haller die bäuerlichen Bewohner des Hochalpenlandes gegenüber: »Ihr Schüler der Natur, ihr kennt noch güldne Zeiten! Nicht zwar ein Dichterreich voll fabelhafter Pracht; Wer mißt den äußern Glanz scheinbarer Eitelkeiten, Wann Tugend Müh zur Lust und Armut glücklich macht? Das Schicksal hat euch hier kein Tempe zugesprochen, Die Wolken, die ihr trinkt, sind schwer von Reif und Strahl; Der lange Winter kürzt des Frühlings späte Wochen, Und ein verewigt Eis umringt das kühle Tal; Doch eurer Sitten Wert hat alles das verbessert, Der Elemente Neid hat euer Glück vergrößert.« (Ebda., S. 4f.)

Die Alpenbewohner sind »Schüler der Natur«, indem sie nicht aus dem von ihr verordneten Jahres- und Lebenszyklus auszubrechen, sondern sich ihm im Sinne eines einfachen, »natürlichen« und damit gesunden Lebens - durchaus im Horizont stoischer Tugendhaftigkeit - unterordnen und gewisse in der umgebenden Natur waltende Gesetze wie das des »Maßes« in Herstellung und Gebrauch der für den Lebensunterhalt notwendigen Dinge wie auch in der Lebensgestaltung selbst nachahmen: »Hier herrschet die Vernunft, von der Natur geleitet, Die, was ihr nötig, sucht und mehrers hält für Last. Was Epictet getan und Seneca geschrieben, Sieht man hier ungelehrt und ungezwungen üben.« (Ebda., S. 6)

Natur erscheint hier also in Form und Funktion jenes unwandelbaren Moralgesetzes, das dem Thomasianischen Herzen eingegeben ist (»Und hier hat die Natur die Lehre, recht zu leben, / Dem Menschen in das Herz und nicht ins Hirn gegeben«; ebda., S. 7) und für ein tugendhaftes, glückliches Leben sorgt. Selbst wo die Aare den armen Bergbewohnern das Gold vor die Füße spült, lassen sie es unberührt: »Der Hirt sieht diesen Schatz, er rollt zu seinen Füßen, / O Beispiel für die Welt! er siehts und läßt ihn fließen« (ebda.). Indessen mit dem Verzicht auf die »güldnen Ketten«, in die das Gold seine Besitzer mit allen negativen moralischen und gesellschaftlichen Folgen einschließt, ketten sich die Älpler nur umso mehr an die äußere Natur, die ihnen nur die Befriedigung ihrer mit calvinistischer Strenge und (Selbst-)Disziplin abgerungenen elementaren Bedürfnisse gewährt und sie damit in einem quasi-archaischen Zustand erhält (Str. 18ff.), der

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schließlich auch das Sterben dem natürlich-kreatürlichen Gesetz vom Werden und Vergehen subsumiert: »Nichts ist, das euch erdrückt, nichts ist, das euch erhebet, / Ihr lebet immer gleich und sterbet, wie ihr lebet« (ebda., S. 22). Über ein Weiterleben oder über Gott schweigt sich das Gedicht aus: Neben innerem und äußerem Zuchtmeister scheint die Natur als Schicksal auch noch die Rolle Gottes zu besetzen, und sie spielt sie genauso streng wie der ernste, zornige und gerechte Gott des Calvinismus. So betrachtet, verlieren die >Alpenidyllischen< Sonderstatus innerhalb des Hallerschen Werkes (vgl. dazu 11.42 Kohlschmidt, S. 34ff.). - Wenn die Natur selbst anstelle Gottes ihr >A1penAlpen< wirkungsgeschichtlich bedeutendsten Gedichte Hallers thematisieren - typisch für die Frühaufklärung - Grundprobleme der Religion und der mit dieser konkurrierenden Philosophie. Die von dem Einundzwanzigjährigen 1729 in strophenlosen Alexandrinerversen verfaßten >Gedanken über Vernunft, Aberglauben und Unglauben (A, S. 23-37) bezeugen seinen »Kampf zwischen Wissen und Glauben oder zwischen Wissenwollen und Glaubenwollen«, der »in Hallers Leben niemals zu Ende ausgetragen« wurde (11.42 Elschenbroich, S. 103). Bei dem hochbrisanten Thema macht der junge Autor kräftig vom Eigenrecht der Poesie gegenüber Theologie und Philosophie durch die Vieldeutigkeit und Unklarheit seiner Explikation und Position Gebrauch, wobei die Titelbegriffe die Gliederung des Gedichts vorgeben. Zunächst enthüllt sich die Ambivalenz der Vernunft: einerseits ihre eng begrenzte Leistungsfähigkeit, weil jede gefundene Antwort neue Fragen aufwirft (A, S. 23), andererseits ihr Vermögen, die Gesetze des Weltbaus zu erkennen: »Ein Newton übersteigt das Ziel erschaffner Geister,/ Findt die Natur im Werk und scheint des Weltbaus Meister; / . . . Und schlägt die Tafeln auf der ewigen Gesetze, / Die Gott einmal gemacht, daß er sie nie verletze« (ebda., S. 25). Führt die Vernunft so in der Naturwissenschaft immerhin bis zur Erkenntnis eines - unverkennbar deistischen - Gottes, so vermag der »verwegne Mensch« andererseits zu den viel wichtigeren metaphysischen und ethischen Fragen (nach Selbst-

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erkenntnis sowie nach Gut und Böse) nichts beizutragen, weil er - ein deutlicher Hieb gegen Descartes - sich nur im Zweifel selbst zu begründen imstande sei (»Er hat, weil die Vernunft ihn nur zu zweifeln lehrt, / Sich selbst geoffenbart und seinen Traum verehrt.« Ebda., S. 27). Diese Verse sind als Abschluß des ersten Gedichtteils und als Überleitung zum zweiten freilich wiederum doppeldeutig: Sie stellen die Leistungsfähigkeit der neuzeitlichen Vernunft in Frage und demonstrieren eben damit gleichwohl die Kritik- und Einsichtsfähigkeit der »ratio« im Blick auf die Geschichte ihrer Selbst- und Welterkenntnis, und auch der nachfolgende Aberglaube und seine Geschichte wären ohne die kritische Leistung der Vernunft gar nicht durchschaubar! Haller stellt mit aller Schärfe den von Priestern beherrschten Aberglauben, der sich in Gestalt verschiedener Offenbarungsreligionen auf der Erde verbreitet hat, bloß, und obgleich seine Darstellung aufs Allgemeine zielt und die Anmerkungen sich bemühen, die Verse entschärfend auf die entlegensten historischen Beispiele zu beziehen (so etwa die »geweihten Blätter« - von der Bibel ablenkend - auf die »Oljes der Malabaren« an der »Pfefferküste Vorderindiens«; ebda., S. 28), ist unverkennbar, daß die christliche Religion, insbesondere der Katholizismus, im Zentrum der Hallerschen Kritik des Aberglaubens steht: »Zwei Glauben hat die Welt hierin sich längst erwählet, Da jeder viel verspricht und jeder weit verfehlet. Dem einen dienet jetzt das menschliche Geschlecht, Der Erdkreis ist sein Reich und wer drauf wohnt sein Knecht, Vor seinen Infuln ( = Mitren) muß der Fürsten-Stab sich legen, Für ihn treibt man den Pflug, für ihn zieht man den Degen, Betrug hat ihn erzeugt und Einfalt groß gemacht, Er ist das Joch der Welt und schlauer Priester Pacht. Wer diesen Glauben wählt, hat die Vernunft verschworen, Dem Denken abgesagt, sein Eigentum verloren, Er glaubet, was sein Fürst, und glaubts, weil der es glaubt, Er kniet, wann jener kniet, und raubt, wann jener raubt; Er weiß, soviel er hört und seine Priester leiden; Zahlt heilig Gaukelspiel mit seinem Gut mit Freuden, Tauscht, was er itzt besitzt, für Schätze jener Welt Und schätzt sich seliger, je minder er behält; Soviel der Priester will und die geweihten Blätter, So vielmal teilt er Gott, so viel verehrt er Götter; Und fähret, wann er stirbt, wohin sein Priester sagt, Ist selig auf sein Wort, und, wann er will, geplagt.« (Ebda.)

Im drittletzten Vers setzt Haller, in dessen Poesie Christus und der Heilige Geist ebenso wie bei Brockes keine Rolle spielen, die christlich-tri-

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nitarische Teilung Gottes mit dem Polytheismus auf eine Stufe! Und sein poetischer Abriß der Geschichte des Aberglaubens gipfelt in der berühmt gewordenen Schelte des Konfessionalismus (vgl. dazu auch Gleims Gedicht in Kap. II 2 a): »Wo Glaubens Zweitracht herrscht, stehn Brüder wider Brüder, Das Reich zerstört sich selbst und frisset seine Glieder; Für seines Gottes Ruhm gilt Meineid und Verrat! Was Böses ist geschehn, das nicht ein Priester tat?« (A, S. 31)

Während der Mittelteil des Gedichts mit der Kritik am Aberglauben eindeutig ausfällt, bleibt der anschließende kurze Abschnitt über den Unglauben unklar. Unter diesen Begriff subsumiert Haller jene, die »entweder die Ewigkeit der Seele und die strafende Gerechtigkeit Gottes oder wohl gar das wirkliche Dasein eines obersten Wesens« »leugnen« (ebda., S. 27). Diese Gruppe besteht aus der unheiligen Allianz von »Fürsten«, »Freigeistern«, »Weichlingen« und sogar »Priestern«, die das Wesen der geoffenbarten Religion durchschauen und diese entweder gleichwohl machiavellistisch für ihre Absichten als Unterdrückungsinstrument beibehalten oder zum Zwecke eines möglichst epikuräischen Sichauslebens im Diesseits ohne Angst vor einem personhaft-aktiv in seine Schöpfung strafend eingreifenden Gott ablehnen (V. 223-268). Das ist teilweise aus der Perspektive der zuvor kritisierten Offenbarungsreligion argumentiert, und Haller etikettiert sogar in Übereinstimmung mit den Vertretern von Orthodoxie und Pietismus auch die Anhänger der »Uhrwerk«-Lehre von der prästabilierten Harmonie von Leib und Seele als Ungläubige (vgl. V/1 Kap. 2 c). Indessen dies orthodoxe Signal dient möglicherweise nur als Ablenkungsmanöver, denn im folgenden Abschnitt übernimmt der Autor unausgesprochen wesentliche Grundanschauungen des Deismus! - Die »ratio«, so hat sich gezeigt, durchschaut den Aberglauben und steht nicht zuletzt dadurch in der Gefahr, sich selbst im Unglauben zu verabsolutieren (denn diesem »folget, wer allein auf eigne Weisheit baut«; A, S. 32). Aber Haller nimmt nun selbst wieder den Standpunkt der Vernunft ein und zeigt, daß sie bei dem Versuch versagt, sich selbst zu transzendieren und den »letzten Fragen« auf den Grund zu kommen: Zurück bleibt nur ein allgemeiner Zweifel, und von da aus wäre es konsequent gewesen, wenn die »ratio« nach diesem Eingeständnis ihrer Inkompetenz in Glaubensfragen das Feld und damit den Triumph der Offenbarung überlassen hätte. Haller indessen folgert, die Vernunft solle von den göttlichen Geheimnissen gar nichts verstehen (V. 269-324; ebda., S. 32ff.) und sich eben deshalb mit der bereits an Newton demonstrierten empirisch-aposteriorischen Gotteserkenntnis begnügen:

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»Genug, es ist ein Gott; es ruft es die Natur, Der ganze Bau der Welt zeigt seiner Hände Spur. Den unermeßnen Raum, in dessen lichten Höhen Sich tausend Welten drehn und tausend Sonnen stehen, Erfüllt der Gottheit Glanz. Daß Sterne sonder Zahl Mit immer gleichem Schritt und ewig hellem Strahl, Durch ein verdeckt Gesetz vermischt und nicht verwirret, In eignen Kreisen gehn und nie ihr Lauf verirret, Macht ihres Schöpfers Hand; sein Will ist ihre Kraft, Er teilt Bewegung, Ruh und jede Eigenschaft Nach Maß und Absicht aus. Kein Stein bedeckt die Erde, Wo Gottes Weisheit nicht in Wundern tätig werde; Du wirst im Raum der Luft und in des Meeres Gründen Gott überall gebildt und nichts als Wunder finden.« (Ebda., S. 35)

Mit dem »Genug, es ist ein Gott« wird freilich zugleich der erste Artikel der natürlichen Religion Herberts von Cherbury zitiert (vgl. Kap. I 2 c), und die Interpretation der Newtonschen Zentrifugal- und -petalkräfte als »Gottes Wille« bietet ebenfalls die Möglichkeit, Gott in deistischem Sinne zu verstehen. Indessen eröffnet Haller wie Brockes auch noch eklektisch ein pantheistisches Gottesverständnis, wenn er Gott als in der gesamten Natur wirkend und »überall gebildt« findet, als den, der »in allem strahlt«, was empirisch-sinnlich wahrnehmbar ist. Die göttliche Offenbarung selbst leugnet Haller als Faktum nicht, grenzt sie aber nochmals ausdrücklich von der Vernunfterkenntnis aus: »Zu stammelnd für den Schall geoffenbarter Lehren / Soll die Vernunft hier Gott mit eignem Lallen ehren. / Sie führt uns bis zu Gott, mehr ist ein Überfluß.« (A, S. 36) Die Mittelzeile bedeutet faktisch die Übernahme von Artikel 2 der Herbertschen Religion, wonach die Verpflichtung besteht, Gott und nur ihm - vernünftig zu dienen. Und abschließend vollzieht das Gedicht im Beschwören des Ikaros-Mythos und im Ausmalen eines Erdenglücks jene anthropozentrische Kehre, die sich auch bei anderen Autoren der Frühaufklärung als Resultat des »heliozentrischen Schocks« beobachten läßt (vgl. Kap. I 2 b): »Was hilft es, himmelan mit schwachen Schwingen fliegen, Der Sonne Nachbar sein und dann im Meere liegen? Vergnügung geht vor Witz; auch Weisheit hält ein Maß, Das Toren niedrig dünkt und Newton nicht vergaß. Wer will, o Stähelin! ist Meister des Geschickes, Zufriedenheit war stets die Mutter wahren Glückes. Uns ist die Seelen-Ruh und ein gesundes Blut, Was Zeno nur gesucht, des Lebens wahres Gut;

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Uns soll die Wissenschaft zum Zeitvertreibe dienen, Für uns die Gärten blühn, für uns die Wiesen grünen; Uns dienet bald ein Buch und bald ein kühler Wald, Bald ein erwählter Freund, bald wir zum Unterhalt; Kein Glück verlangen wir, ein Tag soll allen gleichen, Das Leben unvermerkt und unbekannt verstreichen; Und, ist der Leib nur frei von siecher Glieder Pein, Soll uns das Leben lieb, der Tod nicht schrecklich sein!« (A, S. 36f.)

Das ist der Entwurf eines »irdischen Vergnügens« im Sinne einer aufklärerischen »Glückseligkeit auf Erden« (vgl. V/l Kap. l a), die sich nicht mehr von einer geoffenbarten Jenseitshoffnung her die Lebensperspektive vorschreiben und einschränken läßt, sondern die sich am Maßstab eines vernünftigen Beachtens dessen orientiert, was dem Menschen »von Natur aus« vorgeschrieben zu sein scheint. Damit stimmt dieses Ideal durchaus mit deistischen Vorstellungen überein, wie sie Tindal mit der Konzentration auf die irdische Selbstverwirklichung des Menschen formulierte: »Mit einem Wort, wer seine natürlichen Begierden so einrichtet, daß sie den Gebrauch seiner Vernunft, die Gesundheit seines Leibes und das Vergnügen seiner Sinnen befördern, und zwar dieses alles zugleich und zusammengenommen (denn in diesen Stücken bestehet die Glückseligkeit des Menschen): der ist versichert, daß er seinen Schöpfer niemals beleidigen kan. Denn da derselbe alle Dinge nach ihrer eigenen Natur regiret: so kan er von seinen vernünftigen Geschöpfen nichts anderes erwarten, als daß sie sich ihrer Natur gemäß verhalten sollen.« (II Tindal, S. 27)

Bei Haller klingt das - u. a. durch den Hinweis auf Zenon (ca. 336-ca. 264 v. Chr.), den Begründer der älteren Stoa - entsagungsvoller, so daß epikureische Mißverständnisse nicht auftreten können. Umso mehr aber theologische! Die These, daß Haller in diesem Gedicht »den festen Boden der positiven Religion« nicht verlassen habe (so 11.42 Siegrist, S. 28), ist jedenfalls am Wortlaut des Textes schwerlich zu verifizieren. Dieser und die Erregung der konservativen Zeitgenossen (vgl. 11.42 Hirzel, S. CXVIff.) sprechen eher für eine Deismus-Nähe dieses Werkes, das auch der späte, offenbarungsgläubige Haller nicht stärker korrigiert hat (hier wurde der Wortlaut der letzten Ausgabe zugrundegelegt), weil es die Gottesverehrung in den Grenzen der Vernunft aufzeigt, die ihm selbst nicht mehr genügte, die aber doch seine bleibenden vernünftigen Zweifel an der Offenbarung treffend zum Ausdruck brachte.

