250 69 80MB
German Pages 1115 [1120] Year 1992
Gerhard Schulz Von Brüning zu Hitler
Gerhard Schulz
Zwischen Demokratie und Diktatur Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik
Band III
w DE
G
Walter de Gruyter • Berlin • New York 1992
Gerhard Schulz
Von Brüning zu Hitler Der
Wandel des politischen Systems in Deutschland
1930—1933
w OE G
Waker de Gruyter • Berlin • New York 1992
® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek —
CIP-Einheitsaufnahme
Schulz, Gerhard: Zwischen Demokratie und Diktatur : Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik / Gerhard Schulz. — Berlin ; New York : de Gruyter. Bd. 3. Von Brüning zu Hitler : der Wandel des politischen Systems in Deutschland 1930-1933. - 1992 ISBN 3-11-013525-6
© Copyright 1992 by Walter de Gruyter Sc Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer G m b H , Berlin
VORWORT
Jeder, der sich eingehend mit der deutschen Geschichte der Zwischenkriegszeit befaßt, ist Karl Dietrich Brachers bahnbrechender Darstellung der Auflösung der Weimarer Republik verpflichtet 1 , deren Rang die Forschung von mehr als 35 Jahren nur gefestigt hat. Sie ist maßgebend und maßstabsetzend für die Zeitgeschichte geworden. In Frage steht, in welchem Umfang die deutsche Historiographie von Anregungen und Wegweisungen, Hinweisen — und auch unausgesprochenen Konsequenzen — dieses Werkes Gebrauch zu machen wußte. Obgleich mittlerweile eine Unzahl von Veröffentlichungen erschienen ist, so daß keine Bibliographie imstande scheint, alle Titel oder auch nur die wichtigsten unter ihnen zu erfassen, 2 fällt für die nüchterne Betrachtung das Ergebnis eher schmal als ermutigend aus. Jedes Geschichtswerk ist freilich auch ein Experiment in Geschichtsschreibung. Das Werk, dessen dritter Band hier vorgelegt wird, hat sich auf Verfassung und Regierungssystem der Weimarer Republik konzentriert, jedoch nicht im engen Sinne beschränken wollen. Wenn es eine nachhaltige Lehre gibt, die sowohl die Zeit zwischen als auch die nach den Weltkriegen in der deutschen Geschichte erteilt und die — in gebotener Zurückhaltung — gegen Ende des Jahrhunderts ausgesprochen werden darf, so ist es wohl die, daß es nicht genügt zu beobachten, wie es um die Macht steht und wie sie verteilt ist, auch wenn dies auf die Dauer letztlich immer entscheidet und entsprechend bedacht werden muß; dies hatte Ferdinand Lassalle ganz richtig erkannt. Man muß auch zusehen, was aus Verfassung und Recht wird, ob rechtens ist, was geschieht, und wie das Recht verändert wird von jenen, die es für maß- und grenzsetzend
' Karl Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, Villingen 1955, 7. Aufl. 1984. 2
Anstelle der für die Geschichte des 20. Jahrhunderts nie ganz befriedigenden Biblio-
graphien sei hier die kommentierende Auswahlbibliographie v o n Eberhard K o l b genannt, Die Weimarer Republik, München/Wien 1984; sowie die wohl nun umfassendste Bibliographie zur Weimarer Republik im Anhang zu Hans Mommsen, Die verspielte Freiheit. Der Weg der Republik von Weimar in den Untergang 1 9 1 8 bis 1933, Berlin S. 5 5 1 - 5 7 2 .
1989,
VI
Vorwort
halten, sich seiner aber auch bedienen wollen. Macht und Recht greifen immer auf irgendeine Weise ineinander. Dieser existentielle Dialog, wie man dies wohl nennen kann, läßt sich auf einem Gebiet verfolgen, das wissenschaftlich herkömmlich der. Verfassungsgeschichte zugehört. Doch diese hat ihre Probleme mit der Geschichte, der wirklichen wie der geschriebenen. In Deutschland gibt es schon lange Verfassungsgeschichte, die von Historikern, wie etwa Otto Hintze oder Fritz Härtung, um nicht noch weiter zurückzugehen, und eine, die von Juristen geschrieben wurde, wie Ernst Rudolf Huber, dessen opus magnum, was das Volumen anlangt, die umfangreichste Darstellung zur Weimarer Republik überhaupt umfaßt 3 . Es sei hier als jüngster Endpunkt einer Entwicklung erwähnt, die nun Forschungen des Historikers und nicht bloßen Anschluß erfordert. Jedes Ereignis, jede Entscheidung ist, wie der Historiker weiß, eingebettet in Kausalnexus und Interdependenzen, die durch Analyse und Interpretation von Texten stets mitsamt ihrem relevanten Umfeld rekonstruiert werden müssen. Daß hierbei auf Beschränkungen nie verzichtet werden kann, bleibt einzugestehen. Aber eine Verkürzung um die außenpolitischen Dimensionen oder nach der wirtschaftsgeschichtlich relevanten Seite hin oder gar deren völlige Abbindung ist für größere Phasen zumindest im zeitgeschichtlichen Rahmen kaum sinnvoll, eigentlich nicht mehr vertretbar. Das kompliziert freilich manche Probleme. Doch immer wird der Blick des aufmerksamen Beobachters zuerst auf Menschen fallen, auf die Handelnden und Entscheidenden allzumal, wird er Charakter, Neigungen, Fähigkeiten und Intellektualität zu erfassen und zu bedenken haben, um Menschen wie Zusammenhänge zu durchschauen. Ohne Menschen ist kein Maß in der Geschichte. Auf erzählende Verfahren wird daher nicht verzichtet werden können. Dieser Band schließt Archivforschungen ab, die sich über viele Jahre erstreckten und häufig Unterbrechungen erfuhren. Inzwischen ist eine 3
Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, bisher 7 Bände,
Stuttgart/Berlin/Köln seit 1957, teilweise in der dritten Aufl., seit 1988. A u f die Weimarer Republik entfallen die Bände 6, 7 und ein Teil des Bandes 5, einschließlich der Literaturauswahl insgesamt ca. 2 700 Seiten. A u s den zahlreichen Rezensionen sei hier die von Hartwig Brandt hervorgehoben, Ernst Rudolf Hubers „Deutsche Verfassungsgeschichte". Eine methodologische Betrachtung, in: V S W G , 74 (1987), S. 2 2 9 - 2 4 1 , der sich allerdings eine Äußerung zu den letzten drei Bänden versagt. Zur Diskussion Reinhart Koselleck, Begriffsgeschichtliche Probleme der Verfassungsgeschichtsschreibung, in: Der Staat, Beiheft 6 (1981), S. 7 - 4 6 .
Vorwort
VII
große Zahl der ermittelten und ausgewerteten Quellen veröffentlicht worden, so daß häufig die Fundorte in Archiven durch Belege gedruckter Akten ersetzt werden mußten. Für den interessierten Leser wiegt jedoch der Vorzug, daß er die Lektüre mit den zitierten und nun offenliegenden Quellen vergleichen und auf diese Weise an den dargelegten Zusammenhängen unmittelbar Anteil nehmen kann. Grundsätzlich beschränken sich die Anmerkungen auf einen Nachweis in der nächsten erreichbaren Quellenedition. Mehrfache Veröffentlichungen werden nur unter besonderen Umständen vermerkt, allerdings auch dann, wenn es sich um gleichartige Texte aus verschiedenen Überlieferungen handelt, falls sich hieraus eine Bestätigung in problematischen Zusammenhängen ergibt. Die Umstellung auf die im Rahmen der Edition „Akten der Reichskanzlei" gedruckt vorliegenden Belege wurde, wie hier dankbar angemerkt sei, vom Bearbeiter der Akten der Regierung Brüning 4 , Dr. Tilman Koops, dadurch erleichtert, daß er den dritten Band schon vor der Veröffentlichung im Fahnenabzug zur Verfügung stellte. Die Fertigstellung der drei Bände Reichskanzlei-Akten zu Brüning hat im Rahmen der Gesamtedition die längste Zeit erfordert; aber der Kenner der Bestände muß dem Bearbeiter zugestehen, daß ihm das nützlichste und ausgereifteste Erzeugnis dieser Reihe gerade in ihrem sachlich schwierigsten Bereich zu danken ist. Man kann dieses Urteil übrigens auf die beiden Bände des nachfolgenden, kürzeren und editorisch weniger problematischen Zeitraums ausdehnen, den der Regierung Papen 5 . An dieser Stelle gebührt nochmals der Aktensammlung, die von Anbeginn in enger Beziehung zu der in diesem Band bezeugten Unternehmung stand, und den an ihr im team-work Mitbeteiligten Erwähnung, Dr. Ilse Maurer-Kugler, Dr. Udo Wengst und zuletzt Prof. Dr. Jürgen Heideking. Die Auswahledition gesammelter Archivalien 6 entstand im
4 Akten der Reichskanzlei: Weimarer Republik, hrsg. von Karl Dietrich Erdmann und Hans Booms: Die Kabinette Brüning I u. II, Bde. 1 u. 2, bearb. von Tilman Koops, Boppard 1980; Bd. 3, bearb. von Tilman Koops, Boppard 1990. 5 Akten der Reichskanzlei: Weimarer Republik [AR]: Das Kabinett von Papen, 2 Bde., bearb. von Karl-Heinz Minuth, Boppard 1989. 6 Staat und NSDAP 1930 — 1932. Quellen zur Ära Brüning, eingeleitet von Gerhard Schulz, bearb. von Ilse Maurer und Udo Wengst (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Dritte Reihe, Bd. 3), Düsseldorf 1977; Politik und Wirtschaft in der Krise 1930—1932. Quellen zur Ära Brüning, eingeleitet von Gerhard Schulz, bearb. von Ilse Maurer und Udo Wengst unter Mitwirkung von Jürgen Heideking (Quellen zu Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Dritte Reihe, Bd. 4), 2 Teile, Düsseldorf 1980.
VIII
Vorwort
Verlaufe einer fast acht Jahre dauernden Arbeit. Auch sie gibt Teilen dieses Bandes eine noch überschaubare Grundlage und liefert illustrative Ergänzungen. In den arbeitsreichen Jahren, die diesem Bande gewidmet waren, erwies sich die stets verläßliche Hilfe der Damen und Herren in den verschiedenen Archiven als unentbehrlich und anregend. Sie wurde häufig in Anspruch genommen und stets in entgegenkommender Weise gewährt. Ihnen gilt mein herzlicher Dank. Die Liste der Namen, die für gute Zusammenarbeit stehen, wäre zu lang, als daß sie hier aufgeführt werden könnte. Prof. Dr. Franz Knipping verdanke ich den Hinweis auf einen wichtigen Aktenbestand des Quai d'Orsay. Bei der Fertigstellung des Druckmanuskripts konnte ich mich auf bewährte Mitarbeiter des Seminars für Zeitgeschichte der Universität Tübingen stützen, Roland Ray, Gudrun Gauß und Annette Schäfer, deren hingebungsvoller Tätigkeit und Hilfe ich mit Vergnügen und dankbar gedenke. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für mehrere Sachbeihilfen. Tübingen, am Jahresende 1990
Gerhard Schulz
INHALTSVERZEICHNIS
Verzeichnis der Abkürzungen Einleitung: Heinrich Brüning wird Reichskanzler
XV . .
1
Erster Teil: Die Regierung Brüning 1930 Erstes Kapitel: Reichsregierung, Reichspräsident und Parteien im Frühjahr 1930 . Bindung der Reichsregierung an den Reichspräsidenten 13 — Reichshaushalt, Agrarprogramm und Osthilfe 24 — Divergenzen und Konflikte in der Ostagrarpolitik 32 — Bewegung in der politischen Rechten 41 — Preußen und die Reichswehr 56 — Agrarprogramm, „kleines" und „großes" Ostprogramm 62 — Silverberg und die Industrieumlage 73
13
Zweites Kapitel: Übergang zur Deflationspolitik und Auflösung des Reichstags . . Unsichere Grundlagen 81 — Preis- und lohnpolitische Orientierungsfragen 86 — Rücktritt Moldenhauers 99 — Haushaltsausgleich durch Notverordnung 103 — Niederlage des Reichstagsparlamentarismus 117
81
Drittes Kapitel: Die Reichstagswahl am 14. September 1930 und ihre Folgen . . . Das Wahlergebnis 121 - Die NSDAP: Wahlerfolg nach Krisen und Konflikten 125 — Scheitern einer politischen Sammlung 134 — Erfahrungen mit den Nationalsozialisten. Konflikt mit Thüringen 139 — Die verfassungsrechtliche Lage und die NSDAP 151 — Veränderte Haltung des Reichswehrministeriums 157 — Die Signallinie der Staatssekretäre 161 — Absicherung nach rechts 171 — Die Neuwahl des Reichspräsidenten wirft ihren Schatten voraus 174 — Schlüsselstellung Hugenbergs 179
121
Viertes Kapitel: Der Weg zur ersten großen Notverordnung Wirtschafts- und Finanzprogramm der Reichsregierung 185 — Haltung der Länder 187 — Gewerkschaftliche Kritik am Wirtschaftsprogramm. Revision der Reparationspolitik wird gefordert 192 — Bemühungen um eine Mehrheit im Reichstag 199 — Tolerierung durch die SPD 202 — Vorbereitung einer Notverordnung 207 — Die Agrarier fordern Osthilfe und Ostpolitik 209 — Plafondgesetzentwurf, Anleihevertrag und Notverordnung 224
185
Zweiter Teil: Ein System Brüning Fünftes Kapitel: Verfassungsreform, Verfassungswandel und das Problem der inneren Sicherung Perspektiven und Entwürfe „gesetzgeberischer Zukunftsaufgaben" 241 — Kritik des Wahlrechts, Verfassungskritik, „Reorganisation der Republik" 251 —
241
X
Inhaltsverzeichnis Tradierte Rechtslehre und Demokratie-Problematik 258 — Demokratie-Postulat und Spitzenverbände 263 — Widerstand Bayerns gegen den verfassungspolitischen Präzedenzfall 268 - Streitfrage NSDAP 275
Sechstes Kapitel: Außenpolitik auf Revisionskurs 287 Die Lage 287 — Die Nöte der Finanzpolitik und neue Anleiheverhandlungen 292 — Zwischenspiel: Das Projekt einer deutsch-österreichischen Zollunion 298 — Regierung unter Handlungszwang 316 — „Ausnutzung wirtschaftlicher Notstände" 325 — Arbeitslosigkeit und Brauns-Kommission 328 — Arbeitsbeschaffung und Russengeschäfte 331 — Wege und Wagnis der Reparationspolitik 336 Siebentes Kapitel: Der Weg zur Zweiten Notverordnung Schwächen der Parteien 341 — Vorbereitung der Notverordnung und der England-Reise 356 — Zusammenfassende Zwischenbetrachtung: Stufen der Anwendung des Artikels 48 370 — Ein Hauch von Reichsreform und ein Fehlschlag in Chequers 379
341
Achtes Kapitel: Sommerkrise 1931 Krisenzeichen aus Österreich 384 — Beginn der Bankenkrise 391 — Zwangslage der Reichsbank 401 — Abwehr einer Reichstagssitzung — Forderung nach Regierungsumbildung 405 — Normans Initiative — Hoovers Eingreifen 410 — Wirkung des Hoover-Moratoriums 420 — Rationalisierungspläne und Reformentwürfe im Reich und in Preußen. Ein neuer Volksentscheid 427 — Kanzler ohne Alternative 440
384
Neuntes Kapitel: Paris — London — Dietramszell 449 Ministertreffen in Paris 449 — Londoner Konferenz 457 — Stillhalteabkommen und Layton-Bericht 462 — Reaktionen der Rechten 465 — Stahlhelm, Reichswehr und Kronprinzkreis 471 — Reichsreform durch finanzpolitischen Zwang 477 — Ein Rubikon wird überschritten: Die Dietramszeller Notverordnung 487 — Verknüpfung mit der Wiederwahl des Reichspräsidenten 492 — Beginnende Formierung der Nationalen Opposition 494 — Unsichere Partei mit Massenzulauf: die NSDAP 496 — Curtius scheidet aus 500 Zehntes Kapitel: Umstrittene Kompetenz und Neubildung der Reichsregierung . . Arbeitslosigkeit und wirtschaftspolitische Kompetenz 504 — Vorsichtige Pläne für eine Alternative: Schäffer und Lautenbach 511 — Das Echo der PfundAbwertung 517 — Tarifstreit und Konflikt 520 — Ein Wirtschaftsprogramm wird gefordert 529 — Neue Kritik an der Osthilfe 532 — Verknüpfung der Arbeitslosenproblematik mit dem Siedlungsgedanken 537 — Dritte Notverordnung und Fortbildung des Ausnahmerechts 541 — Suche nach neuen Ministern und Verkleinerung des Reichskabinetts 548 — Formierungsversuch der Nationalen Opposition in Harzburg 554 — Sitzung und Vertagung des Reichstags 560 — Organisatorische Ausbreitung der NSDAP 563 — Ansätze zu einer Gegenoffensive 567
504
Inhaltsverzeichnis
XI
Dritter Teil: Das zweite Kabinett Brüning Elftes Kapitel: Auftakt und Vierte Notverordnung Ein neuer französischer Botschafter in Berlin 575 — Kontroverse um das preußische Finanzministerium 580 — Mutation der Osthilfe in Reichshand 591 — Die Länder unter dem Druck des Extremismus von rechts und links 599 — Die Boxheimer Affare 604 — Organisations- und Uniformverbote unterbleiben 610 — Ein Wirtschaftsrat zur Stärkung der Regierungsautorität 613 — Die Vierte Notverordnung 626
575
Zwölftes Kapitel: Im Vorfeld internationaler Konferenzen 634 Luther gegen Arbeitsbeschaffungspläne 634 — Reparationen und Privatschulden 647 — Eine Endlösung der-Reparationsfrage wird anvisiert 649 — Pläne für eine Abrüstungskonferenz 659 — Rückhalt an der sowjetischen Politik 662 — Reparationsfrage und innere Politik 665 Dreizehntes Kapitel: Erfolg und Mißerfolg im Januar 674 Der Beneduce-Ausschuß und die Vorbereitung der großen Konferenzen 674 — Entscheidung in Berlin — ein fingiertes Interview 683 — Reparationsverhandlungen versus Abrüstungskonferenz 692 — Echo und Folgen 696 — Vergebliche Bemühungen um eine Alternative 702 — Brünings Ringen um eine neue Amtszeit Hindenburgs 704 — Positionsverlust Brünings in der Außenpolitik 712 — Die Konferenz in Lausanne wird gerettet, aber verschoben 717 Vierzehntes Kapitel: Die Reichsregierung bis zur Wiederwahl Hindenburgs . . . 721 Projekte einer Neubildung der präsidentiellen Regierung 721 — Der WagemannPlan und die Gewerkschaften 737 — Erzwungene Verwaltungsreform in Preußen 743 — Reichsbindung der Großbanken 749 — Durchhalten ohne Programm 752 — Die Länder drängen Groener zum SA-Verbot 754 — Wiederwahl Hindenburgs 766 Fünfzehntes Kapitel: Verfall der Regierung Brüning Die Stellung des Reichskanzlers in der Phase der Frühjahrswahlen 1932. Schwierige Lage in Preußen 768 — Die Reichsschuldenverwaltung verhindert Kreditermächtigung durch Notverordnung 785 — Eine Kontroverse über Grenzen des Ausnahmerechts 788 — Unter dem Druck der Arbeitslosigkeit 795 — Eine nationalsozialistische Initiative 797 — Neues landwirtschaftliches Entschuldungsverfahren in Ostdeutschland 800 — Kontroversen über Siedlungspolitik 804 — Defizit an Richtlinien und Programmatik. Divergierende Initiativen aus dem Reichskabinett 811
768
Sechzehntes Kapitel: Die Demission Der erste Versuch eines Sturzes der Regierung 819 — Brüning stützt sich auf die Außenpolitik 825 — Das Gespräch von Bessinge und die „Artischocke des Versailler Vertrages" 827 — Das Zünglein an der Waage: Streit ohne Entscheidung über die nächste Notverordnung 843 — Suche nach einem neuen Kanzler. Direktorium oder Präsidialkabinett? 859 — Fazit 866
819
XII
Inhaltsverzeichnis
Vierter Teil: Vollendung und Scheitern des präsidentiellen Systems Siebzehntes Kapitel: Das präsidentielle Regierungssystem mit dem Reichskanzler Franz v. Papen Papen und die „Anpassung an die Armut der Nation" 877 — Rückzug Otto Brauns. Geschäftsführende Rumpfregierung in Preußen 882 — Aufhebung des SA-Verbots. Der Reichsinnenminister greift in das Polizeirecht der Länder ein 887 — Eine Hinterlassenschaft: Die Gelsenberg-Affare 896 — Eine Kontroverse Bülow —Schleicher. Vorentscheidungen in Genf 901 — Papen in Lausanne 906 — Schleicher versucht, die Außenpolitik einem Primat der Militärpolitik unterzuordnen 909 — Deutschnationale fordern Eingreifen in Preußen 916 — Die Genese eines Staatsstreichs 920 — Recht der Macht — Macht des Rechts. Klage vor dem Staatsgerichtshof 930 — Papen und Gayl auf der Stuttgarter Länderkonferenz 933 — Vor der Reichstagswahl 936 — Das Ergebnis 940 Achtzehntes Kapitel: Der Reichspräsident verhindert eine Kanzlerschaft Hitlers . . August 1932 945 — Schleicher und die Gewerkschaften. Papens Wirtschaftsprogramm 954 — Strafrechtsverschärfung und Sondergerichte 958 — Kein Platz für Hitler in einer dem Reichspräsidenten „genehmen Kabinettsführung" 961 — Hitler im Streit Zentrum—Papen 965 — Eröffnung des Reichstags. Pläne zur Wiederauflösung 972 — Gregor Straßers „Querverbindungen" 975 — Papen bemüht sich um eine Präsidialpartei 978 — Der RDI verlangt Arbeitsbeschaffung 980 — Rechnung mit der NSDAP 982 — Kontroversen über Arbeitsbeschaffung 989 — Sturz der Regierung und Reichstagsauflösung 993 — Das Urteil des Staatsgerichtshofs im Prozeß Preußen contra Reich 1000 — Die Reichstagswahl vom 6. November 1004 — Notstand ex lex und Reichsreform 1006 — Hitler besteht auf dem Kanzleramt 1011 — Die letzte Alternative: Präsidialkabinett oder Regierung Hitlers und Ermächtigungsgesetz 1016 — Görings Pressekonferenz, Hitlers Machtergreifungsplan, Schleichers Intervention 1022
877
945
Neunzehntes Kapitel: Die letzten Wochen 1027 Schleicher wird Reichskanzler 1027 — Arbeitsbeschaffung und Regierungsprogramm 1031 — Ständegedanken und Querfront-Experiment 1034 — Der Rückzug aus außenpolitischen Handlungsräumen beginnt 1038 — Schleicher täuscht sich 1040 — Entscheidung für Hitler und das Ermächtigungsgesetz 1044 Bibliographie
1051
Personenregister
1087
ZITIERWEISE
Jeder Titel eines Buches oder Aufsatzes wird im ersten Zitat vollständig zitiert, ohne Angabe von Veröffentlichungsreihen, die sich jedoch in der Bibliographie am Ende des Bandes finden. Im Wiederholungsfalle wird aus dem Titel ein einzelnes Schlagwort entnommen, in einigen Ausnahmefällen, in denen Irrtümer oder Verwechslungen möglich sind, aus dem Titel ein leicht erfaßbares Schlagwort gebildet. Bei Sammelbänden und Quelleneditionen mit mehreren Herausgebern oder Bearbeitern ist im Wiederholungsfalle nur der erste Name angegeben. Ausnahmen bilden geläufige Editionsreihen, die regelmäßig mit Buchstabenkürzeln zitiert werden, z. B. ADAP (Akten zur deutschen auswärtigen Politik), FRUS (Papers Relating to the Foreign Relations of the United States) oder AR: (Akten der Reichskanzlei — mit dem nachfolgenden Namen des Reichskanzlers als Bezeichnung für die Amtszeit einer Regierung). Die Abkürzung a. a. O. meint einen in der voraufgegangenen Anmerkung zitierten Titel; die Abkürzung ebda, bezieht sich auf die gleiche Stelle (Seite bzw. Aktenstück) des in der voraufgegangenen Anmerkung genannten Belegs. Datierungen werden quellengemäß zitiert, jedoch mit ausgeschriebenen Monatsnamen angegeben (z. B. 3. Dezember 1932).
V E R Z E I C H N I S D E R IN D E N A N M E R K U N G E N BENUTZTEN ABKÜRZUNGEN
ADAP ADCA ADGB ADSTB Afa(-Bund) AöR APZ AR: AsDB ASG ASS BA BeiträgeGParl BGehStAM BHG BIZ(BIS) BVP CSVD DAZ DBFP DDF DDP DGB DHV DIHT DJZ DNVP DrS RT DVP FRUS GehStAB GG GS HZ IfZ IMT JböR Jungdo KPD
= = -
= -
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= = = = = -
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Akten zur deutschen auswärtigen Politik Allgemeine Deutsche Creditanstalt Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund Archiv des Deutschen Städtetages Berlin Allgemeiner Freier Angestelltenbund Archiv des öffentlichen Rechts Aus Politik und Zeitgeschichte Akten der Reichskanzlei Archiv der sozialen Demokratie in Bonn Archiv für Sozialgeschichte Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Bundesarchiv Koblenz Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien Bayerisches Geheimes Staatsarchiv München Berliner Handelsgesellschaft Bank für Internationalen Zahlungsausgleich Bayerische Volkspartei Christlich-sozialer Volksdienst Deutsche Allgemeine Zeitung Documents on British Foreign Policy Documents Diplomatiques Français Deutsche Demokratische Partei Deutscher Gewerkschaftsbund Deutschnationaler Handlungsgehilfen-Verband Deutscher Industrie- und Handelstag Deutsche Juristen-Zeitung Deutschnationale Volkspartei Drucksachen (des) Reichstags Deutsche Volkspartei Foreign Relations of the United States Geheimes Staatsarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin Geschichte und Gesellschaft Preußische Gesetzsammlung Historische Zeitschrift Institut für Zeitgeschichte, München International Military Tribunal Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Jungdeutscher Orden Kommunistische Partei Deutschlands
XVI
Verzeichnis der in den Anmerkungen
benutzten
Abkürzungen
LVO = Landwirtschaftsverband Ostpreußen MA = Militärarchiv Freiburg MAE = Ministère des Affaires Etrangères MBliV = Ministerialblatt der gesamten inneren Verwaltung MGM = Militärgeschichtliche Mitteilungen MGN = Amerikanischer Militärgerichtshof Nürnberg NBS . = Neue Blätter für den Sozialismus ND = Nachdruck Nied VRR = Niederschriften der Vollsitzungen des Reichsrats NSBO = Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation NSDAP = Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei OSAF = Oberster SA-Führer OSS = Office of Strategie Services PAAAB = Politisches Archiv des Auswärtigen Amts in Bonn RAVAV = Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung RDI = Reichsverband der Deutschen Industrie RGBl = Reichsgesetzblatt RGO = Revolutionäre Gewerkschaftsopposition RMB1 = Reichsministerialblatt SA = Sturmabteilung der NSDAP SAPD = Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands SBer PLT = Sitzungsberichte des Preußischen Landtags SfXT = Seminar für Zeitgeschichte der Universität Tübingen SPD = Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS = Schutzstaffel der NSDAP StenBer Vh RT = Stenographische Berichte der Verhandlungen des Deutschen Reichstags UuF = Ursachen und Folgen VDA = Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände VSWG = Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte VZG = Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte WPD = Wirtschaftspolitischer Pressedienst WPer = Wahlperiode WTB = Wolff s Telegraphisches Büro ZfG = Zeitschrift für Geschichtswissenschaft ZöR = Zeitschrift für öffentliches Recht ZP = Zeitschrift für Politik ZStA = Zentrales Staatsarchiv
EINLEITUNG
Heinrich Brüning wird Reichskanzler Kein anderer Politiker der Weimarer Republik, von Hitler abgesehen, hat einen so langen historischen Schatten geworfen und wurde, nicht nur in Deutschland, so heftig bekämpft und entschieden anerkannt, genannt, kritisiert und karikiert wie Heinrich Brüning. Die auffallende Erscheinung des Mannes mit großem blassem Gesicht, dem leicht verschleierten Blick hinter randlosen Brillengläsern, der Besorgnis, aber kaum Unsicherheit ausdrückt, prägte sich nicht nur den Zeitgenossen ein und hinterließ einen bleibenden Eindruck. Die Wort- und Tonwiedergaben der sorgsam durchdachten, auf Sachlichkeit gestimmten, jeder Leidenschaftlichkeit abholden Reden, die erhalten geblieben sind, erscheinen dazu angetan, Brünings eigenes Schlagwort zu verdeutlichen, mit dem er in seiner ersten Regierungserklärung am Nachmittag des 1. April 1930 vor dem Reichstag eine neue Art der Politik in Deutschland ankündigte. Er sprach von einem „Imperativ der Sachlichkeit", der „parteipolitische Erwägungen ... in den Hintergrund" treten lasse. 1 Als Mann der großen Worte erschien er den Zeitgenossen nicht, eher als Schöpfer eines eigenen knappen, kargen, linearen, eben sachlichen Stils. Sowohl das Schlagwort wie die Persönlichkeit des Reichskanzlers als auch die ausgeprägte Bedeutung seiner Regierung erlauben es, von einer
1
StenBer V h RT, Bd. 427, S. 4 7 2 8 - 4 7 4 1 . Der erste, dann überarbeitete Entwurf der
Regierungserklärung am 31. März war das Werk des Staatssekretärs Pünder in der Reichskanzlei; der Anteil des Reichskanzlers läßt sich aber kaum deutlich eingrenzen. Vgl. Hermann Pünder, Politik in der Reichskanzlei. Aufzeichnungen aus den Jahren 1929 — 1932, hrsg. von Thilo Vogelsang, Stuttgart 1961, S. 47; etwas anders Brüning, Memoiren 1 9 1 8 — 1 9 3 4 , Stuttgart 1970, S. 168: „... ich diktierte sie [die Regierungserklärung] im letzten Augenblick selber, ohne verhindern zu können, daß doch noch Kompromißformulierungen, die die gewünschte Wirkung verhinderten, aufgenommen wurden." Die Protokolle der Vorstandssitzungen
der Reichstagsfraktion des Zentrums sowohl
am
31. März als auch am 1. April bezeugen weder Einzelheiten noch bestimmte Prinzipien der Regierungserklärung. Die Protokolle der Reichstagsfraktion und des Fraktionsvorstandes der Deutschen Zentrumspartei 1926 — 1933, bearb. v o n Rudolf Morsey, Mainz S. 429 ff.
1969,
2
Einleitung
„Ära Brüning" zu sprechen, die sich von der voraufgegangenen Phase in der Geschichte der Republik deutlich abhebt. In dieser Ära von wenig mehr als zwei ereignisreichen Jahren überwiegt eine konservativ gestimmte und daher den ziellos sich entfaltenden Strömungen der Epoche gegenüber autoritär wirkende und durch autoritären Anspruch gefärbte Politik einer Art Restauration, 2 deren Eigenheit die Historiographie meist nicht näher zu bestimmen versucht hat. Heinrich Brüning bezog weit entschiedener und geistig intensiver, als es seine politischen Memoiren erscheinen lassen, unmittelbar nach dem Ende des ersten Weltkriegs in den Auseinandersetzungen innerhalb der Zentrumspartei Position und fand hierbei aus der Stellung eines Schülers seines letzten Lehrers in Straßburg, des Historikers Martin Spahn, zu der eines bedachten und überlegenen Ratgebers, der bald seinen eigenen Weg einschlug. Die Deutsche Zentrumspartei hatte nach der Erzbergerschen Friedensresolution im Juli 1917, die innerhalb der Partei viel Staub aufwirbelte, der sich nicht mehr setzen wollte, Situationen durchzustehen, die einer inneren Krise nahe kamen. Das volle Ausmaß wurde in der Nachkriegszeit sichtbar. 3 Die große Mehrheit der Reichstagsfraktion folgte dem Erzbergerschen Kurse nur zögernd und unter Vorbehalten. Auf der anderen Seite gab es jedoch Kräfte, die zwar die Erzbergersche Konzeption, soweit sie zu erkennen war, und die Absicht einer Parlamentarisierung und Demokratisierung des Deutschen Reiches nicht vorbehaltlos anerkannten, aber doch seit längerem einer neuen Koalition der Mehrheitsparteien innerhalb des Reichstags zuneigten und die Abschaffung des preußischen Drei-Klassen-Wahlrechts anstrebten. Hierzu zählten die Vertreter der Christlichen Gewerkschaften, unter ihnen an erster Stelle der entschieden national gesinnte Arbeiterführer Adam Steger-
2
Entscheidend Bracher, Auflösung, S. 339 — 347, zu dem „verhängnisvollen Wende-
punkt" der Reichstagsauflösung am 18. Juli 1930. Aber auch der gegen Bracher argumentierende Waldemar Bessern, Württemberg und die deutsche Staatskrise 1928 — 1933. Eine Studie zur Auflösung der Weimarer Republik, Stuttgart 1959, S. 358: „... die Stärkung der Staatsautorität zur Exekution der Sachlichkeit ... schuf, aufs Ganze gesehen, eine Form deutscher Staatlichkeit, die an vordemokratische Formen anzuknüpfen suchte." Vgl. Gerhard Schulz, Erinnerungen an eine mißlungene Restauration. Heinrich Brüning und seine Memoiren, in: Der Staat, 11 (1972), S. 61 —81; anders Werner Conze, Die Reichsverfassungsreform als Ziel der Politik Brünings, in: Der Staat, 11 (1972), S. 2 0 9 - 2 1 7 . 3
Nach der ersten Behandlung der Thematik durch Heinrich Lutz, Demokratie im
Zwielicht. Der Weg der deutschen Katholiken aus dem Kaiserreich in die Republik 1 9 1 4 — 1925, München 1963, eingehende und grundlegende Darstellung von Rudolf Morsey, Die Deutsche Zentrumspartei 1 9 1 7 — 1923, Düsseldorf 1966.
Einleitung
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wald. 4 Stand Erzberger, der für manche seiner Parteifreunde durch mehrfache Änderung seiner Haltung in den Ruch eines ehrgeizigen und wetterwendischen Politikers geraten war, der aber Situationen und Ereignisse vorauszudenken vermochte, seit 1917 für den Willen zur Parlamentarisierung des Reiches im Innern, so hielt sich Stegerwald vor wie nach 1918 an die nationalen Parolen und an einen Primat der Einheit der Nation. Während Erzberger eigene sozialpolitische Grundsätze aus den jüngeren Soziallehren der katholischen Kirche zu entwickeln und anzuwenden versuchte, bemühte sich Stegerwald um Anschluß an konservative nationale Gruppen und Kreise, schließlich darum, die Christlichen Gewerkschaften zu einer breiten, überkonfessionellen Bewegung auszugestalten. Mit schlagwortartigen Bezeichnungen wie „rechts" und „links" wird man diesem komplizierten Gegensatz innerhalb des Zentrums schwerlich gerecht werden können. Der vornehmlich durch seine nationale Publizistik hervorgetretene Katholik, Zentrumspolitiker und Straßburger Professor Martin Spahn wurde von Stegerwald hoch geschätzt. Wir verdanken dieser Beziehung, die durch Briefe überliefert ist, ein aufschlußreiches Zeugnis, 5 mit dem Stegerwald die Grundanschauung der von ihm vertretenen Richtung ausführlich darzustellen versuchte und konstatierte, „daß in den kritischen Tagen fast von keiner Seite die Gesamtsituation übersehen wurde"; er meinte die Verhältnisse innerhalb der Zentrumsfraktion. Gewissen „Schwärmern für das parlamentarische System" stellte er die stetige Tätigkeit der Gewerkschaften während des Krieges entgegen, die auch die preußische Wahlrechtsfrage aufgegriffen und die Schulfrage erörtert hätten. „Die Tätigkeit der Zentrumspartei hätte sich in ähnlicher Richtung bewegen müssen." Doch hierzu war es nicht gekommen. „Und nun steht auch die Zentrumspartei vor dem Schlamassel. Hätte sie sich energisch bemüht, rechtzeitig die Probleme zu sehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen und auf einer vernünftigen Basis eine Übereinstimmung zwischen den führenden Köpfen herbeizuführen, dann hätten auch die Konservativen gedrängt werden können, um sie von ihrer intransigenten Haltung abzubringen. In diesem Falle hätte aus dem Krieg eine starke gemäßigte, fortschrittlich gerichtete, christlich-konservative, monarchische Volksströmung herausgebracht werden können. Alles das
4 Den Gegensatz Stegerwaids zu Erzberger behandelte zuerst Klaus Epstein, Matthias Erzberger und das Dilemma der deutschen Demokratie, Übers, aus dem Amerikanischen, Berlin/Frankfurt a.M. 1962, S. 392 ff. 5 Schreiben Stegerwaids an Spahn vom 3. August 1917; BA, Nachl. Spahn/19.
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wurde verabsäumt, und nun mußte die Zentrumspartei in letzter Stunde auf den Bock springen, um zu verhindern, daß die demokratische Welle nicht alles wegreißt." Stegerwald wollte abwarten, „wie der Karren in der Zentrumspartei läuft". Aber die Vision von einer großen christlichen Volkspartei — und ihrer gewerkschaftlichen Anlehnung — gab er nicht auf, vertrat er auch bei späteren Gelegenheiten und versuchte er erneut und mit größerer Aussicht auf Erfolg nach dem zweiten Weltkrieg durchzusetzen. In dieser Hinsicht bestanden Beziehungen Brünings zu Stegerwald bis zu dessen Tod. 6 Es ist schwer zu sagen, welchem der beiden Anreger, Martin Spahn, den er schon aus der Straßburger Studentenzeit kannte, oder Stegerwald, der nach Kriegsende sein Mentor wurde, Brüning mehr oder wirkungsvollere Belehrung verdankte. Manche der Grundgedanken, die wir kennen, kehrten in Brünings Briefwechsel mit Spahn später wieder. 7 Zu Beginn 1920 bestanden enge Beziehungen zwischen dem um eine poli-
6 Brüning bezeichnete sich später als Autor der in diesem Zusammenhang bedeutsamen Rede Adam Stegerwaids auf dem Essener Kongreß der Christlichen Gewerkschaften am 21. November 1920; Adam Stegerwald, Deutsche Lebensfragen. Vortrag ..., Berlin 1921. Heinrich Brüning, Briefe 1946 — 1960, hrsg. von Ciaire Nix, unter Mitarbeit von Reginald Phelps und George Pettee, Stuttgart 1974, S. 18. Stegerwald hat sich bei der Wiederanknüpfung an diese Gedanken ähnlich ausgedrückt: postum Adam Stegerwald, Wohin gehen wir? Würzburg 1946, S. 29; ferner ders., Wo stehen wir? Würzburg 1946. Stegerwald starb am 3. Dezember 1945. Zumindest seit 1945 gibt es mehrere Zeugnisse für die Beständigkeit der Ansicht Brünings, „daß Windthorsts ursprüngliche Absicht einer engen politischen Zusammenarbeit zwischen Katholiken und religiösen Protestanten nie aufgegeben werden sollte und daß diese Gruppen verfassungsmäßig demokratisch und in sozialen Fragen progressiv bleiben sollten". Heinrich Brüning, Briefe und Gespräche 1934—1945, hrsg. von Ciaire Nix, unter Mitarbeit von Reginald Phelps und George Pettee, Stuttgart 1974, S. 435 f. Ausführlich Brüning, Memoiren, S. 700 ff.; die Kritik an der Edition im Grundsätzlichen dürfte diesen Themenkreis nicht treffen: Rudolf Morsey, Zur Entstehung, Authentizität und Kritik von Brünings „Memoiren 1918 — 1934", Opladen 1975. 7 Der Briefwechsel Brünings mit Spahn begann 1908; der erste Brief kam aus Münster. Brüning hatte ein Dissertationsthema von Spahn übernommen. Es sollte die religiöse Entwicklung des Erasmus von Rotterdam behandeln. Brüning fand jedoch kein befriedigendes Material. Dies teilte er in einem Brief vom 8. Oktober 1908 Spahn mit, in dem er auch angab, „in Chamberlains .Grundlagen [des neunzehnten Jahrhunderts]' eine Auffassung" entdeckt zu haben „von der allgemeinen Stellung von Erasmus, die ich ganz unterschreiben kann". BA, Nachl. Spahn/22. Die weitreichende Wirkung von Houston Stewart Chamberlains häufig aufgelegtem Werk von 1899 (erschienen beim Verlag K. G. Bruckmann in München) war an Brüning nicht spurlos vorbeigegangen. Zur Studienzeit Rudolf Morsey, Brünings politische Weltanschauung vor 1918, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Gesellschaft, Parlament und Regierung. Zur Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland, Düsseldorf 1974, S. 317 — 335.
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tische Position bemühten Brüning und seinem alten Lehrer, der sich als politischer Publizist und vielfach in politischen Verbindungen engagiert hatte. Brüning versuchte auch, letztlich vergeblich, seinen Straßburger Studienkollegen, den Spahn-Schüler Eduard Stadtler, den einstmaligen Sekretär der Windthorstbünde, der Jugendorganisation des Zentrums, an den Deutschen Gewerkschaftsbund heranzuziehen, wie Stegerwald Brüning herangezogen hatte. Stadtler gehörte zu einem Kreis um Heinrich v. Gleichen, zu dem auch Brüning gestoßen war. 8 Später wurden Stadtler und Brüning zu Gegnern. Auch um die Aufstellung von Kandidaten der Zentrumspartei für die Reichstagswahl im Juni 1920 bemühte sich Brüning, indem er Spahn um Vermittlung bat, den er gegen eine „unsinnige Auswahl der Kandidaten des rechten Flügels der Partei im Westen" einzunehmen versuchte: „Lauter Nullen." 9 Nach der Wahl setzte Brüning das Werben fort, bemühte er sich, Spahn von einer Teilnahme an dem inneren Kreis der konservativen Zentrumsrichtung in Westfalen um Ferdinand Frhr. v. Lüninck abzubringen. Seine Begründung verdient festgehalten zu werden. Sie spiegelt in bedenkenswerter Weise Ansichten Brünings wider, dient wohl auch dem Verständnis seiner Karriere: „Ich meine..., daß in der Politik die größte Kunst ist zu warten. Die zweitgrößte: Dinge, die man erhofft oder die man kommen sieht, in der Stille reifen zu lassen und sie nicht zu sehr durch programmatische Kundgebungen bzw. psychologisierende Zeitungsaufsätze in die Öffentlichkeit zu werfen, als vielmehr eine Reihe starker, opferwilliger Persönlichkeiten dafür zu gewinnen und dann auf den Tag zu warten, wo man in Ruhe losschlagen kann. Wenn ich mir diese beiden Maximen immer wieder vergegenwärtige, so gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß auf dem Wege, den Sie doch eigentlich seit längerer Zeit gehen als ich, doch etwas zu erreichen ist." 10 Brüning wähnte sowohl die Stunde der Christlichen Gewerkschaften als auch die der konservativen Einigung in erreichbarer Nähe, da mit Erzberger der ebenso ehrgeizige wie ideenreiche Kopf und der größte Widersacher dieser Gruppen geschlagen schien; 11 die Einschätzung absehbarer Entwicklungen war Brünings Stärke nicht. „Erzberger ist politisch ein sterbender Mann, nicht wegen des Helfferich-
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Hierzu Gerhard Schulz, Aufstieg des Nationalsozialismus. Krise und Revolution in
Deutschland, Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1975, S. 302 ff. 9
Brüning an Spahn, 30. April 1920; BA, Nachl. Spahn/22.
,u
Brüning an Spahn, 16. Juli 1920; a. a. O.
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Hierzu Epstein, Erzberger, S. 3 9 2 — 4 1 6 ; über die Schärfe der Gegensätze vor allem
Morsey, Zentrumspartei, S. 2 9 7 - 3 0 2 , 3 6 0 - 3 6 4 , 3 9 3 - 3 9 9 .
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Prozesses und nicht wegen der vielen übrigen Angriffe gegen ihn, wohl aber weil jetzt alle maßgebenden Kreise von dem unsagbar Dilettantenhaften seiner Finanzpolitik sich allmählich überzeugt haben. Darum sind aber auch alle die Kreise in den Gewerkschaften künftig nicht mehr so stark, Ä 1 2 sich auf Erzberger gestützt haben." In solchen Worten äußerte sich Parteinahme für den Mentor Stegerwald. 13 Das schloß eine distanzierte Betrachtung der Gewerkschaften nicht aus, wie Brüning Spahn gegenüber bezeugte: „Natürlich wird die christliche Gewerkschaftsbewegung nicht die Welt auf den Kopf stellen. Sie ist nur ein Faktor, der uns helfen kann, aus dem Schlamassel herauszukommen. Der große Anstoß zu einer Besserung unserer Lage wird doch von außen kommen müssen. Wir aber müssen sehen, dafür die nötige Resonanz rechtzeitig vorzubereiten." 14 Die nationale Note verstand sich für Brüning wie für Stegerwald von selbst; doch die sozialen Rahmenbedingungen und die Abneigung gegen die konservativen katholischen Münsterländer von Rang und altem Namen führten zum Bruch mit Martin Spahn, der sich ebenso wie Eduard Stadtler der D N V P anschloß. Aber der linke Flügel des Zentrums war mit Erzberger noch längst nicht am Ende. Sogar Erneuerung und Erweiterung zeichneten sich im Mai 1921 ab, als in der Auseinandersetzung um das Londoner Ultimatum, nach dem Rücktritt des Reichskanzlers Fehrenbach aus Südbaden sein Landsmann Josef Wirth, Anhänger und Nachfolger Erzbergers an der Spitze des Reichsfinanzministeriums, die Führung der neuen Reichsregierung übernahm und im Bündnis mit den Sozialdemokraten das Steuer nach links herumwarf. Der Einundvierzigjährige, der jüngste Reichskanzler, der je an der Spitze einer Regierung des Deutschen Reiches stand, in seinen besten Jahren mit einer vehementen Beredsamkeit begabt und zu wirkungsvoller Entschlossenheit neigend, temperamentvoll und von einer gewissen Volkstümlichkeit, besaß nie den Überblick oder den verläßlichen sachlichen Instinkt — wo 12 Im Original unterstrichen. Zum Gegensatz zwischen dem deutschnationalen Parteiführer Helfferich und Erzberger John G. Williamson, Karl Helfferich 1872-1924. Economist, Financier, Politician, Princeton, N. J. 1971, bes. S. 295—329. " Stegerwald nahm auf der Tagung des Reichsparteiausschusses des Zentrums Ende Oktober 1920 weitaus am schärfsten gegen Erzberger Stellung. Aber es klingt wie eine Abwandlung der Formulierung in Brünings früherem Brief, wenn er versichert, er wolle Erzberger nicht „dauernd politisch tot" wissen. Morsey, Zentrumspartei, S. 361. 14 Vgl. Gerhard Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik, Bd. II: Deutschland am Vorabend der Großen Krise, Berlin/New York 1987, S. 459 f.
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die sichere Kenntnis nicht ausreichte —, die Erzberger auszeichneten, und schon gar nicht dessen Einfalls- und Ideenreichtum. Doch die mehr dem Gefühl als der Verstandeskraft vertrauende Persönlichkeit 15 behauptete sich über die eineinhalbjährige Kanzlerschaft hinaus und begleitete den Weg des Zentrums auch in späteren Jahren. Von April 1929 bis Oktober 1931 gehörte Wirth — als Reichsminister für die besetzten Gebiete und im ersten Kabinett Brüning als Reichsinnenminister — erneut der Reichsregierung an. Brüning, der innerhalb des Zentrums — zunächst neben und nach Erzberger — Wirth als den eigentlichen Gegner und als einflußreichen Gegenspieler empfand 16 , entwickelte später einiges Verständnis für diesen Zentrumskanzler, nicht zuletzt für dessen gerade in der Linken umstrittene Reichswehrpolitik. 17 Dies steht offenbar in engem Zusammenhang zu Brünings eigener Anlehnung an nationale, nach Einfluß auf die deutsche Politik strebende Kreise außerhalb des Zentrums, die der Reichswehr nahestanden und die Revision der deutschen Nachkriegspolitik betrieben. Allmählich wuchs eine auch gegen Stresemann an Einfluß gewinnende Gruppe heran, als deren Exponent Heinrich Brüning nicht nur innerhalb der Zentrumspartei gelten durfte. 18 In seinen Memoiren erinnert er sich noch des Zuspruchs von General Ludendorff nach der Essener Rede Stegerwaids Ende 1920. 19 Zu dem einflußreichen ehemaligen Generalstäbler Oberstleutnant a.D. Frhr. v. Willisen unterhielt er seit 1919 gute persönliche, während der Ruhrkrise 1923 und wieder seit 1929 enge, kaum zu überschätzende Beziehungen. 20 Zunächst
15 Von vielen Urteilen vor allem Morsey, Zentrumspartei, S. 386 ff., 490 ff.; Ernst Laubach, Die Politik der Kabinette Wirth 1921/22, Lübeck/Hamburg 1968, S. 26 ff. 16 Vgl. Brüning, Memoiren, S. 72 f. 17 Vgl. die Urteile über den späten Wirth von Brüning, a. a. O., S. 79, 120, 122, 137, 161 f. 18 In diesem Sinne können auch die Differenzen zwischen der Stresemannschen Außenpolitik und dem Beginn Brünings präzisiert werden, die Peter Krüger, Die Außenpolitik der Republik von Weimar, Darmstadt 1985, S. 514 ff. und passim, noch nicht in gewohnter Eindringlichkeit untersucht, aber schon entschieden beurteilt hat. 15 Brüning, Memoiren, S. 72. 20 „Vom Spätsommer 1923 an wurde daraus ein täglicher Besuch punkt acht Uhr morgens. Diese Zeiteinteilung erlaubte mir, ... mit dem Arbeitsminister Brauns zusammen die Lage zu besprechen, um dann noch rechtzeitig ... mich mit Stegerwald unterhalten zu können, bevor er um neun Uhr dreißig zum Reichstag fuhr. Willisen ging dann eine Viertelstunde später ins Reichswehrministerium. Diese Form unserer Zusammenarbeit konnte allerdings nur deshalb wirksam sein, weil der Reichsarbeitsminister und der Reichswehrminister [Geßler] wachsend durch Freundschaft verbunden waren und beide sich des
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spielte Brüning die Rolle eines ständigen Verbindungsmannes zu Reichsarbeitsminister Brauns und zu Reichswehrminister Geßler, wobei er von Willisen beraten und angeleitet wurde, bis er 1924 als Reichstagsabgeordneter die bald noch mehr Bedeutung gewinnende Aufgabe eines Finanzsachverständigen seiner Partei übernahm. Über den beweglichen, temperamentvollen und jugendlich auftretenden Reichstagsabgeordneten Treviranus, einen ehemaligen Marineoffizier aus dem Lippischen, mit dem er sich anfreundete, gewann Brüning weitere Beziehungen zu deutschnationalen Politikern, 21 ohne daß dies noch der Hilfe Martin Spahns bedurft hätte. Indem er innerhalb seiner Fraktion deutlich hervortrat und über seine Partei hinaus Verbindungen knüpfte, erwies sich Brüning als ebenso eigenständiger wie Einfluß gewinnender Politiker, der sich 1929 anschickte, mit Hilfe des Zentrumsführers Prälat Kaas der fatal desorientierten nationalen Rechten eine Richtung zu weisen, für die er sich als Führer und seine Fraktion als entscheidende Kraft empfahl. Auch anderen Kreisen der Rechten, die politisch weit abseits standen, hatte Brüning schon früh eine Revisionspolitik empfohlen, für die er nachträglich gewissermaßen Urheberan-
größten Vertrauens bei Ebert erfreuten... Auf dem Höhepunkt der Krise sahen Willisen und ich uns mehrere Male täglich." a. a. O., S. 92. Willisen war 1918/19 Chef des Stabes der Zentralstelle Grenzschutz Ost und nach seiner Verabschiedung Leiter des Deutschen Schutzbundes, der Dachorganisation für die im Vertrag von Versailles nicht vorgesehene Organisation des Grenzschutzes im Osten. Auf höherer Ebene war Willisen selbst ähnlich Mittler und Vermittler wie der junge Brüning. Die Richtigstellung, für die „Annahme, daß der spätere Reichskanzler Brüning über ... Willisen Einfluß auf die Entschlüsse der militärischen Führung bezüglich der Ausübung der vollziehenden Gewalt [1923] besessen haben soll, bieten die Akten keinen Beleg", durch Heinz Hürten (Bearb.), Das Krisenjahr 1923. Militär und Innenpolitik 1922-1924, Düsseldorf 1980, S. XXIV, ist unnötig; eine derartige Fiktion ergibt sich auch nicht aus Brünings Memoiren. Die Problematik liegt im umgekehrten Nexus. Allerdings wird auch in den Akten ein — von außen kommender, hintergründiger — Einfluß Willisens auf Reichswehrkreise an belangvollen Stellen spürbar. Vgl. a. a. O., S. 243, auch Hürten (Bearb.), Zwischen Revolution und Kapp-Putsch. Militär und Innenpolitik 1 9 1 8 - 1 9 2 0 , Düsseldorf 1977, S. 288. 21 Brüning, Memoiren, S. 113, 115, 129; Gottfried Reinhold Treviranus, Das Ende von Weimar. Heinrich Brüning und seine Zeit, Düsseldorf/Wien 1968, S. 75, 404, Anm. 7, 94 f., der übrigens die ausführlichste Schilderung der Militärzeit Brünings gibt. Vom später „zuverlässigsten Mitarbeiter, Mittelsmann, Kontaktmann" Brünings spricht Horst Möller, Gottfried Reinhold Treviranus. Ein Konservativer zwischen den Zeiten, in: Um der Freiheit willen. Eine Festgabe für und von Johannes und Karin Schauff zum 80. Geburtstag, hrsg. von Paulus Gordan, Pfullingen 1983, S. 121.
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Sprüche geltend machen konnte. Einer dieser Kreise gruppierte sich um Hermann Frhr. v. Lüninck. 22 Brüning verfügte über wirkungsvolle Beziehungen, entwickelte aber auch persönliche Fähigkeiten, um politische Gegensätze zu überwinden, beides Eigenschaften, die ihn schließlich zum herausragenden Kanzlerkandidaten beförderten. In den ersten drei Monaten des Jahres 1930 gelang ihm das fast schon geniale Kunststück, das man in Kenntnis der Geschichte der Weimarer Republik kaum anders nennen kann, unmittelbar nacheinander die Führung des Reichswehrministeriums, Schleicher wie Groener, den Reichspräsidenten, die Führung seiner eigenen Partei und ihre Reichstagsfraktion für seine Konzeption und seine Kanzlerkandidatur zu interessieren und dennoch die aus der „großen Koalition" resultierenden engen Beziehungen zu dem Fraktionsvorsitzenden und den führenden Männern der SPD als stärkster Partei nicht preiszugeben, zu schonen und weiter zu pflegen. 23 So konnte die Übernahme des Kanzleramtes und die Bildung einer Regierung durch Brüning ohne Hast, doch rasch und unter Vermeidung der üblich gewordenen Interimszeiten erfolgen. Nahezu routinemäßig, ohne ungewöhnliche Aufmerksamkeit zu erregen, begann die Politik des neunten Reichskanzlers an der Spitze der sechzehnten Regierung der Weimarer Republik. Sie hinterließ nach 26 Monaten ein wesentlich verändertes Deutschland. In dieser „Ära Brüning" wurde die Schwelle zur zweiten Phase der Zwischenkriegszeit überschritten; sie enthält alle Schlüssel zum Verständnis der nachfolgenden Zeit.
22
B r ü n i n g , Memoiren, S. 4 9 1 : Er habe die G r u n d g e d a n k e n seiner späteren Politik „im
Jahre 1 9 2 4 in K ö n i g s w i n t e r in einem v o n Herrn v. Lüninck geleiteten K r e i s e v o n führenden Persönlichkeiten der Rechtsparteien ausgesprochen". Es ist möglich und das Register d e r Edition meint dies auch, daß Hermann Frhr. v. Lüninck gemeint war, der Führer des Landbundes im Rheinland und Bruder des schon genannten Ferdinand Frhr. v. Lüninck. 23
W i c h t i g e Quelle hierzu R u d o l f Morsey, Neue Quellen zur Vorgeschichte der Reichs-
kanzlerschaft Brünings, in: Staat, Wirtschaft und Politik in der Weimarer Republik. Festschrift f ü r Heinrich Brüning, hrsg. v o n Ferdinand A . Hermens u. T h e o d o r Schieder, Berlin 1 9 6 7 , S. 2 0 7 — 2 3 1 ; vgl. Brüning, Memoiren, S. 1 6 3 ; hierzu auch Schulz, Vorabend, S. 4 8 7 f f .
Die Regierung Brüning 1930
ERSTES
KAPITEL
Reichsregierung, Reichspräsident und Parteien im Frühjahr 1930 Bindung der Reichsregierung
an den
Reichspräsidenten
Der damals dem Reichsbankpräsidenten Schacht verbundene Herausgeber der wirtschaftspolitischen Wochenschrift „Der Deutsche Volkswirt", Gustav Stolper, beschloß nach der Unterzeichnung des Young-Plans zu Paris eine Artikelserie am 30. August 1929 mit den Worten: „Es geht ein tiefes Sehnen durch ganz Deutschland nach Führerwillen und rettenden Ideen. Die große Bewährungsstunde der Demokratie ist gekommen. Ihr eigenes Schicksal entscheidet sich am Schicksal der Finanzreform." 1 Nach dem Ende der „großen Koalition" begleitete derselbe Autor den Amtsantritt des neuen Kanzlers Heinrich Brüning mit Ausdrücken dezidierter Skepsis, die keine Zweifel lassen, daß dies nicht die Regierung war, von der er einen Ausweg aus der Misere der Reichsfinanzen erwartete: „Hat überhaupt Herr Dr. Brüning mit den Vertretern der Parteien, die er ,ohne koalitionsmäßige Bindung' in sein Kabinett aufgenommen hat, auch nur ein Wort über die große Reichs- und Finanzreform gesprochen, die seinem weitgesteckten politischen Plan zugrunde liegen soll? ... Hält man es denn für möglich, eine solche Reform anders zu erzwingen als durch einen großen Plan, der an die Phantasie der Massen rührt und der durch seine Geschlossenheit alle Sonderinteressen abprallen läßt...?" 2 Mag in diesen Worten auch eine übertriebene Erwartung mitgeschwungen haben, so war die Frage immerhin klar und treffend gestellt. Einen „großen Plan" suchten viele; von ihm wurde häufig gesprochen. Doch es gab ihn jetzt wie auch später nicht. Er ist allenfalls in der retrospektiven Interpretation der Ära Brüning bei einigen Historikern aufgetaucht — wohl überwiegend aus Gründen, die in der deutschen Nachkriegsge-
1
Schlußpassage der Artikelfolge, die auch in Buchform veröffentlicht wurde, zit. v o n
Toni Stolper, Ein Leben in Brennpunkten unserer Zeit, Wien-Berlin-New York. Gustav Stolper 1 8 8 8 - 1 9 4 7 , Tübingen 1960, S. 229. 2
a. a. O., S. 252.
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I. Die Regierung Brüning 1930
schichte zu suchen sind; die Quellen kennen ihn nicht. Auch wenn man den Erinnerungen Brünings 3 folgt, ergibt sich zunächst nur in einer Hinsicht Auffälliges, aus dem sich eine wesentliche Abweichung von den Modalitäten vergangener Regierungswechsel entnehmen läßt: Nach einer Nacht mit wenig Schlaf ging der Kanzlerkandidat erneut zum Reichspräsidenten. Er bat um die „Erlaubnis, ein nicht an die Parteien gebundenes Kabinett bilden zu dürfen, und um die Zusage, ... im Notfall die Vollmachten des Artikels 48 zu erteilen", was die Beziehung des Reichskanzlers zum Reichspräsidenten über das bisherige Maß hinaus aufwertete und zwangsläufig enger gestaltete. Gewiß war der Artikel 48 der Reichsverfassung, der die Ausnahmerechte bestimmte, in den ersten Jahren der Republik, bis 1924, häufig schon bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen angewendet worden; das Verlangen hiernach ging von den Reichsregierungen aus, in Vermutung des Erfordernisses rascher und umfassender Maßnahmen, die der Weg der ordentlichen Gesetzgebung über den Reichstag und über den Reichsrat nicht zu gewährleisten schien. 4 Nun aber verlangte ein Reichskanzler vor der Regierungsbildung eine Verfügbarkeit der Notstandsbefugnisse aus dem Artikel 48 für seine künftige Politik. Will man Brünings Darstellung folgen und ihr die wahrscheinliche Voraussetzung zugrunde legen, daß er über die seit längerem verfolgten Absichten des Reichspräsidenten und seiner Umgebung nicht alles oder doch vieles nicht wußte, da sie erst wesentlich später aus den Niederschriften Graf Westarps bekannt wurden, 5 so bleibt der Schluß, daß Brüning auch ohne genaue Kenntnis diesen Absichten einen großen Schritt entgegenkam. Dabei sollte „ein Kabinett herauskommen, dem eine Mehrheit des Reichstages Unterstützung gab; zugleich aber mußte der Einfluß der Fraktionen auf dessen Zusammensetzung und Beschlüsse gebrochen werden. Daher
3
Brüning, Memoiren, S. 1 6 1 — 1 6 4 ; dort auch die nachfolgenden Zitate. Stets sind die
kritischen Einwände von Rudolf Morsey im A u g e zu behalten: Entstehung.
Anders
allerdings Josef Beckers These, Heinrich Brüning und das Scheitern der konservativen Alternative in der Weimarer Republik, in: A P Z , B 22/80; und im Anschluß hieran die Kontroverse Udo Wengst, Heinrich Brüning und die „konservative Alternative". Kritische Anmerkungen zu neuen Thesen über die Endphase der Weimarer Republik; Becker, Geschichtsschreibung im politischen Optativ? Zum Problem der Alternativen im Prozeß der A u f l ö s u n g einer Republik wider Willen, beide in: A P Z , B 50/80. 4
Vgl. Gerhard Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. I: Die Periode der
Konsolidierung und der Revision des Bismarckschen Reichsaufbaus 1 9 1 9 — 1930, Berlin 1963, 2. Aufl. 1987, Zweiter und Dritter Teil. 5
Schulz, Politik, 1, S. 1 5 - 1 8 .
Reichsregierung, Reichspräsident und Parteien im Frühjahr 1930
15
konnte nicht mehr mit einzelnen Gesetzen gearbeitet werden, sondern mit großen, zusammenfassenden Regierungsvorlagen..." 6 Der Gedanke einer „Kampfregierung" 7 , der angesichts tief wurzelnder, nicht mehr konstruktiv überbrückbarer politischer Gegensätze entwickelt wurde und nun auf die kurze, bürgerkriegsähnliche Phase der Staatsumwälzung in der Novemberrevolution in einer A r t dialektischer Entgegnung staatsrechtsförmig antwortete, lag den Entschlüssen Brünings nicht zugrunde. Wenn später im Hinblick auf die Notstandsrechte des Reichspräsidenten nach Artikel 48 der Reichsverfassung v o n einer „Reserveverfassung" der Republik gesprochen w u r d e , 8 so bleibt im A u g e zu behalten, daß diese Reserve schon wiederholt erprobt worden war. Um den verfassungspolitisch gegebenen Rahmen auszumessen, hatte Brüning schon v o r der Übernahme des Reichskanzleramtes neue Handhaben aus dem Artikel 48 verfassungsrechtlich prüfen lassen. Ein Gutachten, das der Staatssekretär in der Reichskanzlei v o m Reichsinnenministerium und v o m Reichsjustizministerium einholte und das die Staats-
Brüning, Memoiren, S. 163. So schon Ernst Wolgast, Die Kampfregierung. Zur Lehre von der Kabinettsbildung nach der Weimarer Verfassung, Königsberg 1929. Die Wurzeln des Gedankens reichen jedoch in die Kontroverse zurück, die Heinrich Herrfahrdt auslöste, Die Kabinettsbildung nach der Weimarer Verfassung unter dem Einfluß der politischen Praxis, Berlin 1927. Hiergegen Karl Rothenbücher, Der Kampf um Artikel 54 der Deutschen Reichsverfassung, in: ZöR, 7 (1928), S. 329 — 341; und Richard Thoma, Sinn und Gestaltung des deutschen Parlamentarismus, in: Recht und Staat im Neuen Deutschland. Vorlesungen gehalten in der Deutschen Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung, hrsg. von Bernhard Harms, Berlin 1929, I, S. 9 8 - 1 2 6 ; dort die Wortprägung „Konfliktkabinett" (S. 121). 8 Horst Möller, Parlamentarismus in Preußen 1 9 1 9 - 1 9 3 2 , Düsseldorf 1985, S. 586. Beachtenswert bleibt die beiläufige, aber treffende und wichtige Bemerkung von Hans Boldt, Der Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung. Sein historischer Hintergrund und seine politische Funktion, in: Michael Stürmer (Hrsg.), Die Weimarer Republik. Belagerte Civitas, Königstein, Ts. 1980, S. 309, Anm. 27: „Systemveränderung heißt ... ein Abgehen von den tragenden Grundsätzen der Weimarer Reichsverfassung, nicht ohne weiteres aber — illegaler — Verfassungsbruch. Nach damals herrschender Auffassung gestattete die Weimarer Verfassung jede Art ihrer Veränderung, wenn sich diese nur der in Art. 76 W R V [=Verfassungsänderung durch qualifizierte Reichstagsmehrheit] festgelegten Prozeduren bediente." Dem ist nur noch hinzuzufügen, daß bei Gleichrangigkeit der ordentlichen Gesetzgebung und des Notverordnungsrechts sich in keiner Hinsicht mehr juristische Beschränkungen auf dem Wege eines Systemwechsels ergaben — lediglich moralische, die aber bekanntlich an vielerlei Voraussetzungen gebunden sind. Im übrigen bleibt die konzise wie kenntnisreiche Darstellung von Clinton L. Rossiter, Constitutional Dictatorship. Crisis Government in Modern Democracies, Princeton, N. J . 1948, S. 31 —73, ebenso von Bedeutung wie Karl Dietrich Brachers Ausführungen, Auflösung, S. 58 ff. 6
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I. Die Regierung Brüning 1930
Sekretäre Zweigert und Joël gemeinschaftlich erstatteten, 9 behandelte drei Fragen hierzu. Als erste, mithin für höchst wichtig gehaltene, ob der Reichskanzler auch nach einem Mißtrauensbeschluß des Reichstags gegen die Reichsregierung einen v o n ihm gegengezeichneten, ihm zu
9 BA, Nach]. Pünder/131; auch Anlage zum Tagesordnungspunkt 1 der Reichsministerbesprechung am 3. April 1930, BA, R 43 1/1443, R 43 1/1308. Zuerst erwähnt und erörtert von Gerhard Schulz, Triebkräfte und Ziele der Reichsreform nach der Weimarer Verfassung, in: Rudolf Morsey (Hrsg.), Verwaltungsgeschichte. Aufgaben, Zielsetzungen, Beispiele, Berlin 1977, S. 94 f.; dann 1978 in der Einleitung von Politik und Wirtschaft, 1, S. LVII f.; Rudolf Morsey, in: Karl Dietrich Erdmann, Hagen Schulze (Hrsg.), Weimar: Selbstpreisgabe einer Demokratie. Eine Bilanz heute, Düsseldorf 1980, S. 207 f.; abgedruckt AR: Brüning, 1, S. 9 f. Im folgenden wird der Ausdruck „Reichsministerbesprechung" für den größten Kreis der an einer Sitzung der Ressortminister unter Vorsitz des Reichskanzlers Teilnehmenden verwendet. Beauftragte hohe Beamte gehören dazu, in der Amtszeit der Regierung Brüning fast immer auch der Reichsbankpräsident. Innerhalb dieser verhältnismäßig großen Konferenz waren die Reichsminister bzw. deren kommissarische Stellvertreter beschlußfähig, soweit der Reichskanzler, dem nach der Reichsverfassung die Bestimmung der Richtlinien der Politik oblag, einen Beschluß wünschte, was nur selten geschah. Sinngemäß Thilo Vogelsang in: Pünder, Reichskanzlei, S. 98, Anm. 240. Der Ausdruck „Ministerbesprechung", der sich in den Protokollen findet, kann mißverstanden werden. Als Ministerbesprechungen wurden auch Konferenzen in kleineren Kreisen bezeichnet, namentlich Besprechungen einiger Reichsminister, mit oder ohne Reichskanzler, auch mit Staatsministern der preußischen Regierung, auch hier meist unter Hinzuziehung zuständiger hoher Beamter. Der Terminus „Reichsministerbesprechung" entspricht für die Angelegenheiten des Reiches dem analog verwendeten Begriff „Preußisches Staatsministerium" für die Ministerberatung der Preußischen Staatsregierung bzw. den Sitzungen oder Besprechungen der „Bayerischen Staatsregierung". Der Ausdruck „Chefbesprechung" bezieht sich ausschließlich auf Konferenzen, die zwischen zwei oder mehreren Mitgliedern der Reichsregierung unter Hinzuziehung zuständiger Fachbeamter stattfanden und die entweder zur Vorbereitung oder zur Klärung von Einzelfragen im Auftrage des Reichskanzlers oder einer Reichsministerbesprechung angesetzt wurden. In institutioneller Permanenz wurden derartige Chefbesprechungen später auch als „Ausschuß der Reichsregierung" bezeichnet und einberufen (z. B. der „Wirtschaftspolitische Ausschuß der Reichsregierung"). Der ebenfalls häufig benutzte Ausdruck Reichskabinett bzw. Kabinettssitzungen enthält eine besondere rechtliche Qualifikation lediglich aufgrund der Geschäftsordnung der Reichsregierung vom 3. Mai 1924 (RMB1 1924, S. 176), die den Kreis der ständig Teilnahmeberechtigten und der zu den Sitzungen auch „widerruflich und ohne Stimmrecht" Zugezogenen regelte und insofern eine Einengung des Kreises der an den Reichsministerbesprechungen Beteiligten bedeuten konnte. Die praktische Bedeutung dieser Unterscheidung war jedoch gering, da einerseits durch Beschlüsse nach Empfehlung des Reichskanzlers weitere Teilnehmer der Reichskabinettssitzungen bestimmt werden konnten; zum anderen wurde es den Reichsministern nicht verwehrt, an den Beratungen bestimmter Tagesordnungspunkte die Staatssekretäre und gegebenenfalls weitere hohe Beamte ihrer Ministerien teilnehmen zu lassen. Erst seit Amtsantritt der Regierung Papen wurde das Gremium möglichst klein gehalten.
Reichsregierung, Reichspräsident und Parteien im Frühjahr 1930
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treuen Händen übergebenen „Erlaß des Reichspräsidenten auf Auflösung des Reichstags" vollziehen könne. Diese Frage wurde unumwunden bejaht: „Vor erfolgter Entlassung der Reichsminister durch den Reichspräsidenten ist die Rechtsstellung des Reichskabinetts, im besonderen die des Reichskanzlers, unverändert." Nach der von den beiden Gutachtern geäußerten — auch unter gelehrten Staatsrechtlern erörterten — Auffassung kam dem Ministerentlassungsrecht des Reichspräsidenten Vorrang vor dem parlamentarischen Vertrauensentzug und Regierungssturz zu. Auch aus der Beantwortung der beiden anderen Fragen ergab sich, daß die Gutachter dem Notverordnungsrecht Vorrang vor parlamentarischen Entscheidungen einräumten und es sogar einer geschäftsführenden Reichsregierung zugestanden, soweit sie eine unmittelbare erhebliche Gefahr „auf eine minder erhebliche zurückzuführen oder ganz zu beseitigen" vermochte. Nach Meinung der Gutachter war es zulässig, daß auch eine geschäftsführend im Amte bleibende Reichsregierung ihre nächsten gesetzgeberischen Absichten in Notverordnungen umsetzte und daß unter gewissen Voraussetzungen auch nach Auflösung des Reichstags auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung Steuererhöhungen vorgenommen werden konnten, um „das fehlende Gleichgewicht des Haushalts" wiederzugewinnen und eine durch mögliche Nichtzahlung von Löhnen und Gehältern sowie durch Nichterfüllung anderer Verpflichtungen heraufbeschworene Gefahrdung der öffentlichen Sicherheit abzuwenden. Auch agrarpolitische Maßnahmen zählten hierzu, denn sie sollten mögliche Gefahrdungen infolge der zunehmenden Beunruhigungen der Landbevölkerung beseitigen. Dasselbe durfte für eine „Osthilfe" gelten (deren Name in dieser knappen Form hier zum ersten Male auftaucht). Zur Begründung, auf die allein es noch anzukommen schien, wurde auf die Landvolkbewegung, die Bombenanschläge in SchleswigHolstein und das bereits auffallige Anwachsen der nationalsozialistischen Bewegung gerade in den östlichen Landbauzonen hingewiesen. Die Frage nach anderen Abhilfen blieb unerörtert; die Diktaturermächtigung wurde weder als ultima ratio, weder als letztes noch als optimales Hilfsmittel der Regierung betrachtet, sondern als einfaches, immediat einsetzbares, unter der Voraussetzung des Einvernehmens mit dem Reichspräsidenten im Ermessen der Reichsregierung liegendes Mittel, dessen Anwendung wohl einer schlüssigen, im übrigen aber keineswegs einer besonders qualifizierten Begründung bedurfte. Das Vorhaben der Regierung besaß aus diesem Grunde letztlich Vorrang gegenüber dem Willen des Reichstags, soweit er sich zu keiner Mehrheitserklärung zu entscheiden vermochte und sofern sie sich mit dem Reichspräsidenten in Einklang
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befand. Dies blieb fortan beständiger Sinn der überaus wirkungsvollen gedanklichen Konstruktion dieser Gutachten. 10 Diese oder gleichartige Auffassungen hatte Brüning auch schon als Fraktionsführer der Zentrumspartei, vor seiner Ernennung zum Reichskanzler, zur Kenntnis genommen, wahrscheinlich bald „nach Ostern" 1929, in einem ersten bedeutsamen Gespräch mit Generalmajor v. Schleicher. 11 Offenbar lief diese Art der Information des Kanzlerkandidaten am Präsidialbüro vorbei, gab es mithin eine Annäherung von Kanzlerkandidat und interessierten Interpreten der Notstandsbefugnisse des Reichspräsidenten, die sich für die künftige Entwicklung als überaus folgenreich erwies. Allerdings findet sich zu diesem Zeitpunkt noch kein Anzeichen dafür, daß erwogen oder gar beabsichtigt wurde, etwa die gesamte Regierungstätigkeit vom Reichstag zu lösen, um sie gänzlich auf den Reichspräsidenten zu stützen. Die zuständigen Reichsministerien wie die Reichskanzlei prüften unter der Voraussetzung, daß sie sich weiter auf dem Boden der Reichsverfassung bewegten, die Möglichkeit einer Umgehung, also eines Ausspielens des parlamentarischen Mißtrauensvotums gegen die Regierung nach den Erfahrungen mit der „großen Koalition". Man beabsichtigte, das nächste Finanzsanierungsprogramm nach langer Verschleppung, nun um die besagte „Osthilfe" erweitert, die der Reichspräsident verlangt hatte, gegen jeden Widerstand durchzusetzen, aber nicht die dauernde Beschneidung der Rechte des Reichstags. Die Intentionen waren ganz und gar pragmatischer Natur; weder eine Verfassungsexegese noch die Lösung von Normenkollisionen, im Hinblick auf das parlamentarische Prinzip, schienen beabsichtigt oder wurden erörtert. Man wollte und konnte dies freilich nicht vor Reichstag und Öffentlichkeit darlegen. 12 Immerhin gab der Reichskanzler nach den ersten '" Ein weiteres Gutachten des Ministerialdirektors im Reichswirtschaftsministerium Dorn „Zur Frage der Anwendung des Artikels 48 der Reichsverfassung und der Auflösung des Reichstags" wich von dem Gemeinschaftsgutachten Zweigert-Joel ab. Es ging auf eine etwas veränderte Fragestellung ein. In der Sache entwickelte es keine andersartigen Folgerungen. D o r n erörterte die zwischen Walter Jellinek und Carl Schmitt einerseits und Gerhard Anschütz anderseits strittige Frage, ob eine Reichsregierung, der bereits ein Mißtrauensvotum erteilt worden ist, die Auflösungsorder des Reichspräsidenten gegenzeichnen darf. Dorn stellte in bezug auf eine bereits im voraus gegengezeichnete A u f l ö sungsorder gleiche Meinung mit dem Gemeinschaftsgutachten fest. Im übrigen bestand auch darin Übereinstimmung, daß einer „Geschäftsregierung" die vollen Machtbefugnisse der „normalen Regierung" zukamen. BA, Nachl. Pünder/131. " Brüning, Memoiren, S. 147. 12
Brüning teilte Einzelheiten der vorliegenden Gutachten seiner Fraktion, nach Ausweis
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Sitzungen des neuen Kabinetts in seiner Erklärung vor dem Reichstag am 1. April 13 seine Entschlossenheit zu erkennen, die Befugnisse aus dem Artikel 48 anzuwenden. Seine Regierung sei „an keine Koalition gebunden", entsprechend dem „vom Herrn Reichspräsidenten erteilten Auftrag"; „politische Kräfte des Hauses" seien „nicht unberücksichtigt" geblieben, was Brüning aber doch schon als „letzten Versuch" bezeichnete, „die Lösung mit diesem Reichstag durchzuführen". — Das mußte als Androhung einer Auflösung und Neuwahl des Reichstags aufgefaßt werden. — Die Regierung „scheut angesichts der ernsten Lage nicht vor außergewöhnlichen Mitteln zurück"; sie sei „gewillt und in der Lage, alle verfassungsmäßigen Mittel hierfür einzusetzen". Dies trug dem neuen Reichskanzler außer dem Beifall seiner eigenen Fraktion 14 nur die Zustimmung der Sprecher der Deutschen Volkspartei, der Wirtschaftspartei und — nicht ohne Vorbehalt — der Demokraten ein, während Breitscheid für die SPD die Fragwürdigkeit gerade der vorzeitigen Ankündigung künftiger Anwendungen des Artikels 48 hervorhob und mit der Zurückweisung dieser als „glatten Verfassungsbruch" bezeichneten Absichtserklärung eine unüberhörbare Warnung aussprach, die der vorsichtig taktierende Reichskanzler nicht ohne weiteres übergehen konnte, so daß er dann in seiner offiziellen Regierungserklärung nichts von einer neuen Regierungsweise verlauten ließ. Ein Vertrauensvotum unterblieb; doch die von der KPD und der SPD eingebrachten Mißtrauensanträge fanden nur die Zustimmung der nationalsozialistischen Abgeordneten, insgesamt 187 gegen 253 Stimmen, während die Fraktion der DNVP diesmal das Regierungslager stützte, 15 in den folgenden Tagen aber in heftigen Streitereien auseinanderfiel.
der Fraktionsprotokolle, nicht mit, behauptete aber, daß er dem Fraktionsvorsitzenden der D N V P (Oberfohren) gegenüber bemerkt habe, daß ein Teil des Agrarprogramms und das Ostprogramm mit Hilfe des Artikels 4 8 nicht „zu machen" seien. Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 432. 13
StenBer V h RT, Bd. 427, S. 4728 - 4741.
14
a. a. O., S. 4 7 4 1 — 4 7 5 1 , auch zum Folgenden.
15
Hätte der Reichstag das Mißtrauensvotum mehrheitlich angenommen, so wäre er
sofort aufgelöst worden, und die Reichsregierung hätte mit dem Artikel 48 regiert. Die Situation des 16. Juli 1930 wäre mithin dreieinhalb Monate früher eingetreten. Die Vorbereitungen waren getroffen, die Entscheidungen bereits gefallen. Vgl. Pünder, Reichskanzlei, S. 48; Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 429, 434. Der Ausgang der inneren Auseinandersetzungen der DNVP-Fraktion bildete das Zünglein an der Waage. Zu diesen Vorgängen schon Bracher, Auflösung, S. 3 2 7 - 3 3 3 ; vgl. Schulz, Politik, 1, S. 107 ff., 112 ff., 1 1 6 f., 1 3 0 - 1 5 0 .
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I. Die Regierung Brüning 1930
Das Programm der Regierung Brüning schien zunächst kaum geeignet, den großen, neu abgesteckten Bogen verfassungsrechtlicher Möglichkeiten annähernd auszufüllen, vor allem aber nach außen einen ähnlichen Eindruck zu erzielen wie die knappen, klaren und starken Worte des Reichskanzlers mit ihrem drohenden Unterton. „Praktisch konnte es sich nur darum handeln, die Ablehnung eines Mißtrauensvotums erzielen, die einzige Form, unter der ein deutscher Reichstag sein Vertrauen auszusprechen pflegte,16 und den Kompromiß über Finanzen sowie Arbeitslosenversicherung und Zollvorlagen im Reichstag durchzusetzen. Das mußte in einer Woche geschafft werden, um eine neue Form des Regierens in Deutschland zu beginnen und damit den Glauben an die Möglichkeit einer Regierung mit Autorität gegenüber dem Parlament ohne Verletzung der Verfassung zu begründen", beschrieb Brüning später sein Vorgehen; die zugänglichen Quellen liefern keinen Anhalt für die Existenz weiterer, über die nächsten Tage und Entscheidungen hinausreichender Pläne. Die Reichsfinanzpolitik der voraufgegangenen Regierungen lavierte zwischen den jeweiligen Schwierigkeiten kurzfristig hindurch und lebte im Grunde von der Hand in den Mund. Daran änderte sich auch nach der Regierungsübernahme durch Brüning und während seiner Amtszeit nichts Wesentliches; jedoch wirkten sich Aushilfen und größere Maßnahmen, um den Haushaltsausgleich herbeizuführen, im Gefolge der Krise wirtschaftlich immer tiefer einschneidend aus. Zu Beginn des Frühjahrs 1930, als die neue Reichsregierung ihr Amt antrat, schien allerdings die Krise, von der man in den voraufgegangenen Monaten wiederholt gesprochen hatte, einer Entlastung zu weichen. Ende März, teils noch im April hatten die Notierungen der wichtigsten Aktienwerte an der New Yorker Börse gegenüber ihrem Tiefpunkt im November 1929 wieder erheblich angezogen. 17 Zum Zeitpunkt des Amts-
16
Brüning, Memoiren, S. 163, durch Kursivdruck im Original hervorgehoben.
17
Robert T. Patterson, The Great B o o m and Panic 1 9 2 1 - 1 9 2 9 , Chicago 1965, S. 184 f.
Die episodische Entlastung im Frühjahr 1930 ist häufig hervorgehoben worden, so von Charles P. Kindleberger, Die Weltwirtschaftskrise 1 9 2 9 - 1 9 3 9 , Übers. aus dem Amerikanischen, München 1973, S. 134 ff. Knut Borchardt, Zwangslagen und Handlungsspielräume in der großen Wirtschaftskrise der frühen dreißiger Jahre. Zur Revision des überlieferten Geschichtsbildes, in: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1979, München 1979, S. 4 f., auch in: Stürmer, Weimarer Republik, S. 320 f., meint sogar, daß man noch bis April 1931 „auf ein glimpfliches Ende der Krise hoffen konnte". Erst Mitte April 1931 sei eine noch nicht hinreichend geklärte Wendung zum Schlimmeren eingetreten. — Die Zahl der von den Arbeitsämtern erfaßten Arbeitslosen in Deutschland, die schon Ende
Reichsregierung, Reichspräsident und Parteien im Frühjahr 1930
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antritts der Regierung Brüning konnte v o n einer allgemeinen wirtschaftlichen Krise nicht die Rede sein. Deutschland erlebte in den ersten Monaten des Jahres 1 9 3 0 den letzten Nachschwung der Stabilisierungsphase; einige Anzeichen weltwirtschaftlicher Neubelebung waren offenkundig Folgen eines allgemeinen Nachgebens der Großhandelspreise, das seit Sommer 1929 anhielt und sich stetig fortsetzte. Wenn man auch in der deutschen Politik die Vorgänge an ausländischen Börsen kaum eingehend beobachtete, so blieben doch die Wirkungen des v o r allem im zweiten Quartal 1930 zunehmenden und an den Umfang früherer Jahre erinnernden Umsatzes an amerikanischen wie ausländischen Wertpapieren in den Vereinigten Staaten auch innerhalb Deutschlands nicht aus. Diese Schwankungen trugen nicht unwesentlich zu der verspäteten Erfassung von Ausmaß und Auswirkungen der Wirtschaftskrise bei, 1 8 zumal man sich in Deutschland an das Faktum einer großen Arbeitslosigkeit schon
November 1929 zwei Millionen übertraf und bis Ende Februar 1930 mit 3,366 Millionen einen ersten Höchststand erreicht hatte, ging im Laufe des Frühjahrs erheblich zurück, stieg aber im Sommer wieder rasch an, lag zum Jahresende 1930 bei 4,4 Millionen. Bei der Arbeitslosenstatistik handelt es sich, wie auch Borchardt sagt, um einen Spätindikator der konjunkturellen Entwicklung. Die partielle Entlastung im Frühjahr 1930 ist indessen nicht strittig. Tabelle nach den Statistischen Beilagen zum Reichsarbeitsblatt bei Dieter Rebentisch, Kommunalpolitik, Konjunktur und Arbeitsmarkt in der Endphase der Weimarer Republik, in: Morsey, Verwaltungsgeschichte, S. 114. Umfassender Tabellenanhang bei Helmut Marcon, Arbeitsbeschaffungspolitik der Regierungen Papen und Schleicher. Grundsteinlegung für die Beschäftigungspolitik im Dritten Reich, Bern/Frankfurt a.M. 1974, S. 402—456. Die deutsche Handelsbilanz wies für das erste Quartal 1930 ein besseres Ergebnis aus als für das erste Quartal 1929, sogar eines der besten Ergebnisse überhaupt. Auch die Monatsindexzahlen der Produktion von Verbrauchsgütern des sog. elastischen Bedarfs lagen im Januar und Februar 1930 über den Zahlen der ersten acht Monate von 1929. Die Bautätigkeit war in dem üblicherweise saisonbedingt schwachen ersten Quartal 1930 sogar ungewöhnlich groß; die Investitionsgütererzeugung glich der des Vorjahres, sank aber ab April rapide ab. Die Umsätze des Einzelhandels lagen im ersten Quartal 1930 etwas unter denen des Vergleichszeitraumes 1929, stiegen aber im April merklich an. Die Beschäftigtenzahl bewegte sich seit August 1929 — mit Unterbrechung von März bis Juli 1930 — stetig abwärts. 18 Ein Beispiel von vielen für die unzureichende Reflexion der Krise liefert das vom Parteivorstand der SPD herausgegebene Jahrbuch der Deutschen Sozialdemokratie für das Jahr 1930, o.O. [1931]. Der Bericht der Reichstagsfraktion, der im Frühjahr 1931 abgeschlossen wurde, ist überschrieben „Das Krisenjahr 1930". Aber von der Krise handeln nur die ersten Sätze, w o im Hinblick auf das Ansteigen der Arbeitslosenzahl bis Ende 1930 konstatiert wird: „Aus der wirtschaftlichen Depression ... ist ... eine deutsche Wirtschaftskrise im stärksten Umfange geworden", um einige nichtssagende Folgerungen anzuknüpfen.
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I. Die Regierung Brüning 1930
während der zwanziger Jahre gewöhnt hatte und hierin noch nicht ein Alarmzeichen erblickte. Macht man sich mit den zahllosen wirtschaftlichen Berichten und Eingaben in den Aktenbeständen nicht nur der fachlich zuständigen Obersten Reichsbehörden, sondern auch mit denen des Büros des Reichspräsidenten vertraut, so fällt in der erdrückenden Fülle von Adressen, Vorschlägen und Unterrichtungen eine durchgehende perspektivische Eigenart auf: Sogar in der ständigen, sehr ausführlichen Berichterstattung des Reichswirtschaftsministers über die wirtschaftliche Lage, die der Reichspräsident seit 1919 regelmäßig erhielt, 19 blieben wirtschaftliche Vorgänge im Ausland unerörtert, meist sogar unerwähnt. Die gesamte Außenwirtschaft wie die Auslandswirtschaft figurieren in den Sparten Export und Import, Zollpolitik, Reparationen und Anleihen, womit die von deutscher Seite aufgenommenen gemeint waren. Die Zusammenhänge des Welthandels erscheinen nicht reflektiert; ihre Existenz wurde amtlich gar nicht zur Kenntnis genommmen. Die Bemühungen des Kieler Nationalökonomen Bernhard Harms und des von ihm noch vor dem ersten Weltkrieg gegründeten Instituts für Weltwirtschaft wie auch die später einsetzenden Versuche zur statistischen Erfassung in Deutschland durch den Chile-Deutschen Ernst Wagemann haben trotz ihres scheinbaren Einflusses auf Wissenschaft und Fachpublizistik nur wenige hohe Beamte und noch weniger Politiker beeindruckt. Hierin spiegeln sich offenkundige Defizite in der Auffassung der hohen Beamten — vor allem der Ministerialabteilungsleiter und Referenten — des Reichswirtschaftsressorts, von denen einige immerhin über Auslandserfahrungen verfügten, die sie allerdings in erster Linie den langwierigen Reparationsverhandlungen verdankten. Die in Wellen das Präsidialbüro überschwemmenden Adressen sowohl der Spitzenverbände als auch einzelner Persönlichkeiten bekunden eine überaus hohe Einschätzung der Autorität des Reichspräsidenten gleichsam als Appellationsinstanz auch in wirtschaftspolitischen Angelegenheiten. Der Reichspräsident, wahrscheinlich auch seine engste Umgebung wären mit einer Auswertung oder auch nur sorgsamen Kenntnisnahme selbst der in sachlichem Tone gehaltenen Berichte in ihrer Arbeitskraft bei weitem überfordert gewesen. Es ist nur verständlich, daß der hohe 19
Die Berichte sind in einer eigenen Aktengruppe enthalten, B XI, Gruppe 1, Nr. 2,
nach der Registratur des Büros. Die Akten des ehemaligen Büros des Reichspräsidenten liegen heute in Potsdam. Ein ausgewählter Teil ist, auf Mikrofilm aufgenommen, im Institut für Zeitgeschichte in München einzusehen. IfZ, M A 1240/1 u. 2.
Reichsregierung,
Reichspräsident
und Parteien im Frühjahr
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Adressat auch innerhalb dieser nationalen Flut von Unterrichtungsversuchen eine enger begrenzte Auswahl vornehmen ließ, um sich mit dem gründlichen Interesse, das er durch sein Amt geboten wähnte, ihrer anzunehmen. Diese ausgewählten Eingaben betrafen — direkt oder indirekt — Wehrmacht und Landesverteidigung, die sich verhältnismäßig häufig mit dem wirtschaftlich bedrängten Grundbesitz im Osten in Verbindung bringen ließen, wofür im Reichswehrministerium Material zur Verfügung stand, 20 des weiteren die Landwirtschaft im Osten allgemein und schließlich in jedwedem wirtschaftlichen Bezug einige herausragende alte Familien, deren Erhaltung Hindenburg für eine patriotische preußische Verpflichtung hielt. Friedrich Ebert, sein Vorgänger, hätte sich wohl anders verhalten; wie er aber mit dem merkwürdigen, anschwellenden Fluß wirtschaftlicher Eingaben, Vorstellungen und Ideen nach der Mitte der zwanziger Jahre fertig geworden wäre, muß offene Frage bleiben. Für die Industrie brachte Hindenburg von Haus aus wenig Interesse auf. Er war aber bereit, sich die Reden respektabler Persönlichkeiten anzuhören, deren Rang und Bedeutung er begriffen hatte. Die größten Verbände vermochten sich ihm dann auch entsprechend zu präsentieren. Auf dem Neujahrsempfang des RDI am 7. Januar 1930, der dem Reichspräsidenten Gelegenheit zu einer gut vorbereiteten und über der Sache stehenden Erwiderung bot, bemühte sich Duisberg, in seiner Ansprache allerdings wenig glücklich, die Interessen seines Verbandes zum Ausdruck zu bringen. Mit einer Anspielung auf „das abschreckende Beispiel im Osten" meinte er wohl Verhältnisse weit jenseits der Reichsgrenze, 21 weckte er aber doch vor allem das Empfinden des Feldmarschalls für die Notlage von Landwirtschaft und alten, ihm vertrauten Familien in den Ostprovinzen Deutschlands. Jedenfalls empfand sich Hindenburg selbst als eine Art ausgleichender Instanz; er suchte dem agrarischen Osten zu helfen und die Exporterfolge der Industrie, die etwas unvermutet ein-
20
Vorgänge und geheimes statistisches Material zur Beziehung zwischen der agrarischen
Notlage und dem vom Reichswehrministerium organisierten Landesschutz in Pommern BA, R 43 1/725. 21
Die ganze Passage in dem ausgearbeiteten und vorher dem Präsidialbüro übermittelten
Manuskript Duisbergs lautete: „Das abschreckende Beispiel im Osten beweist aber die Richtigkeit der Auffassung, daß eine kräftige industrielle Erzeugung nur aufrechterhalten wird, wenn den Unternehmern Selbständigkeit in der Führung der Betriebe, Aussicht auf Erfolg des Unternehmens und Verfügung über die notwendigen Betriebsmittel gelassen wird. Diese Voraussetzungen werden durch die gegenwärtige Sozial- und Steuerpolitik der Regierung ernstlich in Frage gestellt." Wortlaut B X I , Gruppe 1, Nr. 1, Bd. 1.
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I. Die Regierung Brüning 1930
setzten und einen kritisch aufgenommenen Überraschungseffekt zeitigten, um einer ihm naheliegenden höheren Gerechtigkeit willen zurückzuschneiden. Schließlich fühlte sich der Reichspräsident durch viele Eingaben hierzu aufgerufen. Die neue Regierung mußte dem Rechnung tragen. Die Vorgänge in Amerika fanden demgegenüber wenig Beachtung.
Reichshaushalt, Agrarprogramm
und Osthilfe
Das verhältnismäßig normale und routinemäßige Einsetzen der Politik der neuen Reichsregierung erklärt sich aus den Gewöhnungen und Einschätzungen unter diesen eben geschilderten Voraussetzungen. Zunächst mußte die seit Wochen geführte Kontroverse um die Deckungsvorlagen Moldenhauers zum Haushaltsausgleich durchgefochten werden. Wie in einer Serie von Verbandstagungen und Verhandlungen Anfang April deutlich wurde, blieb die Haltung der industriellen Spitzenverbände geteilt. Während im Langnamverein 22 wie im Stahlwerksverband die Meinungen auseinandergingen, aber doch starke Stimmen für Zurückhaltung „aus politischen Gründen" eintraten, „um dem neuen Kabinett Brüning, insbesondere dem Reichsarbeitsminister Stegerwald keine Schwierigkeiten zu machen", 23 sprach der Hauptredner auf der Versammlung des Verbandes Sächsischer Industrieller, von dem man allerdings starke Töne gewöhnt war, nur verächtlich über „den Reichstag und irgendein von seinen Fraktionen zusammengelesenes Verlegenheitskabinett"; er beklagte, „daß sich stets wieder Leute, keine Männer finden, die nichts anderes tun als die Vorgänger, die sie verdrängten, und die eine Verantwortung übernehmen, die sie nichts kostet ,.." 2 4 Steuerreform und eiserne Einsparungen der öffentlichen Hand unter Anwendung der Notstandsrechte nach Artikel 48 der Reichsverfassung erschienen dieser Seite schon seit Monaten als einzig diskutabler Ausweg. Mit einer besonders dramatisch empfundenen wirtschaftlichen Krisenlage hatte diese Spitzenverbandspolemik nichts zu tun. 22
Protokoll der 58. ordentlichen Mitgliederversammlung am 4. April 1930, in: Lang-
namverein. Mitteilungen des Vereins zur Wahrung der gemeinsamen
wirtschaftlichen
Interessen in Rheinland und Westfalen, N. F., 1 7 (1930), Nr. 2. 23
Michael Grübler, Die Spitzenverbände der Wirtschaft und das erste Kabinett Brüning.
Vom Ende der Großen Koalition 1929/30 bis zum Vorabend der Bankenkrise 1931. Eine Quellenstudie, Düsseldorf 1982, S. 109. 24
Wittke, am 3. April 1930; Grübler, a. a. O., S. 1 1 0 , auch zum Folgenden.
Reichsregierung,
Reichspräsident
und Parteien im Frühjahr
1930
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Kastl im RDI 25 und womöglich noch entschiedener der Bankier v. Mendelssohn, als Vorsitzender des DIHT, warben erfolgreich für Unterstützung der neuen Regierung, wenngleich Kastl vor dem Vorstand des RDI den Hinweis nicht unterließ, daß der von Brüning verfochtene Gedanke des Junktims von Young-Plan und Finanzreform praktisch gescheitert war. Er versuchte auch, allzu große Erwartungen zu dämpfen, da seiner Auffassung nach „die neue Regierung wahrscheinlich nicht in der Lage sein" werde, „ein sehr wesentlich anderes Programm vorzulegen; denn irgendwelche Möglichkeiten ohne gesetzliche Änderung durchzuführen, sind im Augenblick gar nicht gegeben..." 2 6 Er gab unumwunden zu, daß „sehr erhebliche Ersparnisse ... beim Reich ... fast unmöglich [seien]. Bei den Ländern ist es möglich; und bei den Gemeinden ist es ganz sicher möglich." Allerdings müßten erst „die Grundlagen" geschaffen werden, „um die Gemeindefinanzen in viel stärkerem Maße als bisher zu kontrollieren", was durch Erweiterung der Zuständigkeiten der Aufsichtsbehörden und reichsgesetzliche Regelungen der Kontrolle über die Aufnahme von Anleihen und kurzfristigen Krediten geschehen sollte. Dieser Gedankengang folgte der Vorstellung einer Reichsreform auf der unteren Ebene der kommunalen Selbstverwaltung, deren Nerv durch die Bindung und laufende Beaufsichtigung ihrer Finanzwirtschaft entscheidend getroffen wurde. Im Grunde waren dies alte Gedanken, die seit Schachts Kritik der kommunalen Anleihepolitik geläufig klangen, aber nun erneut als Ansatzpunkt einer Finanzreform galten. Zu der umrissenen Zwischenlösung für 1930 gehörte aber auch der Vorschlag, dafür zu sorgen, „daß die gesamte Öffentlichkeit Deutschlands sich jetzt mehr und mehr mit den öffentlichen Finanzen beschäftigt, daß die Sache der Finanzgebarung von Reich, Ländern und Gemeinden nicht nur eine Sache der Spezialisten ist" — wobei von sachkundigen Vertretern des Deutschen Städtetages nicht zu unterschätzende Gegen-
23
Daß der RDI als größter industrieller Spitzenverband in kritischen und strittigen
Fragen mildernd und ausgleichend zu wirken versuchte, hat die Arbeit von Grübler, Spitzenverbände, belegt. Nicht ohne gute Gründe erklärte in einer Kontroverse aus Anlaß der Einführung des Benzol- und Benzinzolls der Vorsitzende Duisberg: „Wir sind absolut neutral ... Wenn Sie den Versammlungen beiwohnen würden, v o r allem im Präsidium, dann würde Ihnen bekannt sein, daß wir der Fertigindustrie viel näher stehen ... und daß sie viel mehr Nutzen v o n uns hat als die Schwerindustrie." Stenogr. Niederschrift der Sitzung des Vorstands des R D I am 28. März 1930, S. 84; Autographensammlung
im
Nachlaß Duisberg, Werksarchiv der Farbenfabriken Bayer A G Leverkusen, 62/10, 4d, Photokopie Aktensammlung SfZT. 26
Stenogr. Niederschrift, S. 78 ff.
26
I. Die Regierung Brüning 1930
stimmen gewärtigt werden mußten —, „sondern daß eigentlich beinahe sich das gesamte Volk mit dieser Frage beschäftigt und damit auch die richtige Stimmung erzeugt ist, um mit Vorschlägen durchzukommen". Ein heikler, von Kastl erwähnter, aber von den Vorstandsmitgliedern nicht vertiefter Gesichtspunkt warf indessen einen starken Schatten auf alle weiteren Erörterungen der Reichsfinanzen. In der Finanz- wie in der Steuerpolitik hatten Kastl, Silverberg und auch einige andere Repräsentanten der Großindustrie in den letzten Wochen der Reichsregierung der „großen Koalition" bereits entschieden Stellung bezogen, indem sie den dezidierten Wünschen des Reichspräsidenten aus politischen Erwägungen entgegenkamen. Die industriellen Gesprächspartner Hindenburgs erwiesen sich nicht eben als Verteidiger der alten Reichsregierung; aber Silverberg, der Hauptgesprächspartner von Seiten der Industrie, und der deutschnationale ehemalige wie auch nachmalige Reichsminister Schiele, Initiator dieser Aktion des Reichspräsidenten, 27 verfolgten weiterreichende Gesichtspunkte, die auch die Anfänge der neuen Regierung Brüning bestimmten. Hierbei entstand ein neues, indirektes Junktim, das der Reichspräsident zwischen seiner Zustimmung zum deutsch-polnischen Liquidationsabkommen, das in Verbindung mit dem Young-Plan ausgehandelt worden war, und Hilfsmaßnahmen zugunsten „der Rentabilität der Landwirtschaft" herstellte, die seit einigen Wochen aus dem Osten nachdrücklich gefordert wurden. Hindenburg äußerte recht eng umrissene Vorstellungen von der Finanzierung dieser Hilfen, die auch die Außenhandelspolitik festlegten: „Ein Teil der Mittel kann aus ... steigenden Zollerträgen gewonnen werden, den anderen Teil muß meines Erachtens die Industrie aufbringen. Es wäre dies ein billiger und gerechter Ausgleich..." 2 8 Die Idee einer derartigen „ausgleichenden Gerechtigkeit" entstammte einer Denkschrift des bayerischen Stickstoffindustriellen Geheimrat Caro, die Hindenburg einige Wochen vorher erbeten hatte. Sie ging davon aus, daß die Industrieumlage, die nach dem Dawes-Plan erhoben wurde, zum Teil beibehalten und der Landwirtschaft zugeleitet werden sollte. Dies
27
Schreiben Hindenburgs an Reichskanzler Müller vom 18. März 1930; A R : Müller II,
2, S. 1 5 8 1 f., auch S. 1571 f., 1576 f.; dem waren Gespräche des Reichspräsidenten mit Schiele, am 17., mit Kastl am Vormittag und mit Silverberg und Caro vom Stickstoffsyndikat am Nachmittag des 18. März teils voraufgegangen, teils nachgefolgt. Gesprächsunterlagen des Reichspräsidenten und Aktennotiz des Staatssekretärs Meissner über die Unterredungen Schulz, Politik, 1, S. 8 8 - 9 1 . 28
a. a. O., S. 90 (Gesprächsunterlage des Reichspräsidenten).
Reichsregierung, Reichspräsident und Parteien im Frühjahr 1930
27
entsprach einer Anregung Silverbergs am 12. Dezember 1929 in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung des RDI. Das war der Grundgedanke des sogenannten „Silverberg-Plans". 29 Caro hatte hierfür das Junktim zwischen agrarpolitischen Hilfsmaßnahmen und autoritärer politischer Entscheidung vorgeschlagen: „daß für eine gewisse Zeit und zur Erreichung gewisser Ziele eine schnellarbeitende, durch keine langen Reden und keine Reibungen gekennzeichnete Instanz geschaffen werden muß, die die notwendige Arbeit ausführt. Ist diese Arbeit getan, dann kann das parlamentarische System wieder voll eingesetzt werden." 30 Diesen Entschluß zur Durchbrechung der parlamentarischen Regierungsweise, um den ostdeutschen Agrarinteressen in ihrer Not entgegenzukommen, hatte sich der Reichspräsident zu eigen gemacht 31 und Kastl wie auch Silverberg mit seinem Verlangen konfrontiert, für die nächsten fünf Jahre jeweils 50 Millionen RM aus der Industriebelastung zugunsten der Landwirtschaft abzuzweigen. Beide Gesprächspartner waren sich darüber im klaren, daß sie künftig diese Pläne Hindenburgs nicht übergehen konnten, zumal schon Tage vorher unmittelbare Verhandlungen zwischen Persönlichkeiten der ostdeutschen Landwirtschaft, v. Flemming, v. Knebel-Döberitz, v. Zitzewitz-Kottow, und des Langnamvereins, Reusch und Schlenker, über „ein gemeinsames Vorgehen der Landwirtschaft und der westlichen Industrie bei der Hilfsaktion" 32 begonnen hatten. Sie bewegten sich in der Richtung der Vorschläge Silverbergs; jedoch zeichnete sich ein noch größeres Paket weiterer agrarischer Programme ab. Insofern lagen Initiative und „Junktim" des Reichspräsidenten, die er noch am 18. März in einem sofort veröffentlichten Brief dem Reichskanzler mitteilen ließ 33 , doch schon außerhalb der sich 29
a. a. O., S. 19 ff. Vgl. auch Schulz, Vorabend, S. 451 f.
30
Denkschrift Caro v o m 11. Februar 1930, zit. Schulz, Politik, 1, S. 91, A n m . 9.
31
Ebda. (Gesprächsunterlagen)
32
Schreiben von Otto Meynen an Silverberg, 26. März 1930; BA, Nachl. Silverberg/
363, mit Protokoll einer Besprechung am 11. März in Stettin, die eine Serie von Verhandlungen eröffnete. Grundsätzliches Einverständnis wurde am 26. März in Düsseldorf erzielt. Für den 27. März wurde Silverberg die Leitung einer größeren Gesprächsrunde übertragen, in der es den „Freunden der in Düsseldorf bestätigten Vereinbarung" darum zu tun war, die „noch abseits stehenden landwirtschaftlichen Vertreter" zu gewinnen, als deren Exponenten Schiele und Brandes-Zaupern galten. 33
In seinem der Presse übergebenen und am 19. März im Wortlaut veröffentlichten
Brief wiederholte Hindenburg die Gedanken aus den erwähnten Gesprächsunterlagen und fügte einige neue Formulierungen ein, die den Eindruck eines sachlichen Junktims mit seiner Zustimmung zum deutsch-polnischen Liquidationsabkommen und eines gewissen Drucks verstärkten. Zu den auffalligen Wendungen in diesem Brief Hindenburgs gehört
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I. Die Regierung
Brüning
1930
eben anbahnenden Einigung. Aus diesen Verhandlungen ging übrigens ein neues Gremium des RDI, der Agrarpolitische Ausschuß, hervor. Opponierende Stimmen aus der Industrie wandten sich sogleich nach Bekanntwerden der Gespräche beim Reichspräsidenten gegen einen Zugriff auf die Industrieumlage oder gar den Reservefonds der mit ihrer Verwaltung betrauten Bank für deutsche Industrieobligationen. 34 Sie sind nie zum Schweigen gebracht worden, zumal sich der Reichsfinanzminister entschloß, die Industrieumlage, deren Weitererhebung in etwas reduzierter Form beschlossene Sache war, auch für Überweisungen zugunsten der Arbeitslosenversicherung einzusetzen. 35 In dieser Lage hat der Deutschnationale Schiele, Präsident des Reichslandbundes, 36 durch Zusagen Hindenburgs in der sicheren Aussicht auf das A m t des Reichsernährungsministers veranlaßt und von Graf Westarp gedrängt, 37 den Anfangen der Regierung Brüning den entscheidenden Stempel aufgedrückt, aber auch Fraktion und Parteiführung der D N V P in ihre zweite und schwerste Krise gestürzt. Schiele entschied als Landbundführer in betonter „Unabhängigkeit von jeder Bindung an Fraktion und Partei" und stellte für seinen Eintritt in das Kabinett, den der Reichspräsident Brüning auferlegt hatte, die Bedingung, daß eine Reihe von Forderungen „unter allen Umständen — wenn es sein muß also
die Anspielung auf die Gespräche des gleichen Tages: „Aus Besprechungen, die ich in der letzten Zeit mit einzelnen Führern der deutschen Industrie hatte, habe ich den Eindruck gewonnen, daß dieser Gedanke der Verbundenheit und des Ausgleichs auch in der Industrie — trotz eigener Sorge und trotz der Klagen über die hohen, die Produktion bedrückenden Lasten — Verständnis findet." Silverberg und Kastl wurden hierdurch innerhalb des RDI in eine Verteidigungsposition gedrängt. 34 Blank an Reusch, 20. März 1930; Schulz, Politik, 1, S. 89, Anm. 4; Lammers an Vogler, 29. März, Abschr. BA, Nachl. Silverberg/363; Verteidigung Kastls auf der Vorstandssitzung des RDI am 28. März, Niederschrift, S. 72 ff. (s. oben Anm. 25). 35 Ausführlicher Bericht von Kastl an Duisberg, 16. April 1930; Autographensammlung Duisberg (s. oben Anm. 25). 36 Schiele war Reichsinnenminister in der ersten Regierung Luther 1925 und Reichsernährungsminister in der ersten Regierung Marx 1927/28. Hierzu Andreas Dorpalen, Hindenburg in der Geschichte der Weimarer Republik, Übers, aus dem Amerikanischen, Berlin/Frankfurt a.M. 1966, S. 80. 37 Niederschrift nach Diktat Graf Westarps, wahrscheinlich vom 3. oder 4. April 1930, „Über die Bildung der Regierung Brüning und die Verhandlungen bis zur Ablehnung des Mißtrauensvotums am 3. April 1930", Abschr. nach Orig. im Nachl. Graf Westarp, Gärtringen, Photokopiensammlung SfZT; Zusammenfassung des Inhalts, abgedruckt in: Schulz, Politik, 1, S. 112 f.
Reichsregierung, Reichspräsident und Parteien im Frühjahr 1930
29
auch gegen eine Mehrheit des Reichstages — mit den verfassungsmäßigen Mitteln" durchgesetzt würden. 38 Am Vortage hatte Schiele Graf Westarp „als Erstem" mitgeteilt, daß er sich entschlossen habe, sobald seine Bedingungen akzeptiert seien, in das Kabinett einzutreten und sein Mandat niederzulegen. Er wisse, daß er der Landwirtschaft helfen könne, werde von allen maßgebenden Stellen dazu aufgefordert und sehe es als seine Lebensaufgabe an, diese Arbeit zu übernehmen. 39 Am nächsten Tage machten sich Westarp und BrandesZaupern, der Präsident des Deutschen Landwirtschaftsrates, gemeinsam mit Schiele an die Arbeit, das agrarpolitische Programm „bis zur Ablehnung [zu] bepacken", 40 um aus der Situation soviel wie möglich herauszuholen. Obgleich Hindenburg und Schiele dies mit Brüning im großen und ganzen abgesprochen hatten, war noch mehr im Spiel. Offensichtlich hatten die rasche Bildung der Regierung und ihre partielle personelle Anlehnung an das gestürzte Kabinett Hermann Müller die Erwartungen einiger Konservativer und ihre Hoffnung auf eine radikale Klärung der Fronten enttäuscht. 41 Von den Reichsministern der „großen Koalition" hatte die Regierung Brüning, abgesehen vom Wehrminister, mehr als die Hälfte übernommen, wenn auch zum Teil in veränderten Funktionen, allein vom Zentrum drei Minister, Stegerwald, v. Guerard und Wirth, der als Exponent des linken Flügels galt. 42 Unsicherheiten gab es aber auch auf der anderen Seite. 43 So schien sich die Frage zu stellen, wie sich denn die alten Minister in der Regierung eines neuen, von der
38
Schiele an Reichskanzler Brüning, 29. März 1930. Das Original scheint nicht erhalten;
einen Durchschlag sandte Schiele mit einem kurzen Begleitschreiben v o m gleichen Tage an den Reichspräsidenten; Photokopie SfZT. Die zugehörige Punktation BA, Nachl. Pünder/131. 39
Diktat Westarp.
40
Ebda. Aus dem Diktat geht hervor, daß Brüning erst gegen Mittag die neuen
Bedingungen Schieies erhielt. Dies bestätigt in gewissem Umfang die von Breitscheid überlieferte Äußerung Brünings „gegen 11 Uhr" — also vorher —, daß Schiele bis dahin ganz allgemein „nur von der Notwendigkeit gesprochen" habe, „unter Umständen weitere Maßnahmen
für die Landwirtschaft
zu ergreifen". Aufzeichnung
Breitscheids
vom
29. März; abgedruckt Morsey, Neue Quellen, S. 227. 41
Hierzu Erasmus Jonas, Die Volkskonservativen 1 9 2 8 — 1933. Entwicklung, Struktur,
Standort und staatspolitische Zielsetzung, Düsseldorf 1965, S. 65 ff. 42
Vgl. die kurze Darstellung Brünings im Fraktionsvorstand der Zentrumspartei;
Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 429 f.; Brüning, Memoiren, S. 162 f. 43
Vgl. Berichte von Blank an Reusch v o m 1. und 2. April 1930; Schulz, Politik, 1,
S. 105 f., 1 1 0 f.
30
I. Die Regierung
Brüning
1930
Präsidialgewalt stärker als vom Reichstag gestützten Kurses halten würden. In dieser Hinsicht kam der von Schiele und Graf Westarp ausgehenden Pression und dem erneuten Druck Hindenburgs auf den Reichskanzler entscheidendes Gewicht zu, da sie Brüning nicht nur zu persönlichen Zusagen zwangen, sondern sie auch den Ministern auferlegten, die dies schon am 30. März akzeptierten. 44 Somit stand die gesamte Regierung in der gleichen Pflicht. Dies betraf die Bereitschaft, mit Hilfe des Artikels 48 zu regieren und zu amtieren, 45 was von Anfang an beabsichtigt war und in dem Augenblick eines gegen die Regierung ausfallenden Mehrheitsbeschlusses des Reichstags aktuell wurde, mit dem man als ziemlich sicher rechnete; er zog dann die Reichstagsauflösung und Gesetzgebung auf Grund des Notverordnungsrechts des Reichspräsidenten nach sich. Aber auch hinsichtlich ihres Programms war die Regierung in den nächsten wesentlichen Punkten festgelegt, die sich nun wieder von dem Junktim Young-Plan und Finanzreform entfernten, an dem die „große Koalition" zerbrochen war. Die von Schiele fixierten Komplexe umfaßten ein Ostprogramm und ein allgemeines agrarpolitisches Programm. 46 Das erste verlangte die „Bereitstellung von jährlich mindestens 200 Millionen RM für die nächsten fünf Jahre" zur Senkung von Zinsen und deren Lösung vom Reichsbank-Diskontsatz, von Steuern und Lasten „im weitesten Umfange", zur Schaffung eines „Betriebserhaltungsfonds für Betriebe aller Größen, zur Fortsetzung der Umschuldung [mit der die Ostpreußenhilfe 1928 begonnen hatte] und zur Regulierung der Kreditverhältnisse", alsdann ein besonderes Gesetz über ein außergerichtliches VergleichsverDiktat Westarp (Anm. 37). Das Protokoll der Sitzung des Vorstandes der Zentrumsfraktion am 31. März enthält eine sehr knappe, den Gang der Ereignisse keineswegs klärende Darstellung, auf die der Schluß folgt: „Die SPD will ein Mißtrauensvotum bringen. Wird das nicht abgelehnt, so wird der Reichstag aufgelöst und bis zur Neuwahl mit Art. 48 regiert." Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 429. Dies bezog sich wohl auf das Gespräch Brünings mit Breitscheid am Vormittag des 29. März, in dem sich der Reichskanzler ohne Ergebnis um Toleranz der SPD bemühte, an die nach dem Vorstoß Schieies natürlich erst recht nicht mehr zu denken war. Vgl. Morsey, Neue Quellen, S. 227 f. 44
45
46 Anlage zum oben zitierten Schreiben an den Reichspräsidenten; auch Nachl. Pünder/ 132; auch Anlage zu einer Aufzeichnung des Ministerialrats Feßler vom 4. April; BA, R 43 1/2543; auch BA, R 43 1/1501; dort mit der Aktenverfügung Pünders vom 2. Mai 1930: „Nach erneuter Kenntnisnahme durch den Herrn Reichskanzler ^urück den Vorgängen[im Original unterstrichen]. (Die Anlage ist sehr wichtig, als eine der Grundlagen der letzten Regierungsbildung; ich bitte daher ... um sorgfaltige Aufbewahrung, damit die Anlage jederzeit zur Hand ist.)"
Reichsregierung,
Reichspräsident
und Parteien im Frühjahr 1930
31
fahren vor der Einleitung von Zwangsversteigerungen und Zwangsvollstreckungen bei landwirtschaftlichen Betrieben, schließlich die Betrauung der provinzialen landwirtschaftlichen Vertretungen mit der Durchführung der Hilfsmaßnahmen. Die hierdurch angestrebte wirtschaftliche und teilweise auch rechtliche Sonderstellung der Landwirtschaft in dem noch nicht eindeutig abgegrenzten „Osten" Deutschlands, die Minderung ihrer Schuld-, Steuer- und Soziallasten als Mittel zur „Befestigung des in seinem Bestände aufs äußerste gefährdeten deutschen Besitzes" ging über den Rahmen der Maßnahmen, die seit 1928 der Provinz Ostpreußen in ihrer „berufungslosen Sonderlage" zugute kamen 47 , noch weit hinaus. Dies bezeichnete aber eher einen neuen Ausgangspunkt der agrarischen Subventionspolitik als einen vollständigen Plan. Daß die erstrebte „Befestigung" des Besitzes „in seinem Bestände" dem Vorrang und der Rolle des größeren Grundbesitzes in Ostdeutschland diente, der auch in der landwirtschaftlichen Berufs- und Interessenvertretung tonangebend wirkte, lag gewissermaßen in der Natur der Sache. Die „landwirtschaftlichen Sofortmaßnahmen", der zweite Komplex des Schieleschen Programms, bestanden in einer Reihe von Ermächtigungen und Beauftragungen des Reichsemährungsministers, die Zollsätze etwa für Getreide wie für Schweine und Schweinefleisch festzusetzen, um einen bestimmten Jahresdurchschnittspreis zu halten — nach dem auch der Wert von besonderen Einfuhrscheinen bemessen werden sollte —, einen Beimischungszwang von Roggenmehl bei Weizenmehlverarbeitung zu verfügen oder die Einfuhr von Gefrierfleisch gänzlich zu sperren. Die erstgenannten Maßnahmen kamen kaum der gesamten Landwirtschaft, sondern lediglich dem Getreide produzierenden Landbau, auf Kosten der Veredelungswirtschaft mit ihren Schwerpunkten in Nordwestdeutschland, 48 zugute. Doch Erträge aus dem bereits bestehenden staatlich verfügten Maismonopol sowie ein Teil der aus dem Gerstenzoll anfallenden Mittel sollten dem Reichsernährungsminister zur
47
Vgl. Dieter Hertz-Eichenrode, Politik und Landwirtschaft in Ostpreußen 1 9 1 9 —
1930. Untersuchungen eines Strukturproblems in der Weimarer Republik, Köln/Opladen 1969, S. 2 4 0 - 2 8 4 . 48
Zu den Folgen für Oldenburg, w o sich die Getreidepreisstützung verhängnisvoll
auswirkte und die Landbevölkerung gegen die Republik aufbrachte, Klaus Schaap, Die Endphase der Weimarer Republik im Freistaat Oldenburg 1928 — 1932, Düsseldorf 1978, S. 29 f., 269 f.
32
I. Die Regierung Brüning 1930
Stützung des gesamten Agrarmarktes zur Verfügung stehen;49 der Schweinezoll sollte in den laufenden Handelsvertragsverhandlungen mit Polen heraufgesetzt und die Zollbindung bei Milchprodukten in dem am 25. November 1929 abgeschlossenen Handelsvertrag mit Finnland durch neue Verhandlungen wieder aufgehoben werden. Die letzten beiden Vorstöße gegen die Linien der bisher verfolgten Handelspolitik, die zwischen Industriellen und Agrariern erörtert worden waren, riefen den RDI auf den Plan, der im Falle Finnlands lediglich einer Einfuhrkontingentierung zustimmen wollte. 50 Der handels- und zollpolitische Teilkomplex wurde infolgedessen zum Streit- und bald zum Verhandlungsobjekt zwischen Industrie und Landwirtschaft, was die Regierung zunächst einer Entscheidung enthob, bis schließlich in Gutachten und Plänen51 im Mai Osthilfe und Agrarprogramm, die aufeinander zuliefen, und die von den Spitzen der wirtschaftlichen Interessenten ausgehandelten Entscheidungen auch für die Reichsregierung spruchreif wurden.
Divergenzen und Konflikte in der
Ostagrarpolitik
In der für die Ostprovinzen zuständigen preußischen Verwaltung sah man die Sachlage, namentlich die Notlage der ostpreußischen Landwirtschaft nicht nur mit anderen Augen, sondern auch unter dem Eindruck ungünstiger Erfahrungen. Die Divergenz der politischen Grundlinien, denen die Regierungen Preußens einerseits und des Reiches anderseits folgten, ist offenkundig. Dies konnte zum Konflikt oder mußte zum Nachgeben einer der beiden Seiten führen. Zur Erklärung bedarf es eines kurzen Exkurses über die Entwicklung zur Osthilfe 1930, die den Keim zu weiteren Entwicklungen enthielt. 52 49
Nach der Aufzeichnung Feßlers (Anm. 46) hatte bereits die Stützung des Roggen-
marktes „bisher" 80 Millionen RM gekostet, um den Inlandspreis auf 160 R M je t zu halten, „während er sonst nach der Weltmarktlage auf 120 bis 130 RM abgeglitten wäre". Den Jahresdurchschnittspreis wollte Schiele auf 230 R M je t festsetzen. 50
Aufzeichnung Feßlers; Rundschreiben des RDI an die Mitglieder des Präsidiums v o m
9. April 1930 sowie Memorandum des RDI; Schulz, Politik, 1, S. 1 1 9 ff. Ausführlich, auch über die anschließende, in die gleiche Richtung weisende Stellungnahme des DIHT Grübler, Spitzenverbände, S. 2 1 2 — 2 1 6 . 51
Von großer Bedeutung war die von fünf Gutachtern erarbeitete Agrar-Denkschrift
des RDI, die am 15. Mai veröffentlicht wurde: Beiträge zu einem Agrarprogramm, Berlin 1930. 32
Die jüngere Literatur hierzu ist ungenau, wenn auch nicht bedeutungslos; so die
ganz aufs Biographische konzentrierte Arbeit von Hagen Schulze, Otto Braun oder
Reichsregierung,
Reichspräsident
und Parteien
im Frühjahr
1930
33
Schon v o r Amtsantritt der Regierung Brüning war das landwirtschaftliche Entschuldungsverfahren im Rahmen der Ostpreußenhilfe in eine schier ausweglose Krise gelangt, so daß die Fragwürdigkeit des eingeschlagenen Weges und der angewandten Mittel für die preußische Administration klar zutage trat. Der Staatskommissar zur Stützung des Gütermarktes entschied sich allerdings für eine Befürwortung; er hielt es „für unerläßlich, die Umschuldungsaktion in dem gesetzmäßig vorgesehenen Rahmen zu Ende zu führen", da sie zunächst „vorzugsweise den Großbetrieben zugute gekommen", aber doch „nunmehr in starkem Maße eine Hilfsaktion für den bäuerlichen Besitz geworden ist", der sich natürlich ebenso in Bedrängnis befand. 53 Die Preußische Zentralgenossenschaftskasse (Preußenkasse) hatte sich unter ihrem organisatorisch befähigten und persönlich tüchtigen, aber politisch meist umstrittenen Leiter Otto Klepper 5 4 Ende 1928 durch eine von Stichproben in der Betriebsprüfung ausgehende Denkschrift 55 in einen Gegensatz zum traditionsbewußten Teil des ostdeutschen Grundbesitzes gebracht, der seine Abneigung gegen die preußische Regierung noch verschärfte. Da die Preußenkasse von der Beobachtung ausging, daß „die bedrohlichsten Anzeichen in den Gegenden mit vorherrschenden
Preußens demokratische Sendung. Eine Biographie, Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1977, bes. S. 682 ff., sowie die ohne Wahrnehmung der zum Konflikt drängenden Ereignisse und Entscheidungen bleibenden Erinnerungen von Arnold Brecht, Mit der Kraft des Geistes. Lebenserinnerungen, zweite Hälfte, 1927 — 1967, Stuttgart 1967, S. 124—128, der fast ein ganzes ereignisschweres Jahr mit wenigen chronologischen Anhaltspunkten überbrückt. Von der Eigenart der Konzeption und Tendenz her zwar konsequent, historiographisch indessen bedauerlich die Außerachtlassung bei Möller, Parlamentarismus, der die stetige Konfliktslinie zwischen Reich und Preußen nur in wenigen Anmerkungen bedenkt. 53 Bericht des Staatskommissars für die Stützung des Gütermarktes vom 10. März 1930, mit Anlagen, vervielf., Berichterstatter Direktor Lauffer; hier Anlage V, GehStAB, Rep. 90/ 1077. 54 Klepper hatte als junger Referendar 1920 auf Seiten der Kapp-Putschisten gestanden, war danach Geschäftsführer im Verband hessischer Domänenpächter geworden und während der Währungsstabilisierung wesentlich an der Schaffung der Deutschen Domänenbank beteiligt, deren Vorstandsvorsitz er übernahm. Der Agrarbetriebswissenschaftler Aereboe gehörte ebenfalls dem Vorstand an. 1928 wurde Klepper auf Betreiben des preußischen Finanzministers Höpker-Aschoff zum Präsidenten der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse berufen. Mehrere Schüler Aereboes wurden von Klepper herangezogen und gefördert. Eine gelegentlich angenommene Zugehörigkeit Kleppers zur DDP bzw. zur Deutschen Staatspartei ist irrig, eine Beziehung zur DNVP nicht geklärt. Zu Klepper Hertz-Eichenrode, Landwirtschaft, S. 271 ff. 55 Preußische Zentralgenossenschaftskasse, Denkschrift Nr. 2: Die Lage der landwirtschaftlichen Großbetriebe in den östlichen Landesteilen, Berlin [1928].
34
I. Die Regierung Brüning 1930
Großbetrieben" auftraten, beschränkte sie ihre Prüfung von vornherein auf Grundbesitz und Pachtbetriebe mit mehr als 100 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche, von denen sie sich — in Verbindung mit einer systematischen Kreditkontrolle — umfangreiches Erhebungsmaterial beschafft hatte. Dies wurde zu einer anderen Datengruppe in Beziehung gesetzt, die sich aus der Beobachtung des Marktes der zum Verkauf gelangenden Güter ergab. Für die Zentralgenossenschaftskasse hing das Schicksal des Großgrundbesitzes letztlich von dem Angebot des Anlage suchenden Kapitals ab. Die ermittelte Beziehung von Angebot und Nachfrage auf dem Gütermarkt führte zu der resümierenden Annahme (mehr als eine begründete Hypothese ließ sich auf diesem Wege kaum gewinnen), daß es verfehlt sei, den gesamten östlich der Elbe gelegenen Teil des Reiches als Gebiet anzusehen, das einheitlich unter der landwirtschaftlichen Krise litte, daß sich vielmehr einzelne Krisenherde abgrenzen ließen. Weitaus geringere Störungen der Rentabilität zeigten sich dort, wo größere Bevölkerungsdichte und erkennbare Absatzflüssigkeit die Marktverhältnisse bestimmten. Krisengebiete blieben auch im Rahmen der Ergebnisse dieser Untersuchung „die Provinzen Pommern, Grenzmark und Ostpreußen, von denen Ostpreußen bezüglich der Absatzlage am stärksten benachteiligt" schien. Die Nutzanwendungen beschränkten sich auf wenige Punkte, die kaum zugunsten der Ostpreußenhilfe sprachen. Aber sie verhalfen der preußischen Agrarpolitik, deren tüchtige, bürokratisch gewohnheitsmäßige Erledigung bislang noch ihre beste, fast einzige Eigenschaft darstellte, unversehens zu dem Ruf, einer durchdachten Konzeption zu folgen. Dies begründete das Ansehen Kleppers. Das dürfte Höpker-Aschoff erkannt haben; und dies konnte auch Ministerpräsident Braun selbst zum Vorteil wenden. Die Beobachtung ließ sich nicht von der Hand weisen, daß nur das völlige Erliegen des Gütermarktes in den bezeichneten Krisengebieten dem offenen Zusammenbruch vieler überschuldeter Betriebe entgegenstand, da sich keine Käufer mehr fanden. Um der drohenden Folge eines Zusammenbruchs der Gläubiger und damit den schlimmsten Auswirkungen auf andere regionale Wirtschaftszweige zu begegnen, befürwortete die Preußenkasse einen Eingriff in den Gütermarkt des Krisengebietes dergestalt, daß durch eine Aufnahmeorganisation die zum Verkauf angebotenen bzw. zur Zwangsversteigerung anstehenden Güter in die Hand des Staates gelangten. Auf diese Weise wurde die Aussicht eröffnet, zu günstigen Bedingungen in großem Umfang Land für die Siedlungspolitik zur Verfügung zu haben. Hiermit tat sich ein neuer Aspekt für den stets probaten Siedlungsgedanken auf: der einer groß-
Reichsregierung, Reichspräsident und Parteien im Frühjahr 1930
35
angelegten Aufsiedlung ostdeutscher Güter, die von ihren Besitzern nicht mehr gehalten werden konnten. Auch andere Seiten dachten an die Übernahme hochverschuldeter Güter von Staats wegen, was den Gedanken der Massenansiedlung und der Revision der Grundbesitzverteilung neben den Stützungsplänen allmählich wieder stärker in den Vordergrund treten ließ. Zu Anfang des Jahres 1929 hatte sich der Reichswehrminister in den Gang der Verhandlungen eingeschaltet. 56 Neues zum Stand der Erörterung vermochte er zwar nicht beizutragen; er sprach aber nüchtern und unumwunden aus, wie man es zu dieser Zeit wohl kaum in einem anderen Ministerium des Reiches auszusprechen wagte, daß „die bisherige Besitzverteilung im Osten ... aus wirtschaftlichen, sozialen und nationalpolitischen Gründen vielfach nicht mehr haltbar" sei. Wenn er auch gelten ließ, daß die Erhaltung „einer angemessenen Anzahl lebensfähiger landwirtschaftlicher Großbetriebe" aus volkswirtschaftlichen Gründen geboten sei, was den Plänen der Preußenkasse keineswegs widersprach, so interessierte er sich im übrigen doch keineswegs für Marktverhältnisse, sondern für eine politische, soziographische und wirtschaftliche Stabilisierung der Region: „daß nur aussichtslos verschuldete Betriebe zur Aufnahme gelangen, daß jede Bodenspekulation ausgeschaltet wird und daß jede direkte oder indirekte Förderung des Polentums dabei vermieden wird". Zur Durchführung eines „Siedlungsprogramms auf weite Sicht" hielt das Reichswehrministerium indessen eine Ablösung preußischer Zuständigkeiten für ebenso erforderlich wie „eine einheitliche, mit weitgehenden Befugnissen ausgestattete Leitung der Siedlungspolitik". Auf der anderen Seite zeigte sich die preußische Regierung, je länger die Probleme der ostdeutschen Landwirtschaft erörtert wurden — und angesichts des zunehmenden Drängens der zuständigen Reichsministerien —, ganz im Gegensatz zu der sonst gegen das Vorgehen von Reichsinstanzen entschlossen verteidigten Souveränität Preußens doch geneigt, die Wahrnehmung „nationalpolitischer Interessen" in den preußischen Grenzgebieten der Reichsregierung zu überlassen, so wie es auch in den „abgetrennten und ferneren Volkstumsgebieten" geschehe — wie eine ungewöhnliche salvatorische Begründung lautete. 5 7 Die noch vom
56
Der Reichswehrminister an den Reichsernährungsminister, 28. Januar 1929; Abschr.
BA, R 43 1/1799. 57
Vermerk über die kommissarische interministerielle Beratung der zuständigen Res-
sorts des Reiches und Preußens am 29. Oktober 1929, betr. die künftige Osthilfe der Reichsregierung, v o n Regierungsrat Weichmann; Abschr. BA, R 43 1/1800.
I. Die Regierung Brüning 1930
36
Reichsinnenminister Severing einberufene interministerielle Kommission der zuständigen Ressorts des Reiches und Preußens legte im März 1930 den umfangreichen Plan einer Hilfe für die Ostgebiete vor, die für die Dauer von zehn Jahren auf verschiedenen Gebieten der Verwaltung den Einsatz von insgesamt 350 Millionen RM in einem weit gefächerten Feld wirtschaftlicher und kultureller Aufgaben vorsah. 58 Sie sollte nach dem Vorbild der Ostpreußenhilfe nun auch den Grenzprovinzen Pommern, Grenzmark Posen-Westpreußen, Schlesien und Oberschlesien Mittel für Umschuldungen und eine allgemeine Lastensenkung gewähren. Außerdem enthielt der Plan einen vielseitigen Katalog von Maßnahmen, die zu einem großen Teil zwar zu den Staatsaufgaben Preußens gehörten, denen nun aber eine gemeinschaftliche Finanzierung durch das Reich und Preußen und zudem Vordringlichkeit gesichert wurde, wie Flußregulierungen, die Förderung von Kleinbahnen, der Bau neuer Bahnlinien in der bislang vernachlässigten Nord-Süd-Richtung, von Wasserstraßen, Elektrizitätswerken, Krankenhäusern, Kindergärten, Jugendeinrichtungen, Schwesternstationen u. a.m. Die Größenordnung, die die Sonderzuweisungen erreicht hatten, die Ostpreußen dank des steten Pochens seiner Sprecher auf die „berufungslose Sonderlage" der Provinz zugeflossen waren, zeichnete sich für die anderen Ostprovinzen jedoch noch nicht ab. Die Umschuldungs kredite, die den größten Posten der gewährten Hilfen ausmachten, bis dahin in der Größenordnung von 80 Millionen RM, waren zunächst über besondere Ausschüsse bei den Landratsämtern, seit Herbst 1929 vorzugsweise durch die neu gegründete „Treuhandstelle für Umschuldungskredite in der Provinz Ostpreußen G.m.b.H." zur Verteilung gelangt. Verhältnismäßig rasch flössen Beihilfen aus dem für dringende Notfälle gedachten Betriebserhaltungsfonds, die als verlorene Zuschüsse, aber nur in solchen Fällen gewährt wurden, in denen sich ein Kursverlust nach Aufnahme eines Realkredits durch Hergabe von Pfandbriefen der Reichskreditinstitute gegen hypothekarische Sicherung nachweisen ließ. Dies fiel faktisch nur bei mittleren und größeren Realkrediten erheblich ins Gewicht und betraf in aller Regel landwirtschaftliche Großbetriebe. 59
58
A m 14. März 1930 dem Staatssekretär in der Reichskanzlei übermittelt; BA, R 43 1/
1801. 39
Der Staatskommissar konnte die Bewilligungen überprüfen und widerrufen. Hiervon
machte er während der zweiten Jahreshälfte 1929 in beträchtlichem Umfang Gebrauch, v o r allem im Hinblick auf Bewilligungen, die der Betriebsgrößenklasse mit mehr als 200
Reichsregierung, Reichspräsident und Parteien im Frühjahr 1930
37
Die Gesamtzahl der zwangsversteigerten landwirtschaftlichen Betriebe war innerhalb der Provinz Ostpreußen trotz der Ostpreußenhilfe nicht zurückgegangen, sondern hatte weiter zugenommen. Waren es 1927 141 mit insgesamt 12 649 ha Wirtschaftsfläche, davon 37 mit jeweils über 100 ha, die zusammen allein über 10111 ha — vier Fünftel der gesamten versteigerten Fläche — verfügten, so 1928 306, darunter 42 mit mehr als 100 ha, und 1929 sogar 395, von denen 60 auf die Größenklasse von mehr als 100 ha entfielen. 60 Bis März 1930 hatte allein die Ostpreußische Landschaft bei weiteren 273 Betrieben die Zwangsversteigerung beantragt, bei 37 die Zwangsverwaltung eingeleitet und „bei ca. 4 000 Inventar- und Erntepfändungen vorgenommen", um Zinsrückstände einzutreiben. 61 Bei länger als zwei Jahre währendem Rückstand der Zinsen drohte der Landschaft der Verlust des Vorranges ihrer Hypotheken und kam sie, da sie den Zinsendienst für eigene, umfangreiche Kreditverpflichtungen im In- und Ausland im Auge behalten mußte, in eine prekäre Lage. Notleidend waren nicht nur Groß- und Kleinbesitz, sondern auch das wichtigste und einflußreichste Realkreditinstitut der Provinz selbst. Hinzu kam, daß das höchst bedenkliche Mittel der Ernte- und Inventarpfandung den Betrieben die zur Fortführung der Wirtschaft unerläßlichen Kräfte entzog, so daß die Folge einer „Extensivierung der Wirtschaft" drohte. Auch andere Gläubiger, wie Landhandelsfirmen, waren in Schwierigkeiten geraten und bedienten sich des Mittels der Pfändung als letzter Aushilfe, um ihrem drohenden Zusammenbruch zu entgehen — offenbar vielfach vergeblich. 62 Aber auch Betriebe, die schon in den Genuß der Umschuldung gekommen waren, zählten bald wieder zu den notleidenden; und der Staatskommissar zur Stützung des ostpreußischen Gütermarktes, Rönneburg, hielt es für angeraten, „mit einer zunehmenden Gefahrdung der umgeschuldeten Betriebe rechnen zu sollen". 63 Er wußte indessen auch keinen besseren Ausweg, als den einer sogenannten „systematischen, ha zugute kommen sollten. Bewilligungen zugunsten v o n Betrieben mit mehr als 500 ha waren in diesem Zeitraum gänzlich unterblieben, anderseits aber Betriebe in der Größenordnung von 5 bis 20 ha, Kleinbauern im ostdeutschen Maßstab, in größerem Umfang berücksichtigt worden. Bericht Lauffer, Anlagen IIa u. l i l a . 60
a. a. O., Anlage I.
