Briefe: Band II 1809-1816 9783111409511, 9783111045986


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German Pages 703 [724] Year 1929

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Table of contents :
Vorwort
Verzeichnis der Abkürzungen
Verzeichnis der in den „Lebensnachrichten" abgedruckten nicht erhaltenen Briefe
Verzeichnis der Adressaten
VIII. Rückkehr nach Deutschland. Amtliche Tätigkeit und Austritt aus dem Staatsdienst. Frühjahr 1809 —August 1810
IX. Berliner wissenschaftliche Zeit. Römische Geschichte. August 1810—April 1813
X. Befreiungskriege (Hauptquartier, Prag, Berlin, Holland, Holstein). Mai 1813—Oktober 1814
XI. Letzte Berliner Zeit. November 1814—Juli 1816
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Briefe: Band II 1809-1816
 9783111409511, 9783111045986

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Barthold Georg Niebuhr. Nach einem unvollendeten Stich von E. E. Sdiäffer 1824.

Das Literatur-Archiv Veröffentlichungen der Literaturarchiv-Gesellschaft in Berlin

Herausgegeben von

Julius Petersen

Z w e i t e r Band

B e r l i n 1929 Walter de Gruyter & Co. vormals G. J. Göschensche Verlagsbuchhandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit 8c Comp.

Die Briefe Barthold Georg Niebuhrs Herausgegeben von

Dietrich Gerhard

und

Dr. phil.

William Norvin Professor der klassischen Philologie an der Universität Kopenhagen

Im Auftrage der Literaturarchivgesellschaft zu Berlin Mit Unterstützung der Preußischen Akademie der Wissenschaften und des Rask Örsted Fond zu Kopenhagen Band II 1809—1816

B e r l i n 1929 Walter de Gruyter & Co. vormals G. J. Göschensche Verlagsbuchhandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp.

Alle Rechte, besonders das Recht der Übersetzung, sind vorbehalten

Gerhard Stalling A.-G., Oldenburg i. O.

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis. Seite

Vorwort VII Verzeichnis der Abkürzungen IX Verzeichnis der in den „Lebensnachrichten" abgedruckten nicht erhaltenen Briefe X Verzeichnis der Adressaten XI VIII. Rückkehr nach Deutschland. Amtliche Tätigkeit und Austritt aus dem Staatsdienst. Frühjahr 1809 —August 1810 i—140 IX. Berliner wissenschaftliche Zeit. Römische Geschichte. August 1810—April 1813 141—390 X. Befreiungskriege (Hauptquartier, Prag, Berlin, Holland, Holstein). Mai 1813—Oktober 1814 . . . 391—518 XI. Letzte Berliner Zeit. November 1814—Juli 1816 . 519—691

VI

Verzeichnis der Abbildungen

Verzeichnis der Abbildungen*). 1. Barthold Georg Niebuhr. Nach einem unvollendeten Stich von Eugen Eduard Schäffer 1824 (Frankfurt a. M., Städelsches Institut) . . . . 2. Hardenberg. Nach einem Stich von Bolt . . . 3. Die Universität Berlin. Nach einem Stich aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts 4. Friedrich Carl von Savigny. Nach einer Zeichnung von L. E. Grimm 1815 5. Friedrich Heinrich Jacobi. Stich von Geyser nach einem Gemälde von Eich 6. Friedrich Perthes. Stich von Thaeter nach einer Zeichnung von O. Speckter 7. G. H. L. Nicolovius. Nach einer Zeichnung von Hohe 8. Gneisenau. Nach einer Zeichnung von F. Krueger

Titelbild vor Seite 113 vor Seite 145 vor Seite 177 vor Seite 241 vor Seite 321 vor Seite 465 vor Seite 561

*) Nr. 2—j und Nr. 8 naA Stidien und Lithographien im Berliner Kupfemidikabinett.

Vorwort

VII

Vorwort. Bei der Zusammenstellung des Materials für den vorliegenden Band ist nach den im Vorwort zu Band I dargelegten Grundsätzen verfahren worden. Das gilt besonders für die Briefe halboffizieller Natur, die sich für den Zeitabschnitt dieses Bandes in größerer Anzahl finden. Die uns von privater Seite (zum Teil von den Nachkommen der Adressaten) zur Verfügung gestellten Briefe bilden eine wesentliche Ergänzung der Bestände des NiebuhrNachlasses und der öffentlichen Archive und Bibliotheken. Da einige der Besitzer ungenannt zu bleiben wünschen, müssen wir uns darauf beschränken, unseren Dank für die uns zuteilgewordene Hilfe hier im ganzen auszusprechen. Berlin und Kopenhagen, im Dezember 1928. Dietrich Gerhard.

William Norvin.

Verzeichnis der Abkürzungen

JX

Verzeichnis der Abkürzungen. LN

— Lebensnachriditen über Barthold Georg Niebuhr. 3 Bde. Hamburg 1838/1839. Mitteilungen = Mitteilungen aus dem Literaturarchive in Berlin. Neue Folge. 4. Briefe B. G. und Amalie Niebuhrs an Dore Hensler und an Rarsten Niebuhr. 1806/14. Berlin 1911. NS = Niebuhr, Nachgelassene Schriften nichtphilologischen Inhalts. Hamburg 1842. R. G. = Niebuhr, Römische Geschichte. Bd. I 1811, 2. umgearbeitete Aufl. 1827. Bd. II 1812, 2. umgearb. Aufl. 1830. Bd. III 1832. St.B. = Staatsbibliothek. U. B. = Universitätsbibliothek.

X

Verzeichnis nicht erhaltener Briefe des Zeitraums dieses Bandes

Verzeichnis der in den „Lebensnachrichten" abgedruckten, nicht erhaltenen Briefe des Zeitraums dieses Bandes. Gänzlich fehlen die Originale von „Lebensnachrichten" Nr. 185. 201. 202. 220. 224. 2243. 226. 259—261. 294—299. 301. 302. 304—307. 309—311. Nur teilweife erhalten sind „Lebensnachrichten" Nr. 290. 303. Von Amalie geschrieben sind „Lebensnachrichten" Nr. 253. 269—272.

Verzeichnis der Adressaten

XI

Verzeichnis der Adressaten. Die Ziffern bezeichnen die Nummern der Briefe. Der Vater Garsten Niebuhr 306. 310. 313. 318. 323. 336. 342. 345. 347- 351· 355· 359- 362· 45^· 489· 5°5· 5°7· "· 5 - 518. 536. 544. Die Schwester Christiane Niebuhr 568. 574. 589. 593. 597. 599. 607. 610. 614. 615. 618. Der Schwager Landvogt S. Behrens $29. 556. Die Nichten Tine und Sophie Behrens 572. Die Schwägerin Dore Hensler 284. 285. 289. 290. 291. 294. 295. 2 97· *99· 3°°· 30i- 3°3- 3°5- 3°7- 3°9- 3"· 3 J 4- 3 J 7· 3io· 325. 328. 332. 346. 3jo. 353. 3J4. 356. 357. 360. 361. 364. 365. 366. 368. 369. 371. 372. 374. 376. 379. 381. 389. 390. 392· 393- 394- 395- 396· 4°3· 4°6. 4°8. 412. 414. 415. 417. 418. 419. 421. 422. 424. 426. 429. 430. 433. 437. 439. 440. 442. 443. 444. 447. 4jo. 451. 453. 454. 455. 457. 459. 460. 464. 468. 474. 478. 492. 500. 502. 510. 512. 515, 519. 528. 533· 534· 535· 538· 54*· 543- 545- 547- 54«. 55*· 554- 559· 562. $63. 565. 566. 567. 579. 581. 583. 586. 590. 602. 604. 605. 612. 620. Altenstein 286. 288. 293. 298. Arndt 466. Arnim 501. 503. Brandis 592. Biilöw 448. Dahlmann 598. 608. Eichhorn 405. 578. Friedrich Wilhelm IV., Kronprinz von Preußen 530. 570. 575. Gneisenau 467. 552. 558. 571. 573. 577. 582. 587. 591. 596. 601. 603. 606. 609. Goeschen 470. 472. 473. 477. 480. Goethe 399. 410. 431. 611. 616. v. d. Hagen 420. Hardenberg 330. 333. 334. 340. 495. 508. 513. 521. 540. 561. 564. 595. 600. Hufeland 435.

XII

Verzeichnis der Adressaten

Jacobi 400. Marcard 546. 560. Moltke 287. 296. 339. 344. 432. 531. Gräfin Münster 482. Munter 283. 358. 401. 404. 407. 413. Nicolovius 348. 469. 471. 485. 486. 490. 491. 499. 509. 517. 5M· 53*· Ompteda 496 Oersted 446. Perthes 375. 378. 380. 385. 386. 388. 397. 411. 416. 423. 428. 434. 436. 438. 441. 445. 449. 452. 458. 461. 462. 484. 498. 520. 523. 526. 537. 539. 542. 553. 557. j8o. 594. 613. 617. 619. Prinzessin Luise Radziwill 481. 493. 550. Gräfin Rantzau 479. Rehdiger 483. Reimer 304. 497. 504. Roeder 465. 506. 585. Rühs 516. Savigny 488. Schleiermacher 373. Schön 475. 476. 487. 524. 549. 569. Schuckmann 377. Spalding 319. Stein 337. 398. Stolberg 527. 576. Valckenaer 292. 301. 308. 312. 315. 316. 321. 322. 324. 326. 329. 331. 335. 338. 341. 343. 352. 367. 370. 382. 383. 387. 391. 402. 409. Varnhagen 555. Vater 363. 427. Welcker 584. Kultusdepartement 349. Realschulbuchhandlung 494. *

S

522.

J ^

425. 463. 588.

327. 384.

Achter Abschnitt.

Rückkehr nach Preußen* Amtliche Tätigkeit und Austritt aus dem Staatsdienst. Frühjahr 1809—August 1810.

G e r h a r d - N o r r i n , Niebuhr.

Bd. II.

Preußen. Austritt aus dem Staatsdienst

Zeittafel. 9. April 1809 Abreise aus Amsterdam. Seit Ende April Aufenthalt in Hamburg und Holstein, durch die Ungewißheit seiner künftigen amtlichen Stellung bis Ende August hinausgezögert. Gleichzeitig Wiederaufnahme der Studien zur ältesten römischen Geschichte. September Rückkehr an den Hof nach Königsberg. Finanzpolitische Arbeiten, besonders zu Fragen der Währung und des Privatkredits. 11. Dezember Ernennung zum Geheimen Staatsrat und Sektionschef für das Staatsschuldenwesen und die Geldinstitute. 24. Dezember Rückkehr nach Berlin. Amtliche Tätigkeit; zugleich wird die holländische Anleihe am 28. Januar 1810 perfekt. 29. März 1810 Wahl zum Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Seit Ende März 1810 Kampf gegen den von Hardenberg aufgenommenen Wittgensteinschen Finanzplan. Angesichts von Hardenbergs bevorstehendem Wiedereintritt und ihrer gegensätzlichen Beurteilung der finanzpolitischen Fragen Entschluß zum Ausscheiden aus dem Staatsdienst. 23. Mai Entlassungsgesuch, nach Hardenbergs Übernahme der Geschäfte am 10. Juni erneuert. 16. Juni bewilligt, mit der Maßgabe, für wichtige Finanzgegenstände dem Kanzler weiter zur Verfügung zu stehen. Ernennung zum Historiographien des Preußischen Hofes. Sommer 1810 Wiederaufnahme der wissenschaftlichen Arbeit. Abhandlung über den Amphiktyonenbund. Auch für diesen Abschnitt bilden die Briefe an Dore Hensler, ergänzt .durch Briefe an den Vater und an Moltke, i*

Preußen. Austritt aus dem Staatsdienst

die Hauptgrundlage. Die Korrespondenz mit Altenstein bricht mit der Rückkehr nach Königsberg ab und nimmt in der Folge seit der Trübung der Beziehungen rein amtlichen Charakter an. Eine wichtige weitere Quelle sind die Briefe an den holländischen Anleihekontrahenten Valckenaer, zu dem Niebuhr in ein Verhältnis fast erstaunlicher politischer Vertrautheit getreten war. Sie sind Teile einer fortlaufenden halbamtlichen Korrespondenz, oder sie laufen neben dieser einher. Die Briefe an Hardenberg vom Frühjahr 1810 sind hier abgedruckt, soweit sie für die Entwicklung von Niebuhrs persönlichen Verhältnissen — für sein Ausscheiden aus dem Staatsdienst — von Bedeutung gewesen sind. Einzelne der Briefe an politische Freunde, so vor allem an Vincke, haben sich bisher nicht ermitteln lassen.

1809

Holstein, Sommer 1809.

283. 1

An M u n t e r .

Nütschau, 28. April 1809.

Sendet ihm zwei kufische, in der Nähe von Riga gefundene Münzen sowie einen Siegelabdruck und einen unter den Ruinen von Babylon ausgegrabenen Stein, den ihm Sir Harford Jones 2 vor zwei Jahren in Koenigsberg gegeben hat. — Berichtet ihm von den Hünengräbern in Drenthe: Diese finde ich verfolgend allenthalben auf der friesischen Geest, und soviel ich weiß n u r da. Sie aber wissen vielleicht mehr und andres. Sie sind zahlreich in Drenthe, einzeln im Niederstift Münster, bei Lingen: im Oldenburgischen im Westfriesenland, in Dithmarschen groß und mehrfach. Wie aber nördlich von der Eider und im eigentlichen Dänischen? 3 — Professor Brugmans in Leiden *. Bittet Munter, diesem einige nordische in Gräbern gefundene Altertümer zu übersenden. Kopenhagen, Kgl. Bibl.

284.

An D o r e H e n s l e r . Meldorf, 4. Mai 1809. Ich hoffe, teuerste Dore, daß auch Du heute von Deiner Reise wohl und ohne Unfall nach Hause zurückgekommen sein wirst, wie wir am Montag nachmittag zu früher Stunde hier anlangten 5. Es war wohl spät geworden, ehe wir Itzehoe erreichten, aber bei hellem Mondschein und mildem Wetter konnte uns das gleich gelten. Aber der Weg bis Bramstede war sehr unangenehm, weil der Postillion den Weg nicht kannte, nicht einmal verstand sich ihn andeuten zu lassen, und also 1

Über Munter, den Kopenhagens Philologen, s. Bd. I S. 109 Anm. i. Sir Harford Jones Brydges (1764—1847), 1807—1811 englischer Gesandter in Persien, zugleidi Orientalist. 3 Ein ausführlicher Bericht über die Hünengräber in Drenthe findet sich in einem der Zirkularbriefe, NS 247 ff. — Anch in Dänemark hatte man sich lebhaft für die neuentdeckten Hünengräber (die sogenannten „Dysser") interessiert, und zwar gerade während Niebuhrs letzter Kopenhagener Zeit; Nicbuhr ist dies offenbar entgangen. 4 S. o. Bd. I S. 462 Anm. i. 0 Sie waren auf Moltkes Gut Nütschau mehrere Tage mit Dore zusammen gewesen. 2

Preußen. Austritt aus dem Staatsdienst

ganz wild in der Irre umherfuhr. Es scheint in jenen Gegenden Holsteins ein eben so einfältiger als häßlicher Menschenschlag zu sein: das ist denn der Fluch der Leibeigenschaft. W i r haben hier alles leidlich wohl gefunden, obgleich im Allgemeinen, nicht bloß die Zahl der Kranken sondern sogar die der Toten ganz außerordentlich ist. Mein Vater ist ziemlich unverändert, ein wenig blässer, weit blinder, und es scheint daß die Blindheit ihn in einsamen Zeiten zu mißmutigen Grübeleien verleitet die seine Heiterkeit vermindert haben. Diesen Hang zu fruchtlosem Verdruß hatte er immer: er bezieht sich großenteils auf die unvorsichtige Versplitterung seines Vermögens1 deren Folgen ihm freilich stets fühlbarer werden, und vielleicht ihm als die Ursache der Nichtverheiratung meiner Schwester erscheint: vielleicht stimmt sie ihm selbst in dieser Meinung heimlich zu sehr bei als daß sie ihn darüber zerstreute und beruhigte wie wir es tun; rührend aber sind die ungerechten Vorwürfe mit denen er sich tadelt auf seiner Reise versäumt zu haben. Also tadeln wir uns allemal am leichtesten nicht aufs äußerste getan zu haben was uns vor Händen lag und das Leichtere war, nicht über die Versäumnis des Wichtigeren dem w i r entgegen gehen mußten. Ich habe es immer für ihn beklagt, und beklage es noch, daß er, zurückgekommen mit dieser Fülle von Beobachtung und Entdeckungen, deren Wert ein etwas Mehr kaum bedeutend erhöht haben würde, seine Tätigkeit schloß, anstatt, ausgerüstet mit dieser Anschauung, ein Studium zu unternehmen. Daher ist es doch daß sein Geist schon lange wie ein Mann darbt, der ein sauer unter nicht wiederkehrenden Konjunkturen erworbnes Vermögen weggegeben hat. Er ahndet die Ursache seines innern Mißbehagens nicht, und ahndete sie nie: wehe auch dem der sie ihm andeutete! Es ist ein Jammer daß er nach Kopenhagen zurückkehrte, und nicht an einen Ort wie Paris oder London wo sein Geist aufgemuntert worden wäre. 1

Dies bezieht sich wohl hauptsächlich auf seine Aktienverluste in den 8oer Jahren und auf die Verluste bei der gegen Ende des Jahrhunderts erfolgten Kultivierung von ihm angekaufter Moorländereien.

Es ist hier immer die alte Kleinigkeitskrämerei von der Du, meine beste Dore, wohl kaum einen Begriff hast, und die ist um so schwerer zu ertragen, da wir eben von Dir und von Nütschau zurückkommen. Doch auch nicht: denn wie geduldig würdest Du selbst Dich nicht darin fügen? Wir fanden schon in Bramsted Zeitungen welche die peinliche Erwartung mit der wir Nütschau verließen durch ängstigende Nachrichten verschlimmerten \ . . . Hillers Sieg, wenn er sich auch bestätigt, wird die Herstellung der Dinge wenig befördern; denn ich begreife kaum die Möglichkeit einer Junktion zwischen ihm und dem Erzherzog wenn dieser wirklich, es müßte bei Regensburg gewesen sein, über die Donau gegangen ist 2 . An großen Erfolg ist nach den Fehlern die schon gemacht sind, auch in diesem glücklicheren Fall kaum zu denken: dagegen ist sehr großes Unglück im Gegenteil möglich, obgleich es deutlich scheint daß die Organisation der Armee sehr gewonnen hat, und augenscheinlich ist daß der Mut und die Kraft der Österreicher den Reden ihrer Regierung gleich, und diese wahrhaft, was sie immer sein sollten, die Frucht und der ehrliche Spiegel des innern Gemüts sind. Der Sieg war offenbar so nahe! Und dann war alles gerettet! Dann begann für uns alle ein Leben dessen Stunden nicht mehr lästig hingeschlichen wären! Aber noch gibt man Heere an Knaben weil sie Fürstenkinder sind: Divisionen an Generale die Gefangenschaft überlebt haben; und wer innig fühlt daß er raten und anführen könnte, bleibt zurück, nicht bloß weil tausend unglückliche Rücksichten halten, sondern, weil noch die Auflösung nicht da ist in der er vordringen würde. Ich 1

Das Folgende bezieht sich auf Nachrichten über den österreichischen Krieg, die er Dore auf einem besonderen beigelegten Blatt übermittelte. 2 Die österreichischen Truppen waren von Napoleon in den Gefechten um Regensburg und Landshut (19.—23. April) nach Osten zurückgeworfen worden. Es gelang ihm dabei, die Wiedervereinigung der beiden Heeresmassen, die ihm getrennt, unter Erzherzog Karl und unter Hiller, entgegengetreten waren, zu verhindern. Erzherzog Karl zog sich auf Böhmen hin zurück, während Napoleon den Truppen Hillers auf Wien hin folgte. Die Nachricht von einem Sieg Hillers war wohl durch das glückliche Rückzugsgefecht bei Neumarkt (24. April) hervorgerufen.

8

Preußen. Austritt aus dem Staatsdienst

habe wie Du sehen wirst, seinen Plan ganz erraten gehabt, auf loo Meilen Entfernung; die ihm gegenüber standen haben es offenbar nicht: aber wenn ich bei ihnen gewesen wäre, würden sie etwas anders aus mir gemacht (haben) als einen Schreiber? — Aus Preußen habe ich einen weitläuftigen Brief von Goltz, chiffriert; ich kann Dir meinen unmutigen Ekel nicht ausdrücken über die einfältige Verblendung in der sie dort noch fortgehen, oder vielmehr, wie Horazens Bauer1, am Strom sitzen und den Augenblick erwarten da er abgelaufen sein wird. Goltz hat gegen mich wieder ganz eingelenkt, und sucht gut zu machen. Ich hatte ihm doch ohne alle Empfindlichkeit geantwortet2, aber sie fürchten mich, weil sie wissen daß ihre elenden Zaubersprüche an mir verloren sind. Erstreckt sich die Vernunft im Ganzen, wie sie sich in ihrer physischen Form ändert und umbildet, auch auf die Gesamtheit der lebenden Individuen: nimmt sie in ihnen die Gestalt an welche allgemeine Veränderungen möglich macht? Ich sehe ihren Finger nicht im Segnen, nicht im Glück: aber wenn die Zerstörung unaufhaltsam durch vollkommne Unfähigkeit derer die der leitende Verstand der Massen sein sollten vorbereitet wird; dann scheint doch ein Urteil ausgesprochen zu sein und ich zittere. Lies im Gibbon die Geschichte Majorians 3 , sieh einen Mann der alle Kaiser die auf Roms Thron gesessen hatten an Tugend übertraf, an Geist und Tapferkeit keinem wich, der noch eine gewaltige Macht zu seinem Gebot hatte, nur klein verglichen gegen ältere Zeit: sieh wie er nicht bloß zu regieren wußte, wie er inne war daß er dem Volk nur durch Freiheit helfen könne: aber wäre er auch nicht früh und mit Verdacht gestorben er hätte nichts gegen sein Zeitalter vermocht, und für ihn einzeln war der Tod ein Glück: das höchste Glück. Er starb im Genuß der Täuschung des möglichen Erfolgs. . . . Niebuhr-Nadilaß. Zum Teil überarbeiteter Abdruck von Teilen LN I 409 ff. 1

Horaz, Epist. I. 2, 41 ff. Auf seine Aufforderung, wegen der Anleihe nochmals nach Holland zu gehen. Goltz war Minister des Auswärtigen, s. Bd. I S. 474 Anm. i. 3 Gibbon, History of the Decline and Fall of the Roman Empire Kap. 36. 2

18 ,

9

285. An D o r e H e n s l e r . Meldorf, 14. Mai 1809. Ein heftiges Verlangen meinen bittern Kummer und trostlose Betrübnis durch ungehemmten Erguß gegen Dich, meine teure Dore, zu erleichtern, hat einen Tag nach dem ändern dem Getreibe weichen müssen von dem wir auf allen Seiten befangen gewesen sind. Ich komme endlich dazu Dir zu schreiben, aber nicht nach jenen meinen Wünschen: denn zwar bin ich allen ändern im Aufstehen zuvorgekommen, und genieße seit langer Zeit zum erstenmal die labende Schönheit eines Maimorgens: aber wir wollen auch früh nach Husum abreisen % und in sehr kurzer Zeit wird es wieder neben mir sausen und rauschen als ob alle Winde aus Äolus Höhle losgelassen wären" Hier frage ich mich stets ob wir denn wirklich noch in einer Zeit leben wie vormals in der man auf Zeiten voraus ruhig rechnete, oder sich Luftschlösser baute; oder ob nicht alles vor uns, wie unser Auge es sieht Chaos und Nacht ist; gewiß eine allgemeine Zerstörung von allem was da ist? Mein alter Vater ahndet und begreift nicht daß alle meine äußern Verhältnisse ein Kartengebäude sind: er tröstet sich es habe keine Not! Seiner selbst wegen habe ich ihn auf das Gegenteil vorzubereiten gesucht: aber ich werde ihm die schreckliche Überraschung nicht ersparen. Alles was um uns vorgeht, näher und ferner netzt hier kaum die Haut: man schweift nach den gräßlichsten Botschaften auf Erbärmlichkeiten hin, und lacht darüber wenn kaum die Erzählung im Ohr verhallt ist. Weißt Du daß die Norderditmarscher Landschaft auf Knölks 3 Antrieb, und Johannsens 4 Zuraten die Niederträchtigkeit gehabt hat um die Vernichtung ihrer Zollfreiheit zu b i t t e n ? Woraus entstanden ist daß die Zollkammer der 1

Zu Landvogt Behrens, Dores und Males Bruder. Virgil, Aeneid. I 55 ff. 3 M. Knölk, Landespfenningmeister und Landnotanus in Norderdithmarsdicn. 4 Ch. M. J. Johannsen, Landvogt in Norderdithmarschen. s

10

Preußen. Austritt aus dem Staatsdienst

hiesigen das nämliche ersinnt, und nicht einmal die Abkaufssumme zurückgeben will — Heinz(elmann)1 nimmt sich als Advokat des Fiskus: die Versammlung nicht übel und Piehl 2 habe ich höher schätzen gelernt als je zuvor — ich versichre Dich ohne Ubertreibung daß ich von ihm Administrationsgrundsätze gehört habe die er sich zu Maximen genommen hat auf die ich Minister vergebens mit der Nase gestoßen habe, und die bei ihm bloß allein die Frucht sehr gesunden Sinnes und benutzter Erfahrung sind. Übrigens gräme ich mich nicht mehr über schlechte Verwaltung — denn ich bin hoffnungslos — gute hingegen macht mich wehmütig, eben wie diese lebensvolle Frühlingsluft und die Rückkehr des Laubs und der Blüte. Schills verzweifelter Schritt3 entscheidet Preußens Zerstörung ganz unfehlbar. Das ist auch nur consequent, und wahrhaftig das Letzte worüber ich den Kaiser tadeln werde. Denn er wird uns sagen: entweder ihr willigtet ein oder nicht. Ist jenes so seid ihr meine Feinde: ist dieses so seid ihr kein Staat mehr, weil ihr Eure Untertanen nicht mehr beherrschen könnt. Ist Schul ein Abenteurer oder ein großer Mann? Auf jeden Fall ein glücklicher, auch wenn er fällt. Das ist das erste Neue und Unerhörte was seit vielen Jahren geschah. Die Auflösung der bürgerlichen Formen und Bande ist vollendet. Da beginnt nun entweder völlige Zerstörung und Fäulnis, oder es bildet sich ein neues Leben. Wo sind aber dessen Keime? "Wer ärgert mehr? Der dem Wagehals wie einem Seiltänzer zuklatscht weil das Spektakel amüsiert, oder wer ihn der Unbesonnenheit wegen schilt? Wir konnten schon — das sage ich nur Dir — den Monats1

J. Chr. F. Heinzelmann, geb. 1761, seit 1806 Landvogt in Süderdithmarschen. Kirchspielvogt in Brunsbüttel, Verwandter der Familie Boie. 8 Unter dem Eindruck des österreichischen Krieges und der Erhebung Dörnbergs in Hessen war Sdiill mit seinen Husaren am 28. April auf eigene Faust aus Berlin ausgezogen, um sich dem Kampf gegen die Franzosen anzuschließen. 2

termin der Contribution nicht mehr zahlen S und mußten um Gnade bitten! Wir hofften sie zu erhalten! Ich werde Berlin wohl nicht wieder sehen, und könnte mich vernünftigerweise nicht einmal auf den "Weg machen. Napoleon ist wohl schon in Wien. Er hat ja Prinzen und Adel gegen sich. Liebst Du nicht die Tiroler? Die haben Plebejer an der Spitze — Bauern und Gastwirte! . . . Niebuhr-Nadilaß. Zum Teil überarbeiteter Abdruck von Teilen LN I 411 f.

286.

An A l t e n s t e i n . Kiel, 5. Juni 1809. 2 . . Eine andre große Ungewißheit waltet über die Frage was Sie wollen daß ich tue, wohin mich wenden, ob ich zu Ihnen kommen, oder erwarten soll? Eine Reise von 130 Meilen — nach Königsberg — in einer Zeit wo die Aussicht auf morgen unbestimmter ist als früher eine Aussicht auf ein halbes Leben, wo alle Staaten abgeschnittnen Blumen gleichen deren Dasein von fremder Willkür jede Minute beendigt werden kann wenn man ihnen die Nahrung entzieht die sie noch im Glase erhält; diese Reise, deren Ausgang die Würfel über das Schicksal unsers ganzen künftigen Lebens wirft, habe ich nicht den Mut gehabt ohne einen unverkennbaren Ausspruch des Schicksals anzutreten. Ich kann es Ihnen selbst in einem mit der Post abgehenden Briefe nicht verhehlen daß nicht ich allein, daß jeder, und wieder ich wie jeder andere erwartet haben daß unser König und der Staat für die Stimmung verantwortlich gemacht werden würden deren Ausbruch die Handlung derer war die jetzt gefallen sind 3. Es schien mir es 1

Statt dessen hatte man, zugleich unter dem Eindruck des österreichisch-französischen Krieges, die Herabsetzung der monatlichen Rate von 4 Millionen auf die Hälfte gefordert. 2 Am Anfang des Briefes legt Niebuhr nochmals, wie schon in einem Brief vom 2i. April, Altenstein dar, warum er aus Holland abgereist sei, veil er nämlich für die •weiteren offiziellen Verhandlungen nicht zuständig sei. 8 Am 31. Mai war die Schulische Truppe in Stralsund von den verbündeten Franzosen und Dänen zersprengt worden, die meisten, darunter Schul selbst, fielen.

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Preußen. Austritt aus dem Staatsdienst

könne kaum anders sein, und der Schlag würde fallen ehe wir Königsberg erreichen konnten. An der Republik zu verzweifeln mag für den der das Ruder hält das schwerste Vergehen sein, aber die Hoffnung für sie zu verlieren ist einem ändern wohl nicht so schwer anzurechnen. Hätten Sie mich aber gerufen, nach b e s t i m m t e r , s c h a r f g e p r ü f t e r , i n d i v i d u e l l e r Überzeugung gerufen daß ich dem Staat oder dem Könige wahrhaft nutzen könnte, und zu einem bestimmten Zweck dienen sollte, dann wäre ich Ihnen auch schon langst gekommen, obgleich es kein Spaß sein mag auf dieser Straße mit einer Frau zu reisen. Haben Sie gerufen, und ich weiß es nur noch nicht, so hoffe ich, mein edler Freund, daß Sie es nur nach dieser bestimmten Überzeugung, nicht in Hinsicht auf eine Administration getan haben, zu der mir jetzt alle Hoffnung und Aussicht zerstört scheint. Wer kann an das Aufbauen denken wenn die Stöße des Erdbebens nicht nur rund um ihn her fortdauern, sondern die Fundamente seiner eignen Trümmer beben? In Berlin kann und würde ich übrigens mich weniger als an irgend einem ändern Ort aufzuhalten entschließen können so lange Sie nicht dort sind. Daß ich darin Recht habe werden Sie bestimmter wissen als ich selbst, der nur die Massen von dem kennt dessen Zusammensetzung Sie kennen. Von Valckenaer habe ich keine Antwort erhalten* — ohne allen Zweifel weil in Holland kein Mensch, auch nicht der kühnste Agioteur, der auf einen Umsatz innerhalb acht Tagen sein Vermögen wagt, in unser Geschäft jetzt eingehen würde: es also das eigne Interesse der Unternehmer ist dahin zu wirken daß die Regierung ihre Einwilligung versage. Das neue Ministerium in Holland enthält mehrere von Valckenaers Freunden — besonders merkwürdig ist die Ernennung des Barons Capellen 2, und wenn sein eigner Name nicht darunter

Innern,

1

Vgl. u. S. 16 f .

3

G. A. G. Ph. Baron von der Capellen

(1778—1848), der neue Minister des

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ist, so glaube ich doch daß er bald erscheinen muß. Roell 1 wird nun schwerlich bleiben: und ob wir durch Gogels 2 Entfernung so wie er ersetzt ist gewönnen wenn unser Geschäft zur Sprache kommen sollte, ist sehr problematisch. Ich habe hier Ruhe gesucht an den Orten wo meine Kindheit verfloß, wo ich die Fülle der ersten Jugendjahre erlebte. Aber dem gepreßten Herzen verstummten die Umgebungen welche sonst mit allen Tönen des Friedens und jugendlicher Freude redeten, und mir die lebensvolle Jugend wieder erneuerten: die Quelle der Jugend ist durch wilde Wasser gestört. Auch betäubt mich ein unaufhörliches Charivari der verschiedensten Menschen; viele vortreffliche, und die man gern, einen nach dem ändern wiedersähe; aber so alle mit und durch einander, das betäubt nur. . . . Berlin, Geh. Staatsarchiv. Altenstein-Nachlaß.

287.

An M o l t k e .

Meldorf, 10. Juli 1809.

Der Abdruck L N II 83 f. ist bis auf eine unbedeutende Auslassung authentisch. Niebuhr-Nachlaß. 288.

An A l t e n s t e i n . Hamburg, 18. Juli 1809. 3 . . . Sie fordern mich auf, mein Teuerster, Ihnen über meine Lage, meine Wünsche und Pläne für alle Fälle offen zu schreiben. Sie wissen wie sehr ich dies immer tue, bis zur stärksten Prüfung Ihrer Geduld: auch jetzt soll es geschehen, obgleich es Ihnen wenig oder nichts Befriedigendes sagen wird. Meine Lage werden Sie sich leicht im Bilde vorstellen. Wir sind als Gäste bei unsern nächsten Angehörigen gewesen: wir haben 1

W. F. Roöll, Minister des Äußeren. S. o. Bd. I S. 464 Anm. i. Gogel schied infolge persönlicher Meinungsverschiedenheiten mit König Ludwig aus. s Die erste Hälfte des Briefes geht auf Altensteins Ungewisse Äußerungen über Niebuhrs Anstellung ein. Niebuhr wendet sidi hier gegen die Möglichkeit, nach Holland zurückgesandt zu werden. 2

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Preußen. Austritt aus dem Staatsdienst

dort alles gefunden was das Herz wünschen kann, außer der Ruhe und der ungestörten Unabhängigkeit die einem Manne not tut um, verloren in irgend ein Geschäft oder einen Beruf sich auszubilden, sich selbst zu genügen. In dieser Absicht ziehen wir uns jetzt zu einem meiner vertrautesten Jugendfreunde 1 auf das Land zurück bis mein Beruf entschieden wird. Meine Gesundheit welche in der letzten Zeit unsers Aufenthalts in Holland ohne daß ich es ahndete langsam untergraben war, dann eine sehr beunruhigende Form annahm, ist noch tiefer gesunken, und mein Kopf sehr, sehr schwach gewesen: jetzt ist es in jeder Hinsicht leidlicher, doch fühle ich mich noch schwach an Leib und Seele. Meine Wünsche sind an Dinge geknüpft die es in unsrer aller Macht nicht steht zu ändern und abzuhelfen; zurückgezogen in die Bescheidenheit und Genügsamkeit bei dem Willen des Schicksals welche Nachdenken gebietet sind sie, nur nicht ganz zwecklos zu leben; mit dem Geist fortzuleben so lange der Körper noch zusammenhält, eine Beendigung der verzehrenden Spannung, des stets wechselnden irren Lebens der letzten Jahre: mein heißes Verlangen fordert eine Zukunft, einen morgenden Tag, der den Handlungen des heutigen ein Ziel und Interesse gibt. Meine Pläne für die Zukunft auf j e d e n" F a l l reduzieren sich auf Resignation und Hoffnung nie ganz ohne Ressourcen zu sein: belehrt daß man dem zerschmetternden Strahl des Ungewitters nirgends entgehen kann sehne ich mich nicht nach diesem oder jenem Orte hin, hüte mich Plane zu machen um das Schicksal nicht zu versuchen. Hoffnungslos wie Preußens Lage und Aussichten allenthalben beurteilt werden, sind mir hier vielfach dringende Äußerungen geschehen zurückzukehren; worauf ich ohne Vorbehalt und doppeltes Spiel geantwortet habe. Denn auch hier in Dänemark ist die Lage verzweiflungsvoll: ein Geist von Unsinn und Betäubung treibt die Regierung, und es ist zu viel vorgefallen als daß nicht mein Herz von ihr entfremdet sein, die Rückkehr in ihren Geschäftsdienst mir noch möglich sein sollte, obgleich sie »

Zu Moltke.

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es an keiner der bunten Beeren fehlen lassen würde womit man die Gimpel in das Netz zieht. Offener mein Teuerster kann ich Ihnen nicht sprechen weil die ganze Zukunft vor meinen Augen wie eine verworrene dunkle Masse da liegt, in die vielleicht nur durch den Brand einer allgemeinen Zerstörung Licht kommt. Ich harre Ihrer versprochenen näheren Briefe wie ich desjenigen geharrt habe mit dem Sie mich zuletzt erfreuten. Ist es Ihnen möglich, nur einigermaßen möglich, so erklären Sie sich über manche Punkte ohne Hülle. Sagen Sie mir, w a s Ihr Bleiben oder Ausscheiden bestimmen wird — sagen Sie mir wie ich angeschrieben stehe — ohne allen Rückhalt. Sie werden nicht fürchten mich zu beunruhigen? Sagen Sie mir etwas von den Parteien oder Factionen die sich in diesem Zustand der Auflösung kundtun werden — von Wittgenstein 1 — ob er Einfluß hat — von den Symptomen die Sie für die eventuelle Erhaltung des Staats oder dawider wahrnehmen — von den äußern Verhältnissen desselben — von dem Ausfall der über seine Zahlungsunfähigkeit gemachten Vorstellungen — von Ihren Erwartungen mit völliger Abstraction frommer Wünsche und Hoffnungen. Hierum bitte ich Sie und beschwöre Sie ohne Scheu, da unser Verhältnis von den conventionellen Bestimmungen frei ist. Überzeugt daß Sie mich nicht mißverstehen werden, und beruhigt daß Sie es mir nicht anrechnen in diesem Fall dessen Natur es nicht anders mit sich bringt so viel von meiner Persönlichkeit zu lesen, setze ich Ihnen noch hinzu daß ich mich nach einem festen Beruf und nach Ruhe sehne, und daß die Furcht vor neuem Umherirren, vor Verbannung auf barbarischen Boden, oder verhaßten Verhältnissen und Pflichten auf der ändern Hand mich zurückgehalten hat zu Ihnen zu eilen wie Sie mich mit aller Stimme der Herzlichkeit rufen, und doch mit der uneigennützigen Sorge echter Freundschaft warnen. . . . Berlin, Geh. Staatsarchiv. Altenstein-Nadilaß.

1

S. o. Bd. I S. 451 Anm. i, 480 Anm. 3, 524 Anm. i.

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Preußen. Austritt aus dem Staatsdienst

289.

An D o r e H e n s l e r .

Hamburg, 18. Juli 1809.

Nachrichten über die Schlacht bei Wagram*. . . . Mir scheint alles sehr schlimm zu stehen, aber Männer sind diese Österreicher! Und das ist tröstlich wenn sie bis zum letzten Augenblick ungebeugt und unerschreckt ausharren, fallen und nicht fliehen, damit ihr Andenken rein und unverstellt lebe wenn auch der Staat und alles untergehen muß — daß sie sterbend, wir und die Nachkommen sagen können daß wenn Rettung möglich gewesen wäre ihr Arm die Rettung bewirkt haben würde. Meine Hoffnung zwar geht immer mehr und mehr aus — und an die Gerüchte mit denen man sich hier trägt wie nach Austerlitz und Auerstädt glaube ich nicht im Allergeringsten, aber es ist mir das ein großer Trost, daß die Männer der Sache wert waren, daß eben ihre Bravheit über alles Raisonnement dartut daß die Güte und Herrlichkeit der Sache kein Traum war: wie viele sagen werden sobald alles aus sein wird. Wir alle werden das nicht sagen! Aber keiner geht hin um neben ihnen zu stehen, bei ihnen zu ruhen! — . . . Moltke. Niebuhr-Nachlaß. Leicht überarbeiteter Abdruck LN I 412 f.

290.

An D o r e H e n s l e r . Nütschau, 25. Juli 1809. . . . Sonst gewährt Hamburg mir jedesmal weniger Freude, und aus Neigung würde ich dort nicht leicht wieder verweilen. Eben jetzt drehten sich alle Gespräche um geflissentliches Zweifeln a n , Argumentieren f ü r die Wahrheit von einer Sache deren Dasein jedem bittrer als der Tod sein müßte, Schmähen, Murren, Verteidigen: immer aber ward geschwatzt. Ich aber schenkte gern jedes Gespräch über dies Gräßlichste, welches von allen Seiten · zu betrachten ich mir selbst genüge, und diese Gespräche bei Lustmahlen wo alles aufgeboten wird um die gröbsten Sinnengenüsse zu gewähren und lustig zu sein sind so gar unpassend daß sie doppelt empören. . . . Ein Brief von Valckenaer 1

2

mit dessen Antwort auf die letzten

In der Napoleon den Erzherzog Karl nach schwerem Kampfe am f. und 6. Juli nach Norden hin zurückgeworfen hatte. 1 S. o. Bd. l S. 538 Anm. i.

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Mitteilungen ist ihm durch ein Mißverständnis erst jetzt, um Monate verspätet, zugestellt worden.

Nicht daß in der Realität etwas verloren wäre — denn auch hier wird immer dieselbe Bedingung vorausgesetzt 1 die noch so unendlich weit von ihrer Erfüllung ist: überdies ist der Brief gerade ein Paar Tage vorher geschrieben ehe Schills Auszug dort kund geworden sein kann, und die Rückkehr des Königs nach Berlin wird auch unter den Bedingungen des Erfolgs genannt. Für mein Gewissen, wenn man auch was höchstens Unvollkommenheit der umfassendsten Umsicht sein würde in seinen Bezirk rechnete, ist nichts zu verantworten: ich brauche Dir aber nicht zu sagen welchen furchtbaren Schein es gegen mich gibt daß ich mit diesem Briefe erst jetzt, und gerade nach dem Abschluß des Waffenstillstands a hervortrete. Ich sollte Dir vielleicht lieber das Ganze verschweigen; Du weißt aber daß mir das nicht gut, oder vielmehr das Alierübelste zu sein scheint. Eine türkische Resignation ist alles was uns noch bleibt: und das ist ja kein Geheimnis daß man auf alles gefaßt sein muß wenn man in ganz verzweifelten Zeiten in ganz hoffnungslosen Unternehmungen beharrt, wo man ohne Segel und Ruder vor dem Strom und den Stürmen des Zufalls treibt. Was geschehen konnte um zu redressieren habe ich nun freilich gleich getan: aber wie weit reicht das? Im Publicisten steht ein höhnender Ausfall gegen Altenstein, nicht über sein politisches System sondern als verurteilende Stimme des Berliner Publikums über seine Administration. Von da ist dieser saubre Artikel in den Moniteur gekommen. — Vierzehn Tage längerer Verzug in Holland hätten mich von der furchtbaren Responsabilität befreit die jetzt gegen mich 1

König Ludwig hatte seine Zustimmung zur Eröffnung der Anleihe davon abhängig gemacht, daß zunädist eine innere holländische Anleihe auf dem holländischen Kapitalmarkt untergebracht sein müsse. * Den Erzherzog Karl unter der Wirkung der Niederlage von Wagram abgeschlossen hatte und der für Napoleon den Gewinn des Krieges gegen Österreich bedeutete. Über die schwankende Haltung Preußens s. o. Bd. I S. $40 Anm. 5 und u. S. 31 Anm. 2. Niebuhrs Äußerung bezieht sich darauf, daß Napoleon auch in der durch den unglücklichen Zufall hervorgerufenen Nichtbeachtung der neuen Anleihemöglichkeiten in diesem Zusammenhang Absicht sehen konnte. G e r h a r d - N o r v i n , Niebuhr. Bd. II.

2

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erhoben werden kann wenn Unsinn und Bosheit zu Gericht sitzen und als Ankläger auftreten. An solchen Fäden hängt das Schicksal! Und nicht mit Unrecht machten Valckenaers erste Eröffnungen zu einem meiner Überzeugung nach teils unausführbarem teils heillosem Geschäft mir mehr Grauen als Freude — ich wäre lieber ohne einen Irrwisch vorwärts, und wieder fortgegangen. Kraft zu einem bloß duldenden, bloß leidenden Verhalten unter dem Druck vielleicht eines sehr schweren Unglücks, diese schöne und erhabne Kraft zu deren Anstrengung und Stärkung Du ermahnst, beste Dore, ist leider meinem Gemüt fremder als jede andre Kraftäußerung die sich durch ihre Hervorbringungen nährt und stärkt. Ein fruchtloses Opfer, wenn auch nicht im allerschlimmsten Sinn, zu werden ist ein fürchterlich schweres Schicksal. Aber sei überzeugt daß ich nicht nur unverzagt sondern sogar getrost für jetzt vorwärts gehe, würden wir auch nach Königsberg gerufen ehe die Folgen jenes Unfalls sich aufgeklärt haben können. Laß es mich auch nicht bereuen Dir das Beunruhigendste nicht verschwiegen zu haben indem Du Dich unsertwegen ängstigest: nur Deine innige Teilnahme und Sorge laß uns auf allen unsern Wegen begleiten. Ein Zufall bringt oft Verderben: ein Zufall wendet die anscheinendste Gefahr ab. . . . Über die schreckliche und schmähliche Entscheidung des großen Weltgerichts was die Fürsten wieder zu einem Schauspiel herabgewürdigt haben, mag ich Dir nicht viel sagen. Wir wissen gleich viel, urteilen in gleichem Sinn darüber. Die Aufopferung Tirols1 war einigen eine so entschiedne moralische Unmöglichkeit daß sie sich zu glauben weigerten als schon die Akte in offizieller Abschrift da war. Mich trieb sie zu innrer Verzweiflung — aber machte mir die Sache selbst wahrschein1

Der Waffenstillstand bestimmte, daß Tirol von österreichischen Truppen zu räumen sei, und gab damit die Tiroler, die Ende Mai die bayrische Herrschaft zum zweitenmal abgeschüttelt hatten, Napoleon und den Bayern preis. Kaiser Franz entschloß sich daher erst nach langem Zögern, den Waffenstillstand zu ratifizieren, und Erzherzog Karl legte das Kommando nieder.

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lieber, so ganz war sie in seinem Sinn, in dem System des Besudeins und Verächtlidimachen, wie die Riesenschlange ihre Beute mit ihrem Schleim übergießt um sie gemächlicher zu verschlucken. Was den Entschluß das Äußerste zu wagen, und mit dem Äußersten umzukommen so niederträchtig aufgelöst hat war in Hamburg gestern noch für jeden ein unerklärliches Rätsel. Der angebliche Verrat des Erzherzogs Johann 1 wäre so tief unter allem Menschlichen daß es scheint man sei eben so wenig gerechtfertigt ihn für möglich zu halten als wenn ein Kind von seiner Wärterin verschwunden wäre diese für eine Kannibalin zu halten. Es ist nun aber eine schwere Aufgabe sich darin zu finden ohne alle Hoffnung zu leben: fast noch bittrer die schon wieder aufgeblühten Hoffnungen in ihrer Lebensfülle, ohne Wunderrettung, dem Tode übergeben zu sehen. Galizien, sogar die Häfen Ferrol und Corunna war ganz geräumt: Romana hatte ein vortreffliches Heer von 30 ooo Mann: die Armeen in Estremadura vereinigt: die aus Sizilien wahrscheinlich in Catalonien gelandet: die große Expedition vielleicht nach Bayonne oder Biscaya bestimmt a . So auf der Schneide des Schwerts stand unsre Rettung: eine große Prüfungszeit für jeden Berufenen: ein schöner Abend für den der sie durchlebt hätte. Und nun? Glücklich wer sich nie zu weit von dem Beruf und den Beschäftigungen entfernte die jetzt für jeden Mann der einzige Trost sein können! Der empfindet vieles doch nicht so zerreißend als wer sein Schicksal auch über solche Veränderungen hinaus an einen ändern Beruf band: glücklich auch wer sich früh resignierte, und, wie Du, in andrer und früher Übung ein Kreuz und Joch tragen lernte. 1

Dies bezieht sich wohl darauf, daß Erzherzog Johann mit den aus Italien zurückgerufenen Truppen am 6. Juli zu spät eingetroffen war, um noch in die Schlacht von Wagram eingreifen zu können. * Soult und Ney hatten sich Ende Juni vor den spanischen Truppen unter La Romana aus Galicien südwärts zurückgezogen, das andere französische Korps in Spanien kämpfte eben in diesen Tagen gegen die vereinigten englisch-spanischen Truppen unter Wellington in der Schlacht von Talavera. Die englische Expedition war nicht nach Spanien, sondern nach Holland bestimmt (s. u. S. 25 Anm. 2).

2*

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Preußen. Austritt aus dem Staatsdienst

Mir ist übrigens wohl: der letzte Schlag hat meine Gesundheit nicht zu Boden geworfen. Meine Hoffnungen hingen an einem so schwachen Faden, und es ist mir nun fast ruhiger, für den Augenblick. An die Verwundeten, an die zertretenen Einwohner freilich zu denken — an die verratenen Tiroler — das erträgt man nicht. Und der Gedanke an die Zukunft für jeden von uns, da wir schon geschieden sind, bald wahrscheinlich weit getrennt werden ist freilich sehr ernst. . . . Ich nannte Dir Horazens 16. Ode des 2. Buches als die herrliche Bitte um Ruhe, — ich habe Dir falsch genannt, denn die ich meinte ist die 6. desselben Buchs, an Septimius \ Niebuhr-Nachlaß. Überarbeiteter Abdruck von Teilen LN I 413 ff.

291.

An D o r e H e n s l e r . Nütschau, 3. August 1809. . . . Daß mir die Stille dieses Orts und die reine Landluft wohl tun würde, dafür hat Dir das dringende Bedürfnis nach Erholung bürgen können welches Du in allen meinen Zügen nur zu oft gelesen hast. Manche Fiber die seit Jahren immer schmerzlicher und immer heftiger bis zur völligen Erschöpfung ihrer Kraft aufgereizt worden ist, ruht und schlummert hier, wo weder das kleine Feuer stets genährter Neuigkeiten, noch die ergreifenden Leidenschaften des Gesprächs martern. Es gelingt mir ganz die Beschauung trostloser Dinge, und sogar die ernste Erwägung des eignen Schicksals zu entfernen; aus der entfernteren Gegenwart in den engeren Kreis der nahen und augenblicklichen Wirklichkeit zurückgezogen: es gelingt mir manches entwöhnte Interesse, manche halbvergeßne Ideen wieder zu beleben; und die frei umgebende milde Luft, Feld, Wald und Gras flößen von ihrem Leben zur Gesundheit ein. Ist mir auch noch oft nicht wohl, selten leicht, manchmal krampfhaft, so fühle ich doch daß es hier im Freien besser ist als es in der Stadt sein würde, und daß Genesung und Verjüngung nicht unmöglich wären. 1

Horaz Od. II 6.

21

Indessen scheint es mir doch daß ich für jetzt nur zu einem negativ besseren Zustand gelangen werde, welches wohl verhältnismäßig ein wahres Gut ist, aber doch an sich weit davon entfernt befriedigen zu können, und die äußere Ruhe in der er entstand, schwerlich sehr lange überleben wird. Zu der freien selbstbestimmten, schöpferischen Meditation, erleuchtet durch lebensvolle Phantasie, worin allein ich Fülle und Befriedigung des innern Sinns besitzen und genießen würde, zu der bin ich noch kaum, und vielleicht kaum in einzelnen Augenblicken gelangt. Ist es daß ich nach einem Element strebe welches mir nicht eigen wäre? Der Instinkt welcher dahin reißt kann doch wohl kaum täuschen: ich fände doch wohl Befriedigung in einer niederen Sphäre wenn ich nur für diese bestimmt wäre. Aber meine Flügel sind zerknickt, meine Gelenke durch langen Nichtgebrauch steif geworden, die Gewohnheiten des Geistes haben sich verhärtet. Meine Willenskraft versagt, ist ungeschickt, oder unachtsam, während die Gewohnheiten die innre Tätigkeit in einer entgegenlaufenden Bahn bewegen. Daß sich die Bücher auf meinem Tische häufen, wirst Du, teuerste Dore, verzeihlich finden, wenn es auch zweckwidrig ist. Denn ich habe den großen Genuß einer Bibliothek zu lange entbehrt um nicht die Versuchung vielfach zu empfinden in ihr zu naschen: auch hat dies auf einigen Seiten wieder seinen Nutzen. Nur dadurch, durch das Anschlagen an hundert seit Jahren unberührte Saiten stellt sich mein Gedächtnis wieder her, und ohne diese Herstellung würde in einiger Zeit sehr vieles ganz in mir absterben was schon jetzt nur noch so schwach hinlebt daß ihm die Kraft fehlt mit eigner Tätigkeit wieder in den Sinn zu treten. Selbst das gelehrte Lesen und Suchen muß ich durch Übung wieder lernen, und dadurch wird mir doch, aufs Beste, der Stoff kommen müssen, wenn es mir noch so gut werden sollte etwas zu bilden. Im Dionysius von Halicarnassus * habe ich Beiträge zum 1

Dionysii Halicarnasensis Antiquitates Romanae I.

