652 74 9MB
German Pages 970 [1070] Year 2015
Max Weber Gesamtausgabe Im Auftrag der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Herausgegeben von
Horst Baier, Gangolf Hübinger, M. Rainer Lepsius †, Wolfgang J. Mommsen †, Wolfgang Schluchter, Johannes Winckelmann †
Abteilung II: Briefe Band 3 1. Halbband
J. C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen
Max Weber Briefe 1895 – 1902
Herausgegeben von
Rita Aldenhoff-Hübinger in Zusammenarbeit mit
Uta Hinz
1. Halbband
J. C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen
Redaktion: Ursula Bube – Edith Hanke – Anne Munding Die Herausgeberarbeiten wurden im Rahmen des Akademienprogramms von der Bundesrepublik Deutschland, dem Freistaat Bayern und den Ländern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gefördert.
1. Halbband ISBN 978-3-16-153753-0 Leinen / eISBN 978-3-16-157764-2 unveränderte ebook-Ausgabe 2019 ISBN 978-3-16-153755-4 Hldr Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen gesetzt und auf alterungsbeständiges Werk druckpapier gedruckt. Den Einband besorgte die Großbuchbinderei Josef Spinner in Ottersweier.
Inhaltsverzeichnis 1. Halbband Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Chronologisches Verzeichnis der Briefe 1895–1902 . . . . . . . . . .
IX
Siglen, Zeichen, Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXI
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Briefe Januar 1895 – Juni 1898 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
2. Halbband Briefe Juli 1898 – Dezember 1902 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
501
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
893
I.
Memorandum über die Gründung einer nationalsozialen Zeitung und Vereinigung 1896 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verlagsverträge über die „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ 1897–1901 . . . . . . III. Itinerar der Reise nach Schottland und Irland August–September 1895 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Itinerar der Reise nach Frankreich und Spanien August–Oktober 1897 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
906
Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
911
Verwandtschaftstafeln der Familien Fallenstein und Weber . .
991
Register der Briefempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
995
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
999
Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1013
Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung II: Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1021
Bandfolge der Abteilung I: Schriften und Reden . . . . . . . . . . .
1028
Bandfolge der Abteilung III: Vorlesungen und Vorlesungsnachschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1031
893 898 904
Vorwort
Der vorliegende Band umfaßt die Briefe Max Webers aus den Jahren 1895 bis 1902. Sie zeigen ihn als Gelehrten und engagierten Hochschullehrer in Freiburg i.Br. und Heidelberg, als politisch Interessierten und Ambitionierten, als unternehmungslustigen und scharf beobachtenden Reisenden, aber auch als den in eine tiefe Lebenskrise gestürzten Kranken, der erst langsam wieder zu neuer intellektueller Schaffenskraft zurückfindet. Die Herausgeberin zeichnet verantwortlich sowohl für die Briefe wissenschaftlich-politischen als auch privaten Inhalts. Die Editionsarbeit der wissenschaftlich-politischen Korrespondenz erfolgte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) mit den in der Arbeitsstelle am Historischen Seminar der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gesammelten Beständen. Die Editionsarbeit der privaten Korrespondenz erfolgte an der Arbeitsstelle Düsseldorf mit den Vorarbeiten der Arbeitsstelle am Institut für Soziologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Letztere wurde bis zu seinem Tod am 2. Oktober 2014 von M. Rainer Lepsius geleitet, dem es nicht mehr vergönnt war, seinen Beitrag zum Editionsmanuskript beizusteuern. Wir haben seine Expertise schmerzlich vermißt. Die Vorlagen der Transkriptionen erstellten für die Briefe wissenschaftlichen und politischen Inhalts Manfred Schön, für die Briefe der Familienangehörigen Diemut Moosmann. Manfred Schön unterstützte auch die abschließenden Transkriptionsarbeiten. Die Herausgabe dieses Bandes wäre ohne die Unterstützung von zahlreichen Institutionen und Eigentümern von Privatnachlässen nicht möglich gewesen. Nicht alle können hier namentlich genannt werden, obwohl wir ihnen ausnahmslos großen Dank schulden. Unser besonderer Dank gilt Eduard Baumgarten (†) und Max Weber-Schäfer (†) sowie deren Erben, die uns die in ihrem Besitz befindlichen Briefe zur Verfügung stellten. Thomas Schoeppe danken wir ausdrücklich. Georg Siebeck danken wir dafür, daß er uns die Bestände des Verlagsarchivs Mohr Siebeck zugänglich machte. Wir haben von zahlreichen Institutionen bei unserer Arbeit Unterstützung erfahren. Allen voran seien das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin und die Bayerische Staatsbibliothek München genannt, die Max Webers Nachlaßbestände aufbewahren und uns zugänglich machten. Die Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz ermöglichte uns die Einsicht in noch unerschlossene Verlagsarchive. Unser Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weiterer Archive und Bibliotheken. Ausdrücklich genannt seien das Schweizerische Wirtschaftsarchiv Basel, das Staatsarchiv Basel-Stadt, das Bundesarchiv Berlin und Koblenz, das Archiv der Humboldt-
VIII
Vorwort
Universität Berlin, die Stadtarchive Bielefeld und Dresden, das Universitätsarchiv Freiburg i.Br., das Staatsarchiv Hamburg, das Universitätsarchiv sowie die Universitätsbibliothek Heidelberg, das Universitätsarchiv Jena, die Central Zionist Archives Jerusalem, das Generallandesarchiv Karlsruhe, das KIT-Archiv (ehemals Universitätsarchiv) Karlsruhe, das Landeskirchliche Archiv Kiel, die Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel, die Bibliothek des Heinrich-Suso-Gymnasiums Konstanz, das Stadtarchiv sowie die Universitätsbibliothek Konstanz, die Universitätsbibliotheken Leipzig und Marburg, das Universitätsarchiv München, die Columbia University Libraries, New York, die Universitätsbibliothek Tübingen, das Thüringische Hauptstaatsarchiv Weimar, das Hessische Hauptstaatsarchiv Wiesbaden sowie das Schweizerische Sozialarchiv Zürich. Ohne all diese Institutionen, die uns den Zugang zu ihren Beständen großzügig ermöglichten und uns bei unseren Recherchen in vielfältiger Weise unterstützten, wäre dieser Band nicht zustande gekommen. Bei der Entzifferung der Gabelsberger Kurzschrift half uns Horst Grimm (Winsen an der Luhe); Anna Fattori (Frankfurt am Main) übersetzte Max Webers italienische Postkarten; Anka Steffen (Frankfurt an der Oder) half bei der Übersetzung polnischer Literatur zum Verbleib der Max-Klinger-Sammlung. Ihnen sei gedankt, wie auch Eberhard Meyer-König (Hamburg), der uns Material aus seiner privaten Sammlung zu Max Webers Sanatoriumsaufenthalt in Bad Urach zur Verfügung stellte. Die Editionsarbeiten wurden von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Rahmen der Forschungsförderung der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften gefördert. Federführend war hier die Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte unter Vorsitz von Knut Borchardt und seit 2013 von Friedrich Wilhelm Graf. Edith Hanke und Anne Munding von der Arbeitsstelle der Max Weber-Gesamtausgabe an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gebührt für ihre sorgfältige Durchsicht und Betreuung des umfangreichen Manuskripts vor und während der Drucklegung großer Dank. Gangolf Hübinger steuerte während des gesamten Entstehungsprozesses des Bandes zahlreiche sachdienliche Hinweise bei. Dorothee Hanke (Berlin) unterstützte uns vor allem bei aufwendigen Recherchen in dem damals noch weitgehend unerschlossenen Archiv des Verlages Mohr Siebeck in Berlin. Ihnen allen sei dafür gedankt. Ebenso danken wir Marcel Küsters (Düsseldorf) für seine Mitarbeit an der Erstellung des Personenverzeichnisses und Sybille Oßwald-Bargende von der Arbeitsstelle Heidelberg für ihre hilfreichen Hinweise zur Bearbeitung der privaten Korrespondenz. Unser besonderer Dank geht an Manfred Schön, der auch im Ruhestand stets ein offenes Ohr für besonders schwierige Rätsel hatte, die uns die Handschrift Max Webers aufgab. Ferner danken wir Ingrid Pichler, die in bewährter Manier die Register erstellte. Frankfurt (Oder) im Mai 2015
Rita Aldenhoff-Hübinger
Chronologisches Verzeichnis der Briefe 1895–1902 1. Halbband Datum
Ort
Empfänger
Seite
2. Januar 1895 5. Januar 1895
Freiburg i. Br. Freiburg i. Br.
45
10. Januar 1895 vor dem 12. Januar 1895 15. Januar 1895 15. Januar 1895 18. Januar 1895 28. Januar 1895 28. Januar 1895 1. Februar 1895 11. Februar 1895 24. Februar 1895 27. Februar 1895 14. März 1895 15. März 1895 zwischen dem 12. und 31. März 1895
Freiburg i. Br.
Alfred Weber Verlag Vandenhoeck & Ruprecht Marianne Weber
49 51
o.O. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br.
Adolph Wagner Alfred Weber Marianne Weber Karl Oldenberg Karl Oldenberg Alfred Weber Alfred Weber Clara Weber Alfred Weber Alfred Weber Adolph Wagner Gustav Schmoller
53 54 57 60 63 65 67 69 71 74 76 78
Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br.
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht Alfred Weber Paul Siebeck
79 80 84
Freiburg i. Br. Freiburg i. Br.
Paul Siebeck Verlag J.C.B. Mohr
86 87
Freiburg i. Br.
Paul Siebeck
88
Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br.
Paul Siebeck Hans Delbrück Ferdinand Bissing Verlag J.C.B. Mohr Paul Siebeck
89 90 92 93 94
1895
17. Mai 1895 18. Mai 1895 27. Mai 1895 oder davor 20. Juni 1895 27. Juni 1895 oder davor zwischen dem 27. Juni 1895 und 6. Juli 1895 26. Juli 1895 27. Juli 1895 4. August 1895 7. August 1895
X
Chronologisches Verzeichnis der Briefe
Datum
Ort
Empfänger
Seite
13. August 1895 14. August 1895
Edinburgh Luss am Loch Lomond
Fritz Baumgarten Helene Weber
95
Loch Maree Loch Maree Stornoway, Hebriden Strome Ferry Strome Ferry auf der Fahrt von Portree nach Oban Belfast Dublin Kilkee
Helene Weber Fritz Baumgarten Helene Weber Fritz Baumgarten Helene Weber Helene Weber Helene Weber Fritz Baumgarten Fritz Baumgarten
117 122 128 131
Killarney Glengariff Dublin Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br.
Helene Weber Fritz Baumgarten Fritz Baumgarten Friedrich Naumann Paul Siebeck Marianne Weber Marianne Weber Friedrich Kluge
133 143 145 147 149 150 154 155
21. Januar 1896 11. März 1896 16. März 1896 24. März 1896 26. März 1896
Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Charlottenburg Charlottenburg Berlin
161 162 165 168
26. März 1896 nach dem 27. März 1896 30. März 1896 3. April 1896 12. April 1896 12. April 1896 14. April 1896 21. April 1896 22. April 1896 29. April 1896 2. Mai 1896 9. Mai 1896
Berlin
Ludo Moritz Hartmann Lujo Brentano Marianne Weber Marianne Weber Verlag Vandenhoeck & Ruprecht Marianne Weber
Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br.
Otto Lang Marianne Weber Marianne Weber Friedrich Naumann Martin Rade Helene Weber Heinrich Rickert Friedrich Naumann Friedrich Naumann Helene Weber Friedrich Kluge
176 178 181 184 187 188 191 192 193 195 198
17. und 18. August 1895 19. August 1895 22. August 1895 24. August 1895 24. August 1895 28. August 1895 1. September 1895 1. September 1895 6. September 1895 7., 8. und 9. September 1895 10. September 1895 12. September 1895 22. September 1895 23. September 1895 4. Oktober 1895 8. Oktober 1895 22. Dezember 1895
97 101 106 108 112 114
1896
171 173
Chronologisches Verzeichnis der Briefe
XI
Datum
Ort
Empfänger
Seite
14. Mai 1896 6. Juli 1896 16. Juli 1896 22. Juli 1896 31. Juli 1896
Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br.
200 201 203 205
8. August 1896
Freiburg i. Br.
13. August 1896 30. August 1896
Freiburg i. Br. Freiburg i. Br.
4. September 1896
Freiburg i. Br.
Paul Siebeck Georg Jellinek Friedrich Kluge Heinrich Rickert Verlag Vandenhoeck & Ruprecht Verlag Vandenhoeck & Ruprecht Friedrich Naumann Verlag Vandenhoeck & Ruprecht (Brunn’sche Buchdruckerei) Verlag Vandenhoeck & Ruprecht
Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Berlin o.O. Charlottenburg Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. o.O.
Friedrich Naumann Adolf Hausrath Adolf Hausrath Paul Siebeck Reichsamt des Innern Adolf Hausrath Clara Mommsen Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Martin Rade Friedrich Naumann Friedrich von Weech Ludwig Arnsperger Georg Jellinek Ludwig Arnsperger Karl Bücher Adolph Wagner Friedrich von Weech Lujo Brentano Karl Bücher Helene Weber
213 214 216 219 221 223 225 227 229 232 236 239 242 244 246 248 255 258 260 261 263 266
Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br.
Lujo Brentano Karl Bücher Adolph Wagner Lujo Brentano Lujo Brentano
267 269 271 274 276
9. September 1896 oder davor 13. Oktober 1896 15. Oktober 1896 1. November 1896 7. November 1896 9. November 1896 11. November 1896 20. November 1896 22. November 1896 25. November 1896 7. Dezember 1896 9. Dezember 1896 9. Dezember 1896 12. Dezember 1896 12. Dezember 1896 15. Dezember 1896 21. Dezember 1896 21. Dezember 1896 21. Dezember 1896 25. Dezember 1896 25. Dezember 1896 Weihnachten 1896
207 208 209
211 212
1897 1. Januar 1897 1. Januar 1897 1. Januar 1897 4. Januar 1897 12. Januar 1897
XII
Chronologisches Verzeichnis der Briefe
Datum
Ort
Empfänger
Seite
17. Januar 1897 17. Januar 1897 25. Januar 1897 nach dem 28. Januar 1897 8. Februar 1897 9. Februar 1897 20. Februar 1897 24. Februar 1897 2. März 1897 10. März 1897 17. März 1897 20. März 1897
Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br.
Heinrich Bassermann Alfred Weber Heinrich Bassermann
279 280 284
o.O. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. Heidelberg Freiburg i. Br.
285 287 290 291 292 295 297 299
22. März 1897 30. März 1897
Freiburg i. Br. Freiburg i. Br.
31. März 1897 4. April 1897
Heidelberg Heidelberg
12. April 1897
Heidelberg
12. April 1897
Heidelberg
20. April 1897 26. April 1897 30. April 1897 5. Mai 1897 9. Mai 1897 14. Mai 1897 14. oder 15. Mai 1897 16. Mai 1897 oder danach 19. Mai 1897
o.O. Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg
Heinrich Sieveking Werner Sombart Paul Siebeck Carl Johannes Fuchs Carl Johannes Fuchs Carl Johannes Fuchs Carl Johannes Fuchs Lili Weber Großherzogliches Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts Edwin R. A. Seligman Großherzogliches Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts Heinrich Rickert Engerer Senat der Universität Heidelberg Engerer Senat der Universität Heidelberg Großherzogliches Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts Heinrich Sieveking Paul Siebeck Paul Siebeck Paul Siebeck Clara Mommsen Alfred Weber Marianne Weber
330
19. Mai 1897 1. Juni 1897
Heidelberg Heidelberg
1. Juni 1897
Heidelberg
1. Juni 1897
Heidelberg
Alfred Weber Engerer Senat der Universität Heidelberg Paul Siebeck Engerer Senat der Universität Heidelberg Engerer Senat der Universität Heidelberg Carl Johannes Fuchs
Heidelberg Heidelberg
301 302
304 310 311 312
313 315 317 319 321 323 325 328
331 332 334 335 336
Chronologisches Verzeichnis der Briefe Datum
XIII
Ort
Empfänger
Seite
zwischen dem 31. Mai und 5. Juni 1897 10. Juni 1897 15. Juni 1897 19. Juni 1897 19. Juni 1897 22. Juni 1897 oder danach 23. Juni 1897 24. Juni 1897 27. Juni 1897 29. Juni 1897 2. Juli 1897 4. Juli 1897 5. Juli 1897
Heidelberg Leipzig-Eisenach Heidelberg Heidelberg Heidelberg
Alfred Weber Alfred Weber Alfred Weber Carl Johannes Fuchs Alfred Weber
338 341 343 348 350
o.O. o.O. Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg
353 355 356 359 360 361 364
13. Juli 1897 13. Juli 1897 20. Juli 1897 28. Juli 1897 28. Juli 1897
Heidelberg o.O. Heidelberg Heidelberg Heidelberg
30. Juli 1897 30. Juli 1897 30. Juli 1897 3. August 1897
Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg
3. August 1897
Heidelberg
8. August 1897 29. August 1897 30. August 1897 1. September 1897 2. September 1897 5. September 1897 7. September 1897
Heidelberg Luchon Luchon Cauterets Gavarnie Bordeaux Guéthary und San Sebastián Deva Deva Deva
Alfred Weber Alfred Weber Carl Johannes Fuchs Verlag J.C.B. Mohr Verlag J.C.B. Mohr Carl Johannes Fuchs Lujo Brentano Engerer Senat der Universität Heidelberg Verlag J.C.B. Mohr Alfred Weber Verlag J.C.B. Mohr Paul Siebeck Verlag Vandenhoeck & Ruprecht (Gustav Ruprecht) Hans Delbrück Hermann Losch Paul Siebeck Engerer Senat der Universität Heidelberg Engerer Senat der Universität Heidelberg Paul Siebeck Helene Weber Helene Weber Helene Weber Helene Weber Helene Weber Helene Weber
8. September 1897 10. September 1897 12. September 1897 zwischen dem 4. und 18. September 1897
o.O.
366 367 368 370 371
373 374 376 378 380 382 383 385 391 394 405 408
Helene Weber Helene Weber Helene Weber
416 421 424 427
Verlag J.C.B. Mohr
435
XIV
Chronologisches Verzeichnis der Briefe
Datum
Ort
Empfänger
Seite
18., 19. und 20. September 1897 17. Oktober 1897 17. Oktober 1897 28. Oktober 1897
Las Arenas Heidelberg Heidelberg Heidelberg
Helene Weber Helene Weber Marianne Weber Friedrich Naumann
436 448 452 454
12. Januar 1898 19. Januar 1898 29. Januar 1898 30. Januar 1898 4. Februar 1898 18. Februar 1898 18. Februar 1898 13. März 1898 14. März 1898 16. März 1898
Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg o.O. Heidelberg
457 459 461 462 465 468 470 471 473
27. März 1898 29. März 1898 10. April 1898 14. April 1898 13. Mai 1898 13. Mai 1898 15. Mai 1898 25. Mai 1898 28. Mai 1898 3. Juni 1898 19. Juni 1898 20. Juni 1898
Glion Glion Glion Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg o.O.
Heinrich Rickert Heinrich Rickert Alfred Weber Emmy Baumgarten Emilie Benecke Emmy Baumgarten Alfred Weber Paul Siebeck Carl Neumann Verlag Vandenhoeck & Ruprecht (Gustav Ruprecht) Paul Siebeck Paul Siebeck Paul Siebeck Helene Weber Emilie Benecke Paul Siebeck Carl Bezold Carl Johannes Fuchs Paul Siebeck Paul Siebeck Friedrich Naumann Heinrich Sieveking
1898
475 476 478 480 481 484 486 488 489 492 494 496 499
2. Halbband 2. Juli 1898 4. Juli 1898 5. Juli 1898 7. Juli 1898 12. Juli 1898
Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg
Alfred Weber Adolph Wagner Alfred Weber Carl Johannes Fuchs Gustav Schmoller
501 503 505 506 510
Chronologisches Verzeichnis der Briefe
XV
Datum
Ort
Empfänger
Seite
16. Juli 1898
Heidelberg
21. Juli 1898 25. Juli 1898 26. Juli 1898 28. Juli 1898 30. Juli 1898 30. Juli 1898 1. August 1898 3. August 1898 4. und 5. August 1898 7. August 1898 9. August 1898 10. August 1898 13. August 1898 nach dem 13. August 1898 15. August 1898 17. August 1898 19. August 1898 21. August 1898 23. August 1898 23. August 1898 24. August 1898 26. August 1898 27. August 1898 12. September 1898 24. September 1898 5. Oktober 1898 5. Oktober 1898
Heidelberg Appenweier Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz
Großherzogliches Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts Carl Johannes Fuchs Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Paul Siebeck Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber
515 517 519 520 524 527 529 533 536 539 542 545 549 552
Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz Konstanz
8. Oktober 1898 15. Oktober 1898 17. Oktober 1898
Konstanz Konstanz Konstanz
26. Oktober 1898 8. November 1898 21. November 1898 1. Dezember 1898 7. Dezember 1898 12. Dezember 1898 oder davor
Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg
Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Paul Siebeck Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Paul Siebeck Gustav Schmoller Dietrich Schäfer Großherzogliches Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts Friedrich von Weech Paul Siebeck Quästur der Universität Heidelberg Dietrich Schäfer Paul Siebeck Paul Siebeck Paul Siebeck Paul Siebeck
556 558 560 563 566 568 570 573 575 578 579 582 584
590 591 593 595 596 598
Heidelberg
Paul Siebeck
599
585 587 588
XVI
Chronologisches Verzeichnis der Briefe
Datum
Ort
Empfänger
Seite
13. Dezember 1898 14. Dezember 1898 17. Dezember 1898 18. Dezember 1898 19. Dezember 1898 20. Dezember 1898 26. Dezember 1898 30. Dezember 1898
Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg
Helene Weber Paul Siebeck Paul Siebeck Paul Siebeck Paul Siebeck Paul Siebeck Paul Siebeck Paul Siebeck
601 603 606 607 611 614 618 621
6. Januar 1899 8. Januar 1899 10. Januar 1899 22. Januar 1899 30. Januar 1899 2. Februar 1899 3. Februar 1899 4. Februar 1899 6. Februar 1899 13. Februar 1899 oder davor 25. Februar 1899 2. März 1899 23. oder 24. März 1899 25. März 1899 25. März 1899 28. März 1899 12. April 1899 12. April 1899
Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg o.O.
Paul Siebeck Arthur Böhtlingk Paul Siebeck Paul Siebeck Paul Siebeck Paul Siebeck Paul Siebeck Paul Siebeck Paul Siebeck
623 625 629 630 632 633 635 637 640
o.O. Heidelberg Heidelberg
Paul Siebeck Paul Siebeck Gustav Schmoller
641 642 644
Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg
647 648 649 650 651
13. April 1899 15. oder 16. April 1899 22. April 1899 22. April 1899 15. Mai 1899 3. Juni 1899 nach dem 10. Juni 1899 12. Juni 1899 20. Juni 1899 21. Juni 1899
Heidelberg
Ernst Francke Ernst Francke Carl Johannes Fuchs Paul Siebeck Friedrich Neumann Großherzogliches Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts Helene Weber
Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg
Verlag H. Laupp Ernst Hasse Verlag H. Laupp Dietrich Schäfer Verlag H. Laupp
657 658 661 662 663
o.O. Heidelberg Heidelberg Heidelberg
Heinrich Sieveking Verlag H. Laupp Emmy Baumgarten Fritz Baumgarten
665 666 669 671
1899
652 654
Chronologisches Verzeichnis der Briefe
XVII
Datum
Ort
Empfänger
Seite
1. Juli 1899 5. Juli 1899 7. Juli 1899 8. Juli 1899 13. Juli 1899 14. Juli 1899 15. Juli 1899 23. Juli 1899 23. Juli 1899 26. Juli 1899 26. Juli 1899 2. August 1899 2. Oktober 1899 2. Oktober 1899 6. November 1899 8. November 1899 20. November 1899 27. Dezember 1899 30. Dezember 1899 31. Dezember 1899
Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Eibsee Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg
Paul Siebeck Heinrich David Verlag H. Laupp Paul Siebeck Paul Siebeck Gustav Schmoller Gustav Schmoller Paul Siebeck Friedrich von Weech Adolf Buchenberger Robert Wuttke Alfred Weber Paul Siebeck Carl Johannes Fuchs Paul Siebeck Paul Siebeck Paul Siebeck Ludwig Arnsperger Marianne Weber Paul Siebeck
672 674 678 679 681 683 686 687 688 689 692 695 698 699 701 703 704 705 707 709
7. Januar 1900
Heidelberg
7. Januar 1900 8. Januar 1900 20. Januar 1900 21. Januar 1900 26. Januar 1900 27. Januar 1900 1. Februar 1900 18. Februar 1900 oder danach 8. März 1900 4. April 1900
Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg
Großherzogliches Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts Wilhelm Nokk Ludwig Arnsperger Eugen von Philippovich Eugen von Philippovich Eugen von Philippovich Paul Siebeck Eugen von Philippovich
711 715 717 718 721 723 726 727
Heidelberg Heidelberg Heidelberg
23. April 1900 28. Mai 1900 3. Juni 1900 5. Juni 1900
Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg
1900
Alfred Weber Ludwig Arnsperger Großherzogliches Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts Ludwig Arnsperger Paul Siebeck Paul Siebeck Großherzogliches Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts
728 729
732 734 736 738
740
XVIII Datum 11. Juni 1900 oder davor 29. Juni 1900 15. Juli 1900 17. Juli 1900 18. Juli 1900 20. Juli 1900 um den 23. Juli 1900 24. Juli 1900 26. Juli 1900 28. Juli 1900 4. August 1900 6. August 1900 8. August 1900 10. August 1900 vor dem 19. August 1900 vor dem 23. August 1900 vor dem 23. August 1900 1. Oktober 1900 3. Oktober 1900 4. Oktober 1900 zwischen dem 27. September und 6. Oktober 1900 zwischen dem 1. und 6. Oktober 1900 25. Oktober 1900 13. November 1900 17. November 1900 17. November 1900
Chronologisches Verzeichnis der Briefe Ort
Empfänger
Seite
Heidelberg Heidelberg Urach Urach Urach Urach
Paul Siebeck Alfred Klee Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber
741 742 744 747 748 750
Urach Urach Urach Urach Urach Urach Urach Urach
Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber
751 752 753 754 756 757 758 759
Urach
Marianne Weber
761
Urach
Marianne Weber
762
Urach Urach Urach Urach
Marianne Weber Paul Siebeck Marianne Weber Marianne Weber
763 764 765 767
Urach
Marianne Weber
768
Urach Urach Urach Urach
Marianne Weber Paul Siebeck Paul Siebeck Philosophische Fakultät der Universität Heidelberg Großherzogliches Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts
769 770 771
Urach
773
774
1901 4. Juni 1901
Rom
Großherzogliches Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts
775
Chronologisches Verzeichnis der Briefe
XIX
Datum
Ort
Empfänger
Seite
5. Juni 1901
Rom
7. Juli 1901 9. Juli 1901 10. Juli 1901 12. Juli 1901 14. Juli 1901 15. Juli 1901 15. Juli 1901 16. Juli 1901 17. Juli 1901 18. Juli 1901 19. Juli 1901 20. Juli 1901 22. Juli 1901 22. Juli 1901 23. Juli 1901 23. Oktober 1901 11. November 1901 30. November 1901 14. Dezember 1901
Grindelwald Eigergletscher Grindelwald Grindelwald Grindelwald Grindelwald Grindelwald Grindelwald Grindelwald Grindelwald Grindelwald Grindelwald Grindelwald Grindelwald Grindelwald Rom Rom Rom Rom
Philosophische Fakultät der Universität Heidelberg Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Alfred Klee Carl Neumann Alfred Klee Alfred Klee
777 778 780 781 782 783 784 785 786 787 788 790 791 792 793 794 795 796 799 802
1902 7. Januar 1902 16. Januar 1902 11. Februar 1902 13. Februar 1902 8. März 1902 26. März 1902
Rom Rom Rom Rom Rom Florenz
26. März 1902
Florenz
26. März 1902
Florenz
3. April 1902 5. April 1902 7. April 1902 7. April 1902 9. April 1902 10. April 1902 11. April 1902 12. April 1902
Florenz Florenz Florenz Florenz Florenz Florenz Florenz Florenz
Alfred Klee Alfred Klee Paul Siebeck Paul Siebeck Paul Siebeck Großherzogliches Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts Philosophische Fakultät der Universität Heidelberg Großherzogliches Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts Ludwig Arnsperger Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Helene Weber
803 804 805 808 809
813 816
817 819 821 822 823 824 825 826 828
XX
Chronologisches Verzeichnis der Briefe
Datum
Ort
Empfänger
Seite
12. April 1902 14. April 1902 15. April 1902 16. April 1902 17. April 1902 17. April 1902 18. April 1902 16. Mai 1902 22. Mai 1902 23. Mai 1902 23. Mai 1902 24. Mai 1902
Florenz Florenz Florenz Bologna Mailand Mailand Vercelli Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg
832 833 834 835 837 839 840 843 845 846 847
28. Juni 1902 16. Juli 1902 oder davor vor dem 30. Juli 1902 12. September 1902 15. September 1902 5. Oktober 1902 26. November 1902 27. November 1902 28. November 1902 29. November 1902 30. November 1902 1. Dezember 1902 20. Dezember 1902 20. Dezember 1902 21. Dezember 1902 23. Dezember 1902 24. Dezember 1902 25. Dezember 1902 26. Dezember 1902 27. Dezember 1902 28. Dezember 1902 29. Dezember 1902 30. Dezember 1902 31. Dezember 1902 31. Dezember 1902
Heidelberg
Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Franz Böhm Franz Böhm Verlag H. Laupp Marianne Weber Philosophische Fakultät der Universität Heidelberg Carl Johannes Fuchs
849 850
o.O.
Carl Bezold
853
o.O. Borkum Borkum Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Genua Nervi Genua Nervi Genua Genua und Nervi Nervi Genua Pisa-Genua Nervi Nervi Nervi Genua
Alfred Weber Paul Siebeck Helene Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber
854 857 860 862 864 866 867 868 870 872 873 875 876 878 879 881 883 884 885 886 887 888 889
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
|: :| >
[ ]
& § £ → 1) 2) 3) , , 1 2 3 , , O A1, A 2 a b c , , a a b b ... , ...
Einschub Max Webers Textersetzung Max Webers Von Max Weber gestrichene Textstelle Im edierten Text: Hinzufügung des Editors Im Briefkopf: erschlossenes Datum oder erschlossener Ort Im textkritischen Apparat: unsichere oder alternative Lesung im Bereich der von Max Weber getilgten oder geänderten Textstelle Ein Wort oder mehrere Wörter nicht lesbar gestorben Pfennig und Paragraph Britisches Pfund siehe Indices bei Anmerkungen Max Webers Indices bei Sachanmerkungen des Editors Original der edierten Textvorlage Edierte Textvorlage bei paralleler Überlieferung Indices für Varianten oder textkritische Anmerkungen Beginn und Ende von Varianten oder Texteingriffen
7bre
Septembre
a. Abb. Ab.Bl. Abelsdorff, Beiträge
am Abbildung Abendblatt, Abendausgabe Abelsdorff, Walter, Beiträge zur Sozialstatistik der Deutschen Buchdrucker. Mit einer Vorbemerkung von Max Weber (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen, Band 4, Heft 4). – Tübingen und Leipzig: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1900 Abteilung auf das Konto außer Dienst an der Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein Allgemeine Deutsche Biographie Alldeutscher Verband Aktiengesellschaft aktualisiert, aktualisierte am Main Anmerkung außerordentlich, außerordentlicher Artikel Auflage, Auflagen
[??] †
Abt., Abtlg. /Cto a. D. a.d. ADAV ADB A.D.V. A.-G., AG akt. a.M., a /M. Anm. a.o. Art. Aufl. à
XXII
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
Aug. AWGA
August Alfred Weber-Gesamtausgabe
b. BA Baedeker, Großbritannien2, 1895
bei Bachelor of Arts Baedeker, Karl, Großbritannien. England (außer London), Wales, Schottland und Irland. Handbuch für Reisende, 2. Auflage. – Leipzig: Verlag Karl Baedeker 1895 Baedeker, Le sud-ouest Baedeker, Karl, Le sud-ouest de la France. De la Loire à la de la France 6, 1897 frontière d’Espagne. Manuel du voyageur, sixième Édition, revue et mise à jour. – Leipzig: Karl Baedeker, Éditeur 1897 Baedeker, Spanien, 1897 Baedeker, Karl, Spanien und Portugal. Handbuch für Reisende. – Leipzig: Verlag Karl Baedeker 1897 BA Bundesarchiv BAdW Bayerische Akademie der Wissenschaften Bad. Badischer, Badische, Badisches BDF Bund Deutscher Frauenvereine Bd., Bde. Band, Bände bearb. bearbeitet(e) bes. besonders betr. betreffend, betrifft bez., bezgl., bezügl., bzgl. bezüglich Bez. Bezirk bezw., bzw. beziehungsweise BGB Bürgerliches Gesetzbuch bibliogr. bibliographisch BK Briefkopf Bl. Blatt Borgius, Mannheim I,II Borgius, Walter, Mannheim und die Entwicklung des südwestdeutschen Getreidehandels. 1. Geschichte des Mannheimer Getreidehandels. 2. Gegenwärtiger Zustand des Mannheimer Getreidehandels (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen, Band 2, Heft 1 und 2). – Freiburg i.B. u.a.: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1899 Borgius, FruchtmarktBorgius, Walther, Die Fruchtmarktgesetzgebung in Kurpfalz gesetzgebung im 18. Jahrhundert, phil. Diss., Universität Heidelberg. – Tübingen: H. Laupp 1898 BSB Bayerische Staatsbibliothek
ca, ca. Chap. Char. Christl. Cía Cie., Cie Co. Coll. conf. Constz C.p. CV CZA
circa Chapter Charlottenburg Christlich Compañía Compagnie Compagnie, Company College Confer Constanz Cara piccola (Liebe Kleine) curriculum vitae Central Zionist Archives
Siglen, Zeichen, Abkürzungen d. dass. DDP Demm, Liberaler in Kaiserreich und Republik dems. dergl., dgl. ders., Ders. desgl. Dez. DGS d.h. dies., Dies. Die Zeit
XXIII
dig. Ress. Diss. Diss. phil. d.J. d.M., d.M.s, d.M’s d.O. DNVP D., Dr, Dr, Dr. Dr. iur./jur. Dr. iur. et rer. pol. Dr. iur et rer. pol. h.c. Dr. jur. utr. Dr. med. Dr. oec. publ. Dr. phil. Dr. rer. nat. Dr. rer. pol. Dr. sc. pol. Dr. theol. Dr. theol. et phil. dt. Düding, Der Nationalsoziale Verein
der, die, das, des, dem, den dasselbe Deutsche Demokratische Partei Demm, Eberhard, Ein Liberaler in Kaiserreich und Republik. Der politische Weg Alfred Webers bis 1920. – Boppard am Rhein: H. Boldt 1990 demselben dergleichen derselbe, Derselbe desgleichen Dezember Deutsche Gesellschaft für Soziologie das heißt dieselbe, Dieselbe Die Zeit. Organ für nationalen Sozialismus auf christlicher Grundlage, begründet von Friedrich Naumann, Berlin, 1.10. 1896–30.9.1897 Die Hilfe. Gotteshilfe, Selbsthilfe, Staatshilfe, Bruderhilfe (Untertitel seit Okt. 1901: Nationalsoziales Wochenblatt), hg. von Friedrich Naumann, Leipzig, seit 1897 Berlin, 1894–1919 digitale Ressource Dissertation dissertatio philosophiae des Jahres, dieses Jahres des Monats, dieses Monats der Obige Deutschnationale Volkspartei Doktor, doctor (span.) doctor iuris doctor iuris et rerum politicarum doctor iuris et rerum politicarum honoris causa doctor iuris utriusque doctor medicinae doctor oeconomiae publicae doctor philosophiae doctor rerum naturalium doctor rerum politicarum doctor scientiarum politicarum doctor theologiae doctor theologiae et philosophiae deutsch, deutsche Düding, Dieter, Der Nationalsoziale Verein 1896–1903. – München, Wien: R. Oldenbourg 1972
E.s ebd., ebda ed. eigent. engl., Engl. Erbgroßherzogl. Erg. erg.
Erachtens ebenda editor eigentlich englisch Erbgroßherzoglich Ergänzung ergebenst
Die Hilfe
XXIV
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
erw. etc., etc ETH Europ. ev., evtl. e. V. Evangel.-Sozial, Evangel.-Soz., ev.-soz. Exc. Expl., Exempl. extr. Ew, Ew.
erweitert et cetera Eidgenössische Technische Hochschule Europäischer eventuell eingetragener Verein evangelisch-sozial
f. Fasz. Febr. Fn. Fr., Frcs. Fr, Fr. Fr. freundl. Frhr. Frl., frz., Frz. F.Z.
folgende Faszikel Februar Fußnote Franc(s), frz. Franken, Schweizer Franken Freiburg Friedrich freundliche Freiherr Fräulein französisch Frankfurter Zeitung
gänzl. geb. gefl. Geh. gez. gg, gg. ggf, ggf. GLA Goldschmidt, Landarbeiter
Excellenz Exemplar, Exemplare extraordinarius Euer
gänzlich geboren, geborene gefällig Geheimer gezeichnet gegen gegebenenfalls Generallandesarchiv Goldschmidt, Salli, Die Landarbeiter in der Provinz Sachsen, sowie den Herzogtümern Braunschweig und Anhalt (Die Landarbeiter in den evangelischen Gebieten Norddeutschlands. In Einzeldarstellungen nach den Erhebungen des Evangelisch-Sozialen Kongresses, hg. von Max Weber, Heft 1). – Tübingen: H. Laupp 1899 Gr. Gruß griech., Griech. griechisch Großh., Großherzogl. Großherzoglich(en) Grunenberg, Landarbeiter Grunenberg, Andreas, Die Landarbeiter in den Provinzen Schleswig-Holstein und Hannover östlich der Weser, sowie in dem Gebiete des Fürstentums Lübeck und der freien Städte Lübeck, Hamburg und Bremen (Die Landarbeiter in den evangelischen Gebieten Norddeutschlands. In Einzeldarstellungen nach den Erhebungen des Evangelisch-Sozialen Kongresses, hg. von Max Weber, Heft 2). – Tübingen: H. Laupp 1899
Siglen, Zeichen, Abkürzungen GStA GT
XXV
Geheimes Staatsarchiv Great
HA Ha, Ha. H., Hdbg, Hdlb., Hdlbg h.c. Heid. Hs. HdStW1
Hauptabteilung Hektar Heidelberg honoris causa Heidelberger Handschrift Handwörterbuch der Staatswissenschaften, hg. von Johannes Conrad, Ludwig Elster, Wilhelm Lexis und Edgar Loening, 6 Bände und 2 Supplementbände. – Jena: Verlag Gustav Fischer 1890–1897 Hentschel, WirtschaftsHentschel, Volker, Die Wirtschaftswissenschaften als akadewissenschaften mische Disziplin an der Universität Heidelberg 1822–1924, in: Waszek, Norbert (Hg.), Die Institutionalisierung der Nationalökonomie an deutschen Universitäten. Zur Erinnerung an Klaus Hinrich Hennings (1937–1986). – St. Katharinen: Scripta Mercaturae Verlag 1988, S. 192–232 herzl., Herzl., hzl., Hzl, Hzl. herzlich, herzlichem, herzlichen, herzlichst, herzlichsten hg., Hg. herausgegeben, Herausgeber HHStAW Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Hoh. Hoheit H, H., Hr, Hr., Hrn, Hrn. Herr, Herrn hl., Hl. Heilige, Heiliger, Heiligen HNO Hals-Nasen-Ohren H.-P. Hautes-Pyrénées hs. handschriftlich iB, iB., i.B., i/B, i/B, i.Br. i.e. IHK incl., inclus. insbes. I.R.B. irrt. ital., Ital. i /Ü i.V. i.W.
im Breisgau id est Industrie- und Handelskammer inclusive, inklusive insbesondere Irish Republican Brotherhood irrtümlich italienisch im Üechtland (Schweiz) in Vertretung in Westfalen
Jan. Jg. JNS jun.
Januar Jahrgang Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik Junior
K. KGA kgl., Kgl. KHM KIT k.J. k.k.
Kuß Ernst Troeltsch · Kritische Gesamtausgabe königlich, königlichen (Grimms) Kinder- und Hausmärchen Karlsruher Institut für Technologie kommenden Jahres kaiserlich-königlich
XXVI
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
Klee, Landarbeiter
Klee, Alfred, Die Landarbeiter in Nieder- und Mittelschlesien und der Südhälfte der Mark Brandenburg (Die Landarbeiter in den evangelischen Gebieten Norddeutschlands. In Einzeldarstellungen nach den Erhebungen des Evangelisch-Sozialen Kongresses, hg. von Max Weber, Heft 3). – Tübingen: H. Laupp 1902 Kilometer Quadratkilometer
km km2 L. lat., Lat. Leg. Per. Lenger, Werner Sombart Lic. theol. Liefmann, Unternehmerverbände
L.S., L. Sch., L. Schn. lt. Ltd. m, M M., M.-, Mk, Mk. M, M. M. MAN MdprAH MdprHH MdprL MdR m.E., m.E.s MGH Mme Minist. Mo.Bl. Mommsen, Max Weber3
Liebe, Lieber, Liebes lateinisch Legislaturperiode Lenger, Friedrich, Werner Sombart 1863–1941. Eine Biographie. – München: C.H. Beck 1994 licentiatus theologiae Liefmann, Robert, Die Unternehmerverbände (Konventionen, Kartelle). Ihr Wesen und ihre Bedeutung (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen, Band 1, Heft 1). – Freiburg i.B. u.a.: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1897 Liebe, Lieber Schnauz(el), Liebes Schnauzele, Liebes Schnäuzchen laut Limited
Mte Mrd. Mscr., Ms., MS. Mte m.W. MWA MWG
Meter Mark Max Mannheim Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses Mitglied des preußischen Herrenhauses Mitglied des preußischen Landtags Mitglied des Reichstags meines Erachtens Monumenta Germaniae Historica Madame Ministerium Morgenblatt, Morgenausgabe Mommsen, Wolfgang J., Max Weber und die deutsche Politik 1890–1920, 3., verbesserte Aufl. – Tübingen: Mohr Siebeck 2004 Monte Milliarde, Milliarden Manuscript Monte (ital.: Berg) meines Wissens Max Weber-Arbeitsstelle Max Weber-Gesamtausgabe
Nachf. Nachl., Nl. nat.ök., Nat. Ök.
Nachfolger Nachlaß nationalökonomischen, Nationalökonomie
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
XXVII
naturw.-math. Diss. NB, N. B. n.Chr. neubearb. N.F., NF N.N. No, No, Nr. Nov. NSDAP N.W. NW
naturwissenschaftlich-mathematische Dissertation notabene nach Christus neubearbeitet(e) Neue Folge nomen nominandum Numero, Nummer November Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nord West (Himmelsrichtung) Nordwesten (Berliner Postbezirk)
O o. o., ord., Ordent. o.J. Okt. o.O. o.ö. O /Schl. o.V.
Original oder ordentlich, Ordentlicher ohne Jahr Oktober ohne Ort ordentlicher öffentlicher Oberschlesien ohne Verlag
PA p.a. PA AA PEN Pf., Pfg. Ph.D. phil. Diss. philosoph. PK P.m. pp. Prof. Prov. P.S. PSt
Personalakte per annum Politisches Archiv des Auswärtigen Amts Poets Essayists Novelists Pfennig philosophiae doctor philosophische Dissertation philosophisch Preußischer Kulturbesitz Piccola mia (Meine Kleine) perge, perge (und so fort) Professor Provinz Postscriptum Poststempel
r Rep. resp. RGBl
RSt.G.B.
recto Repositur respective Reichs-Gesetzblatt, Jg. 1871–1879, hg. im Reichskanzleramt; Jg. 1880–1918 hg. im Reichsamt des Innern. – Berlin: Verlag des Gesetzsammlungsamts 1871–1918 Royal Mail Ship, Royal Mail Steamer Roth, Guenther, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte 1800–1950 mit Briefen und Dokumenten. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 2001 Reichsstrafgesetzbuch
S. S.
Seite Saale
R.M.S. Roth, Familiengeschichte
XXVIII
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
S. SchmJb, Schmollers Jahrbuch Schn.
San, Santa (italienisch Sankt) (Schmollers) Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich Schnauz, Schnauzel, Schnauzele, Schnäuzchen (Kosename von Marianne Weber) Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender, hg. von Gustav Roloff, NF 11 = 36, 1895. – München: C.H. Beck 1896 dass., NF 12 = 37, 1896. – München: C.H. Beck 1897 dass., NF 13 = 38, 1897. – München: C.H. Beck 1898 dass., NF 14 = 39, 1898. – München: C.H. Beck 1899 Sektion senior September Session Shilling so Signore Sieveking, Heinrich, Genueser Finanzwesen mit besonderer Berücksichtigung der Casa di S. Giorgio, Band 1: Genueser Finanzwesen vom 12. bis 14. Jahrhundert (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen, Band 1, Heft 3). – Freiburg i.B.: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1898, Band 2: Die Casa di S. Giorgio (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen, Band 3, Heft 3). – Freiburg i.B.: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1899 sur Main sogenannt(e, en, er) Spalte spanisch Sozialdemokratische Partei Deutschlands Seiner Sommersemester Sankt, Saint, Sainte Staatsarchiv Statistischen Steiermärkisches Landesarchiv Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, Bd. 19–325, 1871–1918. – Berlin: Julius Sittenfeld 1867–1918 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten 1871–1918. – Berlin: W. Moeser 1871–1919 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Herrenhauses 1871–1918. – Berlin: Verlag der Königlichen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei 1871–1919 Strafgesetzbuch Straße studiosus technicae Schriften des Vereins für Socialpolitik Hausindustrie und Heimarbeit in Deutschland und Österreich, 4 Bände (Schriften des Vereins für Socialpolitik 84–87). – Leipzig: Duncker & Humblot 1899
Schulthess 1895 Schulthess 1896 Schulthess 1897 Schulthess 1898 Sekt. sen. Sept. Sess. Sh. sic! Sige Sieveking, Genueser Finanzwesen I, II
s. M. sog., sogen. Sp. span., Span. SPD Sr. SS St., St, Ste StA Statist. Steierm. LA Sten. Ber.
Sten. Ber. pr. AH
Sten. Ber. pr. HH
StGB str. stud. techn. SVfSP SVfSP 84–87
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
XXIX
s.Z., s.Zt. s.v. SW
seiner Zeit sub verbo, sub voce (unter dem [Stich-]Wort) Südwesten (Berliner Postbezirk)
TH Tit. Tl. Ts.
Technische Hochschule Titel, Titulatur Transliteration Taunus
u., u u.a., u.A. UA u.ä. UB u. dgl. u.d.T. u.Umst. umgearb. undat. Univ. Univ. Diss. unpag. u.ö. USA USPD usw., u.s.w. UVK
und und andere, und Andere, unter anderem, unter Anderem Universitätsarchiv und ähnliches Universitätsbibliothek und dergleichen unter dem Titel unter Umständen umgearbeitete undatiert Universität, University Universitätsdissertation unpaginiert und öfters United States of America Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands und so weiter Universitätsverlag Konstanz
v v. VA v.d. V. f. Soz. Politik, V.f.S.P. verb. Verf. verfl. verm. verm. Verzeichnis der Freiburger Vorlesungen
verso von Verlagsarchiv vor der, vor dem Verein für Sozialpolitik (Socialpolitik) verbessert(e) Verfasser verflucht vermählt vermehrt(e) Ankündigung der Vorlesungen welche im Sommer [Winter]Halbjahre 1895 [–1898] auf der Großherzoglich Badischen Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg im Breisgau gehalten werden. – Freiburg i. B.: Universitäts-Buchdruckerei von Chr. Lehmann 1895–1898 Anzeige der Vorlesungen, welche im Sommer [Winter]-Halbjahr 1896 [–1902] auf der Großherzoglichen Badischen Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg gehalten werden sollen. – Heidelberg: Universitäts-Buchdruckerei von J. Hörning 1896–1902 vergleiche vorigen Jahres vorigen Monats volume, volumes
Verzeichnis der Heidelberger Vorlesungen
vgl. v.J. v.Mts., v. M. vol., vols.
XXX
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
Volksw.
Volkswirtschaftliches (Seminar)
W. Wbg. W.C., W.=C. Weber, Marianne, Fichte’s Sozialismus
Weber Württemberg Water Closet Weber, Marianne, Fichte’s Sozialismus und sein Verhältnis zur Marx’schen Doktrin (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen, Band 4, Heft 3). – Tübingen u.a.: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1900 Weber, Marianne, Weber, Marianne, Max Weber. Ein Lebensbild, 3. Aufl. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1984 (Nachdruck der Lebensbild3 1. Aufl., ebd. 1926) Weber, Max, Nationalstaat Weber, Max, Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. und VolkswirtschaftsAkademische Antrittsrede. – Freiburg i.B. und Leipzig: Akadepolitik mische Verlagsbuchhandlung von J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1895 (MWG I/4, S. 543–574) Wirkl. Geh. Rat Wirklicher Geheimer Rat, Geheimrat WS, W.S. Wintersemester Z. z. z.B. ZfGO z. H. ZHR zit. Ztg, ztg z.Z., z. Zeit
Zeile zum, zur zum Beispiel Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins zu Händen Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht zitiert Zeitung zur Zeit
Max Weber 1897 Generallandesarchiv Karlsruhe, Badische Historische Kommission Auf dieses Bild bezieht sich Weber unten, S. 260.
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1. Zum biographischen Kontext, S. 1. – a) Schwerpunkte in der Wissenschaft, S. 1. – b) Der akademische Kontext des Briefwerkes, S. 8. – c) Max Webers politische Ambitionen, S. 15. – d) Zur privaten Lebenssphäre, S. 18. – 2. Zur Überlieferung und Edition, S. 36.
Der Band umfaßt die überlieferten Briefe Max Webers aus den Jahren 1895 bis 1902. Wir wissen, daß nicht alle Briefe erhalten sind. Zum einen wurden Briefe vernichtet, die das Zerwürfnis mit seinem Vater betrafen, zum anderen wurden nachweislich Briefpassagen über Max Webers Krankheit getilgt.1 Dennoch bieten die hier edierten Briefe einen aufschlußreichen Einblick in seine wissenschaftliche und akademische Tätigkeit, seine politischen Ambitionen sowie seine persönliche Entwicklung in einer weichenstellenden Lebensphase.
1. Zum biographischen Kontext a) Schwerpunkte in der Wissenschaft Max Webers Lebensabschnitt zwischen 1895 und 1902 wurde geprägt durch den Beginn seiner Lehrtätigkeit als ordentlicher Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Freiburg i. Br., dem kurz darauffolgenden Wechsel auf den renommierten Lehrstuhl an der Universität Heidelberg 1897 und der im Sommer 1898 einsetzenden Erkrankung, die zu seinem Rückzug aus der universitären Lehre und seiner grundlegenden wissenschaftlichen Umorientierung führte. Als Max Weber im Herbst 1894 seine Professur in Freiburg antrat, bedeutete dies nicht nur einen Wechsel vom politischen Zentrum des Kaiserreichs an die Peripherie, sondern auch einen Fachwechsel von der Jurisprudenz zur Nationalökonomie. Die Einarbeitung in den neuen Stoff und die umfangreichen Lehrverpflichtungen stellten ihn vor große Herausforderungen. Dennoch verfolgte er auch weiterhin neben seinen neuen universitären Verpflichtungen seine bisherigen speziellen wissenschaftlichen Interessen. Die bevorstehende Reform der Börsengesetzgebung lenkte Max Webers Interesse auf diesen Bereich im Schnittpunkt von Wissenschaft und Politik
1 Vgl. unten, S. 36.
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und band einen großen Teil seiner wissenschaftlichen Schaffenskraft in den Jahren 1895 und 1896. Er lehnte die geplanten und schließlich auf Druck großagrarischer Interessenvertreter umgesetzten Reglementierungen der Börsen und ihrer Geschäfte aus politischen Gründen ab, weil er davon ausging, daß diese Eingriffe zu einer Schwächung des Wirtschaftsbürgertums und des Handelsplatzes Berlin führen würden.2 Bereits 1894 hatte er für Friedrich Naumanns populärwissenschaftliche Göttinger Arbeiterbibliothek das erste Doppelheft „Die Börse. I. Zweck und äußere Organisation der Börsen“ veröffentlicht. Gleichzeitig hatte er seine Arbeit an der ersten Lieferung seiner Aufsätze über die Ergebnisse der Börsenenquetekommission, der vom Reichskanzler einberufenen Sachverständigenkonferenz zur Vorbereitung der Börsenreform, begonnen. 1895 und 1896 setzte er die Arbeit daran in Freiburg intensiv fort, und es erschienen die sich schließlich auf mehrere hundert Seiten belaufenden weiteren Folgen „Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete“, das zweite Doppelheft „Die Börse. II. Der Börsenverkehr“ in der Göttinger Arbeiterbibliothek sowie zwei Artikel zum Börsenwesen im allgemeinen und zu einzelnen Aspekten des Börsenhandels. Weil er auch seine Vortragstätigkeit dazu in Berlin von Freiburg aus fortsetzte, erwarb er sich zunehmend einen Namen als Experte auf diesem Gebiet, sodaß er im November 1896 vom Reichsamt des Innern in den provisorischen Börsenausschuß in Berlin berufen wurde. Nach Verabschiedung des Börsengesetzes im Juni 1896 war dieser Ausschuß gebildet worden, um im Bereich des Börsenhandels bis zum Inkrafttreten des Börsengesetzes am 1. Januar 1897 einheitliche Bestimmungen für den Bundesrat auszuarbeiten. Mit der Aussicht, nicht mehr nur als Beobachter, sondern als wissenschaftlicher Berater tätig zu werden, verband Max Weber die Hoffnung, wieder stärker von der politischen Peripherie in das Zentrum des Kaiserreichs und von der rein wissenschaftlichen Tätigkeit in die Politik rücken zu können. In seinen Briefen schlagen sich diese Erwartungen nieder. Er nahm die Berufung in den provisorischen Börsenausschuß umgehend an.3 An den Beratungen nahm er vom 19. bis 26. November 1896 teil, wurde mit der Berichterstattung der zunächst tagenden Subkommission und schließlich mit dem allgemeinen Abschlußbericht an den Reichskanzler über die Denkschriften zur Produktenbörse betraut. Da sich darin eine hohe Wertschätzung seiner Urteilskraft in der finanzrechtlich und finanzpolitisch höchst komplexen Materie spiegelte, rechnete er fest damit, nach Inkrafttreten des Börsengesetzes auch in den nunmehr sogenannten definitiven Börsenausschuß aufge2 Vgl. Borchardt, Knut, Einleitung, in: MWG I/5, S. 1 f. Alle im folgenden zitierten Schriften und Reden Max Webers zwischen 1893 und 1898 zum Börsenwesen sind ediert in MWG I/5. 3 Telegramm an das Reichsamt des Innern vom 7. Nov. 1896, unten, S. 221 f., mit Editorischer Vorbemerkung.
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nommen zu werden. Am 1. Januar 1897 schrieb er dem Berliner Nationalökonomen Adolph Wagner, er hoffe, ihn bald wiederzusehen, und fügte halb im Spaß, halb im Ernst hinzu, „wenn nicht Graf Arnim mit seinen Myrmidonen vorher dafür sorgt, daß so ,börsenfreundliche‘ Professoren nicht wieder in den Börsenausschuß kommen“.4 Tatsächlich wurde Max Weber auf Grund der Kritik aus agrarischen Kreisen nicht wieder berufen.5 Wie groß die damit für ihn verbundene Enttäuschung war, läßt sich schwer sagen. Jedenfalls veröffentlichte er 1897 nur noch zwei Artikel, zum Börsengesetz und zum Bankdepotgesetz von 1896. Eine Vortragsreihe zu „Geschichte und Organisation der Börse“ folgte im Januar und Februar 1898. Sein Urteil über das Börsengesetz und das damit verbundene Verbot des Terminhandels in Getreide änderte er nicht: „Mit dessen gesetzlichem Totschlag in Deutschland“, so schrieb er dem badischen Agrarpolitiker und Finanzminister Adolf Buchenberger am 26. Juli 1899,6 „haben wir die deutsche Preisbildung nicht dem Einfluß der Spekulation entzogen, sondern wesentlich nur an die Stelle des deutschen, durch die deutsche Gesetzgebung zu beeinflussenden Platzes Berlin den Platz New York gesetzt und dessen Übermacht den deutschen Effektivplätzen gegenüber, die früher in Berlin ein Gegengewicht fand, gesteigert“. Es ist dies die letzte ausführliche und inhaltlich gehaltvolle Äußerung Max Webers zur Börsenpolitik, die wir kennen.7 Seit 1896 behandelte er wieder Themen zur Geschichte des Altertums; mit einer Reihe von Veröffentlichungen knüpfte er an seine Habilitationsschrift zur römischen Agrargeschichte von 1891 an.8 Im Mai 1896 erschien sein Aufsatz über „Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur“,9 der auf einem populärwissenschaftlichen Vortrag in der „Akademischen Gesellschaft“ in Freiburg fußte und den Bogen von der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zu kulturgeschichtlichen Fragestellungen der Antike schlug. 1897 folgte sein Beitrag „Agrarverhältnisse im Altertum“ für das Handwörterbuch der Staatswissenschaften in der ersten Auflage, bereits 1898 erschien die zweite, erweiterte Neufassung.10 Max Webers Briefe an den amerikanischen Nationalökonomen Edwin R. A. Seligman vom 22. März 1897 sowie an den Heidelberger Assyriologen Carl Bezold vom 15. Mai 1898 geben Hinweise auf den Entstehungszeitraum und -kontext dieser beiden Handwörterbucharti-
4 Brief an Adolph Wagner vom 1. Jan. 1897, unten, S. 272. 5 Vgl. eingehend dazu Borchardt, Knut, Einleitung, in: MWG I/5, S. 84–86. 6 Unten, S. 689 f. 7 Vgl. Borchardt, Knut, Einleitung, in: MWG I/5, S. 105–108. 8 Weber, Max, Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht (MWG I/2). 9 Ediert in: MWG I/6, S. 82–127. 10 Beide Fassungen ediert in: ebd., S. 128–227.
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kel.11 In zwei Briefen an seinen Heidelberger Kollegen, den Kunsthistoriker, Byzantinisten und Kenner Jacob Burckhardts, Carl Neumann, wird darüber hinaus Max Webers Interesse an der „Kulturentwicklung und – noch mehr – dem Kulturniedergang des Altertums“, d. h. an kulturgeschichtlichen Fragestellungen, deutlich.12 1901, während seiner Krankheit in Rom Erholung suchend, vertiefte er sich weiter in das Studium der antiken Kulturentwicklung, indem er intensiv Jacob Burckhardt las, mit dem verglichen er sich als „ein ökonomischer Banause“ bezeichnete.13 Auch in der zweiten Hälfte der 1890er Jahre prägte Max Weber die aktuelle Diskussion zu agrarpolitischen Themen; er verlieh ihr einerseits durch seine rechtshistorisch und nationalökonomisch fundierten Beiträge wissenschaftliche Tiefenschärfe, und andererseits erwarb er durch seine nationalpolitisch zugespitzten Reden öffentliche Aufmerksamkeit. In einer Reihe von Artikeln nahm er Stellung zu Gesetzesvorhaben zum Erbrecht und Heimstättenrecht.14 Seine grundsätzliche Haltung zur Frage des ländlichen Erbrechts und einer rechtlichen Einschränkung der individuellen Verfügungsfreiheit des bäuerlichen Erblassers legte er in diesem Zusammenhang auch in einem Schreiben an Lujo Brentano dar. Während der Münchener Nationalökonom von einem wirtschaftsliberalen Standpunkt aus argumentierend jegliche, mit einer Reaktivierung des Anerbenrechts verbundenen Beschränkungen ablehnte, befürwortete Max Weber unter gewissen Bedingungen Eingriffe in die individuelle Verfügungsgewalt des Grundeigentümers.15 In zahlreichen populärwissenschaftlichen Vorträgen und Vortragsreihen nahm er darüber hinaus zu weiteren Fragen der Agrarverfassung und Entwicklung der Bodenverteilung in den preußischen Ostprovinzen Stellung. Die dicht aufeinander folgenden Vorträge der Jahre 1894 bis 1897 in Berlin, Frankfurt am Main, Freiburg, Gießen, Karlsruhe, Mannheim, Saarbrücken und Straßburg auf Einladung der unterschiedlichsten Vereine und Vereinigungen16 zeigen nicht nur seine rastlose Reisetätigkeit, sondern auch sein hohes Engagement, mit seinen nationalökonomischen und juristischen Kenntnissen in der Öffentlichkeit zu wirken und dabei auch seine nationalpolitischen Ziele weiterhin zu verfolgen. In den Korrespondenzen hat sich diese Vortragstätigkeit nur am Rande 11 Vgl. unten, S. 302 f., 488, sowie Deininger, Jürgen, Editorischer Bericht, ebd., S. 130 f. 12 Brief an Carl Neumann vom 14. März 1898, unten, S. 473 f. 13 Brief an Carl Neumann vom 11. Nov. 1901, unten, S. 797; zu Max Webers Lektüre in Rom vgl. unten, S. 29–32. 14 Ediert in: MWG I/4, S. 586–596, sowie S. 641–666. 15 Brief an Lujo Brentano vom 11. März 1896, unten, S. 162–164; vgl. dazu auch Max Webers Briefe an Hans Delbrück vom 30. Juli 1897, unten, S. 374 f., sowie an Adolf Buchenberger vom 26. Juli 1899, unten, S. 689–691. 16 Dokumentiert und ediert in: MWG I/4, II. Berichte über Reden und Diskussionsbeiträge, S. 715–855.
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in gelegentlichen Hinweisen niedergeschlagen.17 Allerdings befassen sich zwei Briefe an Carl Johannes Fuchs vom 19. und 24. Juni 189718 eingehend mit konkreten Planungen zu einem sozialwissenschaftlichen Kursus, der im Oktober 1897 in Karlsruhe veranstaltet wurde. Die Einbindung Max Webers in Vortragsreihen dieser Art erfolgte oftmals über lokale evangelisch-soziale Vereine, in denen er selbst in Freiburg zusammen mit seinem Fachkollegen Gerhart von Schulze-Gaevernitz und dem zu diesem Zeitpunkt noch in Freiburg wirkenden Verleger Paul Siebeck engagiert war. So lud er im Auftrag der Evangelisch-sozialen Vereinigung für Baden am 29. April 1896 Friedrich Naumann zu einem Vortrag nach Freiburg ein und erläuterte diesem zugleich seine Vorstellungen: Naumann möge sich „keinesfalls an rein ethische Erörterungen binden, sondern auch gewisse Grundzüge programmatischen Charakters erkennen lassen z. B. meinem allgemeinen Empfinden nach etwa dem Gegensatz gegen den ökonomischen Patriarchalismus deutlichen Ausdruck verleihen“.19 In die Freiburger Zeit fällt auch das wichtigste Dokument des in nationalstaatlichen Wertebezügen denkenden jungen Gelehrten, Max Webers am 13. Mai 1895 an der Universität gehaltene Antrittsrede „Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik“.20 Die Antrittsrede bezog ihre Brisanz aus der Kombination von wissenschaftlichen (agrarstatistischen) Analysen, methodischen Überlegungen zum Verhältnis von Tatsachenaussagen und Werturteilen sowie eigenen politischen Forderungen. Für eine universitäre Antrittsrede war diese Verbindung mehr als ungewöhnlich. So berichtete er wenige Tage später seinem Bruder Alfred Weber über das „Entsetzen“, das er mit der „Brutalität“ seiner Ansichten erregt habe und kündigte eine Publikation an.21 Das agrarstatistische Forschungsprogramm, das in der Antrittsrede eingangs implizit enthalten war, trat angesichts seiner politischen Provokationen und der Reaktionen darauf in den Hintergrund. Doch hat es Max Weber selber mit großer Beharrlichkeit weiterverfolgt, wenn auch der Abschluß, den er sich gewünscht hätte, nicht zu Stande kam. Seit dem Frühjahr 1896 mehren sich die Hinweise darauf, daß er wieder an größeren agrarpolitischen Studien gearbeitet hat. Dafür nahm er anscheinend 17 Vgl. die Briefe an Karl Oldenberg vom 18. Jan. 1895, an Friedrich Naumann vom 22. Sept. 1895 und 9. Dez. 1896 sowie an Lujo Brentano vom 12. Jan. 1897, unten, S. 60–62, 147 f., 240, 276. 18 Unten, S. 348 f., 356–358. 19 Brief an Friedrich Naumann vom 29. Apr. 1896, unten, S. 193 f. 20 Ediert in: MWG I/4, S. 535–574, vgl. dazu auch Aldenhoff, Rita, Nationalökonomie, Nationalstaat und Werturteile. Wissenschaftskritik in Max Webers Freiburger Antrittsrede im Kontext der Wissenschaftsdebatten der 1890er Jahre, in: Sprenger, Gerhard (Hg.), Deutsche Rechts- und Sozialphilosophie um 1900 (Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 43). – Stuttgart: Franz Steiner 1991, S. 79–90. 21 Brief an Alfred Weber vom 17. Mai 1895, unten, S. 82.
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auch die Verzögerung beim Erscheinen der letzten Lieferung der „Ergebnisse der deutschen Börsenenquete“ bis nach der Verabschiedung des Börsengesetzes im Juni 1896 in Kauf.22 Bereits 1894/95 hatte er Material zur Bevölkerungsentwicklung in den östlichen Provinzen Preußens gesammelt und in Bezug zu den jeweils am Ort vorherrschenden landwirtschaftlichen Betriebsgrößen gesetzt. Es waren Teile dieses Materials, die er in der „Antrittsrede“ eingangs als sein implizites Forschungsprogramm präsentierte. Diese Studien wollte er auch auf die westlichen Provinzen Preußens ausdehnen. Sein Ziel war zu zeigen, daß der landwirtschaftliche Großgrundbesitz im Osten das Land entvölkere und es zugleich dem Zuzug polnischer Landarbeiter und Bauern überließ, wohingegen die bäuerliche Besitzstruktur im Westen zur Bevölkerungsstabilität führe. Nach der Jahrhundertwende formulierte er seine Forschungsabsicht im Rückblick weniger nationalpolitisch als gesellschaftskritisch, indem er von „einer größeren agrarstatistischen Arbeit über den landwirtschaftlichen Kapitalismus“ sprach, die er damals geplant und für die er Zahlenmaterial zusammengestellt und errechnet habe.23 So ist seit dem Frühjahr 1896 in seinen Briefen immer wieder die Rede von einer „Einführung in die Agrarpolitik“, möglicherweise einer Vorstudie zur großen agrarstatistischen Arbeit,24 von umfangreichen agrarstatistischen Rechenoperationen und „einem dicken Buch“, zu dem er „wohl in absehbarer Zeit“ kommen werde.25 Dem Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) kündigte er im Herbst 1897 ein Heft „Zur preußischen Agrarpolitik“ an.26 Inwieweit dieses im Zusammenhang mit der geplanten agrarstatistischen Studie stand oder noch mit Auswertungen der 1892/93 vom Evangelisch-sozialen Kongreß durchgeführten Erhebung über die Lage der Landarbeiter, ist nicht ganz eindeutig. Letzteres ist aber eher unwahrscheinlich, da sich Max Weber von der Auswertung der Enquete zurückzog, das Material seinen Doktoranden überließ und eine eigens für die Publikation der Arbeiten gedachte Reihe gründete.27 Darüber hinaus nahm er ein Angebot Friedrich Meineckes und des Oldenbourg-Verlags an, eine „Deutsche Agrargeschichte“ zu verfassen. Mit dem Verlag handelte er aus, wie sich aus den Korrespondenzen des Verlags an ihn ergibt, erst ab Sommer 1899 mit der Arbeit zu beginnen.28
22 Vgl. dazu Borchardt, Knut, Einleitung, in: MWG I/5, S. 104. 23 Weber, Max, Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikommißfrage in Preußen, in: MWG I/8, S. 93, Fn. 1; vgl. ausführlich zu diesem Projekt sowie Max Webers weiteren, im folgenden genannten agrarstatistischen Plänen: Aldenhoff-Hübinger, Rita, Einleitung, in: MWG III/5, S. 35–39. 24 Brief an Lujo Brentano vom 11. März 1896, unten, S. 164. 25 Brief an Helene Weber vom 2. Mai 1896, unten, S. 195–197. 26 Brief an Paul Siebeck, zwischen dem 4. und 18. Sept. 1897, unten, S. 435. 27 Vgl. ausführlich dazu unten, S. 11 f. 28 Vgl. dazu den Brief an Marianne Weber vom 24. März 1896, unten, S. 169, Anm. 12.
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Max Weber hat schließlich keine „Deutsche Agrargeschichte“ verfaßt; das errechnete und bearbeitete agrarstatistische Material verwendete er zunächst in verschiedenen Vorträgen, seinem Gutachten zum Heimstättenrecht sowie in seinen Vorlesungen zur Agrarpolitik. Trotz seiner sich seit Sommer 1898 verschärfenden Erkrankung hielt er noch lange an seinem Plan einer Arbeit über den landwirtschaftlichen Kapitalismus fest. Noch während des Aufenthalts im Sanatorium „Konstanzer Hof“ versicherte er sich der Hilfe Marianne Webers: „Bei dem Zusammenarbeiten dachte ich egoistischer Weise auch an meine Sachen, und zwar nicht etwa wieder nur als Schreib-Sekretär oder als Rechenmaschine. Ich muß an meine agrarpolitische Arbeit gehen, sobald ich gesund bin“.29 Seinem Verleger Paul Siebeck gegenüber erwähnte er noch 1902 seine „längst begonnenen größeren agrarpolitischen Arbeiten“, es würden aber „immerhin 2–3 Jahre verstreichen, bevor ich mit einer größeren Arbeit zur Publikation fertig bin.“30 Weber hat das von ihm zusammengestellte und berechnete agrarstatistische Material abschließend 1904 in seinem Aufsatz „Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikommißfrage in Preußen“ verarbeitet.31 Dem Verein für Socialpolitik blieb Max Weber als Mitglied im Ausschuß verbunden.32 Er befaßte sich jedoch nur am Rande mit der neuen Erhebung, die der Verein zwischen 1897 und 1899 über die Hausindustrie und Heimarbeit in Deutschland und Österreich durchführte. Anders als sein Bruder Alfred, der an der Enquete maßgeblich beteiligt und für ihre Organisation und Durchführung verantwortlich war, beschränkte er sich darauf, in Absprache mit Carl Johannes Fuchs, seinem Nachfolger in Freiburg, Bearbeiter für den südwestdeutschen Einzugsbereich zu finden. Vier Beiträge zur Heimarbei-
29 Brief an Marianne Weber vom 13. Aug. 1898, unten, S. 554 f. 30 Brief an Paul Siebeck vom 8. März 1902, unten, S. 809 f. 31 Ediert in: MWG I/8, S. 81–188, hier S. 93, Fn. 1. 32 Nach Franz Boese, Geschichte des Vereins für Sozialpolitik 1872–1932. – Berlin: Duncker & Humblot 1939 (hinfort: Boese, Geschichte), hier S. 69, wurde Weber im März 1893 auf der Ausschußsitzung erstmalig kooptiert und im September 1894 wiedergewählt (vgl. den Brief Max Webers an Gustav Schmoller vom 27. März 1893, GStA PK, I. HA, Rep. 196, Nr. 67, Bl. 85; MWG II/2, in dem er die Wahl in den Ausschuß dankend annahm, sowie den Brief an Gustav Schmoller vom 6. Okt. 1894 zur Wiederwahl, GStA PK, VI. HA, Nl. Gustav von Schmoller, Nr. 69, Bl. 201–202; MWG II/2). Für die Ausschußsitzung im Frühjahr 1895 in Berlin entschuldigte sich Weber (Brief an Gustav Schmoller vom 15. März 1895, unten, S. 78). In der Ausschußsitzung vom 22. März 1896 war er wieder anwesend (vgl. dazu den Brief an Lujo Brentano vom 11. März 1896, unten, S. 164, Anm. 5, sowie Boese, Geschichte (wie oben), S. 79). Seine Teilnahme an der Ausschußsitzung vom 20. März 1898 sagte er kurzfristig ab (Brief an Alfred Weber vom 18. Febr. 1898, unten, S. 470, Anm. 1), wohingegen er auf der Ausschußsitzung vom 3. Januar 1899 wieder vertreten war (GStA PK, I. HA, Rep. 196, Nr. 99, Bl. 51–54).
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terenquete gehen auf Max Webers Schüler Albert Baer, Wilhelm Fuchs und Otto Reinhard zurück.33 b) Der akademische Kontext des Briefwerkes Die Briefe geben Einblick in Max Webers Hochschullehrertätigkeit in Freiburg i. Br. und in Heidelberg. Max Weber trat im Wintersemester 1894/95 seine Professur für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Freiburg an, wo er bis zu seinem Wechsel an die Universität in Heidelberg am 1. April 1897 lehrte. Die Universität Freiburg formte Max Weber nachhaltig durch sein Engagement. Er stärkte die Philosophische Fakultät durch die von ihm geförderte Ernennung des Neukantianers Heinrich Rickert zum o. Professor der Philosophie im September 1896.34 Noch entscheidender war die von ihm betriebene Ausgliederung der Staatswissenschaften aus der Philosophischen Fakultät und die Gründung einer neuen Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, die zum 1. Juni 1896 erfolgte. Dadurch verhalf er dem noch jungen Fach der Nationalökonomie zu mehr Eigenständigkeit und Anerkennung im tradierten Fächerkanon.35 Noch während seiner Freiburger Zeit wurde Max Weber in die renommierte „Badische Historische Kommission“ mit Sitz in Karlsruhe gewählt.36 Die Kommission zeichnete sich durch die biographische Erschließung bedeutender Persönlichkeiten sowie die Bearbeitung allgemein- und wirtschaftshistorisch relevanter Themen und Quellen zur badischen Landesgeschichte aus. Seit Herbst 1896 zeichnete sich seine Berufung zum Nachfolger von Karl Knies nach Heidelberg ab.37 Nach kurzen, zielstrebig geführten Berufungsverhandlungen wurde er am 7. Januar 1897 zum Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Heidelberg ernannt. In seinen Berufungsverhandlungen legte er besonderen Wert auf die Errichtung eines eigenständigen volkswirtschaftlichen Seminars nach dem Modell des von ihm gemeinsam mit Gerhart von Schulze-Gaevernitz geleiteten Kameralistischen Seminars in Freiburg. Diese für ihn wichtigste Bedingung wurde erfüllt; Max Weber wurde neben dem Staatsrechtler Georg Jellinek Direktor des bestehenden, älteren Staatswissenschaftlichen Seminars. Zugleich wurde zusätz33 Brief an Carl Johannes Fuchs vom 25. Mai 1898, unten, S. 489–491, mit Editorischer Vorbemerkung. 34 Brief an Friedrich Kluge vom 22. Dez. 1895, unten, S. 155–160, mit Editorischer Vorbemerkung. 35 Brief an Friedrich Kluge vom 9. Mai 1896, unten, S. 198 f., mit Editorischer Vorbemerkung. 36 Brief an Friedrich von Weech vom 9. Dez. 1896, unten, S. 242 f., mit Editorischer Vorbemerkung. 37 Brief an Adolf Hausrath vom 15. Okt. 1896, unten, S. 216–218, mit Editorischer Vorbemerkung.
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lich das neue Volkswirtschaftliche Seminar unter seiner Leitung gegründet und großzügig mit Räumen ausgestattet. Dazu gehörte eine Bibliothek der Nationalökonomie, die die Eigenständigkeit des Fachs unterstrich und die für Max Weber zugleich als ein Ort des Lernens, Forschens und der Begegnung mit seinen Schülern von zentraler Bedeutung wurde.38 Nicht durchsetzen konnte er sich dagegen mit seiner Forderung nach einer Neufassung des staatswissenschaftlichen Doktorexamens. Anders als in Freiburg, wo mit der Errichtung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät auch der neue Doktorgrad, Dr. iur. et rer. pol., verliehen wurde, gelang Max Weber in Heidelberg keine vergleichbare Umstrukturierung. Der Doktortitel für das Fach Nationalökonomie wurde weiterhin durch die Philosophische Fakultät verliehen, und zwar auch in den Fällen, wo keine Mitglieder der Philosophischen Fakultät, sondern ausschließlich Mitglieder der Juristischen Fakultät und des Staatswissenschaftlichen Seminars an den Prüfungen beteiligt waren, was je nach Wahl der Prüfungsfächer möglich war. Max Weber sah darin eine deutliche Herabminderung seines Faches: „Es ist nicht nur meine Meinung, daß durch eine Perpetuierung eines solchen Zustandes der Werth des Heidelberger volkswirtschaftlichen Doktorgrades und auch der Werth der Heidelberger volkswirthschaftlichen Lehrstelle gedrückt wird.“39 Von Beginn seiner Heidelberger Zeit an forderte Max Weber die Errichtung einer zweiten nationalökonomischen Professur, zuerst als Umwandlung der von dem Heidelberger Nationalökonomen Emanuel Leser bekleideten außerordentlichen Professur in eine außerordentliche etatmäßige (besoldete) Stelle.40 Später rückte dann die Forderung nach einer zweiten ordentlichen Professur in den Vordergrund. Mit Hinweis auf die zweite Landesuniversität Freiburg, wo er 1896 die Umwandlung der außerordentlichen Professur Gerhart von Schulze-Gaevernitz‘ in eine ordentliche Professur erreicht hatte, beantragte Max Weber im Mai 1899 bei der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg die Bewilligung eines zusätzlichen Ordinariats: „Daß diese zweite Stelle als Ordinariat geschaffen werde[,] erscheint nicht nur im Interesse des Ansehens der Hochschule dringend erwünscht, nachdem nicht nur die andre Landesuniversität, sondern auch fremde kleinere Hochschulen zwei Ordinariate besitzen, sondern ist auch das geeignetste Mittel[,] den in 38 Briefe an Ludwig Arnsperger vom 15. Dez. 1896, sowie an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 30. März 1897, unten, S. 248– 254, 304–309, jeweils mit Editorischer Vorbemerkung; vgl. auch zur Bedeutung der Seminare: Mommsen, Wolfgang J., Einleitung, in: MWG III/1, S. 18 f. 39 Brief an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 30. März 1897, unten, S. 308 f. 40 Stellungnahme betr. Errichtung eines Extraordinariats an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg (7. November 1898), Universitätsarchiv Heidelberg, H-IV-102/130, Bl. 84v und 85r (MWG I/13); vgl. auch Max Webers Brief an den Engeren Senat der Universität Heidelberg vom 1. Juni 1897, unten, S. 334, Anm. 2.
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erfreulichem Aufschwung begriffenen seminaristischen Unterricht weiter zu fördern.“41 Erst als Max Webers Krankheit fortschritt und ihn zunehmend unfähig zur Lehre machte, gab das Karlsruher Ministerium dieser Forderung nach und ernannte schließlich im Mai 1900 Karl Rathgen zum zweiten ordentlichen Professor der Nationalökonomie in Heidelberg. Max Webers Briefe, die er im Zusammenhang mit seinem ersten (nicht angenommenen) Entlassungsgesuch zwischen dem 7. Januar 1900 und der endgültigen Entscheidung des Ministeriums, Karl Rathgen zu berufen, verfaßte, spiegeln eindrücklich seine Sorge darüber wider, das Fach Nationalökonomie in Heidelberg auch weiterhin angemessen vertreten zu sehen.42 Bereits in seiner Freiburger Zeit hatte Max Weber zahlreiche Schüler um sich sammeln können.43 Die daraus hervorgegangenen Doktorarbeiten bewegten sich im Bereich der Wirtschaftsgeschichte, besonders der Agrargeschichte, der Gewerbe- und Handelsgeschichte, der Geschichte der Arbeiterfrage und -bewegung sowie der Arbeiterschutzgesetzgebung. Um seinem Schülerkreis die Möglichkeit der Publikation ihrer Arbeiten zu eröffnen, trat er an den Verleger Paul Siebeck heran. Als Resultat dieser Verhandlungen, in denen Max Weber federführend war, schlossen sich die in Karlsruhe, Freiburg und Heidelberg lehrenden Nationalökonomen zusammen und begründeten die Reihe „Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen“.44 Neben Max Weber, der die Heidelberger Nationalökonomie vertrat, wirkten als Herausgeber Heinrich Herkner (Karlsruhe), Carl Johannes Fuchs und Gerhart von Schulze-Gaevernitz (beide Freiburg) mit. 1898 schied Heinrich Herkner auf Grund seiner Berufung nach Zürich aus; 1901 trat als zweiter Heidelberger Nationalökonom Karl Rathgen in das Herausgebergremium ein. Zwischen 1897 und 1902 erschienen unter Max Webers Mitherausgeberschaft 22 Hefte in sechs Bänden; bei zehn Heften handelte es sich um von ihm direkt betreute Dissertationen bzw. anderweitig geförderte Publikationen.45 Die Korrespondenz mit den Mitherausgebern war oftmals gekenn41 Antrag auf Errichtung einer zweiten nationalökonomischen Professur an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg (Mai 1899), Universitätsarchiv Heidelberg, H-IV-102/130, Bl. 240 (MWG I/13). 42 Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 7. Jan. 1900, unten, S. 711–714, bes. S. 713. 43 Vgl. ausführlich dazu Aldenhoff-Hübinger, Rita, Einleitung, in: MWG III/4, S. 11–18, sowie dies., Einleitung, in: MWG III/5, S. 14–23. 44 Brief an Paul Siebeck vom 26. April 1897, unten, S. 317 f., mit Editorischer Vorbemerkung; vgl. auch die im Anhang, unten, S. 898–903, abgedruckten Verlagsverträge. 45 Vgl. dazu die Vereinbarungen mit dem Verlag (Brief an Paul Siebeck vom 20. Dez. 1898, unten, S. 615 f., Anm. 7); zu den von Max Weber geförderten Arbeiten gehörten außer den hier genannten: Borgius, Mannheim I und II; Sieveking, Genueser Finanzwesen, I und II; Liefmann, Unternehmerverbände, sowie Liefmann, Robert,
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zeichnet von Streitigkeiten über den Umfang der jeweiligen Hefte und den Raum, der den beiden Freiburgern einerseits und Max Weber, der ja bis 1901 der einzige Heidelberger Herausgeber war, andererseits zuzubilligen sei.46 Da Max Weber auch weiterhin die Verhandlungen mit dem Verlag führte, bildet die Verlagskorrespondenz einen Großteil seines Briefwerkes in den Jahren 1898 und 1899. Sie weist ihn als zähen, aber auch humorvollen Verhandlungspartner Paul Siebecks aus. Zwischen ihm und dem Verleger entwickelte sich so im Lauf der Jahre ein vertrauensvolles Verhältnis. Ursprünglich waren neben Dissertationen auch Beiträge der Herausgeber vorgesehen, so hatte, wie bereits erwähnt,47 Max Weber im Herbst 1897 ein Heft „Zur preußischen Agrarpolitik“ angekündigt. Jedoch lieferten weder er noch die anderen Herausgeber eigene Beiträge, so daß Paul Siebeck hinnehmen mußte, daß sich die „Abhandlungen“ unter dem Einfluß des Agrarhistorikers Carl Johannes Fuchs zunehmend in eine Reihe mit „hyperbadischen Beiträge[n] aus dem Fuchs‘schen Seminar“ mit schwindenden Absatzzahlen entwickelten.48 Dazu hat sicher auch Max Webers Erkrankung und Unfähigkeit, eigene Beiträge zu verfassen, beigetragen. 1902 zog sich Paul Siebeck daher aus dem Unternehmen zurück und übersandte Max Weber seine Aufkündigung des Verlagsvertrags.49 An Paul Siebecks Erklärung, daß er mit ihm und Karl Rathgen „gern weitergearbeitet hätte“,50 knüpfte Max Weber 1903 bei der Suche nach einem geeigneten Verlag für das neue „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ an. Neben den „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ gab es noch eine weitere Reihe, die Max Weber zwischen 1899 und 1902 im Zusammenwirken mit Paul Siebeck herausgab: „Die Landarbeiter in den evangelischen Gebieten Norddeutschlands“.51 Sie basierte auf der Erhebung über die Lage der Landarbeiter im Deutschen Reich, die Max Weber 1892/93 gemeinsam mit Paul Göhre im Auftrag des Evangelisch-sozialen Kongresses bei evangelischen Pfarrern durchgeführt hatte. Max Weber selÜber Wesen und Formen des Verlags (der Hausindustrie). Ein Beitrag zur Kenntnis der volkswirtschaftlichen Organisationsformen (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen, Band 3, Heft 1). – Freiburg i. Br. u. a.: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1899. 46 Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 18. Dez. 1898, unten, S. 607. 47 Oben, S. 6. 48 Paul Siebeck an Max Weber vom 4. Juni 1900 (Original im Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; Durchschlag in: VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446). 49 Brief an Paul Siebeck vom 8. März 1902, unten, S. 809–812. 50 Paul Siebeck an Max Weber vom 20. Sept. 1902, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446. 51 Vgl., auch zum Folgenden, den Editorischen Bericht zu Weber, Max, Die Landarbeiter in den evangelischen Gebieten Norddeutschlands, in: MWG I/4, S. 687–692.
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ber war nicht mehr zu einer Auswertung der Materialien gekommen, sondern betraute damit Doktoranden, darunter Salli Goldschmidt, Andreas Grunenberg und Alfred Klee. Die daraus entstandenen Arbeiten erschienen im Verlag H. Laupp, der seit 1899 ebenfalls unter der Leitung Paul Siebecks stand. Max Weber selbst steuerte einen Werbetext und eine aufschlußreiche Vorbemerkung zum ersten Band bei,52 sein ursprünglich vorgesehenes Resümee erschien dagegen nicht.53 Die Landarbeiterreihe gab Max Weber in alleiniger Verantwortung heraus. Obwohl letztlich nur drei der insgesamt fünf vorgesehenen Hefte erschienen,54 nahmen die Aushandlung des Verlagsvertrages mit Paul Siebeck bzw. dem Verlag H. Laupp, sowie Fragen der Drucklegung und Honorierung zwischen September 1898 und 1902 in seinen Korrespondenzen einen breiten Raum ein. Die vollständig überlieferte Korrespondenz mit dem Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) informiert nicht nur über Max Webers Verhandlungsgeschick in geschäftlichen Belangen, sondern gibt auch einen Einblick in den Umgang mit seinen Schülern. Dies ist umso aufschlußreicher, als mit Ausnahme der Briefe an den Freiburger Habilitanden Heinrich Sieveking und den Heidelberger Doktoranden Alfred Klee keine weiteren Briefe an seine Schüler bekannt sind. Max Weber hat, soweit ihm dies seine Erkrankung seit Ende der 1890er Jahre erlaubte, deren Arbeiten intensiv betreut, durch Diskussionen im Seminar befördert und sogar selbst vor der Drucklegung in die Manuskripte eingegriffen und Passagen neu geschrieben.55 Wenn es nötig war, hat er sich im Streit um Autorenkorrekturen hinter seine Doktoranden gestellt und in besonderen Fällen auch die Kosten selbst übernommen.56 Eine besondere Rolle spielt die Korrespondenz mit anderen Gelehrten, insbesondere Nationalökonomen. Hierzu zählen zunächst aus Max Webers alten Berliner „Netzwerken“ Gustav Schmoller und Adolph Wagner, bei den jüngeren Berliner Nationalökonomen Karl Oldenberg und natürlich auch sein Bruder Alfred Weber. Weitere hervorragende Nationalökonomen, mit denen Weber in Kontakt stand, waren der Münchener Lujo Brentano und der Leipziger Karl Bücher. Häufig standen die Schreiben Max Webers im Zusammenhang mit Berufungsfragen. So holte er im Falle seiner Freiburger Nachfolge u.a. gutachterliche Stellungnahmen von Karl Bücher, Lujo Brentano und Adolph Wagner ein.57 Er selber gutachtete anläßlich der Nachfolge Heinrich 52 Ediert in: MWG I/4, S. 693–711. 53 Vgl. den Brief an den Verlag H. Laupp vom 12. Juni 1899, unten, S. 668. 54 Vgl. Goldschmidt, Landarbeiter; Grunenberg, Landarbeiter, und Klee, Landarbeiter. 55 Vgl. die Briefe an Paul Siebeck vom 13. März 1898, unten, S. 471, sowie vom 3. Juni 1898, unten, S. 494. 56 Vgl. den Brief an Paul Siebeck vom 1. Juli 1899, unten, S. 672 f. 57 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Karl Bücher vom 21. Dez. 1896, unten, S. 255 f.
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Herkners in Karlsruhe 58 und der Errichtung eines zweiten Lehrstuhls für Nationalökonomie in Basel.59 Zahlreiche Briefe an seinen Freiburger Nachfolger Carl Johannes Fuchs zeugen von der engen Zusammenarbeit im Herausgebergremium der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“. Dagegen ist nur ein Brief Max Webers an denjenigen Nationalökonomen überliefert, dessen Berufung er mehrfach empfahl, weil er ihn für den begabtesten unter den jüngeren Ökonomen hielt: Werner Sombart.60 Max Weber setzte sich für Sombart als seinen Nachfolger in Freiburg ein;61 er hat ihn auch als zweiten Ordinarius der Nationalökonomie an seiner Seite in Heidelberg favorisiert.62 1897/99 plädierte er zudem nachdrücklich für Werner Sombart als Nachfolger Heinrich Herkners in Karlsruhe.63 Der akademische Kontext wäre unzureichend beschrieben ohne den Hinweis auf zwei Rufe, über die wir nur indirekt informiert sind. Max Weber hat die Rufe zwar nicht erhalten, war aber in die nähere Auswahl gekommen. Durch den Tod von Alexander Franken wurde am 4. Oktober 1896 die ordentliche Professur für deutsches Recht an der Juristischen Fakultät der Universität Jena frei. Laut Fakultätsprotokoll vom 13. Oktober 1896 kam die Juristische Fakultät überein, nachdem man sich „privatim“ an Max Weber gewendet habe, diesen, falls er sich dem Ansinnen nicht völlig verschließe, an erster Stelle vorzuschlagen.64 Inzwischen hatte Max Weber aber diese Voranfrage zurückgewiesen, da sich zur gleichen Zeit die Aussichten auf die Professur in Heidelberg konkretisierten. Über die Vorgänge sind wir aus einem Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 13. Oktober 1896 ausführlich informiert: „Außerdem fanden wir bei unserer Rückkehr noch etwas Wichtiges vor, nämlich eine vorläufige Anfrage aus Jena, ob Max eventuell eine germanistische Professur, die mit einer Richterstelle am Oberlandesgericht verknüpft ist übernehmen würde mit vorzüglichen Gehaltsbedingungen. Max hat vorläufig eine ziemlich ablehnende Antwort gegeben – aber ich merke, es beschäftigt ihn doch sehr [,] ob der Ruf nun wirklich kommt ist ja noch zweifelhaft, ob er ihn
58 Brief an Arthur Böhtlingk vom 8. Jan. 1899, unten, S. 625–628. 59 Brief an Heinrich David vom 5. Juli 1899, unten, S. 674–677. 60 Brief (Abschrift) an Werner Sombart vom 8. Febr. 1897, unten, S. 287–289. 61 Ebd., unten, S. 288, sowie den Brief an Karl Bücher vom 21. Dez. 1896, unten, S. 255–257; vgl. auch das mit den Marginalien Max Webers versehene Gutachten „Die Wiederbesetzung des erledigten Nationalökonomischen Ordinariats betr.“, Entwurf von 1896/97, UA Freiburg i. Br., B 110/405, Bl. 271–284 (MWG I/13). 62 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ludwig Arnsperger vom 8. März 1900, unten, S. 729. 63 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Arthur Böhtlingk vom 8. Jan. 1899, unten, S. 625; vgl. auch: Lenger, Werner Sombart, S. 117. 64 Universitätsarchiv Jena, Bestand K, Nr. 387, Bl. 118v, hier zitiert nach der Auskunft des Universitätsarchivs Jena vom 18. August 2011.
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dann annimmt oder nicht ebenfalls. Heidelberg ist auch wieder mehr in Sicht, da Philippovich im voraus abgelehnt haben soll. Natürlich würde Max dann nach H[eidelberg] gehen – ich ginge beinahe lieber nach Jena, wenn wir schon noch fort müßten!“65 Tatsächlich wurde Max Weber auf seine „ziemlich ablehnende Antwort“ hin am 23. Oktober 1896 nicht auf die Berufungsliste gesetzt; ernannt wurde am 13. Februar 1897 stattdessen der Breslauer Jurist Alfred Schultze.66 Ein weiteres Mal war Max Weber im Gespräch als Nachfolger des renommierten Münchener Kulturhistorikers und Volkskundlers Wilhelm Heinrich Riehl. Nach dessen Tod sollte der Lehrstuhl für Kulturgeschichte und Statistik im Wintersemester 1897/98 neu besetzt werden. Als mögliche Nachfolger zog die Staatswirtschaftliche Fakultät – ohne Reihung und nur in alphabetischer Reihenfolge – Eberhard Gothein, Georg Friedrich Knapp, Karl Lamprecht und Max Weber in Betracht. Max Weber wurde als Vielversprechendster unter den jüngeren Nationalökonomen bezeichnet. Ihm wurde nicht nur eine erstaunliche und unerschöpfliche Arbeitskraft attestiert, sondern auch eine besondere Befähigung als Lehrer.67 Die Gründe dafür, daß Max Weber im weiteren Verlauf der Verhandlungen gar nicht mehr erwähnt wurde, sind nicht bekannt. Im Februar 1898 wurde der Statistiker und hohe Wissenschaftsbeamte Georg von Mayr auf den ordentlichen Lehrstuhl für Statistik, Finanzwissenschaft und Nationalökonomie berufen. Zugleich wurden die beiden Münchener Professoren Lujo Brentano von der Lehre der Finanzwissenschaft (zugunsten der Wirtschaftsgeschichte) und Walther Lotz von der Verpflichtung, die Statistik zu vertreten, befreit.68 Es ist zu vermuten, daß Lujo Brentano und Walther Lotz deshalb ein Interesse an der Berufung eines Statistikers und Finanzwissenschaftlers hatten. Max Weber hätte mit seiner Art der Forschung und Lehre keine Ergänzung bzw. Entlastung, sondern eine Konkurrenz dargestellt.
65 Marianne Weber an Helene Weber vom 13. Oktober 1896, Bestand Max WeberSchäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 66 Universitätsarchiv Jena, Bestand K, Nr. 387, sowie Bestand BA, Nr. 413 (Auskunft des Universitätsarchivs Jena vom 21. Sept. 2011). Der von Marianne Weber zitierte Antwortbrief Max Webers ließ sich weder in den einschlägigen Akten des Universitätsarchivs Jena noch des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar (Auskunft vom 23. Aug. 2011) ermitteln. 67 Schreiben des Dekans der Staatswirtschaftlichen Fakultät an den Akademischen Senat der Universität München vom 24. Nov. 1897, Universitätsarchiv München Y-XVI-6, Band 1. 68 Entschließung des Kgl. bayerischen Staatsministeriums des Innern für Kirchenund Schulangelegenheiten vom 20. Febr. 1898, No. 2612, eingelegt in den Akten bei Fasc. No. Prof. Dr. Georg v. Mayr, Universitätsarchiv München Y-XVI-6, Band 1.
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c) Max Webers politische Ambitionen Nach wenigen Jahren wurde die Aufbruchstimmung, die seit den sozialpolitischen Februarerlassen des Kaisers, dem Fall des Sozialistengesetzes, Bismarcks Rücktritt und dem Beginn der Reichskanzlerschaft Leo von Caprivis die deutsche Politik geprägt hatte, wieder Schritt für Schritt zurückgenommen. 1893 mobilisierte der Bund der Landwirte die oppositionellen agrarischen Kräfte gegen Caprivis Handelsvertragspolitik. 1894 wurde Caprivi zum Rücktritt gezwungen und ein neues, wiederum in erster Linie gegen die Bestrebungen der Sozialdemokratie gerichtetes Gesetz in den Reichstag eingebracht, die sogenannte „Umsturzvorlage“. Ende 1895 vollzog auch der Evangelische Oberkirchenrat in einem Erlaß die sozialpolitische Wende, und der Kaiser besiegelte endgültig die Abkehr von evangelisch-sozialen Reformbestrebungen, indem er „politische Pastoren“ zum „Unding“ und „christlichsozial“ zu „Unsinn“ erklärte.69 Zwei Personen verkörperten diese Tendenzen und drückten der Zeit ihren Stempel auf. Die Ära Stumm wurde benannt nach dem saarländischen Schwerindustriellen Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg, unter dessen Einfluß der Kaiser zunehmend geriet. Sozialpolitisch gesehen, wurde die zweite Hälfte der 1890er Jahre zudem durch den preußischen Finanzminister Johannes von Miquel geprägt. Seine Sammlungspolitik der gewerblichen und landwirtschaftlichen Interessengruppen stand ganz im Zeichen der Revision der von Caprivi eingeleiteten Handelsvertragspolitik. Durch sie sollte nicht nur der handwerkliche Mittelstand, sondern auch der Großgrundbesitz wieder zollpolitisch geschützt und wirtschaftlich gestärkt werden. Diese Abkehr vom sozialpolitischen Aufbruch spiegelt sich auch in Max Webers Briefen wider. Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg holte anläßlich der Debatten im Reichstag 1895 über die „Umsturzvorlage“ zu einem Generalangriff auf den Evangelisch-sozialen Kongreß, den Verein für Socialpolitik und die führenden Berliner Nationalökonomen aus. Letzteren unterstellte er, die Berufung Andersdenkender an die Universität zu Berlin zu verhindern. Darüber hinaus warf er indirekt Adolph Wagner vor, sozialdemokratische Studentenvereinigungen zu unterstützen. Max Weber griff entschieden in den sich daraus entwickelnden Pressestreit und die sich anschließende Duellaffäre zwischen den beiden Kontrahenten, Adolph Wagner und
69 Telegramm des Kaisers vom 28. Febr. 1896, bekannt geworden im Mai 1896, zit. nach: Pollmann, Klaus Erich, Landesherrliches Kirchenregiment und soziale Frage. Der evangelische Oberkirchenrat der altpreußischen Landeskirche und die sozialpolitische Bewegung der Geistlichen nach 1890 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Band 44). – Berlin, New York: Walter de Gruyter 1973, S. 262, Anm. 41; zur sozialpolitischen Wende des Evangelischen Oberkirchenrats vgl. ebd., S. 75–84.
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von Stumm-Halberg, ein.70 Dabei sprechen die flankierenden Briefe an Alfred und Clara Weber sowie Adolph Wagner eine deutliche Sprache.71 Als Johannes von Miquel 1899 anläßlich einer Debatte im preußischen Abgeordnetenhaus über den Landarbeitermangel den Wert der 1891/92 vom Verein für Socialpolitik durchgeführten Erhebung über die Lage der Landarbeiter in Zweifel zog, war es wiederum Max Weber, der den Verein für Socialpolitik verteidigte und die Angriffe auf seine Person als Bearbeiter der Enquete für das ostelbische Deutschland parierte. Auch in diesem Fall nahm Weber in seinen Briefen kein Blatt vor den Mund, schrieb von „Miquel’s Frechheiten“ und nannte den amtierenden preußischen Finanzminister einen „Schubiack“, d.h. Lumpen oder Gauner.72 Trotz oder vielleicht gerade wegen der politischen Wende setzte Max Weber auch nach seiner Berufung nach Freiburg unbeirrt seine bisherigen gesellschaftspolitischen Aktivitäten fort, wie sich an seinen Briefen verfolgen läßt. Er blieb Mitglied des Evangelisch-sozialen Kongresses und schloß sich darüber hinaus der Evangelisch-sozialen Vereinigung für Baden an, zu deren Mitgliedern in Freiburg auch sein Fachkollege Gerhart von Schulze-Gaevernitz73 und der Verleger Paul Siebeck gehörten. In den Richtungskämpfen im Evangelisch-sozialen Kongreß stand er auf der Seite Friedrich Naumanns. Zusätzlich war er an Naumanns Aktivitäten beteiligt, die sich um die von ihm herausgegebene Wochenschrift „Die Hilfe“ gruppierten. Wie Gerhart von Schulze-Gaevernitz war er Mitglied der „Freunde der Hilfe“ und des Komitees, das die Gründung einer Tageszeitung mit ähnlichem Profil wie die wöchentlich erscheinende „Die Hilfe“ vorbereitete.74 Als ihm Adolf Hausrath in Anbetracht des noch nicht sicheren, aber in greifbare Nähe gerückten Rufes von Freiburg nach Heidelberg im Oktober 1896 riet, sich von Naumann aus politischen Gründen zu distanzieren, antwortete Weber seinem Onkel: „Ich bin nichts weniger als ,christl[ich]-sozial‘, sondern ein ziemlich reiner Bourgeois, und meine Beziehungen zu Naumann beschränkten sich darauf, daß ich ihn, dessen Charakter ich hochschätze, sachte von seinen sozialistischen Velleitäten loszulösen strebte. Aber grade jetzt ihn öffentlich zu ,verleugnen‘ ging
70 Weber, Max, Die Kampfesweise des Freiherrn v. Stumm, MWG I/4, S. 512–519, sowie: ders., Eingesandt, MWG I/4, S. 520–523. 71 Vgl. die Briefe an Alfred Weber vom 1. Febr. 1895 (mit Editorischer Vorbemerkung), Clara Weber vom 11. Febr. 1895, Alfred Weber vom 24. und 27. Febr. 1895, sowie Adolph Wagner vom 14. März 1895, unten, S. 67–77. 72 Brief an Gustav Schmoller vom 2. März 1899, unten, S. 644–646, mit Editorischer Vorbemerkung; die Zitate: S. 646. 73 Oben, S. 5. 74 Brief an Friedrich Naumann vom 22. Sept. 1895, unten, S. 147 f.
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am wenigsten an. Ich wünsche nichts gethan zu haben, was einem Ambieren um irgend eine noch so ehrenvolle Stelle auch nur von fern verwandt wäre.“75 So sehr Max Weber die Persönlichkeit Naumanns schätzte, so sehr war er skeptisch, was den Politiker Naumann anbelangte. Die Bestrebungen Naumanns, den Nationalsozialen Verein und die nationalsoziale Tagungszeitung „Die Zeit“ im Herbst 1896 zu gründen, hielt er für verfrüht und konzeptionell nicht ausgereift.76 Auf der Erfurter Gründungsversammlung des Nationalsozialen Vereins im November 1896 sprach er sich dezidiert gegen Naumanns Variante des nationalen Sozialismus aus und plädierte für „eine nationale Partei der bürgerlichen Freiheit“.77 Mit der Schroffheit seines Auftritts stieß er nicht nur Friedrich Naumann persönlich, sondern auch die liberalprotestantischen Kreise um Martin Rade vor den Kopf.78 Dennoch gehörte er auch weiterhin zu denjenigen, die Friedrich Naumann kontinuierlich sowohl ideell als auch finanziell unterstützten. Neben der Spende von kleineren Summen war es vor allem die Finanzierung der Reichstagskandidatur Naumanns 1898, die Helene Weber und Ida Baumgarten mit seiner, Otto Baumgartens und Alfred Webers Unterstützung überhaupt erst ermöglichten.79 Die Briefe verdeutlichen Max Webers Haltung zu Friedrich Naumann: Er hat ihn als Freund und Vorbild hoch geschätzt und als eine in ihrem politischen Handeln wertgeleitete Persönlichkeit geachtet, auch wenn er dessen politische Ziele selber nicht geteilt hat. So schreibt er ihm nach der verlorenen Wahl: „Lieber Freund, – – denn ich denke, wir dürfen einander wohl so nennen [. . .]. Lassen Sie Sich von Niemand, auch von Sich selbst nicht, einreden, daß sogenannte ,Fehler‘ etc. mitspielten. Daran scheitert eine groß gedachte Sache, von reinen Persönlichkeiten in ehrlicher Arbeit vertreten, nicht. [. . .] Aber war deshalb Ihre Arbeit vergebens, – auch nur in Ihrem Sinn? Sicherlich nicht: ich kann bezeugen, was Sie in unsren Kreisen, in denen nun einmal Ihre Wirkung lag, für Keime ausgestreut haben, – und auch[,] was Sie an mir selbst und meinesgleichen gethan haben. [. . .] Unsre letzten Ideale und Voraussetzungen weichen von einander vielfach ab, das wissen wir beide, aber ich denke, es bleibt Alles beim Alten!“80 Als durch und durch politischer Mensch sah Max Weber der Berufung nach Heidelberg „durchaus nicht mit völlig ungeteilten Empfindungen entgegen“.81 75 Brief an Adolf Hausrath vom 15. Okt. 1896, unten, S. 217 f. 76 Vgl. dazu das bislang unbekannte Memorandum Max Webers vom Sept. 1896, im Anhang, unten, S. 893–897. 77 MWG I/4, S. 621. 78 Brief an Martin Rade vom 7. Dez. 1896, unten, S. 236–238, mit Editorischer Vorbemerkung. 79 Brief an Friedrich Naumann vom 28. Okt. 1897, unten, S. 454–456, mit Editorischer Vorbemerkung. 80 Brief an Friedrich Naumann vom 19. Juni 1898, unten, S. 496 f. 81 Brief an Adolf Hausrath vom 15. Okt. 1896, unten, S. 217.
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Er war sich bewußt darüber, daß mit der Annahme dieser Professur „eine große Stellung“ verbunden sein würde und damit zugleich die Verpflichtung, „auf alle andre Wirksamkeit zu verzichten“.82 Doch wie hätte eine solche politische Wirksamkeit für ihn aussehen können? Friedrich Naumanns gesinnungsethischem Idealismus und christlich-sozialem Sozialismus wollte und konnte er nicht folgen. Die Hoffnungen auf eine konkrete politische Tätigkeit in Berlin scheiterten Anfang 1897, als ihm die erwartete Berufung in den definitiven Börsenausschuß versagt wurde. Den Alldeutschen Verband verließ er, nicht weil dieser ihm zu nationalistisch war, sondern weil er in der Frage der polnischen Saisonarbeiter die Interessen des Großgrundbesitzes vor die nationalen Interessen gestellt habe.83 Eine bürgerliche Partei mit nationaler und liberaler Zielsetzung zugleich, wie er sie sowohl in der Freiburger Antrittsrede als auch auf dem Erfurter Gründungsparteitag der Nationalsozialen beschworen hatte, war nicht in Sicht. Um selbst eine neue politische Richtung aufzubauen, hatte er nicht die Kraft, und dazu war er auch zu sehr Gelehrter. Als ihm in Saarbrücken im Frühjahr 1897 Nationalliberale eine Reichstagskandidatur für 1898 antrugen, um dem Schwerindustriellen von Stumm-Halberg Paroli zu bieten, lehnte er mit Verweis auf seine soeben erst angetretene Hochschullehrertätigkeit in Heidelberg ab.84 Noch ein Jahr später schrieb er an seine Cousine: „Alles Entscheidende und Große schlummert vorerst im Hintergrund und ist verhüllt durch einen Wust von Kleinlichkeiten. Ich dächte jetzt auch nicht daran, mich politisch zu beteiligen.“85 Die sich nur wenig später ankündigende und seit dem Sommer 1898 verschärfende Krankheit zwang ihn zudem, sich immer mehr aus dem öffentlichen und beruflichen Leben zurückzuziehen. d) Zur privaten Lebenssphäre Max Webers Briefe erlauben vielfältige Einblicke in seine private Lebenssphäre. In den Freiburger Jahren 1895 und 1896 zeigte er sich, trotz der fachlichen Umstellung und hohen Arbeitsanforderung als äußerst gesellig im Umgang mit Freunden, Kollegen und Studenten.86 Eine vertiefte Freundschaft entstand in diesen Jahren mit dem Ehepaar Heinrich und Sophie Rickert. Max Weber und Heinrich Rickert kannten sich bereits über ihre Eltern aus Berlin. Enge Kontakte entwickelten sich überdies zu dem Philosophen 82 Ebd. 83 Brief an Ernst Hasse vom 22. Apr. 1899, unten, S. 658–660. 84 Vgl. Mommsen, Wolfgang J., Einleitung, in: MWG I/4, S. 59 f.; zum Kontext vgl. auch MWG I/4, S. 810–812. 85 Brief an Emmy Baumgarten vom 18. Febr. 1898, unten, S. 469. 86 Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 10. Jan. 1895, unten, S. 51 f.; eingehend auch beschrieben in Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 215–218.
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Alois Riehl und seiner Frau Sophie, zu dem Juristen Richard Schmidt und seiner Frau Tilla Rosalin, die im selben Haus wie Max und Marianne Weber in der Schillerstraße 22 wohnten, sowie zu dem Historiker Wilhelm Busch und zu dem Romanisten Gottfried Baist. Letzterer war Vorsitzender der Ortsgruppe des Alldeutschen Verbandes, in der auch Max Weber Mitglied war.87 Ferner sind zu nennen die Mediziner Franz Keibel, ein Schwager Heinrich Rickerts, ebenfalls als Schriftführer aktiv in der Ortsgruppe der Alldeutschen, sowie Gustav Killian. Mit seinem Fachkollegen Gerhart von Schulze-Gaevernitz teilte Max Weber das gemeinsame Engagement für die evangelisch-soziale Bewegung und Friedrich Naumanns politische Bestrebungen. Der aus dem Hamburger Großbürgertum stammende Heinrich Sieveking war für Max Weber weit mehr als ein Schüler, dessen Habilitation es zu fördern galt. Weber bewunderte dessen Abkömmlichkeit und Möglichkeit zur Privatgelehrtenexistenz. Beziehungen zu dem Philosophen Hugo Münsterberg, der zu dieser Zeit noch in Freiburg lehrte, werden nur von Marianne Weber erwähnt,88 in der Korrespondenz sind sie dagegen nicht dokumentiert. Familiäre Kontakte bestanden zu Max Webers Cousin, dem Altphilologen Fritz Baumgarten, der als Gymnasiallehrer mit seiner Familie in Freiburg lebte. Weitere Verwandte lebten in Heidelberg, Stuttgart und Straßburg. Dank der bereits erwähnten relativ häufigen Verpflichtungen in Berlin rissen auch dort die alten Verbindungen zu den gleichaltrigen Kollegen der Nationalökonomie wie Karl Oldenberg und Karl Kaerger nicht ab. Die Besuche bei den Eltern und Geschwistern konnte Max Weber gut damit vereinbaren. Alfred Weber war nach Max Webers Wegzug von Berlin nunmehr der älteste der Geschwister in der „Villa Helene“ in der Marchstraße und unterrichtete seinen Bruder regelmäßig über wichtige Familienangelegenheiten. Max und Alfred Weber teilten darüber hinaus wissenschaftliche Interessen; in Prüfungssituationen stand der Ältere dem Jüngeren mit brüderlichem Rat zur Seite.89 Während es im Alltag Marianne Weber war, die die Korrespondenz mit Helene Weber führte, zog Max Weber es vor, seiner Mutter von den Reisen selber zu berichten. In seinen ausführlichen Briefen an Helene Weber aus Schottland und Irland 1895 sowie Frankreich und Spanien 1897 verband er humorvolle und unterhaltsame Anekdoten, wie z. B. das zufällige Treffen mit Otto Gierke und seiner Familie am Loch Katrine in Schottland,90 mit genauer Beobachtung und Analyse. Dabei fesselten ihn Landschaften und Regionen, die durch besondere Agrarverfassungen historisch geformt worden waren, ebenso wie neuzeitliche Methoden der industriellen Ausbeutung von Roh-
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Vgl. MWG I/4, S. 819. Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 216 f. Brief an Alfred Weber vom 2. Jan. 1895, unten, S. 47 f. Brief an Helene Weber vom 14. Aug. 1895, unten, S. 99 f.
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stoffen.91 Er erfaßte fremde soziale Phänomene in ihrer geschichtlichen Besonderheit und verglich sie mit den entsprechenden deutschen, etwa die gastlichen Hotels in den schottischen Highlands, die aus „Jagdsitze[n] der Landlords“ hervorgegangen seien, mit den deutschen Gasthöfen, ehemaligen einfachen Stadt- und Dorfkrügen oder Kaufmannsherbergen, die erst später den „üblichen internationalen ‚Cultur‘-Anstrich“ erhalten hätten.92 In die Analysen mischten sich mitunter auch nationale Stereotypen, wie Max Webers Bemerkungen über die „absolute wirklich erschreckende Nichtigkeit der Französinnen“ zeigt.93 Die Wunderheilung in Lourdes, eine außergewöhnliche Kulturerscheinung ekstatischer Volksreligiosität, wirkte auf Max und Marianne Weber Ende August 1897 faszinierend und abstoßend zugleich. Sie veranlaßte Max Weber zu Bemerkungen über „die Psychologie der katholischen Kirche“ und die „gewaltigen Akkorde, die sie auf dem Nervensystem der Massen“ anschlage.94 Max und Marianne Webers Reisen waren gut geplant. Ihren Irlandaufenthalt 1895 organisierten sie mit dem britischen Pauschalreiseunternehmen Thomas Cook & Son; das Arrangement umfaßte neben Fahrscheinen auch Hotelgutscheine für Unterkunft und Mahlzeiten.95 Als ständiger Begleiter war der klassische Reiseführer des deutschen Bildungsbürgertums, der „Baedeker“, mit dabei.96 Am 31. März 1897 zogen Max und Marianne Weber von der Schillerstraße 22 in Freiburg in die Leopoldstraße (Anlage) 53b in Heidelberg.1 Die Berufung nach Heidelberg bedeutete auch in privater Hinsicht einen gravierenden Einschnitt. Der gesellschaftlich zwanglose Umgang, den Max und Marianne Weber in Freiburg mit gleichaltrigen Kollegen und Freunden gepflegt hatten, wich zunächst einer steiferen und genauen Regeln folgenden Geselligkeit. Auch wenn die Rede von „noch bevorstehenden ca. 90–100 Besuchen“2 sicher übertrieben war, so zeigt sie doch, wie die zu absolvierenden Antrittsbesuche im neuen Kollegenkreis Max Weber belasteten. Dazu trat der Auf91 Vgl. die Briefe an Helene Weber vom 14. Aug., 17. und 18. Aug., 7., 8. und 9. Sept. 1895 (schottische und irische Agrarverfassung), unten, S. 97–105 und 133–142, sowie die Briefe zwischen dem 12. und 20. Sept. 1897 (Eisenerzausbeutung in Spanien), unten, S. 427–447. 92 Brief an Helene Weber vom 17. und 18. Aug. 1895, unten, S. 104. 93 Brief an Helene Weber vom 7. Sept. 1897, unten, S. 420. 94 Brief an Helene Weber vom 1. Sept. 1897, unten, S. 402. 95 Brief an Helene Weber vom 7., 8. und 9. Sept. 1895, unten, S. 134. 96 Dies geht aus dem Brief an Helene Weber vom 1. Sept. 1895, unten, S. 124, sowie den Briefen von Marianne Weber an Helene Weber, undat. [4. Aug. 1895], sowie vom 23. Juni 1901, beide Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, hervor. 1 Vgl. die Briefe an Carl Johannes Fuchs vom 10. März 1897, unten, S. 297, sowie an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 20. März 1897, unten, S. 301. 2 Brief an Clara Mommsen vom 9. Mai 1897, unten, S. 323.
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bau des Volkswirtschaftlichen Seminars. In dieser angespannten Situation kamen seine Eltern zu Besuch. Helene Weber war in Heidelberg aufgewachsen, sie war der Stadt und ihren dort lebenden Familienangehörigen tief verbunden. Zunächst war nur ein Besuch von ihr allein vorgesehen; sie war bei Max und Marianne Weber stets willkommen und hatte sie bereits in den Sommern 1895 und 1896 in Freiburg besucht.3 Auch dieses Mal wurde, wie schon 1895, der lange geplante Besuch immer wieder wegen anderer Pläne von Seiten Max Weber sen. verschoben. Am 14. Juni 1897 trafen schließlich – statt nur der Mutter allein – unangekündigt beide Elternteile in Heidelberg ein, wozu Max Weber seinen Vater noch am selben Abend zur Rede stellte.4 Über die Heftigkeit, das Ausmaß und den Inhalt dieser Auseinandersetzung, einer Art Generalabrechnung mit dem als patriarchalisch empfundenen Vater und dessen Verhalten der Mutter gegenüber, sind wir durch die unmittelbar darauf folgenden Briefe Max Webers an seinen Bruder Alfred aus erster Hand unterrichtet.5 Sie werden hier erstmalig vollständig ediert. Max Weber hat, wie diese Briefe zeigen, strikt auf seinem Standpunkt beharrt und Vermittlungsversuche seiner Geschwister Clara und Karl heftig zurückgewiesen. Selbst am Grab des Vaters, der wenig später, am 10. August 1897, auf einer Reise nach Riga verstarb, fand er keine Worte des Bedauerns über sein Verhalten.6 Seit Sommer 1897 entwickelten sich um Max Weber neue Formen der Geselligkeit und des informellen wissenschaftlichen Austauschs. So fällt in diese Zeit auch der Beginn der „Fachmenschenfreundschaft“ mit Ernst Troeltsch.7 Erstmalig nennt Max Weber den Heidelberger Theologen in einem Brief an Carl Johannes Fuchs vom 19. Juni 1897 als möglichen Referenten über „Sozialethik“ für den sozialwissenschaftlichen Kursus im Oktober 1897 in Karlsruhe.8 Im November des gleichen Jahres berichtete Marianne Weber bereits ihrer Schwiegermutter, daß am bevorstehenden Samstagabend „als
3 Briefe an Alfred Weber vom 24. Febr. 1895, unten, S. 72 mit Anm. 8, sowie an Marianne Weber vom 14. Apr. 1896, unten, S. 188 mit Anm. 3. 4 Zur Vorgeschichte und zum Verlauf des Streits vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 14. Mai 1897, unten, S. 325 f. 5 Briefe an Alfred Weber vom 15., 19., am oder nach dem 22. Juni, 23. Juni sowie vom 13. Juli 1897, unten, S. 343–347, 350–355 und 368 f.; vgl. auch Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 243; weitere Familienkorrespondenzen dazu sind jedoch vernichtet worden, vgl. unten, S. 36. 6 Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 245. 7 Umfassend dazu: Graf, Friedrich Wilhelm, Einleitung, in: ders., Fachmenschenfreundschaft. Studien zu Troeltsch und Weber. – Berlin, Boston: Walter de Gruyter 2014, S. 1–79 (hinfort: Graf, Einleitung), sowie ders., Fachmenschenfreundschaft. Bemerkungen zu ,Max Weber und Ernst Troeltsch‘ (1988), in: ebd., S. 269–293 (hinfort: Graf, Fachmenschenfreundschaft). 8 Unten, S. 348.
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ständiger Gast Tröltsch“ komme, „es ist sehr angenehm mit ihm“.9 Am 16. März 1898 schrieb sie von „obligaten, angeregten wissenschaftlichen Gespräch[en]“ nach einem gemeinsamen Spaziergang der beiden Gelehrten „u. auch vorgestern, als wir T[roeltsch] zum Abendessen hier hatten“. In deren Folge sei Max Weber aber wieder „so nervös angespannt“ gewesen.10 Die Inhalte dieser wissenschaftlichen Gespräche sind nicht bekannt. Korrespondenzen zwischen beiden Gelehrten sind nicht überliefert. In den folgenden Jahren sind die zunehmend freundschaftlichen Beziehungen aber dank der regelmäßigen Briefe Marianne Webers an Helene Weber gut dokumentiert; sie wurden intensiviert durch die Kontakte Marianne Webers mit Ernst Troeltsch, den sie zur Übernahme von Vorträgen für den von ihr geleiteten Heidelberger Verein „Frauenbildung“ gewinnen konnte, so erstmalig im November und Dezember 1898, als Troeltsch sechs Vorträge über „Prinzipienfragen der Ethik“ hielt.11 Ernst Troeltsch verfolgte Max Webers Erkrankung der kommenden Jahre mit großer Anteilnahme.12 Während der Sanatoriumsaufenthalte Max Webers traf er Marianne Weber regelmäßig; Marianne Weber ihrerseits begleitete seine Verlobung im August 1900 und seine Heirat Ende Mai 1901 mit großer Sympathie. Neben Ernst Troeltsch gehörten zu dem engsten Kreis der Philosoph Paul Hensel, dessen Seminare Marianne Weber besuchte und der sich wie Troeltsch an Vortragsreihen des Vereins „Frauenbildung“ beteiligte, und Carl Neumann. Ernst Troeltsch erwähnt den engen Zusammenhalt in einem Brief an Wilhelm Bousset vom 5. August 1898: „Den meisten Umgang pflege ich außerhalb der Fakultät, Max Weber, Hensel, Carl Neumann [. . .] sind mir sehr liebe Freunde.“13 Zu den Freunden, mit denen seit Sommer 1897 statt steifer Diners „nur die anspruchslose Freiburger Art des Zusammenseins“ in Heidelberg gepflegt wurde, zählten auch Georg Jellinek14 sowie die Verwandten Georg und Pauline (Paula) Schmidt. Ende August 1897 traten Max und Marianne Weber, wie geplant, die Reise nach Frankreich und Spanien an. Direkt nach der Rückkehr nach Heidelberg
9 Marianne Weber an Helene Weber vom 21. Nov. 1897, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 10 Marianne Weber an Helene Weber vom 16. März 1898, ebd. 11 Marianne Weber an Helene Weber vom 17. Juli 1898, ebd.; vgl. dazu auch Graf, Einleitung (wie oben, S. 21, Anm. 7), S. 25. 12 Davon zeugt auch ein Brief von Ernst Troeltsch an Heinrich Rickert vom 10. März 1899, in dem es heißt: „Hier sieht es bei Webers momentan recht unerfreulich u sorglich aus, u ich setze auf die Ferien für Weber große Hoffnungen.“ (Ernst Troeltsch. Briefe II (1894–1904), hg. von Friedrich Wilhelm Graf in Zusammenarbeit mit Harald Haury (Ernst Troeltsch · Kritische Gesamtausgabe, KGA, Band 19). – Berlin, München, Boston: Walter de Gruyter 2014, S. 241). 13 Ebd., S. 207 f.; vgl. dazu auch Graf, Fachmenschenfreundschaft (wie oben, S. 21, Anm. 7), S. 272 f. 14 Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 240 und 271; das Zitat: S. 240.
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in der Nacht auf den 4. Oktober15 und trotz einer fiebrigen Erkrankung hielt Max Weber noch am selben Tag in Karlsruhe seinen ersten Vortrag im Rahmen des sozialwissenschaftlichen Kursus.16 Es folgten eine weitere Vortragsreihe in Mannheim im November und Dezember sowie ein Vortrag in Straßburg im Dezember,17 alle zusätzlich zu den Semesterveranstaltungen mit einer wöchentlichen Belastung von neun Stunden.18 Am Ende des Wintersemesters zeigten sich derart starke gesundheitliche Erschöpfungszustände, daß Max Weber den Heidelberger Psychiater Emil Kraepelin konsultierte. Dieser diagnostizierte, den Worten Marianne Webers zufolge, „Neurasthenie[,] die von jahrelanger Überanstrengung herrühre“ und empfahl Ausruhen sowie ein „vernünftiges Leben“.19 Max Weber verbrachte auf diese Empfehlung hin in Begleitung von Marianne Weber und Alfred Weber im Frühjahr 1898 gut drei Wochen in Glion bei Montreux.20 Im Anschluß an diesen Erholungsurlaub waren im Sommersemester 1898 wiederum eine der großen, fünfstündigen Vorlesungen sowie eine zweistündige Spezialvorlesung und das zweistündige Volkswirtschaftliche Seminar wöchentlich zu absolvieren.21 Für die Vorlesung zur allgemeinen (theoretischen) Nationalökonomie erarbeitete er im Frühjahr zudem zwei gedruckte Handreichungen für die Hörer: einen Grundriß sowie das erste Buch über die begrifflichen Grundlagen der Volkswirtschaftslehre.22 Dazu trat, wie bereits erwähnt, die Neufassung seines nunmehr erheblich erweiterten Beitrags zum Handwörterbuch der Staatswissenschaften „Agrarverhältnisse im Altertum“23 und, wie die dichte Korrespondenz mit dem Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) zeigt, eine rege Herausgebertätigkeit für die „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“. Nachdem Max Weber am 14. April 1898, direkt nach der Rückkehr von Glion, seiner Mutter noch geschrieben hatte, daß sich der Aufenthalt in gesundheitlicher Hinsicht doch als „sehr rentabel“ erwiesen habe, mehrten
15 Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 7. Okt. 1897, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 16 Die Vortragsreihe ist ediert in: MWG I/4, S. 826–841. 17 Ediert in: MWG I/4, S. 842–855. 18 Vgl. MWG III/1, S. 60 f. 19 Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 19. März 1898, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 20 Vom 20./21. März bis 13. April 1898; vgl. ausführlich dazu den Brief an Helene Weber vom 14. Apr. 1898, unten, S. 481–483, mit Editorischer Vorbemerkung. 21 Vgl. MWG III/1, S. 61. 22 Dies geht aus dem Brief Alfred Webers an Max Weber vom 28. Juni 1898 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) hervor; vgl. auch MWG III/1, S. 82 f. und 119. 23 Oben, S. 3 f.
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sich seit Juni 1898 in den Korrespondenzen mit anderen Gelehrten seine Hinweise auf eine anhaltende, nervöse Schlaflosigkeit.24 Am 16. Juli 1898 beantragte Max Weber beim Großherzoglichen Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts eine Beurlaubung für die letzten beiden Semesterwochen, um einen längeren Kuraufenthalt im Sanatorium „Konstanzer Hof“ anzutreten. Als Ursachen nannte er Schlaflosigkeit, veranlaßt „nach ärztlicher Meinung durch frühere Überarbeitung, eine dazu getretene (vermutliche) Malaria-Infektion“ von der Spanienreise und andere „schädliche Einwirkungen“. Neben der Schlaflosigkeit sei es das Sprechen in den Vorlesungen, das ihm zunehmend Schwierigkeiten bereite.25 Medizinische Unterlagen von Max Webers anschließendem Aufenthalt im „Konstanzer Hof“ vom 25. Juli bis 23. Oktober 1898 sind nicht überliefert. Doch erlauben die während der fünfwöchigen Trennungszeit von Marianne Weber mit ihr ausgetauschten Briefe – die Ärzte hatten zu Beginn der Therapie ein Fernbleiben Marianne Webers angeraten – Einblicke in Webers Krankheitsverlauf und die dort angewandten Heilmethoden.26 Hier werden zum ersten Mal die sexuellen Beschwerden benannt, der „Deubel“, d. h. nächtliche Erektionen und Pollutionen, verbunden mit Traumvorstellungen.27 Später wird Max Weber in seinen in italienischer Sprache verfaßten Postkarten an Marianne Weber von „Fra Diavolo“ berichten.28 Der Aufenthalt im Konstanzer Hof29 wirkte auf Max Weber, wie die Briefe an Marianne Weber zeigen, wie eine Befreiung vom „krampfhaften Anklammern an die wissenschaftliche Arbeit wie an einen Talisman“; er ließ wieder Gefühle wie „Heimweh“ zu.30 Er akzeptierte sein Kranksein geduldig und zeigte sich offen für neue Behandlungsmethoden wie die Hypnose.31 Zugleich las er
24 Briefe an Heinrich Sieveking vom 20. Juni 1898, an Carl Johannes Fuchs vom 7. Juli 1898 und an Gustav Schmoller vom 12. Juli 1898, unten, S. 499 f., 507 und 514. 25 Brief an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 16. Juli 1898, unten, S. 515. 26 Vgl. die Briefe an Marianne Weber zwischen dem 26. Juli und 27. Aug. 1898, unten, S. 520–526, 529–567 und 570–578; vgl. besonders den Brief vom 26. Juli 1898, unten, S. 520–523 mit Editorischer Vorbemerkung. 27 Brief an Marianne Weber vom 30. Juli 1898, unten, S. 529 mit Anm. 2; sowie vom 13. und 23. Aug. 1898, unten, S. 554, 572. 28 Vgl. die Karten an Marianne Weber vom 17. Apr., 27. Nov., 25. und 31. Dez. 1902, unten, S. 837, 866, 881 und 888. 29 Vgl. dazu die vom ärztlichen Leiter verfaßte Schrift: Fischer, Georg, Die Heilanstalt für Nervenkranke im Konstanzer Hof zu Konstanz. Ihre Einrichtung und ihre Ziele, 3. Aufl. – Konstanz: Otto Reuss 1893. 30 Vgl. vor allem den Brief an Marianne Weber vom 4. und 5. Aug. 1898, unten, S. 539–541. 31 Brief an Marianne Weber vom 26. Aug. 1898, unten, S. 575–577; vgl. auch die Einschätzung im Brief Marianne Webers an Helene Weber, undat. [1898], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446.
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intensiv in einem breiten literatur- und kulturgeschichtlichen Spektrum: Émile Zola, Gustave Flaubert, Kuno Fischers Goethe-Interpretation, Julius Wellhausens „Israelitische und jüdische Geschichte“ sowie Treitschkes „Geschichte im 19. Jahrhundert“.32 Offenbar nutzte er auch die Bestände der (heutigen) Wessenberg-Bibliothek in Konstanz.33 Mit Marianne Weber erörterte er eingehend deren geplante Arbeit über den Sozialismus bei Johann Gottlieb Fichte und Karl Marx.34 Max Weber schien auf dem Weg der Besserung; so unterbreitete er Paul Siebeck u.a. den Vorschlag, eine neue Reihe – über die Landarbeiter in den evangelischen Gebieten Norddeutschlands – herauszugeben, größere Arbeiten traute er sich allerdings noch nicht zu.35 Am 5. Oktober 1898 ließ er sich von der Spezialvorlesung Geld- und Bankwesen entbinden, um seine Lehrtätigkeit auf sieben Wochenstunden im Wintersemester 1898/99 zu reduzieren.36 Zurück in Heidelberg, spiegeln seine Korrespondenzen Ende 1898 und 1899 sein gesundheitliches Auf und Ab. Einerseits zeigen sie ihn als zähen Verhandlungspartner Paul Siebecks, des Verlags J. C. B. Mohr und H. Laupp bei der Aushandlung eines neuen Verlagsvertrags für die „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ und zudem als Herausgeber der neuen Reihe über die „Landarbeiter in den evangelischen Gebieten Norddeutschlands“, deren erste beide Hefte 1899 erschienen. Andererseits verfaßte er selbst keine größeren Arbeiten mehr. Sein äußerst labiles Befinden, das bis zur völligen Apathie gehen konnte,37 machte auch „das anhaltende laute Sprechen, daher das Abhalten von Vorlesungen unmöglich“, wie er zu Beginn des Sommersemester 1899 dem Ministerium anzeigte.38 Er wurde daraufhin für das Sommersemester 1899 von der Vorlesung befreit, 32 Vgl. dazu die Briefe an Marianne Weber (in der Reihenfolge der zitierten Autoren) vom 26. Juli, unten, S. 523 mit Anm. 11, vom 9. Aug., unten, S. 546 mit Anm. 7 und 5, vom 15. Aug., unten, S. 559 mit Anm. 4, sowie vom 26. Aug. 1898, unten, S. 575 mit Anm. 1. 33 Auskunft von Horst Baier vom 11. Jan. 1993 (vgl. MWG I/4, S. 25). Welche Bücher Max Weber dort einsah bzw. auslieh, läßt sich nicht mehr feststellen. In dem Ausleihbuch der Wessenberg-Bibliothek, das sich im Stadtarchiv Konstanz befi ndet, fehlen in den Jahren zwischen 1896 und 1903 die entsprechenden Seiten mit dem Buchstaben W (Auskunft von Peter Chr. Wagner, Bibliothek der Universität Konstanz, vom 18. März 2014). 34 Briefe an Marianne Weber vom 7. und 10. Aug. 1898, unten, S. 542–544 und 549. 35 Briefe an Paul Siebeck vom 12. Sept. 1898, unten, S. 580 f., sowie an Gustav Schmoller vom 24. Sept. 1898, unten, S. 582 f., mit der Absage, eine Lassalle-Biographie zu verfassen. 36 Brief an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 5. Okt. 1898, unten, S. 585 f. 37 Vgl. dazu den Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 16. Febr. 1899, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 38 Brief an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 12. April 1899, unten, S. 652 f.
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hielt aber noch, zumindest anfänglich, sein Seminar ab.39 Den Monat August 1899 verbrachte er mit Marianne Weber in Eibsee, einem ihnen empfohlenen Kurort bei Garmisch-Partenkirchen; Anfang September reisten sie von hier aus mit unbekanntem Ziel weiter über den Fernpaß nach Süden.40 Wohin sie fuhren, ist in der Korrespondenz nicht dokumentiert. Im Wintersemester 1899/1900 begann er erneut mit der Vorlesung „Agrarpolitik“ und dem Volkswirtschaftlichen Seminar, mußte aber kurz nach Aufnahme der Lehre wieder abbrechen. Am 7. Januar 1900 reichte er schließlich sein erstes Entlassungsgesuch ein.41 Das Jahr 1900 bedeutete den Tiefpunkt in Max Webers Krankheitsverlauf. Obwohl das Ministerium sein Entlassungsgesuch nicht annahm und ihn stattdessen beurlaubte, muß ihm klar gewesen sein, wie aussichtslos eine Rückkehr in die Lehre war, denn er setzte sich von nun an dezidiert für die Errichtung einer zweiten nationalökonomischen Professur in Heidelberg ein. Erst nach Klärung der Besetzung der zweiten Professur im April 1900 entschloß er sich auf ärztliches Anraten hin zu einem weiteren Aufenthalt in einem Privatsanatorium in Urach auf der Schwäbischen Alb. Dort verbrachte er viereinhalb Monate, vom 1. Juli bis 17. November 1900.42 Marianne Weber begleitete ihn zunächst, fuhr aber am 14. Juli wieder zurück nach Heidelberg, um die Wohnung in der Leopoldstraße (Anlage) 53b aufzulösen. Am 23. August kehrte sie dann nach Urach zurück. Anders als im Fall des Konstanzer Aufenthaltes ist die in dieser Zeit der Trennung zwischen Max und Marianne Weber ausgetauschte Korrespondenz stark reduziert; sie gibt einen Eindruck von der Schwere der Krankheit. Max Weber ging es so schlecht, daß Marianne Weber ihm Kärtchen vorgeschrieben hatte, in die er nur seinen Zustand stichwortartig zu ergänzen brauchte.43 Nach drei Monaten Aufenthalt und Therapie war er immer noch resigniert; so schrieb er am 3. Oktober 1900 an Marianne Weber, daß er nicht davon ausgehe, „in irgend absehbarer Zeit“
39 Vgl. den Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 26. Mai 1899 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446), demnach habe er 23 Hörer im Seminar und halte fast täglich Sprechstunde ab; die offizielle Teilnehmerliste dagegen verzeichnet keine Teilnehmer (vgl. MWG III/1, S. 62). 40 Vgl. den Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 5. Sept. 1899, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 41 Brief an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 7. Jan. 1900, unten, S. 711–714. 42 Vgl. ausführlich zu Max Webers Aufenthalt in Urach einschließlich der dort verfolgten Ziele und angewendeten Therapien die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Marianne Weber vom 15. Juli 1900, unten, S. 744 f. 43 Vgl. die Briefe an Marianne Weber zwischen dem 15. Juli und bis vor dem 19. August 1900, unten, S. 744–761.