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Im Grunde hatte der junge Berner Nebenstunden-Poet in diesem Gedicht bereits ein vernichtendes Bild von der Religion, von der Schwäche der menschlichen Konstitution und der Begrenztheit seiner Erkenntnisfähigkeit gezeichnet, und sein satirischer Blick auf die >Verdorbenen Sitten< thematisierte implizit bereits die große, von Pierre Bayle wirkungsvoll wieder aufgeworfene und vor allem von Leibniz beantwortete Frage nach dem >Ursprung des Übels< und damit nach der Theodizee (zum >Problem der Theodizee< vgl. III Saine 1987, S. 68ff.). Mehr als ein Jahr arbeitete Haller an seinem berühmten Gedicht, das in der zweiten Auflage seiner Gedichtsammlung erschien (A, S. 53-74). Während der Entstehungszeit fertigte er sich ein Referat der Leibnizschen >Theodizee< an (vgl. 11.42 Guthke 1967); daraus geht unter anderem hervor, »daß er das Problem von Leibniz nicht gelöst sah; denn es schließt mit der halb triumphierenden, halb resignierenden Bemerkung: >Auch Leibniz muß schließlich seine Zuflucht zu der Unergründlichkeit der Ratschlüsse Gottes nehmen, um ihn genügsam rechtfertigen zu könnenEpistle< des >Essay on Man< kannte Haller dagegen nicht; vgl. 11.42 Guthke 1975, S. 110). - Das in drei Bücher geteilte Lehrgedicht >Über den Ursprung des Übels< beginnt mit dem aposteriorischen Gottesbeweis, der für das vorherige Gedicht der Weisheit letzter Schluß war: »Ja, alles, was ich seh, sind Gaben vom Geschicke! / . . . Und alles trägt des höchsten Gutes Spur!« (A, S. 55) Mit Eintritt der Dämmerung indessen entfaltet sich dem auf sich selbst zurückgeworfenen Ich eine der physikalischen Schönheit entgegengesetzte »innre Welt« voll moralischer Verderbnis, die »der Hölle gleich« ist und wo »Qual und Laster herrscht« (ebda., S. 57). Und diese Einsicht führt dann bis zum klassischen Ausgangspunkt der Theodizeeproblematik, zur Frage nämlich, ob Gott bei soviel Pein in der Welt nicht besser daran getan hätte, diese erst gar nicht zu schaffen: »Elende Sterbliche! zur Pein erschaffne Wesen! O daß Gott aus dem Nichts zum Sein euch auserlesen! O daß der wüste Stoff einsamer Ewigkeit Noch lag im öden Schlund der alten Dunkelheit!« (Ebda., S. 58)

Für Leibniz hatte Gott die Welt aus Güte entstehen und deshalb aus allen möglichen Welten eben dieses vorhandene Universum Wirklichkeit werden lassen, in dem sich ein Optimum an Gutem verwirklichen ließ, wobei durch das Gestaltwerden selbst und durch die Ordnung der Naturgesetze begleitweise gewisse Einschränkungen, Begrenzungen und Übel metaphysischer, physischer (durch Leiden) und moralischer Art

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(durch Sünde) unvermeidlich waren, die indessen zum Teil - und als Strafe begriffen - auch wiederum der Hervorbringung des Guten und damit der Vervollkommnung des Ganzen dienen konnten (vgl. II Leibniz T, S. HOff., 172ff. u.ö.; vgl. dazu III Saine 1987, S. 76ff.). Haller drängt diese Leibnizsche Antwort am Schluß des ersten Buches in einige Alexandrinerverse zusammen, um dann jedoch die Theodizeefrage, die damit doch beantwortet zu sein schien, mit noch größerer Dringlichkeit zu wiederholen: »O Vater! Räch und Haß sind fern von deinem Herzen, Du hast nicht Lust an Qual, noch Freud an unsern Schmerzen, Du schufest nicht aus Zorn, die Güte war der Grund, Weswegen eine Welt vor nichts den Vorzug fund! Du wärest nicht allein, dem du Vergnügen gönntest, Du hießest Wesen sein, die du beglücken könntest, Und deine Seligkeit, die aus dir selber fließt, Schien dir noch seliger, sobald sie sich ergießt. Wie daß, o Heiliger! du dann die Welt erwählet, Die ewig sündiget und ewig wird gequälet?« (A, S. 58)

Das zweite Buch liefert nun vom Schöpfungsakt bis zur Konstitution des schwachen und sündhaften Menschen eine im wesentlichen an Leibniz orientierte Theodizee: »Der Welten würdigste gewann die Würklichkeit«, vom Geisterreich bis hinab »zum öden Nichts« in einer gestuften Kette des Seins verbunden (ebda., S. 60); Geister und Menschen erhielten den freien Willen (und damit auch die Wahl zum Bösen): »Dann Gott liebt keinen Zwang, die Welt mit ihren Mängeln / Ist besser als ein Reich von willenlosen Engeln« (ebda.; vgl. dazu II Leibniz T, S. 178ff.). Der Mensch wiederum besitzt innerhalb der Kette als »Zweideutig Mittelding von Engeln und von Vieh« »Im Himmel und im Nichts sein doppelt Bürgerrecht« (A, S. 62f.; vgl. zu diesem in der Renaissance und von Erasmus erneuerten Menschenbild Bd. I, S. 71 f., 91 ff.), und Gott hat ihn mit vier Einrichtungen so ausgestattet, daß er sich jederzeit für das Gute hätte entscheiden können: mit den »Trieben« der Selbst- und Nächstenliebe (A, S. 63), mit dem Gefühl als körperlichem Wächter für die Übel des Leibes und dem geistigen Wächter des Gewissens als »Der Werke Richterin, der Probstein unsers Tuns: / Vom Himmel stammt ihr Recht; er hat in dem Gewissen / Die Pflichten der Natur dem Menschen vorgerissen« (ebda., S. 65). Mit dieser Rechtfertigung Gottes endet der zweite Teil, und es scheint so, als wolle das dritte und entscheidende Buch nun den geschaffenen Wesen selbst die ganze Schuld für die Übel in der Welt zuschreiben, dem durch Luzifers Aufstand gefallenen »Geister-Orden« ebenso wie

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»Adams schwachen Kindern« (ebda., S. 67f.). Indessen unter der Hand kehrt sich die Theodizee nun in eine Angelo- und Anthropodizee um: Die Engel waren beim luziferischen Aufstand nur ihrem anerschaffenen Trieb zur Vergöttlichung gefolgt (»Ihr allzu starker Trieb nach der Vollkommenheit / Ward endlich zum Gefühl der eignen Würdigkeit«, ebda., S. 67), und die Menschen vermochten wegen ihrer schwachen psychosomatischen Konstitution dem Übel zu wenig Widerstand entgegenzusetzen : »Das Übel, dessen Macht den Himmel konnte mindern, Fund wenig Widerstand bei Adams schwachen Kindern. Zudem, was endlich ist, kann nicht unfehlbar sein. Das Übel schlich sich auch in uns durch Irrtum ein. Der schwache Geist verlor der Neigungen Verwaltung, Wir wendeten in Gift die Mittel der Erhaltung, Die Triebe der Natur mißkennten Ziel und Maß, Bis das, was himmlisch war, sein höh' Geschick vergaß.« (Ebda., S. 68)

Liest sich das nicht eher als Entschuldigung denn als Anklage des von Gott zu unzulänglich ausgestatteten Menschen? Dies gilt ebenso, wenn Haller aus der Einsicht: »Die Güter der Natur sind endlich und gezählt« (ebda., S. 70), Egoismus und Raffsucht der Menschen herleitet. Hätte eine üppigere Ausstattung der Erde nicht solche Laster verhindern können? Mit der folgenden Frage, welche - gegen Ende des Gedichts! - die Theodizeeproblematik in voller Schärfe wiederholt, gesteht der Autor faktisch das Scheitern seiner aufklärerischen Rechtfertigung Gottes ein: »O Gott voll Gnad und Recht, darf ein Geschöpfe fragen: Wie kann mit deiner Huld sich unsre Qual vertragen? Vergnügt, o Vater, dich der Kinder Ungemach? War deine Lieb erschöpft? ist dann die Allmacht schwach? Und konnte keine Welt des Übels ganz entbehren, Wie ließest du nicht eh ein ewig Unding währen?« (Ebda., S. 73)

Hierauf vermag Haller nicht mehr in Lehr-Form, sondern nur noch in religiöser - gebetshafter und doxologischer - Rede zu antworten (»Verborgen sind, o Gott! die Wege deiner Huld«; ebda.), und in der Forschung ist dieser Schluß denn auch mehrfach als unglaubwürdiger Sprung in den Glauben an den »Deus absconditus« kritisiert worden (vgl. 11.42 Siegrist, S. 29ff.; Guthke 1977, S. 92). In der Tat ist er von tiefgreifender Ambivalenz. Auf der einen Seite wird die Argumentation der Theodizee in gedrängter Form - aber nun nicht mehr im Modus des Wissens, sondern des Glaubens - und der Hoffnung darauf wiederholt,

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»Daß Gott die späte Reu sich endlich läßt gefallen, / Uns alle zu sich zieht und alles wird in allen«, daß das Böse und das Übel in der Welt sich dadurch doch nur als Inzitament des Guten in der Hand des gütigen Gottes erweisen. Mit Leibniz (vgl. T, S. 108ff.) minimalisiert Haller das Erden-Übel im Vergleich zum sonstigen unendlich gut geschaffenen Universum und gibt ihm dadurch noch einen positiven Sinn im Schöpfungsganzen: »Vielleicht ist unsre Welt, die wie ein Körnlein Sand Im Meer der Himmel schwimmt, des Übels Vaterland! Die Sterne sind vielleicht ein Sitz verklärter Geister, Wie hier das Laster herrscht, ist dort die Tugend Meister, Und dieses Punkt der Welt von mindrer Trefflichkeit Dient in dem großen All zu der Vollkommenheit;. . .« (A, S. 73)

Schließlich verweist er - physikotheologisch argumentierend - auf den zweckmäßig organisierten menschlichen Körper, der »ein stetes Muster scheinet / Von höchster Wissenschaft, mit höchster Huld vereinet!« (Ebda., S. 74) Und im erneuten doxologischen Ausruf vollendet das Gedicht die Rechtfertigung des guten, seine Geschöpfe liebenden Gottes: »Nein, deine Huld, o Gott, ist allzu offenbar! Die ganze Schöpfung legt dein liebend Wesen dar: Die Huld, die Raben nährt, wird Menschen nicht verstoßen, Im Kleinen ist er groß, unendlich groß im Großen.« (Ebda.)

Aber damit entschuldigt und rechtfertigt es auf der anderen Seite zugleich den Menschen, indem es ihm die Rolle absoluter kosmologischer Minderwertigkeit zuspricht, die im Schöpfungsplan des - calvinistisch gedachten - »deus absconditus« vor(her)gesehen war. Als »Gnad und Weisheit« wird sich dieses Handeln erst herausstellen, »Wann unser Geist gestärkt dereinst dein Licht verträgt« (ebda.). So bleibt dem Menschen in seinem Elend nur diese Hoffnung, und damit dient hier das Denkgebäude der Leibnizschen Theodizee letztlich doch nur der Rechtfertigung des unverfügbaren calvinistischen Gottes, dessen Gnade der Mensch nicht sicher sein kann, auf die er aber eben deshalb angewiesen ist, weil es Gott gefallen hat, ihm besonders >übel< mitzuspielen. Kein Wunder, daß Haller noch im Alter bekannte, er habe dieses Lehrgedicht »allemal mit einer vorzüglichen Liebe angesehen« (ebda., S. 53). Zugleich reklamierte er dafür Unabhängigkeit vom Aussagemodus der Philosophie: »Aber ein Dichter ist kein Weltweiser, er malt und rührt und erweiset nicht« (ebda.). Und in der Tat verhilft ihm hier nur das Medium der Poesie durch Komprimierung, Selektion, metaphori-

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sehe Einkleidung der Gedanken, durch die »rührende« Metabasis in das Genos des Gebets zu einer Vieldeutigkeit der Bild- und Gedankenwelt, welche die aufklärerische Theodizee im dichterischen Vollzug letztlich zum Scheitern vor der Souveränität und Unbegreiflichkeit Gottes führt! Damit erwies Haller die Kraft und Leistungsfähigkeit einer spezifisch poetischen Weltauslegung, die sich weit über den häufig planen Aufklärungsoptimismus seiner Zeitgenossen erhob und ihm die Achtung auch jener Philosophen eingetragen hat, die wie Kant die Fragwürdigkeit der Denkvoraussetzungen einer philosophischen Rechtfertigung Gottes erkannten und damit die Theodizee tatsächlich in das Reich des Glaubens - und der Poesie verwiesen (vgl. dazu und zu weiteren Theodizee-Dichtungen der Aufklärung III Saine 1987, S. 83f., 89ff.). Am stärksten beeindruckt freilich zeigten sich Kant und Hegel, aber auch Schiller von Hallers Unvollkommenem Gedicht über die Ewigkeit (1736), mit dem dieser seine philosophische Dichtung abschloß und seine aufklärungskritische und theodizeeskeptische Haltung aufs äußerste radikalisierte. »Wenn es je dichtendes Philosophieren, denkendes Dichten gegeben hat, so hier«, urteilt wiederholt Guthke und hebt dabei die Verquickung von »abstrakter Vernunft und visueller Kraft der Imagination« als besonders eindrucksvoll hervor (11.42 1977, S. 93; 1979, S. 142; 1988, S. 77). Haller selbst war sich in der Gattungsbezeichnung unschlüssig und nannte das Gedicht zeitweilig Ode (vgl. 11.42 Siegrist, S. 31). Tatsächlich enthält es die für die neuen, religiös-moralischen Oden charakteristischen feierlichen, ja pathetischen (also eigentlich hymnischen) Elemente und ein der Klopstockschen Ode verwandtes erhabenes Thema, gleichwohl überwiegt insgesamt die Absicht einer mit philosophischem Anspruch konzipierten, umfassenden Selbstbestimmung und Weltorientierung, wie sie auch seine anderen Lehrgedichte zu leisten versuchten. Im Unterschied zu deren objektivierendem Charakter dominiert im Unvollkommenen (d. i. unvollendeten) Gedicht über die Ewigkeit < aber das subjektive, emotionale Engagement des lyrischen Ichs, welches von Anfang bis Ende als Erlebnis- und Reflexionszentrum des Gedichts fungiert. Wenn sich demnach der Übergang von der Lehrdichtung zur Gedankenlyrik als Tendenz zur Subjektivierung und Prozessualisierung - zur »allmählichen Verfertigung« der Gedanken, Einsichten und Gefühle im Gedichtverlauf - und damit insgesamt als »Lyrisierung der Didaxe« kennzeichnen läßt (so IV Jäger 1970, S. 568ff.), dann handelt es sich hier um das dem Gattungstyp der Gedankenlyrik am nächsten stehende Gedicht Hallers. Trotz seines Fragmentcharakters vollzieht es - zumeist in der Form von beweglichen Madrigalversen - im

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Medium der häufig hypertrophen Bilder, die nicht mehr eigens - wie noch in den >Alpen< - auf den Begriff gebracht werden müssen, und in emotional und gedanklich sich intensivierenden Anläufen im Bezug zur Ewigkeit eine zutiefst pessimistische und melancholische Welt- und Selbstbestimmung des Ich. Das Gedicht beginnt mit einem Natureingang, der unverkennbar an die Tradition des »locus terribilis« und an die melancholische Landschaft anknüpft (vgl. dazu III Watanabe-O'Kelly, S. 42ff. u. ö.; zur Melancholie V/l Kap. l d; I 3 a; vgl. ferner Bd. I, S. 246ff.): »Ihr Wälder! wo kein Licht durch finstre Tannen strahlt Und sich in jedem Busch die Nacht des Grabes malt; Ihr hohlen Felsen dort! wo im Gesträuch verirret Ein trauriges Geschwärm einsamer Vögel schwirret; Ihr Bäche! die ihr matt in dürren Angern fließt Und den verlernen Strom in öde Sümpfe gießt; Erstorbenes Gefild und grausenvolle Gründe, O daß ich doch bei euch des Todes Farben fünde! O nährt mit kaltem Schaur und schwarzem Gram mein Leid! Seid mir ein Bild der Ewigkeit! Mein Freund ist hin! Sein Schatten schwebt mir noch vor dem verwirrten Sinn, Mich dünkt, ich seh sein Bild und höre seine Worte; Ihn aber hält am ernsten Orte, Der nichts zu uns zurücke läßt, Die Ewigkeit mit starken Armen fest.« (A, S. 75)

Einsamkeit und Abgeschiedenheit der »erstorbenen« und »grausenvollen« Landschaft, welche die »Nacht des Grabes malt«, »nähren« den »schwarzen Gram« des Ichs über den Tod des Freundes. Dieser relativ konventionelle Natureingang erhält theologische und philosophische Brisanz, weil durch ihn per analogiam der »ernste Ort« der Ewigkeit mit der Vorstellung des Grabes als endgültiger Isolation und Vernichtung verbunden wird. Der kontingent hereingebrochene Tod des Freundes formal symbolisiert durch den Kurzvers »Mein Freund ist hin!« - erschüttert das Ich, veranlaßt seine Meditation über des Verstorbenen jetzigen Aufenthaltsort, der eher der Hölle oder dem Hades als einer christlichen Vorstellung von Ewigkeit zu entsprechen scheint (»Die dicke Nacht der öden Geister-Welt / Umringt ihn jetzt mit schreckenvollen Schatten«; ebda., S. 76) und führt zur Frage nach dem möglichen psychophysischen Fortbestand des Menschen nach dem Tode und damit zum Blick auf die kosmische Totalität der Ewigkeit als Gegenstand der Selbstbestimmung. In der benannten Mischung von Imagination und Reflexion durchlebt das Ich dabei ohne Relativierung und Trost den »heliozentrischen Schock«:

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II. Poesie als »Dollmetsch« der Natur »Unendlichkeit! wer misset dich? Bei dir sind Welten Tag' und Menschen Augenblicke. Vielleicht die tausendste der Sonnen wälzt itzt sich, Und tausend bleiben noch zurücke. Wie eine Uhr, beseelt durch ein Gewicht, Eilt eine Sonn, aus Gottes Kraft bewegt; Ihr Trieb läuft ab und eine zweite schlägt, Du aber bleibst und zählst sie nicht. Ich häufe ungeheure Zahlen, Gebürge Millionen auf; Ich wälze Zeit auf Zeit und Welt auf Welten hin, Und wann ich auf der March (= Grenze) des Endlichen nun bin Und von der fürchterlichen Höhe Mit Schwindeln wieder nach dir sehe, Ist alle Macht der Zahl, vermehrt mit tausend Malen, Noch nicht ein Teil von dir; Ich tilge sie, und du liegst ganz vor mir.« (Ebda., S. 76f.)

Einzelne Teile und ganze Sonnensysteme sind, so zeigt sich, nur scheinbar zeitlos, in Wahrheit zerbrechen und sterben sie analog zum Menschen ebenfalls ab, während andere entstehen. Eine kausale oder Ideologische Ordnung, welche die Physikotheologen letztlich im Kosmos als beglückenden Gottesbeweis glaubten ausmachen zu können, ist für das Ich des Hallerschen Gedichts in diesen Prozessen nicht mehr wahrnehmbar. Auch unser Sonnensystem wird so, wie es kontingent entstand, wieder vergehen (»ein zweites Nichts wird diese Welt begraben«; ebda., S. 77), während die Ewigkeit davon völlig unberührt bleibt (zum häretischen Charakter dieser Vorstellungen vgl. 11.42 Guthke 1983, S. 75ff.). Erst jetzt wendet sich das Ich an Gott, dessen Größe nochmals so unermeßlich über die Ewigkeit hinausragt, daß diese in ihm nur »ein einig Itzt« ist (ebda.) und dessen »feste Kräfte« das Universum tragen. Indessen hypothetisch treibt das Ich die »Analogie der Natur« bis zur Annahme einer Zeit und Ewigkeit ins Nichts auflösenden Vorstellung vom Sinken oder Absterben sogar der göttlichen Schöpferkraft: »Ja könnten nur bei dir die festen Kräfte sinken, So würde bald, mit aufgesperrtem Schlund, Ein allgemeines Nichts des Wesens ganzes Reich, Die Zeit und Ewigkeit zugleich, Als wie der Ozean ein Tröpfchen Wasser, trinken.« (Ebda.)

