Das bürgerliche Recht Deutschlands: Mit Einschluß des Handels-, Wechsel- und Seerechts [6., verb. Aufl. Reprint 2018] 9783111537603, 9783111169460


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German Pages 915 [948] Year 1913

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Table of contents :
Vorwort zur sechsten Auflage
Vorwort zur ersten Auflage
Inhalt
Abkürzungen
Erstes Buch: Allgemeiner Teil
Einleitung
Erster Abschnitt: Das objektive Recht
Zweiter Abschnitt: Das subjektive Recht
Dritter Abschnitt: Die Rechtssubjekte
Vierter Abschnitt: Die Rechtsobjekte
Fünfter Abschnitt: Die juristischen Tatsachen
Sechster Abschnitt: Der Rechtsschutz
Zweites Buch: Das Recht der Schuldverhältnisse (Obligationenrecht)
A. Allgemeiner Teil
Erster Abschnitt: Von der Obligation überhaupt
Zweiter Abschnitt: Gegenstand der Obligation
Dritter Abschnitt: Inhalt der Obligation
Vierter Abschnitt: Entstehungsgründe der Schuldverhältnisse
Fünfter Abschnitt: Die Subjekte des Schuldverhältnisses
Sechster Abschnitt: Das Erlöschen der Schuldverhältnisse
B. Besonderer Teil. Die einzelnen Schuldverhältnisse
I. Die Obligationen aus Rechtsgeschäften
II. Obligationen aus Nicht-Rechtsgelchäften
Drittes Buch: Das Sachenrecht
A. Der Besitz
B. Die Sachenrechte
Erster Abschnitt: Das Eigentum
Zweiter Abschnitt: Das Bergrecht
Dritter Abschnitt: Das Lehnrecht
Vierter Abschnitt: Emphyteufis und Erbpachtrecht
Fünfter Abschnitt: Das Erbbaurecht, Superfiziar- oder Platzrecht
Sechster Abschnitt: Die Servituten ober Dienstbarkeiten
Siebenter Abschnitt: Die Reallast
Achter Abschnitt: Das Pfandrecht
Neunter Abschnitt: Das Vorkaufsrecht
Viertes Buch. Das Familienrecht
Überblick
Erster Abschnitt: Das Eherecht
Zweiter Abschnitt: Das Eltern- und Kindesverhältnis
Dritter Abschnitt: Das Bormundschaftsrecht
Fünftes Buch: Das Erbrecht
Erster Abschnitt: Allgemeine Lehren
Dritter Abschnitt: Die Erbfolge auf Grund einer Verfügung von Todes wegen
Vierter Abschnitt: Erbfolge gegen den Willen des Erblassers (Roterbrecht)
Fünfter Abschnitt. Die Erbfolge in besondere Güterarten
Sechster Abschnitt: Rechtsstellung des Erben
Siebenter Abschnitt: Vermächtnisse, Schenkungen von Todes wegen und Auslagen
Achter Abschnitt: Verlust des Erbrechts und Beräußerung der Erbschaft
Sechstes Buch: Die Persönlichkeitsrechte
A. Die Rechte auf den Genuß persönlicher Güter
B. Die Rechte auf Betätigung
Sachregister
Frontmatter 2
Deutscher Reichsgesetze
Brentzischer Gesetze
Schlagwort-Register
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Das bürgerliche Recht Deutschlands: Mit Einschluß des Handels-, Wechsel- und Seerechts [6., verb. Aufl. Reprint 2018]
 9783111537603, 9783111169460

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Das

Bürgerliche Recht Deutschlands mit Einschluß des Handels-, Wechsel- und Seerechts historisch und dogmatisch dargestellt von

Dr. A. Engelmann, Lberlandesgerichts-Senatspräsidenten und ord. Honorarprofessor.

Sechste, verbesserte Auflage.

Berlin 1913. I. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, G. m. b. H.

Vorwort zur sechsten Auflage. Die günstige Aufnahme, die auch die fünfte Auflage dieseUnterrichts- und Einführungsbuches bei den Studenten fand, setzte uns in die Lage, bereits im Jahre 1911 an Herrn Präsidenten Engelmann mit der Bitte um Bearbeitung einer neuen sechsten Auslage heranzutreten. Mit ganzer Hingabe widmete sich der rastlos tätige Verfasser trotz seines leidenden Zustandes dieser Aufgabe. So konnte er in verhältnismäßig kurzer Zeit das ganze Manuskript, unter Berück­ sichtigung alles dessen, was Gesetzgebung, Literatur und Recht­ sprechung inzwischen geleistet hatten, fertigstellen und abschließen. Leider sollte es ihm aber nicht mehr vergönnt sein, das Erscheinen der neuen Auflage selbst noch zu erleben. Ein plötzlicher Tod raffte ihn dahin. So mußte die Drucklegung ohne sein Zutun vollendet werden. Jedoch konnte uns hierbei der Sohn des Verfassers, Herr Gerichtsassessor Hubert Engelmann, der auch vorher schon seinem Vater bei der Arbeit mehrfach zur Hand gegangen war, wert­ volle Dienste leisten, für die wir unsern Dank auch an dieser Stelle aussprechen. Möge dem Buche auch in der neuen Auflage eine freundliche Ausnahme und Anerkennung bei der studentischen Jugend beschieden sein, der das ganze Streben des unermüdlichen und unvergeßlichen Mannes galt. Berlin, im April 1913.

Die Verlagsbuchhandlung.

Vorwort zur ersten Auflage. Das vorliegende Werk enthält eine Darstellung des gesamten Privatrechts, wie es vom 1. Januar 1900 ab in Deutschland gelten wird, und zwar unter besonderer Berücksichtigung seiner geschichtlichen Entwicklung. Es geht daher überall vom älteren oder neueren römischen oder vom deutschen Rechte der Zeit vor der Rezeption aus und dann zur Darstellung des gemeinen und des neuen, d. h. des

IV künftigen Rechts über. Die deutschen Partikulargesetzgebungen sind nur an einzelnen Stellen, und zwar als Phasen der geschichtlichen Entwicklung, berücksichtigt, nirgends ist ein einzelnes bestimmtes Landesrecht vergleichsweise neben dem neuen Rechte zur Darstellung gekommen. Ich bin genötigt, dies besonders hervorzuheben, weil selbst Verfasser von Literaturübersichten aus dem Umstande, daß ich früher eine kurzgefaßte Darstellung des Preußischen Privatrechts geschrieben habe, nach dem Erscheinen der ersten Hefte des vor­ liegenden Werks ohne weiteres geschlossen haben, daß diese Arbeit eine Nebeneinanderstellung des neuen Rechts und des preußischen Landrechts enthalten müsse. Da jede systematische Behandlung unseres Privatrechts lücken­ haft bleiben muß, wenn sie nicht auch diejenigen Rechtsinstitute um­ faßt, welche außerhalb des BGB oder des Pandektenrechts stehen, ist auch im vorliegenden Werke das Handels-, Wechsel- und Seerecht, wie überhaupt das auf Reichsgesetzen beruhende Privatrecht, es ist aber auch dasjenige bürgerliche Recht behandelt worden, welches künftig als Landesrecht fortbestehen wird. Bei der Bearbeitung dieser letzteren Materie ist in ähnlicher Weise verfahren worden, wie bisher das auf Landesrecht beruhende deutsche Privatrecht be­ handelt worden ist, d. h. es sind meist nur allgemeine und besonders wichtige Grundsätze hervorgehoben worden. Dieser Anlage gemäß soll das Werk nicht nur dem Anfänger einen ihn durch das gesamte Privatrecht führenden Leitfaden geben, sondern auch dem Kenner des alten, insbesondere des gemeinen Rechts das Einleben in das neue Recht erleichtern. Nur um Raum für die eigene Darstellung zu sparen, habe ich auf Literaturanführungen fast ganz verzichtet, obwohl ich sehr wohl weiß, daß solche Zitate auf viele Eindruck machen. Zum Schlüsse will ich noch Herrn Amtsgerichtsrat Berger in Grottkau meinen Dank für die Unterstützung aussprechen, die er mir bei Abfassung des Vormundschaftsrechts gewährt hat. Breslau, 31. Juli 1899. Eugelman«.

Inhalt. Erstes Buch: Allgemeiner Teil. Einleitung. Seite

I. II.

A. B. C. D. E. F.

Das frühere Privatrecht Deutschlands. § 1. Die Bestandteile des bisherigen Rechts................................... § 2. Gemeines, allgemeines, partikuläres Recht............................... § 3. Das neue Privatrecht Deutschlands...........................................

1 6 9

Erster Abschnitt: Das objektive Recht. Die Quellen des objektiven Rechts. § 4. Das Gesetzesrecht........................................................................... § 5. Das Gewohnheitsrecht................................................................. § 6. Anwendung des Rechts............................................................... § 7. Die Einteilungen der Rechtssätze.............................................. § 8. Zeitliche Grenzen der Gesetze.................................................... § 9. Oertliche Grenzen der Gesetze.................................................... § 10. Autonomie.....................................................................................

16 18 22 24 26 28 32

Zweiter Abschnitt: Das subjektive Recht. Begriff des subjektiven Rechts................................................ Die Einteilung der Rechte........................................................ Das Rechtssystem......................................................................... Recht und Anspruch...................................................................

33 34 37 38

§ § § §

A.

B.

11. 12. 13. 14.

Dritter Abschnitt: Die Rechtssubjekte. § 15. Rechtsfähigkeit............................................................................. 41 Die natürliche Person. § 16. Beginn und Ende der Rechtsfähigkeit.................................... 41 § 17. Die natürlichen Eigenschaften der Person................................ 44 § 18. Die rechtlichen Eigenschaften der Person.............................. 49 § 19. Insbesondere: Der Kaufmann................................................ 52 Die juristische Person. § 20. Der Begriff der juristischen Person........................................ 57 § 21. Die Körperschaften.................................................................... 59 § 22. Die Arten der Körperschaften.................................................. 69

VI

Inhalt. Seite

§ 23. | 24. §25.

Die nicht rechtsfähigen Vereine.................................................... Die Anstalten und Stiftungen...................................................... Einzelne juristische Personen. Der Fiskus. Die Gemerden..

70 71 74

26. 27. 28. 29. 30. 31.

Vierter Abschnitt: Die Rechtsobjekte. Der Begriff der Sache und des Vermögens............................. A. Die natürlichen Eigenschaften der Sachen............................. B. Die wirtschaftlichen Eigenschaften der Sachen.................... C. Die rechtlichen Eigenschaften der Sachen...................... Das Geld............................................................................................. Urkunden und Wertpapiere ...........................................................

75 78 80 83 86 87

§ 32.

Fünfter Abschnitt: Die juristischen Tatsache: Einleitung.............................................................................................

90

I. Die Handlungen. A. Die Rechtsgeschäfte. 33. Begriff des Rechtsgeschäfts............................................................. 34. Einteilung der Rechtsgeschäfte .......................................................

91 92

§ § § § | §

1

35. 36. 37.

§ 38. § 39. § 40. 41. 42.

Der Vertrag......................................................................................... Versteigerung. Kreation. Gesamtakt.......................................... Die allgemeinen Voraussetzungen der Giltigkeit des lechtsgeschästs................................................................................................... Das Verhältnis von Wille und Erklärung.................................. Die Freiheit der Willenserklärung .............................................. Die Form der Rechtsgeschäfte ....................................................... Die Bestandteile der Rechtsgeschäfte............................................ Das bedingte Rechtsgeschäft...........................................................

101 102 109 111 116 117

43. 44. 45. 46.

Das befristete Rechtsgeschäft........................................................... Willenserklärungen durch Stellvertreter...................................... Das unwirksame Rechtsgeschäft....................................................... B. Die unerlaubte Handlung .......................................................

120 121 128 130

47. 48.

II Andere rechtserhebliche Ereignisse. Allgemeines.......................................................................................... 131 Der Zeitablauf..................................................................................... 131

49. 50.

Die Verjährung................................................................................... 133 Rechtserwerb und Verfügung ....................................................... 138

1

S

§ 51.

§ 52. § 53.

Sechster Abschnitt: Der Rechtsschutz. I. Vorbeugender Schutz (Sicherungsmittel). 1. Die Sicherheitsleistung (Kaution) ........................................... 2. Die Rechtsverwahrung................................................................. 3. Die Vormerkung.............................................................................. 4. Aufnahme von Dermögensverzeichnissen, Rechnungslegng. 5. Arrest, einstweilige Verfügung,Beschlagnahme...................... 6. Der Sperrvermerk..........................................................................

96 99

139 140 140 140 140 141

II. Wiederherstellender Schutz. 1. Die Selbsthilfe................................................................................ 142 2. Die gerichtliche Hilfe..................................................................... 144

Inhalt.

vn

Zweite« Buch: Das Recht der SchuldverhLltuiffe. A. Allgemeiner Teil. Erster Abschnitt: Don der Obligation überhaupt. § 54. Begriff der Obligation................................................................. 156 Zweiter Abschnitt: Gegenstand der Obligation. § 55. Der Schuldgegenstand überhaupt .............................................. 1 56. Bestimmtheit der Gegenstand».................................................... 8 57. Die Leistung von Geld.............................................................. 68. Die Leistung von Zinsen............................................................ 69. Wiederkehrende Leistungen......................................................... 60. Die Pflicht zur Interesseleistung.................................................. 61. Andere Leistungsgegenstände......................................................

161 161 166 166 169 171 177

Dritter Abschnitt: Inhalt der Obligation. Mgemeine».................................................................................. Der Ort der Leistung................................................................. Die Zeit der Leistung................................................................ Der Verzug.................................................................................. 66. Haftung für Verschulden und für den Zufall........................... 67. Treu und Glauben.......................................................................

178 178 179 181 186 191

!

1

62. 63. 64. 65.

68. i 69. ' 70. ii 71. 72. i! 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79.

1

Vierter Abschnitt: Entstehungsgründe der Schuld­ verhältnisse. Übersicht........................................................................................ Die Handelsgeschäfte..................................................................... Das römische Kontraktssystem und die altdeutschen Verträge.. Da» Vertragssystem des modernen Rechts................................. Der abstrakte Dertraa................................................................... Der zweiseitig verpflichtende Vertrag........................................ Die Gültigkeit der Verträge........................................................ Inhalt der Schuldverträge........................................................... Der Vertrag zu Lasten und der Vertrag zugunsten eines dritten Bestärkung der Verträge............................................................. Die Aufhebung der Vertrüge...................................................... Der Einfluß des Konkurse» auf den Bestand der vertrüge...

192 193 196 199

200 203 206 208 209 212 216 219

Fünfter Abschnitt: Die Subjekte de» Schuldverhältnisses. 6 80. I. Bestimmtheit und Unbestimmtheit des Subjekts................ 223 §81. n. Mehrheit von Subjekten..................................................... 224 UI. Wechsel des Subjens. A. Die Übertragung der Forderung. 8 82. Die Zession oder Abtretung...................................................... 231 § 83. Das Indossament.......................................................................... 236 § 84. B. Die Schuldübernahme ........................................................... 239 Sechster Abschnitt: Das Erlöschen der Schuldverhältnisse. 8 85. Die Erfüllung............................................................................... 243 § 86. Die Hingabe an Erfüllungsstatt.................................................. 246

vin

Inhalt. Seite

87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95.

Verweigerung bei Leistung wegen Zurückbehaltungsrecht»... Zahlungsunfähigkeit des Schuldners........................................... LnmSglichwerden der Leistung..................................................... Die Hinterlegung ................................................................. Die Aufrechnung (Kompensation)............................................... Der Erlaß.......................................................................................... Der Zwangsvergleich...................................................................... Andere Aufhebungsgründe........................................................... Die positiven Vertragsverletzungen.............................................

ß. Besonderer Teil.

247 260 264 267 269 266 266 267 269

Die einzelnen Schuldverhältnisse.

I. Die Obligationen aus Rechtsgeschäften. 1. Die einseitigen Rechtsgeschäfte. 96. A. Die Auslobung.......................................................................... 271 B. Die Ausstellung von Wertpapieren. 97. a) Der Wechsel............................................................................... 272 98. b) Das Inhaberpapier................................................................... 282

§ § §

2. Die Verträge. 99. 100.

1 :i 11 11 :i |f ii |i ji

A. Die einseitig verpflichtenden Verträge. Das Darlehn....................................................... Die öffentliche Anleihe.......................................

101. Die Schenkung..................................................... 102. Spiel und Wette............................................... B. Die unvollkommen zweiseitigen Verträge. 103. Die Leihe.............................................................. 104. Der Derwahrunasvertrag................................... 105. Das Lagergeschäft............................................... 106. Der Faustpfandvertrag....................................... 107. Das Depositen- und Depotgeschäst.................. 108. Einbringung von Sachen bei Gastwirten----109. Der Auftrag.......................................................... 110. Die Anweisung................................................... C. Die zweiseitigen Verträge. 111. Der Kauf.............................................................. 112. Besondere Arten der Kaufes...........................

1

113. 114. 115. 116. 117. 118. 119.

Die Abzahlungsgeschäfte..................................... Börsengeschäfte...................................................... Der Tauschvertrag............................................... Miete...................................................................... Die Pacht.............................................................. Der Dienstvertrag................................................ Der Gesindedienstvertrag...................................

286 290 291 297 301 303 305 307 308 310 311 315 321 334 337 338 342 343 362 354 360 361 362 368 376 376 380

Inhalt.

IX Seit«

| 126. Der Müklervertrag........................................................................... 381 § 127. Der Verlag-vertrags........................................................................... 884 Die Gesellschaft. 8 128. Übersicht............................................................................................. 386 § 129. Die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts und die Sozietäten des Handelsrechts............................................................................ 388 § 130. Die Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft aus Aktien und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung........................... 400 t 131. Die Erwerbs- und Wirtschastsgenossenschasten........................... 416 [ 131a. Die Gelegenheitsgesellschast......................................................... 420 , 132. Die Reederei..................................................................................... 420 11 133. Der Versicherungsvertrag........................................... 421 I 134. Die Arbeiterversicherung...................................................................424 I i 135. Der Leibrentenvertrag.................................................................... 426 i 136. Der Vergleich................................................................................... 427 i 137. Der Schiedsvertrag......................................................................... 429 138. Die Bürgschaft........................................................................... 430 II. Die Obligationen aus Richt-Rechtsgeschüsten. 1. Die Obligationen aus unerlaubten Handlungen. 139. Überblick............................................................................................ 437 140. Geschichtliche Entwicklung................................................................ 438

1

141. 142. 143. 144.

Das neue Recht. Standpunkt des BGB................................ 441 Die unerlaubte Handlung............................................................. 442 Haftung für andere und für Tiere............................................ 447 Besondere Grundsätze für einzelne Deliktrfülle...........................449

145. 146.

2. Schadensersatzansprüche aus erlaubten Handlungen. Allgemeines........................................................................................463 Die Enteignung..................................................................................464

147. 148.

Gefährdende Unternehmungen.................................................... 466 Andere Fälle nichtdeliktischer Schaden-Haftung........................ 468

1

8 149. 8 160. § 161. 8 162.

3. Ungerechtfertigte Benachteiligung. a) Die Verkürzung der Gläubiger.................................................469 b) Die ungerechtfertigte Bereicherung. Die Bereicherung im allgemeinen.............................................. 464 Die Bereicherungsansprüche im einzelnen.................................. 466 c) Die Geschäft-besorgung ohne Auftrag.................................. 469

4. Obligationen aus tatsächlichen Zuständen. a) DieDrittes Gemeinschaft......................................................................... 471 Buch: Das Sachenrecht. b) Die Pflicht zur Unterhaltsgewährung.................................... 473 A. Der Besitz. 6 167. Der Begriff de» Besitze»................................................................478 155. (Einteilung c) Die Ausstattungspflicht...............................................................476 8 168. de» Besitze»................................................................... 480 156. d) Verpflichtung zum Vorzeigen ... ........................................ 476 163. 164.

1

Inhalt.

X

Seite

8 § § § § §

159. 160. 161. 162. 163. 164.

Der Besitzerwerb............................................................................... Der Besitzerwerb durch Stellvertreter........................................ Der Verlust des Besitzes............................................................... Subjett des Besitzes....................................................................... Gegenstand des Besitzes................................................................. Insbesondere der Besitz an Rechten............................................. Der Rechtsschutz des Besitzes. § 165. Das frühere Recht........................................................................... § 166. Das neue Recht................................................................................

485 488 489 490 490 491 493 496

B. Die Sachenrechte. § 167. Allgemeine Grundsätze..................................................................... § 168. Bedeutung des Besitzes für das Sachenrecht.............................. § 169. Die Bedeutung der öffentlichen Bücher für das Immobiliar­ sachenrecht .......................................................................................... § 170. Das Schiffsregister........................................................................... § 171. Das Agrarrecht..................................................................................

499 502 503 612 513

Erster Abschnitt: Das Eigentum. § § § | §

172. 173. 174. 175. 176.

Begriff und Inhalt des Eigentums.............................................. Einschränkungen des Eigentums.................................................... Die Wege und das Wasser............................................................. Das Deräutzerungsverbot und das Beispruchsrecht.................... Das Familienfideikommitz........................

515 518 523 525 527

Der Erwerb und der Verlust des Eigentums. A. Die beweglichen Sachen. 8 177. I. Der abgeleitete Eigentumserwerb............................................ 629 § 178. Die Übereignung.............................................................................. 530 II. Der ursprüngliche Erwerb. § 179. Einleitung............................................................................................ 532 § 180. Erwerb auf Grund guten Glaubens...............................................533 8 181. Die Ersitzung.........................................................................................535 182. Verbindung, Vermischung,Verarbeitung....................................... 540 183. Erwerb von Erzeugnissen und Bestandteilen.............................. 542

1

184. 185. 186. 187.

Aneignung (Okkupation)....................................................................543 Das Jagdrecht.......................................................................................546 Die Fischerei...........................................................................................647 Fund, Schatz, Strandgut.................................................................... 648 B. Unbewegliche Sachen.

§ 188. Erwerb im Falle freiwilliger Veräußerung...................................650 § 189. Andere Fälle des Eigentumserwerbs ............................................. 562 § 190. Das Eigentum mehrerer.................................................................... 554 Der Schutz des Eigentums. A. Der Herausgabeanspruch. § 191. Das frühere Recht.................................................................................556 § 192. Das neue Recht.....................................................................................669 § 193. B. Der Abwehranspruch (actio negatoria).......................................564

Inhalt.

XI Sette

§ § 8 8

194. 195. 196. 197.

Zweiter Abschnitt: Das Bergrecht. Begriff und Geschichte................................................................... 567 Die Bergbauberechtigung.................................................................. 668 Die Beteiligung mehrerer amBergwerk..................................... 670 Die Knappschaften...................................................................... 672

Dritter Abschnitt: Das Lehnrecht. § 198................................................................................................................... 672 Vierter Abschnitt: Emphyteusis und Erbpachtrecht. § 199................................................................................................................... 674 Fünfter Abschnitt: Das Erbbaurecht, Superfiziar- oder Platzrecht. § 200................................................................................................................... 676 Sechster Abschnitt: Die Servituten oder Dienstbarkeiten. 8 201. Allgemeines...................................................................................... 577 8 202. 203. 204.

I. Die Personalservituten. Die beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten.......................... 679 Der Nießbrauch...................................................................................680 n. Grunddienstbarkeiten im allgemeinen.................................. 584

205. 206.

Begründung und Endigung der Dienstbarkeiten .................... 686 Der Schutz der Dienstbarkeiten................................................... 689

1

Siebenter Abschnitt: Die Reallast. 8 207................................................................................................................... 690 8 208.

Achter Abschnitt: Das Pfandrecht. Begriff und Geschichte des Pfandrechts.................................... 596

§ 209. 8 210. 211. 212.

A. Das Pfandrecht im engern Sinne. Der Begriff des Pfandrechts..........................................................699 Die Voraussetzungen des Pfandrechts ...................................... 599 Mehrheit von Pfandrechten............................................................606 Die Rechte des Pfandgläubigers................................................ 606

213. 214. 215. 216. 217. 218.

Die Pflichten des Pfandgläubigers und des Verpfänders— 611 Der Schutz des Pfandrechts................................................. 612 Erlöschen des Pfandrechts............................................................... 614 Das Pfandrecht an Rechten......................................................... 616 Das Pfandrecht an Schiffen ....................................................... 617 Das Zurückbehaltungsrecht......... ................................................. 618

219. 220. 221. 222. 223. 224. 225.

B. Das Hypothekenrecht. Überblick über das neue Hypothekenrecht.................................. 619 Die rechtliche Natur der Grundschuld und der Hypothek — 621 Entstehung der Hypothek und der Grundschuld..................... 622 Umfang und Gegenstand der Haftung.........................................624 Die Gesamthypothek und die Gesamtgrundschuld......................627 Die Eigentümerhypothek und die Eigentümergrundschuld.... 628 Die Befriedigung des Gläubigers.............................................. 630

1 8 8 8 8 8 8 §

XU

Inhalt. Seite

8 8 § | § §

226. 227. 228. 229. 230. 231.

Der Übergang bei Hypothek und der Grundschuld...................633 Der Hnpotheken- und der Grundschuldbrief.............................. 635 Die besonderen Verpfändung-formen........................................ 636 Die Aufhebung der Hypothek und der Grundschuld.............. 638 Die Zwangsvollstreckung in das Grundstück............................ 639 Das Hypothekenkreditwesen.......................................................... 642

Neunter Abschnitt: Das Vorkaufsrecht. § 232.................................................................................................................. 644

Viertes Buch: Das Familienrecht. § 233. § 234.

Überblick............................................................................................ 646 Familie, Verwandtschaft, Schwügerschast.................................. 647 Erster Abschnitt: Das Eherecht.

§ 235.

A. Das persönliche Eherecht. Das Verlöbnis................................................................................. 660

8 | § § § §

Die Ehe. Geschichtliche Entwicklung des Eherechts..................................... Begriff und Voraussetzungen der Ehe ....................................... Die Schließung der Ehe................................................................. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe...................................... Die persönliche Stellung der Ehegatten zueinander .............. Die Auflösung der Ehe.................................................................

236. 237. 238. 239. 240. 241.

651 653 656 667 659 662

B. Das eheliche Güterrecht. § 242. § 243.

I. Geschichte des ehelichen Güterrechts. Das römische Recht......................................................................... 666 Das deutsche Recht......................................................................... 668

n. Das Recht des BGB. Allgemeines..............................................................................— 671 1. Das gesetzliche Güterrecht........................................................ 673 Die Gütertrennung......................................................................... 678 2. Das vertragsmäßige Güterrecht. 247. Die allgemeine Gütergemeinschaft.............................................. 678 248. Die beschränkte Gütergemeinschaft.............................................. 684 249. Einzelne Güterrechtsverhültnisse.................................................. 687 250. Das Güterrechtsregister................................................................. 688

§ 244. § 245. § 246. § | | §

Zweiter Abschnitt: Das Eltern- und Kindesverhältnis. § 251.

I. Die Rechtsstellung des ehelichen Kindes. Vorbemerkung................................................................................. 688

8 8 § 8

A. Begründung der Rechtsstellung des ehelichen Kindes. Eheliche Abstammung..................................................................... Legitimation und Annahme an Kindeestatt.............................. B. Der Inhalt der elterlichen Gewalt........................................ Die persönliche Stellung des Hauskindes..................................

252. 253. 254. 255.

688 691 695 697

Inhalt.

XIII

§ § 8 § §

256. 257. 258. 259. 260.

Die vermögensrechtliche Stellung der Hauskinder.................. Die elterliche Gewalt der Mutter............................................... Beendigung und Einschränkung der elterlichen Gewalt.......... n. Kinder aus nichtigen Ehen................................................... UI. Die Rechtsstellung der unehelichenKinder........................

Sette 697 702 702 706 706

§ § 8 8 | | 8 § 8

261. 262. 263. 264. 265. 266. 267. 268. 269.

Dritter Abschnitt: Das Vormundschaft-recht. Begriff und geschichtlicher Überblick............................................. Die Vormundschaft über Minderjährige ................................ Das Dormundschastsgericht........................................................... Der Gemeindewaisenrat................................................................. Der Familienrat............................................................................. Befreite Vormundschaft................................................................. Beendigung der Vormundschaft................................................... Die Vormundschaft über Volljährige.......................................... Die Pflegschaft ...............................................................................

706 709 713 716 716 716 716 717 718

Fünftes Buch: Das Erbrecht. 8 270. | 271. 8 272.

Erster Abschnitt: Allgemeine Lehren. Begriff und Übersicht...................................................................... 721 Die Erbfolge als Universalsukzession........................................... 723 Die allgemeinen Voraussetzungen der Erbfolge....................... 726

8 8 8 8

Zweiter Abschnitt: Die gesetzliche Erbfolge. Die gesetzliche Erbfolge im allgemeinen..................................... A. Das römische und gemeine Recht........................................... B. Das deutsche Recht................................................................... C. Das neue Recht.........................................................................

273. 274. 275. 276.

729 732 736 737

Dritter Abschnitt: Die Erbfolge auf Grund einer Verfügung von Todeswegen. A. Das Testament. I. Die Testament-form. i ii !i i

277. 278. 279. 280. 281. : 282. 283. 284.

Geschichte............................................................................................ Das gemeine Recht......................................................................... Die Testamentsform nach neuem Recht.................................... Verwahrung des Testaments...................................................... Eröffnung des Testaments.......................................................... n. Die Testament-fähigkeit.......................................................... HI. Der Inhalt des Testaments. Die Erbeinsetzung........................................................................... Die Einsetzung mehrerer..............................................................

762 766

285. 286. 287. 288. 8 289.

Der heres ex re certa................................................................... Die Substitution............................................................................. Die Einsetzung eines Nacherben.................................................. Besondere Bestimmungen desTestaments.................................. IV. Die Ungültigkeit des Testaments........................................

768 768 760 764 766

1

743 744 746 760 760 761

XIV

Inhalt.

§ 290. § 291. § 292.

Sette V. Die Anfechtung des Testaments............................................ 768 VI. Gemeinschaftliche Testamente................................................ 770 Testamentsvollstrecker..................................................................... 772 B.

§ 293. § 294.

Der Erbvertrag.

Der allgemeine Erbvertrag........................................................... 776 Besondere Arten des Erbvertrags............................................... 781

Vierter Abschnitt: Erbfolge gegen den Willen des Erblassers (Noterbrecht). § § 8 §

§ § § §

295. 296. 297. 298.

299. 300. 301. 302.

Die geschichtliche Entwicklung und das gemeine Recht........... 782 Das neue Recht.............................................................................. 786 Pflichtteilsrecht gegenüber Rechtsgeschäften unter Lebenden.. 791 Die Entziehung des Pflichtteils................................................. 793 Fünfter Abschnitt: Die Erbfolge in besondere Güterarten. Allgemeines.................................................................................... Die Lehnserbfolge.......................................................................... Die Fideikomrnitzerbfolge.............................................................. Das bäuerliche Erbrecht................................................................

795 795 796 797

Sechster Abschnitt: Rechtsstellung des Erben. § § | §

303. 304. 305. 306.

§ 307. 8 308.

I. Erwerb des Erbrechts. Römisches und gemeines Recht.................................................... Das neue Recht............................................................................... Fürsorge für den Nachlaß............................................................ Einweisungen in den Erbschaftsbesitz und Erbschein...............

799 801 808 804

II. Haftung des Erben für die Nachlatzverbindlichkeiten Allgemeines..................................................................................... 806 Römisches und gemeines Recht.................................................... 807 Das neue Recht.

6 309. § 310. §311. 8 312. § 313. § 314. § 315. § 316.

Übersicht........................................................................................... Vorübergehende Befreiung von der Haftpflicht........................ Beschränkte Haftung gegenüber einzelnen Gläubigern............ Beschränkte Haftung gegenüber allen Gläubigern.................. Die Inventarerrichtung................................................................. Handelsrechtliche Erbenhastung.................................................... Die prozessuale Geltendmachung der beschränkten Haftung .. III. Die Rechtsmittel des Erben..................................................

809 810 811 812 814 816 817 817

IV. Mehrheit von Erben. § 317. § 318. § 319.

1. Das Rechtsverhältnis der Erben untereinander.................. 820 2. Die Schuldenhaftung der Milerben.........................................823 Die Ausgleichung (Kollation)...................................................... 824

Inhalt.

XV Seit,

Siebenter Abschnitt: Vermächtnisse, Schenkungen von Toderwegen und Auflagen. § § § § § 8 § § § §

320. 321. 322. 323. 324. 325. 326. 327. 328. 329.

A. Das Vermächtnis. Begriff und Geschichte................................................................... 827 Subjekte der Vermächtnisse........................................................... 829 Gegenstand des Vermächtnisses.................................................... 830 Ungültigkeit und Aufhebung derVermächtnisse.......................... 833 Erwerb der Vermächtnisse............................................................ 834 Substitution bei Vermächtnissen................................................... 835 Die Rechtsmittel des Vermächtnisnehmers................................ 835 Die Kürzung der Vermächtnisse.................................................. 836 B. Die Schenkung von Todeswegenund der Vermächtnisvertrag 837 C. Auflage....................................................................................... 837

Achter Abschnitt: Verlust des Erbrechts und Veränderung der Erbschaft. § 330. I. Der Erbverzicht....................................................................... 838 § 331.II. Die Erbunwürdigkeit..................................................................... 839 § 332. HI. Der Erbschaftskauf................................................................... 840

Sechstes Buch: Die Persönlichkettsrechte. § 333.

Begriff................................................................................................ 842 A. Die Rechte aus den Genutz persönlicher Güter.

§ 334.

I. Im allgemeinen....................................................................... 842 II. Die Namen und dieZeichenrechte im besonderen....................843 8 335. Der Name......................................................................................... 843 8 336. Marken und Zeichen..........................................................................845 8 8 8 8 8

337. 338. 339. 340. 341.

B. Die Rechte auf Betätigung. Überblick........................................................................................... 846 Der Rechtsschutz gegen unlauterenWettbewerb.......................... 849 Das Urheberrecht............................................................................. 864 Das Erfinderrecht................................................................................860 Mitgliedschaft-rechte......................................................................... 861

Sachregister....................................................................................................... 862

Abkürzungen. BGB — Bürgerliches Gesetzbuch. FG — Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit. GBO = Grundbuchordnung für das deutsche Reich. GDG — Gerichtsverfassungsgesetz. HGB --- Handelsgesetzbuch. Ist Art. . . HGB angeführt, so ist eine Be­ stimmung des HGB alter Fassung (a. F.), ist § .. HGB angeführt, so ist eine Bestimmung des HGB neuer Fassung (n. F.) gemeint. jtD — Konkursordnung. StGB --- Strafgesetzbuch. StPO — Strafprozetzordnung. WO — Wechselordnung. ZPO — Zivilprozetzordnung. ZwstG — Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung. Andere Abkürzungen betreffen regelmähig das in demselben § am häufigsten vorkommende Wort. Wo ein § ohne Zusatz angeführt wird, ist ein § des DGB gemeint.

Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

Einleitung. I. Dae frflberc Prfvatrccbt Deutschlands. § 1. Die Bestandteile des bisherigen Rechte. Das Privatrecht, das bis zum 1. Januar 1900 in Deutschland galt, Hatte sich aus fremden und einheimisch-deutschen Bestandteilen entwickelt. I. 1. Fremd war das aufgenommene römische Recht. Die „Rezeption" *) war seit dem Beginne des 16. Jahrhunderts vollendete Tatsache. Ihre Erklärung findet sie in der Zersplitterung deS deutschen Rechts im späteren Mittelalter und dem Bedürfnisse des deutschen Verkehrslebens nach einem einheitlichen, wissenschaftlich durchgebildeten Recht, unterstützt wurde sie bei dem Fehlen eines deutschen Nationalbewußtseins durch die irrige Auffassung, daß Justinian ein Vorgänger der römischen Kaiser deutscher Nation gewesen, sein Gesetzbuch deshalb im Deutschen Reiche geltendes Recht sei. Vollzogen aber wurde diese Aufnahme durch die Geltung, welche die in Italien juristisch gebildeten, nachher in Deutschland zu Ehren und Ämtern gelangten Deutschen zunächst als Schiedsrichter, dann als Mitglieder einflußreicher Gerichte, insbesondere des Reichs­ kammergerichts, des Reichshofiats und der territorialen Hofgerichte dem fremden Rechte verschafften, ferner durch die Schriften der italienischen, später auch deutscher Juristen, insbesondere durch die zahlreichen populären Darstellungen des römischen Rechts, wie es sich in Italien unter dem Einflüsse der Glossatoren und der Postglossatoren gebildet hatte. Die Tatsache der Rezeption fand schließlich ge­ setzliche Anerkennung, indem zuerst die Reichskammergerichtsordnung *) Aus bet umfangreichen Literatur über diesen Gegenstand hebe ich hervor: Stob de: Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Sb. 1 u. 2, 1860, 1864. Stint)ing: Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I 1880. Gierke: Deutsches Privatrecht I S. 8ff. Regelsberger: Pandekten I S. 3ff. Dgl. auch meinen Zivilprozeß II, Heft 3 6. 97ff. Engelmann, Bürgerlich,» Recht. 6. «ufl.

2

(Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

von 1495 und später eine Anzahl unter dem Einflüsse der reichs­ kammergerichtlichen Praxis entstandener Partikulargesetzbücher die Anwendung „des kaiserlichen und gemeinen Rechts", d. h. des bereits rezipierten fremden Rechts als subsidiärer Rechtsquelle anordneten. Damit ist aber das römische Recht nicht zum Gesetzesrechte geworden. Wie es im Wege des Gewohnheitsrechtes aufgenommen wurde, so ist es trotz jener gesetzlichen Anerkennung Gewohnheitsrecht geblieben. Rezipiert ist nur das in die Sammlung Justinians aufge­ nommene römische Recht, aber auch von diesem nicht diejenigen Stellen, welche von den Glossatoren nicht mit der Glosse versehen worden sind (quidquid non agnoscit glossa nec agnoscit curia). Rezipiert sind ferner nicht diejenigen Teile des corpus Juris civilis, welche das Staatsrecht des römischen Reiches behandeln. Gleichwohl war und blieb streitig, ob das römische Recht int Ganzen (in complexu) oder nur in seinen einzelnen Sätzen aufgenommen sei; die herrschende Meinung war für die Rezeption in complexu, man sagte deshalb früher: qui jus Romanum allegat, habet fundatam intentionem, in dem Sinne, daß die Geltung des angerufenen römischen Rechtssatzes ohne weiteres anzunehmen sei, wenn nicht nachgewiesen werde, daß gerade er nicht rezipiert sei. Das justinianische Gesetzbuch, das nicht eine Kodifikation, sondern eine Kompilation des Rechts darstellt, besteht aus vier Teilenx): a) den Institutionen, einem aus der Grundlage der In­ stitutionen des Gajus verfaßten Lehrbuche des geltenden Rechtes. Seiner Einteilung liegt der Gedanke zugrunde: Omne autem jus, quo utimur, vel ad personas vel ad res vel ad actiones pertinet. Danach werden im ersten Teile die Rechtssubjekte und damit auch das sog. Personenrecht, im zweiten die Vermögensrechte, im dritten die Klagerechte erörtert. Dieser Stoss ist in vier Bücher eingeteilt. Zitiert wird z. B. § 12 I. de jure nat. 1, 2 (Stelle, an der der oben mitgeteilte Satz steht), indem I. Institutionen bedeutet, die dahinter stehende 1 das Buch, die 2 den Titel (Unterabteilung des Buchs) und § 12 den § (Unterabteilung der Titel) angibt. b) Die Digesta oder Pandectae enthalten in 50 Büchern, die wieder in Titel und leges oder fragmenta zerfallen, eine Samm­ lung von Aussprüchen (39) römischer Juristen. Die Aussprüche sind wissenschaftlichen Werken entnommen und werden daher als Fragmente bezeichnet. Die Stoffanordnung ist die des Edikts. Man zitiert gewöhnlich 1. 11 pr. D. de rebus cred. 12, 1. (D. — !) S. darüber jetzt vorzugsweise Krüger: Geschichte der Quellen und Literatur des römischen Rechts. 1888 (Bindingfche Sammlung). S. 322 ff.

Das früher« Privatrecht Deutschlands. § 1.

3

Digesten, 12. Buch, 1. Titel, daneben die abgekürzte Titelüberschrist hinter dem D. [g. B. R. V. — de rei vindicatione]; die 11 bedeutet die lex (1.) d. i. die Unterabteilung der Titel). Die meisten legea zerfallen in Paragraphen, denen noch ein einleitender Satz fpr. -= principium) vorangeht, häufig zitiert kr. 13 § 2 de tat. et cur. 26, 5; b^eichnet man nämlich die lex mit fr. — fragmentum, so erübrigt sich da- D., da nur die Digesten Iragmenta enthalten. Zuweilen läßt man im Vertrauen auf die Kenntnis des Lesers die Zahl des Buchs und des Titels weg. Die Bücher 30, 31, 32, welche de legatis handeln, haben keine Titel, man zitiert daher 1. 68 de leg. II, d. h. die 1. 68 des zweiten von den Legaten handelnden, also des 31. Buchs der Digesten. Durch die Konstitutionen Tanta und Aeöaxtv vom 16. Dezember 533 verkündet, traten die Digesten am 30. Dezember 533 mit den Institutionen in Kraft. c) Der Codex enthält eine Sammlung der für die da­ malige Praxis noch brauchbaren Verordnungen römischer Kaiser. Diese auf uns gekommene, durch die constitutio „Cordi nobia“ verkündete und mit dem 29. Dezember 534 in Kraft gesetzte Sammlung ist eine Überarbeitung einer im Jahre 529 verkündeten Sammlung. Hinzugetreten waren namentlich 50 von Justinian ge­ troffene Entscheidungen von Streitfragen klassischer Juristen, die sog. quinquaginta decisiones, die neue Sammlung führt daher im Gegen­ satze zur älteren den Namen codex repetitae praelectionis. Der Kodex zerfällt in 12 Bücher, diese in Titel und diese wieder in legea. Die Zitierweise ist die gleiche wie bei den Digesten (1. 1 pr. C. ai pignua pignori 8,23 heißt achtes Buch des Kodex [C] Titel 23, im prrocipium der lex 1). Da der Kodex nur aus conatitutionea besteht, so wird häufig zitiert: c. 1 pr. ai pignua pignori 8,23, wobei das c. constitutio bedeutet. Diese Konstitutionen sind nur zu einem geringen Teile allgemeine Gesetze (legea edictales), die meisten sind Reskrchte, d. h. Entscheidungen von Rechtsfällen. Dadurch aber, daß auch Aussprüche dieses Inhalts in den Kodex aufgenommen sind, haben die in ihnen zur Anwendung gelangten Rechtssätze die Eigen­ schaft von Gesetzen erlangt. d) Die Novellen (novellae conatitutionea) sind von Justi­ nian nach der Verkündung des Kodex erlassene Gesetze. Praktische Bedeutung für das gemeine Recht hatten nur wenige von ihnen, insbesondere die Nov. 4, 99, 115, 118 und 127. Glossiert sind 96. Die Novellen sind nicht, wie die Konstitutionen, von Justinian selbst in eine Sammlung gebracht worden. Private Samm­ lungen sind drei bekannt. Das epitome Juliani ist ein gegen 566 von dem Rechtslehrer Julian zu Konstantinopel verfertigter latei-

4

Erster Buch: Allgemeiner Teil.

nischer Auszug von 125 Novellen; das authenticum oder die Vulgata ist eine vermutlich um dieselbe Zeit in Italien auf An­ ordnung des Kaisers veranstaltete Sammlung von 134 Novellen. Sie gibt die lateinischen Novellen lateinisch und die in griechischer Sprache erlassenen Novellen in lateinischer Übersetzung wieder. End­ lich ist eine griechische Sammlung von 168 Novellen aus der Zeit Tiberius II. (698—705) vorhanden. Die drei ersten Teile dieser Gesetzsammlung, des corpus juris civilis, sind von Justinian als ein Ganzes betrachtet worden. Daher gingen die Konstitutionen des Kodex widersprechenden Stellen der andern Teile nicht vor, doch hatten die Novellen als neuere Gesetze den Borzug vor den andern drei Teilen. 2. Fremd war ferner das kanonische Recht. Kanonisches Recht ist das auf der Gesetzgebungsgewalt des Papstes beruhende Recht (canon — kirchliche Rechtsvorschrift). Diese im Mittelalter allgemein anerkannte Gewalt beschränkte sich nicht auf das rein kirchliche Gebiet, sondern hatte allmählich einen ausge­ dehnten Bereich erlangt. Das kanonische Recht ist daher nicht identisch mit Kirchenrecht, es erstreckt sich außer aus dieses auf Zivil­ prozeß, Strafrecht, Strafprozeß und, wenngleich zum kleinsten Teile, auch auf Privatrecht, während das geltende Kirchenrecht, auch das der katholischen Kirche, nicht ausschließlich auf kanonischen Satzungen beruht. Enthalten ist das kanonische Recht im Corpus juris cano­ nici. Das c. jur. can. clausum umfaßt vier Teile: a) Das Decretum Gratiani ist eine Privatarbeit des Mönches Gratian und zwischen 1139 und 1142 als Grundriß zu Borlesungen entstanden. Gratian gibt Quellenstellen und einen Kommentar zu diesen, die sog. Dicta Gratiani, in der Absicht, das gesamte kanonische Recht unter Ausscheidung der Widersprüche zur Darstellung zu bringen, weshalb er seine Arbeit concordia discordantium canonum nannte. Das D. hat drei Teile; der erste zerfällt in 101 distinctiones, und diese bestehen aus canones. Die Zitierart ist c. 3 dist. XX. Der zweite Teil erörtert 36 causae (Rechtssälle), wobei quaestiones ausgeworfen und durch canones beantwortet werden. Zitiert wird c. (— canon) 1, C. (— causa) XII, qu. (— quaestio) 1. Die qu. 3 der causa 33 bildet eine längere Ab­ handlung de poenitentia und zerfällt in Distinktionen. Zitierart c. 7 d. 2 de poenit. Den dritten Teil bilden fünf Distinktionen, welche in canones zerfallen. Der ganze dritte Teil führt die Bezeichnung de consecratione. Zitiert wird c. 1 Dist. III de consecrat. b) Die int Jahre 1234 von Gregor XI. publizierten Dekretalen (— päpstlichen Verordnungen). Man bezeichnet sie

Das früher« Privatrecht Deutschland». § 1.

5

kurz mit Extra (X) — extra decretum Gratiani vagantes. Sie zerfallen in 5 Bücher, diese in Titel (mit Überschrift) und diese wieder in capita. Die Zitierart ist ganz die des Kodex, c. (— caput) 1 X, (de elect.) I, 6. c) Die im Jahre 1298 durch Bonifatius VIII. verkündete Sammlung von Dekretalen der Päpste von Innozenz IV. bis Bonifatius VIII. Sie wird über sextus (VI.) genannt, als ob sie nur das sechste Buch der Sammlung Extra bildete, sie enthält aber selbst 5 Bücher. Zitiert wird c. 2 in VI0 de renunciatione I 7. d) Die 1313 von Clemens V. verkündete Sammlung von Dekretalen der Jahre 1298—1313, genannt Clementinae. Auch sie enthält 5 Bücher, die wie in den Teilen 2 und 3 die Reihen­ folge judex, Judicium, clerus, connubia, crimen (Gedenkvers) ein­ halten. Zitiert wird c. 1 Giern, de summa trin. I. 1. Hierzu traten zwei das corp. jur. can. non clausum bildende private Sammlungen, die extravagantes Johannis XXII. und die extravagantes communes. Für das Eherecht von besonderer Wichtig­ keit waren die Beschlüsse des Concilium Tridentinum. Das kanonische Recht wurde gleichzeitig mit dem römischen in Deutschland aufgenommen, und seine Geltung erhielt sich trotz des anfänglichen Widerspruchs der Reformatoren auch in protestantischen Ländern. Seine Sätze gingen als jüngere Quelle dem römischen Rechte vor und fanden in Deutschland bereitwilligere Aufnahme, da sie den mittelalterlichen und neueren Anschauungen mehr entsprachen, als das antike römische Recht (z. B. in der Lehre vom Besitzschutz). Die Aufnahme des kanonischen Rechts findet ihre Erklärung darin, daß die Kirche innerhalb ihres ausgedehnten Machtbereiches im Mittelalter eine der weltlichen gleichstehende Gcsetzgebungsgewalt er­ langtes) 3. Als fremd galt endlich das sog. langobardische Lehn­ recht. Die beiden libri feudorum, aus Privatarbeiten des 11. und 12. Jahrhunderts hervorgegangen, sind Erzeugnisse der langobardischen Rechtsschule. II. Neben diesem geschlossenen Systeme des fremden Rechts stand das deutsche Privatrecht?) Damit bezeichnete man nicht etwa dar in Deutschland geltende Recht, sondern nur denjenigen Teil unseres Rechts, der deutschen Ursprungs ist. Hierher gehörten sowohl diejenigen Rechtsinstitute, die vor der Rezeption des fremden Rechts in Deutschland in Geltung standen und sich *) Vgl. auch hierüber meinen Zioilprozeh a. o. O. S. 32ff. Regelsberger I 6. 14. Giert« I S. 14f. *) Vgl. namentlich ffiietfe, Deutsches Privatrecht I S. 26ff.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

entweder rein oder durch römisches Recht beeinflußt gegenüber dem fremden Recht erhalten hatten, als auch jene Rechtsinstitute, durch die das Rechtsleben nach der Rezeption bereichert wurde, die aber dem römischen Recht unbekannt waren. Zu den ersteren gehören z. B. das Bergrecht und die Reallasten, zu letzteren das Urheberrecht. Diejenigen Rechtssätze, die, den Anschauungen der neueren Zeit entsprungen, auf das römische Recht umbildend gewirkt haben, wie z. B. der Grundsatz der unmittelbaren Stellvertretung oder die Auffassung der Zession als einer Rechtsnachfolge, gehörten nicht in das deutsche Privatrecht, sondern in das „heutige römische" oder Pandektenrecht. § 2.

Gemeines» allgemeines» partikuläres Recht,

Nicht auf den Ursprung, sondern aus das Geltungsgebiet sieht man, wenn man den Gegensatz von gemeinem und partikulärem Recht aufstellt. Gemeines Recht ist aber nur das Recht, dessen Geltungskraft auf einer dem ganzen Lande oder mehreren Ländern gemeinsamen Quelle beruht. Gemeines deutsches Recht war also dasjenige Recht, dessen Geltung auf eine für ganz Deutschland maßgebende Quelle zurückzuführen war. Ob der einzelne Satz dieses gemeinen Rechts fremden oder einheimischen Ursprungs, Gesetzes­ oder Gewohnheitsrecht war, änderte nichts an seiner Eigenschaft als gemeines Recht. Gemeines deutsches Recht waren demnach 1. das fremde Recht, soweit es in Deutschland rezipiert war, denn seine Quelle war deutsches Gewohnheitsrecht; 2. diejenigen Umwandlungen des aufgenommenen fremden Rechts, die durch moderne Rechtsanschauungen bewirkt worden waren, denn sie teilten die Geltungsmacht des fremden Rechts; 3. die Gesetze des früheren Deutschen Reiches und 4. die Gesetze des jetzigen Deutschen Reiches, denn beide beruhen auf einer für ganz Deutschland maßgebenden Rechtsquelle; 5. Sätze eines ganz Deutschland umfassenden Gewohnheitsrechts. Partikularrecht ist alles Recht, dessen Geltung auf einer nur für einen Teil Deutschlands (einzelnes Land, beschränktes Gebiet eines Landes) maßgebenden Quelle, sei es Gesetz oder Gewohnheit, beruht. Das Verhältnis des Partikularrechts zum gemeinen Rechte war ehedem ein anderes als heute. Früher hat man dem gemeinen Rechte nur die Bedeutung eines subsidiär anwend­ baren Rechtes beigelegt, den partikulären Rechtssätzen aber den Borzug gelassen. Es bildete sich so der Satz: „Willkür bricht Stadt­ recht, Stadtrecht bricht Landrecht, Landrecht bricht gemein Recht", der die Anschauung zum Ausdrucke brachte, daß die für ein größeres

flfcmemts, ellgeintmts, partikuläre» Recht. § 2.

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Gebiet maßgebende Rechtsquelle der für den engeren Kreis geltenden nachsteht. Dasselbe galt sogar von den Gesetzen des ehemaligen Deutschen Reiches: während sie bestehendes Landesrecht nicht auf­ zuheben vermochten, konnten sie selbst durch die Gesetzgebung der Territorien außer Anwendung gesetzt werden. Mit dem Ende des Deutschen Reiches im Jahre 1806 hörte die Möglichkeit einer gemein­ rechtlichen Gesetzgebung auf und erwachte nicht wieder mit der Errichtung des Deutschen Bundes im Jahre 1815. Denn der Bund war nur eine völkerrechtliche Bereinigung. Das neue Deutsche Reich aber ist ein selbständiger Staat mit eigener Gesetzgebungsgewalt, und der Art. 2 seiner Verfassung v. 16. 4. 1871 verordnet in Überein­ stimmung mit der Verfassung des Norddeutschen Bundes: „Innerhalb dieses Bundesgebietes übt das Reich das Recht der Gesetzgebung nach Maßgabe des Inhalts dieser Verfassung und mit der Wirkung aus, daß die Reichsgesetze den Landes­ gesetzen vorgehen." Jetzt also geht in denjenigen Materien, die der Gesetzgebung des Reiches unterworfen sind (Art. 4 VU), alles Reichsrecht, mag es auf Gesetz oder Verordnung beruhen, dem Landesgesetze vor, und unter Landesgesetz ist alles Landesrecht zu verstehen. Der Er­ laß eines Reichsgesetzes hebt also nicht nur die ihm widersprechenden, sondern auch die mit ihm übereinstimmenden Landesrechte auf, es sei denn, daß das Reichsgesetz ausdrücklich auf die Landesrechte ver­ weise oder der Landesgesetzgebung ausdrücklich die Ermächtigung gebe, dem Reichsgesetz entgegenstehende Bestimmungen zu treffen. Nachdem durch Reichsgesetz vom 20. Dezember 1873 die Zuständigkeit des Reiches auf das gesamte bürgerliche Recht ausgedehnt war, hat das Reich die Befugnis, nicht nur in den ihm besonders eingeräumten Materien, sondern auf dem gesamten PrivatrechtSgebiete Gesetze zu erlassen. Es hat von dieser Befugnis wiederholt Gebrauch gemacht und jetzt das gesamte bürgerliche Recht mit Ausnahme der ausdrück­ lich den Landesgesetzen überlassenen Materien durch ein ausschließen­ des Gesetzbuch geregelt. Bis zum Erlasse dieses Gesetzbuchs war die Landesgesetzgebung befugt, privatrechtliche Materien, die von der Gesetzgebung des Reiches unberührt geblieben waren, zu regeln. Ja, sie war sogar befugt, Reichsgesetze zu ergänzen, wenn das Reichsgesetz eine Materie nicht erschöpfend behandeln wollte. Mit dem gemeinen Rechte nicht zu verwechseln ist das gemein­ same, d. i. dasjenige Recht, dessen Inhalt mit dem Inhalt einein einem anderen Gebiete geltenden Rechtes übereinstimmt, aber auf einer anderen Rechtsquelle beruht als in jenem Lande. Man nennt solches regelmäßig auf dem gleichen Gedanken beruhende, gleichen Bedürfnissen entsprungene Recht häufig allgemeines Recht.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

Solches allgemeines Recht waren das Handelsgesetzbuch und die Wechselordnung vor ihrer Erhebung zum gemeinen Rechte. Der Bundestag hatte die fertiggestellten Entwürfe den Regierungen der einzelnen Bundesstaaten empfohlen, und diese hatten die Entwürfe als Landesgesetze erlassen. Damit war eine Übereinstimmung des Inhalts des Handels- und Wechselrechts hergestellt; formell ge­ meines und damit dem Einflüsse der Landesgesetzgebung entzogenes Recht wurden beide Gesetzbücher erst durch das norddeutsche Bundes-, spätere Reichsgesetz vom 5. Juni 1869. Das deutsche Privatrecht (s. § 1 II) war zu seinem größten Teile Partikularrecht, zum anderen Teile gemeines Recht, soweit es nämlich aus gemeinrechtlichen Quellen, Gesetz oder allgemeiner deutscher Ge­ wohnheit beruhte. Seine Sätze hatten daher Anspruch aus unmittel­ bare Anwendbarkeit nur soweit sie gemeines Recht waren; soweit sie aus partikularen Quellen beruhten, reichte ihre unmittelbare Anwend­ barkeit nicht über das Geltungsgebiet jener Quelle hinaus. Die Wissenschaft des deutschen Privatrechts lehrte daher zum Teile nicht Recht, das der Richter ohne weiteres zur Norm seiner Entscheidung machen durste, sie zeigte nur die einheimisch deutschen Rechtsgedanken und die Gestaltung auf, die diese in allen, in vielen oder in einzelnen Partikularrechten erhalten hatten. Die Partikularrechte selbst waren entweder solche, die 1. das gemeine Recht als subsidiäre Rechtsquelle bestehen ließen, oder 2. solche, die das gemeine Recht ausschlossen und sich selbst an dessen Stelle setzten. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war es selten, daß ein Landesgesetz ausschließende Geltung beanspruchte. Seit dieser Zeit sind mehrere ausschließende Gesetzbücher erlassen worden, und auch die seit jener Zeit erlassenen Einzelgesetze verfolgten regelmäßig die Absicht, die entsprechenden Sätze des gemeinen Rechts außer An­ wendung zu setzen. Diese ausschließenden Gesetzbücher sind: 1. Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten vom 5. Februar 1794 mit Gesetzeskraft vom 1. Juni 1794. Es galt in den sechs östlichen Provinzen Preußens mit Aus­ nahme von Neuvorpommern und Rügen, ferner in Westfalen und in den Kreisen Rees, Duisburg und Essen, ferner in denjenigen Teilen Hannovers, die vor 1815 zu Preußen gehört hatten, d. i. in Ost­ sriesland, Lingen und Eichsfeld, ferner in den fränkischen Herzog­ tümern Ansbach uyd Baireuth, in einigen anderen kleinen Gebiets­ teilen Bayerns sowie in einem Teile von Sachsen-Weimar.

Das neu« Privatrecht Deutschlands.

§ 3.

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2. Das österreichische allgemeine bürgerliche Ge­ setzbuch vom 1. Juni 1811. Es gilt in ganz Zisleithanien, in Siebenbürgen, Kroatien und Slawonien, außerdem im Fürstentum Liechtenstein und galt in einigen bayerischen Ortschaften. 3. Der Code civil von 1804 trat in den zur Zeit seiner Publikation zu Frankreich gehörigen linksrheinischen deutschen Ge­ bietsteilen in Kraft und wurde dann auch auf dem rechten Rheinufer eingeführt, hier aber später wieder aufgehoben, ausgenommen in den rechtsrheinischen Teilen des früheren Herzogtums Berg. Er galt in Elsaß-Lothringen, auf dem linken Rheinufer der preußischen Rhein­ provinz, in Rheinhessen, in der bayerischen Pfalz und in dem oldenburgischen Fürstentum Birkenfeld. 4. Das badische Landrecht von 1809 war eine mit Zu­ sätzen versehene deutsche Übersetzung des code civil und galt im Großherzogtum Baden. 5. Das bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen vom 2. Januar 1863 hatte Gesetzeskraft vom 1. März 1865 im Königreich Sachsen. In allen übrigen Gebieten Deutschlands blieb das gemeine Recht bestehen, und zwar als subsidiäres Recht. Mit dem Jahre 1806 wurde es da, wo ausschließende Gesetzbücher nicht bestanden, Landes­ recht der einzelnen deutschen Staaten und unterlag der Einwirkling durch die Landesgesetzgebung. Überall da also, wo Reichsgesetze, ins­ besondere die Einführungsgesetze zu den neuen Gesetzgebungswerken, auf das Landesrecht verweisen, ist auch das sog. gemeine Recht mit­ verstanden.

II. § 3. Das neue privatredit Deutschlands. Die erste Anregung zur Schöpfung eines einheitlichen nationalen Gesetzbuches hatte Thibaut im Jahre 1814 durch seine Schrift: „Über die Notwendigkeit eines Allgemeinen bürgerlichen Rechtes für Deutschland" gegeben. Savigny war ihm mit der Schrift: „Über den Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft" entgegengetreten: es fehle noch an der wissenschaftlichen Beherrschung des aufgenommenen fremden und des einheimischen Rechts. Richtiger war, daß keine einheitliche Staatsgewalt vorhanden war, die im Wege der Gesetzgebung einheitliches Recht hätte schaffen können. Als aber durch Vertrag vom 22. März 1834 der Zollverein errichtet worden war, machte sich das Bedürfnis wenigstens nach einem ein­ heitlichen Handels- und Wechselrechte fühlbar. Das frühere Wechselrecht beruhte auf partikulären Wechsel­ gesetzen und dem Gewohnheitsrechte des Handelsstandes; dieser Zu­ stand entsprach nicht den Bedürfnissen eines einheitlichen Wirtschafts-

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

gebieteg. In mehreren deutschen Staaten wurden Entwürfe eines Wechselgesetzes vorbereitet, in Preußen insbesondere wurde 1836 ein Entwurf einer Wechselordnung ausgearbeitet, aber erst nach wieder« Holter Beratung im Jahre 1847 veröffentlicht. Der Entwurf wurde allen deutschen Bundesstaaten mit der Einladung zu einer (am 20. Oktober 1847 in Leipzig zusammentretenden) Konferenz mitgeteilt. Die aus Rechtsgelehrten und Vertretern des Handelsstandes gebildete Konferenz legte ihren Beratungen den preußischen Entwurf zugrunde und beendete ihre Beratungen nach 35 Sitzungen am 9. Dezember 1847. Da sie keine gesetzgebende Versammlung war, konnte sie ein Gesetz nicht schaffen, und da auch der Bundestag keine gesetzgebende Gewalt besaß, mußte den einzelnen Regierungen die Verkündung des Entwurfes als Landesgesetz überlassen bleiben. Einzelne Regierungen erhoben den Entwurf zum Gesetz, die Ereignisse des Jahres 1848 stellten den Regierungen aber zunächst andere Aufgaben. Das Jahr 1848 steigerte zugleich das Verlangen nach Herstellung einheitlicher Rechtseinrichtungen, die deutsche Nationalversammlung in Frank­ furt a. M. ergriff deshalb die Gelegenheit, unter Überschreitung ihrer Zuständigkeit den Leipziger Entwurf wie eine ihr gemachte Gesetzes­ vorlage zu behandeln, und am 26. November 1848 verkündete der Reichsverweser die Wechselordnung im Reichsgesetzblatt. Später wurde der Entwurf in fast allen zum Deutschen Bunde gehörigen Staaten im Wege der Landesgesetzgebung eingeführt, er wurde also sog. allgemeines Recht. Durch Gesetz vom 5. Juni 1869 wurde die WO norddeutsches Bundesrecht und im Jahre 1871 deutsches Reichsrecht. Auf demselben Wege entstand ein gemeinsames Handels­ recht. An der Entwicklung dieses Rechtszweiges hatte viel weniger das römische Recht als vielmehr das mittelalterlich-italienische Recht und die Verkehrssitte des Handelsstandes mitgewirkt. Das Corpus juris civilis enthielt nur einzelne, dem Handel besonders dienende Rechtsinstitute (lex Rhodia de jactu, foenus nauticum, a. exercitoria, institoria, tributoria), ein eigentliches Sonderrecht des Han­ dels aber fehlte nicht bloß ihm, sondern auch den Statutarrechten des Mittelalters. Erst im späteren Mittelalter und in der Neuzeit sonderte sich das Handelsrecht als ein eigener Rechtszweig vom allge­ meinen bürgerlichen Recht ab, und eine Kodifikation des Handels­ rechts ist sehr spät erfolgt. Die erste solche Kodifikation enthielt das achte Buch des zweiten Teils des preußischen Allgemeinen Landrechts, und zwar wurde das Handelsrecht hier behandelt als ein Teil des Rechts des „Bürgerstandes". Ihm folgte in Frankreich der code de commerce (in Kraft seit dem 1. Januar 1808), ein Gesetz­ gebungswerk, das einen bedeutenden Einfluß erlangte und auch auf

Das neue Prioatrecht Deutschlands, g 3.

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die Entwicklung des deutschen Handelsrechts einwirkte. In Deutsch­ land half man sich wiederum auf dem Wege einer Verständigung über die Grundsätze eines gemeinsamen Handelsrechts und durch Einführung dieser Grundsätze mittels der Gesetzgebungsgewalt der Bundesstaaten. Auf einen von Bayern gestellten Antrag beschloß der Bundestag am 17. April 1856 die Niedersetzung einer aus Rechtsgelehrten und Sachverständigen bestehenden Kommission „zur Entwerfung und Vorlage eines Allgemeinen Handelsgesetzbuches für die deutschen Bundesstaaten". Nachdem die preußische Regierung den nur für Preußen bestimmten, aber auf der Grundlage der drei verschiedenen in seinem Gebiete bestehenden Zivilrechtssysteme aus­ gearbeiteten Entwurf vollendet hatte, trat die Kommission am 15. Januar 1857 in Nürnberg zusammen, legte ihren Beratungen jenen preußischen Entwurf zugrunde, beriet zunächst das eigentliche Handelsrecht in zwei Lesungen, nahm dann in Hamburg zwei Lesungen des Seerechts vor und beendete schließlich in einer dritten Lesung in Nürnberg im März 1861 ihre Beratungen. Der von ihr her­ gestellte Entwurf wurde dem Bundestage vorgelegt und von diesem den deutschen Regierungen zur Annahme empfohlen, er wurde denn auch in fast allen deutschen Bundesstaaten als Landesgesetz verkündet und so zum sog. allgemeinen Recht gemacht. Das Handelsgesetzbuch war aber als Landesgesetz der Abänderung durch Landesgesetz aus­ gesetzt; dieser Zustand änderte sich erst, als durch Bundesgesetz vom 6. Juni 1869 das HGB zu norddeutschem Bundesrecht, durch die Reichsgesetze vom 16. April (für das Deutsche Reich außer Bayern), vom 22. April 1871 (für Bayern) und vom 19. Juni 1872 (für das Reichsland) zu deutschem Reichsrecht erklärt und damit dem Einflüsse der Landesgesetzgebung entzogen wurde. Der das Aktien­ recht behandelnde Teil dieses Gesetzbuches erfuhr Abänderungen durch die Gesetze vom 11. Juni 1870 und 18. Juli 1884. Weitere Kodifikationsbestrebungen hatten keinen Erfolg. Am 6. Februar 1862 beschloß der Bundestag die Niedersetzung einer Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Obligationen­ rechts. Preußen bestritt die Zuständigkeit des Bundestages zur Fassung eines solchen Beschlusses und versagte infolgedessen der gleichwohl im Januar 1863 in Dresden zusammentretenden Kom­ mission seine Teilnahme. Der von der Kommission ausgearbeitete sog. Dresdener Entwurf wurde kurz vor dem Kriege von 1866 ver­ öffentlicht. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes wie die des Deutschen Reiches (Art. 4) räumte dem Reiche nur die Zuständigkeit für das Handels- und Wechselrecht und für das Obligationenrecht ein. So lange aber das Reich von der ihm gegebenen Befugnis keinen Ge-

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

brauch machte, blieben die Einzelstaaten berechtigt, im Wege ihrer Gesetzgebung auch in den jetzt zur Zuständigkeit des Reiches ge­ hörigen 'Gebieten neues, also partikuläres Recht zu schassen. Zwar wurde das HGB und die WO zu gemeinem deutschen Recht er­ hoben, ein einheitliches Obligationenrecht aber nicht in Angriff ge­ nommen, dagegen wurde eine Anzahl von Spczialgesetzen obligationen­ rechtlichen Inhalts erlassen (z. B. das Gesetz vom 14. November 1867, Ges. vom 24. Mai 1880). Da das Reich indessen durch Art. 4 der Vers, das Gesetzgebungsrecht auf dem Gebiete des Bankwesens, des Patent- und Urheberrechts und des Post- und Telegraphenrechts erlangt hatte, entstanden in allen diesen Zweigen Reichsgesetze privat­ rechtlichen Inhalts. Erst als durch Gesetz vom 20. Dezember 1873 die Zuständigkeit des Reiches aus das gesamte bürgerliche Recht ausgedehnt worden war, wurde die Ausarbeitung eines bürgerlichen Gesetz­ buches für ganz Deutschland in Angriff genommen. Anfang des Jahres 1874 setzte der Bundesrat zunächst eine Kommission von fünf Juristen (die sog. Vorkommission) ein, welche über Plan und Methode der Ausarbeitung des BGB Vorschläge machen sollte. Durch den Bericht vom 15. April 1874 entledigte sie sich ihrer Ausgabe, indem sie an den Entwurf die Forderung stellte, er solle unter Berücksichtigung der geltenden Gesetzbücher und der von den Einzelstaaten, sowie im Aufträge des ehemaligen Deutschen Bundes über einzelne Rechtsteile ausgearbeiteten Gesetzentwürfe, das den Gesamtzuständen des Deutschen Reiches entsprechende bürgerliche Recht in einer den Anforderungen der heutigen Wissenschaft gemäßen Form kodifizierend zusammenfassen. Das Handelsrecht sollte zum Gegenstände einer besonderen Kodisikation gemacht, und gewisse Teile des Privatrechts sollten in dem Entwurse nicht behandelt werden. Der Bundesrat billigte die Vor­ schläge der Kommission und setzte eine Kommission von elf Mit­ gliedern zur Ausarbeitung eines Entwurfes des BGB ein. Vom 17. bis 29. September 1874 fand die erste Sitzungsperiode der Kommission statt. .In dieser wurde der Beschluß gefaßt, keines der bestehenden Gesetzbücher zugrunde zu legen, sondern einen neuen Entwurf auszuarbeiten, diesen Entwurf in fünf Teile einzuteilen und für jeden dieser Teile einen besonderen Redaktor zu bestellen. Fragen von grundsätzlicher Bedeutung sollte die gesamte Kommission ent­ scheiden, und zu diesem Zwecke sollte sie alle Jahre eine Zusammen­ kunft haben. Nachdem die Teilentwürfe fertiggestellt waren, trat die Gesamtkommission am 4. Oktober 1881 zusammen. Sie hielt wöchentlich vier Sitzungen ab, von denen drei der Beratung gewidmet waren und in deren vierter die von den Hilfsarbeitern geführten

Das ittue Privatrecht Deutschlands. § 8.

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Protokolle vorgelesen und festgestellt wurden. Nachdem die Teil­ entwürfe durchberaten worden waren, wurde der ganze Entwurf in der Zeit vom 30. September bis 16. Dezember 1887 einer noch­ maligen Beratung unterzogen, worauf der Vorsitzende mittels Be­ richts vom 27. Dezember 1887 den Entwurf dem Reichskanzler über­ reichte. Die von der Borkommission in Aussicht genommenen fünf Bücher waren zwar beibehalten worden, doch war ihnen ein sechstes mit der Überschrift: „Räumliche Herrschaft der Rechtsnormen" hinzu­ gefügt. Im Jahre 1888 wurde der Gesetzentwurf nebst 5 Bänden Motive veröffentlicht. Die Motive sind nicht ein Werk der Gesamt­ kommission, sondern eine „Privatarbeit" der Hilfsarbeiter. Nachdem der Entwurf zuerst eine ungünstige Kritik erfahren hatte und namentlich von Gierke als nicht deutsch, nicht sozial und nicht volkstümlich und daher als ungeeignet bezeichnet worden war, auch nur als Grundlage weiterer Arbeit zu dienen, erkannte man doch allmählich den hohen Wert der im Entwurf enthaltenen Geistes­ arbeit. Der Bundesrat beschloß deshalb am 4. Dezember 1890 den Entwurf einer zweiten Lesung zu unterziehen und setzte zu diesem Zweck eine Kommission von 22 Mitgliedern — Juristen und Ver­ tretern verschiedener wirtschaftlicher Interessen — ein. Die Kom­ mission trat am 15. Dezember 1890 zusammen und hielt vom 1. April 1891 ab wöchentlich drei Sitzungen.*) Der von ihr hergestellte Ent­ wurf wurde mittels Schreibens vom 22. Oktober 1895 dem Bundes­ rat überreicht. Dieser verwies den Entwurf am 16. Januar 1896 an den Reichstag und fügte eine Denkschrift bei. Der Reichstag verwies den Entwurf an eine Kommission von 21 Mitgliedern und nahm ihn dann mit 222 gegen 48 Stimmen an. Nach Zustimmung des Bundesrates wurde das BGB nebst dem Einführungsgesetz am 18. August 1896 vom Kaiser vollzogen. Eine weniger eingehende Behandlung wurde dem neuen Han­ delsgesetzbuche zuteil. Denn dieses (in §§) lehnt sich eng an das bisherige HGB (in Artikeln) an und ändert es nur soweit dies durch die Borschristen des BGB oder durch die seit dem Inkraft­ treten des alten HGB gemachten Erfahrungen geboten war. Neu sind im HGB /neuer Fassung) die Bestimmungen über Handlungs­ lehrlinge (§§ 76—82), Handlungsagenten (§§ 84—92) und über das Lagergeschäft (§§ 416—424). Es ist am 10. Mai 1897 voll­ zogen worden. Auch zu ihm ist ein Einführungsgesetz erlassen, welches *) Ihre Beratungen sind niedergelegt in den „Protokollen der Kom­ mission für di« zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuches". Im Auftrag« des Reichsjustizamis bearbeitet von Achilles, Gebhard und Spahn.