61
Bericht Lauffer.
62
Lauffers Bericht nennt als Beispiel eine der größten Königsberger Kommissionsfir-
men, die „trotz verschiedener Hilfsmaßnahmen v o n mir" ein Vergleichsverfahren beantragen mußte. 63
a. a. O., Anlage V.
38
I. Die Regierung Brüning 1930
vorbeugenden Betriebskontrolle", die es ermöglichen sollte, „rechtzeitig einzugreifen" im Interesse einer Siedlungsplanung, ein Gedanke, der nun immer häufiger geäußert wurde, aber angesichts des Fehlschlags der großen Vorhaben, die sich an das Reichssiedlungsgesetz von 1919 knüpften, 64 im Grunde nur wenig Überzeugungskraft besaß. Vor allem blieb es ungelöste Frage, wer siedeln wollte und wie dies ins Werk gesetzt werden konnte. 65 Die Kritik der preußischen Behörden richtete sich indessen in erster Linie gegen einige Einzelfälle von unbestreitbar skandalöser Bedeutung, deren Verallgemeinerung jedoch kaum belegbar erscheint; denn dieses Gebiet erfaßten die sonst eifrigen Bemühungen um statistische Erhebungen nicht. Freilich existierten manche Beispiele, die die Feststellung des Staatskommissars bewiesen: „Der kredit- und haftungsrechtliche Mechanismus ist gestört." 66 So ersteigerte der Besitzer eines 1 400 Morgen großen Gutes im Kreise Wehlau in der Zwangsversteigerung den ganzen Besitz für den minderjährigen Sohn mit einem Gebot von lediglich 30 000 RM, die ihm eine lokale Kreditgenossenschaft kreditiert hatte, die sich selbst in Schwierigkeiten befand und eben Mittel zur Sanierung vom Staatskommissar erhalten hatte, der seinerseits einen Erwerb des zur Versteigerung stehenden Gutes in Anbetracht seiner angenommenen Unwirtschaftlichkeit nicht in Betracht zog. Dieses Gut hatte jedoch in der ersten Umschuldungsaktion eine Hypothek eben in der Höhe von 30000 Mark erhalten, was nun damit erklärt wurde, „daß die Kreiskreditkommission den Oberpräsidenten und die sonstigen Instanzen getäuscht hat" — offenbar ohne irgendeine Folge für einen der Beteiligten. Die „Sanierung" oder Rettung des Besitzers ohne Rücksicht auf Anstand, Moral und Rechtssinn war offenbar schon so weit verbreitet, daß ein
64
Schulz, Vorabend, S. 171 ff.
65
Der Darstellung des bedeutendsten modernen Siedlungspolitikers des Zentrums,
Johannes Schauff, folgend, bezeichnet Wilhelm Friedrich Boyens, Die Geschichte der ländlichen Siedlung, hrsg. von Oswald Lehnich, Bd. I: Das Erbe Max Serings, Berlin/ Bonn 1959, S. 315, das Jahr 1930 als das erfolgreichste Siedlungsjahr. Was war geschehen? 7441 Siedlungsstellen wurden im ganzen Reichsgebiet geschaffen; doch nur 852 Siedler waren im Osten — im weiteren Sinne als Ostpreußen — auf neuen Stellen mit mehr als 5 ha angesetzt worden — als Kleinbauern. Trotz der euphemistischen Betonung dieses Sachverhalts durch Boyens wird man dies schwerlich als ein agrarwirtschaftlich einflußreiches Ereignis werten können. Das mindert nicht das Verdienst von Schauff um Siedlerberatung und -hilfe, an die vorher so gut wie niemand gedacht hatte. Vgl. Michael Schauff, Aspekte der Ostsiedlung in der Weimarer Zeit, in: Gordan, Freiheit, S. 64—79. 66
Bericht Lauffer, Anlage V.
Reichsregierung, Reichspräsident und Parteien im Frühjahr 1930
39
energisches Eingreifen der zuständigen preußischen Behörden außerhalb der üblichen verwaltungstechnischen Opportunität lag, die Klagen über die Zustände und Mißstände nicht endeten, sondern sich häuften. Insofern mag es zutreffen, wenn die Folgerung gezogen wurde, dies entspreche „ganz dem Plan" des Generallandschaftsdirektors v. Hippel, der „vor führenden Persönlichkeiten der Wirtschaft erklärt hat, nach Lage der Dinge bleibt gar nichts übrig, als die überschuldeten Grundstücke zu versteigern und sie zum Preis der ersten Hypotheken an den alten Besitzer zurückzugeben". 6 7 Jedenfalls wurde bei der erwähnten Versteigerung so verfahren. Doch die zuständigen Instanzen innerhalb der Provinz verlegten sich aufs Klagen und Anklagen, während die Berliner Ministerien untätig blieben. 68 In der weiteren Entwicklung spitzte sich der in der Aufgabenstellung institutionell bereits angelegte Gegensatz zwischen Staatskommissar Rönneburg und Generallandschaftsdirektor v. Hippel zu. Auch die Presse in Berlin zeigte sich alarmiert, 6 9 als sich die Nachricht verbreitete, daß die Interventionen der Bank der Ostpreußischen Landschaft schon 1928 zu einer Schrumpfung ihres Vermögens um beinahe die Hälfte geführt hätten und Verluste um eine weitere Hälfte des verbliebenen Vermögens zu befürchten stünden. Als der preußische Landwirtschaftsminister zu einer klärenden Besprechung Rönneburg und Hippel nach Berlin einlud, sagte der Generallandschaftsdirektor kurzentschlossen ab, um statt dessen eine schriftliche Stellungnahme zu übermitteln, über die er nicht zu diskutieren wünschte. 7 0 Oberpräsident Siehr bestätigte bei dieser Gelegenheit die Berichte über die unbeirrbare Haltung des Generallandschaftsdirektors, der auch schon die — wie Siehr danach äußerte — kaum ernst gemeinte 67
Schreiben des Pressereferenten beim Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen an
Ministerialrat Goslar, den Leiter der Pressestelle des Preußischen
Staatsministeriums,
8. März 1930; Orig. mit Anl. G e h S t A B , Rep. 90/1077. Schon der Umstand, daß diese Mitteilung auf dem Wege über die Pressestelle an das Staatsministerium gelangte, gibt zu denken. 68
In einem anderen prekären Fall hatte ein Rittergutsbesitzer eine Umschuldungshy-
pothek in Höhe von 43 700 RM und aus dem Betriebserhaltungsfonds eine Beihilfe v o n 7 829 RM erhalten, obgleich außerdem noch sechs Hypotheken und zwei Zinsforderungsposten von insgesamt 1 9 3 0 0 0 R M stehenblieben. In der Zwangsversteigerung erhielt der Sohn des Eigentümers den Zuschlag als Höchstbietender für 1 5 8 0 0 0 RM. Bericht der Treuhandstelle für Umschuldungskredite an den Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen, 16. März 1930; Abschr. G e h S t A B , Rep. 90/1077. 69
Zuerst Berliner Tageblatt, Nr. 139 v o m 23. März 1930, Handels-Zeitung.
70
Der Generallandschaftsdirektor an den Preußischen Minister für Landwirtschaft,
Domänen und Forsten, 15. März 1930; Abschr. G e h S t A B , Rep. 90/1077.
I. Die Regierung Brüning 1930
40
Forderung nach einer Reichsgarantie für landwirtschaftliche Pfandbriefe erhoben hatte, anderseits bei Zwangsversteigerungen die sogenannte „Familiensanierung" förderte, zugleich aber zu entschiedener Opposition gegen die von Berlin aus betriebene Politik Anregungen und Anreiz gab. 7 ' Doch auf die Frage, die sich angesichts dieser Sachlage ergab, mit welchen Mitteln denn die preußische Regierung erreichen konnte, „den Generallandschaftsdirektor zur Aufgabe seiner bisherigen Stellung zu bewegen", schien es nur wenige und schwache Möglichkeiten einer Antwort zu geben, was letztlich die zentrale Position der Landschaft, die sich mit den vorherrschenden organisierten Interessen der Provinz gemein wußte, eher noch deutlicher hervorhob. Andere Banken ließen sich überhaupt nicht veranlassen, „nach Ostpreußen zu gehen". 72 Auch in persönlichen Verhandlungen mit dem Generallandschaftsdirektor konnte Landwirtschaftsminister Steiger keine Änderung der grundsätzlichen Haltung Hippels erreichen, daß die Landschaft die Realsicherheit eines Gutes, das Darlehen begehre, von Fall zu Fall prüfen müsse, eine generelle Erklärung ihrer Politik jedoch von Grund auf ablehne. 73 Während jedoch die Landwirtschaft, wie man auch in Berlin erkannte, ziemlich geschlossen hinter dem Generallandschaftsdirektor stand, der der starke Mann in der Provinz blieb, meldete sich Kritik an Hippel von links her; sie schonte auch den Staatskommissar Rönneburg und die Regierung nicht. 74 Unter diesen Umständen sah die preußische Regierung mit gemischten Erwartungen den Plänen der Reichsregierung, ihrer Ausführung wie den weiteren Folgen entgegen. 75 Aber auch die gewerblichen Interessenver71
Orig.-Durchschl. d. Niederschrift über die Besprechung am 18. März 1930 im Preu-
ßischen Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten; G e h S t A B , Rep. 90/1077. 72
Vermerk des Ministerialrates Strunden v o m 28. März über eine Mitteilung
von
Ministerialrat Mussehl; ein weiterer Vermerk des Regierungsrates Weichmann v o m gleichen Tage erwähnt die Bereitschaft der Hannoverschen Kreditbank, sich zu engagieren. Da sie aber ihrer Satzung zufolge Güter nur bis zur Höhe von 4 0 Prozent des letzten Verkaufswertes beleihen durfte, was angesichts der hohen Verschuldung keine sonderlichen Möglichkeiten eröffnete, blieb diese Zusage ohne Bedeutung. G e h S t A B , Rep. 90/1077. 73
Niederschrift über eine Besprechung unter Vorsitz Steigers mit v. Hippel und Rön-
neburg am 8. April 1930, f ü r den preußischen Ministerpräsidenten; a. a. O. 74
So schon in der Königsberger Volkszeitung, Nr. 59 v o m 1 1 . März 1930, in einem
Artikel unter der Überschrift „Die Wahrheit über die Verteilung der Ostpreußenhilfe". 75
Hierzu Briefwechsel Steiger -
Braun im April 1930; G e h S t A B , Rep. 90/1077. In
einem Schreiben an den Reichsinnenminister vom 22. April regte Braun im Rahmen genereller Maßnahmen zur Unterbindung des Bevölkerungsabflusses aus Ostpreußen die
Rekhsregierung,
Reichspräsident
und Parteien im Frühjahr
1930
41
tretungen, wie die „Arbeitsgemeinschaft des ostdeutschen Einzelhandels", der „Verband ostpreußischer Industrieller" und der „Verband selbständiger Handwerker Ostpreußens", meldeten den Anspruch an, bei der Aufstellung eines großen Ostprogramms unter ihren Gesichtspunkten mitzuwirken, was in gewissem Umfang bei Oberpräsident Siehr Unterstützung fand. Dies änderte jedoch nichts an dem gravierenden Sachverhalt, daß die Subventionierung der Landwirtschaft schon angesichts des Umfangs der finanziellen Belastungen und weiterer Anforderungen weit im Vordergrund stand und letztlich das Schicksal der Provinz sowie die Gestaltung der gesamten Osthilfe bestimmte. Nach einer detaillierten Aufstellung des Ministerialrats Frankenbach zur Vorlage für die Etatberatungen im Hauptausschuß des preußischen Landtags vom 3. März 1930 beliefen sich die Sonderleistungen für die Provinz Ostpreußen seit 1926 bis dahin auf insgesamt rund 260 Millionen RM, von denen etwa 220 Millionen von Preußen aufgebracht worden waren. 76 Allmählich reifte, vom preußischen Finanzministerium ausgehend, die Einstellung, daß „die Osthilfe grundsätzlich Sache des Reiches ist und daß sich unsere Mitwirkung in der Übernahme der Risiken aus den Bürgschaften gemäß ... dem Osthilfegesetz erschöpft". 77
Bewegung in der politischen
Rechten
Seiner eigenen Partei bereitete Schieies Vorstoß überaus große Schwierigkeiten. Den verbliebenen Abgeordneten der DNVP, die nach der Ablösung des älteren und politisch erfahrenen Graf Westarp — im Oktober 1928 im Parteivorsitz und im Dezember 1929 von der Fraktionsführung — unter Hugenberg immer noch die zweitgrößte Fraktion des Reichstags 78 stellten, kam nach der SPD und der Zentrumspartei das Förderung des Baus von „Eigenheimen, verbunden mit eigener kleiner Wirtschaft" an, die v o r allem dem Landarbeiter zugute kommen und „als Vorstufe für eine bäuerliche Siedlung ihm den sozialen Aufstieg erleichtern" sollte. 76
G e h S t A B , Rep. 90/1111. Ein großer Teil dieses Zahlenmaterials wurde später in einer
Erklärung der Staatsregierung veröffentlicht, nachdem Reichslandbundpräsident
Graf
v. Kalckreuth den V o r w u r f einer „Sabotage der Osthilfe" erhoben hatte. Amtlicher Preußischer Pressedienst vom 23. Juli 1931; a. a. O. 77
Weitere Vorgänge G e h S t A B , Rep. 90/1111.
78
Die Reichstagswahl am 20. Mai 1928 hatte der D N V P 73 Mandate gebracht. In der
Dezemberkrise 1929 traten 12 Abgeordnete aus der Partei aus, die ihre Mandate behielten, und wurden weitere Mitglieder zu Gegnern des Parteiführers, auch Schiele und Graf Westarp. Vgl. Jonas, Volkskonservative, S. 36 ff., 47 — 65; vorher Bracher, Auflösung,
42
I. Die Regierung Brüning 1930
größte parlamentarische Gewicht zu. Der diktatorisch über Partei und Fraktion bestimmende Hugenberg verfolgte mit der ständig wiederholten Forderung nach „Kompromißlosigkeit" die Festigung der D N V P als Weltanschauungspartei der Rechten. In Anbetracht der als sicher geltenden Ablehnung von S P D , K P D und durch die 12 Abgeordneten der N S D A P hing von der Haltung der Deutschnationalen letztlich die Entscheidung ab, o b die parlamentarische Bindung der neuen Regierung bei der Abstimmung über die Regierungserklärung noch erhalten blieb oder ob sie den angekündigten Weg beschritt, mit Hilfe des Reichspräsidenten und des Artikels 48 zu regieren. Von außen her, namentlich von den Banken und ihrem Centraiverband, fehlte es nicht an Bemühungen, um der Beruhigung auf dem Geld- und Kapitalmarkt willen auf Hugenberg einzuwirken, den offenen Bruch und eine Reichstagsauflösung zu vermeiden. Auf Seiten der Industriellenverbände bestand indessen keinerlei Neigung, den Gang der Entwicklung in diesem Sinne zu beeinflussen. 79 Umstände und Anzeichen schienen dafür zu sprechen, daß die D N V P Fraktion in jedem Fall gegen die Regierung „Kampfstellung" beziehen werde. 8 0 Nur wenige Stimmen erklärten sich für Schiele. Schwankungen und Widersprüche ergaben sich jedoch, sobald sich die Aussicht auf eine Neuwahl des Reichstags eröffnete, die Hugenberg gerne durch Annahme des sozialdemokratischen Mißtrauensantrags herbeiführen wollte; doch hierzu vermochte er in der Fraktion keine Einmütigkeit zu erreichen. Die Überlieferung der langen Beratungen, die mit Unterbrechungen vom frühen Vormittag des 1. bis zum Mittag des 3. April dauerten, 81 enthüllt die tiefe Verwirrung in der Fraktion. Der Auflösungsprozeß der parlamentarischen Repräsentation der stärksten deutschen Rechtspartei war weit vorangeschritten. E r brachte sie an der Schwelle zu einer national und konservativ akzentuierten Umbildung des Regierungssystems in den kritischen Zustand. Man wird diese Tatsache im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Entwicklung im Auge behalten müssen. Daß „die D N V P unter Führung von Hugenberg ... und nach Abfall nahezu sämtlicher Wirtschaftsgruppen die ,rein nationale Opposition' pflegen
S. 3 1 0 —322, 325 ff. An den folgenden Fraktionssitzungen und -abstimmungen nahmen wenig mehr als 50 Abgeordnete teil. 75
Schulz, Politik, 1, S. 106.
80
G r a f Westarp, Niederschrift über die Fraktionssitzung am 1. April 1930, die der
Vorsitzende Oberfohren mit der Mitteilung eröffnete, daß Schiele sein Mandat niedergelegt habe. a. a. O . , S. 107 f. 81
a . a . O . , S. 1 0 7 - 1 1 8 ,
124-127.
Reichsregierung,
Reichspräsident
und Parteien im Frühjahr
1930
43
[werde], wobei sie noch immer den Nationalsozialisten gegenüber agitatorisch im Hintertreffen wäre", wurde von erfahrenen Beobachtern schon deutlich erkannt. 8 2 Hugenbergs Entschlossenheit und Härte entsprachen den Erwartungen seines entschiedensten Gegenspielers in diesen Tagen, des abtrünnigen Treviranus, der über verschiedene Kanäle der Konservativen die Reichskanzlerschaft Brünings seit längerem betrieben und auch in der Umgebung des Reichspräsidenten einen einflußreichen Platz gewonnen hatte. 83 Durch den großen deutschnationalen Wahlsieg im Mai 1924 hatte Treviranus ein Reichstagsmandat und hernach sogleich eine Verbindung zwischen seiner Fraktion und dem Reichswehrministerium in Etatangelegenheiten gewonnen. 8 4 Offensichtlich gewöhnt, schnell persönliche Beziehungen herzustellen, war er über die „Interessenvertretung der Reichswehr im Parlament" 8 5 und den vielseitig tätigen Oberstleutnant a.D. v. Willisen mit Schleicher und dessen Freundeskreis in Berührung gekommen, den er dann mit dem Zentrumsabgeordneten Brüning bekanntgemacht hatte. 86 Auch auf großindustrieller Seite galt er als zuverlässiger Gewährsmann, nicht zuletzt im Hinblick auf seine damaligen Beziehungen zur Umgebung des Reichspräsidenten, aber nicht weniger als Mittelpunkt einer neuen Rechten, die sich aus Hugenbergs DNVP herauslöste. Während Brüning verschwiegen und schwer zugänglich schien, verteilte der offenherzige, umgängliche und beredsame Treviranus bereitwillig und großzügig Informationen, die die Zukunft der DNVP im düstersten, das Schicksal der Regierung in einem günstigen und seine eigene Tätigkeit im besten Licht erscheinen ließen. 87
82
Blank an Reusch, 2. April 1930; a. a. O., S. HO f.
83
Die Erinnerungen von Treviranus enthalten interessante Details, zeichnen sich jedoch
nicht durch Genauigkeit im einzelnen aus: Treviranus, Ende; vorher schon ders., Zur Rolle und zur Person K u r t von Schleichers, in: Hermens, Staat, S. 363—382. Insgesamt bieten sie eine Mischung aus persönlichen Erinnerungen, Lesefrüchten und Aktenkenntnis, die sich allerdings im Hinblick auf Person und Vertrautenkreis Schleichers erkennbar verdichtet. 84
Bis 1929 war Treviranus „Obmann der Stahlhelmmitglieder" des Reichstags mit eng
bleibender Verbindung zu den Stahlhelmführern. Treviranus, a. a. O., S. 377. 85
Ausdruck v o n Treviranus, a. a. O., S. 367.
86
Treviranus, Ende, S. 1 1 4 f.; Brüning, Memoiren, S. 150 ff.; vgl. auch John W. Wheeler-
Bennett, Hindenburg, S. 340 ff.; Übers, aus dem Englischen: Der hölzerne Titan. Paul von Hindenburg, Tübingen 1969, S. 349 ff.; Jonas, Volkskonservative,- S. 57 ff., 64 f. 87
So Blanks Mitteilung an Reusch, „daß Herr Treviranus einen sehr weitgehenden
Einfluß auf den Kanzler ausübt". Schulz, Politik, 1, S. 1 1 1 , auch S. 118. Zu den Zusammenhängen v o r allem das oben erwähnte Diktat Graf Westarps (s. Anm. 37), sein ausführ-
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I. Die Regierung Brüning 1930
Ziemlich unvermittelt schwenkten Hilgenberg und Oberfohren am 3. April, kurz vor der Reichstagssitzung, die die Abstimmung über den Mißtrauensantrag der SPD bringen sollte, um. Sie vertraten nun die Ablehnung des Antrags, für den sie zwei Tage lang gegen starke Stimmen in der Fraktion gekämpft und am Abend zuvor noch einen knappen Mehrheitsbeschluß errungen hatten. 88 Jetzt gab doch der Antragsteller, kaum noch der Antrag selbst den Ausschlag. Ohne Aussprache wurde Abstimmungszwang verfügt, um den Eindruck der „geschlossenen Kampftruppe" aufrechtzuerhalten, der so wenig der parteipolitischen Realität der Deutschnationalen dieser Tage entsprach. Was ihrem sprungartigen Positionswechsel — wahrhaft über Nacht — vorausgegangen ist, liegt im dunkeln. Die Reaktion der Gegenseite folgte noch am gleichen Tage. Bezeichnenderweise richtete sie sich nicht an Hugenberg, sondern an das „Präsidium des Reichsausschusses" für das — im Dezember gescheiterte — Volksbegehren gegen den Young-Plan. Hitler übermittelte die — sogleich in der Presse veröffentlichte — Erklärung, daß die NSDAP aus dem Reichsausschuß, der längst keine Daseinsberechtigung mehr besitze, austrete, „da die Deutschnationale Volkspartei nunmehr diesen Parteien [des Young-Plans] das Vertrauen ausgedrückt hat". 89 Die SPD blieb unerwähnt; Zentrum und DVP waren gemeint. Die längere, unmittelbare Antwort Hugenbergs 90 sprach offen die ausschlaggebenden Gründe aus: die Sorge um die politische Haltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung und der Wähler des Ostens, die beim Volksbegehren „in der vordersten Linie des Kampfes" standen, und die Furcht vor einem Erfolg des „Planes, die Deutschnationale Volkspartei und die Landwirtschaft voneinander zu trennen", die „Deutschnationale Volkspartei zu spalten".
licher Brief an Hugenberg vom 16. April 1930 sowie die zusammenfassende Aufzeichnung über die Vorgänge in der DNVP-Führung von Ende April im Nachl. Schmidt-Hannover; Schulz, Politik, 1, S. 130—149. Demgegenüber besitzt das veröffentlichte Tagebuch von Hermann Pünder, Reichskanzlei, S. 47 ff., wie nach heutiger Kenntnis der Quellen gesagt werden darf, f ü r manche Vorgänge nur geringen Wert. Unzulänglich die knappe Bemerkung zur komplizierten Entstehung der Regierungserklärung v o m 31. März, S. 47: „Die Kabinettssitzung verlief recht gut, nur, wie zu erwarten, fürchterliche Tiraden des Herrn Reichsernährungsministers Schiele. Darauf zweiter A u f g u ß der Regierungserklärung, nun leider schon recht viel länger. Noch abends bekommen alle Minister wieder ihr Stück." 88
Diktat Westarp; vgl. StenBer Vh RT, Bd. 427, S. 4770.
89
Brief Hitlers v o m 3. April; Schulz, Politik, 1, S. 114.
90
Vom gleichen Tage; a. a. O., S. 1 1 4 ff.
Reichsregierung, Reichspräsident und Parteien im Frühjahr 1930
45
Diese Befürchtung war allerdings schon in der Fraktionssitzung zum Ausdruck gelangt, ohne daß sich Hugenberg beeindruckt gezeigt hätte. Er entschied sich anders entweder unter dem Einfluß nachwirkender Betrachtungen oder infolge neuer Informationen. Die Vermutung, daß die „angeblichen Absichten" der Regierung „lediglich eine Irreführung des Herrn Reichspräsidenten und eine Falle für Herrn Schiele bedeuten", könnte die letzte Annahme stützen, läßt aber auch erkennen, daß der Parteiführer der Deutschnationalen über die Schlüsselrolle Schieies im unklaren blieb. Möglicherweise ergab sich Hugenbergs Mutmaßung nur aus der Siegesgewißheit seines Gegenspielers Treviranus, der mit den agrarischen Interessenorganisationen bestens vertraut war und eben mit der Umgebung des Reichspräsidenten auf gutem Fuß stand; vielleicht beeindruckten ihn neue Nachrichten über die Stimmung in den agrarischen Ostprovinzen — nach der Veröffentlichung des Programms der Reichsregierung —, die eine entschiedene Distanzierung der D N V P zu diesem Zeitpunkt als unklug erscheinen ließen. Hugenberg hielt nun eine doppelseitige Taktik für angeraten: die Spannung innerhalb der Fraktion — um der demonstrierten Interessenfreiheit der Deutschnationalen willen — nicht zu übersteigern, die agrarischen Hochburgen der D N V P ebensowenig wie die letzte Beziehung zum Reichspräsidenten preiszugeben, es aber auch mit Hitler nicht zu verderben, der zu einem ernsthaften Gegner werden konnte, mit dem man aber doch morgen schon verhandeln wollte. Wenn man schon mit einer alsbaldigen Neuwahl des Reichstags rechnete, so blieb doch der Eindruck auch anderer kenntnisreicher Beobachter, daß die Aussichten der hinter der Regierung stehenden Parteien schwanden, 91 so daß einige Vorsicht in der Gangart der Opposition angebracht schien. Die starke Bewegung der politischen Kräfte spürten auch die Nationalsozialisten, die sich nun den Volkskonservativen unter Treviranus zu nähern versuchten. 92 Das veranlaßte Hugenberg wenige Tage später, sich um Hitler zu bemühen, um den „Reichsausschuß" wiederzubeleben und auch „schon mit Rücksicht auf kommende Reichspräsidentenwahlen" ein Zusammengehen zu sichern. 93 Derartige „parlamentarisch-taktische" Erwägungen — so Hugenberg in einem Brief an Hitler — wurden aber zunichte, als die Reichsregierung 91
Blank an Reusch, 9. April; a. a. O., S. 117 f. Ebda. " Hugenberg an Hitler, 11. April 1930, „persönlich", Orig.-Durchschi, mit Paraphen; BA, Nachl. Schmidt-Hannover/30. 92
I. Die Regierung Brüning 1930
46
Agrarprogramm und Steuerprogramm miteinander verknüpfte und die Steuergesetze vorzog. 9 4 Im Rahmen der normalen parlamentarischen Haushaltspolitik war dies kaum anders als geläufig zu betrachten. Aber dieses Junktim entstand aus Beweggründen besonderer Art. Durch die von Graf Westarp empfohlene Taktik der DN VP hatte sich die Regierung dazu drängen lassen, das Agrarprogramm in dem vollen Ausmaß der Schieleschen — und von Westarp verschärften — Forderungen schon zu Beginn ihrer Tätigkeit in die Reihe ihrer öffentlich verkündeten Vorhaben aufzunehmen. Der Reichskanzler nutzte dies, um die Deutschnationalen zur Entscheidung zu zwingen, wobei er ihnen nur die Wahl zwischen völliger Ablehnung oder Zustimmung ließ. Die beabsichtigte Zerreißprobe trat dann auch ein. Die von Hugenberg und seinen engsten Anhängern im Parteivorstand und in der Parteivertretung verfochtene Lösung des Agrarprogramms von den Steuergesetzen, dem „YoungSteuerprogramm", wie er sich ausdrückte, 9 5 stieß auf Widerstand. Nach Meinung eines beträchtlichen Teils der Fraktionsmitglieder ließ eine derartige Entscheidung jeden Maßstab vermissen, da sie das Agrarprogramm selbst gefährde. 9 6 Die Regierungsparteien wären in der Tat kaum bereit gewesen, dem Agrarprogramm gemeinsam mit den Deutschnationalen zuzustimmen, die erforderlichen Steuern, die den Haushalt in Ordnung bringen sollten, dann aber mangels Mehrheit einer Notverordnung des Reichspräsidenten zu überlassen und womöglich eine Reichstagsauflösung unter Bedingungen in Kauf zu nehmen, die die Deutschnationalen geschaffen hätten. Daher setzte sich schließlich gegen Hugenberg eine Auffassung durch, die die Reichstagsabgeordneten Wallraf, Strathmann und Reichert gemeinsam mit dem württembergischen Kultusminister Bazille vertraten: „Die Hauptsache ist, daß die sozialistenfreie Regierung Brüning erhalten bleibt." 9 7 Andere, die in erster Linie an eine effektvolle Unterstützung
' 4 Reichsministerbesprechung am 11. April 1930; A R : Brüning, 1, S. 48 ff. 55
Fraktionssitzung der D N V P am 10. April; Schulz, Politik, 1, S. 131, Anm. 6.
%
Dagegen Bang: „Wenn wir die Steuern annehmen, so stabilisieren wir endgültig eine
Regierung, die gegen uns gebildet worden ist." Quaatz: „Zur Verwirklichung des Agrarprogramms genügt allein schon der Druck des Reichspräsidenten, der seine Ehre dafür verpfändete." a. a. O., S. 132 f. A m 10. April ging die Fraktion vorübergehend sogar auf den Vorschlag ein, selbst in der Sitzung des Reichstags die aus Zeitungsankündigungen bereits bekannt gewordene Agrarvorlage in Gestalt eines Abänderungsantrages zu einem anderen
Tagesordnungspunkt
(Benzolzoll)
einzubringen,
ebda.;
vgl.
StenBer V h RT,
Bd. 427, S. 4904 ff. 97
11. April; Schulz, Politik, 1, S. 133. Später noch schärfer Wallraf in der Vorstands-
Reichsregierung, Reichspräsident und Parteien im Frühjahr 1930
47
der Landwirtschaft dachten und aus diesem Grunde Schiele wie Brüning zu folgen bereit waren, wie Lindeiner-Wildau und Frhr. v. RichthofenBoguslawitz, dachten nur wenig anders; und jene, die nichts überspitzen, ein zweckvolles Verhalten demonstrieren und offenkundig beschämende Situationen vermeiden wollten, wie schließlich auch Graf Westarp, verstärkten die Gruppe, die die Richtung auf eine Unterstützung der Regierung einschlug. Am Ende der entscheidenden Fraktionssitzung am 12. April war Stimmengleichstand erreicht, in der zweiten und dritten Lesung der Deckungsvorlagen im Reichstag am 12. und 14. April 9 8 die DNVP gespalten, zuletzt die Gruppe der Gegner Hugenbergs dem Parteiführer und seinen Anhängern sogar beträchtlich überlegen." Sie half der Regierung über die Hürde und ersparte ihr, die von Brüning seit dem 1. April bereitgehaltene Order des Reichspräsidenten zur Auflösung des Reichstags anzuwenden. 1 0 0 Da von den Regierungsparteien die Bayerische Volkspartei und die Wirtschaftspartei bis zuletzt Schwierigkeiten bereiteten und die Haltung der vier bayerischen Bauernbündler zweifelhaft blieb, kam das Ergebnis „fast wider Erwarten" und mit nur wenigen Stimmen Mehrheit zustande. 101 Die innere Krise der DNVP-Fraktion trat in ein drittes Stadium, als die Kontroverse nach außen sichtbar und in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde. Wieder eröffnete Hugenberg den Angriff in einem Parteirundschreiben, gegen das sich Graf Westarp am 16. April mit einem Brief in sachlich rechtfertigendem Stile und maßvollem Tone zur Wehr setzte, dem sich 23 Fraktionsmitglieder durch ihre Unterschriften anschlössen. 102 Am folgenden Tage wandte sich Westarp mit einem Artikel in der konservativen „Kreuzzeitung" an die Öffentlichkeit. Zur äußersten Zuspitzung kam es dann während einer Sitzung des Parteivorstandes am
sitzung der D N V P am 25. April 1930; a. a. O., S. 141. Über Bazille als württembergischen Parteiführer, Staatspräsidenten (1924 — 28) und Minister (1924 — 33) Besson, Württemberg, S. 36 ff., 48 ff.; Max Miller, Eugen Bolz. Staatsmann und Bekenner, Stuttgart 1951, S. 265 ff.; Theophil Wurm, Erinnerungen aus meinem Leben. Ein Beitrag zur neuesten Kirchengeschichte, Stuttgart 1953, S. 34. 98
Es handelte sich um Gesetze über Benzin- und Benzolzoll, zur Änderung der Tabak-
und Zuckersteuer, der Biersteuer, die Mineralwassersteuer und einen Zuschlag zur Kraftfahrzeugsteuer. Abstimmung in der dritten Lesung StenBer V h RT, Bd. 427, S. 4 9 9 3 — 5 0 1 1 . " Schulz, Politik, 1, S. 138; Jonas, Volkskonservative, S. 68 ff. 100
Hierzu Moldenhauers Bericht, Schulz, Politik, 1, S. 121 ff.; Morsey, Zentrumspro-
tokolle, S. 434; Pünder, Reichskanzlei, S. 48 f. "" Moldenhauer, a. a. O.; Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 436 — 440. ,()2
Schulz, Politik, 1, S. 1 2 4 - 1 2 7 .
48
I. Die Regierung Brüning 1930
25. April, in der die Gegner Westarps in scharfer Form gegen ihn Front machten, wobei Entstellungen, unüberprüfbare und unglaubwürdige Behauptungen und schließlich — von dem ehemaligen Zentrumspolitiker Martin Spahn — die heftigsten emotionalen Urteile gegen das Zentrum und im besonderen gegen Wirth und Brüning geäußert wurden. 103 Nur Graf Westarp und Hugenberg legten deutliche — entgegengesetzte — Konzeptionen dar. Der letzte versuchte, durch unbeirrbare Ablehnung der Regierung Sammlung und Führung der Rechtsopposition zu erreichen, die sich schärfer noch als gegen die Sozialdemokraten gegen das Zentrum zur Wehr setzte. Graf Westarp schien dieser kompromißlosen Härte gegenüber zum Lavieren gezwungen. Zunächst bemühte er sich, die Konfrontation zwischen Regierung und Rechtsopposition zu mildern, die Auflösung des Reichstags und Neuwahlen ebenso hinauszuschieben wie die kaum noch vermeidbar erscheinende Trennung von Hugenberg, der sich weder auf Kompromisse noch auf bescheidene Zugeständnisse einließ. Tatsächlich gab es schon seit dem 16. April innerhalb der Reichstagsfraktion der D N V P eine „Gruppe Westarp", deren Mitglieder sich durch Unterzeichnung des Westarp-Protestes zu erkennen gegeben hatten. 104 Westarp selbst wies diese Bezeichnung allerdings zurück. Nüchterner als der unbefangene Treviranus, erkannte er, daß eine Spaltung der Fraktion den Sezessionisten bei einer Neuwahl keine sonderlichen Aussichten eröffnete. Anders als in der Reichstagsfraktion, in der — mit einigen Schwankungen — zeitweilig etwa die Hälfte der Abgeordneten gegen Hugenberg opponierte, besaß diese Gruppe in der Vertreterversammlung der DNVP, dem zweithöchsten Parteigremium, keinen entscheidenden, auf den Parteivorstand überhaupt keinen Einfluß; innerhalb der Landesverbände der D N V P stand es kaum besser. 105 Die Situation wurde für die Gruppe um Westarp noch schwieriger, als der Vorstand einen Antrag des ostpreußischen Verbandes annahm, der die Fraktion auf die Entscheidung der Parteiführung festlegte und ihr hierzu Geschlossenheit in
"" a. a. O., S. 138 — 149. Spahn übertrieb erheblich und sprach dem aus der HugenbergRichtung herrührenden Protokoll zufolge vom „Endkampf des Zentrums gegen eine wahrhaft nationale Rechte". Wirth habe vor der Beamtenschaft des Reichsinnenministeriums erklärt, „er fühle sich lediglich als Platzhalter des Herrn Severing". Man könne „Brüning, ohne zu übertreiben, einen Hörigen Brauns [des preußischen Ministerpräsidenten] nennen"; usw. 11,4 a. a. O., S. 127. 105 Niederschrift Graf Westarps Ende April; vgl. Jonas, Volkskonservative, S. 73, Anm.
Reichsregierung, Reichspräsident und Parteien im Frühjahr 1930
49
der Abstimmung, Fraktionszwang auferlegte. 1 0 6 Graf Westarp erkannte eine derartige Bindung der Abgeordneten an das „Führerprinzip" Hugenbergs nicht an. Gemeinsam mit 28 Fraktionsmitgliedern legte er gegen den Vorstandsbeschluß Verwahrung ein, 1 0 7 indem er sich auf die verfassungsmäßige Bestimmung über die Entscheidungsfreiheit des Abgeordneten berief, 1 0 8 was Hugenberg natürlich nicht gelten lassen wollte. Größere Wirkung ging jedoch v o n dem Umstand aus, daß die Presse den Vorstandsbeschluß sofort veröffentlichte und daß Abweichungen von ihm in den von Hugenberg beeinflußten Organen diskreditiert wurden. Auch hierin wirkte sich der geringe Rückhalt aus, über den die präsumtiven Sezessionisten der Westarp-Gruppe in der Öffentlichkeit verfügten. Der eingeschlagene Weg, Distanz zur Regierung zu halten und über eine Opposition v o n Fall zu Fall zu entscheiden, war zu schmal geworden und ließ sich nicht länger durchhalten. Die Beziehungen zur agrarischen Seite und ihren Massenorganisationen, die anfanglich, unter dem Einfluß des Schieleschen Agrarprogramms, in den Vordergrund zu rücken schienen, kamen als Gegengewicht ernsthaft kaum noch in Betracht, 1 0 9 zumal Schiele und die stärkeren Auftrieb gewinnende Landvolkpartei eigene Wege gingen und der Reichslandbund sich aus den Auseinandersetzungen in den D N V P - G r e m i e n heraushielt. Ob ein Rundschreiben des Stahlhelm-Bundesamtes, das eine vorsichtige Beurteilung der Regierung Brüning empfahl und die Konfrontation mit der N S D A P
, 0 6 Schulz, Politik, 1, S. 144, 148f.; Schulthess' Europäischer Geschichtskalender 1930, S. 115; UuF, VIII, S. 35; Jonas, Volkskonservative, S. 71; vgl. auch dort S. 126, Anm. 3. 107 Graf Westarp an Hugenberg, 2. Mai; Schulz, Politik, 1, S. 153 f. Diesem Brief kann schwerlich eine „entgegenkommende Form" attestiert werden; so Jonas, Volkskonservative, S. 73. "'8 Art. 21 Satz 2 der Reichsverfassung: Die Abgeordneten „sind nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden". Über Auslegung und Folgen Fritz PoetzschHeffter, Handkommentar der Reichsverfassung vom 11. August 1919. Ein Handbuch für Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, 3. Aufl. Berlin 1928, S. 162 u. ä.: „Eingegangene Verpflichtungen, sich für die Abgeordnetentätigkeit den Weisungen einer anderen Stelle zu unterwerfen, sind nichtig. Fraktionszwang verpflichtet den Abgeordneten nicht im staatsrechtlichen Sinne und entbindet ihn nicht der verfassungsmäßigen Verpflichtung einer selbständigen Prüfung von seinem Gewissen." A u s der zeitgenössischen Literatur hierzu auch Fritz Morstein-Marx, Rechtswirklichkeit und freies Mandat, in: AöR, N. F., 11 (1926), S. 435 ff. 10'' Dies ist von Jonas, Volkskonservative, S. 69 f., überschätzt worden. Anlaß und Wirkungen sind zu unterscheiden. Neben dem von ihm herausgestrichenen schlesischen Landbundvorsitzenden Frhr. v. Richthofen und einigen anderen Agrariern, wie Lind und Hemeter, standen mit den Abgeordneten Haßlacher, Reichert, Rademacher und Leopold prominente Vertreter der industriellen Spitzenverbände Westarp zur Seite.
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anzeigte, 1 1 0 zu diesem Zeitpunkt noch auf Anhänger und Wähler der D N V P wirkte, bleibt zumindest zweifelhaft. Graf Westarp versuchte, in seiner politischen Notlage mit der Reichsregierung unmittelbar in Verbindung zu treten. Es charakterisiert die Situation, daß er es für angebracht hielt, zuerst mit General v. Schleicher den Bruch mit der Hugenberg-Mehrheit zu beraten; zum Reichskanzler besaß er kein derartiges Vertrauensverhältnis, daß ihm eine Erörterung mit Brüning möglich schien. Den Reichspräsidenten, der ihn in der Vergangenheit wiederholt konsultiert hatte, konnte er schwerlich unmittelbar unterrichten. Westarp kündigte die Möglichkeit einer endgültigen Sezession von 30 bis 35 Abgeordneten zum 1. Mai an; aber er hielt immer noch die Frage für diskussionswürdig, ob er „unter Vermeidung eines Bruches darauf hinarbeiten solle, die Dinge innerhalb der Fraktion sich persönlich wieder in die Hand zu spielen". Die Lage dieses einstigen konservativen Parteiführers erschließt sich aus der Art der Äußerung, die dann Schleicher von dem Staatssekretär in der Reichskanzlei erbat. 1 1 1 Pünder erteilte, seiner eigenen Aufzeichnung zufolge, den Rat und fand hierin die Zustimmung Schleichers, den Bruch innerhalb der D N V P Fraktion zu vermeiden; denn sonst „vereise die Grenzlinie, da die oppositionellen Hugenbergianer nicht bereit sein würden, weitere Hilfstruppen zu stellen". Auf die „Hilfstruppen" kam es an — jetzt wie auch später. Diese Äußerung hätte auch vom Reichskanzler selbst kommen können — und war wohl von ihm veranlaßt worden. Die hierin durchscheinende Hoffnung, die stärksten regierungsfreundlichen Kräfte innerhalb der D N V P gegen die Opposition im Reichstag zu gewinnen, und die im Grunde bereits verfehlte Rechnung, daß „die verständigungsbereiten Deutschnationalen bei einer Neuwahl den Parteiapparat in der Hand behalten", bestimmten Pünder wie Schleicher — auch Brüning selbst. Sie verkannten das Dahinschwinden des Einflusses der WestarpMinderheit innerhalb der D N V P und unterschätzten Beharrlichkeit, Zähigkeit und Überlegungen Hugenbergs. Diese Fehleinschätzung dürfte schon Treviranus unterlaufen sein; und auch Graf Westarp griff mit der Ankündigung einer möglichen Sezession von „30 bis 3 5 " Reichstagsabgeordneten zu hoch.
" " 16. April; Schulz, Politik, 1, S. 127 f. Aktenvermerk Pünders über eine Unterredung mit Schleicher am 30. April; a. a. O . , S. 150. Das „Tagebuch" von Pünder, Reichskanzlei, S. 51 ff., enthält zu diesen wichtigen Ereignissen nichts, ganze drei Eintragungen zwischen dem 18. April und 3. J u n i , nur eine längere am 28. Mai.
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Den Anspruch möglichst auf die reale, zumindest aber auf die ideelle Führung der nationalistischen Rechten gab Hugenberg niemals auf. Er behauptete mit Hilfe seines Presse- und Filmkonzerns ein gewisses Maß an Unabhängigkeit sowohl dem Reichspräsidenten als der Reichsregierung, den schwerindustriellen Ambitionen als auch den agrarischen Interessen gegenüber 112 — im Widerstreit mit allen anderen Parteien. Angesichts des Zustandes seiner Reichstagsfraktion bleibt dies eine merkwürdige und einseitige Leistung, aber doch beachtenswerte Tatsache. Überdies unterhielt die DNVP enge, wenn auch nie eindeutig festliegende Beziehungen zu der militanten Massenorganisation des Stahlhelm, nahm ihr Einfluß über Querverbindungen sogar zu, so daß Hugenberg auf dieser Seite mit Unterstützung rechnen konnte, wenn er eine verstärkte Flügelposition innerhalb des Parteienfeldes anstrebte. Die Diskussionen innerhalb der Fraktion wie des Vorstandes der DNVP weisen nach den erhaltenen Aufzeichnungen eine Skala verschiedenartiger Einstellungen zur Regierung Brüning auf. Sie vermitteln einen Eindruck von der zunehmenden Aufspaltung der Fraktion, aber auch von den Fäden, die aus dem Kreis der Gegner Hugenbergs zu Kreisen der Regierung hinüberliefen. Wollte man versuchen, etwa für Ende April 1930 den Gegensatz zwischen den Hauptgruppen typisierend zu klären, so läßt sich einerseits die — nicht zuletzt durch landespolitische Rücksichten beeinflußte, aber von mehreren geteilte — Stellungnahme des württembergischen Ministers Bazille gegen Hugenberg hervorheben, der für die parlamentarische Unterstützung der „sozialistenfreien Regierung Brüning" sprach, während auf der entgegengesetzten Seite der alldeutsche sächsische Staatsfinanzrat Bang allein die oppositionelle Ausnutzung der derzeitigen parlamentarischen Schlüsselstellung der DNVP gelten lassen wollte. Da sie eine parlamentarisch ausschlaggebende Stellung einnahm, solange die SPD die Regierung angriff, konnte es keine Stabilisierung des Kabinetts Brüning ohne DNVP geben, lag mithin das „Gesetz des Handelns" in der Tat so lange in ihrer Hand, wie sie der Regierung entgegentrat, um ihr ihren Willen aufzuzwingen und einzig den Weg der Anwendung des Artikels 48 offenzulassen. Dieser Flügel legte alles darauf an, der Regierung den Atem zu nehmen.
" 2 Dies hebt Klaus-Peter Hoepke hervor, Alfred Hugenberg als Vermittler zwischen großindustriellen Interessen und Deutschnationaler Volkspartei, in: Hans Mommsen, Dietmar Petzina, Bernd Weisbrod (Hrsg.), Industrielles System und politische Entwicklung in der Weimarer Republik. Verhandlungen des Internationalen Symposiums in Bochum v o m 12. -
17. Juni 1973, Düsseldorf 1974, S. 9 1 4 - 9 1 8 .
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Die fortschreitende Dekomposition des Parlamentarismus wurde dadurch beschleunigt, daß Hugenberg und seine Anhänger das erklärte Ziel verfolgten, so oder so die Regierung wie die Mittelparteien in die „Zwangslage zu bringen, sich mit uns unter unserer Führung zusammenzuschließen". 113 Auf der einen Seite nannte Hugenberg „die Auflösung in berufsständische Gruppen" ein „Unglück"; auf der anderen widerstrebte er jedem Kompromiß und jeder Verbindung, die nicht von vorneherein seine Führung garantierte. Graf Westarps Verlangen, „für jede der beiden Richtungen Raum zur Betätigung" zu lassen, vermochte gegen diese Haltung Hugenbergs nichts auszurichten. Die Forderung nach Abstimmungsfreiheit des einzelnen Abgeordneten auch gegen Beschlüsse der Fraktion und des Parteivorstandes, die sich auf rechtlich bedenkenswerte Argumente stützte, trieb den Gegensatz auf die Spitze. Westarps Vorwurf war gewiß begründet, daß Hugenberg die Gefahr einer Spaltung der DNVP dazu benutzte, um seine Position als Parteivorsitzender der Fraktion gegenüber zu stärken und sogar eine Art Vetorecht gegen Fraktionsentschließungen durchzusetzen. In dieser Hinsicht dürfte die beispielhafte Führerstellung Adolf Hitlers innerhalb der NSDAP starken Eindruck auf ihn gemacht haben. 114 In Anbetracht der von einzelnen Industriellen geforderten Einigungsbemühungen wird man auf der anderen Seite das Motiv beachten müssen, das Westarp Ende April schriftlich niederlegte: „... zu einer Einigung zu kommen, dabei aber den Auseinanderfall der Fraktion, die Loslösung der Partei von der Landwirtschaft und eine Wahl ohne oder gegen die Landwirtschaft und gegen einen großen Teil der Industrie zu verhindern". 115 Daraus läßt sich entnehmen, daß Graf Westarp eine integrierende, die großen Interessenrichtungen berücksichtigende und auf bindende Verpflichtungen bedachte Haltung der DNVP weit mehr am Herzen lag als seinem Gegenspieler. Zu dieser Zeit kam aber auch der linke Flügel der Regierungsparteien in Bewegung. Koch-Weser, der Parteiführer der Demokraten, widersetzte 113
Hugenberg am 25. April; Schulz, Politik, 1, S. 139. Dies und das Folgende in
Anlehnung an die dortige Einleitung, S. LIII. 1.4
Diese beeindruckte auch andere Politiker, die dazu neigten, hierin ein Charakteristi-
kum der N S D A P und ihrer Erfolge zu sehen. Theodor Heuss hat in einem Vortrag v o r Tübinger Studenten im Februar 1931 Hitler mit Lassalle verglichen und diesen „als Erfinder der präsidentiellen Personalpartei" bezeichnet. Der Text dieser Rede eines Zeitgenossen wurde neu herausgegeben von Eberhard Jäckel: Theodor Heuss, Hitlers Weg. Eine Schrift aus dem Jahre 1932, Tübingen 1968, S. 115. 1.5
Niederschrift Graf Westarps Ende April; Schulz, Politik, 1, S. 1 4 9 f.
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sich entschlossen einem „Bürgerblock gegen die Sozialdemokratie", gegen den man sich „mit Händen und Füßen wehren" 116 müsse. Diese Haltung entzog Gerüchten wie auch Hoffnungen, die um eine politische Sammlung „von Treviranus bis Koch-Weser" kreisten, von vornherein den Boden. Brüning hielt sich an Dietrich, der Regierungsmitglied und Vizekanzler war, jedoch die sichtlich fortschreitende politische Isolierung des Parteiführers Koch-Weser nicht aufzuhalten wußte. Anderseits gelang es Artur Mahraun, dem „Hochmeister" und Führer des Jungdeutschen Ordens (Jungdo), einer innerhalb nationalkonservativer antibürgerlicher Zeitströmungen entstandenen außerparlamentarischen bündischen Organisation, eine Verbindung zu Koch-Weser herzustellen und dessen Sympathien für eine „volksnationale Front" gegen „besitzbürgerliche" Sammlungen zu gewinnen. 117 Einige Jahre früher hatte der DemokratenFührer ihn einen „Condottiere" genannt. 118 Jetzt forderte Mahraun in der selbstbewußten Ausdrucksweise neuer politischer Führer Koch auf, sich an der „großen Aufteilung der Mitte" zu beteiligen. Angriffe des Presseorgans des Jungdo mit einigem Druck auf Führung und Reichstagsfraktion der DDP hätte Koch unter anderen Umständen wohl nicht hingehen lassen. Inzwischen aber waren die Gespräche schon zu weit gediehen, als daß der Führer der Demokraten dem noch widersprechen mochte. 119 Er verteidigte die Annäherung von Jungdo und Demokratischer Partei mit gewundenen Argumenten und einiger Vorsicht, doch nicht ohne Erfolg im Parteivorstand am 5. und im Parteiausschuß am 25. Mai 1930. 120 Die etwas hektischen Bemühungen der DDP um Zulauf aus der jüngeren Generation nahmen Formen an, die eher den Zerfall
1,6
a . a . O . , S. 13.
117
Mahraun an Koch-Weser, 23. April 1930; a. a. O., S. 129. Die ersten Kontakte
entstanden wahrscheinlich Anfang 1929. Koch-Weser bezeugt sie in einer Tagebucheintragung v o m 27. Februar 1929, in der er jedoch wegen der „Unklarheit der Ziele des Jungdo" (!) eine Zusammenarbeit noch ausschließt. BA, Nachl. Koch-Weser/39. Vgl. Werner Stephan, Aufstieg und Verfall des Linksliberalismus 1 9 1 8 — 1933. Geschichte der Deutschen Demokratischen Partei, Göttingen 1973, S. 4 3 9 ff. 118
„Wir sollten uns f ü r zu gut halten, um solchen Männern die Tür zu öffnen."
(28. November 1926); Linksliberalismus in der Weimarer Republik. Die Führungsgremien der Deutschen Demokratischen Partei und der Deutschen Staatspartei 1 9 1 8 — 1 9 3 3 , eingeleitet von Lothar Albertin, bearb. von Konstanze Wegner in Verbindung mit L. Albertin, Düsseldorf 1980, S. 407; vgl. auch S. 501. " 9 K o c h an Mahraun, 6. Mai 1930; Schulz, Politik, 1, S. 154 f. ™ BA, R 45 111/27; Schulz, Politik, 1, S. 1 7 8 - 1 8 5 ; auch Albertin, Linksliberalismus, S. 5 3 3 - 5 5 3 .
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der Partei und die zunehmende Verselbständigung einzelner Gruppen anzeigten als Erneuerung oder Reifung. Neben diesem seit langem latenten, seit mehreren Monaten auch offen diskutierten Problem war mit der Bildung der Regierung Brüning und der Betrauung Dietrichs mit dem Amt des Vizekanzlers ein bis zur höchsten Spitze der Partei wirkender innerer Zwiespalt Tatsache geworden, der sich nicht bewältigen ließ und den Niedergang der DDP beschleunigte. Kochs Beharren auf der „großen Koalition" mit der Sozialdemokratie, die er der „Fahnenflucht" am Ende der Regierung Müller schuldig befunden hatte, und der offen ausgesprochene Wunsch, deutliche Entscheidungen zugunsten der Regierung Brüning zu meiden, um bei nächster Gelegenheit ein neues Bündnis mit der SPD einzugehen, 121 gaben den Ausschlag. Der stellvertretende Parteivorsitzende Erkelenz ließ Zweifel erkennen, ob so die „Partei weitergeführt" werden könne. 122 Die stark ausgeprägten politischen Individualitäten unter den verbliebenen prominenten Repräsentanten der DDP, Höpker-Aschoff, Stolper, Hellpach, Gertrud Bäumer oder Marie Elisabeth Lüders neben Koch-Weser und Dietrich, bezeugen gewisse Eigenarten eines weit fortgeschrittenen Niedergangsprozesses, der von der starken bürgerlichen Mittelpartei der Anfangsjahre der Republik schon im Frühjahr 1930 nur noch bescheidene Reste und einige Persönlichkeiten mit Charakter übriggelassen hatte. Frage blieb nur, wie lange sie noch existieren würde. Die Schwelle zur DVP war für die DDP unter der Führung von Koch und Erkelenz unpassierbar. Dasselbe galt für die andere Seite, seitdem Scholz die Parteiführung übernommen hatte. Nicht zu Unrecht wurde er unter Industriellen als „Zünglein an der Waage" innerhalb einer Sammlung gegen die Sozialdemokratie betrachtet und behandelt. 123 Die Absicht einer Parteineugründung schwebte ihm niemals vor; und die von ihm angestrebte parlamentarische Arbeitsgemeinschaft der kleineren an der Regierung beteiligten Reichstagsfraktionen, DVP, Volkskonservative, Wirtschaftspartei und DDP, scheiterte zunächst an dem hinhaltenden Widerstand Kochs 124 und wenig später am unüberbrückbaren Gegensatz 121
Sitzung des Parteivorstandes am 5. Mai 1930; a. a. O., S. 529 ff.
122
Erkelenz an A d o l f Lange, l . M a i ; Schulz, Politik, 1, S. 153.
123
S o auch Gilsa an Reusch, 21. Mai; a. a. O., S. 169. Eine Reihe von Beispielen zu
dieser A r t v o n Parteineubildung bei Larry E. Jones, Sammlung oder Zersplitterung? Die Bestrebungen zur Bildung einer neuen Mittelpartei in der Endphase der Weimarer Republik 1 9 3 0 - 1 9 3 3 , in: V Z G , 25 (1977), S. 265 - 304. 124
Schulz, Politik, 1, S. 168. Koch zögerte eine Stellungnahme hinaus unter dem
Vorwand, auf der nächsten Sitzung des Parteiausschusses nicht „in Schwierigkeiten geraten"
Reichsregierung,
Reichspräsident
und Parteien im Frühjahr
1930
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zu den Volkskonservativen. 125 Angesichts der ungewissen Dauer der Reichstagsperiode und ihrer geringen Mandatsstärke wollten die kleinen Parteien keine Risiken mehr eingehen, die sich ohnehin nur unter taktischen Voraussetzungen verstanden. Im Falle einer Neuwahl des Reichstags konnte auch die Regierung von diesen Kräften vernünftigerweise nur wenig erwarten. Schon aus diesem Grunde erscheint es begreiflich, daß Brüning wiederholt Verbindung zur SPD suchte, über deren starke Stellung in Preußen man schon mit Rücksicht auf Agrarprogramm und Ostprogramm der Reichsregierung nicht hinwegregieren konnte. Es nimmt nicht wunder, daß trotz allem, was geschehen war, immer wieder Gerüchte und auch Erwägungen über die Rückkehr zu irgendeiner „großen Koalition" aufkamen. 126 Hierbei verlangte die DVP die seit langem angestrebte Beteiligung an der preußischen Regierung als Preis, wohingegen Ministerpräsident Braun eine preußisch-sozialdemokratische Beteiligung an der Reichsregierung als Forderung präsentierte. Doch dies hätte gegen das präsidentielle Konstruktionsprinzip verstoßen, das Brüning und seiner Regierung in den Sattel geholfen hatte. Wenn der Reichskanzler sich schon im Frühjahr 1930 über eine Beteiligung der DNVP an der preußischen Regierung geäußert und deren Umbildung und Bindung nach rechts erörtert haben sollte, 127 so könnte dies wohl nur als indirekter Gegenzug gegen die DVP, wenn nicht als werbendes, doch unverbindliches Angebot für die Zukunft, vielleicht nach Wahlen mit umstürzenden Ergebnissen, betrachtet werden. Daß Brüning der Phantasie ermangelte, wird niemand ernsthaft behaupten wollen. Aber auf eine Konstruktion mit der DNVP hätte sich die preußische Zentrumsfraktion unter ihrem Vorsitzenden Heß nie eingelassen. 128 Die starke Stellung der Zentrumsfraktion im preußischen Landzu wollen, auf der er dann aber mit Entschiedenheit behauptete, daß „niemals ... jemand v o n uns an eine Fusion mit der Deutschen Volkspartei gedacht" habe, daß er es aber auch f ü r unmöglich halte, „daß wir uns zu einem Teil mit neuen Gruppen verbinden ..." Daran schloß er einige eher zweideutige als klare Bemerkungen über die Beziehungen zum Jungdo an. a. a. O., S. 178 f. 125
So Scholz v o r der Reichstagsfraktion der D V P ; BA, R 4 5 11/67.
126
Schulz, Politik, 1, S. 1 6 8 f., 174 f.
127
Graf Westarp an v. Eisenhart-Rothe, erst am 23. August 1930; zit. von Bracher,
Auflösung, S. 333; mit großer Vorsicht — und wohl auch Skepsis — Hagen Schulze, Braun, S. 628. Für später — nach der Septemberwahl 1930 — sind nach mehreren Bemerkungen in Brünings Memoiren Vorstellungen dieser A r t eher glaubhaft. 128
Zu Heß v o r allem Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 343, 435 f.; am 16. Juni wurden
die preußischen Abgeordneten Heß und Graß ebenso wie die Zentrumsminister Schmidt, Steiger und Hirtsiefer zur Sitzung des Vorstandes der Reichstagsfraktion hinzugezogen,
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I. Die Regierung Brüning 1930
tag, von der die Koalition und die Regierung Otto Brauns abhing, bot aber auch Sicherheiten, um die Beziehung der Reichsregierung zu Preußen zu stabilisieren. 129 Insgesamt trat zunächst nichts von dem ein, was sich die industriellen und gewerblichen Spitzenverbände in der Dämmerphase der „großen Koalition" von einer neuen Regierung erhofft hatten. Aber auch der Reichspräsident, dessen Entscheidungen freilich niemand rückgängig zu machen gedachte, sah sich wieder am Rande der Ereignisse, die er weder beherrschte noch beeinflußte, auch mit Hilfe der Okulare seiner engeren Umgebung nicht einmal ganz zu übersehen vermochte.
Preußen und die Reichswehr Das im Frühjahr 1930 entstandene labile Gleichgewicht zwischen der Regierung Brüning und dem Preußischen Staatsministerium brachte schließlich die längere Zeit hindurch stark beachteten und erörterten Arbeiten des Verfassungsausschusses der Länderkonferenz von 1928 und seine Entwürfe zu einer Reichsreform zu Fall. 130 Doch der für beide Seiten unbefriedigende Zustand wechselnder Konflikte zwischen Preußen und dem Reichswehrministerium blieb unverändert; der Auseinandersetzung über den Vorrang zwischen Reichsmilitärhoheit und landesstaatlicher Polizeihoheit flössen aus ergiebiger Quelle juristisch geformte Streitpunkte zu. Obgleich die Reichsverfassung Entwicklung und Aufbau parlamentarischer Kontrollrechte über Reichswehrministerium und Reichswehr nicht nur zuließ, sondern verlangte, sind hierzu kaum ernsthafte Ansätze geschaffen worden,' 31 was sich zum Nachteil beider Seiten auswirkte. Die von Anbeginn schwierige und problematische Integration des Heeres in die Republik hätte wohl vieler Instrumente und gut um die Beschlüsse des Reichskabinetts mit ihrer Hilfe auch innerhalb der preußischen Regierung durchzusetzen. 12 '
Von einem „paradoxen Gleichgewicht" spricht Schulze, Braun, S. 628, der diese
Beziehung dahingehend zu präzisieren versucht, „daß jeder der Partner dem anderen den Boden unter den Füßen fortziehen konnte, dabei aber selbst zu Fall gekommen wäre". Das überschätzt wohl etwas die Position Brauns und unterschätzt f ü r 1930 gewiß die Brünings und des Zentrums. 13,1
Hierzu schon die älteren Veröffentlichungen von Arnold Brecht, der an der Erar-
beitung dieser Vorschläge größeren Anteil hatte. Vgl. Schulz, Demokratie, S. 592—602. Vgl. Rainer Wohlfeil, Heer und Republik, in: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1 6 4 8 — 1939, hrsg. v o m Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. VI: Reichswehr und Republik ( 1 9 1 8 - 1 9 3 3 ) , Frankfurt a.M. 1970, S. 131 f.
Reichsregierung, Reichspräsident und Parteien im Frühjahr 1930
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genutzter Gelegenheiten bedurft, um gelingen zu können. Doch Reichswehr und Parteien standen sich in einem Undefinierten, teilweise labilen, zeitweilig auch gespannten Verhältnis gegenüber, während sich der Reichstag in dieser heiklen Beziehung eher als Schauplatz von Parteimeinungen und Polemiken denn als formendes und kontrollierendes, konstruktives Organ darbot. Die Ursachen sind vielschichtig; sie lassen sich in gewissem Umfang, aber bei weitem nicht ausschließlich aus dem Abschirmungsbedürfnis der Reichswehr in ihren geheimen Rüstungsund Zukunftsplänen herleiten. Der während seiner besten Jahre intellektuell scharfsinnige, einiges Neue mit viel Traditionellem verbindende General v. Seeckt hatte die Lebensgesetze der neuen Reichswehr in der Wiederherstellung einer Gemeinschaft von Staat und Heer erblickt, aber nach den sechs Jahren seiner Tätigkeit als Chef der Heeresleitung, die in der ersten Hälfte noch unter den schwierigen Anfangsbelastungen der Republik und dann dem Rückschlag der Ruhrkrise litt, nur Fragmente hinterlassen. Seine Grundsätze, die Seeckt nicht verschwieg oder geheimhielt, sondern auch nach seiner Entlassung wiederholt formulierte und verdeutlichte, verlangten einerseits die nach innen durchgesetzte Abgrenzung gegen traditionalistische Gegner der Republik unter Generälen und Offizieren. „Das Heer hat die Pflicht, sich in das Gesamtgetriebe des Staates einzufügen und sich dem Staatsinteresse unterzuordnen. Im gesunden Staatsorganismus verfügt die oberste Staatsleitung, ganz gleich wie ihre Form ist, in den durch Recht, Gesetz und Verfassung gezogenen Grenzen über alle Mittel des Staates, also auch über das Heer." Seeckt war bereit, die Republik als Form des deutschen Staates nicht nur anzuerkennen, sondern auch das Heer „zum ersten Diener" dieses Staates zu verpflichten. 132 „Monarchist" mag er im Herzensgrunde geblieben sein; 133 doch politischer Monarchist mit festen Zielen oder Absichten war er nicht — im Unterschied zu anderen hohen Offizieren der Wehrmacht. Aber er betonte eine Eigengesetzlichkeit der Heerespolitik. Das Heer habe „dafür das Recht, vom Staat zu fordern, daß sein Anteil am Leben und Wesen des Staates
132
Hans v. Seeckt, Gedanken eines Soldaten, Berlin 1929, S. 144 f.; auch die nachfol-
genden Zitate. So das in anderen Hinsichten anerkennende, ja respektvolle zeitgenössische Urteil des Sozialdemokraten Julius Leber, Ein Mann geht seinen Weg. Schriften, Reden und Briefe, hrsg. von seinen Freunden, Berlin/Frankfurt a.M. 1952, S. 142; vgl. auch S. 146, 151 f. Zu der in der Zeitgeschichte umstrittenen Haltung Seeckts die Biographie von Hans Meier-Welcker, Seeckt, Frankfurt a.M. 1967.
I. Die Regierung Brüning 1930
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volle Berücksichtigung findet". So oder ähnlich dachten und sprachen gewiß auch Angehörige der hohen Beamtenschaft im Hinblick auf Ethos und Rechte des Beamtentums. Doch die Anwendung dieser These auf das Heer erhob es, in den Augen Seeckts, zum „reinsten und sinnfälligsten Abbild des Staates selbst", solange es nicht „parteipolitisch" wurde. Das enthielt freilich die Ambition auf ein „Eigenleben" überaus hohen Grades und, was unter den internationalen Daseinsbedingungen der Weimarer Republik am schwersten wog, die Anerkennung der „vollen Daseinsberechtigung" der „vom Heer vertretenen militärischen Interessen" sowohl in der inneren als auch in der äußeren Politik, was auch verwegenste Ziele zuließ. Im ganzen war Seeckts theoretisch fundierte Konzeption in ihrer charakteristischen Symbiose von alten und neuen Ideen, die sich teilweise bis in die jüngste Zeit behauptet haben, konservativ und in ihrer Struktur unvollkommen, aber als Anknüpfungspunkt zur weiteren Ausarbeitung im Grunde nicht ungeeignet. Daß die kalmierende Außenpolitik Stresemanns in den Jahren nach der Ruhrkrise zum Konflikt führte, zeigte die Grenzen der Gedanken Seeckts wie seines Verständnisses der Gegebenheiten an, die noch deutlicher zutage traten, als er in der Brüning-Zeit in politischen Salons eine Rolle zu spielen suchte und auf wenig glückliche Weise auch in der Politik in den Vordergrund drängte. 134 Schwere innerpolitische Konflikte fielen in die Zeit nach der Entlassung Seeckts und wurden von seinen Nachfolgern, unter der Ministerschaft Groeners, ausgefochten. Unter der Regierung der „großen Koalition" ignorierte der preußische Innenminister Grzesinski die Weisungen, die die Reichsregierung zum Grenzschutz beschlossen hatte, und ließ Anfang Februar 1930 eine angesetzte Besprechung zwischen dem Wehrkreiskommando in Stettin und dem Regierungspräsidenten in Köslin kurzhin absagen. 135 Die Zusammenarbeit mit der Reichswehr schien in Preußen von oben her preisgegeben. Aber auch von der entgegengesetzten Seite, von der NSDAP, wurde das Reichswehrministerium und seine Grenzschutzpolitik vehement und
134
Friedrich v. Rabenau, Seeckt. Aus seinem Leben 1 9 1 8 - 1 9 3 6 , Leipzig 1940, S. 636 ff.,
646 ff., 650 — 666. Seeckt war, offenbar in Erwartung größerer politischer Aufgaben, nach dem Tode Stresemanns der D V P beigetreten und wurde am 14. September 1930 in den Reichstag gewählt, dem er bis zur Auflösung im Juni 1932 angehörte. 1,3
Kurze Zusammenfassung in dem Schreiben des Reichswehrministers an Reichskanz-
ler Müller, „geheim", 17. Februar 1930; BA, R 43 1/725. Ausführlich Schulz, Vorabend, S. 362 ff.
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in persönlichen Ausfallen gegen Groener und General v. Schleicher angegriffen. Dies und die in das Offizierskorps und sogar in die Führung eines Großverbandes der Reichswehr hineinreichende politische Polemik in Verbindung mit dem Volksbegehren gegen den Young-Plan hatte schon im Spätjahr 1929 zur Belastung der Reichswehrführung geführt. 1 3 6 Sie gefährdete v o r allem die v o n Schleicher angestrebte und von Groener unter der Reichskanzlerschaft Hermann Müllers erreichte staatsrechtliche Absicherung der Wehrpolitik auch in ihren geheimen Teilen. 137 Die komplizierte, aber sorgfaltig durchdachte und auf Erweiterung des legalen Spielraums zielende rechtlich-politische Konstruktion, die im wesentlichen Schleicher unter Groener aufbaute, konnte durch Klärung problematischer oder strittiger Punkte mit Müller und Severing in der Reichspolitik in gewissem Umfange abgesichert werden. 1 3 8 Aber Preußen ließ sich auf diesem Wege nicht beikommen. Groener hatte schließlich bei Reichskanzler Müller scharfe Beschwerde eingelegt. Doch die Beschwerde wandte sich zum falschen Zeitpunkt an die falsche Adresse und bewirkte nichts. Andere ungelöste und bedrückende Probleme standen in den letzten Wochen der Amtszeit des tüchtigen, gutwilligen, aber
136 In Ostpreußen g a b es bereits den Fall des Divisionspfarrers Müller, des späteren „Reichsbischofs" der Hitler-Zeit, der sich an der Agitation für das Volksbegehren beteiligt hatte, allerdings nur vor der Veröffentlichung des Entwurfs des sogenannten „Freiheitsgesetzes" mit den die Politiker der Republik diskriminierenden Passagen. Anderseits sah sich der liberal gesinnte Chef des Stabes der 1. Division, Oberst v. Bonin, heftigen Angriffen von nationalen Offiziersgemeinschaften und von Seiten des Stahlhelmführers Ostpreußens, Graf zu Eulenburg-Wicken, ausgesetzt. Generalmajor v. Schleicher deckte Bonin und glaubte, die Ernennung des Generalleutnants v. Blomberg, Bonins vormaligem Vorgesetzten als Chef im Truppenamt, zum Befehlshaber im Wehrkreis I und Kommandeur der 1. Division werde dessen Stellung stärken und der General „genau dieselbe Haltung wie sein Chef einnehmen". Schleicher in einer Chefbesprechung mit Reichskanzler Müller, Groener, Severing und den Staatssekretären Zweigert und Pünder am 15. Oktober 1929, protokolliert und unterzeichnet von Planck; BA, R 43 1/687. Im Truppenamt zählte Bonin 1926 als Chef der Heeresorganisationsabteilung zur „Fronde gegen Seeckt" — neben Schleicher, Frhr. von dem Bussche-Ippenburg und Joachim v. Stülpnagel. Vgl. Wolfgang Sauer, Die Reichswehr, in: Bracher, Auflösung, S. 269, Anm. 139. Im einzelnen hierzu Meier-Welcker, Seeckt, S. 517 ff. 117 Vgl. Michael Geyer, Aufrüstung oder Sicherheit. Die Reichswehr in der Krise der Machtpolitik 1 9 2 4 - 1 9 3 6 , Wiesbaden 1980, S. 107ff. 138 Zur staatsrechtlichen Ausgangslage das Rechtsgutachten des Justitiars I des Reichswehrministeriums, Paul Semler, vom 7. Januar 1927, und der Vermerk des Oberstleutnants v. Bonin „Rechtslage auf dem Gebiet der Mobilmachungsvorarbeiten" vom 18. Januar 1927 bei den Akten des Amerikanischen Militärgerichtshofs in Nürnberg, Fall 12, Ankl.-Dok.B. 10 A, Dok. NIK-12057, NIK-12023; vgl. Bracher, Auflösung, S. 7 3 9 - 7 4 3 .
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überlasteten Reichskanzlers Müller im Vordergrund der Geschäfte, die ihm der preußische Ministerpräsident nicht erleichterte. Auch dies trug dazu bei, den Wert einer maßgebenden Beteiligung der SPD an der Reichsregierung und erst recht an der Wehrpolitik 139 in den Augen ihrer national eingestimmten Kritiker herabzusetzen. Am Ende schien alles auf Preußen anzukommen. Das galt schließlich auch in anderer Hinsicht. Nicht nur der Landesschutz, sondern auch die Rekrutierung des Nachwuchses der Reichswehr, die aus Freiwilligen bestand, und namentlich ihres Offizierskorps griff vornehmlich auf die ländlichen Gebiete zurück und spielte in den dünnbevölkerten Ostprovinzen eine bemerkenswerte Rolle. Hieraus ergab sich der nächste Ausweg, auf den sich Schleicher seit dem Spät jähr 1929 vorbereitet hatte: durch die stärkere Bindung der Reichsregierung an den Reichspräsidenten, die er über Brüning anstrebte, aus dem Dilemma herauszukommen. Auf diesem Wege auch auf Preußen einzuwirken und dort eine Änderung der Regierung herbeizuführen, wie ihm bereits angeraten wurde,' 4 0 lag jedoch noch keineswegs in Schleichers Absicht. „Dieses Nebeneinander- und Gegeneinanderregieren", schrieb er im Juli, „wird meiner festen Überzeugung nach auch durch einen Wechsel der Regierungen in den Ländern, vor allen Dingen in Preußen, grundlegend nicht geändert werden." 141 Noch zog es Schleicher wie Groener vor, weiterhin den steinigen Weg der Verhandlungen mit der widerstrebenden preußischen Regierung zu beschreiten. Im Frühjahr 1930 glaubte die Reichswehrführung, sich ganz auf die Politik des Reiches stützen und das Seecktsche Prinzip des Dienstes am Staate in ein konsolidiertes Verhältnis zur Republik und vollen Anschluß an die Reichsregierung umsetzen zu können. Das brachte Groeners Weisung an die Chefs der Heeres- und der Marineleitung „Die Aufgaben der Wehrmacht" vom 16. April 1930 in einer bis dahin unbekannten
139
Kritisch urteilte der Reichstagsabgeordnete Julius Leber 1929: „Das verworrene
Knäuel der Wehrfragen haben wir, anstatt es in einem entscheidenden Fall zu entwirren, immer v o r uns hergeschoben in der Hoffnung auf eine bessere Zeit. In der Opposition kümmerten w i r uns gewöhnlich überhaupt nicht um den ganzen Fragenkomplex, höchstens nutzten wir ihn zu stimmungsmäßig sehr dankbarer Propaganda. In der weniger bequemen Position der Regierungspartei zogen w i r uns von Fall zu Fall aus der Verlegenheit, und an die bei solchen Gelegenheiten mit absoluter Sicherheit entstehende, unerfreuliche Parteidebatte gewöhnte man sich mit der Zeit." Leber, Weg, S. 146. 140
Graf Garnier-Turawa, preußischer Landtagsabgeordneter (DNVP), an Schleicher,
10. Juli 1930; BA, Nachl. Schleicher/54. "" Schleichers A n t w o r t , 25. Juli; a. a. O.
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Deutlichkeit zum Ausdruck. 142 „Nie wurde in der Zeit der Weimarer Republik die Unterordnung der Reichswehr und ihrer Aufgaben unter die Ziele der politischen Führung so klar formuliert..." 143 Doch auch nie zuvor vermochte sie sich ähnlich zuversichtlich der Annahme hinzugeben, daß ihr Anspruch auf Absicherung ihrer Stellung durch die Politik des Reiches gesichert sei. In der Öffentlichkeit sah sie sich vehementen Angriffen von allen Seiten, auch von rechts her ausgesetzt. Während das Reichswehrministerium gegen die NSDAP vorging, 144 wurden von Mahraun und dem Jungdeutschen Orden heftige Vorwürfe gegen „bolschewistische" Beziehungen Schleichers erhoben. Dies beschäftigte auch die Reichskanzlei, die Kreise „um Herrn Arnold Rechberg" dahinter vermutete, „die mit großem Eifer ein Militärbündnis der europäischen Westmächte mit Deutschland zum Kampf gegen das bolschewistische Rußland betreiben". 145 Mehrfache Bemühungen Schleichers, Mahraun zu einem Gespräch zu gewinnen, blieben ohne Erfolg. Zu gleicher Zeit beklagte sich der Reichswehrminister, in einer sonst auf anderer Seite geläufigen Ausdrucksweise, über „eine Förderung bolschewistischer Zersetzungsarbeit durch hohe preußische Regierungsstellen", womit er die Förderung pazifistischer Ausstellungen mit Material zur Kriegsdienstverweigerung durch den Oberpräsidenten der Provinz Schleswig-Holstein meinte. 146 Im gleichen Monat beschwor eine ausführliche Kritik am Wehrmachtshaushalt im „Berliner Tageblatt" eine Wochen anhaltende Diskussion über die „deutsche Aufrüstung" herauf. Von ihr wurde bereits als einer Tatsache geschrieben und gesprochen, unter jeweils wechselseitiger Berufung, im Reichstag, in deutschen wie in ausländischen Zeitungen 142
Wilhelm Deist, Die Aufrüstung der Wehrmacht, in: Das Deutsche Reich und der
Zweite Weltkrieg, hrsg. v o m Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 1: Ursachen und Voraussetzungen der deutschen Kriegspolitik, Stuttgart 1979, S. 383 f. Andreas Hillgruber, Die Reichswehr und das Scheitern der Weimarer Republik, in: Erdmann, Weimar Selbstpreisgabe, S. 187. 144
Vgl. Schulz, Vorabend, S. 389 ff.; ders., Aufstieg, S. 5 0 8 f f .
,4S
Vermerk Plancks v o m 20. Mai 1930; B A , R 43 1/687. Über die Rolle des Bildhauers
und Industriemagnaten Arnold Rechberg ist noch wenig bekannt, obgleich sich Spuren seiner Tätigkeit, die den Gedanken eines deutsch-französischen Bündnisses mit antisowjetischem und antikommunistischem Akzent verfolgte, hier und da finden lassen. Vgl. George W. F. Hallgarten, Das Wettrüsten. Seine Geschichte bis zur Gegenwart, Übers, aus dem Amerikanischen, Frankfurt a.M. 1967, S. 145; Eberhard v. Vietsch, Arnold Rechberg und das Problem der politischen West-Orientierung Deutschlands nach dem 1. Weltkrieg, Koblenz 1958, S. 9 9 - 1 1 1 ; auch Schulz, Aufstieg, S. 201, 877. 146
Groener an den Reichskanzler, 19. Mai 1930; BA, R 43 1/687.
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vornehmlich des französischen Sprachbereichs. 147 Der Einfluß einer Veröffentlichung in der „Weltbühne" und dann im Spätsommer Meldungen des „Berliner Tageblatts" über den Tod eines Rittmeisters Amiinger in Rußland hielten den „Bolschewismus"-Vorwurf gegen die Reichswehr lebendig. Zur gleichen Zeit wurde der Hochverratsprozeß vor dem Reichsgericht gegen Ulmer Artillerieoffiziere wegen nationalsozialistischer Zellenbildung vorbereitet, die schließlich Beifall gerade von kommunistischer Seite erhielten.148 Die politische Verwirrung war groß. Wie sich zeigte, blieb die Position der Reichswehrführung prekär und — so oder so — auf starken Rückhalt angewiesen.
Agrarprogramm,
„kleines" und ,.großes"
Ostprogramm
Doch zunächst beschäftigten die Agrarprobleme und Agrarinteressen Reichsregierung wie Spitzenverbände. Unmittelbar nach Veröffentlichung des Sofortprogramms von Schiele gaben der D I H T und der RDI ihre Einwände bekannt, 149 in der Sache übereinstimmend, im Ton am deutlichsten der RDI: gegen ein bewegliches Getreidezollsystem — „ohne Bindung nach unten oder nach oben macht [es] jede sichere Disposition für den Handel mit diesen Produkten unmöglich und bringt eine außerordentliche Beunruhigung in den inneren Markt und die Handelsbeziehungen zu den übrigen Ländern". Demgegenüber schlug der RDI vor, die Zollpolitik nicht zu verändern, sondern durch Umstellungen, Modernisierung und Rationalisierung der Erzeugung wie des Absatzes der Produkte die Lage aus eigener Kraft günstiger zu gestalten. Auf Standardisierung und Lagerung des Getreides, Förderung der Schweinehaltung im Osten, um die überschießende Kartoffelproduktion zu verwerten, subventionierte Maisverfütterung zur Förderung der Geflügelhaltung, Qualifizierung und Standardisierung der Milcherzeugung und -Verarbeitung liefen die wichtigsten Gegenvorschläge hinaus, 150 vernünftig 147
A u f deutscher Seite Helmuth v. Gerlach in der Berliner Boulevardzeitung Welt am
Montag, Mahraun und Otto Lehmann-Rußbüldt; eine Sammlung von Auslandsstimmen B A , R 43 1/688. 146
Vgl. Peter Bucher, Der Reichswehrprozeß. Der Hochverrat der Ulmer Reichswehr-
offiziere 1929/30, Boppard 1967; Schulz, Aufstieg, S. 706 ff., sowie die Erinnerungen von Richard Scheringer, D a s große Los. Unter Soldaten, Bauern und Rebellen, mit einem Vorwort von Ernst v. Salomon, Hamburg 1959, S. 247. 149
D e r D I H T an Reichswirtschaftsminister Dietrich, 9. April 1930; Schulz, Politik, 1,
S. 11 ff. ,3|)
S o Beiträge zu einem Agrarprogramm, Berlin 1930.
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in der Theorie und auf längere Sicht wohl ganz und gar unvermeidlich. Spätere Interventionen und Entwicklungen systematischer Art — nach dem zweiten Weltkriege — waren im Grunde ähnlich angelegt, strebten Spezialisierung, Qualifizierung und Rationalisierung der agrarischen Produktion an — unter fortschreitendem Verzicht auf überkommene Vorstellungen und Gewohnheiten. Das zu erzeugen, was wirklich vom Markt aufgenommen und in großen Mengen von guter Qualität abgesetzt werden kann, war im Sinne der industriellen Unternehmung kapitalistischer Art gedacht. Doch ein solches „Eindringen des modernen Geistes der freien Unternehmung" 151 in die ländlichen Betriebe 152 ermangelte noch weithin der erforderlichen Voraussetzungen im Landbau wie in der Landbevölkerung sowohl in mentaler als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Die hohe Schuldenbelastung des Bodens blockierte großzügige Investitionen, die nötig gewesen wären, um derartige Gedanken zu verwirklichen. Hierzu äußerte sich der RDI zunächst nicht. Doch der von ihm vertretene Grundgedanke, „die [agrarische] Produktion zu verbilligen", widersprach dem unbeirrten Bemühen der agrarischen Gegenseite, vor allem die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse zu erhöhen, um hierdurch die Produktion „rentabler" zu gestalten. Dem Reichslandbund genügte es, die Beteiligung der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse (Preußenkasse) an den Vorschlägen des RDI zu vermuten, wofür es überhaupt keinen Anhalt gab, um die „allgemeinpolitische Einstellung" der industriellen Stellungnahme abzulehnen. 153 Im Schatten der seit 1926 ständig gewachsenen Sonderleistungen für Ostpreußen 154 hatte sich die Einheit der Provinz nach außen hin gefestigt. Nicht nur der Reichspräsident fühlte sich erneut als „Retter Ostpreußens". Hinter den Wortführern ostpreußischer Interessen, dem Landeshauptmann Blunk, dem Generallandschaftsdirektor v. Hippel, dem Vorsitzenden der Landwirtschaftskammer, Brandes-Zaupern, Graf 151
Karl Lamprecht, Deutsche Geschichte der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart,
Bd. 1: Geschichte der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in den siebziger bis neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts, Berlin 1 9 1 2 , S. 3 9 1 — 4 1 5 , hat Begriff wie Thematik eingehend behandelt, allerdings auf das 19. Jahrhundert beschränkt. 152
Die Betrachtung des Landgutes als eines wirtschaftlichen Betriebes führte zur Ent-
wicklung einer landwirtschaftlichen Betriebslehre, die Friedrich Aereboe (1865 — 1942) als selbständige Wissenschaft nacheinander in Bonn, Breslau, Hohenheim und Berlin vertrat. 153
Grübler, Spitzenverbände, S. 215.
154
Aufstellung von Ministerialrat Frankenbach; s. oben Anm. 76.
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zu Eulenburg-Prassen und seinem Vetter, dem ostpreußischen Stahlhelmführer Graf zu Eulenburg-Wicken, Frhr. v. Gayl, dem einflußreichen Provinzialvertreter Ostpreußens im Preußischen Staatsrat und im Reichsrat, und dem ehemaligen Oberpräsidenten v. Batocki-Bledau, 1 5 5 traten Fürsprecher zugunsten der Belange anderer Bezirke in den Hintergrund, so die Westpreußens, des Regierungsbezirkes Marienwerder, sogar des Ermlandes, das ein „Stiefkind der Königsberger Verwaltung" blieb. Je schärfer die Forderungen gestellt und politisch akzentuiert wurden, desto deutlicher schienen sich Einheit und Sonderstellung Ostpreußens auszuprägen und Gewicht zu gewinnen. Dennoch war eine Krise der Ostpreußenhilfe erreicht, stellte sich die Frage, o b sie überhaupt fortgesetzt werden sollte. Die preußische Staatsregierung versuchte, eindeutigen Entscheidungen aus dem Wege zu gehen, die Entwicklung, ohne eigene Initiative, eher treiben zu lassen als voranzutreiben; koalitionspolitische Rücksichten sprachen hierbei mit. 1 5 6 Dies führte infolge des Drängens 155 Die Genannten standen an hervortagender Stelle innerhalb der D N V P und zählten zum Hugenberg-Flügel. Die an den Kreditaktionen in den Ostprovinzen stark beteiligte und vom preußischen Staat geförderte Ostbank für Handel und Gewerbe in Königsberg erscheint geradezu als Hochburg deutschnationaler Repräsentanten. Erster Vorsitzender des Aufsichtsrates war Hugenberg, Stellvertreter Oberpräsident a.D. v. Batocki; dem Aufsichtsrat gehörten an der Rittergutsbesitzer Hermann Dietrich, Frhr. v. Gayl, Frhr. v. d. Goltz, Generaldirektor Klitzsch von Hugenbergs Scherl-Konzern und der Fraktionsvorsitzende der D N V P im preußischen Landtag, v. Winterfeld. Vorgänge hierzu GehStAB, Rep. 90/1070. In diesem Zusammenhang verdient aber auch der weit in die ländliche Bevölkerung hineinwirkende, sie erfassende und mitziehende, 1922 von Hippel gegründete „Landwirtschaftsverband Ostpreußen für Volk und Vaterland, für Ar und Halm", seit 1929 unter der Führung von Wilhelm Strüvy-Großpeisten, Erwähnung. Er erfaßte 60 Prozent der landwirtschaftlichen Besitzer, „von 5 ha Größe aufwärts", und wollte sich von jeder Parteipolitik fernhalten, während er in seinen Agitationen und Aktionen eine Verbindung von entschieden deutschnationalen Gesinnungen mit Kritiken und Tendenzen der Schleswig-Holsteinischen Landvolkbewegung, jedoch unter großagrarischer Führung, herstellte. „Produzieren haben wir gelernt, die Wirtschaftstechnik eignen w i r uns mit eifrigem Bemühen an ... Aber den Absatz regulieren die anderen, und wir fühlen uns von Jahr zu Jahr mehr um die Früchte unserer mühsamen Arbeit betrogen", erläuterte Strüvy Meinung und Standort vor der Erklärung einer allgemeinen Kaufenthaltung des gesamten Landvolks im Frühjahr 1929. Landwirtschafts-Verband Ostpreußen, 7. Jg./Nr. 18, 4. Mai 1929; GehStAB, Rep. 90/1089. Vgl. die eingehende Behandlung von Hertz-Eichenrode, Landwirtschaft, S. 7 5 - 8 5 . 156 Ein umfassendes Hilfsprogramm für das „Deutschtum in den östlichen Provinzen", unter einer Reichszentrale für Grenzlandfragen oder einem eigenen Ministerium, wurde auf Veranlassung des preußischen Abgeordneten Prälat Ulitzka sowie Stegerwaids wiederholt vom Zentrum gefordert; so auf dem Kölner Zentrumsparteitag am 20. Dezember 1928 und auf dem „Ostparteitag der Deutschen Zentrumspartei" unter Leitung Ulitzkas am 13. und 14. April 1929. GehStAB, Rep. 90/1110.
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des Reichspräsidenten 157 zwangsläufig zur stärkeren Einschaltung des Reiches. Der Gegensatz zwischen jenen, die durch Kleinarbeit den einzelnen Betrieb mit Hilfe organisatorischer Eingriffe starker und zielbewußt vorgehender Genossenschaften rentabler gestalten, eben rationalisieren wollten, und jenen, die meinten, daß die prekäre Sonderlage im agrarischen Osten auf diesem Wege nicht mehr zu bessern und eilige Rettung vieler Betriebe vordringlich sei, bestand auch unter Fachleuten und Politikern. 1 5 8 Dieser Gegensatz zwischen wirtschaftlichem Ertragsdenken und politisch motivierten Grundsätzen der subsidiären Intervention zum Zweck der Erhaltung war schon 1 9 2 9 bei der Durchführung der Ostpreußenhilfe in den Kontroversen zwischen beteiligten Instanzen zutage getreten. 1 5 9 Nach den dämpfenden Vorstößen des RDI und D I H T stellten sich auch die zuständigen Reichsressorts unter der Federführung des Reichsfinanzministers Ende April 1 9 3 0 auf eine etwas bescheidener ausfallende Osthilfe ein, bis das Problem der allgemeinen Zuständigkeit f ü r das Ostprogramm zwischen Preußen und dem Reich erneut zur Erörterung stand. 1 6 0 Den Gedanken eines Ostministeriums mit umfassenden Kompetenzen hatte das Büro des Reichspräsidenten zurückgewiesen. 1 6 1 Doch das
157 Schreiben des Reichspräsidenten an den Reichskanzler vom 18. März 1930; vgl. Schulz, Vorabend, S. 488. 158 So auch der Regierungspräsident in Osnabrück, Sonnenschein, zum Ostprogramm an Staatssekretär Pünder vom 5. April 1930, von diesem mit Stellungnahme an den Staatssekretär des Reichsernährungsministeriums weitergeleitet. BA, R 43 1/1801. , 5 ' Der Gegensatz spitzte sich nach der Einsetzung des nicht aus der Provinz stammenden Reichstagsabgeordneten Heinrich Rönneburg (DDP) als Staatskommissar zur Stützung des ostpreußischen Gütermarktes durch die preußische Regierung im Juni 1929 zu. Rönneburg kritisierte die an der Verteilung der Umschuldungsmittel maßgeblich beteiligten Selbstverwaltungsorgane, deren hervorragende Fürsprecher Generallandschaftsdirektor v. Hippel und Landeshauptmann Blunk waren, und gab den Vertretern der Zentralgenossenschaftskasse moralische Unterstützung. Vorgänge GehStAB, Rep. 90/1076 u. 1078. Eine wichtige Quelle zur Vorgeschichte und Geschichte der Ostpreußenhilfe aus der Sicht der Provinzinteressen ist die umfangreiche Denkschrift des Landeshauptmanns „Ostpreußenhilfe und Umschuldung", März 1931, gedruckt in der Landesdruckerei Königsberg i.Pr.; Rep. 90/1078. Sie diente zu einem Teil der Auseinandersetzung mit Rönneburg. 1WI Zusammenfassender Referentenvermerk betr. Osthilfe über Verhandlungen im Reichsfinanzministerium am 24. April 1930; BA, R 43 1/1801. Zur Vorbereitung des Entwurfes für ein Osthilfegesetz Friedrich Martin Fiederlein, Der deutsche Osten und die Regierungen Brüning, Papen, Schleicher, phil. Diss. Würzburg 1966, S. 74—108. Vermerk in der Reichskanzlei über ein Telefonat mit dem Büro des Reichspräsidenten, 26. April 1930; BA, R 43 1/1801.
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Reichsernährungsministerium Schieies konnte in Anbetracht der verfassungsrechtlichen Gegebenheiten und der Finanzprobleme nicht allein für Planung und Durchführung des Programms zuständig sein. Auch Schieies Versuch, durch Gesetz einen befristeten Vollstreckungsschutz für die vom Zusammenbruch bedrohten landwirtschaftlichen Betriebe in den Ostgebieten einzuführen, scheiterte. 162 An diesen Tatsachen gemessen, blieb die von Graf Westarp unterstützte Vereinbarung Schieies mit Brüning, die der Bildung der neuen Reichsregierung zugrunde lag, letztlich von begrenzter Bedeutung. Das Reichsfinanzministerium bemühte sich, vom fiskalischen Standpunkt aus die gesamte Aktion sowohl in ihren Zielen als auch in ihrer regionalen Anwendung möglichst zu beschränken. Eine Umschuldung aus Reichsmitteln lehnte es ab. Da sich Preußen in dieser zentralen Frage zu Zugeständnissen, die über seine Beteiligung an der Ostpreußenhilfe hinausgingen, nicht bereit zeigte, schien sich nur noch ein Weg über die Realkreditinstitute anzubieten, den das Finanzministerium durch Empfehlung einer Änderung des Gesetzes über die Rentenbank-Kreditanstalt erleichtern wollte. Diese öffentlich-rechtliche Zentralbank 163 , die in enger Verbindung zur Deutschen Rentenbank stand, hatte die Aufgabe, der deutschen Landwirtschaft Personal- und Realkredite zu beschaffen. Die Mittel hierzu flössen ihr einerseits aus der Liquidierung der Rentenbankscheine von der Deutschen Rentenbank, anderseits, mit einem Anteil von jährlich 25 Millionen RM, aus den Rentenbank-Grundschuldzinsen zu. Sie nahm innerhalb des großen Netzes der Agrarkreditorganisationen eine bedeutende Stellung ein. Doch zur Durchführung der Umschuldung und für Aktionen zur „Besitzfestigung" besaß die Rentenbank-Kreditanstalt weder Legitimation noch Mittel. An der Ostpreußenhilfe war sie nicht einmal beteiligt, während Landschaft und Preußenkasse wichtige Funktionen übernommen hatten, aber häufig gegeneinander wirkten. Die Konstruktion, die man zur Durchführung einer großzügigen Umschuldung anstrebte, bestand zunächst darin, daß zu diesem Zweck durch Gesetz eine besondere Ablösungsbank errichtet werden sollte. Die Deutsche Rentenbank-Kreditanstalt und die Bank für deutsche Industrie-
162
Gesetzentwurf mit Schreiben des Reichsernährungsministers an den Staatssekretär
in der Reichskanzlei v o m 29. April 1930, ablehnender Referentenvortrag (Ministerialrat Feßler) und Vermerk über eine grundsätzliche Stellungnahme des Reichskanzlers v o m 1. Mai; BA, R 43 1/1801. 163
Durch Gesetz v o m 18. Juli 1925 geschaffen. Vgl. Hans Pröhl, Die Deutsche Ren-
tenbank-Kreditanstalt. Ihr Aufbau und ihre Funktionen, Berlin 1926.
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Obligationen, der die Industrieumlage nach dem Dawes-Plan zugeflossen war, sollten die Ablösungsbank mit den erforderlichen Mitteln versehen. 164 Am Personalkreditgeschäft der Rentenbank-Kreditanstalt war aber bislang die Preußenkasse zu 50 Prozent beteiligt, so daß sie bei einer Umschuldung ein gewichtiges Wort mitzusprechen hatte und eine Einflußnahme der preußischen Regierung auf die Abwicklung abzusehen war. Um „Ordnung in die Lage im Osten" zu bringen, verfolgten Preußenkasse und preußische Regierung weitgehend übereinstimmende Vorstellungen' 65 , wobei die Prüfung der Eignung der Betriebe ausschließlich „nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten und unter Ausschaltung aller innerpolitischen Empfindungen" Vorrang besaß und die Erhöhung der Mittel für Siedlungszwecke sowie die Aktivierung der Siedlungspolitik als unerläßlich galten. Dies stand im Gegensatz zu der Liste der Prioritäten, die Schiele aufgestellt hatte; und es waren weitere Schwierigkeiten zu gewärtigen, die eine Realisierung seines Programms hinausschoben, wenn nicht in Frage stellten. Die Beratungen innerhalb der Reichsregierung wurden daher zunächst auf ein „kleines Ostprogramm" reduziert, das sie in Verbindung mit den Haushaltsberatungen durchbringen wollte. Da im Reichstag mit einer Ablehnung durch die SPD gerechnet wurde, kam es hierbei auf die Haltung der DNVP an, was Brüning erklärtermaßen als taktischen Vorteil betrachtete. Die „Zurückhaltung umfassenderer Vorschläge für den Osten für einen späteren Zeitpunkt" erschien ihm „politisch richtiger als die Ausschöpfung aller Möglichkeiten, die die Bewegung auf der Rechten zum Stillstand bringen müßte". 166 So hing denn die eine Entscheidung mit anderen Vorgängen zusammen. Die von Hugenberg wiederholt geäußerte Behauptung, daß der Kurs der Regierung dem Ziele der Spaltung der DNVP diente, war nicht unbegründet. Allerdings hätte der Reichskanzler kaum anders operieren können, auch wenn er es gewollt hätte, solange er auf dem Wege der ordentlichen Gesetzgebung durch den Reichstag blieb. Brüning verband mit der Teilung in ein rasch durchzuführendes kleines und ein späteres, in seinen Umrissen noch nicht genauer bestimmtes großes Ostprogramm aber auch die Absicht eines Einbaus in umfassendere Programme zur Finanzreform und Wirtschaftspolitik. Das „kleine 164
Referentenvortrag (Feßler), BA, R 43 1/1801.
165
Aktenvermerk des Staatssekretärs Schäffer über eine Besprechung mit Klepper,
9. Mai 1930; Schulz, Politik, 1, S. 155 ff. 166
Reichsministerbesprechung am 30. April 1930; A R : Brüning, 1, S. 66.
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Ostprogramm" sollte unter dem Gesichtspunkt des Haushaltsausgleichs begrenzt bleiben, wobei für 1931 eine Zunahme der Aufwendungen des Reiches für Arbeitslose von 400 Millionen RM erwartet wurde — nach Berechnungen des Instituts für Konjunkturforschung, die der späteren Belastung nicht annähernd nahekamen. Das „große Ostprogramm" — mit starker Betonung des Siedlungsgedankens, wie es die preußische Seite sowie Reichsarbeitsminister Stegerwald verlangten, — sollte zu einem späteren Zeitpunkt zusammen mit den „finanziellen Fragen ... im großen Rahmen eines umfassenden Gesetzes zum Ausbau der Wirtschaft, mit einem Zeitraum von etwa fünf Jahren" in Angriff genommen werden. Brüning war es um den großen Wurf einer weitgreifenden Staatsfinanzreform zu tun, die ihn seit Monaten beschäftigt und letztlich in sein Amt gebracht hatte. Offene Frage bleibt, ob sich Brüning jemals ein der Größenordnung der Aufgabe angemessenes Programm, überhaupt eine Konzeption zurechtlegte. 167 Greifbare Anzeichen lassen sich kaum anführen. Dies spricht eher für den Versuch, mit Bedacht und Sorgfalt die vorgefundenen Probleme verschiedener Art und Verursachung zueinander in Verbindung zu bringen und alte und neue Erfahrungen — mit taktischem Geschick — in Maßnahmen umzusetzen, die die notorischen und bürokratisch aufbereiteten Probleme einer Lösung zuführten. Das „große Programm" sollte verschiedenartige problembeladene Materien zusammenfassen, wie Reformen der Krankenkassen, der Invalidenversicherung, der kommunalen Wohlfahrtspflege, der Reichsbahntarife, der Kraftfahrzeugsteuer u. a.m. Osthilfe und Haushaltspolitik figurierten an hervorragender Stelle. Durch ein derartig umfassendes Gesetzgebungswerk glaubte Brüning „das öffentliche Vertrauen in die Wirtschaft und Finanzpolitik gestärkt ... Komme es zur Auflösung des Reichstages, so werde das Programm dann wichtige Dienste zu leisten haben." 168 Das war mehr als nur euphonische Zukunftsmusik; es sollte auch in größerem Umfang Auslandskapitalien nach Deutschland holen und entsprach schon der Absicht der Reichsregierung, das Ansehen besonderen Mutes und großer Kraft zu gewinnen. Wie es aber bei Brüning immer wieder begegnet, erscheinen in der Sache liegende und taktische Gesichtspunkte kaum lösbar miteinander vermengt, so daß es
167
Zu Brünings finanzpolitischen Auffassungen liegt bisher ein Aufsatz von Rudolf
Morsey vor, Brünings Kritik an der Reichsfinanzpolitik 1 9 1 9 — 1929, in: Geschichte, Wirtschaft, Gesellschaft. Festschrift für Clemens Bauer zum 75. Geburtstag, hrsg. v o n Erich Hassinger, J . Heinz Müller u. Hugo Ott, Berlin 1974, S. 3 5 9 - 3 7 3 . " 8 Reichsministerbesprechung am 30. April.
Reichsregierung,
Reichspräsident
und Parteien
im Frühjahr
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schwer fallt, Zwecke und Instrumente zu scheiden, die Brüning wohl auch, wenn es ihm darauf ankam, gegeneinander auszutauschen wußte. Am 30. April fiel eine Vorentscheidung im Kreise der Reichsminister, mußte auch Schiele einsehen, daß erhebliche Differenzen bestanden und an eine glatte Erfüllung seiner Punktation nicht zu denken war. Reichsfinanzminister Moldenhauer erkannte, nach den Maßstäben, die sich in den letzten Jahren gebildet hatten, daß die Arbeitslosigkeit „viel langsamer als sonst im Frühjahr" zurückging und sah voraus, daß keine schnelle Besserung der Arbeitsmarktlage, eher eine Zunahme der Belastungen erwartet werden mußte. 169 Dem Erfordernis der Ausgabenminderung wollte er durch „Ausgabensenkungsgesetze", auch von verfassungsdurchbrechender Art, nachkommen, die Verwaltungsvereinfachungen, Zusammenlegungen von Landesfinanzämtern und Änderungen der Kriegsbeschädigtenfürsorge, eine allgemeine Besoldungssperre, auch für die Gemeinden, und eine Kreditaufsicht über die Kommunen bringen sollten. Stegerwald operierte in der entgegengesetzten Richtung. Er wollte eine Kürzung der Ausgaben in seinem Zuständigkeitsbereich der Sozialversicherungen ausschließen und beanspruchte sogar zusätzliche Aufwendungen von mehreren hundert Millionen RM infolge der Arbeitslosigkeit. Während der Reichsfinanzminister eine Kritik am Ostprogramm noch einigermaßen vorsichtig andeutete, stellte Stegerwald im Hinblick auf die beabsichtigte Konstruktion unumwunden fest, daß die vorgesehene Ablösungsbank eine „übermäßige Betreuung des Großgrundbesitzes" schon deshalb bringen werde, weil sie „lieber mit einem Großgrundbesitzer als mit 40 kleinen abschließen" werde. Er unterstützte die Position der Preußenkasse, verwies aber auf die Verwaltungsproblematik, die langfristige Kreditaktionen in einem großen, den Charakter der östlichen Provinzen bestimmenden Wirtschaftszweig mit sich bringen mußten, was bis dahin außerhalb des Reichsarbeitsministeriums überhaupt noch keine Beachtung gefunden hatte. Während Moldenhauer von Verwaltungsvereinfachungen zum Zwecke der Einsparung und Ausgabensenkung sprach, wurde in Stegerwaids Bemerkungen die Alternative sichtbar, die Osthilfeaktion entweder auf wenige, aber große Adressen zu konzentrieren oder für eine wirtschaftlich vernünftige, politisch vertretbare und gerechte Verteilung der Mittel zu sorgen, die sich ohne
169
Der Reichsarbeitsminister rechnete für 1930 im Durchschnitt mit 1,5 bis 1,7 Millionen
unterstützungsberechtigten Arbeitslosen; 60 Prozent der Ausfuhr gingen in Länder mit rückläufiger Konjunktur, meinte er. ebda.
I. Die Regierung Brüning 1930
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neue und große Verwaltungstätigkeiten und -aufwendungen nicht abwickeln ließ. Angesichts dieser Differenzen fanden sich Schiele und Treviranus mit der Teilung des Ostprogramms ab. Sie erfüllte schließlich auch einen bedeutsamen Nebenzweck. „Auf der Rechten vollzieht sich die Umbildung weiter", wie Treviranus optimistisch meinte. 170 Mit Unterstützung von Curtius drang Brünings Gedanke durch, „ein Gesamtreformprogramm von der Reichskanzlei aus zusammenstellen zu lassen", um es bis zum 1. Oktober dem Reichstag vorzulegen. Damit kam er praktisch dem Wunsche Schieies entgegen, das große Osthilfeprogramm zuvor noch in einem engeren Kreis als dem der Reichsregierung zu erörtern. Schwierigkeiten und Probleme waren ihm in der Kabinettsrunde deutlich vor Augen geführt worden, die schließlich sogar Sinn und Nutzen der Ostmaßnahmen für die Landwirtschaft in Frage stellten. Für Brüning entschied die Annahme, daß ihm ein Reformprogramm im Falle einer Neuwahl günstigere Aussichten als die schlichte Ablehnung des Etats durch den Reichstag eröffnen würde. In der Reichsministerbesprechung des folgenden Tages scheiterte Schiele dann sowohl mit seiner Vorlage eines gesetzlichen Vollstreckungsschutzes in den Ostgebieten als auch mit dem Plan der Ablösungsbank an dem fast geschlossenen Widerstand des Finanzministers, des Arbeitsministers, des Wirtschaftsministers und des Reichsbankpräsidenten. 171 Am 6., 7. und 15. Mai mußten sich die Mitglieder des Reichskabinetts — und zwischendurch die Reichsminister in Sonderbesprechungen — mit denselben Fragen in jeweils leichter Modifikation erneut befassen. 172 Die Animosität gegen die beiden Projekte, die den Kern der Osthilfe bildeten, mäßigte und minderte sich. Auch der Reichskanzler glaubte, durch die Einführung der Arbeitslosenversicherungsreform in ein Junktim mit dem Ostpreußengesetz über die Umschuldung Vorteile gewinnen zu können; denn eine Auflösung des Reichstags wegen der Arbeitslosenversicherung „wäre nicht zu ertragen". 173 Die Regierung Brüning fand sich fast in die gleiche Situation zurückversetzt, in der sich ihre Vorgängerin vor dem Rücktritt befand, nur daß 170
Ebda.
,7 '
Niederschrift der Reichsministerbesprechung am 1. Mai 1930; A R : Brüning,
1,
S. 7 6 - 8 0 . 172
Kabinettssitzungen am 6., 7. und 15. Mai (auch Ministerbesprechung unter Zuzie-
hung Kleppers); a. a. O., S. 9 7 - 1 1 4 , 1 2 8 - 1 3 1 ; Chefbesprechung am 14. Mai; B A , R 4 3
1/1801. 173
Brüning in der Kabinettssitzung am 7. Mai; a. a. O., S. 1 1 1 .
Reichsregierung,
Reichspräsident
und Parteien im Frühjahr 19}0
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sich die strittigen Gegenstände etwas verändert hatten und nach der Young-Plan-Regelung die ostdeutschen Agrarsubventionen Vorrang beanspruchten. Jede erneute Erörterung schien aber Schätzungen und Planansätze für jedes Ostprogramm schubartig nach oben zu drücken. Der im Reichsfinanzministerium für die Agrarpolitik zuständige Ministerialdirektor Wachsmann gab an, daß allein der Umschuldungsbedarf „im Osten auf 1,326 Milliarden" geschätzt werde.' 74 Davon entfiele allerdings ein beträchtlicher Anteil auf nicht mehr sanierungsfahige — eigentlich gar nicht mehr berücksichtigungsfahige — Betriebe und auch solche in Händen „von Gläubigern, die auf bessere Zeiten warten würden", so daß „für die Umschuldung nur 600 Millionen in Betracht" kämen — im ersten Jahr, da sich nicht alle Anträge sogleich durcharbeiten ließen, nur etwa 250 Millionen. Man darf fragen, was angesichts dieser Einschränkungen die Höhe des Gesamtansatzes wohl besagen sollte. Auf jeden Fall ergab sich eine beträchtliche Summe, deren Deckung mit Schwierigkeiten höheren Grades verbunden war, hinter der aber noch weit höher gegriffene Ziffern herumgeisterten. Problematisch blieb die Finanzierung. Gegen eine prämienbegünstigte Anleihe wandten sich die Banken, besonders die kommunalen Kreditinstitute, die eine Beeinträchtigung ihrer Beweglichkeit auf dem Anleihemarkt befürchteten. Eine Verwendung der Mittel der Bank für deutsche Industrieobligationen stieß auf den Widerstand der Industrie. So blieb, nach Wachsmann, nur die Einschaltung einer Ablösungsbank mit 50 Millionen RM Reichsbeteiligung, die mit Hilfe der Rentenbank auf dem freien Geldmarkt Darlehen in Höhe von 100 Millionen RM aufnehmen sollte. Den benötigten Rest sollte der Reichshaushalt hergeben. Diese Art der Geldbeschaffung fand allerdings keinen Beifall, zumal schon die Young-Anleihe den internationalen Kreditmarkt belastete und auf dem inneren Geldmarkt das Reich bereits mit einer Anleihe und die Reichsbahn, die „werteschaffende Arbeitslosenfürsorge", vor allem die Städte mit großem Kreditbedürfnis in Erscheinung traten. Ausländisches Kapital stand jetzt aber kaum in einem solchen Umfang zur Verfügung, daß es große deutsche Projekte finanzieren konnte. 175 Der finanzielle Bewegungsraum der Reichsfinanzpolitik, um „den Osten für das Reich 6. Mai; a. a. O., S. 104. Staatssekretär Schäffer, 7. Mai; a. a. O., S. 108. Das Weltkapital werde angesichts des Tiefstandes der Konjunktur „Investierungen in verschiedenen Ländern der überwiegenden Versorgung eines Landes" vorziehen. 174
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zu retten", war mithin äußerst eng, zumal der Reichsernährungsminister außer den bereits veranschlagten Mitteln noch mindestens 50 Millionen zur bloßen Betriebserhaltung in der notleidenden Landwirtschaft Ostdeutschlands für notwendig hielt und der Finanzminister, angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt, nach Reformen und Einsparungen noch weitere 100 Millionen RM für Unterstützungszahlungen ausbringen wollte. 176 Doch auch diese Einschätzung des Arbeitsmarktes — ohne globale Perspektive — blieb ungewiß und vermittelte keine sicheren Anhalte. Die bereits veranschlagten Mittel für Siedlungszwecke sollten nicht vermindert, sondern schon aus Rücksicht auf die Stimmung der Gewerkschaften beibehalten oder gar erhöht werden. Eine Beschränkung und Spezialisierung der gesamten Hilfsaktion lag freilich auf der Hand, eine Konzentration auf Umschuldungen und Betriebserhaltung. Wenn Reichswirtschaftsminister Dietrich vergleichsweise milde feststellte, daß „die entscheidenden Stellen bisher in Ostpreußen nicht immer den Anschein einer gewissen politischen Einstellung vermieden hätten", mithin die Klagen mittlerer und kleinerer Besitzer berechtigt seien, 177 so ließ sich auch künftig die problematische Verwendung größerer Mittel nicht ausschließen, „weil die Mittel als Dotationsfonds für den Großgrundbesitz aufgefaßt werden" konnten. 178 Aus politischen und psychologischen Gründen sollte das neue Programm als Novelle zum Gesetz über die Ostpreußenhilfe von 1929 gestaltet und nach außen ausdrücklich als deren Fortsetzung ausgewiesen, aber der Siedlungsgedanke in den Vordergrund gerückt werden. 179 Anderseits bestand Schiele darauf, die Mitwirkung Preußens künftig auszuschalten, damit das Reich die Verwendung seiner Mittel allein in die Hand bekam. 180 Hierin sah Schiele sich zum Nachgeben gezwungen. Dennoch lohnte sich am Ende für den Reichsernährungsminister das hartnäckige Ringen mit allen Begleiterscheinungen des Aushandelns von Einzelheiten und Kompromissen, die in der Sache kaum weniger kontrovers waren, als sie wohl in Reichstagsdebatten gewesen wären; doch Reichskabinett und Ministerrunde der Chefbesprechungen blieben einzige Austragungs176
Reichsfinanzminister Moldenhauer, 7. Mai; a. a. O., S. 107. 6. Mai; a. a. O., S. 99. 178 Moldenhauer, 7. Mai; a. a. O., S. 113. Schiele ließ sich die Zusage abringen: „Die Hilfe müsse zur Voraussetzung haben, daß das Durchhalten der Betriebe durch sie gesichert erscheine", und „müsse von der Überwachung des Betriebs abhängig gemacht werden". 179 Referentenvermerk vom 7. Mai; BA, R 43 1/1801; Beschlüsse des Reichskabinetts am gleichen Tag; AR: Brüning, 1, S. 113 f. 180 6. Mai. 177
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orte der Kontroversen, ohne daß die üblichen, ständigen interministeriellen Verbindungen das Ergebnis oder die Entscheidung schon im wesentlichen vorweggenommen hätten. Der Reichskanzler hat in der Sache nichts entschieden, kaum wesentlichen Einfluß geübt, allerdings dafür gesorgt, daß die Diskussion nicht endete, sondern fortgesetzt wurde, und auf diese Weise seine Zusage, die er Schiele — und indirekt dem Reichspräsidenten — gegeben hatte, eingelöst. Im übrigen blieben seine Überlegungen taktischer Art und behielt er stets die Wahrscheinlichkeit der Auflösung und Neuwahl des Reichstags im Auge. Die ersten zu ihm persönlich vordringenden Sprecher der Ostgrenzgebiete, den deutschnationalen Fraktionsvorsitzenden im preußischen Landtag, v. Winterfeld, und den Landeshauptmann der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen, Caspari (SPD), die am 14. Mai gemeinsam erschienen, ließ Brüning in seiner etwas vernebelnden Art wissen, daß das Ostgesetz „eine Art Ermächtigung der Reichsregierung" darstelle, die, „wenn man es im Reichstag durchbekomme", weitergehende Anwendungen erlaube. „Präzise Angaben waren überhaupt nicht zu erhalten", berichtete Caspari danach dem preußischen Ministerpräsidenten, 181 dem er auch Winterfelds „unverblümte" Meinung berichtete, „daß die Reichsregierung offenbar selbst sich über die Wege eines Osthilfeprogramms nicht einig und auch nicht klar sei".
SiIverberg und die
Industrieumlage
Das schwierige Finanzierungsproblem gab dem Votum der Preußenkasse beträchtliches Gewicht. Aber letztlich kam es auf die Entscheidung der Industrie, namentlich des RDI an, da ohne Mittel aus der Industrieumlage das gesamte Vorhaben in sich zusammenfallen mußte. Doch der von Silverberg und Reusch verteidigte Plan stieß auf starken Widerstand einiger Industrieller, vor allem der Vertreter der kleinen und mittleren Industrie, der erst nach einer Sitzung der Ruhrlade am 3. Mai auf dem Kompromißwege ausgeräumt werden konnte. 182 Silverberg erkannte die Zwangslage, in der sich die Reichsregierung befand, und die Gefahr, daß sie durch Gesetzesbeschluß die Industrieumlage kurzerhand in den Etat einstellte; demgegenüber hatte man nur 181
Caspari an Braun, 15. Mai; Schulz, Politik, 1, S. 161.
182
Hierzu Grübler, Spitzenverbände, S. 2 2 5 ff. A u f Widerstände gegen den Silverberg-
Plan wiesen auch Wachsmann und Moldenhauer in der Reichskabinettssitzung am 7. Mai hin.
I. Die Regierung Brüning 1930
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„die Wahl ... der produktiven Verwendung dieser Gelder, die auf eine Konsumfinanzierung des inneren Marktes hinauslaufe". 1 8 3 Anregung des Konsums und Stärkung des inneren Marktes waren bis dahin nicht nur v o n den industriellen Spitzenverbänden abgelehnt, die Kaufkrafttheorie war auch von der vorherrschenden wirtschaftswissenschaftlichen Lehrmeinung, teils maßvoll, teils kategorisch zurückgewiesen worden. 1 8 4 Eine umfassende und integrale Perspektive für die „Entfaltung der produktiven K r ä f t e der Wirtschaft" 1 8 5 fehlte; sie wurde durch verschiedene kontrovers diskutierte Probleme, wie Kapitalbildung und Kapitalbewegung, Außenhandelsförderung, Steuersystem, Zweck und Ergebnisse der Besteuerungsarten, Einsparungen der Öffentlichen Hand, die Lohnfragen und Tarifpolitik ergänzten, nur unvollkommen ausgefüllt und nicht ersetzt. Die Gesichtskreise blieben eng und deutlich auf bestimmte Standorte beschränkt. 1 8 6 Eine Stärkung des Konsums durch Aufbau, Verbilligung und Verbesserung der Konsumgüterproduktion, was man als amerikanisches Beispiel durchaus erfaßte und besprach, hielt man unter den deutschen Verhältnissen für unmöglich, schien sich freilich auch seit den Reparationsregelungen durch den Dawes-Plan zu verbieten. Die Wendung zum Young-Plan lag noch zu kurz zurück, um weitreichende Umstellungen herbeizuführen und neu eröffnete Möglichkeiten auszu-
183 Niederschrift über eine Besprechung Silverbergs mit Bötzkes, 14. Mai 1930; Schulz, Politik, 1, S. 158. 184 Bezeichnend die Diskussionsbeiträge in der Friedrich-List-Gesellschaft Ende Oktober 1929 im Anschluß an Fritz Tarnows, von J a k o b Marschak modifizierte und verbesserte These, daß Vermehrung der Massenkaufkraft Vermehrung der Massennachfrage nach industriellen Erzeugnissen zur Folge habe. Tarnow, Warum arm sein? Berlin 1928. Vgl. Kapitalbildung und Steuersystem. Verhandlungen und Gutachten der Konferenz von Eilsen, 2 Teile, hrsg. von Gerhard Colm und Hans Neisser, Berlin 1930. Dagegen vor allem Schumpeter, Julius Landmann-Kiel, a. a. O., I, S. 182 ff., 254. Wilh. Röpke wollte der Kaufkrafttheorie, bei grundsätzlich kritischer Einstellung, „in nötiger Verdünnung" Beachtung zugestehen (1, S. 68). Er lehnte in seinem Gutachten die von ihm so genannte „Kaufkrafttheorie des nationalen Wohlstandes" ab, gestand aber zu, daß die Steuerbelastung den „Einfluß einer Mehrung oder Minderung der Massenkaufkraft auf die Schwungkraft der Produktion in Rechnung zu stellen" habe. Colm, Kapitalbildung, II, S. 224 f. Vorsichtig zustimmend Harms, a. a. O., S. 160 f.
Fritz Naphtali, a. a. O., I, S. 124. Man wird nicht, w i e Michael Schneider, Das Arbeitsbeschaffungsprogramm des A D G B . Zur gewerkschaftlichen Politik in der Endphase der Weimarer Republik, BonnBad Godesberg 1975, S. 29 ff., die Fehler in erster Linie den verschiedenen zyklischen Konjunkturtheorien anlasten können, die eine im einzelnen nur schwer bestimmbare, aber doch überschätzte Rolle spielten. Die Diskussionen über praktische wirtschaftspolitische Fragen vermitteln ein anderes Bild. 185 186
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schöpfen. Das Friedrich List entlehnte Ziel, „die Bilanz der produktiven Kräfte zu verbessern und nicht [allein] die Bilanz des Kapitals", 187 wurde nur vage wahrgenommen, blieb unbestimmt und ohne belebende Wirkkraft. Unter den herrschenden Bedingungen bildete die Landwirtschaft nach dem Kriege ohnehin eine mehr oder minder als selbstverständlich konzedierte Ausnahme. Doch den Agrarkredit kurzerhand als einen der Erhaltung dienenden „Konsumtionskredit" ohne gleichwertige Produktionswirkung 188 hinzunehmen, fand sich auf industrieller Seite noch niemand bereit. Sondierungen und Bemühungen Silverbergs um die zweckmäßigste Konstruktion der Kreditvermittlung strebten einen kühnen Kompromiß an, der sowohl die Widersprüche innerhalb des RDI auszuräumen als auch die Reichsregierung zu gewinnen und Einwände aus der Landwirtschaft selbst zu entkräften versuchte. Dem lag die Erwartung zugrunde, durch die Osthilfe eine Kaufkraftstärkung der mit und von der Landwirtschaft Lebenden und hierdurch auf längere Sicht eine bedeutende Konsumsteigerung, auch eine Minderung der auf dem flachen Lande ebenfalls keimenden Arbeitslosigkeit anbahnen zu können. Silverbergs Vorhaben lief auf einen Ausbau des inneren Marktes in Ergänzung zu den Exportmöglichkeiten der deutschen Industrie hinaus, wobei er die in der ostdeutschen Landwirtschaft liegenden Möglichkeiten von Anbeginn überschätzt haben dürfte. Dem tragenden Gedanken entsprach die Konstruktion, aus der Aufbringung der Industrieumlage Darlehen zu vergeben, deren sukzessiver Abbau von der Landwirtschaft späterhin erwartet wurde, die also keineswegs als dauernde oder verlorene Subventionen galten. Die Bank für deutsche Industrieobligationen sollte als Gläubigerin der beliehenen Betriebe bzw. als Vermittlerin industrieller Kredite an agrarische Kreditinstitute in Erscheinung treten und Führung wie Kontrolle der Kredithilfe zugunsten der ostdeutschen Landwirtschaft übernehmen. 189 Die Interessen der Landschaften mit ihren Banken, die sich in kritischer Lage befanden, wurden ihr untergeordnet. Sie trat aber auch in eine reale wie ideelle Konkurrenz zur Preußenkasse.
187
So Naphtali.
188
Wagemann; s. oben A n m . 184.
189
Zur besonderen Rechtsstellung der Bank für deutsche Industrieobligationen inner-
halb der Osthilfe der Kommentar der zuständigen Referenten im Reichswirtschaftsministerium, K u r t Hamann, Hans Hartenstein, Die Osthilfegesetze. Eine Darstellung der Osthilfemaßnahmen ..., K ö l n 1 9 3 1 , S. 7 3 - 8 6 .
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Industrie und Landwirtschaft verband der Gedanke einer vollständigen Sicherung des der Umschuldung dienenden Zweckvermögens vor Zugriffen des Staates. Dem entsprach die Konstruktion der Obligationenbank, die nur durch ein besonderes Reichsgesetz hätte geändert werden können. 190 Beide Seiten befürchteten aber von der Preußenkasse eine Verwendung der Sanierungsmittel nach Gesichtspunkten der preußischen Politik. Die Reichsregierung war aus diesem Grunde bedacht, eine verbindliche Zusammenarbeit mit Preußen herbeizuführen, sie institutionell zu verankern und vor allem die Preußenkasse, die zur Hauptgläubigerin im Bereich der Personalkredite geworden war, die der Umschuldung unterliegen sollten, in die Konstruktion einzufügen. Dies war die eine Voraussetzung, unter der die Kabinettsberatungen über die Osthilfe begannen. Die andere lag in der faktischen Anerkennung der Grundgedanken einer auch der Öffentlichkeit bekanntgegebenen Denkschrift über die Not der Landwirtschaft und ihre Abwendung, die der Direktor der Deutschen Raiffeisen-Bank, Magnus Frhr. v. Braun, schon im Januar verfaßt und verteilt hatte. 191 In ihrer gründlichen und sachlichen Erörterung wie in ihrer sprachlich knappen Eindringlichkeit war sie eins der besten geistigen Zeugnisse aus dem Kreise der ostdeutschen Erhaltungsinteressen, die ihr Verfasser in mehreren Beziehungen, auch in Erfüllung seines Amtes wahrzunehmen versuchte. Er hatte sich die Vorschläge Silverbergs zu eigen gemacht und in seine Darstellung der Not der ostdeutschen Landwirtschaft und seines eigenen Programmes einbezogen. Von dem Aufsichtsrat einer mit der Rentenbank-Kreditanstalt in Personalunion verbundenen zentralen Bank für landwirtschaftliche Realkredite, in der Funktion als Ablösungsbank, erwartete Braun, daß er „frei von allem Parteiwesen nach rein sachlichen, nur die Steigerung der Produktion berücksichtigenden Gesichtspunkten die Gelder" vergeben würde. Sie sollten nur „zur Ablösung der auf noch sanierungsfahigen landwirtschaftlichen Betrieben der gefährdeten Gebiete lastenden zweiten und weiteren Hypotheken und anderen Schulden dienen". Mit dem letzten Ausdruck meinte Braun — auffallend unauffällig — offenbar in erster Linie Personalkredite, die aber nicht erwähnt wurden, weil sonst doch die Zuständigkeit anderer Bankinstitute, auch der Preußenkasse, eher als die der Rentenbank-Kreditanstalt gegeben gewesen wäre. Braun Schulz, Politik, 1, S. 158 f. 151
Auszüge a. a. O., S. 24—32; Magnus Frhr. v. Braun, Zur Not der Landwirtschaft.
Vorschläge, Berlin 1930. Vgl. ders., Von Ostpreußen bis Texas. Erlebnisse und zeitgeschichtliche Betrachtungen eines Ostdeutschen, 2. Aufl. Stollhamm/Oldb. 1955, S. 201 ff.
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wollte diese Aktion der Landwirtschaft der „gefährdeten Gebiete", Ostpreußen, Pommern, der Grenzmark, einigen Kreisen Brandenburgs und Schlesiens und „vielleicht auch Mecklenburg" zugute kommen und für jeden einzelnen Fall „ohne festes Schema nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten" die vertretbare Verschuldungsgrenze feststellen lassen, bis zu der Umschuldungen durchgeführt werden durften. Seine Vorschläge enthielten aber auch die Bedingung der Buchführungspflicht für die umgeschuldeten Betriebe und deren Kontrolle durch eine Sachverständigenkommission; sie sollte kreisweise durch die jeweilige Provinzoder Landesbank eingesetzt werden. Dies verstand Braun unter der Voraussetzung, daß die Landwirtschaft „selbst tatkräftig ihr Schicksal in die Hand nimmt und sich denjenigen Notwendigkeiten fügt, die die Not des Vaterlandes erfordert". Daß die Verpflichtung einer „einwandfreien Buchführung" nur von größeren landwirtschaftlichen Betrieben, allenfalls solchen mittlerer Größe erfüllt werden konnte, soweit sie sich dieser Verpflichtung unterwerfen wollten, lag auf der Hand. Im Reichsverband der Deutschen Industrie gab es begreifliche Widerstände gegen die Beibehaltung der Industrieumlage, die sich auch einige Männer des Präsidiums zu eigen machten. Der sich hinschleppenden Klärung war es zuzuschreiben, daß die Reichsregierung eine endgültige, über das Haushaltsjahr 1930 hinausreichende Regelung der Finanzierungsfrage zunächst bis zum Herbst 1930 vertagte. 192 Die Stellungnahme des Präsidiums des RDI wurde erst Mitte Mai in der Form eines starken Einspruchs bekannt. 193 Sie wandte sich sowohl gegen die weitere Erhebung der Industrieumlage als auch gegen eine Beteiligung Preußens, die nicht ausdrücklich genannt, aber sachlich eindeutig ausgeschlossen wurde: „Die für das Ostprogramm vorgesehenen Maßnahmen müssen allein vom Reich getroffen werden ... Nur eine einheitliche Linie kann in dieser nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern vielmehr aus politischen Gründen durchzuführenden Osthilfe einen Erfolg versprechen." Diese Äußerung deutete ebenso nüchtern wie skeptisch zumindest einiges von den künftigen Konflikten an. Mit der Erwähnung der „politischen Gründe" bezeichnete sie Umstände wie Eigenarten des Interventionsplans deutlich genug. Die indirekten Einwände gegen den Silverberg-Plan und noch mehr gegen seine Umbiegungen von agrarischer Seite wurden nicht minder entschieden ausgesprochen. 192 Sitzung des Reichskabinetts am 7. Mai 1930; BA, R 43 1/1801; Protokoll AR: Brüning, 1, S. 106—114. Erwägungen bei Grübler, Spitzenverbände, S. 225 ff. 193 Schulz, Politik, 1, S. 162 ff.
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Man wollte auch die Stellung der Industrieobligationenbank unangetastet halten — als Eigentümerin der Umlageeinzahlungen, als unmittelbare Gläubigerin der beliehenen Betriebe sowohl in der Industrie als auch in der Landwirtschaft und als Beteiligte an der Verwaltung der Ablösungsbank. Um in allen Kredit Vorgängen diese deutlich übergeordnete Position zu unterstreichen, wurde hinzugefügt, daß aus der Industrieaufbringung keine Mittel zur Sanierung öffentlicher oder halböffentlicher Kassen verwendet werden dürften; Preußenkasse und Landschaften wurden ausdrücklich ausgeschlossen. Das Ganze war ein Kompromiß. O b man in ihm einen Erfolg Sil Verbergs erblicken soll, 194 muß dahinstehen. Statt des großen Brückenschlags von der Industrie zur Landwirtschaft, der den Intentionen seines Planes zugrunde lag, waren nach den vorzeitig genährten Erwartungen auf agrarischer Seite doch eher Friktionen und Konflikte zu erwarten, die eine Verwirklichung des Ostprogramms hinausschoben und Verhandlungen des RDI mit den zuständigen Reichsministern und dem Reichskanzler auf die Tagesordnung brachten. Die Parteien begannen in den Hintergrund zu treten; das Gesetz des Handelns ging deutlicher als zuvor auf die größten Interessengruppen und die hervorragendsten ihrer Sprecher über. In dem steten Aushandeln der anstehenden Fragen im kleinen Kreis bestimmter Repräsentanten der Landwirtschaft wie des RDI und alsdann, im nachfolgenden Gang, unmittelbar mit den Reichsressorts, wie es am Silverberg-Plan zu beobachten ist, zeichnete sich ein vereinfachter, von Parteien und Parlamenten exemter Entscheidungsprozeß ab, der innerhalb der Gremien der beteiligten Großverbände abgesichert wurde, aber auf stark personalisierten Beziehungen beruhte. Eine primär quasikorporative, sekundär administrativ-autoritäre Alternative zum Parteienparlamentarismus deutete sich an — und mehr als das, auch wenn man es gar nicht theoretisch und prinzipiell betrachtete: Sie ging in die Erprobung, „learning by doing". Die Beziehungen der Reichsregierung zum RDI und zu den interessierten Kreisen der Landwirtschaft blieben in dieser Hinsicht ebenso unbestimmt wie die zu den preußischen Instanzen. Allerdings vermochte der Reichskanzler, mit der nun unentbehrlich werdenden Hilfe der Zentrumsminister und Zentrumsfraktion in Preußen, immer noch am ehesten einen glättenden Kompromiß zu erreichen. Das Bild eines „heillosen Durcheinanders" 195 entwickelte sich dann unversehens, als regionale 154 195
So Grübler, a. a. O. Pünder, Reichskanzlei, S. 52.
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Interessenorganisationen in teilweise umfangreichen Adressen ihre Einsprüche und Vorschläge präsentierten, denen mitunter recht bizarre Gedanken zugrunde lagen. 196 Hier bestätigt sich die Beobachtung, die die radikale Agitation des Landwirtschaftsverbandes Ostpreußen 1929 veranlaßt hatte: daß eine etwas zurückhaltende Tonart oder Taktik oder gar Verhandlungen des Reichslandbundes sogleich durch starke Eigenwilligkeiten regionaler Organisationen übertrumpft wurden, was auch der DNVP Hugenbergs neue Chancen für einen Bodengewinn in der Landwirtschaft eröffnete. Auf drastisches Konstatieren und Postulieren verstand man sich in diesem Teile Deutschlands stets besser als aufs Differenzieren und Moderieren oder gar aufs Tolerieren. Die einstweilen nicht vorankommende Klärung von bankrechtlichen und verfahrenstechnischen Fragen, über die Anteile der Umlage, die der Umschuldung zugute kommen sollte, und schließlich die gesetzliche Änderung des Charakters der Obligationenbank, die der entsprechenden Reichstagsmehrheit bedurft hätte, 197 veranlaßte die Reichsregierung am 14. Juli, die große Entscheidung auf den Herbst zu vertagen. 198 Die am Nachmittag des 15. Mai scheinbar erreichte letzte Einigung der Reichsminister 199 blieb somit von begrenzter Reichweite und mehr Provisorium als Entscheidung. Der Vollstreckungsschutz sollte eine befristete Exemtion von den geltenden schuldrechtlichen Bestimmungen schaffen und nur für Anträge in Betracht kommen, die nach Verkündigung des — vom Reichstag noch gar nicht behandelten — Gesetzes, aber vor dem 31. Oktober gestellt wurden. Im Hinblick sowohl auf die Ablösungsbank als auch auf die Bürgschaft für ihre Umschuldungstätigkeit wurde ein Einvernehmen mit der preußischen Regierung zur gemeinschaftlichen Erarbeitung von Durchführungsverordnungen beschlossen, was es bis dahin noch nicht gegeben hatte. Sogar die Ernennung eines gemeinsamen Kommissars der Reichs- und der Staatsregierung wurde vorgesehen, der
1%
Der Schlesische Provinziallandtag sandte auch am 14. Mai ein mehr als 1600 Worte
umfassendes Brieftelegramm an den Reichskanzler, in dem neue, teils komplizierte Forderungen erhoben wurden, darunter die nach gesetzlicher Änderung des Reichsfinanzausgleichs wie des innerpreußischen Finanzausgleichs „zugunsten des Ostens". BA, R 43 1/ 2389. Es ist nicht möglich, die Vielzahl der Vorschläge aufzuführen. Hier kann nur ihre Häufung vermerkt werden. 1,7
Aufzeichnung Bötzkes über eine Besprechung mit Silverberg am 21. Mai und Brief-
wechsel Silverbergs im Mai und Juni 1930; B A , Nachl. Silverberg/574. 198
Reichsministerbesprechung am 14. Juli 1930; A R : Brüning, 1, S. 306. a . a . O . , S. 1 2 8 - 1 3 1 .
80
I. Die Regierung Brüning 1930
für die Durchführung zu sorgen hatte, mit beiden Kabinetten Verbindung halten und die zuständigen Minister — unter seinem Vorsitz — einberufen sollte, 200 eine unzulänglich entwickelte und schließlich an ihren Mängeln gescheiterte Konstruktion. Brüning dachte allerdings schon an die Ernennung eines Reichsministers zum Kommissar und hierbei wohl an seinen Freund Treviranus, mit dem er zu Ostern während des gemeinsamen Aufenthaltes in Badenweiler einiges vorbesprochen hatte.
200
Beschluß in der Reichsministerbesprechung am 19. Mai 1930; a. a. O., S. 143.
ZWEITES
KAPITEL
Übergang zur Deflationspolitik und Auflösung des Reichstags Unsichere
Grundlagen
Inmitten der langwierigen, zusehends schwieriger werdenden Verhandlungen über die Durchführung des Ostprogramms der Reichsregierung verbreiteten sich Mitte Mai 1930 erstmals Gerüchte über eine Umbildung der Regierung Brüning im „Herbst". 201 Darin drückten sich Kritik und Entmutigung jener Kreise aus, die der neuen Regierung und vor allem dem Reichskanzler gegenüber von Anbeginn mehr Distanz oder Vorbehalte als Zuversicht an den Tag gelegt hatten. Das von den Deutschnationalen Hugenbergscher Richtung geschürte Mißtrauen begann „Früchte" zu tragen. Die sich hinschleppenden Verhandlungen über Ostund Agrarprogramm, die der Regierung faktisch über die erste Kraftprobe im Reichstag hinweggeholfen hatten, wirkten bald weithin dämpfend. Aber auch das Zögern der Parteien — neben dem Zentrum und der BVP — der Mitte bis zur Rechten, soweit sie personell an der Reichsregierung beteiligt waren, sich enger zusammenzuschließen, förderte Mißmut und Unmut im Hinblick auf den Kanzler, den manche hintergründig am Werk glaubten. Seit Anfang April standen die parlamentarischen Führer von DVP, DDP, der Volks konservativen, der Wirtschaftspartei und Abtrünnige der DNVP in Unterhandlungen über die Bildung einer gemeinsamen parlamentarischen Arbeitsgemeinschaft. 202 Der Gedanke an eine Reichstagsauflösung und -neuwahl mag in die Überlegungen eingeflossen sein, spielte aber eine untergeordnete Rolle. Schwerer wog die seit Jahren mehrfach wiederkehrende Absicht, die bürgerliche Sammlung nach rechts fester zu kitten, um das Zentrum stärker zu binden und entweder aus der engen Koalition mit der SPD in Preußen zu lösen oder mit seiner Hilfe eine wesentliche Verbreiterung der preußischen Regierung — unter 201 202
Gilsa an Reusch, 17. Mai 1930; Schulz, Politik, 1, S. 166. Bericht Gilsas vom 21. Mai; a. a. O., S. 167 ff.