Im Vergleich zur »Vollkommenheit der Größe« Gottes erweist sich der Mensch nur als »Wurm« und »Sandkorn in der Welt«. »Mein Lebens-

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lauf ist wie ein Mittags-Traum, / Wie hofft er dann, den deinen auszuwähren?« (Ebda., S. 78) Vernichtet geradezu von diesem Versuch einer Selbstbestimmung durch Welt-Orientierung greift das Ich in einem letzten Anlauf - in der u. a. schon durch Pascal und Brockes bekannten »anthropozentrischen Kehre« (vgl. Kap. I 2 b) - auf sich selbst, auf die Geschichte seiner Entstehung und seinen Lebenslauf zurück. Indessen steht schon der Beginn menschlichen Lebens unter dem Geschick der Fremdbestimmung und uneinholbaren Heteronomie - diese Passage ist Widerruf der Descartesschen Selbstbegründung des modernen Subjekts mithilfe des »cogito ergo sum« aus der empiristischen Perspektive des Physiologen Haller: »Ich ward, nicht aus mir selbst, nicht, weil ich werden wollte, / Ein Etwas, das mir fremd, das ich nicht selber war / Ward auf dein Wort mein Ich.« (A, S. 79) Und ebenso steht der ganze Lebenslauf unter dem fremdbestimmten, der menschlichen Physis mitgegebenen Telos unaufhaltsamer Selbstauflösung: »Ich irrte, fehlte, schlief und ward ein Mann! Itzt fühlet schon mein Leib die Näherung des Nichts! Des Lebens lange Last erdrückt die müden Glieder; Die Freude flieht von mir mit flatterndem Gefieder Der sorgenfreien Jugend zu. Mein Ekel, der sich mehrt, verstellt den Reiz des Lichts Und streuet auf die Welt den hoffnungslosen Schatten; Ich fühle meinen Geist in jeder Zeil ermatten Und keinen Trieb, als nach der Ruh!« (Ebda.)

So wie der Körper dem Ende zueilt, so verdüstert sich auf Grund des psychophysischen Konnexes auch die Seele. Die Freude der Jugend wird von Melancholie des Lebens-Herbstes vertrieben. Der Schatten der Hoffnungslosigkeit »verstellt« und vertreibt den »Reiz des Lichts« - eben auch des Lichts der diesseits-, daseins- und zukunftsfrohen Aufklärung. Einerseits hat Haller in einer späteren Vorbemerkung versucht, den häretischen Eindruck dieses Gedichts mit seinem Fragment-Charakter zu entschuldigen, insofern »alle diese Reden Einwürfe haben sein sollen, die ich würde beantwortet haben, wenn ich fähig wäre, diese Ode zu Ende zu bringen« (ebda., S. 75). Andererseits hat Hallers enger Freund Paul Gottlieb Werlhoff (1699-1767), der 1749 einen eigenen Band >Gedichte< publizierte und der während der Entstehungszeit des Gedichts die einzelnen Fassungen brieflich kommentierte, den Autor zum Teil mehrfach ohne Erfolg auf das Häresieverdächtige in seinen Versen hingewiesen (vgl. 11.42 Guthke 1974, S. 537ff.). Offenbar hat Haller auch dieses Gedicht als authentischen Ausdruck seines häufig wiederkehren-

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den Glaubenszweifels und damit auch als gültigen Teil seiner Lebensproblematik betrachtet. Die Form des Fragments sowie das - von Gottsched gerügte - Ungeregelte der Madrigalverse (vgl. 11.42 Hirzel, S. CL) spiegeln das dargestellte universale Chaos, dem keine gegenteilige und formvollendete Sinngebung abzuringen ist. Das Fragment läßt eine gerade für diesen Autor schmerzliche Lücke, provoziert dadurch zusätzlich das Selberdenken des Lesers und behauptet sich zugleich ihm gegenüber mit seinem abrupt-radikalen Ende. Wenn sich in der Melancholie ein Gegenbild zur Ordnung der Funktionsabläufe - sei es der körperlichen Säfte, sei es der gesellschaftlichen Verhaltensweisen oder stellaren Konjunktionen - enthüllt (vgl. III Lepenies 1969, S. 29f.), dann erweist sich das Fragment hier als ihre ungeordnet-adäquate literarische Form. Die ohnehin melancholiekritische (aber auch -anfällige) Aufklärung reagierte »peinlich berührt« auf die 1787 in Auszügen veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen Hallers, die ihn in einem ununterbrochenen, durchaus pietistisch anmutenden Büß- und Glaubenskampf zeigen (vgl. T II, S. 219ff.), und diagnostizierte an seiner »tristitia spiritualis« rasch die Melancholie eines »Hyperorthodoxen«, eines aus übertriebener Religiosität zur Schwermut gelangten Hypochonders (vgl. III Schings, S. 138ff.). Hallers Gedichte indessen waren und sind nicht so einfach aufs Biographische hin zu entlarven und zu entschärfen. Sie erwachsen ganz wesentlich auch aus epochentypischen problemgeschichtlichen Konstellationen, so aus dem für ihn - gerade im kritischen Gebrauch der Vernunft - nicht einlösbaren und deshalb utopischen aufklärerischen Versprechen einer glückhaften Selbstbegründung und -Verwirklichung im Diesseits (etwa durch Betrachten der bestmöglichen Welt und ihres liebenden Schöpfers). So ist gerade die poetische Erscheinungsform der Hallerschen Melancholie eine aus dem Selbstanspruch der Aufklärung erwachsene Kritik an ihrem vielfach spekulativen, weit- und empiriefremden Idealismus und Optimismus. Seine Schwermut destruiert die Ideale, indem er sie im Medium der Poesie »zuendedenkt«, und damit entspringen seine Gedichte aufklärerischem Geist und sind Bestandteil der aufklärerischen Selbstkritik. Der Melancholie, die als »Poetin« zur Selbstreflexion und damit auch zum autobiographischen Dichten neigt (vgl. Bd. I, S. 246ff.), schlägt mit dem aufklärungstypischen Interesse für autobiographische Formen poetischer Selbstaussprache und in Authentizität gründender Sinnstiftung die große Stunde. Das traurig-grüblerische Insistieren auf dem »Gnothi seauton«, die unermüdliche Ich-Suche und Selbsterfahrung auch in den >NachtDer FrühlingSeasons< von James Thomson (1700-1748; vgl. II Brockes JT) stellte; und mit diesem - 1756 in einer überarbeiteten und gekürzten Version veröffentlichten - Gedicht verband sich schon für die Zeitgenossen so sehr der Name des Autors, daß er seine drei wichtigsten Publikationen, die >Gedichte< von 1756, die >Neuen Gedichte< von 1758 und das >Heldenepos< >Cißides und Paches< von 1759 auf dem Titelblatt stets als Werke »von dem Verfasser des Frühlings« annoncierte (vgl. II Kleist SW, S. 7, 89, 135). Auch Kleists spärlicher Nachruhm ist vor allem mit diesem umfangreichen Gedicht verknüpft, und deshalb wird er hier im Zusammenhang mit der >naturbeschreibenden< Poesie der Frühaufklärung behandelt, obgleich ihn vieles in Leben und Werk bereits »zu einem gesteigerten Prototyp der Empfindsamkeit macht« (11.50 Stenzel 1988, S. 96). Als drittes von sechs Kindern eines verschuldeten Adligen wurde Ewald Christian von Kleist in einem Schloß bei Köslin in Hinterpommern geboren. »Ich hatte«, so berichtet er in seinem Lebenslauf, »bis zu meinem 9. Jahr Hofmeisters zu Hause. Nachher ward ich zu den Jesuiten nach Cron in Groß = Polen in die Schule geschickt. 1729 kam ich auf das Gymnasium nach Danzig, 1731 nach Königsberg auf die Universität.« (II W II, S. 370) Hier studierte er Jurisprudenz, Philosophie und Mathematik. 1736 trat er aus Geldmangel und auf Grund familiärer Beziehungen in dänische Dienste, ließ sich aber dann 1740 von Friedrich II. für die preußische Armee »reclamiren« (ebda.).

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Damit begann ein fast zwanzigjähriger Leidensweg, zu dem persönliches Naturell und Anlagen ebenso beitrugen wie der eintönige preußische Kasernen-Alltag. Wie sein verehrtes Vorbild Albrecht von Haller, dessen Spuren man allenthalben in Kleists Dichtung begegnet (vgl. etwa die Anklänge an Str. l der >Alpen< in Kleists >Der Vorsatz< und >Sehnsucht nach RuheOde an die preußische ArmeeCißides und Paches< nutzte. In dieser Zeit bekannte er: »Ich werde niemals lustiger sein als den Tag, wenn ich werde sterben können; denn ich sehe voraus und habe leider immer vorausgesehen, daß ich lebenslang elend sein und meine angeerbten Zufälle immer wieder bekommen werde« (ebda., S. 505f.). Der Sachse Lessing, der sich mit dem preußischen Offizier vor allem während dessen Leipziger Aufenthalts anfreundete und ihm im Major von Teilheim ein Denkmal setzte, mutmaßte später nicht zu Unrecht, Kleist habe bei seinem ersten wirklichen Einsatz in der Schlacht bei Kunersdorf, wo er die Sicherheitsvorschriften für Offiziere mißachtete und seinem Bataillon in das gegnerische Sperrfeuer hinein vorausritt, »sterben wollen«. Dieser selbstmörderische Ehren-Tod war schrecklich: Kleist wurde von mehreren Kugeln in Arm und Bein getroffen und fiel ohnmächtig in die Hand von Kosacken, die ihn zweimal ausplünderten, bevor ihn ein russischer Offizier zwei Tage später nach Frankfurt/Oder bringen ließ, wo er schließlich an einer durch Knochenabsonderung zerrissenen Pulsader verblutete (vgl. 11.56 Dyck, S. 31 ff.). b) »Muse Melancholie« Drei Freuden waren es hauptsächlich, mit denen sich Kleist über seinen monotonen Alltag hinwegzutrösten suchte: seine Freundschaften, die Poesie und die Natur. - »Ohne Freunde bin ich absolut unglücklich«, bekannte er (W II, S. 121) und zählte zu ihnen neben LESSING und GELLERT den Schweizer Verleger, Kupferstecher, Maler und Idyllendichter Salomon GESSNER (1730-1788; vgl. zu ihm 11.33 Voss u. das Bildkapitel ebda., S. 129-136), den Zürcher Arzt, Philanthrop und Klopstock-Verehrer Johann Kaspar HIRZEL (1725-1803), ferner den Berliner Oden-Dichter und Professor der Logik Karl Wilhelm RAMLER (1725-1798), der Kleists Werke - auch und vor allem den >Frühling< - einer strengen Überarbeitung unterzog (vgl. dazu die teils bewundernde, teils distan-

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zierte Stellungnahme Kleists: II W II, S. 158ff.), den in der Schweiz geborenen Berliner Ästhetiker, Pädagogen und Philosophen Johann Georg SULZER (1720-1779; >Allgemeine Theorie der schönen KünsteSinn-Gedichtekörperlichen< Abneigung gegen das weibliche Geschlecht beredten Ausdruck verleihen: »Ich habe mehr als jemals Ekel für der Ehe«, bekannte Gleim, »und das von mir in 100 Liedern besungene schöne Geschlecht ist mir oft so wenig angenehm, daß ich vielmehr Alles hasse, was weiblichen Geschlechts ist, und weder Hühner noch Eierkrebse so gern esse als Hahnen und Krebsmänner« (W III, S. 87; vgl. ebda., S. 98, 104, 115). Und Kleist, der seine - weitläufig mit ihm verwandte - Verlobte Wilhelmine von der Goltz durch eine Familienintrige verlor, die nur zu funktionieren vermochte, weil er offenbar kaum Kontakt zu ihr unterhielt (vgl. W II, S. 185, 374f.), teilte Gleims Ansichten - »Der Ekel ist doch ganz unausbleiblich in der Ehe« (ebda., S. 196) - und »freute sich« darüber, »daß ich ledig bin« (ebda., S. 375).

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Einen interessanten, schon von Platon im >Symposion< (II, S. 23, 54) thematisierten Aspekt solcher Freundschaft behandelt Kleist in >Cißides und PachesSeasons< übernommenen Blankverses vgl. 11.99 Schädle, S. 53ff.): » . . . Das Heer erschrack, Und klagte mit. Der Feind erfuhr den Schmerz Desselben, durch Ballist und Katapult. Von Neuerschlagnen raucht umher das Feld, Blut und Gehirn und Leichen deckten es.« (SW, S. 148)

Dies kleine Werk, das am Schluß den »Tod fürs Vaterland« »ewiger Verehrung werth« erachtet und durch Erwähnung Friedrichs II. auf den Siebenjährigen Krieg hin aktualisiert (ebda., S. 152), illustriert die emotionalisierende Wirkung des neuen, u. a. durch den Monarchen initiierten und auf ihn bezogenen, aber auch auf das preußische Vaterland übertragenen Nationalismus, zu dessen Erweckung auch Gleim mit seinen >Preußischen Kriegsliedern< nicht unerheblich beigetragen hat (vgl. 11.34 Ketelsen; vgl. dazu Bd. VI): Ehre und Ruhm, Kameradschaft und Vaterlandsliebe erhielten einen solchen Wert, daß sie den Einsatz des Lebens - der minderwertigen Exerzier- und Körpermaschine! - in jedem Falle rechtfertigten! Die Beschäftigung mit der Dichtkunst war, wie dies Beispiel bereits zeigt, Kleists zweites Therapeutikum gegen die Eintönigkeit des Soldatenlebens (vgl. auch W II, S. 81). Doch immer wieder klagte er auch über die Schwerfälligkeit und Langsamkeit seiner Inspiration sowie über lange Phasen der Unproduktivität (ebda., S. 74, 93, u. ö.), in denen er glaubte, »daß die Melancholie meine Muse ist« (ebda., S. 81). Diese private Disposition zur Schwermut bestimmt in verschiedener Hinsicht das schmale, aber gattungsreiche lyrische Werk dieses Nebenstunden-Poeten mit seinen Schwerpunkten in der »musa iocosa«, der Idyllik bzw. ele-

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gischen Arkadik und der Lehrdichtung. In verschiedenen Spielarten der erotischen Poesie mit den für sie typischen kleinen Formen der Ode und des Lieds, des Epigramms und Madrigals, aber auch der Priapea und Burleske (vgl. dazu Kap. II 4 a) suchte er scherzend und trinkend mit seinen Freunden in der anakreontischen Mode zu wetteifern und sich damit zugleich von seiner Melancholie und Einsamkeit abzulenken oder gar vorübergehend zu befreien (vgl. etwa SW, S. 224f.; vgl. dazu 11.50 Carbonnel, S. 49ff.). So ist seine erotische Poesie, wie er betonte, reine »Fiction« (W II, S. 12). »Vielleicht«, schrieb er an Geßner über das »Odchen« >An Daphnen< (1753), »wäre es besser gerathen, wenn ich die Leidenschaft fühlte, die darinnen herrscht; ich habe sie aber nur fingirt« (ebda., S. 223; vgl. SW, S. 223f.). Dennoch lauerte selbst in der »musa iocosa« ständig die Gefahr des Umschlags in die Depression, und nicht zufällig übersetzte Kleist auch in dem >Fragment eines Gedichts von den Schmerzen der Liebe< einen Abschnitt aus Thomsons >Frühlinglocus melancholicus< verselbständigt (ebda., S. 164ff.): Hier schlägt gerade in der recht freien Übersetzung das Private und Autobiographische der Kleistschen Psyche durch. Dasselbe gilt für seine Lehr-Oden und -Gedichte. Auch sie weisen eine analoge Bild- und Argumentationsstruktur auf. Gleich das erste, in der Sammlung von 1756 auf den >Frühling< folgende Lehrgedicht über >Die Unzufriedenheit der Menschen< beschreibt eingangs das Kleistsche Leiden einer depressiven, negativen Weltsicht, die auch die Phantasie mit schrecklichen Bildern martert: »Ja Freund! oft trinket der Mensch die Lust in Strömen und dürstet, Der Glücklichste stirbt unter Wünschen; ein Tropfen Kummers verbittert Ihm ganze Meere von Freude. Die Einbildung spornt seine Triebe, Wie Rösser reissen sie aus, die Zwang und Zügel verachten, Und ziehn ihn mit sich zum Abgrund.« (SW, S. 58)

Das Gedicht entwickelt eine Theodizee, die eine Kritik an den Unzulänglichkeiten der Schöpfung als egoistische und eingeschränkte, von Vorurteil und falscher Einbildung geprägte Sicht des Menschen abweist und ihn zur Selbstkontrolle und Tugend als Voraussetzung eines für ihn glücklichen Lebens mahnt: »Sey deiner Neigungen Herr, so wirst du das Unglück beherrschen, / Der Schöpfer ist Liebe und Huld, nur die sind deine Tyrannen.« (Ebda., S. 59) Auch das nachfolgende >Lob der Gott-

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heitx thematisiert die Theodizee (»Selbst das Unglück ist uns nützlich, und beseligt unser Leben«; ebda., S. 63). Indessen mit dem anschließenden Vers: »Zweifler rührt euch nicht die Liebe, o so fürchtet seine Macht« (ebda., S. 64), entwirft das Gedicht die Szenerie eines schrecklichen Unwetters, mit dem ein furchterregender, zürnender Gott-Tyrann seine Zweifler - und der Autor seine eigene Welt- und Selbstverzweiflung - straft. Der dritte Schwerpunkt seiner Lyrik, die mit Anakreontik und Bukolik verschwisterte Gattung der Idylle, ist zugleich Medium einer weiteren Kleistschen Lebens-Freude: der Natur (zur >antiken Bukolik< vgl. jetzt IV Effe/Binder, zu deren frühneuzeitlicher Rezeption in der Idylle IV Klussmann, zur >elegischen Arkadik< Kleists und der Anakreontiker vgl. IV Grimm 1984, S. 219ff.; vgl. ferner I Schneider 1981 u. 1988; IV Schneider, S. 26ff., 42ff.; dazu Bde. IV und VI). So lehrt der Vater Irin in der gleichnamigen Idylle seinen Sohn, »Auf jede Schönheit der Natur / Zu merken«: »O, was für Anmuth haucht anjetzt Gestad und Meer und Himmel aus! Wie schön ist alles! und wie froh Und glücklich macht uns die Natur!-« (Ebda., S. 110)

Doch auch hier lauert das gefahrvolle Gegenbild: »Oft auch ergriff mich auf dem Meer Im leichten Kahn der Sturm, und warf Mich mit den Wellen in die Luft. Am Gipfel eines Wasserbergs Hing oft mein Kahn hoch in der Luft, Und donnernd fiel die Fluth herab, Und ich mit ihr . . . « (SW, S. 111)

Gewiß ist der detailorientierten, zur Land- und Naturdichtung tendierenden Entwicklungslinie der Idylle im 18. Jahrhundert, zu der auch Kleists Gedichte zu rechnen sind, in der Rezeption des Shaftesburyschen Kalokagathie-Ideals (vgl. II Shaftesbury M, S. 178ff.) das Häßliche und Schreckliche in Verbindung mit dem moralisch Bösen als Kontrapost nicht fremd (vgl. dazu auch III Zelle 1987b, S. 97ff.), und gewiß auch demonstriert Irin mit der zitierten Erzählung das von Descartes thematisierte »Vergnügen alter Menschen, sich an überstandene Gefahren zu erinnern« (ebda., S. 120), dennoch geht es hier nicht in erster Linie um die Evokation des »angenehmen Grauens« beim Leser im Sin-

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ne eines erwünschten Nervenkitzels zur Bekämpfung der »Pathologie der Langeweile« (ebda., S. 127ff.), vielmehr enthüllt sich im Grauen wiederum die depressive Phantasie, der die poetische Selbstmedikation und Melancholietherapie immer wieder durch zwanghaften Umschlag von Freude in »Trauer« mißlingt. Kleist selbst erklärt dies Phänomen psychologisch als einen »nothwendigen« Mechanismus der »menschlichen Natur«: »Die Freude machet das Blut wallend, und dieses verursachet eine unangenehme und schmerzhafte Empfindung, welche Traurigkeit wirken muß« (SW, S. 208). In der Idylle >Menalk< hat der Autor sein eigenes melancholisches Konterfei gezeichnet: »Menalk floh kummervoll den Reiz der schönsten Flur, Kein Schatten und kein Bach, sein Harm gefiel ihm nur. Die Heerde gieng zerstreut; er nährt in einer Höhle Vom frühen Morgen an, die Schmerzen seiner Seele. Unglücklicher Menalk' gedacht er da bey sich, Warum bist du gezeugt? Die Schickung hasset dich, ...« (Ebda., S. 67)