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das Verhältnis des neuen Gesetzbuchs zu den Landesgesetzen und den Reichsgesetzen handelsrechtlichen Inhalts regelt und Übergangsbestim­ mungen gibt. Eine Reihe von Vorschriften des alten HGB ist ge­ strichen, weil sie vom BGB übernommen worden sind. Außer diesen beiden umfassenden Gesetzbüchern trat am 1. Januar 1900 ein das Gerichtsverfassungsgesetz, die Zivilprozeßordnung und die Konkursordnung änderndes Gesetz vom 17. 5. 1898, ein Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung von Gegen­ ständen des unbeweglichen Vermögens vom 24. 3. 1897 (184 §§) nebst Einführungsgesetz, eine Grundbuchordnung vom 24. 3. 1897 (102 §§) nebst Einführungsgesetz, und ein Gesetz über die Angelegen­ heiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. 5. 1898 (200 §§) in Kraft. Zwar haben alle diese sog. Nebengesetze den Zweck, formelles Recht zu schassen, sie enthalten aber zahlreiche, dem Privat­ recht angehörige Sätze. Das BGB und seine Nebengesetze umfassen keineswegs das ge­ samte Privatrecht des Deutschen Reiches. Die Änderungen, die sie im Privatrecht Deutschlands herbeigeführt haben, bestehen nur in einer Vermehrung des Reichsrechts und damit in einer Umkehrung des Verhältnisses von Reichsrecht und Landesrecht. 1. Nach dem früheren Rechtszustande gehörte die überwiegende Masse der privatrechtlichen Normen dem Landesrecht an, während nur vereinzelte Materien des Privatrechts durch einzelne Reichsgesetze geregelt waren. Die neue Gesetzgebung läßt grundsätzlich diese einzelnen privatrechtlichen Reichsgesetze bestehen (vgl. Art. 32 EG z. BGB), und stellt neben sie das neugeschaffene Reichsrecht. 2. Während bisher trotz der Zuständigkeit des Reiches für das gesamte Privatrecht die Landesgesetzgebung befugt war, in den nicht durch Reichsgesetz geregelten Materien privatrechtliche Normen abzu­ ändern und neue privatrechtliche Normen zu schaffen, ist jetzt grund­ sätzlich das gesamte Privatrecht durch Reichsgesetz ge­ regelt und daher grundsätzlich der Einwirkung der Landesgesetzgebung entzogen. Daher sind mit dem 1. Januar 1900 die privatrechtlichen Vorschriften der Landesgesetze außer Kraft getreten, und nur soweit durch das an diesem Tage ins Leben gesetzte Reichsrecht zugunsten der Landesgesetze ein Vorbehalt gemacht wird, bleibt das bisherige Landesrecht bestehen und die Landesgesetzgebung befugt, dieses Landes­ recht fortzubilden (Artt. 1, 3, 55 EG z. BGB, Art. 15 EG z. HGB). Untereinander stehen die am 1. Januar 1900 ins Leben ge­ tretenen Gesetze gleich. Nur das HGB macht hiervon eine Ausnahme, da es als Spezialgesetz die Normen für diejenigen besonderen Rechts­ verhältnisse gibt, die dem Handel angehören. Daher geht es in

Das neue Prwatrecht Deutschland». § 3.

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Handelssachen, d. h. bei der Beurteilung von Rechtsverhältnissen des Handelsrechts dem den allgemeinen bürgerlichen Berkehr regelnden BGB vor (Art. 2 EG z. HGB). Das BGB kommt demnach zur Anwendung nur wo eine Ergänzung des HGB nötig ist, d. h. 1. da, wo das HGB die Anwendung des BGB ausdrücklich verlangt (§§ 27, 62, 75, 105, 139, 228, 338, 339, 347, 366, 368, 371, 374, 375, 382, 385,396, 440, Artt. 4, 14 Einf.Ges.), 2. da, wo es die Anwendung des BGB stillschweigend zu­ läßt, d. u überall da, wo eine abweichende Vorschrift des HGB fehlt, also auch nicht durch Analogie aus dem Gesamtinhalt des als ein Ganzes aufzufassenden HGB entnommen werden kann. Die anderen Reichsgesetze (außer dem BGB) werden durch das HGB nicht berührt, denn sie sind gleichfalls Spezialgesetze (Art. 2 Abs. 2 EG z. HGB). Das Einf.-Ges. z. HGB hebt aber eine Reihe gesetzlicher Bestimmungen auf (Art. 8), zahlreiche andere reichSgesetzliche Bestimmungen ändert es ab (Art. 9—14). Die landesgesetzlichen Vorschriften handelsrechtlichen Inhalts sind grundsätzlich durch das HGB aufgehoben und nur soweit aufrecht­ erhalten, als das HGB oder das Einführungsgesetz dies ausdrücklich liche Bestimmungen ändert es ab (Artt. 9—14). Die Einteilung des BGB folgt dem System der Pan­ dektenlehrbücher und der Stoffverteilung in 5 Bücher: Allge­ meiner Teil, Recht der Schuldverhältnisse, Sachenrecht, Familien­ recht, Erbrecht. Die Bücher zerfallen in Abschnitte, die meisten von diesen wieder in Titel. Da aber die Zahlen der §§ durch das Gesetz­ buch fortlaufen, so wird die einzelne Bestimmung nur nach dem § angeführt. Das HGB behandelt im ersten Buche den Handelsstand von § 1—104, im zweiten Buche die Handelsgesellschaften und die stille Gesellschaft von § 105—342, int dritten Buche die Handelsgeschäfte von § 343—473 und im vierten Buche den Seehandel von § 474 bis A 905. Vom Bersicherungsrecht behandelt es nur die Seever­ sicherung, und die Lehre von den Handelsgesellschaften ist insofern unvollständig, als das Gesetz über die Erwerbs- und Wirtschafts­ genossenschaften vom 1. Mai 1889 und über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20. April 1892 neben dem HGB bestehen blieben. Auch das Recht der Binnenschiffahrt ist durch ein besonderes Reichsgesetz (vom 15. Juni 1895) geregelt. Das deutsche Handels­ recht beruht aber nicht auf dem HGB allein, sondern noch auf anderen Reichsgesetzen. Auch das Seerecht ist vom HGB nicht vollständig behandelt; seerechtliche Normen sind auch in der Seemannsordnung vom 2. Juni

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

1902 und in der Strandungsordnung vom 17. Mai 1874 enthalten. Das Seesachenrecht findet sich im BGB. Das BGB kommt als subsidiäre Rechtsquelle auch in Handels­ sachen zur Anwendung, aber es ist nicht Quelle des Handelsrechts als eines Sonderrechts.

Erster Abschnitt: Das objektive Recht. A. Die Quellen des objektiven Rechte. § 4.

Das ßefetzesreebt*

Die Quellen des objektiven Rechts d. h. der Rechtssätze sind Gesetz und Gewohnheit (Art. 2 Einf.Ges.). 1. Begriff. Das Wort Gesetz hat eine doppelte Bedeutung. Im materiellen Sinne bezeichnet es das durch einen Aus­ spruch des Staates gesetzte Recht. Es kommt dabei nur darauf an, daß ein Rechtssatz in rechtsverbindlicher Weise durch ein Organ der Staatsgewalt ausgesprochen wird. Gleichgültig ist, ob der Satz — was die Ausnahme bildet — nur auf einen einzigen Tatbestand oder ob er — was die Regel bildet — auf eine unbe­ stimmte Anzahl von Tatbeständen angewendet werden soll, ob er von dem Gesetzgebungsorgan oder einem anderen Organe der Staats­ gewalt ausgeht, wenn er nur von dem verfassungsmäßig bestellten Organ in vorgeschriebener Form getan wird. Gesetze in diesem Sinne sind daher auch die Verordnungen, sofern sie von dem zum Erlasse von Verordnungen bestellten Organe gegeben sind und einen Rechtssatz aussprechen. Solche Verordnungen heißen Rechtsverord­ nungen im Gegensatze zu Verwaltungsverordnungen. Letztere ent­ halten keinen Rechtssatz, sondern nur einen von der vorgesetzten der untergebenen Behörde gegebenen, das Verhalten der letzteren be­ treffenden Befehl. Die Rechtsverordnung hat allgemein verbindliche Kraft und gehört zu den revisiblen Rechtsnormen im Sinne von § 550 ZPO, § 12 EG z. ZPO. Im formellen Sinne bedeutet Gesetz jede von dem gesetz­ gebenden Organe der Staatsgewalt erlassene An­ ordnung. Bedingung ist, daß dasjenige Organ, welches nach der Verfassung zum Erlasse von Gesetzen befugt ist, in der für Gesetze vorgeschriebenen Form gesprochen hat. Es macht keinen Unterschied, ob der Ausspruch einen Rechtssatz oder einen Akt der Staatsver­ waltung enthält (z. B. Aufnahme einer Anleihe, Feststellung des Staatshaushaltsplanes, Dotation eines verdienten Staatsmannes).

Erster Abschnitt: Das objektiv« Recht. 8 4.

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2. Zuständigkeit. Gegenwärtig geht die Gesetzgebung des Deut­ schen Reiches neben der Gesetzgebung der einzelnen Bundesstaaten her. Die Gültigkeit der von letzteren erlassenen Gesetze hängt von der Beobachtung der Verfassung des betreffenden Staates ab. „Die R e i ch s gesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrat und den Reichstag. Die Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Reichsgesetze erforderlich und aus­ reichend" (Art. 5 VU). Durch diese Übereinstimmung wird nur der Gesetzesinhalt gebildet, verbindliche Kraft erlangt er erst durch die Verkündigung von Reichswegen. Sie geschieht auf Anord­ nung des Kaisers durch das Reichsgesetzblatt (Art. 17). Die An­ ordnung erfolgt in Gestalt der Ausfertigung, d. h. indem der Kaiser unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers dem Gesetze seine Unter­ schrift gibt. Vor dem durch diese Verkündung erfolgenden Gesetzes­ ausspruch ist nur ein Gesetzentwurf vorhanden. Der Kaiser ist auf die Befugnis der Verkündung beschränkt, gesetzgebender Faktor ist er nicht. Die Befugnis, Berwaltungsverordnungen zu erlassen, steht jeder höheren Reichsverwaltungsbehörde, insbesondere also dem Bundes­ rate zu. Sie reicht nicht weiter als die Zuständigkeit der betreffenden Verwaltungsbehörde. Rechtsverordnungen zu erlassen, ist an sich ausschließliche Befugnis der gesetzgebenden Gewalt. Sie kann daher nur im Wege der Gesetzgebung übertragen werden (Delegation): dem Bundesrat, dem Kaiser, dem Reichskanzler, anderen Reichs­ behörden, den Landesregierungen. Die Befugnis reicht nicht weiter als die vom Reichsgesetze gewährte Ermächtigung. 3. Die verbindliche Kraft des Gesetzes ergreift einen jeden, gleichviel ob er es kennt oder nicht, es falsch oder richtig auslegt. Der römische Satz ignorantia juris nocet gilt auch bei uns. Die Frage, ob auch seine zugunsten von Frauen, Minderjährigen, Soldaten und Landleuten zugelassenen Ausnahmen galten, wurde von der Praxis mit Einschränkungen bejaht, war aber sicher gegenüber der heutigen Gesetzgebung zu verneinen, und ist durch das BGB dadurch verneint, daß es Ausnahmen nicht aufstellt. Die Gesetzeskraft erlischt, wenn der Zeitpunkt eintritt, der nach der eigenen Bestimmung des Gesetzes den Endpunkt seiner Geltung bildet, oder wenn die Verhältnisse, auf welche das Gesetz Anwendung finden soll, beseitigt sind, was insbesondere von den sog. Übergangsbestimmungen gilt, endlich dadurch, daß das Gesetz auf­ gehoben wird durch ein anderes Gesetz; die Aufhebung geschieht ausdrücklich oder stillschweigend, d. h. dadurch, daß das neue Gesetz Bestimmungen trifft, die mit den Vorschriften des früheren Gesetzes im Widerspruch stehen. Gesetze aber, die gegenüber einem anderen Engelmann. Bürgerliche« Recht. 6. «ufl.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

die Eigenschaft eines Spezialgesetzes haben, werden nicht dadurch auf­ gehoben, daß das allgemeine Gesetz aufgehoben wird (lex posterior generalis non derogat legi priori speciali). Ein Gesetz kann auch durch entgegenstehendes Gewohnheitsrecht aufgehoben werden, wenn die Rechtsanschauung, auf welcher das Gesetz beruht, sich ändert, insbesondere also dann, wenn das Gesetz für aufgehoben gehalten wird (RG bei Seuff. 52, 1). 4. Die Gesetzgebung ist eine fragmentarische, wenn einzelne Stücke einer Rechtsmaterie durch einzelne Gesetze geregelt werden, eine novellistische, wenn ein umfangreicheres Gesetz in einzelnen Punkten geändert wird. Wird eine ganze Rechtsmaterie dadurch umgestaltet, daß alle in sie einschlagenden bisherigen Gesetze auf­ gehoben werden, so enthält das neue Gesetz eine Kodifikation (z. B. das BGB); wird vom Gesetz aus einem vorhandenen Rechts­ stoffe nur einzelnes herausgehoben und mit Gesetzeskraft versehen, so spricht man von Inkorporation (Digesten und Kodex). 5. StaatSvertrLge verpflichten nur die kontrahierenden Staaten, nicht deren Untertanen. Die letzteren werden nur verpflichtet durch die auf Grund des Vertrags erlassenen Gesetze oder Verordnungen. Enthält aber der Vertrag Rechtsnormen, welche sich an die Behörden oder die Untertanen eines oder beider Bertragsstaaten wenden, so bedarf es der Verkündung des Staatsvertrags in der für Gesetze vorgeschriebenen Form, denn dadurch erlangt er für die Untertanen verbindliche Kraft.*) Namens des Deutschen Reiches Verträge zu schließen, ist der Kaiser befugt. Erstrecken sich solche Verträge aber auf Gegenstände, welche nach Art. 4 BU in den Bereich der Reichs­ gesetzgebung gehören, so ist zu ihrem Abschluß die Zustimmung des Bundesrats und zu ihrer Gültigkeit die Genehmigung des Reichs­ tags erforderlich (Art. 11). Da dem Reiche nicht die Macht zusteht, von den Bundesstaaten mit ausländischen Staaten geschlossene Verträge zu lösen, so bleiben nach Art. 56 EG z. BGB solche Staatsverträge, auch soweit sie privatrechtlichen Inhalts sind, in Kraft. In Zukunft aber können Staatsverträge privatrechtlichen Inhalts von einem Bundesstaate nur hinsichtlich derjenigen Rechtsmaterien geschlossen werden, welche der Landesgesetzgebung vorbehalten sind. § 5. Dae ©cwobnbciterccbt. *) 1. Über Begriff und Entstehung des Gewohnheitsrechts haben verschiedene Auffassungen bestanden. Nachdem man zuerst in An*) Laband, Staatsrecht des Deutschen Reichs, § 21. s) Neuntens Brie: Die Lehre vom Gewohnheitsrecht, 1899. Bisher nur der erste Teil, enthaltend die geschichtliche Grundlegung, erschienen.

Erster Abschnitt: Das objektiv« Recht. § 5.

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lehnung an den tacitua consensus populi, der nach der I. 32 D. de leg. 1,3 dem aoffragium gleichstehen sollte, den Geltungsgrund des Gewohnheitsrechts auf eine stillschweigende Genehmigung der gesetzgebenden Gewalt zurückgeführt, später aber in Anwendung des c. 11 X de consuet. 1,4 die fortgesetzte Übung als Entstehungs­ grund des Gewohnheitsrechts angesehen hatte, erklärte die historische Schule das Gewohnheitsrecht für identisch mit der Rechtsüberzeugung des Volkes: nach ihr ist der Gewohnheitsrechtssatz in der Über­ zeugung vorhanden und die Übung nur seine Erkenntnisquelle?) Die jetzt herrschende Ansicht verlangt für die Entstehung des Gewohn­ heitsrechts das Zusammenwirken jenes äußeren, in der Gewohnheit, mit dem inneren, in der Überzeugung liegenden Momentes?) Ge­ wohnheitsrecht sind also die ungesetzten, weil nicht vom Staate ge­ gebenen, durch Rechtsüberzeugung und Übung entstandenen Rechtssätze. Es genügt daher nicht die bloße Übung, denn sie erzeugt nur eine Ge­ wöhnung ohne das Bewußtsein von der Rechtsnotwendigkeit, es genügt auch nicht die bloße Rechtsüberzeugung, denn sie schafft keine Rechtssätze. Es ist insofern ungeschriebenes Recht, als es zu seiner Entstehung nicht der Aufzeichnung bedarf. Wird es niedergeschrieben, so ist die Schrift nur seine beste Erkenntnisquelle. Erfolgt die Auf­ zeichnung und die Verkündung durch die gesetzgebende Gewalt, so wird es Gesetz. Das Gewohnheitsrecht erfordert eine im gesamten Volke oder in einem gewissen Bolkskreise herrschende Überzeugung von dem Vor­ handensein einer verbindlichen Rechtsnorm, die opinio juria oder neceaaitatis, und die Anwendung dieser Norm. Wie lange die Übung bestehen, welche Anzahl von Übungsfällen nachgewiesen sein muß, hängt von der Beschaffenheit des einzelnen Rechtssatzes ab. Der Überzeugung kann ein Irrtum, insbesondere die irrige Anschauung, daß man Gesetzesrecht anwende, zugrunde liegen?) aber ein Satz, der gegen die gute Sitte oder gegen die Grundlagen der bürgerlichen Ordnung verstößt, ist nicht Recht. 2. %aä> Gewohnheitsrecht ist ein gemeines, wenn es sich über das ganze Gebiet des gemeinen Rechts, ein partikuläres, wenn es sich i) Puchta, Gewohnheitsrecht I u. II. 1828, 1837. v. Savigny System I S. 76ff. Ihnen folgend Thöl, v. Gerber, Stobb«, Dahn. *) Jetzt besonders Regelsberger I § 19. Gierk« I § 20. Außerdem Wächter, Windscheid, Beseler, Unger, Goldschmidt und RG 20, 305. 9) Anders die herrschende sWindschrid I § 16 Nr. 3, RG 12, 292 ; 26, 320 und zahlreiche andere Gntsch.), aber von Zitelmann Gewohnheitsrecht und Irrtum Arch. f. zw. P. 66, 223ff. Gierte d. P. I 167 f. bekämpft« Ansicht.

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tatsächlich über ein geringeres Gebiet erstreckt, gleichviel, ob die Be­ teiligten es sich als gemeines oder als partikuläres Recht vorstellend) Es kann sich auf bestimmte Berufsstände und noch engere Kreise be­ schränken. Das in Korporationen und das in Familien des hohen Adels bestehende Gewohnheitsrecht wird vorzugsweise Observanz genannt. Gewohnheitsrecht ist auch das sog. Juristenrecht, insofern durch gleichmäßige Anwendung eines Rechtssatzes in richterlichen Ent­ scheidungen (Gerichtsgebrauch) die Rechtsüberzeugung der Ge­ richte als eines Gemeinschaftsorganes betätigt wird. Die Aufnahme des römischen Rechtes beruht auf Juristenrecht, und zahlreiche Sätze des modernen Rechts sind Erzeugnis des Gerichtsgebrauchs. Niemals aber hat die einzelne Entscheidung, selbst wenn sie jetzt in Gemäßheit des § 137 GVG vom Plenum des Reichsgerichts erlassen wird, an sich verbindliche Kraft. Die Rechtswissenschaft enthüllt zwar verborgene, aber doch immer vorhandene Rechtssätze, sie stellt Lehr­ sätze, nicht neue Rechtssätze auf und ist daher nicht Rechtsquelle?) 3. Die Kraft des Gewohnheitsrechts ist da, wo nicht ausdrück­ liche Gesetzesbestimmungen entgegenstehen, der des Gesetzes gleich. Es kann also Gesetzesrecht durch Gewohnheitsrecht nicht bloß er­ gänzt, sondern auch abgeändert werden (cons. praeter — contra legem); es kann endlich einem Gesetze durch Gewohnheit eine be­ stimmte Auslegung gegeben werden (Usualinterpretation). Art. 1 des alten HGB versagte durch seine Bestimmung: „In Handelssachen kommen, insoweit dieses Gesetzbuch keine Bestimmungen enthält, die Handelsgebräuche" — damit das Gewohnheitsrecht meinend — „und in deren Ermangelung das allgemeine bürgerliche Recht zur Anwendung", dem Gewohnheitsrechte die Kraft, das HGB zu ändern, verlieh ihm derogatorische Kraft aber gegenüber dem allgemeinen bürgerlichen Recht. Dem BGB und dem neuen HGB fehlen Vorschriften über das Gewohnheitsrecht. Die Entscheidung der Frage, ob und inwie­ weit nunmehr gewohnheitsrechtliche Sätze verbindende Kraft haben, bleibt daher der Wissenschaft und der Rechtsprechung überlassen. Es wird unterschieden werden müssen: a) partikuläres Gewohnheitsrecht, das nach Art. 2 RB als Landes­ recht Reichsgesetze zwar nicht aufheben, wohl aber ergänzen, *) A. M. RG 26, 193. Dagegen mit Recht ©itrlt I § 20 V. 2) Die Ansichten hierüber sind immer noch sehr geteilt. Beseler schied zwischen Dolksrecht und Juristenrecht, Puchta macht die Wissen­ schaft zu einer Rechtsquelle. Am klarsten und überall zutreffend jetzt Gierke I § 21. Don Entscheidungen s. RG 3, 178.

(Erft« Abschnitt: Das objektive Recht. § 5.

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b) allgemeines Gewohnheitsrecht, das als Reichsrecht Reichsgesetze sowohl ergänzen als abändern kann. Damit ist dem Interesse der Reichsgesetzgebung an der Wahrung der durch die neue Kodifikation geschaffenen Rechtseinheit Genüge geleistet, und Art. 2 EG z. neuen HGB hat im Gegensatze zu Art. 1 des alten HGB das Gewohnheitsrecht nicht erwähnt, weil eine Wiederholung jenes Art. 1 die Anerkennung auch des partikulären, das HGB abändernden Gewohnheitsrechts enthalten haben würde. Soweit aber neben der Reichsgesetzgebung das Landesrecht be­ stehen bleibt, behält das Gewohnheitsrecht diejenige Bedeutung, die ihni das Landesrecht einräumt. Überall da also, wo das Landes­ gesetz die Anwendung gewohnheitsrechtlicher Normen nicht verbietet oder einschränkt, blieben nicht bloß die am 1. Januar 1900 in Geltung gewesenen Gewohnheitsrechtssätze in Kraft, sondern kann sich auch neues Gewohnheitsrecht, und zwar sowohl ergänzendes als abändern­ des bilden (Artt. 2, 3, 55 EG z. BGB, Art. 15 EG z. HGB). 4. Da das Gewohnheitsrecht Übung voraussetzt und häufig eine lange gleichmäßige Übung verlangt, so ist die Abgrenzung seines Begriffes gegen andere gleichfalls aus Übung beruhende Erschei­ nungen des Rechtslebens geboten. a) Wie das Gesetz, so enthält das Gewohnheitsrecht eine Rechts­ norm im Sinne des § 550 ZPO. Dadurch unterscheidet sich das Gewohnheitsrecht von der erwerbenden Verjährung, welche sub­ jektive Rechte begründet. Die lange Übung kann ferner einen Beweisgrund dafür abgeben, daß ein bestimmtes Rechtsverhältnis entstanden sei, und die sog. unvordenkliche Verjährung be­ gründet in den Fällen, in denen sie anerkannt war, sogar eine Rechtsvermutung dafür, daß ein Recht, welches so lange un­ gestört ausgeübt worden, daß Zeit und Art seiner Entstehung nicht mehr bekannt waren, durch gültigen Titel begründet worden sei. Das Wort Herkommen bezeichnet zwar immer das Bestehen einer längeren Übung, aber bald der eines subjektiven Rechtes, bald der eines Rechtssatzes. b) Das Gewohnheitsrecht entsteht durch die Betätigung dessen, was man für rechtlich notwendig erachtet. Durch fortgesetzte Übung des geschäftlich Zweckmäßigen entsteht ein bloßer Ge­ schäftsgebrauch. Geschäftsgebrauch ist daher das bei gewissen Geschäften Übliche oder Gewöhnliche, das, was das BGB Berkehrs­ sitte nennt. Diese Verkehrssitte dient zur Auslegung zweifelhafter, also auch zur Ergänzung unvollständiger Erklärungen und insbe­ sondere zur Bestimmung der Leistungspflicht (§§ 157, 242). überall da also, wo die Parteien das Übliche gewollt haben, ist der Geschästsgebrauch auch dann maßgebend, wenn ein Teil oder auch beide Teile

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Erstes Buch : Allgemeiner Teil.

ihn nicht gekannt haben. Nach § 346 HGB ist unter Kauf­ leuten auf die Geschäftsgebräuche des Handelsverkehrs in jedem Falle Rücksicht zu nehmen, unter Nichtkaufleuten oder bei Geschäften zwischen Kaufleuten und Nichtkausleuten kann nur entweder die allgemeine oder die besondere Verkehrssitte gerade desjenigen Kreises (z. B. der Architekten) herangezogen werden, dem der er­ klärende Teil angehört?) Die sog. Börsenusancen sind zuerst, meist bloße Geschästsgebräuche, es entwickelt sich aus ihnen aber Gewohnheitsrecht, sobald das bisher übliche für rechtsnotwendig ge­ halten wird. Das letztere wird von denjenigen Börsenusancen, welche von den Börsenorganen kundgemacht sind, ohne weiteres angenommen werden müssen?)

B.

§ 6. Hnwendung des Rechts»

Der Richter hat sowohl das Gesetz als das Gewohnheitsrecht, soweit dieses verbindlich ist, anzuwenden. Der Anwendung muß die Feststellung dessen, was Recht ist, vorausgehen. 1. Da nur das gültige Gesetz Recht schasst, so hat der Richter die Gültigkeit des Gesetzes zu prüfen. Die entgegenstehende Anordnung einzelner Verfassungsurkunden schließt das Prüfungs­ recht nur gegenüber den aus Grund dieser Verfassung zustande ge­ kommenen Gesetzen aus. Die VU des Deutschen Reichs enthält eine derartige Bestimmung nicht. Aber auch wo sie besteht, ist die Ber­ fassungsmäßigkeit der Verkündung zu prüfen, und wo sie nicht besteht, erstreckt sich die Prüfung auch auf die Bersassungsmäßigkeit des Zustandekommens. Ist in der Eingangsformel des Gesetzes auf das Vorhandensein der Erfordernisse gültigen Zustandekommens hinge­ wiesen, so ist zwar damit nicht eine bindende Entscheidung getroffen, wohl aber die Annahme der Gültigkeit begründet. Eine Schranke findet das Prüsungsrecht in der Befugnis der gesetzgebenden Gewalt, sich zum Erlasse des Gesetzes für zuständig zu erklären. Daher ist heute überall die Prüfung geboten, ob das Landesgesetz gegenüber der Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung, dagegen die Prüfung ausge­ schlossen, ob das Reichsgesetz gegenüber der Landesgesetzgebung seine Zuständigkeit zu Recht angenommen hat. 2. Das Vorhandensein eines Gewohnheitsrechts kann aus ge­ richtlichen Entscheidungen, angesehenen Rechtsaufzeichnungen (Sachsen­ spiegel!), Zeugnissen von Behörden, Körperschaften oder einzelnen, auch aus Rechtssprichwörtern entnommen werden. *) S. darüber besonders RG 12, 371. Leonhard: Irrtum bei nichtigen Verträgen, 1882. 6. 224ff. Regelsberger Pand. § 22 11. Danz: Die Auslegung der Rechtsgeschäfte. 2. Aufl. 1906, S. 182ff. *) Staub: komm. z. HGB 8. Aufl. S. 10ff.

Erster Abschnitt: Dos objektive Recht, g 6.

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Das Vorhandensein eines gültigen Gesetzes oder eines Gewohn­ heitsrechtssatzes ist Gegenstand nicht eines zivilprozessualischen Be­ weises, sondern richterlicher Erforschung.*) Denn Jura novit curia. Das schließt nicht aus, daß die Partei den Richter bei seiner Forschung unterstützt, ja daß er der Partei diese Unterstützung auf­ erlegt (§ 293 ZPO, RG 30, 366 ; 39, 376). Zur Feststellung dessen, was als Recht anzuwenden, gehört die Auslegung (Interpretation) d. h. die Erforschung des Sinnes eines gegebenen Rechtssatzes. Als freie geistige Tätigkeit läßt die Aus­ legung sich nicht an feste Regeln binden. Soweit sie nur die Mittel der Sprachkunde zu Hilfe nimmt, nennt man sie grammatische, so­ weit sie nur den allgemeinen Denkgesetzen folgt, logische, soweit sie auf die Stellung des Rechtssatzes in dem Ganzen, dem er angehört, sieht, systematische, soweit sie auf die Verhältnisse Rücksicht nimmt, die zum Erlasse des Gesetzes geführt haben, historische Interpretation. Damit sind aber die Mittel der Auslegung nicht erschöpft; Klarheit gibt in vielen Fällen nur der Zweck des Gesetzes. Der Streit darüber, ob das Gesetz nur den Willen des Gesetzgebers enthält (subjektive Theorie) oder mit seiner Verkündung sich vom Gesetzgeber losreißt und von seinem Willen unabhängig wird (objektive Theorie), hat geringe praktische Bedeutung, da überall wo es auf den Zweck, den Willen, den Gedanken des Gesetzes ankommt, doch immer nur der von Menschen mit dem Gesetze verfolgte Zweck in Frage kommen kann. Ist das Gesetz aber einmal erlassen, so hat es auch diejenigen Wirkungen, deren Eintritt den an seiner Entstehung beteiligt ge­ wesenen Personen nicht zum Bewußtsein gekommen ist. Damit er­ ledigt sich die Frage nach der Bedeutung der sog. Gesetzesmaterialien (Vorarbeiten, Gutachten, Motive, Kommissionsprotokolle usw.). Als Zeugnisse über die Gedanken einzelner sind sie wertlos, weil der einzelne nicht Gesetzgeber und der Gesetzgeber nicht das Gesetz ist; lassen sie aber mit Sicherheit den Zweck erkennen, den man mit dem Gesetze verfolgte, so bilden sie als Zeugnisse über Grund und Ziel des Gesetzes ein Hilfsmittel der Auslegung. Zur Gesetzesanwendung gehört die Analogie. Sie besteht in der Ableitung von Grundsätzen aus der im Gesetze bewirkten Regelung eines bestimmten Tatbestandes und in der Anwendung des so ge­ wonnenen Grundsatzes auf wesentlich gleiche Tatbestände. Sie füllt die scheinbaren Lücken des Gesetzes aus und paßt das bestehende Gesetz neuen Erscheinungen des Lebens an. Man unterscheidet Ge­ setzesanalogie, wenn man ein einzelnes bestimmtes Gesetz *) über diesen Gegensatz s. meinen deutschen Zioilprozeß 1901. S. 268.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

auf Fälle anwendet, die dieses Gesetz nicht regelt, und Rechts­ analogie, wenn man eine Gesamtheit von Rechtssätzen auf ein Rechtsgebiet anwendet, für das sie nicht gegeben sind. Sog. Ausnahmerecht (jus singulare) entzieht sich der analogen Anwendung auf Personen, Sachen oder Verhältnisse, die außerhalb der vom Ausnahmerecht umfaßten Klassen stehen. Die Analogie ist häufig nichts anderes als ausdehnende Inter­ pretation. Ist tatsächlich eine Lücke im Gesetze vorhanden, d. h. läßt sich auch auf dem Wege der Analogie der vorhandene, aber nicht ausgesprochene Satz entwickeln, so ist zu unterscheiden: entweder hat das Gesetz gewisse Lebensverhältnisse nicht regeln wollen, dann sind sie keine Rechtsverhältnisse, oder es hat die Regelung nur tatsächlich unterlassen; dann ist so zu entscheiden, wie das Gesetz entschieden haben würde, wenn es selbst die Regelung vorgenommen hätte. Das BGB, das neue HGB und die mit diesen gleichzeitig in Kraft tretenden Gesetze bilden jedes für sich und alle zusammen eine einheitliche Kodifikation. Hieraus folgt, daß Rechtssätze, die nicht ausdrücklich ausgesprochen sind, im Wege der Analogie nur aus dem Gesetze selbst, und wenn hierzu die Unterlagen fehlen, nur aus dem gesamten Gesetzgebungswerke gefolgert werden dürfen. Die An­ wendung des früheren, also nicht mehr gültigen Rechtes wäre gesetzwidrig. Damit ist aber die Verwertung des früheren Rechts zur Erklärung des neuen Rechts nicht ausgeschlossen. Eine solche Verwertung darf stattfinden, insofern bei Abweichungen des neuen Rechts vom alten im Wege der historischen Auslegung der Grund der Abweichung als Erklärungsmittel dienen kann, und bei Über­ einstimmung des alten und des neuen Rechts die Ergebnisse der an das frühere Recht geknüpften wissenschaftlichen Forschungen auch für das neue Recht ausgebeutet werden.

C.

§ 7.

Die Einteilungen der Recbtsfätze.

1. Diejenigen Rechtssätze, welche den einzelnen der Herrscher­ gewalt eines mit Befehlsmacht ausgestatteten und also ihm über­ geordneten Verbandes (Staat, Provinz, Gemeinde, öffentliche Körper­ schaften) unterwerfen, wie diejenigen, welche dieses Verhältnis der Unter- und Überordnung an Voraussetzungen knüpfen oder be­ schränken, bilden das öffentliche Recht. Diejenigen Rechtssätze aber, welche das Verhältnis der einzelnen gleichberechtigt nebeneinander­ stehenden Individuen zueinander regeln, bilden das Privatrecht. Daher steht der Staat, soweit er zu einzelnen in Rechtsbeziehungen tritt, die ihn dem anderen gleichstellen, unter den Normen des Privatrechts, und soweit er Privatrechte hat, nennt man ihn Fiskus.

Erster Abschnitt: Das objektive Recht.

§ 7.

25

2. Vermittelndes (dispositives) Recht (jus suppletorium) sind die Normen, die nur in dem Falle zur Anwendung kommen, daß die Beteiligten selbst nichts anderes festgesetzt haben. So z. B. § 109 HGB, der die folgenden Paragraphen für dispositives Recht erklärt. Zwingendes (absolutes) Recht (j. cogens) ist dasjenige, durch das die Festsetzung der Beteiligten ausgeschlossen hrirb.1) Da das öffentliche Recht, indem es die Gesamtinteressen verfolgt, die Privat­ autonomie grundsätzlich ausschließt, nennt man das zwingende Recht auch jus publicum und sagt: jus publicum privatorum pactis mütari non potest (1. 38 D. de pactis 2, 14). Hierher gehören auch alle im Gesamtinteresse gegebenen Privatrechtsnormen z. B. Formvor­ schriften (auch z. B. § 619 BGB). Dispositiv sind aber nicht bloß die Rechtssätze, die zur Anwendung kommen, wenn keine, sondern auch die, welche eintreten, wenn eine unvollständige Festsetzung getroffen ist (RG 14, 114). Die dispositiven Rechtssätze „sind der Niederschlag aus dem stereotypen Inhalt einer unendlichen Masse von gleichartigen Rechtsgeschäften"?) 3. Diejenigen Rechtssätze, welche auf alle möglicherweise vor­ kommenden, unter sie fallenden Tatbestände Anwendung finden sollen, nennt man abstraktes oder allgemeines Recht. Keinen voll­ ständigen Gegensatz dazu bildet das besondere Recht (jus singu­ lare); dies ist das nicht für schlechthin alle, sondern für eine be­ sondere Art von Tatbeständen, d. h. das für gewisse Klassen von Personen, Sachen oder Rechtsverhältnissen gegebene Recht, wie z. B. die nur für Kaufleute gegebenen Bestimmungen, denn sie sind inner­ halb ihres Geltungsbereiches allgemeines Recht. Soweit es Begünsti­ gungen gewährt, spricht man von Rechtswohltaten, beneficia juris, Privilegien in diesem Sinne. Seiner Natur nach widerstrebt es der analogen Anwendung. Den Gegensatz zu den allgemeinen Rechtssätzen bildet der „I n dividualrechtssatz", das konkrete Recht, das Privilegium in diesem engeren Sinne. Es regelt nur einen konkreten Tatbestand und wird nur für bestimmte Personen, Sachen oder Rechtsver­ hältnisse gegeben. Stets enthält es eine Durchbrechung des allge­ meinen Rechts, indem es dem einzelnen eine Befugnis einräumt, die allen anderen nicht zusteht, z. B. Jnhaberpapiere mit Prämien aus­ zugeben (Rges. vom 8. Juni 1871), oder indem es eine bestimmte Person von einem gesetzlichen Verbote (z. B. §§ 1303, 1312 BGB ^Eheverbot) befreit, „dispensiert", oder von einem allgemeinen *) Ehrlich: Das zwingende und nicht zwingende Recht im BGB. Stammler: Recht der Schuldverhältnisse. 1897. S. 55ff. 2) Laband im Arch. s. ziv. Praris 73, 164. Ebenso Danz: Laien­ verstand und Rechtsprechung. 1898. 1899.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

Gebot ausnimmt (z. B. Steuerfreiheit gewährt). Auch wenn die Privilegienerteilung Folge eines mit dem Staate geschlossenen Ver­ trags und wenn sie an Behörden delegiert ist, bildet sie einen Akt der Gesetzgebung, schafft objektives Recht und hängt von dem unbe­ schränkten Ermessen der Staatsgewalt ab. Dadurch unterscheidet sich das Privilegium von der Konzession. Diese ist ein Akt der Staatsverwaltung und spricht die Genehmigung zur Vornahme einer gewissen Tätigkeit z. B. eines bestimmten Gewerbebetriebes (88 16ff / 29ff. Gew.-Ord.) aus; sie muß erteilt werden, wenn gewisse gesetzliche Bedingungen erfüllt sind (§ 18 Gew.-Ord.). Das­ selbe gilt von der Verleihung des Bergwerkseigentums nach modernem Bergrecht. Das BGB enthält keine allgemeinen Vorschriften über Privilegien. Wird durch Privileg ein bestimmtes Recht eingeräumt, so richtet sich die Art der Ausübung und des Rechtsschutzes nach Inhalt und Wesen des gewährten Rechtes. Hiernach beantwortet sich auch die Frage, ob das erteilte Recht (nicht das Privilegium) durch Verjährung untergehen kann. Das Privileg erlischt von selbst bei Untergang des Subjektes oder Objektes, an dessen Dasein es geknüpft ist; es kann durch richterliches Urteil entzogen werden, wenn es mißbraucht wird und sein Inhalt der Zuständigkeit der Gerichte unterliegt; es kann — nach herrschender Ansicht nur gegen Entschädigung — auf­ gehoben werden durch einen Akt der auch hierin unbeschränkten Gesetzgebung.

D.

§ 8.

Zeitliche Grenzen der Gesetze.1)

Das Gesetz tritt an demjenigen Tage in Kraft, den es sich selbst als Anfangstag seiner Geltung bestimmt. Fehlt es im Gesetz an einer solchen Bestimmung, so kommt die für alle Gesetze des betreffenden Staates ein für alle Male gegebene Norm zur Anwendung. Für Reichsgesetze gibt die RV Art. 2 eine solche allgemeine Norm dahin, daß die verbindliche Kraft mit dem vierzehnten Tage nach dem Ablaufe desjenigen Tages beginnt, an welchem das betreffende Stück des Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist. Ähnliche Bestimmungen geben zahlreiche Landesgesetze. 1. Nach den allgemeinen, in Ermangelung besonderer Be­ stimmungen maßgebenden gewohnheitsrechtlich geltenden Leitsätzen ergreift ein neues Gesetz nur diejenigen rechtserheblichen Tatsachen, die sich nach dem Eintritte seiner Gesetzeskraft ereignen. Nach diesem i) Regelsberger I S. 184ff. Gierte I 6. 184ff. Umfassendes Werk von Habicht: Die Einwirkung des BGB auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse. 1899.

Erster Abschnitt: Dos objektiv« Recht. § 8.

27

(auch vom neuen Recht anerkannten,*) in der 1. 7 C. de leg. 1,14 und c. 13 X de const. 1,2 ausgesprochenen) Grundsätze von der Nicht» rückwirkung der Gesetze hat eine jede rechtserhebliche Tatsache diejenige Rechtswirkung, die ihr das zur Zeit ihres Eintritts geltende Gesetz verleiht. Hängt eine Rechtswirkung von dem Eintritte mehrerer, nur in ihrer Gesamtheit rechtserheblicher Tatsachen ab, so tritt die Wirkung ein, welche das beim Eintritt der letzten Tatsache geltende Gesetz dem zusammengesetzten Borgange beilegt, und hängt eine Rechtswirkung von der Dauer eines bestimmten Zustandes ab, so hat er diejenige Wirkung, welche das am Ende des Zeitraumes geltende Gesetz bestimmt. Nach diesem Grundsatz ergreift das neue Gesetz werdende, unfertige Rechtsverhältnisse (Hoffnungen, Anwart­ schaften), es sei denn, daß die Anwartschaft selbst ein Recht bildet. Verlängert das neue Gesetz die Verjährungszeit, so kann sich die Verjährung nur in der längeren Zeit vollenden, in diese ist aber der Zeitraum, währenddessen die Verjährung unter dem alten Gesetze gelaufen, einzurechnen. Verkürzt das neue Gesetz die Verjährungszeit, so kommt demjenigen, der durch die Verjährung gewinnt, sowohl der unter dem alten Gesetze begonnene, unter dem neuen vollendete Ablauf der längeren Frist als auch der mit dem neuen Gesetz erst begonnene Ablauf der kürzeren Frist zustatten (RG 24, 271). Das neue Gesetz läßt aber die wohlerworbenen, d. h. diejenigen Rechte, deren Erwerb für eine bestimmte Person vollendet ist, unberührt. Die Rechts» und Handlungsfähigkeit sind keine erworbenen Rechte. Obwohl das Gesetz in wohlerworbene Rechte eingreifen kann, ist ohne genügende Gründe nicht anzunehmen, daß es diesen Eingriff beabsichtige (RG 27, 1). Hebt es jedoch ganze Rechtsinstitute auf, weil sie den gegenwärtigen rechtlichen, sittlichen oder wirtschaftlichen Anschauungen widersprechen (z. B. das Lehnrecht), so ist anzunehmen, daß auch die aus diesen Instituten folgenden Rechtsverhältnisse auf­ gehoben sein sollen. Eine Ausnahme von dem allgemeinen Grund» satze bilden nicht diejenigen Gesetze, welche eine authentische Inter­ pretation (Deklaration) bestehenden Rechtes geben, denn sie schaffen nicht neues Recht, sondern erläutern das alte. 2. Das BGB hat an diesen Leitsätzen nichts geändert, denn es hat sich allgemeiner Bestimmungen über die zeitlichen Grenzen der Gesetze enthalten. Dagegen haben die Einführungsgesetze zum BGB (Artt. 153—218), zum HGB (Artt. 22—28) und zum Gesetz ') Jnsbes. Artt 158, 161, 168, 170, 179,181 Abs. 2, 182, 198 Abs. 1, 200, 202, 204, 206, 207, 208, 209, 213, 214, 215, 217 Eins.-®. z. BGB. Art. 23 eins..®, j. HGB.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

über die Zwangsversteigerung usw. von Grundstücken (§ 15) Über­ gangsbestimmungen gegeben, welche das Verhältnis nur dieser Ge­ setze zu den bei ihrem Inkrafttreten bestehenden Rechtsverhältnissen, wiederum ohne Ausspruch allgemeiner Grundsätze, dagegen in zahl­ reichen Einzelbestimmungen, regeln. Diese Bestimmungen enthalten die Anerkennung der oben aufgestellten Grundsätze, insbesondere auch für die Entstehung der Schuldverhältnisse (Art. 170) und betresss der Verjährung und der Ersitzung (Artt. 169, 185), durchbrechen sie aber aus rechtspolitischen Gründen in zahlreichen Fällen.

E.

§ 9.

Örtliche Grenzen der Gesetze*

I. Ist im einzelnen Falle zweifelhaft, ob ein Tatbestand diejenigen rechtlichen Wirkungen nach sich gezogen hat, die das inländische Recht oder diejenigen, die eine ausländische Rechtsordnung an ihn knüpft, so hat der deutsche Richter zuerst die Frage zu entscheiden, nach welchem Rechte der Fall zu beurteilen ist, und dann erst den Rechts­ fall selbst zu entscheiden. Die erste Frage ist zu beantworten nach den Normen desjenigen Rechts, dem der Richter selbst unterworfen ist, und zwar nach denjenigen Sätzen dieses Rechts, die den Zweck haben, Leitsätze zu bilden bei Lösung der oft schwierigen Frage, welche Rechtsordnung anzuwenden ist. Diese Normen nannte man bisher irreführend „internationales Privatrecht", man nennt sie jetzt passen­ der „Kollisionsnormen". Denn sie sind Normen des einheimischen nationalen Rechts, haben aber die Ausgabe, den Widerstreit der verschiedenen Rechtsordnungen, die zur Anwendung gebracht werden könnten, zu lösen. Kollisionsnormen sind also Sätze des in einem Staate geltenden Rechts, welche im Fall eines Zweifels bestimmen, daß aus ein gegebenes Rechts­ verhältnis das einheimische oder ein ausländisches Recht anzuwenden sei. II. Geschichtliches. Die Anschauung, daß der Richter fremdes Recht anzuwenden in die Lage kommen könne, hat nicht immer ge­ golten. Sie war dem römischen Rechte wie dem Altertum überhaupt fremd. Im Frankenreiche wurden auch unter Stammesfremden die Angehörigen verschiedener Stämme nach dem einem jeden ange­ borenen Stammesrechte beurteilt (Personalitätsprinzip). Später gelangte das sog. Territorialitätsprinzip, das jedem Rechtssatz ein räumliches Gebiet anweist, zur Anerkennung: wie jeder Tatbestand die Wirkung hat, die das zur Zeit seines Eintritts geltende Recht mit ihm verbindet, so verknüpft sich mit ihm die Wirkung, welche das am Orte seines Eintritts geltende Recht ihm beilegt. Nach dem 'Territorialitätsprinzip wird also ein Tatbestand nur dann richtig beurteilt, wenn auch im Ausland auf ihn dasjenige

Erst« Abschnitt: Das objektiv« Recht. 8 9.

29

Recht zur Anwendung kommt, dem er von vornherein unterworfen war. Das Territorialitätsprinzip erlitt Einschränkungen durch die von den Postglossatoren ausgebildete Statutentheorie. Man unterwarf den statuta personalia d. h. den für die Person als solche geltenden Rechtsnormen alle Einwohner des Geltungsgebietes der Norm, den statuta realia d. h. den für Sachen gegebenen Normen die Sachen, die sich im Gebiete der Norm befinden, und endlich die Handlungen den am Orte ihrer Bornahme geltenden Normen, den statuta mixta. Diese Lehre, zu unbestimmt, als daß sie dem sich steigernden internationalen Rechtsverkehre hätte genügen können, ver­ warf Savigny; er führte aus, daß jedes einzelne Rechtsverhältnis nach demjenigen Rechte beurteilt werden müsse, unter dessen Herr­ schaft es seinen Sitz habe, und daß dieser „Sitz" im einzelnen Falle gefunden werden müsse. Aus diesem allgemeinen Grundsätze hat die Rechtswissenschaft eine Reihe einzelner Sätze hergeleitet, die durch Gerichtsgebrauch zu Rechtssätzen wurden. Dabei betrachtete man im Gegensatze zur neueren italienisch-französischen Schule, welche alle Rechtsverhältnisse einer Person nach dem Rechte des Staates be­ urteilt wissen will, welchem die Person angehört (Modernisierung des Personalitätsprinzips), den Wohnsitz der etwa in Frage kom­ menden Person als maßgebend. Das neue Recht hat im EG zum BGB das internationale Privatrecht zwar behandelt, es hat also gezeigt, daß es vom Richter zwar die Anwendung fremden Rechtes verlangt, aber es hat ihm nur wenige, äußerst lückenhafte und im heutigen Verkehr unzureichende Kollisionsnormen an die Hand gegeben. Ist nach diesen Normen int gegebenen Falle fremdes Recht anzuwenden, so bleibt das fremde Recht doch dann unanwend­ bar, wenn seiner Anwendung ein Staatsvertrag oder die guten Sitten oder der Zweck eines deutschen Gesetzes entgegenstehen (Art. 30 EG). III. Die KollifionSnormen des jetzigen deutschen Rechts sind entweder 1. solche, welche für bestimmte Tatbestände die Anwendung des deutschen Rechts vorschreiben, für alle andern Tatbestände aber eine Bestimmung überhaupt nicht geben (einseitige K. so Artt. 14, 18, 19, 20, 22); 2. solche, welche nicht nur den Anwendungsbereich des deutschen Rechts, sondern zugleich das ausländische Recht bezeichnen, das auf die nicht dem deutschen Recht unterliegenden Tatbestände angewendet werden soll (vollkommene K., so Artt. 7, 11, 17, 21); 3. solche, welche für gewisse Tatbestände die Anwendung des deutschen Rechtes vorschreiben, aber nur für einen Teil der

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Erst«» Buch: Allgemeiner Teil.

anderen Tatbestände das zur Anwendung zu bringende sremde Recht - bezeichnen (unvollständig zweiseitige K., so Artt. 13, 15, 24 Abs. 1, 25 S. 1). Verweist das einheimische Recht (die lex fori) auf fremdes Recht, so frägt es sich, ob nur die Sachnormen des fremden Rechts oder auch die fremden Kollisionsnormen anzuwenden sind. Im letzteren Falle kann die fremde Kollisionsnorm aus die verweisende Kollisionsnorm zurück» oder aus eine dritte Rechtsordnung weiter­ verweisen. Das Prinzip der Rückverweisung und mehr noch das der Weiterverweisung hatte von jeher Gegner, und das neue Recht hat nur in Art. 27 die Rückverweisung für bestimmte Tatbestände anerkannt. Die herrschende Meinung schließt hieraus mit Recht, daß der Grundsatz der Weiterverweisung verworfen und der der Rück­ verweisung nur bei den bestimmt bezeichneten, als Ausnahmefälle anzusehenden Tatbeständen anerkannt ist. Die Kollisionsnormen des neuen Rechts werden anzuwenden sein auch im Verhältnis der einzelnen Landesrechte untereinander, soweit hierüber nicht eine maßgebend gebliebene Norm des Landesrechts entscheidet. IV. Die einzelnen Grundsätze des heutigen deutschen i. P. sind in einzelnen Reichsgesetzen (z. B. Artt. 84, 85 WO), in Staatsver­ trägen, hauptsächlich aber in den Artt. 7—31 EG z. BGB ent­ halten. Die hier aufgestellten Sätze stehen vereinzelt da, an einer Kodifikation des i. P. fehlt es. In betreff der Geschäftsfähigkeit (Art. 7), der Verschollenheitserklärung (Art. 9), des Eheabschlusses (Art. 13), der persönlichen Rechtsbeziehungen der Ehegatten zuein­ ander (Art. 14), des ehelichen Güterrechts (Art. 15), der Ehescheidung (Art. 17), des Rechtsverhältnisses der Kinder zu den Eltern (Artt. 18 bis 21), der Ehelichkeitserklärung und der Annahme an Kindesstatt (Art. 22), der Vormundschaft und des Erbrechts (Artt. 23—26) ist das EG z. BGB im Anschluß an Art. 84 WO und einzelne Staats­ verträge zum Staatsangehörigkeitsprinzip übergegangen, während bisher in allen diesen Beziehungen der Wohnsitz der in Frage kommenden Personen oder der maßgebenden Person über die Anwendung des Rechts entschieden hatte. So bestimmt sich nach Art. 84 WO die Wechselfähigkeit des Ausländers nach den Gesetzen desjenigen Staates, dem er an­ gehört. Ist er nach diesen Gesetzen wechselunsähig, so wird er gleich­ wohl durch Übernahme einer Wechselverbindlichkeit in Deutschland verpflichtet, wenn er nach deutschem Rechte wechselsähig ist. Diesen Grundsatz dehnt das neue Recht (Art. 7) auf die Geschäftsfähigkeit überhaupt aus, so daß die Staatsangehörigkeit mit der Maßgabe entscheidet, daß ein Ausländer, der im Inland ein Geschäft vor-

Erst« Abschnitt: Das objtttrot Recht. § 9.

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nimmt, ohne Rücksicht auf sein Heimatsrecht geschäftsfähig ist, wenn er es nach deutschem Rechte sein würde. Aber selbst die hier angeführten Bestimmungen sind lückenhaft. Es hat sich deshalb auch betreffs dieser (sog. partiellen) Lücken die Streitfrage gebildet, ob nicht in den vorhandenen Normen das Prinzip enthalten ist, daß alle die persönliche Rechtsstellung der Personen angehenden Verhältnisse nach dem Rechte des Staates zu beurteilen sind, dem die Person angehört. Die Frage wird zu be­ jahen sein. Über die Form der Rechtsgeschäfte entschied früher der Ort, an dem sie errichtet waren (locus regit actum. Vgl. Art. 85 WO). Jetzt erklärt Art. 11 EG das Recht für maßgebend, welchem das den Gegenstand des Geschäfts bildende Rechtsverhältnis unterliegt. Doch genügt die Beobachtung der Gesetze des Ortes, wo das Geschäft vorgenommen wird. Die Rechte an unbeweglichen wie an beweglichen Sachen unterliegen nach Gewohnheitsrecht der lex rei sitae (RG 8, 110; 11, 52), es sei denn, daß eine bewegliche Sache zu fortwährendem Ortswechsel bestimmt wäre (z. B. Eisenbahnwagen), in welchem Falle der Heimatsort (-Hafen), der Ausgangsort, der Wohnsitz des Eigen­ tümers maßgebend ist. Das neue Recht enthält keine ausdrückliche, aber eine aus Art. 11 Abs. 2 und Art. 28 EG z. BGB zu folgernde stillschweigende Anerkennung desselben Prinzips. Über die Wirkung obligatorischer Verträge enthält das neue Recht keine Kollisionsnorm. Sie wird zunächst beurteilt werden müssen nach dem Rechte, dem sich die Parteien ausdrücklich oder stillschweigend unterworfen haben. War dies nicht zu ermitteln, so nahm die bisherige Rechtsprechung mit Savigny den Ort der Erfüllung als maßgebend an. Hiervon wendet sich die neuere Recht­ sprechung ab (vgl. RG 62, 380). Doch ist in jedem Falle der Ort des Bertragschlusses als bestimmendes Moment abzulehnen. Bleibt danach nur übrig, das Personalstatut des Schuldners als maßgebend anzusehen, so kann auch hier nicht mehr der Wohnsitz, sondern die Staatsangehörigkeit des Schuldners entscheiden. Es empsiehlt sich danach „das Heimatsrecht desjenigen, der verpflichtet sein soll" (v. Bar). Bei gegenseitigen Verträgen bestimmt sich jede Verpflich­ tung nach dem Rechte desjenigen, der mit dieser Verpflichtung be­ schwert ist (Beispiel in Seufferts Archiv 58 Nr. 27, RG 51, 218). Gesetzliche Verpflichtungen richten sich regelmäßig nach dem Rechte des Ortes, wo die das Verhältnis begründenden Tat­ sachen eingetreten sind; Verbindlichkeiten aus unerlaubten Hand­ lungen stehen unter dem Rechte des Orts, wo die Handlung be­ gangen ist. Den letzteren Grundsatz erkennt Art. 12 EG dadurch

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

an, daß er mit der dort gegebenen Einschränkung Ansprüche aner­ kennt, die durch eine von einem Deutschen im Auslande begangene unerlaubte Handlung begründet sind. Das Recht der Vormundschaft wird sich, da eine allgemeine Vorschrift fehlt, nur nach dem Rechte des Ortes richten können, wo die Vormundschaft geführt raub,1) und die betreffs des Rechts der unehelichen Kinder bestehende Streitfrage ist in Art. 21 zugunsten der Staatsangehörigkeit der Mutter zur Zeit der Geburt entschieden.

F.

§ 10. Die Hutonomie.2)

Dem gesetzlichen Recht in seiner Verbindungskraft gleichgestellt sind die autonomischen Satzungen. Ihre Quelle ist die Autonomie, d. h. die Befugnis kleinerer Verbände innerhalb des Staates, für ihren Rechtskreis mit verbindender Kraft für Dritte (also objektives) Recht zu schaffen. Dieses Recht haben von altersher die Familien des hohen Adels. Durch die deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815 (Art. 14) und zahlreiche Partikulargesetze wurde nicht bloß den souveränen Fürstenfamilien, sondern auch den Familien des früheren reichs­ ständischen Adels das Recht der Autonomie gewährleistet. Die von ihnen erlassenen Satzungen pflegt man Hausgesetze zu nennen. Das Recht der Autonomie haben ferner die größeren Kommunalverbände, die Stadt- und Landgemeinden, die Kirchengesellschaften (RG 23, 26 ff.) und die Körperschaften des öffentlichen Rechts. Die Gültigkeit autonomischer Satzungen hängt davon ab, daß sie verfassungsgemäß zustande gekommen und verkündet worden sind und, wie dies für die Statuten der dem öffentlichen Recht un­ gehörigen Verbände der Regel nach vorgeschrieben ist, landesherrlich oder durch eine höhere Verwaltungsbehörde bestätigt sind, sowie daß sie die Grenzen der regelmäßig auf die eigenen Angelegenheiten der Korporation beschränkten autonomischen Befugnis einhalten. Sie sind als Normen objektiven Rechtes für die Personen, für die sie erlassen sind, wie für den Richter bindend. (Vgl. § 293 ZPO.) Daß die autonomische Satzung innerhalb ihres Geltungsbereiches wie das Gesetz bindende Gewalt auch gegenüber denjenigen Personen hat, welche das Statut nicht durch eigene Willenserklärung geschaffen haben, unterscheidet die Autonomie von der sog. Privatautonomie. Letztere besteht in der Befugnis, Rechtsverhältnisse (also sub­ jektive Rechte) zu begründen. Der Privatautonomie entspringen die *) Folgt aus Art. 23 (Niemeyer: Intern. Privatrecht des BGB 1901). 2) Die herrschende Meinung ist für die Autonomie. S. Gierke I. 142 ff. NG 2, 145 ff. und besonders 26, 155 ff.

Zweiter Abschnitt: Das subjektive Recht. § 11.

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Statuten privater Korporationen, z. B. der Aktiengesellschaften. Sie haben verbindliche Kraft nur gegenüber denjenigen Personen, die sich durch Beitritt zum Gesellschaftsvertrag ihnen unterwerfen und sie damit zur eigenen Willenserklärung machen. Das BGB enthält keine Bestimmungen über die Autonomie. Die Artt. 57, 58 EG z. BGB, § 83 der GrBO und § 2 Abs. 1 EG z. ZwstG lassen das autonomische Recht des hohen Adels, des vormaligen Reichsadels und der dem Reichsadel gleichgestellten Familien des landsässigen Adels bestehen und stellen die autonomischen Satzungen dieser Familien den Landesgesetzen gleich. Die Autonomie der anderen Korporationen ist ein Ausfluß ihrer öffentlich-rechtlichen Stellung und wird aus diesem Grunde vom BGB nicht berührt.

Zweiter Abschnitt: § 11.

Das fubjekttve Recht.

Begriff des subjektiven Rechts.

1. Während das objektive Recht die den Willen des einzelnen bestimmende und begrenzende Rechtsnorm oder Rechtsregel, bezeichnet das Wort subjektives Recht die dem einzelnen zustehende Berech­ tigung. Das subjektive Recht ist vom objektiven Recht abhängig: es gibt keine Berechtigung, die nicht durch einen Rechtssatz gewährt würde. Subjektives Recht ist also eine vom objektiven Recht ein­ geräumte Macht. Diese Macht wird aber auch begrenzt durch das objektive Recht. Was jenseits der Grenze liegt, ist rechtlos, und, steht es mit dem objektiven Recht im Widerspruch, verletzt es also insbesondere das Recht eines andern, so ist es rechtswidrig, auch wenn die Verschuldung einer Person nicht in Frage steht. Das objektive Recht gibt dem einzelnen jene Macht in die Hand, um seine vernünftigen Lebensinteressen zu befriedigen. Wer sein Recht innerhalb dieser Schranke ausübt, ist nicht verantwortlich für den dadurch einem andern zugefügten Nachteil. Qui jure suo utitur, neminem laedit. Wer aber über jene Grenze hinausgeht, muß den berechtigten Interessen anderer weichen. Diesem Gedanken trägt das BGB dadurch Rechnung, daß es in § 905 dem Eigentümer die Be­ fugnis entzieht, Einwirkungen auf den Raum über oder unter der Oberfläche seines Grundstückes zu verbieten, die in solcher Höhe oder Tiefe vorgenommen werden, daß er an der Ausschließung kein Inter­ esse hat. Wer aber bei der Rechtsausübung nur den Zweck verfolgt, einen andern zu kränken, befindet sich im Unrecht und genießt nicht engelmann, Bürgerliche- Recht. 6. Hust.

Z

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

nur keinen rechtlichen Schutz, sondern ist jenem für den ihm bereiteten Nachteil verantwortlich. Dieser Satz des gemeinen Rechtes ist in das BGB übergegangen, indem es in § 226 eine Rechtsausübung^ die nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen^ für widerrechtlich („unzulässig") erklärt. Dem Rechtsmißbrauch kann also mit den Mitteln des Privatrechts (Klage und Einrede) entgegen­ getreten werden. Sog. Schikaneverbot. Da die Macht des einen notwendig eine Einschränkung anderer nach sich zieht, so entspricht jedem Recht eine Pflicht, denn die Pflicht ist eine Beschränkung des Willens. Sie liegt entweder einem oder allen ob, je nachdem der Wille dieses einen oder der Wille aller in bestimmter Richtung gebunden ist. 2. Ein Rechtsverhältnis ist ein rechtlich bestimmtes Lebens­ verhältnis, d. h. eine vom Rechte bestimmte und begrenzte Beziehung einer Person zu einer oder mehreren anderen Personen oder zu einer Sache. Das Rechtsverhältnis erschöpft sich bisweilen in einem einzigen Recht. Da das Rechtsverhältnis aber der Entwicklung fähig ist, so kann es mehrere Rechte in zeitlicher Aufeinanderfolge erzeugen; es kann von vornherein mehrere Rechte begründen, die entweder nebeneinander oder einander gegenüber stehen. So ist das Eigentum ein Rechtsverhältnis, das eine Reihe einzelner Befugnisse gewährt und verschiedenartige Ansprüche erzeugt. Der Besitz ist an sich nur ein tatsächliches, infolge seiner rechtlichen Normierung aber ein Rechts­ verhältnis. Auch die elterliche Gewalt ist ein Rechtsverhältnis; durch den Abschluß eines Mietvertrags entsteht das Rechtsverhältnis derMiete. Rechtsinstitut ist der Inbegriff der Rechtsregeln, welche zusammengehören, weil sie den Zweck haben, Rechtsverhältnisse einer und derselben Art d. h. diejenigen, welche den gleichen Inhalt haben, zu regeln. Das einzelne Darlehn ist ein Rechtsverhältnis, die Rechts­ grundsätze, unter denen es steht, bilden das Rechtsinstitut desDarlehns.

§ 12.

Die Einteilung der Rechte*

Die Einteilung der Rechte in öffentliche und privatelehnt sich an den oben § 71 besprochenen Gegensatz von öffentlichem und Privatrecht an; die durch das objektive öffentliche Recht be­ gründeten Rechte sind öffentliche, die durch die Privatrechtsnormen begründeten Rechte sind Privatrechte. Ob durch besondere Bestim­ mung einem subjektiven Rechte Schutz gewährt wird durch die ordent­ lichen Gerichte, ist nicht entscheidend. Bemerkenswert aber ist, daß ein öffentlich-rechtliches Verhältnis Privatrechte begründen kann: die dienstliche Stellung des Beamten gehört dem öffentlichen Recht

Zweit« Abschnitt: Dar fubjettioe Recht. § 12.

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an; wird dem Beamten aber ein Recht aus ein gewisses Dienst­ einkommen gewährt, so handelt der Staat dabei nicht als die dem Beamten übergeordnete Macht, sondern als gleichberechtigtes Rechts­ subjekt, der Anspruch auf Gewährung des Diensteinkommens ist daher ein privatrechtlicher. Diesem Gedanken hat die Gesetzgebung des Deutschen Reiches wiederholt Ausdruck gegeben (§§ 149 ff. ReichsBeamten-G. v. 31. März 1873 für die Reichsbeamten, § 9 GBG für die Richter). Das BGB hat es vermieden, Bestimmungen über Materien zu geben, deren Zugehörigkeit zum Privatrecht auch nur in Zweifel gezogen werden kann, es hat daher auch hinsichtlich der An­ sprüche der Landesbeamten die Landesgesetze unberührt gelassen (Art. 80 EG z. BGB).») Man teilt heute die Rechte in Herrschafts- und Gestaltungsrechte ein.4) Herrschaftsrechte sind diejenigen, denen ein Berpflichtetsein anderer Personen entspricht, Gestaltungsrechte diejenigen, welche zur Gestaltung einer Rechtswirkung befugt machen. Da die ersteren entweder in einem Anspruch aufgehen oder Ansprüche erzeugen können, nennt man sie auch Anspruchsrechte (Biermann Bürgerliches Recht. I. 1908 § 35). Gestaltungsrechte sind z. B. das Rücktritts­ recht, das Wahlrecht bei der Wahlschuld, das Recht, mit einer Gegen­ forderung aufzurechnen, namentlich aber das Anfechtungsrecht (durch einseitige Erklärung ein Rechtsgeschäft nichtig zu machen). Die Einteilung der Herrschastsrechte in absolute und rela­ tive Rechte sieht auf das verpflichtete Subjekt, denn dem relativen Recht entspricht die Verpflichtung einer bestimmten Person, dem abso­ luten Rechte die Verpflichtung aller, das Recht nicht zu verletzen. Die wichtigste Einteilung bleibt doch die nach dem Gegen­ stände des Rechts. Denn sie ist auch für den Inhalt des Rechts maßgebend. Gegenstand eines Privatrechts aber kann sein die Person oder die Sache. Die Rechte an der Person sind entweder Rechte an der eigenen Person oder Rechte an einer fremden Person. Die Rechte an der eigenen Person sind die Rechte auf ungestörten Genuß persönlicher Güter und stete Betätigung der eigenen Geistes- und Körperkräfte. Man darf diese Rechte nicht bloß als Ausflüsse der persönlichen Freiheit bezeichnen. Denn das positive Recht gewährt *) Der gleichen Tendenz verdanken ihr« Entstehung die Artt. 66, 66, 67, 69, 70, 72, 73, 74, 77. 78, 79, 81, 83, 84, 85, 86, 87.88. 90, 91, 92, 94, 97—104,106, 108—121,125-129,132-139, 144, 145 EG z. BEB. 2) Namentlich Seckel: Di« Gestaltungsrecht« des Bürg. Rechts. Fest­ gab« für Hoch. 1903. Ander« Einteilungen von Zitelmann (Hellwtg) und Sohm.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

ihnen Schutz gegen Eingriffe, erkennt also das Vorhandensein eines Rechtes an. Man nennt sie Persönlichkeitsrechte. Die Rechte an fremder Persönlichkeit, regelmäßig un­ trennbar an eine das Recht überwiegende Pslichtstellung gebunden, haben eine fremde Persönlichkeit zum unmittelbaren Gegenstände. Sie können ein Gewaltverhältnis begründen, aber notwendig ist dies nicht. Das Verhältnis, aus dem sie hervorgehen, ist ein sitt­ liches und gehört zum Teile dem öffentlichen Recht an. Bestimmte Beziehungen aber in dem Verhältnis der Ehegatten zueinander, der Eltern und Kinder untereinander sind zu Privatrechten geworden. Man nennt diese Rechte Personenrechte. Die Rechte an der unfreien Natur bilden die Vermögens­ rechte. Diese Rechte unterwerfen ein Sachgut entweder der un­ mittelbaren Einwirkung der Person und heißen dann Sachenrechte oder dingliche Rechte, oder sie geben der Person eine mittelbare Herrschaft über ein Sachgut, indem sie den Willen einer bestimmten Person dahin binden, dem Berechtigten ein Sachgut zu verschaffen d. i. eine Leistung zu machen, und heißen dann Forderungs­ oder persönliche Rechte. Die Sachenrechte sind absolut, die Forderungsrechte relativ. Ihr Gegensatz läßt sich nicht mit aller Schärfe durchführen, denn zahlreiche Rechte, die dem Berechtigten eine gewisse Macht über eine Sache gewähren, verlangen doch Leistungen von bestimmten Personen?) Mit den persönlichen Rechten haben die Personenrechte nur die Richtung auf eine bestimmte Person gemein. Aber während das Personenrecht die Person als solche unmittelbar dem Rechte des andern unterwirft, geht das persönliche Recht aus Bindung des Willens nur hinsichtlich der einzelnen Handlung, durch welche der Verpflichtete dem Berechtigten das von diesem allein erstrebte Sach­ gut verschafft. Das Personenrecht hat daher gleich dem Sachenrechte die Eigenschaft einer gewissen Dauer, es besteht an der Person; das persönliche Recht ist etwas vorübergehendes, es ist ein nur gegen die Person gerichtetes Vermögensrecht. Das Erbrecht im Sinne von Erbfolgerecht ist das Recht auf den Erwerb des Vermögens eines Verstorbenen. Erbrecht bedeutet aber auch das verwirklichte Erbfolgerecht, d. h. das Recht am Nach­ lasse des Verstorbenen. Beides sind absolute Rechte. Man kann die Rechte ferner einteilen in Haupt - und Neben­ rechte, indem man unter letzteren diejenigen versteht, welche von dem Bestehen eines andern Rechtes abhängen (akzessorische Rechte), *) S. hierüber die vortreffliche Schrift von E. Fuchs: Das Wesen der Dinglichkeit, Berlin 1889. Oertmann: Iahrb. s. Dogmatik 31 Nr. 8.

Zweiter Abschnitt. Das subjektive Recht, g 13.

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unter ersteren diejenigen, welche unabhängig von einem andern Rechte bestehen können. Ein positives Recht ist darauf gerichtet, daß etwas geschehe, ein negatives darauf, daß etwas nicht geschehe. §

13. Das Rechtsfyftcm,

Die systematische Darstellung des objektiven Rechts lehnt sich an die Einteilung der subjektiven Rechte an, indem sie diejenigen Rechtsnormen zusammenstellt, welchen eine bestimmte Art von Be­ rechtigungen unterliegt. Man nennt daher z. B. Sachenrecht die­ jenigen Rechtsgrundsätze, nach denen sich die Sachenrechte be­ stimmen. In den Institutionen von Gajus und von Justinian findet sich die Einteilung: Omne jus, quo utimur, vel ad personas pertinet vel ad res vel ad actiones (6aj. 1, 8; § 12 I. de jure nat. 1, 12). Im ersten Teil ist von den Personen gehandelt, aber nicht vom Familienrecht; der zweite Teil bringt das gesamte Vermögensrecht, und zwar das Eigentum, dann die dinglichen Rechte an fremder Sache (diese fehlen bei Gajus), darauf das Erbrecht, endlich die Forderungsrechte. Der dritte Teil enthält die Lehre von den gericht­ lichen Schutzmitteln der Rechte (actiones, exceptiones, interdicta), vom Einflüsse des Prozesses auf die Rechte und vom Untergange der gerichtlichen Schutzmittel, bei Gajus auch die Darstellung des römischen Zivilprozesses. Digesten und Kodex lehnen sich an die Einteilung des Edikts an, und dieses wiederum hält die Reihenfolge der Legisaktionen inne. Diese Gruppierung hat zahlreiche und umfangreiche Einschal­ tungen notwendig gemacht. Die umfassenden Kodifikationen der Neuzeit hatten besondere Systeme aufgestellt. So hatte das preußische Allgemeine Landrecht das gesamte materielle Recht in zwei Teile zerlegt, deren erster den Menschen als Einzelwesen, deren zweiter ihn als Mitglied von Personenvereinigungen behandelte und von dem engsten Verbände (der Ehe) zu immer größeren Verbänden fortschritt, so daß auch das Staats- und das Kirchenrecht behandelt werden mußte. In den Lehrbüchern des gemeinen Rechts wurde die Einteilung in fünf Bücher gebräuchlich, welche dem Sachenrecht, dem Obligationenrecht, dem Familienrecht und dem Erbrecht gewidmet und denen die allge­ meinen Lehren vorangestellt waren. Die Persönlichkeitsrechte fanden in diesem Systeme schon aus dem Grunde keinen Platz, weil sie, dem deutschen Recht angehörig, in den Darstellungen des Pandektenrechts überhaupt nicht behandelt wurden.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

Das BGB zerfällt gleichfalls in fünf Bücher: da sich diese Einteilung an die Disposition der Pandektenlehrbücher anlehnt und daher die nur beiläufig (§§ 7, 12 BGB) oder in anderen Gesetzen behandelten Persönlichkeitsrechte nicht mitberücksichtigt, mußte sie in der vorliegenden Arbeit ergänzt werden. Diese wird daher hinter dem das Erbrecht enthaltenden 5. Buch in einem sechsten Buche die Persönlichkeitsrechte einschieben, im übrigen aber der Einteilung des BGB folgen. Das HGB hat vier Bücher. Sein Inhalt wie derjenige der anderen Gesetze handelsrechtlichen Inhalts ist in der vorliegenden Arbeit in das oben besprochene System mit eingeflochten.

§ 14.

Recht und Hnspruch.