82
I. Die Regierung Brüning 1930
Einbeziehung der DVP oder eben der „Sammlung" — zu erreichen. Sicherlich wurde richtig erkannt, daß sich Brüning hierzu nicht hergeben würde, wahrscheinlich auch nicht konnte und daß er sich kaum in der Lage sah, den zu erwartenden Forderungen des preußischen Ministerpräsidenten auf Beteiligung an der Reichsregierung angemessen zu begegnen. In diesem Lichte erschien Brüning weder als der geeignete Mann, das „preußische Problem" zu lösen, noch um überhaupt etwas dazu beizutragen, „daß nun endlich das Bürgertum in einer weithin sichtbaren politischen Aktion die Führung stärker in die Hand nimmt". 203 Allerdings fehlte es auch an anderen Voraussetzungen hierzu, so daß der Betrachter zögert, in einer derartigen Sammlung oder gar Koalition den Keim einer denkbaren Alternative zu der anders verlaufenen politischen Entwicklung zu erblicken. Sachliche und persönliche Vorbehalte verschiedener Art bestanden auf fast allen Seiten und wogen, insgesamt genommen, schwer belastend, auf längere Sicht niederdrückend und zermürbend. Sie wurden bislang wenig erörtert und können hier nicht im einzelnen untersucht werden, wenn auch dem Tatbestand im ganzen ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Die für die Weimarer Republik bezeichnende Tatsache, daß alle drei bürgerlichen Parteien, die einst mit dem Anspruch angetreten waren, das Bürgertum politisch zu sammeln, in den ersten Monaten der Regierung Brüning ihre entscheidende Niedergangsphase erlebten, kann nur nachdrücklich hervorgehoben werden: Die nach links Anhalt suchende und Koalitionsfahigkeiten entfaltende DDP stand jetzt ihrem Ende näher als einem Aufschwung. Die DVP, die nach der DDP die führende Rolle in der Politik beansprucht und unter Stresemann zeitweilig auch erreicht hatte, befand sich in einer inneren Krise, die den unaufhaltsamen Abstieg anzeigte. Die große Sammlungspartei der Rechten, die DNVP, die 1924 für kurze Zeit sogar die zahlenmäßig stärkste Reichstagsfraktion stellen konnte, hatte an den zermürbenden Folgen der unter dem Einfluß der Hugenbergianer immer weiter nach rechts ausgreifenden radikalen Parolen zu leiden. Dieses kürzer- oder längerfristige Scheitern jener Parteien, die mit guten Gründen als die bürgerlichen Parteien der Republik galten und von denen die ersten beiden — zeitweilig auch die letzte — für wesentliche Teile der Reichsverfassung, wenn auch nicht für die Verfassung insgesamt und ohne Einschränkung, eintraten, wies die politische Führung entweder der stärksten Arbeiterpartei zu, der SPD, die
203
a. a. O., S. 169.
Übergang
Deflationspolitik
und Auflösung des Reichstags
83
sich auf die preußische Position und die Innenpolitik endgültig festgelegt hatte, o d e r dem Z e n t r u m , das o h n e A n l e h n u n g allein nicht regieren konnte. D i e Diskussionen i m Parteivorstand u n d im Parteiausschuß der D D P bezeugen w e i t g e h e n d e V e r w i r r u n g u n d f o r t s c h r e i t e n d e n Zerfall der Partei, der nach Beginn der R e g i e r u n g B r ü n i n g in sein letztes Stadium trat. Das notorisch hinhaltende Taktieren K o c h - W e s e r s w u r d e augenscheinlich in seiner G r u n d h a l t u n g p r o f u n d e r O p p o s i t i o n gegen eine K o a l i t i o n o d e r gar n o c h engere V e r b i n d u n g der M i t t e - R e c h t s - G r u p p e n 2 0 4 n o c h gar nicht erkannt. A l l e r d i n g s m u ß t e er innerhalb d e r D D P auf
divergierende
Reaktionen fast in jedem Falle gefaßt sein. I n n e r h a l b der sehr lockeren S t r u k t u r dieser Partei k o n n t e schon ein entschiedener, in die Ö f f e n t l i c h keit lancierter o p p o n i e r e n d e r Schritt einiger w e n i g e r A b g e o r d n e t e r , g a r schon eines halben D u t z e n d s Mitglieder eines O r t s v e r b a n d e s , A u f s e h e n e r r e g e n . 2 0 5 Was moralisch in entschlossener M a n i e r als das G e w i s s e n d e r Republik ausgegeben w u r d e , fand bisweilen n u r in w e n i g e n
Köpfen
Platz, die unter anderen Umständen k a u m den Bestand einer k o m m u nalpolitischen E n t s c h e i d u n g gewährleistet hätten.
In der Sitzung der Reichstagsfraktion der DVP gab der Vorsitzende Scholz an, daß die Verhandlungen über eine parlamentarische Arbeitsgemeinschaft am Widerstreben sowohl der DDP als auch der Volkskonservativen gescheitert seien. BA, R 45 II/67. In der Sitzung des Parteiausschusses der DDP am 25. Mai deutete Koch-Weser, wie die Sitzungsniederschrift überliefert, nur in vorsichtigen Hinweisen diese Verhandlungen an, die im übrigen, wie die Debatte zeigt, wenig Verständnis und kaum Zustimmung gefunden hätten. Lediglich Hellpach befürwortete engere Verbindungen zur DVP und zu den Volkskonservativen und trug einen von Frhr. v. Richthofen und auch Stolper unterstützten Antrag vor, der „die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer großen neuen Parteischöpfung der volksbürgerlichen Zusammenfassung" bejahte, dann aber wieder zurückgezogen wurde. Koch-Weser kleidete bezeichnenderweise seine eigene Stellungnahme in ein mehrfaches Dementi: „1. Bei der Frage der Koalition Brüning hat die Frage der Neuordnung des Parteiwesens überhaupt keine Rolle gespielt ... 2. Niemals hat jemand von uns an eine Fusion mit der Deutschen Volkspartei gedacht ... 3. Es haben niemals Verhandlungen wegen einer Mandatsverteilung unter den Parteien stattgefunden." Auf diese Weise vermied Koch-Weser die Feststellung, es sei nicht mit anderen Parteien verhandelt worden, die unrichtig gewesen wäre. Protokoll auszugsweise abgedruckt Schulz, Politik, 1, S. 178—185; jetzt vollständig Albertin, Linksliberalismus, S. 533 — 553. 205 Koch-Weser beklagte sich über eine weithin bekanntgewordene „Protestresolution" des Bezirksvereins Berlin-Mitte unter dem Vorsitz des einflußreichen Redakteurs Feder. Von insgesamt zehn anwesenden Parteimitgliedern stimmten ihr sechs zu. Albertin, Linksliberalismus, S. 537; vgl. Ernst Feder, Heute sprach ich mit... Tagebücher eines Berliner Publizisten 1926—1932, hrsg. von Cécile Lowenthal-Hensel und Arnold Paucker, Stuttgart 1971, S. 257 ff. 204
84
I. Die Regierung Brüning 1930
Einerseits versuchte die DDP, so auch in Preußen, das Bündnis innerhalb der Weimarer Koalition aufrechtzuerhalten, anderseits Distanz zu den mächtiger hervortretenden Interessengruppen zu beobachten, was aber nicht alle Abgeordneten mitmachten. Sie blieb mit Dietrich in höchst verantwortlicher Stelle an der Regierung Brüning beteiligt; und die Vertreter der Landwirtschaft in ihren Reihen stimmten dem Agrarprogramm Schieies zu, was sogar Dietrich zu weit ging, der — wie auch Höpker-Aschoff — wenig Vertrauen in Schieies Vorhaben bekundete und es als taktischen Schachzug bewertete, womit er übrigens den Urteilen im Hugenberg-Flügel der DNVP nahekam. Unverhältnismäßig große Beachtung fand vorübergehend eine kleine und wenig bedeutende Sondergruppe unter der Führung des jungen Reichstagsabgeordneten Emst Lemmer, der „Sozialrepublikanische Kreis", der eine nach links tendierende Haltung vor allem jüngerer Parteimitglieder zu vertreten suchte und innerhalb der Parteiführung keinen Spielraum finden konnte. 206 Daß viel, vielleicht alles auf dem Spiel stand, ist von dem ehemaligen badischen Staatspräsidenten Hellpach Ende Mai 1930 am deutlichsten, wenn auch nicht ohne Widerspruch gesagt worden: daß es weniger um Einzelfragen und um Taktik gehe als um große und fundamentale Entscheidungen, vor allem um die, „ob wir in drei Jahren noch eine demokratische Republik oder eine Republik des kalten Faschismus haben werden. Es handelt sich nicht um das Schicksal der Demokratischen Partei, sondern der Demokratie..." 207 Doch trotz warnender Worte war diese klein gewordene Partei weit entfernt davon, zu einer Einigung über die Erklärung der Ursachen ihres Niedergangs wie über ihren künftigen Weg zu gelangen. Die Mehrheit begnügte sich, aus dem beiläufig gefundenen neuen Namen einer „Staatsbürgerlichen Partei" so etwas wie einen neuen Appell herauszuhören. Auch Größe, Gestalt und Politik der „volkskonservativen" Sezessionsgruppe unter Führung von Treviranus und Lindeiner-Wildau schienen ungewiß. Treviranus hatte durch die Empfehlung des Reichspräsidenten, ihn zum Reichskommissar für die Osthilfe zu ernennen, nur äußerlich eine Aufbesserung seiner politischen Stellung erhalten. Nicht nur die ungeklärten Verhältnisse der Osthilfe, auch offenkundige Animositäten 206
Albertin, Linksliberalismus, S. 532, 540, 550, 554, 572, 5 8 4 f . , 5 9 0 f . , 593, 597 f. Nach
Feder, Heute, S. 258, 259 unterstützten außer ihm auch Abegg und wohl Erkelenz den Versuch Lemmers. 207
Albertin, Linksliberalismus, S. 542 (25. Mai 1930).
Übergang %ur Deflationspolitik
und Auflösung des
Reichstags
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Schieies drohten die deutschnationalen Sezessionisten auseinanderzutreiben; daß man sie bereits als „Westarp-Gruppe" titulierte, war recht bezeichnend. Weder Treviranus noch Lindeiner-Wildau vermochten die aufmerksamen Beobachter des Spaltungsvorgangs in der Reichstagsfraktion der DNVP zufriedenzustellen. Als eigentlicher Gegenspieler Hugenbergs galt eben doch Graf Westarp. Dieser gehörte aber ebenso wie Schiele noch der DNVP an, wenngleich die Hoffnung auf seine Trennung von dieser Partei begründet schien. Reichsregierung wie Reichstag standen unterdessen vor schwierigen Aufgaben, deren Lösung unter ungesicherten parlamentarischen Voraussetzungen einigermaßen problematisch erschien, so daß ebensowohl Kritik am unentschlossenen Reichskanzler als auch Stimmung für die Erneuerung einer „großen Koalition" aufkam. Schwer wog die Behandlung der Agrarfrage. Aufgrund des vom Reichspräsidenten unterstützten Programms Schieies war sie die aktuelle, aber nicht die einzige Existenzfrage der Regierung geworden. Die größten Entscheidungen, die man vom Kanzler erwartete, die Reichsfinanzen zu konsolidieren und die wirtschaftliche Lage durch einschneidende Maßnahmen auf finanziellem und sozialpolitischem Gebiet zu bessern, schienen noch gar nicht in Angriff genommen. Sein Programm begann zunächst mit einer Ausgabensenkung im gesamten öffentlichen Bereich. Die Regierung mühte sich, sowohl ihr Versprechen zu erfüllen, den Reichshaushalt zu sichern, als auch dem ständigen Drängen der Industriellen nach Kostensenkung nachzukommen und die häufig beklagten hohen Selbstkosten für deutsche industrielle Erzeugnisse mit Rücksicht auf die Exportaussichten zu mindern. Das Nachgeben der Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt schien günstige Voraussetzungen für eine Senkung des gesamten Preisspiegels zu schaffen. Ausgaben-, Kosten- und Preissenkung gingen von Anfang an Hand in Hand. Die Dominanz des Exportgesichtspunktes entsprach allerdings den Prinzipien, die den Reparationsregelungen sowohl nach dem Dawesals auch nach dem Young-Plan zugrunde lagen, und ließ sich schon deshalb nicht abweisen, auch wenn sie mit Opfern in der Sozialpolitik erkauft werden sollte. „Alle diese Maßnahmen werden vielleicht nicht ohne innere Erschütterungen und Unruhen durchgeführt werden können; wenn man aber von vornherein energisch zupackt, dürfte die Ruhe wohl bald und endgültig wiederhergestellt werden", schrieb Gilsa dem Großindustriellen Reusch; vorauszusetzen sei, „daß einmal die loyale Zusammenarbeit Brünings mit den Rechtskreisen fortbesteht und daß die Person des Reichspräsidenten als Rückhalt des Ganzen uns erhalten
86
I. Die Regierung Brüning 1930
bleibt". 208 Er behauptete auch, daß ihm „Abmachungen zwischen Hindenburg und Groener" über eine Nachfolge in der Reichspräsidentschaft „im Falle ernster Erkrankung" bekannt geworden seien. Die Frage der Nachfolge mußte weiter Vorausschauende angesichts der Bedeutung, die das Amt des Reichspräsidenten erlangt hatte, gewiß bewegen oder gar beunruhigen. Bei einem gewöhnlich gut unterrichteten Manne wie Gilsa wird man den Wert dieser Mitteilung nicht unterschätzen dürfen. Ob der Reichstag vorher aufgelöst und neu gewählt werden würde oder nicht, auch die für 1932 anstehende Wahl des Reichspräsidenten blieb zu bedenken. Die Frage nach dem künftigen Reichspräsidenten hatten Hugenberg und andere bereits aufgeworfen. Zu diesem Zeitpunkt schien sich eine Nachfolgekandidatur des Reichswehrministers Groener sowohl für das Kanzleramt als auch für die Reichspräsidentschaft anzubieten, was ein Schlaglicht auf den Wandel im politischen System wirft, aber auch die zunehmenden Angriffe auf den im 63. Lebensjahr stehenden ehemaligen General erklärt. Der historische Betrachter sieht Groener in den Jahren 1929 bis 1931 weiter in den Mittelpunkt der Ereignisse gerückt, als dem Eindruck entspricht, den seine wenig glückliche Rolle nach den Ereignissen in der zweiten Regierung Brüning 1931/ 32 vermittelt. 209
Preis- und lohnpolitische
Orientierungsfragen
Die ausführlichen Berichte, die der Reichstagsabgeordnete v. Gilsa Reusch erstattete, ergeben vor allem eine Chronik der sich mehrenden Probleme der Wirtschaft. Der Ausgleich des Reichshaushalts erschien erneut gefährdet, noch ehe er verabschiedet war. Dies ging zum großen Teil auf die wieder zunehmende Arbeitslosigkeit zurück, die auf der einen Seite Steuerausfalle, auf der anderen neue Belastungen durch die ErSchulz, Politik, 1, S. 166. Noch in einem Bericht vom 9. Oktober 1930 an den britischen Botschafter Sir Horace Rumbold bezeichnete der Militärattache Colonel Marshall-Cornwall Groener „as the greatest and perhaps only political genius in Germany today". Francis L. Carsten, Britain and the Weimar Republic. The British Documents, London 1984, S. 255 f.; auch ders., Reichswehr und Politik 1 9 1 8 - 1 9 3 3 , Köln/Berlin 1964, S. 346 ff.; Otto Geßler, Reichswehrpolitik in der Weimarer Zeit, hrsg. von Kurt Sendtner, Stuttgart 1958, S. 507 f., 552, 555; Treviranus, Ende, S. 283ff.; hierzu auch Theodor Eschenburg, Die Rolle der Persönlichkeit in der Krise der Weimarer Republik. Hindenburg, Brüning, Groener, Schleicher, in: V Z G , 9 (1961); wieder abgedruckt bei Eschenburg, Die improvisierte Demokratie. Gesammelte Aufsätze zur Weimarer Republik, München 1963, bes. S. 250 ff. 208 209
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werbslosenfürsorge brachte. Im Laufe des Juni begann die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen, nach kurzem Rückgang, wieder zu wachsen; im September lag sie erneut über 3 Millionen. Hiervon erhielten nur noch 1,413 Millionen Arbeitslosenunterstützung, 473000 die geringere Krisenunterstützung; 541 000 nahmen bereits als langfristig und ausgesteuerte Erwerbslose die Wohlfahrtsfürsorge der Gemeinden in Anspruch. 210 Die Arbeitslosigkeit war nicht mehr bloß Mangel- und Warnzeichen eines saisonbedingten Auf- und Abschwungs der Konjunktur, sondern schien zum steinernen Gast in dem Drama einer unaufhaltsamen wirtschaftlichen Krise zu werden. Noch ehe sich die Gemeinden als Endglieder dieser irreversiblen Belastungskette 2,1 über ihre Spitzenverbände zur Wehr setzten, meldete die Industrie Befürchtungen wegen der Vermehrung der Arbeitslosenversicherungslasten an. Ihre ständigen Sorgen um die Kostengestaltung wurden infolge der Krisenwirkungen auf dem Weltmarkt durch den fortschreitenden Preisdruck verstärkt. Ein Ausweg konnte wohl darin liegen, dieser Entwicklung durch eine allgemeine Absenkung des Preisniveaus nachzugeben und dies mit einer generellen Lohnsenkung zu verknüpfen, die der Minderung der Lebenshaltungskosten Rechnung trug, soweit das Reallohnniveau annähernd stabil blieb. Allerdings setzten derartige Absichten gemeinsame Abreden und einigermaßen überschaubare Entwicklungen voraus. Dem lagen jedoch Hindernisse im Wege. Die durch die fortschreitende Kartellierung erreichten Preisfixierungen, die zunächst invariablen Kosten mittel- und langfristiger Kredite und schließlich die geringe Beweglichkeit der durch Zwischenhandel und Preisbindungen, auch bei sinkenden Erzeugerpreisen, festgehaltenen Verbraucherpreise leisteten einer weltwirtschaftlichen Druckwirkung auf die Preise beharrlichen Widerstand, so daß das innerdeutsche Preisniveau, von einigen Ausnahmen abgesehen, noch einige Zeit beständig blieb, ehe es zögernd nachgab; die für den Massenkonsum gravierenden Verbraucherpreise zogen sogar noch etwas an, so daß der Lebenshaltungskostenindex im Juni 1930, als sich eine erneute Zunahme der Arbeitslosigkeit erkennen ließ, über dem des Vormonats lag. 212 Es bedurfte also
210
Statistische Beilage zum Reichsarbeitsblatt, Nr. 1 (1930); vgl. auch Marcon, Arbeits-
beschaffungspolitik, S. 4 2 8 ff. (Tabellenanhang). 2,1
Hierzu Rebentisch, Kommunalpolitik.
212
Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1930, hrsg. v o m Statistischen Reichs-
amt, S. 275.
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größerer Anstrengungen, auch entsprechender Entscheidungen der Reichsregierung, um eine Änderung herbeizuführen. Doch in dieser Hinsicht zeigten die größten Spitzenverbände divergierende Neigungen. Während der Deutsche Industrie- und Handelstag im Juli den angeschlossenen Kammern und ihren Mitgliederfirmen empfahl, die Richtung auf eine generelle Preissenkung einzuschlagen, blieb der RDI solchen Appellen gegenüber skeptisch und hielt er an der Verbindung mit einer generellen Lohnsenkung fest. Die einflußreiche „Nordwestliche Gruppe" und „Arbeitnordwest" verfolgten mit aller Entschiedenheit eine Senkung der Produktionskosten, von der sie eine wirtschaftliche Belebung erhofften. 213 Daß Lohnsenkungen mit ohnehin gebotenen Preissenkungen verknüpft werden mußten, war kaum umstritten; doch die Forderung nach Begrenzung der Kostenbelastung der Wirtschaft durch Staat und öffentliche Körperschaften wurde zumindest gleichrangig eingestuft, gar eine günstigere Bilanz erhofft: durch die Gewähr einer Eindämmung der Arbeitslosenlasten, eine generelle Gehalts- und Lohnsenkung für die Arbeitnehmer der öffentlichen Hand und durch Verzicht auf Erhöhung der die Wirtschaft belastenden Steuern. Im Gefolge der schwindenden Konjunktur sollte der Ausgleich des Reichshaushalts durch Ausgabenminderungen des Staates wie der Gemeinden, nicht im Anziehen der Steuerschraube gefunden werden. Praktisch bedeutete dies Ausgabensenkung, Lohnsenkung und Gehaltskürzung in der Wirtschaft wie im öffentlichen Dienst, für die auf der anderen Seite die fälligen Preissenkungen in Aussicht standen, deren Ausmaß, Charakter, Einheitlichkeit und Wirkung — schließlich auch steuerpolitische Auswirkung — noch im dunkeln blieben. Es stand kaum in Frage, daß jetzt keine Entscheidung an einem deflationären Kurs vorbeiführte. Unter den geschilderten Umständen wurden der Reichsregierung schwere Lasten aufgebürdet. Doch das Vertrauen, das sie bislang errungen hatte, schien begrenzt und war eher gering zu nennen, so daß Befürchtungen eines wachsenden Bodengewinnes Hugenbergs und seiner Anhänger ebenso aufkommen konnten wie Überlegungen, ob die Regierung einer „großen Koalition" — unter Einschluß der SPD — unter den derzeitigen Verhältnissen nicht günstigere Aussichten eröffnete. 214 Im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Zuständigkeit konnte das Reich auf dem Wege der ordentlichen Gesetzgebung lediglich eine allgemeine Kürzung der Beamtengehälter und Pensionen vornehmen. Frei2.3
Vgl. Grübler, Spitzenverbände, S. 268 f.
2.4
Schulz, Politik, 1, S. 175 f.
Übergang
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und Auflösung
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lieh waren Einsprüche und Widerstände der Betroffenen und ihrer Verbände, mithin beträchtliche politische Schwierigkeiten zu gewärtigen. Aber erst die Verbindung mit einer generellen Lohn- und Gehaltssenkung und dem Preisabbau verlieh einer solchen Maßnahme den rechten Sinn und vermochte ihre psychologische wie wirtschaftliche Härte zu mildern. Dies lag außerhalb der Gesetzgebungskompetenz des Reiches; zudem hätte sich im Reichstag keine ausreichende Mehrheit für einen Weg gefunden, der so offenkundig zu einer einschneidenden Deflationspolitik überleitete. Die Regierung mußte sich daher anderer Mittel bedienen. Mit Hilfe des Artikels 48 zu regieren, „wenn hier irgendwelche Schwierigkeiten auftreten sollten", war bereits Ende Mai ein denkbarer, wenn auch noch nicht zwangsläufiger Ausweg. Die gleiche Quelle überliefert schon den Gedanken, durch umfassende „Wirtschaftserleichterungen" am Ende auch „zu einer Revision des Neuen Planes zu kommen", die Reparationslasten nach dem Haager Abkommen zu kürzen oder abzuwälzen: Falls es gelänge, „unsere Produktionskosten stark zu senken, werden wir unseren Gläubigermächten ein so unangenehmer Konkurrent auf dem Weltmarkt werden, daß sie bald die Unsinnigkeit ihrer Reparationsforderungen fühlen werden". 2 1 5 Für derartige Vorhaben schien auf längere Sicht ein engeres Bündnis von Landwirtschaft und Industrie erforderlich und sogar in Aussicht, sofern dies die Durchführung des Ostprogramms erleichterte. Unter diesen Voraussetzungen führten Vertreter des R D I sowie der Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (VDA) unter maßgeblicher Beteiligung des ehemaligen Reichswirtschaftsministers v. Raumer die von Kastl im stillen angebahnten Verhandlungen mit Vertretern der Gewerkschaften, um ein Lohn- und Preissenkungsprogramm auf breiter Basis abzusichern und eine Einigung in Tarif- und Arbeitslosenversicherungsfragen — des Konfliktstoffes der letzten Jahre — zu erreichen. Der Versuch, zunächst informell an Gemeinsamkeiten der Zentralarbeitsgemeinschaft anzuknüpfen, die von November 1918 bis März 1924 bestanden und eine vertraglich und satzungsgemäß verankerte Zusammenarbeit der Spitzenverbände von Arbeitgebern und Gewerkschaften begründet hatte, 216 stand allerdings nicht unter günstigen Vorzeichen. Alle Ge-
Gilsa an Reusch, 24. Mai; a. a. O., S. 172 f. Zur Entstehung Friedrich Zunkel, Industrie und Staatssozialismus. Der Kampf um die Wirtschaftsordnung in Deutschland 1914-1918, Düsseldorf 1974, S. 1 8 8 - 2 0 0 ; Gerald D. Feldman, German Business Between War and Revolution. The Origins of the StinnesLegien Agreement, in: Entstehung und Wandel der modernen Gesellschaft. Festschrift für 2.5
2.6
I. Die Regierung Brüning 1930
90
werkschaften litten ähnlich wie die großindustriellen Unternehmen 217 unter der nachlassenden Beschäftigung. Lohnherabsetzungen in Verbindung mit wirksamen Preissenkungen erschienen nur durchführbar, sofern die Lebenshaltung nicht beeinträchtigt wurde und eine Minderung der Arbeitslosigkeit erwartet werden konnte. Die Unterhändler des ADGB verloren die drohende Gefährdung des Traditionsbestandes gewerkschaftlicher Autorität nicht aus den Augen, vermochten sich indessen der Zwangslage ..nicht zu entziehen und gaben ihre Bereitschaft zur Mitwirkung an der Beseitigung der Notstände, vor allem an einer Eindämmung der Arbeitslosigkeit zu erkennen. Sie konnten freilich nicht von sich aus zu unmittelbar greifbaren Ergebnissen beitragen; und von allgemein diskutierten und interessierenden Möglichkeiten blieben nur wenige als öffentlich bekundete Forderungen übrig, wie die Verminderung der Arbeitszeit, Verbilligung von Krediten, von Kapitaleinfuhren und Senkung der Lebenshaltungskosten. Der Plan einer großen Zahl von Demonstrationen im ganzen Reichsgebiet wurde „auf Zureden" 218 schnell fallengelassen und nie wieder aufgegriffen. Der führende Unterhändler der Arbeitgeberseite, v. Raumer, erklärte befriedigt, daß auf Seiten der Gewerkschaften „der Wunsch, mit uns sich zusammenzusetzen, ... fast stärker ist als bei uns". 219 Auf der anderen Seite behaupteten sich indessen stets Vorbehalte und abweichende Auffassungen, die aus der Lage noch ganz anderen Nutzen
Hans
Rosenberg
zum
65.
Geburtstag,
hrsg.
von
Gerhard
A. Ritter, Berlin
1970,
S. 3 1 2 — 3 4 1 . Die gegen Widerstände auf beiden Seiten geschaffene und fortgesetzte A r beitsgemeinschaft bestimmte in ihrer „Vorläufigen Satzung" v o m 12. Dezember 1919 als Zweck „die gemeinsame Lösung aller die Industrie und das Gewerbe Deutschlands berührenden wirtschaftlichen und sozialen Fragen sowie aller sie betreffenden Gesetzgebungsund Verwaltungsangelegenheiten". Diese umfassende Aufgabe wurde nie erfüllt. Dies führte zum Niedergang und zur Kündigung der Arbeitsgemeinschaft durch den Afa-Bund und den A D G B 1924, w o m i t ihre Tätigkeit praktisch endete. Hierzu Heinrich Kaun, Die Geschichte der Zentralarbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands, Diss. Wirtschaftshochschule Berlin, Jena 1938, S. 125 ff., 128 ff., 1 1 8 ff. 217
Zahlen zur Lage im Gebiet der „nordwestlichen Gruppe" bei Bernd Weisbrod,
Schwerindustrie in der Weimarer Republik. Interessenpolitik zwischen Stabilisierung und Krise, Wuppertal 1978, S. 480. Gegenüber dem Höchststand der Beschäftigtenzahl im Juli 1929 war bereits bis Frühjahr 1930 jeder Zehnte arbeitslos geworden. Die Kapazität der Vereinigten Stahlwerke wurde 1929 zu 75,8 Prozent genutzt, 1930 nur zu 5 1 , 6 Prozent (1931: 35,5, 1932: 23,9 Prozent). 2,8
Blank an Reusch, 31. Mai; Schulz, Politik, 1, S. 186 f.
219
Gemeinsame Sitzung der Vorstände von RDI und V D A , 13. Juni; a. a. O., S. 218.
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zu ziehen versuchten, als sich in den Verhandlungen des RDI und der Arbeitgeber mit den Gewerkschaftsführern 220 jemals erreichen ließ. In gewohnter Deutlichkeit drückte Silverberg die Alternative aus, vor der sich die tonangebenden Großunternehmer sahen: Man stehe vor der Entscheidung, „die Gewerkschaften gehen und vielleicht fallen zu lassen oder sie noch einmal zu stützen, um sie noch einmal gebrauchen zu können" 221 und mit ihnen eine gemeinsame Pression auszuüben. Piatscheck vom Mitteldeutschen Braunkohlensyndikat hielt die Verhandlungen mit den Gewerkschaften „für verfrüht, denn unsere Bataillone sind viel schwächer"; er wollte aufs Ganze gehen und den Arbeitskampf unter den günstig erscheinenden Bedingungen mit aller Härte führen — „das erfordert unter Umständen Leichen" —, wenn „ein Wandel der Geister" eintreten könne; „denn von dem Zeitpunkt ab wird die Arbeiterschaft an ihren Führern irre". Die interessante Frage: „Und wo gehen dann die Arbeiter hin ... zu uns oder zu den Kommunisten?" ließ vielleicht bei manchen Zuhörern Zweifel aufkommen, aber gewiß nicht bei allen. 222 „Wir haben keine Solidarität in unseren Arbeitgeberkreisen", im Unterschied zu den Gewerkschaften, konstatierte Piatscheck; hierin hatte er allerdings recht. Die Folgerungen aus der Situation entwickelten sich kontrovers. Die Möglichkeiten methodisch zu nutzen, um Preisnachlaß mit Lohndruck zu verbinden und in Verhandlungen abzusichern, wie es etwa Poensgen empfahl und auch praktizierte, blieb nur eine Absicht unter anderen. Von ihr distanzierten sich jene, die von Gesprächen und Verhandlungen mit den Gewerkschaften notorisch nichts erwarteten, wie etwa Fritz Thyssen. Ernst v. Borsig widerstrebte die gesamte Problematik der vorhandenen Materie von Lohn- und Gehaltssenkungen, solange Tarif- und Schlichtungswesen beibehalten wurden; er wollte alles der Entwicklung überlassen, in der, wie er meinte, von selbst „bald Früchte reifen" würden. Kaum anders äußerten sich Thyssen, Blohm und Wittke, der Sprecher Zu den Verhandlungen nach den jetzt gedruckt vorliegenden Akten schon Udo Wengst, Unternehmerverbände und Gewerkschaften in Deutschland im Jahre 1930, in: V Z G , 25 (1977), S. 102 ff. 221 Niederschrift der gemeinsamen Besprechung des Präsidiums des RDI und des Vorstandes der VDA, 3. Juni; Schulz, Politik, 1, S. 192. 222 Die Niederschriften der gemeinsamen Besprechungen des Präsidiums des RDI und des Vorstandes der Arbeitgebervereinigung am 3. und 13. Juni geben ein denkwürdiges Zeugnis von den sachlichen und auch geistigen Differenzen unter den maßgebenden Sprechern der deutschen Großunternehmer. Ihnen sind auch die nachfolgenden Zitate entnommen. 220
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der sächsischen Industriellen; und Vogler stand ihnen nahe. Von diesem bunt gemischten, gewiß auch von mancher Erregung gefärbten Bilde hoben sich die Überlegungen Roland Brauweilers ab. Er hielt gemeinsame Erörterungen von Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und eine „unbegrenzte Ausdehnung von Notstandsarbeiten" für notwendig. Aber er betonte die Schlüsselbedeutung der Lohnfrage bei Preissenkungen auch für Konsumartikel, „die der Arbeiterhaushalt hauptsächlich nötig hat". Damit traf Brauweiler den Kernpunkt möglicher Verhandlungen; er erkannte aber auch die Schwierigkeit, die Gewerkschaften mit dem Handel zusammenzubringen und den Einzelhandel „auf Herz und Nieren" zu prüfen, um zu klären, „ob nicht in der Handelsspanne, in diesem bekannten dunklen Abgrund, noch sehr große Möglichkeiten liegen". An eine Preis- und Kalkulationskontrolle war nicht zu denken. Demgegenüber erscheinen die Verfechter einer „großen Aktion", die zur Besiegelung der Verhandlungsergebnisse eine Erklärung des Reichspräsidenten wünschten, eine „Pfingstbotschaft" der höchsten Instanz mit patriotischen Begründungen, um Haushalt und Arbeitslosenfrage „in Ordnung zu bringen", voreilig, war ihre Ankündigung übertrieben, daß ein Scheitern dieses Planes „den vollständigen Bankrott des Reiches für den Herbst dieses Jahres" herbeiführen werde. 223 So weit hatten Reichsregierung und Reichskanzler ihre Handlungsfähigkeit noch nicht eingebüßt, daß sie dem Aushandeln der Interessenten und der Inanspruchnahme der Autorität des Reichspräsidenten tatenlos zugesehen hätten. Doch die von den Unternehmern eröffneten Verhandlungen mit der gewerkschaftlichen Seite, vom ADGB bis zu den Christlichen Gewerkschaften, an denen sich Stegerwald als Reichsarbeitsminister wiederholt vermittelnd beteiligte, wurden im Grunde auf beiden Seiten nur unter Vorbehalten geführt. Zudem blieben Sprache und Ausdrucksweise vor der Öffentlichkeit drastisch und am Klassenstreit orientiert, so daß die Gegner der Verhandlungen manche ihrer Ansichten bestätigt fanden. Das schwere Gewicht der Entscheidungen kam aber auf die Reichsregierung zu, die zunächst nur am Rande operierte, mit dem Gedanken der Reduzierung der Beamtengehälter, der schon seit Januar 1930 von Reichsfinanzminister Moldenhauer, auf Vorschlag des Brüning eng verbundenen Ministerialdirektors Zarden, ventiliert wurde. Insofern war sie an dem Verlauf der Verhandlungen interessiert und im übrigen durch
223
So Kraemer; Blank an Reusch, 3 1 . Mai; a. a. O., S. 186.
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mannigfache Wünsche zur weiteren Gestaltung der Lohn- und Preisverhältnisse — unter noch ungeklärten rechtlichen Voraussetzungen — wiederholt einbezogen. Der vorsichtige Staatssekretär Schäffer drang jedoch darauf, daß der Haushaltsausgleich unabhängig von dem ebenso umfänglichen wie unsicheren Programm einer Preis- und Lohnsenkungsaktion in Angriff genommen wurde, 224 wofür es schon angesichts des ungewissen Ausgangs ausreichende Gründe gab. Aber im übrigen blieb Schäffer optimistisch, letztlich etwas zu optimistisch. 225 Er hoffte, die zum Haushaltsausgleich 1930 fehlenden 737 Millionen RM „durch eine Kombination von kleineren Maßnahmen" — mäßig bezifferte Steuererhöhungen, Mieterhöhungen, aber auch durch das nun schon mehrfach diskutierte „Notopfer der Festbesoldeten" im öffentlichen Dienst — zusammenzubringen. Brüning wollte etwas mehr, stimmte aber mit Schäffer in der Annahme überein, daß eine „Unruhe der Beamten" kaum zu erwarten sei, „denn auf dem Gebiet der Beschränkung der Beamten sind Maßnahmen zur Zeit populär". Die scheinbare Popularität derartiger Restriktionen wollte Brüning ausnutzen; aber er befürchtete zu Recht, daß insgesamt „die Ausgabensenkung zu wenig bringt". Der rein psychologisch wirkende Einsparungseffekt allein erschien ihm nicht ausreichend. Der Reichskanzler sah pessimistischer in die Zukunft, 226 wollte aber auch mehr erreichen als Schäffer, der angesichts der Entwicklung, die ihm vor Augen lag, und der Erfahrungen in langen Jahren seiner Ministerialtätigkeit zunächst auf nichts anderes als nur auf kurzfristige Aushilfen setzte. Er bemühte sich schließlich erfolgreich, Brüning einige größere und zu diesem Zeitpunkt fragwürdig erscheinende Projekte auszureden, so den Gedanken einer einheitlichen Beamtenstellenbesetzung in Reich, Ländern und Gemeinden oder einer landwirtschaftlichen Einheitssteuer, während er gleichzeitig auf rasche Verwirklichung des Ostprogramms drängte — das bislang nur „ein bloßer Name und eine Ermächtigung" war —, auf die Heranziehung der Preußenkasse und auf Ernennung von Kommissaren für die einzelnen Provinzen des Ostens. Ehe es hierzu kam, vergingen noch mehrere Monate. Von einem Kenner 224
Tagebucheintragung Schäffers über seine Besprechung mit Brüning; IfZ, Nachl.
Schäffer/Tagebuch, 24. Mai 1930. 225
Noch in Übereinstimmung mit Ernst Wagemann, dem Direktor des Instituts für
Konjunkturforschung; vgl. Eckhard Wandel, Hans Schäffer. Steuermann in wirtschaftlichen und politischen Krisen, Stuttgart 1974, S. 145. 226
A m 26. Mai 1930 sprach Brüning in der Sitzung der Reichstagsfraktion — soweit
bekannt, das erste Mal — von einer „Weltwirtschaftskrise", der „ersten echten" seit 1 9 1 2 . Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 451.
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und Zeugen ist behauptet worden, Schäffer hätte „durch seine Persönlichkeit wie durch seine einzigartige Stellung als Staatssekretär des damals wichtigsten Ressorts, als Vertrauensmann des Kanzlers, der ihn vor jeder wichtigen Entscheidung konsultierte und zu dem er jederzeit unangemeldet Eintritt hatte, als Freund der bedeutendsten Großbankiers, ... als Berater der Industrie und der Gewerkschaften, mehr Einfluß als irgendein Minister" gehabt. „Er war Herz und Hirn des Brüning-Kabinetts", 227 bis sich der Reichskanzler im nächsten Frühjahr von ihm zu lösen begann. Im entscheidenden Augenblick wurde Brüning jedoch krank. Alle Last lag seit dem 31. Mai auf den Schultern des Reichsfinanzministers Moldenhauer und des Staatssekretärs Schäffer. In diesen Tagen erfuhren die Verhandlungen zwischen den arbeitsrechtlichen Parteien eine schwere Erschütterung durch den Schiedsspruch von Bad Oeynhausen für das Tarifgebiet der nordwestlichen Gruppe. 228 Der Deutsche Metallarbeiterverband und der (christliche) Gewerkverein der Metallarbeiter hatten — gegen den Widerstand des Dachverbandes, des Christlichen Metallarbeiterverbandes — den bestehenden Rahmentarifvertrag zum 1. Mai 1930 gekündigt, die Arbeitgeber diesen Anlaß benutzt, um sich gegen die seit Dezember 1928 bestehende Sicherungsklausel für übertarifliche Akkordlöhne zu wenden und deren Herabsetzung zu beantragen. Dies wurde im Schiedsspruch des Schlichters zu Oeynhausen anerkannt, den dann Reichsarbeitsminister Stegerwald am 10. Juni für verbindlich erklärte. 227
Lutz Graf Schwerin v. Krosigk, Staatsbankrott. Die Geschichte der Finanzpolitik
des Deutschen Reiches v o n 1920 bis 1945, geschrieben v o m letzten Reichsfinanzminister, Frankfurt a.M./Zürich 1974, S. 60; vorher schon zit. v o n Wandel, Schäffer, S. 142. Krosigk verglich Schäffers Stellung mit der v o n Sir Frederick Leith-Ross dem britischen Kabinett gegenüber. In seiner privaten Veröffentlichung — nach dem Erscheinen der Memoiren Brünings — sah Krosigk sich selbst in einer ähnlichen Stellung bei Brüning als „einer seiner wichtigsten Mitarbeiter". Er mußte „seine Notverordnungen ausarbeiten und beriet ihn in Reparationsfragen. So bin ich ihm auch menschlich näher gekommen und bin stolz darauf, daß Brüning mich in seinen Erinnerungen zusammen mit Bernhard Bülow, dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts, und Hermann Pünder, dem Staatssekretär der Reichskanzlei, als engsten und treuesten Mitarbeiter bezeichnet hat." Beide Urteile sind nicht falsch, dienten zuletzt aber offenbar einem vereinfachten, mittlerweile gängig gewordenen Brüning-Bilde. Persönliche Erinnerungen v o n Lutz Graf Schwerin v. Krosigk, o.O.u.J. (Privatdruck), II. Teil, S. 62, über Schäffer S. 58. Vgl. ders., Memoiren, Stuttgart 1977; dort fast gar nichts über Schäffer. 228
Schulz, Politik, 1, S. 187 f., 192, 1 9 7 ff.; vgl. Hans-Hermann Hartwich, Arbeitsmarkt,
Verbände und Staat 1 9 1 8 — 1933. Die öffentliche Bindung unternehmerischer Funktionen in der Weimarer Republik, Berlin 1967, S. 162 f.
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Das zog heftige Proteste der betroffenen Gewerkschaften nach sich und hatte auch ein Nachspiel im Reichstag; 229 denn diese Verbindlichkeitserklärung ging erstmals eindeutig zu Lasten der Tarifsicherung der Arbeitnehmer und zeigte eine Wende in der Schiedspraxis an. Die heftigen Reaktionen der Gewerkschaften wirkten sich auf den Fortgang der größeren Verhandlungen mit den Arbeitgebern hemmend aus, unterbrachen sie jedoch nicht unmittelbar. Der Plan wurde weiter verfolgt, mit einer Vereinbarung an den Reichspräsidenten heranzutreten und ihn zu einer Erklärung an die Öffentlichkeit zu veranlassen, die diese Vereinbarung 230 auf höchster politischer Ebene besiegelte und gewissermaßen der Autorität des Reichspräsidenten unterstellte. Von dieser Beteiligung einer kaum angreifbaren höchsten „dritten Seite" erhofften die Gewerkschaften auch eine Stärkung ihres Ansehens, ohne die sorgsam gemiedenen politischen Instanzen des Reiches oder gar den Reichskanzler ins Spiel zu bringen. 231 Die „Pfingstbotschaft" des Reichspräsidenten wurde vorbereitet; Hindenburg zeigte sich auch bereit, die ihm zugedachte Rolle zu übernehmen. 232 Doch der Zeitplan kam durcheinander, als schließlich unter dem Eindruck der nach Oeynhausen stimmungsmäßig veränderten Situation aus den folgenden Verhandlungen statt einer gemeinsamen Vereinbarung zwei gesonderte Erklärungen, eine der Unternehmer und eine der Gewerkschaften, hervorgingen. 233 Beide Entwürfe, die als Grundlage einer gemeinsamen Erklärung dienen sollten, wurden jeweils von der Gegenseite abgelehnt. Die Gewerkschaften bestanden darauf, daß Preissenkungen den Lohnkürzungen vorausgingen und daß Steuersenkungen nachfolgten. Dem widersetzte sich die Gegenseite, die in diesen Fragen gespalten und zu einem Teil nur unter Vorbehalten den Bemühungen Raumers gefolgt war. Zu einer Umkehr der verlangten Reihenfolge, was die Arbeitgeberseite wünschte, ließen sich die Freien Gewerkschaften aber nicht gewinnen, da sie dies schwerlich ihren Mitgliedern gegenüber hätten vertreten können. Doch auch Art und Ausmaß der Preissenkung blieben bis zuletzt ungeklärt, wie Schäffer richtig vorausgesehen hatte. Die in den VerStenBer Vh RT, Bd. 428, S. 5924 ff., 5939, 5941 ff., 6026 ff., 6032 f. „Hand in Hand vor dem Reichspräsidenten die neue Zentralarbeitsgemeinschaft gründen", nannte Curtius das ganze Vorhaben in einer Sitzung des Reichsausschusses der DVP. Schulz, Politik, 1, S. 204, Anm. 3. 231 Zu dem von Anbeginn bestehenden Plan IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch, 26. Mai; Darstellung Raumers. 232 Entwurf der Erklärung Schulz, Politik, 1, S. 189 f. 233 a. a. O., S. 202 f., 212 ff., 232. 229
230
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handlungen mit Stegerwald von der Industrie angebotene, in Wirklichkeit viel zu wenig wirksame Senkung des Preises für Stabeisen um drei Prozent war längst durch die Weltmarktlage geboten und hätte lediglich die Preiserhöhungen seit 1926 aufgehoben. Als Äquivalent verlangte die Eisenindustrie eine scharfe Lohnsenkung, die das Ziel von zehn Prozent anstrebte. 234 Doch mit der Veröffentlichung der fragmentarischen Ergebnisse der langwierigen Auseinandersetzungen in zwei gesonderten Erklärungen am 14. Juni in der Tagespresse 235 mußten die Verhandlungen fast schon als gescheitert betrachtet werden. Die Reichsregierung gab daraufhin ihr eigenes Deckungsprogramm bekannt, das weiteren Verhandlungen wesentliche Voraussetzungen entzog. Die Regierung sah sich zu raschem Handeln genötigt; denn angesichts der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit, die Vorlagen im Reichsrat wie im Reichstag durchzubringen, mußte der Haushalt schnell beschlossen werden, erschien der kürzeste Weg auch als der gebotene. Das Reichskabinett entschied sich für die als Reichshilfe deklarierte vierprozentige Einkommensabgabe der Festbesoldeten — Beamten wie Angestellten — mit mehr als 8400 RM Jahreseinkommen, die durch den bereits erörterten Gedanken einer allgemeinen Lohnsenkung, um Preissenkungen herbeizuführen, abgesichert schien. Auch der Fraktionsvorstand der DVP befaßte sich mit diesem Vorhaben. 236 Auf der anderen Seite verlangte Stegerwald eine Erhöhung der Arbeitslosenbeiträge um zwei Prozent. Eine Konsumsteigerung konnte schwerlich noch gewärtigt werden und wurde auch gar nicht mehr bedacht, so daß die vorübergehende Befreiung der Reichsregierung aus ihren Haushaltssorgen einziges politisches Ergebnis blieb. Ihr stellte sich aber auch die in den offiziellen Bekundungen der Gewerkschaften schon durch kräftige Ankündigungen unterstrichene Frage der Arbeitsbeschaffung bzw. der Wiederbeschäftigung von Arbeitslosen, deren Bedeutung Brüning selbst wiederholt hervorgekehrt hatte. 237 Aufträge von Reichsbahn, Reichspost, Reich und Ländern wurden als Momente angeführt, die für stärkere Beschäftigung sorgen sollten, während man gleichzeitig von Einsparun234
Niederschrift über die Besprechung mit dem Reichsarbeitsminister, 6. Juni 1930;
a. a. O., S. 197 ff. 235
Schulthess 1930, S. 137.
236
Protokoll der Vorstandssitzung am 4. Juni; BA, R 45 11/66.
237
Reichsministerbesprechungen am 5. und 13. Juni 1930; A R : Brüning, 1, S. 1 8 4 — 1 9 4 .
Sitzung der Zentrumsfraktion am 26. Mai, des Fraktionsvorstandes am 16. Juni 1930; Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 451 ff.
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gen in den öffentlichen Haushalten sprach. Doch dies blieben zunächst unfundierte Worte; der Haushaltsausgleich behielt Vorrang vor allen Programmen, die Brüning schon unter dem einprägsamen, für Deutschland völlig neuen Schlagwort eines „Fünfjahresprogramms" zusammenfaßte, 238 was, soweit es ernst gemeint war, als unübersehbares Zeichen dafür gelten darf, daß der Reichskanzler den Anlauf zu einer langen Regierungsperiode vorbereitete. In der Zentrumsfraktion hielt Brüning zunächst daran fest, daß für das Ostprogramm, „für Fundierung der Gemeindeschulden, für wertschaffende Arbeitslosenfürsorge, für Reichsbahn ... kein Geld zu beschaffen" sei, „wenn nicht Reichsfinanzen und Arbeitslosenunterstützung in Ordnung sind". 239 In dieser Darstellung der Lage verbargen sich nicht nur Zielsetzungen; sie warf auch die Frage nach geeigneten Wegen und Mitteln auf, sie zu erreichen. Hierüber ließ Brüning in seinen zahlreichen Bekundungen äußerst wenig verlauten — jetzt wie auch später, ein eigentümlich paradoxer Sachverhalt. Der Finanzsachverständige des Zentrums blieb auf versierte Kenner angewiesen — etwa Schäffer oder Graf Schwerin v. Krosigk oder Zarden —, auf Stützen und Ideen, die seine Kraft anspornten und ihm imponierten. Die Gewerkschaften zogen aus dem Vorgehen der Reichsregierung während der langwierigen, im Grunde immer noch nicht beendeten Verhandlungen ihre eigenen Konsequenzen. Offenbar zur Absicherung für das mögliche Scheitern der Auseinandersetzungen mit den Unternehmern hatten sie in einer eigenen, gesonderten Erklärung den Gedanken eines allgemeinen Notopfers zur Forderung erhoben, „einen großen solidarischen Akt der von der Arbeitslosenversicherung nicht erfaßten und von der Arbeitslosigkeit nicht betroffenen Kreise in Gestalt eines Notopfers zur Sicherung der Arbeitslosenversicherung". 240 Unter dem Eindruck der in der Reichsregierung heranreifenden finanzpolitischen Entscheidungen schoben sich andere und stärkere Gesichtspunkte vor das Ziel einer breiten Preis- und Lohnsenkung, das den Ausgangspunkt der Verhandlungen gebildet hatte, in dem aber auf der Seite der Industriellen zu geringer Nutzen erkannt wurde. 241 Es erscheint beinahe überflüssig zu sagen, daß in derartigen Kontroversen der Gedanke einer
238
Ebda.; auch IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch, 24. Mai 1930.
239
Zentrumsprotokolle, S. 453.
240
Schulz, Politik, 1, S. 236.
2,1
Die Kritik an dem von Kastl zur Diskussion gestellten Moldenhauerschen Dek-
kungsprogramm füllte auch den letzten Teil der gemeinsamen Sitzung der Spitzen des RD1 und der V D A am 13. Juni aus. a. a. O., S. 232, Anm. 21.
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I. Die Regierung Brüning 1930
„Pfingstbotschaft" des Reichspräsidenten, mitsamt den Absichten, die ihm zugrunde lagen, endgültig Ende Juni hinfällig wurde. 242 Der Reichspräsident kam als oberster Schlichter zwischen den divergierenden Interessen nicht mehr in Betracht. Gedanke und Vorhaben blieben unverwirklicht; sie bleiben denkwürdig als Zeichen der Zeit und der vielfältigen Deutungen des Reichspräsidentenamtes. Die Art der öffentlichen Bekundungen eines angestrebten Einvernehmens deutete allerdings darauf hin, daß der Bruch zwischen Arbeitgeberund Gewerkschaftsseite nicht als endgültig verstanden wurde. Spätere Verhandlungen über ähnliche Fragen bestätigen dies. Im Oktober 1930 wurden die Gespräche über Preis- und Lohnsenkungen erneut aufgenommen; 243 sie brachen nach wechselnden Aussichten und dem Abschwenken der Christlichen Gewerkschaften auf eine Nebenlinie erst Anfang Februar 1931 ab. 244 Die Grundsatzfragen im Tarifvertrags- und Schlichtungsrecht erwiesen sich am Ende als unüberwindbar auf dem Wege zu Vereinbarungen. Daß sie jedoch immer wieder von neuem angebahnt wurden, bezeugt die Notlage, die zum Übersteigen alter Hürden herausforderte. Auf der Unternehmerseite verfolgte schon im Mai und Juni 1930 eine „Aktion zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern" den Zweck, „Druck der Wirtschaft auf die ratlose Regierung auszuüben" und „mit den Gewerkschaften zusammen eine Pression auf die Ausgabensenkung im Staat herbeizuführen..." 245 Dieser Gesichtspunkt behielt Bedeutung, solange die politischen Parteien vom Kern der Verhandlungen ferngehalten wurden. 246 Als die Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften scheiterten, ließen sich Äußerungen vernehmen, daß man sich jetzt wohl mit reichsgesetzlichen Regelungen abfinden müßte, um der fühlbaren wirtschaftlichen Misere zu begegnen. Sie sollten die Reichsregierung
242
Hierzu eine Serie v o n Erklärungen beider Seiten, die am 25. Juni durch das Pres-
sekommunique des A D G B „Abbruch der Spitzenverhandlungen" (!) eröffnet wurde, a. a. O., S. 2 5 7 - 2 6 3 . 241
a. a. O . , S. 461 ff. Auch in Kreisen der Industrie meldeten sich Kritiker am Stand-
punkt der Arbeitgeberseite zu Worte, die die Preis- und Lohnvereinbarungen mit den Gewerkschaften f ü r ein dringendes Erfordernis der Krisenbekämpfung hielten. Photokopien SfZT. 244
a. a. O . , S. 548 — 553; auch Aktenvermerk des Staatssekretärs Meissner für den
Reichskanzler vom 26. Februar 1931; BA, R 43 1/1138. 245
Max Schmidt, 13. Juni; Schulz, Politik, 1, S. 229; v. Raumer, a. a. O., S. 217. Dies ergibt sich im Hinblick auf die SPD aus dem Bericht des Staatssekretärs
Staudinger an Ministerpräsident Otto Braun vom 14. Juni; a. a. O., S. 232 ff.
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Reichstags
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ermächtigen, laufende Tarifverträge zu kündigen, neue Verhandlungen zu führen und alsdann verbindliche Schiedssprüche zu fallen. 247 Freilich stellten sich sogleich Vorbehalte ein, sobald der Fall bedacht wurde, daß auch eine Linksregierung derartige Maßnahmen treffen könnte.
Rücktritt
Moldenhauers
Das Moldenhauersche Finanzprogramm überzeugte niemanden mehr. Die bezifferten Aussichten der Finanzentwicklung, die sich von den vorausgegangenen Prognosen stark unterschieden, vermochten kein sonderliches Vertrauen zu erwecken, die Aushilfsmittel, die nur durch das „Notopfer" eine neue Note erhalten hatten, keine Seite zufriedenzustellen. Offenbar hatte eine dienstliche Stellungnahme des Direktors des Instituts für Konjunkturforschung, Professor Wagemann, auch auf Brüning seine Wirkung nicht verfehlt. 248 Sein Brief an den Reichskanzler ist ein interessantes Zeugnis für die Beurteilung der Situation durch den bekanntesten deutschen Konjunkturdiagnostiker und -analytiker — auch in methodischer Hinsicht —, zudem ein Zeugnis für die Einschätzung der Wirkungen des beabsichtigten Opfers der Festbesoldeten. Wagemann ging von einem Vergleich mit früheren Krisen aus; er erwähnte Vorkriegskrisen und die Depression von 1925/26 und gelangte zu dem Ergebnis, daß der Tiefstand der Produktion, der durch Depression hervorgerufen wird, begleitet zu sein „pflegt" von einem Rückgang der Preise, der Löhne und Zinssätze, von niedrigen Lagerbeständen wie von einer erhöhten Aufnahmefähigkeit des Kapitalmarktes. Die Minderungen der Werte und Mengen riefen dann „normalerweise" Auftriebstendenzen hervor, die „gewöhnlich sozusagen automatisch aus der Depression zum konjunkturellen Aufschwung" führten und die Wagemann auf den nachfolgenden Gebieten beobachtete, deren Reihung offenkundig schien: 1. in der Exportwirtschaftsindustrie, 2. in der Bauwirtschaft, 3. in der landwirtschaftlichen Konsumtion, 4. in der Kaufkraft der Rentner, 5. in der Konsumkraft der Festbesoldeten. Die derzeitige Krise, erkannte Wagemann, wiche allerdings von diesem Bilde ab; denn es träten weitere Voraussetzungen hinzu, die bei früheren Krisen nicht wirksam waren. Die Entwicklung der Exportwirtschaft sah er gehemmt, „da zum ersten Mal seit dem Kriege die Depression in Deutschland in engstem Zusam247
a. a. O., S. 240 f.
248
Wagemann an Brüning, 16. Juni 1930; BA, R 43 1/2364.
100
I. Die Regierung Brüning 1930
menhang mit der weltwirtschaftlichen Konjunkturlage steht. 1926 handelte es sich um eine lokale Depression, die so leicht überwunden werden konnte, weil sie in eine Aufschwungsperiode der Weltwirtschaft fiel. Diesmal aber m u ß Deutschland in scharfem Wettbewerb mit dem Ausland seinen E x p o r t zu steigern suchen." E s gibt wenige vergleichbare Zeugnisse aus dieser Zeit, die dies schon so klar erkannten. D i e Folgerung, die Wagemann zog, entsprach der sozioökonomischen Binnensituation. D a die äußere Entwicklung kaum bestimmbar schien, blieb „als die wichtigste Auftriebstendenz in der Depression die Konsumkraft
der
Rentner und Festbesoldeten. D a der Rentnerstand seine alte volkswirtschaftliche und damit auch seine konjunkturpolitische Bedeutung verloren hat, ... ist die von diesen Kreisen ausgehende Konsumkraft ganz besonders in Rechnung zu stellen." D a die Anpassung der Preise an die Marktlage noch nicht erfolgt, zumindest unbefriedigend sei, dürfe nichts geschehen, was den Vorgang der Preisanpassung stören könnte: „ E i n e Bekämpfung der Depression wird man dadurch erstreben, daß man die Auftriebstendenzen verstärkt, die sich in einer solchen Wirtschaftslage entwickeln." Dies war gewiß noch nicht keynesianisch gedacht, aber gewissermaßen vorkeynesianisch — nicht antizyklisch, aber extrazyklisch-prokonjunkturell. D i e Idee einer konjunkturpolitisch gedachten, noch nicht haushalts- und finanzpolitisch programmatischen Gegensteuerung führte allerdings von den Überlegungen der Haushaltsdeckung und Defizitbeseitigung hinweg, die für die Reichsregierung maßgeblich blieben. Die Förderung der Exportwirtschaft befürwortete Wagemann. Aber er wollte sie nicht durch Senkung der L ö h n e und Gehälter erreichen, hielt vielmehr dafür, daß eine wirkungsvolle Exportförderung durch eine erhebliche Reduzierung der Umsatzsteuer zu erreichen sei. I m übrigen sollte für den inneren Markt die Umsatzsteuer in geringem Umfange aus ausgleichspolitischen Rücksichten erhöht werden, so daß die Ausfalle mehr als wettgemacht würden. Nur eine ganz geringe Sonderbesteuerung der Festbesoldeten hielt Wagemann für vertretbar: höchstens bis zu einem Satz von eineinhalb Prozent. Brüning selbst ließ durchsickern, daß seiner Auffassung nach verschiedene Konsumartikel, so Bier und Zigaretten, bereits „übersteuert" seien, so daß der Verbrauch zu stark reduziert werde. 2 4 9 Offensichtlich hatte sich das Vertrauen des Reichskanzlers in Moldenhauers Pläne abgenutzt 249
B A , R 4 3 1/2364; auch Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 4 5 3 , allerdings mit etwas
anderen Angaben zum Rückgang des Bierkonsums.
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und Auflösung des Reichstags
101
und neigte er nun jenen Ministem zu, die den Reichsfinanzminister „auszubooten" trachteten. 250 Der unmittelbare Anstoß zur Regierungsumbildung kam jedoch aus der Fraktion Moldenhauers selbst, in der sich die Unzufriedenheit in einer eklatanten Abstimmungsniederlage und einer glatten Ablehnung des „Notopfers der Festbesoldeten" niederschlug. 251 Hierin stimmten nunmehr drei der hinter der Regierung stehenden Parteien — DVP, DDP und Wirtschaftspartei — überein. Damit war das weitere Schicksal des gesamten Deckungsprogramms fragwürdig geworden. Moldenhauer und Brüning verabredeten, es dennoch in die Ausschüsse des Reichsrats zu leiten und dessen Reaktion abzuwarten. Doch dort fiel das Ergebnis nicht günstiger aus. Daraufhin beschloß die eilig einberufene Fraktion der DVP am Nachmittag des 18. Juni, den Rücktritt des Reichsfinanzministers zu verlangen, 252 der jetzt politisch erledigt war. Eine Intervention des Reichspräsidenten, Moldenhauer unabhängig von seiner Partei im Amt zu halten, natürlich als Vertrauensmann des Reichsoberhauptes, scheint erwogen, dann aber doch nicht in Betracht gezogen worden zu sein. 253 Knapp zehn Tage später richtete Hindenburg einen solchen Appell an Curtius in einer ähnlich prekär sich abzeichnenden Situation innerhalb der DVP-Fraktion; er tat dies allerdings vorsorglich und vorbeugend auf persönlichen Wunsch des Reichskanzlers. 254 Solche Appelle, von denen dieser der erste war, unterstrichen, daß die Reichsregierung „ohne parteipolitische Bindung" geschaffen wurde und daß die Reichsminister vom Reichspräsidenten „ohne Rücksicht auf ihre Fraktionszugehörigkeit . . . z u ihren Ämtern berufen worden sind". Die allmählich sich vollziehende Scheidung zwischen fraktionsgebundenen und präsidentiell gebundenen Kabinettsmitgliedern, die zu den Merkmalen des Übergangs zum präsidentiellen Regierungssystem in Deutschland gehört, setzte zunächst dort ein, wo die Beziehung zwischen der Fraktion und ihrem Reichsminister belastet oder gefährdet schien. Der Reichspräsident trat mithin als Hüter der Reichsregierung und Schützer ihres Bestandes in 250
Tagebucheintragung Schiffers, 16. Juni 1930; IfZ, Nachl. Schaffet. Blank an Reusch,
31. Mai u. 17. Juni; Schulz, Politik, 1, S. 188, 239. 251
Protokoll der Fraktionssitzung der D V P am 16. Juni; BA, R 45 11/67.
252
Protokoll der Fraktionssitzung am 18. Juni, a. a. O.; auch Reichsministerbesprechung
am gleichen Tage; A R : Brüning, 1, S. 209 — 214. 253
Bericht Moldenhauers über seinen Rücktritt; Schulz, Politik, 1, S. 246.
254
Der Reichspräsident an Curtius, 27. Juni; a. a. O., S. 264, auch S. 263 (geheimer
Aktenvermerk Meissners). Hierzu die Protokolle der DVP-Fraktionssitzungen am 24., 26. und 28. Juni; BA, R 45 11/67.
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I. Die Regierung Brüning 1930
Erscheinung. In der Amtszeit Brünings geschah dies — sowohl im Falle von Curtius als auch später im Falle des Reichs)ustizministers Bredt — stets auf Wunsch des Reichskanzlers, beide Male übrigens mit dem Effekt einer vorübergehenden Besserung der Beziehungen zur jeweiligen Fraktion, der DVP bzw. der Wirtschaftspartei, was ganz der Absicht Brünings entsprach. Die Erhaltung der Zusammensetzung der Regierung mittels hilfreicher Appelle des Reichspräsidenten folgte der Intention des Reichskanzlers und hielt auch die zum Abspringen bereiten Fraktionen bei der Stange und in den Ausschüssen des Reichstags auf der Seite der Regierung. Daß beide Parteien, von denen in diesem Zusammenhang die Rede ist, nur noch von mittlerer Größe waren, erleichterte das Verfahren, bewirkte aber auch, daß sie sich hierbei noch weiter abnutzten. Dies ließ sich wohl nicht mit Sicherheit voraussehen, konnte aber doch aus manchen Zeichen der Unzufriedenheit und Kritik in den Fraktionen schon gefolgert werden. Moldenhauer blieb nur der Rücktritt. Daraufhin übernahm Brüning am 19. Juni vorübergehend selbst kommissarisch die Geschäfte des Reichsfinanzministers, nachdem sich bereits ein Zusammenspiel mit Staatssekretär Schäffer ergeben hatte. Sein Angebot an den preußischen Finanzminister Höpker-Aschoff, einen entschiedenen Reichsreformer, das Reichsfinanzministerium neben dem preußischen zu übernehmen, griff weit in die Reichsreform-Diskussion ein und sollte auch nur so gedeutet werden. Höpker-Aschoff parierte diesen Versuch mit der aus seiner preußischen Position heraus verständlichen Gegenforderung, den Ministerpräsidenten Otto Braun als Vizekanzler in die Reichsregierung aufzunehmen. 255 Der Reichspräsident hätte sich hierfür schwerlich erwärmt. 255
Dies ist kontrovers überliefert: die Absicht der Verbindung beider Ministerien mittels
Personalunion durch einen Vermerk Pünders vom 20. Juni; BA, Nachl. Pünder/131, die Forderung nach Beteiligung Brauns durch Höpker-Aschoff selbst, Unser Weg durch die Zeit. Gedanken und Gespräche über den Sinn der Gemeinschaft, Berlin 1936, S. 228. Hiervon erwähnte jedoch Meissner in einem Schreiben v o m 21. Juni an den Reichspräsidenten, in dem er auf Dietrich hinwies, nichts, führte aber sachliche Gesichtspunkte an, die eine Zusammenarbeit Höpker-Aschoffs mit Brüning in Frage stellten. Schulz, Politik, 1, S. 246 f. Schulze, Braun, S. 692, gibt hierzu eine eigene Darstellung. Die behaupteten „längeren Verhandlungen" Brünings mit Höpker-Aschoff sind wohl auf wenige Stunden zu begrenzen; die A n t w o r t erfolgte ohne Verzug. Die unmittelbare Überlieferung durch Pünder stammt v o m gleichen Tage. In der Tat standen „entscheidende Schritte" zur Reichsreform nicht „auf Brünings Tagesordnung". Mit dieser treffenden Feststellung hat Schulze selbst seine tastenden Konstruktionen klar und definitiv entkräftet. Das gilt auch f ü r die merkwürdige, lediglich die späten Erinnerungen Brünings interpretierende Behauptung, daß dessen Vorstellungen einer Reichsreform den Ideen Brauns nicht unähnlich gewesen seien. Im Satz vorher: „Wiedereinführung der Monarchie."
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103
Auf Veranlassung Brünings wurde dann der demokratische Vizekanzler und bisherige Reichswirtschaftsminister Dietrich Reichsfinanzminister. Brünings eigene Beziehungen zum Finanzressort wurden hierdurch kaum berührt. Dietrich hielt jedoch den schwindenden Rest der DDP auch nach ihrer Umwandlung in die Deutsche Staatspartei, deren Führer er wurde, bei der Regierung, deren weitergehende Umbildung allerdings ständig im Gespräch blieb. Manche Gerüchte, die sich verbreiteten, schienen auf eine Erneuerung der „großen Koalition" mit der SPD hinzudeuten, andere nahmen eine künftig engere Konzentration auf die Rechte und die Mitte an. 256 Namen wie Bracht, Luther und Schacht wurden wiederholt genannt; die Unbeirrbarkeit, mit der der Reichspräsident an Brüning festhielt, der sich für die Durchführung eines Ostprogramms entschieden hatte, wirkte indessen dämpfend auf alle derartigen Erörterungen.
Haushaltsausgleich
durch
Notverordnung
Das volle Ausmaß der bevorstehenden Schwierigkeiten und Umfang wie Dauer der Krise wurden von keiner Seite vorausgesehen. Man achtete in Deutschland noch zu wenig auf Auswirkungen der Vorgänge in den Vereinigten Staaten. Hoffnungen auf eine baldige Beruhigung im internationalen Geldverkehr, so daß Deutschland bald wieder von starken Kapitalzufuhren aus dem Ausland profitieren könne, was Staatssekretär Schäffer wiederholt auch im Hinblick auf eine Sanierung der Reichsfinanzen vorbrachte, erschienen im Frühjahr 1930 nicht unbegründet. 257 Der Haushaltsausgleich wurde daher nach wie vor mit Rücksicht auf die Auslandskreditfahigkeit angestrebt. Doch die Beschäftigung hatte sich erheblich verschlechtert. So blieb auch nach dem Rücktritt Moldenhauers nicht viel mehr übrig, als — entgegen den Ratschlägen Wagemanns — auf die von Zarden entwickelte Idee einer Kürzung der Beamtengehälter zurückzugreifen, sofern man sich nicht zu einer starken Kürzung des Wehretats entschloß, die zwar hier und da — so von Schäffer und Reichssparkommissar Saemisch — erwogen, aber von Brüning abgelehnt wurde. Sogar die DVP schien neuerdings zum Einlenken bereit und ein eingeschränktes „Notopfer" der Beamten hinzunehmen, allerdings unter der Voraussetzung, daß die 256
Schulz, Politik, 1, S. 175, 242 f., auch A n m . 4 u n d 5.
257
Vgl. Kindleberger, Weltwirtschaftskrise, S. 134 ff.
I. Die Regierung Brüning 1930
104
Beamten verbände „freiwillig" zustimmten. 258 Eine ausreichende Mehrheit im Reichstag blieb aber doch fraglich. Brüning erörterte daher im Kabinett den von ihm schon mehrere Wochen lang ventilierten Gedanken eines Ermächtigungsgesetzes zur Sanierung der Reichsfinanzen ohne festliegende Einzelbestimmungen, 2S9 dessen Annahme im Reichstag eine Zweidrittelmehrheit und somit die Unterstützung durch die SPD und im Reichsrat die Zustimmung Preußens und anderer Länder verlangt hätte. 260 Eben diese Bedingung gab offenbar den Ausschlag, daß der Reichskanzler dann einer Notverordnung nach Artikel 48 der Reichsverfassung den Vorzug gab. 261 Dieser Ausweg war seit Tagen im Gespräch; 262 endgültig entschieden wurde aber erst am 25. Juni — unter der von Dietrich nachdrücklich betonten Voraussetzung, „daß über den Artikel 48 und seine Anwendung nichts in die Öffentlichkeit kommt". 263 Wie aber kam es zu diesem zunächst noch geheim bleibenden Entschluß? Die hintergründigen Vorgänge erscheinen uns nicht von minderer Bedeutung als die Einsetzung der Regierung Brüning. Im Reichsverband der Deutschen Industrie überwog nach dem Sturz Moldenhauers die Kritik an der Haltung der DVP- Fraktion. Kastl sprach abschätzig von „sogenannten industriellen Vertretern in der Volkspartei", die keineswegs „im Namen der Industrie oder des Reichsverbandes gehandelt" hätten. 264 Der neu ernannte Reichsfinanzminister Dietrich genoß keine größere Reputation als sein Vorgänger. In diese Kritik mischte sich Bedauern über die folgenschweren, zum Teil von der DVP 258
Schulz, Politik, 1, S. 249, Anm. 2.
259
Reichsministerbesprechung am 24. Juni; AR: Brüning, 1, S. 222—230. Tagebuchauf-
zeichnung Schiffers; Schulz, Politik, 1, S. 249. In der Zentrumsfraktion gab es noch Vorbehalte, auf die Brüning Rücksicht nahm. Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 458. 201
Nach einer preußischen Unterstützungszusage beschloß der Vorstand der Zentrums-
fraktion am 25. Juni „einmütig", über die preußische Regierung die Deckungsvorlagen durchzubringen, über die aber noch gar keine Einigung erreicht war. Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 459. Die preußische Zusage durch Staatssekretär Weismann bezog bereits ein Ermächtigungsgesetz ein. Unter den Reichsministern sprach sich jedoch nur Stegerwald nachdrücklich für das Aushandeln eines befristeten Ermächtigungsgesetzes mit den Sozialdemokraten aus. Schulz, Politik, 1, S. 251 f. 261
Diese Wendung auch bei Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 459, Anm. 3; Tagebuch-
aufzeichnung von Schäffer, 25. Juni; Schulz, Politik, 1, S. 2 5 3 f. 262
a. a. O., S. 252; Scholz schon in der DVP-Fraktion am 24. Juni; BA, R 45 11/67.
263
Schäffer, 25. Juni.
264
Niederschrift über eine gemeinsame Sitzung v o n Präsidium und Vorstand des RDI
am 25. Juni 1930, abgedruckt Schulz, Politik, 1, S. 2 5 5 f.; auch zum Folgenden.
Übergang
%ur Deflationspolitik
und Auflösung
des
Reichstags
105
herbeigeführten Ereignisse Ende Dezember 1929, die zur Ernennung Moldenhauers zum Reichsfinanzminister geführt hatten. Das Protokoll der Sitzung am 25. Juni vermerkt, daß Silverberg „unter einstimmendem Beifall" erklärte, „es sei seiner Auffassung nach der schwerste Fehler gewesen, die Sozialdemokratie durch den Sturz Hilferdings aus der Verantwortung zu lassen". 265 Auch in diesen Kreisen bedauerte man zu später Stunde den Zerfall der „großen Koalition" und hätte ihr noch zu diesem Zeitpunkt den Vorzug gegeben vor der derzeitigen Regierung und den Unsicherheiten der Finanzpolitik, die vor aller Augen lagen — ein Malus, kein Bonus für die Regierung Brüning. Die „Vertrauenskrise", die schon weithin beklagt wurde, lag freilich in dem Umstand begründet, daß sich trotz allem, was seit Dezember 1929 geschehen war, ein entschiedenes Programm für Einsparungen der öffentlichen Hand immer noch nicht abzeichnete. Eine — allerdings sehr schlichte — Rechnung, die Silverberg aufmachte und Kastl unterstützte, lief darauf hinaus, daß die Etats von Reich, Ländern und Gemeinden auf der Ausgabenseite zusammen über 14 Milliarden Mark enthielten, die „nicht international und privatrechtlich gebunden" waren, so daß Abstriche von fünf Prozent und die hierdurch ermöglichten Einsparungen ohne große Schwierigkeiten durchzuführen seien. „Den Ländern und den Gemeinden sei vorzuschreiben, daß die Realsteuern eine bestimmte Höhe nicht überschreiten dürften. Als Ausweg sei die Bürgerabgabe oder die Getränkesteuer zu bewilligen." — Dieser Satz nahm eine der Grundlinien künftiger Finanzpolitik vorweg. — Anderseits werde „weder der Vorschlag der Volkspartei noch das neue Programm des Reichsfinanzministers die Finanzen sanieren", wie Kastl meinte. Daß diese Kritik nicht flüchtiger Phantasie entsprang, darf man schon aus der Tatsache folgern, daß die Politik der Regierung Brüning später kaum andere Lösungen fand; allerdings kam die Belastung durch ein Agrar- und Osthilfeprogramm hinzu, über das man sich jetzt im RDI den Kopf nicht zerbrach. Diese Stimmung rührte freilich von neuesten Eindrücken aus Amerika her. Der letzte Bericht des Generalagenten für die Reparationszahlungen, Parker Gilbert, 266 hatte ebenso wie die voraufgegangenen Berichte in der amerikanischen Öffentlichkeit, vor allem in der Bankenwelt, Beachtung gefunden und bei einem durch die Krise alarmierten Publikum große Ebda.; vgl. Schulz, Vorabend, S. 463 ff. 266 B e r i c h t des Generalagenten für Reparationszahlungen, 21. Mai 1930: Die Reparationsleistungen im 5. Planungsjahr, Berlin o.J. [1930]. 265
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I. Die Regierung
Brüning
1930
Aufregung hervorgerufen. Die Stimmung, so wurde gesagt, sei zuungunsten Deutschlands umgeschlagen, nachdem Einzelheiten über die deutsche Etatpolitk bekanntgeworden waren. 267 Schon zeichnete sich die Gefahr ab, daß amerikanische Kapitalien der deutschen privaten Wirtschaft bald nicht mehr zur Verfügung stünden, falls die öffentliche Finanzwirtschaft nicht in Ordnung komme. In New York hätten amerikanische Bankiers offen über den Gedanken gesprochen, daß das Deutsche Reich Parker Gilbert mit der Sanierung der öffentlichen Finanzen beauftragen solle. Die Befürchtungen waren nicht ganz übertrieben, wenn auch eine Verwirklichung des Gedankens einer „dette publique allemande" — nach dem Vorbild der internationalen Schuldenverwaltung des Osmanischen Reiches vor dem ersten Weltkrieg — kaum in dieser Form in Aussicht stand und weitere Erörterungen gar nicht stattfanden. Die Besorgnis, daß der amerikanische Kredit versiegen könnte, war nicht unbegründet. Die Ereignisse des nächsten Jahres zeigten die Empfindlichkeit, aber auch die begrenzte Aktionsfähigkeit der in diesem Punkte entscheidenden amerikanischen Banken deutlich an. Ein Vorschlag Silverbergs traf unter diesen Umständen den Kern des Problems, als er das Präsidium des Reichsverbandes mit der Aufgabe betraut wissen wollte, die auch tatsächlich beschlossen wurde, „die übertriebene Konjunkturempfindlichkeit des deutschen Etats auf der Einnahmen- und Ausgabenseite" zu beseitigen. Allerdings fehlte es einstweilen an bescheidensten Vorstellungen, wie dies denn wohl geschehen könne. Silverberg erschien es — in seiner Begabung für vorausschauende Urteile — sicher, daß die drohenden Gefahren nicht mehr von einer parlamentarischen Regierung, „sondern vielleicht nur [durch] ein deutsches unabhängiges Finanzdirektorium" abgewendet werden könnten. Die Zeichen standen auch für die klügsten und erfahrensten Beobachter, denen man Silverberg gewiß zurechnen muß, ganz auf Sturm und Krise. Kastl modifizierte das Urteil über das Finanzprogramm Dietrichs einige Tage später dahin, daß es „sicher besser" sei „als das von Moldenhauer, zum mindesten ist es besser aufgemacht und geschickter der Öffentlichkeit mitgeteilt worden. Es hat aber sicher den Nachteil, daß es nur eine Kassen- und keine Finanzreform ist ... Es ist auch nichts in dem Programm enthalten, um die Konjunkturempfindlichkeit des Etats zu beseitigen, was insbesondere durch endgültige Abhängung der Ar-
267 Hierzu Werner Link, Die amerikanische Stabilisierungspolitik in Deutschland 1921 — 1932, Düsseldorf 1970, S. 489 f.
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Reichstags
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beitslosenversicherung vom Haushalt geschehen müßte." 268 Von dieser Seite aus war der Druck zum entschiedeneren Handeln, der auf den Reichskanzler und die Regierung ausgeübt wurde, offenkundig gegeben. Die Wirkungen wurden alsbald ebenso sichtbar wie die der Tätigkeit eines vermittelnden Kreises. Am 28. Juni schrieb Graf Westarp in einem Brief: „Artikel 48 scheint im Moment als der einzige und wohl auch gegebene Ausweg, entweder die sofortige Auflösung oder die Große Koalition zu vermeiden." 269 Hier erschien die Alternative völlig eindeutig. Etwas anders reagierten die Sezessionisten der DNVP, die Volkskonservative Vereinigung. So klein sie auch war, verfügte sie doch über einen Wirtschaftspolitischen Ausschuß, der die Lage in diesen Tagen eingehend beriet. Die Verbindungen zur Wirtschaft waren über Treviranus, Sogemeier und Blank sehr eng, so daß gemeinsamen Beratungen einige Bedeutung zukommt. 270 Fraglich blieb die immer noch ungeklärte Haltung der an der Regierung beteiligten Parteien zu dem Deckungsprogramm des Reichsfinanzministers, das keineswegs einhellig angenommen wurde, sondern Änderungsvorschläge provoziert hatte. So entschieden man sich in diesem Kreis auch dafür aussprach, ein größeres Reformprogramm in den Herbst zu verschieben, so unstrittig dringlich galt doch der Haushaltsausgleich noch in den nächsten Tagen, ehe der Reichstag in die Ferien geschickt wurde. Aber nicht nur in diesem Kreise bestanden Zweifel daran, ob Brüning und seine Regierung in der derzeitigen Zusammensetzung imstande waren, „die Dinge zu meistern". Erneut tauchte „im Hintergrunde der Erwägungen vieler Leute" der Name von Hans Luther auf. Auch „maßgebende Persönlichkeiten aus der Wirtschaft" schienen sich mit diesem Gedanken zu befreunden, zumal man Luther zutraute, daß er „sich auf eine möglichst breite Plattform stützen" könne, die vom Westarp-Flügel der Deutschnationalen bis zu den Demokraten reichte. Äußerungen von Koch-Weser und Stolper bestätigten dies. So erschien Luther wieder einmal als der geeignete Mann, um im Falle eines Scheiterns der Dekkungsvorlagen im Reichstag außerordentliche Machtvollkommenheit zu erhalten. Wie weit diese Erwägungen reichten und an welchem Punkte sie endeten, ergibt sich aus einem Brief des Generalmajors v. Schleicher an Reichswehrminister Groener, in dem er diese Gespräche so salopp
268
Kastl an Silverberg, 2. Juli 1930; Schulz, Politik, 1, S. 271.
265
a. a. O., S. 272, Anm. 4.
270
Blank an Reusch, 5. Juli; a. a. O., S. 2 7 3 ff.
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I. Die Regierung Brüning 19}0
wie kurz kommentierte: „...daß ein Kabinett ,Hänschen' [Luther] zur Zeit nicht in Frage kommt". 271 Das alles vermag die überraschend schnelle Entscheidung des Reichskanzlers zu erhellen, sich vor der Öffentlichkeit zu erklären. Während Brüning noch in einer Parteiführerbesprechung am 8. Juli sowohl eine Änderung des Gesetzes zur Arbeitslosenversicherung als auch andere Veränderungen der Deckungsvorlagen zugesagt hatte 272 und der Staatssekretär in der Reichskanzlei am Morgen des 9. den Fraktionsführern die umgearbeiteten Ergänzungsentwürfe zu den Deckungsvorlagen mit der Bitte um Stellungnahme übermittelte, 273 beschloß die Regierung auf Verlangen des Reichskanzlers am späten Abend des 9. Juli, daß das Deckungsprogramm im Steuerausschuß vertreten werden sollte, obgleich Stellungnahmen der Parteien nur unvollständig vorlagen. 274 Sicherlich waren es nicht allein die Gerüchte über eine Rivalität Luthers, die Brüning zur Flucht nach vorne zwangen. Mit unvermittelter Entschlossenheit erklärte er an diesem Abend, daß „das gegenwärtige Reichskabinett nicht gebildet sei, um unter allen Umständen nur die normale politische Entwicklung durchzumachen, daß es vielmehr die Aufgabe übernommen habe, mit allen legalen Mitteln die als notwendig erkannten Maßnahmen durchzusetzen". Er ließ keinen Zweifel, daß im Falle einer Ablehnung der Vorlagen diese mit Hilfe des Artikels 48 in Kraft gesetzt würden. 275 Auf der Rechten blieb Hugenberg unbeirrt. 276 Wie der Fraktionsvorsitzende Oberfohren kurz zuvor in einer Besprechung mit Brüning erklärt hatte, war es beschlossene Sache, „daß die zustimmenden deutschnationalen Reichstagsabgeordneten aus der Fraktion austreten müßten". So deutlich sprach sich Oberfohren in der Fraktionssitzung zwar nicht aus; dennoch stand außer Frage, daß Hugenberg und er nicht länger auf Zusammenhalt der Fraktion, sondern auf das Hinausdrängen der Opponenten bedacht waren: „Das Land draußen hat sich in Scharen von uns abgewendet, weil es diese fortgesetzte Zerrissenheit und den Streit in unserer Fraktion nicht versteht und nicht verstehen will. Wenn nicht endlich ein Wandel eintritt, so müssen eben schließlich die Konsequenzen 271
a. a. O., S. 275, Anm. 6.
272
B A , R 43 1/2365.
273
a. a. O.
274
A R : Brüning, 1, S. 2 8 9 - 2 9 3 .
275
a. a. O., S. 291 f.
276
Niederschrift über die Sitzung der Reichstagsfraktion der DNVP, 10. Juli 1930;
Schulz, Politik, 1, S. 2 7 7 - 2 8 1 .
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und Auflösung des Reichstags
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gezogen werden. Der Kampf in der Fraktion kann nicht auf die Dauer geführt werden, sonst ist die Partei verloren." Hugenberg ließ keinen Zweifel, daß er jetzt wie auch schon im Jahre zuvor eine engere Verbindung mit den Nationalsozialisten anstrebte oder — wie er es ausdrückte — eine „für Deutschlands Zukunft außerordentlich wichtige Bindung der Nationalsozialisten an positive Ideen..." Von dieser Seite hatte der Reichskanzler nichts mehr zu erwarten. Etwas anders erschienen die Aussichten angesichts der drohenden Anwendung des Artikels 48 im Hinblick auf die SPD und die preußische Regierung Otto Brauns. Dies und die Rücksicht auf das nur zögernd mitgehende Zentrum wie auch das Gewicht eines preußischen Anerbietens zugunsten des Ermächtigungsgesetzes legten dem Kanzler den Entschluß nahe, möglichst rasch die „parlamentarischen Möglichkeiten" der Reichsregierung auszuschöpfen, „ehe sie in anderer Weise" vorging. 277 Die Deckungsvorlagen der Reichsregierung mitsamt der „Reichshilfe" der Angehörigen des öffentlichen Dienstes — nach wie vor „Notopfer" genannt —, einer Ledigensteuer und einem Einkommensteuerzuschlag auf höhere Einkommen wurden in den folgenden Tagen in den vereinigten Reichsratsausschüssen und im Reichsrat eingebracht und dort von einer überraschend großen Mehrheit angenommen. 278 Doch auf dem schwierigeren Weg der parlamentarischen Behandlung erlitten sie nach wechselnden Ergebnissen, unter dem Druck von Gegenforderungen und im Schatten des vom Reichskanzler bereits für den Herbst angekündigten größeren Finanzprogramms, das vorausgesehene Schicksal, scheiterten die Regierungsvorlagen. Einige Tage hindurch schien die Einstellung der SPD günstig. Doch die Auseinandersetzungen um die Stahlhelm-Frage wirkten nach. Der immer noch nicht überwundene Gegensatz zwischen Otto Braun und Hindenburg, der auf die Aufhebung des Stahlhelmverbots für Westdeutschland drängte, 279 stand einem Einvernehmen mit dem Reichskanzler entgegen, das die SPD nur als ein auf längere Sicht angelegtes akzeptieren wollte. Im Grunde fiel also die Entscheidung für das letztlich ausschlaggebende Abschwenken der SPD auf ganz anderem Gebiet. Dies ist eine langwierige und keineswegs ruhmreiche Geschichte für sich, die hier eingefügt werden muß, da sie Spannungen und Konflikte ganz
277
IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch, Eintragung am 25. Juni.
278
Schulthess 1930, S. 157 f. Nied V R R , Jg. 1930, S. 406 ff. (3. Juli); Bericht des
württembergischen Gesandten Bosler, 28. Juli; Schulz, Politik, 1, S. 264 ff. m
Vgl. Schulz, Vorabend, S. 368 f.
110
I. Die Regierung Brüning 1930
anderer Art in einem entscheidungsschweren Augenblick wirksam zeigt. Sie ging zunächst auf Kosten der Regierung Brüning, beendete aber tatsächlich die parlamentarische Periode der Weimarer Republik. Die Bemühungen des Reichsinnenministers, in einer Ressortbesprechung die Möglichkeit einer Aufhebung des umstrittenen Verbots zu erreichen, waren sogleich hinfallig geworden, als die Stahlhelmpresse eine große Rede des zweiten Bundesführers Duesterberg am 27. April in Magdeburg veröffentlichte 280 und offenkundig werden ließ, daß der Stahlhelm die Gelegenheit benutzte, eine Offensive gegen die Regierung Brüning zu beginnen. Dem Verbandsblatt „Der Stahlhelm" zufolge hatte Duesterberg erklärt: „In der neuen Regierung sitzen Männer, zu denen wir kein Vertrauen haben können, wie z. B. Herr Wirth und auch Herr Curtius, der als Außenminister unsere nationale Opposition nicht zu benutzen verstand." Dies eröffnete einen permanenten Angriff der Rechten auf zwei der wichtigsten Minister der Regierung, die schließlich zu Fall gebracht wurden. In der Reichskanzlei, aber auch im preußischen Innenministerium vermutete man, daß die Rede Duesterbergs noch viel schärfer ausgefallen war, als dem veröffentlichten Text entsprach. 281 Während sich auch andere Presseorgane der Sache annahmen und sie in größter Breite erörterten, wurde die französische Diplomatie tätig. Sowohl die französische Botschaft in Berlin als auch der Quai d'Orsay in Paris gaben ein „vorsichtiges Warnungssignal" gegen eine beabsichtigte Aufhebung des Stahlhelmverbotes. Das französische Interesse war aber doch offenkundig so schonungsbedürftig, wie Staatssekretär v. Bülow Minister Curtius zu bedenken gab, daß „mit Rücksicht darauf, daß das bestehende Verbot den Westen und zum Teil die demilitarisierte Zone betrifft, also ein Gebiet, dem insbesondere Frankreich ein spezielles Interesse zuwendet", die Aufhebung des Stahlhelmverbots im Rheinland besser „mindestens" um ein halbes Jahr verschoben werden sollte. 282 Die beabsichtigte Ressortbesprechung sagte der Reichsinnenminister daraufhin mit der Begründung ab, daß „die preußische Regierung einschließlich der Zentrumsminister entschlossen gegen die Aufhebung ist".
280
Der Stahlhelm, 4. Mai 1930.
281
Hierzu Referentenvermerk für Pünder, 3. Mai 1930; BA, R 43 1/2735.
282
Curtius an den Reichskanzler, 1. Juli 1930, mit Abschrift einer Aufzeichnung des
Staatssekretärs v. Bülow über französische Kommentierungen und Äußerungen gegenüber Botschaftsrat Rieth; BA, R 43 1/2735.
Übergang ^ur Deflationspolitik
und Auflösung des Reichstags
111
Das milderte nicht den von rechts ausgehenden Druck auf die Reichsregierung. Die sich mehrenden Protesttelegramme aus Stahlhelmkreisen an den Reichspräsidenten übersandte Staatssekretär Meissner der Reichskanzlei „mit der Bitte um Vorlage bei dem Herrn Reichskanzler". 283 Wenige Tage vorher hatte Hindenburg in einer Besprechung mit Brüning und Curtius sich zwar damit einverstanden erklärt, daß die Aufhebung des Verbots erst nach der Räumung erfolgen solle. Meissner setzte jedoch Brüning umgehend über eine veränderte Haltung Hindenburgs ins Bild, der nunmehr der festen Auffassung sei, daß das Verbot „in den ersten Tagen des Juli aufgehoben werden" müsse und schon vorher Besprechungen mit Stahlhelmführern abgehalten werden sollten. Um den Druck unzweideutig erkennen zu lassen, bezeichnete er dies als „festgelegte Stellungnahme" des Reichspräsidenten. 284 Auf Meissners Vermittlung fand am 14. Juni ein Empfang des Bundesführers Seldte und des „Bundeskanzlers" Wagner, der an Stelle des vorgesehenen Duesterberg erschien, durch Brüning in der Reichskanzlei statt, der als „erste Fühlungnahme" bezeichnet wurde und auf den eine weitere Besprechung unter Beteiligung von Wirth und Staatssekretär Zweigert am 23. folgte. 285 Im Laufe der Unterhaltung gaben die Stahlhelmvertreter eine von Meissner vorbereitete Erklärung ab: „Der Stahlhelm will keine militärische Organisation sein; er veranstaltet daher grundsätzlich keinerlei militärische Übung ... Die Bundesführung des Stahlhelms ist aber bereit, zur Vermeidung von Mißverständnissen ... entsprechende Weisungen an die Provinzialverbände usw. herauszugeben..." Dies bedeutete einen Rückzug von den bislang außenpolitisch wenig bedachten Praktiken und Behauptungen des Stahlhelms. Schließlich wurde sogar bekräftigt, daß „keine Tendenz gegen den jetzigen Staat" bestünde. So hätte denn das Kriegsbeil begraben werden können. Doch noch blieb die Haltung der preußischen Regierung offen, die das Verbot erlassen hatte. In der zweiten Besprechung des Reichskanzlers und des Reichsinnenministers mit den Stahlhelmführern ließ sich Brüning zu der Erklärung bewegen, daß er Otto Braun zur Aufhebung des Verbots veranlassen werde. 286 Am 2. Juli begab er sich zum preußischen Ministerpräsidenten, um ihn in einer längeren Aussprache zur Nachprü-
283
20. Mai 1930; BA, R 43 1/2735.
284
Meissner an Pünder am gleichen Tage über die Besprechung Hindenburgs mit
Brüning und Curtius am 7. Mai, Aktennotiz a. a. O. 285
a. a. O.; auch das Folgende.
286
Aktenvermerk von Planck, 24. Juni 1930.
112
I. Die Regierung Brüning 1930
fung und Aufhebung des Verbots zu veranlassen. Brüning schlug vor, daß dies durch die Stahlhelmführung beantragt und von der preußischen Regierung genehmigt werden solle. Bei dieser Gelegenheit erwähnte er die Ankündigung des Reichspräsidenten, der andernfalls seine Rheinfahrt zu den Befreiungsfeiern nach der Räumung hinausschieben wollte. 287 Damit war jedoch das Problem nicht gelöst. Als von preußischer Seite nichts geschah und Oberregierungsrat Planck im Preußischen Staatsministerium nachfragte, erhielt er am 9. Juli die Mitteilung, daß die preußische Staatsregierung erst weitere Erhebungen anstellen müsse; so sei zu klären, ob das Auswärtige Amt nicht doch noch Bedenken gegen die Aufhebung des Verbots habe. Eine Rückfrage Plancks im Auswärtigen Amt ergab zu diesem Zeitpunkt keinen Anhalt mehr für derartige Mutmaßungen. Doch nach einigem Hin und Her, bei dem der Ministerialdirektor Nobis im Preußischen Staatsministerium auf einem bindenden Bescheid des Auswärtigen Amtes bestand, ergab sich, daß eine Aufhebung des Verbots vor der Rheinlandreise des Präsidenten nicht mehr erfolgen könne. Nobis kündigte einen entsprechenden Brief des Ministerpräsidenten an den Reichskanzler an. 288 Am nächsten Tag schob er eine weitere Bedingung nach. Er avisierte einen Brief des preußischen Innenministers an den Reichskanzler, in dem Preußen zunächst auf der schriftlichen Anerkennung bestehen werde, „daß das seinerzeit erlassene Verbot in Westdeutschland zu Recht ergangen ist" und daß der Stahlhelm in einem Revers erklären müsse, daß er keine Veranstaltungen mehr veranlassen werde, die denen glichen, die zu dem Verbot geführt hätten. 289 Ob der preußische Innenminister Waentig schwerwiegende Gründe für seine Haltung hatte, ob die preußische Regierung sich bei den Verhandlungen zwischen Stahlhelmführern, Reichskanzler und Reichspräsidenten übergangen sah oder ob sie anderen Gesichtspunkten folgte, braucht hier nicht entschieden zu werden. Jedenfalls trieb der Konflikt wieder auf die Spitze. Am 14. Juli schrieb der preußische Innenminister an Reichskanzler Brüning, daß er die nach Einwirkung des Reichspräsidenten abgesprochene Erklärung des Stahlhelms als unzureichend ablehne und eine andere und stärkere Bindung des Bundes an die Zusage
287
Vermerk von Pünder, 3. Juli 1930. Der Antrag der Stahlhelmführung ging am 4. Juli
an den preußischen Innenminister. 288
Vermerk von Planck, 11. Juli 1930.
289
Vermerk Plancks v o m 12. Juli mit handschriftlichem Zusatz für Pünder: „M. E. ganz
unmögliche Bedingungen, die eigentlich schlimmer sind als glatte Ablehnung."
Übergang
%ur Deflationspolitik
und Auflösung
des
Reichstags
113
Verlange, daß sich der Stahlhelm an militärischen Übungen nicht beteilige. 290 Dies lehnten die Stahlhelmführer sofort ab. 291 Pünders Fazit lautete kurz und klar: „Die eingehenden Bemühungen des Herrn Reichskanzlers sind ohne jeden Erfolg geblieben." Der Reichspräsident war über die brüske Haltung des preußischen Ministerpräsidenten „sehr verärgert" und sagte seine Teilnahme an der „Befreiungsfahrt" in einem Schreiben an Braun am 16. Juli ab. Doch am gleichen Tage ging die vorab besprochene Erklärung des Stahlhelms in der Reichskanzlei ein, 292 was eine Reihe hektischer Reaktionen auslöste und den Kanzler bewog, Hindenburg für einen Ausgleich zu gewinnen und die Stahlhelmführer zum preußischen Innenminister Waentig zu schicken. Nach Brünings Vortrag erklärte sich der Reichspräsident bereit, seine Absage zurückzunehmen, sobald die Aufhebung des Stahlhelmverbots von Braun unterschrieben sei. 293 Noch am gleichen Tage gab die preußische Regierung nach. Ein eilig verfaßter Runderlaß Waentigs an die beiden Oberpräsidenten und die Regierungspräsidenten der Rheinprovinz und Westfalens erklärte das Einverständnis des Ministers mit einer Neubildung des Stahlhelms in diesen Provinzen und übermittelte die Erklärung der Bundesführung des Stahlhelms. Presse und Öffentlichkeit konnten diesem raschen Verlauf und den wechselnden Situationen kaum folgen. Wie häufig, fehlte es in der Verlegenheit nicht an Gehässigkeiten auf allen Seiten. Das offiziöse Wolffsche Telegraphenbüro veröffentlichte in seiner zweiten Nachmittagsausgabe am 15. Juli 1930 den Absagebrief Hindenburgs an Braun in vollem Umfange, fügte dem jedoch die Meldung an, daß der Stahlhelm hinreichende Zusicherungen gegeben habe, „sich jeder wie immer gearteten militärischen Betätigung zu enthalten". 294 Am nächsten Tag folgte dann das Antwortschreiben Brauns an Hindenburg 295 und am 17. Juli die Meldung, daß Brüning und Braun beim Reichspräsidenten erschienen seien, um mit ihm über das Stahlhelmverbot zu sprechen. 296 Kurz zuvor war die Meldung von der Aufhebung des Stahlhelmverbots für Rheinland Original BA, R 43 1/2735. Vermerk Pünders vom 15. Juli; Abschrift des Stahlhelm-Schreibens vom gleichen Tage, a. a. O. 292 Orig.-Durchschi, mit eigenhändigen Unterschriften von Seldte, Duesterberg und Wagner; a. a. O. 2 , 3 Vermerk Pünders, 16. Juli; a. a. O. 290 291
294 W T B ;
2,5 296
81
jg
i Nr
WTB, Nr. 1424. WTB, Nr. 1436.
1420.
I. Die Regierung Brüning 1930
114
und Westfalen auf Grund der nun auch in vollem Wortlaut gedruckten Erklärung der Bundesführung verbreitet worden. 297 Das Kriegsbeil wurde nach diesen Erfahrungen jedoch nie mehr begraben. Bei der nächsten günstig erscheinenden Gelegenheit, im April 1931, rief der Stahlhelm zu einem Volksbegehren für die Auflösung des preußischen Landtags auf, um die dann nicht mehr endende Phase des schärfsten Kampfes gegen die preußische Regierung zu eröffnen. 298 Es gab mithin mehrere Momente, die die Entscheidung des Reichskanzlers beeinflußten, die ihn bedrängten und angetrieben haben mögen. Luther warnte den Reichskanzler telegraphisch aus seinem Zug nach Basel und verwies auf ausländische Besorgnisse vor einer „Finanzdiktatur", die er als Gefahrdung für den deutschen Kredit bezeichnete. Auch Reusch äußerte in Basel, daß die Anwendung des Artikels 48 das Ansehen der deutschen Regierung im Auslande stark vermindern würde. 299 Sein Berliner Verbindungsmann v. Gilsa hielt salopp dagegen, daß diese Auslandsmeinung nur von Luther „bestellt" sei, der sich „nicht die besten Rosinen aus seinem politischen Kuchen frühzeitig herauspicken lassen" wolle. Dies war auch die Meinung in der DVP: „Das Entscheidende für das Ausland sei nicht der Weg, sondern lediglich die Tatsache, daß Ordnung geschaffen würde. Im übrigen sei es auch fast dasselbe, ob die Regierung mit dem Artikel 48 regiere oder ob die Parteien im letzten Augenblick nachgäben, weil sie die Anwendung dieses gefürchteten Artikels verhindern wollten." 300
297
W T B , Nr. 1431 (17. Juli).
m
A m 5. April 1931 erschien in dem Organ Der Stahlhelm ein Artikel des Bundes-
kanzlers Major a.D. Wagner, „Löst den Landtag auf!" Über dieser Schlagzeile w a r eine weitere Schlagzeile eingefügt: „Um der Freiheit willen!" Daraufhin wurde Der Stahlhelm v o m Berliner Polizeipräsidenten Grzesinski, der als Vorgänger Waentigs Innenminister war und für das Stahlhelmverbot in der Rheinprovinz und in Westfalen verantwortlich zeichnete, auf Grund des Republikschutzgesetzes, § 5, 1, sowie der Ziffern 2 und 12 der Notverordnung des Reichspräsidenten zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen v o m 28. März 1931 (RGBl I, 1931, S. 79) bis zum 9. Juli 1931 verboten. W T B , 82. Jg., Nr. 744, 10. April 1931. — Dies veranlaßte das Reichsinnenministerium zum Einschreiten. Wegen der langen Verbotsdauer beantragte es eine Überprüfung durch den IV. Strafsenat des Reichsgerichts. Das Verbot wurde dann auf Grund des Urteils des Strafsenats verkürzt. A b e r wegen einer Karikatur wurde am 24. Juni Der Stahlhelm erneut verboten. Vorgänge BA, R 43 1/2735. 2,9
Die Telegramme von Luther und Reusch werden im Antwortbrief v. Gilsas an
Reusch vom 17. Juli 1930 erwähnt. Schulz, Politik, 1, S. 283. m
Ebda.
Obergang %ttr Deflationspolitik
und Auflösung des Reichstags
115
Dies entsprach der Auffassung des Reichskanzlers, der den eingeschlagenen Kurs beibehielt. Die immer noch schwebenden Verhandlungen mit Preußen wegen seiner Haltung im Reichsrat zu einem Ermächtigungsgesetz und indirekt mit der SPD ließ er auslaufen. Der Artikel 48 stand zur Verfügung, wie die Gutachten der Juristen bei Antritt der Regierung erklärt hatten; Brüning hielt ihn bereit, um unter den gegebenen Voraussetzungen die Lösung vom parlamentarischen Weg zu beginnen. In den Reichsministerbesprechungen am 14. und wieder am 15. Juli verdeutlichte er seine Ansicht, daß er auf Nachgiebigkeit der SPD verzichten müsse; 301 jetzt seien alle „Eventualitäten für die Anwendung des Artikels 48" zu erörtern. Man beschloß, den Reichstag aufzulösen, falls er, wie vorauszusehen, die beabsichtigten Notverordnungen aufheben sollte. Brüning forderte die Minister auf, daß sie „auch nach Kenntnisnahme der Auffassung des Reichsbankpräsidenten an den vorgefaßten Beschlüssen festhalten". 302 Als am nächsten Tage die Deckungsvorlage der Reichsregierung mit der nun als „Reichshilfe" bezeichneten Gehaltskürzung im öffentlichen Dienst beraten wurde, entschied sich die SPD-Fraktion gegen die Regierung. 303 Wie beschlossen, 304 setzte die Reichsregierung noch am gleichen Tag die Deckungsvorlagen mit Ergänzungen als Notverordnung des Reichspräsidenten in Kraft. 305 Während der folgenden Auseinandersetzung im Reichstag ging in der gespannten Atmosphäre die Verbindung Brünings zur Sozialdemokratie völlig verloren, die jetzt die Aufhebung der Notverordnung verlangte und einen Mißtrauensantrag stellte. 306 Während sich auf der einen Seite erneut die Hoffnung regte, daß es angesichts der Haltung der Regierung zur Bildung einer großen bürgerlichen Partei kommen könne, an der Treviranus mit seiner Gruppe wie auch Scholz mit der DVP partizipierte, 307 suchte Hugenberg scheinbar
301
Die Kompromißbereitschaft der SPD ist mehrfach überliefert. So Vermerk Pünders
vom 12. Juli 1930; BA, R 43 1/2365; Friedrich Stampfer, Die 14 Jahre der ersten deutschen Republik, Offenbach 1947/Hamburg 1953, S. 575; Wilhelm Keil, Erlebnisse eines Sozialdemokraten, Bd. 2, Stuttgart 1948, S. 388 ff. 302
Reichsministerbesprechung am 14. Juli 1930; AR: Brüning, 1, S. 316.
303
StenBer V h RT, Bd. 428, S. 6430 ff.
304
Brüning in der Reichsministerbesprechung am 9. Juli; A R : Brüning, 1, S. 291 f.
305
Verordnung des Reichspräsidenten v o m 16. Juli 1930; RGBl I, 1930, S. 207 u. 212.
306
StenBer V h RT, Bd. 428, S. 6497 ff.; D r S RT, Bd. 443, Nr. 4202; zur D N V P : Schulz,
Politik, 1, S. 286 — 300. Graf Westarp schied nunmehr aus der D N V P aus. Vgl. Bracher, Auflösung, S. 349 f.; Jonas, Volkskonservative, S. 76. 307
Blank an Reusch, 17. Juli 1930; Schulz, Politik, 1, S. 286.
116
I. Die Regierung Brüning 1930
einen Ausweg darin, daß er dem Reichskanzler Verhandlungen anbot, für die er sich von der Reichstagsfraktion umfassende Vollmachten geben ließ. 308 Diese Verhandlungen sind am Nachmittag des 17. Juli in vollem Umfang gescheitert, obgleich Brüning offenkundig in konzilianter Weise Hugenberg und Oberfohren entgegenzukommen versuchte. Aber auf ihre sehr weit gehenden Forderungen — nach Vertagung der Abstimmung über den Antrag auf Aufhebung der Notverordnung bis zum Herbst, nach einer Umbildung der Reichsregierung und nach Beteiligung der Deutschnationalen an einer neuen preußischen Regierung — konnte sich der Reichskanzler nicht einlassen, ihnen aber auch nicht mit Gegenvorschlägen begegnen. 309 Damit war nun „die große Stunde der Partei" gekommen, wie es ihr Reichstagsabgeordneter Graf Eulenburg ausdrückte, in der sich die DNVP um den Preis der Spaltung zwischen der Unterstützung der Reichsregierung und Opposition entscheiden mußte und — ganz nach dem Willen Hugenbergs — tatsächlich zugunsten der letzten entschied. Dies war, wie Graf Westarp bemerkte, auch eine Erklärung der Opposition gegen den Reichspräsidenten, der beständig eine Regierung „nach rechts" anstrebte; das deutschnationale Verlangen nach Aufhebung der Notverordnung kam insofern einem „Mißtrauensvotum gegen Hindenburg" gleich. Offenkundig lag es in der Absicht Brünings, zu zeigen, daß der Kurs nach rechts in diesem Augenblick auf eine Grenze gestoßen war, die sich durch kein erkennbares Mittel überwinden ließ. Dies mußte auch den Reichspräsidenten überzeugen. Brüning irrte freilich, wenn er sich im Besitz einer Kontrolle glaubte, die ihn gegen spätere Einwirkungen auf den Reichspräsidenten und gegen Beeinflussungen, die von der Richtung Hugenbergs ausgingen oder dirigiert wurden, ausreichend sicherte. Eine Gegenrechnung wurde eineinhalb Jahre später aufgemacht; an ihr ist der Reichskanzler gescheitert. Doch in keinem Augenblick war der Reichspräsident auf einen Kurs Brüning in der Weise festgelegt, daß er auf die Zustimmung der Wähler von rechts, denen er sich stets verbunden fühlte, jemals zu verzichten bereit gewesen wäre. So betrachtet, läßt die Situation der zweiten Juli-Hälfte 1930 bereits den Keim zu jener Entwicklung erkennen, die das Ende der Kanzlerschaft Heinrich Brünings in sich trug. 308
Schreiben Hugenbergs und Oberfohrens an Brüning, 17. Juli; Vermerk Pünders
hierzu v o m 19. Juli; BA, R 43 1/2654. Niederschrift über die Sitzungen der Reichstagsfraktion der D N V P am 17. Juli; Schulz, Politik, 1, S. 2 8 6 - 2 9 9 . ™ Zu den Überlieferungen Schulz, Politik, 1, S. 2 9 3 f., Anm. 4 u. 5.
Übergang \ur Dejlationspolitik
Niederlage des
und Auflösung des Reichstags
117
Reichstagsparlamentarismus
Die parlamentarische Niederlage der Regierung war besiegelt, wenn auch kalkuliert. Ihr folgte die A u f l ö s u n g des Reichstags, 310 zehn Tage später der erneute Erlaß der Notverordnung in veränderter und erweiterter Fassung. 3 1 1 Die sich schnell verschlechternde Wirtschaftslage, Steuerausfalle und die rapide Vergrößerung der Arbeitslosenzahl schlugen sich schon wenig später in neuen düsteren Prognosen der Reichsfinanzen nieder, die den mit Mühe erreichten Haushaltsausgleich wieder in Frage stellten. 3 1 2 Brüning hatte v o m ersten Tage seiner Regierungsübernahme an das Notverordnungsrecht und Reichstagsauflösungsrecht des Reichspräsidenten zur Anwendung bereitgehalten. A b e r er benutzte es als Drohund Druckmittel, um die entscheidenden Parteien und Gruppen hinter die Gesetzesvorlagen der Regierung zu bringen. Doch seine stetig wiederholte Drohung verlor an Wirkung, als sich die Betroffenen mit den Folgen einer raschen Reichstagsauflösung abzufinden und auf sie einzustellen, zum Teil sogar mit ihr zu befreunden begannen. Nationalsozialisten und Kommunisten strebten sie an und waren immer vorbereitet. A b e r auch Zentrum und Bayerische Volkspartei glaubten, sie nicht fürchten zu müssen und mit Brüning im Reichskanzleramt nicht ungünstiger, eher besser abschneiden zu können als bei der letzten, als Niederlage empfundenen Reichstagswahl am 20. Mai 1928. Auch die S P D nahm in
3,0 Verordnung des Reichspräsidenten über die Auflösung des Reichstags vom 18. Juli 1930 (RGBl I, 1930, S. 299), im konzisen Wortlaut geradezu ironisch anmutend: „Nachdem der Reichstag heute beschlossen hat, zu verlangen, daß meine auf Grund des Art. 48 der Reichs Verfassung erlassenen Verordnungen vom 16. Juli außer Kraft gesetzt werden, löse ich auf Grund des Art. 25 der Reichsverfassung den Reichstag auf." Zur Bedeutung Bracher, Auflösung, S. 339; Ulrich Scheuner, Die Anwendung des Art. 48 der Weimarer Reichsverfassung unter den Präsidentschaften von Ebert und Hindenburg, in: Hermens, Staat, S. 274 ff. 311 Verordnung des Reichspräsidenten zur Behebung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Notstände vom 26. Juli (RGBl I, 1930, S. 311). 3,2 Handschriftl. Vermerk von Staatssekretär Schäffer über ein Gespräch mit dem österreichischen Journalisten Frederick Kuh und Prognosen von Schacht, 28. August; IfZ, Nachl. Schäffer. In zwei Ausarbeitungen Anfang September veranschlagte Schäffer bis Beginn 1931 ein Kassendefizit von 580 Millionen, bis zum 1. April 1931 von zusätzlich 245 Millionen RM. Zur Abdeckung schlug er die Ausgabe von Reichsschatzanweisungen, die Verpfändung von Reichsbahnvorzugsaktien und die Aufnahme einer — mittelfristigen — Auslandsanleihe von 100 bis 125 Millionen Dollar vor, die er durch Vermittlung von George Murnane beim New Yorker Bankhaus Lee, Higginson & Co. sichern wollte. Aufzeichnung Schäffers über eine Unterredung mit Luther und Reichsbankvizepräsident Dreyse, 12. September; Schulz, Politik, 1, S. 378-380.
118
I. Die Regierung Brüning 1930
unerschüttertem Selbstvertrauen die Gefahr einer Reichstagsauflösung in Kauf. Die Christlich-nationale Landvolk- und Bauernpartei wähnte sich im Aufschwung und konnte sogar darauf hoffen, von der Spaltung der DNVP-Fraktion bei den Wählern zu profitieren und in agrarischen Gebieten die Deutschnationalen zu beerben. Die DNVP hatte sich aufs Durchhalten um jeden Preis, Hugenberg seit Beginn der Regierung Brüning auf Neuwahlen eingestellt. DVP und Wirtschaftspartei glaubten, aus dem Gärungsprozeß im bürgerlichen Lager mit zunehmender Rechtsorientierung Gewinne für sich abschöpfen zu können. Sogar in der DDP unter der Führung des schon stark deprimierten Koch-Weser glaubten einige Gruppen, durch eine „Neuorientierung" mit Hilfe des Jungdeutschen Ordens über die offenkundige Parteikrise hinwegzukommen. Die Volkskonservativen unter der ebenso optimistischen wie selbstbewußten Führung von Treviranus hatten von Anbeginn auf Neuwahl gesetzt, aber auch an ihrer Verzögerung im Hinblick auf eine erwartete Stärkung durch die Gruppe um Graf Westarp Geschmack gefunden. Die Meinung, daß der Reichstag bei seiner Auflösung noch intakt war, läßt sich mit Verweis auf die wechselnden und knappen Mehrheiten im Frühjahr und Frühsommer 1930 keineswegs überzeugend belegen. Sobald man die Vorgänge insgesamt und die Konfrontationen zwischen den und innerhalb der Parteien ins Auge faßt, ergibt sich ein Bild stark schwankender und im parlamentarischen Handlungsbereich schwindender Grundlagen. Die Auflösung des Reichstagsparlamentarismus, letztlich des Verfassungskonsenses der Republik und des auf ihm basierenden Parteienstaates war in ein fortgeschrittenes Stadium getreten. Das gesamte Gebäude der Republik geriet aus den Fugen. Außenpolitisch und außenwirtschaftlich erschien die Lage noch so wenig geklärt, daß Staatssekretär v. Bülow eine Sprachregelung für die Auslandsmissionen als geboten erachtete, die die Anwendung des Artikels 48 und die Auflösung des Reichstags mit großer Sorgfalt behandelte. Der Erlaß des Staatssekretärs schob Bestimmungen und Achtung der Reichsverfassung entschieden in den Vordergrund, um die Anwendung des Artikels 48 in einer besonderen Situation — als „nichts Ungewöhnliches" — ganz den erneut hervorgetretenen Differenzen innerhalb der DNVP zur Last zu legen. 313 In dieser Version ließen die im Banne noch weiter rechts stehender Gruppen handelnden Deutschnationalen die Entscheidung der Regierung als verantwortlich, außenpolitisch beruhigend
3,3
Erlaß vom 19. Juli 1930; a. a. O., S. 300 ff.
Übergang
Deflationspolitik
und Auflösung des Reichstags
119
und insgesamt als vorteilhaft im Hinblick auf die weitere Entwicklung erscheinen. Im Hinblick auf die Reichstagsneuwahl herrschte keine geringere Unsicherheit. Führende Männer der industriellen Spitzenverbände, vor allem der Ruhrlade, des RDI und des DIHT betrieben das Geschäft eifriger Vermittlung. 314 Entschiedene Vorbehalte gegenüber dem Verlangen nach einem starken politischen und finanziellen Engagement finanzkräftiger Gruppen sind indessen unübersehbar. Nach den Überlieferungen brachte dies Springorum am deutlichsten zum Ausdruck: „Finanzielle Mittel für den Wahlkampf können nur denjenigen Gruppen in Aussicht gestellt werden, die den Nachweis erbringen, daß sie alles Denkbare getan haben im Sinne eines Zusammenschlusses bzw. eines gemeinsamen Vorgehens gelegentlich der Wahl und auch darüber hinaus. Da die Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, dürfen vorläufig noch keine Gelder hergegeben bzw. zugesagt werden." Die Aussichten verminderten sich angesichts der auch von Treviranus salopp geäußerten Überzeugung, „daß der nächste Reichstag überhaupt keine Grundlage für eine bürgerliche Mehrheitsregierung ergeben würde und daß man infolgedessen damit rechnen müsse, daß auch weiterhin außerparlamentarisch regiert werden müsse. Möglicherweise würden noch verschiedene Reichstagsauflösungen folgen." 315 Finanzielle Unterstützung für eine der agierenden Gruppen kam unter diesen Voraussetzungen kaum in Betracht. Mehrere industrielle Interessenvertreter setzten auf die weitere Anwendung des Artikels 48 durch die Reichsregierung. Reuschs Vertreter in Berlin, Blank, und der Geschäftsführer der VDA, Erdmann, wandten sich unmittelbar an General v. Schleicher, um die Zusicherung zu erhalten, daß mit Hilfe des Reichswehrministeriums künftig die Anwendung des Artikels 48 auch in dem Bereich der von ihnen vorgetragenen Interessen gewährleistet sei, Politik und Gesetzgebung sich mithin gleichsam ohne Beschwernisse von den parlamentarischen Bedingungen und Gewohnheiten abheben würden. 316 Es gab aber auch entschiedene Gegner dieses „Take-off einer permanenten Anwendung des Notverordnungsrechtes; sogar der Reichspräsident persönlich wurde hierzu gezählt, da er „unter allen Umständen im Rahmen der Verfassung zu bleiben" gedachte. Ihre Bedenken stützten einige Staatsrechtler, die von Mitgliedern der Reichsregierung hierzu 314
Ausführliche Aufzeichnung Blanks; a. a. O., S. 3 0 5 - 3 1 3 .
315
Blank an Reusch, 23. Juli 1930; a. a. O., S. 307 f.
3,6
a. a. O., S. 309, 312.
120
I. Die Regierung Brüning 1930
befragt worden waren. 317 Die Überlieferung der Kabinettsberatungen am 24., 25. und 26. Juli gibt hierfür allerdings keinen Anhalt; auch Reichsfinanzminister Dietrich äußerte sich in einem entschieden für die Notverordnung Partei ergreifenden Sinne. 318 Die Bedenken teilte hingegen Eduard Hamm, der Geschäftsführende Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, der sich mit diesen Fragen eingehend befaßt hatte und Einwände gegen eine weitgreifende Möglichkeit der außerordentlichen Gesetzgebung auf wirtschaftspolitischem Gebiet geltend machte. 319 Im DIHT zeigte man Neigung, nach wie vor einer Sammlung der politischen Kräfte größeren Umfanges den Vorzug zu geben; unter dem Eindruck der eingetretenen Entwicklung bestanden allerdings nur geringe Hoffnungen auf eine derartige Lösung. Aber der Zustimmung zu dem eingeschlagenen Kurs und einer Anwendung der erörterten Mittel versagte sich letztlich auch der DIHT in Anbetracht der wirtschaftlichen Entwicklung nicht. Er stellte sogar einen Katalog von Vorschlägen auf, den in dieser umfassenden Form wohl keine einzige Partei und vermutlich nur wenige Abgeordnete akzeptiert hätten. 320
317
So Blank an Reusch, 23. Juli.
318
A R : Brüning, 1, S. 3 3 1 - 3 4 1 , 346 ff.
319
Hierzu die Dokumente Nr. 120 a - d über die Vorgänge im DIHT, 28. Juli 1930;
Schulz, Politik, 1, S. 3 2 8 - 3 3 8 . 32,1
Rundschreiben Franz v. Mendelssohns u. Anl., 28. Juli; a. a. O., S. 337.
DRITTES
KAPITEL
Die Reichstags wähl am 14. September 1930 und ihre Folgen Das Wahlergebnis Bei nahezu 43 Millionen Wahlberechtigten wurde am 14. September 1930 eine Wahlbeteiligung verzeichnet, die um 6,4 Prozent über der am 20. Mai 1928 lag und, soweit wir dies statistisch zu erfassen vermögen, die bis dahin größte Anteilnahme der Bevölkerung an einer Wahlentscheidung brachte. Aber auch noch nie hatte sich in so kurzer Zeit so viel verändert. Fast 1,4 Millionen der Wähler vom 20. Mai 1928 waren inzwischen verstorben. 321 Dafür waren 3,13 Millionen Neuwähler hinzugekommen. Dies war die größte Vermehrung der Wahlberechtigten innerhalb eines vergleichbaren Zeitraums in der Geschichte der Weimarer Republik; die verhältnismäßig starken Jahrgänge 1908 bis 1910 kamen erstmals an die Wahlurnen. Der bis dahin größten Zahl der Wahlberechtigten in der deutschen Geschichte entspricht auch die größte biologische Veränderung der Wählerpopulation. Da per saldo mehr Wahlberechtigte zur Wahl gingen als je zuvor, erscheint gerade der Umfang der Einbußen und die Zahl der Verluste augenfällig. Zu den Verlierern, von denen wir annehmen dürfen, daß ihnen das Gewinnen von Neuwählern nicht oder nicht in ausreichendem Maße gelang, um den Verlust an verstorbenen Wählern auszugleichen, und daß sie unter Abwendungen ehemaliger Wähler litten, zählten — in dieser Reihenfolge: die DNVP, die mehr als die Hälfte ihrer Wähler vom Mai 1928 einbüßte, als sie bereits herbe Verluste erlitten und damals Graf Westarp zum Verzicht auf die Parteiführung veranlaßt hatte; an zweiter Stelle die SPD, deren Wähleranteil um mehr als ein Sechstel zurückging und — den absoluten Zahlen nach — um eine halbe Million unter dem Ergebnis der letzten Wahl lag; schließlich die DVP, die sich in einer fortschreitenden Rückentwicklung befand und mehr als ein Drittel des 321 Annäherungsrechnung auf Grund der Statistik der Sterbefälle innerhalb der einschlägigen Veröffentlichungen des Statistischen Reichsamtes.
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schon vorher stark geschrumpften Wähleranteils einbüßte, in absoluten Zahlen über 1,1 Millionen, so daß ihr nur noch 1,58 Millionen Stimmen blieben. 322 Verloren hatten auch die aus der D D P gebildete Deutsche Staatspartei, die Wirtschaftspartei und die Bauernpartei, von noch kleineren Parteien ganz abgesehen. Die Prozentsätze fielen nur noch in einzelnen Regionen oder Orten nennenswert ins Gewicht: die Christlichnationale Landvolk- und Bauernpartei in Bayern, Württemberg und Thüringen (in Oberbayern-Schwaben und Niederbayern als Bayerischer Bauern- und Mittelstandsbund, in Württemberg der Bauern- und Weingärtnerbund) und die Staatspartei noch eben — mit weniger als 10 Prozent — in Württemberg und Baden, dank einer Listenverbindung mit der DVP, die auf Kosten des Reichsergebnisses dieser Partei ging. Verloren hatten insgesamt sogar die sonst beständigen katholischen Parteien, Zentrum und BVP, wenn auch nur in geringem Umfang und aufgrund unterschiedlicher Bewegungen in den einzelnen Regionen. Der absoluten Zahl nach — im Hinblick auf den Anteil an der gewachsenen Wählerschaft aber nur bescheiden — gewonnen hatte das Zentrum in Gebieten, die keineswegs zu den katholischen Hochburgen zählten: in Württemberg, Ostpreußen, Berlin und den Reichstagswahlkreisen Potsdam I und II. Außerdem hatte die BVP ihre Stellung in Oberbayern-Schwaben ausbauen können. Gewinner dieser Reichstagswahl waren nur zwei Parteien: die KPD, die — im Vergleich zu 1928 — 2,5 Prozent der Wähler hinzugewann, und die NSDAP, die alle übrigen, teils beträchtlichen Verluste der anderen rechnerisch auf sich zu vereinigen und die Summe der Wählerbewegungen in einen großen Erfolg umzumünzen vermochte. Statt der 810000 Wähler, die für sie im Mai 1928 votiert hatten, erlangte sie diesmal 6,383 Millionen Stimmen und stellte sie nunmehr mit 107 Abgeordneten — nächst der SPD — die zweitstärkste Reichstagsfraktion. Dies war die eigentliche Sensation der Reichstagswahl des 14. September 1930 und neben den starken Verlusten von D N V P und D V P — in Anbetracht des erfolglosen Abschneidens der Volkskonservativen — die folgenreichste Tatsache, die aus dieser Wahl hervorging.
322 Übersichten über die Wahlergebnisse in den Reichstagswahlkreisen immer noch am besten im Kartenteil von Alfred Milatz, Wähler und Wahlen in der Weimarer Republik, Bonn 1965; zu den Gesamtergebnissen in den untersten Verwaltungseinheiten, die bis zur Reichstagswahl vom September 1930 am besten dokumentiert sind, die Sonderveröffentlichung des Statistischen Reichsamtes: Statistik des Deutschen Reiches, N. F., Bd. 382.
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Es zeigte sich, daß in einzelnen Kreisen, in denen der Volksentscheid gegen den Young-Plan am 22. Dezember 1929 auffällig hohe Beteiligungen erreicht hatte, 3 2 3 die N S D A P erneut gestärkt hervortrat. Sie ver-
323 Die N S D A P erreichte schon am 20. Mai 1928 in den Reichstagswahlkreisen Thüringen und Chemnitz-Zwickau Ergebnisse, die über dem Durchschnitt im Reich lagen, außerdem in Osthannover, w o der völkische Block 1928 noch stärker war als die N S D A P und auf beide zusammen 5,6 Prozent der Stimmen entfielen und, wenn man die D N V P hinzunimmt, auf alle drei Rechtsparteien 16,1 Prozent; beim Volksentscheid 19 Monate später gab es hier über 26 Prozent Ja-Stimmen. Anderseits blieb gerade in den Hochburgen, die die D N V P 1928 in den Provinzen Pommern und Ostpreußen besaß, das Ergebnis beim Volksentscheid am 22. Dezember 1929 um mehr als sieben bzw. annähernd fünf Prozent hinter dem DNVP-Anteil der letzten Reichstagswahl zurück. In diesen beiden ostdeutschen Agrarprovinzen setzten die Abwanderung zur N S D A P und der Aufstieg der HitlerBewegung später ein, führten jedoch in der Reichstagswahl am 14. September 1930 schon zu extremen Ergebnissen (Ostpreußen: 19,6 Prozent DNVP, 22,5 Prozent NSDAP; Pommern: 24,8 bzw. 24,3 Prozent). Im Wahlkreis Merseburg fiel die Regierungsmehrheit am 20. Mai 1928 am knappsten aus, bildeten jedoch KPD, SPD und DNVP, in dieser Reihenfolge, annähernd gleich große, den anderen Parteien bei weitem überlegene Stimmenblöcke. Das Gesamtergebnis des Volksbegehrens glich noch einem Fehlschlag; aber einzelne Ergebnisse in den unteren Verwaltungsbezirken konnten alarmierend wirken. Das Wahlergebnis v o m 14. September 1930 trieb weiter in der bezeichneten Richtung. Diese Beispiele zeigen, daß die komplizierten Bewegungen unter den wählenden Jahrgängen der Bevölkerung, die in der Wahlstatistik nur wie in einer Momentaufnahme erfaßt werden, lediglich in sehr engen Grenzen sinnvoll mit den Ergebnissen in den 35 großen Reichstagswahlkreisen erfaßt werden können. Stellt man die unteren Verwaltungsbezirke zusammen, in denen mehr als 50 Prozent der Stimmberechtigten im Dezember 1929 beim Volksentscheid Ja-Stimmen abgaben, so erhält man eine kleine, aber interessante Liste von 18 Kreisen: der ostpreußische Kreis Oletzko, die pommerschen Kreise Cammin, Greifenberg, Regenwalde, Bublitz, Schivelbein, Schlawe sowie der Landkreis Stolp, im Regierungsbezirk Merseburg der Landkreis Naumburg an der Saale, im Norden das Oldenburgische A m t Wildeshausen im Reichstagswahlkreis Weser-Ems, die Kreise Bremervörde im Wahlkreis Osthannover und Sulingen in Südhannover-Braunschweig, außerdem die mittelfränkischen Bezirksämter Ansbach, Dinkelsbühl, Günzenhausen, Neustadt an der Aisch, Uffenheim und Rothenburg ob der Tauber, Mittelpunkt eines seit langem gepflegten romantischen Ambiente, w o mit 76 Prozent Ja-Stimmen sogar das höchste Ergebnis im ganzen Reichsgebiet erreicht wurde. Diese deutlichen Schwerpunkte lagen mithin in bemerkenswert weit voneinander entfernten und merkwürdig verschiedenartigen Regionen, Pommern, Oldenburg und Mittelfranken. Doch alle genannten Verwaltungseinheiten waren ländlicher Art. In den kreisunmittelbaren Kleinstädten wichen die Ergebnisse vom Gesamtbild ab, vermochten es jedoch nicht wesentlich zu beeinflussen. Allerdings stimmt es nachdenklich, könnte aber auch zu möglichen Erklärungen beitragen, daß gerade in dem seit langem sprichwörtlichen „Hinterpommern" wie in der vielbesungenen Idylle der „romantischen Straße" die Breitenkampagne zu einer Frage der Außenpolitik am Ende der zwanziger Jahre zu den eklatantesten Ergebnissen führte. Doch die Ergründung bedarf der Regionalwie der Lokalstudien.
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mochte die Zahl der Bezirke ihres überdurchschnittlichen Erfolges, in denen sie mehr als 20 Prozent des Wähleranteils erreichte, erheblich zu vermehren. In Ostpreußen, in Pommern, im nördlichen Oldenburg und anderen Stimmbezirken des Reichstagswahlkreises Weser-Ems, in Osthannover, in Südhannover-Braunschweig, in Mittelfranken und im Regierungsbezirk Merseburg hatte sie in größtem Umfange das Erbe der zerfallenden und bis auf einige Reste dezimierten DNVP angetreten. In anderen Reichstagswahlkreisen hatte sie ähnliche Wahlergebnisse erreicht, die sich im Volksbegehren und im Volksentscheid gegen den YoungPlan noch gar nicht abzeichneten: in Schleswig-Holstein, wo sie 27 Prozent der Wähler gewann, in den Reichstagswahlkreisen Frankfurt/ Oder, Breslau, Liegnitz, Hessen-Nassau, Chemnitz-Zwickau und Mecklenburg. Die Schwerpunkte sind zahlreich und, wenn man sie auf der unteren Verwaltungsebene untersucht, über verschiedenartige Regionen weit verteilt, so daß eng gefaßte soziographische Erklärungsversuche fragwürdig bleiben. Dort, wo die NSDAP ihre größten Erfolge errang, können Berechnungen aufgrund der Verluste der bürgerlichen und rechten Parteien und des Neuzugangs an Jungwählern keine ausreichende Erklärung liefern, um ihr günstiges Abschneiden zu begründen. 324 Wer die Entwicklung im einzelnen und auf unterer Ebene verfolgt, wird der Tatsache inne, daß eine weite, über die Grenzen zwischen „rechts", „links" und der „Mitte" hinwegreichende Verschiebung, in einigen Erfolgsregionen der NSDAP gar eine Umwälzung eingesetzt hatte, die in beträchtlichem Umfang die herkömmliche Haltung der Wähler in Frage stellte und nicht auf bestimmte soziale Gruppen oder Schichten begrenzt blieb. Das Aus-
324
A u f der Ebene der Reichstagswahlkreise Schulz, Aufstieg, S. 865. Eine vollständige
systematische Untersuchung der Vorgänge in den unteren Verwaltungseinheiten steht immer noch aus. Interessanter Versuch von Fritz Hasselhorn, W i e wählte Göttingen? Wahlverhalten und die soziale Basis der Parteien in Göttingen 1924—1933, Göttingen 1983. Die immer wieder Mutmaßungen veranlassende, aber sehr schwer zu beantwortende Frage, inwieweit Wahlentscheidungen durch die „soziale Basis" der Wähler beeinflußt oder gar determiniert werden, bleibt nach wie v o r offen. Ergebnisse und Literatur hierzu zuletzt bei Jürgen W. Falter, Wahlen und Wählerverhalten unter besonderer Berücksichtigung des Aufstiegs der N S D A P nach 1928, in: Karl Dietrich Bracher, Manfred Funke, Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.), Die Weimarer Republik 1 9 1 8 - 1 9 3 3 . Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Bonn 1987, S. 484—504. Umfassende und fundierte Kritik an bisherigen statistischen Verfahren v o n Peter Manstein, Die Wähler und Mitglieder der N S D A P
1919-1933.
Untersuchungen zu ihrer schichtmäßigen Zusammensetzung, Frankfurt a. M./Bern/New York/Paris 1988.
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maß dieser Umwälzung reichte weit über die junge Generation hinaus, die allerdings in wachsendem Umfang von der Propaganda der NSDAP beeindruckt wurde.
Die NSDAP:
Wahlerfolg nach Krisen und Konflikten
Das folgenreiche Ergebnis überraschte um so mehr, als die NSDAP noch wenige Monate vorher, sogar noch während des Wahlkampfes das Bild einer in hohem Maße zerstrittenen Partei darbot. Dies ist allerdings nicht das einzige und auch nicht das erste Beispiel der deutschen Geschichte dafür, daß eine zwischen Widersprüchen zerrissene, aber sich dennoch nicht aufreibende Partei auf Erfolgskurs geriet. Dem steht freilich auch die Tatsache gegenüber, daß der Umfang der Propaganda und die Aufwendungen für die Veranstaltungen der NSDAP während des Wahlkampfes und schon davor, seit Beginn der Kampagne gegen den YoungPlan, eine gewaltige Dimension erreicht und ein neues, bis dahin in der deutschen Parteiengeschichte unbekanntes Beispiel geliefert hatten. Zwischen beiden Beobachtungen dürften Beziehungen bestehen, die nicht nur den Charakter dieser Partei in diesen Monaten, sondern auch das Interesse an ihrer künftigen Entwicklung anzeigen. Im Frühjahr und Sommer 1930 präsentierte sich die ebenso große wie bunte Schar nationalrevolutionärer Protagonisten in enger Fühlung mit der NSDAP. Man stimmte in der Distanzierung vom Marxismus wie in der Bereitschaft zur Anlehnung an Sowjetrußland überein. Doch das stiftete noch keine Gemeinschaft. Weithin bekannt wurde das Ausscheiden Otto Straßers, der schon 1928 an eine neue Partei dachte und mit seinen im August 1929 verbreiteten Thesen 325 weit mehr Beachtung in nationalrevolutionären und bündischen Gruppen als in der NSDAP selbst fand. Die entscheidende Frage hatte Otto Straßer schon in Verbindung mit der Regierungsbildung in Sachsen formuliert: ob die NSDAP „hinein in den Staat" sollte oder nicht. Straßer antwortete mit einem konsequenten Nein, weil nur eine „Katastrophenpolitik" den Erfolg des Nationalsozialismus verbürge. 326 Im April 1930 versuchte Straßer, dies durch 325
Abgedruckt bei Reinhard K ü h n l , Die nationalsozialistische Linke 1925 — 1930, Mei-
senheim 1 9 6 6 , S. 2 8 8 f f . ; vgl. Albrecht Tyrell (Hrsg.), Führer befiehl... Selbstzeugnisse aus der „Kampfzeit" der NSDAP. Dokumentation und Analyse, Düsseldorf 1969, S. 313; ausführlich hierzu Schulz, Aufstieg, S. 578 ff. 326
Wolfgang Horn, Führerideologie und Parteiorganisation in der N S D A P ( 1 9 1 9 —
1933), Düsseldorf 1972, S. 256.
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rückhaltlose Unterstützung eines von den Freien Gewerkschaften organisierten Streiks in der sächsischen Metallindustrie zu bekräftigen. In der sächsischen Arbeiterschaft war die Position der NSDAP stärker als in anderen Gebieten des Reiches. Hier war es auch möglich, daß der nationalsozialistische sächsische Landtagsabgeordnete Dönicke, der sieben Jahre später als Nachfolger Carl Goerdelers der erste wahrhaft proletarische Oberbürgermeister von Leipzig wurde, alle „Streikbrecher" aus der NSDAP ausschließen wollte. 327 Hitler hatte sich, wahrscheinlich mit Rücksicht auf sächsische Industrielle, die in Gauleiter Mutschmann über einen Mittelsmann verfügten, zu vorsichtigerem Vorgehen entschlossen. Doch ein zweitägiges Gespräch mit Otto Straßer in Berlin führte zu keinem Ergebnis. Straßer blieb, wo und was er war; aber Hitler reagierte mit eben der Zielsicherheit, die seine Gegner so häufig überraschte. Offenbar unter dem Eindruck der Gründung der Gruppe Sozialrevolutionärer Nationalisten (GSRN) und der Umtriebe derer, die mit Otto Straßer konspiriert hatten, um die Gründung einer „Unabhängigen Nationalsozialistischen Partei" vorzubereiten, 328 eröffneten Goebbels und der Untersuchungs- und Schlichtungsausschuß der Berliner NSDAP einen regelrechten Angriff auf die Anhänger Otto Straßers, die sich mit der GSRN eingelassen hatten und von denen einige erst im Jahre zuvor zur NSDAP gestoßen waren, 329 so daß Straßer nur die Möglichkeit des Austritts aus der Partei sah. Die von ihm am 4. Juli 1930 ausgegebene Parole seines KampfVerlages: „Die Sozialisten verlassen die NSDAP" wurde von der bürgerlichen wie von der linken Presse mit erregten Kommentaren aufgenommen. Doch Hitler brachte sie Vorteile. Der Geruch der „Sozialisten327
K ü h n l , Linke, S. 243.
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Dies ist nur v o n Otto Sttaßer selbst überliefert, Ministersessel oder Revolution.
Eine wahrheitsgemäße Darstellung meiner Trennung von der NSDAP, Berlin [1930]; erneut im Anhang zu Straßer, Aufbau des deutschen Sozialismus, 2. neubearb. und ergänzte Aufl. Prag o.J. [1936], S. 1 1 6 ff. Dieser Überlieferung folgten Alan Bullock, Hitler. Eine Studie über Tyrannei, Übers, aus dem Englischen, vollständig Überarb. Neuausgabe Düsseldorf 1967, S. 137; Otto-Ernst Schüddekopf, Linke Leute von rechts. Die nationalrevolutionären Minderheiten und der Kommunismus in der Weimarer Republik, Stuttgart 1960, S. 318; Kühnl, Linke, S. 244 ff.; auch Horn, Führerideologie, S. 261. S. 5 — 30 der ursprünglichen Darstellung Aufbau des Deutschen Sozialismus (1931) sind wortgetreu in der jüngeren Veröffentlichung von Otto Straßer enthalten, Mein Kampf, mit einem V o r w o r t von Gerhard Zwerenz, Frankfurt a.M. 1969, S. 5 0 - 6 9 . 329
Karl O. Paetel, Versuchung oder Chance? Zur Geschichte des deutschen National-
bolschewismus, S. 241 f., 2 4 8 ff.