Menalk plagt sich den ganzen Tag mit der Erinnerung an eine vergangene Liebe und intensiviert damit sein Einsamkeitsgefühl. Die ins Düstere gewendete Idylle endet mit dem ambivalenten Vierzeiler: »So quälte sich Menalk, bis Philomele sang, Und bis der Wachtel Schlag im Felsen wiederklang, Da stand er auf und sah, daß sich der Schatten streckte, Und daß der Abend schon die Flur mit Purpur deckte.« (Ebda., S. 68)

Deutet das Motiv des Abends in Analogie zu Menalks Tag-Träumerei in der »Höhle« auf die endgültige Sinnlosigkeit eines versäumten und vertrauerten Lebens, oder versöhnt hier der Anblick einer schönen abendlichen Naturszenerie den Hirten schließlich doch noch - auch im Sinne idyllischer Gattungskonvention - mit sich und der »Schickung«? Aber schon in der Offenheit des Schlusses liegt die Möglichkeit eines Trostes, einer Selbstfindung, ja Selbstheilung durch die Natur. Und eben diese Möglichkeit hat Kleist in seinem größten und berühmtesten Gedicht, dem >FrühlingFrühling< Kleists Freunde nahmen großen Anteil an der Entstehung seines Hauptwerkes. Vor allem Gleim ermunterte den Autor immer wieder zur

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Fortsetzung der stockenden Produktion, steuerte Anregungen bei und setzte sich schließlich auch mit seinem Titelvorschlag >Der Frühling< gegenüber dem Verfasser durch, der fürchtete, dadurch als Imitator Thomsons abgestempelt zu werden und der den Titel >Landleben< bzw. >Landlust< favorisierte (vgl. W II, S. 128). Für Gleim indessen erwies gerade der Vergleich die Originalität des Freundes, denn dieser habe »so viel neue Gemälde, daß man ihm eben deswegen den Vorzug geben wird« (an Uz; W III, S. 31). Auch Kleist hob in der >Vorrede< das Neue seines >FrühlingsSeasonsAlpen< entsprechend - die Schäden der Zivilisation, des »frassigen Kriegs«, der »güldnen Kerker der Städte« und des »wimmelnden Pöbels« (ebda., S. 20, 16, 30; zu Kleists Sozialkritik allgemein vgl. 11.50 Carbonnel, S. 59ff.), und er beschreibt wie Thomson das Werden des Frühlings vom Sieg über den

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Winter bis zum nährenden Frühlingsregen und in zahlreichen Phänomenen der belebten und unbelebten Natur, aus deren Betrachtung das physikotheologische Gotteslob erwächst (ebda., S. 44ff.). Das Ich verhält sich dabei wie ein Spaziergänger, der die Objekte von außen - also aus der Perspektive eines Landschaftsmalers (und ohne Wissen um die Unterschiede von Dichten und Malen) - betrachtet (vgl. IV Peucker, S. 905f.). Zugleich erscheinen die Bilder und Naturszenerien stärker noch als bei Brockes als planvoll inszenierte Setzung des Dichters, und eben damit bleibt Kleist dem Charakter des Lehrgedichts verpflichtet. Deshalb widerspricht er auch seinem Freunde Uz, der das >Landleben< für »Horazisch« hält: Horaz habe ohne Ordnung, nur »per legem imaginationis«, gedichtet, während sein eigener >Frühling< systematisch angelegt sei (W H, S. 41 f.). Im übrigen »malt« Kleist so ausführlich, weil für ihn noch die frühaufklärerische Theorie gilt, wonach die Affekte der Vorstellung entspringen (vgl. Kap. I 3 e). Dennoch sucht er - hier bereits den Anschauungen der Empfindsamkeit verpflichtet - stärker als Brokkes das sinnlich Wahrgenommene bereits im Medium des Affekts selbst zu gestalten: » . . . Und ihr, ihr lachenden Wiesen! Ihr Labyrinthe der Bäche, bethaute Thäler voll Rosen! Ich will die Wollust in mich mit eurem Balsamhauch ziehen Und wenn Aurora euch weckt mit ihren Stralen sie trinken. Gestreckt im Schatten will ich in güldne Sayten die Freude Die in euch wohnet besingen. Reitzt und begeistert die Sinnen Daß meine Thöne die Gegend wie Zefirs Lispeln erfüllen Der jetzt durchs Veilchen-Thal fleucht, und wie die rieselnden Bäche.« (SW, S. 10)

Diese Tendenz, erklärte Lessing, habe Kleist noch verstärken wollen: »er würde aus einer mit Empfindungen nur sparsam durchwebten Reihe von Bildern eine mit Bildern nur sparsam durchflochtene Folge von Empfindungen gemacht haben.« (II L, S. 259) In dieser im >Frühling< angelegten, aber über weite Passagen reiner Deskription in der Tat nicht umgesetzten Intention enthüllt sich zugleich im Anschluß an die auch von Shaftesbury wirkungsmächtig vertretene »moral sense«-Theorie die Überzeugung von der innerlichen Kohärenz von »Moral und Empfindsamkeit« als Kennzeichen der Tugend. Diese besteht in einer durch Naturwahrnehmung unmittelbar gesteuerten Regulierung der Affekte, deren Ausdruck die »Thöne« der Poesie selbst sein wollen und deren Metapher, Spiegel und Bewegungsgrund in der Natur der in der Empfindsamkeit allgemein beliebte »Zefir« ist (vgl. III Sauder, S. 112). Die

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Natur wird nicht mehr nur beobachtend beschrieben, sondern in der Deskription empfunden, in der Empfindung ästhetisiert und subjektiviert und damit zum Stimmungsträger der psychischen Disposition des Subjekts, und dieses wiederum avanciert zum poetischen Kohärenzpunkt der wahrgenommenen Naturerscheinungen (vgl. dazu auch IV Grimm 1984, S. 221 ff.). Im Blick auf die Gattungsfrage ist daher die das Emotionalisierende wie das Didaktische gleichermaßen betonende Charakterisierung des >Frühlings< als >Lehrode< besonders angemessen (vgl. zu diesem Begriff Kap. I l c). - Im übrigen zeigen sowohl die Wahl des Versmaßes, des Hexameters mit einer Vorschlagsilbe (nach dem Vorbild der Ode >Der Frühling< von Uz; vgl. dazu auch W II, S. 67f.), als auch das unablässige sprachliche und stilistische Verbessern und Verschönern der Bilder die Abkehr von frühaufklärerischer »Prosanähe« und von Gottsched, den Kleist mit Spott bedachte (vgl. SW, S. 85), sowie eine Annäherung an die poetischen Vorstellungen der Schweizer, vor allem Bodmers, den der Werbeoffizier in Zürich kennengelernt hatte und mit dem er sporadisch korrespondierte. Mit der Tendenz zur Emotionalisierung des Verhältnisses von Mensch und Natur führte Kleist über Brockes und Haller hinaus und vermochte zugleich sein privates Melancholieproblem weltanschaulich zu objektivieren. Der auch im >Frühling< ständig erfolgende Umschlag von »Stimmungen« stellt sich nämlich zugleich als Ausdruck eines die Natur beherrschenden Gegeneinanders und Wechselspiels von flutenden Trieben und Kräften dar, und die »Betrachtung« der »Jugend des Jahres« soll wie bei Brockes - den »guten Kräften« im Gemüt zum Durchbruch und Erfolg verhelfen. Voraussetzung für das Gelingen dieses im Gedichtablauf dargestellten und in der Natur gespiegelten Prozesses ist ein hohes Maß an kompositioneller Verknüpfung in Aufbau und Motivgestaltung. Ein Beispiel mag dies illustrieren: das Bildfeld des Wassers. Bereits im Gedichteingang fächert es sich in die Motive des Bachs, des Teiches, der Seen und schließlich sogar der Meeres-» Fluth« auseinander. Und entsprechend heißt es sogleich korrespondierend in Zeile 6f. vom Ich: »O daß mein Lebensbach endlich / Von Klippen da er entsprang in euren Gründen verflösse!« (Ebda., S. 10). Damit ist von Beginn an nicht nur eine Korrespondenz zwischen Natur und beobachtendem Ich, sondern die Sehnsucht nach einem Aufgehen des Ichs in der Natur thematisiert. Einige Verse später entfaltet der Poet im ersten Naturbild eine Frühlingslandschaft, die sich - ein mystisches Motiv (vgl. Kap. I l c) - in einem Teich spiegelt und dadurch selbst zum »grünlichen Meer« und »Meer voll güldener Stralen« wird (ebda., S. 19), und dieses Bild des Friedens »ergetzt« auch den »ackernden Landmann«: »Er horcht eine

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Weile: dann lehnt er / Sich auf den gleitenden Pflug, zieht braune Wellen ins Erdreich,/ Verfolgt von Krähen und Elstern.« (Ebda., S. 21) Auch hier wird mit der Metapher der »braunen Wellen« die Wasserund Meeres-Metaphorik beibehalten. Im unmittelbaren Anschluß daran indessen verkehrt sich diese positive Schau ins Gegenteil, und zwar unter Beibehaltung des Wasser- bzw. Meeres-Motivs: »O daß der mühsame Landwirt Für sich den Segen nur streute! Daß ihn die Weinstöcke tränkten Und in den Wiesen für ihn nur bunte Wogen sich wälzten! Allein, der frässige Krieg vom Zähne bleckenden Hunger Und wilden Schaaren begleitet, verheert oft Arbeit und Hofnung. Er stürmet und raset einher, zertritt die nährenden Halme, Reißt Stab und Reben zu Boden, entzündet Dörfer und Wälder Für sich zum flammenden Lustspiel. Wie wenn der Rachen des Ätna Mit ängstlich-wildem Geschrey, daß Meer und Klippen es hören, Die Gegend um sich herum, vom untern Donner zerrüttet, Mit Schrecken und Tod überspeyt, und einer flammenden Sündfluth.« (Ebda., S. 21/23)

»Böses« Feuer und »böse« Flut vereinigen sich hier zu einem in sich stimmigen Bild »gefräßiger« Zerstörung, und dieses wiederum entspricht der einleitend dargestellten zerstörerischen Gewalt, mit welcher der Frühling in der Schneeschmelze über die Natur hereinbricht: »Schnell glitt von murmelnden Klippen / Der Schnee in Bergen herab; Des Winters Gräber die Flüsse, / . . . / Empfingen ihn, blähten sich auf voll ungeduldiger Hoffnung / Durchrissen nagend die Dämme, verschlangen frassig das Ufer / Wald, Feld, und Wiese ward Meer.« (Ebda., S. 12) Damit werden die zivilisatorischen Zerstörungsprozesse denen der Natur nicht nur analogisiert, sondern als Natur-Gewalt >naturalisiert< (wenn auch dadurch nicht entschuldigt). Darin manifestiert sich zugleich die Emotionalisierung der Beziehung zwischen Ich und Natur, die durch identifizierende Projektion des lyrischen Ichs gekennzeichnet ist. Psychische Befindlichkeit und moralisches Verhalten werden so den Naturerscheinungen angenähert, Mensch und Natur in einen wechselseitigen >natürlichen< Wirkungszusammenhang gebracht. Dies bestätigt sich nun auch für die den zerstörerischen entgegengesetzten guten Kräfte in der Natur, und bei deren Darstellung werden zugleich Grundfragen der Religion (nach Gott und Gottesverehrung, Tod und Auferstehung) als Bestandteile des Naturprozesses selbst >betrachteK Zunächst scheint das Ich mit der Darstellung des Sterbens als

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eines dem Verwelken der Blume analogen natürlich-kreatürlichen Vergehens der Vorstellung vom Tod als endgültiger Vernichtung zuzuneigen. Später indessen steigert das Ich sich angesichts der im Frühling allenthalben erwachenden Liebe zu einer pantheistischen Betrachtung dessen, der als »See sonder Ufer und Grund« in all jene Naturphänomene emanierte, die von Liebe - als Kennzeichen seiner wichtigsten Eigenschaft - entbrannt sind: »Welch ein verborgner Hauch füllt ihre Herzen mit Liebe? Durch dich ist alles, was gut ist, unendlich wunderbar Wesen, Beherrscher und Vater der Welt! Du bist so herrlich im Vogel, Der niedrig in Dornstauden hüpft, als in der Veste des Himmels, In einer kriechenden Raupe, wie in dem flammenden Cherub. See sonder Ufer und Grund! Aus dir quillt alles, du selber Hast keinen Zufluß in dich. Die Feuermeere der Sterne Sind Widerscheine von Pünktchen des Lichts, in welchem du leuchtest.« (Ebda., S. 45)

Konsequenterweise ist ein solcher Gott aber auch Ursprung des »bösen« Tobens der Elemente - das »Heulen aufrührischer Heere, die zwischen wässernen Felsen / Den Sand des Grundes entblößen, ist deiner Herrlichkeit Loblied« (ebda.) -, dieser Gott vereinigt also jene Dualität in sich, die dem Gedicht zugrundeliegt und im Wechsel der Betrachtungen, Empfindungen und Perspektiven zum Ausdruck gelangt. Der >Frühling< indessen ist die Jahreszeit, in der die fruchtbare Schöpfungskraft die Oberhand über die Destruktionsgewalt (des Winters) gewinnt. Das Gedicht zeigt dies abschließend durch eine Naturbetrachtung, die - das beherrschende Bildfeld des Wassers fortsetzend und in seinem Spiegel die neu gewonnene Beruhigung des Ichs in optische Mäßigung umsetzend - im Bild eines herbeigeflehten und eintreffenden, ausschließlich fruchtbaren Frühlingsregens das Gedicht beendet: »Erquick sie gnädiger Himmel, und überschütte von oben / Mit deiner Güte die Erde. — Er kommt! Er kommt in den Wolken/ Der Segen, dort taumelt er her, und wird sich in Strömen ergiessen.« (Ebda., S. 53) Und während die zitierte Eingangspassage der Lehrode »meine Thöne« und »Zefirs Lispeln« noch analogisierte, stellt der Gedichtschluß zugleich als Resultat des Gedichtverlaufs die Wirkung der imaginierten Natur auf die Seele als emotionales »Wehen« und damit als ein Kausalverhältnis dar: »Mir wehe Zefir aus euch durch Blumen und Hecken noch öfter / Ruh und Erquickung ins Herz« (ebda., S. 56). Im Anschauen der »holden Gefilde« feiert das Ich zugleich - ganz im Sinne von Brockes - einen sinnlichen natürlichen Gottesdienst und er-

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sehnt sich zum Schluß - anknüpfend an die zitierte Passage aus der Einleitung - seine letzte Ruhe in der Natur: » . . . Laßt mich den Vater des Weltbaus, (Der Seegen über euch breitet im Stralenkreise der Sonne, Im Thau und Regen) noch ferner in eurer Schönheit verehren, Und melden voll heiliger Regung sein Lob antwortenden Sternen. Und wenn nach seinem Geheiß mein Ziel des Lebens herannaht, Dann sey mir endlich in euch die letzte Ruhe verstattet.« (Ebda., S. 57)

Hier ist mehr und anderes gemeint als die christliche Vorstellung von einer Grabstätte in der Natur. Von christlicher Religion - und speziell von Christus - findet sich keine Spur in Kleists poetischem Werk. Auch bei ihm ist die Natur in Christi Erlösungsfunktion eingetreten. Sie ist im Medium der Poesie wie bei Brockes Vehikel einer natürlichen Religion, die das Göttliche in der »Schönheit« der angeschauten Naturerscheinungen verehrt und dabei - im Kontext des Shaftesburyschen Kalokagathie-Ideals - seine eigene »Heiligung« erfährt. Im Unterschied zu Brockes fehlt bei Kleist aber der Gedanke der Höher- und Weiterentwicklung im Kontext der hermetisch begriffenen »catena aurea« zu einer paradiesischen »Licht- und Feuerwelt«, als deren vorwegnehmender und initiatorischer Vorschein sich die Brockessche Natur-Anschauung erweist (vgl. Kap. II l b). Es ist die ganz sinnenhaft-irdische, im Liebes>Frühling< schaffende und gleichermaßen auch im >Winter< zerstörende Natur, in die sich das Ich hineinsehnt. Damit ist zugleich die Hallersche Furcht vor der unerlösten endgültigen Auflösung in das »Nichts« der Materie und dessen melancholische Resignation am Schluß des >Unvollkommenen Gedichts über die Ewigkeit< (vgl. Kap. II 2 c) überwunden. Indem Kleist das Leben Zeugende und Schöne wie Zerstörerische und Erschreckende als Modifikation der einen Natur zur Anschauung bringt, ebnet er über Brockes und Haller hinaus der Naturfrömmigkeit und dem Pantheismus der Sturm und Drang-Poesie nicht unbeträchtlich die Bahn (vgl. Bd. VI). Dies auch durch die Betonung und Legitimierung der Liebe als eines sich im >Frühling< allenthalben entfaltenden Elements der Natur. Und in diesem Zusammenhang setzt Kleist wiederum seiner Freundschaft ein Denkmal. In einer Traumvision erblickt er neben der tugendhaften Doris seinen Lieblingsfreund als Jünger Anakreons: »Und du mein redlicher Gleim du steigst vom Gipfel des Hömus / Und rührst die Tejischen Sayten voll Lust. Die Thore des Himmels / Gehn auf, es lassen sich Cypris und Huldgöttinnen und Amor / Voll Glanz auf funkelnden Wolken in blauen Lüften hernieder, / Und singen lieblich darein.« (SW,

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S. 34; vgl. die analoge Freundschaftsfeier mit Spalding und Hirzel ebda., S. 47ff.). Im Kontext eines idyllisch-bukolisch entworfenen Naturpanoramas erfährt die anakreontische Poesie hier ihre Apotheose als Teil und Ausdruck unschuldiger, unverdorbener Natur: wie aufklärerisch dieser idyllische Traum zu jener Zeit war, erhellt nur der Blick auf den puritanischen historischen Kontext, in dem sich die Anakreontik - bisweilen mühsam bis zur Selbstverzweiflung - zu behaupten hatte.