Das römische Recht gibt statt einer Einteilung der Rechte eine weitverzweigte Einteilung der actiones. Da aber actio im privat­ rechtlichen Sinne das mit der Möglichkeit gerichtlicher Geltend­ machung ausgestattete Recht bezeichnet, so bot jene Einteilung im wesentlichen dasselbe, wie die heutige Klassifikation der Rechte. Dies hing mit der eigenartigen Entwicklung des römischen Privatrechts zusammen. Schon im Legisaktionenprozesse kam es darauf an, das behauptete Recht in eine legis actio zu bringen und ihm so die Mög­ lichkeit richterlicher Aburteilung zu verschaffen. War das nicht mög­ lich, fehlte also die actio, so fehlte die Möglichkeit richterlichen Zwanges. Später kam es daraus an, ob der Prätor eine actio gab, d. h. ob er für ein bestimmtes Begehren ein judicium anordnete. Actio war also in jedem Falle „die Aussicht auf judicium".1) So entwickelte sich das römische Recht mehr zu einem System von pro­ zessualischen Schutzmitteln als zu einem System von Privatrechten.r) Das heutige Recht gewährt Rechte und infolgedessen die Möglichkeit gerichtlichen Schutzes, daher bildet auch die neueste Kodi­ fikation ein System von Rechten. Es widerspricht deshalb unserer Rechtsordnung, wenn man sagt: „Ich habe eine Klage." Es ent­ spricht ihr, wenn man sagt: „Ich habe den Anspruch." Dieser ist es, über welchen im Prozeß Urteil begehrt wird. Anspruch ist nämlich, wie § 194 BGB in Übereinstimmung mit der herrschenden Auffassung des gemeinen Rechts definiert, „das Recht von einem andern ein Tun oder ein Unterlassen zu ver­ langen". Dem Anspruch ist daher die Richtung gegen eine bestimmte Person und zugleich das Begehren einer bestimmten Leistung wesent­ lich, gleichwohl ist der Anspruch nicht gleichbedeutend mit persönFischer: Recht und Rechtsschutz. 1889. 6. 65. *> Fischer a. a. O. S. 7.

Zweiter Abschnitt: Das

subjektive

Recht. §

14.

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lichem (relativem) Rechte, denn wenngleich viele Forderungsrechte sich in einem einzigen bestimmten Anspruch erschöpfen, so gibt es doch relative Rechte, die mehrere Ansprüche erzeugen können. Deut­ licher in die Augen fällt der Gegensatz zwischen Anspruch und ab­ solutem Rechte, weil letzteres gegen jeden wirkt und erst im Augen­ blicke der Beeinträchtigung einen Anspruch aus sich erzeugt, nämlich den Anspruch auf Wiederherstellung desjenigen Zustandes, der dem Recht entspricht. So hat der Eigentümer, solange er int Genusse seines Rechts nicht gestört wird, zwar ein Recht, aber keinen An­ spruch; sobald ihm aber jemand die Sache rechtswidrig vorenthält, erwacht für ihn gegen diesen der Herausgabeanspruch, und sobald jemand ein Recht an der Sache geltend macht, erwacht für den Eigentümer der Abwehranspruch. Die Begriffe actio und Anspruch fallen also nicht vollständig zusammen, weil das Wort actio ausschließlich die gerichtliche Berfolgbarkeit des Rechts bedeutet. Gleichwohl können sie int übrigen gleichbedeutend gebraucht werden. Zahlreiche Einteilungen der actiones hingen mit den römischen Gerichtseinrichtungen zusammen und hatten daher ihre praktische Be­ deutung schon für das gemeine Recht verloren. Praktische Bedeutung behalten hat aber die auch bei den Römern als die wichtigste be­ handelte Einteilung in actiones in rem und in personam oder personales. Jene bezeichnen die Klagen nicht aus dinglichen Rechten allein, sondern aus absoluten Rechten überhaupt, diese die Klagen aus relativen Rechten. Die Bezeichnung rührt daher, daß in der Formel der a. in rem der Verpflichtete nicht bezeichnet wurde, die a. in personam aber gegen einen Beklagten gerichtet wurde, der schon von vornherein als der Verpflichtete und daher allein mögliche Beklagte gegeben war. Eine Ausnahme von der Regel bildeten die actiones in rem scriptae d. h. persönliche Klagen, die nicht gegen den ursprünglich Verpflichteten allein, sondern unter Umständen auch gegen einen anderen gerichtet werden konnten. Die hier erwähnte Einteilung ist aber nicht aus der Eigentümlichkeit der Klage, sondern aus der Natur des Rechtes hergenommen, denn die actio richtet sich wie der Anspruch immer gegen eine bestimmte Person. Ihr entspricht heute die Scheidung in dingliche und persönliche Ansprüche. Die Forderung aus einem persönlichen Schuldverhältnis ist immer zugleich ein persönlicher Anspruch (§§ 241, 194). Der ding­ liche Anspruch geht aus dem dinglichen Recht hervor und bleibt von ihm abhängig, darum erlischt er mit dem Aufhören des dinglichen Rechts, darum geht er über auf den Rechtsnachfolger im dinglichen Recht und ist, soweit er beim Verpflichteten Besitz voraussetzt (§ 985), gegen den bisherigen Besitzer nicht mehr begründet, wenn dieser den

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

Besitz aufgibt, wogegen ein neuer Anspruch gleichen Inhalts gegen den neuen Besitzer entsteht. Während ferner die Tilgung des persön­ lichen Anspruchs das Vermögen des Verpflichteten mindert, läßt die Tilgung des dinglichen Anspruchs das Vermögen des Verpflichteten unberührt. Eine wichtige Rolle spielte in Rom die Frage, ob eine actio stricti Juris oder bonae fidei sei, d. h. ob der Richter sich an den Wortlaut des Vertrags und an die Strenge des in Anwendung kommenden Rechtssatzes halten oder aus die wahre Meinung der Parteien und die Natur des streitigen Rechtsverhältnisses billige Rücksicht nehmen sollte. Dieser Gegensatz ist nicht ganz aus unserm Rechtsleben verschwunden, denn die Ansprüche aus Wechseln und anderen Formalkontrakten sind auch jetzt noch stricti Juris, während alle andern Ansprüche bonae fidei sind. Das BGB sichert die ihm unterliegenden Willenserklärungen in §§ 133, 157, 242 gegen die strikte Behandlung im Sinne des römischen Rechts, und das HGB enthält in § 346 eine Vorschrift von gleiä)er Absicht. Das römische Recht kennt actiones simplices und duplices. Bei den ersteren stehen sich Kläger und Beklagter in streng geschiedenen Parteirollen gegenüber, der Kläger kann höchstens abgewiesen, nicht selbst verurteilt werden. Bei den a. duplices ist jede Partei zugleich Kläger und Beklagter, sie sind nämlich gerichtet auf Ordnung eines unter den Parteien zweifelhaften Verhältnisses, nämlich auf Teilung einer Gemeinschaft oder auf Entscheidung der Frage, ob dieser oder jener im kommenden Eigentumsstreit als Besitzer und deshalb als Beklagter zu behandeln sein wird. Die von dem Richter getroffene Entscheidung kann daher auch dem Kläger eine Leistung auferlegen. Hierher gehörten namentlich die Teilungsklagen. Diese sind heut­ zutage selten, weil die Teilung Sache der Parteiabrede und daher ein Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist, aber es steht ihrer Zulässig­ keit keine Bestimmung des modernen Rechts, insbesondere auch § 308 ZPO nicht entgegen, da es jeder Partei unbenommen ist, den Klage­ antrag darauf zu richten, daß Beklagter sich die vom Richter vorzu­ nehmende Teilung gefallen lassen solle. Ein solcher Antrag wird auch nach neuem Rechte zulässig sein (§§ 731—735, 920, 2042'BGB, § 158 HGB). *) Dernburg: Pandekten, I § 132. A. M. Eck: Die sog. doppel­ seitigen Riagen, S. 68 ff.

Dritter Abschnitt: Die Rechtssubjekte. §§ 15, 16.

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Dritter Abschnitt: Die Rechtssubjekte. § 15.

Rechtsfähigkeit*

Rechtsfähigkeit ist die Fähigkeit, Subjekt von Rechten und Verbindlichkeiten, d. h. Rechtssubjekt zu sein (des­ halb auch Rechtssubjektivität, Rechtspersönlichkeit oder Persönlich­ keit schlechthin). Die Rechtsfähigkeit gibt für den Prozeß ohne wei­ teres Parteifähigkeit (§ 50 ZPO), d. h. die Fähigkeit, aktiv und passiv Subjekt des Prozesses zu sein (RG 12, 399). Die Rechtsfähigkeit kommt den natürlichen und den juristischen Personen zu. Natürliche Person ist der Mensch und zwar nach heutigem Rechte jeder Mensch.

A. Die natürliche perfon* § 16.

Beginn und 6nde der Rechtsfähigkeit*

Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit seiner Geburt und endet mit seinem Tode. 1. Die Geburt muß, wie altes und neues Recht (§ 1 BGB) verlangen, vollendet, d. h. das Kind muß aus dem Mutterleibe völlig herausgetreten sein. Hat es vor diesem Zeitpunkte gelebt, nach der Geburt aber nicht gelebt, so ist es nicht lebend zur Welt gekommen und hat Rechtsfähigkeit nicht erlangt.^) Wer auf das Lebendgeborensein eines Kindes Rechte gründet, muß diese Tatsache beweisen. Rechtsfähigkeit kann nur ein Wesen erlangen, das mensch­ liche Gestalt hat, dagegen ist Lebensfähigkeit nach altem und neuem Rechte (§ 1 BGB) kein Erfordernis der Rechts­ fähigkeit. Handelt es sich bei Zwillingen um das Recht der Erstgeburt, so hat auch diese zu beweisen, wer aus der früheren Ge­ burt eines der Kinder Rechte herleitet. Folglich fehlt die Rechtsfähigkeit nach altem wie neuem Rechte dem noch nicht lebenden, aber bereits erzeugten (dem Embryo, der Leibesfrucht). Der Grundsatz: Nasciturus pro jam nato habe­ tur quoties de commodis ejus agitur hat nur die Bedeutung, daß bet nasciturus eine Anwartschaft auf den Erwerb eines Rechtes hat, das er erworben haben würde, wenn er zur Zeit des Anfalls gelebt hätte (§§ 844 [baju § 3 Haftpflicht-Ges. v. 7. 6. 71, Art. 42 EG z. BGBj, 1923, 2108, 2079 BGB). Das BGB (§ 1923) wählt dafür die Form der Fiktion, daß der nasciturus als vor dem Erb­ falle geboren gelte; d. h. die Rechtsfähigkeit wird, wenn das Kind !) Das Strafrecht dagegen schützt auch das noch nicht vollständig vom Mutterleibe getrennte Kind, RG in Strass. 1, 446; 9, 131.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

lebend geboren wird, auf den Zeitpunkt der Erzeugung zurückbezogen (deshalb zählt auch das nach dem Tode des Erblassers geborene Kind zu seinen Erben). Der Erwerb selbst vollzieht sich nur für das lebend geborene Kind, denn erst in diesem Augenblick ist ein rechts­ fähiges Wesen vorhanden. Die Wahrung dieser „künftigen" Rechte liegt dem Vater oder der Mutter oder einem eigens bestellten Pfleger ob (§ 1912 BGB). Nicht hierher gehören die Fälle, in denen einem noch nicht einmal Erzeugten Rechte zugedacht werden (§§ 331, 2162, 2178 BGB). Denn hier handelt es sich um einen durch die Entstehung des Be­ rechtigten bedingten Rechtserwerb. 2. Nach neuerem Rechte geht die Rechtsfähigkeit eines Menschen nur durch dessen Tod unter. Denn das Institut der Friedlosigkeit ist verschwunden, ebenso die Strafe des sog. bürger­ lichen Todes. Wer das Klostergelübde ablegt, verlor nach gemeinem Rechte die Bermögenssähigkeit zugunsten des Klosters, nach deutschem Rechte galt er als verstorben, nach neuem Rechte bleibt er rechtsfähig (vgl. aber Art. 87 EG). Wer aus der Tatsache des Todes einer Person Rechte herleitet, hat den Todesfall zu beweisen. Dieser Beweis kann durch den Hin­ weis darauf geführt werden, daß seit der Geburt des Menschen ein die gewöhnliche Lebensdauer übersteigender Zeitraum verflossen ist. Eine Vermutung für den Tod besteht nur im Falle der Todeserklärung. Dem älteren deutschen und dem römischen Rechte fremd ist dieses Institut aus der Lehre der italienischen Juristen in das gemeine wie in das neue Recht (§§ 13 ff. BGB, §§ 960—976 ZPO) übergegangen. Wer abwesend ist und von dessen Leben un­ gewöhnlich lange Zeit hindurch keine Kunde eingelaufen (wer „ver­ schollen") ist, kann (nach § 962 ZPO) auf Antrag seines gesetz­ lichen Vertreters oder dessen, der an der Todeserklärung ein recht­ liches Interesse hat (z. B. des Ehegatten, des gesetzlichen oder ein­ gesetzten Erben, des Nacherben, Fideikommißsolgers) durch gericht­ liches Urteil für tot erklärt werden, und zwar nach gemeinem Recht (d. i. dem sog. sächsischen System), wenn seit seiner Geburt 70 Jahre, nach § 14 BGB (das dem sog. schlesischen System: Verlauf eines längeren Zeitraums seit der letzten Kunde, folgt), wenn seit dem Schluffe desjenigen Jahres, in welchem der Verschollene nach den letzten Nachrichten noch gelebt hat, 10 Jahre verflossen sind. Diese 10 Jahre werden aber nicht vor dem Schlüsse des Jahres, in welchem der Verschollene sein 21. Lebensjahr vollendet hat, in Lauf gesetzt, und sie verkürzen sich auf 5 Jahre, wenn der Verschollene zur Zeit der Todeserklärung das 70. Lebensjahr vollendet haben würde (§ 14). Kürzere Fristen gelten nach § 15 für die Kriegsverschollenheit, nach

Dritter Abschnitt: Die Rechtssubjekte. § 16.

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§ 16 für die Seeverschollenheit und nach § 17 für diejenigen, die in eine Lebensgefahr geraten und seitdem verschollen sind (§§ 15—17). Das Urteil kann nur nach vorangegangenem Ausgebots­ verfahren erlassen werden (§ 960 ZPO) und wirkt nach der herrschenden Ansicht des gemeinen Rechts und nach neuem Rechte nicht konstitutiv, d. h. nicht der Tag der Urteilsverkündung gilt als Todestag, sondern es wirkt deklarativ, d. h. der Tod gilt nach neuem Recht (§ 18 BGB) als eingetreten an dem vor dem Urteile liegenden, vom Richter zu ermittelnden und im Urteil anzugebenden Zeitpunkt. Läßt sich der Zeitpunkt des Todes nicht feststellen, so tritt die gesetzliche Bestimmung ein: nach ihr gilt der Ver­ schollene im gewöhnlichen Fall als in dem Zeitpunkte gestorben, in welchem die Todeserklärung zulässig geworden, die Kriegsver­ schollenheit tritt ein mit dem Friedensschluß oder dem Schlüsse des Jahres, in dem der Krieg beendet worden, die Seeverschollenheit mit dem Zeitpunkt, in dem das Fahrzeug wirklich oder vermutlich untergegangen, und im Falle der Lebensgefahr mit dem Zeitpunkt, in dem das gefahrdrohende Ereignis eingetreten ist. Ist die Todes­ zeit nur dem Tage nach festgestellt, so gilt als Zeitpunkt des Todes das Ende des Tages. Das Urteil wirkt für und gegen alle und läßt alle Rechtsfolgen des natürlichen Todes eintreten (z. B.: §§ 1420, 1494, 1544, 1684, 1884, 1885, 1921). Ihm entspricht eine bis zum Zeitpunkte des angenom­ menen Todes reichende Lebensvermutung. Erfolgt dagegen eine TodeserUärung nicht, so bleibt die Un­ gewißheit, ob der Verschollene gestorben ist, insbesondere also, ob er einen bestimmten Anfall erlebt hat, bestehen. Um diese Ungewißheit zu beseitigen, griff man vielfach zu einer Lebensvermutung dahin, daß der Verschollene 70 Jahre gelebt habe. Die herrschende Meinung des gemeinen Rechtes war aber gegen diese Vermutung, es mußte also auch hier der besondere Nachweis, daß der Verschollene in jenem bestimmten Zeitpunkte gelebt habe, erbracht werden. Das BGB (§ 19) erledigt den Streit, indem es eine Lebensvermutung aufstellt dahin, daß der Verschollene gelebt habe bis zu dem Zeitpunkte, der in Ermanglung anderweiter Ermittlungen als Zeit­ punkt des Todes gegolten haben würde, wenn eine TodeserUärung erfolgt wäre. Danach hört die Lebensvermutung mit diesem Zeitpuntt ohne weiteres auf, während die Todesvermutung nur durch die Todeserklärung begründet wird. Die Ehe wird durch die Todeserklärung nicht berührt, der zurück­ gebliebene Ehegatte kann jedoch eine neue Ehe eingehen, mit Schließung der neuen Ehe wird die alte aufgelöst. Sind mehrere Personen in einer gemeinsamen Lebensgefahr um-

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

gekommen, so spricht nach früherem und neuem Rechte (§ 20 BGB) die Vermutung für gleichzeitigen Job.1) 3. Geburts- und Sterbesälle, sowie Heiraten wurden früher in den Kirchenbüchern beurkundet. Durch das Reichsgesetz vom 6. Februar 1875 wurden Zivilstandsregister eingeführt. Diese Re­ gister beweisen (nach § 15) diejenigen Tatsachen, zu deren Beur­ kundung sie bestimmt und welche in ihnen eingetragen sind. Doch ist der Gegenbeweis zulässig, daß die Eintragung gefälscht oder un­ richtig, oder daß die Anzeige, auf Grund deren die Eintragung stattgefunden hat, unrichtig gewesen sei (§ 418 ZPO und § 16 Nr. 1 EG z. ZPO).

§ 17.

Die natürlichen Eigenschaften der Person*

1. Das Geschlecht bewirkt heute keinen Unterschied in der Privatrechtsstellung (anders im öffentlichen Recht). Auch die Ver­ heiratung hat aus die Geschäftsfähigkeit der Frau keinen Einfluß, die Frau verliert nur die Befugnis, über ihre, den Rechten des Man­ nes unterliegenden Gegenstände zu verfügen (RG 29, 134 über bisheriges Recht, §§ 1393 ff., 1379 BGB). Die gemeinrechtlichen Jnterzessionsbeschränkungen weiblicher Personen waren schon durch Reichsgesetze (Art. 6 ff. HGB, § 11 Gewerbeordnung, § 23 des Ge­ nossenschaftsgesetzes vom 1. 5. 89) für gewisse Kreise von Geschäften beseitigt und sind vom BGB ganz aufgehoben worden. Hervor­ zuheben ist, daß nach neuem Recht eine Frau Urkundszeugin (§§ 2234 bis 2237 BGB, §§ 170, 173 FGG), Vormund (§§ 1780, 1781, 1786 BGB), Mitglied eines Familienrats (§ 1866) sein kann. Eine Zurücksetzung des weiblichen Geschlechtes findet indessen auch heute noch bei den durch Adel bedingten Vermögensrechten, partikularrechtlich int Rechte der Familienfideikommisse und im Bauernrechte statt. 2. Das Alter. Das römische Recht schied zwischen infantes d. h. Personen unter 7 Jahren, impuberes infantia majores h. h. Personen über 7, aber unter 14 bezw. bei Mädchen 12 Jahren, und endlich puberes d. h. Personen über 14 oder 12 Jahren. Die infantes waren handlungsunfähig, die impuberes beschränkt und die puberes unbeschränkt handlungsfähig. Später wurden nach dem Vorgang der lex Plaetoria als vollkommen handlungsfähig nur die Personen angesehen, die das 25. Jahr vollendet hatten mit der Maßgabe, daß der pubes minor, der einen Kurator hatte, veräußerungs- und verpflichtungsunsähig war, derjenige aber, der *) Die Annahme des gemeinen Rechts, daß unmündige Kinder vor, mündige Kinder nach den Eltern umgekommen seien, hat das BGB beseitigt.

Dritter Abschnitt: Die Rechtssubjette.

§ 17.

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keinen Kurator hatte, zwar mit rechtlicher Wirksamkeit handelte, aber Restitution gegen nachteilige Geschäfte erlangen konnte. In Deutschland zog man ursprünglich nur eine einzige, Hand­ lungsfähige und Handlungsunfähige sondernde, Altersgrenze von meistens 12 oder 14 Jahren. Das gemeine Recht behandelte in Anlehnung an die ReichsPolizei-Ordnung von 1548 nur die Großjährigen als vollkommen handlungsfähig. Ihm folgte das Reichsgesetz vom 17. 2. 75, welches aber das Alter der Großjährigkeit von den gemeinrechtlichen 25 auf 21 Jahre herabsetzte,*) und § 2 BGB. Innerhalb der Minder­ jährigen werden aber unterschieden: a) die Kinder *) unter 7 Jahren; sie sind nach altem und neuem Rechte vollkommen handlungsunfähig: sie sind demnach ge­ schäftsunfähig, d. h. unfähig, selbständig rechtsgeschäftliche Willenserklärungen abzugeben (§ 104), und deliktsunfähig, d. h. für den durch rechtswidriges Verhalten verursachten Schaden nicht verantwortlich (§§ 276, 828). Ihre Willenserklärungen also, auch die, durch welche sie erwerben, sind nichtig (§ 105) und ihre unerlaubten Handlungen wirken wie zufällige Ereignisse. b) Die über 7 Jahre alten Minderjährigen sind nach altem wie neuem Recht aa) in der Geschäftsfähigkeit nur beschränkt (§§ 106 ff.). Sie können nach altem und neuem Rechte (§ 107) selbständig nur solche Willenserklärungen abgeben, durch welche sie ausschließlich einen recht­ lichen Vorteil erlangen (§ 107). Ein rechtlicher Vorteil ist dann gegeben, wenn dem Erwerb eines Rechts oder der Befreiung von einer Pflicht eine Gegenleistung nicht gegenübersteht. Daher ist zu allen Leistung um Gegenleistung bezweckenden Geschäften der Minder­ jährige unfähig, auch wenn das einzelne Geschäft für ihn wirt­ schaftlich vorteilhaft ist. Solche Willenserklärungen des Minder­ jährigen sind oder werden wirksam nur wenn sie mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, d. i. nach altem und neuem Rechte des Vaters, Vormundes oder Pflegers, nach neuem Rechte (§§ 1684, 1685) auch der Mutter, wenn ihr die elterliche Gewalt zusteht, ab­ gegeben werden, oder wenn der gesetzliche Vertreter oder der Doll*) Es überließ gleichzeitig die Entscheidung über die Großjährigkeitsgrenze der Landesherren, der Mitglieder der landesherrlichen Familien und der fürstlichen Familie Hohenzollern den Hausgesehen, entzog also den andern zum hohen Adel gehörigen Familien das Recht der Autonomie betteffs des Großjährigkeitstermines. Durch Art. 57 EG z. DGB sind die autonomischen Bestimmungen, soweit sie bis jetzt bestanden, aufrecht erhalten. 2) Das BGB braucht den Ausdruck nicht, der Kürze halber aber sei es gestattet, ihn ferner anzuwenden.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

jähriggewordene selbst das bis dahin „unwirksame" Rechtsgeschäft genehmigt (§§ 108, 182—184). Daher ist der Minderjährige nicht prozeßfähig (§ 52 ZPO) und nicht wechselfähig (Art. 1 WO), d. h. er kann sich durch eine Wechselerklärung nicht verpflichten; er kann aber einen Wechsel ohne Gegenleistung erwerben. Der von ihm geschlossene Kaufvertrag ist unwirksam, die Übereignung der gekauften Sache aber gibt ihm Eigentum (§ 929), doch ohne Rechts­ grund (§ 812). Bis zur Erteilung oder Verweigerung der Ge­ nehmigung blieb nach altem Rechte der Gegenkontrahent des Minder­ jährigen gebunden, doch konnte der Minderjährige Erfüllung nur verlangen, wenn er die von ihm übernommene Leistung anbot (sog. negotium claudicans). Das neue Recht (§ 109) unterscheidet: a) der andere Teil hat die mangelnde Geschäftsfähigkeit seines Gegenkontrahenten gekannt: dann ist er an den Vertrag gebunden; ß) er hat die mangelnde Geschäftsfähigkeit nicht gekannt: dann ist er nicht gebunden, sondern zum Widerrufe seiner Erklärung be­ rechtigt, die infolge der Unwirksamkeit des Geschäfts eine bloße Offerte geblieben ist. In welcher Weise eine Erklärung über die Genehmigung herbeigeführt wird, ist gleichgültig, hat aber der Gegen­ kontrahent des Minderjährigen dessen gesetzlichen Vertreter zu einer Erklärung aufgefordert, so kann (§ 108 BGB) die Genehmigung nur innerhalb zweier Wochen nach dem Empfange der Aufforderung und nur ihm gegenüber erklärt werden; wird sie in dieser Frist nicht abgegeben, so gilt sie als verweigert. Auch auf die Form der Genehmigung kommt nichts an (§ 182), sie kann daher durch eine schlüssige Handlung erklärt werden. Nur wenn der Minder­ jährige ein einseitiges Rechtsgeschäft vorgenommen hat, ist die Ge­ nehmigungserklärung entweder dem Gegenkontrahenten unmittelbar mitzuteilen oder vom Minderjährigen in schriftlicher Form vorzulegen (§ Hl).

Die Genehmigung des Vaters oder Vormundes kann sich auf ein bestimmtes Geschäft beschränken und dann diesem vorangehen oder nachfolgen (§§ 183, 184). Ist die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vorher erfolgt (vgl. § 110), so ist das Geschäft, ist die Genehmigung nachher erfolgt, so wird das Geschäft von Anfang an gültig (ex tune § 184). Die Genehmigung kann ferner für eine bestimmte Gattung von Geschäften ein für allemal gegeben werden und wird stillschweigend erteilt, wenn der gesetzliche Vertreter genehmigt, daß der Minderjährige eine Erwerbstätigkeit beginnt oder in eine bestimmte Berufsstellung eintritt: es sind damit alle diejenigen Geschäfte genehmigt, ohne die der Minderjährige jene Tätigkeit oder Berufsstellung nicht erfüllen kann. Das neue Recht (88 112, 113) nimmt diese Grundsätze auf, verlangt aber für die

Drittel Abschnitt: Die Rechtssubjekte,

g 17.

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Ermächtigung zum Betrieb eines Erwerbsgeschäftes stets, und wenn der Bormund dem Minderjährigen die Genehmigung zum Eintritt in eine Dienst« oder Arbeitsstellung versagt, die Genehmigung des Bormundschaftsgerichts. Es erblickt eine Genehmigung ferner in der Aushändigung der Mittel zu einem bestimmten Zweck oder zu freier Verfügung (§ 110. Taschengeld). Nach bisherigem Rechte konnten Männer, die das 20., Frauen, die das 18. Lebensjahr vollendet hatten, und es können nach neuem Rechte Personen beiderlei Geschlechts mit dem vollendeten 18. Lebens­ jahre vom Vormundschaftsgericht nach vorangegangener Untersuchung für volljährig erklärt werden (venia aetatis, § 3). Die Testier­ fähigkeit tritt nach gemeinem Rechte mit der Mündigkeit, nach BGB (§ 2229) mit dem vollendeten 16. Lebensjahre, die Ehemündigkeit bei Männern mit der Volljährigkeit, bei Mädchen mit dem voll­ endeten 16. Lebensjahre ein. Befreiung von diesem Eheerforder­ nis ist nach neuem Rechte nur für Mädchen zulässig (§ 1303). Der Rechtssatz „Heirat macht mündig" existiert im neuen Rechte nicht mehr, immerhin beschränkt sich die Fürsorge für verheiratete minderjährige Töchter bezw. Mündel auf die die Person betreffenden Angelegen­ heiten (88 1633, 1800). bb) In bezug auf die Verantwortlichkeit für schuldhaftes Handeln, sei es innerhalb oder außerhalb eines Vertrags, kam es nach gemeinem Rechte bei jedem Minderjährigen auf die Berstandesreise an, nach neuem Rechte (88 828 Abs. 2, 276) sind Per­ sonen unter 18 Jahren dann unverantwortlich, wenn sie die zur Erkenntnis ihrer Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht nicht be­ sitzen (vgl. aber 8 829). cc) Gesetzliche Verpflichtungen treffen auch den HandlungSbezw. Geschäftsunfähigen (z. B. die auf der Verwandtschaft beruhende Unterhaltspflicht). Hohes Alter, d. i. nach bisherigem Rechte von über 70, nach 8 1786* BGB von mehr als 60 Jahren, kann als Befreiungsgrund von der Vormundschaft geltend gemacht werden. 3. Gesundheit. Körperliche Krankheit kann das Recht gewähren, eine Vormundschaft abzulehnen (8 1786 Nr. 4). Der Verlust eines Sinnes macht zum Abschlüsse derjenigen Rechtsgeschäfte unfähig, welche eine Tätigkeit des betreffenden Sinnes voraussetzen. Erreicht das Gebrechen einen solchen Grad, daß der Leidende an der Be­ sorgung seiner Rechtsangelegenheiten gehindert ist, so kann ihm ein Pfleger bestellt werden, nicht ein Vormund (8 1910), weil der Ge­ brechliche weder geschäftsunfähig noch in der Geschäftsfähigkeit be­ schränkt ist (88 104, 106, 114). Geisteskrankheit dagegen beraubt regelmäßig der Hand«

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

lungsfähigkeit. Wie aber der Geisteskranke zeitweise von dem Einflüsse seines Leidens frei sein, lichte Augenblicke (lucida intervalla) haben und daher vorübergehend handlungsfähig sein kann, so kann der Geistesschwache handlungsunfähig sein. Der Geisteskranke kann (§§ 645 ff. ZPO) durch amtsgerichtlichen Beschluß nach vorangegangenem Verfahren entmündigt werden. Der Beschluß hatte jedoch nach gemeinem Rechte nicht konstitutive, sondern deklarative Wirkung: der Entmündigte blieb in lichten Augen­ blicken handlungsfähig, doch begründete die Entmündigung eine Ver­ mutung (praesumtio facti) gegen die Handlungsfähigkeit. Das BGB stimmt insofern mit dem gemeinen Recht überein, als nach ihm (§ 104) die Personen, welche sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden, auch ohne Entmündigung geschäfts­ unfähig sind, natürlich aber nur während der Dauer dieses Zu­ standes; es weicht jedoch vom gemeinen Recht insoweit ab, als nach ihm die wegen Geisteskrankheit Entmündigten solange geschäfts­ unfähig sind, bis die Entmündigung wieder aufgehoben ist, gleichviel ob sie im einzelnen Falle mit Einsicht handeln könnten oder nicht. Das BGB unterscheidet ferner eine Entmündigung wegen Geistes­ krankheit, welche geschäftsunfähig macht, und eine Entmündigung wegen Geistesschwäche, welche die Geschäftsfähigkeit nur beschränkt (§§ 104, 114. Stellung gleich den über 7 Jahre alten Minder­ jährigen). Da die Entmündigung nur die Geschäftssähigkeit nimmt, hängt die Verantwortlichkeit des Entmündigten für schuldhaftes Tun davon ab, ob er im gegebenen Falle mit Einsicht gehandelt hat (88 276, 827). Als geistiger Mangel gilt auch die Verschwendungssucht, wenn sie die Gefahr eines Notstandes für den Verschwender oder seine Familie begründet (8 6 Nr. 2 BGB).*) Daher kann der Ver­ schwender auf Antrag eines seiner Verwandten, seines Ehegatten oder seines gesetzlichen Vertreters durch amtsgerichtlichen Beschluß ent­ mündigt werden (88 680 ff. ZPO). Die Entmündigung tritt mit der Zustellung des Beschlusses an den Entmündigten in Wirksamkeit und hat konstitutive Wirkung, indem sie den Entmündigten auf die Stel­ lung eines Minderjährigen herabdrückt und ihn der Fähigkeit zu letztwilligen Verfügungen beraubt (88 H4, 2229). *) L. 1 pr. D. 27, 10; 1. 12 D. 26, 5. RG 7, 350: wenn jemand bei seinen Ausgaben weder Maß noch Ziel zu hallen weiß, wenn er über­ mäßige, zu seinem Vermögen in keinem Verhältnisse stehende unnütze Aus­ gaben macht und eine solche Lebensweise führt, welche bei fernerer Fort­ setzung zu seiner Verarmung führen muß. RG 21, 167: Untätigkeit, un­ wirtschaftliches Verhallen, Trunksucht, die zu unsinnigen, unwirtschaftlichen Handlungen hinreißt.

Dritter Abschnitt: Die Rechtssubjette. § 18.

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Nach BGB Z 6 Nr. 3 ist Trunksucht selbständiger Entmündigungs­ grund, wenn sie die Folge hat, daß der Trunksüchtige seine Ange­ legenheiten nicht zu besorgen vermag oder sich oder seine Familie der Gefahr des Notstandes aussetzt oder die Sicherheit anderer gefährdet (§§ 680, 681 ZPO). Der wegen Trunksucht Entmündigte steht dem wegen Verschwendung Entmündigten gleich. Ferner sind die wegen Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunksucht Entmündigten unfähig, Vormund oder Pfleger oder Mit­ glied eines Familienrats zu sein (§§ 1780, 1915, 1865). § 18. Die rechtlichen Sigenschaften der perlen. 1. Der Stand. Nach älterem römischen Recht hatten nur die römischen Bürger außer vollem öffentlichen Recht (jus suffragii et bonorum) auch die volle Fähigkeit zu den altzivilen Privatrechten (jus connubii et commercii), d. h. zu den justae nuptiae, der manus, der patria potestas, dem dominium ex jure Quiritium, der sponeio, der mancipatio sowie die Testierfreiheit. Ihnen gegenüber standen die peregrini und die Latini in vielfachen Abstufungen. Kaiser Caracalla hob im Jahre 212 diese Unterschiede auf, indem er allen Bewohnern des Reiches das römische Bürgerrecht verlieh. Auch im älteren deutschen Rechte hatte der Standesunterschied insofern Einfluß auf die privatrechtliche Stellung des einzelnen, als sich für jeden Stand ein gewisser Kreis von Rechtsinstituten ausbildete. Im modernen Rechte sind diese Unterschiede ausgeglichen worden, die ständischen Sonderrechte haben einem allgemeinen Rechte Platz ge­ macht. Daher ist heute die Zugehörigkeit zu einem gewissen Ge­ burtsstande im öffentlichen wie int Privatrechte grundsätzlich ein­ flußlos. Nur der hohe Adel hat eine ausgezeichnete Stellung bewahrt.*) Zu ihm gehören die Familien, denen zur Zeit der Auf­ lösung des alten Deutschen Reichs die erbliche Reichsstandschaft ge­ bührte. Mitglied einer solchen Familie und damit des hohen Adels teilhaftig wird nur, wer aus einer standesgemäßen Ehe hochadeliger Personen hervorgeht. Insoweit hat sich das Ebenbürtigkeits­ prinzip erhalten. Die nicht ebenbürtige Frau tritt nicht in den Stand des Mannes, erlangt weder seinen Rang noch seinen Namen, und die aus einer unebenbürtigen Ehe hervorgehenden Kinder folgen dem niederen Stande („das Kind folgt der ärgeren Hand"), treten nicht in das hochadelige Haus und entbehren auch der vermögens­ rechtlichen Vorteile dieser Stellung. Unebenbürtig ist aber nicht nur die Ehe eines Hochadeligen mit einer bürgerlichen, sondern (nach der herrschenden Ansicht) auch die mit einer Frau von niederem Adel. ») ©iette, I 6. 397ff. Engelmann, Bürgerliche« Recht. 6. Aufl.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

Die Familien des hohen Adels sind Körperschaften, denen das Recht der Autonomie zusteht. Durch Art. 14 der Bundesakte vom 8. Juni 1815 wurde die bisherige Rechtsstellung der Familien des hohen Adels gewährleistet und durch Landesgesetze gesichert. Die Artt. 57, 56 EG z. BGB machen den Unterschied, daß a) in Ansehung der Landesherren und der Mitglieder der landesherrlichen Familien sowie der Mitglieder der fürstlichen Familie Hohenzollern, des Hannoverschen Königs-, des Kurhessischen, des Nassauischen und des Holsteinischen Fürstenhauses die Haus- und Landesgesetze dem BGB vorgehen, b) in Ansehung der anderen Angehörigen hochadeliger Familien die Landesgesetze und nur nach Maßgabe dieser die Vorschriften der Hausversassungen unberührt bleiben. Der niedere Adel wird erworben durch eheliche Abstammung von einem adeligen Vater, durch Legitimation mittels nachfolgender Ehe, durch Heirat und durch Verleihung und geht durch Verheiratung einer Adeligen mit einem bürgerlichen Manne wie durch Verzicht unter. Der Berufs st and kann Bedingung gewisser Rechte oder Pflichten sein. So unterliegt der Gewerbetreibende, der Arbeiter, der Soldat, der Beamte besonderen gesetzlichen Vorschriften. Ins­ besondere trifft dies beim Kaufmann zu. Über ihn siehe den folgen­ den Paragraphen. 2. Die Staatsangehörigkeit hatte in den ältesten Zeiten des römischen und deutschen Rechts einen wesentlichen Einfluß auf die Rechtsfähigkeit, denn der Fremde galt als rechtlos. Diese An­ schauung ist immer mehr geschwunden, bis die neueste Zeit den Grundsatz der Gleichstellung von Inländern und Ausländern ausgebildet hat. Geringe Beschränkungen bestehen jedoch noch nach § 503 HGB, § 2 Rges. v. 25. 10. 67, §§ 54 ff. Ges. v. 19. 6. 01 (Urheberrecht), § 13 Gesetz betr. den Schutz von Gebrauchsmustern v. 1. 6. 91, § 23 Gesetz zum Schutze der Warenbezeichnungen v. 12. 5. 94. Vgl. noch §§ 110, 111, 114 ZPO, § 5 KO. Im öffent­ lichen Recht ist die Zurücksetzung der Ausländer viel erheblicher. Die Angehörigkeit zu einem deutschen Bundesstaate hat ohne weiteres die Reichsangehörigkeit zur Folge (Art. 3 RV, § 1 Ges. v. 1. 6. 1870). Die früheren Berechtigungen zu einem Abschoß, d. i. einem Abzüge von dem durch Erbgang, oder einer Nachsteuer, d. i. einem Abzüge von dem durch Auswanderung über die Grenze gehenden Vermögen, sind durch Art. 18 der deutschen Bundesakte und den Bundesbeschluß vom 23. Juni 1817 für den Verkehr unter den deutschen Bundesstaaten und durch völkerrechtliche Verträge im Verkehr mit anderen Staaten aufgehoben. Die von einem Bundes-

Dritter Abschnitt: Die Rechtssubjette. § 18.

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staute mit einem ausländischen Staate geschlossenen Staatsverträge aber bleiben bestehen (Art. 56 EG z. BGB). Art. 31 EG z. BGB ermächttgt den Reichskanzler unter Zustimmung des Bundesrates die Ausübung des Bergeltungsrechts (die Retorsion) anzuordnen. Ferner stehen im Urheberrecht die Ausländer hinter Inländern zurück. 3. Das Religionsbekenntnis, das früher insofern von erheblicher Bedeutung für die Privatrechtsstellung war, als der Ketzer als recht­ los galt, hat durch Art. 16 der deutschen Bundesakte und dann durch das Rges. vom 3. 7. 1869 jede rechtliche Bedeutung verloren. Juden genossen im Mittelalter als Ausländer Rechtsschutz nur, wenn sie einen sog. Schuhbrief erhalten hatten (vergeleitete, Schutzjuden), dessen Erteilung ein Regal bildete. Diese unter Schutz gestellten Juden waren privatrechtlich begünstigt und in anderen Be­ ziehungen zurückgesetzt; begünstigt, indem sie unter sich nach jüdischem Rechte lebten, und dadurch, daß sie von dem Verbote des Zinsen­ nehmens nicht betroffen waren, zurückgesetzt, indem sie von einzelnen Gewerbebetrieben, der Niederlassungs- und Verehelichungsfreiheit, vom Grunderwerb und anderen Rechten und von den öffentlichen Rechten ganz ausgeschlossen waren. Die Gesetzgebung des 19. Jahr­ hunderts sah die Juden nur als Nichtchristen an, sie hat durch das G. v. 3. 7. 69 ihren Abschluß gefunden. 4. Die Ehrenminderung hatte zu allen Zeiten einen Einfluß nicht allein auf die öffentlichrechtliche, sondern auch auf die privat­ rechtliche Stellung der Person. Aber die römischrechtlichen Grund­ sätze von der infamia mediata und immediata sind nicht gemeines Recht geworden. Ebenso gehören die deutschrechtlichen Begriffe von Echtlosigkeit, Rechtlosigkeit, Ehrlosigkeit, von Anrüchigkeit und Ver­ ächtlichkeit der Geschichte an. Das jetzige Recht unterscheidet zwischen einer tatsächlichen, als unmittelbare Folge unsittlichen Verhaltens ein­ tretenden Ehrenminderung, und der rechtlichen, als Folge strafbarer Handlungen vom Strafrichter als Strafe verhängten Ehrenminde­ rung, dem Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte. Jene, der turpitudo des römischen, der Verächtlichkeit des spä­ teren deutschen Rechts gleich, machte sich bisher geltend als Zurück­ setzung der turpis persona bei der Wahl eines Vormundes (1. 17 § 1 D. 26, 2) und bei Anfechtung eines Testaments wegen Verletzung des Noterbrechts der Geschwister (1.27 C. 3,28). Nach BGB kommt ehrloses oder unsittliches Verhalten als Ehescheidungsgrund (§ 1568), als Grund für die Beschränkung der elterlichen Gewalt (§ 1666), als Grund für die Enterbung eines Kindes (§ 23335) in Betracht. Die rechtliche Ehrenminderung richtet sich in ihrer Anwendung ausschließlich nach den §§ 32—37 StGB. Danach kann die Ehren­ minderung eine dauernde oder eine zeitlich beschränkte, zugelassene 4*

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Erstes Buch: Allgemein« Teil.

oder gebotene Strafe fein.1)* *Ihre * S *Wirkungen find zum großen Teil Sffentlichrechtlicher Natur, privatrechtlich wichtig ist die Unfähigkeit des in dieser Weise Bestraften, Zeuge bei Aufnahme von Urkunden (§ 34 Nr. 5 und 6 StGB. § 2237 BGB, § 173 FGG), Vormund, Gegenvormund, Pfleger, Beistand der Mutter, Mitglied eineFamilienrats oder Kurator zu sein (§§ 33, 34 Nr. 5 und 6 StGB, Art. 34 I EG z. BGB. §§ 1781«, 1866, 1915 BGB). Hierher gehören auch die Beschränkungen, die der Bestrafte im Gewerberecht erleidet *) (§§ 53, 106 Gew.O.). § 19.

Insbesondere: der Kaufmann.8)

Eine besondere Rechtsstellung nimmt im heutigen Rechte der Kaufmann ein. 1. Kaufmann ist (§ 1 HGB) derjenige, der ein Han­ delsgewerbe betreibt. Unter Gewerbe versteht man jede mit Gewinnabsicht „als unmittelbare Einnahmequelle betriebene dauernde Tätigkeit" (RG 39, 137). Unter Handelsgewerbe würde an sich also jede derartige dem Handel gewidmete Tätigkeit anzusehen sein. Das HGB zieht aber den Begriff Handelsgewerbe weiter. Handels­ gewerbe ist nämlich, und zwar ohne Rücksicht auf den Umfang des Betriebs und ohne Rücksicht darauf, ob der Betrieb des Handels­ gewerbes den ausschließlichen oder den Hauptberuf bildet oder nicht: 1. der gewerbsmäßige Betrieb bestimmter Arten von Handels­ geschäften, 2. jedes gewerbliche Unternehmen, das nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, sofern die Firma des Unternehmens im Handels­ register eingetragen ist (§§ 1, 2 Satz 1 HGB). Der Betrieb der Land- und der Forstwirtschaft ist niemals ein Unternehmen dieser Art, doch kann ein mit diesem Betriebe ver­ bundenes Nebengewerbe (Brennerei, Sägewerk) Handelsgewerbe werden, wenn der Unternehmer von der Befugnis Gebrauch macht, sich eintragen zu lassen (§ 3). Im Rechtsverkehr ist demnach Kauf­ mann ein jeder Gewerbetreibende, der entweder die im § 1 des HGB aufgezählten Handelsgeschäfte gewerbsmäßig betreibt (Kauf­ mann kraft Gewerbebetriebs), oder dessen Firma eingetragen ist *) Sie muß ausgesprochen werden bei Verurteilungen wegen Meineid», schwerer Kuppelei, gewerbs- oder gewohnheitsmäßigen Wuchers (§§ 161, 181, 302 d StGB). *) Ferner § 66 ©es. vom 1. Mai 1889; § 21 ©es. vom 7. April 1876, §§ 83, 86, 100, 100» ©ew.-O. und Arbeiterversicherungsgesetze. S) Ausführlicher mein Deutsches Handels-, Wechsel- und Seerecht. 2. Ausl. 1908. 6. 8 ff.

Dritte Abschnitt: Dk Rechtssubjett«. § 19.

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(Kaufmann kraft Eintragung). Ist die Firma eingetragen, so kann vom Firmeninhaber nicht eingewendet werden, daß sein Gewerbe ein Handelsgewerbe nicht sei (§§ 2, 5 HGB). Die für Kaufleute gegebenen Bestimmungen finden ohne Rück­ sicht darauf, ob ein gewerbsmäßiger Handelsbetrieb vorliegt, auf alle Handelsgesellschaften (offene, Kommandit- und Aktiengesell­ schaft), auf eingetragene Genossenschaften und Gesellschaften mit be­ schränkter Haftung Anwendung (§§ 6, 210, 320 HGB, 17 Ges. v. 1. 5. 89, 13 Ges. v. 20. 4. 92). Das HGB teilt die Kaufleute ein in Bollkaufleute und Minderkaufleute. Bollkaufleute sind diejenigen, denen alle gesetzlichen Rechte des Kaufmanns zustehen und alle gesetzlichen Pflichten eines solchen obliegen. Der Minderkaufmann hat keine Firma, braucht keine Handelsbücher zu führen, die Vollmacht, die er erteilt, kann nie Prokura sein, und eine Vereinigung von Minder­ kaufleuten zum Betriebe des Handelsgewerbes eines Minderkauf­ mannes ist keine Handelsgesellschaft. Als Minderkaufleute bezeichnet das neue Recht (§ 4 HGB) die Handwerker und diejenigen Personen, deren Gewerbebetrieb nicht über den Umfang des Kleingewerbes hin­ ausgeht. Danach ist ein Handwerker, sofern er Handelsgeschäfte gewerbsmäßig betreibt, insbesondere Anschaffungen von Rohmaterial zum Zwecke der Weiterveräußerung in be- oder verarbeitetem Zu­ stande vornimmt, Kaufmann, er ist aber Minderkaufmann, wenn fein Gewerbe Handwerksbetrieb bleibt, d. i. wenn die Handarbeit den Hauptfaktor der Wertserzeugung bildet (§ 4 HGB). Ein Kleingewerbe betreibt jeder, der zwar gewerbsmäßig Handels­ geschäfte schließt, der aber zum ordnungsmäßigen Betriebe seines Gewerbes kaufmännischer Einrichtungen nicht bedarf, wie die Höker, Trödler, Hausierer. Ob Wirte, welche das frühere Recht ausdrück­ lich und ausnahmslos den Minderkaufleuten beigesellte, Voll« oder Minderkaufleute sind, entscheidet sich jetzt nach dem Umfang ihres Betriebes. Ein Minderjähriger kann Kaufmann sein, mit Genehmi­ gung des gesetzlichen Vertreters und des Vormundschaftsgerichts (§ 112). Diese Genehmigung bewirkt, daß der Minderjährige zur selbständigen Vornahme derjenigen Rechtsgeschäfte befähigt wird, die der Betrieb seines Handelsgewerbes mit sich bringt, sie bewirkt aber keine Freiheit von der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung in den Fällen, in denen der Inhaber der elterlichen Gewalt oder der Vormund dieser Genehmigung bedarf (§§ 1643, 1821, 1822 BGB). Das alte HGB hielt es in Art. 6 für nötig, gegenüber zahl­ reichen veralteten partikularrechtlichen Normen ausdrücklich zu be­ stimmen, daß eine Person weiblichen Geschlechts, welche ein Handels-

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

gewerbe betreibt, alle Rechte und Pflichten eines Kaufmanns hat. Eine solche Bestimmung war im neuen HGB nicht mehr erforderlich, da das Geschlecht im heutigen Privatrecht einen Einfluß auf Rechts­ oder Geschäftsfähigkeit nicht mehr ausübt. Auch eine Ehefrau kann Kaufmann sein. Da die Frau durch die Verheiratung keine Einschränkung ihrer Geschäftsfähigkeit erleidet, kann sie durch selbständig vorgenommene Rechtsgeschäfte erwerben und Verpflichtungen eingehen, sie ist daher auch prozeßfähig (§ 1399 BGB, § 52 ZPO). Dagegen ist sie nicht befugt, durch Rechtsgeschäfte oder prozessualische Handlungen über ihre dem Rechte des Mannes unterworfenen Bermögensgegenstände zu ver­ fügen. Aus ihrer Geschäftsfähigkeit folgt das Recht, auch ohne Zustimmung des Mannes ein selbständiges Erwerbsgeschäst zu betreiben und innerhalb dieses Betriebes Rechtshandlungen vorzu­ nehmen. Die Zustimmung oder Nichtzustimmung des Mannes hat jedoch güterrechtliche Wirkungen. Denn wenn die Frau ein Erwerbsgeschäft ohne Zustimmung des Mannes betreibt, so haftet sie ihren Geschästsgläubigern nur mit ihrem Borbehaltsgut, und der Mann kann, wenn wegen solcher Schulden das seinen Rechten unterworfene Vermögen der Frau im Wege der Zwangsvollstreckung angegriffen wird, seine Rechte im Wege der Widerspruchsklage geltend machen (§ 771 ZPO). Hat der Mann dagegen seine Zustimmung erteilt, so haftet für die Handelsschulden der Frau das Ein­ gebrachte bezw. das Gesamtgut (§§ 1412, 1405, 1452, 1459, 1460, 1532, 1549 BGB). Die Genehmigung des Mannes kann sich in bloßer Duldung betätigen, kann nur unbeschränkt erteilt, aber jeder­ zeit widerrufen werden. Nach neuem Rechte wirkt der Einspruch oder Widerruf Dritten gegenüber nur, wenn er in das Güterrechtsregister eingetragen wird (§§ 1405, 1435, 1452 BGB). Nach BGB wird der Geschäftserwerb Vorbehaltsgut der Frau bei bestehender Ver­ waltungsgemeinschaft, dagegen gemeinschaftliches Eigentum bei be­ stehender Gütergemeinschaft (§§ 1367, 1438, 1459, 1460, 1519, 1524, 1532, 1533 BGB). 2. Der Kaufmann tritt dem Publikum unter bestimmtem, mit seinem bürgerlichen Namen nicht immer übereinstimmenden Namen gegenüber, d. i. mit seiner Firma: sie ist der Name, unter welchem er die in seinen Handelsbetrieb fallenden Geschäfte schließt (§ 17 HGB). Die Führung einer Firma und deren Anmeldung zum Handels­ register gehört zu den Pflichten der Vollkaufleute und der ihnen gleichgestellten Personenvereinigungen d. i. der Handelsgesellschaften, der Gesellschaften mit beschränkter Haftung und der dem Gesetze vom 1. 5. 89 unterliegenden Genossenschaften (§ 29 HGB).

Dritter Abschnitt: Die Richtssubjekte, §19.

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Daraus folgt, daß der Einzelkaufmann zwei Namen, den bürger­ lichen und den Handelsnamen (d. i. die Firma), eine zur Führung einer Firma verpflichtete Personenvereinigung aber nur einen Namen hat. Letztere kann nur unter diesem Namen, der Einzelkaufmann kann auch unter dem andern Namen auftreten; er kann (nach Abs. 2 § 17) sogar unter seiner Firma klagen und verklagt werden, eine Vorschrift, die dem Richter Recht und Pflicht nimmt, ohne besonderen Anlaß nach dem Inhaber der Firma zu forschen. Ein solcher Anlaß ist gegeben, wenn der Inhaber der Firma einen Eid leisten soll. Das Urteil macht Rechtskraft für und gegen denjenigen, welcher zur Zeit der Rechtshängigkeit des festgestellten Anspruchs Inhaber der Firma war. Eintragungen in öffentlichen Büchern (Grundbuch, Schiffs­ register usw.) können nur auf den bürgerlichen Namen des Be­ rechtigten erfolgen. Über die Beschaffenheit der Firma gibt das HGB (§§ 18 ff.) eingehende Vorschriften, zu denen § 3 Ges. vom 1. Mai 1889 und § 4 Ges. vom 20. April 1892 hinzutreten. Der Grundsatz der absoluten Firmenwahrheit ist zwar abgelehnt, denn es ist zugelassen, daß ein Geschäft unter der bisherigen Firma fortgeführt werde, auch wenn sie den Namen des oder der gegenwärtigen Geschäfts­ inhaber nicht wiedergibt, so daß sogar darüber Zweifel bestehen können, ob hinter der Firma ein Einzelkaufmann oder eine Handels­ gesellschaft steht (§§ 21—24 HGB). Das HGB sucht aber den Grundsatz der Firmenwahrheit dadurch zur Geltung zu bringen, daß es die Übereinstimmung einer neuen, bei Errichtung des Geschäfts gewählten Firma mit den tatsächlichen Verhältnissen verlangt. Daher hat der Einzelkaufmann seinen Familiennamen mit mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen als Firma zu führen und sich jed;s Zusatzes zu enthalten, der geeignet ist, ein Gesell­ schaftsverhältnis anzudeuten oder eine Täuschung über Art oder Um­ fang des Geschäfts oder die Verhältnisse des Geschäftsinhabers herbei­ zuführen. Dagegen sind Zusätze, die nur zur Unterscheidung der Person oder des Geschäfts dienen, gestattet. Die Firma der offenen Handelsgesellschaft muß den Namen wenigstens eines der Gesell­ schafter mit einem das Vorhandensein der Gesellschaft andeutenden Zusatz oder die Namen aller Gesellschafter, die Firma einer Kom­ manditgesellschaft den Namen wenigstens eines persönlich hastenden Gesellschafters mit einem das Gesellschaftsverhältnis andeutenden Zusatz enthalten, ferner sind die Zusätze „Aktiengesellschaft, Kom­ manditgesellschaft auf Aktien" sowie die Zusätze „Gesellschaft mit beschränkter Haftung", „eingetragene Genossenschaft" (mit Beifügung der Haftungsart) obligatorisch.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

Eine neue Firma muß sich von allen an demselben Ort oder in derselben Gemeinde bestehenden und eingetragenen Firmen unter­ scheiden (§§ 18—20, 30). Die Firma genießt einen doppelten Rechtsschutz, indem der Gebrauch einer nicht gestatteten Firma dem Ordnungsstrafrecht des Registergerichts unterliegt, und das Firmenrecht wie das Namenrecht im Wege der Feststellungsklage sowie durch eine auf Unterlassung unbefugter Führung gerichtete Klage, bei verschuldeter Rechtsver­ letzung durch Schadensersatzklage geltend gemacht werden kann. 3. Der Bekanntmachung nicht der Firma allein, sondern aller für die Vertretung und für die Haftung des Kaufmanns (Gesell­ schaft) wichtigen Umstände dient das bei den Amtsgerichten geführte, jedermann zugängliche Handelsregister (§§ 8, 9 HGB, 125 FGG). Die meisten Eintragungen haben die Bedeutung bloßer Beurkundung, bei Aktiengesellschaften, Aktienkommanditgesellschaften, eingetragenen Genossenschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung ist die Eintragung der Gesellschaft insofern rechtsbegründend, als sie den letzten Akt eines sich aus mehreren Handlungen zusammensetzenden Konstitutivgeschästs (Gesamtakts) bildet, denn vor der Eintragung bestehen alle diese Gesellschaften a l s s o l ch e nicht (§§ 200, 320 Abs. 3 HGB; 13 Ges. v. 1. 5. 89; 11 Ges. v. 20. 4. 92). Die Eintragung der Firma kann ferner eine der Tatsachen sein, welche die Kaufmanns­ eigenschaft des Eingetragenen begründen (§§ 2, 3, 5 HGB). Jede Eintragung muß der gegen sich gelten lassen, der sie veranlaßt hat; sie wirkt aber auch für und gegen den Dritten, es sei denn, daß er sie weder kannte noch kennen mußte. Ist aber die Eintragung und Bekanntmachung einer eintragungsbedürftigen Tatsache nicht erfolgt, so wirkt sie gegen den Dritten nur dann, wenn er sie gleichwohl gekannt hat (§ 15 HGB). Die geschehene Eintragung hat die Ver­ mutung der Richtigkeit für sich.*) 4. Der Vollkaufmann ist ferner verpflichtet zur Buchführung (88 38 ff. HGB), aus der seine Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens vollständig zu ersehen sind, sowie zur Aufbewahrung der eingegangenen und einer Abschrift der abgesandten Handelsbriefe (Aufnahme in ein Kopierbuch). Welche Bücher außerdem zu führen sind, damit die Buchführung jenen Zweck erfülle, richtet sich nach Art und Umfang des Geschäfts in Verbindung mit der Handelssitte. Im Gegensatze zu früheren prozessualischen Bestimmungen, welche das Maß der Beweiskraft feststellten, das ordnungsmäßig geführte Handelsbücher zugunsten dessen, der sie geführt, haben sollten und *) Die Einzelheiten betreffs der Führung des Registers s. in 88 8—16 HGB; §8 125-144 FGG.

Dritter Abschnitt: Die Rechtesubjette. § 20.

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zu betten auch Artt. 34, 35 HGB gehörten, entscheidet heute (nach § 286 ZPO, § 13* EG hierzu) die freie Beweiswürdigung. Dabei gestattet die wiederholte, durch eine ordentliche Buchführung verursachte Überwachung der Geschäftsvorgänge und der Umstand, daß die Ein­ tragungen nicht zum Zwecke der Beweisführung hergestellt werden, eine Abweichung von der hergebrachten Maxime scriptura pro Bcribente nihil probat bis zu betn Maße, daß die Eintragungen sogar jedes andere Beweismittel erübrigen können. Daß sie gegen ihren Hersteller beweisen, ist selbstverständlich, aber auch hier waltet freies Ermessen. Doch sie beweisen nur, sie haben nicht rechts­ begründende Wirkung, denn sie sind weder Geständnisse noch An­ erkenntnisse. Das Gericht kann nach pflichtmäßigem Ermessen auf Antrag einer Partei und sogar von Amtswegen die Vorlegung der Handelsbücher einer Partei anordnen, es muß die Vorlegung an­ ordnen, wenn der Gegner der beweisführenden Partei nach bürger­ lichem Rechte zur Vorlegung verpflichtet ist (§§ 422, 423 ZPO, 88 810, 716 BGB, 88 118, 166 HGB). Mit der Buchführungspflicht hängt die Pflicht des Kaufmanns zusammen, sowohl bei Beginn seines Geschäfts als auch nachher und zwar regelmäßig für den Schluß eines jeden Geschäftsjahres (§§ 39, 40 HGB) eine Inventur seines Vermögens aufzunehmen und alljährlich eine Bilanz seines gesamten Vermögens aufzustellen. Die Unterlassung hat zivilrechtliche Folgen nicht, kann aber die Sttafe wegen Bankerotts nach sich ziehen, wenn der Kaufmann seine Zahlungen einstellt oder in Konkurs gerät (§ 2404 KO). Die Ver­ pflichtung zur Inventur und Bilanzaufstellung beschränkt sich bei Gesttlschaften auf das Gesellschastsvermögen.

B. Die juristische Person« §

20.

Der Begriff der juristischen Person«

Der Ausdruck „juristische Person" bezeichnet den Gegensatz zur natürlichen Person und umfaßt alle diejenigen Wesen, die nicht natürliche Personen (Menschen) sind, denen aber vom Rechte gleich­ wohl Rechtsfähigkeit beigelegt wird. Es sind entweder Körper­ schaften (Korporationen, universitates personarum) oder An­ stalten und Stiftungen (universitates bonorum). Die ersteren beruhen auf einer Vereinigung von Personen, also willensfähiger Wesen, und sie schöpfen Dasein, Persönlichkeit und Lebenszweck aus dem Willen von Personen. Anstalten und Stiftungen sind Einrich­ tungen, welche Dasein, Persönlichkeit und Lebenszweck von einem außerhalb stehenden Willen empfangen.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

Das römische Recht ging davon aus, daß nur der Mensch Person sein könne, und mußte deshalb, um für die Vermögensrechte von Korporationen und Stiftungen ein Subjekt zu schaffen, zur Fiktion greifen. Die im Anschluß hieran besonders von Savigny entwickelte sog. Fiktionstheorie erblickt daher in einem über den Mit­ gliedern oder Berechtigten stehenden gedachten Wesen ein selbstän­ diges Rechtssubjekt. Eine andere Auffassung geht von der Möglich­ keit subjektloser Rechte aus und erblickt in der juristischen Person ein bestimmten Zwecken dienendes sog. Zweckvermögen (Brinz und Demelius). Die juristische Person ist (nach Leonhard) aber nicht ein Zweckvermögen, sondern sie hat ein Zweckvermögen, sie besteht in einer zu einem bestimmten Zwecke geführten Verwaltung fremden Vermögens. Jhering sieht als Träger der Rechte einer Korporation die Mitglieder, und als Subjekte der Rechte einer Stiftung die einzelnen Beteiligten an und meint, daß nur zu dem Zwecke, damit diese ihre Rechte besser genießen könnten, ein künstlicher Mecha­ nismus in der juristischen Person hergestellt werde. Ihnen allen gegenüber steht die zuerst von Beseler und Bluntschli vertretene, von Gierke durchgeführtes) auch hier zugrunde gelegte Auffassung, welche davon ausgeht, daß diejenigen „sozialen Organismen", welche man juristische Personen oder „Verbandspersonen" (Gierke) nennt, gleich den Menschen wirkliche Wesen seien und ebenso wie diese nur vom Rechte Rechtsfähigkeit erhalten. Denn wie der Mensch zum Rechtssubjekt erst wird, indem ein Rechtssatz ihm Rechtsfähigkeit gibt, so ist juristische Person der vom Recht als solcher anerkannte Personenverein oder die vom Recht als rechtsfähig anerkannte, be­ stimmten Zwecken dienende äußere Einrichtung, immer also wird ein wirklich vorhandenes Wesen vorausgesetzt. Während das römische Recht seine Anschauung folgerichtig durchführte und das fingierte Wesen dem Kinde gleichstellte, das nicht handeln und daher auch keine Rechtswidrigkeit begehen könne (I. 15 § 1 D. 4, 3), war dem älteren deutschen Rechte der Begriff der juristischen Person unbekannt, weil er aus einer Abstraktion beruht und der sinnlichen Anschauungsweise der damaligen Zeit nicht entsprach. Man knüpfte die Rechte, die der Gesamtheit zum Genuß bestimmt waren, an eine einzelne physische Person, so ins­ besondere bei einer Stiftung an die Person des Heiligen, dem sie gewidmet war, oder an den Vorsteher der Stiftung. Die Entwicklung aber nahm hier wie im römischen Recht ihren Ausgangspunkt von *) Sie wird namentlich auch von Regelsberger und, in etwas anderer Form, von Zitelmann vertreten. Auch Cosack (Lehrb. d. Bürg. 9t. I § 28) steht aus diesem Standpunkte.

Dritter Abschnitt: Die Rechtssubjekte.

§ 21.

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der Gemeinde. Denn bei ihr zuerst mußte man einen Gesamtwillen anerkennen. Diese Entwicklung war eine überaus mannigfaltige, sie wurde zwar durch die Aufnahme des römischen Rechtes gehemmt, nahm aber unter dem Schutze der Landesgesetzgebung in der neueren Zeit, namentlich im 19. Jahrhundert, einen neuen Aufschwung, und stellte der Rechtslehre Aufgaben, die mit den Mitteln des römischen Rechtes nicht zu lösen waren. Der gegenwärtige Rechtszustand wird nicht durch das BGB allein gebildet. Es bestehen neben ihm Reichsgesetze, und es sind bestehen geblieben und können neu erlassen werden Landesgesetze, insoweit sie die ihnen vorbehaltenen Gebiete betreffen. Mithin sind die landesrechtlichen Agrargenossenschaften, die Wassergenossenschaften, die Deich- und Sielverbände, die bergrechtlichen Gewerkschaften, die Jagd- und die Waldgenossenschaften juristische Personen geblieben, wenn sie dies nach bisherigem Landesrechte waren (Artt. 32, 65, 66, 67, 69, 83 EG z. BGB). Das BGB dagegen hat in den §§ 21—89 allgemeine Rechtsgrundsätze aufgestellt, für alle juristischen Personen, auch die, welche jenen besonderen Reichs- oder Landesgesetzen unterliegen. Für letztere kommen außerdem jene besonderen Sätze in Anwendung. Es kann daher zwischen einem allgemeinen und einem be­ sonderen Vereinsrecht unterschieden werden. Aber das BGB regelt nur die privatrechtliche Seite des Ver­ einsrechts: die Entstehung und Aufhebung der Rechtsfähigkeit, die privatrechtliche Wirksamkeit und die Organisation der juristischen Person. Das öffentliche Bereinsrecht, d. i. die Frage nach der Erlaubtheit der juristischen Personen, die Grundsätze, nach denen die Rechtsfähigkeit verliehen oder der Entstehung einer juristischen Person entgegengetreten werden kann, ist jetzt im Reichsvereins­ gesetz vom 19. 4. 1908 behandelt (das eine unbedeutende Änderung des § 72 BGB vorgenommen hat).

§ 21.

Dte Körperschaften.

Eine Körperschaft ist ein mit Rechtsfähigkeit ausge­ statteter Personenverein. Das römische Recht kannte nur den Gegensatz von Universitas und communio. Die erstere ist ein von der Gesamtheit der Mit­ glieder losgelöstes, nicht nur den Fremden, sondern auch den Gliedern selbständig gegenüberstehendes Rechts s u b j e k t, letztere ein unter mehreren Personen bestehendes Rechtsverhältnis. Das deutsche Recht in seinem großen Reichtum von Personen­ vereinigungen kennt nicht nur Gemeinschaftsverhältnisse, die im Ver­ kehr als Einheit erscheinen, sondern auch Personenvereine, die mit

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

Rechtsfähigkeit ausgestattet sind, aber die verschiedenartigsten Sonder­ rechte der Glieder gegen den Verein nicht nur zulassen, sondern bedingen. Auch im jetzigen Rechte herrscht der Gegensatz zwischen Rechtssubjekt und bloßem Gemeinschaftsverhältnis, er wird aber durch zahlreiche Übergangsformen vermittelt. Mögen nun auch innerhalb der Personenvereine durch diese begründete besondere Rechte der Mit­ glieder gegen das Ganze bestehen (wie bei den Aktiengesellschaften und Gewerkschaften), und mögen auch Gemeinschaftsverhältnisse vor­ handen sein, die im Verkehr als Einheit behandelt werden (wie z. B. die offene Handelsgesellschaft), entscheidend für das Wesen der Körper­ schaft ist immer, daß die durch die Gesamtheit der einzelnen Mit­ glieder geschaffene Einheit mit Rechtsfähigkeit ausge­ stattet ist, ein von den Mitgliedern verschiedenes Rechtssubjekt bildet. Als solches nimmt die Korporation am Rechtsverkehr teil wie die natürliche Person, sie kann alle diejenigen Rechte haben und er­ werben, die nicht einen Menschen als Träger voraussetzen. Daher fehlen ihr nur die Familienrechte und das gesetzliche Erbrecht. Die Rechtsfähigkeit ermöglicht den Rechtsverkehr der Körperschaft nach außen. Das innere Leben der Körperschaft aber wird von Rechts­ verhältnissen beherrscht, die der Korporation eigentümlich sind und entweder dem öffentlichen oder dem Privatrecht angehören. I. Entstehung der Körperschaft. Dazu gehört: 1. ein Personenverein und 2. ein Rechtssatz, der dem Vereine Rechtsfähigkeit beilegt. 1. Zum Wesen jedes Vereins gehört die Verbindung einer Personenmehrheit zur Erreichung eines bestimmten Zweckes. Begrifflich steht der Zulassung einer Mindestzahl von zwei Personen nichts entgegen, und reichsgesetzlich reichen zwei Personen aus zur Bildung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Ges. v. 20. 4. 1892). Zur Bildung einer Aktiengesellschaft gehören mindestens 5 (8 182 HGB), zu einer eingetragenen Genossenschaft wenigstens 7 Personen (§ 4 Ges. v. 1. 5. 1889). Nach § 56 BGB soll ein Verein nicht eingetragen werden, wenn er nicht wenigstens 7 Mit­ glieder hat; ist aber die Eintragung erfolgt, so wird der Rechtsbestand des Vereins durch das Fehlen der erforderlichen Zahl oder durch ein Herabgehen unter sie nicht beeinträchtigt. Sinkt die Mitgliederzahl eines eingetragenen Vereines aber unter 3 herab, so hat das Amts­ gericht durch einen der sofortigen Beschwerde unterliegenden Beschluß dem Vereine die Rechtsfähigkeit zu entziehen. Mit der Rechtskraft des Beschlusses hört die Rechtsfähigkeit des Vereines auf (§ 73 BGB). Zum Wesen gewisser Vereine gehört ferner das Vorhanden­ sein eines bestimmten Vermögensgegenstandes, z. B. eines Grundstücks, eines Grundkapitals, eines Stammkapitals. Das BGB

Dritter Abschnitt: Die Rechtssubjekte. § 21.

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stellt ein solches Erfordernis nicht auf, weil es nicht für alle Körper­ schaften paßt. Die Bereinsgründung erfolgt durch einen Begründungs­ akt, der aus einer Reihe von Einzelhandlungen bestehen kann, welchem Verträge zugunsten oder zu Lasten des künftig entstehenden Rechtssubjektes vorangehen können, der selbst aber nicht unter den Begriff des Vertrages fällt.1) Denn er schafft nicht ein der Ver­ fügung der Betelligten unterstelltes Rechtsverhältnis, sondern ein neues, ihrer Verfügungsmacht entzogenes Rechtssubjekt, durch dessen Dasein eigenartige Rechtsverhältnisse unter den Gliedern begründet werden. Mit der Vollendung des Begründungsaktes tritt die Körper­ schaft in die für sie unter der stillschweigenden Bedingung ihrer Entstehung begründeten Rechte und Verbindlichkeiten ein. 2. Der Rechtssatz, der dem Vereine Rechtsfähigkeit beilegt, ist entweder ein allgemeiner oder ein besonderer. A. Ein allgemeiner Rechtssatz kann entweder a) die Rechtsfähigkeit an das Vorhandensein eines Vereins mit bestimmtem Zweck und korporativer Verfassung anknüpfen (System der freien Körperschaftsbildung), oder b) die Rechtsfähigkeit nur demjenigen Vereine beilegen, der sich gewissen vom Gesetze für alle Fälle aufgestellten Bedingungen unter­ wirft (System der Normativbedingungen). Dieses System verlangt eine staatliche Prüfung dahin, ob die vom Gesetze festge­ stellte Norm eingehalten ist, und eine öffentliche Kundgebung, daß der Verein sich dem Gesetze gemäß gebildet hat, mit der Wirkung, daß die Korporation als solche erst mit dieser Kundgebung ins Leben tritt. Hierher gehören die Aktiengesellschaft (§ 200 HGB), die Er­ werbs- und Wirtschastsgenossenschaften (§ 13 Ges. v. 1. 5. 1889), und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (§ 11 Ges. v. 20. 4. 1892). B. Ein besonderer Rechtssatz ist notwendig, wenn es der Verleihung der Rechtsfähigkeit in jedem einzelnen Falle bedarf (Konzessionssystem). Die Verleihung ist, auch wenn sie in Gesetzesform erfolgt, ein Akt der Staatsverwaltung, zu dessen Vor­ nahme keine Pflicht besteht. 1) ftuntje: Der Gesamtakt, in der Festgabe der Leipz. Fak. für Müller S. 18. Sgl. auch RG 31, 21: „Die Gründer schaffen in einem ein­ heitlichen Akte die Voraussetzungen für das Bestehen der Aktiengesellschaft, womit das Gesetz die Wirkung der Errichtung der AG verbindet, und erllären sich gleichzeitig zu Mitgliedern derselben mit den aus dem Statut und der Übernahmeerklärung jede» einzelnen sich ergebenden Rechten und Pflichten". Gierte I. S. 486ff.