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wieder in seinen Beruf zurückkehren zu können: „und für die ‚Welt‘ ist Niemand leichter zu ersetzen als ein Docent.“44 Obwohl Max Weber fortlaufend bei vollen Bezügen beurlaubt wurde, bestand auf Grund der Arzt- und Behandlungskosten ein hoher Geldbedarf. Um die Behandlung in Urach und die Wohnungsauflösung mit den anschließenden Reisen finanzieren zu können, verkauften Max und Marianne Weber im August 1900 Doubletten aus ihrer umfangreichen Max-Klinger-Sammlung.45 Bereits im Juni 1900 hatte Marianne Weber Paul Siebeck gebeten, ihren Mann nicht mit Druckkostenzuschüssen für einen Schüler zu belasten, „er kann es wahrhaftig nicht! Durch seine Krankheit ist das Portemonnaie in beständiger Ebbe!“46 Die Frage, was Max Webers gesundheitlichen Zusammenbruch und seine anhaltende Unfähigkeit zur Lehre sowie zum wissenschaftlichen Arbeiten veranlaßte, ist wiederholt gestellt worden. Den ärztlichen Attesten zufolge litt er an einer Überreizung und funktionellen Schwäche (bzw. Erkrankung oder Störung) des Nervensystems. Schließlich ist die Rede von „schwerer und hartnäckiger Neurasthenie“.47 Diese Diagnose hatte bereits Emil Kraepelin gestellt.48 Trotz der Unschärfe dieses um 1900 weit verbreiteten Begriffs ließ sich bei Max Weber aufgrund der Atteste – weitere medizinische Unterlagen sind nicht überliefert – eine „depressive Neurose [. . .] vor dem Hintergrund einer Persönlichkeit mit Typus melancholicus-Zügen und Zügen, die wir je nach theoretischem Kontext als bipolar oder narzißtisch bezeichnen möchten“, diagnostizieren.49 In der Sekundärliteratur verweisen die Autoren auf die im Kindesalter erlittene Meningitis, die moralische Rigorosität der Mutter, die konfliktreiche Vater-Sohn-Beziehung sowie auf „eine auffallende Häufung psychiatrischer Erkrankungen“ im Familienkreis.50 Betroffen waren, und dies
44 Unten, S. 765 f. 45 Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 10. Aug. 1900, unten, S. 759 mit Anm. 5. 46 Zusatz Marianne Webers auf dem Brief von Max Weber an Paul Siebeck vom 3. Juni 1900, unten, S. 738, Editorische Vorbemerkung. 47 Die Atteste waren den jeweiligen Anträgen Max Webers auf Beurlaubung beigefügt (vgl. die Briefe Max Webers an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 16. Juli 1898, unten, S. 515, Anm. 1; 5. Okt. 1898, unten, S. 585, Anm. 1; 12. Apr. 1899, unten, S. 652, Anm. 3; 5. Juni 1900, unten, S. 740, Anm. 1 (hieraus das Zitat); 17. Nov. 1900, unten, S. 774, Anm. 1, und vom 4. Juni 1901, unten, S. 775 f., Anm. 4). 48 Vgl. oben, S. 23. 49 Frommer, Jörg und Frommer, Sabine, Max Webers Krankheit. Recherchen zur Krankheits- und Behandlungsgeschichte um die Jahrhundertwende, in: Fortschritte der Neurologie – Psychiatrie, Jg. 66, 1998, S. 193–200, das Zitat: S. 199; vgl. auch die erste, auf der Grundlage dieser Atteste verfaßte Untersuchung der Soziologin Sabine Frommer und des Arztes Jörg Frommer: Max Webers Krankheit – soziologische Aspekte der depressiven Struktur, in: ebd., Jg. 61, 1993, S. 161–171. 50 Frommer/Frommer, Max Webers Krankheit (1993), ebd., S. 163 f., Zitat: S. 164.
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ist auch Thema in Max Webers Briefen, seine Cousinen Emmy und Anna Baumgarten 51 sowie seine Cousins Hans und Otto Benecke. Letzterer wurde wie Max Weber in Urach behandelt und begleitete Max und Marianne Weber auf ihrer anschließenden Reise. Die Brüder Benecke kamen beide durch die eigene Hand ums Leben: Hans Benecke Anfang 1898 52 und Otto Benecke 1903. Die hier erstmalig vollständig edierten Briefe Max Webers könnten weitere Forschungen zu einer Erklärung seiner Krankheit eröffnen. Welche Rolle bei der Erkrankung Max Webers der Alkoholkonsum gespielt hat, läßt sich nicht klären. Sicher ist, daß Max Weber auf Drängen Marianne Webers seinen besonders während der Freiburger Zeit erheblichen Konsum nach dem Umzug nach Heidelberg dauerhaft einschränkte.53 Seit dem Beginn seiner Erkrankung im Frühjahr 1898 ist die Einnahme von Beruhigungs- und Schlafmitteln in den Korrespondenzen dokumentiert.54 Zunächst handelte es sich um das gängige Schlaf- und Beruhigungsmittel Brom (Kaliumbromid), das Max Weber auch sein Konstanzer Arzt Dr. Mülberger regelmäßig abends verabreichen ließ.55 Bereits im März 1900 verordnete ihm sein Heidelberger Arzt Professor Dr. Vierordt dagegen, anstelle von Brom, das er einmal aussetzen solle, „Baldrianthee u. Wadenpackungen, u. statt Kampferpillen Opiumstuhlzäpfchen“.56 Zeitweise scheinen kleine Opiumgaben Brom ersetzt zu haben: „Ich lese täglich u. nehme kein Brom, alle 2–3 Nächte etwas Opium.“57 Seit 1901/02 hat er Brom zunehmend ergänzt, teilweise auch ersetzt durch Trional und Codein (auch ein Opiat), welches ihm sein Schwager Ernst Mommsen verschrieb.58 Nach Beendigung des Aufenthalts in Urach reisten Max und Marianne Weber am 17. November 1900 nach Korsika, wo sie zusammen mit Otto Benecke den Winter verbrachten. Aus dieser Zeit der Erholung nach den erschöpfenden Behandlungen liegen keine Briefe Max Webers vor. Nach Marianne Webers Schilderung 59 besserte sich sein Zustand in der schönen 51 Brief an Emmy Baumgarten vom 30. Jan. 1898, unten, S. 462–464 mit Editorischer Vorbemerkung. 52 Vgl. den Brief Max Webers an Emilie Benecke vom 4. Febr. 1898: „Wie viel Schauer in unsrem Kreis!“, unten, S. 466. 53 Vgl. dazu den Brief an Clara Mommsen vom 9. Mai 1897, unten, S. 323 f. Marianne Weber zeigte sich in Freiburg sehr besorgt über das häufig mehrfache wöchentliche „Kneipen“ (vgl. den Brief Marianne Webers an Helene Weber, undat. [Juli 1895], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 54 Vgl. den Brief von Marianne Weber an Helene Weber, undat. [31. Mai 1898], ebd. 55 Vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 26. und 28. Juli 1898, unten, S. 520–526. 56 Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 28. März 1900, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 57 Karte an Marianne Weber vom 16. Juli 1901, unten, S. 786. 58 Briefe an Marianne Weber vom 18. Apr., 28. Nov. und 1. Dez. 1902, unten, S. 840, 867 und 872. 59 Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 259 f.
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Umgebung von Ajaccio zusehends. Am 13. März 1901 verließen sie die Insel und reisten über Pisa nach Rom, wo sie am 15. März 1901 eintrafen. Nach der Abreise des psychisch labilen Otto Benecke, dessen Gegenwart Max Weber zunehmend belastet hatte, konnte sich Max Weber den neuen Eindrücken öffnen. Bereits Mitte April 1901 verließen Max und Marianne Weber Rom wieder für einen einmonatigen Aufenthalt in Sorrent, Neapel und Capri; von dort kehrten sie Mitte Mai wieder nach Rom zurück und blieben dort bis Anfang Juli, die Zeit bis Ende September verbrachten sie in der Schweiz, wobei Marianne Weber auf der Hinreise alleine einen rund dreieinhalb Wochen dauernden Abstecher zu Verwandten und Freunden in Süddeutschland unternahm. Den Herbst und Winter (vom 27. September 1901 bis 11. März 1902) verbrachten sie gemeinsam in Rom. Es folgte ein gemeinsamer Aufenthalt in Florenz bis zum 4. April 1902. Während Marianne Weber von dort vorausreiste, um die neue Wohnung in Heidelberg in der Hauptstraße 73 einzurichten, blieb Max Weber noch bis Mitte April in Florenz. Dann reiste er über Bologna, Mailand und Vercelli (Piemont) ebenfalls zurück nach Heidelberg, wo er am Vorabend seines 38. Geburtstages und nach nahezu zweijähriger Abwesenheit eintraf. Alles in allem verbrachte Max Weber 1901/02 rund zehn Monate in Italien, davon zirka acht Monate in Rom. Den Herbst und Winter richteten sich Max und Marianne Weber in Rom in der Pension Martini in der Via Cicerone 35 fast häuslich ein. Von Anfang Oktober bis zum 22. November 1901 kamen Helene Weber und Anfang Februar 1902 kurzzeitig und überraschend Friedrich Naumann zu Besuch.60 Es war vor allem diese, von keinen weiteren Reisen und Ablenkungen unterbrochene Zeit, während der sich Max Weber den Eindrücken der Stadt Rom öffnete und auch „auf vielfältige Weise mit der fremden Welt des Katholizismus konfrontiert“ wurde.61 Zudem begann er wieder, konzentriert wissenschaftliche Literatur zu lesen. Zwar hatte er schon während der letzten Tage in Urach den Verleger Paul Siebeck nach dem Verbleib der Korrekturbögen der Arbeit seines Schülers Martin Offenbacher gefragt,62
60 Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 264 und 267. 61 Vgl. ausführlich zu Max Webers Italienreisen als Bildungserlebnis: Oßwald-Bargende, Sybille, Max Weber und „das den Göttern heilige Italien“. Impressionen zu den italienischen Reisen eines Heidelberger Gelehrten, in: Florilegium Suevicum. Beiträge zur südwestdeutschen Landesgeschichte. Festschrift für Franz Quarthal zum 65. Geburtstag, hg. von Gerhard Fritz und Daniel Kirn (Stuttgarter historische Studien zur Landes- und Wirtschaftsgeschichte, Band 12). – Ostfildern: Jan Thorbecke 2008, S. 293–307, Zitat: S. 299; zu Max Webers Verhältnis zum Katholizismus und seinen Aufenthalten in Rom zuletzt: Hersche, Peter: Der Romaufenthalt (1901– 1903) und Max Webers Verhältnis zum Katholizismus, in: Max Weber in der Welt. Rezeption und Wirkung, hg. von der Max Weber Stiftung. – Tübingen: Mohr Siebeck 2014, S. 145–158. 62 Karte an Paul Siebeck vom 13. Nov. 1900, unten, S. 771 f.
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auch mehren sich die Hinweise auf Lektüre im Sommer 1901. Im Juli las und kommentierte er nicht nur die Doktorarbeit von Else von Richthofen,63 sondern beschäftigte sich auch mit Gustav Claß’ „Untersuchungen zur Phänomenologie und Ontologie des menschlichen Geistes“, die er launisch als „‚ontologischen‘ Schafmist“ bezeichnete.64 Aber erst im Oktober 1901, zurück aus der Schweiz und wieder in Rom, setzte eine neue Phase intensivster Lektüre auf den unterschiedlichsten Gebieten ein. Die Hinweise in Max Webers Briefen und Informationen in Marianne Webers „Lebensbild“ und in ihren Briefen an Helene Weber aus Rom bestätigen und ergänzen sich wechselseitig. So heißt es im „Lebensbild“, daß Max Weber einige Zeit nach dem Eintreffen Helene Webers in Rom wieder begonnen habe, „ein richtiges Buch zu lesen“.65 Zu Max Webers Lektüre im Oktober und November 1901 gehörten seinen Briefen zufolge die Dissertationen von Alfred Klee sowie von Leo Wegener; letztere empfahl er zwar erst im März 1902 Paul Siebeck zur Aufnahme in die „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“, nach Angaben Marianne Webers las er sie aber bereits im November 1901.66 Am 11. November 1901 korrespondierte Max Weber mit Carl Neumann,67 dem befreundeten Heidelberger Kunsthistoriker und Byzantinisten, nachdem er dessen Aufsatz über Jacob Burckhardt sowie von Jacob Burckhardt selbst die „Griechische Kulturgeschichte“ gelesen hatte; bereits Anfang 1901 hatte er sich mit Burckhardts berühmtem „Cicerone“ auf den Besuch Roms vorbereitet. Daß Max Weber auch wieder begann, Fachliteratur zu rezipieren, zeigt nicht nur sein Seitenverweis auf den Methodenstreit unter Historikern im selben Brief an Carl Neumann, sondern auch der spätere Hinweis in einem Brief an Paul Siebeck vom 11. Februar 1902 auf die Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, deren aktuelle Ausgaben er verfolgte.68 Dieser Hinweis findet sich auch bei Marianne Weber,69 was die Zuverlässigkeit ihrer Angaben belegt; sie verfolgte die Lektüre ihres Mannes aufmerksam und berichtete im „Lebensbild“ und Briefen an Helene Weber darüber regelmäßig.
63 Brief an Marianne Weber vom 14. Juli 1901, unten, S. 783. 64 Karte an Marianne Weber vom 7. Juli 1901, unten, S. 778 f. 65 Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 264. 66 Vgl. die Briefe an Alfred Klee vom 23. Okt. und 30. Nov. 1901, sowie an Paul Siebeck vom 8. März 1902, unten, S. 795, 799 sowie 811 f.; vgl. auch den Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 22. Nov. 1901, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 67 Brief an Carl Neumann vom 11. Nov. 1901, unten, S. 796–798 mit Editorischer Vorbemerkung. 68 Brief an Paul Siebeck vom 11. Febr. 1902, unten, S. 805–807 mit Anm. 3. 69 Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 10. Dez. 1901, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 266.
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Demnach las Max Weber über „Kunstgeschichte“,70 „allerhand historisches“,71 „allerlei über Klöster[,] ihre Geschichte, Verfassung, u. Wirtschaftsverhältnisse, über die er sich auch Notizen macht, dann Aristophanes‘ den Schweinigel [sic], Rousseau‘s Emil etc.[,] Voltaire, Montesquieu, dann englische Schriftsteller, u. größere historische Sachen“;72 zudem Georg Simmels „Philosophie des Geldes“.73 Die Briefe Max Webers selber geben keine weiteren Aufschlüsse über seine Lektüre. Doch lassen sich noch einige der von ihm rezipierten Autoren über Ausleihlisten der römischen Bibliotheken rekonstruieren. Die Literatur lieh sich Max Weber (in einem Fall auch Marianne Weber für ihn) aus der Bibliothek des Deutschen Künstlervereins aus oder sah sie in der Bibliothek des Königlich Preußischen Historischen Instituts ein. Dank neuerer Recherchen kann die Liste der von Max Weber ausgeliehenen Autoren ergänzt werden. Aus der reichhaltigen Bibliothek des Künstlervereins entlieh er von Anfang Oktober 1901 bis Anfang März 1902 Werke u. a. von Ferdinand Gregorovius, Émile Zola, Gottfried Semper, Heinrich Wölfflin, Franz Xaver Kraus, Hippolyte Taine, Madame de Staël, Aristophanes, Friedrich Schleiermacher und Marcel Proust.74 Besuche im Historischen Institut und der Bibliothek sind ab Dezember 1901 in den Briefen Marianne Webers an Helene Weber dokumentiert.75 Die Vermittlung war über Karl Schellhaß, einen langjährigen Freund der Familie, erfolgt. Schellhaß war in Rom mit der Edition der Nuntiaturberichte befaßt; sein Spezialgebiet war die Gegenreformation. Schellhaß hatte Max und Marianne Weber bereits die kleine Wohnung in der Pension Martini in der Via Cicerone vermittelt. Max Weber fand im Historischen Institut nicht nur in Karl Schellhaß einen Gesprächspartner, sondern auch in dem jüngeren Historiker Johannes Haller, damals Gast bzw. Mitarbeiter des Insti-
70 Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 264. 71 Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 6. Dez. 1901, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 265. 72 Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 29. Jan. 1902, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 267 (mit zusätzlicher Nennung von „Taines sämtliche Bände“). 73 Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 10. Dez. 1901, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 266. 74 Vgl. Schmitt, Silke, Max Webers Verständnis des Katholizismus. Eine werkbiographische Analyse nebst einem Exkurs über Max Webers Romaufenthalte (Online-Publikationen des Deutschen Historischen Instituts Rom), 2012 (hinfort: Schmitt, Max Webers Verständnis des Katholizismus), S. 112 f., Anhang, S. 157–159: „Webers Ausleihen im Künstlerverein KV 56“. Um welche Titel es sich dabei konkret handelte, ist nicht ermittelt (ebd., S. 113, Anm. 100). 75 Erstmalig im Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 10. Dez. 1901, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446.
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tuts.76 Welche Bücher er in der dortigen Bibliothek eingesehen hat, läßt sich jedoch auch an Hand einer Liste der 1903 dort vorhandenen Literatur nicht feststellen.77 In der Vatikanischen Bibliothek war er als Leser nicht eingetragen.78 Er besuchte aber öffentliche Vorträge mit Diskussionen („Adunanzen“), wahrscheinlich zur Kunstgeschichte, im Deutschen Archäologischen Institut, wo er sich am 20. Dezember 1901 und 10. Januar 1902 in die Adunanz-Bücher eintrug.79 Mehr über Max Webers intellektuelle Entwicklung erfahren wir aus seiner Hand erst wieder nach der Abreise Marianne Webers am 4. April 1902 von Florenz nach Heidelberg. In seinen Briefen an sie berichtet er nicht nur über die Lektüre von Heinrich Rickerts endlich vollendetem Werk „Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung“,80 sondern auch über sein Verhältnis zum Katholizismus.81 Trotz der während seines Aufenthalts in Rom eingetretenen wesentlichen Besserung seines Gesundheitszustandes hat Max Weber noch vor der Abreise seiner Frau nach Heidelberg am 26. März 1902 in Florenz sein zweites Entlassungsgesuch an das Karlsruher Ministerium formuliert und am 3. April 1902 abgeschickt.82 Im Anschluß an seine Rückkehr nach Heidelberg nahm er nach einem persönlichen Gespräch mit Franz Böhm, dem Nachfolger Ludwig Arnspergers als badischer Hochschuldezernent, sein Gesuch zurück. Als Ausgleich für die ihm nach wie vor bei vollem Gehalt gewährte großzügige Urlaubsregelung spendete er zwischen Oktober 1902 und seiner Versetzung in den Ruhestand zum 1. Oktober 1903 vierteljährlich mehr als die Hälfte seines jeweiligen Gehalts für das Volkswirtschaftliche Seminar.83 Im Laufe des Jahres 1902 hat Max Weber mehrfach versucht, seine akademische Tätigkeit wieder aufzunehmen. Dokumentiert sind seine Teilnahme an der Sitzung der Philosophischen Fakultät am 19. Juli 1902, wo auf seinen 76 Zu Schellhaß und Haller vgl. Schmitt, Max Webers Verständnis des Katholizismus (wie oben, S. 31, Anm. 74), S. 106 f.; zur Vermittlung der Pension vgl. den Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 23. Juni 1901, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 77 Vgl. „Systematischer Katalog von Bernhard Bess, angelegt August 1903“ (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts Rom). Die Auswertung erfolgte vor Ort durch Edith Hanke. 78 Vgl. Schmitt, Max Webers Verständnis des Katholizismus (wie oben, S. 31, Anm. 74), S. 115, Anm. 102. 79 Ebd., S. 109, S. 152 f. (Anhang). 80 Vgl. die Karten an Marianne Weber vom 7., 10. und 11. Apr. 1902, unten, S. 823, 825 und 826. 81 Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 18. Apr. 1902, unten, S. 840–842. 82 Brief an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 26. März 1902, unten, S. 813–815, mit Editorischer Vorbemerkung. 83 Vgl. den Brief an Franz Böhm vom 16. Mai 1902, unten, S. 843 f., mit Editorischer Vorbemerkung und Anm. 3.
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Antrag hin die Habilitationsordnung geändert wurde,84 sowie an zwei Prüfungen im Fach „Politische Ökonomie“, die er am 29. November und 12. Dezember 1902 gemeinsam mit Karl Rathgen abnahm.85 Auch kündigte er wieder, wie schon für das Sommersemester 1902, für das Wintersemester 1902/03 Lehrveranstaltungen (Agrarpolitik, Volkswirtschaftliches Seminar bzw. Übungen) an, die jedoch ebenso wenig wie im vorhergehenden Semester zustande kamen.86 Anfang Juni, regelmäßig vor- und nachmittags, scheint er im Seminar und der Bibliothek u. a. an der Ausarbeitung eines Kolleghefts gesessen zu haben.87 Daß er auch wieder nationalökonomische Debatten verfolgte, zeigen seine Bemerkungen über die Lektüre des Aufsatzes von Alfred Weber über „Deutschland am Scheidewege“.88 Auch hatte er wieder Kontakt zu einzelnen Studenten, wie dem zionistischen Politiker Leo Mockin.89 Die Kontakte zu den „alten Freunde[n]: vor allem Troeltsch, Hensel, Jellinek, Neumann“ wurden wieder aufgenommen.90 Auf Anregung Marianne Webers fanden zudem seit Juni regelmäßige Treffen samstags mit weiteren Freunden, Kollegen und deren Angehörigen in Heidelberger Gasthäusern statt: im Sommer in der Stiftsmühle und im Winter im Scheffelhaus.91 Während Max Weber diese Form der Geselligkeit entgegenkam, empfand er die Teilnahme an der Hochzeit seiner jüngsten Schwester Lili in Berlin Anfang August 1902 als starke Belastung.92 Im September 1902 verbrachte er rund zwei Wochen (vom 8. bis 20. September) mit seiner Mutter, deren Umzug in Charlottenburg kurz bevorstand, seiner Schwester Clara und deren Familie auf Borkum.93 Diese Reise scheint ihm Erholung gebracht zu haben: Marianne Weber berichtete ihrer Schwiegermutter direkt einen Tag nach seiner Rückkehr, daß er „nun gleich Gottl‘s
84 Brief an Carl Bezold, vor oder am 16. Juli 1902, unten, S. 853. 85 Karten an Marianne Weber vom 27. und 30. Nov. 1902, unten, S. 866 und 870, jeweils mit Anm. 2. 86 Vgl. MWG III/1, S. 63. 87 Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 7. Juni 1902, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 88 Brief an Alfred Weber, vor dem 30. Juli 1902, unten, S. 854–856. 89 Ebd. 90 Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 271. 91 Briefe an Marianne Weber vom 5. Okt. und 30. Nov. 1902, unten, S. 862 f. und 870 f.; vgl. auch den Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 7. Juni 1902, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 92 Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 17. Juli 1902, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 271 f. 93 Karte an Helene Weber vom 15. Sept. 1902, unten, S. 860 f.; vgl. auch den Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 21. Sept. 1902, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446.
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schweres Buch lese“;94 am 1. Oktober 1902 sah man ihn „ca. 4 Stunden täglich“ arbeiten und am 20. Oktober 1902 fügte Marianne Weber hinzu, daß er inzwischen auch eine Rezension von Philipp Lotmars Buch „Der Arbeitsvertrag“ für Heinrich Brauns Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik abgeschlossen habe.95 Wenig später muß diese kurze produktive Phase wieder unterbrochen worden sein, denn Marianne Weber berichtete am 8. November 1902, daß er seit 14 Tagen wieder „recht müde“ sei und „mit seiner litterarischen Arbeit pausieren“ müsse, „obwohl er alle Gedanken fertig im Kopfe“ habe.96 Tatsächlich belasteten ihn die Prüfungen, die er übernommen hatte, so erheblich, daß er am 1. Dezember 1902 Ernst Mommsen um ein neues Rezept für Codein bitten mußte.97 Am 10. Dezember 1902 berichtete Marianne Weber erneut über seine erheblich reduzierte Arbeitskraft und Konzentrationsfähigkeit; er arbeite „vormittags immer eine bis zwei Stunden, aber ohne Vergnügen“ und müsse nachmittags auf der Couch „dämmern“. Dieser Zustand dauere nun schon seit fünf Wochen an; besonders belaste ihn psychisch „Geld zu beziehen u. in absehbarer Zeit nichts leisten zu können, u. dazu das Gefühl, daß uns allen Dir u. mir u. allen Menschen nur der Berufsmensch u. der, der irgend etwas machen könnte für voll gälte.“98 Unter diesen Bedingungen wurde der Plan, wieder zu verreisen, den Marianne Weber schon Anfang November erwähnte hatte,99 konkret. Da Marianne Weber ihre Familienangehörigen über die Weihnachtszeit besuchte, reiste Max Weber kurz vor Weihnachten allein nach Genua. Trotz der gesundheitlichen Rückschläge hat Max Weber seit Herbst 1902 wieder intensiv geschrieben. Neben der zitierten Rezension arbeitete er an dem ersten größeren wissenschaftlichen Beitrag seit Ausbruch seiner Krankheit Mitte 1898, den er „mit Bleistift auf große Konzeptpapierbögen“ skizzierte.1 Es handelte sich um die spätere Abhandlung über „Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie“, die er zur Würdigung von Karl Knies und aus Anlaß einer Festschrift zum 100. Jah-
94 Marianne Weber an Helene Weber vom 21. Sept. 1902, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. Es handelt sich um Gottl, Friedrich, Die Herrschaft des Wortes. Untersuchungen zur Kritik des nationalökonomischen Denkens. – Jena: Gustav Fischer 1901. 95 Vgl. die Briefe von Marianne Weber an Helene Weber vom 1. Okt. sowie 20. Okt. 1902, beide: Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. Die Rezension ist ediert in: MWG I/8, S. 34–61. 96 Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 8. Nov. 1902, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 97 Karte an Marianne Weber vom 1. Dez. 1902, unten, S. 872. 98 Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 10. Dez. 1902, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 99 Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 8. Nov. 1902, ebd. 1 Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 20. Okt. 1902, ebd.
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restag der Neugründung der Universität Heidelberg 1903 übernommen hatte.2 Bis zu seiner Abreise nach Genua am 19. Dezember stellte er Teile davon fertig. Teils diktierte er den Text, teils schrieb ihn Marianne Weber ab. So erwähnte Marianne Weber, daß es eines zusätzlichen „Diktatschreiber[s]“ bedürfe, „denn mehr als eine Stunde pro Tag kann ich nicht gut für ihn schreiben“.3 Dieser „Diktatschreiber“, „der Jüngling“, wurde tatsächlich eingestellt; Mitte Dezember 1902 berichtete Marianne an Helene Weber, daß sie „noch einige Tage mit dem Diktat seiner Arbeit (1/3 etwa davon) zu thun“ habe, „auch nachher will ich für ihn schreiben, weil ich‘s so viel schneller kann als der Jüngling.“4 Ende Dezember – sie hatte das Manuskript mit nach Lemgo genommen – beklagte sie sich bei Alfred Weber: „Arbeiten kann ich natürlich nicht – nun schon wieder seit Wochen nicht – nur einen Teil von M‘s Arbeit habe ich zu entziffern u. abzuschreiben versucht. Es ist, wie wenn man Keilschriften u. Rösselsprünge erraten soll u. ich fauche wohl manchmal dabei, freue mich aber doch heimlich, wenn ich wieder einen klugen Gedanken enträtselt habe.“5 Noch genauer erfahren wir etwas über den Stand des Manuskripts am 30. Dezember 1902: „Hör mal Dein Roscher wird ja [ein] ernorm gelehrter u. komprimierter philosophischer Extrakt, Du, an der einen Seite 11 habe ich heute 2 ½ Stunden abgeschrieben. Ich finde es nur schade, daß Du so viel Weisheit in die Anmerkungen packst, die sollte auch oben im Texte stehen, das macht sich viel schöner?“6 Am 3. Januar 1903 war Max Weber soweit, daß er hoffte, „wenigstens die Stoffeinteilung für den Rest dieser verfl. Arbeit mit nach Hause zu bringen.“7 Am 10. Januar 1903 teilte Marianne Weber ihm ihrerseits mit: „Dein Roscher ist jetzt abgeschrieben“.8 Ob damit der ganze erste Teil über „Roschers ‚Historische Methode‘“ gemeint war, oder nur Teile davon, läßt sich nicht sagen. Obwohl sich also in den Äußerungen Max Webers selbst kaum direkte Hinweise auf seine wiederaufgenommene schriftstellerische Tätigkeit finden lassen, läßt sich dennoch dank der begleitenden Familienkorrespondenzen belegen, daß im Herbst 1902 definitiv das Ende seiner jahrelangen Unfähig-
2 Vgl. ebd. Max Weber bot sie Gustav Schmoller am 20. Februar 1903 für sein Jahrbuch an (vgl. MWG II/4, S. 43 f.). Die erste der insgesamt drei Folgen erschien dort im Oktober 1903 (Weber, Max, Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie. (Erster Artikel), in: SchmJb, N.F. 27. Jg., Heft 4, 1903, S. 1–41 (= S. 1181–1221); MWG I/7). 3 Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 20. Okt. 1902, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 4 Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 13. Dez. 1902, ebd. 5 Brief von Marianne Weber an Alfred Weber vom 29. Dez. 1902, ebd. 6 Brief von Marianne Weber an Max Weber vom 30. Dez. 1902, ebd. 7 Brief an Marianne Weber vom 3. Jan. 1903, MWG II/4, S. 33 f., Zitat: S. 34. 8 Brief von Marianne Weber an Max Weber vom 10. Jan. 1903, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446.
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keit zur intellektuellen Arbeit erreicht war und der Beginn einer neuen Phase einsetzte.
2. Zur Überlieferung und Edition Die Grundsätze, die die Herausgeber bei der Edition des Briefwerks geleitet haben, sind in der Einleitung zu Band II/5 der Max Weber-Gesamtausgabe niedergelegt (MWG II/5, S. 10–14). Darauf sei hier verwiesen. Dort ist auch dargelegt worden, welche Konsequenzen sich aus der fragmentarischen Überlieferung des Briefwerks für die Edition ergeben, einschließlich des Verzichts auf die Mitteilung der nur im Ausnahmefall überlieferten Gegenkorrespondenzen. Marianne Weber hat die an sie gerichteten Briefe Max Webers fast lückenlos gesammelt, und auch die Korrespondenz mit Paul Siebeck ist im Verlagsarchiv vollständig überliefert. Lücken in der Überlieferung sind entstanden durch die bewußte Vernichtung von Briefen durch Helene Weber, die ihre Kinder im Kontext des Zerwürfnisses Max Webers mit seinem Vater an sie gerichtet hatten.9 Dazu dürften auch Briefe Max Webers an seine Mutter gehört haben. Über den Streit mit Max Weber sen. sind wir daher aus erster Hand lediglich unterrichtet durch die Briefe Max Webers an seinen Bruder Alfred. Darüber hinaus sind keinerlei Briefe Max Webers an seinen Vater nach 1889 nachgewiesen; auch dies deutet auf eine Vernichtung von Briefen hin. Weitere Überlieferungslücken sind durch die Vernichtung von Material im Kontext von Max Webers Krankheit entstanden. So wurden nachweislich Passagen aus Briefen herausgeschnitten, die Max Weber während seines Aufenthalts im Sanatorium „Konstanzer Hof“ an Marianne Weber geschrieben hat.10 Diese Briefe werden als Brieffragmente ediert.11 Die Korrespondenz Max Webers mit seinem Verleger Paul Siebeck kann vom allerersten Brief vom 18. Mai 1895 an dokumentiert werden. Sowohl die Briefe Max Webers an Paul Siebeck sind vollständig überliefert als auch die Briefe des Verlegers an ihn. Die Briefe Max Webers an Paul Siebeck von 1895 an befinden sich zusammen mit den Gegenbriefen Paul Siebecks (Durchschläge) vom 1. Januar 1898 an als Deponat in der Bayerischen Staatsbibliothek München. Die vorausgehenden Gegenbriefe Paul Siebecks von 1895
9 Vgl. den Brief von Helene Weber an Alfred Weber, undat. [ca. Juli 1897], BA Koblenz, Nl. Alfred Weber; vgl. auch: Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 244, sowie Roth, Familiengeschichte, S. 530, Anm. 24. 10 Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Marianne Weber vom 26. Juli 1898, unten, S. 520 f. 11 Vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 7., 15., 19. und 21. Aug. 1898, unten, S. 542–544, 558 f., 563–565, sowie 566 f.
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bis Ende 1897 liegen in den Briefkopierbüchern des Verlags in der Staatsbibliothek zu Berlin vor. Die Briefkopierbücher wurden für die Max WeberGesamtausgabe systematisch ausgewertet. Das Vorhandensein dieser Gegenkorrespondenzen, deren Inhalt im editorischen Apparat mitgeteilt wird, erlaubt die nahezu lückenlose Rekonstruktion von Max Webers frühen Herausgebertätigkeiten in enger Zusammenarbeit mit dem Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) und der ebenfalls der Familie Siebeck gehörenden H. Laupp’schen Buchhandlung. Darüber hinaus dokumentieren sie die Entstehung der lebenslangen Freundschaft, die Max Weber mit seinem Verleger verband. Die Überlieferungslage der Briefe Max Webers von den Reisen nach Schottland und Irland (1895) sowie Frankreich und Spanien (1897) stellten besondere Anforderungen an die Editoren. Im Falle der Briefe aus Frankreich und Spanien an Helene Weber zwischen dem 29. August und dem 20. September 1897 ist der Verbleib der Originale nicht ermittelt. Die Originale stammten aus dem Besitz der Familie Baumgarten. In der Edition wird auf die in der Max Weber-Arbeitsstelle der Universität Heidelberg befindlichen Kopien zurückgegriffen. Auf Abschriften wird nur dann zurückgegriffen, wenn weder Originale noch Kopien der Originale vorliegen. Es sind eine Reihe von Abschriftenkonvoluten speziell der Reisebriefe überliefert. Emmy Baumgarten erstellte für beide Reisen 1895 und 1897 handschriftliche Erst- und Zweitabschriften der Briefe Max Webers an Helene Weber.12 Auch liegen maschinenschriftliche Abschriften dazu in jeweils zwei Fassungen vor,13 versehen mit einigen Korrekturen von der Hand Marianne Webers. Inwieweit diese maschinenschriftlichen Abschriften im Kontext von Publikationsplänen Marianne Webers zu Beginn der 1950er Jahre oder bereits früher in einem anderen Zusammenhang entstanden sind, konnte nicht ermittelt werden. Emmy Baumgarten erstellte vermutlich ihre handschriftlichen Abschriften zeitnah, möglicherweise als eine Art Beschäftigungstherapie, die ihr über ihre eigene Krankheit hinweghelfen sollte. Emmy Baumgartens Abschriften stehen, wie ein systematischer Vergleich mit den maschinenschriftlichen Abschriften und den erhaltenen Originalbriefen Max Webers an Helene 12 Erste Fassungen: Privatbesitz, Verbleib unbekannt, Kopien in der Max Weber-Arbeitsstelle der Universität Heidelberg; zweite Fassungen: handschriftliche Reinschriften, unter dem Titel „Reisebriefe aus Schottland und Irland von Max. 1895“, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, sowie „Briefe aus Spanien[,] Abschrift von E[mmy] B[aumgarten]“, ebd. 13 Es handelt sich um: 1. „Reisebriefe aus Schottland u. Irland (1895) von Max Weber“, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, (zwei Ausfertigungen 1 und 1a), 2. „Briefe aus Spanien, 1897 (masch. Abschr.)“, (zwei Ausfertigungen 2 und 2a), ebd.; 3. „Reisebriefe an Helene Weber Sommer 1895“, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30/12, Bl. 22–44; 4. „Reisebriefe an Helene Weber, Sommer 1897“, ebd., Bl. 45–79.
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Weber ergibt, den Originalbriefen am nächsten. Auf ihre Abschriften wird daher in zwei Fällen, in denen kein Original oder eine Kopie des Originals vorliegt, zurückgegriffen.14 Die genannten maschinenschriftlichen Abschriften dagegen werden vernachlässigt. Des weiteren sind aus dem Kreis der Familie Baumgarten handschriftliche Abschriften der Briefe an Fritz Baumgarten von der Reise 1895 überliefert. Sie gelangten 1935 zusammen mit Originalbriefen Max Webers an Fritz Baumgarten und Hermann Baumgarten an Marianne Weber und befinden sich heute im Nachlaß Max Webers in Berlin.15 Der Schreiber läßt sich nicht feststellen. Im Fall des Briefes Max Webers an Fritz Baumgarten vom 19. August 1895 wurde, da der Verbleib des Originalbriefes nicht ermittelt ist, bei der Edition auf die entsprechende Abschrift zurückgegriffen.16 Die Originalreisebriefe Max Webers enthalten an einigen Stellen Zusätze von der Hand Marianne Webers. Diese werden, mit Ausnahme zweier von ihr mitunterzeichneter Briefe,17 editorisch vernachlässigt. Ebenfalls nur in Ausnahmefällen werden inhaltlich relevante Zusätze Marianne Webers in der Editorischen Vorbemerkung mitgeteilt. Nach dem Ausbruch der Erkrankung hat Marianne Weber Max Weber zunächst seit September 1898 und 1899 gelegentlich, dann in den Jahren 1900 bis 1902 (bzw. bis ca. Mitte 1903) regelmäßig bei der Abfassung offizieller Schreiben, von Verlagskorrespondenz sowie Schreiben an Doktoranden unterstützt.18 Wie aus Vermerken auf einigen dieser Schreiben hervorgeht, hat Max Weber diese Briefe diktiert,19 teilweise noch mit eigenen Zusätzen versehen, im übrigen aber nur unterzeichnet. Marianne Weber schrieb zudem im Juli und August 1900, als sich Max Weber in Behandlung im Sanatorium in Urach befand, zahlreiche Briefe in Form von Kärtchen vor; so konnte er sich auf wenige Zusätze beschränken, um ihr seinen gesundheitlichen und seelischen Zustand in groben Zügen mitzuteilen.20 Diese von Marianne 14 Vgl. die Briefe an Helene Weber vom 22. Aug. 1895, unten, S. 108–111, sowie vom 29. Aug. 1897, unten, S. 385–390. 15 GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 7, Bl. 67–70. Die Überlieferung ergibt sich aus einem beiliegenden, an Marianne Weber adressierten Umschlag vom 23. Juli 1935, auf dessen Rückseite Marianne Weber notierte: „Max an Hermann Baumgarten 1882–1892 u. einige an Fritz Baumgarten von der schottischen Reise Sommer 1895“. 16 Unten, S. 106 f. 17 Vgl. die Briefe an Helene Weber vom 28. Aug. 1895, unten, S. 117–121, und vom 1. Sept. 1895, unten, S. 122–127. 18 Die einzige Ausnahme aus der Zeit vor 1898 bildet der Brief an Edwin R. A. Seligman vom 22. März 1897, unten, S. 302 f. 19 Vgl. u. a. die Briefe an Ludwig Arnsperger vom 3. Apr. 1902, unten, S. 819 f., sowie an Franz Böhm vom 16. Mai 1902, unten, S. 843 f. 20 Vgl. die Briefe an Marianne Weber zwischen dem 15. Juli und bis vor dem 19. Aug. 1900, unten, S. 744–760. Vgl. auch die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Marianne Weber vom 15. Juli 1900, unten, S. 744 f.
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Weber vorgeschriebenen Kärtchen werden editorisch ebenso wie die ihr diktierten Briefe behandelt, d.h. die jeweiligen Zusätze Max Webers werden grundsätzlich textkritisch als eigenhändig, im Falle von Einschüben in den laufenden Text bzw. beim Ausfüllen einer von Marianne Weber bewußt gelassenen Lücke auch diakritisch gekennzeichnet. Eine weitere Besonderheit sind die in italienischer Sprache abgefaßten, offen versandten Postkarten, die Max Weber zwischen dem 26. November und 31. Dezember 1902 (bzw. 9. Januar 1903) an Marianne Weber schrieb.21 Durch die italienische Sprache sollte der teilweise intime Charakter der Mitteilungen gewahrt bleiben.22 Die Karten werden in italienischer Sprache ediert, wobei in den sprachlichen Duktus, die Wortwahl und Grammatik nur behutsam eingegriffen und textkritisch mit „Zu erwarten wäre“ annotiert wird. Zum besseren Verständnis wird eine typographisch davon abgesetzte deutsche Übersetzung der Editoren beigefügt.23 Auch für diesen Band gilt, daß die Herausgeber und Bearbeiter alle denkbaren Schritte unternommen haben, die in den unterschiedlichsten Beständen verstreut überlieferten Briefe Max Webers zu ermitteln. Es darf davon ausgegangen werden, daß die erhaltenen Briefe nahezu vollständig in die Edition eingegangen sind. Die Herausgeber waren bemüht, Lücken in der Überlieferung durch eine angemessene Kommentierung und editorische Vorbemerkungen zu schließen und dem Leser den jeweiligen Kontext zu erhellen. Da die an Max Weber gerichteten Briefe, mit Ausnahme der Korrespondenzen mit Marianne Weber und Paul Siebeck, nur in Einzelfällen überliefert sind, blieb den Editoren nur die Möglichkeit, sich auf den Abdruck der Briefe Max Webers zu beschränken. Diese sind einschließlich nicht abgesandter Konzepte und Fragmente vollständig aufgenommen worden. Nicht überlieferte, aber nachgewiesene Briefe werden im Apparat verzeichnet. Soweit Korrespondenda vorliegen, deren Kenntnis für das Verständnis des Briefes erforderlich ist, wird der Leser in den Editorischen Vorbemerkungen auf diese hingewiesen und gegebenenfalls der Sachverhalt paraphrasiert wiedergegeben. Ansonsten sind Korrespondenda, soweit diese überliefert sind, im Anmerkungsapparat nachgewiesen. Die Briefe werden in chronologischer Abfolge präsentiert. Im Briefkopf werden zunächst der Adressat, dann die Datierung und der Ort der Niederschrift, die Art des Textzeugen und schließlich der Fundort mitgeteilt. Sofern die
21 Unten, S. 864–889; MWG II/4, S. 29–42. 22 Am 30. Dezember 1902 bat Marianne Weber Max Weber darum, auch weiterhin teils deutsch, damit ihr Vater die Karten lesen könne, teils italienisch, damit er sie nicht lesen könne, zu schreiben (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 23 Vgl. dazu auch die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Marianne Weber vom 26. Nov. 1902, unten, S. 864.
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Datierung aus dem Poststempel erschlossen worden ist, wird dies mit der vorangestellten Sigle PSt kenntlich gemacht. Sollte die Datierung eines Briefes nicht oder nur unvollständig möglich sein, so wird dieser am Ende des fraglichen Zeitraums mitgeteilt. Sofern der Ort der Niederschrift nur aus dem vorgedruckten Briefkopf erschlossen ist, wird dies durch die vorangestellte Sigle BK kenntlich gemacht, sofern sich dies aus dem Poststempel ergibt, wird dem Ort der Niederschrift die Sigle PSt vorangestellt. Von den Herausgebern erschlossene Datierungen sind in eckige Klammern gesetzt und die Datierung in der Editorischen Vorbemerkung begründet. Dort werden gegebenenfalls auch weitere Angaben über die Eigenart und den Zustand des Textzeugen mitgeteilt. Dabei wird zwischen Briefen, Karten und Telegrammen sowie Abschriften und Abdrucken unterschieden: Letztere sind dem Druck nur dann zugrunde gelegt worden, wenn die Originale nicht überliefert sind. Die Datumszeile reproduziert Max Webers eigenen Text; die vorgedruckten Teile des jeweiligen Briefkopfes – z. B. die Namen von Hotels – sind kursiv wiedergegeben, um sie von dem eigentlichen Text unterscheiden zu können. Die Textpräsentation behält die Orthographie, Interpunktion und Grammatik der Originale bei und emendiert nur dort, wo dies für das Textverständnis unabdingbar ist. Einschübe im Text sind kenntlich gemacht, Streichungen und Textersetzungen im Apparat annotiert. Mit Ausnahme der in der Datumszeile, in den Anrede- und Schlußformeln verwendeten Abkürzungen werden unübliche Abkürzungen im Text aufgelöst und die Ergänzungen durch eckige Klammern kenntlich gemacht; ansonsten sei auf das Abkürzungsverzeichnis verwiesen. Bei Max Weber durch Asterisken gekennzeichnete Zusätze bzw. Anmerkungen werden in arabischer Zählung unter dem Text wiedergegeben. Die Asterisken werden durch Ziffern mit runder Klammer ersetzt. Eindeutig falsche Schreibweisen, auch in Fremdsprachen, werden emendiert und im Apparat annotiert. Dies gilt ebenso für in den Reisebriefen nicht korrekt wiedergegebene Ortsnamen in der Fremdsprache (inklusive Akzentsetzung). Als Richtschnur gilt die Ausgabe des zeitnächsten „Baedeker“. Eine Ausnahme bilden die bereits oben erwähnten24 durchweg in italienischer Sprache verfaßten Karten an Marianne Weber von 1902, in deren Text nur in Ausnahmefällen eingegriffen wird. Satzzeichen werden dann, wenn sie für das Textverständnis notwendig sind, in eckigen Klammern ergänzt, bei den Abschriften, die in aller Regel auf Marianne Weber zurückgehen, werden offensichtliche Abschreibfehler stillschweigend korrigiert, z. B. de fakto > de facto; ebenso wird hier vom Nachweis handschriftlicher Korrekturen an maschinenschriftlichen Vorlagen abgesehen. Datierungsfehler werden nur dann emendiert, wenn sich die richtige Datierung zweifelsfrei nachweisen läßt. Im übrigen wird
24 Oben, S. 39.
Einleitung
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auf die Editionsregeln hingewiesen, die am Ende dieses Bandes wiedergegeben sind.25 Im Sachkommentar werden Sachverhalte, deren Kenntnis für das Verständnis der Briefe erforderlich ist, erläutert. Alle in den Briefen nur mit ihren Vornamen erwähnten Personen werden im Anmerkungsapparat unter Angabe des Nachnamens identifiziert. Von dieser Regel werden die nächsten Anverwandten Max Webers ausgenommen, und zwar seine Frau Marianne Weber, geb. Schnitger, seine Mutter Helene Weber, geb. Fallenstein, seine Geschwister Alfred Weber, Karl Weber, Arthur Weber, Clara Weber, verheiratete Mommsen, und Lili Weber, verheiratete Schäfer. Die Schwäger Max Webers, Ernst Mommsen und Hermann Schäfer, und die Schwägerin Valborg Jahn, verheiratete Weber, werden hingegen jeweils durch Mitteilung des Nachnamens im Anmerkungsapparat identifiziert. Alle in den Briefen genannten Namen von Mitpatienten während der Sanatoriumsaufenthalte in Konstanz und Urach werden anonymisiert. Das Personenverzeichnis gibt ergänzende biographische Hinweise auf die in den Briefen erwähnten Personen; im Sachkommentar werden daher nur solche Erläuterungen zu Personen gegeben, die für die betreffende Briefstelle aufschlußreich sein können. Um die weitverzweigten und teilweise sich kreuzenden Verwandtschaftsbeziehungen im Zusammenhang sichtbar zu machen, werden dem Personenverzeichnis Übersichten über die Nachkommen von Georg Friedrich Fallenstein, dem Großvater Max Webers, und Carl David Weber, dem Bruder von Max Webers Vater und Großvater von Marianne Weber, angefügt. Das Register der Briefempfänger sowie Orts- und Personenregister gewähren zusätzliche Möglichkeiten der Erschließung des Briefbestandes. Zur Entlastung des Anmerkungsapparates wird im Anhang ein bislang unbekanntes Memorandum Max Webers über die Gründung einer nationalsozialen Zeitung und Vereinigung durch Friedrich Naumann, das Max Weber zwischen dem 23. und 30. September 1896 verfaßt haben dürfte, erstmalig veröffentlicht. Außerdem werden die zwischen dem Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) und den Herausgebern der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ 1897, 1899 und 1900/01 geschlossenen Verlagsverträge mitgeteilt und die Itinerare der Reisen 1895 nach Schottland und Irland sowie 1897 nach Frankreich und Spanien angefügt.
25 Vgl. unten, S. 1021–1027.
Briefe Januar 1895 – Juni 1898
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Alfred Weber 2. Januar 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 105–108 Bezug: der Brief Alfred Webers vom 29. Dezember 1894 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Darin fragt Alfred Weber nach Material „über die Erfolge der Sozialdemokratie auf dem Lande [. . .] außer den Generalberichten der Enquete des Vereins f. Soz. Pol. und einer neueren preußischen Wahlstatistik“: „Einem Dr. Senger, dessen Du Dich vielleicht aus den Donnerstag Abenden von vor ein paar Jahren erinnerst, und der gegenwärtig eine Arbeit über dies Thema für das Seringsche Seminar übernommen hat, habe ich versprochen Dich darüber zu fragen. Betreffs des in der Enquetebeantwortung des ev[angelisch-] soz[ialen] Kongresses enthaltenen Materials, nach dem Dr. Senger sich bei mir auch erkundigte, habe ich ihm gesagt, daß die Antworten noch nicht fertig verarbeitet wären. – Wenn Du mir bestätigen willst, daß Deines Wissens sonst nichts existiert, was ich bereits behauptet habe, wäre ich sehr dankbar.“ Der Brief steht darüber hinaus im Zusammenhang mit Max Webers Vortrag „Probleme der Börsenorganisation“ am 12. Januar 1895 in Berlin (MWG I/5, S. 893–897). Die Volkswirtschaftliche Gesellschaft hatte Max Weber dazu eingeladen; sie war 1860 aus dem 1846 gegründeten Freihandelsverein hervorgegangen und gab seit 1879 zusammen mit der ständigen Deputation des Kongresses deutscher Volkswirte die „Volkswirthschaftlichen Zeitfragen“ heraus. Wie aus dem Brief an Marianne Weber vom 10. Januar 1895, unten, S. 51 f., hervorgeht, hielt sich Max Weber zwischen Samstag, dem 12. Januar 1895, nachmittags, und dem 14. Januar 1895, mittags, in Berlin bzw. Charlottenburg auf, bevor er wieder nach Freiburg zurückreiste.
Schillerstr.a 22 Freiburg i /B 2/1 95 Lieber Alfred!
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Was zunächst die Frage von Herrn Dr S[enger] anlangt,1 so existiert m. W. keinerlei Material über die Sozialdemokratie und die Landarbeiterbewegung. Ich meinerseits weiß nur, daß neuerdings die dänische Landarbeiterpartei in Jütland sich officiell der Sozialdemokratie angeschlossen hat.2 Welchen Bruchteil der dortigen Landarbeiter sie umfaßt, ist mir nicht bekannt. – a O: Schillerst 1 Es konnte nicht ermittelt werden, um welchen Dr. Senger es sich handelt. 2 Der Delegiertenkongreß der sozialdemokratischen Landarbeitervereine Jütlands erklärte sich Pfingsten 1893 mit einer einheitlichen Organisationsform einverstanden, und zwar nach dem Muster der vom Sozialdemokratischen Bund, also der dänischen Sozialdemokratie, entworfenen Statuten für Landarbeitervereine. Diese sollten auch auf alle künftig zu errichtenden Landarbeiterorganisationen Anwendung finden. Vgl. Lahme, Hans-Norbert,
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Noch immer bin ich Dir den Dank für Deinen damaligen Brief schuldig, der mit Ernst’s Besuch zusammentraf. Was aus Allem hervorgeht, ist, daß, wie ja zu befürchten war, J. sich nicht als geeignete Stütze erweist.3 Unnütz ist er ja trotzdem keineswegs, wenn er, wie es nach Ernst’s Erzählungen scheint, sich Vertrauen zu erwerben wußte. Aber daß er bkeinesfalls etwas Entscheidendesb thun würde, geht mir noch deutlicher aus Julius Jolly’s Äußerungen über das hervor, was er diesem gesagt hat („ganz vorübergehende Geschichte“ etc. etc.) [.] 4 Und die Vermittlung, deren er sich zu Dir bediente, besagt ja auch genug. – Ich werde nun also, wie Du ja weißt, am Sonnabend über 8 Tage5 nach Berlin kommen und Montag darauf wieder abfahren. Die kläglichen Gesellen der „Volksw[irtschaftlichen] Ges[ellschaft]“ haben im letzten Moment noch verlangt, daß ich ein andres Thema als das ihnenc vorgeschlagene agrarische wähle; – ich hatte auf ihre erste Andeutung s. Z. angeboten, eventuell über Börsenorganisation zu reden, aber dabei betont, daß ich es sehr bedauern würde, wenn sie das wählten, da ich darüber nichts Neues zu sagen hätte.6 Trotzdem zogen sie es schließlich vor, da das „mehr Interesse fi nden würde.“ Ich wollte Marianne |:und Mama:| die Freude nicht verderben, sonst hätte ich daraufhin abgesagt. Hier geht es gut, die Collegen sind doch in der That exceptionell angenehm, Schulze-Gäv[ernitz] etwas unentwickelt in manchen Beziehungen, ich hatte auch im Seminar immer erst etwas zu schlucken,7 da stetig seine Angst hervortrat, ich möchte das Bedürfnis haben, ihn in den Hintergrund zu drängen und die Coordination, die ich ihm in aller Form zugesagt, nicht innehalten, – au fond aber ist er nicht übel und ich habe mein Urteil über ihn insofern zu seinen Gunsten revidiert, als er
b nichts > keinesfalls etwas Entscheidendes
c O: Ihnen
Sozialdemokratie und Landarbeiter in Dänemark (1871–1900). – Odense: Odense University Press 1982, S. 272. 3 Der Sachverhalt – der Besuch Ernst Mommsens und seine Berichte über Helene Webers Arzt „J.“ – ist nicht geklärt, da ein entsprechender Brief Alfred Webers an Max Weber nicht nachgewiesen ist. 4 Wie sich der Arzt gegenüber Julius Jolly, Max Webers Cousin, äußerte, ist nicht ermittelt. 5 Gemeint ist am Sonnabend, den 12. Januar 1895. 6 Der Brief Max Webers ist nicht nachgewiesen. 7 Max Weber spielt hier und im folgenden auf das von ihm gemeinsam mit seinem Freiburger Fachkollegen Gerhart von Schulze-Gaevernitz veranstaltete Kameralistische Seminar an. Vgl. MWG III/1, S. 55 f.
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in der That gescheut ist – nur ohne Geschmack, er sagt die größten Trivialitäten u. Umst. mit einem geheimnisvollen Ton in der Stimme, den ich wenigstens nicht fertig brächte, wenn ein College dabeisitzt. Am letzten Seminarabend vor den Ferien entwickelte sich, zum Gaudium der Hörer, ein Gladiatorenkampf, da er mein Bestreben, die „Einheit der wissenschaftlichen Wahrheit“ vor den Studenten zu wahren, also stets nur indirect zu widersprechen, wenn seine Brentano’schen8 Kategorien kamen, etwas misbrauchte. – Die Zuhörer-Verhältnisse sind keineswegs glänzend.9 – Gleichzeitig hiermit trifft ein erster Börsenenquete-Artikel ein,10 bitte gieb ihn auch Papa; ich habe so wenig Freiexemplare, daß ich nicht 2 schicken konnte. Die weitaus größte Belästigung sind hier vorläufig die gesellschaftlichen Pfl ichten, nach den ca 60–80 Besuchen kommen nun ebenso viele Einladungen, denen nicht zu entrinnen ist. Dazu kommen hier noch die Anforderungen des Erbgroßherzogl. Hofes. Neulich waren wir zum Tête-à-Tête befohlen, – er ist ein netter offner Kerl,11 sie dagegen horndumm,12 Marianne spielte mit einigem Glück das enfant terrible und gab ihr zu lachen, das war die einzige Rettung. Mit einigem Entsetzen hörte ich sie während einer Sprechpause sagen: „Oh, kgl. Hoh., ich bin noch aus einem viel kleineren“. . . „Stadt als Freiburg“ verbesserte sie sich noch im letzten Augenblick vor vollbrachter Majestätsbeleidigung. Doch genug des Plauderns über das Hiesige, das kann ja mündlich fortgesetzt werden. Sehr interessieren wird mich dagegen, wie weit es mit Deiner Arbeit ist.13 Ich habe mir wohl gedacht, daß die Sache noch nicht so schnell 8 Gemeint ist der Münchener Nationalökonom Lujo Brentano. 9 Da das Kameralistische Seminar privatissime und unentgeltlich angeboten wurde, gibt es keine Zahlungsliste, aus der sich die Teilnehmerzahl entnehmen läßt. Vgl. MWG III/1, S. 55. 10 Es handelt sich um die erste Folge von Weber, Max, Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete (MWG I/5, S. 195–353), die im Herbst 1894 erschienen war. Sie bildete den Auftakt einer eingehenden Darstellung Max Webers der Ergebnisse der Enquetekommission im Vorfeld der Börsenreformgesetzgebung von 1896. 11 Gemeint ist Friedrich I., Großherzog von Baden. 12 Es handelt sich um seine Gattin Luise, Großherzogin von Baden. 13 Gemeint ist die von dem Berliner Nationalökonomen Gustav Schmoller angeregte und betreute Doktorarbeit über die Hausindustrie, die Alfred Weber 1897 fertigstellte. Vgl. Weber, Alfred, Hausindustrielle Gesetzgebung und Sweating-System in der Konfektionsindustrie. – Leipzig: Duncker & Humblot 1897 (auch in: AWGA, Band 5, S. 25–58). Alfred Weber
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druckreif werden würde. Entsinne ich mich im Augenblick recht, so schriebst Du s. Z. von einer etwas eigenartigen Unterredung mit Schmoller, speciell in Betreff des historischen Nebenfachs.14 Ich glaube, das ist eine ganz törichte Wichtigthuerei; das beste wäre wohl, wenn Du einmal (s. Z.) zu Scheffer-Boichorst15 und Lenz16 dgingest (neuered Geschichte ist schließlich das Bequemere, also kommt Lenz in Frage; mit ihm habe ich mich gut vertragen17 und er ist harmlos, während Sch[effer]-B[oichorst] sich nach Onkel Hermann’s Tode so häßlich äußerte,18 daß ich mit ihm hinter einander gerieth).e Ich kann mir nicht denken, daß der Krempel die geringste Schwierigkeit macht. – Schließlich möchte ich nicht unterlassen zu sagen, daß mir Karl, der über Weihnachten hier war, diesmal zum ersten Mal einen wirklich relativ erfreulichen Eindruck gemacht hat. Es schien mir, daß er ernstlich arbeitete und die Renommistereif nicht mehr so in erster Linie stand, wie früher, wohl unter dem Einfluß Schäfers,19 der in der That ein ganz außerordentlich starker zu sein scheint. Hiermit genug für heut. Auf Wiedersehen in 1½ Wochen. Ich schicke Dir und den näheren Bekannten Einladungskarten.20 Viele Grüße auch von Marianne [von] Deinem Max
d gingest; neuere > gingest (neuere
e gerieth. > gerieth).
f O: Rennomisterei
veröffentlichte seine Dissertation unter demselben Titel auch als Aufsatz (in: SchmJb, Jg. 21, 1897, Heft 1, S. 271–305). 14 Der Sachverhalt ist nicht geklärt, da ein entsprechender Brief Alfred Webers an Max Weber nicht nachgewiesen ist. 15 Es handelt sich um den Berliner Mediävisten Paul Scheffer-Boichorst. 16 Gemeint ist der Berliner Neuzeithistoriker Max Lenz. 17 Auf welchen Sachverhalt Max Weber hier anspielt, ist nicht ermittelt. 18 Der liberale Historiker Hermann Baumgarten, verheiratet mit Ida Baumgarten, einer Schwester von Max Webers Mutter, starb am 16. Juni 1893. Auf welche Äußerungen von Paul Scheffer-Boichorst Max Weber hier anspielt, konnte nicht ermittelt werden. 19 Gemeint ist der Architekturprofessor Karl Schäfer, der akademische Lehrer Karl Webers. 20 Vgl. den Brief an Adolph Wagner, vor dem 12. Jan. 1895, unten, S. 53.
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Verlag Vandenhoeck & Ruprecht 5. Januar 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 494 (Archiv des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht), G 1888–1936, Tasche 07, Bl. 446 Dieser sowie die folgenden Briefe an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, zwischen dem 12. und 31. März 1895, vom 26. März, 31. Juli, 8. August, 30. August sowie 4. September 1896, unten, S. 79, 171 f., 207, 208, 211 sowie 212, stehen in Zusammenhang mit der Abfassung und Drucklegung des zweiten Teils der populärwissenschaftlichen Schrift „Die Börse“, die Max Weber für die von Friedrich Naumann herausgegebene Göttinger Arbeiterbibliothek verfaßte. Im Herbst 1894 stellte Max Weber den ersten Teil fertig (Weber, Max, Die Börse. I. Zweck und äußere Organisation (Göttinger Arbeiterbibliothek, 1. Band, 2. und 3. Heft, hg. von Friedrich Naumann u. a.). – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1894, S. 17–48, ediert in: MWG I/5, S. 127–174, hinfort: Weber, Börse I). Unmittelbar danach kündigte er dem Verlag an, daß er den zweiten Teil im Verlauf der Weihnachtsferien 1894/95 erstellen wolle (Brief an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vom 16. Oktober 1894, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 494 (Archiv des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht), G 1888–1936, Tasche 07, Bl. 450; MWG II/2). Tatsächlich verzögerte sich, wie die folgenden Korrespondenzen mit dem Verlag zeigen, die Fertigstellung des Manuskripts um rund eineinhalb Jahre. Erst im August 1896 kam Max Weber dazu, den zweiten Teil zu vollenden bzw. niederzuschreiben, so daß die Broschüre im Herbst 1896 fertiggestellt und ausgeliefert werden konnte (Weber, Max, Die Börse. II. Der Börsenverkehr (Göttinger Arbeiterbibliothek, 2. Band, 4. und 5. Heft, hg. von Friedrich Naumann u. a.). – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1896, S. 49–80, ediert in: MWG I/5, S. 614– 657, hinfort: Weber, Börse II). Zur inhaltlichen Einordnung vgl. Borchardt, Einleitung, in: MWG I/5, S. 1–111, sowie zur Entstehung die Editorischen Berichte, in: MWG I/5, S. 127– 134, 614–618.
Schillerstr.a 22 Freiburg i/B 5. 1. 95 Sehr geehrter Herr!
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Auf Ihren freundlichen Brief1 antwortete ich nicht gleich, da ich hoffte, das Mscr. fertig zu stellen und Ihnen gleich zuzuschicken. Es war nicht möglich, trotz erheblicher Arbeitsanstrengungen. Es ist nur zu ½ fertig und diese Hälfte muß noch comprimiert werden. Morgen beginnt das Semester wieder und vor Anfang Februar kann ich nun nicht daran denken, irgend etwas davon zu machen [.] Deshalb ist es mir beim besten Willen ganz unmöglich, es etwa in einigen Wochen fertig zu maa O: Schillerst. 1 Der Brief ist im Verlagsarchiv nicht verzeichnet (vgl. Copier-Buch vom 28.7.1893–11.3. 1897, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 494).
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chen, der frühste Zeitpunkt wäre Ende Februar[.] Ultra posse nemo obligatur2 – ich habe die Fertigstellung hinter nichts Anderem zurücktreten lassen, aber grade rein populäre Sachen machen weit mehr Arbeit als der Nicht-Fachmann ihnen ansieht. Das Heft wird bestimmt ein Doppelheft und heißt: „Die Börse, II: Der Börsenverkehr“. Ihre sonstigen Wünsche werde ich gern, soweit irgend möglich, berücksichtigen. Aber mit dem Zeitpunkt der Fertigstellung muß ich Sie bitten bis Ende Februar Geduld zu haben, wie gesagt: mehr als ein Mensch an Arbeit leisten kann, kann er nicht. Hochachtungsvoll und ergebenst Max Weber P.S. Bezügl. Ihrer Anfrage nach einem „Evangel.-Sozialen“ Verlagsartikel, so ist noch die Bearbeitung der Landarbeiterenquête, von der eine erste Partie (Ost- und Westpreußen, Pommern) im Frühjahr fertig wird, zu vergeben.3 Ich wäre, das Einverständnis meines Freundes Göhre vorausgesetzt, bereit, mit Ihnen darüber zu verhandeln, bitte nur mit Ihren eventuellen Erörterungen ca 14 Tage zu warten, da ich jetzt derartig besetzt sein werde, daß ich vorher nicht auf Briefe antworten kann und die Sache leicht vergessen könnte. d.O.
2 Rechtsgrundsatz, nach dem Niemand verpflichtet ist, Unmögliches zu leisten. 3 Es handelt sich um die von Max Weber gemeinsam mit Paul Göhre 1892/93 im Auftrag des Evangelisch-sozialen Kongresses durchgeführte Erhebung bei Pfarrern zur Lage der Landarbeiter. Max Weber beauftragte eine Reihe von Doktoranden mit der Bearbeitung der Thematik und Auswertung der Fragebögen; die Arbeiten wurden allerdings erst zwischen 1899 und 1902 in der eigens dafür gegründeten Reihe „Die Landarbeiter in den evangelischen Gebieten Norddeutschlands“ im Verlag H. Laupp, Tübingen, veröffentlicht (vgl. dazu den Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 12. Sept. 1898, unten, S. 579–581, sowie MWG I/4, S. 688 f.).
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Marianne Weber 10. Januar 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Der Brief steht in Zusammenhang mit Max Webers Vortrag „Probleme der Börsenorganisation“, den er am Samstag, dem 12. Januar 1895, auf Einladung der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft in Berlin hielt (vgl. MWG I/5, S. 893–897, sowie die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 2. Januar 1895, oben, S. 45). Anläßlich dieses Vortrags fuhr Weber am 11. Januar über Frankfurt a. M. nach Charlottenburg, wohin Marianne Weber bereits am 5. Januar 1895 gereist war (Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 3. Januar 1895, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).
Fr. i.B. Schillerstr.a 22 10 I 95 Liebes Herze!
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Schönsten Dank für Deinen Brief mit dem Bericht über Tante Henriette1 – aber liebes Herz, Du scheinst mir im Anschluß an Deine Ankunft in Charlottenburg vor allen Dingen einmal wieder Migräne gehabt zu haben, das ging mir aus der Müdigkeit hervor[,] die in Deiner Karte und auch noch in Deinem Brief lag. Ich habe inzwischen mein Dasein hier nicht eben besonders genossen, die letzten Nächte waren ziemlich schlaflos, einer derben Erkältung wegen, trotz riesiger Kübel starken Thees mit Wein [.] Montag Abend2 die Studenten hier waren recht nett, ich habe auch meinen Ehrgeiz nicht darein gesetzt sie in Strandkanonen zu verwandeln, – nur einer, ein ganz nettes frisches Kerlchen, hatte sich den Landwein etwas gar schmecken lassen und setzte sich, zufolge Eures gut gewichsten Bodens, beim Weggehen – statt wie Odysseus bei den Phäaken beim Kommen3 – in den Aschenkasten des Ofens [.] Zufolge meiner Verschnupftheit (im körperlichen Sinn), – übrigens liegt College Schmidt4 mit Halsentzündung zu Bett – komme ich auch
a O: Schillerst 1 Henriette Hausrath, Helene Webers Schwester. 2 Montag, der 7. Januar 1895. 3 Anspielung auf den 7. Gesang aus Homers Odyssee, in dem Odysseus sich bei der Ankunft im Palast des Königs der Phaiaken neben das Feuer in die Asche setzt und anschließend gastlich aufgenommen wird. 4 Der Jurist Richard Schmidt. Er wohnte im gleichen Haus wie Max und Marianne Weber.
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am Sonnabend erst mit dem Harmonika-Zuge5 Nachmittags, übernachte also in Frankfurt, werde aber noch unterwegs zu Mittag essen und also in Ch[arlottenburg] nur Kaffee trinken und mich dann bald nach Berlin trollen müssen. Abreisen werde ich Montag Mittag.6 – Eine Einladung zu Ziegler’s (Tanz im Europ. Hof) auf Sonnabend d. 19ten habe ich abgelehnt,7 da Du dann noch nicht zurück seiest. – Ich kann nicht sagen, daß ich es richtig fände, wenn künstlich jetzt eine Zusammenkunft mit Göhre arrangiert würde, es ist natürlicher, wenn ich ihm [,] etwa nachdem ich jetzt in Berlin gewesen bin [,] schreibe und wir uns dann etwa auf dem Evangel.-Soz. Congreß wiedersehen.8 Man muß ja jetzt doch in der Hauptsache, das Beste hoffend, abwarten was wird. 9 Nun herzlichen Gruß und Kuß [,] ich will zu Bett, genieße Charlottenburg bis es bald mit Dir thut Dein Max
5 Zeitgenössische Bezeichnung für einen Durchgangs-Zug. 6 Montag, der 14. Januar 1895. 7 Ob es sich um den Freiburger Pathologen Professor Ernst Ziegler und seine Frau Rosalie handelt oder um Theobald Ziegler und dessen Frau Minna in Straßburg, ist nicht zweifelsfrei zu klären. Die Einladung zu einer abendlichen Tanzveranstaltung spricht allerdings mehr für einen Bezug zu Freiburg. Das Hotel „Europäischer Hof“ lag gegenüber dem Freiburger Hauptbahnhof (der „Europäische Hof“ in Straßburg in der Blauwolkengasse 19). 8 Ein solcher Brief Max Webers an Paul Göhre ist nicht überliefert. Der Evangelisch-soziale Kongreß fand am 5. und 6. Juni 1895 in Erfurt statt. 9 Paul Göhre, Max Webers Weggefährte in der evangelisch-sozialen Bewegung, hatte vor ihrer Verlobung mit Max Weber vergeblich um Marianne geworben. Als Göhre Anfang Oktober 1894 dann seine Verlobung mit Luise Bischoff mit den Worten „endlich am Ziele“ mitteilte, war Weber nach Marianne Webers Darstellung „innerlich erregt u. in tiefster Seele entrüstet“ (Brief Marianne Webers an Helene Weber, undat. [am oder nach dem 9. Oktober 1894], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, vgl. auch den Brief an dieselbe, undat. [vor dem 8. Oktober 1894], ebd.)
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Adolph Wagner [vor dem 12. Januar 1895]; o.O. Abschrift; von dritter Hand GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 3, Bl. 16 Diese und die folgenden Abschriften von vier Briefen an Adolph Wagner vom 14. März 1895, 21. Dezember 1896, 1. Januar 1897 und 4. Juli 1898, unten, S. 76 f., 258 f., 271– 273, und 503 f., befinden sich in einem Konvolut mit der Überschrift „5 Briefe Max Webers an Adolf Wagner. (Preuß. Staatsbibliothek)“ (ebd., Bl. 13–16). Abschriften dieser Abschriften von vierter Hand befinden sich ebd., Nr. 30, Bd. 4, Bl. 1–2, Bl. 8, sowie Bl. 11– 14. Da es sich, wie aus einem Verweis (ebd., Nr. 30, Bd. 4, Bl. 2) hervorgeht, eindeutig um Abschriften der Abschriften handelt, werden sie vernachlässigt. Das Datum ist erschlossen aus dem Inhalt und dem Brief an Alfred Weber vom 2. Januar 1895, oben, S. 48, in dem Max Weber sein Kommen nach Berlin und seinen Vortrag „Probleme der Börsenorganisation“ (MWG I/5, S. 893–897) für Samstag, den 12. Januar 1895 ankündigt.
Hochgeehrter Herr Geheimrath!
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Ich gestatte mir, gleichzeitig eine Karte für meinen Vortrag Sonnabend Ihnen zuzusenden. Sie erwähnten die Anwesenheit von Herrn Professor Dr. G. Cohn1 aus Göttingen. Falls denselben das Thema interessieren sollte, würde mir sein Erscheinen eine besondere Ehre sein. Da ich seine Adresse nicht kenne, so erlaube ich mir für den Fall [,] daß Sie ihn treffen sollten, eine Karte beizufügen. Mit den angelegentlichsten Empfehlungen Ihr sehr ergebener Max Weber
1 Gemeint ist der Nationalökonom Gustav Cohn, ein Spezialist in Börsenfragen.
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Alfred Weber 15. Januar 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 4, Bl. 34–35 Dieser Brief und die folgenden Briefe an Karl Oldenberg vom 18. Januar 1895, unten, S. 60–62, sowie an Alfred Weber vom 28. Januar 1895, 1. Februar 1895 und 17. Mai 1895, unten, S. 65 f., S. 67 f. und S. 80–83, stehen im Zusammenhang mit der sogenannten „Affäre Kaerger“. Der Nationalökonom und Privatdozent an der Landwirtschaftlichen Hochschule, Karl Kaerger, der zu Max Webers engerem Berliner Freundeskreis gehörte, war am 19. November 1894 in Berlin angeklagt worden, am 31. Mai 1894 in Wilmersdorf „mit einer Person unter 14 Jahren [. . .] unzüchtige Handlungen vorgenommen zu haben“ (Anklageschrift vom 19. November 1894, Abschrift, in: GStA PK, I. HA, Rep. 87 B, Nr. 20080, Bl. 20–21). Die Hauptverhandlung fand am 4. März 1895 bei der Zweiten Strafkammer des Kgl. Landgerichts II zu Berlin statt und endete mit einem Freispruch (Urteil vom 4. März 1895, Abschrift, ebd., Bl. 51–57). Kaerger wurde in der Folge gesellschaftlich gemieden und trat am 1. August 1895 eine Position als landwirtschaftlicher Sachverständiger im Auswärtigen Dienst in Südamerika an (PA AA, Personalakte Karl Kaerger). Kaerger war, wie Max Weber, Mitglied sowohl der Staatswissenschaftlichen Vereinigung als auch des daraus hervorgegangenen Donnerstagskreises, in deren beider Namen Max Weber nach der Anklageerhebung Kontakt zu Kaerger aufgenommen hatte, wie aus dem im folgenden edierten Brief hervorgeht. Die Staatswissenschaftliche Vereinigung war eng an das Berliner Staatswissenschaftliche Seminar angeschlossen. Ihr gehörten junge Gelehrte und fortgeschrittene Studenten unter der Leitung der Professoren Gustav Schmoller und August Meitzen an; ihre Mitglieder trafen sich jeden zweiten Montag zu Vorträgen. Der Donnerstagskreis dagegen war ein Gesprächskreis vor allem junger Juristen, Nationalökonomen und Historiker, der unabhängig von der Zusammenkunft in der Staatswissenschaftlichen Vereinigung wöchentlich am Donnerstagabend in zwangloser Runde zur Diskussion zusammen kam. Dieser Kreis wurde auch „kleine staatswissenschaftliche Gesellschaft“ genannt zur Unterscheidung von der 1883 von Gustav Schmoller gegründeten Staatswissenschaftlichen Gesellschaft, der ausschließlich renommierte Hochschullehrer und hohe Beamte angehörten (vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 148, weitere Belege: MWG I/4, S. 908 f. und S. 914 f.).
Schillerstr.a 22 Freiburg i /B 15. 1. 95 Lieber Alfred! Ich habe K[aerger] heute Vormittag noch einmal geschrieben1 u. ihm vorgehalten, daß seine Verurteilung höchst wahrscheinlich und im Fall derselben seine Verhaftung ziemlich sicher sei, dabei aber abschliea O: Schillerst. 1 Die Briefe sind nicht nachgewiesen.
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ßend bemerkt: daß [,] wenn er dessen ungeachtet das Bedürfnis empfi nde, den Termin wahrzunehmen, ich es nicht verantworten könneb ihn zum Fortgang zu drängen. Im Übrigen habe ich ihm unsre einstimmige Ansicht2 über die Unmöglichkeit weiteren Verkehrs mitgeteilt und gesagt, daß er auf heimischem Boden auch bei einer Freisprechung, es müßte denn der höchst unwahrscheinliche Fall einer „glänzenden“ Freisprechung eintreten, ein toter Mann sei und daß, wenn er anderwärts von der Pique auf neu beginnen wollte, ihm unsre Kameradschaft und Mittel, soweit sie uns selbst zu Gebote stünden, zur Seite stehen würden. – Wie es weiterc wird, kann ich nicht vermuthen, ich glaube man muß ihn nurd sich selbst überlassen. – Sollte er wider Erwarten sich etwas anthun, so telegraphiere mir bitte, ich komme dann eventuell, wenn es nützlich sein sollte. – Sering u. Oldenberg habe ich das Geschehene mitgeteilt.3 – Bitte halte mich doch auf dem Laufenden über erhebliche Geschehnisse. Als Termintag gab er, wie gesagt, wenn ich nicht ihn misverstanden habe, den 30ten an.4 Es ist mir nachträglich eingefallen, daß die Möglichkeit, daß ich ihn unrichtig verstand, nicht völlig ausgeschlossen ist [.] Man möchte doch jedenfalls gleich vom Ergebnis des Termins Nachricht haben. – Syndikus Endemann in Bremen hat seine junge Frau verloren, 5 wie er mir anzeigt. Vielleicht schicken die näheren Bekannten ihm eine Karte, auch soweit er ihnen keine Anzeige schickte.
b Alternative Lesung: könnte
c Alternative Lesung: wirken
d Unsichere Lesung.
2 Dies bezieht sich wohl auf die Mitglieder der Staatswissenschaftlichen Vereinigung sowie der „kleinen staatswissenschaftlichen Gesellschaft“ (Donnerstagskreis). 3 Entsprechende Briefe an Max Sering und Karl Oldenberg sind nicht nachgewiesen. Möglicherweise unterrichtete Max Weber beide mündlich anläßlich seines Aufenthalts in Berlin, wo er am 12. Januar 1895 einen Vortrag über „Probleme der Börsenorganisation“ hielt; vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 2. Jan. 1895, oben, S. 45. Vgl. auch den Brief an Karl Oldenberg vom 18. Jan. 1895, unten, S. 60–62, in dem er wieder auf die Affäre Kaerger Bezug nimmt. 4 Die Hauptverhandlung fand am 4. März 1895 statt (vgl. die Editorische Vorbemerkung, oben, S. 54). 5 Adolf Endemann, der zwischen 1894 und 1897 Syndikus der Bremer Handelskammer war, hatte seine Frau Brunhilde am 12. Januar 1895 verloren, die er erst am 21. April 1894 geheiratet hatte (Auskunft des Staatsarchivs Bremen vom 21. April 2010). 1890 hatte sich Max Weber um die Bremer Syndikusstelle beworben (Brief an Hermann Heinrich Meier (Handelskammer Bremen) vom 10. Juli 1890, Archiv der Handelskammer Bremen; MWG II/2).
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Endlich bitte ich Dich noch, Adolf Wagner, wenn Du ihn siehst, mich bestens zu empfehlen, ohne diese Kaergergeschichte hätte ich ihn aufgesucht.6 Mit herzlichem Gruß Max
6 Max Weber bezieht sich auf seinen unmittelbar vorhergehenden Berlinaufenthalt (vgl. S. 55, Anm. 3). Er hatte Adolph Wagner zu seinem Vortrag am 12. Januar 1895 eingeladen, dieser aber war der Einladung offensichtlich nicht gefolgt. Vgl. den Brief an Adolph Wagner, vor dem 12. Jan. 1895, oben, S. 53.
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Marianne Weber 15. Januar 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Max Weber war am Vortag erst mittags mit dem Zug von Charlottenburg nach Freiburg zurückgekehrt. Am 12. Januar 1895 hatte er in Berlin seinen Vortrag „Probleme der Börsenorganisation“ gehalten (vgl. MWG I/5, S. 893–897, sowie die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 2. Januar 1895, oben, S. 45). Marianne Weber blieb noch bis Ende Januar in Charlottenburg.
Schillerstr.a 22 Fr. i B 15. 1. 95 Liebes Frauchen!
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Schon damit die anderen sehen, daß Du einen Brief bekommst, zeige ich Dir meine glückliche Ankunft hiermit ergebenst an, ebenso daß ich meinen Hals bedeutend pflege: es ist nur noch etwas rauhe Stimme vorhanden, sonst geht es mir sehr gut. Ich habe heute seit lange zum ersten Mal die Sonne an meinem Schreibtisch aufgehen sehen, da es sich nicht mehr lohnte, zu Bett zu gehen und ich noch Colleg zu machen hatte. Unterwegs war es bis Frankfurt barbarisch voll und nachher war es mit dem Schlafen mäßig, da ein verfl. Sachse mit mir im Schlafcoupé lag und schnarchte und hustete. Bertha1 war sehr vergnügt, daß ich ihre Schwester2 gesehen hatte und bemüht sich, mich zu pflegen. Denkst du wohl daran, einmal bei Goldschmidts vorzusprechen?3 Von da wäre es ev. nicht weit zu Frau Oertmann4 (da wir ja nicht bei
a O: Schillerst 1 Bertha Schandau, das Dienstmädchen von Max und Marianne Weber. 2 Bertha Schandaus Schwester Elise lebte in Berlin. 3 Max Webers Doktorvater Levin Goldschmidt und seine Frau Adele. 4 Wahrscheinlich Emma Oertmann, die Mutter des Berliner Juristen Paul Oertmann. Die Witwe des Bielefelder Leinen- und Wäschefabrikanten August Oertmann wohnte in Charlottenburg. Vgl. Brodhun, Rüdiger, Paul Ernst Wilhelm Oertmann (1865–1938), Leben, Werk, Rechtsverständnis sowie Gesetzeszwang und Richterfreiheit. – Baden-Baden: Nomos 1999, S. 27 f.
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ihnen waren im Herbst) und kommst Du wohl zu Dernburgs?5 Ich habe Biermann6 gesagt, daß Du es eventuell versuchen würdest. Bitte sage doch der Mama, daß ich, ehe ich wegen Frl. Wedel7 Bestimmtes sagen könnte, erst die Abrechnung von Stürcke8 abwarten müßte, die hoffentlich in ca. 8 Tagen da ist. Die Buchhändlerrechnung hat unsre Finanzen nämlich doch wieder verschlechtert, sie ist um 200 M. höher als ich dachte. Eventuell würde es dann jetzt nicht, sondern erst in ca 5 Monaten |:(Anfang Juni):| gehen, dann aber sicher, denke ich.9 Nur fürchte ich fast, daß es grade darauf ankam, daß sie jetzt etwas bekam. Nun, zunächst wollen wir einmal sehen, wie sich die Rechnung stellen wird. Hier ist ekliges nasses Tauwetter und College Schmidt10 liegt wieder periodisch zu Bett – da kann ich’s doch besser! – Eine Einladung von Killian’s11 fand ich vor und habe sie abgesagt. Wie ich Dich verstand, wolltest Du Montag reisen und einen ganzen Tag in Heidelberg blei-
5 Gemeint ist sehr wahrscheinlich die Familie von Heinrich Dernburg, Max Webers Lehrer an der juristischen Fakultät der Universität Berlin. Heinrich Dernburg hatte eine Wohnung in Charlottenburg (Berliner Adreßbuch für das Jahr 1895. Unter Benutzung amtlicher Quellen hg. von W. & S. Loewenthal. XXVII Jahrgang, Zweiter Band. – Berlin: Verlag W.&S. Loewenthal o.J., Umgebung von Berlin, Charlottenburg, S. 7). Daß es sich um die Familie von Heinrich Dernburgs Bruder Friedrich handelt, ist indes nicht ganz auszuschließen. Der im Zusammenhang mit diesem Besuch genannte Johannes Biermann war Friedrich Dernburgs Schwiegersohn. 6 Johannes Biermann war, wie Max Weber, ein Schüler Heinrich Dernburgs. 7 Nicht ermittelt. Im Berliner Adreßbuch findet sich zwar ein Eintrag: „Wedel, E., Musiklehrerin, SW, Hafen Platz 2“ (Berliner Adreßbuch für das Jahr 1895 (wie Anm. 5), Erster Band, S. 1462), es gibt aber keinen Beleg, ob es sich dabei um das hier genannte Frl. Wedel handelt. In einem Brief an Marianne Weber vom 7. Jan. 1904 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) erwähnte Helene Weber nur: „Unser früheres Fräulein Wedel wohnt ja dort [i.e. Neustettin] und wird Lili in allem behülflich sein“. 8 Friedrich Hermann Stürcke, Leiter des Erfurter Bankhauses Adolph Stürcke, wo Max Weber ein Konto unterhielt. 9 Der Sachverhalt ist nicht ermittelt. In einem Brief an Helene Weber, undat. [Juli 1895], (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) teilte Marianne Weber im Juli 1895 nur mit, die Überweisung sei erfolgt. 10 Der Jurist Richard Schmidt, der im gleichen Haus wie Max und Marianne Weber wohnte. 11 Sehr wahrscheinlich der Freiburger Hals-Nasen-Ohren-Arzt Gustav Killian und seine Frau Helene. Insbesondere Marianne Weber stand mit Frau Killian in engerem Kontakt. Beide gehörten einem „Kränzchen“ um Sophie Rickert an und besuchten auch Lehrveranstaltungen an der Universität (vgl. die Briefe von Marianne Weber an Helene Weber vom 23. [Juni] 1895, sowie undat. [Winter 1895/96], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).
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ben? Mach nurb die Sache jedenfalls so, daß der Onkel12 es ist, der Dich zum Bleiben drängt, sonst hat die Tante13 doch nichts Rechtes daran. Willst Du ev. auch noch nach Straßburg auf ein Stündchen zu Emmy14 von Appenweier aus? Ich glaube, jetzt ginge es.15 Dann kämst Du also Mittwoch oder Donnerstag.16 Aber bleib nur so lange Dirs danach ist, mein Herz, ich freue mich zwar wennc Du wiederkommst, aber in Charlottenburg bietestd Du doch viel und ich mache dann inzwischen einige Sachen ab, die sonst die Ferien belastet hätten. – Genieß es recht, grüß Alle und laß Dich herzlich küssen von Deinem Max (Laß bitte keine „Erziehungs-“Künste wie in Juist etc. an Dir ausüben! Du weißt von wem!)17
b Unsichere Lesung.
c O: wen
d Unsichere Lesung.
12 Adolf Hausrath. 13 Henriette Hausrath. 14 Emmy Baumgarten. 15 Emmy Baumgarten war psychisch labil. Im Herbst 1894 war es ihr so schlecht gegangen, daß ihr Bruder Otto erwog, sie zu sich zu nehmen (Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 16. [und 19.] Okt. 1894, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 16 Tatsächlich kehrte Marianne Weber, nach Besuchen in Heidelberg und Straßburg, erst am darauffolgenden Sonntag (dem 27. Januar 1895) nach Freiburg zurück (Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 28. Jan. 1895, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 17 Gemeint ist Max Weber sen. In einem Brief aus Juist vom 28. Juli 1894 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) hatte Marianne Weber in Bezug auf ihren Schwiegervater an Alfred Weber geschrieben: „aber ich verzichte doch lieber auf jedes längere Alleinsein mit der Mama, um ihm keinen Anlaß zum Mißtrauen zu geben [. . .], lasse mir auch ruhig seine Erziehungskünste u. Versuche gefallen, werde wenigstens erst im äußersten Falle grob.“
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Karl Oldenberg 18. Januar 1895; Freiburg i. Br. Abschrift; maschinenschriftlich, mit Korrekturen von der Hand Marianne Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 4, Bl. 35–36 Der Brief setzt die Korrespondenz über die „Affäre Karl Kaerger“ fort; vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 15. Januar 1895, oben, S. 54. Darüber hinaus steht dieser, sowie der folgende Brief an Karl Oldenberg vom 28. Januar 1895, unten, S. 63 f., im Zusammenhang mit einem weiteren nationalökonomischen Kursus, wie er bereits im Oktober 1893 unter der Mitwirkung von Max Weber in Berlin vom Evangelisch-sozialen Kongreß organisiert worden war (vgl. MWG I/4, S. 254–271). Diese mehrtägigen Veranstaltungen, auf denen Nationalökonomen in ihr jeweiliges Fachgebiet einführten, sollten vor allem Beamte und junge Theologen zur angemessenen Beurteilung der gegenwärtigen ökonomischen und sozialen Entwicklungsprozesse befähigen. Der im folgenden Brief angesprochene Kursus wurde jedoch anders als der Kurs 1893 federführend vom Verein für Socialpolitik und nur im Einvernehmen mit dem Evangelisch-sozialen Kongreß geplant; er fand zwischen dem 30. September und 12. Oktober 1895 in Berlin statt (vgl. vom Bruch, Rüdiger, Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung. Gelehrtenpolitik im Wilhelminischen Deutschland (1890–1914). – Husum: Matthiesen 1980, S. 265 f.). Karl Oldenberg, der Schüler und Mitarbeiter Gustav Schmollers, des Vorsitzenden des Vereins für Socialpolitik, war an der Vorbereitung des Kursus beteiligt. Er informierte Max Weber augenscheinlich darüber, daß dieser nicht eingeladen werden sollte, während der Verein für Socialpolitik ansonsten alle namhaften Vertreter der Nationalökonomie als Referenten vorsah (vgl. das gedruckte Programm „Verein für Socialpolitik. Nationalökonomische und socialpolitische Ferienkurse vom 30. Sept. bis 12. Okt. 1895“, in: HHStAW, Abt. 1088, Nr. 24). Max Weber wurde tatsächlich auch später nicht mehr dazu eingeladen. Er beteiligte sich erst wieder an dem Kurs, den der Evangelisch-soziale Kongreß 1896 – erneut in eigener Verantwortung – in Berlin organisierte (MWG I/5, S. 898–906), sowie ferner an dem sozialwissenschaftlichen Kursus, den die Evangelisch-soziale Vereinigung für Baden und die Evangelisch-soziale Konferenz für Württemberg 1897 in Karlsruhe veranstalteten (MWG I/4, S. 826–841). Vgl. Mommsen, Einleitung, in: MWG I/4, S. 28 f.
Freiburg, den 18. 1. 95. Lieber Oldenberg! In Bezug auf K[aerger]’s Frau1 und Kind2 hängt alles meines Erachtens von der Frau selbst ab. Niemand wird sie, wenn sie sein Schicksal nicht teilen will, dazu drängen wollen. Aber das Gegenteil scheint mir vorerst in hohem Maße wahrscheinlicher, und ich bin der Meinung, daß man in diesem Falle ihn nicht erleichtern sollte, sie im Stiche zu lassen. In Bezug auf „Erziehung“ wird er schwerlich viel leisten, weder Gutes noch Schlechtes, nicht mehr als Tausend andere Väter auf 1 Marie Kaerger. 2 Gertrud Kaerger.
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schwankender Existenz-Grundlage, und es ist – natürlich nur, wenn, wie ich vermute, die Frau den Willen dazu hat – in der Situation, in die er kommen wird, für ihn, namentlich aber auch für die Frau, an der seine Schande doch und sicherer kleben würde, wenn sie hier bleibt, die Gemeinschaft der neu zu ordnenden Existenz ein sittlicher Halt von, wie ich glaube, entscheidendem Werte. Hierin kann ich also Ihre Ansicht nicht teilen,3 die ja wohl praktisch darauf hinaus laufen würde, ihn zu ermutigen, Frau und Kind zu verlassen und sich – steckbrieflich verfolgt! – zu salvieren. Das Kind ist hier eine noch problematischere Existenz als in der Fremde. Ich habe Alfred Jaffé geschrieben,4 halte es nicht gerade für ausgeschlossen, daß dieser, welchem die Frau noch näher bekannt war, sie [,] wie ich gebeten habe, berät. In die Staatswissenschaftliche Vereinigung5 könnte K[aerger] meines Erachtens in keinem Fall, außer dem einer glänzenden Freisprechung, wieder kommen. Was meinen Sie mit „Qualifi kation“? Und wie sollte die Bekanntgabe an die persönlichen Bekannten vermieden werden, da er ruhig den Verkehr fortsetzte, obwohl er unter Anklage stand? Dann hätte ihm längst von denjenigen, die um die Sache wußten, das entsprechende bedeutet werden müssen. Es scheint mir und schien mir, sobald ich das, was Sering6 mir sagte, näher überlegte, unmöglich, die Verantwortung dafür zu übernehmen, daß nicht irgendein ihm persönlich Bekannter ihn in eine Lage von eventuell unglaublicher Peinlichkeit versetzte. – Eine Freisprechung ist möglich, aber sehr unwahrscheinlich nach Ansicht aller, die die Gerichtspraxis kennen, auch der meinigen, – eine glatte Freisprechung wohl ausgeschlossen. Daß das Kursusprojekt, von dem Sie sprechen, in der Luft lag, hatte ich schon gehört; da es sich für Nobbe natürlich dabei nur darum handelte, daß kein „Anrüchiger“ wie ich sprechen würde, so wußte ich von vornherein, daß man mich nicht auffordern würde,7 ich halte auch 3 Der Sachverhalt konnte nicht aufgeklärt werden, da der Gegenbrief von Karl Oldenberg nicht nachgewiesen ist. 4 Ein entsprechender Brief an Alfred Jaffé, den älteren Bruder Edgar Jaffés, ist nicht nachgewiesen. 5 Vgl. dazu Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 15. Jan. 1895, oben, S. 54. 6 Max Sering. 7 Moritz August Nobbe, der zwischen 1891 und 1902 Vorsitzender des Evangelisch-sozialen Kongresses war, befürchtete wohl, Max Weber werde sich wieder kritisch zum ostelbischen Großgrundbesitz äußern, wenn man ihm das Thema Agrarpolitik übertrüge. Nobbe hatte bereits Anstoß an Webers Thesen auf dem fünften Evangelisch-sozialen Kongreß
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sachlich an sich die Zusammensetzung für angemessen – und nicht für richtig, daß man jüngere Dozenten von fernher importiert.8 Die Absicht der Kränkung, die in der Geheimnistuerei ja allerdings zum Ausdruck kommt, mit der mir gegenüber ebenso wie überhaupt der ganze Plan betrieben wird, ist mir gleichgültig; ich hoffe, daß der Kursus etwas Verständiges wird; bin ich, wie wahrscheinlich, in Berlin,9 so ist es mir schon deshalb angenehm, dem Dozentengremium nicht anzugehören, weil ich dann doch in den Diskussionsstunden, die es wahrscheinlich geben wird, umso ungenierter losschlagen kann. Das Bedürfnis dazu werde ich wohl stark empfi nden: man ist hier den süddeutschen Spießern gegenüber so oft genötigt, für unsere Junker einzutreten, daß man auch einmal wieder die andere Seite der Sache traktieren möchte. – Übrigens war Nobbes Angst gegenstandslos: da Sering da ist, hätte ich niemals über Landwirtschaft zu sprechen Neigung gehabt, sondern, wie schon voriges Mal projektiert war,10 entweder mir den Handel oder speziell die Börse zuteilen lassen.11 Also besten Dank für Ihre vertrauliche Mitteilung, aber eine vorherige „Beruhigung“, wie sie dadurch wohl erzielt werden sollte, war nicht nötig. Herzlichsten Gruß!
im Mai 1894 genommen. Vgl. Weber, Max, Die deutschen Landarbeiter. Korreferat und Diskussionsbeitrag auf dem fünften Evangelisch-sozialen Kongreß am 16. Mai 1894 (MWG I/4, S. 308–345, zur Position Moritz August Nobbes bes. S. 310). 8 Dem gedruckten Programm des Kursus (vgl. die Editorische Vorbemerkung, oben, S. 60) läßt sich entnehmen, daß folgende Nationalökonomen als Referenten eingeladen wurden: Lujo Brentano, Karl Bücher, Johannes Conrad, Ludwig Elster, Georg Friedrich Knapp, August von Miaskowski, Friedrich Julius Neumann, Eugen von Philippovich und Adolph Wagner. Auch Gustav Schmoller selber nahm teil. Max Sering wurde für das Thema Agrarfrage vorgesehen. Von den jüngeren Nationalökonomen trug lediglich Karl Oldenberg vor. 9 Als der Kursus zwischen dem 30. September und 12. Oktober 1895 in Berlin stattfand, hielt sich Max Weber tatsächlich in Freiburg auf (vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 4. und 8. Oktober 1895, unten, S. 150–153, 154). Möglicherweise war der Kursus ursprünglich für einen früheren Zeitpunkt vorgesehen. 10 Dies bezieht sich wohl auf den ersten Evangelisch-sozialen Kursus im Oktober 1893, wo Max Weber über „Landwirtschaft und Agrarpolitik“ sprach. Vgl. Weber, Max, Landwirtschaft und Agrarpolitik. Grundriß zu 8 Vorlesungen im Evangelisch-sozialen Kursus zu Berlin. Oktober 1893 (MWG I/4, S. 254–271). 11 Zu dem allein vom Evangelisch-sozialen Kongreß veranstalteten Kursus vom 24. September bis zum 2. Oktober 1896 in Berlin wurde Max Weber wieder als Referent eingeladen; er trug vom 24. bis 26. September 1896, wie hier schon angedeutet, zu „Börsenfragen“ (MWG I/5, S. 898–906) vor.
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Karl Oldenberg 28. Januar 1895; Freiburg i. Br. Abschrift; maschinenschriftlich ohne Anrede und Schlußformel, mit Korrekturen von der Hand Marianne Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 4, Bl. 42–43 Der Brief steht im Zusammenhang mit dem vom Verein für Socialpolitik im Einvernehmen mit dem Evangelisch-sozialen Kongreß geplanten nationalökonomischen Kursus 1895; vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Karl Oldenberg vom 18. Januar 1895, oben, S. 60.
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. . .a Was den Punkt betr. den Kursus anlangt, so habe ich gegen niemand als Nobbe1 „Argwohn“, gegen diesen aber mit Recht, – d. h. ich fand es eine Dreistigkeit, daß er, der garnichts für den Kursus s. Zt. geleistet hat, 2 über die Köpfe aller Beteiligten hinweg zu verhandeln sich für zuständig erachtete. Meines E.s sind ein Kursus des Vereins für Sozialpolitik und ein solcher des evangelisch-sozialen Kongresses absolut verschiedene Dinge. Bei dem ersteren wäre es eine höchst lächerliche Prätention, wenn ich, wie Sie fast zu glauben scheinen, meinte, ich hätte bei dessen Veranstaltung oder Nichtveranstaltung mitzureden, dagegen erhebe ich die Prätention, und zwar für uns alle, bei dem letzteren. Was insbesondre Schmoller3 anlangt, so muß ich mich sehr ungeschickt in der Eile ausgedrückt haben: ich hatte keinerlei Übelwollen gegen mich bei ihm unterstellen wollen, habe dafür auch keine Veranlassung.4 Es ist mir auch bekannt, daß er sich gelegentlich über mich persönlich liebenswürdiger geäußert hat, als ich, selbst wenn ich erheblich überdurchschnittlich eitel wäre, beanspruchen zu können glaube; ebenso weiß ich, daß ihm etwas fatal ist, daß ich seine Einmischung in die hiesige Berufungsfrage, 5 die man hier als unberufen empfand, ken-
a Auslassungszeichen in Abschrift. 1 Moritz August Nobbe, der Vorsitzende des Evangelisch-sozialen Kongresses. 2 Gemeint ist der allein vom Evangelisch-sozialen Kongreß 1893 in Berlin veranstaltete Kursus. 3 Gustav Schmoller, der Vorsitzende des Vereins für Socialpolitik. 4 Max Weber spielt darauf an, daß er zu dem unter der Federführung des Vereins für Socialpolitik geplanten nationalökonomischen Kursus nicht als Dozent eingeladen worden war. 5 Karl Oldenberg war zwischen 1888 und 1897 in der Redaktion des von Schmoller herausgegebenen Jahrbuchs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deut-
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ne, ferner, daß er das Gefühl hat – und dies begreife ich sehr – einen dilettantenhaften Eindringling6 ungerecht bevorzugt zu sehen, und daß ihm endlich mein Temperament nicht diplomatisch genug erscheint und manche Äußerung von mir ihn unsympathisch berührt hat, sodaß auf seiner Seite nicht eben Sympathie-Empfindungen vorhanden sein können. Aus nicht weiter zu erörternden inneren Gründen sind solche auch bei mir für ihn trotz aller selbstverständlichen Bewunderung seiner wissenschaftlichen Bedeutung nicht zur Entwicklung gelangt.
schen Reich tätig. Er hatte auf der von der Freiburger Philosophischen Fakultät am 20. Januar 1894 erstellten Berufungsliste den dritten Platz hinter Max Weber und Ludwig Elster erhalten. Oldenberg sollte jedoch ggf. nur als Extraordinarius auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft berufen werden (UA Freiburg i. Br., B 110/409). Möglicherweise intervenierte Schmoller bei dieser Gelegenheit zugunsten seines Schülers. 6 Max Weber war ausgebildeter Jurist und nicht Nationalökonom.
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Alfred Weber 28. Januar 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 4, Bl. 37–38 Der Brief steht im Zusammenhang mit der „Affäre Kaerger“; vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 15. Januar 1895, oben, S. 54.
Schillerstr.a 22 Fr. iB 28/1 95 Lieber Alfred!
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Es war in den letzten Tagen unmöglich auf Deinen Brief zu antworten und nun steht ja das Urteil vor der Thür,1 welches wahrscheinlich Alles erledigt. Ich hätte auch kaum gewußt, wen ich aus dem Kreise als Delegierten für qualifi ziert erachten sollte; für mich wäre mir natürlich das Liebste, Du gingest hin [.] Von meiner Ansicht mach bitte jeden erwünschten Gebrauch |:falls Jemand darnach fragt:|; ich habe ja aber doch von hier aus nicht hineinzureden. Absolut feststehen wird ja wohl für Jeden, daß ein Donnerstag-Abend-Verkehr2 in jedem irgend denkbaren Fall auf jede absehbare Zeit ausgeschlossen erscheint. |:Denn hierbei geht das Empfi nden jedes Einzelnen Anderenb seinen Interessen vor. Ebenso darf ihn m.E. die Staatsw[issenschaftliche] V[ereinigung] 3 nicht dulden, wenn auch nur Einer Bedenken hat; denn es hat Jeder |:Einzelne:| ein Recht auf Beachtung grade dieser Bedenken:| [.] Für mich persönlich war der kümmerliche Eindruck bei der Unterhaltung Montags Morgens damals4 entscheidend; persönlich verkehren werde ich mit ihm, auch
a O: Schillerst
b Anderen, den > Anderen
1 Die Hauptverhandlung in der Sache Karl Kaerger fand erst am 4. März 1895 statt und nicht, wie Max Weber annahm, am 30. Januar 1895 (vgl. den Brief an Alfred Weber vom 15. Jan. 1895, oben, S. 55). 2 Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 15. Jan. 1895, oben, S. 54. 3 Vgl. ebd. 4 Max Weber hielt sich anläßlich seines Vortrags „Probleme der Börsenorganisation“ am 12. Januar 1895 (MWG I/5, S. 893–897) zwischen dem 12. und 14. Januar 1895 in Berlin auf. In diesem Zusammenhang war er auch mit der „Kaergergeschichte“ befaßt (vgl. den Brief an Alfred Weber vom 15. Jan. 1895, oben, S. 54–56). Als Zeitpunkt des Treffens mit Karl Kaerger kommt demzufolge der Montagmorgen vom 14. Januar 1895 in Frage, denn mittags war er bereits wieder auf der Rückreise nach Freiburg (vgl. auch den Brief an
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wenn „glänzend“ freigesprochen, sofern er hierbleibt, sicher nie wieder, während ich mir denken könnte, daß man, wenn er mit Weib und Kind auswärts sich emporarbeitet, nach einer mir vorläufig unausdenkbaren Zeit Gras darüberc wachsen ließe. Jedenfalls werded ich, geht er fort, einerlei ob verurteilt oder nicht, für ihn thun, was man wird thun können. Welche Geschmacklosigkeit, mir jetzt den Maté herzuschicken! 5 Du benachrichtigst mich doch gleich vom Ausfall? – Ernst sollte seine Etablierungs-Angelegenheiten nicht so hinter Mama’s Rücken betreiben.6 Von der Geschichte mit dem Hause hatte sie natürlich doch gehört, aber |:wie immer:| unklar und willkürlich – wie ich von Marianne höre – und es kränkt sie doch naturgemäß und |:namentlich: es:| beunruhigt siee. Warum überhaupt irgend welche Heimlichkeiten bei derartigen Dingen? Herzlichen Gruß Max
c Fehlt in O; darüber sinngemäß ergänzt.
d werde, > werde
e 〈natürlich〉
Alfred Weber vom 2. Jan. 1895, oben, S. 45, Editorische Vorbemerkung, sowie den Brief an Marianne Weber vom 10. Jan. 1895, oben, S. 52 mit Anm. 6). 5 Karl Kaerger hatte bereits in den 1880er Jahren Forschungsreisen nach Südamerika unternommen und dort anscheinend diese Teesorte kennengelernt. 6 Es handelt sich um Ernst Mommsen, zu der Zeit verlobt mit Clara Weber. Der Bezug ist nicht geklärt.
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Alfred Weber 1. Februar 1895; Freiburg i. Br. Abschrift; maschinenschriftlich ohne Schlußformel, mit Korrekturen von der Hand Marianne Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 4, Bl. 44–45 Der Brief führt die Korrespondenz über die „Affäre Karl Kaerger“ fort (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 15. Januar 1895, oben, S. 54). Darüber hinaus steht er, sowie die folgenden Briefe an Clara Weber vom 11. Februar 1895, an Alfred Weber vom 24. Februar 1895 und vom 27. Februar 1895, sowie an Adolph Wagner vom 14. März 1895, unten, S. 69–77, im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwischen Adolph Wagner und dem saarländischen Schwerindustriellen Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg. Von Stumm war Abgeordneter der Deutschen Reichspartei. Er hatte anläßlich der Reichstagsdebatten am 9. Januar 1895 über die sogenannte „Umsturzvorlage“, mit der erneut gegen die Sozialdemokratie gesetzlich vorgegangen werden sollte, auch die Evangelisch-soziale Bewegung, die „Kathedersozialisten“ und indirekt den Berliner Nationalökonomen Adolph Wagner als Mitbegründer des Evangelisch-sozialen Kongresses und vermeintlichen Förderer sozialdemokratischer Studentenvereinigungen angegriffen. Zudem unterstellte er den Berliner Nationalökonomen, die Berufung politisch Andersdenkender auf Lehrstühle gezielt zu verhindern (Sten. Ber. Band 138, S. 206–213). In der Folge entspann sich eine Kontroverse zunächst zwischen Wagner und der „Post“, dem Presseorgan der Deutschen Reichspartei, in deren Verlauf Wagner der Unaufrichtigkeit bezichtigt wurde. Als Wagner daraufhin eine ihm von einem Vertrauten von Stumms überbrachte Duellforderung ablehnte, wurde ihm in der „Post“ am 27. Januar 1895 Feigheit unterstellt. Dieser ehrenrührige Artikel (im Rückblick zitiert in: Wagner, Adolph, Meine Duellangelegenheit mit dem Freiherrn von Stumm, in: Die Zukunft, Band 10, 2. März 1895, S. 417) veranlaßte Max Weber, in die Debatte durch Einsendung von Artikeln an die „Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung)“ einzugreifen und öffentlich Stellung für Adolph Wagner zu beziehen. In der Folge wurden von der „Kreuzzeitung“ seine ersten beiden (nicht überlieferten) Artikel bzw. Zuschriften abgelehnt (vgl. den Brief an Clara Weber vom 11. Februar 1895, unten, S. 69 f.). Nachdem von Stumm am 15. Februar 1895 in einem nunmehr von ihm namentlich gezeichneten Artikel erneut die Evangelisch-soziale Bewegung, die Kathedersozialisten und Adolph Wagner angegriffen hatte, sandte Max Weber einen dritten Artikel an die „Kreuzzeitung“. Dieser wurde angenommen und erschien wenige Tage später unter der Überschrift „Die Kampfesweise des Freiherrn v. Stumm“ in der Neuen Preußischen Zeitung (Kreuzzeitung), Nr. 96 vom 26. Februar 1895, Ab.Bl., S. 2 (MWG I/4, S. 512–519). Dieser Artikel, in dem Weber von Stumm bezichtigte, „persönliche Ehrenhändel politisch zu fruktifizieren“ (MWG I/4, S. 517) war darauf angelegt, Widerspruch zu provozieren. Anfang März erschien daraufhin in der „Post“ (Nr. 64 vom 6. März 1895, 1. Beilage, vgl. MWG I/4, S. 520, Anm. 4) der anonyme Artikel „Zweikampf und Ehrengericht“, in dem Max Weber scharf angegriffen wurde. Er reagierte darauf wiederum umgehend; am 12. März 1895 erschien von ihm unter dem Titel „Eingesandt“ ein weiterer Artikel in der Neuen Preußischen Zeitung (Kreuzzeitung), Nr. 119 vom 12. März 1895, Mo.Bl., S. 3 (MWG I/4, S. 520–523), in dem er erneut und abschließend den Stil im Umgang mit politischen Gegnern durch den Freiherrn von Stumm brandmarkte.
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Freiburg, 1. 2. 95. Lieber Alfred! Auf vorstehende unglaubliche Zusendung K[aerger]s1 hin habe ich mir weitere Korrespondenz verbeten2 und ihm nur bemerkt, daß, wenn er so wenig Ehrgefühl habe, um versuchen zu wollen, als „Geduldeter“ in unserm Kreise zu verkehren, ich gewiß mich nicht für befugt erachten würde, mich dem zu widersetzen. Unser Vertrauen habe er so schnöde mißbraucht, daß, nun er da bliebe, für mich wirkliche Kameradschaft zu ihm für alle Zeit ausgeschlossen sei, auch wenn das Gericht auf Grund der Umstände, daß für seine Beurteilung erhebliche Tatsachen unbekannt blieben, ihn freisprechen sollte. Was die staatswissenschaftliche Vereinigung3 anlangt, so meine ich nur das Eine: der Widerspruch jedes Mitglieds muß genügen, K[aerger]’s Verbleiben darin unmöglich zu machen. Und für absehbare Zeit kann wohl in keinem Fall davon die Rede sein. Im Übrigen hat ja diese Erwägung jetzt hinlänglich Zeit. Was den „Eindruck in der Unterredung“ anlangt,4 so brauchen wir ja gegen E[vert] 5 kein Hehl daraus zu machen, welches derselbe war: die bestimmte Überzeugung, daß er sich eben faktisch vergessen hat. Das glaubt ja auch im Grunde doch jeder. Die einzige Frage ist doch für den Fall der Freisprechung die: ob man sich trotzdem auf einen formellen Standpunkt stellen kann und will. Für ganz unmöglich kann ich das nach Verlauf längerer Zeit nicht gerade halten. Schwer scheint es mir, und ich bin froh, meinerseits nicht vor die Frage gestellt zu werden. Aber wie gesagt: wenn auch nur Einer Bedenken hat, so gehen diese m.E. K[aerger]’s Interessen vor. Nachschrift. Bitte habe ein Auge auf die „Post“ und schicke sie mir, wenn sie etwas gegen mich bringt. Ich habe der Kreuzzeitung einen Artikel über Stumm geschickt, der sehr scharf persönlich ist. Ich weiß nicht, ob sie ihn aufnimmt.6 Falls etwas geschieht, muß ich wissen, was Stumm antwortet, und hier ist die „Post“ nicht aufzutreiben. – 1 Möglicherweise bezieht sich Max Weber auf die Zusendung von Maté-Tee durch Karl Kaerger, die er bereits in dem Brief an seinen Bruder vom 28. Jan. 1895, oben, S. 66, als „Geschmacklosigkeit“ bezeichnet hatte. 2 Ein entsprechender Brief an Karl Kaerger ist nicht nachgewiesen. 3 Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 15. Jan. 1895, oben, S. 54. 4 Vgl. dazu den Brief an Alfred Weber vom 28. Jan. 1895, oben, S. 65 f. mit Anm. 4. 5 Georg Evert. 6 Der Artikel wurde abgelehnt, vgl. den Brief an Clara Weber vom 11. Febr. 1895, unten, S. 69. Ein Manuskript oder Entwurf dieses Artikels ist nicht überliefert.
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11. Februar 1895
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Clara Weber 11. Februar 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 3, Bl. 3 Der Brief bezieht sich auf die Auseinandersetzung zwischen Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg und Adolph Wagner und auf die damit verbundene publizistische Kontroverse anläßlich der sogenannten „Umsturzvorlage“ (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 1. Februar 1895, oben, S. 67).
Fr. i.B. 11. II. 95 Liebes Clärchen,
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das Buch schicke ich gleichzeitig hiermit,1 bitte sage „Vater“, daß ich es inzwischen von Pernice2 zur Besprechung erhielt und darüber ganz vergaß, daß ich es |:schon:| von ihm hatte, sonst hätte ich es schon zurückgeschickt. Warum ist er denn nicht zu uns gekommen? Alfred sage bitte, daß mein erster Artikel über Stumm von Herrn von Hammerstein3 beanstandet worden sei, weil er für Herrn v. Stumm zu beleidigend sei, indem er schrieb: „wenn er“ (Herr v. H[ammerstein]) „die Beleidigung eines Gegners für nötig erachte, schreibe er sie lieber selbst“; – als ich ihn dann höflicher gefaßt hätte, habe er mir zurückgeschrieben: „bei der großen Empfi ndlichkeit des Kaisers gegen Andeutungen, wie die, daß er unter dem Einfluß des Herrn v. Stumm stehe, würde es von der ‚Kreuzzeitung‘ unklug sein, einen Artikel, der das offen ausspreche, zu nehmen.“ Da wir aber wohl noch eine etwas strammere Erklärung gegen das „Umsturzgesetz“ machen würden, so würde Herr v. Stumm sein großes Maul wohl noch einmal aufthun und ich dann in den „Grenzboten“ oder irgendwo aihm darauf schlagen.a4 a losschlagen. > ihm darauf schlagen. 1 Um welches Buch es sich handelt, ließ sich nicht ermitteln. In ihrem Brief an Helene Weber vom 10. Febr. 1895 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) hatte Marianne Weber bereits angekündigt, Max werde das Buch suchen und an seine Schwester Clara schicken. 2 Es handelt sich um Alfred Pernice, seit 1880 Redaktionsmitglied der „Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte“ (Romanistische Abteilung). Max Weber hatte bereits 1893 auf seine Anfrage hin eine Rezension in der Zeitschrift veröffentlicht (vgl. [Rezension von:] Silvio Perozzi: Perpetua causa nelle servitù prediali romane, ediert in: MWG I/6, S. 71–81). 1895 hat Weber allerdings keine Rezension für die Zeitschrift der Savigny-Stiftung verfaßt. 3 Wilhelm Freiherr von Hammerstein war Chefredakteur der „Neuen Preußischen Zeitung (Kreuzzeitung)“. 4 Zur Erklärung gegen die „Umsturzvorlage“ vgl. MWG I/4, S. 872–884, bes. S. 874–877.
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11. Februar 1895
Heut muß ich zu Bett, Marianne grüßt schönstens und schläft jetzt schon, ebenso bald Dein Max
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Alfred Weber 24. [Februar] 1895; Freiburg i. Br. Abschrift; maschinenschriftlich ohne Schlußformel, mit Korrekturen von der Hand Marianne Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 4, Bl. 41 Der Brief wurde von Marianne Weber irrtümlich auf den 24. Januar (statt Februar) 1895 datiert. Die Datierung ergibt sich eindeutig aus dem Inhalt des Briefes. Der Brief steht im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwischen Adolph Wagner und dem saarländischen Schwerindustriellen Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg; vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 1. Februar 1895, oben, S. 67.
Freiburg, den 24. 2.a 95. Lieber Alfred!
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Anliegend den Abzug des zweiten Artikels über Stumm, der wegen „Majestätsbeleidigung“ abgelehnt wurde.1 Der dritte, der den Kaiser möglichst aus dem Spiel ließ, ist nicht aufgenommen worden, 2 weil Wagner inzwischen ankündigt, daß er in der „Zukunft“ loslegen wolle.3 Er wird es sicherlich möglichst ungeschickt machen, ich glaube, die Ohrfeige, die ich Stumm verabfolgen wollte, hätte die Sache einfach tot gemacht resp. den Ingrimm dieses Preisochsen auf mich abgelenkt. – So hat Stumm die Genugtuung, die Blamage der Affaire Schmoller– Kaufmann hervorgerufen zu haben,4 – für den ersteren wieder sehr a In Abschrift: 1. 1 Die ersten beiden von Max Weber an die Kreuzzeitung geschickten Artikel wurden abgelehnt. Zu den näheren Umständen, vgl. auch den Brief an Clara Weber vom 11. Febr. 1895, oben, S. 69 f. Die beiden Einsendungen sind nicht überliefert. 2 Der Artikel erschien zwei Tage später unter der Überschrift „Die Kampfesweise des Freiherrn v. Stumm“ in der Neuen Preußischen Zeitung (Kreuzzeitung), Nr. 96 vom 26. Febr. 1895, Ab. Bl., S. 2 (MWG I/4, S. 517–519). 3 Adolph Wagner veröffentlichte in der „Zukunft“ eine Reihe von Artikeln zu seiner Auseinandersetzung mit von Stumm. Vgl. Wagner, Adolph, Mein Konflikt mit dem Großindustriellen und Reichstags-Abgeordneten Freiherrn von Stumm-Halberg. Erster Theil, in: Die Zukunft, Band 10, 16. Febr. 1895, S. 303–320; Zweiter Theil, in: ebd., 25. Febr. 1895, S. 349–365, sowie: Meine Duellangelegenheit mit dem Freiherrn von Stumm, in: ebd., 2. März 1895, S. 408–427. 4 Gustav Schmoller hatte offensichtlich Richard von Kaufmann(-Asser), der an der Technischen Hochschule Charlottenburg Nationalökonomie lehrte, gesellschaftlich ausgrenzen wollen, nachdem dieser sich in der Auseinandersetzung Wagner – von Stumm auf die Seite von Stumms gestellt hatte. Kaufmann stand den „Kathedersozialisten“ kritisch gegenüber. Er fühlte sich anscheinend durch diese, auch die Besetzung der Lehrstühle do-
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charakteristisch und wenig ehrenvoll. Ich werde nun vielleicht zur zweiten Beratung des Gesetzes5 in denb Grenzboten oder dergl. schreiben,6 sicher dann, wenn Herr von Eynern loslegt.7 . . .c Auf die Einladung an Mama habe ich einen Brief vom Papa erhalten, welcher neben drei Seiten geradezu widerwärtiger Klagetöne über eigenes Befi nden den Besuch auf Juni verschob, da jetzt noch drei Gesellschaften sein müßten. Nachträglich hat er sich natürlich wieder salviert wie Mama schreibt.8 Hier geht das Semester, durch Fastnacht unterbrochen, rapid zu Ende.9 Man wird dann wohl endlich ruhig arbeiten können. Inzwischen hat man allerhand Ärger: Es ist doch, als ob auf mir die Verwünschung haftete, überall gerade rechtzeitig zu kommen, um Henkersdienste zu verrichten. Hier müssen wir einen Kollegen wegen allgemeiner Unanständigkeit der Gesinnung disziplinieren, b In Abschrift: die
c Auslassungszeichen in Abschrift.
minierende Richtung der jüngeren Schule der Historischen Nationalökonomie, deren Haupt Gustav Schmoller war, in seinem Aufstieg benachteiligt. Zum Hintergrund vgl. Tennstedt, Florian, Hugo Thiel und der Verein für Sozialpolitik, in: Zeitschrift für Sozialreform, 34. Jg., 1988, Heft 9, S. 534. 5 Gemeint ist der „Entwurf eines Gesetzes, betreffend Änderungen und Ergänzungen des Strafgesetzbuchs, des Militärstrafgesetzbuchs und des Gesetzes über die Presse“, kurz die „Umsturzvorlage“ genannt, mit der erneut gegen die Sozialdemokratie vorgegangen werden sollte. Die zweite Beratung fand am 8. und 9. Mai 1895 im Reichstag statt. Die Vorlage wurde am 10. und 11. Mai 1895 vom Reichstag abgelehnt. Vgl. Schulthess 1895, S. 130–136. 6 Max Weber hat anläßlich der zweiten Beratung der „Umsturzvorlage“ keinen Artikel geschrieben, er hat sich aber an der Veröffentlichung einer Erklärung gegen die Umsturzvorlage, die am 3. März 1895 in der „Hilfe“ und am 14. März 1895 in den „Grenzboten“ erschien, beteiligt (MWG I/4, S. 872–884). 7 Ernst von Eynern war Fraktionsführer der Nationalliberalen Partei im Preußischen Abgeordnetenhaus. Er galt als Vertreter großindustrieller Interessen und war ein Gegner der „Kathedersozialisten“. Anläßlich der Beratung des Kultusetats nahm er am 2. März 1895 im Preußischen Abgeordnetenhaus scharf gegen letztere Stellung und kritisierte die Besetzungspolitik des preußischen Kultusministers. Vgl. Schulthess 1895, S. 62. Max Weber hat auch anläßlich dieses Angriffs von Eynerns keinen Artikel veröffentlicht. Bekannt ist aber eine implizite Attacke auf von Eynern in seinem Vortrag „Die nationalen Grundlagen der Volkswirtschaft“ vom 12. März 1895 (MWG I/4, S. 727 mit Anm. 5). 8 Der Brief Max Webers an Helene Weber ist ebensowenig wie die übrigen genannten Briefe in den Familienkorrespondenzen (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) nachgewiesen. Erst Anfang August fand ein kurzer Besuch Helene Webers in Freiburg statt (vgl. den Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 4. Aug. 1895, ebd.). 9 Die Vorlesungszeit endete in Baden in der Regel in der ersten Märzwoche (vgl. das Schreiben des engeren Senats der Universität Heidelberg an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 4. Dez. 1891, UA Heidelberg, RA 6587, Nr. 699). Der Fastnacht-Dienstag fiel auf den 26. Februar 1895.
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und natürlich, da andere sich ekeln, bleibt auf mir die angenehme Aufgabe sitzen, die Aktion ins Werk zu setzen10 . . .d
d Ende der Abschrift mit Auslassungszeichen. 10 Am 26. Januar 1895 beriet die Philosophische Fakultät erstmalig über ihr Mitglied, den Professor der Chemie Adolph Claus, der den Fakultätssitzungen fernblieb und seine Lehrverpflichtungen vernachlässigte (UA Freiburg i. Br., B 3/795, Sitzungen der Gesamtfakultät, 1894–1911, Protokollbuch, S. 15); am 14. Februar 1895 griff Max Weber diese Vorwürfe nochmals auf, indem er eine Korrektur des Protokolls der vorausgehenden Sitzung beantragte, aus diesem ginge nicht klar hervor, wogegen Claus verstoßen habe „und wie derselbe sich ihnen [den Vorwürfen] gegenüber verhalten habe. Es sei Herrn Prof. Claus andauernde Pflichtverletzung vorgeworfen worden, und er habe diesen Vorwurf nicht zu widerlegen vermocht.“ (ebd., S. 16–17). Da inzwischen auch der Senat der Universität eine Aufklärung verlangte, wurde eine Kommission u. a. mit Max Weber gebildet und beauftragt, einen Bericht über die Vorgänge für den Senat abzufassen (ebd., S. 19–20). Am 23. Februar kam es unter der Teilnahme von Adolph Claus zu einer eingehenden Aussprache über den Fall, in die Max Weber wiederholt eingriff (ebd., S. 20–23).
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27. Februar 1895
Alfred Weber 27. Februar [1895]; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 4, Bl. 39 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes und dem handschriftlichen Zusatz Marianne Webers in der Datumszeile „95“ erschlossen. Der Brief steht im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwischen Adolph Wagner und dem saarländischen Schwerindustriellen Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg; vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 1. Februar 1895, oben, S. 67.
Fr. 27/2 Lieber Alfred! Du wirst inzwischen ersehen haben, daß die „Kreuzz[eitung]“ meinen Artikel |:nun:| doch aufgenommen hat1 – freilich mit mehreren Druckfehlern verunziert – nachdem sie ihn 1½ Wochen liegen ließ. Es ist doch unglaublich, was Hammerstein2 für ein Kerl ist. Offenbar führt er die Wendung in der Stimmung des Kaisers gegen die Agrarier3 auf Stumm zurück, und während er, solange es schien, als lächle die kaiserliche Gunst auch den Agrariern – daher fand er es „politisch zur Zeit unklug“ ihn zu nehmen4 – den Generalgewaltigen unangetastet ließ, holt er jetzt meinen Artikel aus der Schublade und wirft |:ihn:|a ihm an den Schädel! Ich bitte Dich nunmehr die „Post“5 zu observieren, damit ich, thut er das Maul auf, ihm alsbald wieder an die Gurgel springe [.] 6
a [für] > ihn 1 Vgl. dazu den Brief an Alfred Weber vom 24. Febr. 1895, oben, S. 71 mit Anm. 2. 2 Gemeint ist Wilhelm Freiherr von Hammerstein, Chefredakteur der „Neuen Preußischen Zeitung (Kreuzzeitung)“ und Mitglied der Konservativen Partei, die vorwiegend die Interessen des Großgrundbesitzes verfolgte, im Preußischen Abgeordnetenhaus und im Reichstag. 3 Anläßlich einer Audienz am 18. Februar 1895 hatte Wilhelm II. den Vorstand des Bundes der Landwirte ermahnt, sich jeder spektakulären Agitation zu enthalten. Vgl. Schulthess 1895, S. 47. 4 Vgl. dazu den Brief an Clara Weber vom 11. Febr. 1895, oben, S. 69. 5 „Die Post“ war das Publikationsorgan der großindustriell orientierten Deutschen Reichspartei, der auch von Stumm angehörte. 6 Vgl. dazu den Brief an Adolph Wagner vom 14. März 1895, unten, S. 77 mit Anm. 3.
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Wagner telegraphierte mir heute sehr erbaut. – Weizsäcker ist doch fast unglaublich!7 „Credo quia incredibile est“ sagt Augustinus.8 Herzlichen Gruß Max
7 Auf welche Person und welchen Sachverhalt Weber anspielt, konnte nicht ermittelt werden. Gemeint sein könnten Äußerungen des Tübinger evangelischen Theologen Carl Heinrich von Weizsäcker oder, weniger wahrscheinlich, des Frankfurter Kunsthistorikers Heinrich Weizsäcker, der der evangelisch-sozialen Bewegung und der Gruppe um Friedrich Naumann angehörte (vgl. MWG I/4, S. 887). 8 Die dem Kirchenvater Augustinus (354–430) zugeschriebene Formel: „credo quia absurdum est“ geht wahrscheinlich auf den frühen christlichen Schriftsteller Tertullian (150– 230) zurück (de carne Christi, V, 3): „Et mortuus est Dei Filius; prorsus credibile, quia ineptum est“ („Der Sohn Gottes ist gestorben; das ist völlig glaubhaft, weil es widersinnig ist.“) Vgl. auch MWG I/22-2, S. 356, Anm. 65.
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14. März 1895
Adolph Wagner 14. März 1895; Freiburg i. Br. Abschrift; von dritter Hand GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 3, Bl. 14 Zur Überlieferungslage vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Adolph Wagner, vor dem 12. Januar 1895, oben, S. 53. Im folgenden Brief geht es weiterhin um die Auseinandersetzung zwischen Adolph Wagner und dem saarländischen Schwerindustriellen Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 1. Februar 1895, oben, S. 67).
Schillerstr. 22. Freiburg i.B. 14/III 95 Hochgeehrter Herr Geheimrath! Mit verbindlichem Dank erhielt ich Ihre freundliche Sendung1 und danke zugleich |:auch:| für die mir seinerzeit übersendete Nummer der „Kreuzzeitung“, 2 in der Sie meiner Person freilich in einer so ehrenden Form gedenken, wie ich sie schlechterdings nicht ohne Widerspruch
1 Adolph Wagner hatte die Artikel, die er in der „Zukunft“ im Zusammenhang mit seiner Duellaffäre mit dem Freiherrn von Stumm veröffentlicht hatte (vgl. Brief an Alfred Weber vom 24. Febr. 1895, oben, S. 71, Anm. 3), als Broschüre herausgebracht (Wagner, Adolph, Mein Konflikt mit dem Großindustriellen und Reichstagsabgeordneten Freiherrn v. Stumm-Halberg. – Berlin: O. Häring 1895). Dem darin enthaltenen Nachwort vom 10. März 1895 zufolge (S. 56–72), war diese soeben erschienen. Auf ihre Zusendung bezieht sich Max Weber. Im Nachwort der Broschüre zitierte Wagner nicht nur Webers Artikel „Die Kampfesweise des Freiherrn v. Stumm“ ausführlich (S. 57 f.), sondern lobte auch ausdrücklich „dieses geradezu vernichtende Urteil eines auch in solcher Duellsache kompetenten jüngeren Fachgenossen“. Darüber hinaus dankte er „dem jungen Kollegen herzlich für dieses offene und muthige Hervortreten, bei welchem es ihm durchaus in erster Linie um die Sache zu thun war, mit der er mir aber auch einen persönlichen Dienst geleistet hat.“ (S. 58). 2 Außer der Broschüre hatte Adolph Wagner Max Weber offensichtlich auch seinen neuesten Artikel zugesandt, der in der Neuen Preußischen Zeitung (Kreuzzeitung), Nr. 109 vom 6. März 1895, Mo.Bl., S. 1, unter dem Titel „Die Kathedersozialisten und die Besetzung der Professuren der National-Ökonomie“ erschienen war. Darin wies Wagner erneut von Stumm-Halbergs Kritik an den Berliner Nationalökonomen zurück, die angeblich eine Besetzung von Lehrstühlen mit politisch Andersdenkenden verhinderten. Zur Widerlegung führte er eine Reihe von Beispielen an, u. a. die Berufung Max Webers nach Freiburg: „An Philippovichs Stelle wurde, speziell auch weil man in Agrarsachen einen Spezialisten wünschte, M. Weber als Ordinarius berufen, einer der bedeutendsten Talente der jüngeren Generation, zugleich auch ein vortrefflicher Jurist [. . .]. Unter den Kaufleuten ist auch diese Bemerkung nicht wegen Webers bestimmter sozialer Richtung, sondern wegen der wissenschaftlichen Bedeutung des Mannes allgemein gebilligt worden.“
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über mich ergehen lassen darf: ich betrachte mich auf 9 /10 des Gebietes, das ich vertreten soll, als Anfänger. Meine letzte Replik gegen den Anonymus der „Post“ werden Sie in der „Kreuzz[eitung]“ vom 12. d. M. wohl gesehen haben.3 Ich bin nunmehr mit diesem Herren fertig, und Ihre Brochüre hat nunmehr (hoffentlich) den Streit überhaupt defi nitiv erledigt. Mit einem solchen Wicht, der sich nicht scheut, Sie anonym! zum mindesten indirekt der Unwahrhaftigkeit zeihen zu lassen und dabei selbst fortgesetzt leichtfertig mit der Wahrheit umgeht, wird kein anständiger Mensch sich verpfl ichtet halten können weiter zu diskutieren. Daß er mich nicht – wie er gemußt hätte – fordern würde, darüber war ich von Anfang an keinen Augenblick im Zweifel. Statt dessen hat sein unglaublicher Freund Vopelius4 die Taktlosigkeit besessen, meinen Vater auf meine Erklärung anreden zu wollen, der ihn selbstverständlich abwies. Ich kann nur noch einmal wiederholen, daß es mir bei meinem Artikel keineswegs in erster Linie um einen Ausdruck der Anhänglichkeit an Ihre . . .a, sondern um die Zurückweisung einer rein objektiv betrachtet skandalösen Kampfesweise zu thun war, aber es war mir natürlich eine Freude dabei zugleich zum Ausdruck bringen zu können, daß wir Jüngeren ohne Unterschied der Anschauungsweise uns hierin mit Ihnen völlig identificieren. Mit den angelegentlichsten Empfehlungen bleibe ich Ihr in ausgezeichneter Hochachtung sehr ergebener Max Weber
a Auslassungszeichen in der Abschrift mit der Bemerkung, in eckigen Klammern: unlesbar; vielleicht „Persönlichkeit“? 3 Weber, Max, Eingesandt, in: Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung), Nr. 119 vom 12. März 1895, Mo.Bl., S. 3 (MWG I/4, S. 520–523). Max Weber reagierte damit auf einen anonymen Artikel in der „Post“ (Nr. 64 vom 6. März 1895, 1. Beilage, vgl. MWG I/4, S. 520, Anm. 4). Vgl. auch die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 1. Febr. 1895, oben, S. 67. 4 Richard Vopelius, von Stumms Vertrauter, hatte Adolph Wagner die Duellforderung überbracht.
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15. März 1895
Gustav Schmoller 15. März 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GStA PK, I. HA, Rep. 196, Nr. 67, Bl. 345 Max Weber wurde am 19. und 21. März 1893 in den Ausschuß des Vereins für Socialpolitik kooptiert (Protokoll der Ausschußsitzung vom 19. und 21. März 1893, GStA PK, I. HA, Rep. 196, Nr. 67, Bl. 3). In dem folgenden Brief entschuldigt er sich bei Gustav Schmoller, dem Vorsitzenden des Vereins für Socialpolitik, daß er an der bevorstehenden Ausschußsitzung in Berlin nicht teilnehmen kann. Die Sitzung fand am 17. März 1895 statt (Protokoll der Ausschußsitzung vom 17. März 1895, ebd., Bl. 263–264).
Freiburg i /B Schillerstraße 22 15. 3. 95. Hochgeehrter Herr Professor! Zu meinem Bedauern ist es mir unmöglich, zum Zwecke der Teilnahme an der Ausschußsitzung des Vereins für Sozialpolitik jetzt nach Berlin zu kommen, da ich mit der Fertigstellung verschiedener unaufschiebbarer Arbeiten befaßt bin.1 Ich muß deshalb bitten, mein Ausbleiben freundlichst entschuldigen zu wollen und verbleibe mit den angelegentlichsten Empfehlungen Ihr sehr ergebener Max Weber
1 In Frage kommen neben der Vorbereitung seiner für Mai geplanten Antrittsrede (Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik) Max Webers Arbeiten an dem Artikel „Börsenwesen“ für das Handwörterbuch der Staatswissenschaften (MWG I/5, S. 553–590, zur Datierung vgl. den Editorischen Bericht, S. 556) sowie an der zweiten Folge der „Ergebnisse der deutschen Börsenenquete“ für die Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht (MWG I/5, S. 353–411, mit Editorischem Bericht, S. 185–187).
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12. und 31. März 1895
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Verlag Vandenhoeck & Ruprecht [zwischen dem 12. und 31. März 1895; Freiburg i. Br.] Brief; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 494 (Archiv des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht), G 1888–1936, Tasche 07, Bl. 445 Das Datum und der Ort sind erschlossen aus dem beiliegenden Verlagsvermerk „Weber, Prof. Max Freiburg i/B., Ende März 95.“ sowie dem Kontext. Der Brief steht in Zusammenhang mit einer Anfrage des Verlags zur Veröffentlichung von Max Webers Vortrag „Die nationalen Grundlagen der Volkswirtschaft“ im Rahmen der von Friedrich Naumann herausgegebenen Göttinger Arbeiterbibliothek sowie der Niederschrift des zweiten Teils der Broschüre „Die Börse“ (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vom 5. Januar 1895, oben, S. 49).
Herrn Vandenhoeck und Ruprecht Göttingen Sehr geehrter Herr!
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Ob der Frankfurter Vortrag sich zur Veröffentlichunga eignet,1 ist mit recht fraglich. Bestimmt war er ursprünglich nicht dafür, auch müßte ich ihn erst aus dem Gedächtnis niederschreiben. Falls Pf[arrer] Naumann es wünschen sollte, würde ich den Versuch thun.2 „Börse“ II ist in voller Arbeit, macht sehr große Schwierigkeiten, ist hoffentlich bald fertig. Über die Enquete-Publikation3 hoffentlich in einigen Wochen Einiges. Mit besten Empfehlungen Max Weber a Unsichere Lesung. 1 Am 12. März 1895 hatte Max Weber im Evangelisch-sozialen Vortragsverein in Frankfurt am Main auf Einladung Friedrich Naumanns über „Die nationalen Grundlagen der Volkswirtschaft“ gesprochen (vgl. dazu die Presseberichte, in: MWG I/4, S. 720–728). Friedrich Naumann war zu dieser Zeit Vereinsgeistlicher der Inneren Mission in Frankfurt am Main. Der Bezugsbrief mit der Anfrage des Verlags ist im Verlagsarchiv nicht verzeichnet (vgl. Copier-Buch vom 28.7.1893–11.3.1897, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 494). 2 Wie aus einer Verlagsnotiz auf dem Brief Max Webers hervorgeht, holte der Verlag die Zustimmung Friedrich Naumanns für eine Veröffentlichung in der Göttinger Arbeiterbibliothek ein und wandte sich anschließend am 5. April 1895 erneut an Max Weber. Die vorgesehene selbständige Publikation ist nicht zu Stande gekommen. Weitere Korrespondenzen sind nicht nachgewiesen. 3 Vgl. dazu den Brief an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vom 5. Januar 1895, oben, S. 50 mit Anm. 3.