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Preußen. Austritt aus dem Staatsdienst

Gegenstand meiner alten Arbeit zusammengesucht, und die Spur von Beweisen für meine Überzeugung, daß schon sehr früh ein gegenseitiger Verkehr, und gegenseitige Kenntnis zwischen Rom und den Griechen bestanden hat, verfolgt: dies hat mir auch nebenher einige Ausbeute zur Übersicht der ältesten Völkerstämme des westlichen Europa gegeben. Mit großer Bewunderung und Respekt — und ist nicht die Empfindung dieser Affekte einer der stärkendsten Genüsse? habe ich einige finanzielle Schriften Mirabeaus gelesen, deren ich schon lange vergebens gesucht hatte habhaft zu werden. Sie haben mich an selbstbegangne Fehler erinnert, über die ich schon länger klar gesehen habe, sie vielleicht mit dieser Belehrung früher vermieden hätte — aber nicht weniger an die ungeheuern Fehler andrer, vor deren Augen, und als sie völlig reif hätten sein sollen es zu gebrauchen, dieses Licht angezündet worden war, und die doch verzweifelt im Blinden zu tappen erwählten! Und das ist denn der gepriesene oder geträumte Nutzen auch großer Schriftsteller! Sein Vaterland war taub für ihn, und stürzte in den Abgrund den er mit Angstgeschrei anzeigte: auch für andre Regenten war die Warnung des Beispiels wie der Wahrheit verloren \ Höchst merkwürdig sind mir Baaders physisch-philosophische Schriften 2, beherrscht von einem Geiste des exaltiertesten Mysticismus, und im Allgemeinen gewiß so schädlich als verloren durch Unverständlichkeit. Denn so unbezweifelt es für jeden sein muß der sich nicht mit Wortbegriffen und Erklärungen befriedigt die im Kreise umher schließen, daß es eine Weisheit und Wahrheit über unsern Wissenschaften gibt die sich zu ihnen verhält wie das lebendige Geschöpf zu seiner Zeichnung, so können wir doch ja nicht ohne diese Wissenschaften raten, und die Ahndungen und Aussichten welche sich uns flüchtig eröffnen haben ihre Wahrheit und tiefere Bedeutung doch nur durch und in der festen und ein1

Vgl. auch Niebuhrs Urteil über Mirabeaus Persönlichkeit o. Bd. I S. 516 ff. Gemeint sind Baaders „Beiträge zur dynamischen Philosophie im Gegensatze der mechanisdien", die 1809 erschienen. 8

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dringenden Beschauung der Grenzen der "Wissenschaft: abgesondert von ihr werden sie Traum und Luftbilder. Das Interesse an ihnen erregen ehe das Bedürfnis nach ihnen, und die Fähigkeit sie hervorzurufen erwacht sind, ist ein gefährliches Geschenk: und es wäre wohl zu wünschen daß diese Ansichten in Mysterien den Eingeweihten und nur Geprüften offenbart würden. Eben wie die Ansichten über Freiheit und bürgerliche Ordnungen, wo das Beste von dem Bestehenden gar zu weit abweicht ohne daß dieses für den Augenblick allgemein unerträglich ist. Dir empfehle ich aber jene Abhandlungen, das heißt alle welche nicht zu dem System einer Physik gehören die mir wenigstens höchst gewagt und schwindelnd vorkommt: namentlich alle die Gegenstände erörtern über die tiefe Sammlung, ein erhabnes Gemüt, eindringende Beobachtung und ein inniges und reines Herz Licht verbreiten können: denn dieses alles bewährt sich in meinem Mystiker. Horaz lese ich auch viel und täglich: er ist mein steter Gefährte, und mir lieber als je. Ich wünsche daß Du ihn bald lesen mögest: aber Deine lateinischen Studien werden wohl aufs neue gestört sein, und wann wirst Du Ruhe finden, wie auch Du ihrer bedarfst? Ich sehe mich allenthalben nach Ausgaben um welche es verdienten Dir empfohlen zu werden und Dir nützen könnten, und dabei erst werde ich der fast allgemeinen Zwecklosigkeit der neueren Ausgaben recht inne, bei denen der Fall gar nicht berücksichtigt ist daß Leute von Verstand sie zur Erklärung gebrauchen wollten. Die alten Deutschen aus dem 16. Jahrhundert sind dazu weit tauglicher, aber ohne gutes Glück sucht man die nicht leicht zusammen. . . . Die Erziehung von Moltkes Sohn Karl1:

Moltke klagt über Mangel an Innigkeit bei dem Knaben, und dazu ist wohl Grund; aber wahrlich die ganze Erziehung arbeitet ihn auch nach der positiven Welt hinaus. Magnus 2 hat 1

S. o. Bd. I S. 293 Anm. i. Magnus Moltke, geb. 1806, später Mitglied der schleswig-holsteinischen Stände und Verfasser einer 1849 erschienenen Sdirift über „Die schleswig-holsteinisdie Frage". z

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Preußen. Austritt aus dem Staatsdienst

uns durch seine Gesundheit und Kräftigkeit sehr überrascht. Er ist ein ganz andres Kind als das bleiche, fiebernde, matte, welches wir im Frühling mit Dir mit Sorge und Wehmut sahen. Er interessiert uns außerordentlich: seine Spiele, seine Torheiten, seine Luftschlösser erinnern mich wie nie ein andres Kind an meine eigne Kindheit. Male ist sein Liebling, mich fängt er erst jetzt an zu tolerieren. Moltke ist von seiner Krankheit hergestellt, das heißt in seinem gewöhnlichen Zustande. Dessen kann ich mich doch nicht erwehren oft darüber zu grübeln ob nicht die große Expedition 1 nach Biscaya bestimmt ist, und eventuell darüber manchen Plan auszusinnen. Sonst können wir gewiß nichts anders für Deutschland als die härteste und zugleich die garstigste Entscheidung erwarten, obgleich einzelne sonderbare Nationalsymptome da sind, wie z. B. Giulays und Teimers Ungehorsam2. Tirol, Tirol! Das verurteilt den Erzherzog 3 zum schimpflichsten Tode. Sein bischen Kraft war erschöpft. Der sonderbare rätselhafte Aufsatz aus Holland * ist ganz gewiß vom Könige. Auch darin ist kein Resultat, schlechte Logik, Schiefheiten, wie immer wenn man gezwungen und mit abgemessnen Worten schreiben muß. Da man nun aber noch weniger handeln kann wenn man nicht einmal zu sprechen wagt, könnte man es eben so gut gar bleiben lassen: es macht nicht einmal dem Herzen Luft: und man wird persiffliert . . . Niebuhr-Nachlaß. Nur wenig überarbeiteter Abdruck des größten Teiles LN I 41$ ff. 1

S. o. S. 19 Anm. 2 und u. S. 1$ Anm. 2.

2

Dies bezieht sich wohl auf eine im Hamburger Korrespondenten vom i. August veröffentlichte Nachricht aus München, wonach die Tiroler Aufständischen den Waffenstillstand nicht anerkennen und die österreichischen Truppen nicht aus Tirol abziehen lassen wollten. Teimer, einer der Führer der Insurgenten, flüchtete kurz darauf aus Tirol. Über Graf J. Gyulay, den Führer einer österreichischen Division, ist in diesem Zusammenhang nichts bekannt. 8

S. o. S. 18 Anm. i.

* Ein im Hamburger Korrespondenten vom 2. August aus der Amsterdamer Hofzeitung übernommener Aufsatz, der den Holländern die Notwendigkeit auseinandersetzte, gegenüber der drohenden Gefahr einer Landung der Engländer den militärischen Schutz des Landes zu erhöhen.

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292. An V a l c k e n a e r

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Niitsdhau, 10. August (i 809)

Über die Gefahren, die von der englischen Invasion auf Zeeland 2 drohen: weitere Invasion, oder Einverleibung durch Frankreich. Dankt für die Ernennung zum Korrespondenten des Instituts 3. Le memoire de M. Silvestre de Sacy * doit etre infiniment curieux. Mais je ne suis pas moins avide de la lecture de votre memoire sur l'instruction publique 5, travail qui peut etre de la m§me importance chez nous, oü les humanites sont egalement attaquees que chez vous . . . Isole, et retire a la campagne d'un ami oü personne ne vient nous porter des nouvelles je n'en ai point ä Vous mander. La situation du Dannemarck est assez triste: ce pays s'epuise sans faire des efforts: le papier monnaye dissipe toutes ses ressources; et le funeste Systeme de n'ecouter que les conseils de la Russie acheve ses embarras et ses desavantages. L'election du prince Chretien au trone du Suede doit deplaire excessivement ä St. Petersbourg; eile est je crois assez agreable ä la France qui ne peut pas souhaiter que la Russie franchisse le golfe de Finlande, surtout comme alas eile ne s'arreterait surement pas aux frontieres actuelles de la Suede. Le Dannemarck devrait y entrevoir son salut: mais je crains qu'on pense differemment . . . M. Creutzer 7 est nomme Professeur ä Leyde? Je suis tres curieux d'apprendre comment on s'arrangera avec lui: car ses idees sont reputees fort exaltees meme chez nous en Allemagne, oü cependant nous y sommes nulle fois plus habitues que vous autres . . . Leiden, Universitätsbibl. Bibl. Publ. Cod. 1035. 1

S. o. Bd. I S. J38 Anm. i. Am 30. Juli war ein englisches Korps auf Walcheren gelandet, um von dort aus gegen Antwerpen vorzugehen. Die Expedition nahm einen unglücklichen Verlauf, und Ende Dezember mußte sich der Rest der englischen Truppen wieder einschiffen. 2

3

4 5

S. o. Bd. I S. 540 Anm. 2. S. o. Bd. I S. 31 Anm. 3. Welches Memoire gemeint ist, ließ sich nicht feststellen.

Valckenaer war Mitglied einer Kommission, die einen Bericht über den Stand des Erziehungswesens in Holland, insbesondere der Hochschulen, abzufassen hatte. Offenbar ist dieser Bericht gemeint. ' Prinz Christian August von Augustenburg war am 18. Juli zum schwedischen Thronfolger gewählt worden. 7 G. F. Creuzer (1771—1851), der romantische Philologe, dessen „Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen" in den nächsten Jahren herauskam, hatte die Berufung nach Leiden angenommen, kehrte aber schon im August wieder nach Heidelberg zurück. Niebuhrs Gegensatz zu ihm geht auch aus späteren Äußerungen der

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Preußen. Austritt aus dem Staatsdienst

293.

An A l t e n s t e i n . Nütschau, 10. August 1809. . . . Sie haben mich zu einem offiziellen Brief aufgefordert, und dieser, in der Einlage, wird Ihnen von der Lage unsers Geschäfts in Holland, nach Valckenaers letztem Brief, und von meinen Überzeugungen, oder, was in diesem Fall gleich gilt, von der ausgemachten "Wahrheit über die Aussichten für dasselbe in Hollands jetzigem Schicksal, über die völlige Zwecklosigkeit meiner Rückkehr, treue Auskunft gewähren, damit Sie davon Gebrauch machen wo es ihnen passend scheint. Hier, im Privatbriefe, kann ich Ihnen noch unverhohlner schreiben daß dieser Angriff auf Zeeland * wohl ohne Zweifel Hollands Schicksal zum Ruin aller Rentiers entscheiden wird. Es ist vorbei mit der abgesonderten Existenz dieses Staats, der in diesem Augenblicke kaum 6000 Mann, nicht zur Verteidigung seines Gebiets, sondern unter dem Schutz seiner äußersten Grenzfestungen zusammen ziehen kann — der den verwundbarsten Punkt der gemeinschaftlichen Grenze nicht zu decken vermocht hat — denn welches Gewicht können die Rechtfertigungen haben daß 10 ooo Mann zum Dienst in der Fremde bestimmt worden sind, und die Recriminationen über die Disputen auf Walcheren, welches wohl gewiß ganz, und dann unwiederbringlich für die Dauer des Kriegs verloren ist? Es ist vorbei mit Holland, wenn auch nicht die Reunion ausgesprochen werden sollte, wenn auch Krieg und Aufstand sein festes Land nicht ergreifen sollten; weil es an den Mitteln fehlt eine Armee zu schaffen, den Krieg zu bezahlen: aber wenn das eine oder das andere geschähe, wer kann sich dann über die Unvermeidlichkeit des Bankerotts verblenden; wer, wenn dieser erfolgt, Holland noch als ein reiches Capitalland betrachten, in dem sich, sei es aus Ersparungen, sei es aus Rückzahlungen, oder dem Umtausch von Papieren, ein Anleihen bewirken ließe? Ich hoffe noch daß man sich in Holland, wo tiefe unbegreifliche Blindheit über die Bestimmung der Expedition alle Augen geschlos1

Vgl. zum Folgenden o. S. 25 Anm. 2.

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sen zu haben scheint, jetzt in der Besorgnis irrt, daß, wenn die Zeeländischen Inseln occupiert sein würden, die Invasion gegen die Maas gerichtet werden dürfte: denn für den Augenblick steht alles offen, und wenn die Ordnung in diesem kranken, mit der ängstlichsten Pflege kaum fortlebenden Körper einmal ganz gestört wird, so ist der Tod unvermeidlich. Aber diese große Expedition kann von der Scheidemündung aus nur zwei Bestimmungen haben, und die Irrtümer bei den Zwecken solcher Unternehmungen sind in England so gewöhnlich daß man sich diesen fruchtlos verderblichen Plan allerdings möglich denken muß. Zerschnitten hat nun wohl dieser neue Auftritt auf der blutigen Bühne den Knoten der sinnlos in der Frage geschürzt war, ob ich wieder zurückkehren sollte nach Holland? Und was die ändern Seiten der Frage betrifft, ob und wann ich zu Ihnen kommen solle, da bin ich freilich noch immer nicht ganz im Hellen bei Ihren Erläuterungen, mein Teuerster: glauben Sie aber nicht daß ich bestimmtere abdringen wolle, wenn Sie sie nicht füglich geben können. Sein Sie davon überzeugt daß ich kommen werde sobald Sie mich fordern: Sein Sie auch davon überzeugt daß mir das Pensionsleben in der Tat verhaßt ist; daß ich mir einen Beruf und das Gefühl nicht ein Pfründenbrot von einem zu Grunde gerichteten Staat zu essen wünsche; daß ich mir keine Schicksale idealisiere; daß nur Verkettungen aus denen der Zwang zu niedriger und das Gefühl empörender Handlungsweise, zur Schlechtigkeit hervorgehen würde ein unleidliches Joch für mich sein würden, selbst mit Gefahr des Nackens zu zerbrechen. Unsre Ansichten und Gefühle sind gewiß, so wie Sie mir die Ihrigen zeigen, so einträchtig wie sie es stets waren. An den meinigen hat die Zeit in ihrem schweren Gange nichts vernichtet. Ich sinne vergebens umher ob nicht irgend etwas in diesem tatenlosen Lande der Erwähnung in einem Briefe an Sie verdiene? Könnte ich Ihnen das ganze Gemälde seines Zustande, die beispiellosen Übertreibungen ganz zweckloser Militär-

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anstrengungen, der Verschwendung neben der tiefsten Erschöpfung, des ungeheuersten Mißbrauchs des Papiergelds, aufstellen, so wäre das vielleicht ihrer Aufmerksamkeit wert: aber zur Abschreckung bedürfen Sie das Gottlob nicht, und Sie erlassen mir das schmerzliche Geschäft. Diese reichen Provinzen könnten noch alles ertragen wenn nur Ausfuhr wäre! Aber während die Regierung Last auf Last auf die liegenden Gründe häuft, den Tagelohn durch Militäraushebungen entsetzlich steigert, liegen tausende von Lasten ohne Absatz und fast ohne Preis in den Scheunen, und nur der ganz unverschuldete Besitzer sieht den Segen der diesjährigen Ernte mit ungetrübter Freude, wodurch die Preise noch tiefer herabkommen werden. In allen Ländern wo der Boden am meisten belastet ist, scheint, da die fortwährende Sperrung des Handels die Getreidepreise avilieren und erzwungne Wohlfeilheit hervorbringen muß, nach einiger Zeit kein andres Mittel zur Rettung der Existenz zu bleiben als jenes furchtbare, worauf der Instinkt schon früher manche Völker geführt hat, eine Veränderung der Münze. Die Regierung, zu kraftlos um einer Stütze entbehren zu können, scheint sich die schwankendste erwählt zu haben: sie hat sich in ihren Verhältnissen mit Schweden, den einzigen woraus sie scheinbaren Vorteil wenigstens ziehen könnte, und aus denen ihr die nächsten Gefahren drohen, an Rußland angeschlossen — während Frankreich über seinen bleibenden Vorteil nicht blind unverkennbare Fingerzeige auf einen ändern, für Dänemark weit heilsameren Weg tat. Sie vertrauen Rußland hier nicht, wo wäre denn für diesen verfaulten Staat, oder vielmehr für die verfaulte Seele dieses Staats ein andres Gefühl als Abscheu und Verachtung und Überzeugung von Verrat? — doch aber handeln sie als ob sie vertrauten: glücklich, sich einige Minuten zu täuschen, und sich von der Verantwortlichkeit tiefer erwogner Schritte zu befreien *. Über die gemeine Entwicklung des großen Trauerspiels im 1

Die dänische Regierung schloß sich 1809 in ihrer antischwedischen Politik eng an Rußland an. Was mit den französischen Fingerzeigen gemeint ist, ist nicht klar.

29 Süden * mag ich Ihnen nicht schreiben: wäre es auch nur ein Intermezzo so wäre es nicht minder gemein. Von der Loyautät die gegen den Anblick solcher fürstlicher Verworfenheit Bestand hält habe ich keinen Begriff. Seit der Aufopferung der Catalonier ~ gibt es kein Seitenstück zur Aufopferung der Tiroler: und schon die moralischen Folgen dieses Waffenstillstands sind einer zweiten gewonnenen Schlacht mehr als gleich. . . . Berlin, Geh. Staatsarchiv. Altenstein-Nachlaß. 294.

An D o r e H e n s l e r . Nütschau, 14. August 1809. Wir kommen, glaube ich, wegen des wunderlichen Postenlaufs, mit unserm Briefe erst nach dem Feste 3 zu Dir, geliebte Dore, an dem wir Dir unsre innigsten "Wünsche und herzliche Liebe gern dartrügen: wenn dem aber auch so ist, dann wird Dein eignes Herz es Dir gesagt haben welches Andenken Dir auch noch vorzüglich an diesem Tage geweiht ist. Wer es nicht vermag seine heißen Wünsche im Glauben und in einer geahndeten Ausdehnung der Kraft inniges Verlangens zu Gebeten zu erheben, der fühlt sich auch bei solchem Anlaß hinter diesem Glücklicheren zurückstehend: aber seine Wünsche sind darum nicht weniger warm und redlich daß er sie ängstlich den Fügungen des Zufalls und nicht vertraulich der Waltung eines liebenden Geistes übergibt. Und glaubte ich einen guten Dämon beschwören und erflehen zu können daß er Dir, teure Dore, Gesundheit, Kraft, Heiterkeit, Freude, Lebensgenuß, erhalte oder verleihe, daß er auch bei jeder Entfernung unser Andenken in den lichtesten Zügen der schönsten vergangnen Zeiten in Deinem Herzen und Deiner Seele erhalte, jeder Entfremdung vorbeuge, so würde ich ihn zwar nicht allein aber doch noch angelegentlicher an jenem Tage anrufen der Dich der Welt und denen die Dich lieben, gab. 1

Die Bayern und Franzosen rückten in diesen Tagen auf Grund des Waffenstillstandes in Tirol ein, das, von der österreichischen Regierung aufgegeben, nun unter der Führung Andreas Hofers den letzten Kampf um seine Freiheit führte. 2 An Philipp V., durch die Verbündeten am Schluß des spanischen Erbfolgekrieges. s Dores Geburtstag.

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Ein kleines Angebinde hätte ich Dir bestimmt, wenn Du es annehmen wolltest: aber Perthes läßt mir leider wissen er habe noch immer nicht mehr als das Probeexemplar erhalten, welches er nicht aus dem Laden geben will, weil es Subcribenten sammeln soll. Es kann sich also noch etwas länger damit verziehen, aber laß mich Dich jetzt wenigstens bitten es zu seiner Zeit als wie zu Deinem Fest dargeboten anzunehmen. Goethens Kopf in haut relief hat nicht allein das Verdienst den darzustellen welchen wir alle so tief bewundern, und seinen schönen Kopf, wie man sagt, treu zu schildern, es ist auch ein schönes Kunstwerk. Und wäre es das auch weniger so würdest Du ihm doch wohl einen Platz in Deinem Zimmer, nicht bei den großen Andenkestücken mir bekannter oder unbekannter Geber, sondern an einem stilleren und einsameren Ort gewähren. Von Altensteins Brief hat Male Dir schon geschrieben, teure Dore. Er war uns beiden nur um ein geringes weniger rätselhaft als der den Du selbst in Meldorf lasest: diese Dunkelheit ist aus der Furcht entstanden sich über gewisse Gegenstände zu äußern; und ich würde wohl noch darüber grübeln, ungewiß ob der erratene Sinn wirklich der wahre sei, wenn nicht die indiskreten Erzählungen eines Vertrauten von Hardenberg an Dehn* einen Schlüssel dazu gäben, der in allen Richtungen probiert so genau paßt, daß ich an seiner Richtigkeit gar nicht zweifle. Dir aus dieser Sache ein Geheimnis machen zu wollen, könnte mir nun nie in den Sinn kommen; aber wohl könnte ich glauben darüber der Post wegen schweigen zu müssen, wenn mich nicht die moralische Gewißheit darüber hinwegsetzte daß diese halsbrechenden Dinge bei der herrschenden Geschwätzigkeit unsrer geheimen Agenten, deren geringste Narrheit sein würde sich diesen Titel bei den Stadttoren beizulegen, landkundig sein müssen. Aus der Vergleichung aller Umstände erhellt daß die Auflösung aufs äußerste gestiegen ist, daß die besten Offiziere z. B. die Obersten Gneisenau und Grollmann, 1

S. Bd. I S. 450 Anm. i.

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jener nach England, dieser zum General Kienmayer gegangen sind, weil der Staat unbeweglich geblieben ist, und zwar ohne ihren Abschied zu nehmen *: daß Österreich vom Anfang des Kriegs her durch den Obersten Steigentesch, einen sehr ausgezeichneten Mann, Bataillonschef bei der Wiener Landwehr, unterhandelt hat 2 ; daß die allgemeine Stimme für die Kühnheit der Verzweiflung geredet hat, der König aber ganz apathisch keinen Entschluß fassen will, und so alles von Tag zu Tag hinbrütet: daß diese Stimme nicht nur vor Eckmühl und nach Aspern, sondern auch in der Zwischenzeit, ja sogar nach "Wagram und dem Waffenstillstand gleich heftig fortdauert, weil die entschloßne Partei in Österreich sehr bald hat wissen lassen, es werde nicht zum Frieden kommen: daß der König diesen Aufforderungen eben dieselbe resignierte Unfähigkeit eines Entschlusses entgegensetzt wie 1799 und 1805 3: daß er und die mit ihm übereinstimmen sich nicht nur schmeicheln mit \rölliger Passivität ungeschlagen fortzukommen, sondern daß sie auch bestimmt hoffen ich würde das Anleihen in Holland in Gang bringen können, und dieses werde Frankreich befriedigen: daß endlich die Sachen hierüber zwischen ihm und der Majorität der Administration so auf die Spitze gestellt sind daß, wenn der "Waffenstillstand gekündigt wird, daraus hervorgehen muß, daß man es versuchen wird ihn zu einem Entschluß zu zwingen; oder eine Insurrektion entsteht, oder, und darauf würden sich dann die Gewissenhafteren beschränken, 1

Gneisenau hatte vielmehr am i. Juli sein Abschiedsgesuch genehmigt erhalten; er ging damals erst nach England, dann nach Schweden und Rußland. Grolman war bereits am i. Mai 1809 der Abschied erteilt worden. Er nahm zunächst noch an dem österreichischen Kriege teil und schiffte sich dann nach Spanien ein. 2 Steigentesch war Mitte Juni als außerordentlicher Gesandter Österreichs an den preußischen Hof nach Königsberg gegangen, um die Verhandlungen über den Anschluß Preußens zu Ende zu führen. Seine Mission war erfolglos. Doch blieb Preußens Haltung bis zum Wiener Frieden (14. Oktober) ungewiß. Die Minister waren für Eintritt in den Krieg, stießen aber auf den Widerstand des Königs. Eben damals hatte man, durch die nach Abschluß des Waffenstillstands erfolgte Sendung Knesebecks ins österreichische Hauptquartier, erneut die Verbindung mit Osterreich gesucht. 8 Bei der Bildung der zweiten Koalition und während des dritten Koalitionskrieges, vgl. o. Bd. I S. 321 u. 324.

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viele ihren Abschied nehmen würden. Vincke * soll schon seinen Abschied genommen haben, welches aber mit ändern Gegenständen zusammenhängen kann. Major Schöler 2, Altensteins Freund, und ein vorzüglicher Mann, ist aus Petersburg mit der Erklärung zurückgekommen, man möge ihretwegen tun was man wolle: einer Erklärung welche das "Werk jener längst geahndeten Treulosigkeit sein kann, aber auch Folge der völligen Schwäche jenes Reichs die man sich in Petersburg selbst nur noch geflissentlich und mühselig mit Zerstreuungen und falschem Schimmer verbirgt. Von den 24 Divisionen regulärer Truppen von denen jede 16 ooo Mann zählen soll, deren keine ich aber während des Kriegs stärker als 6 bis 8000 Mann gekannt habe, stehen 9 gegen die Türken, 4 gegen die Perser, ohne Fortschritte zu machen, die letzten sogar aus Georgien durch Insurrektion vertrieben, aufgezehrt von Mangel und Seuchen, 4 in Finnland und Westerbotte, 4 von Reval bis an die Grenze von Ungarn: 3 in Petersburg und Kronstadt. Das Betragen der Russen in Polen ist ein ewiger und unbegreiflicher "Widerspruch: die Generale gehorchen bald den erhaltnen Befehlen zum Teil, bald legen sie sie beiseite und handeln eigenmächtig. Über Altensteins Zögern mit der Rückberufung: Er will mich nicht in die Lage bringen nur die "Wahl zwischen einem verzweifelten und proscribierenden Entschluß, dem schwierigen Entschluß ganz abzutreten nachdem man 130 Meilen weit hergekommen ist, und der tötenden Partie sein 1

Die Verbindung Niebuhrs mit Ludwig von Vincke (1774—1844), einem der Hauptmitarbeiter Steins, später Oberpräsidenten von Westfalen, hatte sich schon 1807 in Königsberg vor Antritt der holländischen Mission geknüpft. Es entwickelte sich jetzt eine auf gleicher politischer Überzeugung beruhende Freundschaft, deren Hauptzeugnis die 1815 erfolgte Herausgabe von Vinckes ,,Darstellung der inneren Verwaltung Großbritanniens" durch Niebuhr ist. — Erst im November reichte Vincke sein Gesuch um Entlassung von seinem damaligen Posten, dem Kammerpräsidum der Kurmark (s. u. S. 51 Anm. 3), ein. Bestimmend für diesen Entschluß war nicht bloß seine Unzufriedenheit mit der Haltung der Regierung während des österreichischen Krieges, sondern wesentlich auch seine persönlichen Verhältnisse. * F. von Schöler (1772—1840), seit 1807 außerordentlicher preußischer Gesandter am Russischen Hofe, während des österreichischen Krieges Hauptträger der Verhandlungen zwischen Preußen und Rußland.

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Heil mit der Feigheit zu suchen, frei zu haben, ehe alles so klar darliegt daß ich selbst wählen könne. Er weiß daß ich in unserm Volk weder Spanier, noch in unsern Offizieren Palafoxe oder La Romanas sehe *; daß ich mit schwerem Herzen die Ausführung der größten Dinge in den Händen zweifelhafter oder wenigstens unbewährter Fähigkeit sehen würde; daß ich wenig sanguinisch bin, und doch im Grunde nur eine "Wahl haben würde. Da nun, deucht mich, erklärt es sich ganz auf die beste Seite wenn er mich nicht rufen will, und es wäre ein Verdacht der uns schwer aufs Herz fallen müßte wenn wir glaubten, es walte auch nur im mindesten Jalousie, oder der entehrende Verdacht gegen mich ob, ich könnte zu seinem Nachteil von den Umständen Vorteil ziehen wollen. Du weißt wie sehr Male nicht nur mich selbst in Hinsicht dessen was sie wünscht von mir geleistet zu sehen zu hoch anschlägt, und für mich wünscht und fordert, sondern eben daher auch geneigt ist ändern ihre eigne zu hohe Meinung, von mir, und daher bald die Absichten der größten Auszeichnung, bald verborgne Gefühle von Eifersucht beizumessen. Du wirst nun fragen: was werdet Ihr aber tun? werdet Ihr endlich eine entscheidende Antwort erhalten? — Ich glaube daß wir jetzt ein Orakel des Schicksals erwarten können; nämlich die Aufkündigung des Waffenstillstands 2. Erfolgt diese so wird dort irgend ein Entschluß gefaßt werden; aber es würde zu lange Zeit wegnehmen wenn wir Kenntnis davon erwarten wollten; und so glaube ich müssen wir uns denn in die Hände des Schicksals geben. Denn daß man mich nicht ungern sehen wird ist, nach Altensteins Brief gewiß, und den törichten Traum von besserm Erfolg in Holland muß man nun auch von selbst aufgeben, da der Reichtum dieses Landes den letzten Stoß erhalten 1

Palafox hatte Saragossa gegen Verdier 1808 verteidigt und bei der abermaligen Belagerung durch Lärmes Anfang 1809 zwei Monate lang gegen die Franzosen gehalten, die jeden einzelnen Stadtteil in erbittertem Kampf erobern mußten. La Romana war der erfolgreiche Führer der Spanier in Galicien. 2 Man erwartete allgemein eine Fortsetzung des österreichisch-französischen Krieges. Statt dessen kam es, da Osterreich sich zu neuen militärischen Anstrengungen nicht fähig fühlte, zum Wiener Frieden. G e r h a r d - N o r v i n , Niebuhr. Bd. II.

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hat 1 der vor seinem Ruin vorhergeht, die Bedürfnisse seiner Regierung aber ins Unendliche vermehrt sind, ihr Credit ganz vernichtet ist, so daß man ärger als einfältig sein müßte um nicht zu fühlen daß da alle Pläne für uns vorbei sind. Dieser Entschluß ist ein sehr ernster und fast furchtbarer Schritt, der aber doch unvermeidlich, und nicht mehr ein Gegenstand der Wahl zu sein scheint. Wir wollen uns nicht dadurch weich machen daß es wohl scheint ein eisernes Tor schlage hinter uns zu, und schließe uns auf immer von Euch aus, so wie wir unsern Weg antreten und die Grenzen dieses Landes überschreiten. Es wird wohl so sein: aber an ein Bleiben war ja doch nicht zu denken! Über Moltke und seine Gedichte.

Ich freue mich jedes Stückes worüber ich ihn ehrlich loben und aufmuntern kann, aber oft suche ich vergebens darnach, und dann ist mir auch noch kein einziges von ihm vorgekommen welches jenseits des Bewußtseins entstanden wäre. Auch mir fehle es da! kannst Du, wenn Dich dieser Tadel unwillig machen sollte, mir erwidern. Freilich in der Ausübung und Gewohnheit; daß es aber nicht ursprünglich und notwendig so ärmlich mit mir bestellt war, das weiß ich doch. Ich bin an den Rand des Blatts gekommen ohne Dir noch ein Wort über die Wehmut Deiner Klagen über Deine Vereinsamung gesagt zu haben: über Deinen Wunsch oder Entschluß Deinen Aufenthalt und Deine Verhältnisse zu verändern. Das Gefühl Deiner Einsamkeit betrübt und rührt mich tief: aber, teure Dore, wie willst Du, wie kannst Du sie heben? Erinnre Dich Deines eignen Spruchs; daß Wünsche den Wunsch nicht geben. — Gehen wir nun nicht auch der Einsamkeit, der Fremde zu: nicht zu reden, denn hier ist davon die Rede nicht, von Zerstörung und Untergang: Wenn uns der Weg über das Meer führt? Wo (dies im Vorbeigehen zu sagen) ein Trost für Brod und Versorgung ist, Lord Gower 2, der mich achtet, als Kriegs1

Durch die englische Walcheren-Expedition, s. o. S. 25 Anm. 2. Lord Granville Leveson-Gower (1773—1840), später langjähriger englischer Botschafter in Paris. Er war im Juni Staatssekretär des Krieges geworden, gab aber schon im Oktober beim Rücktritt des Duke of Portland das Amt wieder auf. 2

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minister zu wissen. Aber auch versorgt, werden wir nicht einsam stehen? Ich will aber davon nicht reden um nicht weich zu werden vor der Zeit. Andenken und Treue halte uns vereinigt wenn Wort und Schrift es nicht können. Lebe wohl und bleib uns gut: aber heute laß uns noch nicht Abschied nehmen, laß Dich aber herzlich umarmen. . . . Niebuhr-Nadilaß. 295.

An D o r e H e n s l e r . Hamburg, 29. August (1809). Auf der entgegenstehenden Seite schrieb ich Dir, teuerste Dore, in der ersten "Wärme, den Inhalt eines Berichts a, der auch Dich nicht kalt lassen wird, da er T a t e n erzählt für die unsre Zeit abgestorben schien, und einen Erfolg der bis jetzt den edelsten Unternehmungen versagt worden ist. Ob dieser Lichtstrahl Keime treffen wird die nur Wärme erwarten um sich zu beleben ist zwar eine andre Frage; vielleicht trifft er nur Fäulnis und Tod: aber ganz und gar ist das doch kaum denkbar, und wäre es so hat eine solche Tat ihre Vollendung in sich selbst. Ja ich selbst fange immer mehr an den wohltätigen Glauben zu nähren daß Not und Leiden tausend Herzen bewahrt und gestählt hat, und daß im allgemeinen, obgleich eingeengt und gedrückt, ein Geist lebt, dessen Kraft wachsen muß, und der etwas weit Besseres ist als jener kleinbehagliche Zustand, welchen der Hannoversche Br. 2 als den Sinn des goldnen Zeitalters vor 30 Jahren schildert, dessen Ungenügsamkeit das ziellose Herausstreben gebar welches so sehr wie die allgemeine Erschlaffung zu den heillosen Dingen führte die er als unsern spätem Zustand schildert und wir alle empfunden haben. Wollte Gott sich unser erbarmen, ich glaube fest, wir könnten, obgleich mit bittrer Not und Leiden zu etwas weit Besserem gelangen als vormals da war. Freilich stehen wir auch auf einem Scheidewege wo uns als noch wahr1

Über die Tiroler Kämpfe s. unten S. 39. E. Brande« (1758—1810), hannöversdier Politiker und Verwaltungsbeamter, zugleich politischer Schriftsteller von Niebuhr verwandter Richtung, in seinem Buch „Betrachtungen über den Zeitgeist in Deutschland in den letzten Dezennien des vorigen Jahrhunderts". 2



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sdieinlidier der zwiefach große Schmerz droht, diese in sidi verstärkte Glut gewaltsam ausgelöscht zu sehen. Zwar bleibt und alsdann selbst, nach Stolbergs Wort, noch viel am Gefühl des Verlusts, und ich möchte Dich bitten diesem nicht, gegen die Stimme Deines Herzens, durch Analyse in Dir entgegen zu arbeiten, worin Du mehr als einmal Befriedigung suchtest wenn wir über das Elend der Zeit und Zukunft redeten. Auflösen läßt sich freilich der Wert jedes irdischen Guts und Glücks, eben weil was es gut und lieblich macht nicht im Begriff gegründet sein kann: aber wenn man es dann nicht vermag sich ganz und durchgehends in Klingers kalten Geist1 zu verwandeln, so deucht mich muß bei dem hellsten Geiste ein Vertauschen der Gefühle eintreten welches zwar wohl in der Gegenwart genügen mag, aber nicht gut ist. Vergib mir diese Warnung, beste Dore! Es ist die einzige deren ich glaube daß Du bedürfen könnest; wegen Deines Hangs alles durch Raisonnement aufzulösen; — vielleicht warne ich auch weil ich Dir die Fähigkeit beneide, ohne daß ich darum Gebrauch davon machen möchte. — In diesem Falle nun möchte ich Dich gern unter Deinen Freunden welche wahrlich zu sehr in dem abgestorbenen Alten, im Holz des Kreuzes, Heil suchen und sehen, zur Vertreterin desjenigen haben welches noch im Schoß der Dunkelheit sich meistens nur regt, aber zuverlässig da ist. Mögen sie, möge namentlich Luise Stolberg2 was noch auf der Oberfläche steht, und eine eingestürzte Trümmer andrer Zeit ist nicht als das einzige ansehen was uns noch geblieben sei. Mögen sie erwägen, daß es nicht das übriggebliebne Bekannte ist was frommen kann, daß dieses allenthalben nur schadet, sondern das Verborgne welches ans Licht treten muß, und hier und da gewaltsam hervorbricht; wo eine einzige seiner Regungen mehr wert ist als tausend Bewegungen hin 1

Anspielung auf die skeptische Haltung, die F. M. Klinger (17^2—1831) in seinen Romanen gegenüber dem Problem des Sinns des menschlichen Daseins einnimmt. Vielleicht denkt N. auch unmittelbar an die Gestalt des Teufels Leviathan, der in der „Geschidite Giafars des Barmeciden" das Zersetzende des grübelnden Verstandes verkörpert. Niebuhr hatte den Giafar in seiner Jugend gelesen (s. o. Bd. I S. 123). 1 S. o. Bd. I S. 116 Anm. 2.

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und her des Verlebten und Abgenutzten. "Wer hätte es geträumt daß wir die Tage von Morgarten und Näfels * wieder sehen würden? "Wer kann es leugnen daß die Tiroler seit 1796, 7, 9, 1800, 1805 aus Kindern Männer und Übermenschen geworden sind? Daß Spaniens Geist, der Märtyrergeist des heiligen Vaters (er selbst wie verklärt seit er gleich Petrus fiel, 1804?) sein Bannspruch ausgesprochen am Hochaltar mitten unter französischen Soldaten 2, die Tiroler gehoben haben: ihr Beispiel wieder auf die Spanier, belehrend gegen Geburtsvorurteile, und belohnend für ihre Leiden wirken wird? Denn das müssen sie sich sagen daß s i e dieses Samenkorn gelegt haben. Hast Du gehört was Villers 3 gestern von Saragossa erzählte 4 ? Als Lannes' Adjutant in die Stadt kam sie aufzufordern, war die Junta versammelt, im Begriff in die Kathedrale zu gehen, wohin ihn der Präsident aufforderte ihnen zu folgen. Zweitausend Bewaffnete rückten militärisch in die Kirche, und der Abgeordnete befragte den Präsidenten was dies bedeute. Antworten Sie, erwiderte dieser, dem Marschall auf seine Aufforderung daß dies die Wache ist welche heute aufzieht, und hier die Messe hört um sich zum Tode vorzubereiten: das ist die Ordnung alle Tage. — Leonidas und seine Spartaner frühstückten e i n m a l in der Erwartung zum Nachtmahl mit den Seligen versammelt zu werden! Waren nicht die Fürsten und die Höfe wir würden auch in Österreich und sonst große Dinge sehen, wie jedes Volk nach dem Maß seiner Eigentümlichkeit ihrer fähig ist. Ich sage das mit fester Überzeugung; und froh 1

Zwei der berühmten Siege der Schweizer in ihrem Freiheitskampf gegen die Habsburger im 14. Jahrhundert. 2 Am ii. Juni hatte der Papst die Besetzung des Kirchenstaates und seine Vereinigung mit Frankreich mit der Exkommunikation beantwortet. Er war darauf gefangengenommen und nach Frankreich abgeführt worden. — Die Anspielung auf die Haltung des Papstes 1804 bezieht sich auf seine Mitwirkung bei der Kaiserkrönung Napoleons. ' Ch. de Villers (1767—181$). politischer und geisteswissenschaftlicher Schriftsteller. Er war im Exil mit dem Holsteiner literarischen Kreis in enge Verbindung getreten und wurde durch eine Reihe besonders religionsgeschichtlicher und philosophischer Schriften einer der hervorragendsten zeitgenössischen Interpreten deutschen Geisteslebens. * S. o. S. 33 Anm. i.

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daß die faule Rinde so dünn geschält ist daß der Kern hervorbrechen kann. Fluch denen welche Schuld sind wenn er doch zertreten werden sollte! Ich sage dies obgleich ich mit sehr schwerem Herzen nach Preußen gehe wo nur Verwirrung und Betäubung bei völliger Auflösung zu herrschen scheint. Schwer ist mir das Herz auch bei der Aussicht auf zahllose Anfeindungen und Bosheiten gegen die nur ein sehr ruhiges und umsichtiges Gemüt innerlich und äußerlich Stand zu halten vermag. Solche Anstrengungen stärken nicht! Mich graut vor der angreifenden, wüststimmenden Reise von der unerholt ich Unannehmlichkeiten aller Art werde entgegentreten müssen: vor ihren schmerzlichen Szenen; und was meine Gesundheit betrifft, die jetzt, nach einer starken Erkältung wieder übel genug ist ( auch tut es mir hier nie wohl) vor dem Aufenthalt zu Königsberg, seinen Privationen, und vor der "Wirkung der ungesunden Öfen. Indessen ist dabei ja nichts zu tun. — Ich muß alles andre aufgeben was ich Dir noch hätte sagen wollen, beste Dore! Villers habe ich gestern kennen gelernt; er scheint mir Deiner Empfehlung wert als ein geistvoller und wahrhafter Mann. "Wir haben uns gegenseitig mit gutem Vorurteil gesehen. — Die heutige Post wird noch wohl einen Brief von Dir bringen; ist es nicht zu spät so hebe ich dafür noch die Zeile am Rande auf. Laß uns ziehen mit der Gewißheit Deines treuen und liebenden Andenkens, auch wenn uns für die Zukunft alles außer dem Andenken versagt wäre. Und nimm dieses nicht als die Möglichkeit eines Zweifels wo ich fest baue auf erkannte Überzeugung. Nimm den innigsten Dank für jeden Augenblick den wir zusammen verlebt haben. Das Gefühl durch Kränklichkeit verstimmt nur zu oft und anhaltend für ihren Genuß manchmal weniger offen gewesen zu sein, tut allein mir wehe. Lebe Du wohl und glücklich, während langer oder kurzer Trennung. Sie wird auch nie im wesentlichen ändern, nicht Glück, nicht erstarrender Kummer. Lebe wohl, meine beste Dore; ich umarme Dich scheidend von ganzem Herzen.

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In einer Zeit wie die gegenwärtige in der Nachrichten von den Ereignissen nicht der Neugierde sondern der Betrachtung und den tiefsten Gefühlen angehören zögere ich nicht Dir, beste Dore die seltnen und verschwiegenen mitzuteilen, von denen aber keine an Wichtigkeit und Interesse den Inhalt eines Münchener Berichts über Tirol erreicht, welcher uns diesen Morgen mitgeteilt worden ist. . . . Nachrichten über die Tiroler Kämpfe Berg Isel.

und die Schlacht am

Ein Brief von Andreas Hofer an den Marschall Lefevre ist von weiter und tiefer Deutung: er hat, auf die Aufforderung, vor der Schlacht, dem Marschall freies Geleit für zwei Adjutanten angeboten, damit sie kämen und seine Position selbst sähen, und dann möge Lefevre selbst entscheiden ob er unter gleichen Umständen im Jahr 1793 sich ergeben haben würde. Dieses muß sich auf den Zeitpunkt beziehen da Lefevre unter Hoche in den Vogesen kommandierte. Es sollen mehrere Vergleichungen zwischen ihm selbst und dem französischen General darin enthalten sein, deren Sinn wohl nur sein kann daß auch er als das Kind seiner Taten groß werden wolle. Gott lasse nur den guten Geist der ihn bisher geleitet hat ihn im Glücke nicht verlassen, und ihn so rein von Flecken zu der Höhe bringen wohin ihn ein innrer Beruf fordert. . . . Uns allen deucht daß diese Tiroler Gefechte die größten Tage der alten Schweiz weit übertreffen; gerade nach einem halben Jahrtausend! Wie oft hat man nicht gesagt und glauben müssen, die Schweiz hätte damals nicht frei werden können wenn es Artillerie und stehende große Heere gegeben hätte! Niebuhr-Nachlaß. Leicht überarbeiteter Abdruck von Teilen LN I 419 ff.

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An M o l t k e . Hamburg, 30. August 1809. . . . Hier ist politisches Fieber in allen Köpfen, und da jedes Fieber ansteckend ist, ich auch eine ziemliche Ansteckungsfähigkeit habe, so denkst Du Dir wohl daß auch mein 1

Dies ist der auf die entgegenstehende Seite geschriebene Bericht über Tirol.

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Blut etwas glühender strömt, und wechselnde Bilder meiner Phantasie bunter vorübereilen als wenn wir zusammen uns ins Altertum oder nach Welschland dachten. Moltke, welche Tage sind es auch die wir erleben! Was ist denn auch Näfels und Morgarten *, was ist Marathon und Platää gegen Lueg und Landeck und Inspruck! Seit 1798 2 glaubten wir der Geist der Freiheit müsse von seinen geliebten Felsen weichen, ohnmächtig sie gegen Geschütz und reguläre Truppen zu verteidigen: das ist widerlegt. Wir glaubten länger schon wir wären Knechte, weil allenthalben der Geist der Freiheit erloschen sei: er hat nur geschlummert. Von mehr als 25 ooo Mann die allein in das nördliche Tirol eingedrungen waren, ist vielleicht kaum ein Drittel entkommen; die unbewaffneten haben ihre Artillerie, ihre Munition mit der Faust erobert: sie haben Feldschlachten geliefert und Batterieen erstürmt; und der Beruf welcher Andreas Hofer aus seiner dunkeln Heimat rief (dem höchsten Alpenpunkt Deutschlands) ist ihm selbst ganz klar geworden; er will mehr sein als der Streiter eines Augenblicks. Die Zeit ist im K r e i s s e n , und w e s s e n Sinn sollte nicht, im Innersten gesammelt, der geheimnisvollen Geburt harrend entgegensehen? Ich sehe Land! aber eine gräßliche Brandung scheidet uns von der Küste. Werden wir durch sie hindurch brechen um das kommende Geschlecht m den Auen der Seligen anzusiedeln? Lieber Moltke gib das anliegende Buch unserm Karl, den ich bitte es zu meinem Andenken zu nehmen. Der Dichter von Sulmo 3 paßt zwar nicht für unsre Tage, aber er muß ihn doch lesen ehe er dahin kommt, daß auch er im Gedränge stehen 1

S. o. S. 37 Anm. i. Der Überwältigung der Schweiz durch die Franzosen und der Errichtung der helvetischen Republik. 8 In Sulmo war Ovid geboren. Niebuhr denkt aber im Folgenden an Horaz: Oden II 13, 31 S.: Pugnas et exactos tyrannos densum umeris bibit aure volgus. IV 4. 6j ß.; merses prof undo, pulchrior, evenit; luctere, multa proruet integrum cum laude victorem geretque proelia coniugibus loquenda. 2

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kann wo pugnas et e x a c t o s t y r a n n o s densum humeris bibit aure vulgus — wo er bei dem Anblick von Tirol, von Spanien sich erinnern wird: merses profundo pulcrior exilit; luctere, multa p r o r u e t integrum cum laude victorem, g e r i tque p r o e l i a conjugibus loquenda: auch Spanien fehlen nur Mariusse aus armem t u g u r i u m . . . Niebuhr-Nadilaß. Genauer Abdruck des ganzen Briefes LN II 84 f.

Rückkehr an den Ho! Herbst 1809, 297. An D o r e H e n s l e r .

Berlin, 5. September 1809.

Unterredung mit Graf Goltz: Jene Unterredung begann sehr stramm und steif, indessen hat sie ohne Unannehmlidikeiten geendigt. Übrigens ist es mir ergangen wie dort wo „manches Rätsel sidi löst und manches knüpft". Was idi Dir von Nütsdiau schrieb als wir den Beschluß gefaßt hatten abzureisen, bestätigt sich größtenteils. Übrigens haben die meisten hier eine unbegreifliche Stärke darin Rätsel als deutliche Begriffe zu gebrauchen, welches ein schreckliches Symptom von Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit ist. Der österreichische Friede ist wohl unwahrscheinlicher als jemals, was auch die Zeitungen sagen mögen. Gegen uns herrscht ein fürchterliches dumpfes Schweigen, als ob schon alles Hin- und Herreden vorbei und überflüssig wäre. Die Werthern 1 ist zu Eytra, ungebeugt, und ihr Geist hat sich wieder zu seiner alten Stärke erhoben. Sie schreibt wieder mit ihrer eignen Kraft und Beredsamkeit, seit das Maß ihres Unglücks gefüllt ist: wie die Todesgefahr des Vaters dem stummen Sohn des Krösus die Sprache gab 2. Stein ist in Troppau . . . Niebuhr-Nadilaß. LeiAt überarbeiteter Abdruds LN I 421 f. 298.

An A l t e n s t e i n .

Berlin, 5. September 1809.

Aufnahme bei Altensteins Mutter. Ich hoffe daß wir auch Sie ungealtert finden werden, obwohl Sie nur allzuviel Anlaß haben an jedem Tage um Wochen zu altern. Ihr Kleiner spielt jetzt wohl mit den Tiroler Bergbären, wie das Bulletin sie genannt hat — denn 1

1

S. o. Bd. I S. 440 Anm. i. Herodot I 8y.

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diese Freiheitskinder sind gewiß eben so kinderlieb als ihre Brüder die Spanier; und ich denke da oben geht es vorwärts, and der Brand wird weit um sich greifen . . . Berlin, Geh. Staatsarchiv, Altenstein-Nachlaß. 299.

An D o r e H e n s l e r . Königsberg, 21. September 1809. Du kannst nicht mit größerem Verlangen Nachrichten von uns entgegen gesehen haben, meine teuerste Dore, als wir seit unsrer Abreise von Berlin gewünscht haben Dir sie zu geben. Aber während der Reise zu schreiben war nicht möglich. Wir reisten zu schnell; denn wir haben die 87 Meilen am neunten Tage zurückgelegt; und den einzigen halben Tag den wir an einem Orte verweilten brachten wir in der Familie unsers Freunds Oestreich * zu Braunsberg hin. . . . Wir nahmen den Weg über Frankfurt, Landsberg und grade durch Westpreußen auf Marienwerder. Von der neumärkischen Grenze bis an die Weichsel herrscht hier in dieser sonst von Fremden fast nie betretenen Gegend die altpolnische Barbarei, obgleich das Land schon seit 1772 preußisch ist. Auf der Bromberger Straße die wir vor zwei Jahren reisten hatte sich doch schon alles deutsch gestaltet. Hier sieht man selbst in den sogenannten Städten fast nichts als klaffende Bretterwände, Giebel von Reisicht; ein Elend welches nicht aus Armut allein, sondern aus bloßer Angewöhnung und Zufriedenheit mit einem tierischen Leben entsteht. So leben auch die Deutschen von denen ich mit Verwunderung den ganzen Strich bis Conitz bevölkert fand. Selbst die Kirchen sind eben so elend wie die Wohnhäuser. Zwar ist das Land auch sehr schlecht; auf manchen Feldern erhält man nur das zweite Korn; und die ganze Gegend erinnert an die wildesten von Nordamerika, indem die Marken der wenigen Ortschaften nur ausgerottete Flecken in dem weiten noch immer von Wölfen und wilden Schweinen bevölkerten Walde sind. Besser wird es schon unmittelbar von der Grenze Westpreußens, mit dem Punkt wo die Herrschaft der Deutschen Ritter vor vier Jahrhunderten 1

S. o. Bd. I S. 426.

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eine Kultur eingeführt hatte welche die polnische Herrschaft niemals gänzlich hat vertilgen können. Jene Wüstenei gehört zum Netzdistrict. Zu Neuenburg und noch mehr zu Marienburg haben wir die Reste der römisch großen Denkmäler dieser außerordentlichen Männer bewundert, Kirchen, und am letzten Ort das Schloß der Heermeister, Meisterwerke der schönsten gotischen Baukunst. An diesem Ort sahen wir auch die Grabsteine dieser großen Männer — und die Barbarei der vorigen Regierung welche aus dem Hauptgebäude des Schlosses ein Magazin gebaut hat. Bei Marienwerder sahen wir die schöne Niederung, dort keine Flußmarsch, sondern eine Anhäufung fruchtbaren leichten Bodens; eine Reihe aneinanderhängender Obstgärten: hier hatte der Krieg wie die neu hergestellten Häuser und Zäune bezeugten viel verwüstet, aber Mut und Fleiß schon alles hergestellt. In der weit reicheren Marienburger Niederung sah man auch die Verheerungen nur an der geringen Zahl des Viehs. Diesseits Elbing ward das Elend aber nur allzu sichtbar, nicht sowohl durch Spuren zerstörter Häuser, nicht durch weitläuftige verlassene Felder — deren sah ich nur wenige unzweideutig — aber weit schrecklicher durch die Lumpen und den Hungerblick der Einwohner, durch die jämmerlichen Hütten welche sich viele am Wege errichtet haben, aus denen sie mit stummer Not hervortraten und mit Heftigkeit für Gaben dankten. Es ist hier, dem allgemeinen Zeugnis nach, ein so sehr gutes Volk! In Braunsberg fanden wir bei unsern Freunden den Mut den große Tätigkeit gibt. Große Freude über die neue Städteordnung 1, Steins Geschenk, wodurch alle Städte eine selbständige Municipalverfassung erhalten haben, deren Wert man in dieser Stadt am besten kennt welche bis 1772 frei war. . . . In diesen Gegenden bestrebt sich alles die Zerstörung des Kriegs herzustellen. Auch ist Heiligenbeil, so wie hier die äußere Vorstadt, großenteils wieder aufgebaut: ganz anders aber ist es in den entlegneren Gegenden höher hinauf an den Passarge. Da sind Dörfer und die hier auch auf den Gütern sehr leicht gebauten Wirtschaftsgebäude 1

Vom 19. November 1808, das Kernstück der Steinschen Reform.

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ganz verschwunden, und auch in vielen nicht vernichteten die Bevölkerung entweder ganz oder größtenteils durch Plünderung, Hunger und Seuchen vertilgt. Von einem solchen Dorf ist nur ein einziges Mädchen übrig geblieben. Eben so verödet sind die, zum Teil auch eingeäscherten Städte, und jeder Bewohner dieser Gegenden ist in eine fast gleiche Armut gestürzt. Man sieht im allgemeinen dem Bankerott fast aller Landeigentümer und einer völligen Vertauschung des Besitzes entgegen; ein großes Unglück, weil die im Krieg und allgemeiner Not entstandnen Reichen gewiß die schlechtesten sind. In ändern Zeiten könnte man übrigens mit Zuversicht sagen daß wenn auch loo ooo Menschen weggerafft sind und viele Quadratmeilen wenig besser als eine Einöde, doch 25 bis 30 Jahre hinreichen würden alles herzustellen, weil die Not ganz gewiß aus angewohnter Trägheit zum Fleiß und zur Anstrengung erweckt hat, und ein Volk welches die guten Folgen des Fleißes empfunden hat nicht leicht wieder faul werden wird: aber wer kann jetzt gegen eine neue Verheerung sich gesichert glauben? Auch ist die reiche Ernte wenig hilfreich, weil die Preise so niedrig sind. Denn obgleich hier unleugbar einiger Seehandel besteht so erlauben doch die ungeheuren Frachten keine Kornverschiffungen von einiger Bedeutung. — Eine sonderbare Erscheinung, vielleicht größtenteils Spiel, an Orten aber wo ein so guter Sinn herrscht wie in Braunsberg gewiß etwas Besseres, sind die seit einem Jahr entstandnen Gesellschaften für Volkswohl1. Aus allen Ständen zusammengesetzt arbeiten sie auf Herstellung — durch Benutzung aller versäumten Hilfsquellen durch gemeinschaftliche Anstrengung, z. B. in Braunsberg der Kämmereikasse durch die Verbesserung der weitläuftigen und versäumten Wiesen aufzuhelfen; einen Fond zur Aufhülfe für die zu Grunde gerichteten Bürger zu schaffen usw. Und wo dieses mit einem so schonen republikanischen Geist geschieht wie da, verdient es doch wohl alles Lob, obgleich man über die Unbefugtheit dieser Einmischung von unten murrt: daß es an ändern Orten wo die ganze neue Ver1

Der Ende Juni 1808 gestiftete Tugendbund mit seinen Unterabteilungen.

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fassung ohne Ernst und Liebe aufgenommen ward weil man seit jeher an Unmündigkeit gewöhnt war, Spiel und Anmaßung sein mag ist mir selbst sehr wahrscheinlich: und es kann sein daß e b e n d a einiger Zusammenhang mit bedenklicheren Verbindungen Statt finden mag. Ich habe Dir vom allgemeinen geschrieben als ob ich Raum zu weitläuftigen Erzählungen über uns hätte, wovon viel zu sagen wäre wenn man den Posten ganz trauen könnte, und wovon Du, liebste Dore, zuerst unterrichtet sein solltest. Furcht in jener Hinsicht machte aber schon meinen letzten Brief aus Berlin gezwungen: welches Du nicht mißdeutet haben wirst. So viel also nur kann ich Dir über den Staat sagen daß seine Lage furchtbar düster, und im Innern nicht erbaulich ist. Ich werde keinen tadeln über das was geschieht, welches immer bei einem so schwach vegetierenden Körper von außen bedingt ist, aber der Geist welcher herrscht, besser sein sollte als ehemals und es gar nicht ist, den hat man selbst zu verantworten. Über meine Anstellung finde ich Verlegenheit und Unbestimmtheit. Es wird am Ende nichts anders herauskommen als daß man sich füge und sich von Unwillen frei halte. Ein heftiger Parteihaß zerreißt meine nächsten Bekannten: zwischen Stein und Altenstein ist im vorigen Jahr eine Erbitterung entstanden die den letzten zu den heftigsten Invectiven gegen jenen veranlaßt, womit er mir das Herz zerreißt. Denn hätte auch jener mich vielleicht verkannt, es würde doch gegen eine Viertelstunde Gespräch nicht Stand gehalten haben, und ich liebe ihn unvermindert, und werde daran durch jeden gehässigen Angriff mehr erinnert. Es ist schlechterdings unmöglich über den Grund dieser gegen Stein gemachten Anklagen, so wenig als über das Historische seiner letzten Monate * und der 1

Zu der Spannung zwischen Stein und einem Teil des Hofadels und zu dem Gegensatz zwischen Stein und den auf eine Verständigung mit Frankreich Hinarbeitenden, wie dem Außenminister Grafen Goltz, war in den letzten Zeiten vor seinem Abgang noch die Entfremdung mit einzelnen seiner Mitarbeiter, vor allem mit Nagler und Ahenstein, getreten, denen seine Pläne zur Bearbeitung des Volkes zu schroff erschienen. Auch der Gegensatz zwischen Schön und Altenstein wirkte mit. Hierauf beziehen sich Niebuhrs Äußerungen.