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a) Aufwertung der Sinnlichkeit - »musa iocosa« und Anakreontik In den drei Jahrzehnten zwischen 1740 und 1770 grassierte geradezu eine poetische Modeerscheinung, die im weitesten Sinne zur erotischen Dichtung gehörte, aus verschiedenen Traditionen schöpfte und in zahlreichen Einzelgattungen geübt wurde (vgl. dazu auch IV Browning, S. 68ff.)· Schlaffer siedelt diese Poesie als mittleres genus zwischen dem »genus grande« (wie z. B. Minnesang und Petrarkismus) und dem »genus humile« (wie z. B. Priapea [ = auf Sexualkomik bedachte kleine Rollengedichte], Burleske, Facetie [ = erotische Scherzrede bzw. -erzählung], Komödie) an. Die gattungskonstitutive Gemeinsamkeit dieser erotischen Poesie im mittleren Stil sieht er - bedingt durch das »Thema der sinnlichen Liebe, die im Augenblick sich erfüllt und mit ihm vergeht« - in der Tendenz zur poetischen Kleinform sowie »in der scherzhaften Haltung und witzigen Sprache, die beide Pointierung der Form verlangen«; zu den Formen der erotischen Poesie zählt er Elegie, Epigramm, Madrigal, Verserzählung, Ode, Lied, Rondeau, Triolett, das genre mele, poetischen Brief und Pastourelle und erkennt in ihnen eine Nähe oder gar »Zugehörigkeit zur Lyrik« (IV Schlaffer, S. l Of.). Ihrem Wesen nach sei die erotische Dichtung, behauptet er, eine antike und damit eine für den Betrachter »tote Gattung«, deren »Geschichte« als »ein geschlossenes System« zu verstehen sei (ebda., S. 8). Indessen einem solch gerundeten, letztlich enthistorisierten, ja ontologisierten Gattungsverständnis widerspricht gerade die vitale und vielfältige Erneuerung dieser Tradition zur Zeit der Aufklärung, die bei aller Konstanz der Formen und Motive im einzelnen in bestimmten gesellschaftlichen und ideologischen Prämissen der Aufklärungszeit ihre entscheidenden Voraussetzungen hat. Das gern betonte ehrwürdige Alter der Gattung dient - dies betont Schlaffer selbst - als Rechtfertigung für die poetische Träumerei einer von gesellschaftlichen Zwängen und Vorurteilen freien Erotik und damit - wie sich zeigen wird - als Vorbild und Alibi für die Durchsetzung aufklärerischer Intentionen >bürgerlicher< Bedürfnisse.

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Die Autoren selbst nannten ihre Werke zumeist »scherzhaft« oder »anakreontisch«. Christian Nikolaus NAUMANN (1720-1797) mit seinen >Scherzhaften Liedern, nach dem Muster des Anakreom (1743; vgl. dazu IV Perels, S. 80ff.) sowie - weit erfolgreicher - Johann Wilhelm Ludwig GLEIM (1719-1803) mit seinem >Versuch in Scherzhaften Liedern< (1744; >Zweeter Theil< 1745; ebda., S. 73ff.) eröffneten den Gattungsreigen, dem sich alsbald zahlreiche Mitsänger schon mit dem Titel ihrer Sammlungen verbunden zeigten. So u. a. Johanne Charlotte UNZER (1724-1782; >Versuch in Scherzgedichten^ 1753), Johann Friedrich LÖWEN (1727-1771; >Zärtliche Lieder und Anakreontische ScherzeWitzespritAufmunterung zum VergnügenDie Gedichte Anakreons und der Sappho OdenScherzhaften Lieder< 1744 prononciert mit einem Gedicht auf >Anakreon< (II VSL, S. 5; vgl. dazu 11.34 Bohnen), 1745 publizierte Götz seinen >Versuch eines Wormsers in Gedichtem, und als letzter des Dreigestirns folgte Uz mit seinen >Lyrischen Gedichten< (1749). - >Horazische< und >anakreontische< Richtung vermischten sich in der Folge rasch miteinander. Sie hatten die Themen - hauptsächlich Liebe, Wein, Natur, Poesie und geselliges Scherzen - ebenso gemeinsam wie den »Zug zum Kleinen« im Bereich der Gattungen, Formen und Motive (vgl. III Anger 1962, S. 54f.) sowie die Gattungsverwischungen, die zum scherzenden Spiel gehörten und bereits auf »ein sich seiner poetischen Kreativität bewußt werdendes Ich« verweisen (IV Bohnen, S. 436; vgl. dazu auch IV Schüsseler, S. 77 f.; zur Problematik des Rokoko-Begriffs vgl. V/l Einleitung d). b) Lehre des Vergnügens: »Glück und Genuß« im »Mittelstande« (Hagedorn) Gattungsgeschichtlich gilt der Hamburger Diplomatensohn Friedrich von Hagedorn (1708-1754) mit seinem erstmals 1738 erschienenen >Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen< als »Begründer der deutschen Rokokoliteratur« (11.41 Perels, S. 77; vgl. IV Perels, S. 19ff.), darüberhinaus mit seiner >Sammlung Neuer Oden und Lieder< (1742; Zweyter Theil 1747), den >Oden und Liedern in fünf Bücherm (1747) sowie den >Moralischen Gedichtem (1750) schon für seine Zeitgenossen und für die Literaturwissenschaft bis heute als »Erneuerer deutscher Dichtersprache« und »Verkünder eines neuen Lebensgefühls« (11.41 Anger 1968, S. 168; 1988, S. 62), seine Poesie insgesamt als »entscheidender Wendepunkt« »für die Lyrik der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts« auf dem Wege vom »schwulstigen« Barock zum Klassizismus der Goethezeit (11.41 Epting, S. 3 u. ö.; Hagedorns Rückbindung an die Tradition

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betonen dagegen 11.41 Menhennet, S. 179ff., und 11.41 Ketelsen, S. 104ff.). Und mit seltener Einmütigkeit bewunderten seine Verehrer und konstruiert die Historiographie »eine kaum nochmals in der Literaturgeschichte zu findende Harmonie und Übereinstimmung von Werk und Leben«: »Die gegebenen Möglichkeiten genügsam und freudig ausnutzend, scheint Hagedorn im ganzen ein ebenso problemloses Leben geführt zu haben, wie seine Gedichte es sind, die in ihrem überlegen-gewandten Stil nirgends einen schweren Ton aufkommen lassen« (11.41 Steinmetz, S. 3*). Indessen problemlos verlief sein Leben keineswegs: Nach dem überraschenden Tod seines Vaters geriet die Familie in finanzielle Schwierigkeiten. Hagedorn, bislang privat erzogen, mußte auf das Gymnasium. Das Jurastudium in Jena (1726/27) brach er aus Geldmangel ab und ging als Sekretär des dänischen Gesandten nach London (1729-1731). Dies waren, so schreibt Hagedorn 1748 an Bodmer, »die einzigen Jahre, die ich wieder zu erleben wünschte« ( , S. 76). In London lernte er intensiv den klassizistischen Stil der französischen und der durch sie mitbeeinflußten englischen Literatur kennen und schätzen. Der Einfluß von Boileau, Jean de La Bruyere, La Fontaine, Chaulieu und anderen französischen Gesellschaftsdichtern und Anakreontikern macht sich in seiner späteren Poesie ebenso bemerkbar wie seine Lektüre der Werke von Shaftesbury, Pope, Thomson, Addison, Steele oder Matthew Prior (vgl. 11.41 Epting, S. 6ff.). »Aus Liebe zur Ordnung«, so teilte er Bodmer mit, habe er sich mit einer Engländerin verheiratet (BHB, S. 76), der Tochter eines Schneiders, die ihm offenbar weder die erhoffte Mitgift noch das erwünschte Glück in die Ehe einbrachte. Bei seiner Rückkehr nach Hamburg mußte er sich zunächst als Hofmeister durchschlagen, bevor er 1733 die Sekretärsstelle bei einer renommierten englischen Handelsgesellschaft in Hamburg erhielt (ebda.). Diese Position, die er bis zum Lebensende bekleidete, beseitigte aber nicht gänzlich die Geldsorgen des gern auf größerem Fuße lebenden Hanseaten, und zugleich beklagte er sich, daß die mit dem Amt offenbar verbundene Muße für seine schöngeistigen Interessen und für seinen »größten und liebsten zeitlichen Reichtum«, nämlich seine Bibliothek, »immer abnimmt« (ebda.); infolgedessen werde er »so wetterläunisch, als ob ich in London zwischen Rauch und Nebel wohnte« (ebda., S. 89). Mit dem europäischen Horizont seiner Bibliothek und literarischen Produktion schuf sich Hagedorn eine Kompensation für die biographische Enge seiner Hamburgischen Existenz, und zugleich spielte er in ihr die Rolle des Weltmanns und großzügigen Mäzens, des lebensfrohen Genießers und geselligen Kumpans - jene Rolle also, die seine Poesie

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ausstrahlte, wenn man wie die Zeitgenossen das lyrische Ich mit dem Autor identifizierte. Hagedorn stilisierte offenbar sein Leben nach seiner Poesie und polierte es nach außen glatt wie seine Verse (vgl. 11.41 Steinmetz, S. 5*f.). Eines seiner wichtigsten Vorbilder in der Demonstration leibhaftiger irdischer Glückseligkeit war Brockes (vgl. Kap. II l a). In dessen Auftrag gab er den >Auszug der vornehmsten Gedichte< aus dem irdischen Vergnügen in Gott< heraus (1738), aber er schätzte wohl weniger die Poesie als die Person des Ratsherrn und setzte ihm, dessen »Ruhm mir immer heilig war«, in seinen >Moralischen Gedichtet ein ehrenvolles Denkmal: »Ich find und ehr in ihm den Weisen unsrer Zeiten« (PW I, S. 58, 94; vgl. auch BHB, S. 71). Das Ideal des stoischen und epikureischen Weisen ist ein Hauptthema von Hagedorns insgesamt 10 >Moralischen GedichtenSchriftmäßigen Betrachtungen über einige Eigenschaften Gottesgroßen Stil< dokumentieren sollten. Umso parteilicher dagegen erwiesen sich die anderen acht horazischen Oden (>Der WeiseDie Glückseligkeit^ >WünscheDer GelehrteDer Schwätzen, >Horazmoralisch< zu verantworten vermochte (so auch 11.41 Bohnen, S. 91 ff.; dies gegen IV Schüsseler, S. 138 u. ö.). - Das wichtigste Gut des Weisen ist danach die Freiheit, verstanden als innere und äußere Unabhängigkeit von allen Pflichten und eitlen Ehrbegierden: »Was in der Welt ist von so hohem Wehrt, / Als Freyheit ist, die jede Lust vermehrt?« (PW I, S. 115; vgl. auch BHB, S. 76). Wahre Glückseligkeit auf Erden ist an keinen Stand gebunden (PW I, S. 18), und wahre Größe zeigt der, »Der Pursten nicht vergöttert, .. . Der Wahrheit sucht, dich, treue Wahrheit, findet, / Und seinen Wehrt auf Witz und Tugend gründet« (ebda., S. 15): Hagedorn besetzt für seine >Moral< also entscheidende, miteinander konkurrierende Begriffe von Religion und Aufklärung (»Wahrheit«, »Witz«, »Tugend«). Indessen der >Witz< seiner >Wahrheit< besteht eben in dem Drängen nach Unabhängigkeit und persönlicher Freiheit von den gesell-

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schaftlichen (nicht den geselligen) Pflichten und stellt sich damit als eine bedeutende Variante des aufklärerischen Autonomiestrebens dar (vgl. dazu V/1 Einleitung d). Freiheit gibt es allerdings nur in der Einhaltung der >mesotesHoraz< (ebda., S. 100-122; G, S. 151-161) bündelt Hagedorn seine Gedanken und appliziert sie mit Recht auf den römischen Dichter; denn dieser stoisch-epikureische Weise hatte es virtuos verstanden, seine persönliche Unabhängigkeit sowohl gegenüber Kaiser Augustus als auch gegenüber seinem Gönner Mäcenas zu bewahren und auf seinem Landsitz >Sabinum< in maßvollem Vergnügen zu leben. Was Hagedorn seinem Vorbild zusprach: »Du bist vergnügt, und lehrest das Vergnügen« (PW I, S. 118), das wollte er zugleich in seiner Zeit praktizieren. Und dazu dienten ihm die Natur sowie der Witz. »Ja, auch der Witz!« bekräftigt der Autor; denn die Natur für sich selbst sei einfältig, und die »Einfalt kann nicht sehen« (ebda.). Der Witz als »Formprinzip des Verstandes« (vgl. III Böckmann, S. 471 ff.) durchbrach mit dieser Haltung auch die >einfältig< malende Naturdeskription zugunsten eines selektierenden, kombinatorischen, auf sensuellen Genuß bedachten ästhetischen Vergnügens. Dieses streifte alle erbaulichen religiösen Konnotationen ab, die das >Irdische Vergnügen< von Brockes in Konkurrenz zum theologischen Erbauungsschrifttum noch besaß (Hagedorn charakterisierte Brockes' Werk im Vorwort zum >Auszug< selbst als »erbaulich«), und damit hatte er »in einer Epoche, in der die Emanzipation des nur ästhetischen Urteils eben erst ihren Anfang« nahm (IV Perels, S. 53), großen Erfolg und erhielt den Ehrentitel eines »deutschen Horaz«. Wer sich an seinen Liedern lesend oder singend »ergetzte« (zu ihrer Vertonung vgl. 11.85 Richter), ergänzte oder ersetzte für sich die Erbauung aus den geistlichen Gesangbüchern (vgl. IV Perels, S. 54). Seine Lehre des Vergnügens an Natur, Geselligkeit und Freiheit geschah bereits auf vergnügliche, die Didaxe des aufklärerischen Lehrgedichts überwindende Weise. Hagedorn, so lobte Haller dessen »Lehrgedichte« (wie er sie noch nannte), »besaß mehr als ein andrer die Kunst, einzelne und nicht überall bekannte Begebenheiten aufs angenehmste anzubringen« (II VHHG, S. 402). - Das »delectare«, der vergnügliche, abschweifend-anekdotische Plauderton zog ebenso in seine Sammlung epigrammatischer Gedichte< ein (PW I, S. 123-212), die bisweilen - dem Gesetz spruchhafter Kürze und Pointierung widerstrebend - den Charakter ausgemalter Fabeln oder witziger Verserzählungen annahmen

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(vgl. als ein Beispiel >Auf den GothilasVersuch in poetischen Fabeln und Erzehlungenweltkluges< Verhalten war Hagedorn einerseits verhaßt, und der witzig-satirische Duktus seiner Erzählung verdeutlicht diese kritische Intention der Fabel. Auch in seinen >Moralischen Gedichten< wandte er sich mehrfach scharf gegen das noch in der Frühaufklärung - von Weise und Thomasius - propagierte Verhalten der »Klugen unsrer Zeiten« (PW I, S. 60), andererseits sah er sich selbst zu dieser Weltklugheit genötigt. Im Blick auf die Religionsstreitigkeiten beteuerte er (bei der vorsichtigen Übertragung des Popeschen Gebets), sich bemüht zu haben, »keiner Gattung meiner Leser Aergerniß zu geben« (PW I, S. 6), und in den »gelehrten Zänkereien« zwischen den Leipzigern und den Zürchern könne man, schrieb er an Weichmann, »nicht besser verfahren als jener Schiedsmann, der nichts weiter von seiner Meinung äußerte, als dieses: >Einige sagen Ja, Andre Nein, ich sage BeidesMoralischen Gedichten< Farbe bekannte, sondern auch etwas riskierte, wird schon daran deutlich, daß sein >Versuch< nicht nur Tierfabeln enthält, für die er auf eine breite Tradition - von Äsop

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und Phädrus über Burkard Waldis, Hugo von Trimberg und Luther bis zu La Fontaine, La Motte und Prior - zurückgriff (nur 10 der 71 Stücke entstammen keiner Vorlage; ebda., S. 11*), sondern auch erotische Erzählungen, für die er selbst als Quellen u. a. Boccaccios >Decamerone< und La Fontaines berühmt-berüchtigte, in Frankreich verbotene und von La Fontaine später selbst widerrufene >Contes et Nouvelles en vers< angab (vgl. VPFE, S. P 3). Und mit diesen, auf die zweite Hälfte der Sammlung konzentrierten Schwank- und Schäfererzählungen, nicht etwa mit den Tierfabeln, avancierte Hagedorn zum Begründer der »musa iocosa« und rief sofort die Sittenrichter auf den Plan (vgl. IV Perels, S. 19ff.). Freilich hatte er auch hier >weltklug< vorgebaut. Zunächst durch das einleitend betonte Prinzip der Nachahmung von anerkannten Vorgängern. Denn so sehr Hagedorn diese im Index selbstbewußt zitierte, um den Leser zum Vergleich zu animieren und dadurch seine eigene Könnerschaft und Originalität unter Beweis zu stellen, so sehr diente ihm doch die »imitatio« auch zu dem »Vortheil«, daß sie »einer Wahrheit zum Schutz gereiche, die man sonst anfechten wurde«. Der geneigte Leser sei in solchem Falle »so gütig, nichts zu argwohnen, was dem Nachahmer unangenehm oder schädlich seyn konnte« (PW I, S. 163). Als zweite Vorsichtsmaßnahme baute Hagedorn in seine erotischen Erzählungen den Witz als Instrument rationaler Kontrolle über das Erzählte ein. Auch der Scherz fungierte für ihn - wie eine Vignette zu Beginn seiner >Oden und Lieder< verdeutlicht (vgl. Abb. 8) - als kalkuliert inszenierte, durchschaubare Maske: Cupido hält sie zwischen sich und Venus, knüpft damit Kontakt und stellt zugleich Distanz her, benutzt also die schon in der antiken Rhetorik bekannte Figur des »iocus« als Mittel, um die erotische Situation verdeckend und allegorisch enthüllend zugleich »im Griff« zu behalten (vgl. dazu auch IV Schüsseler, S. 31, 34ff.). Zugleich sind Witz und »Schalk« (als Synonym für Scherz) auch Inhalt der Erzählungen selbst. »Was konnen Witz und Liebe nicht, / Wenn beyde sich genau vereinen!« beginnt die dem >Decamerone< entnommene Verserzählung >LaurettePaulus Purganti und Ag-

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Abb. 8

nese< illustriert (PW II, S. 179-185; VPFE, S. 185-192). Sie malt das verbreitete Motiv des Alten aus, der eine junge Frau heiratet (vgl. dazu auch Bd. IV). Letztere erweist sich als ein Ausbund an »Zucht«, auf welches »das ganze Kirchspiel stolz« ist. Unermüdlich vertieft sie sich in theologische Erbauungsliteratur, ist »insonderheit der Oper feind«, spielt geistliche Chorale und betrachtet nur deshalb ihr Gesicht im Spiegel, »Um jeden Theil davon großmüthig zu verachten« (PW II, S. 179). Indessen diese christlichen Übungen fruchten nichts, und wie Hagedorn mit dem folgenden Vierzeiler ihre ununterdrückbaren sexuellen Neigungen mit der kirchenoffiziellen Ehedoktrin in scholastischer Kürze verrechnet, ist - zumal im damaligen zeitgenössischen Kontext - wahrhaft witzig: »Den irdschen Trieb der Lüsternheit Entsöndigte des Ehstands Schuldigkeit, Und einer tugendhaften Brust Wird immer jede Pflicht zur Lust.« (Ebda., S. 180).

Legitimiert durch das (Kirchen-)Recht sucht Agnes nunmehr ihren Angetrauten zu seinen ehelichen Pflichten zu animieren. Mit der Beschreibung ihrer hausfraulichen Verführungskünste demonstriert Hagedorn, daß das poetische Scherzen im Unterschied zum pointierenden Witz einen ausgedehnten, variablen und ironischen Erzählstil hervorzubringen vermag (wobei der regelmäßige jambische Vierheber das unermüdliche Walten des Eheweibes »sinnlich« wirkungsvoll unterstreicht):

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»Agnese, das getreue Weib, Verpflegt des theuren Gatten Leib. Sie weiß ihm von gesunden Speisen Die trefflichsten stets anzupreisen; Was aber schwächet oder zehrt, Wird ihm mit vielem Recht verwehrt. Sie wärmt und wurzt des Mannes Wein, Und schneidet ihm die Bissen klein, Legt Mark und Nieren reichlich vor, Druckt seine Hand, zupft ihm ans Ohr, Um durch dergleichen Schmeicheleyen Den alten Paulus zu erfreuen.« (Ebda.)