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Alfred Weber 17. Mai 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 4, Bl. 40–41 In dem Brief berichtet Max Weber über den Beginn seines zweiten Semesters in Freiburg, des Sommersemesters 1895. Darüber hinaus steht der Brief im Zusammenhang mit der „Affäre Kaerger“ (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 15. Januar 1895, oben, S. 54).
Fr. Schillerstr.a 22 17/V 95 Lieber Alfred! Vielen Dank für Deine beiden letzten Briefe, ich hätte den ersten s. Z. beantwortet, wenn nicht grade der Teufel in Gestalt des Semesteranfangs losgewesen wäre.1 Auch jetzt noch schwimme ich ziemlich mühsam von einem Colleg-Tag zum andern. Ich habe 3 Collegien neu zu machen und 2 Seminare, 2 an ersterer Überlastung ist mein Spezialcollege durch eine sehr ungehörige nachträgliche Änderungb einer Anzeige schuld.3 Nun, ich habe seine Beförderung zum Ordinarius – unter gewissen Garantien für künftige Umbesetzung meiner Stelle – in Fluß a O: Schillerst.
b 〈[??]〉
1 Die Vorlesungszeit begann in Baden in der Regel in der Zeit zwischen dem 21. und 30. April und nur bei besonders später Lage des Osterfestes, was 1895 nicht der Fall war, zwischen dem 23. April und 4. Mai. Vgl. das Schreiben des engeren Senats der Universität Heidelberg an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 4. Dez. 1891, UA Heidelberg, RA 6587, Nr. 699. 2 Es handelt sich um die vierstündige Vorlesung „Praktische Nationalökonomie (Volkswirtschaftspolitik)“ (MWG III/2), die beiden jeweils zweistündigen Spezialvorlesungen „Die deutsche Arbeiterfrage in Stadt und Land“ (MWG III/4) und „Agrarpolitik“ (MWG III/5) sowie das „Kameralistische Seminar“ und „Handelsrechtspraktikum“. Letzteres bot Max Weber an der Juristischen Fakultät an. Vgl. die Aufstellung in: MWG III/1, S. 55 f. 3 Die Vorlesung „Agrarpolitik“ wurde nicht im Vorlesungsverzeichnis angekündigt, Max Weber hat sie also auf die zitierte „nachträgliche Änderung“ seines Fachkollegen Gerhart von Schulze-Gaevernitz hin in sein Lehrangebot übernommen. Um welche Änderung es sich handelt, konnte nicht ermittelt werden. Gerhart von Schulze-Gaevernitz hat sich, dieses ist sicher, jedoch nicht beurlauben lassen, wie Marianne Weber (Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 213) vermutet, da er in einem Brief an Lujo Brentano vom 16. Aug. 1895 (BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr. 56) im Rückblick über ein „sehr befriedigend[es]“ Freiburger Sommersemester berichtet. Vgl. auch MWG III/5, S. 51 f. Möglicherweise hatte Gerhart von Schulze-Gaevernitz seine im Vorlesungsverzeichnis angekündigte Spezialvorlesung „Über russische Volkswirtschaftsverhältnisse“ kurzfristig abgesagt. Vgl. Verzeichnis der Freiburger Vorlesungen, SS 1895, S. 18.
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gebracht und ist sie erfolgt,4 so bin ich gesonnen, ihn zu nötigen die Pfl ichten eines solchen zu übernehmen. – Was K[aerger] anlangt, so zahlte er mir kürzlich plötzlich seine Schuld ab. Kommt er nach auswärts so ist das ja das Beste. 5 Ich nehme doch an, daß nicht etwa aus Rücksicht auf mich er am Donnerstag Abend fortbleiben soll, – sofern die Andren anderer Ansicht sind? Freilich würde ich letzteres nicht recht verstehen. Hirsch6 hat sich also richtig wieder in die Tinte gesetzt; ich verstehe nicht, daß er auf Buecks Sirenenklänge hineinfiel und nicht nach Hannover ging.7
4 Max Weber stellte wenig später, am 25. Juni 1895, einen Antrag bei der Philosophischen Fakultät auf Beförderung von Gerhart von Schulze-Gaevernitz vom a.o. zum o. Professor für Nationalökonomie. Dieser Antrag wurde zunächst, d. h. am 28. Juni 1895, abgelehnt. Die Ernennung zum o. Professor erfolgte erst ein Jahr später, und zwar im Juni 1896, im Zusammenhang mit der parallel dazu von Max Weber betriebenen Bildung der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät. Die entsprechenden Anträge Max Webers vom 25. und 28. Juni 1895 sind im Protokollbuch der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg (UA Freiburg i. Br., B 3/795, Philosophische Fakultät, Sitzungen der Gesamtfakultät, 1894–1911, S. 32–33; MWG I/13) festgehalten. Zur Bildung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät vgl. auch die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Friedrich Kluge vom 9. Mai 1896, unten, S. 198. 5 Max Weber hatte Karl Kaerger, während dieser unter Anklage stand, finanzielle Unterstützung für den Fall zugesagt, daß er sich im Ausland eine neue Existenz aufbauen wolle (vgl. den Brief an Alfred Weber vom 15. Jan. 1895, oben, S. 55). Offensichtlich hatte Kaerger dieses finanzielle Angebot von Max Weber angenommen. Am 1. August 1895 trat er als landwirtschaftlicher Sachverständiger seinen Dienst im Auftrag des Auswärtigen Amtes in Lateinamerika an. 6 Gemeint ist Wilhelm Hirsch. Hirsch gehörte den Erinnerungen des Nationalökonomen Hermann Schumacher zufolge ebenfalls dem Kreis junger Nationalökonomen, Juristen und Historiker an, die sich jeden Donnerstagabend in Berlin trafen ( „Ein Leben in der Wirtschaft, seinem Bruder Fritz Schumacher gewidmet“ (1949), Typoskript, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Historisches Archiv, Nl. Schumacher, Hermann, I, B-6a-x, S. 176–178, zitiert in: MWG I/4, S. 915). Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 15. Jan. 1895, oben, S. 54. 7 Henry Axel Bueck war zwischen 1886 und 1910 der Geschäftsführer des Centralverbandes Deutscher Industrieller. Offensichtlich hatte er Hirsch soeben eine, nicht näher bekannte Stelle angeboten, die dieser bis 1897 innehatte. Welche berufliche Alternative sich Wilhelm Hirsch in Hannover bot, konnte nicht ermittelt werden.
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Mit einem Burschen wie Schweinburg8 ist freilich nichts zu machen. Mit meiner Antrittsvorlesung9 hier habe ich übrigens Entsetzen über die Brutalität meiner Ansichten erregt, fast am zufriedensten waren die Katholiken, weil ich der „Ethischen Cultur“10 einen festen Tritt versetzt hatte. Ich denke [,] daß ich den Krempel drucken lasse. Wir nehmen also an, daß Du gg Ende Juli auf der Hinreise und Mitte September auf der Rückreise hier durch kommst. Wenn wir auch je nach den Umständen (den fi nanziellen nämlich) wohl für ca 5 Wochen uns ziemlich weit weg absentieren werden, so sind wir bis Mitte September wieder hier.11 Marianne hört mit Eifer dreierlei Vorlesungen, 2 philosophische – davon 1 ausgezeichnete bei Rickert12 – und eine über Goethe zum Abgewöhnen.13 Es geht ihr z. Z. mit recht unbedeutenden Unterbre8 Gemeint ist Victor Schweinburg, der spätere Begründer des Deutschen Flottenvereins. Er war Redakteur und Herausgeber mehrerer Nachrichten- und Pressedienste, die von der Schwerindustrie, namentlich dem Centralverband Deutscher Industrieller, finanziert wurden; er galt als Vertrauter von Henry Axel Bueck; ab 1896 sollte ihn Friedrich Alfred Krupp als Mittelsmann in Politik und Öffentlichkeit nutzen. In Regierungskreisen, vor allem in Süddeutschland, betrachtete man ihn als unseriös und auf finanzielle Vorteile erpicht. Vgl. Wolbring, Barbara, Krupp und die Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert. – München: Verlag C.H. Beck 2000, S. 74, S. 254–257. 9 Zu Max Webers Freiburger Antrittsrede, die er wenige Tage zuvor, am 13. Mai 1895, gehalten hatte, vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 18. Mai 1895, unten, S. 84. Sie erschien wenig später gedruckt in dessen Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) (Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik). 10 Max Weber bekannte sich in seiner Antrittsrede nachdrücklich zu einer machtvollen nationalstaatlichen Politik und grenzte sich mit scharfen Worten u. a. von der Gesellschaft für Ethische Kultur ab, die gesellschaftliche Reformen auf der Grundlage der ethischen Ziele des deutschen Idealismus verfolgte. Vgl. Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik, S. 573 mit Anm. 58. Zur Entstehung und Rezeption der Antrittsrede vgl. den Editorischen Bericht in: MWG I/4, S. 535–541. 11 Max und Marianne Weber bereisten von Mitte August bis Mitte September 1895 Schottland und Irland (vgl. die Briefe Max Webers dazu zwischen dem 13. Aug. und 12. Sept. 1895, unten, S. 95–146) sowie das Itinerar der Reise (im Anhang, unten, S. 904 f.). 12 Im SS 1895 wurden in Freiburg von dem Lehrstuhlinhaber für Philosophie Alois Riehl angeboten: „Die Probleme der Philosophie“, vierstündig, sowie „Das geistige Leben der Gegenwart in seinen Hauptströmungen“, einstündig. Heinrich Rickert, zu diesem Zeitpunkt außerordentlicher Professor, bot die vierstündige Vorlesung „Geschichte der neueren Philosophie (von der Renaissance bis Kant)“ an. Weitere Vorlesungen im Bereich „Philosophie“ gab der Ethnologe und außerordentliche Professor Ernst Grosse („Die Grundprobleme der Sociologie“, zweistündig, und „Ethnologische Übungen“, einstündig). Vgl. Verzeichnis der Freiburger Vorlesungen, SS 1895, S. 10. Vgl. auch Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 215. 13 Gemeint ist die dreistündige Vorlesung „Goethe“ des außerordentlichen Professors für Literaturgeschichte Richard Weissenfels. Vgl. Verzeichnis der Freiburger Vorlesungen, SS 1895, S. 14.
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chungen fast erstaunlich gut im Gegensatz zu früher, – mir nicht so besonders, aber in der That nicht in Folge von Überarbeitung, sondern von Influenza, die höchst widerwärtigen cKopf-Erscheinungencd aus dem Winter, wo ich sie hatte, beeinträchtigten meine Collegien bereits im Winter. Mit vielen Grüßen auch von Marianne Max
c Unsichere Lesung.
d 〈[diese]〉
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Paul Siebeck 18. Mai 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Die Übernahme des Verlags der Freiburger Antrittsrede (Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik) durch J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) steht am Anfang der lebenslangen Zusammenarbeit Max Webers mit Paul Siebeck. In diesem und den folgenden Schreiben an Paul Siebeck, vor oder am 27. Mai 1895, unten, S. 86, vom 20. Juni 1895, unten, S. 87, vor oder am 27. Juni 1895, unten, S. 88, zwischen dem 27. Juni und dem 6. Juli 1895, unten, S. 89, sowie vom 4. August 1895, unten, S. 93, geht es um die Übernahme, den Vertragsabschluß, die Drucklegung sowie die Übermittlung der gedruckten Exemplare der Antrittsrede. Am 22. Mai 1895 ließ Paul Siebeck Max Weber seine Bereitschaft mitteilen, die Antrittsrede zu verlegen (Brief von G. Zapf an Max Weber vom 22. Mai 1895, in: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 35, Bl. 385). Druckbeginn war der 27. Mai 1895 (Brief von Paul Siebeck an Max Weber vom 27. Mai 1895, ebd., Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 35, Bl. 409). Flankierend dazu wurde der Verlagsvertrag vorbereitet und am 20. Juni 1895 von Paul Siebeck und am 21. Juni 1895 von Max Weber unterzeichnet. Er sah eine Auflage von 1250 Exemplaren vor, des weiteren für Max Weber ein Honorar von 100 Mark sowie 50 Freiexemplare und weitere Exemplare zum Buchhändler-Nettopreis (vgl. den Verlagsvertrag, ebd., V2, Ausgesonderte Verträge, Kr–Z, Ablage W– Z=B4, 7–8). Zu Inhalt, Entstehung und Rezeption der Antrittsrede vgl. ausführlich den Editorischen Bericht, in: MWG I/4, S. 535–541.
Schillerstr.a 22 Freiburg i.B. 18/V 95 Herren J.C.bB. Mohr, Akademische Verlagsbuchhandlung, z.H. Herrn Verlagsbuchhändler Paul Siebeck hier
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Sehr geehrter Herr! Da ich von verschiedenen Seiten gefragt werde, ob ich meine Antrittsrede vom vorigen Montag1 über „Die Nationalität in der Volkswirtschaft“2 drucken lassen wolle, so gestatte ich mir an Sie die sehr erge-
a O: Schillerst.
b Buchstabe C. fehlt in O; sinngemäß ergänzt.
1 Max Weber hielt seine Antrittsrede am 13. Mai 1895. 2 Unter diesem Titel hatte Max Weber die Antrittsrede gehalten (vgl. die Berichte der Freiburger Zeitung, Nr. 111 vom 16. Mai 1895, S. 2, der Breisgauer Zeitung, Nr. 113 vom 15. Mai 1895, S. 2, sowie die Ankündigung in: Hochschul-Nachrichten, Nr. 56 von Mai 1895, S. 16).
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bene Anfrage, ob Sie eventuell zur Übernahme des Verlages derselben geneigt sein würden. Andernfalls würde ich dieselbe den „Preuß[ischen] Jahrb[üchern]“3 senden. – Worauf es mir ankommt [,] ist in erster Linie eine sehr erhebliche Zahl anc Freiexemplaren zur Versendung nach auswärts. – Die Rede dauerte 1 Stunde, sie muß durch Wiedereinfügung einer Partie, welche ich mit Rücksicht auf die Zeit fortließ und die sich mit der Methode der „histor[ischen] Schule“ befaßte,4 noch etwas ergänzt werden. Ich taxiere sie darnach auf etwa 1½–2 Bogen Umfang. Mit vorzüglicher Hochachtung Professor Max Weber
c Alternative Lesung: von Wie aus dem folgenden Schreiben an Paul Siebeck, vor oder am 27. Mai 1895, unten, S. 86, hervorgeht, änderte er im Verlauf der Drucklegung den Titel. Der endgültige Titel lautet: „Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik“. 3 Gemeint sind die Preußischen Jahrbücher, die von Hans Delbrück herausgegeben wurden und in Berlin erschienen. Max Weber hatte darin im September 1894 die kürzere Version eines Aufsatzes veröffentlicht: Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter (MWG I/4, S. 362–462). 4 Vgl. Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik, S. 561, Z. 23–S. 565, Z. 16. In dieser Passage setzt sich Max Weber kritisch mit der Methode der Historischen Schule der Nationalökonomie, der vorherrschenden Richtung der Nationalökonomie zu diesem Zeitpunkt, auseinander.
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27. Mai 1895
Paul Siebeck [vor oder am 27. Mai 1895]; BK Freiburg i. Br. Visitenkarte; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Verlagsvermerk: „27. V. 95.“ sowie dem Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 27. Mai 1895, in dem er Weber den Empfang der beiden Manuskriptsendungen bestätigte (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 35, Bl. 409). Das Schreiben steht im Zusammenhang mit der Drucklegung der Freiburger Antrittsrede (Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik). Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 18. Mai 1895, oben, S. 84.
Hochgeehrter Herr! Anbei gestatte ich mir Titel und Vorrede zu senden, sowie ein Blatt des Mscr., welches gestern versehentlich liegen blieb. Mit hochachtungsvoller Empfehlung Professor Max Weber Universität Freiburg i.B. Schillerstr. 22.
20. Juni 1895
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Verlag J.C.B. Mohr 20. Juni 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Der Brief steht im Zusammenhang mit dem Abschluß des Verlagsvertrags und dem Erscheinen der Freiburger Antrittsrede (Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik). Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 18. Mai 1895, oben, S. 84.
Schillerstr.a 22 20/VI 95
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Herren J.C.B. Mohr Akademische Verlagsbuchhandlung hier. Hochgeehrter Herr!
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Ich bitte ergebenst, mir außer den freundlichst zugesagten 50 Freiexemplaren noch 50 weitere unter gefl. Anrechnung auf das Honorar zustellen zu wollen1 und empfehle mich in ausgezeichneter Hochachtung Professor Max Weber Verlagsvertrag anbei zurück
a O: Schillerst. 1 Paul Siebeck bestätigte Max Weber noch am gleichen Tag die Vormerkung weiterer 50 Exemplare der Antrittsvorlesung gegen Anrechnung auf das Honorar (Paul Siebeck an Max Weber vom 20. Juni 1895, in: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 36, Bl. 72).
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27. Juni 1895
Paul Siebeck [vor oder am 27. Juni 1895]; BK Freiburg i. Br. Visitenkarte; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Verlagsvermerk: „27.VI.95.“ sowie dem Antwortbrief Paul Siebecks an Max Weber vom 27. Juni 1895, in: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 36, Bl. 97. Das Schreiben steht im Zusammenhang mit dem Erscheinen der Freiburger Antrittsrede (Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik). Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 18. Mai 1895, oben, S. 84.
Sehr geehrter Herr! Ich erbitte noch weitere 20 Expl. meiner Antrittsrede gegen baar.1 Falls Sie, wie ich annehme, auch an Zeitungen Expl. versenden, würde ich ergebenst anheimgeben, neben „Frankf[urter] Ztg“, „Kreuzztg“, 2 „Münchener Allgem[eine] Ztg“ auch das „Deutsche Wochenblatt“, die „Nation“ und die „Neue Zeit“ eventuell zu berücksichtigen.3 Mit vorzüglicher Hochachtung Professor Max Weber Universität Freiburg i.B. Schillerstr. 22.
1 Paul Siebeck sandte Max Weber umgehend 20 weitere Exemplare der Antrittsvorlesung (Brief von Paul Siebeck an Max Weber vom 27. Juni 1895, in: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 36, Bl. 97). 2 Gemeint ist die Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung). 3 Paul Siebeck bestätigte Max Weber die Übersendung der Rezensionsexemplare an die genannten Zeitungen mit Ausnahme der Neuen Preußischen Zeitung (Kreuzzeitung) (Brief von Paul Siebeck an Max Weber vom 27. Juni 1895, ebd.). Von den von Weber aufgeführten Zeitungen und Zeitschriften vermerkten nur die Frankfurter Zeitung, Nr. 179 vom 30. Juni 1895, 4. Mo.Bl., S. 1, sowie das Deutsche Wochenblatt, Nr. 28 vom 11. Juli 1895, S. 336, den Eingang. Zu Besprechungen in der Presse vgl. ausführlich den Editorischen Bericht zu: Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik, in: MWG I/4, S. 539 f.
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27. Juni und 6. Juli 1895
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Paul Siebeck [zwischen dem 27. Juni und 6. Juli 1895]; BK Freiburg i. Br. Visitenkarte; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Die Datierung ist erschlossen aus dem Verlagsvermerk: „6/7 95.“, sowie dem Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 27. Juni 1895, mit dem dieser Max Weber die Zusendung von 20 weiteren Exemplaren der Antrittsrede (Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik) zugesagt hatte (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 36, Bl. 97). Der Brief setzt die Korrespondenz Max Webers mit dem Verleger über Drucklegung und Erscheinen der Antrittsrede fort (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 18. Mai 1895, oben, S. 84).
Professor Max Weber
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bittet erg. um gefl. Zusendung von noch 5 Expl. seiner Antrittsrede. Auch wolle der Bote Quittung über die noch nicht beglichenen Expl. mitbringen. Hochachtungsvoll d.O.
Universität Freiburg i.B.
Schillerstr. 22.
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26. Juli 1895
Hans Delbrück 26. Juli 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nl. Hans Delbrück Der Brief steht in Zusammenhang mit der Zusendung eines Aufsatzmanuskripts von Hans Delbrück. Der entsprechende Brief von Hans Delbrück an Max Weber ist nicht überliefert. Aus den inhaltlichen Angaben Max Webers aber läßt sich schließen, daß es sich um den Aufsatz über die militärische Verfassung der Urgermanen und die Größe der germanischen Heere gehandelt hat, der unter dem Titel „Der urgermanische Gau und Staat“ (in: Preußische Jahrbücher, hg. von Hans Delbrück, Berlin, Band 81, 3. Heft, Juli bis September 1895, S. 471–501; hinfort: Delbrück, Urgermanischer Gau) erschien. Offensichtlich hatte Delbrück Max Weber hierbei um Rat bei der Zusammenstellung des Zahlenmaterials gebeten.
Fr. i.B. Schillerstr.a 22 26/VII 95 Sehr geehrter Herr College! Besten Dank für Ihre Zusendung.1 Sie interessierte mich sehr und hat mich, was die Zahlengrundlagen |:und die Schlüsse über den Charakter der german[ischen] Heere:| anlangt, durchweg völlig überzeugt [.] 2 (Leider konnte ich Ihnen hierbei nicht nützlich sein. Der Versuch, aus meinen auf die Jetztzeit bezüglichen Tabellen3 irgend welche für Sie brauchbare Zahlen zu entnehmen, gelang durchaus nicht, es sind allzu incommensurable Größen). –
a O: Schillerst. 1 Der entsprechende Brief von Hans Delbrück an Max Weber ist auch nicht als Entwurf im Nachlaß Hans Delbrück nachgewiesen, da die dafür infragekommenden Briefkonzeptbücher erst 1899 einsetzen. 2 Weber bezieht sich auf den ersten Teil der Erörterungen Delbrücks über die Größe der Heere in Bezug auf Bevölkerungszahl und Siedlungsweise. Delbrück veranschlagte die Größe der Heere als wesentlich kleiner als bislang angenommen. Vgl. Delbrück, Urgermanischer Gau (wie oben, Editorische Vorbemerkung), S. 471–493. 3 Seit 1894/95 verfolgte Max Weber ein agrarstatistisches Projekt, in dem er nachweisen wollte, daß der landwirtschaftliche Großbesitz im Osten zur Entvölkerung führe, der bäuerliche Besitz im Westen aber zur Bevölkerungsstabilität. Er setzte in diesem Zusammenhang Zahlenmaterial aus den preußischen Gemeindelexika zur jeweiligen Kreisgebürtigkeit mit der Größe der in dem jeweiligen Landkreis dominierenden landwirtschaftlichen Betriebe in Beziehung. Vgl. ausführlich dazu: Aldenhoff-Hübinger, Einleitung, in: MWG III/5, S. 35–39. Delbrück dürfte sich auf dieses Material, das Weber kurz zuvor auch in seiner Freiburger Antrittsrede (Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik) verwandt hatte, beziehen.
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Noch nicht überzeugt bin ich von der Richtigkeit Ihrer Theorie der Hundertschaft.4 Als Bezirk kennt sie ja doch nur die Hälfte der Germanen und |:im Allgemeinen:| nur die, welche auf römischem Boden erobernd vorgingen und dabei neue Bauernsiedlungen vornahmen (Franken, Angelsachsen, Alemannen), – daneben nur die Nordischen Völker (auch nicht alle), |:– und seit wann?:| Undb wie stimmt die Identifi kation von Geschlecht und Hundertschaft zu den Funktionen der Sippe. Oder sollen Sippe und „Genealogie“ etc. etwas Verschiedenes sein? – Kurz, hierüber muß ich weiter nachdenken, werde im Winter, wo ich Deutsche Rechtsgeschichte lese, dazu ja Gelegenheit haben.5 – Was soll nun mit Stöcker im Evang[elisch]-Sozialen Congreß werden?6 Mir thut Naumann bei der Sache leid, der nach Allem kaum defi nitiv die Brücken zu ihm abbrechen kann. Beste Empfehlungen und collegialen Gruß Ihr Max Weber
b und > Und 4 Delbrück identifizierte die frühgermanischen Siedlungsformen mit den militärischen Einheiten der „Hundertschaft“; er vertrat die Auffassung einer „Ureinheit von Gau, Hundertschaft, Geschlecht, Markgenossenschaft, Dorf“ in frühgermanischer Zeit. Delbrück, Urgermanischer Gau (wie oben, S. 90, Editorische Vorbemerkung), S. 493–501, Zitat: S. 500. 5 Max Weber bot im WS 1895/96 die vierstündige Vorlesung „Geschichte des deutschen Rechts“ an, von der jedoch kein Manuskript überliefert ist. Die für das WS 1896/97 erneut angekündigte Vorlesung „Deutsche Rechtsgeschichte“ hat er nicht gehalten. Zu den näheren Umständen vgl. Mommsen, Einleitung, in: MWG III/1, S. 11 f. Eine Auseinandersetzung mit Delbrücks Thesen ist daher erst 1904 nachweisbar. Vgl. Weber, Max, Der Streit um den Charakter der altgermanischen Sozialverfassung (MWG I/6), S. 228–299, bes. S. 269 und 284. 6 Anspielung auf die sich verschärfenden Richtungskämpfe im Evangelisch-sozialen Kongreß. Nach dem sechsten Zusammentreffen vom 4. bis 6. Juni 1895 in Erfurt war ein Teil des sozial-konservativen Flügels ausgetreten, während Adolf Stoecker, der Exponent der konservativen Richtung, noch bis 1896 im Evangelisch-sozialen Kongreß verblieb. Stoekker geriet seit Juli 1895 indessen durch den Sturz seines politischen Vertrauten, des Redakteurs der „Neuen Preußischen Zeitung (Kreuzzeitung)“, Wilhelm von Hammerstein, dem Unterschlagung von Geldern vorgeworfen wurde, selber immer stärker unter Druck. Schulthess 1895, S. 153 und 164; Pollmann, Klaus Erich, Landesherrliches Kirchenregiment und soziale Frage. Der evangelische Oberkirchenrat der altpreußischen Landeskirche und die sozialpolitische Bewegung der Geistlichen nach 1890. – Berlin, New York: Walter de Gruyter 1973, S. 174.
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27. Juli 1895
Ferdinand Bissing [27. Juli 1895; Freiburg i. Br.] Brief; eigenhändig Stadtarchiv Bielefeld, 300,6/Sammlung Autographen, Nr. 1175 Datum und Ort sind erschlossen aus dem Leserbrief Max Webers an die Redaktion der Breisgauer Zeitung vom 27. Juli 1895 (Stadtarchiv Bielefeld, 300,6/Sammlung Autographen, Nr. 1174, ediert in: MWG I/4, S. 577 f.). Beide Briefe, das im folgende edierte Anschreiben und der Leserbrief, waren an den Nationalliberalen Ferdinand Bissing gerichtet, der zwischen 1878 und 1900 alleiniger Redakteur der „Breisgauer Zeitung“ war (vgl. Haffner, Oskar, Geschichte und Entwicklung der Freiburger Tagespresse. Zweiter Teil: Von 1850 bis zur Gegenwart, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Beförderung der Geschichts-, Altertums- und Volkskunde von Freiburg, dem Breisgau und den angrenzenden Landschaften, 35. Band, 1919, S. 1–52, hier: S. 34 f.). Max Weber hatte sich anläßlich des 80jährigen Bestehens der Freiburger Burschenschaft Allemannia kritisch zu den Studentischen Corps geäußert und einem Bericht der „Breisgauer Zeitung“ zufolge darüber gesagt: „Einer Burschenschaft wäre es auch niemals vorgekommen, daß sie einen Bismarck zuerst aus ihren Reihen gestoßen, und als er ein berühmter, einflußreicher Mann geworden, ihn demüthig eingeladen hätte, wieder einzutreten.“ (Vgl. den Bericht über die Rede Max Webers am 20. Juli 1895 in Freiburg: [Über Burschenschaften und Corps], MWG I/4, S. 731). Dem widersprach ein Angehöriger des Corps Hannovera, dessen Mitglied Bismarck war, in einer am 26. Juli 1895 in der „Breisgauer Zeitung“ veröffentlichten Zuschrift. Max Weber reagierte darauf umgehend mit einem Leserbrief, den er mit dem im folgenden edierten Anschreiben Ferdinand Bissing zusandte. In dieser Leserzuschrift schloß er einerseits die Möglichkeit eines Irrtums seinerseits nicht ganz aus, warf aber andererseits der „Breisgauer Zeitung“ vor, seine Rede nicht wörtlich wiedergegeben, sondern ihr eine „gradezu injuriöse Form“ gegeben zu haben. Max Webers Leserbrief wurde in der Breisgauer Zeitung, Nr. 175 vom 30. Juli 1895, S. 2, wortgetreu und ohne Kürzung veröffentlicht; er ist, wie der Bericht über Max Webers Rede vom 20. Juli 1895, in Abteilung I der MWG ediert (vgl. Weber, Max, [Die Couleurschicksale des Fürsten Bismarck], MWG I/4, S. 577 f., das Zitat S. 578; zum Hintergrund vgl. die Editorischen Berichte, ebd., S. 575 f. und 729 f.).
Sehr geehrter Herr Redakteur! Ich bitte Sie sehr ergebenst um geneigte unverkürzte Aufnahme des anliegenden Schreibens in Ihr geschätztes Blatt. Mit ausgezeichneter Hochachtung Prof. Max Weber
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Verlag J.C.B. Mohr PSt 4. August 1895; PSt Freiburg i. Br. Karte; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Das Schreiben bezieht sich auf die Versendung von Exemplaren der Freiburger Antrittsrede (Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik). Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 18. Mai 1895, oben, S. 84.
Herrn J.C.B. Mohr Akademische Verlagsbuchhandlung
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Ich bitte je ein Expl. meiner Antrittsrede zu senden an: Herrn Baurath Professor Tiede1 Berlin, SW Dessauerstr. 29 und Herrn Privatdocenten Dr Simmel2 Berlin Universität und mich gelegentlich freundlichst, falls ich in nächster Zeit nicht Gelegenheit haben sollte vorzusprechen, an Erstattung zu erinnern [.] Hochachtungsvoll Prof. Max Weber
1 August Tiede. 2 Georg Simmel.
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Paul Siebeck 7. August 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Dieser und der folgende Brief an Paul Siebeck vom 23. September 1895, unten, S. 149, stehen im Zusammenhang mit einer Anfrage des Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes, Ernst Hasse, an Max Weber. Die Anfrage selbst ist nicht überliefert. Wie sich aber aus dem im folgenden edierten Brief sowie der Antwort Paul Siebecks darauf vom 12. September 1895 ergibt, wollte Hasse Auszüge aus Max Webers nationalpolitisch zugespitzter Freiburger Antrittsrede (Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik) in drei Nummern des Presseorgans des Alldeutschen Verbandes (Alldeutsche Blätter. Mitteilungen des Alldeutschen Verbandes) veröffentlichen. Paul Siebeck machte seine Zustimmung zu diesen Plänen von drei Bedingungen abhängig: es dürfe nicht die ganze Antrittsrede, sondern nur ein ausführlicher Auszug mit Quellenangabe abgedruckt werden; die drei Nummern der Alldeutschen Blätter, die die Auszüge enthalten sollten, dürften nicht separat verkauft werden und drittens müsse eine Verlagsanzeige zur Antrittsrede unentgeltlich mit aufgenommen werden (Paul Siebeck an Max Weber vom 12. September 1895, in: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 36, Bl. 424). Max Weber bat Paul Siebeck daraufhin, die zweite Bedingung ganz fallen zu lassen; bezüglich der ersten und dritten Bedingung erklärte er sich einverstanden (Brief an Paul Siebeck vom 23. September 1895, unten, S. 149). Paul Siebeck verzichtete daraufhin auf seine zweite Bedingung, als er am 24. September 1895 die Verhandlungen mit Ernst Hasse aufnahm (Paul Siebeck an Max Weber vom 24. September 1895, in: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 36, Bl. 500). Entsprechende Auszüge sind in den Alldeutschen Blättern nicht erschienen.
Freiburg i.B. 7. VIII. 95 Herrn J.C.B. Mohr Freiburg Anbei übersende ich Ihnen ergebenst einen Brief des Herrn Professor Dr Hasse in Leipzig. Ich nehme an, daß auch Sie gegen den beabsichtigten ausführlichen Auszug mit Quellenangabe nichts zu erinnern finden werden, habe aber selbstverständlich Herrn Prof. Hasse nur unter Vorbehalt Ihrer Zustimmung dieselbe gestatten zu können erklärt.1 Mit vorzüglicher Hochachtung Prof. Max Weber
1 Ein entsprechender Brief Max Webers an Ernst Hasse ist nicht nachgewiesen.
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Fritz Baumgarten 13. August [1895]; BK Edinburgh Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 7, Bl. 65–66 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen. Diesen und alle nachfolgenden Briefe von Mitte August bis Mitte September 1895 schrieb Max Weber von seiner mit Marianne Weber unternommenen Reise nach Schottland und Irland. Dorthin zu fahren hatten sie bereits nach ihrer Hochzeit im September 1893 erwogen, wegen Zeitknappheit und der späten Jahreszeit damals aber wieder verworfen (vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 552 f.). An Pfingsten 1895 erwähnte Marianne Weber bereits eine geplante Schottlandreise (vgl. den Brief von Marianne Weber an Helene Weber, undat. [1. Juni 1895], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) und im Juli 1895 teilte sie ihrer Schwiegermutter mit: „Max scheint es sehr nach dort zu ziehn, er will wohl zugleich sich die keltische Landbebauungsart ansehen“ (Brief von Marianne Weber an Helene Weber, undat. [Juli 1895], ebd.). Marianne Weber erhoffte sich von dieser Reise offensichtlich vor allem Erholung für ihren Ehemann, dessen tägliches Arbeitspensum sie ebenso kritisch sah wie sein – nach ihrem Eindruck – zu ausgiebiges gesellschaftliches Leben. An ihre wiederholten Klagen über sein häufiges abendliches Ausgehen und den damit verbundenen Alkoholkonsum anknüpfend, berichtete sie in einem weiteren Brief von Juli 1895 nach Charlottenburg: „Er vertröstet mich jetzt immer auf Schottland, da wolle er auch alles thun, was ich beföhle u. es gäbe dort ja auch nichts Gutes zu trinken.“ (Marianne Weber an Helene Weber, undat. [Juli 1895], ebd.). Anfang August teilte sie Helene Weber dann mit: „Max studiert heute Kursbuch u. Bädecker [!] u. wir ergehen uns schon in Vorfreuden.“ (Brief von Marianne Weber an Helene Weber, undat. [4. August 1895], ebd.). Diese Vorbereitung deutet bereits an, daß es sich um eine landeskundlich-touristische Reise handelte, vielfach den Routenvorschlägen des mitgeführten Baedekers folgend. Aus Max Webers Reisebriefen selbst sowie aus den Reiseaufzeichnungen Marianne Webers läßt sich der Verlauf ihrer Reise rekonstruieren. In der Nacht zum 11. August 1895 fuhr das Ehepaar über Ostende und Dover nach London. Von London reiste es am 12. August mittags nach Edinburgh und am folgenden Tag weiter, um die schottischen Highlands zu erkunden (Marianne Weber, „Schottland 1895“, Eintrag 14. August 1895 [1–5]), Tage- und Notizbücher Marianne Webers, Nr. V., Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Nach einer guten Woche Aufenthalt in den Highlands ging es am 20. August an die schottische Westküste, um von dort aus ein Seebad aufzusuchen. Da dieser Plan scheiterte, verbrachten Max und Marianne Weber noch einige Tage auf der Insel Skye und auf dem schottischen Festland. Die zweite Hälfte ihrer Reise führte sie nach Irland. Nach einem kurzen Aufenthalt in Dublin, am 1. September 1895, begab sich das Ehepaar Weber in den Südwesten, wo es sich weitere zwei Wochen aufhielt und zahlreiche Ausflüge unternahm. Am 13. September, fast genau einen Monat nach ihrer Ankunft in Schottland, verließen Max und Marianne Weber den Südwesten Irlands. Nach einem Wochenende in Wales verbrachten sie noch jeweils einen Tag in Chester, Liverpool und Oxford. Am 18. September mittags traten sie dann von London aus die Rückreise an und trafen – nach kurzem Aufenthalt in Straßburg – am 19. September 1895 wieder in Freiburg ein (zu den einzelnen Stationen der Reise vgl. das Itinerar, Anhang III, unten, S. 904 f.). Marianne Weber kommentierte die Reise rückblickend: „Das ist endlich ein köstliches Aufatmen und Zu-sich-kommen!“ (Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 218). Max Weber selbst ließ seine Mutter auf der Fahrt nach Oban wissen: „ein solches Gefühl von Entlastung nach jeder Hinsicht haben wir bisher noch niemals gekannt“ (Brief an Helene Weber vom 28. August 1895, unten, S. 120).
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The Bedford Hotel, 83 Princes Street. Edinburgh. 13/VIII Lieber Fritz! Nur einen herzlichen Gruß von hier, da ich Dich leider verfehlte. Die Fahrt bis Ostende war eine greuliche Strapazea, weniger an sich als wegen des heillosen Drecks, den man sich auf sich anhäufen fühlte und von dem man sich nicht säubern konnte. Auf der See wurde es etwas windig. Um uns herum begann die Seekrankheit sich einzustellen, was keine Freude war. Nur eine Genugthuung hatten wir: eine Familie englischer Juden fraß oder „achelte“1 – man kann es nicht anders nennen – einen Truthahn uns vis-à-vis und es war mir eine Befriedigung, daß der edle Braten sich diese schnöde Beerdigungb nicht bieten ließ, sondern es machte wie Jonas aus dem Walfischc.2 In London kamen wir in sehr räubermäßigem Aufzug an, so daß der Hotelportier es unter seiner Würde hielt mit uns zu conversieren und uns durch den Hausknecht oben unter das Dach geleiten ließ. Trotzdem rettet man mit 1 £ in diesen Hotels noch kaum das nackte Leben [.] Gestern kamen wir Abends hierherd und fanden mit Mühe Platz. Zur Zeit weht „Scotsk mist“ um das dunkle alte Castell, das uns vis-à-vis auf grünem Hügel sich erhebt,3 aber ich denke es wird noch schön und heut Abend wollen wir nach Stirling und dann in die Berge.4 – Dann mehr, wenn wir etwas gesehen haben. Unsre Adresse ist für Briefe bis Donnerstag: Invernesse – dann vorerst bis Sonntag: Gairloch (Scotland) (– an der Nordwestküste –) „to be called for” [.] 5 Herzlichen Gruß an Else6 und Dich Max
a O: Strapatze
b Unsichere Lesung.
c O: Wallfisch
d 〈nach〉
e O: Inverneß
1 Jiddisch „áchlen“, (scherzhaft) für essen. 2 Anspielung auf die biblische Gestalt Jona, der von einem großen Fisch verschlungen, nach drei Tagen aber wieder ausgespieen wurde (Jona, 2, 1–11). 3 Das mitten in Edinburgh auf dem Castle Rock gelegene Edinburgh Castle. 4 Die schottischen Highlands. 5 Engl. für: postlagernd. 6 Fritz Baumgartens Ehefrau Elisabeth (Else).
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Helene Weber 14. August 1895; Luss am Loch Lomond Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 5, Bl. 1–4 Der Brief enthält einen Zusatz von der Hand Marianne Webers, der hier nicht wiedergegeben wird.
Lussa am Loch Lomondb 14/VIII 95 Liebe Mutter!
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Auch von diesem wunderbar schönen Punkt abseits der Hauptstraße [,] da, wo der L[och] Lomondc in die Hochlandberge eintritt,1 einen kurzen Gruß. Von Edinburgh fuhren wir bei strömendem Regen gestern nach Aberfoyle |:(1 Stunde von Stirling):| in der Absicht bis zu The Trossachs am Loch Katrine zu kommen, 2 konnten aber nicht weiter, da keine Coach3 mehr ging und waren darüber zunächst entteuscht, dann aber sehr gut in einem reizenden kleinen schottischen einstökkigen Hotel untergebracht. Gegend Abend machten wir einen Spaziergang an einen der kleinen Lochs. Er fi ng bei Sonnenschein an – aber wie es hier zu Lande ist: ehe man sichs versieht, jagen ein paare Wolken über die Patina-grünen Bergkuppen daher und dann ist es, als ob Jemand einen Schwamm ausdrückte. Indessen es gehört, wenigstens für mich, jetzt schon mit zur Landschaft, man kümmert sich beim Gehen kaum darum, ob es 5 Minuten regnet oder nicht und erlebt an jedemf Tage ja fast regelmäßig die ganze Witterungsscala des seligen Klinkerfues durch.4 Diese absolute Menschenleere, so weit man geht a O: Luß b O: Lommond f einem > jedem
c O: Lommond
d Am > Gegen
e O: par
1 Der Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 404 f., nennt Luss als reizend gelegenen „erste[n] Halteplatz“ für Dampfschiffe am Westufer des Loch Lomond. 2 Loch Katrine, im (Nord-)Osten des Loch Lomond. Zu den „Trossachs“, einem Waldgebiet, vgl. unten, Anm. 6. 3 Eine zwei- oder vierspännige Kutsche mit Innen- und Außenplätzen. Auf einigen Routen war die Coach das einzig regelmäßig verkehrende Beförderungsmittel (Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. XX). 4 Gemeint sind die Wetterprognosen des 1884 verstorbenen Göttinger Astronomen Wilhelm Klinkerfues. Auch an Meteorologie interessiert, hatte er sich mit atmosphärischer Feuchtigkeit beschäftigt und ein 1877 patentiertes Hygrometer entwickelt, welches – allerdings wenig erfolgreich – für Wettervorhersagen eingesetzt wurde. Vgl. Hellmann, Gustav, Repertorium der deutschen Meteorologie. Leistungen der Deutschen in Schriften, Erfindungen und Beobachtungen auf dem Gebiete der Meteorologie und des Erdmagnetismus
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und sieht, von wenigen Hirtenwohnungen abgesehen, und der prachtvolle Ernst dieser Natur wirken beide zusammen fast ergreifend, so einfach die Mittel |:und namentlich die Farben:| sind, mit denen die Landschaft sich schmückt. Eigentlich doch nur zwei Grundfarben: grün und stahlgrau, aber doch unendlich gemischt: braungrün, gelbgrün, blaugrün die Wiesen und die Farrenkräuter, 5 welche die ewig feuchten Bergfelsen bis zur Kuppe bekleiden, nur von Heide unterbrochen, bräunlichgrau die kleinen Flüsse, die durch die Wiesen wie die Katzen pfeilschnell dahinschleichen, bleigrau die Seen, welche unfähig zu sein scheinen in starke Wellenbewegung zu gerathen, und dazu der wechselnd starke leise Dunstschleier, durch den die Sonne scheint. Das Alles wirkt aber doch nur als Staffage der großen wunderbaren Einsamkeit, welche wirkungsvoll in den Vordergrund des Empfi ndens zu drängen die Tendenz der Gestaltung der Landschaft zu sein scheint, – schon das Fehlen des Waldes und – mit Ausnahme einiger Teile des Loch Lomondg und der Trossachs6 – beinahe aller nennenswerthen Bäume wirkt dahin. – Es scheint mir, daß man diese Einsamkeit |:des platten Landes, die ja bis vor die Thore der Städte – z. B. Edinburgh’s – reicht:| hier anders empfi ndet als in England, wo man auf der ganzen Fahrt von London nach Edinburgh auch nicht ein einziges Bauerndorf sieht, sondern hie und da ein Schloß im Park, in einiger Entfernung Pächterwohnungen und einzelne Wirtschaftsgebäude, von Zeit zu Zeit auch Kirchen aus dem 13 [.] und 14. Jahrhundert, die zwischen |:einem Dutzend:| Arbeiterhütten statth wie einst zwischen 50–60 Bauernheimen stehen, iihrer Gemeindei zu groß geworden sindj wie der Anzug einem Schwindsüchtigen. Und in England empfi ndet man, daß hier Hunderttausende von Bauern ihren Platz fi nden könnten – während Schottland sich nun einmal als zur Rind- und noch mehr Schafweide geschaffen präsentiert. – Heut morgen ging es per Coach über die Berge nach den Trossachs, – dem einzigen nennenswerteren Walde – g O: Lommond
h 〈zw〉
i gewissermaßen > ihrer Gemeinde
j 〈für〉
von den ältesten Zeiten bis zum Schlusse des Jahres 1881. – Leipzig: Wilhelm Engelmann 1883, S. 242 f., sowie Günther, Art. Klinkerfues, Ernst Friedrich Wilhelm, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Band 51. – Leipzig: Verlag von Duncker & Humblot 1906, S. 231– 233. 5 Ältere Bezeichnung für Farne. 6 Ein vielbesuchtes, von zahlreichen Seen durchzogenes Waldgebiet, am Ostende des Loch Katrine gelegen. Der Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 405, beschrieb die Trossachs als „bewaldetes romantisches Thal“.
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am Loch Katrine. Es ist wunderlich, wie bleigrau das Laub der Steineichen, zahmen Kastanien, Lärchen und Stachelblattgewächsek, welche mit einem Gewirr von wunderlich krüppelhaften Zweigen die Mehrzahl dieser buschigen Niederwaldungen bilden. Es regnete natürlich plötzlich wieder für 15 Minuten kolossal, dann aber, während der Fahrt von Stronachlachar7 nach dem Loch Lomondl und auf diesem, kam die Sonne und am Nachmittag sogar das seltene Schauspiel eines fast ganz blauen Himmels mit vollem Sonnenschein bei der hier üblichen wunderbar behaglichm gedämpften feuchten und doch frischen Wärme. Der L[och] Lomondn hat sich uns auf der Fahrt und nachher bei einem Spaziergang in seiner ganzen Pracht gezeigt und jetzt sitzen wir wieder in einem kleinen 10-zimmerigen, dabei feinen und unglaublich behaglichen Hotel, im Begriff bald zu Bett zu gehen, um morgen noch einmal den See zu durchfahren und dann nach der Westküste (Oban) abzuschwenken, wo das erste Seebad winkt. – Die Welt ist übrigens doch auch in Großbritannien ein Dorf; sollte man es glauben, daß wir hier Berliner Bekannte trafen? Auf dem Dampfer auf Loch Katrine bemerkte ich plötzlich an einem Pier unter den sich zum Einsteigen Drängenden mit ihren scharfen englischen Mündern das germanistische Bardengesicht Gierke’s8 und dann die zierliche Tochter9 und die wie immer etwas schmuddelige Frau.10 Wir fuhren dann zusammen bis Stronachlachar und weiter zum Loch Lomondo, wo sich in Inversnaidp unsre Wege trennten. Das Zusammentreffen mit Landsleuten wirkt doch seltsam: sonst sind wir hier schon soweit akklimatisiert, daß wir uns dem allgemeinen Flüsterton anbequemen, thun als sähen wir die Menschen zur Rechten und Linken nicht und nur, wenn gefragt, kurz und sehr höfl ich antworten, immer k 〈aussieht〉 Lommond
l O: Lommond p O: Invensnaid
m 〈temperierten〉
n O: Lommond
o O:
7 Ort am Südwestufer des Loch Katrine, nur knapp zehn Kilometer Luftlinie vom weiter südlich gelegenen Loch Lomond entfernt. 8 Es handelt sich um den Berliner Rechtshistoriker und akademischen Lehrer Max Webers Otto Gierke, der mit seiner Familie in Charlottenburg wohnte und zum Freundeskreis der Familie Weber zählte. 9 Das Ehepaar Gierke hatte drei Töchter: Anna, Therese und Hildegard. Dokumentiert ist ausschließlich die Teilnahme Anna Gierkes an der Schottlandreise, da sie alle ihre Reisen in einem Heft festhielt. Vgl. Wegener, Hildburg, Anna von Gierke. Sozialpädagogin zwischen konservativer Politik und freier Wohlfahrtspflege. – Sulzbach/Ts.: Ulrike Helmer Verlag 2009, S. 54. 10 Marie Cäcilie Elise (Lili) Gierke.
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etwas weniger von Allem essen, als wir wohl möchten (ich wenigstens) und dabei auch die Schnute so wenig weit wie möglich öffnen, auch selbst bei hörbarem Knurren des Magens mit dem Löffel in der Suppe herumplätschern, alsq läge uns an dem Fraß nichts. Kaum aber waren Deutsche in der Nähe – so erhob sich schon in Stronachlachar beim Warten auf dier nachkommende Coach ein solches Gelächter unter uns, daßs alles Englische heraneilte die Barbaren zu sehen und ich hörte, wie Jemand auf der Coach „merry Germany“ sagte. Und vor dem Abschied in Inversnaidt hielten wir einen Lunch, an den die Kellner dort denken werden. Gierke begann ein Fressen, wie im Teutoburger Walde und ich machte nach. Die bestürzten waiters brachten, als stets Alles wieder verschwand, schließlich übermenschliche Quantitäten Roastbeefsu, Salmen etc., vermutlich fürchtend, wir würden sonst nach den Menschen schnappen. Zu Dreien umstanden sie unseren Tisch, als aber Gierke, anstatt zwischen „Marmalade“v und „Cheese“ zu wählen, sichw erst die erstere „genehmigte“ und dann auf denselben Teller Käse packte, öffnete sich der Mund des Chors und entsetzt starrten sie auf die Trümmer ihrer Habe, offenbar erleichtert, als endlich das Dampfschiff schellte und dem Fressen ein Ziel setzte. Dazu tranken wir – Gierke [,] der hier alle Temperance Hotels11 unsicher macht aus Überzeugung, ich aus Wetteifer, zum Erstaunen der Kellner ich weiß nicht wieviel Caraffen Wasser. Kurzum es war ein vaterländisches Fest, aber höchste Zeit, daß wir uns trennten. Jetzt sind wir schon wieder civilisiert und in diesem Zustand grüßt herzlichst Dein Max
q 〈L〉 r 〈Co〉 s O: das t O: Invensnaid malate“ w Fehlt in O; sich sinngemäß ergänzt.
u O: Roastbiefs
v O: „Mar-
11 Die Abstinenz-Bewegung hatte sich in Großbritannien in den 1830er Jahren etabliert, 1833 wurde das erste Temperance Hotel eröffnet. Im Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. XXII, wurde eigens auf diese Hotels hingewiesen: „Temperance Hotels, d. h. Häuser, in denen keine geistigen Getränke verabreicht werden, sind überall zu finden. Ihre Preise sind nicht hoch, doch zählen sie im allgemeinen, was Küche und Einrichtung betrifft, nur zu den Hotels zweiter Klasse.“
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Helene Weber 17. [und 18.] August 1895; Loch Maree Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 5, Bl. 5–8 Der Brief wurde an zwei aufeinanderfolgenden Tagen geschrieben: Max Weber begann am Samstag, dem 17. August, und fuhr, wie am Ende des Briefes angemerkt, am Sonntag (18. August) fort („Ich habe die beiden letzten Seiten Sonntag früh geschrieben“).
Hotel am Loch Maree, 17/VIII 95 Liebe Mutter,
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an diesem Punkt, dem weitaus schönsten von allen, an die wir bisher kamen,1 wollen wir den Winterschlaf des morgigen schottischen Sonntags überstehen und vielleicht auch Montag bleiben, dann Dienstag über den kleinen Hafenort Gairloch an der Westküste |:etwas südlich:| nach Strome Ferry – grade östlich von Skye – um von da mit dem Mail Steamer nach Stornoway auf |:Lewis,:| der nördlichsten der Hebriden zu fahren. Von dort gehen wir Donnerstag nach Barvas an der Nordwestküste der gleichen Insel, wo wir wahrscheinlich mindestens 8, vielleicht 14 Tage bleiben. Es sind dort Seebäder von der ganzen Stärke des Atlantischen und nordischen Ozeans und zugleich, wie wir hörten, ist es sehr billig und von Touristen sehr wenig besucht, dagegen sind Hotels – freilich Temperance2 – dort. Gefällt es uns nicht, so gehen wir nach Skye. Unsre Adresse ist: Stornoway, Western Islands, Scotland, poste restante.3 Von Lussa am Loch Lomond fuhren wir mit dem Dampfer und dann mit der Coach durch eine tiefe Einöde nach einer kleinen Station der Bahn, die uns nach dem westschottischen Badeort Oban brachte. Man müßte eigentlich vorher wissen, daß es auf den nach Schottland führenden und auch den schottischen Bahnen möglich und auch üblich ist, 3ter Klasse zu fahren (es giebt nur „fi rst“ und „third“, |:– diese auch auf den größten Schnellzügen –,:| die zweite Klasse ist seltsamer Weise ganz a O: Luß 1 Loch Maree in den Northwest Highlands. Die Schönheit dieses „langen wildromantischen, von hohen Bergen umgebenen Sees“ mit seinen vielen bewaldeten Inseln hob auch der Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 415, hervor. 2 Zu den Temperance Hotels, die keine alkoholischen Getränke ausschenkten, vgl. den Brief an Helene Weber vom 14. Aug. 1895, oben, S. 100, Anm. 11. 3 International übliche Bezeichnung für: postlagernd.
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abgeschafft4 – ein eigenartiger Ausdruck der scharfen socialen Contraste –). Während die 2te überall schlechter ist als in Deutschland, ist es mit der dritten umgekehrt, und sie hat den Vorzug, daß dort gelegentlich auch Leute hineinkommen, die den Mund aufthun. So war es hier mit einem australischen Quäker, der seine Europa-Tour machte und sich eindringlich nach den bTrunkenboldenhaftigkeits-Verhältnissenb in Deutschland erkundigte. Unter dem Eindruck dieses Gesprächs gingen wir in Oban, auf Mariannes Wunsch, in ein kleines Temperance Hotel, und fi nden uns von der Sehnsucht nach diesen Instituten gründlich curiert. Wie die Mehrzahl aller |:dieser:| – es gab 7–8 in Oban, war im Parterre eine Kneipe und oben herrschte die Wassersucht, dabei dreckig, von Leuten besetzt, welche die Beine auf die Sophas legen etc. etc. Wir schliefen recht schlecht, was unerfreulich war, da wir am andern Morgen um 5 aufstanden um durch den „Caledonian Channel“ quer durch ganz Schottland in 12½ Stunden nach Invernessc zu fahren.5 Oban selbst erinnert, in einer großen Bucht malerisch an die Höhen graphiertd, an italienische Städte an den nördlichen Seene, störend ist, daß vor der prachtvollen Castle-Ruine6 ein Zaun gezogen ist, der sich nur gegen Entree öffnet, wie denn hier selbst der Mont blanc von ganz Großbritannien, der Ben Nevis am Caledonian Canal, nicht ohne Entree zu besteigen ist.7 Wir haben eine Weile oben in der auch hier unmittelbar an das regste Leben sich anschließenden absoluten Einsamkeit der Heide gelegen mit dem Blick auf die Meerinseln. Nach Staffa zu fahren verschoben wir,8 da Regen aufzog, bis zur Rückfahrt b Alternative Lesung: Trunkenbolderhaftigkeits-Verhältnissen d Unsichere Lesung. e O: Seeen
c O: Inverneß
4 Einige der größeren britischen Bahngesellschaften – auch die meisten schottischen Bahnen – hatten die 2. Klasse ganz abgeschafft, dafür die 3. Klasse verbessert (Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. XIX und 376). 5 Der 1822 fertiggestellte hundert Kilometer lange Kanal verbindet über Loch Dochfour, Loch Ness, Loch Oich und Loch Lochy die schottische Südwest- mit der Nordostküste (bei Inverness). Zunächst aus wirtschaftlichen Gründen gebaut, entwickelte er sich aufgrund der landschaftlichen Schönheit zur Touristenattraktion. Das erste Dampfboot fuhr morgens um sechs Uhr in 12¼ Stunden von Oban bis Inverness (Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 414). 6 Dunollie Castle, im Norden Obans auf einem Felsvorsprung gelegene Burgruine. 7 Der Ben Nevis, nahe Fort William gelegen, ist mit über 1443 Meter der höchste Berg der britischen Inseln. Laut Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 413, war für die Benutzung des Pony-Pfades von Banavie (bei Fort William) auf den Ben Nevis ein Billet zu lösen; die Einnahmen wurden für die Instandhaltung des Pfades verwendet. 8 Staffa, eine unbewohnte Felseninsel der Inneren Hebriden, die aufgrund ihrer Naturdenkmäler (wie der Fingalshöhle) im 19. Jahrhundert von verschiedenen Künstlern (u. a.
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von Norden. – Auf dem Caledonian Canal regnete es zuerst, nachher war der Rückblick auf d[ie] Lochs, quer durch die Hälfte des Landes, und die überaus ernsten einfach geschnittenen Berglinien beiderseits sehr schön. In Invernessf fand ich Correcturbogen,9 Briefe nicht, die werden wohl nachkommen. Wir fuhren nach mancherlei Hotel-Ärgernissen, wie man sie eben nur in internationalen Touristen-Centren erlebt, dagegen nie in den nationalen schottischen Land-Hotels, nach Achnasheen auf der Route nach Strome Ferry und dann, zuerst nur mit einigen Jägern, deren Einer Deutsch verstand, dann allein mit Wagen in 3–4 Stunden hierher. – Die Fahrt zeigte die ganze charakteristische Differenz der nördlichen eigentlichen Highlands von Süd- und Mittel-Schottland. Der Charakter der absoluten Einsamkeit steigert sich hier noch bedeutend. Während im Süden eine Art grünes Plaid über die scharfen Kanten der Basaltberge gebreitet zu sein scheint, sind diese hier vielfach so steil, daß die Schnee-Schmelze im Frühjahr gwenigstens obeng von den Zacken |:Alles:| abreißt, was der Sommer vorher an Gras und Heide dort hatte wachsen lassen, massenhafte Steine, oft in wunderlichen Gruppen, bedecken die Abhänge, dazwischen statth der großen, in den Farben einander abwechselnden gelb- [,] braun- und graugrünen Flächen des Südens hier die bunte Heide, die alle ihr eigenen Farben von violett bis gelbgrün auf jedemi kleinsten Fleck zusammendrängt, wo sie sich dann zu dem bräunlich strahlenden Gesammt-Farbeneindruck vermischen. Man kann meilenweit in die „Glens“10 zwischen den Bergen über solche mit Torfmoor durchzof O: Inverneß Lesung: jeden
g Alles > wenigstens oben
h Unsichere Lesung.
i Alternative
William Turner, Felix Mendelssohn Bartholdy und Theodor Fontane) besucht und mit Ausflugsschiffen regelmäßig angelaufen wurde (Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 410 f.). 9 Um welche Korrekturbögen es sich handelt, läßt sich nicht definitiv klären. In Frage kämen von den 1895 gedruckten Schriften zeitlich: Der preußische Gesetzentwurf über das Anerbenrecht bei Rentengütern, in: Soziale Praxis. Centralblatt für Sozialpolitik, 4. Jg., Nr. 50, 9. Sept. 1895, Sp. 956–960 (MWG I/4, S. 586–596), ggf. auch der dritte Teil von: Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete [3. Folge], in: Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht, 44. Band, 1. Heft, 1895, S. 29–74 (MWG I/5, S. 175–550), dessen Abfassung der Editorische Bericht (ebd., S. 175–190, bes. S. 186) auf Juni 1895 datiert; möglicherweise auch der Ende 1895 publizierte Artikel Börsenwesen (Die Vorschläge der Börsenenquetekommission), in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1. Supplementband. – Jena: Gustav Fischer 1895, S. 241–252 (MWG I/5, S. 553–590), den Weber vermutlich im Frühjahr 1895 abgefaßt und im Juni/Juli 1895 noch bearbeitet hatte (ebd., Editorischer Bericht, S. 553–557, bes. S. 554 und 556). 10 Glen (gälisch: Gleann) bezeichnet ein enges Gebirgstal im schottischen Hochland.
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genen Flächen blicken, die trotz absoluter Eintönigkeit den Eindruck des Wechselvollen ähnlich hervorrufen, wie die See es thut. Nach einer guten Stunde Fahrt mit starkem Anstieg öffnete sich |:weithin:| das meilenlange von hohen |:Basalt-:| Felsenbergen umgebene Thal des Loch Maree und wir erkannten sofort [,] daß die ernste Einsamkeit dieses Flecks Erde selbst Mariannes Einsamkeitsbedürfnis genügen müsse. Auf mehreren Stunden Fahrt bekamen wir ein aus 8 kleinen Häusern, die zerstreut umherliegen, bestehendes Dorf und eine Unterkunft für Jäger zu Gesicht, jim Übrigenj hat man die Empfi ndung, auf weite Meilen im Umkreise fast keinen Menschen zu wissen. Die auf dem Basalt am See angelegte schmale Straße dröhnt unter dem Wagen in eigentümlicher Art, – in Folge der Risse, die das Wasser in das Gestein unter ihr gesprengt hat, vermutlich, – wie fernes Glockengeläute. Eigentümlich ist der Effekt, den die Nachmittags- und Abendsonne hervorbringt. Durch den Schleier von dünnem Dunst, der die ganze Landschaft von unten bis oben stets mehr oder weniger spürbar einschließt, erhalten ihre Strahlen etwas fahles, zuweilen fast grünliches, nur beim Untergang etwas in Rosa übergehendes und eigentümlich erbleichen die feuchten Felskanten der Berge da, wo sie von ihnen erreicht werden. In diese völlige Felseinöde fi ndet sich dann plötzlich in einer Einsenkung am See, mit einer kleinen Parkanlage auf einer grünen Wiesenmatte das reizende Loch Maree Hotel gelagert.11 An einen kleinen Mittelbau von Bruchsteinen reiht sich |:in einem einstöckigen Holzbau:| eine Serie von höchst behaglichen Cabinetten, die sich alle auf einen grünen Rasenhof öffnen [,] und in deren einer wir campieren. Diese discrete Cultur mitten in der fast völligen Wildniß, wie wir sie nun schon zum dritten Mal fi nden, ist eigentlich das Anziehendste in Schottland [.] Sie erklärt sich offenbar daraus, daß während bei uns die Gasthöfe teils aus |:Stadt- und:| Dorfkrügen teils aus Kaufmannsherbergen emporwuchsen und schließlich den üblichen internationalen „Cultur“-Anstrich erhielten, hier die Jagdsitze der Landlords dazu wurden [.] Während sie in Deutschland emporwuchsen, das |:sie besuchende:| Publikum sich allmälig verfeinerte, war es hier die höchststehende Gesellschaftsschicht zuerst, die darin unterkam [,] und erst allmälig verbreiterte sich der Kreis der Besucher nach unten. Noch jetzt notieren die englischen Reisebücher bei all diesen Hotels, welchem j sonst > im Übrigen 11 Das Loch Maree Hotel bei Talladale.
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|:Duke,:| Earl etc. sie gehören. Die Landlords legen die Hotels an und verpachten sie, ihnen gehören die Dampfschiff-Piers, die sie verpachten, sie verpachten die Dampfschiffahrt auf den Lochs in Nord-Schottland, für sie ist das Jagdgebiet eingehegt – so hier gegenüber für den Earl of Ross12 ein meilenweiter Deer-„Forest“,13 dem zum Forst im deutschen Sinn nur die Bäume fehlen. – Die Gesellschaft – 14–16 Personen (ca 20–25 faßt das Hotel) – ist außerk einer mit Diamanten bedeckten Whiskey saufenden Dame äußerst gewählt, man ist dringend veranlaßt sich äußerst anständig zu benehmen. Dabei ist aber dasl Dinner keineswegs steif, die Unterhaltung lief ganz flott (d. h. nicht mit uns, die man als unbekannte Tiergattung bei Seite läßt) und der am Tisch präsidierende alte Hotelpächter |:– d. h. ich halte ihn dafür –:| ist ein sehr behaglicher Mann von überaus guten Manieren und leidenschaftlicher Jäger. Ich habe die beiden letzten Seiten Sonntag früh geschrieben, wo man dem lieben Gott zu Ehren bis 10 Uhr auf das Breakfast warten muß. Jetzt ist es ¾ 9 und mein Magen knurrt gewaltig. Marianne war so klug, wie die übrige Gesellschaft noch im Bett zu bleiben [.] Es herrscht eine Totenstille im Haus und umher. Herzlichen Gruß, auch von Marianne aus dem Bett Dein Max
k Unsichere Lesung.
l 〈Table〉
12 Traditionell trugen die Chiefs des Clan Ross den Titel des Earl of Ross (bis 1889 der Grafschaft Ross-shire, die 1890 mit Cromartyshire zur Grafschaft Ross and Cromarty verbunden wurde). Der 1872 geborene Sir Charles Henry Augustus Lockhart Ross, 9th Baronet, galt mit seinen Ländereien von geschätzt 366 000 acres (1480 km2) als größter Landbesitzer Großbritanniens. 13 Engl. für: Hochwildgehege.
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19. August 1895
Fritz Baumgarten 19. August 1895; Loch Maree Abschrift; von unbekannter Hand, ohne Anrede und Schlußformel GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 7, Bl. 67 Der Verbleib des Originalbriefes ist nicht ermittelt. Laut Katalog „Autographensammlung Robert Ammann, Aarau“, Auktion am 16. November 1961, S. 90, wurde er zusammen mit dem Original des Briefes an Helene Weber vom 22. August 1895 (unten, S. 108–111) zum Verkauf angeboten. Es liegt aber eine fortlaufende Serie von Abschriften der Reisebriefe Max Webers an Fritz Baumgarten von dritter, unbekannter Hand vor (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 7, Bl. 67–70). Sie stammt aus dem Kreis der Familie Baumgarten und wurde zusammen mit Briefen Max Webers an Fritz und Hermann Baumgarten im Juli 1935 an Marianne Weber geschickt (vgl. dazu die Einleitung, oben, S. 38). Die Abschrift des Briefs vom 19. August 1895 dient daher hier als Editionsgrundlage. Auslassungszeichen in der Abschrift lassen bereits erkennen, daß es sich um einen Briefauszug handelt. Der Vergleich weiterer Abschriften dieser Serie mit den vorliegenden Originalbriefen an Fritz Baumgarten vom 24. August, 1., 6. und 10. September 1895, unten, S. 112 f., 128–130, 131 f. und 143 f., zeigt darüber hinaus, daß in den Abschriften weitere Kürzungen auch ohne Kennzeichnung vorgenommen wurden. Dies läßt vermuten, daß auch die hier edierte Abschrift des Briefes an Fritz Baumgarten vom 19. August 1895 weitere, nicht erkennbare Kürzungen enthält. Sie ist, von gleicher Hand, überschrieben mit: „Max am 19.8.95 aus Loch Maree.“
Es ist freilich Geschmacksache – nicht jedem würde die einsam moorige Heide auf den Basaltbergen mit dem ewigen dünnen Dunstschleier darüber, den braunen Schluchten und unhörbar dahinfl ießenden Bächen und den stahlgrauen Lochs dazwischen behagen, den meisten namentlich der Wald fehlen, vielen wohl auch die Menschen, denn Dörfer giebt es nicht, nur nach meilenlangem Fahren kleine Gruppen von Schäferhütten. Ebenso fehlt absolut alles, was unsern Wirtshäusern entspricht: nur kleine, unendlich behagliche, aber sehr aristokratische Hotels, in denen in dieser Felseinöde die absolut feste Tageseinteilung und die Formen der englischen Kultur herrschen. Aber was Heideschönheit ist, kann man doch nur hier kennen lernen und auf uns wirkt der große Ernst dieser Natur, den man in der That wohl „feierlich“ nennen darf, oft fast ergreifend. Und das angenehme ist, daß diese völlig nordische Scenerie mit der matt weißen Färbung des Sonnenlichts, welches zuweilen durch den Dunst in ein fahles Gelblich-Grün übergeht, in angenehm temperierter, feuchter und doch frischer Luft zu genießen ist. . .a Zu überwinden haben unsere Mägen an der englischen Kost. Sie ist doch etwas barbarisch mit geringem Firnißb. Die Trilogie Roastbeefc, a Auslassungszeichen in Abschrift. schrift: Roastbeaf
b In Abschrift: Genuß > Firniß
c In Ab-
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Roastlamb, Roast-Chicken |:(Hähnchen):| erscheint Tag aus Tag ein, die Gemüse sind einfach in heißes Wasser geworfen, den Salat frißt man wie die Ziege ohne selbst Essig und Öl, dabei stets die unumgänglichen 3 Mahlzeiten, außerhalb deren nichts zu haben ist. Dann der Tagesanfang mit dem kolossal schweren Breakfast mit Fisch, Speck etc. etc. Mein Magen muß sich auch diesmal erst akklimatisieren, ich war gestern z. B. effektiv der reine Sch. . .ßkerld den ganzen Tag. Dabei die Weine teuer und schlecht, kein Bier außer dem alkoholfreien (!) Ingwerbier – wer, wie ich, den üblichen Whiskey (Schnaps) mit Wasser nicht mag, ist auf Minimalgenüsse angewiesen. Nun – auch das ist ja bekömmlich.
d Auslassungszeichen in Abschrift.
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22. August 1895
Helene Weber 22. August 1895; Stornoway, Hebriden Abschrift; von der Hand Emmy Baumgartens MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie) Der Verbleib des Originalbriefes konnte nicht ermittelt werden. Laut Katalog „Autographensammlung Robert Ammann, Aarau“, Auktion am 16. November 1961, S. 90, wurde er zusammen mit dem Original des Briefes an Fritz Baumgarten vom 19. August 1895 (oben, S. 106 f.) zum Verkauf angeboten. Es liegen zwei nahezu identische Abschriften von der Hand Emmy Baumgartens vor, die von allen Reisebriefen Max Webers an seine Mutter Abschriften anfertigte (MWA, Universität Heidelberg, Fotokopie der Abschrift; sowie „Reisebriefe aus Schottland und Irland von Max. 1895.“, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Der Vergleich mit den übrigen Abschriften der Reisebriefe und den überlieferten Originalen sowie weiteren maschinenschriftlichen Abschriften zeigt, daß Emmy Baumgartens Abschriften den Textkorpus von Max Webers Briefen am wenigsten (durch Kürzung, Emendation oder sonstige Texteingriffe) veränderten (vgl. dazu die Einleitung, oben, S. 37 f.). Sofortkorrekturen und die Übernahme von Spracheigenheiten Max Webers legen den Schluß nahe, daß sie zeitnah anhand der Originale erstellt wurden. Ihre in zwei Fassungen überlieferte Abschrift des Briefs an Helene Weber vom 22. August 1895 dient daher hier als Editionsgrundlage. Der Textkorpus beider Fassungen ist bis auf die Streichung des Schlußsatzes nahezu identisch. Die hier edierte Abschrift (A1; MWA, Universität Heidelberg, Fotokopie der Abschrift) enthält diesen Schlußsatz, der in der wahrscheinlich als Reinschrift verfaßten zweiten Fassung (A 2; Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) fehlt. Die Abweichungen von A 2 werden textkritisch annotiert. Am Dienstag, dem 20. August 1895, hatten Max und Marianne Weber Loch Maree verlassen und waren nach Fahrt über Achnasheen abends in Strome Ferry angekommen. Von dort nahmen sie laut Marianne Webers Aufzeichnungen am 21. August mittags das Dampfboot und kamen wiederum abends gegen 21.30 Uhr in Stornoway auf Lewis an (vgl. Tage- und Notizbücher Marianne Weber, Nr. V. (Schottland 1895), Eintrag „Stornoway, 22.8.“ [12–15], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).
Lewis Hôtel Stornoway Hebridena 22. VIII 95b Liebe Mutter! Wie Du siehstc sind wir nun in einer Gegend angelangt, deren Nordwestlichkeit allen billigen Ansprüchen genügt und in der That nur durch eine Reise nach Irland noch übertrumpftd werden könnte, zu der, glaube ich, Marianne an sich nicht übel Lust haben würde. Heut Nachmittag wollen wir an die Westküste, uns nach einem passenden Seebadeorte umzusehen. Dort wollen wir dann mindestens 8–10 Tage a A 2: Hebriden, e A 2: Badeort
b A 2: 95.
c A 2: siehst,
d A1: übertroffen > übertrumpft
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bleiben, wenn wir etwas passendes fi nden, andernfalls nach Skye gehen. Im Loch Maree Hotel1 war es die Tage von Sonnabend Abend bis Dienstag früh, die wir dort blieben, ganz allerliebst, schließlich kamen wir noch mit den zurückhaltenden, aber gar nicht steifen Gästen in ganz angenehme Unterhaltung, zumal nachdem sich Einer als Bruder einer uns bekannten Predigers-Wittwe in Freiburg entpuppt hatte. Übel erging es nur zeitweise unsern Mägen. Diese englische Kost ist doch ein ziemlich uncultivierter Fraß mit einem äußeren Anstrich von Cultur. Die Suppen eine Sudelei, die Gemüse als wären sie zufällig ins Wasser gepurzeltf und aufgefischt, die Pickles und scharfen Sachen, von denen ein Franzose die Maulsperre bekommen muß, und die ewige tägliche Trilogie: Roast Beef, Roast Mutton, Roast Chicken, nebst Puddings, die für mich meist unerträglich sind, so gut sie theoretisch sein mögen. Dabei die absolute Gebundenheit an die festen Stunden, schon durch den absoluten Mangel jeglicher Wirtshäuser, und das zum Jammern erbärmliche Bier! Schon daß man morgens mit zweierlei Fisch und dem unumgänglichen Ham and Eggs anfängt und so in den ahnungslosen Magen ein Pfund Fleisch abläd, ist für uns eigentlich eine Unmöglichkeit, – kurz [,] g ich war einen Tag lang ganz krank und kurierteh mich nur durch anhaltendes „Porridge“-Esseni (dicken Haferbrei, den die Menschheit hier noch außer! ihrem Fleische in sich stopft). – j Dienstag ging es mit der Post nach Achnasheenk zurück – Gairloch ließen wir bei Seite liegen, die etwaigen Briefe dorthin habe ich hierher bestellt, doch geht von dort nur 1l Dampfer wöchentlich hierher – und abends nach Strome-ferry, dem Hafen für Skye und die Hebriden.2 Der Ort liegt ganz ausnehmend schön und zumal die Ausfahrt war mit das Prachtvollste, was wir bisher sahen: zwischen einem Gewimmel felsiger Inseln durch, flankiertm weiterhin durch die Felsenküste West-Schottlands, über der sich, je weiter man sich entfernte,n f A 2: geplumpst g A 2: kurz, h A1: [??] > kurierte; A 2: kurirte Essen j In A 2 folgt ein Absatz. k A1: 〈und〉 l A 2: ein n A 2: entfernte
i A1: „Porridgem A 2: flankirt
1 Das Loch Maree Hotel bei Talladale, direkt am Ufer des Loch. 2 Von Achnasheen, einem Knotenpunkt (nord-)westlich von Inverness, zweigte die Poststraße nach Loch Maree ab (vgl. Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 415). Sie führte weiter zum Küstenort Gairloch, von wo aus Stornoway (auf Lewis) ebenfalls per Schiff erreichbar war. Max und Marianne Weber nahmen dagegen die Route nach Süden, per Bahn bis Strome Ferry, von dort aus mit dem Dampfschiff („Steamboat“) in Richtung Stornoway.
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immer höhere Kuppen auftürmten, und auf der andern Seite die fast unglaublichen Bergformen der Insel Skye und der davor und daneben liegenden Inseln sich durcheinander und durch die Wolken schiebend. Die See war fast völlig ruhig und ½ Stunde nach Ende der Dämmerung – die hier noch bis 9 Uhr dauert, bis dahin konnte man lesen – kamen wir in Stornoway an.3 Die Ankunft des Post-Dampfers ist das einzige Ereigniß dieses einzigen Städtchens der Insel Lewiso und die ganze Stadt drängt sich dann am Hafen; nur mühsam kamen wir in unser Hotel. Der Unterschied gegen England und Schottland ist bedeutend, wennschon die Wellen der Cultur auch bis hierher gelangt sind. Touristen, Badepublikum undp dgl. fi ndet man hier kaum, das Hotelbuch verzeichnet fast nur Kaufleute aus Glasgow, Aberdeen, vereinzelt Kopenhagen, Hamburg, auch Stettin. Das ganze Nest riecht intensiv nach leeren Heringstonnen, es lebt nur von Hering, das ganze Ufer liegt voll Kähne und Netze.4 – An der andern Seite der Bucht, dem Städtchen gegenüber, liegt das Castle der Eigentümer der Insel, 5 in dessen Park wir vorhin einen 1½ stündigen Spaziergang machten, ohne nach irgend einer Richtung das Ende zu fi nden. Etwas diesem Park an Üppigkeit Ähnliches erinnere ich michq nur etwa in der Villa Carlotta6 und ähnlichen am Comer See oder am Lago Maggiore rgelegenen Anwesenr gesehen zu haben.7 Man möchte seinen Augen nicht trauen, wenn man o A 2: Lewis, p A 2: u. q A1: 〈nicht〉; mich fehlt in A 2. genen Anwesen sinngemäß ergänzt.
r Fehlt in A1 und A 2; gele-
3 Der Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 415, empfahl Stornoway: „der Hauptort der Hebriden, mit ca. 3000 E[inwohnern], verdient wegen seiner wilden Felsszenerie einen Besuch“. 4 Stornoway besaß einen Naturhafen, der zu einer frühen Expansion des Ortes bereits im Mittelalter beitrug. 5 Lews Castle, der 1847–1857 erbaute Landsitz von James Matheson. Der im Asienhandel (Opiumhandel) reich gewordene Matheson hatte die Insel nach seiner Rückkehr nach Schottland gekauft. Aufgrund seiner Infrastrukturinvestitionen und seiner Unterstützungsleistungen während der „Highland Potato Famine“ in den 1840er Jahren erhielt er 1851 den Titel Sir James Nicolas Sutherland Matheson, 1st Baronet. Nach Mathesons Tod 1878 lebte seine Frau Lady Mary Jane Matheson weiterhin auf Lews Castle; die Insel blieb bis 1918 im Besitz der Familie. 6 Die Villa Carlotta am Comer See. Deren im 19. Jahrhundert (durch die Eigentümer Gian Battista Sommariva ab 1801 und Charlotte von Sachsen-Meiningen ab 1843) geschaffene Parkanlage erlangte aufgrund ihrer üppigen Vegetation Berühmtheit und wurde zum touristischen Anziehungspunkt (vgl. Baedeker, Karl, Italien. Von den Alpen bis Neapel. Kurzes Reisehandbuch, 5. Aufl. – Leipzig: Verlag von Karl Baedeker 1903, S. 18 f.). 7 Max Weber hatte Italien erstmals Anfang der 1880er Jahre auf einer Reise mit seinem Vater besucht. Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 68.
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hier viertelstundenlang zwischen 3 Meter hohen Rhododendron-s und Laurus-Hecken geht und zwischen Fichten, Lärchen und Steineichen die immergrünen südlichen Bäume fi ndet, dabei Lorbeerbäume hochstämmig und Fuchsien als hohe Sträuchert gezüchtet. Unglaublich wunderlich nimmt es sich aus, wenn aus einer Fläche von rothbrauneru Heide auf grauem Felsboden plötzlich ein Rhododendronbuschv emporwächst. Die ganze, mitten in völlige Heide-Einöde hineingesetzte Anlage, deren Kosten keine Phantasie sich ausmalen kann, ist eine gärtnerische Leistung, wie man sie schlechterdings nicht für möglich halten sollte, und ihre Unterhaltung, mit zahllosen Glashäusern, Palmenhaus etc. etc. muß eine Legion von Händen beschäftigen.8 Alles in Allem: als Professor fühlte man sich in seiner Tagelöhner-Existenz, und als Sozialpolitiker taxiertew man den Besitzer als reif für den Dynamit. – Nun bin ich nur gespannt [,]x was wir heute in Barvas erleben.9 Es gibt dort, so viel ich sehe, nur ein – und zwar ein Temperance! – Hotel, die Seebäder sollen, was glaublich ist, außerordentlich kräftig sein. Außer Druidensteinen, zahllosen uralten Cyklopenbauten,10 Heide, Moor, zahllosen Lochs und Felsen bietet die etwa 3 deutsche Meilen breite Insel nichts. Aber was Heideschönheit ist, kann man eben doch nur in den Highlands und hier kennen lernen. Die Bevölkerung, ein rothaariger Kelten-Rest, ist nichts weniger als schön, und ihre Sauberkeit läßt, scheint es, untery dem Einfluß des Whiskey, dessen Dunst in den Orten dem Heringsgestank Concurrenz macht, zu wünschen übrig. Es wäre nicht übel, wenn wir es recht hübsch anträfen, so daß wir dort bleiben könnten. z Nun haben wir schon mehr als 1½ Wochen hier von Euch nichts gehört, hoffentlich bringt einer der nächsten Tage gute Nachrichten.z Herzliche Grüße Dein Max.
s A1 und A 2: Rododendront A 2: Sträuche u A 2: rotbrauner v A1 und A 2: Rododendronbusch w A 2: taxirte x A 2: gespannt, y A1: außer > unter z–z Fehlt in A 2. 8 James Matheson hatte fast 50 000 £ in die Kultivierung der Landschaft um Lews Castle, insbesondere auch in ausgedehnte private Gärten und einen Komplex von Gewächshäusern mit exotischen Pflanzen investiert (History of the Lews Castle, http://www.stornoway historicalsociety.org.uk/features/castle/ [30.5.2012]). 9 Ort an der Westküste der Insel Lewis. 10 Eine seit der Jungsteinzeit bekannte Bautechnik mit Steinquadern in Trockenbauweise.
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24. August 1895
Fritz Baumgarten [24.] August 1895; BK Strome Ferry Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 7, Bl. 71–72 Die Tagesangabe ist aus dem Briefinhalt, in Verbindung mit den Briefen an Helene Weber vom 22. August 1895, oben, S. 108–111, sowie vom 24. August 1895, unten, S. 114– 116, erschlossen. Nach allen Angaben zu Aufenthalten und Reiseroute muß er zwei Tage nach dem Brief an Helene Weber vom 22. August verfaßt worden sein, nach der Rückkehr von Lewis. Denn Max Weber merkt zu Beginn des Briefes an: „kommen eben von der nördlichsten der Hebriden zurück“. Am 20. August hatten Max und Marianne Weber Loch Maree verlassen und waren bis Strome Ferry gefahren, am 21. August dann mit dem Dampfer nach Stornoway, dem Hauptort auf Lewis (vgl. den Brief an Helene Weber vom 22. August 1895, oben, S. 108–111, mit Editorischer Vorbemerkung). Ebenfalls nach dem Inhalt des Briefes vom 22. August 1895 fuhren sie von dort am Donnerstag, dem 22. August, ins Seebad Barvas an die Westküste von Lewis („Nun bin ich nur gespannt[,] was wir heute in Barvas erleben“, oben, S. 111). Laut dem Brief an Helene Weber vom 24. August 1895, unten, S. 115 f., übernachteten Max und Marianne Weber auch in Barvas einmal, ehe sie (am Freitag, dem 23. August) abends zunächst nach Stornoway und von dort noch in der Nacht (vom 23. auf den 24. August) mit dem Dampfboot nach Strome Ferry, an der Westküste des schottischen Festlandes, zurückkehrten (so auch Tage- und Notizbücher Marianne Weber, Nr. V. (Schottland 1895), Einträge „Stornoway, 22.8.“ [12–15] und „Oban, 29.8.95“ [19 f.], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Webers Hinweis „Wir fahren jetzt nach Skye, wo wir den toten schottischen Sonntag verleben wollen“ (unten, S. 113) läßt den Schluß zu, daß er den Brief an Fritz Baumgarten am Samstag, dem 24. August 1895, vor der Weiterreise von Strome Ferry nach Portree (auf Skye), schrieb. Der 25. August 1895 war ein Sonntag.
Station Hotel Strome Ferry. 24a /VIII 95 Lieber Fritz! Die nach Invernessb gegangenen Sachen habe ich nebst Deiner Notiz auf dem einen Couvert dankend richtig erhalten. Wir sind Euch speciell auch für Eure Mühewaltung bezüglich des Gasesc wirklich sehr zu Dank verpfl ichtet. – Wir kommen eben von der nördlichsten der Hebriden zurück, weil dort das erwartete Seebad sich nicht fand: der Strand ist versteint und übrigens ist gewaltige Brandung. Das Nest selbst (Barvas an der N.W. Seite von Lewis) bestand aus ca. 100 Erdhöhlen – die Cultur ist dort gänzlich zu Ende, die Leute verstehen nicht einmal
a O: 22
b O: Inverneß
c Unsichere Lesung.
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Englisch.1 In der Hauptstadt Stornoway dagegen ist ein Park des Landlord von märchenhafter Pracht: 2 unter dem 58–59 Breitengrade dichte Büsche von Rhododendrond, Lorbeer, Lebensbaum u. alle norditalienischen Bäume mitten in der Heide! Ein zu seltsames Klima! Auch die Fahrt war ganz prachtvoll. Da |:ein Holy Day:| (Festtag) war – deren Zahl ist Legion – konnte ich die Postsachen nicht bekommen. Ich habe sie nach: „Oban“ (to be called for) 3 erbeten und bitte auch Dich,e was bis zur Ankunft dieses Briefes |:noch:| da ist, dorthin zu senden, Späteres nach Glasgow (to be called for). Wir fahren jetzt nach Skye, wo wir den toten schottischen Sonntag verleben wollen. Es ist ein seltsames Land hier und wir werden Manches zu erzählen haben. Selbst in jenem Pechhütten-Nest4 von Torfgräbern auf den Hebriden fehlte in dem dortigen winzigen „Temperance Inn“, wo wir eine Nacht waren, das Water-Closet mit gerolltem Papier nicht, ebenso wurde der teilweise undefi nierbare Fraß mit aller englischen Peinlichkeit vorgeführt: wenn auch Dein Magen bis zum Brüllen knurrt, Du mußt warten, bis einzeln 2 Theetassen, dann 2 Teller, dann noch 2 Teller, dann 4 Gabeln, Messer, Löffel, dann 1 Thee-Mütze, Brod, Spülnapf etc etc etc hineingebracht und der ganze Krempel in genauem [,] stilvollem Arrangement aufgebaut ist – zuweilen um wild zu werden. Bald mehr – herzlichen Gruß – vonf uns an Euch Dein Max
d O: Rododendron
e 〈bis〉
f Fehlt in O; von sinngemäß ergänzt.
1 Auf den Äußeren Hebriden war das zu den keltischen Sprachen gehörende Schottisch-Gälisch traditionell stark verbreitet. Nach dem Zensus von 1901 sprachen dort ca. 75% der Bevölkerung Gälisch. Die Durchsetzung der englischen Sprache im Schulwesen war erst mit dem „Education Act“ von 1872 erfolgt. Vgl. Maurer, Michael, Kleine Geschichte Schottlands. – Stuttgart: Reclam 2008, S. 240–244. 2 Vgl. hierzu den Brief an Helene Weber vom 22. Aug. 1895, oben, S. 110 f. (mit Anm. 5 und 8). 3 Engl. für: postlagernd. 4 Anspielung auf die sprichwörtliche Redensart von den „aschgrauen Pechhütten“, als Bild für äußerste Abgelegenheit. Vgl. dazu den Brief an Helene Weber vom 24. Aug. 1895, unten, S. 115 mit Anm. 4.
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Helene Weber [24.] August 1895; BK Strome Ferry Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 5, Bl. 9–11 Die Tagesangabe ist anhand des Briefinhalts erschlossen. Aufgrund der nachfolgend, wie auch im letzten Brief an Helene Weber (vom 22. August 1895, oben, S. 108–111) genannten Orts- und Zeitangaben, muß vorliegender Brief nach der Rückkehr von Lewis, am 24. August geschrieben worden sein (vgl. dazu auch die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Fritz Baumgarten vom 24. August 1895, oben, S. 112). Die unten beschriebene Weiterfahrt von Strome Ferry aus – zunächst mit dem Wagen über Loch Alsh und von dort aus weiter per Dampfboot nach Portree – belegt, daß er nach der Rückreise auf das schottische Festland und vor- bzw. während der Dampferfahrt zur Insel Skye verfaßt wurde. Bestätigt wird die Datierung auf den 24. August 1895 durch einen Nachtrag Marianne Webers am Ende des Briefes. Am Tag nach der Ankunft auf Skye schrieb sie: „Hier in Portree sind wir ganz gut untergekommen, haben uns ordentlich ausgeschlafen, u. machten heute (Sonntagmorgen) einen kleinen Spaziergang durchs Dorf, bei dem wir nicht weniger als sechs Kirchen zählten.“ Der 25. August 1895 war ein Sonntag. Der Brief enthält weitere Zusätze von der Hand Marianne Webers, die hier nicht wiedergegeben werden.
Station Hotel Strome Ferry. 24.a VIII 95 Liebe Mutter! Ehe wir auf den Dampfer nach Portree (auf Skye) gehen, will ich doch unser Schicksal kurz registrieren. Von Stornoway aus fuhren wir 2 Stunden lang auf einerb Straße quer durch die Insel, welche an Öde Alles bisher Gesehene übertraf: so weit man sah, nichts als braunes Moor.1 Dann kamen einige weiße Punkte in Sicht, zugleich mit dem Ozean, und Einer dieser Punkte entpuppte sich als das einstöckige Temperance Inn, 2 wo wir in eine Stube eintratenc[.] Auf dem Dampfer nach Skye, denselben Tag. Ich wurde hier unterbrochen. – Barvas schien Anfangs nur aus den besagten 3 hell gestrichenen Höfen zu bestehen. Sonst sah man nur, die Straße entlang, sich Reihen von scheinbar großen Maulwurfshügeln hinziehen. Näher angesehen zeigten sich diese aber als ca 100 Erdhöhlen, in denen ebenso viele Familien ihre Unterkunft hatten. Überirdisch ist nur eine etwa a O: 22.
b 〈[??]〉
c Unsichere Lesung.
1 Besonders der Norden von Lewis ist durch weite Torfmoorlandschaften geprägt. 2 Zu den Temperance Hotels vgl. den Brief an Helene Weber vom 14. Aug. 1895, oben, S. 100, Anm. 11.
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1 Meter hohe Mauer aus Strandsteinen aufgeschichtet, das Dach aus Torf, gegen den Sturm dadurch geschützt [,] daß ein mit Steinen beschwertes Stricknetz darüber lag, mit einem Loch für den Rauch. Darin existierte die kein Englisch verstehende gälische Bevölkerung von Torfgräbern.3 Damit contrastiert es zuerst seltsam, daß jede Familie ein Pferd und einen Wagen besitzt, ihr einziges Capital für das Abfahren des Torfs nach Stornoway. Wir waren nun also Gott sei Dank wirklich an das Ende der Cultur, zu den „aschgrauen Pechhütten“ der Berliner Redensart,4 gekommen. Auf den Marschen nach der See zu weidete zahlloses halbwildes Rindvieh, bei den Hütten die Pferde, auf dem Moor Schafe, dazu wird etwas Hafer um die Hütten herum gebaut. Nachdem wir diesen Zustand |:der paradiesischen Uncultur:| mit Befriedigung constatiert hatten – |:d. h.:| im „Hotel“ kamen wir in einem ganz sauberen Zimmerchen, an dessen Decke ich mit dem Kopf stieß, zu ebener Erde unter, das Menü schrumpfte zu Hammelcotelettes (von riesiger Dimension) und einem seltsamen Pudding mit violettem Kleister, – das hinderte aber nicht, daß diese Schätze nach Art der größten englischen Hotels, mit 5–6 Essigen, Cherry-Sauce etc etc., X Tellern und Tellerchen, riesigen Blechdeckeln und dem ganzen pedantischen Klimbim, bei dessen Arrangement Einem, wenn man hungrig ist,d die Galle überläuft, aufgetragen wurden, daß ferner Institute wie das hier zu Lande mit W.C. abgekürzte sich in full dress befanden, kurz [,] daß auch in diese Gegend der Erdhöhlenbewohner die Hotel-Cultur Englands ihre Strahlen geworfen hatte, – also: nachdem wir dieses Alles gesehen hatten, suchten wir den Strand mit den „very strong baths“, von denen man uns gesprochen hatte. Siehe da: er war nicht da, d. h. er war mit Steinen überhäuft und unzugänglich. Es begann zu regnen, wir verirrten uns in den Dünen, quatschnaß, verstenkert vom Erdhöhlenrauche und mit Torf bespritzt langten wir wieder „zu Haus“ an. Man belehrte uns, der Strand liege nördlicher, am nächsten Morgen machten wir uns auf die Strümpfe – aber mit noch negativerem Erfolg: erd 〈Jedesmal〉
e Unsichere Lesung.
3 Zur Verbreitung des Gälischen vgl. den Brief an Fritz Baumgarten vom 24. Aug. 1895, oben, S. 113, Anm. 1. 4 Sprichwörtlich für äußerste Abgelegenheit; da Pechhütten sich an entlegenen Orten befanden, von denen Holz kaum abzutransportieren war und zu Kohle oder Pech verarbeitet wurde (vgl. Borchardt-Wustmann-Schoppe, Die sprichwörtlichen Redensarten im deutschen Volksmund, nach Sinn und Ursprung erläutert, 7. Aufl., neu bearb. von Alfred Schirmer. – Leipzig: VEB F.A. Brockhaus Verlag 1954, S. 38 f.).
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stens fanden wir nur eine hohe Felsenküste, an der in zahllosen Klüften in wundervoller Brandung der Ozean tobte, zweitens aber konnten wir auch dies Schauspiel nicht in Ruhe genießen, denn zwei ungeberdige junge Bullen stürmten im Galoppf auf uns los, rannten uns über den Haufen und warfen uns die Küste hinab, glücklicherweise an einer Stelle, wo zunächst ein sandiger Abhang und dann erst die Felsenriffe lagen. Nach diesem Genuß hatten wir von Barvas genug und fuhren am Abend zu Wagen durchg den Nebel und die Heide nach Stornoway zurück und gleich weiter die Nacht durch bis Strome Ferry, wo wir uns, der menschlichen Cultur wiedergegeben, von allem BB5 dieser Phäaken-Fahrt reinigten.6 – Statt, wie ich, als ich den Brief begann, glaubte, dort auf den Dampfer zu warten, entschlossen wir uns dann aber im Wege einer Wagenfahrt ihm einige Stationen vorauszufahren. Diese Fahrt – d. h. meist ging es steil bergauf und dann saß nur Marianne auf dem Wagen, dann ebenso steil sausend bergab, – zum Loch Alsh und dem daran liegenden Balmacara-Hotel ist doch noch schöner als Loch Maree gewesen, sie war gradezu unglaublich schön durch die Combination phantastischer Bergformen, die sich wirr durcheinander drängten, der mannigfachsten Färbungen von tintenschwarz bis hellgrün auf den Felsenkuppen, den zwischendurch ziehenden Wolken und den braunen Bergwässernh und schwarzen Lochs – dabei mit Durchblicken in eine scheinbar endlose Ferne über die Meeresbucht hin auf weitere Berggruppen. Jetzt fahren wir Portree entgegen, wo wir einige Tage bleiben, um Skye zu durchwandern. – Ich breche lieber hier kurz ab; draußen wird es eben allzu schön. Ein Brief, der Donnerstag abginge,7 wird uns, denke ich, in Glasgow am sichersten erreichen. Weitere Pläne noch unbekannt. Herzlich Max
f O: Gallopp
g 〈die〉
h Alternative Lesung: Bergwüsten
5 Lautmalerisch für Bäh, Bäh; Schmutz, Dreck. 6 Vermutlich eine Anspielung auf den 6. Gesang in Homers Odyssee (Odysseus Ankunft bei den Phäaken), in dem Poseidon einen Orkan schickt, Odysseus mit seinem Floß Schiffbruch erleidet und nur mit Hilfe der Göttin Leukothea schwimmend das rettende Ufer der Insel erreicht. 7 Donnerstag, der 29. August 1895.
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Helene Weber 28. August 1895; auf der Fahrt von Portree nach Oban Brief; eigenhändig, von Marianne Weber mitunterzeichnet GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 5, Bl. 12–16 Max Weber verfaßte den Brief an Bord des Raddampfers R.M.S. Gael auf der Rückfahrt von der Insel Skye nach Oban. Die „Gael“ pendelte von 1892 bis 1914 jeden Sommer im Zweitagestakt zwischen Oban und Gairloch, wobei sie auch in Portree (auf Skye) anlegte. Der Brief enthält Zusätze von der Hand Marianne Webers, die ihn auch mitunterzeichnete.
Glasgow and Highland Royal Mail Steamers The Royal Route R.M.S. „Gael“ auf der Fahrt von Portree nach Oban 28. VIII. 1895 Liebe Mutter!
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Jetzt sind wir wieder auf der Fahrt von Skye nach Süden und da das Wetter schlecht ist will ich die Zeit benutzen Dir zu schreiben. Der Gegensatz der Culturzustände auf den Hebriden und Skye war drastisch genug. In Barvas auf Lewis hing in unsrem Zimmerchen als Merkwürdigkeit das wohlgelungene Bildniß einer Lokomotive, es leben dort noch 2 alte Weiberchen, die Steingutgeschirr mit der Hand drehen, wir sahen solches: wunderlich primitive Formen, auf welche dann unvermittelt moderne Theekannen- und -Tassen-Motive gepfropft sind. Selbst in Stornoway hatte der Wirth noch nie eine 10 £-Banknote der Bank von England gesehen, er hielt sie für einen Check und verlangte das Indossament.1 In Skye ist durchgebildete Fremden- und Hotelcultur. Wir blieben zunächst den schauerlich öden Sonntag in Portreea, 2 – glücklicherweise regnete es. – Montag und a In O folgt der Zusatz Marianne Webers: uns an den sechs vorhandenen, nach einander bimmelnden Kirchen ergötzend. 1 Indossament ist ein Vermerk, in der Regel auf der Rückseite (ital. in dosso) eines Wertpapiers, das zugunsten einer namentlich genannten Person ausgestellt ist. Mit dem Vermerk werden die Rechte an dem Papier, speziell das Eigentum, auf einen anderen als den ursprünglich Berechtigten übertragen. 2 Die Stadt Portree bot sich laut Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 412, als Ausgangspunkt für Ausflüge auf Skye am besten an.
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Dienstag machten wir dann ein paarb Bergtouren im Nord und Süd der Insel. Trotzdem es sich nur um Berge von 2000–3000 Fuß und wenig darüber handelt und trotz der lauen Luft haben die Bergpartien selbst durchaus alpinen Charakter, auch die Blicke hinab auf die Lochs und die See erinnern im Gesammteindruck durchaus an den Rigi3 und Pilatus.4 Nur fehlen die Schneeberge, dafür öffnet sich zwischen den teils glockenförmigen, teils zackigen Gipfeln der „Ben‘s“5 und „Sguirr‘s“c6 der Blick auf die gleichfalls scheinbar berghoch zum Horizont ansteigende Fläche des Ozeans. Die geringere Höhe wird dadurch ausgeglichen, daß die Berge eben direkt vom Meere aus aufsteigen. – Am ersten Tage waren wir im äußersten Norden der Insel in der merkwürdigen Klippenregion des „Quiraing“.7 Man fährt zuerst 2 Stunden bis zu einem kleinen Hotel, wo man luncht – wir fuhren, da das Wetter unfreundlich war, allein auf dem kleinen Wagen. Dann abermals 1½–2 Stunden, dann wird man von einem Bergführer in Cur genommen. Es ging zunächst einen richtigen Alpenpfadd an einer teils steinigen, teils grasbewachsenen Halde, deren Abhang direkt ziemlich steil 1000 Fuß hinabreicht bis in das Thal [,] das man unter sich sieht, entlang. Dann geht es einen Pfad bergan, den man zum Teil auf allen Vieren kriecht, bis zu einem Gewirr von Klippen, den „Needles“ und wie sie alle heißen, in deren Mitte ein kleiner grasbewachsener Raum ist, von dem aus man zwischen den direkt aus dem Meer 1600–2000 Fuß hoch ansteigenden spitzen zerklüfteten Felsen |:in:| die See sieht. Einige Damen, die mit einem Herrn von anderswoher gekommen waren, blieben zurück und ich muß sagen, daß ich jeden Augenblick glaubte, meine Gattin kopfüber in die Tiefe sausen zu sehene – aber siehe da, Mariannchen entpuppte sich als eine vortreffl iche Bergsteigerin, namentlich was das Klettern anbetrifft. Da das Wetter mangelhaft b O: Paar c Alternative Lesung: „Sguire’s“ d 〈über〉 e In O folgt der Zusatz Marianne Webers: für den Gatten schien mir die Gefahr größer, nach seinem Pusten, Ächzen u. Schimpfen zu urteilen 3 Bergmassiv in der Zentralschweiz, zwischen Vierwaldstätter- und Zugersee. 4 Bergmassiv der Luzerner Voralpen. 5 Ben (oder Beinn) ist die gälische Bezeichnung für einen großen, massigen Berg. 6 Vermutlich ist der gälische Begriff Sgùrr für einen schroffen, felsigen Berg gemeint. 7 Der Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 412, empfahl einen Besuch „vielleicht der großartigsten Felsenscenerie ganz Großbritanniens“ nachdrücklich. Die auf der Halbinsel Trotternish gelegene Landschaft des Quiraing wurde als eine „von hoch aufragenden Klippen und Felszacken in den seltsamsten Formen umschlossene[n] Grasfläche“ beschrieben (ebd.).
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war, so fand ich die letzte Kletterpartie nicht ganz lohnend, die Szenerie oben ist mehr interessant als schön, der Weg an der Berghalde entlang dagegen mit dem weiten Blick über die Küste und das Meer hinaus ist prachtvoll. Ebenso interessant und zugleich weitaus schöner war die Tour am zweiten Tage nach dem Süden der Insel, zu den „Cuchullin Hills“,8 Loch Coruisk9 und Loch Scavaig10 über Sligachan,11 zuerst zu Wagen, dann mehrere Stunden per Pony und schließlich zu Fuß auf steilem Alpenpfad. Zuerst regnete es, wie fast jeden Tag in Skye, und ich war einigermaßen wütend über diese ewige Douchef; aber man darf sich hier durch Regen nicht von einer Tour abhalten und durch Sonne nicht dazu encouragieren lassen. Es wurde nachher prachtvolles, d. h. ganz zur Landschaft passendes Wetter: zwischen den Wolken, die um die zackigen Bergkronen sausten, brach immer wieder die Sonne durch, von Zeit zu Zeit senkte sich ein fein gewebter weißer Schleier von den schwarzen Klippen herab in das Glen, kam auf uns zu und entpuppte sich als ein kurzer Regenschauer, als ob eine Gießkanne ausgegossen würde. Der Weg vom Sligachan Hotel in die Berge – die sog. „Cuchullin Hills“ oder „Cocolin Hills“ hinein, ist schlechterdings heillos, ich habe einen so rauhen „Pfad“ – durch reißende Bäche, fußtiefe Moore, Geröll, schlüpfrige Wiesen, schneidend scharfe und glatte Felsen aufund absteigend [–] kaum je gesehen.12 Man würde ihn für Menschen fast ungangbar nennen: daß aber die Pferde ihn machten, werde ich nie begreifen. Ich saß auf einem stämmigen kleinen Pony, mit den Beinen fast auf die Erde reichend, wie der Erzvater Jakob,g Marianne seelenvergnügt auf einem hochbeinigen Viech, dazu ein Führer, so ging es f In O folgt der Zusatz Marianne Webers: schimpfte wie ein Rohrspatz g In O folgt der Zusatz Marianne Webers: dabei spreizte er immer an der freien Hand den Daumen 8 Gemeint sind die im Südwesten von Skye gelegenen Cuillin Hills, bestehend aus den – durch Glen Sligachan getrennten – Massiven der Black Cuillins und der Red Cuillins. Die von Weber benutzte Schreibweise orientiert sich am Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 412. 9 Am Fuß der Black Cuillins gelegener Gletschersee. 10 Loch Scavaig bildet eine in die Insel einschneidende Meeresbucht, welche der Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 412, als „wildromantisch“ bezeichnete. 11 Loch Scavaig war über See zu erreichen, aber auch auf dem Landweg durch Glen Sligachan bis zum Sligachan Hotel, einem Ausgangspunkt für Touren in die Cuillin Hills (ebd.). 12 Vom Sligachan Hotel aus war die Berggruppe der Cuillin Hills zu besteigen. Der Weg sei „steil und mühsam, aber sehr lohnend“; Frauen wurde von der Tour allerdings abgeraten (ebd.).
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los, wie die heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten. Die Pferde waren bald knietief im Wasser, |:durch mehrere Meter breite Bäche mit felsigem und Geröllboden watend:| bald quatschten sie imh Moor, bald rutschten die Geröllmassen unter ihnen, bald kletterten sie scheinbar fast senkrechti empor, um dann wieder ebenso abzusteigen, man hielt es zunächst nicht für möglich, daß sie nicht bei jedem Schritt ein Bein zwischen den Steinen ließen, fühlte sich aber bald ganz sicher. Freilich ist von meinen Reitkünsten nicht viel geblieben und wenn „Charlie“ an ebenen Stellen sich in einen Zuckeltrab setzte, mußte ich öfter vom „Majorszügel“13 Gebrauch machen. Auch sind mir einige Körpergegenden derart massiert und ramponiert, daß ich noch jetzt gern weich sitze – Marianne zeigte sich darin besser ausgestattet.j Es ist fabelhaft, wie gut ihr die Reise bekommt: auf ihre |:knall-:|rothen Backen (und d[it]o Nase) k gehen alle Bullen sofort los,l sie ist dicker geworden, ohne Migräne, ißt das Doppelte von mirm und schläft wie ein Murmeltier 10 n Stunden lango – das Ganze ist ein unendlicher Unterschied gegen die Hochzeitsreise mit ihrer nervösen Hast,14 ein solches Gefühl von Entlastung nach jeder Hinsicht haben wir bisher noch niemals gekannt.p Von der Höhe der „Cuchullins“ sieht man durch ein wildes Felsenthal, den „Loch Coruisk“ [,] der am entgegengesetzten Ende eine Lücke offen läßt, in die Felsenbucht des „Loch Scavaig“ auf die hellbeleuchtete See. Über den Lochs |:und unsren Köpfen:| lag eine Wolkenschicht, so daß man die Scenerie darunter her erblickte, als wenn der Vorhang des Theaters sich nicht ganz gehoben hat. Die Felsformen sind zum Teil schier unglaubliche und zwischen diesen zerfetzten Zackengipfeln tauchen dann glockenförmige Kuppen auf, die ganz so aussehen, als ob der quellenartig emporsprudelnde Basalt plötzlich erstarrt wäre. Es
h Alternative Lesung: ins i In O folgt der Zusatz Marianne Webers: ? j In O folgt öffnende Klammer mit gleicher Tinte von der Hand Marianne Webers. k In O folgt der Zusatz Marianne Webers: na, na, l In O folgt der Zusatz Marianne Webers: ob nicht auf Maxens erst recht! m In O folgt der Zusatz Marianne Webers: frech gelogen! n In O folgt der Zusatz Marianne Webers: ? o In O folgt der Zusatz Marianne Webers: Max geht am liebsten um ½10 zu Bett. p In O schließende Klammer mit gleicher Tinte von der Hand Marianne Webers. 13 In den zahlreichen Wörterbüchern zur Soldatensprache um 1900 findet sich der Begriff nicht. Gemeint sein dürfte wohl die Mähne des Pferdes. 14 Im Herbst 1893 hatten Max und Marianne Weber eine nur kurze Hochzeitsreise nach London und Paris unternommen.
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war die ganze etwa 10stündige Partie wohl das Lohnendste [,] was wir bisher an Touren gemacht haben.q Jetzt sind wir seit ½9 Uhr wieder auf dem Schiff um nach Oban zu fahren [,] wo wir heut Abend ankommen. Ist das Wetter gut [,] gehen wir morgen nach Iona15 und Staffa,16 wenn nicht, lassen wir es bleiben, da manche unserer Partien jedenfalls mindestens von gleicher Eigenart waren wie Staffa sein kann [.] Dann wollen wir auf einem kleinen Umweg nach Glasgow. Dort werden wir wohl noch Sonntag sein. – Dann aber wollen wir über Dublin oder Londonderry nach dem kleinen Seebad Kilkeer, unweit Limerick nördlich der Shannon-Mündung und werden dort dann wohl den Rest unserer Zeit und unseres Geldes durchbringen. – Man hätte ja mit einem „Circular-Ticket“ die Reiserei billiger gestalten können,17 aber ich muß doch sagen, daß ich in einem uns noch unbekannten Land die Ungebundenheit in der Route unschätzbar fand und es vorzog, lieber einige Tage früher abzubrechen, wenn das verfügbare Capital zu Ende ging, als an gleichgültige Orte gebunden zu sein. Freilich hat unser unstätes Herumvagieren die Folge gehabt, daß wir von Euch bisher nichts hörten und vons Freiburg nur in Invernesst und Stornoway – auf dem Rückweg kamen wir dort um Mitternacht durch, so daß ich keinen Brief abholen konnte.18 Es wird sich nun wohl Alles in Oban und Glasgow, wohin ich es bestellte, aufgesammelt haben. – Von nun an bitte ich Dich, poste restante19 Limerick (Ireland) zu schreiben. – Am 15. IX. wollen wir wieder in Freiburg sein. Herzlichen Grußu Maxv q In O folgt der Zusatz Marianne Webers: Das Reiten war begeisternd, nur war mein Bein zu dick für den Damensattel u. wurde deshalb etwas gequetscht r Kilkee > Kilkee s in > von t O: Inverneß u In O folgt der Zusatz Marianne Webers: u. Kuß. v In O folgt der Zusatz Marianne Webers: u. Marianne 15 An der Südwestküste von Mull gelegene Insel, auf der Kolumban der Ältere im 6. Jahrhundert ein Kloster errichtet hatte. Eine um 1200 dort wiedergegründete Abtei bildete bis zur Reformation eines der regionalen geistlichen Zentren. 16 Zur Insel Staffa vgl. den Brief an Helene Weber vom 17. und 18. Aug. 1895, oben, S. 102 f., Anm. 8. Eine Fahrt dorthin hatten Max und Marianne Weber schon zehn Tage früher geplant, aufgrund des Wetters aber verschoben. 17 Die schottischen Eisenbahnen boten für zahlreiche „Circular-Tours“ spezielle Rundfahrkarten an, für die eigens auch „Tourist Handbooks“ herausgegeben wurden. Die Tikkets waren für Eisenbahn, Dampfboot und Coach gleichermaßen gültig (Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 375 f.). 18 Vgl. hierzu den Brief an Helene Weber vom 24. Aug. 1895, oben, S. 116. 19 International übliche Bezeichnung für: postlagernd.
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Helene Weber 1. September 1895; Belfast Brief; eigenhändig, von Marianne Weber mitunterzeichnet GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 5, Bl. 17–20 Wie sich aus der im folgenden (sowie im Brief an Fritz Baumgarten vom 1. September 1895, unten, S. 129) beschriebenen Reiseroute ergibt, verfaßte Max Weber den Brief vor der Zugfahrt von Belfast nach Dublin, demnach vor dem Brief an Fritz Baumgarten (aus Dublin) vom gleichen Tag: Nach einem kurzen Aufenthalt in Glasgow am 30./31. August 1895, hatten Max und Marianne Weber in der Nacht zum 1. September Schottland verlassen und waren per Dampfboot nach Irland, der zweiten Etappe ihrer Reise gefahren. Der Brief enthält Zusätze von der Hand Marianne Webers, die ihn auch mitunterzeichnete. Am Briefkopf fügte sie hinzu: „Ich finde Max schreibt so hübsch u. so anschaulich, daß es Euer Schaden wäre, wenn ich ihn ersetzen wollte, ich lasse ihm deshalb mit Freuden den Vortritt, so lange er so produktiv ist.“
Belfast 1. IX. 95 Liebe Mutter! Obwohl der Sonntag in Irland wenigstens um so viel weniger streng ist, daß wir nachher einen Zug nach Dublin fi nden werden, haben diese Völker hier doch alles Schreibpapier während der „Divine Services“ unter Verschluß, so daß ich einige Fetzen Kanzleipapier zu einem Brief an Dich benutzen muß. Mit großer Freude erhielten wir in Oban und dann in Glasgow endlich Briefe von Dir, bisher waren wir ihnen immer durchgebrannt. – Marianne befi ndet sich, wie Du aus meinem letzten Brief schon gesehen haben wirst,1 recht gut, weder Migräne noch Asthma etc. hat sich eingestellt, auch keine Erkältung und Übermüdung, und ich glaube [,] daß es eher ein gutes Zeichen ist, daß sie diesmal im Gegensatz zur Hochzeitsreise2 etwas zur Seekrankheit neigt, die uns bisher übrigens in der That verschonte. Freilich that uns das Wetter den Gefallen, keine großen Ansprüche an unsre Seefestigkeit zu stellen. In Oban war das Wetter so zweifelhaft, daß wir auch diesmal die Partie nach Staffa, wo der Dampfer nur bei ruhiger See Passagiere aussetzt, nicht unternahmen.3 Dagegen machten wir am Donnerstag eine 1 Dem Brief an Helene Weber vom 28. Aug. 1895, oben, S. 120. 2 Ihre kurze Hochzeitsreise im Herbst 1893 hatten Max und Marianne Weber nach London und Paris unternommen. 3 Die Fahrt zur Insel Staffa hatten Max und Marianne Weber bereits zweimal geplant und wieder verschoben (vgl. die Briefe an Helene Weber vom 17. und 18. Aug., sowie vom 28. Aug. 1895, oben, S. 102 f. und 121).
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Rundtour nach dem „Glencoe“, dem von Macaulay4 schön beschriebenen wilden Schauplatz eines berühmten Massacres unter Wilhelm III; 5 – die Massacres und Morde spielen hier, von Edinburgh und Stirling angefangen, eine große Rolle: man sollte bei der Menschenleere des Landes kaum glauben, daß ein so intensives Bedürfnis nach Beseitigung von Mitmenschen bestanden haben könnte, wie dies offenbar der Fall war: bald die Mac Leods durch die Mac Donalds, dann diese durch die Campbells,6 etc. etc. fressen sich auf, fast allenthalben hat der Tourist die Gelegenheita, sich an den Stellen zu erfreuen, wo dieser oder jener Malcolm etc. ermeuchelt worden ist. – Das Glencoe aber ist freilich nicht nur aus diesem Grunde sehenswerth, sondern in der That von einer Gewalt der Felsenschönheit, wie sie selbst die Berge von Skye
a Freude > Gelegenheit 4 Macaulay, Thomas Babington, The History of England from the Accession of James the Second, 5 vols. – London: Longman, Brown, Green, and Longmans 1849–1861 (zahlreiche Neuauflagen); zuerst in deutscher Übersetzung erschienen unter dem Titel: Die Geschichte Englands seit dem Regierungsantritte Jakobs II. Übersetzt von Friedrich Bülau. – 11 Bände, Leipzig: Weigel 1850–1861. 5 Es handelt sich um das sog. Massaker von Glencoe am Clan der MacDonalds am 13. Februar 1692. Hintergrund war das Vorhaben Williams III., die (jakobitischen) Clans im Hochland mittels einer Amnestie zu einem Treueeid zu bewegen. Ein durch den schottischen Unterhändler John Campbell, First Earl of Breadalbane (vom Clan der Campbells), ausgehandelter Plan sah vor, daß der Eid vor dem 1. Januar 1692 abzulegen sei. Als der chief der MacDonalds von Glencoe, Alasdair Maclain, seinen Eid erst nach Ablauf der Frist ablegte, wurde dies für eine militärische Strafaktion genutzt. Mit stillschweigendem Einverständnis Williams III. rückten Truppen unter Führung von Robert Campbell ins Glencoe vor und töteten Maclain sowie 40 Männer seines Clans (Mackillop, Andrew, Massacre of Glencoe, in: The Oxford Companion to Scottish History, ed. Michael Lynch. – Oxford: Oxford University Press 2007, S. 272). Macaulay beschrieb die Vorgänge von Glencoe in einem ausführlichen Abschnitt als blutige Abrechnung der Campbells mit den MacDonalds; als Gemetzel, dem die überlebenden MacDonalds nur durch ihre Raffinesse und das Ungeschick der Verfolger entkamen. Vgl. Macaulay, The History of England (wie Anm. 4), vol. IV, 1855, Chap. XVIII, Glencoe, S. 191–217. 6 Die MacLeods waren vor allem auf den Inseln (u. a. Skye) ansässig, die Campbells im Hochland (Argyll). Die MacDonalds waren in verschiedene Linien (im Hochland und im Westen) gespalten. Interne Konflikte, aber auch Streit um Land- oder Rechtsansprüche zwischen den Clans waren endemisch, Fehden führten zur Zerstörung ganzer Clans: dem der MacLeods of Lewis im späten 16. Jahrhundert sowie dem durch zahlreiche Aufstände gegen die Krone geschwächten Clan der MacDonalds durch den immer bedeutenderen Clan der Campbells (Roberts, John Leonard, Feuds, Forays and Rebellions: History of the Highland Clans 1475–1625. – Edinburgh: Edinburgh University Press 1999, S. IX–XIV); zum sog. Massaker von Glencoe an den MacDonalds durch die Campbells vgl. Anm. 5.
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nicht zu bieten haben.7 Der Abschied von den Hochlanden brachte uns so einen eigenartigen Genuß, aber allerdings auch einiges ausgesuchtesb Pech. Kaum waren wir unterwegs – man fährt erst mit der Bahn nach Ostenc, dann per Dampfer auf dem Loch Etive – so begann es zu regnen und zu stürmen. Da man das öfter erlebte und nachher doch Sonnenschein fi nden kann in Schottland, dachten wir nichts Böses. Auf der Coach,8 die Einen als dann 6 Stunden lang durch Moor und Steinwüsten schleppt bis Ballachulishd am Caledonian Channel, und auf der mane, da der Bauch des Gefährts für das Gepäck bestimmt ist, hoch oben als Windfang sitzt, steigerte sich der „mist“. Es begann ein stundenlanger Platzregen wie aus Gießkannen. Das steigert in einer Art die Großartigkeit des Schauspiels. Die Wasser, durch keinerlei Wald etc aufgehalten, stürzen mit ungeheurer Wucht über die Klippen und Kuppen der Berge hinab. Lange schon ehe man die Umrisse eines Berges durch den Nebel erkennen konnte, sah man das Silbergeäder der strömend herabstürzenden Gewässer hoch in der Luft. Im Glencoe war ein Wasserreichtum wie angeblich seit 20 Jahren nicht, der sich tobend und brausend durch die Klippen zwängte, die Straße teilweise in einen Strom und alle Wiesenflächen in Seen verwandelte. Mit einem wahren Ingrimm und wie fortgesetzte Peitschenschläge sauste Einem der Regen ins Gesicht, man war wie |:von zahllosen Ohrfeigen:| zerbläut nachher und der vor die Augen gehaltene Schirm zerstäubte den Regen nur, ohne gegen ihn zu decken. Trotz aller Einwicklung in Gummidecken blieb kein Faden trocken. In dem wundervollen Ballachulishf Hotel kamen wir wie Räuber an, so daß der winzige Hotelköter die ganzen Stunden, die wir da waren, uns unausgesetzt ankläffte. – Die trotzdem schöne Fahrt war so etwas kostspielig: sie kostete einige £, – die wir ausgaben, – meinen Mantel – den der zerfl ießende Baedekerg mit einer kirschrothen Sauce drapierte – Mariannes Wasserkluft – rabenschwarz – und Winterjacke – in bejammernswertenh Zustand |:versetzt:| – und eineni Fuß, – den ich mir auf einer schlechten Dampfb Alternative Lesung: ausgesuchte c Westen > Osten d O: Ballachullish e O: Mann f O: Ballachullish g O: Baedecker h O: bejammernswertem i In O folgt der Zusatz Marianne Webers: rechten 7 Glencoe (oder: Glen Coe), ein südlich des Ben Nevis gelegenes sechzehn Kilometer langes Gletschertal, gilt als eines der spektakulärsten Täler der Highlands. 8 Eine zwei- oder vierspännige Kutsche mit Innen- und Außenplätzen; auf einigen Routen das einzig regelmäßig verkehrende Beförderungsmittel (Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. XX).
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schifftreppe umknickte.j Aus letzterem Grund war es ganz gut, daß wir Freitag |:wesentlich:| nur zu fahren hatten – nach Glasgow – Sonnabend ebenfalls – in Glasgow ruhen und hierher – und auch heute – nach Dublin. – Der Umstand, daß wir |:das schöne aber teuere:| Ballachulishk Hotel nicht früher kannten, hat uns einige £. gespart und diese benutzten wir um in Glasgow Marianne, die etwas aschenbrödelhaftl aussah, namentlich gegenüber den reizenden Toiletten hier,m wieder lecker auszugestalten. Es ist unglaublich wie billig man in Glasgow die wundervollsten mantelartigen Cape’s, dick und warm, allerliebst gefüttert und garniert in schottischen Farben, haben kann: für 2–3 Guineen bekommt man wahre Ausstellungsexemplare. Da Marianne auf der Fahrt etc. stets ihr rothes Kleid trägt – also auch das graue nicht verdorben hat, wie sie Dir zu sagen bittetn – so sah sie aus diesem Staat heraus zuerst wie ein fideler Borsdorfer Apfel, der in Hummer-Majonnaise gerathen ist,o aus. – Damit war dieser Schaden repariert. – Meinen Fuß haben wir in einer elastischen Binde untergebracht und es geht ihm gut. – Der Gegensatz der Glasgower gegen die Hochlandschaft war freilich für die |:Lunge und:| Nase nicht erbaulich. Ein so dreckiges Loch haben wir noch kaum gesehen. Bei den schottisch-englischen Städten wirken ja die Straßen ohnehin wenig freundlich. Die Hausfaçaden schmucklos glatt, die obersten Fenster bis dicht an das Dachgesims reichend, das Dach selbst flach und deshalb unsichtbar, dagegen auf allen Brandmauern zinnenartig die zahlreichen runden Schornsteinchen, einen für jeden Kamin im Hause, – aber in Glasgow kommt dazu [,] daß alles wie angeblakt9 aussieht, ein- und dieselbe schwarze Rußfarbe hat. Das ganze Nest [,] vonp einer äußerlich unscheinbaren, aber |:innen:| schönen, bergunter gebauten Kathedrale10 und dem dahinter bergartig ansteigenden, an Père Lachaise in Paris erinnernden (nur poësieloseren) Friedhof11 bis zu der prachtvollen Universität [,] ist j In O folgt der Zusatz Marianne Webers: O ja! Das drohte zuerst tragisch zu werden! Wir kamen aber mit vielem Fluchen u. Schimpfen, einer Gummibinde, niedrigen Schuhen u. einem rotunterlaufenen Enkel weg. k O: Ballachullish l In O folgt der Zusatz Marianne Webers: entsetzlich! m In O folgt der Zusatz Marianne Webers: Max wird immer ganz neidisch auf die vielen eleganten Erscheinungen n In O folgt der Zusatz Marianne Webers: das graue wird immer als Dinnertoilette aufgespart! o In O folgt der Zusatz Marianne Webers: na, na! p mit > von 9 Vom mittelniederdeutschen bzw. mittelniederländischen blaken (rußen, schwärzen); so viel wie: rauchgeschwärzt. 10 Die 1816 fertiggestellte katholische St. Andrew’s Cathedral. 11 Necropolis, der Hauptfriedhof Glasgows (Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 400 f.).
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in Dunst und Qualm gehüllt, aus dem sich am Clyde die Schiffsmasten, und sonst fast nur die beiden Schornsteine von der Höhe des Münsterturms erheben.12 Dazu dieser Whiskeydunst am Feierabend – besonders als wir Sonnabend gegen Abend zur Bahn fuhren, torkelte fast jeder zehnte Mensch auf Buchanan- und Argyle-Streetq,13 auch Frauen und Jungen, die überdies frech bettelten. Merkwürdig ungastlich sahen von Außen auch die Familienhäuser der – unterhalb der Landlords und Millionäre befi ndlichen – begüterten bürgerlichen Klassen in Glasgow (übrigens auch in London) aus. Schmucklos und angeblakt wie alle – es macht eben wegen des schmutziggrauen Anstrichs, den die Atmosphärer giebt, freilich wenig Unterschied, ob sie aus Sandstein (wie in Glasgow oft) oder schmutziggrauen Ziegeln erbaut sind: man erkennt das nur bei genauerem Zusehen. Nur die feinen Gardinen lassen das behagliche Interieur vermuthen. – Aus dem ungastlichen Loch,s einem |:planlosen:| Hümpel14 von Fabriken, Geschäftshäusern mit überlebensgroßen Reklamen, und einigen Wohnvierteln wie die meisten britischen Handelsstädte, und damit aus Schottland kamen wir dann gestern hierher. Man fährt zunächst per Bahn zur Küste, wo hier zwischen den schönen grünen Wiesenmatten die schwarzen Maulwurfshaufen von Kohlengruben und große Etablissements mit ihren Schloten die Landschaft beleben. Dann brachte uns ein kleiner, aber ganz transatlantisch mit festgeschraubten Drehstühlen, elektrischem Licht, Butzenscheiben etc. eingerichteter Dampfer in rasender Eile durch die mondbeschienene See – der erste Mondschein, den wir sahen, auch Sterne sahen wir nur in Barvas – an die irische Küste und nach Mitternacht kamen wir hier an. Es ist etwas weniger sauber in den Hotels, das ist bisher der erste irische Eindruck. Hier ist nicht viel los, Belfast verhält sich zu Dublin wie Glasgow zu Edinburgh. Von Dublin gehen wir morgen gleich nach Limerick und Kilkee, dort bleiben wir, denke ich, ca 8 Tage.t q O: Argyll-Street r O: Athmosphäre s 〈[??]〉 t In O folgt der Zusatz Marianne Webers: Hoffentlich! wir sind so entsetzlich herumgefahren − auf allen erdenk12 Es handelt sich um die beiden höchsten, in der ganzen Stadt sichtbaren Schornsteine der St. Rollox Chemical Works (130 Meter) und von Townsend’s Fabrik. Letzterer war mit 142 Metern, laut Baedeker, 1895 der höchste Schornstein der Welt (Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 400). Der Vergleich bezieht sich auf das Freiburger Münster mit seinem 116 Meter hohen Westturm. 13 Die Buchanan- und die Argylestreet waren zwei der belebtesten Straßen Glasgows mit zahlreichen Geschäften (Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 401). 14 Haufen; vom mittelniederdeutschen humpel.
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An Bertha schrieb ich, sie solle am 15ten in Fr[eiburg] sein.15 Clara schönsten Geburtstagsgruß,16 sie muß auf unser kleines Präsent bis zur Rückkehr warten, sonst kostet es Zoll, man weiß nie wie viel. Herzlichste Grüße Maxu
l[ichen] Vehikeln u. ich möchte gern einen Eindruck fester in mich aufnehmen können. u In O folgt der Zusatz Marianne Webers: u. Marianne 15 Bertha Schandau, das Dienstmädchen von Max und Marianne Weber. 16 Max Webers jüngere Schwester Clara feierte am 5. September 1895 ihren 20. Geburtstag.
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Fritz Baumgarten 1. September 1895; Dublin Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 7, Bl. 73–74 Wie sich aus der im Brief an Helene Weber vom 1. September 1895, oben, S. 126, beschriebenen Reiseroute ergibt, verfaßte Max Weber den Brief aus Dublin nach dem Brief an Helene Weber vom gleichen Tag.
Dublin 1. IX. 95 Lieber Fritz! Das Geschäftliche vorweg: Marianne läßt Else,1 die ihr so freundlich war die Erfüllung dieser Bitte zuzusagen, bitten, die Reinmachfrau auf die Tage vor dem 15ten – auf welchen wir Bertha2 zurückbestellt haben, zu bestellen, um Böden u. Treppe reinzumachen, und ebenso den Teppich zua klopfen. Gegen den 15ten bin ich dann so frei Dir in einem recommandierten3 Brief eine 20 Mk.-Note zur Aushändigung an Bertha mitzuschicken. – Nun weiter: ich weiß nicht mehr, von wo aus mein letzter ausführlicherer Brief war.4 Wir sind von Invernessb aus in den Nordwesten, an den „Loch Maree“ in einer prachtvollen Felseneinsamkeit, dann nach der nördlichsten der Hebriden, Stornoway und Barvas, wo wir derart am Ende der Cultur anlangten, daß es uns doch etwas bunt wurde. Wir hatten auf „Seebäder“ gehofft, schon in Stornoway sagte man uns, daß solche nur „in plenis naturalibus“5 vorhanden seien auf den Hebriden, – das hätte uns nun nicht gestört, aber es war schließlich gar kein Strand da, |:alles Felsen,:| – wütende Ochsen nahmen uns auf die Hörner und warfen uns die Dünen hinab, es regnete Bindfaden, die Leute verstanden nur Gälisch, im „Hotel“ hing in unsremc Zimmer eine Abbildung einer Lokomotive als Merkwürdigkeit an der Wand, eine 10 £-Banknote hatten die Leute noch nicht gesehen etc. etc. – kurz wir concen-
a Fehlt in O; zu sinngemäß ergänzt.
b O: Inverneß
c einem > unsrem
1 Else Baumgarten, Fritz Baumgartens Ehefrau. 2 Bertha Schandau, das Dienstmädchen Max und Marianne Webers. 3 Älterer Begriff für: eingeschrieben. 4 Vgl. den Brief an Fritz Baumgarten vom 24. Aug. 1895, oben, S. 112 f. 5 Möglicherweise eine Abwandlung von „in puris naturalibus“; lat.: im reinen Naturzustand; nackt.
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trierten uns schließlich rückwärts. Zunächst nach der Insel Skye.6 Dort haben wir einige richtige Alpentouren gemacht – d. h. die Wege und die Scenerie hatten ganz den Charakter des Vierwaldstätterseesd, nur wilder, dabei war aber laue Luft – teils zu Fuß, teils zu Pferde. Es ist ein fortwährender Wechsel zwischen Nebel, Sonne und Regen, letzterer fällt eigentlich jeden Tag etwas. Dann gingen wir zur See nach Oban an der Westküste und machten von hier aus unsre letzte Hochlandspartie in das „Glencoe“, ein wildes Felsenthal, berühmt durch Macaulay’s Beschreibung der Niedermetzelung des Clans der Mac Donalds durch gastfrei aufgenommene Truppen Wilhelms III.7 Dabei holte uns nun in der That annähernd der Teufel: abgesehen von einigen £ ließen wir meinen Mantel, den der vom Regen flüssig werdende Baedekere roth durchfeuchtete, Mariannes Mantel und Samtjackef, die total ruiniert wurden, 1 Regenschirm, der vom Sturm in eine Fahne verwandelt wurde und meinen rechten Fuß, den ich mir einmal wieder umknickte und aktionsunfähig machte, auf der Strecke. Es soll seit 20 Jahren kein solcher Tag im Glen erlebt worden sein, ich habe einen ähnlich wahnsinnigen Platsch lauwarmen Regenwassers, der stundenlang anhielt, noch nie über mich ergehen sehen. Man wurde durch und durch zu Matsch. Nun hatten wir genug: wir waren absolut nicht mehr präsentabel, namentlich in den dortigen feinen Hotels: jeder Hotelköter kläffte uns wütend an, Mariannes Aufzug mußte erst in Glasgow wieder lecker gemacht werden. In Glasgow blieben wir nur 1 Tag. Es ist wie London u. alle englischen Industriestädte ein unförmlicher Hümpel8 von Schornsteinen, schwarz angeblakten9 Häusern und – zumal Samstag Nachmittags – nach Whiskey stinkenden Menschen, ästhetisch unter jedem Strich. Wir machten [,] daß wir weiter und heute hierher kamen, – per Dampfer Nachts nach Belfast, am nächsten Tag per Bahn weiter. Die Physiognomieg Irlands ist von Schottland ungeheuer abweichend: statt der Einöde |:und Schafweiden:| das mit zahllosen Hütten von Pard O: Vierwaldstädtersees mie
e O: Baedecker
f O: Sammtjacke
g O: Physiono-
6 Zum Aufenthalt auf Skye vgl. auch den Brief an Helene Weber vom 28. Aug. 1895, oben, S. 117–121. 7 Zu dem sogenannten Massaker von Glencoe am Clan der MacDonalds im Februar 1692 infolge verspäteter Leistung eines Treueeides auf William III. vgl. den Brief an Helene Weber vom 1. Sept. 1895, oben, S. 123 mit Anm. 4 und 5. 8 Haufen; vom mittelniederdeutschen humpel. 9 Rauchgeschwärzt.
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cellenpächtern – den elenden Kartoffel essenden und Schnaps saufenden, von englischen Landlords ausgebeuteten Nachfahren keltischer Clans – übersäte grüne Wiesenland, mit Strohdächern selbst in den Landstädten, häßlicherem Typus der Leute, viel Whiskey-Gestank und Besoffenen auf den Straßen Dublins und Belfasts am Sonntag. Wenn wir uns defi nitiv festgesetzt haben, schreibe ich wieder.10 Bis auf Weiteres treffen uns Briefe in: Limerick, to be called for.11 Herzlichen Dank noch einmal für alle Mühe, viele Grüße und gutes Ergehen im Rest der Ferien [.] Stets Dein Max
10 Vgl. den Brief an Fritz Baumgarten vom 6. Sept. 1895, unten, S. 131. 11 Engl. für: postlagernd.
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Fritz Baumgarten 6. September 1895; Kilkee Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 7, Bl. 75–76
Kilkee 6/IX 95 Lieber Fritz!
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Vielen Dank für alle Sendungen, die ich bisher erhielt (darunter auch die Gairloch-Post) [.]1 Wir reisen heute von hier weiter nach Killarney und Glengariff in der Südwestspitze Irlands, um von da aus uns über Dublin und Wales nach London zu retirieren. Anfangs wollten wir hier länger bleiben, aber der Grund – daß wir Kilkee für ein starkes Seebad hielten, trifft nicht zu. Es liegt an einer kleinen Ʊa-förmigen Bucht sehr geschützt und ist Damenbad.2 Draußen freilich rollt der Golfstrom gegen die Küste, aber gegen ungeheure Felsklippen ohne Strand. Wenn man oben steht, klingt das Anprallen jeder Welle wie ein ferner Kanonenschuß. Es ist ganz wunderbar wild und schön auf diesen ca 600–800 Fuß hohen Klippen, ganz die Scenerie von Böcklins „Schloß am Meer“, 3 aber zum Baden ist es nichts. Wir werden deshalb vielleicht noch 4–5 Tage auf der Rückreise in Ostende bleiben. Briefe treffen uns nun mit Sicherheit nur noch in London, Charing Cross Hotel b|:(Charing Cross H.).:|b Alles Andre lasse ich nachschicken. Du erhieltest doch unseren Brief |:mit der Bemerkung:| wegen Bertha?4 Ich habe sie wie gesagt auf den 15ten zurückbestellt. Irland ist ein eignes Land. In Schottland völlige Einöde, hier eine |:noch immer:| dichte elende Bevölkerung über das |:schöne:| Land zerstreut.5 Häßliche und viel betrunkene Leute, unbrauchbar zu allen era In O Zeichnung in Form eines Hufeisens. Schrift.
b Einschub in O in betont deutlicher
1 Im Brief an Fritz Baumgarten vom 13. Aug. 1895, oben, S. 96, hatte Max Weber Gairloch als Postnachsendeadresse angegeben. 2 Kilkee liegt an einer wegen ihrer Hufeisenform auch „horseshoe bay“ genannten Bucht. Deren durch ein Riff besonders geschützte Lage machte Kilkee schon im 19. Jahrhundert zu einem stark besuchten irischen Seebad (Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 442). 3 Gemeint ist Arnold Böcklins Gemälde „Villa am Meer“. Das zwischen 1863 und 1878 in fünf Varianten gefertigte Bild gilt als eines der berühmtesten Werke des Schweizer Malers. 4 Vgl. den Brief an Fritz Baumgarten vom 1. Sept. 1895, oben, S. 128. 5 Das zu Beginn des 19. Jahrhunderts rasante Bevölkerungswachstum in Irland war seit Mitte des Jahrhunderts beendet. Infolge der „Great Famine“ war die Einwohnerzahl von 8,2 Millionen im Jahr 1841 auf 6,5 Millionen im Jahr 1851 gesunken. Bis 1911 sank die
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heblicheren Arbeiten, selbst zum Kellnerberuf zu unzuverlässig. Ist es nicht schaurig? Wirc fanden in Belfast, dann in Dublin eine deutsche Kellnerschaft und hier einen Kellner aus dem „Wilden Mann“6 in Freiburg. Es ist etwas beklemmend unsre Nationalität so häufig grade in der Kellnerbranche im Ausland wiederzufi nden – auch in London sind nicht wenige Hotels mit ganz deutscher Bedienung –, dabei hat z. B. der Mann hier in den 2 Jahren, die er hier ist, schon fast das Deutsche verlernt, – und es ist noch nicht einmal immer angebracht, deutsch statt englisch mit den Kellnern zu sprechen – sie ziehen mit der deutschen Sprache alsbald die Miene dummdreister Vertraulichkeit auf, die unsre deutschen Kellner so widerwärtig macht und die man bei keinem englischen Kellner fi ndet. – Wir sind in sofern hier etwas gepeitschtd, als wir außer mit meinem noch etwas behinderten Fuß7 mit einer heftigen Erkältung begabt sind, die uns verhindert hat, von der wenn auch nicht starken, so doch sonst hübschen Badegelegenheit Gebrauch zu machen, – sonst aber überaus vergnügt. Auf Eins freut man sich für die Rückkehr: auf den deutschen Wald. Darin thut es uns eben doch kein Land, das ich kenne, gleich. Die baumlosen oder baumarmen Heide-, Fels- und Seelandschaften hier haben ihren unübertreffl ichen Reiz, aber die bewaldeten Berge der Heimath kommen Einem, wenn man sie längere Zeit entbehrt, dort auch |:noch:| schöner vor, als man sie bei täglichem Verkehr mit ihnen fi ndet. So bringt man von der Reise die gesteigerte Freude an Dem, was man zu Haus hat, heim, und das ist nicht die übelste Errungenschaft. Herzlichen Gruß, stets Dein Max
c O: wir
d Unsichere Lesung.