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unglücklichen entscheidenden Vorfälle, Überzeugung zu bekommen. Die wahrhaftesten Menschen, und andre die wenigstens doch nicht wissentlich zu lügen pflegen erzählen a l l e s widersprechend, und nicht nur auf eine sondern auf mancherlei widersprechende "Weise. — Nicolovius * scheint mir etwas auf dem Herzen zu haben worüber er sich nicht erklären will. Ich weiß mich doch ganz rein gegen ihn und alles woran er hängt. Radziwill 2 und Prinzeß Luise sind ganz die Alten, auch für den entfernten Freund 3; ihre Herzlichkeit und die Harmonie unsrer Gefühle tut mir wohl. Du würdest diese Menschen auch recht lieben — glaube aber ja nicht daß i c h gegen Nicolovius fremd geworden bin, wahrlich nein im Gegenteil. Solly * ist sich gleich. Humboldt 5 habe ich noch nicht gesehen — der Minister Dohna ist bis zur Peinlichkeit höflich — der König sehr gnädig, aber ohne ein "Wort über meine Anstellung zu sagen. . . . Niebuhr-Nachlaß. Zum Teil überarbeiteter Abdruck von Teilen LN I 422 ff.

300.

An D o r e H e n s l e r . (Königsberg), 5. {Oktober 1809). Ich schrieb Dir von Nütschau, meine teure Dore, als Male in rätselhaften Briefen einen ungünstigen Sinn fand, „ich wolle diesmal Glauben haben", dieser Versuch hat sich freilich übel belohnt7. Ich habe eine merkwürdige Erfahrung gemacht daß 1

S. o. Bd. I S. 372 Anm. i. Fürst Anton Radziwill (1775—1833), seit 1796 durch seine Heirat mit der Prinzessin Luise, der Tochter von Friedrichs des Großen Bruder Ferdinand, mit dem Preußischen Königshause nahe verwandt, bekannt auch als Komponist des Faust (s. u. S. 51 Anm. i), nach 181$ Statthalter des Großherzogtums Posen. Mit ihm und vor allem mit seiner Frau, die mit mehreren der Führer der Reformpartei befreundet war, stand Niebuhr in naher Verbindung. 3 Stein. 4 Kaufmann, Mitinhaber des Hauses Solly und Gibsone (s. Bd. I S. 349 Anm. i). 5 Wilhelm von Humboldt (1767—1835) hatte im Februar 1809 nach Aufgabe seines römischen Gesandtenpostens die Leitung der Sektion für Kultus und Unterricht im Ministerium des Innern übernommen. 8 Graf Alexander Dohna-Schlobitten (1771—1832), seit Steins Abgang Minister des Inneren. 7 Das Folgende bezieht sich auf sein Verhältnis zu Altenstein. 8

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Achtung und Zuneigung auch in einem guten Gemüt, und wenn sie bei längerem Umgang selbst die Farbe der Freundschaft angenommen haben, eine schwache Gewähr für Handlungen leisten, wenn dieses Gemüt nicht frei von Egoismus ist. Aufrichtig gesagt, ich fühle mich gedemütigt hieher gekommen zu sein um nicht gebraucht zu werden; und mir ist unser rascher Entschluß uns in diese Gegenden zu verbannen schon manchmal sehr leid gewesen: indessen dem ist ja nun nicht abzuhelfen, und die Demütigung muß ich auch ertragen. Der schlimmste Ärger darüber ist auch schon vorbei, und ich würde mich hier bald vielleicht in einen recht schönen Weg hineinfinden wenn wir z. B. nur eine etwas leidlichere "Wohnung hätten, denn die unsrige ist nicht bloß sehr unangenehm sondern auch entschieden ungesund, indem vor unsern Fenstern ein Unrathaufen liegt dessen effluvia uns nicht erlauben ein Fenster zu öffnen, mir auch schon Zahnschmerzen verursacht haben. Bisher sind alle Bemühungen eine bessere Wohnung zu finden gänzlich fruchtlos gewesen. — Sonst wird die Einsamkeit sich schon von selbst finden wenn ich noch eine Zeitlang als unbrauchbar im Winkel stehen bleibe. Aber ich empfinde die Folgen eines schon mehr als dreijährigen unstäten und von außen bestimmten Lebens schwer, und bis zu inniger Bekümmernis. Ein solches Leben hat keine Kraft in sich; es ist nur wie eine Blume die von ihrem Stamm abgeschnitten ist; es verwelkt und läßt keinen Samen. Auch früher schon habe ich viel versäumt, schwer durch Nachlässigkeit und Nachsicht gegen die späteren Jahre gesündigt in denen das Feuer der Jugend nicht mehr wärmt, aber so verloren ging nie eine Zeit meines Lebens; und nicht allein aus ihr sind keine neue Keime zurückgeblieben, sie hat die des früheren Lebens zum Teil vernichtet. Ich mißfalle mir selbst, ich empfinde eine Leere in mir, ich vermisse jene wechselnde Schöpfung des innern Lebens mit der früher sich alles vor mir belebte: die Auszeichnung und Achtung andrer ist mir drückend als käme sie nur einem ändern mit Fug zu der nicht mehr ist. Vielleicht ist das aber auch gut: der Weg zur Demut und Einfalt. Es ist auf

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jeden Fall der f r ü h e Übergang aus dem Jünglingsalter zum späteren: denn das fühle ich schmerzhaft und unverkennbar, meine Jugendblüte ist dahin, und von selbst entwickelt sich in mir nun keine schönere und reichere Form mehr. Und das ist Schuld meiner eignen Torheit. Hier finde ich alles grade so wie ich es mir nach früheren Erfahrungen gedacht hatte. Ein Tag vergeht nach dem ändern ohne eine Spur zurückzulassen; nirgends Ernst, nirgends Tiefe der Betrachtung: das Ganze lebt hin wie ein Leichtsinniger den Schwindsucht verzehrt, der den Tod und eine furchtbare Ewigkeit erwartet und den Schmerz scheut in sich zu gehen. Diese allgemeine Stimmung ist die allergräßlichste und in ihrer Mitte befangen zu sein erregt eine namenlose Beängstigung. Schrecklich ist dabei die Selbstzufriedenheit; die Meinung daß alles mögliche und nötige geschehe: daß jedes M e h r vom Übel sein würde: das ewige Rechthaben in welcher Richtung man auch gehen mag, und wäre es die grade entgegengesetzte von der die man am vorigen Tag mit Wut verteidigt hat: am schrecklichsten aber die Verblendung und der Genuß des Hasses. Dieser ist bei Altenstein in einem für uns empörenden Grad gegen den unglücklichen Stein gerichtet — weil dieser ihn nicht zum Ministerio vorgeschlagen hat! Welche Verfälschungen von Tatsachen, welche Vergiftungen der harmlosesten Dinge dabei vorkommen, wäre wohl der Mühe wert zu erzählen wenn man den Posten ganz trauen könnte. Wenigstens müßte ich annehmen daß Stein toll geworden wäre, und daß Leute die sein Herz besaßen einstimmig lögen, wenn das wahr sein sollte was Altenstein fortwährend von ihm erzählt. Dennoch halte ich ihn keineswegs für wissentlich unwahrhaft; aber er sieht durch täuschende Gläser, und so auch sein eignes Verfahren gegen mich. Vielleicht hält er mich in der Tat für praktisch unbrauchbar, und ich versichre Dich, beste Dore, daß mir dabei leichter ums Herz ist als wenn sonst manchmal andre, Gutmütige, Wunderkuren von mir erwartet haben. Einer unverdienten Beschämung Preis gegeben zu werden, wie im letzten Fall fast unvermeidlich ist, bleibt doch immer das allerhärteste Schick-

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sal. Und nun läßt sich mit Fug sagen daß, so wie das Ding einmal dasteht, in der Tat kein Platz für mich offen ist. Man spricht von einer großen Akademie 1 die den "Wissenschaften zu Ehren dotiert werden soll — mit Pfründen — und in dieser soll mir ein Platz geboten werden — und dies soll zugleich die allersicherste Versorgung heißen: als ob in diesen Zeiten ein so leicht entbehrliches Institut bei einer Veränderung einen Augenblick verschont bleiben würde! Ich will sie machen lassen, denn obgleich weder etwas Vorteilhaftes noch Angenehmes herauskommen kann, es schadet auch nicht. — Humboldt, den Chef der Gelehrsamkeit, habe ich nur einmal gesehen, denn er ist jetzt auf einer Reise durch Littauen begriffen. Sein Empfang war äußerst verbindlich, auch erwarte ich in der Tat mancherlei Belehrung von seinem Umgang, aber fremd werden wir uns wohl immer bleiben. — Er gedachte Moltkens in der Tat freundschaftlich. Den ganzen Winter hindurch kann der allgemeine Zustand der Ungewißheit sich unmöglich verlängern: dauert indessen unser Aufenthalt hier so fort, und ist mir friedlich so unternehme ich gern irgend eine Ausführung die Du wünschst, geliebte Dore, wenn ich ihrer nur jetzt fähig bin. Vieles sehr Schöne über Pantheismus im weitern Sinn findest Du in Schellings philosophischen Schriften, in den Untersuchungen über die Freiheit 2 . Hineindenken konnte ich mich beim Lesen dieser Abhandlung vollkommen in sein System; aber es in m i ch hineinziehen, das wollte doch nicht gehen. Auch schaudert mir bei der Anmaßung den Himmel auf aufgetürmten Bergen ersteigen zu wollen, so lieb mir die weitere Aussicht von der Höhe herab ist. Gelesen zu werden verdient jene Abhandlung sehr, sie ist voll Klarheit und Fülle. "Was ihr fehlt liegt in der Natur des fruchtlos verwegnen Unternehmens, welches nach Begrenzung des Unendlichen strebt. 1

Der Gedanke der Gründung der Berliner Universität, schon vor Humboldts Amtsantritt erwogen, von ihm dann weiter vorwärts getrieben, hatte schon seit dem Mai festere Gestalt angenommen. 1 Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, in „Philosophische Schriften" I. Band Landshut 1809. G e r h a r d - N o r v i n , Niebuhr. Bd. II.

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Sonst fühle ich mich seit längerer Zeit wie sonst nie, zum Suchen des wahrhaft "Wirklichen, des Lebendigen, hingezogen, und in der Hinsicht hat er mir wohl getan. In vielen Punkten habe ich mit wahrer Freude die innigsten Überzeugungen meiner lichtesten Stunden wiedergefunden. Aber zum Ziel hinauf vermag ich nicht auf seiner Leiter zu steigen, noch mit den Fittigen andrer zu fliegen. — Einige ernste und fast bittre Äußerungen treffen Schlegels Recension von Stolbergs Kirchengeschichte 1, die auch mir wenig gefallen hat: obgleich in ändern Hinsichten. Ich kann mich schlechterdings nicht in diese Deutung des Alten Testaments finden, die meinem Gefühl historischer Kritik so herbe widerspricht daß sie für mich mehr als irgend etwas andres dem Glauben im Wege steht. — Wenn Dir Lord Chathams Briefe an seinen Neffen Thomas Pitt 2 in die Hände fallen so lies sie; Du wirst eine angenehme Stunde bei dem Bilde väterlicher Zärtlichkeit und der Urbanität eines wahrhaft großen Mannes hinbringen. Lasest Du schon je Goethens Benvenuto Cellini 3 ? Es war unsre beste gemeinsame Lektüre auf Nütschau. Wenn ich mit Dir murrte daß Du der gewaltsamen Kraft zu viel Wert einräumtest, oder eine ungerechte Vorliebe für sie hegtest; wenn ich Dir darin auch Unrecht tat, so wird Dich doch dieser Mann wenigstens ebenso sehr wie mich interessieren. Es gibt auch kein lebendigeres Gemälde des Künstlerzeitalters als diese Biographie; und wehmütig sieht man dieses schöne Zeitalter mit dem Helden hinwelken; ihn es überleben. Es sind rohe und schlimmere als rohe Stellen darin, Du wirst sie aber leicht nach dem vorgesetzten Inhalt umgehen und vermeiden können: ich hoffe daß Du mir nicht den Vorwurf zu machen haben wirst Dein Gefühl durch 1

Friedrich Schlegels Recension von F. L. Stolbergs „Geschichte der Religion Jesu Christi" war iSo8 in den Heidelbergischen Jahrbüchern der Literatur erschienen. * Letters written by the late Earl of Chatham to his nephew T. Pitt, seit 1804 in mehreren Auflagen erschienen. * Goethes Übersetzung des Leben des Benvenuto Cellini war zuerst 1796/1797 in drn Hören herausgekommen, dann in erweiterter Gestalt, mit dem von ihm verfaßten Anhang, als selbständige Schrift 1802.

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die Empfehlung dieser Lektüre empfindlich beleidigt zu haben wenn Du diese Vorsicht anwendest. Einen Mitbewundrer des Faust habe ich an Radzivil gefunden: und seine Bewundrung bleibt nicht so unfruchtbar wie die meinige. Er hat sehr erschütternde Compositionen aller sangbaren Stellen gesetzt : doch kann ich mich noch nicht gewöhnen Gretchens Lied am Spinnrade für große Musik passend zu finden. Das heißt eine höchst einfache wäre mir lieber. Ich freue mich seines feinen Sinns für j e d e Schönheit, obgleich er kein Deutscher ist. Ich möchte wissen ob Villers den Faust wirklich bona fide faßt und liebt? Vanderbourg 2 hat etwas sehr Jämmerliches darüber geschrieben. — In der unerhörten Lage der Welt sondert sich alles schärfer als je ab: und Einzelne treten mit einer Festigkeit, Bestimmtheit und Wahrheit auf, die sonst so rein vielleicht selten waren. Diese bindet ein Band wie einer geheimen Kirche, und wer die Ausartung der Zeit schimpft weil die Fürsten feig, der Adel entartet ist, der verrät sich. Ich habe, seit wir uns trennten, mehr als einen kennen lernen neben dem mein Herz höher geschlagen hat, dem es mit inniger Überzeugung vertraut. Selbst unter dem Adel gibt es grund wahre Menschen: aber dann stehen sie empört im Kampf gegen ihren unsäglich verworfnen Stand. So stehen v. Vincke und v. Raumer gegen den Adel der Kurmark :i, für dessen Betragen seit drei Jahren keine Anklage ausdrucksvoll genug ist. Denke Dir nur, und glaube die buchstäbliche Wahrheit daß in einem Kreise der Kurmark die Bauern 6000 Kriegsfuhren haben leisten müssen, während der Adel auch nicht eine einzige gestellt hat: und jetzt gehen die Herren damit um die Schul1

1835 wurden Radziwills Kompositionen zu Goethes Faust durch die Vorsteherschaft der Berliner Singakademie veröffentlicht; Teilaufführungen der großen Komposition hatten schon seit 1810 stattgefunden. 2 Ch. de Vanderbourg (1765 — 1827), französischer Schriftsteller, Übersetzer verschiedener deutscher Werke, u. a. des Woldemar von F. H. Jacobi, mit dessen holsteinischem Freundeskreis er während seines Exils in Berührung gekommen -war. 8 Vincke war damals Kammerpräsident der Kurmark, Friedrich von Raumer (1781 — 1873), der spätere Historiker der Hohenstaufen, zugleich Staatswissenschaftler, in der ersten Zeit von Hardcnbergs Staatskanzleramt dessen engerer Mitarbeiter, war damals unter Vincke Rat an der kurmärkischen Kammer. 4*

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denzinslast auch nach dem Cataster von sich auf die Städter und Bauern zu wälzen. Das erregt einen furchtbaren Unwillen. Wenn am Ende ein Bauernkrieg entsteht, so haben die Herren es sich selbst zuzuschreiben. Weil nun aber solcher teuflischer Egoismus gar keine Schande in der Meinung auch der Bessern des Stands (mit solchen wenigen Ausnahmen) bringt, sondern vielmehr Gebrauch von Rechten heißt, so hasse ich den Adel: und der glaubt alles verdorben weil sein Stand grundfaul ist? . . . Niebuhr-Naddaß. Zum Teil überarbeiteter Abdruck von Teilen LN I 415 ff.

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AnValckenaer. Königsberg, 26. Oktober 1809. Dankt für Vs. Mitteilungen über eine Verbesserung der Anleiheaussichten. Schwierigkeiten seiner gegenwärtigen Stellung. Cependant que j'aye un poste plus ou moins distingue cela n'empechera pas que je ne me tienne en possession de la direction de tout ce qui a rapport a notre emprunt, pourvu qu'il se fasse. On ne m'arrachera pas cet enfant, et personne ne se trouvera extremement tente de me disputer les peines et les soucis de son education. Vous pouvez y compter. Gueri de l'ambition, si jamais j'en fus attemt, par la nullite de tout ce qui est ambitionne par le vulgaire des hommes dans tout etat prive d'importance politique, 1'eclat exterieur m'affecte peu — ici je Vous dois une occasion d'etre utile. — Reinhold in Hamburg 1. — Si Vous trouviez une occasion de m'envoyer votre rapport sur 1'instruction publique 2 Vous m'obligeriez infiniment. Ce qu'on se propose chez nous de faire pour cette partie est tres beau dans 1'intention, mais les amis des humanites quoique ils ne se trouvent pas dans une minorite bien marquee pourront cependant profiter essentiellement de Votre appui. — Vaters3 sprach- und völkergeschichtliche Studien. — Will sich Lord Valentias Abessynische Reisen * zu verschaffen suchen. Leiden, U. B. 1

J. G. Reinhold (1771—1838), holländischer Diplomat, damals Gesandter in Hamburg. * S. o. S. 25 Anm. j. 1 J. S. Vater (1771—1826), Linguist und Theologe, war damals Professor in Königsberg. Niebuhr trat mit ihm in nähere Verbindung. * G. Viscount Valentia, Voyages and Travels to India, Ceylon, the Red Sea and Abyssinia 1809.

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AnDoreHensler. Königsberg, 15. November 1809. 1 . . . Die Erscheinung von Goethens neuem Roman 2 hätte für mich nicht günstiger treffen können als eben in diesem Zeitraum von Krankheit. Das tief Bewegende darin konnte verhältnismäßig dem Kranken nur wenig schaden, und wäre auch die Erschütterung eben in diesem Zustand zu stark gewesen, wer möchte es anrechnen? Sehr wohltätig aber war es daß das Streben der Seele nach freierer Tätigkeit durch Hineindenken in, und N a c h denken eines so in sich vollendeten Meisterwerks begünstigt ward. Einen Zustand worin die eignen Kräfte schon lange ganz versagt haben, und endlich sogar äußerer Anreiz nicht mehr vermag auch nur Empfänglichkeit für sich zu erregen, vermagst Du Dir wohl nicht zu denken, beste Dore: wenn Du ihn als möglich annimmst so fühlst Du auch daß er eine Hölle sein muß. "Wiederbelebung daraus ist, wenn die veranlassenden Ursachen sonst fortwirken nur dadurch möglich daß man an der Hand eines höhern, unserm ursprünglichen zerstörten oder erstickten Wesen verwandten Geistes eine Ideenreihe verfolgt wie wir selbst zu bilden vielleicht berufen waren: lächle nicht über das was Dir in diesem Fall eine fast komische Vermessenheit scheinen mag. Denn ein Bewußtsein von unsern innern ursprünglichen Anlagen, und dem was sie geworden wären wenn nicht eigne Trägheit oder Sorglosigkeit, und Unvorsichtigkeit, und Schuld, aber auch eine Verschwörung äußerer Umstände sie gelähmt hätten, kann jeder nur selbst haben, und darin richtig fühlen wie sehr auch die wirkliche Entwicklung und der Schein gegen ihn sprechen mag. Das Werk eines Volks- und Zeitgenossen ist nun in jeder Hinsicht gewiß uns näher, befriedigender, und wirkt stärker als selbst eines Alten, vor allem aber eines sonst auch vortreff1

Der fortgelassene Anfang bezieht sich, ebenso wie des Briefes, auf ein briefliches Zerwürfnis mit Dore, über mitteln läßt. Sie haue anscheinend u. a. enttäuscht über Holstein geschrieben. — Dann folgt ein langer Bericht über

der das das die

unten abgedruckte Schluß sich nichts Genaueres erletzte Zusammensein in Kränklichkeit der letzten

Wochen. 2

Goethes ..'Wahlverwandtschaften" waren eben herausgekommen.

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liehen Neueren, der immer seiner Zeit und seinem Volk angehört, bald die Lieblingssaiten unsers Gemüts gar nicht, bald mit Mißtönen berührt, und oft uns auf Gegenstände bringt für die wir gar keinen Sinn haben. Ich habe mich von Goethens Werk kaum trennen können, und die heftigste Teilnahme ward durch den Genuß des außerordentlichen Ideenreichtums und Freude an der meisterhaften Arbeit abgewechselt ohne je zerstreut zu werden. An Vollendung, denke ich, besitzt unsre Litteratur nichts ähnliches in Prosa. Dissertationen hierüber sind langweilig, aber worin diese Vortrefflichkeit zum Teil und wesentlich besteht muß man sich doch sagen, und so sind alle kritische Schriften der Alten entstanden. Es ist hier in der Form der ganzen Geschichte völlige Vollendung, alle Umrisse ganz rein, und dabei frei, alles ineinander verschmolzen, bei einem großen Reichtum von Figuren nicht nur alle unter sich, wie an sich, im höchsten Ebenmaß, auch alle bedeutend, keine überflüssig, oder auch nur unvollkommen mit dem Ganzen verbunden. Das Ganze ist eher da als die einzelnen Teile, wie im Leben, es ist keine Zusammenfügung starrer und nur gebändigter Stoffe. Das ist der Prüfstein jedes Meisterwerks jeder Kunst denke ich, und was jeden entweder abschrecken, oder erleuchten sollte. Ein einzelnes zu bearbeiten und darzustellen vermögen sehr viele mehr als es versuchen: wem sollte nicht, wenn er von einem Gegenstande erwärmt ist eine Darstellung aus einem Gusse gelingen? Das alles aber bleibt Mittelgut, und ist am Ende des Redens nicht wert. Wer lebendig weiß daß nur ein Ganzes ein wahres Meisterwerk ist und allein Wert hat, der hat die Wahrheit gesehen, und wer dahin strebt ein reiches Ganzes welches durch einen einzigen unsichtbaren Lebensgeist besteht auf dem einzigen Wege von der erst empfangnen Idee des Ganzen in der schon alle Teile gegeben sind, zu ihrer Anschauung, und durch die Darstellung der Teile zur Verwirklichung des Ganzen zu bilden, der kann freilich in seiner Ausführung scheitern, aber er wandelt in der Wahrheit. Das ist das Leben des Tiefsinns, des höchsten und fruchtbarsten dessen unsre Natur fähig ist, welches auch seine Regel in ihm selber

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hat und nicht täuschen kann, während der Verstand, bei allem seinem Stolz, von außen abhängig ist, und mit der innern Wahrheit streitet. Ein jedes Streben jener Art ist ehrwürdig, und so ist es mir das Streben des vortrefflichen Runge \ wenn es auch wahr wäre daß er sein Ziel nie erreichen wird. Ich wollte daß Du d e n kenntest: und ich bitte Dich seine Bekanntschaft durch Perthes zu machen wenn Du auf Deiner Reise nach Altenburg (darf ich Berlin nennen wenn wir da sein sollten?) im künftigen Sommer Hamburg besuchst. Moltke geht nicht in seinen eigentlichen Sinn hinein, und konnte Dir ihn vielleicht nicht ganz gerecht schildern. — Ich hoffe daß du Goethens Werk schon jetzt gelesen haben wirst, und daß es nicht nötig ist Deine Aufmerksamkeit darauf zu erregen da Du vielleicht, wie ich selbst, befürchten mochtest es werde nur in der Art des Wilhelm Meisters sein. Meisterhaft ist die ausführliche Sorgfalt wodurch der Leser auf dem Boden und bis in die Zimmer der Gesellschaft einheimisch wird: und herrlich die Zusammenstellung der Charaktere: Eduards ganz überwältigter Zustand, des Hauptmanns praktische Bravheit bei der in steter, wenn auch nicht eminenter, Beschäftigung des Verstandes seine Gefühle ohne furchtbare Gewalt bleiben, das Himmelskind Ottilie, die verständige, mit ihrem Herzen abgefundne Charlotte, selbst die Weltleute, der Künstler und der Gelehrte; die Verschiedenheit der beiden letzten, obgleich sie nur Nebenpersonen sind, welche so bestimmt die große Wahrheit ausspricht wie aufrichtig wahr und subjektiv richtig Verschiedenheit und Widerspruch der Meinungen für jeden sein können; furchtbar ist die unwiderstehliche Verwicklung die ihre Opfer umschlingt, und durch ungeahndete und unabwendbare Zufälligkeiten ihr Unglück vollendet. Die Mängel an denen man sich doch stößt möchte ich nicht ausheben, um nicht von ihnen zu reden. Kleinere sind die Ähnlichkeiten des Kindes, schon als eine zu künstliche Herbeiführung, und, was mich weniger gestoßen hat 1

Philipp Otto Runge (1777—1810), der Maler. Er stand mit Niebuhrs Hamburger und Holsteiner Freunden in naher Verbindung. Durch sie hatte Niebuhr ihn im August auf Nütsdiau kennen gelernt (Male an Dore 14. Aug. 1809).

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als andre, das halb Miraculöse am Ende. Dies hat midi wirklidi nicht gestört. Ottiliens Tagebuch enthält gewiß viel von der Feder eines Weibes. Daß ein Mädchen die kaum aufgehört hat Kind zu sein, oder wenn man auch Ottilien für etwas älter, für mehr als zwanzig, annimmt, weil sie Eduarden schon vor Charlottens Verheiratung bei ihr gesehen hat, und Luciane schon Braut ist, wo es denn freilich auffällt sie noch in der Pension und sich im S c h r e i b e n übend zu finden, — selbst dann noch fähig sei manche dieser Reflektionen so vollkommen bewußt aufzufassen und niederzuschreiben, ist unwahrscheinlich. Clarissa 1 obgleich eben wie sie, durch Leidenschaft und Unglück früh und schnell ausgebildet, ist nicht so sehr Philosophin. Es wäre aber Silbenstecherei, die freilich nicht fehlen wird, sich dabei aufzuhalten. Hätten wir doch ohne diesen Verstoß, wenn er es ist, einige der herrlichsten Stellen nicht. Goethe ist sehr krank gewesen an einer Brustentzündung. Die Fülle dieses Werks, so viel jugendlicher als alle seine späteren prosaischen Arbeiten hatte mir, ehe wir dieses hörten, eine ahndende Angst für sein Leben gegeben. — Humboldt der ihn so sehr viel gesehen hat, und von ihm so vorzüglich aufgenommen wird, ärgert, wenn er von ihm und Schillern redet, den er über Goethe setzt. Weil er aber dabei so wie überall nicht eifrig ist, und auch auf seine Lieblinge losschlagen läßt wenn er sich dabei amüsiert, so läßt sich auch selbst über diese ungeheure Torheit mit ihm gut und interessant streiten. Er weiß viel, ist sogar ziemlich gelehrt, hat viel gesehen, ist von sehr unbestochnem Urteil im Allgemeinen, hat Witz und spricht sehr gut, aber es ist eine Kälte und Indifferenz in ihm bei der von Vertraulichkeit die Rede nicht sein kann. — Du erzähltest uns von dem Widerwillen der Stolberg gegen Goethe. Nicolovius, der, wie Du weißt, viel auf die Stolberg hält, und ihr gewiß nicht unbillig ist, hat uns doch den Schlüssel selbst zu dem gegeben, was die Stolberg geärgert hat. Sie hat Goethens innres Wesen auf eine peinliche Weise zurückgestoßen, und reizbar zugleich und unbändig wie er ist hat er es sich bald mehr an1

Die Heldin

Richardsons 1747 erschienenem gleichnamigen Roman.

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gelegen sein lassen sie zu ärgern als ihr zu gefallen. Keine Blume meines Herzens hat in ihrer Nähe aufblühen können, hat er geschrieben *. Einen merkwürdigen Erguß seiner "Wahrhaftigkeit, vor dem er selbst erschrocken ist erzählt Humboldt. Die Brun 2 hatte ihre Ida vor ihm Attitüden machen lassen, und fragte ihn, im Genuß ihrer Bewunderung als er kein Wort des Beifalls sprach: Sagen Sie doch, Goethe, was soll man nun mit einem solchen Mädchen machen? „Ihr den Hals umdrehen." — Bald werden von ihm zwanzig Sonnette erscheinen 3 die Dich gewiß mit der Gattung versöhnen werden, beste Dore, die freilich nur ein Meister handhaben darf, die auch nicht alltäglich werden soll. Du hast mir keine Antwort auf die Bitte gewährt über Wielands Porträt auf die vorgeschlagene Weise zu disponieren: willst Du es nicht? — Früher als sich erwarten ließ und diesmal regelmäßig haben wir Deinen Brief vom 6. erhalten. Nach Deinem früheren 4, den D u nun überzeugt bist völlig gutgemacht und der Vergessenheit übergeben zu haben, nach einer solchen Erschütterung, nach der Möglichkeit einer solchen Erschütterung unsers Verhältnisses, nach Gesinnungen wie die welche damals Deine Worte eingaben, wäre es töricht gewesen mehr zu erwarten als eine Abbitte in dieser Form. Daß Du auch mit keinem Wort äußerst daß Dich der E i n d r u c k und die Wirkungen des Unrechts, welches Du zugibst, reuen und schmerzen, das ist ehrlich, und kann nicht befremden. Ehemals wohl erschütterte Dich ein weit Geringeres: ehemals schriebst Du, als ich Dir (vor acht Jahren) etwas unfreundliches geschrieben hatte, mit ängstlicher Bitte es nicht wieder zu tun, Du wärest darüber in Tränen aus1

So hatte sich Goethe, nach dem Aufenthalt der Stolbergs in Weimar, in einem Brief an Jacobi vom ij. Juni 1792 über die Gräfin Luise (vgl. o. Bd. I S. 116 Anm. i) ausgesprochen. * S. o. Bd. I S. 18} Anm. i. Die Äußerung bezieht sich offenbar auf den Besuch in Weimar 1803. Friederikes Tochter Ida war damals n Jahre alt. 8 Die Sonette, die Goethe im Winter 1807/1808 gedichtet hatte, kamen erst wesentlich später heraus: i j im 2. Band der Werke 1815, zwei weitere in der Ausgabe letzter Hand. Auch Riemer spricht davon, daß Goethe damals im ganzen zwanzig vollendet gehabt habe. 4 S. o. S. 53 Anm. i.

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gebrochen. Also hineindenken könntest Du Dich doch wohl in mein Gefühl. Aber das ist von ehemals: wie viel neuere Zeiten sind schon ein altes vergessenes Ehemals! — Ich will mich denn darin finden daß es Winter geworden ist und mich jedes schönen hellen Wintertags so gut es gehen will freuen. Und auf jeden Fall danke ich Dir daß Du nicht gereizt über mehrere Stellen meines Briefes geschrieben hast, und dem was Du für genugtuend gehalten hast den Vorzug vor dem Anreiz gabst mir noch weher zu tun . . . Sonst enthält Dein Brief, nur von dem abgesehen was mich betrifft, so viel wofür ich Dir so wie Male für alles was Du ihr sagst, und ich mit ihr, herzlichen Dank sage. Es ist eine offene Mitteilung darin die wir lange „vermißt hatten. Daß dennoch nie ein ganz gleiches Verhältnis der Offenheit in unsern gegenseitigen Briefen sein wird, da wir gar keine Geheimnisse vor Dir haben ist nun einmal nicht anders. Schriebst Du nur immer so wie diesesmal daß es Dir sichtbar nicht Zwang sondern wohl ist Dich mitzuteilen. Liebe Dore, ich habe wieder gemurrt, aber wenn Du zweifeltest ob ich Dich darum minder innig ehre, und Du mir minder teuer bist, so würdest Du Dich irren. Weh tun willst Du mir wohl; aber ich will die Gesinnungen verdienen die Du mir einst schenktest, und jetzt — doch versicherst — Lebe wohl, teure Dore. Male schreibt Dir nächstens, und ich will jener Sache nie wieder schriftlich gedenken, mögen auch die Wunden bluten. Lebe wohl! Vergeben habe ich Dir doch aufrichtig und herzlich. Grüße Gretchen herzlich. Niebuhr-Nachlaß.

303.

An D o r e H e n s l e r .

Königsberg, 29. November 1809.

Teilt ihr mit, daß die Regierung wieder nach Berlin zurückgeht und seine Abreise auf den n. Dezember festgesetzt ist.

. . . Du schriebst einmal über die beabsichtigte Berliner Akademie, und äußertest, daß Du Dich darüber gefreut hättest, weil es Dir möglich schiene daß hier ein Ausweg zu einer glücklicheren Entwicklung meines Schicksals wäre als bei einer auch

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bedeutenden Geschäftsanstellung. Ich gebe Dir darin, meinen Neigungen nach, unbedingt Recht, und habe es in der Krankheit, als ich tagelang das Zimmer nicht verließ, und wieder zu den Studien zurückkehrte empfunden daß nur sie mir Befriedigung verschafften. Die Tage der Jugend dämmerten in der Ferne — zwar unerreichbar, aber wohltätig. Nur muß ich Dir aufrichtig sagen daß ich das ganze Projekt in der gegenwärtigen Not eine Akademie mit 130000 Rthlern. zu dotieren, verabscheue, und die Pension als ein Sündenbrod betrachten würde, dann aber auch als Gelehrter Berlin, mit einer so armseligen Bibliothek, und an sich Berlin, nur gezwungen zum Aufenthalt nehme, und mich immerfort nach Kopenhagen sehnen würde. Laß Dich dies nicht für die nächsten Pläne die Du etwa haben magst, erschrecken oder stören, liebe Dore, denn davon wird die Rede nicht sein können, und der "Wunsch den Du indirekt im letzten Briefe äußerst: daß wir doch ja nie zurückkommen möchten, wird gewiß höchstwahrscheinlich erfüllt werden. — Ich arbeite jetzt an sehr schwierigen Gegenständen, an Planen die hoffentlich dem armen Lande wohl tun werden, und hoffe sie angenommen zu sehen und auszuführen. Kommt kein neues Unglück so hoffe ich das Vermögen und den Wohlstand von Tausenden zu retten oder herzustellen, und das allgemeine Elend sehr zu vermindern. Oft freilich ist es mein Schicksal gewesen daß der Erfolg von Planen und Arbeiten grade gegen meine Wünsche ging: dies könnte aber hier nur in sofern der Fall sein als wohl andre den Dank, ich vielleicht den Undank von der Arbeit haben werde. Ein Teil des Ganzen wird bald ans Licht kommen, vielleicht wenn Du erfährst, von ändern nämlich, und ihnen glaubst, daß dieser Plan der Nation mehrere Millionen an Vermögen herstellt, vielleicht empfindest Du dann eine leichte vorübergehende Reue über Dein Betragen gegen mich 1 — — — liebe Dore, mir ist seitdem wie im spateren Sommer, wenn nach gewittervollen und stürmischen Tagen auf einmal der kalte Herbst eintritt. Das Gewitter, oder der Sturm ist vorüber, aber man fühlt es daß es den Sommer vertrieben 1

S. o. S. 53 Anm. i.

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hat, und der kalte Herbst da ist, der dem Winter entgegen geht. Du redest von Zutrauen und vernichtest den Grund alles Zutrauens. Doch habe ich Dir wahrlich vergeben, nur die Erinnerung tilgt sich schwerlich, denn Du wirst sie nicht tilgen wollen. Es wäre gegen Deinen C a l c ü 1. Lebe wohl, liebe Dore, schreibe uns bald — doch sende den Brief nach Berlin an einen Bekannten — und laß uns dort einen vorfinden — und grüße Gretchen. Niebuhr-Nachlaß. Vgl. LN I 417. 304.

1

An R e i m e r .

Königsberg, i. Dezember 1809

5. den Abdruck Preußische Jahrbücher Bd. 38, S.

Zeiten der amtlichen Tätigkeit Winter 1809/1810.

305. An D o r e H e n s l e r . Königsberg, 11. Dezember 1809. . . . Das alte Bedürfnis Dir alles ohne Verzug zu erzählen was unser Schicksal wesentlich bestimmt, unsre Verhältnisse entscheidet, und Wohl oder Weh für die Zukunft vorbereitet, fordert daß ich Dir noch heute sage daß meine Lage endlich entschieden ist, indem ich diesen Morgen zum Geheimen Staatsrat und Sektionschef für das Staatsschuldenwesen, und die Geldinstitute, gemeinschaftlich mit L'Abaye, meinem alten Kollegen in der Seehandlung, ernannt bin. Diese Ernennung zweier ist eine Anomalie, welche ich selbst veranlaßt habe um eine höchst fehlerhafte und schädliche Teilung der Geschäfte zu hindern, und um Empfindlichkeiten und vermeinten Kränkungen zuvorzukommen, und einen alten verdienten Geschäftsmann nicht zu beleidigen. Das Nähere über diese Sache schreibe ich an meinen 1

Wann die Verbindung mit G, A. Reimer (1776—1842), dem Berliner Verleger, bei dem später Niebuhrs „Römische Geschichte" und der größte Teil seiner anderen Schriften herauskamen, sich geknüpft hatte, ist nicht gewiß. Mit dem für das gesamte geistige und politische Leben Preußens bedeutsamen Manne verband Niebuhr fortan eine warme Freundschaft.

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Vater, in einem Briefe den Du als Cirkular nachher erhalten wirst, auf der Reise \ Ich habe keine Vermehrung von Gehalt angenommen, obwohl alle meine Collegen 2000 Rthler mehr Gehalt haben, weil es sündlich ist jetzt mehr zu beziehen als man unvermeidlich gebraucht, und ich das Recht behaupte allen übermäßigen Gehältern den Krieg zu machen. Da nun aber jetzt manche Abzüge, an Einkommensteuer für das Schuldenwesen der Stadt, und Prozente freiwilliger Beisteuer für brodlose Officianten vorfallen, so diene ich in der Tat schlechter als vor drei Jahren, und glaube also mit viel besserem Gewissen eine freie Amtswohnung annehmen zu können, welche doch leer steht, und die Herr v. Stein mir schon vor drei Jahren außer der Zulage von 1000 Rthlrn bestimmt hatte, die ich nie gefordert habe und jetzt ganz aufgebe. Ausreichen werden wir gewiß, wenn wir unsre Zinsen zu Hilfe nehmen. Schon seit einiger Zeit war ich überzeugt daß die Sache sich so entscheiden würde, und nahm daher um so weniger Anstand einen Antrag aus Karlsruhe, als Vicepräsident in dortige Dienste zu treten, ohne ihn ganz abzulehnen, mit der Erklärung zu beantworten daß ich eine entscheidende Anstellung für sehr nahe hielt: und nur im entgegengesetzten Fall an eine neue Wanderung denken könnte und möchte. Ich war, aufrichtig gesagt, gereizt durch das Bild des schönen Landes, des südlichen Climas und der sanften Luft: die Gründe gegen die Sache, subjektiv betrachtet, trafen dort nicht mehr als anderswo: und Berlin wird mir immer eben so fremd bleiben als Karlsruhe es hätte sein können: denn ich kann nie an einem ändern Ort einheimisch werden als in dem Vaterland meiner Jugend. Ich fühle das in diesem Augenblick da alles entschieden ist, wie eine Braut die ihre Hand nach Uberlegungsgründen weggegeben hat, es fühlen kann. Aber ich bin des ewigen Wanderns müde, und sehne mich nach fortdauernden Verhältnissen und nach Ruhe. Doch waren diese subjektiven Gründe nicht die einzigen entscheidenden. Ich weiß nicht, liebe Dore, ob Du es glauben wirst — denn mit dem Untergang der Gefühle welche einer 1

S. den folgenden Brief.

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auszeichnenden Meinung und Achtung entsprechen, muß auch wohl diese Meinung einer ganz entgegengesetzten Raum machen — ich weiß also nicht ob Du es glauben wirst, daß mich der äußere Schein der jetzt erhaltenen Stelle auch nicht einen einzigen Augenblick gereizt und erfreut hat, und das wäre doch wohl ein wesentlicher Zug, wenn, wie Du in Deinem letzten lieben Brief meinst, Ehrgeiz ins Spiel gemischt wäre; denn eigentlicher Ehrgeiz ohne Eitelkeit wäre doch wohl nur eine Modifikation eines Berufs zum Handeln und Wirken den Du gewiß sonst, und im Allgemeinen, weit entfernt sein wirst tadeln zu wollen — und dann hat der Ehrgeiz seinen gehässigen Namen nur von einem supponierten schlimmen Motiv; welches doch auch fehlen kann, und nicht im allgemeinen als notwendig vorausgesetzt werden sollte. Wem immer, wenigstens bei einigen nur die ungünstigen Deutungen einfallen, der wird auch darin daß ich nicht mehr Gehalt nehme, Eitelkeit und Heuchelei vermuten können. Doch bis dahin kann es doch wohl unmöglich gekommen sein. — Ich versichre Dir also in Wahrheit, liebe Dore, daß mich das Volk jammert, daß ich einen Beruf fühle seine Not zu mildern, wenn auch das größte Übel keine Heilung zuläßt: und bei der innigen Überzeugung, daß, wenn ich mich zurückziehen wollte, eben so viel unverzeihliche Sünden vorfallen, und alle heilbringende Maßregeln aus Unfähigkeit und Unkunde eben so gänzlich verabsäumt werden würden als es seit einem Jahre geschehen ist; kurz daß die allgemeine Auflösung und der innre Untergang nur durch mein kräftiges Eingreifen und Einwirken abgewehrt werden kann: bei dieser Überzeugung scheint es mir eine entschiedene Pflicht alles aufzubieten um mit Kraft und Bedeutung zu handeln. Vorausgesetzt, daß der Staat besteht, wie man jetzt vermuten und hoffen zu können glaubt, — und es kann beim Handeln nie schaden von dieser Voraussetzung auszugehen, ohne welche man nie zum Handeln kommen kann — so hoffe ich zuversichtlich die armen Staatsgläubiger welche in der größten Not sind, und seit Jahren keine Zinsen erhalten haben, zu retten, ohne daß dem Volk neue Lasten müßten aufgelegt werden, die

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heiligsten Ansprüche von tausend Unglücklichen zu befriedigen, die Provinzialschulden mit einer großen Erleichterung des armen Volks zu regulieren, die Grundeigentümer zu retten: denn es ist buchstäblich wahr, daß ich, den Du als einen blinden, durch subjektive Ansichten erbitterten, Feind des Adels getadelt hast, derjenige bin der, eben wegen seiner darin anerkannten Unparteilichkeit, mit dem meisten Erfolg, wie gewiß mit dem festesten Eifer Maßregeln hindert welche, obgleich es die Absicht nicht ist, zu einer gänzlichen Veränderung des Eigentums fast aller Rittergüter führen würden. Die Herstellung des Papiergelds zu seinem vollen Wert wird hoffentlich die Folge eines Plans sein der ganz von mir kommt, und nun endlich angenommen ist. Äußere Ereignisse können diese Unternehmungen in ihrem ersten Anfang vereiteln; innern Widerstand zu überwinden fühle ich Kraft genug in mir, denn der Gegenstand belebt und gibt Kraft, niemand hat mir etwas vorzuwerfen, und ein bestimmter Beruf ist der Ruhepunkt des Hebels um jede Masse zu bewegen. Und gelingt das Unternehmen auch nur bis auf einen gewissen Grad, so daß man sich für das was am Erfolg fehlt keine Lässigkeit vorzuwerfen hat, so lohnt es sich süß, man schläft sanft, und ist friedlich im Herzen, auch bei bittern Täuschungen und unersetzlichem Verlust. Meine Armen im Ermeland 1 für die ich Geld gebe, erbettle und gewinne, sind mir schon ein lieber und tröstender Haufe unbekannter Freunde. Ich hoffe noch viele zu dieser Schar zu sammeln — und, da sich Dein innres Herz unmöglich verändert haben kann, auch zwischen uns, wenn Du einmal siehst und glaubst, alles wahrhaft friedlich und freundlich herzustellen. Du weißt daß ich dies nicht entbehren kann, und glaubst es vielleicht selbst nicht wie weh Du mir getan hast. Was Du über die Rückkehr zum eigentlichen ursprünglichen Beruf meines Lebens sagst, sind goldne "Worte, liebe Dore: ich wäre glücklich gewesen wenn ich nie davon abgewichen wäre, aber unter diesen Umständen von der Bühne abzutreten, wo, bei einem schwachen und kenntnislosen Minister, 1

S. o. Bd. I S. 388 und 391.

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sobald er die Zügel in der Tat abgeben muß, und bei dem großen Zutrauen des Königs, es möglich ist so viel zu tun, was sonst ganz entschieden nicht, oder grade das Gegenteil geschehen würde, das würdest Du selbst für eine egoistische Handlung halten müssen. — Geht aber Preußen doch unter, dann habe ich keinen ändern "Wunsch als ein ganz litterarisches Leben. Eine Direktion der gelehrten Schulen wäre doch auch nur Gesdiäftsleben mit ändern Gegenständen. Das empfindet Nicolovius. — Die Humboldt *, nach der Du fragst, ist noch immer in Rom, wo er sich seinen Gesandtschaftsposten reserviert hat. Beinahe hätten wir hier die Stael gesehen, welche von hier nach England gehen wollte. Ich habe die Corinna noch immer nicht gelesen, aber ihre Verfasserin hätte ich doch gern kennen gelernt2 . . . Niebuhr-Nachlaß. Zum Teil überarbeiteter Abdruck von Teilen LN I 427 ff. 306.

An G a r s t e n N i e b u h r. Stettin, 22. Dezember 1809. 3 ... Ehe ich Ihnen aber etwas über unsre Schicksale auf einer nirgends durch den Anblick eines interessanten Gegenstands belebten Reise erzähle, muß ich Ihre Teilnahme an unserm Schicksal, bester Vater, durch eine nähere Erörterung der Verhältnisse zu deren bestimmtem Besitz ich endlich gelangt bin, befriedigen. Daß diejenigen, worin ich mich seit unsrer Rückkehr nach Königsberg befand, sehr unbefriedigend und unangenehm waren, habe ich Ihnen nicht verschwiegen, obgleich es Ihnen wohl Sorge gemacht haben wird. Diese Unbestimmtheit (kann) dem "Wunsch eines und des ändern mich von einer fortgehenden 1

Karoline von Humboldt kam mit den Kindern aus Italien erst zurück, als Humboldt die Stelle als Leiter der Kultussektion wieder aufgegeben und im Herbst 1810 die Preußische Gesandtschaft in Wien angetreten hatte. z Frau von Staöls „Corinne ou l'Italie" war im Frühjahr 1807 erschienen und hatte ihren Namen auch über die literarischen Kreise Deutschlands und Frankreichs hinaus weithin berühmt gemacht. Frau von Sta&l, die 1808 in Deutschland gewesen war, blieb 1809 in Coppet. Worauf sich Niebuhrs Bemerkungen über ihre Reisepläne beziehen, ist nicht ersichtlich. * Am Anfang des Briefes über die Verzögerung seiner Abreise.

1809

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Teilnahme an der Verwaltung auszuschließen und auf die Rolle eines allgemeinen belebten Finanz- und Administrationslexicons zum Aufschlagen — und Befolgen oder Nichtbefolgen nach Belieben — zu reduzieren, nicht allein zugeschrieben werden, obgleich dieser Wunsch und von kleinlichen Gesinnungen erregtes Mißtrauen gewiß einen großen Teil daran gehabt haben. Wenigstens eben so sehr liegt die Ursache darin daß mit meiner Anstellung zur Direktion eines Hauptzweigs der Finanzen eine Scheidung des Chaos vor sich gehen mußte vor der, obgleich sie die erste Bedingung der Rettung ist, man sich das ganze Jahr hindurch, wie ein Kind welches sich bewußt ist seine Lehrstunden vertändelt zu haben vor dem Examen, gefürchtet hat. Es gehörte eine sauere Überwindung zu dem Entschluß alle gegebne Blößen, alle Sünden der Begehung und Fahrlässigkeit, des Schleiers der Verwirrung und unergründlicher Unordnung zu berauben, wodurch sie allein versteckt werden konnten. Das Geschehene einigermaßen selbst gut zu machen verstand niemand; man schämte sich, und fürchtete sich noch mehr vor dem an den man sich deshalb wenden mußte. Es steht mit dem Geschehenen so fürchterlich, daß es kein übertriebnes Gleichnis ist das Schicksal unsrer Finanzen mit dem eines halb Erschlagnen zu vergleichen, den der geängstigte Totschläger unter einem Misthaufen verbirgt damit keiner seine Tat erfahre, wenn gleich er selbst viel darum gäbe ihn ins Leben zurückrufen zu können. Weil aber die Herren doch am liebsten ihre Stellen zu behalten wünschen, und nun gar keine andre Aussicht blieb als sich ernstlich an mich zu wenden, woran sie von mehreren Seiten erinnert sein mögen, so muß{te man) sich so entscheiden wie es gekommen ist. Ich sah dies bestimmt seit mehreren Wochen, und erwartete die Entscheidung ruhig welche sich auch nicht länger als bis gegen die allgemeine Abreise verzögern konnte. Der (König) hatte schon längst auf Herstellung, wenigstens formeller Ordnung und Übersicht in den Finanzen vergebens gedrungen; er fing an darüber außer Fassung zu geraten daß man ihn mit leeren Worten hinhielt, und ein Plan von mir, den ich in der Überzeugung seiner entschiednen NotG e r h a r d - N o r v i n , Niebuhr. Bd. II.

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wendigkeit aufgedrungen hatte, den man ihm mit dem von mir verfaßten, und als mein Werk nicht zu verkennenden Bericht vorlegen mußte, zeigte ihm daß einiges was jetzt möglich war, auch längst schon hätte geschehen können, aber daß nur ein Einziger darüber dachte. Ich war entschlossen keine Anstellung anzunehmen bei der die Ausführung meiner Plane in andre Hände gegeben würde, denn ich weiß daß diese Plane heilsam sind, und ich fühle einen unzweideutigen Beruf dem armen Volk zu helfen. Die Finanzadministration ist keine Wissenschaftssache welche sich durch ein System erlernen ließe: sie ist eine wahre Kunst, viele von ihren Regeln haben für den der sie nicht durch Übung anschaulich erlernt hat gar keinen fruchtbaren Sinn, auch gibt es in ihr hundert Künste und Handgriffe die man sich durch eignes Angreifen und langen Betrieb selbst herausgefunden haben muß. Diese Kunst inne zu haben bin ich mir bewußt, so wie ich auch sagen darf daß ich kaum einen einzigen kenne der mehr als ein Pfuscher darin wäre. Auch wäre es wohl sehr schlimm wenn ich sie nicht besäße, indem ihre Erlernung mich die besten Jahre und den eigentlichen Beruf meines Lebens gekostet hat. Zwar trieb ich sie in Kopenhagen nur noch als Lehrling, dennoch werfe ich es mir ewig vor durch Nachgiebigkeit und Schwäche verschuldet zu haben daß was ich richtig einsah nicht ins Werk gerichtet ward. Die schreckliche Zerstörung wodurch das Gebäude welches ich aufführen wollte ehe es sich über dem Grund hätte erheben können, verschüttet worden wäre, beruhigt mein Gewissen hierüber nicht, denn von wahrhaft guten Einrichtungen bleiben auch dann noch einzelne Folgen wenn ihr Ganzes durch Unglück zertrümmert worden ist: ein aufmerksamer Beobachter sieht allenthalben um sich herum die Spuren von Taten und Handlungen längst vergangner Jahrhunderte selbst in den gewöhnlichsten Dingen, — Die letzten Jahre, saure Lehrjahre für mich, in denen ich immer mehr von meinen früheren Beschäftigungen entfernt worden bin, sind übrigens als Lehrjahre nicht verloren gewesen: aber um so größer ist die Pflicht das Erlernte auszuüben; um so größer im Verhältnis der

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bittern Not in der jede Linderung ein Segen ist. Was bleibt mir selbst auch übrig als dieser Trost des Bewußtseins wohltätig zu wirken, da mir meine Lieblingsbeschäftigungen verloren und untergegangen sind? — Wenn sich diese Realität nur erhalten ließ, so war der Schein gleichgültig, und wenn Aufopferung am Schein Schwierigkeiten aus dem Wege räumen konnte so war sie Gewinn. Ich selbst wünschte und forderte also daß mein bisheriger älterer Kollege L'Abaye, anstatt daß ihm sein bisheriges Institut als eine Sektion und mir das Staatsschuldenwesen als eine andre übertragen würden, mir als Chef beider Sektionen, den Geschäften nach beigeordnet, der Anciennität nach vor mir genannt werden möchte. Denn bei jenem Plan würde er entweder zum Teil unter meine Direktion geraten sein, welches hart und unbillig gewesen wäre und nur Schaden getan haben könnte, oder es hätte eine lähmende Teilung der Geschäfte stattfinden müssen. L'Abaye (ist) ein verständiger bejahrter Geschäftsmann, von viel Routine, und einem mit Recht unbescholtenen Ruf: wir werden im Ganzen gewiß sehr einträchtig handeln und wenn auch einmal zu dem Wunsch Anlaß sein möchte, daß ich lieber allein stünde; so wird die Überzeugung daß es unter den gegebnen Umständen auf ändern Seiten nachteiliger sein würde ihn nicht zur Reue über einen mit guter Überlegung getanen Schritt ausarten lassen. Den Bezirk unsrer Geschäfte muß ich nun erst selbst abgrenzen und einteilen. Im Allgemeinen gehört zu meinem Departement, die innre und äußre Staatsschuld, die Banknoten oder sogenannten Tresorscheine, das Finanzielle der Domänenveräußerung, die Benutzung aller Kassenbestände die nicht dringend erforderlich sind, die Einziehung der Aktiva des Staats, das Salzmonopol und Bankiergeschäfte für den Staat. Persönlich werde ich auch wohl, bei dem Vertrauen welches der Minister Graf Dohna mir zugesteht, eine Oberaufsicht über das Provinzialkriegsschuldenwesen und die Creditsysteme, so wie über die Privatbanken deren Einrichtung ich vorschlage, erhalten. Der Umfang dieser Arbeiten ist sehr groß, und ohne eine glückliche Gesundheit werde ich sie allerdings nicht leicht bestreiten können. Aber mit B*

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Ordnung und einer sehr eingezognen und darauf eingerichteten Lebensweise wird es doch wohl möglich sein meinem Gewissen Genüge zu leisten. Ich habe die große Freude daß meine Verordnung über die Herstellung der Tresorscheine1 einen äußerst günstigen Eindruck gemacht hat. Sie haben sich bereits auf 80 gehoben, und es ist kein Zweifel daß sie in zwei bis drei Monaten nahe an pari sein werden. Diese Veränderung welche dem Lande ein Paar Millionen Courant mehr gibt, bewirke ich mit einer verhältnismäßig sehr geringen Anstrengung: und ebenso hoffe ich auch die Zinsenzahlung von den Staatspapieren ohne die Lasten des Volks zu erschweren leisten zu können. Ich schrieb Ihnen, liebster Vater, daß ich überzeugt wäre, die Königsberger Obligationen würden steigen sobald man erführe daß ich mit der Regulierung der Stadtschuld beauftragt wäre. Meine Erwartung hat mich nicht getäuscht, sie sind in der Tat von 64 auf 72 pC gestiegen. Dieses Volkszutrauen ist die schmeichelndste Auszeichnung. Ich hoffe es hier 2 sehr bald im höchsten Grad der Popularität zu genießen, durch die sich in den Finanzen unglaublich viel ausrichten läßt. Gelingt es mir bei der nächsten Erneuerung eines Teils der hiesigen Municipalität oder der sogenannten Stadtverordneten gewählt zu werden, so hoffe ich die Stadt aus ihrer Kreditlosigkeit zu retten, wie ich den Plan für Königsberg bereits entworfen habe. Die neue Municipalordnung 3 hat an vielen Orten sehr üble Folgen gehabt weil die sogenannten Vornehmen sich zurückgezogen haben, allein der Geist dieser Ordnung ist vortrefflich und wird die Ausführung schon läutern. Es muß aber ein Beispiel gegeben 1

Die Verordnung vom 4. Dezember 1809 verfügte die Ausgabe von Eintaleredieinen, gegen die die Steuerpflichtigen die bisherigen Tresorsdieine einlösen konnten. Diese neuen Talersdieine sollten vom ij. Februar 1810 ab gegen Silbergeld an den staatlichen Kassen eingetauscht werden können, dafür wurde ihnen der Annahmezwang im Verkehr gegeben. Die damit gegebene Möglichkeit einer allmählichen Einlösung der Tresorscheine hatte zur Folge, daß ihr Kurs, der im September 1809 an der Berliner Börse bis auf 34% gefallen war, im Februar 8;% erreichte und auch in der Folge trotz der schwierigen Lage des Staates nicht unter 80% herunterging. 2 D. h. in Berlin, wo er den Brief beendete. 3

S. o. S. 43 Anm. i.

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werden daß ein angesehener Beamter sich nicht scheut unter Handwerker und kleine Bürger zu treten als ihres Gleichen. Ich hoffe, daß weder Sie, liebster Vater, noch irgend einer von denen die außer Ihnen diesen Brief lesen werden, denn ich bitte Sie ihn auch nach Husum 1 zu senden, in meinen Äußerungen Ruhmredigkeit oder ein Großtun mit taschenschauspielerischen Künsten zu sehen glauben werden. Keiner von Ihnen allen kann mich so verkennen, und wer meinem Worte glaubt muß auch glauben daß ich alle diese Herrlichkeit gern gegen die Herstellung der Welt hingäbe worin ich vor Jahren glücklich lebte. Doch ist es ein wohltätiges Bewußtsein Not zu lindern, Gutes zu stiften und Böses zu verhüten. Wenn das Herz schwer ist fühlt man es daß man sich so Freunde im Stillen und selbst im Himmel erwirbt. Ich habe mit Geldern die in einer Kasse sonst fruchtlos gelegen haben würden eine Spekulation für meine armen Ermeländer 2 gemacht die hoffentlich über 12 ooo Rthlr. einbringen wird. Die sollen manches Herz zum erstenmal seit drei Jahren wieder erfreuen. Nun aber noch einiges über unsre Reise. Wir haben elf Tage auf dem Wege zugebracht, und sind gestern spät am Weihnachtsabend hier in Berlin eingetroffen. Hätte unser alter Wagen, der nun ganz aufgebraucht ist, uns nicht manche Sorge gemacht so hätten wir diese Reise ohne alle Besorgnisse zurücklegen können; denn auf den Straßen die wir wählten waren die Wege in einigen Gegenden sehr gut, und nirgends grundböse. Auf der Hauptstraße welche sonst fast jedermann gewählt hat sind mehrere Wagen im Kot nicht bloß stecken geblieben sondern versunken, wie die Kanonen bei den Armeen bei Pultusk3. Eine Reise in dieser Jahreszeit, wo man, ausgenommen in den seltnen Fällen wo sich Gelegenheit findet im Voraus ein warmes Zimmer zu bestellen, im kalten Zimmer übernachten muß, und in Gegenden wo fast allenthalben schon immer der Reisende auf seine eigne kalte Küche eingeschränkt war; eine 1

An die Familie von Males Bruder, Landvogt Behrens. » S. o. Bd. I S. 388. 8 In der Schlacht vom 26. Dez. 1806 zwischen Russen und Franzosen.