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Das BSB hat auf diesem Gebiete altes Recht bestehen lasten und neues Recht geschaffen. 1. Es läßt a) diejenigen beson­ deren Reichsgesetze, welche für einzelne besondere Körper­ schaften galten, bestehen (§ 22). Dies sind das HGB für die Aktiengesellschaften, das Gesetz vom 1. 5. 1889 für die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschasten, das Gesetz vom 20. 4. 1892 für die Ge­ sellschaften mit beschränkter Haftung, die Gew.O. für die Innungen, die Ges. v. 15. 6. 1883 (28. 1. 1885, 10. 4. 1892), 5. 5. 1886, 6. 7. 1884, 28. 5. 1885, 11. und 13. 7. 1887 für die Krankenkassen und die Berufsgenossenschaften und das Ges. v. 15. 3. 1888 für Kolonial­ gesellschaften. Das BGB läßt b) auch zahlreiche Landesgesetze bestehen, welche die Verhältnisse einer Reihe von Vereinen regeln, nämlich die dem Agrar-, dem Wasser-, Berg-, Jagd- und Fischerei­ rechte, dem Deich- und Sielrecht und dem Bersicherungsrecht ange­ hörenden Vereine sowie die Waldgenossenschaften.r) Obwohl endlich nach Art. 163 EG das BGB auch auf die zur Zeit seines Inkraft­ tretens bestehenden juristischen Personen Anwendung findet, bleiben doch c) einzelne zu diesem Zeitpunkte bestehende Körper­ schaften (Realgemeinden, bayrische Genossenschaften des Ges. v. 29. 4. 1869, die sächsischen Vereine des Ges. v. 15. 6. 1868, sowie die land­ schaftlichen und ritterschaftlichen Kreditanstalten) dem bisherigen Recht unterworfen (Artt. 164—167 EG). 2. Die übrigen, also seinen eignen Vorschriften unter­ liegenden Vereine scheidet das BGB (§§ 21, 22) in zwei Klassen und zwar je nachdem der Zweck des Vereins auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb oder auf einen andern als wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, d. h. auf einen idealen Zweck (wohltätigen, gemeinnützigen, geselligen, politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck) gerichtet ist. Die Wirtschaftsvereine unterliegen dem Konzessionssystem, sie erlangen Rechts­ fähigkeit durch staatliche Verleihung, die Nicht wirtschafts­ vereine unterliegen dem System der Normativbedin­ gungen, sie erlangen Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Bereinsregister des zuständigen Amtsgerichts. Ein Verein wird aber nicht schon dadurch zu einem Wirtschaftsvereine, daß er im Interesse seines idealen Zwecks wirtschaftliche Güter erzeugt oder umsetzt, denn diese wirtschaftliche Tätigkeit ist nicht sein Zweck, sondern Mittel zum Zweck: der Wirtschaftsbetrieb muß Zweck des Vereins sein, gleichviel, ob die Mitglieder des Vereins oder andere Personen davon Nutzen ziehen. l)

Artt. 113, 65, 66, 67, 69, 75, 83 EG.

Dritter Abschnitt: Die Rechtssubjekte. § 21.

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Das BGB hat also das System der freien Körperschaftsbildung ganz abgelehnt und damit den Vorteil erreicht, daß über die Frage nach dem Vorhandensein der Rechtsfähigkeit eines Vereins kein Zweifel bestehen kann, und es hat die Erwerbsvereine aus dem Grunde dem Konzessionssystem unterworfen, weil andernfalls die Möglichkeit einer Umgehung der von den Spezialgesetzen festgesetzten strengeren Erfordernisse vorhanden sein würde. Das für die Ver­ eine mit idealen Zwecken angenommene System der Normativ­ bedingungen ist in Wahrheit aber nur ein verschleiertes Konzessions­ system. Denn die Verwaltungsbehörde hat das Recht, durch einen beim Registcrgericht angebrachten Einspruch die Eintragung des Ver­ eins in das Bereinsregister und damit die Verleihung der Rechts­ fähigkeit zu verhindern, wenn der Verein nach dem öffentlichen Vereinsrecht unerlaubt ist oder verboten werden kann, oder wenn er einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgt (§ 61). Da die vom BGB selbst aufgestellten, vom Richter zu prüfenden Normen sehr geringe Anforderungen an den Verein stellen, so entscheiden über Entstehung der Rechtsfähigkeit regelmäßig nicht Rechtsgrundsätze, sondern Berwaltungsmaximen. II. Eine jede Korporation mußte auch schon nach dem früheren Recht eine wenn auch noch so einfache Verfassung haben; denn sie mußte in der Lage sein, ihren Willen zu bilden und zu betätigen. Dasselbe gilt nach neuem Recht. Die Verfassung beruht auf den wenigen zwingenden Sätzen des BGB und innerhalb der durch diese gezogenen Grenzen auf der Bereinssatzung, in Ermangelung einer solchen auf den nichtzwingenden Vorschriften des BGB (§ 25). Zwingend ist die Vorschrift, daß der Verein einen Vorstand haben muß, daß die Bestellung des Vorstandes durch die Mitglieder­ versammlung, und daß bei einer Mehrheit von Vorstandsmitgliedern die Beschlußfassung durch die Mehrheit der Mitglieder erfolgt (88 26—28). Also weder Korrealität (Handlungsbefugnis jedes einzelnen) noch Kollektivprinzip (Einstimmigkeit). Alle anderen für den Verein maßgebenden Normen können durch die Satzung be­ stimmt werden, d. h. durch Vorschriften, welche sich kraft seiner Privat­ autonomie der Verein selbst gibt und die auf bloßer Observanz beruhen, aber auch ausdrücklich festgesetzt und schriftlich niedergelegt werden können. Der einzutragende Verein muß eine schriftliche Satzung haben, denn er kann nur dann eingetragen werden, wenn die Satzung vom Vorstande bei der Anmeldung des Vereins überreicht wird (§ 59) und über gewisse Punkte Bestimmungen enthält (§§ 57, 58). Die Satzung hat einen obligatorischen (Zweck, Name, Sitz, Verlangen der Eintragung) und einen fakultativen Inhalt (Ein- und Austritt der Mitglieder, Bildung des Vorstandes, Mit-

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fllieberbcrfammlung). Ein Mangel des fakultativen Inhalts hat keinen Einfluß, der Mangel des obligatorischen Inhalts aber die Folge der Nichtigkeit der trotzdem geschehenen Eintragung. Die Willensbildung des Vereins erfolgt nach altem wie neuem Recht entweder a) durch ein Vereinsorgan, also regelmäßig den Vorstand oder ein besonders eingesetztes Organ, oder b) durch Mitgliederbeschlüsse. Die Mitglieder fassen einen Beschluß aa) in einer Mitgliederversammlung, zu welcher sie unter Bezeichnung des Gegenstandes der Beschlußfassung geladen werden, durch die Mehrheit der in der Versammlung tat­ sächlich anwesenden Personen. Doch ist zu einer Änderung der Satzung wie zur Auslösung des Vereins Dreiviertelmehrheit der Erschie­ nenen, zur Änderung des Bereinszweckes die Zustimmung aller Mitglieder erforderlich. Im letzteren Falle muß die Zustimmung der nicht anwesenden Mitglieder schriftlich erfolgen (§§ 32, 33, 34). Die Mitglieder können bb) in gewöhnlichen Angelegenheiten Be­ schlüsse auch außerhalb einer Versammlung, und zwar durch schriftliche Zustimmung zu einem Vorschlage, fassen. Der Ausführung des Korporationswillens dienen regelmäßig besondere Organe, einzelne bestimmte Personen oder eine Mehrheit (ein Kollegium) von Personen (Vorstand), die nicht Mit­ glieder des Vereins zu sein brauchen. Die Handlungen der Körperschaftsorgane sind Hand­ lungen der Korporation. Dies gilt selbstverständlich für alle rechtsgeschästlichen, es gilt nach dem BGB in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des RG aber auch für rechtswidrige und für solche Handlungen, die ohne Rücksicht aus ein Verschulden eine Schadensersatzpflicht begründen. Vorausgesetzt ist dabei aber, daß das Willensorgan (das auch mit Funktionen untergeordneter Art betraut sein kann) innerhalb seiner durch Gesetz, Satzung oder be­ sonderen Körperschastsbeschluß geregelten Zuständigkeit handelt (§§ 26, 30, 31). Denn hat das Organ außerhalb der ihm zustehen­ den Verfügungsmacht oder Berrichtungsbesugnis gehandelt, so ist seine Handlung nicht eine Handlung der Korporation, sondern seine eigene Handlung, die Rechtsfolge der Handlung trifft daher den Handelnden selbst. Neuere Gesetze gehen im Interesse des gut­ gläubigen dritten jedoch soweit, dem Vorstande nicht nur selbst eine umfassende Vertretungsmacht einzuräumen, sondern auch jede Einschränkung dieser Macht dritten gegenüber für unwirksam zu erklären (§ 235 HGB für Aktiengesellschaften, §§ 25, 27 Ges. v. 1. 5. 1889 für Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, §§ 35—37 Ges. v. 20. 4. 1892 für Gesellschaften mit beschränkter Haftung).

Dritter Abschnitt: Die Rechtssubjette. § 21.

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Anders das BGB; es kennt Spezialvertreter zur Vornahme be­ stimmter Geschäfte und erstreckt die Bertretungsmacht eines solchen Organs auf alle Rechtsgeschäfte, die der ihm zugewiesene Geschäfts­ kreis gewöhnlich mit sich bringt (§ 30), es gibt aber auch einer in der Satzung aufgestellten Bertretungsbeschränkung des Vorstandes Wirksamkeit gegen dritte (§ 26). Ein außerhalb der Bertretungs­ macht vorgenommenes Geschäft kann von der Korporation genehmigt werden; bis zu dieser Genehmigung hat der andere Teil aber das Recht des Widerrufs, es sei denn, daß er den Mangel der Bertretungsbefugnis kannte (§§ 177—180). Die Bertretungsmacht ist jederzeit widerruflich. Der Widerruf beseitigt aber nicht die bestehenden Ansprüche auf Vergütung aus den zwischen dem Organe und der Korporation bestehenden Verträgen (§ 27). Hat dagegen nicht ein Bereinsorgan, sondern ein anderer An­ gestellter des Vereins gehandelt, so wird die Körperschaft nur nach den allgemeinen Grundsätzen über die Haftung für dritte (§§ 278, 831) verantwortlich. Mit dieser ausgedehnten Haftung ist das neue Recht von der (römischen) Fiktionstheorie abgegangen, welche Rechtswidrigkeiten de» Organs nicht als Rechtswidrigkeiten der Körperschaft behandeln konnte. III. Das innere LörperschastSrecht betrifft die gegenseitige Rechts­ stellung von Mitgliedern und Körperschaft. Diese Rechtsstellung bildet das Rechtsverhältnis der Mitgliedschaft, das aus beiden Seiten Rechte und Pflichten begründen kann. Die Rechte und Pflichten unterliegen dem öffentlichen Rechte bei Korporationen des öffent­ lichen Rechts und sind Privatrechte bei privatrechtlichen Korpora­ tionen. Dieser Gegensatz hat praktische Bedeutung für die Art deS Rechtsschutzes. Die dem Privatrecht angehörigen Rechte und Pflichten der Korporation gegenüber den Mitgliedern werden im Wege des Zivilprozesses vor dem ordentlichen Gerichte geltend gemacht. Dabei hat das Gericht angesichts der Selbständigkeit des Vereins nicht die Zweckmäßigkeit, sondern nur die Gesetz- und Satzungsmäßigkeit an­ gefochtener Bereinsbeschlüsse zu prüfen (§ 32, RG 49, 150). Das Rechtsverhältnis der Mitgliedschaft selbst ist unvererblich und selbst der Ausübung nach nicht übertragbar (§ 38). Die ein­ zelnen aus ihm fließenden Mitgliedschaftsrechte sind so vielgestaltig, als es die Bedürfnisse der Korporation nur immer sein können. Sie lassen sich einteilen in: 1. personenrechtliche d. h. Rechte auf Betätigung der Per­ sönlichkeit und dementsprechende Pflichten. Hierher gehört das (Engelmann, Bürgerliche- Recht. 6. Hust.

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Stimmrecht und das Recht aus Berufung der Versammlung (§§ 34 bis 37 BGB. Minoritätenrecht!), Teilnahme an dem Gebrauche der dem Vereine gehörigen Anstalten und Vorzüge — Verpflichtung zur Befolgung des Korporationswillens, Übernahme von Ämtern: 2. vermögensrechtliche. Sie sind in der Mitgliedschaft begründete Rechte der einzelnen Mitglieder aus vermögensrechtliche Vorteile und sind weder dingliche noch persönliche Rechte, doch können sie solche Rechte erzeugen, insbesondere Rechte auf Gewinn­ anteile und Ausantwortung eines Teils des Vermögens der auf­ gelösten Körperschaft. Sie heißen bei den Körperschaften des mo­ dernen Rechts, zu deren Wesen eine Bermögensgrundlage gehört, Anteile oder Geschäftsanteile (auch Aktie, Kux. § 178HGB, § 14 Ges. v. 20. 4. 1892 über die Gesellsch. mit beschränkter Haftung. §§ 7, 19 Ges. v. 1. 5. 1889 über die Erwerbs- und Wirtschastsgenossenschaften. § 101 preuß. Berggesetzes vom 24. 6. 1865). Das BGB hat bei der Allgemeinheit seiner auf die mannigfaltigsten Ver­ eine anwendbaren Grundsätze keine ins einzelne gehenden Bestim­ mungen gegeben (§§ 38, 40). Die Mitgliedschaft entsteht durch Eintritt und erlischt durch Austritt; über Bedingungen und Form des Ein- und Austritts enthält das BGB selbst keine Vorschriften; nur sollen die Satzungen eingetragener Vereine Bestimmungen hierüber enthalten (§ 58 Nr. 1), und eine Kündigungsfrist darf höchstens zwei Jahre betragen (§ 39). IV. Die Beendigung der Körperschaft erfolgt, wie das BGB unterscheidet, entweder infolge Auflösung oder nur infolge Auf­ hebung der Rechtsfähigkeit des Vereins, der im letzteren Falle als nicht rechtsfähiger Verein fortbestehen kann. 1. Die Auflösung erfolgt kraft einer Willenserklärung der Körperschaft selbst, und zwar a) auf Grund eines im voraus gefaßten Beschlusses: wenn die Körperschaft den satzungsmäßigen Zweck oder den in der Satzung festgesetzten Endtermin erreicht hat. Dies gilt unbedingt für Aktien­ gesellschaften, eingetragene Genossenschaften, Gesellschaften mit be­ schränkter Haftung (88 2921 HGB, 79 Ges. v. 1. 5. 1889, 601 Ges. v. 20. 4. 1892, 74 Abs. 2 BGB); b) auf Grund eines besonderen Beschlusses. Für einen solchen bestehen regelmäßig besondere Vorschriften (erhöhte Majorität, Einstimmigkeit). Das BGB (8 41) verlangt in Ermangelung anderer Satzungsvorschrift Dreiviertelmehrheit. Der Beschluß kann nur die Auflösung des Vereins zum Gegenstände haben, denn die Mit­ gliederversammlung kann auf die Rechtsfähigkeit des Vereins nicht

Dritter Abschnitt: Di« Rechtssubjekte, g 21.

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verzichten;') die Auflösung kann auch durch die Staatsverwaltungs­ behörde erfolgen. 2. Die Rechtsfähigkeit geht verloren: a) infolge Konkurses über das Bereinsvermögen (§42 BGB). Aktiengesellschaften, eingetragene Genossenschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung werden durch den Konkurs aufgelöst. Während diese von einer Vermögensgrundlage abhängigen Körper­ schaften mit Entziehung jener Grundlage von selbst aufhören, können andere Vereine auch ohne diese Grundlage fortbestehen (§ 292*3 *HGB, § 604 Ges. v. 20. 4. 1892, § 101 Ges. v. 1. 5. 1889). Voraussetzung der Konkurseröffnung ist ein Antrag und Zahlungs­ unfähigkeit oder Überschuldung (§§ 207, 208, 213 KO, vgl. jedoch § 98 Genossenschaftsges.); b) infolge Entziehung, nämlich aa) nach erheblicher Verminderung der Mitgliederzahl. Während die Frage, ob die Körperschaft beendet wird durch Verminderung ihres Personenbestandes aus ein einziges Mitglied, in Übereinstimmung mit I. 7 § 2 D. 3, 4 und der herrschenden Ansicht3) zu verneinen ist, muß nach BGB, wenn die Mitgliederzahl eines eingetragenen Ver­ eins unter drei sinkt, dem Vereine die Rechtsfähigkeit entzogen werden (§ 73). Hieraus folgt, daß jedenfalls der eingetragene Verein nicht von selbst endet. bb) im Falle gesetz- oder zweckwidrigen Verhaltens des Vereins. Das BGB läßt die Entziehung der Rechtsfähigkeit zu: ») j e d e m Vereine gegenüber, wenn er durch einen gesetzwidrigen Beschluß der Mitgliederversammlung oder durch gesetzwidriges Ver­ halten das Gemeinwohl gefährdet, eine Bestimmung, die auch in den Gesetzen über die Erwerbs- und Wirtschastsgenossenschaften (§ 79) und über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (§ 62) enthalten ist; ß) den konzessionierten Vereinen gegenüber, wenn sie einen andern als den in der Satzung bestimmten Zweck verfolgen; Y) den Vereinen mit idealen Zwecken gegenüber einmal dann, wenn sie einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen und also der Ver­ leihung der Rechtsfähigkeit bedurften, ferner aber dann, wenn sie einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgen, während die Satzung einen andern Vereinszweck angibt. i) Gleich« Vorschriften enthält Art. 2423 HGB, § 2923 HGB. § 28 Ges. v. 7.4. 1876, § 78 Ges. v. 1.5.1889, § 60 Ges. v. 20.4.1892. 3) RE 23. 202. 32. 333. A. M. Gierk« I. S. 558. In diesem Falle ist augenblicklich von einer Personenmehrheit fteilich kein« Red«, aber di« Möglichkeit des Anwachsens ist gegeben.

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Diese Entziehung ist ein Akt der Staatsverwaltung und unter­ liegt daher den Grundsätzen des öffentlichen Rechts. Nach diesem richtet sich auch die Befugnis, den Verein aufzulösen (s. oben 1). Über die Nichtigkeit einer Körperschaft geben die §§ 309—311 HGB, 78 ff. des Genossenschaftsgesetzes und §§ 75 ff. des Ges. über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Bestimmungen, wonach die Nichtigkeit dieser im Handelsregister eingetragenen Körperschaften nur im Falle der Nichtigkeitserklärung und darauf erfolgter Ein­ tragung der Nichtigkeit wirkt. Die Erklärung geschieht durch Urteil auf die Klage eines Vereins-, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedes. Daß ein solches Klagerecht auch vom BGB anerkannt ist, wird trotz des Fehlens ausdrücklicher Bestimmungen nicht bezweifelt werden dürfen, zudem wird das Auflösungsrecht des Vereins selbst und das des Staates hier aushelfen. V. Die früher herrschend gewesene Meinung, daß das Vermögen einer aufgelösten Korporation als erbloses Gut an den Fiskus falle, ist aufgegeben. Finden zwar auf die Gesamtnachfolge in dieses Vermögen erbrechtliche Grundsätze weder unmittelbar noch durch Analogie vermittelt Anwendung, so ist sie doch der Erbfolge ähnlich. Denn nach BGB (§ 45) hat die Körperschaft die Befugnis zu einer der letztwilligen Verfügung gleichenden Willensbestimmung. An erster Stelle nämlich entscheidet die Satzung. Vereinen mit idealen Zwecken ist auch beim Fehlen einer Satzungsvorschrift gestattet, durch Beschluß über das Vereinsvermögen in der Weise zu verfügen, daß das Ver­ mögen einer öffentlichen Stiftung oder Anstalt zugewiesen wird (vgl. auch § 81 Ges. v. 20. 4. 1892. RG 7, 68; 26, 334, Seusf. 50, 316). Fehlt es an einer Willenserklärung des Vereins, so fällt das Ver­ mögen, wenn der Verein ausschließlich den Interessen der Mitglieder diente, an die jetzt vorhandenen Bereinsgenossen zu gleichen Teilen, andernfalls geht das Vermögen auf den Fiskus des Bundesstaates, in welchem er seinen Sitz hatte, als Ganzes über. Die erbrechtlichen Bestimmungen finden nur mit der Einschränkung Anwendung, daß der Fiskus das Vermögen nicht ausschlagen kann, daß er dafür aber auch ohne Errichtung eines Inventars für die Schulden nur mit dem Bereinsvermögen haftet, und, als Nachfolger verurteilt, diese Be­ schränkung auch dann geltend machen kann, wenn sie ihm im Urteile nicht vorbehalten ist (§§ 1942, 1966, 1975 ff., 2011 BGB, § 760 ZPO). Der Fiskus hat aber das Vermögen soweit als möglich in einer den Zwecken des Vereins entsprechenden Weise zu verwenden. Diese Fälle des Übergangs ähneln zwar der gesetzlichen Erbfolge. Aber während der Erbe das Vermögen in dem Zustand überkommt, in welchem es sich beim Erbfalle befindet, erfolgt bei Auflösung einer

Dritter Abschnitt: Die Rechtssubjette. § 22.

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Körperschaft die Abwicklung mit Gläubigern und Schuldnern durch die Liquidation. Fällt nämlich das Vermögen nicht an den Fiskus, so tritt auch dann, wenn das Bereinsvermögen auf ein anderes Rechtssubjekt über­ geht, die Liquidation ein (§ 47), es sei denn, daß der Konkurs eröffnet worden wäre. Die Liquidation besteht in der Abwicklung der eingegangenen Geschäfte, Befriedigung der Gläubiger, Versilberung des Vermögens und Ausantwortung an die empfangsberechtigten Per­ sonen, welche letztere nicht vor Ablauf eines Jahres, des sog. Sperr­ jahres (§ 51), erfolgen darf. Während der Liquidation besteht die Körperschaft nicht mehr, aber ihr Dasein wirkt insofern nach, als die Geschäfte noch Rechtshandlungen des Vereins sind. Die Liqui­ dation erfolgt regelmäßig durch den Vorstand (vgl. §§ 47—53). Im Falle der Auflösung einer sog. Bermögensgenossenschaft oder Kapitalgesellschaft fällt das Vermögen an diejenigen Mitglieder auseinander, welche zur Zeit der Auflösung Anteile (Aktien usw.) an dem Bereinsvermögen haben. Denn diese Anteilsrechte enthalten auch das Recht auf einen Teil des freigewordenen Vermögens. §

22.

Die Hrten der Körperschaften*

1. Die Körperschaften gehören entweder dem Privatrecht oder dem öffentlichen Recht an (§ 89). Auch letztere haften für einen aus unerlaubter Handlung hervorgehenden Schaden, und auch bei ihnen besteht die Verpflichtung des Vorstandes zum Antrage auf Konkurseröffnung. Im übrigen unterliegen sie dem Landesrecht. 2. Unter den privaten Körperschaften scheidet man a) Vereine mit idealen Zwecken und b) Erwerbsvereine. Die letzteren bezwecken die Förderung der wirtschaftlichen In­ teressen ihrer Mitglieder. Sie sind wieder aa) Personalgenossenschaften, d. h. solche, die auf der persönlichen Haftung der Mitglieder beruhen, neben welcher eine Kapitalbeteiligung einhergeht, bb) Kapitalgesellschaften (Bermögensgenossenschasten), welche auf einem in Anteile zerlegten Ver­ mögen beruhen. Zu jenen gehören die Erwerbs- und Wirtschafts­ genossenschaften nach dem Gesetz vom 1. Mai 1889, zu diesen die Aktiengesellschaften, die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und die bergrechtlichen Gewerkschaften. Die Personalgenossenschaften stehen den reinen Erwerbsgesellschaften, insbesondere denen des Han­ delsrechts, nahe. Auch das BGB schließt sich bei seiner Einteilung an den Gegensatz von Vereinen mit idealen Zwecken und Erwerbs­ vereinen an, der Gegensatz deckt sich aber mit dem von einge­ tragenen und nicht eingetragenen Vereinen. Für erstere gilt der Eintragungszwang, sie entstehen nur durch die Eintragung,

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welche erfolgen darf erst wenn feit der Mitteilung der Anmeldung an die Verwaltungsbehörde sechs Wochen verstrichen sind und Ein­ spruch nicht erhoben, oder wenn der erhobene Einspruch endgültig aufgehoben ist. Auch die weiteren besonders wichtigen Vorgänge: Änderungen im Vorstände, Änderung der Satzungen, Beendigung der juristischen Person (außer im Falle des Konkurses) bedürfen der Eintragung, aber die Eintragung hat in diesem Falle nur beur­ kundende, nicht rechtsbegründende Wirkung. Der Verein muß einen Namen haben, und dieser bekommt mit der Eintragung den Zusatz „eingetragener Verein" (§§ 55—79). §

23.

DU triebt rechtsfähigen Vereine,*)

Das römische Recht kennt nur zwei Formen der Personenver­ einigung: die Universitas oder die juristische Person, und die communio oder das bloße Gemeinschaftsverhältnis, das ein Gesell­ schaftsverhältnis ist, wenn die Gemeinschaft auf einem Vertrage beruht. Auch das heutige Recht will sich in diesen Gegensätzen be­ wegen, da § 54 BGB auf diejenigen Vereine, welche nicht juristische Personen sind, die Vorschriften von der Gesellschaft angewendet wissen will. Durch Bestimmungen des Prozeßrechts aber sind wir genötigt, den nicht rechtsfähigen Verein als eine besondere Art der Personen­ vereinigung anzuerkennen und seinen Begriff zu bestimmen. Ein solcher Verein hat, verklagt, die Stellung eines rechtsfähigen Vereins (§ 50 Abs. 2 ZPO), und sein Vermögen kann Gegenstand der Zwangsvollstreckung (§ 735 ZPO), sowie auch eines selbständigen Konkurses sein (§ 213 KO). Damit wird diesem Vermögen gegen­ über dem Vermögen der Mitglieder eine gewisse Selbständigkeit bei­ gelegt. Ein nicht rechtsfähiger Verein aber ist eine solche Personen­ vereinigung, welche weder nach den Vorschriften des BGB, noch nach denen eines besonderen Gesetzes Rechtsfähigkeit, dagegen eine körper­ schaftliche Verfassung besitzt. Nur dadurch, daß sie sich eine solche Verfassung geben und sich ein selbständiges Vermögen beschaffen, be­ kunden diese Vereine ihren Willen, nach außen als Einheit aufzu­ treten und Ziele zu verfolgen, welche über die subjektiven Interessen der einzelnen Mitglieder hinausgehen. Schwierigkeiten macht also nur die Auffindung der hier angegebenen Grenzen gegenüber der Gesellschaft, nicht auch ihre Unterscheidung von der juristischen Person. Denn das BGB hat die Entstehung dieser an bestimmte, sinnlich wahrnehmbare Vorgänge geknüpft, ein Zweifel, ob ein Verein *) Dernburg: Dernburg.

BR I

§§

78,

79.

Gierte:

Festgaben

für

Dritter Abschnitt: Die Rechtssubjette. § 24.

71

Rechtspersönlichkeit hat oder nicht, kann daher nur noch bei denjenigen Vereinen entstehen, die besonderen Gesetzen unterliegen. Häufig wird dann der Sprachgebrauch der Gesetze maßgebend sein. Denn der Ausdruck, daß der Verein „als solcher" Rechte und Verbindlichkeiten habe (den § 210 HGB für die Aktiengesellschaften, nicht dagegen für die offene Handelsgesellschaft § 124, den § 13 des Ges. v. 20. 4. 1892 für die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Z 17 des Ges. v. 1. 5. 1889 für die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften anwendet), will den Verein als Person bezeichnen. Die Rechte und Pflichten, welche durch die Rechtshandlungen eines nicht rechtsfähigen Vereins begründet werden, sind also Rechte und Pflichten der Mitglieder. Ob im Prozesse die Mitglieder oder der Verein Partei ist, hängt davon ab, ob der Verein klagt oder verttagt wird. Das BGB wendet, gleichviel welchen Einfluß auf den Bestand des Vereins der Wechsel seiner Mitglieder ausübt, die Grundsätze von Gesellschaften an und läßt außer den vertretenen Vereins mit gliedern*) auch denjenigen, der im Namen des Vereins Geschäfte schließt, persönlich und mehrere Handelnde als Gesamt­ schuldner haften, ein starker Druck für diese Vereine, die Rechts­ fähigkeit nach Maßgabe der Bestimmungen des BGB zu erwerben. § 24.

Die Hn stalten und Stiftungen«

Unter Anstalten versteht man mit Rechtsfähigkeit bekleidete, einen bestimmten, dauernden Zweck verfolgende, durch den Willen eines andern Rechtssubjektes hervorgerufene und beherrschte sichtbare Einrichtungen. Stiftungen sind juristisch dasselbe. Nur der Sprachgebrauch verknüpft mit dem Worte Stiftung den Gedanken an ein dem Zwecke gewidmetes Kapital, und mit dem Wort Anstalt die Vorstellung anderer dauernder Einrichtungen.?) Das BGB braucht den Aus­ druck Anstalten nur in Verbindung mit dem Zusatze „des öffentlichen Rechtes", will aber damit keinen Gegensatz zu dem Begriffe Stiftung aufstellen, sondern nur andeuten, daß es Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts und Stiftungen und Anstalten des Privat­ rechts gibt. 1. Eine Anstalt deS öffentlichen Rechts ist diejenige, deren Ein­ richtung vom Staat oder einer öffentlichen Körperschaft ausgeht und einen Zweck verfolgt, dessen Erreichung der Staat oder der öffentliche Verband zu seinen eigenen Aufgaben zählt. *) Nach Dernburg haften nur die Handelnden. Dies folgt aber keineswegs aus § 54 BGB. ?) Rehbein: Das BGB mit Erläuterungen. 1898. S. 65.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

Zur Entstehung einer solchen Anstalt gehört ein öffentlichrechtlicher Stistungsakt, ein Rechtssatz, der dem ins Leben gerufenen Organismus Rechtsfähigkeit verleiht und entweder ein allgemeiner oder ein Privilegium sein kann, regelmäßig auch die Herstellung einer wirtschaftlichen Grundlage. Es gelten alsdann für die Anstalt die für juristische Personen überhaupt maßgebenden Rechtsnormen mit denjenigen Maßgaben, die durch die besondere Natur der Stiftung bedingt werden, d. h. dadurch, daß die Anstalt keinen eigenen, sondern einen von einem andern Rechtssubjekte gebildeten Willen hat. Das BGB handelt von ihnen nur in § 89. So ist durch Reichsgesetz vom 14. März 1875 in der Reichsbank eine solche (öffentliche) Anstalt errichtet worden?) Die Versicherungs­ anstalten für Alters- und Jnvaliditätsversicherung sind Landes­ anstalten. Die zahlreichen kommunalen Anstalten (Kranken-, Waisen-, Rettungs- usw. Häuser) fallen unter den hier gebrauchten Begriff der Anstalt überhaupt nur dann, wenn sie selbständige Rechtssubjekte sind, nicht der Gemeinde als solcher angehören. Ferner sind Uni­ versitäten und öffentliche Schulen, besonders aber die Bistümer Anstalten. 2. Die Stiftung im engeren Sinne verdankt ihre Entstehung einem Privatrechtsgeschäft. Das ältere römische Recht kannte den Stiftungsbegrifs noch nicht, es sah die Stiftung als die einer Ge­ meinde gemachte Auflage an?) Erst das kanonische Recht stellte den Begriff der selbständigen Stiftung auf, der dann von der reich­ haltigen deutschen Landesgesetzgebung weiterentwickelt und vom BGB aufgenommen wurde. Nach ihm heißt die Erklärung des Stiftungs­ willens Stiftungsgeschäft und der Gegenstand oder das Er­ zeugnis des Stiftungsgeschäfts Stiftung. Die Stiftung ist ein selbständiges Rechtssubjekt. Die Zuwendung eines Bermögensgegenstandes an ein schon bestehendes anderes Rechtssubjekt, damit dieses einen gewissen Zweck verfolge (sog. fiduziarisches St.) schafft kein Rechtssubjekt, sondern ist Schenkung oder Erbeinsetzung oder Ver­ mächtnis mit einer Auflage (§§ 525, 2192 ff ). Die Stiftungen unterliegen dem Konzessions­ system, denn zur Gültigkeit des Stiftungsaktes gehört nicht bloß die Erklärung des Stiftungswillens, sondern auch die staatliche Ge­ nehmigung (§ 80). Das Stiftungsgeschäft ist entweder ein Rechts*) § 12: „Unter dem Namen .Reichsbank' wird eine unter Aufsicht und Leitung des Reiches stehende Bank errichtet, welche die Eigenschaft einer ristischen Person besitzt und die Aufgabe hat, den Geldumlauf im gemten Reichsgebiete zu regeln, die Zahlungsausgleichungen zu erleichtern und für die Nutzbarmachung verfügbaren Kapitals zu sorgen." *) Pernice. Labeo. Bd. 3 S. 150ff.

C

Dritter Abschnitt: Die RechtrsubjrNe. § 24.

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geschäft unter Lebenden und bedarf in diesem Falle der schriftlichen Form, oder es ist eine Verfügung von Todes wegen und unterliegt dann der für diese vorgeschriebenen Form (§ 81). In jedem Falle ist es, auch wenn es in einem Vertrage mitenthalten ist, ein ein­ seitiges nicht empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft. Als solches unter­ liegt es dem Widerrufe, bis die staatliche Genehmigung erteilt ist; mit diesem Akt ist das neue Rechtssubjekt geschaffen, das zu beseitigen außerhalb der Berfügungsmacht des Stifters liegt. Das Widerrufs­ recht ist vererblich; hatte der Stifter das Gesuch um Genehmigung eingereicht oder das Gericht oder den Notar mit der Einreichung be­ traut, so sind seine Erben gebunden (§ 81), wie wenn er die Stiftung durch letztwillige Verfügung errichtet hätte. Aber auch der Stifter selbst ist gebunden, wenn die Stiftung in einem Vertrag enthalten ist, denn der Vertrag bewirkt die Aufhebung des Widerrussrechts. Die Zuwendung von Vermögen an die gleichzeitig errichtete Stiftung ist, was nach bisherigem Rechte streitig war (RG 5, 144), nach § 82 BGB der natürlichen Anschauung entsprechend Bestandteil des Stif­ tungsgeschäfts, nicht ein zweites selbständiges Rechtsgeschäft. Wird die Stiftung erst nach dem Tode des Stifters genehmigt, so gilt sie doch kraft gesetzlicher Fiktion hinsichtlich der Zuwendung des Stifterals schon vor dessen Tode entstanden, eS findet also eine unmittelbare Rechtsnachfolge statt, und es ist, was auch bisher angenommen wurde, die Bedenkung der Stiftung durch dieselbe letztwillige Anordnung möglich, durch welche sie errichtet wird (§ 84). Mit der Entstehung der Stiftung erwächst für den Stifter gegenüber dem neuen RechtSfubjekte die persönliche Verpflichtung zur Übertragung derjenigen Rechte, welche er ihm zugesichert hatte (Übergabe, Auflassung): die danach etwa erforderliche Abtretung von Rechten (§ 398) liegt im Stiftungsgeschäfte (§ 82), braucht also nicht besonders erklärt zu werden. Die Verfassung der Stiftung bestimmt sich nach dem Stiftungs­ willen oder gesetzlicher Vorschrift (§ 85). Die Stiftung bedars eines Vorstandes, ist geschäftsfähig und verantwortlich (§§ 85, 86). Es gibt St. mit selbständiger Verwaltung, und solche, welche der Ver­ waltung einer Gemeinde oder einer physischen Person (z. B. die sog. Fabrikkrankenkassen, §§ 59, 64 Krankenvers.-Ges. v. 15. 6. 83) unter­ stellt sind. Wird die Erfüllung ihres Zweckes unmöglich oder ge­ fährdet sie das Gemeinwohl, so kann sie durch einen Staatsver­ waltungsakt aufgehoben, oder es kann ihr Zweck (möglichst int Sinne des Stifters) umgewandelt werden (§ 87). Erlischt sie, was auch infolge Konkurses über ihr Vermögen geschehen kann, so fällt ihr Vermögen an die in der Verfassung bestimmten Personen, es kann also auch an den Fiskus fallen (§ 88). Dann gilt dasselbe wie

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

beim Anfall des Vermögens eines Vereins an den Fiskus. In allen anderen Fällen tritt Liquidation ein (§§ 88, 47). 3. Bon einigen wird das Sammelvermögen d. h. das durch öffentliche Sammlung zu einem vorübergehenden Zweäe zusammen­ gebrachte Vermögen als juristische Person bezeichnet. Da das Gesetz diese juristische Person nicht kennt, wird man vielmehr ein bloßes Auftragsverhältnis zwischen den Spendern und den Vertrauens­ personen betreffs des im Miteigentum der Spender stehenden Ver­ mögens oder eine fiduziarische Übertragung des Vermögens auf die Bertrauenspersonen annehmen müssen. § 25.

einzelne Personen, Der fiehue. Die Gemeinden,

1. Der Fiskus. So wie der Staat überall ein einheitlicher ist, so gibt es auch nur einen Fiskus, und die Worte Militärsiskus, Steuersiskus sind nur Bezeichnungen für die verschiedenen Ver­ waltungszweige. Der Fiskus genießt mancherlei Vorrechte: er hat ein Vorzugsrecht im Konkurse (§ 61 Nr. 2 KO), er hat nach BGB ein Aneignungsrecht betreffs ausgegebener Grundstücke (§ 928), ein Recht auf den Versteigerungserlös gefundener Sachen (§ 981), es kann ihm, wenn er gesetzlicher Erbe ist, eine Jnventarsrist nicht gestellt werden (§ 2011). Neben dem Fiskus des einzelnen Bundesstaates steht der Reichs­ fiskus. Dieser untersteht nicht dem in Berlin geltenden Rechte, weil, wenn auch die meisten Reichsbehörden in Berlin ihren Sitz haben, der Fiskus als solcher überall heimisch ist, wo er Rechte hat. Er unterliegt daher in jedem deutschen Rechtsgebiete demjenigen Rechte, das dort für den Landesfiskus maßgebend ist. 2. Einen Teil der allgemeinen Wohlsahrtszwecke des Staates und zugleich die Interessen des örtlichen Zusammenlebens verfolgen die kommunalen Körperschaften: die Gemeinden, Kreise, Provinzen. Den ältesten Selbstverwaltungskörper bildet die Gemeinde. Erst in neuerer Zeit hat der Staat größere Verbände mit der Befugnis der Selbstverwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten ausgestattet und damit aus bloßen Staatsverwaltungsbezirken in Körperschaften um­ gewandelt. Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und unter­ liegen deshalb dem Staats- und Verwaltungsrechte der einzelnen Bundesstaaten. Bon privatrechtlicher Bedeutung ist nur die eigentümliche, aus der geschichtlichen Entwicklung zu erklärende Scheidung des Ver­ mögens in Gemeindevermögen (in den Städten Kämmereigut genannt) und Allmende (in den Städten Bürgervermögen ge-

Vierter Abschnitt: Die Rechtsobjette. § 26.

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nannt). Ersteres ist Vermögen der Korporation, an letzterem stehen entweder allen oder mehreren Gemeindemitgliedern Nutzungsrechte zu. Bei der Besitzergreifung bestimmter Bodenflächen zum Zwecke der Ansiedlung pflegte man nämlich nicht alles Land unter die An­ siedler aufzuteilen, sondern gewisse Teile des Landes (insbesondere Wasserflächen, Wald- und Weideplätze, aber auch Acker) ungeteilt der dem Bedürfnisse des einzelnen entsprechenden Nutzung der Ge­ meindegenossen zu überlassen. Diese sog. gemeine Mark unterlag also dem gemeinschaftlichen Recht aller, doch ist streitig geblieben, ob die gemeine Mark Alleineigentum der Gemeinde, aber Gegen­ stand dinglicher Nutzungsrechte der Markgenossen ist, oder ob die Gemeindeglieder an der gemeinen Mark Gesamteigentum oder Mit­ eigentum nach ideellen Anteilen haben. Der letzteren Auffassung neigen neuere Gesetze zu. Jedenfalls würde nicht eine und dieselbe juristische Konstruktion für sämtliche Markgemeinden aller Zeiten und Orte anwendbar sein. Die Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts hat in den Allmenden ein der volkswirtschaftlichen Entwicklung nachteiliges Institut erblickt und ihre Aufteilung (die sog. Gemeinheitsteilung, Separation) befördert, und zwar in der Weise, daß jedem der bisherigen Be­ rechtigten ein reeller Teil zum Alleineigentum zugewiesen, zugleich aber dafür gesorgt wurde, daß im Wege des Austausches die häufig zerstreut liegenden Grundstücke eines und desselben Besitzers „zu­ sammengelegt" (verkoppelt) wurden. Diese Maßnahmen brachten erhebliche Beschränkungen der Berfügungssreiheit, denn sie führten nicht, wie die Enteignung, nur zur Wegnahme von Grundstücken, sondern zu dem Zwange, andere Grundstücke als Ersatz anzunehmen. Der hierdurch sich vollziehende Eigentumserwerb fällt daher nicht unter den Begriff rechtsgeschäftlicher Erwerbung und daher auch nicht unter die §§ 925, 873 BGB.

Vierter Abschnitt: Die Rechtsobjekte. § 26.

Der Begriff der Bache und des Vermögend*

Alles was einem Recht unterworfen ist, bildet den Gegen­ stand des Rechts. In diesem Sinne sind auch Menschen Gegenstand des Rechts, denn die Personenrechte sind Rechte an Personen. Der Mensch ist aber im jetzigen Recht nie so vollständig Gegenstand einer Berechtigung, daß seine Freiheit aufgehoben und er zum willenlosen Dinge gemacht würde. Gegenstand des Rechts können nach unserem Sprachgebrauch auch Rechte sein, die andern zustehen. Rechtsobjekte

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

sind auch der Name, sind die Geisteserzeugnisse des Menschen. Auch die Forderungsrechte haben einen Gegenstand. Rechtsobjekt ist aber insbesondere die Sache d. h. ein den Raum erfüllendes Ding der Außenwelt. Die Römer teilten (Gai. Inst. II 12—14) die res ein in corporales und incorporales, verstanden aber unter res das, was eine Person im Vermögen haben kann, weshalb sie das Eigentum zu den r. corporales, die anderen Rechte zu den r. incorporales rechneten, denn das Eigentum verkörperte sich in seinem Gegenstände. Das moderne Recht war geneigt, jeden unkörperlichen Gegenstand, sofern er Rechtsobjekt wurde, als Sache zu bezeichnen. Man kam daher dazu, nicht bloß die Mitgliedschaftsrechte an Vermögensgenossenschaften, sondern auch Naturkräfte (wie z. B. den elektrischen Strom) als Sache zu behandeln. Diese Ausdehnung des Begriffes Sache führt zu einer Unklarheit in der Auffassung des Begriffes der Sachenrechte. Das BGB verwendet den Begriff „Gegenstand" zur Bezeichnung der aktiven Bestandteile eines Vermögens, daher sind ihm Gegenstand sowohl die Sachen als auch die Vermögensrechte, und Sachen sind ihm nur körperliche Gegenstände (§ 90). Das BGB hat diesen Begriff nicht ausschließlich für seine eigenen Bestimmungen, sondern für das gesamte Rechtsgebiet aufgestellt.*) Bei einer natürlichen oder künstlichen Vereinigung mehrerer Sachen zu einem Ganzen ließ das römische Recht die an den Teilen vorhanden gewesenen besonderen Rechte aufhören und erkannte nur ein einheitliches Recht an der ganzen Sache an. Es erreichte damit einfache Rechtsverhältnisse, mußte aber Leitsätze darüber geben, welche Sache Hauptsache und welche Nebensache oder Teil sei. Auch ließ es (außer bei Pflanzen) mit der Trennung der Sachen die früheren Rechte an ihnen Wiederaufleben. Nach deutschem Rechte konnte der Teil Gegenstand eines selbständigen Rechts, insbesondere konnte jemand Eigentümer des Bodens, ein anderer Eigentümer der auf diesem Boden stehenden Früchte sein. Das BGB unterscheidet zwischen wesentlichen und unwesent­ lichen Bestandteilen. Bestandteil überhaupt ist ein körperlicher Teil, ein Teil der Sache. Den Gegensatz bilden die ideellen, nur gedachten Teile, die Anteile am Recht an der Sache. Be­ stimmungen und daher eine Begriffsbestimmung gibt das BGB nur für die wesentlichen Bestandteile. a) Im allgemeinen sind wesentliche Bestandteile diejenigen, die voneinander nicht getrennt werden können, ohne daß der eine *) Es sagt m § 90 nicht „im Sinne dieses Gesetzbuches", sondern im Sinne „des Gesetzes".

Vierter Abschnitt: Die Rechtsobjekte.

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oder der andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird (§ 93), und nur für diese gilt der römische Grundsatz, daß sie nicht Gegenstand besonderer (dinglicher) Rechte sein können.') Der Zeiger einer Uhr kann also während seiner Verbindung mit dieser nicht einem andern als dem Eigentümer der Uhr gehören. Das BGB weicht vom römischen Recht aber insofern ab, als es bei Trennung die früheren Rechte nicht wieder aufleben läßt. b) Die besonderen Bestimmungen (§ 94) haben den Zweck, Sachen, die nicht schon nach der allgemeinen Begriffsbestimmung diese Eigenschaft haben, zu wesentlichen Bestandteilen von Grund­ stücken oder Gebäuden zu erNären: sie verlangen eine besonders enge, mechanische oder organische Verbindung. Wesentliche Bestandteile eines Grundstücks sind: a) die mit dem Grund und Boden fest verbundenen Sachen, ins­ besondere die Gebäude, b) die Bodenerzeugnisse, solange sie mit dem Boden zusammen­ hängen. Dagegen ist (§ 95) überhaupt nicht Bestandteil das, was nur zu einem vorübergehenden Zwecke mit dem Boden (z. B. Jahr­ marktsbuden) oder einem Gebäude verbundey ist, auch nicht dasjenige Bau- oder andere Werk, das von einem dinglich Berechtigten in Ausübung seines Rechts, z. B. des Nießbrauchs, mit dem Boden verbunden wird („scheinbare Bestandteile" nach herb. Meyer). Damit ist das Stockwerks- und das besondere Eigentum an stehenden und hängenden Früchten beseitigt. Daß der Same mit dem Aussäen, eine Pflanze mit dem Einpflanzen wesentlicher Be­ standteil wird, bedurfte besonderer Bestimmung (§ 94), da dies aus der allgemeinen Begriffsbestimmung nicht folgt. Zu den wesentlichen Bestandteilen eines Gebäudes ge­ hören die zur Herstellung des Gebäudes eingefügten Sachen, z. B. Balken, Steine. Rechte, die mit dem Eigentum an einem Grundstücke verbunden sind, z. B. Grunddienstbarkeiten, Patronatsrecht, gelten als Be­ standteile, aber nicht als wesentliche Bestandteile des Grundstücks (§ 96). An den nicht wesentlichen Teilen einer Sache können besondere Rechte bestehen, sie sind also noch während der Verbindung besondere Sachen. Nur scheinbar als Sache gelten die Sachgesamtheiten (un. rer. distantium), d. h. unter einem gemeinschaftlichen Namen zu-

1) Dgl. jedoch § 810 ZPO, §§ 21, 148 ZwstG. Ein persönliches Recht aus di« Sach« nach Trennung ist möglich, ebenso wie der Besitz von Teilen. § 865.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

sammengefaßte Mehrheiten einzelner selbständiger, dem gleichen Zwecke dienender und regelmäßig gleichartiger Sachen (z. B. eine Bibliothek, ein Warenlager). Diese Inbegriffe von Sachen sind in Wahrheit nicht selbständige Sachen, sondern Bezeichnungen für mehrere Sachen. Daher kann derjenige, der als Eigentümer einen Anspruch auf Heraus­ gabe einer Viehherde (vindicatio gregis) erhebt, sich damit begnügen, die Herde, nicht jeden einzelnen Hammel, als sein Eigentum zu be­ zeichnen. Daß trotz eines für einen andern an der Sachgesamtheit begründeten Rechtes (z. B. Pfandrechtes) einzelne Stücke aus der Gesamtheit frei ausscheiden können, daß aber der in die Gesamtheit aufgenommene Ersatz dem am Ganzen bestehenden Recht unterworfen wird, ist nicht Folge davon, daß das einzelne Stück Teil einer andern Sache wird, sondern beruht aus dem Willen der Parteien. Das BGB spricht von Sachinbegriffen in demselben Sinne (vgl. besonders § 92 Abs. 2). Vermögen ist der Inbegriff der in Geld abschätzbaren Rechts­ verhältnisse einer und derselben Person. Obgleich es nicht selbst Sache ist, kann es Gegenstand besonderer Rechtsgeschäfte sein. Das römische Recht unterschied dabei die acquisitio per universitatem, bei welcher nur die Rechte, und successio in Universum jus, bei welcher auch die Pflichten auf den Erwerber übergingen. Insofern also eine einzige Rechtshandlung den Erwerb aller einzelnen zu dem Vermögen gehörigen Rechte herbeiführen kann, und der jeweilige Zustand des Vermögens (Ab- und Zugänge) entscheidend ist für die Rechte, welche das Vermögen zum Gegenstände Habens) wird es als Einheit behandelt. Inbegriffe von Rechtsverhältnissen einer Person, die aus dem Gesamtvermögen ausgeschieden und besonderen Rechts­ grundsätzen unterworfen sind, bilden sog. Sondervermögen, so z. B. das Fideikommißvermögen, das inländische Vermögen eines aus­ ländischen Rechtssubjektes, das Handelsvermögen eines Mitgliedes einer offenen Handelsgesellschaft, das Schisfsvermögen des Reeders. Auch hier bilden die Schulden regelmäßig einen untrennbaren Be­ standteil des Vermögens. § 27.

A. Die natürlichen Eigenschaften der Bachen.

1. Eine bewegliche Sache ist diejenige, welche ohne Beeinträch­ tigung ihres Wesens eine Ortsveränderung erleiden kann, daher im deutschen Recht Fahrnis (fahrende Habe) genannt (während es keinen Unterschied macht, ob die Kraft, welche die Sache bewegt, von ihr selbst ausgeht oder nicht, res sese movens — res mobilis. Unbetvegx) Die Regel: res succedit in locum pretii et pretium in locum. rei gilt nur für die hereditatis petitio auf Grund des Set. Iuventianum.

Siert« Abschnitt: Die Rechtsobjette. § 27.

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lich sind die Sachen, denen diese Eigenschaft fehlt, also der Grund und Boden und seine abgegrenzten Stücke, die Grundstücke. Der Gegensatz von beweglichen und unbeweglichen Sachen war im römischen und gemeinen Recht von untergeordneter Bedeutung. Dagegen hat das deutsche Recht, dem hier öffentliches und Privat­ recht zusammenfloß, die Rechte an unbeweglichen Sachen einer grund­ sätzlich so abweichenden Behandlung unterworfen, daß ein Gegensatz von Mobiliar- und Jmmobiliarsachenrecht entstand. Dieser Gegensatz besteht auch im heutigen Rechte, da wirtschaftliche Bedürfnisse zur Ausbildung der Grundbucheinrichtung und damit zu prinzipiell ab­ weichender Behandlung der Rechte an Grundstücken geführt haben. Das deutsche Recht behandelt aber eine Reihe beweglicher Sachen ihrer Wichtigkeit wegen wie unbewegliche, so insbesondere Schiffe und Schiffsmühlen; es hat aus demselben Grunde auch die Rechte dieser Einteilung unterworfen. Das BGB folgt der natürlichen Anschauung, indem es von beweglichen Sachen und von Grundstücken spricht. Es bringt damit zum Ausdruck, daß seine für Grundstücke gegebenen Bestim­ mungen nur auf abgegrenzte Teile der Erdoberfläche Anwendung finden, daß alle andern Sachen unter den Begriff der beweglichen Sachen fallen mit Ausnahme derjenigen, die das BGB den für Grundstücke gegebenen Bestimmungen ausdrücklich unterwirft. Es sind dies die oben erwähnten wesentlichen Bestandteile der Grund­ stücke, daher auch Gebäude, die für die Dauer mit dem Grund und Boden fest verbunden sind. Andere Baulichkeiten sind bewegliche Sachen. Auch die in das Schiffsregister eingetragenen Schiffe sind bewegliche Sachen (§ 1259), ihre Verpfändung und Zwangsver­ steigerung aber vollzieht sich ähnlich wie die Verpfändung und Zwangsversteigerung von Grundstücken (§§ 162 ff. ZwstG). Rechte sind weder bewegliche Sachen noch unterliegen sie dem Jmmobiliarrecht. Eine Ausnahme machen die mit dem Eigentum an einem Grundstücke verbundenen Rechte, denn sie gelten als Bestandteile des Grundstücks (§ 96), und das Erbbaurecht (§ 1017), das daher nach § 7 der GBO ein selbständiges Grundbuchblatt erhalten kann. Nur zum Zwecke der Begrenzung der Rechte des Ehemannes am Ver­ mögen der Frau gibt das BGB (§ 1551) eine Begriffsbestimmung des unbeweglichen Vermögens. Soweit aber der Vorbehalt für die Landesgesetze reicht, ist es diesen unbenommen, vom BGB abzuweichen und daher insbesondere Rechte den Grundsätzen von beweglichen Sachen oder von Grund­ stücken zu unterwerfen, z. B. also Bergwerksanteile als bewegliche Sachen zu behandeln.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

2. Teilbar ist eine Sache, wenn sie sich ohne Verletzung ihres Wesens in mehrere Teile zerlegen läßt. Teil aber ist im Gegensatz zum Bestandteil nur dasjenige Stück, das von gleicher Art ist als das Ganze (vgl. § 752 BGB). Gebäude lassen, wenn die Bauart dies ermöglicht (1. 6 § 1 D. 8, 4) nur eine vertikale, aber weder nach gemeinem Rechte noch nach dem BGB (§§ 93, 1014 BGB, Art. 182 EG) im Gegensatze zu einzelnen Partikularrechten (Geschoßeigentum) eine horizontale Teilung zu. Durch die Teilung entstehen mehrere selbständige Sachen, die aber dem am Ganzen bestehenden Recht unterworfen bleiben (vgl. auch § 6 GBO). § 28. B. Die wirtschaftlichen Eigenschaften der Bachen. 1. Die Verbrauchbarkeit ist zwar eine natürliche Eigenschaft aller Sachen, als verbrauchbare Sachen bezeichnet aber das BGB (§ 92) in Übereinstimmung mit dem bisherigen Rechte nur diejenigen Sachen, deren bestimmungsmäßiger Gebrauch in dem Ver­ brauch oder in der Veräußerung besteht. Hierher gehören namentlich die Nahrungsmittel und das Geld. Sachen, die an sich unver­ brauchbar sind (z. B. Möbel), gelten solange als verbrauchbare, als sie einem Sachinbegriffe (z. B. einem Warenlager) einverleibt sind, dessen bestimmungsmäßiger Gebrauch in der Veräußerung der einzelnen Sachen besteht (§ 92 Abs. 2). 2. Zubehör (Pertinenz) ist eine an sich selbständige Sache, die durch Willensakt dazu bestimmt ist, „dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache zu dienen und zu ihr in einem dieser Bestimmung ent­ sprechenden räumlichen Verhältnisse steht". Daß die Pertinenz der Hauptsache nur einen Vorteil gewährt und zu ihr in äußeren räumlichen Verhältnissen steht, die jene Zweckbestimmung ermöglichen, unterscheidet sie vom Bestandteil, der zur Vollstän­ digkeit der Sache gehört und mit der Hauptsache bleibend ver­ bunden ist (§§ 93, 97 BGB). Da Zubehör nur ist, was den Wirtschastszweck der Sache befördert, so kommt es auf den dauern­ den Gebrauch der Sache, nicht auf den vorübergehenden Gebrauch, den ein einzelner Besitzer macht, an (§ 97 Abs. 2 BGB). Daher kann eine Maschine nach Lage der Umstände Bestandteil oder Zu­ behör des Gebäudes oder keines, von beiden sein. Die räumliche Verbindung kann in einer Befestigung der einen Sache an der andern bestehen, zuweilen aber reicht (wie z. B. bei den an die Wand genagelten Bildern) die Befestigung zur Zubehöreigenschaft nicht aus. Trennung der beiden Sachen löst das Pertinenzverhältnis nur dann, wenn die zu dieser Lösung berechtigte Person jenes Verhältnis auf­ heben will, aber der bloße Wille ohne Trennung reicht nicht aus (RG 34, 167).

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Viert« Abschnitt: Die Rechtsobjekte. § 28.

Die ZubehSreigenschaft bewirkt, daß die Nebensache den über die Hauptsache getroffenen rechtlichen Verfügungen mit unterliegt, wenn durch Parteiwillen nichts anderes bestimmt ist (§§ 314, 498, 926, 1096, 1551, 2164 BGB, §§ 55, 90 ZwstG). Die Bedeutung des Begriffes Zubehör besteht daher in einer Auslegungsregel für die Willenserklärung desjenigen, der über die Hauptsache verfügt. Die Folge ist, daß nach gemeinem wie neuem Rechte Sachen ver­ schiedener Eigentümer im Verhältnis von Hauptsache und Zubehör stehen können (RG 28. 146, vgl. §§ 926, 1031, 1120). Das BGB gibt die Zubehöreigenschaft nur beweglichen Sachen (§ 97). Ein Grundstück ist Bestandteil eines andern, wenn es dasselbe, selbständige Sache, wenn es ein eigenes Grund­ buchblatt hat (§ 890 BGB, § 5 GBO), aber Zubehör eines anderen Grundstücks ist es.nie. Ob eine Sache zum Zubehör bestimmt ist oder nicht, entscheidet entweder die Berkehrsanschauung oder das Gesetz. Das BGB gibt nur zwei solcher Bestimmungen, indem es als Zubehör eines für einen gewerblichen Betrieb dauernd eingerichteten Gebäudes die zum Be­ triebe bestimmten Maschinen und sonstigen Gerätschaften, zum Zu­ behör eines Landguts, entgegen der römischen, aber mit der deutsch­ rechtlichen Anschauung, das sog. landwirtschaftliche Inventar erklärt, nämlich das zum Wirtschaftsbetriebe bestimmte Gerät und Vieh, die landwirtschaftlichen Erzeugnisse, soweit sie zur Fortführung der Wirtschaft bis zu der Zeit erforderlich sind, zu welcher gleiche oder ähnliche Erzeugnisse voraussichtlich gewonnen werden, sowie den vor­ handenen, auf dem Gute gewonnenen Dünger (§ 98). 3. Früchte einer Sache sind a) diejenigen Sachen, die auf natür­ lichem Wege aus einer andern Sache entstehen; daß es menschlicher Tätigkeit bedarf, um die erzeugende Sache in einen die Hervor­ bringung bestimmter Erzeugnisse vorbereitenden Zustand zu versetzen (Säen, Pflanzen), macht das Erzeugnis nicht zu einem Arbeits­ produkt. Auch der Umstand, daß die Erzeugnisse außerhalb des ordentlichen Wirtschaftsbetriebes gewonnen sind (Raubbau, Wind­ brüche), ändert an ihrer Eigenschaft als Frucht nichts, doch können sie vom Rechte des Nutzungsberechtigten ausgeschlossen sein (so §§ 581, 993 BGB), b) Vom Verkehr und dem Recht, insbesondere auch vom BGB (§ 99), werden als Früchte behandelt diejenigen Sachen, die zwar nicht organische Erzeugnisse einer anderen sind, in deren Gewinnung aber die bestimmungsmäßige Verwen­ dung jener andern Sache besteht.») Hierhin gehören Torf, Sand, *) L. 7 § 13, 14, 1. 8, D. 24, 3; 1. 9 § 2, 3. D. 7, 1; 1. 5, § 1, 1. 6 § 1 D. 8, 3. Motiv« j. BGB III S. 69. R.gelsberger I, S. 393. Cngcimann, Bürgerliches Recht. 6. Aufl.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

Lehm, Mineralien n a ch der Trennung. Während also die organischen Erzeugnisse einer Sache (unter a) in jedem Falle Früchte sind, ist die sonstige Ausbeute nur dann Frucht, wenn die Hauptsache die Bestimmung hat, gerade diesen Ertrag zu gewähren. Solange die Frucht noch mit der Muttersache zusammenhängt, bildet sie deren wesentlichen Bestandteil und unterliegt nach römischem und neuem Rechte (§§ 93, 94) den an der Muttersache bestehenden Rechtsverhältnissen (fructus pendentes, stantes); erst durch die Tren­ nung wird sie zu einer selbständigen Sache und ermöglicht die Be­ gründung besonderer Rechte. Daher ist z. B. nicht der Nießbraucher, sondern der Eigentümer des Grundstücks Eigentümer der stehenden Früchte (1. 12 § 5 D. 7, 1. § 954). Das deutsche Recht betrachtete vielfach beim Bestehen eines Fruchtbezugsrechts die noch stehende Frucht als selbständige Sache und damit. als Gegenstand besonderen Rechts. Und auch unter der Herrschaft des gemeinen und des neuen Rechts sind Rechtshandlungen möglich, welche eine bewegliche Sache zur Voraussetzung haben und deshalb wirksam sind nur, wenn die jetzt noch stehende Frucht ihre Bestimmung, zur selbständigen beweglichen Sache zu werden, erreicht. Insbesondere ist die Pfändung stehender Früchte zugelassen (§ 810 ZPO). Früchte eines Rechts sind die Erträge, die dieses Recht bestim­ mungsgemäß gewährt, z. B. die Zinsen, die eine verzinsliche Forderung einbringt. Nach ausdrücklicher Bestimmung des BGB (§ 99 Abs. 2) gehören hierhin auch Bodenbestandteile, wenn das erzeugende Recht aus Gewinnung von solchen gerichtet ist, so daß, wer den Nießbrauch an einem Bergwerk hat, die geförderten Mineralien selbst, nicht etwa nur die Zinsen von dem Verkaufserlöse der Mineralien, erwirbt. c) Ten natürlichen Früchte n stehen gegenüber (als fructus civiles) diejenigen Erträge, die eine Sache oder ein Recht nur ver­ mittelst eines Rechtsverhältnisses gewährt (§ 99 Abs. 3). Das Rechts­ verhältnis hat hier die Bedeutung, daß es die Erträge nicht nur erzeugt, sondern zugleich auch den Anspruch daraus begründet (z. B. Miets- und Pachtzinse). Natürliche Frucht des Jagdrechts ist die Ausbeute, welche die Jagd bei Selbstausübung gewährt, zivile Frucht der Pachtzins, den das verpachtete Jagdrecht bringt. Unter Nutzungen versteht das BGB (§ 100) nicht nur die Früchte einer Sache oder eines Rechts, sondern auch die sonstigen Vorteile, die der bloße Gebrauch der Sache oder des Rechts gewährt, z. B. die Möglichkeit, auf dem Grundstücke zu wohnen. Folgen mehrere Fruchtberechtigte aufeinander (z. B. Verkäufer und Käufer, Verpächter und Pächter, erster Nießbraucher und dessen Nachfolger, Nießbraucher und Eigentümer), so erwarb

Vierter Abschnitt: Die Rechtsobjette. § 29.

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die Früchte nach deutschem Rechte derjenige, der die Bestellungs­ arbeit verrichtet hatte („wer sät, der mäht"), nach römischem *) und neuem Rechte derjenige, der zur Zeit der Trennung oder der Fällig­ keit das Fruchtziehungsrecht hat (§ 101). Die Lasten hat zu tragen, wenn es sich um eine regelmäßig wiederkehrende Last handelt, ein jeder nach Verhältnis der Dauer seiner Verpflichtung, und wenn es sich um eine andere Last handelt, derjenige, der zur Zeit der Fällig­ keit der Verpflichtete ist (§ 103). Wer zur Herausgabe von Früchten verpflichtet ist, hat nach dem BGB (§ 102) nur den Reinertrag, zu leisten.

§ 29.

C. Die rechtlichen 6igen schäften der Sachen,

1. Ter Rechtsverkehr sieht in den Sachen entweder Indivi­ duen (species), wenn die eine Sache durch eine andere nicht ersetzt werden kann, oder Stücke einer Gattung (genug), wenn die eine Sache durch eine andere Sache gleicher Gattung vertreten werden kann. Man bezeichnet daher diese als vertretbare (fungible), jene als unvertretbare (infungible) Sachen, und bestimmt die vertretbaren nach Zahl, Maß und Gewicht (so § 91 BGB), die unvertretbaren nach ihren individuellen Eigenschaften. Regelmäßig aber sind ver­ schiedene Gattungen nicht untereinander vertretbar, so daß z. B. wer Sommererbsen verkauft, nicht Wintererbsen liefern darf. 2. Verkehrsfähig ist die Sache, die Gegenstand rechtlicher Ver­ fügung, rechtssähig diejenige, die Gegenstand des Rechts eines ein­ zelnen sein kann. Das römische Recht sieht nur auf die erstere Eigen­ schaft, wenn es von res extra commercium spricht. a) Bon Natur rechtsunfähig sind die Luft, das fließende Wasser, das Meer und die Meeresufer, dagegen ist eine Quantität eingeschlossener Luft, eingefangenen Wassers, ein Stück durch einen Bau (einen Leuchtturm) dem Meere abgerungenen Bodens rechts­ fähig?) Die Meeresufer (vom höchsten bis zum niedrigsten Wasser­ stande) und das Meer selbst auf eine mäßige Strecke unterliegen einem Staatshoheitsrechte. b) Eine Sache kann durch menschliche Bestimmung zu einer rechtsunfähigen oder zu einer verkehrsunfähigen gemacht werden. Rechtsunfähig waren nach römischem Rechte die res sacrae (dem Gottesdienste geweihten) und die res religiosae (Begräbnisstätten). Nach jetzigem Rechte sind diese Sachen zwar rechtsfähig, da sie im Eigentum der Kirchen, Kirchengemeinden oder einzelner Privat*) Anders bei Rückdabe der Dos. Hier wurde geteilt. 2) Daher ist ein Drebstahl an warmer Luft, an Gas, der Äauf von frischem Wasser (auf Bergen, Bahnhöfen) möglich.

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

Personen stehen, jedoch verkehrsunfähig, da sie denjenigen Verfügungen entzogen sind, durch die sie ihrem Zweck entfremdet würden (RG 7, 136). Daher ist der Erwerb einzelner Rechte an diesen Sachen, z. B. einer Wegegerechtigkeit an einem Kirchhofe zulässig.*) Auch die öffentlichen Sachen (res publicae publico usui destinatae) stehen im Gegensatze zum römischen Recht heut im Eigentum des Staats oder öffentlicher Verbände (Provinzen, Kreise, Gemein­ den), können auch Eigentum einzelner sein. Hierhin gehören die öffent­ lichen Straßen, die öffentlichen Flüsse, die öffentlichen Gebäude, dem Gemeindegebrauch dienende öffentliche Anlagen. Als öffentlichen Fluß bezeichnete das römische Recht einen jeden, der das ganze Jahr hindurch floß (flumen, quod perenne est), während das deutsche und heutige Recht (seit der Constitutio de regalibus von 1158) einen jeden Fluß, der schiffbar ist oder in seinem weiteren Lause schiffbar wird, als öffentlichen bezeichnet (flumina navigabilia vel ex quibus fiunt navigabilia). Die Eigenschaft des öffentlichen Flusses erstreckt sich auf Bett, Wasser und Ufer (RG 3, 234). Die Folge ist, daß nach heutigem Recht auch die Nutzungen öffentlicher Flüsse Eigentum des Staates werden und das Recht auf die Nutzungen zu den Rega­ lien gehört. Auch die öffentlichen Sachen sind nur beschränkt (relativ) ver­ kehrsunfähig, nämlich solange und soweit sie dem öffentlichen Ge­ brauche dienen. Der Gebrauch steht einem jeden oder nur den Gliedern bestimmter Gemeinden zu und bildet dann nicht den Gegen­ stand eines Privatrechts. Ein solches kann aber durch besondere Erwerbstitel für den einzelnen begründet werden. Rechte der letzteren Art (Sondernutzungsrechte) genießen wie andere dingliche Rechte den privatrechtlichen Klagenschutz (a. confessoria), der Gemein gebrauch steht heute unter polizeilichem Schutz, während er nach römischem Rechte der herrschenden Meinung nach durch Popularinterdikte ge­ schützt wurde. Für den Schutz eines besonderen Interesses an der öffentlichen Sache gab das gemeine Recht besondere Interdikte (int. ne quid in loco publico fiat u. a. D. 43, 8—15). Den Gegensatz von öffentlichen und Privatwegen erblickte das römische Recht in dem Bodeneigentum, das heutige Recht aber in dem dort allgemeinen, hier bestimmten Personen ausschließlich zu­ stehenden Gebrauch. Dieser kann auf Eigentum oder einem begrenzten dinglichen Rechte (iter, via) beruhen (vgl. § 90 GBO). *) RG 27, 255 geht zu weit. — Die Rechte der Gemeindemilglieder auf bestimmte Begräbnisplütze und Kirchenstühle sind Vermögensrechte, das Recht auf Beerdigung überhaupt ist ein öffentlichrechtliches Mitgliedschastsrecht.

Vierter Abschnitt: Die Recht-objekte.

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30.

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Auch der juristische Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Gewässern liegt in dem öffentlichen oder privaten Gebrauch. Quellen und Brunnen stehen an sich im Privateigentum desjenigen, auf dessen Grundstück sie sich befinden. Stehende Gewässer sind Eigentum der Anlieger. Dasselbe gilt von Privatflüssen, doch läßt das heutige Recht weitgehende Nutzungsrechte der Anlieger von Privatflüssen zu. Das BGB enthält über die dem Verkehr entzogenen Sachen nicht eine einzige Bestimmung, weil die Gefahr nahe lag, die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Rechte zu überschreiten. Es bleibt hier alles bei dem bestehenden Recht (Artt. 65, 69, 73, 132, 133 EG z. BGB). § 30. Das Siehe Heymann: Die dingliche Wirkung der handelsrechtlichen Traditionspapiere. 1906. 4) Ja cobi: Die Wertpapiere, 6. 166ff. Gierke, Deutsches Privatrecht II, S. 124 ff.

Vierter Abschnitt: Dir Rechtrobjekte. g 31.

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in ihnen verbriefte Recht ausschließlich die geschriebenen Worte maß­ gebend sein lassen, die Bezeichnung skripturrechtliche Wertpapiere angenommen. Es gehören zu ihnen die Jnhaberpapiere und von den Orderpapieren jedenfalls der Wechsel, aber sie fallen nicht zu­ sammen mit den abstrakten Wertpapieren, d. h. denjenigen, die eine abstrakte Verbindlichkeit verbriefen, wie z. B. der Wechsel. So sind Konnossemente, Ladescheine, Lagerscheine, Bodmereibriese skriptur­ rechtliche, aber nicht abstrakte Wertpapiere. Die Eigentümlichkeit der ersteren besteht darin, daß für den Umfang des Rechtserwerbs des redlichen Erwerbers der Wortlaut der Schrift entscheidend ist. Endlich sind Präsentationspapiere diejenigen, deren Vorlegung an den Schuldner zur Ausübung des in ihnen verkörperten Rechts notwendig ist. Hierher gehören die Jnhaberpapiere, da der Schuldner vor der Vorlegung nicht weiß, wer sein Gläubiger ist, ebenso gehört hierher der Wechsel, wenn nicht die Vorlegungspflicht durch einen besonderen Vermerk ausgeschlossen ist. Die gebräuchlichste Einteilung der Wertpapiere ist die nach der Art, den Berechtigten zu bestimmen, in Rekta«, Inhaber- und OrderPapiere. a) Rekta-Papier ist dasjenige, in dem eine bestimmte Person als berechtigt bezeichnet ist. Die Folge davon ist die, daß das Papier niemals durch bloße Übergabe übertragen werden kann, daß es viel­ mehr zur Übertragung noch einer Willenserklärung bedarf, durch welche das Recht aus dem Papier abgetreten wird. Sie stehen am nächsten den bloßen Beweisurkunden, unterscheiden sich von ihnen aber dadurch, daß das Recht aus dem Rektapapiere von dem Besitze des Papiers abhängig ist. Daher sind der Hypothekenbrief und der nicht auf den Inhaber lautende Grundschuldbrief Wertpapiere, weil das Versügungsrecht über die Forderung vom Besitze des Briefes abhängt (88 1117, 1163, 1154, 1274, 1160 BGB). Und zwar sind sie Rektapapiere, doch kann der Grundschuldbrief auch zum Inhaberpapier gemacht werden (8 1195). b) Ein Order-P. ist dasjenige, in dem sich der Schuldner einer bestimmten und zugleich derjenigen Person verpflichtet, die das Papier durch Indossament (Giro) erwerben wird. Der Unterschied dieser Papiere von den Namenspapiercn besteht demnach in der ihnen eigentümlichen Übertragungsform, der Jndossabilität. Das Indossa­ ment bewirkt keine Rechtsnachfolge in das Forderungsrecht, sondern eine selbständige Entstehung des im Papiere verbrieften Rechts in der Person des Indossatars. Der Wechsel, die Namensaktie, der Jnterimsschein (8 222 HGB) und der auf einen bestimmten Empfänger lautende Scheck sind an sich Orderpapiere, es bedarf daher zur Ent-

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

Ziehung dieser Eigenschaft (Schaffung eines Rektapapiers) eines in die Urkunde aufzunehmenden Vermerks (nicht an Order, Artt. 9, 13 WO); einige andere Papiere können an Order gestellt werden, wenn das Gesetz die Orderklausel ausdrücklich gestattet, andernfalls sind sie Rektapapiere. Es sind dies Anweisungen und Verpflichtungs­ scheine der Kaufleute, sofern das Papier über eine Leistung von Geld oder eine Quantität vertretbarer Sachen oder Wertpapiere ausgestellt und die Verpflichtung zur Leistung nicht von einer Gegenleistung ab­ hängig gemacht ist, ferner das Konnossement, der Ladeschein, der über Waren oder andere bewegliche Sachen von einer zur Ausstellung solcher Urkunden staatlich ermächtigten Anstalt oder einem Lager­ halter ausgestellte Lagerschein, Bödmereibriefe, Transportversiche­ rungsscheine (§§ 363, 424 HGB, § 71 Binnenschiff.-Ges. vom 15. 6. 1895). Das wichtigste Orderpapier ist der Wechsel. Von ihm wird besonders gehandelt. c) Ein Inhaber-Papier ist dasjenige, in dem sich der Schuldner zu einer Leistung an den Inhaber des Papiers verpflichtet. Das Versprechen ist von vornherein einem jeden gegeben, der das Papier erwerben wird, die Forderung steht also jedem Eigentümer des Papiers ursprünglich zu. Über sie und die ihnen verwandten Legitimationspapiere wird besonders gesprochen werden. Hier sei nur hervorgehoben, daß das Jnhaberpapier im Verkehr Sache ist.