Einwohnerzahl weiter auf 4,4 Millionen. Vgl. Gillespy, Raymond, Population, in: The Oxford Companion to Irish History, ed. by S.J. Connolly, 2nd Edition. – Oxford: Oxford University Press 2007, S. 478 f. 6 Gasthaus in der Freiburger Salzstraße. 7 Max Weber hatte sich einige Tage zuvor den rechten Fuß vertreten. Vgl. die Briefe an Helene Weber und Fritz Baumgarten vom 1. Sept. 1895, oben, S. 124 f. und 129.
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Helene Weber 7., [8. und 9.] September 1895; BK Killarney Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 5, Bl. 21–28 Der Brief wurde nach Max Webers eigenen Angaben an drei aufeinanderfolgenden Tagen verfaßt: am Samstag, dem 7. September, am Abend des 8. September („Sonntag“) und am 9. September („Montag“). Er enthält Zusätze von der Hand Marianne Webers, die hier nicht wiedergegeben werden.
GT. Southern Hotel, Lakes of Killarney 7th Sept. (Sonnabend) 1895 Liebe Mutter!
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Der Punkt, an dem wir uns hier befi nden, verdient den Ruf, der schönste der britischen Inseln zu sein, schon nach dem bisherigen ersten kurzen Eindruck. Die kuppenförmigen steilen Berge Schottlands – nur weicher als z. B. auf Skye – fi nden hier zum ersten Mal eine Ergänzung in einer gradezu wundervollen Vegetation uralter Bäume. Die Südwestspitze von Irland, auf der Killarney liegt,1 wird zuerst vom Golfstrom getroffen und so fi ndet man hier alle Gewächse, welche z. B. der Garten der Villa Carlotta am Comersee bietet, 2 üppig im Freien wachsen.3 Der Hotelgarten, ein Park nach englischer Art, mit einsam verstreut stehenden prachtvoll geformten alten Bäumen auf weiten Samtrasenflächena, dazu Teppichbeeten, Spielplätzen, überwiegend ohne Wege – man geht auf dem Rasenteppich – ist der schönste, den ich je sah. Der Blumenluxus der englischen Hotel-Table-d’hôtesb4 führt dazu, daß reizende Blumengärten zu jedem großen Hotel gehören. Es ist nun doch merkwürdig, wie relativ billig dieser teilweise fabelhafte Luxus – Drawing Room5 (in diesem sitzt eben Marianne) für 50–60 a O: Sammtrasenflächen
b O: Hotel-Table-d’hotes
1 In der Grafschaft (County) Kerry. 2 Die Villa Carlotta am Comer See, die für ihren Park mit üppiger südlicher Vegetation berühmt war (vgl. dazu den Brief an Helene Weber vom 22. Aug. 1895, oben, S. 110, Anm. 6). 3 Zeitgenössische Reiseführer bezeichneten Killarney auch als „Eden of the West“ (vgl. Beauties and Antiquities of Ireland. Being a Tourist’s Guide to its most beautiful Scenery & an Archaeologists Manual for its most interesting Ruins, by T. O. Russell. – London: Kegan Paul, Trench Trübner & Co. 1897, S. 1). 4 Hotels, die ein Menü zu einem Fixpreis anbieten. 5 Engl. für: Salon, Aufenthaltsraum.
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Personen, Reading Room (darin sitze ich), Smoking Room (ich rauche seit 4 Wochen nicht), Billiard Room, Golf-, 3 Tennis-, 2 Croquet-Plätze, ca 1½ Ha. Park, Bibliothek etc etc., sehr gutes Zimmer, Breakfasts, Lunchs, Diners mit unerhörten Fleischmassen [–] verzapft wird – d. h. billig nach englischem Maßstab, den man sich unwillkürlich aneignet. Da unsere irische Route fast ganz genau gegeben war, habe ich diesmal ein Round-Ticket von Herrn Cook genommen,6 einschließlich einer Anzahl „Hotel-Tickets“. Herr Cook verkauft nämlich nicht nur zusammengestellte Fahrscheine, sondern auch |:Logier- und:| Speisemarken für alle mit ihm in Connex[ion] stehenden Hotels (die Mehrzahl der typischen „fi rst-rate-Hotels“ im Vereinigten Königreich) c.7 Ist Logis etc. und die typischen drei Mahlzeiten „ausgestanden“, dann zieht man hohnlachend sein Ticket aus der Tasche und zahlt damit statt baar, nur zuzüglich der „Extras“ (Getränke etc. – wir trinken fast nichts, beiläufig bemerkt im Gegensatz zu einem großen Teil auch des feinen englischen Publikums, welches Deutschland für ein wassersaufendes Land halten muß, wenn es uns sieht). Die Art der Einheizung des menschlichen Körpersd in den Hotels ist eben |:in den Hotels ersten Ranges – unde in den andren wiegt der Ärger über die kleinliche Übervorteilung die wenigen ersparten Shillings mehr als auf [–]:| gänzlich typisch geworden und dadurch, einige Luxushotels ausgenommen, auch der Preis, mit welchem man sein Leben vor dem Verhungern rettet. Cook’s Tickets kosten 10½ Sh.8 pro Tag u. Person, alles außer dem Hausknecht eingeschlossen. Faktisch wird sich ein Tag im Ganzen auf 15 Sh.9 im Durchschnitt stellen, wenn man, wie wir, nur etwa alle 3 Tage etwas consumiert, was man im Hotel 1. Rangs nicht consumieren muß. Dazu kommen dann Eisenbahnen, Coachs, Dampfschiffe, kurz die Beförderungskosten u. dgl. – aber nur diese, da man wegen Mangels an Kneipen u. dgl. hier außerhalb der Hotels gar nichts für etwas Anderes ausgeben kann. Doch damit genug der Hotels und zu unsren Erlebnissen. c Schließende Klammer fehlt in O.
d 〈[??]〉
e 〈[??]〉
6 Das 1871 begründete britische Reiseunternehmen „Thomas Cook & Son”, welches schon seit seiner Gründung Pauschalreisen anbot. 7 Wie einige Bahngesellschaften bot „Thomas Cook & Son“ zusätzlich zu speziellen Rundreisetickets auch „Hotel-Coupons“ zu günstigen Preisen an, die Unterkunft und alle Mahlzeiten beinhalteten (Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 375). 8 10½ Shilling entsprachen 1895 etwas mehr als 0,5 £, demnach ca. 10,50 Mark. Vgl. ebd., S. XVII. 9 Entsprach etwa 15 Mark.
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Irland bildet einen merkwürdigen Gegensatz gegen England und Schottland schon aus dem Fenster der Eisenbahn. In Schottland herrscht die majestätische Einöde. Man sieht den Menschen in den Hochlanden kaum. In Irlandf sieht man seine Hand bei jedem Blick aus dem Fenster. Aus Gründen, die in der Vergangenheit der agrarischen Entwicklung liegen, ist das ganze Land fast ausschließlich mit kleinbäuerlichen Einzelhöfen besiedelt. Dörfer sieht man kaum jemals, aber während sie in England durch die berufenen „Einhegungen“ der Landlords verschwunden sind, als die Bauern „gelegt“g wurden,10 haben sie in Irland nie bestanden. Jeder Hof liegt auf dem |:geschlossenen Stück:| Areal, das er bewirtschaftet. Die Entwicklung seit Anfang des 17ten Jahrhunderts, welche eine Confiskation des Landes für englische Grundherren bedeutet,11 hat die alten Eigentümer des Landes zu Zwergpächtern in typischen, mit 1 Thür hinten undh vorn und zwei Fenstern versehenen, weiß angestrichenen Häuschen mit (meist) Strohdachi gemacht. Das ganze Land ist in eingehegten Parcellen unter sie verteilt. Im Norden, bei Belfast und in Ulster, sind es meist lebendige Hecken, im Westen – in den Grafschaften Galway und Clare und in Connaught12 – ist der Boden entsetzlich steinig. Die jährlich herausgepflügten Steine hat man auf den Grenzen aufgeschichtet, später Grenzmauern davon cyklopisch, ohne Mörtel, gebaut, und so ist das ganze Land, bei stundenweiten Fahrten, wie ein schiefwinkliges Schachbrett eingeteilt |:bis oben auf seine nicht hohen Berge hinauf:|. Namentlich die |:zahllosen:| Steinmauern geben der Landschaft ein für uns sehr fremdartiges Aussehen. Wald fehlt ganz, außer da wo wir jetzt sind und an wenigen andren Punkten, – und selbstverständlich ausgenommen die Parks der Landlords. Deren giebt es namentlich am unteren Shanf 〈sieht〉
g „abgemeiert“ > „gelegt“
h 〈f〉
i 〈wohnenden Zwergpächtern〉
10 Es handelt sich um die Einhegung gemeinschaftlich genutzten Landes (Allmende) und Überführung in Privatbesitz (enclosures). Dieser in England seit dem späten Mittelalter einsetzende und ab dem 17. Jahrhundert sich beschleunigende Prozeß begünstigte große Grundbesitzer und verdrängte kleinere Pächter aus dem agrarischen Produktionsablauf. 11 Anspielung auf die 1605 unter Jakob (James) II. erfolgte Abschaffung des tradierten Systems der Landvergabe in Irland. Danach erfolgte die Vergabe des einst durch die irischen Clans besessenen Landes an englische und schottische Grundherren (vgl. Meitzen, August, Die Irische Landfrage und die Stein-Hardenbergische Gesetzgebung, in: SchmJb, 5. Jg., 1881, S. 695–729, hier: S. 712–714). Max Weber behandelte dieses Thema auch in seiner Vorlesung „Agrarpolitik” im Wintersemester 1897/98 (MWG III/5, S. 340 und 483 (Tanaist)). 12 Ältere Schreibweise für die Provinz Connacht, im Westen Irlands.
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non,j dessen grünes Wasser wir gestern nach Limerick durchfuhren – die Landschaft ist etwa eine in stark vergrößerten Dimensionen gemachte Wiedergabe der Potsdamer und Havel-Gegend, nur ohne Sand, – und ebenso hier. Aber im Ganzen sind moderne Landsitze in Irland nicht häufig, meist wird die Rente kdes Pächtersk in England verzehrt. Außer im steinigen Westen ist das Land schön grün, im Osten reicht diel Wiesenfläche meist ohne Dünen bis ans Meer, h[ier im] m Südwesten bot der Blick auf das fruchtbare Hügel[land] n heute etwa das Bild der |:östlichen lombardisch-:| venetianischen Ebene (n[ur] o ohne den Wein). Die Sch[afe] p erreichen eine ganz unerhörte Größe – die „Chops“, Hammelcotelettesq, die man hier zu fast jedem Lunch erhält wie etwa ein Beefsteak bei uns, sind weit größer als die mir bekannten Kalbscotelette[s] r irgend einer Gegend Deutschlands. Auch das Rind[vieh] s befi ndet sich wohl: die feuchte Luft scheint – [ich] t weiß nicht ob es sich wissenschaftlich begründen läßt – dem Haarwuchs gut zu thun, die Rinder haben h[ier] u vielfach lange Haarschwänze, ebenso wie die Mensch[en] v schönes (rothes) Haar. Aber: – an diesen Men[schen] w ist das Haar auch das einzig Schöne. Eine ähnl[ich] x schauderhafte Rasse giebt es sonst kaum wieder. D[ie] y Polen sind mir unendlich lieber.
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Sonntag Abend. Hier kam gestern Marianne und holte mich z[u] z einem Mondscheinspaziergang. Heut Vormittags waren wir dann nach dem (NB aus Fisch und Beefsteak bestehenden) ersten Frühstück 4 Stunden unterwegs in den Besitzungen des Earl of Kenmare13 und nach Ross Castle14 am j 〈den wir gest〉 k Alternative Lesung: der Pächter l 〈Weide〉 m Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten. n Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten. o Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten. p Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten. q O: Hammelcottelettes r Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten. s Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten. t Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten. u Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten. v Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten. w Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten. x Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten. y Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten. z Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten. 13 Valentine Augustus Browne, 4th Earl of Kenmare. Allein Kenmare Park umfaßte einer Beschreibung aus den 1830er Jahren zufolge 500 acres (rund 200 Hektar), die Wälder des Kenmare Anwesens 2000 acres (rund 800 Hektar). Vgl. On the agriculture in the County of Kerry, in: The Quarterly Journal of Agriculture, vol. 7, 1837, S. 317–344, hier: S. 328 f. 14 Auf einer Halbinsel am Ostufer des Lough Leane gelegene Festung, vermutlich aus dem 15. Jahrhundert.
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Lough Leane, zu Fuß, dann nach dem Lunch per Wagen 3 Stunden nach Muckross Abbey.15 Jetzt werde ich auch bald aufhören, das Preisfressen beim Dinner macht Einena doch immer tüchtig müde. Wir wissen vorläufig noch kaum, wie wir zurb Trennung von hier uns schon übermorgen entschließen sollen. Die Schönheit dieses Stücks Erde spottet jeder nüchternen Beschreibung. Von den drei „Lakes of Killarney“ liegt der eine, „Upper Lake“, in den Bergen – zu diesem gehen wir morgen – die andren beiden, eigentlich einer, der durchc Landzungen in zwei ungleiche Hälften geteilt ist, liegt mit der einen Seite an ihnen, an der andren liegt die kleine Stadt Killarney, von ihm durch den eine halbe Quadratmeile großen Park des Earl of Kenmare, dem die halbe Grafschaft Kerryd zu gehören scheint, getrennt. Schon die Alleen nach dem See zu sind von ganz außergewöhnlicher Schönheit. Die inselartige Landzunge oben, an deren schmalster Stelle Ross Castle, eine schöne epheubewachsene Ruine liegt, und ebenso der Park des Earls – auf resp.e in beiden läuft man stundenlang umher – bieten ein Bild einer fast fabelhaft üppigen Vegetation, zwischen die sich Felsen, Seezungen und der Ausblick auf die Berge in mannigfachster Art hineinschieben. Unter sich hat man Brombeer-, Rhododendron-f und Buxbaumgestrüpp, dazwischen Epheu, an freien Plätzen prachtvollen Rasen, neben sich undurchdringlich dichte Rhododendron-g und Lorbeer-Gebüsche, über sich Pinien, Eiben, Steineichen, Buchen etc. Auf den Fahrstraßen heute Nachmittag sah es aus, als ob die Straße durch die in einander verschlungene Vegetation gebrochen wäre, wie durch einen Fels. |:Montag.:| – An dieser Stelle gingen wir gestern zu Bett. Heut machten wir eine Tagestour, zuerst mit Wagen, dann einige Stunden zu Pferde – dies war meinem Fuß,16 der sonst wieder auf dem Damm ist, noch etwas unbequem im Bügel – durch den „Gap of Dunloe“,17 einen a O: Einem b die > zur c 〈eine〉 f O: Rododendrong O: Rododendron-
d O: Keery
e Unsichere Lesung.
15 Ursprünglich im 14. Jahrhundert durch die Franziskaner begründete, mehrfach zerstörte und wiedererbaute Abtei am Lough Leane, rund 5 Kilometer von Killarney entfernt. 16 Max Weber hatte sich einige Tage zuvor den rechten Fuß vertreten. Vgl. den Brief an Helene Weber vom 1. Sept. 1895, oben, S. 124 f. 17 Der Gap of Dunloe, ein Engpaß zwischen den Macgillycuddy Reeks im Westen und den Tomies und Purple Mountain im Osten, war zunächst per Wagen, danach zu Fuß oder mit Ponys zu durchqueren. Der Baedeker, Großbritannien2, 1895, S. 447, empfahl diese Tour auch bei „beschränkter Zeit“ wegen ihrer landschaftlichen Schönheiten.
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steinigen Hochpaß, der an die Skye-Berge erinnert, so steinig, daß selbst die Heide spärlich ist, mit einem Meer von allmälig mit den Frühlingsstürmen und -Wassern thalab geschleiften Blöcken. Man gelangt auf ihm schließlich zu dem früher erwähnten „Upper Lake“, der mitten in den felsigen Bergen gelegen, mit dem großen Ernst und der Einfachheit eigen gegen die lachende Ebene des Lough Leane contrastiert, in den man unter einigen uralten Brücken primitivster Steinform durch ein mehrfach sich in Stromschnellen bewegendes Flüßchen in einer ganz prachtvollen Fahrt gelangt. Auf dem Breitengrade von Berlin Palmen im Freien anzutreffen – die allerdings nur vereinzelt, dagegen alle andren südlichen Gewächse in üppiger Fülle – ist doch immer wieder erstaunlich. Während Marianne der völlig baumlosen Berg- und Heide-Einsamkeit nicht genug bekommen kann, freute ich mich jetzt, nachdem wir sie 4 Wochen fast ausschließlich um uns gehabt, doch auf die deutschen Bergwälder, in denen doch kein Land mit uns concurrieren zu können scheint, – hier scheint es nur die Alternative: Park (mit Rasenflächen und Baumgruppen schönster Art, aber eben: „Park“) oder: |:baumlose:| Einöde zu geben. Hier nun freilich übersteigt die Schönheit des Waldes, wie gesagt, alle Beschreibung, – aber es ist freilich ganz anderer Wald mit andren Empfi ndungsreflexen als in Deutschland. – Hier – endlich! – fanden wir auch, was wir bisher nicht sahen – vereinzelte Exemplare eines erfreulichen Bevölker[ungs]typush. Die Masse zwar und auch die angenehmen Exemplare sind bodenlos zerlumpt gekleidet, Hosenböden, Ellenbog[en] i etc. sind stets durchsichtig und zerfetzt, der Aufzug so, wie [man] j ihn bei einem englischen |:oder schottischen:| Kutscher absolut nie sieht, [auch] k ist die Bettlerplage fast so unleidlich wie in Italien, aber Eines scheint relativ weniger ausgebildet: der Schnaps-Suff. Schon daß die Drivers nicht wie überall sonst Whiskey, sondern Stout erbitten, fällt auf, auf Befragen behauptete ein sehr netter Ire, der unsre Ponies führte [,] auch, es werde hier sehr wenig, weniger als irgendwo in Irland, |:Schnaps:| getrunken, die Begründung war allerdings sozialethisch wenig wahrscheinlich: die Leute seien zu arm dazu. Ebenso tranken die Bootsleute Stout, keinen Schnaps. Die heutigen Unterhaltungen waren die bisher nettesten, die h Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten. i Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten. j Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten. k Verderbte Stelle in O; Blattrand abgeschnitten.
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wir |:mit Leuten des Landes:| hatten. Alle (4) Leute bekannten sich als eifrige Homerulers18 zugestandenermaßen deshalb, weil sie (mit Recht) in dem Landlord die Wurzel alles Übels sehen und diesen dann klein zu kriegen hoffen. Nun sind die agrarischen Zustände hier freilich unglaublich.19 Die detaillierten Ziffern, die über einige kleine Weidepachtungen oben im Gebirge zu erlangen waren, ließen auf einen Pachtwucher schließen, der nur schamlos genannt werden kann. Da, wie die Leute trocken und eigentümlich resigniert bemerkten, das Land jetzt „very quiet“ sei und „Captain Moonshine“20 – die Fenierbanden, 21 welche im letzten Jahrzehnt die Wiederbesetzungen erledigter Pächter mit der Flinte hinderten, 22 [–] vorerst noch schläft, so wurden uns viele ausgetriebene Pächter gezeigt, die teils als Bettler teils als Verkäufer von „Refreshments“ sich durchschlagen. Dabei ist 18 Anhänger der irischen Bewegung(en) zur Durchsetzung politischer Selbstverwaltung („Home Rule“), 1870 zunächst organisiert in der „Home Government Association“, 1873 in der „Home Rule League“, seit 1877 unter Vorsitz von Charles Stewart Parnell in der „Home Rule Confederation“ und ab 1882 in der „Irish Parliamentary Party“ (ebenfalls unter Führung Parnells). Die ersten 1886 und 1893 unter dem liberalen Premierminister William Ewart Gladstone eingebrachten Irish Home Rule Bills waren 1886 im Unterhaus, 1893 im Oberhaus gescheitert. Seit Ende der 1870er Jahre vertrat die Home Rule Bewegung außerdem die Interessen der Katholiken und der irischen Landpächter (Bartlett, Thomas, Ireland. A History. – Cambridge: University Press 2010, S. 315 f.; hinfort: Bartlett, Ireland). 19 Vgl. hierzu auch den Brief an Fritz Baumgarten vom 10. Sept. 1895, unten, S. 144 (mit Anm. 5). 20 Gemeint ist „Captain Moonlight“. Die mythische Figur stand für die während des „Land War“ (1879–1882) zunehmenden Anschlagsaktionen militanter Untergrundgruppen in Irland, die von Drohbriefen, über Verstümmelung von Tieren und Sabotage, bis hin zu Prügel- und Mordanschlägen auf Großgrundbesitzer reichten (Bartlett, Ireland (wie Anm. 18), S. 323). Zum „Land War“ vgl. Anm. 22. 21 Als „Fenians“ wurden die Anhänger der 1858 gegründeten „Irish Republican Brotherhood“ (I.R.B.) bezeichnet, die eine Unabhängigkeit Irlands nur durch bewaffneten Aufstand als erreichbar ansah. Nach einem gescheiterten Aufstandsversuch 1867 existierte die Organisation im Untergrund weiter. Während des „Land War“ (1879–1882) unterstützten die Home Rule Bewegung wie auch die I.R.B. (aus jeweils unterschiedlichen Interessen) die Kampagne der Land League (wie Anm. 22) für die Rechte der Pächter und Bauern gegen die Landlords. 22 Seit ihrer Gründung 1879 kämpfte die durch Michael Davitt initiierte „Irish National Land League“ unter Vorsitz Charles Stewart Parnells in einem temporären Bündnis mit der Home Rule Bewegung und den Fenians der I.R.B. im „Land War“ (1879–1882) für eine Senkung der Pachtzinsen und gegen die Vertreibung verschuldeter irischer Pächter. Infolge der Agrarkrise Ende der 1870er Jahre waren viele Pächter in Zahlungsschwierigkeiten geraten und von den Landlords vertrieben worden. Im Gegensatz zu früheren Vertreibungswellen stieß dies im „Land War“ auf erheblichen, teils auch gewaltsamen Widerstand von Pächtern und Land League. Zur Land League auch: Herkner, Heinrich, Die irische Agrarfrage, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Band 55 (N.F. Band 21), 1890, S. 449–497, bes. S. 475–489.
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die Jagd in den Bergen des Earl of Kenmare23 für 1000 £ im Jahr verpachtet, seine Estates24 werfen 60000 £ im Jahr ab. Auf allen Straßen, Brücken, Piers etc. hat man „Estate Fees“ an diese Raubritter zu zahlen, die nur bis zum Eingang der Rente (zwei Mal jährlich) zur Jagd etc. auf einige Wochen in ihren wunderbaren Schlössern erscheinen, im Übrigen sie in England verzehren. Nichts bewegt offenbar die Phantasie der Massen hier mehr als dieser Zustand. Der für Homerule ungünstige Ausfall der letzten Wahlen25 treibt offenbar wieder ganze Massen über See, so unsern Pferdetreiber, der nach den Vereinigten Staaten zu gehen im Begriff ist. Er fragte mich, ob ich daranl glaube, daß Irland jemals Homerule erhalten werde – er glaube es nicht. Ich sagte, daß auch ich es bezweifle und auch den Widerstand dagegen begreifen könne, – denn das Land würde den katholischen Priestern ausgeliefert werden und die könne nicht jeder Mensch ertragen. – (NB! ich habe noch nie ein so schauderhaftes, rohes, ungebildetes, widerlich „pfäffisch“ anmutendes Gesindel gesehen als den irischen niederen Clerus. Wir waren in Kilkee mit einigen Whiskey-duftenden Exemplaren dieser Gattung im Hotel zusammen und vom Shannon-Dampfer her ist uns ihr feistes und gemeines Lachen noch in Erinnerung, welches die Antwort darauf war, daß ein Amerikaner ihnen auseinandersetzte, sie sollten dies elende irische Pächtervolk doch per Schub26 nach den Vereinigten Staaten schicken.) – Indeß unser Pony-Treiber war, so sehr er über das Kirchgehen der Leute seine Witze machte, doch ein sozialer Parteigänger des Clerus, der, weil er aus Landleuten hervorgehe, mwisse, wo [dem] Land der Schuh drücke. m – Trübselig genug. – Diese Ausnahmen – hübsche Kerle mit melancholisch gewachsenen Gesichtern und einem Zug resigniert-lustiger Schelmerei – illustrieren nur um so mehr die Regel des Typus. Die scheußlichen Sittenzustände in den alten (für 16 Familien gemeinsamen!) Clanhäusern und Jahrhunl Alternative Lesung: dran Land der Schuh drücke.
m wisse, wo das Beste des Landes liege > wisse, wo [dem]
23 Wie oben, Anm. 13. 24 Grundbesitz, Ländereien. 25 Aus der General Election von Juli/August 1895 waren die Konservativen unter Lord Salisbury mit großer Mehrheit als Sieger hervorgegangen. Sie lösten die liberale Regierung von Premierminister William Ewart Gladstone in einer Koalition mit der (gleichfalls Home Rule feindlichen) „Liberal Unionist Party“ ab. 26 Schub bezeichnet den polizeilich durchgeführten Abtransport von Personen an einen festgelegten Bestimmungsort.
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derte lange Unterdrückung haben eine Bevölkerung herangezüchtet, die sich nicht sobald in ihren wesentlichen Eigenschaften umgestalten wird. – Wundervoll sind die Ruinen hier zu Lande |:wenigstens zum Teil:|. Namentlich Marianne ist immer hypnotisiert, wenn sie ein zerfallenes Gemäuer sieht und ich bin trotz einiger Fertigkeit in Verlegenheit, immer neue Geschichtslügen zur leidlichen Befriedigung ihres Bedürfnisses, die intime Geschichte der Ruinen-Insassen zu kennen, zu erfi nden. Übrigens ist wohl kein Land so reich an Ruinen wie Irland, nur sind sie zum guten Teil nicht weiter romantisch. Es sind über das ganze Land die großen Steinhäuser der alten sich zu Landlords auswachsenden Clanhäuptlinge verstreut, ebenso die Landlordsitze des 17ten Jahrhunderts. Sie sind jetzt verlassen, die Landlords wohnen zu 9 /10 in England, und dienen als Steinbrüche. Ihre keineswegs poëtische Vergangenheit hindert den Epheu nicht, sie |:schön:| zu garnieren [.] Eine andre Kategorie Ruinen – die massenhaften Abbey’s – wir sahen heut zwei der schönsten – hat Cromwell geschaffen, dessen Name sich hier an Alles zerfallene Gemäuer heftet.27 – Bei Kilkee hatten wir auf den prachtvollen Klippen am Ozean einmal in der That das fast frappante Ebenbild von Boecklins „Schloß am Meer“.28 Doch nun für jetzt genug. Du wunderst Dich offenbar über meine langen Briefe. Allein vor dem Dinner ist das Briefschreiben Beruhigungsmittel für den brüllenden Löwen im Innern, und im Zustand der Boa constrictor nachher ist es die einzig mögliche Beschäftigung. Du darfst Dich über diese prosaische Erklärung nicht betrüben, – sie sind deshalb nicht minder gut gemeint. Daß Marianne Dir nicht schreibt, hat seinen Grund darin, daß sie an einem geheimnisvollen Etwas schriftstellert, hinter dem ich Reise-Memoiren vermuthe.29 Ich werde 27 Anspielung auf die zwischen 1649 und 1653 erfolgte „Cromwellian Conquest“ des „Confederate Ireland“ durch Truppen des englischen Parlaments während der Bürgerkriege des 17. Jahrhunderts. Die Militäraktion, die Oliver Cromwell im ersten Jahr persönlich leitete, wurde mit außerordentlicher Härte und Brutalität geführt, weshalb Cromwell in Irland über die Jahrhunderte hinweg eine Hassfigur blieb. Durch den Act of Settlement von 1652 wurde im Anschluß katholischer Landbesitz in den fruchtbaren Regionen konfisziert. Vgl. Elvert, Jürgen, Geschichte Irlands. – München: Deutscher Taschenbuchverlag 1993, S. 213–235. 28 Dazu bereits der Brief an Fritz Baumgarten vom 6. Sept. 1895, oben, S. 131, Anm. 3. 29 Es handelt sich dabei wahrscheinlich um Marianne Webers Aufzeichnungen „Schottland 1895“, in denen sie auf 46 Seiten die Etappen ihrer Reise aufzeichnete (vgl. Tage- und Notizbücher Marianne Weber, Nr. V. (Schottland 1895), Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).
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es nächstens zu meiner Belehrung über den tieferen Sinn des Erlebten stibitzen. Wo wir nächster Tage sind, weiß der T. . . . – morgen in Glengariffn (Bay von Bantry), dann in Dublin. Briefe treffen uns nur in London, Charing Cross Hotel. Herzlichst Max
n Glengarriff > Glengariff
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Fritz Baumgarten 10. September 1895; BK Glengariff Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 7, Bl. 77–78
View from Roche’s Royal Hotel. Glengariff. Südküste Irlands 10. IX. 95 Lieber Fritz!
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Nur einen schönen Gruß von diesen wunderbar schönen Parks. Die Sehnsucht nach Wald ist gestillt, so wunderbar stimmungsvolle Wälder wie in Killarney und hier bietet Großbritannien nirgends sonst und die Welt wohl wenige. Freilich sind sie ganz anders geartet als unser deutscher – auf den ich mich trotzdem freue: Stechpalmen, Arbutus,1 Lorbeer, Pinien, Rhododendrena, Eiben etc. zwischen schönen Steineichen und Buchen, in einer unerhörten Üppigkeit und, wenn die Sonne durch den warmen Dunst der Atmosphäreb bricht, fast unglaublich schöne Beleuchtung. Die Gegendc ist die Krone Großbritanniens, wir sahen hier nichts ähnlich schöne und ich erinnere mich kaum irgend eines so schönen Parks. Jetzt beginnt der Abmarsch nach Haus. Am 18ten Abends oder 19ten früh wollen wir dort sein. Ich denke, daß Alfred uns dann besucht, seine Übung muß am 18ten zu Ende sein.2 Ich habe ihn um Nachricht per Postkarte nach Freiburg gebeten.3 Briefe können nur bis inclus. Sonntag an uns nach London, Charing Cross Hotel, geschickt werden; die andren müssen uns dort erwarten. Ich schreibe noch einmal.4 a O: Rododendren
b O: Athmosphäre
c Parks > Gegend
1 Gattung immergrüner Bäume bzw. Sträucher aus der Familie der Heidekrautgewächse. 2 Alfred Weber, der 1889/90 in der bei Tübingen stationierten 10. Kompanie des Infanterieregiments Nr. 125 seinen Militärdienst geleistet hatte (Demm, Liberaler in Kaiserreich und Republik, S. 19 f.), nahm an einem Manöver in der Nähe von Heilbronn teil. Danach wollte er über Freiburg heimreisen (Brief Alfred Webers an Max Weber sen. vom 12. Sept. 1895, BA Koblenz, N 1197, Nl. Alfred Weber, Nr. 46). 3 Wie sich aus dem Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 26. Okt. 1895 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) ergibt, fand der geplante Besuch in Freiburg statt. 4 Vgl. den Brief an Fritz Baumgarten vom 12. Sept. 1895, unten, S. 145 f.
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In Kilkee erhielt ich die letzte Sendung, der Rest erwartet uns in Dublin, wohin ich Alles beordert habe. Die Postonkels in Irland sind stierdämlich, sie haben lauter Unsinn gemacht, und uns fast in Geldverlegenheit gebracht. Es ist ein elendes Volk, – in Killarney trafen wir die ersten annehmbaren Iren – einige Pferdetreiber und Bootsleute – mit denen wir ganz interessanted politische Gespräche über Homerule etc. hatten. Der Fluch des Landes ist die schamlose Ausbeutung durch die englischen Landlords [,] denen Alles quadratmeilenweise gehört, mit unerhörten Pachten.5 Auch den Touristen brandschatzen sie durch „Estate Fee’s“ bei Passieren ihrer Gründe. Aber, wenn von diesen Blutsaugern befreit, wird das Volk den katholischen Pfaffen anheimfallen, und das ist hier eine Bande. . . doch davon mündlich. Herzlichen Gruß und Dank für Alles Max
d O: interesante 5 In Irland gehörte ein erheblicher Teil des Landes englischen Grundbesitzern, die ihren Besitz als reine Einnahmequelle ansahen und die Verwaltung ihrer irischen Ländereien nicht selbst übernahmen. Sie verpachteten das Land an Mittelsmänner, die es wiederum weiter vergaben, wobei insgesamt das Interesse an kurzfristigem Gewinn vorherrschte. Dieses System war nicht nur ein strukturelles Innovationshemmnis, es führte auch zu extrem hohen Pachtzinsen. Vgl. auch Herkner, Heinrich, Die irische Agrarfrage, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Band 55 (N.F. Band 21), 1890, S. 449–497, bes. S. 460–469; zur jüngsten Entwicklung vgl. Webers Ausführungen im Brief an Helene Weber vom 7., 8. und 9. Sept. 1895, oben, S. 139–141 (mit Anm. 20–22).
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Fritz Baumgarten 12. September 1895; BK Dublin Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 7, Bl. 79–80
The Gresham Hotel Dublin 12ter Sept. 1895 Lieber Fritz!
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Ich erhalte eben mit vielem Dank Deine Sendung. Die Briefe, wenn sie auch Porto kosteten, mußte ich in der That doch möglichst schnell beantworten und daher war es gut, daß ich sie vorfand. Wenn Du so freundlich sein willst, und Bertha1 mit 20 M. ausstatten, danke ich Dir herzlich; es ist ja auch, näher zugesehen, in der That bequemer so; ich komme nur so ungern mit Schulden von der Reise zurück. Darf ich Dich wohl noch um das Eine bitten, wenn ein Brief |:oder Karte:| von Alfred (aus Württemberga alsob) kommen sollte, mir ihn, falls er vor Dienstag den 17ten Abends da ist, nach Straßburg postlagernd entgegenzuschicken?2 Wir richten uns ev. mit dem Zeitpunkt des Eintreffens in Freiburg je nach Dem, was er über sein Kommen schreibt, Donnerstag Mittag wirds wohl doch.3 Wir sind Freitag (morgen) bis Sonntag Abend in Wales, dann in Chester, Liverpool und Oxford und fahren Mittwoch Nachmittag4 von London ab, dann direkt bis Straßburg, wo wir ev. 2–3 Stunden zum Waschen hausieren und die Verwandten zu treffen versuchen. 5 Die letzten Tage waren noch von wunderbarer Schönheit. Aber jetzt ist es auch genug. Ich bin nun einmal zum Erholungsreisenden nicht geschaffen, hätte schon nach 8 Tagen genug gehabt, wenn ich nicht die a O: Würtemberg
b Unsichere Lesung.
1 Bertha Schandau, das Dienstmädchen von Max und Marianne Weber. 2 Zum geplanten Besuch Alfred Webers in Freiburg vgl. den Brief an Fritz Baumgarten vom 10. Sept. 1895, oben, S. 143 (mit Anm. 2). 3 Zur Rückkehr am Donnerstag, dem 19. September 1895, vgl. auch das Itinerar, Anhang III, unten, S. 905. Zunächst war die Ankunft in Freiburg für den Abend des 18. oder den Morgen des 19. September geplant (vgl. dazu den Brief an Fritz Baumgarten vom 10. Sept. 1895, oben, S. 143). 4 Mittwoch, der 18. September 1895. 5 Sowohl Max Webers Tante Emilie (Nixel) Benecke und ihr Mann Ernst Wilhelm als auch seine Tante Ida Baumgarten lebten in Straßburg.
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herzliche Freude meiner Frau und wie gut es ihr – so weit man urteilen kann – bekam, gesehen hätte. Ohne Arbeit zu existieren ist uns doch – und das ist doch auch gut – nur kurze Zeit möglich. Ich werde künftig „Erholungsreisen“ nicht mehr machen, sondern nur so, daß ich meine Arbeiten damit verbinde resp. umgekehrt. Sie werden mich oft genug nach England einerseits und in die Florentiner Archive andrerseits führen. Dann freilich, wenn ich auch nur bis 2–3 Uhr arbeiten kann, mache ich mich anheischig, es in einem Lande von der Schönheit Englands an jedem Punkt Wochenc lang auszuhalten. Herzlichsten Gruß, auch an Else,6 von uns Stets Dein Max
c [??] > Wochen 6 Else (Elisabeth) Baumgarten, Fritz Baumgartens Frau.
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Friedrich Naumann 22. September 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 232, Bl. 93 Der Brief steht im Zusammenhang mit den politischen Bestrebungen Friedrich Naumanns. Naumann wollte sich vom Evangelisch-sozialen Kongreß, der noch stark von den Christlich-Sozialen älterer, konservativer Richtung, d. h. vor allem von Adolf Stoekker, geprägt war, lossagen und eine unabhängige Vereinigung Christlich-Sozialer schaffen. Diese Aktivitäten mündeten im November 1896 in die Gründung des Nationalsozialen Vereins. Max Weber und seine Familie unterstützten Friedrich Naumann auf den unterschiedlichen Etappen seines politischen Werdegangs: bei der Gründung der Wochenschrift „Die Hilfe“ 1894, bei der Gründung der Tageszeitung „Die Zeit“ und des Nationalsozialen Vereins 1896 sowie bei seiner Reichstagskandidatur 1897/1898. Diese Förderung war nicht nur ideell, sondern erfolgte auch mit erheblichen finanziellen Mitteln. Obwohl Max Weber, ebenso wie seine Mutter Helene Weber, sein Bruder Alfred Weber sowie seine Tante Ida Baumgarten und sein Cousin Otto Baumgarten, von der Ausstrahlung Naumanns und seinem bedingungslosen Einsatz für seine evangelisch-sozialen Ziele tief beeindruckt war, betrachtete er die Bildung des als Partei agierenden Nationalsozialen Vereins als verfehlt und nicht zukunftsfähig. Weber hatte Naumann bereits bei der Gründung der Wochenschrift „Die Hilfe“ Ende 1894 eine Bürgschaft angeboten und sich in das Mitarbeiterverzeichnis der neuen Zeitschrift eintragen lassen (MWG I/4, S. 885). Anläßlich des Treffens der „Freunde der Hilfe“ in Erfurt am 5. und 6. Juni 1895 wurde er zusammen mit seinem Freiburger Fachkollegen Gerhart von Schulze-Gaevernitz in das „Comité der Freunde der Hilfe“ gewählt. Weber war bereit, wie der folgende Brief zeigt, auch Naumanns weitere Schritte, die Institutionalisierung des Kreises „Freunde der Hilfe“ sowie die Gründung einer eigenständigen Tageszeitung, der späteren nationalsozialen „Die Zeit“, zu fördern. Er wurde Mitglied des Komitees, das die Gründung der „Zeit“ vorbereitete, und verantwortete auch deren „Leitlinien“ von Januar und Februar 1896 mit, der späteren Programmbasis des Nationalsozialen Vereins. Vgl. dazu ausführlich: [Vertrauliches Anschreiben und Programmentwurf für eine neue Tageszeitung], in: MWG I/4, S. 885–895. Bezug: das Rundschreiben Friedrich Naumanns an Martin Wenck, Gerhart von SchulzeGaevernitz, Gottfried Traub und Max Weber vom 14. August 1895 (BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 232, Bl. 99–100) mit der Bitte, die „Ansicht zu den verschiedenen Punkten zu schreiben und die Zirkulation baldigst zu bewerkstelligen.“ Da Max Weber am 14. August 1895 bereits in Schottland war, erreichte ihn dieser Brief erst nach seiner Rückkehr.
Freiburg 22. IX. 95 Ich komme soeben von Irland zurück1 und fi nde die Anlagen hier vor. Bezüglich des „Agenten“ muß auch ich, wie mein Spezialcollege, eine genauere Andeutung der Art seiner Thätigkeit abwarten und bin 1 Dem Brief an Fritz Baumgarten vom 12. Sept. 1895, oben, S. 145, zufolge kehrte Max Weber am 19. September 1895 von seiner Reise nach Schottland und Irland zurück. Vgl. auch das Itinerar, Anhang III, unten, S. 904 f.
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der Meinung, daß ein öffentlicher Aufruf um Geld durchaus unthunlich ist.2 Vertrauliche Zusammenkünfte des engeren Kreises (Comités) würde ich am liebsten nach Frankfurt verlegt und auf das Mindestmaß beschränkt sehen.3 Alles nicht prinzipiell Wichtige wäre besser auf Grund autographiertera Anfrage zu erledigen [.] Möglichste Präzision der zu stellenden Fragen wäre dafür Voraussetzung. Die Zahl der Comitémitglieder dürfte nicht allzu groß sein. Constituierung der „Freunde der Hilfe“ zunächst in Großstädten und Industriecentren.4 (Hier in Freiburg z. B. vermöchte ich zur Zeit mir nichts Erhebliches davon zu versprechen). Auch ich bin gegen Anschluß einerb Versammlung derselben an den Berliner Cursus.5 Persönlich füge ich hinzu: Ich bin 29. X. in Gießen,6 könnte 28. X. in Frankfurt sein. Nachher könnte ich erst Weihnachten wieder von hier fort. Ein mündlich zu erörternder Gegenstand höchster Wichtigkeit scheint mir nach den jüngsten Vorkommnissen die Frage der Beziehung zu Stöcker als Person.7 Max Weber Freiburg. P.S. Ich schicke die Sachen nun direkt zurück. (Schulze-Gäv[ernitz] ist bis November in Rußland) a 〈Circular〉
b der > einer
2 Friedrich Naumann hatte in seinem Rundschreiben vom 14. August 1895 (BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 232, Bl. 99–100) die „Anstellung eines praktischen Agenten“, vor allem um Gelder zu sammeln, empfohlen; öffentliche Aufrufe wollte auch er „am liebsten vermieden sehen.“ 3 Naumann hatte regelmäßige Zusammenkünfte des „Comités der Freunde der Hilfe“ sowie als nächstes ein Treffen in Berlin vorgeschlagen (ebd., Bl. 99). Letzteres sollte im Anschluß an den für Oktober 1895 geplanten sozialpolitischen und nationalökonomischen Kursus des Vereins für Socialpolitik stattfinden, zu dem Max Weber jedoch nicht eingeladen worden war. Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Karl Oldenberg vom 18. Jan. 1895, oben, S. 60. 4 In seinem Rundschreiben erachtete Friedrich Naumann die Bildung von „Localvereinigungen“ als wünschenswert, um „vor allem die gebildeten Gesinnungsgenossen zum gegenseitigen Anschluß zu bringen“ (wie Anm. 2, Bl. 99). 5 Vgl. Anm. 3. 6 Max Weber hielt am 29. Oktober 1895 auf dem Jahresfest des Oberhessischen Vereins für innere Mission in Gießen den Vortrag „Die Bedeutung des Luxus“ (MWG I/4, S. 732– 742). Auch Friedrich Naumann war an dem Jahresfest, wie sich offensichtlich erst später herausstellte, als Referent und Mitorganisator beteiligt. 7 Vgl. dazu den Brief an Hans Delbrück vom 26. Juli 1895, oben, S. 91, Anm. 6.
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Paul Siebeck 23. September 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Bezug: der Brief von Paul Siebeck an Max Weber vom 12. September 1895 (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 36, Bl. 424), in dem Siebeck drei Bedingungen für die auszugsweise Veröffentlichung von Webers Freiburger Antrittsrede in den Alldeutschen Blättern stellte (vgl. zur Anfrage des Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes, Ernst Hasse, sowie zu Paul Siebecks Bedingungen die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 7. August 1895, oben, S. 94).
Freiburg i.B. 23. IX. 95 Sehr geehrter Herr!
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Auf Ihren gefl. Brief hin bitte ich Sie, wenn möglich, die zweite Bedingung fallen zu lassen. Der Alld[eutsche] Verband will meiner Überzeugung nach und soweit ich sein Wesen kenne, keine Geschäfte machen, sondern verfolgt lediglich seine Vereinsinteressen an sich wohl billigenswerthen Inhalts. Ich glaube nicht, daß er den Absatz durch die Art der Verbreitung schädigen wird, das Umgekehrte ist mir wahrscheinlicher. Jedoch halte ich mich natürlich nicht für berechtigt, Sie zur Aufgabe Ihrer Bedenken zu drängen. Die erste Bedingung würde ich Sie ev. bitten in die Form einer selbstverständlichen Voraussetzung von thunlichst freundlicher Form zu kleiden, wenn Sie, worum ich Sie bitten möchte, Ihrerseits meinem Collegen Herrn Prof. Hasse in Leipzig, der die Bitte an mich richtete und dem s. Z. Ihre erste Mitteilung zuging, von Ihren Bedingungen Nachricht geben. Die dritte Bedingung erscheint mir durchaus angebracht. Es wäre mir, wie Sie sehen, angenehm, wenn Herrn Prof. Hasse entgegengekommen werden könnte, der in absolut uneigennütziger Absicht die nicht weiter anziehende Arbeit auf sich nehmen wollte, doch darf ich meinerseits, wie gesagt, da ich ja keine absolute Garantie für den Verband und sein Verfahren übernehmen kann, auch nicht beanspruchen, daß Sie aufs Ungewisse hin von Ihren Geschäftsgrundsätzen abweichen. Hochachtungsvoll Ihr sehr ergebener Professor Max Weber
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Marianne Weber 4. Oktober 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446
Freiburg 4 / X 95 Abends Liebes Mariännchen! Vielen Dank für den von Dir selbst und die beiden in Vertretung von der Mama geschriebenen Briefe Dir und ihr. Ich bin nun begierig, was weiter werden wird. Ich meine auch, daß es richtig ist, wenn für Frl. D[avids] die Aussicht auf etwas vor ihr Liegendes, wie ein Besuch zu Weihnachten bei Dir oder dergl. von hohem Werth sein kann.1 Ich meine aber, wenn in der That es angezeigt sein sollte, daß sie das Verhältnis zu Fr. v. W.2 in der Idee weiter fortsetzt, so hat das „Offenhalten des Rückwegs“ doch sein Bedenken, sie muß jedenfalls in eine so feste Position innerlich kommen, daß sie nicht einem beliebigen Eindruck zum Opfer fallen und von Neuem unter ihre Tyrannei gerathen kann.3 –
1 Die Berliner Porträtmalerin Marie Davids, die Marianne Weber von ihrem Zeichenunterricht 1892 in Berlin bekannt war (Tage- und Notizbücher / Erinnerungen Marianne Webers, Nr. IV: Erinnerungen, beginnend mit dem 21.4.1892, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, S. 3–7). Der Besuch in Freiburg kam tatsächlich zustande. Die Malerin verbrachte das Weihnachtsfest 1895 im Hause Weber und porträtierte Marianne Weber (Brief von Marianne Weber an Helene Weber, undat. [20. Dez. 1895], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 2 Sehr wahrscheinlich handelt es sich um das in Marianne Webers Briefen an Helene Weber 1895 und 1896 mehrfach genannte Fräulein von Wedel. Sie war Marianne Weber ebenfalls von ihrem Zeichenkursus 1892 in Berlin bekannt. Die schwierige Beziehung Marie Davids‘ zu Fräulein von Wedel – insbesondere auch der Versuch Marianne und Helene Webers, Davids zu einer endgültigen Loslösung zu bewegen, – wird in den Briefen Marianne Webers an Helene Weber, undat. [21. Okt. 1895], vom [19. und] 20. Nov. 1895, undat. [26. Dez. 1895], sowie vom 12. März 1896 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) thematisiert. Näheres ließ sich zum Sachverhalt und zur Person von Wedels nicht ermitteln. 3 Schon in ihren Notizen zum Jahr 1892 (wie Anm. 1) hatte Marianne Weber die dominante Haltung Fräulein von Wedels vermerkt. Im Oktober 1895 schrieb sie ihrer Schwiegermutter über Marie Davids‘ Probleme: „wie wir uns dachten, läßt Frl. v. W[edel] sie selbst nach ihren letzten sehr deutlichen Briefen nicht in Ruhe mit ihrer ‚Liebe u. Sehnsucht‘ u. spricht im letzten Briefe, den mir Frl. D[avid]s schickt von einem Wiedersehen Weihnachten! Frl. D[avid]s leidet immer noch sehr, das fühle ich ihren Briefen an [. . .] sie muß im Dezember hierher kommen, ihr Körper u. ihre Nerven halten sonst die ewigen Erregungen nicht aus.“ (Brief von Marianne Weber an Helene Weber, undat. [21. Okt. 1895], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).
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Jedenfalls meine ich solltest Du das Retourbillet ruhig verfallena und Dir zurückzahlen lassen, wenn es nützlich ist, daß Du da bist.4 Wir bekommen eben 35 Mk von Heymann geschickt.5 Mariechen Benecke6 lud in einem Brief an Dich, den ich aufmachte, da mir sein Inhalt von Dora7 annonciert war, Dich auf den 29ten – wo ich in Gießen den Baalspfaffenb predige8 – ein. Wer weiß? am Ende bist Du bis dahin in Berlin (oder in Hannover im Anschluß daran?).9 Ich werde vorerst Alles unbestimmt lassen [.] Dora10 war Mittwoch zu Tisch bei mir, Abends war ich bei Fritzens,11 wo sie logiert. Donnerstag früh ist sie nach Straßburg.12 Bertha13 läßt fragen: 1) wie das gelbe Kleid gefärbt werden sollte? Wenn braun, wüßte die Anstaltc wie, sonst nicht. U.d ob sie das große Stück Stoff mitgeben sollte? 2) was sie Herrn Häberle Alles wegen Reparaturen sagen sollte?14 Sie befi ndet sich nach wie vor gut und nährt mich redlich. Murx zeigt entfernte Anwandlungen von Stubenreinheit, andrerseits stinkt er zuweilen verliebt.15 – Mir selbst geht es vortreffl ich, ich gestehe, daß mir a 〈lassen,〉
b Unsichere Lesung.
c Waschanstalt > Anstalt
d O: u.
4 Marianne Weber hielt sich in Berlin-Charlottenburg auf. 5 Gemeint ist der Berliner Verlag Carl Heymann. Es handelte sich um das Honorar für Webers Artikel „Der preußische Gesetzentwurf über das Anerbenrecht bei Rentengütern“, der im September 1895 in der Zeitschrift „Soziale Praxis. Centralblatt für Sozialpolitik“ erschienen war (MWG I/4, S. 586–596). 6 Marie Schmidt, geb. Benecke. Sie lebte mit ihrem Mann Arthur Schmidt in Gießen, wo er Deutsches Recht und Kirchenrecht lehrte. 7 Dora (Dorothea) Benecke, Schwester von Marie Schmidt. 8 Am 29. Oktober 1895 hielt Weber in Gießen beim Jahresfest des Oberhessischen Vereins für innere Mission den Vortrag „Die Bedeutung des Luxus“ (MWG I/4, S. 732–742). Der auf die biblische Erzählung von Elias und den Propheten Baals (1. Könige 18, 19–40) zurückgehende Begriff „Baalspfaffe“ bezeichnete im allgemeinen Sprachgebrauch einen heuchlerischen Priester. 9 In Hannover lebte Marianne Webers frühere Pensionsleiterin Marie Heidsiek. Marianne Weber besuchte sie dort sporadisch (vgl. die Briefe Marianne Webers an Helene Weber vom 4. April 1893 und 30. Sept. 1894, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 10 Dora Benecke. 11 Max Webers Cousin Fritz Baumgarten mit Familie. 12 Die Familie Emilie (Nixel) und Ernst Wilhelm Benecke lebte in Straßburg. 13 Bertha Schandau, das Dienstmädchen von Max und Marianne Weber. 14 Friedrich Häberle war Eigentümer des Hauses in der Schillerstraße 22, in dem Max und Marianne Weber wohnten. 15 Max und Marianne Weber hatten den Hund Murx (bzw. Murcks) im Sommer ange-
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die Arbeit zunächst noch wenig Spaß macht, ich gehe sogar täglich einmal den Schloßberg hinauf und hinunter auf dem Wege zum Seminar, um die gute Kost klein zu kriegen. – Übrigens muß eine Schwierigkeit bezügl. Frl. D[avids]’ Herkommen |:im Dezember:| noch erwogen werden: Fritzens neuer Sprößling16 wird ja dann auch das Licht der Welt erblicken und wohin dann die Kinder?17 Denn ich glaube [,] sie sind bei dem Gedanken, sich nicht ane Eimers18 wenden zu müssen, sehr erlöst. Mir ist diese Seite noch etwas dunkel, aber ich denke [,] es wird sich irgend wie arrangieren lassen. Eins von den beiden |:– die Kleinsten19 kommen ja zu Tante Ida20 –:| können sie ja am Ende behalten |:(z. B. Elschen):|, und für eins |:(Hermann z. B.):| ist ev. im Badezimmer Raum zu schaffen. Ev. werde ich mal mit Fritz sprechen, wenn Du Deine Meinung geschrieben hast. Nun aber muß ich den Brief fortbringen auf den Bahnhof, sonst bekommt ihn das Püppchen bis Sonntag früh nicht mehr[.] Herzlichen Kuß Dein Max Sonntag21 Abend war ich bei Riehls, 22 gestern bei Rickerts, 23 wo ich auch Keibels24 traf. Im Hause ist vorerst noch der T. . . los. Frau R.’s25 gebrannte Haare fi nde ich kein Embellissement. Grüß Alle schön. e zu > an schafft, auch um ihrem Dienstmädchen Bertha über den Wechsel nach Freiburg hinwegzuhelfen. Im Juni 1895 schrieb Marianne Weber: „‚Murks‘ ist unser Liebling, ein hübsches kleines Vieh, ohne Rasse vorläufig, grau mit schwarzer Schnauze, hat 16 Mk Hundesteuer gekostet, eine starke Probe für unsre Zuneigung, zerbeißt uns alle Schuhe, Teppiche, Trod[d]eln etc. Max spielt mit ihm, ich erziehe ihn, Bertha verzieht ihn“ (Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 23. [Juni] 1895, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 16 Fritz Baumgartens Frau Else erwartete ihr fünftes Kind. Der Sohn Otto wurde am 19. Dezember 1895 geboren. 17 Hermann, Theodor, Fritz (Fritzle) und Elisabeth (Elschen) Baumgarten. 18 Die Schwestern Marie und Karolina (Lina) Eimer, die in der Freiburger Katharinenstraße wohnten und zum Bekanntenkreis der Familie Baumgarten gehörten. 19 Fritz (Fritzle) und Elisabeth (Elschen) Baumgarten. 20 Ida Baumgarten, Fritz Baumgartens Mutter in Straßburg. 21 Sonntag, der 29. September 1895. 22 Alois und Sophie Riehl. 23 Heinrich und Sophie Rickert. 24 Der Freiburger Anatom Franz Keibel und seine Frau Susanna Keibel. Franz Keibel war Sophie Rickerts Bruder. 25 Gemeint ist vermutlich Sophie Rickert.
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Clara hat nun nichts zum Geburtstag bekommen! 26 – Denke an Frl. Bertha! 27 Eif ein Scherz für Fritz, dann ist die Lücke au[s]gefülltg[.] Ich hatte Dich schon bitten wollen zu Goldschmidts hinzugehen.28 Bertha lässt melden (für Alfred) [,] daß ihre Schwester „das Jeld nu jrode |:doch noch:| bekimmen hot“.29
f Alternative Lesung: E.
g Unsichere Lesung.
26 Max Webers Schwester Clara hatte am 9. September ihren 20. Geburtstag gefeiert. 27 Bezug unklar. Frl. Bertha war das Kindermädchen der Familie Fritz und Else Baumgarten (Brief von Marianne Weber an Helene Weber, undat. [19. Okt. 1894], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 28 Levin Goldschmidt, Max Webers Doktorvater, lebte mit seiner Frau Adele in Berlin. 29 Bertha Schandaus Schwester Elise war im Frühjahr 1895 schwer erkrankt (Briefe Marianne Webers an Helene Weber vom 10. und 25. Febr. 1895, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Alfred Weber hatte ihr im August geholfen, als es wegen einer Rentenauszahlung zu Problemen gekommen war. Anfang September hatte er Elise mitgeteilt, daß die Angelegenheit geklärt sei und sie die Rente von 26,55 Mk monatlich in den nächsten Wochen auf dem Postamt abholen könne (Brief Alfred Webers an Helene Weber vom 1. Sept. 1895, BA Koblenz, N 1197, Nl. Alfred Weber, Nr. 46).
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8. Oktober 1895
Marianne Weber 8. Oktober 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446
Freiburg 8 X 95 Nun, liebes Herz, Du bist ja gänzlich verstummt? Was macht Frl. Davids?1 Was hast Du in Betreff der Rückreise beschlossen? Ich nehme jetzt an, daß Du noch länger bleibst, da ja Dein Billet wohl morgen abläuft. Jedenfalls wirst Du nach der ersten besorgniserregenden Nachricht über Tante Marie wohl haben abwarten wollen, wie die Krankheit weiter verläuft.2 Wenn sie nur einen zuverlässigen Arzt haben. Die Sache scheint mir doch recht bedenklich. – Sonntag3 habe ich eine Tagespartie zu Fuß gemacht – solo mit dem Collegen Knies,4 da Alle uns im Stich ließen. Gestern Abend war ich bei den nunmehr umgezogenen Rickerts, 5 heute gehe ich zu Baumgartens.6 Du siehst [,] daß ich in Saus und Braus lebe, die Arbeit ist fast bedenklich vernachlässigt. Sonst ist nichts zu berichten, ich muß noch einmal aufs Seminar und schicke deshalb nur diesen kurzen Gruß [.] Dein Max
1 Die Malerin Marie Davids (vgl. hierzu den Brief an Marianne Weber vom 4. Okt. 1895, oben, S. 150 mit Anm. 1 und 2). 2 Marie Schnitger, eine der beiden Tante Marianne Webers in Lemgo. 3 Sonntag, der 6. Oktober 1895. 4 Gemeint ist sehr wahrscheinlich der Freiburger Physiologe Johannes von Kries, den Marianne Weber auch im Zusammenhang mit den Ausflügen zum Gasthaus „Leimstollen“, bei Freiburg, erwähnt (Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 217). 5 Möglicherweise bezieht sich Weber auf den für Herbst 1895 geplanten Einzug der Familie Keibel in das Rickertsche Haus in der Schwarzwaldstraße 12 (vgl. den Brief von Marianne Weber an Helene Weber, undat. [Juli 1895], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 6 Fritz Baumgarten und seine Familie.
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Friedrich Kluge 22. Dezember 1895; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig UA Freiburg i. Br., B 38/283 Dieser und die folgenden Briefe an Heinrich Rickert vom 21. April 1896, unten, S. 191, sowie vom 22. Juli 1896, unten, S. 205 f., stehen im Zusammenhang mit der Berufung Heinrich Rickerts auf den Lehrstuhl für Philosophie in Freiburg i. Br. als Nachfolger von Alois Riehl. 1895 erhielt der bisherige Freiburger Lehrstuhlinhaber für Philosophie, Alois Riehl, für das Sommersemester 1896 einen Ruf an die Universität Kiel, den er annahm. Die daraufhin für seine Nachfolge gebildete Berufungskommission, bestehend aus Alois Riehl selber, dem Sprachwissenschaftler Rudolf Thurneysen sowie dem Zoologen August Weismann, erstellte eine Liste mit dem bisherigen Freiburger Extraordinarius für Philosophie, Heinrich Rickert, an erster Stelle, dem Grazer Hugo Spitzer an zweiter und dem in Halle lehrenden Edmund Husserl an dritter Stelle (Bericht der Berufungskommission vom 3. Dezember 1895, UA Freiburg i. Br., B 38/283). In der Fakultätssitzung vom 3. Dezember 1895 präsentierte sie diesen Vorschlag (vgl. das Protokoll der Sitzung, UA Freiburg i. Br., B 3/795, S. 42), wobei Alois Riehl, wie aus dem im folgenden edierten Brief Max Webers hervorgeht, zur Entkräftung möglicher Argumente gegen Rickerts Plazierung an erster Stelle Teile von dessen noch nicht fertiggestellter Arbeit „Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung“ vorlegte. Es handelte sich dabei um vier Revisionsbogen der noch im Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) im Satz befindlichen Schrift. Alois Riehl konnte jedoch die Entscheidung der Fakultät, entgegen dem Kommissionsvorschlag, Hugo Spitzer an die erste und Heinrich Rickert nur an die zweite Stelle zu setzen, nicht verhindern (vgl. ebd., S. 43, sowie den Bericht der Berufungskommission an den Senat der Universität Freiburg i. Br. vom 6. Dezember 1895, UA Freiburg i. Br., B 38/283). Selbst Rickerts Plazierung, an zweiter Stelle, erfolgte mit nur knapper Mehrheit: neun Fakultätsmitglieder stimmten dafür, sieben dagegen, und ein Mitglied enthielt sich der Stimme (Protokoll der Sitzung vom 3. Dezember 1895, UA Freiburg i. Br., B 3/795, S. 43). Noch auf derselben Fakultätssitzung kündigten die sieben Gegner Rickerts ein Separatvotum „gegen die Aufnahme Rickerts in die Liste“ an, worauf Max Weber gleichfalls ein Separatvotum in Aussicht stellte: „Prof. Weber wird ein solches gegen die Zurücksetzung Rickerts an die II. Stelle und für den Commissions-Antrag einreichen“ (ebd., S. 43). Noch am selben Tag wurde von den genannten sieben Mitgliedern der Fakultät das Separatvotum eingereicht, in dem diese sich dafür aussprachen, Heinrich Rickert gar nicht, auch nicht an zweiter Stelle, auf die Berufungsliste zu nehmen. Dieses Separatvotum war u. a. von dem klassischen Philologen Bernhard Schmidt und dem Geologen Gustav Steinmann unterzeichnet (Separatvotum vom 6. Dezember 1895, UA Freiburg i. Br., B 38/283). Einen Tag später übermittelte Max Weber daraufhin seinerseits dem Akademischen Senat der Universität Freiburg ein ausführliches Separatvotum (Separatvotum betreffend die Besetzung des philosophischen Ordinariats vom 7. Dezember 1895, ebd.; MWG I/13). Darin plädierte er für den ursprünglichen Berufungsvorschlag der Kommission; er betonte die wissenschaftliche Ausstrahlung Rickerts über die Fachgrenzen der Philosophie hinaus, unterstrich die Bedeutung von Rickerts Erkenntnislehre für den Methodenstreit der Nationalökonomie und für seine, Webers, eigene Vorlesungen zur theoretischen Nationalökonomie. Das Bestreben einiger Naturwissenschaftler in der Philosophischen Fakultät nach einer stärker naturwissenschaftlichen Ausrichtung des neuen Lehrstuhlinhabers erkannte er zwar als „begreiflich“ an, veranschlagte aber die durch Wilhelm Windelband und Alois Riehl
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geschaffene und zu bewahrende Tradition des Lehrstuhls „als ein Moment, welches nicht nur aus ideellen Gründen Berücksichtigung“ erfordere. Als Kompromiß schlug er vor, äußerstenfalls „Prof. Rickert zunächst als Extraordinarius mit der Wahrnehmung des Ordinariats zu beauftragen, bis die vermißte Publikation der öffentlichen Kritik unterstanden“ habe (ebd.). Max Webers Separatvotum wurde zusammen mit dem Votum der Gegner Rickerts auf der Fakultätssitzung vom 17. Dezember 1895 verlesen (Protokoll der Sitzung, UA Freiburg i. Br., B 3/795, S. 44). Zudem wurde eine neue Kommission gebildet, die Einigkeit in der Berufungsfrage erzielen sollte (ebd.). Zuvor hatte sich, wie aus dem im folgenden edierten Brief Max Webers hervorgeht, der Mitunterzeichner des gegnerischen Separatvotums vom 6. Dezember 1895, der Geologe Gustav Steinmann, ohne Auftrag der Fakultät und auf eigene Initiative direkt an den in Freiburg lebenden Verleger Heinrich Rickerts, Paul Siebeck, gewandt, um weitere Erkundigungen über den Stand von Rickerts Schrift einzuziehen, von der Alois Riehl auf der Fakultätssitzung vom 3. Dezember 1895 Auszüge vorgelegt hatte. Da dieses eigenmächtige Vorgehen auf der Fakultätssitzung am 17. Dezember 1895 (UA Freiburg i. Br., B 3/795, S. 44) offensichtlich gar nicht bzw. nur kurz und ohne Niederschlag im Protokoll zur Sprache gekommen war, beantragte Max Weber in dem im folgenden edierten Brief an den Dekan, die Angelegenheit als ersten Tagesordnungspunkt der ersten Fakultätssitzung im neuen Jahr, am 20. Januar 1896, vorzusehen, um Steinmanns Verhalten durch eine Resolution zu rügen. Dazu ist es aber nicht gekommen. Denn im weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen stellte sich August Weismann, einer der Mitglieder der ersten Berufungskommission, hinter Gustav Steinmann und reichte, wie sich seinem Schreiben an Max Weber vom 20. Januar 1896 entnehmen läßt (UB Freiburg, Nl. August Weismann), dem Dekan schriftlich einen Antrag auf Übergang zur Tagesordnung ein; daraufhin zog Max Weber seinen Antrag noch vor der entscheidenden Sitzung der Fakultät am 20. Januar 1896, nachmittags, zurück; in dem Brief August Weismanns an Max Weber vom 20. Januar 1896 heißt es: „Um so erfreulicher ist es mir, daß Sie Ihren Antrag betr. Coll. Steinmann zurückziehen, so daß ich nun auch den meinigen als gegenstandslos zurückziehen kann. Wir müssen es nicht zu scharf miteinander nehmen!“ (ebd.) Auf der Fakultätssitzung vom selben Tag gaben Max Weber, Gustav Steinmann sowie der Dekan Friedrich Kluge Erklärungen ab, „die der Facultät zu ihrer Befriedigung vollkommen ausreichend erscheinen, die Mißhelligkeiten auszugleichen [. . .] Eine Eingabe des Prof. Webers, die dieser schon vor der Sitzung zurückgenommen hatte, ist dadurch gegenstandslos geworden“ (Protokoll der Sitzung am 20. Januar 1896, UA Freiburg i. Br., B 3/795, S. 46–47, Zitat: S. 46). Da sich die Philosophische Fakultät auch weiterhin nicht auf einen Lehrstuhlnachfolger einigen konnte, wurde zu Beginn des Sommersemesters Heinrich Rickert mit der Vertretung des vakant gewordenen Lehrstuhls von Alois Riehl beauftragt und als provisorischer Verwalter des Seminars eingesetzt (vgl. den Brief Max Webers an Heinrich Rikkert vom 21. April 1896, unten, S. 191, mit Editorischer Vorbemerkung). Parallel dazu führte die neue Berufungskommission ihre Tätigkeit fort; sie verabschiedete am 21. Juli 1896 eine Liste, auf deren Basis die Philosophische Fakultät noch am selben Tag die Berufungsliste mit Heinrich Rickert auf Platz drei verabschiedete (vgl. das Protokoll der Sitzung, UA Freiburg i. Br., B 3/795, S. 58, sowie den Brief Max Webers an Heinrich Rikkert vom 22. Juli 1896, unten, S. 205 f., mit Editorischer Vorbemerkung und Anm. 11). Welche Umstände schließlich dazu führten, daß Heinrich Rickert den Ruf erhielt, ist im Einzelnen nicht ermittelt. Er wurde am 13. September 1896 zum ordentlichen Professor der Philosophie in Freiburg ernannt (Mitteilung des Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 18. September 1896, UA Freiburg i. Br., B 38/283). Heinrich Rickert veröffentlichte noch im Sommersemester 1896, nicht zuletzt auf Drängen Max Webers
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(vgl. den Brief an Marianne Weber vom 3. April 1896, unten, S. 182), die bisherigen Ergebnisse, d. h. die ersten drei Kapitel seiner Schrift „Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung“. 1902 erschien die zweite Hälfte sowie die gesamte Schrift (Rickert, Heinrich, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften [1. Hälfte]. – Freiburg i. Br.: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1896; dass. [2. Hälfte]. – Tübingen und Leipzig: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1902; komplett in einem Band: ebd.).
Freiburg i.B. 22/XII 95 An den Herrn Dekan der Philosophischen Fakultät.
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Den nachstehenden, schon in der Sitzung vom 17ten d. M. zur Sprache gekommenen Sachverhalt beantrage ich als ersten Gegenstand auf die Tagesordnung der nächsten Fakultätssitzung zu setzen. Beia der Erörterung über die Neubesetzung des philosophischen Lehrstuhls waren der Fakultät von Herren Hofrath Riehl u. A. 4 Revisionsbogen eines im Druck befindlichen Werks des Professor Rickert1 hier vorgelegt worden. Nachdem in der Fakultätssitzung vom 3. d. M. beschlossen war, Herrn Professor Rickert an zweiter Stelle vorzuschlagen, – wogegen demnächst Herr Professor Steinmann und andere Mitglieder ein Separatvotum einreichten, – hat sich bHerr Professor Steinmannb zu dem Verleger des Professor Rickert, Herrn Buchhändler Siebeck hier, begeben, zu dem Zweck – nach seiner Angabe – festzustellen, wie weit der Druck fortgeschritten sei. – Es wurde ihm, den Thatsachen entsprechend, die Auskunft gegeben, daß zur Zeit außer ¾ in Satz stehender Bogen weiteres Manuskript noch nicht eingeliefert sei [.] – Herr Professor Steinmann hat bei dieser Nachfrage und zu deren Motivierung nach der von ihm nicht bestrittenen Angabe des Herren Siebeck diesem mitgeteilt: „Es werde – und zwar von Herren Hofrath Riehl – verbreitet, das ganze Manuscript des Werks befi nde sich bereits in den Händen des Verlegers.“2 a In > Bei
b Markante eigenhändige Unterstreichung.
1 Es handelt sich um Druckbogen der Schrift „Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung“, deren erste drei Kapitel vorab 1896 erschienen (vgl. die Editorische Vorbemerkung, oben, S. 155). 2 Max Weber hatte offensichtlich selber Erkundigungen bei Paul Siebeck eingeholt. Siebeck hatte bislang nicht nur Webers Antrittsrede (Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik) verlegt, sondern war auch in der evangelisch-sozialen Bewegung Badens tätig (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Naumann vom 29. April 1896, unten, S. 193).
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1.c Diese Angabe war geeignet, ein Fakultätsmitglied einem Außenstehenden gegenüber bloßzustellen. 2.d Daß dieselbe den Thatsachen entsprochen habe, hat Herr Professor Steinmann bisher nicht zu behaupten versucht. Thatsächlich ist sie unw[ahr.] e Wie ferner Herr Professor Steinmann auf Vorhalt zugab, hat er, nach und auf Grund jener Unterredung, – welche er in der Fakultätssitzung als eine „sehr kurze“ bezeichnete, – seinerseits u. A. folgende Behauptungen verbreitet: 1) Es bestehe überhaupt kein Verlagsvertrag zwischen Herrn Siebeck und Professor Rickert, 3 – vielmehr seien 2) die der Fakultät vorgelegten Revisionsbogen nur ad hoc auf Kosten des Professor Rickert gedruckt worden. 3.f Für keine dieser Behauptungen hatte Herr Professor Steinmann irgend welche Anhaltspunkte. Der Verleger versichert, daß jede Deutung seiner Angaben in einem auch nur ähnlichen Sinn gänzlich ausgeschlossen gewesen sei. Herr Hofrath Riehl, welcher auf das Manuscript des Rickert’schen Werks wiederholt Bezug genommen hatte, und ebenso Herr Professor Rickert sind durch diese Unterstellung eines auf Täuschung der Fakultät zwecks Herbeiführung der Berufung des Professor Rickert berechneten Scheinmanövers einem für sie ehrenrührigen Verdacht ausgesetzt worden. Anwendbar war jedenfalls § 186 RSt.G.B.4 –
c Eigenhändiger Zusatz; zugleich mit senkrechtem Strich, links neben den beiden folgenden Zeilen. d Eigenhändiger Zusatz; zugleich mit senkrechtem Strich, links neben den beiden folgenden Zeilen. Vgl. Index c. e Lochung. f Eigenhändiger Zusatz; zugleich mit senkrechtem Strich, links neben den neun folgenden Zeilen. Vgl. Index c. 3 Der Verlagsvertrag zwischen Paul Siebeck und Heinrich Rickert über „Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften“ war tatsächlich am 14. Oktober 1895 abgeschlossen worden (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), B 5, Heinrich Rickert). 4 § 186 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 1. Januar 1872 lautet: „Wer in Beziehung auf einen Anderen eine Thatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Thatsache erweislich wahr ist, wegen Beleidigung mit Geldstrafe bis zu zweihundert Thalern oder mit Haft oder mit Gefängniß bis zu Einem Jahre und, wenn die Beleidigung öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Abbildungen oder Darstellungen begangen ist, mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.“ RGBl 1871, S. 163.
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Nachdem die Unwahrheit seiner Angaben zur Sprache gebracht war, hat Herr Professor Steinmann erklärt, daß dieselben auf einem „Misverständnis“ der Auskunft des Verlegers beruht haben, welches gemacht zu haben er „bedaure“. Ein Anerkenntnis, sich zur Begehung einer schweren Verfehlung haben hinreißen zu lassen und eine Bitte um Entschuldigung wurde auf eine dahin gehende Anregung hin verweigert.5 – Durch die gedachte Erklärung sind zwar die Beteiligten und deren vorgesetzte Instanzen formell in die Möglichkeit versetzt, den sonst kaum vermeidlichen Strafantrag zu unterlassen. Eine materielle Sühne des m. E. schweren Verstoßes gegen die Würde der Fakultät aber ist nicht erfolgt. Der Begriff des „Misverständnisses“ kann im vorliegenden Fall schlechthin nicht zur Anwendung kommen. Bei Anwendung derjenigen wohlwollenden Beurteilung, auf welche auch Herr Professor Steinmann seitens seiner Collegen Anspruch erheben darf, ist vielmehr zu constatieren, daß es sich um subjektive Vermuthungen handelte, welche nur aus leidenschaftlicher Befangenheit des Urteils über die beteiligten Persönlichkeiten, insbesondre auch Herrn Hofrath Riehl, zu erklären sind, über deren Wahrheit sich zu vergewissern Herr Professor Steinmanng jeden Versuch unterließ, die er aber dennoch als Thatsachen kolportierte. – Ich fi nde mich genötigt, den vorstehenden Sachverhalt aktenkundig zu machen. Es erscheint mir, – vorausgesetzt [,] daß nicht Herr Professor Steinmann eine loyale Verständigung mit den Beteiligten, insbesondre Herrn Hofrath Riehl, herbeiführt, – eine Stellungnahme der Fakultät unumgänglich. In der letzten Fakultätssitzung konnte eine solche, da der Gegenstand nicht auf der Tagesordnung stand, nicht beansprucht werden. Es darf aber nicht der Anschein aufkommen, als erachte die Fakultät auf Fälle wie den vorliegenden den Begriff eines „Misverständnisses“, welches mit dem „Bedauern“ des stattgehabten „Irrtums“ genügend gesühnt sei, für anwendbar. Durch die Bloßstellung eines Mitglieds in Bezug auf sein Verhalten in internen Fakultätsangelegenheitenh (oben ad 1) 6 ist die Fakultät direkt beteiligt, außerg 〈unterli〉
h Fakultäts〈mitgl〉angelegenheiten
5 Ob Max Weber sich auf die Fakultätssitzung vom 17. Dezember 1895 oder eine andere Gelegenheit bezieht, ist nicht ermittelt. Das Protokoll der Fakultätssitzung gibt darüber keine Auskunft (UA Freiburg i. Br., B 3/795, S. 43–44). 6 Siehe oben, S. 158.
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dem aber insofern, als sie verpfl ichtet erscheinen muß, die Amtsehre ihrer Mitglieder und Unterstellten gegen Angriffe dieser Art, zumal aus ihrer eignen Mitte, zu wahren. Ich werde den Antrag stellen:7 Die Fakultät wolle erklären: das Verhalten des Herrn Professor Steinmann in dieser Angelegenheit entspricht weder den Pfl ichten eines Dozenten gegen sein Amt und die Würde der Fakultät, noch den persönlichen Pfl ichten gegen seine Collegen. Zu dieser Resolution erscheint die Fakultät, – wie zu Resolutionen überhaupt, – unbedenklich zuständig. Die Annahme der Unzuständigkeit würde zur Abgabe der Angelegenheit an das Akademische Direktorium und den Senat führen müssen. Professor Max Weber
7 Max Weber hat den Antrag wieder zurückgezogen (vgl. die Editorische Vorbemerkung, oben, S. 156).
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Ludo Moritz Hartmann 21. Januar 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig MWA, BAdW München (Fotokopie des Originals) Der Brief steht im Zusammenhang mit einer Anfrage des Sozialhistorikers Ludo Moritz Hartmann, der 1893 die Zeitschrift für Social- und Wirthschaftsgeschichte in Wien mitbegründet hatte und jahrelang deren wichtigster Herausgeber war (zur Gründungsgeschichte der Zeitschrift, der Vorläuferin der 1903 gegründeten Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, vgl. Aubin, Hermann, Zum 50. Band der Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 50. Band (1963), S. 8–18). Zu den Beiträgern der Zeitschrift gehörten an führender Stelle Althistoriker und Mediävisten, die ihren Schwerpunkt auf die Erforschung sozial- und wirtschaftshistorischer Zusammenhänge legten. In einem nicht überlieferten Schreiben wandte sich Ludo Moritz Hartmann an Max Weber. Hartmann hatte 1892 Max Webers „Römische Agrargeschichte“ (MWG I/2) rezensiert (in: Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik, 5. Band, 1892, S. 215–218). Nunmehr wandte er sich, wie sich aus dem im folgenden edierten Brief schließen läßt, an Max Weber mit der Bitte, den ersten Band von Otto Seecks „Geschichte des Untergangs der antiken Welt“ (Seeck, Otto, Geschichte des Untergangs der antiken Welt, 1. Band. – Berlin: Siemenroth & Worms 1895) zu rezensieren. Seeck vertrat darin die These, daß das Römische Reich infolge der Vernichtung „seiner Besten“ durch Bürgerkriege, Christenverfolgung und ihre Heranziehung zum Militärdienst und der damit verbundenen Ehe- und Kinderlosigkeit zugrundegegangen sei (vgl. bes. das Kapitel „Ausrottung seiner Besten“, ebd., S. 257–289). Max Weber hatte kurz zuvor, am 13. Januar 1896, in seinem Vortrag „Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur“ (MWG I/6, S. 82–127) in Freiburg i. Br. bereits implizit dazu Stellung genommen und diese Hypothese zurückgewiesen (ebd., S. 101; vgl. auch den Bericht der Breisgauer Zeitung, ebd., S. 92). Zu einer Besprechung ist es jedoch nicht gekommen. Vgl. ausführlich zu den Debatten über die Ursachen des Untergangs des Römischen Reichs 1895/96, Otto Seecks Thesen und Max Webers Stellung dazu: Deininger, Editorischer Bericht, in: MWG I/6, S. 83–86.
Freiburg i.B. Schillerstr.a 22 21. 1. 96 Sehr geehrter Herr College!
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Ich bin gern bereit, Seeck zu besprechen. Nur darf es keine allzu große Eile haben, da ich momentan voll beschäftigt bin. Mit besten Empfehlungen Ihr sehr ergebener Max Weber
a O: Schillerst.
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Lujo Brentano 11. März 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr. 67, Bl. 176, 175 Der Brief steht in Zusammenhang mit dem Vortrag „Die Zukunft der deutschen Bodenverteilung“, den Max Weber am 7. März 1896 in Frankfurt a. M. hielt, und zwar vor dem Friedrich Naumann nahestehenden Christlich-sozialen Verein (MWG I/4, S. 791–798). Dabei ging es um die Agrarverfassung im Osten Deutschlands, die Art der Bodenverteilung und des Erbrechts, sowie deren Auswirkungen auf die soziale Lage der westdeutschen Industriearbeiterschaft. Weber argumentierte, daß eine möglichst breite Grundbesitzstreuung im Osten auch im Interesse der westdeutschen Industriearbeiterschaft liege, insofern durch sie die Landflucht und weiterer Druck auf die Löhne im Westen verhindert werden könnten. Die „Frankfurter Zeitung“ und der „Frankfurter Volksbote“ berichteten ausführlich über diesen Vortrag (ebd., S. 794–798). In ihrem Bericht deutete die „Frankfurter Zeitung“ Max Weber als bedingungslosen Gegner des Anerbenrechts, das wegen der damit verbundenen Bevorzugung eines Erben als höchst undemokratisch galt, und schrieb ihm die Forderung „Das Land der Masse“ zu: „Die Verallgemeinerung des Anerbenrechts, abgesehen von den Fällen, wo sie der ausbeuterischen hausindustriellen Nebenbeschäftigung entgegentritt, will die Demokratisirung des platten Landes verhindern, d. h. gleichzeitig die industrielle Reservearmee vermehren, und deshalb ist es zu verwerfen. Unsere Parole lautet: Das Land der Masse.“ („Christlich-soziale Agrarpolitik“, Frankfurter Zeitung, Nr. 68 vom 8. März 1896, 3. Mo.Bl., S. 2, zit. nach: MWG I/4, S. 794). Der Münchener Nationalökonom und erklärte Gegner des Anerbenrechts, Lujo Brentano, nahm diesen Bericht zum Anlaß, sich direkt an Max Weber zu wenden, offensichtlich um ihm beizupflichten. Max Weber stellte in dem im folgenden edierten Brief seine Haltung zum Anerbenrecht klar.
Freiburg i.B. 11. III. 96 Sehr geehrter Herr Geheimrath! Ich danke verbindlichst für Ihre freundliche Karte. – Allerdings ist in einzelnen Punkten das [,] was ich sagte, in der „F.Z.“ nicht richtig wiedergegeben. Ich suchte die von meinem Spezialcollegen s.Z. formulierte Parole „das Land der Masse“1 als eine solche der westdeutschen Arbeiterklasse zu interpretieren. Ich selbst stehe dem Anerbenrecht in sofern doch freundlicher gegenüber, als, so viel ich sehen kann, Ihrem 1 Diese Forderung geht auf Max Webers Freiburger Fachkollegen, Gerhart von Schulze-Gaevernitz, zurück, der sie im Kontext der Reformdebatten im Evangelisch-sozialen Kongreß, vermutlich erstmalig auf einer Ausschußsitzung 1895, erhoben hatte, und damit in den konservativen Kreisen auf schärfste Ablehnung gestoßen war. Vgl. den Briefwechsel zwischen Adolf Stoecker und Friedrich Naumann, in: Heuss, Theodor, Friedrich Naumann. Der Mann, das Werk, die Zeit. – Stuttgart, Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt 1937, S. 677– 680, sowie Krüger, Dieter, Nationalökonomen im wilhelminischen Deutschland. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1983, S. 44 und S. 265 (hinfort: Krüger, Nationalökonomen).
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Standpunkt entspricht, als ich für Verhältnisse, die eine |:(relativ):| aristokratische (großbäuerliche) Gliederung der ländlichen Gesellschaft erfordern – mangelnder Lokalabsatz, ungünstiger Boden – die gesetzliche Begünstigung des ungeteilten Erbübergangs und der Begünstigung des Übernehmers nicht nur für zulässig, sondern positiv für erwünscht halte, soweit es sich um selbständige Bauernnahrungen handelt. Nur schlage ich andrerseits die praktische Schwierigkeit der Ausscheidung 1) der geeigneten Gegenden, 2) der betreffenden Besitzschichten sehr hoch an. Was den Osten anlangt, so ist für mich das Institut, vona den Gebirgs- und einigen Hochplateau-Gegenden, insbesondre gewissen national gemischten Distrikten abgesehen, nur für die durch systematische Colonisation zu schaffendenb Höfe acceptabel, hier aber auch erwünscht.2 Die private Rentengutsbildung, welche lediglich den Großgrundbesitzer in die Stellung des Güterschlächters setzt und dazu noch in seiner sozialen Position beläßt, 3 scheint mir in ihrer jetzigen Form höchst bedenklich und ich kann auch Ihrer kurzen Bemerkung nur beipfl ichten. Ich kann nicht ganz übersehen, wie weit ein Abstand Ihrer Auffassung über die für den Norden und Osten erwünschte Gestaltung der Agrarverfassung von dem, was ich nach dem Stande meiner Kenntnis glaube für richtig halten zu sollen, besteht – vermuthe aber, daß es sich um Quantitätsdifferenzen handeln wird. Ich habe Studien über die bea 〈wenigen〉 oder 〈einigen〉
b 〈größeren〉
2 Max Weber bezieht sich auf die preußische Ansiedlungsgesetzgebung von 1886. Die mit der Durchführung des Gesetzes betraute Ansiedlungskommission kaufte polnische Güter in Westpreußen und Posen auf, parzellierte sie und siedelte deutsche Bauern an. Die Verfügungsrechte der Eigentümer waren bei diesen neu gebildeten Rentengütern beschränkt; insofern war bei der Einführung des Anerbenrechts, das de facto eine weitere Einschränkung der privaten Verfügungsrechte bedeutete, mit mangelnder Akzeptanz oder gar Widerstand nicht zu rechnen. Die Einführung der Einzelerbfolge schien Max Weber hier aus nationalpolitischer Perspektive sogar dringend geboten, um eine vorzeitige unökonomische Aufspaltung der Rentengüter im Erbgang zu verhindern. Vgl. dazu auch seinen Beitrag: Weber, Max, Der preußische Gesetzentwurf über das Anerbenrecht bei Rentengütern, in: MWG I/4, S. 586–596. 3 Im Unterschied zur Ansiedlungsgesetzgebung von 1886 zielten die Rentengutsgesetze von 1890/91, die für ganz Preußen galten, nur auf die Vermittlung des Verkaufs privater Güter. Die zuständigen Behörden waren weder an einen nationalpolitischen Auftrag gebunden noch traten sie als direkte Käufer auf, sondern vermittelten nur zwischen Verkäufer, Ansiedler und Rentenbanken. Das von Max Weber und anderen Nationalökonomen gleichermaßen beklagte Resultat war, daß sich der Großgrundbesitz, statt eine systematische Bauernkolonisation zu ermöglichen, nur unrentabler Außenschläge entledigte, um sich zu sanieren.
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völkerungspolitische Wirkung der Agrarverfassung lange liegen lassen müssen, da ich erst jetzt einigermaßen die hier übernommene Stellung auszufüllen beginne, hoffe aber im Sommer mit einigen Studien zur „Einführung in die Agrarpolitik“ fertig zu werden.4 Vielleicht habe ich die Ehre, Sie in Berlin bei der Ausschußsitzung des „Vereins f[ür] Sozialpolitik“ begrüßen zu können, 5 in jedem Fall bleibe ich mit angelegentlichsten Empfehlung[en] Ihr hochachtungsvoll sehr ergebenster Max Weber
4 Eine solche Studie hat Max Weber nicht verfaßt. Zu Max Webers agrarpolitischen Projekten insgesamt vgl. Aldenhoff-Hübinger, Einleitung, in: MWG III/5, S. 35–39. 5 Die nächste Ausschußsitzung des Vereins für Socialpolitik, an der Max Weber teilnahm, fand am 22. März 1896 in Berlin statt (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 24. März 1896, unten, S. 168). Auch Lujo Brentano nahm an dieser Sitzung teil, wo es wiederum u. a. um landwirtschaftliche Fragen ging, insbesondere darum „ob eine Untersuchung der relativen Konkurrenzfähigkeit der verschiedenen landwirtschaftlichen Betriebsformen durch den Verein ausführbar sei“ (Boese, Geschichte (wie oben, S. 7, Anm. 32), S. 79). Max Weber wurde in den Unterausschuß gewählt, der diese Frage untersuchen sollte (ebd.). (Das betreffende Ausschußprotokoll ist in den Akten des Vereins für Socialpolitik, GStA PK, I. HA, Rep. 196, nicht überliefert.)
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Marianne Weber 16. März [1896]; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen: Am Samstag, dem 14. März 1896, hatte Max Weber in Frankfurt seinen Vortrag „Agrarschutz und positive Agrarpolitik“ gehalten und war am folgenden Tag nach Charlottenburg weitergefahren. Der 16. März 1896 war ein Montag.
Charl. Montag 16 / III Liebes Mariännchen!
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Gestern war es nicht mehr möglich zu schreiben. Wir hatten in Frankfurt bis gegen 1 Uhr disputiert1 – den Lobgesang im Sonntag-Morgenblatt wirst Du ja gesehen haben2 – und da kam ich nicht viel zum Schlaf und ging deshalb hier, wo ich „Onkel“ Rösing3 in vollem Glanz zum Abend erlebte, früh zu Bett. Jetzt werden wir uns gleich zu Clara auf den Weg machen [.] Die Eltern waren gestern mit Bäumlersa4 und Simsons5 zusammen, Frau B[äumler] hat Mordsgeschichten vom kleinen Murcks erzählt.6 a Unsichere Lesung. 1 Bei seinem Frankfurter Vortrag „Agrarschutz und positive Agrarpolitik“ am Samstag, dem 14. März 1896. Dieser war der fünfte und letzte einer von Weber im Februar und März 1896 gehaltenen Vortragsreihe über Agrarpolitik, die vom Freien Deutschen Hochstift veranstaltet wurde. An den Vortrag schloß sich eine ausführliche Diskussion an (vgl. „Agrarpolitik. Vortragsreihe am 15., 22. und 29. Februar, 7. und 14. März 1896 in Frankfurt am Main“, MWG I/4, S. 743–790, hier: S. 743–747, sowie „Agrarpolitik. Grundriß der Vortragsreihe“, ebd., S. 597–601). 2 Die Frankfurter Zeitung druckte in Nr. 75 vom 15. März 1896, 3. Mo.Bl., S. 2, einen ausführlichen, Webers Ausführungen überwiegend zustimmenden Bericht (MWG I/4, S. 785– 787). Nach einer Darstellung auch der Diskussion schloß der Berichterstatter: „Die stets nur von den größten Gesichtspunkten geleiteten Ausführungen des Herrn Professor Weber fanden bei seiner Zuhörerschaft die warme Anerkennung, welche er bei seiner glänzenden Darstellungskunst und der Originalität und Klarheit seines Denkens in vollem Maße verdient hat.“ (Zitat in: Frankfurter Zeitung, Nr. 75, vom 15. März 1896, 3. Mo.Bl., S. 2). 3 Johannes Rösing, ein Freund von Max Weber sen. 4 Möglicherweise das in Marianne Webers Korrespondenz 1895 und 1896 mehrfach erwähnte Ehepaar Professor Christian Bäumler (Direktor der medizinischen Klinik in Freiburg) und seine Frau Maria Viktoria. Diese war die Tochter des Berliner Verlegers Dietrich Reimer und eine Kusine von Theodor Mommsens Frau Marie. 5 Sehr wahrscheinlich der Berliner Justizrat August von Simson, in dessen Kanzlei Max Weber als Rechtsreferendar gearbeitet hatte, mit seiner Frau Beate. 6 Der kleine Welpe von Max und Marianne Webers Hündin Murcks (bzw. Murx). Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 30. März 1896, unten, S. 178 (mit Anm. 3).
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Mama ist recht wohl jetzt, nach einer schlechten Zeit vor einigen Wochen. Auch die Stimmung ist gut: Arthurs Versetzung ist Gott sei Dank gesichert und er ist beim Pionier-Bataillon angenommen.7 Auch Karl scheint jetzt zu arbeiten und hat sich nach Alfreds Urteil merkwürdigb zu seinem Vorteil verändert. Vielleicht – ? – drückt irgend eine Karlsruher Sache auf ihn.8 – Lili ist recht wohlauf und munter, auch wieder recht nett.9 Hoffentlich ist nun Frl. Davids glücklich hier angekommen,10 die Mama will nachher gleich einmal nachsehen. – Ich schicke hiebei eine Eingabe an das Bezirks-Commando, sie muß unter der Adresse: An das Kgl. Bezirks-Commando Freiburg . . .. – d. h. ich schicke sie besser selbst, fällt mir eben ein.11 – Aber, bitte, schicke mir doch die in dem Gestellchenc steckenden Briefe und Kar-
b [??] > merkwürdig
c Alternative Lesung: Gestellschrank
7 Max Webers Bruder Arthur strebte die Offizierslaufbahn an. Er hatte sich beim Kgl. Preußischen Garde-Pionier-Bataillon in Berlin-Kreuzberg beworben und war zum 1. Oktober 1896 angenommen worden. Ab April 1897 besuchte er als Unteroffizier die Kriegsschule Hannover (Brief von Helene Weber an Marianne Weber vom 26. März 1897, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446), im Januar 1898 wurde er zum Leutnant (Secondelieutenant) ernannt. 8 Max Webers Bruder Karl hatte bereits im Wintersemester 1894/95 und Sommersemester 1895 an der Großherzoglich Technischen Universität Karlsruhe studiert, wo der Architekt Karl Schäfer, Vater seines späteren Schwagers Hermann, lehrte. Zum Sommersemester 1896 ging er erneut für zwei Semester nach Karlsruhe (KIT-Archiv (ehemals: Universitätsarchiv) Karlsruhe, Matrikel 21003, 10 (1894/95–1896) und 21003, 11 (1896/97); Auskunft vom 5.11.2012). Im Sommer 1895 hatte Karl Weber fünf Veranstaltungen bei Schäfer besucht und von diesem die Bewertung „sehr fleißig“ erhalten (ebd., 21003, 10). 9 Max Webers jüngste Schwester Lili war 15 Jahre alt. 10 Die mit Marianne und Max Weber wie auch mit Helene Weber bekannte Berliner Malerin Marie Davids war Anfang März zu einem kurzen Besuch in Freiburg eingetroffen. Aufgrund einer überschwemmungsbedingten Unterbrechung der Bahnverbindung, mußte sie ihre – für den 10. März geplante – Rückreise um mehrere Tage verschieben (Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 12. März 1896, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 11 Die Eingabe ist nicht überliefert; Unterlagen des Bezirks-Kommandos Freiburg aus der Zeit vor 1914 sind nicht mehr existent. Max Webers Schreiben könnte im Zusammenhang mit seiner Überführung von der Reserve (Infanterie Regiment Nr. 47) in die Landwehr (1. Aufgebot) gestanden haben, die am 8. April 1896 erfolgte. Vgl. Personalbogen des Max Karl Emil Weber, Bemerkungen zur Dienstlaufbahn, GLA Karlsruhe, 456 E Nr. 13719 (Militärakte Max Weber).
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ten her, ich will sie von hier aus beantworten. Und bitte zahle die Rechnungen an Guttenberg, Dietsch-Hett[erich] aus.12 Der Post schreibe ich eben, sie sollen mir Alles hierher schicken, auch Zeitungen – Du liest ja doch mit Genuß nur das „Tageblatt“? – Rade sah ich in Fr[ankfurt] nur kurz,13 dagegen habe ich Frau Naumann kurz gesehen.14 – Der Besuch des Vortrags war verblüffend gut.15 Hier grüßt Alles, zumal Mama, herzlichst, es küßt Dich Dein Mann Reise doch wennd es Dir irgend paßt, nach Westfalen,16 – äußersten Falls könntest Du ja nach mir zurückkommen, wenn es zu knapp wird. Morgen mehr.17
d Alternative Lesung: wann 12 Es dürfte sich um Rechnungen der Freiburger Geschäfte Otto Guttenberg, Kaiserstraße 166, sowie Dietsch-Hetterich, einem Feinkostgeschäft in der Salzstraße 26, handeln. 13 Martin Rade lebte in Frankfurt. 14 Maria Magdalena Naumann, Friedrich Naumanns Ehefrau. 15 Weder im Bericht der Frankfurter Zeitung (wie oben, Anm. 2) noch in den übrigen Vortragsberichten (MWG I/4, S. 777–787) finden sich Angaben über die Zahl der Zuhörer. 16 Marianne Weber reiste im März 1896 zunächst nach Oerlinghausen, von dort nach Lemgo zu ihren Tanten Marie und Flora Schnitger und zu ihrem Vater Eduard Schnitger nach Lage. Geplant war zunächst, daß auch Max Weber von Berlin aus dorthin und mit Marianne Weber gemeinsam zurück nach Freiburg reisen sollte (vgl. die Briefe Marianne Webers an Helene Weber vom 12. März und vom 25. März 1896, Bestand Max WeberSchäfer, BSB München, Ana 446). 17 Ein Brief an Marianne Weber vom 17. März 1896 ist nicht nachgewiesen.
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24. März 1896
Marianne Weber [24. März 1896; Charlottenburg] Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum und der Ort sind aus dem Briefinhalt erschlossen: Weber verweist auf seinen Berliner Vortrag in der Staatswissenschaftlichen Vereinigung am Montag, dem 23. März 1896 („Montag – gestern“). Der 24. März 1896 war ein Dienstag.
Liebes Mariännchen! Nun habe ich Dir nicht einmal zua unsrem gestrigen Verlobungstage geschrieben,1 und es wäre auch etwas schwer geworden, denn vorgestern (Sonnabend) 2 war ich Mittags bei Goldschmidts, 3 Abends im Verein f[ür] Sozialpolitik, Sonntag war von 11–5 Ausschußsitzung,4 dann Essen, Abends kam ich nach Haus. Montag – gestern – war ich Mittag bei Oldenberg, 5 Abends hatte ich Vortrag in der Staatswissenschaftlichen Gesellschaft.6 Heut endlich liegt der Brocken hinter mir und ich kann „jappen“. Nun zunächst die weiteren Pläne. Ich schreibe eben an Wina,7 daß ich Donnerstag um 553 nach Bielefeld und dann entsprechend weiter nach Oerlinghausen komme, um Dich zu holen. Du bist jetzt jedenfalls bei den Tanten in Lemgo,8 wohin ich dies schicke und ich komme dann eventuell Freitag dorthin um Dich abzuholen,9 besuche vielleicht unterwegs Papa in Lage.10 Da ich b Sonntag Abend spätestensb gern in
a 〈D〉
b Sonnabend Nacht > Sonntag Abend spätestens
1 Max und Marianne Weber hatten sich im März 1893 verlobt. 2 Sonnabend, den 21. März; also eigentlich vor-vorgestern. 3 Adele und Levin Goldschmidt, Max Webers Berliner Lehrer und Doktorvater. 4 Zur Ausschußsitzung des Vereins für Socialpolitik am 22. März 1896 vgl. den Brief an Lujo Brentano vom 11. März 1896, oben, S. 164 (Anm. 5). 5 Karl Oldenberg. 6 Gemeint ist die Staatswissenschaftliche Vereinigung (vgl. den Brief an Alfred Weber vom 15. Jan. 1895, oben, S. 54, Editorische Vorbemerkung). Webers Vortrag vom 23. März 1896 ist nicht überliefert (zum Kontext vgl. MWG I/4, S. 908 f. und 914 f.). 7 Alwine (Wina) Müller, Max Webers Cousine in Oerlinghausen. Der Brief ist nicht überliefert. 8 Flora und Marie Schnitger. 9 Marianne Weber machte eine Besuchsreise nach Oerlinghausen und von dort aus nach Lemgo und Lage, um ihre Tanten Flora und Marie Schnitger sowie ihren Vater zu besuchen. Vgl. dazu den Brief an Marianne Weber vom 16. März 1896, oben, S. 167 (mit Anm. 16). 10 Marianne Webers Vater Eduard Schnitger.
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Freiburg sein möchte, so müssen wir Sonntag Mittag in Frankfurt sein u. dort einige Stunden Zeit haben, oder Sonntag früh spätestens 8c Uhr 39d aus Coblenz fahren. Bis dahin müssen wir also bis Samstag gelangen, – wie ist gleich. Die ganze Sache geht ja so etwas „plötzlich“, aber es geht doch nicht gut anders. Ich bin ohnehin schon fürchterlich im Rückstand mit Allem. Merkwürdig gut bekommt einem doch die Berliner Luft, man ist nervös leistungsfähiger, denn „der letzten Tage Last und Müh war groß“ und doch bin ich vollkommen frisch. Heute steht noch als Pensum bevor, das ich erledigen muß: 1) Verhandlung mit der Tägl[ichen] Rundschau wegen Annahme unsres Programmes,11 – ich muß dazu gleich aufbrechen. 2) Verhandlung mit Dr Meinecke wegen eines zu schreibenden Buchs.12 3) Fertigstellung eines Artikels für Schrempf13 4) Arbeit auf der Reichstagsbibliothek, 5) c 11 > 8
d [??] > 39
11 Weber bezieht sich auf den Entwurf des Programms der eigenständigen nationalsozialen Tageszeitung „Die Zeit“. Das Komitee der „Freunde der Hilfe“, dem Weber angehörte, hatte den Entwurf unter Federführung Friedrich Naumanns Anfang 1896 vorbereitet. Ein überarbeiteter zweiter Entwurf war nach der Sitzung des engeren Kreises der jüngeren Christlich-Sozialen am 10. und 11. Februar ausgearbeitet worden. Der zweite Teil dieses Entwurfs, der grundsätzliche Leitlinien umfaßte, war zur Veröffentlichung in der Presse bestimmt und bereits am 1. März 1896 in der Freiburger Zeitung, Nr. 51, S. 1, abgedruckt worden. Vgl. [Vertrauliches Anschreiben und Programmentwurf für eine neue Tageszeitung], MWG I/4, S. 885–895 (die Leitlinien ebd., S. 893 f.); zum Kontext die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Naumann vom 22. Sept. 1895, oben, S. 147. In der Täglichen Rundschau findet sich kein Abdruck der Leitlinien. 12 Seit Anfang 1896 verhandelte Friedrich Meinecke mit dem Verlag Oldenbourg über den Zuschnitt der als Supplement zur Historischen Zeitschrift geplanten Reihe „Historische Bibliothek“, für die er auch Max Weber gewinnen wollte (zur Gründung der Reihe vgl. Friedrich Meinecke. Neue Briefe und Dokumente, hg. von Gisela Bock und Gerhard A. Ritter (Friedrich Meinecke, Werke; Band 10). – München: R. Oldenbourg 2012, S. 502, 504 und 510. Am 23. November 1896 teilte Meinecke dem Verlag dann drei Autoren mit, die bezüglich „weiterer Bände der Historischen Bibliothek“ bereit waren, einen Verlagsvertrag abzuschließen. Zu Weber hieß es dort: „ 3) Professor Dr. Max Weber, Freiburg, (‚Deutsche Agrargeschichte‘). Letzterer kann allerdings erst in etwa 2 Jahren die Arbeit beginnen, die ihn an sich sehr lockt. Da von ihm eine Arbeit von hervorragendem Interesse und anziehender Darstellung zu erwarten ist, so möchte ich sehr für ein höheres Honorar, etwa 100 M. pro Bogen, plädieren.“ (Brief vom 23. Nov. 1896, zit. nach: ebd., S. 514). Der Verlag erklärte sich mit diesem höheren Honorar einverstanden, da die Agrargeschichte Webers „natürlich“ am meisten interessiere (ebd., Anm. 4). Max Weber erstellte allerdings weder ein Manuskript noch Entwürfe dazu (vgl. Aldenhoff-Hübinger, Einleitung, in: MWG III/5, bes. S. 37 f.). 13 Es handelt sich um den Artikel „Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur“ (MWG I/6, S. 82–127), der im Mai 1896 in der Zeitschrift „Die Wahrheit. Halbmonatsschrift zur Vertiefung in die Fragen und Aufgaben des Menschenlebens“ erschien. Chri-
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Umzug zu Clara. Morgen ist hier große Gesellschaft Abends.14 Deshalb giebts auch diesmal in diesem Brief keine Seelenbeichte, sondern ich fasse mich kurz. Willst Du wohl feststellen, ob Hauptmanns uns Sonnabend Abend brauchen können?15 Wir telegraphieren dann den Zug. Ich denke aber, wir gehen ins Hotel, sie haben doch schwerlich Platz. Bitte grüße die Tanten herzlichst, ich hoffe also sie auch zu sehen, wenn auch leider nur kurz. Ich denke, wir versuchen es nochmal weitere 3 Jahre miteinander zu hausen, mir ist sehr vergnügt zu Muthe im Allgemeinen und speziell bei diesem Gedanken. Herzlichst küßt Dich Dein Mann
stoph Schrempf war Herausgeber der nur wenige Jahre bestehenden Zeitschrift (vgl. ebd., Editorischer Bericht, S. 82–89, hier: S. 88 f.) 14 Gemeint ist das Charlottenburger Haus von Helene und Max Weber sen. Clara Mommsen und ihr Ehemann Ernst wohnten in der Steglitzer Straße im Berliner Westen. 15 Gemeint sind die Verwandten Eleonore und Wilhelm Müller, die in Koblenz wohnten. Müller war zu dieser Zeit Hauptmann im Bekleidungsamt des VIII. Armee-Korps. Vgl. Adreßbuch der Stadt Coblenz mit den eingemeindeten Vororten Coblenz-Lützel und Coblenz-Neuendorf, der Stadt Ehrenbreitstein und der Gemeinde Pfaffendorf 1894/95. – Coblenz: Heinrich L. Scheid 1894, S. 239.
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Verlag Vandenhoeck & Ruprecht 26. [März] 1896; Berlin Brief; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 494 (Archiv des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht), G 1888–1936, Tasche 07, Bl. 444 Das Monatsdatum ist erschlossen aus den Briefen Max Webers an Marianne Weber vom 16. und 26. März 1896, oben, S. 165–167, 173–175, denenzufolge sich Max Weber vom 15. bis zum 27. März 1896 in Berlin aufhielt. Der Brief steht im Zusammenhang mit einer Anfrage des Verlags zur Veröffentlichung von Max Webers Vortragsreihe „Agrarpolitik“ und setzt zudem die Korrespondenz mit dem Verlag über die Niederschrift des zweiten Teils der Broschüre „Die Börse“ fort (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vom 5. Januar 1895, oben, S. 49). Darüber hinaus geht es um weitere Projekte.
z.Z. Berlin 26/3a 96 Sehr geehrter Herr!
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Die Frankfurter Vorträge, wegen deren Sie vor einiger Zeit freundlichb bei mir anfrugen,1 werde ich jetzt noch nicht publicieren. Sie sind Vorarbeit für ein Buch [,] bezüglich dessen ich bereits gebunden bin.2 Aber ich werde mir überlegen, ob ich über die Wirkung der Grundbesitzverteilung ein Heft zurechtschneiden kann.3 Börse II wird jetzt, wo ich in a 5>3
b Unsichere Lesung.
1 Es handelt sich um die Vortragsreihe „Agrarpolitik“, die Max Weber im Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt am Main im Februar und März 1896 gehalten hatte (vgl. Weber, Max, Agrarpolitik. Vortragsreihe am 15., 22. und 29. Februar, 7. und 14. März 1896 in Frankfurt am Main, in: MWG I/4, S. 743–790). Am 7. März 1896 hatte er noch einen weiteren Vortrag im Christlich-sozialen Verein gehalten (vgl. Weber, Max, Die Zukunft der deutschen Bodenverteilung. Vortrag am 7. März 1896 in Frankfurt am Main, in: MWG I/4, S. 791–798). Der Verlag hatte angefragt, offensichtlich um Max Weber für eine weitere Publikation in der Göttinger Arbeiterbibliothek zu werben; die Anfrage ist im Verlagsarchiv nicht verzeichnet (vgl. Copier-Buch vom 28.7.1893–11.3.1897, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 494). 2 Max Weber verfolgte eine ganze Reihe von Buchprojekten zur Agrargeschichte und Agrarpolitik (vgl. ausführlich dazu Aldenhoff-Hübinger, Einleitung, in: MWG III/5, S. 35–39). Hier könnte es sich um zwei dieser Pläne handeln: um eine „Einführung in die Agrarpolitik“, die er kurz zuvor in einem Brief an Lujo Brentano vom 11. März 1896, oben, S. 164, erwähnte, oder um eine zu verfassende „Deutsche Agrargeschichte“. Letzteres ist wahrscheinlicher, da Max Weber bereits seit März 1896 in konkreten Verhandlungen mit dem Oldenbourg-Verlag und Friedrich Meinecke in Berlin stand, der ihn als Autor für die „Historische Bibliothek“ warb (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 24. März 1896, oben, S. 169 f. mit Anm. 12). Die Publikation kam nicht zustande. 3 Gemeint ist ein weiteres Heft für die von Friedrich Naumann herausgegebene Göttinger Arbeiterbibliothek.
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Kurzem mit meinen umfassenden Börsenarbeiten fertig sein werde,4 in Angriff genommen. Wegen des Landarbeiter-Hefts5 schreibe ich in ca 4 Wochen. Dann kann ich die Lage übersehen. – Entschuldigen Sie bitte mein unhöfl ich langes Schweigen. Ich war wiederc bis aufs Äußerste überlastet. Mit besten Empfehlungen Ihr hochachtungsvoll ergebenster Max Weber Gegen einen Sonderdruck der beid[en] Börsenheft[e] s. Z. habe ich nichts,6 wenn es Naumann recht ist. Stets muß der Charakter des Populären auch in den Erscheinungsformen gewahrt bleiben.
c O: wider 4 Es handelt sich um die letzte Folge von Max Webers umfassendem Aufsatz „Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete (Schluß)“, die im Sommer 1896 in der Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht, Band 45, 1. Heft, S. 69–156, erschien (vgl. MWG I/5, S. 175– 550, bes. S. 187 und 460–550). 5 Vgl. dazu den Brief an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vom 5. Jan. 1895, oben, S. 50 mit Anm. 3. 6 Vgl. dazu auch die Briefe an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vom 28. Juli 1897 sowie vom 16. März 1898, unten, S. 373, 475, jeweils mit Editorischer Vorbemerkung.
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Marianne Weber 26. März 1896; Berlin Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446
Berlin 26/III 96 Liebes Mariännchen!
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Also „mine Fru die Ilsebill will nicht so als ik wohl will“1 – nun das ist recht, daß Du Dich entschlossen hast die Zeit auszudehnen und auszunutzena, 2 paßt mir auch ganz gut, da ich schnell nach Freiburg zurückmöchte. Ich reise nun morgen früh und komme Freitag Nacht hin, wie ich Bertha geschrieben habe.3 Hoffentlich ist es mir dann möglich, Ostern schon nach Oerlinghausen zu kommen,4 – es hängt von der Arbeit ab, in die ich mich zu stürzen habe. Hier bin ich jetzt bei Clara, 5 die ziemlich marode auf dem Sopha liegt. Die gestrige Gesellschaft draußen6 hat ihr Erbrechen etc. heut morgen verursacht – |:offenbar:| die ersten Vorboten für den Herbst.7 Ich dachte es ja: sie setzen gewiß ein Dutzend Kinder in die Welt. – a Unsichere Lesung. 1 Zitat aus dem plattdeutschen Märchen „Von dem Fischer un syner Fru“ aus den „Kinderund Hausmärchen“ der Brüder Grimm (KHM 19, Kinder und Hausmärchen, gesammelt durch die Brüder Grimm, Große Ausgabe, Siebente Auflage, Erster Band. – Göttingen: Verlag der Dieterichschen Buchhandlung 1857, S. 100–108, Zitat: S. 102). 2 Telegraphisch und in einem Brief an Helene Weber vom Vortag, der „eigentlich für Max bestimmt“ war, hatte Marianne Weber eine Änderung ihrer Besuchspläne mitgeteilt: Sie wolle erst am Freitag oder Samstag (28. bzw. 29. März) für drei Tage zu ihrem Vater nach Lage und im Anschluß fünf bis sechs Tage zu ihren Tanten Flora und Marie Schnitger nach Lemgo fahren. Diese Mitteilung sollte es Max Weber ermöglichen, seine geplante Fahrt von Berlin nach Oerlinghausen noch abzusagen, da eine gemeinsame Heimfahrt nach Freiburg somit hinfällig geworden war (vgl. den Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 25. März 1896, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 3 Bertha Schandau, das Dienstmädchen Max und Marianne Webers. Das Schreiben ist nicht überliefert. 4 Infolge ihrer geänderten Besuchspläne blieb Marianne Weber noch bis zum Osterwochenende (vom 3. bis 6. April 1896) in Westfalen (Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 25. März 1896, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 5 Clara und Ernst Mommsen wohnten in der Steglitzer Straße im Berliner Westen. 6 Gemeint ist eine Abendgesellschaft im Charlottenburger Haus von Helene und Max Weber sen. 7 Clara Mommsen erwartete ihr erstes Kind. Der Sohn Konrad (jun.) wurde am 8. Oktober 1896 geboren.
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Die Gesellschaft gestern war ziemlich stumpfsinnig: Sattlersb,8 Rikkertsc,9 Böttchers,10 Jollys,11 Marggraff,12 Rösings13 etc. – sehr langes Essen, ich glaube 7 Gänge – ja wir sind jetzt eben doch verwöhnt, das müssen wir bedenken. – Vorige Woche war ich bei Gierkes, das war recht nett, ganz allein zu Erbsenbrei und Sauerkraut, die Tochter macht sich doch jetzt sehr nett.14 Dagegen war es bei Goldschmidts gradezu trostlos, man unterhielt sich immer über ihn weg und es ging auch nicht anders, er ist völlig stumpf äußerlich, kann sich kaum äußern, sie verbeißt das Weinen mühsam.15 Montag bei Oldenberg – der hoffentlich bald nach Marburg kommt.16 Abends heftige Diskussion in der Staatsw[issenschaftlichen] Gesellschaft bis gegen 1 Uhr, besonders mit Sering, der Anfangs ganz wild, nachher gemütlicherd war.17 Auch b Unsichere Lesung.
c Unsichere Lesung.
d 〈[??]〉
8 Möglicherweise der nationalliberale Berliner Politiker und Archivar Karl Sattler und seine Frau Sophie. 9 Heinrich Rickert (sen.) und seine zweite Frau Gerhardine. Der Vater des Philosophen Heinrich Rickert gehörte zum Berliner Bekanntenkreis der Familie Weber. 10 Der Publizist und nationalliberale Politiker Friedrich Böttcher und seine Frau Johanna. Böttcher gehörte zum Bekanntenkreis von Max Weber sen. (vgl. Mischnick, Harald, Friedrich Böttcher. Nationalliberaler, Publizist und Patriot aus Mengeringhausen, in: Geschichtsblätter für Waldeck, Band 81, 1993, S. 163–186, bes. S. 183). 11 Wer aus der Familie Jolly hier gemeint ist, ließ sich nicht klären. Es könnte sich sowohl um Max Webers Cousin Julius Jolly (jun.) und seine Frau Julie handeln als auch um seinen Cousin Philipp Jolly mit seiner Frau Emilie, geb. Hausrath (ebenfalls eine Cousine Max Webers). Möglich wäre im genannten Personenkreis allerdings auch der 1890 an die Berliner Charité berufene Psychiater Friedrich Jolly, ein Cousin von Julius und Philipp Jolly, mit seiner Frau Anna. 12 Carl Arnold Marggraff, wie Max Weber sen. langjähriger Stadtrat und Vorsitzender verschiedener Baudeputationen in Berlin. 13 Johannes Rösing, ein Freund von Max Weber sen., und seine Frau Clara. 14 Das mit der Familie Weber gut bekannte Ehepaar Otto und Marie Cäcilie Gierke. Gierkes hatten drei Töchter: Anna (geb. 1874), Therese (geb. 1878) und Hildegard (geb. 1880). Gemeint ist hier sehr wahrscheinlich die älteste Tochter Anna Gierke, die Helene Weber durch ihre Fürsorgearbeit in Charlottenburg näher bekannt war (vgl. Wegener, Hildburg, Anna von Gierke. Sozialpädagogin zwischen konservativer Politik und freier Wohlfahrtspflege. – Sulzbach/Ts.: Ulrike Helmer Verlag 2009, S. 22–24). 15 Max Webers Berliner Lehrer Levin Goldschmidt und seine Frau Adele. Goldschmidt hatte 1892 einen Schlaganfall erlitten, von dessen Folgen er sich bis zu seinem Tod am 16. Juli 1897 nicht mehr erholte. Vgl. Weyhe, Lothar, Levin Goldschmidt. Ein Gelehrtenleben in Deutschland. Grundfragen des Handelsrechts und der Zivilrechtswissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. – Berlin: Duncker & Humblot 1996, S. 153–155. 16 Karl Oldenberg, seit 1888 Assistent Gustav Schmollers beim „Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich“, hatte sich bereits 1891 habilitiert. 1897 erhielt er eine außerordentliche Professur in Marburg. 17 Webers Vortrag vom 23. März 1896 ist nicht überliefert (vgl. MWG I/4, S. 914 f.), daher auch die Diskussion mit Max Sering nicht dokumentiert.
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Jaffé18 war da – unverändert, – ebenso Münsterberg, – ebenfalls unverändert, der bald nach Ostasien geht.19 – Eben kommt die Mama mit Deinem Brief.20 Natürlich mein Herzchen, mußt Du die Tanten ausführlichst bedenken, und Zeit und Möglichkeit ist ja die Fülle da. Ich werde schon sorgen nicht umzukommen. Ich gebe der Mamae diesen Brief mit und schließe ihn daher lieber, damit Du ihn früher hast. Mama und Clara grüßen bestens, es küßt Dich Dein Mann
e 〈Deinen〉 18 Gemeint ist Alfred Jaffé, der ältere Bruder von Edgar Jaffé (vgl. auch den Brief an Karl Oldenberg vom 18. Jan. 1895, oben, S. 61). Die Familie Jaffé war mit der Familie Weber bekannt. 19 Oskar Münsterberg, den Max Weber 1895 in Freiburg mit einer Untersuchung über „Japans Edelmetall-Handel von 1542–1854“ promoviert hatte (Max Webers Promotionsgutachten vom 14. Juli 1895 (UA Freiburg i. Br., B 42/1275 Philosophische Fakultät, Promotionsgutachten 1895/96; MWG I/13)), legte 1896 eine erheblich erweitere Fassung vor: „Japans auswärtiger Handel 1542–1854, bearb. nach Quellenberichten von Oscar Münsterberg. – Stuttgart: Cotta 1896. 20 Vgl. Anm. 2.
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27. März 1896
Otto Lang [nach dem 27. März 1896]; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig Schweizerisches Sozialarchiv Zürich, Nl. Otto Lang Datum erschlossen aus dem Inhalt des Briefes. Der Brief steht im Zusammenhang mit einer Anfrage des Statistikers Gustav Heinrich Schmidt. Schmidt lehrte als Privatdozent regelmäßig an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (Polytechnikum) sowie an der Universität Zürich Nationalökonomie mit den Schwerpunkten Statistik und Agrargeschichte. Wie sich dem folgenden Brief entnehmen läßt, wandte er sich an Max Weber mit der Bitte, dieser möge sich für die Errichtung eines Statistischen Amts der Stadt Freiburg i. Br. einsetzen und für ihn, Schmidt, als Leiter werben. Zugleich stellte er seine Habilitation in Freiburg i. Br. in Aussicht. Max Weber wandte sich daraufhin an den Züricher Juristen, Politiker und Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, Otto Lang, den er kurz zuvor anläßlich seines Aufenthalts in Berlin getroffen hatte.
Freiburg i /B Schillerstr.a 22 Sehr geehrter Herr! Unter Bezugnahme auf die kurze Begegnung, die wir in Berlin hatten,1 gestatte ich mir folgende vertrauliche Anfrage. Herr Dr Gustav H[einrich] Schmidt, Privatdocent in Zürich, 2 wendete sich an mich mit dem Ersuchen, die Errichtung eines Statistischen Amts in der hiesigen Stadt und seine Berufung zu dessen Leitung anzuregen und stellt gleichzeitig seine Habilitation für Statistik in Aussicht.3 Nun würde ich Bedenken gegen dies Ansuchen – namentlich gegen die Habilitation – nur dann haben, wenn dadurch eineb a[ls] c untüchtig oder doch als mangelhaft leistungsfähig zu erwartende Per-
a O: Schillerst.
b 〈gradezu〉
c Lochung.
1 Max Weber hielt sich zwischen dem 15. und 27. März 1896 in Berlin auf, wie sich seinen Briefen an Marianne Weber vom 16. und 26. März 1896, oben, S. 165–167, 173–175, entnehmen läßt. In welchem Zusammenhang sich Max Weber und Otto Lang begegneten, ist nicht ermittelt. 2 Laut den Vorlesungsverzeichnissen der Universität Zürich pausierte Schmidt zwischen 1895/96 und 1896/97 mit seinen Vorlesungen in Zürich; er wird während dieser Zeit als in Mannheim wohnhaft verzeichnet. Vgl. Verzeichnis der Vorlesungen an der Hochschule Zürich im Wintersemester 1895/96 [Sommersemester 1896; Wintersemester 1896/97]. – Zürcher und Furrer 1895 [1896; 1896], S. 17 [S. 19; S. 19], Angabe des Wohnorts jeweils unpaginiert. 3 Gustav H. Schmidt hat sich offensichtlich nicht in Freiburg i. Br. habilitiert; in den Vorlesungsverzeichnissen der Universität Freiburg wird er zwischen 1896 und 1904 nicht unter den Privatdozenten aufgeführt.
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sönlichkeit anderen, tüchtigeren Kräften, die vielleicht später einmal zu einer Habilitation geneigt sein würden, den Raum wegnähme, der bei der kleinen Studentenzahl hier ein beschränkter ist. Ich entsinne mich nun, daß Sie mir in Berlin den Namen des Herrn Dr Schmidt nannten, weiß aber nicht mehr, was Sie über ihn äußerten. Es wäre mir nun aber von Werth – da mir nur einige kleinere Schriften desselben gelegentlich durch die Hand gingen,4 von unbefangener Seite ein Urteil über die Art seiner Lehrwirksamkeit zu hören. Ich werde mich später natürlich an den Fachordinarius5 wenden müssen, im jetzigen Stadium aber thäte ich das im Interesse des Herrn Dr Schmidt nur ungern. Indem ich Sie bitte, diesen Brief als vertraulich zu behandeln und annehme, daß Sie bezüglich einer eventuellen Beantwortung desselben mir das gleiche Vertrauen schenken, bitte ich Sie, wenn möglich, mich über Ihre bzw. die in Zürich herrschende Meinung in Betreff des genannten Herrn in Kürze informieren zu wollen. Mit verbindlichstem Dank im Voraus Ihr hochachtungvoll sehr ergebener Prof. Max Weber
4 Die Literaturliste Schmidts verzeichnet zahlreiche kleinere Beiträge zur Statistik, zuletzt: Schmidt, Gustav Heinrich, Die Schweiz im Lichte der Statistik. Akademischer Rathausvortrag, gehalten im Kantonsratssaal in Zürich am 29. November 1894. – Zürich: Verlags-Magazin 1895; vgl. auch: ders., Die Notwendigkeit einer Erweiterung der Bevölkerungsstatistik in der Schweiz (Separatabdruck aus den Schweizer Blättern für Wirtschafts- und Socialpolitik). – Zürich: Albert Raustein 1894. Auch lassen sich Schriften zur Agrargeschichte nachweisen: Schmidt, Gustav Heinrich, Zur Agrargeschichte Lübecks und Ostholsteins. Studien nach archivalischen Quellen. – Zürich: Orell Füssli & Co. 1887; ders., La vie et les travaux de Georges Hanssen, in: Revue d’Économie Politique, année 3, 1889, S. 605–633. Möglicherweise ist Schmidt durch seine agrargeschichtlichen Interessen, die sich auch in seinen Vorlesungen dokumentierten, auf Max Weber als Betreuer seiner Habilitation gestoßen. 5 Zu diesem Zeitpunkt lehrten an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (Polytechnikum) Julius Platter und an der Universität Zürich Julius Wolf Nationalökonomie. Möglicherweise wollte Max Weber einen Kontakt mit dem umstrittenen und von ihm nicht geschätzten Julius Wolf vermeiden. Vgl. dazu seinen Brief an Carl Johannes Fuchs vom 24. Juni 1897, unten, S. 356–358.
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Marianne Weber 30. März 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446
Freiburg 30. III. 96 Liebes Frauchen! Vielen Dank für Deinen Brief. Bleib Du nur jedenfalls bis auf Weiteres dort, wie Du schreibst, ich werde dann schon sehen ob es möglich ist, daß ich Ostern hinkomme.1 Einstweilen hoffe ich es noch. Hier ist Alles so weit in gutem Stand. Bertha hat keinerlei Nachricht über Verschlimmerung, bleibt also sonst hier. 2 Der kleine Murx ist sehr aufgeräumt und beweglich, 3 er erfüllt sehr oft seine Mission in der oberen Etage. – Dort geht es recht schlecht,4 fi nde ich, dies ewige Fieber und die sich gar nicht schließende Wunde lassen doch die ungünstigste Deutung als die immer wahrscheinlichere erscheinen. Der arme Mann ist jetzt doch auch ganz herunter und hat innerlich, scheint mir, die Hoffnung aufgegeben. Vorgestern Abend war ich bei Rickerts.5 Er ist noch immer recht matt, ich habe ihm gut zugeredet. Jetzt allmälig kann er wieder anfangen zu arbeiten.6 Ich frage mich nur: wie soll er seine Stelle ausfül-
1 Marianne Weber hielt sich zu Verwandtenbesuchen in Westfalen auf. Zu Max Webers geplanter Osterreise vgl. den Brief an Marianne Weber vom 26. März 1896, oben, S. 173 (mit Anm. 4). 2 Bertha Schandau, Max und Marianne Webers Dienstmädchen, deren Schwester im Vorjahr schwer erkrankt war (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 4. Okt. 1895, oben, S. 153, Anm. 29). 3 Max und Marianne Webers Hündin Murx (bzw. Murcks) hatte im Januar Nachwuchs bekommen. Einen kleinen Rüden hatten sie behalten. 4 Die dritte Etage über Max und Marianne Weber bewohnten der Jurist Richard Schmidt, Max Webers Universitätskollege, und seine Frau Tilla Rosalin. Frau Schmidt hatte sich im Januar einer Operation unterziehen müssen, die schwere Komplikationen nach sich zog (Briefe von Marianne Weber an Helene Weber vom 28. Jan. 1896, vom 10. Febr. 1896 und vom 15. Juni 1896, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 5 Heinrich und Sophie Rickert. 6 Die Querelen um Alois Riehls Nachfolge (wie Anm. 7) setzten Heinrich Rickert schwer zu. An Emil Lask schrieb er später: „Sie wissen wohl, daß Riehl den Wunsch hatte, mich hier auf seinen Lehrstuhl als Nachfolger zu setzen. Das stieß, wie ich sehr wohl begreife, auf entschiedenen Widerspruch, aber dieser Widerspruch äußerte sich schließlich in einer Weise, die ich nicht ganz begriffen habe, und die mir lange Zeit hindurch in jeder Woche die fatalsten Aufregungen brachte. Meine Arbeit kam unter diesen Verhältnissen nicht vom
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len?7 Gestern war ich mit R. Schmidt8 bei Riehls zusammen zum Abend. Sie ist körperlich wiedera besser, nur merkt man jetzt, wie unglaublich schwer ihr der Gedanke an den Abschied wird.9 Ich mußte bis ½1 da bleiben und wiederzukommen versprechen. Offenbar will sie jede Stunde ausnutzen, welche sie hiesige Freunde noch um sich haben kann. – Eben geht Bertha fort, und macht mich darauf aufmerksam, daß sie den kleinen Murx mitnimmt [,] offenbar damit ich vom Balkon aus mir den Vorfall ansehen kann. – Das ist allerdings äußerst komisch. Sie hat ihn an einerb blauen Leine, und er kläfft sie wütend an, legt sich auf die Erde, galoppiert wie besessen, so daß sie hinterherspringen muß, bis sie ihn endlich losläßt. Dann schleift er die Leine und setzt laut kläffend hinter ihr her. – Aber das Erziehen scheint auch bei ihm schwer. Er sucht sich gefl issentlich die Stube aus, scheint es. Darin ist er wohl erblich belastet. Bertha prügelt ihn übrigens ordentlich. – So viel von hier. – In Berlin verließ ich Clara noch etwas marode und nicht sehr widerstandsfähig. Sie wird gründlich durchmachen müssen bei den körperlichen Schmerzen.10 Ernst11 ist mir gegenüber immer leidlich ausgiebig, ich habe natürlich versucht ihm indirekt mancherlei zu suggerieren über Interessen-Erweiterung u.s.w. Am meisten freute mich doch der gute Stand der Mama. Es wird nun bald Zeit wegen des Sommers und ihres Herkommens zu tribulieren.12 Arthur hat also glückl[ich] sein Examen gemacht und kommt zu den Garde-Pioniea 〈auf〉
b der > einer
Fleck, obwohl ich fast den ganzen Tag am Schreibtisch saß.“ (Brief von Heinrich Rickert an Emil Lask vom 12. Mai 1896, UB Heidelberg, Heid. Hs. 3820, Nl. Emil Lask, Nr. 42). 7 Seit Alois Riehl 1895 zum Sommersemester 1896 einen Ruf nach Kiel erhalten hatte, lief das Verfahren für dessen Nachfolge auf den Freiburger Lehrstuhl für Philosophie. Erst nach erheblichen Konflikten in der Philosophischen Fakultät, in deren Verlauf sich Max Weber vorbehaltlos für Rickert einsetzte, wurde dieser im September 1896 zum ordentlichen Professor für Philosophie ernannt. Im Sommersemester 1896 übernahm er zunächst die Vertretung des vakanten Lehrstuhls. Vgl. dazu die Editorischen Vorbemerkungen zum Brief an den Dekan der Philosophischen Fakultät, Friedrich Kluge, vom 22. Dez. 1895, oben, S. 155–157, sowie zu den Briefen an Heinrich Rickert vom 21. April und 22. Juli 1896, unten, S. 191 und 205. 8 Richard Schmidt. 9 Das Ehepaar Riehl gehörte zum engeren Freiburger Freundeskreis von Max und Marianne Weber. 10 Max Webers Schwester Clara Mommsen erwartete ihr erstes Kind. 11 Ernst Mommsen, Claras Ehemann. 12 Lat. für: plagen, jemanden durch ständiges Bitten quälen.
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ren [.]13 Daß Karl nach Karlsruhe kommt, ist trotz aller Bedenken doch gut, sonst würde Arthur nicht zum ordentlichen Arbeiten kommen und überhaupt in Karls Schnodderei hineinkommen.14 Ist er einmal Offizier, dann wird das Alles anders sein, denn er hat dann seinen festen Kreis von Leuten und von Begriffen, in dem er steht und der „Civilist“ wird ihm dann nicht weiter sonderlich imponieren, zumal wenn Karl noch Student ist, nachdem Arthur schon die Epauletten trägt.15 Daß Du Deinen Papa so wenig gut bei Stande antrafst,16 ist recht trübe. Aber ich glaube auch, es wird nichts zu machen sein. Hoffentlich geht es seinerzeit schnell mit ihm zu Ende, ich wüßte gar nicht, wie er fi nanziell durchkommen sollte bei längermc Siechtum, der arme Kerl! Hoffentlich sieht es bei den Tanten doch heiterer aus als Du dachtest.17 Grüße beide doch recht herzlich. Was mag in Detmold sein?18 Hast Du auch die Absicht zum Kupferhammer zu gehen?19 Kastendycks wirst Du doch einmal aufsuchen müssen, nicht wahr?20 Nun laß Dirs einstweilen gut gehen, auf Wiedersehen kann ich noch nicht sagen, denn bis Ostern muß noch viel Arbeit gethan sein und ich schreibe dieser Tage erst noch einmal. Es küßt Dich herzlichst Dein Mann
c Alternative Lesung: langem 13 Vgl. hierzu den Brief an Marianne Weber vom 16. März 1896, oben, S. 166 mit Anm. 7. 14 Zum Studium Karl Webers in Karlsruhe vgl. den Brief an Marianne Weber vom 16. März 1896, oben, S. 166, Anm. 8. 15 Militärische Redensart für das Erlangen des Offiziersrangs (vgl. Militärische Redensarten und Kunst-Ausdrücke, gesammelt und mit den nothwendigen Erläuterungen, hg. von Gotthold Krebs. – Wien: Verlag von L.W. Seidel & Sohn 1892, S. 32). 16 Bei einem Besuch in Lage hatte Marianne Weber ihren Vater Eduard Schnitger in einem sehr schlechten Gesundheits- und Gemütszustand angetroffen (vgl. ihren Brief an Helene Weber, undat. [28. März 1896], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 17 Flora und Marie Schnitger in Lemgo. 18 In Detmold lebte Marianne Webers Onkel Hans Schnitger mit seiner Frau Wilhelmine. 19 In Kupferhammer (Brackwede bei Bielefeld) lebte die mit dem Maschinen- und Lederfabrikanten Karl Möller verheiratete Hertha Möller, eine Tante Marianne Webers. 20 Anna Castendyk, eine Tochter von Hertha und Karl Möller und ihr Ehemann Hermann.
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Marianne Weber 3. April 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446
Freiburg i. B. 3a /4 96 Liebes Mariännchen!
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Du hast recht gehabt: Ostern kann ich nicht reisen.1 Aber ich habe aus Deinen Briefen den Eindruck, daß es den Tanten2 sehr wohlthut, wennb Du da bist, deshalb schlage ich Dir vor: bleib einfach bis zum 15ten April, dann hole ich Dich, wir feiern am 17ten den Geburtstag in Oerlinghausen mit.3 Dann könnte ich in Ruhe kommen. Wenn Du lieber jetzt kommst, so schreibe den Tag, ich komme Dir bis Heidelberg entgegen und wir können dann eine Nacht dort bleiben. Schreib |:aber:| dann auch an Onkel Adolf!4 Riehls würdest Du allerdings dann nicht mehr sehen, wenn Du erst nach dem 17ten kämst, 5 und ich müßte für Dich auch bei Buschs, wo wir am 13ten mit taufen sollen, absagen.6 Aber all das ginge ja ganz gut, wenn es auch schade wäre, – ich habe den Eindruck, es könnte Dir am Ende später leid thun, nicht lange genug bei den Tanten geblieben zu sein.7 Natürlich müssen wir ihnen auch pekuniär helfen. a 2>3
b O: wen
1 Noch Ende März hatte Max Weber erwogen, zu Ostern (am ersten Aprilwochenende) nach Westfalen zu fahren, wo sich Marianne zu Familienbesuchen aufhielt. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 26. März 1896, oben, S. 173. 2 Marie und Flora Schnitger, Marianne Webers Tanten in Lemgo. 3 Am 17. April feierte Carl David Weber, Marianne Webers Großvater und Max Webers Onkel, seinen 72. Geburtstag. 4 Adolf Hausrath, der in der Fallensteinschen Villa in der Ziegelhäuser Landstraße 17 in Heidelberg lebte. Max Weber traf Marianne Weber auf ihrer Rückreise am 9. April in Heidelberg, und sie kehrten am 10. April gemeinsam nach Freiburg zurück. Da Hausrath verreist war, übernachteten sie allerdings bei Emilie und Ernst Wilhelm Benecke (Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 14. April 1896, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 5 Alois und Sophie Riehl. Alois Riehl hatte zum Sommersemester 1896 einen Ruf nach Kiel angenommen, weshalb sie Freiburg Mitte April verließen. 6 Das Ehepaar Wilhelm und Else Busch. Der Freiburger Historiker und seine Frau gehörten zum engeren Freiburger Bekanntenkreis von Max und Marianne Weber. Wie sich aus Max Webers Brief an Helene Weber vom 14. April 1896 (unten, S. 190) ergibt, nahm das Ehepaar Weber an der Taufe doch teil. 7 Wegen einer schweren Erkrankung ihrer Tante Marie im Vorjahr und familiärer Probleme der Schwestern Marie und Flora Schnitger war Marianne Weber seit dem Winter 1895/96
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Gestern war ich mit Riehls bei Rickerts, ihm geht es noch schlecht,8 ich habe ihm gerathen, jetzt nur einen Halbband zu publizieren,9 damit er nicht den ganzen Sommer in gedrückter Stimmung ist. – Jedesmal wieder merkt man, wie schwer Frau Riehl der Abschied wird, sie ist wirklich ganz desperat.10 Vorgestern war ich allein Abends bei Busch, er ist ein guter Kerl und die Frau ist wirklich in ihrer Art eine famose Person mit der Sicherheit, mit der sie auf ihren realistischen Füßen steht.11 Morgen Abend bin ich bei Baumgartens, Else geht es noch immer so merkwürdig gut,12 sie ist förmlich hübscher geworden. Der kleine Bengel ist wirklich reizend.13 Fritz hält Montag 13ten einen Vortrag, den wir leider wohl keinenfalls besuchen werden, (eventuell Busch’s wegen), ich wäre ganz gern einmal höfl ich gewesen und hingegangen.14 Jetzt haben sie natürlich wieder Not mit dem Haus in Straßburg, der Miether hat gekündigt.15 Ach es giebt doch viel Plage in der Welt. Dagegen geht es mir so unverschämt gut.