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solche Reise von 93 Meilen ohne auszuruhen, ist freilich sehr beschwerlich. Aber sie hätte es noch weit mehr sein können wenn uns Wetter und Mondschein nicht sehr begünstigt hätten. Wir hatten nur den letzten Tag ein nasses Schneewetter, sonst fast immer heitre Luft, und der Übergang bei Pillau, den Treibeis sperrte als wir kaum auf der frischen Nehrung angelangt waren, glückte uns ohne Beschwerde. In der Mitte von Hinterpommern, (wo) das Land hüglicht (mit) Sumpfgründen in den Tälern, und nicht selten Lehm als oberstes Stratum ist, wo alle tiefe (Wege) mit Knüppeldämmen gemacht sind, und alle Dörfer ein vor uralten Zeiten gelegtes ganz und gar zerstörtes Steinpflaster haben, da machte unser alter Wagen uns viel Sorge. Auch ging das eine Rad zu nichte: allein ohne Unfall, und wir sind sehr froh um den Preis abgekommen zu sein. Meine Gesundheit hat durch die Reise nicht gelitten, und einen starken Schnupfen hat mir weniger die unvermeidliche, als eine durch Neugier Berlins Hauptstraßen zu sehen veranlaßte Erkältung zugezogen. Äußere Beschwerlichkeiten tun mir überhaupt nicht viel, aber desto mehr alles Innere, besonders Sorge, Kummer und Verdruß. Der Hof war vor uns hier eingetroffen, und die Zeitungen werden Ihnen nur zu viel über die Festlichkeiten und die nach meinem Sinn gar zu sehr zur Schau getragne Freude der Stadt erzählen. Gott verleihe uns nur Ruhe! Bestimmt wage ich sie nicht zu hoffen, obgleich doch wirklich ein wahrscheinlicher Anschein für einige Zeit da ist, und man hoffen muß daß das Ganze mehr Consistenz bekommen wird, so wie es unleugbar hätte geschehen können wenn man sich selbst nicht seit so langer Zeit verlassen hätte. Ohne getrosten Mut kann nichts gelingen, und so gebe ich mir alle Mühe den zu erhalten. Persönlich wird es mir auch im schlimmsten Fall nicht übel ergehen können. An Umgang gibt es hier für einen sehr beschäftigten Geschäftsmann nur gar zu viel: ich werde ihn ausschließlich auf die Abendstunden beschränken. Außer unsern Königsberger Freun-

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den und Bekannten, die hieher gekommen oder zurückgekommen sind, gibt es hier noch so viele die ich entweder schon kenne oder bald kennen lernen werde, auch besonders unter den Gelehrten, deren Umgang aber selten ihre Bücher wert ist ... Niebuhr-Nadilaß. Zum Teil überarbeiteter Abdruck von Teilen LN I 429 ff.

307.

An D o r e H e n s l e r . Berlin, 25. Dezember 1809. Goethens Roman l soll uns nicht entzweien, obgleich, wie mir deucht, Dein Urteil nur das ausmacht daß das Werk nicht zu der Klasse Romane gehört die wohltätig und als Muster bildend eigentlich erbaulich sind: und im einzelnen gebe ich Dir wahrlich bei weitem nicht alles zu. Daß einzelne Stellen auch mich empört haben, solltest Du ungeachtet meiner Bewunderung des Ganzen mir vielleicht zutrauen: und vielleicht hätte es Dir dann weniger angemessen geschienen mir mit einer Animosität über m e i n Urteil zu schreiben die nicht mehr und nicht weniger als Indignation voll Verachtung und Haß ist zu der mir kein Anlaß gegeben zu sein scheint. Ich will dieses aber, nebst vielem ändern stille verschmerzen in den Weihnachtstagen, die mir seit 1 5 Jahren, und der Reise nach Eutin eine Zeit besonders Andenkens einer seligen Erinnerung an unsre erste Jugendbekanntschaft sind — auch es bleiben werden wenn Du mich planmäßig fortgehend zwingst Dir zu schweigen: bald taub, bald zornig. Nur dies noch — Du meinst Goethe werde in seinem Israel keinen Glauben für die Möglichkeit von Ottiliens Todesart finden. Nun dieser gläubige Jude bin ich doch, zwar kein Arzt noch Arztesgenosse, aber wohl wissend daß der Fall eines langsamen Hinschwindens durch Hunger, freiwilligen Hungertod, im Altertum gar n i c h t s S e l t n e s war. Wie viele Stoiker endigten ihr Leben so! ja, frage Deine gelehrten Freunde: ob nicht die griechische Sprache ein eignes Wort für den freiwilligen Hungertod hat 2 ? Und lies im Cornelius Nepos das 1

Die Wahlverwandtschaften, s. o. S. 5} ff. — Das Folgende ist nur Ansdirift an einen Brief von Male. 1

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überhaupt sehr schön geschriebene und interessante Leben des Atticus um die Symptome dieses Todes kennen zu lernen1. Jeder Niditverbrecher der sich vom Leben entledigen will, würde diesen sehr geistigen Tod wählen sobald er Zeit hat wenn es nicht fast immer intensiv marternde Vorstellungen wären, denen der Selbstmörder zu entfliehen strebt, die, bei der Exaltation des Hungers an Heftigkeit zunehmen müssen. Dagegen erwählten ihn eben wegen der Erhebung durch Phantasie alle Griechen die ein unheilbares körperliches Übel nicht länger ertragen mochten: auch mehrere welche den Gram über die verlorene Freiheit ihres Landes nicht ertragen konnten, sobald die Tyrannei ihnen nur Zeit ließ. Also wäre ich doch wohl nicht wie Du meinst, zu Goethens eigenem Spott in eine von ihm dem Leser gestellte Falle hineingegangen. Niebuhr-Nadilaß. 3 8.

AnValckenaer

19. Januar 1810

Über die Anleihe und über seine neue Position. Übersendet ihm Bellermanns Dissertationen über den Malteser Dialekt und über die phönizischen Fragmente bei Plautus 2. Leiden, U.B. 309.

An D o r e H e n s l e r . Berlin, 27. Januar 1810. Heute würde ich unsern Brief beinahe lieber ohne einen Zusatz abgehen lassen, beste Dore, wenn ich Dir nicht die Zusage herzlicher Versöhnung schuldig wäre, und Stillschweigen den Schein eines fortwährenden dumpfen Murrens tragen würde. . . . Meine Geschäfte nehmen allmählich Form an, und gewinnen Grund, wozu bei der allgemeinen Auflösung der Verwaltung viel gehört, und Zeit erforderlich ist, denn ein größeres Chaos kann man sich nicht denken als das worin unsre 1

Cornelius Nepos, Atticus XXII. J. J. Bellermann, Phoeniciae linguae vestigiorum in Melitensi Specimen I, Berolini 1809, De Phoenicum et Poenorum inscriptionibus cum duarum explicationis periculo, Berolini 1810. 2

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Administration liegt, in der unglücklicherweise alle alten Formen aufgelöst sind, die neuen sich einzeln, unzusammenhängend und nach widersprechenden Grundsätzen bilden; indessen wäre es gar nicht so schwer als Geist diese Materie zu durchdringen und zu ordnen wenn man im Mittelpunkt säße. Daß vom Mittelpunkt aus so nicht gewirkt wird macht wohl manchmal Kummer, aber man kann es sich denn doch aus dem Sinn schlagen, wenn man nur sein eignes Gärtchen anbauen, gedeihen sehen, und seinen Zaun gegen Einbruch und Verwüstung schützen kann. Meine erste Operation 1 hat den herrlichsten Erfolg, auch den das ganz erloschne Zutrauen und Wohlwollen des Publikums für die Maßregeln des Staats herzustellen. Dies ist weit schneller geschehen als sich nach den vielen und lange fortgesetzten Sünden der Regierung erwarten ließ, und weil ich d i es nicht hoffte übertrifft der Erfolg in der Tat meine Erwartung. Ließe es sich nur mit einiger Zuversicht hoffen daß unsre äußere Lage mit leidlicher Schonung und Nachsicht — nicht aus Wohlwollen für uns sondern aus kluger Berechnung des eignen Interesses, festgesetzt werden würde, so hätte ich gar keine Furcht in dem Unternehmen zu scheitern das öffentliche und Privatvermögen herzustellen und die Heilung unsrer tiefen Wunden so weit zu fördern daß der freie Gang der Natur (sie) allmählich vollenden könnte. Aber so kann uns freilich jeder Kurier Nachrichten bringen die alle Träume von Zukunft vernichten. Was darüber einigermaßen beruhigt, ist die verhältnismäßig auffallende Mäßigung Napoleons, die Äußerungen daß alle Vorfälle während des Kriegs 2 vergessen sein sollten, und dann das Holländische Anleihen 8, dessen Ertrag er sich durch gewaltsame Maßregeln 1

Wohl die Verordnung vom 4. Dezember 1809, s. o. S. 68 Anm. i. - Während des Österreichischen Krieges von 1809. s In dessen Eröffnung König Ludwig von Holland am 5. Januar 1810 eingewilligt hatte und das daher nun in Fluß kommen konnte. Die Ausführungsbestimmungen sind vom 28. Januar. Am i. März wurde die Anleihe dann zur Subskription aufgelegt, zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt, denn die politische Lage Hollands — im Zusammenhang mit Napoleons beabsichtigten Maßnahmen zur Kontinentalsperre drohte bereits di« Einverleibung in Frankreich — hatte die Kapitalkraft des Landes aufs äußerste geschwächt.

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gegen uns rauben würde. (Dazu gehört denn freilich Erfolg, und darüber kann man nicht ohne große Sorge sein wenn ein gewaltsamer Schlag auf Holland das Vermögen der Rentiers größtenteils vernichten sollte) — Das ist Trost für den Augenblick, und mehr kann kein Verständiger zu haben glauben, denn ganz gewiß stehen noch im Allgemeinen neue Erschütterungen und neue krampfhafte Bewegungen bevor, wenn man auch an keine einzelnen Gerüchte darüber glauben kann. Die Not in Holstein ist doch im Grunde unbegreiflich da das Land durch keine Verheerung und keine Brandschatzungen getroffen worden ist. Die Kriegscalamität kostet den Überrest unsers Staats bis jetzt wohl nicht weniger als 100 Millionen Taler, und doch steht es hier nicht schlimmer, die kleinen Städte abgerechnet, denn der holsteinische Bauer scheint ja eben so zu Grunde gerichtet zu sein wie der hiesige es allerdings ist. Trifft die Schuld dieser fast unerklärlichen Not die Regierung oder die schlaffe und träge Nation? Es sind wohl nicht die Furien von Stralsund 1 welche Blutschuld auch an dem Umschuldigen rächen — Wenn sie es nicht sind, so wirst Du doch wohl jetzt zugeben daß der Handel wohltätig und erste Lebensbedingung einer Nation ist, wenn Du ihm auch immerhin alle Würde absprechen magst, worüber wir nicht rechten wollen. .So viel scheint mir jetzt handgreiflich bewiesen zu sein daß ein so vorgerückter und verwickelter gesellschaftlicher Zustand wie der worin wir leben nur durch gegenseitige Verbindungen auch der entferntesten Völker erhalten werden kann, und daß die Entziehung des Handels den Einsturz des Ganzen verursachen muß, wie die Untergrabung einer Grundsäule — auch daß der Handel das Wohltätige und Menschliche in sich hat daß der Wohlstand jedes Volks der Vorteil von jedem ist welches mit ihm in Beziehung steht. Waren darüber verderbliche Ideen ehemals im Umlauf, so hat die Belehrung der Erfahrung die für den Eigennutz nicht verloren ist, die Wahrheit 1

Anm. 3.

Die Dänen hatten sich an der Niederwerfung Schills beteiligt (vgl. o. S. n

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gezeigt. Also ist es doch wohl Unrecht den Handel der rohen Gewalt gleich zu verdammen. Ich schreibe Dir, beste Dore, wenn ich meine Vorsätze ausführen kann, künftig in ruhigen Stunden. Mache es möglich daß wir uns wiedersehen, und alles alles vergessen können! Laß Deine Rede sein Ja, Ja! und Nein, Nein! Herzlich und entschieden. Lebe wohl, ich umarme Dich herzlichst und innigst. Dein N. Niebuhr-Nachlaß. Teilweise überarbeiteter Abdruck LN I 434 ff.

310.

An G a r s t e n N i e b u h r. Berlin, 13. Februar 1810. . . . Mir geht gar zu viel Zeit verloren als daß ich von der übrigen den besten Gebrauch machen könnte. Der Einladungen erwehre ich mich noch einigermaßen, aber die Besuche sind eine grausame Zeitversplitterung: Leute die ich aus Achtung nicht habe können fortgehen heißen, sitzen drei bis vier Stunden des Abends; sie kommen manchmal durch Geschäfte veranlaßt, und man kann sie nicht abweisen; dann aber gehen sie auf Conversation über, und werden es gar nicht inne wie grausam sie gegen den handeln der andre Neigungen und Geschäfte hat als sie selbst. O wie glücklich waren die Zeiten früherer Jahre in denen ich abgesondert und unabhängig lebte! Alles was ich an Kenntnissen und Eigenschaften besitze sind nur gerettete Brocken aus jenen Zeiten an denen ich noch zehre: soll dies Leben hier so fort gehen so muß ich ein Barbar werden. — Sehr viel Zeit geht aber auch durch die schlechte Organisation der Geschäfte, und die unendlichen Schwierigkeiten verloren welche man meinen Bestrebungen ihr abzuhelfen in den Weg legt. Ich hatte die bestimmteste Zusage meine Büros im Hause etablieren zu dürfen wo mir "Wohnung angewiesen ist: daraus entstand der ganz unschätzbare Vorteil (daß) ich von dem Morgen bis in die späte Nacht zu jeder Stunde die Geschäfte betreiben könnte so wie sie entstanden. Dies Versprechen ist gebrochen, denn man muß andre Absichten mit diesem Hause haben, und auf den Nachteil welcher daraus für die Geschäfte

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entsteht, aditet niemand, oder wenigstens der nicht welcher sein gegebenes Wort jetzt nicht hält. An dieser höchst mangelhaften innern und äußern Organisation der Geschäfte, wodurch Einheit, Übersicht und Konsequenz so äußerst schwer, schneller Betrieb aber unmöglich wird, liegt es nun größtenteils wenn die Geschäfte mir weniger Befriedigung gewähren als ich wünschte. Zwar ist es an sich nicht möglich daß eine einzelne Partie, deren Erfolg doch immer davon abhängt daß alles in demselben Geist geführt werde, gelinge wenn nichts ineinander greift, und die meisten Sachen schlecht geführt werden. Aber auch eine einzelne Partie kann viel Stärke gewinnen und aus ihrer Sphäre heraus wirken wenn sie sich in sich selbst vollkommen entwickeln kann. Ich verzweifle nicht daran es dahin zu bringen, aber so wie die Sachen jetzt liegen und so viel unschätzbare Zeit wie jetzt täglich verloren geht, bin ich noch schrecklich weit hinter dem zurückgeblieben was ich schon zu erreichen gehofft hatte. Bis ich ein andres Lokal haben werde kann ich auch nicht so viele Arbeiter ansetzen als ich notwendig gebrauche, und wenn ich selbst die Detailarbeiten übernehmen soll, so leidet dadurch die große Geschäftsführung fürchterlich worauf sich ein Departementschef eigentlich beschränken muß. Ich habe keinen französischen Sekretär, und ich muß also die wichtigste französische Correspondenz eigenhändig führen, welches ein wahres Unglück ist. Sonst kann man es nicht leugnen daß eine Vergleichung besonders zwischen den jüngeren Officianten im Preußischen Staat und in Dänemark ganz und entschieden zum Vorteil der ersteren ist. Es gibt hier weit mehrere und besser gebildete fähige Subjekte als in Kopenhagen, und die Räte sowohl als die höheren Staatsbeamten haben ein ganz anders arbeitsvolles Leben als dort wo man die Collegien in denen die Deputierten das Correferat haben, als ganz besonders für Fleiß und Fähigkeit aufgehoben, mit einer besondern Achtung betrachtete. Unter den alten Staatsdienern, nicht allein unter denen die schon unter der vorigen Regierung Glück machten sondern auch unter denen die schon unter Friedrich dem Großen im Wege des

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Avancements waren gibt es freilich viele die nicht nur höchst untergeordnete Brauchbarkeit besitzen, sondern auch manchen der die den Preußischen Staatsdienern sonst allgemein gemachten Vorwürfe eines schmutzigen Eigennutzes und höchst verdorbner Sitten verdient. Inzwischen hat sich diese Rasse doch schon seit Jahren sichtbar vermindert, und es ist höchst ungerecht diese alten Beschuldigungen noch jetzt auf die anzuwenden welche gegenwärtig auf den eminenteren Posten stehen, wenngleich räudige Schafe auch da mit unterlaufen. Solche durchaus unfähige Parvenüs wie es deren in Kopenhagen gibt, die nie über den Schreiberstand hätten heraufsteigen sollen, kenne ich hier wirklich gar nicht: denn was hier auch noch schlecht ist, ist wenigstens nicht unbrauchbar. Unter den Jüngern Geschäftsleuten aber gibt es nicht wenige welche neben großer Geschäftsbrauchbarkeit eine ganz vorzügliche Bildung und klassische Litteratur besitzen, — dies ist in Dänemark eine äußerst seltne Erscheinung. An Kenntnis fremder lebender Sprachen fehlt es am meisten, und selbst das auswärtige Departement besitzt kaum ein paar nur brauchbare französische Expedienten. Nur unter dem älteren Adel ist noch etwas Kenntnis der französischen Sprache, unter dem Bürgerstande fast gar keine über die ersten Anfangsgründe hinaus: die sehr erhöhte Bildung der jüngeren Bürgerlichen hat sich ganz auf andre Gegenstände gerichtet, und der junge Adel der nicht, wie man es einzelnen rühmlich nachsagen muß, diese Bildung teilt, hat auch nicht einmal diese zufälligen Vorzüge der älteren Generation erhalten ohne sonst brauchbarer als sie geworden zu sein. Die Zeitungen werden gewiß die offizielle Anzeige aufgenommen haben wodurch dem Publikum die Eröffnung unsrer holländischen Anleihe * bekannt gemacht worden ist. Ich habe es nicht erwartet daß die Sache so weit gedeihen würde, und da sie wider meine Erwartung so weit gekommen ist so wird es mir jetzt auch immer wahrscheinlicher daß sie, selbst unter den schrecklichen Unfällen die Holland getroffen haben Erfolg 1

S. o. S. 7J Anm. j.

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haben dürfte. — Vor etwas mehr als einem Jahr war hier ein großes Geschrei daß diese Anleihe nicht zu Stande komme; jetzt da man weiß daß sie realisiert wird ist eben so viel Geschrei darüber daß man „so drückende Bedingungen" eingegangen sei. Über diese Bedingungen wird denn nun auch das Doppelte und Dreifache gegen die Wahrheit gelogen: dieses verdrießt mich sehr, als ein Vorschmack größeres Undanks. Der König von Holland hat sich äußerst schön gegen unsern Staat benommen, indem er alle Stempelabgaben von der Hauptobligation erlassen hat; er übt noch solche Hoheitsrechte von Paris her aus; aber in Holland selbst zweifelt man sehr ob er je zurückkehren wird, und mir wird dies immer unwahrscheinlicher 1. Wir haben hier jetzt die Kosten einer häuslichen Einrichtung zu bestreiten und müssen uns auf mehrere große außerordentliche Lasten bereit machen. Auch außerdem finden wir hier eine große Teurung, besonders des "Weins und der Colonialwaren, welche letzteren hier außer allem Verhältnis mit ändern Orten hoch stehen. Wir schränken uns daher sehr ein, und haben dem Gebrauch des Weins beinahe ganz entsagt, indem es hier sehr gute Biere gibt. Manche leidige Kosten an Mietskutschen u. dgl. kann keine Ökonomie beseitigen. So wenig auch die umliegende Gegend ein Kornland ist so niedrig stehen doch die Kornpreise, so daß die Tonne Roggen nach hiesigem Maß undGelde noch nicht einmal 6 Mark2 gelten würde. Bei diesen Preisen müssen alle Gutsbesitzer und Eigentümer zu Grunde gehen, und der arme Gutsbauer der schon bis aufs Blut geschunden ist kann sich schlechterdings nicht erholen. Da hier ein allgemeiner Indult besteht so gibt es freilich nicht so die zahlreichen Konkurse welche in Holstein eintreten, aber dagegen haben wir wohl noch schlimmere Zeiten zu erwarten 1

König Ludwig hatte sich Ende 1809 auf Aufforderung Napoleons nach Paris begeben. Gleichzeitig rückten französische Truppen in Holland ein. Im Frühjahr iSio kehrte der König nochmals nach Holland zurück, legte aber schon im Sommer unter dem Druck Napoleons die Krone nieder. 2 Mark Banco. (Auflösung des Münzzeichens auf Grund freundlicher Auskunft von Herrn Paul von Hedemann-Heespen).

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wenn dieser Indult aufgehoben wird welches früher oder später doch geschehen muß *. Der Handel welcher noch besteht und in den Ostseeischen Häfen lebhaft genug gewesen ist erleichtert das Land sehr wenig, denn bei den unerhört hohen Frachten ist gar keine Kornausfuhr möglich. Unsre Wollenmanufakturen haben einen sehr schönen Absatz gehabt doch ist auch der nicht was er sein würde wenn nicht der schlechte Kurs die Russischen Kaufleute abhielte oder zu schlechten Zahlern machte. Der Handel von Rußland und China, und der Handel nach der Bucharei, wohin der größte Debit unsrer Tücher ging, leidet durch den Seekrieg der den Russischen Kurs zu Grunde gerichtet hat. Inzwischen befinden wir uns doch noch immer wohl dabei so viele Fabriken zu besitzen, ein bloß ackerbauendes Land wie Holstein wird noch schneller zu Grunde gerichtet. Wie geht es in Hannover? Herr v. Ramdohr 2 (den ich hier kennen gelernt habe (und der mir) persönlich so sehr als in seinen Schriften mißfällt) schildert die Lage dort zwar traurig, aber doch erträglich. . . . Niebuhr-Nachlaß.

311.

An D o r e H e n s l e r . Berlin, 16. Februar 1810. . , . Dieselbe Einsamkeit deren Druck Du empfindest, der Du durch eine Veränderung Deiner Verhältnisse zu entgehen Dich sehnst, sie ist überall, und oft ist es mir weh dabei die völlige Unmöglichkeit zu empfinden auch nur ein recht herzliches befriedigendes Verhältnis schließen zu können. Mehr oder weniger, auch wo entschiednes Verdienst und herrliche Eigenschaften sind, sehe ich doch die Grenze sehr nahe über die Teilnahme und Vertraulichkeit nicht hinausgehen können, und 1

Durch Verordnung vom 14. November 1807 war den Grundbesitzern ein Moratorium gewährt worden, das zwar die Zinszahlungen bestehen ließ, aber die Kapitalkündigungen vorläufig sistierte. Als dieser sogenannte Indult ablief, wurde er am 24. Juni 1810 nochmals verlängert. Durch Verordnung vom 20. Juni 1811 wurde er dann aufgehoben, aber mit einigen für die Grundbesitzer äußerst günstigen Kautelen. 2 F. W. B. von Ramdohr (1757—1812), Kunstschriftsteller, zugleich hannoverscher Jurist und Diplomat, später vorübergehend preußischer Resident in Rom und als solcher Niebuhrs Vorgänger.

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es geht mir mit allen meinen hiesigen Bekannten wie Rousseau mit dem Schachspiel in dem er am ersten Abend alle Geschicklichkeit erlangte die er je zu erreichen vermochte. Hättest Du nicht an der, meiner Meinung nach beides wahren und harmlosen, Idee der Wahlverwandtschaften Anstoß genommen, so würde ich sagen daß keiner von allen die uns vorkommen eine eigentliche Attraktion auf mich ausübe, und daß in den wenigen Fällen wo ein schwacher Grad davon eintritt, dieser doch so schwach ist daß einige Zeit sie ganz aufhebt, wie es in der Natur geschieht wenn ähnliche Umstände walten. Malen würde es mit den Frauen nicht besser gehen wenn sie Umgang hätte. Ich fühle es sehr wohl daß dies großenteils in mir eben so gut als in ändern liegt, aber es ist nun einmal so, und ich fühle daß wenn wir eine vertrauliche Bekanntschaft anknüpfen wollten um uns dies große Glück zu verschaffen, ich wenigstens mehr anbieten würde als ich auf die Länge gewähren könnte. Ein sehr liebenswürdiger, zwar in jeder Hinsicht exaltierter, Mann ist uns mit großer Herzlichkeit entgegengekommen: Du weißt daß Verschiedenheit der Ansichten, selbst übertriebne philosophische Religionsmystik mich nicht abschrecken; aber nicht diese macht das Gefühl der Unmöglichkeit aus ein eigentlich festes Band zu schließen, sondern das Gefühl daß ich immer unter Fremden bin und bleibe, nie eine von allen Punkten ausgehende gegenseitige Vereinigung mir aufs neue möglich ist. Übrigens ist man wohl im allgemeinen durch die Stürme der Zeit betäubt und erschöpft. Über die zahllosen Hindernisse und Störungen welche mir die Befriedigung entziehen die aus den Geschäften gezogen werden könnte, habe ich Dir schon letztens geklagt. Wären diese nicht, wodurch es mir unmöglich wird zu leisten was ich sollte und möchte, so würden mir die Geschäfte, wie traurig auch die Ruinen sind unter denen ich aufräumen und aufbauen soll, doch manche Befriedigung gewähren; aber so ist das natürliche Band zwischen Gedanken, Wirken und Folge, wenn auch nicht immer Erfolg, ganz zerrissen. Anscheinend unbedeutende Dinge erschweren und hindern das Allerwesentlichste. . . .

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Ändern Kummer macht mir der erbärmliche Geist in dem die ganze Verwaltung geführt wird, und die heillosen Grundsätze der allgemeinen Finanzadministration. Denn obgleich Altenstein im Grunde alle seine Fehler nicht aus Grundsätzen, sondern aus Schwäche oder Rücksichten oder Verkehrtheit begeht, so kleidet er sie dennoch in das Gewand eines absichtlichen und systematischen Verfahrens, welches er mit aller Übeln Laune eines bösen Gewissens nicht nur beschönigt sondern verficht. Es ist zur Verzweiflung neben der größten Armut die zweckloseste Freigebigkeit zu sehen, welche wenn auch nicht immer geradehin persönliche Motive hat, doch gewiß auch in den unschuldigeren Fällen beabsichtigt eine Partei und Unterstützung zu bilden. Sehr oft ist es ganz klar was man will, Vorteile geben damit man sie selbst genieße oder fordern könne, Verdächtige beschwichtigen oder gewinnen, mit Leuten von Einfluß gut stehen — und woher das Geld dazu genommen wird, ob man es Witwen und Waisen entzieht, das wird nicht berücksichtigt. Hierüber die Wahrheit geltend zu machen ehe es gar zu spät ist, ist sehr wenig Hoffnung. Meine Collegen und ich werden zwar bei allen großen Festlichkeiten an den Hof geladen, aber den König sieht man nur, mit ihm zu reden ist dann nicht möglich, und niemals läßt er einen von uns rufen um über Geschäfte Auskunft zu fordern. Auch weißt Du wohl, beste Dore, daß ich gewiß nie im Dunkeln arbeiten werde: und wenn man auch seine Gefühle dahin überwinden wollte offen zur Entfernung eines entschieden schädlichen Ministers zu wirken, so würde man doch bei dem Tausch schwerlich viel gewinnen. Zwar ist es eine Frage ob nicht Ordnung und alltägliche Ideen mit einem auch schlechten Charakter weniger Schaden tun als Schwäche, Verwirrung und Unsinn bei einem Charakter dem man eigentliche Gemeinheit nicht zuschreiben kann? Inzwischen wenn dies auch wahr wäre und man könnte dem Tausch ruhig zusehen, wer möchte einen Teil daran haben? Dabei aber wacht dann freilich der Jammer über die Aufopferung meines innern Lebens an diese traurigen Finanzgeschäfte oft heftig auf. Ein Gefühl wie teuer man einige VollG e r h a r d - N o r v i n , Niebuhr. Bd. II.

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kommenheit in dieser Kunst erkauft wenn man zu etwas besserem taugt ist wohl die eigentliche Ursache daß so sehr wenige rechtliche Leute Meister darin geworden sind. Dies Vorgefühl welches ich im Allgemeinen lebhaft empfand ehe ich überhaupt in die Geschäfte einging, warnte mich nicht als in diesen mich ein Weg zu den Finanzen lockte. — Ich habe midi eine lange Zeit her fast gar nicht durch Studien auffrischen können, und doch wird man so ärmlich in sich wenn man nichts anders denkt als höchst einförmige Geschäfte, oder was die Conversation derjenigen betrifft die ich gewöhnlich sehen muß. Die Entfremdung von meinem eigentlichen innern Leben währt nun schon seit viertehalb Jahren, die Zeit führt immer weiter fort von dem verlaßnen Ufer bis die Rückkehr unerreichbar wird. Von den hiesigen Gelehrten habe ich nur noch sehr wenige gesehen. Sie schlagen keine Funken aus mir heraus, und eben so wenig kann man Funken aus ihnen schlagen. Ancillon 1 sahen wir einen Abend in einer gemischten Gesellschaft, und da schien er uns durchaus weder tief noch geistreich. An Klaproth 2 habe ich alles gefunden was seine Schriften erwarten lassen, aber auch nichts mehr; von der Wahrheit der großen neuen Entdeckungen hat er sich überzeugt, und sein Zeugnis gilt dabei alles, aber ihrem tieferen Sinn war er gar nicht nachgegangen, und blieb darüber ziemlich gleichgültig als ich ihn, mit aller ihm schuldigen Ehrerbietung fragend, darauf Schritt vor Schritt hinführte, indessen ist doch die Zeit welche ich mit ihm zubrachte, die e i n z i g e l e h r r e i c h e gewesen welche ich bis jetzt hier gehabt habe, und es ist schon ein Beweis daß die Wahrheit Kraft gewinnt, daß ein so bloß am Augenscheinlichen hängender Untersucher die höhere Ordnung der Natur an deren Schwelle wir jetzt stehen nicht für eine Torheit mehr schilt, besonders im Gespräch mit einem Laien. Es ist ein Jammer daß Dein seliger Vater diese Entdeckungen nicht erlebt hat, die ihn auch in seinen kranken Tagen belebt und mit 1 2

S. o. Bd. I S. 43J Anm. 2. S. o. Bd. I S. 435 Anm. j.

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Gedanken erfüllt haben würden. — Ich denke nächstens Pendelversuche und ähnliche Künste mit einem Bekannten anstellen zu können. Klaproth der sie leugnet weil diese Versuche in seiner Gegenwart nur dann gelungen wären wenn der Versuchende den Pendel habe sehen können, nicht aber wenn der Faden zwischen zwei Tischen durchgegangen, also der Pendel selbst unsichtbar gewesen sei, hat ihnen in meinen Augen mehr Merkwürdigkeit gegeben als sie bisher zu haben schienen: denn dadurch eben ist es klar daß keine taschenspielerische Bewegung der Fingerspitzen dabei stattfindet, und vielmehr eine unmittelbare Einwirkung des Blicks aus dem Auge da ist, welche freilich das Allerunerklärlichste sein würde. Ich wollte Dir heute ausführlich schreiben, beste Dore, auch Male wollte es tun. Mich aber haben Geschäfte, Verdruß, und Störungen, Male Störungen abgehalten. Wir schreiben Dir nun mit dem allernächsten wieder. Laß uns wieder einholen was uns in traurigen Monaten an herzlicher Mitteilung verloren ging. Um unsre Versöhnung in nichts zu stören, um Dir nicht Anlaß zu Beschwerden zu geben daß mich der Dämon des Mißtrauens den Du doch vielleicht wirklich zu verbannen die Absicht hast, noch beherrsche, antworte ich Dir, zumal in dieser Eile auf manches, und auf den wesentlichsten Teil Deines Briefs nicht. Wollte ich darüber grübeln, denn immer noch bleibt mir einiges dunkel, andres scheint mir widersprechend, oder nur durch Kombination erklärlich die ich lieber nicht machen mag, so würden wir uns vielleicht wieder aus dem Glauben und aus der Liebe entfernen, aus denen Du mich — vergib die Erinnerung — herausstießest und ausschlössest. Rede offen und unverhohlen, beste Dore. Wo willst Du diese frohen Menschen finden an die Du Dich anzuschließen vorhast? Wo sind sie? Wer hat denn eine Zukunft, und wie kühn ist der welcher sich jetzt eine Zukunft willkürlich macht, von allen ändern Rücksichten abgesehen? Auch unsre Zukunft ist noch immer sehr prekär: manchmal fast zweifelhaft, doch sichert sie einigermaßen das Holländische Anleihen. Das arme Holland geht mir nahe und steht 6*

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oft vor meinen Augen. Es wird schrecklich endigen. Ganz anders freilich greifen andre Dinge ans Herz, wo Kopflosigkeit und erbärmliche Aristocratic alles geopfert haben. — Daß wir uns indessen nicht noch eine Zeitlang, wenigstens, hinschleppen sollten, scheint nicht zweifelhaft, und so hoffen wir daß in unserm Schicksal uns nichts hindern wird Dich hier zu sehen, und wie herzlich zu empfangen! Also auf Allernächstem mehr. Male grüßt Dich herzlich, und wir beide Dein Gretchen. Dein treuer N. Niebuhr-Nadilaß. Zum Teil überarbeiteter Abdruck von Teilen LN I 436 ff.

312.

An V a l c k e n a e r .

Berlin, 3. März 1810.

Äußert sich auf Grund einer Anfrage V,s über die Landung amerikanischer Handelsschiffe in Kolberg. Si veut au reste conclure de ce fait que nous nourrissons des sentiments hostiles contre la France, ou centre son Systeme, c'est d'abord, dans la situation actuelle de l'Europe, un vrai crime envers le faible, ensuite c'est une sottise, qui provient de la tres absurde supposition d'une brouillerie prochaine entre la France et la Russie. Que l'amitie de ces deux Etats restera eternelle, c'est ce que personne n'osera garantir: mais que tous les bruits qu'on fait circular sur un refroidissement visible entre les deux Empereurs sont mensongers, je puis vous l'assurer. Rappellez vous, mon eher ami, qu'avant la guerre autrichienne, lorsque tout le monde supposait que la Prusse y prendrait part, je vous assurai que rien n'etait plus faux et que j'etais sür du contraire: l'evenement a verifie mon assertion, et vous verrez que ce sera la meme chose au sujet de tous les bruits controuves que le marriage inattendu de l'empereur * accredite pour le moment. La Russie est peu genee pour son commerce, et l'empereur Napoleon la menage a ce sujet: quant a sa guerre contre les Turcs, qui lui coüte un monde infini et de sommes immenses, il ne depend que d'elle d'y mettre fin 2 ... Leiden, U. B. 1

Im Februar hatte sich Napoleon, der vorher audi Verhandlungen über eine Ehe mit einer Schwester des Zaren geführt hatte, entschieden, Marie Luise, die Toduer Kaiser Franz' von Österreidi, zu heiraten. Am u. März 1810 wurde die Ehe geschlossen. 9 Rußland beendete den Krieg gegen die Türkei, den es seit 1806 führte, nach Ausbruch des russisdi-französischen Krieges 1812.

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313· An G a r s t e n N i e b u h r. Berlin, 6. März 1810. . . . Es ist ein trauriges Schicksal wenn man sich sagen muß daß nur dasjenige was man selbst ausführt angemessen gemacht wird: alles übrige wodurch man unterstützt werden sollte schief und verkehrt. Dabei erschöpft man eine Zeitlang seine Kräfte in dem fruchtlosen Bemühen sich zu vervielfachen, und dann sinken Mut und Kräfte wenn man einsieht wie wenig es hinreicht. Für jugendliche Eitelkeit ist das Gefühl wohl schmeichelhaft sich in diesem Verhältnis gegen seine Geschäftsgenossen zu sehen, aber mit reiferer Erfahrung und geläutertem Willen für den Zweck, vertauscht man gern alle Auszeichnung vor ändern gegen das Glück unter vielen Einsichtsvollen und Verständigen nur einer, nicht mehr und nicht weniger als andre, zu sein. Was hier in Berlin auch die Lust, und wirklich den Eifer zum Dienst des Landes ganz nimmt ist der völlige Mangel an Gemeingeist, an Vertrauen und Wohlwollen, die affenmäßige Freude dieses erbärmlichen Publikums die Regierung durchzuhecheln, wenn sie nicht die Freude haben können ihr Streiche zu spielen. Was durch Vertrauen und Vernunft ausgerichtet werden muß, daran ist hier bei den Berlinern gar nicht zu denken: ein gedankenloser aberwitziger Tadel ist ihr Element, eines gesunden Gedankens, geschweige denn eines tiefen, sind sie ganz unfähig. Ist es immer so gewesen dann wundert es mich nicht daß Friedrich der Große sich zum Despotismus verleiten ließ, denn dieses Volk ist nur durch Furcht zum Anstand und zur Schicklichkeit zu bewegen. Können sie eine Maßregel, von der vielleicht ihr Heil abhängt, hindern oder stören, dann sind sie froh wie Buben, denn sie ergötzen sich an dem Verdruß den sie der Regierung machen. In Königsberg ist auch kein guter Geist, doch mehr Eigensinn, keine so äffische Nucken. In Schlesien allein herrscht gesunder Verstand und guter Wille. Der Undank mit dem die Begeiferung dieses Publikums mir für das Holländische Anleihen lohnt, durch welches allein der Staat noch bestehen hoffen kann, erbittert mich zwar, allein

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es bedurfte dieses Verdrusses nidit um meine Verhältnisse seufzend zu tragen. Obwohl es doch hart ist ein Geschäft dessen Ausführung glänzend ist, und wofür man Ansprüche an die Dankbarkeit jedes Einzelnen hätte, nie anders als mit Winkelzügen eines Tadels erwähnen zu hören, der empört. Ich weiß nicht ob es dies großenteils ist, aber allein ist es doch nicht die Ursache daß ich mich für beständig fremd fühle, und wohl nie vaterländisch einheimisch hier werden kann. . . . Niebuhr-Nadilaß.

314.

An D o r e H e n s l e r . Berlin, 12. März 1810. . . . Über meine traurige Gesundheit könnte ich viel klagen, die eben darin so traurig ist daß sie jede Beschäftigung, selbst die der herzlichsten Mitteilung zur Anstrengung, jede Anstrengung zu einem verderblichen Gift macht, sobald meine Nerven verstimmt sind. Dies ist nun in der letzten Zeit wieder oft und lange der Fall gewesen, und kann nicht anders sein da mir alles so erschwert ist und eine wirklich unmäßige und ungeziemende Last von Arbeiten auf mir ruht. Die ganze Maschine ist in Verwirrung, damit wird es je länger je ärger, und jeder leidet dadurch an seinem Teil. Aber ganz kann ich auch die Ursachen nicht außer mir suchen wenn ich mir in meinem innern Zustande mißfalle. In der Fülle und dem Leben der Jugend wird vieles versäumt, vieles nicht vermieden, was nicht beunruhigt, oder doch nur leise beunruhigt, weil das Versäumte dann noch eingeholt, das Schädliche noch wieder entfernt werden kann; und eben deswegen verliert man die Zeit für das eine und das andre in falscher Sicherheit. Bliebe man immer jung und frei, so wäre es auch wohl nicht zu spät, selbst wenn man nur frei bliebe, aber wenn man unter das Joch bürgerlicher Verhältnisse gebeugt gebotne Pfade gehen muft auf denen keine Erquickung sprießt, dann empfindet man die Folgen. So habe ich von früher Jugend an wohl den Mangel an Gewöhnung zur Zwangsarbeit, an Gewöhnung Zwang leicht zu tragen, geahndet, aber nicht ihn zu ersetzen gesucht. Ich suchte mir dann diese Beschäftigungen zu einer Art von Lieblings-

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arbeiten zu machen um sie deswegen mit Eifer zu treiben; dadurch ward mir aber nur mein ursprünglicher eigentlicher Beruf fremder, zum Teil und zu Zeiten ganz fremd, und die Zerstörung der letzten Jahre hat mich dahin gebracht jetzt mit Schmerz die Entdeckung zu machen daß meine alten Lieblingsbetriebe mich nicht mehr erholen und stärken weil sich wie eine Art von Rinde über meine Seele gesetzt hat, wenn Du diesen halb lächerlichen halb anstößigen Ausdruck verzeihst. "Wird sie sich je wieder ablösen? Wohl nie ohne die Rückkehr zu einem Zustand tiefer Ruhe, innres Friedens und entschiedner Entsagung auf eine Versatilität die wegen ihrer Seltenheit und Künstlichkeit verführerisch ist, deren Federn aber mit der Lebenskraft erschlaffen. Und ich kann es mir nicht verhehlen daß diese erschöpft ist, und ich wahrlich in der Tat ein abgelebter Greis bin dem es unbegreiflich ist seinen Kopf nicht mit grauen Haaren bedeckt zu sehen. . . . 1 Wahrlich ich wünsche innig den stillsten und ruhigsten Frieden zwischen uns allen Dreien, Tilgung und Vernichtung jedes Zwists, jeder unfriedlichen Stimmung, die sich je erhob, und die Herstellung des vollen Segens eines Vereins und einer Harmonie, von der wir uns gegenseitig sagen können daß wer sie sich durch neue und fremde Verhältnisse ersetzen wollte, doch in seinem eignen Innersten dem Verletzten dafür büßen müßte. Ich danke Dir daher um so herzlicher für Deine letzten freundlichen und treuen Briefe: erhalte diesen Sinn, gute Dore, dem zu mißtrauen ich auch nach jener traurigen Zeit für Unrecht halten würde. Aber genug, und nun wenn Du es so treu und aufrichtig meinst wie ich es wahrlich jetzt glaube, nicht mehr wieder von diesen traurigen Dingen. Sind wir doch alle für uns selbst und die welche uns die Teuersten sind in unabwendlicher, nicht selbst erregter Traurigkeit. Über Holstein hat man uns die ganze vorige Woche mit peinigenden Gerüchten und Erkundigungen gequält, in der Meinung wir würden wohl etwas mehr als das Gerücht wissen, während man an seiner Wahrheit nicht 1

Im Ausgelassenen nochmals über das Zerwürfnis mit Dore.

Preußen. Austritt aus dem Staatsdienst

zweifelte. Dann richtet sich unsre Sorge zunächst immer auf Dich — denn meinen alten Vater schützt doch vieles gegen die äußersten Unannehmlichkeiten, und manches was uns fast unerträglich ist liegt ihm leichter — aber auf Dich, in Deinen unmittelbaren persönlichen Verhältnissen, und auch in Hinsicht Deines Vermögens und Auskommens. Gott schütze Dich, beste Dore, und bewahre Dich und uns vor Kummer der Dich treffen konnte. Die eigne Ungewißheit vermindert diese Besorgnis für Dich nicht. Doch ist unser eignes Schicksal noch immer höchst prekär, und Gott weiß wie es sich entscheiden wird. Ich sehe eine eitle Hoffnung gegen die man sich vor wenigen Wochen noch kaum ohne Geschrei zu erregen erklären konnte nach der ändern getäuscht und vereitelt, und wenn auch noch kein nahes Gewitter sich zusammenzuziehen scheint, so bedarf es doch wohl nur eines Windstoßes um es über unser Haupt zu führen. In dieser Not, nachdem man alle gewöhnlichen Mittel der Konferenzen, der Noten, erschöpft hat, geschieht für mich was ich auf diesen Fall längst besorgte, man mutet mir zu nach Paris zu gehen 1. Du weißt wie innig wir beide uns nach Ruhe gesehnt haben, und daß wir schon diese Ungewisse, fast ephemerische Rückkehr in eine eigne "Wohnung und an einen festen Wohnort mit Verlangen und Dank angenommen haben. Herausgerissen zu werden um mit geängstigtem Herzen in den Festen und Salons der herrschenden Hauptstadt umherzugehen ist fast ein eben so hartes Los, für manchen Augenblick ein noch härteres, als ohne ein entschiednes künftiges Verhältnis, ohne Sicherheit für Brot und Versorgung aus der jetzigen Lage geworfen zu sein. Die Reize der Kunst und "Wissenschaft können dies auf Erfahrung gegründete Gefühl kaum einen Augenblick leicht erheitern, denn mit trübem Sinn genießt man keine Kunst, und ein augenblicklicher Anblick der Schätze der Wissenschaft gewährt nicht so viel als stille Beschäftigung mit ihren geringsten Stücken. . . . Niebuhr-Nadilaß. Zum Teil überarbeiteter Abdruck von Teilen LN I 438 ff. 1

Statt seiner wurde im Frühherbst L'Abbaye zur Führung der Kontributionsverhandlungen nach Paris entsandt.

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An V a l c k e n a e r .

Berlin, 13. März iSio.

Über Vs. Schritte, von französischer Seite eine offizielle Beruhigung der öffentlichen Meinung Hollands zugunsten der Anleihe zu erhalten. . . . Les bruits dissemines sur le demembrement projette de la Silesie1 sont absurdes et entierement destitues de verite. L'alliance franjaise garantit a l'Autriche le repos, les moyens et le temps de cicatriser ses plaies, mais aucun aggrandissement — la raison et les meilleurs renseignements qu'on possede s'accordent a nous en convaincre: l'experience prouvera sous peu que l'imbecile public de Vienne s'est amuse de folks esperances. Si la paix se fait avec les Turcs, il est possible que PAutriche acquiere la Valladiie; mais la Save et le Danube constitueront les limites de l'Empire retabli. Quant ä la Silesie, ceux qui en revent l'acquisition pour l'Autriche sont des tetes dans lesquelles les idees surannees ne sauraient etre deracinees, et qui ne songent pas que jamais la France ne voudrait environner la frontiere du nord d'une puissance trop longtemps rivale ou rebelle d'une ligne de forteresses qui la mettraient a l'abri de toute attaque de ce cote. Notre gouvernement a arrete des mesures contre le commerce de la Baltique qui a tant scandalise les journalistes. Je suis persuade que la France meme n'exigera pas d'avantage d'un etat auquel eile demande des payements qui ne peuvent se faire sans revenus. On a prevu que le canal du commerce de contrebande pourrait aisement se detourner dans ces mers, et nous n'avons pas envie de nous perdre pour enrichir des Spediteurs et des rouliers qui par dessus le marche abandonnent la charrue, et se livrent ä la crapule. Ce qu'il peut y avoir de defectueux encore dans la redaction de la loi sera sans doute corrige, de sorte qu'on ne nous blamera pas d'etre trop indulgens. . . Leiden U. B. 1

Der Gedanke, einen Teil von Schlesien abzutreten, war Anfang des Monats auf Grund einer Anregung Napoleons von den leitenden Ministern aufgenommen worden, da sie glaubten, die Kontributionszahlungen nicht mehr aufbringen zu können. Gerade vom Vortage, vom 12. März 1810, dauert das Gutachten, in dem sie dem König diesen Plan vortrugen. Er war zugleich der Anstoß dazu, daß der König sich von Altenstein abwandte und Hardenberg über seine Auffassung der Lage befragte — der erste Schritt zum Wiedereintritt Hardenbergs. Niebuhr selbst verteidigte in seiner wenige Tage später verfaßten Denkschrift (s. u. S. 90 Anm. i) diesen Gedanken einer Territorialcession und wandte sich hier, wie in einem gleichzeitigen Brief an Ahenstein, gegen die Behauptung Wittgensteins, Napoleon habe den Gedanken einer Abtretung nie ins Auge gefaßt.

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Ministerwechsel und Abschied Frühjahr 1810. 316. An V a l c k e n a e r . Berlin, 27. März 1810. Erklärt sein Schweigen damit, daß er inzwischen Wittgensteins aus persönlicher Gewinnsucht entstandenen Plan, ein neues Papiergeld zu schaff en*, niedergekämpft habe; que ce projet, aussi criminel que temeraire, nicht bloß die holländische Anleihe und allen Kredit vernichtet haben würde, qu'il aurait amene" la rebellion, les massacres, la dissolution de l'ordre social . . . 11 ne s'agissait que du plus vil agiotage. — Einzelheiten der Anleihe. Leiden U. B.

317·

An D o r e H e n s l e r . Berlin, 7. April 1810. . . . Die Stunde der Entscheidung scheint mir nahe zu rücken: über die Entwicklung läßt sich nur raten. Nur das ist klar daß das Elend immer größer werden wird; und in eben dem Verhältnis wie die Not welche größere Tugend und 1

Der Plan, mit dem Wittgenstein dem Staat die nötigen Mittel zur Zahlung der Kontribution verschaffen wollte, basierte darauf, daß man in stärkerem Maße als bisher sich der privaten Mittel bedienen müsse, und schlug zu diesem Zweck die Einrichtung einer Nationalbank vor, zu der die kapitalkräftigsten Einwohner mit Hilfe einer Zwangsanleihe herangezogen werden sollten. Die Domänen und die geistlichen Güter sollten ihnen gegenüber als Unterpfand gelten, und die Verwaltung und Leitung der Bank sollte in nicht beamteten Händen Hegen. Niebuhr hatte in einem langen Gutachten, das von Altenstein zur Grundlage für sein eigenes an den König gerichtetes gemacht wurde, den Wittgensteinschen Plan bekämpft, aber ohne durchschlagenden Erfolg. Vielmehr legte der König ihn Hardenberg vor, der dann in seinem eigenen Gutachten von ähnlichen Voraussetzungen wie Wittgenstein ausging. Der Wiedereintritt Hardenbergs, seit dem Beschluß der Minister über die Abtretung Schlesiens (s. o. S. 89 Anm. i) vom König erwogen, kam nun in Gang: am 14. April hatte der König seine erste geheime Unterredung mit Hardenberg, der sich, noch immer durch Napoleons Befehl vom Hofe verbannt, in den folgenden Wochen in der Nähe von Berlin in Lichtenberg aufhielt und von dort aus auf Wunsch des Königs die neuen Entwürfe des Ministeriums bereits fortlaufend begutachtete, ja auch schon mit einzelnen Beamten des Finanzministeriums unmittelbare Fühlung aufgenommen hatte. Dabei kam es dann in der Folge auch zu einem Zusammenstoß zwischen Hardenberg und Niebuhr, da dieser ihm ohne Altensteins Wissen keinerlei Auskunft geben wollte und da Niebuhr bei einer Unterredung mit Hardenberg sich dadurch verletzt fühlte, daß dieser auf die inländische und ausländische Opposition gegen die holländische Anleihe zu sprechen kam. Am 27. Mai traf dann Napoleons Zustimmung dazu ein, daß Hardenberg die Geschäfte wieder übernehme. Erst am 4. Juni erfolgte Hardenbergs Ernennung zum Staatskanzler.