Fünfter Abschnitt: Die juristischen Tatsachen?) § 32. Einleitung. Das objektive Recht knüpft au den Eintritt bestimmter, von ihm bezeichneter Tatsachen, des sog. Tatbestandes, den Eintritt be­ stimmter Rechtsfolgen. Diese Rechtsfolgen sind: die Entstehung, die Veränderung, die Aufhebung subjektiver Rechte. Solche Tatsachen sind rechtlich erhebliche (rechtserhebliche, relevante); alle andern Tat­ sachen, also die, an welche das objektive Recht eine Rechtsfolge nicht knüpft, sind juristisch gleichgültige (unerhebliche, irrelevante) Tatsachen. Ein Recht entsteht nur, wenn es für eine bestimmte Person er­ worben wird, denn es gibt keine subjektlosen Rechte. Eine Änderung des subjektiven Rechts aber ist in der Weise möglich, daß sein Inhalt *) Die Lehre von den juristischen Handlungen, in welcher eine außerordentliche Unsicherheit herrscht, geht mit mächtigen Schritten einer Klärung entgegen. Diese Klärung ist wesentlich gefördert worden durch die umfangreiche Arbeit von Manigk: Willenserklärung und Willensgeschäft, 1907, das sich treffend als System der juristischen Handlungen bezeichnet.

Fünfter Abschnitt: Die juristischen Tatsachen, g 33.

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ober sein Träger ein anderer wird. Die Lehre von der Entstehung, Aufhebung und Änderung der Rechte ist daher gleichbedeutend mit der Lehre vom Erwerb und Verlust der Rechte. Das römische Recht sucht alle Rechtsfolgen auf den Willen der Person zurückzuführen, es gab der Betätigung dieses Willens ge­ setzesgleiche Wirkung, indem in den zwölf Tafeln der Satz aufgestellt wurde: Uti lingua nuncupassit, ita jus esto, und wo andere Tat­ sachen mit Rechtsfolgen ausgestattet waren, da wurde mit Fiktionen geholfen. Daraus erklärt sich die Zurückführung mancher Rechts­ folgen auf Quasikontrakte und Quasidelikte. Das deutsche Recht dagegen zog der freien Willensbetätigung fast überall Schranken, es knüpft häufig Rechtsfolgen an Tatsachen, die unabhängig vom Willen des einzelnen eintreten. Das heutige Recht kann die juristischen Tatsachen nicht anders einteilen als in 1. solche, welche vom menschlichen Willen abhängen, d. h. in Handlungen; 2. solche, die unabhängig vom menschlichen Willen eintreten.

I. Die Handlungen. A. Die Rechtsgeschäfte. § 33.

Begriff des Rechtsgeschäfte.

Jedes Rechtsgeschäft ist eine Handlung, also die Willenstat einer Person. Es kann zu einem Rechtsgeschäfte noch mehr gehören (z. B. eine Körperbewegung), aber eine Willenskundgebung ist dem Rechtsgeschäfte wesentlich. Denn der Wille des Menschen ist es, der die Privatrechtsverhältnisse gestaltet, aber nicht der verborgen gebliebene, sondern immer nur der betätigte Wille. Eine Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Rechtserfolg herbeizu­ führen (mit dem Erfolgswillen) und deren Rechtswirkung eintritt, weil sie gewollt ist, nennt man Rechtsgeschäft. Diese Begriffsbestimmung ist trotz des lebhaften Streites über das Wesen des Rechtsgeschäfts noch nicht durch eine bessere ersetzt worden, obwohl sie zu dem Irrtum Veranlassung gibt, als ob alle möglicherweise eintretenden Folgen eines Geschäfts auch von dem Entschlüsse des Erklärenden mit umfaßt würden. Zu jedem Rechts­ geschäfte gehört danach unstreitig wenigstens eine Willenserklärung. Deshalb brauchte man bisher und braucht auch das BGB beide Ausdrücke gleichbedeutend, obwohl es Willenserklärungen gibt, die nicht Rechtsgeschäfte sind und bei manchen Rechtsgeschäften zur Er-

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reichung des vorgestellten Zweckes eine Willenserklärung (Ver­ trag!) oder überhaupt die Willenserklärung nicht ausreicht, vielmehr nur einen Teil des rechtsgeschäftlichen Tatbestandes bildet.*) In zahlreichen Fällen bedarf der Ersolgswille nur der Be­ tätigung, in den meisten Fällen muß er einer anderen Person oder einer Mehrheit von Personen kundgegeben und dem andern Teile zugegangen sein, weil in diesen Fällen der rechtliche Erfolg nur mittels Einwirkung aus den Willen der anderen Person erreicht wird. Für die ersteren (z. B. Preisgabe, Aneignung, Wohnsitzbegründung) wird neuerdings?) die Bezeichnung Wille ns ge sch äst, für die letzteren, mit Kundgebungszweck abgegebenen und dem andern Teile zugegangenen Willenserklärungen die Bezeichnung Erklärungsgeschäste gebraucht. Im Gebiete des Privatrechts versteht man jedenfalls unter Rechtsgeschäften nur die Willensbetätigungen von Privatpersonen. Das richterliche Urteil ist daher nicht Rechtsgeschäft, auch wenn es privatrechtliche Wirkungen begründet und begründen will. Die Willenskundgebung einer Privatperson kann Prozeßhandlung und Privatrechtsgeschäft zugleich sein. Namentlich liegt in der Erhebung der Klage die Aufforderung zu leisten, also das Privat­ rechtsgeschäft der Kündigung oder Mahnung. Zahlreiche Klagen ent­ halten in sich das Rechtsgeschäft der Anfechtung. Die Aufrechnung verliert dadurch, daß sie im Prozesse geltend gemacht wird, nicht die Eigenschaft einer Willenserklärung. Anerkenntnis, Vergleich, Ver­ zicht auf den Klageanspruch sind Rechtsgeschäfte*3) 2in der Form pro­ zessualischer Handlungen. § 34.

6mteüimg der Rechtsgeschäfte.

1. Die Rechtsgeschäfte von Todes wegen (mortis causa) haben den Zweck, die Rechtsverhältnisse des Erklärenden für den Fall seines Todes zu regeln. Ihr Bestand hängt also vom Tode des Erklärenden ab (1. 32 D. 39,6). Doch nicht alle Geschäfte von Todes wegen sind letztwillige Verfügungen, da nicht alle den letzten Willen des Erblassers zum Ausdrucke bringen (§ 1941). Den Gegensatz zu den Rechtsgeschäften von Todes wegen bilden die Geschäfte unter Lebenden (inter vivos). *) Jsay, Die Willenserklärung im Talbestünde des Rechtsgeschäfts. 1899. 2) Don Manigk in dem zu § 32 bezeichneten Werke. 3) Über Prozeßhandlungen s. meinen Zivilprozeß: Geschichte und System. I. Allg. Tl. 6. 50 ff. desgl. im Tl. III im Deutschen Zivilprozeß S. 207ff. Jetzt namentlich Nußbaum: Die Prozeßhandlungen. 1908.

Fünfter Abschnitt: Die juristischen Tatsachen, § 34.

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2. Ein lukratives oder unentgeltliches Rechtsgeschäft bezweckt und erreicht eine Vermögenszuwendung, ohne daß der Empfänger ein Recht aufgibt, ein oneroses oder entgeltliches Rechtsgeschäft führt gegen Gewährung eines Bermögensvorteils für den Emp­ fänger einen Rechtsnachteil herbei. Die unentgeltlichen Rechtsgeschäfte bezwecken demnach die Bereicherung des Empfängers. Daher sind die sog. Erfüllungsgeschäfte keine unentgeltlichen: der Gläubiger wird durch den Empfang der Leistung nicht bereichert, da er sein Forderungsrecht verliert, und die Gegenleistung, die der Schuldner gegen seine Vermögcnsaufwendung erhält, ist die Befreiung von feiner Schuld. 3. Es gibt Rechtsgeschäfte, welche nur eine oder mehrere Willens­ äußerungen (Willensgeschäfte), und solche, welche daneben noch eine in die Sinne fallende Tätigkeit verlangen, z. B. Übergabe einer Sache (Realgeschäfte). S. oben § 33. 4. Es gibt Rechtsgeschäfte, welche der Willensäußerung nur einer Person bedürfen, und Rechtsgeschäfte, welche die überein­ stimmende Willenserklärung mehrerer Personen erfordern. Jene heißen einseitige, diese zweiseitige Geschäfte oder Verträge. Innerhalb der einseitigen Willenserklärungen unterscheidet die herrschende Lehre die sog. empfangsbedürftigen von den nicht empfangsbedürftigen (von Dernburg selbstherrliche genannt) dadurch, daß jene an eine bestimmte Person gerichtet und von dieser entgegengenommen werden müssen, um wirksam zu sein, während diese einer solchen Richtung an die Adresse einer Person und der Entgegennahme durch diese Person nicht bedürfen. Der Unterschied beruht darauf, daß eine Reihe von Willensbetätigungen nur den Zweck verfolgt, einen andern zu einer Rechtshandlung zu veran­ lassen oder eine Einwirkung auf seine Rechtslage hervorzurufen. Zur Wirksamkeit eines empsangsbedürftigen Rechtsgeschäfts bedarf es daher nicht bloß der rechtsgültigen Willenserklärung auf der einen Seite, sondern auch der Entgegennahme der Erklärung auf seiten derjenigen Person, an welche sie gerichtet ist, und der bei dieser vor­ handenen Fähigkeit, selbst eine solche Erklärung abzugeben. Zu diesen Rechtsgeschäften gehören z. B. die Ausübung der Wahl bei einem alternativen Schuldverhältnis, die Erklärung des Rücktritts vom Vertrage, die Kündigung, der Widerruf der Vollmacht,*) ins­ besondere aber der Bertragsantrag. Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen sind z. B. die Errichtung eines Testaments, ') 3m BGB die Fälle der §§ 143, 263, 284, 293, 333,349, 388, 409, 531, 609, 497, 606.

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die Annahme einer Erbschaft, die Anerkennung eines Kindes, die Auslobung?) Bei Annahme der oben (§ 33) wiedergegebenen (Manigkschen) Einteilung entfällt das hier besprochene Kriterium; denn das Er­ klärungsgeschäft ist selbstverständlich empfangsbedürftig. Das BGB hat hinsichtlich dem empsangsbedürstigen Willens­ erklärung die Bestimmung, daß sie dann, wenn sie einem Abwesenden gegenüber abgegeben wird, in dem Zeitpunkte wirksam wird, in welchem sie ihm zugeht (§ 130). Der „Zugang" ist also neben der Kundgebung mit Kundgebungszweck die zweite Voraus­ setzung für die Wirksamkeit des Erklärungsgeschäfts. Zugegangen ist nicht dasselbe wie zur Kenntnis gekommen, es genügt vielmehr, daß die Kenntnisnahme in der Weise ermöglicht ist, daß nur ein im Lebensgebiete des Empfängers liegender Umstand die wirkliche Kennt­ nisnahme hindert (Einwerfen eines Briefes in den an der Wohnungs­ tür angebrachten Briefkasten — Ausschreiben einer Bestellung, einer Antwort auf eine zur Aufnahme von Mitteilungen angebrachte Schiefertafel)?) Damit hat sich das BGB in Übereinstimmung mit der herrschen­ den Lehre des gemeinen Rechts (RG 23, 166) auf den Standpunkt der Empfangstheorie gestellt und eine Streitfrage des bisherigen Rechts entschieden, welche den Zeitpunkt des Vertragsschlusses unter Abwesenden zum Gegenstände hatte. Denn die Äußerungs- oder Deklarationstheorie sah als entscheidenden Zeitpunkt den­ jenigen an, in welchem der Antragsempfänger den Annahmeentschluß zum Zwecke der Mitteilung in Worte kleidet (z. B. niederschreibt), die Übermittlungstheorie den Zeitpunkt, in welchem die An­ nahmeerklärung abgesendet wird (Übergabe an die Post oder den Boten), die Empfangstheorie den Augenblick, in dem die Annahmeerklärung dem Antragsteller zugeht, die Vernehmungs­ theorie den Zeitpunkt, in welchem die Annahmeerklärung dem Antragsteller zur Kenntnis kommt (z. B. wenn er den eingegangenen Brief liest). Die Folge des vom BGB eingenommenen Standpunktes ist a) daß, obwohl die Erklärung für einen andern bestimmt ist, doch darauf nichts ankommt, wann der Empfänger von der Erklärung tatsächlich Kenntnis erhält oder Kenntnis zu nehmen beliebt, und b) daß die Erklärung unwirksam ist, wenn dem Empfänger vor oder gleichzeitig mit der Erklärung ihr Widerruf zugeht (§ 130 BGB). 0 88 1937, 854, 856, 657. 2) Holder: Zur Theorie der Willenserklärung. 1905.

Fünfter Abschnitt: Die juristischen Tatsachen. § 35.

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Folgerichtig mußte das BGB den Grundsatz aufstellen, daß die Erklärung, die gegenüber einer geschäftsunfähigen oder in der Ge­ schäftsfähigkeit beschränkten Person abgegeben wird, erst dann Wirk­ samkeit erlangt, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter zugeht, es sei denn, daß sie dem beschränkt Geschäftsfähigen nur einen rechtlichen Vorteil bringt oder daß zur Entgegennahme der Erklärung die Ein­ willigung schon vorher erteilt war (§ 131). Das BGB läßt allgemein die Zustellung von Willens­ erklärungen durch den Gerichtsvollzieher und unter beson­ deren Voraussetzungen auch die öffentliche Zustellung zu (§ 132), und ermöglicht auf diese Weise die Herstellung eines schwer zu ent­ kräftenden Beweises für die erfolgte Mitteilung. Das Verfahren bei der Zustellung unterliegt den Vorschriften der ZPO (§ 132 Abs. 2). § 35.

Der Vertrag.

1. Vertrag ist die auf eine Rechtswirkung gerich­ tete, übereinstimmende Willenserklärung zweier oder mehrerer Personen. Er gehört allen Zweigen des Rechts, ins­ besondere auch dem Völkerrecht und dem Zivilprozeßrecht an, seine Hauptbedeutung aber hat er als Begründungsakt von Privatrechts­ verhältnissen jeder Art. Er gehört deshalb in den allgemeinen Teil (§§ 145 bis 157). 2. Das römische Recht machte innerhalb der Verträge einen Unterschied von pactum und contractus. Das pactum war die formlose Willenseinigung der Parteien, es gehörte nicht bloß dem Obligationenrecht, sondern auch dem Sachenrecht an, aber da, wo es nur das Versprechen einer künftigen Leistung begründete, gewährte es kein Klagerecht, keine actio. Die contractus begründen nur Rechts­ verhältnisse des Obligationenrechts, sie sind mit einer sog. causa civilis ausgestattet und daher durch ein ziviles Klagerecht ausgezeichnet. Der wichtigste dieser Kontrakte, der schließlich das gesamte Obliga­ tionenrecht beherrschte, war die stipulatio. An ihr hat sich das römische Vertragsrecht entwickelt (daher D. 45, 1 de verborum obligationibus der längste Titel). Da aber die stipulatio in Form münd­ licher Frage und Antwort zustande kam und daher Anwesenheit beider Vertragsteile verlangte, kam das römische Recht nicht zur Ausbildung einer Lehre über den Vertragsschluß unter Abwesenden. Das deutsche Recht erkannte grundsätzlich die Klagbarkeit jeder Willenseinigung an. Nach der durchgebildeten Lehre des heutigen Rechts wird zwischen den beiden Willenserklärungen, welche zum Bertragsschluß gehören,

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streng geschieden. Der Bertragsantrag (Offerte) ist der von dem einen Teile dem anderen gemachte Vorschlag, einen Vertrag von bestimmtem Inhalt zu schließen, Annahme (Akzeptation) die Zustimmung des andern Teiles zu dem vorgeschlagenen Bertrags­ inhalt. Die Übereinstimmung beider Erklärungen bewirkt den Ver­ trag und damit die Gebundenheit der Vertragschließenden. Bis zur Herstellung dieser Einigkeit war nach römischem Rechte jeder Teil noch Herr seiner Erklärung, er konnte sie widerrufen oder ändern. Doch schon die herrschende Lehre des gemeinen Rechts gab dem, der ohne Kenntnis von dem geschehenen Widerruf Aufwendungen zum Zwecke der Vertragserfüllung machte, einen Anspruch auf das sog. negative Bertragsinteresse. Das BGB bindet den Antragen­ den an seine Offerte. Da es aber Sache des freien Willens ist, einen Vertragsantrag zu stellen, so kann der Antragsteller die Ge­ bundenheit ausschließen, indem er dem andern Teile erklärt, daß er nicht gebunden sein wolle (§ 145). Die Gebundenheit ist eine zeitlich begrenzte. Sie hört auf nicht nur mit der Ablehnung, sondern auch mit nicht-rechtzeitiger Annahme des Antrags (§ 146). Die Frist für Annahme des Antrags ist entweder die vom Antrag­ steller selbst oder in Ermangelung einer solchen die vom Gesetze gestellte (§ 148). Das Gesetz verlangt für den einem Anwesenden und für den mittels Fernsprechers von Person zu Person gemachten Antrag sofortige Annahme, der einem Abwesenden gemachte Antrag aber kann nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Um­ ständen erwarten darf (§ 147). Erfolgt die Annahme verspätet, so ist sie gegenstandslos, denn der Antrag war bereits erloschen; die ver­ spätete Annahme bildet aber einen neuen Antrag (§ 150). War die Annahme rechtzeitig abgesandt und dem Antragsteller nur ver­ spätet zugegangen, und war dies dem Antragsteller erkennbar, so hat er die Pflicht sofortiger Anzeige von der Verspätung. Erfüllt er diese Pflicht, so bleibt es dabei, daß der Vertrag nicht geschlossen ist; er­ füllt er jene Pflicht nicht, so wird er nicht etwa schadensersahpflichtig, sondern es gilt dann die Annahme als nicht verspätet, also ist der Vertrag geschlossen (§ 149). Diese Rechtswirkung ist nicht eine Strafe für die Säumnis des Offerenten, sondern eine Billigkeitsrücksicht gegen den Akzeptanten. 3. Der Vorschlag ist nur dann ein Vertragsantrag, wenn er in der Absicht gemacht wird, damit unmittelbar den Vertrag dieses Inhalts zustande zu bringen. Dadurch unterscheidet er sich von einer Aufforderung zum Unterhandeln. Zu einem Bertragsantrage gehört daher Bestimmtheit des Inhalts und Richtung an bestimmte Personen. Die der Öffentlichkeit

Fünft«! Abschnitt: Die juristischen Tatsachen, g 35.

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gegenüber erklärte Bereitwilligkeit, Verträge zu schließen,*) enthält mithin einen Antrag noch nicht. Bertragsanträge sind ferner nicht diejenigen Vorschläge, die nicht in bindender Absicht, sondern nur zu dem Zwecke gemacht werden, damit der Gegner sie prüfe und seiner­ seits einen Vertragsantrag stelle. Diese von wirklichen Anträgen oft nicht leicht zu unterscheidenden Äußerungen nennt man Vorverhand­ lungen (Traktate). Unverbindlich ferner ist die Punktation, d. h. die von den Parteien bewirkte Auszeichnung der vereinbarten Bestimmungen eines noch unfertigen Vertrags?) Die Unfertigkeit und also llnverbindlichkeit der Punktation folgt entweder aus dem Willen des Gesetzes, wenn der Punktation die vom Gesetze verlangte gesteigerte Form (gerichtliche oder notarielle Abfassung) fehlt, oder entspricht dem Willen der Parteien, wenn sie das Niedergeschriebene als Vertrag noch nicht wollen gelten lassen, sei es, daß sie sich noch nicht über alle Vertragsbestimmungen, die auch nur ein Teil für wesentlich hält, geeinigt haben oder daß sie sich einer strengeren Form unter­ werfen wollen (gerichtlichem oder notariellem Abschlüsse). Auf dem­ selben Standpunfte steht § 154 BGB. Doch enthält § 155 eine Einschränkung. Er behandelt den Fall, daß die Parteien den Vertrag für geschlossen halten, obwohl in einem einzelnen Punkte eine Verständigung tatsächlich nicht erzielt oder die Vereinbarung über diesen Punkt aus irgendeinem Grunde nichtig ist. Obwohl in diesem Falle die Parteien gebunden zu sein glauben, sind sie es tatsächlich nicht, weil der Vertrag noch nicht fertig ist, das BGB erftärt sie aber für gebunden an das, was wirklich vereinbart ist, wenn nämlich anzunehmen ist, daß der Vertrag auch ohne eine Bestimmung über jenen noch offenstehenden Punkt würde geschlossen worden sein. Hin­ sichtlich dieses Punftes gilt dann der vermutliche Wille der Parteien oder das Gesetz. 4. Der Antragsempfänger ist nicht verpflichtet, auf den Bertragsantrag zu antworten?) Eine solche Pflicht besteht aber nach neuem Rechte: a) für den Rechtsanwalt, dessen Berufstätigkeit mit dem Bertragsantrag in Anspruch genommen wird (§ 30 RAO), wie über­ haupt für jeden, der zur Besorgung gewisser Geschäfte öffentlich bestellt ist oder sich öffentlich oder auch nur dem Auftraggeber gegenüber *) Mitteilungen von Preisverzeichnissen, Ausstellung von Waren selbst mit Preisangabe, öffentliche Ausbietung von Diensten (Droschkenkutscher, Dienstmänner). 2) Ausführlich Degenkolb im Archiv f. Zivilist. Praris Bb. 71

S. Iff. s) S. Meischeider, Die alten Streitftagen, in Setters und Fischers Beiträgen. 1889. S. 11 ff. Engelmann. Bürgerliche« Rech«. 6. Hust.

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erboten hat und einen Auftrag zur Vornahme von Geschäften dieser Art erhält (§ 663 BGB). Die Folge der Nichtablehnung ist eine Schadensersatzpflicht; b) für den Kaufmann, dessen Gewerbebetrieb die Besorgung von Geschäften für andere mit sich bringt oder der sich dem Auftrag­ geber gegenüber zur Besorgung bestimmter Geschäfte bereit erklärt hat, wenn er im letzteren Falle von diesem, im ersteren Falle von jemand, mit dem er in Geschäftsverbindung steht, einen Austrag zur Besorgung von Geschäften dieser Art erhält. Die Folge der Nicht­ ablehnung ist, daß das Schweigen als Annahme gilt (§ 362 HGB). 5. Wird der Vertrag unter Anwesenden geschlossen, so fällt der Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem der Annahmeerklärung zusammen. Was für die Verträge, die durch zeitlich auseinander­ liegende Erklärungen, d. h. unter Abwesenden zustande kommen, als Zeitpunkt des Vertragsschlusses angenommen wird, s. S. 94. Der Vertrag kommt also, wenn er unter Gegenwärtigen ge­ schlossen wird, mit der Annahmeerklärung, und wenn er unter Ab­ wesenden geschlossen wird, mit dem Eingänge der Annahmeerklärung zustande (§§ 130, 151). Eine Ausnahme machen a) der gerichtlich oder notariell beurkundete Vertrag unter Abwesenden: er kommt mit der Beurkundung der Annahme zustande (§ 152); b) alle Fälle, in welchen die Mitteilung der Annahmeerklärung der Verkehrssitte nicht entspricht (z. B. bei bestehender Geschäfts­ verbindung unter den Parteien) oder in denen der Antragende aus die Mitteilung verzichtet hat (§ 151): hier kommt der Vertrag mit der bloßen Äußerung des Annahmeentschlusses z. B. dem Ausschneiden des unbestellten Buches zustande. In diesen Ausnahmefällen erlischt der Antrag nicht in der kurzen gesetzlichen Frist, sondern nach Ablauf eines Zeitraums, der dem ausdrücklich erklärten oder ausden Umständen zu entnehmen­ den Willen des Antragenden entspricht (z. B. bei Sendungen zur Probe oder zur Ansicht). 6. Da nur die Übereinstimmung von Annahme und An­ trag den Vertrag zustande bringt, ist eine Erklärung, die dem An­ trage nicht völlig entspricht, keine Annahme. Wird der Annahmeerklärung eine Einschränkung z. B. hinsichtlich des verlangten Preises, des Lieferungsortes oder des Erfüllungstages, oder eine Bedingung beigefügt, so ist diese Erklärung ein neuer Bertragsantrag. Bon ihm gilt also alles, was oben von der Offerte gesagt worden ist (§ 150 Abs. 2).

Fünfter Abschnitt: Di« juristischen Tatsachen. § 36.

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7. Daß der Offerent zwischen dem Antrag und der Annahme oder auch nach der Annahme, der Antragsempfänger nach der An­ nahmeerklärung stirbt oder geschäftsunfähig wird, ist kein Hindernis für den Bertragsschluß, es sei denn, daß es den Kontrahenten auf die Person des Gegenkontrahenten ankam (§§ 130 Abs. 2, 153 BGB). § 36.

Versteigerung.

Kreation.

(Sefamtaht.

1. Der Streit, ob bei einer Versteigerung der Ausbietende eine Offerte macht und daher jedes Gebot den Vertrag unter der auf­ lösenden Bedingung, daß kein besseres Gebot erfolgen sollte, zustande bringt, oder ob der Ausbietende nur eine Aufforderung an die Bietungslustigen richtet, der Bertragsantrag daher erst mit der Abgabe eines Gebotes ausgesprochen wird, ist vom BGB (§ 156) im Sinne der zweiten Auffassung entschieden. Der Antragende ist daher zwar auch hier an den Antrag gebunden, aber nur bis zur Abgabe eines Übergebotes oder bis zu dem Zeitpunkt, in welchem die Versteigerung ohne Zuschlag geschlossen wird. Die Annahme des Antrags erfolgt durch den Zuschlag. Die Zwangsversteigerung ist kein Vertrag, sondern ein Staatsakt. 2. Ob die Verpflichtung aus einem Wertpapter durch einen ein­ seitigen Akt oder durch einen Vertrag entsteht, ist streitig. Der Aussteller eines Wertpapieres übernimmt in Schriftform eine bestimmte Verpflichtung. Die Verfügung über die dieser Pflicht entsprechende Forderung hängt von dem Besitze des Papiers ab, der Verpflichtete hat aber an den zu leisten, der sich äußerlich als der Berechtigte ausweist. Dadurch ist dem Papier, auf welchem die rechts­ begründende Erklärung niedergeschrieben ist, ein Wert beigelegt, der meist dem Werte der Forderung gleichkommt. Die meisten Wert­ papiere aber sind auf den Umlauf berechnet und daher mit einer Umlaufsfähigkeit ausgestattet, die dem Forderungsrecht an sich in diesem Grade nicht beiwohnt. Der Aussteller des Papiers ver­ pflichtet sich also durch die „Skriptur" nicht einer bestimmten Person, sondern einem jeden gegenüber, der sich auch nur äußerlich als be­ rechtigter Besitzer des Papiers darzustellen vermag. Die Kreationstheorie hält den einseitigen Akt der Aus­ stellung, d. h. der Niederschrift und Unterzeichnung, die Kreation, für ausreichend, die Verpflichtung des Ausstellers jedem Papier­ eigentümer gegenüber zu begründen, d. h. das Papier zum Wert­ papier zu machen. Die Bertragstheorie läßt eine Verpflichtung des Ausstellers erst mit der Begebung, d. h. mit der Übergabe des Papiers durch den Aussteller entstehen. Erst in dem Geben und 7*

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Nehmen des Papiers liege eine Willensäußerung, durch welche der Aussteller sein Versprechen „in die Außenwelt" entlasse. Die Vertragstheorie übersieht, daß schon in der Schaffung des Wertpapiers eine Willensbetätigung des Ausstellers enthalten ist, und greift gegenüber der Bestimmung des § 794: „der Aussteller wird aus einer Schuldverschreibung auf den Inhaber auch dann verpflichtet, wenn sie ihm gestohlen worden oder verloren gegangen, oder wenn sie sonst ohne seinen Willen in den Verkehr gelangt ist", zu der unjuristischen Erklärung, der Schöpfer eines Papiers handle bei der Herstellung eines Papiers auf seine Gefahr und hafte für den durch seine Handlungsweise verursachten Schaden. Gleichwohl kann die Kreationstheorie nur mit der Beschränkung anerkannt werden, daß zu der Schaffung des Papiers durch den Aussteller der Erwerb der Urkunde durch einen redlichen Erwerber hinzutreten muß, um für diesen ein Recht aus dem Papiere zu begründen. Insoweit ist sie vom BGB § 794 für Jnhaberpapiere anerkannt und muß sie auch für Orderpapiere gelten (RG 9, 56; 24, 87). Solange also der Aussteller im Besitze des Papieres bleibt, ist er dessen Eigentümer und hat keinen Gläubiger. So wenig für ihn ein rechtlicher Zwang bestand, das Papier zu schaffen, so wenig ist er verpflichtet, den von ihm erschaffenen Wertgegenstand zu ver­ werten, er kann also das Papier vernichten, bevor er es ausgibt. Die Ausgabe (Emission) hat deshalb nur die Bedeutung, daß er den Nehmer zum Eigentümer macht und also selbst das Verfügungs­ recht aufgibt. Aber auch wenn das Papier ohne oder gegen seinen Willen in den Verkehr kommt, ist sein Berfügungsrecht jedenfalls gegenüber dem redlichen Erwerber und also Eigentümer des Papiers aufgehoben, folglich seine Leistungspslicht begründet (§ 794 BGB). 3. Im Vertrage stehen die Kontrahenten einander gegenüber; selbst wenn sie (wie beim Gesellschaftsvertrage) wirtschaftlich das gleiche Ziel verfolgen, so ist doch rechtlich die Gebundenheit des einen der Inhalt des dem andern zustehenden Rechts. Verbinden sich aber mehrere Personen zur Erreichung eines Erfolges, an welchem sie alle das gleiche Interesse haben, so ist ein Gesamtakt vorhanden. Solche Gesamtakte werden insbesondere erfordert zur Schöpfung eines neuen Rechtssubjekts, eines Vereins, einer Gesamtheit, welcher gegenüber alle in gleicher Weise berechtigt und verpflichtet sind. Daher liegt auf dem Gebiete des Völkerrechtes ein Gesamtakt vor, wenn mehrere selbständige Staaten einen Bundesstaat ins Leben rufen, und auf dem Gebiete des Privatrechts, wenn durch Zusammen­ treten mehrerer Personen eine Körperschaft, z. B. eine Aktiengesell­ schaft gegründet wird. Die einzelnen Gründer verpflichten sich nicht gegenseitig, sondern zugunsten des künftigen Rechtssubjekts.

Fünft« Abschnitt: Di« juristischen Tatsachen. § 37. § 37.

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Die allgemeinen Voraussetzungen der Gültigkeit des Reebtegefcbäftee.

1. Ein Rechtsgeschäft kann mit der beabsichtigten rechtlichen Wirkung vorgenommen werden nur von einer geschäftsfähigen Person, und sowohl das alte wie das neue Recht unterscheiden Geschäfts­ unfähigkeit und beschränkte Geschäftsfähigkeit. Das von einem Geschäftsunfähigen vorgenommene Rechts­ geschäft ist nichtig. Der beschränkt Geschäftsfähige kann nur diejenigen Geschäfte vornehmen, zu denen er die Fähigkeit besitzt (vgl. oben §17). Juristische Personen haben Geschäftsfähigkeit nur aus dem Ge­ biete des Vermögensrechts. Sie können kein Testament errichten, doch können sie über das Schicksal ihres Vermögens für die Zeit nach der Auflösung gültig Bestimmung treffen. Etwas anderes als die Geschäftsfähigkeit ist die fälschlich zu­ weilen als Berfügungsfähigkeit bezeichnete Verfügungsbefugnis. Sie ist keine Eigenschaft, sondern das Recht der Person, über den Gegenstand des Rechtsgeschäfts Willenserklärungen mit verbind­ licher Kraft abzugeben. Obwohl das Verfügungsrecht regel­ mäßig nur eine in dem Rechte der Person enthaltene Befugnis bildet, kann sie von diesem Rechte losgelöst sein. Diese Loslösung geschieht entweder zugunsten einer bestimmten Person oder zugunsten der Allgemeinheit. Daher darf z. B. eine Ehefrau, obgleich sie Eigen­ tümerin der von ihr eingebrachten Sachen bleibt, nicht zum Nach­ teile des Mannes über diese Sachen verfügen (§ 1395). Beräußerungsverbote entziehen nur das Berfügungsrecht. 2. Zum Rechtsgeschäfte gehört stets eine Willenserklärung. Es war bisher gebräuchlich, die Erklärungen in ausdrückliche und stillschweigende einzuteilen *) und unter einer ausdrücklichen Willenserklärung diejenige zu verstehen, welche nur die Kundgebung des bestimmten Gedankens sein will, den sie zum Ausdrucke bringt. Sie kann durch Worte oder Zeichen (Kopfnicken, abwehrende Hand­ bewegung) geschehen. Eine stillschweigende Erklärung gibt der­ jenige ab, der eine auf einen bestimmten Zweck gerichtete Handlung vornimmt, durch diese aber zugleich das Vorhandensein eines ge­ wissen andern Willens betätigt. Da jene Handlung nur einen Schluß gestattet auf diesen Willen, so nennt man sie schlüssige (konklu­ dente) Handlung. Es kann also eine und dieselbe Handlung eine *) Über diesen Punkt herrscht in der Wissenschaft nichts weniger als Einigkeit. Neuerdings insbesondere Ehrlich: Die stillschweigende Willens­ erklärung. 1893. Jsay: Die Willenserklärung im Tatbestände des Rechts­ geschäfts. 1899. S. 27 ff. Jetzt Manigk in dem § 32 angeführten Werke.

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ausdrückliche Erklärung nach der einen Seite und eine stillschweigende Erklärung nach der andern Seite sein. Der Erbe, der einen drängen­ den Erbschaftsgläubiger befriedigt, gibt damit ausdrücklich nur seine Tilgungsabsicht kund, er betätigt aber zugleich (stillschweigend) den Willen, Erbe zu sein. Nach der § 33 mitgeteilten Lehre kann es auf diesen Unterschied nicht ankommen: das Erklärungsgeschäft verlangt Erklärung mit Kundgebungszweck, also stets ausdrückliche Erklärung. Das BGB verlangt an mehreren Stellen (§§ 244, 700 und namentlich 164) ausdrückliche Erklärung. Das bloße Schweigen ist keine Erklärung, auch dann nicht, wenn der andere Teil erklärt, er werde das Schweigen als Zu­ stimmung betrachten. Dagegen kann das sogenannte konkludente Schweigen eine Willenserklärung enthalten, wenn es nach den Umständen des Falles und nach der Berkehrssitte keine andere Auf­ fassung gestattet. Das HGB sieht in dem besondern Falle des § 362 das Schweigen auf einen Vertragsantrag als Vertragsannahme an, und nach § 516 BGB gilt eine Schenkung als angenommen, wenn sie nicht innerhalb der gestellten Frist abgelehnt wird; der Ehemann, der den Betrieb eines Erwerbsgeschäfts seiner Frau nicht untersagt, gibt seine Zustimmung (§ 1405). § 38. Dae Verhältniß von Mille und Erklärung, Über das Verhältnis von Wille und Erklärung gehen auch heute noch die Meinungen auseinander. Die eine Meinung verlangt Übereinstimmung von Wille und Erklärung, sie bezeichnet daher diejenigen Erklärungen, welche dem Willen des Erklärenden nicht entsprechen, als nichtig (Willenstheorie). Die andere Meinung legt das ausschließliche Gewicht aus die Er­ klärung und hält deshalb den Erklärenden an seiner Erklärung fest, auch wenn sie mit seinem Willen nicht übereinstimmt (ErklärungStheorie). Nach ihr soll der den wirklichen Willen nicht ausdrückenden Willenserklärung Wirkung in dem Falle beiwohnen, daß sie nach dem gemeinen oder dem Verständnisse dessen, an den die Erklärung gerichtet ist, als Ausdruck des wirklichen Willens erscheint. Die Auffassung, daß die Erklärung nur dann gelten solle, wenn der andere Teil auf sie vertraut, nannte man Bertrauenstheorie. Die Willenstheorie führt zum Schutze des Irrenden auf Kosten des Erklärungsempsängers, die Erklärungstheorie schützt den Erklärungs­ empfänger auf Kosten des Irrenden, der als wollend behandelt wird, obwohl er nicht gewollt hat. Da die Gestaltung der Rechtsverhältnisse Sache des Willens vernunftbegabter Wesen ist, muß es als ein Übel bezeichnet werden,

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wenn Rechtswirkungen eintreten, welche dem Willen des Erklärenden nicht entsprechen. Darum ist es nach § 133 BGB Aufgabe dessen, der eine Willenserklärung auSle-t. den wahren Willen des Er­ klärenden zu erforschen und nicht am Wortsinne zu haften. Dieser für alle Willenserklärungen geltende Grundsatz leidet bei Verträgen durch § 157 insofern eine scheinbare Einschränkung, als diese so aus­ zulegen sind, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrs­ sitte es erfordern; das heißt aber, daß der eine Bertragsteil nicht an dem Buchstaben seiner Erklärung festgehalten werden soll. Die Auslegung setzt voraus, daß der wahre Wille erklärt ist, aber einen mehrdeutigen Ausdruck gesunden hat, und sie hat aus der verkehrs­ üblichen Bedeutung der Worte, aus den Umständen und namentlich aus dem wirtschaftlichen Zwecke der Erklärung den Willen des Er­ klärenden festzustellen und dann den schlechten Ausdruck durch den diesem Willen entsprechenden guten Ausdruck zu ersetzen. Niemals hat es die Auslegung mit dem nicht erklärten, verborgen ge­ bliebenen, also von der Erklärung abweichenden Willen zu tun. Eine Abweichung von Wille und Erklärung kann be­ absichtigt oder nicht beabsichtigt sein. I. Die Nichtübereinstimmung von Wille und Erklärung ist

beabfichttgt: 1. wenn der Erklärende zur Belehrung oder int Scherz eine Erklärung abgibt, ohne das Erklärte zu wollend) Hier nahm die Willenstheorie stets, die Erklärungstheorie nur dann Nichtigkeit der Erklärung an, wenn der andere den Mangel der Ernstlichkeit erkennen konnte. Das BGB (§ 118) folgt insofern dem Willens­ dogma, als es die Erklärung als nichtig bezeichnet, wenn der Er­ klärende — auch nur in seinem Innern *) — die Erwartung hegte, daß der Mangel der Ernstlichkeit nicht werde verkannt werden, in­ sofern aber der Erklärungstheorie, als es im andern Falle den Er­ klärenden an seine Erklärung bindet; denn rechnet der Erklärende darauf, daß der andere die Erklärung ernst nehmen werde, so würde die Berufung auf den Mangel des Willens Arglist sein. Ist die Erklärung nichtig, so haftet der Erklärende einem jeden, der auf die Ernstlichkeit des Willens vertraute, auf das sog. negative Interesse, es sei denn, daß der Geschädigte den Mangel der Ernstlichkeit kannte oder kennen mußte (§ 122), denn schon in der Abgabe einer nicht ernstlichen und dem Mißverständnis ausgesetzten Erklärung liegt ein Verschulden. *) Interessantes Beispiel RG 8,249, «in Fall, der nach BGB ebenso entschieden werden muß.

2) So di« herrschende Meinung.

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2. Die Mentalreservation besteht darin, daß der Erklärende absichtlich eine seinem wahren Willen nicht entsprechende rechtsgeschäft­ liche Erklärung abgibt, um den Erklärungsernpfänger über seinen wahren Willen zu täuschen; er macht alsy insgeheim den Vorbehalt, das Erklärte nicht zu wollen. Sowohl nach bisherigem Recht als nach BGB (§ 116) ist die abgegebene Erklärung gültig, wenn die beabsichtigte Täuschung gelungen ist, dagegen nichtig, wenn der Er­ klärungsempfänger den Vorbehalt kennt und also nicht getäuscht wird. 3. Die Simulation besteht darin, daß absichtlich und im Ein­ verständnis mit den andern am Rechtsgeschäfte beteiligten Personen eine dem wahren Willen des Erklärenden nicht entsprechende Er­ klärung abgegeben wird. Die Simulation macht das Geschäft nichtig. Eine Täuschung ist zwar auch hier beabsichtigt, die Täuschung wird aber von allen am Geschäfte beteiligten gegen die nicht beteiligten Personen verübt. Daher liegt ein simuliertes Geschäft nicht vor, wenn auch nur einem einzigen Beteiligten, insbesondere einem zu einem selbständigen, zur Vollendung des Geschäfts gehörigen rechtsbegründenden Akte berufenen Beamten die Täuschungsabsicht fehlt. Daher ist der Eheabschluß kein simuliertes Geschäft, also gültig, wenn auch nur dem Standesbeamten die Täuschungsabsicht fehlt (vgl. §§ 1323—1328 BGB), wohl aber ein notarieller Kaufvertrag nichtig, wenngleich der Notar (der ja nur beurkundet) die Täuschungsabsicht nicht hat. Die Simulation kann darin bestehen, daß die Beteiligten ein Rechtsgeschäft überhaupt nicht oder darin, daß sie nur das erklärte Geschäft nicht, dagegen ein anderes, unter jenem verdecktes (dissimu­ liertes) Geschäft wollen. Der erste Fall ist z. B. gegeben, wenn jemand an seine Frau verkauft, beide aber darüber einig sind, daß eine Änderung in ihren Rechten nicht eintreten soll, der zweite Fall, wenn ein Schuldner an seinen Gläubiger verkauft, beide aber einig sind, daß nur verpfändet werden soll. Nach altem und neuem Recht ist das vorgegebene Geschäft immer nichtig, das verdeckte aber gültig, wenn die zu seiner Gültigkeit erforderten Voraussetzungen vorhanden sind (§ 117 BGB). Plus valere quod agitur quam quod simulate concipitur. Nicht Scheingeschäft ist das sog. fiduziarische Geschäft. Hier wird in ernster Absicht dem einen Teile (dem sog. Treuhänder) ein Recht eingeräumt, das über den wirtschaftlichen Zweck beider hinaus­ geht, aber mit der Bestimmung, daß er das Recht nicht in eigenem Interesse gebrauche. Hierhin gehören die häufigen Geschäfte, welche die beabsichtigte Sicherung des einen Teiles dadurch zu erreichen suchen, daß sie statt Pfandrechts Eigentum übertragen. Die fidu­ ziarischen Geschäfte sind als solche nicht nichtig, denn beide Parteien

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erklären, was sie ernstlich wollen. Dienen diese Geschäfte aber der Absicht einer Gesetzesumgehung, so sind sie aus diesem Grunde nichtig (§ 134 BGB), wenn das umgangene Geschäft vom Gesetze verboten war (RG 26, 181). Ein solches Handeln („rechtsgeschäft­ licher Schleichweg") ist nicht contra legem, sondern in fraudem legis gerichtet.*) II. Die Abweichung von Wille und Erklärung kann eine nicht beabsichtigte, eine Willenserklärung kann die Folge eines Irr­ tums sein, d. h. einer Vorstellung, welche infolge falschen Wissens oder Nichtwissens der Wirklichkeit nicht entspricht. Aber nicht der Irrtum ist es, welcher die Erklärung entkräftet, sondern die durch ihn verursachte Nichtübereinstimmung von Wille und Erklärung. Diese Nichtübereinstimmung ist gegeben: 1. wenn der Erklärende die irrige Vorstellung hat, daß die von ihm abgegebene Erklärung den auf eine bestimmte Geschäftsabsicht gerichteten Willensentschluß wiedergebe. In diesem Falle ist der Erklärende über den Inhalt seiner Erklärung im Irrtum. A. will den Rappen des B. kaufen (Entschluß) und erklärt, daß er das im Stalle stehende Pferd kaufe, da er nicht weiß, daß der Schimmel im Stalle steht und also seine Erklärung den Schimmel trifft, den er nicht will; 2. wenn die Erklärung zwar so beschlossen ist, wie sie dem Willen entspricht, aber ohne den Willen des Erklärenden einen Ausdruck findet, der von der beschlossenen Erklärung abweicht. In diesem Falle hat der Erklärende eine Erklärung dieses Inhalts nicht abgeben wollen. A. will 100 Pfund liefern und entschließt sich daher, in einem Briefe 100 Pfund zu schreiben, er verschreibt sich aber, indem er 1000 Pfund niederschreibt. Alles, was der Willensentschließung vorangeht, alle die bereits eingetretenen oder erhofften Ereignisse, die auf den werden­ den Willen Einfluß haben und die man richtig ryid zweckmäßig Beweggründe zu nennen pflegt, sind für das Recht gleichgültig. Da der Beweggrund nur die Anregung zur Bildung eines Willens­ entschlusses bietet, jeder einzelne Entschluß aber von mannigfaltigen und unklaren Beweggründen bestimmt worden sein kann, die Beweg­ gründe überdies für den andern Teil regelmäßig nicht erkennbar sind, so hat nach altem und neuem Rechte für den Rechtsverkehr grund­ sätzlich nur der fertige Entschluß, nicht auch sein Beweg­ grund, Bedeutung. Folglich muß auch der Irrtum im Be­ weggründe belanglos sein (RG 19, 126).*) Allerdings kann nach *) L 29. 30. D. de leg. 1, 3. S. besonders: Bähr: Urteile des Reichsgerichts 1883 S. 62 ff. Regelsberger: Pand. I § 141 B.

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altem und neuem Recht (§ 123) eine Willenserklärung angefochten werden, wenn der Erklärende durch arglistige Täuschung zur Abgabe der Erklärung, also auch wenn er durch die Täuschung zur Fassung eines gewissen Entschlusses und infolgedessen zur Abgabe einer Diesem Entschluß entsprechenden Erklärung bestimmt worden ist. Hier ist es aber nicht der Irrtum, sondern Der Betrug, der zur Ansechtung berechtigt. Die Folge ist, daß eine empsangsbedürstige Willens­ erklärung nicht angefochten werden kann, wenn nicht der Empfänger, sondern ein dritter die Täuschung verübt hatte und der Empfänger von der Täuschung nichts weiß. Denn dann ist für diesen die Willenserklärung nur eine auf Irrtum im Motiv beruhende. Anders behandelt das alte und das neue Recht die letztwillige Ver­ fügung, weil für sie nicht die Rücksicht aus die Sicherheit des Ver­ kehrs, sondern allein der Wille des Erblassers maßgebend ist. Eine solche ist anfechtbar, wenn der Erblasser „durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstande-? bestimmt worden ist" (si alias legaturus non fuisset), d. h. wenn die irrige Vorstellung, wenn auch nicht allein bestimmend, sondern in dem Grade mitbestimmend war, daß die Erklärung ohne sie nicht abgegeben worden sein würde (§ 2078 Abs. 2, RG 59, 39). Beachtet wird also nur der dem Willensentschlusse nachfol­ gende, die Erklärung beeinflussende Irrtum. Wird nun infolge Irrtums etwas anderes erklärt als gewollt ist, so tritt zwar die Folge ein, daß der Erklärende nicht das erreicht, was er will, aber ob die Erklärung nichtig oder anfechtbar ist, hängt davon ab, ob das Recht eine Berufung auf jenen Irrtum gestattet. Das Recht kann nicht jeden Irrtum unbeachtet lassen, denn der Rechtsverkehr bewegt sich nicht in wesenlosen Vorgängen, sondern in Willens­ erklärungen bewußt wollender Wesen; es kann aber nicht jedem, einen untergeordneten Punkt betreffenden Irrtum einen Einfluß auf die Gültigkeit der einmal abgegebenen Erklärung einräumen, Denn damit würde die Sicherheit des Verkehrs auf das äußerste gefährdet. Beachtet wird infolgedessen nur derjenige Irrtum, welcher bewirkt, daß das erklärte Geschäft ein wesent­ lich anderes wird als der Erklärende gewollt hat. Man hat von jeher nach einem Maßstabe für die Wesentlichkeit gesucht, und die herrschende gemeinrechtliche Lehre hat als einen unter allen Umständen wesentlichen Bestandteil bezeichnet die Natur des Geschäfts und den Gegenstand der Willenserklärung, dagegen es als Tatfrage x) Beispiel: Der A bietet und zahlt dem B 1000 Mark, um den B zum Rücktritt von einem ftaufoerftoge zu bewegen. A befand sich dabei in dem Irrtum, der Fiskus werde ihm für das an B verkaufte Grundstück einen höheren Kaufpreis zahlen, als B bezahlt hatte.

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hingestellt, ob die Person oder gar die Eigenschaften des andern Teiles wesentlich seien; die Eigenschaft einer Sache war nur dann wesentlich, wenn das Fehlen dieser Eigenschaft die Sache nach den Verkehrsanschauungen zu einem andern Verkehrsgegenstande machte. Weiter machte sich bei der Zulassung einer Berufung auf wesentlichen Irrtum der Gegensatz der Willenstheorie und der Erklärungstheorie geltend. Denn während jene den Irrtum be­ achtete, wenn die falsche Vorstellung für den Irrenden von Bedeutung ist, läßt ihn die letztere unbeachtet, wenn der andere Teil berechtigter­ weise zu der Meinung kommen konnte, daß die Erklärung dem Willen des Erklärenden entspreche. Eine der vermittelnden Ansichten unter­ scheidet zwischen Verkehrs- und Nichtverkehrsgeschäften und beachtet den wesentlichen Irrtum nur bei den letzteren. Das neue Recht gibt für Nichtverkehrsgeschäfte (Eheschließung, Annahme der Erbschaft) einige Sonderbestimmungen (§§ 1332, 1333, 1949); für alle andern Geschäfte gibt es eine allgemeine Vor­ schrift. Diese vermeidet es, bestimmte Bestandteile des beabsichtigten Geschäftsinhaltes für unbedingt wesentlich zu erklären, stellt (§ 119) vielmehr für die Wesentlichkeit des Irrtums a) bei allen Rechtsgeschäften (§§ 119, 2078) den subjektiven Maßstab auf, daß der Irrtum nur dann zu beachten sei, wenn der Erklärende bei Kenntnis der Sachlage anders gehandelt haben würde, und b) bei Rechtsgeschäften unter Lebenden daneben den objek­ tiven Maßstab, nach welchem der Irrtum nur dann Berücksichtigung findet, wenn der Erklärende bei verständiger Würdigung des Falles anders gehandelt haben würde. Bei letztwilligen Verfügungen wird also lediglich den persön­ lichen, wenngleich vielleicht wunderlichen Anschauungen des Erblassers, bei Rechtsgeschäften unter Lebenden aber auch allgemeinen Anschau­ ungen Rechnung getragen. Indem so das BGB die Bedeutung des Irrtums für den Irrenden berücksichtigt, folgt es der Willenstheorie, und soweit es den Erklärenden an die Erklärung dann bindet, wenn sein abweichender Wille nach der Annahme eines verständigen Men­ schen belanglos ist, folgt es der Erklärungstheorie. Es wird also auch bei einem Irrtum über die Art und den Gegenstand des Geschäfts jener Maßstab anzulegen sein. Was Inhalt der Willenserklärung ist, muß in jedem besondern Falle durch Auslegung ermittelt werden. Das BGB rechnet kraft ausdrücklicher Vorschrift (§ 119 Abs. 2) hierzu auch die Eigenschaften der Person oder der Sache dann, wenn sie im Verkehr als wesentlich

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angesehen werden, darin der herrschenden Lehre des gemeinen Rechts folgend. Wie oben hervorgehoben, verlangt, wie jede, so auch die Er­ klärungshandlung einen gerade auf sie gerichteten, von der Ge­ schäftsabsicht verschiedenen Entschluß. Es kann aber geschehen, daß eine Erklärung gewollt ist, die tatsächlich das wahre Wollen zum Ausdrucke bringen würde, daß aber die Erklärungs h a n d l u n g, die bloße Willensäußerung, fehlgeht. Dies geschieht, wenn der Erklärende sich verspricht, verschreibt, vergreift. Dann hat der Er­ klärende eine Erklärung dieses Inhalts nicht abgeben wollen und deshalb die Befugnis, die fehlgegangene Erklärung anzufechten. Gleichgestellt ist diesem Irrtum vom BGB der Fall, daß mit der Übermittlung einer Erklärung ein Bote oder eine Anstalt betraut, daß von dieser aber die Erklärung unrichtig übermittelt worden ist. Dieser sog. Übermittlungsirrtum mußte von der Willenstheorie anders behandelt werden als von der Erklärungstheorie (RG 28, 16). Das BGB hat in § 120 den Streit entschieden, indem es ein An­ fechtungsrecht gewährt und dies an dieselben Voraussetzungen knüpft, von denen die Anfechtung einer Willenserklärung wegen Irrtums abhängt (§ 119). Es kommt dabei weder darauf an, ob die Mittels­ person arglistig oder fahrlässig gehandelt, noch ob höhere Gewalt an der Unrichtigkeit die Schuld trägt; entscheidend allein ist die Un­ richtigkeit der an den Empfänger gelangten Mitteilung. Das auf wesentlichem Irrtum beruhende Geschäft war nach altem Recht ohne weiteres nichtig, nach neuem Recht ist es nur anfechtbar, d. h. der Irrende hat die Wahl, das Geschäft so wie es geschlossen bestehen zu lassen oder es unter Berufung auf den Irrtum zu entkräften. Macht er von dem Anfechtungsrechte Ge­ brauch, so ist das Geschäft von Ansang an und gegenüber allen nichtig. Die Anfechtung muß unverzüglich nach der Entdeckung des Irrtums, d. h. ohne schuldhaftes Zögern erfolgen, mit dem Ablaufe von 30 Jahren seit Abgabe der Willenserklärung aber erlischt das An­ fechtungsrecht ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt jener Entdeckung (§ 121). Anfechtungsberechtigt ist gegenüber Rechtsgeschäften unter Lebenden der Irrende, gegenüber letztwilligen Verfügungen der, dem die irrende Verfügung zum Nachteil gereicht. Die Anfechtung er­ folgt gegenüber dem andern Teile und kann außerhalb wie innerhalb eines Prozesses (auch durch Schriftsatz) geschehen. Weder nach gemeinem Rechte noch nach BGB kommt es auf Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit des Irrtums an. Der Irrende, der das Geschäft mit Erfolg angefochten, ist sogar ohne Rücksicht auf sein Verschulden zum Schadensersätze verpflichtet, und zwar bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen dem andern Teile,

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bei nicht empfangsbedürstigen jedem Geschädigten. Zu ersetzen ist, weil das Geschäft durch die Anfechtung nichtig wird, der andere Teil also keinen Anspruch auf Erfüllung hat, das sog. negative In­ teresse, d. h. das, was der andere oder der Dritte dadurch ver­ liert, daß er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut, nur nicht über das sog. Erfüllungsinteresse hinaus (§ 122). Die Schadens­ ersatzpflicht wird nur durch des Geschädigten Kenntnis oder seine schuldhafte Unkenntnis von dem Irrtum ausgeschlossen (§ 122 Abs. 2) und besteht überhaupt nicht bei letztwilligen Verfügungen (§ 2078 Abs. 3). Ist bei einem Vertrage die Willenserklärung auch nur eines Teils von Anfang an oder infolge Anfechtung nichtig, so ist der ganze Vertrag nichtig, weil es in diesem Fall an der überein­ stimmenden Willenserklärung fehlt, ebenso wenn der eine Teil den andern nicht versteht und daher irrtümlich annimmt, dasselbe zu meinen, was jener erklärt (z. B. A. erklärt nach seiner Sprech­ weise den Unterstock mieten zu wollen, während B. mit demselben Worte den Oberstock bezeichnet). In diesem Fall ist jeder Teil frei von einem Irrtum über den Inhalt seiner Erklärung. Daher finden die §§ 119, 121, 122 keine Anwendung (sog. Dissens). § 39. Die freibeit der Willen Verklärung. Das Recht schützt den Erklärenden gegen die auf seinen Willen von außen einwirkenden nachteiligen Einflüsse, welche die Freiheit der Willensentschließung beeinträchtigen. Hierher gehört insbesondere die arglistige Täuschung und die Drohung. 1. Wer in böslicher Absicht durch Angabe falscher oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen in einem andern einen Irrtum er­ regt oder seiner Verpflichtung zuwider ihn in einem Irrtum erhält, der begeht einen (zivilrechtlichen) Betrug und wird verantwortlich, wenn er sein Ziel erreicht. Der Begriff des Betruges im zivilrecht­ lichen und im strafrechtlichen Sinn (§ 263 StGB) ist daher nicht der gleiche: zum Tatbestände des ersteren, der arglistigen Täuschung, gehört weder die Absicht, einen Vorteil zu erlangen, noch die, einen andern zu schädigen; eine Täuschungsabsicht ist schon in dem Be­ wußtsein enthalten, daß die Täuschung eine Schädigung verursachen kann. ROHG 9, 153; RG 23, 137. Das durch arglistige Täuschung veranlaßte Rechtsgeschäft ist für den Betrogenen anfechtbar, 1. wenn er selbst durch den Betrug zum Abschlüsse des Geschäfts bestimmt worden ist, Willenserklärung und Täuschung also in ursächlichem Zusammenhange stehen und 2. wenn derjenige, der aus dem Geschäft ein Recht erlangt hat, die Täuschung selbst begangen hat oder die Täuschung kannte oder kennen mußte

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(§ 123). Grund des Anfechtungsrechts ist also nicht der Irrtum des Getäuschten, sondern das arglistige Verhalten des aus dem Geschäfte Berechtigten. Ist also ein Geschäft durch Täuschung herbeigeführt worden, aber ohne daß der aus ihm Berechtigte von dem Betrüge Kenntnis hat oder haben muß (z. B. der Makler hat ohne Wissen seines Auftraggebers den Kauflustigen über Eigenschaften der Sache betrogen), so kann die Anfechtung sich nur auf wesentlichen Irrtum stützen (§ 119). Ficht der Betrogene das Geschäft an, so kann er nur das negative Vertragsinteresse, bleibt er bei dem Geschäfte stehen, so kann er vollen Schadensersatz verlangen (§§ 249, 823, 826. RG 59, 155; 63, 110). 2. Der in körperlicher Überwältigung bestehende Zwang (vis absoluta) schließt den Willen des Überwältigten aus, die erzwungene Willenserklärung ist daher nichtig. Die bloße Androhung eines Übels, die Drohung (vis compulsiva), beeinträchtigt nur die Freiheit des Willens, indem sie einen Beweggrund schafft, der andernfalls für den Erklärenden nicht bestimmend gewesen wäre (etsi coactus tarnen voluit). Es bedarf daher des Anfechtungsrechts, um die erzwungene Erklärung zu beseitigen. Ein solches Anfechtungsrecht fehlte dem altrömischen Zivilrecht, das prätorische Recht aber half durch Gewährung der actio quod metus causa, durch exceptio, durch restitutio in integrum. Ihm folgte das gemeine Recht und diesem folgt das BGB (§ 123). Nach altem wie neuem Recht ist Grund des Anfechtungsrechts aber nicht das rechtswidrige Verhalten des einen, sondern die Willensunfreiheit des andern Teils. Daher richtet es sich nicht bloß gegen den Ur­ heber der Drohung, sondern gegen jeden, der aus dem erzwungenen Geschäft einen Vorteil hat: die a. quod metus causa ist also nach beiden Rechten eine a. in rem scripta. Willensunfrei war der Bedrohte nur, wenn er durch die Drohung bestimmt worden ist. Während aber das römische Recht bei Beurteilung der Frage, ob der Bedrohte bestimmt werden konnte, einen objektiven Maßstab anlegte und dabei nur dasjenige Übel be­ rücksichtigte, durch das ein constantissimus homo (1. 6 D. 4, 2) ein­ geschüchtert werden konnte, begnügt sich das BGB mit der Tat­ sache, daß der Erklärende sich hat bestimmen lassen, ohne Rücksicht auf die Möglichkeit, daß vielleicht ein anderer dieselbe Drohung un­ beachtet gelassen haben würde. Nur die widerrechtliche Bestimmung durch Drohung gibt ein Anfechtungsrecht. Widerrechtlich aber ist die Drohung sowohl dann, wenn der Drohende zur Vollziehung des angedrohten Übels nach Lage der Verhältnisse nicht befugt ist, d. h. wenn er ein unerlaubtes, regelmäßig auch, wenn er ein unsittliches Handeln androht, als

Fünft«! Abschnitt: Di« juristisch«« Tatsachen. § 40.

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auch bann, wenn er auf den durch die Drohung erzielten Erfolg kein Recht hat. Widerrechtlich ist alles, was auch nur objektiv gegen das Recht verstößt, daher greift das Anfechtungsrecht auch dann Platz, wenn ein Geschäftsunfähiger gedroht hat. 3. Das BGB knüpft bei Betrug und Drohung das Anfechtungs­ recht an eine doppelte Ausschlußfrist, nämlich a) von einem Jahre, welches mit der Beseitigung der Willens­ unfreiheit beginnt; b) von 30 Jahren, welche mit der Abgabe der Willens­ erklärung beginnen und ablaufen, auch wenn der Zustand der Un­ freiheit nicht beseitigt wird (vgl. § 124). Wird aus dem durch Täuschung oder Drohung herbeigeführten Rechtsgeschäft eine Forderung geltend gemacht, so kann sie auch nach dem Erlöschen des Anfechtungsrechts durch Einrede geschlagen werden (§ 853). § 40.

Die form der Rechtsgeschäfte.

Unter Form versteht man nicht nur das Mittel, das dem Ge­ danken überhaupt Ausdruck gibt, sondern insbesondere auch die Ein­ kleidung des Gedankens in eine bestimmte Gestalt der mündlichen oder schriftlichen Rede. Nur in diesem letzteren Sinne wird das Wort verwertet, wenn man von der Form der Rechtsgeschäfte spricht, denn nur bann unterliegt die Willensäußerung einer Form, wenn für sie ein bestimmtes Ausdrucksmittel vorgeschrieben ist. Diese Vorschrift kann auf Gesetz oder Rechtsgeschäft beruhen, man spricht deshalb von gesetzlicher und von gewillkürter Form. In den Ansängen der Rechtsentwicklung bewegt sich der ge­ schäftliche Verkehr in strengen, solennen, mit Symbolen verknüpften Formen. Alle nicht in die sakrale Form gekleideten Erklärungen sind für das Recht gleichgültige Vorgänge. Mit der Entwicklung des Verkehrs aber lockern sich die Formen, weil die vorhandenen ein­ fachen Geschäftstypen den neuen wirtschaftlichen Bedürfnissen nicht mehr genügen. Der Gang der Rechtsentwicklung im römischen und im deutschen Rechte war daher ein langsamer Übergang von äußerster Formenstrenge zu immer größerer Formfreiheit. Im altrömischen Rechte kam für mehrere Rechtsgeschäfte die Anwendung von Erz und Wage (per aes et libram) vor, so für die Eigentumsübertragung an sog. res mancipi die mancipatio und für das Darlehn das nexum, ferner die Anwendung solenner Worte bei der stipulatio, acceptilatio, heredis institutio, beim legatum, die An­ wendung der Schrift bei der literarum obligatio, endlich hier wie im deutschen Rechte die Anwendung eines Scheinprozesses zur Einkleidung rechtsgeschäftlicher Erklärungen (in jure cessio, Auflassung). Einen

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besonders reichen Formenschatz') besaß das deutsche Recht, die Rechts­ geschäfte vollzogen sich „mit Hand und Mund", d. h. mit der Vor­ nahme einer symbolischen Handlung und dem Gebrauch einer Wort­ formel ;*2) zahlreiche Geschäfte konnten nur in der Gerichtsversamm­ lung vorgenommen werden und verlangten eine feierliche Einführung des Erwerbers in das erworbene Recht (die investitura). Daneben entwickelte sich die Gepflogenheit, wichtigere Erklärungen in „Brief und Siegel" zu geben, und der Handelsverkehr schuf in der Schrift­ form ein für zahlreiche Geldgeschäfte unumgängliches Ausdrucksmittel. Bei der Aufnahme des römischen Rechts wurden dessen Formen, soweit sie im justinianischen Gesetzbuch überhaupt noch Anerkennung gefunden hatten, nicht überall mit übernommen, insbesondere wider­ sprach die Stipulationsform (Frage und Antwort) deutscher Gewohn­ heit. Vielmehr entwickelte sich für das gemeine Recht der Grundsatz der Formfreiheit. Daneben blieben als Ausnahmen eine Reihe von Formbestimmungen stehen (z. B. für große Schen­ kungen). Partikularrechtlich aber erhielt sich eine große Zahl deutsch­ rechtlicher Formen. Man hatte bei ihnen stets zu prüfen, ob die Form nur ein Beweismittel schaffen, ob sie die Klagbarkeit oder die Gültigkeit des Geschäfts begründen sollte. Das alte HGB schloß sich in Art. 317 dem gemeinrechtlichen Grundsätze der Formfreiheit an, und ihm ist das BGB ge­ folgt. Zum Ausdrucke gebracht ist dieser Grundsatz dadurch, daß nur für einzelne Geschäfte eine Form vorgeschrieben ist. Diese aber hat stets die Bedeutung eines die Gültigkeit begründenden Er­ fordernisses, m. a. W. die Nichtbeobachtung der vom Gesetze verlangten Form hat die Nichtigkeit des Geschäfts zur Folge (§ 125), so daß auch nicht auf Nachholung der Form geklagt werden kann. Welche Bedeutung der gewillkürten Form beizumessen, ist Sache der Auslegung, doch ist nach BGB (§ 125) im Zweifel anzunehmen, daß Nichtbeachtung der Form auch hier Nichtigkeit des Geschäfts nach sich ziehen soll. Diese Grundsätze gelten jetzt auch für das Handelsrecht. Das BGB und das HGB kennen folgende Formen: I. Schriftlichkeit. Diese Form besteht darin, daß die Erklärung niedergeschrieben und daß diese Schrift von dem Erklärenden ent­ weder mit der eigenhändigen Namensunterschrift (seines oder des Namens seines Vollmachtgebers RG 50, 51) oder mit einem gerichtlich oder notariell beglaubigtenHandzeichen unterzeichnet wird (§ 126). Doch braucht der Text weder von dem Aussteller *) Heusler: Institutionen des deutschen Privatrechts I §§ 17, 18. 2) Schröder: Deutsche Rechtsgeschichte § 11.

Füllst«! Abschnitt: Di« juristischen Tatsachrn. g 40.

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noch vor der Unterschrift geschrieben zu sein (RG 57, 67). Ein Vertrag muß von beiden Parteien unterzeichnet werden und zwar auf derselben Urkunde. Werden über den Vertrag aber mehrere gleich­ lautende Urkunden aufgenommen, so genügt es, wenn jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet. Da die gerichtliche und die notarielle Form eine Steigerung der Schriftform bilden, so wird die Schriftform durch diese gesteigerte Form ersetzt (§ 126). Schristsorm ist vorgeschrieben: 1. für das Stiftungsgeschäft unter Lebenden (81), 2. für die Mitteilung von der Schuldübernahme an den Gläubiger im Falle des § 416, 3. für das Leibrentenversprechen (§ 761), 4. für die Bürgschaftserklärung (§ 766), 5. für das selbständige Schuldversprechen (§§ 780, 782), 6. für das Schuldanerkenntnis (§§ 781, 782), 7. für die Anweisung, deren Annahme und Übertragung (§§ 783, 784, 792), 8. für das auf den Inhaber lautende Schuldversprechen (§ 793), 9. für den auf länger als ein Jahr geschlossenen Miet- oder Pacht­ vertrag (§§ 566, 581), 10. für die Abtretung der Briefhypothek (§§ 1154, 1192), 11. für das Testament wahlweise mit anderen Formen (§ 2231). Das neue HGB entbindet die unter 4, 5, 6 genannten Geschäfte von der Schriftform, wenn die Bürgschaft auf seiten des Bürgen, das Versprechen oder das Anerkenntnis auf seiten des Schuldners ein Handelsgeschäft und dort der Bürge, hier der Schuldner Bollkaufmann ist (§§ 350, 351). Hieraus folgt zugleich, daß alle andern Geschäfte, für welche das BGB eine Form verlangt, dieser Form auch dann unterliegen, wenn sie Handelsgeschäfte sind. Außerdem verlangt das HGB Schriftform 1. für die Erklärung, daß der Lehrling zu einem andern Gewerbe oder einem andern Beruf übergehen werde (§ 78), 2. für die Ausgabe von Aktien (§§ 179, 320, Unterschrift § 181), 3. für die Zeichnung von Aktien (§§ 189, 281, 320), 4. für die übrigen Skripturobligationen, die Anweisung, den Fracht­ brief, den Ladeschein, den Lagerschein, die Versicherungspolice, die Verbodmung. Daß die Schaffung eines Wertpapiers nur in Schriftform er­ folgen kann, versteht sich von selbst. Nur der schriftlich abgeschlossene Lehrvertrag begründet ein Recht, die Zurücksührung des entlaufenen Lehrlings zu verlangen (§ 130 GewO, ähnlich § 79 HGB). Engelmann. Bürgerliche- Recht. 6. Aufl.

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Auf die Vereinbarung über die Vertragsdauer beschränkt ist die Nichtigkeit beim formlosen Mietvertrag (§ 566). Heilbare Nichtigkeit im Falle des § 766. Für die gewillkürte Schriftsorm gilt dasselbe, was für die gesetz­ liche Schriftform bestimmt ist, mit zwei Abweichungen: a) daß für alle Erklärungen im Zweifel die telegraphische Über­ mittlung genügt, b) daß Verträge im Zweifel durch Briefwechsel geschlossen werden können. Doch kann in jedem Falle Nachholung der gesetzlichen (ordent­ lichen) Schriftform verlangt werden (§ 127 BGB). II. Die gerichtliche oder notarielle Beurkundung. Diese Form besteht (§§ 168—182 FGG) darin, daß der Richter oder der Notar (die Urkundsperson) die mündlich abgegebene Willensäußerung ent­ gegennimmt und in ein von ihm abgefaßtes Protokoll bringt; das Protokoll ist in deutscher Sprache abzufassen, es hat Ort und Tag der Verhandlung, die Beteiligten und die mitwirkenden Personen anzugeben, es ist den Beteiligten vorzulesen, von ihnen zu genehmigen und eigenhändig zu unterschreiben, ferner aber auch von allen mit­ wirkenden Personen zu unterzeichnen. Die Zuziehung eines Ge­ richtsschreibers oder zweier Zeugen (bei gerichtlicher Beurkun­ dung), oder eines zweiten Notars oder zweier Zeugen (bei notarieller Beurkundung) ist grundsätzlich nicht notwendig, vielmehr nur für die gerichtliche oder notarielle Beurkundung von Testamenten und Erbverträgen vorgeschrieben (§§ 2233, 2276 BGB).*) Ist ein einseitiges Rechtsgeschäft zu beurkunden, so ist die Er­ klärung mit der Fertigstellung des Protokolls vollendet, bei Auf­ nahme von Verträgen genügt es, daß zunächst der Antrag und sodann die Annahme des Vertragsantrags beurkundet wird (§ 128). Jene Form ist vorgeschrieben insbesondere für das Schenkungsver­ sprechen (§ 518) und zwar ohne Rücksicht auf das Maß der Schenkung, für das Testament (§§ 2231, 2238), und ferner in den Fällen der §§ 1491, 1516, 1517, 1730, 1748, 2291, 2296, 311, 312, 313, 873, 877, 1501, 2033, 2348, 2352, 2371. Ausnahmsweise wird verlangt, daß beide Kontrahenten gleichzeitig anwesend seien. Diese letztere Form ist insbesondere vorgeschrieben für die Auslassung (§ 925), welche vor dem zuständigen Grundbuchamt erfolgt,*2) für die Bestellung des Erbbaurechts (Grundbuchamt, § 1015), für den Ehe­ vertrag (Gericht oder Notar § 1434), den Adoptionsvertrag (Gericht oder Notar § 1750), den Erbvertrag (Gericht oder Notar § 2276), 2) Über erschwerte Förmlichkeiten §§ 169, 178, 179 FGG. 2) Vgl. aber den Vorbehalt für die Landesgesetze in Art. 143 EG z. BGB.

Fünfter Abschnitt: Die juristischen Tatsachen. § 40.