über den schlechten Gesundheitszustand ihrer Tante Flora sehr in Sorge (vgl. Marianne Webers Briefe an Helene Weber vom [19. und] 20. Nov. 1895, sowie vom 14. April 1896, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Dies war auch der Grund für ihren längeren Besuch bei den Tanten in Lemgo. 8 Heinrich und Sophie Rickert. Zu Heinrich Rickerts Befinden vgl. den Brief an Marianne Weber vom 30. März 1896, oben, S. 178 f. mit Anm. 6. 9 Es handelt sich um Heinrich Rickerts „Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung“, deren ersten Teil (die ersten drei Kapitel) Rickert tatsächlich noch im Sommersemester 1896 veröffentlichte, vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Kluge vom 22. Dez. 1895, oben, S. 156 f. 10 Zu Sophie Riehls Kummer vgl. den Brief an Marianne Weber vom 30. März 1896, oben, S. 179. 11 Vgl. oben, Anm. 6. 12 Anfang März war Fritz und Else Baumgartens zweitjüngster Sohn Fritz (Fritzle) an einer Hirnhautentzündung gestorben (Briefe von Marianne Weber an Helene Weber, undat. [19. oder 26. Febr. 1896], und vom 12. März 1896, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 13 Otto, der jüngste Sohn von Fritz und Else Baumgarten. Er war im Dezember 1895 geboren. 14 Fritz Baumgarten hielt im Saal der „Harmonie“ einen Vortrag über Albrecht Dürer. Laut Bericht der Freiburger Zeitung (Nr. 85 vom 15. April 1896, S. 2), fand dieser allerdings am 14. April 1896 statt. 15 Das Haus ist die um 1880 gekaufte Baumgartensche Villa in Straßburg. Unmittelbar nach dem Tod ihres Mannes Hermann hatte Ida Baumgarten, Fritz Baumgartens Mutter, das Haus 1893 vermietet und war in eine kleine Wohnung in der Goethestraße 40 gezogen. Sie verbrachte seither mehr Zeit in Stuttgart bei ihren Töchtern Emmy und Anna als in Straßburg (Roth, Familiengeschichte, S. 327).
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Halt den Kopf hoch, mein kleines Mäuschen, damit die Tanten Sonnenschein haben. Herzlichst küßt Dich Dein eiliger Mann. 5
Eilig deshalb, weil ich 1½ Tage mit Correctur meines Vortrags verlor.16 Der Drucker hatte lauter gänzlich sinnlose Buchstabenhaufen gedruckt! Verfluchte Handschrift!
16 Es dürfte sich um Korrekturen zur Druckfassung des Vortrags „Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur“ (MWG I/6, S. 82–127) handeln, den Max Weber am 13. Januar 1896 an der Universität Freiburg gehalten hatte und der im Mai 1896 in der Zeitschrift „Die Wahrheit“ erschien. Vgl. dazu den Brief an Marianne Weber vom 24. März 1896, oben, S. 169 (mit Anm. 13).
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Friedrich Naumann 12. April 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 106, Bl. 113 Der Brief steht im Zusammenhang mit den politischen Aktivitäten Friedrich Naumanns im Vorfeld der Gründung des Nationalsozialen Vereins. Naumann hatte Max Weber offensichtlich bereits vor einiger Zeit den von ihm verfaßten Entwurf zu einem Gründungsaufruf für den Nationalsozialen Verein zugesandt und um Ergänzungen gebeten. Darauf nimmt Weber zunächst Bezug. Darüber hinaus steht der im folgenden edierte Brief im Zusammenhang mit einer Anfrage Naumanns, die Besprechung einer Broschüre zu übernehmen, denn Max Weber unterstützte auch Naumanns journalistische Unternehmungen mit eigenen Beiträgen; so veröffentlichte er in der von Friedrich Naumann herausgegebenen populärwissenschaftlichen „Göttinger Arbeiterbibliothek“ die beiden Bände „Die Börse. I. Zweck und äußere Organisation der Börsen“ (1894; MWG I/5, S. 127–174), sowie „Die Börse. II. Der Börsenverkehr“ (1896; MWG I/5, S. 614–657).
Freiburg iB. Schillerstr.a 22. 12/4 96 Verehrter Herr Pfarrer! Umstehend das mir übersandteb Schreiben, das ich bisher immer wieder vergaß zu schicken.1 Die Getreidehandels-Broschüre kann ich jetzt a O: Schillerst.
b Alternative Lesung: übersendete
1 Beigefügt war der undatierte und nicht unterzeichnete Entwurf eines Gründungsaufrufs für den Nationalsozialen Verein, augenscheinlich verfaßt von Friedrich Naumann, mit handschriftlichen Ergänzungen und Korrekturen Max Webers (BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 106, Bl. 114). Der Entwurf ist in der gleichen Kanzleischrift abgefaßt wie das von Friedrich Naumann nur eigenhändig unterzeichnete Rundschreiben vom 14. August 1895 (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Naumann vom 22. Sept. 1895, oben, S. 147). Es darf daher als sicher gelten, daß auch der Entwurf des Gründungsaufrufs von Friedrich Naumann stammt und von ihm diktiert wurde. Dafür spricht darüber hinaus die darin enthaltene Anspielung auf den Deutschen Nationalverein von 1859, an dessen Vorbild sich die neu zu gründende Vereinigung orientieren sollte. Auf den Deutschen Nationalverein als Modell hatte Naumann auf der Erfurter Versammlung des engeren Kreises der jüngeren Christlich-Sozialen im Februar 1896 hingewiesen (vgl. Düding, Der Nationalsoziale Verein, S. 42 f.). Sein Entwurf des Gründungsaufrufs trägt am rechten Rand den Vermerk: „Abänderung des Herrn Prof. Sohm in Leipzig:“ und ist mit Marginalien versehen. Diese stammen einerseits wahrscheinlich von dem Mitbegründer des Nationalsozialen Vereins, dem Leipziger Kirchenrechtler und Rechtshistoriker Rudolf Sohm, andererseits eindeutig von Max Weber. Die Änderungen Sohms sind in Bleistift geschrieben, teils auch überschrieben und nicht lesbar. Daher wird der Entwurf im folgenden nur mit den bislang unbekannten Ergänzungen und Korrekturen Max Webers wiedergegeben. Diese werden kursiv gesetzt, Streichungen und sonstige Textänderungen werden nicht berücksichtigt: „Entwurf. Vertraulich. Hochgeehrter Herr! Aus den politischen u. sozialpolitischen Verhandlungen der letzten Jahre scheint sich zu ergeben, daß die bisherigen Parteiformen den Bedürfnissen einer nationalen u. sozialen Politik nicht in jeder Hinsicht
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unmöglich besprechen, 2 habe auch im Seminar Niemand, der dies gut machen würde. Berufen wäre dazu in erster Linie Herr Dr Schumacher 3 Berlin NW, Melanchthonstr. 23 oder eventuell Herr Dr Wiedenfeld4 Berlin, dessen Adresse der Erstgenannte kennt. Wir rechnen darauf, daß Sie, wenn Sie – ich weiß noch nichts Näheres – nunmehr zum Vortrag hier eingeladen werden, 5 bei uns – bescheiden zwar, aber ruhig – wohnen.
genügen. Es fehlt an einer Gruppe, welche den Wunsch breiter Kreise vertritt, die Wahrung und Fortbildung unserer großen nationalen Errungenschaften mit der freiheitlichen Ausgestaltung unserer politischen Institutionen und mit der aufrichtigen Förderung der Emporentwicklung des vierten Standes und zugleich mit der Wahrung der Lebensbedingungen einer zahlreichen und kräftigen ländlichen Bevölkerung zu verbinden, es fehlt an einer politischen Vereinigung, welche, ausgerüstet mit historischer, politischer u. technischer Bildung, die sozialen Wandlungen der Neuzeit als die Grundlage für neue Formen der nationalen Entwicklung auffaßt. Die Unterzeichneten geben sich nun die Ehre, Ihnen vertraulich mitzuteilen, daß die Absicht besteht einen über ganz Deutschland sich erstrekkenden politischen Verein zu gründen, der eintritt für Stärkung der Flotte u. des Landheeres, für eine kräftige und zugleich aufrichtig constitutionelle Leitung des Staatswesens unter Erhaltung des verfassungsmäßigen Reichstagswahlrechtes, für Freiheit jeder Berufsvereinigung der Arbeiter, für Kräftigung unserer Landwirtschaft durch die Mittel des Vereinswesens u. durch deren Kolonisation. Es ist daran gedacht worden, dem Verein den Namen ‚Neuer deutscher Nationalverein’ zu geben. Aber dieser Name sowie alle näheren Bestimmungen sind erst einer weiteren Besprechung von Interessenten zu überlassen. Um eine solche Besprechung zu ermöglichen, fragen wir bei Ihnen an, ob Sie dem Plan im allgemeinsten Sinne Ihre Zustimmung geben u. bereit sein würden, sich an weiteren Schritten irgendwie zu beteiligen. Gefl. Antworten sind an einen der Unterzeichneten erbeten.“ Ob dieses Schreiben später zur Versendung gekommen ist, läßt sich nicht feststellen. Vgl. auch Düding, ebd., der den Aufruf ohne die Randbemerkungen Max Webers wiedergibt. 2 Friedrich Naumann hatte sich offensichtlich an Max Weber mit der Bitte gewandt, eine „Getreidehandelsbroschüre“ zu besprechen, vielleicht für die „Hilfe“. Dort konnte jedoch keine derartige Besprechung, auch von keinem anderen Autor, ermittelt werden. 3 Gemeint ist Hermann Schumacher, der der „kleinen staatswissenschaftlichen Gesellschaft“ (Donnerstagskreis) in Berlin angehörte (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 15. Jan. 1895, oben, S. 54, sowie den Brief an Alfred Weber vom 17. Mai 1895, oben, S. 81, Anm. 6). Er veröffentlichte u. a. 1895: Der Getreidehandel in den Vereinigten Staaten von Amerika und seine Organisation, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Band 65, 1895, S. 361–392, S. 801–822; sowie: Die Getreidebörsen in den Vereinigten Staaten von Amerika, ebd., Band 66, 1896, S. 35–73, S. 161–236. 4 Gemeint ist Kurt Wiedenfeld. 1894 und 1895 erschien von ihm u. a. die Serie: Der deutsche Getreidehandel, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Band 62, 1894, S. 161–208, S. 360–377, sowie: ebd., Band 64, 1895, S. 337–379, S. 641–670. 5 Max Weber lud Friedrich Naumann wenig später im Auftrag der Evangelisch-sozialen
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Nach Frankfurt kam ich nicht, da meine Frau direkt kam.6 Auf Wiedersehen besten Gruß Max Weber P.S. Dieses skandalhafte Erfurter Blatt „Naumann’scher Richtung“7 dürfen Sie unserer Ansicht nach nicht alsc eins der Ihrigen anerkennen. Es ist ja jammervoll unklar. Namentlich Schulze-Gävernitz8 war ganz wild darauf[.]
c 〈das〉 Vereinigung für Baden zu einem Vortrag nach Freiburg ein. Vgl. den Brief an Friedrich Naumann vom 29. April 1896, unten, S. 193 f., mit Editorischer Vorbemerkung. 6 Auf der Rückfahrt von ihren Verwandten in Lemgo und Lage (Brief an Marianne Weber vom 3. April 1896, oben, S. 181 mit Anm. 4) kam Max Weber seiner Frau mit dem Zug bis Heidelberg entgegen, aber ohne den anscheinend zuvor geplanten Abstecher bei Friedrich Naumann und Martin Rade in Frankfurt a. M. zu unternehmen. Vgl. den Brief an Martin Rade vom 12. April 1896, unten, S. 187. 7 Anspielung auf die kurz zuvor, am 29. März 1896, begründete Christlich-Soziale Volks-Zeitung in Erfurt. Sie ging aus der evangelischen Arbeitervereinsbewegung hervor und verfolgte eine sozial-konservative, ständisch-patriarchalische Sozialpolitik auf christlicher Grundlage (vgl. den „Aufruf an den Leser“, in: Christlich-Soziale Volks-Zeitung, Nr. 1 vom 29. März 1896). Max Weber bezieht sich hier konkret auf den Artikel „Kingsley, der erste christlich-soziale Geistliche“, in dem es heißt: „So ist England auch die Heimat des christlich-sozialen Geistes, und der erste und bedeutendste Vertreter dieser Richtung war unter den Geistlichen Charles Kingsley, das englische Vorbild unseres Pfarrers Naumann.“ (Ebd., Nr. 3 vom 11. April 1896). Nach der Gründung des Nationalsozialen Vereins im November 1896 erfolgte eine Umbenennung in National-Soziale Volks-Zeitung („An unsere Leser“, in: National-Soziale Volks-Zeitung, Nr. 37 vom 5. Dez. 1896). Die Zeitung ist bibliographisch nicht ermittelbar; im Nachlaß Friedrich Naumanns (BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 36) befinden sich jedoch Exemplare des 1. und 2. Jahrgangs, nach denen hier zitiert wird. Offensichtlich hat sie danach ihr Erscheinen eingestellt. 8 Gerhart von Schulze-Gaevernitz.
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Martin Rade 12. April 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig UB Marburg, Ms. 839, Nl. Martin Rade Der Brief steht im Zusammenhang mit der Unterstützung von Friedrich Naumanns publizistischen Ambitionen. Max Weber war wie der Frankfurter Pfarrer Martin Rade, der Herausgeber der „Christlichen Welt“ und Schwager Naumanns, Mitglied des Komitees zur Vorbereitung der Gründung einer unabhängigen Tageszeitung, der späteren national-sozialen „Die Zeit“. Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Naumann vom 22. September 1895, oben, S. 147.
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Meine Frau kam direkt hierher,1 ich reiste ihr bis Heidelberg entgegen, kam aber nicht nach Frankfurt, sonst hätten wir Sie sicher aufgesucht. – Was ist denn passiert? wobei ich Sie nicht im Stich lassen soll? Soll in der Zeitungsangelegenheit etwas unternommen werden? Oder was ist sonst? Beste Empfehlungen und Gruß Ihr Max Weber
a O: Schillerst. 1 Vgl. den Brief an Friedrich Naumann vom 12. April 1896, oben, S. 186, Anm. 6.
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Helene Weber 14. April 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 171–172
Freiburg 14/4 96. Liebe Mutter! Nur in Eile einen Geburtstagsgruß.1 Du weißt ja, daß wir heute an Dich denken und hoffen, daß es im kommenden Jahr mit Deinem Befi nden weiter aufwärts geht.2 Wir hoffen aber auch bestimmt, daß es uns schon im Sommer ein Wiedersehen bringt und zwar – das ist doch das Natürlichere – hier zu Lande, 3 wo es eben, nachdem die Sonne endlich zu siegen scheint, schön zu werden beginnt. Hoffentlich ist das Fäßchen Wein, welches ich zu der morgigen Geburtstagsbowle schickte, richtig angekommen. (Der Wein ist – ausgenommen etwa den letzten Rest – nicht auf Flaschen zu ziehen, er kann getrost allmälig getrunken werden, ¼ Jahr lang hält er sich im |:kühlen:| Keller ohne Weiteres. Hoffentlich hat sein Geschmack durch die Fahrt nicht gelitten. Aber gut ist es, wenn Ihr ihn, nachdem er sich einige Tage etwa geklärt hat, gleich trinkt, er wird nicht bessera u. ist überhaupt mehr Merkwürdigkeit, seiner Süße und Schwere halber |:1792 und 1865 soll er ähnlich gewesen sein.:|.) – Tante Ida und Emmy sind hier,4 wir hoffen sie nachher hier zu sehen. Emmy ist so merkwürdig wohl und lebendig, dem Eindruck nach, daß ich begreife, daß Dora5 unglücklich ist, daß sie nun wieder als selbstverständlich krank behandelt wird und ins Ottilienhaus soll.6 Aber man kann da nicht hineinreden, die Sache ist zu coma 〈)〉 1 Der 15. April war Helene Webers Geburtstag. 2 Der Sachverhalt konnte nicht ermittelt werden. 3 Der Sommerbesuch 1896 in Freiburg fand zwischen Anfang Juli und Mitte August statt (vgl. Marianne Webers Briefe an Helene Weber vom 24. Juni 1896, sowie undat. [23. Aug. 1896], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 4 Ida und Emmy Baumgarten. 5 Dora Benecke, eine Cousine Max Webers und Emmy Baumgartens. 6 Die chronisch nervenleidende Emmy Baumgarten lebte immer wieder im Stuttgarter Ottilienhaus, einer von Adelheid Wildermuth geleiteten und von deren Bruder, Dr. Hermann Adalbert Wildermuth, ärztlich betreuten Privatklinik für Nervenkranke. Im Herbst 1895 hatte Marianne Weber der Schwiegermutter über ein Gespräch mit Ida Baumgarten berichtet, in dem letztere äußerte, seit vier Jahren keine wesentliche Besserung bei ihrer Tochter Emmy feststellen zu können. Emmy selbst, so Marianne Weber, fühle sich „kraftlos u.
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pliciert und Tante Ida kommt von ihrer Meinung und inneren Angst nicht los, wenn sie sie nun bei sich behielte. Auch hat eben Emmy wohl keinen Drang ins Leben hinaus. Marianne ist, trotz allen Trostlosigkeiten in Lage und Lemgo,7 ganz wohl heimgekehrt, äußerlich durch ihre Frisur sehr verändert. – Ob wohl das Bild auf der Ausstellung angenommen ist?8 Es wird ihr nun freilich |:auf den ersten Blick:| nicht mehrb ähnlich sein. Für Alfreds Brief danke ich schön. Meine Skripten hat mir Clara neulich geschickt. Dagegen hat sie 3–4 Hemden behalten, die ich Johanne9 zu schicken bat. Ernst10 passen sie glaube ich doch kaum, – könnte sie siec wohl gelegentlich unfrankiert hierher befördern? Eben kommt das Essen. Nachher muß ich in die Stadt; heut abend
b Alternative Lesung: recht
c Alternative Lesung: die
‚stumpfsinnig‘“; sie quäle sich mit jeder Kleinigkeit (Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 5. Nov. 1895, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Nach einer Phase der Besserung im Frühjahr 1896 ging es Emmy Baumgarten wieder so schlecht, daß sie früher als vorgesehen ins Ottilienhaus zurückkehrte (Briefe von Marianne Weber an Helene Weber vom 14. April 1896, sowie undat. [22. Mai 1896], ebd.). 7 Zum Besuch Marianne Webers bei ihrem Vater in Lage sowie bei ihren Tanten Marie und Flora Schnitger in Lemgo vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 30. März 1896, oben, S. 180 (mit Anm. 16), sowie vom 3. April 1896, oben, S. 181 (mit Anm. 7). 8 Während des Freiburger Aufenthalts von Marie Davids an Weihnachten 1895 hatte Marianne Weber der Malerin Modell gesessen (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 4. Okt. 1895, oben, S. 150 (mit Anm. 1)). Das bei einem weiteren Besuch im März 1896 fertiggestellte Bild wurde nach einer ersten Ablehnung im April schließlich doch für die Internationale Kunst-Ausstellung angenommen (vgl. die Briefe von Marianne Weber an Helene Weber vom 12. März und vom 24. April 1896, sowie undat. [Anfang Mai 1896], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446), die vom 3. Mai bis 30. September 1896 im Alten Museum auf der Berliner Museumsinsel stattfand. Das Gemälde „Bildniss der Frau Professor W.“ war das einzige ausgestellte Bild der Malerin auf der am 3. Mai 1896 in Anwesenheit des Kaiserpaares eröffneten Ausstellung (vgl. Internationale Kunst-Ausstellung Berlin 1896. Zur Feier des 200jährigen Bestehens der Königlichen Akademie der Künste. Katalog, 2. Aufl. – Berlin: Verlag von Rud. Schuster o.J. [1896], S. 27). Heute befindet es sich als Besitz des Kurpfälzischen Museums der Stadt Heidelberg im Heidelberger Max Weber-Haus; Abbildung bei: Meurer, Bärbel, Marianne Weber. Leben und Werk. – Tübingen: Mohr Siebeck 2010, S. 611, Abb. 10 (hinfort: Meurer, Marianne Weber). 9 Vermutlich das Dienstmädchen von Clara und Ernst Mommsen. 10 Ernst Mommsen, Claras Ehemann.
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14. April 1896
kommt Sering,11 der mit uns gestern bei seinem Schwager taufte,12 zu uns mit der Absicht [,] eine umfassende Disputation zu beginnen [.]13 Deshalb leb wohl, herzlichste Grüße und Wünsche Max
11 Max Sering. 12 Serings Schwager war der mit Max und Marianne Weber gut bekannte Freiburger Historiker Wilhelm Busch; Max Serings Frau Anna war Buschs Schwester. Die Taufe bei Buschs fand am 13. April 1896 statt (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 3. April 1896, oben, S. 181). 13 Wie Marianne Weber in ihrem Brief an Helene Weber vom gleichen Tag (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) mitteilte, kam Sering zusammen mit dem Ehepaar Wilhelm und Else Busch zum Abendessen. Zum Inhalt der angekündigten umfassenden „Disputation“ vgl. den Brief an Helene Weber vom 2. Mai 1896, unten, S. 197 mit Anm. 12.
21. April 1896
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Heinrich Rickert [21. April 1896; Freiburg i. Br.] Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 25, Bl. 5 Die Datierung ist aus der Erwähnung des Fakultätsbeschlusses, daß Heinrich Rickert mit der Vertretung des vakant gewordenen Lehrstuhls für Philosophie an der Universität Freiburg i. Br. betraut werden solle, erschlossen (vgl. dazu sowie zur Berufung Heinrich Rickerts auf den Freiburger Lehrstuhl für Philosophie als Nachfolger von Alois Riehl die Editorische Vorbemerkung zum Brief an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br., Friedrich Kluge, vom 22. Dezember 1895, oben, S. 155–157). Der Ort ist aus dem Kontext erschlossen. Auf der ersten Fakultätssitzung im SS 1896 am 21. April 1896 wurde der Entschluß gefaßt, Heinrich Rickert als Vertreter und provisorischen Verwalter des Lehrstuhls und des philosophischen Seminars einzusetzen. Der Dekan teilte dem Ministerium diesen Entschluß am 1. Mai 1896 mit; die ministerielle Genehmigung erfolgte am 13. Mai 1896 (UA Freiburg i. Br., B 38/283).
Lieber Rickert!
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1. Es kam heut in der Fakultät zur Sprache,1 was mit dem Philos[ophischen] Seminar werden solle. Man fragte, wo der Schlüssel desselben sich befi nde. Ich sagte, daß Sie bereits im Gespräch mit mir angeregt hätten, ob nicht die Fakultät Bestimmung darüber treffen solle, da Sie Sich nicht recht wohl im Besitz des Schlüssels fühlten. Man beschloß, die Regierung zu ersuchen, Sie vorerst mit der Leitung des Sem[inars] zu beauftragen und gleichzeitig auf Besetzung der Stelle zu dringen. 2. Wollen wir morgen (Mittwoch) 2 Abend auf den Leimstollen?3 Ev. holen Sie uns doch bitte gegen Abend ab! Besten Gruß Max Weber
1 Protokoll der Sitzung der Philosophischen Fakultät am 21. April 1896, UA Freiburg i. Br., B 3/795, S. 53. Das Protokoll vermerkt keine Wortmeldung Max Webers. 2 Mittwoch, den 22. April 1896. 3 Der „Leimstollen zu Leutersberg“ war ein beliebtes Ausflugslokal, am Eingang des Markgräflerlandes südwestlich von Freiburg gelegen. Max Weber kehrte dort im Sommer regelmäßig mit Freunden und Kollegen ein, am 22. April 1896 zur „Nachfeier“ seines Geburtstags (vgl. den Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 24. April 1896, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).
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22. April 1896
Friedrich Naumann 22. April 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 106, Bl. 5 Der Brief steht im Zusammenhang mit dem siebenten Evangelisch-sozialen Kongreß, der am 28. und 29. Mai 1896 in Stuttgart stattfand. Als Ausschußmitglied des Evangelisch-sozialen Kongresses und der Evangelisch-sozialen Vereinigung für Baden engagierte sich Max Weber für das Gelingen des Kongresses und forderte Friedrich Naumann, den Exponenten der sogenannten jüngeren Christlich-Sozialen, zur Teilnahme auf.
Freiburg 22. IV. 96 Verehrter Herr Pfarrer! Gestern hörte ich von Vikar Schulz1 als Gerücht, |:welches in Berlin allseitig geglaubt werde,a :| daß es von Ihnen und Ihren Freunden beabsichtigt werde, nicht zum Ev[angelisch-]Soz[ialen] Congresse zu kommen? Das ist doch hoffentlich nicht richtig? Es wäre ja unter allen Umständen ein unverzeihlicher Fehler. Hoffentlich fordern Sie doch in der „Hilfe“ noch ausdrücklich zum Kommen auf! 2 Herzlichen Gruß Ihr Max Weber.
a Alternative Lesung: wurde, 1 Es handelt sich um den Freiburger Stadtvikar Wilhelm Valentin Schulz, der gemeinsam mit Max Weber und Paul Siebeck Vorträge für die Evangelisch-soziale Vereinigung für Baden organisierte. Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Naumann vom 29. April 1896, unten, S. 193. 2 Dieser Bitte leistete Friedrich Naumann Folge. Am 10. Mai 1896 erschien in der „Hilfe“ über der Anzeige „Programm des VII. Evangel[isch]-soz[ialen] Kongresses“ im „Briefkasten“ die Notiz Naumanns: „Verschiedentlich werde ich gefragt, ob ich auch bestimmt zum Kongreß nach Stuttgart kommen werde. Ich komme sowohl zur Hauptversammlung der Evangelischen Arbeitervereine wie zum Kongreß und bitte alle Freunde, recht zahlreich beide Versammlungen zu besuchen.“ (Die Hilfe, Nr. 19 vom 10. Mai 1896, S. 7). Eine Woche später erschien die Einladung des Stuttgarter Lokalkomitees „Siebenter evangelisch-sozialer Kongreß in Stuttgart“ (ebd., Nr. 20 vom 17. Mai 1896, S. 7), die auch von Max Weber seitens der Evangelisch-sozialen Vereinigung Badens unterzeichnet war. Vgl. den Editorischen Bericht zu Max Webers Diskussionsbeitrag auf dem siebenten Evangelisch-sozialen Kongreß: Weber, Max, [Diskussionsbeitrag zum Vortrag von Hans Delbrück: Die Arbeitslosigkeit und das Recht auf Arbeit], MWG I/4, S. 606 f.
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29. April 1896
Friedrich Naumann 29. April 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 106, Bl. 119–120 Bereits am 12. April 1896 hatte Max Weber Friedrich Naumann die Einladung zu einem Vortrag in Aussicht gestellt (oben, S. 185). Die Einladung sollte im Auftrag der Evangelisch-sozialen Vereinigung für Baden erfolgen, die am 7. Juni 1894 gegründet worden war (Mitteilungen des Evangelisch-sozialen Kongresses, Nr. 3 von März 1895, S. 5). Zu den Mitgliedern der Vereinigung zählten neben Max Weber u. a. auch sein Fachkollege Gerhart von Schulze-Gaevernitz sowie der damals noch in Freiburg ansässige Verleger Paul Siebeck. Anläßlich einer Zusammenkunft der Evangelisch-sozialen Vereinigung in Freiburg im Februar 1896 wurde beschlossen, „in den größeren Städten unseres Landes Vorträge zu veranstalten, durch welche über die Grenzen der Arbeiterwelt hinaus in weiteren Kreisen Verständniß und Interesse für die evangelisch-soziale Bewegung und ihre Ziele erweckt werden soll.“ (Freiburger Zeitung, Nr. 48 vom 27. Februar 1896, 2. Bl., S. 2). Geplant wurde die Einladung dreier Vortragender; der Prominenteste unter ihnen war Friedrich Naumann. Der Freiburger Stadtvikar Wilhelm Valentin Schulz, Paul Siebeck und Max Weber wurden „mit der Ausführung der besprochenen Pläne“ beauftragt. In diesem Zusammenhang wandte sich Max Weber mit dem im folgenden edierten Brief an Friedrich Naumann. Wie aus dem Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 14. Mai 1896, unten, S. 200, hervorgeht, schlug Friedrich Naumann die Einladung jedoch aus.
Freiburg i.B. Schillerstr.a 22 29. IV. 96. Verehrter Herr Pfarrer!
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Im Auftrage der Evangelisch-Sozialen Vereinigung habe ich Sie einzuladen, hier in der Zeit vor dem Evangelisch-Sozialen Congreß,1 aber Spätestens um den 18 [.] –19 [.] Mai, besser etwas vorher, einen öffentlichen Abend-Vortrag, für den wir vorzugsweise auf Beteiligung gebildeten Publikums rechnen, zu halten. Bezüglich des Themas bitten wir Sie, Ihrerseits Sich zu entschließen. Die Wünsche, welche im Schooße der Vereinigung laut wurden, gingen nach zwei Richtungen: einerseits wurde gewünscht, Sie möchten die „Pfl ichten der Gebildeten gegenüber den unteren Klassen“ in den Mittelpunkt richten, andrerseits, und zwar von der Mehrheit einschließlich meiner, Sie möchten Sich keinesfalls an rein ethische Erörterungen binden, sondern auch gewisse Grundzüge programmatischen Charakters erkennen lassenb z. B. meinem allgemeinen Empfi nden nach a O: Schillerst.
b In O folgt sich öffnende, gestrichene Klammer.
1 Der Evangelisch-soziale Kongreß fand am 28./29. Mai 1896 statt (vgl. den Brief an Friedrich Naumann vom 22. April 1896, oben, S. 192).
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29. April 1896
|:etwa:| demc Gegensatz gegen den ökonomischen Patriarchalismus deutlichen Ausdruck verleihen, was unter der Firma „Pfl ichten der Gebildeten etc“ oder einer ähnlichen wohl nicht ausgeschlossen wäre. Bitte urteilen Sie selbst, was Ihnen z.Z. liegt1), uns kommt es auf einen auf das gebildete Publikum kräftig wirkenden Vortrag an, der hier kein gleichgültiges Ereignis sein würde, schon mit Rücksicht aufd den Diaspora-Charakter des hiesigen Protestantismus. – Ich bitte Sie um Mitteilung des Ihnen geeignet erscheinenden Themas und des Ihnen passenden Abends, wir werden dann alsbald ein Lokal beschaffen und darnach die Auswahl unter den von Ihnen vorzuschlagenden Tagen treffen. Deshalb wäre ich Ihnen auch für recht umgehende Erledigung sehr dankbar. Vor Ende nächster Woche wäre es wohl kaum möglich für uns ein Lokal zu fi nden – äußerstenfalls vielleicht. Ich nehme als selbstredend an, daß Sie bei uns wohnen und wir würden uns herzlich freuen, wenn Sie Ihre Zeit nicht zu kurz bemessen würden; man könnte dann noch über Manches reden. Herzlichen Gruß Ihr stets ergebener Max Weber
1)
Etwa auch ein ganz allgemeines Thema über die Ev[angelisch-] Soz[iale] Bewegung, oder über die Unterschiede gg. die Soz[ial-]Demokratie. – Wie Sie wollen [.]
c O: den
d 〈die〉
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2. Mai 1896
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Helene Weber 2. Mai 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 173–174
Freiburg 2. V. 96 Liebe Mutter!
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Ich muß mich im Drange des wieder begonnenen Semesters mit einem verspäteten und auch recht kurzen Dank für Papas und Deinen Brief und die ausgezeichneten Würste begnügen.1 Wäre das Frühjahr etwas schöner, – es ist thatsächlich bisher gradezu jammervoll, die Berge ganz braun noch am 2. Mai – so hätten wir wohl wieder eine größere Partie wie voriges Jahr unternommen, so blieb nichts übrig, als das schlechte Wetter zum Arbeiten zu benutzen, was auch endlich geschehen ist. Alles Weibliche bei uns rechnet Schweine, Rinder, Juden, Polen, Kinder, Wiesen, Flächengrößen etc etc. aus und erspart uns dadurch ein schönes Geld – denn das Rechnenlassen, zu dem ich jetzt doch, da ich es nicht mehr selbst durchführen kann, greifen muß, kostet Hunderte von Mark, selbst wenn ich Studenten engagiere.2 Alfred werde ich baldigst schreiben und dann noch persönlich für seinen Liebes-
1 Briefe und Geschenke hatte Max Weber wohl zu seinem Geburtstag am 21. April erhalten. Offizieller Beginn des Sommersemesters war der 15. April 1896 (Verzeichnis der Freiburger Vorlesungen, SS 1896). 2 Seit 1894/95 arbeitete Max Weber an einer agrarstatistischen Studie, mit der er den Nachweis führen wollte, daß die Großgüterwirtschaft im Osten Deutschlands zu Entvölkerung, die bäuerliche Wirtschaft im Westen Deutschlands dagegen zu Bevölkerungsstabilität führe (vgl. ausführlich dazu Aldenhoff-Hübinger, Einleitung, in: MWG III/5, S. 35 f.). Belegen wollte er damit zugleich einen Verdrängungsprozeß nationaler Reichweite von deutschen (zumeist protestantischen) durch polnische (zumeist katholische) Landarbeiter und Bauern. In diesem Zusammenhang zählte er auch die Konfessionen. Zudem bemühte er sich um die Auswertung der Fragebogen der 1892 von ihm gemeinsam mit Paul Göhre initiierten Landarbeiterenquete des Evangelisch-sozialen Kongresses. Durch Webers Berufung nach Freiburg gerieten diese agrarstatistischen Arbeiten ins Stocken (vgl. die Briefe Marianne Webers an Helene Weber vom 28. Jan. 1895, vom 9. [10. und 11.] März 1895, undat. [1. Juni 1895], sowie vom 23. [Juni] 1895, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Für die Zeit von April bis Oktober 1896 ist mehrfach dokumentiert, daß Weber die mit erheblichem Rechenaufwand verbundenen Studien voranzutreiben suchte. Neben Marianne Weber (und phasenweise Max Weber selbst) rechneten ab April zunächst eine, im Mai drei bezahlte studentische Hilfskräfte; des weiteren auch der im vorliegenden Brief erwähnte Besuch Marianne Webers – Fräulein Welsch (Briefe von Marianne Weber an Helene Weber vom 24. April 1896, undat. [Anfang Mai 1896], undat. [24. Aug. 1896], vom 2. Sept. 1896 sowie vom 13. Okt. und 27. Okt. 1896, alle Briefe ebd.).
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2. Mai 1896
dienst danken, 3 ebenso für die Zusendung seiner Recension.4 Ich revengiere mich nächster Tage mit einem kleinen Aufsatz.5 – Ich spüre in meinem Kopf noch jetzt die Nachwirkungen von Schottland,6 das Arbeiten geht besser als seit Jahren, vielleicht auch weil icha wöchentlich 2 Mal den Schloßberg hinaufrase, in 10 Minuten, so daß ich oben zuerst immer denke mir platzte die Brust – es bringt das Blut in Bewegung und ist ganz gut. Das Semester geht gut an und ich habe weniger mit Collegien zu thun als bisher. –7 Marianne hat sich doch schrecklich gefreut, daß Frl. Davids’ Bild angenommen ist,8 diese selbst schrieb einen Brief, aus dem man den Eindruck hatte, daß sie wieder Bodenb vor sich sieht.9 – Der jetzige Besuch, den Marianne in ihre „Seelenklinik“, wie Baist sich ausdrückt,10 genommen hat, ist etwas complicierterer Art und hat seine eigne Methode, sich den Schmerz zu „verbeißen“. Ein interessantes und sehr begabtes, nur jetzt tief disharmonisches Mädchen, das Gegenteil von sentimental und doch furchtbar mitgenommen von der Schlappheit dieses Mannes.11 Viel kann man nicht thun, namentlich nicht jetzt a 〈täglich〉
b Alternative Lesung: Bahn
3 Der Sachverhalt ließ sich nicht klären. Ein Brief an Alfred Weber ist für diese Zeit nicht überliefert. 4 Zeitnah erschien Alfred Webers Rezension zu: Gabriel J. Rosenberg, Die Arbeiterschutzgesetzgebung in Rußland. – Leipzig: Duncker & Humblot 1895, in: SchmJb, Jg. 20, 1896, Heft 2, S. 669 f. 5 Im Mai 1896 erschien Max Webers Artikel „Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur“ (MWG I/6, S. 82–127). 6 Zur als erholsam empfundenen Reise nach Schottland und Irland im August und September 1895 vgl. Max Webers Reisebriefe, oben, S. 95–146. 7 Im Sommersemester 1896 unterrichtete Max Weber erstmals in seiner Freiburger Zeit weniger als 12 Semesterwochenstunden. Vgl. „Übersicht über die Lehrveranstaltungen Max Webers in Freiburg von 1894–1897“, MWG III/1, S. 54–57. 8 Zur Ausstellung des von Marie Davids gemalten Portraits Marianne Webers auf der Internationalen Kunst-Ausstellung Berlin 1896 vgl. den Brief an Helene Weber vom 14. April 1896, oben, S. 189 (mit Anm. 8). 9 Zu Marie Davids’ privaten Problemen vgl. den Brief an Marianne Weber vom 4. Okt. 1895, oben, S. 150 (mit Anm. 2 und 3). 10 Der Romanist Gottfried Baist gehörte in Freiburg zum engeren Bekanntenkreis Max und Marianne Webers. 11 Wie sich aus dem Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 24. April 1896 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) ergibt, handelt es sich um den Besuch von Fräulein Welsch (vgl. Anm. 2). Sie litt an Liebeskummer und blieb mehrere Wochen in Freiburg. Aus einem späteren Brief der Mutter, Marie-Renée Welsch, an Marianne Weber geht hervor, daß ihr Rufname Ada war und ihr Aufenthalt im Hause Weber „zum besten ihres kurzen u. durch viele Bedrängnisse erschütterten Lebens“ zählte (Brief
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2. Mai 1896
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versuchen sie in irgend ein Fahrwasser zu dirigieren, das wäre viel zu früh. Ich denke doch, sie nimmt ihre Studien schließlich wieder auf. Mit Sering, der neulich hier war, habe ich mich – in aller Freundschaft – gründlich gezankt. Es ist nachgerade Zeit, gegen die „conservative Phrase“, die jetzt an Stelle der früher so verlästerten „liberalen Phrase“ wuchert und jene an Widerwärtigkeit übertrifft, loszulegen.12 Ich werde wohl in absehbarer Zeit zu einem dicken Buch kommen.13 Freilich mit Th. Barth kann ich nicht.14 Er wollte neulich einen Aufsatz und als ich ihm ein Thema vorschlug, erbat er sich vorher „Angabe der Ergebnisse“. Diese hätten ihm nun wahrscheinlich in den Kram gepaßt, aber ich dankte doch. –15 Clarac danke ich nächstens noch direkt für ihren schönen Kuchen.16 Er stach – aber dies unter uns! – Mariannes eigentümliches Produkt, ich gestehe es, aus. Herzlichste Grüße an Papa, Alfred und alle Dein getreuer Sohn Max
c 〈[??]〉 von Marie-Renée Welsch an Marianne Weber vom 16. Aug. 1930, Bestand Max WeberSchäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Weiteres ließ sich nicht ermitteln. 12 Max Sering, der Berliner Nationalökonom und Agrarpolitiker, war gut zwei Wochen zuvor zusammen mit dem Ehepaar Busch bei Max und Marianne Weber zu einem Abendessen (vgl. den Brief an Helene Weber vom 14. April 1896, oben, S. 189 f., sowie den Brief Marianne Webers an Helene Weber vom gleichen Tag, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Über den Disput Max Webers mit Sering berichtete Marianne Weber später in einem Brief an Helene Weber (undat. [5. Mai 1896], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446): „A propos Sehring [!]: der Disput war riesig heftig, Max hat aber nur aus politischen Gründen den Nutzen des Großkapitalismus im Vergleich mit dem des Großgrundbesitzes u. Feudalismus hervorgehoben.“ 13 Vgl. dazu oben, Anm. 2. 14 Der freisinnige Politiker Theodor Barth, Herausgeber der führenden linksliberalen Wochenschrift „Die Nation“. 15 Eine Korrespondenz Max Webers mit Theodor Barth ist nicht überliefert. 16 Ein Brief an Clara Mommsen ist aus diesem Zeitraum nicht überliefert.
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9. Mai 1896
Friedrich Kluge 9. Mai 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig UA Freiburg i. Br., B 110/409 Der Brief befindet sich auf der Rückseite des Schreibens des Akademischen Direktoriums an die Philosophische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. vom 3. Mai 1896 (ebd.). Er steht in Zusammenhang mit der Bildung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. Die Initiative dazu war von Max Weber ausgegangen, der im Einvernehmen mit der Juristischen Fakultät am 25. Juni 1895 einen Antrag bei der Philosophischen Fakultät auf Herauslösung der staatswissenschaftlichen Fächer und Zusammenführung mit der Juristischen Fakultät gestellt hatte. Die Philosophische Fakultät stimmte seinem Antrag am 28. Juni 1895 zu (UA Freiburg i. Br., B 3/795, Philosophische Fakultät, Sitzungen der Gesamtfakultät, 1894–1911 (Protokollbuch), S. 32–33; MWG I/13). Das Ministerium genehmigte die Neugründung am 26. April 1896 prinzipiell, ließ jedoch den definitiven Termin offen (Schreiben des Ministeriums an den Senat vom 30. April 1896, in: UA Freiburg i. Br., B 110/409). Das Akademische Direktorium forderte daraufhin die Philosophische Fakultät zur Äußerung auf. Der Dekan, Friedrich Kluge, reichte seinerseits diese Aufforderung an Max Weber „zur Kenntnisnahme“ und mit der Bitte weiter, „etwaige anträge für die nächste sitzung vorzubereiten, die vermutlich dienstag den 19. Mai stattfinden wird“ (Vermerk auf dem Schreiben des Akademischen Direktoriums an die Philosophische Fakultät vom 3. Mai 1896, in: UA Freiburg i. Br., B 110/409). Vor diesem Hintergrund suchte Max Weber, mit dem im folgenden angekündigten Antrag bei der Philosophischen Fakultät die Entscheidung für den Termin des Zusammenschlusses zu beschleunigen. Dies war nicht zuletzt im Hinblick auf das zu erstellende Vorlesungsverzeichnis wichtig. Sein Antrag auf eine zügige Zusammenführung wurde auf der Sitzung der Philosophischen Fakultät vom 19. Mai 1896 verhandelt und positiv beschieden: „bezüglich einer zu errichtenden rechts- und staatswissenschaftlichen facultät wird beschlossen[:] die fakultät hege keine bedenken gegen die unverzügliche übernahme der staatswissenschaftl[ichen] fächer in die zu errichtende fakultät“ (UA Freiburg i. Br., B 3/795, S. 55). Die neue Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät wurde daraufhin wenig später, am 1. Juni 1896, gegründet (Schreiben des Ministeriums an den Senat vom 28. Mai 1896, in: UA Freiburg i. Br., B 110/409; vgl. auch: Mommsen, Einleitung, in: MWG III/1, S. 13 f.). Im Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1896/97 wurden die von Max Weber und Gerhart von Schulze-Gaevernitz vertretenen volkswirtschaftlichen Fächer von nun an nicht mehr in der Philosophischen Fakultät unter vielen anderen angeboten, sondern im Rahmen der neugegründeten Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät prominent als Abteilung „B. Volkswirtschaftliche Fächer“ hinter Abteilung „A. Juristische Fächer“ verzeichnet (vgl. Verzeichnis der Freiburger Vorlesungen, WS 1896/97, S. 5).
Dem Herrn Dekan zurückgereicht nach Kenntnisnahme1 mit dem ergebensten Bemerken, daß ich beantragen werde, 1 Dies bezieht sich auf das Schreiben des Akademischen Direktoriums an die Philosophische Fakultät vom 3. Mai 1896 mit der handschriftlichen Notiz und Aufforderung Friedrich Kluges an Max Weber, „etwaige anträge“ vorzubereiten.
9. Mai 1896
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die Fakultät wolle sich für die unverzügliche Vornahme der Vereinigung aussprechen, jedenfalls aber dafür, daß falls dieselbe erst für das Wintersemester zu ermöglichen sein sollte, dennoch schon vor der Feststellung des Vorlesungsverzeichnisses der betreffende Entscheid getroffen und publiciert werde. Hochachtungsvoll ergebenst Freiburg. 9. V. 96 Professor Max Weber
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14. Mai 1896
Paul Siebeck 14. Mai 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Max Weber hatte Friedrich Naumann im Namen der Evangelisch-sozialen Vereinigung für Baden nach Freiburg zu einem Vortrag eingeladen. Paul Siebeck war ebenfalls Mitglied der Vereinigung und gehörte zusammen mit Max Weber der Gruppe an, die die Einladungen aussprechen sollte. Vgl. dazu den Brief an Friedrich Naumann vom 29. April 1896, oben, S. 193 f.
Freiburg i.B. Schillerstr.a 22 14. V. 96. Sehr geehrter Herr Siebeck! Naumann hat abgesagt, seines Befi ndens halber, vor Pfi ngsten zu kommen.1 Ob wir ihn nun im Sommer haben wollen, müssen wir s.Z. überlegen. Ev. müssen wir nach dem Congreß einmal deshalb zusammenkommen, am besten |:kann wohl:|b bei Gelegenheit des vertrackten „Vortrags“-Abends darüber gesprochen werden. Mit bester Empfehlung Ihr sehr ergebenster Max Weber
a O: Schillerst.
b [erst] > kann wohl
1 Pfingstsonntag fiel auf den 24. Mai 1896; der siebente Evangelisch-soziale Kongreß fand am 28. und 29. Mai 1896 in Stuttgart statt. Max Weber hatte bei seiner Einladung vom 29. April 1896, oben, S. 193, Wert darauf gelegt, daß Friedrich Naumann vor dem anstehenden Evangelisch-sozialen Kongreß komme. Die näheren Umstände, unter denen Naumann absagte, sind nicht bekannt.
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6. Juli 1896
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Georg Jellinek 6. Juli 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig BA Koblenz, Nl. Georg Jellinek, Nr. 31 Der folgende Brief steht im Zusammenhang mit der Nachfolge Wilhelm Jakob Behaghels, der am 18. Mai 1896 verstorben war und dessen Lehrstuhl für französisches und badisches Zivil- und Prozeßrecht neu besetzt werden mußte. Behaghel hatte seit 1861 als ordentlicher Professor in Freiburg i. Br. gelehrt. Keiner der im folgenden von Max Weber Genannten wurde berufen, vielmehr wurde der Lehrstuhl im WS 1896/97 durch Rudolf Merkel, der 1892 in Straßburg promoviert worden war und sich im August 1896 in Freiburg habilitierte, zunächst vertreten; Merkel wurde dann am 20. Februar 1897 zum etatmäßigen a.o. Professor und am 5. Februar 1899 zum Ordinarius ernannt. Er lehrte französisches Zivilrecht und badisches Landrecht, Zivilprozeßrecht und deutsches Zivilrecht (BGB) in Freiburg bis 1935 (vgl. Zeiler, Frank, Merkel, Rudolf, in: Biographische Skizzen zum Lehrkörper der Freiburger Rechtsfakultät in den Jahren 1860– 1918, 2008, S. 73, http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/5871/pdf/Biographische_ Skizzen.pdf (11. April 2013)).
Freiburg i.B. Schillerstr.a 22 6. VII. 96 Sehr geehrter Herr College!
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Ich wäre Ihnen zu Dank verpfl ichtet, wenn Sie mir in aller Kürze Ihr Urteil über die beiden an Ihrer Universität französisches Recht dozierenden Herren – Barazetti1 und Seng2 – lediglich für meine persönliche Information, also vertraulich, mitteilen könnten. Ich beabsichtige mich zwar nicht allzu intensiv in die Frage der Besetzung der Stelle Behaghel’s einzumischen, wüßte aber doch gern für meine eigne Abstimmung, 3 was von ihnen zu halten ist, sofern sie in Frage kommen sollten, a O: Schillerst. 1 Es handelt sich um (August) Caesar (Joseph) Barazetti, der seit 1889 in Heidelberg als a.o. Professor mit den Schwerpunkten französisches Zivilrecht und badisches Landrecht lehrte. 2 Gemeint ist Alfred Seng, der zwischen 1891 und 1907 in Heidelberg ebenfalls als a.o. Professor vornehmlich französisches Zivilrecht und badisches Landrecht unterrichtete. 3 In der bevorstehenden Fakultätssitzung vom 8. Juli 1896 wurde keine Berufungsliste verabschiedet. Vielmehr wurde Gustav Rümelin, der zugleich Vertreter der Universität in der Ersten Badischen Kammer war, damit beauftragt, beim Ministerium die Vertretung des vakanten Lehrstuhls durch den kurz vor der Habilitation stehenden Rudolf Merkel zu erwirken (Sitzungsprotokoll, in: UA Freiburg i. Br., B 110/329, S. 156, sowie Aufzeichnungen des Dekans Richard Schmidt vom 8. Juli 1896, in: ebd., B 110/405, Bl. 139). Auf Rümelins Initiative ging auch die spätere Ernennung Merkels zum etatmäßigen a.o. Professor in der Nachfolge Behaghels im Februar 1897 zurück; die Abstimmung darüber erfolgte im Umlaufverfahren; Max Weber befürwortete den diesbezüglichen Antrag: „desgl. [d. h. für den
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6. Juli 1896
– was allerdings wohl nur bei dem letztgenannten der Fall zu sein scheint. Ist Ihnen zufällig auch Crome (Berlin) 4 bekannt [?] Für eine freundliche Auskunft auf diese vertrauliche Anfrage im Voraus bestensb dankend verbleibe ich Ihr in Hochachtung sehr ergebener Max Weber – Der gleichzeitig abgesandte Artikel über den Terminhandel5 interessiert Sie möglicherweise [.] –
b O: besten Antrag] Weber 28/I“ („In Umlauf!“, Schreiben des Dekans Richard Schmidt vom 26. Jan. 1897, in: UA Freiburg i. Br., B 110/405, unpaginiert). 4 Friedrich Theodor Carl Crome lehrte seit 1895 in Berlin als a.o. Professor; der Akzent seiner Arbeiten lag auf der Rechtsvergleichung. 5 Es handelt sich um Max Webers Artikel „Die technische Funktion des Terminhandels“, der in zwei Teilen in der Deutschen Juristen-Zeitung (Nr. 11 vom 1. Juni 1896, S. 207–210, und Nr. 13 vom 1. Juli 1896, S. 248–250; MWG I/5, S. 591– 613) soeben erschienen war.
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16. Juli 1896
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Friedrich Kluge 16. Juli 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig UA Freiburg i. Br., B 42/1263 Das Schreiben steht am Ende des zweiten Verlängerungsgesuchs von Victor Daudert vom 14. Juli 1896. Der Brief steht in Zusammenhang mit der Promotion von Victor Daudert, der am 4. Februar 1895 von Max Weber mit einer Arbeit über die württembergische Biersteuer promoviert worden war (vgl. die Zulassung zur mündlichen Prüfung, ebd., sowie Max Webers Promotionsgutachten vom 23. Januar 1895, ebd.; MWG I/13). Am 8. Januar 1896, d. h. kurz vor Ablauf der Abgabefrist für Pflichtexemplare von einem Jahr am 4. Februar 1896, stellte Daudert einen Antrag auf Verlängerung der Frist um ein halbes Jahr, der von Max Weber unterstützt wurde (vgl. Max Webers Gesuch um Fristverlängerung für die Abgabe der Dissertations-Pflichtexemplare von Victor Daudert vom 8. Januar 1896, ebd.; MWG I/13). Da im besagten Verlängerungszeitraum weder eine selbstständige Veröffentlichung noch eine Publikation im Rahmen der großen Finanzzeitschriften gelang, stellte Victor Daudert am 14. Juli 1896 erneut einen Antrag auf Fristverlängerung, diesmal bis zum Dezember 1896 (ebd.), den Max Weber mit dem im folgenden edierten Brief abermals unterstützte. Victor Dauderts Doktorarbeit erschien 1897, wie vorgesehen, als Aufsatz in den Annalen des Deutschen Reichs (Daudert, Victor, Beiträge zur Geschichte der württembergischen Biersteuer, in: Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik, 30. Jg., 1897, Nr. 2, S. 85–108) sowie separat als Sonderdruck (ders., Beiträge zur Geschichte der württembergischen Biersteuer. – München: Knorr & Hirth 1897, zugleich: Freiburg, Univ., Diss. 1897, Teil 1).
Freiburg i.B. 16. VII. 96.
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Dem Herren Dekan der Philosophischen Fakultät beehre ich mich das vorstehende Gesuch1 um Verlängerung des Einlieferungstermins bis Dezember d.J. ergebenst empfehlend zu überreichen. M.E. ist, da es [sich] a nicht um den staatswissenschaftlichen, sondern um den philosophischen Doktorgrad handelt, [die] b Philosophische Fakultät die zuständige.2 Herr Daudert, – der unbemittelt ist und die Kosten nicht selbst erschwingen kann, deshalb den Termin schon einmal verlängert erhielt, – hat mir den Nachweis geführt, daß zufolge Überfüllung der übrigen a Lochung.
b Lochung.
1 Es handelt sich um das Verlängerungsgesuch von Victor Daudert vom 14. Juli 1896 (UA Freiburg i. Br., B 42/1263). 2 Für staatswissenschaftliche Promotionen war die erst kürzlich, am 1. Juni 1896, auf Max Webers Initiative hin gegründete Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät zuständig (vgl. den Brief Max Webers an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br., Friedrich Kluge, vom 9. Mai 1896, oben, S. 198, Editorische Vorbemerkung).
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16. Juli 1896
Finanz-Zeitschriften die Veröffentlichung nur in den „Annalen des D[eutschen] Reiches“ und erst zu dem bezeichneten Termin erfolgen kann, weshalb ich ihn zu vorstehender Eingabe veranlaßt habe. Mit collegialer Hochachtung und Ergebenheit Professor Max Weber
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22. Juli 1896
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Heinrich Rickert 22. Juli 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber; Nr. 25, Bl. 3–4 Der Brief steht im Zusammenhang mit der Berufung Heinrich Rickerts auf den Lehrstuhl für Philosophie in Freiburg i. Br. als Nachfolger von Alois Riehl (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br., Friedrich Kluge, vom 22. Dezember 1895, oben, S. 155–157). Nachdem die erste Berufungskommission sich mit ihren Vorschlägen nicht hatte durchsetzen können, war am 17. Dezember 1895 auf der Sitzung der Philosophischen Fakultät eine neue Kommission gebildet worden, in der u. a. der Althistoriker Ernst Fabricius Mitglied war (UA Freiburg i. Br., B 3/795, S. 44). Auf der Basis der Empfehlungen der neuen Berufungskommission beschloß die Philosophische Fakultät am 21. Juli 1896 einstimmig eine Liste mit dem Züricher Philosophen Richard Avenarius an erster, dem Greifswalder Philosophen Johannes Rehmke an zweiter und Heinrich Rickert an dritter Stelle (UA Freiburg i. Br., B 3/795, S. 58). Max Weber wurde von Ernst Fabricius über diese Entscheidungen informiert, da er selber seit dem 1. Juni 1896 nicht mehr der Philosophischen Fakultät, sondern der neu gegründeten Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät angehörte.
Fr. 22. 7. 96. Lieber Freund!
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Die Vorschläge der Fakultät sind – wie mir Fabricius für Sie erzählte, gestern festgestellt und zwar einstimmig folgendermaßen, 1) Avenarius mit Hervorhebung seiner Bedeutung als Gelehrter – 2) Rehmke mit Betonung seiner Dozentenerfolge – 3) Sie, mit dem Bemerken, daß Ihre Lehrtätigkeit in diesem Semester1 jeden Zweifel darüber, daß Sie gesundheitlich und im Übrigen den Lehrstuhl auszufüllen geeignet seien, beseitigt habe, überdies das Erscheinen Ihres Buches2 und die
1 Heinrich Rickert hatte während seiner Lehrstuhlvertretung im Sommersemester 1896 (vgl. dazu den Brief an Heinrich Rickert vom 21. April 1896, oben, S. 191, mit Editorischer Vorbemerkung) eine sogenannte große, d. h. vierstündige „Einleitung in die Philosophie“ gelesen (vgl. Verzeichnis der Freiburger Vorlesungen, SS 1896, S. 10), die in der Regel dem Lehrstuhlinhaber vorbehalten war. 2 Es handelt sich um die ersten drei Kapitel von „Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung“, die Heinrich Rickert 1896 u. a. auf Drängen Max Webers vorab veröffentlicht hatte (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br., Friedrich Kluge, vom 22. Dez. 1895, oben, S. 156 f.).
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22. Juli 1896
günstigen Auskünfte darüber (von Sigwart3 u. Windelband4) jeden Anlaß Ihre Ernennung zum Ordinarius auszusetzen, weggeräumt habe (so dem Sinne nach). – Siebeck, 5 Natorp,6 Walter7 sind im Bericht als schlechte Dozenten, Ziegler8 im Verein mit Falckenberg9 und Überhorst10 wegen Unwissenschaftlichkeit und allgemeiner Scheußlichkeit perhorresciert.11 – Sie sehen, Sie schneiden sehr anständig ab, obwohl natürlich Ihre Chancen überwiegend negative sind. Ich persönlich wünsche Ihnen die geeignete „Wurschtigkeits“-Empfi ndung damit die[se] Angelegenheit weiterhin |:Sie:| nicht mehr so wie bisher praeoccupiert. – Ob vor dem Winter irgend etwas erfolgt, ist äußerst zweifelhaft [.] Best[en] Gruß Max Weber
3 Christoph von Sigwart hatte sich auf Betreiben von Alois Riehl, der Mitglied der ersten Berufungskommission war, bereits am 6. Dezember 1895 in einem ausführlichen Schreiben überaus positiv über Heinrich Rickert geäußert und ihn unter den „jüngeren Fachgenossen“ besonders hervorgehoben (vgl. Christoph von Sigwart an Alois Riehl vom 6. Dez. 1895, Abschrift, in: UA Freiburg i. Br., B 38/283). 4 Ein entsprechendes Schreiben oder Gutachten von Wilhelm Windelband ist nicht ermittelt. 5 Gemeint ist der Philosoph (Gustav) Hermann Siebeck. 6 Paul Natorp. 7 Julius Walter. 8 Theobald Ziegler. 9 Richard Falckenberg. 10 Karl Überhorst. 11 Max Weber bezieht sich hier auf den Bericht der zweiten Berufungskommission vom 21. Juli 1896, der der Fakultät vorgelegt worden war (UA Freiburg i. Br., B 3/795, S. 58). Die Fakultät folgte den Personalvorschlägen der Kommission, änderte jedoch die ursprüngliche Reihenfolge und setzte statt Johannes Rehmke an die erste Stelle Richard Avenarius. Heinrich Rickert blieb unverändert an dritter Stelle. Der geänderte Kommissionsbericht wurde an das Ministerium gesandt (vgl. das Exemplar im UA Freiburg i. Br., B 38/283). Er trug den Vermerk des Dekans Friedrich Kluge: „Dieser Kommissionsbericht ist in der korrigierten Form als Fakultätsbericht an das Ministerium am 22. Juli gegangen.“ Im Bericht werden auch die von Max Weber erwähnten, aber abgelehnten Dozenten genannt.
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31. Juli 1896
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Verlag Vandenhoeck & Ruprecht [31. Juli 1896; Freiburg i. Br.] Visitenkarte; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 494 (Archiv des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht), G 1888–1936, Tasche 07, Bl. 443 Datum und Ort sind erschlossen aus dem Verlagsvermerk: „31/7 96“ sowie dem Kontext. Das Schreiben befindet sich auf der Rückseite einer Visitenkarte Max Webers. Die vordere Seite dieser Karte wurde vom Verlag teilweise überklebt, sodaß der Zusatz „Universität Freiburg i.B. Schillerstr. 22.“ nicht mehr zu sehen ist. Er wurde hier analog zu der Visitenkarte, die Max Weber als Unterlage für sein Schreiben an Friedrich Naumann, vor oder am 9. September 1896, unten, S. 213, verwendete, ergänzt. Das Schreiben steht im Zusammenhang mit der Niederschrift und der Drucklegung des zweiten Teils der Broschüre „Die Börse“ (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vom 5. Januar 1895, oben, S. 49).
Hrn Vandenhoeck & Ruprecht.
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Ich habe eben meine Vorlesung geschlossen1 und mach[e] mich noch heute an die Ausarbeit[un]g des Hefts Börse II. Wie lange sie dauert, weiß ich nicht, aber jedenfalls keine allzu erhebliche Zeit. Dann geht das Mscr. alsbald an Sie ab [.] Hochachtungsvoll Dr. Max Weber o.ö. Professor der Staatswissenschaften. [Universität Freiburg i.B. Schillerstr. 22.]
1 Das SS endete am Freitag, den 31. Juli 1896; Max Weber las in diesem Semester fünfstündig „Theoretische Nationalökonomie“, und zwar jeweils Dienstags bis Freitags, 11–12 Uhr und Mittwochs 12–13 Uhr (vgl. Verzeichnis der Freiburger Vorlesungen, SS 1896, S. 17; die Vorlesung ist ediert in: MWG III/1). Seine letzte Vorlesungsstunde fiel also auf Freitag, den 31. Juli 1896.
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8. August 1896
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht 8. August 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 494 (Archiv des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht), G 1888–1936, Tasche 07, Bl. 442 Der Brief setzt die Korrespondenz mit dem Verlag über die Niederschrift und die Drucklegung des zweiten Teils der Broschüre „Die Börse“ fort (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vom 5. Januar 1895, oben, S. 49).
Freiburg iB. 8. 8. 96 Schillerstr. 22 Herren Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen Ich bitte Sie, zunächst beiliegendena Teil in Fahnen setzen zu lassen,b damit ich berechnen kann, wieviel Raum ich für den Rest noch habe. Ich habe noch einige Anmerkungen einzufügen und werd[e] eventuell etwas kürzen und vielleicht hier und da etwas ändern müssen. Je schneller ich die Fahnen habe, um so schneller wird das Ganze fertiggestellt [.] Hochachtungsvoll Professor Max Weber
a O: beisetzenden
b lassen. > lassen,
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13. August 1896
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Friedrich Naumann 13. August [1896]; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 106, Bl. 3–4 Der Brief steht im Zusammenhang mit der Gründung der Tageszeitung „Die Zeit“ und des Nationalsozialen Vereins. Friedrich Naumann hatte für den 6. August 1896 eine Zusammenkunft der jüngeren Christlich-Sozialen in Heidelberg einberufen und offensichtlich auch mit der Teilnahme Max Webers gerechnet. Auf diesem Treffen wurden weitreichende Beschlüsse gefaßt: die seit längerem geplante Tageszeitung „Die Zeit. Organ für nationalen Sozialismus auf christlicher Grundlage“ sollte definitiv ab 1. Oktober 1896 erscheinen; darüber hinaus wurde zur Gründung einer eigenständigen Partei bzw. Vereins, des Nationalsozialen Vereins, die Einberufung einer Versammlung aller nicht konservativen Christlich-Sozialen für November 1896 in Erfurt beschlossen (vgl. Düding, Der Nationalsoziale Verein, S. 44). Max Weber, der an der Heidelberger Zusammenkunft am 6. August 1896 nicht teilgenommen hatte, da er die geplanten Schritte für verfrüht hielt, lud stattdessen Friedrich Naumann zu einem Treffen in Freiburg ein.
Fr. Schillerstraße 22 13. VIII. Verehrter Herr Pfarrer!
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Ich sehe aus der „Hilfe“,1 daß Sie in die Schweiz wollen und bitte Sie, entweder auf dem Hin- oder auf dem Rückwege eine Nacht hier zu bleiben.2 Meine Mutter[,] die jetzt hier ist, geht Sonntag weiter, 3 dann können wir Sie logieren. Ich bin bis 24. IX. hier[,] 4 alsoa noch 6 Woa Alternative Lesung: etwa 1 Ein entsprechender Hinweis auf eine Reise Naumanns in die Schweiz ließ sich in den in Frage kommenden Nummern der „Hilfe“ (Nr. 30 vom 26. Juli 1896, Nr. 31 vom 2. August 1896 sowie Nr. 32 vom 9. August 1896) nicht ermitteln. Max und Marianne Weber gehörten als Abonnenten zu den regelmäßigen Lesern der „Hilfe“. Vgl. den Brief von Marianne Weber an Friedrich Naumann vom 2. Mai 1895, BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 106, Bl. 115. 2 Friedrich Naumann wohnte bei Max und Marianne Weber in Freiburg auf der Rückkehr von seiner 14tägigen Reise in die Schweiz vom 10. bis 11. September 1896. Dabei wurde ausführlich über Naumanns politische Pläne gesprochen. Vgl. den Brief von Marianne Weber an Helene Weber, undat. [13. Sept. 1896, spätere Datierung von Marianne Weber irrtümlich: 12. Sept. 1896], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; vgl. auch den auf der Basis dieses Briefs erstellten Bericht in: Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 233. 3 Sonntag war der 16. August 1896. Helene Weber verbrachte in der Regel jährlich mehrere Wochen bei Max und Marianne Weber, nachdem diese Berlin im Herbst 1894 verlassen hatten (vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 243). 4 Max Weber nahm vom 24. bis 26. September 1896 am zweiten nationalökonomischen Herbstkursus des Evangelisch-sozialen Kongresses in Berlin teil, wo er über Börsenfragen referierte (MWG I/5, S. 898–906); am 26. September 1896 abends hielt er zudem in Berlin
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chen. Ob und wann freilich Schulze5 hier sein wird, vermag ich nicht zu sagen, er ist jetzt in Heidelberg. Was geschehen ist, istb nicht zu ändern, und ich kenne die Gründe [,] die Sie zu dem Versuch [,] die Ernte zu schneiden [,] ehe sie reif ist, bewogen haben, im Wesentlichen ganz gut. Ich kam nicht, weil ich ziemlich sicher war, daß ich Ihnen höchstens das Herz schwer gemacht, aber nichts geändert hätte, und weil ich nicht gern meiner Freundschaft mit Göhre6 einen weiteren Stoß gegeben hätte, – das wäre geschehen, denn ich kann nun einmal nicht sehen, wenn politische Kinder |:– wie er es ist –:| mit dem Feuer spielen und das Haus anzünden. – Auch war es wichtiger jetzt v. Schulze in Fühlung mit Ihnen zu erhalten und das ging so besser. Also kommen Sie! Besten Gruß Max Weber
b Unsichere Lesung. in der „Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre“ den Vortrag „Die Gegensätze der deutschen Agrarverfassung in ihren Ursachen und Wirkungen“ (MWG I/4, S. 799–809). Anläßlich dieses Aufenthalts in Berlin fand ebenfalls ein Treffen mit Friedrich Naumann statt (vgl. dazu MWG I/4, S. 613). 5 Gerhart von Schulze-Gaevernitz. 6 Paul Göhre.
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Verlag Vandenhoeck & Ruprecht (Brunn’sche Buchdruckerei) 30. August 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 494 (Archiv des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht), G 1888–1936, Tasche 07, Bl. 441 Der Brief setzt die Korrespondenz mit dem Verlag über die Niederschrift und die Drucklegung des zweiten Teils der Broschüre „Die Börse“ fort (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vom 5. Januar 1895, oben, S. 49).
Freiburg i /B Schillerstr.a 22 30/8 96
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An die Brunn’sche Buchdruckerei Heiligenstadt. Anbei erfolgt der Rest des Mscr. und die Fahnen zurück. Ich bitte nun jedenfalles zunächst den Rest abzusetzen. Ich muß dann sehn, ob es noch immer zu viel ist und kann mich erst dann entscheiden, wo noch weitere Kürzungen möglich sind. Ich habe jetzt über 70 Zeilen gekürzt. Bitte also noch einmal einen vollständigen Abzug in Fahnen. Hochachtungsvoll Professor Max Weber
a O: Schillerst.
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4. September 1896
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht 4. September 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 494 (Archiv des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht), G 1888–1936, Tasche 07, Bl. 440 Zu Niederschrift und Drucklegung des zweiten Teils der Broschüre „Die Börse“ vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vom 5. Januar 1895, oben, S. 49.
Freiburg i.B. 4. 9. 96. Herrn Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen Ich habe nun noch auf Fahne 9:1, auf Fahne 14:4, auf Fahne 15:13 Zeilen und auf Fahne 16:48 Zeilen, zusammen 66 Zeilen und das Litteraturverzeichnis1 gestrichen. Wo noch zu streichen wäre, weiß ich nicht, ich werd[e] mich überhaupt auf Arbeiten, wo ich die Hälfte meiner Zeit auf Silben- und Zeilenzählen verwend[e], absolut nie mehr einlassen. Ich bitte, wenn es noch nicht langt, pro Seite eine Zeile mehr zu setzen, oder auf den letzten Seiten die Zeilen enger zu rücken. Hochachtungsvoll Professor Max Weber
1 Tatsächlich erschien ein kurzes Literaturverzeichnis unter der Überschrift „Litteratur zur Einführung.“ im Petitsatz. Vgl. Weber, Börse II (wie oben, S. 49, Editorische Vorbemerkung), S. 656 f.
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Friedrich Naumann [vor oder am 9. September 1896]; BK Freiburg i. Br. Visitenkarte; eigenhändig BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 228, Bl. 39 Das Datum ist erschlossen aus der telegraphischen Geldanweisung vom Bankhaus Adolph Stürcke, Erfurt, im Auftrag Max Webers an Friedrich Naumann vom 9. September 1896 (BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 228, Bl. 5). Im Rahmen der Förderung Friedrich Naumanns (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Naumann vom 28. Oktober 1897, unten, S. 454 f.) spendete Max Weber Naumann 500 Mark für die geplante Tageszeitung „Die Zeit“. Diese Summe wurde über seine Erfurter Bank, das Bankhaus Adolph Stürcke, Friedrich Naumann in Frankfurt a. M. telegraphisch angewiesen und bar ausgezahlt: „Im Auftrage und für Rechnung Des Herrn Professor Dr. Max Weber, Freiburg i/B.“ (BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 228, Bl. 5). Friedrich Naumann vermerkte die Spende in der Rubrik „Geschenke“ in einer (undatierten) Liste der Geldgeber für „Die Zeit“: „Prof. Dr. M. Weber, Freiburg i.B. Baar 500“ (ebd., Nr. 60, Bl. 89). Vgl. auch MWG I/4, S. 612.
Ich habe meinen Bankier1 angewiesen, 500 Mk einzusenden, die ich der „Tageszeitung“ als Geschenk zuwende. Besondere Quittung ist unnötig! Dr. Max Weber o.ö. Professor der Staatswissenschaften. Universität Freiburg i. B. Schillerstr. 22.
1 Leiter des Bankhauses Adolph Stürcke war zu dieser Zeit Friedrich Hermann Stürcke. Sowohl Max Webers Vater als auch Max Weber selbst unterhielten Konten in diesem Bankhaus. Auskunft des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar vom 10. Mai 2010; vgl. auch: Roth, Familiengeschichte, S. 384, 386 und S. 549.
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13. Oktober 1896
Adolf Hausrath 13. Oktober 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 3, Bl. 4 Der Brief steht im Zusammenhang mit einer Vortragseinladung nach Heidelberg sowie einer möglichen Berufung auf den Heidelberger Lehrstuhl von Karl Knies für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft (vgl. ausführlich dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Adolf Hausrath vom 15. Oktober 1896, unten, S. 216). Max Webers Onkel, Adolf Hausrath, war o. Professor für Kirchengeschichte in Heidelberg und hatte im Sommersemester 1896 das Amt des Dekans der Theologischen Fakultät bekleidet (vgl. das Verzeichnis der Heidelberger Vorlesungen, SS 1896, S. 20).
Freiburg 13. X. 96 Lieber Onkel! Darf ich Dich mit der Frage behelligen, ob die Berufungsfrage für Knies nunmehr |:endlich:| erledigt ist? Der Grund ist, daß ein Herr Dr Amson, dem ich seinerzeit einmal einen Vortrag für diesen Herbst versprochen hatte, mich bittet, ihn jetzt zu halten.1 Nun wäre es mir an sich sehr gleichgültig, ob Jemand in Heidelberg glauben würde, ich wollte eine Probepredigt halten, – aber es scheint mir objektiv nicht passend, daß ich dort spreche, solange die schwebende Frage nicht entschieden ist, nachdem ich einmal – zu Pfi ngsten in Baden – durch Herrn Collegen Jellinek zu meinem Erstaunen darüber interpelliert wurde, ob ich eventuell dorthin kommen würde.2 Ich habe auf diese wahrscheinlich ganz gut gemeinte aber doch mir etwas unbequeme und peinliche Frage gesagt, daß ich darüber keine Erklärung abgeben könne und niemals ernstlich geglaubt, daß – zumal bei der Stellung der Regierung – ich als Candidat in Betracht käme. Aber es scheint mir, daß trotz alledem es nach diesem Vorgang ein „Schönheitsfehler“ wäre, wenn ich jetzt dort als Vortragender erschiene. Deshalb wäre ich Dir für eine ganz kurze Notiz, ob Deines Wissens die Vorschläge er-
1 Es handelt sich um Dr. jur. Ludwig Samuel Amson, der Mitte der 1890er Jahre in Heidelberg Staatswissenschaften bei Emanuel Leser studierte (UA Heidelberg, Quästurakte Emanuel Leser, Rep. 27–765, SS 1895). Der Sachverhalt konnte nicht geklärt werden. 2 Um welches Zusammentreffen mit Georg Jellinek es ist sich handelt, ist nicht geklärt. Das Pfingstfest fiel 1896 auf den 24./25. Mai. Möglicherweise traf Max Weber Georg Jellinek zu diesem Zeitpunkt auf dem alljährlichen Treffen der badischen Hochschullehrer in Baden-Baden, das allerdings in der Regel erst im Juni stattfand (vgl. dazu den Brief Max Webers an Carl Johannes Fuchs vom 25. Mai 1898, unten, S. 490, Anm. 3).
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folgt sind, sehr dankbar. Ich habe Herrn Dr Amson zunächst geschrieben, daß ich um Aufschub bitte.3 Mit herzlichem Dank im Voraus und vielen Grüßen von Haus zu Haus Dein getreuer Neffe Max
3 Ein entsprechender Brief Max Webers ist nicht nachgewiesen.
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15. Oktober 1896
Adolf Hausrath 15. Oktober 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 3, Bl. 1–2 Dieser und der Brief vom 9. November 1896 an Adolf Hausrath, unten, S. 223 f., setzen die Korrespondenz Max Webers mit seinem Onkel über die Nachfolge Karl Knies in Heidelberg fort; vgl. den Brief an Adolf Hausrath vom 13. Oktober 1896, oben, S. 215 f. Mit dem Ausscheiden des renommierten Staatswissenschaftlers Karl Knies, des Mitbegründers der älteren Schule der Historischen Nationalökonomie, wurde zum Sommersemester 1897 dessen Lehrstuhl in Heidelberg frei. Am 13. August 1896 hatte Karl Knies die Philosophische Fakultät von seinem Abschiedsgesuch in Kenntnis gesetzt (vgl. den Bericht der Berufungskommission an das Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 2. November 1896, GLA Karlsruhe, 235/3140, Bl. 55–58, hier Bl. 58). Daraufhin wurde eine Kommission gebildet, der neben den Historikern Bernhard Erdmannsdörffer und Dietrich Schäfer, dem klassischen Philologen Fritz Schöll und dem Germanisten Wilhelm Braune, der zugleich Dekan der Philosophischen Fakultät war, auch die Juristen Georg Meyer und Georg Jellinek angehörten. Die beiden Staats- und Völkerrechtler vertraten die Staatslehre im Bereich der Staats- und Kameralwissenschaften und waren daher in die Kommission der Philosophischen Fakultät kooptiert worden. Diese Berufungskommission erstellte gegen den ausdrücklichen Wunsch von Knies, der als seinen Nachfolger den Tübinger Gustav von Schönberg empfohlen hatte (ebd., Bl. 58), bis Anfang November eine Liste, in der an erster Stelle der Straßburger Ordinarius Georg Friedrich Knapp, an zweiter Stelle der Leipziger Karl Bücher und an dritter Stelle Max Weber aufgeführt wurden. Neben der Würdigung von Max Webers Schriften wurde besonders hervorgehoben, daß er mit „den umfassendsten juristischen Kenntnissen ausgerüstet“ sei und sich nicht nur in den Disziplinen Handelsrecht, römische und germanische Rechtsgeschichte hervorgetan, sondern auch gewußt habe, „in kundiger Weise Rechts- und Wirtschaftsgeschichte als eine höhere Einheit“ zu behandeln. Nach einer Würdigung seiner Qualitäten als Lehrer in Berlin und Freiburg endete der Bericht mit dem abschließenden Urteil: „Wenn er auch in Folge seiner Jugend an innerer Vollendung und Abklärung an die beiden zuerst Genannten noch nicht heranreicht, so verspricht er dennoch schon heute einer der führenden Männer seines Faches zu werden. Würde wider Erwarten weder Knapp noch Bücher zu gewinnen sein, so würde sich die Berufung Weber’s vor allen Anderen, älteren wie jüngeren Nationalökonomen empfehlen. Weber’s Berufung nach Heidelberg dürfte auch gegebenen Falles die Aussicht gewähren, diesen tüchtigen Gelehrten, nach dem zweifellos auch andere Universitäten Verlangen tragen werden, dauernd für Baden zu erhalten.“ (ebd., Bl. 57–58). Da Georg Friedrich Knapp und Karl Bücher ablehnten, erhielt Max Weber den Ruf nach Heidelberg, wo er nach kurzen Berufungsverhandlungen am 7. Januar 1897 zum ordentlichen Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft ernannt wurde (vgl. Hentschel, Wirtschaftswissenschaften, S. 204 f.).
Fr. 15. X. 96 Lieber Onkel! Vielen Dank für Deine Mitteilung. Es kann nun natürlich keine Rede davon sein, daß ich in Heidelberg spreche – nicht deshalb, weil ich per-
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sönlich Misdeutungen scheute, sondern weil ich es objektiv unpassend fände. Ich glaube freilich noch immer kaum, daß ich schließlich in Frage kommen werde: Bücher in Leipzig wäre eine glänzende Acquisition, und ich dächte, auch Knapp in Straßburg müßte in Betracht kommen. Mich zu berufen ist doch ein Wechsel auf die Zukunft, denn wie könnte auch nur ich selbst garantieren, was ich künftig vielleicht einmal leisten werde? Auch wird die Regierung nicht wollen. Ich selbst weiß kaum, ob ich mir eine Berufung wünschen soll. Dies, weil ich die Wahl, vor die ich damit gestellt werde: – hier zu bleiben und mich weiter politisch zu bethätigen, so weit dazu Gelegenheit und Anlaß ist – oder eine große Stellung anzunehmen und damit |:natürlich:| die Verpflichtung zu übernehmen, auf alle andre Wirksamkeit zu verzichten – gern noch auf eine Anzahl Jahre hinausgeschoben hätte. Zu einem solchen Verzicht würde ich mich durch die größeren Pfl ichten selbstverständlich genötigt glauben, und ich weiß sehr wohl, daß ich, vor jene Wahl gestellt, jetzta im Augenblick, wo die Politik, einschließlich der aussichtslosen Naumann’schen Projekte [,]1 für mich gar kein Thätigkeitsfeld bietet, unbedingt die breitere akademische Thätigkeit wählen würde. Allein ich weiß nicht, ob ich nicht künftig dies bedauern könnte, und dann wäre es zu spät. Deshalb sehe ich der Möglichkeit einer Berufung nach Heidelberg durchaus nicht mit völlig ungeteilten Empfi ndungenb entgegen. – Für das freundliche Interesse, welches Du mir an einer Verpflanzung zu Euch wiederholt bekundet hast, danke ich Dir herzlich. Aber Deinem Rath, mich reinlich von allem „Christlich-Sozialen“ zu scheiden, konnte ich, wie die Dinge liegen, nicht folgen, ich mußte ihm vielmehrc nach meiner Empfindung zuwiderhandeln. Ich bin nichts weniger als „christl[ich]-sozial“, sondern ein ziemlich reiner Bourgeois, und meine Beziehungen zu Naumann beschränkten sich darauf, daß ich ihn, dessen Charakter ich hochschätze, sachte von seinen sozialistischen Velleitäten loszulösen strebte. Aber grade jetzt ihn öffentlich zu „verleuga In O zweimal unterstrichen.
b 〈gegenüber.〉
c 〈jet[zt]〉
1 Es handelt sich um die Gründung der Tageszeitung „Die Zeit“, deren erste Nummer am 1. Oktober 1896 erschienen war, und um die bevorstehende Gründung des Nationalsozialen Vereins (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Naumann vom 13. Aug. 1896, oben, S. 209). Obwohl Max Weber diese Schritte ablehnte, förderten er, sowie seine Familie, aus persönlicher Achtung und Wertschätzung Friedrich Naumanns Politik mehrfach (vgl. ausführlich dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Naumann vom 28. Okt. 1897, unten, S. 454 f.).
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nen“ ging am wenigsten an. Ich wünsche nichts gethan zu haben, was einem Ambieren um irgend eine noch so ehrenvolle Stelle auch nur von fernd verwandt wäre. Mit herzlichsten Grüßen von Haus zu Haus Dein getreuer Neffe Max Weber P.S. Die obigen Bemerkungen natürlich nur für Dich!
d 〈gleich käme.〉
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Paul Siebeck 1. November 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Bezug: Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 31. Oktober 1896, in dem dieser Weber um Rat in Bezug auf eine Anfrage des Berliner Verlagsbuchhändlers Otto Mühlbrecht bat (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 41, Bl. 50). Demzufolge hatte sich Otto Mühlbrecht an Paul Siebeck mit der Bitte gewandt, vertraulich Erkundigungen über die Bedingungen einer Ehrenpromotion an der neu gegründeten Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität einzuholen. Siebeck erklärte Weber, obwohl er dieses Ansinnen für aussichtslos halte, wolle er Mühlbrecht gerne helfen und Weber besuchen, um mit ihm die Angelegenheit zu besprechen. Wie aus einer Randnotiz Siebecks auf dem im folgenden edierten Brief Max Webers hervorgeht, kam es am 2. November 1896 zu diesem Treffen. Zu einer Ehrenpromotion Otto Mühlbrechts an der Universität Freiburg i. Br. ist es nicht gekommen.
Freiburg i.B. 1. XI. 96 Sehr geehrter Herr Siebeck!
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Vielleicht erspare ich Ihnen einen Weg durch die Übersendung der anliegenden Promotionsordnung, zu der ich [,] wie Sie ersehen, an den geeigneten Stellen zwei Randbemerkungen gemacht habe.1 Sie werden daraus ohne Weiteres entnehmen, daß die Fakultät dem Wunsch des Herrn Mühlbrecht – dessen Verlag2 ebenso wie seine bibliographischen Leistungen3 sicherlich allseitig die vollste Hochschätzung genie1 Beigefügt war die „Promotions-Ordnung für die Juristische Facultät der Universität Freiburg i. B.“ von Februar 1895 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446). Dort heißt es in § 5, S. 2: „Die Inaugural-Dissertation muß ein rechtswissenschaftliches Thema behandeln“. Dazu bemerkt Max Weber am Rand: „Auch die hervorragendsten Bibliographien würden nach feststehender Tradition nicht als ‚Behandlung rechtswissenschaftlicher Themata’ angesehen werden können.“ In § 6, S. 3, heißt es: „Wenn der Bewerber die Fähigkeit zum Richteramte oder zum höheren Verwaltungsdienste besitzt und eine Dissertation eingereicht hat, welche von der Facultät als wissenschaftlich werthvoll erachtet worden ist, so tritt an die Stelle des mündlichen Examens ein Colloquium über das Fach, auf welches sich die Dissertation bezieht.“ Dazu lautet Max Webers Marginalie: „d. h. eine zwanglosere wissenschaftliche Besprechung, welche zwar der Sache nach eine Prüfung ist, aber nicht in den Formen einer solchen erscheint. – Ein Dispens von der mündlichen Prüfung überhaupt ist nicht zulässig.“ (alle Hervorhebungen eigenhändig; Randbemerkungen geschrieben und unterstrichen mit Tinte, Unterstreichungen im gedruckten Text mit Bleistift; „Colloquium“ zusätzlich mit Tinte.) 2 Puttkammer & Mühlbrecht mit Sitz in Berlin. 3 Es handelt sich vor allem um die Allgemeine Bibliographie der Staats- und Rechtswissenschaften, die Otto Mühlbrecht 1868 begründete und die bis 1915 jährlich in seinem Verlag erschien.
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ßen – nicht entsprechen könnte. Es giebt keinen Dispens von der mündlichen Prüfung bei der ordentlichen Promotion. Den Ehrendoctorgrad aber hat die Fakultät nur in ganz besonderen Fällen ganz ungewöhnlicher wissenschaftlicher Verdienste oder Förderung der Interessen der hiesigen Hochschule seitens Beamten in hoher Stellung verliehen, so bei Bildung der „R[echts-] u. Staatsw[issenschaftlichen] Fakultät“ an Meitzen und Minister Eisenlohr.4 Es ist – wie ich vertraulich bemerke – damals selbst die Verleihung an einen andern Minister – und an ein Mitglied des Großh. Hauses abgelehnt worden.5 Es würde glaube ich darnach ganz unthunlich sein, auch hervorragende Chefs auswärtiger Verlagsfi rmen, selbst wenn deren Verdienste sich in andern |:Formen:| als denen geschäftlicher Förderung der Wissenschaft bewegen, für Ehrenpromotionen in Betracht zu ziehen. Eine Bewerbung um eine solche giebt es, – wie Herrn Mühlbrecht selbst ja bekannt ist, – nicht. Darnach scheint auch mir leider der Gedanke nicht sehr aussichtsvoll und kann ich zu seiner weiteren Verfolgung kaum rathen. Ich habe mit dem Dekan, Prof. Richard Schmidt, gesprochen, der derselben Ansicht ist. Wir beide behandeln diese Anfrage natürlich – auch den andern Collegen gegenüber – streng vertraulich. Wünschen Sie noch weitere Auskunft, so bin ich Nachmittags regelmäßig zu Hause zu treffen und stehe mit Vergnügen zur Verfügung. Mit angelegentlichster Empfehlung Ihr in vorzüglicher Hochachtung sehr ergebener Max Weber
4 Anläßlich der ersten Sitzung der am 1. Juni 1896 gegründeten Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät wurde beschlossen, die Ehrendoktorwürde an August Meitzen und August Eisenlohr zu verleihen (Sitzung vom 13. Juni 1896, UA Freiburg i. Br., B 110/329, S. 156). Max Webers Berliner akademischer Lehrer, August Meitzen, wurde am 12. Juli 1896 zum „Dr. iur. et rer. pol. h. c.“ ernannt. Die Ehrenpromotion von August Eisenlohr, zu diesem Zeitpunkt Präsident des Ministeriums des Innern, erfolgte am gleichen Tag (vgl. die Promotionsurkunden jeweils vom 12. Juli 1896, UA Freiburg i. Br., D 29/7/2350 (Meitzen) sowie D 29/7/2348 (Eisenlohr); ferner Aldenhoff-Hübinger, Einleitung, in: MWG III/5, S. 15 f.). 5 Weder das Protokollbuch der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät (UA Freiburg i. Br., B 110/329, S. 156) noch die dazugehörigen Protokollbeilagen für 1896/97 (UA Freiburg i. Br., B 110/405) geben über diesen Vorgang Aufschluß.
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Reichsamt des Innern 7. November 1896; Freiburg i. Br. Telegramm BA Berlin, R 1501, Nr. 105524, Bl. 49 Bezug: das Schreiben des Reichsamts des Innern an Max Weber, Gustav Schmoller, den Reichstagsabgeordneten Karl Gamp und den Vorsitzenden des Verbandes deutscher Müller, Joseph Johann van den Wyngaert, vom 6. November 1896 (ebd., Bl. 21), mit der Anfrage, ob sie zur Mitwirkung im provisorischen Börsenausschuß in Berlin bereit seien. Max Weber gehörte zu den vier vom Bundesrat direkt berufenen Mitgliedern; statt Gustav Schmoller wurde später Wilhelm Lexis als zweiter Nationalökonom berufen. Dieses Telegramm und die folgenden Briefe an Marianne Weber vom 20., 22. und 25. November 1896, unten, S. 227–235, beziehen sich auf den provisorischen Börsenausschuß im Reichsamt des Innern in Berlin, in den Max Weber am 6. November 1896 berufen wurde (Schreiben des Reichsamts des Innern an Max Weber u. a., ebd.). Max Weber nahm an den Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses vom 19. bis 26. November 1896 teil. Es handelte sich dabei um einen einmalig tagenden Ausschuß, der vor Inkrafttreten des im Juni 1896 vom Reichstag beschlossenen Börsengesetzes zum 1. Januar 1897 den Bundesrat bei der Ausarbeitung einheitlicher Bestimmungen für die Zulassung von Wertpapieren beraten sollte. Grundsätzliche Erörterungen waren hierbei nicht vorgesehen, ein Entwurf lag bereits vor. Zweiter Verhandlungsgegenstand des Ausschusses war eine Neuordnung der Produktenbörsen. Hierzu war dem Bundesrat im Oktober eine Denkschrift des Bundes der Landwirte zugegangen, zu welcher der Ausschuß ein Gutachten erstellen sollte. Weber, der nicht nur als ausgewiesener Experte für Fragen einer Börsenreform, sondern auch als leidenschaftlicher Kritiker börsenfeindlicher agrarischer Interessenspolitik galt, war neben seinem Göttinger Fachkollegen Wilhelm Lexis einziger Fachwissenschaftler. Von den übrigen Ausschußmitgliedern wurden fünfzehn durch deutsche Börsenorganisationen benannt, elf weitere von den Bundesstaaten. Unter den letztgenannten waren landwirtschaftliche Interessenvertreter deutlich überrepräsentiert. Die Vorlage des Bundesrates zur Zulassung von Wertpapieren wurde an vier Verhandlungstagen vom 19. bis 23. November beraten, die Denkschrift des Bundes der Landwirte über die Neuordnung der Produktenbörsen anschließend, vom 24. bis 26. November, behandelt. Vorbereitend hierzu bestimmte das Plenum bereits am 21. November eine Subkommission, der auch Max Weber angehörte. Die ohnehin schwierige und politisch umstrittene Materie wurde durch eine zweite Eingabe zur Reform der Produktenbörsen seitens des Deutschen Landwirtschaftsrats weiter verkompliziert. Die zunächst tagende Subkommission übertrug es Max Weber, ihre Ergebnisse im Plenum vorzutragen. Im Anschluß an sein Referat am 25. November wurde er zudem gebeten, die abschließende Berichterstattung über die Denkschriften zur Produktenbörse an den Reichskanzler zu übernehmen. Nachdem er dies zunächst ablehnte, stimmte er auf Bitten des Vorsitzenden am nächsten Tag doch noch zu (vgl. „[Beiträge zu den] Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im Reichsamt des Innern in der Zeit vom 19. bis 26. November 1896“, MWG I/5, S. 658–735, Editorischer Bericht, S. 658–672). Am 27. November reiste Max Weber nach Freiburg zurück, fuhr allerdings bereits Anfang Dezember zu einem Treffen der Redaktionskommission erneut nach Berlin (vgl. „Bericht des provisorischen Börsenausschusses, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen“, ebd., S. 736–776).
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ich bin mit dem vorschlage zum mitgliede des provisorischen boersenausschusz[es] a in gemaeszheit der an mich gerichteten anfrage einverstanden – professor max weber
a Rand abgeblättert.
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Adolf Hausrath 9. November 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.30, Bd. 3, Bl. 7–8 Der Brief steht im Zusammenhang mit der Nachfolge Karl Knies und der Berufung Max Webers auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Heidelberg; vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Adolf Hausrath vom 15. Oktober 1896, oben, S. 216.
Fr. 9. XI. 96. Lieber Onkel!
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Herzlichen Dank für Deine große Liebenswürdigkeit. Ich denke doch, daß einer der beiden vor mir Vorgeschlagenen kommen wird. Knapp, der schwer unter seiner kranken Frau1 litt, ist ein ganz Anderer, seit sie in eine Anstalt aufgenommen ist. Käme er, so würdet Ihr eine höchst eigenartige, keineswegs sofort durchsichtige, aber überaus feine und innerlich „adeliche“2 Natur gewinnen, noch mehr Künstler als Gelehrter, und ich glaube, daß mein verehrter Lehrmeister3 grade Dir bald sehr sympathisch sein würde. – Der Vorschlag Bücher’s schien mir, muß ich sagen, mehr dem Bestreben nach Dekoration der Liste mit einem großen Namen zu entspringen. Möglich ist, bei seinem schlechten Verhältnis zu seinen Fachcollegen und da nicht Alle in Leipzig seine Bedeutung als Gelehrter und Lehrer voll zu würdigen scheinen,4 daß mana dort die Thorheit begeht ihn gehen zu lassen. Sollte trotzdem an mich die Frage herantreten, so würde ich kaum anders können als annehmen. Aber wie gesagt, trotz allen persönlichen Beziehungen und Allem, was mich sonst hinzieht, bin ich nicht ganz
a Unsichere Lesung. 1 Gemeint ist Lydia Knapp. Nach den Erinnerungen von Theodor Heuss, des späteren Schwiegersohns von Georg Friedrich Knapp und Mitarbeiters Friedrich Naumanns, entstammte sie „einem russifizierten georgischen Geschlecht“; sie „war seit Jahren leidend und hatte die Heimat in Tiflis nie mehr gesehen.“ (Heuss, Theodor, Erinnerungen 1905– 1933, 4. Aufl. – Tübingen: Rainer Wunderlich Verlag Hermann Leins 1963, S. 128). 2 Mundartlich für adelig. Die Anspielung konnte nicht aufgelöst werden. 3 Max Weber hat nicht bei Georg Friedrich Knapp studiert, er betrachtete ihn aber wegen seiner grundlegenden Arbeiten zur preußischen Agrarverfassungsgeschichte als sein Vorbild (vgl. dazu Aldenhoff-Hübinger, Einleitung, in: MWG III/5, S. 28 und S. 33 f.). 4 Worauf Max Weber hier anspielt, ist nicht aufgeklärt; Karl Büchers Leipziger Fachkollege war der Nationalökonom und Agrarhistoriker August von Miaskowski.
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ungeteilt der Frage gegenüber, ob ich es mir wirklich wünschen soll. Deshalb habe ich gar keine Eile gegenüber dem Verlauf der Sache. Herzlichen Dank und Gruß, auch von Marianne, an Euch Alle Dein getreuerb Neffe Max Weber Mit H[errn] Jellinek werde ich nunmehr, nachdem die Sache erledigt ist, mir gern Mühe geben, in ein gutes Verhältnis zu kommen.5
b Unsichere Lesung. 5 Vgl. dazu den Brief an Adolf Hausrath vom 13. Okt. 1896, oben, S. 214 f.
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Clara Mommsen 11. November 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 3, Bl. 9–10
Freiburg 11. XI. 96 Mein liebes Clärchen!
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Natürlich bin ich mit großem Vergnügen Pathen-Onkel bei Deinem Kleinen und es thut mir nur leid, daß ich bei seiner ersten festlichen Vorführung am 30ten nicht anwesend sein kann.1 Dafür werde ich ihn aber noch in seiner jetzigen heidnischen Verfassung kennen zu lernen das Vergnügen haben, denn – wenigstens wahrscheinlich – komme ich in der nächsten Woche auf kurze Zeit nach Berlin und werde mir ihn dann natürlich ansehen.2 Wir freuen uns sehr zu hören, daß Alles gut gegangen ist und offenbar nach wie vor gut geht, und dem jungen Thronfolger wird es ja nur gut thun, wenn er schon jetzt im Kinderwagen 1ter Klasse ausfährt und sich so darauf vorbereitet, künftig wie Vater3 und Onkel4 Stammgast in der Droschke 1ter Klasse zu werden. Er wird ja nun auch schon über das Stadium hinaus sein, wo der Mensch in den Augen wenigstens aller Männer, mit Ausnahme des Vaters, sich noch im Zustande eines kleinen Scheusals befi ndet, und wenn er nach seiner Mutter schlägt, werden die Grazien ja nicht ausbleiben. – Mariannes Bild ist nun auch angekommen und man kann erst jetzt [,] wo es gefi rnißt ist und im Zimmer zu gleicher Höhea mit dem Beschau-
a 〈steh〉 1 Am 8. Oktober 1896 war der erste Sohn von Max Webers Schwester Clara und Ernst Mommsen, Konrad (jun.), geboren worden. Am 30. November 1896 sollte die Taufe stattfinden. 2 Vom 19. bis 26. November 1896 nahm Max Weber an den Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im Reichsamt des Innern in Berlin teil. Seine Bereitschaft zur Teilnahme am Ausschuß hatte er am 7. November per Telegramm zugesagt (vgl. das Telegramm an das Reichsamt des Innern vom 7. Nov. 1896, oben, S. 221 f. und die Editorische Vorbemerkung ebd., sowie Webers „[Beiträge zu den] Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im Reichsamt des Innern in der Zeit vom 19. bis 26. November 1896“, MWG I/5, S. 658–735, Editorischer Bericht, S. 658–670, bes. S. 659 f.). 3 Ernst Mommsen. 4 Gemeint sein könnte einer der Brüder Ernst Mommsens, Hans, Karl, Konrad, Oswald oder Wolfgang Mommsen, vermutlich aber der Patenonkel Max Weber selbst.
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er steht, seine ganze Schönheit sehen.5 Ich hoffe [,] daß wir Frl. Davids doch noch bereden uns zu Weihnachten zu besuchen, wennschon sie vorläufig nichts davon wissen wollte.6 Ich will eben in einen Vortrag von Fritz Baumgarten,7 deshalb seid für heut herzlich gegrüßt und für Euer Zutrauen zu meinen Pathenonkels-Qualitäten bedankt, auf frohes Wiedersehen – hoffentlich, denn vorerst habe ich meine Einberufung noch nicht erhalten8 – und weitere gute Gesundheit. Euer Max
5 Das von Marie Davids angefertigte Porträt Marianne Webers, welches von Mai bis Ende September auf der Internationalen Kunst-Ausstellung in Berlin ausgestellt war (vgl. dazu den Brief an Helene Weber vom 14. April 1896, oben, S. 189, Anm. 8). 6 Ein Besuch von Marie Davids an Weihnachten 1896 in Freiburg ist nicht dokumentiert. 7 Fritz Baumgarten hielt am 11. November abends in der Freiburger „Harmonie“ den Lichtbildervortrag: „Die merkwürdigsten Bildwerke am hiesigen Münster“ (Freiburger Zeitung, Nr. 261 vom 13. Nov. 1896, S. 2 f.) 8 Die offizielle Einladung nach Berlin wurde am 11. November 1896 verschickt (vgl. Beiträge zu den Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses (wie Anm. 2), MWG I/5, S. 660).
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Marianne Weber 20. November 1896; [Berlin] Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Der Ort ist aus dem Briefinhalt erschlossen. Der Brief steht in Zusammenhang mit den Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im Reichsamt des Innern, an denen Max Weber vom 19. bis zum 26. November 1896 teilnahm (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Telegramm an das Reichsamt des Innern vom 7. November 1896, oben, S. 221).
Reichsamt des Innern 20/11 96 Liebes Schnäuzchen,
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bisher ist die Sache strapaziös durch die unbeschreibliche Langstieligkeit der Erörterungen, wir haben bisher ungefähr 1/ 30 unsres Pensums erschöpft und wenn die Sache so weitergeht, bleibe ich bis Neujahr hier. Manches an der Sache ist ja ganz lustig: wir sitzen im Sitzungszimmer des Bundesraths. Die Börsenkerle haben den ganzen Haupttisch, wo Preußen sitzt, okkupiert. Die Agrarier haben die Plätze einiger mittlerer Randstaatena besetzt, und, von beiden verschmäht, sitzen College Lexis und ich vor den Schreibmappen von Reuß älterer und jüngerer Linie ganz fern in der Ecke.1 Mein nächster Nachbar ist ein Franzose aus dem Elsaß, der kaum versteht, was gesagt wird, und immer auseinandergesetzt haben will, warum und worüber denn eigentlich die Leute verschiedener Ansicht seien.2 Bisher geht es noch ganz höfl ich zu, die Knalleffekte kommen wohl erst morgen.3 Die feinere Sorte der Agrarier – Graf Kanitz,4 Graf Schwerin5 – schweigen. Nur die Knoten, a Alternative Lesung: Reststaaten 1 Die beiden thüringischen Klein-Fürstentümer hatten jeweils eine Stimme im Bundesrat und standen für die deutsche Kleinstaaterei. 2 Es handelt sich, laut Namensverzeichnis der Mitglieder des provisorischen Börsenausschusses, um Edouard Jaunez, den Präsidenten des elsaß-lothringischen Landwirtschaftsrates (vgl. den Anhang zum Editorischen Bericht zu „[Beiträge zu den] Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im Reichsamt des Innern in der Zeit vom 19. bis 26. November 1896“, MWG I/5, S. 671). 3 Am dritten Sitzungstag, dem 21. November, wurde § 6 der Regierungsvorlage beraten, wobei sich eine längere Diskussion um die Bedingungen bei der Zulassung ausländischer Wertpapiere, speziell um die Frage der Feststellung der Finanzverhältnisse emittierender Staaten oder Körperschaften entspann (vgl. Beiträge zu den Verhandlungen (wie Anm. 2), MWG I/5, S. 658–735, hier: S. 688–696). 4 Hans Wilhelm Graf von Kanitz(-Podangen), ostpreußischer Rittergutsbesitzer. 5 Hans Axel Tammo Graf von Schwerin(-Löwitz), Rittergutsbesitzer und Präsident der pommerschen Landwirtschaftskammer.
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Graf Arnim6 und Gamp,7 legen los, Einerb von ihnen hat schon so viel zusammengesprochen wie wir Anderen alle zusammengenommen.8 – Gestern war Donnerstag Abend,9 wir hatten ziemlich schwere Arbeit und Ernst’s Frau10 wird Gelegenheit zu einer Gardinenpredigt bekommen haben. Bisher habe ich den Schirm und also auch das Schnäuzchen noch nicht vergessen, nicht einmal gestern bei Kempinsky.11 Mama ist offenbar recht wohl, Alfred nun in 14 Tagen etwa mit seinem Buche fertig.12 Schick mir doch alle Briefe, die gekommen sind, hierher. Schönsten Gruß und Kuß Max
b einer > Einer
6 Traugott Hermann Graf von Arnim(-Muskau), seit dem Ankauf der Standesherrschaft Muskau in der Oberlausitz Großgrundbesitzer. 7 Karl Gamp, Geheimer Ober-Regierungsrat a.D., von der Deutschen Reichspartei. 8 Es handelt sich hierbei wohl um Karl Gamp (vgl. Beiträge zu den Verhandlungen (wie Anm. 2), MWG I/5, S. 666, Anm. 38). 9 Der „Donnerstagabend“ war ein informeller Kreis, an dem Max Weber zu seiner Berliner Zeit gemeinsam mit seinem Bruder Alfred Weber teilnahm. Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Alfred Weber vom 15. Jan. 1895, oben, S. 54. 10 Webers Schwester Clara, Ernst Mommsens Ehefrau. 11 Gemeint ist das Weinrestaurant „Kempinsky & Co.“ in der Leipziger Straße 25. 12 Alfred Weber stand vor dem Abschluß seiner Dissertation: Hausindustrielle Gesetzgebung und Sweating-System in der Konfektionsindustrie. – Leipzig: Duncker & Humblot 1897, die zu Beginn des Jahres 1897 zugleich als Artikel in: SchmJb, Jg. 21, 1897, Heft 1, S. 271–305, erschien. Vgl. hierzu den Brief an Alfred Weber vom 17. Jan. 1897, unten, S. 280 f.
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Marianne Weber [22]. November 1896; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Tagesdatum ist erschlossen aus dem Verweis „Nun aber muß ich für heute – es ist 2 Uhr – zu Bett“ am Ende des Briefes. Zum Kontext, den Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im Reichsamt des Innern, an denen Max Weber vom 19. bis zum 26. November teilnahm, vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Telegramm an das Reichsamt des Innern vom 7. November 1896, oben, S. 221.
22a /XI 96. Liebes Schnäuzchen,
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wie lange die Sache hier noch dauert, kann kein Mensch wissen, ich habe heut erst einmal Schmidt1 und Rickert2 geschrieben, daß ich Rikkert junior erst am Sonnabend prüfen kann.3 Ich reise Montag nach Erfurt,4 kehre Abends zurück, und muß dann jedenfalls noch bis Donnerstag Abend hier bleiben, bin also wie ich hoffe – aber das ist das Frühste – Freitag 1 Uhr zurück. Die Sache ist jetzt lebhafter und auch interessanter geworden. Zum großen Zorn der Agrarier hat man mich mit in eine Commission gewählt, in der ich mit dem Grafen Kanitz und einer Anzahl Börsen-Kerls über die Zukunft des deutschen Getreidehandels berathen soll.5 Einige lebhafte Zusammenstöße mit diesen a O: 21 1 Richard Schmidt, Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg. Max Webers Schreiben ist nicht überliefert. 2 Franz Rickert. Das Schreiben Max Webers ist nicht überliefert. 3 Max Weber bezieht sich auf das Promotionsverfahren seines Freiburger Schülers Franz Rickert. In seinem Gutachten zu Rickerts Dissertation (veröffentlicht unter dem Titel: Das Schreinergewerbe in Freiburg i. Br. (Schriften des Vereins für Socialpolitik, Band 69). – Leipzig: Duncker & Humblot 1896) hatte Max Weber am 15. November 1896 die Anberaumung eines Termins für die mündliche Prüfung beantragt. Vgl. Max Webers Promotionsgutachten vom 15. Nov. 1896, UA Freiburg i. Br., B 100/405, Bl. 143 und 151 (MWG I/13). Die Prüfung war per Zirkular vom 21. Nov. 1896 (Promotionsakte Franz Rickert, UA Freiburg, Juristische Fakultät, Protokoll-Beilagen 1896/97, Dekanat Richard Schmidt, B 110/405, Bl. 153) für den 24. November anberaumt worden, wurde dann jedoch auf Montag, den 30. November 1896 vertagt (ebd., Nachtrag des Dekans Richard Schmidt). 4 Zur Gründungsversammlung des Nationalsozialen Vereins, die vom 23. bis 25. November 1896 in Erfurt stattfand. Aufgrund seiner Verpflichtung bei den Sitzungen des provisorischen Börsenausschusses in Berlin nahm Max Weber nur am Montag, dem 23. November teil. Vgl. [Diskussionsbeitrag in der Debatte über das allgemeine Programm des Nationalsozialen Vereins], MWG I/4, S. 612–622, sowie die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Martin Rade vom 7. Dez. 1896, unten, S. 236. 5 Webers Wahl in die Subkommission zur Vorberatung der beiden Eingaben zur Reform
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Herrschaften sind schon erfolgt und auch ich habe mich mit diesen desparaten Kunden schon mehrfach gekabbelt, aber der Tonfall ist bisher ein so höfl icher, daß nicht zu befürchten ist, man werde sich nun demnächst paarweise totschießen. Wie es nun eben so geht, habe ich bisher anscheinend das Wohlgefallen der Millionen-Knöpfe erregt, wenigstens drückt mir der Geh. Commerzienrath von Mendelssohn Bartholdy6 immer so intensiv die Hand, daß ich immer mich wundre, nicht einen Check über einige 100.000 Mark unter meiner Schreibmappe – die sonst von Reuß älterer Linie benutzt wird7 – zu fi nden. – Die Art und Weise der Existenz bekommt mir sehr gut: um ½11 geht die Sache los, man braucht also nicht kurz nach Mitternacht aus den Federn zu kraufenb, um 1 ist Frühstückspause, dann darf geraucht werden, um ¾6 ist Alles zu Ende, dann geht man gruppenweise irgendwohin, z. B. ich zu Kempinsky,8 wo ich die Erfahrung mache, daß ich Austern am besten kauen kann und Pommery sec am besten jede Spur von Neuralgie vertreibt – die übrigens bei mir fast vollständig verschwunden ist.9 Nachher wird zu Hause noch bis 1 Uhr geplaudert und dann ins Bett gegangen. Heut Abend, wo die Eltern zunächst – bis eben – bei Mühlenbruchs10 waren, und Alfred diesen Augenblick von Sering heimkommt, b Unsichere Lesung. der Produktenbörsen war am dritten Verhandlungstag, dem 21. November, erfolgt (vgl. „[Beiträge zu den] Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im Reichsamt des Innern in der Zeit vom 19. bis 26. November 1896“, MWG I/5, S. 658–735, 696). Graf von Arnim hatte eine solche Unterkommission vorgeschlagen, war allerdings mit seinem Versuch gescheitert, diese mehrheitlich mit Vertretern landwirtschaftlicher Interessen zu besetzen. Die siebenköpfige Kommission setzte sich schließlich aus jeweils drei Vertretern des Handels (Adolf Frentzel, Heinrich Haker und Franz Schröter) bzw. der Landwirtschaft sowie Max Weber zusammen („Bericht des provisorischen Börsenausschusses, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen“, ebd., S. 736–776, Editorischer Bericht, S. 736–743, bes. S. 737 f.). 6 Ernst von Mendelssohn Bartholdy, Seniorchef des Berliner Bankhauses Mendelssohn & Co., war Mitglied des provisorischen Börsenausschusses. 7 Zu dieser Anspielung auf die Sitzordnung des Ausschusses im Sitzungssaal des Bundesrates vgl. Max Webers Brief an Marianne Weber vom 20. Nov. 1896, oben, S. 227 mit Anm. 1. 8 Das Weinrestaurant „Kempinsky & Co.“, in der Leipziger Straße 25. 9 Max Weber hatte vor seiner Berlinreise an Gesichtsschmerzen gelitten. Marianne Weber schrieb in einem Brief an Helene Weber, undat. [Herbst 1996] (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446): „Denke, Max hat schon seit 14 Tagen ekliche neuralgisch-rheumatische Gesichtsschmerzen – sodaß wir einen Arzt gefragt haben – es ist aber nicht viel zu machen u. Max behauptet es wäre ihm viel lieber so, als wenn er wie sonst nach der Influenza Kopfschmerzen hätte – aber es ist doch recht lästig für ihn, u. wir haben unruhige Nächte gehabt.“ 10 Es könnte sich um den Maler Johann Mühlenbruch handeln. Mühlenbruch lebte seit
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war ich nach Kempinsky bei Clara. Ernst war in einer Gesellschaft und ich mußte das kleine Familienscheusal gebührend bewundern.11 Es ist übrigens ein ganz kräftiges Lümmelchen, was wohl seiner Zeit seinen Schoppen hebenc wird. – Nun aber muß ich für heute – es istd 2 Uhr – zu Bett, – leb wohl [,] vergiß mich nicht und bitte schicke Bertha12 doch mit dem e anliegenden Anschlag sofortf zum Oberpedell in die Universitäte[.]13 Alfred grüßt herzlich. Es küßt Dich Dein Max
c Unsichere Lesung. unterstrichen.
d 〈z[?]〉
e–e O: zweifach unterstrichen.
f O: dreifach
1879 in Berlin und gestaltete dort unter anderem auch drei heute zerstörte MonumentalWandbilder im Treppenhaus des Berliner Rathauses (Baedeker, Karl, Berlin und Umgebungen. Handbuch für Reisende, 7. Aufl. – Leipzig: Verlag von Karl Baedeker 1891, S. 130 f.). 11 Konrad Mommsen (jun.), der kleine Sohn von Clara und Ernst Mommsen (vgl. hierzu den Brief an Clara Mommsen vom 11. Nov. 1896, oben, S. 225). 12 Bertha Schandau, Max und Marianne Webers Dienstmädchen. 13 Der beiliegende Anschlag ist nicht überliefert; Oberpedell der Freiburger Universität war 1896 Fabian Riffel.
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Marianne Weber [25.] November 1896; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Tagesdatum ist aus dem Hinweis: „Morgen (Donnerstag) wird die Sache wohl ähnlich verlaufen“ erschlossen; der 26. November 1896 war ein Donnerstag. Zu den Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im Reichsamt des Innern, an denen Max Weber vom 19. bis zum 26. November teilnahm, vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Telegramm an das Reichsamt des Innern vom 7. November 1896, oben, S. 221; zu den im Brief gleichfalls angesprochenen Differenzen während der Gründungsversammlung des Nationalsozialen Vereins vom 23. bis 25. November 1896 in Erfurt vgl. den Brief an Martin Rade vom 7. Dezember 1896, unten, S. 236–238, mit Editorischer Vorbemerkung.
Charlottenburg 25a /11 96 Liebes Mariännchen! Ich habe eben Schmidt telegraphiert, daß ich auch Sonnabend noch nicht examinieren kann.1 Es ist möglich, daß der Ausschuß morgen fertig wird. Dann aber werde ich den Bericht an den Bundesrath, dessen Erstattung ich nicht entgehen kann, abzufassen haben.2 Da Börsenleute und Agrarier bezüglich des zweiten, die Produktenbörse betreffenden Teils auf mich verfallen sind, so werde ich meine heute ausgesprochene Weigerung morgen nicht aufrecht erhalten können.3 Es ist nun möglich, daß ich Freitag zu Sonnabend Nacht abfahren kann, aber es ist absolut nicht sicher. Es kann sein, daß ich also Sonnabend Mittag bei meinem kleinen Schnäuzchen bin, aber es kann auch Abend werden. – Die Schinderei ist ganz bedeutend, ich habe gestern von 9 Uhr bis 1 und von 2–6 gesessen und dann in der Nacht meinen Bericht vera Alternative Lesung: 23 1 Richard Schmidt, Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg. Das Telegramm, welches sich auf die kurz bevorstehende Promotionsprüfung Franz Rickerts bezogen haben muß (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 22. Nov. 1896, oben, S. 229 mit Anm. 3), ist in den Fakultätsakten (UA Freiburg i. Br., B 110/405) nicht überliefert. 2 Es handelt sich um den „Bericht des provisorischen Börsenausschusses, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen“, MWG I/5, S. 736– 776. 3 Am folgenden Tag nahm Max Weber die Ernennung zum Berichterstatter tatsächlich an (vgl. die Editorischen Berichte zu: Bericht des provisorischen Börsenausschusses (wie Anm. 2), S. 736–743, bes. S. 738 f., sowie zu „[Beiträge zu den] Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im Reichsamt des Innern in der Zeit vom 19. bis 26. November 1896“, MWG I/5, S. 658–672, hier: 664 f.)
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faßt, heute wieder von 10–6 ohne Pause für mich, da ich, während die Andren frühstückten, ihn fertig machen mußte.4 Morgen (Donnerstag) wird die Sache wohl ähnlich verlaufen. Ich freue mich trotz Kempinsky darauf, wieder zu Hause zu sein.5 Montag in Erfurt hatte Naumann die Sache insofern arg verpfuscht, als er einen ganz neuen Programm-Entwurf vorlegte, in dem er die Frauenfrage (!) und die Stellungnahme gegen dieb Großgrundbesitzerc gestrichen hatte. Die Folge war, daß ich in scharfer Weise ihn und die ganze „Partei“ angriff, sagte, daß sie auf diese Weise „politische Hampelmänner“ würden, und bemerkte, daß wenn die jetzige Art der Behandlung der Polenfrage fortdauere, ich die Zeit6 weder halten noch unterstützen, sondern auf das Äußerste bekämpfen würde.7 Frau Gnauck hat ihm ebenfalls einen scharfen Angriff zu teil werden lassen.8 Das Gequatsche der Pfaffen, aus denen zu ¾ die Versammlung bestand,9 und dies ganze Schauspiel, wie politische Kinder in die Speichen des Rades der deutschen Entwicklung einzugreifen suchten, war über die Maßen kläglich. – Nun, es ist schließlich auf die Gründung der b 〈Großbesitz〉
c O: Großgrundbesitz
4 Max Weber war bereits am 24. November gebeten worden, den Bericht der Unterkommission im Plenum des Ausschusses vorzustellen (Bericht des provisorischen Börsenausschusses (wie Anm. 2), Editorischer Bericht, S. 736–743, bes. S. 738). 5 Die Sitzungen wurden schließlich am Abend des 26. November doch abgeschlossen und Weber reiste am 27. November zurück (vgl. Beiträge zu den Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses (wie Anm. 3), Editorischer Bericht, S. 665). 6 Die von Naumann seit 1. Oktober 1896 herausgegebene Tageszeitung „Die Zeit“. 7 Zu Webers Auftreten bei der Gründungsversammlung des Nationalsozialen Vereins vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Martin Rade vom 7. Dez. 1896, unten, S. 236; Webers Diskussionsbeitrag ist ediert in MWG I/4, S. 619–622 (Diskussionsbeitrag in der Debatte über das allgemeine Programm des Nationalsozialen Vereins). 8 Die Sozialpolitikerin Elisabeth Gnauck-Kühne hatte am ersten Verhandlungstag ihr Befremden darüber ausgedrückt, daß Friedrich Naumann den ursprünglichen Paragraphen zur Frauenfrage in seinem Neuentwurf gestrichen hatte. Unter lebhaftem Beifall forderte sie dessen Wiederaufnahme. Der von Naumann gestrichene Paragraph zur Frauenfrage wurde daraufhin leicht abgeändert in das Programm wiederaufgenommen: „Wir sind für eine Regelung der Frauenfrage im Sinne einer größeren Sicherung der persönlichen und wirtschaftlichen Stellung der Frau und ihrer Zulassung zu solchen Berufen und öffentlich rechtlicher Stellung, in denen sie die fürsorgende und erziehende Thätigkeit für ihr eigenes Geschlecht wirksam entfalten kann.“ (Vgl. Protokoll über die Vertreter-Versammlung aller National-Sozialen in Erfurt vom 23. bis 25. November 1896. – Berlin: Verlag der „Zeit“ o.J. [1897], S. 50 und S. 70 f., das Zitat S. 70 f.; hinfort: Protokoll über die Vertreter-Versammlung). 9 Mit 42 von 116 Vertretern stellten die Pfarrer die stärkste Gruppe, ein gutes Drittel der Versammlungsteilnehmer. Vgl. Düding, Der Nationalsoziale Verein, S. 47, Anm. 4.
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„Partei“ verzichtet worden, wie ich aus der Zeitung sehe und man hat einen „Verein“ gegründet. Was dann daraus weiter werden wird, ist abzuwarten. Ich glaube: wenig. Naumann ist eben schwach gewesen und vor den Berliner Kerls: Hans Delbrück & Genossen, zurückgewichen.10 Näheres mündlich. – Mama befi ndet sich recht wohl, muß ich wirklich sagen, und ist in jeder Beziehung normal und für Alles sehr interessiert. Also Du hast einmal wieder eine Frauendebatte gehabt mit diesen Spießbürgern, und scheinst Dich doch recht aufgeregt zu haben, ich sehed ordentlich, was Du für ein rothes Köpfchen gekriegt hast. Mich freut nur, daß Schmidts von Stutz einmal die Consequenz ihrer Auffassung der Stellung der Frau gehört haben.11 Bei Stutz ist sie aus Schweizer Verhältnissen erklärlich und entspricht dem absoluten Mangel an Lebenserfahrung, der ihn auszeichnet, ein so braver Kerl er im Übrigen ist.12 Als Wirtschafterin, die zugleich Maitresse wäre, könnte ja Dem, der daran Geschmack hat, eine Frau in dieser Position gefallen: nur müßte er sie dann doch auch, sobald sie ihm nicht mehr gefällt, auch zum Teufel jagen können. – Und in Rickert’s Seminar hast Du auch ein Correferat übernommen?13 Das wird aber auch wieder einige d Unsichere Lesung. 10 Vgl. hierzu den Brief an Martin Rade vom 7. Dez. 1896, unten, S. 237, Anm. 5. 11 Über ihre Freiburger Hausnachbarn, den Juristen Richard Schmidt und seine Frau Tilla Rosalin, mit denen Max und Marianne Weber näher bekannt waren, schrieb Marianne Weber wenig später in einem Brief an Helene Weber vom 28. Jan. 1897 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446): „ – wenn er nur nicht so ein furchtbarer Spießbürger in mancher Beziehung wäre, u. immer das Bedürfnis[,] ein klein wenig Pädagogik zu treiben [. . .] hätte. Die kleine Frau, garnicht dumm u. auch geistig regsam, aber immer voll Angst vor allem, was nicht in ihre Schablone paßt“. Offenbar war es während Max Webers Abwesenheit im privaten Kreis zu einer Diskussion über die Stellung der Frau gekommen, an der auch der aus Zürich stammende Jurist Ulrich Stutz beteiligt war. Stutz, im Herbst 1896 an die Universität Freiburg berufen, hatte zunächst geplant, seine Antrittsvorlesung „über die Stellung der Frau im bürgerlichen Gesetzbuch“ zu halten (Brief von Marianne Weber an Helene Weber, undat. [24. August 1896], ebd.), dieses Vorhaben dann allerdings doch nicht realisiert. 12 Ulrich Stutz war zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt und unverheiratet. 13 Marianne Weber besuchte im Wintersemester 1896/97 als Gasthörerin Heinrich Rikkerts Seminar: Geschichte der neueren Philosophie (von der Renaissance bis Kant) (vgl. Verzeichnis der Freiburger Vorlesungen, WS 1896/97, S. 10). An Helene Weber schrieb sie Ende November, sie werde morgen dort ihre Gedanken „auf das Abstrakte u. den kategorischen Imperatif [!] richten, zum Glück aber noch nicht selber das Wort führen, das kommt erst in 14 Tagen, u. ich habe gehörig dafür zu arbeiten, was mir eigentlich jetzt vor Weihnachten etwas [viel] wird“ (Brief von Marianne Weber an Helene Weber, undat. [29. Nov. 1896], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Laut Max Webers
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Tage mit rothem Köpfchen geben! – Freitag wirst Du nun wohl die eventuell erscheinenden Leute, die nichts von meiner Abwesenheit wissen, allein empfangen müssen.14 Verzapf ihnen guten Wein und Cigarren und behandle sie mütterlich. Lüroth schreibe ich lieber doch ab.15 Ich werde es sehr höfl ich und freundlich thun, aber es ist mir wirklich zue unerträglich. Meine Neuralgie, – hier so gut wie ganz verschwunden, – muß als Vorwand dienen. Nun sei fidel, mein kleiner Liebling, bis ich wieder komme, und behalte lieb Deinen Max
e Unsichere Lesung. Brief an Alfred Weber vom 17. Jan. 1897, unten, S. 282, hielt Marianne Weber zumindest einen Teil ihres Referats am 17. Januar 1897. 14 Tatsächlich kamen an diesem Abend Karl Weber, der eine Studienreise unternahm, und auch ein Freund Ernst Mommsens überraschend zu Besuch (Brief von Marianne Weber an Helene Weber, undat. [29. Nov. 1896], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 15 Möglicherweise der Freiburger Mathematiker Jacob Lüroth. Der Bezug ist unklar, ein Schreiben Max Webers an Lüroth nicht ermittelt.
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Martin Rade [7.] Dezember 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig UB Marburg, Ms. 839, Nl. Martin Rade Der Brief bezieht sich auf Max Webers Auftreten auf der Gründungsversammlung des Nationalsozialen Vereins, die vom 23. bis 25. November 1896 in Erfurt stattfand. Obwohl er Friedrich Naumann schätzte und politisch unterstützte, machte er auf dieser Versammlung keinen Hehl daraus, daß er die Parteigründung nicht nur für verfrüht, sondern auch inhaltlich für verfehlt hielt. Er warf Naumann einen Mangel an politischem Denken vor. Vor allem beklagte er, daß Naumann einen neuen Programmentwurf vorgelegt habe, der in zentralen Punkten von dem ursprünglichen Entwurf, auf dessen Basis allein er erschienen sei, abweiche. Dazu gehörte die Einführung eines neuen Passus in Bezug auf die Rolle der Gebildeten bei der Unterstützung der Arbeiterschaft, wohingegen zwei andere Paragraphen, an denen Max Weber besonders viel lag, gestrichen worden waren: Die Forderungen nach ökonomischer und rechtlicher Besserstellung der Frau sowie nach Zurückdrängung des Großgrundbesitzes zugunsten der verstärkten Ansiedlung deutscher Bauern in den östlichen Provinzen Preußens. Darüber hinaus brandmarkte er scharf die redaktionelle Ausrichtung der neuen Tageszeitung „Die Zeit“ bei der Behandlung der Polenfrage durch Hellmut von Gerlach. Notwendig aber sei, und darin kulminierte seine Kritik, das klare Bekenntnis zu einer „nationale[n] Partei der bürgerlichen Freiheit“. (vgl. Weber, Max, [Diskussionsbeitrag in der Debatte über das allgemeine Programm des Nationalsozialen Vereins], in: MWG I/4, S. 619–622, das Zitat S. 621; vgl. ausführlich zum Kontext den Editorischen Bericht, ebd., S. 612–618). Der Effekt der Rede wurde noch dadurch verstärkt, daß sich Max Weber wegen seiner Teilnahme an den Sitzungen des provisorischen Börsenausschusses in Berlin vom 19. bis 26. November 1896 nur am 23. November in Erfurt aufhalten konnte, so daß es zu keiner Aussprache über die von ihm vorgetragene, vernichtende Kritik hatte kommen können. Jedoch kam es, wie sich dem folgenden Brief entnehmen läßt, nach Max Webers Abreise zu Attacken auf ihn, über die ihm Martin Rade, der Herausgeber der „Christlichen Welt“, Schwager und politische Weggefährte Friedrich Naumanns, berichtete.
Fr. 7.a XII. 96. Verehrter Herr Pfarrer! Bitte thun Sie das nicht! Ich pflege selbst deutlich zu sein und beschwere mich nicht, wenn es auch Andre gegen mich sind. Natürlich wäre es ja richtiger, nur Anwesende zu attackieren,1 und ich pflege das meinerseits zu thun. Aber ich kann so etwas nicht tragisch nehmen. – a Unsichere Lesung des Tagesdatums. 1 Max Weber reiste nachmittags wieder von Erfurt nach Berlin zurück (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 22. Nov. 1896, oben, S. 229: „Ich reise Montag nach Erfurt, kehre Abends zurück“); wahrscheinlich hat er daher die Kritik, die die beiden Redakteure der „Zeit“, Hellmut von Gerlach und Heinrich Oberwinder, gegen ihn vorbrachten, nicht mehr zur Kenntnis nehmen können. Besonders Gerlach distanzierte sich scharf von Max Weber: „Die Nietzschesche Herrenmoral werde ich in der Politik nie mitmachen.“ (Protokoll über die Vertreter-Versammlung (wie oben, S. 233, Anm. 8), S. 53–55, das Zitat: S. 54).
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Sie sagen, daß Sie mein Auftreten nicht verstehen. Nun – Sie sind nicht Politiker genug, um die tiefe Empörung nachzufühlen, die einen solchen ergreifen muß, wenn er politische Kinder, wie Göhre2 und 90% der anwesenden Pastoren3 es sind, |:ohne eine Ahnung von ihrer furchtbaren Verantwortlichkeit:| ihre Hand an das Steuerruder des Staatsschiffes legen sieht. Er mag die Kinder selbst recht gern haben, aber es handelt sich um eine gute und große Sache, die durch diese Verhandlungen, an die ich lange mit Schaudern zurückdenken werde, dem Gespött aller Welt preisgegeben und vorläufig innerlich gebrochen ist. Davon können Sie Sich durch Rückfragen bei jedem Unbefangenen überzeugen. Daß ich das, was die Außenstehenden bei diesem Eindruck empfi nden mußten, in der Verhandlung sagte, entspricht nun einmal meiner Natur. Und nicht zuletzt empörte es mich zu sehen, wie eine Persönlichkeit wie Naumann an diese jammervollen Schwätzer gekettet ist, von denen die Hälfte wie ich sehr wohl gesehen habe, jedesmal Beifall klatschte, sowohl dem der für als dem der gegen Streichung des berufenen „§ 6“ stimmte!4 Dazu die Enttäuschung über ihn selbst, über dies schwächliche Zurückweichen gegenüber Intrigantenb wie Gerlach und Leuten, die nicht grade diese, aber |:eine:| ähnliche Bezeichnung verdienen, wie Delbrück.5 – Kurz die Sache ist für mich b O: Intriguanten 2 Gemeint ist Paul Göhre. 3 Zur Zahl der teilnehmenden Pastoren vgl. den Brief an Marianne Weber vom 25. Nov. 1896, oben, S. 233, Anm. 9. 4 Der neue, von Friedrich Naumann unerwartet auf der Vertreterversammlung vorgelegte Programmentwurf enthielt unter Punkt 6 folgenden Passus: „Im Mittelpunkt des geistigen und sittlichen Lebens unseres Volkes steht nach unserer Überzeugung der Glaube an Jesus Christus, der nicht zur Parteisache gemacht werden darf, sich aber auch im öffentlichen Leben als Macht des Friedens und der Gemeinschaftlichkeit bewähren soll.“ (Protokoll über die Vertreter-Versammlung (wie oben, S. 233, Anm. 8), S. 39). In der sich anschließenden Debatte war umstritten, ob er Aufnahme in das Parteiprogramm finden solle. Während etwa der spätere Bodenreformer Adolf Damaschke sich gegen eine Aufnahme aussprach, bezeichnete der evangelische Theologe Ernst Trommershausen eine Streichung als „Opportunismus“ (ebd., S. 45–47, das Zitat S. 47). 5 Möglicherweise spielt Max Weber hier auf eine Kontroverse zwischen Hans Delbrück und Friedrich Naumann an, die im Vorfeld der Gründung des Nationalsozialen Vereins, Anfang November 1896, in der „Zeit“ veröffentlicht wurde. Delbrück hatte sich, wie bereits zuvor in den von ihm herausgegebenen Preußischen Jahrbüchern, grundsätzlich positiv zu Naumanns politischen Vorhaben geäußert. Er hatte auch die Einbeziehung der Gebildeten in die neue Bewegung zur Unterstützung der geplanten nationalen Arbeiterpartei christlich-sozialer Observanz begrüßt. Dennoch stellte er klar, daß er sich dieser Partei nicht anschließen werde. (Vgl. ausführlich dazu, mit allen weiteren Angaben, Düding, Der Nationalsoziale Verein, S. 45 f., sowie Theiner, Peter, Sozialer Liberalismus und deutsche
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zunächst tot und ich bleibe in meiner Schreibstube. Vielleicht sehe ich Sie bei Gelegenheit einmal. Herzlichen Gruß Ihr Max Weber
Weltpolitik. Friedrich Naumann im Wilhelminischen Deutschland (1860–1919). – Baden-Baden: Nomos 1983, S. 106; hinfort: Theiner, Sozialer Liberalismus). Hans Delbrück nahm an der Vertreterversammlung, wie aus dem Teilnehmerverzeichnis hervorgeht, nicht teil. Vgl. Protokoll über die Vertreter-Versammlung (wie oben, S. 233, Anm. 8), S. 81–83.
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Friedrich Naumann 9. Dezember 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 106, Bl. 111–112 Der Brief steht im Zusammenhang mit der Gründung des Nationalsozialen Vereins und der vernichtenden Kritik, die Max Weber auf der Gründungsversammlung vom 23. bis 25. November 1896 dazu vorgetragen hatte (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Martin Rade vom 7. Dezember 1896, oben, S. 236). Max Weber hatte seine Teilnahme an den Sitzungen des Börsenausschusses in Berlin vom 19. bis 26. November 1896 nur für einen Tag, den 23. November, unterbrochen, um an der Gründungsversammlung teilzunehmen (vgl. dazu den Brief an Marianne Weber vom 22. November 1896, oben, S. 229). Daher hatte sich keine Gelegenheit mehr für Friedrich Naumann und seine Anhänger ergeben, ihren Standpunkt in den folgenden Tagen gegenüber Weber zu verteidigen. Naumann verfaßte deshalb einen Artikel, durch den er hoffte, die Debatte in der „Zeit“ weiterzuführen. Diesen Artikel kündigte er Max Weber offensichtlich zuvor an, wobei er ihn zugleich bat, eine Replik in der „Zeit“ vorzubereiten.
Fr. 9. XII. 96. Verehrter Freund!