Göttingen/Berlin/Frankfurt
a.M./Zürich
1965,
S. 2 1 1 ;
Kühnl,
Linke,
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Verfolgung" in der NSDAP, den Otto Straßer verbreitete, tat der Partei Hitlers nicht den geringsten Abbruch, sondern verhalf ihr nach der Reichstagsauflösung während des Wahlkampfes zu einem Riesenzulauf unter den breiten Schichten, denen der Rigorismus sozialistischer revolutionärer Parolen wenig oder nichts bedeutete. Zu der großzügig organisierten Propagandakampagne trat die unbezahlbare Wirkung der von der linken und bürgerlichen Presse vervielfältigten Agitation der doktrinären Revolutionäre hinzu. Einige Parteiaustritte im Juli, denen einige hundert noch nachfolgten, eine kleine „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten" unter der Führung Otto Straßers, des ehemaligen Küstriner Putschführers Major a.D. Buchrucker und Herbert Blanks mit eigenem Abzeichen — Hammer und Schwert —, eigenem Gruß — „Heil Deutschland" statt „Heil Hitler" — und wieder ein Straßer-Programm in Gestalt von „Vierzehn Thesen der deutschen Revolution" blieben das schmale Ergebnis eines ehrgeizigen, sowohl an den Tendenzen der Zeit als auch an der Strategie Hitlers vorbeioperierenden Versuchs, eine schwache „Offizierskompanie" auf unübersehbarem Schlachtfeld. Gregor Straßer, dessen Name in der NSDAP ungleich mehr Gewicht besaß als der seines Bruders Otto, hatte sich schon vorher, nach illoyalen Schachzügen seines Bruders, vom Kampf-Verlag getrennt und die politische Verbindung zu ihm gelöst. Mit ihm, Graf Reventlow und einer Reihe anderer verblieb eine starke nationalrevolutionär und sozialistisch gesinnte Gruppe, zu der im Grunde auch Goebbels zählte, innerhalb der NSDAP. Gregor ließ auch keinen Zweifel aufkommen, wie er über den Schritt und die Ansichten Ottos dachte und daß er gemeinsame Freunde daran hinderte, seinem Bruder nachzueifern. In einem Brief an den Vorsitzenden der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei im Sudetenland, Rudolf Jung, nannte er den Austritt Ottos und dessen Kampfansage an die NSDAP „hellen Wahnsinn", mit dem er „vielleicht 2 — 300 Leute um sich versammeln" werde, 330 womit er letztlich recht behielt. Nur in Mecklenburg gab es einen vorübergehenden Ausfall des Gauleiters. Fast zur gleichen Zeit, doch ohne Verbindung zum „Fall Otto Straßer" entstand für Hitler ein ernsteres, allerdings weniger rasch in die Öffent330
Vom 22. Juli 1930, abgedruckt bei Tyrell, Führer befiehl, S. 332 f.; zum Verhältnis
Gregors zu O t t o Straßer die eingehenden Forschungen von Peter D. Stachura, Gregor Strasser and the Rise of Nazism, London/Boston 1983, bes. S. 77 ff. Vgl. auch Dietrich Orlow, The History of The Nazi Party, Bd. I, Pittsburgh 1969, S. 2 1 0 f.
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lichkeit wirkendes Problem, als sich zum ersten Male die Beziehung zwischen Partei und SA-Führung zuspitzte. Die SA wuchs, wurde jedoch nicht nur in straffer Organisation unter dem Obersten SA-Führer (OSAF) Pfeffer v. Salomon und den OSAF-Stellvertretern, in großen regionalen Zuständigkeitsbereichen, zu einer Organisation innerhalb der Partei, sondern begann, sich zu verselbständigen und sich eigene, von der Münchener Parteileitung wie von den Gauleitungen unabhängige Finanzquellen zu sichern. Sie schuf sich eine „Reichszeugmeisterei" für die gesamte Uniformierung und halbmilitärische Ausrüstung — bis hin zu Feldküchen für Massenaufmärsche. Der Stabschef und als Wirtschaftsfachmann geltende Otto Wagener, 331 ein ehemaliger Offizier und Freikorpsführer wie Pfeffer selbst, vermochte durch Zigaretten- und Rasierklingenmonopole für SA-Angehörige und durch Verbindung von wirtschaftlicher und politischer Werbung die erzeugenden Industrien zu interessieren. Die SA konnte so in ganz anderem Umfang Voraussetzungen für eine eigene Domäne schaffen, als es Otto Straßer mit den Blättern des Kampf-Verlages versuchte. Die SA-Führung unter Pfeffer wollte auf eigenen Beinen stehen und mit Hilfe der rasch wachsenden Organisation eigene Macht gewinnen, was dem seit längerem fühlbaren Mißtrauen sowohl der Gauleiter als auch der Reichsleitung der NSDAP neue Nahrung gab. 332 Da tätliche Auseinandersetzungen zwischen SA-Einheiten und politischen Gegnern nicht nur zunahmen, sondern auch der Kontrolle der Führung zu entgleiten drohten, schien es nicht mehr undenkbar, daß sich die SA nach weiterer Verselbständigung eines Tages den Entscheidungen der Partei entzog. Am 11. Juni 1930 hatte der preußische Innenminister das Tragen von Braunhemden verboten 333 , was sich zwar als wenig erfolgreich erwies, aber doch anzeigte, daß die Behörden die SA mit besonderer Aufmerksamkeit beobachteten. Ohne Demonstrationen großer SA-Verbände hätte die NSDAP sicherlich nicht das Aufsehen erregt, das zu ihrem Erfolg beitrug. Aber daß die Partei in den Schlag-
331
Über den politischen Lebensweg des Dr. h.c. Otto Wilhelm Wagener, der nach 1933
wieder in die Reichswehr eintrat und während des Krieges zum Generalmajor ernannt wurde, läßt sich einiges aus seinen teilweise etwas frei ausgestalteten
nachträglichen
Aufzeichnungen entnehmen: Otto Wagener, Hitler aus nächster Nähe. Aufzeichnungen eines Vertrauten 1 9 2 9 - 1 9 3 2 , hrsg. v o n H. A . Turner, Jr., Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1978. 332
Heinrich Bennecke, Hitler und die SA, München/Wien 1962, S. 1 4 5 ff.; Tyrell, Führer
befiehl, S. 314 ff.; auch Wagener, a. a. O., S. 60 ff., mit näheren Einzelheiten. 333
A u f die Polizey-Formel des preuß. Allgemeinen Landrechts von 1 7 9 4 gestützter
Runderlaß eines Verbots des „öffentlichen Tragens der sogenannten Parteiuniformen" der NSDAP, abgedruckt in: Schulz, Staat, S. 87.
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schatten ihrer uniformierten Kampforganisation unter immer selbstbewußter auftretenden SA-Führern geriet, hat nicht nur Hitler beschäftigt und ihm zu denken gegeben. Als nach der Auflösung des Reichstags die Aufstellung der Kandidatenliste der NSDAP zur Entscheidung stand, beharrte Pfeffer auf eigenen Absichten und verlangte von Hitler, daß in den Reichstag gewählte SAFührer künftig auch innerhalb der Fraktion seinem Befehl unterstanden, was praktisch zur Bildung einer eigenen Fraktion geführt hätte. Hierdurch kamen die latenten Spannungen offen zum Ausbruch, wobei Pfeffer schließlich auf der ganzen Linie nachgeben mußte. Dies quittierte er mit einem Befehl, in dem er die Auffassung kundtat, daß die Stellung eines SA-Führers mit einer Tätigkeit im Parlament nicht zu vereinbaren sei, 334 was wie eine Distanzierung von der Strategie der parlamentarischen Unterwanderung durch Wahlerfolge aussehen mußte, die Hitler verfolgte. Pfeffer verzichtete allerdings auf Aplomb; sein Befehl blieb der Öffentlichkeit verborgen, so daß er nicht Gefahr lief, in die Nähe Otto Straßers gerückt zu werden. Diese Vorgänge Anfang August 1930 durchkreuzte der OSAF-Stellvertreter Ost in Berlin, der ehemalige preußische Polizeihauptmann Stennes, mit seiner Forderung, drei der Berliner Unterführer der SA auf die Reichstagskandidatenliste der NSDAP zu setzen. Die Unzufriedenheit der Berliner SA mit ihrer Finanzlage, ihrer als Zurücksetzung empfundenen Rolle innerhalb der intensivierten und auch bürokratisierten Parteiorganisation des Gaues Berlin, Animositäten gegen den intellektuellen Gauleiter Goebbels, auch gewisse Berührungen zwischen Stennes und der GSRN 3 3 5 trieben den Konflikt rasch auf die Spitze. SA-Leute besetzten die Räume der Gauleitung, so daß diese Ereignisse der Öffentlichkeit nicht mehr verborgen blieben, zumal auch die OSAF-Stellvertreter Süd und Mitte, Schneidhuber und Frhr. v. Killinger, auf die Seite von Stennes traten. 3 3 6 Hitler eilte auf Drängen von Goebbels nach Berlin, um die Spannungen zu beheben. Dies kostete ihn das offene Eingeständnis der von Stennes kritisierten knappen Finanzierung der SA-Stäbe durch die Reichsleitung der NSDAP und erforderte ein Eingehen auf ihre Vorstellungen. Doch da sich eben in diesen Tagen Pfeffer, von Hitler
354
Bennecke, S A , S. 147 f.
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Stennes gehörte schon 1929 zu den Adressaten einer vorbereitenden Umfrage der
„Sozialrevolutionären Linken der NSDAP", wurde also zu den Sympathisanten gerechnet. Paetel, Versuchung, S. 165. 336
Schüddekopf, Linke Leute, S. 322 f.; Horn, Führerideologie, S. 326.
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gedrängt, zum Rücktritt von der SA-Führung entschloß, bot sich Hitler die Gelegenheit, unverzüglich nach der Bekanntgabe der Verabschiedung des OSAF die oberste Führung der gesamten SA und SS selbst zu übernehmen. Das gab seiner Stellung eine neue, überraschende innerparteiliche Stärkung, die er nun aber nicht für eine Verschmelzung der SA mit der politischen Organisation nutzte, sondern, wie die Feststellung seiner ausschließlichen Zuständigkeit für die Ernennung von SA-Führern bis hinunter zum Sturmführer bezeugt, 337 für eine Straffung der SAOrganisation in seiner Hand. Freilich grub Hitler damit auch der Kritik einiger SA-Führer das Wasser ab. Sie wollten, wie es mit Seitenhieben gegen Hitlers geringen „Konnex mit seiner SA" der OSAF-Stellvertreter Süd, Major a.D. Schneidhuber, formulierte, nicht mehr nur Versammlungsordnungstrupps stellen, sondern „das Rückgrat der Partei ... sein, die stärkste Säule, auf deren Bereitschaft sich der Führer in allen Lagen stützen kann". 338 Diese militärisch erzogenen, im militärischen Handwerk aufgewachsenen höheren Führer fühlten sich als Elite der Nationalsozialisten und betrachteten die SA als „Sammelbecken für die wertvolle Jugend", die — in der Überheblichkeit, die gediente Soldaten mitunter Zivilisten gegenüber an den Tag legten, — den Nationalsozialismus vor der „großen Gefahr, nämlich dem Zuströmen verrotteten Bürgertums zur Partei" bewahre. Diese Phraseologie spiegelt Überlieferungen und Gewohnheiten der Freikorpsvergangenheit wider, die sich in den Jahren der Hochflut nationalrevolutionärer Parolen ein neues ideologisches Gewand zulegten. Im Grunde enthielt die Situation schon Vorzeichen der Konflikte der Jahre 1933/34. Das Bild rundete sich zum Jahresende 1930 mit der Rückberufung des in Bolivien seinem Offiziersberuf nachgehenden ehemaligen Hauptmanns und dort zum Oberstleutnant avancierten Röhm durch Hitler, der sich auf seinen einstigen Gönner und Duzfreund verlassen konnte, mit dem er aber auch den alten Freikorpsmännern einen Kenner ihrer Sache und aus ihrem Holz als Stabschef an die Spitze setzte. Bei dem Streit mit den SA-Führern spielten Finanzen keine geringere Rolle als Überzeugungen und politische Ambitionen. Jetzt wie auch später litten hohe SA-Führer unter dem Eindruck, nicht angemessen geachtet und honoriert zu werden. Dies wurde um so bitterer empfunden, als nicht nur Hitler, sondern auch die Spitze der politischen Organisation 337
Anordnung des Chefs des NSDAP-Personalamtes, Gauleiter Loeper, v o m 5. Februar
1 9 3 1 ; Tyrell, Führer befiehl, S. 341. 338
Denkschrift Schneidhubers v o m 19. September 1930; a. a. O., S. 336 ff.
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in München einen eigenen repräsentativen Stil zu entwickeln begann. Im Frühjahr 1930 hatte die N S D A P das herrschaftliche Palais Barlow in der Briennerstraße erworben. A u f kostspieligem Wege ließ es sich Hitler von dem Architekten Paul Ludwig Troost nach eigenen Vorstellungen bis zum Jahresende um- und ausbauen, so daß am 1. Januar 1931 die Hakenkreuzfahne auf einem neuen und nach damaligen Maßstäben luxuriös wirkenden „Braunen Haus" der Parteiführung aufgezogen werden konnte. Damit löste sich die N S D A P auch in äußerlicher Hinsicht aus dem Zwielicht einer proletarischen Vergangenheit, in der Parteibüros und Gauführungen fast ausschließlich in kleinen Geschäftslokalen oder in Hinterhöfen billiger Wohnviertel unterkommen mußten. K a u f und Ausbau des Münchener Palais verschlangen erhebliche Mittel, zu denen der Großindustrielle Fritz Thyssen beisteuern mußte, als sich herausstellte, daß sich die Parteiführung mit diesem Projekt übernommen hatte. Anfang Juni 1 9 3 0 sah sich Hitler genötigt, trotz der wirtschaftlichen Krise und des wachsenden Zulaufs v o n Arbeitslosen zur SA eine Sondererhebung v o n Beiträgen der Parteimitglieder für das Braune Haus anzukündigen. 3 3 9 Das wirkte auf unzufriedene SA-Führer wie der Tropfen, der das Glas zum Uberlaufen bringt, 3 4 0 und schürte die Empörung. Während die Situation innerhalb der S A noch der Klärung bedurfte, ging der Reichskanzlei über Mittelsmänner aus Paris ein angeblich aus dem Russischen übersetzter ausführlicher Bericht zu, der intern f ü r
339 Henry Ashby Turner, Jr., Faschismus und Kapitalismus in Deutschland. Studien zum Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Wirtschaft, Übers, aus dem Amerikanischen, Göttingen 1972, S. 104, der Angaben in dem Buch von Fritz Thyssen, I Paid Hitler, London/New York 1941, korrigiert. Ohne in eine Auseinandersetzung mit dem umfänglichen Buch von Joachim C. Fest, Hitler. Eine Biographie, Frankfurt a.M./Berlin/ Wien 1973, einzutreten, sei nur angemerkt, daß Fest Kauf und Finanzierung des „Braunen Hauses" offenbar in das Jahr 1929 verlegt. Allerdings sind seine Angaben hier (S. 374) wie auch an einigen anderen Stellen nicht ganz klar. Dafür, daß die „Stennes-Revolte" der Berliner SA (Fest erwähnt, a. a. O., S. 395, nur die erste, dann wieder beigelegte, meint also die vom August 1930) „blutig" verlaufen sei, gibt es keinen Anhalt. Wichtig: Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente, hrsg. von Elke Fröhlich, Teil I (Aufzeichnungen 1924-1941), München/New York/London/Paris 1987, Bd. 1, S. 587, 589, 594—598, 601. Diese jüngste umfassende Edition von Joseph Goebbels, Tagebücher, Teil I, stellt gegenüber den bisherigen Veröffentlichungen eine erhebliche Verbesserung dar. Sie ist noch nicht vollständig; aber die Texte in den vorliegenden Bänden sind, soweit nicht Entzifferungsschwierigkeiten angemerkt wurden, höchst aufschlußreich. 340 So auch die Feststellung einer später entstandenen Denkschrift des Reichsministeriums des Innern „Gründe und Auswirkungen des Zwistes Hitler-Stennes", die am 13. Mai 1931 den Nachrichtenstellen der Länder zuging. Photokopie BA, R 58/1151.
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einiges Aufsehen sorgte. Danach hatten im Juni und Juli, zuletzt am 16. Juli in einem Haus in Garmisch-Partenkirchen unter strengster Abschirmung Treffen dreier russischer Emissäre mit einigen Nationalsozialisten, die als Abgesandte Hitlers bezeichnet wurden, stattgefunden. Die letzten wurden als die SA-Führer Major a.D. Schneidhuber aus München, Hauptmann a.D. Stennes aus Berlin, Rittmeister a.D. von Detten aus Dresden, als Fabricius und als ein damals noch wenig bekannter Münchener Ingenieur Xaver Dorsch, der sich früher wie später enger Beziehungen zu Hitler erfreute, identifiziert. 341 Der 1929 dienstenthobene Regierungsrat a.D. Hans Fabricius war ein Vertrauensmann Fricks und rückte im September 1930 in die Reichstagsfraktion der NSDAP ein, deren Geschäftsführer er wurde. Auch Hitler sei angeblich erwartet worden, habe sich jedoch durch Fabricius vertreten lassen. Das Ergebnis dieser Zusammenkunft wurde dennoch als unterschriftsreifes Protokoll bezeichnet, das angeblich eine Vertragsformel enthielt, die die Beziehungen zwischen der NSDAP, der Sowjetunion und der KPD regelte. Von Seiten der deutschen Vertreter sei eine Erklärung verlesen und von Fabricius erläutert worden, derzufolge die NSDAP die Sowjetregierung als Nationalregierung Rußlands respektiere, jedoch aus taktischen Gründen damit zurückhalten müsse; daß sie den Kommunismus äußerlich bekämpfe, aber seinen erzieherischen Einfluß auf die Arbeitermassen anerkenne und auch eine Arbeiterregierung unterstützen würde, falls eine solche gebildet werden und ein Programm der nationalen Wiedergeburt Deutschlands ausführen könne. Das waren Ideen, die von den revolutionären Nationalsozialisten und Nationalbolschewisten in diesen Monaten so oder ähnlich wiederholt 341
BA, Nachl. Pünder/152. In das Konvolut gehörten dem formlosen Begleitschreiben
zufolge weitere Unterlagen, die jedoch bei den Akten nicht mehr vorhanden sind. G e o r g v. Detten, Parteimitglied seit 1922, SA-Führer in Sachsen, wurde 1932 Gruppenführer. Schneidhuber und Detten wurden im Zusammenhang mit den Ereignissen am 30. Juni 1934 erschossen. Über den späteren Blutordensträger Dorsch, Schöpfer und Leiter der „Organisation Todt", und seine hintergründige Tätigkeit im zweiten Weltkrieg Franz W. Seidler, Fritz Todt. Baumeister des Dritten Reiches, München/Berlin 1986, S. 1 8 6 f., 235, 404 f., 4 1 1 ; Albert Speer, Erinnerungen, Frankfurt a.M./Berlin 1969, S. 214, 330, 339 ff., 347 ff., 351 f., 354, 565 ff. Die Verschärfung der kommunistischen Agitation gegen die Sozialdemokraten und deren Westorientierung sowie die sowjetische propagandistische Unterstützung einer national orientierten deutschen Politik sind seit längerem bekannt, jedoch noch nicht direkte sowjetische Unterstützungen der NSDAP. Hierzu Thomas Weingartner, Stalin und der Aufstieg Hitlers. Die Deutschlandpolitik der Sowjetunion und der Kommunistischen Internationale 1 9 2 9 - 1 9 3 4 , Berlin 1970, S. 3 8 f f . , 7 7 - 8 6 . Vgl. Schulz, Aufstieg, S. 581 f.
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geäußert wurden. Insofern klang diese Mitteilung eher alltäglich als sensationell. Die Reichskanzlei erregte sich jedoch über die nunmehr gesichert erscheinende Tatsache, daß dieser Vertrag Zahlungen der Sowjetunion an die Nationalsozialisten gewährleistete: f ü r den Wahlkampf bis zum 16. August 1 9 3 0 einmal 5 Millionen R M und ab 16. September dann weiterhin monatlich 1,2 Millionen, die über den sowjetischen Konsul in Hamburg laufen sollten. Reichskanzler und Reichskanzlei nahmen diese Mitteilungen durchaus ernst. Das gesamte Material wurde auf Veranlassung von Staatssekretär v. Bülow im Auswärtigen A m t eingehend geprüft, dort aber letztlich skeptisch beurteilt: „Was wir zu unserer Information und zur Gestaltung unserer Entschließung brauchen, sind Tatsachen, am liebsten Dokumente oder aber Stimmungsäußerungen v o n Leuten, die an entscheidenden Stellen stehen..." 3 4 2 Der Reichskanzler hielt es schließlich f ü r klüger, v o n dem Material keinen Gebrauch zu machen; auch das Reichswehrministerium scheint nicht unterrichtet worden zu sein. Damit fand freilich das Kopfzerbrechen über die Finanzierung der großen A u f w e n d u n g e n der N S D A P noch kein Ende, die die Reichskanzlei damals ebenso wie manche Zeitgenossen beschäftigte. Auch eine spätere französische Veröffentlichung v o n Teilen des gleichen Materials 3 4 3 erleichterte keineswegs die
Schreiben Bülows an Pünder, 1. September 1930, Orig. mit Paraphe Brünings; BA, Nachl. Pünder/152. 343 Das russische Original des Protokolls und eine — nicht ganz vollständige — Übersetzung ins Französische wurden einige Monate später in Paris von einem Journalisten, der sich auf Geheimdiensttätigkeiten spezialisiert hatte, in der Librairie de la Revue Française veröffentlicht; Maurice Laporte, Sous le casque d'acier. Six semaines avec Hitler et les Bolcheviks, Paris 1931, S. 3 1 5 - 3 2 2 . Dem Bericht des Verfassers zufolge (S. 221 ff.) wurde ihm das Protokoll zusammen mit weiteren Unterlagen von einem Angehörigen der sowjetischen Botschaft in Berlin verkauft. Der Gewährsmann teilte auch Einzelheiten über Finanzhilfen von Seiten der deutschen Industrie sowie über die vom sowjetischen Botschafter Krestinski dargelegten Motive einer Unterstützung der NSDAP mit: „Le jour où le drapeau à la croix gammée d'Hitler montera au campanile du Reichstag signifiera que nous avons fait un grand pas vers la Révolution mondiale car, ce jour-là, la Russie comptera une alliée digne d'elle; le succès de sa politique, qui ne peut ressembler à aucune autre, aura enfin rompu le blocus des impérialismes!" Das von Laporte veröffentlichte Protokoll weist einen in Maschinenschrift in deutscher Sprache abgefaßten, angeblich von Hitler herrührenden Quittungsvermerk auf: „200 Stücke (zweihundert) erhalten. — Salzburg den 10. Juni 1930 [handschriftlich:] Adolf'. Erscheint es schon fragwürdig, daß ein geheimdienstliches sowjetisches Protokoll von Hitler gezeichnet worden sein soll, so dürfte der handschriftliche Namenszug offenkundig gefälscht sein. Hitler schrieb vor, aber in aller Regel nicht mehr nach dem Weltkrieg seinen Vornamen aus. Vgl. die Wiedergabe von Hitler-Unterschriften bei Werner Maser, Adolf Hitler. Legende — Mythos — Wirklichkeit, 342
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I. Die Regierung Brüning 1930
Beantwortung der aufgeworfenen Fragen. Fälschungen waren nicht ausgeschlossen. Aber was war gefälscht worden und was nicht und wen interessierte diese Veröffentlichung? Doch dies ist nur ein Zeugnis von mehreren, 'die anzeigten, daß die NSDAP, mitsamt ihren inneren Differenzen, auch außenpolitisch interessant geworden war.
Scheitern einer politischen
Sammlung
Die Befürchtung, daß die Regierung im Reichstag auch nach der Wahl keine Mehrheit finden werde, war hier und da schon ausgesprochen worden: von Treviranus etwa, 344 vor allem von Koch-Weser, der vorsichtig, wenn auch mit scharfer Kritik an dem letzten Experiment, bei dem die SPD „sich der staatspolitischen Führung der Herren Müller und Severing entzogen und die gewerkschaftliche Führung des Herrn Wisseil akzeptiert" habe, wieder auf eine „große Koalition" zusteuerte. 345 Doch trotz aller bezeugten Gemeinsamkeit innerhalb des Vorstandes der DDP, die Anwendung des Artikels 48 der Reichsverfassung möglichst zu vermeiden oder auszuschließen, gab es kaum noch Übereinstimmung sowohl in der Beurteilung der Sozialdemokraten als auch der Regierung Brüning und des Parteimitglieds Dietrich, dem alte, angesehene Führer der Demokraten die zuletzt verfolgte Finanzpolitik und die Anwendung des Notverordnungsrechts verübelten. 346 Die überstürzte Umbildung der DDP mit Hilfe des Jungdeutschen Ordens zur Deutschen Staatspartei auf Initiative Koch-Wesers am 27. Juli wies keinen Ausweg, erwies sich in der Reichstagswahl als Fehlschlag und danach als gewaltiger Irrtum, durch den sich die Demokraten als Partei weitgehend ausmanövrierten. Ihre politische Rolle blieb nun fast ganz auf die Amtstätigkeiten der Finanzminister Dietrich im Reich und Höpker-Aschoff in Preußen be-
München/Esslingen 1971; sowie Maser, Hitlers Briefe und Notizen. Sein Weltbild in handschriftlichen Dokumenten, Düsseldorf/Wien 1973. In dem an die Reichskanzlei gelangten Exemplar des ins Deutsche übersetzten Protokolls fehlt jedoch diese angebliche Bestätigung Hitlers; auch in den übrigen Akten findet sich kein Hinweis hierauf. 344
Schulz, Politik, 1, S. 307.
545
Vorstandssitzung der D D P am 25. Juli 1930; a. a. O., S. 3 2 4 f f . ; Albertin, Linksli-
beralismus, S. 556 ff. 346
Falk, aber auch Koch-Weser selbst schon am 10. Juli, BA, R 45 111/22; im Regest
bei Albertin, a. a. O., S. 55 f., nicht zu erkennen. Auch Erkelenz an Karl Rothenbücher, 10. August; Schulz, Politik, 1, S. 3 6 3 - 3 6 7 .
Die Reichstagswahl am 14. September 1930 und ihre Folgen
135
schränkt. Das künftige Aussehen des Reichstags geriet an den Rand der Aufmerksamkeit. 347 Umsichtiger wurden die „sachlichen" Probleme der Wirtschaft erörtert, deren Vorrang in der Tat die Regierung Brüning zu einer häufig zitierten — und so verstandenen — „Politik der Sachlichkeit" drängte. Hierin gab es weit mehr Konsens, als die Kämpfe zwischen den Parteien vermuten lassen. Von der weiteren Beurteilung der Lage ausgehend, dachten Hamm, Franz v. Mendelssohn, Conrad v. Borsig und andere, wohl auch Reusch, ganz ähnlich, nachdem DIHT und RDI durch finanzielle Spenden, Aufrufe und Aufforderungen zugunsten der bürgerlichen Parteien bis zur Wahlentscheidung doch noch Einfluß auf den Wahlkampf auszuüben versucht hatten. 348 Die Ruhrlade hatte noch am Abend des 28. Juli beschlossen, „alle Parteien von den Demokraten (Staatspartei) bis einschließlich DNVP (Hugenberg) gleichmäßig zu bedenken". Vogler sollte aber in Verhandlungen mit Hugenberg die Erwartung zum Ausdruck bringen, „daß er keine Beziehungen zu den Nationalsozialisten unterhält". Vor allem aber sollte der Wahlkampf so geführt werden, daß nicht ein „Zusammengehen im Parlament unmöglich" werde. 349 Wenn es auch nicht an Bemühungen einzelner Wirtschaftsführer fehlte, sich der NSDAP zu nähern und sie auch zu fördern, 350 wurde doch von den stärksten Kräften der Wirtschaft der Wahlkampf sowohl gegen die SPD als auch gegen NSDAP und KPD unterstützt. Aber die beiden letzten gewannen, so daß nur der wiederholt erörterte Weg der außerordentlichen Gesetzgebung mit Hilfe des Notverordnungsrechts des Reichspräsidenten offen schien — zumindest unter dem Gesichtspunkt, den der ehemalige Reichsminister Hamm (DDP), als geschäftsführendes Vorständsmitglied des DIHT, schon am 25. Juli zum Ausdruck gebracht hatte: „daß die Regierung unter allen Umständen von dem Recht der Notverordnung jedenfalls in einem so weiten Maße Gebrauch mache, daß es vermieden werde, Hunderte von Millionen des Volkseinkommens
347
Deutlich in den Berichten und Aufzeichnungen des um ein Zusammengehen der
bürgerlichen Parteien bemühten Blank; Schulz, Politik, 1, S. 307, 3 1 2 , 376. 348
Niederschrift über die Sitzung des Vorstandes des DIHT am 25. Juli; a. a. O . ,
S. 3 2 9 — 3 4 1 ; S. 339 f. zur Finanzfrage Blank an Springorum, 29. Juli. 349
Ebda.
350
Neben dem bekannten Eintreten Fritz Thyssens für Hitler ist auch eine enge
Verbindung von Erich Niemann, Generaldirektor der Mannesmann A . G., einem ehemaligen Fliegeroffizier, mit Goebbels bezeugt, nach der Reichstagswahl auch die Annäherung des Bankiers Eduard Frhr. v. d. Heydt; Goebbels, Tagebücher, I, 1, bes. S. 594, 598 f., 628, 636 f.
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I. Die Regierung Brüning 1930
weiter der Wirtschaft zu entziehen und an einer falschen Stelle zu verwenden". 3 5 1 Man wollte zwar weiterhin eine konstruktive Politik des gesamten bürgerlichen Parteienspektrums begünstigen und anstreben; aber die Ausnahmegewalt des Reichspräsidenten schien doch für die als erforderlich erachteten wirtschaftspolitischen Maßnahmen — und darunter wurden in erster Linie Einsparungen verstanden — den nächstliegenden Ausweg zu bieten. Allerdings gelang es nicht, Garantien für ein engeres Zusammenwirken und Zusammengehen der finanziell geförderten Parteien zu erlangen. Koch-Weser appellierte entschiedener als je zuvor an jene, „die keine Interessenvertreter sind und die die Politik geführt zu wissen wünschen unabhängig von den Gewerkschaften und den Einflüssen großer Unternehmer- und Kapitalistenverbände..."; und er denke „nicht daran, einen Block gegen die Sozialdemokraten zu bilden". 3 5 2 Doch daß auf diesem Kurs keine politische Sammlung zu erreichen war und nach dem Scheitern der Gespräche des DVP-Parteiführers Scholz mit Koch und dann mit Höpker-Aschoff die Staatspartei außerhalb ernsthaft zählender Größen blieb, wurde von Reusch wie anderen deutlich erkannt. 3 5 3 Schon in dieser Hinsicht scheiterte der Gedanke der politischen Sammlung in einer parlamentarisch nutzungsfähigen Weise. Dafür hatte sich Koch-Weser mit dem Jungdeutschen Orden einen zynischen Gegenspieler in die neue Staatspartei geholt, dessen Führer Mahraun seinen Anhängern unumwunden die Parole ausgab, „in die schwächste Stelle der Parteifront" einzudringen: „Wir stehen am Anfang unseres Einbruches in den Staat..." 3 5 4 Angesichts dieser Bemühungen befiel Brüning ein deutliches Unsicherheitsgefühl, da er wieder Luthers Einfluß im Hintergrunde vermutete und seine Rivalität zu spüren vermeinte. Wenn es in der Tat auch eine Gruppe gab, die sich „gewissermaßen vorbereitend hinter Luther zu stellen" schien, 355 so blieb doch Brünings Witterung von Gefahren ungenau, wenn er in dem Reichsbankpräsidenten seinen Widersacher sah, der Luther weder zu diesem Zeitpunkt noch später, trotz mancher Differenzen, je in einem politisch entschiedenen Sinne gewesen sein
151
Niederschrift, s. Anm. 348.
152
Schulz, Politik, 1, S. 343 f. Reusch an Hamm, 2. August 1930; a. a. O., S. 352, vgl. auch S. 361 ff. Rundschreiben des Jungdeutschen Ordens vom 16. August; a. a. O., S. 367—375. Blank an Reusch, 5. August; a. a. O., S. 360.
353 354 355
Die Reichstagswahl
am 14. September
1930 und ihre Folgen
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dürfte. Auch Reusch zeigte sich durch das mißtrauische, unsichere Gehabe Brünings überrascht, obgleich er keinen Zweifel an den künftigen, wenn auch noch längst nicht spruchreifen Plänen ließ, daß „wenn — was wahrscheinlich — auch diese Regierung einmal abgewirtschaftet haben wird, Luther in den Sattel zu heben" sei. 356 Das besagte allerdings, daß dann, wenn die Reichsregierung ohne parlamentarische Rückendekkung operieren mußte, die großindustriellen Interessenten keinen Grund sahen, sich auf Gedeih und Verderb hinter Brüning zu stellen. Luther stand ihnen näher. Brüning dürfte davon gehört oder dies geahnt haben. Seine Politik ging jetzt wie auch später darauf aus, keine Alternative zuzulassen und gegen mögliche Gegenspieler sichere Garantien in die Hand zu bekommen. Wir werden dies auch bei anderer Gelegenheit sehen. Von all diesen mitunter überraschenden und noch bis zum Vorabend der Wahl am 14. September weithin von Illusionen beeinflußten Haltungen hebt sich in mancher Hinsicht die ausführliche tour d'horizon ab, die der kluge und kenntnisreiche Staatssekretär im Reichsfinanzministerium einige Wochen vor der Wahl in einem berichtartigen Brief an den einflußreichen Hamburger Bankier — und Mitglied des Reichsbankrates — Max Warburg eröffnete. 357 Dieses Zeugnis spricht für mannigfache Bemühungen und Überlegungen am Vorabend der politischen Wende. Der Brief vermittelt den Eindruck, daß Schäffer in seinem Bemühen um Erhaltung eines Ausgleichs auch seinen Briefpartner Warburg und dessen Einfluß auf die politische Rechte zu gewinnen versuchte. Er sehe, so schrieb Schäffer, „eine Reihe von Gefahren heraufsteigen". — „Die Kampfgemeinschaft der Notverordnungen hat die Neigung, sich zu einer Regierungsgemeinschaft für die Zeit nach den Wahlen zu entwickeln und, was schlimmer ist, auf alle Fälle festzulegen..." Treffender konnte man die Situation kaum charakterisieren. Gegen diese Gefahren versuchte Schäffer eine programmatische Festlegung des DVP-Vorsitzenden Scholz in der Finanzpolitik unter Hinweis auf die bleibende Stärke und Unentbehrlichkeit der Sozialdemokraten zu empfehlen, wofür er nun um Warburgs Unterstützung in der DVP selbst warb. Er befürchtete den Übergang zu einer ganz auf den betagten Reichspräsidenten gestützten Diktatur mit Hilfe des Artikels 48, die zu verfassungswidrigen Maßnahmen führen konnte. Insofern erwies er sich rechtzeitig als Mahner gegen 7. August; a. a. O., S. 360 f., Anm. 4. Schäffer aus Saas-Fee an Warburg, 22. August; a. a. O., S. 353—360. Zur Datierung s. unten Anm. 428. 556 357
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I. Die Regierung Brüning 1930
Entwicklungen, die später häufig als unausweichlich bezeichnet worden sind. Gerade in diesem Sinne, gegen diese Gefahren wünschte er die Sozialdemokraten einzuspannen, denn sie würden sich, wie Schäffer aufs bestimmteste annahm, ganz entschieden gegen eine solche Entwicklung zur Wehr setzen, von der am Ende nur die Nationalsozialisten oder Kommunisten oder beide profitieren würden. Schäffer hielt eine Abstützung der Reichsregierung auf den Artikel 48 und die Rechte des Reichspräsidenten auf die Dauer für gefahrlich und befürwortete mithin die Rückkehr zur parlamentarischen Mehrheitsregierung. In seiner Prognose des Ergebnisses der Reichstagswahl teilte dieser meist exzellent informierte Mann die fast allgemeinen Irrtümer, die natürlich auch die Folgerungen beeinträchtigten. Den wirklich großen Erfolg, den die Nationalsozialisten, die Schäffer immerhin als viertstärkste Partei erblickte, am 14. September errangen, vermochte er nicht vorauszusehen; das Ergebnis der Sozialdemokraten überschätzte er nur geringfügig, weit stärker die Ergebnisse der Volkskonservativen, der Staatspartei und der Wirtschaftspartei, auch der Volkspartei, während er die Mandatszahlen sowohl für die Deutschnationalen Hugenbergs als auch für die Kommunisten beträchtlich unter der Ebene ansetzte, die sie als fünft- bzw. drittstärkste Partei dann erreichten. Den Kräften, die hinter der bisherigen Regierung Brüning standen — immerhin acht verschiedene Parteien —, verblieb kaum mehr als ein Drittel der Reichstagssitze. Eine „große Koalition" wäre nur knapp noch regierungsfähig gewesen, da die neue Staatspartei nicht nur schwere Verluste, sondern schließlich nach der Wahl noch das Ausscheiden der Mahraun-Anhänger des Jungdeutschen Ordens hinnehmen mußte. Die Haltung der Wirtschaftspartei blieb zudem unsicher. Der allgemeine Trend lief noch stärker, als Schäffer vorausgesehen hatte, auf eine entschiedene Stärkung der äußersten Rechten wie der äußersten Linken hinaus, so daß ihm die Regierung bedacht und planmäßig hätte entgegenwirken müssen, wenn sie eine „Neuauflage" der früher auch nur in engen Grenzen handlungsfähigen „großen Koalition" in der nun noch größeren Krise anstreben und fest begründen wollte. Eine Erweiterung des bisherigen, durch das blamable Abschneiden der Volkskonservativen schwer getroffenen Regierungslagers um die Sozialdemokraten ließ sich nach dem, was vorausgegangen war, wohl vorstellen, aber nur schwer ins Werk setzen. Schäffer überschätzte zudem, wie sich bald erwies, die Entschlossenheit des sozialdemokratischen Widerstandes in heiklen Verfassungsfragen; auch in dieser Hinsicht hat der unerwartete Triumph der Nationalsozialisten Annahmen wie Vor-
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aussetzungen von Grund auf verändert. Aber andere irrten offenkundig noch mehr. Ein so einflußreicher Industrieller wie Reusch engagierte sich bis zuletzt für eine große Sammlungspartei, auch über einen Teil der Presse, der von ihm abhängig war. Er sagte von sich, er habe „die stärksten Druckmittel angewendet, die überhaupt anzuwenden waren, um die einzelnen Parteigrößen zur Vernunft zu bringen". 358 Er setzte auf eine breite parlamentarische Stützung der Reichsregierung, was jedoch an dem fatalen Ergebnis der Reichstagswahl nichts änderte, mithin die Fruchtlosigkeit derartiger Bemühungen zutage treten ließ. Ihre in der Tat nur bescheidenen Auswirkungen verweisen auf die Schwäche selbst der mächtigsten Industriemagnaten gegenüber der für ihre Absichten viel zu großen Zahl verschiedenartig orientierter Parteien und Gruppierungen. Innerhalb der Regierung dachte niemand zu diesem Zeitpunkt an eine Annäherung an die Nationalsozialisten. 359 Allerdings setzten sich einzelne Zentrumspolitiker, wie der ehemalige Reichsfinanzminister Heinrich Köhler, mit Entschiedenheit für eine Regierungsbeteiligung der NSDAP ein. Köhler blieb allerdings allein mit seinem — auch später vertretenen — Urteil: „Der 15. September 1930 war der Tag seines Sturzes, jener Tag, an dem er [Brüning] sich nicht entschließen konnte, dem Wahlergebnis Rechnung zu tragen und die Nationalsozialisten in die Verantwortung zu nehmen." 360
Erfahrungen mit den Nationalsozialisten.
Konflikt mit Thüringen
Man hatte auch nach 1923 mit den Nationalsozialisten alles andere als günstige Erfahrungen gemacht, die Euphemismen nicht zuließen, eher die damals schon bedenklichen oder warnenden Urteile im westlichen 358
Reusch an Otto Weinlig, 5. September; a. a. O., S. 377 f.
359
Besprechung beim Reichskanzler, 15. September morgens, an der Staatssekretär
v. Bülow, Wirth,
Stegerwald, v. Guérard, Treviranus und Kaas teilnahmen; a. a. O.,
S. 383 f., auch zum Folgenden. 360
So nach seiner Aufzeichnung schon am 15. September gegenüber Brüning und Kaas;
Heinrich Köhler, Lebenserinnerungen des Politikers und Staatsmannes 1878 — 1949, hrsg. v o n Josef Becker unter Mitwirkung von Franz Zilken, Stuttgart 1964, S. 309, 300 f. K ö h l e r zu Brüning: „In Baden habe man es ... immer mit dem Windthorstschen Grundsatze gehalten, wenn eine Lokomotive dahergebraust komme, sich ihr nicht einfach in den Weg zu stellen, sondern zu versuchen aufzuspringen und an oder mit an den Führersitz zu kommen. Nach diesem Grundsatz habe man bei uns mit der Sozialdemokratie zusammengearbeitet und nicht mit dem schlechtesten Erfolg. Nichts könnte die nationalsozialistische Bewegung jetzt mehr auf die Probe stellen als der Zwang zur verantwortlichen Mitarbeit."
I. Die Regierung Brüning 1930
140
Ausland 36 ' bestätigten. Der heftig umstrittene Charakter der nationalsozialistischen Bewegung stellte die Regierungen des Reiches wie der Länder, vor allem die zuständigen Polizeibehörden vor Probleme, die die Existenzfrage der Republik berührten. In mehrfachem Wechsel von defensiven zu offensiven Maßnahmen und schließlich mit den von Anbeginn eine Rolle spielenden Konzepten des Tolerierens auf längere Sicht bildeten sich jedoch einheitliche und schlüssige Entscheidungen nicht aus. 362 So deutlich die extremistische, überwiegend antiparlamentarische Haltung der Nationalsozialisten auch war — neben der radikal antijüdischen Einstellung das zweite hervorstechende Merkmal der Bewegung —, so wenig erschien dies ausreichend, um in genügendem Umfang wirksame Gegenkräfte — von Reich und Ländern — in Bewegung zu bringen. Auch Zufälligkeiten, die sich aus der fortschreitenden Zersplitterung der politischen Parteien und ihrer parlamentarischen Repräsentationen ergaben, spielten den nationalsozialistischen Fraktionen in einigen Ländern schon vor der Reichstagswahl vom 14. September 1930 eine Rolle zu, die dem Zünglein an der Waage entsprach, zuerst in Thüringen, dann in Braunschweig. Anfang 1930 war es in Thüringen zur Beteiligung der Nationalsozialisten an einer bürgerlichen Koalitionsregierung unter dem Landbundpolitiker Erwin Baum gekommen. 363 In ihr erhielt der Vorsitzende der Reichstagsfraktion der NSDAP, Wilhelm Frick, ein ehemaliger höherer bayerischer Beamter, der schon in den frühen zwanziger Jahren bei der Münchener Polizei für die Nationalsozialisten eintrat, 364 zwei wichtige Landesministerien. Er legte in der üblichen Form als Minister seinen Eid ab. Wie wir wissen, wurde das thüringische Beispiel von Hitler bereits als Vorbereitung auf eine spätere Praxis von größerer Tragweite verstanden, 365 so daß ihm schon eine Vorbedeutung im Lichte der Konfrontation
361
Vgl. Carsten, Britain, S. 2 1 3 f.
362
Hierzu die Einleitung zu Schulz, Staat, bes. S. X X V I ff.
363
Vgl. Schulz, Vorabend, S . 4 4 8 f .
364
Frick leitete als Oberamtmann zeitweilig die Politische Polizei bei der Polizeidirektion
München. Nach dem Hitler-Putsch v o m 9. November 1923 wurde er v o m Münchener Volksgerichtshof 1924 wegen Beihilfe zu einem Verbrechen des Hochverrats zu einem Jahr und drei Monaten Festungshaft verurteilt, die er jedoch nicht antrat. Neue Deutsche Biographie, V. Bd., S. 4 3 2 f . 365
Dokumentation von Fritz Dickmann, Die Regierungsbildung in Thüringen als
Modell der Machtergreifung. Ein Brief Hitlers aus dem Jahre 1930, in: V Z G , 14 (1966), S. 461 ff.
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der nächsten Jahre innewohnte. Da Frick außer der Zuständigkeit für die Kulturpolitik als Innenminister auch die Leitung und Verantwortung für die Polizei des Landes erhielt, war der Konflikt unausbleiblich. Die in ihrem Wortlaut begrenzten und bedingten Loyalitätsbeteuerungen nationalsozialistischer Führer standen in einem eklatanten Widerspruch zu den von der Öffentlichkeit wahrgenommenen Tätigkeiten und vollführten Operationen 366 von Mitgliedern, Gruppen und Unterorganisationen der NSDAP vor allem in einigen großen Städten. Nach geltendem Recht mußte die Polizei einschreiten. Daß sich die NSDAP, vor allem ihre quasimilitärische Unterorganisation SA an Überfallen, Gewaltanschlägen, Prügeleien, Saal- und Straßenkämpfen beteiligte, sie häufig sogar durch provozierende Demonstrationen und aggressive Parolen auslöste, wurde als eindeutig geklärter Tatbestand in Denkschriften sowohl des Reichsinnenministeriums als auch vorher seiner Nachrichtensammelstelle schon Ende 1929 hervorgehoben. 367 Insofern war der Erkenntnisstand aktenkundig, daß ein „Zustand politischer Verwilderung" vorlag, der „im Interesse der Staatsautorität, des Ansehens Deutschlands in der Welt, der Sicherheit des einzelnen Staatsbürgers wie der Aufrechterhaltung und Wiederherstellung gesunder Grundlagen des Staats- und Gesellschaftslebens nicht länger geduldet werden" durfte. Dieses Urteil beschränkte sich auf polizeirechtliche Tatbestände, die die Bewegung deutlich charakterisierten. Im Grundsätzlichen drückte dies auch ein Erlaß des Reichswehrministers vom 22. Januar 1930 aus, der die Nationalsozialisten den Kommunisten mit der Begründung gleichstellte: „Auch sie wollen die gewaltsame Zerschlagung des heutigen Staates und die Diktatur ihrer Partei. Sie unterscheiden sich von den Kommunisten nur durch die nationale Grundlage, auf der sie fußen." 368 An dieser Beurteilung ist allerdings nicht nur die Gleichsetzung, sondern auch die Art des in dem Erlaß angeführten Materials von Interesse. Eine Prüfung ergibt, daß jene Quellen bevorzugt herangezogen wurden, die aus nationalrevolutionären Kreisen herrührten, die nur zeitweilig oder nur noch teilweise zum Nationalsozialismus in inniger Verbindung standen, aber geeignet waren, die These von einer Verwandtschaft oder gar
366
Beispiele in der Dokumentation v o n Martin Broszat, Die Anfänge der Berliner
N S D A P 1926/27, in: V Z G , 8 (i960), S. 8 5 - 1 1 8 ; Schulz, Aufstieg, S. 4 0 9 - 4 1 3 . 367
Denkschrift des Reichsinnenministers Severing, abgedruckt von Gotthard Jasper,
Zur innerpolitischen Lage in Deutschland im Herbst 1 9 2 9 , in: V Z G , 8 (1960), S. 2 8 1 - 2 8 9 . Bericht 696/1929 der Nachrichtensammelstelle v o m November 1929; BA, R 134/90. 368
Schulz, Staat, S. 3 ff.
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einem Bündnis mit dem stets bekämpften Kommunismus oder Bolschewismus zu erhärten. Die Eigenart dieser Problematik war noch nicht erkannt worden. Das Land Hessen hatte nach heftigen Ausschreitungen einer starken SA-Organisation in Michelstadt im Odenwald für die NSDAP-Angehörigen im Großraum (des preußischen) Frankfurt eine scharfe Konsequenz gezogen und unter Berufung auf Art. 123 Abs. 2 der Reichsverfassung in Verbindung mit einer einschlägigen Bestimmung des Reichsvereinsgesetzes von 1908 bis auf weiteres alle öffentlichen Kundgebungen, Umzüge, Märsche und Versammlungen unter freiem Himmel oder in geschlossenen Räumen verboten, die von Mitgliedern der NSDAP, Ortsgruppe Frankfurt am Main, „in Bundeskleidung veranstaltet" wurden. 369 Diese Maßnahme kam einem regionalen Uniformverbot innerhalb der Unruhezone Frankfurt sehr nahe. Die hessische Polizei versuchte in anderen Gebieten, uniformierte Nationalsozialisten durch häufige Durchsuchungen unter Kontrolle zu halten und einzuschüchtern. Dies gewährte aber nur einen unzulänglichen und ungewissen Schutz vor Übergriffen. In Preußen erging in der Amtszeit des Innenministers Grzesinski am 16. Januar 1930 ein allgemeines Verbot öffentlicher politischer Versammlungen und Demonstrationen unter freiem Himmel, 370 das aber sein Nachfolger Waentig nach Erlaß des neuen Republikschutzgesetzes aufhob, wonach eine Liberalisierung des Versammlungsrechts folgte. 371 Inzwischen verbreiteten sich Gerüchte über erste personalpolitische Maßnahmen des nationalsozialistischen Innenministers in Thüringen im Bereiche der Landespolizei, die noch ohne Anhalt waren, aber das Reichsinnenministerium beunruhigten. Nach der verfassungsrechtlichen Lage verfügte es nicht über die Möglichkeit, unmittelbar einzugreifen; Reichsinnenminister Severing konnte lediglich indirekt einwirken. Dies tat er mit aller Entschiedenheit, indem er sogleich die Polizeikostenzuschüsse des Reiches 372 für das Land Thüringen sperrte. Aber nach dem Einspruch 569
Mitteilungen des hessischen Vertreters über die N S D A P in Hessen, im besonderen
im Odenwaldgebiet, in der Nachrichtenkonferenz des Reichsinnenministeriums am 28./ 29. April 1930; a. a. O., S. 48 f. 370
MBliV 1930, Sp. 55.
37 '
Einzelheiten bei Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. VII: Ausbau, Schutz und Un-
tergang der Weimarer Republik, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1984, S. 772. 172
Die Grundsätze für die Gewährung eines Reichszuschusses für polizeiliche Zwecke
v o m April 1928 bestimmten in I, 6: „Die Länderminister haben geeignete Maßnahmen dahin zu treffen, daß der unpolitische Charakter der Schutzpolizei als Ganzes wie auch das unpolitische Verhalten des einzelnen Beamten im Dienst unbedingt gewährleistet ist." Otto
Die Reichstagswahl
am 14. September
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des thüringischen Ministerpräsidenten mußte er sich auf Verhandlungen einlassen. Severings Amtsnachfolger Wirth — mit den gleichen zuständigen leitenden Beamten seines Ministeriums — gab zunächst dem Drängen des Ministerpräsidenten nach und hob die verfügte Sperre auf. Doch außer der Richtigstellung, daß Nationalsozialisten im thüringischen Polizeidienst tatsächlich nicht eingestellt worden seien, erreichte er von der Regierung Baum kein Nachgeben in der Auffassung, „daß es ... auf der einen Seite wohl nicht angängig sein kann, Angehörige der NSDAP bei der Besetzung von Ämtern grundsätzlich auszuschließen, während auf der anderen Seite, wie es jetzt in Thüringen der Fall ist, der oberste Leiter des Polizeiwesens, der Minister des Innern, dieser Partei angehört..." 3 7 3 Nach diesem Vorspiel, in dem sich das Reichsinnenministerium in einer keineswegs glänzenden Rolle zeigte, dachte Frick nicht daran, von erwogenen oder beabsichtigten, wenn auch bislang noch nicht ausgeführten personalpolitischen Vorhaben Abstand zu nehmen. Er besetzte nunmehr tatsächlich die Ämter der Polizeidirektoren in Weimar und Gera mit Beamten, die als Mitglieder der NSDAP bekannt waren. Es konnte wohl strittig sein, ob hier ein Verstoß gegen die „Grundsätze" über Polizeikostenzuschüse vorlag oder befürchtet werden mußte. Doch die thüringische Regierung wähnte sich vorrangig an die — nun in ihrem ganzen Ausmaß als heikel erkennbare — Regierungskoalition gebunden; sie beschritt später sogar den Weg der Klage vor dem Staatsgerichtshof des Deutschen Reiches. Tatsächlich war das Problem schon in ganzer Schärfe gestellt, wie man sich der Nationalsozialisten denn erwehren konnte, wenn sie unter parlamentarischen Voraussetzungen eine Regierungsteilhabe erreichten und diese in der nun einmal geläufig gewordenen Form der Personalpolitik auch auszumünzen versuchten. Die Grundsätze über die Gewährung von Polizeikostenzuschüssen boten im Hinblick auf die Schutzpolizei der Länder nur ein schwaches, eher sekundäres Mittel der Prävention, das Juristen Angriffsflächen bot, sobald sie solche nur suchten und der ungleich wichtigere politische Grundkonsens in Frage stand. Aus dieser gewiß schwierigen und bereits halbwegs verfahrenen verfassungspolitischen Situation versuchte das Reichsinnenministerium das Koellreutter, Der Konflikt Reich — Thüringen in der Frage der Polizeikostenzuschüsse, in: AöR, N. F., 20 (1931), S. 75 f. 373 Schriftwechsel Severing — Baum — Wirth, in Auszügen abgedruckt a. a. O.; Wippermann, Deutscher Geschichtskalender, hrsg. von Friedrich Purlitz, 1930, Inland, Leipzig 1931, bes. S. 2 9 6 - 3 0 1 .
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bestmögliche zu machen, indem es sich gewissermaßen rechtsschöpferisch zu betätigen versuchte. Die Frage lautete so schlicht wie paradox: Gegen nationalsozialistische Minister boten Verfassung und Staatsrecht keine andere Prävention als sichere parlamentarische Mehrheiten, die allmählich mehr zum seltenen als zum Regelfall wurden. Wie aber ließen sich nationalsozialistische Beamte verhindern, wenn diese Voraussetzung entfallen war? Wirth entgegnete dem thüringischen Ministerpräsidenten, daß das Reichsinnenministerium „ständig den Standpunkt vertreten" habe, der übrigens den Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts entsprach und dem bedeutender Kommentatoren der Reichsverfassung, „daß ein Beamter sich zu einer staatsfeindlichen Partei .bekennen' könne, aber nicht in diesem Sinne sich .betätigen' dürfe". 374 Dieser erfahrungsgemäß praktischen, vernünftigen und maßvollen beamtenrechtlichen Norm moderierter politischer Abstinenz wurde mithin überparlamentarische Bedeutung beigelegt und ein verwaltungspolitischer Primat zuerkannt. Wirth verwies auf das Beispiel einer preußischen Anordnung, 375 die zur Klärung der Rechtslage noch nichts beitrug, ließ aber offen, ob er die Auffassung des preußischen Innenministeriums, daß die NSDAP zu den „staatsfeindlichen Organisationen" zähle, für zutreffend hielt. In diesen verschiedenartigen Versionen stellte sich das Problem, das während der nächsten Monate unter den beteiligten Instanzen eingehend erörtert, jedoch keiner Lösung zugeführt wurde. Jedenfalls kann man in der Haltung Wirths, von einer Zurechtweisung des thüringischen Ministerpräsidenten abgesehen, keine Entscheidung im Hinblick auf die doppeldeutigen Erklärungen nationalsozialistischer Wortführer erblikken. Das Geltendmachen „schwerer Bedenken" gegen die Einstellung von Nationalsozialisten in die Polizei „mit Rücksicht auf die besonderen Pflichten" konnte kaum als definitive Entscheidung aufgefaßt werden. Der in diesen Angelegenheiten überhaupt nicht befragte nationalsozialistische Volksbildungs- und Innenminister Frick behauptete am 16. Mai im thüringischen Landtag: „Ein Beweis dafür, daß die Nationalsozialisten die Reichsverfassung gewaltsam stürzen wollten, könne nicht erbracht werden." Er verleugnete gar nicht seine und seiner Parteifreunde Gesinnung, sondern trieb das politische Paradoxon auf die Spitze: „Der Kampf 374
Schulz, Staat, S. 83.
375
Runderlaß des Preußischen Ministers des Innern v o m 31. Januar 1930, der die
Bestätigung gewählter Kommunalbeamter durch die staatliche Beschlußbehörde betraf; a. a. O., S. 6.
Die Reichstagswahl am 14. September 1930 und ihre Folgen
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der Nationalsozialisten gelte dem heutigen System, das sich eines Tages doch von selbst erledigen werde. Es sei ein unhaltbarer Zustand, daß man Polizeibeamten verbiete, Nationalsozialisten zu sein, wenn man auf Grund der Reichsverfassung dulde, daß ein Nationalsozialist Landesminister werde." 376 Dies letzte stimmte mit der Ansicht des Ministerpräsidenten Baum völlig überein. Fricks Politik bewegte sich allerdings in Thüringen auf fruchtbarem Boden. Die Landeshauptstadt Weimar im „grünen Herzen Deutschlands", 1919 die Stadt der Verfassunggebenden Nationalversammlung und schon lange vorher Inbegriff einer deutschen Kulturperiode, war längst zum Mittel- und Ausgangspunkt völkisch-deutschnationaler Organisationen und Richtungen und nach dem Fehlschlag des Hitler-Ludendorff-Putsches in München 1923 auch zum Hort der Nationalsozialisten geworden. Hier fand 1926 der erste „Reichsparteitag der NSDAP" statt, entfaltete sich, gewissermaßen im Schnittpunkt zwischen preußisch-ostdeutschem und norddeutsch-niederdeutschem, protestantisch gefärbtem, und süddeutsch-bayerischem, katholischem Nationalismus und rheinischem Nationalpatriotismus ein merkwürdiges Gemisch völkisch-nationaler Kulturelemente eigener Art, die, nicht ohne geistigen Anspruch, Einfluß und Expansionskraft an den Tag legten und dem Nationalsozialismus für diese Jahre ein kulturelles Zentrum zu geben schienen, was allerdings Episode blieb. Die Weltruf erlangende, wenn auch in manchen ihrer späteren Äußerungsformen umstrittene Kunst- und Architektenschule des Staatlichen Bauhauses von Walter Gropius war 1919 aus der Stiftung der Kunstschule des Großherzogs Carl Alexander von 1860 hervorgegangen, eines Urenkels der Zarin Katharina der Großen und einer der letzten Mäzene unter den Fürsten des Reiches. 377 Unter der Leitung des belgischen Architekten Henry van de Velde und dem Einfluß Harry Graf Kesslers wirkte sie nach der Jahrhundertwende bahnbrechend auf das vielseitig sich entfaltende, die beste künstlerische Seite des „Jugendstils" entwikkelnde moderne Kunstgewerbe. Ihre stil- und kulturgeschichtliche Bedeutung ist unbestritten. Der Enkel Carl Alexanders, der letzte Groß-
376
Wippermann, Geschichtskalender 1930, S. 296.
377
Zur Persönlichkeit Helmut Reichold, Bismarcks Zaunkönige. Duodez im 20. Jahr-
hundert. Eine Studie zum Föderalismus im Bismarckreich, Paderborn 1977, S. 73 f.
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herzog, hatte der wilhelminischen Art der Politisierung Raum gegeben 378 und eine kulturelle Wendung in Weimar eingeleitet, die weniger durch die „Weimarer Verfassung" als von ihren Gegnern geprägt wurde. Das Bauhaus zog unter dem Druck der eingetretenen politischen Verhältnisse von Weimar in das seit eineinhalb Jahrhunderten mit ihm rivalisierende, aber bescheidenere Dessau um. Neben dem Theater, der Architektur und Innenarchitektur behielt die Literatur in Weimar eine zentrale Förderstätte. Die alljährlich in Weimar tagende Goethe-Gesellschaft hatte jedoch stetig an Bedeutung verloren. Das Nietzsche-Archiv unter der Leitung von Elisabeth Förster-Nietzsche versammelte vornehmlich konservative, national gesinnte Köpfe 379 und näherte sich am Ende dem Nationalsozialismus. Der in Weimar verbliebenen Staatlichen Kunsthochschule gab nun Frick 1930380 mit dem seit 1902 am Ort wirkenden Paul SchultzeNaumburg einen einflußreichen, weithin bekannten und gewiß vielseitigen, aber geistig und politisch ganz und gar der völkischen Richtung verschriebenen neuen Direktor. Er hatte, vom Jugendstil beeindruckt und an seiner Entwicklung beteiligt, Architektur, Innenarchitektur und Kunstgewerbe — im Sinne van de Veldes — miteinander verknüpft, in einer damals modernen Kunstgesinnung den seit der Gründerzeit vorherrschenden „wilhelminischen" Stil auch literarisch heftig bekämpft und für seine Ideen des einfachen, sachgerechten, landschaftsgerechten — und „artgemäßen" — Bauens und Kunstlebens in der in Weimar erscheinenden Zeitschrift „Kunstwart" des Wagner-Neffen Ferdinand Avenarius geworben. 381 Schultze-Naumburg hatte einerseits — mit nachhaltigem Einfluß — neoklassizistische Elemente in seine Baukunst aufgenommen, anderseits Heimat- und Volkstumsbindungen vertreten und propagiert. Er war zum schärfsten Gegner des „Bauhauses" wie auch fast aller anderen Äußerungen moderner Kunst geworden, die sich außerhalb des
378
Bezeichnend die gegen den Großherzog polemisierende Streitschrift des v o n einem
Hohenzollern abstammenden Ernst v. Wildenbruch, Ein Wort über Weimar, Berlin 1903. 375
Der Kulturphilosoph Oswald Spengler und der Staatsrechtler Otto Koellreutter
zählten hierzu. Wichtige Quellen v o n dem zu diesem Kreise gehörenden Harry Graf Kessler, Tagebücher 1 9 1 8 - 1 9 3 7 , hrsg. von Wolfgang Pfeiffer-Belli, 4. Aufl. Frankfurt a.M. 1979, bes. S. 136 f., 436 f., 454 f., 543 ff., 681 f.; und dem Nationalrevolutionär Friedrich Hielscher, Fünfzig Jahre unter Deutschen, Hamburg 1954, S. 83 — 92. 3811
Hierzu und zum Folgenden — auch nach thüringischen Akten — Hildegard Brenner,
Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, Reinbek 1963, S. 24 f., 29 ff. 381
Hierzu Gerhard Kratzsch, Kunstwart und Dürerbund. Ein Beitrag zur Geschichte
der Gebildeten im Zeitalter des Imperialismus, Göttingen 1969.
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Rahmens der von ihm mit Vehemenz vertretenen Vorstellungen bewegten, wobei er auch rassenideologische Ideen aufgriff. Zu Schultze-Naumburgs bekanntesten Bauwerken gehört das während des Weltkriegs fertiggestellte Schloß des Kronprinzen Wilhelm, Cecilienhof in Potsdam, das Weltberühmtheit erlangte, als dort 1945, nach dem Zusammenbruch des Hitler-Reiches, die „Großen Drei" der alliierten Mächte zur „Potsdamer Konferenz" zusammentrafen. So umrahmten Schultze-Naumburgs Bauideen die nationalsozialistische Periode der deutschen Geschichte, begleiteten ihre Vorgeschichte und Vorbereitung, beeinflußten den Stil mancher Bauten der nationalsozialistischen Jahre und bildeten schließlich die hintergründige Kulisse für jenes Ereignis, das ihr Ende besiegelte. In dem gebürtigen Elsässer Artur Dinter besaß die NSDAP in den ersten Jahren nach ihrer Wiedergründung, 1925 bis 1927, in Thüringen sogar einen Führer und Gauleiter und — seit 1928 — einen Landtagsabgeordneten, der mit seinen zahlreich aufgelegten Zeitromanen zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftstellern dieser Jahre zählte. 382 Als politisch-religiöser Publizist wurde er schließlich zu einem auf deutschem Boden in der Zwischenkriegszeit schon beispiellosen Vielschreiber, dessen Wirkung für die zwanziger Jahre kaum zu überschätzen ist. Noch entschiedener als der ihm geistesverwandte Dietrich Eckart, der 1923 verstorbene geistige Mentor Hitlers in München und wie dieser Katholik, vertrat Dinter eine nun gegen Nietzsche wie dessen Weimarer Überlieferungstendenz gerichtete christliche Position ganz eigener Art, ein „Geistchristentum", wie es dieser Adept Houston Stewart Chamberlains selbst nannte, das die Konfessionen überbrücken und zum weltanschaulichen Dauerkampf sowohl gegen das religiöse Judentum als auch gegen die überlieferte paulinische Christlichkeit aufrufen wollte. Doch mit seinem Sendungsbewußtsein eines Wiederherstellers der „reinen Heilandslehre" 383 vermochte sich Dinter, der den Weimarer Parteitag der NSDAP 1926 organisiert hatte und damals neben Hitler und Ludendorff
382
Von Dinters Romantrilogie „Die Sünden der Zeit" — Die Sünde wider das Blut,
zuerst Leipzig 1918, Die Sünde wider den Geist, Leipzig 1920, Die Sünde wider die Liebe, Leipzig 1922 — war der zweite der Romane der erfolgreichste; er erreichte noch 1921 2 0 Auflagen mit insgesamt 100 000 Stück. Vgl. A r m i n Möhler, Die konservative Revolution in Deutschland 1 9 1 8 — 1932. Ein Handbuch, 2., völlig neu bearb. u. erweiterte Fassung Darmstadt 1972, S. 378; Klaus Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. I: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1 9 1 8 - 1 9 3 4 , Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1977, bes. S. 97, 1 1 8 ff. 383
S o auch der Untertitel einer Schrift Dinters, 197 Thesen zur Vollendung der
Reformation. Die Wiederherstellung der reinen Heilandslehre, Leipzig 1926.
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mit großem Beifall gefeiert wurde, unter dem wachsenden Einfluß des Führers Hitler nicht länger durchzusetzen. Im September 1927 mußte er dem neuernannten Gauleiter Sauckel weichen, einem kleinen, hitlertreuen Mann von bescheidenem geistigem Zuschnitt; ein Jahr später wurde Dinter aus der NSDAP ausgeschlossen. Sein Vorhaben, eine deutsche, völkisch-christliche nationale Konfession zu schaffen, stand mit dem Nationalsozialismus, der an seiner Oberfläche ein breiteres Spektrum geistiger Strömungen der Zeit widerspiegelte, unter dem beherrschenden Einfluß Hitlers, nicht im Einklang. Doch seine Bestrebungen und vor allem seine Überzeugung, daß „die völkische Bewegung" nicht „in den Niederungen des nur politischen Kampfes" verbleiben dürfe, sondern sich zu „sittlich-geistigen Höhen" erheben müsse, der Höhe des „größten Antisemiten und Antimaterialisten aller Zeiten, des Helden von Nazareth" — so verstand er Jesus Christus —, und „die Axt an die geistige Wurzel des Judentums..., an das Judentum in der christlichen Kirche" legen solle 384 , verbreiteten sich bis zuletzt innerhalb des Nationalsozialismus, vor allem unter den der NSDAP zuneigenden, politisch wie religiös überzeugten Protestanten. Insofern darf Dinter als einer der frühen Fundamentalisten des Nationalsozialismus gelten, dessen praktizierter Antisemitismus in pragmatischen weltanschaulichen Ausprägungen allerdings auch anderen Bestrebungen zum Durchbruch verhalf. Weimar hatte dem neuen Minister Frick aber noch mehr an geistigpolitischen Voraussetzungen zu bieten, auf die er bereitwillig und ganz im Sinne Hitlers einging. Der 1923 verstorbene Ferdinand Avenarius hatte für seinen „Kunstwart" und in dem 1903 von ihm gegründeten Dürerbund auch eine literarische und kulturpolitische Richtung gefördert. In ihr vertraten Männer wie der aus dem Elsaß kommende Dichter Friedrich Lienhard eine mehr und mehr entschieden antimodernistische, vor allem auch antitechnische, mit Schultze-Naumburg übereinstimmende, schon in der Vorkriegszeit — in den Worten Lienhards — gegen „die Vorherrschaft Berlins", gegen Juden und „Freimaurer" gerichtete „völkische", alle Ästhetik vernachlässigende Literaturdeutung. Der noch vom letzten Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach zum Professor ernannte Adolf Bartels verfocht sie dann am eifrigsten und einseitigkenntnisreichsten. Der gebürtige Dithmarscher, der in Weimar den Schillerbund als deutsch-völkisches Unternehmen gründete, war vermutlich der geisteswissenschaftlich gelehrteste unter den frühen Bekennern zum
384
Zitat bei Scholder, Kirchen, I, S. 1 1 8 f.
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Nationalsozialismus Hitlerscher Prägung. Durch seine Polemiken gegen Lessing und Heine wie durch eine höchst problematische Literaturgeschichte in engen Horizonten machte er sich weiten Kreisen bekannt. Hitler schätzte ihn; und Bartels warb für den Nationalsozialismus. 385 Diese Beziehung blieb unkomplizierter als die Dinters oder auch die der Nietzsche-Traditionalisten Weimarer Prägung. Sie alle aber begegneten einander in der kleinen, auf seine Geistestradition stolzen Stadt. Nicht nur der politische, sondern sogar mehr noch der geistige Boden war vorbereitet, als Frick in Weimar sein Amt als Innen- und Volksbildungsminister antrat und seine Vorhaben politisch durchzuführen begann. Im März 1930 wurde unter seinem Protektorat in Weimar der völkisch und nationalsozialistisch beherrschte „Führer-Rat der Vereinigten Deutschen Kunst- und Kulturverbände" als Dachverband aller rechtsgerichteten Kulturorganisationen gegründet. 386 Ende 1930 setzte Frick die Berufung des neben Schultze-Naumburg und Alfred Rosenberg tonangebenden Mannes in diesem „Führer-Rat", des promovierten Germanisten, Bühnenautors und seit einigen Jahren auch Rassenideologen Hans F. K. Günther auf einen neuerrichteten Lehrstuhl für Sozialanthropologie an der Universität Jena durch. 387 Damit wurde eine auf ausgewählten äußerlichen Merkmalen nach Porträts beruhende Typengruppierung, die Günther entwickelt hatte, von der umstrittenen rassentypologischen Anthropologie amerikanischer Herkunft angeregt, in Jena zum universitären Lehrfach erhoben. Hitler bezeugte den politischen Sinn dieser Entscheidung durch sein persönliches Erscheinen bei der Antrittsvorlesung Günthers, der nebenher — ebenso wie Adolf Bartels — an den Vereinigten Kunstlehranstalten unter Schultze-Naumburg Lehrveranstaltungen abhielt. Ein von Frick ersonnener Erlaß „wider die Negerkultur, für deutsches Volkstum" bot die Grundlage für polizeiliches Vorgehen gegen kulturelle Veranstaltungen und für Verbote von Filmaufführungen und Büchern in öffentlichen Bibliotheken. 388 Die polizeiliche Zensur dehnte sich rasch zu einer allgemeinen Kulturzensur aus, die auch die Aufführung von Werken „musikalischer Bolschewisten" in Thüringen unterband; als solche galten Paul Hindemith und Igor Strawinsky, die bedeutendsten
385
Adolf Bartels, Der Nationalsozialismus, Deutschlands Rettung, Leipzig 1924; vgl.
Brenner, Kunstpolitik, S. 27 f. 386
Brenner, a. a. O., S. 19.
387
a. a. O., S. 31 ff.; vgl. Schulz, Aufstieg, S. 191, 482.
388
Brenner, a. a. O.
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Repräsentanten zeitgenössischer moderner Musik von europäischem Rang. Aus der an der Jahrhundertwende von Schultze-Naumburg geforderten Volkstümlichkeit der Kunst war eine zweifelhafte „Artgemäßheit" erwachsen, die sich durch eine ebenso fragwürdige, auf bescheidenem Niveau biologisch-anthropologisch gewandete „Rassenlehre" zu legitimieren versuchte und alsbald zu einer Diktatur des Banausentums führte, die schließlich zur Bilderstürmerei im Weimarer Museum ausartete und es seiner Schätze aus der modernen Kunst beraubte. Damit hatte Frick seine Möglichkeiten aber doch überzogen, so daß er am 1. April 1931 von einer gegen die NSDAP geschlossen auftretenden Landtagsmehrheit gestürzt wurde. Von Februar bis Herbst 1930 hatte er alle seine und seiner Ratgeber Einfalle benutzt, um zu demonstrieren, was nationalsozialistische Politik im Bereiche der Kultur und der Innenpolitik sei, und den ersten Vorgeschmack des möglichen Kommenden gegeben. Seine Personalpolitik hatte sich hierbei als Versuch einer politischen Okkupation von Schlüsselstellungen erwiesen. Dies gilt sowohl für die Volksbildung als auch für die innere Verwaltung, vor allem die Polizei, in der Frick innerhalb weniger Monate einen Personalwechsel bis dahin unbekannten Ausmaßes in die Wege leitete. 389 Sowohl Versetzungen in den Ruhestand als auch die Schaffung neuer Stellen dienten der Ernennung nationalsozialistischer Beamter; Personalentscheidungen erhielten eine ausschließlich parteipolitische Funktion. Auch das ist später, nur in weit größerem Maße, mit entsprechender Wirkung vollführt worden. Die Amtszeit Fricks war weit ereignisreicher und bedeutungsschwerer als die Regierungsversuche der NSDAP während der nächsten Jahre in 389
Vgl. Hans Fabricius, Dr. Wilhelm Frick. Ein Lebensbild des Reichsministers des
Innern, Berlin 1938, S. 17. Die Ziele Fricks waren ursprünglich noch weiter gesteckt. Grundlage war ein im thüringischen Landtag von der Mehrheit angenommenes Ermächtigungsgesetz vom 29. März 1930, das die gesamte thüringische Landesverwaltung als „in Umbildung" begriffen bezeichnete und die Regierung ermächtigte, die nichtrichterlichen Beamten der „in Umbildung" befindlichen Behörden in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen (§ 3 Abs. 1). Durch diesen juristisch kühnen Griff wurde die Möglichkeit zu einem ganz von der Entscheidung des Ministers abhängigen Personalwechsel geschaffen. Hiergegen machte der Reichsinnenminister mit Rücksicht auf Art. 1 2 9 der Reichsverfassung Bedenken geltend. Daraufhin einigten sich Reich und Land darauf, gemeinsam das Reichsgericht anzurufen, dessen III. Zivilsenat am 20. Juni 1930 feststellte, daß § 3 Abs. 1 des thüringischen Ermächtigungsgesetzes gegen den Artikel 129 der Reichsverfassung verstoße und die Versetzung der gesamten Landesverwaltung in den Zustand der „Umbildung" eine gesetzliche Fiktion zur Erzeugung eines unechten Tatbestandes darstelle. Im einzelnen Huber, Verfassungsgeschichte, VII, S. 773 f.
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Mecklenburg-Schwerin und in Braunschweig, wo Hitler vor der Reichspräsidentenwahl 1932 durch Ernennung zum Regierungsrat zum Staatsangehörigen eines Landes des Deutschen Reiches wurde. 390 Die Geschichte der Ernennung an der braunschweigischen Gesandtschaft in Berlin, die Hitler nach Ableistung seines Diensteides („Ich schwöre Treue der Reichs- und Landesverfassung, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten") nie wieder betrat, war tatsächlich, wie sich erwies, nichts anderes als ein Akt zum Zwecke der Schaffung eines unechten Tatbestandes. Den zeitgenössischen Beobachtern mußte dies als eine denkwürdige Komödie erscheinen, die paradigmatisch sowohl die Gleichgültigkeit Hitlers gegenüber deutschen staatsrechtlichen, überhaupt rechtlichen Normen, sogar nach der engeren Bindung durch eine Vereidigung, als auch die problematische Fragilität der Gehorsamspflicht bei solchen Beamten sichtbar werden ließ, die mit der Robustheit erbitterter Systemgegner jeder Loyalität gegenüber ihrem Eidnehmer abgeschworen hatten. Während sich in der Öffentlichkeit Befremden, Empörung und Unsicherheit ausbreiteten und eindeutige klärende Worte an der Zeit gewesen wären, blieb die Situation verfassungsrechtlich schwierig. Von Reichs wegen wurde überhaupt nur über Polizei und Beamtenrecht und über einen Schulgebetserlaß Fricks gestritten, 391 mit ungewissen Aussichten, solange Frick noch amtierte. Was aber die NSDAP betraf, so ließ die Reichsverfassung eine Einschränkung einzelner Rechte, wie die Kommentatoren stets hervorhoben, nur in bestimmten Fällen zu. Infolgedessen bedurfte es schlüssiger, der richterlichen Prüfung standhaltender Nachweise von besonderen Anstalten oder Umständen, die eine Gefahrdung der Sicherheit und öffentlichen Ordnung ergaben. Den politischen Anordnungen eines nationalsozialistischen Ministers, solange sie von seiner Regierung und der Landtagsmehrheit gedeckt wurden, stand das Rechtssystem der Weimarer Republik unvorbereitet und nahezu schutzlos gegenüber. Die verfassungsrechtliche
Lage und die NSDAP
Die Schwierigkeiten, die einem Versuch im Wege standen, rechtlich fundierte Regelungen zu schaffen und Entscheidungen zu treffen, spiegelten sich auch in der offenkundigen Rechtsverlegenheit des preußischen m'
Rudolf Morsey, Hitler als braunschweigischer Regierungsrat, in: V Z G , 8 (i960),
S. 4 1 9 - 448. 391
Huber, Verfassungsgeschichte, VII, S. 776 f.
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Innenministeriums wider — unter dem Eindruck der Spruchpraxis und der Auslegung der subjektiven beamtenrechtlichen Normen. Der Versuch Minister Waentigs, die NSDAP zu treffen und doch von einer Gleichbehandlung aller radikalen politischen Organisationen abzusehen, verweist auf die Problematik. Am 11. Juni 1930 wurde „das öffentliche Tragen der sogenannten Parteiuniformen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei einschließlich ihrer Unter-, Hilfs- und Nebenorganisationen" für das ganze Land verboten 392 und dies ohne weitere Begründung auf die berühmte Generalermächtigung der „Polizey" nach dem Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 gestützt. Dieser Rückgriff auf das Allgemeine Landrecht war im preußischen Innenministerium nicht ungewöhnlich, wo man sich während der Notverordnungsperiode mehrmals dieser Aushilfe (auch im Hinblick auf das Recht der Kommunen) bediente, um eine angenommene Lücke im Verfassungsrecht der Republik durch Rückgriff auf älteres Recht auszufüllen. 393 Daneben und vorher wurde das landesverfassungsrechtliche Notverordnungsrecht in Preußen — trotz eines mehrheitsfahigen Landtags — reichlich genutzt. Preußen kann daher als Beispiel oder gar Vorbild einer zweibahnigen Gesetzgebung — einer ordentlichen, parlamentarischen und einer außerordentlichen, ausnahmerechtlichen — durch die Exekutive in der Weimarer Periode gelten. 394 Das änderte nichts an der Fragwürdigkeit des Verfahrens. Mit Hilfe einer älteren Rechtsquelle, deren allgemein anerkannte Geltung kaum vorausgesetzt werden konnte, wurden faktisch die liberalen Bestimmungen des aus einer jüngeren Rechtsschicht stammenden Verfassungsrechts umgangen, das allerdings eine wirksame Bekämpfung seiner politischen Gegner, verbreiteter Auffassung zufolge, nicht zuzulassen schien. Der Erlaß Waentigs blieb aber nicht lange in Kraft und bedeutete letztlich nicht mehr als eine Warnung in entschiedener Form. An der unverhältnismäßig raschen Ausbreitung der NSDAP mitsamt ihren Unterorganisationen, vor allem der SA, war zu dieser Zeit kaum noch zu zweifeln. Sie wurde sogar deutlich erkannt und schon in einer 392
Schulz, Staat, S. 87.
393
Auch dies liefert eine Erklärung für den von Möller, Parlamentarismus, S. 430,
hervorgehobenen Rückgang der Anwendung landesverfassungsrechtlichen
Notverord-
nungsrechtes in Preußen seit März 1930. Eine zweite liegt in der ständigen Berücksichtigung Preußens, auch Einarbeitung preußischer Wünsche in die Notverordnungen des Reichspräsidenten in der Ära Brüning. 394
Unter diesem Gesichtspunkt bedarf das einschlägige Kapitel bei Möller, a. a. O.,
S. 429 — 454, einer Revision.
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Nachrichtenkonferenz des Reichsinnenministeriums mit den Vertretern der Länderinnenministerien in Berlin am 28. und 29. April 1930 eingehend erörtert. 395 Ministerialrat Schönner wollte die staatliche Tätigkeit nicht mehr auf Beobachtungen beschränken, sondern „alle nach dem Gesetz zulässigen Mittel" anwenden, „um den Auswüchsen der nationalsozialistischen Propaganda entgegenzutreten", aber auch die staatstreuen Parteien auffordern, es in ihrer eigenen Propagandatätigkeit der NSDAP „gleichzutun". Besonders wirksam erschien die nationalsozialistische Agitation in der Jugend, namentlich unter den Schülern, so daß nach Auffassung des Ministerialdirektors Menzel vom Reichsinnenministerium gerade die Kultusministerien der Länder sich die nachhaltige Bekämpfung des Nationalsozialismus angelegen sein lassen mußten. Wenn es auch offenbar keine Meinungsverschiedenheiten gab über die Mehrdeutigkeiten und eklatanten Widersprüche in nationalsozialistischen Bekundungen, die sich einerseits auf Rechtsstandpunkte beriefen, anderseits Drohungen enthielten und häufig in eine hemmungslose Hetze gegen die Republik ausarteten, so schien doch im Hinblick auf das Problem der treffenden rechtlichen Handhabe kaum eine Klärung in Aussicht. Die Möglichkeiten des Republikschutzgesetzes wurden auch in seiner jüngsten Fassung als ausreichend betrachtet. Noch herrschte die Ansicht vor, daß man es lediglich mit einem vorübergehenden Erfolg der Nationalsozialisten zu tun habe und mit der erhofften „Besserung der Wirtschaftslage und der daraus resultierenden Befriedung der innenpolitischen Verhältnisse", wie es der zuständige Referent der Nachrichtensammelstelle ausdrückte, der Rückgang der ganzen Bewegung und der durch sie verursachten Beunruhigung als wahrscheinlich gelten dürfte, so daß vorübergehende Aushilfen nicht nur auszureichen, sondern angeraten schienen. Die Annahme eines lediglich ephemeren, wenn auch starken Wachstums der nationalsozialistischen Bewegung beeinträchtigte noch einige Zeit ganz erheblich die Bemühungen um einen tiefer greifenden Verfassungs- und Staatsschutz. Als sich das Preußische Staatsministerium erneut mit der Frage befaßte, wie Beamte sowohl vom Nationalsozialismus als auch vom Kommunismus fernzuhalten seien, ergab sich nach Meinungsverschiedenheiten der Beschluß, daß der Ausschließungsgrund in einer „Betätigung" für diese Parteien gegeben sei. 396 Die Beurteilung des Charakters von NSDAP 3,5
Vorträge auf der Nachrichtenkonferenz; Schulz, Staat, S. 13—50.
396
Erlaß vom 3. Juli 1930, nach Beschluß des Preußischen Staatsministeriums v o m
30. Juni; a. a. O., S. 87 f. Eine Klage der Nationalsozialistischen Gruppe im Preußischen
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und K P D als Organisationen, „deren Ziel der gewaltsame Umsturz der bestehenden Staatsordnung ist", war nicht kontrovers. Der Ministerialdirigent im Reichsinnenministerium K u r t Häntzschel, ein bekannter Interpret der Reichsverfassung, führte mit Hilfe eines Teiles des Materials aus einer Denkschrift, die das Reichsinnenministerium im August für eine Voruntersuchung des Oberreichsanwalts bereitstellte, die gegen Joseph Goebbels wegen Vorbereitung einer Handlung des Hochverrats eingeleitet wurde, 3 9 7 eine neue Überlegung ein. In seiner liberalen Grundhaltung hielt er daran fest, daß nach Artikel 1 1 8 der Reichs Verfassung „jede Meinung privilegiert" sei, „auch wenn ihr gesinnungsmäßiger Inhalt etwas Gesetzwidriges in dem Sinne darstellt, daß er z. B. die Errichtung der Monarchie oder der proletarischen Diktatur oder auch nur die Abschaffung des § 218 StGB erstrebt. A b e r die oft sehr ungeistigen Mittel und Handlungen, mit welchen Meinungen betätigt werden, sind nur so lange ebenfalls verfassungsrechtlich geschützt, als sie sich in
Landtag gegen den Erlaß vom 3. Juli wurde vom Staatsgerichtshof abgewiesen. Einerseits fehlte für diesen Fall die Sachbefugnis (Aktivlegitimation), die nur den Fraktionen zustand, anderseits bildeten „Verfassungsstreitigkeiten über Wahlen und Volksabstimmungen", in denen die Gruppe zur Klage legitimiert gewesen wäre, nicht den Gegenstand ihres Vorgehens. Entscheidung vom 27. April 1931. Hans-Heinrich Lammers, Walter Simons (Hrsg.), Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich, Bd. IV, Berlin 1932, S. 171. Doch für die zurückhaltende Durchführung des Erlasses spricht, daß wenig später Ausnahmeregelungen für Beamte beschlossen wurden, die sich als Kandidaten der N S D A P für den Reichstag aufstellen ließen. Dies betraf den Flensburger NSDAP-Kandidaten und Amtsgerichtsrat Franzen, der einige Wochen später in Braunschweig, als zweiter Nationalsozialist in einer Landesregierung, das Amt des Innenministers übernahm. Das Preußische Staatsministerium beschloß nach einer Anfrage des Reichsinnenministeriums am 26. August, in solchen Fällen „soll vorläufig kein Disziplinarverfahren eröffnet werden. Es soll zunächst der Ausgang der Wahlen und das Verhalten der betreffenden Beamten im Wahlkampf abgewartet werden." Auszug aus dem Protokoll und Schreiben Staatssekretär Weismanns an den Reichsminister des Innern vom 30. August; Abschr. GehStAB, Rep. 84 a/478. Im August 1930 wurde Goebbels vor verschiedenen Gerichten angeklagt, aber von dem bekannten Verteidiger in politischen Prozessen (u. a. Fememord- und Landvolkprozeß) Rüdiger Gustav Adolf Graf v. d. Goltz (Stettin) mit wechselnden Methoden, die meist mit Angriffen auf sozialdemokratische Politiker und Minister verknüpft waren, erfolgreich verteidigt, so daß Goebbels Freisprüche erreichte oder zu unbedeutenden Geldstrafen verurteilt wurde; schließlich leistete er den Vorladungen keine Folge mehr. Die ersten Prozesse wurden von Goebbels organisatorisch mit Hilfe der SA vorbereitet und während des Wahlkampfes auch propagandistisch — gegen Kläger und Staatsanwälte — geführt. Vgl. Goebbels, Tagebücher, I, 1, S. 5 8 7 - 5 9 1 , 593, 597. 397
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den Schranken der allgemeinen Gesetze halten." 398 — Dieser Auffassung trat unter dem Eindruck der Vorgänge in Thüringen Otto Koellreutter, ein namhafter Rechtslehrer der Universität Jena, entgegen. 399 — Die Argumentation Häntzschels lief darauf hinaus, daß das „Meinungsprivileg" nach Artikel 118 der Reichsverfassung im Rahmen des Artikels 130 wohl Gesinnungsrechte schützte, es aber nicht erlaubte, Rechtsbrüche zu fördern. Häntzschel nannte es eine „allen Auslegungsregeln zuwiderlaufende Interpretation, wenn man aus der Reichsverfassung eine Privilegierung solcher Handlungen oder Bestrebungen herauslesen wollte, die nicht auf gesetzliche, sondern- auf ungesetzliche, ja gewaltsame Beseitigung dieser Verfassung selbst gerichtet sind". Dies aber beabsichtigte nach dem vorliegenden Material jede nationalsozialistische Betätigung, wie Häntzschel ausführte und belegte: „Eine geistige Revolution [von der Frick gesprochen hatte], bei der die Laternenpfähle nicht reichen und die Köpfe in den Sand rollen, ist selbst bei Anstrengung aller Phantasie nicht mehr vorstellbar!" Es sei daher „davon auszugehen, daß sowohl die kommunistische wie die nationalsozialistische Partei revolutionäre Parteien sind und. daß sie sich von allen parlamentarischen Parteien dadurch unterscheiden, daß sie den Parlamentarismus nur als Mittel zu einem außerparlamentarischen Zweck benutzen". Hinzu kam ein gravierender „weiterer Unterschied": „Wer einer der parlamentarischen Parteien beitritt, kann sich lediglich darauf beschränken, dadurch seine politische Gesinnung zum Ausdruck zu bringen. Keine dieser Parteien macht ein positives Handeln und ein aktives Eingreifen für die Partei zur Bedingung der Mitgliedschaft..." Doch mit der NSDAP verhalte es sich ganz anders; diese Partei sei „nicht nur eine Gesinnungs-, sondern auch eine Tatgemeinschaft". 400 Damit rückte neben den Äußerungen und dem Auftreten auch die Frage der inneren Struktur der NSDAP in den Vordergrund der Aufmerksamkeit, wurde aber auch der Nachweis einer derart charakterisierten Besonderheit der NSDAP erforderlich, die sie — in einer jedes einzelne Mitglied bindenden Verpflichtung — zu einem Staat im Staate machte, den sie von Grund auf umzuwandeln strebte.
398
K u r t Häntzschel, Darf der Beamte einer revolutionären Partei angehören? in: Reichs-
verwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt, Bd. 51/9. August 1930, S. 5 1 1 . 399
Koellreutter, Konflikt, S. 92 ff. Gegen Häntzschel nahm auch der ehemalige Vize-
präsident des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, Berner, Stellung, Reichsverwaltungsblatt, Bd. 51, S. 6 6 7 - 6 6 9 . Dazu die Replik Häntzschels, a. a. O., S. 6 6 9 f . und A ö R , 20, S. 385 f. 400
Reichsverwaltungsblatt, a. a. O., S. 509 ff.
156
I. Die Regierung Brüning 1930
Angesichts dieses Problems verdienen zwei materialreiche Denkschriften über den Charakter der N S D A P Beachtung, sowohl im Hinblick auf die angewandten Methoden der Beweisführung als auch hinsichtlich des Schlusses, zu dem sie gelangten. Die erste dieser Denkschriften entstand im Reichsinnenministerium einige Wochen v o r der Reichstagswahl des 14. September. 4 0 1 Sie beruht offenkundig auf dem Material, das in dem bevorstehenden Hochverratsprozeß gegen die wegen geheimer Zellenbildung im Einvernehmen mit der N S D A P v o r dem Reichsgericht angeklagten Reichswehroffiziere 4 0 2 vorgelegt werden sollte, dann aber unter den Umständen der Prozeßführung und nach der Entscheidung des Reichsjustizministers Bredt nicht vorgebracht werden konnte. 4 0 3 Erst nach dem Prozeß wurde die Denkschrift dem Reichswehrminister übermittelt. Offen bleibt die Frage, ob der Reichskanzler die Verzögerung veranlaßte. Sollte dies der Fall gewesen sein, dann darf angenommen werden, daß die etwa zur gleichen Zeit, vielleicht Ende August angefertigte zweite Denkschrift, die im preußischen Innenministerium entstand, 404 auf den Entschluß des Reichsinnenministers eingewirkt hat, nunmehr sein Material vorzulegen. Die eine wie die andere Denkschrift
4,11 Denkschrift des Reichsministeriums des Innern „Das hochverräterische Unternehmen der N S D A P " , 63 S., vervielf. Exemplar; BA, R 134/90, Schlußpartie mit der Überschrift „Schlußergebnis" abgedruckt in: Schulz, Staat, S. 95 f. 402 Vgl. Schulz, Vorabend, S. 390 f. 405 Bredt beschreibt in seinen Erinnerungen ein Gespräch mit Wirth und den Staatssekretären Zweigert und Joel über das vom Reichsinnenministerium vorbereitete Material, das er zurückwies. Er geht jedoch nicht auf den Inhalt des Berichtes ein: Erinnerungen und Dokumente von Joh. Victor Bredt 1914 bis 1933, bearb. von Martin Schumacher, Düsseldorf 1970, S. 250 f. Hinweise auf das Material g a b Staatssekretär Zweigert als Zeuge während des Prozesses in Leipzig. Bucher, Reichswehrprozeß, S. 284 — 294. 404 Vollständige Fassung abgedruckt Schulz, Staat, S. 96 —155. Der Zeitpunkt der Entstehung der Denkschrift, Ende August oder Anfang September, beruht auf Angaben des wahrscheinlich beteiligten Robert M. W. Kempner, der sie selbst wiederholt veröffentlicht hat; zuerst in einer Übersetzung ins Amerikanische 1945: Kempner, Blueprint of the Nazi Underground. Past and Future Subversive Activities, in: Research Studies of the State College of Washington, 13 (1945), S. 51 — 153. Zu den Publikationen von Kempner kritisch Rudolf Morsey, Preußen, Reich und NSDAP 1930/32. Zur Publikation und Präsentation einer „bisher unveröffentlichten" Denkschrift vom August 1930, in: Die Verwaltung, 16 (1983), S. 507 — 515. Dem preußischen Justizministerium ging diese Denkschrift erst im Oktober zu. GehStAB, Rep. 84a/3157, Bl. 140. Für größere zeitliche Nähe zur Reichstagswahl spricht die gegenüber einer früheren Denkschrift des preußischen Innenministeriums vom Mai 1930 erheblich veränderte Fragestellung und Methodik. Schulz, Staat, S. 5 1 - 8 1 .
Die Reicbstagswahl
am 14. September
1930 und ihre
Folgen
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wurden jedenfalls erst nach der Reichstagswahl dienstlich intern mitgeteilt. Auf der Grundlage des Materials der Nachrichtensammelstelle gelangte die erste Denkschrift zu dem Ergebnis, daß die NSDAP „mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln den gewaltsamen Umsturz der auf die Weimarer Verfassung gegründeten deutschen Republik" anstrebe und „bewußt, aber mit anderer Taktik" die Politik fortführe, die sie im Jahre 1923 betrieben und die in den bekannten Hitler-Putsch gemündet hatte. Fast jede Partie bezeugt, daß das Reichsinnenministerium mit Material aufwarten konnte, um diese These zu stützen. Nachdem die NSDAP die Verbindung zu Teilen der nationalrevolutionären Kräfte gelöst hatte und das ältere Material, das eine gravierende Rolle in den Darlegungen des staatsfeindlichen Charakters der Partei sowohl im Reichsinnenministerium als auch im Reichswehrministerium spielte, als fragwürdig erscheinen konnte, standen nunmehr in großem Umfang auch andere Beweismittel zur Verfügung, die das Reichsinnenministerium bereits in erkennbarem Unterschied zum Reichswehrministerium auswertete. Das abschließende Urteil fiel eindeutig aus; es wurde durch die Kette der Ereignisse im Jahre 1933 bestätigt. Rückschauend erscheint als schwerwiegender Mangel, daß derartig gründliche Analysen der politischen Publizität mangelten, der in der Öffentlichkeit einige Bedeutung hätte zukommen können. Tatsächlich ließ das Reichsinnenministerium in einer zwischen Wirth und dem thüringischen Ministerpräsidenten Baum am 22. Dezember 1930 getroffenen Vereinbarung, die den Streit zwischen dem Reich und Thüringen beenden sollte, die entscheidende Frage, ob die NSDAP „umstürzlerische oder sonst strafbare Ziele" verfolge, offen und ungeklärt. 405
Veränderte Haltung des
Reichswehrministeriums
Inzwischen bahnte sich eine neue Auffassung der Reichswehrführung an. Sie wurde in einer Stellungnahme Groeners vom 1. August 1930 zum ersten Male greifbar, der in grundsätzlichen Ausführungen über die Bedeutung der „rechtsradikalen Studentenschaft" für die Wehrpolitik eine gewisse Respektierung der Erfolge der nationalsozialistischen Organisationen und ihrer Propaganda andeutete. 406 Der Kurs, den die 405
Huber, Verfassungsgeschichte, VII, S. 775 f.
406
Abgedruckt Schulz, Staat, S. 93 ff.
158
I. Die Regierung Brüning 1930
Reichswehr in der Wehrpolitik verfolgte, schloß, wie bekannt, die Unterstützung militärpolitischer Bestrebungen auch außerhalb der offiziellen militärischen Ausbildung ein. Groener verlangte daher neuerdings eine tolerante Haltung gegenüber allen Jugendorganisationen, die sich dem Wehrgedanken zuwandten. Daraus folgte als Aufgabe des Staates, eine einheitliche Auffassung über förderungswürdige Bestrebungen zur Wehrerziehung herbeizuführen, um diese dann von jenen Bewegungen zu trennen, die entweder einen Bruch des Friedensvertrages offen anstrebten oder „staatsfeindliche innerpolitische Tendenzen" verfolgten. Die Bedeutung dieser neuen Differenzierung ergab sich aus der Tatsache, daß die Bezugnahme auf studentische Kreise — angesichts des schon zu diesem Zeitpunkt großen Einflusses nationalsozialistischer Gruppen auf die Studentenschaft — auch die Nationalsozialisten einbeziehen mußte. Insofern unterschied sich Groeners Äußerung schon von den Stellungnahmen des Reichswehrministeriums im Frühjahr 1930. Dabei bestand immer noch für Nationalsozialisten wie für Kommunisten eine Zugangssperre zur Reichswehr, die mit der allgemeinen politischen Orientierungslinie des Reichswehrministers begründet wurde. In Anbetracht der Jahre hindurch geführten und fortgesetzt verschärften Agitation Hitlers und der NSDAP gegen die Reichswehrführung und namentlich gegen Reichswehrminister Groener 407 konnte dies als unverzichtbares Mittel der Selbstbehauptung und Gegenwehr gelten. Durch die Aufdeckung geheimer Zellenbildung in der Reichswehr, um die sich Ulmer Offiziere im Einverständnis mit der Münchener Leitung der NSDAP bemüht hatten, 408 schienen die Befürchtungen hinsichtlich der Gefahren, die von der NSDAP drohten, bestätigt. Eben dieser Bewertung aber waren einige nationalsozialistische Wortführer mit der beharrlich festgehaltenen Behauptung entgegengetreten, die NSDAP strebe „allerdings eine vollkommene Umwälzung des heutigen Staates, selbstverständlich aber auf legalem Wege" an. 409 Innerhalb 407
Vgl. Schulz, Vorabend, S. 3 8 7 - 3 9 1 ; ders., Aufstieg, S. 5 0 6 - 5 1 0 ; Thilo Vogelsang,
Reichswehr, Staat und NSDAP. Beiträge zur deutschen Geschichte 1930 — 1932, Stuttgart 1962, S. 59 — 62; Otto-Ernst Schüddekopf, Das Heer und die Republik. Quellen zur Politik der Reichswehrführung 1 9 1 8 - 1 9 3 3 , Hannover/Frankfurt a.M. 1955, S. 2 8 7 f f . 408
Bücher, Reichswehrprozeß; ferner die Erinnerungen eines der Hauptbeteiligten,
Scheringer, Los, S. 1 9 8 ff. Erlaß des Reichswehrministers zum Fall
Scheringer-Ludin-
Wendt, 6. Oktober; Schulz, Staat, S. 159 f. 405
Schon in einer schriftlichen Erklärung des Reichstagsabgeordneten Dr. Frick für das
Reichsministerium des Innern vom 13. März 1928, zitiert im Bericht Nr. 771/1929 der Nachrichtensammelstelle; B A , R 134/90.
Die Reichstagswabl
am 14. September
1930 und ihre
Folgen
159
dieser — im Gegenzug gegen die Beurteilung durch die preußische Regierung, den Reichsinnenminister und den Reichswehrminister herausgearbeiteten — Schutzthese vom „legalen Weg" der NSDAP kam dann der beeideten Erklärung Hitlers vor dem Reichsgericht im Hochverratsprozeß gegen die Ulmer Reichswehroffiziere am 25. September 1930 scheinbar definitive Bedeutung zu. Es schien, daß Hitler die Legalitätserklärung auch für seine Person übernahm und mit dem Gewicht seiner Autorität als Parteiführer zur parteiamtlich verbindlichen stempelte. 410 Für die unbestreitbaren gravierenden Abweichungen von einer derartigen Linie schob Hitler nachträglich vor der Öffentlichkeit jenen Teilen seiner Bewegung die Schuld zu, die sich — wie Otto Straßer — inzwischen von der NSDAP getrennt hatten. Die Wendung der Reichswehrführung trat noch deutlicher in Erscheinung, als Groener kurz nach dem Leipziger Hochverratsprozeß, wenige Wochen nach der Reichstagswahl, den überparteilichen Charakter des Wehrgedankens der Reichswehr entschieden hervorkehrte. Die Reichswehr sei „rein staatlich eingestellt. Sie muß unbedingt aus dem Streit der Parteien und den politischen Tageseinflüssen herausgehalten werden. Es gibt also keinen Rechts- oder Linkskurs." 4 1 1 Diese neuen Töne waren mehr dazu geeignet, die schwierigen und mühevollen politischen Bemühungen zum Schutz der Republik zu belasten, als sie zu erleichtern. Ohne Zweifel ging diese Wendung auf das Doppelereignis des ebenso großen wie überraschenden nationalsozialistischen Erfolges in der Reichstagswahl und der beeideten Legalitätsbeteuerung Hitlers vor dem Reichsgericht nur elf Tage später zurück. Die Problematik der Vernehmung Hitlers, die Zweideutigkeit seiner Wortwahl und Ausdrucksweise wie schließlich auch die Frage, welches Gewicht denn seinen Drohungen für die Zeit der Machtergreifung nach dem „legalen Wege" über Wahlen zuzumessen sei, blieben unbeachtet. Das Reichswehrministerium änderte schließlich von Grund auf seine Haltung der NSDAP gegenüber. Die liberalen Prinzipien der Reichsverfassung, die bis dahin entscheidend ins Gewicht gefallen waren, spielten hierbei keine Rolle. Eine Aufzeichnung des Generalmajors Liebmann vom 25. Oktober 1930 läßt Schlüsse auf die Beurteilung der NSDAP durch den Chef des Ministeramtes, Generalmajor v. Schleicher, zu, der
4,0
Für das Zustandekommen der Erklärung Bücher, Reichswehrprozeß,
2 5 7 - 2 8 0 ; Schumacher, Bredt, S. 2 5 0 f f . ; Schulz, Aufstieg, S. 5 9 0 - 5 9 8 . 4"
Erlaß des Reichswehrministers, 6. Oktober; s. Anm. 408.
S. 1 2 9 f.,
160
I. Die Regierung Brüning 1930
hinter dieser Politik stand. 412 Eine zumindest teilweise tolerierende Haltung kam auch in einem Schreiben an den Reichskanzler zum Ausdruck, in dem Groener die Beurteilung der NSDAP durch das Reichsinnenministerium ablehnte. 413 Seine Mahnung zur Vorsicht konnte zu diesem Zeitpunkt kaum noch überzeugen. Belangvoller war allerdings der Hinweis auf Brünings eigene Verhandlungen mit Hitler, die Groener Gelegenheit gaben, dem Reichskanzler nunmehr eine Festlegung gegenüber der NSDAP abzuverlangen, die kaum noch den Absichten des Reichsinnenministeriums oder der preußischen Regierung entsprochen hätte: „Die Frage der Legalität oder Illegalität der NSDAP ist augenblicklich eine so hochpolitische Angelegenheit, daß ich mich veranlaßt sehe, um eine eindeutige Entscheidung zu bitten." Dies war gewiß der Lage angemessen. Doch der Reichskanzler hatte sich zu diesem Zeitpunkt die Hände gebunden, wie der Reichswehrminister wohl wußte. 414 Bis zum Dezember war die Entschlossenheit des Wehrministeriums, seine Haltung der NSDAP gegenüber zu revidieren, so weit gediehen, daß sich Schleicher veranlaßt sah, eine „rasche Erledigung" der Legalitätsfrage, auf die sich alles zuzuspitzen schien, anzumahnen, um die Rekrutierungsprobleme des Landesschutzes und Grenzschutzes im Osten, wo die NSDAP so große Erfolge erzielt hatte, zu erleichtern. 4 ' 5 Die folgende Reichsministerbesprechung am 19. Dezember 1930 ergab dann — aus verschiedenen Gründen — eine Übereinstimmung aller Ressortchefs darin, zunächst nichts gegen die NSDAP zu unternehmen. 416 Groener und Reichspostminister Schätzel, letzter mit Rücksicht auf die bereits politisch prekären Personalverhältnisse in seinem Zuständigkeitsbereich, votierten in diesem Sinne, am entschiedensten jedoch der Reichskanzler selbst, der davor warnte, „dieselben falschen Methoden gegen die Nationalsozialisten anzuwenden, welche in der Vorkriegszeit gegen die Sozialdemokraten angewendet worden" seien. Das läßt auf eine nicht nur taktische Behandlung der Angelegenheit schließen. Das gedanklich gründlich durchgearbeitete Material der preußischen Denkschrift über
412
Abgedruckt Schulz, Staat, S. 1 6 5 - 1 6 9 .
4.3
a. a. O., S. 169 ff.
4.4
Das Einvernehmen Brünings und Groeners bezeugen dessen Briefe an den Jugend-
freund Gerold v. Gleich; BA, Nachl. Groener; einige in Auszügen wiedergegeben bei Dorothea Groener-Geyer, General Groener. Soldat und Staatsmann, Frankfurt a.M. 1955, S. 278. 4.5
Schleicher an Pünder, 11. Dezember 1930; Schulz, Staat, S. 171 f.
416
A R : Brüning, 1, S. 7 5 1 - 7 5 4 .
Die Reichstagswahl am 14. September 1930 und ihre Folgen
161
die NSDAP fand keinerlei Berücksichtigung, wurde nicht einmal erwähnt; es war wohl den meisten Reichsministern unbekannt geblieben. Die vorwiegend lavierende Haltung der Reichsregierung der NSDAP gegenüber wurde durch einen schon am Tage zuvor eingeleiteten Versuch des Reichsinnenministers erleichtert, der sich im Streit mit dem Lande Thüringen entschloß, über den Reichsgerichtspräsidenten eine Vermittlung mit dem nationalsozialistischen Minister Frick herbeizuführen. 417 Die von Wirth mit großer Vorsicht dem Reichsgerichtspräsidenten Bumke mitgeteilten Vorschläge, denen eine wenige Tage später zu Leipzig getroffene Vereinbarung zwischen beiden Kontrahenten entsprach, verschoben die Entscheidung, ob die NSDAP strafbare Ziele verfolgte, formell bis zum Ausgang eines Hochverratsverfahrens gegen Goebbels, dessen Ende sich nicht absehen ließ. Der Reichsinnenminister band sich zwar nicht; aber er verzichtete auf jede Pression gegen Thüringen nach einer Zusicherung Fricks, parteipolitische Gesichtspunkte nicht anzuwenden. Die nationalsozialistische Politik in Thüringen wurde nicht durch Wirth, sondern durch ein Votum des thüringischen Landtags beendet.
Die Signallinie der
Staatssekretäre
Brüning hatte den Wahlkampf in der Absicht geführt, eine respektable Mehrheit im Reichstag als Rückhalt seiner Regierung zu gewinnen, um eine stärkere Rechtsanlehnung zu fundieren und den schon Ende Juni in der Reichstagsfraktion des Zentrums wie im Reichskabinett verfolgten Gedanken wiederaufnehmen zu können, mit Hilfe eines Ermächtigungsgesetzes die Vorhaben zur Deckung des Haushaltsdefizits paketartig durchzubringen. 418 Das hätte der verfassungsändernden Qualifikation 417
Aktenvermerk Pünders v o m 18. Dezember und Entwurf eines Vergleichsvorschlags
des Reichsinnenministers, der, dem Randvermerk Pünders zufolge, „Herrn Reichsgerichtspräsident Bumke vorgelesen, aber nicht ausgehändigt" wurde; abgedruckt Schulz, Staat, S. 1 7 3 f. 418
Reichsministerbesprechung am 24. Juni, in Verbindung mit Brünings Erklärungen
in der nachfolgenden Kabinettssitzung am 25. Juni; A R : Brüning, 1, S. 2 2 2 — 2 3 1 , 235 f. Vgl. Heinrich August Winkler, Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1930 bis 1933, Berlin/Bonn 1987, S. 1 5 8 f., der jedoch übersieht, daß Brüning und Eßer im Hinblick auf das „Ermächtigungsgesetz" (ohne Notopfer der Beamten!), nach Vorschlägen aus der D V P und einer günstigen Aufnahme durch die preußische Regierung, eine taktische Konsequenz entwickelten, die das Protokoll als Äußerung Brünings festhielt: „Es geht am besten: Vorlage Ermächtigungsgesetz, bei
162
I. Die Regierung Brüning 1930
einer Zweidrittelmehrheit bedurft; die Zustimmung Preußens im Reichsrat schien gesichert, was Brüning auf diesen Weg gelenkt haben dürfte. Dies war Ende Juni als Zielbestimmung für den sich abzeichnenden Fall der Reichstagsauflösung gedacht; denn damals stand, wie Brüning wußte, für die umstrittene Regierungsvorlage nicht einmal eine einfache Reichstagsmehrheit zu erwarten, so daß nur ein Ausweg mit Hilfe des Artikels 48 möglich schien. Im Wahlkampf behielt er die eingeschlagene Richtung bei: die einer Regierung des „Kampfes" sowohl gegen die widerstrebenden Sozialdemokraten als auch gegen die äußerste Rechte, die seine Vorhaben zu Fall gebracht hatten und ihn ihrerseits attackierten. Auch den Gedanken des Ermächtigungsgesetzes und einer breiten Stützung seiner Regierung behielt er bei, gewiß in der Absicht, die Linke wie die Rechte zum Bekenntnis zu zwingen — für oder gegen die Reichsregierung. Sicherlich wähnte sich Brüning, wie andere Zentrumsangehörige und -anhänger auch, angesichts eines großen Aufgebots an gläubigen Katholiken in den entscheidenden Tagen Ende Juni zu Hoffnungen berechtigt, die dann unter der Härte des einsetzenden Wahlkampfes in sich zusammenfielen. Die Fronleichnamsprozession in der Hedwigskirche des erdrückend protestantischen Berlins verlief eindrucksvoll und hinterließ ein über Jahre fortwirkendes Vorbild. Der sieben Tage später im Berliner Stadion veranstaltete 28. Märkische Katholikentag unter der Leitung des
Ablehnung Verordnungen nach Art. 48, im Falle der Ablehnung Auflösung." Noch deutlicher das Ergebnis: „Übereinstimmung: keine Verhandlungen, aber Ermächtigungsgesetz." Fraktionsvorstand am 24. Juni; Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 457 f. In der nachfolgenden Fraktionssitzung drang jedoch diese von Perlitius vorgetragene Auffassung gegen die auf Verhandlungen mit den Parteien bzw. der DVP bestehenden Gegenstimmen — vor allem Schlack, Föhr und Bolz — nicht durch, a. a. O., S. 458. Ähnliches widerfuhr Brüning mit seiner Initiative in der Reichsministerbesprechung, wo ihr Wirth am entschiedensten entgegentrat. Winkler, Katastrophe, S. 158, vermutet, daß Brüning „nur auf eine ehrenvolle Niederlage spekuliert" habe. Wesentlich deutlicher hatte sich schon Pünder ausgedrückt: „Wir haben uns nach sehr langwierigen Kabinettssitzungen doch dazu entschlossen, materielleVorschläge zu bringen und nicht gleich auf ein Ermächtigungsgesetz loszusteuern. Letzteres hätte zu klar erkennen lassen, daß es der Regierung nur auf Kampf ankam." Pünder, Reichskanzlei, S. 56; auch noch in der Eintragung am 14. September, a. a. O., S. 59. In seinen Erinnerungen läßt Brüning erkennen, daß seine Rechnung auf eine Zweidrittelmehrheit die Deutschnationalen einschloß: „Ich erhielt vertrauliche, optimistische Mitteilungen aus der DNVP über die Möglichkeit einer Zweidrittelmehrheit, deren Erreichung eine stille Hoffnung bis 14 Tage vor den Wahlen gewesen war und die den Reichspräsidenten von der Unpopularität der Notverordnungen entlastet hätte." Brüning, Memoiren, S. 190.
Die Reühstagswahl
am 14. September
1930 und ihre Folgen
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Führers der Katholischen Aktion, Erich Klausener, wuchs sich zu einer „riesigen religiösen Demonstration des märkischen Katholikentums" — in einer altpreußischen Domäne — aus, die 60000 Menschen zu ganz anderen Zwecken vereinigte, als bis dahin Stahlhelm und Hitler-Bewegung propagiert hatten. „Es ist bei uns bald wie bei den alten Römern und Griechen; die großen Volksfeste werden im Stadion gefeiert", vermerkte Staatssekretär Pünder unter dem unmittelbaren Eindruck dieser Ereignisse. 419 Dies dürfte den Reichskanzler in seiner Hoffnung bestärkt haben, den beabsichtigten Wahlkampf in der Annahme führen zu können, für seine Regierung einen großen Erfolg, für die katholischen Parteien eine Zunahme an Stimmen und Mandaten und für die ihm nahestehenden konservativen Kräfte eine beträchtliche Stärkung zu erreichen. Art und Bedeutung des Wahlergebnisses waren ganz und gar unvorhergesehen und wirkten über Tage und Wochen irritierend. Der Wahlkampf selbst hatte Fronten verhärtet und Gräben vertieft. Die SPD stand nach der Reichstagsauflösung gegen die Regierung ebenso wie gegen Kommunisten und Nationalsozialisten; Reichskanzler wie Zentrum kämpften gegen die SPD auf der einen und — bei gewisser Schonung der Deutschnationalen durch Brüning 420 — gegen die Nationalsozialisten auf der anderen Seite. Diese Fronten waren viel zu kompliziert, als daß sie dem Wähler die Entscheidung erleichterten, zumal das Defizit an eindeutiger und aussagekräftiger Programmatik kaum behoben, lediglich hinter Schlagworten, Traditionsmomenten und durch Hervorhebung einzelner Persönlichkeiten verborgen wurde. Die kleineren Parteien vertraten zwar entschieden einzelne Forderungen und wählten entsprechende Angriffsflächen der größeren aus, vermochten jedoch wenig zu überzeugen. Da hatten es KPD und NSDAP viel leichter, die gegen alles, was bestand und politisch entschieden war, auf aggressivste Weise vorgingen und sich in großzügiger Organisation vor den Augen der Wähler aufbauten. Als am Tage nach der Wahl der preußische Ministerpräsident Otto Braun in einer ersten spontanen Reaktion einem Interviewer erklärte,
419
Pünder, ebda.
420
Brüning, Memoiren, S. 191. Auch hierbei gab die Hoffnung auf eine künftige
Zweidrittelmehrheit mit Hilfe der D N V P im Reichstag den Ausschlag. Brüning erhoffte einiges v o n dem Einfluß des kandidierenden und dann gewählten
deutschnationalen
ostpreußischen Reichstagsabgeordneten Elard v. Oldenburg-Januschau und dessen enger Verbindung zu dem nicht zuletzt auf Oldenburgs Betreiben in den Besitz des Gutes Neudeck in seiner Nachbarschaft gelangten Reichspräsidenten.
164
1. Die Regierung Brüning 1930
daß er eine „große Koalition aller Vernünftigen ... mit einer zweifellos ausreichenden Regierungsmajorität" — gegen die radikalen Parteien — für „sicher" halte, 421 klang dies nur vernünftig. Es sollte wohl als Koalitionsangebot an Reichskanzler und Reichspräsidenten aufgefaßt werden. Stellt man Brauns schon 1928 bekundeten Wunsch in Rechnung, unter Beibehaltung seines preußischen Ministerpräsidentenamtes in die Reichsregierung einzutreten, 422 darf man diese Überlegung auch hierbei voraussetzen. Doch wieder machte der stärkste Mann in Preußen die Rechnung ohne seinen Wirt, die sozialdemokratische Partei. In den nächsten Tagen und Wochen verdichtete sich eine andere Reaktion auf das „fürchterliche Ergebnis" 423 unter den Führern der SPD 424 . In erster Linie war es ihr zu verdanken, daß Brüning die nächsten zwanzig Monate seine Position zu halten vermochte und gar als „der Gewinner, nicht der Verlierer der Wahl" erschien, 425 der er in Wahrheit doch war. In der von Hilferding herausgegebenen führenden theoretischen Zeitschrift „Die Gesellschaft" traten die geistig beweglichen ehemaligen russischen Menschewiken für eine Revision von Taktik und Organisation der SPD ein, um sie von „konservativen" Methoden und Prognosen zu lösen und ihre Kräfte ganz auf die Verteidigung der Demokratie „gegen den Faschismus", ihren gefahrlichsten Gegner, zu konzentrieren. Hierbei kam auch schon Erfahrungen in Italien anregende Wirkung zu. Eine entschiedenere Richtung mit ihrem Sprecher Carlo Mierendorff wandte sich mit größtem Nachdruck gegen die Parteiführung, der sie ihre Haltung im Juli und während des Wahlkampfes gegen die Regierung Brüning als folgenreichen Fehler vorwarf. Noch schwerer wog die Behauptung, daß die „Unterbewertung der außerparlamentarischen Vorgänge" zur falschen Einschätzung der Nationalsozialisten geführt hatte. 426 Dem stand als dritte Richtung die von dem Zwickauer Reichstagsab-
421
Cuno Horkenbach (Hrsg.), Das Deutsche Reich v o n 1 9 1 8 bis heute, Berlin 1930,
S. 319; Erich Matthias, Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, in: Erich Matthias, Rudolf Morsey (Hrsg.), Das Ende der Parteien 1933, Düsseldorf 1960, S. 103; etwas ausführlicher Schulze, Braun, S. 637 f.; auch Heinrich A . Winkler, Katastrophe, S. 206. 422
Vgl. Schulz, Vorabend, S. 288 f.
423
So am 16. September Pünder, Reichskanzlei, S. 59. Demgegenüber das unverständlich
euphemistische Urteil von Treviranus auch noch im Rückblick: „Die Bilanz der Wahl von 1930 konnte der Reichsregierung bei nüchterner Überprüfung keine Kopfschmerzen machen." Treviranus, Ende, S. 158. 424
Ausführlich Heinrich A . Winkler, Katastrophe, S. 1 9 4 - 2 0 6 .
425
Treviranus, Ende, ebda.
426
Heinrich A . Winkler, Katastrophe, S. 204.
Die Riichstagswahl
am 14. September
1930 und ihre Folgen
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geordneten Max Seydewitz vertretene linke innerparteiliche Opposition gegenüber, die sich nun weitgehend der KPD annäherte, indem sie für die Sozialdemokratie jede Unterscheidung „zwischen Brünings und Hitlers Faschismus" strikt ablehnte und freie Bahn „für eine rücksichtslose Klassenkampfpolitik" verlangte, was ideologisch legitimierten Kampf auf allen Ebenen und mit allen Mitteln bedeutete. 427 Der umsichtige Staatssekretär Schäffer schaltete sich mehrmals ein, um Gegensätze zu überbrücken. Er hatte, wie erwähnt, schon während des Wahlkampfes seine persönlichen Verbindungen genutzt, um angesichts des von ihm angenommenen Wahlergebnisses, das den wirklichen Erfolg der Nationalsozialisten noch gar nicht voraussah, in der DVP zum Abbau der Gegnerschaft gegen die Sozialdemokraten beizutragen, ohne die er eine Mehrheitsbildung im Reichstag nicht mehr für möglich hielt. 428 Einen Zwang zur Beibehaltung der Regierung Brüning unter der bisherigen Konstellation — „auch auf nichtparlamentarischem Wege" — hielt Schäffer in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht „für das Allerschlimmste" schon im Hinblick auf das hohe Alter des Reichspräsidenten und das Streben einzelner nach einer „Diktatur, einem Direktorium oder etwas Ähnlichem". Was die von Brüning verfolgte, von Pünder noch länger verfochtene Idee eines Ermächtigungsgesetzes für die Reichsregierung anlangt, die von Preußen aus Staatssekretär Weismann — auf Veranlassung Otto Brauns — unterstützte, so wußte Schäffer durch Hilferding, daß die SPD hierbei nie mitmachen würde. 429 Man mußte daher auf andere Weise mit der SPD Fühlung halten. In diesem Sinne, um eine irreversible Vertiefung der Gegensätze in Verwaltung und Beamtenschaft zu verhindern, hatte Schäffer versucht, ein von der Regierung gewünschtes stärkeres Engagement der politischen Beamten in
a. a. O., S. 210. In dem oben (Anm. 357) zitierten ausführlichen Brief Schiffers an Max Warburg aus seinem Urlaubsort Saas-Fee, 13 S., mit der nachdrücklich vorgetragenen Bitte, „daß Sie Ihren Einfluß in der Volkspartei benutzen sollten, um die Gefahr einer Festlegung zu vermeiden, die späteren Lagen gegenüber die Partei der Beweglichkeit beraubt". Das Schreiben trägt das Datum vom 2. August 1930, wurde jedoch von Schäffer später mit Fragezeichen versehen und dann in „21. 8." korrigiert, was zweifelhaft erscheint, da eine andere Aufzeichnung Schäffers mit gleichem Datum unter der Ortsangabe „Berlin" überliefert ist. Vermutlich ist der Brief am 22. August geschrieben worden. Am 20. und 21. hielt sich Schäffer in Berlin auf, danach, wie durch andere Briefe bezeugt, in Saas-Fee. IfZ, Nachl. Schäffer. 429 Eintragungen vom 24. und 25. Juni und 2. September; IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch. 427 428
166
I. Die Regierung Brüning 1930
Preußen während des Wahlkampfes auszuschließen. 430 Die hierzu geäußerten Gedanken bezeugen den politischen Weitblick Schäffers: „Die Politisierung der Beamtenschaft ist für das verwaltete Staatswesen kein Glück. Die Hereinnahme parteipolitisch abgestempelter Persönlichkeiten in die preußische Verwaltung läßt sich auch nur historisch unter dem Gesichtspunkt rechtfertigen, daß in der Vergangenheit eine umgekehrt gerichtete politische Auswahl stattgefunden hat ... Wenn es jetzt dem sozialistischen Beamten die politische Betätigung im Wahlkampf nahelegt, so kann es sie den Angehörigen anderer Parteien, ohne sich einer Ungerechtigkeit schuldig zu machen, nicht versagen. Das führt entweder zu einer Auflockerung der einheitlichen Verwaltung oder zu einem Gewissenszwang und einer Heuchelei, wie wir sie immer als einen der Hauptfehler des alten Regimes bekämpft haben. Besonders grotesk werden aber die Dinge, wenn es sich um einen Wahlkampf handelt, bei dem sich im Reiche Parteien gegenüberstehen, die in der preußischen Regierung zusammensitzen ... Ob in Preußen die Koalition für ewig in ihrer bisherigen Zusammensetzung bestehen bleiben wird, ist zum mindesten nicht sicher ... Die Beteiligung der sozialistischen hohen Beamtenschaft im Wahlkampf schafft dann einen sehr willkommenen Vorwand zu einer ,Reinigung' des Beamtenapparates, die alles, was in den letzten Jahren an gesunder Mischung erreicht worden ist, wieder rückgängig machen kann." Nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses äußerte Schäffer seinem Minister Dietrich gegenüber: „Die Politik des Kabinetts Brüning ist politisch gescheitert." Man müsse jetzt „auf breiterer Basis diese Wochen überdauern". 431 Zunächst drängte er den einflußreichen Staatssekretär Weismann, „auf eine alsbaldige Beteiligung der Sozialisten" hinzuwirken. 432 Weismann wollte allerdings Reichskanzler Brüning durch Otto Braun ersetzt sehen, um dann dessen Geschäfte in Preußen selbst zu übernehmen. Das hätte in Anbetracht der parteipolitischen Stellung Weismanns vielleicht eine Einbeziehung der DVP in die Preußenkoalition erbracht. Schäffer hielt jedoch nichts von einem Wechsel in der Kanz-
4311
Die preußische Regierung hatte — strikt intern — die sozialdemokratischen Beamten
aufgefordert, sich f ü r die Wahlpropaganda zur Verfügung zu halten. Dies hatte Schäffer von dem ihm persönlich nahestehenden preußischen Staatssekretär Staudinger (SPD) erfahren und hiergegen sogleich mündlich, nachfolgend dann schriftlich Bedenken erhoben. Schäffer an Staudinger aus Saas-Fee, 26. August; IfZ, Nachl. Schäffer. 431
Tagebuch Schäffer, 16. September.
4,2
a. a. O., 15. September.
Die Reichstagswahl am 14. September 1930 und ihre Folgen
167
lerschaft; ihm schien daher eine engere Fühlungnahme mit dem ehemaligen Reichskanzler Hermann Müller angeraten. Dem kam der Umstand entgegen, daß Brüning in seiner ersten Besprechung mit dem Reichspräsidenten nach der Wahl neben der Zusicherung einer Stützung seiner Regierung weitere Vollmachten erhalten hatte, die ihn in die Lage versetzten, mit den Sozialdemokraten zu verhandeln, 433 um die Möglichkeit einer „sachlichen Zusammenarbeit" abzuklären. In diesem Sinne versuchte auch Schäffer, auf Pünder in der Reichskanzlei einzuwirken, um über ihn den Reichskanzler zu gewinnen. 434 Eine erste, ganz geheimgehaltene Besprechung Brünings mit Müller beim Tee mit Hilferding am 23. September ergab aber so gut wie nichts. 435 Die Haltung der Sozialdemokraten blieb unbestimmt, die des Reichskanzlers unsicher, wohl auch in Anbetracht der Abneigung Schieies, mit den Sozialdemokraten in der Regierung zusammenzuarbeiten. Die Reichstagsfraktion der SPD trat erst am 3. Oktober zu ihrer ersten Sitzung zusammen; und es gab mehr Stimmen „als man annehmen sollte", die sich auf den Gedanken kaprizierten, „man müsse die Rechte zur Regierung kommen lassen, damit sie sich einschließlich der Nationalsozialisten abwirtschafte". 436 Doch Brüning besaß zu diesem Zeitpunkt noch keine hinreichend klare Vorstellung über den Weg, den er einschlagen, und die Methode, die er anwenden sollte. Es bedurfte eines neuerlichen Anstosses aus dem Hintergrund informeller, interministerieller persönlicher Verbindungen, um ein Stück weiterzukommen. Zur Vorbereitung wiederum einer geheimen Besprechung Brünings mit den Parteivorsitzenden Hermann Müller und Otto Wels gab Schäffer — nach einer vertraulichen Information von sozialdemokratischer Seite, die „offenbar mit bestimmter Absicht" erfolgte, — Pünder den entscheidenden Wink, der dem Reichskanzler einen Ausweg aus der Situation wies, aber auch die Bedeutung des anvisierten Gesprächs sogleich ins rechte Licht rückte. 437 „Diejenigen 433
a. a. O., 16. September.
434
Ebda.; Pünder, Reichskanzlei, S. 60; Eintragung nach dem Gespräch mit Schäffer.
435
Pünder, a. a. O., S. 61; hierzu Brief Müllers an O t t o Braun; Braun, Von Weimar zu
Hitler, 2. Aufl. New York 1940, S. 308 f.; vgl. die Darstellung von Matthias, Sozialdemokratische Partei, S. 105. 4,6
Braun, ebda.; Matthias, ebda.; Albert Grzesinski, La Tragi-comédie de la république
allemande. Souvenirs, Paris 1934, S. 135 f.; ders., Inside Germany, New York 1939, S. 132 f.; ergänzend Heinrich A . Winkler, Katastrophe, S. 212, 2 1 4 f. 437
Schäffer an Pünder, 29. September; IfZ, Nachl. Schäffer. Er hatte, wie er eingangs
schrieb, am Morgen dieses Tages „Gelegenheit, einen der Sozialdemokratie angehörigen
168
I. Die Regierung Brüning 1930
unter uns, die wünschen, daß die nächste Zeit ohne wesentliche Erschütterung vorübergeht, und dies ist die große Mehrheit", so gab Schäffer die Äußerung seines Gewährsmannes „annähernd wörtlich" wieder 438 , „haben Furcht, daß die ersten Unterhaltungen zwischen dem Reichskanzler und unseren Leuten falsch laufen könnten." Man wollte, daß der Reichskanzler „zum Ausdruck bringt, daß es Sache des Zentrums und der Sozialdemokratie ist, jetzt in Formen, über die sich sprechen läßt, für eine Erhaltung der Demokratie gegenüber andersartigen Strömungen sich einzusetzen, sei es zusammen, sei es verabredeterweise an verschiedenen Stellen". Aber man wußte nicht so recht, was von Brüning zu halten sei und ob nicht alles für ihn „nur eine taktische Bedeutung haben" werde. „Wenn eine solche Auffassung durch ein Heraustreten des Herrn Reichskanzlers aus der Hülle seines Schweigens beseitigt werden könnte, so wäre es sehr gut. Am meisten Vertrauen" bei den Unterhändlern der SPD besaß der Zentrumsabgeordnete Eßer. Sie meinten daher, daß es „die Verhandlungen erleichtern" würde, wenn Eßer dabei in Erscheinung träte. Aber im ganzen käme es „darauf an, daß das Zentrum uns zeigt, daß es sich gemeinsam mit uns als Hort der Demokratie fühlt". „Ich habe Grund zu der Annahme, daß diese mir gegenüber gemachten Ausführungen nicht zufällig waren", unterstrich Schäffer die Bedeutung der Botschaft an den Reichskanzler. Die Signallinie der Staatssekretäre, in der Schäffer nunmehr die Schlüsselstellung einnahm und die von einem Kreis ausging, 439 zu dem auch Hilferding eingeladen wurde, arbeitete verläßlich. Als sich am 30. September Brüning mit Müller und Wels in der Privatwohnung Pünders in Lichterfelde zum Kaffee traf, was Pünder als „historischen hohen preußischen Beamten zu sprechen". Das war vermutlich einer der beiden sozialdemokratischen Staatssekretäre, Krüger oder Staudinger. Die Wahrscheinlichkeit spricht für den letzten — nach dessen eigenem Zeugnis: „Wann immer Hans Schäffer in Berlin war, trafen wir uns fast täglich zu ständiger Diskussion." Hans Staudinger, Wirtschaftspolitik im Weimarer Staat. Lebenserinnerungen eines politischen Beamten im Reich und in Preußen 1889 — 1934, hrsg. u. eingeleitet von Hagen Schulze, Bonn 1982, S. 94. Ausführlich über Schäffers enge Verbindungen Wandel, Schäffer, S. 66 f. 438 Die — mutmaßlich von Staudinger — übermittelte Nachricht ist im Text des Briefes, entgegen sonstigen Gewohnheiten Schäffers, eingerückt und in Anführungszeichen gesetzt, so auch äußerlich im Wortlaut hervorgehoben. Die vielfach belegte Fähigkeit Schäffers, Gespräche im wesentlichen wortgetreu wiederzugeben, schließt Zweifel an der Genauigkeit der Wiedergabe, in Anbetracht des Inhalts, erst recht solche an der Bedeutung dieser Botschaft sicher aus. 439 Zu den engen Kreisen der Staatssekretäre, einiger Bankiers und Politiker Wandel, a. a. O.; auch Staudinger, Wirtschaftspolitik, S. 55, 81.
Die Reichstagsivahl
am 14, September
1930 und ihre Folgen
169
Augenblick" vermerkte, erschien die Situation viel besser geklärt als eine Woche zuvor und zeichnete sich die Lösung ab, daß die Sozialdemokraten nicht in die Regierung eintreten — was zu unübersehbaren Schwierigkeiten, auch in den eigenen Reihen, geführt hätte —, aber „zur Vermeidung einer Rechtsdiktatur" Brüning unterstützen wollten. 440 Während zur gleichen Zeit in den Germaniasälen an der Chausseestraße der freigewerkschaftliche Reichstagsabgeordnete Siegfried Aufhäuser unter großem Beifall vor den Funktionären der Reichshauptstadt den entschiedenen Kurs gegen die Regierung propagierte und das Wort vom „Faschismus der Brüning-Parteien" aufkam, 441 war der Kurs einer moderaten sozialdemokratischen Politik bereits projektiert, wie Hilferding und Schäffer besprochen hatten. 442 Er erfüllte auch das vom RDI durch Kastl an Pünder herangetragene Verlangen, die Regierung nicht durch eine Rechtskoalition, sondern durch Erweiterung ihrer parlamentarischen Grundlagen nach links zu sichern. 443 Diese Auffassung drang am 18. September im Präsidium des Reichsverbandes und am folgenden Tage — allerdings gegen entschiedene Widersprüche — auch im Vorstand durch. 444 Kastls Worte waren von kaum zu überbietender Klarheit. Um einiges knapper gab er seine Kenntnis am 19. September an Silverberg weiter: Es werde „wahrscheinlich dazu kommen, daß die Regierung unter einer stillschweigenden Duldung der linken Seite vor den Reichstag tritt. Meines Erachtens kann sie das aber gar nicht, ohne daß sie dem Reichstag ein radikales Reformprogramm vorlegt, in dem mit brutaler Offenheit das gesagt wird, was für die politische und wirtschaftliche (auch finanzielle) Führung notwendig ist." 445 Das war der kürzeste Ausdruck der Anforderungen, vor die die Regierung unter jedem erwägenswerten Gesichtspunkt gestellt war. Ihr Programm bildete mithin eine ebenso entscheidende Frage wie die Tolerierung durch die SPD, die trotz des Echos der innerparteilichen Kontroverse dank der vereinten Bemühungen der beteiligten Staatssekretäre besiegelt wurde. Die SPD zur Linken, den RDI zur Rechten seiner Regierung, nahm sich Brünings Position günstiger aus, als das Wahlergebnis erkennen ließ. 440
Pünder, Reichskanzlei, S. 62.
441
Heinrich A. Winkler, Katastrophe, S. 2 1 4 .
442
Tagebuch Schäffer, 18. September.
443
Aktenvermerk Pünders über ein Telefonat Kastls am 15. September; B A , R 4 3 1/
1308. Hierzu und zum Folgenden auch Grübler, Spitzenverbände, S. 209 ff. 444
Vortrag Kastls am 19. September; abgedruckt Schulz, Politik, 1, S. 393 — 397.
445
Kastl an Silverberg, 19. September; B A , Nachl. Silverberg/235.
170
I. Die Regierung Brüning 1930
Doch er wollte mehr. E r verfolgte immer noch — oder erneut, nach der erklärten Haltung der SPD-Führung — den Gedanken eines Ermächtigungsgesetzes und einer Zweidrittelmehrheit im Reichstag. Das erschien allerdings als das sicherste Mittel, eine Mehrheitsbildung gegen die Notverordnung vom 26. Juli und eine Wiederholung der Situation, die zur Auflösung und Neuwahl des Reichstags geführt hatte, schon im Vorfeld zu unterbinden. Allein eine Front „von Müller-Braun bis Westarp-Schiele" konnte diesem Zwecke dienen. „Was allerdings dann werden solle, wenn es nicht gelinge, das Mißtrauensvotum im Reichstag abzuwehren, darüber habe sich das Kabinett noch nicht schlüssig gemacht", berichtete der bayerische Vertreter in Berlin, Ritter v. Preger, nach München. 4 4 6 Das Urteil hätte noch weiter gefaßt werden können. Reichsregierung wie Reichskanzler waren sich schlüssig, was zu geschehen habe. Das „Programm" der Reichsregierung existierte indessen lediglich in Gestalt der im einzelnen noch kaum geklärten Entscheidung, den Reichshaushalt für 1931 mit weiteren Einsparungen zu verabschieden. Dies war gewissermaßen das Mindestprogramm, allerdings das Problem einer jeden Reichsregierung seit Jahren. Aber das Werben um Bundesgenossen, gar um eine verfassungsändernde Mehrheit für ein Ermächtigungsgesetz, war durch die Ereignisse im Sommer 1930 für den Reichskanzler schwieriger geworden als zuvor. Es spricht für die subtile Korrektheit Brünings in der komplizierten Situation, daß er sich nicht ohne weiteres sogleich auf das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten stützte, wohl einsehend, daß die wiederholte Anwendung in Verbindung mit der Auflösung des Reichstags es auch in den Augen des Reichspräsidenten alsbald entwerten würde. Gemeinsam mit den Mitgliedern der Reichsregierung entschied sich der Kanzler, zunächst eine möglichst breite Absicherung nach allen Seiten hin anzustreben. Sie folgten hierin dem von Kastl markierten Wege. An der Spitze des R D I gab man sich ähnlichen Erwägungen hin. Kastl sprach sich im Vorstand für eine parlamentarische Absicherung des Reformprogramms der Regierung, aber entschieden gegen eine Rechtskoalition unter Einbeziehung der N S D A P aus, so daß nur nach links hin Bewegungsfreiheit blieb. 4 4 7 Er erklärte unter großem Beifall, man müsse aus dem Ergebnis der Wahlen „den Schluß ziehen, daß nunmehr die Demokratie die allerletzte Chance hat zu zeigen, ob sie in der Lage ist,
446
D e r bayerische Gesandte Ritter v. Preger an den bayerischen Ministerpräsidenten
Held, 19. September; abgedruckt Schulz, Politik, 1, S. 391. 447
Vorstandssitzung des R D I am 19. September 1930; s. oben A n m . 444.