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und den Vertrag, durch den eine vertragsmäßige letztwillige Ver­ fügung aufgehoben wird (§ 2290), sowie für die Errichtung der Aktiengesellschaft (§ 182 HGB). Eine nur für die Eheschließung zugelassene Form ist die Erklärung vor dem Standesbeamten und die daran geknüpfte Erklärung des Standesbeamten. III. Die öffentliche Beglaubigung einer Erklärung besteht darin, daß die Willenserklärung schriftlich abgefaßt und die Unterschrift des Erklärenden vor der Urkundsperson vollzogen oder anerkannt und darauf von der Urkundsperson unter die Unterschrift oder das Handzeichen ein Vermerk gesetzt wird, inhalts welcher die Unterschrift oder das Handzeichen als von dem Erklärenden herrührend beglaubigt wird (§ 183 FGG). Hier wird also die Erklärung nicht vor der Urkundsperson ab­ gegeben, sondern sie wird ihr fertig vorgelegt. Diese Form wird aber durch die notarielle oder gerichtliche Beurkundung ersetzt. Sie ist vorgeschrieben für die Fälle der §§ 371, 403, 411, 1035, 1155, 1342, 1372, 1491, 1528, 1577, 1597, 1662, 1706, 1945. Eine von der neuesten Reichsgesetzgebung Herübergenommelle Einrichtung des deutschen Rechts sind die öffentlichen Bücher. Sie sind bestimmt, gewisse für Dritte besonders wichtige Vorgänge in sich aufzunehmen; sie genießen öffentlichen Glauben, d. h. die in ihnen enthaltenen Eintragungen gelten als wahr und als vollständig, sie sind ferner einem jeden oder doch dem, der ein Interesse an der Ein­ sichtnahme glaubhaft macht, zugänglich. Die in ihnen vorgenommenen Eintragungen haben entweder a) eine bloß beurkundende Wirkung, indem sie einen recht­ lich wichtigen Vorgang zur Kenntnis dessen bringen, der das Buch eingesehen hat, und gelten deshalb regelmäßig als demjenigen be­ kannt, der das Buch hätte einsehen sollen; oder b) rechtsbegründende Wirkung, indem sie einen Rechts­ vorgang vollenden und mit einer Rechtsfolge versehen, die er an sich nicht hat. Hierhin gehören die meisten Eintragungen im Grundbuch und z. B. die Eintragung einer Aktiengesellschaft, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, eines einzutragenden Vereins. Der Gegensatz wird an den betreffenden Stellen hervorgehoben werden. Das einer Form unterworfene Rechtsgeschäft ist nicht ohne weiteres ein sog. Formalgeschäft. Von einem solchen spricht man nur dann, wenn die Willenserklärung zugleich eine sog. ab­ strakte ist, d. h. von ihrem Rechtsgrunde nicht abhängt, das Gesetz sie aber nur deshalb zuläßt, weil sie einer festbestimmten Form entspricht. Hierher gehörten im römischen Recht das nexum, die stipulatio, 8*

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der Literalkontrakt, heute namentlich der Wechsel, das auf den In­ haber lautende Schuldversprechen, die Auflassung, die Bestellung einer Grundschuld. Bei ihnen ersetzt die Form den Rechtsgrund, während bei anderen Geschäften die Form zum Rechtsgrunde hinzutritt. § 41. Die Bestandteile der Rechtsgeschäfte. Man unterscheidet: 1. die wesentlichen Bestandteile eines Rechtsgeschäfts, die essentialia, d. h. die Erfordernisse, ohne welche das erklärte Rechts­ geschäft nicht als solches bestehen kann, als welches es die Parteien bezeichnen. Hierhin gehört z. B. beim Darlehn die Pflicht zur Rück­ gabe, beim Kauf eine Vereinbarung über Gegenstand und Preis; 2. die außerwesentlichen Bestandteile, die accidentalia, d. h. die Festsetzungen, durch welche die gesetzlichen Folgen des Ge­ schäfts in Nebenpunkten ausgeschlossen oder geändert werden. Diese gesetzlichen, also natürlichen Folgen bezeichnet man mit dem Ausdruck naturalia negotii. So übernimmt der Verkäufer ohne weiteres die Haftung für Fehler und Mängel der Kaussache; das ist naturale negotii, daher die Abrede, daß der Verkäufer nicht haften solle, ein accidentale, eine Nebenabrede. Wesentliche Bestandteile sind aber nicht allein diejenigen, welche das Gesetz, sondern auch die, welche auch nur eine Partei für wesent­ lich ansieht, d. h. von deren Festsetzung die Partei ihre Willens­ erklärung abhängig macht. Es kann z. B. geschehen, daß der Ver­ käufer sich nur unter der Bedingung zum Vertragsschlusse versteht, daß ein bestimmter Ort als Erfüllungsort festgesetzt werde. Ist eine Einigung noch nicht über alle (nach Gesetzesvorschrift oder Partei­ willen) wesentlichen Erfordernisse erzielt, oder ist die Abrede über ein solches Erfordernis nichtig, so ist der Vertrag nicht geschlossen. Daher ist ein Rechtsgeschäft, das die Parteien als Kauf bezeichnen, bei dem aber ein Preis nur zum Scheine verabredet ist, kein Kaufvertrag (§ 154 BGB). Wird die für das Rechtsgeschäft vorgeschriebene Form zwar beobachtet, aber eine wesentliche Bestimmung nicht in dieser Form getroffen, so ist das ganze Rechtsgeschäft formlos, also (BGB § 125) nichtig. Wird eine Nebenbestimmung in formloser Weise getroffen, so ist nur diese ungültig. Es gilt also in diesem Nebenpunkte das, was das Gesetz bestimmt. Ist z. B. schriftliche Form vorgeschrieben, von den Parteien aber nur mündlich eine bestimmte Erfüllungszeit vereinbart, so kann der Gläubiger sofortige Leistung verlangen, weil das Gesetz (§ 271 BGB) ihn hierzu berechtigt. Besonders wichtige Bestandteile der Rechtsgeschäfte bilden die Bedingungen und die Zeitbestimmungen.

Fünfter Abschnitt: Die juristischen Tatsachen, g 42. § 42.

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Das bedingte Rechtsgeschäft«

I. Begriff. Bedingung ist nach altem und neuem Recht (§§ 158 ff. BGB) ein ungewisser Umstand, von dessen Eintritt oder Nichteintritt durch den Parteiwillen die Wirkung eines Rechtsgeschäfts abhängig gemacht ist. 1. Der Umstand muß ein ungewisser sein. Daraus folgt, daß nach altem und neuem Rechte keine Bedingungen sind a) die sog. unmögliche Bedingung, d. h. ein Ereignis, dessen Nichteintritt beim Geschäftsschluß objektiv gewiß ist. Ob den Be­ teiligten die Unmöglichkeit bewußt ist oder nicht, macht keinen Unter­ schied. Nachträglich eintretende Unmöglichkeit bedeutet den Ausfall der Bedingung; b) die sog. notwendige Bedingung, d. h. ein Ereignis, dessen Eintritt beim Geschäftsabschluß sicher ist. Hierher gehört auch ein unmöglicher Umstand, dessen Nichteintritt zur Bedingung gemacht ist; c) die auf vergangene oder gegenwärtige Tatsachen gestellte Bedingung (conditio in praeteritum — in praesens collata). Daß für die Beteiligten eine Ungewißheit vorhanden ist, macht das Er­ eignis nicht zu einem objektiv ungewissen, das Rechtsgeschäft also nicht zu einem bedingten. Doch ist der Rücktritt möglich, wenn die vorausgesetzte Tatsache nicht eingetreten ist, z. B. wenn ein Hund unter der „Bedingung" gekauft ist, daß er auf der vorigen Preis­ suche den ersten Preis erhalten hat (§ 459 BGB). In diesen Fällen ist das Rechtsgeschäft nur scheinbar ein be­ dingtes, unterliegt aber nicht den besonderen Bestimmungen über bedingte Geschäfte. Im Falle der Unmöglichkeit der Bedingung ist das Rechtsgeschäft nichtig, weil etwas Unmögliches gewollt ist. Das römische Recht behandelte bei letztwilligen Verfügungen die unmög­ liche Bedingung als nicht geschrieben, aber das BGB kennt diese Ausnahme nicht. Als unsittliche Bedingung bezeichnet man diejenige, durch welche eine Rechtswirkung von der Vornahme einer gegen das Gesetz oder gegen die guten Sitten verstoßenden Handlung abhängig ge­ macht wird. Das römische Recht behandelte diese Bedingung ebenso wie die unmöglichen, weshalb man sie als juristisch oder moralisch unmöglich bezeichnete. Das BGB spricht nur von gesetzlich ver­ botenen und gegen die guten Sitten verstoßenden Rechtsgeschäf­ ten. Da diese nichtig sind (§§ 134, 138), sind auch die von un­ sittlichen Bedingungen abhängigen Rechtsgeschäfte nichtig. 2. Die Parteiwillenserklärung ist es, die eine Bedingung setzt. Daher sind Ereignisse, welche die selbstverständliche Voraus­ setzung einer bestimmten Rechtswirkung sind, keine wahren Bedin-

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gütigen. Man pflegt sie conditiones juris (Rechtsbedingungen, stillschweigende B.) zu nennen, weil sie ihren Grund in Rechtsvor­ schriften haben. So ist z. B. das Mitgistversprechen vom Eheabschluß abhängig. Nicht notwendig ist ausdrückliche Erklärung der Bedingung, es gibt auch stillschweigend erklärte Bedingungen. II. Das Schweben der Bedingung, d. h. der Zustand der Un­ gewißheit. Soll nach dem Willen der Parteien die beabsichtigte Wirkung des Rechtsgeschäfts erst mit der Erfüllung der Bedingung eintreten, so heißt die Bedingung eine aufschiebende (suspensive). Soll die beabsichtigte und sofort eintretende Wirkung des Geschäfts mit der Erfüllung der Bedingung aushören, so heißt die Bedingung eine auslösende (resolutive). Im zweiten Fall ist das Geschäft selbst unbedingt geschlossen und nur seine Wiederaufhebung aufschiebend bedingt (§ 158). Während des Schwedens ist der aufschiebend-bedingt Berechtigte noch nicht berechtigt, der bedingt Verpflichtete noch nicht verpflichtet. Aber es besteht für den bedingt Berechtigten eine Anwartschaft auf Erwerb des Rechts (eine sog. spes), die auf seinen Rechtsnach­ folger dann übergeht, wenn das bedingt zugesagte Recht selbst auf den Nachfolger übergehen würde (vgl. jedoch § 2074), und die gewisse Rechtswirkungen äußert gegenüber Gefährdungen des Rechtszustandes, der mit Eintritt der Bedingung entstehen soll. Die Gefährdung kann geschehen: a) dadurch, daß der Eintritt der Bedingung von dem bedingt Verpflichteten wider Treu und Glauben verhindert, von dem bedingt Berechtigten wider Treu und Glauben herbeigeführt wird; altes wie neues Recht (§ 162 BGB) sichern gegen diesen Nachteil nicht bloß durch Gewährung eines Schadensersatzanspruchs, sondern dadurch, daß in jenem Falle der Eintritt, in diesem der Nicht­ ein tritt fingiert wird. Dolus pro impleta conditione; b) dadurch, daß das bedingt eingeräumte Recht schuldhast ver­ eitelt oder beeinträchtigt wird; in diesem Falle gewähren altes wie neues Recht (§ 160) dem Berechtigten einen Schadensersatz­ anspruch, vorausgesetzt, daß beim Eintritt der Bedingung das Recht entstanden sein würde; c) dadurch, daß über den Gegenstand, über den eine bedingte Verfügung getroffen ist, eine weitere Verfügung getroffen wird, die den bedingt Berechtigten schädigt. Denn wer bedingt verkauft, aber nicht übergeben hat, ist in der Lage, die Sache an einen anbeut zu veräußern oder zu verpfänden; wer unter einer auflösenden Be­ dingung erworben, kann einem Dritten Rechte an der Sache ein­ räumen. Das alte und das neue Recht (§ 161) erklären die zweite

Fünfter Abschnitt: Die juristischen Tatsachen. 8 42.

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Verfügung für soweit unwirksam, als sie das Recht des bedingt Berechtigten beeinträchtigt (resoluto jure dantis resolvitur jus concesaum). Das neue Recht schützt aber den aus der zweiten Verfügung Berechtigten, wenn er in gutem Glauben war; d) dadurch, daß die Lage des bedingt Verpflichteten sich ver­ schlechtert, kann Anlaß zu Arrest oder einstweiliger Verfügung ge­ geben sein (§§ 917, 935, 940 ZPO). Daß kein Zwang zur Erfüllung der Bedingung besteht, folgt aus ihrem Wesen (1. 41 pr. D. 18, 1). III. Tritt die Bedingung ein. so wird die vorherige Ungewißheit beseitigt. Eine sog. negative Bedingung, d. i. diejenige, welche das Nichteintreten eines Ereignisses setzt, wird erst existent, wenn das Nicht-mehr-Eintreten gewiß ist. Die affirmative Bedingung schlägt fehl (defiziert), wenn Gewißheit besteht, daß das Ereignis nicht mehr eintreten kann. Mit dem Eintritt der Bedingung entstehen die be­ absichtigten Rechtsfolgen: der suspensiv-bedingt Berechtigte erwirbt das Recht, der bedingt Verpflichtete wird verpflichtet. Die gemeinrechtlid-e Streitfrage, ob die Wirkung der einge­ tretenen Suspensivbedingung aus den Zeitpunkt des Geschäftsab­ schlusses zurückbezogen werde, ist vom BGB durch eine dispositive Bestimmung gegen die rückwirkende Kraft entschieden worden (§§ 158, 159). Auch der Eintritt der Resolutivbedingung wirkt nach BGB wie nach gemeinem Recht, „ex nunc“. Nach der herrschenden Auffassung des gemeinen Rechts und nach neuem Recht (§ 158*) hat der Eintritt der Resolutivbedingung nicht obligatorische, sondern dingliche Wirkung, d. h. es ent­ steht nicht eine persönliche Verpflichtung, den früheren Zustand wiederherzustellen, sondern dieser Zustand tritt von selbst wieder ein, ohne daß es also bei zurückfallendem Eigentum einer Übergabe oder Auflassung bedürfte (Fall des § 894). IV. Zum Gegenstand einer Bedingung können sowohl zufällige Ereignisse als Handlungen der Beteiligten gemacht werden. Die ersteren heißen zufällige (kasuelle), letztere Potestativbedingungen, wenn sie vom Willen des Berechtigten abhängen. Zur Bedingung kann aber auch ein Ereignis gemacht werden, das in der Macht des bedingt Verpflichteten steht, z. B. es kauft jemand Möbel unter der Bedingung, daß er im Mai seine Villa beziehen sollte. In diesem Falle kann der Verpflichtete zwar den Eintritt der Bedingung ver­ eiteln, gleichwohl macht eine solche Bedingung das Rechtsgeschäft nicht ungültig. Um den bedingt Verpflichteten an der Vereitelung zu hindern, kann eine Vertragsstrafe vereinbart werden. Ist aber der Eintritt der Verpflichtung von dem bloßen Willen des Be­ rechtigten oder Verpflichteten abhängig gemacht (si velis), so fehlt

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es an einem bindenden Willensentschluß, ein Rechtsgeschäft ist also nicht zustande gekommen (Ausnahme: der Kauf auf Probe)?) V. Nach altem und neuem Recht bildet die Zulässigkeit einer Bedingung die Regel. Eine Ausnahme machen im römischen Rechte die Akzeptilation, die Adoption, der Antritt und die Ausschlagung der Erbschaft, nach neuem Rechte die Ausrechnungserklärung (§ 388), die Auslassung (§ 925), die Eheschließung (§ 1317), die Anerkennung der Ehelichkeit des Kindes (§ 1598), die Annahme an Kindes Statt (§ 1742) und deren Wiederaufhebung (§ 1768), die Ehelichkeitserklä­ rung (§ 1724), die Annahme und die Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses (§§ 1947, 2180), die Annahme des Testa­ mentsvollstreckeramtes. Wirtschaftliche oder sittliche Gründe sind es, welche Bestimmtheit der Erklärung verlangen und daher einen Zustand der Ungewißheit verbieten?) Die Festsetzung einer Bedingung ist daher überall aus­ geschlossen, wo sie sich, wie bei der Kündigung, mit jener Rücksicht nicht verträgt. Wird einem „bedingungsseindlichen" Geschäft eine (wahre) Bedingung beigefügt, so ist es unwirksam. VI. Die herrschende Meinung (und RG 68, 307) nimmt an, daß derjenige, der aus dem unbedingten (unbefristeten) Rechtsgeschäft einen Anspruch herleitet, die Beweislast für die Unbedingtheil (Mangel der Befristung) hat, und daß die Behauptung der Bedingtheit (Be­ fristung) motiviertes Leugnen, daher im Wege des Gegenbeweises darzutun ist. § 43.

Das befristete Rechtsgeschäft.

Wird der Eintritt einer Rechtswirkung oder deren Aushören an einen Zeitpunkt (dies) geknüpft, so hat diese Bestimmung die Natur einer Bedingung dann, wenn es ungewiß ist, ob der Zeitpunkt eintreten wird, sog. dies incertus an; denn hier hängt die Wirkung des Geschäfts von einem künftigen ungewissen Ereignis ab. Ist der Zeitpunkt dagegen ein solcher, der gewiß eintritt (dies certus an), so liegt eine Befristung auch dann vor, wenn der Zeitpunkt sich nicht berechnen läßt (incertus quando), z. B. der Tod eines Men­ schen. Es ist jedoch zu unterscheiden: a) Die Parteien wollen die Rechtswirkung des Geschäfts sofort eintreten lassen und nur die Geltendmachung dieser Wirkung hinausschieben, das Rechtsgeschäft ist ein betagtes (§ 813 Abs. 2); 0 Windscheid I § 93. Regelsberger I S. 566. 1. 17, 1. 27. § 1, 1. 99 § 1, 1. 115 § 1 V. 0. 45,1. Motive z. BGB I S. 266. 2) Bruck: Bedtngungsfeindliche Rechtsgeschäfte. 1904.

Zweit« Abschnitt: Die juristischen Tatsachen. 88 43, 44.

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in diesem Fall ist Recht oder Verpflichtung mit dem Geschäftsschluß entstanden, aber der Berechtigte darf nicht die Leistung verlangen; b) die Parteien wollen auch die Rechtswirkung des Ge­ schäfts hinausschieben oder einschränken, das Rechtsgeschäft ist ein befristetes. Das BGB (§ 163) unterwirft zwar die betagten Geschäfte den Grundsätzen von bedingten, aber es ist damit nur der Satz zur An­ wendung gebracht, daß ein solches Geschäft auch schon vor Eintritt des Termins Wirkungen hat und nur die vollen Wirkungen erst mit dem Termin eintreten. Zweifellos ist das betagte Recht schon vor dem Anfangstermine vorhanden (§§ 271 Abs. 2, 813 Abs. 2). Geschäfte, die keine Bedingung vertragen, können auch nicht be­ tagt oder befristet werden.

§ 44. ttKlleneerhlärungen durch Stellvertreter. I. Begriff. Die Stellvertretung besteht in der Vornahme einer Rechtshandlung an Stelle und im Namen eines andern, also mit der vom Handelnden beabsichtigten Folge, daß die Wirkung der Rechtshandlung in der Person jenes andern entstehe. Verschieden vom Stellvertreter ist namentlich 1. der Bote. Während der Vertreter den zum Geschäftsabschluß erforderlichen Willen selbst bildet, dient der Bote nur der Über­ mittlung des von einem andern gefaßten und erklärten Entschlusses. Es ist daher irreführend, ihn „Vertreter" in der Abgabe der Willens­ erklärung zu nennen. Es ist nur Transport- oder Erklärungswerkzeug. Nicht der Vertreter, wohl aber der Bote kann geschäfts­ unfähig sein (§ 165). Da nur die dem andern Teile zugegangene Erklärung rechtliche Bedeutung hat (§ 130), steht eine unrichtig über­ mittelte Erklärung einer solchen gleich, welche der Erklärende so nicht abgeben wollte (§ 120). 2. Derselbe Unterschied waltet zwischen dem Stellvertreter und dem Mäkler ob, da auch der letztere nicht das Geschäft durch eigene Willensbildung schließt, sondern als Bote beider Kontrahenten deren Willenserklärungen überbringt und den Geschäftsabschluß för­ dert. Die Parteien können aber den Mäkler zum Vertreter machen. 3. Der Ersatzmann oder „mittelbare Vertreter" schließt das Geschäft zwar in fremdem Interesse, aber in eigenem Namen, also als sein Geschäft ab, so daß es ihn berechtigt oder verpflichtet und ein besonderer Rechtsakt nötig ist, um die Rechtsfolge des Geschäfts auf den an seinem Abschluß Interessierten zu übertragen. Ein solcher mittelbarer Vertreter ist z. B. der Kommissionär. In Wahrheit aber ist die mittelbare Vertretung keine Stellvertretung.

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II. Geschichte. Das römische Recht kannte eine wahre Stellver­ tretung nur für den Besitzerwerb und den durch Besitzerwerb ver­ mittelten Eigentumserwerb, für das Darlehn, für das zur Sicherheit dieses bestellte Pfandrecht und für den Erbschaftserwerb. Im übrigen kannte es nur- den Geschäftsschluß durch Ersatzmänner. Das prä­ torische Recht schuf durch die Zulassung der actiones exercitoria und institoria, sowie der actiones adjectitiae qualitatis eine M i t Haftung des Geschästsherrn.**) Völlig umbildend auf das römische Recht wirkte alsdann ein im Mittelalter beginnendes, vom kanonischen Recht ge­ fördertes 2) gemeines deutsches Gewohnheitsrecht, das für alle Ge­ schäfte, für welche eine Stellvertretung nicht ausgeschlossen ist, die eigentliche unmittelbar wirkende Stellvertretung zuließ (Prinzip der unmittelbaren Stellvertretung). Dieses gemeine deutsche Recht ist in die modernen Gesetzbücher, namentlich auch in das alte HGB (Artt. 52, 298) und in das BGB (§ 164) übergegangen. Danach ist eine Stellvertretung dann vor­ handen, wenn der Handelnde zur Abgabe einer Erklärung namens einer andern Person befugt ist und die Erklärung tatsächlich im Namen jenes andern abgibt. Das Geschäft ist aber dann namens des andern geschlossen, wenn dies der Vertreter ausdrücklich kund­ gibt oder wenn die Umstände ergeben, daß es im Namen des Ge­ schäftsherrn geschlossen sein soll. Es kommt also im letzteren Falle nicht auf das Wissen des Erklärungsempsängers von der Stell­ vertretereigenschaft des Erklärenden, sondern darauf an, ob Umstände vorliegen, die objektiv geeignet sind, dem Empfänger diese Kenntnis zu verschaffend) Fehlt es an einer Kundgebung des Vertretungs­ willens und ergeben auch die Umstände nicht den Vertretungswillen, so ist der Handelnde Selbstkontrahent und kann sich nicht darauf berufen, daß er nicht für sich habe handeln wollen (§ 164 Abs. 2). Da Kontrahieren in eigenem Namen und Kontrahieren in fremdem Namen verschiedene Dinge sind, so ist die Behauptung, der Gegner habe nicht in eignem, sondern in fremdem Namen gehandelt, moti­ viertes Leugnen (RG 2, 194; 3, 122). III. Umstritten blieb das Wesen der Stellvertretung. Denn der von Savigny aufgestellten (sog. Geschästsherrn-Theorie), nach *) Hierüber wird im Obligationen- und im Familienrecht gesprochen werden.

*) Potest piiis per alium, quod potest facere per se ipsum; qui facit per alium, est perin de ac si faciat per se ipsum (c. 68. c. 72 in VIo. de reg. jur. 5, 12). 3) Z. B. der dem Verkäufer bekannte Gutsoerwalter A. kaust eine größere Anzahl Ackerpferde. Hier ergeben die Umstände, daß der Rcmf namens des Gutseigentümers geschlossen ist.

Fünfter Abschnitt : Die juristischen Tatsachen, g 44.

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welcher der Wille des Vertretenen das Geschäft zustande bringt und der Vertreter nur wie ein Bote als Werkzeug fremden Willens tätig ist, stellte sich die Repräsentationstheorie entgegen, nach welcher der Geschäftsschluß eine Handlung des Vertreters ist, die Wirkung dieser Handlung aber den Vertretenen ergreift. Mittelmeinungen erblicken in der Stellvertretung ein Zusammenwirken beider. Das BGB folgt der Repräsentationstheorie. Da nämlich der Vertreter den zum Geschäftsschluß erforderlichen Willen selbst bildet, so werden die Erfordernisse gültiger Willens­ bildung und Erklärung nur nach der Person des Vertreters beurteilt, insbesondere wird das Zustandekommen des Geschäfts nur durch Willensfehler des Vertreters beeinflußt. Dasselbe gilt von dem Einflüsse, den die Kenntnis oder das Kennenmüssen von gewissen Umständen nach sich zieht. Das BGB (§ 166 Abs. 2) stellt nur die Ausnahme auf, daß, wenn der Vollmachtgeber dem Bevollmächtigten eine bestimmte Weisung erteilt, gewisse Umstände aber selbst gekannt hat, er sich nicht darauf berufen darf, daß sein Vertreter diese Um­ stände nicht gekannt habe. Denn hier war die Willensbildung nicht ausschließlich Sache des Vertreters, sondern auch die des Vertretenen. Da aber die Wirkung des Geschäfts in der Person des Vertretenen eintritt, so wird das Geschäft in allen seinen Rechtsfolgen nach der Person des Vertretenen beurteilt (z. B. ob ein Handelsgeschäft vorliegt). Eine Folge ist, daß der Vertreter nicht geschäftsunfähig sein darf, denn sonst würde er einen gültigen Entschluß nicht fassen können, daß er aber beschränkt geschäftsfähig sein kann, denn die von ihm begründeten Verpflichtungen sind nicht seine Verpflichtungen (8 165). Die unmittelbare Beziehung der Rechtsfolgen des Geschäfts auf den Vertretenen bewirkt, daß der Vertreter ein Geschäft für sich und zugleich im Namen eines andern, ja daß er als Vertreter verschiedener Personen zwischen diesen einen Vertrag schließen kann (RG 4, 302; 6, 11; 7, 119). Das BGB nimmt grundsätzlich denselben Stand­ punkt ein. Denn es läßt ein solches Kontrahieren des Vertreters sowohl int Falle besonderer Gestattung als auch dann zu, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht (§ 181). Daher kann insbesondere der Vor­ mund und der Konkursverwalter gültig Zahlung leisten und erheben, indem er einen Geldbetrag aus der einen in die andere Kasse legt, ein Rechtsvorgang, den schon das römische Recht in Abweichung von seiner grundsätzlichen Ausfassung zuließ (1. 9 §§ 5, 7 D. de adm. et peric. 26, 7). Natürlich aber reicht zum Selbstkontrahieren der bloße Willensentschluß des Vertreters nicht aus, es bedarf auch hier

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der Betätigung des Entschlusses. In allen andern Fällen ist das Selbstkontrahieren des Vertreters nach dem BGB unzulässig (§ 181). IV. Voraussetzung der Wirksamkeit des vom Vertreter vorge­ nommenen Geschäfts ist Vertretungsmacht des Stellvertreters. Ohne sie ist das vom Vertreter vorgenommene Geschäft für den Vertretenen unverbindlich. Ties gilt nach altem und neuem Recht unbeschränkt nur für die rein einseitigen Geschäfte; Verträge und solche empfangsbedürstige Willenserklärungen (z. B. Kündigungen), welche der andere Teil nicht zurückweist, werden für diesen bindend durch die Genehmigung des Geschäftsherrn; bis diese erfolgt, kann der andere Teil eine einseitige Erklärung des Dollmachtlosen durch Be­ anstandung noch zu Falle bringen, einen Vertrag noch widerrufen (§§ 180, 178). Weiß der andere um den Mangel der Vollmacht, so sind Beanstandung und Widerruf ausgeschlossen. Das Geschäft wird nach altem und neuem Recht (§§ 177, 184) des Vertretenen Geschäft erst dadurch, daß er es genehmigt (ratihabiert). Die Ge­ nehmigung ersetzt die Vollmacht: sie stellt die Verbindung zwischen dem Geschäftsbesorger und dem Geschästsherrn her. Dadurch aber, daß der Geschästsherr nicht mitkontrahiert, unterscheidet er sich von dem, der sich dem Gegenkontrahenten gegenüber zu einem nicht gültigen Vertrage bekennt. Daher genügt es, daß die Genehmigung dem Geschäftsbesorger gegenüber erklärt wird (§ 182).1) Aus der Rechtsnatur der Genehmigung folgt zugleich, daß sie auf den Zeit­ punkt der Vornahme des Geschäfts zurückwirkt (§ 184 BGB). Der. unbefugte Vertreter haftete nach der herrschenden Auf­ fassung des bisherigen Rechts nur auf Schadensersatz, und zwar aus das negative Interesse, denn da er nicht den Willen hatte, für sich ein Geschäft zu schließen, so konnte ein ihn bindendes Geschäft nicht zustande kommen. Von diesem Grundsätze wich schon Art. 55 des alten HGB sowie Art. 95 WO ab, und das BGB geht noch weiter. Die Tatsache nämlich, daß mit dem Willen des Vertreters ein Geschäftsschluß erfolgt, der kein Geschäft des Vertretenen bewirkt, begründet die Haftung des Vertreters nicht bloß dann, wenn es ihm an der Vertretungsmacht fehlte, sondern auch dann, wenn er seine Vertrctungsmacht nicht nachweist. Die Haftung selbst ist nicht auf einen möglicherweise wertlosen Schadensersatzanspruch beschränkt, sondern besteht nach Wahl des andern Teils entweder in Schadens­ ersatz wegen Nichterfüllung oder in Erfüllung des geschlossenen Geschäfts. Wird Schadensersatz gewählt, so haftet der Vertreter auf das Erfüllungsinteresse, wenn er den Mangel der Vertretungsmacht *) Scuffert, Lehre von der Ratihabition 1868. 15, 260.

S. 3 ff. ROHE

Fünfter Abschnitt: Die juristischen Tatsachen. 8 44.

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kannte, auf das negative Interesse, wenn er selbst den Mangel der Vertretungsmacht nicht kannte, und ist von der Haftung befreit, wenn der Gegner den Mangel der Vertretungsmacht kannte (§ 179). Die Vertretungsmacht beruht entweder auf Gesetz oder Privatwillenserklärung (Vollmacht). Auf Gesetz beruht sie, wenn sie vom Gesetz angeordnet und begrenzt ist. Ins Leben tritt sie aber auch hier nur mit dem Ein­ tritt einer Tatsache, welche die gesetzliche Bertretungsbefugnis zur unmittelbaren Folge hat oder welche den öffentlichen Akt der Be­ stellung eines Vertreters gebietet. Zu den gesetzlichen Vertretern der ersteren Gruppe gehören der Vater, der Ehemann, die Mitglieder der offenen Handelsgesellschaft, zu den letzteren der Vormund, der Güterpfleger, der Liquidator. Die Vollmacht ist nicht identisch mit dem Aufträge. Letzterer begründet, wenn angenommen, eine vertragsmäßige Verpflichtung des Beauftragten gegenüber dem Auftraggeber, ein Ge­ schäft vorzunehmen, erstere gibt dem Bevollmächtigten das Recht, für den Vollmachtgeber zu handeln. Daher ist der Auftrag nur an den Beauftragten, die Vollmacht an den Dritten gerichtet, mit dem der Bevollmächtigte in Verkehr treten soll (§§ 662 ff., 167). Eine Vollmacht kann ohne Auftrag, ein Auftrag ohne Vollmacht bestehn. Wer innerhalb der Vollmacht, aber gegen den Auftrag handelt, verpflichtet den Machtgeber, macht sich ihm aber wegen Ver­ letzung des Auftrags schadensersatzpflichtig. Die Bollmachtserklärung erfolgt nach dem BGB (§ 167) ent­ weder durch Erklärung gegenüber dem Dritten oder gegenüber dem Mandatar, aber in diesem Falle mit der Absicht der Mitteilung an den Dritten. Ersetzt wird diese Vollmacht — die keiner Form be­ darf — durch jede gegenüber dem Dritten erfolgte oder durch eine öffentliche Kundgebung (§ 171) oder durch Übergabe einer Bollmachtsurkunde an den Mandatar und Vorlegung der Urkunde an den Dritten (§ 172). Die Vollmacht erlischt mit dem Rechtsverhältnisse, das ihr zu­ grunde liegt, sie ist regelmäßig nicht ein abstraktes Geschäft (§ 168). Sie ist indes Sache des persönlichen Vertrauens und kann darum auch erlöschen, wenn jenes Rechtsverhältnis fortdauert. Daher besteht das zwischen dem Kaufmann und seinem Handlungsgehilfen be­ gründete Dienstvertragsverhältnis fort, wenn der Kaufmann die dem Gehilfen erteilte Handelsvollmacht widerruft. Nach bisherigem Recht erlosch die auf einem Aufträge beruhende Vollmacht mit dem Tode des Auftraggebers. Bon diesem Grundsätze bestanden schon nach dem bisherigen Reichsrecht Ausnahmen für die Handlungsvollmacht (Artt. 297, 52) und die Prozeßvollmacht (§ 82 ZPO a. F.). Nach

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BGB (§ 672) erlischt im Zweifel weder das Auftragsverhältnis noch die Vollmacht durch den Tod des Auftraggebers (§ 672). Dagegen erlischt die Vollmacht durch den Tod des Bevollmächtigten sowie durch Widerruf seitens des Vollmachtgebers und durch Kündigung, falls sich ihre Unwiderruflichkeit nicht aus dem zugrunde liegenden Rechts­ verhältnis ergibt (vgl. §§ 27, 715). V. Nur Privatgeschäfte können Gegenstand der Vollmacht sein. Alle diejenigen Personen also, welche dem Staate zustehende Hoheits­ rechte ausüben, können nicht Bevollmächtigte im Sinne des Zivil­ rechts sein. Die Berufung des Staatsbeamten zu seinem Amt ist ein Akt der Ausübung der Ämterhoheit, nicht ein privatrechtlicher Ver­ trag. Wenn auch der Beamte im Privatinteresse einzelner Personen und daher auf deren Antrag oder Auftrag tätig wird, so übt er doch in seiner Tätigkeit öffentlich-rechtliche, allein dem Staate zu­ stehende Rechte aus (Auftrag an den Gerichtsvollzieher zur Vornahme der Zwangsvollstreckung, Anträge auf Zwangsversteigerung von Immobilien, Antrag auf Enteignung im Interesse des Bergbau­ treibenden). Die Gemeindebeamten sind, soweit sie private Interessen der Gemeinwesen wahrnehmen, Bevollmächtigte, und ihre Berufung geschieht durch Vertrag; soweit sie öffentlich-rechtliche Funktionen versehen, sind sie mittelbare Staatsbeamte. Insbesondere handeln auch die Gerichtsvollzieher als Beamte, denn ihre Berufstätigkeit besteht in der Ausführung von Akten, die nach dem Gesetze nur dann wirksam sind, wenn sie der Gerichtsvollzieher vornimmt. Soweit der Gerichtsvollzieher aber in Ausübung seines Amtes privatrechtlich wirksame Handlungen vornimmt (Besitz ergreift, Pfandrecht erwirbt, Zahlung erhebt), handelt er innerhalb einer ihm vom Gesetz erteilten Vollmacht, und ist er also Stellvertreter seines Auftraggebers.*) VI. Das HGB kennt eine unabänderliche und eine abänderliche

Handlungsvollmacht. 1. Eine unabänderliche Vollmacht hat der Prokurist (§§ 48—53 HGB). Man bezeichnet so denjenigen, der von dem Inhaber des Handelsgeschäfts (dein Prinzipal) oder seinem gesetz­ lichen Vertreter ermächtigt ist, in dessen Namen und für dessen Rechnung das Handelsgeschäft zu betreiben und per procura die Firma zu zeichnen. Obwohl hiernach die Vollmacht gerichtet ist auf den Betrieb des Handelsgeschäfts (d. i. dieses Prinzipals), er­ mächtigt sie zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, welche der Betrieb eines (d. i. irgendeines) Handelsgewerbes mit sich bringt. Sie ersetzt jede be*) Dgl. die zum Teil abweichenden Entscheidungen RG 10, 233; 9, 361; 11, 289, insbesondere aber die Entsch. der verein. Zivilsenate 16, 396 und Hahn bei Gruchot Bd. 31, 330ff. Dgl. auch RG 39, 160.

Fünfter Abschnitt: Die juristischen Tatsachen. § 44.

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sondere Vollmacht, und eine Beschränkung ihres Umfangs hat Dritten gegenüber keine rechtliche Wirkung, selbst wenn der Dritte die Beschränkung kennt. Überschreitet der Prokurist aber seinen Auftrag, so ist er aus diesem dem Prinzipal haftbar (RG 30, 21). Die Zeichnung der Firma geschieht in der Weise, daß der Prokurist der Firma einen die Prokura andeutenden Zusatz und seinen Namen beifügt. Die Prokura kann einer oder mehreren Per­ sonen gemeinschaftlich erteilt werden; im letzteren Falle (der Gesamt­ prokura) können die mehreren Prokuristen mit verbindlicher Kraft nur gemeinschaftlich handeln, während jeder der besonders bestellten Prokuristen infolge der Unbeschränkbarkeit der Prokura selbständig zur unbegrenzten Vertretung des Prinzipals befugt ist. Nicht ohne weiteres befugt ist der Prokurist zur Veräuße­ rung und Belastung von Grundstücken. 2. Eine beschränkbare Vollmacht ist a) die des Handlungsbevollmächtigten (§§ 54 ff. HGB) und b) die des zu einzelnen Handelsgeschäften Bevollmächtigten. Gemeinsam ist beiden eine Vollmacht zu Handelsgeschäften, deren Umfang der Machtgeber begrenzen (b. h. beschränken) kann. Der Unterschied liegt aber darin, daß der Umfang jener durch Gesetz, der Umfang dieser allein von dem Willen des Vollmachtgebers bestimmt wird. Jene ermächtigt zu allen Geschäften und Rechts­ handlungen, die der Betrieb eines derartigen Handelsgewerbes oder die Vornahme derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt; nur die Veräußerung und Belastung von Grundstücken, die Eingehung von Wechselverbindlichkeiten, die Aufnahme von Darlehen und die Prozeßführung sind ausgeschlossen. Der Prinzipal kann die Vollmacht aber einschränken, doch wirken Beschränkungen gegen den Dritten nur dann, wenn er sie kennt oder kennen muß (§ 54). Handlungsbevollmächtigter ist auch aa) der Handlungs­ reisende, wenn er zur Vornahme von Geschäften an Orten ver­ wendet wird, an denen sich eine Niederlassung des Geschäftsinhabers nicht befindet. Er ist befugt, den Kaufpreis aus den von ihm ab­ geschlossenen Verkäufen einzuziehen und dafür Zahlungsfristen zu gewähren, sowie Mängelrügen und Erklärungen, daß eine Ware zur Verfügung stehe, entgegenzunehmen (§ 55); bb) der in einem offenen Warenlager oder in einem Laden Angestellte, denn er ist zu Verkäufen und Empfang­ nahmen ermächtigt, die in einem derartigen Warenlager oder Laden gewöhnlich geschehen (§ 56). Die Vollmacht zu einzelnen Handelsgeschäften unterliegt aus­ schließlich, jede andere Handelsvollmacht dem BGB insoweit, als Bestimmungen des HGB nicht entgegenstehen.

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Prokura und Handlungsvollmacht sind nicht übertragbar (§§ 52, 58 HGB). Die Prokura erlischt nicht durch den Tod des Prinzipals, weil der Geschäftsbetrieb von der Person des Geschäftsinhabers regel­ mäßig unabhängig ist; ob der Tod des Prinzipals die einfache Hand­ lungsvollmacht beendet, bestimmt sich nach allgemeinen Grundsätzen. § 45.

Dae unwirksame Rechtsgeschäft.

Ter Grund der nicht seltenen Erscheinung, daß ein Rechtsgeschäft die von den Parteien beabsichtigte Rechtswirkung nicht erreicht, liegt entweder darin, daß nicht alle Tatumstände eingetreten sind, die nach dem Willen der Parteien eintreten sollten (unvollständige Ge­ schäfte), oder darin, daß dem fertigen Tatbestand ein Mangel anhaftet (mangelhafte Geschäfte). Zu den ersteren gehört das Geschäft, das vom Eintritt einer Bedingung oder der Willenskundgebung eines Dritten abhängig gemacht ist, zu den letzteren das gegen eine Form, ein Verbot verstoßende oder auf einem Willensfehler beruhende. Die mangelhaften Geschäfte sind nach dem in das BGB übergegangenen Sprachgebrauche nichtig oder anfechtbar. Nichtig ist ein Geschäft, dessen beabsichtigte Wirkung nicht eintritt, anfechtbar ein Geschäft, dessen Rechtswirksamkeit aufge­ hoben werden kann. Die Nichtigkeit ist also beim Vorhandensein des Mangels von selbst gegeben, die Anfechtung dagegen ist ein Willens­ akt. Die Folge ist, daß die Wirkungen des anfechtbaren Geschäfts bis zur Anfechtung bestehen, und daß das Geschäft unanfechtbar wird, wenn das Anfechtungsrecht verloren geht. Das Anfechtungsrecht steht nur einem am Rechtsgeschäft Beteiligten, ausnahmsweise einem Dritten, durch das Geschäft Benachteiligten zu. Die Richtigkeit wird nicht herbeigeführt, sie kann nur festgestellt werden (insbesondere auch im Wege der Feststellungsklage nach § 256 ZPO); sie geltend zu machen, ist ein jeder befugt, dessen Interessen durch das Geschäft berührt werden (RG 24, 177), die Geltendmachung der Nichtigkeit ist daher nicht Gegenstand eines besonderen Rechts, und der Richter hat die ihm erkennbar gewordene Nichtigkeit von Amts wegen zu beachten. Die Anfechtung hatte nach altem Recht in vielen Fällen nur mittelbare Wirkung, d. h. sie begründete die Pflicht zur Wiederher­ stellung des früheren Zustands, nach dem BGB (§ 142) aber hat sie immer unmittelbare Wirkung, d. h. sie bewirkt, daß das Geschäft als von Anfang an nichtig behandelt wird (also eine bedingte, d. h. von der Anfechtungserklärung abhängige Nichtigkeit). Es ist also der frühere Rechtszustand bestehen geblieben. Die An­ fechtung selbst erfolgt nicht wie regelmäßig nach bisherigem Rechte

Fünfter Abschnitt: Die juristischen Tatsachen. § 45.

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durch die Mittel des Prozeßrechts, die Aushebung geschieht also nicht durch Urteil, sondern durch bloße Erklärung des Anfechtungsberech­ tigten gegenüber dem Gegner (§§ 143, 2081). Natürlich kann die Erklärung durch Erhebung der Klage oder einer Einrede abgegeben werden, aber aufhebende Wirkung hat auch in diesem Falle nicht das Urteil, sondern die Erklärung. Nichtigkeit eines Teils des Rechtsgeschäfts hat nach altem und neuem Rechte die Nichtigkeit des ganzen Geschäfts zur Folge, es sei denn, daß es auch ohne den nichtigen Teil würde vorgenommen worden sein (§§ 139, 2085). Entspricht ein Geschäft nicht den Er­ fordernissen des beabsichtigten, wohl aber denen eines andern Ge­ schäfts, so kann es als Geschäft der letzteren Art (im Wege der Umwandlung, Konversion) aufrecht erhalten werden, wenn an­ zunehmen ist, daß die Parteien bei Kenntnis der Nichtigkeit das Geschäft als ein solches anderer Art gewollt haben würden (z. B. einen eigenen Wechsel, dem das Wort „Wechsel" fehlt, als 93er* pflichtungsschein im Sinne des § 363 HGB). Das BGB spricht an mehreren Stellen von unwirksamen Geschäften und umfaßt damit entweder alle mangelhaften Geschäfte (88 344, 2085) oder stellt sie zu den nichtigen Geschäften in einen Gegensatz. Wo das letztere geschieht, nennt es unwirksam diejenigen Geschäfte, welche so wie sie vorliegen, keine oder nur beschränkte Wirkung haben, die aber wirksam werden können, wenn ein Tat­ umstand, den das Gesetz oder der Wille der Parteien zur Wirksamkeit verlangt, hinzutritt. Ein solcher Tatumstand ist insbesondere die Einwilligung eines Dritten oder die Genehmigung einer Behörde. Darum ist nicht nur das aufschiebend-bedingte, also unvollständige Geschäft, sondern auch das ohne Vollmacht oder von einem beschränkt Geschäftsfähigen vorgenommene und das von der vormundschafts­ gerichtlichen Genehmigung abhängige Geschäft während des vor dem Eintritt dieser Tatsachen bestehenden Schwebezustandes unwirksam, nach der Entscheidung entweder vollwirksam oder wirkungslos. Ein nichtiges Geschäft dagegen kann nicht wirksam werden, denn bestätigen es die Parteien nach Hebung des Mangels, so schließen sie ein neues Geschäft (8 141). Ein Rechtsgeschäft kann eine beschränkte Wirksamkeit haben, insbesondere bestimmten Personen gegenüber unwirksam sein (8 135). Hierher gehören namentlich die vom Gemeinschuldner nach der Kon­ kurseröffnung geschlossenen, die Konkursmasse betreffenden Geschäfte. Diese sind (8 7 KO) nur den Konkursgläubigern gegenüber un­ wirksam. Während das anfechtbare Geschäft durch die Anfechtung mit absoluter Wirkung außer Kraft tritt, ist und bleibt ein solches relativ-unwirksames Geschäft für die Kontrahenten bindend, für Engelmann. Bürgerliche« Recht. 6. Aufl.

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die geschützten Personen (z. B. die Konkursgläubiger) ist es, auch ohne Anfechtung, nicht vorhanden, aber es kann auch gegen sie wirken, wenn sie auch nur stillschweigend ihre Zustimmung dazu geben. § 46.

B. Die unerlaubte Handlung»

Im Gegensatze zu den Rechtsgeschäften sind unerlaubte Hand­ lungen diejenigen, deren Rechtsfolge gegen den Willen des Handeln­ den eintritt. Eine Anzahl dieser Handlungen sind vom Gesetze mit Strafe bedroht, weil sie das allgemeine Wohl schädigen. Dadurch, daß das Gesetz sie bestraft wissen will, nimmt es das durch sie ge­ fährdete Gut unter seinen Schutz, macht es zum Rechtsgut. Aber nicht alle unerlaubten Handlungen sind strafbar; unerlaubt oder rechtswidrig sind vielmehr alle diejenigen Handlungen, welche das Recht eines andern verletzen, ihn also schädigen. Mit diesen hat es das Privatrecht zu tun. Daß sie daneben auch strafbar sein können, ändert nichts an ihrer zivilrechtlichen Folge. Die Rechtswidrigkeit aus dem Gebiete des Privatrechts kann in einem Tun oder in einem Unterlassen bestehen. Soll ein Unter­ lassen eine Rechtswidrigkeit enthalten, so muß es in der Verletzung einer Rechtspflicht bestehen. Daher ist die Nichterfüllung einer Ver­ bindlichkeit überhaupt oder zur festgesetzten Zeit eine Rechtswidrigkeit. Die an die Rechtswidrigkeit geknüpften Folgen treten regelmäßig nur ein, wenn die Rechtsverletzung verschuldet ist. Tie Schuld ist entweder Vorsatz, d. h. das bewußte Wollen der Rechtswidrigkeit, oder Fahrlässigkeit (Versehen), d. h. der Mangel der erforderlichen Sorgfalt. Der Vorsatz (dolus) zieht die Rechtsfolge, die an die Pflicht­ verletzung geknüpft ist, immer nach sich, und eine Vereinbarung, durch die jemand von vornherein sich gegen die ihm aus vorsätzlichem Handeln drohenden Nachteile zu sichern sucht, ist nichtig (§ 276). Die Fahrlässigkeit aber kann eine verschieden starke sein, und nicht immer macht schon der geringste Grad des Versehens verant­ wortlich. Um den Grad des Versehens festzustellen, legt man einen verschiedenen Maßstab an, und zwar a) einen abstrakten, von den Eigenschaften eines vorge­ stellten Menschen entnommenen; dieser Maßstab hat zur Aus­ stellung von zwei Graden der Schuld geführt, nämlich aa) des groben Versehens (culpa lata), welches in der Verletzung desjenigen Maßes von Sorgfalt besteht, das jeder ge­ wöhnliche Mensch anwendet,

Fünfter Abschnitt: Die juristischen Tatsachen. g§ 46-48.

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bb) des geringen Versehens (culpa levis), welches in der Verletzung der Sorgfalt eines umsichtigen Menschen (eines diligens pater familias) besteht. b) Ein konkreter Maßstab wird angelegt, wenn man die Sorgfalt desjenigen bestimmten Menschen zugrunde legt, dessen Handlungen beurteilt werden sollen (culpa in concreto — Ver­ letzung der diligentia, quam suis rebus adhibere solet). Dieser Maßstab wird nur da angelegt, wo es sich um Akte des Vertrauens handelt. Hier verlangt, da ein jeder mit seinem Vertrauen vor­ sichtig umgehen mag, das Gesetz nur, daß in fremden Angelegen­ heiten diejenige Sorgfalt angewendet werde, die man auf seine eigenen Angelegenheiten zu verwenden pflegt. Darüber, welches Maß von Sorgfalt anzuwenden ist, gibt es sowohl im alten wie im neuen Rechte nur eine allgemeine Regel, d. i. die, daß, wenn überhaupt, stets grobe Fahrlässigkeit zu ver­ treten ist. Culpa in concreto vertritt nach römischem Rechte der Gesellschafter, der Miteigentümer bei Verwaltung der gemeinschaft­ lichen Sache, und der Ehemann bei Verwaltung der Dos und der Paraphernalgüter. Das BGB läßt für diese Art der Sorgfalt ein­ stehen den Verwahrer, wenn er die Verwahrung unentgeltlich überitontmen hat (§ 690), den Gesellschafter (§ 708), die Ehegatten (§ 1359) und die Eltern bei Ausübung der elterlichen Gewalt dem Kinde gegenüber (§§ 1664, 1686). Die Einzelheiten gehören in das Obligationenrecht und in die Erörterung der einzelnen Rechtsverhältnisse.

II. Andere rechtserhebliche Ereignisse. § 47.

Allgemeines.

Über den Einfluß derjenigen Tatsachen, welche außer den Willenserklärungen und den unerlaubten Handlungen privatrecht­ liche Folgen haben, lassen sich allgemeine Grundsätze nicht aufstellen. Von besonderer Wichtigkeit sind die Verfügungen der Staatsgewalt, da sie wie die Enteignung, die Bermögensentziehung Rechte geben und Rechte nehmen. Einer besonderen Behandlung bedarf 1. der Zeitablaus, und 2. die Verjährung. § 48.

Der Zeitablaus.

Der Zeitablauf ist insofern von Einfluß auf Entstehung und Endigung der Rechte, als

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

1. der Zeitablauf an sich die Möglichkeit ausschließen kann, eine Rechtshandlung vorzunehmen, 2. der Zeitablauf in Verbindung mit der Ausübung eines Rechts einen Rechtserwerb und in Verbindung mit der Nicht­ ausübung des Rechts einen Rechtsverlust herbeiführen kann. Im ersteren Falle kann die Zeit in Betracht kommen als Zeit­ punkt (Termin) wie als Zeitraum (Frist). Termine können bestimmt werden durch Privatwillenserklärung oder durch richter­ liche Verfügung, Fristen durch Gesetz, private oder richterliche Ver­ fügung (§ 186). Die Zeitberechnung kann durch Hinweis auf den Kalender geschehen, d. h. aus die Zeit, wie sie im Kalender be­ zeichnet ist. Dies geschieht z. B., wenn der 21. August 1900 als Tag der Fälligkeit einer Schuld angegeben oder wenn bestimmt wird, daß eine Handlung nur in der Zeit vom 1. April bis 1. Juli 1900 vor­ genommen werden dürfe. Im Gegensatze zu dieser unbeweglichen Zeit gibt es eine bewegliche Zeit. Darunter versteht man den mit einem gewissen Ereignisse beginnenden Zeitraum, z. B. „sechs Monate nach Übergabe der Ware". Die BerechnungderFristen kann a momento ad momentum erfolgen, wenn kleinere Zeitteile als Tage in Berechnung gezogen werden. Diese „Naturalkomputation" fand im römischen Recht und findet auch heute nur ausnahmsweise und regelmäßig nur kraft Parteiwillens Anwendung. Die gewöhnliche Fristberechnung bildet nach altem und neuem Rechte (§§ 187, 188) die sog. Zivil­ komputation, die den Tag als kleinsten, nicht weiter zerlegbaren Zeitteil ansieht. Aber während das römische Recht den Tag, in welchen das die Frist in Laus setzende Ereignis siel, mitrechnete, zählt das deutsche Recht und mit ihm das BGB (§ 187 Abs. 1) und Art. 32 Nr. 1 WO ihn nicht mit. Anders wenn der Beginn des Tages für den Anfang einer Frist bestim­ mend sein soll; dann wird dieser Tag mitgerechnet (miete ich z. B. vom 1. April 1900 ab auf 3 Jahre, so endet das Vertragsverhältnis mit Ablauf des 31. März 1903). Ebenso wird bei Berechnung des Lebensalters der Tag der Geburt mitgezählt. Eine nach Tagen bestimmte Frist endet nach BGB (§ 188 Abs. 1) mit dem Ablaufe des letzten Tages der Frist, eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist endet, wenn der Anfangstag nicht mitgezählt wird, mit dem Ablaufe desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, der durch Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, in welchen das die Frist in Lauf setzende Ereignis fiel; wenn aber der erste Tag mitgezählt wird, so endet die Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten

Fünfter Abschnitt: Di« juristischen Tatsachen. § 49.

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Monats, welcher dem durch Benennung oder Zahl dem Anfangslage entsprechenden Tage vorhergeht. Eine Frist von einem halben Jahre ist — 6 Monaten, eine solche von einem Vierteljahre — 3 Monaten, ein halber Monat beträgt 15 Tage (§ 189, Art. 32 WO). Das HGB sieht eine vereinbarte Frist von acht Tagen als volle acht Tage an (§ 359), dem BGB sehlt eine gleiche Bestimmung, es wird hier also aus den Willen der Parteien und damit auf den Sprachgebrauch ankommen. Nach HGB (§ 359) entscheidet ferner, wenn als Leistungszeit das Frühjahr oder der Herbst oder ein in ähnlicher Weise bestimmter Zeitpunkt ver­ einbart ist, int Zweifel der Handelsgebrauch des Leistungsorts. Ist für die Abgabe einer Willenserklärung oder für die Vor­ nahme einer Leistung eine Frist bestimmt, so tritt an Stelle des letzten Tages der Frist der nächste Werktag, wenn der letzte Tag der Frist aus einen Sonntag oder allgemeinen Feiertag fällt (§ 193 BGB, Art. 92 WO). Vgl. auch §§ 190, 192. Das römische Recht machte einen Gegensatz von tempus continuum und tempus utile; in jenen Zeitraum wurden alle, in diesen nur diejenigen Tage einbezogen, an welchen die Vornahme des Ge­ schäfts möglich war. Im heutigen Recht ist nur noch die Wechsel­ protestfrist tempus utile (Art. 41, 92 WO). Das ältere deutsche Recht kannte Fristen von Jahr und Tag und verstand darunter ein Jahr sechs Wochen und drei Tage. Dem BGB ist diese Frist unbekannt. § 49.

Die "Verjährung.

1. Begriff. Im weiteren Sinne bedeutet Verjährung die durch Ausübung oder Nichtausübung von Rechten während eines gewissen Zeitraums bewirkte Änderung dieser Rechte, im engeren, hier allein gebrauchten Sinne nur diejenige Änderung, die durch Nichtgeltend­ machung eines Anspruchs während eines bestimmten Zeitraums herbeigeführt wird. 2. Geschichte. Dem ältesten römischen Rechte war (erlöschende) Verjährung unbekannt: alle actiones waren perpetuae. Das prä­ torische Edikt führte zunächst für die von ihm gegebenen actiones poenales eine Verjährungsfrist von einem Jahre ein; sie hießen infolgedessen actiones annales. Erst Theodosius II. bestimmte (424 n. Chr ), daß alle actiones, die nicht schon einer kürzeren Ver­ jährung unterlagen, in 30 Jahren verjähren sollten. Die Wirkung der Verjährung bestand darin, daß nur die Klagbarkeit des Rechts, nur die actio erlosch, das Recht selbst aber bestehen blieb. Man sagte daher, daß nach Verjährung der actio eine obligatio naturalis übrig bleibe.

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(Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

Auch das ältere deutsche Recht kannte das Institut nicht. Wer aber befugt war, einen dem Rechte nicht entsprechenden Zustand an­ zufechten, und die Anfechtung innerhalb einer gewissen Frist, meist von Jahr und Tag, welche mit der Möglichkeit der Anfechtung be­ gann, unterließ, der verlor diese Befugnis durch „Verschweigung". Das gemeine Recht beruhte aus dem römischen Recht, und auf dem gemeinen Rechte fußt das BGB. 3. Gegenstand der Verjährung sind nach gemeinem und neuem Recht Ansprüche. Anspruch aber ist (nach § 194) „das Recht, von einem anderen ein Tun oder ein Unterlassen zu verlangen". Die Folge ist, daß die Verjährung das Forderungsrecht selbst er­ greift. Dagegen bleibt bei Verjährung des aus einem absoluten Rechte entstandenen Anspruchs das absolute Recht selbst bestehen. Denn aus einem absoluten Recht (z. B. dem Eigentum) entsteht ein Anspruch erst mit dem Eintritt eines dem Rechte widersprechenden Zustandes. Es kann daher der Herausgabeanspruch des Eigentümers gegen den Besitzer verjähren, ohne daß das Eigentum selbst damit ausgehoben würde. Aber nicht alle Ansprüche unterliegen der Ver­ jährung. Das BGB schließt von der Verjährung aus: a) die aus samilienrechtlichen Verhältnissen entstehenden Ansprüche, soweit sie auf die Herstellung des dem Verhältnis entsprechenden Zustandes für die Zukunft gerichtet sind (§ 194), also z. B. das Recht auf Unterhaltsgewährung, b) die Ansprüche aus den int Grundbuch ein­ getragenen Rechten, es handle sich denn um Rückstände wieder­ kehrender Leistungen oder um Schadensersatzansprüche (§ 902), c) gewisse aus dem Eigentum fließende Ansprüche (§ 924), d) die Ansprüche auf Teilung einer Gemeinschast (§§ 758, 2042), e) die Ansprüche auf Berichtigung des Grundbuchs (§ 898). 4. Die regelmäßige Verjährungsfrist sowohl des gemeinen als des neuen Rechts beträgt 30 Jahre (§ 195). Doch kannte schon das römische Recht eine Reihe kürzerer Verjährungsfristen, und das moderne Recht hat die Neigung, immer mehr Ansprüche von der Regel auszunehmen und aus rechtspolitischen Gründen kurzen Ver­ jährungsfristen zu unterwerfen. Das BGB selbst steckt die Frist für eine große Zahl von Ansprüchen aus dem Gebiete des täglichen Geschäftsverkehrs auf zwei bzw. vier Jahre ab (§§ 196, 197).') 5. Zum Beginn der Verjährung gehört actio nata, d. h. das Recht zu klagen; nach BGB § 198: der Anspruch muß ent­ standen sein. Dieser Zeitpunkt ist dann eingetreten, wenn der 0 Außerdem: §§ 477, 481, 490-492, 638, 786, 801, 804, 852, 1302, 1715, 558, 581, 1057, 1093, 1226, 1623, 2287, 2288, 2332 BGB.

Fünfter Abschnitt: Die juristischen Tatsachen. § 49.

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Anspruchsberechtigte befugt ist, die Leistung zu verlangen. Die Ver­ jährung einer Darlehnssorderung beginnt also nicht mit der Mah­ nung, sondern mit der Darlehnshingabe. Muß der Leistung eine Kündigung vorangehen, so beginnt die Verjährung mit dem Zeit­ punkt, von welchem an die Kündigung zulässig ist, und ist nach Ablauf einer Kündigungsfrist zu leisten, so ist actio nata erst mit Ablauf dieser Frist (§ 199); für einen bedingten Anspruch ist a. nata mit Eintritt der Bedingung (§ 158), für einen betagten mit Eintritt des Termins (§ 163). Die Verjährung der Ansprüche, die nach dem BGB in zwei oder vier Jahren verjähren, beginnt erst mit dem Schlüsse des Jahres, in welchem der Anspruch entstanden ist (§ 201). Geht der Anspruch auf ein Unterlassen, so kann seine Verjährung erst beginnen mit der Zuwiderhandlung, denn der Zustand bis dahin entspricht dem Recht (§ 198). Der aus einem absoluten Recht ent­ stehende Anspruch beginnt zu verjähren erst mit der Verletzung des Rechts. Eine Hemmung der Verjährung tritt ein, sobald der Geltend­ machung des Anspruchs ein Hindernis entgegensteht. Das Hindernis kann ein tatsächliches oder ein rechtliches sein. Die Hemmung be­ wirkt, daß der Lauf der Verjährung nicht beginnt oder, wenn er begonnen, daß er solange stillsteht, als das Hindernis wirkt (die Verjährung ruht). Nach Beseitigung des Hindernisses setzt sich der Lauf der Verjährung fort, die Zeit des Rühens wird in die Verjährungsfrist nicht mit eingerechnet. Nach dem BGB sind Gründe, welche den Verpflichteten zur Verweigerung der Leistung berechtigten, ferner Stillstand der Rechtspflege, das Bestehen der Ehe, das Eltern- und Kindesverhältnis (während der Minderjährig­ keit der Kinder) und das Bormundschaftsverhältnis zwischen Gläu­ biger und Schuldner Hindernisse der Verjährung (§§ 202—207). 6. Die Unterbrechung der Verjährung bewirkt, daß die bisher abgelaufene Berjährungszeit nicht in Betracht kommt und daß nach der Unterbrechung eine neue Verjährung beginnt (§ 217). Unterbrochen wird die Verjährung a) nach altem (RG 15, 178) und neuem Rechte (§ 208) dadurch, daß der Schuldner dem Gläubiger gegenüber, wenn auch nur still­ schweigend, z. B. durch Zins- oder Abschlagszahlung, Sicherheits­ leistung, Bürgschafts- oder Pfandbestellung die Schuld anerkennt; b) durch Erhebung der Klage. Im älteren römischen Rechte wurden alle verjährbaren actiones (a. temporales) durch die Litiskontestation a. perpetuae. Nach justinianischem Rechte wurde die

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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

Verjährung durch die Ladung des Beklagten unterbrochen so zwar, daß, wenn der Prozeß liegen blieb, von der letzten Prozeßhandlung ab für alle Klagen eine neue Verjährung von 40 Jahren lief. Im gegenwärtigen Recht erfolgt die Unterbrechung durch Erhebung der Klage nach Maßgabe der ZPO (§§ 253, 267, 281, 499, 500, 510). Es ist gleich, ob auf Befriedigung oder auf Feststellung des Anspruchs, auf Erteilung der Bollstreckungsklausel oder auf Erlassung des Voll­ streckungsurteils geklagt wird (§§ 253, 256, 731, 722 ZPO). Der Klageerhebung steht gleich (§ 209 BGB) a) die Zustellung eines Zahlungsbefehls im Mahnversahren )§ 693 ZPO); b) die Anmeldung des Anspruchs im Konkurse (§ 139 tiC); c) die Erklärung der Ausrechnung im Prozesse (§ 281 ZPO); d) die Streitverkündung in dem Prozesse, von dessen Ausgange der Anspruch abhängt (§ 73 ZPO); e) die Vornahme einer Vollstreckungshandlung oder die Stellung des Antrags auf Vornahme einer dem Gericht oder einer anderen Behörde obliegenden Zwangsvollstreckung. Das BGB steht hierin in Übereinstimmung mit dem bisherigen Rechte, doch sind durch die Bestimmungen zu c und d Zweifel des bisherigen Rechts entschieden. Die Grundsätze des BGB finden auch auf die Wechselverjährung Anwendung.') Da in allen hier angeführten Fällen die Unterbrechung durch gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs herbeigesührt wird, kann die neue Verjährung erst nach Beendigung der vom Berechtigten ver­ anlaßten gerichtlichen Tätigkeit beginnen. Daher beginnt mit der Rechtskraft des Urteils sowie mit der Feststellung des Anspruchs durch vollstreckbaren Vergleich, vollstreckbare Urkunde oder im Kon­ kurse eine neue Verjährung von 30 Jahren auch dann, wenn der Anspruch selbst einer kürzeren Verjährung unterlag (§§ 218—220). Denn der Berechtigte kann in jedem Falle seinen Anspruch nunmehr aus jene Feststellung gründen. Ist der Prozeß in anderer Weise erledigt, so beginnt die neue Verjährung mit dem Ereignis, das ihn erledigt. Geschieht dies aber durch Zurücknahme der Klage oder durch ein nicht in der Sache selbst entscheidendes, auf Abweisung lautendes Urteil, so ist eine Unter­ brechung nicht eingetreten. Denn in jenem Falle hat der Kläger von der gerichtlichen Verfolgung Abstand genommen, in diesem aber hat sich herausgestellt, daß der Kläger den Anspruch nicht ordnungsi) Art. 80 WO ist durch Art. 8 Nr. 2 nd ist bis heute Regal geblieben. Regalien aber sind dem Staat ausschließlich zustehende, an sich privatrecht­ liche nutzbare Rechte, deren Ausübung Privatpersonen ein­ geräumt werden kann. An Gemeindegewässern stand bisher das Fischereirecht meist allen Mitgliedern der Gemeinde zu. In neueren Gesetzen ist den Gemeinden die Pflicht auferlegt, die Fischerei entweder zu verpachten oder durch angestellte Fischer auszuüben.

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

An Privatflüssen steht das Fischereirecht den angrenzenden Grundeigentümern bis zur Mitte des Wasserlaufs zu. Wie das Jagdrecht, so unterliegt auch das Fischereirecht einer Reihe polizeilicher Vorschriften (z. B. über die Schonzeiten). Die Übertretung eines Polizeigebots hindert aber nicht den Eigentums­ erwerb durch die gleichwohl vorgenommene Okkupation. Das BGB läßt die Bestimmungen über das Fischereirecht un­ berührt (Art. 69 EG z. BGB).

§ 187.

fund, Schatz, Strandgut»

1. Eine Sache ist „verloren", wenn sie dem bisherigen Besitzer ohne dessen Willen entzogen ist, ohne daß eine andere Person gleich­ zeitig den Besitz erworben hat. Daher sind bloß „verlegte" Sachen nicht verloren. Finder einer verlorenen Sache ist derjenige, der sie nicht nur sinnlich wahrnimmt, sondern auch an sich nimmt. Er hatte nach römischem Rechte die Detention der Sache, der Eigentümer konnte sie ihm jederzeit abfordern, falls nicht der Herausgabeanspruch (rei vindicatio, a. Publiciana, neg. gestorum a. directa) verjährt war. Deutsches Gewohnheitsrecht verpflichtete den Finder zur An­ zeige, gab ihm die Möglichkeit des Eigentumserwerbs, wenn der Eigentümer siä) nicht meldete und gewährte ihm einen Anspruck) aus ein Fundgeld, wenn der Eigentümer sich meldete. Ihm schließt siä) das BGB (88 965 ff.) an. Auch nach ihm ist der Finder - welcher Besitzmittler (8 868) ist1) — a) zur unverzüglichen Anzeige des Funds an den Ver­ lierer, den Eigentümer, den sonstigen Empfangsberechtigten oder an die Polizeibehörde verpflichtet (8 965); er hat die Sad)e zu ver­ wahren, gegebenenfalls öffentlich versteigern zu lassen, Vor­ satz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten (88 966- 969); b) der Finder hat das Red)t, vom Empfangsberechtigten Ersah der Auslagen, die er für erforderlich halten durste, und einen Finderlohn zu verlangen, der bei einem Werte der Sache bis zu 300 Mark 5 Proz., vom Mehrwert 1 Proz., und bei Tieren immer 1 Proz. beträgt, und verloren geht, wenn der Finder die Anzeige unterlassen oder den Fund aus Nachfrage verheimlicht hat; wegen dieser Ansprüche hat der Finder ein Zurückbehaltungsrecht (88 970, 971, 1000—1002); c) mit dem Ablauf eines Jahres seit der Anzeige des Fundes oder, wenn die Sache nicht mehr als 3 Mk. wert ist und daher eine Anzeigepflicht nicht besteht (8 965 Abs. 2), seit dem Funde selbst erwirbt der Finder das Eigentum, ohne daß es eines 0 Der unehrliche Finder ist Eigenbesiher

(%

872).

(Erster Abschnitt: Das (Eigentum. § 187.

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Ausgebotsverfahrens ober eines Zuschlags bedarf (§ 973), ja der Eigentumserwerb kann schon vor Ablauf des Jahres eintreten, wenn nämlich der Finder die bekannt gewordenen Empfangsberechtigten zur Erklärung über seine zu b bezeichneten Rechte auffordert und diese sich innerhalb der ihnen gestellten Frist nicht erklären (§ 974). Gegenstand des Eigentumserwerbs ist die Sache selbst oder ihr Versteigerungserlös (§§ 966, 975). Infolge Verzichts des Finders geht sein Recht aus den Eigentumserwerb aus die Gemeinde des Fundorts über (§ 976). Der Übergang des Eigentums hat auch das Aufhören jedes andern an der Sache bestehenden Rechts zur Folge. Ein jeder aber, der infolge des Eigentumsübergangs ein Recht (Eigentum oder ein sonstiges dingliches Recht) verliert, hat gegen den Erwerber einen an eine dreijährige Ausschlußfrist ge­ bundenen Bereicherungsanspruch (§ 977). Gleichfalls bisheriger Gepflogenheit entsprechend, wendet das BGB die für den Fund gegebenen Bestimmungen auf diejenigen Sachen nicht an, die in den Geschäftsräumen oder den Beförderungs­ mitteln einer öffentlichen Behörde oder einer dem öffentlichen Ver­ kehre dienenden Verkehrsanstalt gefunden werden. Diese Funde werden öffentlich bekannt gemacht und darauf versteigert; nach Ab­ lauf von drei Jahren seit der Bekanntmachung fällt der Erlös an den Fiskus, die Gemeinde oder Privatperson, der jene Räume, Be­ förderungsmittel oder Anstalten gehören (§§ 978—983). 2. Nach altem und neuem Recht (§ 984) ist ein Schatz eine Sache, die solange verborgen gelegen hat, daß der Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist; daß die Sache von Wert sei, verlangt das neue Recht nicht mehr. Wird der Eigentümer ermittelt, so ist die Sache nicht Schatz, sondern Fund. Ob sie in einer beweglichen oder einer unbeweglichen Sache ver­ borgen war, ist gleich. Das Eigentum am Schatz erwirbt nach altem und neuem Rechte zur Hälfte der Entdecker, zur andern Hälfte der Eigentümer der Sache, in welcher der Schatz ver­ borgen war, und zwar kraft Gesetzes mit der Entdeckung, nicht auf Grund einer Okkupation, vorausgesetzt, daß der Schatz infolge der Entdeckung, gleichviel von wem, in Besitz genommen worden ist.1) Infolgedessen erwirbt auch ein Geschäftsunfähiger. Die römischen Sätze, daß der auf unbefugte Weise oder unter Anwendung von Zauberkünsten nach Schätzen suchende seine Hälfte verwirkt, sind nicht in das BGB übergegangen. *) Entdecker ist der, „dessen Tätigkeit die unmittelbare Ursache ist, daß der Schatz der Verborgenheit entrückt wird und infolgedessen wieder in den menschlichen Verkehr gelangt" (RG in Seufferts Archiv 51 Nr. 9).

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

3. Nach älterem deutschen Recht erwarben die Meeres- oder Flußanwohner das infolge eines Unfalls im Wasser Schwimmende durch Okkupation, selbst wenn der Eigentümer bekannt war. Dieses sog. Strandrecht erhielt sich bis in die neuere Zeit. Das jetzige deutsche Recht beruht auf der Reichs-Strandungsordnung v. 17. Mai 1874. Nach ihr haben diejenigen Personen, welche schiffbrüchiges Gut zu bergen geholfen haben, einen Anspruch aus Bergelohn, wenn der Eigentümer des Guts bekannt ist. Die herrenlosen Güter sind entweder strandtriftig, d. h. von der See an den Strand geworfen ober vom Strande aus geborgen, ober fee triftig, b. h. vom Seegrunde aufgebracht ober auf offener See treibend. Erstere gehören dem Staate, letztere werden, wenn sich der Eigentümer nicht meldet, dem Berger zugewiesen. Doch behält der Eigentümer sein Recht auf Herausgabe ober auf die Bereicherung. B. ön be w egltche Sachen. § 188. Brwerb im falle freiwilliger Veräußerung. I. Geschichte. Die freiwillige Veräußerung von Grundstücken erfolgte im älteren römischen Rechte durch mancipatio oder in jure cessio und erst später durch den formlosen Akt der traditio. Ebenso war auch nach älterem deutschen Rechte*) die Ver­ äußerung von Grundeigentum ein feierlicher Akt. Veräußerungs­ vertrag (sala) und Übergabe (vestitura) vollzogen sich ursprünglich aus dem Grundstück in einem einheitlichen Akt, in Gegenwart von Zeugen, indem der Veräußerer dem Erwerber zunächst einen Hand­ schuh, das Zeichen der Herrschaft, und dann einen Zweig und ein Rasenstück überreichte und darauf das Grundstück vor den Augen der Zeugen verließ. Entsprechende Erklärungen begleiteten diese symbolischen Handlungen. An andern Orten vertrat namentlich bei der Vergabung an Kirchen die Übergabe der carta, d. i. der Ver­ tragsurkunde die Stelle der feierlichen Übergabe des Grundstücks. In dieser älteren Zeit war also die Übergabe eine feierliche Besitz­ einweisung. Dies änderte sich, als man das Wesen sowohl der Investitur als der Besitzräumung in den mündlichen Erklä­ rungen erblickte, welche die Übergabe bisher nur begleitet hatten. Deshalb erscheint schon zur Zeit der Rechtsbücher die Übergabe als ein vor dem echten Ding sich vollziehender gerichtlicher Akt, bei welchem die Aufgabeerklärung des Veräußerers, die Auflassung, *) Heusler: Institutionen des deutschen Privatrechts II 6. 66ff. Stobbe-Lehmann: Deutsches Prioatrecht II §§ 105ff. Brunner: Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte. 1901. § 47. Gier ke: Deutsches Privatrecht. 1905. II § 117. Hübner: Grundzüge des deutschen Privat­ rechts.