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größere Fähigkeiten erfordert je größer sie wird anwächst, in eben demselben wird alles schlechter und elender. Die Auflösung ist grenzenlos. Die Unterdrückung des Landmanns von der man schon längst vorhergesagt hat daß sie einen Bauernkrieg hervorbringen werde hat in Oberschlesien einen Aufstand gegen die Gutsherrn erregt* welcher hoffentlich ohne große Gewalt gedämpft werden kann, der aber klar zeigt welche Auftritte wir zu erwarten haben wenn ganz gewaltsame Maßregeln zur Erpressung von Summen die nicht geschafft werden können beschlossen werden sollten. Der König ist mit dem Ministerium unzufrieden, und scheut sich es zu verändern: der verständige Geschäftsmann fühlt daß es kaum schlechter gehen könnte. Auch ist es doch das Allerärgste wenn notorisch infame Leute zur Gewalt kommen 2 , täten sie auch nichts Schlechteres als andre die doch bessere Seiten haben. Ich bin ohne Einfluß und werde geflissentlich, so wie Humboldt 3 und einzelne andre die man fürchtet vom Hofe abgeschnitten; der König hat mich noch nie rufen lassen. Meine besten Vorschläge bleiben ohne Folgen, und ich muß meine erschöpften Kräfte an elenden Arbeiten vergeuden. — Es sind noch unermeßliche Summen auf der Contribution zu zahlen, dazu werden die heiligsten Fonds angetastet, und da man jenseits wohl einzusehen scheint daß nun bald gar nichts mehr geleistet werden kann, so zweifle ich nicht daß über uns ausgesprochen werden wird. Hier fordert man ungestüm von denen welche das Problem für unauflöslich erklärt haben daß sie es lösen sollen. — Mein Ausscheiden kann entweder durch zu große Kränkungen oder durch allgemeine Auflösung entschieden werden. 1

Die Bauernunruhen, die in diesem und dem folgenden Jahr in Oberschlesien und der Grafschaft Glatz ausbrachen, waren ohne weitreichende Folgen und wurden mit Hilfe von Militär rasch unterdrückt. Sie waren durch die Spannung zwischen Gutsbesitzern und Bauern veranlaßt. Die Bauern glaubten, daß ihnen die Bestimmungen des Oktoberedikts nicht vollständig mitgeteilt und sie zu keinerlei Dienstleistungen mehr verpflichtet seien; andererseits versuchten die Gutsbesitzer, auch der Ausführung der wirklichen Bestimmungen des Edikts Schwierigkeiten in den Weg zu legen. * S. o. S. 90 Anm. i. * S. u. S. 94 Anm. i.

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Daher ist es allerdings möglich daß wir gegen Johannis hier nicht mehr wären. Es ist gräßlich daß es so gar keinen Ruheplatz gibt, denn alles gäbe ich darum mich auf immer aus den Geschäften zu ziehen und in geliebten Studien auch bei kärglichem Brot ein heiteres Leben hinzubringen. Ich hoffe aber fest daß wir auch im schlimmsten Fall Dich nicht ganz verfehlen werden indem wir Dir eher näher kommen als weiter fortgehen werden, und es ist ja auch immer möglich daß meine Dienstverhältnisse sich in diesem zwischen Leben und Tod schmachtenden Zustand noch Monate lang verlängern. . . . Nicbuhr-Nachlaß.

3l8.

An G a r s t e n N i e b u h r. Berlin, 10. April 1810. . . . Meine Lage ist höchst delikat und peinlich — worüber ich Ihnen vielleicht weiterhin etwas mehr erzählen werde; denn zu den merkwürdigeren Epochen meines Lebens gehört die gegenwärtige Zeit allerdings, aber auch zu den allerunangenehmsten. Ich stehe isoliert unter Parteien1 welche die Trümmer des Staats zerreißen, ohne sie zu fürchten, wenn auch gleich einige meine geschwornen Feinde, andere nicht viel besser, und, mit Ausnahme sehr weniger mir ergebnen, die übrigen wenigstens sehr unzuverlässige Freunde sind. Ich könnte mich längst an der Spitze einer Partei befinden wenn ich nicht wüßte daß in einem Staat wie der unsrige jetzt ist auch das Gute nur durch Intriguen oder durch Coalitionen mit dem Bösen eingeleitet werden kann, wenn nicht ganz außerordentliche und mir noch immer äußerst unwahrscheinliche Vorfälle die Gelegenheit bieten es durch offnes Handeln zu bewirken. Die allgemeine Verblendung und Verwirrung nicht über sich Macht gewinnen zu lassen, grade und konsequent zu bleiben, das ist alles was man sich im allgemeinen als Regel vorschreiben kann wenn alles wild durcheinander geht, welches nie ärger gewesen ist als jetzt. Ich werde mir nichts vorzu1

Anm. i.

Nämlidi zwischen den Ministem und den Anhängern Hardenbergs, s. o. S. 90

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werfen haben, sei auch die endliche Entwicklung scheinbar günstig oder ungünstig für uns, ich lasse mich in nichts verwickeln, und würde meine Entlassung mit sehr heiterem Herzen annehmen. Es wird Ihnen, liebster Vater, gewiß angenehm sein zu erfahren daß ich zum Mitglied der Gesellschaft der Wissenschaften erwählt bin *; mir ist dies nicht allein aus einer kleinen verzeihlichen Eitelkeit lieb, sondern auch weil die Zusammenkünfte dieser gelehrten Gesellschaft, unter denen sich doch einige recht ausgezeichnete Männer befinden, wie der Chemiker Klaproth, Wolf, Ideler 2 (der über die Astronomie der Alten geschrieben hat), Ancillon und andre, mir zu Belebung sonst ersterbender Kenntnisse und Beschäftigungen dienen werden. Ich vermisse allerdings Gespräche dieser Art bei denen man an Kenntnissen fortschreitet, oft recht schmerzlich. Es ist eine Zeit in der auch dem rastlosesten Gelehrten der Mut sinkt fortzuarbeiten, vielmehr einem ändern; — und ich bin selbst gar zu sehr aus allen Studien herausgekommen. Ich hoffe aber nicht immer in den Geschäften zu bleiben, sondern sehe eben diese Wahl als einen günstigeren Wink des Schicksals an noch einmal meinen Jugendbeschäftigungen wiedergegeben werden zu können. Umgang: Vincke3, der jetzt fortgeht, da er seinen Abschied genommen hat, Dohna 4, Nicolovius.

Herr v. Humboldt (der in Rom war) ist uns als ein interessanter Mann wenn er kömmt willkommen; auch stehen wir in sehr gutem collegialischem Verhältnis. Es ist jetzt die Rede davon daß ein Staatsrat gebildet 1

Die Wahl durch die philologische Klasse war am 29. März auf Humboldts Veranlassung erfolgt und am 7. April vom König bestätigt worden. Am 10. Mai hielt Niebuhr seine Antrittsrede. 2 Chr. L. Ideler (1766—1846), Astronom und Chronolog, später Verfasser des maßgebenden „Lehrbuch der Chronologie". Er hatte bereits verschiedene Untersuchungen zur antiken Astronomie und Chronologie veröffentlicht. 8 S. o. S. 32 Anm. i. 4 Graf Heinrich Dohna-Wundlacken (1777—1843), damals Staatsrat für die Domänen im Finanzministerium.

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werden soll *, zu dem wir alle von Zeit zu Zeit gerufen würden, da dies aber gegen den Sinn einiger Minister ist so wird wohl schwerlidi etwas daraus werden. Jedermann fühlt das dringende Bedürfnis daß der Geschäftsgang geändert werde, aber man kommt zu keinem Beschluß darüber und alles bleibt beim Alten. . . . Niebuhr-Nadilaß. Abdruck des ganzen Briefes Mitteilungen j8 ff.

AnSpalding2.

Berlin, 21. April 1810.

Mein Herr! Die ehrenvolle Auszeichnung welcher die Königliche Akademie der Wissenschaften mich gewürdigt hat ist für mich so angenehm als schmeichelhaft. Nehmen Sie den Dank an welchen ich Ihnen zwiefach schuldig bin, als dem der diese Auszeichnung mir bekannt gemacht hat, und wegen der von einem Manne wie Sie vorzüglich ehrenden Versicherung daß Sie die Wahl der Akademie mit Ihrem Beifall bestätigen. Die Verhältnisse und das Leben eines Geschäftsmannes sind für ihn nicht günstig um das wohlwollende Vorurteil einer ausgezeichneten gelehrten Gesellschaft zu rechtfertigen: wenn ich aber auch nicht hoffen darf die mir stillschweigend auferlegte Verpflichtung zu erfüllen, welche jeden Neuaufgenommenen trifft: dahin zu wirken daß soviel an ihm liegt die Gesellschaft, bei dem Wechsel ihrer Mitglieder, stets in Lebensfülle erhalten werde — so werde ich auf die billige 1

Die unklare Stellung der Geheimen Staatsräte (vgl. Bd. I S. 520 An m. i) war einer der Hauptfehler in der Organisation des Ministeriums Dohna-Altenstein, gegen den die Staatsräte, vor allem Humboldt, sidi vergebens wandten. Die Frage war damals erneut in Fluß gekommen. Eine Kabinetsordre sah die Einrichtung wöchentlicher Konferenzen vor, an denen auch die Geheimen Staatsräte teilnehmen sollten, aber sie sollten nur für die Angelegenheiten ihres Ressorts ein volles Votum haben. Die Stellung der Geheimen Staatsräte blieb daher auch weiter unklar und prekär, und Humboldt trug darauf am 29. April auf seine Entlassung an. 2 G. L. Spalding (1762—1811), klassischer Philologe, Professor am Gymnasium zum Grauen Kloster, seit 1803 Mitglied der Akademie. Niebuhr trat zu ihm in der Folge in ein enges Freundschaftsverhältnis. — Der Brief ist das Antwortschreiben auf die Wahl zum Mitglied der Akademie (vgl. o. S. 93 Anm. i), deren Sekretär Spalding war.

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Nachsicht der Gesellschaft rechnen deren Wohlwollen und Güte ich erfahren habe. Ich empfehle mich Ihnen hochachtungsvoll. N i e b u h r. Berlin, Archiv der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Abdruck Harnack, Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin II 3J9. 320.

An D o r e H e n s l e r . Berlin, 23. April 1810. 1 . . . Die Akademie der Wissenschaften hat mich vor einiger Zeit zu ihrem Mitglied erwählt, eine Ernennung die das Angenehme hat daß sie mich mit dem was hier einigermaßen in den verschiedenen Wissenschaften ausgezeichnet ist in eine persönliche Beziehung bringt, und ein für den Geschäftsmann der wenig lesen kann sehr erleichterndes Mittel gewährt viel Neues und Interessantes zu erfahren. Es ist mir hierin auch der erste Strahl von Hoffnung aufgegangen auf diesem Wege vielleicht zu meinen eigentümlichen Beschäftigungen zurückkehren zu können: denn, wenn unser Staat besteht, so glaube ich schon genug geleistet, und dabei genug Lebenskräfte aufgeopfert zu haben um füglich eine kleine Pension erbitten zu können die uns einigermaßen genügte. In ändern Fällen ist diese Ernennung vielleicht ein Weg zu einer ähnlichen Versorgung an einem ändern Ort. Aber während ich mich diesen Hoffnungen mit der Überzeugung überließ daß man von obenher meinen Austritt aus den Geschäften gewiß auf alle Weise begünstigen werde sind hier die innern Verwirrungen und die Wahrscheinlichkeit einer Ministerialveränderung 2 aufs höchste gestiegen. Es ist nicht wohl möglich Dir hierüber viel zu erzählen, denn die Correspondenz ist nicht sicher gegen Attentate der geheimen Polizei, auch würde es Dich ekeln den Kampf matter Intriguen und gleich unbefugter Ambition zu lesen. Wir selbst wissen ja wie peinigend es für uns ist von beiden Seiten alles zu erfahren, welches die Folge meiner, aus 1

Am Anfang des Briefes spricht er lange über den schlechten Zustand seiner Gesundheit infolge Nervenschwäche. * S. o. S. jo Anm. i.

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der Überzeugung daß das Gute und die Wahrheit auf keiner Seite sind behaupteten Neutralität ist. Es ist eine höchst traurige Zeit, und sie würde gefährlich sein wenn ich nicht von jeder Ambition dieser Art frei wäre; ich wünschte freilich daß Du selbst Zeuge von allem sein könntest — um Dich hievon fest zu überzeugen: denn Du weißt wohl, beste Dore, wie schmerzlich mir auch nur der Verdacht ist daß Du mich ungerecht beurteilen möchtest, und irgend ein Schein könnte Dich vielleicht am Ende dazu verleiten. Ist es möglich daß aus diesem Konflikt des Egoismus etwas Besseres entstehen kann, welches ich freilich sehr bezweifle, so wird es die Frucht meines aufrichtigen Verfahrens sein, dem ich denn vielleicht am ersten Befreiung aus diesen trostlosen Verhältnissen verdanken werde. Die äußern Verhältnisse haben sich ein wenig aufgeklärt, aber es bedarf freilich nur eines Windstoßes um die Gewitterwolken wieder zusammen zu treiben, welche der Sumpf in dem wir leben schon für sich anzieht. Österreichs edles Benehmen *, und andre Umstände werden die Gefahr für jetzt wohl abwenden, und dann werden wir hoffentlich auf jeden Fall Dich bei uns sehen, teure Dore. Diese Gefahr war sehr nahe und drohend. Aber im Innern ist alles tot, und bei dem wirklich ganz erbärmlichen Geist worin regiert wird ist es fast noch besser wenn nur gar nichts geschieht als wenn einmal etwas beschlossen wird: die Angst vor verderblichen Beschlüssen aus denen neues Unheil entsteht, bringt mich selbst dahin vieles lieber ruhen zu lassen damit es nur nicht ohne Heilmittel verdorben werde. Es ist hier der unbegreiflichste Konflikt zwischen einiger wirklichen revolutionären Wut dünkelvoller und mittelmäßiger Menschen, und der größten Planlosigkeit welche nur auf elende expedients denkt, und vom Morgen bis zum Abend leben will. Im ganzen siegt die letzte, und sich mit jener gegen sie verbünden zu wollen wäre mehr als verwegen: und so leben wir in demselben Zustande wie seit unsrer Flucht im 1

Worauf Niebuhr hier anspielt, ist nicht sicher, offenbar auf die preußischfranzösische Spannung wegen der Kontributionsschwierigkeiten und auf die Frage der Abtretung eines Teiles von Schlesien (s. o. S. 8j Anm. i).

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Kriege, schließen die Augen um das Böse zu vergessen, und leben von Tag zu Tage, wobei wir immer schlechter und elender werden. Das Volk ist nicht besser als die Regierung, und beide machen es sich herzlich sauer. Bei Euch steht es freilich wohl nicht viel besser. Auch kann ich midi nicht des Eindrucks erwehren den die Meinung erregt daß eine englische Expedition gegen Seeland bestimmt sei \ denn daß diese Unternehmung ganz zwecklos sein würde beweist bei der Planlosigkeit der englischen Minister nichts. Auch diesen ist die Aufgabe jetzt zu schwer welche sie lösen sollen, und um nicht untätig zu sein werden sie wahrscheinlich wieder dumme Streiche und neue Unglückliche ohne auch nur einen Vorteil zu erlangen machen. . . . Niebuhr-Nadilaß. Zum Teil überarbeiteter Abdruck von Teilen LN. I 440 f.

321.

An V a l c k e n a e r .

Berlin, 24. April 1810.

Über die Wahrscheinlichkeit eines Wechsels des Ministeriums. Je vous dirai en secret qu'on s'est adresse a moi et ä un de mes amis, homme d'esprit et de merke 2 : mais comme nous sommes tres decides a ne point accepter a moins que nous puissions arranger la composition du ministere selon nos vues, et qu'on nous remette 1'administration sans aucune influence secrete et perfide, il n'est pas bien probable qu'on s'accomodera de nous, surtout de moi qui ne suis pas connu pour etre trop complaisant. — Hinter den Gerüchten über die Abtretung Schlesiensa, die Österreich in freundschaftlicher Haltung zu unterdrücken suche, ständen Börsenmanöver, die aber mißglückt seien, weil die durch sie verursachte Baisse der Papiere anhalte. Leiden, U. B. 3 22.

An V a l c k e n a e r .

Berlin, 28. April 1810.

Gegen die Gerüchte von bevorstehenden Verwicklungen zwischen Frankreich und Rußland, die unbegründet seien: Quant a moi, ami du repos, j'en suis bien aise, car nous ne pourrions que perdre ä toute nouvelle crise . . . Leiden, U. B. 1

Die Gerüchte über eine solche Expedition bewahrheiteten sich nicht. Es ist nicht ersichtlich, wer hiermit gemeint ist. Mit Schön knüpfte Hardenberg erst später an. 8 S. o. S. 89 Anm. i. 2

G e r h a r d - N o r v i n , Niebuhr. Bd. II.

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3*3An G a r s t e n N i e b u h r. Berlin, 4. Mai 1810. Ihr letzter Brief, bester Vater, läßt uns befürchten daß die Äußerungen des meinigen den Sie beantworteten über die für unsre Ruhe zu verderblichen Intriguen und Unfriedlichkeiten Sie beunruhigt haben werden. "Wir erkennen darin, wie in Ihren Ermahnungen, Ihre teilnehmende Liebe, dieser sind wir aber auch die Bitte schuldig daß Sie sich über diese verdrießlichen Verhältnisse nicht ängstigen, und überzeugt sein wollen daß ich mich hinreichend in Acht nehme um nicht Gefahr zu laufen in wesentliche Nachteile zu geraten. Jene Verwicklungen sind noch immer nicht aufgelöst, und eine Veränderung der Administration ist noch immer sehr möglich obgleich sie mir nach meiner Kenntnis von den entscheidenden und den gegen einander tätigen Personen lange nicht mehr so wahrscheinlich ist als damals da ich Ihnen schrieb, und bald nachher. Inzwischen stören sie mich nicht mehr indem mein fest behaupteter Entschluß keinen Anteil an dem Streit zwischen Fractionen zu nehmen welche gleich egoistisch und gleich wenig achtungswert sind, mich in eine ruhige Neutralität gebracht hat. Es bewährt sich bei dieser Gelegenheit daß es gewöhnlich eben so klug als rechtlich ist sich von allen Intriguen selbst in der Hoffnung etwas Gutes zu fördern frei zu halten, denn so wie ich unsre Leute kenne sagte ich es denen die alles anwandten um mich zu gewinnen voraus daß ihr Spiel sehr mißlich sei. Es mag sein daß sie es gewinnen, und daß ich wenn ich hätte mit ihnen gehen wollen sie nachher wie ein Gerüst hätte wegräumen können: aber dergleichen ist meine Sache nicht. Ich hoffe aber bei dieser Gelegenheit, unterstützt durch den glücklichen Umstand in die Akademie gewählt zu sein mich ohne großes Aufsehen aus den Geschäften zurückziehen zu können, welche mir immer mehr leid werden. Es ist nicht allein daß es in der obersten Leitung übel bestellt ist, und keine Veränderung Hoffnungen zu etwas Besserem gewährt: von einem so übel gesinnten und nichtswürdigen Publikum wie das unsrige haben Sie keinen Begriff, so wenig wie ich ihn gehabt habe. An dem

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scheitert alles, Vernunft, eignes Interesse, und sonnenklare Evidenz. Der allgemeine Ton ist die Regierung, welche leider Blößen genug gibt, zu verleumden, die zweckmäßigsten Maßregeln durchzuhecheln, Lügen zu ersinnen und zu verbreiten. Ein solcher moralischer Zustand in einem Staat ist gewissen körperlichen Dispositionen bei gefährlichen Krankheiten ähnlich und überzeugt den Staatsmann wie hier den Arzt von der Unmöglichkeit der Hilfe; denn ohne einen guten Sinn und wenigstens einen gewissen Grad von public spirit läßt sich einem Volk ebensowenig helfen als einem Kranken ohne einen Fond von Lebenskraft. Ich halte es für sehr möglich daß ich mich als Akademiker werde zurückziehen können, welches denn auch in Hinsicht der äußern Versorgung nicht mehr und nicht weniger unsicher ist als meine gegenwärtige Lage, oder jede in der man sich gegenwärtig befinden kann. Vielleicht wäre es auch jetzt noch nicht absolut zu spät zu den "Wissenschaften zurückzukehren . . . Erwartet mit Ungeduld das in Königsberg für ihn angekommene Exemplar von Lord Valentias Reise 1, besonders wegen der Nebenreise von Valentias Sekretär H. Salt nach Abessynien. Über Roentgens2 Plan einer afrikanischen Expedition und dessen Afrikanachrichten: Mungo Parks Tod 3.

Salt bringt nach Abyssinien Geschenke an Kanonen, Waffen, Munition, und nützlichen Geräten, von großem Wert. Es ist die Absicht ein Bündnis mit Abyssinien zu schließen, diesen Staat zu retten, groß zu machen, und dort eine Armee zu disciplinieren, auf den Fall daß Ägypten zum zweitenmal in Frankreichs Gewalt fallen sollte. Nahe bei Massaua haben die Engländer auf einer Insel ein Etablissement errichtet und der Naib 4 ist ganz von ihnen abhängig. Die Abyssinier sollen die größte Freude bei den Anträgen eines Bündnisses geäußert * S. o. S. jz Anm. 4. 1 Roentgen versuchte im Juli 1811 von der atlantischen Küste Marokkos aus Timbuktu zu erreichen und wurde schon in der Nähe der Küste ermordet. 8 Mungo Park (1771—1806), englischer Afrikaforscher, kam auf einer seiner Reisen, die er unternahm, um den Lauf des Niger zu erforschen, im Kampf mit den Eingeborenen um. 4 Arabisches Wort für Statthalter.

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haben. — Ein Capitain Donovan, den Lord Caledon vom Kap ausgesandt hat ist auf dem Wege nach Mosambik, und man erwartet täglich zu erfahren daß er dort angekommen sei. Er hat von Litaku an, wie es scheint Kaffern, verhältnismäßig civilisierte und sanfte Völker angetroffen. Diese Reise wird außerordentlich wichtig sein, wenn es auch nur ein Mißverständnis sein sollte daß er wilde Kamele gefunden habe. Nach Roentgens Erzählung mit der auch alle Zeitungsnachrichten d i r e c t e aus England übereinstimmen, ist dort alles in Bewegung um sich für den, zum Teil, beschränkten europäischen Handel durch Eröffnung neuer Handelskanäle nach ändern Weltteilen zu entschädigen: wobei die Ostindische Compagnie mit'ihrem Monopol ein trauriges Hindernis ist. Obgleich auch trotz solchen Hindernissen die Ausdehnung dieser neuen Handelszweige alle Vorstellung übersteigt, so wie die innre riesenmäßig anwachsende Kraft der Finanzen. Der sinkende Fond 2 wird am Ende dieses Jahrs schon 12 Millionen £ betragen, und in der Tat sind jetzt keine Finanzen in der Welt so leicht zu administrieren. Eine traurige Aussicht für die Ostsee ist es daß sich bestimmt voraussehen läßt daß man die Ausfuhr von Holz, Hanf und Flachs verlieren wird, weil England sich in seinen außereuropäischen Besitzungen gewarnt durch die Ereignisse der letzten Jahre, damit unabhängig zu versorgen bemüht ist, und gewiß reüssiert. . . . Niebuhr-Nadilaß. Abdruck des ganzen Briefes Mitteilungen 61 ff.

An V a l c k e n a e r

Berlin, 8. Mai 1810

Stimmt mit V. darin überein, daß man auf das holländische Publikum (im Interesse der Zeichnung der Anleihe) ganz anders wirken könne, wenn Frankreich Preußen in der Frage der Räumung 1

Earl of Caledon, Mai 1807—Juli 1811 Gouverneur des seit 1806 wieder von den Engländern besetzten Kap. 2 Die von dem jüngeren Pitt 1786 geschaffene Einrichtung zur Abtragung der Staatsschuld, die auf Grund ihr zufließender Steuern und anderer Quellen einen eigenen Fonds gewonnen hatte, mit dem dann selbständige finanzielle Transaktionen zur Vermehrung des Fonds unternommen wurden.

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der Festungen 1 entgegenkommen würde: et je suis meme plainement convaincu que nous y reussirions quant a l'evacuation de nos forteresses si nous conduisions nos affaires de l'exterieur avec un peu plus d'esprit. C'est sur quoi j'ai fait des representations sans fin, mais on ne se laisse jamais persuader a quitter le diemin battu oü nous nous trainons. — Über die Anfeindung der Anleihebedingungen. — Je vous avais dit en confiance, mon ami, qu'il m'avait ete fait de propositions d'entrer au ministere et que j'avais declare ne pouvoir accepter que dans le cas oü les personnes et le Systeme de l'administration fussent choisies de mon consentement et d'une maniere dont je fusse entierement satisfait 2. Cette reponse parait avoir rebute, cependant je suis tres resolu de n'accepter aucune place, ni meme de rester dans l'administration, excepte autant que l'interet de l'emprunt l'exige, — si on pretend se servir de moi comme d'un instrument. Je suis tres peu content, entre nous, de l'administration actuelle, mais celle qui lui sera apparemment substituee si I'on refuse les vrais amis de la chose publique, sera encore infiniment au dessous de la mediocrite de nos ministres actuels . . . Leiden, U. B.

An D o r e H e n s l e r .

Berlin, 13. Mai 1810.

Über die Ministerkrise, s. den nur leicht überarbeiteten Abdruck LN1 441. Die Veränderung in Kopenhagen ist mir persönlich leid, weil ich den heimlichen Wunsch nie aufgeben kann dorthin einmal, oder doch in das Vaterland zurückzukehren. Nur daß man mir die Bibliothekarstelle in Kopenhagen die ich eigentlich allein unter allen wünschen kann, wohl nie, obgleich wohl noch immer auch unter einem ändern Ministerium leicht eine Civilanstellung geben würde . . . Niebuhr-Nachlaß. 326.

An V a l c k e n a e r .

Berlin, 13. Mai 1810.

Über Wittgenstein und dessen Kampf gegen die Anleihe, auquel l'etat Prussien devra son salut et son existence . . . Croyez-vous que les cris centre les emprunts dans l'etranger soyent devenus ceux 1

Stettin, Küstrin und Glogau, die durch die Septemberkonvention von 1808 den Franzosen als Unterpfand für die Zahlung der Kriegskontribution eingeräumt waren. 2 Vgl. o. S. 97. Dabei blieb er auch später, s. u. S. 112 Anm. i. 3 Am 27. April waren die beiden Brüder Bernstorff, Christian, der Leiter des Außenministeriums, und Joachim Friedrich, Direktor unter ihm, aus ihren Ämtern entlassen worden.

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d'une faction? Rien n'est cependant plus vrai. Or crier centre le notre c'est ne pas vouloir payer la contribution; je ne dis pas qu'on le sente, au contraire on s'imagine pouvoir y parvenir par le Systeme le plus absurde qu'on ait jamais imagine depuis que des ignorans et des agioteurs se melent de vouloir diriger les finances d'un etat; mais quoique ces personnages ne veulent pas faire le mal dans toute son etendue, cependant ils le fönt bien. Daher auch keine Zeichnungen auf die Anleihe innerhalb Deutschlands. — J'attends tranquillement qu'on vienne m'attaquer, ou plutöt je puis a peine attendre le moment . on le fera pour faire la chasse a ce miserable gibier . . . Leiden, U. B.

3*7AnValckenaer.

Berlin, 17. Mai 1810.

Über Wittgenstein und dessen, auf Gewinn durch Agiotage abzielende finanzpolitische Pläne. Erbittet sich von V. Material gegen Wittgenstein, um diesen unschädlich zu machen. Leiden, U. B.

328.

An D o r e H e n s l e r . Berlin, 27. Mai 1810. . . . Die Verwicklungen sind hier aufs höchste gestiegen, und es ist eine Krankheit in der keine Krisis, wohl aber ein Übergang in eine neue Krankheit andrer Art zu erwarten ist. Hardenberg 1 welcher für jetzt nicht als Minister in die Verwaltung eintreten kann, hat sich einer Art heimlicher Premierministerschaft bemächtigt; und arbeitet, umgeben von den ärgsten Intriganten des Landes, auf einem Landhause eine halbe Stunde von der Stadt, Pläne aus über Gegenstände von denen weder er noch seine Gesellen ein Jota verstehen. Das jetzige Ministerium ist in der Tat außer aller Tätigkeit gesetzt, und verblutet sich, ohne den Entschluß fassen zu können abzutreten. Hardenberg coalisiert sich mit dem wahren Auswurf des Hofes, viele schließen sich ihm an, einige mit halbreinen Absichten, andre aus den niedrigsten Absichten. Anfangs schien vielen jede Veränderung ein Vorteil weil es 1

Vgl. zum Folgenden o. S. 90 Anm. i.

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so sehr schlecht bisher ging, jetzt kann man sich nicht mehr darüber täuschen daß meine stets geäußerte Furcht gegründet sei, eine Veränderung würde bei unserm Zustande wahrscheinlich nur zum Schlimmem führen. Ich bin der Überzeugung streng treu geblieben daß man Gutes nicht durch Böses, und nicht durch Gemeinschaft mit Schlechtem suchen darf: daß der rechtliche Mann wenn er auch Geschick besitzt Intriganten mit ihren eignen Waffen zu bekämpfen es nicht tun muß, und daß man sich nie durch die Meinung nützlich sein zu müssen verleiten lassen darf zu tun wozu man sich nicht bekennen möchte. Ich überlasse dem jetzigen Ministerium seine eigne Verteidigung; aber überzeugt daß der jetzige Zustand der allerschlimmste mögliche ist, und daß die Entwicklung auf jeden Fall erbärmlich werden muß, wahrscheinlich abscheulich wird, habe ich dem König eine sehr eindringliche Darstellung der öffentlichen Lage übersandt, ihm das Verderben geschildert, und um meine Entlassung, aber auch zugleich um Anstellung als Professor der Geschichte bei der hiesigen Universität die zu Michaelis eröffnet werden soll gebeten \ Es ist freilich eine traurige Sache um eine solche Anstellung wenn der ganze Staat durch unsinniges Verfahren zu Grunde gerichtet wird: immer noch keine Zukunft. Ich kann (Dir aber) nicht beschreiben, wie sehr ich mich, obgleich mir Berlin nie ein angenehmer Aufenthalt sein wird nur darnach sehne aus den Geschäften herauszukommen, wo, bei der jetzigen Administration kein Heil, bei der Hardenbergischen, so wie sie sich zusammensetzt, Greuel und Verderben zu erwarten ist. Ich fürchte nur daß der König mir keine Antwort gibt, weil er sich durchaus nicht entschließen kann, und, wenn er mich dann gehen läßt, es so sehr im Zorn tun wird daß er mir die erbetene Anstellung versagt. Auch 1

Niebuhrs Entlassungsgesuch ist vom 23. Mai datiert. Teile sind von Nasse, Histor. Zeitschr. Bd. 26, S. 311 ff., veröffentlicht worden, einzelne Partieen aus ihm auch von Classen, B. G. Niebuhr, S. 59 ff. — Neben der Bitte um die Professur Lot er zugleich an, dem Kronprinzen politische und statistische Vorträge zu halten — ein Plan, der sich erst mehrere Jahre später verwirklichen sollte. — Der König lehnte es zunächst ab, ihn von seiner Stellung zu entbinden.

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fürchte ich daß Humboldt* der gern im Trüben fischt, und dem mein offner Schritt höchlich zu mißfallen scheint, indem er fürs erste nur die jetzigen Minister entfernt sehen, und einiges Terrain gewinnen will, um dem neuen Ministerium welches er herzlich schon im Voraus verachtet, wenigstens soweit ihm etwas darin im Wege steht hernach ein Ende zu machen, nachher entweder nur sehr lau oder gar nicht für mich handeln wird. Unser Schicksal ist also jetzt allerdings in einer großen Krisis, und es wird wahrscheinlich noch etwas währen ehe es sich entscheidet: ich hoffe doch es wird gut gehen, und meine Erlösung aus Geschäften sei nahe, die, so wie die Geschäftsmänner und das Publikum sind, meinem innersten Gefühl widerstehen. Humboldt, um das obige zu erläutern, hätte mich gern zum Kollegen, weil er mir allein die Fähigkeit zutraut, allein wenn ich ihm so nicht mehr wichtig bin, so kann nur allein d e r R u f ihn noch antreiben etwas für mich zu tun. Er ist durchaus egoistisch und herzlos — sehr fähig, ein vortrefflicher Arbeiter und voll Kenntnisse, aber ohne alles Gefühl und ohne Sinn: so seine schlechte und eigentlich unleidliche Poesie, die gegen seine sehr schönen und geistreichen Geschäftsarbeiten wie Nacht und Tag contrastiert . . . Niebuhr-Nadilaß. Zum Teil überarbeiteter Abdruck von Teilen LN I 441 f.

329.

An V a l c k e n a e r .

(Berlin, 29. Mai 1810.)

Über die V. hei den Anleihebemühungen erwachsenen Schwierigkeiten. Vous avez raison d'etre persuade qui si j'etais ministre, je ferais tout au monde pour vous dedommager de vos pertes. Malheureusement je ne suis que membre d'un conseil d'etat qui n'existe que nominalement et dans le poste que j'occupe je me trouve affaibli d'une foule de factieux et d'ennemis perfides qui m'environnent comme une meute. Je ne desespere cependant pas de triompher, car on me craint. — Hat durch eine unmittelbare Eingabe an den König, ohne sie dem Auswärtigen Ministerium mitzuteilen qui diez nous est le plus inepte de tous les ministeres, eine Sendung Valckenaers nach 1

Humboldt hatte Ende April sein Gesuch um Entlassung eingereicht (s. o. S. 94 Anm. i). Erst am 14. Juni erhielt er sie, zugleich mit seiner Ernennung zum Gesandten in Wien. In der Zwischenzeit schwebte seine Kandidatur für das Ministerium des Innern, scheiterte aber an dem Widerstand des Königs.

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Paris beantragt1. — Je ne vous parlerai pas en detail des chagrins que j'ai ä essayer avec le parti qui veut s' emparer du gouvernement: je n'admire aucunement l'administration actuelle; mais eile est admirable quand on la compare au faible Hardenberg qui s'est fait une reputation parce qu'on 1'a compare avec des adversaires encore plus mediocres et qui s'entoure d'intrigans affames, avides de plans, et absolument incapables de les remplir. Je languis apres la retraite, et je demanderai pour recompense, si nous reussissons, une chaire d'histoire et litterature ancienne dans Puniversite qu'on va etablir ici. Au nom du ciel ne me repondez rien dans vos lettres officielles sur tous ces points: car il faut que je les garde — et on m'accuserait de trahison s'il y paraissait jamais que je me plains envers vous des maux que nous nous causons spontanement . . . Leiden, U. B.

330.

An H a r d e n b e r g . Berlin, i. Juni 1810. Euer Excellenz danke ich ganz gehorsamst für die gütige Mitteilung der längst erwünschten Nachricht2 daß die Einwilligung des Kaisers alle Schwierigkeiten beseitigt hat welche Ihnen bisher nicht erlaubten sich öffentlich an die Spitze der Administration zu stellen. Ew. Excellenz Vertrauen, daß diese Mitteilung bei mir streng als ein anvertrautes Geheimnis bewahrt bleiben werde, ist nicht verschwendet gewesen; welches vielleicht kaum einer Versicherung bedürfte: indessen, glaube ich es doch nicht unerwähnt lassen zu dürfen weil wenigstens seit gestern das Gerücht von dieser Entscheidung allgemein ist. Mögen Ew. Excellenz durch den glücklichsten Erfolg Ihrer Arbeit für das Opfer Ihrer Ruhe und einer heitern Unabhängigkeit entschädigt werden, und möge Ihnen das, unter solchen Umständen vielleicht noch nie erreichte, Glück zu Teil und zum Lohn werden bei einem ganz erschütterten innern und äußern Zustande sich in Ihren Berechnungen und in dem, von unzähligen nicht zu beherrschenden Umständen und Einflüssen abhängigen Erfolg Ihrer Pläne nicht getäuscht zu finden. 1

Er sollte dort versuchen, Schuldverschreibungen der holländischen Anleihe für die Kontribution in Zahlung zu geben. - Vgl. o. S. 90 Anm. i.

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Preußen. Austritt aus dem Staatsdienst

Ew. Excellenz verweisen mir in Ausdrücken Ihrer gewöhnlichen Güte meinen Unmut über die nach meine Gefühl unverdienten ungünstigen Beurteilungen der Anleihe, als, Ihrer Mitteilung nach, unveranlaßt und ungerecht. Ich werde mich hierüber mit der vollkommnen Freimütigkeit erklären ohne welche kein aufrichtiges Verständnis möglich ist, und kann dieses nach den Äußerungen womit Ew. Excellenz mich jetzt erfreut haben um so unbedenklicher tun, da Ew. Excellenz nicht mehr Partei in dieser Sache sind. Daß Ew. Excellenz früher ungünstig darüber geurteilt haben ist nach Ihren eignen Äußerungen gegen mich keinem Zweifel unterworfen. Ew. Excellenz Wohlwollen und Ihr Beifall hätte mir aber gleichgültig sein müssen; wenn ich nicht, bei der Erinnerung an das Vertrauen welches Sie früher in mich setzten, da ich auch Sie auf eine mir unbegreifliche Weise dagegen eingenommen sah, auch den letzten Funken Freude an einer verkannten und ungerecht verschrieenen Sache verloren hätte für die ich, ohne die historische Erfahrung: daß Hilfe die nicht ohne schmerzliche Opfer genossen werden kann, selbst bei Nationen die auf einer weit höheren Stufe politischer Kultur stehen als wir, lange Zeit hindurch verkannt wird — Vertrauen und Wohlwollen bei dem König und dem Volk zu ernten gehofft haben würde. Ew. Excellenz jetzige Pläne sind und waren mir, der ich nie darnach trachte mir verschwiegene Gegenstände aufzuspüren, eigentlich nicht bekannt: inzwischen durfte ich annehmen daß sie auf den nämlichen Grundzügen beruhten die Ihren früheren Plan 1 bezeichnen, und nach denen Anleihen im Auslande als ein verderbliches unnötiges Opfer verworfen wer1

Für die Abgeordneten des Kreises Lebus. Hardenberg hatte dort gewünstht, man solle auf dem Wege einer Zwangsanleihe die privaten Mittel stärker für den Staat heranziehen und so einen privaten Fonds sdiaffen, der seine private Natur behalten, aber zugleich dem Staate zu Hilfe kommen solle — ein Plan also, der in seinem Ausgangspunkt dem Wittgensteinschen (vgl. o. S. 90 Anm. i) nahe verwandt war. Bei beiden stand der Gedanke einer nur unter Aufsieht des Staat« stehenden privaten Bank im Mittelpunkt, die auf der Grundlage ihrer Kapitalien die nötigen Zahlungsmittel zu sdiaffen habe.

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den. Hiernach konnte ich schon im Voraus kein andres als ein sehr ungünstiges Urteil bei Ihnen erwarten; und ich wußte daß alles mögliche, absichtlich und unabsichtlich geschehen war und geschah um Ew. Excellenz Meinung in Hinsicht meines Werkes zu stimmen, wenn auch Ihre Liberalität und Ihr früher erklärtes Wohlwollen scheu machen mochten ähnliche Versuche persönlich gegen mich zu richten. Ich wußte, was allgemein bekannt war, daß Ew. Excellenz Männer sahen % und mit großem Vertrauen sahen, welche sich längst auf eine vorurteilsvolle Art über das Anleihen und schon ehe es zur Ausführung kam über seine Grundzüge geäußert hatten, die ich zum Teil persönlich hoch achte, aber auch bei ihrer Meinung ließ, weil sie wirklich in dieser Sache diskussionsunfähig sind, indem ihnen die Grundansichten und Kenntnisse fehlen. Ich wußte, und vernahm mit tiefem Schmerz — verzeihen Ew. Excellenz dieses aufrichtige Geständnis — daß Ew. Excellenz einen Hofmann 2 nicht selten sahen, der, um nichts weiteres über ihn zu sagen, sich bei einer nie aus dem Andenken zu tilgenden Gelegenheit, gegen mich in einen Zustand persönlicher Feindschaft konstituiert hat 3 , wodurch Gefühle die sein Betragen und sein Charakter auch sonst in mir lebendig gehalten haben würden, einen noch höhern Grad von Animosität gewonnen haben: einen Menschen, dem ich offenbar im Wege bin, und von dem wohl ohne Zweifel viele von den zahllosen lügenhaften Darstellungen des holländischen Anleihens, womit sich das Publikum getragen hat, ausgegangen sind. Endlich erfuhr ich Ew. Excellenz Ansichten über einige Punkte aus Ihren eignen Gesprächen, — und diese, z. B. die Publicitat unsrer finanziellen Lage, waren meiner Überzeugung nach mit dem Fortgang des Anleihens nicht zu vereinigen. Bei der ersten Unterredung welche Ew. Excellenz mir die Ehre taten mir über diesen Gegenstand zu vergönnen, befragten 1 2

3

Vielleicht ist im Folgenden u. a. an Raumer gedacht. Fürst Wittgenstein. Vgl. o. Bd. I S. 524 Anm. i.

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Preußen. Austritt aus dem Staatsdienst

Sie midi ausführlich über viele Punkte: und so gern ich auch die persönliche Pflicht erfüllte Ew. Excellenz über dieses Geschäft Licht zu geben, so empfand ich doch schon damals und ehe Sie zufällig das Wort Rechtfertigung gebrauchten, daß Ew. Excellenz das Anleihen nur für ein zu e n t s c h u l d i g e n d e s Geschäft hielten; ein Gefühl dessen Schmerzlichkeit Ihnen nicht befremdend sein kann. Ich hänge an der Anleihe, nicht als an meinem Werk, sondern aus der Überzeugung von ihrem Wert und ihrer Wichtigkeit: dann auch, weil aus persönlichem Zutrauen zu mir viel dabei gewagt und getan ist wofür ich immer eine moralische Verantwortlichkeit behalte. Von dem Augenblick der Unterzeichnung hatte ich nie Erwartungen von Beifall und Dank gehegt, denn um das Geschäft ganz gerecht und mit vollkommener Überzeugung zu beurteilen mußte man Holland so genau wie ich kennen, eigentlich jene dreizehn Monate in meiner Haut gelebt haben. Aber seit dem März hatten das Flüstern, das gütige schonungsvolle Vermeiden die Sache vor mir zu erwähnen, die urbanen Andeutungen eines beinahe verschwiegenen Tadels, um mich her angehalten, und mein Gefühl daß ich es nicht verdiene auf diese Weise belohnt zu werden in einem Grade gereizt, dem es nur noch fehlte um vollkommen unleidlich zu werden daß ein Mann wie Ew. Excellenz sich auch mißvergnügt mit eben dieser Sache erklärten: daß ich von Ihnen keinen Schutz dafür gegen die Anschläge andrer zu hoffen wagen durfte, und mit Grund besorgen mußte daß diese Sache als ein nur geduldetes Geschäft neuen damit nicht verträglichen Plänen notwendig aufgeopfert werden würde. Dieser Unmut belehrte mich mit einer noch nie vorher so empfundnen Evidenz daß ich wahrlich in den preußischen Finanzen nicht auf meiner Stelle stehe, und daß es hohe Zeit sei einen Vorsatz auszuführen auf den körperliches Bedürfnis und eine nie verstummte innre Stimme mich schon längst vorbereitet hatten — diesen Beruf zu verlassen und zu den, in sich lohnenden Wissenschaften zurückzukehren. Ew. Excellenz kennen dies Gefühl des Unmuts aus eignen schmerzlichen Erfahrungen.

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Ew. Excellenz haben jetzt in der Tat dem Anleihen Ihren Schutz zugesagt, und die von mir jetzt als Schlußmaßregel bei des Königs Majestät in Antrag gebrachte Sendung des Herrn Valckenaer nach Paris1, mit dem Auftrag dort die Annahme des Anleihens als barer Zahlung, eine Liquidation und politische Vorteile in Verbindung mit diesen Geschäften zu unterhandeln, ist schon Ihres Beifalls und Ihrer Unterstützung sicher. Auch eine von mir in Vorschlag gebrachte Filialsubskription in Deutschland und hier im Inlande darf wohl gewiß auf Ew. Excellenz Schutz rechnen. Zu jener Mission werde ich die Instruktionen dann noch auf jeden Fall ausarbeiten, und damit glaube ich in der Tat daß, wenige einzelne Fälle ausgenommen, für die ich dann immer mit Rat beitreten könnte, die Sache in andre nur nicht ungeschickte Hände übergehen kann. Es ist mein innigster Wunsch, und mein ganzes Glück hängt daran daß es dem Könige gefallen möge, meine, doch wahrlich keiner Ambition und keiner Nebengedanken verdächtige Bitte zu erfüllen, und mich zu den Wissenschaften zurückkehren zu lassen. Ich suche ja keine Pension, sondern eine nicht von anhaltenden, wohl aber von verzehrenden Arbeiten freie, der Welt entzogne Lehrstelle. Dieser lebhafte Wunsch den die Überzeugung begründet daß meine Gesundheit sich schlechterdings nicht mehr mit dem Geschäftsleben verträgt, und daß ich dabei nutzlos altere und stumpf werde, indem man unmöglich gut treiben kann, was man mit steigender Abneigung treibt, ist ohne die Möglichkeit einer Selbsttäuschung auf das bestimmt ausgesprochne Ziel gerichtet, indem ich weder unabhängig leben, noch vom Staat eine ausreichende Pension fordern kann. Es sei mir erlaubt Ew. Excellenz ferner offenherzig zu sagen, daß ich zwar wohl erfinden, kombinieren und aussinnen kann, daß aber kein Mensch weniger zur Ausführung fremder Pläne taugt als ich, wenn ich sie nicht ganz mit der lebendigsten Überzeugung ergriffen, und mir zu eigen gemacht habe. 1

S. o. S. ioj Anm. i.

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Mit dem lebhaftesten Gefühl des Wohlwollens und der Güte welche Ew. Excellenz entschieden haben mich aufzufordern in meinem gegenwärtigen Beruf zu bleiben, würde ich also, wenn auch meine Bitte nicht zur Entscheidung Seiner Majestät des Königs vorläge 1 und ein nicht wieder zurückzunehmender Schritt wäre, nicht durch Überzeugung sondern nur durch Gefühl bestimmt werden, wenn ich in meinem Wunsch wankte. Sollte des Königs Majestät mir vorläufig meine, doch wohl durch einige Ansprüche auf seine Gnade unterstützte, Bitte verweigern; die Sache also meiner Prüfung wieder anheimgestellt werden, so könnten doch nur die vorhergehende Bestimmung einiger Punkte meinen Entschluß ändern, und mich entscheiden zu bleiben, obwohl mit der Überzeugung dabei physisch und geistig abzusterben, und, mit einem Ungeheuern Opfer, dem Staat wenige oder gar keine Vorteile zu verschaffen. Erlauben Ew. Excellenz mir diese Punkte freimütig darzulegen. Es ist mir — verzeihen Sie diese Erwähnung — über alle Beschreibung schmerzlich, daß der Name des Ew. Excellenz unähnlichsten Mannes so oft in dieser Zeit mit dem Ihrigen genannt worden ist. Er kann nur Böses stiften; gegen Ihre Administration wie gegen jede: und ich habe mich in meinem Innersten, wie laut gegen jedermann, zu entschieden gegen den Fürsten Wittgenstein erklärt, als daß eine Mitwirkung möglich wäre, wo auch nur die Möglichkeit besteht daß er Einfluß ausüben oder bekommen könnte. Gelänge es Ew. Excellenz diesen entschieden von hier zu entfernen, so würden viele die jetzt mit großem Recht besorgen daß er sich im Dunkeln eine Administration vorbereite mit ungestörtem Vertrauen zu Ihrer Fahne treten: bleibt er, als der genannte Urheber der jetzigen Veränderung, so ist der Keim der Auflösung vorhanden und schon in neuer Entwicklung; und viele weichen die lieber das Land räumen als auf die entfernteste Weise mit ihm in Beziehung stehen wollen. * S. o. S. 103 Anm. i.

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Ew. Excellenz haben, wie es scheint, umfassende Plane entworfen — je umfassender ein Finanzplan ist, um so mehr entscheidet er zum Leben oder zum Tode. Ich muß Ew. Excellenz freimütig gestehen daß ich, mit der höchsten Verehrung für Sie, es doch für kaum denkbar halte daß es Ihnen gelungen sein sollte in diesem Fall, wo keine Analogie, keine frühere Erfahrung Ew. Excellenz leiten konnten, wo jede Hilfe von Mitarbeitern, immer nur eine unbewährte Meinung, Ihnen wahrscheinlich eher schädlich als nützlich werden mußte, — einen ganz ausführbaren, ja sogar in der Ausführung nicht zum Teil gefährlichen Plan aufzustellen. Wenn Pitt* von den Toten erstände und in unsrer Mitte erschiene so würde ich auf seine Pläne nicht schwören ehe ich sie kennte: doch sind die Grundregeln seiner Systeme meine innigsten Überzeugungen. Ober die Grundideen der Pläne Ew. Excellenz fürchte ich, nach einzelnen datis, von Ihnen ganz abweichende Prinzipien zu haben: wenigstens ist dieses sehr möglich, und war der Fall in Hinsicht der Nationalbank 2 . Ew. Excellenz kennen mich nicht genug um glauben zu können wie sehr es mein Ernst ist daß ich es gern zugebe, ein Plan der mit meinen Ansichten streitet könne dennoch wenn er gut ausgeführt wird, neben manchem Übel welches nach meiner Voraussagung unfehlbar eintreffen wird, auch glückliche Resultate stiften: — doch ist dieses reine und strenge Wahrheit. Aber dann taugt der Dissentierende auch nicht zur Ausführung. Ich glaube die Finanzgeschichte aller Staaten in einem nicht gewöhnlichen Grade zu kennen: aber nirgends kenne ich ein Beispiel von einem, das ganze und jedes Privatvermögen ergreifenden Plan, der, wie eine neue Konstitution, dargestellt und ausgeführt ward, welcher in unglücklichen Umständen aus der Not geholfen hätte, wohl mehrere Versuche der Art die, entweder durch innre, vor der Ausführung entweder nicht sichtbare oder nicht demonstrable Fehler, oder durch unvermeid1

Niebuhr denkt hierbei offenbar an die großen finanziellen Reformen des jüngeren Pitt nach Abschluß des amerikanischen Krieges. 2 Vgl. o. S. 106 Anm. i.

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liehe Störungen der Ausführung, alles niederwarfen, und das Privatvermögen deplacierten. "Was Hamilton 1788 ausführte hätte er 1783 gewiß nicht unternommen1. — Ew. Excellenz müssen es nicht als eine Unbescheidenheit aufnehmen wenn ich Ihnen offen bekenne, daß ich mich nicht mit Glauben erfreuen kann ehe ich gesehen und mich überzeugt habe. Es ist auch sehr möglich daß Bestimmungen die Ew. Excellenz indifferent für das Anleihen scheinen könnten, mir für dasselbe schädlich vorkämen. Endlich ist es unmöglich daß die jetzige Krisis nicht große Veränderungen in der Einrichtung und den Personen der Administration hervorbringe; und ich kann, wenn auch Ew. Excellenz Stellung an der Spitze der Verwaltung eine bisher vermißte Garantie der Einheit und Kraft gewährt, nicht wünschen an der Administration Teil zu nehmen wenn Anstellungen oder auch Zurücksetzungen wie dies bei einer so äußerst abweichenden Sache als persönliche Beurteilung ist leicht möglich wäre, meinen Gefühlen für mich und meine Freunde zu wehe tun, vielleicht subjektive Unmöglichkeit teil zu nehmen hervorbringen sollten. Ew. Excellenz können und werden diese Erklärungen in keinem ändern Sinn verstehen als dem worin ich sie niederschreibe. Sie werden überzeugt sein daß ich Ihre gütigen Äußerungen in ihrem ganzen Wert fühle, und daß mir daher der falsche Schein welcher sich über mein Verhältnis zu Ew. Excellenz verbreiten könnte höchst schmerzlich sein würde. Genehmigen Ew. Excellenz meinen wiederholten Dank, die Bitte um die Fortdauer derselben Gesinnungen, und die Versicherungen meiner Ergebenheit und Verehrung. Niebuhr. 2 Berlin, Geh. Staatsarchiv, Hardenberg-Nachlaß H j IV. 1

Es ist hier an die Finanzpolitik gedacht, die Alexander Hamilton als Secretary of the Treasury 1789—1791 nach Abschluß des Unabhängigkeitskrieges durchführte und die den durch den Krieg zerrütteten amerikanischen Finanzen eine neue Basis schuf. 2 Hardenberg glaubte daraufhin, Niebuhr noch halten zu können. Bei seinem Amtsantritt führte er in der Bekanntmachung über die Neuordnung der Geschäfte Niebuhr

Nadi einem Sticli von Bolt.

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331· An V a l c k e n a e r . Berlin, 5. Juni 18 . . . . La nomination de M. de Hardenberg a. la place de premier ministre, consentie par S. M. l'Empereur, est certaine S quoiqu'elle n'ait pas encore etc annoncee dans les gazettes. Nos badauds et les agioteurs s'en promettent des resultats bien brillants, je vous avoue que je ne suis nullement de leur avis. Vous verrez que nos papiers ont Hausse, il n'y a pas la moindre bonne raison pour cela. Je connais ce ministre attaque sur ses vieux jours de la maladie commune de tous les hommes d'etat sortis d'activite, de cette soif de gouverner qui remit Philippe V 2 et Victor Amade 3 sur le trone qu'ils avaient quitte. (Il ne vaut pas la peine de corriger ici une erreur de plume, car le dernier n'y reussit pas.) M. de Hardenberg est un homme d' esprit, et bon diplomate, mais point du tout financier, au contraire il a sur ce chapitre des idees des plus creuses. Je ne connais point le grand plan qu'on nous annonce: mais je connais un autre qu'il avait redige il y a plus d'un an 4, qu'on avait excessivement prone, et qui n'etait bon qu'a brüler. Voilä pour moi une situation bien affligeante, car malheureusement on le regarde comme un oracle, et je suis presque sür qu'on als Mitglied der Immediaten Finanzkommission auf, die an Stelle eines Finanzministers unmittelbar unter Hardenbergs Leitung treten sollte, aber ohne Niebuhrs Wissen. Da Hardenberg aber auf Niebuhrs Bedingungen nicht eingegangen war, blieb Niebuhr bei seinem Entschluß, aus dem Staatsdienst auszuscheiden. Hardenberg versprach darauf, für Niebuhr anstatt der ursprünglich von ihm erbetenen Professur die Stelle als Historiograph des Preußischen Hofes zu beantragen, die seit Johannes Müllers Abgang offen war, stellte aber die letzte Entscheidung noch Niebuhr anheim. Gleichzeitig wandte sich Niebuhr am . Juni nochmals mit einem zweiten Entlassungsgesuch an den König und motivierte dies auch damit, daß bei der Neueinrichtung der Verwaltung ihm infolge der Bildung der Finanzkommission und weil dem Kanzler allein die letzte Entscheidung über die dem König vorzulegenden Gutachten zustehe, ein ausschlaggebender Einfluß in den Finanzfragen nicht gesichert sei. —Über die weitere Entwicklung s. u. den Brief vom 12. Juni 1810. 1 Sie war am Tage vorher erfolgt, s. o. S. 90 Anm. i. 2 Philipp V. von Spanien hatte Anfang 1724 auf die Regierung verzichtet, sie aber schon nach wenigen Monaten wieder übernommen. 3 Victor Amadeus II. von Savoyen hatte 1730 zugunsten seines Sohnes auf den Thron verzichtet und versuchte später, als er anderen Sinnes wurde, vergebens, sich der Regierung wieder zu bemächtigen. 4 S. o. S. 106 Anm. i. G e r h a r d - N o r v i n , Niebuhr.