Die Reichstagswahl am 14. September 1930 und ihre Folgen
171
die Geschicke des deutschen Volkes zu führen. Wenn sie diese Chance verpaßt und wenn sie nicht glücklich operiert und wenn ihr dabei nicht noch dieser oder jener andere Glückszufall in den Schoß fällt und ihr zu Hilfe kommt, so wird sie wahrscheinlich nicht in der Lage sein, die Dinge zu meistern ... Aber es darf ... kein Mittel unversucht bleiben, um diese letzte Chance zu nutzen." Auch das Wort „Katastrophe" scheute er nicht. Über die zeitgemäßen Erfordernisse in der „Weltwirtschaftskrise" äußerte sich Kastl ähnlich deutlich: Der weltwirtschaftliche „Sturz der Preise ist nicht nur, wie das vielfach behauptet wird, auf monetäre Einwirkungen zurückzuführen, ... sondern es ist ein allgemeines, beinahe revolutionierendes Bestreben, die Preise viel stärker, als es bisher geschehen ist, dem Vorkriegsniveau anzupassen ... Wir können in Deutschland nicht als eine Preisinsel im Rahmen der Weltwirtschaft existieren; ...als Preisinsel mit hohen Preisen." Damit war man nun allerdings wieder bei der stetig erhobenen Forderung nach Preissenkung durch Kostensenkung angelangt, die sich an die Wirtschaft wie an die „Staatsführung" richtete und die die Senkung und Beschneidung der Ausgaben der öffentlichen Hand als Kernpunkt jedweden Reformprogramms deklarierte. Wenn Kastl den Ausweg nur in einem „ganz radikalen Reformprogramm" der Reichsregierung erblickte, das den „unzufriedenen Kreisen in Deutschland ... einen Blick in die Zukunft" eröffnete und „mehr Vertrauen einflößt, als das bisher möglich war", so sprach er sich ganz im Sinne der Industriellenpartei aus. Letztlich lief die von ihm empfohlene „radikale Reformpolitik" auf nichts anderes hinaus als auf eine Deflationspolitik des Reiches, die in der Tat die Entwicklung der nächsten beiden Jahre bestimmte.
Absicherung nach rechts Die Regierung sah sich aber vor einem weiteren Problem. Unmittelbar nach der Reichstagswahl mußte die Reichsbank Abzüge von Devisen und Gold hinnehmen, die bis zum 7. Oktober einen Umfang von 500 Millionen RM erreichten, so daß eine Diskonterhöhung auf fünf Prozent erforderlich wurde; die an den deutschen Effektenbörsen gehandelten Werte erlitten Verluste um zehn Prozent. 448 Noch bedenklicher erschien 448
Rolf E. Lüke, Von der Stabilisierung zur Krise, Zürich 1958, S. 263 f.; letzte Angaben
nach: Der deutsche Volkswirt, 26. September 1930.
172
I. Die Regierung Brüning 1930
die Gefahrdung des Auslandskredits. Staatssekretär Schäffer fürchtete um eine Anleihe des amerikanischen Bankhauses Lee, Higginson & Co., die für den Ausgleich des Reichshaushalts dringend benötigt wurde und deren Höhe er nunmehr auf 125 Millionen Dollar bezifferte, 449 einen Betrag, der in etwa den Devisenabzügen entsprach, was die Nettokapitalströme einigermaßen ausgeglichen hätte. Schäffers Drängen, die Anleihe möglichst schnell einzubringen, wurde von Luther und Brüning auch akzeptiert. 450 Doch die Verhandlungen über den Anleihevertrag verlangten eine gesicherte Regierung. Zunächst ging es darum, wie es Luther und Schäffer ausdrückten, die äußerste Rechte zu hindern, „ihre wirtschaftspolitisch unmöglichen Theorien von der Tribüne" zu verkünden und „durch die Art ihres Auftretens unseren Kredit im Auslande" zu erschüttern, sie irgendwie „zu parlamentarischer Arbeit zu erziehen" und zu sachlichen Entscheidungen zu zwingen, was Schäffer in kurzer Frist nicht für erreichbar hielt. 451 Den Reichskanzler veranlaßte dies, Verhandlungen mit der NSDAP und der DNVP zu suchen. Die Nationalsozialisten hatten sich, wie kaum anders zu erwarten, sogleich auf Maximalforderungen festgelegt, an denen sie während der nächsten Jahre kompromißlos festhielten. Es waren die „Bedingungen" Hitlers: „keine Unterstützung eines Fachkabinetts und Auflösung der Preußenkoalition", das Außen-, das Innen- und das Wehrministerium im Reich und zudem „die Macht in Preußen". 452 Dennoch fehlte es nicht an Stimmen erfahrener Politiker, die „das unerwartet starke Anschwellen des Nationalsozialismus für eine vorübergehende Erscheinung" hielten und der von ihm ausgehenden Gefahrdung dadurch begegnen wollten, daß man die NSDAP „in ein Verhältnis lebendiger Verantwortung zu den öffentlichen Dingen" hineinbrachte. Der Volkskonservative Hans-Erdmann v. Lindeiner-Wildau zog den Vergleich mit Fehlern „früherer Generationen dem werdenden Sozialismus gegenüber" — ähnlich wie Brüning selbst. „Erziehungs-
449
Aktenvermerk Schäffers über eine Besprechung mit Brüning, Luther und Pünder
am 22. September; Schulz, Politik, 1, S. 3 9 7 - 4 0 0 . 450
Ermächtigung des Reichsfinanzministers durch Regierungsbeschluß am nächsten
Tage; A R : Brüning, 1, S. 438. 451
Schulz, Politik, 1, S. 399.
452
Goebbels, Tagebücher, I, 1, S. 606 f., Eintragung vom 23. September. Was mit der
„Macht in Preußen" gemeint war, bleibt unklar. Nach der Aufzeichnung von Goebbels beanspruchte er sie „vorläufig" für sich selbst, was aber kaum auf das Amt des Ministerpräsidenten bezogen werden kann. Als mögliche Reichsminister werden Rosenberg, Frick, „u. U. Epp" genannt. Interessant ist, daß Hitler noch kein Amt f ü r sich selbst beanspruchte.
Die Reichstagswahl
am 14. September
1930 und ihre Folgen
173
arbeit" und Heranziehung zum „Neuaufbau" schienen sich auch für den Nationalsozialismus zu empfehlen, wenn man der Annahme zuneigte, „daß in diesem Lager heute der größte Teil derjenigen Kräfte steht, die wirklich noch inneres Verantwortungsgefühl für den werdenden Staat besitzen". 453 In der Bewertung der Nationalsozialisten wichen linke und rechte Politiker weit voneinander ab. Dennoch ergab sich eine von entgegengesetzten Positionen motivierte Neigung, ihre Beteiligung an der Reichsregierung zu befürworten. Aus diesem Grunde konnte sich Brüning dem Verlangen nach Verhandlungen mit dieser Seite nicht ohne weiteres versagen. Nicht nur auf Unkenntnis der treibenden Köpfe beruhende Euphemismen, sondern auch Urteile besonnener Männer sprachen für den Versuch der Regierung, irgendeine Brücke zur NSDAP zu schlagen, um ihre Kräfte entweder in neue Kanäle zu lenken oder zu bannen, wie es Koch-Weser für seinen Teil in der Demokratischen Partei mit dem Jungdeutschen Orden vorexerziert hatte, was sich freilich schon bald nach der Wahl als eitler Versuch erwies, der in Fehlschlag und Blamage der neuen Staatspartei endete. Die Loyalität des Ordensführers Mahraun ließ sich jedenfalls nicht gewinnen. 4 5 4 Dieses Beispiel sprach ganz und gar nicht für den Erfolg von Brückenschlägen zwischen verschiedenartigen Lagern, von denen das eine, radikal und im Grunde ohne Bündnisbereitschaft, politische Verantwortung im Verfassungsstaat gar nicht wahrnahm und nur die Machtfrage zu explizieren versuchte. 455 Als sich persönliche Verbindungen zwischen Angehörigen des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes (DHV), des Zentrums und der NSDAP 4 5 6 zur Vermittlung anzubieten schienen, zögerte Brü-
453
Lindeiner-Wildau an Blank, 1. Oktober 1930; Schulz, Politik, 1, S . 4 0 2 f . Vgl. die
Einstellung Heinrich Köhlers; s. oben A n m . 360. 454
Vgl. das Rundschreiben Mahrauns v o m 3. Oktober 1 9 3 0 und die anschließenden
Stellungnahmen Koch-Wesers, in: Schulz, Politik, 1, S. 403 — 413. 455
Sprechende Zeugnisse vom inneren Zustand der NSDAP-Führung — in Berlin wie
in München — enthalten die Niederschriften von Goebbels in seinen Tagebüchern auch in ihren ermüdendsten Partien. 456
Vgl. Albert Krebs, Tendenzen und Gestalten der NSDAP. Erinnerungen an die
Frühzeit der Partei, Stuttgart 1959, S. 1 7 0 ff.; Emil Ritter, Der Weg des politischen Katholizismus in Deutschland, Breslau 1934, S. 268; Udo Kissenkoetter, Gregor Straßer und die NSDAP, Stuttgart 1978, S. 124. Georg May, Ludwig Kaas. Der Priester, der Politiker und der Gelehrte aus der Schule von Ulrich Stutz, Bd. 3, Amsterdam 1982, S. 213, nennt als Vermittler den Essener Rechtsanwalt Friedrich Grimm und den Vorsitzenden des Untersuchungs- und Schlichtungsausschusses in der Reichsleitung der NSDAP, Major a.D. Walter Buch, den vorgesetzten Abteilungskommandeur des Leutnants und Kompanieführers Brüning während des Krieges, über den Brüning ein merkwürdig ungeklärt
I. Die Regierung Brüning 1930
174
ning, suchte er Zeit zu gewinnen und seine präsumtiven Gesprächspartner hinzuhalten; es gelang ihm, ein für den 28. September 1930 vorgeschlagenes Gespräch mit Hitler auf den 5. Oktober zu verschieben. 457 Bis zu diesem Tage war das ebenso hastig erarbeitete wie umfängliche Programm der Reichsregierung 458 veröffentlicht und weithin bekannt. Von den Sozialdemokraten hatte inzwischen Ministerpräsident Braun Pünder gegenüber die Auffassung geäußert — „wer A gesagt habe, müsse auch B sagen" —, daß die Reichsregierung mit der Anwendung des Artikels 48 fortfahren solle; doch die Tolerierung durch die Reichstagsfraktion der SPD — ohne Festlegung in der Sache — wurde erst am 3. Oktober beschlossen.459 Aber Hitler hatte ebenfalls die Zeit genutzt und sich in Verhandlungen weiterer Unterstützungen versichert.
Die Neuwahl des Reichspräsidenten
wirft ihren Schatten voraus
Die Aussicht auf Anwendung der Ausnahmerechte des Reichspräsidenten belebte in der nationalen Rechten das Interesse an der Wahl des nächsten Reichsoberhauptes. Nach dem 80. Geburtstag Hindenburgs wollte kaum jemand mit seiner erneuten Kandidatur für das Reichspräsidentenamt rechnen, die für 1932, im 85. Lebensjahr des Generalfeldmarschalls, bevorstand. Es spricht nicht für die politische Voraussicht der Parteien der Mitte und der Linken, daß sie hierzu kaum Überlegungen anstellten, sondern die Dinge treiben ließen, bis Brüning die Initiative ergriff, von dem paradoxerweise das schärfste Urteil über die angeblich seit Herbst
zwiespältiges Urteil überliefert, von dem er aber wohl manchen persönlichen Wink erhielt. Vgl. Brüning, Memoiren, S. 19; ders., Briefe und Gespräche, S. 3 1 9 f., 491. Diese Verbindungen dürften kaum weniger bedeutsam gewesen sein als die häufiger erwähnten zu Max Habermann und Albert Krebs, dem einstigen Hamburger Gauleiter der N S D A P und nun Mitglied der Konservativen Volkspartei von Treviranus. Vgl. Josef Becker, Brüning, Prälat Kaas und das Problem einer Regierungsbeteiligung der N S D A P 1930 — 1932, in: HZ, 196 (1963), S. 81. 457
In den Erinnerungen v o n Treviranus fehlt jede Erklärung f ü r den Umstand, daß
das zustande gekommene Gespräch — ganz geheim — in seiner Privatwohnung stattfand. Treviranus, Ende, S. 161. 458
Die veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen Pünders v o m 25. und 30. September
bezeugen, daß das Regierungsprogramm v o m 24. bis 29. September, in Sonntags- und mehrfach in Nachtarbeit entstand und dann unverzüglich ein Kommunique für die Presse erstellt wurde. Pünder, Reichskanzlei, S. 61 f. 459
a. a. O., S. 63; Heinrich A . Winkler, Katastrophe, S. 2 1 8 f.
Die Reichstagsivahl am 14. September 1930 und ihre Folgen
175
1931 nachlassende Geisteskraft Hindenburgs herrührt. 4 6 0 Die allmählich zunehmende Hochschätzung der Persönlichkeit des Reichspräsidenten, die keineswegs auf die politische Rechte beschränkt blieb, rechtfertigt die folgenreiche Nachlässigkeit nicht. 461 Auf Seiten der Rechten dachte und handelte man frühzeitig: bald nach dem 80. Geburtstag Hindenburgs, der am 2. Oktober 1927 mit großen Festen gefeiert wurde, ganz entschieden nach dem schlechten Abschneiden der rechten Parteien in der Reichstagswahl am 20. Mai 1928. Das Prävenire lag bei monarchistisch eingestellten Kreisen, die sich um die Ausbreitung und Erweiterung ihres Einflusses in einer großen nationalen Sammlungsbewegung bemühten. Hierzu gehörte der „Herrenklub", der in der von Heinrich Frhr. v. Gleichen herausgegebenen und bald für eine ganze Richtung bedeutsamen Wochenschrift „Der Ring", die er ein „unabhängiges" Organ zur „nationalen Politik" nannte, seit 1928 über eine angesehene und repräsentative Zeitschrift im Geschmack dieser Jahre gebot. Klubs, Vereine, Konventikel — nach traditionellen Vorbildern oder in neuem Gewände — standen zu keinem geringen Teil im Dienste restaurativer Kräfte. Eine Reihe einflußreicher Klubmitglieder war durch Zugehörigkeit zu traditionalistischen, betont nationalen Vereinigungen bekannt geworden, denen auch Rennklubs und der Nationale Automobilclub von Deutschland zuzurechnen sind. Man kann sie ein Kartell der stillen, aber großen nationalen Front in der Gesellschaft nennen, an deren Spitze später Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg-Gotha trat, der dem ehema-
460
Heinrich Brüning, Ein Brief, in: Deutsche Rundschau, 70 (1947), H. 7, S. 3 f., 8;
weniger in seinen Memoiren. Brecht, Kraft, S. 152, gibt noch weitergehende Behauptungen Brünings wieder: „daß Hindenburg ihn manchmal nicht mehr erkannt habe ... Jedenfalls äußerte der alte Feldmarschall zunehmend verworrene Ideen ... Auch das Edelste, was er hatte, sein Charakter, fing unter dem Einfluß des Alters an zu bröckeln." Anders und wohl richtig Dorpalen, Hindenburg, S. 243 f. 461
Dieses Urteil deutet auch Brecht, ebda., mit der Frage an: „... war es nicht nahezu
frevelhaft gegen ihn [Hindenburg] und das deutsche Volk, ihn noch einmal für dieses entscheidend gewordene A m t aufzustellen?" A b e r seine Behauptung, in der „spätestens Ende 1930 viel erörterten" Frage der Nachfolge Hindenburgs habe die Angst, Hitler könne Reichspräsident werden, die Politiker der Mitte und der Linken getrieben, an Hindenburg festzuhalten, ist schwer zu begreifen. Ende 1 9 3 0 dachte Hitler nicht daran, nächster Reichspräsident zu werden, wäre auch seine Kandidatur nicht aussichtsreich gewesen — nicht einmal in der Sicht der Hugenberg-Anhänger. Ähnlich widersprüchlich die Argumentation von Erich Eyck, Geschichte der Weimarer Republik, Bd. II: Von der Konferenz v o n Locarno bis zu Hitlers Machtübernahme, Erlenbach-Zürich/Stuttgart, 1956, S. 432 u. 434.
176
I. Die Regierung Brüning 1930
ligen Kaiser in Holland auch die Schirmherrschaft des Nationalen Automobilclubs antrug. 462 Dies gehörte zum Hintergrund einer vom Hamburger Nationalklub am 4. Oktober 1928 mit Vertretern befreundeter Klubs und Gesellschaften veranstalteten Dampferfahrt auf dem jüngst in Dienst gestellten Flaggschiff der Hapag „New York". Sie diente einer grundsätzlichen Klärung politischer Fragen, die sich insoweit ergab, als die monarchische Einstellung festgestellt, allerdings „eine aktive Aufrollung dieser Frage" unter den gegebenen Verhältnissen für „nicht angezeigt" gehalten wurde. Dafür wandte man sich der Wahl des nächsten Reichspräsidenten zu. 463 Es nimmt nicht wunder, daß „als bester und aussichtsreichster Kandidat" der ehemalige Reichskanzler und Generaldirektor der Hapag, Cuno, Initiator und Veranstalter dieser Zusammenkunft, genannt wurde, der allerdings — wohl um die äußere Form zu wahren — bei dieser Gelegenheit eine Kandidatur noch ablehnte. Doch man einigte sich auf eine Wiederholung derartiger Zusammenkünfte, die mehrfach stattfanden und eine Erweiterung des Teilnehmerkreises brachten. Bei den nächsten Gelegenheiten wurden Führer des Stahlhelms, Seldte, Duesterberg und Brauweiler, Heinrich v. Gleichen, dann einige einflußreiche, aber unabhängige Persönlichkeiten des süddeutschen Adels und Hochadels, darunter Eugen Prinz zu Öttingen, Erwein Fürst von der Leyen und Erwein Frhr. v. Aretin, einbezogen. Cuno ergriff die Rolle des Wortführers und geistigen Inspirators und legte seine Auffassungen, die diese Kreise zusammenführen sollten, wiederholt in eigenen Vorträgen dar.
462
Sigurd v. Ilsemann, Der Kaiser in Holland. Aufzeichnungen des letzten Flügelad-
jutanten Kaiser Wilhelms II., hrsg. von Harald v. Koenigswald, Bd. 2: Monarchie und Nationalsozialismus 1 9 2 4 - 1 9 4 1 , München 1968, S. 197. 443
Hierzu die wichtige Veröffentlichung von Gerhard Granier, Magnus von Levetzow.
Seeoffizier, Monarchist und Wegbereiter Hitlers. Lebensweg und ausgewählte Dokumente, Boppard 1982, S. 132 f., sowie die dort abgedruckte Aufzeichnung „über die Entwicklung der Bestrebungen für eine Sammlungsbewegung seit Oktober 1928", S. 269—276. Vertreten waren der Nationale K l u b Berlin, der Nationale K l u b von Sachsen, der Deutsche K l u b Augsburg, die Vereinigten Vaterländischen Verbände Deutschlands, der Deutsche Herrenklub Berlin, die Herrengesellschaften im Reich, der Nationale K l u b Nordmark und der Nationalklub Hamburg. — Zum Voraufgegangenen auch die einleitenden Ausführungen v o n Werner Jochmann, Im Kampf um die Macht. Hitlers Rede v o r dem Hamburger Nationalklub von 1919, Frankfurt a.M. 1960; ergänzend Gerhard Schulz, Der „Nationale K l u b von 1919" zu Berlin. Z u m politischen Zerfall einer Gesellschaft, zuerst in: Jahrbuch f ü r die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, 11 (1962); wieder abgedruckt in: Schulz, Das Zeitalter der Gesellschaft. Aufsätze zur politischen Sozialgeschichte der Neuzeit, München 1969, S. 2 9 9 - 3 2 2 .
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Das vom Stahlhelm inaugurierte, aber von Hugenberg, der dieser Gruppierung nicht zugehörte, forcierte Volksbegehren gegen den YoungPlan, von dem sich Cuno fernhielt, unterbrach diese Bestrebungen 464 — aber wie sich bald herausstellte, nur für kurze Zeit. Danach verbreiterte sich die Basis dieses Kreises dadurch, daß sich ihm mit Graf Quadt zu Isny Teile der Bayerischen Volkspartei zuwandten und er auch in Bayern Boden gewann. Die nächsten Bemühungen galten der westdeutschen Industrie und der ostdeutschen Landwirtschaft. Man wandte sich zuerst an Paul Reusch. Nach einigen Sondierungsversuchen erörterte eine kleine Gruppe ausgewählter Persönlichkeiten der Cuno-Richtung am 1. und 7. Mai 1930 mit dem Großindustriellen die Kandidatur des nächsten Reichspräsidenten, wobei nach allen Regeln der Kunst die für eine Nachfolge Hindenburgs in Betracht kommenden Männer abgehandelt und im negativen Sinne abgehakt wurden, 465 bis allein noch Cuno übrigblieb, auf den man sich geeinigt hatte. Nacheinander kamen auf diese Weise die denkbaren Kandidaturen Schacht, Seeckt, Escherich, Groener, Geßler und Siegfried v. Kardorff zu Fall; eingehende Erörterungen befaßten sich offenbar allein mit dem von Reusch genannten, dann aber als Reichsbankpräsident für unentbehrlich gehaltenen Luther. 466 So blieb denn Cuno. Er besaß zweifellos Ehrgeiz, vermochte jedoch nicht alle Gesprächspartner von seinen Fähigkeiten zu überzeugen. Es scheint glaubwürdig, daß die kursierenden Gerüchte über eine Nachfolge Hindenburgs den Eindruck festigten, daß dieser selbst sich für Reichswehrminister Groener entschieden und ausgesprochen hatte, 467 was zu diesem Zeitpunkt kaum als politisch unrealistischer Schluß gelten konnte, unter den eingeschworenen Anhängern der Monarchie allerdings keinen Beifall fand. Brüning deutet übrigens die Schlüs-
464
Mit unverkennbarer Bitterkeit wähnte Cuno seine Bemühungen „durch die Sonder-
aktion Hugenberg — Seldte — Hitler zerbrochen". Cuno an Levetzow, 29. September 1929; Granier, Levetzow, S. 260. 465
Levetzow an Guidotto Graf v. Henckel Fürst v. Donnersmarck, 11. Mai
1930;
a. a. O., S. 2 6 5 - 2 6 9 . 466
Das Urteil Reuschs besaß offenkundig Gewicht. Ob er sich indessen in diesen
Erörterungen irgendwie band, erscheint zweifelhaft. A u s der gesamten bekannten ReuschÜberlieferung in der Gutenhoffnungshütte ist kein entsprechendes Urteil bekannt geworden. Unabhängig v o n diesem Gespräch erfuhr Reusch einige Tage später von seinem Berliner Gewährsmann v. Gilsa, daß Cuno auch „auf dem Umweg über den Grafen Roedern und Hellpach" im Jungdeutschen Orden, der mit der D D P zur Staatspartei fusionierte, für seine Kandidatur warb. Gilsa an Reusch, 17. Mai 1930; Schulz, Politik, 1, S. 166. 467
Gilsa, ebda.
178
I. Die Regierung Brüning 1930
selstellung Groeners — auch ihm gegenüber und im Hinblick auf seine Beziehungen zu Hindenburg — wiederholt an, verschweigt aber diesen Zusammenhang, der ihm ebenso wie anderen bekannt gewesen sein dürfte. Mit dieser Rückenstützung ließ sich Cuno auf einen Vermittlungsversuch des im Hamburger Nationalklub tätigen Konteradmirals a.D. v. Levetzow ein, der eine Begegnung mit Hitler und seiner Entourage im Berliner Hotel „Esplanade" arrangierte. Diese Besprechung kam nach einigen Vorbereitungen, obgleich sie fast bis zur letzten Minute durch einen ausfalligen Artikel der „Nationalsozialistischen Illustrierten Wochenzeitung" gegen Cuno gefährdet schien — Cuno wurde hiervon offenbar gar nicht in Kenntnis gesetzt —, am Vormittag des 29. September 1930 zustande. Sie begann mit einem einstündigen Zwiegespräch Cunos mit Hitler, zu dem der Weltkriegsflieger und Pour le merite-Träger Göring, der auch im holländischen Doorn bei Wilhelm II. vermittelte, von der Seite des Nationalklubs Levetzow mit zweien seiner Vertrauten und von den Vereinigten Vaterländischen Verbänden, die man als nationale Dachorganisation einbezogen hatte, ihr Führer Generalmajor a.D. Rüdiger Graf v. d. Goltz hinzugezogen wurden. 468 Das Ergebnis fiel sogar für die Initiatoren dieser Zusammenkunft überraschend günstig aus: Cuno zeigte sich stark beeindruckt und überzeugt von den Ansichten und Fähigkeiten Hitlers, der sich kaum ernstlich exponierte. Das Gespräch lief offenbar ähnlich wie viele spätere ab. Hitler legte ausführlich und drastisch seine Ansichten dar, unter Schonung der Ansichten seines Gesprächspartners und mit deutlicher Vorsicht auf ungewissem Terrain, 469 versuchte jedoch mit Geschick, Übereinstimmung und Zustimmung aus seinem Gegenüber herauszuholen. Der sachliche Inhalt des Gesprächs spielte in der ganz und gar aufs Psychologische angelegten Unterredung kaum eine wesentliche Rolle.
468
Ausführlicher Bericht von Levetzow an Beno Frhr. v. Herman, 3. Oktober 1930;
Granier, Levetzow, S. 276—280. Der rührige Goltz war der Vater des an vielen Prozessen gegen führende Nationalsozialisten — auch Goebbels — als Verteidiger beteiligten Rechtsanwalts Rüdiger Graf v. d. Goltz in Stettin. Zu Görings Beziehung zu Wilhelm II. Ilsemann, Monarchie, S. 153 ff., 191 ff.; über seine Rolle in Berliner Zirkeln Albrecht Tyrell, Der Wegbereiter — Hermann Göring als politischer Beauftragter Hitlers in Berlin 1930 — 1932/ 33, in: Manfred Funke, Hans-Adolf Jacobsen, Hans-Helmuth Knütter, Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Demokratie und Diktatur. Geist und Gestalt politischer Herrschaft in Deutschland und Europa. Festschrift f ü r Karl Dietrich Bracher, Düsseldorf 1987, S. 178 — 197. Kurze Erwähnung der Besprechung bei Henry Ashby Turner, Jr., Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Übers, aus dem Amerikanischen, Berlin 1985, S. 159 f.
Die Reichstagswahl
am 14. September
1930 und ihre
Folgen
179
Die Gesprächspartner trennten sich, indem sie ihren Begleitern die Erörterung überließen, wer nun wessen Kandidat sein solle. Hitler selbst war dieser Frage ausgewichen. Göring ließ am nächsten Tag Levetzow gegenüber durchblicken, daß die NSDAP mit einer Kanzlerschaft Cunos einverstanden sei, was dieser zu akzeptieren schien, daß aber doch auch mit der Möglichkeit zu rechnen sei, Brüning werde sein Verbleiben im Amte des Reichskanzlers dadurch erkaufen, daß er die Nationalsozialisten mit zwei Ministern an der Reichsregierung beteilige. Sie würden dann das Reichsinnenministerium für Frick beanspruchen, außerdem das Reichswehrministerium, aber auch die Ministerpräsidentschaft in Preußen. Die von Goebbels verzeichnete weitere Bedingung, das Auswärtige Amt Rosenberg zu geben (ihm selbst die Macht in Preußen), 470 tauchte hier nicht auf. Aber er erfuhr auch gar nichts von den Gesprächen im „Esplanade", obgleich er noch am Abend des 30. September bei Göring zu Gast war, der Hitler bei dieser Gelegenheit mit Frau v. Dirksen bekannt machte, die in Berlin einen Salon unterhielt, und dem einflußreichen Generaldirektor der Deutschen Bank, Emil Georg v. Stauss, der soeben über die Liste der DVP in den Reichstag gewählt worden war. Göring und Hitler waren mit einem Schlage im engsten Sinne gesellschaftsfähig geworden und begannen eine Rolle zu spielen. Hitler nutzte die Tage bis zu seinem Gespräch mit Brüning dazu, sich nach mehreren Seiten neuer Unterstützung zu vergewissern und für sich zu werben, um so gestärkt vor den Reichskanzler zu treten. Bei Cuno scheint Hitler aber doch nachdenkliche Überlegungen ausgelöst zu haben. Ihn beschäftigte bezeichnenderweise die Frage, ob nicht der nächste Reichspräsident „eine Puppe dann nur von Hitler und seiner Bewegung sein würde und ob es nicht besser wäre, wenn Hitler es selbst würde". 47 ' Doch die Parteigänger Cunos um Konteradmiral v. Levetzow hielten für die nächste Zeit an ihrem Kandidaten fest.
Schlüsselstellung
Hugenbergs
Brüning traf mit Hitler und Frick, dem umstrittenen thüringischen Innenminister und Vorsitzenden der nunmehr großen nationalsozialistischen Reichstagsfraktion, am Abend des 5. Oktober, einem Sonntag,
470 471
Goebbels, Tagebücher, I, 1, S. 606 f. Levetzow an Fthr. v. Herman, 3. Oktober 1930; Granier, Levetzow, S. 279.
180
I. Die Regierung Brüning 19}0
zusammen. 4 7 2 Der Reichskanzler hielt nach den getroffenen Vorbereitungen, um nicht passiv zu erscheinen, eine ausführliche und offene Aussprache f ü r angebracht und führte die Unterhaltung „ohne jede weitere sonst im parlamentarischen Leben übliche taktische Zurückhaltung", um Hitler „reinen Wein" einzuschenken. Dies gilt wohl auch für voraufgegangene Gespräche Brünings mit anderen Parteiführern; doch Hitler wurde offenbar am ausführlichsten unterrichtet. Mag auch die Stilisierung der nur v o n Brüning selbst herrührenden Darlegungen Vorbehalte zulassen, so dürfen seine Aufzeichnungen doch nicht unterbewertet werden, die erstaunliche Passagen enthalten. Scheinbar treffend und richtig offenbarte er Hitler, daß „die Zeit, die notwendig sei, um ... den Ruf nach Streichung der Reparationen in der Welt zu wecken", etwa „12 bis 14 472 Pünder, Reichskanzlei, S. 64 (Eintragung vom 5. Oktober), 65, vom 7. Oktober: „... vorgestern am Sonntag die Nationalsozialisten. Letztere Besprechung w a r die wichtigste." Dasselbe Datum in Pünders Aktenvermerk v o m 8. Oktober über den Bericht, den Brüning dem Reichspräsidenten am gleichen Tage über seine Gespräche mit den Vertretern der Regierungsparteien und der NSDAP gab; A R : Brüning, 1, S. 510 f. Dies ergibt sich auch aus Goebbels, Tagebücher, I, 1, S. 614 (6. Oktober); ferner Schulthess 1930, S. 198, w o Frick und Göring als weitere Gesprächspartner genannt werden; bei Treviranus, Ende,
5. 162 (ohne genaues Datum): „... erste Oktoberwoche. Hitler kam in die Reichsstraße 4 zur Teezeit mit Dr. Frick." Dort befand sich die Wohnung von Treviranus, in der das Treffen „zur Wahrung der Vertraulichkeit" stattfand; a . a . O . , S. 161. Weniger deutlich Pünder, S. 64: „Heute am Sonntag abend empfängt der Reichskanzler Brüning die Herren Hitler und Minister Frick . . . " Von besonderer Geheimhaltung ist nicht die Rede. Wieder anders der Bericht von Brüning, Memoiren, S. 191 — 196, der die ausführlichste Darstellung des Gesprächs enthält, jedoch mit offenbar falscher Datierung beginnt: „Am 6. Oktober fand eine Besprechung mit Hitler, Frick und Straßer [!] in der Wohnung von Treviranus statt. Pressephotographen und Reporter warteten in der Zwischenzeit vergeblich vor den Toren der Reichskanzlei ... Vertraulich hatte ich vorher den Führern der anderen Parteien mitgeteilt, daß ich über das Programm der Reichsregierung auch mit den Führern der N S D A P verhandeln werde." Nicht die Tatsache selbst, sondern der Ort wurde geheimgehalten. Bei Brüning, a. a. O., S. 191, aber die offenbar unrichtige Angabe: „Nachdem am 3. Oktober Dr. Frick als Vorsitzender der Reichstagsfraktion der N S D A P einer Einladung nicht gefolgt war, mußte ich zuerst mit den Deutschnationalen verhandeln . . . " Nach Pünders Tagebucheintragungen sowohl vom 5. als auch vom 7. Oktober (Reichskanzlei, S. 64 f.) fand die Besprechung mit den Deutschnationalen erst danach, am 6. Oktober, statt. Von den offenkundigen Irrtümern Brünings in der Datierung um einen Tag abgesehen, fanden möglicherweise zwei verschiedene Besprechungen statt, eine am 4., zwischen Brüning und Frick — und vielleicht einem Begleiter —, und eine weitere, längere zwischen Brüning, Hitler, Frick und Treviranus in dessen Wohnung. Hierzu Goebbels, Tagebücher, I, 1, S. 613 (4. Oktober): „Frick geht heute zu Brüning. Es wird nichts dabei herauskommen." 6. Oktober: „Gestern: ... Abends spät kommen Chef und Frick von Brüning zurück. Lange und prinzipielle Aussprache gewesen. Treviranus auch dabei. Es bleibt bei unserer Opposition. Gottlob."
Die Reichstagswahl am 14. September 1930 und ihre Folgen
181
Monate" betragen werde. Dies bestimme „die erste Phase" seiner Politik, „für die eine schärfere außenpolitische Opposition seitens der NSDAP das zweckmäßigste wäre. Eine Verständigung im einzelnen über die Formen der Opposition wäre natürlich eine Voraussetzung für ein späteres Zusammengehen. Ich hoffe, in der zweiten Phase zusammen mit der Rechten an die Verfassungsreform herangehen zu können, die nach meinen persönlichen Wünschen in einer monarchischen Restauration enden müsse, ohne daß es möglich sein würde, schon wieder einen Kaiser zu proklamieren, solange nicht im Hause Hohenzollern selbst eine Einigung über die drei möglichen Kandidaten erfolgt sei." 473 Von dem mehrfach überlieferten Appell an die Gemeinsamkeit einer Frontsoldatengesinnung abgesehen, die eines der schwächsten Momente in der Einstellung Brünings darstellte, gibt es kein bekanntes Zeugnis, das eine weitreichende politische Konzeption des Reichskanzlers in einer derartig begründeten Konsequenz überliefert. Will man nicht von der Vermutung ausgehen, daß Brüning dies nachträglich formuliert und dem Gespräch mit Hitler implantiert hat, so bleibt nur die Feststellung, daß er Hitler für eine Konzeption zu gewinnen suchte, die ein indirektes Zusammenspiel zwischen Regierung und NSDAP in einer äußerlich heftigen Opposition begründen sollte. Für Hitler mag diese Eröffnung noch mehr bedeutet haben, abgesehen davon, daß sie ihm ziemlich freie Hand gab. Man muß fragen, ob Hitler dies als Einführung in die wesentlichen Zusammenhänge der außen- und der hieraus folgenden innerpolitischen Situation und als Anregung für eigene Entschlüsse und Handlungen verstand. Die Beschreibung der Situation und der bevorstehenden Entscheidungen ließ ihn nicht unbeeindruckt. 474 Auf Brünings Darlegungen 473
Brüning, Memoiren, S. 1 9 2 - 1 9 5 .
474
Daß Hitler sowohl einfachen Mustern seiner machtpolitischen Grundauffassungen
folgte, die sich während der zwanziger Jahre verdichteten, als auch neue Eindrücke und Einflüsse zu erfassen und zu nutzen vermochte, die sich nicht ohne weiteres aus seinem primitiven „Entwurf einer Herrschaft" erschließen lassen (vgl. Eberhard Jäckel, Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft, Tübingen 1969), hat er wiederholt in bemerkenswerter Beweglichkeit bewiesen. Er konnte lange Zeit hindurch auch geschickter Opportunist sein. Doch die Belege und Quellen f ü r seine „Weltanschauung" ließen sich schneller erschließen, lagen fast von Anbeginn auf der Hand, so daß dieser Komplex in der Forschung lange Zeit den zweiten überschattet hat. Hierzu Hitlers Zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahre 1928, eingeleitet und kommentiert von Gerhard L. Weinberg, mit einem Geleitwort von Hans Rothfels, Stuttgart 1 9 6 1 , das zu Lebzeiten Hitlers unveröffentlicht blieb, sowie die kürzere Fassung seiner Gedanken in der Broschüre v o n Adolf Hitler, Der Weg zum Wiederaufstieg, München 1927, die Turner wiederentdeckt und wiedergegeben hat; Turner, Faschismus, S. 41 — 59.
182
I. Die Regierung Brüning 1930
konnte Hitler nur mit einem weltanschaulichen Monolog antworten. Dennoch sagte ihm der Reichskanzler zu, „dafür zu sorgen, daß überall in den Länderparlamenten schon in dieser ersten Anlaufzeit, wo es zahlenmäßig möglich sei, NSDAP und Zentrum zusammen eine Regierung" bildeten. 475 Nach einem verabredeten Kommunique wurde vereinbart, daß Hitler über Brünings Pläne Stillschweigen bewahren und veranlassen werde, daß Brüning wie Treviranus von der nationalsozialistischen Presse nicht mehr angegriffen würden. Goebbels notierte: „Hitler scheint bei Brüning mächtig imponiert zu haben. Er war ganz glücklich." 476 Mit dieser Taktik der Offenlegung eigener Absichten war Brüning, wie er selbst erkannte, ein Risiko eingegangen. Aber er glaubte zunächst, wohl nicht eine Bereitschaft der NSDAP zur „Mitarbeit", aber die Voraussetzungen für eine verabredungsfähige Opposition geschaffen zu haben. 477 Nach diesen Verhandlungen kam Brünings Gespräch mit den Fraktionsvorsitzenden der DNVP im Reichstag und im preußischen Landtag, Oberfohren und v. Winterfeld, an dem Staatssekretär Pünder teilnahm, nur eine untergeordnete Bedeutung zu. 478 Im Grunde ging es allein um die Frage, ob sich die stark geschwächten Deutschnationalen künftig eher im Schatten der NSDAP oder der Regierung Brüning bewegen wollten, worauf beide Politiker zu diesem Zeitpunkt kaum zu antworten vermochten. Die Deutschnationalen besaßen aber, weniger in bezug auf die Verhältnisse im Reichstag als hinsichtlich der Neigungen und der Haltung Hindenburgs, nach dem eklatant schlechten Abschneiden der Westarp-Treviranus-Konservativen in der Reichstagswahl, für Brüning einiges Gewicht. Der Reichspräsident hielt sich in allen Wandlungen, die die Krise brachte, an seine Standesgenossen und Gefährten — oder die er dafür hielt; er stand der DNVP politisch und geistig am nächsten, so daß er auch immer wieder in ihren Kreisen nach Anwärtern für Ministerämter Ausschau hielt. Seine Abneigung gegen Hugenberg erschwerte allerdings die Verwirklichung der Wünsche, die der alte Mann in seinem wenig wandelbaren Wesen indessen nie gänzlich aufgegeben haben dürfte. Die DNVP behielt schließlich auch in den Augen jener eine paradoxe 475
Brüning, Memoiren, S. 196.
476
Goebbels, Tagebücher, I, 1, S. 614. Pünder (s. Anm. 472): „Geschieden in Hochach-
tung." 477
Pünder, Reichskanzlei, S. 65; hierzu auch Becker, Brüning, S. 81 f., dessen Darstel-
lung nach neueren Quellen, v o r allem nach Erscheinen der Memoiren Brünings zu ergänzen ist. 478
Pünder, ebda.
Die Reichstagswahl am 14. September 1930 und ihre Folgen
183
Bedeutung, die zwar eine Rechtsregierung, aber doch Sicherungen gegenüber den Nationalsozialisten wünschten, falls diese von den Regierungen im Reich oder in den Ländern auf die Dauer nicht ausgeschlossen bleiben konnten. Auf absehbare Zeit stand diese Partei stets zwischen der Reichsregierung und der NSDAP. Indirekt läßt sich die Verlegenheit, die der Reichskanzler empfand, aus der Schilderung seiner Bemühungen um Hugenberg entnehmen. 4 7 9 An allen kritischen Punkten der Regierungszeit Brünings tritt das Ringen des Kanzlers mit Hugenberg um den Anspruch auf die wirkliche Führung der nationalen Rechten zutage und seit September 1930 die Einbeziehung der NSDAP in das Kalkül. Das erlaubte Hitler, sich mit eigenem Anspruch an diesem Kampf zu beteiligen, während Brüning sich durch die Pflichten seines Amtes, die Rücksicht auf den Reichspräsidenten, die Situation im Reichstag und durch die Einbindung seiner Partei in die Weimarer Koalition immer gezwungen sah, einen offenen Bruch mit der Linken zu vermeiden. Der starr anmutenden Haltung seines Gegenspielers Hugenberg schien kein Konkurrent innerhalb der DNVP ernsthaft gewachsen zu sein, so daß die in vielen Zeugnissen immer wieder auftauchende Frage nach einer Ablösung des Parteiführers und einer personellen Alternative sich regelmäßig alsbald erledigte. Wahrscheinlich hat kein deutscher Parteiführer dieser Jahre außerhalb seines engeren persönlichen Anhangs so viele Antipathien und Zweifel an seiner Persönlichkeit hervorgerufen, aber auch bewußt in Kauf genommen wie Hugenberg. Doch die Unwandelbarkeit seiner Eigenarten und Ansichten, zu denen er sich bekannte, wie sein engherziges, niemals auf die Sache abstellendes Streben nach Erhaltung und Ausbau seiner Position trugen entscheidend dazu bei, die Parteikrise im Sommer 1930 zu überstehen und womöglich die DNVP länger als politischen Faktor am Leben zu erhalten, als ihr sonst beschieden gewesen wäre. Den von anderen Seiten kommenden Bemühungen um eine größere politische Sammlung hat sich die DNVP unter Hugenbergs Führung stets versagt, aber den Anspruch möglichst auf die reale, wenigstens die ideelle Führung der nationalistischen Rechten niemals preisgegeben. In der Tat behauptete Hugenberg, nicht zuletzt mit Hilfe seines eigenen Presse- und Filmkonzerns, ein gewisses Maß an Unabhängigkeit sowohl dem Reichspräsidenten als auch der Reichsregierung, großindustriellen
479
Brüning, Memoiren, S. 210 f.
184
I. Die Regierung Brüning 1930
Ambitionen 480 und agrarischen Interessen gegenüber — im Widerstreit mit allen anderen Parteien. Die von ihm — schon seit April 1930 im Hinblick auf „die kommende Reichspräsidentenwahl" — geknüpften Beziehungen zur NSDAP überlebten schließlich die Ära Brüning. Die sich allmählich ausbreitende Opposition zur Rechten der Regierung hatte hierin einen harten Kristallisationskern; und die ebenso heftige wie gewiefte Gegnerschaft des deutschnationalen Parteiführers gab ihr unablässig neue Auftriebe. Es erscheint daher nicht unangemessen, die Ereignisse der nächsten zwölf Monate und die rasche Veränderung der wirtschaftlichen Lage in dem Aspekt zu betrachten, ob sie eine Beschleunigung oder eher eine Verzögerung in dem Prozeß der Fortbildung und Stärkung der rechten Opposition bewirkten. Für die Monate nach der Entscheidung zugunsten einer Wiederwahl des Reichspräsidenten traf gewiß das erste zu; für die Zwischenzeit läßt sich dies indessen nicht so eindeutig feststellen.
480
Hugenberg durfte bis in die frühen zwanziger Jahre als Mittler westdeutscher
industrieller Einflüsse in der D N V P gelten, geriet dann aber in einen politischen Gegensatz zu Reusch. Daß er, gestützt auf seinen Pressekonzern, seine eigenen Wege ging, hebt nach Studien im Nachlaß Hugenberg Klaus-Peter Hoepke hervor, Hugenberg, S. 9 1 4 ff.
VIERTES
KAPITEL
Der Weg zur ersten großen Notverordnung Wirtschafts-
und Finan^programm
der
Reichsregierung
Hinter dem bewegten Vordergrund der Verhandlungen mit den Parteien wußte Brüning die Grundlinien eines Finanzprogramms durchzusetzen, was als Ausdruck schneller Reaktion und auffallender Schlagkraft gelten sollte. Sie wurden am 29. September in der Kabinettsrunde beschlossen und bereits am folgenden Tage der Öffentlichkeit mitgeteilt. 481 Noch vor der Konstituierung des neugewählten Reichstags behauptete die Reichsregierung nach außen das Prävenire der Entscheidungen; sie kündigte umfassende Maßnahmen von so weitreichender und tiefgreifender Wirkung an, wie es keine ihrer Vorgängerinnen gewagt hatte. Damit rammte sie einen Pfahl ein, an dem künftige Entscheidungen gemessen wurden. Post festum geurteilt, wurde hier die Richtung gewiesen, in der eine rasch an Umfang und Wirkungen zunehmende außerordentliche Gesetzgebung sich binnen einiger Monate von parlamentarischen Voraussetzungen immer deutlicher löste. Gewiß erheischten Berechnungen und Mahnungen Schäffers, Handlungsfähigkeit zu gewinnen, um eine amerikanische Anleihe zu erlangen, die zum Haushaltsausgleich 1930 benötigt wurde, besondere Eile, zumal die unverzüglich nach Bekanntwerden des Wahlerfolgs der NSDAP einsetzenden Abzüge ausländischer Kredite die finanz- und wirtschaftspolitischen Gefahren der Situation vor Augen führten. 482 Die innerpolitische Lage legte rasches und demonstratives 481
Pünder, Reichskanzlei, S. 62; A R : Brüning, 1, S. 4 6 6 — 4 7 5 ; als Leitfaden und K o m -
mentar zu den Notverordnungen nützlich: Das Steuerrecht der Notverordnungen v o n 1930 mit den Abänderungen der Notverordnung v o m 5. Juni 1 9 3 1 , insbesondere Das neue Länder- und Gemeindensteuerrecht unter Berücksichtigung der Neuverkündigungen v o m 22. Mai 1 9 3 1 , erläutert von Fritz Haußmann, Friedrich Herrmann, Ludwig Meyer, Otto Thiem, Helmuth Goetzke, Bernhard Skrodzki, Stuttgart 1931, hier bes. S. 25 ff. Der lange und umständliche Titel bezeugt die Tatsache, daß eine gründliche juristische Kommentierung mit den rasch aufeinander folgenden, sachlich weit ausgreifenden, umfangreichen Notverordnungen kaum noch Schritt halten konnte. 482
Aktenvermerk Schäffers v o m 22. September über eine Besprechung mit Brüning;
Schulz, Politik, 1, S. 397 f.
186
1. Die Regierung Brüning 1930
Handeln nahe. Jene, die mit Rücksicht auf das Wahlergebnis danach drängten, „zu größeren Fronten zu gelangen", 4 8 3 setzten nach den eklatant fehlgeschlagenen Bemühungen, Verbindungen und Einigung zwischen den Parteien zu stiften, ihre Hoffnung darauf, eine „Aufnahmestellung" mit Hilfe der größten Spitzenverbände zu schaffen. Das „Wirtschafts- und Finanzprogramm der Reichsregierung" kann als entschlossener Versuch zur Sanierung der Reichsfinanzen gelten. Es wurde legitimierend als Programm zur Gesundung der deutschen Wirtschaft bezeichnet. Dies ließ sich am Ende in eine verfassungspolitische Entscheidung wenden, als hiermit die Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 48 bezeichnet wurden, die bei Amtsantritt der Regierung Brüning die beamteten staatsrechtlichen Autoritäten Joël und Zweigert gutachtlich festgestellt hatten. Das ist von Zeitgenossen wie Historikern, die die Legitimationsformel mit der Sache verwechseln, häufig verkannt worden. 4 8 4 Zur Senkung des voraussichtlichen Fehlbetrags im Reichshaushalt wurden Kürzungen der Beamtengehälter und Pensionen um sechs Prozent vorgesehen, bei Reichsministern, dem Reichspräsidenten und bei den Diäten der Reichstagsabgeordneten um 20 Prozent, sowie die völlige Lösung der Arbeitslosenversicherung vom Reichshaushalt, in den nur noch 420 Millionen RM als Reichsanteil für die Krisenfürsorge eingestellt wurden, die den längerfristig Arbeitslosen Hilfe gewährte. Einen starken, bis auf die kommunale Ebene durchdringenden Eingriff in die Struktur des Reich-Länder-Verhältnisses, das allerdings durch die Zuständigkeitsbestimmungen im Artikel 8 der Reichsverfassung nur in undeutlicher Weise geschützt war, bedeutete das Verlangen nach entsprechenden Gehaltskürzungen auch in Ländern und Gemeinden, nach einheitlichen Spargrundsätzen bei der Haushaltsaufstellung, nach verschärfter Haushaltskontrolle — was den Rechnungshof, vor allem aber die Kommunalaufsicht der Länder anging —, nach einer sparsameren Rechtspflege und allgemein nach Verwaltungsvereinfachungen. Diese Forderungen wurden seit Jahren auch von den wirtschaftlichen Spitzenverbänden erhoben. Als Druckmittel diente die Ankündigung einer Kürzung der Überweisungen aus den Steuereinnahmen des Reiches an die Länder allein im Hinblick auf die Beamtengehälter um 100 Millionen RM. Hinzu trat das Gebot einer einheitlichen Senkung der Grund- und der Gewerbesteuer, die den Baumarkt trotz erheblicher 483
Lindeiner-Wildau an Blank, 1. Oktober; a. a. O., S. 402.
484
Vgl. die an sozialdemokratischen Parteitraditionen haftende Darstellung des Pro-
gramms der Reichsregierung bei Heinrich A . Winkler, Katastrophe, S. 2 1 6 ff.
Der Weg %ur ersten großen
Notverordnung
187
Minderung von Subventionen in der Wohnungswirtschaft beleben sollte, aber den Ländern bzw. den Gemeinden auf diesem Gebiet die Entscheidungsfreiheit nahm. Schließlich sollte durch ein sogenanntes „Plafondgesetz" für die Dauer von drei Jahren (1931, 1932, 1933) jede Erhöhung der Ausgaben von Reich, Ländern und Gemeinden unterbunden werden. Innerhalb des Rahmens dieser Vorschriften wurde den Gemeinden ein Zuschlagsrecht auf Steuern, unter bestimmten Voraussetzungen namentlich auf die Einkommensteuer, in „selbständiger Verantwortung" zugebilligt. 485 An der eindeutigen Verschiebung der Gewichte innerhalb des Finanzausgleichs zugunsten und nach Maßgabe des Reiches änderte dies ebensowenig wie die neuen Rechtsvorschriften für das Haushaltsgebaren von Ländern und Gemeinden. Unter der Rubrik einer „Vereinfachung des Steuersystems" wurden nicht nur technische, den Verwaltungsaufwand mindernde Vereinheitlichungen bei der Besteuerung der Kleingewerbetreibenden, der Vermögensteuerfestsetzung, der Umsatzbesteuerung, der Grundsteuer- und Gewerbesteuererhebung zusammengefaßt, sondern für die Landwirtschaft auch Begünstigungen vorgesehen, durch Senkung der Verkehrssteuern sowie durch Abgeltung von Grundvermögensteuer, Vermögensteuer und Einkommensteuer mittels einer Einheitssteuer, was allerdings nur Landwirten mit einem Einkommen bis zu 8000 RM zugute kommen sollte. Gravierend blieb, daß nun nicht Vermögen und Grundbesitz, sondern allein das angegebene, angesichts der weithin nicht vorhandenen Buchführung nur schwer zu ermittelnde effektive Jahreseinkommen zur Bemessungsgrundlage wurde.
Haltung der Länder Die politisch bedeutsamsten Gesichtspunkte betrafen die Länder, die sich jedoch nur vereinzelt und kaum wirkungsvoll zu Worte meldeten, obgleich der bayerische Gesandte Ritter v. Preger schon am 19. September seinen Ministerpräsidenten über einige Absichten der Reichsregierung unterrichtet hatte. 486 Nach einer Absprache unter den süddeutschen Ländern wählte zuerst die württembergische Regierung einen mittleren Weg zwischen Zustimmung in der Sache und Einwänden gegen Mittel und Formen. Man war sich darin schlüssig, daß „staatsrechtliche Bedenken" angesichts der „Lage des Reichs", namentlich Männern wie Brüning 485
Haußmann, Steuerrecht, S. 26 f.
486
Ritter V. Preger an Held; B G e h S t A M , MA/103 460.
188
I. Die Regierung Brüning 1930
und Dietrich gegenüber, Parteifreunden der Hauptpartner in der Stuttgarter Regierungskoalition, nicht angebracht seien. 487 In einem vertraulichen Brief an den Reichskanzler schrieb Staatspräsident Bolz, daß sich Württemberg mit den wesentlichen Vorhaben der Reichsregierung „werde abfinden müssen" 488 . Doch er wolle durch „rechtzeitige Geltendmachung von Bedenken" auf „Grundlagen" und Ansehen der „Eigenstaatlichkeit und der gesunden Lebensbetätigung der Länder" verweisen: Die Kürzungen der Beamtengehälter sollten nicht durch Reichsgesetz „angeordnet", sondern durch eine reichsgesetzliche Ermächtigung der Länder herbeigeführt, Länder und Gemeinden wohl verschärft zur Sparsamkeit verpflichtet, jedoch einer „unabhängigen Prüfung ihres Rechnungswesens" unterworfen werden. Eine Mitwirkung und Überwachung von Seiten des Reiches bei der Aufstellung der Haushaltspläne lehnte Bolz ab. Und neben einigen anderen Einwänden erhob er Bedenken gegen eine Änderung des Finanzausgleichs und jegliche Abweichung „von jeder billigen und gerechten Verteilung der Einnahmequellen". Dem schloß sich die hessische Regierung im wesentlichen an. 489 Während auch die badische am folgenden Tage zurückhaltend operierte und grundsätzliche Unterstützung des Programms der Reichsregierung zusagte, 490 wählte die bayerische in gewohnter Weise eine schärfere Tonart und meldete Vorbehalte gegen Maßnahmen an, die ihrer Auffassung nach den verfassungsrechtlichen Bestand und die „Erhaltung der Lebensfähigkeit der Länder" bedrohten, die der zweite Satz des Artikels 8 der Reichsverfassung unter Schutz stellte. Von besonderer Art war die Haltung Preußens, die eine Vorgeschichte hat. Das einstige gemeinschaftliche Bestreben von Reich und Ländern, eine Reichsreform programmatisch zu entwickeln und herbeizuführen, hatte nach langwierigen Arbeiten des von der Länderkonferenz im Januar 1928 eingesetzten Verfassungsausschusses am 21. Juni 1930 zu einer sehr theoretischen „differenzierten Gesamtlösung" geführt und damit sein
487
Besson, Württemberg, S. 166.
488
1 0. Oktober 1930, in vollem Wortlaut abgedruckt bei Besson, a. a. O., S. 3 7 9 - 3 8 2 .
Abschriften gleichzeitig an den bayerischen Ministerpräsidenten ( B G e h S t A M , MA/103 248), an den Staatspräsidenten des Landes Baden und den hessischen Finanzminister. 489
a. a. O., S. 166, Anm. 4.
4W
Abschrift des Schreibens von Staatspräsident Schmitt an Brüning v o m 1 1 . Oktober;
B G e h S t A M , MA/103 248. Dort auch weitere Vorgänge.
Der Weg \ur ersten großen
Notverordnung
189
Ende gefunden. 491 Die strikte Opposition Bayerns und die, aus anderen Gründen, distanzierte, im Grunde ebenfalls ablehnende Haltung Preußens 492 — neben der einiger anderer Länder, Mecklenburg-Schwerin, Hessen und Thüringen, — waren deutlich zutage getreten. Man hatte in langen Beratungen, die sich über die Amtszeiten mehrerer Regierungen erstreckten, das anfängliche Kernstück, eine Neugestaltung des Finanzausgleichs, zugunsten einer schlichten Neu- und Aufgliederungslösung des Reichsgebietes zurückgestellt, praktisch aufgegeben. Dieser Umstand war keineswegs geeignet, die durch eine Reichsreform der „differenzierten Gesamtlösung" vorgesehene Scheidung zwischen Ländern alter und „neuer Art", deren Verwaltungen größtenteils vom Reich übernommen werden sollten, zu legitimieren oder auch nur auf längere Sicht plausibel erscheinen zu lassen. Von der DDP abgesehen, blieb die Haltung der Parteien reserviert. Der preußische Ministerpräsident hielt jedoch hintergründig an dem Ziel einer „Reichsreform auf dem Weg über die preußische Hegemonie" 493 fest. Dem folgte auch der von ihm und Finanzminister HöpkerAschoff 1927 nach Preußen berufene und zum Stellvertretenden Bevollmächtigten Preußens zum Reichsrat im Hauptamt — faktisch zum ständigen Vertreter im Reichsrat — ernannte Ministerialdirektor Brecht, der auf preußischer Seite zum treibenden Kopf in der Reichsreformfrage wurde. Wer hier wen beeindruckte und beeinflußte, mag offene Frage bleiben, die lediglich das Bild der Persönlichkeiten, kaum die Sache selbst
491
Voller Wortlaut in: Verfassungsausschuß der Länderkonferenz, Niederschrift über
die Verhandlungen v o m 21. Juni 1930 und Beschlüsse des Verfassungsausschusses über: 1. die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Reich und Ländern, 2. Organisation der Länder und den Einfluß der Länder auf das Reich, Berlin 1930, S. 58 ff.; hierzu Schulz, Demokratie, S. 592—600, auch zum Folgenden. 492
In der euphemistisch gefärbten Darstellung von Brecht, Kraft, S. 79 ff., wird die
Stimme Preußens bei der — noch keineswegs entscheidenden — Abstimmung unter den 20 Mitgliedern des Verfassungsausschusses als positiv vermerkt. Für Preußen war in Vertretung v o n Severing der Landeshauptmann der Rheinprovinz Horion erschienen, dessen Entscheidung
— ohne Weisung — kaum als verbindlich gelten konnte. Der
angesehene Verwaltungsfachmann und Reformbefürworter Horion verfügte nicht einmal im Zentrum über eine unumstrittene Stellung, schon gar nicht in bezug auf das Staatsministerium. 493
S o Schulze, Braun, S. 691, dessen Darstellung die Probleme der „differenzierten
Gesamtlösung" in ihrer Vorgeschichte und Bewertung auffallend undifferenziert behandelt. G e w i ß fand Braun in dieser Hinsicht in Brüning einen Gegenspieler, aber wichtiger — und historisch problematischer, keineswegs geklärt — erscheinen Absichten und Vorstellungen Brauns.
190
I. Die Regierung Brüning 1930
berührt. Brecht wurde zum „bestorientierten Sachverständigen" 494 in den Fragen der Beziehungen Preußens zum Reich; Braun und Brecht benutzten die Beschlüsse des Verfassungsausschusses wie eine Art taktischer Reserve, die sie in kritischen Momenten einzusetzen versuchten. Im Einverständnis mit dem Ministerpräsidenten und in Verbindung zu dem sächsischen Ministerialdirektor Poetzsch-Heffter wurden der Öffentlichkeit nacheinander zwei Gesetzentwürfe unterbreitet, die sich zwar nicht unwesentlich voneinander unterschieden, aber auf diese Weise den Rahmen bezeichneten, in dem die Beschlüsse des Verfassungsausschusses durchgeführt, aber auch als interpretationsfahig angesehen werden konnten. 495 Mit einiger Unruhe vermerkte man in München sowohl die Tatsache der Veröffentlichung als auch einige Eigenheiten des Brechtschen Entwurfs. „Entgegen den ursprünglichen Pressemeldungen eine private Arbeit Brechts", kommentierte ihn Ministerpräsident Held, dem ein Duplikat noch vor der Veröffentlichung zuging. „Er ist aber insofern von Bedeutung, als er vom Vertreter Preußens auf der Länderkonferenz stammt und dem Reichsministerium des Innern als Material zur Förderung der alsbaldigen gesetzgeberischen Inangriffnahme der Reichsreform übermittelt worden ist." 496 Das Urteil war nicht unangemessen. Was Brecht tat, tat er in vollem, wenn meist auch stillem Einverständnis mit dem preußischen Ministerpräsidenten. 497 In einem vertraulichen Bericht für das Preußische Staatsministerium hatte er besonderen Wert auf seine Interpretation der Beschlüsse des Verfassungsausschusses gelegt, „die überverfassungsmäßige Sicherung der süddeutschen Länder", wie er es nannte, abgelehnt und „die Ausdehnung der Grundsatzgesetzgebung des Reichs auf den Verwaltungsaufbau auch der süddeutschen Länder und Gemeinden" als beschlossene Sache hingestellt. Denn „die Ministerpräsidenten" einiger betroffener Länder, „von Sachsen, Württemberg und Baden" — gemeint waren die Staatspräsidenten der beiden letzten und 4,4
Theodor Eschenburg, Arnold Brecht, in: K u r t G. A . Jeserich, Helmut Neuhaus
(Hrsg.), Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1 6 4 8 - 1 9 4 5 , Stuttgart/Berlin/Köln 1 9 9 1 , S. 399. 495
Brechts Entwurf in: Reich und Länder, 4 (1930), S. 135 — 140; der v o n Poetzsch-
Heffter a. a. O., S. 224—229. Die Annahme von Schulze, Braun, S. 692, daß das Thema der Reichsreform nach den Beschlüssen v o m 21. Juni 1 9 3 0 „wie über Nacht" f ü r „ein gutes Jahr" verschwand, ist unrichtig. 496
Von Held gezeichneter Orig.-Durchschl. einer „Vormerkung" vom 29. September
1930; B G e h S t A M , MA/103 300. 497
Braun, Weimar, S. 359.
Der Weg %ur ersten großen
Notverordnung
191
Poetzsch-Heffter als Vertreter des ersten —, hätten bereits durch ihre Zustimmung zu den Beschlüssen des Verfassungsausschusses „theoretisch" den Reichsrat in die Lage versetzt, „mit derselben Zweidrittelmehrheit, die jetzt erforderlich und genügend ist, zu irgendeinem späteren Zeitpunkt die Rechte der alten Länder" zu mindern. 498 Doch dies galt bestenfalls eben „theoretisch" und nur für den Reichsrat, der auch anders entscheiden konnte, wenn er befragt wurde. Über die parlamentarischen Voraussetzungen für die Annahme eines verfassungsändernden Gesetzeswerkes, die einer Zweidrittelmehrheit bedurfte, äußerte sich Brecht damals wie auch später nicht. Er kann nur auf eine Konstellation gesetzt haben, wie sie Brüning in seinem Vorhaben eines „Ermächtigungsgesetzes" vorschwebte. 499 Andernfalls blieb nur der Weg der Notverordnungen — auch verfassungsändernden Charakters —, den die Regierung Brüning zwar tatsächlich beschritt, allerdings nicht nach den Beschlüssen des Verfassungsausschusses und mit dem Ziel der von ihm empfohlenen Reichsreform. Brecht empfahl aber, im Sinne der Reichsreform auf die Reichsregierung einzuwirken und ihr Material für eine Gesetzgebung an die Hand zu geben, das er selbst erarbeitete und in den nächsten Monaten — im Einvernehmen mit Poetzsch-Heffter — bis zu einem Gesetzentwurf entwickelte. 500 Die preußische Regierung hielt sich nach außen hin von dem Odium eines auf Notverordnungen beruhenden Regierungssystems frei, obgleich sie sich bislang durch eine auffallend geringe Scheu vor dem Erlaß von Notverordnungen mit Gesetzeskraft ausgezeichnet hatte; „sogar die Zeit der Großen Koalition in Preußen, die Zeit der stabilsten Mehrheitsverhältnisse im Landtag, war zugleich die Zeit ausufernder Notverordnungspraxis". 501 Diese Zurückhaltung gegenüber den Parteien der linken Mitte in taktisch vorteilhafter Position entsprach der Empfehlung Brechts an das Preußische Staatsministerium, „daß die Staatsregierung vorläufig weiter davon absieht, zu den Beschlüssen des Verfassungsausschusses amtlich Stellung zu nehmen; daß sie vielmehr abwartet, ob und in welcher Form die Reichsregierung Vorschläge macht, indem die Staatsregierung den Standpunkt einnimmt, daß hier eine Initiative zu ergreifen ... zuerst Sache des Reiches ist; daß sie, wenn das Reich Vorschläge macht, die im Norden von den Ergebnissen des Verfassungs498 4W 500 501
Wiedergegeben von Brecht, Kraft, S. 86 ff. Brüning, Memoiren, S. 192, 206, 209 f. Brecht, Kraft, S. 92. Möller, Parlamentarismus, S. 431.
192
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Brüning
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ausschusses ausgehen [der das "Aufgehen,, Preußens und der norddeutschen Länder "im Reich,, und die Zusammenlegung ihrer Obersten Landesbehörden mit den entsprechenden Obersten Reichsbehörden beschlossen hatte], diese Vorschläge nicht summarisch zurückweist...", 502 sondern als Verhandlungsobjekte akzeptiert. Im Rahmen dieser Empfehlung behielten Brechts Entwürfe nach außen hin den Charakter von Privatarbeiten; doch sie verfolgten den im stillen vereinbarten Zweck, Initiativen des Reiches zu stimulieren und durch Materialvorlagen zu fördern. Das erkannte die Regierung in München ganz richtig: „Wenn auch im gegenwärtigen Zeitpunkt an eine gesetzgeberische Verwirklichung der Reichsreform oder auch nur an gesetzgeberische Vorbereitungsarbeiten der Reichsregierung nicht zu denken ist, so bietet der Brechtsche Entwurf doch nach mehr als einer Richtung interessanten und wichtigen Einblick in die Absichten der Berliner Bürokratie und besonders Preußens." 503 Besorgnis erregte das Fehlen jeglicher Vorbehalte gegen eine Gefährdung der „Selbständigkeit der Länder", die im Verfassungsausschuß geltend gemacht worden waren, vor allem aber, daß die Unterscheidung zwischen Ländern alter und „neuer Art" nun „in die Übergangsbestimmungen gedrängt" war und die „sogenannte differenzierte Gesamtlösung" als „Zwischenlösung" — nicht als „Endlösung" — auf dem Wege einer künftigen Reichsreform abgestempelt schien. In München wurde man hellhörig und in Anbetracht der engen Zusammenarbeit zwischen den „in Berlin weilenden unitarischen Mitgliedern und Mitarbeitern der Länderkonferenz sowie der Leitung des Lutherbundes" 504 — des „Bundes zur Erneuerung des Reiches" — Berliner Instanzen gegenüber mißtrauisch. Bei der Vorbereitung und dem Erlaß der umfang- und inhaltsreich gedachten nächsten Notverordnung war daher mit bayerischem Widerstand zu rechnen. Gewerkschaftliche
Kritik am Wirtschaftsprogramm. Reparationspolitik wird gefordert
Revision der
Aus der größten Gewerkschaftsorganisation ließen sich unterdessen scharfe Kritik an der Finanzpolitik früherer Reichsregierungen, an der Reichsbank unter Schacht und einige maßvolle Aussetzungen an den 502
Brecht, K r a f t , S. 91.
503
„Vormerkung" v o m 29. September; s. oben Anm. 496.
504
Ebda.
Der Weg %ur ersten großen
Notverordnung
193
Vorhaben der Regierung Brüning vernehmen. Sie drängte auf weitergehende Zielsetzungen. Vor dem Bundesausschuß des ADGB bemängelte Theodor Leipart in einer großen Rede die Politik der Lohnsenkung, die die Regierung verfolgte, empfahl eine „gesetzliche Kontrolle der Kartelle und Bekämpfung aller überhöhten Preise" — was in der Sache schon in die Richtung eines gesetzlichen Preisstopps wies —, die Senkung der Agrarzölle, ein „mehrjähriges Wohnungsbauprogramm", die Beibehaltung der bestehenden Arbeitslosenversicherung und die Ausweitung der Krisenfürsorge sowie die gesetzliche Festlegung der 40-Stunden-Woche. Die Arbeitszeitverkürzung als „eine Art Selbstversicherung der Arbeiterschaft gegen weitere Entlassungen und ... Akt der Solidarität gegenüber den Arbeitslosen" wurde bereits in der Diskussion dieser Wochen als probates Mittel zur Arbeitsbeschaffung betrachtet, für die eine „Verkürzung der Wochenlöhne" hingenommen, die Höhe der Stundenlöhne indessen entschieden verteidigt wurde. Die Rede Leiparts wie die Entschließung des Bundesausschusses wiesen aber auch in die Richtung einer Revision der Reparationsverpflichtungen nach dem Young-Plan. Die Gewerkschaften hätten „niemals einen Zweifel darüber gelassen, daß das Ziel der deutschen Politik die Revision der Reparationsabkommen und die Wiederherstellung der vollen Souveränität des deutschen Volkes sein muß. Es steht fest, daß die Milliarden, die Deutschland an seine Gläubiger zu zahlen hat, nicht nur eine der Ursachen der ungeheuren Arbeitslosigkeit in Deutschland, sondern auch der Störungen in der Weltwirtschaft sind. Deshalb ist es ein Gebot wirtschaftlicher und staatsmännischer Einsicht, diese Hemmungen einer gesunden weltwirtschaftlichen Entwicklung auszuschalten." 505 Das waren nicht neue, aber in dieser Entschiedenheit unüberhörbare Töne. Die aufgeworfene Reparationsfrage erzeugte sogleich breite Unterstützung durch eine weite Revisionsfront, so daß die Reichsregierung hierin die erste Voraussetzung für einen erreichbaren Konsens erblicken konnte. Unter dem Eindruck der Stimmung, die im Kreise um den Reichskanzler nach dem Wahlergebnis des 14. September herrschte, hatte Staatssekretär v. Bülow schon am 15. in einem Brief an den in Genf weilenden Reichsaußenminister — „sofort, ohne Wissen des Reichskanzlers" — die neue außenpolitische Gangart und die Richtung auf eine Revision der
505
Abgedruckt in: Schulz, Politik, 1, S. 4 1 7 f.; das gesamte Protokoll der Sitzung des
Bundesausschusses am 12. u. 13. Oktober jetzt in: Die Gewerkschaften in der Endphase der Republik 1 9 3 0 — 1 9 3 3 , bearb. von Peter Jahn unter Mitarbeit von Detlev Brunner, K ö l n 1988, S. 1 3 8 - 1 7 0 , hierzu bes. S. 1 4 9 f .
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/. Die Regierung Brüning 1930
Reparationspolitik bezeichnet — in der Überzeugung, „sich auf den Standpunkt zu stellen, den wir alle vermutlich in acht bis zehn Tagen einnehmen werden". 506 Bülow erkannte, daß in der Regierung das Gefühl vorherrschte, „es müsse etwas geschehen, ganz gleich was", und daß sich eine Chance für die Revision der Reparationsverpflichtungen bot. Der erste Versuch von Curtius, in einer Unterredung mit seinem französischen Amtskollegen Briand am 19. September, einen Kausalnexus zwischen dem Wahlergebnis und „dem durch den Young-Plan geschaffenen psychologischen und wirtschaftlich-sozialen Druck" auf die Regierung anzudeuten, wurde allerdings von seinem Gesprächspartner mit der Bemerkung abgewehrt, daß man nicht daran denken könne, in eine Revision des Young-Plans einzutreten, der erst wenige Monate zuvor durch das Haager Abkommen angenommen worden und nachdem eben im Zusammenhang hiermit die Rheinlandräumung erfolgt war. Frankreich habe die von ihm übernommenen Verpflichtungen erfüllt. 507 Der Reichsaußenminister zögerte daher, sich auf eine Revision der Reparationsbestimmungen festzulegen, die Leipart jetzt als „eines der brennendsten weltpolitischen Probleme" bezeichnete, in der Befürchtung, daß bei schrumpfendem Weltmarkt und Exportvolumen die Erfüllung des Young-Plans zu einem „Abbau der sozialen Errungenschaften"508 führen werde. So-
506 Brief Bülows an Curtius, 16. September; Schulz, Politik, 1, S. 383 ff. Dem war ein Telegramm des Staatssekretärs vorausgegangen, in dem er Curtius den Inhalt eines Vorschlags drahtete, den der Zentrumsvorsitzende Kaas dem Reichsaußenminister nach einer Unterredung mit Brüning in Genf mitteilen sollte: „... Erinnern an Wirths Wort: erst Brot, dann Reparationen ... Die deutsche Regierung sei nach wie vor entschlossen, in Zusammenarbeit mit anderen Ländern am Wiederaufbau Europas mitzuarbeiten ..."; doch dies müsse „auf der Basis wirklicher Gleichberechtigung und Freiheit geschehen". PAAAB, Büro Reichsminister, 18/21. 507 Mitteilung Bülows an Schäffer, 27. September; Schulz, Politik, 1, S. 400; zuvor Curtius an Bülow, 19. September; PAAAB, Büro Reichsminister, 18/22. Die vorher schon von Treviranus und dann, vorsichtiger, vom Auswärtigen Amt vorgeschlagene Linie einer Revisionspolitik, die Winfried Glashagen, Die Reparationspolitik Heinrich Brünings 1930— 1931. Studien zum wirtschafts- und außenpolitischen Entscheidungsprozeß in der Auflösungsphase der Weimarer Republik, phil. Diss. Bonn 1980 (Maschschr.), I. Bd., S. 99, hervorhebt, fand, wie der Autor selbst erkennt, nicht die Zustimmung Brünings und des Reichskabinetts.
Leipart am 12. Oktober; s. oben Anm. 505. Ob diese Ausführungen Leiparts, wie Heinrich A. Winkler, Katastrophe, S. 227, vermutet, auf Anregungen Franz Josef Furtwänglers, des Auslandssekretärs im Vorstand des ADGB, zurückgingen, bleibt dahingestellt. Wesentlich ist, daß sie im Bundesausschuß überwiegend Zustimmung und keinen akzentuierten Widerspruch fanden. Das galt keineswegs für die Idee der Arbeitszeitverkürzung, der der Wirtschaftstheoretiker Fritz Tarnow mit dezidierter Begründung, haupt508
Der Weg %ur ersten großen
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Notverordnung
lange eine größere Auslandsanleihe benötigt wurde, um den Reichshaushalt zum Ausgleich zu bringen, behaupteten ohnehin Einsparungs- und Erfüllungsgrundsatz Vorrang vor dem Revisionsgedanken. Doch bald traten auch Führer der Christlich-nationalen Landvolk- und Bauernpartei der sich verbreiternden Front unter den Reichstagsparteien bei, die auf verschiedenen Wegen eine Beseitigung der aus dem YoungPlan resultierenden Reparationszahlungen und eine Revision aller auf der „Kriegsschuldlüge" aufbauenden Verpflichtungen verlangte. Der erste Antrag hierzu, den im neuen Reichstag die Kommunisten einbrachten, die sich weder von den Gewerkschaften in den Schatten stellen noch von der Rechten die parlamentarische Initiative nehmen lassen wollten, wurde an den Auswärtigen Ausschuß überwiesen. 509 Ihm folgten ähnliche Anträge anderer Parteien, die am 20. und am 29. Oktober im Ausschuß erörtert, aber am Ende mit wachsenden Mehrheiten abgelehnt wurden, nachdem der Reichskanzler den Parteiführern die Zurückziehung nahegelegt hatte. Dietrich und Curtius bezeichneten den Zeitpunkt für die Einleitung einer Revisionspolitik mit gründlichen Argumenten als ungeeignet. 510 Die Kommunisten versuchten, die nationalistischen Parolen der Rechten zu übertrumpfen, indem sie sich auf das Vorbild der Sowjetunion beriefen und deren Unterstützung „bei der Abwerfung der Tributlasten" forderten, aber auch neue Töne in ihrer Rhetorik anschlugen: „Hätten sie einmal erst die Macht in der Hand, so würden sie das größte Heer, die größte Marine und die größte Luftflotte bauen und
sächlich mit Rücksicht auf „Lohnausfall" und Kaufkraftverlust, entgegentrat, womit er sich dem Standort der Reichsregierung annäherte. Vgl. Jahn, Gewerkschaften, S. 155 f. Auch innerhalb der SPD-Führung setzte sich der Widerspruch gegen Leipart nicht durch. Der Kern der Einwände Fritz Naphtalis, in einer Denkschrift, verdient allerdings in mehreren Hinsichten Beachtung. Sie nahm auch spätere Überlegungen Luthers und Brünings vorweg: Ein Aufgreifen der Reparationsfrage und gar ein erreichtes Moratorium der Reparationszahlungen könnten für Gewerkschaften wie Arbeitnehmer höchst ungünstige Folgen haben. Ein Sonderausschuß der BIZ werde die Wirtschaftslage Deutschlands des näheren prüfen und dann feststellen, daß die „Personalausgaben" in Deutschland die der meisten Gläubigerländer überträfen und „daß die nominalen sowie die realen Löhne in Deutschland durchschnittlich wesentlich höher sind als in Frankreich, Belgien und Italien. Man muß infolgedessen mit der Gefahr rechnen, daß nicht nur der Abbau der Beamtengehälter, sondern auch ein weitgehender Lohnabbau die Voraussetzung für die Revision des Young-Planes darstellen werden." Heinrich A . Winkler, a. a. O., S. 228. Zum Grundsätzlichen Schulz, Vorabend, S. 73 ff. 509
StenBer V h RT, Bd. 444, S. 202 ff.
5,0
Bericht
S. 4 4 6 - 456.
des
badischen
Gesandten
Honold,
29. Oktober;
Schulz,
Politik,
1,
196
I. Die Regierung Brüning 1930
dann den Young-Plan und den Vertrag von Versailles und was alles daneben noch bestehe, in den Papierkorb werfen." 5 1 1 Demgegenüber gab sich der Sprecher der NSDAP, Graf Reventlow, v o n dem bekannt war, daß er über außenpolitische Überlegungen hinausgehende „nationalbolschewistische" Hoffnungen in ein Zusammengehen mit der Sowjetunion setzte, 512 diplomatisch und gemäßigt, 5 1 3 was auf der sozialdemokratischen Seite Rudolf Hilferding anerkannte und Eduard David zu längeren Ausführungen über die Bekämpfung der „Kriegsschuldlüge" gerade durch die Sozialdemokraten und durch ihn schon seit 1 9 1 5 veranlaßte. 5 1 4
Heinz Neumann; Bericht Honolds, a. a. O., S. 453. Ernst Graf zu Reventlow, ein schon in der Vorkriegszeit verabschiedeter Marineoffizier, war durch seine Kritik am Kaiser in einem Buch unter dem zum Schlagwort entwickelten Titel, Kaiser Wilhelm II. und die Byzantiner, München 1906, weithin bekannt geworden und hatte nacheinander in verschiedenen Parteien eine Gastrolle gegeben, auch in der SPD und im Kreis um Friedrich Naumann. Seit 1920 gab er eine völkische, kommunistische und prorussische Tendenzen aufgreifende Wochenzeitung Der Reichswart heraus. Daneben bemühte er sich um eine deutschvölkische Richtung im Protestantismus, die später in die Glaubensbewegung Deutscher Christen mündete. Von 1924 bis zu seinem Tode (1943) war er Reichstagsabgeordneter der NSDAP. 513 Bericht Honold; a. a. O., S. 448. 514 Das Schuldreferat des Auswärtigen Amtes förderte und subventionierte, mit mäßigen Honoraren, seit längerem Publikationen und wissenschaftliche Arbeiten zur Widerlegung der „Kriegsschuldlüge". Von Bedeutung waren die Zentralstelle zur Erforschung der Kriegsursachen unter der Leitung des Majors a.D. Wegerer, der Arbeitsausschuß Deutscher Verbände unter dem Vorsitzenden Gouverneur a.D. Schnee und Geschäftsführer Draeger, außerdem Autoren wie Maximilian v. Hagen, Berthold Widmann, Hermann Lutz, Gesandter z.D. Herbert v. Hindenburg, Oberst a.D. Bernhard Schwertfeger, Paul Seelhoff, Werner Frauendienst, Wilhelm Schaer, Hauptmann a.D. Richard Förster, Kurt Pieper, der russische Schriftsteller Wladimir v. Korostowetz, Joseph Chapiro und die Zeitschrift Evolution in Paris sowie einige Verlage und Vereinigungen, die Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, der Verlag Carl Reissner, Dresden, der Brückenverlag und die Deutsche Gesellschaft zum Studium Osteuropas. Hans Draegers Ansehen und Bemühungen galten als besonders wichtig. Ihm war es „nicht zum kleinsten Teil zu verdanken, wenn z. B. die SPD heute mit an der Beseitigung der Kriegsschuldlüge arbeitet". Aufzeichnung des Ministerialdirektors im Auswärtigen Amt de Haas, 28. Oktober 1930; ADAP, B, XVI, S. 5 7 - 6 2 . Diesen Bemühungen schien das bedeutende Gutachten, das der Freiburger und nachmalige Kieler Strafrechtler Hermann Kantorowicz 1927 dem I. Unterausschuß des Untersuchungsausschusses der Nationalversammlung und des Deutschen Reichstags für die Schuldfragen des Weltkriegs, auf Anregung des Sekretärs Eugen Fischer (-Baling), erstattete, entgegenzuwirken, so daß das Auswärtige Amt schon unter Stresemann sich zur Gegenwehr entschloß und sich der Veröffentlichung versagte. Vgl. Hermann Kantorowicz, Gutachten zur Kriegsschuldfrage 1914, aus dem Nachlaß hrsg. u. eingeleitet von Immanuel Geiss, Frankfurt a.M. 1967. Von der endgültigen Aufklärung blieben beide, mit verschiedenen Methoden arbeitende Seiten noch weit entfernt. 511
512
Der Weg %ur ersten großen Notverordnung
197
Der Kommunist Neumann konstatierte „eine einheitliche Linie von Reventlow bis zu Breitscheid", die natürlich nicht existierte. Die von den Abgeordneten der Landvolkpartei — neben der D N V P — kritisierte Konzeption der Reichsregierung, im voraus „die deutschen Finanzen in Ordnung zu bringen", um dann erst die Schutzmöglichkeiten des Young-Planes in Anspruch zu nehmen, verteidigte der Reichsaußenminister mit dem Ergebnis seiner Sondierungen, die sowohl die strikte Ablehnung einer Revision des Young-Plans als auch ungünstige Wirkungen eines deutschen Moratoriumsantrags ergeben hatten. 515 Curtius' Ankündigung, „die Revisionsstimmung im Auslande werde über die Wirtschaft kommen, und da könne man heute fast mit Bestimmtheit sagen, daß die Verhältnisse sich in nächster Zeit überstürzen werden und zu einer Konferenz aller beteiligten Länder führen müssen", lenkte aber doch schon auf die veränderte Bedeutung hin, die der Reparationsproblematik in naher Zukunft zuwachsen konnte. Dietrich ging noch etwas weiter, indem er die Ansicht seines Ministeriums vertrat, daß ein Zahlungsmoratorium nach dem Young-Plan, das nicht erreichbar sei, auch gar nicht den deutschen Interessen entspräche, da es nur aufschiebende Wirkung besäße. „Der Stoß, der von Deutschland kommen müsse, sollte sich auf eine Änderung der bestehenden Verträge von Grund auf richten." Das war kaum etwas anderes, als zu diesem Zeitpunkt die Sprecher der Nationalsozialisten forderten. Doch Dietrich fügte hinzu: „Weltwirtschaftliche Gesichtspunkte müßten dabei in den Vordergrund gestellt werden." Er deutete bereits die Hoffnung an, daß sich aus einer Verschlechterung der weltwirtschaftlichen Gesamtsituation eine Besserung der Aussichten für eine Revisionspolitik ergeben könnte. Doch von deutscher Seite selbst sollte vorerst nichts geschehen. Dietrich befürchtete nicht zu Unrecht einen Abzug ausländischer Kredite mit denkbar katastrophalen Folgen. Eine Politik fortgesetzter Einsparung und Drosselung öffentlicher Ausgaben war mithin in dieser Phase der Entwicklung sowohl unter dem Gesichtspunkt einer Reduzierung der Abhängigkeiten von ausländischen Kreditgebern als auch hinsichtlich unvermittelter Reaktionen gewiß geboten — zumindest solange sich die Reichsregierung
5,5
Vgl. hierzu Schulz, Politik, 1, S. 400 f., sowie die beiden Berichte des Botschafters
in Paris, v. Hoesch, v o m 25. Oktober, ein weiterer v o m 1. November, Bericht des Botschaftsrates Graf Bernstorff aus London v o m 27. Oktober, und eine Aufzeichnung v o n Curtius über ein Gespräch mit dem britischen Botschafter in Berlin v o m 11. Dezember; ADAP, B, X V I , S. 4 5 - 5 0 , 55ff., 77ff., 254, 258.
198
I. Die Regierung
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außerstande sah, das in beträchtlichem Umfange im Ausland günstigeren Bedingungen zustrebende vagierende deutsche Kapital 5 1 6 zu binden und in die deutsche Wirtschaft zurückzuleiten. So bestand zu diesem Zeitpunkt in der Tat eine gewisse „Zwangslage" der Reichsfinanzpolitik, in der sie Handlungsspielraum lediglich im Sinne einer fortschreitenden Restriktion der Ausgaben besaß. 517 Reichsbankpräsident Luther bemühte sich einerseits um eine Konvertierung kurzfristiger Auslandskredite der Kommunen wie der Wirtschaft in lang- bzw. mittelfristige bei amerikanischen Banken, worin er nicht sonderlich erfolgreich war; 5 1 8 anderseits bestand er auf Erfüllung der Reparationsverpflichtungen — jedoch unter Hervorhebung der Mitverantwortung der Gläubigerstaaten. „Wir müssen eine Erfüllungsoffensive eröffnen, wenn man dieses Wort natürlich nach außen auch nicht gebrauchen kann." Luther „mißbilligte stark die entgegengesetzten Tendenzen, die eine Betonung des Nichterfüllens [mit unabsehbaren Konsequenzen] als Patriotismus ansehen", vermerkte Staatssekretär Schäffer. 5 1 9
516 Dietrich vermutete Fluchtkapital von etwa 10 Milliarden RM im Ausland; Schulz, Politik, 1, S. 451. Vgl. Dietmar Keese, Die volkswirtschaftlichen Gesamtgrößen für das Deutsche Reich in den Jahren 1925 — 1936, in: Werner Conze, Hans Raupach (Hrsg.), Die Staats- und Wirtschaftskrise des Deutschen Reichs 1929/33, Stuttgart 1967, S. 50 ff. 5,7 An dieser Stelle und für diesen Zeitpunkt kann das Hauptargument von Borchardt, Zwangslagen, nur bestätigt werden, wieder abgedruckt in: ders., Wachstum, Krisen, Handlungsspielräume der Wirtschaftspolitik. Studien zur Wirtschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 1982, S. 1 6 5 - 1 8 2 . 518 Um der Kontrolle durch die Beratungsstelle für Auslandsanleihen zu entgehen, waren einige Städte dazu übergegangen, sich kurzfristige Anleihen zu verschaffen, die sie alsdann in langfristige zu konvertieren versuchten. Der Gedanke war nicht neu. Vgl. William C. McNeil, American Money and the Weimar Republic. Economics and Politics on the Eve of the Great Depression, New York 1986, S. 242 ff. 5,9 Vermerk Schäffers vom 6. November; Schulz, Politik, 1, S. 461; Orig. IfZ, Nachl. Schäffer/29, mit handschriftl. Unterstreichung. Im gleichen Sinne äußerte wenig später der Leiter der Wirtschaftspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, Ministerialdirektor Ritter, „daß die Revisionsfrage nicht vor 1932 ernstlich angeschnitten werden könne, da vor den amerikanischen Wahlen eine Änderung der Einstellung der amerikanischen Regierung in der Kriegsschuldenfrage nicht zu erwarten sei". Niederschrift über eine Besprechung des interministeriellen Reparationsausschusses der Reichsregierung vom 15. November; a. a. O., S. 466.
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Bemühungen um eine Mehrheit im Reichstag Das Wirtschafts- und Finanzprogramm der Regierung wies allen politisch bedeutsamen Gruppen eine Richtung. Koalitionsverhandlungen aus den Parteien heraus fanden nicht mehr statt. Insofern war dies die Stunde des Kanzlers, in der er sich um die Parteiführer sowohl der Sozialdemokratie als auch der Rechten bemühte, die er zu einer Mehrheitsbildung im Reichstag benötigte. Die schwerindustrielle Spitze in der Ruhrlade versuchte, dies zu unterstützen und entschied „einstimmig", sich für einen „Zusammenschluß der zersplitterten Rechtsparteien einschließlich Hugenberg und ausschließlich Staatspartei" einzusetzen, um auf diese Weise einen „Block von etwa 110 Abgeordneten" zu schaffen.520 Die Staatspartei hatte sich selbst ausgeschlossen — durch ihr schlechtes Abschneiden bei der Reichstagswahl, in der ihr noch 20 Mandate blieben, ehe sich schon am 7. Oktober die sechs Abgeordneten aus dem Jungdeutschen Orden unter ihrem „Ordensmeister" Mahraun wieder von ihr trennten. 521 Die teils hiermit verbundenen, teils folgenden Auseinandersetzungen offenbarten tiefe, anhaltende Gegensätze innerhalb der Führung dieser klein gewordenen Partei. 522 Sie kam für die Reichsregierung allenfalls noch als Zünglein an der Waage in Betracht. Nach der Niederlegung des Parteivorsitzes durch Koch-Weser523 übernahm Dietrich die Führung des Restes von dem, was von der Demokratischen Partei übriggeblieben war. Nach Anbahnung eines „Blocks" der Rechten wollte die Ruhrlade mit Zentrum und Bayerischer Volkspartei verhandeln, um dann „schließlich
520 Bericht Haniels an Reusch v o m 16. Oktober über eine Sitzung der Ruhrlade am Vortage; a. a. O., S. 4 1 9 ff. Die Zahl der Abgeordneten der D V P (30), der Wirtschaftspartei (23), des C S V D (14), der Volkskonservativen (4) und der D N V P (41) belief sich insgesamt auf 112. 521 Hierzu Rundschreiben Mahrauns v o m 3. Oktober, mit der bezeichnenden Zwischenüberschrift „Können w i r die Staatspartei erobern?" und der Antwort, daß dies „keinen Sinn" mehr hätte; a. a. O., S. 403 ff. Stephan, Aufstieg, S. 473 ff. 522 Vor allem Sitzungsprotokolle des Parteivorstandes v o m 29. September und 16. Oktober, in: Albertin, Linksliberalismus, S. 5 8 1 — 6 1 2 . Teilweise in sich widersprüchliche Stellungnahmen Koch-Wesers, vor allem im zweiten Protokoll. 5 2 i A m 8. Oktober, bekanntgegeben am 10.; a. a. O., S. 597, A n m . 1; auch Stephan, Aufstieg, S. 473 f. Dem folgte im November der nicht ganz freiwillige Verzicht auf ein Reichstagsmandat. Hierzu der Schriftwechsel Koch — Scheidemantel und Oscar Meyer — Koch; Schulz, Politik, 1, S. 4 0 8 — 4 1 3 . Auch andere prominente und einflußreiche Mitglieder waren ausgeschieden: Reichswehrminister Otto Geßler (1926), Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht und Theodor Wolff (1927), Erkelenz und Willy Hellpach (1930).
200
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mit der nationalsozialistischen Partei die Fühlung aufzunehmen", die man aus Gründen der Mehrheitsbildung glaubte nicht mehr auslassen zu können. Zunächst sollte sich Albert Vogler an Hugenberg wenden, 524 um die erste Voraussetzung dieses sehr theoretischen Systems konzentrischer Kreise um einen fester gefügten Parteienblock zu prüfen: die Ermöglichung des „Blockes" selbst. Im Vordergrund der wirtschaftspolitischen Interessen standen für diese Gruppe der Großindustriellen Außenhandels- und Absatzwünsche, so Preissenkungen für Lebensmittel (denen die bisher verfolgte Agrarpolitik widerstand), um Lohnkürzungen zu ermöglichen, denen dann eine Senkung des Eisenpreises folgen sollte, die in Anbetracht eines belgischen Dumpings als dringlich erachtet wurde. Einer für den Inlandsmarkt bedeutsamen Kohlepreissenkung, die das Reichswirtschaftsministerium verlangte, sollten lohnpolitische Vorgaben und Garantien vorausgehen. Silverberg sprach sich aus politischen Gründen, um Brüning zu stützen, für eine unverzügliche Kohlepreissenkung aus. Auf Staatssekretär Trendelenburgs Drängen und auf Klöckners Votum hin gab die ganze Kohleseite schließlich nach. Um „der Regierung zu helfen und die Durchführung eines auf allgemeine Preis- und Selbstkostensenkung gerichteten Programms zu erleichtern", erklärte sie sich zu einer Kohlepreissenkung ab 1. Dezember bereit — unter der Voraussetzung, daß zum 1. Januar „eine entsprechende Lohnkostensenkung" folgen werde. 525 Brüning konnte dies in seiner Regierungserklärung am 16. Oktober verwerten; 526 doch die Reichsregierung war nun auf eine Lohnsenkung festgelegt, die sie noch vor Jahresende herbeiführen mußte, ohne daß sie über rechtsverbindliche Handhaben verfügte. Ein Mittel, um zu einem derartigen Ziel zu gelangen, existierte allein in der Verbindlichkeitserklärung des Schiedsspruches von Oeynhausen durch den Reichsarbeitsminister, die jetzt als Verhandlungsmaterie politisch eingesetzt wurde. Allerdings mußte die Kohleseite eingestehen, daß ihre anscheinend harte Position wenig mehr als fauler Zauber war; „denn die Herabsetzung der Preise ist schon längst notwendig. Der Syndikatsvorstand [des Kohlesyndikats] hat ... erklärt, daß er überhaupt nicht mehr wisse, wie er auch nur den Schein aufrechterhalten solle, daß unsere Preise noch bestünden." 527 524
Haniel an Reusch, 16. Oktober; Schulz, Politik, 1, S. 420.
G e o r g Lübsen an Reusch, 16. Oktober; a. a. O., S. 4 2 1 — 4 2 4 . 526 Erklärung im Reichstag, in der Brüning u. a. eine „durchschnittlich sechsprozentige Senkung des Kohlepreises" bekanntgab; StenBer V h RT, Bd. 444, S. 19. 525
527
Schulz, Politik, 1, S. 425.
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Wäre die Reichsregierung über die wirkliche Marktlage unterrichtet und bereit gewesen, der Entwicklung unter dem Einfluß der belgischen und niederländischen Konkurrenz freien Lauf zu lassen, wäre das von ihr gewünschte Ergebnis wahrscheinlich zwanglos, vielleicht gar früher eingetreten. Allerdings hätte der Reichskanzler darauf verzichten müssen, den Eindruck zu erwecken, es handle sich bei der Kohlepreissenkung um eine „politische Maßnahme" seiner Regierung, die auch andere rechtfertige. Diesen schwachen Punkt in der immer noch auf Erfüllung und Auslandskreditfähigkeit bedachten Politik hatte die Kohleseite deutlich genug erkannt, „um die Reichsregierung ... in der Lohnfrage unter Druck zu halten". Die Regierung versuchte, sich in sozialpolitischen Konflikten nach außen wie nach innen den Anschein der Stärke zu geben; doch indem sie Regelungen empfahl und durchdrückte, die mit anderen, geradezu zwangsläufig folgenden Regelungen verbunden waren, begab sie sich auf den abschüssigen Weg, immer umfänglicher a posteriori zu regeln, was sich ereignete und schon ereignet hatte, und eingestandene Zusammenhänge einzubeziehen — die Lohnfrage an die Kohlepreissenkung anzukoppeln und so fort. Auch der nächste Streik, ein Berliner Metallarbeiterstreik, wurde im Oktober durch Eingreifen und Verhandlungen der Regierung beigelegt. Am 23. Oktober empfing der Reichskanzler Brauweiler, Köttgen, v. Borsig und v. Siemens von der Arbeitgeberseite, um eine verbindliche Schiedsregelung anzubahnen, die beide Parteien akzeptierten. Dies gelang am 28., indem man sich auf ein dreiköpfiges Schiedsgericht einigte, das verbindlich entscheiden sollte. Als Mitglieder ernannte die Reichsregierung Oberbürgermeister Jarres, den Arbeitsrechtler Sinzheimer und den früheren Reichsarbeitsminister Brauns, der den Vorsitz übernahm. In der Reichskanzlei bestand schon vorher Klarheit darüber, daß dieses Schiedsgericht den bereits ergangenen Schiedsspruch des Schlichters übernehmen und für verbindlich erklären werde, so daß die beabsichtigte Koordinierung der Lohnsenkung mit der fälligen Preissenkung — wenn auch mit Modifikationen — gelang und der Streik beendet wurde. Mit sofortiger Wirkung wurden die Löhne um drei Prozent, vom 19. Januar 1931 an um acht Prozent gesenkt. „Politisch ist die Regierung aus der Sache heraus ... nun können uns im Reichstag keine politischen Schwierigkeiten gemacht werden ... Ein feiner Streich!" notierte Staatssekretär Pünder. 528 Er dachte wie Brüning nur an die ungeklärte Situation im Reichstag.
528
Pünder, Reichskanzlei, S. 68 f., 72.
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Das unvermittelte Hineingleiten der Reichsregierung über Lohn- und Preisfragen in die Rolle des mit umfassendem Anspruch — gestützt auf den Reichspräsidenten — operierenden pouvoir modérateur im Streit der Tarifparteien beschäftigte den Staatssekretär nicht. Schließlich ließ sich die Reichsregierung — um dies hier vorwegzunehmen — dazu bringen, durch eine sachlich komplizierte Notverordnung, verspätet, am 9. Januar 1931 eine sechsprozentige Lohnsenkung mit Wirkung vom 1. Januar herbeizuführen. 529
Tolerierung durch die SPD Die Sozialdemokraten hatten ihre Wendung schon öffentlich angezeigt und erklärt, ohne erkennbar auf den von Theodor Leipart bezeichneten Kurs der Gewerkschaften einzuschwenken. Am 12. Oktober veröffentlichte der „Vorwärts" aus Anlaß einer großen Kundgebung im Lustgarten einen Aufruf Otto Brauns mit der vielsagenden Ankündigung „einer Politik auch der Unpopularität": „Die deutsche Sozialdemokratie hat heute, nachdem die für den demokratischen Gedanken reifen Kreise des deutschen Bürgertums ... zusammengeschmolzen sind, die historische Aufgabe von gewaltiger Größe, aber auch von opferfordernder Schwere, mit Einsatz aller Kräfte die deutsche Republik vor dem Absturz in faschistische Diktaturzustände zu schützen und inmitten eines in Gärung befindlichen Europa als festen Stützpunkt aller Demokratien auszubauen. Um zu diesem Endzweck zu kommen, müssen wir heute und morgen die Zähne zusammenbeißen..." 530 Das Ziel erschien hoch gesteckt; das Pathos war geläufig. Erste Entschlüsse fielen schon in der bewegten 525
Verordnung des Reichspräsidenten über die Beilegung von Schlichtungsstreitigkeiten
öffentlichen Interesses v o m 9. Januar 1931 (RGBl I, 1931, S. 1), die unmittelbar auf einen Schiedsspruch
für den Ruhrbergbau
angewandt wurde.
Hierzu Kabinettssitzung am
8. Januar 1 9 3 1 ; A R : Brüning, 1, S. 771 — 775. Staatssekretär Trendelenburg bezeichnete dies als ein „nicht vorgesehenes Verfahren". Er bestand darauf, es auf wenige Ausnahmefalle zu beschränken, der Entscheidung des Reichskabinetts vorzubehalten und es nicht einer Ermächtigung des Reichsarbeitsministers zu überlassen. Die hieraus folgende Kontroverse zwischen Trendelenburg und Stegerwald erforderte schließlich eine Entscheidung des abwesenden Reichskanzlers. Sie erfolgte spätabends in einer weiteren Ministerbesprechung während einer Eisenbahnfahrt Brünings von Schneidemühl nach Küstrin zugunsten Trendelenburgs. a. a. O., S. 776. 510
Zit. Heinrich A . Winkler, Katastrophe, S. 221 f.; vgl. auch Rainer Schaefer, S P D in
der Ära Brüning: Tolerierung oder Mobilisierung? Handlungsspielräume und Strategien sozialdemokratischer Politik 1 9 3 0 - 1 9 3 2 , Frankfurt a.M. 1990, S. 65 ff.
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Sitzung des neugewählten Reichstags am 13. Oktober. Die äußeren Umstände begünstigten die Wendung der SPD, forderten sie geradezu heraus. Der preußische Innenminister Waentig (SPD), der keine glückliche Hand bewies und später zur NSDAP übertrat, hatte, wie erwähnt, am 11. Juni 1930 für die Nationalsozialisten ein allgemeines Uniform verbot erlassen, das sich auf eine Bestimmung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 stützte. 531 Doch zur ersten Sitzung des Reichstags erschienen am 13. Oktober die 107 Abgeordneten der NSDAP, die das Recht der Immunität in Anspruch nehmen durften, vollzählig in brauner Uniform, während sich Tausende nationalsozialistischer Demonstranten vor dem Reichstagsgebäude versammelten. Anschließend kam es in nahegelegenen Geschäftszentren zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Sachen und Personen, vor allem gegen Juden, jüdische Cafés und Warenhäuser. „Tausende von Fensterscheiben eingeschlagen ... Viele Verletzte", notierte Goebbels. 532 Für die nächste Verwirrung sorgten die Nationalsozialisten dann bei der Konstituierung des Reichstagspräsidiums. Entgegen dem Brauch, daß die stärkste Fraktion den Reichstagspräsidenten stellte, veranlaßten sie eine Kandidatur des Partei- und Fraktionsführers der DVP, Scholz, was die KPD mit der Aufstellung eines eigenen Kandidaten, ihres Führers Thälmann, beantwortete, so daß der herkömmliche Kandidat der SPD, Paul Lobe, zunächst die absolute Mehrheit verfehlte. Vorübergehend schienen die Parteien, die sich hinter die Regierung stellten, auseinandergetrieben. Die Wirtschaftspartei beschloß plötzlich, den ihr zugehörenden Reichsjustizminister Bredt aus der Regierung zurückzuziehen, in der erklärten Absicht, „den Weg freizumachen für die notwendige Neubildung eines Kabinetts, das, auf Fachleute gestützt, dem Mehrheitswillen des deutschen Volkes in höherem Maße entspricht, als das bei der heutigen Zusammensetzung der Reichsregierung der Fall ist". 533 Das deutete den Wunsch nach Einbeziehung der NSDAP an. Doch die Staatssekretäre Pünder und Meissner fingierten einen persönlichen Appell des Reichspräsidenten an Bredt, der sich diesem, nach Veröffentlichung in der Presse, nicht entzog, so daß das Aufbegehren der kleinen Wirtschaftspartei und ihr Drängen auf eine größere Koalition nach rechts zunächst im Keime erstickt werden konnten. 534 Danach gelangte bei der Stichwahl Lobe mit 269 gegen 209 —
531
Schulz, Staat, S. X X X I f., 87.
5,2
Goebbels, Tagebücher, I, 1, S. 6 1 8 .
533
Drewitz an Brüning, 13. Oktober, in: Schumacher, Bredt, S. 361 f.
534
a. a. O., S. 253, 362 f.; zum Hintergrund Pünder, Reichskanzlei, S. 67.
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bei 77 ungültigen — Stimmen wieder in das Amt des Reichstagspräsidenten; erster Vizepräsident wurde der Nationalsozialist Stöhr. 535 Am folgenden Tage, dem 16. Oktober, gab Brüning die Regierungserklärung ab, 536 die dem zwei Tage vorher in der Reichstagsfraktion des Zentrums von ihm entwickelten Grundgedanken folgte, „die Fehler der Vergangenheit" hervorzuheben, um mit Hilfe des Reichstags „die Wirtschaft über die furchtbare Lage hinüberzuretten". „Diktaturmaßnahmen", um „Schlimmeres zu verhindern" — „Selbsthilfe des Volkes" oder „Zusammenbruch der Wirtschaft" —, könnten nur durch eine parlamentarische Mehrheit vermieden werden. Das Zentrum habe „die Aufgabe, zu verhüten, daß die Macht in die Hände der radikalen Rechten oder radikalen Linken kommt". 537 Die fast alle Bereiche, auch die Reichswehr berührende, die Reparationsfrage aber aussparende Rede des Kanzlers schloß mit den entschiedenen Worten: „Gegensätze aus dem Wahlkampf müssen vergessen werden. Schwere Opfer werden verlangt. Sie sollen den Weg zur Freiheit und zum Aufstieg bahnen." 538 Der Tenor entsprach dem Sinn wie dem Inhalt der Gespräche Brünings mit Hugenberg und den Führern der Nationalsozialisten, deren ablehnende Stellungnahmen ihm bekannt waren. Nach langen Debatten am 17. und 18. Oktober kam es zu einer wahren „Abstimmungsschlacht". 539 Mißtrauensanträge der KPD, NSDAP, DNVP und der Christlich-nationalen Landvolk- und Bauernpartei lagen beim Zusammentreten des Reichstags bereits vor, teilweise mit dem Antrag auf Außerkraftsetzung der letzten, heftig umstrittenen Notverordnung vom 26. Juli verknüpft. Die Regierung brachte ihrerseits 20 Gesetzesvorlagen ein. Die meisten wurden von der Mehrheit nach Brünings eigener Empfehlung an die Ausschüsse überwiesen, was schon einer Verschiebung der Entscheidung ad calendas graecas gleichkam. Nur die erste Vorlage wurde — erwartungsgemäß — angenommen, ein Gesetz über Schuldentilgung, das durch eine Ermächtigung der Reichsregierung nunmehr die Aufnahme eines Kredits von 530 Millionen RM rechtlich
5,5
StenBer Vh RT, Bd. 444, S. 87 f. a. a. O., S. 17—22. „Den wesentlichsten Anteil an ihrer Fertigstellung habe ich ...
Hoffentlich liest nun der Kanzler die Erklärung morgen auch gut vor." 15. Oktober; Pünder, Reichskanzlei, S. 66. 537
Sitzung des Fraktionsvorstands am 14. Oktober, abends; Morsey, Zentrumsproto-
kolle, S. 482. 5.8
StenBer V h RT, Bd. 444, S. 22.
5.9
So Huber, Verfassungsgeschichte, VII, S. 794.
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ordnungsgemäß absicherte. 540 All dies geschah mit Hilfe der Stimmen der Sozialdemokraten. 5 4 1 Aber wichtiger als die vorauszusehenden Abstimmungsergebnisse zu den Gesetzesvorlagen der Regierung war die Abwehr der für sie gefahrlichen Mißtrauensanträge und Anträge auf Aufhebung der Notverordnung, wobei sich die ausnahmslose Unterstützung durch die SPD bewährte. Nachdem die Sozialdemokraten ihre Stimmen für den Aufhebungsantrag, der die noch etwas bescheidenere Notverordnung vom 16. Juli betraf, abgegeben hatten, kam diese Entscheidung zugunsten der Reichsregierung in der Tat einer Wende gleich, in der die SPD nunmehr die Rolle des Mehrheitsgaranten der Regierung Brüning übernahm und allen Versuchen, die Regierung zu stürzen oder zur Aufhebung ihrer Maßnahmen zu zwingen, entgegentrat, ohne daß sich die Sozialdemokraten ausdrücklich hinter sie stellten oder gar eine Beteiligung verlangten. Den Mitgliedern und Wählern der SPD wurde sehr viel zugemutet. Daß aber auch wortmächtige Parteiführer und die Parteipresse in eine Phase permanenter Auseinandersetzungen und Konfrontationen gerieten und sich in Widersprüchen verfingen, 5 4 2 charakterisiert die Krise dieser auf Massenaktion und „Theorie" eingestellten großen Partei. Nachdem die Entscheidung in den Abstimmungen des Reichstags am 18. Oktober gefallen war, begründete die sozialdemokratische Fraktion sie in einer Presseerklärung 5 4 3 mit der Ausschaltung unmittelbar drohender Gefahren: 1. Der Rücktritt des Kabinetts Brüning, das dann, vom Reichspräsidenten im Amt gehalten, „gegen den Reichstag" regieren und den „Diktaturartikel 48 ... dann dauernd auf alle Gebiete des wirtschaftlichen, sozialpolitischen und staatsbürgerlichen Lebens" anwenden würde. 2. Die Ersetzung des Kabinetts Brüning durch „ein vom Reichspräsidenten ernanntes Beamtenkabinett, das gleichfalls nur mit Hilfe des
540
Gesetz über Schuldentilgung v o m 23. Oktober 1 9 3 0 (RGBl I, 1930, S. 467).
541
Abstimmungsergebnisse StenBer Vh RT, Bd. 444, S. 185 ff., 202 ff. Daß „die Hoff-
nung des Reichskanzlers auf eine Zweidrittelmehrheit f ü r das erstrebte Ermächtigungsgesetz" durch die Debatten und Abstimmungen im Reichstag „endgültig zerstört" wurde, wie Huber, a. a. O., schreibt, ist abwegig. Das Ergebnis entsprach der Erwartung. 542
Ein eklatantes Beispiel geben die interessanten Aufsätze des in russischen Erfahrun-
gen geschulten Georg Decker [d. i. Denicke] in der von Hilferding herausgegebenen Zeitschrift Die Gesellschaft; eine kleine Auswahl in: Georg Denicke/Georg
Decker,
7. November 1887 — 29. Dezember 1964. Erinnerungen und Aufsätze eines Menschewiken und Sozialdemokraten, hrsg. von Werner Plum, Bonn 1980. 545
Jahrbuch der Deutschen Sozialdemokratie für das Jahr 1930, S. 21 f.; Schulz, Politik,
1, S. 4 3 1 — 4 3 4 ; das dort eingesetzte Datum „16. 10. 1930" ist zu korrigieren.
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Diktaturartikels regieren könnte. Die Folgen für das Volk wären die gleichen..." 3. Die Beauftragung Hugenbergs mit der Bildung einer Reichsregierung unter Einschluß der Nationalsozialisten, die dann nur eine „verschleierte Hitler-Regierung" wäre. Parlamentarisch könnte sie sich nur mit Unterstützung des Zentrums halten; da die Nationalsozialisten aber gar nicht parlamentarisch regieren wollten, würden sie sich „die Wiederholung des italienischen Beispiels zum Ziel setzen: Zertrümmerung aller Organisationen der Arbeiterschaft, dauernder militärischer Belagerungszustand, Aufhebung aller Presse-, Versammlungs- und sonstiger Freiheiten, ständige Gefahr des Bürgerkriegs im Innern und des Revanchekrieges nach außen. Damit wäre auch der wirtschaftliche Zusammenbruch Deutschlands und das Ende einer selbständigen deutschen Nation verbunden, mit all seinen furchtbaren Folgen für das Volk." 544 Wollte man nicht von der abwegigen Mutmaßung ausgehen, daß diese Worte weniger ernst gemeint waren, als sie sich für den Nachlebenden ausnehmen, wird man wohl von einer verkürzten, aber insgesamt doch klaren Perspektive sowohl der in der Weimarer Republik nach der Reichstagswahl vom 14. September noch bestehenden Möglichkeiten als auch der drohenden Gefahren sprechen dürfen. Dies gilt letztlich auch für einen weiteren Aspekt, der schon hervorgehoben wurde: Eine Beteiligung der Sozialdemokraten am Sturz der Regierung Brüning hätte „den sofortigen Zusammenbruch der Preußenkoalition nach sich gezogen" und den Verlust der von der SPD gehaltenen Ämter des Ministerpräsidenten, des Innenministers und — seit einigen Monaten — auch des Kultusministers. Die weiteren Argumente leiteten zu der Bekundung über, daß die SPD wie im Wahlkampf auch jetzt wieder „in entschiedenster Gegnerschaft gegen diese Regierung" stünde, daß sie kein Vertrauen in sie setze; die „taktische Stellung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion besagt nichts anderes, als daß sie selbst den Zeitpunkt bestimmen wird, an dem sie zum Angriff gegen das Kabinett Brüning vorgeht". Insofern fehlte der Gedankenführung die sichere Plausibilität, ein Grundtenor, der das Ganze zusammenhielt. Einer Regierung entschieden zu mißtrauen und sie zu attackieren, aber dennoch ihren Sturz zu verhindern — und auch ihre Gegner zu bekämpfen -, im Vertrauen darauf, letztlich doch jederzeit über ihr Schicksal bestimmen zu können, dürfte wohl nur an sehr abstrakte Äußerungen gewöhnten Köpfen konsequent erschienen sein, 544 Diese Thesen geben die von Widersprüchen befreiten Kerngedanken von Denicke wieder; vgl. Erinnerungen, S. 161 — 178.
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zumal Zukunftsperspektiven oder Alternativen nicht einmal angedeutet wurden. In Wirklichkeit lag dem nichts anderes als ein Kompromiß zwischen den in der Partei einander widerstreitenden Tendenzen zugrunde, der die angeblich günstige „taktische Position" doch sehr fragwürdig erscheinen ließ. Unbegreiflich war dieser Ausweg, den die SPD für sich suchte, freilich nicht. Doch ihre Lage nahm sich bei weitem nicht glänzend oder auch nur günstig aus; und auf längere Sicht stellte sich die Frage, wie die traditionellen Anhänger und Wähler wohl reagieren würden.
Vorbereitung einer
Notverordnung
Nachdem die Reichsregierung dank dieser Haltung der SPD die unmittelbaren Angriffe abgewiesen hatte, aber — erwartungsgemäß — mit den meisten ihrer Gesetzesvorlagen gescheitert war, 545 schritt sie schon zur Vorbereitung der neuen, umfassenden Notverordnung. Um Störungen durch den Reichstag zu verhindern, hatte sie seine Vertagung bis zum 3. Dezember, um fast sieben Wochen also, durchgesetzt. 546 Brüning hielt zunächst die Fiktion eines angestrebten Ermächtigungsgesetzes aufrecht und trat zu diesem Zweck erneut in Verhandlungen mit den Parteien ein. 547 In gewisser Hinsicht hatte ihm die Haltung der SPD dieses Vorgehen nahegelegt. Ministerpräsident Braun hatte in seiner schlichten, aber eindeutigen Weise schon am 2. Oktober Pünder seine Auffassung — „zwar etwas verklausuliert" — mitgeteilt, „wer A gesagt habe, müsse auch B sagen, d. h. wer mit der Notverordnung angefangen habe, könne mit diesem Reichstag auch nichts anderes tun, als auf dem Wege fortzufahren". 548 Einige Wochen später notierte Pünder eine noch
545
Angenommen wurde am 19. Oktober ein im vorigen Reichstag nicht mehr durch-
gebrachtes Amnestiegesetz, das Straffreiheit für alle v o r dem 1. September 1924 begangenen politischen Straftaten verfügte und auch Morde, u. a. die „Fememorde" einschloß — in dritter Lesung mit 394 Stimmen v o n NSDAP, DNVP, K P D und den Mittelparteien, gegen 1 4 7 Stimmen der S P D und BVP. Antrag v. Lindeiner-Wildau und Genossen, StenBer V h RT, Bd. 444, S. 2 1 4 f f . ; Änderungsgesetz zum Gesetz über Straffreiheit v o m 24. Oktober 1930 (RGBl I, 1930, S. 467). Vgl. auch Huber, Verfassungsgeschichte, VII, S. 795. 546
StenBer Vh RT, Bd. 444, S. 201.
547
Aktenvermerke Pünders über die Besprechungen Brünings mit den Parteiführern
v o m 26. November; AR: Brüning, 1, S. 652 ff.; Brüning, Memoiren, S. 209 ff. 548
Pünder, Reichskanzlei, S. 63.
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weiter gehende Äußerung Brauns mit dem Kommentar: „Wenn wir bloß mit ihm zu tun hätten, würden wir alles mit Art. 48 machen können." 549 Zunächst hatten aber Pünder und Brüning dieser preußischen Initiative gegenüber einige Vorbehalte. Sie meinten wohl, wie Pünder notierte, „daß es so kommt. Aber nicht im Streit mit dem ganzen Reichstag, nur in stillschweigendem Einvernehmen mit einer Mehrheit könnte die Regierung erneut vom Art. 48 Gebrauch machen." 550 Doch die Sprecher der SPD-Reichstagsfraktion, der Braun nicht angehörte und durch die er sich nicht beeindrucken ließ — Hermann Müller, Hilferding und Hertz, vor allem der letzte —, folgten dem Entschluß zur Verabschiedung der Vorlagen auf dem Wege der Notverordnung nur mit Zögern. Aber auch Brüning selbst zauderte. Er mußte sich fragen: Was sollte geschehen, wenn sich der Reichstag gegen die neue, umfangreiche Notverordnung stemmte und ihre Aufhebung beschloß? Der Reichskanzler mochte diesen großen entscheidenden Schritt noch nicht tun. Er warb noch einmal um Hugenberg. Vielleicht ohne es zu wollen, ist Brüning in seiner Darstellung eines weiteren Gespräches mit dem deutschnationalen Führer am 26. November die Wiedergabe der Atmosphäre gelungen wie auch der beiden Charaktere, die einander gegenübersaßen — in dieser „entscheidenden Aussprache mit Hugenberg, die über vier Stunden dauerte". Doch plötzlich „sah Hugenberg nach der Uhr, stand auf und sagte als Abschluß der Unterhaltung mit stereotyper, eiskalter Miene: ,Ich bin jetzt mehr überzeugt denn je, daß ich immer recht hatte. Deutschland steht mitten in dem von mir vorausgesagten Zusammenbruch. Das ist mir nach Ihren ausführlichen Darlegungen klarer denn je.'" 551 Diese Darstellung seiner Rolle — an seinem 45. Geburtstag, auf den er zu dem Gespräch eingeladen hatte, — dürfte Brüning wohl nicht erfunden haben. Seine Schilderung wirft ein Licht auf die unsichere Einschätzung anderer Menschen, auch der Eigenarten mancher Parteimänner, denen er sich zu nähern versuchte. Damit war das Gedankenspiel, mit einem alle Regierungsvorlagen zusammenfassenden Ermächtigungsgesetz im Reichstag durchzukommen, endgültig beendet. In der Reichskanzlei hatte man es schon vorher
5411
a. a. O., S. 74. Die Bewertung in der Darstellung v o n Möller, Parlamentarismus,
S. 443 ff., ist zu ergänzen. Preußen war durch seinen Vertreter in den Sitzungen der Reichsregierung und durch die Abklärung der Haltung Brauns auch an der Ausarbeitung beteiligt. 550
Pünder, Reichskanzlei, S. 63.
551
Brüning, Memoiren, S. 2 1 0 f.
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aufgegeben, spätestens nach der Annahme der — auf den Reichstag zugeschnittenen — Gesetzesvorlagen und des umfassenden Wirtschaftsplans der Reichsregierung vom 17. bis 20. November durch den Reichsrat.552 Diesen Erfolg wollte man sich nicht parlamentarisch versalzen lassen. Der Reichskanzler hielt zunächst allerdings in seiner eigenen Fraktion an der Fiktion eines Verfahrens der ordentlichen Gesetzgebung fest.
Die Agrarier fordern Osthilfe und Ostpolitik Umfang wie Bedeutung der Vorlagen für Gesetze und erst recht für die große Notverordnung waren das Ergebnis heftigen Ringens außerhalb des Reichstags und seiner Parteien. Jene Interessenten und Kräfte, die schon längst auf die Gewalt des Reichspräsidenten und eine Politik mit Hilfe von Notverordnungen gesetzt hatten, versuchten, möglichst viele ihrer Absichten in der nächsten Notverordnung durchzubringen. Die ostdeutschen Agrarier hatten keinen Augenblick gewartet, um erneut Mahnungen und Forderungen vorzutragen, da, wie vorauszusehen war, die an die Ostpreußenhilfe von 1928 anknüpfende und sie erweiternde Osthilfe bei weitem nicht ausreichte, mit ihren besitzsichernden und lastensenkenden Umschuldungsmaßnahmen auch gar nicht geeignet war, eine durchgreifende Besserung oder eine Wende in der Lage der ostdeutschen Landwirtschaft herbeizuführen. Die Widerstände von seiten Preußens wie von Dietrich, noch als Reichswirtschaftsminister, waren von Anbeginn groß; und Staatssekretär Pünder hegte „starke Zweifel" hinsichtlich eines Erfolges „aller agrarpolitischen Maßnahmen", die Schiele durchsetzte. „Was uns not tut, ist nach meiner Meinung eine langsame, aber völlige Umstellung in der landwirtschaftlichen Produktion, weg vom Körnerbau, hin zum Futtermittelbau, Viehzucht und Milch- und Eierwirtschaft, und vor allem Rationalisierung." 553 Doch diese Auffassung entsprach nicht den Ansichten und Interessen der ostdeutschen Landwirtschaft. Kern ihrer Forderungen blieb die „Preisbildung für unsere Hauptprodukte Roggen und Kartoffeln". 554 Dagegen 552
Pünder, Reichskanzlei, S. 74 ff.
553
a. a. O., S. 52; 28. Mai.
354
So v. Flemming-Paatzig, Präsident der Landwirtschaftskammer Pommern, an Sil-
verberg, 17. Oktober; Schulz, Politik, 1, S. 435; ähnlich der Präsident des Deutschen Landwirtschaftsrats, Brandes-Zaupern, während eines Empfanges der Vertreter der „Grünen Front" durch Brüning am 6. November; Aktenvermerk BA, R 43 1/2545.
210
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sprach man der Veredelungswirtschaft, etwa den „gewerblichen Schweinemästungen" außerhalb der kartoffelbauenden Ostgebiete, sogar die „Existenzberechtigung" ab. 5 5 5 Man beschwerte sich über den Einfluß Preußens auf die Osthilfe und die zurückhaltende Kreditpolitik der Preußischen Genossenschaftskasse. Vorstellungen und Zielsetzungen liefen auf günstige langfristige Preisfestlegungen für Roggen und Kartoffeln hinaus und den Übergang von der Senkung der Hypothekenschuldzinsen im Osthilfegebiet zu einer generellen Entschuldung der landwirtschaftlichen Betriebe durch Maßnahmen und mit Mitteln des Reiches. Eine Einschränkung der Anbaufläche für Roggen 5 5 6 wurde abgelehnt. Der Landwirt sollte in seinem Wirtschaften frei bleiben und seinen Gepflogenheiten folgen dürfen. Die Notverordnung vom 26. Juli 1930 hatte bereits mit ihrem umfangreichen Dritten Abschnitt 557 die agrarische Osthilfe in der von Schiele verlangten ausgedehnten Vielfalt von finanziellen und rechtlichen subsidiären Maßnahmen ins Werk gesetzt. Sie ermächtigte die Reichsregierung, bis zur Höhe von 50 Millionen RM Bürgschaften für abgesicherte Darlehen zur Siedlungsförderung zu übernehmen; alle älteren und neuen Aufwendungen zu Siedlungszwecken sollten über eine noch zu errichtende Anstalt des öffentlichen Rechts geleitet werden. Für die Umschuldung „in ihrem Bestände gefährdeter", aber „nach der L a g e der Verhältnisse noch" zu erhaltender Betriebe mußte die Reichsregierung für Bürgschaften weitere 100 Millionen R M bereitstellen; und sofern Preußen und das Reich sich paritätisch beteiligten, waren gemeinschaftliche Bürgschaftsübernahmen vorgesehen, ließ sich diese Summe noch erheblich anheben. Außerdem konnte die Reichsregierung durch Zinszuschüsse Zinsermäßigungen bis zu zehn Jahren Dauer gewährleisten. In einem zweiten Teil des gleichen Abschnitts der Notverordnung wurde — unter bestimmten Voraussetzungen — ein Schutz vor Zwangsvollstreckungen gegen Geldforderungen für „in den Ostgebieten gelegene landwirtschaftliche, forstwirtschaftliche und gärtnerische Grundstücke, ihre Erzeugnisse, Vieh, landwirtschaftliche Maschinen, Geräte und D ü n g e r " für die Dauer von drei Monaten verfügt, der einmal verlängert werden konnte
555
Flemming, a. a. O., S. 436.
" 6 So eine Empfehlung Silverbergs an Flemming, a. a. O., S. 438. " 7 Verordnung des Reichspräsidenten zur Behebung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Notstände vom 26. Juli (RGBl I, 1930, S. 311), Dritter Abschnitt: „Erweiterung der im Gesetz über wirtschaftliche Hilfe für Ostpreußen vom 18. Mai 1929 ... vorgesehenen Maßnahmen."
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und beim zuständigen Amtsgericht zu beantragen war. Für den agrarischen Sektor des Ostgebietes galten seitdem, anders als im übrigen Reich, lockere, für den Landbesitz günstigere Normen des Vollstreckungsrechts innerhalb des allgemeinen Schuldrechts. Allerdings war diese Ausnahme nur vorübergehend vorgesehen, die Antragsfrist bis zum 31. Dezember 1930 begrenzt und endete eine Verlängerung des Vollstreckungsschutzes spätestens am 31. März 1931. Anders hätten sich diese Maßnahmen vor der Öffentlichkeit nicht vertreten lassen. Dieser Teil der Notverordnung vom 26. Juli 1930 konnte weder als Indiz „für die Sanierung der Haushalte", noch für „ein allgemeines Wirtschafts- und Finanzprogramm im Sinne der Deflationspolitik" 558 gelten. Dies läßt sich letztlich auch von einer neuartigen Verwaltungsorganisation nicht sagen: den Landstellen der Osthilfe, die einer neuen Oststelle bei der Reichskanzlei unmittelbar untergeordnet waren. Die gleiche Notverordnung bestimmte, daß sie bei der Entscheidung und schon bei der Beantragung des Vollstreckungsschutzes in einer Art fachlicher Aufsicht mitwirkten und bei künftigen Umschuldungs- und Betriebssicherungsverfahren das Recht hatten, die in Frage stehenden landwirtschaftlichen Betriebe zur Vorlage eines eidesstattlich bekräftigten Verzeichnisses der Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten bei der unteren Verwaltungsbehörde zu verpflichten. Um nach dem bisherigen Übergewicht der lokalen und regionalen Interessenorganisationen diesen noch eine Mitsprache zu belassen, war die Kompromißbestimmung gewählt worden, daß „bei der Organisation der Landstellen eine gutachterliche Mitwirkung der Gläubiger- und Schuldnerkreise gewährt sein" müsse. Dies war der wirkungsvollste Schritt, der Monopolstellung und den Prinzipien der Ostpreußischen Landschaft — nun für den gesamten Geltungsbereich der Osthilfemaßnahmen — entgegenzutreten. Die ausgedehnten Subventionen für die Landwirtschaft des Osthilfegebietes blieben ein gewichtiges Objekt der Initiativen der Reichsregierungen, nicht mehr der preußischen, die sich allerdings erst nach Verhandlungen der Verordnung des Reichspräsidenten unterwarf und hierbei einen Kompromiß aushandelte, der ihr bei der Ernennung der Leiter der OstLandstellen einen personalpolitischen Vorrang sicherte. Das Ergebnis erhielt die Form einer Vereinbarung zwischen der Reichsregierung und
558
K n u t Wolfgang Nörr, Zwischen den Mühlsteinen. Eine Privatrechtsgeschichte der
Weimarer Republik, Tübingen 1988, S. 24.
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der preußischen Staatsregierung, 5 5 9 deren sieben Punkte das Einverständnis der preußischen Regierung sowohl mit einer Durchführungsverordnung v o m 8. August dokumentierten, die die erste Ausdehnung des Osthilfegebietes festlegte, 5 6 0 als auch mit einem Erlaß des Reichspräsidenten v o m 14. August, 5 6 1 mit dem er kraft seiner verfassungsrechtlichen Organisationsgewalt die dem Reichskanzler unmittelbar untergeordnete Oststelle schuf. Diese Vereinbarung der beiden Regierungen „links und rechts der Wilhelmstraße" behielt Kompromißcharakter. Man einigte sich, unbeschadet der Unterstellung unter den Reichskanzler, auf die Einsetzung zweier Leiter der Oststelle, des Reichsministers Treviranus und des preußischen Wohlfahrtsministers Hirtsiefer (Zentrum) — nicht des zuständigen, bereits im 69. Lebensjahr stehenden Landwirtschaftsministers Steiger (Zentrum), der in den voraufgegangenen Verhandlungen beiseite gedrängt worden war, während der um 1 4 Jahre jüngere Hirtsiefer als ständiger Vertreter des Ministerpräsidenten eine stärkere Rolle spielte. Jedem von ihnen wurden zwei, nun aber einander nachgeordnete Vertreter beigegeben: v o n der Reichsseite der Ministerialdirektor im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft Wachsmann, der an der Entwicklung und Ausgestaltung der Maßnahmen zugunsten Ostpreußens
559
Niederschrift über die Vereinbarungen vom 12. August 1930; GehStAB, Rep. 90/
1114. 560 Von Brüning und Schiele unterzeichnete Verordnung zur Durchführung des Dritten Abschnitts (Osthilfe) der Verordnung des Reichspräsidenten vom 26. Juli 1930; Reichs- u. Preuß. Staatsanzeiger, Nr. 183 vom 8. August 1930. Die Bestimmung des Geltungsgebietes der Osthilfe erfolgte nicht im Hinblick auf die Maßnahmen zur Förderung der landwirtschaftlichen Siedlung (§§ 2 und 3), sondern ausschließlich in bezug auf Umschuldung und Vollstreckungsschutz (§§ 4 ff.). Es umfaßte die Provinzen Ostpreußen, Grenzmark PosenWestpreußen und Oberschlesien, den östlichen pommerschen Regierungsbezirk Köslin sowie den Kreis Regenwalde, die brandenburgischen Kreise Arnswalde, Friedeberg/Neumark, Landsberg a. d. Warthe, Sternberg-Ost und Züllichau-Schwiebus, die niederschlesischen Kreise Grünberg, Freystadt, Glogau, Guhrau, Steinau, Wohlau, Militsch, Trebnitz, Groß-Wartenberg, Öls, Namslau, Waldenburg, Neurode, Glatz, Habelschwerdt und die östlich der Oder gelegenen Teile der Kreise Ohlau und Brieg, insgesamt 97 Landkreise. Die westliche Grenzlinie dieses agrarpolitischen Notstandsgebietes verlief mithin im Norden und in der Mitte in Distanz zum Ostufer der Oder und von Glogau ab nach Süden zunehmend weiter westlich der Oder — großzügig angedeutet, in etwa 100 km östlich der Oder-Neiße-Linie des Jahres 1945. Die Durchführungsverordnung bestimmte die Errichtung von fünf Landstellen der Osthilfe in Königsberg, Köslin, Schneidemühl, Breslau und Oppeln. 561 Erlaß des Reichspräsidenten über die Errichtung einer Oststelle vom 14. August (RGBl I, 1930, S. 434).
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und dann der Osthilfe in verschiedenen Positionen maßgebend beteiligt war, die Oststelle allerdings weder begründet noch befürwortet hatte, 562 und der Staatskommissar für die Stützung des preußischen Gütermarktes Rönneburg; von preußischer Seite der tüchtige sozialdemokratische Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium Krüger und von der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse Direktor Lauffer, der bisher als Vertreter Ronneburgs amtiert hatte. Die Leitung der Oststelle lag faktisch gar nicht in den Händen des Reichskanzlers, der sogar Dienstanweisungen lediglich „im Einvernehmen" mit dem preußischen Ministerpräsidenten erlassen sollte, sondern bei einem mehrköpfigen Gremium koordinierenden Charakters. Dies kam auch in der vereinbarten Bestimmung zum Ausdruck, daß „die Oststelle ... durch die von Reich und Preußen benannten Minister gemeinsam vertreten" werde und daher „im Schriftverkehr Doppelunterschrift erforderlich" sei. Erst in Fragen, in denen keine Einigung erreicht wurde, hatte der Reichskanzler zu entscheiden, aber auch dies nur „nach Benehmen" mit dem preußischen Ministerpräsidenten. Entsprechend gemischt fielen die ebenfalls in den Vereinbarungen enthaltenen Personalentscheidungen aus, die die Leiter der Landstellen betrafen. Für vier der fünf neuen Ämter wurden preußische Beamte ausgewählt, von denen zwei fachkundige Ministerialräte des Landwirtschafts- bzw. des Staatsministeriums waren, Mussehl und Frankenbach für Königsberg bzw. Schneidemühl, außerdem der Regierungsvizepräsident in Breslau, Schwendy, und ein Oberregierungs- und Landesökonomierat Tietmann in Oppeln; für Köslin war ein deutschnationaler Politiker und Direktor des Pommerschen Landbundes, Major a.D. Johann Georg v. Dewitz, ausersehen, hier der Bogenschluß von Interessenorganisation und neuer Behörde ersichtlich eng. 563
562
Dies geht deutlich aus einem späteren persönlichen Brief Wachsmanns an Staatsse-
kretär Pünder hervor, mit dem er auf vertraulichem Fuße stand. Er bezeichnete ein Ostkommissariat „unter der Ägide des Kanzlers" als seine und allein richtige Idee; es sollte „bei Aufrechterhaltung der alten Ressortzuständigkeiten lediglich die Ausräumung und Überbrückung der ressortmäßigen Interessengegensätze im Reich und Preußen zur Aufgabe haben". Wachsmann an Pünder, 31. Mai 1932; B A , Nachl. Pünder/657. 565
Natürlich beschäftigten auch Rechtsstellung wie Bezüge der Landstellenleiter, die
Frage des Personals und der Kosten der Oststelle das Preußische Staatsministerium. Die Leiter der Landstellen wurden auf Veranlassung des Innenministers als preußische Beamte geführt, die aus dem preußischen Dienst f ü r ihre neue Aufgabe beurlaubt wurden. Dem Landstellenleiter in Königsberg wurden Bezüge eines Regierungspräsidenten (17 000 RM) zugebilligt, den anderen Landstellenleitern die des Kulturamtspräsidenten einer Provinz
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Mithin war um der Lage der Landwirtschaft im Osten willen etwas ganz und gar Neuartiges in der Geschichte der preußischen und deutschen Verwaltung geschaffen worden: eine Behörde, die von der obersten Reichsebene bis in preußische Landkreise der Ostprovinzen hineinreichte und sich auftragsgemäß notgedrungen mit zahlreichen Einzelfallen befassen mußte, ohne daß Aufgabenstellung und Dienstanweisungen eindeutige Kompetenzen regelten. Der Aufwand — in einer Zeit erklärter Einsparungen — war beträchtlich. Doch an der agrarpolitischen Lage änderte sich in den Ausnahmegebieten des Ostens nach den Osthilfebestimmungen offenbar gar nichts Wesentliches. Der vierte Bericht des Staatskommissars für die Stützung des ostpreußischen Gütermarktes vom 26. August 1930 nannte allein für die Zeit seit dem 10. Juni in der Provinz 25 Betriebe mit zusammen 25431 Morgen Wirtschaftsfläche als versteigert, davon drei mit mehr als 2 000 und sieben mit 800 bis 2 000 Morgen; weitere 61 Verfahren waren eingeleitet. Jetzt befand sich auch ein nennenswerter Anteil mittlerer und kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe im Bereich unmittelbarer Gefahrdung. 564 Aus dem nächsten Bericht des Staatskommissars vom 31. Oktober ergibt sich keine wesentliche Besserung der Lage oder der weiteren Aussichten. Auch die Klagen und Forderungen der ostdeutschen Landwirtschaft blieben unverändert. Nach dem Vorbild der Landvolkbewegung, die von Schleswig-Holstein ausging und dort ihren Schwerpunkt behielt, begann sich in Ostpreußen eine radikale „Bauernnotbewegung" zu formieren, die in einer „Notkundgebung" der Bauernschaft des Kreises Johannisburg am 31. Oktober ihren Auftakt erlebte. Eine anhaltende Dürre im voraufgegangenen Frühjahr und ebenso anhaltende Regenfälle im Herbst gaben Anlaß, mit neuen Forderungen für die regionale Wirtschaft her-
(15 000 RM). Niederschrift der Sitzung des Staatsministeriums am 26. August; Auszug G e h S t A B , Rep. 90/1116. Oststelle und Landstellen nahmen ihre Tätigkeit am 10. September 1930 auf. Für die ersten sieben Monate ergaben sich Kosten in Höhe von 1 053 940 RM, von denen rund 538 000 auf das Reich und 516 000 auf Preußen entfielen, das f ü r das Haushaltsjahr hierfür insgesamt 1,2 Millionen — bezeichnenderweise in den Kriegslastenetat — eingesetzt hatte. Die Gehälter von Treviranus und jenen Angehörigen der Oststelle, die aus anderen Haushaltstiteln besoldet wurden, waren nicht inbegriffen, lediglich die einmaligen, sachlichen und personellen Ausgaben für das nachgeordnete Personal. Dieses zählte bereits im März 1931 insgesamt 274 K ö p f e , erreichte also den Personalbestand eines der kleineren Reichsministerien. Hierzu Vorlage für Ministerpräsident Braun von Weichmann, undatiert; G e h S t A B , Rep. 90/1114. 564
G e h S t A B , Rep. 90/1078.
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vorzutreten. 565 Bekundungen wie diese gehörten alsbald zum ostpreußischen Alltag: „Die Verzweiflung ist auf den Höhepunkt gekommen ... Ein verzweifeltes Volk ist zu dem Schlimmsten fähig; darum rufen wir im Augenblick der höchsten Not der Reichs- und Staatsregierung zu: Laßt es nicht zum Äußersten kommen." Bemüht, der aufgeregten Stimmung entgegenzuwirken, unternahmen Brüning und Treviranus Anfang Januar 1931 eine gemeinsame Ostpreußenreise, auf der ihnen Reichsbankpräsident Luther nachfolgte. Die angeschlagenen Töne klangen nicht neu. Aber sie verbreiteten und verallgemeinerten sich; die Forderungen griffen höher und verschärften sich. Die Demonstrationen liefen auf Strangulierung der gesamten Wirtschaft der Provinz hinaus: durch Aufforderungen zu Kaufenthaltungen, Betriebseinschränkungen und schließlich Zahlungsverweigerungen. Auch hierbei diente die Entwicklung des Landvolkprotestes in Schleswig-Holstein 5 6 6 als Vorbild, dem ein zur Massenorganisation ausgebauter agrarischer Großverband der östlichsten Provinz als radikalste Spielart agrarpolitisch begründeter politischer Opposition gegen die Berliner Regierungen nacheiferte: der Landwirtschaftsverband Ostpreußen (LVO). Ähnlich der Landvolkbewegung hatte er sich unter seinem Führer Strüvy-Großpeisten eine fanatisierte Sprache zu eigen gemacht. Um nach außen gebührend in Erscheinung zu treten, zwang der Verband seine Mitglieder, besondere Hausschilder anzubringen, die die Verbandszugehörigkeit demonstrierten. Er versuchte auch, auf die Außenpolitik einzuwirken — mit deutlicher Präferenz der Sowjetunion, deren Interesse am Königsberger Hafen angeregt werden sollte und mit der man enge Wirtschaftsbeziehungen auf der Grundlage eines stetigen Exports von Landmaschinen, Vieh und Saatgut aus Ostpreußen über die Drusag (Deutsch-russische Saatgut A. G.) anstrebte. 567
5i5
Eine Resolution forderte, den Kreis Johannisburg zum Notstandsgebiet zu erklären,
die totale Zahlungsunfähigkeit der Landwirte anzuerkennen, den Erlaß aller Reichs- und Staatssteuern, hingegen Staatsbeihilfen als Ersatz (!) f ü r Kreis- und Gemeindesteuern, zur Aufbringung der Rückstände von Sozialversicherungsbeiträgen, die Entschädigung v o n Dürre- und Nässeschäden, zwangsweise die Reduzierung aller Zinssätze und die Verlängerung des Vollstreckungsschutzes bis zur nächsten Ernte. G e h S t A B , Rep. 90/1078. 566
Vgl. hierzu Schulz, Vorabend, S. 155 f., 1 5 9 - 1 6 2 ; auch ders., Aufstieg, S. 467 ff.,
und die dort aufgeführte Literatur. 567
Ein enthusiastischer Bericht über die Reise einer Delegation „bis zum Schwarzen
Meer" und einen „herzlichen Empfang" durch sowjetische Stellen: „Ostpreußen-Abordnung aus Rußland zurück", in: Landwirtschafts-Verband Ostpreußen, 7, (1929), S. 143.