Erst« Abschnitt: Das Eigentum. § 188.

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das entscheidende ist. Sie erscheint, wie bei der römischen in jure cessio, als Anerkennung des vom Erwerber geltend gemachten Eigen­ tumsübertragungsanspruchs und zieht die vom Richter an die An­ wesenden über etwaige Widerspruchsrechte gestellte Frage (den Ur­ sprung unseres heutigen Ausgebotsverfahrens) nach sich. Wenn diese schweige«: und sich also „verschweigen", so wirkt der Richter dem Erwerber den Frieden, d. h. er erklärt ihm, daß er vor dem Wider­ sprüche der Anwesenden gesichert sei. Dieser Akt hat zur Folge, daß der gerichtliche Auflassungsakt dieselben Folgen hat, wie ein ge­ richtliches Urteil (Ausschlußurteil!). Abwesende verloren ihr Wider­ spruchsrecht nach Jahr und Tag, der Erwerber kam dann in den als „rechte Gewere" bezeichneten Zustand des Gesichertseins vor Widersprüchen. Die wirkliche Besitzübertragung trat dem Auf­ lassungsakte gegenüber zurück. Als dann zunächst in den Städten der Auflassung die Eintragung des Akts in ein öffentliches Buch folgte, bildete sich die Anschauung, daß das Eigentum mit der Ein­ tragung übergehe. Durch das eindringende römische Recht wurde die deutsch-recht­ liche übertragungsform fast überall beseitigt und das Eigentum durch formlose Tradition (s. oben § 178) übertragen; nur vereinzelt erhielt sich das Gebot gerichtlichen Abschlusses des Beräußerungsvertrags oder nachträglicher Eintragung des Eigentumswechsels. Neuere Landesgesetze erfordern wieder einen öffentlichen, formalen Akt der Übertragung und daran sich schließende Eintragung. Ihnen folgt das BGB. II. Heutiges Recht. Nach dem BGB wird das Eigentum übertragen durch Auflassung und Eintragung (§§ 873, 925). Die Auflassung besteht in der Einigung des Veräußerers und des Erwerbers, daß das Eigentum übergehen solle. Sie muß bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile mündlich vor dem Grundbuchamt erklärt werden und ist vor andern dinglichen Verträgen durch die Form sowie dadurch ausgezeichnet, daß sie wirk­ sam nur dann ist, wenn sie unbedingt und unbetagt erklärt wird. Sie kann nur vom Eigentümer ausgehen und soll daher (§ 40 GBO) vom Grundbuchamte nur dann entgegengenommen werden, wenn der Veräußerer im Grundbuch als Eigentümer des aufzulassen­ den Grundstücks eingetragen ist. Doch hängt die Rechtswirksamkeit der Auflassung hiervon nicht ab. Sie kann übrigens auch dann erfolgen, wenn der Auslassende Erbe des eingetragenen Eigentümers, selbst aber als Eigentümer noch nicht eingetragen ist (§ 41 GBO). Erst mit der Eintragung des Erwerbers ist der Eigentums­ übergang vollendet, bis dahin der Veräußerer also noch Eigen­ tümer.

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

Die Auflassung ist ein selbständiger dinglicher Vertrag; es gilt daher für sie alles, was § 169 II 2 über den dinglichen Vertrag überhaupt gesagt ist. Ist sie nach den allgemeinen Grundsätzen von Willenserklärungen nichtig (insbesondere infolge Anfechtung § 142), so geht trotz Eintragung das Eigentum nicht über. Der bisherige Eigentümer ist dann als solcher befugt, die Berichtigung des Grundbuchs gegen den gegenwärtig als Eigentümer Eingetragenen durchzusetzen und die Durchführung seines Berichtigungsanspruchs durch Eintragung eines Widerspruchs sichern zu lassen. War der Veräußerer, obwohl eingetragen, nicht Eigentümer, so hat doch der Erwerber, durch den öffentlichen Glauben des Grundbuchs ge­ schützt, Eigentum erworben, wenn er im Vertrauen ans das Buch erwarb (§§ 894, 892). Der Eigentumsübergang kann auf Grund des der Auflassung zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts (des Kausalgeschäfts) oder wegen Fraudulosität der Übertragung an­ gefochten werden. In einem solchen Falle kann, da Eigentum übergegangen, und mit der Anfechtung des zugrunde liegenden Rechts­ geschäfts nur dieses, nicht notwendig auch der dingliche Vertrag ver­ nichtet ist, von einer Berichtigung des Grundbuchs nicht die Rede sein, es bedarf vielmehr der Rückübertragung des Eigentums, welche der Veräußerer durch Geltendmachung seines persönlichen An­ spruchs auf Wiederherstellung des früheren Zustands erreicht, und dieser Anspruch kann durch eine Vormerkung gesichert werden. § 189. Hndere fälle dee Btgentumserwerbg. 1. Wer eine Ehe schließt, in welcher Gütergemeinschaft gilt, er­ wirbt nach altem und neuem Rechte wie an allen Sachen, so auch an den Grundstücken, deren Eigentümer der andere Ehegatte in oder während der Ehe wird, das gemeinschaftliche Eigentum, ohne daß es einer Übertragung durch Rechtsgeschäft, und also der Auflassung bedürfte. Ist der eine Ehegatte im Grundbuch eingetragen, so ist die Eintragung fortan eine unrichtige, der andere Ehegatte ist aber ver­ pflichtet, zur Berichtigung mitzuwirken (§ 1438, vgl. auch §§ 1519 ff >. Der Erwerb ist ein derivativer. 2. Das Eigentum eines im Wege der Zwangsversteigerung ver­ äußerten Grundstücks geht mit dem Zuschlage, d. i. mit der Ver­ kündung des den Zuschlag aussprechenden gerichtlichen Beschlusses auf den Ersteher über (§§ 89, 90 ZwstG), und zwar im Gegensatze zum gemeinen Recht auch dann, wenn der Schuldner nicht Eigentümer war (§§ 37 Nr. 5, 91 das.). Der Erwerb ist also ein originärer. 3. Im Falle der Enteignung geht nach deutschem Landesrechte das Eigentum mit der Zustellung der die Enteignung aussprechenden Verfügung der Behörde auf den Unternehmer über.

Erster Abschnitt: Das Eigentum. § 189.

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4. Das Recht der Aneignung eines aufgegebenen und daher herrenlosen Grundstücks stand nach römischem Rechte jedem, nach deutschem Rechte dem Könige zu; Landesrechte räumen es dem Staat ein. Ihnen folgt das BGB (§ 928) betreffs des vom Eigen­ tümer aufgegebenen Grundstücks. Über den Verzicht s. oben S. 545. Tie Aneignung erfolgt, indem sich der Fiskus des Bundesstaats, zu dem das Grundstück gehört, eintragen läßt. 5. Nach altem Recht unterlagen Grundstücke der Ersitzung, das neue Recht läßt die Ersitzung eines Grundstücks nicht mehr zu, gleichviel ob das Grundstück im Grundbuche verzeichnet ist oder nicht. Eine früher begonnene Ersitzung hat daher mit dem 1. Januar 1900 aufgehört. Das BGB hat jedoch zwei Mittel gewährt, einen tat­ sächlich bestehenden Zustand nach Ablauf eines Zeitraums zu Recht werden zu lassen: a) die Buch- (Tabular-) Ersitzung (§ 900), wonach der­ jenige Eigentum erwirbt, der, ohne Eigentümer zu sein, 30 Jahre hindurch als Eigentümer eingetragen steht und während derselben Zeit den Eigenbesitz hat; b) die Eintragung aus Grund Ausschlußurteils. Hat jemand durch 30 Jahre, ob mit oder ohne Titel, in gutem oder bösem Glauben den Eigenbesitz eines Grundstücks gehabt, so kann er das Aufgebot des Eigentümers beantragen (§ 979 ZPO) und sich auf Grund des Ausschlußurteils eintragen lassen. Damit erwirbt er das Eigentum. Ist der Eigentümer eingetragen, so ist das Aufgebot nur zulässig, wenn er gestorben oder verschollen ist und seit 30 Jahren keine Eintragung erfolgt ist, die der Zustimmung des Eigentümers bedurfte (§ 927 BGB). 6. Nach Art. 65 EG z. BGB bleiben die landesgesetzlichen, also auch die gemeinrechtlichen Vorschriften über Anlandungen, entstehende Inseln und verlassene Flußbetten unberührt. a) Unter Anlandungen wird sowohl die alluvio, d. i. die all­ mähliche Anschwemmung, als die avulsio, d. i. ein von einem User­ grundstück abgerissenes und an ein anderes Grundstück angesetztes Stück Land verstanden. Die alluvio fällt sofort in das Eigentum von dem, an dessen Grundstücke die Anschwemmung erfolgt, die avulsio dagegen erst, wenn das angesetzte Stück mit dem Ufer­ grundstück verwächst; bis dahin ändert sich das Eigentum an der avulsio nicht. b) Die insula in flumine nata wird Eigentum derjenigen, denen die Ufergrundstücke gehören, gleichviel ob die Insel in einem privaten oder einem öffentlichen Fluß entsteht, und zwar nach einer durch die Mitte des Flusses gehenden Grenzlinie;

Drittes Buch: Das Sachenrecht.

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c) das verlassene Flußbett (alveus derelictus) fällt den User­ eigentümern zu. § 190. Dae Eigentum mehrerer. Da zum Begriffe des Eigentums die Ausschließ­ lichkeit der Herrschaft gehört, kann es kein Eigentum mehrerer an derselben ganzen Sache geben (duorum ejusdem rei dominium in aolidum esse non potest. 1. 5 § 15 D. 13, 6). Wohl aber kann nach römischem, deutschem und neuem Rechte das Eigentum an einer Sache unter mehrere Personen in der Weise geteilt sein, daß jedem ein gedachter (ideeller) Teil der Sache zusteht. In diesem Fall ist der ideelle Teil Gegenstand eines besondern Rechts des einzelnen Miteigentümers, dieser kann über den Teil frei verfügen, ihn also veräußern und verpfänden, ohne an die Zustimmung der andern Miteigentümer gebunden zu sein. Die Gemeinschaft kann jederzeit gelöst werden. Eine Reihe deutsch-rechtlicher Institute, insbesondere die Gau­ erbschaften, Gesamtbelehnungen, die eheliche Gütergemeinschaft u. n. haben zur Aufstellung des Begriffs Gesamteigentum oder Eigen­ tum zur gesamten Hand geführt. Allen den Rechtsverhältnissen, auf die man diesen Begriff anwendet, ist das eine gemeinsam, daß der einzelne Gemeiner fester mit der Gesamtheit verbunden ist als im Falle des oben charakterisierten, kurzweg als römisch bezeichneten Miteigentums. Diese Erscheinung hat dazu geführt, dem Gesamthänder das Sonderrecht an einem einzelnen Teil abzusprechen und daher anzunehmen, daß jedem Eigentum an der ganzen Sache zustehe; andere haben die Gesamtheit zu einer Körperschaft erhoben, andere wiederum von einem Eigentum der Gesamtheit neben dem Eigentum der einzelnen gesprochen. Als herrschende und in das BGB übergegangene Auffassung aber muß diejenige bezeichnet werden, die hier ein gemeinschaftliches Eigentum ohne Quotenteilung und daher ohne Verfügungsrecht der einzelnen über den Teil annimmt. II. Jetziges Recht. Das BGB kennt beide Formen ge­ meinschaftlichen Eigentums, und zwar sieht es als die ge­ wöhnliche und normale Gestaltung des gemeinschaftlichen Eigentums das sog. römische Miteigentum mit fest begrenz­ ten, der freien Verfügung des einzelnen unterliegenden Quoten an. Nach dieser Grundauffassung ist die Lehre von der Gemeinschaft (§§ 741 ff., s. oben S. 471) gebildet: eine Gemeinschaft kann an jedem Vermögensgegenstande bestehen, insbesondere an körperlichen Sachen; im letzteren Falle spricht das BGB von Miteigentum, dieses ist also nur eine Art der Gemeinschaft, weshalb auf sie die

I. Begriff.

Erster Abschnitt: Das (Eigentum. §§190, 191.

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§§ 741 ff. und einige wenige, ausschließlich für das Miteigentum ver­ wendbare Grundsätze (§§ 1008—1011) zur Anwendung kommen. Diese individualistische Gestaltung der Gemeinschaft ist aber wegen ihrer Beweglichkeit und Lösbarkeit nicht geeignet, den An­ forderungen zu genügen, welche auf die Dauer berechnete Gemein­ schaften an die Bindung des einzelnen, d. i. an die Hingabe feiner Selbständigkeit stellen. Daher find Gemeinschaften dieser Art (f. S. 471 f.) als & es amt et gen tum gestaltet, d. h. als GemeinschaftsVerhältnisse ohne fest bestimmte Quoten. Der Anteil des einzelnen unterliegt daher nicht der freien Verfügung des einzelnen, und die Auflösung der Gemeinschaft ist erschwert. Die Veräußerung eines Miteigentumsanteils unterliegt nach altem und neuem Rechte sachenrechtlichen Grundsätzen, sie bedarf also der Besitzübertragung bzw. der Auflassung. Überträgt der bisherige Alleineigentümer einer beweglichen Sache einen ideellen Anteil, so genügt der Bertragsschluß, um Besitz und damit Eigentum zu über­ tragen (RG 13, 179, § 930 BGB). Da dem einzelnen nur ein Anteil zusteht, so kann die ganze Sache Gegenstand eines dinglichen Rechts eines einzelnen Miteigen­ tümers fein (§ 1009). Die Ansprüche aus dem Eigentum kann dritten gegenüber jeder einzelne Miteigentümer geltend machen, die Herausgabe der Sache kann er aber nur in der Weife verlangen, daß die Sache an alle herausgegeben oder für alle hinterlegt oder einem gemeinschaftlichen Verwalter übergeben wird (§§ 1011, 432).

Der Schutz des Eigentums. A. Der Berau eg «beanspruch.

§ 191. Dae frühere Recht. 1. Nach römischem und gemeinem Rechte stand der Heraus­ gabeanspruch oder die Bindikation (rei vindicatio) dem Eigentümer gegen denjenigen zu, der die Sache hatte; gerichtet war der Anspruch auf Erlangung des Besitzes der Sache. . Hatte der gegenwärtige Besitzer die Sache vom Kläger selbst, aber in einer Weise erhalten, daß er nicht Eigentümer wurde, so bedurfte es der Anstellung der Bindikation mit ihrem schwierigen Beweise regelmäßig nicht, es ge­ nügte vielmehr die condictio possessionis oder eine andere persön­ liche Klage. Die Bedeutung der Vindikation lag in dem Schutze, den sie dem Eigentümer gegen dritte gewährte. Begründet wurde sie damit, daß der Kläger sein Eigentum und den Besitz des Beklagten bewies.

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

Der Eigentumsbeweis konnte nur in der Weise geführt werden, daß die Tatsachen dargetan wurden, durch welche der Kläger das Eigentum erworben hatte. Hatte er derivativ erworben, so mußte er auch nachweisen, daß sein Rechtsvorgänger Eigentum gehabt, also einst erworben hatte. Lag auch diesem Erwerb ein derivativer Titel zugrunde, so konnte der Beweis ein schwieriger werden: der Kläger war dann genötigt, entweder bis aus denjenigen Rechtsurheber zurück­ zugehen, der die Sache originär erworben hatte, und dann natürlich die Voraussetzungen dieses Erwerbs darzutun oder durch Zusammen­ rechnung seiner eigenen mit der Besitzzeit seiner Vorgänger die voll­ endete Ersitzung nachzuweisen. In der accessio possessionis lag bei der Kürze der Ersitzungszeit sür das ältere römische Recht ein ein­ faches Mittel der Erleichterung des Eigentumsbeweises. Verklagt konnte nur werden, wer die Sache hatte (qui tenet et habet restituendi facultatem). Wie er zum Besitze gelangt, ltttb wie ber Besitz beschossen war, hatte auf die Herausgabepslicht des Beklagten keinen Einfluß. Auch wer im Namen eines andern befaß, konnte belangt werden. In zwei Fällen wurde derjenige, der nicht besaß, so behandelt, als ob er besäße (fictus possessor). Wenn der Beklagte dolo desiit possidere, d. h. die Sache veräußert, verzehrt, vernichtet hatte, obwohl er wußte, daß er nicht Eigentümer, so haftete er dem Kläger auf den vollen Wert der Sache; und wenn er dolo liti se obtulit, sich fälschlich für den Besitzer ausgegeben hatte, so war er dem Kläger zum Wertersatze verpflichtet, obwohl dieser die Sache selbst vom wahren Besitzer fordern konnte. In beiden Fällen war die Klage die Vindikation. Einreden konnten für jetzt oder sür immer die Abweisung der Klage zur Folge haben. Wenn er Aufwendungen für die Sache gemacht hatte, war der Beklagte von der Herausgabepfliä)t frei (er hatte eine Retentionseinrede, exc. doli generalis), bis der Kläger den Aufwand ersetzte. Der unredliche Besitzer hatte das Recht auf Ersatz notwendiger, der redliche auch auf Ersatz nützlicher Auslagen, er mußte sich aber die vor dem Prozeßbeginne gezogenen Früchte abrechnen lassen. Nur wenn die Sache dem Eigentümer erhalten, und nur wenn und insoweit der Eigentümer einen Vorteil hatte, war er ersatzpflichtig. Aufwand, der nicht ersetzt wurde, konnte vom Be­ klagten ohne Schädigung der Sache weggenommen werden (jus tollendi). Aber auch soweit er ein Ersatzrecht hatte, konnte er es nur im Wege der Zurückbehaltung geltend machen. Endgültig befreit war der Beklagte, wenn er nachwies, daß er das Eigentum oder ein anderes Recht auf den Besitz der Sache er­ langt oder daß er oder sein Vorgänger durch ein Beräußerungs-

Erster Abschnitt: Das Eigentum.

§ 191.

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geschäst, das der Kläger selbst geschlossen oder das er, z. B. weil es sein Erblasser geschlossen, gegen sich gelten lassen mußte, das aber nicht schon selbst den Eigentumserwerb des Beklagten, sondern nur die Erlangung eines persönlichen Rechts auf Eigentumsverschaffung begründete, die Sache in seinen Besitz bekommen hatte (exc. rei venditae et traditae). Die Verurteilung des Beklagten ging immer auf Herausgabe der Sache mit allem, was zu ihr gehörte (cum omni causa), sie konnte auf Verlangen des Klägers dem Beklagten auch Anerkennung des klägerischen Eigentums auferlegen. Im älteren römischen Rechte ging nur das arbitrium de restituendo auf Herausgabe der Sache, die sententia dagegen auf die Summe, die der Kläger durch das juramentum in litem als Wert der Sache dargetan hatte. Der Umfang der omnis causa richtete sich nach der Redlichkeit oder Unredlichkeit des Besitzers. Der unredliche haftete aus seinem Delikt auf allen Schaden, der dem Eigentümer dadurch entstand, daß er die Sache nicht hatte und daß der Beklagte die Sache nicht wie eine ihm anvertraute behütete. Dafür haftete er vor dem Prozeßbeginne für omnis culpa, nach dem Prozeßbeginn auch für den Zu­ fall, wenn nicht etwa der Zufall die Sache auch beim Kläger getroffen haben würde; er hatte ferner allen Gewinn herauszugeben, den er gezogen hatte oder hätte ziehen können, denn dieser Gewinn war dem Kläger entgangen. Der redliche Besitzer wurde verantwortlich erst mit dem Prozeßbeginne, nach diesem Zeitpunkte haftete auch er für omnis culpa. Die Früchte, die in diesem Augenblicke noch vorhanden waren, mußte er zwar herausgeben, für diejenigen aber, die nicht mehr da waren, brauchte er keinen Ersatz zu leisten; nach dem Prozeßbeginne war er nur Verwalter der Sache für den Eigentümer. 2. Es konnte geschehen, daß ein unredlicher Besitzer im Besitze belassen werden mußte, weil der Eigentümer den schwierigen Eigen­ tumsbeweis nicht führen, ein Usukapionsbesitzer aber vor vollendeter Ersitzung diesen Beweis überhaupt nicht unternehmen konnte. Das prütorische Recht stellte indessen in der actio Publiciana, die an bestehendes Recht anknüpfen mußte und dies in der Weise tat, daß sie die begonnene Usukapion als vollendet fingierte, demjenigen ein Rechtsmittel zur Verfügung, der die Voraussetzungen einer be­ gonnenen Ersitzung, also namentlich eines Titels, nachweisen konnte. Auch diese Klage ging gegen den, der die Sache hatte, gleichviel ob er Detentor, redlicher oder unredlicher Besitzer war. Sie ging aber nicht gegen den Eigentümer, es sei denn, daß seine Eigentumseinrede mit der replicatio rei venditae et traditae geschlagen werden konnte, sie ging aber auch nicht gegen den Usukapionsbesitzer, denn in pari causa potior est possessor, es sei denn, daß Kläger und Beklagter

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

von demselben Rechtsvorgänger redlich erworben hatten und der Kläger den Besitz zuerst erhalten hatte. Die Klage konnte also nur gegen einen Schlechterberechtigten Erfolg haben. 3. Das deutsche Recht erblickte in der Gewere eine Vermutung für das Recht an der Sache. Daher trat derjenige, welcher Heraus­ gabe der Sache von dem gegenwärtigen Inhaber der Gewere ver­ langte, mit der Behauptung aus, daß die Gewere ihm, nicht dem Beklagten gebühre. Bestritt der Beklagte einfach das vom Kläger behauptete Recht, so kam der Kläger zum Beweise; behauptete der Beklagte eine bessere (stärkere) Gewere, so hatte er diese seine Be­ hauptung zu beweisen. Der Streit bewegte sich also nicht, wie im römischen Recht, um den Nachweis des Eigentums, sondern um das relativ bessere Recht. Beim Streit um unbewegliche Sachen war der Beweis erleichtert durch die Öffentlichkeit der Handlungen, welche Rechte an Immobilien begründeten. Daher kam früh der Grundsatz auf, daß zum Beweise eines Rechts der Hinweis auf die Eintragung im öffentlichen Buche genüge. Auf Wiedererlangung beweglicher Sachen gab das deutsche Recht zwei Rechtsmittel, aber nicht dem Eigentümer als solchem, sondern dem, der sie in der Gewere gehabt hatte. a) Wer den Besitz wider seinen Willen verloren hatte, konnte die Sache vom gegenwärtigen Besitzer zurückverlangen. Der Kläger bewies, daß er die Sache, die jetzt der Beklagte habe, gehabt, und nichts getan habe, den Besitz der Sache aufzugeben. Der Be­ klagte konnte bei der Eigentümlichkeit des deutsch-rechtlichen Beweis­ systems nicht den Gegenbeweis führen, daß der Kläger die Sache nicht gehabt, er konnte nur einwenden, daß der Kläger die Sache nicht unfreiwillig verloren habe. Er konnte insbesondere seinen Gewährs­ mann benennen und diesem die weitere Prozeßführung überlassen. Konnte dieser oder der Beklagte selbst die klägerische Behauptung von der Unfreiwilligkeit des Besitzverlustes nicht widerlegen, so wurde der Beklagte zur Herausgabe verurteilt. Nach manchen Rechten konnte der Beklagte Erstattung des Kaufpreises vom Kläger ver­ langen, wenn er die Sache auf dem Markte gekauft hatte. b) Wer seine Sache einem andern überlassen oder anver­ traut hatte, konnte sie nur von diesem, nicht vom dritten Besitzer zurückverlangen. „Hand muß Hand wahren". „Wo du deinen Glauben gelassen hast, da sollst du ihn wiedersuchen". 4. Das neuere deutsche Recht versagte oder erschwerte im Interesse der Sicherheit des Verkehrs in einzelnen Fällen die Eigen­ tumsverfolgung, in andern Fällen aber erleichterte es diese Ver­ folgung.

Erster Abschnitt: Dos Eigentum. § 192.

669

a) Die Bindikation war ausgeschlossen in den Fällen eine» Rechtserwerbs auf Grund guten Glaubens, denn in diesem Falle hatte der redliche Erwerber das Eigentum erlangt (Artt. 306, 307 HGB a. F., Artt. 36, 74 WO, Art. 305 HGB a. F.). b) Vielfach war die Bindikation ausgeschlossen gegen den, der in össentlicher Versteigerung den Zuschlag erhalten, oder int. Ver­ trauen aus das öffentliche Buch gehandelt hatte. c) Erschwert war partikularrechtlich die Bindikation gegen den, der durch lästigen Titel redlich erworben hatte, dadurch, bafr sie nur gegen Erstattung dessen zulässig war, was der Beklagte für die Sache gegeben hatte. Durch die Zulassung eines Eigentumserwerbs auf Grund guten Glaubens war für den Erwerber der Nachweis des Eigentums er­ leichtert. * Bei unbeweglichen Sachen legte man dem Bucheintrage diejenige Legitimationskraft bei, die im älteren deutschen Rechte die Gewere hatte, d. h. man gewährte dem eingetragenen Eigentümer als solchem alle Klagerechte des Eigentümers. Endlich hatte man die a. Publiciana partikularrechtlich zu einem Rechtsmittel umge­ staltet, das dem auf den Besitz besser Berechtigten gegen den schlechter Berechtigten zustand. Die Klage verfolgte also nicht mehr ein ab­ solut gegen alle, sondern nur ein relativ gegen bestimmte Personen wirkendes Recht. § 192. Dae neue Recht. Das BGB gewährt gleich dem alten Recht eine Eigentumsklage und eine Klage aus früherem Besitze. I. Die Eigentumsklage ist der gemeinrechtlichen rei vin­ dicatio nachgebildet, hat aber die Anschauung von der durch den Besitz begründeten Eigentumsvermutung dem deutschen Recht entlehnt. Sie steht dem nicht besitzenden Eigentümer gegen den Be­ sitzer zu und verlangt Herausgabe der Sache (§ 985). Der Klag­ antrag braucht also nur auf Herausgabe gerichtet zu werden, doch kann mit diesem Leistungsanspruche der Anspruch auf Feststellung des klägerischen Eigentums verbunden werden. Die Klage kann nur gegen den Besitzer gerichtet werden, der fictus possessor ist dem BGB unbekannt. Besitzer ist nach § 868 und der herrschenden Ansicht auch der mittelbare Besitzer; durch den unmittelbaren Besitzer übt er eine Herrschaft über die Sache aus und kann sowohl zur Abtretung seines gegen den unmittelbaren Besitzer bestehenden Herausgabeanspruchs als auch unmittelbar zur Heraus­ gabe der Sache verurteilt werden. Wird der unmittelbare Besitzer verklagt, so kann er diejenigen Berteidigungsrechte gebrauchen, die dem mittelbaren Besitzer zur Verfügung gestanden haben würden.

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

er kann ferner den mittelbaren Besitzer benennen, ihm die Prozeß­ führung überlassen und, falls dieser die Prozeßsührung nicht über­ nimmt, dem Klagantrage genügen. Hat er den Prozeß übernommen, so wirkt die Rechtskraft und die Vollstreckbarkeit des gegen den mittel­ baren Besitzer erlassenen Urteils auch gegen den unmittelbaren Besitzer (§ 76 ZPO). Zu diesem Hauptanspruche können Nebenansprüche treten, denn die Herausgabepflicht erstreckt sich auf die omnis causa. Ter Besitzer hat dem Eigentümer den Schaden zu ersetzen, den dieser dadurch erleidet, daß er die Sache infolge eines Verschuldens des Besitzers nicht oder nicht in dem Zustand erlangt, in dem sich die Sache vorher befand. Diese Haftung tritt beim unredlichen Besitzer mit der Besitzergreifung, beim redlichen Besitzer mit der Rechts­ hängigkeit der Eigentumsklage ein (§§ 989, 990). Hak sich der Besitzer aber die Sache durch verbotene Eigenmacht oder durch eine strafbare Handlung verschafft, so hastet er nach den Grundsätzen von unerlaubten Handlungen, also auch für den Zufall (§§ 992, 848). Die Nutzungen der Sache sind 1. Gegenstand der Vindikatiou, soweit sie der Besitzer nach der Rechtshängigkeit gezogen hat (fructus percepti, § 987 Abs. 1); 2. Gegenstand eines Schadensanspruchs, wenn sie der Be­ sitzer nach der Rechtshängigkeit hätte ziehen können, aber zu ziehen schuldhast unterlassen hat (§ 987 Abs. 2), und ferner wenn sie ein unredlicher Besitzer gezogen hat oder hätte ziehen können (§ 990); 3. Gegenstand eines Bereicherungsanspruchs und zwar a) soweit der Besitzer, welcher die Sache unentgeltlich er­ worben, vor der Rechtshängigkeit Nutzungen gezogen hat (§ 988), b) soweit der Besitzer, der nicht aus anderm Rechtsgrunde zur Herausgabe oder Erstattung der Nutzungen verbunden ist, Nutzungen, welche über den ordnungsmäßigen Ertrag der Sache hinausgehen (also z. B. durch einen Windbruch veranlaßt sind), tatsächlich ge­ zogen hat (§§ 993, 99). Der Bereicherungs- oder Schadensersatzanspruch kann mit der Vindikation verbunden werden. Gegenansprüche. 1. Der Besitzer hat Anspruch auf Ersatz von Verwendungen. Doch weicht das BGB in einigen Punkten vom gemeinen Recht ab. Notwendige, d. h. der Erhaltung der Sache dienende Verwendungen sind dem redlichen Besitzer stets, dem un­ redlichen aber und dem redlichen Besitzer nach der Rechtshängigkeit nur nach den Grundsätzen von der unbeauftragten Geschäftsführung zu ersetzen (§ 994), nicht notwendige Verwendungen aus der Zeit vor der Rechtshängigkeit sind nur dem redlichen Besitzer und auch nur insoweit zu ersetzen, als der Wert der Sache noch 511 der

Erster Abschnitt: Das Eigentum.

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% 192.

Zeit erhöht ist, zu welcher der Eigentümer die Sache wiedererlangt. Der Besitzer hat wie bisher ein Zurückbehaltungsrecht, das ihm nur dann fehlt, wenn er die Sache durch eine vorsätzliche un­ erlaubte Handlung erlangt hat (§ 1000), das aber zu einem Pfand­ rechte gesteigert ist und im Konkurse des Eigentümers ein Recht auf abgesonderte Befriedigung gewährt. Der Besitzer hat ferner, ab­ weichend vom gemeinen Recht, ein Klagerecht. Dieses Klagerecht ist für den Fall, daß der Besitzer die Sache dem Eigentümer heraus­ gibt, an eine Frist von einem Monat bei beweglichen, von sechs Monaten bei unbeweglichen Sachen gebunden. Voraussetzung des Ersatzanspruchs ist jedoch entweder Wiedererlangung der Sache durch den Eigentümer oder Genehmigung der Verwendungen durch den Eigentümer. Als Genehmigung gilt die Annahme der Sache trotz des vom Besitzer ausgesprochenen Vorbehalts seines Ersatzanspruchs. Nach altem und neuem Rechte kann der Besitzer auch für die von seinem Rechtsvorgänger gemachten Aufwendungen Ersatz beanspruchen (§§ 994-1003 BGB, § 49 Nr. 3 KO). 2. Ein (gegen den Eigentümer gerichtetes, aber persönliches) Abtrennungsrecht (jus tollendi) hat der Besitzer nach neuem Rechte (§ 997), wenn er mit der Sache eine andere Sache als wesentlichen Bestandteil verbunden hat, es sei denn, daß die Verbindung zur Erhaltung der Sache erforderlich war und dem Besitzer die Nutzungen zufielen, oder daß die Trennung für ihn keinen Wert hat oder endlich, daß ihm der Wert, den der abgelöste Bestandteil für ihn haben würde, ersetzt wird. Das Recht bezweckt die Lösung der durch die Verbindung herbeigeführten (§§ 93, 946 ff.) Rechtsfolgen und enthält zugleich ein Recht der Aneignung (§ 958). Besonders wichtig sind die Abweichungen des BGB vom bis­ herigen Rechte betreffs der Begründung der Eigentumsklage. Zwar hat auch nach ihm der Kläger sein Eigentum und den Besitz des Beklagten zu beweisen. Dieser Beweis kann trotz der Verallgemeinerung des Rechtsgrundsatzes, daß der Erwerber Eigen­ tum erlangt, wenn er in redlichem Glauben bzw. im Vertrauen auf das Grundbuch erwarb, schwierig werden. Das BGB verschiebt aber die Beweislast durch seine Eigentumsvermutun­ gen und erleichtert oder erschwert hiernach die Rechtsver­ folgung. A. Ist Gegenstand der Klage eine unbewegliche Sache, so greift (§ 891) die Vermutung Platz: daß derjenige als Eigen­ tümer eines Grundstücks gilt, der im Grundbuch als solcher eingetragen ist. Die Legitimationskraft der Gewere ist also nach neuem Rechte für Immobilien vom Besitze losgelöst und aus den Bucheintrag übergegangen. Der Kläger braucht sich engelmann , Bürgerliches Recht. 6. Hufs.

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

demnach zur Begründung der Eigentumsklage nur aus seine Ein­ tragung zu berufen, der Beklagte kann die Unrichtigkeit der Ein­ tragung, ein ihn zum Festhalten des Besitzes befugendes dingliches oder persönliches Recht (z. B. Miete) oder einen vom Kläger oder dessen allgemeinem Rechtsvorgänger hergeleiteten Anspruch auf Eigen­ tumsübertragung (e. rei venditae et traditae) dartun. Macht er die Unrichtigkeit der Eintragung oder den Anspruch auf Auflassung nicht im Wege der Widerklage, sondern durch Einrede geltend, so erzielt er zwar die Abweisung der Klage, dagegen nicht auch seine eigene Eintragung. B. Ist Gegenstand der Klage eine bewegliche Sache, so kommt die Eigentumsvermutung aus gegenwärtigem und aus früherem Besitz in Betracht. 1. Der gegenwärtige (Eigen-) Besitzer der Sache gilt als deren Eigentümer (§ 1006). Indem der Kläger behauptet, daß der Beklagte besitze, schafft er sich also selbst die Grundlage für die seinem Gegner zustehende exceptio dominii. Diese Vermutung erschwert demnach dem Kläger die Rechtsverfolgung. Denn er kann sich ihr gegenüber nicht mehr, wie nach gemeinem Recht, auf den Beweis beschränken, daß er das Eigentum erworben habe, er muß vielmehr außerdem jene Vermutung widerlegen, d. h. ent­ weder a) nachweisen, daß der Beklagte den Besitz in einer Weise er­ langt habe, daß er nicht Eigentümer geworden sein kann, oder b) nachweisen, daß er selbst die Sache früher besessen, aber wider Willen verloren habe; denn damit beweist er, daß er selbst mit dem Besitze nicht auch das Eigentum verloren und der Beklagte die Saä)e nicht auf dem Wege der Übergabe und des guten Glaubens erworben haben kann (§§ 1006, 935). Daher ist dieser Beweis ohne Belang und nur der Beweis zu a möglich, wenn Geld oder Inhaberpapiere vindiziert werden (§ 935). 2. Von einem früheren (Eigen-) Besitzer wird ver­ mutet, daß er während der Dauer seines Besitzes Eigentümer gewesen sei (§ 1006 Abs. 2). Diese Vermutung erleichtert dem Kläger die Rechtsverfolgung. Denn indem er nachweist, daß er Besitzer gewesen, führt er den Nachweis, daß er jedenfalls bis zu seinem Besitzverlust auch Eigentümer gewesen ist, hat also den nach gemeinem Rechte häufig so schwierigen Eigentums­ beweis nur dann zu erbringen, wenn der Beklagte dartut, daß er selbst früher besessen und den Besitz wider Willen verloren habe (vgl. jedoch § 935). Auch der Vindikation beweglicher Sachen kann der Beklagte ein dingliches oder persönliches Besitzrecht entgegensetzen (§ 986). Die

Erster Abschnitt: Da» Eigentum.

%

192.

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e. rei venditae et traditae fällt bei beweglichen Sachen regelmäßig mit der e. dominii zusammen. Hatte der Kläger das Eigentum durch Abtretung des Herausgabeanspruchs erworben (§ 931), so stehen dem Beklagten die Einreden, die er gegen den bisherigen Eigentümer hatte» auch gegenüber dem neuen zu, denn seine Lage darf durch die Abtretung nicht verschlechtert werden (§ 986). II. Die Klage aus älterem Besttze (§ 1007) bildet einen Er­ satz für die fehlende a. Publiciana, beruht aber auf deutsch­ rechtlicher Grundlage, denn das deutsche Recht gab einen Anspruch aus älterer Gewere auf Wiederherstellung der Gewere. Das BGB beschränkt die Klage aus bewegliche Sachen, sie verwirklicht den Anspruch des früheren gutgläubigen Besitzers gegen den schlechter­ berechtigten gegenwärtigen Besitzer und unterscheidet sich von der Besitzklage (s. oben S. 496 ff.) dadurch, daß sie nicht die Tatsache des Besitzes, sondern ein Recht aus den Besitz schützt. Dieses Recht folgt ausschließlich daraus, daß der Kläger früher gutgläubigen Besch gehabt und der Beklagte ein schlechteres Recht auf den Besitz hat als der Kläger; es liegt der Klage also weder ein dingliches noch ein persönliches Recht, sondern ein nur aus dem Besitze folgendes Recht zugrunde. Es wird mithin nie um Eigentum, sondern nur um das relativ bessere Beschrecht gestritten. Zur BegründungderKlage gehört also in jedem Falle der Nachweis, daß der Kläger früher besessen hat und ferner a) entweder der Beweis, daß der Beklagte beim Erwerbe der Sache nicht in gutem Glauben war, d. h. hier, daß er wußte oder wissen mußte, daß er kein Recht auf den Besitz habe; denn in diesem Falle steht dem gutgläubigen Kläger der bösgläubige Beklagte gegenüber, der letztere hat also ein schlechteres Recht auf den Besitz als der Kläger; die so begründete Klage schlägt der Beklagte, indem er nachweist, daß der Kläger unredlicher Bescher gewesen sei, denn in diesem Fall ist die Lage des Klägers jedenfalls keine bessere als die des Beklagten, es fehlt ihm daher die Befugnis, den Beklagten aus dem Besitze zu verdrängen; dasselbe gilt, wenn der Kläger den Besitz aufgegeben hat, denn damit hat er das Recht auf den Besitz aufgegeben; b) oder der Beweis, daß der Kläger den Besitz wider seinen Willen verloren hat; denn diese Art des Beschverlusts rechtfertigt die Pflicht des gegenwärtigen Beschers, den früheren red­ lichen Besitzer wieder in den Besitz einzusetzen. Diese Pflicht ist eine schlechthin unbedingte, wenn der gegenwärtige Besitzer in bösem Glauben ist; befindet er sich aber in gutem Glauben, so reicht diese Rechtslage hier nicht aus, den Anspruch des gleichberechtigten Klä­ gers zu beseitigen, weil der Kläger sich bei dieser Art des Besitz-

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Drilles Buch: Das Sachenrechl.

verlusts als der stärkere erweist. Daher muß der Beklagte entweder Eigentum nachweisen oder dartun, daß ihm selbst die Sache wider Willen verloren gegangen sei, bevor der Kläger den Besitz erworben hatte. Denn im ersten Falle muß auch der gutgläubige Besitzer un­ bedingt weichen, im zweiten Falle hat sich der Beklagte als der stärkere redliche Besitzer erwiesen. Ferner wird die Klage wie zu a entkräftet durch den Nachweis, daß der Kläger malae fidei possessor gewesen sei, oder daß er den Besitz aufgegeben habe. Da im übrigen auf diese Klage die Grundsätze von der Vindi­ kation zur Anwendung kommen, kann der Beklagte natürlich ein­ wenden, daß er vom Kläger oder seinem Erblasser ein Recht auf den Besitz (Pfandrecht, Miete) eingeräumt erhalten habe. III. Das BGB gibt dem Eigentümer einen Abholungsanspruch, wenn sich seine Sache auf dem Grundstück eines andern befindet (§§ 1005, 867).

B. Der Hbwcbranfprucb (actio negatoria). § 193. Die actio negatoria oder Eigentumsfreiheitsklage macht die Freiheit des Eigentums geltend. Das römische Recht gab sie dem Eigentümer, wenn jemand Handlungen vornahm, die sich als Aus­ übung einer Servitut darstellten. Das gemeine und mit ihm das neue Recht geht über diese Beschränkung hinaus: es gewährt den negatorischen Anspruch nicht nur dann, wenn jemand sich irgend ein die Freiheit des Eigentums beschränkendes Recht beilegt, sondern schon dann, wenn mit dem Willen eines andern ein tatsächlicher Zu­ stand besteht, der die Ausübung des Eigentums „beeinträchtigt". In dieser Ausdehnung trifft die negatoria alle Fälle eines Eingriffs in das Eigentum, die nicht mit der Bindikation beseitigt werden können, oder, wie § 1004 BGB sich ausdrückt, alle Beeinträchtigungen des Eigentums, die nicht in Entziehung oder Vorenthaltung des Be­ sitzes bestehen, insbesondere alle Fälle nachbarlicher Übergriffe, zu denen auch die Einflüsse eines die Nachbarn störenden Gewerbebetriebs gehören. Nach § 26 GewO ist aber die negatoria gegenüber einem polizeilich genehmigten Gewerbebetrieb insofern eingeschränkt, als nicht Einstellung des Betriebs, sondern nur Schadensersatz oder die Anwendung von Schutzmaßregeln verlangt werden kann. Hierher gehört die Klage auf Berichtigung des Grund­ buchs. Wenn der wahre Eigentümer von dem, der als solcher fälsch­ lich im Grundbuch eingetragen steht, die Richtigstellung des Grund­ buchs verlangt, so macht er die Freiheit seines Eigentums gegenüber einem Zustande geltend, der seine Berfügungsbefugnis beschränkt.

Erster Abschnitt: Das (Eigentum. § 193.

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Denn der als Eigentümer Eingetragene ist in der Lage, über das Grundstück rechtlich wirksame Verfügungen zu treffen (§§ 894—897 BGB). — Dasselbe gilt, wenn die Unrichtigkeit des Grundbuchs darin besteht, daß eine dingliche Belastung, welche untergegangen ist, im Grundbuch eingetragen bleibt und der Eigentümer die Löschungsbewilligung verlangt nicht auf Grund des Rechtsgeschäfts, das den Berechtigten persönlich zum Verzicht auf feine Eintragung verpflichtet, sondern auf Grund feines Eigentums. Als negatorische Klage ist nach der herrschenden Meinung nicht anzusehen die auf § 771 ZPO gestützte Widerspruchsklage. Denn sie bezweckt nicht die Feststellung der Eigentumsfreiheit, sondern der Unzulässigkeit der auf Veranlassung des Beklagten betriebenen Zwangsvollstreckung. Daher ist unmittelbar Gegenstand der richter­ lichen Entscheidung nicht das den Widerspruch begründende Privat­ recht, sondern das vom Beklagten durch die Zwangsmaßregel betätigte prozessualische Recht.') Die negatorische Klage kann überflüssig sein, wenn die Besitz­ störungsklage ausreicht; sie ist aber dann geboten, wenn die Störung sich nicht bloß gegen den Besitz richtet, sondern als Betätigung einebehaupteten Rechts auftritt; denn der im Besitzprozeß Unterlegene würde in diesem Falle die a. confessoria aus Anerkennung seines Rechts erheben können. Rach der herrschenden Lehre des gemeinen Rechts und nach neuem Recht (§ 1004 BGB) hat der Kläger nur sein Eigentum, der Beklagte dagegen die Pflicht des Klägers zur Duldung der vor­ genommenen Beeinträchtigung zu beweisen. Nach neuem Rechte kommen dabei dem Kläger die oben S. 502 besprochenen Eigentums­ vermutungen zustatten. Der Klageantrag geht nach altem und neuem Recht aus Be­ seitigung der Beeinträchtigung, und wenn weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind, aus Unterlassung (§ 1004). Die Verurteilung zur Unterlassung kann mit einer Strafandrohung für den Fall des Zu­ widerhandelns verbunden werden (§ 890 ZPO). Häufig wird mit dem negatorischen ein Anspruch auf Schadens­ ersatz verbunden. Denn die Verletzung des Eigentums kann einen solchen Anspruch begründen. Dieser Anspruch aber ist insofern selb­ ständig, als er aus eigener Grundlage beruht (§§ 823 ff.), rein persön­ lich ist und einer eigenen Verjährung unterliegt (§ 852). Die Grundsätze von der a. negatoria sind nicht aus die Abwehr von Eingriffen in das Eigentum beschränkt, sondern finden analoge ') Hellwig, Lehrbuch des Deutschen Zioilprozeßrechts. 1903. 6.399. «Isch: Beitrage jut Urteilslehre. 1903. 6. 176.

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

Anwendung auf jedes vom Gesetze geschützte Recht (a. quasi negatoria). Der Berechtigte hat daher einen Anspruch auf Unter­ lassung, wenn ein auch nur objektiv widerrechtlicher Eingriff in sein Recht erfolgt und die Wiederholung des Eingriffs zu befürchten ist (RG 60, 6).

Zweiter Abschnitt: § 194.

Das Bergrecht.

Begriff und Geschichte.

Das Bergrecht umfaßt die Rechtsgrundsätze, denen die Auf­ suchung und Gewinnung von Mineralien unterliegt. Es handelt sich dabei um bett Erwerb des Eigentums an den Mineralien; dieser Erwerb hängt von dem Vorhandensein eines besonderen ausschließ­ lichen Okkupationsrechts ab, das selbst wieder den Gegenstand von Jmmobiliarsachenrechten bildet; die Ausübung dieses Rechts aber ist nicht ohne Einschränkung des Grundeigentums möglich. Das Berg­ recht findet daher seinen Platz am besten im Anschluß an die Lehre vom Eigentum und vor den begrenzten dinglichen Rechten. Ein besonderes Bergrecht kann nur da bestehen, wo die Mine­ ralien oder wenigstens einige von ihnen nicht als Bestandteile des Grundstücks, sondern als Gegenstände besonderen Rechts behandelt werden. Daher kennt das römische Recht kein selbständiges Bergrecht. Denn grundsätzlich bildeten auch noch nach neuestem römischen Rechte die im Grund und Boden liegenden Fossilien nichts weiter als Teile des Grundstücks, sie gehörten mithin dem Eigentümer dieses. Gleich­ wohl enthält schon das römische Recht die ersten Ansätze eines be­ sonderen Bergrechts, da nach lokalen Gewohnheiten der Grund­ eigentümer andern die Aufsuchung von Mineralien gegen eine Ab­ gabe gestatten mußte und in den Provinzen der Staat ein aus­ schließliches Recht auf gewisse Mineralien in Anspruch nahm. Diese Ansätze haben sich nicht entwickelt, und die wenigen einschlagenden Sätze des römischen Rechts (1. 77 D. 50, 16; 1. 7 § 14 D. 24, 3; 1. 13 § 1 D. 8, 4; 1. 3 C. 11, 7) sind nicht gemeines Recht geworden. Auch nach älterem deutschen Rechte war das Mineral Zu­ behör des Grundstücks, eine Auffassung, die sich in manchen Gegenden bis ins 13. Jahrhundert erhielt (Sachsenspiegel I 35 § 2). Die Entwicklung eines selbständigen Bergrechts war erst möglich seit der Loslösung des Bergbaurechts vom Grundeigentum, d. h. mit

Zweiter Abschnitt: Das Bergrecht, g 1-4

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Anerkennung der Bergbaufreiheit, des selbständigen, von der Ein­ willigung des Grundeigentümers unabhängigen Okkupationsrechts. Die Bergbaufreiheit reicht in Deutschland bis ins 10. Jahrhundert zurück, aber neben ihr und sie beschränkend entwickelte sich die Regalität des Bergbaus, indem die Landesherrn jenes Okkupationsrecht für sich in Anspruch nahmen und es an den einzelnen, der Bergbau treiben wollte, gegen hohe Abgaben der Ausübung nach übertrugen. Die Übertragung hing vom freien Ermessen des Regalherrn ab. Die Regalität fand, zunächst für Italien und mit der Beschrän­ kung auf Silber, gesetzliche Anerkennung in der Constitutio de regalibus Friedrichs I. von 1158, wurde aber in Deutschland selbst damit betätigt, daß zahlreiche Verleihungen erfolgten und durch Hinweis auf ein angeblich altes Gewohnheitsrecht gerechtfertigt wurden. Die Verleihungen geschahen vorzugsweise zugunsten der Landesherrn; in der goldenen Bulle von 1356 wurde das Bergregal als ein Recht der Kurfürsten anerkannt und im westfälischen Frieden von 1648 jedem Reichsstande zugesprochen. Gegenstand des Regals waren regelmäßig die Metalle und das Steinsalz, an manchen Orten auch die Salzquellen. Die Beleihung geschah für ein einzelnes Bergwerk wie überhaupt für einen engbegrenzten Raum oder für ein größeres Gebiet (sog. Distriktsverleihung). Bon demjenigen, der auf Grund der Verleihung Bergbau trieb, wurde eine Abgabe (der sog. Bergzehnte) erhoben, und in vielen Ländern betrieb der Staat durch seine Behörden den Bergbau für den Beliehenen (Direktions­ prinzip). Die Regalität bildete den Übergang zur reinen Ber-baufreiheit, indem die Berggesetze des 19. Jahrhunderts das Regal aufgaben und auf diese Weise die in ihm enthaltene Beschränkung der Bergbau­ freiheit beseitigten. Seitdem kann das Recht, Bergbau zu treiben, von jedem erworben werden; während aber das Bergregal ein denk Staate zustehendes und verbleibendes, dem Privaten nur der Aus­ übung nach übertragbares Privatrecht bildet, steht nach dem Prinzip der Bergbaufreiheit dem Staate kein eigenes Bergbaurecht, sondern nur die Berghoheit zu, haft deren er das Bergbaurecht in der Person des Privaten durch „Verleihung" originär zur Entstehung bringt, aber auch verleihen muß, wenn jener die gesetzlichen Er­ fordernisse erfüllt hat. Die Quellen des Bergrechts waren und sind noch gegenwärtig säst ausschließlich partikuläre Gesetze und nur zum geringen Teile gemeines Gewohnheitsrecht. Eine besonders umfassende und glück­ liche Regelung enthielt das preußische Landrecht (II, 16); auch das auf dem Grundsätze der Bergbaufreiheit stehende preußische Berg­ gesetz vom 24. Juni 1865 hat eine besonders weitreichende Bedeutung

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

erlangt, denn es hat den Berggesetzen anderer Gliedstaaten als Vor­ bild gedient. Das BGB läßt das Bergrecht unberührt (Art. 67 EG z. BGB). § 195.

Die Bergbauberecbtigung.

Das Bergbaurecht wurde zur Zeit der Regalität durch eine dem Ermessen der Behörde überlassene Verleihung begründet. Gegen­ wärtig, nach dem Grundsätze der Bergbausreiheit, wird zwar die Bergbauberechtigung gleichfalls durch einen staatlichen Verleihungs­ akt begründet, aber er bildete dort ein privatrechtliches Geschäft, hier einen Verwaltungsakt, eine Ausübung der Berghoheit, und hängt ab von der Erfüllung gewisser Voraussetzungen. Hierher gehört vor allem die Auffindung eines Mine­ rals in bauwürdiger Menge. Die Auffindung kann aus einem Zufalle beruhen oder das Ergebnis einer Arbeit sein. Diese Arbeit nennt man Schürfen. Zu ihrer Vornahme war nach früherem Rechte der Schürflustige ohne weiteres berechtigt, und der Grundeigentümer durste sich ihm nicht widersetzen, später bedurfte es der Lösung eines sog. Schürszettels bei der Bergbehörde, während nach dem preußischen BG die vom Grundeigentümer zu gewährende Genehmigung zum Schürfen im Falle der Verweigerung durch einen Beschluß der Berg­ behörde ersetzt wird. Der Schürfer ist an gewisse gesetzliche Beschrän­ kungen gebunden und hat den Grundeigentümer zu entschädigen. Dieser selbst ist zum Schürfen kraft seines Eigentums befugt. Das Schürfrecht an fremder Sache ist ein dingliches Nutzungsrecht. Die Tatsache der Auffindung allein genügt aber nicht zum Erwerbe des Bergbaurechts. Das Bergbaurecht wird von der Bergbehörde ver­ liehen, die Verleihung aber erfolgt nur aus Antrag des Finders oder einer andern Person, und dieser Antrag heißt Mutung. Die Priorität unter mehreren dasselbe Mineral und dasselbe Bergwerks­ feld betreffenden Mutungen kommt dem zuerst eingegangenen Antrage zu. Doch hat derjenige Finder, der auf seinem eigenen Grundstück oder in seinem eigenen Grubengebäude oder durch plan­ mäßig vorgenommene Schürfarbeiten das Mineral entdeckt hat, ein Vorrecht vor andern Personen, die, sei es ohne eigenen Fund oder auf Grund späteren Funds früher gemutet haben, falls er inner­ halb einer Woche mutet (§§ 24, 25 Ges. u. RG 49, 261). Das durch die Verleihung begründete Bergbaurecht, obwohl Bergwerkseigentum genannt, ist nicht Eigentum an der Lager­ stätte des Fossils, denn diese steht nach altem und neuem Rechte (8 905) dem Eigentümer der Oberfläche zu (vgl. RG 28, 152); das Bergbaurecht gibt auch nicht unmittelbar das Eigentum an dem

Zweiter Abschnitt: Das Bergrecht. § 196.

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verliehenen Mineral, denn dieses ist nach wie vor herrenlos. Das Bergwerkseigentum gibt vielmehr ein ausschließliches Okkupationsrecht. Das gewonnene Mineral geht also erst mit der Besitzergreifung in das Eigentum der Okkupanten über, und betreffs der Okkupation durch einen Nichtberechtigten gilt das, was bei der Erlegung jagdbarer Tiere durch den Wilderer Rechtens ist (8 958 Abs. 2 BGB). Das Bergwerkseigentum wird aber nach früherem und jetzigem Recht einem Grundstücke gleichgestellt. Es finden daher betreffs der Veräußerung, Belastung und Zwangs­ vollstreckung die Grundsätze des Jmmobiliarsachenrechts Anwendung. Das Bergwerkseigentum umfaßt außer dem Okkupationsrechte die­ jenigen Anlagen, welche der Bergbauberechtigte unter oder über Tage errichtet hat, und sog. Hilfsbaue. Der Grundeigentümer hatte nach früherem Recht entweder das Recht des Mitbaus, d. h. die Befugnis, sich am Bergbau zur Hälfte zu beteiligen, oder er erhielt eine Quote des Ertrags, d. h. eine Anzahl sog. Erb- oder Grundkuxe. Das neuere Recht versagt ihm diese Vorteile und gibt ihm nur das Recht auf Ersatz der ihm durch den Bergbau, insbesondere durch solche Anlagen entzogenen Nutzungen, welche auf der Erdoberfläche errichtet sind, und auf Er­ satz der sog. Bergschäden, d. h. der dem Grundstücke selbst zu­ gefügten Nachteile. Die Bergbauberechtigung beschränkt sich aus dasjenige Mineral, auf welches die Verleihung lautet. Aber nicht alle Mineralien sind dem Bergrecht unterworfen, sondern nur diejenigen, welche das Gesetz bezeichnet (regelmäßig gehören zu ihnen die Metalle). Alle andern Mineralien sind und bleiben Bestandteil des Grundstücks und gehören also dem Eigentümer dieses. Die Bergbauberechtigung wurde früher regelmäßig auf Gänge oder Flötze verliehen. Beide Ausdrücke be­ zeichnen die Lagerstätte des verliehenen Minerals, und zwar durch­ bricht der Gang das sog. Gebirge quer, während der Flötz den Gebirgsschichten parallel läuft; in jedem Falle war die ganze Mächtigkeit (d. i. Dicke) des Ganges oder Flötzes verliehen, während die Länge des Felds entweder durch die Lagerstätte selbst oder nach einem bestimmten Maße abgegrenzt wurde; in letzterem Falle umfaßte sie die sog. Fundgrube (= 42 Lachter vom FundPunkte, 1 Lachter — rund 2 m) und eine Anzahl sog. Maßen (je 28 Lachter). Nach neuerem Rechte werden regelmäßig größere und zwar Geviertfelder verliehen. Diese werden auf der Erdober­ fläche vermessen und seitlich durch senkrechte Ebenen bis zur ewigen Teufe begrenzt. Eine besondere Art des Bergwerkseigentums bildeten früher die sog. Stollenrechte. Ein Stollen ist ein in horizontaler Richtung

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

in das Gebirge geführter Gang, der den Zweck hat, einem vorhandenen Bergwerke sog. gute Wetter, d. h. Luft zu- und Wasser abzuleiten. Der Stöllner hat nämlich das Recht auf Gewinnung derjenigen Mineralien, die er bei Einführung des Stollens in einem nicht ver­ liehenen, sog. freien Felde findet, und wenn er in dem vorhandenen Bergwerk in einer bestimmten Tiefe (der sog. Erbteufe) anlangt, das Recht auf den Stollenhieb, d. h. aus diejenigen verleihbaren Mineralien, die er in dem fremden Bergwerksfelde findet (sog. Erb­ stollengerechtigkeit). Das neuere Recht gestattet die Verleihung von Erbstollenrechten nicht mehr. Hilfsbaue sind Anlagen, welche der Bergbauberechtigte -außerhalb seines Felds zum Vorteile seines Bergwerks ausführt: sie werden als Zubehör des Bergwerks behandelt. § 196. Die Beteiligung mehrerer am Bergwerk. 1. Das ältere Recht machte einen Gegensatz von Gesellenbau und Gewerkschaft. Der Gesellenbau trat ein, wenn mehrere Mit­ eigentümer desselben Bergwerks den Bergbau nach den Grundsätzen der societas betrieben; in diesem Falle wurden die Gesellen (Eigenlehner, Eigenlöhner) nach Verhältnis berechtigt und verpflichtet. Voraussetzung für dieses Rechtsverhältnis aber war, daß die Zahl der Miteigentümer eine geringe (nicht über 8) blieb und daß wenig­ stens ein Teil von ihnen den Bergbau mit eigener Hand betrieb. In allen andern Fällen bildete die Bereinigung der Miteigen­ tümer eine Gewerkschaft. Die Gewerkschaft des älteren Rechts war zwar gleichfalls nichts weiter als eine Bereinigung von Miteigentümern, aber sie war keine reine Gesellschaft, sondern näherte sich der Körperschaft. Das -den Gewerken gehörige Bergvermögen war in eine bestimmte Zahl (gewöhnlich 128) von Anteilen, Kuxen, zerlegt, welche dem freien Versügungsrechte des einzelnen Miteigentümers unterlagen und die Eigenschaft unbeweglicher Sachen hatten, daher auch den Grund­ sätzen des Jmmobiliarsachenrechts unterstanden. Für gewisse Be­ rechtigte wurden Freikuxe gebaut, welche von der Zubußepflicht frei waren. 2. Die Gewerkschaft des neueren Rechts ist eine Körperschaft. Das Bergvermögen gehört daher nicht den einzelnen Gewerken, sondern der Korporation; daher wird auch nur diese aus den Hand­ lungen ihrer Organe berechtigt und verpflichtet; nur sie darf das Bergwerk veräußern oder dinglich belasten, daher wird auch nur sie im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen. Die Anteile am Berg­ vermögen, die Kuxe, haben daher nach neuerem Rechte die Eigen­ schaft beweglicher Sachen. Denn der Kux ist, wie die Aktie,

Zweiter Abschnitt: Das Bergrecht. § 196.

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das übertragbare Mitgliedschaftsrecht des Gewerken, ein Rechtsverhältnis, mit welchem Personenrechte (Stimmrecht, Be­ rufung zu Ämtern) verbunden sind, und aus welchem dingliche Rechte und persönliche Ansprüche entstehen können. Wie das Wort Aktie auch den Aktienschein, so bezeichnet das Wort Kux auch den von der Gewerkschaft ausgestellten Kuxschein. Aber während die Pflichten des Äktionärs mit der Einzahlung des Aktienbetrags regelmäßig erschöpft sind, ist der Gewerke zur Zahlung einer sog. Zubuße nach den Beschlüssen der Gewerkenversammlung verpflichtet. Die Folge ist, daß die Kuxscheine auf den Namen des Gewerken lauten müssen und daß der Gewerkschaft gegenüber nur derjenige als Mit­ glied gilt, der im Gewerkenbuch als Kuxinhaber eingetragen ist. Die Übertragung des Kuxes erfolgt im Wege des schriftlichen Vertrags. Dieser Vertrag fällt nicht unter den Begriff der Zession, da er nicht eine Forderung, auch nicht ein einzelnes Recht (vgl. § 413 BGB) überträgt; geschieht die Übertragung gegen Entgelt, so muß sie nach altem und neuem Recht (§ 445 BGB) als Kauf angesehen werden, denn ein Mitgliedschaftsrecht ist ein verkäuflicher Gegenstand. Diese Eigenschaften des Kuxes bewirken eine festere Bindung des Gewerken an die Gewerkschaft, als sie bei der Aktiengesellschaft stattfindet, und bringen die Gewerkschaft der Gesellschaft mit beschränkter Haftung näher als der Aktiengesellschaft, übrigens können die mehreren Mit­ eigentümer eines Bergwerks jede Art von Gesellschaftsform unter sich begründen, und nur, wenn sie eine abweichende Vereinbarung nicht getroffen haben, bildet ihre Vereinigung ohne weiteres eine Gewerkschaft. Wer mit der Zahlung der Zubuße in Verzug gerät, kann seines Kuxes verlustig erklärt werden (Kaduzierung des Kuxes). Ob­ wohl die Verpflichtung zur Leistung der Zubüße eine persönliche und unbeschränkte ist, kann der Gewerke sich von seiner Pflicht dadurch befteien, daß er der Gewerkschaft seinen Kux überläßt. Die Gewerkschaft muß einen sog. Repräsentanten oder Grubenvorstand haben, der die Korporation gerichtlich und außer­ gerichtlich vertritt. Oberstes Organ ist die Gewerkenversamm­ lung. Sie wird vom Repräsentanten berufen, und muß alljährlich zur Prüfung der Verwaltungsrechnung, außerdem aber dann berufen werden, wenn V« der Kuxeigentümer die Berufung verlangt (§ 122 preuß. BG). Dem Bergrecht unterliegt jetzt auch die Salzgewinnung. Früher galten manche abweichende Grundsätze. Die Bereinigung mehrerer Unternehmer hieß Pfännerschaft, und die Anteile (meist 111) hießen Pfannen.

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Drittes Buch: Das Sachenrecht. § 197.

Die Knappschaften.

Unter einer Knappschaft „versteht man den Jnbegriss der auf einem Bergwerk oder auf einer Mehrzahl von Bergwerken be­ schäftigten Arbeiter" (RG 30, 210). Schon vor Jahrhunderten bildeten sie Körperschaften zum Zwecke der Unterstützung von er­ werbsunfähigen Bergleuten und von Angehörigen verstorbener Berg­ leute. Diesem Zwecke dienen auch die heutigen Knappschastsvereine, und auch jetzt bilden sie öffentliche Korporationen, denen alle Berg­ arbeiter der in ihrem Bezirke belegenen Bergwerke beizutreten ver­ pflichtet sind. Ihr Vermögen wird gebildet durch Beiträge der Arbeiter und der Bergwerkseigentümer. Sie unterscheiden voll­ berechtigte und minderberechtigte Mitglieder und besorgen auch die Krankenversicherung wie die Jnvaliditätsversicherung der Berg­ arbeiter.

Dritter Abschnitt: Das Leharecht. § 198. Das Lehnrecht beherrschte im späteren Mittelalter und in die Neuzeit hinein das gesamte öffentliche Recht. An sich ein Rechts­ geschäft des Privatrechts, suchte die Belehnung durch Herstellung eines die Person erfassenden Treue- und Berpflichtungsverhältnisses die­ jenige Abhängigkeit zu begründen, die in der neueren Zeit einfache Folge der Überordnung der Staatsgewalt über den einzelnen ist. Seitdem das Lehnswesen nicht mehr die Grundlage des Staats bildet, ist das Lehnrecht mehr und mehr zu einem rein privatrechtlichen Institut geworden. Aber auch als solches mußte es seine Bedeutung verlieren, als der Lehnsherr der Dienste des Vasallen und der Lehnsmann des Schutzes seines Lehnsherrn nicht mehr bedurfte. Seit dieser Zeit bestand das Lehnsverhältnis auf der einen Seite in einem ausgedehnten, dem Eigentum nahestehenden Nutzungsrecht am Lehn­ gut und auf der andern Seite in dem Recht auf unwichtige Ehren­ dienste oder geringe Abgaben. Die Gesetzgebung des 19. Jahr­ hunderts hat in Deutschland (mit geringer Ausnahme) diesen bloßen Schein eines Lehnsverhältnisses beseitigt und die sog. Allodifikation der Lehen herbeigeführt, d. h. die Aushebung der Rechte des Lehnsherrn und die Steigerung der Rechte des Vasallen zu Eigen­ tum. Durch die Allodifikation ist aber nur die eine Seite der lehns­ rechtlichen Verhältnisse aufgehoben worden, die rechtliche Stellung des früheren Lehnsmanns zu seiner nachfolgeberechtigten Familie, d. i. der Lehnsverband, ist damit an sich nicht beseitigt worden.

Dritter Abschnitt: Das Lehnrecht. §§ 197, 198.

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Gehört nun auch das Lehnrecht im ganzen der Rechtsgeschichte an, so haben sich doch im geltenden Rechte noch Überreste des Lehnrechts erhalten, die einer kurzen Erörterung bedürfen, da sie vom BGB (Art. 59 EG) unberührt gelassen werden. Das subjektive Lehnrecht war und ist da, wo das Lehnsver­ hältnis noch besteht, ein mit der Verpflichtung zu wechsel­ seitiger Treue verbundenes, vererbliches, dingliches Nutzungsrecht an fremder Sache. Man wendete besonders auf das Lehn die Lehre vom geteilten Eigentum an (f. oben S. 517), indem man dem Herrn dominium directum (richtiger: Eigentum), dem Lehnsmanne das dominium utile (richtiger: Nutzungsrecht) bei­ legte. Das allodifizierte Lehn ist Eigentum des Lehnsmanns. Dieses Eigentum unterscheidet sich da, wo der Lehnsverband aufgehoben ist, in nichts mehr vom Eigentum überhaupt, da aber, wo der Lehns­ verband noch besteht, ähnelt es dem Eigentum des Fideikommißbesitzers. Denn es ist, wie dieses, Gegenstand von Anwartschafts­ rechten und daher der Veräußerung durch den jeweiligen Eigentümer entzogen. Jene Anwartschastsrechte beruhen entweder auf einer Ge­ samtbelehnung oder auf der Lehnsfolgeordnung. Die Gesamt­ belehnung gewährt mehreren ein Lehn in der Weise, daß zunächst nur der eine in den Genuß des Lehns tritt, der andere aber das Lehn erst erwirbt, nachdem der erste und dessen lehnsfähige Nachkommen gestorben sind. Die Lehnsfolgeordnung beruft die Nachkommen des Lehnsmanns in einer bestimmten Reihenfolge. Dabei werden regel­ mäßig nur Männer berufen (Mannlehen), das sog. Weiberlehn bildet die Ausnahme und gehört zu den uneigentlichen Lehen. Aber auch hiervon abgesehen geht die Lehnserbfolge nicht Hand in Hand mit der allgemeinen gesetzlichen Erbfolge. Das longobardische Lehn­ recht beruft nämlich diejenigen Personen zur Lehnsfolge, welche vom ersten Lehnsmanne durch den Mannesstamm abstammen, das säch­ sische Lehnrecht dagegen die männlichen, agnatischen (d. h. durch den Mannesstamm verwandten) Abkömmlinge des letzten Lehnsmanns. Über die Natur des Anwartschaftsrechts herrscht Streit. Nach der Modifikation der Lehen muß aber die Anschauung, als stände das Lehn im Gesamteigentum des Lehnsbesitzers und der An­ wärter, abgelehnt werden. Es ist nichts als ein bloßes eventuelles Nachfolgerecht. Der Anwärter darf einer Veräußerung des Lehns widersprechen und das veräußerte Lehn zurückfordern, sich insbesondere aber als Anwärter im Grundbuche des Lehns eintragen lassen, um die Berufung des Erwerbers auf das Grundbuch zu verhindern. Der Anfall des Lehns an den Nachfolgeberechtigten vollzieht sich ipso jure mit dem Tode des Vorgängers. Gegenstand des Lehns sind gewöhnlich Grundstücke. Geld-

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

lehen bestehen in der Nutzung eines Kapitals; bei ihnen hat die Allodifikation zwar gleichfalls eine Umwandlung des Nutzungsrechts in Eigentum herbeigeführt, aber nicht in freies Eigentum, denn der Lehnsberechtigte darf nur die Zinsen, nicht auch das Kapital für sich verwenden. Die Lehnsschulden gehen nicht auf den Erben des Lehns­ manns, sondern vermöge des besonderen Lehnserbrechts auf den Lehnsfolger über. Dieser haftet nicht mit dem Allodial-, sondern nur mit dem Lehnsvermögen. Die Lehnsschulden werden nach ver­ schiedenen Gesichtspunkten eingeteilt, immer beruhen sie entweder auf dem Willen des ersten Lehnsmanns oder auf einer Nachstiftung späterer Lehnsbesitzer; ferner wird unterschieden, ob die Substanz oder nur die Einkünfte des Lehns als Mittel der Befriedigung ver­ wendet werden dürfen; im ersten Fall ist die Zwangsversteigerung, im zweiten nur die Zwangsverwaltung des Lehns gestattet. Lehens stamm ist eine Lehnsschuld, für die entweder das Lehn­ gut selbst hastet und die im Grundbuche des Lehns eingetragen oder die anderweitig sichergestellt wird und deren Zinsen an Personen zu zahlen sind, die sich nach lehnrechtlichen Grundsätzen bestimmen. Ge­ wöhnlich dient diese Summe (dann Lehnsquantum genannt) als Abfindung der Lehnsberechtigten im Falle der Veräußerung des Lehns oder als Abfindung eines zurücktretenden Mitbelehnten. Der Lehnsstamm ist aber nicht selbst Lehn, sondern Allod, denn es fehlt der Lehnsherr.

Vierter Abschnitt:

Emphyteufis und Erbpachtrecht. § 199. Im römischen Reich entstand das Bedürfnis, Ländereien, die der Eigentümer nicht bewirtschaften konnte, oder solche Grundstücke, die noch nicht kultiviert waren, auf längere Dauer zu verpachten. Diesem Bedürfnis entsprach aber die locatio-conductio aus dem Grunde nicht, weil sie dem Pächter nur Detention gewährte, ihm ein von der Kündigung des Verpächters abhängiges und bei jedem Eigentumswechsel in Frage gestelltes Recht gab. Man sagte sich deshalb in solchen Fällen von den Pachtgrundsätzen los, gab dem Pächter Besitz und dinglichen Rechtsschutz und erkannte die Vererb­ lichkeit seines Rechts an. So entstand in Westrom das Rechtsinstitut des ager vectigalia, die Hingabe städtischer Grundstücke, und in

Vierter Abschnitt: Emphyteusis und Erbpachtrecht. 8 199.

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Ostrom die emphyteusis, die Überweisung von Ländereien zur Urbar­ machung in Erbpacht. Beide Institute verschmolzen in ein einziges, das der Emphyteuse. Die Emphyteuse ist ein vererbliches und veräußer» liches dingliches Nutzungsrecht an einem Grundstücke; sie entsteht durch Vertrag, den contractus emphyteuticarius, der als Konsensualkontrakt anerkannt wurde, weil er auch den Emphyteuta zu Leistungen, nämlich zu einer Abgabe (canon, vectigal) verpflichtete. Der Emphyteuta hat Besitzschutz und eine utilis rei vindicatio; er darf sein Recht veräußern, und mit seinem Tode geht das Recht auf seine Erben über. Das Grundstück kann ihm aber wegen wieder­ holter Nichtzahlung des Zinses entzogen werden (Privation). In Deutschland wurden die Grundsätze von der Emphyteuse hauptsächlich auf die Berlechung von Kirchengütern angewendet, doch unterwarf man ihnen auch die bäuerlichen Nutzungsrechte. Die letzteren Rechte hatten den gleichen wirtschaftlichen Ursprung wie die Emphyteuse: Großgrundbesitzer, insbesondere Klöster, siedel­ ten Unfreie und Freie an, um durch sie Wald- und Moorland in Acker zu verwandeln und einen seßhaften Arbeiterstand zu haben. Häufig überließen aber auch die kleineren, bisher freien Eigentümer einem mächtigeren Großgrundbesitzer ihr Land zu Eigentum, um es als abgeleiteten Besitz wiederzuerlangen. Sie traten auf diese Weise unter den Schutz jenes gegen die Verpflichtung zu Abgaben und Diensten, sie wurden gutshörig. Diesen Bedürfnissen entsprach ein bloßes Pachtverhältnis wenig, meist nur eine Leihe auf einen längeren Zeitraum, in sehr vielen Fällen nur die Erbleihe. Häufig wendete man auf diese Leiheverhältnisse die Grundsätze des Lehnrechts an, und es entstanden dann als uneigentliche Lehne die Bauernlehne, daneben aber sowohl Zeitpacht- als Erbpacht- oder Erbzinsverhält­ nisse. In jedem Fall erlangte der Bauer ein weitgehendes dingliches Nutzungsrecht, das beim Bauernlehn und beim Erbpacht- oder Erb­ zinsgute auf die Erben des Bauern überging. Regelmäßig war er zu Abgaben und andern Leistungen, insbesondere zu Arbeiten und zur Hingabe von wertvollen Gegenständen des Wirtschafts-Inventars beim Erbübergang (mortuarium, Besthaupt, namentlich an Tieren) verpflichtet. Diese Leistungen wurden im Gegensatze zum römischen Rechte, das nur die persönliche Haftung des Emphyteuta kannte, zu Reallasten, d. h. auf dem Gute dinglich lastenden Verpflichtungen. Ein weiterer Gegensatz zum römischen Rechte lag darin, daß nach diesem die Emphyteusis ein rein privatrechtliches Verhältnis be­ gründete, jene deutsch-rechtlichen Verhältnisse aber mit einer öffentlichrechtlichen Unterwerfung des Bauern unter den Grundherrn ver­ bunden waren.