So geht es fort. Der untüchtige Ehemann, Arzt von Beruf, versucht zunächst, die lästigen Annäherungen seiner Frau durch eine Krankheitsdiagnose abzuwehren. Als auch die verordnete Kur nichts hilft, greift er zum letzten Rettungsanker, zur theologischen Paränese: »Anstatt der thltgen Lieb und Huld, Spricht er zu ihr nur von Geduld, Von Selbstverleugnung in Beschwerden, Wann Leib und Fleisch geprüfet werden, Und wie, seit Evens Näscherey, Der Weiber Erbtheil Leiden sey; Daß die Entzündung, die sie fühlt, Sich durch kein mürrisch Winseln kühlt; Sie müsse nur der Ruhe pflegen, Die Augen schliessen, sich nicht regen, Sich immer auf die Seite legen, Und ihre Knie nicht bewegen.« (Ebda., S. 183)

An dieser Stelle fügte Hagedorn - das mußte nun wirklich frivol erscheinen ! - als Beleg eine in der Erstausgabe noch fehlende Anmerkung hinzu, nämlich die Anweisung des »Seraphici Doctoris S. Bonaventurae« zu einem keuschen monastischen Schlaf verhalten: »Cum ad stratum lassus deveneris: te honesto modo iacendo componas: nee resupinus iaceas: nee genua levando calcaneos iungas ad tibias.« (Ebda., S. 183f.) Schließlich stellt der unfähige Griesgram seiner Gattin als letztes und stärkstes Mittel angesichts ihrer Krankheit den Liebestod bei der Ausübung der ehelichen Pflicht in Aussicht (ebda., S. 184). Doch darauf antwortet Agnes - und opfert damit den ehrwürdigen barocken >Vanitasübernatürlichen< Providenz: »Purganti stutzt, erwiedert zwar mit Küssen; Jedoch den Mord verbietet sein Gewissen. Er selbst wird kurz darauf ihr durch den Tod entrissen. Seht, wie bey höchster Noth der Himmel Trost ertheilt! Die fromme Witwe traurt, freyt wieder, wird geheilt.« (Ebda., S. 185)

Über solches Erzählen, das jede obszöne sinnliche Beschreibung sexueller Handlungen aussparte oder nur scherzend umschrieb, waren viele Zeitgenossen gleichwohl empört. Unversehens sah sich Hagedorn als peinlich inquirierte >Fledermaus< unter den weltanschaulichen >Wieseln< seiner Zeit: Die Hamburger Geistlichkeit hat ihn wegen seiner poetischen Unzüchtigkeit offenbar mehrfach ernsthaft vermahnt (vgl. IV Perels, S. 44; vgl. dazu seinen Unmut über das »Straffen« und »Verdammen« »von der Cantzel« in BHB, S. 26f.), aber auch der auf Besserung der Sitten bedachte Gottsched grollte: »Die Weisheit wäre sehr übel daran, wenn solche Leute wie Hagedorn ihren Charakter bestimmen wollten«, und sein Schüler Ernst Christoph von Manteuffel etikettierte die freizügige Moral Hagedorns gar als »schweinischen Epicuräismus« (zit. in IV Perels, S. 22). In seinen späteren Werken verwahrte sich der hanseatische Aristokrat gegen solche Vorwürfe, unterschied den Epicureismus von Epicur (PW III, S. 142) und spottete im gelehrten >Vorbericht< zu seinen >Oden und Liedern< über eine Kritik, die »jeden scherzhaften Einfall und jeden Ausdruck eines Liedes nach den Sätzen der strengsten Sitten = Lehre erklären, oder nach der Erleuchtung der Methodisten und andrer Heiligen beurteilen« wolle (ebda., S. XXI). Er legitimierte den Inhalt seiner Poesie mit der Gattungstradition, denn seine Gedichte wünschten »nicht so sehr den erhabenen, als den gefälligen, Charakter der Ode zu besitzen«; nach Horaz' Bestimmung (>De arte poeticaOden und Liedern< auch einen schwerwiegenden Preis: eine moralische Selbst-Zensur, die nun seinen poetischen Geschmack lizensierte: »Was edle Seelen Wollust nennen, / Vermischt mit schnöden Lüsten nicht! . . . Sind nicht der wahren Freude Gränzen / Geschmack und Wahl und Artigkeit?« (Ebda, S. 141 f.) Und er propagierte nun nicht nur einen maßvollen Gebrauch der sinnlichen Genüsse, sondern suchte mit seiner Botschaft der »Göttin Freude« die irdische Glückseligkeit eher als optimistisches Lebensgefühl denn als epicureische Lebenspraxis zu stimulieren (vgl. G, S. 14, 22; dazu III Mauser, S. 208ff.; 11.41 Bohnen, S. 91 ff.; Kap. 13 a). So fand die Wölfische Glückseligkeitsphilosophie, die seine Diesseitsfreudigkeit fundierte (»Es lebe Wolf!«) ihre Grenzen, wo die Gottseligkeit ihren Geschmack verletzt sah (»Es lebe Lange!«). Deshalb mahnte Hagedorn die jüngeren Anhänger des Tejers in seinem Gedicht >AnacreonAn Celsus, einen jungen anacreontischen DichterAnacreon< entworfen habe.« (BHB, S. 78)

In einer Zeit, in der sich das Bürgertum vom »genußsüchtigen« Adel zunehmend abzusetzen suchte, appellierte Hagedorn an die »bürgerliche Tugendängstlichkeit« (vgl. 11.41 Stenzel), nicht gänzlich auf das Vergnügen in der Lebensführung zu verzichten, »den Grad legitimen Genießens aber in so engen Grenzen zu halten, daß die bürgerliche Lebenspraxis dadurch nicht gestört wurde« (III Mauser, S. 231). So wurde Hagedorn, der sich denn auch ständeübergreifend als >Mensch< verstand,

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im Laufe seiner Rezeptionsgeschichte - unterstützt durch die >Klassizität< seines Stils - für die verschiedensten Gruppierungen zu einer Identifikationsfigur, und noch für Klopstock und die Stürmer und Dränger repräsentierte er auf klassische Weise den antimelancholischen Pol der dichterischen Psyche (vgl. IV Perels, S. 19ff., 34ff., 71). - Hagedorn hat die poetische Sprache dem Ideal des Unrhetorisch-Natürlichen nähergebracht, zugleich den Spielraum der Dichtkunst als eines vergnüglichen Mediums sui generis erweitert und mit beidem ihrem Autonomiestreben einen gewichtigen praktischen Dienst erwiesen. c) Spott auf Vernunft- und Moralapostel, Geschmack an der »Einfalt der Natur« (Baumgarten, Meier - Gleim, Uz, Götz) Nicht ohne Grund hatte Hagedorn die Hallenser Anakreontiker zur Mäßigung ermahnt. Denn deren Intention, die Poesie konsequent gegenüber der Gelehrsamkeit abzugrenzen und allein auf das durch Form und Inhalt vermittelte sinnliche Vergnügen zu gründen, führte sie in einen zum Teil scharfen Konflikt vor allem mit jenen beiden Wissenschaften, denen die Dichtkunst bislang in der frühen Neuzeit die Schleppe getragen hatte: mit der Theologie und der Philosophie. Und ihrer Absicht getreu führten sie diese Auseinandersetzung - wie sich im folgenden zeigen soll - im Medium ihrer Gedichte, zogen also die hehrsten Themen und Gegenstände scherzend ins Sinnliche und erweckten dadurch nicht nur bei Hagedorn den Verdacht, die »Gottheit zu höhnen« und aller Vernunft und Moral den Rücken zu kehren. Als nahezu gleichaltrige Studenten (Gleim und Uz studierten Rechtswissenschaften und Philosophie, Götz Theologie) hatten sich die Hallenser 1739 freundschaftlich verbunden, und zwar in der Hochburg des Pietismus, in welche 1740 Christian Wolff zurückkehrte, und damit hatten sie den Konflikt zwischen Aufklärungsphilosophie und (zur Orthodoxie erstarrter pietistischer) Theologie unmittelbar vor Augen (vgl. 11.41 Zeman, S. 138; IV Verweyen, S. 209ff.). Ihre Beschäftigung mit der anakreontischen und scherzhaften Poesie ist daher zunächst auch als Parteinahme und Protest gegen die radikale, keinerlei »adiaphora« zugestehende pietistische Weltabsage und »Frömmelei« (vgl. dazu V/1 Kap. l c; IV Verweyen, S. 225ff.), aber zugleich auch gegen den Wolffschen Rationalismus zu verstehen, denn der »Fürst der Aufklärung« hatte bereits 1721 - wohl auch unter dem Druck der pietistischen Verdächtigungen seiner Position und im Blick auf die >Galanten< Zensur und Aufseher über die Lyrik verlangt, damit diese »nicht durch verliebte und unzüchtige Verse gute Sitten verderben und die bösen Lüste rege

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machen« könne (II DPo, S. 380f.; vgl. IV Verweyen, S. 221). Ebenso richtete sich ihr Spott gegen den Wolffianer und Leipziger »Literaturpapst« Gottsched, der die Poesie zum nützlichen Instrument der Vernunft- und Sittenlehre funktionalisiert hatte (vgl. Kap. I 3 c). Uz versetzte ihn in seinem Gedicht >Magister Duns< (nach der von Bodmer 1747 ins Deutsche übersetzten Literatursatire >The Dunciade< von Pope, 1728; engl. dunce = Dummkopf; vgl. auch II Lessing SG, S. 47f.) in ein anakreontisches Schäferstündchen, ließ ihn dort den Grundsätzen seiner Philosophie entsprechend wie einen »Wolff« im Schäferkostüm agieren und konfrontierte sein Verhalten anschließend mit einem wahren Jünger Anakreons: »Magister Duns, das grosse Licht, Der deutschen Dichtkunst Ehre: Der, dessen Muse finster spricht, Wie seine Ding er lehre. Der lauter Metaphysick ist, Auch wenn er scherzt und wann er küßt; Ließ jüngst bey seiner Schönen Ein zärtlich Lied ertönen. Er sang : O Schmuck der besten Welt! Du Vorwurf meiner Liebe! Dein Äug ists, das den Grund enthält Vom Dasein solcher Triebe. Die Monas, die in mir gedenkt, Vermag, in deinen Reiz versenkt, Die blinden Sinnlichkeiten Nicht länger zu bestreiten. Drauf nannt' er gründlich hier und dort den Grund des Widerspruches, Und noch so manches Modewort, Die Weisheit manchen Buches. Der Mann bewies, wie sichs gehört, Und bat abstract und tiefgelehrt, Durch schulgerechte Schlüsse, Um seiner Chloris Küsse. Das arme Kind erschrack und floh; Die Grazien entsprungen. Kein Dichter hatte noch also, Seid Musen sind, gesungen. Das bange Mädchen hört' ihn an, Als ob der graduirte Mann Mit einem Zauberfluche Sie zu beschwören suche.

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Sie rettet sich ins nahe Thal Voll angenehmer Linden. Da sang Damöt von gleicher Qual, Nicht mit gelehrten Gründen. Sein Lied, vermischt mit stillem Ach! Floß heiter, wie der sanfte Bach, Und floß ihm aus dem Herzen, Der Quelle seiner Schmerzen. Ihm konnte Chloris nicht enfliehn; Ihm ward ein Kuß zum Lohne. Die holden Musen schmückten ihn Mit einer Myrthenkrone. So sinnlich urtheilt alles noch! Ihr dummen Musen, laßt euch doch, Der besten Welt zu Ehren, Die Metaphysick lehren!« (II Uz, S. 34ff.)

In diesen leicht dahingescherzten iambischen Drei- und Vierhebern inszenierte Uz den entscheidenden Gegensatz in der poetologischen Diskussion zwischen Gottsched und Alexander Gottlieb BAUMGARTEN (1714-1762), der als Begründer der Ästhetik gilt, bis 1740 in Halle lehrte und unter dessen Einfluß die Hallenser Anakreontiker nachweislich standen (vgl. dazu IV Verweyen, S. 214ff.). Ebenfalls als Schüler Wolffs hatte Baumgarten noch in seiner ersten Publikation, den >Meditationes philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus< (1735) die Leitfunktion von Philosophie und Theologie gegenüber der Poesie betont: »Denn . . . wir sind gehalten, mit Gedichten das zu besiegeln, was die Tugend und die Religion weiterbringt.« (II MP, S. 47) Gleichzeitig indessen hatte er das Gedicht bereits als »oratio sensitiva perfecta« (»vollkommene sinnliche Rede«) definiert und sensitive Vorstellungen als ihren Hauptbestandteil bezeichnet (ebda., S. 11 ff.). Da er auch die Empfindungen oder Affekte als sinnliche »Vorstellungen von gegenwärtigen Veränderungen des Vorstellenden« erklärte (ebda., S. 25), hielt er ein affekterregendes Gedicht für vollkommener als ein bloß »Einbildungen« (»phantasmata«) hervorbringendes (ebda., S. 27). Mit solchen Bestimmungen autonomisierte er bereits die Poesie zu einem Organ sui generis, und hieran anschließend entwickelte er die Ästhetik als die auf die unteren Erkenntnisvermögen des Menschen bezogene »Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis« (TA, S. 2). Und in diesem Zusammenhang wertete er die bei Leibniz und Wolff vernachlässigten, weil als unzuverlässig geltenden »dunklen« sinnlichen Vorstellungen als eigentlichen »Grund der Seele« (»fundus animae«) auf (MP, S. 4f.): »Soll also der ganze Ver-

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II. Poesie als »Dollmetsch« der Natur

stand gebessert werden, so muß die Ästhetik der Logik zu Hilfe kommen« (TGÄ, S. 80). Deshalb begriff Baumgarten die Ästhetik auch als Propädeutik zur Kultivierung von Sensibilität und Urbanität des Menschen; die besondere Leistung der sich in den schönen Künsten manifestierenden »unteren« Erkenntnisvermögen bestand in der größeren sinnlichen Plastizität, der gegenüber die Logik von Verstand und Vernunft auf Objektivität und damit auf Abstraktion zielten, die Baumgarten als Verlust empfand. Von daher waren bei ihm »Poesie und Wissenschaft mit zweierlei Maß zu messen« (IV Scherpe, S. 172; vgl. 11.44 Adler, S 26ff.). Während bei Leibniz - und analog bei Wolff und Gottsched - der Mensch erst eigentlich in der »Apperzeption« zu Selbstbewußtsein und Vernunft und damit auch zu klaren und distinkten Urteilen über einen Gegenstand gelangte, band Baumgarten nun auch das Geschmacksurteil an die sensitive Erkenntnis, machte also die durch die »oratio sensitiva« vermittelten Empfindungen und Gemütsbewegungen zum Bewertungsfaktor des Geschmacksurteils. Während die Wissenschaft auf das Allgemeine zielte, ging es der Poesie im Medium sinnlicher Erkenntnis und Empfindungen um Darstellung des Individuellen, Besonderen: »Mit dem Grad des Besonderen einer Vorstellung nimmt ihre poetische Intensität zu. ... Die sinnliche Erkenntnis, so sagt Baumgarten, strebt nach Einsicht in individuelle Wahrheiten, nur diese sind eigentlich poetisch.« (IV Scherpe, S. 174) Eben diesen Unterschied zu Gottsched macht das zitierte Gedicht »sinnenfällig«. Dabei erleidet der arme Magister Duns gleich eine doppelte Niederlage, sozusagen in Theorie und Praxis. Zunächst nämlich in Strophe 2 - muß die denkende »Monas« zugeben, daß es das Auge der Schönen ist, das »den Grund enthält« für die Erregung seiner »blinden Sinnlichkeiten«, während doch nach Leibniz - als Vorbedingung auch für die Lehre von der prästabilierten Harmonie (vgl. V/l Kap. 2 c) nichts von »außen« in die Monade hineindringen kann. Und dann - um Aufklärung dieses Widerspruchs bemüht - geht der Magister ganz philosophisch vom Abstrakten - »Durch schulgerechte Schlüsse« - zum Besonderen, um seiner Chloris »Küsse« (selbst hier bleibt er noch in Quantitäten befangen) abzuverlangen, aber durch sein trockenes Räsonnement verschreckt er das »arme Kind«, das entsetzt zusammen mit den Grazien wie vor einem Zauberfluch entflieht. (Die Grazien spielen in der erotischen Poesie als Töchter der Venus mit ihren Qualitäten des Reizes, der Anmut und Schönheit die Rolle der Musen; vgl. IV Schlaffer, S. 113ff.) Die vorletzte Strophe entfaltet nun das poetische Gegenbild: Von »Empfindungen« ist sogleich bei der Darstellung des »nahen Thaies«

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ebenso die Rede wie bei dem von Damöt »mit stillem Ach« wohlgemerkt aus dem »Herzen« und nicht aus dem Verstand hervorgebrachten Lied. Und so fällt denn die Schlußstrophe das ästhetische Urteil, und zwar nicht auf Grund von poetischen Regeln und Vernunftschlüssen, sondern auf Grund der durch Damöts Lied ausgehenden Rührung. Chloris gibt ihm einen (!) Kuß »zum Lohne«, und die ebenfalls gerührten »holden Musen« schmücken ihn »Mit einer Myrthenkrone«, dem poetischen Siegeskranz. Und es folgt der triumphierende Ausruf: »So sinnlich urtheilt alles noch!« Der Kampf gegen den Zugriff der »ratio« und damit um die sinnliche Autonomie der Poesie durchzieht die Lieder der Anakreontiker und wird von GLEIM auch mit dem Gattungscharakter gerade der »musa iocosa« begründet: »Die matematischen Beweise der Wolfianer verschönern kein Gedicht, und die Weltweisheit des Plato schikkt sich nicht zum Inhalt scherzhafter Lieder.« (II VSL, S. 71) Die Motti aus Martial (»Nos haec nouimus esse nihil«) und Voltaire (»Ah! que j'aime ces vers badins, / Ces riens naifs & pleins de grace«; ebda., S. l, 59) stufen die Gleimschen Sammlungen zu tändelnden »Nichtigkeiten« herab und schließen die Weltweisheit durch immerhin gelehrten Rückgriff auf die Tradition (und damit nach den Spielregeln der Gelehrsamkeit selbst) aus. Auch Anakreon hatte in einer Ode >Auf die Vergnügungen dieses Lebens< die Rhetorik stellvertretend für die anderen Künste als nichtsnutzigen Störenfried aus seinem Lust-Garten verwiesen: »Und was lehrstu mich der Redner Regeln und Sophistereyen, Und was soll mir dieß Geschwäze, Das mir keinen Nutzen schaffet? Lieber lehre mich statt dessen Bacchus milde Gabe trinken; Lieber lehre mich statt dessen Mit der holden Venus schäkern,« (II Götz GASO, S. 98)