Bd. II.

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fera adopter son plan par le Roi, avant qu'il me soit communique, car on connait, du moins on prevoit 1'opposition que j'eleverai. C'est pour moi une grande consolation que d'avoir obtenu que vous soyiez charge de la mission de Paris1, — mission qui pourra devenir tres importante — car si vous avez le succes que je desire et que vous seul 6tes capable d'obtenir, je serai rassure sur le sort de notre emprunt, — qui me tiendra toujours au coeur, quand ms

des einflußreichen Bruders Ludwigs XVIII. * Ende November war Soult an Duponts Stelle als Kriegsminister getreten.

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Trost und meine Freude. Und wo ich sie berühre, kommen sie mir mit dem Herzen entgegen. — Sonst steht es durch ganz Europa erbärmiglich. In England wird der Mangel des Genius täglich sichtbarer. Wohl habe ich daran gedacht dort auf die öffentliche Meinung für mein liebes Preußen zu wirken (doch ist sie bei 19/20 und weit mehreren für uns) aber es ist ein delicates Ding wenn man die Verhältnisse der Cabinetter so unvollkommen kennt. Der Verdruß hierüber ist aber lange nicht meine einzige Sorge in Hinsicht auf England. Bisweilen erscheint freilich einmal ein lichter Punkt: so z. B. daß jetzt in Schottland Einrichtungen getroffen werden um den Geschworengerichten dieselbe Ausdehnung wie in England zu geben, welches hoffen läßt daß überhaupt Schottland nach und nach zu demselben Genuß von Freiheit gebracht werden wird wie England, — woran noch so sehr viel fehlt. Ich habe schon einige Male niedersitzen wollen um Dir von der Freude zu erzählen die mir die Stunden bei dem Kronprinzen geben; Störungen oder leidige Arbeit haben es gehindert. Ich freue mich wenn der Tag kommt zu ihm zu gehen. Er ist aufmerksam, nachfragend, voll Interesse, — und alle die herrlichen Gaben womit die Natur ihn so reich ausgestattet, entfalten sich in diesen Stunden vor mir. Oft wandert unsere Beschäftigung im Gespräch ab, aber nicht in Geschwätz — und es ist kein Verlust dabei. Sein fröhlicher Sinn tut tiefem Ernst keinen Eintrag: und sein Herz ist so tief bewegt wie seine Phantasie leicht geflügelt. Er sucht Urteil und Belehrung, ohne sich irgend einer Autorität zu ergeben. Nein, ich habe nie eine schönere Jünglingsnatur gesehen, wie viel auch in seinem Unterricht versäumt ist. Er weiß es auch gewiß wie lieb ich ihn habe. Neulich heftete er in einer gemischten Gesellschaft, nach Tische, wo wir nichts anderes als gewöhnliche Dinge reden konnten, seine Blicke lange stumm und so freundlich auf mich daß es mir das Innerste der Seele bewegte. Vieles macht ihn oft sehr wehmütig, daß er mit heftiger Bewegung und nicht ohne Tränen im Blick von dem redet was er gern ändern möchte. Ich suche seinen Mut durch Beispiele der Geschichte zu

541 stützen, daß viel nicht verloren sei wenn man nur nicht glauben wolle es sei zu spät und verloren. Gewiß nicht? antwortete er heftig. Ganz gewiß nicht? Ist das Ihr voller Ernst? — Sein goldenstes Luftschloß ist — wie es geschehen soll weiß er freilich nicht — in Griechenland Herr zu sein, um unter den Trümmern zu wandern und zu träumen, und zu graben. Mir wachen dabei die alten Luftschlösser wieder auf. Wenn wir einmal zu Athen sind, sagte ich ihm, so machen Sie mich zum Professor der griechischen Geschichte, und zum Conservateur der Denkmäler, und Direktor der Nachgrabungen! — Nein nicht Conservateur! So sollen Sie nicht heißen! Graben will ich selbst, aber Sie sollen dabei sein! — Dann reden wir ernsthaft: er hat sich unmäßig gefreut über die Eingabe der kleinen Fürsten1: er sehnt sich nach einer Einheit der deutschen Verfassung mit einer Centralmacht, so unschuldiges Herzens, wo sie auch sei. Es müsse doch ein Reichsgericht sein um die Untertanen in allen deutschen Ländern gegen Mißhandlungen der Regierungen zu schützen. Gott weiß, sagte er einmal, wie ich eine freie Verfassung wünsche, wenn sie nur weise eingerichtet. Sie glauben mir das doch gewiß? — Wenn er keine Arbeit hat, so zeichnet er immerfort, erfindet ohne alle Anstrengung. Sonntag Abends sieht ihn Röder bei den Geschwistern; dann ist er ein unbändiger Junge, in lautem Freudengeschrei und Lachen, sieht und hört nicht vor Lebensfreude, rennt die Leute über den Haufen, und heißt bei den Hofleuten höchst ungezogen . . Die Probleme welche Hume Dir ungelöst gelassen hat 2, will ich Dir im nächsten Brief einigermaßen beantworten. Humes große Eigenschaften und entschiedene Vorzüge vor Gibbon, erkenne ich sehr gern: aber in der älteren Zeit vermißt man doch noch viel mehreres von der Art wie das Dir an ihm fehlt: und in den späteren fehlt ihm das Gefühl der Herzensbedürfnisse der Männer die ihm für Toren und Rebellen gelten. 1

Vom 16. November 1814, in der sie sich ihr Recht wahrten, an der Bestimmung

der Verfassung des Deutschen Bundes mitzuarbeiten, und u. a. ein starkes gemeinschaftlidies Oberhaupt forderten. 2

In einem seiner großen Werke zur Geschichte Englands.

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Darin aber freilich war es mit Gibbon gar nicht besser beschaffen . . . Niebuhr-Nachlaß. Zum Teil überarbeiteter Abdruck von Teilen LN II 127 f.

544· An G a r s t e n N i e b u h r. Berlin, 20. Dezember 1814. Unterricht beim Kronprinzen. — Über die Lektüre von Salti Gesandtschaftsreise und die dortigen Nachrichten über Abessynien. — Nette Nachrichten über Bruces Reisen1. Niebuhr-Nadilaß. Abdruck Mitteilungen 83 ff.

545An D o r e H e n s l e r . {Berlin,} 31. Dezember (1814). . . . Die Schrift welche mich eine Zeitlang beschäftigt 2 ist vollendet, und könnte in ein paar Tagen vollständig abgedruckt sein wenn unsre Buchdrucker sich rührten. Es wird nun aber wohl noch die ganze nächste Woche damit vergehen ehe Exemplare zum Versenden fertig sind. Ob sie nun Wirkung hervorbringen wird muß man sehen. Teilweise bin ich mit ihr zufrieden, wiewohl sie keineswegs in der glücklichen Stimmung geschrieben ist welche bei nicht gelehrten Schriften unentbehrlich ist. Allzu leidenschaftlich im angreifenden Sinn wirst Du sie hoffentlich nicht finden, wenn Du die in Bayern und Hannover gegen uns herausgekommenen Schriften zu Gesicht bekommen hast, so wirst Du fühlen daß es äußerst schwer war sich soweit zu mäßigen. Die Leidenschaft der Liebe für mein Volk, zumal für den a l t e n H e u r i c h ; i , mögen die Feinde verspotten: die wohlgesinnten, wie Du, werden die gutheißen. Mit der Censur habe ich einige Schwierigkeiten gehabt: sie hat mehreres gestrichen was sich auf Frankreich (die Note im Moniteur) bezog4, ja sogar was die englischen O p p o 1

Vgl. o. S. 121 Anm. i und S. 161 Anm. i. - Preußens Recht gegen den sächsischen Hof, s. o, S. 531 Anm. 2. 3 Gedacht ist an die Äußerungen über das preußische Heer in den beiden Kapiteln. 4 Diese Bemerkungen Niebuhrs gegen einen Artikel des Moniteur vom zember 1814, in dem das Verhalten des Königs von Sachsen verteidigt wurde, dann, nachdem Hardenberg auf Grund von Niebuhrs Beschwerde eingegriffen hatte, Neuauflage seiner Schrift als neues (6.) Kapitel hinzugefügt.

letzten 5. Dewurden bei der

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s i t i o n s b l ä t t e r 'betraf. Indessen ist auch vieles geblieben wovon es kaum zu erwarten war. Man sagt nun — und da hierüber so viele Erzählungen übereinstimmen, anstatt daß sonst lauter widersprechende Dinge erzählt werden, so scheint es wohl Glauben zu verdienen, — daß die Verhandlungen zu Wien die Rückkehr eines nach London geschickten Couriers erwarten, der etwa den 5. eintreffen könne. Ob sich nun erwarten lasse daß der Entschluß zu London übereinstimmend mit unserm und Deutschlands Interesse, und versöhnlich gegen Rußland gefaßt werden dürfe, darüber zerbrechen wir uns den Kopf vergebens. Die englischen Ministerialblätter sind entschieden für uns, und so sehr daß es wirklich entbehrlich ist auf und durch sie wirken zu wollen. Der Hof mag anders gestimmt sein. Könnten und wollten die Leute sich die Fragpunkte klar machen, so würde bald alles in ein paar entschiedene Hauptmassen auseinander treten. Jetzt aber scheinen meistens negative Neigungen, oder Zwecke des Augenblicks das Widersprechendste untereinander zu mischen: und es ist nur allzu möglich daß einige das Unnatürlichste und Unsinnigste beschließen könnten. Man erzählt als sicher daß die Bayern in unsern fränkischen Markgraftümern* viele Verhaftungen haben vornehmen lassen. Dort ist auch die Erbitterung so wütend wie die Tyrannei unter der das Land seufzt: und noch ärger als in den übrigen bayerischen Acquisitionen. Es ist aber überhaupt entsetzlich wie die Rheinbundsländer regiert werden. Ihr Zustand ist so daß sie unmöglich den Eifer haben können sich gegen eine fremde Invasion zu verteidigen. — Eine andre Besorgnis über die Stimmung der Länder zwischen Rhein und Maas, scheint sich zu verlieren. Die Fabriken haben dort über alles Verhoffen schnell Ersatz für den ihnen entzogenen Debit nach Frankreich, worauf sie sich seit der Reunion gehoben hatten, bekommen. Der freie Seehandel öffnet ihnen Italien, und sie haben größere Bestellungen als sie ausführen können. Am irdischen Wohlstand wird es ihnen also wohl nicht fehlen: 1

S. o. S. $34 Anm. i.

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aber diese Gegenden, die auch zum Teil rein wallonisch sind, bedürfen im höchsten Grade einer geistigen Widergeburt. In Köpfen und Herzen scheint es dort, im Allgemeinen, und besonders in den Städten, sehr gemein zuzustehen [!]. Gebe Gott, wenn diese Länder unser werden, und ein neuer Krieg in ihnen noch einige Jahre verschoben werden kann, daß man die kostbare Zeit recht benutze um so viel für die Seelen zu tun als König Friedrich in Schlesien für den Wohlstand des Landes tat. Auch in Sachsen müßte man sehr schnelle Fortschritte machen können die Herzen zu gewinnen, wenn man mit recht offenem Herzen hinzuträte. Ich bin aber sehr überzeugt daß ich keinen Auftrag erhalten werde, wodurch ich auf diesem Wege, ein gutes Werk und Andenken hinterlassen könnte! Die Noten im Moniteur gegen uns, sollen von dem Herzog von Dalberg sein, dem Vetter des Fürstprimas1. Dieser ist zum französischen Gesandten zu Wien bestimmt gewesen, man soll aber s e l b s t d o r t sich ihn verbeten haben. — Italien ist voll Gärung, und Murat 2 lauert gewiß nur auf einen ersten Ausbruch. Das wäre ein trauriger Heiland! Auf eine oder die andre Art wird dieses Land unfehlbar im Lauf des jetzigen Menschenalters zu einem Reich verbunden. Diese Besorgnis ist ein Vereinigungsmittel zwischen Österreich und Frankreich. — Die Träume der ersten Jugend sind sonderbar! So etwas hat mich wie in Visionen in ihren Jahren über alles beschäftigt: und die Trennung von Sicilien als dem ersten Fleck wo freie Verfassung sich festsetzen werde 3, erschien in diesen Träumen. Man kann 1

Verfasser des Artikels war vielmehr Graf Flassan, der der französischen Gesandtschaft auf dem Wiener Kongreß attachiert war. — Der Herzog Emmerich Joseph von Dalberg (1773—1833), ein Neffe des Fürstprimas, seit 1810 in französische Dienste übergetreten, war in der Tat einer der französischen Hauptbevcllmächtigten auf dem Kongreß neben Talleyrand. 2 Der Anfang 1814 auf die Seite der Verbündeten getreten war, wofür ihm Österreich seinen Thron von Neapel garantiert hatte. Die endgültige Regelung der neapolitanischen und sizilischen Angelegenheit stand daher zunächst noch aus. 8 Die Trennung Siziliens von Neapel war 1806 eingetreten, als die Franzosen Neapel besetzten und sich die bourbonische Dynastie seitdem unter englischem Schutz auf Sizilien hielt. — Über die sizilische Verfassung s. o. S. 334 Anm. i.

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nun wieder, wenn einmal der Congreß geendigt ist, wieder viel in der Zukunft lesen. Bis jetzt kann so vieles so oder so geschehen. Doch glaube ich ganz gewiß daß Italien sich einmal seine Kunstwerke mit gewaffneter Hand aus Paris zurückführt und Frankreich zertreten und zerrissen werden wird . . . Niebuhr-Nadilaß. Zum Teil überarbeiteter Abdruck von Teilen, zusammen mit einem Brief von Male, LN II iz8 ff. 546.

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An M a r c a r d .

Berlin, 10. Januar 1815.

Hat Marcards Aufsatz über „Dichtung und Wahrheit" auf dessen Wunsch an die Redaktion des „Freimütigen''' weiterbefördert 2. — Berichtet ihm von Males wechselndem Befinden.

Unsre Ansicht über die Verwickelungen der Welt ist ganz die nämliche. So wie ich unveränderlich an dem Glauben halten werde daß die Größe und Blüte Englands für den Wohlstand, besonders aller nordischer Länder und Norddeutschlands, das Allerheilsamste und Unentbehrlichste ist; und der Anblick des Landes in der Vortrefflichkeit seiner Verfassung und Nationalität eine Weihe und Stärkung für jeden der es zu begreifen weiß, so ängstigt mich jedes Symptom von Verfall und anfangender Wandelbarkeit. Ich war schon niedergeschlagen über den elenden liederlichen Feldzug des Sir George Prevost, über die versäumte, fast unwiederbringliche Gelegenheit Newyork zu erobern, und die Staaten von Neuengland von der Union des abscheulichen Nordamerika zu trennen, — so kann ich mich noch weniger über die Demütigung trösten daß England einen Frieden geschlossen hat der wahrscheinlich die Union erhält, und den furchtbarsten Feind stärkt der jemals England bedroht hat 3 . Das Geringere ist daß Canada in einem neuen Krieg nicht mehr wird verteidigt werden können, wenn 1

Arzt in Pyrmont, der dort im Spätsommer 1814 Male behandelt hatte. Die ihn aber anscheinend nicht annahm. * Ende Dezember 1814 hatte der Friede von Gent den 1812 zwischen England und den Vereinigten Staaten im Verfolg der englischen Seekriegsführung ausgebrochenen Krieg beendet. Er war von England mit wechselndem Erfolg geführt worden, mehrere der englischen Unternehmungen, darunter ein Angriff des Gouverneurs von Britisch Nordamerika, Sir George Prevost, auf den Staat New York im September 1814, waren gescheitert. 2

G e r h a r d - N o r v i n , Niebuhr. Bd. II.

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man Amerika gestattet auf den Seen zu rüsten: das wahrhaft Furchtbare daß Amerika sich zu einer großen Seemacht erheben wird, und zwar, mit der leider nicht zu leugnenden individuellen Überlegenheit ihrer einzelnen Schiffe und Matrosen, die Seetaktik grade in dem nämlichen Geist umschafft wie Frankreich es in den Landkriegen getan hat: — und daß England zurückbleibt. Wenn einst das uns völlig fremde, habsüchtige, ehrlose Amerika auf der See herrscht, so wird man mit Reue an die Declamationen über die englische Seetyrannei denken, die keinem Deutschen ein Haar krümmt. Die Frage über die deutschen Angelegenheiten scheint mir der Courier1, ungeachtet er Ministerialblatt ist, am alierrichtigsten in das Dilemma zusammengefaßt zu haben: The question is whether you will give Saxony to Prussia or Germany to France? — Und wenn das ab hoste consüium nicht ganz vergessen wäre, so sollte man im allgemeinen nichts weiteres bedürfen als den Eifer Frankreichs sich hier im Herzen Deutschlands eine dankbare Macht zu bewahren. Ebenso ist es wohl eine allgemeine Sache aller Deutschen daß Mainz nicht in treulosen Händen sei, und überhaupt daß wir unsere künftigen Kriege nicht im Innern sondern an der Grenze Deutschlands gegen Frankreich führen. Dem sollte man alle Eifersucht aufopfern: und überhaupt lieber nacheifern als beneiden. — Die Gerüchte sind hier sehr kriegerisch, und die Nation ist sehr entschlossen: doch bete ich herzlich um Frieden. "Wie die hergestellten Fürsten regieren zeigt sich am allerdeutlichsten an dem Beispiel des ganz mönchischen Königs von Sardinien, der die Waldenser verfolgt2, so daß diese Unglücklichen den alten Schutz unsers Hofes reclamieren. Italien strebt heftig nach Einheit, und die Österreicher sind unbeschreiblich verhaßt: zumal da sie ungarische Korporale mit dem Stock bei * S. o. S. 483 Anm. 3. Victor Emanuel I. hatte nadi seiner Wiederherstellung die den Waldensern in der Zeit der französischen Herrschaft gewährte völlige Toleianz für aufgehoben erklärt und die früher geltenden einschränkenden Bestimmungen wieder in Kraft gesetzt. Friedrich Wilhelm III. trat in der Folge durch seinen Botschafter mehrfach zu ihren Gunsten ein. 2

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den italienischen Regimentern eingeführt haben. Man begreift nicht wie Österreich jetzt Krieg wünscht, mit einem Papiergeld welches täglich schlechter wird, und Italien bereit zu insurgieren — so wie Galizien und Siebenbürgen. Eins der unfehlbaren Resultate der jetzigen Gärung, etwas früher oder später, ist die Einheit Italiens. Hier hätte England groß handeln können — für sich: denn das wäre ein natürlich verbundner Staat, und dann wäre Frankreich dauernd gedemütigt. Es scheint aber freilich als ob man mit eigenen Augen wenig, und mit fremden falsch sehe. Wie geht es zu daß von Hannover aus noch immer so viel Gehässigkeit gegen uns zum Vorschein kommt? Unsre Grenzbehörden haben unaufhörlich Veranlassung zu klagen. Und die Schriftsteller!! . . . Berlin, Autographensammlung der Preuß. Staatsbibl.

547· An D o r e H e n s l e r .

Berlin, 14. Januar 1815.

Übersendet ihr Exemplare von „Preußens Recht" für sie, Behrens, Moltke, Konrad Hensler, Konferenzrat Moritz 1, Fritz und Cai Reventlow, Gretchen, Hegewisch (evtl. Christian Stolberg, falls dessen Gesinnung nicht fortdauernd zu preußenfeindlich).

Da mir nun dies Werklein 2 fertig vor Augen steht, gefällt es mir, und ich wünsche daß es Dir auch gefallen möge, nicht ohne Hoffnung, daß es wohl der Fall sein könnte. Ich bemerke daß es eigentlich wie eine Rede vor einer Versammlung gedacht und aus dem Herzen gequollen ist, und daß es daher auch wie eine Rede gelesen werden muß. Wer es im Stillen sich selbst, oder ändern laut, ohne Modulation der Stimme, einförmig wie eine Abhandlung die bloß zum Begriff redet vorläse, der würde sich — ohne hier eine Vergleichung anstellen zu wollen — vielleicht eben so wunderlich dabei finden wie der gewöhnliche Leser, ehe er mit dem Ohr lesen gelernt hat, bei griechischen Reden, besonders im Thucydides. — Versteh mich nicht unrecht. Ich weiß sehr wohl daß ich mitnichten zu den großen 1

J. C. Moritz (i/ij—1821), dänischer Beamter, damals Vicekanzler in Sdileswig. * Preußens Recht gegen den sächsischen Hof, vgl. o. S. 531 Anm. 2. 85*

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Schriftstellern des Vertrags gehöre: aber ich weiß doch, was unsre Schriftsteller durchaus nicht wissen und beachten, wie die alten Prosaiker schrieben als ob sie redeten und gehört würden, anstatt daß bei uns fast ohne Ausnahme nur fürs Auge, wenigstens nur als leichte Erzählung fürs Ohr, in der Prosa geschrieben wird. Daher findet man meine Manier so sonderbar und ungewöhnlich, und daher wird mir selbst das Interpunktieren so schwer, weil ich viel mehr Zeichen haben müßte um anzudeuten was ich eigentlich wollte. Man müßte eigentlich bei allem was gesprochen gedacht wird für die gewöhnlichen Leser die Art der Bewegung und den Takt wie in der Musik überschreiben. Wie ich denn nun überhaupt manchmal gute Hoffnungen von der Zukunft hege, so gehört dahin auch daß wir noch eine große Prosa erhalten werden, worin das, was ich wenigstens fühle, vollendet ausgedrückt sein wird. Hätte ich einige Leitung gefunden, und mich nicht mit mancherlei ermüdet und versäumt, ich selbst hätte es erreicht. Nun geht es nicht mehr. Bringt ein Exemplar der Schrift zu Blücher. — Über Males Kränkeln.

Wir freuen uns Deiner Genesung 1 und der Herstellung unsers lieben Gretchens. Wir haben Euch mit unsern Wünschen bei dem Wechsel des Jahrs nicht vergessen, und auch nicht der Erfahrungen an die Du mit Ernst zurück gedacht hast. Gott bewahre Euch nun in Frieden! oder helfe Euch und dem Ganzen. — Was Du von Blicken in das Alter hinein schreibst ist mir selbst schon nicht mehr fremd — obwohl noch ein seltenes und leises Gefühl: und Du hast mehreres geredet was dahin gehört. Ich fürchte aber nicht daß das Alter Dich e r g r e i f e n wird: eine unvermeidliche Last ist es freilich, und wer sich nicht geübt hat wird davon gebeugt: aber wer sich gestärkt wird darunter nur etwas langsameres Schritts vorwärts gehen. Seit ein paar Tagen lauten die Nachrichten aus Wien günstiger. Nesselrode scheint entschieden das Portefeuille ver1

Sie war an Rose erkrankt gewesen.

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loren zu haben, und dasselbe an den vortrefflichen Czartoryski übergegangen zu sein 1. — Mit Rußland hatte man schon vor etwa vier Wochen abgeschlossen: über alles, im wesentlichen, nachgebend, in der Hoffnung den Kaiser Alexander dadurch von uns zu trennen. Dieser ließ sich nichts merken, und schwieg auch nachher ein paar Tage während welcher Metternich äußerst geschäftig war. Als nun der Österreicher glaubte grade auf sein Ziel loszugehen, erklärte sich der Kaiser, — man täusche sich, wie er sehe, sehr: Preußens Sache sei ganz die seinige, und man möge ihm immer nachgegeben, wenn man nicht Preußen gerecht werde, so werde er doch mit seiner ganzen Macht losbrechen. Dies haben wir dadurch verdient daß wir früher, als die ändern uns Sachsen und alles geben wollten, wenn wir uns gegen Rußland erklärten, eben so fest gewesen sind. — Errate ich es daß eben die abscheulichen Verleumdungen zu Euch gekommen sind die man (aber ohne Erfolg) in England zu verbreiten gesucht hat: Rußland und wir verstünden uns mit Frankreich? Im Gegenteil ist Österreich eigentlich mit Frankreich durch eine Convention alliiert 2 : und die Vermischung des hannoverschen Interesse, wodurch alle Konzepte des englischen Ministeriums verrückt werden, bringt die Ungeheuern Verwirrungen hervor. Österreich hat vorgeschlagen daß wir Niederlausitz, Wittenberger Kreis, Querfurt, Sächsisch Mansfeld, und fast den ganzen Thüringischen Kreis bekommen, das übrige Sachsen an den König zurück gegeben werden sollte (wobei die Absicht ist sich von ihm für die bona officia Abtretungen machen zu lassen). Von unserer Seite ist geantwortet — man fordere nur die zugesagte Herstellung des Bestands von der Größe von 1805, und sei sehr willig für einen Teil von Sachsen Anspach, Bayreuth und Bamberg zu nehmen. 1

Dies war nicht der Fall, vielmehr blieb Nesselrode russischer Außenminister. Über den tatsächlichen Verlauf der Kongreßverhandlungen s. die nächste Anm. 2 Anfang Januar hatten sich England, Österreich und Frankreich durch ein Geheimbündnis gegen Preußens sächsische Ansprüche vereinigt. Unter dem Druck der drei Mächte mußte Preußen dann in der zweiten Januarhälfte die englische Vermittlungsaktion, die auf eine Teilung Sachsens gerichtet war, annehmen. Auch der Zar wollte es nicht um der sächsischen Frage willen zum Krieg kommen lassen.

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Dies soll viel Sensation gemacht haben. Aber die Bayern sind sehr grimmig. Im Fall eines Kriegs, der i m m e r n o c h , t r o t z a l l e s g u t e n A n s c h e i n s , m ö g l i c h ist, wollen die Österreicher zwei Armeen aufstellen, unter Schwarzenberg und unter Wrede. Der letzte soll davon reden, in Berlin einzumarschieren! Ich h o f f e F r i e d e n : käme es anders, so würde es wieder ein freudiges allgemeines Aufgebot werden. — Die Österreicher fordern von Sardinien den piemontesischen Anteil von Mailand. Sie sind ganz unersättlich, und darüber redet man nicht. Um nicht auch diesesmal Deine historischen Fragen ganz unbeantwortet zu lassen, will ich Dir wenigstens auf die erste erwidern; daß England im Mittelalter sich gegen die Fabrikländer in den Niederlanden, wo der Ackerbau erst im 15. Jahrhundert nach dem Verfall der Webereien recht in Flor gekommen ist, verhielt grade wie die Ostseeländer jetzt zu England. Es nährte die großen Städte mit seinem Korn: und dann war die Ausfuhr der rohen Wolle ein äußerst geldergiebiger Handel. Es fehlte auch dem Lande nicht an Schiffahrt, und Fischereien. Dabei war die Nation äußerst frugal, und kleidete sich, mit Ausnahme des Hofluxus, in hausgemachten Zeugen, so daß es kein Wunder ist daß dort so früh so viel Gold ausgeprägt worden ist. — Das Verhältnis von Lorenz de Medici * ist mir selbst nicht ganz klar. Ich kenne die Ämter welche er bekleidete: daraus aber erklärt sich seine Macht nicht. Ich mag ihn nicht recht. — Sieveking, der hier Vorlesungen halten will, beschäftigt sich mit der florentinischen Geschichte2. — Ich nähere mich der Fortsetzung meiner Hauptarbeit, und habe allerlei entdeckt . . . Niebuhr-Nadilaß. Zum Teil leicht überarbeiteter Abdruck von Teilen LN II iji f. 1

Lorenzo Magnified (1448—1492). K. Sieveking (s. o. S. 499 Anm. i) trug sich damals mit der Absicht, in Berlin Vorlesungen zu halten, und beschäftigte sich besonders mit der Geschichte von Florenz, über die er schon in der Zeit seiner Göttinger Dozentur 1812/1813 gelesen hatte. Die politischen Ereignisse des Frühjahrs führten ihn dann wieder nach Hamburg zurück, und er blieb in der Folge in der politischen Tätigkeit, veröffentlichte aber später im Alter die historische Jugendarbeit. 2

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548. An D o r e H e n s l e r . (Berlin, 20. Januar 1815.) Über mein Pamphlet hat Male Dir schon geschrieben, meine geliebte Dore. Die allgemeine Aufnahme welche es gefunden, darf ich glänzend nennen, und sie hat meine Erwartung um so mehr übertreffen, da es schon nach einiger Zeit bekannt geworden war daß ich eine Schrift dieser Art herausgeben würde, welches die Aufmerksamkeit gespannt hatte, die dann eben wenn sie hat warten müssen, oft sich nicht will befriedigen lassen. Überdies war schon eine andere Schrift officiell erschienen *. Vielleicht ist noch nie ein politisches Pamphlet in Deutschland so lebhaft aufgenommen. In den beiden ersten Tagen wurden 200 Exemplare verkauft, und der Buchbinder hat nicht so schnell heften können wie die Versendungen es erforderten. In der Nation wirkt es gewiß sehr gut, zumal wenn es zum Kriege kommen müßte, auf den Gang der Entscheidung kann es wohl keinen Einfluß haben. Seit acht Tagen versprechen die Nachrichten aus Wien einen friedlichen und befriedigenden Ausgang: wer mag darauf bauen? und wer weiß was den ermüdeten Unterhändlern befriedigend scheinen mag? Lord Castlereagh 2 soll sich günstiger gegen uns zeigen als eine Zeitlang. Wir selbst stellen uns in eine viel zu demütige Lage. Für uns könnte vielleicht ein günstiges Arrangement gedacht werden ohne den gänzlichen Besitz von Sachsen; aber für Sachsen ist Zersplitterung das Allertraurigste. Darauf dringt der russische Kaiser, und hat es dem Kaiser Franz begreiflich zu machen gesucht. Dieser aber hat geantwortet: auf die Rücksicht auf d a s V o l k eingehen, könne er nicht: das sei einmal nicht sein Gesichtspunkt: er müsse ein so altes Fürstenhaus wie das sächsische vertreten, — und da möge 1

Von den drei anderen auf Veranlassung von Hardenberg veröffentlichten Broschüren von Eichhorn, Hoffmann und Varnhagen kommen hier Hoffmann, Preußen und Sachsen, oder Varnhagen, Deutsche Ansicht der Vereinigung Sachsens mit Preußen, in Betracht. 2 Der englische Außenminister, Vertreter Englands auf dem Wiener Kongreß. — Vgl. S. 549 Anm. 2 und S. $62 Anm. i.

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man von der Schuld des Königs von Sachsen reden so viel man wolle, er sei nun einmal geborener Fürst, und so einem dürfe man sein Land nicht nehmen. Daß nun hier neben der Stupidität auch Heuchelei obwaltet, zeigt sich daran (daß) Österreich den Murat gegen den eigenen Schwiegervater des Kaisers Franz * behauptet, und zu Ja(hresende) Sachsen schon ganz aufgegeben hatte. — Dem Herzog von Weimar der, vermutlich auf Verlangen des Kaisers dem Franz vorgestellt, wie unglücklich die Folgen einer Teilung für Sachsen sein, wie von (Dres)den aus Intriguen durch das ganze Land gehen würden, hat derselbe geantwortet: E i , d a s w o l l e n w i r j a e b e n h a b e n . — Aus Frankreich melden alle Nachrichten eine wachsende Gärung. Ludwig XVIII. leidet an der Brustwassersucht, man erwartet seinen Tod bald. Alsdann ist die allgemeine Meinung, und die entscheidet oft in solchen Fällen, daß die Artoissche Linie 2 den Thron nicht besteigen werde. Diese Prinzen sollen selbst an Auswanderung denken. Angouleme gilt für unbedeutend, und seine übertriebene Devotion macht ihn den Franzosen geringschätzig: Berry, der anfänglich bei der Armee sich einzuschmeicheln schien, und sich alles erlaubte um zu reüssieren, hat sich durch Gewalttätigkeiten die er versucht, sobald er wähnte es wagen zu dürfen, höchst verhaßt gemacht. Der Herzog von Orleans 3 soll ehrgeizige Absichten, und Grund zu Hoffnungen haben. — Die Nation bezahlt die Abgaben saumselig: die Empfänger der droits reunis *, die gegen die ausdrückliche Zusage des Königs fortbezahlt werden müssen, werden hin und wieder tot geschlagen. Die Napoleonischen Generale bemächtigen sich aller Gewalt. Die wohlmeinenden und friedlichen Staatsmänner, eine kleine Zahl von Männern deren Jugend über die Revolution hinaus 1

Kaiser Franz war in zweiter Ehe mit Maria Theresia, Tochter Ferdinands IV. von Sizilien, verheiratet. 2 Ludwigs XVIII. Bruder, der Graf von Artois (der spätere Karl X.) und seine beiden Söhne, der Herzog von Angouleme und der Herzog von Berry. 3 Der spätere König Louis Philipp. 4 Der indirekten Steuern, deren Aufhebung zwar nicht von dem König selbst, aber von dem Grafen von Artois im Frühjahr 1814 versprochen worden war.

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liegt, an deren Spitze der Minister Montesquieu 1 steht, sind ganz überwältigt. Die Emigrierten feinden sie eben so sehr an, wie es die Napoleonisten tun. Die Jacobiner sind noch sehr zahlreich und tätig. Allgemein findet man es unerträglich auf die alten Grenzen beschränkt zu sein. Es läßt sich gar nicht begreifen wie dabei Friede bleiben soll. Die Mißvergnügten in der Lombardei sollen eigentlich eine Republik wünschen; und ihre Verständnisse sich in Tirol hinein erstrecken welches erbittert ist weil Österreich die Patrioten drückt, und verachtet, und alle bayerisch-französische Einrichtungen läßt. Norditalien wird scheußlich regiert. Der König von Sardinien hat wieder angefangen die Waldenser zu verfolgen 2, — welches wir gewiß wissen, weil die Unglücklichen den Schutz unsers Königs angerufen haben, der ihnen vor der Revolution oft durch Verwendung zuteil ward. Leb wohl, meine teure Dore — ich grüße Dich herzlich, und Dein Gretchen. Niebuhr-Nachlaß. Vgl. LN II 132.

549· An Schön. Berlin, 21. Januar 1815. Genehmigen Sie, mein Freund, daß ich Ihnen ein Pamphlet übersende, wodurch ich, in der Unentschiedenheit, die über unsere äußeren Verhältnisse waltet, mir Luft zu machen gestrebt habe; Sie werden mich nicht für so töricht halten, daß ich mir einbildete, durch ein solches Werk ex museo auf die Entscheidung einwirken zu können: zumal da die, welche für unser Interesse reden und wirken sollen, unfähig sein müßten, Rat, Gründe und Anfeuerung zu benutzen, wenn sie deren bedürften; auch, was ich ihnen darböte, nicht mit s o n d e r l i c h e r G u n s t empfangen würden: die ändern aber auf der entgegengesetzten Seite, zu dumm oder zu befangen sind, auch wohl kein Deutsch lesen. Es wäre also praktisch beurteilt, eine bloße Herzensergießung, wenn nicht der ä u ß e r e S t a n d 1

F. H. M. Abbe de Ludwigs XVIII. 2 S. o. S. 546 Anm. 2.

Montesquiou-Fezensac

(1757 — 1833),

Innenminister

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des Publicums sein, wiewohl unwirksames, Urteil mit einer, wie es scheint, steigenden Lebhaftigkeit und Vernünftigkeit übte, welche zu nähren, in Hinsicht auf die Zukunft, nicht ganz unnütz sein dürfte. — Sie würden sich wundern, wenn es Ihnen vorkäme, als ob diese Schrift veranlaßt, und nicht absolut nicht officiell wäre. Sie ist es aber auch schlechterdings. Sie werden mich ferner nicht im Verdacht haben, die Sachsen mit schönen Verheißungen über die nächste Gegenwart täuschen zu wollen. Es kommt darauf an, das, was auch Sie vorübergehend halten, von dem Bleibenden zu unterscheiden . . Ihr Urteil über meine römische Geschichte gehört zu dem Erfreulichsten und Aufmunterndsten, womit die saure und, in dem Sturm der Zeit, wenig beachtete Arbeit vergolten ist. Es hat einen Wert für mich, über dem Zeugnis einer gelehrten Beurteilung, und mein erstes Gefühl war der Trieb wieder aufzunehmen. Doch zu einer solchen Arbeit kehrt man nicht so leicht wieder zurück, wenn sie einmal, und zwar durch solche Zeiten, unterbrochen ward. Es muß sich allmählich finden. Die Schwierigkeiten, welche die Fortsetzung von der Zeit an, wo die Kritik der Erzählung weicht, für den hat, der Italien nicht selbst besucht hat, sind fast unüberwindlich. Die Vorlesungen, welche ich halten wollte, sind aus mehreren Gründen unterblieben. Ich trage mich aber mit dem Gedanken an ein Werk ü b e r F r e i h e i t und s t ä n d i s ch e V e r f a s s u n g *. Es ist ja ein Modegegenstand, und, sonderbar genug, von Seiten begünstigt, die sich in Hinsicht der öffentlichen Stimme verrechnen möchten: wenigstens können sie es doch keinem verargen, der etwas Deutlichkeit in die Begriffe des Publikums zu bringen suchen möchte. Ihr Vertrauen auf die jüngere Generation teile ich nicht ganz. Wenigstens ist es ein dringendes Bedürfnis für sie, geleitet zu werden. Die Wärme des Herzens kann oft Dunst in den Kopf treiben. Doch glaube ich auch fest, daß es b e s s e r 1

Dieser Plan ist nicht ausgeführt worden.

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werden muß, — wenn wir nicht noch bestimmt sind, äußeres Unglück zu erfahren . . . Königsberg, Staatsardiiv, Schön-Nachlaß. Vollständiger Abdruck „Papiere Schöns" V 64 ff.

550.

An L u i s e R a d z i w i l l . Montags (Ende Januar 1815). Dankt ihr für die Aufnahme seiner Schrift gegen Sachsen und teilt ihr, in Ergänzung seiner Schrift, Einzelheiten über die dem König von Sachsen 1813 gemachten Anträge mit. Berichtet ihr von der auch in Nr. $48 mitgeteilten Äußerung des Kaisers Franz.

Die Zeichen welche Ew. Königliche Hoheit in Childe Harold gelegt 1, werden sorgfältig erhalten. Noch kann ich mich in diesen Dichter nicht recht hineinlesen. Die nachgeahmte alte Sprache und Stanze mag hingehn: ohne eine Würze der Art wissen die jetzigen Engländer nun einmal nicht ihre Poesie zuzubereiten, wenigstens nicht über die Satire und das Lied hinaus. Aber ist es nicht eigentlich ein gräßlicher Charakter, der doch offenbar der des Dichters selbst ist? Ein reicher, vornehmer junger Wüstling, abgelebt und abgestumpft, der sich in der Welt herumtreibt, um eine Art von Seelen-Badekur zu gebrauchen? Man hat den Engländern die finstere Weltansicht ihrer Dichter vorgeworfen. Wenn sie aus dem Herzen hervorgeht, und aus der Schwermut einer großen Seele, die sich selbst kennt, und in sich mit ändern die Ruinen beweint, in denen wir fast alle dastehen wenn unsere erste Jugend überlebt, und die Zeit verscherzt ist, worin noch alle Keime des höchsten Lebens in uns aufgehen können, — ehe die eigentliche Freiheit erloschen, oder doch in uns verdämmert ist, dann liebe ich sie und antworte ihr aus dem Innersten der Seele. Aber diese Schwermut glüht von Liebe. Ein Egoist, der sich bewußt ist, daß er zu einem wandernden Skelett geworden, und nun zu seinem Trost darauf trotzt daß die ganze Welt tot sei wie er, welches nicht wahr ist, — der, wie Childe Harold keine Tränen und keine Liebe mehr hat, der erregt Grauen in mir. Dies Gefühl ist noch weit widriger als das, welches der un1

Die beiden ersten Gesänge von Byrons Childe Harold waren 1812 herausgekommen.

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bändige Hochmut und die Insolenz des Verfassers erregt, der da behauptet, ausgenommen die Engländer und Franzosen stehe keine andere Nation an Bildung über den Türken! Und was soll man zu der Parallele zwischen den Griechen mit den irländischen Katholiken sagen? D a r f ein Engländer so verläumderisch gegen sein eigenes Volk reden 1? Ich verkenne dagegen nicht die eigentümlichen Reize seiner Schilderungen, besonders beim zweiten Gesänge. Und teils um dieses noch einmal zu lesen, und teils um einiges von den gelehrten Sachen in den Beilagen abzuschreiben, bitte ich Ew. Königliche Hoheit Erlaubnis nicht nur den Corsair und Lara 2, die ich noch nicht gelesen, sondern auch den Childe Harold noch einige Tage behalten zu dürfen. An den Beilagen verdrießt mich auch was fehlt: daß er z. B. das ganz unpoetische Lied des Jakobiners Riga hat abdrucken lassen, und von dem Tanzlied der Mädchen zu Athen nur zwei Verse, die so voll Wohlklang und von einer so allerliebsten Tanzbewegung sind, daß sie mir immerfort in den Ohren tönen, und die vergebliche Sehnsucht nach dem, was man hätte haben können, wach halten. Wir barbarischen Deutschen hätten nun schon anders gewählt 3 . . . Berlin, Geh. Staatsarchiv, Pertz-Nadilaß H 12 abschriftlich. Vollständiger Abdruck Pertz, Stein IV 672 ff.

An D o r e H e n s l e r . Berlin, 3. Februar 1815. Du bist es gewohnt, liebste Dore, daß ich Malens sanguinische Erwartungen selten ganz teile; und so hat sie unrecht 1

Vgl. Gesang 2 V . n ff. '' Byrons ,, Corsair" war Januar 1814, „Lara" August 1814 veröffentlicht worden. 8 In einem Anhang zu Childe Harold findet sich der griechische Text eines innerhalb des Childe Harold in englischer Übersetzung gebrachten Kriegsliedes des griechischen Freiheitsdichters und Übersetzers der Marseillaise Constantinos Rhigas (1757 — 1798). Dagegen ist ein Lied der jungen Mädchen von Athen nur in englischer Übersetzung innerhalb des Childe Harold gebracht; zwei der griechischen Originalverse sind von Byron an den Kopf der Übersetzung gestellt:

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gehabt zu reden als ob ich ebenso zuversichtlich darauf rechnete daß Sachsen ungeteilt mit uns vereinigt werden würde. Ich bin davon gar nicht so gewiß überzeugt — und bei der endlosen Verschleppung der Entscheidung nichts weniger als wohlgemut. — Talleyrand, der bis zu einem gewissen Grade, den Zuschauer, und man kann sich denken welchen boshaften Zuschauer, macht, hat vor kurzem gesagt: ils n'ont ni le courage de se battre, ni l'esprit de s'entendre: jenes ist ungerecht, gegen unsern König wie gegen die Nation: denn so ernsthaft auch u n s e r K a m p f sein würde — die Russen hätten ein leichtes Kinderspiel — so wenig läßt man sich einschrecken. Aber Unschlüssigkeit bei dem einen, und ein unglückliches übel geschenktes Vertrauen bei einem ändern, halten die Erklärungen in den Grenzen einer Mäßigung welche die ändern benutzen um hinzuhalten, und Terrain gegen uns zu gewinnen. Derb ausgesprochen, wäre man längst mit den Österreichern zu Ende. Diese können schon wegen ihres Papiergeldes, welches bereits auf 33 p C gefallen ist, so daß ein ursprünglicher Wiener Gulden nur ein ganz Kleines mehr als einen guten Groschen wert ist, den Krieg nicht unternehmen. Das sollte man benutzen — und wenn das Ziel erreicht ist, edel und weise handeln. Am allerfeindseligsten und nachteiligsten wirkt gegen uns der Hannoversche Einfluß. Der Graf Münster 1 hat sich vor einem Monat, als der Krieg schien ausbrechen zu wollen, geäußert, — es wäre recht gut — ehe Preußen v e r t i l g t wäre würde keine Ruhe sein. Die englische Nation ist sehr für uns: der Hof wünscht Hannover zu vergrößern, sieht aber doch wohl ein daß ohne uns Belgien und Holland augenblicklich zum Henker gehen. — Ob Wellingtons Erscheinung zu "Wien 2 eine Veränderung machen wird müssen wir nun sehen. Ich bin davon nicht so g a n z gewiß. Castlereagh war ganz in die 1

Graf E. Muenster (1766—^j), der führende hannoversche Diplomat, damals hannoverscher Bevollmächtigter auf dem Wiener Kongreß. 2 Wellington war zum Vertreter Englands auf dem Wiener Kongreß ernannt worden, an Stelle von Castlereagh, der nach England zurückkehrte, aber erst nachdem Mitte Februar die Hauptfragen ihre endgültige Lösung gefunden hatten.

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Stricke der Hannoveraner und Metternichs gefallen, soll sich in der letzten Zeit etwas losgemacht haben . . . Über den guten Absatz der Schrift gegen Sachsen und den Druck der neuen Auflage.

Daß Du auf Fr. R.* böse bist, teile ich mit Dir. Es ist dabei etwas so Dummes in diesem Betragen daß man sich einer Art von Geringschätzung nicht enthalten kann. Es ist doch wahr daß in diesen Grenzländern Deutschlands vieles was im Herzen des Landes von einem neuen Leben verdrängt ist, noch unveränderlich fortbesteht als hätte die schaffende Zeit gar nicht dorthin gewirkt. Wie anders sind z. B. meine Freunde in Sachsen welche die Vereinigung für sich, und abgesehen von der Verteidigung Deutschlands, auch darum so sehr wünschen, weil sie fühlen daß ihre Regierung und ihre Aristokratie etwas ganz Abgestorbenes sind, und neues Leben durchströmen soll und muß. Und ihr Adel ist doch nicht schlechter, und, so lange die alten Verhältnisse dauerten, war auch wohl ihr Adelsstolz nicht geringer als der der Holsteiner. Einer von diesen Männern, der Obrist von Miltitz 2, hat einige "Wochen hier zugebracht. "Wir haben bis tief in die Nacht über Verfassungen geredet. Wir verstanden uns ganz und erklärten uns ohne Rückhalt. Aber er kann auch Standesvorrechte hingeben da sein Geist und die Kraft seines Charakters ihn persönlich unter allen Formen des größten Übergewichts versichern. Sein Benehmen während des Krieges war heroisch: er ist ein großer Gutsbesitzer, und war schon vor Görschen mit aller Kraft seines Daseins tätig um die Armee zu gewinnen, und die Nation zu unabhängigen Schritten zu bewegen. — Auch ein Edelmann aus unserm Lande, von einer Familie die für sehr stolz gilt, sagte hier vor kurzem: es gäbe ja einen Adel auf alte Weise gar nicht mehr: er hätte gewünscht daß der König, beim Anfang des Kriegs, erklärt hätte, 1

Fritz Reventlow. Wahrscheinlich beziehen sich die folgenden Äußerungen auf Fritz Reventlows Aufnahme von „Preußens Recht". Niebuhr hatte ihm die Schrift übersandt (s. o. S. 547). 2 D. von Miltitz-Siebeneichen (1769—1853), einer der Führer der sächsischen Patrioten, hatte sich schon im April 18:3 als sächsischer Oberst den Verbündeten angeschlossen und trat jetzt, im Februar 1815, in die preußische Armee ein.

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es solle sich ein neuer bilden — und auf eine gewisse Weise besteht der in der Tat wirklich. — Ich kann mich mit jedem von unsern Adligen der mir vorkommt verständigen: ja sie wünschen weniger Rechte als ich ihnen lassen möchte. Sie selbst sagen dann: denken Sie nicht zu gut vom Adel: das Volk ist gut. — Eine der sonderbarsten Erscheinungen, die beweist in welchem Grade die Menschen in der Hand der Zeit stehen, und von ihr geformt werden, ist ein Brief den ich neulich von einem Hofmann erhielt, welcher vor wenigen Jahren Veränderungen für etwas ganz Undenkbares gehalten haben würde. Er schrieb mir über das Wesen der Rheinbundsfürsten, über ihr himmelschreiendes Regiment: und setzte hinzu, — in diesen Ländern herrsche eine Stimmung die man nicht anders als sehr gefährlich nennen könne. Und doch, fährt er fort — muß man s i c h eigentlich über diese Stimmung freuen. Dagegen hab ich nichts: und wenn es noch zum Kriege kommt, so muß es ein Haupttrost sein daß auf diesem Wege allein der Umsturz von so vielen erbärmlichen Regierungen möglich ist, und vielleicht wohl so ausgeführt werden könnte. Geschähe dies, so wünschte ich von ganzem Herzen daß die Länder mit eigentümlichen Verfassungen gesondert blieben: eine Föderativeinheit kann, wenn die Gesetzgebung geordnet wird wie es sich gebührt, so weit wie es nützlich und heilsam ist, auch unter e i n e m Fürsten und m e i n e r Monarchie bestehen. So etwas wünschte ich auch Italien: und dabei könnte sich alles Gute der vielfachen Trennung erhalten, welche unsägliches Übel seit drei und vier Jahrhunderten gestiftet hat . . Niebuhr-Nachlaß. Überarbeiteter Abdruck von Teilen LN II 133.

552.

An G n e i s e n a u . (Berlin, Februar 1815.) Ew. Excellenz Zufriedenheit mit dem neuen Capitel meiner Schrift * ist mir um so erfreulicher, da ich mich bei der Abfassung desselben, aus einer wohl nicht irrig vermeinten 1

S. o. S. 542 Anm. 4.

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Notwendigkeit, (nicht der Umstände sondern der Ansichten), in den Grenzen einer Zahmheit halten zu müssen glaubte, die kaum anders als mit Zügen der Schwäche erscheinen kann. Die Zensur mußte sich nun wohl bequemen: aber so lange wir zu Wien die Tücke und entschlossene Bosheit unserer Feinde ignorieren zu müssen glauben, konnte ein ganz freimütiger Aufsatz, (in Form und Inhalt) so wunderlich contrastieren daß eine teilweise Mißbilligung immer möglich war: solche Verlegenheiten zu ersparen ist Pflicht . . . Ich hoife morgen, oder spätestens übermorgen, ausgehen und zu Ihnen kommen zu können um über den zweiten Gegenstand Ihres freundlichen Briefs zu verabreden. Sie wissen daß ich das gefährliche Experiment, welches Sie bestimmt gedacht, weder aus Furchtsamkeit noch aus Aberglauben scheue. Ein Wort welches M.Moore O'Donnell2 im Winter 1798 zu Dublin im irländischen Parlament sagte, ist mir unvergeßlich geblieben: If they make us desperate we must shake hands with the devil. Auch ist mir Bonaparte gar nicht so widerlich wie Talleyrand, Münster oder Metternich! Nur m i ß l i n g e n darf es nicht: und neben einem solchen Riesenentschluß muß alles übrige in gleichen Verhältnissen stehen. Wir müssen Hebel anlegen um die Welt niederzuwerfen. Dazu gehört aber ein Entschluß den man sich nicht bloß vorsage: er muß der absolut herrschende Gedanke des ganzen Daseins werden. Verleihe uns Gott am liebsten, jetzt einen friedlich e r w ü n s c h t e n Ausgang — ein s c h l e c h t e r z a h m e r ist gewiß der allerschlimmste. Erlangen wir aber Friede, so gebe uns Gott Weisheit und Willen ihn für die auf jeden Fall nahe Zeit der Tätigkeit neues Streits zu benutzen. Dazu bedarf es einstimmiger Zusammenwirkung: was meine Kräfte vermögen biete ich eifrig und willig und ohne einen Nebengedanken dar. Es steht in der Macht des Staatskanzlers, bei der Stimmung auf die er rechnen kann, alles für seine Pflicht, und unendlich viel 1

James Moore O'Donnell, Mitglied des irisdien Parlamentes für Ratoath, trat 1798—1800 in verschiedenen Reden aufs schärfste gegen die englischen Unionsanträge ein.

Gneifenau. Nach tincr Zeichnung von l'. Kruc^cr.

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für seinen Ruhm zu tun. Er muß nur Glauben fassen wo er am rechten Ort ist, und Vertrauen daß der Vaterlandsfreund ihn unterstützen wird, wenn e r das Rechte fördert: dann einsehen daß das wahrhaft Gute nur von reinen Händen und warmen Herzen geschafft werden kann. Ich glaube daß ich mir schmeicheln darf Ew. Excellenz werde es nicht unangenehm sein, da wir beide ein Ziel mit gleicher Wärme wünschen, daß ein bestimmt verständigtes Verhältnis zwischen uns entstehe und fest werde, welches Herzensergießungen wie diese rechtfertigen würde: genehmigen Sie daß ich sie mir schon jetzt erlaube. Mit ehrerbietiger Hochachtung Ew. Excellenz gehorsamster Niebuhr. Berlin, Geh. Staatsarchiv, Gneisenau-Nachlaß. Vollständiger Abdruck Pertz —Delbrück, Gneisenau IV 317 f.

553An P e r t h e s . Berlin, n. Februar 1815. . . . Unser Nicolovius wird Ihnen mein und meiner Frauen Mitgefühl über Ihren Verlust 1 bezeigt haben. Wenig, wie ich Ihren seligen Schwiegervater gekannt, lasse ich nicht vielen den Anspruch einer zärtlicheren Liebe für seine Werke, die er selbst waren, zu. Er war einer der allerersten, dem Wert nach, unter jener Klasse der innigen, still und tief Glühenden und Schauenden, welche der Generation angehörten, die der unsrigen vorherging. Sie wird nicht ersetzt werden und stirbt allmählich ganz aus. Unser Beruf ist ein stürmischerer, und das Zeitalter der Dichter ist für uns vorüber. Es scheint als ob die Vorsehung im Deutschen heftigere Leidenschaftlichkeit entwickeln will und eben dadurch größere Kraft: daraus aber entstehen auch bittere und heftige Gefühle, und friedliche sind uns schwerlich mehr beschieden . . . 1

Matthias Claudius, mit dessen Tochter Karoline Perthes verheiratet war und der in den letzten Jahren bei seinem Schwiegersohn gelebt hatte, war am 21. Januar gestorben. G e r h a r d - N o r v i n , Niebuhr. Bd. II.

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Ihren Freund Sieveking sehen wir nicht selten, und sehr gern. Ich wünsche ihm Beharrlichkeit bei seinen schönen literarischen Unternehmungen 1, und glaube daß ihm Berlin sehr gut tun wird um die Reife zu erlangen welche er noch nicht haben kann. Es gibt hier viel Lebendigkeit und Reibung: die Mischung unserer Gesellschaft — namentlich der in die ich durch Interesse des Geistes und der Politik verflochten bin — würde mir an jedem ändern Orte unersetzlich fehlen. Man muß ja nicht undankbar sein wenn man des Guten fast zuviel hat. Ich wollte, Sie lernten Berlin durch einen längeren Aufenthalt so kennen und lieben: Sie entschlössen sich vielleicht zu tun, worüber Nicolovius und ich oft wünschend reden, ich auch schon mehrmals mit Sieveking gesprochen habe. Sehen Sie sich Berlin nur darauf an ob es nicht für Ihr Geschäft, unter Ihren Händen, ein ganz vorzüglicher Ort wäre. Ihren Freunden wäre es für sich nicht erfreulicher Sie unter uns zu haben, als für die Vervollkommnung unsrer Stadt Ihr Institut zu besitzen, welches aber hier als ein wesentlicher Teil der Bildungsanstalten wirken würde. — S i e durchschauen, wie wir es selbst nicht ganz vermögen, die praktische Kraft des deutchen Buchhandels: und, wenn Sie sich, ohne gegen sich und die Ihrigen zu fehlen, auf einen günstigeren Boden verpflanzen können, so reizt Sie dies schon. Überdies, Ihre Reichsstadt ist nun einmal tot, und bei uns, und von uns aus, muß notwendig Leben sich verbreiten . . Hamburg, Staatsarchiv, Perthes-Nadilaß. Abdruck vollständig: B. G. Niebuhr, Briefe und Schriften, hsg. Lorenz, (Deutsche Bibliothek, o. J.) S. ff., fast vollständig: LN II 133 ff.