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

Die neuere Zeit hat hier öffentliches und Privatrecht geschieden, die publizistischen Rechte des Grundherrn auf den Staat übertragen und privatrechtlich den Bauern unabhängig gemacht, indem man jene Reallasten aufhob oder ihre Ablösung ermöglichte und dem Bauern Eigentum an seiner Stelle gab. Die Erbzinsverhältnisse gehören infolgedessen in Deutschland (fast) überall der Rechtsgeschichte an, werden aber da, wo sich Reste von ihnen erhalten haben, vom BGB nicht berührt (Art. 63 EG z. BGB).

Fünfter Abschnitt: Das Erbbaurecht, Superfiziar- oder Platzrecht. §

1. Geschichte.

200.

Während nach deutschen Partikularrechten ein vom Eigentum am Grund und Boden getrenntes Eigentum an stehenden Pflanzen und Gebäuden möglich war, galt nach römischem und gemeinem Rechte der Grundsatz superficies solo cedit. Hiernach wurde jedes auf fremdem Boden errichtete Gebäude und jede Pflan­ zung auf fremdem Boden ohne weiteres Eigentum des Bodeneigen­ tümers, und auch ein auf Einräumung einer superficies gerichteter Vertrag hatte nicht die gewollte Wirkung der Eigentumsbegründung. Die Servituten sind an eine bestimmte Person oder an den Besitz eines bestimmten Grundstücks gebunden und der Mietvertrag gibt ein der Kündigung unterliegendes, nach gemeinem Recht überdies nicht den jedesmaligen Eigentümer, sondern nur die Kontrahenten ver­ pflichtendes persönliches Schuldverhältnis. Das römische Recht hat indessen ein veräußerliches und vererbliches dingliches Recht an der superficies, d. h. an einer mit dem Boden zusammenhängenden Sache, geschaffen, vermöge dessen man die Sache wie ein Eigentümer haben, benutzen und über sie verfügen darf (Wächter). Gegenstand des Rechts können bauliche Anlagen jeder Art, selbst einzelne Stock­ werke, Brücken, Monumente, Keller (Kellerrecht) und auch Pflanzen sein. Der Superfiziar ist abgeleiteter Besitzer der Sache und Besitzer des dinglichen Rechts. Er hat zu seinem Schutze also possessorische Rechtsmittel und zwar ein besonderes Interdikt (de superficiebus, D. de superf. 43, 18) und petitorische Rechtsmittel, nämlich die vom prätorischen Recht eingeführte vindicatio utilis, die Publiciana und die negatoria. Das Recht entsteht durch Vertrag, Vermächtnis, nach richtiger Praxis auch durch eine dreißigjährigen Rechtsbesitz voraussetzende Ersitzung.

Sechster Abschnitt: Dir Servituten oder Dienstbarkeiten. § 201. 577 2. Auch nach dem BGB ist das „Erbbaurecht" ein ver­ erbliches und veräußerliches dingliches Recht an frem­ der Sache, das die Befugnis gewährt, ein — vorhandenes oder noch zu errichtendes — Bauwerk auf oder unter der Oberfläche eines Grundstücks zu haben. Damit ist die Pflanzungssuperfizies ausgeschlossen, Bauwerk aber ist int weitesten Sinne zu nehmen, so daß hierher auch Denkmäler, Schienen, Gerüste für Telegraphen- und Fernsprechleitungen und selbst Keller gehören (8§ 1012-1014). Das Erbbaurecht als Recht an einem fremden Grundstück unter­ liegt den allgemeinen Grundsätzen des Jmmobiliarsachenrechts. Zu seiner Entstehung ist Auflassung, d. i. hier die Einigung des Grundstückseigentümers und des Erwerbers, und Eintragung er­ forderlich (88 1015, 873). Das Erbbaurecht erlischt nicht durch Bereinigung mit dem Eigentum (8 889), auch nicht durch Untergang des Bauwerks (8 1016). Das Erbbaurecht ist aber nicht nur ein Recht an einem Rechts­ objekte, sondern es ist selbst ein Rechtsobjekt, und zwar wird es als Grundstück behandelt. Der Erwerb eines bestehenden Erbbau­ rechts geschieht daher auf dieselbe Weise wie der Erwerb des Eigen­ tums an einem Grundstück, also durch Auslassung oder Buch-Er­ sitzung (88 1017, 925, 900). Das Erbbaurecht kann ferner Gegen­ stand einer Dienstbarkeit, eines Vorkaufsrechts, einer Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld sein, es kann ein selbständiges Grund­ buchblatt erhalten (8 7 GBO) und unterliegt der Jmmobiliarzwangsvollstreckung (ZwstG v. 24. März 1897). Der Erbbauberechtigte genießt Besitzschutz, da er Besitzer nicht des Rechts, sondern der Sache ist, zum Schutze seines Rechts hat er die Bindikation, wenn ihm der Besitz der Sache und damit die Ausübung seines Rechts vorent­ halten wird, und die a. negatoria, wenn sein Recht in anderer Weise beeinträchtigt wird (8 1017).

Sechster Abschnitt: Die Servitute« ober Dienstbarkeiten. § 201.

Allgemeine».

Die verschiedenen Arten der hierher gehörigen Rechte haben das Gemeinsame, daß sie eine Sache Interessen, die denen des Eigen­ tümers fremd sind, dienstbar machen und deshalb dem Eigentümer Befugnisse nehmen, die er ohne jenes Recht haben würde. Aber Engelmann. Bürgerliche» Recht. 6. Anst.

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

jenes fremde Interesse ist ein individuelles. Man kann die Dienst­ barkeiten daher definieren als unveräußerliche und un­ vererbliche Rechte auf Benutzung einer fremden Sache. Die servitutberechtigte Person kann individuell oder durch den Besitz eines Grundstücks bestimmt sein. Dort spricht man von Per­ sonalservituten oder persönlichen Dienstbarkeiten, hier von Prädialservituten oder Grunddienstbarkeiten. Die ersteren dienen den Interessen der bestimmten Person, die letzteren den Bedürfnissen des Grundstücks, d. i. den Interessen des Eigen­ tümers an der wirtschaftlichen Ausnutzung jenes Grundstücks. Grunddienstbarkeiten können nach altem und neuem Rechte (§ 1018) nur Grundstücke zum Gegenstand haben. Dasselbe gilt nach neuerem Rechte (§ 1090) nur von denjenigen Personalservituten, welche das BGB als beschränkte persönliche Dienstbarkeiten bezeichnet, da­ gegen kann der Nießbrauch nach beiden Rechten bewegliche und un­ bewegliche Sachen, Rechte, ja ein ganzes Vermögen zum Gegenstände haben. Die Verschiedenheit der Interessen bewirkt eine große Mannig­ faltigkeit der Rechte. Für alle aber haben sich gemeinsame Grund­ sätze entwickelt. Diese sind: 1. Servitus in faciendo consistere nequit. Der Eigentümer der dienenden Sache ist zu einem Nichttun oder zu einem Dulden verpflichtet, während er als Eigentümer der unbelasteten Sache zu dem entsprechenden Handeln oder Untersagen berechtigt sein würde. Zu einer Leistung ist der Eigentümer nicht verpflichtet, doch hat schon das römische Recht die Unterhaltungspslicht des be­ lasteten Eigentümers bei der s. oneris ferendi anerkannt (1. 15 § 1 D. 8, 1; 1. 33 D. 8, 2). Das gleiche gilt nach neuem Rechte (§§ 1018, 1021, 1022), doch bildet nach ihm die dem Grundeigentümer ob­ liegende Pflicht, eine Anlage zu unterhalten, eine Reallast. 2. Servitus servitutis esse non potest: eine bestehende Servitut kann nicht selbst Gegenstand einer anderen Servitut sein. Wohl aber kann nach altem und neuem Recht ein Erbbaurecht mit einer Dienstbarkeit belastet werden (§ 1017). 3. Nemini res sua servil. Die Servitut ist ein Recht an fremder Sache; an der eigenen Sache übt man das alle Rechte um­ fassende Eigentum aus. Erwirbt der Berechtigte das Eigentum der dienenden Sache, so geht die Servitut grundsätzlich durch Konfusion unter. Nach neuem Rechte dagegen erhält sich die eingetragene Dienstbarkeit unbedingt; sie ruht während der Vereinigung mit dem Eigentum, lebt aber bei der Veräußerung der belasteten Sache wieder auf, denn der Eigentümer ist nicht gezwungen, die aus seinem Grundstück hastenden Lasten löschen zu lassen (§§ 1063, 1072, 889). Nach neuem Recht (§ 1063) aber wird auch der Nießbrauch an einer

Sechster Abschnitt: Di« Servituten oder Dienstbarkeiten.

§ 202. 579

beweglichen Sache oder einem Recht als fortbestehend behandelt, wenn der Eigentümer ein rechtliches Interesse am Fortbestände des Nießbrauchs hat. 4. Die Servitut muß nach altem und neuem Rechte (§§ 1020, 1090) schonend, b. h. ohne unnötige Belästigung des Eigentümers ausgeübt werden.

I. Die Personalservituten. §

202. Die beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten.

1. Nach römischem Rechte waren Personalservituten der usus, der ususfructus, die habitatio und die operae servorum et animalium. Die operae servorum sind in Wegfall gekommen, über die operae animalium sind wir nicht näher unterrichtet, und die habitatio stand im neueren Rechte nicht mehr unter besonderen Grundsätzen. Es verblieb für das gemeine Recht danach nur der usus (insbesondere an Wohnungen und Tieren). Usus (Gebrauchsrecht) war nach altem Rechte das einer bestimmten Person zustehende» auf eine andere Person nicht einmal der Ausübung nach übertragbare Recht auf den Gebrauch einer fremden (beweglichen oder unbeweglichen) Sache. Jeder ord­ nungsmäßige Gebrauch der Sache, nur nicht die Fruchtziehung, war gestattet, selbst wenn der Gebrauch zu einem Verbrauche führte. Der Berechtigte (Usuar) durfte die Sache nicht im ganzen vermieten, auch nicht unentgeltlich andern überlassen. Eine Personalservitut kann aber auch in der Weise bestellt werden, daß ein Recht, das regelmäßig den Inhalt einer Grund­ gerechtigkeit bildet, einer bestimmten Person eingeräumt wird (servitus personal» irregulär»). 2. Das BGB setzt die beschränkten persönlichen Dienst­ barkeiten in Gegensatz zum Nießbrauch, zählt aber zu jenen a) nicht bloß die gemeinrechtliche irreguläre Servitut, sondern b) alle Fälle, in denen nur überhaupt ein Recht besteht, ein Grundstück *) in einzelnen Beziehungen zu benutzen, indem es so der Mannigfaltigkeit der Ge­ brauchsbedürfnisse Rechnung trägt. Denn der Gebrauch kann ein weitgehender (z. B. im Falle der Dienstwohnung) und ein sehr be­ schränkter sein (z. B. im Falle der Befugnis, bei bestimmten Gelegen­ heiten einen Platz auf einem Grundstück einzunehmen). Es entscheidet hierüber der ausgesprochene Wille der Beteiligten, im Zweifel das persönliche Bedürfnis des Berechtigten (§§ 1090, 1091). Auch nach neuem Recht ist diese Art von Dienstbarkeit nicht übertragbar, doch l) Ein usus animalium kann also nicht mehr vorkommen, Miete und Leche müssen ausreichen.

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

kann wenigstens ihre Ausübung einem andern überlassen werden, wenn dies vom Besteller des Rechts gestattet ist. Wie der usus, so sind auch diese Rechte unvererblich (§§ 1092, 1090, 1061). Besonders hervorgehoben wird vom BGB das (dem Eigen­ tümer gegenüber) ausschließliche Wohnungsrecht (int Gegensatze zum Mitwohnungsrecht). In manchen Beziehungen finden die für den Nießbrauch gegebenen Bestimmungen Anwendung. Übrigens ist der Berechtigte befugt, seine Familie und sein Dienstpersonal in die Wohnung mit aufzunehmen (§ 1093). § 203. Der flte$braucb. 1. Begriff. Der Nießbrauch ist nach der römischen Legaldefini­ tion 1. 1 D. 7, 1 das jus alienis rebus utendi fruendi salva rerum aubstantia, das an die Person des Berechtigten gebun­ dene Recht, von einer fremden Sache, ohne deren Wesen aufzuheben, jeden ordnungsmäßigen Gebrauch zu machen und ihre Nutzungen zu ziehen. Das BGB (§ 1030) bezeichnet den Nießbrauch zwar nur als das Recht, die Nutzungen, d. h. alle Nutzungen, welche die Sache gewährt, zu ziehen, es holt aber in § 1037 das „salva aubstantia“ nach. Der Nießbraucher ist also a) berechtigt, die Früchte zu gewinnen und die sonstigen Nutzungen zu ziehen; die Fruchtgewinnung ist nach gemeinem Recht erst mit der Besitzergreifung, nach neuem Rechte (§ 954) schon mit der Trennung der Frucht vollendet. Die bei Endigung des Nießbrauchs noch nicht geernteten, nach neuem Rechte die zu dieser Zeit noch stehenden Früchte, verbleiben also dem Eigentümer oder dem nachfolgenden Nießbraucher. Bei den sog. fructus civiles ent­ scheidet der Zeitpunkt der Fälligkeit. Der Nießbraucher hat nach den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Wirtschaft zu verfahren; nach neuem Rechte (§ 1038) kann dem Nießbrauch eines Waldes, eines Bergwerks oder einer andern auf Gewinnung von Boden­ bestandteilen gerichteten Anlage ein mit dem Eigentümer vereinbarter Wirtschaftsplan zugrunde gelegt werden. b) Der Nießbraucher ist aber nicht berechtigt, das Wesen der Sache zu ändern, er hat nur die Nutzung der Sache, die der Eigen­ tümer haben würde, und zu der sie von diesem bestimmt ist (so auch §§ 1036, 1037 BGB). Der Nießbraucher darf also z. B. einen Wald nicht in einen Weinberg, einen Park nicht in einen Gemüsegarten umwandeln. Eine Wesensänderung liegt auch in der Verringerung, dem Verbrauche der Sache; besteht aber die bestimmungsmäßige Verwendung der Sache in der Entnahme von Bestandteilen, wie bei einem Steinbruch, einem Bergwerke, so ist der Nießbraucher auch

Sechster Abschnitt: Die Servituten ober Dienstbarkeiten. § 203. 581

zur Substanzverringerung berechtigt, denn dann sind diese Bestand­ teile Fruchte (§ 99). Dem Nießbraucher steht auch nach neuem Recht immer auch der Gebrauch der Sache zu (§§ 1030, 99, 100). 2. Gegenstand des Nießbrauchs können nach früherem wie jetzigem Rechte (§§ 1068,1069) bewegliche und unbewegliche Sachen und übertragbare Rechte sein. Der Nießbrauch an einem Rechte besteht in der Gewinnung der Erträge, welche das Recht seiner Be­ stimmung gemäß oder auf Grund eines Rechtsverhältnisses (z. B. der Verpachtung) gewährt (§ 99), insbesondere gebühren dem Nießbraucher eines aus fortlaufende Leistungen gehenden Rechts die einzelnen Lei­ stungen (§ 1073). Der Nießbraucher einer (unverzinslichen) Forde­ rung hat außerdem das Recht der Einziehung und infolgedessen auch das Recht der Kündigung, nicht aber ein Recht, über die Forde­ rung in anderer Weise, z. B. durch Abtretung oder Verpfändung, zu verfügen. Mit der Einziehung übt er ein fremdes Recht, aber in eigenem Namen aus (actio utilis), daher erwirbt durch sie der Gläubiger den geleisteten Gegenstcnd und der Nießbraucher den Nieß­ brauch an diesem Gegenstände; war die Forderung auf Geld oder andere verbrauchbare Sachen gerichtet, so erwirbt der Nießbraucher den uneigentlichen Nießbrauch am Kapitale (§§ 1074, 1075). Ist die Forderung eine verzinsliche, so steht dem Nießbraucher der Anspruch auf die einzelnen Zinsraten als eigenes Recht zu, zur Ein­ ziehung und Kündigung des Kapitals aber ist er nur in Gemeinschaft mit dem Gläubiger befugt, daher kann auch der Schuldner nur beiden gemeinsam kündigen und zahlen (§§ 1076—1079). Auch verbrauchbare Sachen können Gegenstand des Nieß­ brauchs sein, für sich allein oder als Teile eines mit einem Nießbrauche belasteten Vermögens. Es entsteht dann ein sog. quasiususfructus oder uneigentlicher Nießbrauch. Denn nach altem wie neuem Recht (§ 1067) erwirbt der Nießbraucher in diesem Falle nicht ein Recht an fremder Sache, sondern Eigentum; er wird Schuldner des genus und hat nach Endigung des Nießbrauchs nach altem Recht eine gleiche Menge desselben genus, nach neuem Rechte den Wert, den die Sachen bei der Bestellung hatten, zu erstatten. Vom unverzinslichen Darlehn unterscheidet sich das Rechtsverhältnis dadurch, daß es nach den Nießbrauchsgrundsätzen endet. Jnhaberpapiere und mit Blankoindossament versehene Orderpapiere sind entweder verbrauchbare Sachen (§§ 1084, 92) und in diesem Falle Gegenstand des uneigentlichen Nießbrauchs (§ 1067) oder unverbrauchbare Sachen und stehen alsdann im Eigen­ tum des Gläubigers, aber im Mitbesitz des Gläubigers und des Nieß-

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

brauchers. Die Zins-, Renten- und Gewinnanteilscheine gebühren als Urkunden über die dem Nießbraucher zustehenden eigenen Forde­ rungen allein dem Nießbraucher (§§ 1081—1083, 1079). Der Nießbrauch an einem Vermögen (einer Erbschaft § 1089) ist ein Nießbrauch an den einzelnen zu dem Vermögen gehörigen Gegenständen und wird nur in der Weise begründet, daß er an den einzelnen Vermögensgegenständen bestellt wird (§ 1085). Ta aber das dem Nießbrauch unterliegende Vermögen durch die aus ihm lastenden Schulden vermindert wird, kann der Nießbraucher keine günstigere Stellung erlangen als der Besteller hatte. Die Folge ist, daß für das Kapital solcher Schulden, die vor Begründung des Nießbrauchs entstanden waren, der Besteller zwar persönlich ver­ pflichtet bleibt, daß aber der Nießbraucher sich die Befriedigung dieser Schulden aus den seinem Recht unterworsenen Gegenständen gefallen lassen muß; die Befriedigung geschieht entweder dadurch, daß der Nießbraucher unmittelbar an den Gläubiger leistet, wozu er be­ rechtigt, aber nicht verpflichtet ist, oder dadurch, daß er dem Be­ steller die erforderlichen Gegenstände überläßt, wozu er verpflichtet ist, und daß der Besteller aus ihnen den Gläubiger befriedigt. Die Zwangsvollstreckung kann gegen den Nießbraucher unmittelbar nur dann erfolgen, wenn der Schuldner zur Leistung, der Nießbraucher zur Duldung der Zwangsvollstreckung verurteilt ist (§§ 1086, 1087 BGB, 737—739 ZPO). Für die Zinsen und andere wieder­ kehrende Leistungen dem Nießbrauche vorgehender Schulden haftet der Nießbraucher neben beni Besteller persönlich (§ 1088). Schulden, die nach der Bestellung des Nießbrauchs entstanden sind, können die Stellung des Nießbrauchers nicht verschlechtern, daher unterliegen die Nießbrauchsgegenstände gegen den Willen bcv Nießbrauchers nicht der Zwangsvollstreckung wegen solcher Schulden. 3. Rechtsstellung. 3) Der Nießbraucher ist nach altem Rechte Detentor, nach neuem Rechte Besitzer der Sache, der Eigentümer der Sache ist mittelbarer Besitzer (§ 868 BGB). b) Der Nießbraucher hat nach altem und neuem Rechte die auf der Sache ruhenden öffentlichen und privaten Lasten zu tragen. Dies gilt nach neuem Recht (§ 1047) insbesondere auch betreffs der Zinsen der schon vor Begründung des Nießbrauchs auf der Sache ruhenden Hypotheken und Grundschulden, sowie der auf Grund einer Rentenschuld zu entrichtenden Leistungen. Denn alle diese periodisch wiederkehrenden Leistungen pflegen aus den Erträgen der belasteten Sache gedeckt zu werden. Der Nießbraucher darf aber nicht durch spätere Handlungen des Eigentümers beeinträchtigt wer­ den. Übrigens besteht jene Pflicht des Nießbrauchers nur

Sechster Abschnitt: Die Servituten ober Dienstbarkeiten, § 204. 583 dem Eigentümer gegenüber, der Gläubiger kann sich nur an seinen persönlichen Schuldner oder den Eigentümer der Sache halten (§ 1047). c) Nach altem und neuem Rechte (§ 1041) hat der Nießbraucher die Sache in wirtschaftlichem Stande zu halten und nach Beendigung des Nießbrauchs betn Eigentümer zurückzugeben (§ 1055). Die Folge ist, daß er für Erhaltungskosten keinen Ersatz beanspruchen darf. Zur Erhaltung der Sache gehört regel­ mäßig auch ihre Versicherung gegen Brandschaden und andere Un­ fälle (§§ 1045, 1046). Weitergehende Aufwendungen stehen unter den Grundsätzen von der negotiorum gestio (§§ 1041—1045, 1049), jedoch hat der Nießbraucher das Wegnahmerecht. d) Der Nießbraucher haftet nach altem (1. 65 pr. D. 7, 1) und neuem Rechte (§ 276) für jeden Grad von Fahrlässig­ keit. Während nach bisherigem Rechte der Eigentümer ohne weiteres verlangen konnte, daß der Nießbraucher wegen aller seiner Ver­ pflichtungen durch Realkaution (cautio usufructuaria) Sicher­ heit leiste, er auch dem Nießbraucher die Sache vorenthalten oder wieder abnehmen durste, bis die Kaution gestellt war, gibt das neue Recht (§ 1051) dem Eigentümer ein Recht auf Sicher­ stellung nur, wenn durch das Verhalten des Nießbrauchers die Besorgnis einer erheblichen Gefährdung der Rechte des Eigentümers begründet wird. Das neue Recht gibt dem Eigentümer aber ein weitergehendes Schutzmittel in der Befugnis, die Ein­ setzung eines Verwalters zu verlangen. Dieses Recht besteht sowohl dann, wenn der Nießbraucher zur Sicherheitsleistung rechts­ kräftig verurteilt ist und eine ihm vom Gericht auf Antrag des Eigen­ tümers gestellte Frist hat verstreichen lassen (§ 1052), als auch dann, wenn der Nießbraucher die Rechte des Eigentümers in erheblichem Maße verletzt und trotz Abmahnung sein Verhalten fortsetzt (§ 1054). Der Eigentümer kann selbst zum Verwalter bestellt werden, dieser steht in jedem Fall unter der Aussicht des Gerichts nach den bei der Zwangsverwaltung maßgebenden Grundsätzen (§§ 1052, 1054). Der Eigentümer kann ferner auf Unterlassung klagen, wenn der Nießbraucher einen ihm nicht zustehenden Gebrauch von der Sache trotz Abmahnung macht (§ 1053). 4. Übertragung. Der Nießbrauch ist ein höchstpersönliches Recht. Nach altem und neuem Recht (§ 1059 BGB, 857 ZPO) ist daher nicht das Recht selbst, wohl aber die Ausübung des Rechts (z. B. durch Verpachtung) übertragbar.

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§ 204. n. Grunddienstbarkeiten im allgemeinen» 1. Begriff. Die vom BGB (§ 1018) gegebene Begriffsbestim­ mung der Grunddienstbarkeit: „Ein Grundstück kann zugunsten des jeweiligen Eigentümers eines andern Grundstücks in der Weise be­ lastet werden, daß dieser das Grundstück in einzelnen Beziehungen benutzen darf, oder daß aus dem Grundstücke gewisse Handlungen nicht vorgenommen werden dürfen oder daß die Ausübung eines Rechts ausgeschlossen ist, das sich aus dem Eigentum an dem be­ lasteten Grundstücke dem andern Grundstücke gegenüber ergibt", stimmt mit dem bisherigen Recht überein. Zur erstgenannten Art gehört das Gehen, Fahren, Wasserholen, zur zweiten das Recht, das Bauen oder Höherbauen zu verbieten, die dritte Art besteht in dem Aus­ schluß der sog. Legalservituten. 2. Wesen. Die Grunddienstbarkeiten bilden eine Eigenschaft des „herrschenden" Grundstücks und setzen eine Eigenschaft des „dienen­ den" Grundstücks voraus. Letztere sollte nach römischem Recht eine causa perpetua et naturalis sein, die Servitut fiel danach fort, wenn die dienende Sache jene natürliche Eigenschaft (z. B. fließendes Wasser) verlor, ohne daß der Eigentümer die Pflicht hatte, die natür­ liche Eigenschaft durch eine künstliche Anlage zu ersetzen. Das neue Recht hat dieses Erfordernis nicht übernommen, es können demnach vorübergehende Eigenschaften oder künstliche Anlagen des dienenden Grundstücks Grundlage einer Realservitut werden (§ 1018), sofern sie nur dem herrschenden Grundstücke nützen (§ 1019). Aus dem Wesen des Rechts als eines dinglichen Rechts an fremder Sache folgt, daß der Eigentümer, der einen Teil seines Grundbesitzes zum Dienste für den andern Teil bestimmt, nur sein Eigentum ausübt (nemini res sua servit). Veräußert er den einen Teil und ist er mit dem Erwerber über den Fortbestand der bis­ herigen Benutzung des abgetretenen Teils einig, so wurde nach ge­ meinem Recht aus dem tatsächlichen Zustand ein Servitutrecht, wäh­ rend es nach neuem Rechte (§ 873) bis zur Eintragung bei dem tat­ sächlichen Zustand und der bloßen Einigung verbleibt. Der Grundsatz: praedia debent esse vicina sollte nur besagen, daß beide Grundstücke in einem solchen räumlichen Verhältnisse zu­ einander liegen müssen, daß eine Eigenschaft des einen Grundstücks den Bedürfnissen des andern, wenngleich unter Anwendung künst­ licher Anlagen dienen sonn.1) In diesem Sinne wird das Erforder­ nis auch nach BGB gelten müssen (§ 1019), das es ausdrücklich nicht aufstellt. 0 Späterer Wegfall der Vizimtüt RG 26, 167.

Sechster Abschnitt: Die Servituten oder Dienstbarkeiten. § 204. 585 Ein Recht, das im übrigen den Inhalt einer Realservitut hat, aber zum persönlichen Vorteil eines Grundeigentümers oder einer bestimmten Person bestellt ist, unterliegt nach altem und neuem Rechte (§ 1019) nicht den Grundsätzen von Realservituten. Dem persön­ lichen Vorteile des Berechtigten aber dient das Recht dann, wenn das Maß der Berechtigung über die Bedürfnisse des Grundstücks hinausgeht. Das Recht, aus einem Walde Holz zu entnehmen, ist daher dann keine Grundgerechtigkeit, wenn der Eigentümer des herr­ schenden Grundstücks nicht auf die Menge und die Art des Holzes beschränkt ist, deren er zur Erhaltung der Gebäude und zur Bewirt­ schaftung des herrschenden Grundstücks bedarf.*) Man nannte solche Rechte bisher irreguläre Servituten, fortab heißen sie beschränkte persönliche Dienstbarkeiten, was sie in Wahrheit sind (§ 1090). Die große Fülle der Prädialservituten scheidet man nach ver­ schiedenen Einteilungsgründen. Am gebräuchlichsten wurde die Ein­ teilung in s. urbanae und s. rusticae. Entscheidend war dabei die Eigenschaft des herrschenden Grundstücks als eines bebauten (praedium urbanum) oder als eines nicht bebauten (p. rusticum). Urbanalservituten waren z. B. die Aussichtsgerechtigkeiten (s. ne altiuß tollatur, ne prospectui, luminibus officiatur) und die Bau­ gerechtigkeiten (ß. projiciendi seinen Balkon, Erker usw. zu haben), 3. tigni immittendi, oneris ferendi, stillicidii recipiendi). Rustikal­ servituten sind der iter (Fußweg), via (Fahrweg), actus (Biehtrieb), aquaeductus. Daneben bestehen aber noch die s. aquaehaustus, das jus cretae eximendae, silvae caeduae und viele andere. Zu diesen dem römischen Rechte bekannten sind deutsch-rechtliche Servi­ tuten hinzugetreten. In großer Mannigfaltigkeit bestanden Waldund Weidegerechtigkeiten (Beholzungsrecht, Mastgerechtigkeit). Biele dieser Rechte sind durch die Agrargesetzgebung des 19. Jahrhunderts aufgehoben oder für ablösbar erklärt worden. Wirkliche Grund­ gerechtigkeiten sind sie nur dann, wenn sie sich den Verhältnissen eines herrschenden Grundstücks anpassen. Die römischen Einteilungen sind veraltet, § 1018 BGB gibt eine neue Einteilung nach dem Inhalte des Rechts, ohne daran praktische Folgen zu knüpfen. Die Servituten sind in dem Sinn unteilbar, daß sie weder für noch gegen einen Bruchteil des Grundstücks noch zu einem bloßen Bruchteil des Rechts selbst bestellt werden können. Ihre vertrags­ mäßige Begründung kann nur von allen Miteigentümern des herr­ schenden oder dienenden Grundstücks ausgehen, sofern nicht ein Berrretungsverhältnis des einen zu den andern Miteigentümern ob» 0 Dgl. die auch in Zukunst wichtige Entsch. RG 8, 207; auch RG 1, 329 0. 6 § 1, 1. 6, 24, 29, 33 § 1 D. 8, 3, 1. 44 D. 19, 2,1. 12 Cod. 3, 34).

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

waltet. Wird nach Bestellung der Servitut das herrschende Grund­ stück geteilt, so dauert nach altem und neuem Rechte (§ 1025) die Grunddienstbarkeit fort und zwar, sofern sie nicht an eine Eigen­ schaft eines bestimmten Teils (z. B. ein Recht aus freie Aussicht an die einen kleinen Teil des Grundstücks einnehmende Villa) geknüpft war, für die einzelnen Teile. Es kann also jeder Teileigentümer die volle Servitut ausüben, doch darf sie damit nicht beschwerlicher für das dienende Grundstück werden. Wird das dienende Grundstück geteilt, so besteht nach altem und neuem Rechte die Servitut an jedem Teile des belasteten Grundstücks; war sie aber auf einen be­ stimmten Teil des belasteten Grundstücks beschränkt, so werden die mibent Teile frei (§ 1026). Daraus, daß die Servitut schonend (civiliter) ausgeübt werden soll (§ 1020), folgt, daß der Eigentümer des herrschenden Grundstücks die Servitut für spätere Erweiterungen seines Grund­ stücks nicht in Anspruch nehmen x) kann. Ferner muß er sich ge­ gebenenfalls eine Einschränkung seines Rechts auf einen Teil des an sich unbeschränkt belasteten Grundstücks, nicht aber aus ein anderes Grundstück, gefallen lassen (RG 2, 159 und § 1023 BGB). Für den Schaden aber, den das dienende Grundstück infolge recht­ mäßiger Ausübung der Servitut erleidet, steht der Berechtigte nicht ein (RG 1, 337)/ § 205.

Begründung und Endigung der Dienstbarkeiten,

A. Die Dienstbarkeiten wurden nach früherem Rechte be­ gründet: 1. Durch Rechtsgeschäft (letztwillige Verfügung oder bloßen Vertrag ohne Übergabe). Die Bestellung muß vom veräußerungsberechtigten Eigentümer bewirkt werden. 2. Durch Ersitzung, die sich durch eine zwanzig Jahre unter Abwesenden, zehn Jahre unter Anwesenden mit dem animus juris exercendi, non vi nec clam nec precario fortgesetzte Ausübung des Servitutrechts vollendet und eines Titels nicht bedarf. Es genügt zum animus juris e. der Glaube, ein Recht auf die fragliche Be­ nutzung zu haben, wenngleich diesem Glauben der Irrtum zugrunde liegt, das Recht fei ein umfassenderes, insbesondere Eigentum. Dieser Art der Entstehung entspricht es, daß die Servitut nur in dem Um­ fang erworben wird, in dem sie ausgeübt worden (quantum posaeaaum, tantum praeacriptum). Denn es kann nicht durch fortgesetzten Besitz ein umfassenderes Recht erworben werden, als die Beteiligten haben ausüben und dulden wollen (RG 1, 335). Die Erhaltung einer ein* *) Modifiziert für Gebüudeservituten, RG 27, 164.

Sechster Abschnitt: Die Servituten oder Dienstbarkeiten, g 205. 587

mal erworbenen Servitut setzt aber nicht notwendig voraus, daß sie stets bis zur äußersten Grenze des Rechts ausgeübt werde (1. 18 D. 8, 3, 1. 8 § 1, 1. 9 D. 8, 6). 3. Durch Gesetz entstand nach deutschem Rechte der Nießbrauch des Ehemanns am Vermögen der Frau, des Vaters am Vermögen des Kindes. Das neue Recht weicht hiervon in mehreren Beziehungen ab. Es unterscheidet zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen. An unbeweglichen Sachen sind alle Dienstbarkeiten, an beweglichen ist nur der Nießbrauch möglich. 1. Zur Entstehung einer Servitut an einer unbeweglichen Sache ist entweder a) der formale dingliche Vertrag und die Eintragung im Grundbuch erforderlich; eine letztwillige Verfügung gibt demnach dem Bedachten nur einen persönlichen Anspruch gegen den Erben auf Bestellung der Servitut (§ 873 BGB); b) oder es ist die sog. Buch- oder Tabularersitzung notwendig, die hier darin besteht, daß jemand das für ihn ein­ getragene, aber ihm in Wahrheit nicht zustehende Servitutrecht durch 30 Jahre ausübt (§ 900 Abs. 2). Die eigentliche Ersitzung ist für alle Servituten an unbeweg­ lichen Sachen als Erwerbsgrund beseitigt. 2. Der Nießbrauch an beweglichen Sachen kann erworben werden: a) durch Übergabe der Sache aus Grund dinglichen Vertrags (also sog. traditio ex justa causa); betreffs des Besitzerwerbs und des Rechtserwerbs vom Nichtberechtigten gilt hier das, was für den Eigentumserwerb an beweglichen Sachen Rechtens ist (§ 1032); die körperliche Übergabe kann durch brevi manu traditio (einen Vorbehalt), durch constitutum possessorium sowie durch Ab­ tretung des Herausgabeanspruchs ersetzt werden; b) durch Ersitzung, und zwar kommen auch hier die Grund­ sätze von der Ersitzung des Eigentums an beweglichen Sachen zur Anwendung (§ 1033). 3 Der Nießbrauch an einem Rechte kann nicht durch Er­ sitzung, sondern nur durch Bestellung begründet werden. Die Be­ stellung geschieht in derselben Weise, wie die Übertragung des Rechts erfolgt (§ 1069). B. Eine Servitut wurde nach früherem Recht aufgehoben: 1. durch Verzicht, durch Wiederaufhebung desjenigen Rechts, das den Besteller der Servitut zu ihrer Begründung befugt machte, durch Eintritt des Endtermins, der Resolutivbedin­ gung;

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

2. durch Untergang der belasteten Sache. Wurde sie wiederhergestellt, so lebte das Recht wieder auf, der Nießbrauch da­ gegen dann nicht, wenn die neue Sache sich als eine andere dar­ stellte, als die ursprünglich belastete war. Die Personalservituten gingen denn auch schon dann unter, wenn eine wesentliche Ver­ änderung der belasteten Sache erfolgte; 3. durch Konfusion; der Erwerb des Eigentums durch den Nießbraucher wird Konsolidation genannt (§ 3 I. 2, 4), ist aber nur eine Art Konfusion. 4. Durch Verjährung, d. h. dadurch, daß der Berechtigte unter Anwesenden zehn, unter Abwesenden zwanzig Jahre hindurch die Servitut nicht ausübte (non usus). Bei den ständigen Servi­ tuten reichte der bloße Zeitablauf nicht aus, weil schon der Zustand, aus den die Servitut ein Recht gab, an sich eine Ausübung enthielt. Daher bedurfte es des Eintritts eines der Servitut widersprechenden Zustands und des Ablaufs der damit in Lauf gesetzten Verjährungs­ frist (sog. uaucapio libertatis). Der rechtswidrige Zustand durfte aber nicht vi, dam oder precario entstanden sein. Blieb daneben die Ausübung der Servitut möglich, so bewirkte die uaucapio liber­ tatis nur eine Einschränkung des Rechts (RG 14, 211). 5. Personalservituten gingen unter durch den Tod des Berechtigten, die einer juristischen Person zustehenden nach Ablauf von 100 Jahren, der gesetzliche Nießbrauch durch Endigung des Zustands, an den das Gesetz seine Entstehung knüpfte, Realservi­ tuten durch den Untergang der herrschenden Sache. Da aber Gebäudeservituten nicht dem Gebäude (da dies nur Akzession), sondern dem Grundstücke selbst zustehen, so gingen sie auch mit dem Wegfalle des Gebäudes nicht unter (RG 27, 164). Nach neuem Recht enden alle Dienstbarkeiten mit dem Unter­ gänge der belasteten Sache. Ein Untergang der Sache liegt in ihrer Verarbeitung oder Umbildung (§ 950 Abs. 2). Grunddienstbarkeiten fallen weg mit dem Untergange des herrschenden Grundstücks, persön­ liche Dienstbarkeiten mit dem Tode der berechtigten physischen oder dem Aufhören der juristischen Person, ohne daß in diesem Fall eine bestimmte Zeitgrenze gesetzt (§§ 1061, 1090) oder ein Unterschied zwischen eingetragenen und nicht eingetragenen Rechten gemacht würde. Der Eigentümer des mit einer eingetragenen persönlichen Dienstbarkeit belasteten Grundstücks kann also die Löschung herbei­ führen, wenn er dem Grundbuchamte den Tod des Berechtigten durch eine öffentliche Urkunde nachweist (§ 29 GBO, vgl. jedoch § 23 das ). Im übrigen wird auch hier zwischen beweglichen Sachen, also uneingetragenen Servituten und unbeweglichen Sachen, also einge­ tragenen Dienstbarkeiten, unterschieden. Der Nießbrauch an einer

Sechster Abschnitt: Di« Servituten oder Dienstbarkeiten.

§ 206. 589

beweglichen Sache endet durch Konfusion, es sei denn, daß der Eigentümer ein rechtliches Interesse am Fortbestände des Nieß­ brauchs hätte, und durch einen dem Eigentümer gegenüber erklärten Verzicht (§§ 1063, 1064, 1072). Er muß ferner durch Eintritt des Endtermins, der auflösenden Bedingung untergehen und endet, sofern er nicht allen Pfandrechten vorgeht, mit der Pfandveräußerung der belasteten Sache (§ 1242). Die eingetragenen Dienstbarkeiten erlöschen a) mit dem Willen des Berechtigten durch die auf Grund der formellen Verzichtserklärung erfolgende Löschung des Rechts im Grundbuche (§ 875). Die Verzichtserklärung muß vom Berechtigten selbst und bei Grundgerechtigkeiten auch von denjenigen abgegeben werden, die Rechte am herrschenden Grundstücke haben (§ 876 S. 2 BGB, vgl. § 21 GBO); b) ohne den Willen des Berechtigten. Hierher gehört bei Grunddienstbarkeiten die Verjährung des Anspruchs auf Beseitigung einer das Recht beeinträchtigenden Anlage (§ 1028) und die Nichtübernahme bei der Zwangsversteigerung (§ 52 ZwstG). Dagegen erlöschen sie nicht durch Konfusion. § 206. Der Schutz der Dienstbarkeiten. 1. Frühere- Recht. Aus dem Rechtsgeschäfte, durch das die Servitut begründet wurde, steht dem Berechtigten ein persönlicher Anspruch zur Seite (z. B. die actio venditi, ex teatamento), wenn derjenige die Servitut stört oder bestreitet, der durch das Rechts­ geschäft verpflichtet ist. Aber auch in diesem Falle steht dem Be­ rechtigten, ebenso wie dann, wenn ein dritter sich der Servitut wider­ setzt, die dingliche vindicatio aervitutia oder a. confessoria zu. Klagegrund ist die Servitut, der Kläger hat also die Entstehung der Servitut und damit auch nachzuweisen, daß der Besteller deRechts Eigentümer "bet belasteten Sache war, und bei Prädial­ servituten, daß er selbst Eigentümer des herrschenden Grundstücks ist. Eine Erleichterung gewährte der publizianische Rechts­ schutz, der auf die Servituten ausgedehnt war. Danach bedurfte es nur des Nachweises, daß der Besteller sich im Usukapionsbesitze der belasteten Sache oder daß der Kläger sich im Usukapionsbesitze der herrschenden Sache befand. Die a. confessoria Publiciana konnte aber nur gegen den Schlechterberechtigten, d. i. gegen denjenigen, der ohne Titel oder unredlich besaß, gerichtet werden. Endlich genoß der Besitz der Servituten possessorischen Schutz (s. oben S. 493ff.). 2. Das neue Recht gibt Rechts- und Besitzschutz. a) Kommt es dem Berechtigten nur darauf an, eine An­ erkennung seines in Frage gestellten Rechts zu erzielen, so dient ihm

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

die Feststellungsklage (§ 256 ZPO). Die vom BGB zum Schutze von Grunddienstbarkeiten und beschränkten per­ sönlichen Dienstbarkeiten (§§ 1027, 1090) gewährte Sei* stungsklage setzt eine Beeinträchtigung des Rechts, d. h. einen Zustand voraus, der im Widersprüche steht zu dem Rechte des Klägers (§ 1004), sie gleicht also der gemeinrechtlichen a. negatoria und geht auf Beseitigung der Störung und, falls weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind, auf Unterlassung. Kläger ist der Servitutberech­ tigte, Beklagter derjenige, mit dessen Willen die Beeinträchtigung erfolgt. Bei beiden Klagen hat der Kläger sein Recht zu beweisen; diesen Beweis führt er der in § 891 ausgestellten Vermutung gemäß durch Hinweis auf die Grundbucheintragung des geltend gemachten Rechts und, bei Grunddienstbarkeiten, auch seines Eigentums am herrschenden Grundstücke. Bei der Leistungsklage hat der Kläger ferner die Beeinträchtigung, bei der Feststellungsklage sein Interesse an alsbaldiger Feststellung zu beweisen. Die zum Schutze des Nieß­ brauchs anzustellende Klage kann eine Vindikation oder eine Nega­ toria sein (§ 1065), die erstere dann, wenn dem Nießbraucher der Besitz entzogen ist (§§ 985, 1036), die letztere dann, wenn die Be­ einträchtigung in anderer Weise geschieht (§ 1004). Auch hier wird der Beweis des klägerischen Rechts durch die vom Gesetz aufgestellten Vermutungen erleichtert: dem Nießbraucher einer beweglichen Sache kommt die in § 1006 aufgestellte Vermutung insofern zustatten, als der Kläger mit dem Nachweise früheren Besitzes auch gleichzeitig den Beweis führt, daß er während dieses Besitzes Nießbraucher ge­ wesen sei, und daß er mit dem Nachweise gegenwärtigen Besitzes auch den Nachweis gegenwärtigen Nießbrauchs führt. Der Nieß­ braucher hat ferner die Klage aus früherem Besitze gegen den Schlechterberechtigten (§ 1007). Feststellungs- und Leistungsklage können verbunden werden. b) Der Besitzschutz ist entweder Schutz im Besitze der Sache oder Schutz im Besitze des Rechts. Wo Sachbesitz vorhanden, ist auch Sachbesitzschutz gegeben. Der Schutz im Rechtsbesitz ist beschränkt (f. oben S. 492, 496 ff.).

Siebenter Abschnitt: Die Reallast. 8 207.

1. Geschichte. Die Reallast war dem römischen Rechte jrcind (vgl. 1. 81, § 1 D. 18, 1); sie hat sich im Mittelalter aus den zahl­ reichen Verhältnissen persönlicher oder dinglicher Abhängigkeit der

Siebenter Abschnitt: Die Reallast. § 207.

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Grundbesitzer entwickelt, hat später aber auch (im Rentenkaufe) dem Kreditbedürsnisse zu genügen gesucht. Sie ist dem römischen Rechte nicht erlegen, sondern hat sich nicht nur partikularrechtlich, sondern auch kraft gemeinen Gewohnheitsrechts erhalten. Zwar wurden mit der Aufhebung jener Herrschastsverhältnisse in der neueren Zeit auch die mit ihnen verknüpften Reallasten beseitigt, indessen befriedigt das Institut noch jetzt vorhandene wirtschaftliche Bedürfnisse. Das BGB läßt daher nicht nur die vorhandenen Reallasten unberührt, es widmet dem Institute sogar einen besonderen Abschnitt (Art. 184 EG, §8 1105-1112). 2. Begriff. In Übereinstimmung mit dem bisherigen Rechte bestimmt das BGB die Reallast in § 1105 in folgender Weise: „Ein Grundstück kann in der Weise belastet werden, daß an denjenigen, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, wiederkehrende Leistungen aus dem Grund­ stücke zu entrichten sind. Die Last kann zugunsten einer einzelnen bestimmten Person oder zugunsten des je­ weiligen Eigentümers eines andern Grundstücks be­ stellt werden" (subjektiv-persönliche — subjektiv-dingliche Lasten). Sie sind nicht Servituten, denn sie verpflichten zu einem Leisten, sie sind nicht Hypotheken, denn sie haben nicht den Zweck der Sicher­ stellung, sie enthalten überdies die Pflicht zu wiederkehrenden Lei­ stungen, nicht zu einer einmaligen Kapitalleistung, über ihre recht­ liche Natur hat von jeher Streit geherrscht. Eine Reihe von Kon­ struktionen hat keinen Anklang gesundend) Dem Zweifel darüber aber, ob die Reallast eine reine Obligation, ein reines dingliches Recht oder ein mit einer Realobligation verbundenes dingliches Recht sei, hat das BGB ein Ende gemacht, da dieses die Reallast­ berechtigung als dingliches Recht und ebenso die Haf­ tung für die einzelnen Leistungen als dingliche Be­ lastung aufsaßt (§8 1105, 1107 BGB, 8 10 Nr. 4 ZwstG), daneben aber den Eigentümer für die während seiner Besitzzeit fällig werdenden Leistungen auch persön­ lich haftbar macht und daher bei einer Teilung des Grundstücks die Miteigentümer als Gesamtschuldner behandelt (8 1108). Ab­ gewiesen ist damit die Auffassung (v. Savigny, v. Gerber, Stobbe), daß die Reallast nichts weiter sei als eine persönliche Beipflichtung, deren Schuldner durch den Besitz eines Grundstücks bestimmt werde, abgewiesen aber auch die Anschauung (Duncker, Unger, v. Meibom), daß die Reallast ausschließlich in einer dinglichen Belastung bestehe. *) 6. ihre Zusammenstellung bei v. ®erber § 169 und Stobbe 2

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

Diese dingliche Belastung ist jedoch dem BGB das Wesentliche und hat zur Folge, daß das Grundstück auch für die Leistungen aus der Besitzzeit früherer Eigentümer dinglich haftet. Die daneben stehende persönliche Haftung des jeweiligen Eigentümers für die Leistungen aus seiner Besitzzeit kann ausgeschlossen werden. Mit dieser persön­ lichen Haftung ist nicht zu verwechseln die etwaige persönliche Ver­ pflichtung des Begründers der Reallast aus dem ihrer Begründung zugrunde liegenden Rechtsgeschäfte. Die Reallast kann z. B. einen Teil des für ein Grundstück versprochenen Kaufpreises darstellen, der Käufer haftet dann neben dem Grundstückseigentümer persönlich (a. venditi). Wird das berechtigte Grundstück geteilt, so entstehen bei Teil­ barkeit des Rechts so viele einzelne Realberechtigungen, als Teile vor­ handen sind, während bei Unteilbarkeit des Rechts eine gemeinschaft­ liche Berechtigung entsteht (§§ 1109, 432 BGB). Die Realberechtigung ist regelmäßig an eine bestimmte Person oder an ein bestimmtes Grundstück gebunden, sie ist daher nach altem und neuem Rechte (§§ 1110, 1111) regelmäßig unübertragbar. 3. Arten. Die Reallast kann dem öffentlichen wie dem Privatrecht angehören, a) Zu den ersteren gehören z. B. die Ver­ pflichtungen von Grundeigentümern zur Leistung von Deichlast­ beiträgen, zu Kirchen- und Schulabgaben. Die Grundsteuer dagegen ist eine reine Steuer, eine allgemeine Abgabe, welche von den Per­ sonen der Grundbesitzer geleistet und deren Höhe nur nach dem Werte des Grundvermögens bestimmt wird. Die öffentlich-rechtlichen Real­ lasten werden auch in Zukunft ausschließlich dem Landesrecht unter­ liegen. b) Die privatrechtlichen Lasten konnten früher durch Gesetz, Willenserklärung oder Ersitzung, können aber nach dem BGB dem Eintragungsprinzipe gemäß nur durch die auf Grund ding­ lichen Vertrags erfolgende Eintragung im Grundbuch entstehen (§ 873). 4. Aufgehoben wird die Reallast nach altem und neuem Rechte durch Wegfall des berechtigten oder belasteten Grundstücks, nach früherem Recht auch durch Verzicht, Konfusion und Verjährung (b. h. non usus während 30 oder 40 Jahren), während nach neuem Rechte nur die Löschung der Last im Grundbuch auf Grund formaler Löschungsbewilligung die Last beseitigt, selbst dann, wenn das Recht an eine bestimmte Person gebunden ist und diese wegfällt, oder die Last sonst zeitlich beschränkt ist und das beendende Ereignis eintritt (§ 875). Dagegen unterliegt der Anspruch auf die einzelne Leistung nach altem und neuem Rechte der Verjährung, und zwar nach neuem Recht (§§ 1107, 197) einer solchen von 4 Jahren.

Siebenter Abschnitt: Di« Rrollast. g 207.

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Die Reallast endet durch den Zuschlag des belasteten Grund­ stücks, wenn sie nicht bei Feststellung des geringsten Gebots berück­ sichtigt ist (§ 52 ZwstG mit dem Borbehalt in § 9 EG hierzu). Eine eigentümliche Beendigungsart bildet die Ablösung. Im Laufe des 19. Jahrhunderts aus volkswirtschaftlichen Gründen öfter durch Gesetz angeordnet, besteht sie in der Zahlung des Kapitalwerts der Last an den Berechtigten. Ob das Kapital, das nach Feststellung des Geldwerts der einzelnen Leistung und entsprechender Verviel­ fältigung dieses Werts berechnet wird, durch einmalige Zahlung ge­ tilgt oder im Wege der Amortisation abgetragen wird, ist gleichgültig, da die Reallast in jedem Fall aufgehoben wird. Sofern die Ab­ lösung int Wege freier Vereinbarung der Beteiligten erfolgt, gibt sie nach dem BGB dem Belasteten einen Anspruch auf Löschungs­ bewilligung. Zahlreiche (durch Art. 113 EG aufrecht erhaltene) Gesetze zwingen aber den Berechtigten zur Annahme des Ablösungs­ kapitals und damit zum Verzicht aus die Reallast. 5. Rechtsschutz, a) Zum Schutze der privatrechtlichen Reallast gab das alte Recht petitorische und possessorische Rechtsmittel. War das Recht streitig, so konnte eine Feststellungsklage ausreichen, andernfalls eine Klage nach Analogie der a. confessoria zum Ziele führen. Die einzelne Leistung war Gegenstand einer dinglichen Klage nach Art der a. hypothecaria, sie ging auf die Verurteilung des Beklagten zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung ins Grundstück. Ob auf die einzelne Leistung auch persönlich geklagt werden konnte, war streitig (s. oben unter 2). Der Besitz einer Reallast entstand durch Entgegennahme der animo solvendi, wenngleich nur einmal, gemachten Leistung. Zum Schutz eines so entstandenen Besitzes konnte die Besitzklage erhoben werden, dem verurteilten Eigentümer stand aber die a. negatoria offen. Auch wegen Unterlassung oder Verweigerung der einzelnen Leistung konnte possessorisch geklagt werden. b) Nach neuem Rechte kann auf Feststellung des Rechts selbst nur dinglich, auf die einzelne Leistung dinglich oder persönlich geklagt werden (§§ 1107, 1108). Einen Besitzschutz gewährt das BGB nicht, denn er ist überflüssig. Die öffentlich-rechtlichen Realleistungen werden im Wege der Verwaltungsexekution beigetrieben. 6. Der Rentenkauf. Ein im Mittelalter häufig vorkommendes Institut war die infolge Rentenkauss begründete Rentenschuld. Sie kam insbesondere in den Städten in der Weise vor, daß ein Kapital­ besitzer einem Hausbesitzer eine Summe Geldes gab und dieser dafür die Zahlung einer Rente an jenen übernahm. Der Rentengläubiger konnte das Kapital selbst nicht zurückfordern, die Rente war Gegen(EnAtlmann, Bürgerliche- Recht. 6. Aufl. 38

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Drilles Buch: Das Sachenrecht.

leistung für das unwiderruflich hingegebene Kapital, man sah daher in dem Geschäfte den Kauf einer Rente, in dem Rentenberechtigten den Käufer. Der Verkäufer belastete nur das Grundstück, nicht sein übriges Vermögen, er erlangte, abgesehen von vertragsmäßiger Ver­ einbarung, früh durch Gesetz das Recht, die Rente durch ein Kapital abzulösen. Erfolgte die Rentenzahlung nicht, so konnte der Renten­ käufer sich im Wege der Exekution das Grundstück übereignen lassen. Der Gläubiger erhielt eine Urkunde, den Rentenbrief, der häusig auf den Inhaber gestellt wurde. Seit dem 17. Jahrhundert wurde das Geschäft durch die moderne Hypothek fast völlig verdrängt. Denn diese gewährte beiden Teilen das Kündigungsrecht und verhaftete außer dem Grundstücke das gesamte Vermögen des ursprünglichen Schuldners. Die Rentenschuld kommt noch in einer andern, durch wirtschaft­ liche Bedürfnisse der Gegenwart begünstigten Gestalt vor. Ter Er­ werber eines Grundstücks zahlt statt des Kaufpreises eine Rente, oder der frühere Reallastpflichtige zahlt an Stelle des Ablösungs­ kapitals eine Rente; sie dient also zur Erleichterung einer Verpflich.tung, im ersten Falle zugleich zur Erleichterung des Grunderwerbs, und man bezeichnet die in dieser Weise erworbenen Güter gewöhnlich als Rentengüter (z. B. im Falle des § 1 des Besitzfestigungs­ Gesetzes vom 26. Juni 1912). Das BGB läßt die Rentenschuld als dingliche Belastung sowohl in Form der Reallast als in der der Grundschuld zu. Die Reallast kann zur Leistung sowohl von Geldrenten als von andern Renten, die Rentengrundschuld immer nur zu Geldleistungen verpflichten. Die Rentengrundschuld begründet ausschließlich dingliche, die Real­ last eine auch persönliche Haftung für die einzelne Leistung. Eine Reallast kann das Leibgedinge sein (der Altenteil oder Auszug). Es bildet eine Gegenleistung für die Überlassung eines kleineren (bäuerlichen) Landguts und kann sich auf Gewährung eines Wohnungsrechts beschränken, auch in der Einräumung des Nieß­ brauchs am Gute bestehen. Reallast ist der Auszug nur dann, wenn der Altsitzer das Recht erlangt, fortlaufende Leistungen zu verlangen. Der Überlassungsvertrag kann Kauf sein und ist niemals Schenkung. An sich nur eine persönliche Verpflichtung zur Gewährung des Aus­ zugs begründend, werden die eingeräumten Rechte dinglich durch die Eintragung (Art. 96 EG und z. B. Art. lf) des preuß. Ausführ.-G. v. 20. 9. 1899).

Achter Abschnitt: Das Pfandrecht, g 208.

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Achter Abschnitt: Das Pfandrecht. § 208.

Begriff und Geschichte des Pfandrechte.

Im allgemeinsten Sinne ist Pfandrecht das an einem Vermögensgegen st aride bestehende Recht des Gläubigers, den Gegenstand zum Zwecke der Befriedigung seiner Forderung zu verwerten. Die Verwertung geschieht regel­ mäßig durch Verkauf, kann aber auch in anderer Weise erfolgen. Da sie unmittelbar die Tilgung der Schuld herbeiführt, gibt das Pfandrecht eine Sicherheit dafür, daß die Tilgung erfolgen werde. Es gewährt im Gegensatze zur Bürgschaft, welche dem Gläubiger einen zweiten persönlichen Schuldner schafft und also immer auf dem Personalkredit des Schuldners und des Bürgen beruht, eine Realsicherheit, die von den persönlichen Eigenschaften des Schuldners nicht abhängt und also auf dem Realkredit, d. h. dem der Verwert­ barkeit der Sache geschenkten Vertrauen, beruht. I. Dem Zwecke der Sicherstellung diente im altrömischen Rechte die mancipatio oder in jure cessio. Wer seinem Gläubiger Realsicherheit gewähren wollte, konnte das nur auf dem Wege er­ reichen, daß er seinem Gläubiger das Eigentum an einer Sache verschaffte; die Übertragung geschah aber unter der Abrede der Rück­ übertragung nach Tilgung der Schuld (b. h. fidei, fiduciae causa). Der Gläubiger erlangte dadurch eine äußerst vorteilhafte Stellung gegenüber dem Schuldner, da dieser auf die — allerdings infamierende — persönliche actio fiduciae angewiesen war. Dem nur auf Sicher­ stellung gerichteten Zwecke dieses Rechtsgeschäfts wurde dadurch Rech­ nung getragen, daß der Gläubiger den Wert der gezogenen Früchte vom Schuldbetrag abzuziehen hatte. Sicherstellung des Gläubigers glaubte der Verkehr auch dadurch zu erreichen, daß man dem Gläubiger durch Vertrag den bloßen Besitz und die Verkaufsbefugnis einräumte (pactum de vendendo). Denn obwohl der Gläubiger nur die Detention der Pfandsache erlangte, wurde er vom Prätor geschützt; der Pfandbesitz wurde dadurch zum Interdikten- („abgeleiteten") Besitze. Man nannte diese Form der Sicherstellung pignus, ging aber in offen­ barer Anlehnung an ein griechisches Vorbild so weit, dem Gläubiger ein Recht auf den Besitz einzuräumen, wenn der Schuldner ihm das bloße Verkaufsrecht, nicht auch zugleich den Besitz übertragen hatte (pactum hypothecae). Die letztere Berpfändungsform kam insbesondere im Anschluß an die Verpachtung ländlicher Grundstücke vor, indem der Pächter dem Verpächter das Zugrisfsrecht an den sog. invecta et illata einräumte. Denn um das Berkaufsrecht aus-

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

üben zu können, mußte der Gläubiger vorerst den Besitz der Sache haben. Das prätorische Recht half auch hier, indem es dem Ver­ pächter das interd. Salvianum (ein int. adipiscendae possessionis) gegen den Pächter, gegen dritte aber eine der Vindikation nach­ gebildete Klage, die actio Serviana, gab. Später wurde diese Klage in jedem Fall einer hypotheca als utilis oder quasi Serviana ge­ währt und mit dem Namen a. hypothecaria bezeichnet. Diese ding­ liche Klage wurde nun auch beim pignus gegeben, wenn der Pfand­ gläubiger sich nicht im Besitze befand, ihn aber zum Zwecke des Verkaufs wiedererlangen wollte. So war das Pfandrecht zu einem dinglichen Rechte ge­ worden, man wandte die Grundsätze des Pfandrechts in entsprechen­ der Weise aber auch da an, wo dem Gläubiger nicht durch Hingabe einer körperlichen Sache, sondern durch Gewährung des Zu­ griffsrechts an einer Forderung Sicherheit gewährt wurde. Die beiden Verpfändungssormen, das pignus und die hypo­ theca, blieben nebeneinander bestehen, aber sie näherten sich in einer Weise, daß gesagt werden konnte, inter pignus et hypothecam tantum nominis sonus differt (Marcianus in 1. 5 § 1 D. 20, 1). Die Gleichstellung war in der Tat eine vollständige. Denn das römische Recht legte keinen Wert darauf, daß der Gläubiger den Besitz des pignus wirklich erhielt oder behielt, vielmehr konnte die Besitzübertragung durch constitutum possessorium erfolgen, und auch die spätere Rückgabe der Sache an den Verpfänder hob das Pfand­ recht nicht auf. Dazu kam, daß für Verpfändung beweglicher und unbeweglicher Sachen die gleichen Grundsätze galten und daß das römische Recht in vielen Fällen gesetzliche Pfandrechte am ganzen Vermögen des Schuldners zuließ. Das römische Pfandrecht konnte den Bedürfnissen des Verkehrs nicht genügen, da es nicht zur Anerkennung des Rechtsgedankens gelangte, daß ein gegen jeden wirkendes Recht auch jedem erkennbar sein müsse. Dazu kam, daß viele Pfandrechte bevorzugt wurden. Der gutgläubige Käufer einer mit einem Pfandrechte belasteten Sache war daher der Gefahr ausgesetzt, die Sache an den Psandgläubiger ausliefern zu müssen, und ein jeder Kreditgeber lief die Gefahr nicht nur, daß die ihm zu verpfändende Sache mit älteren ihm unbekannten Pfandrechten belastet war, sondern auch daß der Schuldner später ein Rechtsverhältnis eingehen könne, das die Entstehung eines bevor­ zugten Pfandrechts zur Folge hatte. Auch die Verweisung des Gläu­ bigers auf seinen persönlichen Schuldner, wenn er vom dritten Be­ sitzer der Psandsache Herausgabe verlangte, nötigte zu vorheriger Ausklagung des persönlichen Schuldners und widersprach dem Zwecke der Pfandbestellung.

Achter Abschnitt: Das Pfandrecht. § 208.

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II. Dem deutschen Rechte war der Gegensatz von Fahrnisu nb Liegenschaftspfand sowie der Mangel einer neben der Sach­ haftung bestehenden persönlichen Haftung des Verpfänders eigen­ tümlich. 1. Das Pfandrecht an beweglicher Habe konnte nur durch Besitz­ übertragung begründet werden: „Ohne Faust kein Pfand". In älterer Zeit war es Verfallspfand, d. h. die Sache verfiel dem Gläubiger, wenn der Verpfänder sie nicht binnen bestimmter Frist einlöste. Die Schuld war damit getilgt, mochte der Wert des Pfands den Betrag der Schuld übersteigen oder hinter ihm zurückbleiben. Später wurde es üblich, durch ein besonderes Treugelöbnis eine neben die Sachhaftung tretende persönliche Haftung zu begründen. Das Pfand wurde zum Berkaufspfande, d. h. nach Fälligkeit der Schuld wurde das Pfand verkauft, der Gläubiger aus dem Erlöse befriedigt und der etwaige Überschuß an den Schuldner herausgezahlt, während der Schuldner auf Grund seines Treugelöbnisses für den Rest der etwa nicht vollgedeckten Schuld verhaftet blieb. 2. Sollten Liegenschaften „versetzt" werden, so griff man ur­ sprünglich, wie in Rom, zur Eigentumsübertragung. Sie war regel­ mäßig resolutiv bedingt: das Grundstück mußte dem Schuldner zu Eigentum zurückübertragen werden, wenn er zahlte. Dieses Rechts­ geschäft hat sich zu dem späteren Wiederkauf entwickelt. Neben dem Eigentumspfand entwickelte sich schon in fränkischer Zeit in der sog. älteren Satzung ein Nutzungspfand. Sie bestand in der Be­ gründung eines Rechts an ftemder Sache, aber mit Übertragung der (Satzung--) Gewere und Überlassung der Nutzungen an den Gläu­ biger und zwar entweder so, daß die Nutzungen einen Ersatz für die Zinsen bilden (Zinssatzung) oder so, daß sie allmählich die Kapitals­ schuld tilgen sollten (Totsatzung). In der Zeit der Rechtsbücher trat an Stelle dieser der römischen Antichrese vergleichbaren Berpfändungssorm ein der römischen Hypothek ähnliches Rechtsinstitut in der jüngeren (oder neueren) Satzung, d. h. einer Verpfändung, welche nur die Wirkungen einer Beschlagnahme hatte und welche dem Schuldner Besitz und Nutzung des Grundstücks beließ. Diese neuere Satzung gab dem Gläubiger nichts weiter als ein Übereignungs- oder Exekutionsrecht an der versetzten Sache; denn auch bei ihm fehlte anfangs die persönliche Haftung des Schuldners, und dem kanonischen Zinsverbote gemäß durste der Gläubiger auch keine Zinsen nehmen. Es wirkte ferner nur gegen den Verpfänder, nicht auch gegen einen Erwerber des Guts, der Gläubiger mußte sich deshalb durch Vertrag mit dem Verpfänder vor der Veräußerung der Sache und also dem Untergänge seines Rechts schützen. Später ließ inan den Grundsätzen des römischen Rechts gemäß den Verpfänder auch persönlich haften

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Drittes Buch: Das Sachenrecht.

und mit dem Versatz ein dingliches Recht an der Sache entstehen. Der Versatz verlangte aber Öffentlichkeit (d. h. Gerichtlichkeit) der Er­ klärung und Eintragung in das össentliche Buch. Wurde gegen den dritten Besitzer geklagt, so entfiel das römisch-rechtliche benefifcium excussionis personalis. Ten Interessen des Realkredits entsprach noch besser der Rententaus. Dieser gewährte von vornherein dem Gläubiger ein dingliches Recht und in der Rente eine Nutzung seines Kapitals, denn die Rente war nicht Zins, das Rentennehmen also nicht durch das kanonische Zinsverbot getroffen. Aber während die durch das Pfand gesicherte Schuld von beiden Teilen gekündigt werden konnte, war das Rentenkapital ursprünglich unkündbar. Rentenkauf und Satzung verschmolzen fast vollständig, als auch durch die Satzung ein dingliches Recht entstand, als dem Schuldner das Recht eingeräumt wurde, die Rente durch Zahlung eines Kapi­ tals abzulösen und insbesondere, als seit dem dreißigjährigen Kriege das Zinsennehmen erlaubt wurde. Die Folge war, daß der akzesso­ rischen Verpfändung vor der Begründung des selbständigen Renten­ bezugsrechts der Vorzug gegeben wurde und der Rentenkauf aus dem Rechtsleben fast vollständig verschwand. III. Merkwürdigerweise wurden diese in zahlreichen lokalen Ge­ wohnheitsrechten und Statuten zersplitterten Grundsätze gegenüber dem Anstürme des einheitlich geschlossenen römischen Rechts fast überall ausgegeben. Seit etwa dem 18. Jahrhundert aber besann man sich der wirtschaftlichen Überlegenheit der heimischen Einrich­ tungen und knüpfte an sie an, als man zur Beseitigung des römischen Rechts schritt. Letzteres blieb allerdings als gemeines Recht überall da stehen, wo die modernen Partiknlargesetze keine ausschließliche Geltung in Anspruch nahmen. Bei diesem Zurückgreisen aus die bewährten deutschen Rechts­ gedanken mußte man vor allem eine scharfe Scheidung zwischen Mobiliar- und Jmmobiliarpsandrecht machen. Für beide verlangte man Erkennbarkeit, also für das Pfandrecht an beweglichen Sachen Besitzübertragung, für die Hypothek Eintragung. In beiden Be­ ziehungen ist die preußische Gesetzgebung vorangegangen, und zwar für bewegliche Sachen im Allg. Landrechte von 1794, für das Hypo­ thekenrecht nicht erst in diesem, sondern schon in Gesetzen von 1722, 1750 und in der Hypothekenordnung von 1783. In diesen Gesetzen war man zum Eintragungs-, Publizitäts- und Spezialitätsprinzw übergegangen. Später hat die mecklenburgische Gesetzgebung zuerst den Schritt getan, die Hypothek zu einem selbständigen, d. h. vom persönlichen Schuldverhältnis unabhängigen Rechte zu gestalten; die preußische

Achter Abschnitt: Das Pfandrecht. §8 209, 210.

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und andere Gesetzgebungen sind ihr hierin gefolgt, indem sie neben die akzessorische Hypothek die selbständige Grundschuld stellten. Das BGB ist im wesentlichen dem preußischen Rechte gefolgt. Während aber das letztere zwei wenig voneinander verschiedene Grundstücksbelastungen, nämlich eine selbständige Grundschuld und eine nahezu selbständige Hypothek kannte, sieht das BGB diese nahezu selbständige Hypothek nur als Grundform der hypothekarischen Be­ lastung an, es stellt den Bedürfnissen des Realkredits aber noch eine Reihe anderer Formen der Grundstücksbelastung zur Verfügung.

A. Das Pfandrecht Cm engeren Kinne. § 209. Der Begriff des Pfandrechts. Die vom BGB in § 1204 gegebene Erklärung: „Eine bewegliche Sache kann zur Sicherung einer Forderung in der Weise belastet werden, daß der Gläubiger berechtigt ist, Befriedigung aus der Sache zu suchen (Pfandrecht)" stimmt mit der vom früheren Rechte gegebenen Begriffsbestimmung überein (s. oben S. 595 f.). Das Pfandrecht an körperlichen Sachen ist, was nicht unbe­ stritten, ein dingliches Recht, es überdauert demnach jeden Wechsel im Eigentum der Sache, nach altem Recht unbedingt, nach neuem Recht aber nicht gegenüber einem gutgläubigen Erwerber (§§ 936, 932). Das Pfandrecht an Rechten hat zwar denselben Inhalt wie das Pfandrecht an körperlichen Sachen, denn auch hier geht auf den Gläubiger das dem Psandschuldner zustehende Berwertungsrecht über. Daß es gewöhnlich nicht als dingliches Recht bezeichnet wird, hat seinen Grund nur darin, daß man als dinglich nur die Rechte an Sachen zu bezeichnen pflegt, ein absolutes Recht ist es jedenfalls. Das Pfandrecht ist nach altem und neuem Recht ein akzessorisches Recht, es setzt das Bestehen einer Forderung voraus.

8 210.

Die Voraussetzungen des Pfandrechts.

Die Entstehung des Pfandrechts setzt voraus 1. eine Forderung, die auf Geld geht oder in eine Geldforderung übergehen kann (§ 1228 vgl. mit §§ 280, 286). Künftige, bedingte und betagte, auch ihrem Umfange nach unbestimmte Forderungen können durch Pfand gesichert werden, aber der Verkauf des Pfands ist vor Fälligkeit der Forderung nicht zulässig. Nach gemeinem Rechte kann auch eine Naturalobligation Grundlage für ein Pfand­ recht sein, dasselbe gilt nach neuem Rechte für verjährte Forderungen (§ 223) und muß überall da gelten, wo nur der Klagezwang aus-

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geschlossen ist, nicht auch da, wo das Gesetz jede Verbindlichkeit aus­ schließen will (§§ 656, 762, 764). Nach altem und neuem Rechte haftet das Pfand für den jeweiligen Umfang der Forde­ rung, jedenfalls also für die gesetzlichen Zinsen und die etwa durch den Verzug begründeten besonderen Verpflichtungen, es hastet ferner für die Vertragsstrafe, für die auf die Sache gemachten Ver­ wendungen und für alle zum Zwecke der Ausübung des Pfandrechts aufgewendeten Kosten (§ 1210); es haftet nach altem Rechte nur, wenn dies der Wille des Verpfänders war, nach neuem Recht un­ bedingt für die vertragsmäßigen Zinsen. Die pignoris causa est indivisa: das ganze Pfand haftet auch wegen des kleinsten Teils der Forderung. 2. Vorausgesetzt ist ferner ein tauglicher Gegenstand; nach altem Rechte kann jede Sache, nach neuem Rechte jede bewegliche Sache, welche Vermögenswert hat und veräußert werden kann, Gegenstand eines Pfandrechts sein, daher auch vertretbare und ver­ brauchbare Sachen, Inhaber- und Orderpapiere. Ob mit der Haupt­ sache auch ihre Zubehör stücke verpfändet sind, ist Frage der Aus­ legung (§ 314); dasselbe galt nach altem Rechte für die Früchte der Sache, doch galten sie im Zweifel als mitverpfändet, wenn sie mit der Trennung in das Eigentum des Verpfänders fielen, während nach neuem Rechte (§ 1212) das Pfandrecht ohne weiteres sich auf die Erzeugnisse miterstreckt, die von dem Pfande getrennt werden (vgl. § 1208). Ungetrennte Früchte können nicht selbständig Gegenstand einer Verpfändung sein, weil sie nicht selbständige Sachen sind. Die ZPO (§ 810) gestattet jedoch ihre Pfändung aus Zweckmäßigkeitsrücksichten. Ferner können nach altem und neuem Rechte