So abgesichert scherzen Gleim und seine Freunde über zentrale Themen und Lehren der Aufklärung und subsumieren sie stets unter jene beiden Hauptzwecke, die unter der Schirmherrschaft von Amor und Bacchus stehen: Das Problem einer Vielzahl von Welten reduziert sich auf die erfreuliche Entdeckung von Mädchen auf dem Mond (VSL, S. 32ff.), der >Atheismus< bedroht Amor, wenn dieser nicht eine Schöne zu bekehren vermag (ebda., S. 36), und mit dem Beistand des Bacchus versuchen Gleim die Leibnizsche Monadenlehre (ebda., S. 123f.) und Christian Felix Weisse Newtons Beweis vom leeren Raum gegen die Cartesianer

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II. Poesie als »Dollmetsch« der Natur

durch Weingenuß zu demonstrieren (II Weisse, S. 37). Götz appellierte an die solchermaßen verspottete »alte mürrische Vernunft«, »endlich ein wohltätig Licht« zu werden: »Leucht uns, wenn wir uns vergnügen, / Zu der Lust und stör uns nicht!« (II G, S. 65; vgl. auch ebda., S. 14: >Amor und die VernunftVermischten Gedichte von Johann Nikolaus GötzAmtsAesthetica< (1750/58). Übs. u. hg. v. H. R. Schweizer. Lateinisch - Deutsch. Hamburg 1983. - TGÄ: Texte zur Grundlegung der Ästhetik. Übs. u. hg. v. H. R. Schweizer. Lateinisch - Deutsch. Hamburg 1983. BAYLE, PIERRE: Historisches und critisches Wörterbuch (Dictionnaire historique et critique, deutsch). Nach der neuesten Auflage v. 1740 ins Deutsche übersetzt; auch mit einer Vorrede und verschiedenen Anmerkungen versehen v. Johann Christoph Gottsched. Nachdr. d. Ausg. 1741. 4 Bde. Hildesheim 1974-1978. BEHRNDT, GOTTFRIED (Hg.): Sammelung Verirrter Musen, Darinnen Theils zerstreuete, Theils noch gantz ungedruckte Jedoch auserlesene Gedichte Verschiedener berühmten und geschickten Persohnen, Nebst seinen eigenen enthalten. Magdeburg 1732-1735. - Sammlung von Lob- Gluckwunschungs- trauer- vermischten, geistlichen, und weltlichen Gedichten, Welche Theils verschiedene geschickte Personen, Theils er selbst, verfertiget hat. Magdeburg 1746. BESSER, JOHANN VON: Des Herrn von B. Schrifften, Beydes in gebundener und ungebundener Rede; So viel man derer, theils aus ihrem ehemaligen Drucke, theils auch aus guter Freunde schriftlichen Communication, zusammen bringen können. Leipzig 1711. BIRKEN, SIGMUND VON: Prosapia/Biographia. Hg. v. D. Jöns u. H. Laufhütte. Tübingen 1988 ( = Werke und Korrespondenz Bd. 14). Jöns, Dietrich: Sigmund von Birken. Zum Phänomen einer literarischen Existenz zwischen Hof und Stadt. In: H. Brunner (Hg.): Literatur in der Stadt. Göppingen 1982, S. 167-187. Jöns, Dietrich/Hartmut Laußiütte: Einleitung. In: S. v. B.: Prosapia/Biographia (s. d.), S. VII-XXIV.

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Personenregister

Adam s. Sachregister Adam, A. 72 Adam, W. 26 Addison, Joseph 33, 56, 120, 139, 177 Adler, H. 190 Adorno, T. W. 2 Alberti, Valentin 79 Albertsen, L. L. 6, 126 Albinus, Bernhard Siegfried 130 Alexander, G. 62, 68, 139 Anakreon 171, 174ff., 186, 188, 191, 193f., 197, 200ff. Anger, A. 175f., 180, 196 Aristoteles 23, 44, 93, 99f. Arndt, Johann 136 Arntzen, H. 37 Asmuth, B. 40f., 45 August III., König von Polen, als August II. Kurfürst v. Sachsen 29 August, Herzog von Braunschweig-Lüneburg 28 Augustin 97 Augustus, Kaiser 179 Ausfeld, F. 176 Aust, H. 166 Bachmann, H.-M. 81, 83f. Bachofen, Johann Kaspar 6 Bacon, Francis 79 Bahr, E. 3 Barner, W. 2, 14, 27 Batteux, Charles 44f., 203 Baumgart, R. 2 Baumgarten, Alexander Gottlieb 30, 45, 95, 139, 187, 189f., 194, 201, 203 Baur, R. 27 Bayle, Pierre 65, 134, 148 Beetz, M. 16f„ 24, 37, 40, 101 Behrmann, A. 21 Behrndt, Gottfried 31 Bender, W. 23, 201 Bernoulli, Johannes 130 Besser, Johann v. 37ff.

Binder, G. 164 Birken, Sigmund v. 12 Bloch, E. 78 Boccaccio, Giovanni 182 Bodmer, Johann Jakob 16, 20, 22f., 33, 39, 95, 135, 168, 177, 186, 188, 201 ff. Böckmann, P. 14, 17, 174, 179 Böhme, G. 115 Böhme, Jacob 102, 119, 199 Boerhave, Herman 130 Bohnen, K. 175f., 178, 186 Boileau-Despreaux, Nicolas 11, 15 , 33, 35, 37,39, 110, 177 Bolingbroke, Henry St. John 68 Bonnet, Charles 61 Bontekoe, Cornelius 104f. Bouhours, Dominique 1,31, 203 Boyle, Robert 48 Breitinger, Johann Jakob 16, 20ff., 33, 100, 104, 106, 125, 135, 138f. Breymayer, R. 62 Brockes, Barthold Heinrich X, 4, 6f., 20, 27, 31-36, 44f., 47, 49f., 52, 57-62, 68-74, 100-106, 109-128, 136, 139, 144, 146, 155, 158, 167f., 170f., 178f., 194f. Browning, R. M. 6, 138, 173 Brüggemann, F. 90, Buch, H. C. 101, 139, 166 Bucher, Elisabeth 132 Buchner, August 19 Burnet, Gilbert 136 Burnet, Thomas 136 Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig Freiherr v. 11, 15f., 24f., 28, 37ff. Cassirer, E. 2 Casula, M. 81 Chapelle, Claude-Emmanuel 203 Chardin, Jean-Baptiste Simeon 103 Chaulieu, Guillaume Amfrye de 177, 203 Cicero, Marcus Tullius 99f. Cleve, J. W. v. 141 Closs, A. IX

232 Collins, Anthony 64f. Conrady, K. O. 202 Crüger, J. 22 Derham, William 47f., 50, 52, 56 Descartes, Rene IX, 49, 58f., 96, lOOf,, 104, 139, 144, 155, 164, 192 Diderot, Denis 49, 139 Dippel, Johann Conrad 49, 117f., 133 Dithmar, R. 36f., 86 Dockhorn, K. 100 Drollinger, Carl Friedrich 20, 22, 32f., 36, 130 Dülmen, R. v. 14, 31, 90 Dusch, Johann Jakob 30 Dyck, J. 159f. Ebeling, Johann Just 47, 49 Effe, B. 164 Einem, H. v. 102f. Elschenbroich, A. 33, 143, 202 Epting, K. 176f. Erasmus v. Rotterdam, Desiderius 149 Eschenhagen, W. 2 Ewald, Johann Joachim 161 Fenelon (d. i. Francis de Salignac de la Mothe) 47, 50 Fabricius, Johann Albert 48ff., 62, 112 Feind, Barthold 11, 23 f., 113 Ferenczi, L. l Ficino, Marsilio 122 Fontenelle, Bernard Le Bouvier de 48, 52, 56f., 59 Foster, Jacob 64 Freier, H. 92, 95 Friedrich L, König v. Preußen s. Friedrich III. Friedrich II., König v. Preußen, >Friedrich der Große< l, 19, 133, 158, 160, 162 Friedrich III., Kurfürst v. Brandenburg, seit 1701 als Friedrich I. König in Preußen 11 Friedrich Wilhelm L, König v. Preußen, >Soldatenkönig< 90, 159 Friedrich Wilhelm, Kurfürst v. Brandenburg, >Der Große Kurfürst< 11 Fromm, H. l Frühsorge, G. 166 Fry, H. P. 6, 110, 112ff., 126 Gaede, F. 92 Galilei, Galileo 47 Gawlick, G. 48, 50, 62, 64ff., 69, 75

Personenregister Geliert, Christian Fürchtegott 36, 77, 84, 86, 89, 160 Genest, Charles Claude 44, 105 Gessner, Johannes 131 Geßner, Salomon 161, 163 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig 86, 134, 145, 158, 161f., 165f., 171, 174ff., 186f., 191-199, 201 Goethe, Johann Wolfgang v. IX, 34, 117, 205 Götz, Johann Nikolaus 40, 175f., 187, 191-194, 197, 200, 203f. Goeze, Johann Melchior 62, 120 Goltz, Wilhelmine von der 161 Gottsched, Johann Christoph 11-14, 16f., 19-22, 24, 27-30, 32f., 37-40, 42, 44, 52f., 57, 62, 64f., 77, 84, 89-95, 104, 106, 120, 135, 156, 168, 174, 176, 181, 185, 188ff., 201 Gottsched, Luise Adelgunde Victoria, >Gottschedin< 27 Grimm, G. E. 3, 11, 14, 17, 21, 27, 37, 42ff., 91, 164, 168 Grob, Johann 28, Große, W. 13, 15f. Grotius, Hugo 79f. Gühne, E. 90 Günther, Johann Christian 176 Gumbrecht, H. U. 3 Guntermann, G. 6, 38, 110 Guthke, K. S. X, 50, 52f., 56f., 120, 129, 131, 133, 136, 148, 150, 152, 154f. Habermas, J. 2 Händel, Georg Friedrich 6 Hagedorn, Friedrich v. 29, 40, 86f., 175-187, 192f., 199, 201 Haller, Victor Albrecht v. X, 27, 30, 32, 41-45, 94, 128-157, 159, 166, 168, 171, 179 Hamann, Johann Georg 50 Hardenberg, Friedrich v. 127 Harms, W. 37 Harth, D. 87, 89 Hassauer, F. 2 Hazard, P. IX, 2 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 45, 152 Hentig, H. v. 81 Herbert of Cherbury, Edward Lord 62, 65f., 71, 78f., 146 Herder, Johann Gottfried 17, 23, 41, 61, 75, 85, 89, 94, 134, 192 Hermes Trismegistos s. Sachregister Herodes 110

233

Personenregister Herrmann, H. P. 101 Herzig, A. 112 Hiebel, H. H. 92 Hinske, N. 3, 81 Hirzel, Johann Kaspar 160, 172 Hirzel, L. 128-135, 139, 147, 156 Hobbes, Thomas 79ff., 83, 98 Hoffmann von Hoffmannswaldau, Christian 12f. Hofmann, W. 103 Homer 34 Hooke, Robert 59 Horaz (d.i. Quintus Horatius Flaccus) 38, 40f., 44, 91 f., 94, 101, 167, 175f., 178f., 185, 203 Horch, H. O. 22 Horkheimer, M. 2 Hübner, Johann 27 Hueck, M. 29 Hume, David 75 Hunold, Christian Friedrich 24, 31 f. Huygens, Christiaan 52, 56 Huyssen, A. IX Imdahl, M. 103 Jäger, H. W. 41, 152 Jöcher, Christian Gottlieb 64 Jöns, D. 12 Kästner, Abraham Gotthelf 11, 18f., 32, 41 ff. Kahn, C. 85 Kaiser, G. 95, 139 Kant, Immanuel 75, 139, 152 Karl VI., röm.-dt. Kaiser 29 Keiser, Reinhard 6 Kempf, F. R. 132 Kepler, Johannes 50 Ketelsen, U.-K. IXf., 3f., 6f., 27, 31ff., 48f., 89, 109, 112 , 116, 120, 162, 177 Kimber, I. M. 4, 114 Klaj, Johann 12 Klein, J. 109, 112f. Kleist, Ewald Christian v. X, 7, 32, 94, 158-172, 199 Klopstock, Friedrich Gottlieb 19ff., 23, 40, 43, 95, 139, 152, 160, 187, 201, 205 Klussmann, P. G. 164 König, Johann Ulrich 37, 110 König, Samuel 133, 135 Kohlschmidt, W. 139, 143 Kondylis, P. 2 Korff, H. A. 2

Kreimendahl, L. 75 Kreutzer, H. J. 91 Krumbholz, Christian 113 Kühlmann, W. 96 La La La La

Bruyere, Jean de 177 Fontaine, Jean de 36, 177, 180, 182, 203 Mettrie, Julien Offroy de 133 Motte, Antoine Houdart de 20, 36, 39, 182 La Nauze, Louis Jouard de 193 Lange, Samuel Gotthold 161, 181, 186 Laufhütte, H. 12 Lechler, G. V. 64, 66, 68f. Lecke, B. 166 Leeuwenhoek, Anton van 59 Lehmann, Anna Ilsabe 112 Leibfried, E. 36f., 45, 86-89, 101 Leibniz, Gottfried Wilhelm 11, 14f., 22, 35, 50, 56, 90f., 102, 119f., 134, 148 , 151, 189ff., 194 Leiner, Johann Sigmund 40f. Leland, John 64, 66 Lepenies, W. 94, 156 Lesser, Friedrich Christian 49 Lessing, Gotthold Ephraim 2, 11, 17f., 23, 32, 36, 41-44, 50, 62, 64, 75, 85f., 88, 94, 138, 160, 167, 180, 188 Lichtwer, Magnus Gottfried 76-82, 84-88 Link, C. 79, 84 Locke, John lOOf., 105f. Löwen, Johann Friedrich 174f. Logau, Friedrich v. 18 Lohenstein, Daniel Casper v. 12, 42f., 130 Lovejoy, A. O. 115, 120 Luhmann, N. 45, 161 Lukäcs, Georg 57 Luther, Martin 47, 73, 86, 120, 182, 199 Luyken,Jan 102 Luzifer s. Sachregister Mäcenas, Gajus 179 Magdelaine, M. 129 Manteuffei, Ernst Christoph v. 185 Marino, Giambattista 4, 11 Of. Martens, W. 3, 6, 50, 101 Martialis, Marcus Valerius 18 Mattheson, Johann 6 Maurer, M. l Mauser, W. 85, 111, 116, 186 Mecklenburg, N. 101 Medick, H. 83 Meier, Georg Friedrich 30, 187, 194, 201, 203

234

Personenregister

Menantes s. Hunold, Christian Friedrich Mencke, Johann Burkhard 16 Mendelssohn, Moses 41, 43 Menhennet, A. 177 Merker, N. 2 Milton, John 23, 70, 95, 203 Mittelstraß, J. 2 Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de 203 Moore, R. 59 Morgenroth, F. 28 Morhof, Daniel Georg 12 Moritz, Karl Philipp 90 Müller, Johann Daniel 62 Müller, Johannes v. 47, 62, 126 Muralt, Beat Ludwig v. 133 Mylius, Christlob 135

Rabener, Gottlieb Wilhelm 13 Ramler, Karl Wilhelm 18, 160, 192, 204 Ratschow, C. H. 72 Reimarus, Hermann Samuel 6f., 47f., 50, 62, 68-74 Reimarus, Johann Albert Hinrich 68 Reinitzer, H. 62 Rengstorf K. H. 96 Reuter, Christian 28 Richey, Michael 112 Richter, K. X, 3, 17, 57 Richter, L. 179 Ridinger, Johann Elias 6 Roos, P. 2 Rost, Johann Christoph 199 Rousseau, Jean-Jacques 134, 193 Rüsen, J. 2

Naumann, Christian Nikolaus 174 Neuber, Friederike Caroline 90 Neukirch, Benjamin 13, 30ff., 37 Neumeister, Erdmann 12, 15 Newton, Isaak 42, 58, 143, 145f., 191 Nicolai, Philipp 2, 41 Nieuwentyt, Bernhard 49 Novalis s. Hardenberg, Friedrich v.

Saine, T. P. 4, 51, 84f., 148f., 152 Sappho 176 Sauder, G. 98, 101, 167 Sauer, A. 201 Schädle, L. 162 Schäfer, G. 90, 94 Schatzberg, W. 4 Scherpe, K. R. 21, 23, 45, 91, 190, 194 Scheuchzer, Johann Jacob 52f., 136 Scheurer, R. 129 Schiele, S. 2 Schiller, Friedrich v. 138f., 152, 194 Schings, H.-J. 156 Schlaffer, H. 173, 190, 192, 196, 201, 204 Schloemann, M. 120 Schmidt, J. 2, 21 f., 137 Schmidt, Johann Lorenz 64 Schmidt-Biggemann, W. 69 Schmitt, E. 25 Schneider, H. J. 164, 199 Schneider, M. IX, 2 Schneiders, W. 96f., 100, 104 Schönaich, Christoph Otto v. 135 Schöne, A. 30 Schüsseler, M. 174ff., 178, 180, 182 Schulz, G. M. 22 Schwabe, Johann Joachim 27 Sechi, M. 136f. Seckendorf, Veit Ludwig von 79 Segebrecht, W. IX, 25ff., 30, 34 Shaftesbury (d.i. Anthony Ashley-Cooper, Earl of Shaftesbury) 98, 130, 140, 164, 167, 171, 177, 194 Siegrist, C. IX, 27, 30, 32f., 37f., 40f., 44, 86, 130, 132, 134, 147, 150, 152

Oesterle, K. 2 Omeis, Magnus Daniel 12 Opitz, Martin 13, 19f., 22f„ 26, 33, 42, 176 Otto, K. F. 31 Ovid (d. i. Publius Ovidius Naso) 20, 199 Paracelsus (d. i. Theophrastus Bombastus von Hohenheim) 118 Pascal, Blaise 57, 60, 155 Patzig, G. l Perels, C. 174, 176, 179, 182, 185, 187, 194f., 199, 201 Peucker, B. 166f. Pfeffel, Gottlieb Konrad 89 Phädrus 182 Pilatus, Pontius 111 Pindar 34, 40, 137 Plato 23, 162, 191 Pörksen, U. 14 Pomeau, R. l Pope, Alexander 4, 33, 43, 62, 68ff., 130, 148, 177f., 181, 188 Poser, T. 86 Prior, Matthew 177, 182 Pross, W. 78 Pütz, P. 2 Pufendorf, Samuel 76, 79ff., 83, 96f.