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Ich schicke Ihnen in einigen Tagen, sobald ich meine Colleggelder habe, die 300 Mk für Frau Rauh.1 Ihren Artikel enthält die heutige „Zeit“ noch nicht.2 Ich muß sagen, daß ich an sich nicht geneigt wäre, in der Zeit irgend etwas zu schreiben. Ich bin mit allen meinen Bekannten [,] die ich irgend gesprochen habe, die Alle für Sie das herzlichste Interesse haben, darüber einig, daß der Ton der Artikel des Herrn v. Gerlach, auch der z. B. auf den Prozeß Lützow-Leckert bezügliche,3 auf dem Niveau des „Kleinen 1 Offensichtlich handelt es sich um eine Mitarbeiterin Friedrich Naumanns. Näheres konnte nicht ermittelt werden. 2 Dieser Artikel erschien erst drei Tage später (Naumann, Friedrich, Das Ergebnis von Erfurt, in: „Die Zeit“, Nr. 62 vom 12. Dez. 1896, S. 1). Hier heißt es eingangs: „Professor Max Weber aus Freiburg war leider beruflich verhindert, länger als einen Tag in Erfurt zu bleiben. Dadurch ist es gekommen, daß der von ihm ausgesprochene Gedankengang in der Spezialdebatte in seinen Konsequenzen für die einzelnen Punkte unseres Programms nicht hinreichend erörtert worden ist. Wir wollen versuchen, nachträglich die Debatte in dieser Hinsicht zu ergänzen, indem wir hoffen, daß Professor Weber selbst im weiteren Verlauf der Besprechung das Wort ergreift.“ 3 Vgl. den Artikel von Hellmut von Gerlach über den „Prozeß Leckert-Larsen u. Gen[ossen]“, in: „Die Zeit“, Nr. 55 vom 4. Dez. 1896, I. Beiblatt. Angeklagt in diesem Beleidigungsprozeß waren die beiden Journalisten Karl von Lützow und Heinrich Leckert (alias Larsen). Wie sich herausstellte, waren sie von dem Kommissar der politischen Polizei in Berlin, Eugen von Tausch, benutzt worden, um in der Presse Artikel mit unhaltbaren Vorwürfen gegen den Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Adolf Freiherr Marschall von Bieberstein, und den Oberhofmarschall, August Graf zu Eulenburg, zu lancieren, in denen diese beschul-
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Journal“4 steht und die Zeitung in ein Christl.-Soziales Käseblatt verwandeln wird. Und halten Sie es wirklich für richtig, daß ich die Grundrichtunga der Zeitung in ihr selbst angreife? Redaktionsabstriche ließe ich mir nicht gefallen, schweigen kann die Redaktion auch nicht, sie muß auch das letzte Wort haben. Mit Ihnen will ich gern diskutieren, aber mit politischen Renegaten, die jetzt die erste Violine spielen wollen, 5 nicht. Wenn Sie es wirklich für das Richtige halten, so will ich mir gern überlegen, ob ich es gewissenhafterb Weise kann. Das mag Ihnen als Wichtigthuerei erscheinen, aber es entspricht meinem Empfi nden. Es scheint mir, ich habe „einen andern Geist“, als Ihre Verbündeten. Das wird an unserenc Beziehungen, nicht nur an den persönlichen, von meiner Seite nichts ändern, aber zu den andren Herrn wünsche ich in kein Verhältnis zu treten. Anfang Januar spreche ich voraussichtlich in Saarbrücken im Handwerker-Verein.6 Besten Gruß Ihr Max Weber a Unsichere Lesung.
b O: gewisserhaften
c 〈nicht nur〉
digt wurden, im Interesse einer von England beeinflußten „Nebenregierung“ zu handeln. In deren Interesse hätten sie Falschmeldungen über den offiziellen Trinkspruch des Zaren anläßlich seines Zusammentreffens mit Wilhelm II. in Breslau am 5. September 1896 in Umlauf gebracht, um gezielt die deutsch-russischen Beziehungen zu gefährden. Auf einen Beschluß des Kronrats wurde daraufhin gegen die beiden Journalisten Klage wegen Verleumdung erhoben. Der Prozeß wurde am 2. Dezember 1896 eröffnet und endete am 7. Dezember 1896 mit der Verurteilung von Lützow und Leckert zu jeweils 18 Monaten Gefängnis. Ob Eugen von Tausch von der politischen Polizei aus eigenem Antrieb agiert hatte oder von hochkonservativen Hintermännern oder der Familie Bismarck dazu bewogen worden war, ist nie aufgeklärt worden. Der „Leckert-Lützow-Tausch-Prozeß“ gilt als Auftakt zur Regierungskrise von 1897. Vgl. Schulthess 1896, S. 104 und S. 145 f.; sowie Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 4, Struktur und Krisen des Kaiserreichs, 2., verb. und ergänzte Aufl. – Stuttgart: Kohlhammer 1982, S. 281–283. 4 „Das kleine Journal“ (Berlin 1878–1918; 1920–1935; 1918–19 unter dem Titel: Berliner Mittagszeitung. Das kleine Journal) war nach dem Vorbild des französischen „Le Petit Journal“ konzipiert und markierte den Beginn der Massenpresse. 5 Gemeint sind die beiden Redakteure der „Zeit“, Hellmut von Gerlach und Heinrich Oberwinder, die vor ihrer Zusammenarbeit mit Friedrich Naumann die konservative, christlich-soziale Zeitung „Das Volk“, die von Adolf Stoecker herausgegeben wurde, redigiert hatten. Vgl. Wenck, Martin, Die Geschichte der Nationalsozialen von 1895 bis 1903. – Berlin: Buchverlag der „Hilfe“ 1905, S. 48 f. 6 Max Weber hielt am 9. Januar 1897 im Handwerkerverein St. Johann-Saarbrücken einen Vortrag über „Die bürgerliche Entwickelung Deutschlands und ihre Bedeutung für die Bevölkerungs-Bewegung“ (MWG I/4, S. 810–818). In diesem für sozialpolitische Fragen offenen Verein, der eher ein Volksbildungs- als ein Handwerkerverein war, hatte Friedrich Nau-
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Erscheint ein Stenogramm oder Protokoll? Dann muß ich meine Äußerungen zur Durchsicht haben.7 Die Zeitungsberichte waren skandalös,8 der in der „Zeit“ der schlechteste vond allen! 9
d 〈A〉 mann zuvor bereits zweimal vorgetragen. Der Verein versuchte so dem Einfluß des saarländischen Schwerindustriellen und Mitglieds der Deutschen Reichspartei, Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg, zu begegnen. Vgl. dazu ebd., S. 810. 7 Vgl. Protokoll über die Vertreter-Versammlung (wie oben, S. 233, Anm. 8). Der Beitrag Max Webers erschien ebd., S. 47–49 (MWG I/4, S. 619–622). Das „Protokoll“ erschien erst 1897, wie aus einer Pressemeldung in der „Zeit“ hervorgeht. Vgl. „Aus unserer Bewegung“, in: „Die Zeit“, Nr. 139 vom 17. Juni 1897, Beiblatt, S. 3. 8 Zeitungsberichte erschienen in „Die Hilfe“, Nr. 49 vom 6. Dez. 1896, S. 4–6, mit dem Stenogramm des Beitrags Max Webers, ebd., S. 5; der „Berliner Börsen-Courier“ (Nr. 552 vom 24. Nov. 1896, I. Beilage, S. 2) konstatierte eine „unfruchtbare Discussion“ und zweifelte, „ob der Congreß mit einem vollen Accord schließen wird“. Max Weber wurde kritisch zitiert; er erkläre das Bürgertum zum Verbündeten, „den Feudalismus zum Feind“ (ebd.). Während die „Frankfurter Zeitung“ (Nr. 324 vom 21. Nov. 1896, 3. Mo. Bl., S. 1; Nr. 328 vom 25. Nov. 1896, Nr. 329 vom 26. Nov. 1896 und Nr. 327 vom 24. Nov. 1896, jeweils Ab. Bl., S. 2) und die Münchener „Allgemeine Zeitung“ (Nr. 326 vom 25. Nov. 1896, 2. Ab. Bl., S. 5 f.) die Verhandlungen protokollartig referierten, äußerte sich die Wochenschrift „Ethische Kultur“ besonders scharf. An ihrem Artikel „Kanonen-Sozialismus“ über den Versuch, „Chauvinismus und Sozialreform“ zu „verkoppeln“, dürfte Max Weber vor allem Anstoß genommen haben, denn die Polemik war gegen ihn gerichtet. Über ihn heißt es: „Ein Redner verlangte, man müsse hart werden gegen die Polen“; dabei werde völlig verkannt, wie humanistisch und auf sozialen Ausgleich die Anhängerschaft Friedrich Naumanns ausgerichtet sei (Ethische Kultur. Wochenschrift für sozial-ethische Reformen, hg. von Friedrich Wilhelm Foerster, 4. Jg., 1896, S. 390 f.). 9 Gemeint ist der Artikel von Hellmut von Gerlach, Die Erfurter Versammlung, in: „Die Zeit“, Nr. 47 vom 25. Nov. 1896, Beiblatt, zit. nach dem Exemplar in: BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 30/1, Bl. 223. Max Webers Kritik bezeichnete Hellmut von Gerlach als „individualistisch“, auch schien sie ihm „in der Versammlung wenig Anklang zu finden“; mit Webers Sachargumenten setzte er sich nicht auseinander.
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Friedrich von Weech 9. Dezember 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GLA Karlsruhe, Nl. Friedrich v. Weech, Nr. 36, Bl. 99 Dieser und die folgenden Briefe an Friedrich von Weech vom 21. Dezember 1896 und vom 8. Oktober 1898, unten, S. 260 und 587, stehen in Zusammenhang mit der Badischen Historischen Kommission, deren Mitglied Max Weber im Oktober 1896 wurde. Die 1883 gegründete Badische Historische Kommission hatte die Aufgabe, „die Kenntnis der Geschichte des Großherzoglichen Hauses und des badischen Landes zu fördern“ (§ 1 des Statuts, zit. nach: Fünfundzwanzig Jahre der Badischen Historischen Kommission. 1883–1908. – Heidelberg: Carl Winters Universitätsbuchhandlung 1909, S. 55). Dazu gehörten die biographische Bearbeitung bedeutender Persönlichkeiten sowie die Edition landesgeschichtlich relevanter Quellen von der Römerzeit an. Es wurde von Beginn an Wert auf die Berücksichtigung wirtschaftshistorischer Themen und dementsprechend die Kooptation von Nationalökonomen, wie Karl Knies (1883), Wilhelm Lexis (ebenfalls 1883) und Karl Bücher (1891), gelegt (ebd., S. 63 und S. 65). Der Kommission gehörten bis zu zwanzig ordentliche Mitglieder sowie eine unbestimmte Anzahl außerordentlicher Mitglieder an. Zu den ordentlichen Mitgliedern zählten ex offi cio die Mitglieder des Großherzoglichen Generallandesarchivs, während „die übrigen [. . .] ohne sonstige Bedingung aus den wissenschaftlich geeigneten Persönlichkeiten Badens, sowie des deutschen Reichs und eventuell der deutschen Provinzen Österreichs und der Schweiz ausgewählt“, d. h. von der Plenarversammlung vorgeschlagen und vom Großherzog ernannt wurden (§2 und §3 des Statuts, ebd., S. 55). Zwischen 1883 und 1905 lenkte Friedrich von Weech, der Direktor des Generallandesarchivs in Karlsruhe, als Sekretär die Geschicke der Kommission (ebd., S. 64). Max Weber wurde auf der 15. Plenarsitzung am 19. und 20. Oktober 1896 kooptiert, und zwar ohne weitere Diskussion und nach geheimer schriftlicher Abstimmung mit acht gegen eine Stimme (GLA Karlsruhe, 449/234, S. 416). Vorgeschlagen hatte ihn sein Freiburger Kollege, der Historiker Bernhard von Simson, am 10. Oktober 1896 (Anträge zur XV. Plenarsitzung der Badischen Historischen Kommission am 19. und 20. Oktober 1896, in: GLA Karlsruhe, 449/238 III). Außer ihm wurden auch sein Onkel, der Kirchenhistoriker Adolf Hausrath, sowie der Historiker Dietrich Schäfer, beide von der Heidelberger Universität, kooptiert (vgl. auch Fünfundzwanzig Jahre der Badischen Historischen Kommission, S. 66; sowie den Bericht der Frankfurter Zeitung, Nr. 324 vom 21. November 1896, Ab.Bl.). Die Ernennung durch den Großherzog erfolgte am 12. November 1896 (Ministerialerlaß vom 17. November 1896, GLA Karlsruhe, 449/4). Kurz danach wandte sich Max Weber mit dem im folgenden edierten Brief an Friedrich von Weech, um ihm für die Aufnahme in die Kommission zu danken. Max Weber nahm am 25. und 26. Oktober 1897, am 20. und 21. Oktober 1899 sowie am 6. und 7. November 1903 an den Plenarsitzungen in Karlsruhe teil (vgl. die Berichte über die jeweiligen Plenarsitzungen, in: ZfGO, N.F., Band XIII, 1898, S. 1; Band XV, 1900, S. 1; Band XIX, Heft 4, 1904, S. 1), an den wissenschaftlichen Projekten der Kommission war er jedoch nicht beteiligt. Die ihm auf der Herbstsitzung 1897 übertragene „Oberleitung der Publikation“ statistischer Arbeiten des Berliner Nationalökonomen Franz Eulenburg (Protokoll der Plenarsitzung vom 25. und 26. Oktober 1897, GLA Karlsruhe 449/234, S. 438) wurde ein Jahr später gegenstandslos, da die Weiterführung des Projekts wegen „unziemlichen Auftretens“ des Bearbeiters gegen die Archivdirektion und das badische Innenministerium abgebrochen wurde (Protokoll der Plenarsitzung vom 21. und
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22. Oktober 1898, ebd., S. 452). Auf der Plenarsitzung von 1899 nahm Max Weber an einer Diskussion teil, aber ohne, daß aus den handschriftlichen Protokollen sein konkreter Beitrag hervorginge (Protokoll der Plenarsitzung vom 20. und 21. Oktober 1899, ebd., S. 480). Seine Diskussionsbeiträge am 6. und 7. November 1903 (Protokoll der Plenarsitzung vom 6. und 7. November 1903, GLA Karlsruhe, 449/261, S. 88–168) werden in MWG I/13 ediert. 1904 schied er auf eigenen Wunsch als ordentliches Mitglied aus, wurde aber als korrespondierendes Mitglied erneut gewählt. Sein Heidelberger Lehrstuhlnachfolger, Eberhard Gothein, der der Kommission schon seit Ende der 1880er Jahre mit seinen Forschungen zur „Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes“ verbunden war (Maurer, Michael, Eberhard Gothein (1853–1923). Leben und Werk zwischen Kulturgeschichte und Nationalökonomie. – Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2007, bes. S. 57–60), wurde 1904 auch sein Nachfolger als ordentliches Mitglied in der Kommission (Bericht über die 23. Plenarsitzung, in: ZfGO, N.F., Band XX, 1905, S. 7). Zum Ausscheiden Max Webers vgl. den Brief an Friedrich von Weech vom 6. Dezember 1904, GLA Karlsruhe, 449/11, mit Editorischer Vorbemerkung, MWG II/4, S. 409.
Freiburg i.B. 9. XII. 96. Hochverehrter Herr Geheimrath!
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Ich habe mich bei Ihnen noch nicht für die Aufnahme unter die Mitglieder der Badischen Historischen Commission bedankt, obwohl dieselbe vermutlich auf Ihre Anregung und jedenfalls nicht ohne Ihre Unterstützung erfolgt ist. Ich hoffte, dies persönlich thun zu können, da ich anderer Angelegenheiten halber nach Karlsruhe kommen zu müssen annahm.1 Da ich jedoch vorerst verhindert bin, Freiburg zu verlassen, so gestatte ich mir zunächst auf diesem Wege Ihnen meinen ergebensten Dank auszusprechen, mir vorbehaltend, demnächst Ihnen persönlich meine Aufwartung zu machen. In vorzüglicher Hochachtung ergebenst Professor Max Weber
1 Offensichtlich hatte Max Weber schon damit gerechnet wegen des Rufs an die Universität Heidelberg in Berufungsverhandlungen mit dem badischen Kultusministerium in Karlsruhe einzutreten.
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Ludwig Arnsperger 12. Dezember 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GLA Karlsruhe, 235/3140, Bl. 65–66 Dieser Brief markiert den Beginn der Verhandlungen, die Max Weber mit dem Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts in Karlsruhe nach dem Empfang seines Rufes an die Universität Heidelberg führte und die am 15. Dezember 1896 fortgesetzt wurden (vgl. unten, S. 248–254, einschließlich Editorischer Vorbemerkung). Zuständig im Ministerium war der Hochschulreferent Ludwig Arnsperger. Max Weber muß den Ruf zwischen dem 7. und 12. Dezember 1896 erhalten haben, da die beiden vor ihm Plazierten, Georg Friedrich Knapp und Karl Bücher, erst am 4. bzw. 7. Dezember 1896 dem Ministerium ihre Absagen mitteilten (GLA Karlsruhe, 235/3140, Bl. 60 und 63). Der genaue Inhalt des Berufungsschreibens an Max Weber ließ sich in den Ministerialakten nicht ermitteln.
Freiburg i.B. Schillerstr.a 22 12. XII. 96. Ew Hochwohlgeboren geneigtes Schreiben habe ich erhalten und spreche zunächst für dessen höchst ehrenvollen Inhalt meinen sehr ergebensten Dank aus mit der Bitte, gütigst denselben auch Seiner Excellenz dem Herrn Staatsminister1 zu übermitteln. Die pekuniären Propositionen Ew. Hochwohlgeboren sind solche, daß ich nach meinem Lebensalter dagegen nichts zu erinnern berechtigt bin, zumal ich die früheren Bemerkungen2 Ew Hochwohlgeboren betreffend das Aufsteigenb der Gehälter nach langjähriger Dienstzeit wohl auch auf mein eventuelles neues Dienstverhältnis beziehen darf. Bevor ich mich jedoch entscheide, [möchte] c ich durch persönliche Rücksprache in Heidelberg die Chancen collegial angenehmer Verhältnisse feststellen. Auch läßt sich mancherlei, was später Veranlassung zu Differenzen geben kann, vor Annahme der Berufung mit den beteiligten Collegen glatter erledigen. Unmittelbar nach befriedigender Erledigung der betreffenden Punkte werde ich den Ruf annehmen, da ich dazu sicherlich ohne Weiteres in der Lage sein werde. Ich habe telegraphisch angefragt,3 ob diese Rücksprachen a O: Schillerst.
b Unsichere Lesung.
c Lochung.
1 Gemeint ist Franz Wilhelm Nokk, der badische Kultusminister und Ministerpräsident. 2 Max Weber spielt auf Bemerkungen an, die offensichtlich anläßlich seines Eintritts in den badischen Staatsdienst bei seiner Berufung nach Freiburg i. Br. zum WS 1894 gemacht wurden. 3 Vgl. dazu den Brief an Georg Jellinek vom 12. Dez. 1896, unten, S. 246 f.
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morgen erfolgen können, eventuelld anderfalls würde ich Dienstag hinüber fahren und Ew. Hochwohlgeboren also spätestens Mittwoch im Besitz meiner Antwort sein. Sollte die Erledigung unbedingt bis Montag erfolgen müssen, so würde ich sie irgendwie jedenfalls auf telegraphisches Ersuchen herbeiführen. Ich verbleibe Ew Hochwohlgeboren in ausgezeichneter Hochachtung sehr ergebenster Professor Max Weber
d Unsichere Lesung.
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Georg Jellinek 12. Dezember 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig BA Koblenz, Nl. Georg Jellinek, Nr. 31 Der Brief steht im Zusammenhang mit den Berufungsverhandlungen, die Max Weber nach Erhalt des Rufes auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Heidelberg führte (vgl. dazu die Briefe an Ludwig Arnsperger vom 12. Dezember 1896, oben, S. 244 f., sowie vom 15. Dezember 1896, unten, S. 248– 254).
Freiburg. 12 XII 96 Sehr geehrter Herr College! Ich habe nunmehr die Berufung nach Heidelberg bekommen und möchte naturgemäß, ehe ich annehme, mich über die maßgebenden Verhältnisse unterrichten. Ich habe an Herrn Collegen Braune, der so viel ich ersehen konnte, Dekan ist,1 telegraphiert2 und falls ich ihn treffe [,] würde ich mit dem Vormittagszug morgen (Sonntag) kommen. Da für meine Thätigkeit ein nach allen Richtungen collegiales Zusammenarbeiten mit Ihnen die wichtigste Vorbedingung ist, ich auch gern die Art der Seminarausstatt[un]g etc., die so viel ich weiß zwischen Ihnen und mir gemeinsam sein würde, 3 gern |:vorher:| besprochen hätte, liegt mir aber vor Allem daran, Sie zu sprechen und möchte ich mir deshalb gestatten, Sie zu einer Ihnen passenden Stunde morgen Nachmittag aufzusuchen. Zu Tisch bin ich natürlich bei meinen Verwandten.4 Falls es Ihnen nicht gleichgültig ist, zu welcher Stunde ich bei Ihnen vorspreche, so würde ich für eine kurze Notiz dorthin über die Ihnen convernierendste Zeit sehr dankbar sein. –
1 Der Germanist Wilhelm Braune war im WS 1896/97 Dekan der Philosophischen Fakultät (vgl. das Verzeichnis der Heidelberger Vorlesungen, WS 1896/97, S. 24). Zugleich gehörte er der Berufungskommission an (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Adolf Hausrath vom 15. Okt. 1896, oben, S. 216). 2 Die betreffenden Dekanatsakten sind im Universitätsarchiv Heidelberg nicht überliefert, daher auch nicht das Telegramm Max Webers an Wilhelm Braune. 3 Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ludwig Arnsperger vom 15. Dez. 1896, unten, S. 248 f. 4 Gemeint ist die Familie seines Onkels Adolf Hausrath in Heidelberg.
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Ich zweifle nicht, daß im Fall ich, wie ja wohl höchst wahrscheinlich, den Ruf annehme, das Zusammenwirken mit Ihnen sich ganz besonders angenehm gestalten wird und verbleibe mit den angelegentlichsten Empfehlungen Ihr in ausgezeichneter Hochachtung sehr ergebener Max Weber
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Ludwig Arnsperger 15. Dezember 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GLA Karlsruhe, 235/3140, Bl. 69–73 Der Brief setzt die Berufungsverhandlungen Max Webers mit dem Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts in Karlsruhe fort. Als Anlage beigefügt war eine Eingabe, die Max Weber offensichtlich dem zuständigen Hochschulreferenten im Ministerium, Ludwig Arnsperger, am 14. Dezember 1896 persönlich hatte überreichen wollen, nachdem er zuvor in Heidelberg bei dem Mitdirektor des dortigen Staatswissenschaftlichen Seminars, Georg Jellinek, und dem Dekan der Philosophischen Fakultät, Wilhelm Braune, Erkundigungen eingezogen hatte (vgl. dazu den Brief an Georg Jellinek vom 12. Dezember 1896, oben, S. 246 f.). Es waren zwei Punkte, die Max Weber zögern ließen, den Ruf nach Heidelberg sogleich anzunehmen: (1) das Fehlen eines Volkswirtschaftlichen Seminars und (2) die Regelung des staatswissenschaftlichen Doktorexamens. (1) Ein eigenständiges Volkswirtschaftliches oder Nationalökonomisches Seminar, wie in Freiburg, bestand nicht. Es existierte nur das Staatswissenschaftliche Seminar, das 1870/71 von dem Staatsrechtler Johann Caspar Bluntschli und dem Nationalökonomen Karl Knies als Einrichtung der Philosophischen Fakultät, aber mit fakultäts- und fächerübergreifendem Anspruch, begründet worden war, und zwar mit dem Ziel, angehenden Staatswissenschaftlern und Nationalökonomen eine erweiterte Ausbildung und Verankerung in der Juristischen und der Philosophischen Fakultät zugleich zu ermöglichen. Als Fernziel war dabei ebenso die Schaffung eines Doktorgrades der Staatswissenschaften angestrebt worden. Diese fakultätsübergreifende Zusammenarbeit erwies sich indes als außerordentlich schwierig. Nach Bluntschlis Tod 1881 wurde zunächst sein Nachfolger, August von Bulmerincq, neben Karl Knies Mitdirektor. Bulmerincqs Nachfolger war Georg Jellinek, der anläßlich seiner Berufung nach Heidelberg zehn Jahre später die Auflösung des Staatswissenschaftlichen Seminars zu Gunsten des neugegründeten Juristischen Seminars anstrebte. Jellinek scheiterte jedoch an der Intervention von Karl Knies und wurde stattdessen formell vom Ministerium zum Mitdirektor des Staatswissenschaftlichen Seminars, neben Karl Knies, ernannt. Das umstrittene Staatswissenschaftliche Seminar bestand weiterhin, ohne eigene Räume und angemessene finanzielle Ausstattung (vgl. Hentschel, Wirtschaftswissenschaften, S. 217–219). Das Verhältnis der beiden Direktoren blieb bis zum Ausscheiden Karl Knies’ und der Berufung Max Webers denkbar angespannt. (2) Problematisch erschien Max Weber auch die Regelung des staatswissenschaftlichen Doktorexamens. Seit 1889 konnten die Fächer Politische Ökonomie (Nationalökonomie unter Einschluß der Finanzwissenschaft) sowie Allgemeine Staatslehre (mit Politik) im Hauptfach sowie im Nebenfach, die Fächer Staatsrecht, Völkerrecht und Verwaltungsrecht dagegen nur im Nebenfach gewählt werden; geprüft wurde in einem Hauptfach und zwei Nebenfächern (vgl. ebd., S. 231 f.). In Heidelberg oblag Georg Jellinek der Unterricht in Allgemeiner Staatslehre, wohingegen Max Weber, wie die im folgenden edierte Eingabe zeigt, kategorisch ablehnte, dieses noch von seinem Vorgänger, Karl Knies, bis 1896 vertretene Fach zu lehren. Dadurch war die Gefahr gegeben, daß sich Doktoranden im Hauptfach in Allgemeiner Staatslehre von dem Juristen Georg Jellinek prüfen ließen bei gleichzeitiger Wahl zweier juristischer Nebenfächer und dennoch den Doktorgrad des Dr. phil. erhalten würden, da das Staatswissenschaftliche Seminar ja der Philosophischen Fakultät zugeordnet war und in der Juristischen Fakultät die Verleihung des „Dr. jur.“ für staatswissenschaftliche Arbeiten nicht vorgesehen war.
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Als Max Weber Ende 1896 der Ruf auf den Lehrstuhl von Karl Knies erreichte, führte er diese Bedenken und zugleich seine Bedingungen für die Annahme des Rufs in der im folgenden edierten Eingabe aus. Als wichtigste Bedingung forderte er die Zusage zur Errichtung eines eigenständigen Volkswirtschaftlichen Seminars sowie, an zweiter Stelle, die Neuregelung des staatswissenschaftlichen Doktorexamens. Das Ministerium stellte Max Weber am Ende der Verhandlungen die Erfüllung seiner zentralen Forderung, also der Errichtung eines unabhängigen Volkswirtschaftlichen Seminars, einschließlich der Beschaffung entsprechender Räumlichkeiten, des Aufbaus einer nationalökonomischen Bibliothek und der „Neuregelung“ des Etats (Aversums), in Aussicht; ebenso wurde ihm eine Erhöhung seines bisherigen Gehalts um 2000 Mark jährlich (von 4000 auf 6000 Mark, zuzüglich des auch bislang üblichen Wohnungsgeldes von 760 Mark) zugesagt, wie sich dem Bericht des Ministeriums an den Großherzog von Baden bzw. das Großherzogliche Staatsministerium vom 30. Dezember 1896 (GLA Karlsruhe, 235/3140, Bl. 74–75) entnehmen läßt. Zu keiner Regelung kam es dagegen in Bezug auf die staatswissenschaftliche Doktorprüfung. Da für Max Weber dieser Punkt nicht zentral war, akzeptierte er dennoch den Ruf (vgl. dazu die Briefe an Karl Bücher sowie an Adolph Wagner vom 21. Dezember 1896, unten, S. 256, sowie S. 258) und wurde am 6. Januar 1897 zum ordentlichen Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Heidelberg mit Wirkung vom 1. April 1897 an, also dem Tage des Dienstantritts, ernannt (GLA Karlsruhe, 235–3140, Bl. 76; vgl. auch ebd., 235/2643, Bl. 12). Auf die Problematik des staatswissenschaftlichen Doktorexamens kam er auch später wieder zu sprechen (vgl. den Brief an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 30. März 1897, unten, S. 304–309).
Freiburg 15a. XII. 96 Ew Hochwohlgeboren
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verfehlte ich gestern und gestatte mir, anliegend1 die mir entstandenen sehr ernstlichen Bedenken gegen die Übernahme der Heidelberger Stelle, trotz der großen Vorzüge, welche di[e]selbe bietet, ganz ergebenst vorzutragen. Weniger Punkt 2 – das staatswissenschaftliche Doktorexamen betreffend2 – als Punkt 1 – die Schaffung eines selbständigen nationalökonomischen Seminars betreffend, 3 ist mir entscheidend. Ob die Erledigung dieses Punktes vor dem 1[.] April möglich ist, weiß ich nicht, aber es wäre dies absolut für mich notwendig, da ich sonst mein ganzes Arbeiten mit denjenigen Herren, die mich nach Heidelberg begleiten würden,4 unterbrechen und dort gewissermaßen in der Luft schweben würde. Halten Ew Hochwohlgeboren eine pera 13 > 15 1 Unten, S. 250–254. 2 Unten, S. 252–254. 3 Unten, S. 250–252. 4 Ob und welche Studenten Max Weber von Freiburg nach Heidelberg folgten, ließ sich nicht ermitteln (vgl. dazu Aldenhoff-Hübinger, Einleitung, in: MWG III/5, S. 19 mit Anm. 88).
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sönliche Rücksprache für nützlich, so gestatte ich mir, behufs alsbaldiger Erledigung um – eventuell telegraphische – Nachricht zu bitten. Ich verbleibe Ew Hochwohlgeboren in vorzüglicher Hochachtung sehr ergebener Max Weber
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Freiburg i.B. Schillerstr.b 22 Ew. Hochwohlgeboren beehre ich mich zu berichten: Die bei persönlicher Rücksprache in Heidelberg vorgefundenen Zustände des staatswissenschaftlichen Unterrichts sind zum Teil derartig unhaltbar, daß sie mir, – wie übrigens jedem ernsthaften Fachvertreter mit moderner Vorbildung, – es ganz unmöglich machen würden, die dortige Stelle zu übernehmen, wenn nicht |:alsbald:| Wandel geschaffen werden kann. Ob das |:aber jetzt:| geschehen kann, erscheint nicht zweifelsfrei. 1. Es existiert kein nationalökonomisches Seminar. Keinerlei abgesonderte Räumlichkeit kann den nationalökonomischen Studenten als solchen in der Art zur Verfügung gestellt werden, wie dies in Freiburg (und ausnahmslos überall, wo ich die Verhältnisse kenne) der Fall ist. Es existiert keine Handbibliothek für die cameralistischen Studenten. Das sogenannte „staatswissenschaftliche Seminar“ besteht aus einer in der Universitätsbibliothek für die Studenten unzugänglich placierten Sammlung, die zu 2 / 3 völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Inhalts ist, imc Übrigen teils sogenannte „Staatslehre“ und „Verwaltungslehre“, teilsd ein klägliches Zufallsgemisch von ökonomischen Fachwerken enthält. Die Werke werden gegen Zettel ausgeliehen. Der bisherige Fachvertreter hat keinerlei Seminar in jetzt gebräuchliche[m] e Sinn des Wortes gehalten, sondern |:scheint seit langemf:| im Wesentlichen unter diesem Namen Diskutiera[bend]eg veranstaltet zu haben. – Das „Staatswiss[enschaftliche] Seminar“ steht unter einer Doppeldirektion (bisher Geh. Rath Knies und Professor Jellinek). Das Aversum beb O: Schillerst. g Lochung.
c O: in
d und > teils
e Tintenfleck.
f O: lange
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trägt 516 Mark, für den nationalökonomischen Vertreter die Hälfte = 258 M. (in Freiburg 700 Mark). – Es muß diesem Zustand gegenüber jeder Fachmann, der ernstlich arbeiten will, beanspruchen: 1) einen Raum, in dem eventuell 30 Leute um einen Tisch geräumig zu placieren sind, in welchem der Fachvertreter allein das Hausrecht hat ohne Ingerenz irgend eines Collegen, der juristische oder andre Fächer vertritt. 2) in diesem Raum ist eine gleichfalls allein diesem Fachvertreter und seinen von ihm allein zuzulassenden Seminarhörern verfügbare Präsenzbibliothek (wie sie in Freiburg besteht) erforderlich. Das radikalsteh Mittel, dazu zu gelangen, wäre die völlige Aufhebungi des „staatswissenschaftlichen Seminars“, welches nicht Zusammengehöriges verquickt, und die Beschaffung der vorgedachten Erfordernisse, unter Überweisung der jetzigen „staatswiss[enschaftlichen] Bibliothek“ an die allgemeine Universitätsbibliothek. Dazu wären aber Fakultätsbeschlüsse erforderlich. Herr Professor Dr Jellinek persönlich wäre, wie ich ermächtigt bin zu erklären, zu dieser völligen Trennung bereit. – Einfacher und mit geringeren Kosten jedoch könnte so verfahren werden: 1. Die gemeinsame Direktion bleibt formell bestehen. Die Bibliothek jedoch wird geteilt. Jeder der beiden Direktoren verfügt über den Ort der Aufstellung und die Art der Benutzung seiner Hälfte gänzlich selbständig. Die beiden jHälften des Aversumsj werden völlig getrennt verwaltet. 2. Die nationalökonomische Bibliothek muß in ausgedehntestem Umfang |:completiert werden:| [.] k Ganze Serien von Werken fehlen, Zeitschriften wohl fast gänzlich. Für den ersten Anfang wäre ein Betrag von mindestens 3000 Mark wohl ganz unbedingt erforderlich. 3. Für die Möglichkeit der Fortführung müßte, da |:z. B.:| das Freiburger Aversum (700 Mk.) nach den gemachten Erfahrungen auch jetzt nur das Notdürftigste deckt, ein Betrag von 1000 Mk – woraus der Assistent zu decken wäre5 – ausgeworfen werden, darauf also die jetzt 258 (!) M. der ökonomischen Aversenhälfte erhöht werden. h einfachste > radikalste i Trennung > Spaltung > Aufhebung ten des Aversums k 〈comp〉
j Aversa > Hälf-
5 Ein Assistent ist Max Weber nicht zugebilligt worden; erst sein Nachfolger, Eberhard Gothein, stellte 1908 einen Mitarbeiter ein, den „ersten Assistenten der Heidelberger philosophischen Fakultät“ überhaupt (Hentschel, Wirtschaftswissenschaften, S. 221).
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4. Es muß ein nationalökonomisches Seminarlokal geschaffen, beim Nichtvorhandensein von Räumen in den Universitätsgebäuden – es scheint thatsächlich daran zu fehlen – muß also ein solches gemiethet werden, bestehend aus einem für 30 Zuhörer und eine Handbibliothek von mindestens (vorerst) 3000 Bänden ausreichenden Raum. Über denselben verfügt der nationalökonomische Fachvertreter allein. Derselbe verfügt ferner für sich bezw. seinen Assistenten in Verbindung damit über ein Dozentenzimmer im Anschluß an den gedachten Raum. Ich glaube damit das Mindestmaß dessen umschrieben zu haben, was zur Ausstattung eines nationalökonomischen Seminars, wie es auch für minder angesehene Hochschulen heute |:wohl:| ausnahmslos als unumgänglich erforderlich gelten dürfte, benötigt würde. Ich würde, wenn diese Voraussetzungen, einschließlich derjenigen zu 3, sich nicht bis zum lAnfang des Sommersemestersl beschaffenm lassen sollten, gar nicht in der Lage sein alsdann in der Art, wie hier bisher, weiterzuarbeiten. Ich fürchte nun aber, daß Ew. Hochwohlgeboren die sichere Zusage dieser Änderungen und Neubewilligungen nschon vor demn April von Seiten Seiner Excellenz des Herren Staatsministers6 kaum werden erlangen können. Deshalb ist es mir, – da ohne dieselben ich das Verbleiben in meiner bisherigen Stellung gleichviel [,] welche persönlichen materiellen Vorteile mir die Heidelberger Stelle an Gehalt oder anderweit zu gewähren vermöchte, der Übernahme der letzteren ganz entschieden vorziehen zu müssen glaube, – fraglich, ob ich die an mich gerichtete, höchst ehrenvolle Berufung werde annehmen können. 2. Es besteht – nach Angabe der hiesigen Collegen im Gegensatz zu Freiburg – ein besonderer Lehrauftrag für „Staatslehre“, der dem staatsrechtlichen Ordinariat (Inhaber Herr Professor Dr Jellinek) angegliedert ist,7 während Herr Geh. Rath Knies die Vertretung dieses Fachs seit Bluntschli’s Ausscheiden auch für sich in Anspruch nahm.8 Für meine Person müßte ich darauf bestehen, daß mein Lehrauftrag l 1. April > Anfang des Sommersemesters zum > schon vor dem
m verwirklichen > beschaffen
n bis
6 Gemeint ist Wilhelm Nokk. 7 Georg Jellinek las in Heidelberg seit 1895 „Allgemeine Staatslehre und Politik“. Vgl. Hübinger, Einleitung, in: MWG III/7, S. 6. 8 Karl Knies lehrte seit Mitte der 1870er Jahre regelmäßig neben seinen Kernfächern Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in der Philosophischen Fakultät Staatslehre. Vgl. Hentschel, Wirtschaftswissenschaften, S. 203.
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|:ausschließlich:| unter Ausschluß dieses Fachs, welches ich als ein selbständiges nach dem heutigen Stande der wissenschaftlichen Arbeitsteilung nicht anerkenne, formuliert würde, also so wie hier: „Nationalökonomie und Finanzwissenschaft“.9 – Es besteht nun aber ferner ein „staatswissenschaftlicher“ Doktor, in welchem der Inhaber des Fachs „Staatslehre“ (Prof. Jellinek) den von der Fakultät anscheinend gebilligten Anspruch erhebto nicht nur im Nebenfach, sondern im Hauptfach prüfen zu dürfen. Das hat z. B. die Folge, daß wenn neben dem Hauptfach „Staatslehre“ nur juristische Nebenfächer gewählt werden, kein Mitglied der philosophischen Fakultät an der Prüfung beteiligt ist, die Promotion aber nichtsdestoweniger eine solche zum Doctor philosophiae ist. Ich meinerseits wünsche in diesem Examen, dessen Hauptfach ich als eine hybride Verbindung rechtsphilosophischer und staatsrechtlicher Momente betrachte, |:möglichst:| nicht mitzuwirken. Ich halte den betreffenden Doktorgrad für den eines Dr juris. Daß seine Bezeichnung als solcher vermieden wird und er nicht, wie sich gebührte, in die juristische Fakultät fällt, hat seinen Grund offenbar in den besonderen Verhältnissen, welche bezüglich des Niveaus des Heidelberger juristischen Doktorexamens obwalten.10 – Der bestehende Zustand trägt, wie die Erfahrungen des letzten Jahres zeigen,11 den Keim höchst unerquicklicher Streitigkeiten in sich. Ich kann zwar den Standpunkt des Herren Geh. Rath Knies, sofern derselbe – wie ich höre – auch den Ausschluß der Prüfung in juristischen Nebenfächern bei der cameralistischen Doktorprüfung beansprucht und Arbeiten [,] die unter fremder Leitung hergestellt waren, seinerseits zu censieren verlangte, nicht teilen. Esp scheint mir aber einen berechtigten Kern zu enthalten. Ich glaube, daß kein Inhaber des nationalökonomischen Fachs heute eine juristische Prüfung als gleichartig und gleichwerthig mit der ökonomischen Fachprüfung anerkennen wird. Ich würde damit o vertritt > erhebt
p Alternative Lesung: Er
9 Max Weber besetzte in Freiburg eine ordentliche Professur für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft, wohingegen Karl Knies ein staatswissenschaftliches Ordinariat innehatte. Er war 1865 zum ordentlichen Professor der Staatswissenschaften ernannt worden. Vgl. Hentschel, Wirtschaftswissenschaften, S. 201 f., sowie Mommsen, Einleitung, in: MWG III/1, S. 19. 10 Max Weber spielt hier darauf an, daß die Heidelberger Juristen die Vergabe des „Dr. jur.“ offensichtlich aus Standesinteressen sehr restriktiv handhabten. Vgl. dazu auch den Brief an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 30. März 1897, unten, S. 304–309. 11 Worauf Max Weber hier Bezug nimmt, konnte nicht ermittelt werden.
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überdies Herrn Professor Dr Jellinek gegenüber in die Rolle des jüngeren staatswissenschaftlichen Fachvertreters gedrängt und glaube die |:möglichste:| Vermeidung dieser Consequenz schon der Rücksicht auf meine hiesigen Herren Collegen schuldig zu sein. Der betreffende Doktorgrad muß von der juristischen Fakultät verliehen werden, mag er immerhin etwa „Doctor rerum politicarum“ genannt werden.12 Mit Rücksicht auf den zu Gunsten des derzeitigen Inhabers bestehenden Rechtszustandq würde die Änderung wohl bis zu einem etwaigen Personenwechsel aufgeschoben werden müssen. Allein ich glaube, daß sie mindestens für diesen Fall in Aussicht gestellt werden müßte. Die angemessenste Lösung wäre wohl das Erlöschen des Lehrauftrags für „Staatslehre“, oder falls derselbe |:als philosophisches Fach:| fortbestehen soll, die Ernennung eines Ordinarius in der philosophischen Fakultät, der Verwaltungsgeschichte und Gewerbepolitik und im Zusammenhang damit „Verwaltungslehre“ als speziellen Lehrauftrag erhielte. Mir ist aber sehr fraglich in wieweit Sr. Excellenz der Herr Staatsminister in diese Verhältnisse von Seiten der Regierung wird eingreifen wollen. Andererseits würde ich meinerseits keinesfalls mich in einen Zustand begeben wollen, welcher unerfreulichen Streit in sich birgt. Das große Wohlwollen, welches Seine Excellenz und Ew. Hochwohlgeboren mir wiederholt bewiesen haben, veranlaßtenr mich zu dieser offenen und möglichst scharfen Darlegung der Umstände, welche bei mir schwere Bedenken gegen die Annahme des höchst ehrenvollen Rufs hervorgerufen haben. Der Punkt sub 213 würdes wohl der nicht allein nur ausschlaggebende sein. Die alsbaldige Erledigung des Punktes sub 114 dagegen würde für mich wie für jeden gewissenhaften Fachverteter, glaube ich, ein ganz unumgängliches Erfordernis sein. Ich verbleibe mit dem Ausdruck ausgezeichnetster Hochachtung und vollkommener Ergebenheit Ew Hochwohlgeboren dankbar verpfl ichteter Professor Max Weber
q Rechtszustandes > Rechtszustand
r Zu erwarten wäre: veranlaßte
s 〈sich〉
12 Auf Max Webers Betreiben war nur wenige Monate zuvor in Freiburg im Sommer 1896 die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät begründet worden; sie verlieh den Titel des „Dr. iur. et rer. pol.“. Vgl. Aldenhoff-Hübinger, Einleitung, in: MWG III/5, S. 15. 13 Oben, S. 252–254. 14 Oben, S. 250–252.
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Karl Bücher 21. Dezember 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig UB Leipzig, Nl. Karl Bücher, Nr. 181, Bl. 11–14 (NL 181/Web 11–14) Nach der Annahme des Rufs an die Heidelberger Universität wandte sich Max Weber im Auftrag der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg an die führenden auswärtigen Nationalökonomen Lujo Brentano (München), Karl Bücher (Leipzig), Georg Friedrich Knapp (Straßburg) sowie Gustav Schmoller und Adolph Wagner (beide Berlin), um Urteile über die in der Diskussion stehenden möglichen Nachfolger auf seinen Freiburger Lehrstuhl zu erhalten. Mit diesem Brief an Karl Bücher sowie den folgenden Briefen an Adolph Wagner vom 21. Dezember 1896 (unten, S. 258 f.) und an Lujo Brentano vom 25. Dezember 1896 (unten, S. 261 f.), bat er um informelle Gutachten zu den in Rede stehenden Kandidaten. Obwohl die entsprechenden Antwortbriefe bzw. gutachterlichen Stellungnahmen nicht überliefert sind, läßt sich aus weiteren Briefen Max Webers an Karl Bücher vom 25. Dezember 1896 und vom 1. Januar 1897 (unten, S. 263–265, S. 269 f.) sowie an Lujo Brentano vom 1. Januar 1897, 4. Januar 1897 und 12. Januar 1897 (unten, S. 267 f., S. 274 f., S. 276–278) und an Adolph Wagner vom 1. Januar 1897 (unten, S. 271–273) schließen, daß Lujo Brentano seinen langjährigen Schüler, den a.o. Professor und zweiten Münchener Nationalökonomen neben sich, Walther Lotz, empfahl, wohingegen Karl Bücher den Rostocker Wilhelm Stieda favorisierte. Adolph Wagner trat sowohl für Wilhelm Stieda als auch für seinen Bonner Schüler, Heinrich Dietzel, ein. Die für die Nachfolge Max Webers entscheidende Fakultätssitzung fand am 29. Dezember 1896 statt. Auf dieser Sitzung wurde beschlossen, Werner Sombart, Carl Johannes Fuchs und Walther Lotz „in dieser Reihenfolge vorzuschlagen“. Darüber hinaus wurde der Dekan beauftragt, „im Interesse einer Berufung des Erstgenannten dem Herrn Minister mündlich zu berichten.“ (UA Freiburg i. Br., B 110/329, S. 160). Alle von Max Weber eingeholten Stellungnahmen – also auch die von Georg Friedrich Knapp und Gustav Schmoller, an die keine Korrespondenzen von Max Weber nachgewiesen sind – gingen anschließend in den Bericht der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an das badische Kultusministerium vom 3. Januar 1897 ein (vgl. zur Datierung die Mitteilung des Akademischen Direktoriums der Universität Freiburg i. Br. an das badische Kultusministerium vom 5. Januar 1897 (irrtümlich datiert auf 1896), GLA Karlsruhe, 235/43005). Dieser Bericht ist uns nur als Entwurf mit handschriftlichen Ergänzungen Max Webers bekannt (UA Freiburg i. Br., B 110/405, Protokollbeilagen der Juristischen Fakultät 1896/97, Bl. 271–284, mit Nennung aller auswärtigen Gutachter, Bl. 273; MWG I/13). Demzufolge schlug die Fakultät einstimmig, wie am 29. Dezember 1896 beschlossen, eine Liste mit Werner Sombart an erster, Carl Johannes Fuchs an zweiter und Walther Lotz an dritter Stelle vor (ebd., Bl. 272). Werner Sombarts Leistungen wurden vor denen der anderen Kandidaten hervorgehoben; zugleich machte die Fakultät aber auch deutlich, daß „falls wider Erwarten Sombarts Gewinnung sich als unmöglich herausstellen sollte, Fuchs allen Anderen ohne Zweifel voranzustellen sein würde“, dies gelte insbesondere für den Drittplazierten, Walther Lotz (ebd., Bl. 281 f.). Obwohl sich die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät mit Nachdruck für Werner Sombart einsetzte (vgl. den Brief Max Webers an Werner Sombart vom 8. Februar 1897, unten, S. 287–289), überging das Ministerium nicht nur Werner Sombart, sondern auch Carl Johannes Fuchs, indem es den Ruf an Walther Lotz erteilte. Lotz sagte ab, nutzte den Ruf aber, um seine Position in München zu verbessern und dort ein Ordinariat zu erlangen, ganz so, wie von Max Weber vorausgesehen und befürchtet (vgl.
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dazu besonders die Briefe Max Webers an Lujo Brentano vom 4. und 12. Januar 1897, unten, S. 274 f. und S. 276–278); Carl Johannes Fuchs nahm erst nach längerem Zögern und wohl auch mit einer gewissen Verärgerung, zumal die Angelegenheit in der Presse größere Kreise gezogen hatte, Anfang März auf Drängen Max Webers den Ruf an (Briefe Max Webers an Carl Johannes Fuchs vom 20. und 24. Februar 1897, unten, S. 291, S. 292–294, sowie vom 2. und 10. März 1897, unten, S. 295 f., S. 297 f.). Er wurde am 19. März 1897 zum ordentlichen Professor der Nationalökonomie und Finanzwissenschaft als Nachfolger Max Webers in Freiburg ernannt (GLA Karlsruhe, 235/43005, Schreiben des Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts an den Senat der Universität Freiburg i. Br. vom 26. März 1897).
Freiburg i.B. Schillerstr.a 22 21 XII 96 Sehr geehrter Herr Professor! Nachdem ich, aller Bedenken ungeachtet, die mir angebotene Stelle in Heidelberg angenommen hab[e], mußte die Fakultät schleunigst der Frage der Neubesetzung des hiesigen Lehrstuhls näher treten. Da ich nun mit manchen der jedenfalls in Betracht zu ziehenden Herren persönlich befreundet bin, möchte ich mich der persönlichen Einflußnahme möglichst enthalten, und die Fakultät hat demgemäß den dringenden Wunsch, die Äußerungenb der auswärtigen Herren Fachgenossen kennen zu lernen, namentlich auch die Ihrige, falls Sie – wie wir hoffen – geneigt sein sollten, uns Ihren Rath zu Teil werden zu lassen. Die Fakultät wird – zu meinem persönlichen großen Bedauern – nicht in der Lage sein, Prof. St[ie]dac in Betracht zu ziehen, dessen wissenschaftliche Bedeutung längst die Berufung auf einen größeren Wirkungskreis hätte veranlassen sollen.1 Die Regierung hat in einem früheren Fall sich scharf gegen ihn ausgesprochen2 und würde ihn nicht berufen, und die Fakultät muß nach ihrer Meinung die Lehrthätigkeit und ihre Erfolge in die erste Linie stellen. Ebenso erschien Prof. Herkner, welcher den Collegen hier persönlich bekannt ist [,] 3 der Fakultät nicht geeignet für die hiesigen Bedürfnisse, namentlich weil er sich mit
a O: Schillerst.
b Unsichere Lesung.
c Lochung.
1 Wilhelm Stieda lehrte seit 1884 in Rostock und hatte sich wiederholt bemüht, einen Ruf an eine andere Universität zu erhalten (vgl. dazu seinen Brief an den mit ihm befreundeten Karl Bücher vom 22. Febr. 1897, UB Leipzig, Nl. Karl Bücher, Nr. 181, Bl. 105–112; NL 181/ Sti 105–112). 2 Der Sachverhalt ist nicht aufgeklärt. 3 Heinrich Herkner hatte bis 1892 in Freiburg gelehrt.
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Herrn Prof. v. Schulze-Gävernitz nicht besonders gut ergänzt.4 Vielmehr glaubten wir, daß in erster Linie Prof. Sombart 5 (Breslau), Prof. Fuchs 6 (Greifswald) Dr Oldenberg 7 (Berlin) und eventuell, – falls sie zu gewinnen wären – Prof. Rathgen 8 (Marburg) Prof. Lotz9 (München), von den Jüngsten eventuell Dr Wittich10 (Straßburg) und vielleicht Dr Fick11 (München) in Betracht kämen. Ob Prof. Hasbach12 (Kiel) in Frage käme, ist noch nicht erörtert worden.– Soweit sind die Vorbesprechungen bisher gediehen. Wir würden Ihnen, sehr geehrter Herr Professor, zu außerordentlichem Dank verpfl ichtet sein, wenn Sie uns Ihre Ansicht über die Besetzungsfrage im Allgemeinen und, soweit Sie dazu in der Lage und geneigt sein würden, speziell auch über die Personen der genanntend Herren mitteilen würden.13 Indem ich für Ihre Mühewaltung im Voraus den verbindlichsten Dank sage, verbleibe ich Ihr mit ausgezeichneter Hochachtung sehr ergebener Max Weber
d O: Genannten 4 Heinrich Herkner und Gerhart von Schulze-Gaevernitz, Max Webers Freiburger Fachkollege, legten ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte auf Gewerbe- und Handelspolitik, Arbeiterfrage, Geschichte des Sozialismus und der Sozialreform. Max Weber dagegen legte Wert darauf, daß die Agrargeschichte bzw. die wissenschaftliche Disziplin der Agrarpolitik, die er bislang in Freiburg vertreten hatte, auch weiterhin behandelt wurde. Dies geht auch aus seinen Randnotizen zum Entwurf des Berichts der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an das badische Kultusministerium hervor (UA Freiburg i. Br., B 110/405, Protokollbeilagen der Juristischen Fakultät 1896/97, bes. Bl. 273, 280 und 284; MWG I/13). Vgl. dazu auch Aldenhoff-Hübinger, Einleitung, in: MWG III/5, S. 16 f. 5 Werner Sombart. 6 Carl Johannes Fuchs. 7 Karl Oldenberg. 8 Karl Rathgen. 9 Walther Lotz. 10 Werner Wittich. 11 Ludwig Fick. 12 Wilhelm Hasbach. 13 Vgl. dazu die beiden Briefe Max Webers an Karl Bücher vom 25. Dez. 1896, unten, S. 263–265, sowie vom 1. Jan. 1897, unten, S. 269 f.
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Adolph Wagner 21. Dezember 1896; Freiburg i. Br. Abschrift; von dritter Hand GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 3, Bl. 14–15 Zur Überlieferungslage vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Adolph Wagner, vor dem 12. Januar 1895, oben, S. 53. Der Brief steht in Zusammenhang mit der Neubesetzung von Max Webers Freiburger Lehrstuhl (vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 21. Dezember 1896, oben, S. 255– 257, mit Editorischer Vorbemerkung).
Freiburg i.B. Schillerstr. 22. 21. XII. 96. Hochgeehrter Herr Geheimrath! Nachdem ich in Heidelberg angenommen habe, entsteht hier die schleunigst zu erledigende Frage der Neubesetzung. Ich möchte dabei, da ich mit mehreren der in Betracht zu Ziehenden befreundet bin, in möglichster Reserve bleiben. Deshalb bittet die Fakultät neben anderen Fachgenossen auch Sie um Ihren freundlichen Rath. – Wir sind – leider [–] darüber einig, daß der Vorschlag Stieda’s aussichtslos wäre. Ebenso reflektieren wir auf Herkner nicht. Von den Bonner Herren würde schwerlich Jemand zu gewinnen sein, bezüglich Dietzel’s bestanden auch Bedenken bezüglich der Colleg [ - ] u. Lehrbezahlung, bezüglich Gothein’s, daß er zu sehr reiner Historiker ist.1 Ob Hasbach in Betracht kommt, ist noch nicht erörtert. Als zweifellos in Betracht zu ziehen haben wir bisher vorgesehen: Fuchs, Sombart, Oldenberga, eventuell Rathgen und Lotz. Bezüglich Fuchs und Oldenbergb wären wir namentlich über die Lehrbezahlung gern informiert. Wir würden, wenn Sie uns, wie zu hoffen, Ihren Rath zu Teil werden lassen, insbesondere gern Ihre Ansicht über die fünf Genannten kennen lernen. Von den jüngeren Finanztheoretikern glauben wir nach unseren hiesigen Bedürfnissen absehen zu sollen, es kämen unter den ganz Jungen wesentlich Wittich (Marburg) 2 und Fickc (München) in Betracht.
a In Abschrift: Oldenburg
b In Abschrift: Oldenburg
c In Abschrift: Pick
1 Heinrich Dietzel und Eberhard Gothein lehrten beide seit 1890 Nationalökonomie an der Universität Bonn. 2 Werner Wittich war zu dieser Zeit Privatdozent in Straßburg.
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Indem ich für jede Auskunft im Voraus verbindlichst danke,3 verbleibe ich mit angelegentlichsten Empfehlungen Ihr dankbar ergebener Max Weber
3 Vgl. auch den Brief Max Webers an Adolph Wagner vom 1. Jan. 1897, unten, S. 271–273.
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Friedrich von Weech 21. Dezember 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GLA Karlsruhe, 449/23 Der Brief steht in Zusammenhang mit Max Webers Mitgliedschaft in der Badischen Historischen Kommission (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich von Weech vom 9. Dezember 1896, oben, S. 242 f.). Bezug: der Brief von Friedrich von Weech an Max Weber, undat., nach dem 15. Dezember 1896, GLA Karlsruhe, 449/23, in dem dieser ihn um eine Fotographie für das Album der Badischen Historischen Kommission bittet. Max Weber sandte diese später ein; sie befindet sich heute in der einschlägigen Sammlung der Badischen Historischen Kommission (GLA Karlsruhe, J – Ac B 185 I, Tafel 13). Vgl. die Abbildung, oben, S. XXXI.
Freiburg iB. Schillerstr.a 22 21 XII 96. Hochgeehrter Herr Geheimrath! Ich besitze leider keine Photographie und bin für die nächsten Wochen zu stark in Anspruch genommen, um ad hoc jetzt diese Lücke ausfüllen zu können. Da ich im Frühjahr nach Heidelberg übersiedele, so werde ich aberb demnächst doch in die Lage kommen, mich für meine Collegen vervielfältigen zu lassen und werde dann nicht verfehlen, Ihrem Ersuchen zu entsprechen. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener Max Weber
a O: Schillerst.
b Alternative Lesung: eben
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Lujo Brentano 25. Dezember 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr. 67, Bl. 173–174 Der Brief steht in Zusammenhang mit der Neubesetzung von Max Webers Freiburger Lehrstuhl (vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 21. Dezember 1896, oben, S. 255– 257, mit Editorischer Vorbemerkung).
Freiburg i.B. Schillerstr. 22 25. XII. 96. Hochgeehrter Herr Geheimrath!
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Die Sparsamkeit der Badischen Regierung hat dahin geführt, daß mir der Heidelberger Lehrstuhl angeboten worden ist und ich habe nicht mehr anders gekonnt als ihn annehmen. Damit entsteht die Frage der schleunigen Umbesetzung der hiesigen Stelle, und da ich mit mehreren der in Betracht kommenden Persönlichkeiten mehr oder minder befreundet bin und mich deshalb etwas reserviert halten möchte, so hat die Fakultät den dringenden Wunsch die Meinung hervorragender Fachvertreter auswärts kennen zu lernen. So sehr ich vermuthen kann, daß Ihnen derartige Anfragen nicht besonders erwünscht sein werden, muß ich mir daher doch die Bitte um Ihren freundlichen Rath gestatten. Für uns kommt – nach Ansicht der Herrn Collegen – in erster Linie die Lehrbegabung, in zweiter, bei den besonderen Schwierigkeiten unserer Lage der Regierung gegenüber, die Wahrscheinlichkeit, keinen Fehlruf zu thun – eine Absage würde höchst unerwünschte Consequenzen haben können – in Betracht; sodann ist eine gegenseitige Ergänzung der |:spezielleren:| Fachinteressen der beiden Collegen hier recht wünschenswerth,1 und endlich ist nicht ausgeschlossen, daß in der Fakultät |:bei der schließlichen Entscheidung:| ein Gesichtspunkt mitspielen wird, über dessen Berechtigung man ja sicherlich streiten kann: daß eine Vertretung verschiedner wirtschafts- und sozialpolitischer „Richtungen“ erstrebt werden müsse. Meine Berufung hierher scheint nicht ohne Mitwirkung dieser Meinung erfolgt zu sein. –
1 Es ging um eine Ergänzung der von Gerhart von Schulze-Gaevernitz in Freiburg vor allem vertretenen handels- und sozialpolitischen Themen. Vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 21. Dez. 1896, oben, S. 256 f. mit Anm. 4.
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Von den |:darnach:| überhaupt in Betracht kommenden Persönlichkeiten sinda |:es:| namentlich C.J. Fuchs und Sombart, bezüglich deren den Collegen eine sachkundige Beurteilung ihrer Lehrgabe und wissenschaftlichen Persönlichkeit erwünscht wäre. Die Lehrbefähigung von Lotz steht bei uns außer Zweifel. Über Rathgen würde der Fakultät ein Urteil, namentlich im Vergleich mit den bisher Genannten, recht werthvoll sein, und ebenso über Oldenberg. Darüber, daß – leider! – Stieda für unsre hiesigen Bedürfnisse nicht geeignet ist, sind wir im Wesentlichen einig, ebenso halten die Collegen H. Herkner |:und Hasbach:| am hiesigen Platz nicht für glücklich. Auf die nach ihren wissenschaftlichen Leistungen eventuell sehr wohl in Betracht zu ziehenden Wittich und Fick würde immerhin erst gegriffen werden können, wenn die ältere Generation nichts zu bieten vermöchte. Sollten Sie Sich, unsrer Bitte entsprechend, entschließen, uns Ihre Meinung über die nach Lage der Verhältnisse geeignetste Besetzung mitzuteilen, 2 so würde die Fakultät besonders dankbar sein, wenn Sie in Kürze insbesondre auch auf die zuerst genannten Herren eingehen wollten. Mit dem Ausdruck des verbindlichsten Dankens im Voraus, und den angelegentlichsten Empfehlungen verbleibe ich Ihr in vorzüglicher Hochachtung sehr ergebener Max Weber
a ist > sind 2 Vgl. dazu die Briefe Max Webers an Lujo Brentano vom 1. Jan. 1897, unten, S. 267 f., 4. Jan. 1897, unten, S. 274 f., sowie 12. Jan. 1897, unten, S. 276–278.
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Karl Bücher 25. Dezember 1896; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig UB Leipzig, Nl. Karl Bücher, Nr. 181, Bl. 15–18 (NL 181/Web 15–18) Der Brief setzt die Korrespondenz über die Neubesetzung von Max Webers Freiburger Lehrstuhl fort (vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 21. Dezember 1896, oben, S. 255–257, mit Editorischer Vorbemerkung).
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Für Ihren überaus liebenswürdigen und eingehenden Brief gestatte ich mir auf das Verbindlichste zu danken. Ich werde Ihre Bemerkungen der Fakultät s.Z. vorlesen und zweifle nicht, daß Ihr Urteil die gebührende Beachtung fi nden wird.1 Über Stieda werde ich schleunigst von allen mir irgend zugänglichen Seiten Material für die Fakultät zu beschaffen suchen, insbesondere der Fakultät auch das – relativ – günstige Urteil, welches einem hiesigen philosophischen Fachcollegen zugänglich gemacht worden ist, 2 vortragen. Als bei den Vorbesprechungen ich eindringlich nach meinen persönlichen Eindrücken gefragt wurde, habe ich natürlich nicht umhin gekonnt, zu berichten, daß ich St[ieda] in Berlin in einem sogen. „Evangelisch-Sozialen Cursus“ gehört habe3 und daß der Vortrag – überaus gründlich, stoffreich, und mich persönlich nach jeder Richtung belehrend und befriedigend – allerdings auf die Zuhörer durchweg seine Wirkung völlig verfehlte.4 Äußerlicha O: Schillerst. 1 Wie sich aus Max Webers folgender Reaktion schließen läßt, hatte Karl Bücher offensichtlich den mit ihm befreundeten, aber nicht unumstrittenen Wilhelm Stieda empfohlen. Zur freundschaftlichen Beziehung von Karl Bücher und Wilhelm Stieda vgl. den Brief Wilhelm Stiedas an Karl Bücher vom 22. Febr. 1897, wie oben, S. 256, Anm. 1. 2 Bei dem hiesigen philosophischen Fachkollegen kann es sich nur um Heinrich Rickert oder Hugo Münsterberg handeln; nur diese beiden lehrten im WS 1896/97 in Freiburg Philosophie (Verzeichnis der Freiburger Vorlesungen, WS 1896/97, S. 10). Max Weber unterhielt zu beiden gute Beziehungen. 3 Gemeint ist der vom 10. bis 20. Oktober 1893 in Berlin veranstaltete Kursus über soziale Fragen, den der Evangelisch-soziale Kongreß initiiert hatte und auf dem Max Weber über „Landwirtschaft und Agrarpolitik“ (MWG I/4, S. 254–271) referierte. 4 Wilhelm Stieda referierte über „Gewerbepolitik“ (vgl. den Editorischen Bericht, ebd., S. 255). Für die Hörer wurde ein sogenannter „Grundriß“ dazu als „Manuskript gedruckt“ (Stieda, Wilhelm, Gewerbe-Politik. Grundriß zu 8 Vorlesungen zum Evangelisch-sozialen
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keiten, wie Tonfall und dgl., spielen dabei ja leider oft ausschlaggebend mit. Ich werde aber – da ein solcher isolierter Eindruck sicherlich nichts besagt – beanspruchen, daß eingehend auf ihn zurückgekommen wird. Gegen die Stimmung der Fakultät ihn durchzudrücken werde ich in letzter Linie natürlich kaum in der Lage sein, schon des Soupçon’s halber, der bei dem etwas spießbürgerlichen Eifersuchtsverhältnis der beiden badischen Universitätenb mir entgegengebracht werden würde. – Sie werden mich ja für klug genug halten, um zu glauben, daß ich nicht prätendiere wissenschaftlich das Gleiche geleistet zu haben wie er, und ich empfi nde das ihm nun schon wiederholt widerfahrenec unverdiente Misgeschick nur um so peinlicher, 5 weil mir wiederholt unerstrebte und unbeanspruchte äußere „Erfolge“ zufielen. Aber allerdings scheint mir seine Lage relativ noch erträglich verglichend mit dem gradezu trostlosen Schicksal Oldenberg’s, dessen Charakterqualitäten nur wenige zu schätzen vermögen und dessen intellektuelle Fähigkeiten, denen aller in meinem Brief erwähnten Dozenten weit überlegen,6 so lange er sich unter dem Druck der auf ihm lastenden Lehrst[ellun]ge [??] f befi ndet, niemals weiteren Kreisen bekannt werden können,7 – am wenigsten aus seinen, unter dem Gesichtspunkt des „Fortkommens“ b 〈[??]〉 c O: wiederfahrene d Fehlt in O; verglichen sinngemäß ergänzt. e Unsichere Lesung. f Wortendung oder ein Wort nicht lesbar. Kursus zu Berlin. Oktober 1893, in: Grundriß zu den Vorlesungen im Evangelisch-sozialen Kursus zu Berlin. Oktober 1893. – Berlin: Vaterländische Verlags-Anstalt o.J.). 5 Stieda lehrte seit 1884 an der Universität Rostock und hatte mehrfach versucht, einen Ruf an andere Universitäten zu erlangen. Da es keine Bewerbungen gab, war dies nur über Empfehlungen möglich. Neben Karl Bücher empfahl auch Adolph Wagner Wilhelm Stieda als möglichen Nachfolger bei Max Weber. Stieda erkundigte sich darüber hinaus kurz vor Weihnachten selbst über den Stand der Dinge bei dem Freiburger Strafrechtler, Woldemar von Rohland, einem Mitglied der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät (vgl., auch zu den übrigen Bemühungen, einen Ruf an andere Universitäten zu erlangen, den Brief Wilhelm Stiedas an Karl Bücher vom 22. Febr. 1897, wie oben, S. 256, Anm. 1; zu der Empfehlung durch Adolph Wagner vgl. auch: Adolph Wagner an Wilhelm Stieda vom 28. Dez. 1896, wo es heißt: „Ich hatte Gelegenheit, jetzt in Freiburg aufs schönste und in erster Linie für Sie einzutreten“, in: Adolph Wagner. Briefe, Dokumente, Augenzeugenberichte, 1851– 1917, hg. von Heinrich Rubner. – Berlin: Duncker & Humblot 1978, S. 310; hinfort: Wagner, Briefe, Dokumente, Augenzeugenberichte). Trotz dieser Empfehlungen und Bemühungen kam Stieda nicht in die nähere Wahl. 6 Vgl. den Brief an Karl Bücher vom 21. Dez. 1896, oben, S. 256 f. 7 Karl Oldenberg hatte sich 1891 für Staatswissenschaften habilitiert, konnte aber erst 1897 eine a.o. Professur in Marburg erlangen; zwischen 1888 bis 1897 war er als Assistent Gustav Schmollers in der Redaktion des „Jahrbuchs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich“ tätig. Max Weber kannte Oldenberg seit den frühen 1890er-Jahren aus Berlin.
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betrachtet, so ungünstig wie nur möglich gewählten Publikationen.8 Hier handelt es sich nicht nur um Fehlen des äußeren Erfolgs, sondern um ein langsames Sichverzehren der Nervenkraft und auf die Dauer ein inneres Verkümmern. – Höchst erwünscht wäre eine Äußerung über Lotz und Rathgen gewesen, da für ersteren von Seiten meines Spezialcollegen,9 für letzteren von Seiten eines Fakultätsmitgliedes entschieden eingetreten wird,10 während ich etwas zweifle, ob einer der beiden Herren grade für uns passend ist und beiden sowohl Sombart als Fuchs voranstellen möchte. Sie werden kaum geneigt sein, Sich für die Angelegenheit unserer Hochschule noch weiter zu interessieren, sonst |:würde:|g ich mir die Bitte um eine Äußerung darüber gestatten. – Mit nochmaligem verbindlichsten Dank verbleibe ich Ihr in vorzüglicher Hochachtung sehr ergebener Max Weber
g hätte > würde 8 Oldenberg war ein ausgewiesener Kenner der Arbeiterbewegung und des Anarchismus. So veröffentlichte er u. a. über die deutsche Sozialdemokratie und den russischen Nihilismus (vgl. Oldenberg, Karl, Die Ziele der deutschen Sozialdemokratie (Evangelisch-soziale Zeitfragen, 1. Reihe, Heft 8 und 9). – Leipzig: Fr. W. Grunow 1891, sowie ders., Der russische Nihilismus von seinen Anfängen bis zur Gegenwart. – Leipzig: Duncker & Humblot 1888). 9 Gemeint ist Gerhart von Schulze-Gaevernitz. 10 Um welches Fakultätsmitglied es sich handelt, ist nicht ermittelt.
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Weihnachten 1896
[Helene Weber] [Weihnachten 1896]; o.O. Briefzusatz; eigenhändig, ohne Anrede und Schlußformel Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Max Webers Zusatz findet sich am Ende eines mit „Inhaltsverzeichnis u. Kommentar der Weihnachtskiste“ überschriebenen undatierten Briefes Marianne Webers an Helene Weber. Sie beschrieb darin die den einzelnen Familienmitgliedern zugesandten Weihnachtsgeschenke in Form einer numerierten Liste. Der Inhalt des Briefzusatzes, Max Webers Berufung nach Heidelberg, bestätigt die spätere Datierung Marianne Webers auf Weihnachten 1896.
Das Erstere auch von mir in ziemlicher Eile1 nach den ziemlich langatmigen schriftlichen und mündlichen Verhandlungen2 – hier zu Lande ist sogar in Telegrammen des Ministeriums die Anrede „Euer Hochwohlgeboren“ und der Schluß „ergebenst“ unvermeidlich. – Das Christkindchen muß sich bei uns nun schon auf die Heidelberger Geheimrathsbedürfnisse einrichten und ist darüber ziemlich bankerott. –
1 Unter dem einführenden „(Motto: ‚Schäbig aber von Herzen!‘)“ führte Marianne Weber als erstes Präsent ein japanisches Teekännchen für Max Weber sen. auf, „worüber er sich nicht ärgern soll, wenn’s kaput[t] ankommt o. wenn es nicht brauchbar ist“. 2 Zu Webers Berufung nach Heidelberg und dem Verlauf der Verhandlungen vgl. die Briefe an Adolf Hausrath vom 15. Okt. 1896, oben, S. 216–218, sowie an Ludwig Arnsperger vom 12. und 15. Dez. 1896, oben, S. 244 f. und 248–254, mit Editorischen Vorbemerkungen.
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Lujo Brentano 1. Januar 1897; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr. 67, Bl. 172, 171 Der Brief setzt die Korrespondenz über die Neubesetzung von Max Webers Freiburger Lehrstuhl fort (vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 21. Dezember 1896, oben, S. 255–257, mit Editorischer Vorbemerkung).
Freiburg i.B. 1. I. 97 Hochgeehrter Herr Geheimrath!
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Gestatten Sie, daß ich für Ihre eingehende Antwort, welche der Fakultät sehr nützlich war, verbindlichst danke. Es ist der Regierung an 1ter Stelle Sombart, an 2ter Fuchs, an 3ter Lotz vorgeschlagen worden. Der Erstgenannte ist als Redner – worauf die Collegen das Hauptgewicht legten – der 2te weil er sich fachlich besonders gut mit v. Schulze ergänzt,1 vorangestellt. Außerdem ist für einige wohl noch der Gesichtspunkt der „Richtung“ trotz Ihrer diesbezüglichen Bemerkungen2 bis zu einem gewissen Grade |:mit:| maßgebend gewesen. Die Zusammenarbeit von v. Schulze und mir hat, glaube ich, uns beiden das Anregende und Nützliche einer gewissen Reibungsfläche doch im günstigeren Lichte erscheinen lassen können. Und so unwissenschaftlich es auch wäre, bei der Analyse und causalen Erklärung ökonomischer Erscheinungen subjektiv unda durch Parteimeinungen gefärbte und daa Alternative Lesung: an 1 Der Schwerpunkt in Forschung und Lehre von Carl Johannes Fuchs lag auf Agrargeschichte und Agrarpolitik. Max Weber legte Wert darauf, daß diese Disziplinen auch nach seinem Weggang angemessen vertreten sein sollten. Gerhart von Schulze-Gaevernitz lehrte Gewerbe- und Handelspolitik, Arbeiterfrage, Geschichte des Sozialismus und der Sozialreform. 2 Brentanos gutachterliche Stellungnahme ist nicht überliefert, sein kurz zuvor veröffentlichter Aufsatz „Die Meinungsverschiedenheiten unter den Volkswirtschaftslehrern“ (in: Cosmopolis. Internationale Revue, Berlin, London, Paris, Band 2 (1896), Aprilheft, S. 241– 260) läßt aber Rückschlüsse auf seine „diesbezüglichen Bemerkungen“ zu. Darin plädierte er für eine strenge Trennung von Wissenschaft und Parteinahme, letztere machte er für einen geringen Erkenntnisfortschritt auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften verantwortlich. „Richtungen“ oder Ideale mit Anweisungen, was zu tun sei, wie Manchesterliberalismus und Sozialismus, hätten in der Wissenschaft keinen Platz, vielmehr ergäben sich die zu ergreifenden volkswirtschaftspolitischen Maßnahmen aus der historischen Analyse von Gesellschaft und Wirtschaft von selbst. Brentanos „Bemerkungen“ dürften konkret gegen Werner Sombart und dessen vermeintlich sozialistische Haltung gerichtet gewesen sein.
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durch verschiedene Ergebnisse als etwas |:auch:| principiell Mögliches anzusehen, so selbstverständlich erschien uns andererseits der Umstand, daß bei der Beurteilung dieser Erscheinungen in letzter Instanz die Ideale, von denen bewußt oder unbewußt der Urteilende ausgeht, entscheiden, mithin subjektive und auch „Partei“-Trübungenb gradezu unumgänglich, auch keineswegs ungesund sind, und also nur die Forderung, daßc der angelegte Urteilsmaßstab klargestellt werde, erhoben werden kann. Da es nun unvermeidlich scheint, daß dem Studenten nicht nur die Erklärung, sondern auch eine Beurteilung ökonomischer Erscheinungen vorgetragen wird, – zum mindesten dies ausnahmslos faktisch geschieht, so scheint es auch nützlich, wenn ihm eine Beleuchtungd an der Hand verschiedener Ideale als möglich aufgezeigt wird, – wenn einmal mehrere coordinierte Lehrstühle verfügbar sind, wie hier[.] Insofern möchte ich also einen gewissen Kern von Berechtigung doch in der Berücksichtigung sogenannter „Richtungen“ finden. – Im Übrigen habe ich mein persönliches Votum gänzlich zurücktreten lassen und der Fakultät lediglich die Dienste eines „ehrlichen Maklers“3 geleistet. Mit nochmaligem verbindlichsten Danke und den besten Empfehlungen verbleibe ich Ihr in ausgezeichneter Hochachtung stets ergebener Max Weber
b Unsichere Lesung. stempel verdeckt.
c 〈di〉
d Unsichere Lesung; teilweise durch Paginierungs-
3 Anspielung auf Bismarcks Erklärung am 19. Februar 1878 vor dem Reichstag, in der Orient-Krise die Interessen der europäischen Mächte auf dem Balkan uneigennützig und als „ehrlicher Makler“ in einer Konferenz, dem späteren Berliner Kongreß vom Juni 1878, austarieren zu wollen (Sten. Ber. Band 47, S. 98).
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Karl Bücher 1. Januar 1897; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig UB Leipzig, Nl. Karl Bücher, Nr. 181, Bl. 19–22 (NL 181/Web 19–22) Der Brief setzt die Korrespondenz über die Neubesetzung von Max Webers Freiburger Lehrstuhl fort (vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 21. Dezember 1896, oben, S. 255–257, mit Editorischer Vorbemerkung, sowie den Brief an Karl Bücher vom 25. Dezember 1896, oben, S. 263–265).
Freiburg i.B. Schillerstr.a 22 1. I. 97 Hochgeehrter Herr College!
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Die Fakultät hat schließlich, nach Einholung der Meinung auch Anderer, sich doch nicht entschlossen, auf Stieda zu greifen, weil die Herren Collegen durchweg der Meinung waren an die erste Stelle einen zweifellos als Redner wirksamen Docenten setzen zu wollen, und St[ieda] nicht gut hinter einem solchen figurieren könne, auch – im Gegensatz zu Sombart und Fuchs – sich auf agrarischem Gebiet nicht derart bewegt habe, um von Schulze-Gävernitz gut zu ergänzen.1 Die Liste ist demnachb : 1) Sombart 2) Fu[chs] c 3) Lotz ausgefallen und haben wir unseren Dekan2 mit energischer persönlicher Befürwortungd des Erstgenannten beim Minister beauftragt.3 – Der Gedanke, Gothein zu gewinnen zu suchen,4 wurde als voraussichtlich aussichtslos aufgegeben. Hingegen ist es ziemlich sicher, daß derselbe an erster Stelle für die Professur der Geschichte vorgeschlagen wird, 5 welche besser dotiert ist. a O: Schillerst.
b dadurch > demnach
c Lochung.
d Unsichere Lesung.
1 Gerhart von Schulze-Gaevernitz’ handels- und sozialpolitische Themenschwerpunkte sollten durch Agrarpolitik und Agrargeschichte ergänzt werden. Vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 21. Dez. 1896, oben, S. 256 f. mit Anm. 4. 2 Im Studienjahr 1896/97 war Richard Schmidt Dekan der Rechts- bzw. der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. 3 Bei der Verabschiedung der Liste am 29. Dezember 1896 beschloß die Fakultät zugleich, den Dekan zu beauftragen, „im Interesse einer Berufung des Erstgenannten“ dem badischen Kultusminister und Ministerpräsidenten, Wilhelm Nokk, „mündlich zu berichten“ (vgl. UA Freiburg i. Br., B 110/329, S. 160). 4 Gemeint ist Eberhard Gothein. 5 Eberhard Gothein wurde zwar in die engere Auswahl gezogen, den Ruf auf die Professur für Geschichte erhielt aber nicht er, sondern Alfred Dove (vgl. Maurer, Michael, Eberhard Gothein (1853–1923). Leben und Werk zwischen Kulturgeschichte und Nationalökonomie. – Köln u. a.: Böhlau 2007, S. 143).
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Mit nochmaligem verbindlichsten Dank für Ihre freundliche Auskunft und in vorzüglicher Hochachtung ergebenst Max Weber
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Adolph Wagner 1. Januar 1897; Freiburg i. Br. Abschrift; von dritter Hand GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 3, Bl. 15 Zur Überlieferungslage vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Adolph Wagner, vor dem 12. Januar 1895, oben, S. 53. Der Brief setzt die Korrespondenz mit Adolph Wagner über die Neubesetzung von Max Webers Freiburger Lehrstuhl fort (vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 21. Dezember 1896, oben, S. 255–257, mit Editorischer Vorbemerkung, sowie den Brief an Adolph Wagner vom 21. Dezember 1896, oben, S. 258 f.).
Freiburg i.B. Schillerstr. 22 1. I. 97. Hochverehrter Herr Geheimrath!
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Verbindlichsten Dank für Ihren sehr eingehenden und freundlichen Brief, der der Fakultät zu sehr eingehender Erwägung Anlaß gab. Ich habe mich selbst bei der ganzen Verhandlung etwas reserviert verhalten müssen und berichte daher nur über das Resultat, mit dem ich mich nicht in allen Punkten identificieren möchte. Dietzel1 hängt für uns nach der Art der Dotation der hiesigen Stelle2 sicher, Rathgen vielleicht oder vielmehr wahrscheinlich zu hoch. Einen Refus von Marburg3 wollten die Collegen in der Mehrzahl nicht riskieren. Stieda begegnete allseitigem Widerstand,4 da die Collegen unbedingt einen Redner wollten, man kann gewiß streiten ob mit Recht. Es sind vorgeschlagen 1) Sombart, – um dessen Berufung der Dekan den Minister persönlich bitten soll5 – 2) Fuchs, 3) Lotz; – Oldenberga gegen meinen Wunsch nicht, da er leider nicht zu größeren Publikationen kommt. Die Finanzwissenschaft hat neuerdings v. Schulze mit größter a In Abschrift: Oldenburg 1 Heinrich Dietzel war ein Schüler Adolph Wagners. 2 Max Webers Freiburger Stelle war mit 4000 Mark Grundgehalt jährlich dotiert, zuzüglich 760 Mark Wohngeld; in Heidelberg erhielt er 2000 Mark Grundgehalt mehr (GLA Karlsruhe 235/3140, Bl. 74, Bl. 77–78). Ein Gehalt von 4000 Mark galt als „sehr mäßig“, wie Adolph Wagner Wilhelm Stieda in Bezug auf Max Webers Gehalt und die Ausstattung der Freiburger Stelle am 28. Dezember 1896 mitteilte. Vgl. Wagner, Briefe, Dokumente, Augenzeugenberichte (wie oben, S. 264, Anm. 5), S. 310. 3 Karl Rathgen lehrte in Marburg. 4 Adolph Wagner hatte auch Wilhelm Stieda empfohlen (vgl. den Brief Max Webers an Karl Bücher vom 25. Dez. 1896, oben, S. 264, Anm. 5). 5 Vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 1. Jan. 1897, oben, S. 269 mit Anm. 3.
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Vorliebe traktiert,6 deshalb haben wir keinen Spezialisten dafür berufen, Hasbach gilt als nicht sehr glücklicher Redner und Tönnies wurde als zu abstrakt philosophisch interessiert nicht in Betracht gezogen. Von Fuchs nehmen wir an, daß er nach seinen Schriften über englische Handelspolitik und ihre Handelstechnik7 sich doch recht selbständig entwickelt habe. Der Befürwortung von Lotz konnte ich als der Ausscheidende mich für die 3te Stelle nicht wohl widersetzen, trotz meiner Bedenken. – In Heidelberg fand ich schwierige Verhältnisse vor. Ein Seminar mußte erst neu gegründet werden.8 Auch aus manchen anderen Gründen wäre vielleicht ein Älterer mehr am Platze gewesen als ich. Nun – ich kann schließlich ja nichts dafür, daß die dortigen Collegen – weiß Gott wie – grade auf mich verfallen sind und werde sehen meine Sache so gut es mir möglich ist zu machen. Ich hoffe, Sie in absehbarer Zeit wieder in Berlin aufsuchen zu können, – wenn nicht Graf Arnim9 mit seinen Myrmidonen10 vorher dafür sorgt, daß so „börsenfreundliche“ Professoren nicht wieder in den Börsenausschuß kommen.11 6 Zeitnahe Publikationen zu finanzwissenschaftlichen Themen sind von Gerhart von Schulze-Gaevernitz nicht nachgewiesen, es muß sich daher um eine Anspielung auf seine Lehrtätigkeit handeln. Dieser hatte zuletzt im Wintersemester 1895/96 zu „Finanzwissenschaft“ vorgetragen (Verzeichnis der Freiburger Vorlesungen, WS 1895/96, S. 18). Für das laufende Wintersemester 1896/97 hatte er zunächst eine Spezialvorlesung zu „Geld und Währungsfrage“ angekündigt (ebd., WS 1896/97, S. 5), sich dann aber kurzfristig beurlauben lassen (vgl. den Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 4. Jan. 1897, unten, S. 274 mit Anm. 1). 7 Es handelt sich um folgende Monographie und Aufsätze: Fuchs, Carl Johannes, Die Handelspolitik Englands und seiner Kolonien in den letzten Jahrzehnten (SVfSP 57). – Leipzig: Duncker & Humblot 1893; ders., Der englische Getreidehandel und seine Organisation, in: JNS, Band 54 (N.F., Band 20), 1890, S. 1–67, sowie ders., Die Organisation des Liverpooler Baumwollhandels in Vergangenheit und Gegenwart, in: SchmJb, Jg. 14, 1890, S. 107–126. 8 Vgl. dazu den Brief an Ludwig Arnsperger vom 15. Dez. 1896, oben, S. 248–254, mit Editorischer Vorbemerkung. 9 Gemeint ist Traugott Hermann Graf von Arnim(-Muskau). 10 Die Myrmidonen, ein archaischer Volksstamm Thessaliens, waren der Sage nach von Zeus aus Ameisen geschaffen worden; aus ihnen rekrutierte Achilles in der Ilias seine zahlreiche und emsige Gefolgschaft. 11 Max Weber war, wie Graf Arnim, in den provisorischen Börsenausschuß im Reichsamt des Innern berufen worden und hatte an dessen Sitzungen vom 19. bis 26. November 1896 in Berlin teilgenommen. Im Verlauf der Verhandlungen hatte Graf Arnim als Vertreter des Großgrundbesitzes mehrfach betont, daß die Repräsentanten der Landwirtschaft durch Vertreter des Handels und der Börse majorisiert würden; auch Max Weber und der Göttinger Nationalökonom Wilhelm Lexis, die Vertreter der Wissenschaft, wurden als zu
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Mit nochmaligem besten Dank und angelegentlichster Empfehlung Ihr stets aufrichtig ergebener Max Weber
börsenfreundlich in der agrarischen Presse angegriffen. Max Weber wurde, anders als erhofft, nicht wieder in den – seit dem 1. Januar 1897 nunmehr definitiven – Börsenausschuß berufen (vgl. ausführlich dazu Borchardt, Einleitung, in: MWG I/5, S. 84–86, S. 105– 107).
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Lujo Brentano 4. Januar 1897; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr. 67, Bl. 169–170 Der Brief setzt die Korrespondenz über die Neubesetzung von Max Webers Freiburger Lehrstuhl fort (vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 21. Dezember 1896, oben, S. 255–257, mit Editorischer Vorbemerkung, sowie die Briefe an Lujo Brentano vom 25. Dezember 1896 und 1. Januar 1897, oben, S. 261 f. und S. 267 f.).
Freiburg. 4/1 97 Hochgeehrter Herr Geheimrath! Verbindlichsten Dank für Ihren heute erhaltenen Brief. Um gemäß seinem Inhalt nochmals in Erörterungen einzutreten, war es, da die Sache sehr eilig betrieben worden ist, leider zu spät, auch ist v. Schulze, der sehr energisch für Sombart an erster Stelle eintrat, jetzt auf der Reise und nicht zu erlangen.1 Ich bin nicht sicher, wie die Fakultät sich zu der Sache gestellt hätte – ich selbst hätte nur nochmals feststellen können, daß die Lehrbegabung von Lotz, auf die die Fakultät das Hauptgewicht legte, ganz außer allem Zweifel steht. Die auswärtigen Urteile lauteten meist etwas kühl, und da ich selbst, als Fortgehender und mit Lotz seit Alters gut bekannt, nicht als classisch zu gelten beanspruchen kann, würde Fuchs wohl ebenfalls wie jetzt ihm vorangestellt worden sein. Auch ich war dafür, da F[uchs] der ruhigere von beiden ist und zwar langsamer, aber wohl auch umfassende[r] arbeitet als Lotz, den die Freude an der Mensur wohl leichter mit sich fortreißt. Ganz außerordentlich würde ich ihm selbstverständlich das Münchener Ordinariat gönnen. Aber hätte ich der Fakultät gesagt, daß Sie ihm dasselbe zu verschaffen suchen würden, so würde das, glaube ich, ihn sehr benachteiligt haben. Wir sind darin in eigenartiger Lage: die Regierung ist geneigt, die Stellea nicht mit einem Ordinarius zu besetzen, wie wir fürchten müssen, – aus Ersparnisrücksichten. Holen wir uns einen Korb, so genügt das als Vorwand für sie vollauf. Ich hatte daher in erster Linie vorgeschlagen, nur die Beiden, deren Kommen im a 〈einf〉 1 Gerhart von Schulze-Gaevernitz hatte sich zu Beginn des Wintersemesters 1896/97 beurlauben lassen (Schreiben des Dekans der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an den Senat der Universität Freiburg vom 7. Okt. 1896, GLA Karlsruhe, 235/43005) und hielt sich seit dem 4. Januar 1897 an seinem Privatwohnsitz in Hamburg auf (vgl. dazu die Karte an Paul Siebeck vom 9. Febr. 1897, unten, S. 290).
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Falle der Berufung sicher oder fast sicher ist, Sombart und Fuchs, vorzuschlagen. Wäre Lotz an die erste Stelle gesetzt, so wär dies nach der Stimmung der Fakultät sicherlich nicht ohne vorherige bindende Zusage der Annahme geschehen. – Nach dieser ganzen Sachlage, glaube ich, hätte auch ein früheres Eintreffen Ihres Briefes nichts Wesentliches geändert. – Natürlich bin ich aber der Meinung, daß Lotz das Ordinariat hier mindestens so sehr verdient wie Einer von uns. Seine jetzige Stellung dürfte aber kaum hinter demselben zurückstehen. – Noch möchte ich mir gestatten, dem möglichenb Misverständnis vorzubeugen, als hätte ich mir etwa erlauben wollen, mit den Erörterungen überc „Richtungen“ etc.2 Ihre Münchener Verhältnisse zu berühren.3 Wo ein präponderierender Gelehrter Schule macht, ist für jüngere von andrer sog. „Richtung“ erstens kein Platz und zweitens das Vorhandensein solcher auch keinerlei Gewinn für die Hochschule, das sehe ich völlig ein. Aber nicht Jeder von uns, der als Lehrer brauchbar ist, macht Schule, und wo mehrere coordinierte Persönlichkeiten in Frage kommen, ist – wenn sie sich persönlich vertragen – eine gewisse Divergenz der Ideale für den Studenten doch nicht übel. Mit nochmaligem besten Dank und in hochachtungsvoller Ergebenheit Ihr Max Weber
b Unsichere Lesung; Tintenfleck.
c 〈Mü〉
2 Vgl. dazu den Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 1. Jan. 1897, oben, S. 267 f. mit Anm. 2. 3 Brentano galt als Exponent der radikal freihändlerischen, linksliberalen und gewerkschaftsfreundlichen „Richtung“ innerhalb der Nationalökonomie, der auch Walther Lotz als sein Schüler folgte. Max Weber beklagte an anderer Stelle Lotz’ fehlende wissenschaftliche Persönlichkeit und Eigenständigkeit gegenüber seinem Lehrer (vgl. den Brief an Carl Johannes Fuchs vom 2. März 1897, unten, S. 295 f.).
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Lujo Brentano 12. Januar 1897; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr. 67, Bl. 168, 167 Der Brief setzt die Korrespondenz über die Neubesetzung von Max Webers Freiburger Lehrstuhl fort (vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 21. Dezember 1896, oben, S. 255–257, mit Editorischer Vorbemerkung, sowie die Briefe an Lujo Brentano vom 25. Dezember 1896, 1. und 4. Januar 1897, oben, S. 261 f., S. 267 f. und S. 274 f.).
Freiburg i B Schillerstr.a 22 12 I 97 Sehr geehrter Herr Geheimrath! Ein Abstecher nach Saarbrücken verhinderte mich,1 schon vorher einige mögliche Misverständnisse aufzuklären: 1) Lotz ist nicht etwa seiner „Richtung“2 wegen nicht an die erste Stelle gesetzt. Dieser Gesichtspunkt, von dem ich geschrieben hatte, daß er unter Umständen mitspielen könne, 3 kommt nach unser aller Auffassung selbstverständlich nur „ceteris paribus“ in Betracht. Auch versteht es sich, daß nicht etwa die Abneigung gegen diese spezielle „Richtung“ mitgespielt hat, – Sombart steht Schulze und auch mir selbstverständlich grade seiner „Richtung“ nach erheblich ferner als Lotz. 2) Ich muß mich nicht geschickt ausgedrückt haben bezüglich der auswärtigen Urteile. Dieselben sind – von Straßburg, Leipzig, Berlin4 – nicht etwa absolut betrachtet „kühl“ ausgefallen, sondern nur – und zwar einstimmig – relativ, im Verhältnis zu Sombart undb Fuchs. Die günstigeren stellten ihn Rathgen etwa gleich. 3) Ich selbst und die Fakultät haben nicht etwa uns die Aufgabe gestellt, die einzelnen Personen nach ihrem Gesammtverdienst um die Wissenschaft abzuwägen, sondern ausschließlich gefragt: welche von ihnen für uns nach den derzeitigen Verhältnissen am besten passen. a O: Schillerst
b 〈Lotz〉
1 Vgl. den Brief an Friedrich Naumann vom 9. Dez. 1896, oben, S. 240 f., Anm. 6. 2 Vgl. den Brief an Lujo Brentano vom 4. Jan. 1897, oben, S. 275, Anm. 3. 3 Vgl. die Briefe an Lujo Brentano vom 25. Dez. 1896 und 1. Jan. 1897, oben, S. 261, S. 267 f. 4 Außer von Lujo Brentano selbst hatte Max Weber „auswärtige Urteile“ von Georg Friedrich Knapp (Straßburg), Karl Bücher (Leipzig) sowie Gustav Schmoller und Adolph Wagner (beide Berlin) eingeholt (vgl. den Brief an Karl Bücher vom 21. Dez. 1896, oben, S. 255, Editorische Vorbemerkung).
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4) Auch die geringe Chance, daß Lotz käme, hat schließlich nicht mitgespielt, obwohl im Allgemeinen Fakultäten, welche ihn an die erste Stelle setzen, wohl eine |:vorherige:| Bindung von ihm verlangen würden. Wir z. B. hätten dies ohne Schädigung unsrer Interessen gar nicht unterlassen können, da ein Korb für die Regierung der willkommene Anlaß zu mindestens zeitweiliger Nichtwiederbesetzung des s.Z. mühsam durchgesetzten 2ten Ordinariates5 gewesen wäre. – Was die persönliche Seite anlangt, so ist Sombarts Schicksal in Breslau,6 vollends Oldenbergs in Berlin7 – letzteren halte ich an Intelligenz für uns Jüngere sämmtlichc überlegen – doch immerhin mit der Stellung von Lotz,d welche die hiesigen Ordinariate doch faktisch überragt, nicht zu vergleichen. Trotzdem muß jeder Freund von Lotz ihm ein Ordinariat, sei es in München oder anderswo, wünschen. Gelänge es mir doch Ihnen den Verdacht zu nehmen, als seien hier irgendwelche agrarischen oder sonst reaktionären Machenschaften beteiligt! Das „ethische Pathos“ geht mich wahrhaftig nichts an, und die „höchsten Ideale der Zeit“ sind ein mir unverständlicher Terminus.8 Wenn ich persönlich unerstrebte und unbeanspruchte „Erfolge“ in der akademischen Laufbahn erreicht habe, so lassen mich dieselben ziemlich kalt und geben mir namentlich keine Antwort auf die Frage, ob ich nun c 〈st〉
d 〈di〉
5 Gerhart von Schulze-Gaevernitz wurde erst mit der Gründung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät am 1. Juni 1896 vom etatmäßigen a.o. zum o. Professor der Volkswirtschaftslehre befördert (Mitteilung des Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts an den Senat der Universität Freiburg vom 15. Juni 1896, GLA Karlsruhe, 235/43005). Noch ein Jahr zuvor war Max Webers Antrag auf Schaffung eines zweiten nationalökonomischen Ordinariats und Umwandlung der Professur von Gerhart von Schulze-Gaevernitz am 28. Juni 1895 in der Philosophischen Fakultät gescheitert (UA Freiburg i. Br., B 3/795, S. 32–33; MWG I/13). 6 Werner Sombart war seit 1890 a.o. Professor in Breslau. Da er unter dem permanenten Verdacht stand, Sozialist zu sein, gelang ihm erst 1906 der Sprung auf eine Professur an der Handelhochschule Berlin. 7 Vgl. den Brief an Karl Bücher vom 25. Dez. 1896, oben, S. 264, Anm. 7. 8 Anspielung auf die ethisch-soziale Richtung der jüngeren Historischen Schule der Nationalökonomie und deren Haupt Gustav Schmoller. Schmoller hatte 1881 die Wissenschaft der Volkswirtschaftslehre mit dem antiken Chor in der Tragödie verglichen: „Wie der Chor in der Tragödie der Alten soll sie nicht selbst handeln, sondern getrennt von der Bühne der Handelnden deren Thun mit ihren Betrachtungen begleiten, es messen an dem Maßstab der höchsten Ideale der Zeit.“ (Schmoller, Gustav, Über Zweck und Ziele des Jahrbuchs, in: SchmJb, Jg. 5, 1881, S. 9). Die jüngeren Nationalökonomen, wie Max Weber und Werner Sombart, setzten sich mit dieser Haltung kritisch auseinander (vgl. den Brief an Werner Sombart vom 8. Febr. 1897, unten, S. 287–289, mit Editorischer Vorbemerkung, sowie Lenger, Werner Sombart, S. 98).
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grade in dieser Laufbahn an dem für mich passendsten Platze bin. Ich gönne sie deshalb wahrlich jedem Andren unde man wird es nicht erleben, daß ich aus persönlichen oder politischen Gründen Jemandem Steine in den Weg werfe. Deshalb braucht auch gegen mich Niemand sein „Pulver trocken zu halten“.9 Mit hochachtungsvollen Empfehlungen Ihr sehr ergebener Max Weber
e 〈werde〉 9 „Sein Pulver trocken halten“ bedeutet, stets in Verteidigungsbereitschaft zu sein. Die Wendung geht auf die irische Ballade „Oliver’s Advice“ zurück, deren Strophen jeweils mit „put your trust in God, my boys, and keep your powder dry“ enden. Mit diesen Worten soll Cromwell einst seine Truppen dirigiert haben: „put your trust in God; but mind to keep your powder dry.“ Vgl. Hayes, Edward (Hg.), The ballads of Ireland, Band 1, 2. Aufl. – A. Fullarton & Co.: London, Edinburgh, Dublin 1856, S. 190–192.
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Heinrich Bassermann 17. Januar 1897; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig UA Heidelberg, PA 2408 Der Brief steht im Zusammenhang mit der Berufung Max Webers auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Heidelberg (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ludwig Arnsperger vom 15. Dezember 1896, oben, S. 248 f.).
Freiburg iB 17 1 97 Euer Magnifi zenz
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beehre ich mich anbei ergebenst die Standeslistena ausgefüllt zu überreichen1 mit dem ergebensten Bemerken, daß ich den Dienst am 1. April 1897 antreten werde. Hochachtungsvoll sehr ergebenst Max Weber
a Zu erwarten wäre: Standesliste 1 Die von Max Weber eigenhändig ausgefüllte Standesliste befindet sich ebenfalls in seiner Personalakte (UA Heidelberg, PA 2408).
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Alfred Weber 17. Januar 1897; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 4, Bl. 42–43 Der Brief steht in Zusammenhang mit der Übersendung des soeben erschienenen Artikels von Alfred Weber über „Hausindustrielle Gesetzgebung und Sweatingsystem in der Konfektionsindustrie“ (SchmJb, Jg. 21, 1897, Heft 1, S. 271–305), wie sich aus dem Inhalt schließen läßt. Bei dem Artikel handelt es sich zugleich um Alfred Webers Doktorarbeit, die selbstständig unter demselben Titel ebenfalls 1897 erschien (Weber, Alfred, Hausindustrielle Gesetzgebung und Sweating-System in der Konfektionsindustrie. – Leipzig: Duncker & Humblot 1897, in: AWGA 5, S. 25–58). Diese Publikationen bildeten den Auftakt zu Alfred Webers intensiver Beschäftigung mit der Heimarbeiterindustrie und kritischen Auseinandersetzung mit der sozialen Lage der Heimarbeiter (vgl. dazu auch den Brief Max Webers an Alfred Weber vom 2. August 1899, unten, S. 695, Editorische Vorbemerkung).
Fr. 17 1 97 Lieber Alfred! Besten Dank erstens für Deinen Artikel.1 Er hat mir in jeder Hinsicht ganz vortrefflich gefallen, abgesehen von dem großen sachlichen Interesse. Auch fi nde ich die Formulierung sehr glücklich, meine nur, daß Du zu ängstlich comprimiert und Dir dadurch das Geschäft wahrscheinlich erschwert hast. Marianne raisonnierte aus dem gleichen Grunde über die langen Wortbildungen: „Fabrikgesetzausdehnungsgesetzgebung“2 u.ä. Der Gegensatz der östlichen und westlichen Be-
1 Weber, Alfred, Hausindustrielle Gesetzgebung und Sweatingsystem. Das Sweatingsystem war eine Form des Verlagssystems, bei dem der Verleger, in diesem Fall der Konfektionär, Preise und Produktionsmengen bestimmte sowie Rohstoffe an einen selbstständig wirtschaftenden Zwischenmeister lieferte, der seinerseits Heimarbeiter beschäftigte bzw. für seine Werkstatt rekrutierte. Diese Art der Betriebsverfassung war, wie Alfred Weber herausarbeitete, vorrangig in den östlichen Zentren der deutschen Konfektionsindustrie in Regionen mit einem Auswanderungsüberschuß, also einem Überangebot an Arbeitskräften, verbreitet. Im Westen dagegen, wo Arbeitskräftemangel in Konkurrenz mit anderen Industrien herrschte, rekrutierte und beschäftigte der Konfektionär die Heimarbeiter direkt, ohne einen Zwischenmeister einzuschalten; hier wurden die Familien selber Orte kleiner industrieller Betriebe (ebd., S. 294–303, bes. S. 301). 2 Ebd, S. 274: „Fabrikgesetz-Ausdehnungsgesetzgebung“. Dies betraf die zentrale Fragestellung Alfred Webers: nachdem er die Ausweitung der Fabrikgesetze einschließlich der Arbeiterschutzgesetze auf das kleine Handwerk und die Hausindustrie in Großbritannien, Frankreich, der Schweiz und anderen Staaten geschildert hatte, fragte er nach dem Nutzen und der Reichweite einer solchen „Fabrikgesetz-Ausdehnungsgesetzgebung“ für die Hausindustrie in Deutschland.
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triebsverfassung3 ist äußerst lehrreich und dürfte wohl |:auch:|, ebenso wie die Flüssigkeit der Gewerkschaften im Osten, mit der geringen Bevölkerungsstabilität zusammenhängen. – Wie steht es mit dem Wälzer?4 Siebeck sagte, Du wollest damit bis nach dem Assessor warten, 5 – das wäre doch entschieden nicht praktisch und weit zeitraubender. Für Deine Mitteilung über Meinecke besten Dank.6 Er ist inzwischen erledigt und Stern und Gothein sind vorgeschlagen. Breysig
3 Vgl. dazu Anm. 1. 4 Es handelt sich um die noch anstehende, selbstständige Veröffentlichung der Doktorarbeit Alfred Webers und damit zusammenhängender Materialien (vgl. dazu Anm. 5). 5 Alfred Weber plante urspünglich eine Veröffentlichung der Ergebnisse seiner Recherchen zur Heimarbeiterindustrie und seiner Doktorarbeit im Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck). Seit Herbst 1895 stand er deshalb in Verhandlungen mit Paul Siebeck, verschob den Termin der Fertigstellung und der Abgabe aber immer wieder. Zuletzt bat er Paul Siebeck am 31. Dezember 1896, wie aus dem Antwortschreiben Siebecks vom 2. Januar 1897 hervorgeht, um einen „längeren Aufschub“ bis nach der Doktorprüfung im März und dem Assessorexamen im Juli 1897. Siebeck gewährte Alfred Weber erneut diesen „längeren Aufschub“, zeigte sich jedoch bereits skeptisch, ob es unter diesen Umständen je zu einer Publikation in seinem Verlag kommen werde (vgl. den Brief Paul Siebecks an Alfred Weber vom 2. Jan. 1897 (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 41, Bl. 417). Tatsächlich veröffentlichte Alfred Weber seine Dissertation dann bei Duncker & Humblot (vgl. die Editorische Vorbemerkung, oben, S. 280). Die Verhandlungen zwischen Alfred Weber und Paul Siebeck sind ausführlich in den Briefkopierbüchern des Verlages J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) dokumentiert (vgl. die Briefe von Paul Siebeck an Alfred Weber vor allem vom 12. Sept. 1895, 11. Okt. 1895, 12. Dez. 1895, 30. Jan. 1896, 4. Aug. 1896, 14. Sept. 1896, 14. Okt. 1896 sowie der letzte nachgewiesene Brief vom 2. Jan. 1897, in: ebd., Kästen 5–10, 36, Bl. 420; 37, Bl. 114; 38, Bl. 73, Bl. 277; 40, Bl. 199, Bl. 281, Bl. 437 sowie 41, Bl. 417 (Zitat)). Alfred Weber wurde am 20. März 1897 promoviert. 6 Max Weber hatte sich offensichtlich bei seinem Bruder anläßlich der Wiederbesetzung des Lehrstuhls für Neuere Geschichte 1896/97 in Freiburg nach Friedrich Meinecke erkundigt. In den Berufungsakten (UA Freiburg i. Br., B 38/257) wird Meinecke nicht erwähnt.
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macht sich mit seinem Geschmiere noch mausetot!7 – Ob nun die Regierung Sombart beruft?8 Wir hören nichts. – Marianne kommt eben sehr vergnügt von ihrem Referat nach Hause,9 da Rickert anscheinend sehr angethan davon war und ihr „Talent“ zugebilligt hatte.10 Die Sache mit Fritz Wagner ist etwas trübe.11 Rickert war sehr unglücklich, meinte nur, der Aufsatz12 zeigea Formgewandtheit und Bea Alternative Lesung: zeigt 7 In Freiburg war es bei der Besetzung des Lehrstuhls für Neuere Geschichte (Nachfolge Wilhelm Busch) kurz hintereinander zu zwei Berufungsverfahren gekommen. Im Juli 1896 schlug die Berufungskommission den Marburger Historiker Albert Naudé an erster und den Berliner Historiker Kurt Breysig an zweiter Stelle vor (UA Freiburg i. Br., B 38/257, Bl. 287, 303). Albert Naudé wurde berufen, starb aber kurz darauf am 17. Dezember 1896, sodaß erneut ein Berufungsverfahren eingeleitet werden mußte. Vorgeschlagen wurden diesmal der Züricher Alfred Stern an erster, der Bonner Wirtschaftshistoriker Eberhard Gothein an zweiter und der Münchener Historiker und Jounalist Alfred Dove an dritter Stelle (vgl. den Kommissionsbericht vom 8. Febr. 1897, ebd., Bl. 273–285). Anstatt Kurt Breysig, die Nummer zwei der ersten Liste, zu berufen, was nahe gelegen hätte, wurde dieser nunmehr explizit ausgeschlossen, und zwar u. a. mit dem Argument, daß er „neuerdings eine Wandlung durchgemacht“ habe, „insofern er von der Verwaltungsgeschichte zur Sozialgeschichte übergegangen zu sein scheint.“ (ebd., Bl. 275). Zugleich wurde auf zwei neuere Aufsätze Breysigs verwiesen, „in denen eine starke Disharmonie zwischen Gedankengehalt und der anspruchsvollen Form hervortritt und die nach dem einstimmigen Urteil bedeutender Historiker und Nationalökonomen von Unreife, Leichtfertigkeit und Verworrenheit nicht frei sind.“ (ebd., Bl. 275, Bl. 277). (Gemeint waren: Breysig, Kurt, Die sociale Entwicklung der führenden Völker Europas in der neueren und neuesten Zeit. Ein Versuch [I. Teil], in: SchmJb, N. F. 20. Jg., Heft 4, 1896, S. 1–72, sowie ders., Über Entwicklungsgeschichte, I. Teil, in: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (Monatsblätter), N. F. 1. Jg., Nr. 6, 1896/97, S. 161–174, sowie II. Teil, ebd., Nr. 7/8, 1896/97, S. 193– 211). Berufen wurde später Alfred Dove. Max Weber war über diese Entscheidungen und die Beurteilung Kurt Breysigs offensichtlich bereits mündlich im Vorfeld durch seine früheren Kollegen von der Philosophischen Fakultät, möglicherweise durch Heinrich Rickert, informiert worden. 8 Werner Sombart war am 3. Januar 1897 an erster Stelle als Nachfolger auf Max Webers Freiburger Lehrstuhl von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät dem Ministerium vorgeschlagen worden. Nicht er, sondern Carl Johannes Fuchs wurde Webers Nachfolger (vgl. ausführlich dazu den Brief an Karl Bücher vom 21. Dez. 1896, oben, S. 255 f., Editorische Vormerkung). 9 Marianne Weber hatte im November 1896 in Heinrich Rickerts Seminar „Geschichte der neueren Philosophie (von der Renaissance bis Kant)“ ein Referat übernommen (vgl. den Brief Max Webers an Marianne Weber vom 25. Nov. 1896, oben, S. 234 f. mit Anm. 13; vgl. auch Verzeichnis der Freiburger Vorlesungen, WS 1896/97, S. 10). 10 Zwei Tage später, am 19. Januar 1897, berichtete Marianne Weber ihrem Schwager Alfred Weber (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446), sie habe mit dem Referat bei Heinrich Rickert einen „Achtungserfolg“ erzielt. 11 Friedrich (Fritz) Wagner, der Sohn von Adolph Wagner, war mit Alfred Weber befreundet. 12 Friedrich Wagner veröffentlichte 1897 einen zweiteiligen Artikel über Friedrich Nietz-
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gabung, aber sonst sei er für jeden Fachmann kaum erträglich. W[agner] hat ihm recht nett geschrieben, aber sehr naiv: „welche Schriftsteller die Vertreter des Eudämonismus seien?“ Er wolle sie kritisieren. Er hat ihm heute 8 Seiten lang ausführlich geschrieben.13 Ob ich wieder nach Berlin komme? Der Himmel weiß es. Das Ministerium ist offenbar total versteinert, sie besetzen den Ausschuß vorerst gar nicht.14 Viele Grüße in Eile Max
sche und Arthur Schopenhauer (Wagner, Friedrich, Ist die Verneinung des Willens möglich?, in: Die Wahrheit. Halbmonatsschrift zur Vertiefung in die Fragen und Aufgaben des Menschenlebens, hg. von Christoph Schrempf, Stuttgart, 8. Band, 1897, S. 82–94 und 102–118). Anscheinend hatte er das Manuskript dazu an Heinrich Rickert gesandt. 13 Ein Briefwechsel zwischen Heinrich Rickert und Friedrich Wagner ist nicht ermittelt und somit auch das Zitat nicht nachgewiesen. Über den Inhalt des erwähnten Schreibens Heinrich Rickerts an Friedrich Wagner informiert aber der Brief Marianne Webers an ihren Schwager Alfred Weber zwei Tage später: „Rickert hat übrigens vorgestern einen zweiten acht-seiten-langen Brief an Wagner geschrieben, Nietzsche kritisiert u. ein ausführliches Kant-Studium anempfohlen“ (Marianne Weber an Alfred Weber vom 19. Jan. 1897, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 14 Max Weber gehörte dem provisorischen Börsenausschuß im Reichsamt des Innern bis Ende 1896 an, in den 1897 gebildeten definitiven Ausschuß wurde er jedoch nicht mehr berufen (vgl. den Brief an Adolph Wagner vom 1. Jan. 1897, oben, S. 272 f., Anm. 11).
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Heinrich Bassermann 25. Januar 1897; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig UA Heidelberg, PA 2408 Der Brief steht im Zusammenhang mit der Berufung Max Webers auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Heidelberg (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ludwig Arnsperger vom 15. Dezember 1896, oben, S. 248 f.).
Freiburg iB. Schillerstr.a 22 25 1 97 Euer Magnifi zenz sende ich anbei die Correktur nach Änderung der Seminarstunde mit dem sehr ergebensten Bemerken zurück,1 daß ich vom 1. April d.J. an in Heidelberg Anlage 53b, 2 Treppen wohnen werde. Hochachtungsvoll und sehr ergebenst Professor Max Weber
a O: Schillerst 1 Eine entsprechende Ankündigung der Lehrveranstaltungen Max Webers ist nicht nachgewiesen.
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Heinrich Sieveking [nach dem 28. Januar 1897]; o.O. Abschrift; maschinenschriftlich StA Hamburg, Nl. Heinrich Sieveking Die folgende Abschrift findet sich in einem Typoskript von Heinrich Sieveking, Erinnerungen 1871–1914, S. 94 f., ebd. Die Datierung ist erschlossen aus dem Hinweis Heinrich Sievekings auf seinen Vortrag in Max Webers Kameralistischem Seminar in Freiburg am 28. Januar 1897 (ebd., S. 91, 93). Am 23. Februar 1897 reichte Heinrich Sieveking sein Habilitationsgesuch bei der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg ein (UA Freiburg i. Br., B 110/406, Bl. 51). Heinrich Sieveking schreibt in seinen „Erinnerungen“ (S. 93 f.) an seine Zeit als junger Privatgelehrter und sein Treffen mit dem befreundeten Gerhart von Schulze-Gaevernitz, der sich seit Anfang Januar 1897 in Hamburg aufhielt: „Der Vortrag im Freiburger Seminar gelang, und ich konnte Weber auf seine Fragen mit umfassenderen Ausführungen antworten. In Hamburg traf ich Schulze-Gävernitz [. . .]. Da Max Weber einen Ruf nach Heidelberg angenommen hatte, riet er mir, meine Habilitation zu beschleunigen. Ich machte mich also sofort an die Arbeit [. . .] Da traf aus Freiburg ein Brief von Max Weber ein, in dem er der Freude darüber Ausdruck gab, daß ich auf so vorzügliches Material gestoßen sei. Bei der sicheren Hand, die ich in der Verwertung derartiger Quellen hätte, dürfte man einer Darstellung entgegensehen, welche die Wissenschaft um höchst wertvolle Gesichtspunkte bereicherte. Aber nun gälte es, dies Material in die großen Zusammenhänge einzuordnen, die großartigen Verhältnisse Genuas dem vielfach bearbeiteten deutschen Finanz-Stilleben als Kontrast gegenüberzustellen. Dazu brauchte ich Zeit, die mir nicht zur Verfügung stünde, wenn ich jetzt meine Habilitation beschleunigte. Er empfahl mir, zu warten. Er würde sich auch freuen, wenn ich nach Heidelberg käme. Die Habilitation sei selbstredend die reinste Formalität.“ Sieveking fährt, den Brief Max Webers direkt zitierend, fort:
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Sie sind jetzt weit mehr als ein x-beliebiger nationalökonomischer Privatdozent und auf dem Wege, ein Fachgelehrter zu werden, der in beneidenswerter Bewegungsfreiheit sich die Herrschaft über ein Material verschaffen kann,1 mit dem Sie später jeden Concurrenten auf diesem Felde schlagen können. Soweit werden Sie in kurzer Zeit, – sagen wir in zwei Jahren – wenn Sie entweder Florenz oder Venedig oder aber eine holländische Stadt in ähnlicher Weise durchkneten, kommen. Was wollen Sie jetzt an der Universität? Wenn Sie nach der Habilitation gleich Urlaub nehmen, was Sie absolut müssen; denn Sie schulden sich und der Wissenschaft die Ausnutzung ihrer besonders günstigen Situ-
1 Heinrich Sieveking arbeitete über das mittelalterliche Finanzwesen, und zwar über das Steuersystem der Seerepublik Genua vor und nach der Gründung der Banco di San Giorgio als dem zentralen Vermittlungs- und Finanzierungsinstitut (vgl. Sieveking, Genueser Finanzwesen I, II).
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ation für die gelehrte Arbeit, 2 – so sind Sie doch nicht in der Carrière. Warum in des Teufels Namen wollen Sie jetzt Füchse dressieren? Niemals wieder kommt, sind Sie einmal angestellt, eine so angetretene Situation für Sie. Sie werden doch nicht im Ernst behaupten, daß Sie sich so lange als eine verfehlte Existenz ansehen müssen, als Sie nicht ein Colleg über den üblichen Lehrstoff ausgespuckt haben? Thun Sie mir lieber den freundschaftlichen Gefallen, die Sache noch einmal in Erwägung zu ziehen. Es ist 10:1 zu sagen, daß Sie sich eine Chance nicht vergeben, wenn Sie sich jetzt noch nicht habilitieren.3
2 Als Abkömmling einer alteingesessenen Hamburger Familie konnte sich Sieveking den Status eines Privatgelehrten leisten. 3 Anders als von Max Weber geraten, entschloß sich Sieveking zur Habilitation; er habilitierte sich im März 1897 mit Max Webers Unterstützung in Freiburg (vgl. dazu den Brief Max Webers an Heinrich Sieveking vom 20. April 1897, unten, S. 315 f., mit Editorischer Vorbemerkung).
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Werner Sombart 8. Februar 1897; Freiburg i. Br. Abschrift; maschinenschriftlich ohne Schlußformel, mit Korrekturen von der Hand Marianne Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 4, Bl. 54 Der Brief steht einerseits in Zusammenhang mit der Neubesetzung von Max Webers Freiburger Lehrstuhl, für den Werner Sombart an erster Stelle vorgeschlagen war (vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 21. Dezember 1896, oben, S. 255–257, mit Editorischer Vorbemerkung). Andererseits bezieht er sich, wie sich aus dem Inhalt schließen läßt, auf den Max Weber von Werner Sombart zugesandten Aufsatz „Ideale der Sozialpolitik“ (in: Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik, Band 10, 1897, S. 1–48; hinfort: Sombart, Ideale) von Anfang 1897. Sombart kritisierte in seinem Artikel das Vorgehen der jüngeren Historischen Schule der Nationalökonomie, der ethischen Nationalökonomie, wissenschaftliche Analyse und ethisch-soziale Wertung unkritisch zu vermischen und dem zu analysierenden Stoff von außen fremde Wertmaßstäbe, „Ideale“, anzulegen (S. 15). Stattdessen postulierte er die Wiederherstellung der „Autonomie des sozialpolitischen Ideals“ (S. 25). Diese Autonomie sah er verwirklicht im „Ideal höchster Produktivität“, das mit der Unterstützung der wirtschaftlich starken und aufstrebenden Klassen, also des Bürgertums, „im Interesse des Kulturfortschritts“ erreicht werden sollte (S. 44 f.). Berührungspunkte ergaben sich mit Max Webers Kritik an der Methode der Historischen Schule und ihrer unreflektierten Verwendung von Werturteilen, wie sie Weber in seiner Freiburger Antrittsrede 1895 formuliert hatte (Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik, bes. S. 561–565). Darauf nahm Sombart explizit Bezug: „Ich verzichte dieses Mal darauf, mich mit einer in neuester Zeit, namentlich von Max Weber in seiner Freiburger Antrittsrede ‚Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik‘ (Freiburg & Leipzig 1895) vertretenen Auffassung auseinanderzusetzen, wonach die Idee nationaler Macht zum Leitstern der Wirtschaftspolitik gemacht werden soll. Es handelt sich bei ihr einstweilen erst um einen hingeworfenen Gedanken, der der näheren Ausführung harrt. Ich glaube übrigens, daß sich der Webersche Standpunkt, namentlich in der Kritik der herrschenden Lehre, und im Ergebnis unserer Forschungen sehr nahe mit dem meinigen berührt. Beiden gemeinsam ist jedenfalls der Appell an das wirtschaftlich Starke.“ (Sombart, Ideale, S. 25; Hervorhebungen im Original).
Freiburg, den 8. 2. 97. Verehrter Freund und Kollege!
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Besten Dank für Ihre Sendung. Bei Gelegenheit werde ich mich damit auseinandersetzen.1 Sie werden zu noch sehr viel stärkeren Konsequenzen genötigt sein, als Sie jetzt etwa ziehen werden, und wir werden uns im Standpunkt sehr nahe kommen. Ihr trotz aller Vorbehalte rein 1 Max Weber hat, folgt man seiner gedruckten Handreichung für die Studenten von 1898, Werner Sombarts Artikel in seiner Vorlesung zur theoretischen Nationalökonomie behandelt. Vgl. Weber, Max, Grundriß zu den Vorlesungen über Allgemeine („theoretische“) Nationalökonomie (MWG III/1, S. 81–117, hier: S. 117).
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technologisches „Ideal“2 ist ja doch kein Ideal, wenn Sie diesen Begriff nicht in so weitem Sinne fassen, in dem man etwa auch einen gut konstruierten Lokus einen „idealen Lokus“ nennt. Ihr Relativismus muß Sie ferner – die Ansätze sind ja da – zum Nationalismusa treiben, denn da Maximen der „Produktivität“ doch gleich Maximen der „Bedürfnis-Befriedigung“ sind, so sind vom Subjekt aus dessen Bedürfnisse anzugeben, und die sind nationalistischb determiniert. Sie sind jetzt ziemlich beim alten liberalen Ideal des „größten Wohlbefi ndens der möglichst großen Zahl“3 angelangt und befi nden sich in der optischen Täuschung, damit die Heteronomie des Ideals abgestreift zu haben.4 Das kann unmöglich Ihr letztes Wort sein! Aber ich kann mich in einem Brief nicht mit einer Abhandlung auseinandersetzen, die mich sehr interessiert hat; darum genug der Einwände, die hier notwendig oberflächlich erscheinen müssen und Sie nicht überzeugen können. Sie werden wissen, daß wir Sie einstimmig als Ersten hier vorgeschlagen haben, wir haben den Dekan zum Minister geschickt5 und heute nochmals einen möglichst fulminanten Bericht.6 Vielleicht macht dieser Eindruck, wenn das Ministerium inzwischen nicht etwa schon anders entschieden hat. Denn leider ist ja die Wahrscheinlichkeit a Alternative Lesung in Abschrift: Rationalismus rationalistisch
b Alternative Lesung in Abschrift:
2 Gemeint ist Werner Sombarts „Ideal höchster Produktivität“ (Sombart, Ideale (wie oben, S. 287, Editorische Vorbemerkung), S. 45). 3 Anspielung auf die utilitaristische Maxime Jeremy Benthams, der „das größte Glück der größten Zahl“ als Prinzip postuliert und damit nochmals, nach Adam Smith, den Zusammenhang von Ethik, Politik und Ökonomie im frühen Liberalismus unterstrichen hatte (Bentham, Jeremy, An Introduction to the Principles of Morals und Legislation. An Authoritative Edition by J.H. Burns and H.L.A. Hart with a New Introduction by F. Rosen and an Interpretative Essay by H.L.A. Hart. – Oxford: Clarendon Press 1996, S. 11: „the greatest happiness or greatest felicity principle“). 4 Vgl. Sombarts Ausführungen über die „Heteronomie in der Sozialpolitik“ (Sombart, Ideale (wie oben, S. 287, Editorische Vorbemerkung), S. 25–38). 5 Vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 1. Jan. 1897, oben, S. 269 mit Anm. 3. 6 Am 8. Februar 1897 beschloß die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, einen von Max Weber „vorgelegten Vortrag“ dem Ministerium mit dem Zusatz zu überreichen, „daß sie ihre Vorschläge für die Besetzung der Professur unverändert wiederholt und es insbesondere als ihre Überzeugung ausspricht, daß eine Nichtbesetzung des erledigten Lehrstuhls für das Sommer-Semester eine schwere Schädigung der Interessen des Unterrichts mit sich bringen würde.“ (UA Freiburg i. Br., B 110/329, S. 161; der von Max Weber verfaßte Bericht an das Ministerium vom 8. Febr. 1897 ist weder im Protokollbuch der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, B 110/329, noch in den dazugehörigen Protokollbeilagen, B 110/405, noch in den einschlägigen Ministerialakten, GLA Karlsruhe, 235/43005, ermittelt.)
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trotz allem nicht für Sie. Der alte Herr7 ist zu ängstlich, und es wird, wie es scheint, stark für den Dritten gearbeitet.8
7 Gemeint ist der Großherzog von Baden, Friedrich I. Vgl. auch die betreffende handschriftliche Anmerkung Marianne Webers. 8 Anspielung auf das Engagement Lujo Brentanos für Walther Lotz (vgl. den Brief an Karl Bücher vom 21. Dez. 1896, oben, S. 255, Editorische Vorbemerkung).
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9. Februar 1897
Paul Siebeck PSt 9. Februar 1897; PSt Freiburg i. Br. Karte; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Bezug: Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 8. Februar 1897 (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 42, Bl. 185), in dem sich Siebeck nach der Adresse von Gerhart von Schulze-Gaevernitz erkundigte, dem er eine Sendung zu machen habe.
Sehr geehrter Herr Siebeck! Die Adresse des Prof[.] v. Schulze-Gäv[ernitz] ist Hamburg Holzdamm 65 [.]1 Hochachtungsvoll ergebenst Max Weber
1 Gerhart von Schulze-Gaevernitz hatte sich für das WS 1896/97 beurlauben lassen (Schreiben des Dekans der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an den Senat der Universität Freiburg vom 7. Okt. 1896, GLA Karlsruhe, 235/43005) und hielt sich zwischen dem 4. Januar und 25. März 1897 an seinem Privatwohnsitz in Hamburg auf, wo er in „St. Georg, Holzdamm 65 bei Frau A. Mielck“ gemeldet war. Danach verlegte er seinen Privatwohnsitz nach Berlin (Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg, Einwohnermeldekartei 1892–1925, Signatur 741–4, K 6949, schriftliche Auskunft vom 21.2.2011).
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Carl Johannes Fuchs 20. Februar 1897; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig UB Tübingen, Nl. Carl Johannes Fuchs, Md 875:391, Bl. 1 Der Brief steht in Zusammenhang mit der Berufung von Carl Johannes Fuchs zum Nachfolger Max Webers in Freiburg (vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 21. Dezember 1896, oben, S. 255–257, mit Editorischer Vorbemerkung).
Fr. 20. 2. 97 Sehr geehrter Herr College!
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Die Adreße Schulze’s hatte ich leider verlegt1 und habe sie erst auf Ihr Telegramm hin mit einiger Mühe gefunden. Daher bitte ich um Entschuldigung wegen der Verzögerung der Nachricht. Darf ich, wenn Sie annehmen oder ablehnen, um Drahtnachricht bitten. Beste Empfehlung Ihr ergebenster Max Weber
1 Vgl. dazu die Karte an Paul Siebeck vom 9. Febr. 1897, oben, S. 290.
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24. Februar 1897
Carl Johannes Fuchs 24. Februar 1897; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig UB Tübingen, Nl. Carl Johannes Fuchs, Md 875:391, Bl. 2–3 Der Brief steht in Zusammenhang mit der Berufung von Carl Johannes Fuchs zum Nachfolger Max Webers in Freiburg (vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 21. Dezember 1896, oben, S. 255–257, mit Editorischer Vorbemerkung).
Freiburg 24 II 97 Sehr geehrter Herr College! Nach Empfang Ihres Briefes kann ich meinerseits nur wiederholen, was ich Ihnen mündlich sagte:1 Wir haben Sombart an erster Stelle vorgeschlagen, weil wir ihn für das nach manchen Richtungen bedeutendste Talent unter uns Jüngern und ebenso für den nach Interessenkreis und Lehrmethode speziell für die hiesigen Bedürfnisse Geeignetsten halten. Wir haben diese unsre Ansicht dem Ministerium in den Vorschlägen, 2 ferner mündlich3 und noch einmal schriftlich energisch vorgetragen.4 – Wir haben aber ebenso wenig den geringsten Zweifel darüber gelassen, daß nächst Sombart Sie uns als der für uns Erwünschteste erscheinen, und haben dies nochmals bei unsrer zweiten Eingabe, – dieselbe war ein Antrag von mir an die Fakultät, welcher von dieser dem Minister kraft einstimmigen Beschlusses vorgelegt wurde, 5 – in scharfer Form wiederholt [.] Die ganze Liste, so wie sie vorliegt, ist von der Fakultät einstimmig beschlossen.6
1 Wann Max Weber Carl Johannes Fuchs traf, ist nicht bekannt. 2 Gemeint ist der Bericht der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an das Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 3. Januar 1897 (vgl. dazu den Brief Max Webers an Karl Bücher vom 21. Dez. 1896, oben, S. 255, Editorische Vorbemerkung). 3 Vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 1. Jan. 1897, oben, S. 269 mit Anm. 3. 4 Vgl. dazu die folgende Anm. 5. 5 Es handelt sich um den bereits im Brief an Werner Sombart vom 8. Februar 1897 erwähnten neuerlichen „fulminanten Bericht“, der auf Max Weber selbst zurückgeht und von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät am 8. Februar 1897 übernommen wurde (vgl. dazu den Brief an Werner Sombart vom 8. Febr. 1897, oben, S. 288 mit Anm. 6). 6 Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät beschloß die Berufungsliste am 29. Dezember 1896 ohne Gegenstimmen oder Stimmenthaltungen (vgl. UA Freiburg i. Br., B 110/329, S. 160; vgl. auch Max Webers Brief an Karl Bücher vom 21. Dez. 1896, oben, S. 255, Editorische Vorbemerkung).
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Ich gebe Ihnen diese in keiner Art vertrauliche Erklärung nach Verabredung mit dem mir zur Zeit allein zugänglichen Dekan.7 Die Fakultät als solche würde Ihnen nur Dasselbe erklären können. Wir halten Freitag Sitzung, legen Sie das mindeste Gewicht auf eine formelle Bestätigung dieses Briefesa durch dieselbe, so bitte ich um Drahtnachricht.8 Die Regierung wird Ihnen, zumal öffentlich, nicht leicht Erklärungen geben,9 da dies völlig ungewöhnlich wäre; wir meinen, daß Sie darauf nicht bestehen sollten. Die hiesige capitalistische Presse (Badische Landeszeitung) hat auch Sie sofort als „Kathedersozialisten“ bezeichnet,10 als Ihre Berufung bekannt wurde, mit gleichem Recht und Unrecht, wie mir dies stetig widerfährt.11 Wir glauben also, – so sehr wir Ihre Empfi ndung achten, – daß dieselbe unbegründet ist. Mit bestem Gruße, auch von College Schmidt, Ihr ergebenster Max Weberb
a 〈so〉
b In O folgt: verte!
7 Richard Schmidt. 8 Offensichtlich hat Carl Johannes Fuchs nicht auf einer formellen Bestätigung bestanden, denn auf der Sitzung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät am Freitag, den 26. Februar 1897, wurde die Nachfolgefrage nicht wieder erörtert (UA Freiburg i. Br., B 110/329, S. 162). 9 Obwohl Carl Johannes Fuchs an zweiter Stelle der Liste stand, überging ihn die Regierung zunächst, nachdem sie die Berufung Werner Sombarts verworfen hatte, und erteilte Walther Lotz den Ruf, der an dritter Stelle stand. Erst nach dessen Absage wandte sie sich an Fuchs (vgl. dazu den Brief Max Webers an Karl Bücher vom 21. Dez. 1896, oben, S. 255 f., Editorische Vorbemerkung). 10 In einer Meldung der Badischen Landeszeitung vom 23. Februar 1897 heißt es: „Freiburg, 20. Febr. Wie ich Ihnen aus guter Quelle mitteilen kann, ist für den hiesigen Lehrstuhl für Volkswirtschaft Prof. Fuchs in Greifswald in Vorschlag. Derselbe ist ein Anhänger von Lujo Brentano (also des Kathedersozialismus).“ In: Badische Landeszeitung, Nr. 45 vom 23. Febr. 1897, 2. Blatt, S. 1. 11 Anspielung auf die von konservativer und agrarischer Seite erhobenen Vorwürfe gegenüber allen im Verein für Socialpolitik, im Evangelisch-sozialen Kongreß und im Kreis um Friedrich Naumann engagierten Universitätslehrer, zu denen auch Max Weber zählte. Als dieser als Sachverständiger am provisorischen Börsenausschuß im Reichsamt des Innern teilnahm, bezeichnete ihn der Bund der Landwirte als „Vater der Pfarrer Naumannschen Bewegungen: ‚Das Land der Masse!’“ (Deutsche Tageszeitung vom 20. Nov. 1896, BA Berlin, Reichslandbund, Nr. 3207, Bl. 80, zit. nach: Borchardt, Einleitung, in: MWG I/5, S. 84).
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P.S. Es thut mir leid, daß die Adresse Schulze’s Ihnen so spät zukam.12 Sie konnten aber nur seine jetzige Privatadresse brauchen, diese hatte ich verlegt und fand siec erst nach langem Suchen durch einen Zufall wieder. Ich schrieb ihm meist „Hotel Kronprinz“13 und dies kam (mit Verspätung) an.14 Er ist gelegentlich von Hamburg abwesend, so war er neulich in Berlin. Er hat seinerseits – mir und in der Fakultät – stets gesagt, daß er mit Ihnen besonders leicht und sehr gern zusammenarbeiten werde. – d.O.
c Sie > sie 12 Vgl. dazu den Brief an Carl Johannes Fuchs vom 20. Febr. 1897, oben, S. 291, sowie die Karte an Paul Siebeck vom 9. Febr. 1897, oben, S. 290. 13 Das „Hotel zum Kronprinzen“ befand sich am Jungfernstieg 16 und damit ca. 850 Meter vom Holzdamm, der Wohnung von Gerhart von Schulze-Gaevernitz, entfernt (Hamburger Adreßbuch, Jg. 1897, 5. Abschnitt, S. 1144, schriftliche Auskunft des Staatsarchivs der Freien und Hansestadt Hamburg vom 21.2.2011). 14 Entsprechende Briefe Max Webers sind nicht überliefert.
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Carl Johannes Fuchs 2. März 1897; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig UB Tübingen, Nl. Carl Johannes Fuchs, Md 875:391, Bl. 4–5 Der Brief steht in Zusammenhang mit der Berufung von Carl Johannes Fuchs zum Nachfolger Max Webers in Freiburg (vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 21. Dezember 1896, oben, S. 255–257, mit Editorischer Vorbemerkung).
Freiburg 2. III. 97. Sehr geehrter Herr College!
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Mit großer Freude erhielten wir Ihr freundliches Telegramm, welches allen Schwierigkeiten ein Ende macht.1 Die höchst widerwärtige Preßfehde2 setzte uns naturgemäß in erhebliche Verlegenheit. Wir konnten in Sombarts Interesse – der diesen Erörterungen ganz fern stand – natürlich weder öffentlich noch sonst eine Erklärung abgeben, die ihn gewissermaßen preisgab, oder wünschen, daß die Regierung erklärte, sie habe ihn aus andren als politischen Gründen übergangen.3 Andrerseits mußten wir anerkennen, daß Ihr Zartgefühl durch diesen öffentlichen Spektakel empfi ndlich verletzt werden konnte und sahen uns also vor der Gefahr, daß Ihr Hierherkommen gefährdet würde. Daraus erklärt sich die etwas formelle Fassung meines Briefs [.] 4 Inzwischen ist 1 Es handelt sich um die Zusage von Carl Johannes Fuchs; Max Weber hatte zuvor auf eine Entscheidung gedrängt (vgl. die Briefe an Carl Johannes Fuchs vom 20. und 24. Febr. 1897, oben, S. 291 und 292 f.). Das Telegramm ist in den Fakultätsakten nicht überliefert. 2 Nachdem am 22. Februar 1897 öffentlich bekannt geworden war, daß das badische Kultusministerium Werner Sombarts Berufung abgelehnt hatte, kam es deutschlandweit in der Presse zu einer heftigen Auseinandersetzung um die Berechtigung dieser Entscheidung. Während u. a. die National-Zeitung, die Berliner Neuesten Nachrichten und die Badische Landeszeitung Sombart „extrem-sozialistische Ansichten“ bescheinigten, kritisierten u. a. die Frankfurter Zeitung, die Kieler Zeitung und das Hamburger Echo den Entschluß und ergriffen für Sombart Partei. Vgl. Berliner Neueste Nachrichten, Nr. 80 vom 22. Febr. 1897; National-Zeitung, Nr. 124 vom 22. Febr. 1897; Badische Landeszeitung, Nr. 49 vom 27. Febr. 1897, 2. Bl.; Frankfurter Zeitung, Nr. 53 vom 22. Febr. 1897; Hamburger Echo, Nr. 47 vom 25. Febr. 1897 und Kieler Zeitung, Nr. 17816 vom 26. Febr. 1897, 1. Bl., abends; alle Artikel zitiert nach der Sammlung „Freiburger Berufung“, GStA PK, Nl. Werner Sombart, Nr. 40, Bl. 97, 127, 61, 136, 44 und 43 (Blattangabe in der Reihenfolge der zitierten Zeitungen; vgl. auch Lenger, Werner Sombart, S. 416). Zudem hatte die Badische Landeszeitung Carl Johannes Fuchs am 23. Februar 1897 als „Kathedersozialisten“ diffamiert (vgl. Max Webers Brief an Carl Johannes Fuchs vom 24. Febr. 1897, oben, S. 293 mit Anm. 10). 3 Die näheren Umstände, weshalb Werner Sombart nicht berufen wurde, sind nicht dokumentiert (vgl. Lenger, Werner Sombart, S. 117). 4 Gemeint ist der Brief an Carl Johannes Fuchs vom 24. Februar 1897, oben, S. 292–294.
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nun auch bekannt geworden, daß die hiesige Regierung, unsrem wiederholten Protest zum Trotz, zunächst Lotz berufen hatte. Lotz hat dann – oder vielmehr Brentano für ihn – diesen Ruf, ohne auf ihn überhaupt |:ernstlich:| zu reagieren, einfach geschäftlich ausgenutzt. Ich gestehe, daß er damit für mich tot ist. Er bleibt als Ordinarius ganz derselbe [,] was er als Extraordinarius neben Brentano ist – eine Null und B[rentano]’s Handlanger. Schade um ihn. – Wann werden Sie hier Wohnung aussuchen? Hoffentlich bin ich dann noch hier, so daß wir die Freude haben, auch Ihre Frau Gemahlin, 5 die Sie mitzubringen in Aussicht stellten, kennen zu lernen. Mit Herrn Verlagsbuchhändler Siebeck hier werde ich nun, da Sie einverstanden waren, die Verhandlungen beginnen.6 Mit bestem Glückwünsch für uns und Sie und collegialem Gruß Ihr Max Weber College Richard Schmidt bat mich, Sie bestens zu grüßen.