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Ein weiteres Druckmittel, das der Landwirtschaftsverband gegen die Behörden anzuwenden versuchte, war das eines organisierten Massenkonkurses durch Erklärung der Zahlungsunfähigkeit. Die Vorbereitung dieses abenteuerlichen Planes blieb lange im geheimen, so daß Oberpräsident Siehr erst mit mehrwöchiger Verzögerung hiervon Kenntnis erhielt und nach Berlin berichten konnte. 568 Die Aktion sollte das Reich wie Preußen „vor die unausweichliche Notwendigkeit" stellen, sich zur „Übernahme der Zinsen und Lasten bis zur Erreichung des Ausgleichs von Einnahmen und Ausgaben bereit ... oder aber die Unfähigkeit hierzu zu erklären". Der Oberpräsident reagierte, wenn auch etwas spät, ungewöhnlich entschieden. Der Generalstaatsanwalt bezeichnete ein Vorgehen wegen Landesverrats, Steuersabotage und anderer strafrechtlich relevanter Delikte, das Siehr vorschwebte, als aussichtslos. Dieser hielt aber „scharfe Maßnahmen der Verwaltungsbehörden für unerläßlich", worin ihm auch der Ministerpräsident zustimmte. 569 Als Nächstes empfahl er den schon wiederholt angekündigten Abbruch aller Gespräche und Verhandlungen staatlicher Behörden mit dem Landwirtschaftsverband. Doch hierauf folgten länger sich hinziehende Auseinandersetzungen, ohne daß sich eine deutliche Entscheidung ergab. In Eintracht mit Reichsernährungsminister Schiele trugen die ganz und gar als Vertreter der ostdeutschen Agrarinteressen auftretenden Sprecher der Deutschen Landvolkpartei dem Reichspräsidenten ihr Verlangen vor, „grundsätzlich ... aus dem Auslande überhaupt keine Lebensmittel hereinkommen [zu] lassen". Zu diesem Zweck schienen Revisionen der Handelsverträge und die Abkehr vom Grundsatz der Meistbegünstigung, Zollerhöhungen — bei Butter um 100 Prozent -, starke Beschränkungen der Einfuhr anderer ausländischer Agrarprodukte, der Beimahlungszwang von Roggen bei der Weizenmehlerzeugung und die Errichtung eines Handelsmonopols für Südfrüchte, ausländisches Obst und Gemüse ebenso geeignet wie ein Steuermoratorium für die Landwirtschaft — und all dies möglichst schnell und durch Notverordnungen auf Grund des Artikels 48, damit sich die gewünschten Maßnahmen
568
Oberpräsident Siehr an den Preußischen Minister des Innern, 4. September 1930,
Abschr. für den Ministerpräsidenten; G e h S t A B , Rep. 90/1089. Siehr übersandte eine als streng vertraulich bezeichnete undatierte Denkschrift des L V O zur Vorbereitung einer „Kreisführertagung" am 19. Februar 1931. Schon Ende August 1930 gelangten Auszüge aus dieser Denkschrift in einige Zeitungen innerhalb und außerhalb Ostpreußens. 569
Braun an die Staatsminister und den Reichskanzler, ausgefertigte Entwürfe vom
10. September; G e h S t A B , Rep. 90/1089.
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„noch in diesem Jahr auswirken können", ein Wunsch, den der Reichsernährungsminister nachdrücklich unterstützte. 570 Auswirkungen auf andere Wirtschaftszweige, auf den Außenhandel und auf große Teile der Gesellschaft wurden nicht erörtert, weder vom Reichspräsidenten noch von einem der ostdeutschen Interessenpolitiker erwogen. Man argumentierte in diesen Gruppen mit der nationalen Phrase, dachte und handelte indessen weder national noch nationalökonomisch noch sozial, sondern einzig im Horizont der eigenen Interessen. Aber in den Instanzen des Reiches fehlte jede Art von Gegenwirkung oder Gegensteuerung. Der Kanzler sah sich veranlaßt, schon in der Reichsministerbesprechung 571 des nächsten Tages diesen Wünschen durch ein rasch vorbereitetes „Notprogramm" des Reichsernährungsministers ein Stück entgegenzukommen. 572 Gewiß benötigte die Landwirtschaft subsidiäre Interventionen des Staates. Dies galt im höchsten Maße für die stark verschuldete und unter einer Reihe von Benachteiligungen — etwa Marktproblemen, Folgen der neuen Grenzziehung, schlechten Verkehrsverhältnissen, teilweise schlechten Böden in Teilen Hinterpommerns und Ostpreußens, in der südlichen Provinz Brandenburg und der Grenzmark Posen-Westpreußen — leidende ostdeutsche Landwirtschaft. Vielseitige Förderungen der Infrastruktur — um einen neuen Ausdruck für einen alten Sachverhalt zu gebrauchen —, Umschuldungen und — soweit überhaupt Ansiedlungswillige zu gewinnen waren — ländliche Siedlungen konnten wohl mit gutem Grund ins Feld geführt werden. Auf längere Sicht blieben jedoch durchgreifende Strukturmaßnahmen erforderlich, nicht nur, um die 570
Aufzeichnung Meissners über einen Empfang der Mitglieder des Vorstandes der
Deutschen Landvolkpartei, Döbrich, Gereke und Hepp, und des Reichsministers Schiele durch den Reichspräsidenten, 23. Oktober; abgedruckt Schulz, Politik, 1, S. 4 4 4 ff. Dies stand in Verbindung mit den v o m Auswärtigen A m t begonnenen Handelsvertragsverhandlungen mit Rumänien. Vgl. David E. Kaiser, Economic Diplomacy and the Origins of the Second World War. Germany, Britain, France, and Eastern Europe, 1930 — 1939, Princeton, N.J. 1980, S. 20 f. 571
A m 24. und 25. Oktober; AR: Brüning, 1, S. 5 5 4 - 5 6 6 .
572
Entwurf des Ministerialrats in der Reichskanzlei Feßler zu einem „Gesetz über
Sofortmaßnahmen für die Landwirtschaft" auf Grund des Programms Schieies, undatiert; BA, R 43 1/2543, allerdings mit der einschränkenden Bemerkung: „Die Maßnahmen können nur vorübergehend sein, da Deutschland somit v o m Weltpreisstand so isoliert wird, daß durch Verteuerung der Lebenshaltung der Massen und damit der Industrieproduktion die deutsche Exportfahigkeit gefährdet wird." Doch dies blieb das Mentalreservat eines kenntnisreichen hohen Beamten der Reichskanzlei.
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Landwirtschaft des Ostens über Wasser zu halten, sondern auch, um der Gefahr eines Zusammenbruchs des mit ihr eng verknüpften Gewerbes, der spärlichen Industrie, des Handels und des agrarischen Kreditwesens in den Ostprovinzen zu begegnen. Aber viele Maßnahmen kamen nur einem Teil der Betroffenen zugute oder gingen trotz großer Aufwendungen völlig fehl; manche nicht oder nur halb ausgeführten Vorschläge litten unter bedenklichen und auf die Dauer schädlich wirkenden Einseitigkeiten. Die landwirtschaftlichen Regionen mit überwiegender Mastviehhaltung, wie z. B. Oldenburg, konnten nicht auf ihren Haupterwerbszweig verzichten und litten trotz weiter entwickelter Struktur und ursprünglich guten Ertragsverhältnissen auf wenig belasteten Böden unter dem zurückgehenden Fleischkonsum der städtischen Bevölkerung, nachgebenden Fleischpreisen bei hochgehaltenen Preisen für Futtergerste, Futtergetreide und nun auch Kartoffeln, so daß sich Subventionen für den Osten schon zum Nachteil der Bauern im Westen auswirkten. 573 Auch die scheinbare Einheit einer agrarischen Opposition der „Grünen Front" litt innerlich unter Spannungen zwischen konträren Interessen, mögen diese auch dem Reichspräsidenten, infolge seiner engeren Beziehungen zu Agrarinteressenten Ostdeutschlands, ebenso wie einem großen Teil der Öffentlichkeit verborgen geblieben sein. Im wesentlichen existierten weit mehr Gegensätze als Übereinstimmungen mit der radikalen Landvolkbewegung in Nordwestdeutschland, die ihre Proteste sowohl gegen die preußische Regierung oder — in Oldenburg und Mecklenburg — gegen die parlamentarischen Parteien als auch gegen die Führer und Sprecher der Interessenorganisationen des ostdeutschen Landbaus richtete. Das Verlangen nach „Wiederherstellung der Rentabilität der Landwirtschaft" in den strukturschwachen, rein agrarischen Gebieten der Ostprovinzen erscheint phantastisch und blieb schlechterdings unerfüllbar. Daß auf industrieller Seite Silverberg den Gedanken aufgenommen hatte, durch eine mehr oder minder vollständige Sanierung der Landwirtschaft im Osten gewissermaßen eine wirtschaftlich wie politisch produktive Kapitalanlage der Industrie zu schaffen, die zu ihren Gunsten den Konsum und insgesamt den inneren Markt heben sollte, beruhte angesichts der wirtschaftlichen Voraussetzungen auf Fehleinschätzungen und unrealistischen Erwartungen. Ihnen lag der nachgerade typische Fehler zugrunde, der noch häufiger zu beobachten ist, daß man den
3,3
Am Beispiel Oldenburgs zeigt dies Schaap, Oldenburg, S. 29 f.
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Aufschwung in einer strukturell lange Zeit schlecht entwickelten Wirtschaftszone mit Hilfe finanzieller Interventionen für „machbar" hält. Die Interessenten des ostdeutschen Landbaus dachten gar nicht an einen Aufschwung, sondern nur an Subventionierung ihrer Wirtschaftsweise und überlieferten Lebensform. Von der Landwirtschaft ließ sich indessen eine günstige Gestaltung der Ertragslage der Industrie in absehbarer Zeit nicht erhoffen. Angesichts der über den Reichspräsidenten immer wieder wirksam vorgebrachten Interessen der Ostprovinzen vereinbarten Luther und Schäffer eine Lösung, 5 7 4 die sich dann aber nicht durchsetzen ließ. Für die Umschuldung der verschuldeten, aber noch lebensfähigen landwirtschaftlichen Betriebe bot sie an, aus ihnen einen Haftungsverband zu schaffen, für den das Reich die Hälfte der Gesamthaftung übernahm. Im Hinblick auf Preußen und auch die Preußische Genossenschaftskasse blieb diese Lösung offen. Die nicht erfaßten Güter sollten in den Genuß einer zunächst unbefristeten Zinsbefreiung gelangen, deren Last die Rentenbank-Kreditanstalt — mit Subvention des Reiches —, übergangsweise zu einem Teil auch die Gläubigerbanken und ab 1932 die Bank für deutsche Industrieobligationen übernehmen sollten. Mit der letzten gewann wieder die Frage des künftigen Umfangs und der Verwendung der durch Young-Plan und Haager Abkommen freigewordenen Industrieabgabe Bedeutung, die Hindenburg schon seit Anfang 1930 — nach Bekanntwerden des Silverberg-Plans — als gerechte Ausgleichsabgabe zu Lasten des industriellen Wachstumsfaktors und zugunsten der Landwirtschaft einforderte. Luther hielt eine Aufforstung in den Grenzgebieten und im übrigen eine weitgehende Eliminierung von Soziallasten und steuerrechtliche Präferenzen für alle künftig in die Ostgebiete ziehenden natürlichen oder juristischen Personen für bessere, erfolgversprechende Lösungen. Das zusätzliche und neuerlich prekäre Problem der Berufsaussichten eines rasch zunehmenden Nachwuchses für bereits „überfüllte" akademische Berufe und die hieraus folgenden wirtschaftlichen — und politischen — Schwierigkeiten versuchte Schäffer in die Erörterung einer „kolonialen Betätigung" einzubringen, die Luther eng mit der Ostproblematik verknüpfen wollte. Beide einigten sich auf eine stärkere Pflege der Beziehungen zu den an Deutschland grenzenden Ostgebieten, da „in die Vorbereitungszeit eine besondere Berücksichtigung der Bedeutung der Ostgebiete für Deutschland hineingehöre", schrieb Schäffer. Es steht 574
Dies geht aus einem weiteren umfangreichen Vermerk Schiffers v o m 6. November
hervor; Orig. IfZ, Nachl. Schäffer/29.
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außer Frage, daß hierzu neben einer „Osthilfe", ganz gleich, welche Formen sie annehmen würde, auch eine weitere Entfaltung der deutschen Ostpolitik — im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten — gehörte. Schäffer erkannte, daß die Ostgrenzbezirke nur durch Einwirkungen und — geistige wie wirtschaftliche — Expansion in den weiteren Osten zu sichern waren. 575 Inzwischen hatte Schiele seine agrarpolitischen Maßnahmen Stück um Stück über Beschlüsse der Reichsregierung in das vorbereitete Gesetzgebungswerk eingebracht, wenn auch nicht alle Vorhaben verwirklicht. 576 Zur Vorbereitung der zweiten Internationalen Zoll- und Wirtschaftskonferenz in Genf beschloß man als deutsche Marschroute, Zollermäßigungen in Aussicht zu stellen unter der von Schiele ausdrücklich festgehaltenen Bedingung, „daß es sich nur um industrielle Waren" handele; 577 hingegen sollten Handelsvertragsverhandlungen mit agrarwirtschaftlichen Implikationen, so mit Rumänien, hinausgezögert und in sämtlichen Verträgen die Meistbegünstigungsklauseln „umgestellt" werden. Daß dieser Grundsatz nicht entschiedener präzisiert wurde, lag an der von Dietrich ins Feld geführten Absicht, durch ein allgemeines, auf Gegenseitigkeit angelegtes zollpolitisches Entgegenkommen die Agrarstaaten Rumänien, Jugoslawien, Ungarn und Bulgarien für deutsche Industriewaren aufnahmebereit zu machen und in eine engere dauerhafte Verbindung zu Deutschland zu bringen, was auch im Hinblick auf „machtpo-
=75
„Man müsse die Tatsache ausnutzen, daß Deutsch das Esperanto des Ostens sei."
a. a. O. 576
Umfassende, nicht allein nur ostdeutsche Forderungen aufnehmende Vorschläge zur
Steigerung des Absatzes deutscher Agrarerzeugnisse unterbreitete Schiele der Reichskanzlei mit Schreiben v o m 23. Oktober: den gesetzlichen Verwendungszwang für inländische Gerste, Malz und Hopfen; Verwendungszwang von Roggenmehl und Zusatz von Kartoffelstärkemehl für Weizengebäck ohne Kennzeichnung; Verwendungszwang deutscher tierischer Fette bei der Margarineherstellung; weitere Entlastungen des Kartoffelmarktes durch Förderung der Herstellung von Kartoffelflocken und Erhöhung der Spirituserzeugung; neue bzw. erhöhte Zölle für eingeführte Weizenkleie, Futtergerste, Weizen und Braugerste, schließlich eine erweiterte Einfuhrscheinkontingentierung für Weizen. Hierzu Referentenvortrag von Feßler vom 25. Oktober; B A , R 43 1/2544. Fast in allen Punkten setzte Schiele sein Vorhaben im Verlaufe zweier Kabinettssitzungen durch — trotz anfanglicher Einwände des Finanzministers und des Wirtschaftsministers —, wenn auch noch nicht vollständig in Gestalt verbindlicher Beschlüsse der Reichsminister. Die Weizenzollerhöhung wurde unverzüglich durch Notverordnung v o m 25. Oktober 1930 in K r a f t gesetzt (RGBl I, 1930, S. 480). AR: Brüning, 1, S. 5 5 4 - 5 6 4 . 577
Aufzeichnung Feßlers; a. a. O., S. 614 f f .
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litische Beziehungen" wünschenswerte Folgen hätte; denn dies würde „auch der Anschlußfrage Österreich nur förderlich sein. Die Tschechoslowakei würde dann gezwungen werden, sich einzugliedern." Diese weit ausholende, außenpolitisch programmatisch anmutende Überlegung, die mit den bekannten Erwägungen Schäffers und Luthers in gewisser Hinsicht übereinstimmte, veranlaßte Schiele zu einiger Zurückhaltung. Daß sich aber die politischen Gewichte verschoben hatten und weiter verschoben, bezeugt die unterschiedliche Bewertung westdeutscher und ostdeutscher Petitionen um subsidiäre Maßnahmen, zunächst die Reaktion der zuständigen Reichsinstanzen auf die begreiflichen Einwände des Kölner Oberbürgermeisters Adenauer. Er wandte sich mit der Bitte an den Reichskanzler, eine schematische Senkung der — dem Konsumenten zugute kommenden — Realsteuern (Hauszins-, Gewerbe- und Grundsteuer), die insgesamt keine nennenswerten Entlastungen brächte, nur dann vorzunehmen, wenn den Gemeinden für den darniederliegenden Wohnungsbau „gerade für die untersten Schichten, die am meisten unter der Wohnungsnot gelitten haben", Mittel zur Verfügung gestellt würden. Als geeigneten Weg empfahl Adenauer, den Gemeinden das Recht von Zuschlägen auf die Einkommensteuer einzuräumen. 578 Das Reichsfinanzministerium lehnte ab. Der zuständige Ministerialdirektor Zarden weigerte sich, überhaupt hierzu Stellung zu nehmen. Der im Einvernehmen mit dem Deutschen Städtetag, dessen engerem Vorstand Adenauer angehörte, unternommene Schritt des angesehenen Kölner Oberbürgermeisters bei seinem Parteifreund Brüning, um die zunehmend prekäre finanzielle Notlage der Gemeinden zu erörtern, blieb ohne Wirkung, sogar ohne Erwiderung. Ganz anders wurden agrarische Interessen und Forderungen behandelt. Die Reichsregierung beschloß in langwierigen Beratungen, natürlich unter Mitwirkung Schieies, ein umfangreiches Preissenkungsprogramm bei fürsorglicher Auslassung agrarischer Erzeugerpreise, das auf verschiedenen Wegen durchgeführt werden sollte. 579 Damit glaubte sie, dem von Gewerkschaftsführern und Unternehmern unter Stegerwaids Anleitung vereinbarten Grundsatz nachzukommen, eine „Senkung des Lohnniveaus ... tragbar zu machen durch Preisermäßigung in den Artikeln
578
Adenauer an Brüning, 10. November; a. a. O., S. 616 ff.
579
Reichsministerbesprechung am 11. November; B A , R 4 3 1/1447; Sitzung des Kabi-
nettsausschusses für Arbeits- und Preisfragen am 17. November; BA, R 43 1/1159; Zusammenstellung Feßlers v o m 15.; AR: Brüning, 1, S. 618—633.
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des täglichen Bedarfs". 5 8 0 Doch schon am 20. November präsentierte die Führung des Reichslandbundes unter seinem neuen, deutschnationalen Präsidenten Graf v. Kalckreuth dem Reichskanzler eine Liste weiterer Forderungen, die in die Richtung der bisher von der Reichsregierung beratenen Vorhaben wiesen, jedoch in jedem Punkte noch mehr verlangten, als bisher vorgesehen, mithin die Schraube des Drucks durch die ostdeutsche Landwirtschaft in eklatanter Weise anzuziehen versuchten. 5 8 1 „Sofort" sollte ein „Zwang auf die deutsche Bevölkerung ausgeübt werden, statt ausländischer Nahrungsmittel deutsche Erzeugnisse zu verzehren". Für die wichtigsten sollten die Preise durch Verwendungszwangsmaßnahmen, Bewirtschaftung und neue Zollsätze stark heraufgesetzt werden, bei allen Viehimporten bis auf 50 Prozent des Wertes. Diesmal wurden auch prohibitive Maßnahmen gegen Holzeinfuhren aus Rußland verlangt. Rückständige Steuern sollten generell naturaliter, durch Roggenlieferungen zu einem hoch angesetzten Fixpreis pro Tonne beglichen werden können. Auch das schon von Schiele vertretene, aber noch nicht durchgesetzte Südfrüchtemonopol wurde erneut vorgebracht. Außer diesen Forderungen, die der ostdeutschen Agrarproduktion erhebliche dauernde Vorteile verschaffen sollten, wurde der schon länger befürwortete generelle Vollstreckungsschutz im gesamten Osthilfegebiet verlangt, während die bisherige Praxis der Umschuldung kurzhin als Maßnahme der „Sozialisierung" abgetan wurde, da Preußenkasse und preußische Regierung die Offenlegung der Privatverhältnisse der die Umschuldung beantragenden Landbesitzer rechtens erzwingen konnten. Hieraus folgerten die Landbundführer: „Preußen verfolge klar die Tendenz, den Großgrundbesitz [der in der Tat hiervon betroffen war] ... zu zerschlagen. Die Mitarbeit Preußens müsse deswegen ausgeschaltet werden." Die später formulierten Vorwürfe „bolschewistischer" Pläne und das Verlangen nach einer grundstürzenden Änderung der Regierungsverhältnisse in Preußen deuteten sich hier schon an; sie lagen ebenso in der Luft, wie die angedrohte äußerste Radikalisierung der Landbevölkerung für die Zukunft schärfste Opposition verhieß. 580
So Silverberg in einer Besprechung im Reichsarbeitsministerium am 12. November,
an der von den Gewerkschaften u. a. G r a ß m a n n ,
Arons und Spliedt ( A D G B ) ,
Otte
(Christliche Gewerkschaften) und Lemmer (Gewerkschaftsring, Hirsch-Duncker) teilnahmen, v o m
RDI
und der Arbeitgebervereinigung
außer Silverberg v. Borsig,
Müller-
Oerlinghausen, Kastl, K ö t t g e n und Brauweiler. Aufzeichnung Schulz, Politik, 1, S. 461 ff.; hierzu auch Rundschreiben des Gesamtverbandes der Christlichen Gewerkschaften v o m 13. N o v e m b e r ; a. a. O . , S. 464 f.; Protokoll des A D G B Jahn, Gewerkschaften, S. 171 ff. 381
Aufzeichnung Feßlers; A R : Brüning, 1, S. 6 3 5 - 6 3 9 .
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Brüning ließ sich hierauf in der von ihm stets beobachteten sachlichen und emotionslosen Weise ein, indem er auf eine Reihe von Forderungen einging. Doch am Ende trat er der Delegation, wie der Protokollant vermerkt, mit Entschiedenheit entgegen und verlangte eine Einwirkung auf die „Landwirtschaft", die in ihrer Presse die Reichsregierung in scharfer Weise bekämpfe, selbst zur Radikalisierung beitrage und dadurch auch die deutschen Auslandskreditbeziehungen gefährde. Die Lage der Weltwirtschaft sei außerordentlich schwierig. Der Reichslandbund sollte daher für Aufklärung der Zusammenhänge sorgen. „Außenpolitik könne nicht nach innerpolitischen Agitationsbedürfnissen eingerichtet werden." Damit traf der Reichskanzler den offenkundig schwächsten Punkt der agrarpolitischen Sprecher. Immerhin entließ er sie mit der Zusicherung, daß die Regierung ihrerseits alles tun wolle, um „in der Landwirtschaft eine Beruhigung herbeizuführen". Dies erwies sich als äußerst schwierig. 582 Unbeschadet der großen Anstrengungen, die die Reichsregierung unter dem Einfluß Schieies zugunsten der Osthilfe und weiterer subsidiärer Maßnahmen im Sinne agrarischer Interessen unternahm, blieb die Opposition der ostdeutschen Agrarier gegen diese Regierung ebenso wie gegen ihre Vorgängerinnen und gegen die preußische unverändert — bis zum Sturze Brünings. Größeres Entgegenkommen provozierte lediglich erhöhte Forderungen. Gewiß hatte in einigen agrarischen Regionen Preußens die staatliche Berliner Administration mitsamt der Personalpolitik in der allgemeinen und inneren Verwaltung gerade dort versagt, wo sie Parteibekenntnisse für gravierend hielt, während die Anforderungen in der sich wandelnden Situation stetig wuchsen. In der Tat: „Die Agrartheorie gehörte zu den schwächsten Stützen innerhalb der Parteiideologie" der SPD. 583 Die entschiedenste und einflußreichste Opposition gegen die sozialdemokratische Regierung in Preußen machte in ihrem Radikalismus noch weniger Unterschiede. Sie versuchte, auch die Reichsregierung unter Druck zu setzen oder zu stürzen, die mehr Entgegenkommen bewies als guttat. 382
Daß der Reichslandbund durch seine Demarche auch einen starken politischen Druck
unmittelbar auf den Reichskanzler ausüben wollte, der sich jedoch zu wehren wußte, ergibt sich indirekt aus einem Brief des Direktors (Geschäftsführer) v. Sybel an Brüning: „... Es nutzt Ihnen nichts, daß ein paar Führer oder Abgeordnete der Landwirtschaft die Regierungspolitik unterstützen ... Je größer die Not und damit der Radikalismus, um so wichtiger ist es, die Front nach rechts hin zu erweitern ..." Im Auszug abgedruckt a. a. O., S. 638, Anm. 9. 583
Hans Georg Lehmann, Die Agrarfrage in der Theorie und Praxis der deutschen und
internationalen Sozialdemokratie. Vom Marxismus zum Revisionismus und Bolschewismus, Tübingen 1970, S. 267.
224
I. Die Regierung Brüning 1930
Plafondgeset^entwurf,
Anleihevertrag
und
Notverordnung
Brüning ließ alle Vorlagen als Gesetze ausarbeiten und zögerte bis fast zur letzten Stunde vor dem erneuten Zusammentreten des Reichstags, eine Notverordnung zu erlassen, in die die mannigfachen Vorhaben seiner Regierung sowie neue Forderungen von Interessengruppen eingebaut waren. Dieses Zögern ging auf erneute interne, in und von der Reichskanzlei veranlaßte Überlegungen zurück, in welchem Umfange nunmehr das präsidentielle Verordnungsrecht nach Artikel 48 in Anspruch genommen werden könne. Eine Referentenstellungnahme vom 18. November vermutete, daß die im Entwurf enthaltenen Bestimmungen zur Ausgabenbegrenzung in den Haushalten des Reiches, der Länder und der Gemeinden auf Grund der Bestimmungen des Artikels 48 vom Reichspräsidenten verfassungsgemäß „angeordnet werden" könnten. Der Referent fügte hinzu, daß der befragte Staatssekretär Zweigert vom Reichsinnenministerium noch jede Stellungnahme ablehne, aber nach Fühlungnahme mit Staatssekretär Joël vom Reichsjustizministerium ein Gutachten erstellen werde. 584 Reichskanzler und Reichsregierung mußten mit ihrer Entscheidung noch warten; denn eine Stellungnahme des vorgesetzten Ministerialdirektors in der Reichskanzlei half in der Sache nicht weiter, komplizierte noch die Frage. Er vertrat die Auffassung, daß eine Verordnung des Reichspräsidenten über die Ausgabenbegrenzungen erlassen werden könne. „Da die Zuständigkeiten [des Gesetzgebers] auf den Reichspräsidenten übergegangen sind, dürfte auch das Budgetrecht des Reichstags dem Erlaß einer Verordnung durch den Reichspräsidenten nicht entgegenstehen." Doch dies treffe nicht im Hinblick auf verfassungsändernde Gesetze zu, die durch Verordnungen des Reichspräsidenten nicht ersetzt werden dürften; das galt namentlich für die Einschränkungen des Personalaufwands, da sie in die durch die Verfassung garantierten „wohlerworbenen Rechte der Beamten" eingriffen. 585 Eine Besprechung des Ministerialdirektors v. Hagenow mit Staatssekretär Joël ergab im Hinblick auf den nunmehr als „Plafondgesetz" titulierten Entwurf von Maßnahmen zur Begrenzung der Haushalte von Reich, Ländern und Gemeinden sogar noch bedenklichere Gesichtspunkte. Offenbar bezweifelte Joël, daß überhaupt das „Tatbestandsmerkmal der Störung von Sicherheit und Ordnung" gegeben sei.586 Infolge384
Vermerk des Ministerialrates Wienstein; AR: Brüning, 1, S. 633 f.
585
Ministerialdirektor v. Hagenow; a. a. O., S. 639 ff.
586
Dies ergibt sich aus einem Schreiben Pünders an Joël v o m 24. November; abgedruckt
a. a. O., S. 648 f. Spätere Ereignisse bestätigten das Gewicht dieser Bedenken. Vgl. S. 785 — 795.
Der Weg £ur ersten großen
Notverordnung
225
dessen entfiel die rechtliche Handhabe zur Anwendung des Notverordnungsrechts des Reichspräsidenten. Daraufhin erhob Pünder die eindringlichsten Vorstellungen: Dieses Gesetz sei „geradezu der Drehpunkt des ganzen Wirtschafts- und Finanzplanes der Reichsregierung, und zwar keineswegs nur für die Zukunft von 2 bis 3 Jahren, sondern gerade auch für die Gegenwart und allernächste Zukunft". Es sei „völlig ausgeschlossen, daß auch nur 1 Pfennig Geld neuer langfristiger Kredite nach Deutschland käme", wenn das „Plafondgesetz" nicht verwirklicht würde. 587 Dies zeigt die wirklichen Sorgen der Reichsfinanzpolitik an, die aber kaum als die nach der Reichsverfassung entscheidende Begründung für eine drohende „erhebliche" Störung von „Sicherheit und Ordnung" gelten oder mit ihnen gleichrangig rangieren konnten. Fehler und Defizite der Haushaltspolitik bezeugten eine Zwangslage der Reichsregierung. Doch dies blieb ein Sachverhalt ganz anderer Qualität. Es charakterisiert die Situation, daß dies nicht nur nicht offen, sondern höchstwahrscheinlich auch nicht vertraulich in engeren Kreisen erörtert wurde. Dafür deutete Pünder ein bis dahin sorgsam gehütetes Geheimnis an, einen Sachverhalt, der sich aus dem Vertrag über eine 125-Millionen-Dollar-Anleihe mit einem Bankenkonsortium unter Führung von Lee, Higginson & Co. ergab und an dieser Stelle noch einer Erklärung bedarf. Die Reichsregierung hatte Anleiheverhandlungen mit dem New Yorker Bankhaus im September mit der Feststellung eröffnet und damit den Bedarf einer großen Auslandsanleihe des Reiches begründet, daß sich die allgemeine Lage nach dem Haager Abkommen nicht wie erwartet entwickelt habe und keine Entspannung eingetreten sei. Da Deutschland, wie andere Länder, unter einer stetigen Zunahme der Arbeitslosigkeit litte, seien einerseits weitaus größere Mittel für die Arbeitslosenfürsorge erforderlich, anderseits wesentliche Staatseinnahmen, insbesondere das Aufkommen aus der Umsatzsteuer und einigen Verbrauchssteuern zurückgegangen, was einen Haushaltsfehlbetrag verursacht habe. Die weiteren Ausführungen glichen bereits der Erläuterung eines unter den gegebenen Umständen durchführbaren Finanzprogramms. Um die Krisenwirkungen nicht noch weiter zu verschärfen, beabsichtige die Reichsregierung, den Fehlbetrag auf zwei Jahre zu verteilen und in der Zwischenzeit die erforderliche Kassensicherheit durch einen Kredit zu erreichen, der den innerdeutschen Bedarf möglichst wenig belastete. Abhilfen
587
Ebda.
226
I. Die Regierung Brüning 1930
nahm sie dergestalt in Aussicht, daß sie „die ständige Bedrohung des Haushalts von der Seite der Arbeitslosenversicherung" beenden wollte, indem sie die Arbeitslosenversicherung ganz auf das Beitragsaufkommen und die Beiträge des Reiches zur Krisenfürsorge — für die bereits länger als 26 Wochen arbeitslosen Arbeitnehmer — und auf eine feste Summe begrenzte. Die hierfür erforderlichen Mittel sollten durch „Belastungen des entbehrlichen Verbrauchs", durch Herabsetzung der Beamtengehälter und durch Verminderung von Ausgaben aufgebracht werden. Unter dem Druck der Rezession und der Verknappung auf dem internationalen Geldmarkt konnte die Regierung dies wohl als logisch folgerichtige Konsequenz darstellen, zumal die früheren Mahnungen des Reparationsagenten Parker Gilbert stets die Richtung einer Reduzierung der Ausgaben der öffentlichen Hand als unabwendbare Folge der deutschen Reparationsverpflichtungen gewiesen hatten. Der Nutzen ausländischer Hilfe durch eine große Anleihe für das Reich wurde neben der Ausgleichs- und Uberbrückungswirkung in einer innerpolitischen Beruhigung Deutschlands gesehen; „mit einer Besserung der wirtschaftlichen Lage" werde „ein Abströmen der Wähler von den radikalen Parteien eintreten. Die deutsche Wirtschaft, auf deren Entwicklung in dieser Hinsicht alles ankommt, ist gesund, und die Regierung wird eine energische Politik treiben, die dieser Wirtschaft die Lebens- und Aufstiegsmöglichkeiten erhält." 588 Die Einwerbung der Anleihe bediente sich mithin einer stark innerpolitisch gefärbten Argumentation. Einige Tage später teilte die Pariser Vertretung des amerikanischen Bankhauses mit, daß sich die Banque de France an dieser Anleihe beteiligen wolle, aber von der Reichsregierung eine Äußerung verlange, ob es zu einer Verschlechterung ihres Finanzprogramms kommen könne und dann der Überbrückungskredit die Gefährdung der Reichsfinanzen lediglich verzögern würde. 589 Hierdurch wurde von französischer Seite ein Pressionsmoment in die Verhandlungen eingeführt, das bleibende Spuren hinterließ. Der Anleihevertrag zwischen dem Reichsfinanzministerium und dem Bankenkonsortium unter Führung und vorrangiger Beteiligung von Lee, Higginson & Co. konnte acht Tage später unterschrieben werden. 590 In
588
Ungezeichneter Vermerk „Stichworte für den Empfang der Herren von Lee Higginson" vom 26. September; Abschr. BA, R 2/3784. Vermerk „Anfrage der Herren Lee, Higginson und Co. vom 3. Oktober 1930" mit gleichem Datum; Abschr. BA, R 2/3784. 5 "' Schulz, Politik, 1, S. 400, Anm. 6.
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der Zwischenzeit wurde eingehend verhandelt. Ein Katalog von Fragen, den das New Yorker Bankhaus dem deutschen bevollmächtigten Unterhändler, Staatssekretär Schäffer, vorlegte, ergab die Notwendigkeit, in werbender Absicht die Grundgedanken und Hauptkomplexe eines umfassenden Finanzprogramms der Reichsregierung schriftlich niederzulegen, was von Brüning gebilligt und beifällig kommentiert wurde, „weil dadurch gegenüber den wichtigen Stellen des Auslandes, vor allem den internationalen, vor allem den amerikanischen Geldgebern, schon eine gewisse Festlegung hinsichtlich des deutschen Regierungsprogramms erfolgt", worauf dann bei den bevorstehenden parlamentarischen Verhandlungen über das Regierungsprogramm „nicht stark genug hingewiesen werden" könne. 5 9 1 Der Reichskanzler betrachtete diese Zwangslage als taktisch vorteilhaft für Verhandlungen mit den Parteiführern. Offenbar sah sich Brüning in seiner Ansicht bestärkt, mit Hilfe eines derartigen Druckmittels einen ausreichenden Konsens unter den Reichstagsparteien herbeiführen zu können. Einige Tage später unterrichtete Schäffer jedoch die Reichsminister darüber, daß das Bankenkonsortium auf einem Schuldentilgungsgesetz bestehe, das unter Mitwirkung des Reichstags zustande kommen werde, was Brüning zu einer Hinausschiebung des Termins der Vertragserfüllung veranlaßte. 5 9 2 Als Nächstes folgte ein kurzes Zwischenspiel französisch-deutscher Gespräche, deren Ergebnis man wohl schon als den Anfang vom Ende permanenter deutsch-französischer Verhandlungskontakte unter der Ministerpräsidentschaft André Tardieus betrachten muß. Obgleich die französische Seite dem Konsortium für einen 125-Millionen-Dollar-Kredit lediglich eine Beteiligung in Höhe zwischen fünf und 7,5 Millionen Dollar anbot, die nicht entscheidend zu Buche schlug, vermutete das Auswärtige Amt, daß die Pariser Regierung die Gelegenheit zu einer prohibitiven Demarche und entsprechenden Weisungen an die Banque de France benutzt habe. 593 Die beteiligten Ministerien einigten sich in einer Chefbesprechung unter Vorsitz des Reichskanzlers darauf, der französischen Regierung wohl über die Finanzlage Deutschlands Auskunft 591
Vermerk Pünders v o m 2. Oktober mit Anlage, Orig.-Durchschi, des Fragebogens
und der Antworten; BA, R 43 1/2366; abgedruckt A R : Brüning, 1, S. 489 ff. 5,2
4. Oktober; a. a. O., S. 499 f.
s93
Informierender
Vermerk,
wahrscheinlich
von
Staatssekretär
Schäffer,
vom
8. Oktober, Orig.-Durchschi, in der Reichskanzlei; BA, R 43 1/2366. Der Anfang stimmt wörtlich überein mit der nachfolgenden telegraphischen Weisung des Staatssekretärs v. Bülow an die Botschaft in Paris v o m 9. Oktober, „Geheim"; A D A P , B, X V I , S. 11 f.; Vermerk Pünders vom 6. Oktober; A R : Brüning, 1, S. 502 f.
228
I, Die Regierung Brüning 1930
zu geben, aber jede „Verquickung mit den Anleiheverhandlungen zu vermeiden". Im Falle einer Nichtbeteiligung der französischen Seite sollten die Verhandlungen jedoch fortgesetzt und für den ausfallenden Anteil deutsche Banken unter Führung der Reichsbank eintreten, was ganz und gar unproblematisch schien. 594 Entsprechende Weisung erging an den deutschen Geschäftsträger in Paris. Aus der Antwort des Botschaftsrats Rieth am Abend des 10. Oktober über ein Gespräch mit dem Generalsekretär des Quai d'Orsay ergab sich zweifelsfrei, daß die französische Regierung den Krediten erst nach einer im Reichstag durchgebrachten Finanzreform zustimmen wollte. 595 Bülow wies hierauf Rieth telefonisch an, keine weiteren Schritte zu unternehmen. Die französische Haltung komme einem „Nein" gleich; die Reichsregierung werde daher ohne Beteiligung Frankreichs den Anleihevertrag abschließen. 596 Damit war Frankreich aus den Verhandlungen ausgebootet. Für die Reichsregierung blieben aber Bedingungen, die der Anleihevertrag vom 11. Oktober 597 festschrieb. Seine Konstruktion war derart, daß die Absicht der Reichsregierung zugrunde gelegt wurde, unverzüglich nach dem Zusammentritt des Reichstags eine gesetzgeberische Maßnahme vorzuschlagen, die zur Bildung eines Fonds unter der Reichsschuldenverwaltung führen sollte. Das Reich verpflichtete sich, regelmäßig, beginnend mit dem 1. April 1931, in diesen Fonds Monatsbeträge in Höhe von 35 Millionen RM einzuzahlen; für diesen Zweck waren in jedem der drei Haushaltsjahre 1931, 1932 und 1933 mindestens 420 Millionen einzustellen. Die „gesetzgeberische Maßnahme" hierzu sollte noch vor dem 8. November in Kraft treten. Schließlich verpflichtete sich die Regierung zur Schaffung von Reichsschatzanweisungen in vier Serien, jeweils bis zum „maximalen Nennbetrag" von 125 Millionen Dollar, die am 16. Mai und am 15. November der Jahre 1931 und 1932 zur Rückzahlung fällig und nach Order von Lee, Higginson & Co. in Goldmünzen der Verei-
5,4
Vermerk über die Chefbesprechung, mit Paraphen v o m 10. Oktober; BA, R 43 1/
2366. 595
Telegramm Rieths an Bülow, „Ganz Geheim!"; BA, R 43 1/2366.
5%
ADAP, B, X V I , S. 13; Telegramm und Telefonat überschnitten sich.
557
Gesiegelte Originalausfertigung B A , R 2/3784, 11 S., von deutscher Seite unterzeich-
net von Reichsfinanzminister Dietrich und — innerhalb des Konsortiums, f ü r das Reichsbank-Direktorium, das 1 8 7 5 0 0 0 0 $ aufbrachte, — von Dreyse und Vocke. Lee, Higginson & Co. zeichneten f ü r 8 8 2 5 0 0 0 0 S, die holländischen Banken Mendelssohn & Co., Amsterdam, und Nederlandsche Handel Maatschappaj für weitere zehn Millionen, so daß insgesamt 1 1 7 Millionen Dollar aufgebracht wurden. Der für französische Leistungen vorgesehene Betrag blieb ungedeckt.
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nigten Staaten in den Geschäftsräumen der New Yorker Bank auszuzahlen waren. Hierfür übernahmen die Bankiers die Verpflichtung, jeweils ein Vierteljahr vorher, ab dem 15. November 1930, diese Schatzanweisungen anzukaufen, wobei jedem folgenden Ankauf eine Abrechnung der Zinsen zum Satze von 4,5 Prozent per annum für den voraufgehenden Zeitraum gutgebracht wurde. Die Schatzanweisungen der nächsten Serie sollten also die der voraufgegangenen ersetzen. Für die Bereitstellung der Gelder zum Ankauf der ersten Serie der Reichsschatzanweisungen, also vom 8. November 1930 an, vereinbarte man vertraglich eine Bereitstellungsprovision in Höhe von 2,5 Prozent des Nennbetrags von 125 Millionen Dollar. In freien Worten ausgedrückt, fiel jeder weitere Tag nach dem 8. November den Reichsfinanzen zusätzlich zur Last. Schon aus diesem Grunde sah sich Brüning zu raschem Vorgehen veranlaßt. Daß die innerpolitischen Verhandlungen und Besprechungen über diesen Termin hinaus anhielten, läßt sich indessen aus seinen Bemühungen erklären, eine weitere, außervertragliche Bedingung des Anleihekonsortiums zu erfüllen: Als Gesetzgebung im Sinne des Vertrages galt lediglich „legislation enacted with the concurrence of the Reichstag". 598 Der Reichskanzler war gehalten, die äußersten Anstrengungen an den Tag zu legen, um eine beschlußfähige Reichstagsmehrheit zu gewinnen — unter dem Druck einer täglich wachsenden Leistungsverpflichtung ohne Nutzen —, ehe er dann auf die weitere, die Alternative bereits andeutende Bestimmung einging: „The Reich and the Bankers will reconsider whether and in what form the credit can be carried through." Die weiteren Unterhandlungen entziehen sich unserer Kenntnis. Alle diese Vereinbarungen wurden ohne Beratungen oder Beschlüsse der Reichsminister getroffen. Doch die Zwangslage, in die sich Brüning durch die Verhandlungen über den großen Kredit von amerikanischer Seite gebracht sah, ist ebenso unverkennbar wie die Bedeutung der Zeitfrage im Hinblick auf eindeutige Ergebnisse. Angesichts dieses Standes der Dinge deutete Brüning noch in der Reichsministerbesprechung am Nachmittag des 24. November an, daß eine Entscheidung offen sei. Die Reichsregierung müsse sich entschließen, ob sie die „zum Wirtschafts- und Finanzplan gehörenden neuen Gesetze" dem Reichstag „zur Weiterberatung" zuleiten könne oder ob diese vor dessen Zusammentritt „in Gestalt einer neuen Notverordnung verkündet 598 Ergänzendes Schreiben 11. Oktober; BA, R 2/3784.
des
Konsortiums
an
den
Reichsfinanzminister
vom
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I. Die Regierung Brüning 1930
werden müßten. Sein Ziel gehe unter allen Umständen dahin, mit den Gesetzen, allerdings ohne den Etat 1931, bis zum 23. Dezember 1930 im Reichstag fertig zu werden." 599 Nicht zuletzt die eingefügte Einschränkung, die sorgsame Überlegungen erkennen läßt, spricht dafür, daß sich der Reichskanzler noch nicht ganz schlüssig war und zwischen den beiden Wegen, die er einschlagen konnte, abzuwägen versuchte. Als am Abend des folgenden Tages der ehemalige Reichskanzler Hermann Müller, durch die Meldungen Berliner Zeitungen alarmiert, denen zufolge Brüning fest entschlossen war, den Wirtschafts- und Finanzplan mit Hilfe des Artikels 48 in Kraft zu setzen, in der Reichskanzlei nachfragte, erwiderte Pünder wahrheitsgemäß, daß sich mit dieser Frage „noch mit keinem Wort das Kabinett befaßt" habe und daß auch keine Unterredung beim Reichspräsidenten angemeldet worden sei.600 Pünder notierte allerdings auch die Einschränkung — „in voller Loyalität" —, daß dies nicht bedeute, „daß eine Notverordnung nicht komme". Müller zeigte sich hierdurch offenbar ausreichend unterrichtet und bemerkte, Pünders Notiz zufolge, „daß bei der Feststellung des Versagens des Reichstags in seiner Mehrheit natürlich für den Herrn Reichskanzler eine völlig neue Situation geschaffen sei". Seitdem am Abend des 18. November „sehr geheim" Vogler bei Brüning vorgesprochen und ihn über eine lange Unterredung von „acht der ersten Bank- und Industriegrößen aus ganz Deutschland" mit Hugenberg unterrichtet hatte, den sie für eine Unterstützung der Reichsregierung weichklopfen wollten, 601 mußte Brüning erneut den Parteiführer der Deutschnationalen in seine Verhandlungsrunde einbeziehen. Sie begann mit der Zentrumspartei und führte am Nachmittag des 26. November zu einer zweieinhalbstündigen Unterredung mit Hugenberg, wieder mit völlig negativem Ausgang. Danach verhandelte der Reichskanzler mit dem Fraktionsvorsitzenden der BVP, Prälat Leicht, und zuletzt mit den
595 AR: Brüning, 1, S. 647. im Aufzeichnung Pünders vom 25. November; a . a . O . , S. 650 f. Innerhalb der von Pünder herrührenden Überlieferungen gibt es allerdings einen Widerspruch. Dem Tagebuch zufolge — Reichskanzlei, S. 76 — hatte er auf den 24. November „die Sozialdemokraten durch den früheren Reichskanzler Hermann Müller" in die Reichskanzlei gebeten. Aber seiner Aufzeichnung vom 25. November nach sollte eine Zusammenkunft zwischen Brüning und Müller noch vereinbart werden; aus einem Randvermerk geht hervor, daß sie auf den 27. nachmittags festgesetzt wurde. In den Akten fehlt jeder weitere Hinweis. Die folgenden Tage waren mit anderen Besprechungen ausgefüllt. a " Pünder, a. a. O., S. 75; Aufzeichnung Pünders vom 26. November; AR: Brüning, 1, S. 652 ff.; vgl. Brüning, Memoiren, S. 209 ff.
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Sprechern der sozialdemokratischen Fraktion, Breitscheid, Hilferding und Hertz, die für ein Entgegenkommen ihrer Partei noch einige Änderungen der im Haushaltsausschuß des Reichstags bereits eingehend erörterten Gesetzesvorlage im Hinblick auf die Krankenversorgung, die Arbeitslosenversicherung und die Bürgersteuer verlangten und einiges davon am folgenden Tage in Verhandlungen mit Reichsarbeitsminister Stegerwald auch durchsetzten. 602 Natürlich wußten die Sozialdemokraten wie jeder der Beteiligten, „daß beim Scheitern des Kabinetts Brüning im Reiche das Fallbeil über die preußische Koalition sofort herabfällt". 603 Hugenberg bezeichnete eine Regierungsumbildung in Preußen unter Beteiligung der Deutschnationalen als conditio sine qua non für ein Entgegenkommen seiner Partei. Otto Braun signalisierte daher vorsorglich schon am 27. November in der Öffentlichkeit den möglichen Erlaß einer Notverordnung, 604 was sein Einverständnis mit diesem Schritt andeutete. Der parteioffizielle „Vorwärts" beurteilte am 28. die laufenden Verhandlungen immer noch als Versuch, „die parlamentarische Erledigung des Finanzprogramms zu ermöglichen", und schwenkte erst am Tage danach um, hob nun aber die Terminnot des Reichskanzlers — „mit Rücksicht auf die amerikanischen Reichsanleihegeber und auch mit Rücksicht auf die privaten Kreditbedürfnisse der deutschen Industrie und der deutschen Banken" — ausdrücklich hervor. 605 Der preußische Ministerpräsident erklärte sich dem Reichskanzler gegenüber noch deutlicher in Gegenwart des Vorsitzenden der preußischen Zentrumsfraktion, wie Pünder festhielt: Die Wahl des Zeitpunktes unmittelbar vor Zusammentritt des Reichstags „könne natürlich als ein gewisser Affront gegen das Parlament gedeutet werden", weshalb er einen erheblich früheren Termin vor Wochen und Monaten für „bequemer" gehalten hätte. Aber von diesem Gesichtspunkt abgesehen, sei die neue Notverordnung für die Sozialdemokraten annehmbarer als die frühere vom 26. Juli 1930. Er wolle daher in der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion dafür eintreten, daß sich niemand für die Aufhebung der neuen Notverordnung aussprechen werde, wenn er es auch für
602
Pünder, ebda.; sowie Aktenvermerk Pünders vom 29. November; Orig.-Durchschi.
B A , Nachl. Pünder/136. Neu aufgenommen wurde die Befreiung der Arbeitslosen und Bedürftigen von der Bürgersteuerpflicht. 601
Pünder, Reichskanzlei, S. 76.
604
a. a. O., S. 77.
61,5
Heinrich A . Winkler, Katastrophe, S. 263.
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möglich halte, „daß der radikalere Flügel ... sich der Abstimmung durch Fernbleiben entziehe". Die Gesprächspartner des Ministerpräsidenten, die ja schon auf Müller und die Parteiführung der SPD rechnen konnten, erwiderten, daß dies unbedenklich sei, solange er sich nicht selbst auf die Gegenseite schlüge, womit niemand ernstlich rechnete. 606 Angesichts dieses Ergebnisses der Unterredung mit Otto Braun, nachdem schon Müller, Breitscheid und Hilferding zugestimmt hatten, fand dann auch die noch im Hintergrund geführte Juristenkontroverse über die Anwendung des Artikels 48 im Hinblick auf die Gesetzesvorlagen der Reichsregierung ihren Abschluß. Sie hatte mehr als die verhältnismäßig rasch verlaufenen Verhandlungen mit den Parteiführern die Entscheidung Brünings noch verzögert. Am 26. November hatte Staatssekretär Zweigert Pünder das wenig ermutigende Ergebnis einer Besprechung mit den Staatssekretären Joël und Schäffer und den Ministerialdirektoren des Reichsfinanzministeriums, Dorn, Zarden und Schwerin v. Krosigk, mitgeteilt. 607 Sie fanden den neuen Gesichtspunkt, daß der Reichspräsident im Falle der Anwendung des Artikels 48 „die Zuständigkeiten der Reichs- und Landesgesetzgebung in sich" vereinigte, so daß er auch in die Rechte der Länder und Gemeinden eingreifen dürfte. Die Frage der erheblichen Störung oder Gefährdung von „Sicherheit und Ordnung" wurde offenbar nicht erörtert, jedenfalls nicht mehr erwähnt. Dennoch blieb ein Moment der Konfrontation zwischen präsidentieller Entscheidung und Parlamentsrecht, in dem der Reichstag ein Übergewicht besaß. Es sei nicht möglich, schrieb Zweigert, „daß der Reichspräsident auf Grund des Art. 48 mit rechtlicher Bindung dem Reichstag Schranken für die Ausübung des Gesetzgebungsrechts setzt". Deshalb könne er auch nicht verhindern, daß der Reichstag mit Zustimmung des Reichsrats Ausgaben erhöht oder einsetzt. Der Reichspräsident könne jedoch verbindlich vorschreiben, daß bei der Verwaltung der Ausgaben in den nachfolgenden Haushaltsjahren die Ausgaben des Reichshaushalts 1931 nicht überschritten werden dürften. Diese Interpretation hielt einen Konflikt zwischen dem ordentlichen Gesetzgeber, dem Reichstag, und der Exekutive des Reichs unter dem Gebot des Reichspräsidenten für möglich; insofern erscheint hier die m Aufzeichnung Pünders über eine Unterredung des Reichskanzlers mit dem preußischen Landtagsabgeordneten Heß und dem Ministerpräsidenten vom 29. November; A R : Brüning, 1, S. 661 f. 607
Schreiben Zweigerts; a. a. O., S. 655.
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Situation eines sich gegen den Reichstag stellenden, die Reichsverwaltung mit Hilfe ausnahmerechtlicher Anordnungen des Reichspräsidenten leitenden Reichskabinetts als einer „Kampfregierung" gegen das Parlament vorgebildet. Doch auch in diesem Falle und in dieser Perspektive schien dem Parlament ein stärkeres Recht zugewachsen: soweit nämlich der Reichstag „durch ein späteres Gesetz für die Reichsverwaltung eine Verpflichtung zu bestimmten Ausgaben begründen sollte". Der Reichspräsident könnte nach übereinstimmender Auffassung der für die Rechtsund Verfassungsordnung wie für die Finanzpolitik des Reiches zuständigen höchsten Beamten niemals das Gesetzgebungsrecht des Reichstags einschränken oder ihm rechtlich begründet entgegenwirken. Diese Auffassung widerlegt jede Legende, die die weitere Entwicklung der Notverordnungspraxis in einer „Ära Brüning" aus dem Bestand oder dem Fortwirken „alter Eliten" und ihrer angeblichen Opposition zum Parteienstaat herleiten will. Diese aus den „alten Eliten" hervorgegangenen hohen Beamten bemühten sich um sachgerechte, aber verfassungsrechtlich vertretbare Lösungen, weitaus länger und entschiedener als die mehr an den Opportunitäten der Situation haftenden Politiker aller Parteien. Ihre Erwägungen berücksichtigten mehr Reaktionsmöglichkeiten des Parlaments, als es an den Tag legte. Allerdings setzten sie ein Zusammenwirken von Reichstagsmehrheit und Reichsrat in der Gesetzgebung voraus, wie es die Reichsverfassung unzweideutig verlangte. Dies aber war durch die Entscheidung Preußens bereits so gut wie ausgeschlossen. Im Hinblick auf die vorgesehenen Gehaltskürzungen meldete die Stellungnahme der Staatssekretäre für Länder und Gemeinden gravierende Bedenken an. Sie hielten das Ziel eher durch eine Zusatzbesteuerung der Betroffenen für rechtlich vertretbar, die auch den gleichen Umfang finanzieller Einsparungen erreichen konnte. Eine Behinderung der Pläne der Regierung bedeutete dies nicht, allenfalls eine Beeinträchtigung ihres Prestiges, da sie sich schon festgelegt hatte, was letztlich den Ausschlag gab. Einen Ausweg konnte nach Auffassung der Staatssekretäre allenfalls der Vorschlag des sächsischen Ministerialdirektors und Reichsratsbevollmächtigten Poetzsch-Heffter bieten, der eine sogenannte „Deflationsgesetzgebung" insoweit für verfassungsrechtlich vertretbar hielt, als der Inhalt der Notverordnung auf eine Ermächtigung der Reichsregierung durch den Reichspräsidenten beschränkt blieb, die lediglich die Gesetzentwürfe aufführte, die dann der Reichsrat genehmigte und die mit dessen Zustimmung als Ausführungsverordnungen erlassen würden. Der Reichstag könne dann wohl die Verordnung des
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Reichspräsidenten, aber nicht ohne weiteres die bereits erlassenen Ausführungen wieder aufheben; wenn der Reichsrat der Initiative des Reichstags widerspräche, könnte dieser Einspruch nur durch eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit überwunden werden. In dieser Perspektive erschien mithin des Kanzlers Wunsch nach einem Ermächtigungsgesetz umgekehrt und wurden die Verordnungen der Reichsregierung eben nur durch eine Zweidrittelmehrheit aufhebbar, deren Zustandekommen kaum ernsthaft erwogen zu werden brauchte. 608 Doch nach der eindeutigen Stellungnahme des preußischen Ministerpräsidenten, die letztlich sowohl im Reichstag als auch im Reichsrat ein Stillhalten der Sozialdemokraten wie der unter sozialdemokratischer Führung oder Beteiligung regierten Länder zu gewährleisten schien, hielt Brüning auch eine Erörterung der Vorschläge Poetzsch-Heffters, an die er vorübergehend gedacht hatte, 609 nicht mehr für wünschenswert. Der Gedanke einer Einschaltung des Reichsrats beim Erlaß von Notverordnungen nach Artikel 48 Absatz 2 war nicht neu. 610 Doch das größte Land hat ihn nie vertreten. Früher wie auch später wurde vom Preußischen Staatsministerium niemals eine vom Artikel 48 ausgehende Gefahr befürchtet, sondern eine Stärkung der Reichsmacht ohne Beeinträchtigung Preußens erwartet. 611 Für Brüning wog allein noch der Gesichtspunkt des geringsten Widerstandes und war „Schnelligkeit dringlich geboten, damit Ultimo Dezember überwunden werden", das Reich mit der amerikanischen Anleihe rechnen konnte. 612 Er stand unter dem Eindruck der verrinnenden Zeit und infolge der Verhandlungen überschrittener Termine. Aus diesem Grunde konnten nicht erneut Erörterungen im Reichsrat begonnen werden, der immerhin der Reichsregierung „in der ersten Phase der Durchführung des Programms Gefolgschaft geleistet" hatte. Reichsbankpräsident Luther betonte die höhere Einschätzung der parlamentarischen Verabschiedung durch die ausländischen Kreditgeber, räumte aber der raschen Erledigung „vom kreditpolitischen Standpunkt aus" Vorrang ein, während nur der Reichspostminister auf bayerische Einwände im Reichsrat hinwies. Brüning brachte daraufhin zwei Bedenken gegen Poetzsch-Heffter vor: daß eine allgemeine Ermächtigung durch den Reichspräsidenten nicht mehr dem
«i8 Ygj Kabinettssitzung am 30. November; a. a. O., S. 667. 609
a. a. O., S. 656, Anm. 4, S. 662. " " Vgl. Schulz, Demokratie, S. 474. 611 a. a. O., S. 461. 612 Kabinettssitzung am 30. November; AR: Brüning, 1, S. 663 ff.
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Notverordnung
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Reichsrat vorgelegt werden könne; dies war kein juristisches, sondern ausschließlich ein politisches Argument, mit dem der Reichskanzler die bekannte Einstellung sowohl Hindenburgs als auch des Reichswehrministeriums gegen jedwede Beschränkung des Ausnahmerechtes des Reichspräsidenten 613 zu seiner Sache machte. Der zweite Einwand wandte sich gegen eine Abhängigkeit der Regierung vom Reichsrat, die „in bezug auf die Ausführungsverordnungen vielleicht einmal unangenehm sein könnte" und gegen die sich auch die Parteien wehren würden. Diese Äußerung läßt keinen Zweifel, daß Brüning sich nunmehr auf länger währende Gesetzgebungsverfahren einstellte und diese unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit der Regierungsentschlüsse, mithin der allein noch entscheidenden Verbindung zum Reichspräsidenten beurteilte. Im Grunde nimmt die präsidentielle Regierungsweise mit den Entscheidungen dieser Tage ihren Anfang. Die Stellungnahmen der Reichsressorts fielen noch keineswegs einheitlich aus. Joël versuchte, zwischen verschiedenen Standpunkten zu vermitteln; Zweigert äußerte Bedenken gegen Poetzsch-Heffters Einschaltung des Reichsrats, weil diese gerade die Bedeutung des Reichstags einschränkte, wozu ihm Reichsinnenminister Wirth das Stichwort gegeben hatte, während Reichsaußenminister Curtius gerade in diesen Vorschlägen einen annehmbaren Weg zur Reichsreform erblickte. Den Ausschlag gaben die Voten von Dietrich, Luther und Staatssekretär Meissner — nach der gewichtigen Äußerung des preußischen Ministerpräsidenten —, die eine weitere Verzögerung oder eine Komplizierung der Ausnahmegesetzgebung nach dem Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten entschieden ablehnten. So fiel denn am 30. November innerhalb der Reichsregierung zwar keine unumstrittene, auch keine eindeutig oder einhellig beurteilte, aber doch höchst bedeutsame Entscheidung. Die beratenen Gesetzentwürfe wurden nunmehr in eine umfangreiche, achtteilige Notverordnung umgearbeitet, der das Kabinett schließlich den zusammenfassenden Titel gab „Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Wirtschaftsund Finanzlage". 6 1 4 Reichsernährungsminister Schiele mußte einige Beschneidungen seiner Forderungen hinnehmen, worüber er sich umgehend bei Brüning beschwerte, um den ohnehin zu erwartenden weiteren Forderungen der Landwirtschaft den Boden zu bereiten. 615 Die Reichskanzlei 613
Vgl. Schulz, Demokratie, S. 475 ff., 6 4 7 - 6 5 8 .
614
Kabinettssitzung am 30. November, S. 670—679.
6,5
1. Dezember; a. a. O., S. 6 7 9 - 6 8 2 .
236
I. Die Regierung Brüning 1930
hatte schon am Vortage die einzelnen Texte ausgearbeitet, die dann an einem Sonntag in neunstündiger, bis weit in die Nacht andauernder Kabinettssitzung beraten und beschlossen wurden, um „ein 90 Seiten starkes Gesetzgebungsbuch" dem Reichspräsidenten zur Unterschrift und gleichzeitig dem Reichstagspräsidenten vorlegen zu können. „Eine geradezu bewundernswerte Leistung unserer so viel geschmähten Bürokratie", notierte Staatssekretär Pünder — aber auch die nachdenklichste Bemerkung dieser Tage: „Wenn die Öffentlichkeit wüßte, wie bröckelig in Wirklichkeit die Fassade dieses Kabinetts ist! Drei Minister nur halb bei der Sache. Aber wir bemühen uns, die Fassade in Ordnung zu halten." 616 Das gelang auch fürs erste — gegen liberale Bedenken, bayerische Einwände und agrarische Forderungen. Die beschlossene, erste integrale Notverordnung des Reichspräsidenten unterzeichnete Hindenburg am Abend des 1. Dezember; am nächsten Tage wurde sie bekanntgegeben. 617 Brüning unterbreitete sie der Zentrumsfraktion erst unmittelbar vor Beginn der Sitzung des wiedereinberufenen Reichstags am 3. Dezember. Der Protokollant überliefert dies in der kurzen Feststellung, „daß die Verhandlungen mit den Parteien zu keiner Einigung geführt haben. Dagegen seien verschiedene Parteien bereit, sich vergewaltigen zu lassen." Der Regierung sei daher „nichts anderes übriggeblieben, als dem Reichspräsidenten vorzuschlagen, die Gesetzentwürfe auf Grund des Artikels 48 zu Gesetzen zu erheben". 618 Die bange Frage, was danach kommen werde, warf Staatssekretär Pünder dem Reichskanzler gegenüber auf, die Frage nach den „allerletzten Möglichkeiten, wo die Verfassungstreue in einer Linie wie ein spitzes Kirchendach verläuft. Wenn der Reichstag unsere etwaigen neuen Notverordnungen aufheben sollte, was dann? Auflösung, aber mit neuem Wahlrecht auf Grund einer weiteren Notverordnung und vielleicht auch Hinausschiebung des Wahltermins. Ich bin ziemlich so weit, aber der Reichskanzler ... noch nicht." 619 Eine Anzahl von Ausführungsverordnungen folgte der Notverordnung nach. Die erwarteten Anträge auf Aufhebung im Reichstag wurden, nach längeren Aussprachen, am 6. Dezember mit 292 gegen 254 Stimmen
eite Kabinett Brüning
Deutschland ausgehen. Man dachte an ein Interim von ein, zwei, allenfalls drei Jahren, in dem die deutsche Leistungsfähigkeit ständiger Prüfung unterlag. Sollte sich hierbei eine deutsche Zahlungsunfähigkeit herausstellen, so wollte Hoover, wie Laval unter dem Siegel strengster Geheimhaltung mitteilte, seinerseits eine Überprüfung der interalliierten Schulden veranlassen, was dann die von Frankreich angestrebte Verbindung zwischen Schulden und Reparationsforderungen herstellen würde. Dieser Weg konnte am Ende also zu einem ähnlichen oder gar gleichartigen Ergebnis führen, wie von deutscher Seite angestrebt; aber er versprach langwierig und steinig zu werden. Am gleichen Tage, an dem Hoesch zu Laval zitiert worden war, sprach Fran£ois-Poncet beim Reichskanzler vor. Der Zweck seines Besuchs lag in der gleichzeitigen Darlegung der französischen Auffassung, daß die politischen Schulden Deutschlands nach wie vor Priorität genießen müßten. 194 Brüning ließ sich hierauf nicht ein. Er wandte sich aber an die Öffentlichkeit und erklärte vor dem Parteiausschuß des Zentrums schon am nächsten Tage am Ende einer langen Rede über seine Pläne: Es werde „die Aufgabe sein, dafür zu sorgen, daß in den nun beginnenden Verhandlungen und Besprechungen eine Lösung des Reparationsproblems erfolgt, die dem deutschen Volke erträglich ist und die außerdem der ganzen Welt das Vertrauen wiedergeben kann, daß nunmehr nicht mehr erneut von der Seite der Reparationen eines Tages das Kreditsystem der Welt gefährdet werden kann. Dazu gehört es, daß gleichzeitig mit den Reparationsfragen die Stillhaltefrage so gelöst wird, daß wir auch nach innen und außen von der Seite der privaten kurzfristigen Kredite eine absolute Beruhigung der Atmosphäre im In- und Auslande und damit auch eine Sicherstellung unserer ganzen wirtschaftlichen Unternehmungen, Pläne und Maßnahmen erreichen." 195 Brüning wollte die Interessen der Privatgläubiger gegen die Reparationen mobilisieren, letztlich aber beide loswerden. Die selbstsicheren Worte des Kanzlers hatten ihre Gründe. Noch am 5. November unterrichtete er Hoesch über Informationen, die er vom ehemaligen Reichskanzler Cuno, der sich in Washington aufhielt, erhalten hatte. Ihnen zufolge war das Hoover-Laval-Kommunique für die französische Öffentlichkeit „stilisiert" worden, während die amerikanische 194
Vermerk von Staatssekretär Pünder, 4. November; B A , R 43 1/331.
195
Abgedruckt bei Hofmann, Zwei Jahre, S. 82 f.; Heinrich Brüning, Reden und A u f -
sätze eines deutschen Staatsmanns, hrsg. von Wilhelm Vernekohl unter Mitwirkung von Rudolf Morsey, Münster 1968, S. 83.
Im Vorfeld internationaler Konferenzen
649
Regierung im Grunde auf eine Gesamtregelung zusteuere. 196 Diese Nachricht begründete die Vorbereitung einer eigenen Initiative. In einem persönlichen Telefonat, nach Anruf des französischen Ministerpräsidenten, erreichten Brüning und Laval am 7. November eine gewisse Einigung darüber, daß ein Beratender Sonderausschuß der Experten nach dem Young-Plan einberufen werden und größtmögliche Freiheiten in der Abfassung seines Berichtes haben sollte, was Laval zugestand, und daß er die Leistungsfähigkeit Deutschlands in vollem Umfange zu prüfen hätte, worauf Brüning entscheidenden Wert legte. Nach kurzer Frist ging den beteiligten Regierungen und der BIZ in Basel eine deutsche Note zu, die die Einberufung des Beratenden Sonderausschusses anregte. 197 Z u r gleichen Zeit eröffnete die Vorbereitung der Abrüstungskonferenz, deren Beginn schon vor Monaten auf den 2. Februar 1932 festgesetzt worden war und die eine allgemeine Abrüstungskonvention herbeiführen sollte, der deutschen Politik weiteren Spielraum. 198 Das Auswärtige A m t zögerte, die Vorschläge des Reichswehrministeriums, die auf den Anfang einer deutschen Aufrüstung hinausliefen, vollständig zu übernehmen; doch der Gedanke, eine allgemeine Abrüstung zu verlangen, der schließlich in die Forderung nach „Gleichberechtigung" mündete, gewann stetig an Boden. Die Absicht, den „Grundsatz der Gleichberechtigung" für Deutschland durchzusetzen, konnte allerdings unter allen denkbaren Umständen in rechtlicher Hinsicht nur zu einer Lösung von einigen der als besonders drückend empfundenen Bestimmungen im Teil V des Friedensvertrages führen. 1 9 9
Eine Endlösung der Reparationsfrage wird anvisiert Angesichts der inneren Lage bedurfte die Position der Reichsregierung dringend einer Verbesserung. Auch nach Abwehr der oppositionellen Vorstöße im Reichstag, die auf die Harzburger Tagung zurückgingen, 1%
Brüning an die Botschaft in Paris, 5. November; ADAP, B, XIX, S. 8 6 - 8 9 . Bülow an die Botschaft in Paris, 7. November; a. a. O., S. 98ff. Vgl. Dreizehntes Kapitel. 198 Arnold Toynbee nannte dies etwas später „the most important international gathering since the Peace Conference of Paris"; Bennett spricht von einer „New Peace Conference". Vgl. Bennett, Rearmament, S. 131 f. 199 So der Vortragende Legationsrat Frohwein an Bülow, 3. Dezember; ADAP, B, XIX, S. 211 f. 197
650
III. Das %n>eite Kabinett Brüning
blieb sie ständig gefährdet. Hierbei wirkten Gedanken und Projekte mit, die darauf hinausliefen, entweder das Zentrum in eine nach rechts gebildete Koalition einzubinden oder eine Sammlung der gesamten Rechten zustande zu bringen, die auf andere parlamentarische Kräfte — SPD und Staatspartei — keine Rücksicht mehr zu nehmen brauchte. Der Gedanke der „Bildung eines bürgerlichen Blocks" innerhalb der nationalen Front, um dann zu einer Zusammenarbeit — „richtiger zur Erziehung bzw. Beeinflussung der Nationalsozialisten in wirtschafts- und finanzpolitischen Dingen" — zu gelangen, lag verhältnismäßig nahe. 200 Bemühungen Brünings und anderer Persönlichkeiten des Zentrums, die Nationalsozialisten enger an die Reichsregierung heranzuziehen, wie es im Hinblick auf die Sozialdemokraten — im Rahmen ihrer Tolerierungspolitik — gelungen schien, wiesen in eine ähnliche Richtung. Die Interessenten an einer Neuorientierung in der politischen Landschaft befanden sich im Wettstreit mit jenen Bemühungen um einen „Burgfrieden" mit der NSDAP, 201 die von Brüning, Treviranus und Groener ausgingen. Der sozialdemokratische Vorsitzende Wels drohte am 3. Dezember auf einer Massenkundgebung in Stuttgart, im Falle weiterer Herabsetzung von Löhnen und Gehältern Brüning die Tolerierung aufzukündigen. Angesichts der Situation, in der sich die SPD befand, hätte sie wohl weit mehr tun müssen, als Drohungen auszusprechen, um so etwas wie eine Alternative in verfahrener Lage zu finden. Otto Braun kommentierte dies sarkastisch: „Brüning weiß doch sehr gut, daß ein Sturz seiner Regierung in seinen weiteren Auswirkungen schließlich für die Sozialdemokratie nachteiliger sein kann als für das Zentrum..." 202 Der preußische Ministerpräsident hatte in diesem Punkte deutlich erkannt, wie die Lage beschaffen war und welche Möglichkeiten sich der SPD noch boten. Ihm kam kein neuer Weg in den Sinn. Offenkundig ging Brüning in einer Reichsministerbesprechung am 6. Dezember zu weit, so daß er sich Korrekturen durch Stegerwald und sogar Treviranus gefallen lassen mußte, als er behauptete, daß man nun „mit einem Abspringen der sozialdemokratischen Partei rechnen müsse". 203 Aber auch in den Ge-
21X1
Gilsa an Reusch, 3. Dezember; Schulz, Politik, 2, S. 1138.
201
S o Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 105.
202
A n t w o r t auf einen Brief Severings an ihn, 26. Januar 1932; AsDB, Nachl. Severing/
1. Vgl. Heinrich A. Winkler, Katastrophe, S. 456; Schaefer, SPD, S. 173 ff.; Ehni, Bollwerk, S. 234. 203
A R : Brüning, 3, S. 2069.
Im Vorfeld internationaler
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werkschaften rumorte es und schien das Problem der Reparationen die Geister zu scheiden. 204 Brüning blieb kaum ein anderer Weg, als immer nachdrücklicher das Ziel einer „Endlösung" des Reparationsproblems anzusteuern, was er für „die stärkste seiner Möglichkeiten" hielt. 205 Das traf im Grunde wohl auch zu, ergab sich aber aus den Verlegenheiten der innerpolitischen Situation, nicht aus einer außenpolitischen Konzeption und Programmatik. In einer Rundfunkansprache wählte Brüning mit Bedacht vielversprechende Worte zur Reparationsfrage: „Wollten wir abermals bei Teillösungen stehen bleiben, die an der zwangsläufigen Gesamtlage vorbeigehen, so würde sich schnell erweisen, daß sie nicht nur für die einzelnen Beteiligten unzureichend, sondern auch für die Welt unheilvoll sind." 206 Der Kanzler nahm mit Geschick eine klug erkannte Version auf, die eben in der Entwicklung begriffen war. Der Ausgang der weiteren Verhandlungen hat dieser Sicht der Dinge einen gewissen Rang zugewiesen, was sich faktisch jedoch erst aus dem Zusammenwirken mehrerer, im Anfang keineswegs einheitlicher Bestrebungen ergab. Schäffer hatte stets vor der „Geltendmachung von Gesichtspunkten, nur um damit innerpolitische Wirkungen in Deutschland zu erzielen", gewarnt. 207 Doch die Zeit seines Einflusses auf Brüning ging zu Ende. Ein erster Bericht über die Vorbereitung der Konferenz des Sonderausschusses zur Untersuchung der Reparationsfrage in Basel, nach seinem Vorsitzenden Beneduce-Ausschuß genannt, mahnte zur Vorsicht. Der französische Generalmanager der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Pierre Quesnay, Sous-Gouverneur der Banque de France, äußerte in einer persönlichen Erklärung, daß in der französischen öffentlichen Meinung die Rechte unbedingt daran festhalte, die Erfüllung des YoungPlans von Deutschland zu erzwingen, während gemäßigte Kreise ebenfalls die Erfüllung der Prinzipien des Young-Plans verlangten und nur
204
Leipart an Keil, 8. Januar 1932; Schulz, Politik, 2, S. 1 2 0 6 f.
21,5
So Mommsen, Brünings Politik, S. 19. Dies galt aber noch nicht im Hinblick auf
die derzeitige außenpolitische Gesamtlage; und Brüning wußte dies wohl. 206
Schulz, Politik, 2, S. 1205, Anm. 5.
207
Memorandum v o m 9. April 1 9 3 1 ; Schulz, Politik, 1, S. 5 8 3 - 5 9 6 . Von Bülow im
Exemplar des Auswärtigen Amts unterstrichen. P A A A B , St.S., Rep./91, 5, Bd. 1. „Bei einer Frage wie der Reparationsfrage, an deren Behandlung nicht nur der Verstand, sondern auch das Herz beteiligt ist, entsteht leicht die Gefahr, daß man die Bedeutung der eigenen Argumente überschätzt und sie mehr auf ihre Fähigkeit hin betrachtet, unsere eigene Auffassung ... zu verstärken, als darauf, ob sie geeignet sind, die entgegengesetzt eingestellten Gläubiger zu überzeugen."
652
III. Das %weite Kabinett Brüning
einige Modifikationen zulassen würden: eine Reduzierung der deutschen Annuitätszahlungen, die Bereitschaft, diese Zahlungen für einige Jahre zu stunden oder zusätzlich Sachleistungen zu akzeptieren, schließlich auch das Zugeständnis, den Zeitraum der Zahlungsleistungen, den der Young-Plan festlegte, insgesamt abzukürzen. Gewiß kam es Quesnay auf die angemessene Würdigung dieses Standpunktes an. Er schien Verhandlungsspielraum zu gewähren, aber auch Grenzen abzustecken. Darüber hinausgehende Intentionen schienen im Lichte der vorherrschenden Meinung in Frankreich keinen Erfolg zu versprechen. 208 Demgegenüber wurde von deutscher Seite jetzt wie auch später angeführt, daß Deutschland mehrfach unter Zwang und widrigen Umständen sich durch Unterschriften zu Leistungen verpflichtet habe, die sich als unerfüllbar erwiesen hätten; dies solle sich nicht wiederholen. Allmählich verschärfte sich der Kurs des Kanzlers und der Reichsregierung und trat die Absicht, eine völlige Entlastung Deutschlands von Reparationsverpflichtungen zu erlangen, zunehmend deutlicher in Erscheinung. Hierfür ergaben sich insofern scheinbar günstige Voraussetzungen, als der Governor der Bank of England, wie Vocke aus London meldete, für eine „radikale Lösung" eintrat. 209 Norman wünschte eine Regelung so bald wie möglich und keine Verlängerung des Hoover-Moratoriums um ein weiteres Jahr; dies hielt er für den schwersten Fehler, der begangen werden könnte. In einem Jahr gebe es einen neuen amerikanischen Präsidenten und ein neues französisches Parlament; die Unsicherheiten seien unbegrenzt. Man könne nicht lange auf eine endgültige Regelung warten. Offenkundig teilte Norman — natürlich in englischem Interesse — die Auffassung von der globalen Krisenwirkung der deutschen Reparationsverpflichtungen in Verbindung mit der wirtschaftlichen Notlage Deutschlands. Ihm lag daran, den Deutschen den Rücken zu stärken und sie zu ermutigen, sich von Frankreich nicht eine „neue Schlinge um den Hals legen" zu lassen. Allerdings stimmte die Haltung des Governor noch nicht in jeder Hinsicht mit der der Treasury und schon gar nicht mit dem Foreign Office überein. Norman und die von ihm herangezogenen Banksachverständigen, Rodd und der amerikanische Finanzwissenschaftler Sprague, der die Bank of England beriet, vertraten den Grundsatz, den auch die Reichsbank bisher als den ihren bezeichnet hatte, die Reichsmark vollwertig auf der 21,8
Reichsbankdirektor Hülse an Luther, 3. Dezember; Schulz, Politik, 2, S. 1 1 3 9 f.
209
Aufzeichnung des Geheimen Finanzrates Vocke über Besprechungen in der Bank of
England, 5. Dezember; a. a. O., S. 1 1 4 7 - 1 1 5 2 .
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Grundlage der Gold-Devisen-Deckung zu erhalten. 210 Das Dilemma war eindeutig. Die fortgesetzten Rückzahlungen an das Ausland führten zu einem ständigen Gold- und Devisen-Abfluß, dem angesichts des zurückgehenden Außenhandels keine ausreichende Ergänzung gegenüberstand. Rodd entwickelte den Gedanken, den Rest der Goldbestände der Reichsbank nicht mehr „in das Danaidenfaß der deutschen ausländischen Verschuldung zu werfen". Sie sollte sich darauf beschränken, ihre Noten durch Devisen zu decken und höchstens noch dringenden Devisenbedürfnissen des Reiches nachzukommen, etwa um die Young- und die Dawes-Anleihe und den Higginson-Kredit zu bedienen. Die Bewirtschaftung der übrigen Devisen sollte vom Gold- und Devisen-Vorrat der Reichsbank getrennt werden. Das bedeutete freilich, daß sie dann die zentrale Bewirtschaftung der Exportdevisen aus der Hand gäbe. Rodd meinte aber, daß, falls es gelingen werde, diese von der Notendeckung und von der Reichsbank zu trennen, Aussicht bestünde, die Frage des deutschen Kredits, der im wesentlichen ein Kredit der Banken sei, positiv zu behandeln. Diese Überlegung und die daraus folgende Anregung führten noch im gleichen Monat zu einem Vorstoß des Reichsbankdirektoriums, den § 29 des Reichsbankgesetzes zu ändern. Aus Paris trafen ebenfalls einige ermutigende Nachrichten ein, wenn auch nicht aus offiziellen Kreisen. Der Bankier Gustav Schlieper übermittelte dem Auswärtigen Amt einen Bericht des Vertreters der Deutschen Bank in Paris, Eliat, über ein Gespräch mit Joseph Caillaux, der sich seit langem für ein deutsch-französisches Einvernehmen einsetzte. Vielleicht waren es die besten Winke, die aus dieser Quelle von Paris nach Berlin gelangten. 211 Caillaux verfügte als Vorsitzender des Finanzausschusses des Senats zweifellos über gute Einblicke. Da er keine Position in der Regierung einnahm, konnte er sich ungebunden äußern. Eliat berichtete, daß nach Caillaux' Überzeugung „selbstverständlich weder England noch Amerika von Frankreich einen Centime erhalten würden", falls Deutschland nicht zahlen könne, und daß dann ein Schlußstrich gezogen werden müsse. Diesen Standpunkt teile er mit allen führenden Leuten. Um aber den unterschriebenen Verträgen ihren Wert zu belassen, müsse Deutschland unbedingt einwilligen, gewisse Summen in Sachlieferungen zu leisten. Ob diese je verlangt würden, könne offen bleiben, sei sogar unwahrscheinlich; aber der ökonomische Wiederaufbau
2,0 211
a. a. O., S. 1148. ADAP, B, XIX, S. 226 ff.
654
III. Das zweite Kabinett
Brüning
verlange die Wiederherstellung des Vertrauens in eine geleistete Unterschrift. Daher liege es im Interesse Deutschlands, sich mit Frankreich zu einigen. Einschließlich der „Sachlieferungen" enthielt dieser Wink die deutliche Empfehlung einer Konzeption, die Deutschland Frankreich gegenüber mit einiger Aussicht auf Erfolg vertreten konnte. Dies gilt übrigens auch für weitere Bemerkungen Caillaux', die die Verbindung zwischen Finanz- und Abrüstungsfragen herstellten: Man müsse in Deutschland einsehen, daß Frankreich, „an dessen Friedfertigkeit selbst seine größten Feinde nicht zweifelten", gezwungen sei, eine Armee zu unterhalten, um imstande zu sein, sich gegen die Begierden anderer Länder zu verteidigen. Er wies auf Mussolini und Rußland hin und sagte, daß die französische Armee ebensogut die deutsche Kultur gegen den Bolschewismus verteidigen könne wie die eigene. „Eine Wiederbewaffnung Deutschlands, die Unsummen koste, was sich heute das Land wirklich nicht erlauben könnte", würde er aber in dem Moment nicht bekämpfen, in dem Frankreich sicher sein könnte, nicht angegriffen zu werden. „Die große Gefahr läge aber hier in der Überheblichkeit eines großen Teils der 65-Millionen-Bevölkerung, die heute noch nicht glauben wollte, den Weltkrieg verloren zu haben." Hiernach schien es, daß Frankreich zu Konzessionen in der Reparationsfrage zu haben sei, Zugeständnisse in der Rüstungsfrage aber kaum zu erwarten waren. Diese Äußerungen eines einflußreichen französischen Politikers, der um ein Einvernehmen bemüht war, mußten ernst genommen werden. Sein Gesprächspartner berichtete, daß er Caillaux sein „Sprüchlein von dem außenpolitischen Erfolg, den Frankreich dem Reichskanzler Brüning kostenlos verschaffen könnte", vorgetragen habe. Er äußerte, wohl auf Anweisung, den Wunsch, daß Ministerpräsident Laval für einige Jahre die Reparationsfrage nicht berühren solle. Caillaux stellte aber unmißverständlich fest, daß die derzeitige Kammer jede Regierung stürzen würde, „die nicht als Gegenwert für ein derartiges Entgegenkommen in der Sicherungsfrage etwas bieten könnte". Er halte es für unwahrscheinlich, daß man in Deutschland einen Mann fände, der stark genug sei, mit der demagogischen Politik der extremen Parteien aufzuräumen; man müsse daher ernstlich einen Rückfall Deutschlands in die Verhältnisse vor dem Dreißigjährigen Krieg befürchten. Das waren klare und bedenkenswerte Worte eines erfahrenen Mannes, die die Einsicht andeuteten, daß in Frankreich ein nationales konservatives Kabinett Brünings — oder eines anderen Kanzlers — auf längere Sicht kaum als Sicherung gegen den radikalen Extremismus erachtet werde. Deutlich rückte der Abrüstungskomplex in den Vordergrund.
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Im Laufe des Herbstes 1931 hatte sich sowohl in der Abrüstungsfrage, in Verbindung mit der Vorbereitung einer Abrüstungskonvention, als auch in dem Bereich der Stillhalteverhandlungen und künftigen Reparationsregelungen immer deutlicher gezeigt, daß die deutsche Seite eher auf ein Entgegenkommen von anderer Seite — im letzten Fall Englands, im ersten Fall Frankreichs — und auf amerikanische Entscheidungen wartete, eher inaktiv als entschlossen schien, aber auf die Zeit setzte und sie für sich arbeiten ließ. Zur Jahreswende hin nahmen dann in Berlin die Dinge festere Konturen an. Auch Bewegungen auf der anderen Seite wirkten sich aus. Der tschechoslowakische Außenminister Benesch bot in einem persönlichen Gespräch mit dem aus privaten Gründen in Prag weilenden Frhrn. v. Lersner seine Vermittlung gegenüber Frankreich an. 212 Im Hinblick auf die Reparationen dachte der stets gut informierte Benesch schon über Monate voraus: Dies sei keine deutsche Frage mehr, sondern eine, deren Bereinigung die ganze Welt interessiere. Er meinte, daß am Ende wohl ein „kleiner Saldo" als Entschädigung für Frankreich herauskäme, im übrigen aber alle anderen deutschen Zahlungen fortfallen würden. Der „kleine Saldo" erwies sich später als größer; doch in etwa blieb dies die Lösung, die mehr als sechs Monate später erreicht wurde. Viel schwieriger erschienen Benesch die Abrüstungsprobleme, die seiner Meinung nach einen Sicherheitspakt Deutschlands empfahlen, an dem auch die Tschechoslowakei interessiert sei. Neben einer sehr engen Bindung an Frankreich, die er aufrechterhalten wollte, lag Benesch an einer weiteren Sicherheitsgarantie durch Vergrößerung der Kleinen Entente um Ungarn und womöglich um Österreich, einer neuen Konfiguration in Mitteleuropa also, aber unabhängig von Deutschland. Sein Eingehen auf die „schlimme Frage" der deutsch-polnischen Grenzregelung, Danzigs und des Korridors zeigte Interesse an diesem Komplex der deutschen Außenpolitik an. Diese Frage, meinte Benesch, sollte von allen anderen „isoliert" werden. Sie könnte die europäische Politik noch lange beschäftigen. Wahrscheinlich wollte der tschechische Außenminister, in seiner notorischen Vermittlerrolle zwischen den mittleren und kleineren Staaten Ostund Südosteuropas einerseits und Frankreich anderseits, der deutschen Politik ein gewisses Entgegenkommen signalisieren. Tatsächlich befaßten sich die westeuropäischen Mächte, auch England, in zunehmendem Maße mit der durch das Projekt einer deutsch-österreichischen Zollunion ak-
212
Frhr. v. Lersner an Bülow, 2. November; a. a. O., S. 72—75.
III. Das zweite Kabinett
656
Brüning
tualisierten Problematik Südosteuropas, für die sie Deutschland zu interessieren versuchten — freilich erfolglos angesichts der auf die eigene Bahn bedachten Politik Bülows. Doch dies kann hier nicht weiter verfolgt werden. Unterdessen berichtete der französische Botschafter seiner Regierung über Tendenzen in der herrschenden Meinung Deutschlands, den YoungPlan bereits als durch die Tatsachen überholt zu betrachten, so daß es kaum noch eine Frage sei, daß Deutschland keine Zahlungen mehr unter dem Titel der Reparation leisten werde. Die Debatte über die Einberufung eines Sonderausschusses nach Artikel 119 des Haager Vertrags erweckte in ihm den Eindruck, daß Deutschland versuche, seine kurzfristigen Schulden gegen die Reparationen auszuspielen und die Reparationen gegen seine Schulden. 213 Dies traf im Grunde zu, wurde aber vom Reichskanzler in einem längeren Gespräch mit François-Poncet am 4. November 1931 entschieden bestritten. Brüning versuchte, dem Botschafter vor Augen zu führen, daß sowohl die Rückzahlung kurzfristiger Kredite als auch die Reparationsverpflichtungen nur in einer Funktion zur Kapazität Deutschlands, Zahlungen zu leisten, stehen könnten. Daher sei es die Kapazität, die der Überprüfung bedürfe, nicht der Rechtstitel der Zahlungsverpflichtungen. 214 In seinen häufigen, mitunter täglichen ausführlichen Berichten wiederholte François-Poncet den ihm gravierend erscheinenden Gesichtspunkt: „il n'y a pas — selon lui — priorité de droit; il y a priorité de fait". 215 Nicht der Stand des Vertragsrechts, sondern die Macht der ökonomischen Fakten gab nach Brünings Version den Ausschlag. Dies entsprach der Auffassung Hoovers, über die Paul Claudel, der französische Botschafter in Washington, seiner Regierung ähnlich stetig berichtete: Es sei die Meinung des amerikanischen Präsidenten, daß eine künftige Revision der Schuldverpflichtungen auf der Fähigkeit des
213
Telegramm des französischen Botschafters an das Außenministerium, 30. Oktober;
M A E , I-R/Carton 1026, I. 214
Telegramm von François-Poncet, 4. November, a. a. O.; ergänzender Bericht des
Botschafters v o m 5. November, a. a. O. Botschafter v. Hoesch berichtete über ein Gespräch mit François-Poncet, das er im Vorzimmer des Außenministers Briand führte, in einem ähnlichen Sinne. Er habe Poncet versichert, „daß wir nicht [die] Absicht hätten, [die] Stillhaltefrage gegen Reparationen auszuspielen, sondern daß sich [die] besondere Dringlichkeit [der] Stillhaltefrage einfach aus den Umständen ergebe". Im übrigen schien Briand diese Dinge wesentlich günstiger zu betrachten. Telegramm von Hoesch an das Auswärtige Amt, 10. November; ADAP, B, X I X , S. 1 0 6 f. 215
Bericht v o m 5. November.
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Schuldners zur Zahlungsleistung („la capacité de payement") basieren müsse. 216 Claudel erwähnte allerdings einen ergänzenden Hinweis der „New York Times", daß diese Haltung von dem Faktum bestimmt werde, daß sich in den Gesprächen Hoovers mit Laval kein Einvernehmen hinsichtlich der Abrüstung ergeben habe. Das Gewicht dieser Beobachtung darf nicht unterschätzt werden. Letztlich trug die unwandelbare französische Haltung in der Abrüstungsfrage entscheidend dazu bei, das Interesse der Vereinigten Staaten an französischen Rechtspositionen stark zu dämpfen. Jene französischen Politiker, die bisher auf einer Fortsetzung der deutschen Reparationsleistungen — auf reduziertem Niveau — beharrten, wie François-Poncet und Flandin, strebten in Anbetracht dieser Nachrichten aus Washington eine unmittelbare Verständigung mit Deutschland an. Botschafter v. Hoesch hat dies an der veränderten Tonart François-Poncets, der sich stets liebenswürdig gab, erkannt und treffend 917
interpretiert. Hauptfrage blieb die Lage der deutschen Wirtschaft. Zu den Aufgaben der deutschen Auslandsmissionen gehörte es, dies zu verdeutlichen und die Situation zu beschreiben, die nicht in allen Einzelheiten in anderen Ländern erkannt wurde, auch in den Vereinigten Staaten nicht, wo man die wirtschaftliche Entwicklung seit längerem beobachtete. Eine Mitteilung des deutschen Botschafters in Washington veranlaßte schließlich einen Runderlaß des Auswärtigen Amtes, der die Verhältnisse klären sollte. Ihm zufolge waren allein für die Verzinsung und Amortisation der Auslandsschulden jährlich zwischen eineinviertel und eineinhalb Milliarden RM in Devisen zu zahlen. Diese Summe mußte zunächst von den Aktivposten in der Handelsbilanz und in der Zahlungsbilanz abgedeckt werden, ehe in der Devisenbilanz Mittel für die Zahlungen verfügbar waren, um den gehäuften Rückforderungen kurzfristiger Kredite und den massierten Rückverkäufen von Wertpapieren in Deutschland seit Frühjahr 1931 genügen zu können. Hinzu kam die Sorge, daß der Überschuß in der Handelsbilanz nicht auf längere Sicht gehalten werden konnte. 218 Dem Runderlaß zufolge belief sich der statistische Ausfuhr2.6
Telegramm von Claudel, 6. November; M A E , I-R/Carton 1026, I.
2.7
Telegramm von Hoesch, 10. November.
2.8
Runderlaß v o m 13. November; ADAP, B, X I X , S. 127 f. Botschafter v. Prittwitz
und G a f f r o n hatte die Frage aufgeworfen, weshalb der Devisenbestand der Reichsbank trotz einer aktiven Handelsbilanz in den letzten Monaten fortgesetzt geschrumpft sei. Die endgültigen Zahlen für den deutschen Außenhandel nach dem Statistischen Jahrbuch f ü r das Deutsche Reich in den Jahren 1930: Einfuhr 10,393 Milliarden RM, Ausfuhr 12,036 Milliarden; 1931: Einfuhr 6,727, Ausfuhr 9,599; 1932: Einfuhr 4,667, Ausfuhr 5,739 Milliarden.
658
III.
Das zweite
Kabinett
Brüning
Überschuß der Monate Juli, August und September 1931, ohne Reparationssachlieferungen, auf 916 Millionen RM. Im gleichen Zeitraum wurde jedoch eine Milliarde RM aus dem Ausland abgezogen — im Transfer von Markguthaben bei deutschen Banken, Erlösen aus ausländischen Effektenverkäufen, für die Rückzahlung direkter Wirtschaftskredite und die Abwicklung der Termindevisengeschäfte wie anderer Devisengeschäfte, die nicht unter das Stillhalteabkommen fielen. Der gesamte statistische Ausfuhrüberschuß wurde durch diese Zahlung ausgeglichen. Das Problem lag einerseits in den ständigen, nicht reduzierbaren deutschen Verpflichtungen gegenüber dem Ausland, die durch Devisenzahlungen erbracht werden mußten, anderseits in der für die Exportwirtschaft bestimmenden Tatsache, daß sie Erfolge nur erreichen konnte, wenn sie längere Zahlungsziele gewährte. Bei industriellen Anlagen und Maschinen, die einen großen Teil der deutschen Ausfuhr bildeten, waren Zahlungsziele von einem Jahr und darüber unvermeidlich. Das bedeutete, daß Erfolge auf dem Exportmarkt, die durch die Wirtschaftspolitik der Regierung Brüning stimuliert wurden, erst im Spätjahr 1932 oder 1933 statistisch zu Buche schlugen. Abgesehen von dem Umstand, daß sich Devisen nicht in vollem Umfange erfassen ließen, auch wenn Strafbestimmungen galten, blieb letztlich das Faktum der ständigen Auslandszahlungsverpflichtungen, die nur durch Devisen einzulösen waren und stete Devisenabflüsse verursachten, die durch eine wachsende deutsche Warenausfuhr nicht sogleich und nur bedingt ausgeglichen wurden. Dies konnte man auch in der Finanzwelt, die an deutschen Exporterfolgen aus finanz- und kreditpolitischen Gründen interessiert war, keineswegs ausreichend überblicken. Mithin gab es gewichtige Gründe, in eine vollständige Untersuchung der deutschen Situation einzutreten. Das beharrliche Bestehen auf diesem Gesichtspunkt konnte nicht übergangen werden und veranlaßte schließlich die französische Seite, sich hierauf einzustellen. 219 Zwar drängten die amerikanische Regierung wie amerikanische Bankiers auf eine rasche Regelung in der Stillhaltefrage; dem konnte und wollte sich das Auswärtige Amt gar nicht entziehen. Es bestand aber darauf, das hiermit betraute Komitee gleichzeitig — und möglichst am gleichen Ort — mit dem Sonderausschuß nach dem Haager Abkommen zusammentreten zu lassen. 220 Wie Claudel aus Washington berichtete, hatte der einflußreiche Bankier Warburg in einem Memorandum über Privatschulden und Re219
Telegramm von Fran^ois-Poncet, 12. November; M A E , I-R/Carton 1026, I.
220
Bülow an die Botschaft in Paris, 14. November; ADAP, B, X I X , S. 132.
Im Vorfeld internationaler
Konferenzen
659
parationen dem State Department dargelegt, daß die Option für die privaten Schulden und die Reparationsverpflichtungen unter den gegebenen Umständen nur von akademischem Interesse und daß ein Einvernehmen zwischen den verschiedenen Kategorien der Gläubigeransprüche möglich und zu wünschen sei.221 Offen blieb die Frage, wie sich die Mehrheit des Kongresses einstellen werde, solange kein Beschluß einer Abrüstungskonferenz in Aussicht stand, der die Situation in Europa von Grund auf ändern und Einfluß auf die amerikanische Haltung gewinnen konnte. 222 Auf deutscher Seite erweckte die französische Politik den Eindruck, daß es zu ihrem Plan gehöre, die Reparationskonferenz zu verzögern und eine Lösung zu verschleppen, um eine synchron verlaufende Abrüstungskonferenz unmöglich zu machen, also ein Zusammentreffen der Komplexe zu verhindern. 223 Hierbei schienen allerdings schwerwiegende Mißverständnisse im Spiel, die einerseits durch die auf Rechtspositionen bestehende Beharrlichkeit des französischen Botschafters in Berlin, anderseits durch die Wirkung der Vorhaben wie das Taktieren der Reichswehrführung verursacht wurden.
Pläne für eine
Abrüstungskonferenz
Die Abrüstungsfrage hatte, ganz unabhängig von der Bewertung der Reparationspolitik durch die Reichsregierung, eigenes Gewicht erhalten. Daß es zu Konfrontationen zwischen der französischen und der deutschen Seite kommen würde, zeichnete sich schon im Sommer 1931 ab. Im Juli, noch zur Amtszeit von Curtius, hatten sich Auswärtiges Amt und Reichswehrministerium unter Beteiligung der Generäle v. Hammerstein und v. Schleicher dahingehend abgestimmt, daß sich Deutschland zu Verhandlungen der Abrüstungskonferenz „positiv einzustellen habe". Hauptsächliches Anliegen sollte die Forderung nach Gleichberechtigung sein. Die Lagebeurteilung durch Vertreter des Reichswehrministeriums ging zunächst davon aus, daß eine Gleichheit des Rüstungsniveaus mit den stark gerüsteten europäischen Staaten nicht zu erreichen sei und Deutschland sich mit seiner Unterlegenheit Frankreich gegenüber abfinden müsse. Man strebte daher eine qualitative Annäherung des Waffenstandes an, wobei von den Deutschland verbotenen Waffen ausgegangen und eine 221 222 223
Telegramm von Claudel, 4. Dezember; MAE, I-R/Carton 1026, I. So die Darstellung Claudels, Telegramm vom 12. Dezember; a. a. O. Tagesbericht Luthers, 11. Dezember; Schulz, Politik, 2, S. 1172.
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III. Das %pieite Kabinett Brüning
Besserstellung anvisiert werden sollte. 224 Diese Haltung des Reichswehrministeriums, die die Zustimmung Brünings fand, erwies sich jedoch nicht als endgültig, wie sich bald herausstellte. Schon im Frühjahr 1931 entwickelte die Völkerbundsabteilung/Gruppe Heer des Reichswehrministeriums eine Marschroute, die sie nach und nach durchzusetzen vermochte. Sie lief darauf hinaus, für Deutschland sowohl eine Parität der Sicherheit als auch eine Parität der Grundsätze zu fordern, was theoretisch in allen Möglichkeiten durchgespielt wurde. Die Parität der Sicherheit konnte hiernach einmal durch Abrüstung der Nachbarstaaten auf einen dem deutschen entsprechenden Rüstungsstand erreicht werden, zum anderen durch eine Konvention mit der Maßgabe, daß die militärischen Bestimmungen des Vertrages von Versailles hinfällig würden und auf Deutschland wie auf alle anderen Staaten die gleichen Abrüstungsgrundsätze Anwendung fanden. Dies letzte bedeutete im Falle einer Festlegung künftiger Rüstungsgrößen, ohne die die Abrüstungskonferenz erfolglos auseinandergehen müßte, die Freigabe der Rüstung für Deutschland innerhalb dieses Rahmens. Für den Fall, daß die Konferenz scheitern sollte oder andere Staaten sich nur in ungenügendem Maße zur Abrüstung bereit fanden, galt die Inanspruchnahme voller Rüstungsfreiheit durch Deutschland als erwägenswert. 225 Die finanzpolitische wie die wirtschaftliche Situation schloß zunächst weitergehende Forderungen aus. Während sich die Vertreter des Auswärtigen Amtes, Bülow wie Brüning, an die Grundsätze vom Juli 1931 hielten, versuchte Generalmajor Schönheinz, der Abteilungsleiter im Truppenamt, allmählich neue Saiten aufzuziehen und den veränderten Kurs durchzusetzen. Schon am 24. Juli erklärte er dem Vertreter des Auswärtigen Amtes in der Vorbereitungskommission, daß „die Herren Vertreter des Reichswehrministeriums ... nicht über die Gesamtheit des Problems unterrichtet gewesen" seien, was
224
Aufzeichnung Frohweins, 10. Juli 1 9 3 1 ; ADAP, B, X V I I I , S. 44 f.
223
Undatierte Aufzeichnung aus der Völkerbundsabteilung/Gruppe Heer, abgedruckt
bei Vogelsang, Reichswehr, S. 430 f. Die dort vorgenommene Datierung korrigiert von Jost Dülffer, Weimar, Hitler und die Marine. Reichspolitik und Flottenbau 1920 — 1939, Düsseldorf 1973, S. 154, Anm. Die Denkschrift von Schönheinz „Ziel und Wege Deutschlands auf der Abrüstungskonferenz" ging mit Schreiben v o m 10. März 1931 an Gesandtschaftsrat v. Mackensen im Auswärtigen Amt; abgedruckt ADAP, B, X V I I , S. 27 ff. Zur Taktik der deutschen militärischen Unterhändler auf der Abrüstungskonferenz, Generalmajor Schönheinz und Generalleutnant v. Blomberg, Bennett, Rearmament, S. 54 ff. Über tastende Versuche des Chefs des Truppenamtes, Generalmajor Adam, schon 1930, Geyer, Aufrüstung, S. 245 f.
Im Vorfeld internationaler
Konferenzen
661
indirekt eine Invektive gegen die beteiligten Vorgesetzten, Schleicher und Hammerstein, war. Die veränderte Haltung des Ministeriums deutete er in der erklärten Überzeugung an, daß das, worauf sich die deutsche Seite in der kommenden Abrüstungskonvention festlege, „Umfang und Gestalt der deutschen Wehrmacht für alle Zeiten unabänderlich bestimmen werde. Man dürfe daher unter keinen Umständen etwas unterschreiben, was den Erfordernissen unserer Landesverteidigung nicht ausreichend Rechnung trage. Wir müßten daher strikt an einer völligen Parität, auch im militärischen Sinn, mit Frankreich festhalten. Was wir dann mit dem Recht auf militärische Parität praktisch anfangen würden, sei unsere Sache." 226 Die zuständigen Fachleute des Reichswehrministeriums gingen daran, die Situation für ihre Zwecke auszunutzen, um langfristige Projekte abzusichern. Die Interdependenz der internationalen Beziehungen und Probleme und die Lösung der Reparationsfrage, die den Reichskanzler vornehmlich interessierte, blieben innerhalb des engen Rahmens militärpolitischer Überlegungen und Zielsetzungen uninteressant. Außer Frage steht, daß die Grundgedanken bereits früher konzipiert, jedoch dem Reichskanzler wie dem Auswärtigen Amt gegenüber zurückgestellt worden waren. Schönheinz sprach bereits von einer Jahresdurchschnittsziffer von 240000 Mann, die man anstreben müsse, während von den Franzosen zu verlangen sei, daß sie sofort ihre Militärfliegerei, ihre schwere Artillerie und Tanks zerstörten, andernfalls diese Waffengattungen auch dem Deutschen Reich zugestanden werden müßten; sogar die Zahl von 1 500 Flugzeugen wurde ins Gespräch gebracht. Das bewegte sich freilich in anderen budgetmäßigen Größenordnungen, als bisher erörtert wurden. Auch die letzte und äußerste Möglichkeit deutete Schönheinz schon an. Sein Gesprächspartner vom Auswärtigen Amt vermerkte, daß der General „offensichtlich an die Konferenz mit dem Grundgedanken herangeht, durch Überspannung unserer Forderungen ein Zustandekommen einer seiner Ansicht nach für uns doch unzureichenden Konvention zu verhindern und einer neuen freiwilligen Bindung Deutschlands aus dem Wege zu gehen". Das Auseinanderklaffen zwischen reparationspolitischer Revision und neuer rüstungspolitischer Zielsetzung konnte nach außen kaum auf die Dauer verborgen bleiben. Im großen und ganzen trifft es zu, daß die Führung der Reichswehr zunehmend unter den Druck der nachgeordneten Militärbürokratie ge-
226
Aufzeichnung Frohweins, 25. Juli; ADAP, B, XVIII, S. 151.
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III.
Das zweite Kabinett
Brüning
riet, namentlich der Völkerbundsabteilung innerhalb des Truppenamtes. Sie unterhielt über ihren Leiter Schönheinz enge Verbindung zu der sogenannten Arbeitsgemeinschaft deutscher Verbände, die sich die Vertretung des deutschen Wehranspruchs in der Öffentlichkeit angelegen sein ließ. Diese Koalition von Männern der Militärbürokratie mit propagandistisch aktiven Interessengruppen, die im Anschluß an die Krisenmomente der nächsten Monate eine regelrechte Kampagne entfalteten, wirkte im Sinne der Motivation zur „Blockierung der Abrüstungskonferenz". 227 Im Spätherbst 1931 trat dann der Dissens zwischen Reichswehrministerium und Auswärtigem Amt offen zutage. Obgleich das Vorbereitungskomitee für die Abrüstungskonferenz im Juli eine Resolution beschlossen hatte, die gegen erheblichen französischen Widerstand dem deutschen Standpunkt in gewissem Umfang entgegenkam, gab sich Schönheinz nicht zufrieden und versuchte er, auch Schleicher für sein Vorhaben zu gewinnen. 228
Rückhalt an der sowjetischen
Politik
Die versteifte Politik einer Amtsgruppe innerhalb des Reichswehrministeriums findet eine Erklärung in einem anderen Zusammenhang, der nur unter begrenzter Beobachtung des Auswärtigen Amtes stand. Von Seiten der Reichswehr wurden die deutsch-sowjetischen Beziehungen in diesen Monaten auf einen neuen Höhepunkt gebracht. Durch Informanten des Auswärtigen Amtes war im Oktober 1931 die Nachricht von einer Entscheidung des Politbüros der KPSU vom 5. September nach Berlin gelangt. Ihr zufolge hatte sich in dem Konflikt zwischen Auffassungen der Komintern und des Außenkommissariats, das sich entschieden gegen eine Schwächung der Position Deutschlands in Mitteleuropa wandte, nunmehr Stalin auf die Seite des Außenkommissariats und des Politbüros der Kommunistischen Partei geschlagen. Eine Resolution habe entschieden, dem Präsidium des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale nahezulegen, „zeitweilig auf eine Politik der Putsche in Deutschland zu verzichten", da ein „Bürgerkrieg in Deutschland" die Beziehungen zwischen der USSR und den westeuropäischen Staaten „nur
227 228
Geyer, Aufrüstung, S. 252. Aufzeichnung Frohweins, 17. November; ADAP, B, XIX, S. 138.
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Konferenzen
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verschärfen und den Zufluß der für die Durchführung des Fünfjahrplans notwendigen technischen Kräfte und Kredite behindern würde". 229 Die Militärs beider Staaten gingen dann einen Schritt weiter. Mitte November 1931 traf der Chef des Truppenamtes im Reichswehrministerium, Generalmajor Adam, zu einem förmlichen Besuch in Moskau ein, der kaum noch geheim bleiben konnte, über den der deutsche Botschafter v. Dirksen aber nur außerhalb des Dienstweges berichtete. 230 Im Verlaufe der Begegnungen zwischen dem General, dem deutschen Militârattaché Oberst Köstring und dem Botschafter mit Kriegskommissar Woroschilow, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Kriegsrates, Tuchatschewski, dem Generalstabschef Jegorow — „alter Zarenoffizier", wie Dirksen berichtete —, dem Leiter des Moskauer Wehrkreises, Kork, dem früheren Militärattache in Berlin, Jenukidse — dem „hiesigen Meissner", schrieb Dirksen —, und dem stellvertretenden Außenkommissar Krestinski kam es zu förmlichen Verbrüderungen „à la soviétique". Die von Adam aufgeworfene Frage nach der künftigen Beziehung der Sowjetunion zu Frankreich und Polen wurde freundschaftlich, in trinkseliger Stimmung im Sinne völliger Übereinstimmung beantwortet. Die Besprechungen Adams mit Woroschilow dienten einer Erörterung der Haltung beider Mächte während der Abrüstungskonferenz. Woroschilow erteilte hierbei entscheidende Ratschläge: Die Übermacht Frankreichs auf dem Kontinent könne im Hinblick auf die Verhandlungen nicht ausschlaggebend und werde nicht von Dauer sein; denn Frankreich könne von seiner Macht gar keinen Gebrauch machen. Woroschilow und Adam wurden sich darüber einig, daß sich die Interessen ihrer Länder hinsichtlich der Abrüstung in gewisser Hinsicht ergänzten und Zusammenarbeit geboten schien. Als Adam den Gedanken streifte, daß es im Falle einer offensichtlichen Sabotage der Abrüstungskonferenz besser sei, nicht bis zum Ende an ihr teilzunehmen, erwies sich sein sowjetischer Partner als geschickter Taktiker, der entschieden widersprach: Man müsse bis zum Ende der Konferenz bleiben, um die Verantwortung für das Scheitern einwandfrei den Schuldigen aufzulasten und den Völkerbund zu blamieren — ein Ratschlag, den die deutsche Seite schließlich bis zum Oktober 1933 befolgte. 231 Zum französisch-sowjetischen Pakt erklärte
229
Aufzeichnung ohne Unterschrift mit Sichtvermerk Bülows und dessen Datierung,
16. Oktober; a. a. O., S. 4. 230
Dirksen an Bülow, „persönlich und vertraulich", 17. November; a. a. O., S. 143 f.
2,1
In diesem Zusammenhang aufschlußreich die Beobachtungen des ehemaligen Reichs-
finanzministers
Moldenhauer, der während seiner Zugehörigkeit zur deutschen Delegation
664
III. Das inveite Kabinett Brüning
Woroschilow beruhigend, daß er „nicht ein Atom" eines Gedankens enthielte, der sich gegen Deutschland richtete. Verhandlungen mit Polen über einen Nichtangriffspakt seien schon seit langer Zeit im Gange gewesen. „Auf die Äußerung des Generals Adam, daß wir uns niemals mit der polnischen Grenzziehung abfinden würden, sagte Woroschilow, daß auch die Sowjetunion sich mit den jetzigen Grenzen Polens nicht abfinden werde." 232 Wenn die deutsch-polnische Grenze von deutscher Seite immer wieder als „bestrittene Grenze" deklariert wurde, so blieb sie dies auch in den Augen der sowjetischen Partner, die sich hinter die deutschen Ansprüche stellten. Die Konstellation der Kriegsentstehungsphase 1939 ist hier im Grunde vorgebildet und mit Regeln und Rahmen dokumentiert. Auch die Taktik auf der Abrüstungskonferenz und in der Rüstungspolitik der Reichswehrführung, die sich 1933 endgültig um den Preis des Bruches mit dem Völkerbund durchsetzte, erscheint bereits geklärt. 233 Der Dissens zwischen den treibenden Köpfen im Reichswehrministerium und dem Auswärtigen Amt blieb vorerst noch unüberbrückt. Ein Gegenentwurf des Reichswehrministeriums zu der bereits vorbereiteten Abrüstungskonvention, die verhandelt werden sollte, erschien dem Auswärtigen Amt nicht annehmbar. Der zuständige Abteilungsleiter stellte darauf ab, „einen ernst zu nehmenden Vorschlag [zu] machen, um den wir wirklich kämpfen können, und gleichzeitig von vornherein die Gegner an den Gedanken [zu] gewöhnen, daß das Versailler Regime für
auf der Genfer Abrüstungskonferenz 1932/33 sorgfaltig Tagebuch geführt hat. B A , Nachl. Moldenhauer/5, „Genfer Tagebuch". 232
„Aufzeichnung über die Besprechung zwischen Herrn General Adam und dem
Kriegskommissar Woroschilow" durch Dirksen, nach Mitteilungen des Militärattaches Oberst Köstring, „ganz geheim", 14. November; ADAP, B, X I X , S. 144 f. Einige bestätigende Mitteilungen konnte Dirksen selbst einer Unterhaltung mit Woroschilow entnehmen. „Herr Woroschilow sagte, daß selbstverständlich irgendeine Garantie für die polnische Westgrenze unter keinen Umständen f ü r die Sowjetregierung in Frage käme; die Sowjetregierung sei eine grundsätzliche Gegnerin des Versailler Vertrages; sie werde nie etwas unternehmen, was den Danziger Korridor oder die Memelgrenze usw. in irgendeiner Weise festigen könne." Aufzeichnung, „ganz geheim", vom 12. November; a. a. O., S. 146 — 149. In diesen Zusammenhang gehören auch die Äußerungen Stalins in einem Interview, das er Emil Ludwig am 13. Dezember gewährte. Hierzu Weingartner, Stalin, S. 98 f., 101. 233
Mit Botschafter Nadolny erhielt die deutsche Delegation einen Leiter, der der
Auffassung des Reichswehrministeriums zuneigte und von Hindenburg als künftiger Botschafter in Moskau vorgesehen war. Rudolf Nadolny, Mein Beitrag. Erinnerungen eines Botschafters des Deutschen Reiches, hrsg. u. eingeleitet von Günter Wollstein, K ö l n 1985, S. 198 ff., 203, 207 ff.
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Konferenzen
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uns nicht aufrechterhalten werden kann". 234 Auch innerpolitisch schien „dieses Vorgehen vertretbar zu sein, da es auf dem Grundsatz der Gleichberechtigung beruht und da die offene Forderung der Befreiung von den unsinnigsten Bestimmungen des Versailler Vertrages sicherlich allgemeine Zustimmung finden würde". Der Dissens lag darin, daß das Auswärtige Amt in jedem Fall auf Verhandlungen hinauswollte und auf Abrüstung drängte. Es verfügte über eine Konzeption, für die es nach innen wie nach außen eintreten wollte. Das Reichswehrministerium hingegen legte es darauf an, jede neue Bindung Deutschlands in Wehr- und Rüstungsfragen für alle Zukunft auszuschließen. Die Außenpolitik zeigte sich vor allem anderen auf französische Konzessionen bedacht; dem Reichswehrministerium kam eine sowjetische Unterstützung zupaß. Die Klärung einer länger tragfahigen Konzeption wurde weder hier noch dort versucht.
Reparationsfrage
und innere Politik
Den finanzpolitischen Problemen kam in der Öffentlichkeit wie in den Augen des Reichskanzlers die gravierende Bedeutung zu. Mitte November hatte Botschafter v. Hoesch in Paris aus einem Gespräch mit Finanzminister Flandin noch den Eindruck gewonnen, daß die französische Seite auf Beschleunigung der Verhandlungen in der Stillhaltefrage dränge und sowohl mit dem Sonderausschuß als auch mit der Abhaltung einer Regierungskonferenz über allgemeine Fragen einverstanden sei, während dies aber innerhalb der französischen Regierung strittig blieb und auch auf Widerstand des Ministerpräsidenten stieß.235 Wenige Tage später teilte der amerikanische Botschafter dem Reichskanzler die Auffassung seiner Regierung mit, daß „alle Teile des Young-Plans unter die Beratung des Sonderausschusses fallen. Seine Beratungen müßten im Lichte der gegenwärtigen Krise erfolgen." Die amerikanische Regierung bestand auf Zusammenfassung der Beratungen — nicht nur unter dem Gesichtspunkt der deutschen, sondern der Zahlungsfähigkeit aller beteiligten Staaten sowie ihrer Währungsverhältnisse. Diese amerikanische Initiative veränderte wiederum die Situation. Den großen deutschen Auslandsmissionen konnte schlicht mitgeteilt werden, daß die Auffassung der deut-
234 235
Aufzeichnung Frohweins, 3. Dezember; ADAP, B, XIX, S. 211 f. Hoesch an das Auswärtige Amt, 13. und 17. November; a. a. O., S. 126, 140 ff.
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III.
Das zweite Kabinett Brüning
sehen Regierung „sich mit der der amerikanischen Regierung völlig deckt". 2 3 6 Auch aus anderer Quelle 2 3 7 erfuhr das Auswärtige Amt, daß für die zuständigen amerikanischen Stellen die Revisionsbedürftigkeit der Verträge „geradezu ein Axiom geworden sei". Darin drückte sich die Einbuße des Ansehens aus, die Frankreich erlitten hatte. Seine Haltung Präsident Hoover gegenüber, dessen Moratoriumserklärung Paris anfangs kühl und abweisend aufgenommen hatte, hinterließ dauernde Verärgerung nicht nur beim Präsidenten. Der Besuch Lavais in Washington hatte in dieser Hinsicht kaum Wesentliches geändert. Allgemein erwartete man nun, daß die ungünstige wirtschaftliche Lage bald auf Frankreich Einfluß nehmen und es zu neuen Entschlüssen treiben werde. Eine Rede Lavais vor der Deputiertenkammer, deren Tenor von der Rücksichtnahme auf die öffentliche Meinung im Lande bestimmt war, besserte nichts. Bemühungen Fran^ois-Poncets, das Interesse der deutschen Seite auf eine Zwischenlösung statt einer Endlösung zu lenken, blieben erfolglos. Staatssekretär v. Bülow berief sich auf die „Macht der Tatsachen", worunter er die Entwicklung der Weltwirtschaftskrise verstand. 2 3 8 Der amerikanische Botschafter in Berlin zeigte sich über die Rede Lavais entrüstet; er meinte sogar, daß der französische Ministerpräsident „die Tür zu einer vernünftigen Regelung der Reparationsfrage hinter sich zugeschlagen habe". Botschafter Sackett empörte sich über das beharrliche Festhalten an dem Prinzip, daß Frankreich nur auf Summen verzichten werde, die ihm seine Gläubiger erließen. 2 3 9 Nach einer Erklärung des Finanzministers Mellon konzentrierte sich auch der französische Botschafter in Washington auf diesen entscheidenden Punkt. Die Mehrheit des Kongresses, berichtete Claudel, stünde in Opposition gegen eine Streichung der alliierten Schulden. Aber kein Geschäftsmann, kein Bankier weigere sich beharrlich, die Umstände in veränderten Situationen zu prüfen, falls ein Schuldner in eine unglückliche Lage geraten sei und ein Teil seiner Garantien ihren Wert verloren hätten. Dies sei in den letzten Jahren mit den Schuldnern Frankreichs geschehen und habe neue Probleme aufge-
236
Ministerialdirektor Köpke an die Botschaft in Washington, analog an die Botschaften
in Paris, London und Rom, 20. November; a. a. O., S. 154. 237
Botschafter v. Prittwitz und Gaffron an das Auswärtige Amt über ein Gespräch mit
dem ihm freundschaftlich verbundenen italienischen Außenminister Grandi, 20. November; a. a. O., S. 157 f. 238
Aufzeichnung Bülows, 28. November; a. a. O., S. 191 f.
239
Aufzeichnung Bülows, 30. November; a. a. O., S. 197 f.
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Konferenzen
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worfen. Auch der Kongreß müsse nun Maßnahmen treffen, um die Tatsachen zu prüfen und Regelungen von neuem auszuhandeln. 240 Auf englischer Seite gab es keine völlige Übereinstimmung zwischen Bank of England und Schatzamt und war man noch nicht entschlossen, die Situation als für eine endgültige Lösung reif zu betrachten. Sir Walter Layton, Mitglied der BIZ in Basel, traf am Abend des 30. November mit Brüning, Luther, Melchior und Bülow zusammen, denen er die Auffassung nahezubringen versuchte, daß die Weltwirtschaftskrise nicht durch eine vollständige Streichung der Reparationsverpflichtungen beendet werden könne, daß man vielmehr Gesamtlösungen anstreben müsse, die weit darüber hinausreichten. Seinen deutschen Gesprächspartnern schienen dies unerwartete Gedanken zu sein; sie versteiften sich auf die endgültige Lösung der Reparationsfrage, die schon als eine conditio sine qua non weiterer Erörterungen galt. Doch hiermit drangen sie nicht durch. 241 Lay ton „machte wiederholt geltend, daß Deutschland keineswegs für alle Zeiten in bezug auf Reparationen zahlungsunfähig sei und sprach von Möglichkeiten einer Lösung, die uns während der Krisenzeit sowohl in bezug auf den Transfer wie auf die Aufbringung schützten, späterhin aber die Reparationen in heute noch unbestimmter Höhe wieder aufleben ließen". Brüning hielt an einer endgültigen Beseitigung der Reparationen entschlossen fest, dem einzigen deutlich proklamierten Programmpunkt seiner Regierung. Allerdings blieb immer noch unklar, welchen Zeitrahmen der Kanzler vor Augen hatte und ob er überhaupt eine konkrete Vorstellung vom Ablauf der Entscheidungen besaß. Es spricht nichts dafür, daß er schon eine Lösung durch die nächsten Konferenzen erwartete; nur das Ziel steht ebenso außer Frage wie die Begründung. Wiederholt wies der Kanzler auf die post festum problematische Seite der deutschen Finanzpolitik in den zwanziger Jahren hin — im Kontrast zu seiner eisern durchgehaltenen Sparpolitik, die unübertreffbar erschien, wie er zur Begründung der Vierten Notverordnung vom 8. Dezember auch in der Radiorede hervorhob. Die Einzelheiten wie die Bedeutung insgesamt konnte man allerdings im Ausland nicht überall wahrnehmen. Etwas anderes gilt von interessierten Kreisen in Frankreich. Der deutsche Botschafter konnte aus Paris mitteilen, daß Außenminister Briand volles Verständnis für das deutsche Vorgehen habe und sich in gewisser Hinsicht von der Haltung des Ministerpräsidenten distanzierte, dessen Äuße240 241
Telegramm Claudels, 13. Dezember; MAE, I-R/Carton 1026, I. Aufzeichnung Bülows, 1. Dezember; ADAP, B, XIX, S. 204 ff.
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III.
Das ^weite Kabinett
Brüning
rungen mitsamt ihrem Presseecho er durch erklärende Bemerkungen kommentierte und ab2umildern versuchte. 242 Die französische Position war also bei weitem nicht mehr so eindeutig, wie sie sich nach außen zu erkennen gab und wie es der französische Botschafter in Berlin darstellte. Die innerpolitische Entwicklung in Deutschland bildete indessen bei all diesen Vorgängen den nicht fortzudenkenden Hintergrund, der auch in der Außenpolitik beachtet wurde. Je entschlossener sich der Reichskanzler gab, mit desto größerer Aufmerksamkeit wurde die Entwicklung einer möglichen Alternative zur Regierung Brüning verfolgt, da von der äußersten Rechten und der erstarkten NSDAP entweder eine ernsthafte Gefahrdung oder eine starke Beeinflussung der Brüningschen Politik auszugehen schien. Fran$ois-Poncet sah sich Ende November 1931 sogar veranlaßt, während eines amtlichen Besuchs beim Staatssekretär des Auswärtigen Amtes mit Schärfe das Gerücht zu dementieren, daß er sich in „positivem Sinne für die Hitler-Bewegung" interessiere. 243 Der Botschafter benutzte jedoch die Gelegenheit, um hervorzuheben, daß sich das Ausland „naturgemäß" für die inneren Vorgänge in Deutschland interessiere und die „Unsicherheit" der innerpolitischen Lage einen außenpolitischen Verständigungsversuch außerordentlich erschwere. In Frankreich gab es Politiker und Publizisten, die sich angesichts der schwebenden wie der bevorstehenden Verhandlungen nicht mit der derzeitigen deutschen Regierung abgeben wollten, sondern unmittelbare Verbindungen zu den Nationalsozialisten suchten, um ihre Auffassungen kennenzulernen und Brünings Grenzen aufzuspüren. Ein Bericht Hoeschs konstatierte in dieser Hinsicht eine geradezu rapide Entwicklung. 244 Der Eigentümer der großen Tageszeitung „Matin" trat an den Botschafter heran, um dessen Meinung über die Absicht zu erfahren, mit Hitler Kontakt aufzunehmen. Man rechnete in Paris weithin mit einer baldigen Beteiligung der NSDAP an der deutschen Regierung oder gar mit einer Regierungsübernahme durch die Nationalsozialisten. Es konnte daher problematisch erscheinen, bereits einer Regierung des Übergangs Konzessionen zu machen. Die französische Rechte zeigte sich in Anbetracht dieser Urteile geneigt, jede Konzession an Deutschland zu vermeiden und Hitlers Erfolge und Entscheidungen abzuwarten, während die Linke unschlüssig blieb; die Bereitschaft zur Verständigung war in eine Zwickmühle geraten. 242 241 244
Telegramm Hoeschs an das Auswärtige Amt, 10. Dezember; a. a. O., S. 251 ff. Aufzeichnung Bülows, 28. November; a. a. O., S. 192. 4. Dezember; a. a. O., S. 213 ff.
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Nächst dem „Matin" bemühte sich das „Journal" — vergeblich — durch einen eigenen Korrespondenten, der nach München entsandt, aber von Hitler nicht empfangen wurde, Verbindung zu ihm aufzunehmen. Auch „Paris-Midi" zeigte sich interessiert. Gewiß trieb die Absicht, zu eigenen Urteilen zu gelangen und neue Informationsquellen zu erschließen, zu diesen Versuchen. Doch für jeden der weiter blickenden Beteiligten stand auch die Kehrseite derartiger Bemühungen außer Frage: daß Hitlers NSDAP internationales Interesse und größere Sprachrohre gewann, als sie bisher besessen hatte. Als Anfang Dezember Alfred Rosenberg, der als außenpolitischer Sachverständiger der NSDAP-Reichstagsfraktion galt, nach London fuhr, um Gespräche mit englischen Politikern zu führen, wurde in Paris der deutsche Botschafter geradezu bestürmt, sich zur Kontaktierung der Nationalsozialisten durch die französische Presse zu äußern. Er vermochte dies noch zu unterbinden; aber er konnte nicht die eifrige Tätigkeit der Korrespondenten in Deutschland übersehen und schon gar nicht kommentieren oder kontrollieren. Einige Politiker der Linken glaubten, in der Hoffnung auf eine Regierungsübernahme in Frankreich im nächsten Jahr, sich auf eine engere Verbindung mit der vermeintlich künftig in Deutschland regierenden Rechten vorbereiten zu müssen und versuchten dies durch deutsche Mittelsmänner einzuleiten. 245 Schließlich hielt es Bülow für erforderlich, den fast täglich sich mehrenden Nachrichten aus dem Ausland und einer großen Anzahl von Anfragen der in Berlin beglaubigten Vertreter fremder Staaten durch einen vertraulichen Runderlaß des Auswärtigen Amtes zu begegnen, der in einer Art Sprachregelung zur Eigenart und Bedeutung der NSDAP amtlich Stellung nahm. 246 Seine Darstellung bemühte sich um Zurückhaltung, hob aber hervor, daß eine Festlegung der Partei im Grunde in keinem wesentlichen Punkte zu verzeichnen war. Sie verschwieg nicht die Gefahren, die von den in der NSDAP herrschenden Auffassungen ausgehen konnten: ihrem militanten Antipazifismus, wiederholten Äußerungen, daß man einen Krieg zwar nicht führen wolle, aber keine Furcht vor ihm habe, dem Verlangen nach Erweiterung des deutschen „Lebensraumes" sowohl durch Kolonien als auch durch Schaffung eines größeren Reiches, der
245
Nachschrift Hoeschs zu seinem Bericht vom 4. Dezember über eine Initiative fran-
zösischer Politiker (André Germain, der ehemalige Minister Anatole de Monzie, Gaston Bergery sowie Edouard Pfeiffer, Generalsekretär der Radikalsozialisten). 246
Runderlaß v o m 8. Dezember; a. a. O., S. 232 - 242.
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III. Das zweite Kabinett Brüning
Gleichgültigkeit gegenüber den Vorgängen im Völkerbund und schließlich dem ebenso entschiedenen wie undeutlichen Antibolschewismus. Hervorzuheben bleibt, daß nationalsozialistische Auffassungen zur Reparationsfrage jetzt auf eine weitgehende Übereinstimmung mit der Haltung der Reichsregierung hinausliefen. Hitler hatte sich wenige Tage vorher einem Journalisten der Associated Press gegenüber herbeigelassen, den rechtsverbindlichen Charakter der privaten Auslandsschulden „rückhaltlos" anzuerkennen, u m die Priorität der politischen Forderungen, mit denen Frankreich die Reparationen aufrechtzuerhalten versuchte, zurückzuweisen. 2 4 7 K a u m anderes schien, Bülows Darstellung zufolge, in der Abrüstungsfrage zu gelten, in der die Nationalsozialisten neuerdings ebenfalls die Gleichberechtigung Deutschlands verlangten. Das Resümee des Staatssekretärs bezeichnete den wirklichen Stand der Entwicklung, in der sich die N S D A P befand: „Außenpolitische Forderungen werden aus innenpolitischen Gesichtspunkten heraus erhoben und zwar ohne Rücksicht darauf, o b sie überhaupt in die Praxis umgesetzt werden, ja selbst ohne Rücksicht darauf, ob sie miteinander in Einklang gebracht werden können. Bei dieser Sachlage ist jede Voraussage darüber unmöglich, welche Außenpolitik eventuell die Nationalsozialisten im Falle ihrer Regierungsübernahme treiben würden. E s wäre sehr wohl denkbar, daß sie im wesentlichen die Außenpolitik der früheren Regierungen fortsetzen würden — mit dem einzigen Unterschied, daß sie weniger fortiter in re als fortiter in m o d o handeln würden." Bülow wollte keinen Zweifel lassen, daß die Außenpolitik der amtierenden Regierung in jedem Betracht solider und mithin vorteilhafter sei im Vergleich mit den Vagheiten, die die Nationalsozialisten in ihren verschiedenen programmatischen Äußerungen boten. Aber es läßt sich nicht übersehen, daß das Fazit im Hinblick auf den seit längerem diskutierten wahren Charakter der N S D A P recht moderate Töne wählte und offenkundig eine beruhigende Wirkung beabsichtigte. Geringere Auswirkungen innerdeutscher Vorgänge, namentlich der Entfaltung des Nationalsozialismus, ließen sich in Amerika und England beobachten. In Washington bemühte sich G e o r g e Murnane um eine Gesamtlösung der Finanzprobleme auch in Unterredungen mit dem Präsidenten. D e r deutsche Botschafter glaubte H o o v e r wie Stimson von der Notwendigkeit einer definitiven L ö s u n g des Schuldenproblems überzeugt. Sie verfolgten allerdings, wie Prittwitz berichtete, die Politik „einer 247
In späteren Äußerungen beobachtete Hitler die gleiche Haltung und erwähnte
amerikanische Obligationen als anerkannte privatrechtliche Forderungen.
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Konferenzen
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schrittweisen Annäherung an dieses Ziel, da sie praktisch keine andere Möglichkeit sehen, vorwärts zu kommen". 248 Es gab aber auch Stimmen, die angesichts der deutschen innerpolitischen wie der außenpolitischen Entwicklung die Haltung Brünings als zögernd beurteilten und schon viel Zeit verloren wähnten. Die langwierige Vorbereitung der Vierten Notverordnung besaß für sie bei weitem nicht das Interesse, das Brüning im Ausland voraussetzte. Noch am 23. Dezember berichtete der deutsche Generalkonsul Kiep aus New York überaus pessimistisch an das Auswärtige Amt. 249 Die Haltung des Repräsentantenhauses und des Senats schrieb er zum Teil der Einwirkung französischer Propaganda zu, aber auch dem Zögern auf deutscher Seite. Shepard Morgan, den er, neben George Murnane, „den einzigen hiesigen Fachmann" nannte, „der die Lage überblickt und den Mut hat, die Konsequenzen daraus zu ziehen", habe geraten, in der öffentlichen Diskussion deutscherseits immer wieder den aus den Reparationsverpflichtungen folgenden Exportzwang in den Vordergrund zu stellen, was im Hinblick auf das den Amerikanern gegenwärtige „Problem der Überproduktion" am meisten wirke. Kiep erteilte den Rat, die „erforderliche Aufklärung" etwa „in Form einer Kanzlerrede oder eines Prominenteninterviews" zu geben. Dabei wäre festzustellen, daß Deutschland „die moralische und juristische Berechtigung der amerikanischen Forderung auf Zahlung der heute noch bestehenden alliierten Schulden anerkenne, jedoch infolge des Young-Plans samt dem Pariser Protokoll schicksalsmäßig mit diesen Schulden verbunden worden sei ... Die Summe der amerikanischen Forderungen an die Alliierten sei ungefähr gleich dem Betrag der alliierten Forderungen gegen Deutschland, und beide Verpflichtungen seien nach der heutigen Regelung Deutschland auferlegt, das im Hinblick auf seine privaten Schulden keine von beiden erfüllen könne." Er schlug sogar vor, „daß die deutsche Regierung in einer öffentlichen Geste vor Beginn der Abrüstungskonferenz dem Präsidenten der Vereinigten Staaten gewissermaßen ihre Stimme zur Verfügung stellte bzw. ihn bäte, auch das deutsche Mandat zu übernehmen, da der Standpunkt beider Länder identisch sei". 250 Derartige Überlegungen bezeugten freilich völlige Unkenntnis der Pläne des Reichs Wehrministeriums. 248
v. Prittwitz und G a f f r o n an das Auswärtige Amt, 10. Dezember; a. a. O., S. 254.
249
Durchschlag B A , R 43 1/335.
250
Auch der Gedanke einer Verbindung zwischen Exportförderung und Schuldenre-
gelung wurde erörtert und Ende 1931 von Cuno, der sich auf einer Amerikareise befand, nach Berlin durchgegeben. Er rührte von dem Vertreter des Kupferkartells der Vereinigten Staaten her, Oberst Donovan, der sich Anfang 1932 nach Berlin begab.
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III.
Das ^weite Kabinett Brüning
Auch auf englischer Seite bestand keine einheitliche Auffassung. Während eines Gesprächs am Rande der Baseler Verhandlungen zwischen Sir Walter Layton, Graf Schwerin von Krosigk und Ministerialrat Berger hielt Layton eine Empfehlung, die auf völlige Streichung der Reparationen hinauslief, nicht für erreichbar, da seiner Meinung nach in Amerika eine vollständige Schuldenstreichung nicht durchzusetzen sei und die Franzosen den Grundsatz der Reparationen nicht opfern würden. Infolgedessen bliebe nur ein Provisorium oder eine neue Lösung, die einer späteren Besserung der Wirtschaftslage in Deutschland Rechnung trüge. 251 So schien in dieser Frage die Entscheidung noch ungewiß, so entschlossen sich auch Montagu Norman nach wie vor für eine radikale Lösung einsetzte. 252 Ausländischen Pressevertretern gegenüber schien der Reichskanzler dann aber doch aufs Ganze zu gehen, als er ihnen am 11. Dezember erklärte: „In dem Augenblick, wo Deutschland nichts mehr geliehen bekommt und die Reparationen durch Warenüberschuß bezahlen muß, werden die Reparationszahlungen entweder die ganze Weltwirtschaft durcheinanderbringen oder es wird sich die Unmöglichkeit der Zahlungen erweisen. Meine Hoffnung ist, daß die Welt, wenn sie alle Systeme durchprobiert haben wird, sich zu einer großzügigen Lösung wird entschließen müssen." 253 Dies löste in Basel einige Besorgnisse aus. Als aber Schwerin v. Krosigk um eine Erklärung bat, wie Brünings Stellungnahme zu interpretieren sei, ließ der Kanzler antworten, daß seine Bemerkung „über die Unmöglichkeit, Zahlungen und Reparationen für die Zukunft zu leisten, im Zusammenhang mit den vorhergehenden Ausführungen gewertet werden müsse, in denen darauf hingewiesen wurde, daß die bisherigen Reparationszahlungen nur durch Auslandsanleihen möglich gewesen seien. Durch diesen Zusammenhang verliere die Feststellung etwas an Schärfe. Anderseits wünsche der Herr Reichskanzler nicht, daß seinen Äußerungen die Schärfe ganz genommen werde. Es sei ihm also lieb, wenn hinsichtlich seiner Ausführungen ein gewisses Halbdunkel bestehen bleibe." 254 Dies wirft ein deutliches Licht auf die Ambivalenz des deutschen Taktierens; „halbdunkel" sollte es sein, wenn Brüning nach
251 Telegramm des Ministerialdirektors Graf Schwerin v. Krosigk an das Reichsfinanzministerium, 11. Dezember; ADAP, B, XIX, S. 259 ff. 232 Aufzeichnung Vockes über Besprechungen in der Bank of England, 5. Dezember; Schulz, Politik, 2, S. 1147 ff. 253 Schulthess 1931, S. 268. 254 Vermerke von Planck, 12. und 13. Dezember; BA, R 43 1/332.