554An D o r e H e n s l e r . Berlin, 18. Februar 181 j. 2 Ich bin sehr traurig , meine geliebte Dore, und es wird Dir nicht schwer werden Dich in meine Gefühle hineinzudenken. 1

S. o. S. J50 Anm. 2. * In der zweiten Februarwoche hatte man sich auf dem Wiener Kongreß dahin geeinigt, daß Sachsen geteilt werden solle. Der Rumpf verblieb, in seiner heutigen Gestalt, dem König Friedrich August.

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Audi ist es nicht eine bloße Traurigkeit, sondern es ist ein Grimm gegen unsre Feinde und die welche ihre Pflicht gegen unsre Nation verraten haben darein gemischt, welcher unsäglich bitter ist. Ich hatte mich liebend und wohlwollend gestimmt, ich hatte Manchem verziehen, und eine neue Rechnung angefangen: dieser Ausgang ist gar zu schrecklich! Ich fürchte es wird sich nur zu gewiß ergeben daß wir an das verruchte Hannover Ostfriesland, Lingen und Tecklenburg und Münster abtreten, und dasselbe außerdem noch alle mediatisierte Teile vom Münsterlande nimmt: — so daß dieser abscheuliche Junkerstaat, der auch nicht das Allergeringste gegen die Franzosen getan hat auf das doppelte anwächst: wir werden alter Untertanen beraubt, und in einen elenderen Zustand versetzt als 1805! Das Innerste empört sich — und es empört sich zwiefach da ein entschlossener "Widerstand diese Mißhandlung unmöglich gemacht haben würde. — Die Stadt Leipzig hat Abgeordnete nach Wien zu senden beschlossen, um eine Verbesserung ihres Schicksals zu erbitten: und die ersten Häuser sollen sich fertig machen auszuwandern. Für England ist diese Erweiterung Hannovers, und die dauernde Verflechtung in die Kontinentalhändel durch Belgien etwas höchst Nachteiliges. Ich schwanke zwischen dem Triebe dem Unmut Luft zu machen durch Darstellung des gegen uns geübten Unrechts, und der Dummheit des Hofsystems — und zwischen den Eingebungen einer Stimme, das Wiederkauen des Schmerzes aufzugeben, und lieber entschieden zu den Studien zurückzukehren: zumal da meine Gesundheit durch die kraftlose Krampfhaftigkeit der Erbitterung so sehr leidet, und es sich so bestimmt sagen läßt daß man durch Reden und Schreiben gar nichts in der Sphäre der Handlungen und Beschlüsse ausrichtet. Frankreich hat alles sehr klug für sich geleitet. Wie bald wird es wieder das Rheinufer gewinnen können? Hannover und Österreich haben nichts dawider (dies wird sich aber der 36*

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Graf Münster zu London nicht merken lassen) damit wir unsere elende Abfindung in jenen Gegenden einbüßen. Eigentlich will man uns ganz vernichten: wie lange Deutschland sich dann noch gegen Frankreich halten kann daran denkt man nicht: die Franzosen werden ja wohl nicht über den Rhein kommen, ist der Trost. — In unserm Publikum herrscht eine stille und bittre Verzweiflung. Hätten wir Trotz geboten, die Feigen hätten sich verkrochen: und wäre es dann zum Kampf gekommen, so hätte es Leben und Tod gelten mögen, aber wir hätten doch wohl zuletzt gesiegt, und auf jeden Fall unsere Feinde früher als wir fielen vertilgt. Es ist entsetzlich vorauszusehen daß es unfehlbar noch wieder zu einem Kriege kommen muß, wie der den Schweden nach der Schlacht von Nördlingen bis zum Westfälischen Frieden führte: und daß die Zeit der Wut und der Verheerung dann recht beginnen wird. Der Bruderhaß ist der allerbrennendste, und den erregt die schändliche Feindseligkeit womit man Preußen lohnt. Dein Urteil über meine Schrift freut mich innig, meine teure Dore. Auch sollst Du Dank haben daß Du so offen andeutest wie sie von ändern aufgenommen ist. Dort habe ich nach dem was schon im Herbst sichtbar war, im allgemeinen gar keine andre Aufnahme erwartet als höchstens eine kalte: und ich wundre mich gar nicht wenn die Herren sie nicht einmal für ehrlich gemeint annehmen. Du wirst mir immer mehr beistimmen, daß dort eine traurige Todheit des Herzens herrscht, und die kann fortwährend immer nur ärger werden. Wenn Du nicht wärst, so möchte ich lieber nie wieder dorthin kommen. — Hier schließt man sich immer fester aneinander, und wenn die Kraft welche sichtbar da ist, nicht zu sehr in Bitterkeit aufgelöst wird, so hoffe ich vom Innern aus fortwährend das Beste und Schönste. Lebe wohl, meine teure Dore; ich liebe Dich innig in Leid und Freude. Niebuhr-Nadilaß. Überarbeiteter Abdruck von Teilen LN II 135.

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555An V a r n h a g e n 1 . Berlin, 21. Februar 1815. Empfangen Sie meinen herzlichen Dank daß Sie sich durch die Übereinstimmung unsrer Ansichten und Überzeugungen haben veranlassen lassen mich mit dem Geschenk Ihrer Schrift über Sachsen zu beehren 2. Es ist mir um so angenehmer sie von Ihrer Hand zu besitzen, da ich schon das Vergnügen gehabt hatte sie zu lesen, und jene Übereinstimmung kannte, die zwischen unsern Ansichten auf einer Seite, und einem großen Teil derjenigen welche in „Preußen und Sachsen" aufgestellt sind, nicht so ganz stattfindet. Wir haben freilich beide unsere Worte verloren, und wenn man sich mit der Erwerbung bestimmter Einsichten trösten könnte, so hätten wir wohl, beides in Hinsicht auf Sachsen und auf ganz Deutschland, und dessen Verfassung, die anschauliche Überzeugung gewonnen, daß Schriften, wo nicht alles vorbereitet ist, so daß ein Pamphlet oder ein Liedchen als politische Kräfte erscheinen können, für die Entscheidungen des Augenblicks völlig fruchtlos und ohnmächtig sind. Ich denke, man kann Schriften als einen gepflanzten Kern ansehen, aus dem der Baum sich nicht schneller als frühestens in einem Vierteljahrhundert erwachsen erheben kann. Der Augenblick der über das Glück oder Unglück unsers eigenen Lebens entscheidet ist in der Gewalt der Staatsmänner: die Schriftsteller, mächtig über die verflossene und für die zukünftige Zeit, sind ganz ohne Bedeutung für die Gegenwart. Über vieles kann man sich nur „einhüllen und weinen": einiges kann der Himmel vielleicht, freilich auf dem Wege großer Nachteile für uns und für die armen, armen Sachsen, zum Besten wenden. Daß wir die sächsische Armee nicht en masse erhalten, ist vielleicht sehr gut: und es mag äußerst heil1

K. A. Varnhagen von Ense (1785—1858), der Schriftsteller, politische Publizist und Diplomat. Ein näheres Verhältnis zwischen ihm und Niebuhr stellte sich in der Folge nicht her. Für die abschätzige Beurteilung Niebuhrs durch ihn sind vielmehr bezeichnend die im Freihafen Jgg. 1838 veröffentlichten Bemerkungen über Niebuhr, deren Urheber Varnhagen ist. 2 Vgl. zum Folgenden o. S. 5$! Anm. i.

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same Folgen haben wenn die Sachsen die österreichische Hypocrisie in ihrem innersten Wert empfinden. Gebe uns nur Gott Verstand, für unsern Anteil eine historisch begründete Verfassung einzurichten, und ein Regierungssystem anzunehmen wodurch das Gefühl in den Übrigen erwache, zu bejammern daß sie nicht preußisch geworden sind. Sollte denn Bayern wirklich betrogen werden? Man glaubt es hier, und doch kann ich es nicht denken, denn die werden Entschlossenheit haben zu drohen; und mit dem Eugen und Murat wären sie hinreichend Österreich aus den Angeln zu heben 1. Überhaupt sind wir am Jahr 1648 oder 1635 2 ? kennen wir auch nur alle Keime der neuen Gestaltungen? — Und stehen unsere Länderassignationen wenigstens fest? oder schon nicht mehr? Auch für Ihr historisches "Werk über den Feldzug 3 welches ich gestern durch die Verlagshandlung bekommen, sage ich Ihnen meinen besten Dank. Ich habe es noch nicht gelesen, weiß aber von ändern daß Sie die Initiative mutiger historischer Enthüllungen genommen haben. Erlauben Sie mir eine Bemerkung. Auch ich bin ein aufrichtiger Bewunderer der Größe in Mirabeau: aber ist es nicht zu besorgen, wenn man ihn jetzt schon anführt 4 daß die Heuchler und Lügner darüber Allarm erregen? Es ist freilich 1

Nach Erledigung der sächsischen Frage ging man auf dem Wiener Kongreß in der zweiten Februarhälfte an die bisher noch ungelöste Frage des künftigen Territorialumfangs von Bayern. Die Frage kam auf dem Kongreß selbst zu keiner endgültigen Entscheidung. Die im Laufe des Jahres immer stärker hervortretenden Ansprüche Österreichs auf das in bayrischem Besitz befindliche Salzburg führten in steigendem Maße zu einer bayrisch-österreichischen Spannung. Erst Ende Januar 1816 erklärte sich Bayern angesichts einer militärischen Demonstration Österreichs und unter dem diplomatischen Druck der anderen Großmächte zur Aufgabe Salzburgs bereit. — Über Murat s. o. S. 544 Anm. 2. — Eugen Beauharnais war der Schwiegersohn König Max' I. von Bayern. 3 Das Jahr 1635 brachte, nachdem im Vorjahre die Schweden bei Nördlingen von den Kaiserlichen entscheidend geschlagen worden -waren, das Eingreifen der Franzosen in den dreißigjährigen Krieg und damit statt des allgemeinen Friedens ein neues langjähriges Ringen, das bis 1648 dauerte. 8 Geschichte der Kriegszüge des Generals Tettenborn während der Jahre 1813 und 1814. 4 Wie dies Varnhagen auf S. 40 seiner Flugschrift getan hatte.

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wahr daß man einmal das Eis brechen muß dies Publicum an verschrieene Charaktere und Namen zu gewöhnen: als Spinoza und Hobbes zuerst genannt wurden, schrie man auch l . . . Berlin, Preuß. Staatsbibl., Sammlung Varnhagen.

An B e h r e n s . Berlin, 24. Februar 1815. Es ist sehr gegen meine Absicht so spät geworden daß ich den Vorsatz Dir, liebster Bruder, über die Lage der öffentlichen Angelegenheiten, und über meine Schrift, in Beziehung auf Deine Anmerkungen über dieselbe zu schreiben, nicht ausführen kann. Der schöne Tag hat uns zu einer Spazierfahrt ins Freie gelockt, und wenn damit die Zeit verloren gegangen ist welche ich anwenden wollte Dir zu schreiben, so hoffe ich daß ihre Anwendung für Male entschieden wohltätig sein wird. Mit einem Worte, über mein Pamphlet: Du mußt es von der einen Seite nicht als ein Lese-Flugblatt ansehen, sondern als eine Rede an die Deutsche Nation, wie eine Rede zu lesen und zu vernehmen: (und auf diese Weise vernehme ich von meinen günstigen Lesern — Offizieren und ändern, die eben nicht einmal sehr belesen sind — gar keine Klagen über Dunkelheit) und von der ändern mußt Du es durchaus und zwar bis auf jeden Titel für den strengsten Ernst nehmen. Es steht kein Wort darin welches ich nicht in meiner Todesstunde vertreten zu können überzeugt bin. Es ist alles so ernst und wahrhaft wie in Schriften der Alten. — Das Verbrechen der verletzten Nationalität, besteht, dächte ich selbt evident, darin, wenn man dahin wirkt eine Nation einer fremden untertänig zu machen und zu erhalten, wie es allerdings alle Rheinbundfürsten getan haben: die, welche Pardon erhalten, hätten freilich auch vertilgt werden müssen, — und es ist schlimm genug daß sie so ganz mit heiler Haut davongekommen sind, aber ein solches unverdientes Glück ändert nichts am Recht; und hier hatten sich die ändern Staaten eigentlich gar nichts hineinzumischen: es waren 1

Wahrscheinlich denkt Niebuhr an den Kieler Kanzler Christian Kortholt, der 1688 die Schmähschrift De tribus impostoribus gegen Hobbes, Spinoza und Herbert von Cherbury veröffentlicht hatte.

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Rußland und Preußen die mit Sachsen im Krieg auf Leben und Tod waren — besonders wir — und man hat schon darin Unrecht gegen uns getan daß man uns gleich anfangs aufhielt. — Ein andrer Gesichtspunkt, den ich aber vorsichtig behandeln mußte, war der der dringenden Notwendigkeit Deutschland eine andere Gestalt zu geben: die Erbärmlichkeit der Einreden der fürstlichen Häuser konnte ich nicht direkt angreifen, teils weil ich wohl ahndete daß unsere Machthaber nicht löwenmäßig vorgehen wollten, teils weil man uns Preußen doch schon zu sehr als Revolutionnärs verschreit. — Der Ausgang ist sehr traurig: und noch trauriger als die Zerreißung Sachsens ist die Aufopferung Ostfrieslands. Darüber sind wir bitter betrübt. Es konnte sich ein ordentlicher Zustand bilden, ja eine schöne Zukunft vorbereiten. Jetzt wird alles angelegt um unser Verderben vorzubereiten: bis auf Dänemarks Vergrößerung, welches auch zu dem Bunde gegen uns gehören soll1. Wir werden uns schon losreißen, wenn sie uns gebunden glauben, und die Philister sollen nicht frohlocken wenn sie Simson festzuhalten glauben: aber Gott gebe daß wir nicht auf eine Rache wie die seinige beschränkt seien, sondern glücklich genug sein mögen daß wir dem Einsturz entgehen, wenn wir die Säulen über ihr Haupt niederreißen 2. Wie leicht wäre das jetzt gewesen! Und wie gern war die Nation auf, und wieder dran!... Aus Privatbesitz.

557An P e r t h e s 3 . Berlin, 25. Februar 1815. Nach Ihrem Vorschlage habe ich heute, gegen die von meiner Schwiegerin an Sie übermachte Rth. 375 a vista auf Sie abzugeben mir die Freiheit genommen Bco 300 ordre Tetschow & Sohn: und bitte Sie die verursachte Bemühung gütig zu verzeihen. 1

Ostfriesland kam zu Hannover (s. o. S. 563), Dänemark erhielt Lauenburg. Buch der Richter Kap. 16. 8 Der Brief ist Niebuhrs Antwort auf Perthes' Bemerkungen anläßlich „Preußens Recht gegen den Sächsischen Hof". 2

von

569 Nodi habe ich nicht bestimmt erfahren wie es sich mit der Einbringung englischer Shawls verhält, wenn ich hierüber im Klaren sein werde, erlaube ich mir an Herrn Godefroy 1 meine Wünsche wegen der Absendung des Pakets zu schreiben. Ihr Brief enthält eine Stelle worin Sie davon reden wie gewisse Leute „rechts und links Recht ausspendeten, und in leidenschaftlicher Erhitzung kalt und hart würden." Nun bin ich, ungeachtet der Schriftstellerei, so wahrhaftig frei von Dünkel und, auf der ändern Seite, von argwöhnischer Empfindlichkeit, daß es mir, bei dem Lesen, gar nicht in den Sinn kam daß dies ein Orakelspruch sei den Sie fällten, und daß damit ein Verdammungsurteil über mich gemeint sei. Denn um j e n e s zu ahnden, müßte man selbst den Wahn hegen, und in sich genährt haben, daß man nicht, wie ein freier Mann unter freien Männern, ganz verschiedene Urteile und Meinungen hören, auch bestreiten könne und müsse, sondern wie ein Glaubensrichter dasitze, befugt zu verdammen und zu verketzern. Wer anders gesonnen ist, traut auch ändern zu daß ihre Urteile über ihn, seine Taten, Urteile und Äußerungen, ihm eben so viel Freiheit einräumen als er ihnen und den ihrigen. — Erst nachher kam mein Blick auf diese Stelle zurück. Ein jeder Schriftsteller, von den Rednern des Altertums bis auf die flauesten politischen Artikelmacher unsrer Tage, erklärt sein Urteil über Verhältnisse in denen Recht obwalten vind beobachtet werden muß: und wenn es eine Frage betrifft mit der eine große Menge Fragen derselben Art verflochten sind, so wird er sein Urteil über eben so viele Gegenstände erklären. Nun werde ich mir weder eine jedem ändern unter unsern jetzigen Wortführern gleiche Befugnis der Einsicht und der Wahrheitsliebe bestreiten lassen auch meine Stimme abzugeben, und da ich es weder vornehm noch anmaßend gegen die Meinungsfreiheit andrer getan, obwohl nicht schüchtern und blöde, so kann nur jemand der mir persönlich, oder der 1

J. C. Godcffroy, die große Hamburger Leinenhandelsfirma.

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Meinung welcher ich angehöre, das Wort verbieten will, von einem r e c h t s u n d l i n k s A u s s p e n d e n d e s R e c h t s reden — denn die Beziehung auf den Titel meines Pamphlets ist handgreiflich, obwohl sie, wie gesagt, meiner Arglosigkeit beim ersten Lesen nicht einfiel. Dergleichen hinzunehmen gehört zu dem bekannten s i ch zum S c h a f m a c h e n , und d e s s e n Folgen. — Ob ich erhitzt, und innerlich kalt und hart, — oder nicht vielmehr mit regem Herzen durch und durch warm und weich bin, und so gedacht und geschrieben habe, ist eine Beurteilung die für den dritten von seiner eignen Subjektivität abhängt; und dem Beurteilten so gleichgültig ist, wenn er sich gesund fühlt, wie dem der stark genug ist seine Phantasie nicht irren zu lassen, wenn man ihm vorsagt er müsse krank sein. Niebuhr. Sind es die Ansprüche der Preußen auf Vergrößerung ihres Staats, damit er unter Feinden sich, und mit ändern Deutschen Deutschland verteidigen könne, welche Ihren Unwillen gereizt haben, so erinnere ich Sie an ein gewisses Projekt des Frühlings 1813 für den Herzog von Oldenburg ein großes Norddeutsches Reich zu gründen (worin unsre Provinzen jenseits der Elbe absorbiert worden wären) und an die Ideen Hamburg einen Teil von Holstein, als Subsistenzmittel, zu verschaffen \ Hamburg, Staatsarchiv, Perthes-Nachlaß. 5J8.

An G n e i s e n a u .

(Berlin, Ende Februar 1815.)

Teilt ihm den Wunsch des Kronprinzen mit, als Repräsentant der Krone nach Köln zu gehen.

Dies war mir unerwartet, da er sonst, wenn ich ihm leise zur Erwägung vorgeführt daß der Thronerbe durch die Bekleidung von Verwaltungs- und Militärstellen sich bilden müßte, sich immer etwas scheu gezeigt hat. Was hier den 1

S. o. S. 503. — Unter den verschiedenen Projekten für die Neugestaltung der Herzogtümer war schon Anfang 1813 auch der Gedanke einer Vereinigung mit Oldenburg aufgetaucht und im Reventlowsdien Kreise erörtert worden. Näheres darüber ist bisher nicht bekannt.

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Wunsch in ihm erregt sind seine Phantasie, und altdeutsche sdiöne Träume, — indessen sind Ew. Excellenz gewiß mit mir einig daß ein so schönes und seltnes Gemüt wie das dieses vortrefflichen Jünglings, auf seinem eigenen Wege zu dem Ziel geleitet werden muß, wohin reifere Klugheit wünscht daß er gelangen möge. Ich nehme an daß der VicekÖnig jener Länder eigentlich mehr eine vornehme Repräsentation als eine Administration zu bekleiden haben würde, und erlaube mir den Zweifel ob Prinz Wilhelm 1, wenn er dazu ernannt werden sollte, mehr als jenes zu leisten völlig fähig sein würde. Ich nehme an daß es ein Hauptzweck sei von den Einwohnern jener Landschaften das Gefühl eines Provinzialverhältnisses zu entfernen, und ihnen die wohltätige Illusion des Schutzes persönlicher Majestät zu gewähren: zu bewirken daß sie allmählich gewohnt werden sich als ein unter sich zusammengehörendes Ganzes zu betrachten, und zugleich als einen Teil unsrer Monarchie. Dazu würde wohl augenscheinlich der Aufenthalt eines Königlichen Prinzen unbeschreiblich mächtig wirken. Der Thronfolger würde nun gewiß der willkommenste sein. Ich weiß nicht ob Ew. Excellenz den Kronprinzen genau genug kennen um ein völlig entsprechendes Bild von der unbeschreiblichen Liebenswürdigkeit zu haben mit der er, sobald er erscheinen will, sich zeigen kann: aber ich wage es zu verbürgen daß er alle Herzen gewinnen würde. Ich setze voraus daß Ew. Excellenz dorthin als Militärgouverneur bestimmt sind 2 . Sie würden den Prinzen ohne Schwierigkeit, so wie ohne die geflissentliche Absicht zu enthüllen, zur Erkenntnis und Liebe für seinen militärischen Beruf stimmen: — und Sie werden mir einräumen daß es sehr zu besorgen ist hier werde sich der viel zu weit gehende Einfluß 1

Prinz Wilhelm der Ältere, Bruder Friedridi Wilhelms III. Der Gedanke, ihn als Statthalter an den Rhein zu senden, tauchte auch im Frühjahr 6 wieder auf, wurde aber von Gneisenau bekämpft. Erst viel später, 1830—1832, bekleidete der Prinz diesen Posten. * Dazu kam es erst im Dezember iSij.

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seiner Antipathie gegen die Kleinlidikeitsneigungen seines Vaters schwerlich überwinden lassen. Ferner würde die Gewöhnung Geschäfte verhandeln zu sehen und Teil an ihnen zu nehmen, die Anstrengungsfähigkeit in ihm entwickeln, von der ich, zum Trotz gegen alle die welche über ihn urteilen ohne ihn genau zu kennen, behaupte daß sie allerdings in ihm ist, daß man sie aber nicht von ändern Gewohnheiten ersticken und verdunkeln lassen darf. Er würde den liebenswürdigen, aber einer männlichen Ausbildung nicht ganz günstigen häuslichen Verhältnissen mit seinen Geschwistern entzogen, und unter Männern ein ernster Mann werden. Wäre seine frühere Erziehung so geleitet worden, wie man es wünschen möchte, so besäße er jetzt vielfache bestimmte Kenntnisse, und es könnte die Rede davon sein ihn eine Universität besuchen zu lassen. Das wäre jetzt ganz zweckwidrig. Er hat, wie Ew. Excellenz wohl wissen werden, eine große Sehnsucht zu reisen, — die Erfüllung dieses Wunsches möchte ich aber gerne verschoben sehen, bis er fremde Länder auch mit den Augen des Staatsmanns und Militärs, nicht allein mit denen des Dichters und Künstlers betrachten kann. Und das würde nicht fehlen wenn er in seinem jetzigen Alter Anschauungen von der Verwaltung erhielte: die er hier nie bekommen wird. Seine Entfernung von Ancillon möchte auch nicht ohne Vorteil sein, obgleich er viel unabhängiger ist als man glaubt. Das Heil unserer Monarchie hat immer mehr als das irgend eines ändern Staats auf der Persönlichkeit unsrer Fürsten beruht und wird es fortwährend da der Augenblick versäumt ist uns eine solide Existenz zu gewähren, und unsere Tore und Schlüssel treulosen Feinden und Nachbaren übergeben sind. Ew. Excellenz allein können durch Ihre Vermittlung und Verbindungen dem Kronprinzen den Zutritt zu einer Bahn der Bildung verschaffen auf der er an Ihrer Hand fortgehen könnte; uns, dem kommenden Geschlecht, und ganz Deutschland zum Heil. Finden Sie es tunlich — und warum sollte es nicht sein? — dem Staatskanzler hierüber Vorschläge zu tun, und ihm einleuchtend zu machen daß er sich für die Zukunft, über sein

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Leben hinaus, ein großes Verdienst um die Nation erwerben würde, wenn er die Einwilligung des Königs bewirkte, — so bitte ich Ew. Excellenz doch, nicht zu äußern daß der Wunsch bei dem Prinzen entstanden sei, noch auch mich dabei zu nennen. Nun erlauben Sie mir noch eine Frage. Ist es wahr daß Lord Castlereagh, wenn Ostfriesland nicht abgetreten werde, Bezahlung für die gelieferten Armeebedürfnisse gefordert habe? Hat er nicht vielleicht sogar, Rückzahlung aller Subsidien verlangt? Die wäre nun freilich nicht zu leisten gewesen: aber jene hätte Ostfriesland allein bestreiten können. — Wie kann man so blind sein, nicht einzusehen daß kein englischer Minister es wagen konnte solche Drohungen auszuführen? Und hätte man dann wenigstens nur noch unsere Nationalehre sofern gerettet daß man sich nicht höchst vergnügt und zufrieden mit den Räubern gestellt, so daß es gar nicht möglich ist sie vor der englischen Nation zu verklagen: — und nicht den Ostfriesen gesagt, sie möchten nur zufrieden sein weggegeben zu werden, weil man ihnen doch ihre Privilegien nicht länger hätte lassen können. Überdies eine schreckliche Enthüllung. Also auf französisch, absolut nur eine Form für alle Teile des Staats? Fast ein so schreckliches Geständnis wie die Äußerung der Ungnade gegen den Unwillen der Nation, den man wohl geahndet hat. — Unsere Ehre ist hin! Das Wahrscheinlichste ist wohl daß wir in späteren Unterhandlungen auch alle die Stückchen die uns gelassen sind, verlieren werden: wenigstens in Sachsen, da der König unfehlbar gegen alles protestieren wird. Indessen darf dies doch wohl nicht abhalten, auf den möglichen Fall daß uns etwas am Rhein bliebe, Maßregeln einzuleiten . . . Berlin, Geh. Staatsarchiv, Gneisenau-Nadilaß. Delbrück, Gneisenau IV 32$ ff.

Vollständiger

Abdruck

Pertz —

559· An D o r e H e n s l e r . (Berlin, 4. März 1815.) Während der unglücklichsten Zeit unsers Staats, als wir die Annäherung unseres politischen Untergangs fast ohne eine

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Regung von Hoffnung erwarteten, konnte ich midi in das Altertum und die Studien zurückziehen, die Gegenwart vergessen, tätig und glücklich sein. Jetzt, da es doch in manchen Hinsichten nicht so schlimm steht, wohl aber alle schöne Hoffnungen zerstört sind, kann ich noch immer meine Blicke nicht von dem abziehen was den Frieden der Seele vernichtet. Der Krieg hatte mich verjüngt, an diesen Entscheidungen verwelke ich wieder. Hauptsächlich ist es wohl Schwäche gegen das Gefühl, aber man täuscht sich wenigstens durch eine Ansicht von Pflicht. Wenn nicht alles fruchtlos, wenn Hülfe noch möglich ist, so glaubt man sich des Vergehens schuldig zu machen seine Hand abzuziehen, wenn man nicht wenigstens mit voller Aufmerksamkeit bei dem verweilt was geschieht, und sich dadurch fertig hält zu wirken sobald man aufgefordert würde. Vergebens sagt man sich daß daran nicht zu denken sei, so lange die absolute Unmöglichkeit noch nicht vor uns liegt. Ich hätte jetzt den Wunsch, wo eine heilende und pflegende Hand in unsern neuen Provinzen so dringend not tut, und so wenige von unsern Geschäftsleuten für solche Umstände taugen, einen Beruf in ihnen zu erhalten. Ich habe diesen Wunsch auch nicht verhohlen gehalten: indessen läßt sich freilich alles darauf verwetten daß es nicht geschehen wird. — Ist das einmal entschieden so werde ich hoffentlich auch die Täuschung überwinden, die sich immer regt, wenn man Dinge vernimmt die schmerzen, es sei vielleicht möglich durch Vorstellungen oder öffentliche Verhandlungen zu fördern und zu hindern: und dann kommt auch wohl meine Gemütsruhe wieder. — Nach den heutigen Nachrichten werden die Souveräne am 15. März von Wien abreisen 1. Ob irgend etwas weiter festgesetzt ist als das Arrangement gegen uns, worin die Fäden einer Verschwörung zu unserm Untergang angelegt sind, läßt sich wohl nicht sagen: inzwischen muß Österreich überzeugt sein daß es für jetzt zu keinem Krieg kommt, denn die Land1

Napoleons Abreise von Elba, die am folgenden Tage in Wien bekannt wurde. stieß diese Dispositionen um.

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wehr wird aufgelöst, und die Armee auf den Friedensfuß gesetzt: — welches bei den Verhältnissen in Italien ganz rätselhaft vorkommt. Denn wenn Österreich dort auch den Murat gern leiden will, aus Furcht mit ihm anzubinden, so können sie doch unmöglich zugeben daß Frankreich eine Armee dorthin sende unter dem Vorwand, wenigstens, ihn zu vertreiben 1. — Marie Louise gibt Parma auf, und erhält dafür die böhmischen Herrschaften des Großherzogs von Toskana, dem zur Entschädigung Lucca und Piombino gegeben werden: Parma kommt an die alte Familie. Das vermag das ganz kraftlose Spanien durchzusetzen 2 ! — Zu dem Allertraurigsten und Empörendsten gehört daß Eugen Beauharnais ein deutsches Land mit 300 ooo Menschen erhalten soll! 3 Dies reizt womöglich am heutigen Tage die Galle noch mehr als gewöhnlich, denn es ist heute der Jahrestag an dem vor zwei Jahren die Franzosen Berlin räumten. Sie sind seitdem wieder sehr mächtig, und wir sehr ohnmächtig geworden! Und Deutschland ist schrecklich vergessen! Was mich jetzt etwas zerstreut ist die Nachricht daß in einem ändern Weltteil endlich geschieht was ich längst erwartet und gehofft: nämlich daß die nördlichen Staaten von Amerika sich von den südlichen trennen, und einen neuen Bund bilden 4. 1

Vgl. o. S. 544 Anm. 2. — Die Lage änderte sidi schon nach kurzer Zeit, als Murat auf die Nachricht, daß Napoleon Elba verlassen habe, sich diesem anschloß. 2 Die Ansprüche der bourbonischen Nebenlinie wurden von dem spanischen Bevollmächtigten auf dem Wiener Kongreß vertreten. Doch konnte er, als Österreichs italienische Tendenzen durch Napoleons neue Erhebung sich verstärkten, damit nicht durchdringen, und Parma und Lucca verblieben in der Hand Marie Luises. * Eugen erhielt später, von seinem Schwiegervater König Max zum Herzog von Leuchtenberg erhoben, das Fürstentum Eichstaett. 4 Diese Bemerkungen Niebuhrs (vgl. auch seine gleichzeitigen Aufsätze für das „Tageblatt der Geschichte", wieder abgedruckt N S 453 ff.) sind hervorgerufen durch den im Dezember 1814 auf Antrieb von Massachusetts erfolgten Zusammentritt von Deputierten der Neu-England-Staaten zu Hartford. Durch den englisch-amerikanischen Krieg besonders schwer getroffen, beschlossen sie, bei der Bundesregierung gegen verschiedene ihrer Maßnahmen aufs schärfste zu protestieren. Die ganze Aktion, die wenigstens von Seiten der Vertreter von Massachusetts auf den Gewinn einer fast unabhängigen Position hinauslief, wurde durch den englisch-amerikanischen Friedensschluß (s. o. S. 545 Anm. 3) hinfällig.

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"Wenn das Bessere, unnatürlich mit dem Schlechteren verbunden, sich befreit, so ist das etwas sehr Erfreuliches. Du schriebst vor einiger Zeit, beste Dore, daß sich bei den Studenten dort ein so sonderbarer Danismus äußere: das muß ruchtbar geworden sein, und sich sehr stark geäußert haben: denn die deutschen Universitäten vereinigen sich Kiel deshalb (vermutlich wegen der Feier des Treffens von Sehestedtx) in Verschiß zu erklären 2 : es ist von Göttingen vorgeschlagen, und hier bereits angenommen. Leipzig wird ihnen, so wie die Sachen jetzt stehen, wohl bleiben, — sonst wären die Holsteiner, bei dem Zwang den die Regierung auflegt in Kiel zu studieren, in einer grausamen Lage: und ich denke es ist nicht bloß ein besonderes Mitleiden mit meiner Heimat weswegen ich es zu hart finde diese Ächtung zu erlassen, wodurch denn auch die Gehässigkeit immer weiter getrieben wird . . . Niebuhr-Nadilaß. 560.

An M a r c a r d .

Berlin, j. März 1815.

Übersendet ihm einen Abzug des „Tagesblattes der Geschichte" mit einer kleinen Notiz Marcards. Über die Verzögerung des Erscheinens des Aufsatzes im „Freimütigen" 3. Über den Hamburgischen Korrespondenten.

Über den Ausgang der Wiener Unterhandlungen, soweit er Preußen betrifft, mag ich nicht viel sagen. Es hat in der Tat der Moniteur alles für uns gesagt, indem er es als den ersten Triumph der französischen Politik angekündigt hat. England hat sich schändlich mißbrauchen lassen. England wird viele Millionen an die Befestigung von Städten in Belgien verschwenden, sich erschöpfen, das Land nicht halten, und uns in alle Kriege hineinziehen welche es mit den Bourbons seit der Restauration 1

In dem die Dänen im Dezember 1813 ein verbündetes Truppenkorps besiegt hatten (s. o. S. 446 Anm. i). 2 Die Sehestedt-Feier, die dies Vorgehen der deutschen Universitäten veranlaßte, war von dänischen Studenten als Gegenaktion gegen die Absicht K. Th. Welckers, die Wiederkehr des Jahrestages von Leipzig zu feiern, veranstaltet worden — eines der ersten Anzeichen für die Verschärfung des deutsch-dänischen Gegensatzes. 8 Vgl. o. S. J4 $.

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ebenso gut als mit denen vor der Revolution führen wird. Wir haben kein andres Mittel um nicht der Raub verschworener feiger Neider zu werden, als durch und durch ein bewaffnetes Volk zu werden: — und das ist traurig. Vielleicht gehen wir dann bald glorreich aus der Krisis heraus: geschieht es nicht, so hat Deutschland das Schicksal Italiens, oder Polens. — So lange Hannover mit England verbunden ist konnte niemand vernünftigerweise und ehrlich zugleich, nach der Erfahrung von 1806 l, erwarten daß Preußen unklug genug sein würde seine Hand zum zweitenmal darnach auszustrecken. Ich freue mich der Aussicht auf eine Trennung der vereinigten amerikanischen Staaten 2: — und wage es nicht zu hoffen daß die englischen Minister die unglücklichen spanischen Colonien von ihren Mördern und Tyrannen befreien werden. Niederschlagend ist mir auch Vansittarts 3 verkehrtes Finanzsystem, die heillose Verschwendung, und der innere Zustand von dem die Debatten über die Korneinfuhr Zeugnis ablegen. Über Males Befinden und den Entschluß, fie mit Magnetismus zu behandeln.

Diese Kur breitet sich hier unglaublich aus: und die Herstellung von Lähmungen durch Wunden geschieht so schnell und unausbleiblich daß ich es für Pflicht halte Sie darauf zum Besten derer aufmerksam zu machen, die von ihren Feldzügen in Spanien bei der Legion * solche Lähmungen an sich tragen. Die Facta wird Herr Stieglitz 6 nicht wegleugnen. Auch zu Husum, im Schleswigschen, habe ich von einem sehr nüchternen Arzt Fälle von Heilungen gehört die an Seltsamkeit der Erscheinungen der Clairvoyance alles übertreffen was ich bisher 1

Im Februar 1806 hatte Napoleon das von den Franzosen besetzte Hannover an Preußen abgetreten, um so Preußen in die antienglische Front einzureihen und zugleich ein Druckmittel gegen England zu haben. Da aber der Gegensatz zwischen Frankreich und Preußen fortdauerte, hatte Preußen durch diese Maßregel sich die Feindschaft Englands zugezogen, ohne doch wirklichen Gewinn davon zu haben. 2 S. o. S. j/j Anm. 4. * N. Vansiuart (1766 — i8ij), von 1812 — 1822 Chancellor of the Exchequer. 4 Die Deutsche Legion (s. o. S. 449 Anm. i). 4 J. Stieglitz (1767 — 1840), hannoverscher Arzt, einer der Hauptgegner des Magnetismus. G e r h a r d - N o r v i n , Niebuhr. Bd. II.

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authentisch in der Art gehört hatte. Meiner Frau wünsche ich übrigens Genesung ohne die Illustration dieser Leibesverklärung . . . Leipzig, Univ.Bibl.

56l.

An H a r d e n b e r g .

Berlin, n. März 1815.

Teilt ihm mit, daß die englische Übersetzung der Sachsenschrift, nachdem die sächsische Frage entschieden, undurchführbar sei. Macht darauf aufmerksam, daß den antipreußischen Angriffen in der gesamtdeutschen Presse zu wenig entgegengetreten werde. Können wir solche Angriffe dulden ohne die Aditung Deutschlands zu verlieren, ja ohne in der Nation selbst die Kraft zu lahmen, deren äußerste Anstrengung nötig sein wird wenn der Zeitpunkt kommt für den die welche Preußens Untergang im Schilde führen alles vorbereiten? Ist es nicht dringend notwendig daß wir reden? Ew. Durchlaucht haben meiner Schrift Ihren ganzen Beifall geschenkt. Möchten Sie geruhen, im Allgemeinen die Censur anzuweisen die Stimme des Patriotismus nicht z;u ersticken — wozu ängstliche Behutsamkeit bei den besten Absichten Ursache werden könnte — und zu genehmigen daß ich mir erlaube gelegentlich darüber zu schreiben, was Deutschland und Europa zu erwarten gehabt wenn Preußens Forderungen erfüllt worden wären: warum dies vereitelt sei: wie Preußen nachgegeben, nicht aus Furcht oder Veranlassung zur Furcht, sondern um den Greuel eines neuen Kriegs zwischen Deutschen, mit bitteren Opfern und augenscheinlicher Gefahr abzuwenden: und was bevorsteht. — Es scheint mir eine durchaus irrige Ansicht der Censur dergleichen aus der Zeitung auszuschließen: vielleicht überhaupt nicht zu gestatten . . . Berlin, Geh. Staatsarchiv, Hardenberg-Nadilaß K 58. Abdruck des ganzen Briefes Czygan, Zur Gesdiichte der Tagesliteratur während der Freiheitskriege II, 2. S. 190 f.

562.

An D o r e H e n s l e r .

(Berlin, 17. März 1815.)

Dankt ihr für ihren Entschluß, nach Berlin zu Besuch zu kommen.

Deine Bedenklichkeiten wegen Tine* sind sehr triftig, obwohl eigentliche Zerstreuungen unserm Cirkel so fremd sind daß sie vielmehr etwas Gefahr laufen könnte Langeweile zu 1

Dores Nichte, Tochter von Landvogt Behrens, später mit August Twesten verheiratet (vgl. o. Bd. I S. CXXXIII).

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leiden. Wir haben ja, mit Ausnahme von den sehr wenigen Frauen und Witwen unsrer Bekanntschaft ausschließlich nur Männerumgang, an Lustbarkeiten ist gar nicht zu denken, und das Theater ist so ganz verfallen daß selbst ein junges Geschöpf aus dem Winkel einer Provinz keine sonderliche Lust daran haben könnte. Doch bleibt immer der Eindruck des Großstädtischen, der ihr, da sie einmal fähig ist, sich den Maßstab und die Art ihres Lebensortes verleiden zu lassen, freudestörend zurückbleiben könnte. Sonst wirst auch Du finden, daß, obwohl die Menge meiner Bekannten sehr zugenommen hat, vor fünf Jahren viel mehr Jugendlichkeit, Lebendigkeit und Abwechselung in unserm gesellschaftlichen Leben war. Wir haben uns, wegen der Teurung und pflichtmäßiger Ausgaben, viel mehr zurückgezogen, und sehen weniger Gesellschaften bei uns: und dann ist alles alter geworden. Dieser Winter hat allgemein die Heiterkeit zerstört, wie schon der Krieg der geselligen Gesprächslebendigkeit Abbruch getan hatte. In den bösesten Zeiten hatte man sich entschieden von der Betrachtung des hilflosen Unglücks in seine eigene Brust, und seinen eigenen Kopf zurückgezogen; — während des Kampfes ließ man das alles stehen und liegen, und lebte nur im Allgemeinen — in Hoffnungen die nun bitter vereitelt sind. Unwillen und Bitterkeit — in vielen Richtungen — sind jetzt die durchgehends herrschenden Gefühle, und die müssen sich erst besänftigen ehe man wieder mit sich selbst wirtschaften kann . . . Über die Besserung im Befinden Males durch die Behandlung mit Magnetismus und über andere Heilerfolge mit Magnetismus.

Ich schäme mich Deine Frage über meine Arbeiten zu beantworten: und würde es noch mehr tun wenn ich nicht überzeugt wäre daß ich, bei beruhigtem Gemüt, doch wieder mit voller Kraft zu dem Werke zurückkommen werde welches nun einmal der Beruf meines Lebens ist — wiewohl es ganz unmöglich ist es gebührlich auszuführen, ohne Italien besucht zu haben. Du mußt zu meiner Entschuldigung bedenken daß es nicht eine gelehrte Arbeit der Art ist die man aus Büchern zusammensetzen kann, sondern daß der innere Sinn so geschärft 37*

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sein muß daß man eine unmittelbare Anschauung habe wodurch alle einzelne Bruchstücke Bedeutung und Stelle bekommen. Erschwert wird nun dies und die ganze Arbeit dadurch daß von der Zeit an wo mein zweiter Band endigt, der Schauplatz der Geschichte welche so lebendig angeschaut werden muß sich außerordentlich erweitert. In Vorarbeiten, die kaum einen Platz in dem Buche selbst finden können, muß ich mir die ganze alte Welt von Alexanders Thronbesteigung an, mit ähnlichen Restaurationen wie Rom lebendig machen, um bei jedem Hauptzeitpunkt auch ehe noch Rom in unmittelbare Beziehungen mit den entfernteren Reichen kommt, übersehen zu können, wie alle Teile des Ganzen, welches sich immer mehr zu einem System gestaltet, auf einander, und also auch auf Rom und Italien einwirken; und dann, so wie die Römer irgend einen Staat berühren, ein Bild desselben darstellen. Eine sehr schwere Arbeit ist auch die Schilderung der alten Sitten und der einheimischen Religion; doch diese Arbeiten werden sich allerdings, wenn sie nur gelingen wollen, belohnen; denn die moralische Achtungswürdigkeit der Römer verglichen gegen die Griechen ist außerordentlich . . . Hegewisch 1.

Das unerwartete Ereignis der Unternehmung Napoleons 2 hat hier grade bei allen Patrioten und Freiheitsfreunden einen heftigen freudigen Eindruck hervorgebracht. Dies mag Dir sonderbar erscheinen, liebste Dore, aber Du wirst Dich hineindenken können. Am wahrscheinlichsten ist es wohl daß das Abenteuer endigen wird wie das des unglücklichen Schill3. Sollte er aber Konsistenz gewinnen, ohne eine schnelle Entscheidung, so kann Frankreich tief geschwächt werden: ja vielleicht sogar sich teilen. Und siegte er — wäre es ein großes Unglück? Dann müßte Europa schon sich vereinigt halten, und man müßte die Völker besser behandeln. Seit der Herstellung der Bourbons ist 1

S. o. S. j27 Anm. j. Napoleon hatte am 20. Februar Elba verlassen und war jetzt auf dem Vormarsch gegen Paris, aus dem Ludwig XVIII. am 19. März flüduete. * S. o. S. 10 Anm. 3. 2

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der Despotismus zwar in Frankreich aufgehoben, aber sonst viel fester begründet: Spanien, die Lombardei, die Herstellung der Jesuiten. — Es ist beschlossen die Territorialeinrichtungen sogleich als definitiven Besitzstand eintreten zu lassen, und wir sollen das übrige Sachsen provisorisch besetzt halten. Jetzt gebrauchen sie uns wieder: werden uns auch schon wieder betrügen. — Der König von Sachsen und Marie Louise haben Napoleons Abfahrt von Elba zwei Tage früher gewußt als die Souveräne. Zu Dresden ist unter den Anhängern des Königs ebenfalls eine laute Freude über den Vorfall gewesen: es sind sogar Häuser illuminiert worden (so wie die sächsischen Offiziere zu Coblenz an ihres Königs Geburtstag seine und Bonapartes Büste auf dem Tisch gehabt und bekränzt haben). — Grade das Entgegengesetzte hat hier das nämliche Gefühl der Freude bei den entgegengesetzten Gesinnungen hervorgebracht . . . Wenn ich eine Anstellung wünsche1 so ist es nicht aus Überdruß an Berlin, sondern wirklich aus dem Verlangen zu nutzen: immer würde ich wünschen hieher zurückzukehren. Niebuhr-Nadilaß. Abdruck von Teilen LN II 136 f.

563.

An D o r e H e n s l e r .

Berlin, i. April 1815.

Über Males Befinden und ihre Behandlung mit Magnetismus.

. . . Wenn wir geglaubt hätten (was freilich Erfahrungen über die Ungeschicklichkeit aller Regierungen, und ihre Saumseligkeit und Faulheit, so wie Kenntnis der Unbesonnenheit und Verblendung der Bourbons hätte bis auf einen gewissen Grad lehren können) daß Bonaparte so gar keinen Widerstand antreffen würde, so hätte sich freilich kein Mensch bei uns gefreut als wir seine Landung vernahmen: denn die leichtgläubige Hoffnung einiger lieber Jünglinge daß man diesesmal im Kriege mit Frankreich nachholen könne was das vorigemal versäumt worden, kommt hier nicht in Anschlag. Die Wohlgesinnten hofften besonders daß unsere Unterhändler diesen Augenblick 1

S. o. S. J74.

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ergreifen würden um Ostfriesland zu retten, dessen Verlust uns, und namentlich mir, ganz fürchterlich schmerzlich ist. Auch dies scheint nicht geschehen zu sein. Und so ist es freilich ein absolutes Unglück, und ein Ende läßt sich gar nicht mehr absehen. Wollte man bei dem Verflossenen verweilen, so ließe sich nur wiederholen was ich immer bejammert, daß man nicht nach der Einnahme von Paris mit Bonaparte einen Frieden unterhandelt, wodurch er die Festungsgrenze aufgegeben — welches damals zu erreichen war, — und dann hätte man freilich auch jetzt wieder Krieg: aber bis dahin mußte alles einig sein. Ich sehe diesem neuen Krieg mit schwerem Herzen entgegen. Es ist die letzte Anstrengung deren wir fähig sind. Siegen die Verbündeten, so läßt sich, nach dem was geschehen ist, voraussehen was man uns vorbereitet. Unterliegen sie, so ist alles verloren. Indessen muß man sich das Herz leicht machen, so gut es gehen will. Die Jugend und der Landmann gehen sehr wohlgemut daran. Die Hauptstädter, welche stark in den Papieren spekuliert haben, sind unbeschreiblich niedergeschlagen. — Und es fragt sich noch ob und wieviel auf Österreich zu rechnen ist? Ohne Murats Kriegserklärung x gewiß sehr wenig: jetzt zwingt sie das vielleicht auszuhalten: und wenn die Russen erst eingerückt sind, so müssen sie schon eher treu bleiben. In wenigen Wochen werden die Feindseligkeiten in vollem Gang sein wenn nicht auf einmal Unterhandlungen eintreten. Gott gebe daß man nicht verwegen vor- und zu früh in Frankreich einrücke: ich bin überzeugt daß dieselben welche alles vorbereitet damit Bonaparte nach Paris komme, eben so auf der ganzen Grenze alles zum Offensivkrieg vorbereitet haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird man wieder auf Paris vordringen wollen: und man übersieht wohl die Schwierigkeiten, denn da das Volk gewiß gegen uns aufsteht, so wagen wir alles: und dieses Mal kann man sich doch wohl nicht einbilden ihn zu stürzen, oder, wenn es geschähe, die alte abgestorbene Dynastie herzustellen. Also deucht mich müßte man vielmehr einen langsamen Eroberungs1

Am 15. März i 8 i j hatte Murat, der sich durch die Politik des Wiener Kongresses in seiner Position bedroht glaubte, sich Napoleon angeschlossen und den Krieg erklärt.

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krieg zu führen suchen. Indessen, was auch geschieht, wäre es das Allerschlimmste sich niederschlagen zu lassen; und auch zu viel an das Versäumte zu denken, oder an die von einem neuen Kriege unzertrennlichen Nachteile. Es ist ein Jammer wenn ein noch größerer Teil unsrer Jugend fällt, und die übrigen vielleicht bis auf einen gewissen Grad verwildern: ein großer Verfall der Wissenschaft scheint unvermeidlich, und allgemeine Verwandlung der Nation in g e w ö h n t e Krieger ist den Hoffnungen bürgerlicher Freiheit auch nicht günstig. Man muß aber jede Zeit nehmen wie sie ist, und suchen daraus zu machen was ihre Eigentümlichkeit erlaubt. Davon haben die Bourbons keine Ahndung gehabt: sie hätten durch die Anhänger der Freiheitsideen gegen die Armee Festigkeit gewinnen müssen. Anstatt dessen haben sie jene beleidigt und geschreckt: und ihre wahre und einzige Kraft (die Nationalgarde) dem unklugen Traum aufgeopfert die Armee gewinnen zu können. Es waren Kinder die sich einbildeten, ein zahmscheinender Tiger scheue sich vor ihnen. Sie hatten die Ansprüche der Aristocratic, welche sie für eine Kraft hält, weil sie in gewöhnlichen Zeiten mit der Kraft eines Rechts gelten: — Ansprüche die sobald sie einmal aufgekündigt sind, sich nie wieder gültig machen lassen. — Ein Bürgerkrieg läßt sich gar nicht erwarten: denn die feige Selbstischkeit der Franzosen versteckt sich hinter die Maxime, daß ein Bürgerkrieg das höchste Unglück sei. Sollten denn auch im Süden sich einzelne Funken zeigen, so wird Bonaparte sie auf jedem Punkt mit un verhältnismäßiger Macht erdrücken: und seine Proklamationen und Decrete verführen Hunderttausende. Was unsere Verhältnisse betrifft, so versichert man ganz bestimmt daß Hannover auch die Altmark gefordert hat: und gewiß ist es daß sie, gegen die Mitte des Februar, uns Krieg drohten \ Der Herzog von Braunschweig hatte 14000 Mann zusammen; auch ihm hatte man preußische Provinzen versprochen. 1

Die unmittelbare Kriegsgefahr war vielmehr schon Anfang Februar überwunden, nachdem Preußen in der sächsischen Frage nachgegeben hatte (s. o. S. 549 Anm. 2) und Castlereagh daraufhin auch die durch Graf Münster vertretenen Ansprüche Hannovers zu dämpfen wußte.

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Sein Haß kommt daher weil er 1813 im Hauptquartier zu Reichenbach ein Commando forderte, und abgewiesen ward. Er redete laut von österreichischen Subsidien. — Graf Münster predigte zu Wien Preußen müsse zerstört werden!! Der Prinz Regent1 spielt mit nichts lieber als mit der Vergrößerung Hannovers: Castlereagh ist hineingegangen um bei Hofe liebes Kind zu sein: die Majorität der Minister denkt ganz anders, wagt aber ihre Stellen nicht. Die Nation ist nicht aufmerksam darauf, der Congreß hat sie ennuyiert: und die Gutsbesitzer im Parlament haben mit der Regierung ein förmliches Abkommen getroffen, sie für diese Sitzung schalten zu lassen wenn die Kornbill durchgeführt werde2. So waren von der Seite sonst unmögliche Dinge möglich. Anerkennen sollte man es doch allgemein daß wir d e n n o ch , und obgleich die Machinationen gegen unsre Existenz f o r t d a u e r n , wieder, wie kein andrer Staat, vortreten, — und kämpfen werden wie zu jener Zeit wo man gutmütig nur Brüder in ganz Deutschland sah. Es ist mir ein unschätzbares köstliches Gut zerstört durch die Verwandlung dieses liebenden Gefühls in bittern Haß. Der Kronprinz weiß nichts über seine Bestimmung, Er hat mich, und seinen Adjutanten, Oberstleutnant Schack3 (einen vortrefflichen Offizier) überrascht, indem er uns seinen Wunsch gestanden ein Commando zu bekommen. Der König tut es nicht. Mit dieser Fülle von Gaben womit die Natur diesen Jüngling ausgestattet könnte es nicht fehlen daß auch ein ausgezeichneter Feldherr aus ihm werde. Er wünscht heftig, daß ich ihn ins Feld begleiten möge. „Wie herrlich wäre das wenn wir dann immer die Abende zusammen wären!" Ich weiß wohl daß es ihm heilsam wäre, und da es scheint daß Ancillon nicht mitgehen wird, so täte ich es noch um so lieber. Er hängt so recht innig 1

Georg IV., der seit Anfang rSii die Regentschaft für seinen geisteskranken Vater

führte. 2

Die Kornbill war am 20. März Gesetz geworden. Durch sie wurde bestimmt, dai ausländisches Getreide nur eingeführt werden dürfe, wenn die Kornpreise eine bestimmte Mindesthöhe erreicht hätten. 3 S. o. S. 537 Anm. i.

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als Freund an mir: er hat gewiß nur wenig Geheimnisse vor mir, und hätte lieber gar keine. Ich liebe ihn wie Du weißt. Aber ich glaube nicht daß es zu Stande kommt. Viele Offiziere wünschen es daß ich mitgehen möge. Es treibt mich nicht so wie vor zwei Jahren, und wenn nicht der Kronprinz auswirken kann daß ich ihm mit dem Titel eines Adjutanten (um immer bei ihm sein zu können) zugegeben werde, so werde ich es nicht tun. Man könnte und sollte mich zu ganz ändern Sachen gebrauchen. Aber man tut als ob ich nicht existiere. Noch mehr als sonst mag man sich vor mir scheuen weil der Kronprinz so ganz öffentlich zeigt daß sein Herz an mir hängt. — Neulich hat er mir ein Andenken geschenkt, ein geschliffenes Glas von König Friedrich Wilhelm L, den zu verehren ich ihm immer predige, und dessen Rauheit ihn schreckt. Das Bewußtsein seiner geistigen Kraft, und dabei der Pflicht sie zu gebrauchen, erwacht immer mehr in ihm. Sein Geist ist keine Sekunde müßig. Verläßt ihn ein Lehrer, so sitzt er am Flügel bis der andre kommt: hat er sich niedergesetzt, und es vergehen einige Minuten ehe man zur Sache kommt, so zeichnet er während des Gesprächs. Seine Jungfräulichkeit und seine Herzensgüte erhalten sich in ihrer völligen Reinheit. Professor Welcker 1 ist uns eine sehr angenehme Bekanntschaft. Dank auch für das Briefchen womit Du ihn uns empfohlen. Es ist gewiß ein Mann von seltner Tüchtigkeit, Kenntnis und Tätigkeit. Er hat so viel gesehen, beobachtet und gedacht daß sein Gespräch lehrreich, nicht bloß angenehm ist. Ich wünsche ihm Anstellung in unsern Staaten: er hat aber nichts geäußert was auf den Wunsch deute. Seine Bekanntschaft mit der Humboldt kommt daher daß er zu Rom Hofmeister in ihrem Hause war. Sonst wäre es auffallend wenn er sich mit ihr gefiele. Mir widersteht sie im Innersten der Seele . . . Niebuhr-Nadilaß. Leidit überarbeiteter Abdruck von kleinen Teilen LN II 137 f. 1

Friedridi Gottlieb Weldker (1784—1868), der Philologe, Niebuhrs späterer Kollege in Bonn, Freund Wilhelm und Karoline von Humboldts, bei denen er 1806 — 1808 in Rom als Hauslehrer der Kinder gewesen war, damals Professor in Gießen, kam auf der Rückreise von Kopenhagen durch Berlin. Dore wird ihn durch seinen Bruder Karl Theodor (s. u. S. 615 Anm. i) kennen gelernt haben.