5 Berta Fuchs. 6 Es handelt sich um die Verhandlungen mit dem Verleger Paul Siebeck über die Einrichtung einer Schriftenreihe, den „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“. Vgl. dazu den Brief an Paul Siebeck vom 26. April 1897, unten, S. 317 f. mit Editorischer Vorbemerkung.
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Carl Johannes Fuchs 10. März 1897; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig UB Tübingen, Nl. Carl Johannes Fuchs, Md 875:391, Bl. 6–7 Der Brief setzt die Korrespondenz über die Berufung von Carl Johannes Fuchs zum Nachfolger Max Webers in Freiburg fort (vgl. dazu den Brief an Karl Bücher vom 21. Dezember 1896, oben, S. 255–257, mit Editorischer Vorbemerkung).
Freiburg iB Schillerstr.a 22 10. III. 97 Verehrter Herr College!
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Besten Dank für Ihren Brief. Die Collegen wünschen, daß ich Ihnen gegenüber nochmals betone,1 daß wir der Regierung gegenüber 3 Mal scharf betont haben, daß von Lotz nur die Rede sein solle, wenn Sombart und Sie etwa nicht zu haben seien. |:Bezüglich Lotz’ war Einstimmigkeit erst in der Gesammtabstimmung vorhanden, vorher entschiedener Widerspruch, während gegen Sie niemals von irgend einer Seite Bedenken aufgetaucht sind.2 (Dies nur für Sie).:| Ihre Misstimmung begreifen wir und teilen sie vollkommen. Aber zu machen ist nichts. – Ich werde, Ihrer Ermächtigung gemäß, nun die ersten Vorverhandlungen mit Siebeck wegen der „Badischen Studien“ zu führen beginnen.3 – Ich bin vom 1ten April ab in Heidelberg, – Anlage 53b 2 Treppen – und hoffe unter allen Umständen Sie dort zu sehen. Wir freuen uns, dann Ihre Frau Gemahlin4 kennen zu lernen, und ich mich auf die gute Nachbarschaft in Baden. Ich bitte Sie s.Z. um Nachricht, damit wir uns nicht verfehlen. – Vor 2 Tagen hat sich hier – wie ich Ihnen, irre ich nicht, schon s.Z. ankündigte – Herr Dr Sieveking (Schüler Bücher’s und Lamprecht’s) b a O: Schillerst.
b 〈hier〉
1 Vgl. bereits den Brief Max Webers an Carl Johannes Fuchs vom 24. Febr. 1897, oben, S. 292, mit den Anm. 2–5. 2 Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät stimmte am 29. Dezember 1896 ohne Gegenstimmen oder Enthaltungen über die Liste ab. Detailliertere Angaben enthält das Protokoll nicht (UA Freiburg i. Br., B 110/329, S. 160). 3 Gemeint sind die Verhandlungen mit dem Verleger Paul Siebeck über die Einrichtung einer neuen Schriftenreihe, den späteren „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ (vgl. dazu den Brief an Paul Siebeck vom 26. April 1897, unten, S. 317 f.). 4 Berta Fuchs.
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habilitiert.5 Er ist wissenschaftlich offenbar als Wirtschaftshistoriker vortreffl ich, mit dem Docieren wird es wohl zunächst sehr hapern. Er will im Sommer hier lesen,6 dann wahrscheinlich Urlaub nehmen für die Fertigstellung seines Genueser Bankwerkes.7 Mit bestem Gruß Ihr ergebenster Max Weber.
5 Heinrich Sieveking hatte in Leipzig bei Karl Bücher und Karl Lamprecht promoviert. Er habilitierte 1897 in Freiburg mit einer Arbeit über das Genueser Bankwesen, die von Max Weber betreut und begutachtet wurde (vgl. dazu die Briefe Max Webers an Heinrich Sieveking, nach dem 28. Jan. 1897, oben, S. 285 f., sowie vom 20. April 1897, unten, S. 315 f., jeweils mit Editorischer Vorbemerkung). Probevorlesung und Habilitationskolloquium fanden am Samstag, den 6. März 1897, statt (UA Freiburg i. Br., B 110/329, S. 162). 6 Im SS 1897 hielt Heinrich Sieveking noch keine Vorlesung in Freiburg; im Vorlesungsverzeichnis für das WS 1897/98 hieß es: „Der Privatdozent Dr. Sieveking wird seine Vorlesungen später bekannt geben.“ (Verzeichnis der Freiburger Vorlesungen, WS 1897/98, S. 6). Die erste Vorlesung wurde im Vorlesungsverzeichnis für das SS 1898 angekündigt. Sieveking las demnach „Finanzwissenschaft“, vierstündig (ebd., SS 1898, S. 6). 7 Die Schrift wurde 1898 und 1899 in zwei Teilen im Rahmen der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ (Sieveking, Genueser Finanzwesen I, II) veröffentlicht.
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Lili Weber 17. März 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 26, Bl. 4–5 Der Brief bezieht sich auf das Ende der Schulzeit und die Konfirmation von Max Webers jüngster Schwester Lili, die am darauffolgenden Wochenende, am Abend des 20. März sowie am Sonntag, dem 21. März 1897, in Charlottenburg stattfand (vgl. die Briefe von Helene Weber an Marianne Weber vom 26. März 1897, sowie von Lili Weber an Max und Marianne Weber vom 2. [April] 1897, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).
Heidelberg 17 III. 97 Meine liebe Lili!
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Da ich wieder einmal hierher verreisen mußte,1 kann ich Dir nur einen kurzen Gruß und Glückwunsch für den morgigen Tag schicken, der Deine Kindheit abschließen soll.2 Nicht Viele werden an diesem Tag an eine so frohe |:erste:| Jugend mit so viel Kinderglück zurückdenken können wie Du, mein „kleinstes“ Schwesterchen, – wenn Dua auch in Deiner äußeren Stattlichkeit diese Titulatur eigentlich nicht mehr beanspruchen kannst, – und wir können es Dir herzlich gern zugestehen, daß Dein eigner heiterer und gleichmäßiger Sinn dazu ebensoviel gethan hat wie Diejenigen, deren Sorge und Zuneigung Dich die Jahre bisher umgab. Du wirst, wenn Du nun bald zum erstenmal über die Schwelle der Heimath gehen sollst,3 das für einige Zeit entbehren müssen, wir denken uns aber, daß Du Dich nicht allzu arg davor gruseln wirst, denn Du hast ja schon bisher mit allerlei sonderbaren Käuzen
a 〈es〉 1 Der Umzug Max und Marianne Webers von Freiburg nach Heidelberg stand unmittelbar bevor. Am 1. April 1897 nahm Weber seine Lehrtätigkeit in Heidelberg auf, der Umzug fand am 31. März 1897 statt (vgl. den Brief an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 20. März 1897, unten, S. 301). 2 Möglicherweise bezieht sich Max Webers Hinweis auf den „morgigen Tag“ auf das Ende der Schulzeit, das für seine Schwester mit der Konfirmation zusammenfiel (vgl. den Brief von Lili Weber an Max und Marianne Weber vom 2. [April] 1897, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 3 Lili Weber sollte, wie bei jungen Mädchen ihres Alter üblich, am 15. Mai 1897 in Pension nach Altmorschen gegeben werden (vgl. den Brief von Helene Weber an Marianne Weber vom 26. März 1897, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Dort hatte 1893 auch Marianne Weber einige Wochen verbracht, um vor ihrer Hochzeit die Grundlagen der Haushaltsführung zu erlernen.
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auskommen müssen, z. B. mit Deinen verschiedenen Brüdern,4 die mit dem „Nestküken“ ein Jeder in seiner Art Fangball gespielt haben oder doch hin und wieder äußerlich und innerlich Miene machten es zu thun, nicht wahr? Das Nestküken ist aber dabei im ganzen doch immer seinen eignen Weg gegangen und wir denken, das wird es auch weiter thun. Den verschiedenen Menschenkindern ist es sehr verschieden leicht gemacht durch ihre Natur, Andren zu gefallen. Dir wird das wahrscheinlich niemals sehr schwer fallen – aber ich bin sicher, Du wirst schon jetzt wissen und auch künftig immer gegenwärtig behalten, daß Das allein noch nichts bedeutet. Wie Du äußerlich wohl von uns allen am meisten unserer Mutter ähnlich gesehenb hast in Deinen Kinderjahren, so möchten wir hoffen, daß künftig, wenn – wie es nun einmal geht – auch Andres als nur harmlose Freuden, gute Freundschaft und die Liebe des Elternhauses Dich umgeben wird, – daß dann soviel von ihrer Art auf Dich übergegangen sein wird, um Dich uns als erwachsene |:und gereifte:| Schwester so lieb zu erhalten, wie wir Dichc gehabt haben, als Du noch ein fröhlich lachendes Kind warst. Ich wüßte Dir heute nichts Anderes zu wünschen, grüße Alle schön und sei selbst herzlich gegrüßt von Deinem nun schon beinahe „alten“ Bruder Max
b 〈s〉
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4 Max, Alfred, Karl und Arthur Weber.
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Großherzogliches Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts, Karlsruhe 20. März 1897; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig UA Heidelberg, PA 2408 Der Brief steht im Zusammenhang mit der Berufung Max Webers an die Universität Heidelberg, wo er am 1. April 1897 seine Lehrtätigkeit aufnahm (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ludwig Arnsperger vom 15. Dezember 1896, oben, S. 248 f.). Das Ministerium wies den Engeren Senat der Universität Heidelberg am 24. März 1897 an, unter Beifügung des im folgenden edierten Briefs Max Webers und der Berechnung der Umzugskostenvergütung, den betreffenden Betrag in Höhe von 778 Mark Max Weber „alsbald nach seinem Aufzug dortselbst zu bezahlen“ (UA Heidelberg, PA 2408).
Freiburg i.B. 20. III. 97
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betrifft: Anweisung des Umzugsgeldes des Professor Dr Max Weber von Freiburg nach Heidelberg. Das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Cultus und Unterrichts
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bitte ich um hochgeneigte Anweisung des mir gesetzlich zustehenden Umzugsgeldes bei der Universitätscasse in Heidelberg, da ich am 31ten d.M. dortselbst eintreffe und die Kosten des Umzugs alsdann sofort aus diesen Bezügen zu bestreiten genötigt bin. Des Hohen Ministeriums ehrerbietigst ergebener Professor Dr Max Weber An das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Cultus und Unterrichts Karlsruhe.
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Edwin R. A. Seligman 22. März 1897; Freiburg i. Br. Brief; von der Hand Marianne Webers mit eigenhändigem Zusatz Max Webers Columbia University Libraries, New York, Archival Collections, Ms Coll/Seligman Anfang März 1897 wandte sich der amerikanische Nationalökonom Edwin R. A. Seligman an Max Weber mit der Bitte um einen Beitrag zu der von ihm seit 1886 mitherausgegeben Zeitschrift „Political Science Quarterly“. Das folgende Antwortschreiben trägt am Briefkopf den eigenhändigen Vermerk Max Webers „(Dictiert)“.
Freiburg iB., 22. 3. 97. Sehr geehrter Herr Kollege, Ich empfi ng mit Vergnügen Ihren vom 9. März datierten Brief und bin gern bereit, Ihnen einen Beitrag für die „Political sciences Quarterly“1 zu geben. Über die Geschichte der Korporationen in Europa im gegenwärtigen Augenblick zu schreiben [,] wäre vielleicht nicht zweckmäßig, da grade jetzt ein junger Gelehrter die Vorgeschichte der „maonae“ und „montes“ in Genua bearbeitet2 und nach einem Vortrag in meinem Seminar3 zu Resultaten zu gelangen scheint, welche von den bisherigen sehr stark abweichen.4 Daher ist es wohl besser, auf die Ergebnisse die1 Gemeint ist die 1886 gegründete und noch heute bestehende Zeitschrift „Political Science Quarterly“. Sie gilt als die älteste amerikanische Zeitschrift für Politikwissenschaft. Zu Edwin R. A. Seligman und seiner Mitarbeit an der Zeitschrift vgl. den Artikel „Seligman, Edwin R. A.“, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, hg. Johannes Conrad u. a., 3. gänzlich umgearbeitete Aufl., 7. Band. – Jena: Gustav Fischer 1911, S. 472 f. 2 Es handelt sich um Heinrich Sieveking, der sich Anfang März 1897 in Freiburg mit einer Arbeit über das Genueser Finanz- und Bankwesen habilitiert hatte (vgl. dazu die Briefe Max Webers an Heinrich Sieveking, nach dem 28. Jan. 1897, oben, S. 285 f., und vom 20. April 1897, unten, S. 315 f., jeweils mit Editorischer Vorbemerkung). In seiner Habilitationsschrift, deren ausgearbeitete Fassung 1898 und 1899 in zwei Teilen im Rahmen der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ veröffentlicht wurde (Sieveking, Genueser Finanzwesen I, II), spielten die mittelalterlichen Staatsgläubigergemeinschaften der „maonae“ oder „montes“ als Vorbilder für die 1407 in Genua gegründete St. Georgsbank (Casa di San Giorgio) eine wichtige Rolle. Bei diesen Organisationen, die seit dem 12. Jahrhundert besonders in italienischen Stadtstaaten aufkamen und korporative Strukturen entwickelten, handelte es sich um Zusammenschlüsse privater Staatsgläubiger zur Finanzierung öffentlicher, auch kolonialer Unternehmungen. Vgl. Meyer, Justus, Haftungsbeschränkung im Recht der Handelsgesellschaften. – Berlin u. a.: Springer 2000, S. 27–35. Zu den „maonae“ in Genua siehe auch: MWG I/22-4, S. 199 f. 3 Heinrich Sieveking referierte am 28. Januar 1897 im Kameralistischen Seminar Max Webers (vgl. Max Webers Brief an Heinrich Sieveking, nach dem 28. Jan. 1897, oben, S. 285, Editorische Vorbemerkung). 4 Die „maonae“ oder „montes“ wurden in der Forschung vielfach als Vorläufer der Aktien-
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ser Untersuchungen, welche hoffentlich im nächsten Winter vorliegen, 5 noch zu warten. Auch könnte ich, weil eben im Begriff nach Heidelberg zu übersiedeln, erst in einigen Monaten daran denken Ihnen einen Aufsatz zu liefern. Wünschen Sie alsdann speciell eine Arbeit auf diesem von Ihnen bezeichneten Gebiete, so werde ich sie Ihnen gern liefern; – andre Themata würden mir zur Zeit näher liegen und ich frage Sie, ob Ihnen eina Aufsatz über die agrarpolitische Lage Deutschlands, oder über die socialen Gründe des Vordringens der Slaven im Osten Deutschlands, oder, falls Sie ein historisches Thema wünschen – über die ökonomische Entwicklung der antiken Kultur genehm wäre? Ich habe über alle diese Gegenstände in den letzten Jahren einiges publiciert,6 aber inzwischen manche neue Gesichtspunkte gefunden. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebener bMax Weber P.S. Müssen Sie den Aufsatz in englischer Sprache haben?b
a O: einen
b Eigenhändig.
gesellschaft bzw. als frühe Kolonialaktiengesellschaft angesehen. Gegen diese Sichtweise, die vorrangig von Levin Goldschmidt vertreten wurde (Goldschmidt, Levin, Universalgeschichte des Handelsrechts, Erste Lieferung, 3. Aufl. – Stuttgart: Ferdinand Enke 1891, S. 295), wandte sich Sieveking: „Man hat in ihnen das Urbild der Aktiengesellschaft gesehen und mystische Zusammenhänge zwischen Staatsschulden und Bankwesen hergestellt.“ (Sieveking, Genueser Finanzwesen I, S. VI). Vgl. auch Sieveking, Genueser Finanzwesen II, S. VI: „Die Casa di S. Giorgio war nicht, wie frühere insonderheit Goldschmidt meinten, eine Aktiengesellschaft, sondern ist eher einem gesetzlichen Mehrheitsverbande nach Art der Konkursgläubiger zu vergleichen.“ 5 Sievekings Arbeit (Sieveking, Genueser Finanzwesen I, II) wurde erst 1898 und 1899 publiziert (vgl. Anm. 2). 6 Vgl. dazu die einschlägigen, in MWG I/4 und I/6 edierten Veröffentlichungen.
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Großherzogliches Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts, Karlsruhe 30. März 1897; Freiburg i. Br. Abschrift; eigenhändig UA Heidelberg, RA 6412 Der folgende Brief ist die von Max Weber eigenhändig angefertigte Abschrift seines Originalschreibens an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 30. März 1897. Max Weber fügte diese seinem Brief an den Engeren Senat der Universität Heidelberg vom 4. April 1897, unten, S. 311, zur Kenntnisnahme bei. Da sein Originalschreiben an das Ministerium in den einschlägigen Beständen im GLA Karlsruhe nicht ermittelt ist, wird im folgenden die eigenhändige Abschrift ediert. Die außerdem überlieferte Abschrift fremder Hand in den Akten der Juristischen Fakultät (UA Heidelberg, H-II-111/114, Bl. 160–161) wird vernachlässigt. In Folge der von Max Weber bei seiner Berufung nach Heidelberg erhobenen Forderungen auf die Errichtung eines eigenständigen Volkswirtschaftlichen Seminars neben dem bestehenden Staatswissenschaftlichen Seminar und der Neuordnung des Staatswissenschaftlichen Doktorexamens (vgl. dazu den Brief an Ludwig Arnsperger vom 15. Dezember 1896, oben, S. 248–254, mit Editorischer Vorbemerkung), hatte das Ministerium den Engeren Senat der Universität Heidelberg am 5. Februar 1897 zu einer Stellungnahme aufgefordert: Nachdem Max Weber in den Berufungsverhandlungen die Errichtung eines selbstständigen Volkswirtschaftlichen Seminars zugesichert worden sei, stelle sich nunmehr die Frage nach der Zukunft des älteren Staatswissenschaftlichen Seminars, ob es in unveränderter oder veränderter Form fortbestehen oder ganz wegfallen solle. Im Falle der Auflösung könnten die staatsrechtlichen Teile mit dem Juristischen Seminar verbunden werden, während die auf die Staatswissenschaften entfallenden Buchbestände sowie entsprechenden Gelder (Aversum) dem neu zu errichtenden Volkswirtschaftlichen Seminar zugeteilt würden. Das Ministerium forderte den Engeren Senat am 5. Februar 1897 dazu auf, mit den beiden beteiligten Fakultäten in Verhandlung zu treten (UA Heidelberg, RA 6412). Beide Fakultäten nahmen daraufhin in einer gemeinsamen Eingabe vom 13. März 1897 Stellung, die der Engere Senat am 19. März 1897 an das Ministerium weiterleitete (UA Heidelberg, RA 6412), welches wiederum Max Weber dazu aufforderte, Position zu beziehen. Das tat Max Weber mit dem im folgenden edierten Schreiben. Weder die Eingabe vom 13. März 1897, noch die Aufforderung des Ministeriums an Max Weber zur Stellungnahme, konnten in den einschlägigen Ministerialakten (GLA Karlsruhe, 235/3140), den Akten der Heidelberger Philosophischen bzw. Juristischen Fakultät (UA Heidelberg, Bestände H-IV-102 bzw. HH-II-111) oder den Akten des Staatswissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Seminars (UA Heidelberg, RA 6412) ermittelt werden. Überliefert ist jedoch der Beschluß, den die Juristische Fakultät faßte und der Philosophischen Fakultät mit der Aufforderung, ihm beizutreten, am 8. März 1897 übermittelte. Dieser Beschluß bildete, wie sich aus der Argumentation Max Webers in dem im folgenden edierten Schreiben ergibt, die Basis der gemeinsamen Eingabe der beiden Fakultäten vom 13. März 1897. Das Schreiben der Juristischen Fakultät „das staatswissensch[aftliche] Seminar betr[effend]“ mit dem entsprechenden Beschluß wurde von dem Dekan, dem Direktor des juristischen Seminars und (Mit)direktor des Staatswissenschaftlichen Seminars, Georg Jellinek, verfaßt. Es lautet: „Der philosophischen Fakultät beehre ich mich, folgenden Beschluß der juristischen Fakultät [. . .] mit der ergebensten Bitte mitzutheilen, demselben beizutreten und ihn als gemeinsamen Antrag beider Fakultäten an den engeren Senat zu unterzeichnen. Es ist in Heidelberg stets eine größere Zahl namentlich ausländischer Studenten vorhanden, die
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sich dem eingehenden Studium der Staatswissenschaften im engeren Sinne (Staatslehre, Politik, Staats- und Völkerrecht) widmen. Zum größten Theile sind diese Studierenden nicht bei der juristischen, sondern bei der philosophischen Fakultät inscribirt, darin sie daneben historisch-philosophische und nationalökonomische, selten jedoch juristische Studien zu treiben pflegen, die ja für den Reichsausländer in der Regel von geringem praktischen Werte sind. Für diese Studierenden bildete bisher das staatswissenschaftliche Seminar den Mittelpunkt ihrer wissenschaftlichen Thätigkeit, wie aus den dort vollendeten Arbeiten hervorgeht, von denen manche im Buchhandel erschienen sind und bei der competenten Kritik auch außerhalb Deutschlands Anerkennung gefunden haben. Es liegt daher nach unserer Überzeugung im Interesse der Universität, daß das staatswissenschaftliche Seminar auch nach Abtrennung der nationalökonomischen Abtheilung als selbständiges Seminar erhalten bleibe. Das juristische Seminar wäre nicht in der Lage, den öffentlich-rechtlichen Fächern eine Bevorzugung vor den privatrechtlichen einräumen zu können. Überdies fallen die Disciplinen der Staatslehre und Politik nur zum Theil unter die Jurisprudenz und könnten daher von der juristischen Fakultät nicht in vollem wünschenswerthen Umfang berücksichtigt werden. Aus den zuletzt angeführten Gründen empfiehlt es sich das in Rede stehende Seminar auch künftig bei der philosophischen Fakultät zu belassen. Die Staatslehre und Politik bilden ein Grenzgebiet zwischen juristischen und philosophischen Disciplinen, weshalb sie auch an unseren Universitäten ausdrücklich der philosophischen Fakultät zugesprochen sind. Dazu kommt aber noch der praktisch bedeutsame Umstand, daß die mit dem speziellen Studium der Staatslehre Beschäftigten häufig die Absicht haben, den philosophischen Doktorgrad zu erwerben und es doch nicht gut angehen würde, eine ganze Kategorie von Studierenden einer anderen Fakultät der philosophischen Fakultät zum Zwecke der Promotion zuzurechnen. Um die Übelstände zu vermeiden, die sich aus dem Mangel eines besonderen Lokales für das staatswissenschaftliche Seminar ergeben, hat die juristische Fakultät genehmigt, daß vorläufig, bis zur Beschaffung besonderer Räumlichkeiten die Bibliothek des staatswissenschaftlichen Seminars im Direktionszimmer des juristischen Seminars aufgestellt werde, wo sie dann von den Seminarmitgliedern [. . .] wie denen des juristischen Seminars benutzt werden könnte. Was schließlich das Aversum des Seminars anbelangt, so würde es genügen, wenn es wie bisher, so auch in Zukunft mit der Hälfte der gegenwärtig dem ungetheilt staatswissenschaftlichen Seminar zugewiesenen Summe ausgestattet werden würde. Jellinek“ (UA Heidelberg, H-II111/114, 1896/97, Bl. 157–158). Max Weber legte seinen Standpunkt dazu in dem im folgenden edierten Brief dar. Als Fazit seiner Überlegungen schlug er vor, das Ministerium möge so lange von einer endgültigen Regelung der Verhältnisse des Staatswissenschaftlichen Seminars absehen, bis eine Einigung aller Beteiligten über die Neuordnung des staatswissenschaftlichen Doktorexamens getroffen worden sei. Entgegen dem Votum Max Webers, mit einer definitiven Neuordnung zu warten, setzte das Ministerium in seinem Erlaß vom 8. April 1897 fest, daß das Staatswissenschaftliche Seminar in der gegenwärtigen Form neben dem neu begründeten Volkswirtschaftlichen Seminar weiter bestehen bleiben solle. Da dasselbe der Philosophischen Fakultät auch weiterhin zugeordnet bleibe, werde Max Weber als Ordinarius für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft und Mitglied der Philosophischen Fakultät „auch künftighin Mitdirektor des Seminars bleiben müssen“. Der Etat (Aversum) des Staatswissenschaftlichen Seminars werde „ungeschmälert“ erhalten, „wobei die seitherige Übung – nach welcher jeder der beiden Direktoren über die Hälfte des Aversumsbetrages verfügungsberechtigt sein soll – auch fernerhin beibehalten werde“. Das besonders Max Weber problematisch erscheinende staatswissenschaftliche Doktorexamen wurde nicht erwähnt. Offener zeigte sich das Ministerium dagegen in Bezug auf den Umgang mit der staatswissenschaftlichen Bibliothek. Obwohl es eine weitere gemeinsame Aufstellung
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der Bibliothek bevorzugte, stellte es den beiden Fakultäten die Entscheidung über eine gemeinsame oder eine getrennte Aufstellung der Bestände frei, solange die Bände des Staatswissenschaftlichen Seminars sowie künftige Neuanschaffungen aus dem entsprechenden Etat äußerlich kenntlich gemacht würden (Brief/Erlaß des Großherzoglichen Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts an den Engeren Senat der Universität Heidelberg vom 8. April 1897, UA Heidelberg, RA 6412). Auf Antrag Max Webers beschloß die Philosophische Fakultät im weiteren Verlauf der Verhandlungen eine getrennte Aufstellung der staatswissenschaftlichen Bibliothek. Der auf Antrag Max Webers gefaßte Beschluß lautete: „‚Die Bibliothek des staatswissenschaftlichen Seminars soll derart seminaristischer Benutzung zugänglich gemacht werden, daß dieselbe in ihrem jetzigen Bestande – im Einverständniß der beiden Direktoren – geteilt wird und die volkswirtschaftlichen Bestandteile im volkswirtschaftlichen Seminar Aufstellung finden, während über die öffentlichrechtlichen Bestandteile Herrn Prof. Dr. Jellinek, bezw. der Juristischen Fakultät die Verfügung vorbehalten bleibt, im Übrigen den Erfordernissen der Ministerialverfügung Genüge geschieht und die künftigen Anschaffungen des Herrn Prof. Weber ebenfalls im volkswirtschaftlichen Seminar Aufstellung finden.‘“ (zitiert im Brief der Philosophischen Fakultät an den Engeren Senat der Universität Heidelberg vom 24. April 1897, UA Heidelberg, RA 6412; die entsprechenden Dekanatsakten der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg, Bestand H-IV-102, sind für diesen Zeitraum nicht überliefert). Nachdem auch die Juristische Fakultät ihr Einverständnis mit der Aufteilung der Buchbestände gegeben hatte (Mitteilung an den Engeren Senat vom 22. Mai 1897, Abschrift, UA Heidelberg, RA 6412), teilte der Engere Senat am 26. Mai 1897 dem Ministerium mit, daß die Fakultäten sich im Einverständnis mit den beiden Direktoren, Max Weber und Georg Jellinek, für eine getrennte Aufstellung ausgesprochen hätten, und zwar dergestalt, daß „die volkswirtschaftlichen Bestandtheile im volkswirtschaftlichen Seminar und die öffentlich-rechtlichen im Direktionszimmer des juristischen Seminars Aufstellung finden“ (Beschluß des Engeren Senats vom 26. Mai 1897, UA Heidelberg, RA 6412). Auch wenn das Staatswissenschaftliche Seminar grundsätzlich in seiner bisherigen Form fortbestand, erreichte Max Weber, daß der nationalökonomische Teil der staatswissenschaftlichen Seminarbibliothek besser als bislang den Studenten der Nationalökonomie zugänglich gemacht wurde, indem er im neu errichteten Volkswirtschaftlichen Seminar unter seiner Leitung aufgestellt wurde (vgl. auch: Mommsen, Einleitung, in: MWG III/1, S. 18 f.). Die Frage nach einer Neuregelung des staatswissenschaftlichen Doktorexamens blieb dagegen unbeantwortet. Eine Revision im Sinne Max Webers fand nicht statt (vgl. die §§ 6 und 7 der Promotions-Ordnung der Philosophischen Facultät zu Heidelberg. – Heidelberg: Universitäts-Buchdruckerei von J. Hörning 1902, S. 5 f., in: UA Heidelberg, H-IV-102/132, Bl. 335).
Freiburg 30.a März 1897 Abschrift. Das Staatswissenschaftliche Seminar zu Heidelberg betreffend. Aufgefordert, mich zu den beiliegend zurückgereichten Eingaben vom 13/19 März d.J. zu äußern, beehre ich mich, dem Hohen Ministerium ehrerbietigst zu berichten: a 29. > 30.
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Bei meiner Berufung war mir die Errichtung eines neuen Seminars neben dem von meinem Herrn Amtsvorgänger1 und Herrn Professor Dr Jellinek gemeinschaftlich geleiteten, mit selbständiger Ausstattung (Aversum etc.), geneigtest zugesagt worden. Ich habe aber keinen Grund, mich der Auffassung dieses Vorganges als eines „Ausscheidens“ der volkswirtschaftlichen Fächer aus jenem Seminar zu widersetzen. Wenn |:dann:| ferner an der Fortexistenz des Restseminars als selbständigen Instituts neben dem Juristischen Seminar Interessen bestehen, – und die Eingabe zeigt, daß dies der Fall ist, – so habe ich dagegen meinerseits Einwendungen nicht zu erheben, stimme also dem Antrag der Eingabe zu, das Seminar – unter beliebigem Namen, – wenn es gewünscht wird, auch unter dem an sich umfassenderen Namen „Staatswissenschaftliches Seminar“, – zu erhalten und, – was die Eingabe offenbar als selbstverständlich ansieht, – der Direktion des Herrn Professor Dr Jellinek |:allein:| zu unterstellen. – Nur scheint es mir alsdann entschieden nicht richtig, dies Seminar, welches Fächer behandelt, für welche nur in der Juristischen Fakultät ein Lehrauftrag erteilt ist, 2 welches demgemäß von einem Mitgliede der Juristischen Fakultät allein dirigiert wird, also einen Direktor hat, auf dessen Berufung der Philosophischen Fakultät ebensowenig der geringste Einfluß zusteht, wie sie sonst in seine Verhältnisse wirksam einzugreifen in der Lage wäre, trotzdem der Philosophischen Fakultät zuzuweisen. Ein solches Institut ist vielmehr thatsächlich, mag es formal wie immer behandelt werden, ein juristisches Institut. Ich vermag auch den Gründen für eine davon abweichende Behandlung, welche in der Eingabe enthaltenb sind, kein Gewicht beizumessen. Die Zugehörigkeit eines Seminars zu einer Fakultät bedingt ebensowenig die Fakultätszugehörigkeit der darin arbeitenden Studenten, wie die Nicht-Zugehörigkeit eines Seminars zu einer Fakultät eine Arbeit, welche in deren Fachkreis fällt |:weil siec in jenem Seminar hergestellt wurde:|, als Doktordissertation disqualificiert. Das bisherige sogenannte „Staatswissenschaftliche Seminar“ äußerte nach übereinstimmender Mitteilung aller Beteiligten seib enthaltend > enthalten
c 〈und〉
1 Gemeint ist Karl Knies. 2 Dies war bei der Staatslehre der Fall, die Georg Jellinek allein unterrichtete; zu der hier und im folgenden angesprochenen Problematik des staatswissenschaftlichen Doktorexamens vgl. auch schon Max Webers Standpunkt während der Berufungsverhandlungen (Brief an Ludwig Arnsperger vom 15. Dez. 1896, oben, S. 248–254, bes. Punkt 2, oben, S. 252–254, mit Editorischer Vorbemerkung).
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ne Existenz lediglich in einem dafür vorhandenen Aversum, aus welchem eine der seminaristischen Benutzung unzugängliche Bibliothek bestritten wurde. Nur die Person des Herrn Professors Dr Jellinekd bildete den Mittelpunkt der in der Eingabe erwähnten Studentenkategorie, nicht irgend ein Institut, am wenigsten jenes nur auf dem Papier bestehende; die von der Eingabe mit Recht gelobten Arbeiten sind im juristischen Seminar hergestellt, soweit sie überhaupt an Räumlichkeiten in ihrer Entstehung gebunden waren. Es ist nicht abzusehen, warum das Institut nicht innerhalb der Juristischen Fakultät neben dem Juristischen Seminar sollte bestehen können. In diesem Einzelpunkte also vermöchte ich mich der Auffassung der Fakultäten nicht anzuschließen, bin vielmehr der Meinung, daß das Restseminar thatsächlich ein Institut der Juristischen Fakultät ist. Trotzdem könnte ich selbst kaum wünschen, daß das Hohe Ministerium, nachdem ich von demselben erst in einem Stadium mit der Angelegenheit befaßt werden konnte, in welchem ein Wunsch der beteiligten Fakultäten bereits formuliert vorliegt, meine Ansicht jenem Wunsche voranstelle; falls das Hohe Ministerium also schon jetzt eine Regelung der Angelegenheit im Sinne der Eingabe für angezeigt hält, würde ich meine abweichende Ansicht in dem Falle gern zurückstellen, daß allseitig die Zuweisung des Seminars als eine reine Formsache anerkannt wird, aus welcher insbesondere Consequenzen und Ansprüche für die Art der Regelung des Staatswissenschaftlichen Doktorexamens nicht, weder jetzt noch künftig, abgeleitet werden dürfen. Wie der Herr Ministerialdezernent mir seiner Zeit bei den Verhandlungen über meine Versetzung mitteiltee, 3 hat das Hohe Ministerium in Bezug auf jenes Examen principiell meinen schriftlich und mündlich vorgetragenen Standpunkt gebilligt, daß ein philosophischer Doktorgrad auf Grund einer Prüfung, bei welcher philosophische Fachvertreter gar nicht oder nur in Nebenfächern mitwirken, eine Abnormität ist, welche nur durch besondre personale Verhältnisse zeitweilig gerechtfertigt werden kann. Es ist nicht nur meine Meinung, daß durch eine Perpetuierungf eines solchen Zustandes der Werth des Heidelbergerg volkswirtschaftlichen Doktorgrades und auch der Werth der Heidelbergerh volkswirthschaft-
d Jellinek, > Jellinek vermutlich Freiburger
e sagte > mitteilte f 〈di〉 g In O Überschreibung; zuvor h In O Überschreibung; zuvor vermutlich Freiburger
3 Der entsprechende Vorgang ist nicht dokumentiert.
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lichen Lehrstelle gedrückt wird.4 Ich erkenne jedoch |:gern:| an, daß zur Zeit ein berechtigtes Interesse |:insbesondre:| des Herrn Professor Dr Jellinek bezw. seiner Schüler daran besteht, daß ihm deren Prüfung im Hauptfache da obliege, wo auf Grund der in der Eingabe erwähnten Kategorie von Arbeiten promoviert wird und ebenso daran, daß der so zu erwerbende Doktorgrad nicht der nach formellen und materiellen Vorbedingungen andersartige juristische sei. Ebenso sehe ich ein, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen die materiellen (pekuniären) Consequenzen der Gestaltung des staatswissenschaftlichen Doktorexamens nicht einfach unbeachtliche sind. Mithin wird zur Wahrung dieser Interessen eine Verständigung über die Gestaltung |:bezw. Umgestaltung:| des staatswissenschaftlichen Doktorexamens gesucht werden müssen, über deren Notwendigkeit alle Beteiligten einig waren und welche schon durch den Umstand, daß das Fach „Allgemeine Staatslehre“ der Fakultät jetzt zweifellos nicht mehr angehört, erfordert wird. Ich bin nicht darüber im Zweifel, daß auch die Eingabe der Fakultäten bei ihren Vorschlägen in letzter Linie |:nur:| die Wahrung jener Interessen in Bezug auf das gedachte Doktorexamen im Auge hat und bei Erzielung einer Regelung desselben, welche ihnen gerecht wird, alle andren Fragen, auch die hier vorliegende, so gut wie gegenstandslos werden. Deshalb erschiene es mir als die zur Zeit allseitig befriedigendste vorläufige Erledigung, – welche zugleich jede Außerachtsetzung eines einmal vorliegenden Fakultätsbeschlusses am besten umginge, – wenn das Hohe Ministerium dahin verfügte, daß die defi nitive Regelung der Verhältnisse des Staatswissenschaftlichen Seminars, Abteilung für öffentliches Recht, bis zur Erzielung einer Verständigung der Beteiligten über die künftige Gestaltung des staatswissenschaftlichen Doktor-Examens auszusetzen sei. Des Hohen Ministeriums ehrerbietigst ergebener Professor Max Weber An das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts.
4 Anspielung darauf, daß die Juristische Fakultät den Doktortitel des „Dr. jur.“ nur sehr restriktiv bzw. für Arbeiten aus dem Staatswissenschaftlichen Seminar gar nicht vergab. Max Weber begriff dieses Verhalten offensichtlich nicht nur als Ausdruck verkappter Standesinteressen, sondern auch als deutliche Herabminderung der noch relativ jungen Disziplin der Nationalökonomie.
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31. März 1897
Heinrich Rickert PSt 31. März 1897; PSt Heidelberg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 25, Bl. 6 Die Karte steht in Zusammenhang mit Max und Marianne Webers Umzug nach Heidelberg, der am 31. März 1897 stattfand (zum genauen Umzugstermin vgl. den Brief Max Webers an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 20. März 1897, oben, S. 301). Max Weber trat am 1. April 1897 seine Professur an der Universität Heidelberg an. Offensichtlich hatte ihm Heinrich Rickert bei seiner Abreise in Freiburg noch einen Hut geliehen.
Lieber Rickert! In der That – der Hut paßt mir zwar sehr gut, während meiner etwas eng war, – aber es ist leider doch Größenwahn, daß er zu meinem Kopf paßt. Ich muß diesen philosophischen Teil meines Haupts wohl auch bis morgen früh behalten, da erst dann meine anderen Hüte ausgegraben werden und alle Geschäfte hier heute Abend schon zu sind. Besten Gruß und vor Allem beste Wünsche Max Weber
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4. April 1897
Engerer Senat der Universität Heidelberg 4. April 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig UA Heidelberg, RA 6412 Der Brief steht in Zusammenhang mit dem Brief Max Webers an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 30. März 1897, oben, S. 304– 309; Max Weber hatte davon eigenhändig eine Abschrift für den Engeren Senat der Universität Heidelberg angefertigt, die er mit dem im folgenden edierten Schreiben übermittelte.
Heidelberg 4. IV. 97. Das [Sta]atswissenschaftlichea Seminar betreffend
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Über die vom Engeren Senat unter dem 19. v.M. weitergereichte Eingabe der Juristischen und Philosophischen Fakultät vom 13. v.M. hat mich s.Z. das Ministerium zum Bericht aufgefordert.1 Ich lege denselben in Abschrift hiermit dem Engeren Senat ergebenst vor zur geneigten Kenntnisnahme. Professor Max Weber An den Engeren Senat zu Händen des Herrn Prorektor2 Magnifi zenz
a Verderbte Stelle in O; Tintenfleck. 1 Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 30. März 1897, oben, S. 304–306. 2 Gemeint ist Heinrich Bassermann.
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12. April 1897
Engerer Senat der Universität Heidelberg 12. April 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig UA Heidelberg, RA 5865 Der Brief steht in Zusammenhang mit dem Antrag Max Webers an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 12. April 1897, unten, S. 313 f.
Heidelberg 12. April 1897 betrifft: bauliche Änderung im Volkswirtschaftlichen Seminar Dem engeren Senat der Universität
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beehre ich mich anliegenden Antrag an das Großherzogliche Ministerium mit der Bitte ergebenst einzureichen, denselben, – soweit erforderlich, nach Einvernehmen mit der Großherzoglichen Bau-Inspektion, – befürwortend geneigtest weiterreichen zu wollen, unter geneigter Beifügung des mit meinem heutigen Antrage betreffend die innere Seminareinrichtung vorgelegten Situationsplans. Des Engeren Senats ergebenster Professor Max Weber Direktor des Volkswirtschaftlichen Seminars.
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An den Engeren Senat der Universität z.H. Seiner Magnifi zenz des Herrn Prorektors1
1 Gemeint ist Heinrich Bassermann.
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Großherzogliches Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts, Karlsruhe 12. April 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig UA Heidelberg, RA 5865 Der Brief steht in Zusammenhang mit der Errichtung des Volkswirtschaftlichen Seminars, die Max Weber bei seiner Berufung an die Universität Heidelberg ausgehandelt hatte. Dafür wurden vom Ministerium Räumlichkeiten im zweiten Stock des Hauses Augustinergasse 13 zur Verfügung gestellt (Mitteilung des Großherzoglichen Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts an den Engeren Senat der Universität Heidelberg vom 12. April 1897; UA Heidelberg, RA 5865). Max Webers im folgenden edierter Antrag auf bauliche Veränderungen dieser Räumlichkeiten wurde am 14. April 1897 von der Bezirks-Bauinspektion Heidelberg und am 20. April 1897 vom Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts genehmigt sowie die dafür nötigen Mittel in Höhe von 80 Mark bereitgestellt (beide Briefe jeweils an den Engeren Senat der Universität Heidelberg, ebd.). Vgl. auch den Brief Max Webers an den Engeren Senat der Universität Heidelberg vom 12. April 1897, oben, S. 312.
Heidelberg 12. April 1897 betrifft: bauliche Veränderung im Volkswirtschaftlichen Seminar 5
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Dem Großherzoglichen Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts beehre ich mich ehrerbietigst die Bitte vorzutragen, Hochdasselbe wolle genehmigen bzw. verfügen, daß die vor den Räumlichkeiten des neu errichteten volkswirtschaftlichen Seminars zur Zeit befi ndliche Glasthür – als Thür a bezeichnet auf dem mit meinem Antrag vom heutigen Tage, betreffend die innere Seminar-Einrichtung, eingereichten Plane1 – kassiert und an die daselbst mit „neu zu schaffende Thür a’“ bezeichnete Stelle versetzt bezw. eine neue Glasthür daselbst beschafft werde. Ich beabsichtige alsdann, die auf dem Plan mit „Thür b“ bezeichnete Thür als solche zu kassieren und mit Bücherbrettern zuzustellen, die neu geschaffene Thür als einzige Eingangsthür des Seminars unter Verschluß zu halten und den als „Gang“ bezeichneten Raum zum Ablegen der Garderobe der Seminaristen zu benutzen. – Die „Thür a“ 1 In der Akte nicht enthalten.
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kann als Seminarthüre nicht fungieren, da durch sie die Bewohner des Oberstocks verkehren müssen; es würden also ohne Schaffung der „Thür a’“ 3 Eingänge |:(b,c,d):| controlliert und innerhalb der sehr engen Seminarräume Gelegenheiten zum Ablegen der Garderobe geschaffen werden. Das Letztere wäre ohne erhebliche Schwierigkeiten derart, daß die Garderobe sicher untergebracht wäre, gar nicht zu erreichen. Die „Thür b“ ist, wenn die Änderung vorgenommen wird, entbehrlich und soll abgeschlossen und zugestellt bleiben. – Die Kosten der Änderung dürften minimale sein. Um den Gang zu erhellen, wird sich bei a’ eine Glasthüre empfehlen. – Um den Unterricht und die Benutzung des Seminars rechtzeitig in vollem Umfang eintreten lassen zu können, dürfte eine Beschleunigung, soweit möglich, dringend rathsam sein. Ehrerbietigst Professor Max Weber Direktor des Volkswirtschaftlichena Seminars
a Staatswissenschaftlichen > Volkswirtschaftlichen
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20. April 1897
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Heinrich Sieveking 20. April 1897; o.O. Abschrift; maschinenschriftlich StA Hamburg, Nl. Heinrich Sieveking Die folgende, auf den 20. April 1897 datierte, Abschrift findet sich in einem Typoskript von Heinrich Sieveking, Erinnerungen 1871–1914, S. 96 f., ebd. Obwohl Max Weber Heinrich Sieveking davon abgeraten hatte, sich noch vor seinem, d. h. Webers, Weggang nach Heidelberg in Freiburg zu habilitieren (vgl. den Brief an Heinrich Sieveking, nach dem 28. Januar 1897, oben, S. 285 f.), entschied sich Sieveking für eine beschleunigte, kumulative Habilitation. Dazu reichte er neben kleineren Schriften und seinen beiden Dissertationen an der Juristischen und der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig den bereits fertiggestellten Teil der geplanten, weit umfassenderen Studie über das Genueser Steuer- und Bankwesen ein. Max Weber begutachtete die Schriften („Gutachten betr. die von Herrn Dr. H. Sieveking zur Habilitation vorgelegten 5 Arbeiten“ vom 1. März 1897, UA Freiburg i. Br., B 110/406, Bl. 53–55; MWG I/13). Probevorlesung und Habilitationskolloquium an der Freiburger Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät fanden am Samstag, den 6. März 1897, statt (UA Freiburg i. Br., B 110/329, S. 162; vgl. Sieveking, Erinnerungen, S. 95); im Verlauf des Kolloquiums wurde Sieveking wider Erwarten nach seinem Probevortrag über den Hamburger Nationalökonomen Johann Georg Büsch von den Juristen „in ein Verhör genommen über alle möglichen anderen Fragen“, auf das er, wie er berichtet, „durchaus nicht vorbereitet war und worin ich äußerst ungünstig abschnitt.“ (Sieveking, Erinnerungen, S. 96). Nach erfolgreicher Habilitation und Ernennung zum Privatdozenten für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft kehrte er nach Genua zurück, wo er seine Studien fortsetzte. Dort traf ein Brief von Max Weber bei ihm ein. Es heißt: „Sehr herzlich schrieb mir auch Max Weber aus Heidelberg:“
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Ich bin so völlig überzeugt, daß bei Ihrer Arbeit etwas herauskommt, womit Sie Ehre einlegen und unsere Wissenschaft nach der historischen Seite in seltenem Maße fördern werden,1 daß es mir förmlich physisch schmerzhaft ist, zu sehen, daß Sie sich die kleine Malträtierung und Schikanierung bei dem Colloquium – denn das war sie – wie es scheint, ernstlich zu Herzen genommen haben. Bitte thun Sie das doch nicht, mir war es wirklich auch kein Genuß, Sie da schinden zu müssen, weil die juristischen Collegen, die Ihren Vortrag doch kaum würdigen konnten, des Teufels waren. – Sie sind Gelehrter in erster Linie, würden sich selbst untreu werden, wenn sie auf die Dozenten-Seite das Schwergewicht legten, und ich kann nur wiederholen, daß ich um Sie eine einzige Befürchtung habe, Ihr Blick möchte zu sehr auf die
1 Heinrich Sievekings Studie erschien 1898 und 1899 ausgearbeitet und in voller Länge im Rahmen der von Max Weber mitherausgegebenen Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen (Sieveking, Genueser Finanzwesen I, II). Vgl. dazu den Brief an Carl Johannes Fuchs vom 10. März 1897, oben, S. 297 f.
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20. April 1897
eine doch recht sehr hazard-artige Seite der sogenannten „akademischen Laufbahn“ abgelenkt werden. Bin ich auch nicht viel älter als Sie, so habe ich doch zu viel – an mir selbst in positivem, an andern in negativem Sinn erlebt, um das nicht empfi nden zu dürfen.
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26. April 1897
Paul Siebeck 26. April 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Dieser Brief eröffnet die Korrespondenz mit dem Verleger Paul Siebeck über die neue Schriftenreihe, die „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“, die Carl Johannes Fuchs (Freiburg i. Br.), Gerhart von Schulze-Gaevernitz (Freiburg i. Br.) und Max Weber planten. Ziel der Reihe war es, dem akademischen Nachwuchs und den Hochschullehrern der badischen Hochschulen die Möglichkeit zu bieten, ihre Dissertationen und sonstigen Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Die Reihe erschien ab 1897 in Einzelheften, die jeweils zu Bänden zusammengefügt wurden. Die Zusammensetzung des Herausgebergremiums wandelte sich mehrfach. Noch in der Konstituierungsphase wurde Heinrich Herkner (Karlsruhe) hinzugezogen; er schied jedoch 1898 wegen seiner Berufung nach Zürich wieder aus, so daß vorübergehend Carl Johannes Fuchs, Gerhart von Schulze-Gaevernitz und Max Weber als alleinige Herausgeber verantwortlich zeichneten. 1901 wurde der Kreis wiederum ergänzt, und Max Webers neuer Heidelberger Fachkollege, Karl Rathgen, kooptiert (vgl. die Karte an Paul Siebeck vom 25. Oktober 1900, unten, S. 770). Max Weber gehörte dem Herausgeberkreis bis Ende 1904 an. Die „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen“ erschienen bis 1902 im Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck); von 1903, d. h. von Band 7, Heft 1 an, wurden sie von der G. Braun’schen Hofbuchdruckerei in Karlsruhe verlegt (vgl. den Brief an Paul Siebeck vom 12. September 1902, unten, S. 857–859). Max Weber führte die Verhandlungen mit dem Verleger Paul Siebeck; der größte Teil seiner Korrespondenz mit ihm drehte sich um die Aushandlung der Verlags- und Redaktionsverträge. Insgesamt wurden drei Verträge mit den jeweiligen Herausgebern abgeschlossen. Der erste im Juli/ August 1897 zwischen dem Verlag und Carl Johannes Fuchs, Heinrich Herkner, Gerhart von Schulze-Gaevernitz und Max Weber; der zweite, bereits sehr umstrittene, nach dem Ausscheiden Heinrich Herkners im Mai 1899, und schließlich, gleichlautend mit dem zweiten, der dritte im November 1900/Januar/März 1901, der nach der Kooptation Karl Rathgens notwendig geworden war. Der besseren Übersichtlichkeit halber werden die Verlagsverträge im Anhang, unten, S. 898–903, wiedergegeben. Dieser und die folgenden Briefe an Paul Siebeck bzw. den Verlag J.C.B. Mohr vom 30. April, 5. und 19. Mai, 27. und 29. Juni, 13., 20., 28. und 30. Juli, 8. August und zwischen dem 4. und 18. September 1897, unten, S. 319 f., 321 f., 332 f., 359, 360, 367, 370, 371 f., 378 f., 383 f. und 435, sowie an Carl Johannes Fuchs vom 1. Juni 1897, unten, S. 336 f., stehen in Zusammenhang mit der Konstituierung der Reihe, der Zusammensetzung des Herausgebergremiums, der Aushandlung des Verlagsvertrags von Juli/August 1897 sowie der Drucklegung des ersten Heftes (Liefmann, Unternehmerverbände) und der Erstellung eines Verlagsprospekts.
Heidelberg Anlage 53b 26. IV. 97 Sehr geehrter Herr Siebeck!
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Wenn es anginge, wäre es jetzt, glaube ich, für alle Beteiligte angenehm, einer greifbaren defi nitiven Festlegung unserer Abmachungen näher zu treten. Wenn also nichts Ihrerseits im Wege steht, so wäre es
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26. April 1897
mir recht angenehm, von Ihnen nunmehr einen Contrakt-Entwurf zu erhalten.1 Herr Professor v. Schulze-Gävernitz, der |:so viel ich weiß:| morgen nach Freiburg zurückkommt, wird Alles, was noch im Zweifel ist, ja leicht mit Ihnen abmachen können. Wie denken Sie Sich den Titel? Es wäre recht wesentlich, daß im Sommer noch ein Heft, – die Kartelle betreffend – erscheinen könnte: Der betreffende Herr würde, wenn er bis Herbst warten müßte, nicht gut in der Lage sein, die sehr gute Arbeit uns zu geben.2 Im Herbst kämen dann mein Heft3 und eine – wie ich schon jetzt sagen kann, ebenfalls sehr gute Arbeit über Mannheimer Getreidehandel.4 Eventuell könnte mit dem ersten Heft aucha die Arbeit eines Schülers des Herrn Prof. v. Schulze über Colbert publiciert werden.5 Ihren freundlichen Nachrichten gern entgegensehend verbleibe ich mit den besten Empfehlungen Ihr stets ergebener Max Weber P.S. Ihrer Expedition wäre ich für die Zusendung von 5 Expl. meiner Antrittsrede6 sehr verbunden.
a Unsichere Lesung. 1 Paul Siebeck sandte Max Weber daraufhin am 30. April 1897 einen ersten Entwurf zu einem Verlags- und Redaktionsvertrag (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 5. Mai 1897, unten, S. 321). 2 Gemeint ist Robert Liefmanns Untersuchung über die Unternehmerverbände, die als erstes Heft des ersten Bandes der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ erschien (Liefmann, Unternehmerverbände). 3 Max Weber plante, selbst ein Heft „Zur preußischen Agrarpolitik“ zu verfassen, wie aus einer entsprechenden Ankündigung in seinem Schreiben an den Verlag J.C.B. Mohr, zwischen dem 4. und 18. Sept. 1897 (unten, S. 435), hervorgeht. Dieses Heft ist nicht erschienen. Vgl. auch den Editorischen Bericht zu: Weber, Max, [Über die Schriftenreihe „Volkswirtschaftliche Abhandlungen“], in: MWG I/4, S. 675. 4 Gemeint ist die Arbeit von Walther Borgius, die allerdings erst 1899 als erstes und zweites Heft des zweiten Bandes der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ erschien (Borgius, Mannheim I, II). 5 Die Arbeit erschien als zweites Heft des ersten Bandes: Hecht, Gustav, Colbert’s politische und volkswirtschaftliche Grundanschauungen (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen. Erster Band, Zweites Heft). – Freiburg i. Br. u. a.: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1898 (hinfort: Hecht, Grundanschauungen). 6 Gemeint ist: Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik.
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30. April 1897
Paul Siebeck 30. April 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Bezug: Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 26. April 1897 (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 43, Bl. 346), in dem Siebeck anfragte, ob auch die Heidelberger Dissertation von Franz Bensing über den „Einfluß der landwirtschaftlichen Maschinen auf Volks- und Privatwirtschaft“ in die projektierte Schriftenreihe „Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ aufgenommen werden solle (zu der Schriftenreihe vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 26. April 1897, oben, S. 317).
Heidelberg Anlage 53b 30. IV. 97. Sehr geehrter Herr Siebeck!
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Ich glaube, es wäre nicht richtig, Arbeiten, die keiner von uns Herausgebern angeregt oder controlliert hat, in die Sammlung zu nehmen. Würden Sie Gewicht darauf legen, würde ich nach einer Form suchen, es zu ermöglichen. Herr Dr Bensing müßte dann seine Arbeit hier einreichen und etwa im Seminar vortragen,1 auch sich gefallen lassen, daß ich mit ihm über deren Gestaltung ins Benehmen trete. Das wird er nicht wollen. –
1 Franz Bensing hat nicht an Max Webers Seminaren teilgenommen; seine Dissertation erschien auch nicht in den „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“. Er reichte seine Dissertation vielmehr an der naturwissenschaftlich-mathematischen Fakultät der Universität Heidelberg ein. Die betriebswirtschaftlich orientierte, ursprünglich an der Universität Göttingen angeregte Doktorarbeit wurde in Heidelberg von dem Dozenten der landwirtschaftlichen Produktions- und Betriebslehre, Professor Adolph Stengel, von der naturwissenschaftlich-mathematischen Fakultät betreut (vgl. Bensing, Franz, Der Einfluß der landwirtschaftlichen Maschinen auf Volks- und Privatwirtschaft. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der naturwissenschaftlich-mathematischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg. – Breslau: Schletter 1897, S. 3 und S. 207).
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30. April 1897
Ich bestätige im Übrigen meinen letzten Brief2 und verbleibe in Erwartung Ihrer weiteren Nachrichten Ihr bestens ergebener Max Weber Die 5 Expl. habe ich richtig erhalten.3
2 Brief an Paul Siebeck vom 26. April 1897, oben, S. 317 f. 3 Max Weber hatte Paul Siebeck am 26. April 1897, oben, S. 318, um die Zusendung von fünf Exemplaren seiner Freiburger Antrittsrede (Weber, Max, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik) gebeten.
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5. Mai 1897
Paul Siebeck 5. Mai 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Der Brief setzt die Korrespondenz über die Gründung der Schriftenreihe „Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ fort (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 26. April 1897, oben, S. 317). Bezug: Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 30. April 1897 (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 43, Bl. 385), dem der erste Entwurf zu einem Verlags- und Redaktionsvertrag zu der projektierten Schriftenreihe „Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ beigefügt war (ebd., Bl. 386–388). Vorgesehen waren drei Herausgeber: Carl Johannes Fuchs, Gerhart von Schulze-Gaevernitz und Max Weber. Siebeck schlug vor, auch Eugen von Philippovich einzubinden (ebd., Bl. 385). Als Reihentitel plante er „Volkswirthschaftliche Abhandlungen aus den staatswissenschaftlichen Seminaren zu Heidelberg und Freiburg i. B.“ (§ 1 des Entwurfs, ebd., Bl. 386). Der Vertragsentwurf war ansonsten in allen wesentlichen Punkten gleichlautend mit dem im Juli/August 1897 unterzeichneten Vertrag (vgl. im Anhang, unten S. 898 f.).
Heidelberg Anlage 53b 5. V. 97. Sehr geehrter Herr Siebeck!
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Den Vertrags-Entwurf, der wohl jedenfalls von uns allen dreien unterzeichnet werden muß, habe ich an Fuchs nach Greifswald geschickt, damit dieser ihn an Schulze-G[aevernitz] schickt. Ich habe als Titel eventuell vorzuschlagen: V[olkswirtschaftliche] A[bhandlungen] aus den staatsw[issenschaftlichen] Sem[inaren] „der badischen Universitäten“ (statt: der U[niversitäten] Heidelberg und Freiburg), „herausgegeben von C[arl] J[ohannes] Fuchs, G[erhart] von Schulze-Gävernitz, Max Weber“. Aber ich lege kein Gewicht darauf und acceptiere auch – fast ebensogern – den Ihrigen. Was Philippovich anlangt, so mache ich keinerlei Schwierigkeiten, wenn die beiden anderen Herrn mit seiner Beteiligung einverstanden sind bezw. sie wünschen. Ein gewisser Schönheitsfehler wäre an sich vielleicht die Beteiligung eines Einzelmitgliedes einer ganz fernlie-
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genden Universität, deshalb habe ich an sich einen positiven Wunsch, daß er aufgefordert wird, nicht.1 Mit bester Empfehlung Ihr stets ergebener Max Weber
1 Eugen von Philippovich lehrte seit seinem Weggang von Freiburg i. Br. im Herbst 1893 Nationalökonomie an der Universität in Wien. Er wurde nicht in den Herausgeberkreis kooptiert; einer späteren Mitteilung Siebecks zufolge lehnte er eine solche Beteiligung ohnehin aus Zeitgründen ab (Paul Siebeck an Max Weber vom 13. Mai 1897, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 43, Bl. 458).
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Clara Mommsen [9. Mai 1897]; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, Vl. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 3, Bl. 11–12 Das Datum ist erschlossen aus dem Datierungsvermerk von Marianne Weber sowie dem Briefinhalt: Der Brief wurde vor dem 10. Mai 1897 geschrieben, denn Max Weber weist auf den erwarteten Besuch Helene Webers hin, den sie erst am 10. Mai absagte (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 14. Mai 1897, unten, S. 325 f.). Daß er ihn in der zweiten Maiwoche verfaßte, ergibt sich auch aus Webers Hinweis auf seine nunmehr fünfwöchige Abstinenz seit dem Umzug nach Heidelberg (am 31. März 1897). Max Weber antwortete auf einen Brief seiner Schwester Clara zu seinem Geburtstag am 21. April. Ihr Ehemann Ernst Mommsen hatte ihm einen Gruß und eine Fotografie von Clara und ihrem kleinen Sohn Konrad (jun.) beigefügt (Brief Clara Mommsens an Max Weber (mit Zusatz von Ernst Mommsen) vom 20. April 1897, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).
Heidelberg Anlage 53b Mein liebes Clärchen!
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Ich kann dir erst heute für Deinen – und Ernst für seinen – freundlichen Gruß und für das hübsche Bild danken, welches den kleinen Burschen in erfreulicher Stattlichkeit, wenngleich mit der Miene eines vom Meuchelmörder mit dem Dolch gekitzelten Tyrannen, und seine Mutter in offenbar bestem Wohlsein vorführt. Seit meinem Geburtstag ist heute eigentlich erst zum ersten Mal etwas Ruhe, die nun, abgesehen von den noch bevorstehenden ca 90–100 Besuchen1 – ein Dutzend ist erledigt – wohl bleiben wird, nachdem das Semester ina Gang ist. – Ich habe nun, um einmal auszuprobieren, was dann aus mir wird, seit 5 Wochen außer an einem Wochentag [,] wo ich mit Marianne Abends auszufl iegen pflege [,] und am folgenden Morgen, wo der ehrwürdige Frühschoppen der Collegen besteht, 2 keinerlei Alkohol zu mir genommen – hingegen täglich zusammen 3–4 Pullen Apollinaris (!), so daß ich meinen Gesammtkonsum davon schon auf 1 Hektoliter schätze. Es hat mir weiter nichts geschadet bisher, auch war es nach den letzten a Alternative Lesung: im 1 Gemeint sind die obligatorischen Antrittsbesuche bei Kollegen der Universität. 2 An der Heidelberger Universität gab es die gesellige Tradition eines Frühschoppens, der jeden Samstag stattfand (vgl. Sauerland, Karol, Heidelberg als intellektuelles Zentrum, in: Heidelberg im Schnittpunkt intellektueller Kreise. Zur Topographie der „geistigen Geselligkeit“ eines „Weltdorfes“: 1850–1950, hg. von Hubert Treiber und Karol Sauerland. – Opladen: Westdeutscher Verlag 1995, S. 12–30, hier: S. 20).
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Wochen in Freiburg, die uns unter Sprit setzten wie die Anatomie-Präparate, in den ersten 8 Tagen ganz angebracht vielleicht. Sonst aber scheint mir, daß es ziemlich Wurst ist, was der Mensch durch sich hindurchrinnen läßt. Nun, ich werde wie der Bürgermeister von Schrimm je 1–2 Monate im Jahr mich zum Kohlensäure-Ballon aufblasen. 3 – Marianne geht in nächster Woche für 1½ Tage nach Freiburg zu Rikkert, in dessen Seminar sie ein Referat (das zweite) halten soll über allerhand nur durch Fremdwörter auszudrückende Dinge,4 und wir freuen uns sehr, dann Mama bei uns zu sehen.5 Hoffentlich wird der Aufenthalt nicht zu kurz, sonst hat er nicht viel Zweck; sie schrieb, daß Du vielleicht zu Pfi ngsten kurze Zeit nach Charlottenburg gehen würdest, ihr die Sorge um den Haushalt vertreiben – das wäre sehr lieb von Dir, – und auch von Ernst. Was macht denn dieser verflixte Schlot von Otto W.6 für Fisimatenten? Oder weshalb meint sie, wegen dieses Kunden zurückkommen zu müssen? Der muß ja dochb nachgerade aus den Windeln heraus sein. Nun Adieu, überlegt Euch, ob Ihr im Sommer einmal mit dem Sprößling in eine Luftcurc hier in die Nähe kommt, und seid herzlichstd gegrüßt von Eurem Max Weber b Unsichere Lesung.
c Unsichere Lesung.
d Alternative Lesung: herzlich
3 Möglicherweise spielt Max Weber auf einen glimpflich verlaufenen Zwischenfall mit einem Ballon in der Nähe der Kreisstadt Schrimm im preußischen Regierungsbezirk Posen an, wo er im Sommer 1891 seine letzte militärische Übung absolviert hatte. Allerdings war es nicht der Bürgermeister von Schrimm, der mit diesem Zwischenfall für Heiterkeit sorgte, sondern ein Hauptmann, ein Gefreiter und ein Lieutenant der Luftschifferabteilung. Meldungen zufolge blieb ihr Ballon an Bäumen hängen und sie „stürzten aus beträchtlicher Höhe herab“. (Vgl. Teltower Kreis-Blatt, Nr. 39 vom 1. April 1890, S. 2). 4 Näheres ist hierzu nicht überliefert. Es könnte sich um ein Referat in Heinrich Rickerts einmal wöchentlich gehaltenem Seminar „Probleme der Ästhetik“ handeln, dessen Termin im Freiburger Vorlesungsverzeichnis allerdings nicht aufgeführt ist. Vgl. Verzeichnis der Freiburger Vorlesungen, SS 1897, S. 11. 5 Zu dem für Mai geplanten und mehrfach verschobenen Besuch, der Anlaß des Bruchs Max Webers mit seinem Vater war, vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 14. Mai 1897, unten, S. 325 f. 6 Gemeint ist wahrscheinlich Max Webers Cousin Otto Weber (jun.), ein Enkel Karl August Webers, aus dem Hamburger Zweig der Familie (vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 487). In ihrem Brief an Marianne Weber vom 26. März 1897 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) berichtet Helene Weber von einem Besuch Otto Webers in Charlottenburg und daß er kurz vor seinem Fähnrichexamen stehe. Am 10. Mai 1897 schrieb sie dann, Otto, dessentwegen sie den Sommer nicht hätte fortgehen können, sei nicht mehr da (Brief Helene Webers an Max und Marianne Weber vom 10. Mai 1897, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).
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Alfred Weber [14.] Mai 1897; Heidelberg Abschrift; maschinenschriftlich ohne Schlußformel, mit Korrekturen von der Hand Marianne Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 4, Bl. 59–60 Die Datierung ist erschlossen aus den Briefen an Clara Mommsen vom 9. Mai 1897, oben, S. 323 f., und an Marianne Weber vom 14. oder 15. Mai 1897, unten, S. 328 f. Der Brief an Clara Mommsen enthält den Hinweis auf Marianne Webers Aufenthalt in Freiburg i. Br. in der kommenden Woche; im zweiten Brief teilt Max Weber seiner in Freiburg weilenden Frau mit, daß er seinem Bruder Alfred geschrieben und den an sie gerichteten Brief von Marie Schnitger geöffnet habe. Am 14. Juni 1897 fand in Heidelberg der Bruch Max Webers mit seinem Vater statt. Den äußeren Anlaß dafür bildete der lange angekündigte, aber mehrfach verschobene Besuch Helene Webers in Heidelberg. Dieser für Mitte Mai vorgesehene Besuch wurde zuerst auf Juli verschoben, dann, nachdem sich Marianne Webers Tante, Marie Schnitger, für Anfang Juli angekündigt hatte, erneut verlegt, und zwar auf den Juni, mit Beginn am 11. Juni 1897. Max Weber sen. beabsichtigte, seine Frau nach Beendigung der Sitzungen des Preußischen Abgeordnetenhauses im Juli in Heidelberg abzuholen. Helene Weber hielt sich zwischen dem 16. und 23. Mai 1897 bei ihren Verwandten in Oerlinghausen auf, bevor sie nach Antwerpen weiterreiste, wo sie ihre Halbschwester, Laura Bunge, bis zum Pfingstwochenende (5. bis 7. Juni 1897) besuchte. Max Weber sen. erfuhr bei seinem Aufenthalt in Oerlinghausen zu Pfingsten, oder meinte zumindest, erfahren zu haben, daß Marie Schnitger nun doch nicht im Juli zu Max und Marianne Weber nach Heidelberg fahren werde, was jedoch nicht den Tatsachen entsprach. Er änderte daraufhin umgehend seine Reisepläne, traf seine Frau direkt nach Pfingsten in Soest und unternahm von dort aus mit ihr und seinem Freund Ferdinand Frensdorff eine ca. einwöchige Rundreise an Ruhr und Rhein. Zugleich entschied er sich, seine Frau nicht nur, wie ursprünglich geplant, im Juli in Heidelberg abzuholen, sondern sie direkt im Anschluß an diese Rundreise nach Heidelberg zu begleiten. Nachdem der Ankunftstermin erneut mehrfach verschoben worden war, traf Helene Weber in Begleitung ihres Mannes am 14. Juni 1897 in Heidelberg ein, wo es noch am selben Abend zur Auseinandersetzung Max Webers mit seinem Vater kam. Der nachfolgende Brief bildet den Auftakt zu einer Reihe von Briefen an Alfred Weber und Marianne Weber, die den Kontext beleuchten, in dem der Bruch Max Webers mit seinem Vater stattfand (vgl. die Briefe an Alfred Weber, am oder nach dem 16. Mai, zwischen dem 31. Mai und 5. Juni, vom 10., 15., 19. Juni, am oder nach dem 22. Juni, vom 23. Juni und vom 13. Juli 1897, sowie den Brief an Marianne Weber vom 14. oder 15. Mai 1897, unten, S. 330, S. 338– 340, S. 341 f., S. 343–347, S. 350–352, S. 353 f., S. 355 und S. 368 f., sowie S. 328 f.). Bezug des im folgenden edierten Briefs: das Schreiben Alfred Webers an Max Weber, undat. [zwischen dem 10. und 14. Mai 1897], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. Am 10. Mai 1897 sagte Helene Weber ihren für Mitte Mai 1897 geplanten Besuch in Heidelberg ab und schlug stattdessen den Monat Juli vor (vgl. Helene Weber an Max Weber vom 18. April 1897, sowie an Max und Marianne Weber vom 10. Mai 1897, beide Briefe: ebd.). Als Grund führte sie an, daß sich ihr Mann übergangen fühle, wenn sie bereits im Mai reise, weil er sie dann auf Grund seiner Verpflichtungen im Preußischen Abgeordnetenhaus nicht abholen könne. Helene Weber berichtete, ihren Mann zitierend: „‚Ihr macht es mir wenn Du jetzt fährst also unmöglich nach Heidelberg zu gehn
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und es ist überhaupt als wäre ich gar nicht da’ fuhr es ihm endlich heraus ‚und es ist doch eine Unnatur, daß wenn ich meine Kinder in Heidelberg habe wo ich so wie so so gern bin ich nicht hin soll, da sie mich nicht wollen.’ “ (Helene Weber an Max und Marianne Weber vom 10. Mai 1897, ebd.). Daraufhin gab es einen offensichtlich kurzen Briefwechsel zwischen Max Weber und seiner Mutter, der in den Familienkorrespondenzen (ebd.) nicht überliefert ist, der sich aber aus dem Bezugsbrief Alfred Webers ergibt. Demzufolge hatte Max Weber, ungehalten über die Änderung der Reisepläne und die Rolle, die er dabei seinem Vater zuschrieb, seiner Mutter einen „für Papa mitgeschriebenen Brief“ gesandt. Helene Weber zeigte diesen Brief ihrem Mann jedoch nicht, und Alfred Weber unterstützte sie bei dieser Entscheidung: „Ich glaube, sie hat, wie die Dinge im Augenblick bei uns liegen, recht darin, wenn sie ihn Papa jetzt nicht giebt. Papa hat thatsächlich gegen Mama’s Alleinsein bei Euch keinen offenen oder latenten Widerstand mehr geleistet; vielmehr hat er das, wie überhaupt das ‚Die-eigenen-Wege-gehen lassen’ jetzt endlich im wesentlichen als etwas Notwendiges und Selbstverständliches eingesehen [. . .] Der Grund, weswegen er die Pläne bezüglich Mama’s Aufenthalt bei Euch so gern umgestaltet hätte, daß Mama erst im Juli zu Euch gekommen wäre, war einfach sein Wunsch eine Veranlassung zu haben auch seinerseits unter der Firma Mama abzuholen etwas in Heidelberg zu sein. Es war, soweit ich die Sache jetzt hier zu beurteilen vermag nicht die bekannte alte ‚Durchkreuzungspolitik’, die Du nach früheren Vorgängen dahinter gesehen hast, sondern thatsächlich lediglich der Gesichtspunkt seines Amüsements, der ihn dabei leitete.“ (Alfred Weber an Max Weber, undat. [zwischen dem 10. und 14. Mai 1897], ebd.).
Heidelberg (Mai 1897). Lieber Alfred! Eben erhalte ich Deinen, vor einer Stunde Mamas Brief.1 So eben ferner einen, in dem sich Tante Marie2 für den Juli ansagt. – Der Sommer ist uns allen verdorben, denn was sollen ca. drei im Juni mühsam der Tante Laura abgerungene Wochen Aufenthalt von Mama hier?3 Wir verzichten darauf besser. Jetzt noch, sodaß er Mama noch antrifft, einen Brief des von ihr gewünschten Inhalts zu schreiben ist gegenstandslos, da wohl schon dieser Brief sie nicht mehr bei Euch treffen wird.4 Ich täte es aber auch nicht, wenn ich dabei die Empfi ndungen und Ansichten, die wir über den unerhörten Vorgang, welchen wir erlebt haben, verhehlen müßte. Denn der Vorgang ist unerhört, selbst wenn Deine Darstellung zutrifft, wonach nicht die übliche, durch „Stimmungen“ 1 Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung, letzter Absatz. 2 Marie Schnitger. 3 Helene Weber wollte „bis den Tag vor Pfingsten“, also den 5. Juni 1897, bei ihrer Halbschwester, Laura Bunge, in Antwerpen bleiben (Helene Weber an Max und Marianne Weber vom 10. Mai 1897, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 4 Helene Weber hatte ihre Abreise für Mitte Mai 1897 von Charlottenburg nach Oerlinghausen geplant, von wo aus sie am 23. Mai 1897 weiter nach Antwerpen fahren wollte (Helene Weber an Max und Marianne Weber vom 10. Mai 1897, ebd.).
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den Boden mürbe machende und dann durch „herausgefahrene Äußerungen“ das Fazit einheimsende Diplomatie vorliegt sondern nur die Tatsache, daß Papas Amüsementbedürfnisse auf Kosten der Gefährdung ernsterer, geistiger Interessen befriedigt werden sollte. Ich bin auch davon offen gestanden noch nicht überzeugt, habe vielmehr den Eindruck, daß Du zur Beruhigung von Mama die Sache milder darstellst denn Deine Darstellung widerspricht Mamas Angabe, daß die jetzt beliebte Regelung „ihr und andern Kämpfe gekostet“ habe.5 Ich bin vorerst nicht gesonnen, Papa, sei es jetzt, sei es zu seinem Geburtstage6 oder später, irgendetwas zu schreiben und werde ihm im Sommer aus dem Wege reisen. Weiter kann ich Mama in ihrem Wunsche Erörterungen vermieden zu sehen, wirklich nicht entgegenkommen. Es handelt sich hier nicht, wie sie schreibt, um „Erziehung“ irgend Jemandes,7 sondern darum, daß Papa sich daran gewöhnt, die Rechte Anderer zu achten oder die Konsequenzen der Nichtbeachtung auf sich zurückfallen zu sehen. Will sie nicht, daß ich ihm Gelegenheit gebe, unsern Standpunkt kennen zu lernen, so bleibt mir nichts übrig als zu schweigen. Mehr aber zu tun, bin ich nicht bereit.
5 In dem Brief Helene Webers an Max und Marianne Weber vom 10. Mai 1897 (ebd.) heißt es über die Entscheidung, den Besuch zu verschieben: „Aber bitte macht mich nicht darin irre, denn es hat mir Kampf genug gekostet und andern auch bis ich zu dem Resultat gekommen“. 6 Max Weber sen. war am 31. Mai 1836 geboren. 7 Als Zitat nicht nachgewiesen; die Passage stammt wahrscheinlich aus dem nicht überlieferten Brief Helene Webers.
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Marianne Weber [14. oder 15. Mai 1897; Heidelberg] Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Hinweis im Brief an Clara Mommsen vom 9. Mai 1897, oben, S. 324: „Marianne geht in nächster Woche für 1½ Tage nach Freiburg zu Rickert“, dem Briefinhalt sowie der Tagesangabe „Freitag Nacht“. Der 14. Mai 1897 war ein Freitag. Der Ort erschließt sich aus dem Briefinhalt. Wie der vorausgehende Brief an Alfred Weber vom 14. Mai 1897, oben, S. 325–327, steht er in Zusammenhang mit dem angekündigten und immer wieder verschobenen Besuch Helene Webers und dem Zerwürfnis zwischen Max Weber und seinem Vater im Juni 1897 (dazu ebd., Editorische Vorbemerkung, S. 325 f.).
Freitag Nacht. Liebes Schnäuzchen! Anbei die Brief-Litteratur. Mamas Brief kam morgens, also zu spät um wenn ich gewollt hätte noch zu schreiben. Ich habe Alfred geschrieben,1 daß Tante Marie2 kommt und daß die paara (ca 3) Juni-Wochen sich nicht lohnten, daß ich meinerseits überhaupt an Papa nicht mehr schreiben würde und den Sommer für uns defi nitiv verdorben halte. Vielleicht kommt ‚nur noch‘ ein Herbstaufenthalt heraus. – Tante Maries Brief machte ich auf, da ich ja wußte, daß er nur die Antwort über ihr Kommen enthalten konnte. Ich schreibe ihr,3 daß wir sie erwarten und werde um Angabe des näheren Termins bitten. Läge dieser erst im Juli,4 so könnten ja noch ca 4 Wochen äußerstenfalls für Mama herauskommen, wenn sie schließlich wirklich kommen will. – Anbei Karte für Killians Dedikation [.] 5 –
a O: par 1 Vgl. den Brief an Alfred Weber vom 14. Mai 1897, oben, S. 326. 2 Marie Schnitger, Marianne Webers Tante aus Lemgo. 3 Der entsprechende Brief Max Webers ist nicht nachgewiesen. 4 Marie Schnitger besuchte Max und Marianne Weber tatsächlich erst am 9. Juli und blieb bis zum 3. August 1897 (vgl. den Brief an Alfred Weber, zwischen dem 31. Mai und 5. Juni 1897, unten, S. 338, sowie den Brief von Marianne Weber an Helene Weber, undat. [4. Aug. 1897], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 5 Gemeint ist vermutlich Max Webers früherer Freiburger Kollege, der Mediziner Gustav Killian. Die Karte, die möglicherweise im Zusammenhang mit dessen bahnbrechenden Leistungen auf dem Gebiet der Bronchoskopie an der Freiburger Poliklinik für Hals- und Nasenkranke stand, ist nicht nachgewiesen.
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Frage doch Schulze bitte, ob ich ihm eigentlich die 18 Mk Caution geschickt habe?6 Ich glaube ziemlich sicher, ich habe es vergessen. – Und ob er den Verlagsvertrag von Fuchs erhalten und an Siebeck weitergegeben habe?7 – Jetzt bist Du hoffentlich schon einen Bergb heraufgekommen, grüße Rickerts8 herzlich. – Als ob alle Satanasse sich zusammenthäten, kam Donnerstag gegen Abend Frl. Welsch angetost.9 Ich war auch weg, sie kommt Montag wieder. Wüßte ich ihre Adresse, schriebe ich ihr. Jetzt ist es spät, ich will zu Bett, schönsten Kuß, mein kleines Philosophenschnäuzchen,10 von Deinem Max
b Fehlt in O; Berg sinngemäß ergänzt. 6 Um welche Kaution für Gerhart von Schulze-Gaevernitz es sich handelt, ist nicht ermittelt. 7 Gemeint ist der Entwurf für einen Verlagsvertrag für die geplanten „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 26. April 1897, oben, S. 317). Max Weber hatte den Entwurf an Carl Johannes Fuchs geschickt und gebeten, ihn anschließend an Gerhart von Schulze-Gaevernitz weiterzuleiten (vgl. den Brief an Paul Siebeck vom 5. Mai 1897, oben, S. 321). 8 Heinrich und Sophie Rickert. 9 Ada Welsch hatte im Frühjahr 1896 mehrere Wochen bei Max und Marianne Weber in Freiburg gelebt (vgl. den Brief an Helene Weber vom 2. Mai 1896, oben, S. 196 f. mit Anm. 11). 10 Anspielung auf Marianne Webers Referat in Heinrich Rickerts Seminar (vgl. den Brief an Clara Mommsen vom 9. Mai 1897, oben, S. 324 mit Anm. 4).
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Alfred Weber [am oder nach dem 16. Mai 1897]; Heidelberg Abschrift; maschinenschriftlich ohne Schlußformel, mit Korrekturen von der Hand Marianne Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 4, Bl. 60 Die Datierung ist erschlossen aus dem Briefinhalt in Verbindung mit dem Brief von Alfred Weber an Max Weber, undat. [16. Mai 1897] (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Die im folgenden edierte Abschrift trägt den handschriftlichen Zusatz von Marianne Weber: „Juni 1897“. Bezug: der Brief von Alfred Weber an Max Weber, undat. [16. Mai 1897] (ebd.) im Zusammenhang mit dem Besuch von Helene und Max Weber sen. 1897 in Heidelberg (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 14. Mai 1897, oben, S. 325 f.). Alfred Weber hatte in seinem Antwortschreiben auf Max Webers Brief vom 14. Mai 1897 nochmals die defensive Haltung Helene Webers gegenüber ihrem Mann zu erklären versucht und auf ihren jetzigen Zustand hingewiesen: „Sie muß erst wieder eine Zeit lang bei Euch gewesen sein, damit sie den jetzigen Schwächezustand innerlich überwindet. Dann wird sie das nötige Rückgrat dafür wieder finden.“
Heidelberg (undatiert) Lieber Alfred! Marianne gibt mir ein Blatt in einen Brief beizulegen.1 – Die Angelegenheit mit Mama muß um ihrer Ruhe willen jetzt wohl ruhen, aber ich hielte es nicht für richtig, wenn getan würde als wäre gar nichts passiert und Mama, wie sie schreibt, sich nun schon wieder an Ernst2 wenden will, damit dieser die „Verstimmung“ beseitigen sollte. Wir sind hier vom 7. Juni bis 9. Juli so wie sich die Sache schließlich gestaltet hat, ganz frei und wissen nicht, ob dies zu irgend einer späteren Zeit wieder der Fall sein wird. Kommt Mam[a] jetzt nicht, so ist Papas Egoismus und Eifersucht damit ein Opfer gebracht, welches wir nicht vergessen werden. Da Mama um keinen Preis will, daß ich Papa meine Meinung über die Sache direkt auseinander setze, bin ich in der Lage, überhaupt nichts tun zu können, weil ich „weit vom Schuß“ bin und Mama dann die Sache auszubaden hat. Tritt nun aber die weitere Folge ein, daß sie Papa noch weiter um seiner „Stimmungen“ willen entgegengekommen ist, dann werde ich eben doch, glaube ich, nicht in der Lage sein, zu schweigen. Es handelt sich nicht nur um dies, sondern vor allem um künftige Jahre. Es ließe sich jetzt gar nichts machen . . .a a Auslassungszeichen in Abschrift. 1 Der Sachverhalt ist nicht aufgeklärt. 2 Ernst Mommsen.
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Engerer Senat der Universität Heidelberg 19. Mai 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig UA Heidelberg, RA 6412 Dieser und die folgenden Briefe vom 1. Juni 1897, unten, S. 334 f., vom 5. Juli 1897, unten, S. 366, sowie vom 3. August 1897, unten, S. 380–382, stehen in Zusammenhang mit der Errichtung des Volkswirtschaftlichen Seminars in Heidelberg (vgl. dazu den Brief an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 12. April 1897, oben, S. 313, Editorische Vorbemerkung).
betrifft: die Instandhaltung des Volkswirtschaftlichen Seminars.
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Dem Engeren Senat beehre ich mich den Antrag ergebenst zu unterbreiten: es möge, nachdem in den nächsten Tagen die nötigen Arbeiten der vorläufigen Instandsetzung des Seminars ihrer Erledigung entgegengehen, für die laufenden Arbeiten: Zimmer-Reinigung und -Lüftung, im Winter Heizung etc. aus den verfügbaren Kräften eine Person bezeichnet werden, welche der Seminardirektion für diese Arbeiten verantwortlich ist, – vielleicht der mit den gleichen Arbeiten im Theologischen Seminar, welches im gleichen Gebäude liegt, beauftragte Diener. Heidelberg 19. V. 1897 Direktion des Volkswirtschaftlichen Seminars Max Weber An den Engeren Senat zu Händen Seiner Magnifi zenz des Herrn Prorektors1
1 Gemeint ist Heinrich Bassermann.
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Paul Siebeck 19. Mai 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Der Brief steht im Zusammenhang mit der Schriftenreihe „Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 26. April 1897, oben, S. 317) und setzt die Korrespondenz mit dem Verleger über Fragen der Drucklegung und den Abschluß des Verlagsvertrags fort. Dazu war Max Weber Anfang Mai der Entwurf zugegangen. Vgl. den Brief an Paul Siebeck vom 5. Mai 1897, oben, S. 321 f., mit Editorischer Vorbemerkung.
Heidelberg Anlage 53b 19. V. 97 Sehr geehrter Herr Siebeck! Den Vertrag schicke ich eben an v. Schulze. Fuchs ist d’accord. Wenn dies auch von Schulze zutrifft, ist also der Vertrag perfekt.1 Ich werde den Herrn Liefmann schon jetzt, vor der Ausfertigung, bitten, sich mit Ihnen wegen des Drucks seiner Arbeit ins Benehmen zu setzen.2 Ihm liegt an sofortigem oder doch baldigem Druck, mit Recht, denn der Werth der Arbeit liegt zum Teil in der absoluten Vollständigkeit der Benutzung alles jetzt vorliegenden Materials. – Er möchte statt des Drucks der 3 Bogen in der vorgeschriebenen Zahl von ca 200 Expl. die 10 Voll-Exemplare haben. Die Fakultät begnügt sich damit.3 Da deren Mitglieder sie sonst doch kaum gekauft hätten, tritt eine Schädigung des Absatzes nicht ein.4 Mit der Form des Drucks und 1 Der Vertrag wurde erst im Juli/August 1897 nach der Kooptation von Heinrich Herkner im Juni 1897 abgeschlossen. Vgl. zu Herkners Kooptation den Brief an Carl Johannes Fuchs vom 1. Juni 1897, unten, S. 336 f. 2 Robert Liefmann wurde im März 1897 von Max Weber an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg promoviert. Vgl. Max Webers Promotionsgutachten vom 6. März 1897, UA Freiburg i. Br., B 110/405, Bl. 385 (MWG I/13). Seine Dissertation über „Unternehmerverbände“ erschien 1897 als erstes Heft des ersten Bandes der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ (Liefmann, Unternehmerverbände). 3 Am 29. April 1897 hatte Robert Liefmann einen Antrag an die Fakultät auf Reduktion der einzureichenden Pflichtexemplare seiner Dissertation gestellt, den Max Weber am 3. Mai, die Fakultät am 8. Mai 1897 unterstützten bzw. positiv beschieden (UA Freiburg i. Br., B 110/406, Bl. 61; MWG I/13). 4 Paul Siebeck stimmte dem zu und bestätigte Max Weber am 21. Mai 1897, daß die zehn Vollexemplare und die entsprechende Genehmigung durch die Fakultät vorgemerkt seien (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 44, Bl. 63).
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der Ausstattung, die Sie wählen, bin ich im Voraus einverstanden, denn ich meine, das müssen Sie leisten. Beste Empfehlung und Gruß Ihr stets ergebener Max Weber
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Engerer Senat der Universität Heidelberg 1. Juni 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig UA Heidelberg, RA 6412
betrifft: Das Volkswirtschaftliche Seminar Dem Engeren Senat beehre ich mich anzuzeigen, daß Herr Professor Dr Leser1 hier nach Abkunft mit mir in das Verhältnis eines „Lehrers am Volkswirtschaftlichen Seminar“ getreten ist und beantrage, diese Anzeige dem Hohen Großherzoglichen Ministerium zur geneigten Kenntnisnahme überreichen zu wollen.2 Heidelberg 1. Juni 1897 Direktion des Volkswirtschaftlichen Seminars Professor Max Weber. An den Engeren Senat der Universität.
1 Gemeint ist Emanuel Leser, der in Heidelberg seit 1881 als a.o. (Titular-)Professor Nationalökonomie und Finanzwissenschaft lehrte. 2 Der Engere Senat zeigte die Ernennung Emanuel Lesers zum „Lehrer am Volkswirtschaftlichen Seminar“ dem Ministerium am 4. Juni 1897 an (UA Heidelberg, RA 6412). Wie dieser Anzeige zu entnehmen ist, war mit der Ernennung weder ein weiterer Lehrauftrag noch irgendeine sonstige Honorierung verbunden. – Max Weber setzte sich parallel dazu dafür ein, daß Emanuel Leser eine a.o. etatmäßige Professur für Nationalökonomie in Heidelberg erhielt, was eine entsprechende Honorierung beinhaltet hätte (vgl. das Schreiben der Philosophischen Fakultät Heidelberg an das Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 14. Mai 1897, in: GLA Karlsruhe 235/3140, Bl. 83, sowie Max Webers Stellungnahme betr. die Errichtung eines Extraordinariats an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg vom 7. Nov. 1898, UA Heidelberg, H-IV-102/130, Bl. 84v und 85r; MWG I/13). Zu einer Ernennung Lesers zum a.o. etatmäßigen Professor ist es nicht gekommen, da an die Stelle der Forderung nach einem etatmäßigen Extraordinariat die nach einem zweiten Ordinariat der Nationalökonomie trat; dafür wurde Leser nicht vorgesehen (vgl. Max Webers Brief an Ludwig Arnsperger vom 27. Dez. 1899, unten, S. 705, Editorische Vorbemerkung).
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betrifft: das Staatswissenschaftliche Seminar, Volkswirtschaftliche Abteilung
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Dem Engeren Senat beehre ich mich anzuzeigen, daß ich die Instandhaltung, Heizung und Reinigung der Volkswirtschaftlichen Seminar-Räumlichkeiten dem Seminardiener Greiner, Schulstraße 4,1 übertragen habe. Ich beantrage, der Engere Senat wolle für diese Arbeiten die Gewährung einer Entschädigung beantragen. Deren Höhe anlangend, so erhält Hr. Greiner für die Arbeiten im Praktisch-Theologischen Seminar 300 Mk., im Wissenschaftlich-Theologischen Seminar 100 Mk. Die Arbeiten im Volkswirtschaftlichen Seminar, welches doppelt so viele Räume wie das Wissenschaftlich-Theologische Seminar zählt, einen Ofen mehr, 1 ½ mal so viele Fenster und viele kleine, in den [??] a Räumen verteilte Tische hat, dürften zwischen den in den beiden gedachten Instituten zu leistenden dem Umfang nach etwa die Mitte halten. 2 Heidelberg 1. Juni 1897 Direktion des Volkswirtschaftlichen Seminars Professor Max Weber An den Engeren Senat der Universität. a Ein Wort nicht lesbar. 1 Es handelt sich um Karl Greiner, wohnhaft in der Schulgasse 4 (vgl. Adreßbuch der Stadt Heidelberg nebst den Stadtteilen Neuenheim und Schlierbach für das Jahr 1897. – Heidelberg: J. Hörning 1897, S. 119). 2 Der Engere Senat hielt eine Honorierung von 100 Mark (pro Jahr) für ausreichend und stellte einen entsprechenden Antrag an das Ministerium (Beschluß und Mitteilung an das Ministerium vom 16. Juni 1897, UA Heidelberg, RA 6412), der am 19. Juni 1897 bewilligt wurde (Brief des Großherzoglichen Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts an den Engeren Senat der Universität Heidelberg vom 19. Juni 1897, ebd.).
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Carl Johannes Fuchs 1. Juni 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig UB Tübingen, Nl. Carl Johannes Fuchs, Md 875:391, Bl. 8–9 Der Brief steht im Zusammenhang mit der Planung der Schriftenreihe „Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen“, deren Titel noch nicht endgültig festgelegt war. Auch die Frage, ob neben Carl Johannes Fuchs, Gerhart von Schulze-Gaevernitz und Max Weber noch ein vierter Herausgeber kooptiert werden sollte, war noch nicht entschieden (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 26. April 1897, oben, S. 317, sowie zur Titel- und Kooptationsfrage den Brief an Paul Siebeck vom 5. Mai 1897, oben, S. 321 f.).
Heidelberg Anlage 53b 1. VI. 97. Lieber College! Verzeihen Sie die im Drange der hiesigen Geselligkeit unpräcise Antwort. 1. Was den Titel anlangt, ist mir an sich Alles gleich. Schulze war mein hingeworfener Vorschlag1 willkommen, weil dadurch z. B. für Sieveking die Möglichkeit gegeben war, sein (vorzügliches) Buch darin erscheinen zu lassen.2 Aus diesem Grunde möchte auch ich bei Ihnen ein gutes Wort dafür einlegen. Erwägen Sie die Sache noch einmal. Die Namen sind schließlich ja doch gleichgültig [.] 2. Herkner wies Schulze s.Z. ab, als icha von ihm sprach. Ich bin nicht grade gegen ihn (die 2te Auflage seines Buchs bessert meine Meinung über ihn immerhin etwas),3 aber ich bin auch nicht grade in der Lage, mich sehr für ihn ins Zeug zu legen. Bisher wurde auf der Grundlage seiner Nicht-Teilnahme verhandelt. |:Dieselbe schien auch Siebeck von Anfang an als selbstverständlich zu behandeln. Ein Seminar hat
a 〈für〉 1 Möglicherweise bezieht sich Max Weber auf seinen Titelvorschlag, den er im Brief an Paul Siebeck vom 5. Mai 1897, oben, S. 321, formulierte. 2 Gemeint ist Heinrich Sievekings Habilitationsschrift bzw. ausgearbeitetes Werk über das Genueser Finanzwesen, das 1898 und 1899 in zwei Teilen in den „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ erschien (Sieveking, Genueser Finanzwesen, I, II). 3 Heinrich Herkners Studie „Die Arbeiterfrage“ von 1894 erschien 1897 in einer stark umgearbeiteten und erweiterten Auflage. Herkner, Heinrich, Die Arbeiterfrage. Eine Einführung. − Berlin: J. Guttentag 1894; 2., völlig umgearb. und stark verm. Aufl. 1897.
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H[erkner].:| Legen Sie entscheidenden Werth auf ihn, dann bitte ich um Nachricht, ich werde mich dann meinerseits nicht sträuben. Schulze kommt nächster Tage hierher und ich sehe ihn dann, werde beide Punkte mit ihm besprechen. Mir sind wie gesagt beide nicht wichtig. Mit collegialem Gruß Ihr Max Weber (Bekommen Sie den Bosse’schen „Praktiker“4 zum Nachfolger?)
4 Wahrscheinlich handelt es sich um eine Anspielung auf den Wiesbadener Amtsgerichtsrat Karl Theodor Reinhold, der wenig später zum WS 1897/98 als a.o. Professor der Staatswissenschaften an die Universität Berlin berufen wurde. Hintergrund waren Auseinandersetzungen zwischen dem preußischen Kultusminister, Robert Bosse, und dem saarländischen Schwerindustriellen, Carl Ferdinand von Stumm-Halberg. Bosse hatte gegenüber den konservativen Angriffen von Stumms auf die preußische Unterrichtsverwaltung, nur „Kathedersozialisten“ auf die nationalökonomischen Lehrstühle zu berufen, erklärt, daß es nahezu unmöglich sei, Nationalökonomen anderer Richtung zu berufen, da alle, ohne Ausnahme, Mitglied im Verein für Socialpolitik seien. Um andere politische Richtungen zu finden, müsse sich die Unterrichtsverwaltung „nach wirthschaftlich durchgebildeten Männern der Praxis“ umsehen und „versuchen, wie weit man sie für eine akademische Lehrthätigkeit auf dem Gebiete der Staatswissenschaften gewinnen“ kann. Er, Bosse, habe dieser Frage auch schon Aufmerksamkeit gewidmet (Sten. Ber. pr. AH, 18. Leg. Per., 4. Sess., 1896/97, Band 3, S. 2383–2387, Sitzung vom 4. Mai 1897, das Zitat S. 2386). Am 28. Mai 1897 replizierte von Stumm darauf im Herrenhaus: „Der Herr Kultusminister meinte, es sei schwer, Gelehrte anderer Richtung zu finden, und man müsse zu dem Zwecke in die Praxis hineingreifen“ (Sten. Ber. pr. HH, 1896/97, Band 1, S. 383). Auch in einem anderen Zusammenhang nahm Max Weber auf diese Kontroverse Bezug (Weber, Max, [Diskussionsbeiträge zum Vortrag von Karl Oldenberg: „Über Deutschland als Industriestaat“], in: MWG I/4, S. 634). Zu Karl Theodor Reinhold vgl. vom Bruch, Rüdiger, Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung. Gelehrtenpolitik im Wilhelminischen Deutschland (1890–1914). – Husum: Matthiesen Verlag 1980, S. 304 f.; zu Carl Johannes Fuchs’ tatsächlicher Nachfolge in Greifswald vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Carl Johannes Fuchs vom 24. Juni 1897, unten, S. 356.
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Alfred Weber [zwischen dem 31. Mai und 5.] Juni 1897; Heidelberg Abschrift; maschinenschriftlich ohne Anrede und Schlußformel, mit Korrekturen von der Hand Marianne Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 4, Bl. 60–61 Das Tagesdatum ist erschlossen aus dem Inhalt des Briefes in Verbindung mit den Briefen Helene Webers an Max und Marianne Weber vom 10. Mai 1897 und Marianne Webers an Alfred Weber vom 31. Mai 1897 (beide: Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Der Brief steht in Zusammenhang mit dem Besuch von Helene und Max Weber sen. 1897 in Heidelberg (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 14. Mai 1897, oben, S. 325 f.) sowie dem Vortrag von Karl Oldenberg über „Deutschland als Industriestaat“ am 10. Juni 1897 auf dem achten Evangelisch-sozialen Kongreß in Leipzig (vgl. auch die Karte an Alfred Weber vom 10. Juni 1897, unten, S. 341 f.). Die im folgenden Brief zitierten Schreiben von Max Weber sen. an Helene Weber sind in den Familienkorrespondenzen im Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, nicht überliefert.
Heidelberg, Anfang Juni 1897 Ich will nunmehr unsern Bericht1 nur dahin vervollständigen, daß Papa jetzt an Mama geschrieben2 und ihr vorgeschlagen hat, jetzt zu fahren und bis zu Tante Maries3 Kommen – 9. Juli – zu bleiben. Mama wird darauf nun wie wir denken eingehen, es sind ja dann vier Wochen ruhige Zeit.4 Er hat auch dabei getan, als sei dies sein Vorschlag gewesen, während er ihr vor acht Tagen noch geschrieben hatte: „Du gingest
1 Marianne Weber hatte am 31. Mai 1897 Alfred Weber berichtet, daß Max Weber sen. geplant habe, Mitte Juli, also noch während des Besuchs von Marie Schnitger, zusammen mit Helene Weber nach Heidelberg zu kommen und daß es natürlich unmöglich gewesen sei, auf diese Vorschläge einzugehen. „In einem so u. so vielten Brief schlug Max dann vor: Mama möge jetzt gleich nach Pfingsten bis zum 7. Juli hierher kommen u. sich dann entweder mit Papa hier im Juli treffen [. . .], oder besser Papa hier im Herbst auf seiner Rückreise von Karlsbad in Empfang nehmen u. eine Zeit lang mit Papa hiersein.“ (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 2 Demzufolge hielt sich Helene Weber noch in Antwerpen bei ihrer Halbschwester Laura Bunge auf. Dort wollte sie, wie sie Max und Marianne Weber am 10. Mai 1897 (ebd.) mitgeteilt hatte, „bis den Tag vor Pfingsten“, also den 5. Juni 1897, bleiben. 3 Gemeint ist Marie Schnitger. 4 Der 9. Juli 1897 fiel auf einen Freitag. Demnach wäre Helene Weber am Freitag, den 11. Juni 1897 in Heidelberg eingetroffen. Das deckt sich mit Max Webers Ankündigung weiter unten (vgl. Zeile 18 mit Anm. 7). Ob zu diesem Zeitpunkt schon die gemeinsame Rundreise an Ruhr und Rhein von Helene und Max Weber sen. in der Woche nach Pfingsten geplant war, ist unklar. Jedenfalls traf Helene Weber weder am 11. Juni noch alleine in Heidelberg ein, sondern erst am 14. Juni 1897 in Begleitung ihres Mannes.
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jetzt nur gegen meinen Willen nach Heidelberg“. Inzwischen wurde ihm wohl deutlich, daß wir uns die Mißachtung unserer Rechte nicht gefallen lassen. Deshalb tut er jetzt so als ob der Vorschlag, den ich gemacht hatte, der seinige sei. Nun, umso besser. Aber für künftig wird man die Konsequenzen ziehen. Er will nun Mitte Juli kommen, Mama abzuholen, während er vorher von Westfalen aus irgendetwas unternehmen und dann kommen wollte, sodaß Mama ca. 8–14 Tage höchstens hier gewesen wäre. Das hat sie natürlich nicht gewollt und wir haben es uns verbeten. . . .a Wir sind zugleich erheitert darüber, daß Papa nunmehr die Sache so dreht, als ob wir Mama nicht haben wollten und gespannt ob nicht auch jetzt noch im letzten Augenblick „Schwierigkeiten“ entstehen. In diesem Fall hätte es dann aber „geschnappt“, denn ich bin diese Manier absolut satt. Ich werde Oldenbergs Referat jedenfalls hören, aber kaum in die Debatte eingreifen, da ich das Zahlenmaterial nicht durcharbeiten kann, wie ich es dazu müßte.5 Nach Berlin zu kommen, ist unmöglich, ich muß sofort nach Mannheim, einer Arbeit eines Schülers über Getreidehandel wegen.6 Freitag Abend7 wollte auch Mama schon kommen. Dein zweiter Aufsatz8 hat mir, wie gesagt, sehr gut gefallen, ich werde ihn nächstens benutzen, wenn ich auf bevölkerungspolitische Arbeia Auslassungszeichen in Abschrift. 5 Karl Oldenberg referierte am 10. Juni 1897 auf dem Evangelisch-sozialen Kongreß über „Deutschland als Industriestaat“, wobei er die These vertrat, daß die deutsche Industrie auf Kosten der Landwirtschaft gefördert werde, was Deutschland langfristig in Abhängigkeit von ausländischen Lebensmittelimporten bringen werde (vgl. Die Verhandlungen des Achten Evangelisch-sozialen Kongresses, abgehalten zu Leipzig am 10. und 11. Juni 1897. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1897, S. 64–104). Trotz seines Vorsatzes griff Max Weber zweimal in die Debatte ein und bezog damit in der sich abzeichnenden Agrar- und Industriestaatsdebatte eindeutig Position für die industrielle Entwicklung und gegen eine Autarkiepolitik (vgl. Weber, Max, [Diskussionsbeiträge zum Vortrag von Karl Oldenberg: „Über Deutschland als Industriestaat“], in: MWG I/4, S. 623–640). 6 Es handelt sich um die Vorbereitung der Dissertation von Walther Borgius über Mannheim und die Entwicklung des südwestdeutschen Getreidehandels. Sie wurde 1898 fertiggestellt (vgl. Borgius, Fruchtmarktgesetzgebung); 1899 erschien sie in zwei Teilen in den „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“. 7 Helene Weber beabsichtigte also am 11. Juni 1897 in Heidelberg einzutreffen (vgl. oben, S. 338 mit Anm. 4). Damit rechnete auch Marianne Weber (Brief von Marianne Weber an Alfred Weber, undat. [11. Juni 1897], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446): „Meine Freundin habe ich nun heute an die Luft gesetzt, da ich hoffte Mama käme schon heute abend!“ 8 Gemeint ist Alfred Webers Aufsatz „Das Sweatingsystem in der Konfektion und die Vorschläge der Kommission für Arbeiterstatistik“ (in: Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik, Band 10, 1897, S. 493–518). Seinen ersten Aufsatz hatte Alfred Weber seinem
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ten zurückkomme.9 Vorerst hat mich die hiesige, selbst im Sommer nicht pausierende Geselligkeit in allem gestört. In allen anderen Beziehungen geht es gut. Die Studenten sind qualitativ anscheinend besser als in Freiburg.
Bruder vor dem 17. Januar 1897 zugesandt (vgl. den Brief Max Webers an Alfred Weber vom 17. Jan. 1897, oben, S. 280 f.). 9 Max Weber plante seit Mitte der 1890er Jahre größere Arbeiten zu den bevölkerungsund nationalpolitischen Folgen des agrarischen Kapitalismus, auf die er sich jedoch zunächst aufgrund der Lehrbelastung, seit 1898 aufgrund seiner zunehmenden Erkrankung nicht konzentrieren konnte (vgl. auch Aldenhoff-Hübinger, Einleitung, in: MWG III/5, S. 35 f.). Der Gegensatz zwischen der Wirtschaftsverfassung im Osten und der im Westen Deutschlands war dabei, so wie in den Artikeln Alfred Webers zur Heimindustrie, konstitutiv.
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Alfred Weber [10. Juni 1897]; PSt Leipzig-Eisenach Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 4, Bl. 44 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „morgen (Freitag)“ im Zusammenhang mit dem Bericht über den Vortrag von Karl Oldenberg am Donnerstag, den 10. Juni 1897, in Leipzig. Der Poststempel (Ausgangsstempel) zeigt nur den Absendeort und den Monat; ansonsten ist das Absendedatum unleserlich. Die Karte wurde laut dem zweiten, dem Auslieferungsstempel, am 11. Juni 1897 zwischen 7:30 Uhr und 8:30 Uhr in Charlottenburg zugestellt. Die Karte steht in Zusammenhang mit dem achten Evangelisch-sozialen Kongreß in Leipzig am 10. und 11. Juni 1897 und dem Vortrag Karl Oldenbergs am 10. Juni 1897 über „Deutschland als Industriestaat“ (vgl. dazu den Brief an Alfred Weber, zwischen dem 31. Mai und 5. Juni 1897, oben, S. 339 mit Anm. 5).
Lieber Alfred!
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Ich kann nicht kommen, denn ich muß unbedingt zurück und hatte morgen (Freitag) Abend bei Bücher schon zugesagt.1 (Auch sonst wäre es kaum möglich gewesen). – O[ldenberg]’s Vortrag dauerte 2¾ Stunden! ich war – von dem Standpunkte natürlich ganz abgesehen – doch offen gestanden recht enttäuscht, er schien mir (ich muß es natürlich noch nachprüfen) teilweise zwar recht scharf und hie und da nicht uninteressant, aber teilweise direkt unwissenschaftlich, schief, nicht ohne Sensations-Bedürfnis. Hoffentlich kommt era nun endlich wirklich in feste Position, 2 dies schien mir ein Produkt nervöser Abspannung. –
a 〈bald〉 1 Es handelt sich offensichtlich um eine Einladung bei dem Nationalökonomen Karl Bücher in Leipzig. Ursprünglich hatte Max Weber noch am Freitag, den 11. Juni 1897, direkt nach dem Kongreß über Mannheim nach Heidelberg zurückfahren wollen, wo er mit dem Besuch seiner Mutter rechnete (vgl. den Brief an Alfred Weber, zwischen dem 31. Mai und 5. Juni 1897, oben, S. 338 f. mit Anm. 4, 6 und 7). Nunmehr plante er, erst nachts nach dem Besuch bei Karl Bücher nach Heidelberg zurückzufahren (vgl. den Brief von Marianne Weber an Alfred Weber, undat. [11. Juni 1897], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446: „Max ist in Leipzig, u. reist wohl heute nacht zurück“). 2 Karl Oldenberg blieb auch nach seiner Habilitation 1891 noch sechs Jahre Redaktionsassistent in Gustav Schmollers „Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich“. Erst im weiteren Verlauf des Jahres 1897 erhielt er eine a.o. Professur in Marburg und 1902 eine o. Professur in Greifswald.
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Glücklicherweise trat Wagner sehr warm für ihn ein,3 ich mußte ihn scharf bekämpfen.4 Herzlichen Gruß Max
3 Adolph Wagner unterstützte Karl Oldenberg mit einem Diskussionsbeitrag, in: Die Verhandlungen des Achten Evangelisch-sozialen Kongresses, abgehalten zu Leipzig am 10. und 11. Juni 1897. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1897, S. 116–122. In der sich wissenschaftlich und publizistisch abzeichnenden Agrar- und Industriestaatsdebatte war Wagner einer der profiliertesten Kritiker der industriestaatlichen Entwicklung. 4 Weber, Max, [Diskussionsbeiträge zum Vortrag von Karl Oldenberg: „Über Deutschland als Industriestaat“], in: MWG I/4, S. 623–640.
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Alfred Weber 15. Juni 1897; Heidelberg Abschrift; maschinenschriftlich ohne Schlußformel, mit Korrekturen von der Hand Marianne Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 4, Bl. 61–64 Der Brief steht in Zusammenhang mit dem Besuch von Helene und Max Weber sen. 1897 in Heidelberg (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 14. Mai 1897, oben, S. 325 f.). Er wurde einen Tag nach der Auseinandersetzung Max Webers mit seinem Vater geschrieben. Die Abschrift trägt den handschriftlichen Hinweis Marianne Webers „nicht drucken“. Aus Antwerpen kommend, wo sie ihre Halbschwester Laura Bunge besucht hatte, traf Helene Weber zunächst ihren Mann in Soest (Westfalen). Von dort aus unternahmen sie erst gemeinsam mit dessen Göttinger Freund Ferdinand Frensdorff eine Rundreise an die Ruhr und fuhren anschließend allein weiter nach Bonn und Koblenz, bevor sie am 14. Juni 1897, drei Tage später als von Helene Weber geplant, in Heidelberg eintrafen (vgl. den Brief von Max Weber sen. an Emilie Benecke vom 19. Juni 1897, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, abgedruckt bei: Roth, Familiengeschichte, S. 528 f.).
Heidelberg, 15. 6. 97. Lieber Alfred!
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Ich reiste natürlich auch zurück, um die Entwicklung betreff Mamas abzuwarten.1 Marianne hat Dir ja berichtet.2 Es kam noch ein Brief, der die Ankunft auf vorgestern, dann ein Telegramm, das sie auf gestern ankündigte. Darauf telegraphierte ich mein Befremden und das Ersuchen, daß Mama entweder nun wirklich oder gar nicht kommen möge3 – sie kam mit Papa, der mit Marianne, die sie an der Bahn empfi ng, sehr jovial zu scherzen suchte, daß er sie ihr ja „gönne“. Sie
1 Max Weber besuchte am 10. und 11. Juni 1897 in Leipzig den Evangelisch-sozialen Kongreß. Der Einladung seines Bruders Alfred nach Berlin folgte er nicht, weil er und Marianne Weber mit der Ankunft Helene Webers am 11. Juni 1897 rechneten (Brief an Alfred Weber, zwischen dem 31. Mai und dem 5. Juni 1897 mit Anm. 4 und 7, oben, S. 338 f., sowie die Karte an Alfred Weber vom 10. Juni 1897 mit Anm. 1, oben, S. 341 f.). 2 Noch während Max Webers Aufenthalt in Leipzig hatte Marianne Weber an Alfred Weber geschrieben, daß sie „eine ziemliche Angst“ habe, „daß es nun doch einen Krach giebt, bes[onders] da Max so gar keine Zeit haben wird sich zu beruhigen.“ Der Grund: Helene Weber habe „gestern“ geschrieben, „Papa habe in Oerlingh[ausen] gehört, Tante Marie käme im Juli nicht zu uns, u. deshalb wolle Papa jetzt gleich mit Frensdorff [reisen] u. kann nach Heidelberg kommen u. bis zum 20. Juni oder so mit ihr hier zusammen sein.“ Brief von Marianne Weber an Alfred Weber, undat. [11. Juni 1897], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 3 Das Telegramm Max Webers ist nicht nachgewiesen.
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schwieg aber. – Abends fand dann hier die Auseinandersetzung statt. Sehr stürmisch und ohne Einigung – d. h. ich brach sie als zwecklos ab. Papa förderte ein solches Meer von Unaufrichtigkeit und dicker Lüge zutage, daß Mama zunächst ganz konsterniert war, und dann jede einzelne von mir ihm vorgehaltene Tatsache bekräftigte. – Er wollte seit Jahren stets seine Aufgabe darin gefunden haben, Mama und Marianne zusammenzubringen. Absolut unwahr sei es, daß er durch seine Verstimmungen zu Mamas Nichtkommen Mitte Mai beigetragen habe. – Ich bezog mich auf Deine Mitteilung,4 worauf ein Wutausbruch gegen Dich erfolgte. – Ich habe so ziemlich alles gesagt, was uns auf der Seele lag, und da jedenfalls in Charlottenburg Auseinandersetzungen folgen werden, bemerke ich nur: erstens, ich habe verlangt, daß festgestellt werde, daß Mama jedes Jahr in Ruhe 4–5 Wochen allein hierherkäme. Natürlich habe ich dies nicht als Anspruch für uns verlangt, sondern ich habe beansprucht, daß Mama berechtigt sein solle ihrem Herzen zu folgen, wenn es sie zu uns treibe. Zweitens, ich habe ihm vorgehalten, daß allein seine Eifersucht der Grund des Zwistes sei. Natürlich handelt es sich um Eifersucht auf die Pflege der bekannten Interessen. Drittens: Ich habe betont, daß in der Beurteilung der Motive seines Handelns wir alle, Mama und Du, wir, Ernst etc. einig seien. Er hat behauptet „ein Teil meiner Geschwister sei über unsere Ansprüche seiner Meinung“ – worauf ich bemerkt habe, daß ich mit diesem Teil brechen, und da er sich auf Clara bezog, die Patenstelle bei deren Kind5 niederlegen würde. – Er beanspruchte seinerseits allein darüber zu verfügen – „nach Pfl icht und Gewissen wie bisher“ – wann Mama hierher käme, das entspräche seiner Stellung als Familienvater etc. etc. Wir hätten die bisherige Praxis „dankbar anzuerkennen und entgegenzunehmen“ u. dgl. – Du wirst Dir selbst denken, was und wie ich auf diese grotesken Unverschämtheiten antwortete. – Ich habe hervorgehoben, daß ich auf die Fortdauer irgendwelcher Beziehungen keinerlei Wert lege, wenn jener
4 Auf welche Mitteilung sich Max Weber bezieht, ist unklar. Möglicherweise handelt es sich um den Brief, den Alfred Weber zwischen dem 10. und 14. Mai 1897 verfaßte (Brief von Alfred Weber an Max Weber, undat. [zwischen dem 10. und 14. Mai 1897], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446); in diesem Brief versuchte Alfred jedoch, das Verhalten des Vaters zu erklären und den sich abzeichnenden Konflikt einzudämmen (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 14. Mai 1897, oben, S. 326). 5 Konrad Mommsen, der Sohn von Ernst und Clara Mommsen.
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Anspruch nicht anerkannt werde und ihn schließlich zur Türe hinauskomplimentiert. Er sitzt mit Mama im Waldhorn,6 um ihr zu zeigen, daß er das Recht habe, hier zu sein, wann er wolle. Und um den Verkehr mit Mama, welche diea Vormittage hierherkommt, zu beschneiden. Das Kindische dieser, nur aus dem sinnlosen Wahnwitz der Eifersucht kommenden Manifestation lächerlichen Trotzes wird ihm ja wohl selbst in nicht allzu langer Zeit aufgehen. Ich habe ihm im Übrigen lediglich anheim gestellt zu machen [,] was ihm beliebe [,] und seines hohen patriarchalischen Amtes in seiner Weise „pfl ichtgemäß“ (wie er sagt) zu walten und dazu bemerkt, daß die Frage, wie sich jetzt die Sache demgemäß äußerlich reguliere, mich absolut nicht interessiere, möge entweder die Mama gar nicht hierherkommen oder auf Grund unseres (und ihres) Rechts – was dazwischen liegt, ändert an meinem Verhalten nichts. Nötigt er Mama jetzt, mit zurückzureisen, so hat er sich damit defi nitiv ins Unrecht gesetzt. – Ich habe klargestellt, daß ich mit ihm über diese Frage nicht verhandeln kann bei seinem jetzigen Standpunkt, denn ich werde selbstverständlich ihn um irgendetwas nicht bitten, am wenigsten um Mamas Hierbleiben. Wir sehen ihn hier nicht und werden ihn auch sonst meiden. – Die Mama, die jetzt nach der Auseinandersetzung weit ruhiger ist, will nun jetzt nach Hause,7 da sie meint, daß die Auseinandersetzung des Papas mit ihr dazu führen könnte, daß Du aus dem Hause gingst und sie allein bliebe, was sie nicht aushalten würde. – Ich meinte, daß Du das doch in Wirklichkeit aus dem gleichen Grunde nicht tun würdest. Es versteht sich, daß wenn du dazu genötigt bist, ich soweit etwa die Finanzseite in Betracht kommt, für Dich einstehe. – Das weißt Du ja – aber es scheint mir, daß es doch ein wenig glücklicher Schritt sein würde, wenn nicht er in ausnahmslos jeder Hinsicht dabei ins Unrecht gesetzt würde; – von Mama ganz abgesehen. – Ich werde Mama sagen, daß ich Dir über den Punkt geschrieben habe, Mama selbst hat im Üba In Abschrift: des 6 Max Weber sen. und Helene Weber hielten sich bis zum 21. Juni 1897 in der Pension „Waldhorn“ in Heidelberg auf, bevor Max Weber sen. allein nach Berlin zurückreiste, um an den Verhandlungen des Preußischen Abgeordnetenhauses teilzunehmen (vgl. den Brief von Max Weber sen. an Emilie Benecke vom 19. Juni 1897, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 7 Tatsächlich blieb Helene Weber nach der Abreise ihres Mannes am 21. Juni 1897 noch mindestens weitere 16 Tage allein in Heidelberg (vgl. den Brief Max Webers an Alfred Weber vom 13. Juli 1897, unten, S. 368 mit Anm. 2).
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rigen vollständig eingesehen, daß die Auseinandersetzung unvermeidlich war. Das war auch der Fall, denn bei der Korrespondenz der letzten Wochen, von welcher Du Dir keine Vorstellung machen kannst, stand mir vor Ekel und Abscheu des Öfteren der kalte Schweiß am Leibe, und ich hätte es einfach physisch so nicht weiter ausgehalten. Jetzt ist mir wohler. Ich bitte Dich nun seinerzeit in Charlottenburg von der Tatsache auszugehen, daß er in einer überhaupt mir noch niemals von irgendjemand vorgekommenen Weise dreist lügt, zumal in Behauptungen über das, was er oder Andere geäußert haben. Es wurde ihm das gestern nachgewiesen, ohne daß es ihn im mindesten erschütterte. Er ist im äußersten Stadium des Paroxysmus der Eifersucht und des kindischen Trotzes und deshalb wirkt nur absolut ablehnende und zugleich die Gründe seines Verhaltens ihm selbst nüchtern vorführende Haltung. So ziemlich alles, was in meinem Briefe von damals stand,8 habe ich ihm gesagt, insbesondere auf seine widerliche Intoleranz von früher als Grund der Sprengung der Familie hingewiesen. Ebenso darauf, daß nur, wenn man Jeden „seine Straße ziehen“ lasse, sich auch nur äußerlich erträgliche Verhältnisse herstellen lassen. Dies gab er übrigens zu. Ich möchte aber auf Deine Bemerkung, daß er darin etwas „gelernt“ habe,9 doch antworten, daß jetzt keine Personen (Voigt,10 Otto Baum-
8 Wahrscheinlich handelt es sich um den „für Papa mitgeschriebenen Brief“, den Max Weber nach der Absage seiner Mutter, Mitte Mai zu kommen, an sie und indirekt an seinen Vater gesandt hatte. Helene Weber und auch Alfred Weber, den Helene Weber ins Vertrauen gezogen hatte, hatten davon abgesehen, diesen Brief Max Weber sen. zu zeigen, weil sie einen Eklat befürchteten (Brief von Alfred Weber an Max Weber, undat. [zwischen dem 10. und 14. Mai 1897], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; vgl. auch die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 14. Mai 1897, oben, S. 326). 9 Alfred Weber hatte geschrieben, daß der Vater das Alleinsein von Helene Weber bei ihren Kindern in Heidelberg ebenso akzeptiert habe, wie „das ‚Die-eigenen-Wege-gehen lassen’“ (Brief von Alfred Weber an Max Weber, undat. [zwischen dem 10. und 14. Mai 1897], ebd. 10 Gemeint ist der Theologe Johannes Voigt, der ehemalige Hauslehrer von Max Webers Bruder Karl. Helene Weber hatte Voigt im Juni 1885, als dieser noch Primaner am Joachimsthaler Gymnasium in Berlin war, als Hilfe für ihren Sohn Karl geworben und später als Hauslehrer eingestellt. Das Verständnis, das sich in religiösen Fragen zwischen ihr und dem angehenden Theologen während dieser Zeit entwickelte, führte bei Max Weber sen. zu dessen Ablehnung und vorzeitiger Entlassung im April 1887 (vgl. den Brief Max Webers an Emmy Baumgarten vom 10. und 11. April 1887, Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/2), sowie Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 152 f., und Völkel, Eduard, Gedenket Eurer Lehrer! D. Johannes Voigt 1866–1932. Pastor und Bruder-
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garten, Göhre,11 wir) außer Dir, der sich zur Zeit vergräbt, hinter diesen Interessen stehen und deshalb seine Eifersucht nicht geweckt wird. – Sollte – was ich nicht annehme, was aber möglich ist – sich aus der jetzigen Situation ein defi nitiver Bruch entwickeln, auch mit Dir, sodaß Du aus dem Hause gehst, dann würde ich voraussichtlich zum Frühjahr meine Professur kündigen und nach Berlin ziehen. (N.B.! Als Haupttrumpf glaubt Papa ausspielen zu können, er behalte sich vor, sich hier ein Haus zu kaufen – !! –) Ich habe ihn lediglich verspottet wegen dieser Kinderei. – Ich bitte Dich um Nachricht über Klara und Ernsts Verhalten,12 welches in sehr seltsamen Licht erscheint. Verzeih im Übrigen den sehr eiligen Bericht, ich habe wie toll zu tun neben dieser erbärmlichen Geschichte . . .b
b Auslassungszeichen in Abschrift. hausvorsteher in Rickling 1911–1928, o.O. und Jahr [Rickling 1956], S. 7 f., in: Landeskirchliches Archiv Kiel, Bestand 94, Sammlungen: Dokumentation, Nr. 709). 11 Es handelt sich um Paul Göhre, dem Helene Weber über gemeinsame religiöse und soziale Interessen ebenso eng verbunden war wie ihrem Neffen Otto Baumgarten. Zu Beginn der 1890er-Jahre waren beide häufig in Berlin bei Helene Weber zu Gast. 12 Alfred Weber berichtete seinem Bruder daraufhin, wie Ernst und Clara Mommsen Max Weber sen. „in der unglaublichsten Weise verwöhnt“ hätten. „Wesentlich trägt zu ihrer ganzen Haltung wohl bei, daß sie ja noch pekuniär von Papa abhängig sind“ (Alfred Weber an Max Weber, undat. [nach dem 15. Juni 1897], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).
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Carl Johannes Fuchs 19. Juni 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig UB Tübingen, Nl. Carl Johannes Fuchs, Md 875:391, Bl. 10–11 Dieser und der folgende Brief an Carl Johannes Fuchs vom 24. Juni 1897, unten, S. 356–358, stehen im Zusammenhang mit der Planung des sozialwissenschaftlichen Kursus, der gemeinsam von der Evangelisch-sozialen Vereinigung für Baden und der Evangelisch-sozialen Konferenz für Württemberg vom 4. bis 8. Oktober 1897 in Karlsruhe veranstaltet wurde. Der Kursus wurde nach dem Vorbild der bereits vom Verein für Socialpolitik und vom Evangelisch-sozialen Kongreß durchgeführten Kurse konzipiert und richtete sich an ein breites, aber gebildetes bürgerliches Publikum. An mehreren aufeinanderfolgenden Tagen wurden jeweils Vorlesungen von namhaften Fachleuten zu ausgewählten Themen gehalten. Max Weber war wie sein ehemaliger Freiburger Fachkollege Gerhart von Schulze-Gaevernitz und der Verleger Paul Siebeck Mitglied der Evangelisch-sozialen Vereinigung für Baden und bemühte sich, weitere Kollegen für eine Mitwirkung zu gewinnen. Gesucht wurden Referenten für nationalökonomische, sozialpolitische und kommunalpolitische Themen. Trotz seiner Bemühungen konnte er Carl Johannes Fuchs nicht zur Teilnahme bewegen. Vgl. ausführlich zum Aufbau und zur Durchführung des Kursus sowie zu Max Webers eigenen Beiträgen zum Thema „Agrarpolitik“ MWG I/4, S. 826–841, sowie S. 900–903.
Heidelberg, Anlage 53b 19/VI 97 Lieber College! Ich komme nun auf meine Bitte und Anfrage, ob Sie nicht im Oktober bei dem Cursus mitmachen wollen, auf nochmalige Anregung der andren Herren zurück. Es wäre wirklich sehr wünschenswerth. Bisher scheint festzustehen: Herkner: Gewerkschaften1 Lautenschlager: „Communalpolitik“ – (wahrscheinlich) 2 Losch: Bevölkerungsfragea3 Tröltsch (Heidelberg): Sozialethik (vielleicht) 4 Weber: Agrarwesen. a Bevölkerungspolitik > Bevölkerungsfrage 1 Heinrich Herkner las über „Unternehmer- und Arbeiterverbände“ (vgl. den von Max Weber unterzeichneten „Aufruf zum Besuch eines sozialwissenschaftlichen Kursus in Karlsruhe vom 4. bis 8. Oktober [1897]“, in: MWG I/4, S. 902 f.). 2 An Stelle des Stuttgarter Kommunalpolitikers Karl Lautenschlager referierte der Frankfurter Stadtrat Karl Flesch über Kommunalpolitik (vgl. MWG I/4, S. 827). 3 Hermann Losch, Nationalökonom und Finanzassessor am Statistischen Landesamt in Stuttgart, referierte über das „Bevölkerungsproblem“ (vgl. „Aufruf“, wie Anm. 1, S. 902 f.). 4 Der Heidelberger Theologe Ernst Troeltsch nahm nicht teil; das Thema „Sozialethik“ wurde auch anderweitig nicht vergeben (vgl. ebd.).
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Um Ihnen – ganz unvorgreifl ich – einige wegen weiterer Themata gehegte Wünsche zu unterbreiten, so war als höchst erwünscht, bezeichnet: „Mittelstand[s]politik“ bzw. „Groß- u. Kleinbetrieb“ (dem Sinne nach im Wesentlichen mit Gewerbepolitik bzw. Handwerkerfrage identisch) 5 oder – dies nach Herkner’s Meinung: Handelspolitik.6 – Letzteres hielte auch ich für sehr wichtig, wenn wir es bekommen könnten. Aber bitte machen Sie selbst Vorschläge, wenn Sie Sich entschließen, und – vor allen Dingen – entschließen Sie Sich und machen Sie mit! – Obb die Sache mit Siebeck nun im Reinen ist, wird mir ja wohl morgen Schulze-Gävernitz erzählen. Ich bin wie gesagt mit Allem einverstanden.7 – Beste Empfehlung höheren Orts und besten Gruß Ihr Max Weber
b Ist > Ob 5 Über „Handwerkerfrage“ referierte der Tübinger Nationalökonom Walter Troeltsch (ebd.). 6 Gerhart von Schulze-Gaevernitz übernahm das Thema „Handelspolitik“ (ebd.). 7 Es handelt sich um die laufenden Verhandlungen, die Carl Johannes Fuchs, Gerhart von Schulze-Gaevernitz und Max Weber mit Paul Siebeck über die Gründung der Schriftenreihe „Die Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ führten (vgl. dazu den Brief an Carl Johannes Fuchs vom 1. Juni 1897, oben, S. 336 f., mit Editorischer Vorbemerkung).
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Alfred Weber 19. Juni 1897; Heidelberg Abschrift; maschinenschriftlich ohne Schlußformel, mit Korrekturen von der Hand Marianne Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 4, Bl. 64–66 Der Brief steht in Zusammenhang mit dem Besuch von Helene und Max Weber sen. 1897 in Heidelberg und dem Bruch Max Webers mit seinem Vater am 14. Juni 1897 (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 14. Mai 1897, oben, S. 325 f., sowie den Brief an Alfred Weber vom 15. Juni 1897, oben, S. 343–347, mit Editorischer Vorbemerkung). Max Weber bekräftigt in dem folgenden Brief nochmals seinen Standpunkt. Insbesondere bezieht er sich auf das Verhalten seines Vaters seit Pfingsten (6./7. Juni 1897), d. h. auf die Rundreise, die Max Weber sen. mit seiner Frau im Anschluß an deren Besuch in Antwerpen in der Woche nach Pfingsten unternahm. Zu Beginn dieser Reise fiel wohl die Entscheidung von Max Weber sen., seine Frau direkt im Anschluß daran für eine Woche nach Heidelberg zu begleiten. Er ging dabei offensichtlich davon aus, daß Marianne Webers Tante, Marie Schnitger, ihren Besuch verschoben habe und nicht Anfang Juli nach Heidelberg kommen werde, sodaß Helene Weber noch genug Zeit allein bei ihren Kindern verbringen könnte (vgl. den Brief an Alfred Weber vom 15. Juni 1897, oben, S. 343, Anm. 2).
Heidelberg, den 19. 6. 97. Lieber Alfred! Es ist möglich, daß Papa nach seiner Rückkehr auf die höchst unerquicklichen Erörterungen hier zu sprechen kommt.1 Wir haben das Interesse, daß unser Standpunkt dabei nicht unrichtig dargestellt wird, und diese Gefahr besteht, da Papa sich hier mit den Tatsachen fortlaufend in Widerspruch befand, während – wie ich statt alles näheren Eingehens auf den Tatbestand nur bemerken will, Mama unsere Sachdarstellung in allen einzelnen Punkten ohne irgendwelche Ausnahme als richtig bestätigte. Ich begnüge mich nur, festzustellen, daß aauch die einzigea noch bisher für uns unkontrollierbare Angabe Papas: Wina2 habe „positiv und bestimmt zwei mal behauptet zu wissen“ (wörtlich!) [,] daß Tante Marie3 nicht kommen werde, sich als unrichtig herausgestellt hat: Wina hat wie sie briefl ich versichert, lediglich beia In Abschrift: auf die einzigen 1 Max Weber sen. hielt sich noch gemeinsam mit seiner Frau in der Pension „Waldhorn“ in Heidelberg auf; er reiste erst am 21. Juni 1897 alleine nach Berlin zurück (vgl. den Brief an Alfred Weber vom 15. Juni 1897, oben, S. 345, Anm. 6). 2 Es handelt sich um Alwine Müller, eine Cousine von Max Weber und Tante von Marianne Weber aus Oerlinghausen. 3 Marie Schnitger.
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läufig im Gespräch erwähnt, sie habe davon gehört, daß „vielleicht“ – Tante Marie nicht kommen würde (Woher? werde ich noch von ihr zu wissen verlangen). Ob dies der Fall war, konnte Papa durch eine telegraphische Anfrage bei uns sofort feststellen. Statt dessen behauptete er Mama gegenüber das Obige und enthielt sie, obwohl er ihren bsehnlichen Wunsch nach Ruheb bei uns kennt, zum Zweck seines Amusements uns abermals seit anderthalb Wochen vor; – Wir erheben den Anspruch, daß Mama das Recht haben soll, jährlich in Ruhe zu einer ihr passenden Zeit allein auf 4–5 Wochen zu uns zu kommen. Wir beanspruchen natürlich nicht etwa, wie Papa, daß Mama unseres Vergnügens halber ohne oder gar gegen ihren Wunsch bei uns sei, sondern wir verlangen, daß sie als etwas Anderes als ein Stiefelknecht und eine Flasche Wein behandelt wird. Und daß ihr demgemäß die Freiheit eingeräumt bleibe, ihrem Herzen zu folgen, ohne daran durch egoistisches Plaisierbedürfnis oder Eifersucht gehindert zu werden, wie dies seitens Papas dreimal: erstens durch die von Dir und Mama uns geschilderten „Verstimmungen“4 – zweitens durch seinen Brief, in dem er ihr schrieb, sie gehe jetzt nur gegen seinen Wunsch hierher, 5 drittens durch sein Verfahren nach Pfi ngsten bis zum heutigen Tage geschehen ist und noch geschieht. Daß auch Mama selbst jenes Recht als solches für sich in Anspruch nimmt, können wir aus jedem ihrer Briefe beweisen. – Wie früher die höchst widerwärtige Eifersucht Papas gegen Dritte, mit denen Mama geistige Interessen teilte – Voigt, Otto Baumgarten, Göhre6 – auf ihren psychischen und physischen Zustand jahrelang furchtbar drückte und ihm uns gegenüber eine Verantwortlichkeit auflegt, die ich wenigstens – und wohl auch Du – nicht vergessen kann, so drückte jetzt die Wendung dieser selben Eifersucht gegen uns auf sie, weil sie glaubte, durch frühere allzugroße Hingebung und Nachgiebigkeit diesen rücksichtslosen Egoismus zur Entfaltung gebracht zu haben, und deshalb nachgeben zu müssen; – Solange diese Zustände bestehen und unser – d. h. Mamas Recht nicht anerkannt ist, haben irgendwelche Familienbeziehungen zu Papa für uns keinerlei Gehalt und ist ihre äußerliche Aufrechterhaltung für uns ohne Wert, ist es uns auch gänzlich gleichgültig, ob der Schein derb In Abschrift: sehnlichen Nach Ruhe 4 Vgl. dazu den Brief an Alfred Weber vom 15. Juni 1897, oben, S. 344, Anm. 4. 5 Der entsprechende Brief von Max Weber sen. an Helene Weber ist nicht nachgewiesen. 6 Vgl. den Brief an Alfred Weber vom 15. Juni 1897, oben, S. 346 f., Anm. 10 und 11.
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selben Dritten gegenüber bestehen bleibt. Nach Papas hiesigem Verhalten halte ich mich vollends aller Rücksichten für enthoben, denn es versteht sich [,] daß die Frist, welche Mama jetzt noch günstigenfalls bleibt, uns nicht genügt, so wenig wie ihr selbst, ganz abgesehen von der inneren Belastung, die er auf sie geladen hat. Mama selbst ist, wie sie sagt, entschlossen in Zukunft milde in der Form, aber entschieden in der Sache ihr Recht unter allen Umständen durchzusetzen. Ich selbst fühle mich nach diesen Vorgängen in der Bewegung freier. Bisher war eine unbefangene Korrespondenz mit Mama nicht möglich, da wie Du weißt, Papa die Indiskretion besitzt, die Briefe an Sie zu öffnen. Dies ist mir nach der stattgehabten Aussprache jetzt wesentlich gleichgültiger, als es mir früher gewesen wäre. Und ich empfi nde jetzt auch nicht, wie bisher, Abneigung gegen die Benutzung der Möglichkeit, Briefe an sie unter Deiner Adresse ihr zugehen zu lassen. Sollte die Erfahrung zeigen, daß Mama ihr Recht nicht genügend durchsetzt, so werde ich den in den letzten Wochen mir immer näher getretenen Gedanken, mir eine Stellung in Berlin zu suchen, weiter verfolgen. So angenehm die Stellung hier ist, so binde ich mich an die akademische Tätigkeit doch innerlich nicht. – Ich bitte Dich, diesen Brief sobald Du dies aus irgendeinem Grunde erwünscht fi ndest, Papa und den Geschwistern vorzulegen.7
7 Vgl. dazu den Brief an Alfred Weber, am oder nach dem 22. Juni 1897, unten, S. 353 f., mit Editorischer Vorbemerkung.
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Alfred Weber [am oder nach dem 22. Juni 1897]; o.O. Abschrift; maschinenschriftlich ohne Schlußformel, mit Korrekturen von der Hand Marianne Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 4, Bl. 68 Die Datierung ist erschlossen aus dem Brief von Karl Weber an Max Weber vom 22. Juni 1897 (ebd., Bl. 67 f.). Der Brief setzt die Korrespondenz Max Webers mit Alfred Weber über den Besuch der Eltern in Heidelberg sowie den Bruch mit dem Vater fort. Max Weber insistierte darauf, herauszufinden, wer aus der Familie behauptet habe, Marie Schnitger komme doch nicht Anfang Juli 1897 nach Heidelberg, sodaß Helene Weber noch genug Zeit haben würde, allein bei ihren Kindern zu verbringen. Er hatte bereits bei seiner Cousine, Alwine (Wina) Müller, in Oerlinghausen Erkundigungen darüber eingezogen (vgl. den Brief an Alfred Weber vom 19. Juni 1897, oben, S. 350–352, mit Editorischer Vorbemerkung). Max Weber stellte Alfred Weber frei, seinen Brief vom 19. Juni 1897 auch dem Vater und den Geschwistern zu zeigen. Alfred Weber gab ihn daraufhin dem jüngeren Bruder Karl Weber, der ihn auch Ernst und Clara Mommsen zeigte (Brief von Alfred Weber an Max Weber, undat. [21. Juni 1897], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Karl Weber berichtete daraufhin seinem Bruder Max am 22. Juni 1897 über seinen und des Vaters Aufenthalt in Oerlinghausen zu Pfingsten, am 6. und 7. Juni 1897, d. h. unmittelbar vor Beginn der Rundreise von Max Weber sen. mit Helene Weber: „Schon am Pfingstsonntag teilte Alwine Müller dem Vater mit, daß Tante Marie wahrscheinlich nicht nach Heidelberg gehen würde. Am Montag früh kam Emily Weber zu Müllers und sagte in meinem Beisein wörtlich zu Alwine: ‚Tante Marie geht also nicht nach Heidelberg’. Diese Worte wurden mit großer Bestimmtheit gesprochen und in dem Ton, wie man eine lang erwartete Nachricht befriedigt mitteilt! – Ob Vater bei diesem Gespräche anwesend war, weiß ich nicht. Jedenfalls habe ich nachher kurz vor seiner Abreise von dort über diese uns sehr befriedigend erscheinende Wendung der Dinge mit ihm gesprochen; also hat er die bestimmte Nachricht von der Aufgabe der Reise der Tante Marie vielleicht erst durch mich bekommen.“ (Brief von Karl Weber an Max Weber vom 22. Juni 1897, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 4, Bl. 67).