Im Vorfeld internationaler
Konferenzen
673
innen Entschlossenheit bekundete. In Anbetracht des Fälligwerdens des großen Lee-Higginson-Kredits und der Erörterung einer Verlängerung des Stillhalteabkommens traf Staatssekretär Schäffer wohl den Kern der Sache, wenn er meinte, „es stände zu 51 oder 49 Prozent, ohne daß sich die richtige Verteilung auf diese beiden Prozentsätze voraussehen lasse, ob das Fehlen einer längerfristigen Regelung für die privaten Schulden günstig auf die Reparationsverhandlungen einwirken würde ... oder ob die kurzfristige Verlängerung bei den privaten Schulden den Stil auch für die Reparationsverhandlungen im Sinne Frankreichs abgeben würde". 255 Über alle Aussichten blieben die Meinungen geteilt.
255
Tagesbericht Luthers, 14. Dezember; Schulz, Politik, 2, S. 1180.
DREIZEHNTES
KAPITEL
Erfolg und Mißerfolg im Januar Der Beneduce- Ausschuß und die Vorbereitung der großen Konferenzen Die deutsche Regierung hatte gemäß Ziffer 119 des Young-Plans am 19. November 1931 die Einberufung des Beratenden Sonderausschusses bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich beantragt und erklärt, sie sei „in gutem Glauben zu dem Schlüsse gekommen, daß die Währung und das Wirtschaftsleben Deutschlands durch den teilweisen oder vollständigen Transfer des aufschiebbaren Teiles der Annuitäten ernstlich in Gefahr gebracht werden könnten". Der Verwaltungsrat der Bank berief daraufhin den Ausschuß nach Artikel 45 ihrer Statuten ein. 256 Gemäß dem in Ziffer 127 des Young-Plans vorgeschriebenen Verfahren wurden die Mitglieder von den sieben Chefs der beteiligten Zentralnotenbanken ernannt: der Italiener Alberto Beneduce, der Belgier Emile Francqui, der Engländer Sir Walter T. Layton, der Deutsche Carl Melchior, der Japaner Daisuke Nohara, der Franzose Charles Rist und der Amerikaner Walter W. Stewart. In der ersten Sitzung der ordentlichen Mitglieder des Ausschusses am 7. Dezember in Basel wurde der Italiener Beneduce einstimmig zum Vorsitzenden gewählt. Ziffer 129 des Young-Plans eröffnete die Möglichkeit einer Zuwahl weiterer Mitglieder. Hiervon wurde Gebrauch gemacht und der Ausschuß durch den Schweizer Bindschedler, den Holländer Colijn, den Jugoslawen Djuritch und den Schweden Rydbeck, der bereits dem Wiggin-Komitee angehört hatte, erweitert, so daß er den Eindruck eines neutralen und sachverständigen, keineswegs an ein Land oder eine Großmacht gebundenen Arbeitsgremiums vermittelte. In Wirklichkeit bestanden enge Beziehungen zwischen einzelnen Ausschußmitgliedern und ihren Regierungen; die supranationale Position der Sachverständigen in bedeutungsschweren politischen Fragen erwies sich hier
256 Vorgeschichte und Verfahren im „Bericht des Beratenden Sonderausschusses" der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Basel, Dezember 1931; gedrucktes Exemplar BA, R 43 1/335.
Erfolg und Mißerfolg im Januar
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wie schon bei den Beratungen des Young-Plans als Fiktion, wenn auch als eine praktikable. Brüning erteilte Melchior am 5. Dezember eine weit ins einzelne gehende ausführliche Weisung: „1.) Es wird sich empfehlen, die Tätigkeit und den Bericht des Ausschusses im wesentlichen auf die Feststellung von Tatsachen zu beschränken. Darüber hinaus wäre zu Schlußfolgerungen nur dann zu schreiten, wenn sicher ist, daß diese zu den von uns gewünschten Ergebnissen führen. Als von uns gewünschtes Ergebnis der bevorstehenden Sachverständigen- und Regierungskonferenzen 257 sehe ich eine endgültige Regelung an, die Deutschland auch für die Zukunft von Reparationsleistungen freistellt. Nur wenn solche Schlußfolgerungen sich als erreichbar erweisen, wäre darauf zu drängen, daß der beratende Sonderausschuß sie ausspricht. 2.) Die Feststellungen auf tatsächlichen Gebieten werden sowohl den Einfluß der Reparationen auf die gesamte Weltkrise wie auch ihren Einfluß auf die deutsche Wirtschaftslage erkennen lassen müssen. Dabei wird dem Ziel einer uns günstigen Endlösung am besten entsprochen, wenn in Erscheinung tritt, daß eine Erholung der Weltwirtschaft von dieser Krise nur dann möglich ist, wenn sie sich durch künftige Reparationsleistungen nicht weiter bedrückt fühlt ... 3.) Es muß vermieden werden, daß der Bericht zu Feststellungen kommt, die Ausführungen über deutsche Verschwendung oder eine sonstige Schuld der deutschen öffentlichen Gewalten an dem gegenwärtigen Zustand der deutschen Wirtschaft enthalten ... wobei besonders darauf hinzuweisen ist, daß seit dem Fortgang Parker Gilberts weitgehendste Ersparnismaßnahmen in fortschreitender Schärfe getroffen worden sind..." 258 Der komplettierte Ausschuß trat zum ersten Male am 8. Dezember in Basel zusammen, bildete Unterausschüsse und tagte alsdann am 9. und am 23. Dezember, nachdem man das verlangte statistische Material aus deutschen Quellen herangeführt hatte. Das Gesamtergebnis, das die Wende in der Reparationspolitik einleitete, kann man ohne Einschränkung im wesentlichen als Bestätigung der deutschen Klagen betrachten. Der Ausschuß traf die Feststellung, daß Deutschland infolge seiner starken kurzfristigen Auslandsverbindlichkeiten für die Kreditkrise, die 1929 einsetzte, „besonders empfindlich" war. In den ersten sieben Mo257 Der Plural stützt die Vermutung, daß Brüning noch nicht mit einem kurzen Prozeß rechnete. 258 ADAP, B, XIX, S. 216 ff.; die ganze Weisung umfaßt elf Positionen, von denen hier nur die offenkundig wichtigsten ersten drei zitiert werden.
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III. Das zweite Kabinett Brüning
naten des Jahres 1931, vornehmlich im Juni und Juli, wurden 2,9 Milliarden RM kurzfristiger Kredite abgezogen. Eine Erhebung der Reichsregierung nach dem Stand vom 28. Juli ergab, daß sich die Summe der kurzfristigen deutschen Kredite immer noch auf zwölf Milliarden RM belief. Beim Stillhalteabkommen wurden diese Zahlen in gewissem Umfang variiert, aber in ihrer Bedeutung nicht revidiert. Der im Gefolge der Wirtschaftskrise durch Maßnahmen der Reichsregierung herbeigeführte Ausfuhrüberschuß ging erkennbar zurück, so daß für 1932 nicht mehr mit vergleichbaren Ergebnissen gerechnet werden durfte. Der Ausschuß hielt sich strikt an Grundsätze und Bestimmungen des Young-Plans. Er untersuchte die wirtschaftlichen Daten und die Umstände, die zur beschriebenen Lage geführt hatten, die „zur Bekämpfung der Krise ergriffenen Sondermaßnahmen" der Reichsregierung, für die sie sich des präsidentiellen Ausnahmerechts bedient hatte und die eine im ganzen wohlwollende Beurteilung erfuhren. Am Ende gelangte er zwar zu einer wenig aussagekräftigen, aber durch die Presseberichterstattung in eigener Wertung emporgetriebenen Konsequenz: „Wir richten an die Regierungen, auf denen die Verantwortung zum Handeln ruht, den Appell, ohne Verzug zur Entscheidung zu kommen, um eine Besserung der Krise herbeizuführen, die gleichermaßen auf allen lastet." Die Besserung sollte durch „Anpassung aller zwischenstaatlichen Schulden (Reparationen und anderer Kriegsschulden) an die gegenwärtige zerrüttete Lage der Welt" erreicht werden; dies allein könne „neues Unheil" verhindern. Der schlichte Bericht, der gar nicht auf die wirtschaftliche Notlage und sozialen Notstände innerhalb Deutschlands einging, trug durch den Eindruck strikter Sachlichkeit der gestellten Aufgabe vollauf Rechnung. Während der Tagung des Sonderausschusses entstanden nicht unbeträchtliche Auseinandersetzungen mit dem Governor der Bank of England, der darauf bestehen wollte, daß der Ausschuß zu konkreten Empfehlungen gelangte, die die Regierungen zu verwirklichen hätten. 259 Norman lag an einer raschen Klärung der gesamten finanzpolitischen Situation. Von einer bloßen Diagnose befürchtete er weitere Verzögerungen. Man kann kaum darüber streiten, daß gute Gründe für diese Logik sprachen. In der erkennbaren Absicht, für eine begrenzte Stellungnahme des Sonderausschusses zu sorgen, wirkten aber diesmal die deutsche und die französische Seite, allerdings aus unterschiedlichen 259
Telegramm des Botschafters Frhr. v. Neurath an das Auswärtige Amt, 17. Dezember;
a. a. O., S. 2 8 0 f .
Erfolg und Mißerfolg im Januar
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Gründen, zusammen, was die Engländer gegen beide aufbrachte. Der der deutschen Politik in der Reparationsfrage verständnisvoll gegenüberstehende Sachverständige Sir Frederick Leith-Ross wie auch sein Kollege Sir Walter Layton wollten auf eine klare Empfehlung hinaus, was sie am Ende aber nicht erreichten. Daß die Gegenposition durchgehalten wurde, lag an der ständigen Verbindung — über die Telefonleitung von Lörrach aus — zwischen dem Reichskanzler und dem deutschen Vertreter Melchior, die die englische Seite in Erfahrung brachte und etwas indigniert beobachtete. Der Hamburger Bankier wurde für diese Wochen zum entscheidenden Ratgeber Brünings. 260 So kam es schließlich zu einem Gutachten, das, wie von Melchior vorgesehen, lediglich feststellte, daß Deutschland zahlungsunfähig sei, und die Folgerungen den Regierungen überließ. Brüning hatte hierbei stets die innerpolitische Situation im Auge — ebenso wie Laval in Frankreich —, in erster Linie die bevorstehende Reichspräsidentenwahl. Auf Schäffers Befragen äußerte er, daß es auf die Reihenfolge ankomme, die auch Melchior beachten müsse: ,,a) Verlängerung der Amtsdauer des Reichspräsidenten spätestens bis Ende Februar; b) französische Wahlen im April, wobei es möglich ist, daß sie noch in den März vorverlegt werden; c) Preußen wähl im Mai." 261 Offenbar hoffte der Reichskanzler, daß ein Erfolg in Basel die innere Situation günstig beeinflussen werde und sich bei der Wiederwahl Hindenburgs rasch ausmünzen ließe, um dann auch Einfluß auf den Ausgang der Wahl im größten Lande Preußen nehmen zu können. In dieser Abfolge ließ sich schließlich Ministerpräsident Braun für Hindenburg in die Pflicht nehmen. Am 23. Dezember wurde der Bericht des Beneduce-Ausschusses über die Gesamtlage Deutschlands beschlossen. Er würdigte die bisherigen Maßnahmen der Reichsregierung und warnte in seinen allgemeinen Schlußfolgerungen nachdrücklich vor der Einflußnahme politischer Absichten auf wirtschaftliche Entscheidungen. Die Transferierung großer Summen von einem Land in ein anderes bezeichnete er als krisenverschärfend. Das Ganze entsprach den seit Monaten gehegten Wünschen des Auswärtigen Amtes und den stetig verfolgten Absichten des Reichskanzlers. Brüning war zufrieden. Am 24. Dezember sandte er Danktele-
260 Tagebuchaufzeichnung Schäffers, 19. Dezember; Auszug Schulz, Politik, 2, S. 1189 — 1192; Tagesbericht Luthers, 22. Dezember; a. a. O., S. 1194 ff. 261 a. a. O., S. 1192.
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III. Das zweite Kabinett Brüning
gramme zum Jahreswechsel an Sprague und Marcus Wallenberg, 262 deren Ratschläge ihn auf diesen Weg gelenkt hatten: „Wenn die Reichsregierung heute die Hoffnung, die sie auf die Baseler Verhandlung gesetzt hatte, im wesentlichen erfüllt ansehen kann, so dürfen Sie sich an diesem Erfolg ein besonderes Verdienst zuschreiben." Am gleichen Tage, an dem der Beneduce-Ausschuß seinen Bericht bekanntgab, legte Generalmajor Schönheinz dem Auswärtigen Amt einen neuen Entwurf des Reichswehrministeriums zu den Richtlinien für die deutsche Delegation auf der Abrüstungskonferenz vor, 263 der weiter ging als die voraufgegangenen Entwürfe. Vom Verhandeln war nun nicht mehr die Rede, auch nicht von erreichbaren Zielen. „Deutschland fordert die Abrüstung der anderen Staaten nach denselben Methoden und in demselben Verhältnis, wie sie ihm auferlegt worden ist. Zu dieser Forderung ist es berechtigt. In ihr liegt Stärke und Bedeutung seiner Stellung auf der Konferenz. Der Zweck ist, unter Vermeidung einer eigenen direkten Aufrüstungsforderung, wieder ein militärisches Kräfteverhältnis herzustellen, das den Schutz Deutschlands vor feindlichem Angriff ermöglicht. Vorbedingung, ohne deren Erfüllung eine Teilnahme Deutschlands an einer Konvention überhaupt nicht in Frage kommt, ist hierfür die restlose Beseitigung des durch Versailles geschaffenen Systems einseitiger Beschränkungen. Es dürfen künftig für Deutschland nur Bestimmungen für Rüstung und Verteidigung gelten, die in derselben Art und mit derselben Zeitdauer auch für die Nachbarstaaten vereinbart und von diesen übernommen sind. Bis diese Vorbedingung erfüllt ist, ist die Anwendung aller Versailler Bestimmungen auf die anderen Staaten zu fordern und grundsätzlich ein Vorbehalt zu jeder Bestimmung der Konvention zu machen, die dem nicht entspricht." Diese Grundsatzerklärung operierte schon mit einem Hinspielen auf den Abbruch der Verhandlungen — noch ehe sie begonnen hatten. Schönheinz teilte mit, daß er diese Stellungnahme im Einverständnis mit den Chefs der Heeresleitung und des Ministeramtes und Admiral Frhr. v. Freyberg abgebe. Hammerstein und Schleicher hatten sich nun der Auffassung der treibenden Köpfe innerhalb des Truppenamtes angeschlossen, die unter dem Schild der Abrüstungskonferenz eine Wiederaufrüstung zu lancieren suchten und an eine Politik der Revision in großem Maßstab und von prinzipieller 262 BA, R 43 1/335, Entwürfe mit Ausfertigungsvermerk und Paraphen Brünings; Briefe ähnlicher Art gingen an Melchior, Schiffer und Graf Schwerin v. Krosigk. 263 ADAP, B, XIX, S. 315 f.
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A r t dachten. A u f die Reichsregierung kamen schwere Probleme zu, die mit der Reparationsfrage nichts mehr zu tun hatten. Schon von hier aus drohte die Gefahr, daß die v o n Brüning ins A u g e gefaßte „Reihenfolge" gestört wurde. 2 6 4 Die Verhandlungen in Basel waren in englischer Sicht zu glatt im Sinne deutscher Wünsche verlaufen, die englischen Schulden gegenüber den Vereinigten Staaten nicht einmal annähernd geklärt, kaum berührt w o r den. Wenn Deutschland von seinen Verpflichtungen freikam, so sollten nach englischer Auffassung andere, v o r allem England selbst, den gleichen Nutzen haben; nur unter dieser Voraussetzung stand ein weltwirtschaftlicher Auftrieb zu erwarten. Die Unterhändler Leith-Ross und Layton bemühten sich daher, einen gemeinsamen Druck aller Beteiligten auf die Vereinigten Staaten zustande zu bringen. 2 6 5 Botschafter Sir Horace Rumbold überbrachte Brüning am 29. Dezember ein ausführliches Memorandum seines Außenministers, das nachdrücklich hervorhob, daß England mit Frankreich in der Behandlung des Reparationsproblems eng verbunden bleiben wolle und eine freundliche Diskussion die beste Methode sei, den Frieden zu erhalten und die Prosperität Europas wiederherzustellen, was schließlich gemeinsames Ziel aller Länder sei. 266 Dies war eine deutliche Warnung an die deutsche Adresse, die Situation 264 François-Poncet analysierte in einem seiner interessantesten Berichte aus Berlin, nach einem Gespräch mit dem führenden Redakteur der Frankfurter Zeitung und vormaligen Londoner Korrespondenten Kircher, die deutsche Presse und die Rolle des Nationalismus in der Öffentlichkeit. Kircher charakterisierte die Situation der Instabilität, in der sich Deutschland befand, als Ursache, aus der sich gewalttätige Konsequenzen ergäben, die die Regierung unter Druck setzten und von ihr einen schnellen Erfolg verlangten, der nur auf außenpolitischem Gebiet zu erwarten sei. Aus diesem Grunde sei die Regierung Brüning entschlossen, um die Situation zu konsolidieren, die Beseitigung der Reparationen und des Young-Plans durchzusetzen. Nach Kirchers Auffassung sei ein französisch-deutsches Einvernehmen, das er persönlich lebhaft befürwortete, nicht zu verwirklichen, wenn nicht drei Fragen geklärt seien: die Reparationen, die Abrüstung und das Problem des polnischen Korridors. François-Poncet an das Ministère des Affaires Etrangères, 14. Dezember; M A E , I-R/Carton 1026, I. Kritisch über Kircher Michael Bosch, Liberale Presse in der Krise. Die Innenpolitik der Jahre 1930 bis 1933 im Spiegel des „Berliner Tageblatts", der „Frankfurter Zeitung" und der „Vossischen Zeitung", Bern/Frankfurt a.M./München 1976, S. 24. 265 Neurath an das Auswärtige Amt, 23. Dezember; Botschaftsrat Graf v. Bernstorff an das Auswärtige Amt, 28. Dezember; Melchior an Staatssekretär Schäffer, 2. Januar 1932; Abschrift für das Auswärtige Amt PAAAB, St.S./Rep. 2; kurzes Resümee über den Bericht des Beratenden Sonderausschusses von Ministerialdirektor Ritter an die Botschaft in Paris, 24. Dezember; ADAP, B, X I X , S. 317. 266 Original BA, R 43 1/335.
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III.
Das zweite
Kabinett
Brüning
nicht nur zum eigenen Nutzen auszubeuten. Doch sie verfehlte jede Wirkung auf Brüning. Alsbald verdichtete sich der Eindruck, daß die Reichsregierung aufs Ganze ging. Am 30. Dezember berichtete FrançoisPoncet nach Paris, nationalistische deutsche Organe behaupteten unter Berufung auf eine gute Quelle, daß die Regierung einer endgültigen Lösung zusteuere. Die vom Auswärtigen Amt inspirierte „Diplomatische Correspondenz" konstatierte, daß einzig eine solche Lösung geeignet sei, „die vergiftete Atmosphäre zu bereinigen, in der sich die wirtschaftliche Weltkrise entwickelt" habe. 267 Auch aus Washington gelangten neue Nachrichten nach Paris. Botschafter Claudel berichtete aus einer Anhörung von Repräsentanten der bedeutendsten Emissionsbanken von New York durch den Senat. 268 Die Bankiers Thomas W. Lamont, Mitchell und Otto Kahn hatten erklärt, daß Deutschland zwar fähig sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen, wenn geeignete Vereinbarungen getroffen würden. Die Erklärung Präsident Hoovers im Juni 1931 sei aber unvermeidbar gewesen und habe eine Katastrophe verhindert. Die deutschen Privatschulden könnten nicht im Zusammenhang mit den Reparationsverpflichtungen behandelt werden. Die Chance, sie zu bedienen, hinge allein vom deutschen Kredit ab. Kahn meinte sogar, Reparationen seien keine Frage des Rechts, sondern der Zweckmäßigkeit; wenn man alle Schulden und alle Reparationen „in das Meer würfe", sei dies für die Welt besser. Die vom Senat zur Anhörung geladenen Chefs der New Yorker Emissionsbanken vertraten andere Auffassungen als die Väter der Reparationspläne, die mit den Namen Dawes und Young verbunden waren und an denen amerikanische Bankiers erheblichen Anteil hatten. Die veränderte Weltlage veränderte auch die Haltung der Bankiers. Allerdings wandten sich die Führer der Demokraten wie der Republikaner im Repräsentantenhaus noch entschieden gegen jede grundlegende Revision; es gab im Kongreß lediglich Stimmen für eine Verlängerung des Moratoriums. Eine neue Initiative konnte der Präsident einstweilen nicht entfalten. 269 So blieb es bei einem Aide-mémoire, das Außenminister Stimson im Anschluß an den vorweihnachtlichen Besuch Lavais bei Hoover dem französischen wie dem britischen Botschafter überreichte und über das Claudel berichtete: Die Frage nach der Fähigkeit Deutschlands, die Reparationen zu zahlen, sei durch die Regierungen zu stellen 267
M A E , I-R/Carton 1026, I.
268
Telegramm von Claudel, 22. Dezember; a. a. O. Claudel am 25. Dezember; a. a. O.
269
Erfolg und Mißerfolg
im Januar
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und zu regeln, die an den Reparationszahlungen partizipierten. Die Vereinigten Staaten partizipierten nicht hieran und wünschten daher nicht, diese Frage zu diskutieren. Sie würden auch nicht an einer Konferenz teilnehmen, die diese Frage behandelte. Weitere Ausführungen verdeutlichten jedoch die Weigerung Amerikas, durch seine Haltung oder Entscheidung Reparationen zu begünstigen. 270 Claudel ergänzte dies und drahtete, daß der Einfluß der Bankiers auf die amerikanischen Angelegenheiten weniger bedeutend sei, als man angenommen habe, und daß er jetzt weiter schwinde. 271 Alles in allem erschien die Situation in Washington zu Beginn des Jahres 1932 kaum geklärt. Nach einigem Zögern der deutschen Seite, die zunächst Lausanne als Tagungsort ablehnte, sich jedoch von der englischen zu einem Einverständnis bewegen ließ, ging man an die Vorbereitung einer Konferenz. Zweck und Ziel lagen nach Auffassung des Auswärtigen Amtes darin, zur Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise für die Wiederherstellung des
27,1 Es entbehrt nicht des Reizes, zum Vergleich den etwas später erstatteten Bericht des deutschen Botschafters v. Prittwitz und Gaffron heranzuziehen, der zunächst über eine „antideutsche Welle" in einem „beträchtlichen Teil der hiesigen öffentlichen Meinung" klagte. Die Ursache dieser Kampagne erkannte der Botschafter „in der seit dem Sommer verstärkt sich durchsetzenden allgemeinen Wirtschaftsdepression und allen ihren Auswirkungen. Ebenso wie in der übrigen Welt hat sich auch mit der Andauer der schlechten Zeiten hier die Unzufriedenheit der Massen akzentuiert. Dazu gesellte sich noch eine erhebliche Enttäuschung über das Ausbleiben der Besserung, die das mit großer Propaganda verkündete Moratorium hätte bringen sollen. Aus dieser Mißstimmung heraus erfolgten Angriffe gegen die vermeintlich Schuldigen, gegen die Administration und den Präsidenten wegen der Schuldenpolitik, gegen die Bankiers wegen Vergebung von Auslandsanleihen und in der Hauptsache gegen das Ausland, insbesondere Deutschland, das schließlich als der schwächste Angriffspunkt, als Sündenbock herhalten und allen Unwillen über sich ergehen lassen mußte." Doch diese „antideutsche Welle, die ihren Höhepunkt zu Anfang vorigen Monats erreicht hatte", war wieder abgeebbt. Zu diesem Umschwung hätten die verschiedenen amtlichen deutschen Erklärungen beigetragen, vor allem aber die letzte Notverordnung. „Die Moratoriumsverhandlungen im hiesigen Kongreß haben sodann auch die hiesige Regierung aus ihrem Schweigen herausgelockt... vor allem Stimsons Brief an den Vorsitzenden des Finanzausschusses des Hauses [stellt] sich als eine Verteidigung Deutschlands dar, wie wir sie kaum besser hätten durchführen können. Auch die überaus freundlichen Worte, welche der Präsident in seinen jüngsten Auslassungen... gefunden hat, haben zur Beseitigung der Mißstimmung gegen Deutschland wesentlich beigetragen... Ebenso wie die Regierung haben jetzt auch die Bankiers vor die Öffentlichkeit treten müssen. Die Vernehmungen Lamonts, Kahns und Mitchells vor dem Finanzausschuß des Senats in Verfolg einer von Senator [Hiram] Johnson eingebrachten Resolution, betreffend die Untersuchung der Vergebung von Auslandsanleihen, sind Deutschland zugute gekommen." Bericht vom 4. Januar 1932; BA, R 43 1/335. 271
Zwei Telegramme Claudels, 2. Januar 1932; MAE, I-R/Carton 1027, I.
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III. Das zweite Kabinett Brüning
Vertrauens zu sorgen; das sei aber nur möglich, wenn man eine endgültige tragbare Regelung der Reparations- und Regierungsschulden fand. „Falls es zu einer solchen endgültigen Regelung im Hinblick auf französischen Widerstand nicht kommen sollte, sehen wir zur Zeit keinen Ausweg, um zu einer für uns tragbaren Einigung" zu gelangen. 272 Auch hier meldete sich die Erwägung an, ein Scheitern der Konferenz in Kauf zu nehmen, falls sich die angestrebte Lösung nicht erreichen ließ. Die Versteifung der deutschen Haltung irritierte begreiflicherweise die französische Seite. Fran^ois-Poncet gab dem Kanzler zu verstehen, daß sich seine Regierung in einer schwachen Stellung befinde — mit der gleichen Kammer, die den Young-Plan erst nach Schwierigkeiten akzeptiert hatte. 273 Es erschien ihr daher wünschenswert, lediglich eine vorläufige Regelung vor der Öffentlichkeit vertreten zu müssen. Im Auswärtigen Amt sah man die Situation anders. Ministerialdirektor Ritter hob in einer Denkschrift vom 3. Januar 274 auf die absehbare Verzögerung ab. Auch wenn Wahlen und Stichwahlen in Frankreich noch Ende April stattfanden, werde sich das Zusammentreten der Kammer und die Bildung einer neuen Regierung „erfahrungsgemäß ... bis in die ersten Wochen des Juni hinziehen". 275 Bei einem Scheitern der Konferenz im Januar würde es dann Deutschland „wahrscheinlich nicht schwer fallen, sich mit den Vereinigten Staaten über die vorläufige Nichtzahlung unserer Schulden" an Amerika zu verständigen. Mit historischen Argumenten sprach sich Ritter für eine letzte Revision der Revisionspolitik seit Versailles aus: „Wir haben im V[ertrag] v[on] Versailles] und im Londoner Ultimatum ein Zahlungsversprechen gegeben, weil wir mit Gewalt dazu gezwungen worden sind. Wir konnten ein Zahlungsversprechen für den Dawesvertrag geben, weil er vorläufig galt. Wir haben ein Zahlungsversprechen für den Youngplan gegeben, weil wir damals des guten Glaubens waren, daß diese Zahlungen erfüllt werden könnten. Die Entwicklung hat das Gegenteil bewiesen. Wir wollen nicht zum fünften Male Zahlungsversprechen abgeben, von deren Einhaltung wir nicht überzeugt
272
Zifferntelegramm des Ministerialdirektors Ritter an die deutsche Botschaft in Rom,
29. Dezember 1931; P A A A B , W. Rep./Friedensvertrag Allg., 22. 273
Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats v. Friedberg, 2. Januar 1932; ADAP,
B, X I X , S. 337 f. 274
a. a. O., S. 3 3 9 - 3 4 4 .
275
Pünktlich nach den Wahlen trat die unter Beteiligung des Sozialisten Paul-Boncour
gebildete Regierung Herriot, der auch das Außenministerium übernahm, am 4. Juni ihr A m t an.
683
Erfolg und Mißerfolg im Januar
sind." 276 Ritter verkannte nicht, daß Frankreich einer heiklen Lage entgegensah. Er versuchte, dies zum deutschen Vorteil zu nutzen. Von den französischen Zahlungsverpflichtungen den Vereinigten Staaten gegenüber fielen 39 Millionen als Zinsen nicht unter die Moratoriumsklausel des Mellon-Berenger-Abkommens. Dies schwächte Frankreichs Position: „Entweder es muß bezahlen oder es muß, obwohl es immer die Heiligkeit der Verträge betont, den Vertrag mit den Vereinigten Staaten brechen. Daß es nicht bezahlen kann, wird es mit gutem Glauben nicht behaupten können." Ritter meinte, daß Frankreich daher auf einer Konferenz im Juni 1932 „einsichtiger und nachgiebiger" sein werde als im Januar, und empfahl, den Januar-Termin dilatorisch zu behandeln, die „vorläufige de facto-Nichtzahlung" zu beschließen und notfalls im Juli eine Sonderverständigung mit Frankreich nachfolgen zu lassen. In diesem Aspekt lag Deutschland nichts an einer Konferenz zum frühen Zeitpunkt. Die Vorbereitungen wurden von Versuchen bestimmt, die sich abzeichnende Konstellation zu verhindern. Gleich zu Beginn des Jahres kam Sprague nach Berlin, um für eine Zwischenlösung zu werben, die kurzfristig Platz greifen sollte, bis Frankreich nach der Kammerwahl über eine entscheidungsfahige Regierung verfügte. Einen Bruch mit Frankreich wollte England vermeiden. 277 Laval und Flandin versuchten, Botschafter v. Hoesch für ein zweijähriges Moratorium zu gewinnen, mit der wieder hervorgeholten Begründung, Deutschland werde durch die Befreiung von Reparationslasten für Frankreich zu einer „übermächtigen Konkurrenz", womit Laval auf die tieferen Besorgnisse und Animositäten in seinem Lande hinwies. 278 Doch ebenso entschieden, wie Frankreich auf dem Bonus des Weltkriegssiegers bestand, beharrte die deutsche Politik auf der „Befreiung" von den als ungerecht empfundenen Bedingungen des Friedensvertrages. Entscheidung in Berlin — ein fingiertes
Interview
In einer Konferenz mit den zuständigen Ressortchefs und ihren höchsten Beamten am 4. Januar 279 berichtete der Reichskanzler ausführlich über seine Besprechungen mit Sprague, die ebenso wie andere Informationen 276
Denkschrift Ritters v o m 3. Januar; a. a. O., S. 343, 340 (fehlerhafte Überschrift,
recte: „Sonderverständigung mit Frankreich"). 277
Neurath an das Auswärtige Amt, 4. Januar, „geheim"; B A , R 43 1/335.
278
ADAP, B, X I X , S. 353 ff.
279
Aufzeichnung des Ministerialrats Vogels; a. a. O., S. 347 — 353; auch A R : Brüning,
3, S. 2 1 4 1 - 2 1 4 7 .
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III.
Das zweite Kabinett
Brüning
die Annahme zu bestätigen schienen, daß von einer Konferenz in Lausanne im Januar noch nicht viel zu erwarten sei; sie werde sich daher vertagen müssen. Daraus ergab sich das Problem, diese Zeit zu überbrücken, was übrigens auch in England umstritten blieb. Man einigte sich zunächst darauf, eine Verlängerung des Moratoriums um ein Jahr anzustreben und im übrigen eine Vertagung auf Juni hinzunehmen. Brünings „größte Bedenken" verdichteten sich in der Frage, ob die Reichsregierung bei einer Verschiebung oder Vertagung der Konferenz bis zum Juni „innenpolitisch stark genug" bleiben werde, „um dann noch ihr unbedingtes Nein gegenüber den Reparationsforderungen der Gläubiger durchhalten zu können". Sieht man auf den Kern der Bemerkung, so ergibt sich, daß der Reichskanzler die Gefahren erkannte, die seiner Regierung drohten, wenn sein Vorhaben, eine Verlängerung der Amtszeit des Reichspräsidenten zu erreichen und sich dadurch abzusichern, mißlang. Am Tage vor Weihnachten hatte er hierüber erstmals — noch ohne Ergebnis und nur kurz — mit Hindenburg gesprochen. Nach Brünings Vorstellung ließ sich eine Verlängerung der Amtszeit durch ein verfassungsänderndes Gesetz mit entsprechender Mehrheit im Reichstag bewerkstelligen. 280 Ministerialdirektor Gaus sprach daraufhin in einer auftragsgemäß vorgelegten Aufzeichnung die Empfehlung aus, schon bei der diplomatischen Vorbereitung der Konferenz den Standpunkt hervorzuheben, daß weitere Reparationszahlungen unmöglich seien. „Seien die Gläubigermächte oder einige von ihnen nicht bereit, diesen Standpunkt schon jetzt anzuerkennen, so müßten sie das ... einseitig feststellen." 281 Das Gutachten des Beneduce-Ausschusses erwies sich mithin auch als Waffe gegen neue verpflichtende Bindungen in der Reparationsfrage. In einer weiteren Besprechung schloß sich der Reichskanzler dieser Auffassung an. 282 Damit fiel die Entscheidung für die beschleunigte Herbeiführung einer endgültigen Lösung — angesichts der minderen Bedeutung der für Januar angestrebten Konferenz sogar noch vorher. Dies schien sich dank englischer Entschlüsse zunächst in den allgemeinen Duktus diplomatischer Bemühungen einzufügen. Am 6. Januar hielt Frhr. v. Neurath den Inhalt einer Besprechung mit dem englischen Außenminister in einer Aufzeichnung fest, 283 die am 280 BA, Nachl. Pünder/44; und Vermerk Pünders vom 5. Januar; AR: Brüning, 3, S. 2139 f. 281 ADAP, B, XIX, S. 370 ff. 282 6. Januar; AR: Brüning, 3, S. 2148. 283 ADAP, B, X I X , S. 378 f. und Anm.
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im Januar
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nächsten Tag in Berlin vorlag: Es sei offi2ielle Ansicht der Regierung MacDonald, daß sie auf alle Reparationen aus Deutschland verzichten müsse. Die schwierige Frage der englischen Zahlungen an die Vereinigten Staaten hoffte sie, nach Bereinigung der Reparationsproblematik zwischen Großbritannien und Deutschland, mit der amerikanischen Regierung befriedigend zu regeln, obgleich in der amerikanischen Öffentlichkeit und im Kongreß die Voraussetzungen hierfür noch nicht gegeben schienen. Größere Schwierigkeiten erblickten Sir John Simon und das Foreign Office im Widerstand Frankreichs, das sich zu einem Verzicht auf deutsche Zahlungen nicht herbeilassen wollte. Die Regierung in London legte größten Wert darauf, so bald wie möglich zu einer endgültigen Lösung zu kommen, aber die Beziehung zu Frankreich nicht zu belasten. Daher entsandte sie Leith-Ross nach Paris, um die unterbrochenen Verhandlungen fortzusetzen. Als dies bekannt wurde, fiel in Berlin die Entscheidung in einem eigenartigen Zusammenwirken Brünings mit den Staatssekretären Bülow und Pünder. Am 7. Januar fand eine in dieser Form ungewöhnliche Besprechung in der Reichskanzlei statt, zu der Brüning neben Luther und den Reichsministern Dietrich, Warmbold und Treviranus die Staatssekretäre Pünder, Bülow, Schäffer und Trendelenburg, die leitenden Beamten der Reichskanzlei, des Auswärtigen Amtes, des Wirtschafts- und des Finanzministeriums und die Botschafter Hoesch, Neurath und Schubert geladen hatte. 284 Brüning unterrichtete sie über seine Gespräche mit Sprague, Frangois-Poncet und den amerikanischen Botschaftern in Berlin und Paris, Sackett und Edge, in deren Verlauf er einerseits die Unfähigkeit Deutschlands, weitere Reparationszahlungen zu leisten, anderseits den Wunsch nach schneller Entscheidung angedeutet hatte. Die Richtweisung übernahm Bülow: daß man „vielleicht ohne eine endgültige Konferenz auskommen könne", wenn man „in einer für Frankreich schonenden Form sage", daß Deutschland Reparationszahlungen nicht mehr aufnehmen könne, was wie eine Folgerung aus den Berichten der Botschafter, jedenfalls durch diese gedeckt erschien. Entschlüsse wurden nicht gefaßt, aber angedeutet. Im Anschluß an diese Sitzung hatte der Reichskanzler eine weitere „vertrauliche Aussprache" mit Bülow, Pünder und den drei Botschaftern. Der unmittelbare Anlaß ergab sich zunächst aus dem von Neurath mitgeteilten Wunsch des englischen Außenministers, ihn gemeinsam mit 284
Aufzeichnung von Vogels, 7. Januar; a. a. O., S. 384 ff.; auch AR: Brüning, 3,
S. 2149.
686
III. Das zweite Kabinett Brüning
Botschafter Rumbold von Berlin aus anzurufen, damit er vor der Kabinettssitzung in London am Nachmittag des 8. Januar die Haltung der deutschen Regierung erfahre. Brüning hielt es dann für angezeigt, vor dem Empfang des englischen Botschafters noch einmal den gleichen Kreis mit den Ministern Dietrich und Warmbold und mit Luther zusammenzurufen. Pünder vermerkte zu diesen Aussprachen, „auf der ganzen Welt" sei die Erkenntnis durchgedrungen, „daß der Zeitabschnitt der Reparationen abgelaufen ist. Wenn aber erst einmal der Zeitabschnitt der schlimmsten Depression behoben und eine leichte Besserung zu verspüren ist, haben wir diese reparationspolitischen Trümpfe aus der Hand verloren." Dies spreche gegen ein „neues Provisorium, auch wenn an sich gegen ein längeres Provisorium von etwa fünf Jahren eigentliche wirtschaftliche Bedenken weniger geäußert werden könnten. Solche wirtschaftlichen Bedenken sprechen aber ganz bestimmt gegen ein kürzeres Provisorium von etwa 2—3 Jahren, wie es augenblicklich nach dem Stande der französisch-englischen Verhandlungen in der Luft liegt." Am Morgen des 8. Januar bestand völlige Übereinstimmung darin, „den Gedanken eines neuen Provisoriums nicht weiter zu verfolgen, sondern an dem Gedanken einer endgültigen Lösung, und zwar in Gestalt einer völligen Streichung der Reparationen festzuhalten". Da eine solche Lösung auf der bevorstehenden Konferenz in Lausanne unerreichbar schien, entschieden sich der Reichskanzler und der anwesende Beraterkreis „von vornherein [für] eine kurze Vertagung der Konferenz mit dem Ziel, diese endgültige Lösung in einem kommenden nahen Zeitpunkt zu finden". 285 Diese Linie war am Vormittag des 8. Januar abgesteckt, auch die taktische Modalität festgelegt, wonach Deutschland formal auf der Abhaltung der Lausanner Konferenz bestand, aber auf die Hinausschiebung setzte und sich hierauf vorbereitete. Leitender Gedanke, der fortan durchgehalten wurde, blieb, die völlige Streichung der Reparationslasten durchzusetzen und mit dem psychologischen Effekt innerpolitisch die außenpolitische Wende zu unterstützen, die eine Besserung der Wirtschaftslage einleiten sollte. 286 Andere, sonst an Besprechungen der Re285
Vermerk Pünders v o m 8. Januar; ADAP, B, X I X , S. 391 f.; auch AR: Brüning, 3,
S. 2 1 5 2 f. 286
Im Auswärtigen Amt wurde daraufhin das Memorandum ausgearbeitet, das die
deutsche Position darlegte: „Überblick über den gegenwärtigen Stand der Reparationsfrage im Hinblick auf die bevorstehende Lausanner Konferenz", 8. Januar 1932 (23 S. mit zahlreichen Korrekturen, Anstreichungen, Durchstreichungen und Ergänzungen); P A A A B , HaPol, Ritter/Reparationen, 15. Es enthält einen ausführlichen Überblick über die Entwicklung der Angelegenheit. Als deutscher Standpunkt ergibt sich: „Wir halten daran fest,
Erfolg und Mißerfolg tm Januar
687
parationsfrage regelmäßig Beteiligte, so die Ministerialdirektoren und die Staatssekretäre Schäffer und Trendelenburg sowie Reichsverkehrsminister Treviranus, nahmen an diesen letzten Unterredungen nicht mehr teil. Inzwischen hatte Pünder den Wortlaut eines Interviews des Reichskanzlers mit dem Chefredakteur des Wolffschen Telegraphenbüros entworfen und Staatssekretär v. Bülow zur Prüfung übersandt. 287 Der aus Pünders Feder herrührende Teil enthielt in die Breite gehende Informationen, die jedoch den entscheidenden Punkt aussparten, daß die bevorstehende Konferenz in Lausanne vermutlich kurz dauern, keine Lösung bringen und sich auf den Sommer vertagen werde. Durch die ausführliche Behandlung der Zusammensetzung der deutschen Delegation wurde vielmehr der Eindruck einer großen Bedeutung und längeren Dauer der Konferenz erweckt. Der Reichskanzler hob, dem fingierten Text zufolge,
daß die Reparationsfrage jetzt gelöst werden muß. Diese sofortige Lösung wird durch unsere Wirtschaftslage gefordert. Nachdem der Layton-Wiggin-Bericht und der Bericht des Beratenden Sonderausschusses auf die Dringlichkeit dieser Endlösung mit großer Bestimmtheit hingewiesen haben, könnten wir, selbst wenn wir es wollten, keine andere Haltung einnehmen. Bei der Beurteilung der deutschen Wirtschafts- und Finanzlage gehen wir davon aus, daß die zur Zeit bestehenden Schwierigkeiten, selbst wenn in absehbarer Zeit ein Umschwung in der Krise eintreten sollte, noch bis in das Jahr 1934 hin dauern. Die Krise in Deutschland hat sich zur Zeit noch nicht voll auf die Etats der Länder und Gemeinden ausgewirkt. Die Lage wird, zum mindesten für Länder und Gemeinden, im Laufe des Jahres 1932 noch schwieriger werden. Die Krise in der Wirtschaft ist noch nicht auf den Höhepunkt gekommen... Selbst wenn jetzt eine völlige Bereinigung der Reparationsfrage erzielt würde, so würde damit die Frage der Finanzierung der öffentlichen Hand noch nicht gelöst sein, zumal es nicht gelingen würde, außerhalb Deutschlands Anleihen aufzubringen. Das Problem bleibt immer auf unseren Schultern lasten. Bei dieser Sachlage müssen wir auf die endgültige Lösung hinstreben. Wenn auch die materielle Entlastung noch nicht entscheidend ins Gewicht fallt, so würde doch die psychologische Wirkung sich allmählich geltend machen... Eine andere Haltung kann die deutsche Regierung schon aus innerpolitischen Gründen nicht einnehmen." Angesichts der Unsicherheit der amerikanischen Haltung und der französischen Ablehnung des deutschen Standpunktes bestehe kein Zweifel, daß in Lausanne ein Erfolg nicht zu erreichen sei. Deutschland werde sich daher „mit einer kurzfristigen Vertagung auf Mai oder Juni einverstanden erklären. Der Zweck einer solchen Vertagung wäre, der Welt und insbesondere Frankreich Zeit zu neuer anderer Einstellung zu geben. In der Zwischenzeit würden die Wahlen in Frankreich stattgefunden haben, so daß die französische Regierung... auf jeden Fall von dem unmittelbaren Druck der bevorstehenden Wahlen befreit wäre." Schwierig blieb die Frage, wie eine Vertagung herbeigeführt werden könne, ohne daß ein Provisorium in Kauf genommen werden müsse. Pünder an Bülow, Entwurf mit Ausfertigungsvermerk, 6. Januar, mit Anlage; BA, R 43 1/335; Bülows Stellungnahme Schulz, Politik, 2, S. 1202 f.; Wortlaut des fiktiven .Interviews' dort, S. 1203—1206; Inhaltsangabe und Auszüge Schulthess 1932, S. 5 ff. 287
688
III. Das nyveite Kabinett Brüning
hervor, daß er die Delegation persönlich leiten werde, da seine Anwesenheit erforderlich sei, aber auch die des Reichsfinanzministers und des Reichswirtschaftsministers sowie anderer hoher Beamter und Sachkenner. Sogar die Frage der Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit des Kabinetts während Brünings Abwesenheit wurde hineingespielt und besonders unterstrichen, daß während der Dauer der Konferenz Reichswehr- und Reichsinnenminister Groener in Berlin die Leitung der Regierung übernehmen werde. Auch ein kommunistischer Antrag auf vorzeitige Einberufung des Reichstags, der dem Ältestenrat vorlag, wurde erwähnt; dies bot Gelegenheit, die gewichtige Äußerung des Reichskanzlers anzubringen, er halte es für ausgeschlossen, daß sich im Ältestenrat jetzt eine Mehrheit für die sofortige Einberufung finden werde. Wie vorauszusehen, lehnte er, gegen die Stimmen der Vertreter von KPD, NSDAP und DNVP, am 12. Januar diesen Antrag ab. Dies diente aber nur als Begleitmusik, um die Teilnahme des Kanzlers an der Reparationskonferenz als „das absolut Vordringliche" herauszustellen, und dann auf die fingierten Fragen des fiktiven Interviewers eine wortreich eingekleidete Stellungnahme gewichtig zu präsentieren, die den eigentlichen Kern des Ganzen bildete. Die Gelegenheit schien zu fordern, deutliche Worte auszusprechen, mit denen der Reichskanzler als entschlossener und sogar starker Mann erschien. Der entscheidende Passus folgte auf eine fiktive Frage, die an die Behauptung anknüpfte, ein großer Teil der deutschen politischen Öffentlichkeit sei über die Haltung der Reichsregierung noch nicht genügend aufgeklärt. Eine einfallsreiche Wendung leitete zu der auffallig unauffälligen Erklärung über: „Der Herr Reichskanzler unterdrückte sein Erstaunen über diese Frage nicht und betonte, daß irgendein Zweifel an der Haltung der deutschen Delegation in Lausanne füglich doch nicht gut möglich sei. Er brauche in dieser Hinsicht doch nur auf die verschiedenen deutschen Verlautbarungen der letzten Zeit hinzuweisen..." Die anschließende Passage, die Staatssekretär v. Bülow ausarbeitete, begann mit dem Bericht der Baseler Sachverständigen, der bewiesen habe, „daß einseitige deutsche Maßnahmen nicht ausreichen könnten, daß vielmehr die Lage Deutschlands, die in weitem Maße die Ursache für die steigende finanzielle Lähmung der Welt sei, gebieterisch ein gemeinsames Handeln der Regierungen, und zwar ein sofortiges Handeln, fordere. Dafür, wohin die Entschließungen der Regierungen gehen müßten, gebe der Bericht, wenn er auch auf formulierte Vorschläge verzichte, doch ganz klar die Richtlinie an ... Dabei stelle der Bericht ausdrücklich fest, daß sich die Voraussetzungen, von denen seinerzeit die Verfasser des Young-Plans ausgegangen
Erfolg und Mißerfolg im Januar
689
seien, grundlegend geändert hätten. Hiermit ... sei im Grunde alles gesagt." Die Reichsregierung könne „nichts anderes tun, als die gegebene Sachlage darzustellen und an die anderen beteiligten Regierungen die Forderung zu richten, daß sie auch ihrerseits dieser Sachlage Rechnung trügen..." Die entscheidenden Sätze waren so hochoffiziell klar ausgedrückt, wie bis dahin nie geschehen; auch wurde nicht von Reparationen gesprochen, sondern von „politischen Zahlungen" im umfassenden Sinne. 288 Brüning übernahm die verabredete Rolle. Den ausgearbeiteten Entwurf des .Interviews' genehmigte er gegen Mittag des 9. Januar. 289 Am späten Nachmittag wurde der Text dem Vertreter des Wolffschen Telegraphenbüros übergeben, das ihn am gleichen Abend bekanntgab. Am 10. Januar, einem Sonntag, berichtete die Presse hierüber. Dies verknüpfte sie mit einer Nachricht von lokaler Bedeutung. Am Abend des 8. hielt John Maynard Keynes auf Einladung des Hamburger Überseeclubs einen Vortrag, der, ohne daß der Redner es wußte, vorzüglich in das Konzept des Auswärtigen Amtes und Brünings paßte. Im Verlaufe seiner Ausführungen sagte der angesehene englische Wirtschaftswissenschaftler eine Abkehr weiterer Länder, die dem englischen Beispiel folgen würden, vom Goldstandard voraus, was starke Wirkungen auf Frankreich ausüben müsse. Deutschland möge versuchen, „sich der weiteren Ungewißheit für wenige Monate gewachsen zu zeigen. Wahrscheinlich werde Deutschlands Ausdauer und Beharrlichkeit es dann in die Lage versetzen, den Lohn eines Abkommens zu ernten, dessen Bedingungen man noch vor einem Jahr mit Triumph begrüßt haben würde." 290 Obgleich Keynes von den Berliner Vorgängen nichts ahnte, standen seine Worte im Einklang mit dem ,Interview' Brünings. Diplomatisch unternahm die Reichsregierung in der bezeichneten Richtung auch offiziell erste Schritte. Noch am 8. Januar gab Bülow der deutschen Botschaft in Paris die Sprachregelung durch, die deutsche Regierung werde daran festhalten, „daß nur eine völlige Beseitigung der Reparationszahlungen die nötigen Voraussetzungen für eine spätere Ge-
288
In einem großen Teil der Presse und bei Schulthess 1932, S. 8, findet sich mehrfach
der in Deutschland gebrauchte polemische Ausdruck „Tributzahlungen" — analog „Tributkonferenz". Im Original des von Pünder und Bülow formulierten Textes taucht er jedoch ebensowenig auf wie in den Erklärungen Brünings. 289
Handschriftl. Randvermerk Pünders v o m 10. Januar auf dem Begleitschreiben Bü-
lows; Schulz, Politik, 2, S. 1203, Anm. 290
W T B , 83. Jg., Nr. 51, 9. Januar 1932; Bericht hierzu B A , R 43 1/335.
III. Das inveite Kabinett Brüning
690
sundung liefern kann". Deutschland bestehe auf einer Endlösung und könne sich auf provisorische Regelungen nicht einlassen. Auch der Gedanke einer Endlösung im Wege einer außerhalb des Young-Plans zu suchenden Abfindung sei nicht diskutabel. 291 Am gleichen Tage teilte der Reichskanzler dem englischen Botschafter mit, den er in Gegenwart Neuraths empfing, 292 er stehe in Unterhandlungen mit den Parteien, um die Verlängerung der Amtszeit des Reichspräsidenten im Reichstag durchzusetzen. Die Aussichten dieses offen als inner- wie außenpolitisch gravierend bezeichneten Versuches ließen sich noch nicht übersehen — eine Erklärung, die allerdings durch den Stand der Tatsachen vollauf gerechtfertigt war. 293 Da aber ein Zusammentreten des Reichstags nicht vor dem 20. Januar erfolgen könne — ein fiktives Datum, das Brüning in Wahrheit außer Betracht hielt —, würde frühestens der 25. als Beginn der Lausanner Konferenz in Frage kommen. — Dies erklärt die besondere Hervorhebung des an sich aussichtslosen kommunistischen Antrags auf Einberufung des Reichstags in dem .Interview'. — Daraus schien die Notwendigkeit einer Verschiebung des Konferenzbeginns zu folgen, der dann am nächsten Tag die englische Regierung zustimmte. 294 Im Hinblick auf die Reparationsfrage erklärte Brüning, daß die völlige Streichung der Reparationen Ziel der Reichsregierung sei und daß sich im Reichstag keine Partei mehr finden werde, die einer anderen Lösung zustimmen würde. Auch ein zwei- oder dreijähriges Moratorium komme nicht in Frage, da es keine Besserung des Zustandes herbeiführen könne. Sollte es nicht gelingen, in Lausanne die definitive Streichung der Reparationsschulden herbeizuführen, so denke er, daß die Konferenz auf einige Monate, etwa bis Juni, vertagt werden sollte, um dann nach den französischen Wahlen und nach der bevorstehenden Preußenwahl das erstrebte Ziel zu erreichen. Brüning berührte die Zahlungen der Reparationsgläubiger an die Vereinigten Staaten als eine Frage, über die sie sich mit den Amerikanern selbst auseinandersetzen müßten; Deutschland könne sich hieran nicht beteiligen. Alles in allem beantwortete er sämtliche — auch die ungestellten, aber möglichen — Fragen mit dem Geschick eines gewandten, sachkundigen und sorgfaltig vorbereiteten
2,1
Bülow an die deutsche Botschaft in Paris, 8. Januar, „geheim"; P A A A B , W. Rep./
Friedensvertrag Allg., 21. 21,2
Bericht Rumbolds; DBFP, 2, III, S. 13 ff.
253
Vermerk Pünders v o m 5. Januar; AR: Brüning, 3, S. 2139 f.
m
Aufzeichnung des Botschafters Frhr. v. Neurath in Berlin, 8. Januar; ADAP, B, X I X ,
S. 392 ff.
Erfolg und Mißerfolg im Januar
691
Diplomaten. Neurath hielt fest, daß sein britischer Kollege die Mitteilungen des Reichskanzlers „sehr genau und beinahe wörtlich wiederholte", um das Wesentliche sogleich nach London zu telefonieren. Der Inhalt des Gesprächs zwischen Brüning und Rumbold wurde noch am 9. Januar in einer Reuter-Meldung in übertriebener Schärfe wiedergegeben, was in Paris sofort neue Erörterungen und Beunruhigungen veranlaßte. In Berlin brachte die „Deutsche Allgemeine Zeitung" zur gleichen Zeit eine angebliche Meldung aus London unter der Schlagzeile: „Nur völlige Streichung der Tribute steht zur Debatte. Erklärung Brünings gegenüber dem englischen Botschafter." 295 Der amerikanische Botschaftsrat Wiley sprach umgehend wegen der Reuter-Meldung bei Ministerialdirektor Dieckhoff im Auswärtigen Amt vor, der ihn über den Inhalt der Unterredung Brünings mit Rumbold unterrichtete. 296 Dem fingierten Kanzlerinterview war daraufhin das größte Aufsehen sicher. Dem amerikanischen Botschafter teilte Brüning am 12. Januar mittags mit, Frangois-Poncet seien vor Rumbold bereits die gleichen Eröffnungen gemacht worden. Sie seien keineswegs in „ultimative Form gekleidet gewesen"; aber Reuter habe hieraus eine „Emser Depesche" gemacht. Deshalb sei es notwendig geworden, „eine Einkleidung der Mitteilung zu formulieren, die diese falsche Darstellung wieder richtigstellt". 297 Mit Bedacht und Geschick ließ sich die neue Situation zu neuen Vorteilen nutzen. Dank des „unerwarteten Glücksfalls" der Reuter-Meldung 298 konnte nun das bereits vorher der Presse übergebene ,Interview' des Wölfischen Telegraphenbüros als erforderliche „Richtigstellung" nach Indiskretionen und Verzerrungen ausgegeben werden. Dennoch gingen Brüning und die Staatssekretäre waghalsig vor, was etwas anderes ist als Staatskunst und diplomatisches Geschick. Eine Verschärfung der Beziehungen konnte dank des Zwischenfalls der Reuter-Meldung gerade
2,5
D A Z , Nr. 14 v o m 9. Januar 1932.
296
Vermerk Dieckhoffs, 9. Januar; BA, R 4 3 1/335; Randvermerk von der Hand Bülows
v o m gleichen Tage: „Ich glaube, es wäre gut, daß der H[err] R[eichs]k[anzler] den Botschafter Sackett Anfang nächster Woche empfängt." Ein handschriftl. Randvermerk der Reichskanzlei stellt fest, daß dies am 12. Januar geschehen werde. Der Botschafter erkundigte sich nach dem Stand der Verhandlungen in der Präsidentenfrage, woraufhin ihm mitgeteilt wurde, daß der Plan einer Verlängerung der Amtsdauer des Reichspräsidenten v. Hindenburg durch eine verfassungsändernde Mehrheit des Reichstags nicht weiterverfolgt werde. Sackett zeigte sich gut orientiert und durchschaute die Angelegenheit. Aufzeichnung von Planck in der Reichskanzlei, 12. Januar; a. a. O. 2,7
Aufzeichnung Plancks; a. a. O.
2'M
Brüning, Memoiren, S. 499.
692
III. Das ^weite Kabinett Brüning
vermieden werden. A u f die gleiche Weise wurde auch der düpierte Fran$ois-Poncet beruhigt, der seinen amerikanischen Kollegen in Berlin niemals konsultiert hätte. 299 Doch der Kanzler riskierte sein Ansehen und den Ruf seiner Verläßlichkeit in diesem Spiel. 300
Reparationsverhandlungen
versus
Abrüstungskonferenz
Die Bedeutung der vorgesehenen Konferenz in Lausanne war nun schon um ein Beträchtliches vermindert. Der französische Ministerpräsident erging sich sogar in Erörterungen, daß eine Teilnahme Frankreichs keinen Sinn mehr habe. In Paris war die Schwäche der Regierung offenkundig geworden. Die Reuter-Meldung und das Brüning-,Interview', die in einem engen Zusammenhang gesehen wurden, brachten Außenminister Briand zu Fall. — A m 7. Januar war überraschend der Kriegsminister André Maginot im 55. Lebensjahr verstorben. — Um das Ausscheiden Briands aus der Regierung unauffällig zu gestalten, ließ sich Lavai die Portefeuilles von sämtlichen Kabinettsmitgliedern zur Verfügung stellen. Dieses ungewöhnliche Verfahren stieß in der Öffentlichkeit auf heftige Kritik. Angesichts der bevorstehenden Kammerwahl entschied sich Lavai daraufhin für die Gesamtdemission seines Kabinetts. Der Präsident der
m Telegramm des Botschafters v. Hoesch an das Auswärtige Amt, 12. Januar; ADAP, B, X I X , S. 41 Off. 30l) Über Art und Ursache der Indiskretion, die der Reuter-Meldung zugrunde lag, und den Zusammenhang mit dem Brüning-,Interview' wurde wiederholt gerätselt. Eine Aufklärung scheint nicht erreicht. Der französische Botschafter verdächtigte rechtsstehende deutsche Kreise als Urheber der Reuter-Nachricht. Hierzu Aufzeichnung Pünders, 15. Januar; a. a. O., S. 435. Der englische Botschafter in Paris hörte und gab weiter, daß man dort annehme, der Reuter-Meldung habe ein deutsch-englisches Komplott zugrunde gelegen. In den veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen von Pünder, Reichskanzlei, S. 111, wird zur gesamten Angelegenheit nur eine kurze Notiz unter dem 11. Januar überliefert, die nichts von der wichtigen Rolle, die Pünder spielte, erkennen läßt. Der Erste Sekretär der englischen Botschaft in Paris, W i g r a m , äußerte, wie Hoesch am 12. Januar telegraphierte, die Aufregung der französischen Öffentlichkeit über die Erklärung des Reichskanzlers sei nicht ganz verständlich. Zunächst sei Frankreich von den Absichten der deutschen Reichsregierung durch Fran^ois-Poncet eher unterrichtet worden als England und schließlich enthalte die Erklärung Brünings gegenüber Rumbold nichts, was nicht längst bekannt sei. Im Bericht von Rumbold stehe kein Wort von der deutschen Absicht, den Young-Plan zu zerreißen. Wigram behauptete, die Reuter-Indiskretion sei vermutlich auf deutschnationale Kreise zurückzuführen, die den Reichskanzler ein für allemal vor der deutschen Öffentlichkeit hätten festlegen wollen. Die Geschichte des .Interviews' kannte W i g r a m nicht, die Taktik Brünings durchschaute er nicht.
Erfolg
und Mißerfolg
im Januar
693
Republik betraute ihn erneut mit der Regierungsbildung, aus der das nur in einigen Positionen umgebildete alte Kabinett hervorging. Doch Briands politischer Laufbahn setzte dieser Akt ein Ende; an seine Stelle trat Lavai selbst. Das Kriegsministerium übernahm André Tardieu, der wenige Wochen später die Nachfolge Lavais als Ministerpräsident antrat. Aus diesem überraschenden Wechsel ergab sich ein eher entschiedener als geschwächt erscheinendes Kabinett. Hoesch urteilte im Hinblick auf die Abrüstungskonferenz, daß Tardieu „ein noch weit schwierigerer und uns unbequemerer Gegenspieler" sein würde, „als der ihm an Intelligenz und Kämpfergenie weit unterlegen gewesene Maginot". Der Botschafter verwies darauf, daß Tardieu im November 1930 in der Kammer „eine unsere Interessen stark bedrohende Auslegung der Abrüstungsbestimmungen" gegeben hatte. Sie lief darauf hinaus, daß die Deutschland auferlegte Entwaffnungsverpflichtung ganz anderen Charakter trage als die von den Siegermächten übernommene Verpflichtung, die als eine untereinander wechselseitige Vereinbarung aufzufassen sei, Deutschland aber nicht das Recht gebe, „eine Assimilierung der Verpflichtung der Siegerstaaten mit seiner Entwaffnungspflicht zu verlangen". 301 Unvorhergesehene Perspektiven konnten sich ergeben, wenn neben einer abgewerteten Reparationskonferenz die noch nicht terminierte Abrüstungskonferenz aufgewertet wurde und die politischen Traktanden bestimmte. Hoeschs Erinnerung bewirkte in Berlin nur wenig. Vergeblich bemühten sich die Vertreter des Auswärtigen Amtes, die Verhandlungen mit dem Reichswehrministerium über die Abrüstungskonferenz fortzuführen, um einen maßvollen Standpunkt durchzusetzen. Ein ernsthafter Versuch zur Einigung fand am 7. Januar in einem Gremium höherer Beamter unter Leitung Botschafter Nadolnys statt, dem designierten Vorsitzenden der deutschen Abrüstungsdelegation. 302 Bülow hielt es schließlich für angezeigt, gegen den Entwurf des Reichswehrministeriums vom 23. Dezember 1931 zu den Richtlinien der Abrüstungskonferenz entschieden Stellung zu beziehen. 303 Seine Äußerung war für den interministeriellen Verkehr von ungewöhnlicher Deutlichkeit: „Der Entwurf des Generals Schönheinz geht offenbar von irrigen Voraussetzungen aus. Die Richtlinien müssen den Ausgangspunkt enthalten, der für die deutsche Delegation maßgebend sein soll ... Hiervon ausgehend, erscheint es selbstverständlich, daß nicht Maximalforderungen in die Richtlinien Telegramm Hoeschs an das Auswärtige Amt, 14. Januar; ADAP, B, XIX, S. 431 f. Aufzeichnung Frohweins, 7. Januar; a. a. O., S. 380—383. MI Aufzeichnung Bülows, 7. Januar; a. a. O., S. 387. 301
302
694
III. Das zweite Kabinett Brüning
aufgenommen werden dürfen, sondern umgekehrt die Minimalforderungen." Die Delegation sei verpflichtet „gegenüber dem Kabinett ... und zwar nicht nur gegenüber der gegenwärtigen Regierung, sondern auch einer eventuellen zukünftigen Regierung". Das war auch als Warnung an treibende Köpfe im Reichswehrministerium gedacht, nicht auf einen Regierungswechsel zu setzen und von ihm die Erfüllung aller Wünsche zu erwarten. Bülow verwies mit klaren Worten die Generäle darauf, daß die Delegation auf der Abrüstungskonferenz nicht Vorstellungen des Wehrministeriums exekutieren, sondern nur im Rahmen von Richtlinien tätig sein könne, die die Regierung beschlossen habe, und daß jedes Vorhaben der Bestätigung durch die Regierung bedürfe. Im übrigen lehnte er die Forderung nach effektiver Parität Deutschlands und Frankreichs rundweg ab. Ob sich Brüning als Außenminister in diese Auseinandersetzungen einschaltete, erscheint ungewiß, läßt sich jedenfalls in den Überlieferungen ebensowenig wie in seinen Erinnerungen erkennen, darf wohl angesichts seiner anderweitigen starken Belastungen in dieser Zeit bezweifelt werden. Das Hinauszögern der Stellungnahme Bülows ließe sich allerdings mit dem Bedürfnis nach einer Aussprache mit dem Reichskanzler und Außenminister erklären. Natürlich wußte der Staatssekretär, daß er seinem Kanzler und Ressortchef bei der Klärung der Reparationsfrage wie der Stillhaltung den Rücken freihalten und wie dies geschehen mußte. 304 Am 12. Januar fanden die im Reichswehrministerium definitiv formulierten Richtlinien für die deutsche Delegation zur Abrüstungskonferenz, die den Handlungsspielraum der deutschen Delegation in Genf denkbar eng begrenzten, die endgültige Zustimmung Schleichers und des Chefs der Heeresleitung; am 18. wurden sie erneut Staatssekretär v. Bülow im Auswärtigen Amt vorgelegt. 305 Das entsprach der unbe-
304
Den Tageszetteln der Reichskanzlei zufolge besprach sich Brüning am Abend des
12. Januar über die Thematik der Abrüstungskonferenz mit Pünder, Bülow und Nadolny. Das schließt Verständigungen schon vorher nicht aus. BA, Nachl. Pünder/44. 305
„Unser erstes Ziel auf der Abrüstungskonferenz, ohne dessen Erreichung eine
Teilnahme Deutschlands an einer K o n v e n t i o n überhaupt nicht in Frage kommt, ist die restlose Beseitigung des durch den Versailler Vertrag (Teil V ) geschaffenen Zustandes, daß Deutschland einem System einseitiger Rüstungsbeschränkungen unterworfen ist. Die A b rüstungskonvention muß uns vor allem aus dieser erniedrigenden Ausnahmestellung befreien. Für Deutschland dürfen künftig nur militärische Bestimmungen gelten, die in derselben A r t und mit derselben Zeitdauer auch für unsere Nachbarstaaten gültig sind (Gleichheit in der Methode). Das zu erreichende Endziel der allgemeinen Abrüstung ist die Wiederherstellung eines militärischen Kräfteverhältnisses, das die Verteidigungsfähig-
Erfolg und Mißerfolg
im Januar
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kümmerten Art der Reichswehr, sich über das Ergebnis aller Verhandlungen mit dem Auswärtigen Amt, seine Einwände und Erwägungen hinwegzusetzen. Man bedachte auch nicht das Ansehen des Reichskanzlers, der sich noch um die reparationspolitische Totallösung bemühte. Ein entschiedenes Wort von seiner Seite hätte aber wohl zu einem Konflikt mit Groener und Schleicher geführt. So blieb ihm nur die Wahl, zurückzutreten oder sich zu fügen. Brüning fügte sich; der Rücktritt folgte später. Daß nun auch für den Kanzler die Bedeutung der Abrüstungskonferenz in den Vordergrund rückte, dürfte in der Besprechung mit Bülow und Nadolny am 12. Januar deutlich geworden sein. Mit peinlicher Entschlossenheit wurde jeder Vergleich zwischen dem Taktieren in der Reparationsfrage und auf der Abrüstungskonferenz ausgeschlossen und „die große Bedeutung" eben „dieser Konferenz für die Entwicklung der allgemeinen Weltlage" von Brüning nachgerade bekenntnishaft in einem Runderlaß an die auswärtigen Missionen unterstrichen: „Ein Scheitern der Konferenz würde den seit dem Kriege begonnenen mühsamen und von vielen Rückschlägen begleiteten Aufbau einer internationalen Solidarität voraussichtlich völlig zerschlagen und könnte unter Umständen sogar das Weiterbestehen des Völkerbundes aufs ernsteste gefährden. Angesichts dieser Konsequenz stehe die deutsche Regierung auf dem Standpunkt, daß sich jeder Staat, der zum Wohle der Menschheit den großen Gedanken einer allgemeinen internationalen Abrüstung zum Siege verhelfen wolle, mutig zu diesem Ziele bekennen und trotz aller etwa auftauchenden Schwierigkeiten auf der Konferenz um seine Erreichung kämpfen müsse. Die deutsche Regierung werde selbst mit eifrigkeit des Deutschen Reiches gewährleistet (Gleichberechtigung in der Sicherheit). Der Erreichung dieses Zieles dient in erster Linie eine möglichst weitgehende und wirksame Rüstungsverminderung unserer hochgerüsteten Nachbarstaaten. W i r müssen mit der Forderung auf Gleichberechtigung eine Erhöhung unserer Verteidigungsfähigkeit zu erreichen suchen, ohne daß wir formell die Forderung nach Aufrüstung Deutschlands erheben. Inwieweit Deutschland von dem ihm auf Grund der Gleichberechtigung in der Sicherheit zustehenden Rüstungsstand zunächst keinen vollen Gebrauch machen wird, bleibt späterer Entscheidung der Reichsregierung vorbehalten. Jedenfalls müssen in der Konvention oder gleichzeitig mit ihr die notwendigen Schritte festgelegt werden, durch die der endgültige Rüstungsausgleich verwirklicht werden soll... Bei den Verhandlungen dürfen die anderen Staaten nicht im unklaren darüber bleiben, daß ein Scheitern der Konferenz, wie es durch die Nichterfüllung unserer grundlegenden Forderungen herbeigeführt würde, uns v o r schwerwiegende Entschlüsse stellen müßte. Es muß aber stets im unklaren bleiben, welche Folgerungen wir im Falle eines solchen Scheiterns ziehen werden." A D A P , B, X I X , S. 439 ff.
696
III.
Das zweite Kabinett Brüning
stem Bemühen in dieser Richtung wirken. Sie erwarte dabei von den anderen Staaten, daß Deutschland als vollberechtigtes, auf gleichem Fuße wie die übrigen zu behandelndes Mitglied der versammelten Staatengemeinschaft und des Völkerbundes anerkannt und behandelt wird und daß der Nachkriegsgedanke einer Diskriminierung gewisser Staaten gegenüber den anderen in keiner Weise mehr Platz greife." 306 So pathetisch trat Brüning in Parteiversammlungen nur selten auf, um die moralischen Intentionen der deutschen Politik zu offenbaren, obgleich über die wahren Absichten innerhalb der Regierung noch gar keine Übereinstimmung erreicht und für die Reichswehrführung allenfalls der letzte Satz dieser Bekundung von Belang war.
Echo und Folgen Die Argumentation mit der Zahlungsunfähigkeit Deutschlands wurde unterdessen unverändert beibehalten. 307 Bei der BIZ in Basel, wo sich am 10. Januar der Reichsbankpräsident aufhielt, setzte sich die deutsche Absicht mit nur kurzer Verzögerung durch. Gemeinsam mit Melchior suchte Luther den Ausschußvorsitzenden Beneduce auf, um ihm die Anregung zu übermitteln, in der Verwaltungsratssitzung der BIZ eine formelle Bestätigung des Berichts des Sachverständigenausschusses durch die Bank herbeizuführen und die verantwortlichen Regierungen zu tatkräftigem und schnellem Handeln aufzufordern. ^Beneduce zählte dies nicht zu seinen Aufgaben und unterrichtete den Amerikaner McGarrah, den Präsidenten der BIZ, der ein derartiges Vorgehen ablehnte. Luther und Melchior erörterten in ihrer Verlegenheit mit Beneduce die rechte Taktik — immer unter dem Eindruck des .Interviews' des Reichskanzlers —, um in Lausanne zu einer endgültigen Entscheidung zu gelangen. Beneduce schlug vor, die Konferenz in Lausanne kurz zu halten und sie 306
Runderlaß des Reichskanzlers, 13. Januar; a. a. O., S. 4 3 0 f .
307
Verläßliche Statistiken lagen noch nicht vor. Neuere Ermittlungen f ü h r e n zu Ein-
wänden. Das J a h r 1 9 3 1 hatte Deutschland den größten Außenhandelsaktivsaldo der Nachkriegszeit gebracht ( 2 7 7 8 Millionen R M ) ; trotz der umfänglichen G o l d - und Devisenabflüsse ergab sich am Ende auch hier ein A k t i v s a l d o v o n 1 7 0 6 Millionen RM. A u c h f ü r das J a h r 1 9 3 2 blieben A k t i v s a l d e n sowohl in der Handels- als auch in der Leistungs- und in der G o l d - und Devisenbilanz bestehen. So A l b r e c h t Ritsehl, Die deutsche Zahlungsbilanz 1 9 3 6 — 4 1 und das Problem des Devisenmangels v o r dem Kriegsausbruch, M ü n c h e n 1 9 9 0 , Tabelle I. 308
Hierzu und zum Folgenden Bericht Luthers an die Reichskanzlei, 15. Januar, mit
anliegendem A k t e n v e r m e r k ; Original B A , R 4 3 1/335.
Erfolg und Mißerfolg
im fanuar
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auf die Mitte des Sommers zu vertagen. Damit handelte er, ohne es zu wissen, ganz nach den Erwartungen, die man in Berlin hegte. Ein Beschluß im ersten Teil der Konferenz würde nur eine Regelung für sechs Monate treffen, wobei Beneduce lediglich daran dachte, die Fälligkeit der europäischen Schuldenzahlung an Amerika, die am 15. Dezember 1932 eintrat, auf den 15. Juni 1933 als nächsten Zahlungstermin zu verlegen. Dies darf man als den größten Vorstoß zur später gefundenen Lösung und als Erfolg des deutschen Taktierens bezeichnen, den Luther und Melchior erreichten. Am 13. Januar ließ Sprague, der sich wieder in Berlin aufhielt, über Treviranus in der Reichskanzlei anfragen, ob die Reichsregierung überhaupt noch an der Lausanner Konferenz festhalten wolle. 309 In London herrsche eine ruhige Beurteilung des ,Kanzlerinterviews' vor; vielfach sei aber die Meinung verbreitet, daß angesichts dieser Erklärung aus der Lausanner Konferenz nicht viel werden könne. Inzwischen war FrangoisPoncet aus Paris nach Berlin zurückgekehrt, hatte aber noch vor seiner Abreise Botschafter v. Hoesch mitgeteilt, daß seine Regierung im Zweifel sei, ob sie ihre Teilnahme an der Lausanner Konferenz nicht absagen solle. „Zur Vorbereitung der Äußerungen des Herrn Reichskanzlers" beriet Brüning am Mittag des 14. Januar in einer vertraulichen Aussprache mit dem derzeitigen Kreis seiner reparationspolitischen Vertrauten, Dietrich, Warmbold, Luther Pünder, Schäffer, Trendelenburg und Bülow. 310 Sie führte zu dem Ergebnis, daß Eile gar nicht geboten sei, da Reparationen vor Juli nicht zur Zahlung anstünden und die Stillhalteverhandlungen alsbald zu einem erträglichen Ende führen würden. Mit Rücksicht auf die näherrückende Abrüstungskonferenz floß taktische Konzilianz in die Sprachregelung ein, „nicht zu drängeln, aber auch nicht zu verschleppen". Laval habe als „bedeutsamstes Ergebnis" seiner Reise aus Washington mitgebracht, daß in Europa durch eine baldige Reparationskonferenz eine Klärung herbeigeführt werde. An Lausanne müsse daher festgehalten werden. Voraussetzung sei aber, daß die Konferenz im freundschaftlichen Geiste geführt und ein internationaler Eklat vermieden werde. Eine Vertagung könne ins Auge gefaßt, ihre Fortsetzung auf diplomatischem Wege in Aussicht genommen werden — nach den französischen Wahlen. Am Abend des 14. Januar empfing Brüning den französischen Botschafter, der ihn über die Pariser Regierungskrise unterrichtete. Er ver3,19 3,0
Vermerk Pünders, 14. Januar; AR: Brüning, 3, S. 2169 ff. Ebda.
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III.
Das zweite
Kabinett
Brüning
sicherte, daß er die Auffassung des Kanzlers korrekt nach Paris berichtet habe, was er sogar durch die Verlesung des Wortlauts unterstrich. Fran£ois-Poncet schilderte die Schwierigkeiten nach dem .Kanzler-Interview' und erging sich in Vermutungen über die Quelle der Indiskretion, die zu der Reuter-Meldung geführt habe. Letztlich hätten jedoch weniger die Formulierungen im .Interview' als ein angenommener Zusammenhang mit Verhandlungen, die der Reichskanzler mit Hitler führte, in Paris verheerend gewirkt. Brüning erläuterte daraufhin die Gesichtspunkte, die in der Reparationsbesprechung am Nachmittag erörtert worden waren — mit dem an die Finanzkraft des westlichen Nachbarn appellierenden Schluß, Frankreich müsse erkennen, daß es „viel mehr verdienen könne, wenn es sich nach Beseitigung der Reparationen auf Grund des wiedererstandenen gegenseitigen Vertrauens mit seiner starken Finanzkraft an der deutschen Wirtschaft beteilige, als durch Fortbestand der zwangsweisen Verpflichtung zur Zahlung fragwürdiger Reparationen". 311 Um Offenheit und Ernsthaftigkeit seiner Mitteilung zu unterstreichen, verlas Brüning, wie es Bülow angeregt hatte, die Instruktion, die am 12. Januar an Botschafter v. Hoesch in Paris gegangen war: Laval möge die deutsche Haltung nicht so interpretieren, „als ob wir den Young-Plan zerreißen wollten". Die Lausanner Konferenz sollte „in freundschaftlichem Geiste" geführt werden und dürfe „unter keinen Umständen mit einem internationalen Eklat enden"; falls man nicht zu Ende komme, sei es „durchaus möglich, die Reparationsverhandlungen vorübergehend auf diplomatischem Wege fortzuführen". Dies war eine diplomatisch geschickte Formulierung der beschlossenen Sprachregelung, die nun die Zweiteilung und Fortsetzung der Konferenz zu einem späteren Zeitpunkt empfahl. Fran§ois-Poncet zeigte sich zufriedengestellt. Mit einem Anflug von Selbstgefälligkeit unterrichtete der Botschafter den Quai d'Orsay durch ein langes Telegramm über diese Aussprache, die ihn zu der Überzeugung brachte, daß der Kanzler ihn so ausführlich und genau unterrichtet habe, wie weder er es noch irgendeine Persönlichkeit des Auswärtigen Amtes bisher getan hätten. 312 Es spricht für Brünings Geschick, daß er Fran$ois-Poncet überzeugt hatte, er sei ernsthaft darum bemüht, die Folgen eines unliebsamen Zwischenfalls auszuräumen. Die Klärung des deutschen Vorhabens in der Reparationsfrage,
311 Aufzeichnung Pünders, 15. Januar; a.a.O., S. 2171 ff.; Abschr. ADAP, B, XIX, S. 434 ff. 312 Frangois-Poncet an das Außenministerium in Paris, 15. Januar; MAE, I-R/Carton 1027, I.
Erfolg und Mißerfolg im fanuar
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die Brüning und seine Berater mit dem fingierten ,Interview' beabsichtigt hatten, erschien allerdings Frankreich gegenüber eher fragwürdig, das Ziel wieder verschleiert. 3 1 3 In der inneren Politik bewirkte der K u r s des Reichskanzlers zunächst einen nationalen Ruck innerhalb der Sozialdemokraten, der v o n ihrem Gewerkschaftsflügel ausging. Schon am 16. Dezember 1931 hatte Theodor Leipart in einer Rede während der Gründungskundgebung der Eisernen Front 3 1 4 v o r Delegierten der SPD, des Reichsbanners SchwarzRot-Gold, der Gewerkschaften und der v o n der SPD beherrschten A r beitersportorganisationen die Parole ausgegeben: „Schluß mit den Reparationen!" Denn „was an Kriegsverwüstungen wiedergutzumachen war, das ist durch die bisherigen Leistungen Deutschlands längst abgetragen worden". 3 1 5 Diese Erklärung schien geeignet, der sowohl durch
313 Daß sich für das Auswärtige Amt ein Interpretationsbedarf ergab, erhellt aus zwei Telegrammen vom 12. Januar. Beide im Auszug ADAP, B, XIX, S. 407, Anm. Im ersten erklärte Bülow dem deutschen Botschafter in Paris, dessen Bericht über sein Gespräch mit Laval bestätigend, er habe dem französischen Ministerpräsidenten „zutreffend gesagt, daß das Interview des Herrn Reichskanzlers nicht eine formelle Lossagung vom Young-Plan und nicht einen Vertragsbruch bedeute... Selbstverständlich kommt nicht eine sachliche Abschwächung der Erklärungen des Herrn Reichskanzlers in Frage. Wohl aber kann und muß darauf hingewiesen werden, daß diese Erklärungen in keiner Weise einen Rechtsakt, wie einseitige Aufkündigung [des] Young-Plans, vollziehen. Der Herr Reichskanzler hat vielmehr im Anschluß an den Sachverständigenbericht die faktische Sachlage, wie sie sich uns darstellt, und den von uns demgemäß auf der Konferenz, also bei den bevorstehenden Verhandlungen, einzunehmenden Standpunkt skizziert." Hierauf berichtete Hoesch über ein Gespräch mit Berthelot, dem Generalsekretär am Quai d'Orsay, über das BrüningInterview: Berthelot „verstehe wohl [die] Notlage des deutschen Volkes und seinen Wunsch nach Befreiung von drückender Zahlungspflicht. Demgegenüber stehe aber auf französischer Seite [die] Überzeugung von [der] Rechtmäßigkeit französischer Forderungen. Für [die] französische öffentliche Meinung charakterisiere sich [die] politische Entwicklung [des] letzten Jahres dahin, daß Deutschland im Frühjahr versucht habe, durch [ein] deutschösterreichisches Zollunionsprojekt [eine] Bresche in [die] Friedensverträge zu schlagen, wodurch Briand und seine Politik [einen] schweren Stoß erlitten hätten, und daß es jetzt versuche, mit einem neuen Faustschlag [die] Beseitigung [der] Reparationen zu erzwingen. Frankreich sei, soviel sich auch zugunsten [der] Beseitigung [von] Reparations- und Schuldenproblem anführen lasse, hierfür noch nicht reif... Unter allen Umständen müsse, wenn Frankreich Lausanne beschicken wolle, vorher noch etwas im Sinne [der] Schaffung einer Diskussionsmöglichkeit geschehen." Eine Zusicherung dieser Art hatte Fran5oisPoncet vom Reichskanzler nicht erhalten. 3 . 4 Stampfer, Vierzehn Jahre, S. 607; Bracher, Auflösung, S. 375; Rohe, Reichsbanner, S. 392 ff. 3 . 5 Heinrich A. Winkler, Katastrophe, S. 464 f.
III. Das ¡(weite Kabinett
700
Brüning
die Boxheimer Affare als auch durch den Lohnabbau infolge der letzten Notverordnung ausgelösten heftigen innerparteilichen Diskussion über die Haltung der SPD zur Regierung Brüning 316 ein Ende zu setzen. Doch das Schlagwort Leiparts veranlaßte auf der Stelle eine — allerdings durch die Selbstzensur der Parteipresse der Öffentlichkeit vorenthaltene — Replik des Fraktionsvorsitzenden Breitscheid, die in der rhetorischen Frage gipfelte, was man denn tun wolle, „wenn Brüning mit einer Regelung zurückkommt, die die Reparationen nur für die nächsten Jahre erläßt". Die Regierung Brüning stürzen? „Dann würde Hitler an die Regierung kommen, und wenn Hitler regiert, wird Frankreich viel schwerer auf uns drücken." Auch diese Frage wähnte die SPD in einer Zwangslage vor der Alternative, Brüning um jeden Preis zu stützen oder Hitler an die Macht kommen zu lassen. Da es keine breite Diskussion über die entscheidenden Fragen der SPD gab, schwelte der Konflikt intern weiter. Wels hatte sich spontan gegen Breitscheid geäußert: „Nanu, sollen wir Sozialdemokraten vielleicht die einzigen und letzten sein, die noch für Reparationen sind?" 317 Franz Joseph Furtwängler, der Auslandssekretär des Bundesvorstands des ADGB, forderte eine Rüffelung und Entfernung Breitscheids aus dem außenpolitischen Sprecheramt der SPDReichstagsfraktion. Eine daraufhin gefertigte Stellungnahme zum Stand der Reparationsfrage im ADGB gelangte zu dem lediglich aufs Pragmatische bedachten Schluß: „Wie Brüning ... die Notverordnungen mit außenpolitischen Motiven begründet, so können ... die Gewerkschaften ihre Tolerierungspolitik am einleuchtendsten und wirksamsten in der gleichen Weise verteidigen. Wir werden für diese Argumente bei unseren Mitgliedern volles Verständnis finden." 318 Etwa auf gleicher Linie bewegte sich ein Leitartikel von Leipart im Parteiorgan „Vorwärts". 319 Neu klang die Bewertung des Nationalsozialismus — „unter großen historischen Gesichtspunkten betrachtet, eine innenpolitische Folgeerscheinung des außenpolitischen Drucks, der seit 3,6
a.a.O.,
S. 4 4 1 - 4 6 3 ;
vgl. hierzu Briefwechsel Wels-Brüning; AR: Brüning, 3,
S. 2095. 317
Leipart an Keil, 8. Januar 1932; Schulz, Politik, 2, S. 1206 f.; auch Hannes Heer,
Burgfrieden oder Klassenkampf. Zur Politik der sozialdemokratischen Gewerkschaften 1 9 3 0 - 1 9 3 3 , Neuwied/Berlin 1971, S. 1 1 7 f.; vgl. Hans J . L. Adolph, Otto Wels und die Politik der deutschen Sozialdemokratie 1894—1939. Eine politische Biographie, Berlin 1971, S. 206 ff. 318
Aufzeichnung von Arons, 19. Dezember 1931; Jahn, Gewerkschaften, S. 463.
3"
„Aufklärung tut Not! Uber Versailles und die Reparationslasten", in: Vorwärts,
Nr. 6 1 0 vom 31. Dezember; Exemplar in der Reichskanzlei; BA, R 43 1/335.
Erfolg und Mißerfolg im Januar
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dem Vertrag von Versailles auf unserem Volke lastet. Dieser Vertrag hat den Krieg abgeschlossen; aber er hat den Frieden nicht gebracht, weder für Deutschland noch für Europa." Daher handle auch die deutsche Arbeiterbewegung notwendig „im Zeichen eines unablässigen Kampfes gegen die von einer engstirnigen Machtpolitik diktierten Bestimmungen dieses Vertrages und gegen das politische System, das er geschaffen hat". Mit diesen Worten rückte Leipart eng an den Reichskanzler heran; sie ließen sich aber auch als Ankündigung verstehen, im Ringen um breite Bevölkerungsschichten nationale Parolen im Konkurrenzkampf mit den Nationalsozialisten einzusetzen. In einer zur Schlichtung der Gegensätze von Reichstagspräsident Löbe anberaumten Besprechung am 5. Januar ergab sich, daß der von Leipart vertretene Kurs von Graßmann, Sollmann und Löbe, denen sich danach der Bundesvorstand des ADGB anschloß, unterstützt wurde, während Breitscheid, Hilferding und Landsberg Distanz hielten. 320 In allen Phasen ihrer Geschichte gab es innerhalb der SPD stets Spannungen und Gegensätze, mindestens zwei verschiedenartige Meinungen zur gleichen Thematik, sobald sie größere Bedeutung erlangte. Nun bahnte sich ein weiteres Mal ein Konflikt zwischen Gewerkschaftsflügel und Parteiführung an, in dessen Mittelpunkt im Grunde weniger die Politik des Kanzlers stand als die nationalistische Welle der Zeit, die die Gemüter bewegte. Dieser ,Gegensatz' betraf nicht mehr die Existenz der Regierung, hinter die sich Breitscheid wie Hilferding längst gestellt hatten. Der Reichskanzler brauchte sich durch die Entwicklung in der SPD nicht beunruhigen zu lassen; er war ihrer sicher.321 Der größte Gewinn, den die Regierung aus den Ereignissen Anfang 1932 zog, war der Eindruck von Entschlossenheit und Konsequenz, den Brüning weithin vermittelte, auch wenn die Konferenz von Lausanne zusehends an Bedeutung verlor. Der Reichskanzler sah stets die äußere Situation im engsten Zusammenhang mit innerpolitischen Entscheidungen; insoweit war seine Darstellung, die er dem englischen Botschafter gab, korrekt. Die Verlängerung der Amtszeit des Reichspräsidenten, die auch seine eigene Stellung stärkte, wollte Brüning so schnell wie möglich gesichert wissen. Die anstehende Landtagswahl in Preußen, bei der mit einer Zunahme der nationalsozialistischen Stimmen zu rechnen war, ,2 °
Nach dem Zeugnis Leiparts; Schulz, Politik, 2, S. 1206 f.; Jahn, Gewerkschaften,
S. 468 f. 321
Brüning behauptete später, daß die Erklärung Leiparts am 16. Dezember von ihm
veranlaßt worden sei. Memoiren, S. 4 7 1 .
702
III. Das zweite Kabinett Brüning
wollte er möglichst weit, zumindest bis nach den französischen Kammerwahlen verschieben, während sich auf französischer Seite Tardieu darum bemühte, die Kammerwahlen hinauszuzögern, weil er sich von dem Ergebnis der Wahlen in Deutschland eine günstige Wirkung auf die französische Rechte erhoffte. 322 Der innerpolitische Gewinn, den Brüning erreichte, ist unübersehbar. Sein Auftreten und seine Entscheidung für eine eindeutige Politik in der Reparationsfrage warfen in der Sozialdemokratie und in den Gewerkschaften die Frage nach einer außenpolitischen Neuorientierung auf; sie verfehlten auch nicht ihre Wirkung auf die deutsche Rechte. Brüning setzte daher neue Hoffnungen in Hitler und Hugenberg. Auf der anderen Seite bleibt zu fragen, ob die Regierung Brüning, indem sie den Ratschlägen der Ministerialdirektoren Gaus und Ritter und den im Auswärtigen Amt vorhandenen Neigungen folgte, nicht doch einer Fehleinschätzung der weiteren Entwicklung unterlag. Dies betrifft auch gravierende Bedenken gegen die Parforce-Taktik des Kanzlers in Kreisen der Wirtschaft.
Vergebliche Bemühungen um eine
Alternative
Pünder empfing noch am 7. Januar den Großindustriellen Silverberg zu einer reparationspolitischen Aussprache, um ihn in großen Zügen über die Absichten der Regierung zu unterrichten und den Plan zu diskutieren — der schon beschlossene Sache war —, die Lausanner Konferenz nur zu einer vorübergehenden Verlängerung des gegenwärtigen Zustandes bis Ende des Jahres und zu einem erneuten Zusammentreten im Juni zu bringen mit dem Ziele, dann eine endgültige Lösung herbeizuführen. 323 Silverberg brachte sofort stärkste Bedenken vor. Er hielt eine Verlängerung des Hoover-Moratoriums um weitere zwei bis drei Jahre, ohne definitive Endlösung, für weitaus unproblematischer. Hierbei leitete ihn die Ansicht, daß die Weltwirtschaftskrise auf dem bezeichneten Wege noch nicht zum Ende kommen werde, was freilich in den Überlegungen Brünings, Bülows und Luthers nur als Argument, nicht als bestimmender Zweck gravierende Bedeutung besaß. Silverberg meinte aber, daß man wirklich eine Art wirtschaftlicher Wende herbeiführen könne, wenn man dies anstreben wolle. Der Warenhunger in der ganzen Welt sei ungeheuer groß, so daß es nur eines Vertrauensanstoßes bedürfe, um eine allmähliche 322 523
a. a. O., S. 497 f. Vermerk Pünders, 7. Januar; BA, R 43 1/335.
Hrfolg und Mißerfolg im Januar
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Besserung zu erreichen. Wenn in Lausanne nur eine Vertagung erreicht werde, bliebe die Situation ungeklärt und müßte mit einer Verschärfung der Lage und weiterem Verlust des Vertrauens gerechnet werden. Eine rasche und klare Entscheidung hielt der Industrielle in jedem Falle für die bessere, auch wenn sie den letzten Zielen der Regierung nur unvollkommen entsprach. Besorgnisse wegen einer Wiederaufnahme der Reparationszahlungen nach einigen Jahren beschwerten ihn kaum, da er nicht glauben mochte, daß später, in einer prosperierenden Weltwirtschaft, Reparationsleistungen überhaupt diskutabel seien, daß die Welt sich derartiges „gefallen lassen" würde. Angesichts der in den Vereinigten Staaten Platz greifenden Uberzeugungen möchte man dies kaum eine verwegene Hoffnung nennen. Schwerer wog aber Silverbergs Zweifel, daß eine für Deutschland wünschenswerte Gesamtlösung im Sinne der völligen Streichung der Reparationen im Juni zustande kommen werde, da sich seiner Meinung nach bis dahin der französische Widerstand trotz stärkerer Auswirkungen der Wirtschaftskrise nicht abbauen lasse. Allerdings schätzte er die Situation im Nachbarland allzu günstig ein, wenn er meinte, wie Pünder festhielt, „die ganze Struktur Frankreichs sei derart, daß es sich wohl noch für sehr lange Zeit, wenn nicht gar für immer, den letzten katastrophalen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise entziehen könne". Gänzlich verfehlt war dies jedoch nicht, wie sich zeigte, als Frankreich in den nächsten Monaten unter der Regierung Herriot, wenn auch im Verlauf der weltwirtschaftlichen Krise mitsamt ihren politischen Folgen nur episodisch, ohne massive staatliche Interventionen Kräfte eines Aufschwungs entfaltete. 324 Von einem Spiel mit der wirtschaftlichen Zermürbung Frankreichs hielt Silverberg nichts. Der Wert dieser Einschätzung ergibt sich aus der Berücksichtigung neuer Bewegungen auf französischer Seite. Ein vertraulicher Bericht des deutschen Untergeneralsekretärs des Völkerbundes, Dufour-Feronce, für Staatssekretär v. Bülow 325 enthielt interessante Mitteilungen über eine Änderung der Haltung des französischen Finanzministeriums, die von jüngeren Beamten ausging, aber von Flandin respektiert wurde. Die Information stammte von dem Direktor der wirtschaftlichen Abteilung des Völkerbundssekretariats, Stoppani, und war vielleicht nur bedingt zuverlässig. Immerhin erscheint sie wichtig genug, um sie nicht zu übergehen. Diese jüngeren französischen Beamten zeigten offenbar Nei324
Ys'- Alfred Sauvy, Histoire économique de la France entre les deux guerres, Bd. 2:
De Pierre Laval à Paul Reynaud, Paris 1967, S. 2 8 - 4 1 . 325
ADAP, B, X I X , S. 388 f.
704
III. Das zweite Kabinett Brüning
gung, eine Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland als wichtigstes Ziel anzusehen und insofern — mit ihren Mitteln — für eine Fortsetzung der Briandschen Politik einzutreten. Sie legten dem Finanzminister eine Ausarbeitung vor, die Deutschland ein volles Moratorium auf alle Reparationszahlungen für mehrere Jahre gewähren wollte und nach dessen Ablauf eine Zahlung von jährlich lediglich 200 Millionen RM für die Dauer von 15 Jahren zur Bedingung stellte, insgesamt also drei Milliarden RM, ein Betrag, der später eine Rolle spielte. Man möchte diese Information von Stoppani nicht als nebensächlich bewerten, obgleich ihr innerhalb des Auswärtigen Amtes keine erkennbare Bedeutung beigelegt wurde und sie „l'orthodoxe Brüning" 326 nie erreichte. Die Stellungnahmen Silverbergs und der französischen Finanzbeamten ergeben zusammengenommen ein Bild der Möglichkeiten deutsch-französischer Beziehungen, das sich zwar abseits von den nationalistischen Strömungen beider Seiten zu entfalten begann, aber doch als Alternative zu der — allmählich herangereiften — Brüningschen Orthodoxie ernst genommen zu werden verdient. Von einer Zwangslage der deutschen Regierung kann in diesem Aspekt keine Rede sein. Man muß freilich zugestehen, daß kompliziertere Operationen die Verhandlungen über die Verlängerung der Amtszeit des Reichspräsidenten von Anbeginn noch mehr erschwert hätten, als der Reichskanzler zunächst annahm. Am Ende ergibt sich allerdings auch für diese Seite der Rechnung eine negative Bilanz. Brüning befand sich nicht ernsthaft in einer unvermeidlichen Zwangslage, aber er manövrierte sich selbst in eine solche hinein.
Brünings Ringen um eine neue Amtszeit
Hindenburgs
Die vom Kanzler wiederholt ins Gespräch gebrachte, auch zur Erklärung seiner Außenpolitik angeführte große Sorge um die Zukunft des Reichspräsidentenamtes ist von ausländischen Diplomaten und Ministern durchaus verstanden worden. Gerade zu einem Zeitpunkt, da in den internationalen Beziehungen die Vorbereitungen einer Reparationskonferenz und einer Abrüstungskonferenz sich immer spannender entwickelten, wurde die Aufmerksamkeit des deutschen Publikums zunehmend von der innerpolitischen Entwicklung okkupiert. Dies folgte aus dem von Brüning anfänglich verfochtenen — der Verfassung widerstreitenden — Gedanken einer rasch zu beschließenden Verlängerung der Amtszeit 326
Sauvy, Histoire économique, 2, S. 42.
Erfolg und Mißerfolg im Januar
705
Hindenburgs, u m „die Rechte in K o p p e l u n g mit der Präsidentenwahl [an die R e g i e r u n g ] heranzuziehen". 3 2 7 E r e n t w i c k e l t e sich in einer f ü r ihn und seine A b s i c h t e n nachteiligen Weise. D e r V o r z u g einer derartigen L ö s u n g lag in der Beibehaltung d e r gegebenen Verhältnisse o h n e langwierige u n d jetzt k a u m n o c h sonderlich aussichtsreiche K a n d i d a t e n s u che. 3 2 8 Sie hätte schließlich d e m betagten G e n e r a l f e l d m a r s c h a l l die M ö g lichkeit e r ö f f n e t , sich nach eigenem Ermessen, auch v o r A b l a u f der zweiten A m t s z e i t zurückzuziehen, ohne u n g l a u b w ü r d i g zu erscheinen. In diesem Z u s a m m e n h a n g hat B r ü n i n g w o h l mit d e m G e d a n k e n einer „Wiederherstellung der M o n a r c h i e " o p e r i e r t , 3 2 9 f ü r die freilich schon andere Parteigänger eintraten. Nach z w e i w ö c h i g e r Bedenkzeit akzeptierte Hindenburg B r ü n i n g s V o r s c h l a g einer A m t s z e i t v e r l ä n g e r u n g durch ein Gesetz, das mit v e r f a s s u n g s ä n d e r n d e r M e h r h e i t a n g e n o m m e n w ü r d e , w i e es bei dem ersten „ p r o v i s o r i s c h e n " Reichspräsidenten Friedrich Ebert praktiziert w o r d e n w a r u n d das J o ë l w i e Z w e i g e r t f ü r verfassungsrechtlich unbedenklich hielten. A b e r der Reichspräsident stellte Bedingungen: V e r m e i d u n g eines W a h l k a m p f e s , keine „Schachergeschäfte"
zwischen
327 Brüning, Memoiren, S. 451. Im übrigen sind Zweifel am Platze, wenn Brüning es in seinen Erinnerungen so erscheinen läßt, als seien ihm die Bedenken der Zeitgenossen sowie spätere Einsichten längst geläufig gewesen. Vielleicht liegt das wirkungsvollste Moment seiner spät erst veröffentlichten Erinnerungen gerade darin, daß er seine Reflexionen zu aller ihm bekannten Kritik in seine Darstellung hineinstilisierte, so daß ihm eine Überlegenheit zuwächst, die ihn über die wirklichen Motive seiner Handlungen zu erheben scheint. 328 Eine Kandidatur Cunos hatte sich erledigt, da die Rechte davon abgekommen war, ihn aufzustellen. Andere Kandidaten, deren Namen vereinzelt auftauchten, fanden kein ausreichendes Interesse. Die preußischen Ministerialdirektoren Brecht und Badt erwärmten sich für Hugo Eckener, den Leiter der Zeppelinwerke, der durch seinen ersten ZeppelinFlug nach den Vereinigten Staaten 1924, den ersten Passagierflug nach Amerika 1928 und seine Weltumrundung 1929 internationales Ansehen und in Deutschland einen hohen Grad an Popularität gewonnen hatte. Politisch war Eckener nicht hervorgetreten und ohne Erfahrungen. Als etwas gemäßigter Nationalist stand er der DVP wohl näher als der DNVP Hugenbergs; aber Brecht glaubte, ihn bei den preußischen Regierungsparteien durchsetzen zu können, was nicht gelang. Der Vorschlag stieß nur auf das Interesse Severings. Vgl. Brecht, Kraft, S. 152 f.; Severing, Lebensweg, 2, S. 314f.; Dorpalen, Hindenburg, S. 247. Noch geringer waren die Aussichten, die Rechte für eine Kandidatur des Generals Otto v. Below — mit einem „empfehlenden Votum Hindenburgs" — zu erwärmen. Schmidt-Hannover, Umdenken, S. 293. 329 Brüning, Memoiren, S. 453 f. Daß Brüning dem Reichspräsidenten den Vorschlag eines Übergangs zur Monarchie unterbreitet hat, ist durch keine amtliche Überlieferung, sondern nur durch ihn selbst bezeugt. Vgl. Graf Kessler, Tagebücher, S. 738; WheelerBennett, Wooden Titan, S. 353 f.
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III. Das zweite Kabinett Brüning
Parteien und strikt termingerechte Abhaltung der Preußenwahl, über die schon diskutiert wurde. 330 Brünings Sondierungen, um eine verfassungsändernde Reichstagsmehrheit für das Gesetz zustande zu bringen, setzten bei den Nationalsozialisten ein. Durch Groener ließ er telegraphisch Hitler nach Berlin holen. 331 Beide trafen sich am Abend des 6. Januar in Groeners Wohnung zum ersten, am folgenden Tage, in Gegenwart des Reichskanzlers, zum zweiten Mal, um die Zustimmung der NSDAP zu dem nicht verfassungsmäßigen Reichsgesetz auszuhandeln. 332 Hitler hielt sich zurück und bat um Bedenkzeit, nachdem er erfolglos versucht hatte, die Auflösung und Neuwahl des Reichstags ins Spiel zu bringen. Die Gespräche wurden fortgesetzt, zunächst durch Groener und Schleicher mit Hitler am 8. Januar, noch ehe das fingierte ,Interview' Brünings an die Öffentlichkeit kam, dann zwischen Brüning und Hitler in Anwesenheit von Treviranus und Frick am 9. Januar, nachdem das ,Interview' erschienen war. Über diese Gespräche unterrichtete Pünder — in Abwesenheit Meissners — den Ministerialrat Doehle beim Reichspräsidenten, der noch am 7. Januar seine Kenntnis an Quaatz weitergab, um gleich die Einstellung Hindenburgs hinzuzufügen und die Deutschnationalen von unbedachten Forderungen abzuhalten, was Quaatz offenbar zusagte. Hierdurch kam Hugenberg ins Spiel, den der Reichskanzler als Nächsten einlud, um ihm, im Sinne seines ,Interviews', ziemlich rückhaltlos die Situation darzulegen und seine Karten aufzudecken. 333 „Die einmütige Wahl Hindenburgs durch den einfachen Akt [immerhin durch ein die Bestimmungen der Verfassung durchbrechendes Reichsgesetz] sei ein ausdrückliches Zeichen für die Stabilität." Durch diese Wahl solle „gerade kurz vor den außenpolitischen Verhandlungen die Einmütigkeit des deutschen Volkes in der Auffassung über die Notwendigkeit der Außenpolitik gezeigt werden". Er wolle in Lausanne auf eine Endlösung hinaus und die Beseitigung der Reparationszahlungen erreichen. Da er nicht glaube, daß die anderen Staaten dieser Haltung zustimmen würden, rechne er damit, „daß er vor Ostern mit einem ,Nein' zurückkehre und 330
Aufzeichnung Pünders, 5. Januar; AR: Brüning, 3, S. 2 1 3 9 f.
331
Pünder, Reichskanzlei, S. 110; Vogelsang, Reichswehr, S. 148; Schulthess 1932, S. 4 f.
Hitler scheint über den Gegenstand des Gesprächs nicht unterrichtet gewesen zu sein, oder er erweckte den Anschein, es nicht zu sein. Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 105. 332
Hierzu
fortlaufende
Aufzeichnungen Pünders, 8.-13. Januar; Schulz, Politik, 2,
S. 1 2 0 8 - 1 2 1 5 ; auch A R : Brüning, 3, S. 2 1 5 9 - 2 1 6 7 ; vgl. Pünder, Reichskanzlei, S. l l O f . 333
Brüning, Memoiren, S. 502 ff.; Aufzeichnung v o m 10. Januar im Nachl. Hugenberg;
Schulz, Politik, 2, S. 1215 f.
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daß die Konferenz auf Juni vertagt würde. In der Abrüstungskonferenz rechne er auf eine monatelange Dauer." In ihr wolle er die Abrüstung der anderen auf den deutschen Stand fordern, „den Gedanken unserer Aufrüstung aber nicht von vornherein bekanntgeben ... An ein Ergebnis der Konferenz glaube er nicht vor November. Bei beiden Konferenzen müsse er [aber] vermeiden, durch eine schroffe Haltung die Wahlen in Frankreich ungünstig zu beeinflussen." Diese waren inzwischen auf den 1. und 8. Mai festgelegt worden. Offenkundig setzte Brüning auf eine eindeutige Antwort, soweit er seiner Sache sicher war, was wohl nicht lange vorhielt. 334 Die Erklärung liegt in den mehrtägigen Gesprächen mit Hitler. Schon die Tatsache, daß sie sich — in wechselnder Besetzung — über vier Tage erstreckten und offenkundig viele Themen berührten, nährt die Vermutung, daß schwierige, bedeutungsschwere Verhandlungen geführt wurden, in denen auch künftige Möglichkeiten der N S D A P zur Sprache kamen. Ganz gleich, ob Hitler lediglich hinhaltend taktierte und sich nur auf einen Modus der Ablehnung vorbereitete, was wohl einige seiner Vertrauten annahmen, 3 3 5 aber bei weitem nicht als sicher gelten kann, oder ob er „ v o r dem Eintreffen Hugenbergs ... ein ränkevolles, aber anscheinend nicht 2ielsicheres Spiel" vorführte und Hugenberg zu diskreditieren versuchte, wie Quaatz meinte 336 ; er wurde schließlich ebenso wie Brüning durch eine sensationelle, wenn auch ungenaue Meldung der Telegraphen-Union über die ersten Gespräche, das hallende Presse-Echo und die notwendig folgende offizielle Darstellung aus dem Konzept gebracht. Das Verbot des nationalsozialistischen Blattes „ D e r A n g r i f f durch den Berliner Polizeipräsidenten aus einem beiläufigen Anlaß und die polizeiliche Schließung einer Versammlung im Sportpalast, auf der Goebbels reden wollte, wurden als preußische Gegenmaßnahme verstanden und empörten die Anhänger Hitlers. 337 Gegen den Kanzler manövrierten jedoch von Anfang an Quaatz und Hugenberg, der am 8. Januar in Magdeburg mit den Stahlhelmführern Seldte und Duesterberg und am nächsten Tag
334 Schon in einem abendlichen Gespräch am 9. Januar in der Wohnung Bülows äußerte sich Brüning skeptisch über den Ausgang der Verhandlungen. „Hitler möchte schon. Er hat aber dabei sowohl gegen die Opposition in seinen eigenen Reihen wie gegen Hugenberg zu kämpfen." Aufzeichnung von Schäffer; IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch, 9. Januar. 335 Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 106 f. ™ Quaatz, Tagebuch, S. 169, wahrscheinlich auf Grund der Informationen Doehles über den Verlauf der Gespräche. 337 Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 107 f.
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III. Das zweite Kabinett Brüning
in Berlin mit Hitler und Göring die Ablehnung der Aktion Brünings verabredete. 338 Hugenberg hatte gegen das Haager Abkommen über die Reparationsleistungen 1929 eine unerbittliche Kampagne gegen die Reichsregierung geführt. Jetzt mochte er über die Außenpolitik des Kanzlers nicht sprechen, interessierte ihn nur die klassische Frage des Gegenspielers, der sich am Zuge wähnt und die er offen stellte: ob Brüning denn nicht zurücktreten werde, „wenn er vor Ostern ohne Erfolg zurückkäme, um durch seinen Rücktritt die außenpolitische Stellung Deutschlands zu stärken..." 339 Brüning verneinte dies ganz entschieden. Er wollte auf seinem Posten bleiben, „solange er das Vertrauen Hindenburgs und des Reichstags habe". Hugenberg wollte wissen, ob denn nicht die schlechte Wirtschaftslage den Kanzler zur Demission zwingen werde, und wies auf die steigende Arbeitslosenzahl hin. Als Entgegnung hielt er die Bemerkung Brünings fest, daß er es „als seine Aufgabe" ansehe, „sich dem Ausland gegenüber auf eine wirkliche deutsche Not berufen zu können und nicht mit einer fingierten Not zu arbeiten". Hugenberg fragte; Brüning scheint in jeder Hinsicht unumwunden geantwortet, aber seinen Gesprächspartner immer noch verkannt zu haben: Er wolle das Kabinett auf eine möglichst breite Grundlage stellen. „Niemand wäre glücklicher als er, wenn er ein Kabinett von den Sozialdemokraten bis zu den Nationalsozialisten bilden könne." Das konnte Hugenberg wohl nur als Herausforderung auffassen. Der Kommentar in seiner Aufzeichnung bezeugt die Reaktion: „Allein dieser Ausspruch, von dem Brüning wissen muß, daß er eine Unmöglichkeit als angeblichen Wunsch nennt, beweist, daß er in Wirklichkeit nicht an eine Umwandlung denkt." Den Gegensatz vermochte der Reichskanzler durch offene Darlegung seiner Gedanken nicht zu überbrücken. In Wirklichkeit war schon vorher die Entscheidung gefallen. Staatssekretär Meissner wurde durch Quaatz mehr und mehr in die Vorhaben der Deutschnationalen einbezogen und betrieb ein Spiel nach mehreren Seiten, in dem er vom Reichskanzler wie von Pünder, von Hugenberg wie Quaatz, aber auch von Hitler und Göring Informationen über ihre Absichten erhielt, über die er nach eigenem Ermessen verfügte, soweit er sich nicht — gegenüber Quaatz — durch Ehrenwort band. 340 Die 338
Aide-mémoire, Quaatz, Tagebuch, S. 1 7 0 ff.
119
s. oben Anm. 333.
340
Die Einzelheiten der Verhandlungen sind an dieser Stelle nicht zu verfolgen; sie
ergeben sich im wesentlichen aus einem Vergleich des Aide-mémoire von Quaatz, a. a. O.,
Erfolg und Mißerfolg im Januar
709
Absicht, Brüning um jeden Preis zu stürzen, erklärte Quaatz Meissner unverhüllt schon am Nachmittag des 10. Januar. Der entgegnete nur, daß der Reichspräsident „den Zeitpunkt hierfür nach der Rückkehr des Kanzlers von Lausanne für gegeben" ansehe. Für die Amtszeitverlängerung Hindenburgs brachte Meissner die Volkswahl des Reichspräsidenten, wie in der Reichsverfassung vorgesehen, zur Sprache, wie es dann Brüning ihm gegenüber am nächsten Tage ebenfalls tat. Am 11. Januar gab die Parteileitung der DNVP in einem „streng vertraulichen" Rundschreiben an die Landes Verbandsführer 341 die Ablehnung des Planes bekannt, die Amtszeit Hindenburgs mittels eines verfassungsdurchbrechenden Gesetzes zu verlängern. „Die Besprechung zwischen Hugenberg und Brüning am Sonntag hatte rein informatorischen Charakter", hieß es. Die Ablehnung werde aus einem Brief Hugenbergs an den Reichskanzler ersichtlich. 342 Eine Fühlungnahme mit dem Büro des Reichspräsidenten habe ergeben, „daß man dort außerordentlich empört über Brüning", daß der Reichspräsident „entrüstet" sei, „daß er über die Möglichkeiten falsch unterrichtet wurde ... Man geht sogar so weit, von einer ernsten Krise in der Wilhelmstraße zu sprechen und von der Möglichkeit des Rücktritts Brünings." Der Reichskanzler habe „noch bis heute nachmittag an einen Erfolg geglaubt, und zwar ... auf Grund der Zusagen von Hitler". Unmittelbar gegen den Reichspräsidenten wandte sich die Eröffnung, „daß eine Wiederwahl Hindenburgs nur dann in Frage kommen könnte, wenn er sich durch eine augenscheinliche politische Handlung, etwa Bildung eines Rechtskabinetts oder Veranlassung von Neuwahlen im Reiche, offensichtlich auf die Seite der Rechten stellt". Hugenberg hatte seinen Vorteil erkannt, bis zum letzten ausgenutzt und dies durch die mit Vorliebe kultivierte schroffe Haltung unterstrichen. Hitler hielt es für geboten, sich aus den Gesprächen mit Brüning zurückzuziehen und Hugenberg zu folgen. Frick brachte ihn dann auf einen besonderen Gedanken, der den Reichskanzler in noch größere Verlegenheit stürzte. Hitler antwortete nicht dem Kanzler, sondern sandte
mit der fortlaufenden Aufzeichnung Pünders. Wenig aussagekräftig die Erinnerungen von Meissner, Staatssekretär, S. 2 1 6 . 3,1
Schulz, Politik, 2, S. 1 2 1 7 f.
342
Hugenberg an Brüning, 11. Januar; abgedruckt Walther Hubatsch, Hindenburg und
der Staat. Aus den Papieren des Generalfeldmarschalls und Reichspräsidenten v o n 1878 bis 1934, Göttingen/Berlin/Frankfurt a.M./Zürich 1966, S. 309 f.; A R : Brüning, 3, S. 2153; größtenteils auch Schulthess 1932, S. 9 f.
III. Das zweite Kabinett Brüning
710
eine Denkschrift, die staatsrechtliche Einwände gegen den von Brüning angebahnten Schritt geltend machte, unmittelbar an den Reichspräsidenten. 343 Die Nationalsozialisten gerierten sich, nicht ohne Eindruck zu hinterlassen, als ob sie Hüter von Normen einer Verfassung seien, deren Ablehnung oder Zerstörung man ihnen noch vor einem Jahr mit guten Gründen nachgesagt hatte. Mit einigen überscharfen Formulierungen sollten sowohl der Reichspräsident als auch die Öffentlichkeit gegen den Kanzler aufgebracht werden. In der Tat verfehlte diese Denkschrift bei ihrer Verlesung durch Meissner nicht ihre Wirkung auf Hindenburg, der über Brüning arg verstimmt war, da er sich über die Verfassungsgemäßheit des ganzen Planes falsch unterrichtet wähnte. Natürlich hatte man ihm Gegengründe vorher nicht genannt. Mit Mühe gelang es Brüning, durch Meissner Hitler, Frick und Göring zur Rücknahme der Denkschrift zu veranlassen, was den Reichspräsidenten wenigstens der Notwendigkeit einer Äußerung enthob, und zu einer Antwort an den Reichskanzler zu bewegen, die dann Göring überbrachte. 344 Meissner hatte aber ein Brüning düpierendes Kommuniqué entworfen — wie Brüning meinte, mit Hilfe Oskar v. Hindenburgs —, das erst nach gemeinsamen Anstrengungen von Brüning, Groener, Schleicher, Joël und den Staatssekretären Zweigert und Pünder durch ein anderes ersetzt und mit Zustimmung des Reichspräsidenten veröffentlicht werden konnte, um den Eindruck eines Eklats zu vermeiden. 345 Das Hin und Her offizieller Darstellungen nahm fast die ganze zweite Hälfte des Monats Januar hindurch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in Anspruch. Die Niederlage des Reichskanzlers war eindeutig. Nach eigenem Eingeständnis entwarf er am 12. Januar erstmals sein Rücktrittsschreiben, 346 das hinfällig wurde, als er in einer Auseinandersetzung beim Reichspräsidenten gegen den haltlosen Vorwurf des „Verfassungsbruchs" die entschiedene Unterstützung Groeners und Schleichers fand. Die triumphierende Feststellung der deutschnationalen Parteileitung 347 traf jedoch zu: „Brüning hat eine schwere Niederlage erlitten. Sein Verhältnis zum Reichspräsidenten ist getrübt." Dies wurde auch auf anderer Seite so
343
Der Text ist vollständig wiedergegeben von Fritz Poetzsch-Heffter u. a., Vom
Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, III. Teil (vom 1. Januar 1929 bis 31. Januar 1933), in: J b ö R , 21 (1933/34), S. 1 0 2 - 1 0 7 ; Inhaltsangabe Schulthess 1932, S. 10 f. 344
Hitler an den Reichskanzler, 12. Januar; A R : Brüning, 3, S. 2155.
345
a. a. O., S. 2165, Anm.; Brüning, Memoiren, S. 5 0 7 f f .
346
Ebda.
547
In ihrem „streng vertraulichen" Rundschreiben v o m 11. Januar; s. oben Anm. 341.
Erfolg und Mißerfolg im fanuar
711
gesehen. Der in Ascona weilende preußische Ministerpräsident schrieb Weismann: „Der Ausgang der Reichspräsidenten-Wahlangelegenheit ist eine Blamage für Brüning. Als Klepper mir in Gastein mitteilte, was Brüning beabsichtigte, sagte ich ihm gleich, bei der ganzen Sache wird doch nichts weiter herauskommen als ein erheblicher Prestigegewinn für Hitler. Leider ist es auch so gekommen ... Der Reichspräsident hatte mir doch auf das bestimmteste erklärt, daß er sich auf eine Verlängerung seiner Amtsdauer durch das Parlament nicht einlassen würde, und wurde von mir in dieser Haltung noch bestärkt. Denn auch ich halte ein solches Vorgehen — da bin ich mal mit Hitler und Hugenberg einig — für verfassungswidrig." 3 4 8 Diesmal hatte sich Hugenberg als der geschicktere Taktiker, Otto Braun als der einsichtigere Politiker erwiesen, während sich Brüning auf den noch gar nicht sicheren außenpolitischen Erfolg verließ und damit voreilig innere Politik machen wollte. E r hatte sich die unverzeihliche Blöße gegeben, die Macht behalten zu wollen und das Recht zu vernachlässigen. Diese Schwächung seiner Position wirkte nach und eröffnete keine günstigen Aussichten für die Zeit nach der Reichspräsidenten- und der Preußenwahl. Da Brüning über keinen entscheidenden Einfluß auf die große Masse der Bevölkerung verfügte, was er sicherlich wußte, blieb ihm nichts anderes übrig, als dem Geist des demokratischen Zeitalters in der Weise zu folgen, daß er bei den großen Massenparteien Anlehnung suchte. Die Sozialdemokraten genügten nicht mehr. So suchte er denn nach langem Zaudern, Hitler zu binden und die Harzburger Front zu spalten. Doch Hitler bemühte sich um neue Wahlen, von denen er sich eine Stärkung seiner Stellung versprach. Die taktischen Finessen des Reichskanzlers glichen Jongleurskunststücken, die er partienweise beherrschte — aber eben nicht ganz und nicht in jedem Fall. Der mitunter eisenharte, unbekümmerte Realismus seines Verhaltens erinnert an die Verschlagenheit Bismarcks, ohne daß Brüning dessen Energie und kraftvolle Sicherheit besaß. E r trat bescheiden auf und verbreitete den Eindruck eines gerecht und sachlich denkenden, in seinem Amt unter drückenden Aufgaben leidenden Mannes. Seine politischen Berechnungen beschränkten sich aber auf Politiker, Sachverständige, Minister und wenige Bankiers, auf den Reichspräsidenten und seine Umgebung, auf Parteiführer und Parlamentarier und blieben auch hier nicht ohne schwerwiegende Täuschungen. Kaum jemals drang der Blick unter die Ebene des Reichstags, dessen Tätigkeit der Kanzler planmäßig einschränkte. 548
Braun an Weismann, 19. Januar; Schulz, Politik, 2, S. 1223; Schulze, Braun, S. 717 f.
712
III. Das zweite Kabinett Brüning
Alles in allem ging Brüning aus dem Versuch, mit Hilfe einer raschen Amtszeitverlängerung des Reichspräsidenten seine Stellung im Innern zu stärken, geschwächt hervor. Von nun an gehörten Gedankenspiele und ernsthafte Erörterungen über Rücktritt oder Sturz Brünings zum Alltag der interessierten nationalen Kreise Berlins. Sein riskant inszeniertes ,Interview' bewirkte am Ende innerpolitisch so gut wie nichts. Bald zeigte sich allerdings, daß auch die Harzburger Front eine Schlappe erlitten hatte und auseinandermanövriert schien, wie Hindenburg erkannte, daß sie nur eine „Fiktion ist, richtiger gesagt, de facto nie bestanden hat. Die ihr angehörigen Gruppen sind zwar in der Ablehnung der Regierung Brüning einig, sie sind aber wegen ihrer Uneinigkeit in sich unfähig, selbst eine Regierung zu bilden." Der Reichspräsident blieb aber entschlossen, „trotz aller Nackenschläge" seine „Bemühungen um eine gesunde Entwicklung nach rechts" nicht einzustellen, „in der Hoffnung, daß es möglich sein wird, nach den Preußenwahlen ... neue Verhandlungen zur Bildung einer Konzentrationsregierung aufzunehmen eite Kabinett
Brüning
wähl Hindenburgs mit einem „Rücktritt des Kabinetts Brüning" erkauft werde und daß die Deutschnationalen mit ihrem Einfluß auf Stahlhelm und Kyffhäuser-Bund Schleichers Partner in diesem „Kuhhandel" seien. 403 Es schien nur noch darum zu gehen, Brüning als Außenminister zu halten, während Groener als künftiger Reichskanzler galt. Dieser Gedanke wurde wiederholt ventiliert; er dürfte Brüning nicht unbekannt geblieben sein. Doch bald erwies sich, daß Hugenberg viel weiter gesteckte Ziele verfolgte. Schon in der ersten Aussprache mit Schleicher bestand der deutschnationale Parteiführer darauf, daß „politische Sicherungen dagegen gegeben" würden, daß nach einer Wiederwahl des Feldmarschalls „weiter mit Unterstützung der Sozialdemokraten gegen die nationale Opposition regiert" werde. Diese Sicherung könne „nur in einer weitgehenden Regierungsänderung" bestehen, „die eine wirkliche Änderung des Systems bedeute". 404 In dieser Unterhaltung scheint die Regierung Brüning von beiden Gesprächspartnern zumindest hypothetisch preisgegeben worden zu sein, wurde die Ermächtigung zur Auflösung des Reichstags durch eine neue Regierung und auch schon die Bildung eines Rechtskabinetts unter „einer mehr überparteilichen Persönlichkeit erörtert, das eine breite Front von den Nationalsozialisten bis zum Zentrum umfassen müßte". Das Mitgehen des Zentrums wurde allerdings vorausgesetzt. Tatsächlich läßt sich-diese Absicht wie ein roter Faden durch alle späteren Verhandlungen über eine Regierungsbildung, noch über den 30. Januar 1933 hinaus, verfolgen, ganz unabhängig von den Persönlichkeiten, ob Schleicher oder Papen und Hugenberg, Göring, Hitler, Röhm oder Straßer als Unterhändler hervortraten. Schleichers Anregung einer Kanzlerschaft Groeners, unter dem Hugenberg „die Vizekanzlerschaft mit besonderem wirtschaftlichen Einfluß erhalten könnte", fand ebensowenig Beifall des deutschnationalen Parteiführers wie die Benennung Brünings als Außenminister, den er als „nicht tragbar" ablehnte; er wollte sich eine Verhandlung dieser Fragen mit den Nationalsozialisten vorbehalten. Immer wieder drang das Bestreben Hugenbergs durch, sich als Subun-
Tagebuchaufzeichnung Schäffers, 1. Februar; a. a. O., S. 1260 f. Aufzeichnung des Generalleutnants v. Schleicher, undatiert, wahrscheinlich in der zweiten Februarhälfte 1932 entstanden, mit Paraphe und Stellungnahme von Hugenberg, dem sie „verabredungsgemäß" zugesandt wurde; a. a. O., S. 1299 — 1302. Quaatz, Tagebuch, S. 176, erwähnt die Gespräche Schleicher-Hugenberg nur beiläufig am 8. Februar; etwas mehr hierzu Dorpalen, Hindenburg, S. 252f.; Vogelsang, Reichswehr, S. 150; GroenerGeyer, Groener, S. 287. 403 404
Die Reichsregierung
bis %ur Wiederwahl
Hindenburgs
729
terhändler den Nationalsozialisten gegenüber in eine günstige Position zu bringen, woraus sich infolge der Ansprüche Hitlers wie der Männer seiner Entourage und ihrer Ambitionen regelmäßig Rivalitäten um Einfluß, Macht- und Führungsstellungen ergaben. Dies bezeichnet ein weiteres, permanent wiederkehrendes Moment in der Vorgeschichte wie der Politik der Kabinette des nächsten Jahres. Die Gespräche zwischen Schleicher und Hugenberg, die mehrfach wieder aufgenommen und fortgesetzt wurden, brachten keine Klärung der Haltung der DNVP, aber wieder eine Hinwendung zu Hitler und seiner Partei. Als ihm bedeutet wurde, daß Hindenburg ein Kabinett Hitler nicht berufen würde, entgegnete Hugenberg, er wolle den Nationalsozialisten diesen Anspruch nicht bestreiten; würde aber Hitler abgelehnt, so wäre seine, Hugenbergs, Kanzlerschaft als Führer der zweitstärksten nationalen Partei nicht zu umgehen. In dieser Sicht gab es nur die Alternative zwischen Hitler und Hugenberg als Kanzler. Doch er deutete schon bei dieser Gelegenheit Zweifel an, daß die bloße Mitwirkung der Nationalsozialisten, auf die er um keinen Preis verzichten wollte, zu gewinnen sein werde. Diese Gespräche endeten vorläufig damit, daß der Reichspräsident, hierüber informiert, sich in seiner alten Manier äußerte: daß für ihn nur ein Konzentrationskabinett auf breitester Grundlage in Betracht käme, mit einem Reichswehrminister nach seiner eigenen Entscheidung und Brüning als Außenminister; „nicht diskutierbar" wäre eine Kanzlerschaft Hitlers oder Hugenbergs, der — ohne die Nationalsozialisten — über eine so schmale Basis verfüge, daß „völlig unerfindlich wäre, wie ein solches Kabinett sich halten bzw. eine Front für die Reichspräsidentenwahl abgeben sollte". Diese von Schleicher festgehaltene Formulierung bezeugt, daß Hindenburg Bescheid wußte, daß die — vorher wiederholt angemahnte — Rechtsbindung der Reichsregierung zum Verhandlungsthema im Vorfeld seiner Wiederwahl geworden war. Aber seine Loyalität Brüning gegenüber steht zu diesem Zeitpunkt außer Frage; wahrscheinlich wäre ihm eine Erhaltung der Kanzlerschaft Brünings am liebsten gewesen. Er beharrte auf der Forderung eines Konzentrationskabinetts „mit fachlich hervorragenden Persönlichkeiten als Minister", zu denen er Brüning zählte. Es erscheint nicht zweifelhaft, daß in den weit in Richtung auf eine Regierungsneubildung vorstoßenden Februar-Verhandlungen letztlich der Reichspräsident Brüning die Stange hielt und weitere Monate im Amt beließ. Hugenberg entgegnete mit dem Vorschlag, sofort den Reichstag aufzulösen und Preußen zu zwingen, gleich zu wählen und nicht erst im
730
III. Das zweite Kabinett Brüning
April, um dann unter den veränderten Voraussetzungen erneut über die Wahl des Reichspräsidenten zu diskutieren. Mit diesem Vorschlag hatte er keinen Erfolg. Doch der Versuch, durch Neuwahl den jeweiligen Stand der Rechten in der Wahlbevölkerung aller Welt — nicht zuletzt dem Reichspräsidenten — vor Augen zu führen und daraus politische Forderungen herzuleiten, bildete ein weiteres, 1932 und 1933 wiederkehrendes Moment. Diesmal wurde die Verbindung zu Hugenberg gelöst. Er kündigte an, daß die Nationale Opposition auf seine Veranlassung hin für den ersten Wahlgang neben Hitler noch einen zweiten Kandidaten für die Wahl des Reichspräsidenten aufstellen werde. Nach einem vergeblichen Versuch der Stahlhelmführung, eine Kanzlerschaft Seldtes durchzusetzen, kam es dann in der Tat zu der — von den Unterführern schon vorher verlangten — Nominierung eines eigenen Kandidaten, Theodor Duesterberg. 405 Auf kleinere Parteien, die nicht mehr an der Regierung beteiligt waren, wirkte dies verheerend. Nach Ansicht des Vorsitzenden der DVP, Dingeldey, der noch am 9. Januar Brüning die Zustimmung seiner Partei zu einem verfassungsdurchbrechenden Gesetz über die Amtsdauer des Reichspräsidenten überbracht hatte, 406 schien vier Wochen später keine andere Möglichkeit mehr gegeben, als die Lösung von Brüning zu vollziehen. Aus der „ganz fürchterlichen Welle des Mißtrauens" ergab sich, „vom Standpunkt der Partei aus gesehen, daß eine Hilfestellung gegenüber Herrn Brüning tödliche Wirkung haben würde". 407 Dingeldey wähnte, sich der entschiedenen Rechtsentwicklung anschließen und auch einen Rücktritt Brünings als unausweichlich hinnehmen zu müssen. Allerdings glaubte er noch an die Möglichkeit eines Kabinetts Groener mit Hugenberg. Ihm schwebte der Gedanke einer Parteineubildung vor, in der sich die Deutsche Volkspartei mit der Wirtschaftspartei, Kräften des Landvolks, Volkskonservativen und Staatsparteilern zu einer bürgerlichen Sammlung vereinigen sollte, obgleich sich die Aussichtslosigkeit derartiger Vorstellungen bei mehreren Anläufen bisher regelmäßig erwiesen hatte. 408 Offenbar war noch nicht zu Dingeldey durchgedrun-
405
Schulz, Politik, 2, S. 1301 f.; Berghahn, Stahlhelm, S. 2 0 7 f.
406
Schulz, Politik, 2, S. 1 2 1 0 ; AR: Brüning, 3, S. 2162; Tagesnotizen der Reichskanzlei,
9. Januar; B A , Nachl. Pünder/44. 407
Dingeldey an Kalle, 5. Februar; Schulz, Politik, 2, S. 1 2 6 2 f.
408
Dingeldey
an den ehemaligen
Reichsjustizminister
S. 1267 f.; dort auch die teilweise zustimmende A n t w o r t 10. Februar (S. 1268, Anm. 5).
Bredt, von
8. Februar; a. a. O., Bredt an
Dingeldey,
Die Reichsregierung
bis spr Wiederwahl
Hindenburgs
731
gen, daß sich andere K r ä f t e seiner Partei u m ein A u f g e h e n der D V P in der Partei H u g e n b e r g s bemühten, freilich mit d e m gleichen M i ß e r f o l g , zumal die a n g e m a h n t e U n t e r s t ü t z u n g industrieller K r e i s e
halbherzig
blieb. 4 0 9 W i r t s c h a f t s f ü h r e r n , Bankiers w i e Industriellen schien sich, angesichts des nicht gelingenden W i e d e r a u f b a u s einer respektablen parteipolitisch gef o r m t e n I n t e r e s s e n w a h r n e h m u n g , bei w a c h s e n d e r Skepsis dem Reichskanzler g e g e n ü b e r , 4 1 0 eine neue politische O r i e n t i e r u n g nachgerade a u f z u d r ä n g e n . Ihre B e m ü h u n g e n v e r l i e f e n nicht w e n i g e r uneinheitlich als die in anderen g r o ß e n gesellschaftlichen Organisationen, v o n den Fraue n v e r b ä n d e n u n d K r i e g s o p f e r n bis zu den K i r c h e n . Nationalsozialistischen A g e n t e n und Mittelsmännern z u r W i r t s c h a f t , wie Walther F u n k u n d O t t o Wagener, w a r es 1 9 3 1 schon m e h r f a c h gelungen, das Interesse einiger bekannter Persönlichkeiten zu g e w i n n e n , w a s sich in w i e d e r h o l t e n oder ständigen
finanziellen
Z u w e n d u n g e n an F u n k und G ö r i n g , a b e r
auch direkt o d e r indirekt an Hitler auszahlte, 4 1 1 denen eine luxuriöse Lebenshaltung u n d ein repräsentatives A u f t r e t e n in der Ö f f e n t l i c h k e i t Gilsa an Reusch, 8. Februar; Reusch an Gilsa, 9. Februar; a. a. O., S. 1269 ff. Es mag hier dahingestellt bleiben, ob Brünings gelegentliche Bekenntnisse tatsächliche Vorhaben rekapitulieren oder nicht doch späteren Vorstellungen entstammen. Seinen Erinnerungen zufolge versuchte er sich an einer Neukonstruktion von Staat und Gesellschaft. Offensichtlich hat er in der Darstellung dieser Ideen jedoch mehr zeitläufige Vorstellungen aufgenommen als begründete eigene Pläne und Konstruktionen verfolgt. Nach der Bankenregulierung versuchten Brüning und Dietrich angeblich, Teile der großen Konzerne von Flick und Otto Wolff „aufzukaufen, um dann vom Reich her eine völlige Sanierung und Dezentralisation der rheinisch-westfälischen Industrie vorzunehmen", wobei große Teile der Vereinigten Stahlwerke der Kleinindustrie im Hagener Bezirk zugeführt werden sollten. Brüning, Memoiren, S. 365, 368, 443, 448; Schwerin v. Krosigk, Persönliche Erinnerungen, II, S. 60; Adelheid v. Saldern, Hermann Dietrich. Ein Staatsmann der Weimarer Republik, Boppard 1966, S. 181. Doch der Plan einer Auflösung großer Konzerne durch staatliche Maßnahmen, um Unternehmen kleinerer und mittlerer Größe und den Honoratiorentyp des Fabrikbesitzers der Vorweltkriegszeit wiedererstehen zu lassen, war eher restaurativen Gedankengängen Brünings als einer systematischen Sanierungspolitik zuzuordnen. Sie erklären aber zu einem Teil die zunächst bei den Banken, dann auch unter Persönlichkeiten der Großindustrie wachsende Neigung, sich gegen die Regierung zu stellen. Weder bei Brüning noch in der Führung des Zentrums läßt sich ein Niederschlag der in Kirchenkreisen diskutierten, erneuerten und erweiterten katholischen Soziallehre nach der päpstlichen Enzyklika ,Quadragesimo anno' erkennen; Pius XI., Rundschreiben über die gesellschaftliche Ordnung, ihre Wiederherstellung und ihre Vollendung nach dem Heilsplan der Frohbotschaft zum 40. Jahrestag des Rundschreibens Leos XIII. ,Rerum Novarum', autorisierte Ausgabe, lateinischer und deutscher Text, Freiburg i.Br. 1931. 4.1 Vgl. Turner, Großunternehmer, S. 182 ff.; Schulz, Aufstieg, S. 639 ff. 409 4.0
732
III.
Das £weite Kabinett
Brüning
ermöglicht wurde und deren auffalliger Stil den anderer Parteiführer weit in den Schatten stellte. Hitler residierte fortan während seiner Berliner Aufenthalte in einer Suite des führenden Hotels ,KaiserhoP; Göring hatte sich eine großzügige, kostspielig ausgebaute Wohnung im Berliner Westen verschafft. Der Großindustrielle Fritz Thyssen, der alte Emil Kirdorf, die Bankiers Eduard Frhr. v. d. Heydt, Georg v. Stauss und August v. Finck standen schon 1930 bzw. Anfang 1931 mit der NSDAP in Verbindung.412 Das Interesse wuchs rapide mit der Vorbereitung auf die Wahl des Reichspräsidenten, noch ehe Hitler offen als Kandidat in Erscheinung trat. Als erster großer Verband löste sich Ende 1931 die Interessenorganisation der Banken, der Centraiverband des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes, wegen voraufgegangener und angesichts bevorstehender Eingriffe der Reichsregierung in das Bankwesen von Brüning. 413 Thyssen engagierte sich im RDI für Hitler, blieb dort isoliert, brachte aber den Bergbaulichen Verein zum Austritt aus dem RDI und zum Anschluß an die Opposition. Die überwiegende Mehrzahl der Großindustriellen hielt jedoch zum Aufsichtsratsvorsitzenden der IG-Farben, Carl Duisberg, der sich auf die Seite Brünings und seiner Politik stellte. Im August 1930 hatte der RDI seine Mitglieder aufgefordert, nur solche Parteien zu unterstützen, „die auf dem Boden der Verfassung stehen und die unzweideutig für die Erhaltung und Entwicklung der Privatwirtschaft sowie für das Privateigentum eintreten".414 Diese Linie hielt Duisberg 1932 in der Reichspräsidentenwahl durch. Er sprach sich ebenso gegen Hitler und Duesterberg aus wie gegen den Kommunisten Thälmann und ließ in seine Erklärung zugunsten Hindenburgs Sympathien für die Kanzler412 Zu Frhr. v. d. Heydt Goebbels, Tagebücher, I, 1, S. 636; dort in der Eintragung vom 22. November 1930 die — wohl übertriebene — Bemerkung: „Auch große Teile der Wirtschaft stehen heute schon bedingungslos bei uns." Über Hitler und Stauss Graf Kessler, Tagebücher, S. 703. Stauss stand in enger Verbindung zu dem englisch-niederländischen Chef der Royal-Dutch Shell Company, Sir Henri Deterding, der ebenfalls zu den Förderern Hitlers, Görings und der NSDAP zählte. Daß dies nicht nur „eine Legende Deterding" ist, wie Turner, Großunternehmer, S. 327 f., meint (allerdings gibt es auch solche Legenden), läßt sich aus den knappen Mitteilungen folgern, die sich bei Lutz Graf Schwerin v. Krosigk, leicht variiert, finden: Staatsbankrott, S. 82; ders., Memoiren, S. 130 f.; ders., Persönliche Erinnerungen, II, S. 78 f. — Stauss stellte in seinem Hause Hitler am 5. Dezember 1931 dem amerikanischen Botschafter Sackett und dem Generalkonsul Kliefoth vor. Link, Stabilisierungspolitik, S. 534. 4,3
Born, Bankenkrise, S. 180. Rundschreiben des RDI, veröffentlicht in den Frankfurter Nachrichten 17. August 1930; Kopie in MGN, Fall 6, V.-Dok.-B. Schmitz I, Dok. Nr. 16. 414
am
Die Reichsregierung bis \ur Wiederwahl Hindenburgs
733
schaft Brünings einfließen. Derartig unbeirrte Haltungen in der Öffentlichkeit wurden im weiteren Verlauf des Jahres 1932 seltener. Doch auch weniger entschiedene Industrielle, wie Krupp v. Bohlen, Duisbergs Nachfolger an der Spitze des RDI, ließen sich vor 1933 nicht zu einer Unterstützung der Nationalsozialisten, wohl aber anderer Gruppen auf dem rechten Flügel der Parteien bewegen, nachdem sich herausgestellt hatte, daß sich das Lieblingsprojekt der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie, eine bürgerlich-konservative Sammlung, die die Parteien außer NSDAP, KPD, SPD und Zentrum zusammenfaßte, nicht verwirklichen ließ. Man war jedoch an einer ,Zähmung' der NSDAP und ihrer wirtschaftsprogrammatischen Festlegung interessiert. Seit Dezember 1931 versuchte sich der Bankier Eduard v. d. Heydt im Knüpfen von Fäden zwischen den Nationalsozialisten und dem französischen Botschafter. Diese Operationen dienten der Absicht, ähnlich den späteren Bemühungen Papens, eine Beteiligung der Nationalsozialisten an der Reichsregierung herbeizuführen, aber den „bolschewistischen Plänen" innerhalb der NSDAP entgegenzuwirken; denn die „Nazis ... wüßten, daß sie nicht ohne Sachverständige (zum Beispiel Schacht, der ganz ihr Mann sei) regieren könnten". 415 Mehrere Versuche verfolgten den Zweck, Licht in die wirtschaftspolitische Dunkelzone der NSDAP zu bringen. Doch Erfolge blieben aus, bis sich Schacht einschaltete. Thyssen benutzte die Gelegenheit einer Rede, die der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Cohen-Reuss im Herbst 1931 vor dem Industrieclub in Essen gehalten hatte, um auf Betreiben Schachts eine Einladung an die NSDAP ergehen zu lassen. Während Thyssen zunächst an Gregor Straßer dachte, ergriff Hitler selbst die Gelegenheit, am 26. Januar 1932, noch vor den großen Wahlentscheidungen dieses Jahres, einem ungewöhnlich großen Kreis von Industriellen im Ballsaal des Düsseldorfer ,Park-Hotels' seine politischen Vorstellungen und Pläne darzulegen. 416 Wenn er teilweise Zustimmung er415
Graf Kessler, Tagebücher, S. 652.