Personenregister Simitis, S. 81 Smissen, Dominicus van der 4 Söhngen, O. 61 Spalding, Johann Joachim 172 Sparn, W. 62, 73 Spener, Philipp Jakob 79, 98 Spinoza, Baruch de 79 Spreng, Johann Jakob 33 Stackelberg, J. v. l Stähelin, Benedikt 130, 146 Stahl, Georg Ernst 133 Steele, Richard 177 Steinmetz, H. 177 , 180f. Stenzel.J.4, 15ff., 28, 158, 161, 186, 197, 199 Stephanus, Henricus (d. i. Henri Estienne) 175 Steputat, W. 28 Stolleis, M. 78f., 81, 96 Stoppe, Daniel 86, 89 Strauß, David Friedrich 6 Sucro, Christoph Joseph 30, 40, 76, 82ff. Sulzer, Johann Georg 161 Sutton, G. H. 112 Syamken, G. 103 Szyrocki, M. 14, 27 Tasso, Torquato 110 Teichmeyer, Amalia Christina 132 Telemann, Georg Philipp 6, 126 Thadden, R. v. 129 Thomann, M. l Thomas v. Aquin 81 Thomasius, Christian l, 14, 79, 89, 96-101, 109, 117, 130, 181 Thomson, James 4, 32, 44, 158, 162f., 166, 177 Tibull (d. i. Albius Tibullus) 20 Tindal, Matthew 62, 64, 66ff., 70ff., 147 Triller, Daniel Wilhelm 22f., 30, 32-37, 44, 47, 49, 74, 86 Trimberg, Hugo v. 182 Trinius, Johann Anton 48, 63f., 70, 98 Troeltsch, E. 62, 64 Uhse, Erdmann 16, 31 Unger, R. 61 Unzer, Johanne Charlotte 174 Uz, Johann Peter 40f, 161, 166ff., 175f., 187ff., 193f., 197, 200-203

235 Vergil (d.i. Publius Vergilius Maro) 34 Verweyen, T. 23, 175, 187ff., 192 Victor, K. 19, 40f. Voltaire (d. i. Francois-Marie Arouet) 1,19, 49, 134, 191 Voss, E. T. 160 Walch, Johann Georg 50, 62f. Waldis, Burkhard 182 Warburton, William 68f. Watanabe-O'Kelly, H. 153 Weber, M. 129 Weckherlin, Georg Rodolf 176 Wegmann, N. 2 Weichmann, Christian Friedrich 24, 30f., 112, 123, 125, 181 Weise, Christian 11, 13-16, 24, 42, 101, 181 Weisse, Christian Felix 174, 191 f. Welsch, W. 2, 110 Welzel, H. 81 Werder, Dietrich von dem 110 Werle, J. M. 87ff. Werlhoff, Paul Gottlieb 155 Wernicke, Christian 11, 17, 37 Whaley, J. 112f., 120 Wiedemann, C. 15f. Wieland, Christoph Martin 201 f. Wilhelm von Brandenburg-Schwedt 197 Wilke, J. 22 Willems, G. 137, 139 Winckelmann, Johann Joachim 94 Windfuhr, M. 36, 85f., 89 Winter, E. 79, 109 Witting, G. 23 Wolff, Christian l, 14, 21, 47, 51, 53, 56, 59, 64f„ 76, 78f., 81-85, 87-91, 93f., 96, 102, 181, 186-190, 194 Wyß, Mariane 131 Zell, Albrecht Jacob 7, 117 Zelle, C. l, 3 Zeman, H. 175 , 186f., 201, 203f. Zeno von Kition 146f. Zesen, Philipp v. 176 Zinck, Barthold J. 68 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf v. 199 Zöckler, O. 6

236

Sachregister

Aberglaube 66, 144f. Absolutheitsanspruch, christlicher 65f. Absolutismus 29, 78, 81, 85, 89, 141 Abstraktion 190 Adam (vgl. Paradies) 150 Adams-Frömmigkeit (vgl. Gottesdienst, adamitischer) 69 Adel 28, 78, 109, 112, 142, 159, 186 Adelskritik 112 >adiaphora< 187 >admiratio< s. Verwunderung Affekt (vgl. Empfindung; Psychosomatik) 38f., 74, 80, 97-106, 111, 122, 126, 167, 174, 189 Affektregulierung 100 Akkomodationstheorie 50 Alchimie (vgl. poetische Alchimie; Rückkehr) 61, 114-127 alchimistische Fachsprache 116 alchimistischer Prozeß 117, 126 Alexandriner 15, 20, 42, 81, 110, 123, 125, 137, 143, 149, 180 All s. Weltall Allegorie 76, 85, 88, 94, 111, 137, 180 Allmacht 57, 60 Alpen (vgl. Zivilisation; Zivilisationskritik) 131, 136-143 Altes Testament 72f. Altruismus s. Nächstenliebe Anakreontik (vgl. erotische Poesie; >musa iocosasimplicitas< 198 - Körpererfahrung (vgl. Erotik; Leib; Sexualität) 192 - Lebenshaltung 193, 197, 199 - Ode (vgl. Ode) 40, 175 - Scherzgedichte 17 - Tugendhaftigkeit 193 anakreontischer Stil (vgl. Stil) 194 - Sündenfall 173-205 - Vers (vgl. Vers) 194f. anakreontisches Genußstreben, anakreontischer Weltgenuß 4, 105, 198f.

Analogie 28 Angelodizee (vgl. Engel) 150 Angst (vgl. >heliozentrischer Schockhorror vacuikopernikanischer Schockheliozentrischer Schocklocus amoenuskopernikanischer SchockBuch der Natun; Offenbarung; Verbalinspiration) 3f., 47-51, 63, 66, 72, 83, 144 Bibeldeutung, christliche 51 biblisches Epos 201 Biel 130 Bildung, Bildungskunst (vgl. Didaxe; Lehrdichtung; Schule; Universität; Wissensvermittlung^, 45 Blankvers 112 Blütenlesen 27, 32 Blutkreislauf (vgl. Herz) 99, 105 Böses (vgl. Gutes; Theodizee; Übel) 87, 93, 97, 99, 106, 126, 144, 148, 150, 164, 196 Botanik 49 Brautmystik 119, 126

237

Brief (vgl. Freundschaft; Freundschaftspoesie) 173 >Buch der Natur< (vgl. Bibel; Gottesdienst; Naturgesetz; Naturnachahmung; Offenbarung) 4, 47-50, 61, 89, 127 Buchmarkt (vgl. Literatur) 140 Bukolik (vgl. Arkadik; Idyllik; >locus amoenusCambridge Platonists< 98 >caritas ordinata< (vgl. Nächstenliebe) 97 Cartesianismus (vgl. Anticartesianismus; Leib; Mechanismus) 105, 130, 155, 191 >catena aurea< s. >Kette der Wesen< >causa mundi< (vgl. Gottesbeweis, physikotheologischer) 48 >chain of being< s. >Kette der Wesen< Chaos 156 Choleriker 23 Choral 183 Christi Erlösungsfunktion (vgl Erlösung; >imitatio Christicogito ergo sum< (vgl. Cartesianismus) 155, 192 >Corpus hermeticum< (vgl. Hermetismus) 50 >creatio ex nihilo< (vgl. Schöpfung) 120 Dämonisierung 118 Danzig 158 >decorum< (vgl. Sozialverhalten) 23, 99 Deifizierung, Vergottung; Selbstvergottung (vgl. Naturbetrachtung) 53, 61, 68, 121-127, 150 Deismus (vgl. Gottesbegriff, deistischer) 4, 50, 61-75, 98, 106, 120, 143, 145, 147, 199

238 Deismus-Rezeption 62 Dekalog 73 >delectare< (vgl. Didaxe; Lehrdichtung; >prodesseDeus absconditus< 150f. deutliches Schreibern (vgl. genus; Stil) 19 Dialekt 135 Diätetik der Seele (vgl. hippokratisch-galenische Schulmedizin; Medizin) 192 Dichter als >Dollmetscher< (vgl. Poesie als >Dollmetsch< der Natur) 121-127 - als Priester 121, 127 Didaxe, Didaktisierung (vgl. >delectareprodesseVergnügen^ Wirkung) X, 24-32, 37, 40-44, 152, 168, 174, 179f. Diesseitsverachtung, christliche (vgl. Jenseitsorientierung) 71 Diesseitsfreudigkeit (vgl. Entsagung; Glückseligkeit; Jenseitsorientierung) 186, 202, 204 Disharmonie von Vernunft und Offenbarung (vgl. Offenbarung; Vernunft) 47-75 >dispositio< (vgl. Rhetorik) 27 Dogma 48f., 61, 65, 70, 106 Doxologie 150f. Drama, Dramatik 45 Dreißigjähriger Krieg 79 >dunkles Schreiben< (vgl. genus; Stil) 19 Duodezfürsten 112, 203 Edikt von Nantes l, 128f. Ehe (vgl. Privatheit; Sexualität) 161 Eigenliebe (vgl. Gottes Liebe; Liebe; Nächstenliebe) 80f, 98, 149, 163 Einbildungskraft (vgl. Imagination; Phantasie) 94, 157, 166, 181 Einsamkeit 56, 153, 163, 165 Eklektizismus IX, 6, 49, 61, 69, 119, 134, 146 Elegie, elegisch 30, 162, 173 Emanation, Emanationstheorie (vgl. > Kette der Wesenmusa iocosaprodessefinis mundi< (vgl. >causa mundifuror divinus< (vgl. Inspiration) 40 galante Poesie, Galantismus (vgl. Anakreontik; erotische Poesie; >musa iocosagenre mele< (vgl. Form; Rhetorik; Stil) 173

240 >genus grande< 173 >genus humilis< 173 >genus, mittleres< 173 Geometrie 53, 88 Geozentrik (vgl. Anthropozentrik; heliozentrischer Schockkopernikanischer SchockDollmetsch< der Natur) 109-127 Gotteserkenntnis 59, 122, 143, 145 Gottesferne (vgl. Deismus) 61, 68 Gottesgerechtigkeit 145 Gottesliebe (vgl. Eigenliebe; Nächstenliebe) 60 Gotteslob, -Verehrung 56, 69, 72, 115, 137, 147, 167, 169 Göttingen 132f. göttliches Schaffen 53 Gottseligkeit (vgl. Glückseligkeit; Vereinigung) 68 Gravitationsgesetz 42 Grazie (vgl. Anmut) 190 Gutes (vgl. Böses; Theodizee) 82, 87, 93, 97f., 144, 147, 149f. Habsburg 197 Hades 153 Halberstadt 75, 161, 199 Halle 79, 109, 113, 130, 159, 176, 187, 189, 192 Hamburg 5, 47, 62, 109, l l l f f . , 116, 120, 176f., 185 Handlung 76f., 82f., 89 Handlungsgesetz, Handlungsmaxime (vgl. Moral; Naturgesetz; Schöpfungsverständnis; Sitte; Sozialisierung) 67, 75, 81, 91, 106 Handwerk 120 Häresie, häretisch (vgl. Ketzer) 7, 50, 60, 62, 68, 119, 154f. Haß 97, 104 Häßliches 164 Heiden 71 Heil, ewiges 96 Heiliger Geist 73, 144 Heiligung 171 Heilslehre 73 Heilsversprechen 82 heliozentrischer Schock< 52-62, 146, 153 heliozentrisches System (vgl. Astronomie; Anthropzentrik; Geozentrik; >kopernikanischer SchockCorpus hermeticumhorror vacui< (vgl. Angst; Kontingenz; Leere; Nichts) 29 Huldigungsgedicht (vgl. Hof-Kultur) 56 Hugenotten 128 Humanisierungsideologie 6 Humanismus 28 Hypochondrie (vgl. Depression; Melancholie) 156, 159 Idealismus (vgl. Realismus) 156 Ideen, Ideenbildung 101 f., 139, 196 Identität, soziale (vgl. Autonomie; Gesellschaft; Sozietät; Subjekt) 85 Idyllik, Idylle, idyllisch (vgl. Arkadik; Bukolik; >locus amoenusimago Dei< 106 imitatio 99 >imitatio Christi< 68, 99 >imitatio naturae< s. Naturnachahmung Imitation s. Nachahmung Imitation adliger Kultur 29 Individualität, Individuum (vgl. Identität; Subjekt) 21, 90 Inspiration (vgl. Verbalinspiration) 162 Inspirationstopos 40 Instinkt 98 >inventio< (vgl. Rhetorik) 27 Ironie, ironisch 183 Irrationalismus (vgl. Idealismus; Rationalismus; Realismus) 2

241 Irritabilität (vgl. Muskel; Nerv; Sensibilität) 133 Italien 109 Jambus 20 Jena 177 Jenseitsorientierung (vgl. Diesseits Verachtung; Glückseligkeit; Gottseligkeit) 71, 114, 147 Jupiter 52 Kaiser 112 Kalokagathie-Ideal 164, 171, 194 Kantate 30, 126 Katholische Kirche 47 Katholizismus 29, 144 Kausalität (vgl. >causa mundifinis mundiKette der Wesencatena aureachain of being< (vgl. Alchimie; Emanation; Rückkehr) 52, 57, 59, 61, 69, 89, 115ff., 119f., 122, 149, 171 Ketzer (vgl. Häresie) 71, 197 Kirche IX, 53, 62, 64, 82ff., 99, 129, 147 Kirchen-Kampf 51, 62, 113 Kirchen-Recht 183 Kirchengegner 64 Kirchenkritik 4, 69, 74, 199 Klassik 2 Klassizismus 17, 176f. Klugheit, Klugheitslehre s. Weltklugheit Komet 42, 56 Komik 192 Komödie 173 Komposition 41 Konfession 78 Konfessionalismus 128, 145 Konfessionsstreitigkeiten 62 Königsberg 158 Konservatismus 134 Kontingenz (vgl. Angst; >horror vacuikopernikanischer Schock< (vgl. Astronomie; Anthropozentrik; heliozentrischer Schocklocus melancholicus< (vgl. Melancholie) 153, 163 Langeweile 165 Laster 150 Latein 14f. Lausanne 128 Lautmalerei, Onomatopoesie 123, 125 Lebenskraft, göttlich-fluidale (vgl. Äther; Fluidum; Kraft) 126 Leere (vgl. Fülle; >horror vacuiprodesseLeipziger Schule< 135, 181 Lernen, imitatorisches Lernen (vgl. Buchmarkt; Schule; Wissensvermittlung) 100 Leseeffektivität 140 Leser 140f., 182, 196 Licht, Licht-Gestalt (vgl. Feuer; Sonne; Sonnen-Metaphorik) 59, 61, 122, 126, 155, 171 Liebe (vgl. Eigenliebe; Empfindung; Gottesliebe; Nächstenliebe) 67, 89, 98ff., 104f., 119, 161, 165, 170f„ 173f., 196 Liebe zu Gott 98, 100, 106 Liebe, vernünftige (vgl. Affekt; Empfindung; Sozialisierung) 96-100 Liebespoesie s. erotische Poesie; Minnesang Lied 163, 173, 185 literarischer Markt (vgl. Buchmarkt) 45

Sachregister Literatur als Ware 26 Literaturgeschichte 85, 90, 95f., 99, 127, 177 Literaturwissenschaft 176 >locus amoenus< (vgl. Arkadik; Bukolik; Idyllik) 194, 200 >locus melancholicus< s. Landschaft, melancholische >locus terribilis< 153 Logik (vgl. >ratiomusa iocosasensus allegoricus< 137 >sensus historicus< 137 Separatismus (vgl. Pietismus) 97 Sexualität (vgl. Erotik; Geschlechtsakt) 83, 118f., 183, 185, 196

Sachregister Siebenjähriger Krieg 159, 162 Singspiel 30 Sinn, Sinngebung, Sinnorientierung 28, 52, 57,76 Sinngedicht s. Epigramm Sinnlichkeit (vgl. Wahrnehmung, sinnliche) 117, 126, 173ff., 186, 189, 192 Sitte (vgl. Ethik; Moral; Naturgesetz; Naturnachahmung) 193 Sittengesetz (vgl. Didaxe; Fabel; Naturgesetz) 4, 67, 76, 85, 90, 92, 94, 188 Sittenlehre 37, 85-90, 96 Sonett 16, 30, 33 Sonne, Sonnen-Metaphorik (vgl. Metapher) 125f. Sonnensystem (vgl. Anthropozentrik; Geozentrik; Erde; heliozentrischer Schockkopernikanischer Schockstilus grande< 11, 178 - mittlerer 24 - sächsisch-meißnischer 33 Stildebatten um 1700 11 Stilideal, unrhetorisch-natürliches 187 Stiltheorie 14 Stilwandel (vgl. Funktionswandel; Geschmackswandel) 11-46

Sachregister Stoa, stoisch 40, 142, 147, 178f. Strafe 149 Strophe, Strophenform (vgl. Form; Reim; Vers) 86, 137 Sturm und Drang X, 2, 19, 43, 90, 171, 187, 193 Subjekt, Aufwertung des Subjekts (vgl. Autonomie; Identität; Individualität; Selbstbegründung) 21, 80f., 83 Sublimierung s. Rückkehr Sünde (vgl. Böses; Gutes; Laster; Tugend) 149 Sündenfall (vgl. anakreontischer -) 49, 67, 70f., 78, 106, 193, 196, 204f. Teleologie 81, 154 Teleskop 60 >Teutsch-übende Gesellschaft < (vgl. Sprachgesellschaft) 31 Theaterreform 90 Theismus (vgl. Gottesbegriff, theistischer) 50 Theodizee (vgl. Anthropodizee; Böses; Gutes) 35, 43, 85, 143, 148-152, 163f. Theologie X, 50f., 70, 78f., 82f., 96, 100, 143, 174, 187, 189, 205 theologische Zeitalterklage 17 Tod (vgl. Auferstehung; >memento mori< Palingenesie; Unsterblichkeit) 60f., 169f. Toleranz 75, 84 Topos 38 Tragödie 94 Transzendenz 53 Trauergedicht 38 Trauerode (vgl. Ode) 39 Traum 171 ff., 200f. Trinität 72, 144f. Triolett 173, 198 >tristitia spiritualis< 156 Trochäus 20 Tübingen 130 Tugend (vgl. anakreontischer Sündenfall; Moral; Naturgesetz; Naturnachahmung) 4, 29, 76f., 84, 98, 116, 142, 163, 167, 178, 185 f., 193, 201 Übel (vgl. Böses; Gutes; Theodizee) 148-151 Über-Ich 83 Übertragung, Übersetzung llOf., 175f., 178, 194, 203 Ubiquität 60 Umgangssprache 14, 31 Unendlichkeit (vgl. >horror vacuiut pictura poesis< (vgl. Naturmalerei) 101 Utilitarismus 117 Utrecht 133 Vanitas-Gedanke (vgl. >memento moridelectareprodesseratioadmiratio< (vgl. Anschauung; Deskription; Gottesdienst, poetischer; Gotteslob; Physikotheologie) 104, 122 Verzweiflung (vgl. Depression; Glaubenszweifel; Melancholie) 164, 172 Vitriol 116 Völkerrecht (vgl. Recht) 79 Volksaufklärung 42 Voluntarismus, voluntaristisch (vgl. Wille) 96 Vorbild, Vorbildlichkeit (vgl. Sozialisierung) 99 Vorurteil, >praejudicia< l, 99, 163, 198 Wachstum, Wachstumsprozeß (vgl. Kraft; Palingenesie; Samen) 117 Wahrheit 4, 35, 37, 76-79, 81, 85ff., 91, 93, 135 - moralische 85-89, 93 - natürliche 51 - übernatürliche 51 Wahrheitssuche, Wahrheitsfrage 66, 78 Wahrheitsvermittlung (vgl. Didaxe; Erziehung; Fabel; Naturnachahmung; Sittengesetz) 90-96 Wahrnehmung, sinnliche (vgl. Anschauung; Deskription; Empirie; Objektivität) 100-106, 121, 146, 167, 194, 196 Wahrscheinlichkeit 14, 37, 93, 95 Welt, beste aller möglichen Welten 115 - defiziente 198 Weltall, Weltraum, Universum (vgl. Äther; Fluidum; Kosmos; Unendlichkeit) 40, 52f., 57, 58ff., 148, 150f., 154 Weltbild 21, 33 - biblisch-christliches 4, 48ff., 61 - heliozentrisches (vgl. >heliozentrischer Schockkopernikanischer Schockdelectareprodesse