Lieber Alfred!
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Umstehende Stilübung Carls schicke ich Dir zur Kenntnis. Ich habe dem dummen Bengel natürlich lediglich geantwortet,1 daß er wisse, daß ich Wina mehr glaube als ihm und daß „wahrscheinlich“ ebensowenig identisch sei, mit „positiv und bestimmt“2 als „vielleicht“. Emilys Äußerung geht natürlich auf Papa selbst zurück. – Im Übrigen hätte ich ihn unter den „Geschwistern“ [,] die den Brief lesen wollten, gar
1 Der Brief Max Webers an Karl Weber ist nicht nachgewiesen. 2 Max Weber bezieht sich auf die Behauptung seines Vaters, Alwine Müller habe „positiv und bestimmt zwei mal behauptet zu wissen“, Marie Schnitger werde nicht nach Heidelberg reisen (vgl. den Brief an Alfred Weber vom 19. Juni 1897, oben, S. 350).
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22. Juni 1897
nicht mitbegriffen, da wir alle wüßten, daß er von diesen Dingen nichts verstehe. Er solle daher seine „eigene Ansicht“ [,] welche Niemand interessiere, ganz und gar – nicht nur „so lange als möglich“ [–] für sich behalten.3 Für Mamas Ruhe könne er durch bessere Erfüllung seiner Pfl icht und Schuldigkeit besser als durch bombastische Phrasen und Stilübungen sorgen. Künftige Briefe gebe ich der Post zurück. Ich denke Dich mit Korrespondenz nicht weiter behelligen zu müssen, da Du zu tun hast, und bitte nur um kurzen Bericht über das Endergebnis etwaiger Auseinandersetzungen in Mamas Interesse. Unser Standpunkt ist ganz einfach: Solange nicht feststeht, daß es nicht wieder vorkommt, daß Mama direkt oder indirekt durch Briefe oder „Verstimmungen“ gehindert wird, zu uns zu kommen, wann und wie lange es ihr Wunsch ist, es sei aus welchem Grunde immer, haben wir zu Papa keinerlei Beziehungen und machen daraus, wo wir irgendwie ein Interesse daran haben, auch evtl. Niemanden gegenüber ein Hehl.
3 In dem Brief Karl Webers an Max Weber vom 22. Juni 1897 heißt es eingangs: „Deinen letzten Brief an Alfred habe ich gelesen. Da es mein Vorsatz ist, mich in die traurige, darin behandelte Angelegenheit solange irgendmöglich, nicht einzumischen, so muß ich meine Ansicht über das Übrige noch Dargestellte für mich behalten.“
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Alfred Weber 23. Juni 1897; o.O. Abschrift; maschinenschriftlich ohne Schlußformel, mit Korrekturen von der Hand Marianne Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 4, Bl. 66 Bezug: Brief Alfred Webers, undat. [21. Juni 1897], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. Darin erkundigte sich Alfred Weber, ob inzwischen „eine äußerliche Ausgleichung“ zwischen Max Weber und seinem Vater vor dessen Abreise von Heidelberg stattgefunden habe. „Er kam eben an, äußerlich absolut ungeniert, und sprach, obgleich ich mich gänzlich schweigend verhielt, von allem Möglichen“. Darüber hinaus beklagte Alfred Weber das Verhalten Ernst Mommsens, der zwar Karl Weber, nicht aber ihn zu einer „Gesellschaft“ eingeladen habe, und zwar als Reaktion auf die familiären Auseinandersetzungen, die er, Alfred, ihm kurz zuvor geschildert habe. Ernst Mommsen habe dergestalt „die Familiendifferenzen“ „publik“ gemacht.
23. 6. 97. Lieber Alfred!
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Von „äußerlicher Ausgleichung“ war keinerlei Rede. Wir haben Papa die ganze Zeit und bei der Abreise nicht gesehen. Wenn er also den Anschein erweckt, als sei nichts geschehen, so entspricht das nicht der Wirklichkeit. An Mama schreibt er denn auch Briefe,1 welche deren Ruhe weiter stören. Den Inhalt kenne ich nicht, da sie den heute angekommenen sofort zerriß. Mama ist in allen Punkten unserer Meinung. Wünscht nur die Schroffheit des Gegensatzes zu mildern. Ich bin dazu nach Lage der Dinge nicht bereit. Der Sommer ist uns durch Papas Plaisier-Interesse zerstört. Es ist keinerlei Gewähr gegen Wiederholung gegeben. Folglich existiert Papa für uns nicht. Ich weise alles etwaige Entgegenkommen schroff zurück, solange im Hauptpunkt: – Freiheit für Mama kein Wandel stattfi ndet. Wiederholt sich ein Vorgang wie der der letzten acht Tage, dann läuft die Sache auch äußerlich anders ab als diesmal. Ich werde dann auch Dritten gegenüber nicht schweigen. Mit Klara und Ernst habe ich solange nichts zu schaffen, als ich keine Genugtuung für ihre unberufene Einmischung habe. Das kindische Benehmen Ernsts gegen Dich bestärkt mich in meiner Stellungnahme – Mama geht es sonst gut.
1 Die entsprechenden Briefe von Max Weber sen. an Helene Weber sind nicht nachgewiesen.
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24. Juni 1897
Carl Johannes Fuchs 24. Juni 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig UB Tübingen, Nl. Carl Johannes Fuchs, Md 875:391, Bl. 12–13 Der Brief steht zum einen in Zusammenhang mit den evangelisch-sozialen Kursen vom 4. bis 8. Oktober 1897 in Karlsruhe (vgl. dazu den Brief an Carl Johannes Fuchs vom 19. Juni 1897, oben, S. 348 f., mit Editorischer Vorbemerkung), zum anderen mit der Nachfolge Carl Johannes Fuchs’ in Greifswald (vgl. auch die Briefe an Carl Johannes Fuchs vom 1. Juni 1897, oben, S. 337, Anm. 4, sowie vom 2. Juli 1897, unten, S. 361–363). Nachdem Carl Johannes Fuchs den Ruf auf den Freiburger Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft angenommen hatte, erstellte die Greifswalder Philosophische Fakultät für seine Nachfolge eine Liste mit dem Rostocker Wilhelm Stieda an erster und dem Wiener Carl Grünberg an zweiter Stelle. Am 22. Juni 1897 wurde der Greifswalder Philosophischen Fakultät mitgeteilt, daß der preußische Kultusminister, Robert Bosse, sich trotz eingehender Prüfung nicht in der Lage sehe, diesen Vorschlägen zu folgen, sondern stattdessen beabsichtige, den Züricher Julius Wolf zu berufen (vgl. Kiesewetter, Hubert, Julius Wolf 1862–1937. Zwischen Judentum und Nationalsozialismus. Eine wissenschaftliche Biographie. – Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008, S. 207 f.; hinfort: Kiesewetter, Julius Wolf). Offensichtlich hatte Carl Johannes Fuchs diese überraschende Wendung Max Weber in einem nicht überlieferten Schreiben mitgeteilt, worauf Max Weber mit dem im folgenden edierten Brief reagierte. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen versuchte die Greifswalder Fakultät sich diesem drohenden Oktroi zu widersetzen, nicht nur, weil sie Wolfs wissenschaftliche Leistungen als unzureichend erachtete, sondern auch, weil dieser als dezidierter Gegner des Sozialismus und der jüngeren historischen Schule der Nationalökonomie politisch extrem konservative Positionen bezog (ebd., S. 208). Zudem war er dafür bekannt, daß er gezielt versuchte, über den einflußreichen preußischen Hochschuldezernenten, Friedrich Althoff, seinen Ruf an eine preußische Hochschule durchzusetzen (ebd., S. 204–206). Auch eine zweite, von der Fakultät erstellte Liste mit dem Königsberger Otto Gerlach an erster Stelle scheiterte (ebd., S. 208 f.). Stattdessen wurde tatsächlich Julius Wolf zum Ordinarius in Greifswald ernannt, aber zugleich, da inzwischen der Nationalökonom Ludwig Elster von Breslau nach Berlin in das Kultusministerium übernommen worden war, nach Breslau versetzt. Dort bildete Wolf ein willkommenes Gegengewicht zu dem unter Sozialismusverdacht stehenden Werner Sombart (ebd., S. 211).
Heidelberg 24. VI. 97 Lieber Herr College! Die fr[aglichen] Curse sollen in der ersten Hälfte des Oktober in Karlsruhe, veranstaltet von der „Evangelisch-sozialen Vereinigung Badens“ stattfi nden, gegen ein die Kosten deckendes Entree (ca 2 Mk.), berechnet auf ein Publikum des Genres wie diea Curse des V.f.Soz.Politik in
a Unsichere Lesung.
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Berlin s.Z.1 Erstattet werden die Reisekosten. Das Interesse, namentlich in den besseren und Beamtenkreisen, ist ein sehr reges, das Auditorium also ein recht dankbarer Boden. – Hoffentlich entschließen Sie Sich! Sie sind dann in Freiburg grade so weit, daß Ihre Frau Gemahlin Sie doch nicht brauchen kann. 2 – Daß Ihnen der Züricher Schweinekerl oktroyiert werden soll, ist ein sehr starkes Stück. Ich würde in Ihrer Lage in denkbar schärfster Form opponieren, schon aus Gründen, die in der unqualificierbaren Persönlichkeit liegen. Schamloser als er bei der hiesigen Berufungsfrage kann man die Bewerbung an eine Stelle nicht betreiben, 3 ähnlich treibt er es mit Berlin4 – ohne Erfolg bisher –, ähnlich bei jeder Vacanz der letzten Jahre. Keine Fakultät kann eine derartig unakademische Persönlichkeit, wie dies Individuum, in ihre Mitte aufnehmen. – Wollen Sie nicht Sombart und neben ihm einen möglichst gut [erz] b-scheinbaren preußischenc Mann – Gerlach, 5 oder auch Hasbach,6 oder Oldenberg,7 an dem die Agrarier jetzt Geschmack gewinnen,8 vorschlagen. Das sind b Unsichere Lesung.
c O: zweifach unterstrichen.
1 Es handelt sich um die nationalökonomischen und sozialpolitischen Ferienkurse, die der Verein für Socialpolitik zwischen dem 30. September und 12. Oktober 1895 in Berlin mit großem Erfolg für die gebildete Mittelschicht durchführte. Max Weber war damals als Referent nicht eingeladen worden (vgl. die Briefe an Karl Oldenberg vom 18. und 28. Jan. 1895, oben, S. 60–62, 63 f., mit Editorischer Vorbemerkung, S. 60). Zahlreiche Anmeldungen zeugen vom Erfolg der Kurse (vgl. die Teilnehmerlisten im HHStAW, Abt. 1088, Nr. 24). 2 Carl Johannes Fuchs trat die Nachfolge auf Max Webers Freiburger Lehrstuhl zum Wintersemester 1897 an. Er war verheiratet mit Berta Fuchs. 3 Max Weber bezieht sich auf Vorgänge im Zusammenhang mit seiner Berufung auf den Heidelberger Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft, die nicht aufgeklärt werden konnten. Ausführlicher äußerte er sich dazu wenig später in seinem Brief an Carl Johannes Fuchs vom 2. Juli 1897 (unten, S. 362). 4 Vgl. dazu den Brief an Carl Johannes Fuchs vom 2. Juli 1897, unten, S. 361 mit Anm. 1. 5 Der Königsberger Nationalökonom Otto Gerlach wurde tatsächlich auf der zweiten, von der Greifswalder Philosophischen Fakultät wenig später erstellten Liste von Juli 1897 an erster Stelle genannt (Kiesewetter, Julius Wolf (wie oben, S. 356, Editorische Vorbemerkung), S. 208). 6 Wilhelm Hasbach. 7 Karl Oldenberg. 8 Anspielung auf Karl Oldenbergs Vortrag „Über Deutschland als Industriestaat“ am 10. Juni 1897 auf dem achten Evangelisch-sozialen Kongreß in Leipzig, an dem auch Max Weber teilgenommen hatte. Weber hatte Oldenberg scharf kritisiert, weil dieser in der Debatte über Deutschland als Agrar- oder Industriestaat entschieden für eine noch stärkere Subventionierung des Agrarsektors und des Großgrundbesitzes auf Kosten der Industrialisierung und der Exportfähigkeit Deutschlands plädiert hatte. Vgl. ausführlich dazu: Weber, Max, [Diskussionsbeiträge zum Vortrag von Karl Oldenberg: „Über Deutschland als Industriestaat“], in: MWG I/4, S. 623–640.
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doch ernsthafte lautere Gelehrte, und Preußen müssen es, wenn Wolf droht, sein. Ich bin auf den Ausgang gespannt. – Beste Empfehlung und Gruß Ihr Max Weber
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Verlag J.C.B. Mohr 27. Juni 1897; Heidelberg Karte; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Diese und die folgenden Karten an den Verlag J.C.B. Mohr bzw. Paul Siebeck vom 29. Juni, sowie 13. und 20. Juli 1897, unten, S. 360, S. 367 sowie S. 370, stehen im Zusammenhang mit der Drucklegung des ersten Heftes der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ (zu den „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 26. April 1897, oben, S. 317). Mit dem Satz des ersten Heftes, der Dissertation von Robert Liefmann, war auf Max Webers Wunsch Anfang Juni 1897 begonnen worden, obwohl der Verlagsvertrag noch nicht vorlag (vgl. den Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 3. Juni 1897, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 44, Bl. 171). Bezug: die Anfragen des Verlags (G. Zapf) vom 23. und 26. Juni 1897 mit Bitte um Rücksendung der Revisionsbögen und Erteilung der Imprimatur (ebd., Bl. 287 und 294).
Herrn J C B Mohr Verlag.
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Die Qu[art] 4 Bogen |:(Liefmann)1 :| können abgesetzt werden! Ich habe die Correkturen s.Z. nicht aufbewahrt. Hochachtungsvoll Max Weber Heidelberg 27/VI 97
1 Gemeint ist: Liefmann, Unternehmerverbände. Ein Quartbogen (Druckbogen) ergibt acht Seiten.
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Verlag J.C.B. Mohr PSt 29. Juni 1897; PSt Heidelberg Karte; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Bezug: Brief des Verlags (G. Zapf) an Max Weber vom 28. Juni 1897 (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 44, Bl. 303). Zapf bat um Zusendung des fünften Bogens von Robert Liefmanns Dissertation (Liefmann, Unternehmerverbände) mit Imprimatur. Zur Drucklegung des ersten Heftes der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Paul Siebeck vom 27. Juni 1897, oben, S. 359.
Herrn J C B Mohr Freiburg. Bogen 5 Liefmann kann abgesetzt werden, ich finde nichts zu ändern. Hochachtungsvoll Max Weber
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Carl Johannes Fuchs 2. Juli 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig UB Tübingen, Nl. Carl Johannes Fuchs, Md 875:391, Bl. 14–15 Der Brief steht in Zusammenhang mit der Nachfolge Carl Johannes Fuchs’ in Greifswald (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Carl Johannes Fuchs vom 24. Juni 1897, oben, S. 356).
Heidelberg 2/VII 97 Lieber College!
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Sie fragen nach J[ulius] Wolf’s Persönlichkeit. Ich kann nicht verhehlen, daß er der vielleicht Einzige unter den Fachgenossen ist, den ich für so minderwerthig in persönlicher Beziehung halte, daß ich unter keiner Bedingung in einer Fakultät bliebe, der er angehört. Er ist der Typus des Strebers. In letzter Zeit hat er 1) sich bei A[dolph] Wagner (!) persönlich mündlich um ein Ordinariat in Berlin für sich beworben1 – A[dolph] Wagner muß dies ev. bezeugen 2) sich bei seinen hannöverschen Verwandten brüstenda, er komme nun bald nach Berlin – Prof. Böhm/Freiburg, 2 ein Vetter von ihm, muß dies bezeugen
a Unsichere Lesung. 1 Max Weber spielt hier auf Vorgänge im Vorfeld der Ernennung von Karl Theodor Reinhold zum Extraordinarius in Berlin an. Reinhold wurde zum WS 1897/98 als a.o. Professor der Nationalökonomie und als konservatives Gegengewicht zu Gustav Schmoller berufen. Offensichtlich hatte sich Wolf in diesem Kontext an Adolph Wagner gewandt, um sich selber als Kontrapunkt zu Schmoller zu empfehlen. Wagner erklärte später, er habe belastendes Material über Wolf, wobei er sich allerdings auf Briefe bezog (vgl. den Brief Adolph Wagners an Karl Bücher vom 28. Februar 1898, in: Wagner, Briefe, Dokumente, Augenzeugenberichte (wie oben, S. 264, Anm. 5), S. 338). Daß Wolf sich ausgerechnet an Wagner wandte, um an Stelle Reinholds auf eine Berliner Professur berufen zu werden, war eine Provokation, war Wolf doch in der Auseinandersetzung des Freiherrn von Stumm mit Adolph Wagner 1895 stets als Paradebeispiel dafür angeführt worden, daß die „Kathedersozialisten“ die Berufung sozialpolitisch Andersdenkender auf Lehrstühle der Nationalökonomie boykottierten (vgl. Wagner, Adolph, Die Kathedersozialisten und die Besetzung der Professuren der National-Ökonomie, in: Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung), Nr. 109 vom 6. März 1895, Mo.Bl., S. 1). 2 Gemeint ist der Geologe Georg Böhm, ein ehemaliger Freiburger Kollege Max Webers.
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3) sich 1. bei Kuno Fischer |:(durch einen unbekannten Dritten):|, 2. durch A[nton] Menger bei Jellinek3 3. durch G[ustav] Cohn (in Zürich) 4 bei noch einem Collegen hier um die hiesige Stelle beworben.5 4) s.Z. in Wien hatte er Plener (ohne jeden Erfolg) für sich arbeitenb lassen und sein sozialisten[tötendes] c Werk unreif und vorzeitig publiciert,6 um die dortige Stelle zu erhalten,7 – 5) schämte er – Österreicher und Jude – sich nicht, in der „Kreuzzeitung“ im Juni d.J. für sich in einem 2–3 Spalten langen Artikel Reklame |:als deutschen Patrioten und Gesellschafts[retter] d :| zu machen, als irgendwo behauptet war, er sei „Kathedersozialist“.8
b Unsichere Lesung.
c Unsichere Lesung.
d Unsichere Lesung.
3 Georg Jellinek. 4 Gustav Cohn lehrte zwischen 1875 bis 1884 an der ETH Zürich; seit 1884 war er Ordinarius in Göttingen. Julius Wolf war bis 1897 Professor in Zürich. 5 Die Umstände, unter denen Julius Wolf eine mögliche Bewerbung auf den Lehrstuhl von Karl Knies in Heidelberg sondiert hat, sind nicht ermittelt. 6 Gemeint ist Julius Wolfs Schrift: Sozialismus und kapitalistische Gesellschaftsordnung. Kritische Würdigung beider als Grundlegung einer Sozialpolitik. – Stuttgart: J. G. Cotta 1892, mit deren Erscheinen er sich einen Namen als Sozialismuskritiker machte. 7 Es handelt sich um die Nachfolge August von Miaskowskis in Wien, der 1891 an die Universität Leipzig berufen worden war; anscheinend hatte sich aber nicht Ernst von Plener für Julius Wolf verwendet, wie Max Weber annimmt, sondern Emil Steinbach. Wolfs autobiographischer Darstellung zufolge, wurde er zwischen 1891 und 1893 als Nachfolger Miaskowskis in Wien gehandelt und dabei von dem amtierenden österreichischen Finanzminister, Emil Steinbach, einem Schüler von Lorenz von Stein, der bis 1885 den betreffenden Lehrstuhl innegehabt hatte, protegiert (Wolf, Julius, [Selbstbiographie], in: Die Volkswirtschaftslehre der Gegenwart in Selbstdarstellungen, hg. v. Felix Meiner. – Leipzig: Felix Meiner 1924, S. 218). Ernst von Plener war erst zwischen 1893 und 1895 österreichischer Finanzminister, zu einem Zeitpunkt also, als der Lehrstuhl bereits mit Eugen von Philippovich besetzt war. Ob Plener zuvor seinen Einfluß als Mitglied im Abgeordnetenhaus des Reichsrats zu Gunsten von Wolf geltend gemacht hat, ist nicht ermittelt. Wolf verfügte jedenfalls auch über gute Beziehungen zu Plener. Bevor sein erster Habilitationsversuch 1885 in Tübingen scheiterte, gab er der dortigen Philosophischen Fakultät u. a. Plener als Referenz an (vgl. Kiesewetter, Julius Wolf (wie oben, S. 356, Editorische Vorbemerkung), S. 62). 8 Es handelt sich um den Artikel bzw. die namentlich von Julius Wolf gezeichnete Leserzuschrift, die am 21. Mai 1897 unter dem Titel „Soziale Wissenschaft“ in der Neuen Preußischen Zeitung (Kreuzzeitung), Nr. 235 vom 21. Mai 1897, Mo.Bl., Beilage, S. 1, Sp. 1–2, erschien. Darin verwahrte sich Wolf gegen Unterstellungen, die von der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung in Umlauf gebracht und von der Kreuzzeitung (Nr. 214 vom 8. Mai 1897, Ab.Bl., S. 1, Sp. 1–2) aufgegriffen worden waren. Der Vorwurf lautete, er habe mit einer Broschüre zur Lösung der Wohnungsfrage der Sozialdemokratie unbewußt Vorschub geleistet. Statt dessen wies er scharf den Eindruck zurück, er habe seine wissenschaftspolitischen Überzeugungen, die ihm „jahrelang die bittersten Prüfungen auferlegt“ hätten, „jetzt schlankweg verlassen.“ (ebd., Nr. 235 vom 21. Mai 1897, Mo.Bl., Beilage, S. 1, Sp. 2).
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Ein solcher Geschäftsmann gehört an die Börse, nicht aufs Katheder. Discretion, wenigstens ihm gegenüber, ist unnötig. Herzlichen Gruß und beste Empfehlung Ihr Max Weber
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Lujo Brentano 4. Juli 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr. 67, Bl. 165–166 Der Brief steht in Zusammenhang mit einer Anfrage des Studenten der Technischen Hochschule München, Martin Roßmann, der sich bei Max Weber nach den Möglichkeiten einer Promotion in Heidelberg erkundigt hatte. Dabei hatte er angegeben, daß einer Promotion an der Universität München formale Probleme im Wege stünden. Daraufhin wandte sich Max Weber mit dem im folgenden edierten Brief an den Münchener Ordinarius für Nationalökonomie, Lujo Brentano, um sich über mögliche Hinderungsgründe zu informieren. Diese waren anscheinend nicht gravierend, denn Roßmann wurde ein Jahr später, im SS 1898, an der Münchener Staatswirtschaftlichen Fakultät von Walther Lotz, dem zweiten Nationalökonomen neben Lujo Brentano, promoviert (UA München, Promotionsakte, M-II-22p). Die Doktorarbeit wurde 1899 veröffentlicht (Roßmann, Martin, Die Getreide- und Mehltarife der Bayerischen Staatsbahnen. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde vorgelegt einer hohen staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität München von Martin Roßmann aus Berlin. – Leipzig: Duncker & Humblot 1899).
Heidelberg Anlage 53b 4. VII. 97 Sehr geehrter Herr Geheimrath! Ich muß Sie heute mit einer Anfrage behelligen. Ein Herr stud. techn. Roßmann |:aus München:| meldete sich durchreisend bei mir mit dem Wunsche eine Arbeit zum Zweck der Promotion zu machen mit der Behauptung, von Ihnen an mich gewiesen zu sein. Da er mir unbekannt war und nur ¼ Stunde Zeit hatte, habe ich ihm zunächst mit dem Hinweis darauf, daß ich natürlich im Allgemeinen nur hiesige Seminararbeiten, deren Entstehung ich kenne und deren Verfasser ich habe arbeiten sehen, nehme, dilatorisch behandelt und ersucht, sich eventuell schriftlich noch einmal hierher zu wenden. Dies um so mehr, als er als sein Interessengebiet nur „Statistik“ im Allgemeinen angeben konnte und als Grund, weshalb er nicht in München zu promovieren versuchte, sich auf angebliche formale Schwierigkeiten bezog. Absolut abgeschlagen habe ich dem Herren ein eventuelles Entgegenkommen nicht, aber allerdings schien mir bei dem flüchtigen Eindruck der Fall zunächst nicht dazu angethan, eine Ausnahme von jener Praxis zu machen. Ich würde das nur in Fällen thun, wo wirklich rein formale Schwierigkeiten dazu führen, daß ein von Ihnen als außergewöhnlich tüchtig beurteilter und empfohlener Mann in München selbst nicht promovieren kann, da ich sonst mit auswärtigen Promotionsgesuchen überschüttet werden
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würde. Ich möchte mir heute nur die Frage gestatten, ob thatsächlich in München unüberwindliche formelle Schwierigkeiten diejenigen Herren, denen sei es die Maturität, sei es das volle Triennium als immatrikulierte Studenten fehlt, daran hindern, zur Promotion zugelassen zu werden?1 Es thut mir leid, Sie damit belästigen zu müssen, aber es war hier leider in den letzten Jahren Stil geworden, daß die Leute mit den verschiedensten, nachher mehrfach als unrichtig ermittelten Behauptungen ihre Gesuche, grade hier zu promovieren, motivierten und ich habe mir vor diesen Petenten zunächst durch Festhaltung an jenem Princip, welches natürlich nicht gut als absolut undurchbrechlich festgehalten werden kann, Ruhe schaffen müssen. Daher wüßte ich über den gedachten Punkt gern authentisch Bescheid. Mit angelegentlichster Empfehlung Ihr hochachtungsvoll sehr ergebener Max Weber
1 Nach der Promotionsordnung der staatswirtschaftlichen Fakultät an der Universität München mußte der Bewerber u. a. neben dem Reifezeugnis „Ausweise über seinen Studiengang, welcher in der Regel einen dreijährigen Besuch einer Universität umfassen soll, und über den Erwerb einer tüchtigen allgemeinen und einer gründlichen staatswirtschaftlichen Fachbildung“ vorlegen. Studien „an anderen höheren Lehranstalten“ sollten „nach Ermessen der Fakultät in Anrechnung“ kommen (Promotions-Ordnung der staatswirtschaftlichen Fakultät der Kgl. Ludwig-Maximilians-Universität München. – München: Kgl. Hof- und Universitäts-Buchdruckerei Wolf & Sohn [o.J. 1892], S. 1 f., in: UA München, B-I100, VL 144). Bei der Zulassung zur Promotion im Juni 1898 wurden Martin Roßmann ausdrücklich die Maturität, 1892 erlangt in Berlin, sowie das akademische Triennium bescheinigt. Demnach wurde ihm ein siebensemestriges Studium – ein Semester an der Universität Berlin, zwei Semester an der TH Berlin sowie vier weitere Semester in München an der Universität München sowie der Technischen Hochschule – angerechnet (Universitätsarchiv München, Promotionsakte, M-II-22p). Als Roßmann im Sommer 1897 bei Max Weber vorsprach, fehlte ihm also noch ein Semester am vollen Triennium; möglicherweise hatte er gehofft, eine längere Studienzeit durch eine Promotion in Heidelberg umgehen zu können. Im WS 1897/98 und SS 1898 war Roßmann als Gasthörer an der Universität München immatrikuliert (UA München, Quästur-/Belegbücher, Stud-BB-90, Bl. 1323, und StudBB-97, Bl. 149).
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5. Juli 1897
Engerer Senat der Universität Heidelberg 5. Juli 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig UA Heidelberg, RA 6412 Bezug: die Anfrage des Engeren Senats der Universität Heidelberg an Max Weber vom 5. Juli 1897 (UA Heidelberg, RA 6412, Aktenstück Nr. 1222) um Anzeige des Tages, an welchem der Seminardiener Greiner seine Tätigkeit für das Volkswirtschaftliche Seminar aufgenommen habe. Vgl. dazu auch die Briefe Max Webers an den Engeren Senat der Universität Heidelberg vom 19. Mai 1897, oben, S. 331, sowie vom 1. Juni 1897, oben, S. 334 f. Der Brief enthält zusätzliche Unterstreichungen von dritter Hand, die nicht annotiert werden.
Dem engeren Senat beehre ich mich auf die geneigte Anfrage vom 5. Juli 1897 No 1222 ergebenst zu erwidern, daß Herr Greiner die Bedienung des Seminars, schon vor der erst nachträglich auf Grund des Schreibens des Senats1 formell erfolgten |:defi nitiven:| Übertragung durch mich, und zwar seit Semesterbeginn,2 in meinem Auftrage besorgt hat. Der erste Seminarabend wurde am 5. Mai abgehalten, daher würde jedenfalls die Zeit vom 1. Mai ab meines Dafürhaltens ihm in Anrechnung zu kürzen sein. Heidelberg 5. Juli 1897 Direktion des Volkswirtschaftlichen Seminars Professor Max Weber
An den Engeren Senat der Universität.
1 Die definitive Bewilligung durch das Ministerium erfolgte am 19. Juni 1897 (Brief des Großherzoglichen Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts an den Engeren Senat der Universität Heidelberg vom 19. Juni 1897, UA Heidelberg, RA 6412). Aus einer Aktennotiz, ebd., geht hervor, daß Max Weber die Bewilligung mitgeteilt wurde; ein entsprechendes Schreiben an ihn ist nicht überliefert. 2 Der Beginn des Sommersemesters fiel in Baden in der Regel zwischen den 21. und 30. April (vgl. das Schreiben des Engeren Senats der Universität Heidelberg an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 4. Dez. 1891, UA Heidelberg, RA 6587).
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Verlag J.C.B. Mohr PSt 13. Juli 1897; PSt Heidelberg Karte; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Zur Drucklegung des ersten Heftes der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ (Liefmann, Unternehmerverbände) vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an den Verlag J.C.B. Mohr vom 27. Juni 1897, oben, S. 359.
Herrn J C B Mohr’s Verlag Bogen 6 und 7 von Liefmann sind druckreif.1 Hochachtungsvoll Max Weber
1 In seinem Antwortschreiben vom 14. Juli 1897 teilte Paul Siebeck Max Weber mit, daß Bogen sechs und sieben im Druck seien (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 44, Bl. 401).
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13. Juli 1897
Alfred Weber 13. Juli 1897; o.O. Abschrift; maschinenschriftlich ohne Schlußformel, mit Korrekturen von der Hand Marianne Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 4, Bl. 66–67 Der Brief setzt die Korrespondenz mit Alfred Weber über den Besuch der Eltern in Heidelberg sowie den Bruch mit dem Vater fort (vgl. dazu den Brief an Alfred Weber vom 23. Juni 1897, oben, S. 355, mit Editorischer Vorbemerkung).
13. 7. 97. Lieber Alfred . . .a Deinen letzten Brief hatte ich bisher nicht Zeit zu beantworten. Du schriebst, daß Papa davon gesprochen habe, daß er sich „schwer beleidigt“ fühle.1 Diese konstruierte Beleidigtheit ist eines der üblichen Mittel [,] durch die Papa sich in solchen Fällen in eine dialektisch ihm günstig scheinende Position zu manövrieren sucht. Die Sache ist diesmal aber doch zu ernst, als daß sie sich auf dem Niveau dieser Dialektik bewegen könnte. Wir werden, nachdem Mama im Ganzen nur 16 Tage allein bei uns war, 2 Papa also uns dies Jahr, welches er uns nicht wieder verschafft, in rücksichtsloser Weise verdorben hat, ihn freiwillig nicht mehr wiedersehen, weder jetzt, noch in künftigen Jahren. Ich halte mich von schlechthin allen Rücksichten entbunden, habe absolut nicht die Absicht, jetzt oder künftig jemals wieder Papa oder Dritten gegenüber mich irgendwelcher Schminken zu bedienen und den Schein des Bestehens von Beziehungen zu erwecken, welche Papa gesprengt hat. Hat Mama bnicht dieb Kraft freien Verkehr für sich mit uns durchzusetzen, dann kommen wir nach Berlin; ministerielle Äußerungen lassen es sehr möglich erscheinen, daß irgendwann auch hier mir irgendein Kandidat Schmoller?c an die Seite gesetzt wird, 3 und dann a Auslassungszeichen in Abschrift Abschrift.
b In Abschrift: die nicht
c Fragezeichen in
1 Ein entsprechender Brief von Alfred Weber ist nicht ermittelt, das Zitat nicht nachgewiesen. 2 Max Weber sen. reiste am 21. Juni 1897 von Heidelberg nach Berlin, demzufolge wäre Helene Weber bis zum 8. Juli 1897 allein bei Max und Marianne Weber gewesen. Ob sie danach auch abreiste oder noch weitere Tage gemeinsam mit Marie Schnitger in Heidelberg verbrachte, ist nicht geklärt. 3 Auf welche „ministeriellen Äußerungen“ Max Weber hier anspielt, ist nicht ermittelt; der Hinweis auf Gustav Schmoller ist wahrscheinlich zugleich ein Hinweis auf die anstehende
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gehe ich ohnedies. Wie Papa denken kann, Du solltest „vermitteln“, ist mir ein Rätsel. Wenn für ihn die Anerkennung von unseren und Mamas Rechten ein „Rechtsgeschäft“ ist [,] auf das er sich nicht einlassed, so gibt es nichts zu „vermitteln“.4 Wir haben natürlich gar nicht versucht, Mama zu veranlassen, im Herbst nochmals herzukommen.
d In Abschrift: einlasse“ Berufung von Karl Theodor Reinhold zum Extraordinarius in Berlin, wo dieser ein konservatives Gegengewicht zu Schmoller bilden sollte (vgl. auch den Brief Max Webers an Carl Johannes Fuchs vom 1. Juni 1897, oben, S. 337, Anm. 4). 4 Als Zitate nicht nachgewiesen; vgl. Anm. 1.
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Verlag J.C.B. Mohr 20. Juli 1897; Heidelberg Karte; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Zur Drucklegung des ersten Heftes der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ (Liefmann, Unternehmerverbände) vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an den Verlag J.C.B. Mohr vom 27. Juni 1897, oben, S. 359.
Herrn J C B Mohr Verlag Freiburg Die mir übersandten Bogen Liefmann sind sämmtlich druckreif.1 Hochachtungsvoll Max Weber
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1 Am 22. Juli 1897 antwortete Paul Siebeck Max Weber, daß die betreffenden Bogen das Imprimatur erhalten hätten (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 44, Bl. 474).
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Paul Siebeck 28. Juli 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Der Brief steht in Zusammenhang mit der Begründung der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 26. April 1897, oben, S. 317). Bezug: Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 27. Juli 1897 (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 45, Bl. 26). Siebeck bat um Entwurf und Zusendung eines Programms in Absprache mit den anderen Herausgebern, das dem ersten Heft der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ (Liefmann, Unternehmerverbände) als Vorwort oder Prospekt vorangestellt werden solle. Das erste Heft sei fast fertiggestellt.
Heidelberg 28 7 97 Sehr geehrter Herr Siebeck!
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Ich habe zunächst Herkner gefragt, ob er für eine „Vorrede“ ist, Sonnabend sehe ich Schulze und frage ihn. Wenn nicht, dann werde ich einen Prospekt entwerfen und Ihnen zuschicken behufs Unterbreitung an die anderen Herren.1 Ich bin eher für letzteren. Er wäre von Verlag und Herausgebern zu zeichnen und dürfte nur kurz sein. – Ich vergaß s.Z. zu sagen, daß ich von Liefmann, 2 da ich die defi nitive Niederschrift der Arbeit bis ins Einzelnste durchgeprüft habe,3 eigentlich keiner Revisionsbogen bedurfte, – der letzte Bogen ausgenommen, in dem er einen Zusatz gemacht hat, wie er schreibt. Im Herbst – Oktober spätestens – liegt Heft 2: eine sehr gute Darstellung des süddeutschen Getreidehandels (sprich Mannheim) vor,4 im Umfang etwas hinter Liefmann zurückstehend. Kann alsdann gedruckt werden? Verfasser: Referendar Dr Borgius. –
1 Max Weber sandte Paul Siebeck einen entsprechenden Prospekt-Entwurf am 8. August 1897 zu (vgl. den Brief an Paul Siebeck vom 8. Aug. 1897, unten, S. 383 f. mit Anm. 1). 2 Gemeint ist: Liefmann, Unternehmerverbände. 3 Vor der Drucklegung hatte Robert Liefmann Max Weber, auf dessen Angebot hin, seine Arbeit noch einmal zur Durchsicht zugesandt (vgl. den Brief Robert Liefmanns an Max Weber vom 16. April 1897, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 4 Borgius, Mannheim I, II, erschien erst 1899 als Heft 1 und 2 des zweiten Bandes der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen“. Zuvor erschien als zweites Heft des ersten Bandes Hecht, Grundanschauungen (wie oben, S. 318, Anm. 5).
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Die Verlagsverträge habe ich unterschrieben, sie sind an Herkner abgegangen.5 Besten Gruß und Empfehlungen Ihr ergebenster Max Weber
5 Das für den Verlag bestimmte Exemplar befindet sich in der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Vertragskonvolut „Abhandlungen, Volkswirtschaftliche“, Karton 950=B 10,3 (unter 1 abgedruckt im Anhang, unten, S. 398 f.). Neben den Unterschriften von Paul Siebeck (24. Juli 1897) und Max Weber (28. Juli 1897) trägt es die Unterschriften von Carl Johannes Fuchs (26. Juli 1897), Heinrich Herkner (30. Juli 1897) und Gerhart von Schulze-Gaevernitz (13. August 1897).
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Verlag Vandenhoeck & Ruprecht (Gustav Ruprecht) 28. Juli 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 494 (Archiv des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht), G 1888–1936, Tasche 07, Bl. 451 Dieser Brief sowie die folgende Karte an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht (Gustav Ruprecht) vom 16. März 1898, unten, S. 475, stehen im Zusammenhang mit einer Anfrage Gustav Ruprechts an Max Weber vom 27. Juli 1897, die beiden in der Göttinger Arbeiterbibliothek erschienenen Börsen(doppel)hefte (Weber, Börse I; Weber, Börse II, wie oben, S. 49, Editorische Vorbemerkung) durch ein weiteres Heft oder ggf. auch durch ein Doppelheft zu ergänzen und so als ein in sich geschlossenes Ganzes herauszubringen. Als Begründung führte Gustav Ruprecht an, daß die Broschüren „auch offenbar mehrfach von Fachgenossen von Ihnen den Studierenden empfohlen“ würden. Ferner fragte der Verleger wegen einer Publikation zur Landarbeiterfrage an (vgl. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht (Gustav Ruprecht) an Max Weber vom 27. Juli 1897, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 494 (Archiv des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht), Copier-Buch vom 12.3.1897–12.2.1900, Bl. 106).
Heidelberg 28/VII 97 Sehr geehrter Herr!
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Jetzt ist es mir unmöglich, dazu zu kommen. Aber später hoffentlich bestimmt. Wenn ich noch einmal Sociales über Landarbeiter schreibe, was möglich, aber jetzt nicht wahrscheinlich ist, will ich gern an Sie denken. Beste Empfehlung Max Weber
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Hans Delbrück 30. Juli 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nl. Hans Delbrück Der Brief steht in Zusammenhang mit einer Anfrage von Hans Delbrück, einen Beitrag für die von ihm herausgegebenen Preußischen Jahrbücher zu verfassen. Wie sich aus dem Brief Max Webers schließen läßt, sollte er zur Kontroverse zwischen Lujo Brentano und Max Sering über die Reform des Agrarrechts Stellung nehmen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde von Agrarpolitikern und Nationalökonomen die Frage erörtert, ob und inwieweit eine Wiederbelebung des Anerbenrechts angebracht sei, um der steigenden Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes entgegenzuwirken. Das Anerbenrecht (Einzelerbfolge) begünstigte einen Erben, den Anerben, gegenüber den weichenden Erben. Nach dem geltenden Recht hatten alle Erben einen gleichen Anspruch entweder auf Realteilung oder volle Entschädigung zum Verkehrswert, der meistens über dem Ertragswert lag und insoweit den landwirtschaftlichen Betrieb schwer belastete. Während Brentano, von einem linksliberalen Standpunkt aus argumentierend, jegliche Eingriffe in das ländliche Erbrecht, vor allem die Reaktivierung des Anerbenrechts, als Angriff auf die individuellen Eigentumsrechte ablehnte, verteidigte Sering sie als ein wirksames Mittel für den Erhalt eines kräftigen, mittleren Bauernstandes und die Minderung der landwirtschaftlichen Verschuldung. Dieser für die Auseinandersetzungen über Agrarreformen in den 1890er-Jahren typische Streit entbrannte im Juli 1897 erneut, als Max Sering eine kritische Besprechung von Lujo Brentanos Schrift „Agrarpolitik“ (Brentano, Lujo, Agrarpolitik. Ein Lehrbuch, 1. Teil: Theoretische Einleitung in die Agrarpolitik. – Stuttgart: J.G. Cotta 1897) veröffentlichte (Sering, Max, [Besprechung von:] Lujo Brentano, Agrarpolitik, in: Deutsche Litteraturzeitung, Nr. 27 vom 10. Juli 1897, Sp. 1065–1074). Darin warf Sering Brentano u. a. Parteilichkeit („Tendenz“, ebd., Sp. 1067) sowie den „Mangel einer umfassenden Kenntniß und lebendigen Anschauung des wirthschaftlichen Lebens“ (ebd., Sp. 1073) vor. Brentano behandele den Boden wie Kapital und verkenne die besonderen Erfordernisse landwirtschaftlicher Tätigkeit und die soziale und nationale Bedeutung des Grundbesitzes (ebd., Sp. 1067– 1070). Brentano replizierte darauf vierzehn Tage später (Brentano, Lujo, Wollen oder Erkennen? Ein ernstes Wort an Herrn Prof. Dr. Max Sering, in: Die Nation. Wochenschrift für Politik, Volkswirthschaft und Litteratur, Nr. 43 vom 24. Juli 1897, S. 649–653). Er bezichtigte nun seinerseits Sering der Parteilichkeit statt des Strebens nach objektiver Erkenntnis: „Sering steht von vornherein auf Grundlage des Wollens.“ Brentanos Kritik an Sering gipfelte in dem Vorwurf: „Sein Ideal ist ein agrarisches Zünftlerthum“ (beide Zitate: S. 650). Die Kontroverse schlug Wellen, sodaß Alfred Weber bereits am 28. Juli 1897 seinen Bruder auf Brentanos Replik aufmerksam machte und fragte: „Was hältst Du übrigens fachlich von der Berechtigung der Kritik Sering’s?“ (Brief von Alfred Weber an Max Weber, undat. [28. Juli 1897], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Max Weber, einer der besten Kenner des Agrarrechts und der zeitgenössischen Reformbestrebungen, sagte daher Delbrück eine Stellungnahme zu, hat jedoch später keinen entsprechenden Artikel für die Preußischen Jahrbücher verfaßt.
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Heidelberg Anlage 53b 30. 7. 97. Lieber Herr College!
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Ich bin recht gern bereit, mich bei Ihnen kurz zu äußern. Haben Sie die betr. No der „Litteraturzeitung“1 und der „Nation“, 2 so wäre ich für Übersendung dankbar, da ich sie sonst erst feststellen und mir kommen lassen muß – hier sind beide merkwürdiger Weise nicht zugänglich. Haben Sie sie nicht, beschaffe ich sie mir natürlich. – Ihren früheren Brief3 habe ich, wie ich bei Durchsicht meiner Mappe feststellte, leider! doch s.Z. bekommen, aber alsbald offenbar mit den anderen, damals sehr gehäuften, Sachen in die falsche Mappe – die erledigtena – gesteckt und total, so total vergessen, daß ich auch beim Wiederfi nden mich auf die erstmaligeb „Apperzeption“ seines Inhalts nicht wieder besann. Es thut mir aufrichtig leid. Eine Recension von Brentanos Agrarpolitik4 hatte ich inzwischen schon H[einrich] Braun zugesagt.5 Durch Sombart habe ich mich immer noch nicht hindurchgerechnet, will es aber jetzt unmittelbar wieder versuchen.6 – Den gewünschten Artikel aberc kann ich jedenfalls im Lauf der ersten Ferienhälfte liefern.7 Mit angelegentlichen Empfehlungen Ihr ergebenster Max Weber a Alternative Lesung: erledigte
b erste > erstmalige
c Alternative Lesung: oben
1 Es handelt sich um die Deutsche Litteraturzeitung, Nr. 27 vom 10. Juli 1897 (vgl. die Editorische Vorbemerkung). 2 Gemeint ist: Die Nation. Wochenschrift für Politik, Volkswirthschaft und Litteratur, Nr. 43 vom 24. Juli 1897 (vgl. die Editorische Vorbemerkung). 3 Der entsprechende Brief von Hans Delbrück an Max Weber ist nicht nachgewiesen, auch nicht als Entwurf im Nachlaß Hans Delbrück, da die dafür infrage kommenden Briefkonzeptbücher erst 1899 einsetzen. 4 Hans Delbrück hatte Max Weber offensichtlich zuvor um eine Rezension des umstrittenen Werks von Lujo Brentano (Brentano, Agrarpolitik; wie oben, Editorische Vorbemerkung) gebeten. 5 Es handelt sich um die von Heinrich Braun herausgegebene Zeitschrift Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik. Eine Rezension Max Webers von Lujo Brentanos „Agrarpolitik“ ist nicht erschienen. 6 Möglicherweise handelt es sich um eine Besprechung von Werner Sombarts Schrift: Sozialismus und soziale Bewegung im 19. Jahrhundert. – Jena: Gustav Fischer 1896, oder seines gleichnamigen Vortrags: Socialismus und sociale Bewegung im 19. Jahrhundert (Ethisch-socialwissenschaftliche Vortragskurse, Band IV). – Bern: Steiger & Cie., vorm. A. Siebert 1897. 7 Max Weber hat keinen entsprechenden Artikel verfaßt.
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30. Juli 1897
Hermann Losch 30. Juli 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig Nach Kopie des Originals; Original in Privatbesitz Der Brief steht in Zusammenhang mit der Promotion eines Schülers von Max Weber, Alfred Somborn. Somborn studierte von 1894 bis 1898 an der Universität Heidelberg; davon hörte er drei Semester, von SS 1897 bis SS 1898, bei Max Weber. Die Doktorarbeit wurde von Webers Heidelberger Fachkollegen, Emanuel Leser, angeregt und von ihm und Max Weber betreut (vgl. Somborn, Alfred, Die Elfenbein- und Beinschnitzerei unter besonderer Berücksichtigung ihrer Lage in Erbach i[m] O[denwald] und in Geislingen a[m] Steig, phil. Diss., Universität Heidelberg. – Universitäts-Buchdruckerei von J. Hörning 1899, S. 5). In seiner wirtschaftshistorisch angelegten Doktorarbeit untersuchte Somborn die Entwicklung der Elfenbein- und Beinschnitzerei an ihren wichtigsten Standorten, in Erbach im Odenwald (hessische Provinz Starkenburg) und Geislingen an der Steige (württembergischer Donaukreis) seit dem Mittelalter bis in die Gegenwart. Neben dem Ausbau der internationalen Handelswege im Zuge des europäischen Elfenbeinimports stand dabei die Untersuchung der Betriebsformen (Kleinbetrieb, Handwerk, Heimarbeit), der Verwendung der Materialien sowie der Arbeitsbedingungen am Beispiel der beiden Standorte im Zentrum. Um Somborns Recherchen zu unterstützen, wandte sich Max Weber an den Nationalökonomen Hermann Losch vom Württembergischen Statistischen Landesamt in Stuttgart.
Heidelberg 30. VII. 97 Sehr geehrter Herr College! Herr Somborn, dem ich diese Zeilen mitgebe, interessiert sich für die Entwicklung der Elfenbein- und Bein-Schnitzerei, hat die Zustände in dem einen Haupt-Produktionsstandort – Erbach – persönlich aufgenommen und möchte nunmehr – im Herbst – den zweiten – Geislingen – besuchen. Vorher aber soll die statistische Bedeutung des Gewerbes wie sich dieselbe aus den Urmaterialien der Berufszählung feststellen lassen muß, so weit möglich zu eruierena gesucht werden. Da die Publikationen die Bein- etc.- Schnitzerei mit andren heterogenenb Gewerben combinieren, kann dies nur geschehen, wenn die Urtabellen über das gedachte Gewerbe speciellen Aufschluß geben und wenn dieselben – in diesem Fall – zugänglich sind.1 Darf ich Sie um die große Freunda Unsichere Lesung.
b Alternative Lesung: heterogeneren
1 Wie aus Somborns Dissertation hervorgeht, zeigten die Rohmaterialien zu den Gewerbezählungen im Großherzogtum Hessen und in Württemberg große Unschärfen bei der Erfassung des Schnitzereigewerbes. Somborn verzichtete daher ganz auf die Untersuchung der statistischen Bedeutung der Elfenbein- und Beinschnitzerei in Hessen und Württemberg und konzentrierte sich allein auf die Untersuchung der beiden Hauptstandorte (vgl. Somborn, Elfenbein- und Beinschnitzerei, S. 34–36).
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lichkeit bitten, Herren Somborn Ihren Rath, in welcher Art und durch wessen Vermittlung er darüber Aufschluß erhalten könnte, zu Teil werden zu lassen. Verbindlichsten Dank im Voraus! Auf Wiedersehen beim Cursus im Oktober! 2 Besten Gruß Ihr Max Weber
2 Es handelt sich um den von Max Weber mitveranstalteten sozialwissenschaftlichen Kursus vom 4. bis 8. Oktober 1897 in Karlsruhe, an dem sich auch Hermann Losch mit Vorträgen zu demographischen Fragen beteiligte (vgl. MWG I/4, S. 827 sowie S. 902 f.; vgl. auch Max Webers Vortragsreihe sowie den von ihm mitunterzeichneten Aufruf zum Besuch des Kursus, ebd., S. 826–841, sowie S. 900–903).
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Paul Siebeck 30. Juli 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Der Brief steht in Zusammenhang mit der Begründung und Gestaltung der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 26. April 1897, oben, S. 317).
Heidelberg Anlage 53b 30 VII 97 Sehr geehrter Herr Siebeck! Zu dem Titelbogen von Liefmann1 möchte ich nur bemerken: College Fuchs hat in den Vertrags-Ausfertigungen überall statt: „C.J. Fuchs“ – „Carl Johannes Fuchs“, insbesondere auch für die Titel-Bezeichnung im ersten § corrigiert.2 In der Titel-Correctur steht: „C.J.“. Ich weiß nicht, ob für „Carl Johannes“ die erste Zeile nicht zu wenig Raum bietet. „Carl Joh.“ würde wohl Platz haben. Vielleicht schicken Sie Fuchs die Correktur nach Greifswald mit der Bitte, unter Berücksichtigung der Raum-Verhältnisse auf das Ausschreiben seiner Vornamen zu verzichten. Liegt ihm etwa daran, daß ich dann auch nicht so breitspurig als „Max Weber“ figuriere, so mag meinetwegen M. Weber daraus gemacht werden, lieb wäre es mir nicht, denn M. ist nicht ganz eindeutig und als „Moritz“ gältea ich nicht gern. – a hieße > gälte 1 Es handelt sich um das erste in der Reihe erscheinende Heft von Robert Liefmann (Liefmann, Unternehmerverbände). 2 Max Weber bezieht sich hier auf den (zweiten) Vertragsentwurf von Mitte Juli 1897 (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Vertragskonvolut „Abhandlungen, Volkswirtschaftliche“, Karton 950=B 10,3), der dem endgültig abgeschlossenen Vertrag von Ende Juli 1897 (ebd., abgedruckt im Anhang unter 1, unten, S. 898 f.) vorausgegangen war. Dieser Entwurf „Verlags- und Redactionsvertrag“ war, wie aus einer Randnotiz Max Webers hervorgeht („Herrn Professor Fuchs[,] bitte dann an College Herkner! Heidelberg 14/7 Max Weber“) im Umlaufverfahren an die drei anderen Herausgeber geschickt und mit weiteren Randnotizen versehen und abgezeichnet worden: am 14. (Max Weber), 15. (Carl Johannes Fuchs), 16. (Heinrich Herkner) und 20. Juli 1897 (Gerhart von Schulze-Gaevernitz). In diesem Zusammenhang hatte Carl Johannes Fuchs die von Weber zitierte Änderung in § 1, die Titelzeile betreffend, vorgenommen und seine Initialen ausgeschrieben. In § 1 des daraufhin definitiv abgeschlossenen Vertrags wurden daher seine beiden Vornamen ausgeschrieben (vgl. im Anhang, unten, S. 898). So erschienen sie auch auf dem Titelbogen des ersten Heftes (Liefmann, Unternehmerverbände).
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Sie werden, verehrter Herr Siebeck, über diese langen vielköpfigen Pourparlers, welche die ganze so einfache Angelegenheit gekostet hat und noch kostet, nicht sehr entzückt gewesen sein. Aber nun ist ja das Schlimmste überstanden und ist Fuchs erst in Freiburgb, dann sitzt man näher zusammen. Daß v. Schulze etwas unpräcis in der Erledigung der Geschäfte war,3 ist schließlich mit seinem verlobten Zustande zu entschuldigen.4 Die Correktur wird von Fuchs und mir unterschrieben und jetzt bei Herkner, der sie wohl auch schon weiterexpediert hat, wenn er nicht verreist ist. Besten Gruß von Haus zu Haus – führt Ihr Weg Sie nicht zuweilen hier durch? – Ihr Max Weber
b Greifswald > Freiburg 3 Der (erste) Verlagsvertragsentwurf, den Paul Siebeck den Herausgebern Ende April zugesandt hatte, wurde von Gerhart von Schulze-Gaevernitz erst Mitte Juli 1897 durchgesehen und am 13. Juli 1897 an den Verleger zurückgesandt (vgl. den Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 13. Juli 1897, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 44, Bl. 381). Siebeck hatte sich über diese Verzögerung im Frühsommer bei Max Weber wiederholt beklagt. 4 Gerhart von Schulze-Gaevernitz war seit Weihnachten 1896 mit Johanna Hirsch verlobt, der Tochter des Mannheimer Getreidegroßhändlers Emil Hirsch und seiner Frau Bertha, einer bekannten Kunstmäzenin. Die Hochzeit fand am 31. Juli 1897 in Baden-Baden statt. Vgl. die Lebenschronik von Gerhart von Schulze-Gaevernitz, in: Archiv des Liberalismus, Bestand Gerhart von Schulze-Gaevernitz, N109-57, S. 5 und S. 8.
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Engerer Senat der Universität Heidelberg 3. August 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig UA Heidelberg, RA 6412 Der Brief steht in Zusammenhang mit der Errichtung des Volkswirtschaftlichen Seminars in Heidelberg; der Antrag Max Webers auf Beleuchtung wurde, nachdem die Baubehörde den finanziellen Bedarf von 250 Mark ermittelt hatte (Brief der Bezirks-Bauinspection Heidelberg an den Engeren Senat der Universität Heidelberg vom 11. Aug. 1897, UA Heidelberg, RA 6412), vom Ministerium am 20. August 1897 genehmigt (Brief des Großherzoglichen Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts an den Engeren Senat der Universität Heidelberg vom 20. Aug. 1897, ebd.).
betrifft: Beleuchtung des Volkswirtschaftlichen Seminars Dem Engeren Senat beehre ich mich vorzutragen: Die Anfrage betr. elektrischer Beleuchtung des Seminars habe ich s.Z. bejahend beantwortet. Der Angelegenheit ist jedoch anscheinend weiterer Fortgang nicht gegeben worden. Zur Zeit entbehrt daher das Seminar jeder Beleuchtungseinrichtung. Ich beantrage: Der Engere Senat wolle zuständigen Orts die Inangriffnahme der für die Beleuchtung erforderlichen Arbeiten derart, daß dieselben bis 1. Oktober d.J. erledigt sind, in Anregung bringen. Falls – wie dies anscheinend der Fall ist – nur Gas-Beleuchtung in Betracht kommt, so würden diesseitigen Erachtens folgende Flammen zu erstellen sein: 1) im Hauptraum des Seminars: 4 Flammen an 2 Armen 2) in dem dahinter liegenden Bibliothekszimmer 1 Wandarm – hierfür müßte Rohr gelegt werden, 3) im zweiten Raum des Seminars 2 Flammen an 1 Arm und 1 Flamme an 1 Wandarm, für letzteren wäre Rohr zu legen 4) im Direktorialzimmer entweder 1 Flamme an 1 Arm, oder – zweckmäßiger – 1 Schreibtischlampe mit Schlauch, – Rohr wäre zu legen 5) im Hinterraum des Seminars 1 Wandarm-Flamme 6) für die Flur [ - ] bzw. Treppen-Beleuchtung 1 Wandarm-Flamme
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Da[ne]ben wird die Verwendung von Quer-Licht vorausgesetzt. Heidelberg 3 [.] August 1897 Direktion des Volkswirtschaftlichen Seminars Professor Max Weber 5
An den Engeren Senat der Universität.
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Engerer Senat der Universität Heidelberg 3. August 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig UA Heidelberg, RA 5865 Der Brief steht in Zusammenhang mit Einrichtungskosten des Volkswirtschaftlichen Seminars in Heidelberg. Der Antrag Max Webers auf Zahlung der Beträge aus dem Requisitenfonds wurde nur in Bezug auf die dritte Rechnung bewilligt; die beiden übrigen Beträge waren aus dem regulären Etat des Volkswirtschaftlichen Seminars zu bestreiten. Dies läßt sich der Verfügung des Prorektors, Georg Meyer, die sich als Notiz auf dem Brief befindet, entnehmen.
betrifft: Das Volkswirtschaftliche Seminar. Dem Akademischen Engeren Senat überreiche ich anbei ergebenst: 1. Rechnung der Firma Jul. Wettstein Nachfolger1 vom 28.V.1897 über 66,80 Mark 2. Rechnung der Firma Jul. Otto2 vom 28.V.1897 über 4,50 Mark 3. Rechnung der Firma A. Lamprecht 3 vom 30.VI.1897 über 56 Mark, mit dem ergebensten Antrage, da es sich um Kosten der erstmaligen Einrichtung des Seminars handelt, die Beträge auf den Requisitenfonds übernehmen und anweisen zu wollen [.] Heidelberg 3. August 1897 Direktion des Volksw. Seminars Professor Max Weber An den Engeren Senat der Universität.
1 Die Firma Julius Wettstein Nachfolger wird im Heidelberger Adreßbuch unter Buchbinder geführt (vgl. Adreßbuch der Stadt Heidelberg nebst den Stadtteilen Neuenheim und Schlierbach für das Jahr 1897. – Heidelberg: J. Hörning, S. 198). Die Rechnung selbst ist, ebenso wie die beiden im folgenden genannten, nicht ermittelt. 2 Gemeint ist die Firma von Julius Otto „Fabrikation von Korbwaren und Korbmöbellager“ (vgl. Adreßbuch der Stadt Heidelberg, 1897, S. 155). 3 Es handelt sich um den Tapezierbetrieb von August Lamprecht (ebd., S. 141).
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Paul Siebeck 8. August 1897; Heidelberg Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Der Brief steht im Zusammenhang mit der Herausgabe der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 26. April 1897, oben, S. 317). Bereits im Brief an Paul Siebeck vom 28. Juli 1897, oben, S. 371, hatte Max Weber die Übersendung eines Prospektentwurfs angekündigt.
Heidelberg 8/8 97 Sehr geehrter Herr Siebeck!
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Anbei ein Entwurf des Prospekt-Eingangs,1 mit dem die anderen Herren, nach ihren Briefen zu urteilen, wohl sachlich einverstanden sein werden. Daran anzuschließen hätte sich die – von Ihnen hinzuzufügende – Darlegung der buchhändlerischen Bedingungena, dann die Unterschriften der Herausgeber und die Ihrige. Bitte bessern Sie nach Belieben – ich bin in großer Eile, da ich in wenigen Tagen abreise2 – und senden Sie den 3 Herren (Fuchs nach Greifswald, Herkner nach Kohlgrub b. Murnau (Bayern) und v. Schulze nach Crainsdorf b. Neurode (Schlesien) Correkturabzug. Mit allen Änderungen bin ich im Voraus absolut einverstanden. Glauben Sie [,] daß der Prospekt doch besser unterbliebe, und vielleicht durch eine Buchhändlernotiz auf dem Rücken der Hefte ersetzt würde, so lassen Sie den Entwurf auf sich beruhen. 3 Wenn ich versua In O folgt: anzuschließen 1 Ein Manuskript dieses Entwurfs ist nicht überliefert. Paul Siebeck bestätigte Max Weber am 10. August 1897 den Eingang des Entwurfs; der Prospekt werde im Verlag durchgesehen, durch buchhändlerische Notizen ergänzt, im Anschluß daran gesetzt und den anderen Herausgebern vorgelegt (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), Briefkopierbücher, Kästen 5–10, 45, Bl. 95). 2 Max und Marianne Weber traten am 27. August 1897 ihre Reise über Frankreich nach Spanien an (vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Helene Weber vom 29. Aug. 1897, unten, S. 385 f.). 3 Der entsprechende Verlagsprospekt ist erschienen. Ein dem zweiten Heft der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen“ eingebundenes Exemplar konnte in der BSB München ermittelt werden (Hecht, Grundanschauungen, wie oben, S. 318, Anm. 5). Der insgesamt dreiseitige Prospekt enthält eingangs einen kurzen Werbetext mit einer Charakterisierung der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen“, der mit „Die Herausgeber“ und „Die Verlagsbuchhandlung“ unterzeichnet ist und auf Webers Entwurf des „Prospekt-Eingangs“ zurückgehen dürfte. Es folgen eine Reihe weiterer Verlagshinweise und Ankündigungen anderer
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chen würde, ausführlicher zu werden, so wäre die Chance, daß wir mit den anderen Herren Schwierigkeitenb bekommen könnten, sofort eine größere. Die Stilisierung fi nde ich nicht schön, aber ich habe absolut keine Zeit, sie jetzt zu ändern. Das zweite Heft muß fertig vorbereitet werden,4 es wird Anfang Oktober bis Mitte Oktober im Mscr. in Ihren Händen sein (es ist hier ein brillanter Doktor darauf gemacht worden) [.] 5 Beste Empfehlung Ihr Max Weber
b 〈gebe〉 Autoren sowie weitere Titel, die für die „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen“ vorgesehen waren und die auf die Mitteilung Max Webers an Paul Siebeck, zwischen dem 4. und 18. September 1897, unten, S. 435, zurückgehen. Zur Entstehungsgeschichte des Verlagsprospektes im einzelnen sowie Max Webers Anteil daran vgl.: Weber, Max, [Über die Schriftenreihe „Volkswirtschaftliche Abhandlungen“], in: MWG I/4, S. 674–677. 4 Gemeint ist die Dissertation von Walther Borgius (Borgius, Mannheim I, II), die noch zu diesem Zeitpunkt als Heft zwei des ersten Bandes der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ geplant war (vgl. den Brief an Paul Siebeck vom 28. Juli 1897, oben, S. 371 f.). Auf Grund des großen Umfangs wurde aber später umdisponiert und stattdessen erschien als Heft zwei des ersten Bandes die Dissertation eines Schülers von Gerhart von Schulze-Gaevernitz (Hecht, Grundanschauungen, wie oben, S. 318, Anm. 5). Vgl. ausführlich dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 13. März 1898, unten, S. 471. 5 Walther Borgius hatte seine mündliche Doktorprüfung, das examen rigorosum, kurz zuvor, am 6. August 1897, in Heidelberg abgelegt (vgl. Borgius, Fruchtmarktgesetzgebung, S. 64).
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Helene Weber 29. August 1897; Luchon Brief; eigenhändig MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals) Dieser und die folgenden Briefe an Helene Weber vom 30. August 1897, vom 1., 2., 5., 7., 8., 10. und 12. September 1897, unten, S. 391–393, 394–404, 405–407, 408–415, 416–420, 421–423, 424–426 und 427–434, sowie der Brief an Helene Weber vom 18., 19. und 20. September 1897, unten, S. 436–447, entstanden auf der Reise Max und Marianne Webers nach Frankreich und Spanien. Der Verbleib der Originale konnte nicht ermittelt werden (vgl. dazu die Einleitung, oben, S. 37). In der Fotokopie des Briefes vom 29. August (O) fehlt die zweite Briefseite. Zur Ergänzung dieser fehlenden Textpassage dient die zweite und vollständigere Abschrift von der Hand Emmy Baumgartens (A 2; Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; vgl. dazu auch die Einleitung, oben, S. 37 f.), während die erste Abschrift (A1; MWA Universität Heidelberg, Fotokopie der Abschrift) wegen ihres fragmentarischen Charakters unberücksichtigt bleibt. Der Text (unten, S. 386, Z. 12 bis S. 387, Z. 27) folgt der als Reinschrift verfaßten zweiten Fassung A 2. Elf Tage nach der Beerdigung von Max Webers Vater am 16. August 1897 in Berlin traten Max und Marianne Weber eine rund fünf Wochen dauernde Reise in den Süden Frankreichs und nach Nordspanien an. In der Nacht vom 27. auf den 28. August 1897 reisten sie per Nachtzug nach Paris und von dort weiter in den französischen Südwesten. Sie hielten sich – von einem Abstecher nach Bordeaux abgesehen – vor allem im Norden der Pyrenäen auf, ehe sie entlang der Küste die Grenze nach Spanien passierten. Dort blieb das Ehepaar vom 7. bis 20. September an der spanischen Nordküste, ehe es am 21. September Richtung Mittelmeerküste weiterreiste. Über die Planung der Reise, die Wahl der Routen und Reiseziele ist wenig bekannt. Nur ein Brief Marianne Webers an ihren Schwager Alfred erwähnt Ende Mai 1897 die Unwägbarkeiten ihrer Planungen für den Sommer und einen beabsichtigten mindestens dreiwöchigen Urlaub (Brief von Marianne Weber an Alfred Weber vom 31. Mai 1897, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Max Weber verweist im Brief an Paul Siebeck am 8. August 1897 (oben, S. 383) auf die bevorstehende Abreise. Auch der Verlauf der Reise ist nur zum Teil dokumentiert (zur Reiseroute vgl. das Itinerar, Anhang IV, unten, S. 906 f.). Gut nachvollziehbar ist anhand der vorliegenden Briefe Max Webers an Helene Weber die Zeit bis zum 20. September; für die beiden letzten Wochen der Reise gilt dies dagegen nicht. Inwieweit die Reise durch das Zerwürfnis Max Webers mit seinem Vater und dessen überraschenden Tod belastet war, ist den Briefen nur andeutungsweise zu entnehmen. Auch Marianne Weber verwies später im „Lebensbild“ darauf nur knapp. Ihr Mann, so heißt es dort, „braucht geistige und seelische Entspannung und findet sie nur im Bann neuer Eindrücke“ (Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 246). Sie erwähnte die Reizbarkeit Webers während dieser Reise und seine Rastlosigkeit, die er selbst ebenfalls als Ausdruck „nervöser Erschöpfung“ gedeutet habe (ebd.). Gleichfalls beschrieb sie aber auch die Faszination einer neuen fremden Welt, der sich Weber auch diesmal „mit Begier“ geöffnet habe – trotz etlicher unerwarteter organisatorischer Probleme und Widrigkeiten (ebd.). Daß die Reise nicht ohne Spannungen verlief, ergibt sich aus Marianne Webers Hinweis in einem Brief vom Sommer 1898, in dem sie sich an einen Streit in Zaragoza erinnerte und diesen auf Max Webers „Nervenanspannung“ und ihre eigene „Schwerfälligkeit“ zurückführte (Brief von Marianne Weber an Max Weber vom 19. August 1898, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Max Weber thematisierte, ebenfalls im Jahr 1898, rückblickend seine damalige Nervosität und er-
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wähnte ein „Fieber“ in Barcelona (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 21. August 1898, unten, S. 567). Die Rückkehr nach Heidelberg schoben Max und Marianne Weber möglichst lange auf. Zunächst aus dem praktischen Grund, weil ihr Dienstmädchen Bertha Schandau sich von einer Operation im August nur langsam erholte (Brief von Marianne Weber an Helene Weber, undat. [4. August 1897], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446); wohl aber auch, weil Max Weber sich nicht in der Lage sah, zu arbeiten (vgl. den Brief an Helene Weber vom 18., 19. und 20. September 1897, unten, S. 437). Sie kehrten in der Nacht auf den 4. Oktober 1897 zurück (Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 7. Oktober 1897, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Trotz eines während der Rückreise sich einstellenden fiebrigen „Unwohlseins“ (Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 247), absolvierte Weber noch am gleichen Tag seinen ersten Vortrag über „Agrarpolitik“ beim „Sozialwissenschaftlichen Kursus“ in Karlsruhe (Agrarpolitik [Vortragsreihe vom 4. bis 8. Oktober 1897 in Karlsruhe], MWG I/4, S. 826–841).
Grand Hôtel du Parc Broc – Verdeil Allées d’Etigny – Luchon – Pyrénées Bagnères de Luchon 29. VIII. 97 Liebe Mutter! Nachdem wir nun die Hauptstrapazea überstanden haben, möchte ich Dich nicht länger auf einen Gruß warten lassen. Der Orient-Zug, mit dem wir Freitag Nacht nach Paris fuhren,1 hat die große Annehmlichkeit so ungemein ruhig zu fahren, daß selbst Marianne schlafen konnte. Trotzdem waren wir Morgens natürlich einigermaßen zerschlagen und die häßlichen Faubourg-Straßen2 von Paris, durch die man zur Gare d’Orléans fährt, 3 waren auch weiter nicht anregend. Nach 2 Stunden Aufenthalt ging unser Zug, der 12 Stunden Zeit bis Toulouse braucht. Auf der Fahrt bis Orléans überwiegt zunächst noch der nordfranzösische bTypus des Aussehens des platten Landes. Von Süddeutschland unterscheidet ihn wesentlich die städtische Hausform: Das kleine mit Giebelwänden, die die Schornsteine tragen, und blena O: Hauptstrapatze
b–b (S. 387) Fehlt in Kopie des Originals; Text folgt A 2.
1 In der Nacht vom 27. auf den 28. August 1897. Der seit 1888 durchgehend zwischen Konstantinopel und Paris verkehrende Orient-Express fuhr von Wien kommend über München – Stuttgart – Straßburg und Nancy bis zur Pariser Gare de l’Est. 2 Frz. für: Vorortstraßen. 3 Älterer Name der Gare d’Austerlitz, von der die Züge Richtung Südwestfrankreich fuhren.
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dend weißem Bewurf äußerlich graziös anmuthendec (innerlich gräulich dreckige) Einstockhäuschen fällt als abweichend stark in die Augen. Südlich der Loire gelangt man dagegen in die eigentlichen Agrargegenden Frankreichs, bei denen nicht das Land Annex der Städte mit ihrer Industrie, sondern die wenig belangreichen, gewerblich rückständigen Städte Dependenzen des Landes, von dessen Kauffähigkeit sie leben, sind. Das macht sich stark bemerkbar: an Stelle der dunklen Misthäufchen der kleinen Bauern treten auf den Feldern der großen Wirthschaften, die hier stärker vertreten sind, die weißen Häufchen des Kunstdüngers – Thomasmehl,4 Kaïnit5 etc. – der Boden muß billig sein, weil die Bevölkerung dünn ist, und deshalb dehnen sich die Städte verschwenderisch in die Breite, bestehen aus lauter ein- bis allenfalls zweistöckigen Häuschen und gruppiren sich an den Flüssen malerisch von Grün unterbrochen, wie ein Dorfcomplex. Straßenpflasterung und dergleichen sind teils unbekannt, teils höchst primitiv, so viel man sehen kann. Man bemerkt zwischen den Dörfern, denen die Kirchturmspitze fehlt – die Türme sind einfache romanische Stumpfe – [,] große Vorwerke, eher noch deutschen als englischen Gutswirthschaften ähnlich: die schönen Wiesenpläne Englands fehlen. Je mehr man in die nördliche Hügelabdachung des Limousin gelangt,6 desto mehr emancipirt sich das Land von der Stadt: der Bauer hier ißt noch selbst was er baut und verkauft es nicht, oder doch nur zum Theil, das Haus ist nicht vom Maurerpolier der nächsten Kleinstadt gebaut, ohne Rücksicht auf die daneben stehenden Wirthschaftsgebäude, sondern ist aus Lehm oder Fachwerk in das vom Dorfstellmacher7 oder -Zimmermann hergestellte Balkengerüst hineingesetzt, und man sieht, daß nicht die Unterkunft desb Menschen, sondern die des Viehs, überhaupt ländliche Wirtschaftsbedürfnisse, für sein Arrangement maßgebend waren. Waldiges Hügelland, stellenweise Heide, beginnt; und da die Jagdsaison eben begann, steckte der ganze Zug voll Jäger, die in diese nördb (S. 386)–b Fehlt in Kopie des Originals; Text folgt A 2.
c A 2: anmuthenden
4 Thomasmehl, auch Thomasschlacke genannt, ist ein Phosphatdünger, benannt nach dem Briten Sidney Thomas. Er ließ das Nebenprodukt der Stahlerzeugung (Thomas-Verfahren) patentieren. 5 Aus Abraum- bzw. Kalisalz gewonnener Dünger aus Chlorkalium und Magnesiumsulfat. 6 Der geologische Begriff „Abdachung“ bezeichnet die Hauptgefällsrichtung eines Gebirges. Gemeint ist in diesem Fall wohl die nordwestliche Abflachung des Zentralmassivs. 7 Synonym für Wagner, das Handwerk der Holzverarbeitung für Wagen oder landwirtschaftliche Geräte.
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liche,d an Nordwestdeutschland, auch der Färbung der immer schöner werdenden Hügel und Wälder nach, erinnernde menschenarme Landschaft strömten. Nach Süden zu mischt sich in die Eichen und Buchengruppen zunehmend die Kastanie, Fettweiden, Maisfelder, dazwischen wunderbar schöne Herrensitze zwischen den blaugrünen Waldhügeln, schnell fl ießende, immer tiefer einschneidende Bäche und Flüsse zeigen reizende Thal-Ausblicke, und man bedauert, daß die Dunkelheit diesen wunderschönen Garten, in den sich zwischen Dordogne und Garonne das Land ausgestaltet, dem Blick entzieht. Der Zug fährt reißend schnell,e man ißt Pfund-weise das wundervolle Obst, bis man Abends an einer Station in 20 Minuten ein Diner von 8 Gängen in den Leib gezaubert erhält [.] (Ich wünschte meinen Collegen – z. B. E.I. Bekker8 – die Fähigkeit dieser Schnellfresserei: sie brauchen dazu 4 Stunden, und das im Sommer). In Toulouse empfi ng uns ein schon total eingeschlafenes und deshalb halb verwunschenes Hotel. In der schlecht gebauten, elend gepflasterten Stadt, der kein Mensch ihre 150000 Einwohner anmerken kann, ist fast nur die sehr alte romanische St Saturnin-Kirche sehenswerth,9 ein Bauwerk, welches mit der Überzahl seiner Rundbogen – wie sie das Ziegel-Material (die alten butterbrodartig flachen römischen Ziegel) als einziges Motiv ergab – den Blick fast gefl issentlich immer wieder zur Erde lenken fbestrebt zu seinf scheint und dadurch eineng Eindruck von kaum zu überbietender Weltlichkeit erzielt. Südlicher Schmutz und südlich offene Läden, ein Markt – Sonntag Vormittag! –, massenhafth Absinth-Trinker auf den Trottoirs ergeben den Gesammteindruck. Die 3-stündige Fahrt hierheri war recht heiß, aber die Gegend auf der zweiten Hälfte zunehmend schöner. Die Ernte war auch hier miserabel gewesen,10 – das sah man schon an der Winzigkeit der Getreidemiethen [,]11 aber immer mehr tritt Gemüse und zumal Wein – nach antiker Art höchst wenig sorgsam auf dem Acker in Ranken oder an niedrigen Stöcken gezogen – in den Vordergrund, das Land wird hügelig, wie im südlichen Limousin zahlreiche Ruinen und hie und da moderne Landsitze, und dazu nähert man sich d 〈sonst〉 e 〈[wie eine Zu]〉 f zu [??] > bestrebt zu sein tive Lesung: massenhafte i 〈ist〉
g 〈[??]〉
h Alterna-
8 Gemeint ist der Heidelberger Jurist Ernst Immanuel Bekker. 9 Die Kathedrale St. Saturnin bzw. St. Sernin in Tolouse; die größte erhaltene romanische Kirche Europas. 10 Vgl. hierzu den Brief an Helene Weber vom 1. Sept. 1897, unten, S. 397 f. (mit Anm. 13). 11 Eine Lagervorrichtung für Getreide.
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in schräger Richtung den Pyrenäen, die in der Plötzlichkeit ihres Anstiegs aus der Tiefebene einen fast unglaubwürdig hohen Eindruck machen, eine große, dunkelblaue Wand von unabsehbarer Länge, oben gezackt, mit Zinnen, Spitzen und Kanten und Wolken-umlagert. Sie sind bis zu sehr großer Höhe hinauf bewaldet [,] trotz ihrer unglaublichen Steilheit, welche die grauen felsigen Spitzen, diej hie und da in die tief eingeschnittenen Thäler blicken, fast wie zum Herunterfallen bereit erscheinen läßt. Der Schnee hat sich, abgesehen von den Gletschern, jetzt, am Schluß des Sommers, meist in die Schründe und Spalten zurückgezogen. Unten in den Thälern – das ist der Gegensatz gegen die Alpen – k herrscht üppigel halbsüdliche Vegetation. Die Pappel in ihren verschiedenen Arten beherrscht die Landschaft, so weit man sieht, dazwischen Platanen, Katalpen12 und zahme Kastanien, Akazien-artiges Niederholz und immergrünes Gestrüpp, prachtvoll gesättigt grüne Wiesen, Wein und Mais-Felder bis hierher, unmittelbar an den Fuß der 11000 Fuß hoch ansteigenden Maladetta-Gruppe13 heran. Die Berge, welche das Thal von Luchon umgeben, steigen, mit blaugrünem Niederholz hoch, oft bis zur Kuppe, bewaldet, wohl 5000 Fuß hochm steil an, von einem Aussichtspunkt über dem, durch seine 66° warme Schwefelquelle ausgezeichneten Ort aus bieten sie einen Eindruck von unendlichem Ernste, mit dem lachenden Himmel darüber, dem lachenden Thal unten, in welchem sich reizende Hotels, Parks, Wiesen, Clubhäuser u.s.w. mehrere Kilometer weit in die Breite dehnen, in |:gleich:| merkwürdigem Contrast und gewissermaßen als Pedanten desavouiert durch ihre höheren Oheime, welche |:in:| graubraunen Felsenzacken, mit eleganten Schneestreifchen, freundlich durch die Lücken der unteren, das Thal bis auf einigen ziemlich enge Ausgänge fest umschließende Bergwelt herabwinken. Auf den ersten Eindruck hin glaubt man sich an alles Mögliche, Schwarzwald, Alpenthäler, selbst gelegentlich Schottland erinnert, bei genauerem Zusehen ist es doch wieder ganz anders. Der gewaltige Eindruck des Näherrückens der Riesenmauer bei der Fahrt die Garonne aufwärts ist am ehesten zu vergleichen mit dem Eindruck des Blicks vom Mailänder Friedhof auf die Alpen (Monte Rosa). Bagnères de Luchon selbst ist ein schöner j 〈in〉
k 〈beherrscht〉
l 〈süd〉
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n [??] > einige
12 Trompetenbäume. 13 Die südlich von Bagnères de Luchon auf der spanischen Seite gelegene Berggruppe mit dem Pico Aneto, dem mit 3404 Metern höchsten Gipfel der Pyrenäen.
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großer Badeort von mittlerer Vornehmheit,14 überaus behaglichen Hotels, schönen Alleen und Parks, südlich-lustigem Treiben, Tabled’hôteo15 vor dem Restaurations-Pavillon an der Allee an kleinen Tischen, vollgestopft mit unendlich seidenen und – des Rauschens wegen, namentlich: – seidengefütterten Kleidern, französischen Hochzeitsreisepaaren, schnurrigemp Führervolk etc. Da die Hochsaison im Abmarsch ist, wird man sehr zuvorkommend behandelt. – Morgen wollen wir, wenn das Wetter so brillant ist wie heute, was sehr zweifelhaft scheint, zunächst einige Stunden ins Hochgebirge. Das Wunderbare hier ist, daß man in 6–8 Stunden die ganze Scala der Eindrücke, vom Gletscher bis zum südlich-üppigen Thal, durchmachen kann. Dann wollen wir weiter in das Thal von Cauterets am Fuße des Mont Perdu16 und dort einige eigentliche Tages-Fußtouren mit dem Tornister auf dem Rücken machen. Dann wird, denke ich, der Zweck dieser Tage, unser Nervensystem in eine Verfassung zu setzen, daß ihm das Seebad zuträglich ist, erreicht sein. Marianne befi ndet sich, nach Kopfweh und leichtem asthmatischem Anflug in Heidelberg, schon jetzt ganz brillant. Eine Adresse kann ich heute noch nicht, sondern höchstens übermorgen angeben. – Einstweilen herzlichen Gruß, auch an die Geschwister, auch von Marianne, die eben ins Bett ist. Max qin
Wirklichkeit weit reizvoller, kleiner und behaglicher! q
o O: Table-d‘hote p Alternative Lesung: schauerigem kopf, als Kommentar zur Abbildung des Hotels.
q Zusatz in O am Brief-
14 Bagnères de Luchon (oder Luchon) war seit der Antike ein Heilbad (Baedeker, Le sudouest de la France6, 1897, S. 327 f.). 15 Menü zu einem Fixpreis. 16 Cauterets, eine Kleinstadt rund 20 Kilometer südlich von Lourdes, war ebenfalls ein bekanntes Heilbad. Es zog damals jährlich über 20 000 Besucher an (Baedeker, Le sud-ouest de la France6, 1897, S. 298 f.). Der südlich von Cauterets gelegene Mont Perdu (span.: Monte Perdido) ist der dritthöchste Berg der Pyrenäen.
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Helene Weber 30. August 1897; BK Luchon Brief; eigenhändig MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)
Grand Hôtel du Parc Broc – Verdeil Allées d’Etigny – Luchon – Pyrénées Montag 30. VIII. 97. Liebe Mutter!
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Heute nur einen kurzen Gruß. Wir kommen von einer Fuß-Partiea nach dem „Val de Lys“,1 einem Hochthal in den Absenkungen des Maladetta, 2 zurück. Zuerst zu Wagen aus dem Thalkessel von Luchon heraus in das üppig bewaldete enge Thal, welches sofort an Schwarzwald- und ähnliche Eindrücke erinnerte, nur daß selbst in sehr beträchtlicher Höhe Kastanien, Eschen, Goldregen etc. sich zwischen die kleinblättrigen Eichen, Buchen, Birken und Schwarzwaldtannen – bei stark vorwiegender Laubvegetation – mischten und daß die Berghänge um etwa das Doppelte höher und weit steiler sind, – dabei quellen auch an den steilsten, für das Auge senkrechten Stellen gewaltige Exemplare von Buchen und Tannen aus dem feuchten Gestein. Man gelangt ansteigend in eine halbkreisförmige Hochthalmulde, umgeben von den Spitzen der Maladettagruppe, deren Gletscher sich leider mit Nebel überzogen [,] und steigt auf einem schotterigen Pfade |:zu Fuß:| im Zickzack 1½ Stunden einen zunehmend steiler, bis zu |:fast:| senkrechtem Absturz sich auftürmenden, dennoch aber wunderschön bewaldeten Hang in die Höhe, in welchen sich der Abfluß der großen Gletscher eine tiefe und enge Spalte gefressen hat, durch die er in gewaltigen, 100 und mehr Meter hohen Sprüngen hinabstürzt oder pfeilschnell schräg abrinnt, und welche man immer wieder auf Brücken, Vorsprüngen etc. teils kreuzt, teils seitlich neben sich hat – eine ins a Fuß-[??] > Fuß-Partie 1 Eigentlich Vallée du Lys. Im Baedeker, Le sud-ouest de la France6, 1897, S. 333, wurde diese rund dreizehn Kilometer lange Wanderung in eines der schönsten Pyrenäentäler besonders empfohlen. Die Tour endete in dem von Gletschern umgebenen Cirque du Lys. 2 Zu dieser Berggruppe der Pyrenäen vgl. den Brief an Helene Weber vom 29. Aug. 1897, oben, S. 389 (Anm. 13).
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Steile und Groteske übertragene Parallele zum Höllenthal3 und Triberger Wasserfall4 – „Cascade“ und „Gouffre de l’Enfer“.5 Endlich gelangt man oben in eine zweite kleinere Halbkreismulde, und sieht sich vis-à-vis einer von Gletschern gekrönten dunklen Wand, in welche sich der Gletscherbach einen fi nsteren, ungangbaren Spalt gerissen hat, die „Rue de l’Enfer“. Die Nebel, die mit der warmen zum Gebirge aufsteigenden und hier abgekühlten Thalluft stets in kurzer Entfernung hinter uns hergerückt waren und das Thal abgeschlossen hatten, |:holten uns hier ein und:| umhüllten leider die Gletscher und Spitzen, trotzdem ist der Eindruck ein ganz eigenartiger, durch die Combination von Alpen-Motiven oben mit üppigem Baumwuchs in unmittelbarer Nähe. – Für Marianne war die Partie immerhin eine Leistung: sie hatte in der Nacht doch noch einmal etwas Asthma und es war erstaunlich, wie wenig schwer ihr trotzdem in der leichten Luft das Steigen wurde. – Morgen übersiedeln wir nach Cauterets – südöstlich von Lourdes am Fuße des Mont Perdu,6 um von da aus eine ca 3tägige Tour an die Gletscher von Vignemale und nach Gavarnie auf der Höhe des Gebirges zu machen.7 Wahrscheinlich richten wir unsre Reise dann so ein, daß wir nicht jetzt nach Zaragozab gehen, sondern Freitag Abend zunächst nach Bordeaux zurück, teils um Geld zu holen, teils weil ich es jedenfalls sehen möchte,8 dann von da nach Biarritz und von da die Küste entlang nach San Sebastiánc und Bilbao (Las Arenas), um uns das Seebad auszusuchen. Wir fahren dann s.Z. vielleicht über Zaragozad – Barcelonae – Narbonne oder – Marseille zurück.
b O: Saragossa
c O: Sebastian
d O: Saragossa
e O: Barcellona
3 Das teils schluchtartige und felsige Höllental bei Freiburg. Max und Marianne Weber hatten es kurz nach ihrem Umzug nach Freiburg im Herbst 1894 besucht (Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 27. Okt. 1894, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 4 Die Triberger Wasserfälle im mittleren Schwarzwald. Mit über 160 Meter Fallhöhe auf mehreren Stufen sind sie die höchsten Wasserfälle Deutschlands. 5 Wasserfall mit angrenzender Felsenschlucht. 6 Zu Cauterets und dem Mont Perdu vgl. den Brief an Helene Weber vom 29. Aug. 1897, oben, S. 390 (mit Anm. 16). 7 Zum Ausflug nach Gavarnie vgl. den Brief an Helene Weber vom 2. Sept. 1897, unten, S. 405–407. 8 Die Fahrt nach Bordeaux verschob sich dann um einen Tag auf Samstag, den 4. September 1897, vgl. den Brief an Helene Weber vom 5. Sept. 1897, unten, S. 409.
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Es bekommt uns beiden prächtig, wir sind seereif und wollen deshalb ans Meer. Herzlichen Gruß Max
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Helene Weber 1. September 1897; BK Cauterets Brief; eigenhändig MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals) Dieser und die folgenden Briefe an Helene Weber vom 2., 5. und 7. September 1897, unten, S. 405–420, tragen in der Datumszeile die Abkürzung „7bre“ (frz.: septembre). Es handelt sich um eine im 19. Jahrhundert in Frankreich noch gängige Abkürzung nach dem ursprünglichen römischen Kalender. Diesem zufolge begann das Jahr im März und der September war somit der siebente (frz.: septième) Monat. Der Brief enthält Zusätze von der Hand Marianne Webers, die hier nicht wiedergegeben werden.
Hotel de Paris Cauterets (Hautes-Pyrénées) 1. 7bre 97 Liebe Mutter! Man lebt in Südfrankreich in mancher Beziehung reizend: die Leute sind im Allgemeinen harmlos, gesprächig und gefällig, die Kutscher, Führer etc. mit einem gewissen Anflug koketter Cavaliersmanieren, wie das glückliche Klima verbunden mit Reminiszenzen alter Kultur und – in adem Gebirgea – einer stets ziemlich weitgehenden bäuerlichen Freiheit sie anerziehen. Man ist, wenn man so klug ist ohne weiteres in die sogenannten „ersten“ Hotels zu gehen, ausgezeichnet aufgehoben zu Preisen, die z. B. gegen Schottland um 30% niedriger sind. Die Verpflegung kann nicht gut anders als „großartig“ genannt werden. Das scheint höchst materiell und gefräßig, allein das Schwergewicht liegt auf der künstlerischen Form der menschlichen Ernährung. Wir haben eben wieder unser Hoteldiner in 35 Minuten absolviert und wieder gefunden, daß es unmöglich ist sich in Frankreich zu überladen, und daß es etwas Civilisierteres als diesen Vorgang kaum geben kann. Die englische däftigeb unvermeidliche tägliche Trilogie von Roast Mutton, Roast Chicken, Roast Beefc und Pies, scharfen Saucen etc. etc. ist doch eine unerhörte Barbarei hiergegen. Neu scheint in den Hotels eine gewisse, in England W.C. abgekürzt gesprochene Lokalität zu sein, vor die Einen aus diesem Grunde hier jeder Hotel-Inhaber, Herr oder Dame, beim Empfang sofort mit großem Applomb zu führen pflegt. a Alternative Lesung: den Gebirgen
b Alternative Lesung: dürftige
c O: Beaf
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Das Bade-Publikum ist natürlich recht verschiedenen Werthes, durchweg von unerhörter Eleganz, in seinen seidenen Dessous rauschend, die hübscheren jungen Mädchen meist durch einen scharfen unliebenswürdigen Zug dam Munded entstellt, die weit überwiegenden häßlichen in abschreckender Weise ihr Portemonnaie in fürchterlich auffallenden Seiden-Costümen und Hüten zur Schau tragend. Greulich ist das unterschiedslose Spucken, welches Civil, Militär, Geistlichkeit und Weiblichkeit betreibt. Die zierlichsten und offenbar aus wirkliche besten Kreisen stammenden jungen Frauen, die verschleiert einem in der 1. Classe gegenübersitzen, schieben plötzlich den Schleier in die Höhe und ehe man es ahnt – chfft! qualstern sie aus dem Fenster. – Als wir gestern Abend von Lourdes zuerst per Bahn, dann per Wagen durch eine enge waldige Thalschlucht, deren Fuß man von der hohen Alpenstraße aus in der Dämmerung nicht mehr sah, während die Bergspitzen die Nebelschicht verhüllte, unter der wir herfuhren, im Dunkel hier ankamen, war die Stadt mit Lampions, Fahnen etc. illuminiert, Musik und ein Mordsspektakel anläßlich der unbeschädigten Heimkehr des Präsidenten aus Rußland.1 Die südlichen Zeitungen, die ich gesehen habe, machen sonst zwarf hie und da thörichte Bemerkungen, aber eigentlich weniger als ich dachte, namentlich ist von Elsaß-Lothringen kaum gelegentlich die Rede, 2 sondern mehr von der wiedergekehrten Sicherheit gegen Deutschland und dem erneuten Prestige.3 Sozialistische Blätter unterscheiden sich übrigens darin von andreng
d im G > am Munde
e 〈gu〉
f 〈eini〉
g Alternative Lesung: andern
1 Der französische Präsident Félix Faure war am 18. August 1897 zu einem Staatsbesuch nach Rußland gereist. Sein Treffen mit dem russischen Zaren Nikolaus II. bekräftigte feierlich die 1894 geschlossene französisch-russische Allianz. Bei seiner Abreise war nahe der Gare du Nord eine Bombe explodiert. Faures Rückkehr am 31. August wurde als „nationaler Festtag“ begangen (vgl. Schulthess 1897, S. 263). 2 Anspielung auf die Annexion Elsaß-Lothringens durch Deutschland nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71. 3 Nach Bismarcks Rücktritt trat in den 1890er Jahren insofern eine gewisse Entspannung der deutsch-französischen Beziehungen ein, als in Frankreich Forderungen nach „Revanche“ bzw. einer kriegerischen Rückgewinnung Elsaß-Lothringens ihre öffentliche Brisanz verloren. Durch die deutsche Abkehr von Bismarcks Bündnispolitik gewann das zuvor weitgehend isolierte Frankreich in Europa neuen außenpolitischen Spielraum, der sich im Bündnis mit Rußland (wie oben, Anm. 1) aber auch in einer Annäherung an Italien manifestierte (vgl. Poidevin, Raymond und Bariéty, Jacques, Frankreich und Deutschland. Die Geschichte ihrer Beziehungen 1815–1975. – München: C.H. Beck 1982, S. 193–203).
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nicht. Das Duell des Prinzen von Orleans mit dem Grafen von Turin ist noch immer mindestens ebenso interessant. – 4 Das Schwefelbad Cauterets, 5 in dem wir uns befi nden, offenbar mit seinen Umgebungen der Glanzpunkt der Pyrenäen – ich glaube ich schrieb neulich schon, daß hier Onkel Wilhelm’s Vater auf der Reise (mit dem berühmten Wagen) |:1852 ca.:| starb6 – liegt in einer kleinen Thalmulde zwischen steil zu 7–8000 Fuß ansteigenden zackigen, hoch hinauf bewaldeten Bergen, ist aber trotzdem noch jetzt sommerlich heiß. Wir machten heute, nachdem der Wind umgeschlagen war und den Nebel zu Thal getrieben hatte, eine Fußwanderung durch das Thal der Gave de Pau7 aufwärts zum Lac de Gaube,8 einem blaugrünen Gebirgssee auf ca 6000 Fuß Höhe, umgeben auf zwei Seiten vonh graziös gegen den blauen Himmel ausgezackten Bergen, an denen bis zu den letzten senkrecht steilen Zacken streifenweise die Schwarzwaldtannen hinaufkriechen, scheinbar gegenseitig auf ihren Kronen stehend, während an der vierteni an der von Schneeresten schmutzig grau gefärbten Wand des Pic de Vignemale – eine Spitzej der Mont-Perdu-Gruppe [–] in Treppenabsätzen ein strahlend weißer Gletscher tief herabsteigt, dessen Abfluß den See speist. Der Aufstieg auf einer an die Südausgänge der Alpen erinnernden |:Hoch-:| Straße, von der man alsdann in steilem Pfade abbiegt, erinnerte in den Färbungen der Berge, ihrer Bewaldung etc. oft an oberbayrische und Tiroler Bilder, nur ist die Vegetation üppiger, die Luft wärmer, die Berghalden steiler, und wo sich Spuren des Menschen zeigen, tritt in der Bauart der Häuser – den
h 〈zackigen〉
i Unsichere Lesung.
j Kupp > Spitze
4 Das Duell zwischen Henri Philippe Marie d’Orléans und Vittorio Emanuele di Savoia, dem Grafen von Turin, am 15. August 1897 bei Paris erregte international erhebliches Aufsehen. Henri d’Orléans, der sich im „Figaro“ öffentlich abfällig über die italienische Armee in Abessinien geäußert hatte, wurde vom Grafen von Turin zum Duell gefordert und überlebte schwer verletzt (Schulthess 1897, S. 263). 5 Zu Cauterets vgl. den Brief an Helene Weber vom 29. Aug. 1897, oben, S. 390 (Anm. 16). 6 Gemeint ist Victor Benecke, der Vater von Ernst Wilhelm Benecke. Der an einer Lungenkrankheit leidende Benecke starb 1853 auf einer Erholungsreise bei Cauterets im Alter von nur 44 Jahren (vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 156 f.). 7 Im Cirque de Gavarnie entspringender Fluß, der auch durch Lourdes fließt. Wie Weber im Brief an Helene Weber vom 2. Sept. 1897, unten, S. 405, selbst bemerkt, verwechselte er hier den (im Nachbartal fließenden) Gave de Pau mit dem Gave de Gaube. 8 Ein 1700 Meter hoch liegender Bergsee, rund drei Fußstunden von Cauterets entfernt, mit Blick auf den Vignemale.
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Sennhäusernk fehlen, der Thür- und Fenstersteuer wegen,9 die Fenster meist ganz – der Süden in sein Recht. Ebenso unten im Vorland: man ist an Süddeutschland in der Art der Feldanlage, der Hecken, Obstbäume auf den Feldern etc. erinnert, allein die Dörfer habenl städtisches Gepräge, die kleinen Städte liegen, mit flachen Hausdächern, hohen |:weißen:| Gartenmauern und koketten alten Thürmen malerisch auf Hügeln, der Mais herrscht auf den Feldern neben Gemüsen, dazwischen ist an Weißdornbäumchen der Wein emporgewachsen – man schmeckt es dem à Person 1 Liter |:weißen undm roten:| Wein, den man zu jeder Mahlzeit auf den Tisch gesetzt erhält, an, daß er zwar rein, aber auf dem Kartoffelacker gewachsen ist. – Marianne ist überaus wacker gelaufen und gestiegen, das Asthma ist fort und wir steigen morgen in das Hochgebirge hinein, nach Gavarnie, von wo wir zu Fuß in zwei Tagen hierher zurückkommen, um dann nach Bordeaux und von da nach Biarritz – Irúnn – San Sebastiáno zu fahren.10 – |:(Adresse bis Sonntag |:früh:| abgehend: San Sebastiánp (Espagne) poste restante):| [.]11 Unser Haupteindruck in den letzten Tagen war aber, worauf ich doch noch kommen muß, Lourdes. Wir fuhren dorthin von Bagnères-deLuchon aus, wobeiq wir bei Tarbes im Thal des Adour unter mörderischem Geschnatter der Franzosen eine Stunde weit per Wagen statt per Bahn fahren mußten, da der Adour die Brücke weggerissen hatte (das Hochwasser war |:auch hier:| stark, die Ernte in ganz Frankreich |:verregnet und:| miserabel, die Franzosen kaufen von unsrem Freunde Hirsch12 in Mannheim massenhaft Getreide, was seit Jahrzehnten
k Bauernhöfen > Sennhäusern l 〈etwa〉 m 〈Ro〉 stian p O: Sebastian q nicht ohne daß > wobei
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9 Die 1798 in Frankreich eingeführte Gebäudesteuer richtete sich nach der Zahl der Hausöffnungen und wurde – je nach Größe der Ortschaft – in verschiedenen Tarifklassen erhoben. Vgl. Gebäudesteuer, in: Meyers Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, 5. Aufl., Band 7. – Leipzig und Wien: Bibliographisches Institut 1895, S. 145 f., hier: S. 146. 10 Vgl. hierzu im Einzelnen das Itinerar der Reise, Anhang IV, unten, S. 906 f. 11 International übliche Bezeichnung für: postlagernd. 12 Emil Hirsch war einer der bedeutendsten deutschen Getreidegroßhändler und Miteigentümer der Mannheimer Firma Jacob Hirsch & Söhne. Helene Weber war insofern mit dem internationalen Getreidehandel vertraut, als ihre Halbschwester, Laura, in die niederländische Familie Bunge eingeheiratet hatte. Die Firma Bunge & Born in Antwerpen entwickelte sich zu einer weltweit agierenden Importfirma für überseeisches, besonders argentinisches Getreide (vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 88–90). Ein weiterer persönlicher
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nicht da war).13 Wir verpaßten so den Zug hierher in Lourdes und hatten statt einer Stunde deren vier Aufenthalt dort, und das war gut, denn so konnten wir zwei gewaltige Pilgerzüge, die von Nantes und aus der Bretagne (wenn ich nicht irre) kamen, eingehend in ihrem Gebahren beobachten, und der Eindruck war einer der eigenartigsten, die man haben konnte.14 Lourdes, ein kleines Städtchen15 amr Austritt der Gave de Pau aus den Pyrenäen, ist an sich ein höchst malerisch von einer grauen alten Citadelle16 und einem Calvarienberge mit prachtvoller Aussicht überragter Ort, auf einem Hintergrund von hohen kahlens steinigen Bergkuppen, die der Landschaft einen überaus ernsten Gesammtcharakter verleihen, und zwischen denen sich, überragt von den höchstent Spitzen der Pyrenäen, das, zuerst breite, |:dann sich schnell verengende:| schöne Thal der Gave de Pau öffnet. Von den Kirchen der Stadt liegt die eine halbvollendet in Trümmern! – „faute de ressources“,17 d. h. weil der Clerus die Stadtkirchen als Concurrentinnen der Wallfahrtskirche nicht aufkommenu lassen wollte.18 Man geht vom Bahnhof aus nach der letzteren durch einige Straßen der Stadt hinab und hat bald, von einer Brücke über die Gave de Pau aus, über einen von Alleen durchzogenen Rasenplatz hin, einen Blick auf sie, um sie und das ganze architektonische Arrangement des Wallr 〈Ausgang〉
s 〈Felskup〉 〈St〉
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u 〈ließen〉
Bezug zu Max Weber ergibt sich daraus, daß Gerhart von Schulze-Gaevernitz im Juli 1897 die Tochter von Emil Hirsch, Johanna, geheiratet hatte. 13 Frankreich war weitgehend selbstversorgend und importierte in der Regel nur zwischen 2 und 10% des benötigten Getreides. Ausnahmen bildeten schlechte Erntejahre, zu denen das Jahr 1897 gehörte. 1897/98 mußte 25% des inländischen Bedarfs durch Importe gedeckt werden (vgl. Aldenhoff-Hübinger, Rita, Agrarpolitik und Protektionismus. Deutschland und Frankreich im Vergleich 1879–1914. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002, S. 174 f.). 14 Nach Baedeker, Le sud-ouest de la France6, 1897, S. 217–220, hier: S. 218, umfaßten zur Zeit der „pèlerinage national“ Mitte August manche Pilgerzüge bis zu 30 000 Personen. Organisiert wurden sie durch den im 19. Jahrhundert gegründeten Assumptionisten-Orden und die „association de Notre-Dame-de Salut“, die im Sommer nahezu täglich tausende von Pilgern mit Extrazügen aus ganz Frankreich nach Lourdes transportierten. Für Kranke waren Fahrt und Unterbringung in Lourdes unentgeltlich, was durch ein erhebliches Spendenaufkommen finanziert wurde. 15 Lourdes hatte zu dieser Zeit rund 7700 Einwohner (Baedeker, Le sud-ouest de la France6, 1897, S. 217). 16 Dem Château fort de Lourdes. 17 Frz. für: mangels Geldmitteln. 18 Bei der Stadtkirche handelt es sich um die 1877 im romanischen Stil nahe der alten Pfarrkirche begonnene Église neuve (Baedeker, Le sud-ouest de la France6, 1897, S. 218). Im Jahr 1900 wurden die Bauarbeiten allerdings wiederaufgenommen.
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fahrtsplatzesv, der sich an die Grotte |:angegliedert hat:|, in welcher vor 30 Jahren die jetzt längst |:im Kloster:| verstorbene, zu ihren Lebzeiten gänzlich vergessene, erst jetzt in Panorama-Bauten (!ein solches Panorama „Apothéose de Bernadette“ steht 10 Minuten vom Wallfahrtsplatz!) etc. verherrlichte Bernadette Soubirous19 die Jungfrau in weißem Kleide mit blauer Schärpe, – Hochzeitstracht der Bauernmädchen – schaute, so wie sie in |:– für meinen Geschmack –:| greulichem Standbild in der Grotte stehtw. Die Grotte selbst |:– eine Felsausbuchtung von einigen Metern Tiefe –:| liegt unten in dem steilen Fuße des jetzigen Calvarienberges, der sich einer großen schönen, am Fluß belegenen Allee zukehrt. Sie ist jetzt mit einem Gitter versehen und innen austapeziert mit zahllosen sogenannten „ex voto“, 20 Krücken, die „Geheilte“ zurückgelassen haben etc. etc. Die frische Quelle in ihr ist aufgefangen und nach links inx eine marmorne Badeanstalt mit mehreren durch Vorhänge verschlossenen Eingängen geleitet, einige Strahleny rinnenz davor im Freien und aus ihnen trinkt der Gesunde, während für den Kranken das Bad bestimmt ist. Senkrecht über der Grotte |:hoch:| oben erhebt sich die Wallfahrtskirche, 21 deren Portal und Thurm sich nach links zu, nach der Richtung der Stadt und des erwähnten Rasenplatzes wenden. Das ganze architektonische Arrangement ist von raffi nierter Geschicklichkeit. Von dem Portal führt nach der Stadt zu eine weit ausladende Freitreppe herunter, herum um eine vor dem Portal unten belegene zweite, mit Wellblechkuppeln versehene große Kirche, |:besser:| ein Kapellenconglomerat, 22 und noch weiter greifena die gewaltigen Rampen aus, welche links und rechts um diese untere Kirche |:und die Freitreppe:| herumb auf Viadukten zur Erde hufeisenförmig niedergeführt sind, auf welchen von links die pèlerinagesc23 herauf- und nach links24 herabziehen. Vond der einen diev Wallfahrts[??] > Wallfahrtsplatzes y 〈,〉 z 〈dah〉 a 〈zw〉 b 〈und〉
w O: stehe c O: pélérinages
x 〈einen Baderaum〉 d 〈diese〉
19 Die 1925 selig- und 1933 heiliggesprochene Bernadette Soubirous. Ihr soll im Alter von vierzehn Jahren (erstmals im Februar 1858) bei der Grotte mehrfach die Jungfrau Maria erschienen sein. 1879 war sie in einem Kloster verstorben. 20 Lat. für: Gelübde. Als Dank und Versprechen zurückgelassene Votivgaben. 21 Die nach Plänen von Hippolyte Durand im gotischen Stil erbaute, 1876 geweihte Basilique de l’Immaculée-Conception (Baedeker, Le sud-ouest de la France6, 1897, S. 219). 22 Die vorgelagerte, zwischen 1885 und 1889 erbaute Église du Rosaire mit insgesamt 15 Kapellen (ebd.). 23 Frz. für: Pilgerzüge. 24 Sinn unklar. Gemeint ist hier vermutlich rechts.
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ser Rampen aus kann man auf den Platz vor der Grotte und das was dort geschieht hinabsehen. – Kommt man von der Stadt aus auf diesen Aufbau zu, so fühlt man sich zunächst befremdet durch die große Schmalheit des Portals und Thurms der – romanischen, nicht gothischen – Wallfahrtskirche, die Känguruh-artig in die Höhe strebt. Allein wenn man eine Weile unter dem Eindruck der singenden Pilgerschaaren gestanden hat,e begreift man, daß das Gespenstische dieses ohne architektonische Nötigung, wie ein „Finger Gottes“, nach oben weisenden Baues nicht unbeabsichtigt sein kann und in den Gesammteindruck paßt. Als wir uns dem Bau näherten, sahen wir den Pilgerzug von Nantes, die Standartenf voran, den Clerus vermischt mit den Laien, am Schluß den Bischof, 25 nachlässig, wie ein „abwinkender“ Major, Segen spendend, inmitten des Capitels, von links die Rampe emporgestiegen und ebeng im Abstieg. Der ganze Zug, untermischt mit allerlei einheimischem Volk, mochte 2000–3000 Menschen umfassen. Mehrere 1000 andre, Neugierige und Pilger – denn in der Saison (nach der Ernte) kommen täglich Pilgerzüge an – |:knieten und:| standen unten. In einem eignen Gemisch dumpfen Baß-Gemurmels und hellen Sopran-Gekreisches dröhnte das Ave-Maria und die andren Gesänge, dem Tonfall nach wie in schnellem Tempo gesungene Trauermärsche. Die Laien im Zuge waren dem Habitus nach Kleinbürger – spezifische Physiognomienh offenbar leidlich gestellter Handwerker – und besser gestellte Bauern und Bäuerinnen in weißer Haube |:– der typische französische „Mittelstand“:|. Wir folgten dem Zuge, der nach der Grotte umbog, um das Schauspiel der „Heilungen“ zu sehen. Von der Rampe aus, von den Bänken am Flusse aus und in unmittelbarer Nähe sahen wohl 4–5000 Menschen Dem zu, was nun folgte. Deri jüngere Clerus und die dazu angestellten jungen Pilger – alle Lebensalter waren vertreten – schlossen, zunächst |:mit einem langen Lederriemen bzw. mehreren solchen:| einen ziemlich engen Ring; nur an bestimmten Stellenj wurden durch Hochheben des Riemens Leute – malades26 – eingelassen. Um den Ring drängte die Pilgerschaar, mit Recht steht bei der Grotte und an allen Säulen der granitenen Badeanstalt als einzige, freilich wenig überweltliche Inschrift: „Veillez sur vos portee 〈[??]〉 nomien
f Fahnen > Standarten g Alternative Lesung: oben i 〈Cle〉 j 〈waren Eingest〉
25 Bischof von Nantes war seit 1896 Pierre-Émile Rouard. 26 Frz. für: Kranke.
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monnaies“.27 Nach rechts zu, auf einer steinernen Kanzel nahe der Grotte, stand anfangs ein Domcapitular, 28 dann der Bischof, und hielten kurze Ansprachen, die sicher Niemand verstand, denn alles Interesse conzentrierte sich nach links, wo die Kranken durch die Einpaßstellen auf Wagen, Krücken, Tragbahren dem Bad zuströmten. Als Träger sah man nicht selten elegante Herren in Touristencostümen von keineswegs „frommem“ Gesammteindruck, – wohl Wahlcandidaten des Clerikalismus.k Um die Badeanstalt geschaart stand der ordinierte Clerus und es begann der Akt der Anrufung der vierge. 29 Innerhalb des Ringes befanden sich die Kranken, deren Zahl aus dem großen Hospital der Stadt, 30 in dem ein Sammelsurium wirklicher und eingebildeter Kranker aller denkbaren Sorten sich stetig vermehrte und ergänzte. Dumpfes Gemurmel und Abgleiten der Rosenkränze. Dann Niederknien und Niederwerfen. Dann unterscheidet man die hohe, fast kreischende Stimme des leitenden Priesters: Ayez pitié de nous! 31 – gleichlautende Antwort gemurmelt aus 2000 Kehlen – pitié de nos malades! 32 – ebenso – à cause de ton fi ls priezl pour nous! 33 – ebenso – in allerlei Abwandlungen wohl 10 Mal wiederholt, stürmischer, kreischender, – à cause de ton fi ls ayez pitié de nous et guérissez nos malades! 34 – von Tausenden in steigender Aufregung, schließlich in rasendem Donner, wiederholt. Ich stand gedrängt zwischen einigen wirklich reizend hübschen |:und feinen:| Mädchen mit recht angenehmem Ausdruck des Gesichts und dicken Bäuerinnen verschiedensten Alters, und sah, wie die Augen groß und roth wurden, zum Himmel aufgeschlagen, ohne daß die Thränenströme die Augenlider zucken ließen, diese zuckenden Lippen, die ganze Athemlosigkeit, als nun die Kranken, einer nach dem andern, hinter den Gardinen des Baderaums verschwanden, wobei die immer in eintöniger Abwandlung k 〈Ums〉
l O: prie 〈de nous〉
27 Frz. für: Achten Sie auf Ihre Portemonnaies. 28 Ein Priester des Domkapitels, welcher den Bischof bei Gottesdiensten und bei der Leitung des Bistums unterstützt. 29 Frz. für: Jungfrau. 30 Vermutlich das auf dem Weg zwischen Stadt und Grotte gelegene Hospice St.-Frai, in dem die meisten Kranken nach ihrer Ankunft in Lourdes mit ihren Pflegern untergebracht wurden (Baedeker, Le sud-ouest de la France 6, 1897, S. 219 f.). 31 Frz. für: Erbarme Dich unser! 32 Frz. für: Erbarme Dich unserer Kranken! 33 Frz. für: Um Deines Sohnes willen, bitte für uns! 34 Frz. für: Um Deines Sohnes willen, erbarme Dich unser und heile unsere Kranken!
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sich wiederholenden kreischend flehenden Bitten des vorbetenden Priesters sich stets, bis zur physischen Grenze der Möglichkeit, im Ton zu steigern und – wie ein Schriftsteller es ganz richtig wiedergegeben hat: – „den Himmel zu vergewaltigen“ suchten.35 Eine ähnlich gewaltige Nervenerregung wird man nicht leicht sehen können. Mir selbst trat, als ich diese Menschen intimer beobachtete, |:einen Augenblick:| der kalte Schweiß auf die Stirn, und wie mag einem „Gläubigen“m zu Muthe sein? Aber dies ist bei weitem nicht das Angreifendste, – ich will zwischendurch nur bemerken, daß an sich, bei oberflächlicher Betrachtung, die ganze Sache den Eindruck eines sich drängenden Menschenknäuels mit allerlei Klim-bim macht, wer aber die Psychologie der katholischen Kirche kennt, sieht sich |:in dem Knäuel:| die Individuen individuell und genau an und hier erst gelangt er auf die Spurenn der gewaltigen Akkorde, die sie auf dem Nervensystem der Massen anschlägt [.] – Das Angreifendste also war ersto der Eindruck der Kranken selbst, – derjenigen wenigstens, die ich heranfahren, -tragen und [ - ] humpeln sah. Dieses arme kleine 12jährige Mädchen, welches in einer Tragbahre lag, scheu um sich blickend, mit den Zähnen klappernd, gelb und in rasender Aufregung, werde ich nie vergessen; noch weniger freilich den zugleich rührenden und vernichtenden Eindruck einer Gruppe [,] die uns auf dem Rückweg begegnete: ein Fahrstuhl, daneben zwei junge Leute, offenbar Tochter und Schwiegersohn der Frau mit dem feinen, unendlich leidenden Gesicht, mit fastp erloschenen Augen, die ohne jeden Ausdruck von Hoffnung, meinem bestimmtenq Eindruck nach |:direkt:| sterbend, darin lag, – offenbar eine schwer und m Schließendes Anführungszeichen fehlt in O. p 〈ers〉 q 〈An〉
n 〈ihrer〉
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35 Eine entsprechende Formulierung und Szene findet sich in Émile Zolas 1894 erschienenem Roman „Lourdes“, einer Fundamentalkritik, die er nach seinem Besuch der Wallfahrtsstätte verfaßte. Im 2. Kapitel des Abschnittes „Vierter Tag“ wird das sich ekstatisch steigernde Ritual der Anrufung der Jungfrau beschrieben. Im Wortlaut der deutschen Erstausgabe heißt es: „Es war reiner Wahnsinn. Der Pater Fourcade hatte am Fuß der Kanzel, überwältigt von der außerordentlichen Leidenschaft, die aus den Herzen überströmte, die Arme emporgehoben; auch er schrie mit donnernder Stimme, wie um den Himmel mit Gewalt zu bestürmen.“ (Zola, Émile, Lourdes, 3 Bände. – Stuttgart u. a.: Deutsche Verlags-Anstalt 1895, Band 2,2, hier: S. 305). Im französischen Original endet die Passage: „criant lui aussi de sa voix de foudre, pour violenter le ciel“ (Zola, Émile, Les trois villes. Lourdes. – Paris: Bibliothèque-Charpentier 1894, hier: S. 389). Daß Max Weber den Roman gelesen hat, ist allerdings erst für den Sommer 1898, während seines Aufenthaltes in Konstanz, belegt (vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 30. Juli und 9. Aug. 1898, unten, S. 531 und 545 f.).
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|:erst:| kürzlich Erkrankte sei es aus der Stadt oder einer Nachbarstadt, – geschoben von ihrem Mann, mit einer Kanzleiraths-Physiognomier und aufgeregten angstvollen Augen. – Den Vorgang einers „Heilung“ derart, daß das „Magnificat“ erklingt, d. h. des Vorgangs, daß ein Kranker unter dem ungeheuren Druck der Aufregung plötzlich wie ein Rasender dem Bad entspringt: – „je suis guéri!“36 – sahen wir nicht. Was ich an Kranken aus dem Baderaum humpeln sah, machte – soweit es ebent auf seinen Füßen stehen konnte, – ganz vergnügte Gesichter, ich glaube einfach weil die Berührung mit dem hier auchu psychisch unheimlich kalten Wasser und die ganze fürchterliche Exaltation überstanden war. Der Priester sprach sie an, einige – offenbar die [,] welche Besserung zu spüren behaupteten – gingen zum „bureau des constatations“, 37 wo Geistliche und einige Ärzte ihrer warten (die Ärzte hat offenbar die Regierung hindeputiert, um das Nötige verordnen zu lassen, in Anbetracht [,] daß das Wasser im Bade gebirgskalt ist, was ja eigentlich ein polizeiwidriger Unfug ist) v. – Das ganze ist ein unauslöschlicher Eindruck. Schwache oder |:auch:| rein ästhetisch interessierte Naturen, namentlich solche |:der letzteren Art:|, welche die |:psychischen:| Machtmittel der katholischen Kirche zum ersten Mal staunend kennen lernen, müssen durch Eindrücke dieser Art, durch die momentane gewaltige Massendisciplin, gradezu über den Haufen geworfen werden. Einseitige Protestanten müssen einen unbeschreiblichen Abscheu empfi nden, und nicht nur sie, sondern jeder, der die Einstellung der Menschenmassen als „nervöses Vieh“ als eine Erniedrigung der Menschenwürde empfindet. Ich habe meinerseits einen gewissen Ekel aus Gründen, auf die ich ein ander Mal wohl zurückkomme, auch nicht ganz los werden können, trotz aller geschichtlicher Reflexionen. Als Machtinstrument ist trotzdem das ganze Arrangement fast beispiellos. Merkwürdig gemischt und schnell abgewandelt sind die Wirkungen der pèlerinagesw.x Das ganze Gebirge wimmelt von kleinen Gruppen wohlhabender Pilger, die auf Grund der Pilger-Tarife, meist in Begleitung oft recht lebenslustiger Priester, jetzt – nach der Ernte, die in Frankreich längst gedroschen und verkauft ist – eine Ferienreise in den Pyrer O: Kanzleiraths-Physionomie s 〈[??]〉 nur u.〉 w O: pélérinages x 〈Wir〉
t 〈gehen〉
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v 〈und
36 Frz. für: Ich bin geheilt. 37 Aufgabe des Büros ist bis heute die Erfassung und medizinische Überprüfung der durch Pilger empfundenen Heilungen.
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näen machten. Jedesmal wieder interessant sind ja auch die PriesterPhysiognomieny: neben höchst behaglichen alten dicken Falstaffsz direkt gemeine pfäffische Fratzen, dazwischen junge, bleiche, großäugige Fanatiker, deren herber Mund von Kämpfen zur Abtötung des Fleisches spricht, andre, denen sie gelungen ist und wieder andre,a welche sie aufgegeben haben und entweder in materiellem Verblöden oder in geistreicher Skepsis sich weiterentwickeln. – Unendlich kurz und stoßartig ist auch der Eindruck der Wunder: die Gespräche des sich auflösenden Pilgerzuges, auch die Gespräche zwischen Geistlichen und Laien, waren höchst prosaischen, zum Teil |:anscheinend:| lasciven Inhalts, im Durchschnitt Erörterungen über den Abendtrunk. Ein winziger Kreis Nervöser überwand den Chok nicht so schnell. – bPhysisch stehen denb „geheilten“ malades imaginaires38 oder Psychopathischenc die durch das Bad – welches laut Reglement „à risque et péril des malades“39 erfolgt – verschlimmerten Fälle gegenüber. – Alles Papier ist zu Ende, daher für diesmal lebewohl! Ich muß auch zu Bett, sonst verschlafen wir uns [.] Von Herzen Dein Max
y O: Priester-Physionomien z In O folgt: und stehen den c In O folgt: stehen
a 〈denen s〉
b Den > Physisch
38 Frz. für: eingebildete Kranke. 39 Frz. für: Auf eigene Gefahr. Der Baedeker, Le sud-ouest de la France6, 1897, S. 219, verwies nicht nur auf die ausgesprochene Kälte der Wunder wirkenden Quelle, sondern auch auf die dort eigens angebrachte Hinweistafel, nach der die Nutzung auf eigene Gefahr erfolge.
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Helene Weber 2. September 1897; BK Gavarnie Brief; eigenhändig MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)
Hotel des Voyageurs Gavarnie (H.-P.) 2. 7bre 97 Liebe Mutter!
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Da wir morgen erst spät Abends nach einem Tagesmarsch zu Pferd und Fuß nach Cauterets,1 von wo wir heute hierher kamen, zurückkehren werden und ich dann nicht zum Schreiben komme, will ich doch jedenfalls einen kurzen Gruß aus diesem, wie ich glaube, schönsten Hochthal der Pyrenäen schicken.2 Wenn wir nicht gern an die See und auch nach Irúna wollten, wo wir hoffentlich Nachrichten von Euch vorfi nden, würden wir unbedingt einige Tage uns hier festsetzen. Das Reisen in so weiter Fremde hat den Nachteil, daß man notwendig erst nachträglich darüber klar ist, wo man gernb von Anfang an gewesen wäre. Man fährt von Cauterets aus vor Sonnenaufgang mit einem |:Break resp.:| Landauer3 |:– auch hier „Landau“ genannt –:| – wir mit zwei sehr gesprächigen Bürgersfrauen zusammen – zunächst thalab, dann ein Nachbarthal hinauf auf einer Alpenstraße von wirklich hinreißender Schönheit aufwärts nach den beiden Badeorten Luz und St Sauveur. Letzteres kleine Nestchen liegt hoch über der Thalschlucht der Gave de Pau – die hier, nicht wie ich annahm4 bei Cauterets fl ießt – angeklebt an den Berg an der Alpenstraße so reizend, daß wir, wenn uns der Weg je im Leben wieder in die Pyrenäen führt, unbedingt dorthin gehen werden. Die Kirchen in den |:älteren:| Orten – so in Luz – sind
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1 Zu Cauterets vgl. den Brief an Helene Weber vom 29. Aug. 1897, oben, S. 390 (Anm. 16). 2 Die Kleingemeinde Gavarnie, nahe der spanischen Grenze, liegt eine gute Fußstunde entfernt vom Cirque de Gavarnie, einem auf über 1600 Meter hoch gelegenen von Felswänden umgebenen Kessel am Ende des Hochtals. Der Wasserfall im Cirque ist mit mehr als 420 Meter Fallhöhe einer der höchsten Europas (Baedeker, Le sud-ouest de la France 6, 1897, S. 310 f.). 3 Viersitzige Kutsche mit einem aufklappbaren Verdeck. 4 Vgl. den Brief an Helene Weber vom 1. Sept. 1897, oben, S. 396.
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zum Teil Kapellen aus dem Besitz des Templerordens und deshalb befestigt und in jeder Beziehung höchst sonderbar, fast ohne Reminiscenz an Kirchenbaustil zusammengekalkt.5 Die Straße führt dannc – nachdem den Pferden je 1 Liter Wein (!) zur Stärkung in das Maul gegossen und durch Hochhalten desselben auch in den Magen gegossen ist (auch Schnaps saufen diese Viecher resp. müssen ihn saufen) steil bergan durch eine öde Steinschlucht, die Marianne an die bei Killarney in Irland belegene „Gap of Dunloe“d, für sie der schönste Punkt, den wir damals sahen,6 erinnerte, immer mehr in die Öde des Hochgebirges zwischen Bergkuppen von höchst abenteuerlichen Formen, in den Lükken zeigen sich Schneefelder und Gletscher; und sie endet endlich hier bei diesem überaus behaglichen, englisch ausgestatteten kleinen Hotel. Im Hintergrundee erscheinen, in einer Stunde Fußmarsch erreichbar, steile in Treppenabsätzen 1000–1500 Meter fast senkrecht aufsteigende Bergkegel, welche dort denf mit Recht berühmten „Cirque de Gavarnie“ umsteheng, ein Halbrund |:von ca 3 Quadratkilometern:| in welches sich 450 Meter hoch in einem gewaltigen Guß eine Caskade, – also so hoch etwa, wie der Königstuhlthurm über dem Meeresspiegel steht,7 – hinabstürzt, die den Ausfluß der Gletscher bildet, welche oben über den senkrechten Wänden |:aufgetreppt lagern und:| in der Nachmittagssonne strahlen. Etwas Großartigeres an |:alpiner:| Eislandschaft gesehen zu haben erinnere ich mich nicht, die Dimensionen sind so ungeheuer, daß man jeden Maßstab verliert, und nur die Winzigkeit der Tannen, welche in den vor demh Eingang zum Cirque lagernden Bergen bis hoch oben, weit höher als die Gletscher |:gegenüber:| hinabreichen, heraufkriechen, läßt die Höhe ermessen. Dabei ist, während den Boden des Cirque da, wo die Sonne nicht hinscheint, Schnee bec 〈durch〉 d Schließendes Anführungszeichen g bilden > umstehen h 〈schm〉
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5 Der nach dem Ersten Kreuzzug 1120 in Jerusalem gegründete Tempelritterorden unterhielt in Frankreich und Spanien zahlreiche befestigte Komtureien und Ordenshäuser. Deren Kirchen waren aufgrund des Armutsgelübdes kapellenartig schlicht gehalten. Nach Aufhebung des Ordens durch Papst Clemens V. 1312 gingen dessen Güter meist in weltlichen Besitz über (Demurger, Alain, Die Ritter des Herrn. Geschichte der geistlichen Ritterorden. – München: C.H. Beck 2003, S. 201 f. und S. 301 f.). 6 Vgl. hierzu Max Webers Beschreibung im Brief an Helene Weber vom 7., 8. und 9. Sept. 1895, oben, S. 137 f. 7 Der 1835 fertiggestellte Aussichtsturm auf dem 567 Meter hohen Königstuhl bei Heidelberg (Liedvogel, Heinrich, Ein Nachruf auf den alten Königstuhlturm, in: Heidelberger Fremdenblatt, Jg. 62, 1961, Heft 13, S. 2 f.).
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deckt, draußen die Wärme recht bedeutend, es wird Getreide,i ca 200 Meter tiefer sogar noch Mais gebaut. Wundervoll war das Schauspiel von hier aus, als jeine dünne Nebelwandj zwischen hier und den Bergen aufstieg, der Schnee auf diesen grüngelb von der Abendsonne beleuchtet wurde und durch den Nebel wie durch einen wirklichen Schleier leuchtete. – Morgen ist der letzte Tag in den Pyrenäen, übermorgen (Sonnabend) Abend treffen wir in Bordeaux ein, von da geht es Montag Abend nach Biarritz, Dienstag nach Irúnk |:und dann nach San Sebastiánl :|,8 wo wir hoffentlich |:– an einem von beiden Orten –:| gute Nachrichten von Euch fi nden. Herzlichen Gruß Max
i 〈weniger〉 j ein dünner Nebelschleier > eine dünne Nebelwand l O: Sebastian
k O: Irun
8 Zu dieser so auch umgesetzten Reiseplanung von Samstag, dem 4. September bis Dienstag, dem 7. September, vgl. das Itinerar, Anhang IV, unten, S. 906 f.
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Helene Weber 5. September 1897; BK Bordeaux Brief; eigenhändig MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals) Anläßlich der Fahrt nach Bordeaux thematisiert Max Weber nachfolgend ausführlicher die Krise des französischen Weinbaus, die bereits seit über zwanzig Jahren anhielt und als nationale Katastrophe galt. Ursache war der Befall der Reben durch die 1868 entdeckte Reblaus. Von den zunächst betroffenen Regionen im Languedoc breitete sich der Schädling bis Ende der 1870er Jahre in großen Teilen Südfrankreichs, bis 1890 in fast allen französischen Anbaugebieten unterschiedlich stark aus. Trotz staatlicher Hilfen für die Winzer griffen Gegenmaßnahmen (der Einsatz von Schwefelprodukten und vor allem das Pfropfen von Reben auf resistente amerikanische Wurzelstöcke) nur schleppend, da die Behandlung der Reben ebenso langwierig wie teuer war. Erst in den 1890er Jahren trat eine Erholung ein und Ende der 1890er Jahre sollte der Schädling überwunden sein. Bis zu diesem Zeitpunkt waren 450 000 Hektar in 64 Departements neu bepflanzt worden, über 80% der Reben in den am schlimmsten betroffenen Departements Gard und Hérault, 40% in der Gironde. Die französische Weinernte, die 1875 einen Höchststand von 83 Millionen Hektolitern erreicht hatte, fiel bereits 1876 auf 41 Millionen und bis 1889 sukzessive auf unter 30 Millionen Hektoliter. Zu den massiven Ernteausfällen trat als weiteres Problem der Verfall des Weinpreises hinzu. Der Ausfall der heimischen Ernten wurde durch den massiven Import insbesondere spanischen Weins ausgeglichen, der zwischen 1876 und 1890 von rund 300 000 auf über 8 Millionen Hektoliter anstieg. Die Konsequenz war, daß nach einer krisenbedingten Preissteigerung 1878–1883 der Preis für den Hektoliter einfachen Wein konstant, bis 1903 um über 50% sank. Vgl. Agulhon, Maurice u. a., Apogée et crise de la civilisation paysanne 1789–1914 (Histoire de la France rurale, tome 3). – Paris: Édition du Seuil 1976, S. 388– 391 und 396 f. (hinfort: Agulhon, Apogée et crise); sowie Gwinner, Arthur, Die Handelspolitik Spaniens in den letzten Jahrzehnten, in: Die Handelspolitik der wichtigeren Kulturstaaten in den letzten Jahrzehnten, 3. Band (SVfSP 51). – Leipzig: Duncker & Humblot 1892, S. 69–123, hier: S. 78; hinfort: Gwinner, Handelspolitik).
Hôtel Richelieu Bordeaux, le 5 7bre 1897 Liebe Mutter! Wir haben die Pyrenäen nun hinter uns, nachdem sie uns vor dem Abschied noch einmal ihr unfreundliches und dann ihr freundliches Gesicht gezeigt hatten. Ihr unfreundliches am Freitag, wo wir vom Ort meines letzten Briefs, Gavarnie im Hochgebirge, eine elfstündige Tour über die Berge nach Cauterets zurück machten. Der Anstieg durch wilde Steinschluchten war zuerst wunderbar schön. Marianne war zu Pferd, ich zu Fuß, und nur zweierlei stört mich in dergl. Fällen stets: einmal wirken Zickzackpfade, die in 50–60 Windungen unausgesetzt, eintönig aufwärts kriechen, erschlaffend auf meine Nerven, dann aber stören mich die Heerden schöner, hellgelb-brauner, sauberer Kühe –
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ich kann lächerlicherweise (seit Eckeren 1872 noch!)1 an einer Heerde dieser Viecher nicht unbefangen vorbeigehen, und – als ob die Bestien ahnten, wie viel Roastbeef ich esse, – thatsächlich fast jedesmal beginnt irgend ein Bulle Miene zu machen, auf mich loszugehen. Ich weiß nicht ob ich mich als Esser oder als Professor dadurch getroffen fühlen soll. Sonst war alles schön, solange wir auf der Südseite des großen Pic de Vignemale waren.2 Das Überschreiten der Schneefelder, angeschwollener Bäche und des Gerölls, in welches die Pferdehufe alle Wege verwandeln, war sehr anstrengend, – so daß ich die letzten 10 Minuten meinerseits ritt und Marianne lief! – aber die blauen Gletscher über und gegenüber uns und die abenteuerlichen Formen der Berge entschädigten für Alles. Aber als wir auf dem 9000 Fuß hohen Col de Vignemale, 3 unterhalb seiner ca 11000 Fuß hohen Spitze, angelangt waren und nach Norden abzusteigen begannen, hatten wir unseren Proviantsack und Weinschlauch verloren und steckten zugleich im dichtesten Nebel, so daß wir, da es schon 3 Uhr war, um nicht in die Dunkelheit zu gerathen, in größter Hast absteigen mußten. Es begann zu regnen und wir hörten – zum ersten Male – das Donnern einer vom Regen losgethauten Lawine, auf der entgegengesetzten, unsa verhüllten Seite des Thales. Alle Wege wurden Ströme, zahllose Bäche mußten, bis an die Knie ins Wasser stapfend, passiert werden, aber in einem Gewaltmarsch bis in die Nacht hinein setzten wir es doch durch, nach Cauterets zurückzukommen, in einem Zustande wie in Schottland nach der Glencoe-Partie.4 Als wir am folgenden Tage – gestern – zuerst auf der Correspondance5 und dann per Bahn hierherfuhren, strahlten, namentlich vom Pau6 aus gesehen, die Pyrenäen, wenn auch noch immer wolkendurchzogen, doch in jenen blaß-graugrünen und gelblich a 〈un〉 1 Sachverhalt nicht ermittelt. 2 Der Vignemale, im gleichnamigen Massiv direkt an der französisch-spanischen Grenze gelegen, ist mit seinem 3298 Meter hohen Gipfel (Pique-Longue) der höchste Berg der Pyrenäen auf französischem Gebiet. 3 Der 2738 Meter hohe Col de Vignemale (oder Hourquette d‘Ossoue) liegt ca. sechs Stunden Fußmarsch entfernt von Cauterets (Baedeker, Le sud-ouest de la France 6, 1897, S. 304 f.). 4 Diese beschrieb Max Weber während der Schottlandreise 1895 in seinem Brief an Helene Weber vom 1. Sept. 1895, oben, S. 122–124. 5 Gemeint ist sehr wahrscheinlich eine Postkutsche (frz.: diligence). 6 Gave de Pau, bei Gavarnie entspringender und zunächst nach Norden (bzw. NordOsten) fließender Fluß.
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leuchtenden Farben, über die die Nachmittagssonne bei uns nur nach Gewittern zu verfügen hat. Da massenhaft frischer Schnee gefallen war, präsentierte sich die wiederum endlos sich hinstreckende und auch hier riesenhaft hoch erscheinende Wand mit ihren graziösen Zinnen und Zacken in überaus vornehmer Schönheit. Spät in der Nacht kamen wir hier an und wollen heute Abend auf einige Stunden nach dem Badeort Arcachon südlich der Mündung der Gironde, morgen Abend nach Biarritz und übermorgen |:(Dienstag):| über Irúnb, wo wir (endlich!) wohl etwas von Euch werden hören können, nach San Sebastiánc. – Bordeaux ist eine ganz unvergleichlich viel schönere Stadt als die nächstgrößte Stadt im Südwesten,d Garonne-aufwärts, Toulouse. Von dem großen, ½ Kilometer langen steinernen Pont de Bordeaux aus gesehen,7 zieht sich die Stadt in einem wirklich imponierenden Halbrund um die ziemlich scharfe Biegung der Garonne s