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Letzte Berliner Zeit 564.

An H a r d e n b e r g . Berlin, i. April 1815. Übersendet ihm eine Denkschrift des Majors von Boetticher über den -politischen Zustand von Kurhessen. . . . Ew. Durdilaudit werden durch alle Berichte vernehmen daß die Stimmung der Jugend und des Landmanns bei der neuen Gefahr und Not sehr rüstig ist, dagegen aber die Kaufleute, Rentiers und im Allgemeinen die Hauptstädter, ganz eingeschreckt und so auffallend mutlos sind, daß man sehr wünschen muß es werde im Ausland nicht bekannt. Es ist die Folge der plötzlichen Zerstörung zu träumerischer Erwartungen von Prosperität und goldnen Tagen langen Friedens. Dennoch, und obwohl neben dem Haß gegen Frankreich, der schändliche Undank gegen Preußen in allen tüchtigen Herzen viele andere bittere Gefühle erregt hat, welche grade das Gegenteil von jener Bruderliebe sind womit die Nation den Krieg im Jahre 1813 begann, so können Sie sicher auf ähnliche Aufopferungslust im allgemeinen und gleichen Heroismus zählen. Jeder wird sich glücklich schätzen dem Staat nach seinen Kräften dienstbar zu sein — von mir selber möchte ich es für überflüssig halten Ew. Durchlaucht dieses zu versichern . . . Berlin, Geh. Staatsarchiv. Hardenberg-Nadilaß K 58.

565.

An D o r e H e n s l e r . Berlin, 14. April 1815. Über Males Krankheit. Die Einwirkung der allgemeinen Stimmung. . . . Denn freilich ist ein großer Unterschied zwischen der Gemütsstimmung und den Erwartungen jetzt und vor zwei Jahren. Mir ist die Brust zusammengepreßt von einer unbestimmten— Besorgnis oder Ahndung? (Es wird) nun wohl wieder etwas mehr Aufschwung kommen, da die allgemeine Bewaffnung angekündigt ist 1 und ohne Zweifel, sobald der Kriegsminister zurückkommt 2 , ins Werk gerichtet wird, so weit die Umstände sie erlauben. Indessen gehört auch dazu daß man wieder die populären Formen annehme welche vor zwei Jahren jedermann zum freihandelnden Teilnehmer machten; diese Zeit hat 1

In dem Allerhöchsten Aufruf an das Volk vom 7. April iSij. Gleichzeitig wurde die Verordnung wegen Bewaffnung der Freiwilligen erlassen. 2 Der Kriegsminister Boyen war Ende März zu intensiverer Fühlungnahme vom König nach Wien berufen worden.

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ein unerlöschlidies Andenken bei allen hinterlassen. Wir waren damals eigentlich ohne Regierung, aber die Zwecke welche diese hatte und haben sollte waren die unmittelbaren jedes einzelnen, und da man das Volk machen ließ, so wurden sie weit vollkommener erreicht als wenn die Leitung von oben mit der größten Geschicklichkeit geführt worden wäre. Bis jetzt will man nur leiten und anordnen, und die Nation nicht selbst sorgen lassen: und es läßt sich nicht verhehlen wie sehr, bei den übrigen nur allzu bekannten Eigentümlichkeiten, eine mehr als zweijährige Abwesenheit, bei der alle Verwaltungsgegenstände als Nebensache behandelt worden sind, die Regierung aus dem Mittelpunkt der Nation versetzt hat. Wir können es uns nicht verhehlen daß gerade hierin der Feind nicht nur eine Überlegenheit, sondern ein entschiedenes Geschick besitzt, und daß unser Heil davon abhängt daß wir unsere wahre Überlegenheit benutzen, welche in dem Herzen und dem Charakter der Nation besteht. So war es auch im Kriege und wird wieder so sein. Unsre Leitung war oft falsch, verkehrt, und immer ohne durchgreifende Ordnung. Aber der Geist und das Herz der Truppen machte alles wieder gut. Wenn wir nun nur nicht künstlicher und geschickter verfahren wollen und müssen als wir es können. Im Herzen Deutschlands, und als Bonaparte in Frankreich nur eine entstehende, und immer wieder zerstörte Armee hatte, konnten wir mit furchtbaren Schlägen viel ausrichten. Es steht uns jetzt ein ganz andrer Krieg bevor, und ich bin nun einmal nicht wohlgemut. Bonaparte zeigt sich fürchterlich geschickt, und es läßt sich nicht bezweifeln daß der Wille der Nation leidenschaftlich für ihn ist: wenigstens mit den Ausnahmen die allenthalben stattfinden wenn man eine Nation nennt: denn man wird doch nicht leugnen daß England leidenschaftlich gegen Bonaparte ist, deswegen weil Millionen in Irland bereit wären sich ihm in die Arme zu werfen. — Wenn nun Einzelne hier von Teilungsprojekten über Frankreich reden, so wird mir dabei greulich zu Mut. Glaube nicht daß ich bestimmt etwas Unglückliches, wenigstens einen unglücklichen Ausgang befürchte: und wenn einer aus dem Herzen sagt, Gott habe uns so weit ge-

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holfen und werde uns nicht verlassen, so werde ich auch wieder ganz zuversichtlich, nur wie es kommen soll sehe ich nicht ein; denn das ist ausgemacht daß wir gegen eine Armee von verzweifelten Räubern zu kämpfen haben werden, und gegen eine ohne allen Vergleich bessere als irgend eine die uns in den Jahren 1813 und 14 gegenüber stand. Über die Bestimmung unseres Kronprinzen ist gar nichts weiter ausgemacht: und für mich selbst wird es mir immer wahrscheinlicher daß ich gar keine Anstellung irgend einer Art erhalte. Indessen bei der Aufstellung der Landwehr des zweiten Aufgebots bin ich, so weit sich urteilen läßt, verpflichtet und berufen als Offizier einzutreten. Auf eine sehr glaubliche Weise wird versichert daß eine Constitution für unsern Staat ausgearbeitet — doch das ist wohl nicht das rechte Wort: vielmehr e n t w o r f e n — sei, und promulgiert werden wird 1. Nach der Persönlichkeit der dazu deputierten Personen läßt sich nichts andres als etwas höchst Rohes und Ungeschicktes erwarten, auch kann man nicht glauben daß es im Ernst die Absicht sei sie zur Tätigkeit kommen zu lassen. Die Ungeduld Vorteil von ihr zu ziehen um seinen Leidenschaf ten zu genügen möchte die Ausführung und den Bestand noch mehr gefährden. Und wenn man sieht wie sehr es auch wohlgesinnten Männern an durchdachten Begriffen und festen Zwecken fehlt, so wird man keinen reichen Gewinn an wirklich heilbringenden Einrichtungen erwarten. Ob die Bedingungen der Wählbarkeit so gestellt werden daß ich unter die Deputierten kommen könne, und ob, wenn dies der Fall wäre, mir gelänge erwählt zu werden, ist gleich problematisch: indessen würde ich mich, wenn jenes nur wäre, berufen fühlen mich um Erwählung zu bemühen. Du wirst dies als n u r u n t e r uns g e s a g t aufnehmen. Es kann auf eine elende Farce 1

Hardenberg hatte Anfang des Jahres in Wien mit dieser Aufgabe eine Kommission betraut, der der Finanzminister von Bülow, Staegemann, Staatsrat Hoffmann und der spätere Oberpräsident Zerboni di Sposetti angehörten. Ihre Arbeiten stockten aber sdion im Frühjahr. Am 22. Mai unterzeichnete der König dann die Verordnung über die Provinzialstände, in der er versprach, die Provinzialstände wiederherzustellen oder neueinzuführen und aus ihnen eine allgemeine Landesrepräsentation hervorgehen zu lassen.

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hinauslaufen, aber es kann auch zu merkwürdigen Folgen führen. Erregt sind die Gemüter offenbar, und es hat wohl Anschein daß sich gewaltsame Leidenschaften äußern könnten: aber ich fürchte von ihnen weniger zerstörende Folgen als daß ihre Äußerung die Machthaber bestimmen möchte der Sache ein schnelles Ende zu machen. Man kündigt auch immer aufs neue die Erteilung der Pressefreiheit an: es läßt sich aber gar nicht begreifen wie Leute welche so ängstlich jede Opposition laut zu werden hindern sich den Folgen dieser Maßregel bloß stellen sollten, wenn sie auch nur in Verdruß über Tadel und Aufdeckung bestehen . . . Niebuhr-Nadilaß. Zum Teil überarbeiteter Abdruck von Teilen LN II 139.

s66·

AnDoreHensler. Berlin, 2. Mai (1815). Am vorigen Sonnabend hatte Male so weit geschrieben, meine teure Dore, und wenn sie den Raum, welchen sie sich vorbehielt, benutzt haben würde, sollte ich fortfahren: aber da sie erst so sehr spät aufstehen kann, war schon ein Besuch bei mir ehe sie in das Zimmer kam, und ehe sie anfangen konnte, war der Vormittag so weit verflossen daß ich ihr riet, den Posttag übergehen zu lassen, in dem ich Dir kaum ein paar Worte zum Gruß würde haben sagen können. Nun ist seitdem Fritzens1 Brief mit der Trauernachricht2 eingetroffen! W i e ungeahndet, wirst Du Dir wohl schwerlich denken: denn ich zweifelte kaum, daß das stille Leben des lieben alten Vaters sich noch Jahrelang verlängern könnte, so daß wir, wenn nur Malens Gesundheit die Reise gestattete, ihn im nächsten Jahre wiedersehen würden. Ich kann mich der Vorwürfe über diesen Mangel aller Ahndung nicht erwehren: denn ich denke, wenn ich seiner so oft gedacht hätte, wie sich gebührt, so hätte mich eine Empfindung seiner herannahenden Auflösung erreichen müssen: und grade an seinem Todestage glaube ich gar nicht an ihn gedacht zu haben. Wie gern wäre ich in diesen letzten Tagen bei ihm gewesen! Wie viel gäbe ich darum wenn es hätte 1

Fritze Carthäuser in Meldorf, die Schwester von Male und Dore. * Von dem am 26. April erfolgten Tode seines Vaters.

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sein können! Wäre er minder anspruchslos in allen Verhältnissen gewesen, nicht so ganz bescheiden und genügsam, so hätte ich ihn, teils durch meine Schuld und Ungeduld, teils durch die Folgen früherer Verstimmungen viel an tätigen Äußerungen von Liebe und Zärtlichkeit vermissen lassen; und daß er dies nicht schmerzlich empfunden und doch seines Sohnes froh war, entschuldigt mich nicht. Wenn die Zeit abgelaufen ist worin es möglich ist Versäumnisse gut zu machen, dann drücken sie auf das Herz. Du, meine Dore, und Male, Ihr habt Euch solche Vorwürfe nicht zu machen. Und für wie redliche Liebe, wenn sie auch in so vielen Fällen den Weg zu ihrem Ziel nicht zu finden wußte, war ich dem edlen Vater Lohn und Vergeltung schuldig! Lassen sich Versäumnisse dieser Art auf andre Weise nach dem Grabe wieder gut machen, so soll es wenigstens mein Bestreben sein es zu tun. Meine Schwester hat noch nicht geschrieben, und Fritze so wenig umständlich daß wir das wenigste über die Annäherung seines Todes wissen: ich fürchte, und möchte es mir gern wegdeuten daß sie bei der physischen Beklommenheit nicht ohne schwere Angst gewesen ist. Sein Geist war gewiß sorgenlos und schied ohne Widerstreben und Furcht. Es ist mir sehr willkommen daß wir in dieser Zeit sehr allein und ungestört sind. Für mich ist es, so wenig factischen Einfluß der Tod des Vaters in diesem Alter und dieser Entfernung haben kann, wie ein Abschnitt des Lebens . . . Über Males Befinden; die Behandlung mit Magnetismus erfolglos. Niebuhr-Nadilaß. Stellenweise leicht überarbeiteter Abdruck LN II 140 f.

Zeiten von Males Tod und Dores Aufenthalt in Berlin, Sommer 1815. AnDoreHensler1.

567. (Berlin, 24. Juni 1815.)

Ich kann nicht abwarten daß ich Dich sehen könne um Dir die Nachricht zu geben welche mich diesen Morgen aus dem Schlaf geweckt hat. 1

Zettel während Dores Berliner Anwesenheit.

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Burgsdorff sendet ein von dem Justizminister Kircheisen ausgegangenes officielles Circulair umher — und so auch an midi — welches meldet: Diese Nacht sei ein (genannter) Curier mit der officiellen Nachricht von einem am 19. (Montag) bei Genappes (in Oberbrabant) erfochtenen, dem Leipziger gleichen, Siege eingetroffen *. Es waren schon 192 Kanonen genommen. Unser Verlust gering, dagegen am i6.2 sehr groß gewesen. — Kann man schon v ö l l i g glauben? Niebuhr-Nachlaß.

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An C h r i s t i a n e N i e b u h r . Berlin, 24. Juni 1815. Ich schreibe Dir heute mit einer außerordentlichen Vermischung von Gefühlen, meine liebste Schwester. Dorens Brief an unsere liebe Fritze ersparte mir am vorigen Posttage die bittere Wiederholung desjenigen 3 was ich selbst dorthin hatte melden müssen wo sie es mir nicht erleichtern konnte: und solche Trauerbotschaften vernimmt man doch leichter durch einen ändern, so daß ich Dir nichts entzog indem ich nicht schrieb. Unsre Traurigkeit war durch die Nachrichten über das Unglück vom 16. gestern noch verfinstert worden, als mich heute früh die Siegesbotschaft weckte 4, deren Freude wir unser Herz ganz geöffnet haben, ohne Furcht daß uns der geliebte Geist des Leichtsinns strafe, dessen ganze Kraft an eben dem hing was unser Leben wieder aufrichtet. Ich mag und soll nichts von dem wiederholen oder auch nur ergänzen was Dore unserer Fritze geschrieben hat. Auch mag ich Dir nicht erzählen wie mir und wie Dore die Tage vergangen sind, während deren wir unsere geliebte Leiche neben uns hatten: am ersten Tage mit den schönsten Zügen des ruhigen süßen Schlummers, am zweiten schon gegen Abend wenigstens in der Farbe entstellt: und da legten wir sie in den Sarg, und ich nahm den letzten Abschied von ihr, am Mittwoch spät. 1

Von der Schlacht bei Waterloo (Belle Alliance) am 18. Juni; das richtige Datum schon im nächsten Brief. 2 Bei Ligny. 8 Der Nachricht vom Tode Males (20. Juni). 4 S. den vorigen Brief.

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Donnerstag sah ich sie nicht mehr, um ihr Bild nicht zu entstellen, welches sich in der letzten Zeit ihrer Krankheit und selbst nach dem Tode gegen die früheren Perioden ihrer Kränklichkeit verschönert hatte, und ungeachtet der entsetzlichen Abmagerung der Lieblichkeit ihrer Jugend viel näher gekommen war. Gestern früh um fünf bestatteten wir sie. Auf dem Kirchhofe vor dem hallischen Tor, auf der Straße nach Großbeeren, ist sie vorläufig in einem Gewölbe beigesetzt: und dort lasse ich für sie und mich ein Gewölbe bauen, was ihren Wunsch erfüllt daß wir gemeinschaftlich einen schönen Ruheplatz haben möchten. Dieser Wunsch war sehr lebhaft in ihr als wir beide weit entfernt waren die Veranlassung ihn auszuführen für nahe zu halten. Während ihrer letzten Krankheit redete sie nie darüber, so wie überhaupt eine schonende Fügung ihr jeden, auch den leisesten, Gedanken der Trennung erspart hat. Das Gewölbe wird ganz unter der Erde gebaut: zum Eingang führen Stufen hinab: das Ganze wird mit einem eisernen Gitter umgeben. Eine schone italienische Marmorplatte deckt den Schlußstein, mit ihrem Namen, und der Zeit ihrer Geburt und ihres Todes: und dem Spruch aus dem Hohenliede: Du bist allerding schön meine Freundin, und ist kein Flecken an Dir \ Darunter eine aufgeblühte geknickte Rose: und dann Raum für meine Grabschrift. Daß Dore es hat möglich machen können, zu uns zu kommen, kann ich Gott nicht genug danken. Sie hat Male gepflegt und erfreut nicht allein mit aller Anstrengung ihrer Kraft: mit Nachtwachen, ununterbrochener Pflege und Sorgfalt an ihrem Krankenlager; — auch mit der Fülle ihrer Kenntnis von allem was ihre Schmerzen erleichtern und sie erquicken konnte... Mit ihrer Hilfe und Anleitung brachten wir sie in den Wagen wenn sie während der letzten zehn Tage ausfuhr, welches sie wenigstens erfreute: ich wollte schreiben erheiterte: aber Erheiterung bedurfte sie nicht. Sie war nie heiterer als in dieser Krankheit. Sie war glücklich über unsere Zärtlichkeit und unsre Sorgfalt, und wäre froh gewesen wenn sie Kraft gehabt l Hohelied Salomos IV 7.

593 hätte. Nie wandelte sie die leiseste Laune oder Ungeduld an. Sie war ganz das allersüßeste und liebenswürdigste Kind. Unsere Freunde eiferten auszufinden was sie erquicken oder erfreuen könnte . . . Savigny, Reimer, Nicolovius, Göschen und Schleiermacher begleiteten die Leiche mit uns zur vorläufigen Ruhestätte. Hätte sie nur den heutigen Tag erlebt, und die Kanonen vernommen, deren Schall ihr seit dem Kriege die lieblichste Musik war, wie sie uns den Hauptsieg verkündigten! Wir sind, Dore und ich, dem Siegeszug diesen Mittag gefolgt: waren dem Palais gegenüber als die Prinzessinnen den Courier im Staat empfingen, und sich dem Volk am Fenster zeigten: und wandelten unter dem gedrängten jubelnden Volk auf dem Platz wo das Geschütz den Sieg ausrief. Ihr armen Leute die Ihr solches Glück nicht kennt! Morgen feiern wir den Sieg im Dom bei dem Tedeum. Die Hamburger Zeitungen werden Euch alle Nachrichten geben welche wir bis jetzt haben. Die offiziellen sind noch sehr kurz. Die Schlacht vom 16. (bei Ligny) ist allerdings verloren gewesen. Seine Übermacht drang durch: aber sein Plan Blücher von Wellington zu trennen gelang doch nicht. In der Schlacht vom 18. b e i l a b e l l e a l l i a n c e sind 192 Kanonen erobert, und die Flucht der französischen Armee ist eine grenzenlose Auflösung. Die Sieger dringen auf Laon vor, und wir hoffen zuversichtlich daß auch diesesmal Paris genommen, und besser b e n u t z t werden wird als das vorige Mal. Wenigstens könnte nur die schändlichste Untätigkeit auf der übrigen Grenze es hindern. Ausgemacht scheint daß betrügerische Unterhandlungen welche andre Mächte sich erlaubt, verursacht haben daß vom großen Hauptquartier her der auf den 15. verabredete Angriff zurückgenommen worden1. Da griff Bonaparte an: — und wir erwarteten es nicht. Bassano 2 soll in seiner Kutsche von 1

Worauf diese irrtümlichen Bemerkungen Niebuhrs sich zurückführen lassen, läßt sich nicht sagen. 2 Märet, Due de Bassano (1763—1839), Napoleons Außenminister 1811—1814 und in den hundert Tagen. Die Nachricht von seinem Tode beruhte auf einem Irrtum.

G e r h a r d - N o r v i n , Niebuhr. Bd. II.

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einem Landwehrmann erstochen sein: vermutlich für Bonaparte gehalten: — s u n s t l a a t s e e m w e d d e r l o o p e n . In.Bonapartes Equipage hat man seine sämtlichen Orden, auch den schwarzen Adler gefunden. Als die beiden Feldherrn am 18. früh deliberierten ob man angreifen solle1, und Wellington schwankte, fiel heftiger Regen. Nun nicht gezögert, rief Blücher: das ist mein Glücksstern von der Katzbach. Anders wird erzählt, daß der Regen nach der Schlacht gefallen sei: daß Blücher "Wellington gefragt, wo er schlafen wolle? — In Napoleons Bett (dies war in den genommenen Equipagen) — nein, sagte Blücher, ich nicht! ich sehe meinen Glücksstern wieder. Die Schlacht gleicht der von Auerstädt, und ist in der Flucht der Franzosen ohne allen Vergleich glänzender als Leipzig, denn nach Leipzig wichen die Franzosen in einem furchtbaren geschlossenen Heer. Vandamme 2 steht bei Wavre: Thielemann gegenüber, nun weit entfernt von der geschlagenen Armee und allem Anschein nach ganz abgeschnitten: das wird freilich wieder Blut kosten, aber er kann der gänzlichen Zerstörung kaum entgehen . . . Niebuhr-Nadilaß. 569.

A n Schön.

Berlin, 30. Juni 1815.

Schreibt ihm mit besonderer Gelegenheit.

Eine solche seltene Gelegenheit sollte denn aber auch nicht ohne eine weitgreifende Mitteilung und Darlegung des Innersten hingehen. Doch daß ich diesesmal Ihnen nicht so schreiben kann wissen Sie. Sie wissen was mich betroffen hat: Sie wissen was meine Gefährtin war. Wie sie sich in den letzten Wochen und Tagen ihres irdischen Lebens verklärte, und wie vollendet sie von mir und der zärtlichen Schwester, die zu ihrer Pflege hieher 1

Wellington und Blücher trafen vielmehr erst am Nachmittag beim Eingreifen der Preußen in die Schlacht zusammen. 2 Vielmehr Grouchy. Das dritte Korps unter Thielemann hielt ihn am 18. fest und verhinderte so seine Vereinigung mit Napoleon. Doch gelang es Grouchy, am 19. der Umfassung zu entgehen und sich mit seinen Truppen nach Frankreich zurückzuziehen.

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gekommen war, schied — wenn ich Ihnen das erzählte so würden Sie einen Brief aus der Clarissa lesen *. Diese letzten Monate sind für mich schrecklich hart gewesen. In zwei Monaten habe ich meinen Vater, meine Frau, und einen Pflegesohn verloren, der am 16. gefallen ist 2 . Ich halte es aus: meine Gesundheit hat auf wunderbare Weise die Anstrengungen, die verschwiegene Angst am Krankenbett und den Kummer überstanden. Noch ist meine Schwiegerin bei mir. Ich habe Verlangen mich angestrengt zu beschäftigen, und Gesundheit genug um es auszuführen. Einen Beruf hätte ich mir gewünscht irgendwo in Geschäften zu wirken. Lange und wiederholt habe ich es Hardenberg angetragen. Aber aufrichtige Redlichkeit versteht sein Sinn nicht: Argwohn und Verdacht schrecken ihn vor allen Besseren. Auch beruhigt das Bewußtsein vom Congreß diese wenige, wo die stumme Mißbilligung des Volkes so laut redet. — Ich weiß wie man gegen Sie verfährt, — und wundere mich nicht. Indessen zeigt sich Gott immer wunderbarer mit unserm Lande und in unserem Volk, und es wird und muß durchgeführt werden. Robert 3 erwächst für eine bessere Generation als die alten unseres Mannesalters und die welche dieser Sauerteig verdorben hat: darin haben Sie wahrlich Recht. Aber wenn w i r gegen das Alter gehen wird auch für Sie und für mich eine Zeit kommen wo wir nicht mehr den Steinen predigen, besser noch — wenn eins sein muß — den wilden Tieren, als den Steinen. Der wunderbare Sieg 4 hat mich ganz aufgerichtet: und nicht allein seiner selbst wegen unmittelbar. Es ist Gottes Hand sichtbarlich, und wer wollte nicht wohlgemut wandeln wenn diese sich darreicht. Möge Gott Sie segnen, mein Freund; Ihnen allen Segen erhalten den er Ihnen geschenkt: — mögen Sie — das darf der Freund sagen, wenn das Schicksal ihn eben gelehrt hat — das 1

S. o. S. $6 Anm. i.

2

Christian Stolberg, s. o. S. 46$ Anm. 3 und S. 507 Anm. 4. s Schöns ältester, damals zwölf Jahre alter Sohn. * Von Waterloo (Belle Alliance). 38*

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Verdrießliche vergessen, sich über das Unerreichbare, was Menschen-Schlechtigkeit so macht, trösten, bei inniger Schätzung und Genuß des Glücks welches Sie Herz zu Herz als Mann und Vater haben . . . Königsberg, Staatsardiiv, Sdiön-Nadilaß. Vollständiger Abdruck „Papiere Schöns" I 183 ff. 570.

An den K r o n p r i n z e n .

Berlin, i. Juli 1815.

Teilt ihm Males Tod mit.

. . . Meine Frau und Geliebte hat ihr Leben so schön geendet wie es sich in einer idealischen Welt denken ließe. Sie schlummerte immer mehr und länger, aber sanft, und wenn sie erwachte so war ihr erstes Gefühl Liebe. Ihre Augen wandten sich zärtlich auf einen von uns beiden die wir nie von ihrem Bette wichen; sie vergalt uns jede kleine Hülfe mit kaum vernehmlichen innig zärtlichen Worten. Sie fühlte ihre grenzenlose Schwäche nicht weil ihr Körper gar keine Ansprüche mehr machte: sie fand sich selig und froh weil alle unsre Sorge und Liebe ausschließlich auf sie gewandt waren. Sie hatte nie eine Laune, nie einen ungestümen Wunsch, ihre Schmerzen machten sie nie ungeduldig. Sie war ihr ganzes Leben lang ein zartes Kind, ihre Liebe war die eines unschuldigen Kindes: es war kein Schatten von Sünde in ihr. Sie bestand alle ihre Leiden nicht durch Kraft sondern durch die Fülle der Unschuld. Ich war, seitdem sie mir ihr Herz gegeben, ihr einziges Glück: und wenn ihre oft heftige Teilnahme an den Schicksalen der Nation und der Welt einmal ihren Frieden gestört hatte so kehrte er zurück sobald sie sich wieder ganz in ihrem Geliebten sammelte. Dem Manne ist es nicht gegeben sich so zu genügen; — wie leicht würde ich es mit meinem Leben erkaufen wenn auch ich anstatt aller Sorgen und alles Treibens das volle Bewußtsein der einzigen Himmelgabe die ich hatte immer eben so tief gehegt und genossen hätte. Sie wissen es, teuerster Prinz, daß es keinen Segen gibt um den ich nicht für Sie flehe; aber vor allem wünsche ich daß Gott Ihnen einen solchen Engel e i n s t zuführen möge, und Sie

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haushälterisch mit jedem Moment des so vergänglichen Glücks umgehen. In den letzten Wochen fuhr sie mehrere Male im offnen Wagen ins Freie. Am 16. zum letztenmal. Ihre Augen hefteten sich mit Inbrunst und Angst auf der Victoria: sie konnte sich nicht von ihr losreißen, alle ihre Züge waren gespannt; als ob sie ahndete daß es ein Unglückstag für uns sei. Bei den ersten traurigen Nachrichten dankte ich Gott daß sie sie nicht erlebt: als der Sieg verkündigt ward beweinte ich zwiefach daß sie ihn nicht erlebt. Er würde ihr Leben für Tage zurückgehalten haben. Nun hat er mich aufgerichtet und gestärkt. Ich habe mich mit reinem Gewissen der Freude überlassen, und bin mit ungestörtem Gefühl dankbar für dies unerwartete und überschwengliche Glück gewesen. Lassen Sie mich Ihnen für uns alle und für Ihre Zukunft Glück dazu wünschen: uns Glück wünschen Zeitgenossen unserer Landesleute zu sein, und uns geloben, jeder wie er es vermag zu wirken damit alles der männlichen Tugend wert sei und werde die wahrlich das Schönste des Altertums erreicht. Welcher Geist der Liebe und Tugend, wenn auch vielfach unscheinbar und unbewußt, ist in dem Volke welches sich so freudig aufopfert während sein inneres Elend wächst und kein Herz findet das sich erbarme, und während es keine Früchte von seinen Aufopferungen zu erwarten hat! Nehmen Sie es nur nicht für Selbsttäuschung des Egoismus, gnädigster Herr, wenn wir sagen dies Volk sei das beste unter den deutschen, und wenn die Deutschen auf sich als Nation stolz sein könnten, sei es nur durch das preußische Volk: — wäre sonst gleiche Tugend, sie würde sich schon zeigen: aber so erscheint keine Spur, sondern nur verächtliche Triebe und Gefühle: — solche wie die welche das hannoversche Bulletin 1 über die Schlacht, und den 1

Es handelt sich offenbar um einen anonymen Bericht aus Brüssel über die Vorgänge am 16. und 17. Juni bei Ligny und Quatebras, der in den englischen Zeitungen vom 2i. Juni erschien. Er hob besonders die Haltung der Schotten und Braunschweiger hervor und machte in der Fassung, die er in einzelnen Zeitungen (z. B. in der Morning Post) hatte, abfällige Bemerkungen über die preußischen Truppen.

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Brief des Generals von der Decken in den englischen Zeitungen inspiriert haben. Ich sehe wohl leicht schwarz: aber nur zu oft hat es auch schwarz vor uns gelegen, und andere haben ein Kerzenlicht für Sternenglanz gehalten. So sehe ich auch jetzt k l a r v o r a u s worauf wir gefaßt sein müssen, wie der Feige und Verräterische bereichert und vergrößert, und unsere Nationaltugend der eingestandene Grund einer frechen Verschwörung sein wird. Auch das wird gut sein, denn die vom Vorurteil verehrte Schändlichkeit muß sich selbst entlarven und ihre Züchtigung erwerben. Es ist mir in den Sinn gekommen ob es möglich sei jetzt einen Auftrag nach Paris zu erlangen, um dort das geraubte Gut auszusondern: die Kunstwerke müssen den alten Eigentümern wiedergegeben werden, aber die Handschriften und Bücher wären in Italien vergraben, und ich würde sie mit gutem Gewissen für uns nehmen. Keine Seele hat sich in Italien über ihren Verlust gegrämt. Wenn ich Hardenbergen sehe will ich es ihm sagen. Aber für mich ist freilich jede Art der Anstellung zu viel: ich muß ganz ignoriert werden, und für den Staat sein als ob ich nicht existiere. Zu Ihnen zu kommen sehe ich nun gar keine Mittel. Sie werden aber bald zu uns zurückkehren. Bei Ihrem teuern Briefe * habe ich noch tausendmal in Gedanken Ihre Hand an mein Herz gedrückt. Was Sie mir zum Andenken gesandt, bewahre ich treu, und danke Ihnen doch, obwohl Sie es nicht gewollt. Aber lassen Sie es einen Bund zwischen Ihnen und mir sein, daß Sie mir n i e , und zu k e i n e r Zeit Gold oder dergleichen schenken. Nur bei Geschenken solcher Art die ich Ihnen erwidern kann, bleibt das Herz des Privatmanns so frei daß er auch für sich selbst den Fürsten seinen Freund nennen kann. Und diesen Namen für Sie möchte ich um keinen Preis der Welt verlieren. Darf ich Sie bitten, Schack herzlich von mir zu grüßen? Ich wage kaum zu fragen ob die Schlacht ohne bittern Verlust für 1

Der Brief ist nicht erhalten.

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ihn vorübergegangen ist. Von Röder weiß ich noch nicht Bestimmtes. Ich bin und bleibe Ihnen, gnädigster Herr, mit innigster Liebe und Treue auf ewig ergeben. Niebuhr. Berlin, Hohenzollernsches Hausarchiv.

571·

An G n e i s e n a u . Berlin, 6. Juli 1815. Dankbarkeit kann oft wie einseitige oder eifersüchtige Liebe lästig sein, und doch hat sie ein Recht sich zu äußern, und, wenn sie es nicht anders zu machen weiß, sogar sich aufzudringen. Mit einem Dank für das fabelhafte Glück welches wir Ew. Excellenz, dem Fürsten Feldmarschall a und der wahrhaft unvergleichlichen Armee schuldig sind, welches Sie zusammen errungen haben würde ich Sie nicht belästigen wenn wir ein öffentliches Leben hätten, wenn es möglich wäre, ohne die unanständigste Störung der Polizei zu befürchten zu haben, eine Versammlung zu bewirken aus der ein Dankbrief mit Tausenden von Unterschriften hervorginge, der Ihnen als Ausdruck des allgemeinen Gefühls nicht gleichgültig sein würde. Lassen Sie mich auch glauben daß das Wohlwollen und das Vertrauen welches Ew. Excellenz mir bewiesen Sie auch jetzt stimmen werden es freundlich aufzunehmen daß ich weniger bescheiden, als tausend andre sein werden, nicht schweige. Ihr Sieg ist weit größer und glorreicher als der von Zama 2. Möchten Sie das Glück haben daß das Vaterland ähnliche Früchte davon ernten wolle. Für Ihren Ruhm ist das gleichgültig: in neuen Verwirrungen welche die Folgen der Versäumnisse sein würden möchte er sich noch erhöhen: aber Ihr Herz bedarf daß dem Volke durch den Genuß glanzvoller Macht und fester Sicherheit gelohnt werde. Die Raubtiere und das Gewürm müssen unsre Ruhe künftig ungestört lassen, und mit ihrem Gebrüll und Gezisch schweigen. — "Wir haben hier n i c h t o h n e Gef ü h l e einen Brief in den englischen Zeitungen gelesen der 1 2

Blüdier. Scipios entscheidender Sieg über Hannibal 201 v. Chr.

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offenbar vom General von der Decken war 1 , sowie die Bekanntmachung des Herzogs von Cambridge, und die der Österreicher in der Wiener Hofzeitung und zu Frankfurt: auch Pozzo di Borgos Schreiben an Wolkonsky. Rügen lassen sich diese frechen Versuche die Preußen in Schatten zu stellen nicht; aber sie sollten doch auch nicht übersehen werden. Möge nun der Himmel Ihrer Armee die gerechte Belohnung verleihen sich ohne fremde Mithülfe der Zurückgebliebenen die Tore von Paris zu öffnen, und, ungestört durch fremde Schiefheiten dort zu tun was recht ist. Eichhorn2 hat Ew. Excellenz Notizen über die Kunstwerke geschickt welche wir vergebens von Louis XVIII. zurück e r b e t e n haben. Wir wünschten es nicht für möglich halten zu müssen daß man Sie stören könnte sie jetzt zu vindicieren. Der Reliquien Friedrichs des Großen und der versteckten Fahnen wird die Armee eingedenk sein. Nur ein Unterpfand kann deren Auslieferung erzwingen. Dazu scheinen mir die Gemmen- und Medaillensammlungen, weil sie so leicht abgeführt werden können, der passendste Gegenstand. Man kann sie schnell über die Grenze senden; muß sie freilich herausgeben wenn die verborgenen Heiligtümer wieder ans L'icht kommen, kann diese aber auch gern um den Preis erkaufen. Die geraubten Kunstwerke müßten ihren Heimaten wiedergegeben werden. Mit den Handschriften die aus Italien genommen sind, ist der Fall verschieden. Dort sind sie vergraben und nicht zu benutzen: daß bei uns der Mittelpunkt philologischer Gelehrsamkeit sei dürfen wir uns ohne Selbsttäuschung rühmen. Diese also, was aus Rom, Mailand, Venedig hingeschleppt ist, müßte hieher gebracht werden. Gern würde ich einen solchen Auftrag ausführen. Auch von alten Drucken ist viel Wünschenswertes dort. Ich stehe seit mehr als vierzehn Tagen allein und verwaiset in der Welt, und könnte hingehen wo es nützlich sein mag: es gilt nur den Auftrag und die Befugnis zu erhalten. Der Staatskanzler war im allgemeinen be1

Vgl. o. S. 597 Anm. i. J. A. F. Eichhorn ging bald darauf selbst nach Paris, um unter Altenstein in der Kommission für die Rückforderung der Manuskripte und Kunstwerke zu arbeiten. 2

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denklidi sich auch nur über die Vindication unsers alten Eigentums zu äußern. Er schien die Erneuerung der scandalösen Schmeicheleien gegen die Franzosen vom vorigen Jahr zu besorgen. Man hat mir die Gesandtschaft zu Rom so angeboten daß sie sich nicht ablehnen ließ. "Wer unbeschäftigt vom Staat ist darf die erste Aufforderung zu dienen freilich nicht von sich weisen. Hätte ich ausschließlich das Gemüt eines Gelehrten, so wäre dies eine höchst dankenswerte Fügung des Schicksals. Anders erscheint sie wenn das Herz an dem Volke hängt dem man angehört, und dieses Volk sich immer herrlicher entwickelt: dann raubt die Trennung etwas Unersetzbares. Wird es mit der Einführung einer freien Verfassung ernst 2 so geht man mit doppelt schwerem Herzen. Das Glück des Lebens im Vaterland läßt sich dann noch weniger aufwiegen, und mir ist als ob es nicht gut sei wenn ich alsdann nicht hier bin. Helle Begriffe über das was in der Freiheit Not tut und was gefährlich ist, fehlen fast allenthalben, und sind fast ohne Ausnahme bei den wohlgesinntesten unserer Landsleute wenigstens nicht stark genug sie zu leiten wo sie selbst urteilen und handeln sollen. Es täte Not zu verhüten daß in den Formen gefehlt werde, und daß die Bande des in seiner alten politischen Form erschütterten Staats nicht aufgelöst werden: daß nicht entweder die Hoffnung der Freiheit verscherzt werde, oder auf Regierungsanarchie, die seit Jahren bestanden, Volksanarchie folge. Es versuchte mich über diese Gegenstände zu schreiben: das bleibt aber doch sehr ungenügend. Obgleich nun meine Abreise nach Rom gegen den November bestimmt ist, so wäre das doch gar nicht hinderlich vorher die Sammlungen zu Paris heimzusuchen: wenn sich das nur herbeiführen ließe. 1

Ramdohr (s. o. S. 79 Anm. i und S. 477 Anm. i) wurde als Gesandter nach Neapel versetzt, so daß der frühere Bescheid hinfällig wurde. Das Anerbieten war durch Humboldt veranlaßt. 2 Am 4. Juli war die Verordnung vom 22. Mai (vgl. S. 588 Anm. i) veröffentlicht worden.

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Dürfen wir denn nun hoffen daß der Staat Früchte von dem Blut seiner Kinder gewinne? daß die fränkischen Fürstentümer unser werden 1 ? Sachsen nach Lothringen versetzt? Kann England jetzt die Stirn haben Ostfriesland zu behaupten 2 ? Nein, trotz aller Tractate der Schwäche ist es unmöglich: wir können diesen schimpflichen Fleck abwaschen wenn wir es nur wollen: geschieht es nicht, so bekennen wir gegen alle Zeiten daß die Regierung es nicht gewollt. Unsere n e g a t i v e n Acquisitionen gehen immer vorwärts. Am Sonntag hat man das Vergnügen gehabt einen Cessionstractat mit Weimar zu unterschreiben. Wörtlich ward mir gesagt, als ich mir bei der Erzählung in die Faust biß „das könne nicht anders sein: wir hatten die 50000 Seelen circa mehr bekommen als wir 1806 gehabt, und die müßten herausgegeben werden." Man solle doch die Seelen Ihrer gefallenen Krieger abzählen, die wir jetzt weniger haben als bei dem Wiener Congreß. Sie haben doch das Dresdner Lied gelesen? „Vor der Raute 3 frischem Glanz erblaßte des Kreuzes blasser Schein — Herr, wir danken dir, der du die Raute grünen läßt, das Veilchen tränkst." Wir fragen alle, ob der Löwe sich ewig von den Affen scheeren, und von den Eseln treten lassen soll? Lassen Sie mich Ew. Excellenz ehrerbietigst und mit der innigsten Verehrung empfohlen sein. Niebuhr. Berlin, Geh. Staatsarchiv, Gneisenau-Nachlaß. Abdruck Pertz-Delbrück, Gneisenau IV 585 ff. 572.

A n T i n e u n d S o p h i e B e h r e n s * . Berlin, 15. Juli 1815. Dankt ihnen für ihre Teilnahme beim Tode von Male: Ein so reines und ganz sdiuldloses, von keiner Sünde berührtes Herz wie das ihrige, eine so liebenswürdige und liebevolle Seele, gesdimüdtt durdi 1

2

S. o. S. 534 Anm. i.

Vgl. o. S. $63 u. ö. 9 Dem sächsischen Wappen. 4 Die beiden damals 20 und i j Jahre alten Töchter seines Schwagers Behrens (vgl. o. Bd. I S. CXXXIII).

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den Reiz des Herzens und des Geistes werdet Ihr auch nie wiederfinden, daß Ihr sie nicht vermissen solltet, so lange auch Euer Leben reichen mag. Laßt sie Euch zum Vorbild dienen, und wenn Eure Stimmung und Eure Gefühle getrübt sind, so sammelt Euch an dem Gedanken an sie zu dem Frieden Gottes der in dem Grunde ihrer Seele war, und in dem sie, vollendet und verklärt von uns schied . . . Deine heiße Teilnahme an den großen und herrlichen Dingen wodurch das schlechte Flickwerk des vorigen Jahres zerstört ist, tut mir sehr wohl, meine Sophie. Die armen Menschen welche in ihrer Verstocktheit und Verblendung kein Herz für Größe und Tugend der Zeitgenossen haben, müssen immer tiefer sinken. Wir, wie Ihr, haben über Wellingtons Siege in Spanien gejauchzt als sie uns noch nicht auf die entfernteste Weise Heil brachten, und über die der Russen als wir dadurch in Gefahr schwebten Dadurch erkauften wir uns das Recht zu voller Freude über die größeren Taten unsrer eigenen Brüder, und zum Stolz dieser Nation anzugehören. Ihr verdient das auf gleiche Weise: es muß Euch auch eben so gut werden . . . Aus Privatbesitz.

573· An G n e i s e n a u . Berlin, 16. Juli 1815. Anstatt einer mündlichen Empfehlung, erlauben Sie mir Ew. Excellenz diese schriftlich zu übersenden. Nehmen Sie den herzlichsten Dank dafür an daß Sie auch meiner sich erinnert haben als Sie durch Lützow * Ihren Freunden Kenntnis von der Entscheidung über Paris 2 gaben: aber vor allem für das was Sie aufs neue getan haben. Segne Sie Gott dafür, und Nation und Nachwelt lohne es Ihnen mit Verehrung und Liebe. Daß Napoleon nicht ausgeliefert worden, ist mir sehr lieb. Er wäre doch gewiß, anstatt in unserer Gewalt zu bleiben, in Hände gekommen welche ihn vielleicht einmal ganz verkehrt gebraucht hätten: oder auch die Ministerialfeigheit, sich für stolzes Gefühl ausgebend, wäre fähig gewesen sich an dem zu vergreifen den doch Gott gezeichnet hat daß kein Mensch seine Hand an ihn lege. In Amerika kann er nützlich werden 3, oder, 1

L. v. Lützow (1786—1844), damals Major im Blüdierschen Generalstab. Von der am 3. Juli erfolgten Kapitulation von Paris. * Napoleon hatte, ehe er sich am 15. Juli an Bord des Bellerophon begab, die Absicht, nach Amerika zu gehen. 2

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dem Schicksal gemäß sein Ende finden: sei es daß er die Zahl und kopflosen Fäuste der spanischen Colonisten mit seinem Talent und Namen fähig mache die Unabhängigkeit zu gewinnen, oder daß er Nordamerika militärische Bedeutung gebe, welches wir sehr bedürfen können, wenn England fortfährt eine untertänige Provinz von Hannover zu sein \ Sehr lieb ist es mir auch daß die Armee aus Paris entlassen, und nichts über die Festungen bestimmt worden ist, so daß der Krieg fortdauert ohne daß Gefahr wäre viel von unserm teuren Blute fließen zu sehen. Wie leicht hätte das Ganze wieder mit einer loyalen Farce und einer lähmenden Convention ausgehen können! Wir wissen sehr wohl daß wir Ihrer Weisheit und dem offenen Sinn des Fürsten 2 zu verdanken haben daß solche Dinge nicht eingeleitet worden. Erspare Ihnen und uns der gütige Gott den Kummer dies wieder verdorben zu sehen. Macht Frankreich hinreichende Abtretungen an der Nord- und Ostgrenze, so wäre für uns eine republikanische Regierung weit erwünschter als die Bourbons. In ihre inneren Angelegenheiten müßte man sich nicht mischen, und wollten die Royalisten im Westen, und wenn es von dieser Partei mehr als Komödianten im Süden giebt, ihre Meinung geltend machen, so könnte das zu einer Teilung gedeihen. Wäre Frankreich geteilt, so bedürfte es auch im übrigen Europa keiner übergroßen Staaten: Österreich wird doch zerfallen und Polen sich los machen. Dann kehrte eine Mannigfaltigkeit von Staaten mittlerer Größe wieder, welche der Vielfachheit von Municipalstaaten der alten und mittleren Zeit entspräche, und wie diese, aber im Verhältnis zu unsrer Zeit, der Freiheit und dem Geist heilsam wäre. Scheint es Ihnen ein von Möglichkeit entblößtes Luftgespinst, daß der Kaiser Alexander so entschlossen sei Frankreichs Integrität zu behaupten daß die russische Armee noch auf französischem Boden gemeinschaftliche Sache mit der französischen gegen die Anderswollenden machen könnte? und wenn 1 8

Vgl. hierzu Niebuhrs Bemerkungen vom 3. Februar und i. April 1815. Blücher.

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er den Eugen Beauharnais als constitutionellen König vorschlüge *, würde er dann nicht, neben der Armee und der kräftigen Majorität in Frankreich auch die Baiern für sich haben? Soll ein neuer Congreß zusammentreten so gebe Gott daß doch endlich Ew. Excellenz die Sache der Nation und der Welt für uns zu reden haben mögen. Ihr Freund Hardenberg ist furchtbar erschöpft und schwach hieher zurückgekommen; — und a n d e r e — i Sie haben überhaupt den Beruf nicht im Felde allein unser Retter zu sein. Der Staat ist im Innern totkrank, und die Not schreit auf Hilfe. "Wir sehen es ja im Heer, wie die herrlichsten Tugenden und Kräfte in der Nation reich vorhanden sind, und Ordnung und Weisheit des Innern dem äußern Glänze entsprechen könnte. Werden wir aufs neue aufgeopfert und betört so muß die Nation sich wieder nach Krieg sehnen, und das wäre nicht gut. Wir bedürfen Heilung und Genesung. Öffnet sich Ihnen ein Feld der Wirksamkeit — warum sollte z. B. Hardenberg Ihnen (nicht) das auswärtige Ministerium einräumen, und Sie es annehmen? — so rechnen Sie auf meine eifrigste und redliche Unterstützung. Nehmen Sie sie an: es soll Sie nicht verdrießen. Die Form der Verhältnisse gilt mir gleich. Die litterarischen Wünsche meines letzten Briefes lassen Sie sich empfohlen sein. Vor allem aber erhalten Sie mir Ihr Wohlwollen, wie ich Ihnen mit der tiefsten Ehrerbietung ergeben bin Niebuhr. Berlin, Geh. Staatsarchiv, Gneisenau-Nachlaß. Abdruck Pertz— Delbrüdc, Gneisenaa IV 589 ff. 1

Die Kandidatur Eugen Beauharnais', der seit dem Zusammenbrudi seines Königreichs Italien (Frühjahr 1814) eine persönliche freundschaftliche Verbindung mit dem Zaren gewonnen hatte, war nur in Paris selbst von französischer Seite aus vorübergehend als flüchtiger Gedanke aufgetaucht. Der Zar hatte vielmehr an die Einsetzung des Herzogs von OrUans gedacht, ließ aber dann auch diesen Plan fallen, als die Bourbonen versprachen, die verlangten konstituionellen Garantieen zu geben (s. u. S. 6 i j Anm. t). Zugleich war er bemüht, Frankreichs Machtposition zu halten, um so ein Gegengewicht gegen die anderen Verbündeten zu schaffen.

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574· An C h r i s t i a n e N i e b u h r.

Berlin, 18. Juli 1815.

Bittet sie, ihm hei dem Zusammentreffen in Lübeck alle in ihrem Besitz befindlichen Handschriften Garsten Niebuhrs mitzubringen, da er daran denkt, sie für eine spätere Herausgabe zu bearbeiten, sowie zu sammeln, was ihr an Material für die von ihm beabsichtigte Biographie Garsten Niebuhrs erreichbar ist1. Niebuhr-Nachlaß.

575· An den K r o n p r i n z e n . Berlin, 20. Juli 1815. . . . Der Staatskanzler hat mir, auf Humboldts Vorschlag, die Gesandschaft zu Rom angetragen; und wenn es bei uns Beschlüsse gäbe die weiter als vom Morgen zum Abend reichten; wenn nicht alles ab- und umgemacht würde sobald der Wind umspringt, so würde die Sache ganz ausgemacht sein. Denn es verstand sich von selbst daß ich einen solchen Antrag nicht ablehnen könne: man hätte dadurch den entschiedensten Vorwand gehabt zu behaupten es sei mir mit allen Beteurungen des Verlangens dem Könige zu dienen nicht Ernst. Auch ist es etwas Verständigeres als Aberglaube, bei großen Bestimmungen des Schicksals, dieses walten zu lassen, und nicht zu widerstreben. Denn sonst, lassen Sie es sich nicht wundern, und verübeln Sie mir es nicht, gnädigster Herr, wie sehr ich diese Stelle gewünscht so lange meine Frau einigermaßen gesund war, und wenn auch der Wunsch darnach noch fortdauerte als die Vernunft leider aller Hoffnung für sie zu entschieden widersprach: — jetzt da ich einsam stehe, und mancher glauben könnte es müsse mir eben leichter werden in die Fremde zu gehen, wo meine Zufriedenheit nicht dadurch bestimmt werden würde ob s i e sich in das welsche Land und die welschen Sitten finde, ob die Luft ihr heilsam oder verderblich sei: — jetzt da ich, einer Liebe beraubt wie ich sie nirgends wieder finde, und wenige sie 1

Der Plan, die Biographie des Vaters zu schreiben, wurde dann im Sommer des folgenden Jahres, unmittelbar vor der Abreise nach Rom, ausgeführt (s. u. S. 686). Sie erschien im 3. Band der „Kieler Blätter" Herbst 1816 unter dem Titel „Garsten Niebuhrs Leben" (wieder abgedruckt Kleine Historische und Philologische Schriften Bd. I).

607 genossen haben, nun auch allen ändern Herzensbanden entsagen, und unter ein leichtsinniges, gefühlloses, pfiffiges Volk gehen soll, läuft es mich kalt über, und ich kann mich nicht freuen. Ich soll mich nun auch von Ihnen auf vielleicht lange Jahre trennen — wenn Sie nicht einmal durch eine Reise auf wenige Wochen nach Rom geführt werden, — und, wahrlich! das schmerzt mich mehr als fast alles übrige was hier zurückbleibt. Ich hatte mir so vieles ausgedacht und zum Teil anzuordnen entworfen, was uns gemeinschaftlich beschäftigen sollte. Ich wollte für Sie eine historische Darstellung der sämtlichen Provinzialverf assungen unserer Monarchie nach ihrem jetzigen Umfange, so wie derjenigen Provinzen die man uns hat stehlen können, die wir aber nie aufgeben dürfen 1, ausarbeiten: es sollte meine Beschäftigung sein bis Sie, gnädigster Herr, aus dem Felde zurückkämen. So viele Gegenstände mehr waren geeignet uns zusammen zu beschäftigen, meiner Liebe für Sie Befriedigung zu geben, indem Ihnen diese Beschäftigungen teils für Ihren künftigen Beruf, teils für Ihre Teilnahme für alles Schöne und Große, ersprießlich geworden wären: es hätte mich an sich in der Einsamkeit meines Lebens getröstet und aufgerichtet immer mehr mit Ihnen zu leben und zu denken, Gefühl und Gesinnung zu teilen und übereinstimmend zu erhalten. Ob andre eben dies nun grade nicht wollten, läßt sich wohl nicht gewiß ausmachen. Noch wahrscheinlicher ist es mir — und wahrhaftig auch nicht wenig verdrießlich — daß sie einen lästigen Menschen entfernt halten wollten, damit nicht die öffentliche Meinung frage, warum er nicht bei dem Entwurf der Verfassung zugezogen werde? und dann desselben Wahl unmöglich zu machen 2. Freilich darf man es wohl nicht von denjenigen fordern welche sich der Entscheidung der öffentlichen Meinung auszusetzen wagen wollen, daß sie Männern die nicht von Partei sind zutrauen sollen, daß diese, aus redlicher 1

Es ist wohl vor allem an Ostfriesland, daneben vielleicht auch an die anderen an Hannover abgetretenen Gebiete und an die fränkischen Fürstentümer gedacht. 2 Vgl. betr. der Verfassungsfrage o. S. 588 Anm. i und S. 601 Anm. 2. — An wen Niebuhr in erster Linie denkt, ist nicht sicher, wahrscheinlich an Ancillon.

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Letzte Berliner Zeit

Treue für die Monarchie, leidenschaftliche Schritte gegen sie selbst nicht nur nicht unterstützen, sondern zurückhalten würden, damit Staat und Thron nicht erschüttert werde. Will man aber aus Parteirücksichten die Redlichen und Besonnenen entfernen, wem wird man dann das Reich in die Hände geben? Denn um bei einer Form stehen zu bleiben ist man schon viel zu weit gegangen, und die Kunst zu leiten ist schon in allen Dingen gänzlich verschwunden. Die Persönlichkeit muß alles gut machen, oder verdirbt alles. In ganz Deutschland fordert die öffentliche Stimme daß Frankreich bedeutende Abtretungen mache: Sie, gnädiger Herr, sind auf dem Schauplatz, und es ist fast albern Ihnen über Vermutungen zu schreiben. Ich denke daß England, im "Wahn der mißlungene Versuch, die Revolution in Hinsicht auf das Ausland ungeschehen zu machen, lasse sich zum zweitenmal mit mehr Erfolg wiederholen, entweder gar keine Abtretungen, oder doch nur an der flandrischen Grenze wollen wird: wozu die hannoverische Politik völlig beistimmt. Österreich wird Abtretungen wollen, um Bayern zu bezahlen: der Kaiser Alexander scheint mir fähig den Eugen Beauharnais auf den Thron bringen zu wollen, und keine Verkleinerung Frankreichs zuzulassen 1. Es würde mich gar nicht befremden, wenn diese Coalition so auseinander ginge daß noch eine der jetzt alliierten Armeen, vereinigt mit der französischen, in Frankreich gegen andere auftrete. Es scheint eine sehr wilde Zeit vor uns zu liegen. Die wissenschaftlichen und Kunstwerke liegen uns allen am Herzen. Wir sind berufen und verpflichtet dabei auch für unsere rheinische Mark zu sorgen, welche so schändlich ausgeplündert ist. Köln gebührt das Bild zurück welches Rubens für seine Vaterstadt gemalt, und, ich meine in den Dom, geschenkt hatte, von wo es die Franzosen schon 1795 weggenommen 2. Das uralte hölzerne Bild Karls des Großen, welches 1

S. o. S. j