4,6
Der Vortrag A d o l f Hitlers vor westdeutschen Wirtschaftlern im Industrie-Klub zu
Düsseldorf am 27. Januar 1932, München 1932, veröffentlicht v o m NSDAP-Parteiverlag Franz Eher Nachf. mit falschem Datum; unkritischer Abdruck bei Max Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen 1 9 3 2 — 1 9 4 5 , kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen, Bd. I: Triumph ( 1 9 3 2 - 1 9 3 8 ) , Würzburg 1962, S. 6 8 - 9 0 . Es läßt sich nicht feststellen, ob bzw. inwieweit die veröffentlichte Fassung — mit eingefügten Beifallsäußerungen — von dem mündlichen Vortrag abweicht. Die Schilderung von Paul Kleinewefers, Jahrgang 1905. Ein Bericht, Stuttgart 1977, S. 74 ff., stimmt nicht mit der Veröffentlichung überein. Daß Hitler „auch seine Anhänger schwer enttäuschte", behauptete ein anderer Zeuge;
734
III. Das %u>eite Kabinett Brüning
hielt, so weniger wegen wirtschaftspolitisch klarer Gedanken oder werbender Ausführungen. Außer allgemeinen Wendungen zugunsten des Privateigentums, womit er dem verbreiteten Sozialismus-Verdacht entgegentrat, und der gedämpften Erklärung, Reparationsverpflichtungen Deutschlands abzulehnen, aber die privatrechtlichen Schuldverhältnisse gegenüber ausländischen Kreditgebern anzuerkennen, bot Hitler vor allem Rhetorik. Er stellte sich als „Trommler" vor, der die Register seiner Beredsamkeit zog, offenbarte seinem großen Auditorium von etwa 650 Anwesenden aber weder wirtschaftliches Verständnis noch Programme oder gar Lösungen. „Wie so oft vor ähnlichem Publikum hatte Hitler mit wirtschaftlichen Fragen begonnen, um dann mit der Vision eines politischen Allheilmittels zu enden." 417 Er nutzte die Gelegenheit, um in sozialdarwinistischen Geschichtsexkursen mit dem ihm eigenen drastischen Vokabular eine neue „politische Führung" anzukündigen, um „die Masse der Nation in die Faust" zu nehmen mit dem Ziel: „Entweder neuen Lebensraum mit Ausbau eines großen Binnenmarktes oder Schutz der deutschen Wirtschaft nach außen unter Einsatz der zusammengeballten deutschen Kraft", die Hitler recht martialisch umschrieb: „acht Millionen Reserven", die Deutschland, „ohne derselben weltanschaulichen Katastrophe entgegenzugehen wie 1918", in eine Armee überführen könne. Das konnte, sofern es ernst genommen wurde, nichts anderes bedeuten als militärische Rüstung und Kriegsbereitschaft. Mithin bestätigte Hitler eigentlich die schlimmsten Annahmen, was geschehen würde, wenn eine nationalsozialistische Regierung daran ging, die Krise zu überwinden. Aber die greifbaren faktischen Ankündigungen wurden von dem Gehabe des fanatischen Propagandisten bei weitem überschattet. Der Eindruck blieb zwiespältig; von dieser Rede ging nicht die Wirkung aus, daß der Industrieclub „mit fliegenden Fahnen in das Lager Hitlers" geeilt wäre. 418 Die Düsseldorfer Rede fand jedoch starkes Echo in der Presse, die den Auftritt Hitlers vor einer Versammlung von Industriellen weithin bekanntwerden ließ. Sieben Wochen später umwarb Schacht erfolgreich Paul Reusch, der sich schon 1930 für eine Präsidentschaftskandidatur Cunos interessiert hatte und Einfluß bei bayerischen Zeitungen und in
Gustav Brecht, Erinnerungen, Privatdruck [1964], S. 49. Die ausführlichste Darstellung hierzu in einem eigenen Kapitel von Turner, Großunternehmer, S. 259—273. 417
Turner, a. a. O., S. 262.
4,8
Louis P. Lochner, Die Mächtigen und der Tyrann. Die deutsche Industrie von Hitler
bis Adenauer, Darmstadt 1955, S. 107.
Die Reichsregierung bis \ur Wiederwahl Hindenburgs
735
der B V P besaß, um mit seiner Unterstützung „auf zunächst etwa zwei Jahre" eine ständige Verbindung zu „den wirtschaftspolitischen Organisationen Hitlers" zu unterhalten. 4 1 9 Schacht teilte seine Überzeugung mit, die sich mittlerweile geläufig anhörte, „daß die politische Rechtsentwicklung in Deutschland unaufhaltsam fortschreitet und daß die nationalsozialistische Partei ... nicht zu umgehen sein wird". Da „unser aller Sorge ... dabei die Frage der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik" sei, halte er es „für notwendig, daß v o n ernster wirtschaftlicher Seite etwas geschieht, um Unfug zu verhüten" und „die nationalsozialistischen Wirtschaftsideen im vernünftigen Sinne zu beeinflussen". Reusch hatte am 19. März selbst eine längere Unterredung ohne sonderliches Ergebnis mit Hitler in München. Aber der Industrielle ging auf Schachts Vorschlag ein und unterrichtete auch Fritz Springorum. 4 2 0 Wenig später setzte Schacht zu einem Vorstoß bei Hitler an, um sich als unentbehrlicher Vermittler anzubieten. „Wenn es mir auch diesmal noch nicht gelungen ist, die großmächtigen Herren im Westen zum offenen Eintreten für Sie zu veranlassen, so konnte ich doch sehr viel Sympathie konstatieren. Zwei Bedenken finde ich immer wieder vorherrschend: Das eine ist die Furcht, sich mit der Regierung anzulegen..., und das zweite ist die Unklarheit über das Wirtschaftsprogramm des Nationalsozialismus." 421
Briefwechsel Schacht-Reusch, 16. bis 18. März, bei Stegmann, Großindustrie, S. 450ff. Das Urteil Reuschs über Schacht war vordem nicht ohne Vorbehalte: „... sehr befähigt, eine ausgeprägte und starke Persönlichkeit, aber explosiv, unstet, keine einheitliche Linie, als Reichspräsident bedenklich". Levetzow an Donnersmarck, 11. Mai 1930; Granier, Levetzow, S. 267. 420 Hierzu Turner, Großunternehmer, S. 290 ff., der die Chronologie des Briefwechsels Schacht-Reusch und des Gesprächs mit Hitler — ohne nähere Erklärung — umkehrt. Zur versuchten, aber am Widerstand der Redaktion gescheiterten Preisgabe der politischen Position der von Reusch beeinflußten Münchner Neuesten Nachrichten für die Dauer des Präsidentschaftswahlkampfes, mit der Reusch offenbar günstige psychologische Voraussetzungen für ein Gespräch mit Hitler zu schaffen suchte, Erwein v. Aretin, Krone und Ketten. Erinnerungen eines bayerischen Edelmannes, hrsg. von Karl Buchheim und Karl Otmar v. Aretin, München 1955, S. 65 f., 70 f. Einen „Pakt" mit Hitler, wie Aretin vermutet, hat Reusch sicherlich nicht geschlossen. Die Münchner Neuesten Nachrichten wiesen während des Wahlkampfes auf Enthüllungen über den SA-Stabschef Röhm hin, die von einem ehemaligen Marineoffizier, dann badischen SA-Führer Klotz, der zur SPD übergetreten war, ausgingen; a. a. O., S. 415. — Vgl. auch Kurt Koszyk, Paul Reusch und die „Münchner Neuesten Nachrichten". Zum Problem Industrie und Presse in der Endphase der Weimarer Republik, in: VZG, 20 (1972), S. 7 5 - 1 0 3 ; Falk Wiesemann, Die Vorgeschichte der nationalsozialistischen Machtübernahme in Bayern 1932/33, Berlin 1975, S. 66 f. 421 Abgedruckt von Stegmann, Großindustrie, S. 449 f. 4,9
736
III.
Das zweite Kabinett Brüning
Damit begründete Schacht die Ankündigung, gemeinsam mit einigen Industriellen, mit denen er handelseinig geworden war, eine Stelle zu unterhalten, „die die wirtschaftspolitischen Ansichten des Nationalsozialismus auf die Möglichkeit hin studieren soll, sie mit dem Gedeihen privater Wirtschaft in Einklang zu bringen". Das war das deutliche Wort eines Sympathisanten über die Unzulänglichkeiten von Hitlers wirtschaftspolitischen Vorstellungen. Hinter den widerstreitenden Eindrücken über die Befähigung der NSDAP zur Wirtschaftspolitik und zur Überwindung der Krise, der für kritische Betrachter offenkundigen Unzulänglichkeit nationalsozialistischer Schlagworte und Vorstellungen und dem deutlich erkannten Mangel an sachkundigen Köpfen unter Hitlers Ratgebern kam die Einsicht zu kurz, daß sich Hitler die Gelegenheit hatte entgehen lassen oder es offenbar nicht wagte, Gedanken zur wirtschaftlichen Notlage, zur Arbeitslosigkeit und zu den Ideen öffentlicher Arbeitsbeschaffung zu entwickeln oder wenigstens anzudeuten. Ein wahrscheinlich seiner Umgebung auferlegtes Schweigegebot in dieser Hinsicht 422 trug zur lange anhaltenden Unbeweglichkeit der NSDAP bei. Vor diesem Thema, dessen Diskussion die Schwäche des Dauerregimes mit Notverordnungen enthüllte und Angriffspunkte der Regierung Brüning sichtbar machte, wich Hitler aus. Indirekt desavouierte er sogar die von Gottfried Feder, dem unermüdlichen Programm-Interpreten und Propagandisten der NSDAP, seit 1924 vertretene Idee einer Kreditausweitung durch Schaffung einer zweiten Währung in Gestalt von Staatsgutscheinen zur Abgeltung von Arbeitsleistungen und den durch sie erzeugten Werten. Dies nahm die spätere Geldpolitik des nationalsozialistischen Staates, aber auch Gedanken der Keynesianer vorweg; 423 man könnte Feder daher den ersten Keynesianer in Deutschland nennen, wenn seine teils dilettantischen, teils archaisch anmutenden, an das mittelalterliche Zinsverbot der Kirche anknüpfenden Beweggründe nicht auf ganz andere ideologische Wurzeln verwiesen, die mit den Theorien von Keynes nichts gemein hatten.
422 So Avraham Barkai, Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus. Der historische und ideologische Hintergrund 1933 — 1936, Köln 1977, S. 34, nach nicht unbedingt zuverlässigen Quellen; aber für die Vermutung spricht eine große Wahrscheinlichkeit. 423 Gottfried Feder, Kampf gegen die Hochfinanz, 5. Aufl. München 1934, S. 44, 90, 155. Zum „Federgeld" Gustav Stolper, Karl Häuser, Knut Borchardt, Deutsche Wirtschaft seit 1870, 2. Aufl. Tübingen 1966, S. 153; Barkai, Wirtschaftssystem, S. 28 f.
Die Reichsregierung bis sytr Wiederwahl Hindenburgs
Der Wagemann-Plan und die
737
Gewerkschaften
In der Kontroverse über Deflationskurs und Konjunkturpolitik gingen inzwischen stärkere Bewegungen von Stellungnahmen Ernst Wagemanns aus. Seine Prominenz in Konjunkturfragen brachte es mit sich, daß er in der aktuellen Diskussion deutlich Stellung bezog. Zunächst geschah dies in einem systematisch referierenden Bericht seines Instituts Anfang Dezember 1931 ohne Ratschlag oder Empfehlung, der den „furchtbaren Alpdruck einer Geld- und Kreditdeflation" konstatierte. 424 Einige Wochen später rief Wagemann Erstaunen und Verwunderung hervor, als er nach eingehender Diskussion unter seinen Mitarbeitern mit einem Plan an die Öffentlichkeit trat, der auf die Forderung hinauslief, Haushaltspolitik und Notenbank, unter radikaler Vernachlässigung des geschrumpften Außenhandels, in den Dienst der Konjunkturpolitik zu stellen, die Notendeckungspflicht der Reichsbank — nach entsprechender Änderung der gesetzlichen Deckungsbestimmungen — auf den außenwirtschaftlichen Zahlungsverkehr zu beschränken und das „Konsumentengeld" des Inlandes aus der Deckungspflicht herauszunehmen. Der hierdurch freiwerdende, bisher zur Deckung erforderliche Devisenbetrag von etwa drei Milliarden RM sollte durch Staatspapiere im Portefeuille der Reichsbank ersetzt, im übrigen aber zur Entschuldung der Banken und zur Belebung des Kreditmarktes verwendet werden, was einen Aufschwung zur Folge hätte. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen behandelte Wagemann nicht; aber er rückte ihr Finanzierungsproblem in das Licht einer möglichen Lösung. 425 Das Echo wäre sicherlich nicht so groß, die Empörung nicht so stark gewesen, hätte er seinen Plan, nach einem Artikel im „Berliner Börsen-Courier" am 19. Januar, nicht in der für amtliche Druckwerke bestimmten Reichsdruckerei herstellen und veröffentlichen lassen, was ihm sein Schwager, Reichswirtschaftsminister Warmbold, ermöglichte. Die durch diesen Umstand hervorgerufene Aufmerksamkeit verärgerte die Regierung, gab aber den Erörterungen über Krisenüberwindung und Arbeitsbeschaffung einen kräftigen Anstoß. Hinter dem Plan und seiner Veröffentlichung standen Warmbold, der bei der Übernahme des Ministeramtes eine Revision der von der Reichsbank verfolgten Politik zur Bedingung gestellt, aber nichts erreicht hatte, 424 Ernst Wagemann, Grundsätze der Geldschöpfung, in: Wirtschaftswende. Zeitschrift für Wirtschaftserneuerung, H. 2 [1932], 425 Ernst Wagemann, Geld- und Kredit-Reform, Berlin 1932; Schulthess 1932, S. 12f.; kritisch Kroll, Weltwirtschaftskrise, S. 396 ff.; Kritik von Carl Landauer und Gustav Stolper im Deutschen Volkswirt a. a. O., S. 399 ff.; Marcon, Arbeitsbeschaffungspolitik, S. 63 f.
738
III. Das rQveìte Kabinett Brüning
und, mit ihm und Wagemann verbunden, ein Freundeskreis, dem Hermann Schmitz, Wichard v. Moellendorf und Heinrich Bachem von der gewerkschaftlichen Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten zugehörten. 426 Am 21. Januar wurde Wagemanns Entwurf in einem größeren Kreis im ,Club von Berlin' diskutiert, am nächsten Tag im Generalrat der Reichsbank. 427 Luther, der sich durch eine stark beachtete polemische Schrift über Fehler und Unterlassungen während der Bankenkrise im Sommer angefeindet sah 428 , reagierte besorgt; der Reichskanzler war irritiert, sah „reparationspolitisch eine ganz unmögliche Situation" entstehen 429 und in der Öffentlichkeit — auch im Zentrum — Unsicherheit und Empörung heraufziehen. 430 Staatssekretär Schäffer äußerte sich gereizt und befremdet sowohl über den Überraschungscoup Wagemanns als auch über die Art der Behandlung in der Öffentlichkeit; beides erinnerte ihn „an die Form, in der Heil- und Reinigungsmittel ... einem großen Publikum angepriesen werden". 431 Wagemanns Vorstoß konnte verbittern, zumal er in dieser Form unnötig war. Der mißtrauische Brüning verdächtigte ihn der geheimen Konspiration mit „gewissen Kreisen der Reichswehr und den Deutschnationalen". 432 Die Erregung verhinderte eine sorgsame Erörterung der Kerngedanken Wagemanns, die originell waren. Ohne unmittelbar eine Kreditausweitung für die Zwecke der Arbeitsbeschaffung zu empfehlen, versuchte er, über den Währungsmechanismus einen Auftrieb in die Wirtschaft zu bringen. Die Erweiterung der Kreditmöglichkeiten hätte der Arbeitsbeschaffung dienen können. Der Geldmarktzins sollte gesenkt werden, ohne daß man um inflationäre Folgen besorgt sein mußte. Wagemann rechnete mit der Verfügbarkeit mehrerer Milliarden Reichsmark. Aber wahrscheinlich ist ihm nicht ganz ohne Grund die Absicht nachgesagt worden, hiermit erst den Anfang der Konjunkturbelebung zu bezeichnen, während sein Ziel darin gelegen habe, auf dem internationalen Kapitalmarkt Anleihen für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen größeren Stiles aufzunehmen.
426
Abschriften von Aufzeichnungen und Mitteilungen des Konsuls Respondek für
Reichsbankdirektor Nordhoff, von diesem Luther zugeleitet; BA, Nachl. Luther/151. 427
Tagesberichte Luthers v o m 21. und 22. Januar; BA, Nachl. Luther/367.
428 p r i e s t e r > Geheimnis. Vorgänge und Korrespondenz hierzu B A , Nachl. Luther/151. 429
Tagesbericht Luthers v o m 28. Januar; Schulz, Politik, 2, S. 1240 ff.
430
Tagesbericht Luthers v o m 29. Januar; a. a. O., S. 1245 — 1248.
411
Schäffer an Wagemann, 28. Januar; a. a. O., S. 1243 ff.
432
Brüning, Memoiren, S. 504.
Die Reichsregierung bis %ur Wiederwahl Hindenburgs
739
Die Regierung befaßte sich mit den Gedanken Wagemanns in wenig freundlicher Weise in zwei Chefbesprechungen. 433 Brüning sah „durch die Wirkungen, die der Plan in der Öffentlichkeit" auslöste, „die Politik der Reichsregierung gefährdet ... Das Ausland würde glauben, daß Deutschland nun versuchen werde, durch künstliche Kreditschöpfung seine Wirtschaft zu verbessern und den Reparationszahlungen zu entgehen." Luther erblickte bereits „in dem Plan von Wagemann die Inflation". Die vorgesehenen Maßnahmen seien nur in einem Land möglich, „das Gold im Übermaße angehäuft hätte, nicht aber in einem verarmten Volke". In der nächsten Chefbesprechung wies der Reichskanzler auf einen vertraulichen Brief des Syndikus Fonk von der Wirtschaftsvereinigung der Zentrumspartei hin, demzufolge Änderungen der Währung überall in Deutschland größte Bedenken wachrufen würden. Man brauchte dieses Gespenst nur an die Wand zu malen. Der Versuch, Wagemann von einem Vortrag abzubringen, zu dem ihn die Studiengesellschaft für Geld- und Kreditwirtschaft aufgefordert hatte, mißlang. Die Reichsregierung hielt es danach für angeraten, Luthers Warnungen zu berücksichtigen und mit einem amtlichen ablehnenden Kommunique ebenfalls an die Öffentlichkeit zu treten. 434 Der Text für die Presse wurde von Dietrich milde formuliert, der zu vermitteln versuchte und meinte, daß „an dem Plan manches richtig" sei; „die Bombe sei aber zu früh geplatzt". Durch schnelle und heftige Reaktionen konnten befürchtete außenpolitische Auswirkungen sowohl des Planes als auch der anhebenden Diskussion vermieden werden. Doch der Reichskanzler mußte sich innerpolitisch auf eine neue, veränderte Lage einstellen. Die vertagte Klärung der Reparationsfrage ließ in der Öffentlichkeit das politische Interesse an dem Komplex, in dem er auf Erfolge rechnete, zurücktreten, während Arbeitsbeschaffung und „Ankurbelung der Wirtschaft", die nicht zum Programm der Regierung gehörten, die allgemeine Aufmerksamkeit zusehends stärker beanspruchten. Auf der Linken ergriffen die Gewerkschaften die Initiative, was angesichts der unaufhörlich wachsenden Arbeitslosigkeit, die zum Monatsultimo Februar 1932 ihren Höchststand erreichte, und angesichts schwindender Mitgliederzahlen und Beitragsaufkommen unvermeidbar schien. Daß Verbindungen des Welthandels förmlich zusammenbrachen, somit die Aussichten einer wirtschaftlichen Belebung von der Außenwirtschaft her zusehends entschwanden und daß binnen weniger Monate 22 Staaten 433
28. und 29. Januar; A R : Brüning, 3, S. 2241 f., 2246 ff.
434
Schulthess 1932, S. 19 f.
740
III.
Das zweite Kabinett
Brüning
dem englischen Beispiel folgten und aus dem Block der Länder mit GoldDevisen-Deckung der Währungen ausschieden, berichtete Eggert Mitte Februar 1932 dem Bundesausschuß des ADGB. Einige dieser Staaten gingen zur Devisenbewirtschaftung über, andere erhöhten die Zollschranken und verfügten Einfuhrkontingente bzw. Einfuhrverbote. Man konnte noch mehr Folgen in Deutschland anführen, die einen wirtschaftlichen Sonderweg anzeigten: etwa den Übergang der Konsumenten auf billigere Inlandsprodukte, vom Kaffee bis zum Obst, den steten Rückgang importierter Konsumwaren, den eine rege Propaganda für Versorgungsautarkie nachhaltig förderte. Eggert verknüpfte dies mit der Einsicht: „Wir können in Deutschland nicht so lange warten, ohne den Versuch zu wagen, durch Arbeitsbeschaffung der öffentlichen Hand die Not und das Elend, das die kapitalistische Wirtschaft heraufbeschworen hat, fühlbar zu mildern." 435 Das leitete eine Revision jener Stellungnahme ein, die Leipart noch zwölf Tage vorher mit der Aussichtslosigkeit einer gemeinsamen Erörterung des WTB-Planes im ADGB sowie in der SPDFührung begründet hatte. 436 Anderseits erwiesen sich einzelne Notprojekte, die die Gewerkschaften förderten oder mit Sympathie verfolgten, bei weitem nicht mehr als ausreichend. Das galt sowohl für das probate Verlangen nach Arbeitszeitverkürzung als auch für die seit August 1931 diskutierte und von einer Anzahl Kommunen schon in die Tat umgesetzte Idee billiger Stadtrandsiedlungen für die Familien Arbeitsloser, einer neuen, zeitgemäßen und notbedingten Abart des Schrebergartensystems. Es galt für die Förderung des Kleinwohnungsbaus 437 sowie der ländlichen Ansiedlung, die in allen bekannten Formen beträchtlicher Aufwendungen und einer großen Organisation bedurfte; diese war wohl in Gestalt der Gesellschaft für innere Kolonisation vorhanden, jedoch weder auf Massennotstände der Zeit vorbereitet noch zur angemessenen Reaktion geeignet. 438 Nach langer Diskussion, in der sowohl der WTB-Plan als auch der Plan Wagemanns Fürsprecher und Gegner fanden und Woytinski und Tarnow ebenso wie Naphtali ausführlich ihre Standpunkte vertraten, schließlich die Forderung nach Verstaatlichungen und vom kapitalistischen System unabhängigen Lösungen laut wurde, um der Eisernen Front eine revolutionäre Parole zu geben, nahm der Bundesausschuß des 435 436 437 438
15., 16. Februar; Jahn, Gewerkschaften, S. 500. a. a. O., S. 478 f. Antrag der Reichstagsfraktion der SPD vom 16. Februar; DrS RT, Bd. 452, Nr. 1323. Vgl. Boyens, Siedlung, II, S. 73 — 103. Hierauf ist weiter unten zurückzukommen.
Die Reichsregierung
bis %ur Wiederwahl
Hindenhurgs
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ADGB eine Entschließung an, die weiterhin der „aktiven Außenpolitik" der Regierung Rückhalt gab, aber doch eine „Arbeitsbeschaffung großen Ausmaßes" anmahnte. Was bisher akzeptiert wurde, sollte ein Ende finden: „Den verhängnisvollen Deflationsexperimenten der Notverordnungen muß endlich eine positive Politik der Wirtschaftsförderung folgen... Von der planmäßigen Arbeitsbeschaffung hängt die Existenz von Volk und Staat ab." 439 Die Abwendung von der Deflationspolitik, Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung und ihre Finanzierung nach Plan wurden zu Forderungen der Stunde, die nach einer politischen Wende verlangten. Um sie inhaltlich auszugestalten, beschloß der Bundesausschuß des ADGB, für Ende März einen außerordentlichen Gewerkschaftskongreß einzuberufen. Er wurde dann allerdings kurzfristig, erst am 21. März, auf den 13. April verschoben. 440 Der Leiter der Polizeiabteilung im preußischen Innenministerium, Klausener, nahm Anregungen von Seiten der beiden großen Kirchen auf und schlug im Namen seines Ministers der Reichskanzlei eine Unterbrechung des Wahlkampfes für die Reichspräsidentenwahl und der mit ihm verbundenen ausartenden politischen Aktionen vor — durch ein Verbot aller politischen Versammlungen für die Osterzeit, vom 17. bis 31. März. Es sollte nicht für den Kongreß der Gewerkschaften gelten. 441 Doch die Reichsregierung entsprach diesem Wunsch durch Erlaß einer Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des inneren Friedens, 442 die sie durch eine gesonderte „Osterburgfriedensverordnung" ergänzte, die für die gleiche Zeit „jede Art der öffentlichen Verbreitung von Plakaten, Flugblättern und Flugschriften politischen Inhalts" verbot. 443 Sie brachte sich damit im Hinblick auf den Gewerkschaftskongreß selbst in Interpretationsschwierigkeiten, da Brüning und Stegerwald eingeladen worden waren. Beide gaben dem „Osterfrieden" den Vorzug, sagten ihre Teilnahme ab und versuchten eine Vertagung des Kongresses zu erreichen, 444 was in später Stunde zum Erfolg führte und dem Kanzler zwei Wochen Atempause verschaffte. Es steht außer Frage, daß der Gewerkschaftskongreß mit dem Tagesordnungsthema eines großen Arbeitsbeschaf-
Jahn, Gewerkschaften, S. 513. a. a. O., S. 528, 531. 441 Vorgänge BA, R 43 1/586. 442 Vom 17. März (RGBl I, 1932, S. 133). 443 AR: Brüning, 3, S. 2369 ff. 444 Schreiben des A D G B an den Reichskanzler, 12. u. 21. März; BA, R 43 1/2024; Reichsministerbesprechung am 18. März; AR: Brüning, 3, S. 2291 f. 439
440
742
III. Das £¡veite Kabinett Brüning
fungsprogramms der Reichsregierung ungelegen kam, da sie hierauf nicht vorbereitet war. Die Wahlkämpfe des Frühjahrs spielten sich in einer höchst erregten Bevölkerung ab und forderten eine Reihe von Todesopfern. Die Reichsregierung durchstand diese Phase, ohne ein innerpolitisches Programm zu vertreten, obgleich inzwischen auch die sozialdemokratische Reichstagsfraktion in mehreren Initiativentwürfen zu Gesetzen, die an den Reichstag gingen, nicht beim Kleinwohnungsbau stehenblieb. Sie hatte sich für — noch nicht näher bestimmte — weitere Maßnahmen auf eine Prämienanleihe geeinigt, die durch günstige Verzinsung und Steuerbefreiung die angeblich hohen Summen gehorteter Banknoten verflüssigen und für die Arbeitsbeschaffung nutzbar machen sollten. Das war bei weitem keine Maßnahme im Sinne des WTB-Planes, aber immerhin etwas Neues. Eine größere Annäherung an diesen Plan bezeichnete der Bericht des Zentralausschusses des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates vom 12. März, der nach siebenwöchiger Beratung von einem Gremium einstimmig angenommen wurde, dem neben den Gewerkschaftlern Leipart, Eggert, Tarnow und Umbreit aus dem Unternehmerlager Hamm, Kastl, Kraemer, Solmssen und Mulert vom Deutschen Städtetag angehörten. 445 Der Bericht empfahl außer der Auflösung von Geldhortungen, die man auf eine Milliarde RM schätzte, neue „verantwortliche Träger für die Aufnahme der Kredite", neben Reichsbahn und Reichspost bestimmte Genossenschaften sowie einige andere Organisationen öffentlichen Charakters, außerdem zur Beschaffung von Mitteln neu zu bildende Finanzierungsinstitute, die die Ertragsfahigkeit der Projekte „zu prüfen und zu überwachen" und hierfür diskontfähige Wechsel auszugeben hätten, die die Reichsbank einlösen sollte. An der Reichsbank kam dieser Entwurf allerdings nicht vorbei. Insofern erscheint es übertrieben, wenn die „Gewerkschafts-Zeitung" triumphierte, der Reichswirtschaftsrat habe „anerkannt und bewiesen, daß der Staat vielen Hunderttausenden von Arbeitslosen Arbeit schaffen kann und daß die Finanzierung der öffentlichen Arbeiten und Aufträge großen Umfanges ohne GeJahr für die Währung möglich ist".446 Aber immer mehr Menschen richteten ihre Hoffnungen auf diese neuerdings erklärten Fähigkeiten des Staates.
445
Abgedruckt Bonibach, Keynesianismus II, S. 1 7 7 - 1 9 2 ; Schulz, Politik, 2, S. 1 3 1 9 -
1329. 446
Zit. Heinrich A . Winkler, Katastrophe, S. 505 f.
Die Reichsregierung bis %ur Wiederwahl H¡/Idenburgs
Erzwungene Verwaltungsreform
743
in Preußen
Die Reichsregierung befaßte sich unterdessen mit Sanierungsaufgaben, die ihr weder Anhänger noch Freunde gewannen. Eine neue Phase stärkerer staatlicher Eingriffe in das Wirtschaftsleben begann schon mit dem Gedanken, einen Reichskommissar für die Preisüberwachung einzusetzen, dessen Tätigkeit durch Notverordnung begründet wurde. Er trat an die Seite des Reichssparkommissars, der sich auf gutachtliche Äußerungen beschränkte — freilich solche von großer Gründlichkeit und zunehmendem Gewicht —, und des Reichskommissars für das Bankwesen, machte aber bald noch mehr von sich reden. Auf die Bestellung des neuen Kommissars hatte der Reichsbankpräsident nachhaltig gedrungen, der Widerspenstigkeiten der preußischen Verwaltungen befürchtete. Die Kommission und die Ernennung Goerdelers stießen auch sogleich auf lebhaften Protest des preußischen Staatssekretärs Weismann im Reichskabinett. 447 Der Handlungsspielraum des Preußischen Staatsministeriums wurde indessen fortschreitend eingeengt. Ministerpräsident Braun stand kurz vor Vollendung des 60. Lebensjahres. An der Seite einer schwerkranken Frau, die sich überwiegend in der Schweiz aufhielt, ließ er seit Herbst 1931 Zeichen der Amtsmüdigkeit und politischen Resignation erkennen. 448 Am 23. November erschien er, gemeinsam mit Finanzminister Klepper, bei Brüning, um ihm mitzuteilen, daß sich Preußen nicht in der Lage sehe, die zum 1. Dezember fälligen Beamtengehälter zu zahlen; es benötigte in den nächsten Tagen einen Kassenkredit des Reiches in Höhe von 50 Millionen RM, bis Jahresultimo weitere 76 Millionen und bis Ultimo März 1932 erneut 146 Millionen. 449 „Brüning reagierte eisig." 450 Er sah keinen Weg, durch eine Reichsdotation Preußen zu helfen. Erst nach längeren Auseinandersetzungen fanden sich Reichskanzler und Reichsfinanzminister am 2. Dezember bereit, über die Reichsbank einen dürftigen Kredit von 35 Millionen RM für Preußen zu finanzieren.451 Als Gegenleistung verlangte Brüning einen Druck Brauns auf die Sozialdemokratie, nicht auf einer Einberufung des 447 Tagesbericht Luthers, 26. November 1931; Schulz, Politik, 2, S. 1 1 1 4 f . Das kurze Protokoll der Reichsministerbesprechung enthält hierzu nichts; AR: Brüning, 3, S. 2013 ff. 448 Schulze, Braun, S. 710 ff. 449 Vermerk Pünders; AR: Brüning, 3, S. 2001 f.; Schreiben Brauns an Brüning, 28. November; a . a . O . , S. 2022 f.; Eintragung Schäffers; IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch, 23. November. 450 Schulze, Braun, S. 712. 451 AR: Brüning, 3, S. 2036 f.
III. Das %u>eite Kabinett
744
Brüning
Reichstags zu bestehen. Für den Ministerpräsidenten war dies kein schwer erfüllbares oder mit Widerstreben erfülltes Verlangen. Aber die Begrenzung der an Bedingungen geknüpften Reichshilfe 452 ließ keinen Zweifel, daß Brüning mehr als an der Stützung Preußens an der Abhängigkeit des Landes von der Reichsregierung lag. Dieser Druck, den die Reichsregierung auf Preußen ausübte, genügte, um die Sparpolitik des Reiches in Einsparungsmaßnahmen der preußischen Regierung umzusetzen. Durch die Dietramszeller Notverordnung war sie zu eigenen Notverordnungen aus abgeleitetem Recht, unabhängig vom preußischen Verfassungsrecht, ermächtigt, sogar aufgefordert. 453 Eine preußische Notverordnung vom 23. Dezember 1931 bereitete radikale Maßnahmen vor, die die Reichkommissare dann Ende Juli vollzogen. Sie hoben 60 Amtsgerichte und 58 Landratsämter auf, verfügten die Aufhebung eines Oberpräsidiums, einer Bezirksregierung und einige Vereinfachungen der gesamten inneren Verwaltung, beseitigten die Eigenständigkeit der Landeskulturverwaltungen, legten alle an einem Ort befindlichen staatlichen Kassen zusammen und gliederten Handelsund Gewerbeverwaltungen zu einem großen Teil in die allgemeine innere Verwaltung ein. 454 Dies sollte zum 30. September 1932 in Kraft treten, nach dem Willen Kleppers erst ein Anfang sein. Schon in dieser Hinsicht konnte der Finanzminister im Zusammenwirken mit dem Innenministerium und dem Justizministerium in kurzer Zeit eine beachtliche Leistung vorweisen; die schnelle Durchführung wirft freilich die Frage auf, warum Preußen erst zu später Stunde und in großer Not eine zeitgemäße Neuordnung der Verwaltung begann. Auf der anderen Seite der Bilanz steht das völlige Scheitern des übereilten Planes von Klepper, die Schlachtsteuer erheblich zu erhöhen, um zusätzliche 100 Millionen RM 452
Natürlich läßt dies Rückschlüsse auf die Rangordnung der Probleme, die Brüning
beobachtete, und auf seine Motive zu. Man vergleiche hiermit die weiter unten behandelte Osthilfe und die Bankensanierung in ihren Größenordnungen. Tatsächlich kam es gar nicht zu der ins A u g e gefaßten Bildung eines Bankenkonsortiums unter Führung der Reichsbank. Auch ein Etatausgleich in Preußen kam nicht mehr zustande. Vgl. A R : Brüning, 3, S. 2128 ff. 453
Die Gesetzgebung war schon v o r der Landtagswahl in Preußen am 24. April 1932
nahezu völlig zum Erliegen gekommen. 1932 wurden insgesamt sieben Gesetze auf parlamentarischem Wege verabschiedet, bis zum 20. Juli 16 Verordnungen nach reichsrechtlicher Ermächtigung erlassen. Vgl. Möller, Parlamentarismus, S. 428, 453 f. Im übrigen bezieht sich die verfassungsgeschichtlich konzipierte Arbeit von Möller in ihrer Argumentation, Thesenbildung und Darstellung überwiegend auf das Preußen der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre. 454
Zweite Sparverordnung vom 23. Dezember ( G S 1 9 3 1 , S. 293), s. S. 952.
Die Reichsregterung bis %ur Wiederwahl Hindenburgs
745
in den Etat einzustellen. Danach wurde die zu einem politischen Dauerproblem heranreifende Preußenfrage zum Gegenstand fortgesetzter Verhandlungen über den Haushalt. 4 5 5 Offenkundig bemühte sich Klepper um einen Ausgleich mit dem Reichsfinanzministerium. Jedenfalls war er nicht nur ein Vertreter der preußischen Interessen. Die später bekundete Enttäuschung Otto Brauns über diese Wahl mag auch hierin begründet sein. Sein negatives Urteil wurde allerdings von Brüning noch überboten. Doch im Unterschied zu Braun und Brecht bemerkte Brüning über Klepper, daß „ihm sehr schwer beizukommen" war, weil er in Besprechungen mit der Reichsregierung sachlich operierte, aber die preußischen Ressorts „insgeheim" anders beeinflußte. 456 Er verdächtigte ihn also einer Art doppelten Spieles, was nur dann einen Sinn ergibt, wenn Klepper konkurrierenden Intentionen ausgesetzt war, etwa des Preußischen Staatsministeriums und des Reichskanzlers. Gewiß war sich Brüning der Möglichkeit bewußt, die Zügel finanzpolitischer Maßnahmen, die das Reich dank des Notverordnungsrechts des Reichspräsidenten besaß, straffer anzuziehen und Preußen so zu strangulieren, daß am Ende das Ziel der Beherrschung auch ohne dramatische Aktionen erreicht werden konnte. Diese Seite der Reichsreformbestrebungen, über die Brüning wenig sprach, während er die außenpolitischen Gesichtspunkte hervorhob, darf nicht außer acht bleiben. Festzuhalten ist, daß sich Brüning um eine abgesicherte Stellung in Preußen bemühte. In einem Brief an Severing führte Braun Klage über Klepper, der „in dem begreiflichen Bestreben, die Schwierigkeiten der Kassenlage zu beheben, sich von gewissen Reichsstellen zu Zusicherungen in bezug auf die Gestaltung des Etats drängen" lasse, „die im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen aus politischen Gründen nicht erfüllt werden können". 4 5 7 Brauns Brief kreuzte sich mit einem Brief Severings an ihn, 4 5 8 in dem sich der preußische Innenminister aus anderen Gründen über die „politische Naivität" Kleppers beschwerte. Severings Bemühungen galten dem Zweck, Gehaltskürzungen für preußische Beamte und die vorgesehene Schlachtsteuer zu verhindern, von Klepper politisch ausgehandelte Maßnahmen, die der preußischen Staatsregierung unpopulär schienen und
455
Hierzu Vermerk von Vogels; A R : Brüning, 3, S. 2259 ff.; Tagesbericht Luthers,
5. Februar; Schulz, Politik, 2, S. 1261 f. 456
Brüning, Memoiren, S. 4 8 2 f.
457
Braun an Severing, 21. Januar 1932; AsDB, Nachl. Severing/20.
458
23. Januar; AsDB, Nachl. Severing/38.
746
III. Das %weite Kabinett
Brüning
sich bei den künftigen Wahlen ungünstig auswirken konnten. Klepper hatte versucht, durch Nachweis des guten Willens innerhalb seiner Ressortzuständigkeit Mittel des Reiches für den Kassenausgleich in Preußen zu erlangen. Staatssekretär Weismann deutete an, daß er hierfür sogar Zusagen Brünings erhalten hatte. Dennoch hielt es der Vorstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion für geraten, einen Vorstoß beim Reichskanzler zugunsten der preußischen Forderungen zu unternehmen, offenkundig unter dem Eindruck, daß die preußische Regierung mit Brüning Verhandlungen über die Zukunft preußischer Institutionen führte, die die SPD und ihre Reichstagsfraktion keineswegs wünschten. Diese Intervention der Partei, die von Breitscheid und Hilferding ausging, hielt Severing für „eine Herabminderung der Autorität der Staatsregierung". Inzwischen hatte sich auch das preußische Zentrum in die Verhandlungen eingeschaltet. Braun grollte; Severing schrieb er: „Die Einmischung des Reichstagsfraktionsvorstandes oder einiger seiner Mitglieder in unsere preußischen Angelegenheiten ... konnte in dem Stadium, wo sie erfolgte, nur schaden und zwar nicht nur der Autorität der preußischen Regierung, sondern auch der Sache, um die es ging ... Brüning weiß doch sehr gut, daß ein Sturz seiner Regierung in seinen weiteren Auswirkungen schließlich für die Sozialdemokratie nachteiliger sein kann als für das Zentrum." 459 Nur wenige Zeugnisse überliefern, wie Otto Braun über die Situation Anfang 1932 angesichts einer möglichen Niederlage Brünings dachte. Offensichtlich sah er schon etwas weiter, hielt er aber die Unterstützung Brünings um fast jeden Preis für wichtiger als Kritik oder gar eine den Reichskanzler gefährdende Opposition. An eine Alternative vermochte der preußische Ministerpräsident, der bislang stets „bereit war, in ausgesprochenen Krisenlagen das erschwerende Mittel des Parlamentarischen zu verlassen", 460 nicht zu denken.
459
Braun an Severing, 26. Januar; a. a. O. Es ist verwunderlich, welche Interpretationen
der für sich genommene letzte Teil dieses Zitats gefunden hat und in welche Zusammenhänge es eingerückt worden ist. Ehni, Bollwerk, S. 234, Anm. 29, bewertet es als K o m mentar Brauns zur Aufkündigung der Tolerierungspolitik der S P D in einer Stuttgarter Rede von Otto Wels am 3. Dezember 1 9 3 1 , die der Vorwärts am nächsten Tage veröffentlicht hatte. Auch Schulze, Braun, S. 716, sieht hierin eine Stellungnahme Brauns zu der im Herbst 1931 geführten innerparteilichen Diskussion über die Tolerierung der Regierung Brüning. Ähnlich Heinrich A . Winkler, Katastrophe, S. 474, der sogar eine Übereinstimmung mit Hilferding konstatiert, gegen den sich das Zitat ebenso wandte wie gegen Wels. m
Schulze, Braun, S. 645.
Die Reichsregierung bis i(ur Wiederwahl Hindenburgs
747
Braun und Klepper verhandelten am 5. Februar mit Brüning, Graf Schwerin v. Krosigk, Luther und Reichsbankvizepräsident Dreyse über die „Preußenfrage": nun die Möglichkeit einer weiteren Reichshilfe zum Ausgleich des preußischen Etats. Schwerin v. Krosigk unternahm den Vorstoß; Luther gab ihm erkennbare Rückendeckung: Man sei auf den Gedanken gekommen, die gesamte preußische Justizverwaltung auf das Reich zu übernehmen. 461 Die Kosten für das Reich sollten durch Münzgewinn und durch Einsparungen bei den knappen Wohlfahrtszuschüssen für die Gemeinden aufgebracht werden, sofern im Rahmen des Gesamtplanes zur Änderung der Arbeitslosenfürsorge die Arbeitslosenversicherung „auf ein oder zwei Jahre sistiert werde". Klepper zeigte sich bereit, auf diese Vorschläge einzugehen. Braun lehnte zunächst den Handel ab; die Justizübertragung sei vielleicht möglich, bleibe aber in erster Linie eine Verfassungsfrage und sei nicht von der Finanzseite her zu lösen. Klepper bot daraufhin dem Reich die Siedlungsbank und die Landesrentenbank an, deren Aufwendungen von Preußen nicht mehr getragen werden konnten. Nach Luthers Aufzeichnung schloß diese Besprechung mit der Bemerkung des deprimierten Braun: „Jede Sache müsse mal ein Ende nehmen; er mache nicht mehr mit." So deutlich Braun zu resignieren schien, so wenig genügte dies, die preußischen Probleme zu lösen, die weitere Verhandlungen mit dem Reich erforderten. Schon am 12. Februar setzte sich Klepper in einer Sitzung des Staatsministeriums auf der ganzen Linie mit dem Entwurf eines Vertrages zwischen dem Reich und Preußen durch, der die weitestgehende Erfüllung der Wünsche des Reiches enthielt. Gegen Zahlungen des Reiches in Höhe von mindestens 50, höchstens 100 Millionen RM während des Rechnungsjahres 1932 und einige spätere Leistungen willigte Preußen in die Abtretung sämtlicher Anteile an der Deutschen Siedlungsbank, der Preußischen Landesrentenbank, der ländlichen Siedlungsgesellschaften, weiterer Forderungen an die Landesrentenbank und in eine Reform der Arbeitslosenfürsorge mit dem Ziele einer Entlastung der Gemeinden ohne weitere Zuschüsse des Reiches für die Wohlfahrtserwerbslosenfürsorge. Über die bereits beschlossene Verwaltungsreform hinaus sollten „sofort mit dem Reich Verhandlungen über eine gemeinsame Reform der Reichs- und preußischen Verwaltung" eingeleitet werden; nur die Landeskulturämter blieben hiervon ausgenommen. Das Preußische Staatsministerium gab nach und unterwarf sich den bis dahin
s. oben Anm. 455.
748
III. Das ¡pveite Kabinett Brüning
vorgebrachten Forderungen des Reiches. 462 Am 1. März schien der Reichskanzler endlich bereit, für 1932 100 Millionen RM in den Reichsetat einzustellen, die „als Gegengabe für die preußischen Siedlungsanteile" an Preußen gehen sollten, wurden die Preußische Landesrentenbank, die Preußische Siedlungsgesellschaft sowie die preußischen Anteile an der Deutschen Siedlungsbank dem Reich übergeben, was den Rückzug Preußens aus der Osthilfe und der gesamten Siedlungspolitik, der im Herbst 1931 eingesetzt hatte, nahezu vollendete. 463 Brüning machte den Abschluß allerdings von der Aufstellung eines Gesamtplanes der Reichsregierung „zur Umgestaltung der Sozialversicherung, der Förderung der Siedlung und der Arbeitsbeschaffung" abhängig. Hierzu ist es nie gekommen; die preußische Regierung erhielt weder unter Brüning noch unter Papen eine Reichshilfe für den Etatausgleich. 464 Ganz zu Unrecht, wie sich schnell herausstellte, wähnte sie sich von ihren Sorgen befreit. Doch die weitgehende Bindung Preußens an die Entscheidungen der Reichsregierung und der geheimgehaltene, der Öffentlichkeit und auch den hohen Beamten verschwiegene und sekretierte Vertragsentwurf kündigten die Kapitulation Preußens schon im Februar 1932 an; es bedurfte gar keiner Unterzeichnung eines „Abkommens" 465 , nicht einmal der Erfüllung der preußischen Erwartungen durch das Reich. Preußen blieb äußerlich noch selbständig, um den „a latere-Einfluß" 466 der Sozialdemokratie abzudecken; aber Brüning war in der Tat jederzeit in der Lage, die „preußischen Dinge" zu übernehmen. 467
462
In ungewöhnlicher Form am 13. Februar v o n Weismann selbst protokollierte Be-
schlüsse einer Ministerratssitzung am 12., „streng vertraulich zu behandeln"; Abschr. G e h S t A B , Rep. 90, A/40. Außer dem Ministerpräsidenten, den Staatsministern und dem Protokollanten sind als Anwesende verzeichnet die Staatssekretäre Lammers, Krüger, Hölscher und Schleusener sowie der Ministerialdirektor Brecht. Schulze, Braun, S. 714, erwähnt seinen wichtigen Fund nur beiläufig. 463
Vermerk Pünders v o m 1. März und die beiden folgenden Aktenstücke; A R : Brüning,
3, S. 2343 ff. Preußen verblieb ein Anteil an der Zentralgenossenschaftskasse. Stegerwald bestand auch auf einer Reorganisation der Preußen verbleibenden Kulturverwaltung zu einem späteren Zeitpunkt. 464
Schulze, Braun, S. 714, spricht von einer definitiven Lösung, sogar schon unter dem
19. Februar. Hiervon kann keine Rede sein. Das v o n Klepper verfaßte Protokoll mit festen Terminen wurde v o m Reichskanzler zurückgewiesen. A R : Brüning, 3, S. 2 3 4 4 f. 465
Schulze, a. a. O., S. 715.
466
Eine Bemerkung Brünings im kleinen Kreis; IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch, 7. April.
467
Pünder an Brüning in Genf, 27. April; AR: Brüning, 3, S. 2474.
Die Reichsregierung
bis t(ur Wiederwahl
Hindenburgs
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Reichsbindung der Großbanken Parallel zu den Verhandlungen zwischen dem Reich und Preußen verliefen die Beratungen über eine Sanierung der Banken, die weitaus mehr Zeit und Aufmerksamkeit des Reichskanzlers in Anspruch nahmen. Im Wirtschaftsausschuß des Reichskabinetts überraschte Luther am 13. Januar die Anwesenden mit der Mitteilung, daß er hinsichtlich der Umorganisation der Banken noch mit einem bedeutsamen Vorschlag hervortreten werde. 468 In einer der nächsten Sitzungen des gleichen Tages führte er dann aus, daß durch die Entwicklung des Geschäftsjahres die Reichsbank einen erheblichen Gewinn ausweisen könne, der nach dem Bankgesetz zur Reservestellung verwendet werden müsse. Es ließe sich jedoch erwägen, diese Reservestellung nur in einer indirekten Form vorzunehmen, die Reserve nicht bei der Reichsbank, sondern bei den deutschen Banken anzulegen, um diesen die Aufstellung der Jahresbilanz zu erleichtern. Hierzu war allerdings die Abänderung des Reichsbankgesetzes durch Notverordnung erforderlich; aber die in Frage stehende Bestimmung war nicht international vertragsrechtlich gebunden, so daß der bekundeten Absicht nichts im Wege stand. Die Bezifferung des Überschusses sorgte für eine weitere Überraschung. Luther hielt eine Summe von rund 150 Millionen für wahrscheinlich, die zur Bankenstützung verwendet werden konnten. Damit meinte er ein umfangreiches Programm, das die größten deutschen Banken, die notleidend waren, wieder geschäftsfähig zu machen versuchte. Das Reich mußte hierfür erhebliche Mittel aufwenden, wollte jedoch eine Verstaatlichung, auch den Anschein einer Verstaatlichung, unbedingt vermeiden. Man rechnete mit 700 — 800 Millionen RM und dachte nach den Plänen des Reichsfinanzministeriums an die Entwicklung dreier Typen von Banken. Die Dresdner Bank sollte mit der zusammengebrochenen Danatbank verschmolzen werden, was insgesamt eine Summe von 463 Millionen RM für Abschreibungen erforderte. In einer anderen typischen Großbankorganisation sollte die Reichsbank die Führung übernehmen, in einer dritten das Privatkapital überwiegen. 469 Dietrich erwartete, daß die Banken nach der Sanierung imstande seien, der Industrie den nötigen Rückhalt zu gewähren.
Vermerk Pünders, 14. Januar; a. a. O., S. 2168 f. Protokoll Feßlers über die Chefbesprechung zur Bankenfrage am 2. Februar; a. a. O., S. 2 2 5 5 - 2 2 5 8 . 468
m
750
III.
Das £weite Kabinett Brüning
Der Wirtschaftsausschuß des Kabinetts trat täglich mehrmals zusammen, um die Bankensanierung zu erörtern. 470 Erst nach längeren Verhandlungen gelang die Einigung, die am 22. Februar den Bevollmächtigten der Länder zum Reichsrat, nach kurzer fernmündlicher Einladung, in ungewöhnlicher Verbindung mit der Sitzung eines Unterausschusses des Reichstags vom Reichsfinanzminister vertraulich mitgeteilt wurde. 471 Inzwischen war auch die Commerz- und Privatbank Gegenstand eines umstrittenen Sanierungsplanes geworden, bezifferten sich die Verluste der Deutschen Bank insgesamt auf 250 Millionen RM, die der Commerzund Privatbank auf 102 Millionen; die der ADCA blieben noch offen, während die der Dresdner Bank auf 270 Millionen und die der Danatbank auf 245 Millionen RM veranschlagt wurden. Sämtliche Verluste der Großbanken erreichten also eine Größenordnung nicht weit unterhalb einer Milliarde. Der Sanierungsplan sah vor, daß die Deutsche Bank reine Privatbank und ohne Beteiligung des Reiches blieb. Die Verlustabdeckung erfolgte im wesentlichen durch Zusammenlegung von Aktien; außerdem wurden Zeichnungen und Beteiligungen der Industrie erwartet. Dies hob die in schwierigster Lage befindliche Deutsche Bank aus der Misere der anderen Großbanken heraus. Die Commerz- und Privatbank wurde mit dem Barmer Bankverein zusammengelegt und übernahm dessen Aktien im Werte von 13 Millionen RM. Die Reichsbank legte Kapital und Reserven in Höhe von mehr als 51 Millionen zu, während die Reichsregierung 3,9 Millionen aufbrachte; im übrigen wurden das Aufbrauchen der stillen Reserven und eine starke Zusammenlegung der Aktien von zehn zu drei beschlossen. Die ADCA konnte durch Übergang von Verpflichtungen auf das Reich in Höhe von über 18 Millionen RM saniert werden, die die Bank später abtragen mußte. Die Aktien der Dresdner Bank und der Danatbank wurden ebenfalls durch einen scharfen Schnitt von zehn zu drei zusammengelegt und als neues Aktienkapital in eine gemeinsame Bank unter dem alten Namen der Dresdner Bank eingebracht. Das Reich beteiligte sich mit 90 Millionen RM an der Ausgabe neuer Aktien und übernahm zudem die ungedeckten Verluste 470 Tagesbericht Luthers, 5. Februar; s. oben Anm. 455; nicht abgedruckter Teil BA, Nachl. Luther/368; vom 10. Februar; Schulz, Politik, 2, S. 1272 ff. Protokolle Feßlers über die Chefbesprechungen zur Bankenfrage am 10. u. 12. Februar; AR: Brüning, 3, S. 2283 f., 2290 ff. Reichsministerbesprechungen bzw. Chefbesprechungen am 15. u. 16. Februar; a . a . O . , S. 2291 ff., 2 2 9 5 - 2 3 0 0 . Tagesberichte Luthers vom 15. u. 17. Februar; Schulz, Politik, 2, S. 1287 ff., 1289 ff.; vom 16. u. 19. Februar; BA, Nachl. Luther/368. 47! Der gesamte Plan als Anlage zu dem Bericht von Ministerialrat Drück an das Württembergische Staatsministerium, 22. Februar; Schulz, Politik, 2, S. 1294 ff.
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bis %ur Wiederwahl
Hindenburgs
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der Danatbank in Höhe von etwa 100 Millionen RM sowie weitere Prozeßverluste von 80 Millionen. Schließlich stellte es 20 Millionen RM für den Personalabbau von etwa 15 000 Angestellten bereit, die infolge der Aufhebung und Zusammenlegung von Banken und Bankfilialen entlassen werden mußten. Dank eines überwiegenden Aktienbesitzes des Reiches war fortan die Dresdner und Danatbank eine vom Reich maßgeblich abhängige Bank. Die Commerz- und Privatbank und die Allgemeine Deutsche CreditAnstalt blieben infolge der Übernahme eines Reservefonds an das Reich gebunden; aber ihr Aktienbesitz verblieb zum größten Teil in den Händen von Privataktionären und bei der Reichsbank. Damit war endlich ein schwieriges Unternehmen abgeschlossen, das dem Reich erneut große Aufwendungen abverlangte, was angesichts der Haushaltslage überaus problematisch erschien; doch die Beruhigung im deutschen Bankensektor, die nach und nach einzog, hat diese Konstruktion als tragfähige Voraussetzung für die nachfolgende wirtschaftliche Belebung bestätigt. Daß die Reichsbank die führende Position einnahm und ihre Politik mit der Bankund Finanzpolitik fortan zu identifizieren ist, stand auf einem anderen Blatt. Die großen Zeiten der internationalen Beziehungen deutscher Banken von Rang gingen zu Ende. Ihre Funktionen begannen sich von Grund auf zu wandeln — unter Führung und nach Maßgabe der Reichsbank. Hierbei spielten der innere Markt und der Gesichtspunkt eines Wiederingangbringens der deutschen Wirtschaft die größte Rolle. Ende Februar 1932, als die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ihren Höchststand erreichte, schien das Problem der Banken einer bewährungsfähigen Lösung zugeführt. Weitergehende Vorhaben deutete Dietrich vor den Reichsratsbevollmächtigten der Länder und den Mitgliedern des Rechnungsausschusses des Reichstags bereits an. Reichsregierung und Reichsbank beabsichtigten, gemeinsam eine Stelle zu schaffen, die „führenden Einfluß auf alle Unternehmungen gewinnt, an denen Reichsregierung oder Reichsbank beteiligt sind". Die „völlig selbständige" Stellung der Reichsbank würde aber wiederhergestellt werden, wenn der gegenwärtige „Staatskapitalismus" wieder beseitigt sei, der als krisenüberwindendes Zwischenstadium verstanden wurde. 472 Doch die Regierung Brüning war noch weit von einer Verbesserung der finanzpolitischen Situation entfernt.
472
a. a. O., S. 1297.
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III. Das zweite Kabinett Brüning
Durchhalten ohne Programm Innerhalb des Kabinetts kam kein Optimismus auf. Reichswirtschaftsminister Warmbold verlangte die definitive Klärung der einzuschlagenden Wege und zog eine völlig negative Bilanz in den von ihm als wesentlich erachteten drei Fragen: der Etatlage von Reich, Ländern und Gemeinden, „die man als eine Einheit ansehen müsse", dann der Devisenlage und der Entwicklung von Ausfuhr und Einfuhr, schließlich der Arbeitsbeschaffung. 473 Die Aussichten, die Brüning Warmbold entgegenhielt, versprachen für die nächste Zeit wenig bis nichts. Man konnte nicht einmal damit rechnen, „im Sommer mit der Reparationsfrage fertigzuwerden". Der günstigste Fall — an den der Kanzler wohl selbst nicht glaubte und auf den er bisher nie einen ernsthaften Gedanken verwandt hatte — war der, in Verhandlungen mit Frankreich und England unter der Hand zu einer Einigung zu kommen, die Konferenz vorzuverlegen und mit einer europäischen Vereinbarung so rechtzeitig an Amerika heranzutreten, daß sie den Kongreß noch vor seinem Auseinandergehen im Juli beschäftigen konnte. Aber daß die Vereinigten Staaten zu einem Zeitpunkt kurz vor der Nominierung der Präsidentschaftskandidaten bereit wären, dieses „heiße Eisen anzugreifen", schien mehr als zweifelhaft. Das ergab nur eine neue Version einer älteren Variante: Falls Hoover wiedergewählt werde, könne man ab November verhandeln, im anderen Fall nicht vor März 1933. „Bis dahin müssen wir unbedingt durchhalten",resümierte Brüning; er habe Sackett gesagt, „wir halten bis April 1933 durch". Luther bezweifelte dies, während Stegerwald verlangte, daß man in diesem Frühjahr „den Leuten durch Arbeitsbeschaffung eine seelische Ablenkung" gebe; andernfalls „halten wir nicht einmal bis zum Juli durch". Schäffer sah überhaupt keine Möglichkeit mehr, finanz- und kassenmäßig bis zum Frühjahr durchzukommen. Er notierte die Bemerkung von Brüning: „Es darf das deutsche Volk im letzten Rennen nicht kurz vor dem Ziele zusammenbrechen, wie es dies leider gewöhnlich tut." Er habe durch Kopfschütteln seine abweichende Meinung zu erkennen gegeben; er „halte es für ausgeschlossen, daß wir ohne eine internationale Entspannung und eine entsprechende Beruhigung der Wirtschaftslage
473
Dies geschah in einer nicht protokollierten Besprechung beim Reichskanzler am
Vormittag des 4. März. Anwesend waren außerdem Dietrich, Stegerwald, Luther und die Staatssekretäre Pünder, Schäffer und Trendelenburg. B A , Nachl. Pünder/44; hierzu Tagebuchaufzeichnung Schäffers, 4. März; Schulz, Politik, 2, S. 1 3 1 3 — 1 3 1 7 .
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bis zum nächsten Frühjahr langen".Das Wort „durchhalten", das Brüning liebte und häufig gebrauchte, war Schäffer sichtlich unsympathisch. Darauf erwiderte der Kanzler: „Das müssen wir aber ... Wir müssen unbedingt bis zum Frühjahr 1933 durchhalten, und wenn wir Betrug anwenden sollten." 474 In Wirklichkeit ähnelte dieses Geplänkel einer Spiegelfechterei. Das „Durchhalten" betraf doch nur das mit Zähigkeit verfolgte Ziel der definitiven Streichung der Reparationen und allenfalls einer weiteren, bestenfalls langfristigen Stillhaltung der privatrechtlichen ausländischen Gläubiger. Wirtschaftlich und finanzpolitisch gesehen, blieb dies eine Klärung juristischer Art mit langfristigen Folgewirkungen einer möglichen Beruhigung in der internationalen Situation, die aber schon vom ungewissen Verlauf der Abrüstungskonferenz — die Vorgänge in Ostasien nicht gerechnet — in Frage gestellt werden konnte. Da seit Juli 1931 die Zahlungsverpflichtungen faktisch ausgesetzt waren, konnte das „Durchhalten" schwerlich mit der Ankündigung einer durchgreifenden Besserung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands verknüpft werden, solange ein Programm hierzu fehlte, allenfalls mit einem psychologisch wirkenden Triumph der entbehrungs- und opferreichen Politik des Kanzlers. Es war in Wirklichkeit ein Wettlauf, unter fortgesetzter Auszehrung, um ein mehr symbolisches als faktisch bedeutsames Ziel zu erreichen. Die in Gang gebrachte Sanierung der Banken und die Schaffung eines staatlich dirigierten Großbankensystems blieb eine bemerkenswerte Entscheidung. Die Bedeutung für eine vermehrte Macht des Staates über die Wirtschaft stand außer Frage; dieser Staat konnte aber schwerlich auf die Dauer ein Staat der Regierung Brüning bleiben. Dietrichs Sorge vor einer „Bolschewisierung" — was immer man darunter verstehen wollte — im Gefolge der Verstaatlichung, die er als „Staatskapitalismus" des Übergangs selbst verteidigte, erscheint begreiflich. Doch im übrigen bewegte sich die Regierungspolitik in alten Bahnen. Stegerwaids Anmahnung eines Siedlungsprogramms blieb vorerst Zukunftsmusik, Brünings erklärte Absicht, bis zum Frühjahr 1933 „durchzuhalten", ohne praktikables Rezept. Zunächst mußten die Reichspräsidentenwahl und die Landtagswahl in Preußen gewonnen werden.
474
Ebda., letztes Zitat Anm. 6.
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III. Das ^weite Kabinett Brüning
Die händer drängen Groener %um SA-Verbot Die Wahlkämpfe wurden mit größter Heftigkeit und Schärfe ausgetragen. Von der Gefahr eines drohenden Bürgerkriegs 475 wurde mehr denn je zuvor gesprochen. Vor allem die quasimilitärischen nationalsozialistischen Verbände und Kommunisten, aber auch Stahlhelm und Reichsbanner lieferten sich erbitterte Saalkämpfe, sogar regelrechte Straßenschlachten. Nicht nur wegen ihrer Ziele in den Verhandlungen der Abrüstungskonferenz legte die Reichswehr Bedacht auf dezidierte Abwehr von Einflüssen aus Massenbewegungen und den politischen Wehrverbänden, mit denen sie zwar paktieren konnte, aber niemals fraternisierte. Im Grunde blieb sie in dieser Hinsicht bis 1934 konsequent. Ein als „geheim" eingestufter Befehl des Reichswehrministeriums vom 8. Januar 1932 vermittelt den Eindruck, daß eine vermehrte „gegen die Wehrmacht gerichtete Zersetzungstätigkeit" der Kommunistischen Partei begonnen hatte. 476 Man darf dieses auf Beobachtungen mehrerer Monate beruhende Resümee in Verbindung mit der erneuten Klärung der Beziehungen der Reichswehr zur Roten Armee und zur Sowjetunion seit Dezember sehen; jetzt konnte mit Komintern-Bestrebungen abgerechnet werden. Das Reichswehrministerium setzte sich nunmehr sowohl gegen die Unterwanderung durch nationalsozialistische Gruppen als auch gegen eine kommunistische Untergrundoffensive zur Wehr, deren Ursachen in der allgemeinen Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Entwicklung lagen, die die Funktionäre der KPD bei jeder Gelegenheit ausnutzten. Der von Schleicher unterzeichnete Befehl verwies auf die Zuständigkeit der beim Polizeipräsidenten Berlin, Abteilung I (Landeskriminalpolizeiamt), ressortierenden Abwehrstelle, die in Preußen die politisch-polizeiliche Abwehr- und Untersuchungstätigkeit lenkte und überwachte. Alle anderen Länder wurden „gebeten", „künftig ähnlich wie Preußen zu verfahren und ihre Beobachtungen und Erfahrungen auf dem Gebiet der kommunistischen Zersetzungstätigkeit der Abwehrstelle beim Polizeipräsidium Berlin mitzuteilen", die auf diese Weise indirekt und informell Reichszuständigkeit erhielt, allerdings durch Mediation des Reichswehrministeriums, dem Anträge und Mitteilungen unmittelbar zugeleitet werden mußten. 475 Den Ausdruck „Bürgerkrieg" gebrauchte Severing bereits auf der Innenministerkonferenz am 17. November 1931, gegen den Einspruch Groeners. Schulz, Staat, S. 226. 476 Abgedruckt UuF, VII, S. 533 ff., nach einem Fund im Niedersächsischen Staatsarchiv Hannover, jedoch mit der unzutreffenden Überschrift „Bericht des Reichswehrministeriums über Kommunistische Zersetzungstätigkeit".
Die Reichsregierung bis %ur Wiederwahl Hindenburgs
755
Die Gefahr des Dissenses zwischen Reich und Preußen illustriert eine Auseinandersetzung zwischen Groener als kommissarischem Reichsinnenminister und dem preußischen Innenminister. Severing wollte ein Interview Hitlers mit Vertretern der Auslandspresse durch dessen Verhaftung verhindern, teilte dies jedoch vorher der Reichskanzlei mit und verwies in merkwürdiger Dialektik auf die Möglichkeit einer Gegenaktion des Reiches gegen die vorgesehene preußische Polizeimaßnahme auf Grund einer speziellen Notverordnung nach Artikel 48 der Reichsverfassung, was freilich die Einschaltung der Reichsregierung sowie des Reichspräsidenten voraussetzte, mithin eine Art Konflikt Reich-Preußen en miniature der Öffentlichkeit vorgeführt hätte. 477 Severing wollte es wohl hierauf ankommen lassen. Doch Braun verhinderte die Maßnahme gegen Hitler. Das Verlangen Preußens und anderer Länder nach Maßnahmen gegen die uniformtragenden Verbände der NSDAP richtete sich dann aber unmittelbar an die Adresse Groeners und drängte zu Entscheidungen. Hierbei sprach mit, daß die Verhältnisse innerhalb der preußischen Polizei unsicher schienen. In generalstabsmäßiger Arbeit visierte sie die Gefahren an, die von der fatalen Konvergenz der konkurrierenden Radikalismen kommunistischer wie nationalsozialistischer Observanz ausgingen. 478 Angesichts dieser Situation befanden sich die Beziehungen zum Reichsinnenminister in einer kritischen Phase, als die Verhandlungen über die Verlängerung der Amtszeit des Reichspräsidenten scheiterten. Bis dahin hatte das preußische Innenministerium noch zugewartet; doch nun drängte es im Einklang mit den süddeutschen Ländern auf unverzügliches Vorgehen gerade gegen die SA, der gegenüber das Reichswehrministerium eine gewisse Zurückhaltung, wenn auch nur bedingte Duldung beobachtete. Dem „Doppelminister" Groener fiel die Schlüsselrolle zu. 479 In der allmählich reifenden Uberzeugung von
477 Vermerk Pünders, 14. Dezember 1931; Schulz, Staat, S. 266 ff.; vgl. Ehni, Bollwerk, S. 234. 478 Denkschrift des Preußischen Polizeiinstituts, Dezember 1931; abgedruckt Schulz, Staat, S. 2 3 0 - 2 3 6 . 479 Den Wechsel in Äußerungen Groeners, assistiert von Schleicher, jeweils vor einem größeren Auditorium bezeugen dicht aufeinanderfolgende Aufzeichnungen. 11. Januar 1932: „Nazi ... seit Scheringer kein Zersetzungsfall mehr... Sie haben sich loyal gezeigt. Deshalb auch äußerlich Verhältnis geändert; dazu Nazi aus Betrieben nicht mehr entfernen..." Am gleichen Tag: „Minister hat klar zum Ausdruck gebracht, daß er legale Bestrebungen Hitlers mit allen Mitteln stützen wird, andererseits wird gegen Unruhestifter aus Nazikreisen weiter bekämpfend vorgegangen werden. Dieser Standpunkt gilt für Reichswehrminister und Reichsinnenminister übereinstimmend... Minister wird als Reichs-
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III. Das zweite Kabinett Brüning
der durchtriebenen Unaufrichtigkeit und menschlichen Unzuverlässigkeit Hitlers, in einer auch persönlich nicht leichten Lage, 4 8 0 neigte G r o e n e r dazu, dem D r ä n g e n der größeren Länder nachzugeben. Seine Erklärung im Reichstag blieb allerdings umstritten. 4 8 1 Die lange hinausgeschobene endgültige Entscheidung Hitlers, zur Reichspräsidentenwahl neben Duesterberg und Thälmann als Kandidat gegen Hindenburg anzutreten, brachte den A u f m a r s c h der K r ä f t e f ü r den W a h l k a m p f in eine A r t schiefer Schlachtordnung. Hitler hatte gezögert, bis die Gegenseite festgelegt w a r und die Haltung der S P D außer Frage stand. 4 8 2 S o hielt denn die Weimarer Koalition mitsamt G e w e r k schaften, einigen Industriellen und den kleineren Parteien der gemäßigten Rechten, die den Reichskanzler stützten, zu Hindenburg, stand aber die Rechte, die ihn sieben Jahre z u v o r gewählt hatte, mehrheitlich gegen ihn. Nach bisherigen Erfahrungen ließ sich nicht erwarten, daß N S D A P und S A Ruhe bewahren würden. Severing wies daher die leitenden
Innenminister gegen alle rücksichtslos Front machen, die die Ordnung zu stören suchen. Bürgerkrieg gibt es nicht." 26. Januar: „Aus [dem] Nazilager sind Nachrichten da, daß man dort den Adolf doch als Reichspräsidentenkandidaten aufstellen will... Da könnte es leicht passieren, daß Hitler den Sieg davonträgt. Dies zu verhindern, ist die Aufgabe. Eine verteufelte Lage! An eine plötzliche Gewaltanwendung der Hitlerei glaube ich nicht, weil Hitler und seine Ratgeber ganz darauf eingestellt und davon fest überzeugt sind, die Macht legal zu erringen, und sich wohl bewußt sind, daß jeder gewaltsame Versuch den rücksichtslosen Einsatz der Machtmittel des Staates zur Folge hätte. Hammerstein ist der Mann, brutal zuzuschlagen, ganz anders als Seeckt 1923/24... Wenn der Wolf aber im Schafskleid der Legalität kommt, ist er für die Reichswehr viel gefährlicher... Die Nazis entpuppen sich mehr und mehr als höchst unzuverlässige Leute, die unter sich selbst zwar uneinig und aufeinander neidisch sind, aber doch durch das Idol des .Meisters' immer wieder zusammengehalten werden." Im Erlaß des Reichswehrministers vom 29. Januar heißt es: „Die Anmaßung polizeilicher oder sonstiger staatlicher Befugnisse durch die Verbände werde ich stets auf das schärfste bekämpfen. Die geringste Nachgiebigkeit auf diesem Gebiete bedeutet eine Deklassierung der Wehrmacht und Polizei, der berufenen Hüter der staatlichen Ordnung." Dokumente abgedruckt Schulz, Staat, S. 269 — 272, 274—278. 480 Vgl. Eschenburg, Demokratie, bes. S. 250 f. 481 Rede Groeners im Reichstag. Heftige Angriffe führten Breitscheid (SPD) und Weber (Deutsche Staatspartei); StenBer Vh RT, Bd. 446, S. 2277 f. (24. u. 25. Februar 1932) Das Nachfolgende geht auf frühere Ausführungen zurück; Schulz, Staat, S. LVII-LXVI. 482 Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 119 f. Die Entscheidung Hitlers fiel vor der Klärung seiner Staatsangehörigkeitsfrage, die einige Wochen später von der braunschweigischen Regierung durch Ernennung zum Regierungsrat in seinem Sinne gelöst wurde. Vgl. Morsey, Hitler, bes. S. 435 ff. Der sozialdemokratische Spott, Hitler habe seine Kandidatur noch nicht als „Staats- und Reichsangehöriger" abgesichert (Breitscheid am 24. Februar 1932; StenBer Vh RT, Bd. 446, S. 2273), kam um Stunden zu spät. Zu den innerparteilichen Vorgängen Horn, Führerideologie, S. 344 ff.
Die Reichsregierung bis \ur Wiederwahl Hindenhurgs
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preußischen Verwaltungsbeamten, auf der Grundlage vertraulicher Informationen, zu „sorgfaltiger Beobachtung" an. Die NSDAP plane für den 13. März, den ersten Wahltag, „ohne Rücksicht auf den Ausfall der Wahl" große Demonstrationen. 483 Im Kern erwies sich diese Annahme als zuverlässig. Das ganze Unternehmen der Kandidatur Hitlers war nicht ,auf Sieg', sondern gewissermaßen ,auf Platz' angelegt und wurde in Zirkeln der Nationalen Opposition auch so aufgefaßt. Das regte die Lust an Aufmärschen und Demonstrationen an und offerierte neue Möglichkeiten zur Okkupation der Öffentlichkeit. Die preußische Regierung glaubte, im Verein mit den anderen Ländern ein schärferes Vorgehen gegen NSDAP und SA beim Reichsinnenminister und beim Reichskanzler durchsetzen zu können. Sie trug alte und neue Argumente und viele Tatsachen zusammen, die den gewalttätigen und republikfeindlichen Charakter der NSDAP und im besonderen der SA bestätigten. 484 Auch andere Nachrichten, teils Gerüchte, teils ernsthafter Art, verwiesen auf geheime Neigungen zu Gewalt- und Zwangsaktionen und somit auf Perspektiven, die sich schon in den ,Boxheimer Dokumenten' eröffnet hatten. Die Zeit der Stimmzettelwahlen gehörte der Vergangenheit an. Militante Demonstrationen und überfallartige Streiche begleiteten in zunehmendem Ausmaß politische Ereignisse, woran das wachsende numerische Gewicht der SA großen Anteil hatte. Trotzdem schien der Ausgang der Wahl am 13. März die HindenburgRichtung zufriedenzustellen. 485 Bei einer mit 86,2 Prozent nicht überdurchschnittlichen Wahlbeteiligung verfehlte Hindenburg mit 49,6 Prozent der gültigen Stimmen nur knapp die absolute Mehrheit, während auf Hitler 30,1 Prozent entfielen. Die Nationalsozialisten sahen sich enttäuscht, ein deutliches Zeichen dafür, daß gesteigerte Erwartungen emotional auch die Urheber abgezirkelter Strategie übermannten und daß auf Disziplin kein Verlaß war. Goebbels malte, gewiß nicht ohne Grund, innerhalb der Partei das Entstehen „von gefährlichen Situationen" an die Wand, allerdings in der Erwartung eines geschickten Eingreifens Hitlers als des „souveränen Meisters". 486 Thälmann war mit 13,2
483
Niederschrift über eine Besprechung mit den Ober- und Regierungspräsidenten im preußischen Innenministerium, 27. Februar; Schulz, Staat, S. 282—287. 484 Braun an Brüning, 4. März; a. a. O., S. 2 8 7 - 2 9 8 ; AR: Brüning, 3, S. 2353ff. 485 Das amtliche Ergebnis des ersten Wahlgangs der Reichspräsidentenwahl am 13. März 1932, in: Statistik des Deutschen Reiches, N. F., 427 (1932), S. 6ff.; hierzu Heinrich A. Winkler, Katastrophe, S. 519 ff. 486 Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 140 f.
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III. Das zweite Kabinett Brüning
Prozent der Stimmen weit abgeschlagen; und die 6,8 Prozent, die der Stahlhelmführer Duesterberg erhielt, enthüllten diese Kandidatur als törichtes Abenteuer. Ein zweiter Wahlgang wurde erforderlich. In den vier Wochen dazwischen spitzte sich trotz des verordneten Osterfriedens die innerpolitische Lage zu. Noch vor dem ersten Urnengang, der mit zahlreichen Ausschreitungen den Auftakt zu der Serie fortgesetzt verschärfter Wahlkämpfe dieses Jahres bildete, erhielt der Reichsinnenminister Informationen über geheime Mobilisierungspläne der SA. Da sie quasimilitärisch organisiert und teilweise militärisch ausgerüstet war, durfte diese Nachricht nicht leichtgenommen werden. Überdies bestand die Vermutung einer Zuspitzung und eines gewaltsamen Vorgehens unmittelbar nach der Wahl. 487 Zuletzt gaben die intimen Mitteilungen des ehemaligen Polizeihauptmanns und SA-Führers Stennes an den Ministerialdirigenten im Reichsinnenministerium Häntzschel488 den Ausschlag für einen alarmierenden Brief Groeners an seinen preußischen Amtskollegen am 8. März 1932, so daß sich Severing unversehens doppelt bedrängt sah, einerseits aus seinem Ministerium und von der Polizei her und anderseits vom Reichsinnenminister, der sich selbst der nervenzermürbenden Situation kaum noch gewachsen zeigte. Unabhängig vom hintergründigen Spiel der Informanten — es mag einiges übertrieben oder voreilig durchgegeben worden sein, was in Phasen politischer Spannung kaum vermeidbar ist, — nährten wenige Tage später Berichte der Regierungspräsidenten der seit langem unruhigen Regierungsbezirke Schleswig, Hildesheim und Magdeburg den gleichen Verdacht. Daraufhin veranlaßte Severing am 17. März Durchsuchungen nationalsozialistischer Gaugeschäftsstellen. Sie lieferten die Bestätigung, daß Einheiten der NSDAP Alarmvorbereitungen trafen; allerdings ließen sich auch diesmal weder Zweck noch vorgesehener Zeitpunkt nachweisen. Vielleicht bereiteten sich führende Nationalsozialisten auf einen Machtkampf vor; in jedem Fall blieb die Erkenntnis eines im geheimen — in Gestalt der uniformierten Organisationen — heranwachsenden „Staates im Staate". Da sich dies aber unter dem Eindruck der politischen Erregung während des Wahlkampfes abspielte und Severing sich auf eine Veranlassung durch das Reichsinnenministerium berief, endete die Angelegenheit, nach einer rasch behandelten Klage Hitlers vor dem Staatsgerichts-
487
Groener an Severing, 8. März; Schulz, Staat, S. 299.
488
Erbe an Dingeldey, 9. April; a. a. O., S. 3 0 9 - 3 1 2 .
Die Reichsregierung bis %ur Wiederwahl Hindenburgs
759
hof des Deutschen Reiches, mit einem bedeutungslosen Vergleich, 489 der keiner Seite politischen Nutzen brachte, aber dem Ansehen des Reichsinnenministers schadete. Wenig später kamen Groener Äußerungen der Unzufriedenheit zu Ohren, die das Mißvergnügen der süddeutschen Ministerpräsidenten während der Goethe-Gedächtnisfeier am 26. März in Weimar bekundeten. Schon auf manches vorbereitet und hellhörig geworden, entschloß sich der ,Doppelminister', etwas Entscheidendes gleich nach der Reichspräsidentenwahl zu unternehmen und vorzubereiten, um nicht der SA die Möglichkeit einer Initiative zu lassen, „wenn ihr Hitler, wie zu erwarten, danebenfalle". 490 Die prophylaktische Aktion, die Groener für geboten hielt, erklärt sich aus seiner militärischen Denkweise, die auch Schleicher teilte, der allerdings das Dekorum der Politik des Reichswehrministeriums wahren und „die SA-Frage ... nur mit feiner Hand lösen, nicht diese parteigebundenen Länderminister ohne das nötige Fingerspitzengefühl" handeln lassen wollte, 49 ' wie er sich mit dem angemaßten Selbstbewußtsein des reüssierenden Karrieristen äußerte. Aber am Ende war er es selbst, der wenig „Fingerspitzengefühl" bewies. Schleicher hatte für den von ihm vorausschauend durchdachten „Auflösungsfall schon eine ganze Menge Material gesammelt", wie er Groener versicherte, der sich darauf verlassen durfte. Weitgehendes, wenn nicht gar vollständiges Einverständnis schien gewährleistet. Ungeklärt und wohl unerörtert blieben zunächst Modalitäten, Zuständigkeiten und Zwecksetzungen. Doch gerade in dieser Hinsicht sah sich Groener Pressionen der Länder ausgesetzt, die nicht nur aus Anlaß des zweiten Urnengangs der Reichspräsidentenwahl, sondern auch wegen der im gleichen Monat anstehenden Wahlen in Preußen, Bayern, Anhalt und Hamburg allerlei Beunruhigungen und Übergriffe befürchteten. Der bayerische Innenminister Stützel schlug für die Dauer der Wahlen eine Ausnahmeverordnung des Reichspräsidenten vor, um politische „Alarmbereitschaften" und Ansammlungen gänzlich zu unterbinden, und kün-
Severing, Lebensweg, 2, S. 328 f.; Bracher, Auflösung, S. 481 f.; Vogelsang, Reichswehr, S. 162 f.; Kolbe, Bumke, S. 151 ff. 490 Groener an Schleicher, 23. März; Schulz, Staat, S. 300 f. 491 Schreiben Schleichers an Groener vom 25. März 1932; BA, Nachl. Schleicher/77; Gordon A. Craig, Briefe Schleichers an Groener, in: Die Welt als Geschichte, 11 (1951), S. 130 f.; Angaben Severings in der zur folgenden Darstellung herangezogenen Niederschrift über die Innenministerkonferenz am 5. April; Schulz, Staat, S. 304—309; weitere Aufzeichnungen zu dieser Innenministerkonferenz abgedruckt bei Vogelsang, Reichswehr, S. 445; Besson, Württemberg, S. 3 9 3 - 3 9 6 . 489
760
III. Das syveite Kabinett Brüning
digte sogar ersatzweise den Erlaß einer bayerischen Notverordnung an, 492 womit er eine ähnliche Konfliktslage andeutete, wie sie 1923 bestand, in der das Reich durch konkurrierende Notverordnungen „auseinanderregiert" werden konnte. 493 Unter dem Eindruck dieser Ankündigung, die diesmal von dem seit langem mit der nationalsozialistischen Bewegung erfahrenen Bayern ausging, erklärte sich Groener in der Innenministerkonferenz kurz vor dem zweiten Wahlgang unter „Wahrung strengster Vertraulichkeit" bereit, auf keinen Fall „die SA in irgendwelcher politischer Form bestehen zu lassen. Die Frage ist nur, wie man es macht." Er fügte hinzu: „Es gibt auch noch andere Verbände, die auf die Dauer nicht ertragen werden können." Der Gedanke eines generellen Verbots uniformierter Verbände tauchte also wieder auf, der klarste und konsequenteste, der vor wenigen Monaten am Widerstand der Traditionsuniformträger gescheitert war. Damals wäre er, einige Entschlossenheit der Reichsregierung vorausgesetzt, gewiß vertretbar gewesen. Doch Groeners neue Idee, die politisch einander bekämpfenden Verbände zusammenzufassen, um sie „in einen großen Sportrahmenverband" des Reiches einzubringen, erschien nebulös und von der Art eines zweifelhaften Kompromisses. In Anbetracht der Größe, Bedeutung und Verbreitung der Organisation konnte ein SA-Verbot nur noch von Reichs wegen einigermaßen wirksam durchgesetzt und nur unter Einsatz der polizeilichen Mittel aller Länder ausgeführt werden. Auch Reichs justizminister Joël sprach sich für eine derartige Entscheidung aus unter dem Gesichtspunkt, daß die Verantwortung nicht den von schwierigen Auslegungen bedrängten Gerichten aufgelastet wurde, wie nach dem Boxheimer Fund geschehen. Euphemistisch meinte der hessische Innenminister Leuschner, nun dürfe „nicht mehr zugewartet werden". Es werde „Wunder wirken, wenn zugegriffen wird, wenn die Leute sehen, daß [der] Staat noch da ist". In der Tat konnte es schon als Bewährungsprobe der Republik betrachtet werden, ob sie die SA sowie andere militante uniformierte Verbände unausgesprochen als Korporationen eigener Gesetzmäßigkeit innerhalb des Staates nolens volens dulden mußte, weil sie nicht mehr starke Entschlüsse durchzusetzen und das staatliche Monopol der Gewalt aufrechtzuerhalten vermochte, oder ihren Tätigkeiten feste Grenzen setzte. Groener wehrte sich gegen den Druck der Länder Sachsen, Württemberg, 492
Stützel an den Reichsinnenminister, 30. März; Abschr. B A , Nachl. Pünder/154.
453
Aufzeichnung des Staatssekretärs in der Reichskanzlei Hamm v o m 15. April 1923;
Faksimile Schulz, Demokratie, S. 633.
Die Reichsregierung bis %ur Wiederwahl Hindenburgs
761
Baden und Hessen unter Führung Preußens und Bayerns insoweit, als er Maßnahmen bis zum Tage nach der Wiederwahl des Reichspräsidenten zurückhielt, um auch den Reichskanzler vorzubereiten; dann aber sollte die „Staatsautorität" in ihr Recht treten. Für Groener als Reichswehrminister wie für Schleicher sprach seit einiger Zeit aber auch ein anderer, für die künftige Wehrpolitik maßgebender Gesichtspunkt mit. Im Rahmen der Reichswehrpläne erschien es ratsam, die SA als Parteiarm der NSDAP von der Bildfläche verschwinden zu lassen oder unter zuverlässiger Kontrolle der Reichswehr zu halten. 494 Denn am 2. Februar hatte die Abrüstungskonferenz in Genf ihre Tätigkeit aufgenommen; im April begann die entscheidende Phase. Groener sah sich von den Innenministern etwas widerwillig zur raschen Entscheidung getrieben. Er hätte eine Selbstauflösung der SA nach Auflagen und unter Aufsicht des Reichswehrministeriums gewünscht, hierfür aber auch Vorbereitungen treffen und Kontrollen schaffen wollen, die längere Zeit erfordert und zu deren Durchführung die Polizeiorgane kaum ausgereicht hätten. Er beugte sich dem Zwang, aus Gründen der „Staatsautorität" die „mir pflichtgemäß in meinem Amt obliegende Objektivität zu bewahren". 495 Mit Unterstützung des Ministeramtschefs Schleicher begann er nach der entscheidenden Innenministerkonferenz vom 5. April unverzüglich mit der Vorbereitung des Schlages gegen die SA, den er in Besprechungen mit den Ressortchefs, mit Pünder — und auf diese Weise indirekt mit dem Reichskanzler, der dem ganzen Komplex gegenüber nahezu passiv blieb, — und erstmals am 9. April auch mit dem Reichspräsidenten eingehend beriet. Groener und Schleicher waren entschlossen, die Überführung der SA in eine militärische Organisation hinauszuschieben und statt dessen zur schnellen Auflösung zu schreiten, da auch nach Schleichers Auffassung der rechte Augenblick gekommen war. 496 Neben einzelnen Aktenstücken, die kleinere Ausschnitte aus dem ereignisreichen Ablauf zwischen dem 5. und dem 13. April beleuchten, unterrichten zwei verschiedenartige Quellen zusammenfassend über die Entscheidungen dieser Tage: die nachträglich, am 30. Mai 1932 angefertigte Niederschrift des Staatssekretärs in der Reichskanzlei Pünder, der
494
Innenministerkonferenz am 5. April. Brüning, Memoiren, S. 552 ff.; Vogelsang,
Reichswehr, S. 182 f. 495
Groener an Brüning, 10. April; Schulz, Staat, S. 3 1 2 - 3 1 5 .
496
Nach telefonischer Mitteilung Schleichers an Pünder am 8. April; nachträgliche
Niederschrift Pünders, 30. Mai; a. a. O., S. 3 2 2 - 3 2 6 .
III.
762
Das zweite Kabinett
Brüning
häufig unter dem Druck eiliger Tagesgeschäfte an der regelmäßigen Abfassung von Berichten gehindert war und sich erst in Tagen der Ruhe der hinausgeschobenen Arbeit widmen konnte, 497 sowie die Schilderung Brünings in seinen hinterlassenen Erinnerungen. 498 Der Wille des Reichskanzlers trat hinter der Entschließung der Reichswehrführung und auch des Reichspräsidenten zurück. Dennoch blieb der Konflikt nicht aus. Er trat am Wahltage, am 10. April, während einer Sitzung in Brünings Wohnung zutage, als Groener, nach einer Besprechung mit Hindenburg am Vortage, seinen langen Brief an den Reichskanzler verlas, der, nicht ohne Selbstvorwürfe wegen seines Zauderns, die beabsichtigte Wendung deutlich anzeigte, daß er nun mit dem SA-Verbot unmittelbar nach der Wiederwahl des Reichspräsidenten ernst machen wollte. 499 Jetzt gab es für Groener „keinen Zweifel mehr, daß der psychologische Augenblick zur Auflösung der militärähnlichen Organisationen der NSDAP gekommen ist. Unsere bisherige Absicht, diese Organisationen in einem von Reichs wegen zu gründenden und unter Reichsaufsicht stehenden großen allgemeinen Wehrsportverband unschädlich zu machen, muß angesichts der gesteigerten politischen Spannung vorläufig zurückgestellt werden. Dazu kommt, daß das Ansehen der deutschen Reichsregierung im Inund Ausland infolge ihrer angeblichen Schwäche in einer unerträglichen Weise herabgesetzt ist. Jedes weitere Zaudern gegenüber der NSDAP vergrößert das Übel und bringt den Herrn Reichskanzler und die Reichsregierung in eine schiefe Lage." Diese Worte hätten schon früher gesprochen werden können. Doch weniger die Sache selbst als die rechte Stunde, der „psychologische Augenblick", gab den Ausschlag. Dem „vermutlich längst" erreichten Einvernehmen zwischen Preußen und Bayern gegenüber durfte die Reichsregierung nach Groeners Auffassung nicht mehr „schwächlich und unentschlossen" erscheinen; auch nicht „eine ... in ihrer Wirkung ganz unsichere Maßnahme ist am Platze, sondern ein einfacher, klarer und fester Entschluß, an dem nach keiner Richtung zu deuteln ist. Die Reichsregierung muß selbst und allein alle 497
a. a. O.; ergänzend auch die im Oktober 1932 gefertigte Aufzeichnung Groeners,
„Chronologische Darstellung der Vorkommnisse, die zu meinem Rücktritt als Reichswehrund Reichsinnenminister geführt haben"; B A , Nachl. Groener/145; abgedruckt bei Vogelsang, Reichswehr, S. 449 ff. 498
Brüning, Memoiren, S. 538—544. Dieser Teil der Darstellung des ehemaligen Reichs-
kanzlers enthält genaue Zeitangaben und Beobachtungen, die teilweise den Bericht Pünders ergänzen. Im übrigen ist auf die ungeklärte Entstehungsgeschichte der Erinnerungen zu verweisen. Vgl. Morsey, Entstehung. 495
Groener an Brüning, 10. April.
Die Reichsregierung bis %ur Wiederwahl Hindenburgs
763
Verantwortung auf sich nehmen, darf weder den Ländern überlassen, über die Autorität des Reiches hinwegzugehen, noch darf sie sich der Möglichkeit aussetzen, durch Machenschaften der Partei betrogen zu werden." Groeners Erklärung verdeckte weder Schwächen noch Fehlgriffe der Vergangenheit, noch den Wunsch, um der Staatsautorität willen mit den Ländern gleichen Schritt zu fassen. Wankelmütigkeiten ließen sich nicht bestreiten; sie konnten nur durch starke Entscheidungen verdrängt werden. Groener schwebte offenbar vor, in seinen eindringlichen Darlegungen den Reichskanzler mit sich zu ziehen. Vorsichtige Einwände von Staatssekretär Meissner, der für Hindenburg Zeit gewinnen wollte, und stärkere, plötzlich den Reichspräsidenten gänzlich heraushaltende Gegenvorschläge Schleichers, der Hitler ein Ultimatum zu stellen wünschte, was Groener wußte und wofür Reichs justizminister Joël die knapp bemessene Frist von drei Tagen und eine schärfere Form zur Diskussion stellte, verzögerten die Entscheidung noch einmal. Dies blieb eine Differenz über die taktische Behandlung der „Frage". 500 Aber Groener hatte entschieden, daß klares Handeln geboten sei, wie es auch die Länder verlangten, und „jetzt nur eine Kapitulation vor der SA oder ein sofortiges scharfes Zufassen in Betracht komme". 501 Gerade das brachte den Reichskanzler in Verlegenheit, der zögerte, die Entscheidung hinausschob und wohl noch abwarten wollte, so daß am 11., 12. und 13. April, teils im gleichen Kreis, teils in dem größeren der Minister, ohne Schleicher, erneut beraten und mehrmals dem Reichspräsidenten berichtet wurde. Brüning gelang es nicht, zwischen den nun deutlich auseinandergehenden Auffassungen Groeners und Schleichers zu vermitteln. Da sich Hindenburg dem Vorschlag Groeners am Ende nicht versagte, entstand nur ein dreitägiger Aufschub und wurde die Notverordnung zur Auflösung der SA schließlich am Nachmittag des 13. April unterzeichnet 502 , eben noch rechtzeitig, um Groener in die Lage zu versetzen, in der fast zur gleichen 500
Brüning, Memoiren, S. 538.
501
Nachträgliche Niederschrift Pünders; s. oben A n m . 496; vgl. Brüning, Memoiren,
S. 539. Einen „plötzlichen Umfall" Schleichers am 9. April stellte Groener in seiner ausführlichen Niederschrift fest; s. oben Anm. 497. Groener konnte sich jedoch jetzt nicht mehr umstellen und hielt durch. A m 9. April gab es noch einen Dissens zwischen Groener, Schleicher und Hammerstein. Admirai Raeder empfahl ein gleichartiges Vorgehen gegen das Reichsbanner. Erich Raeder, Mein Leben, Bd. I: Bis zum Flottenabkommen mit England, Tübingen 1956, S. 269 f. 502
Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Staatsautorität v o m 13. April
1932 (RGBl I, 1932, S. 175); auch abgedruckt Schulz, Staat, S. 3 1 6 f.
764
III. Das zweite Kabinett Brüning
Zeit anberaumten Konferenz der Innenminister die erforderlichen Maßnahmen unverzüglich einzuleiten. Unabhängig von den erwogenen Formen des zweckmäßigen Vorgehens drängten einige Länderminister in dem deutlichen Gefühl zum Handeln, daß die Behauptung der Republik zu einem Kampf für den Staat gegen jene wurde, deren Absichten keiner Erörterung mehr bedurften. „Gefahrlich sind nicht bloß die Ziele", schrieb der badische Staatspräsident, „sondern die einzelnen Elemente, die in der SA und SS enthalten sind." 503 In den Urteilen schieden sich allerdings die Geister. Kronprinz Wilhelm erhob unmittelbar nach dem SA-Verbot in brieflicher Form Vorhaltungen gegen Groener, die er mit der unfairen Anspielung auf die Kritik „nationaler Kreise" an Groeners Verhalten in der Obersten Heeresleitung eröffnete, 504 die ein Ehrengerichtsverfahren längst in den Bereich verleumderischer Gerüchte verwiesen hatte. Der ehemalige Kronprinz gab ein Zeugnis dafür, wie weit das Ansehen, wenn nicht schon der Einfluß der SA mitsamt ihren Schlägergruppen auch in jene gemeinhin ,feudal' genannten Kreise vorgedrungen war, vielleicht noch weiter als der Hitlers selbst, für den sich der Hohenzoller in diesem Briefe jedenfalls nicht einsetzte. Der weithin geachtete Kronprinz griff in der Sache wie in der Tonart äußerst unelegant daneben und beklagte als „außerordentliche Gefahr für den inneren Frieden", daß Groener „als Reichswehrminister das wunderbare Menschenmaterial, das in der SA und SS vereinigt ist und das dort eine wertvolle Erziehung genießt, zerschlagen" helfe. Das Wort prägt sich ein und kann nicht vergessen werden. Wilhelm argumentierte, als wollte er immer noch die „Wehrsportorganisation" seines „Freundes Schleicher" verteidigen. Entweder aus dieser Richtung oder, wohl wahrscheinlicher, aus der seines jüngeren Bruders, des SA-Führers Prinz August Wilhelm, dürften die Anregungen zu dem Schreiben gekommen sein, die sich der ehemalige Kronprinz zu eigen machte, gewissermaßen im Comment der Generalskameraderie. Dies bleibt ein Dokument für sich, das die Eigenart der bewegten politischen Fronten deutlich beleuchtet, hinter denen die Republik schon im Schatten lag. 505 503
Staatspräsident Schmitt an Pünder, 11. April; a. a. O., S. 315.
504
Kronprinz Wilhelm an Groener, 14. April; a. a. O., S. 3 1 7 f.
505
Anfang April glaubte sich der Kronprinz einer politischen Entscheidung nahe. Das
geht aus seiner Anfrage bei dem Vater in D o o r n hervor, „ob er sich als Kandidat für den Präsidentenposten der deutschen Republik zur Verfügung stellen dürfe", was „das Blut des Kaisers und noch mehr das von I[hrer] M[ajestät] zum Kochen gebracht" habe. Ilsemann, Monarchie, S. 188. In monarchistischen Kreisen wurde zwischen den beiden Urnengängen der Reichspräsidentenwahl die Kandidatur des Kronprinzen — oder seines jüngeren Bruders
Die Reichsregierung bis %ur Wiederwahl Hindenburgs
765
Sogar im engsten Kreise der ständigen Mitarbeiter des Reichsinnenministers erzeugten die auf die Verwaltung übergreifenden politischen Antagonismen Loyalitätskonflikte. 506 Der Vollzug der SA-Auflösung, über den eine Meldung Abeggs aus dem preußischen Innenministerium vorliegt, 507 konnte zwar reibungslos vor sich gehen, erwies sich im ganzen jedoch als Schlag ins Wasser. Die berichteten Vorgänge zeugen von gründlichen SA-internen Vorbereitungen und Präventionen für den Fall der Aktion, die man voraussah. Abegg glaubte, vorzeitige geheime Informationen „beamteter Seite des Reichs" anlasten zu können, weil von preußischer Seite strikte Geheimhaltung beobachtet wurde. Vielleicht gab es mehrere Quellen, aus denen die NSDAP schöpfen konnte; gewiß ist, daß der brandenburgische Gauleiter ausführlich aus einer Abteilung des Reichswehrministeriums informiert wurde. Soweit mit dem Verbot die Erwartung eines vernichtenden Schlages gegen Hitlers NSDAP oder auch nur die SA verknüpft war, fiel das Ergebnis enttäuschend aus. Schließlich erschien das SA-Verbot als etwas, das es nicht war: als Rache der Kräfte, die sich hinter Hindenburg gestellt hatten, an den Anhängern seines stärksten Gegners, der erst im zweiten Wahlgang unterlegen war, mehr noch: als ein Triumph von SPD, Zentrum und BVP, die hinter der Reichsregierung standen und die Regierungen in Preußen, Bayern und Württemberg führten, als ein Triumph, dem Hindenburg Hand und Namen geliehen hatte. Da die DNVP, die dank der Taktik Hugenbergs in der Entscheidung zwischen Hindenburg, Duesterberg — der im zweiten Wahlgang ausschied — und Hitler zerrissen war, unter Katzenjammer litt und weiteren Verlusten entgegensah, 508 ging das Ganze zwar nicht mit einem Sieg, aber doch mit einem Erfolg Hitlers aus, der seine Taktik und Strategie „auf das glänzendste gerecht-
Oskar — erwogen analog zur Präsidentenwahl 1925, in der Hindenburg erst zum zweiten Wahlgang als Kandidat aufgestellt wurde und siegte. Auch die von Ilsemann zitierte Äußerung von Graf v. d. Schulenburg, der übrigens das Ehrengerichtsverfahren gegen Groener geleitet hatte, gehört in diesen Zusammenhang: „Der monarchische Gedanke macht fraglos Fortschritte, scheitert aber an dem Mangel eines Kandidaten, da das Haus Hohenzollern versagt." ebda. u. S. 190 ff. Auch mit Hitler selbst wurde hierüber verhandelt. Entscheidend fiel die Reaktion des Kaisers ins Gewicht. Vgl. Granier, Levetzow, S. 173 f.; ferner Brüning, Memoiren, S. 512. Erbe an Dingeldey, 9. April; s. oben Anm. 488, unten Anm. 547. Bericht Abeggs vom 20. April; Schulz, Staat, S. 318 f.; zum Folgenden auch unten Anm. 547 u. 548. 508 Hierzu Quaatz, Tagebuch, S. 187. 506
507
766
III. Das zweite Kabinett Brüning
fertigt" glaubte. 509 Die NSDAP hatte eine bessere Ausgangsposition für die nur 14 Tage später anstehende Landtagswahl gewonnen, als bei der Festsetzung des Termins in Preußen anzunehmen war.
Wiederwahl
Hindenburgs
Bei nachlassender Wahlbeteiligung von 83,5 Prozent der Stimmberechtigten hatte Hindenburg im zweiten Wahlgang eben 53 Prozent der gültigen Stimmen erreicht, Hitler, nach dem Verzicht Duesterbergs auf seine Kandidatur, 36,8 Prozent, Thälmann nur noch 10,2 Prozent; auch er verlor Wähler an Hitler.510 Die Sozialdemokraten fühlten sich nach diesem Ergebnis als die Zweitbegünstigten; denn ohne ihre Hilfe wäre Hindenburg nicht wiedergewählt worden. Aber eben dies verdroß den alten Mann, der, wie Otto Braun schreibt, „sich in der Rolle des vornehmlich von der demokratischen Linken gewählten Reichspräsidenten nicht recht wohl fühlte. Geflissentlich betonte er ..., daß man jetzt nicht eine Politik im Sinne jener Parteien, die ihn unterstützt hätten, von ihm erwarten dürfe." 511 Das bekam auch der Kanzler zu spüren, als er seine Glückwünsche und die formell gedachte Demission seiner Regierung überbrachte, in der Erwartung, daß der Reichspräsident ihm für seinen hingebungsvollen persönlichen Einsatz danken werde. Er empfand es wie eine kalte Dusche, daß Hindenburg sich lediglich den Zeitpunkt der Entscheidung über den Rücktritt vorbehielt, was Brüning nur mit Mühe in dem zur Veröffentlichung bestimmten Kommunique abmildern konnte. 512 Groener erfuhr von Schleicher, daß im Hause des Reichspräsidenten und im Reichswehrministerium wegen des SA-Verbots „Sturm gelaufen werde". 513 Am 16. April ging dann an Groener ein förmliches Ersuchen des Reichspräsidenten, nun auch ein Verbot des Reichsbanners zu prüfen, 514 was durchaus auf der etwas früher von Groener selbst 509 Goebbels am 10. April; Tagebücher, I, 2, S. 153: „Es gelang uns bei weitem nicht, die Gegenseite aus dem Felde zu schlagen; aber wir haben fast die gesamten Stimmen der Reaktion auf unsere Seite gezogen. Thälmann hat kläglich versagt. Seine Niederlage ist unser größter Sieg... Der Führer ist ganz glücklich." 5 . 0 Das amtliche Ergebnis des zweiten Wahlgangs, in: Statistik des Deutschen Reiches, N. F., 427 (1932), S. 6 - 7 7 .
Braun, Weimar, S. 373. Brüning, Memoiren, S. 541 f.; Dorpalen, Hindenburg, S. 285. 513 Nachträgliche Aufzeichnung Groeners vom Oktober 1932; Vogelsang, Reichswehr, S. 449 - 457. SH a. a. O., S. 454 f. 5.1
512
Die Reichsregierung
bis £ur Wiederwahl
Hindenburgs
767
empfohlenen Linie eines generellen Verbots uniformierter Verbände lag, jetzt aber in Anbetracht des gänzlich unzulänglichen übermittelten Materials als Revanche-Akt gegen links erscheinen mußte, dem er sich entzog. Doch die Tage des Reichsinnenministers Groener waren gezählt, und die Regierung Brüning hing vollends in der Luft; über ihre Zukunft befand die Umgebung des Reichspräsidenten. Tatsächlich brachte der Wahlsieg Hindenburgs „keine innenpolitische Stabilisierung" 515 und nicht einmal „ein Atemholen in dem immer auswegloser" werdenden Kampf des Reichskanzlers und der ihn stützenden Parteien und Gruppen um die Behauptung letzter Bastionen gegen „die anbrandende Welle des extremen Nationalismus". Es zeigte sich, wie wankelmütig Hindenburg unter wechselnden Beeinflussungen sein konnte, aber auch, „wie wenig die wirklichen Machtverhältnisse Brünings Berechnungen und Erwartungen nach zwei Jahren bürokratischer Notverordnungsregierung noch entsprachen" 516 . Die präsidentielle Regierungsweise konnte auf die Dauer nicht stärker sein als der Präsident selbst.
5,5 516
Mommscn, Freiheit, S. 414. Diesem Urteil von Bracher, Auflösung, S. 490, ist nichts hinzuzufügen.
FÜNFZEHNTES
KAPITEL
Verfall der Regierung Brüning Die Stellung des Reichskanzlers in der Phase der Frühjahrswahlen Schwierige Lage in Preußen
1932.
Noch vor seiner Wiederwahl hatte der Reichspräsident schriftlich seine nächsten Verpflichtungen niedergelegt und einigen Vertrauten mitgeteilt. 517 Er drückte seine Hochschätzung für die Persönlichkeit des Reichskanzlers aus, der auch einer „nach rechts verlagerten Regierung" nicht im Wege gestanden habe. Aber veränderte Aussichten veränderten auch die Situation. Hindenburg kündigte an, daß er seine Bemühungen „um eine gesunde Entwicklung nach rechts" nicht einstellen wolle, vielmehr hoffe, „nach den Preußenwahlen", die spätestens im Mai stattfinden müßten, „neue Verhandlungen zur Bildung einer Konzentrationsregierung aufzunehmen". Damit hatte er den Stichtag bestimmt, von dem an die Regierung zur Disposition stand. Der Reichskanzler, obgleich er wahrscheinlich den Wortlaut dieses Dokuments nicht kannte, dürfte sich hierüber im klaren gewesen sein; sonst hätte er nicht wiederholt seinen Rücktritt angeboten, um sich der Rückendeckung des Reichspräsidenten — bis auf weiteres — zu vergewissern. Das bedeutete nicht, daß ihm dies behagte und er nicht beständig auf Festigung seiner Stellung bedacht war, soweit dies noch möglich schien. Doch die Wahl in Preußen blieb gewissermaßen der terminus post quem, mit dem die Ungewißheit über das weitere Schicksal des 517
Die als „vertraulich" bezeichnete „Persönliche Darlegung des Herrn Reichspräsiden-
ten über die Vorgänge und Vorgeschichte seiner Wiederkandidatur" ist zuerst v o n Bracher, Auflösung, S. 452 f., ausgewertet, im Nachlaß Graf Westarps aufgefunden worden. Eine weitere Fassung ist — nach einer persönlichen Einleitung — in Gestalt eines Briefes an Friedrich v. Berg überliefert; danach abgedruckt v o n Matthias, Hindenburg, S. 78 ff.; übernommen in UuF, VIII, S. 401—404. Außerdem fand sich ein Exemplar im Nachlaß Schleicher; jetzt Schulz, Politik, 2, S. 1 3 0 6 — 1 3 1 0 ; ein weiteres im Nachlaß Hindenburg; danach Hubatsch, Hindenburg, S. 312. Der Wortlaut dieser veröffentlichten Exemplare stimmt überein. Unter den Akten der Reichskanzlei ergab sich bisher kein Hinweis auf dieses Dokument, so daß fraglich bleibt, ob der Reichskanzler seinen Wortlaut und — nicht weniger wichtig — den Empfängerkreis kannte.
Verfall der Regierung Brüning
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Kabinetts begann. Am 14. März bestimmte der Ständige Ausschuß des preußischen Landtags den 24. April als Wahltag. Im Grunde schien die Partie für die Parteien der Weimarer Koalition, die die preußische Regierung stützten, schon verloren, spätestens mit dem zweiten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl am 10. April. Hindenburg hatte wohl eine Mehrheit erhalten; aber wenig sprach dafür, daß sich diese Mehrheit auch hinter die preußische Regierung stellen würde. Das SA-Verbot kurz nach der Wiederwahl des Reichspräsidenten hatte die Situation nicht gebessert. Der Zeitpunkt erscheint psychologisch nicht eben glücklich. Alles, was für das Verbot sprach, war schon vorher in Erscheinung getreten. Der Eindruck ließ sich daher nicht von der Hand weisen, daß das linke Spektrum der Wählerschaft Hindenburgs, als dessen Fürsprecher in sehr persönlicher Weise Ministerpräsident Braun hervorgetreten war, seine Gegenforderung präsentiert und eingetrieben habe. Auch fehlten unter den Sozialdemokraten nicht die prominenten Stimmen, die — nach links gewandt — das Verbot eben in diesem Sinne zur Rechtfertigung ihrer Tolerierungspolitik deklarierten. 518 Den sogleich von anderer Seite verlangten Gegenzug, nun auch ein Verbot des Reichsbanners folgen zu lassen, vermochte Hindenburg, von seinem Sohn mit unzulänglichem Beweismaterial hierzu getrieben, ohne rechtliche Handhabe nicht durchzusetzen, obgleich die Presse noch vor dem in Genf weilenden Reichskanzler und sogar noch vor Groener von diesen Absicht informiert und in Aufregung versetzt wurde. Womöglich bildete dies den Hauptzweck der Aktion, mit dem die Ratgeber des Reichspräsidenten ihm nach rechts Luft verschaffen wollten. 519 Groener zog sich auf das seit längerem vom Reichswehrministerium beharrlich verfolgte Vorhaben zurück, die „gesamte Jugend in eine umfassende Sportorganisation des Reiches" einzubeziehen. 520 Die Schufo-Organisationen des Reichsbanners
5.8
Vgl. Heinrich A. Winkler, Katastrophe, S. 531 f., 534 f.; Ehni, Bollwerk, S. 242.
5.9
Anschauliche Schilderung der Vorgänge in einem Brief Pünders an Brüning, 18. April
1932; A R : Brüning, 3, S. 2456 - 2460. 520
„Seit Jahren" sei dieses Ziel verfolgt worden, schrieb Generalmajor Liebmann nach
einer Befehlshaberbesprechung bei Hammerstein nieder. IfZ, ED 1/1—2; Aufzeichnungen des Generals der Infanterie Liebmann, 21. Mai. Inzwischen war das auch durch zwei Notverordnungen mit geläufigem Usus angepaßten Titeln geschehen, die aus einem einzigen Entwurf hervorgingen. Zweite Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Staatsautorität v o m 3. Mai 1932 (RGBl I, 1932, S. 185) und Verordnung über die Auflösung der kommunistischen Gottlosenorganisationen v o m gleichen Tag (ebda.). Entwurf BA, Nachl. Pünder/154. Vgl. A R : Brüning, 3, S. 2 4 8 3 ff.
770
III.
Das ^weite Kabinett Brüning
lösten sich freiwillig auf, so daß sich der Reichspräsident fürs erste zufriedengab. An diesen Vorgängen und Entscheidungen war Brüning peripher, kaum maßgebend beteiligt, wie es seiner Stellung als Reichskanzler und seiner verfassungsrechtlichen Kompetenz zur Bestimmung der Richtlinien der Politik entsprochen hätte. Die Kompetenz nutzte er bei der Behandlung von NSDAP und SA vorwiegend in taktischen Rücksichten; die „Richtlinien" bestimmte tatsächlich der Reichsinnenminister, der dem Drängen der Innenminister der Länder folgte, während das zweite Ressort Groeners, das Wehrministerium, in diesem Falle eher den Wünschen des Reichspräsidentenpalais gehorchte. Um zu verhindern, daß es mit dem Innenministerium in Konflikt geriet, war die Ernennung Groeners zum kommissarischen Reichsinnenminister betrieben worden und hatte Brüning hierzu seine Hand geboten. Der Kanzler ließ infolgedessen dem „Doppeladler" Groener stets den Vortritt in innerpolitischen Fragen; offenbar zog er sich schon auf die Außenpolitik zurück — und auf die Repräsentation der Regierung sowohl nach innen, in der Öffentlichkeit, dem Reichspräsidenten wie dem nur noch selten versammelten Reichstag gegenüber, als auch nach außen. Das konnte nicht lange gutgehen. Über die wahren Absichten Brünings rätselten selbst die wichtigsten Regierungsmitglieder. „Was der Kanzler will, weiß keiner", äußerte Dietrich Staatssekretär Schäffer gegenüber unter vier Augen; auch die Beziehungen zwischen Zentrum und NSDAP blieben im Halbdunkel und von Gerüchten umgeben. Deutlich schien nur das weiter zunehmende Interesse an Preußen. Wenn dort die Wahlen „schiefgehen", hatte Dietrich vom Reichskanzler gehört, „dann übernimmt er die preußischen Dinge auf das Reich". 521 Die preußische Landtagsmehrheit baute eben für diesen Fall in besonderer Weise vor. In der letzten Landtagssitzung am 12. April hob sie die seit 1921 geltende Bestimmung der Geschäftsordnung auf, daß der Ministerpräsident, falls sich im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit ergab, durch die einfache Mehrheit gewählt werden konnte. 522 Nunmehr 521
Aufzeichnung Schiffers, 7. April; IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch. § 20 Abs. 2 der Geschäftsordnung des preußischen Landtags vom 24. November 1921 bestimmte zur Wahl des Ministerpräsidenten: „Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen erhält. Ergibt sich keine solche Mehrheit, so kommen die beiden Anwärter mit den höchsten Stimmenzahlen in die engere Wahl. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los durch die Hand des Präsidenten." Der zweite Satz erlaubte eine besondere Ausnahme von der grundsätzlichen Bestimmung des Artikels 22 der preußischen Verfassung. In der letzten Sitzung der 3. Wahlperiode am 12. April 1932 nahm 522
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Brüning
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blieb in jedem Fall die absolute M e h r h e i t erforderlich. D i e generelle N o r m f ü r den speziellen Fall, der in seiner B e d e u t u n g h ö h e r r a n g i g e A k t — die G e s c h ä f t s o r d n u n g s ä n d e r u n g — w u r d e durch E n t s c h e i d u n g einer relativen M e h r h e i t reguliert. D i e C r u x lag in einem Defizit der Verfassung, die keinerlei B e s t i m m u n g e n einschlägiger A r t enthielt, so daß sich durch eine einfache, situationsabhängige
Geschäftsordnungsänderung
eine f ü r das Schicksal Preußens wesentliche Entscheidung einschränken bzw. u n t e r b i n d e n ließ. In rechtsstaatlicher Hinsicht w a r diese L ö s u n g eines o f f e n e n P r o b l e m s unzulänglich durchdacht und blieb sie unbefried i g e n d . 5 2 3 Sie hätte sich allerdings auf dem W e g e einer Verfassungsän-
der Landtag einen Antrag der Regierungsparteien an, diesen Satz zu streichen. Ein Antrag auf Aufhebung der Änderung vom 12. April, den die DNVP-Fraktion im Landtag der 4. Wahlperiode stellte, wurde mit Hilfe der Stimmen der KPD-Abgeordneten abgelehnt. Die NSDAP-Fraktion erhob daraufhin Klage beim Staatsgerichtshof, die durch Urteil vom 20. Dezember 1932 zurückgewiesen wurde, wie hier vorgreifend mitzuteilen ist. In Ubereinstimmung mit seinem Urteil im Prozeß Preußen contra Reich vom 25. Oktober ging der Staatsgerichtshof von dem Grundsatz aus, daß das Bestehen einer geschäftsführenden Regierung der Reichsverfassung nicht widerspricht. Die nähere Regelung der Regierungsbildung bleibe den Landesverfassungen überlassen. Zwar lasse sich nicht verkennen, daß es das Ziel des Beschlusses des alten Landtages war, „die Übernahme der Regierung durch die Antragstellerin mindestens zu erschweren"; inzwischen aber habe der neue Landtag die Änderung der Geschäftsordnung gebilligt — eben durch Ablehnung des Antrags, die Geschäftsordnungsänderung wieder aufzuheben. Den Beweggründen der Mehrheit vom 12. April 1932 komme daher keine Bedeutung mehr zu. DJZ, 38 (1933), Sp. 428 ff. 523 Die „Einführung des konstruktiven Mißtrauensvotums", wie Heinrich A. Winkler, Katastrophe, S. 542, meint, war dies noch nicht. Einmal versteht man hierunter eine höherrangige Norm als die einer — veränderlichen — Geschäftsordnungsbestimmung; vor allem aber betraf die Regelung nur die Wahl des Ministerpräsidenten und war in dieser Hinsicht die Motivation lediglich prohibitiv. Eine Diskussion, die die Richtung auf ein „konstruktives Mißtrauensvotum" wies, ist wohl im Gefolge der Geschäftsordnungsänderung entstanden, war jedoch nicht ursächlich an ihr beteiligt. Deutlich formuliert von Ernst Fraenkel: „Unser Vorschlag geht dahin, einem Mißtrauensvotum des Parlaments gegen den Kanzler oder Minister nur dann die Rechtsfolge des Rücktrittszwanges zu verleihen, wenn die Volksvertretung das Mißtrauensvotum mit dem positiven Vorschlag... verbindet, eine namentlich präsentierte Persönlichkeit ... zu ernennen." Fraenkel, Verfassungsreform und Sozialdemokratie, in: Die Gesellschaft, 9 (1932), II. Halbbd., S. 494. — Anders als Winkler hat Friedrich Karl Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz. Die verfassungspolitischen Folgerungen des Parlamentarischen Rates aus Weimarer Republik und nationalsozialistischer Diktatur, Tübingen 1960, S. 103, von einer „Einzelregelung mit Spezialtendenz von verfassungsrechtlich nicht ganz einwandfreiem Charakter" gesprochen. Konrad Adenauer, der Präsident des Preußischen Staatsrates, hielt die Regelung für „rechts- und verfassungswidrig". Adenauer an Braun, 7. April; Abschr. Handakten des Ministerialrats Arian; BA, Kl. Erw. 337/1. Winkler überschätzt im übrigen das in der Presse genannte, aber im Gesamtzusammenhang allenfalls sekundäre, gegen eine
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derung mit qualifizierter Mehrheit auch nicht durchsetzen lassen. In der nach gängiger Auffassung formalen Hinsicht ließ sie sich jedoch rechtlich nicht anfechten. Intention wie Wirkung entsprachen der politischen Absicht, im Falle einer Landtagsmehrheit der Rechten den Zugriff auf die Staatsregierung bis an den Rand des Unmöglichen zu erschweren. Daß immer irgendwie regiert werden muß, blieb außer acht, eine Reservelösung unbedacht. Nach Lage der Dinge schien dies das einzige Mittel der Regierungsparteien, den Nationalsozialisten den Weg an die Macht in Preußen zu verstellen, deren Übernahme ihnen ohne diese Geschäftsordnungsänderung mit großer Wahrscheinlichkeit schon im Mai oder Juni 1932 geglückt wäre. Die Zustimmung der Landtagsmehrheit zu der Geschäftsordnungsänderung wurde sicherlich durch die grassierende Parlamentsverdrossenheit erleichtert, die sowohl die pathetischen Rechtfertigungen des Regierens mit Notverordnungen nährte, als auch bloße Geschäftsregierungen — ohne Landtagsmehrheit — in Sachsen, Hessen, sogar schon seit 1928 in Oldenburg und bald auch in Bayern und Württemberg hinnahm. Politisch ließe sich der Entschluß, die Nationalsozialisten an einer Übernahme der Regierung in Preußen durch eine ad hoc vorgenommene Geschäftsordnungsänderung zu hindern, 524 post festum — durch den Historiker — gewiß rechtfertigen, soweit er aus einem überlegenen Rechtsbewußtsein und aus Sorge um die Erhaltung eines rechtsstaatlichen Kerngerüsts resultierte. Bei sorgfaltiger Gewichtung ergibt sich allerdings das Manko, daß die Änderung lediglich mit 227 Stimmen der 451
mögliche Stimmenthaltung der Kommunisten gerichtete Motiv. Huber, Verfassungsgeschichte, V I I , S. 951 — 956, stützt sich vornehmlich auf die Angaben von Brüning, Ein Brief, S. 7, und Brüning, Memoiren, S. 576, vermag aber nicht den Widerspruch, der sich dem Leser aufdrängt, aufzulösen. Brüning sei „bereit und gewillt" gewesen, „in der A b w e h r der Machtübernahme der N S D A P in Preußen bis an die äußerste Grenze des verfassungsrechtlich Vertretbaren zu gehen".(S. 951) A b e r er war auch „entschlossen, zunächst eine Einigung zwischen dem Zentrum und der N S D A P herbeizuführen". (S. 955) Als verfassungsgeschichtliche Erklärung weniger ambitiös, aber mit deutlichen Thesen Hans Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Staatsorgane für das Verfassungsleben, in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche. Festschrift f ü r Rudolf Smend zum 70. Geburtstag, Göttingen 1952, S. 3 0 3 - 3 1 9 , S. 313. 524
A n diesem Zusammenhang kann nicht gezweifelt werden. Der stellvertretende
Vorsitzende der SPD-Fraktion, Ernst Hamburger, der sich später als Anreger der Geschäftsordnungsänderung bezeichnete, bekannte sich uneingeschränkt zu dieser Absicht. Briefe Hamburgers an den Verf. (G. S.), 1 1 . Februar u. 6. März 1960. Diese Briefe sind offenbar in Photokopien verbreitet worden und dienten bereits als Quelle; auch bei Möller, Parlamentarismus, S. 387, A n m . 253; Schulze, Braun, S. 726 f.
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Abgeordneten zustande kam, also nur einer Stimme mehr als unbedingt erforderlich. 525 Die bei der letzten Wahl des Ministerpräsidenten 1925 im Parteienstreit entwickelte, schließlich bis zur Entscheidung vertretene und auch von Braun übernommene Verfassungsinterpretation, die darin gipfelte, daß „der Verfassungsauftrag des Staatsministeriums sich nicht auf den Landtag, sondern auf die Verfassung selbst gründe", 526 wurde schlicht in Abrede gestellt und jetzt gerade die „konstruktive" Zusammenarbeit der Landtagsmehrheit zum Maßstab genommen, 527 von der man ziemlich sicher sein konnte, daß es sie nicht geben würde. Sieben Jahre waren dahingegangen, ohne daß eine Korrektur der Verfassungsbestimmungen, deren Interpretation erklärtermaßen nicht eindeutig ausfiel, vorgenommen wurde, die den verklausulierten Sinn präzisierte. Zu bedenken bleibt aber auch, daß die Zentrumsfraktion, die zweitstärkste in der Regierungskoalition, anfanglich in dieser Frage uneinig war. Die „entscheidende Abstimmung endete ... fast unentschieden" 528 im Landtag der nun endenden Wahlperiode, wobei sich auch einige Angehörige der Weimarer Koalitionsparteien der Stimmabgabe entzogen, darunter Höpker-Aschoff von der Staatspartei und ein Abgeordneter der Zentrumspartei, Franz v. Papen, der sich dann öffentlich von dem Landtagsbeschluß als einem „unmöglichen Manöver" der Regierungskoalition distanzierte und so auf leichte Weise Aufmerksamkeit erregte. Die Folgen komplizierten sich schon in politischer Hinsicht dadurch, daß Otto Braun nach dem Wahlergebnis — fernab von den noch lange geführten Juristen-Diskussionen — dann doch „die in einem demokratischen Staate selbstverständlichen Konsequenzen" 529 zog und mit seiner
525 526
SBer PLT, 3. WPer, Sp. 24915 f. So resümierend, die Stellungnahmen zusammenfassend, Möller, Parlamentarismus,
S. 359. 527 Möller, a. a. O., S. 387, der aber diesen Widerspruch nicht erörtert. Im übrigen kann man dem auch von ihm zitierten Urteil — vor der Krise — zustimmen, von dem seine Arbeit ausgeht: die preußische Politik stünde „im Gegensatz zu der wesentlich tastenderen Reichspolitik an autoritativem Gehalt, Sicherheit und Bestimmtheit der Politik des Königreichs Preußen kaum nach". So Arnold Köttgen, Die Entwicklung des öffentlichen Rechts in Preußen vom 1. März 1926 bis zum 1. Mai 1930, in: JböR, 18 (1930), S. 4. 528 Thomas Trumpp, Franz von Papen, der preußisch-deutsche Dualismus und die NSDAP in Preußen. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des 20. Juli 1932, phil. Diss. Tübingen 1963, S. 60. Die weitere Vorgeschichte behandelt eingehend Jürgen Bay, Der Preußenkonflikt 1932/33. Ein Kapitel aus der Verfassungsgeschichte der Weimarer Republik, jur. Diss. Erlangen-Nürnberg 1965, S. 2 1 - 2 5 . 529 Braun, Weimar, S. 379.
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III. Das zweite Kabinett Brüning
Regierung demissionierte. 530 Fortan besaß Preußen nur noch eine geschäftsführende Interimsregierung auf Abruf; doch der Abruf konnte angesichts der Hürde, die die Geschäftsordnungsänderung vor einer Wahl des Ministerpräsidenten aufgerichtet hatte, nicht erfolgen. Dadurch entstand ein staats- und verfassungsrechtliches Neuland fragwürdiger Art, für die Regierung eine Lage, die Braun als „mißlich" und „unhaltbar" empfand. 531 Daher strebte er aus dem Amt und ließ sich von der Fraktion nicht mehr umstimmen. Die Nationalsozialisten waren mit 162 von 423 Mandaten schlagartig 2ur größten Landtagsfraktion geworden; aber zum Regieren reichte nicht einmal eine Koalition mit der stark geschrumpften deutschnationalen Fraktion von 37 Köpfen. Sozialdemokraten und Zentrum gemeinsam hatten noch 161 Mandate erreicht, die Staatspartei nur noch zwei. Neben diesen beiden Blöcken stellten die Kommunisten nunmehr 57, die DVP nur sieben, andere kleinere Parteien drei Abgeordnete. Keine Regierung ließ sich ohne Mithilfe der 67 Abgeordneten des Zentrums denken, von der die Deutschnationalen nichts wissen wollten. Das Problem einer Koalition ähnelte der Quadratur des Kreises, sofern nicht eine Verbindung zwischen Zentrum und NSDAP entstand, was freilich nicht im Sinne der Geschäftsordnungsänderung lag, an der das Zentrum als Miturheber beteiligt war. 532 Die Gesamtlage war schwieriger geworden. Nach der Wahl erschienen die Gewichte auch in den Vorstellungen einiger Politiker verschoben. Die führenden Männer der preußischen Sozialdemokratie, Braun, Severing und der Fraktionsvorsitzende Heilmann, dachten an einen geordneten Rückzug auf die Bänke der Opposition, freilich nur unter Umständen, die sicherstellten, „daß die Grundgesetze der Verfassung nicht verletzt werden", wie Severing am 30. April im „Vorwärts" schrieb. 533 Offenkundig neigten diese Männer dem Ge-
530
Beschluß in der Sitzung des Staatsministeriums am 26. April; G e h S t A B , Rep. 90/A
531
Braun, Weimar, S. 380, 374. Braun schreibt, daß er v o n der Geschäftsordnungsän-
40. derung abgeraten habe, was glaubwürdig klingt, allerdings von Ernst Hamburger in Abrede gestellt wird. s. oben Anm. 524. Kritisch auch der Reichstagsabgeordnete Julius Leber, Weg, S. 242, jedoch von anderem Standort und als Gegner Brauns, den er einen „Bürokraten der Politik" nennt. 532
Zu den Widersprüchen innerhalb der Zentrumsfraktion Bay,
Preußenkonflikt,
S. 22 ff. 533
Bay, a. a. O., S. 19, weist noch andere, ähnliche Äußerungen Severings nach, auch
Heilmanns, der eine „Eisenbartkur" mit den Nationalsozialisten empfahl. Severing hatte — womöglich noch entschiedener — zwei Tage vorher in einem Interview mit United
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danken einer Einbindung der preußischen Nationalsozialisten in eine Koalition mit dem Zentrum zu, um den Prozeß politischer Erziehung und erwarteter Abnutzung der radikalen Partei von den Oppositionsbänken aus zu beobachten und das Ergebnis abzuwarten. Auch dies wird man den verschiedenen Zähmungskonzepten zurechnen dürfen, die nacheinander ausprobiert wurden und allesamt davon ausgingen, daß das rasche Wachstum der NSDAP lediglich Übergangscharakter habe und überdauert werden müsse. Allerdings blieb die konsequente Klärung der Möglichkeit aus, daß es sich hierbei um ein länger dauerndes politisches Fieber, um einen Übergang ohne sichere Terminierung handeln konnte. Dies verlangte Pläne und Konsequenzen, die nicht irgendwann aufgegeben und abgebrochen werden durften. Es gab auch noch einige andere Stimmen. 534 Aber wahrscheinlich schrieb der durch seinen Nachlaß bekannt gewordene General Liebmann, der starke und derbe Töne bevorzugte, ganz richtig mit, wenn er nach einer Besprechung mit dem Chef der Heeresleitung, General v. Hammerstein, im Mai die politische Lage in den Worten wiedergab: Reichsregierung und preußische Regierung sollten „gleichgestellt" werden. Braun wolle kein „Geschäftsministerium", sondern „in Opposition gehen". Doch „Nazis und Zentrum" hätten noch immer nicht zu verhandeln begonnen; die Folge sei, das „Reichskabinett stirbt ab". 535 Das konnte nichts anderes bedeuten, als daß der Reichskanzler — in der Sicht der Reichswehrführung — in seiner nächstliegenden Aufgabe versagte. Die Wahlen in Bayern, Württemberg, Hamburg und Anhalt fielen ähnlich verhängnisvoll aus. Die Nationalsozialisten stellten, mit Ausnahme Bayerns, auch in diesen Ländern die stärkste Fraktion. Anderseits hatten sich die katholischen Volksparteien, Zentrum und BVP, einigermaßen bePress geäußert, daß die NSDAP Gelegenheit bekommen müßte, ihre Worte „mit den harten Tatsachen", mit denen so schwer fertig zu werden sei, in Einklang zu bringen. AsDB, Nachl. Severing/A 16. Hinsichtlich Brauns sind die Überlieferungen weniger eindeutig; aber im gleichen Sinne berichtet über ihn Stampfer, Vierzehn Jahre, S. 629. Hierzu Bay, a. a. O., S. 18, Anm. 91. 534 So von dem Berliner Polizeipräsidenten Grzesinski; Ehni, Bollwerk, S. 246. Mehrfach bezeugte Waffenbeschaffungen und Ausbildungsaktionen innerhalb einzelner Gruppen der Sozialistischen Arbeiterjugend Berlins seit dem Winter 1931/32 entbehrten offenbar der Koordination. Vgl. Matthias, Sozialdemokratische Partei, S. 125 ff., allerdings nur nach mündlichen Überlieferungen. 535 IfZ, Nachl. Liebmann/1—2, Aufzeichnung Liebmanns vom 21. Mai 1932; auch abgedruckt von Thilo Vogelsang, Neue Dokumente zur Geschichte der Reichswehr 1930 — 1933, in: VZG, 2 (1954), S. 423 ff.
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Das zweite Kabinett
Brüning
hauptet. Der Schlüsselstellung in Preußen und der schwierigen Lage in den übrigen Ländern suchte der Reichsvorstand der Zentrumspartei am 30. April dadurch Rechnung zu tragen, daß er sich ganz auf die Verteidigung des Reichskanzlers einstellte, auf einer Kontrolle der Koalitionsverhandlungen in den Ländern — mit Ausnahme Bayerns — bestand und die Wahl eines Nationalsozialisten zum preußischen Ministerpräsidenten ablehnte. 536 Dies war vielleicht nicht als letztes Wort gedacht, diente aber dem Bestreben, die Entwicklung einheitlich zu gestalten und Brüning der preußischen Landtagsfraktion gegenüber die Entscheidung zu sichern. Wunsch und Initiative zur Koalitionsbildung mußten von den Nationalsozialisten ausgehen. Durch diese Synchronstellung ließ sich dem Anschein nach die Stellung des Reichskanzlers stärken, der nun mit einem Schlag die Länderfilialen des Zentrums — nach dem Tod von Heß, dem eigenwilligen Fraktionsvorsitzenden im preußischen Landtag, — in die Hand bekam. Er konnte für eine einheitliche Parteilinie sorgen und, so er dies wollte, mit den Nationalsozialisten nicht nur über die Reichspolitik und die Reichsregierung, sondern gleich über mehrere Länderregierungen verhandeln. Der fortschreitend und erfolgreich betriebenen Zentralisation des Reiches unter Zuhilfenahme der Notverordnungen entsprach die Zentralisation der entscheidenden Koalitionsverhandlungen verschiedener Landtagsfraktionen der Zentrumspartei. Wenn es noch einer deutlichen Feststellung bedurfte, so traf sie der Parteiführer Kaas in einer Rede vor den Handels- und Industriebeiräten des Zentrums am 10. Mai: daß die Partei nun so einheitlich und geschlossen hinter ihrer Führung stehe wie in früheren Jahren nie. 537 Daß Brüning bereits Verhandlungen mit der NSDAP gesucht, „vorbereitet" oder gar schon geführt hat, erscheint kaum zweifelhaft. 538 Seit Herbst 1930 traf er wiederholt mit Gregor Straßer zusammen, der einerseits als Mittelsmann zu Hitler diente, anderseits aber eine starke Stellung und eine gewisse Eigenständigkeit innerhalb der NSDAP-Führung er536
Rudolf Morsey, Die Deutsche Zentrumspartei, in: Matthias, Ende, S. 305; in diesem
Sinne auch Brüning v o r dem Fraktionsvorstand des Zentrums am 9. Mai; Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 567. Hömig, Zentrum, S. 255, bestreitet die Schlüsselposition des Zentrums; doch die von ihm als Gedankenspiel angedeutete Regierungskoalition aller Parteien, von der SPD bis zur DNVP, gegen N S D A P und K P D ist eine pure Konstruktion e contrario ohne historische Bedeutung. 537
Rudolf Morsey, Der Untergang des politischen Katholizismus. Die Zentrumspartei
zwischen christlichem Selbstverständnis und „Nationaler Erhebung" 1932/33, Stuttgart/ Zürich 1977, S. 26. 538
a. a. O., S. 51, 235.
Verfall der Regierung
Brüning
III
langt hatte, w a s der Reichskanzler g e w i ß sah und w o h l auch f ü r seine Z w e c k e nutzte. 5 3 9 In z u n e h m e n d e m M a ß e trat Straßer als zweiter — u n d etwas anders taktierender — M a n n neben Hitler h e r v o r , in seinen Reden v o n jeher radikal, auch jetzt gelegentlich radikaler als Hitler. D o c h er fand mehr S y m p a t h i e als der Parteiführer unter Persönlichkeiten
der
Oberschicht, die sich der N S D A P zu nähern v e r s u c h t e n , 5 4 0 m o n o p o l i sierte geradezu diese A r t v o n A u ß e n b e z i e h u n g e n der N S D A P , so auch im Hinblick auf Brüning. A l s wichtiger V e r b i n d u n g s m a n n
zwischen
ihnen, aber auch zu einigen Persönlichkeiten der G r o ß i n d u s t r i e , als deren L o b b y i s t er tätig u n d f ü r die er der N S D A P beigetreten war, w i r k t e ein j u n g e r ehemaliger O f f i z i e r , d e r nach dem K ü s t r i n e r Buchrucker-Putsch in einen F e m e m o r d - P r o z e ß v e r w i c k e l t e u n d 1 9 2 7 z u m T o d e verurteilte,
Zum Folgenden Kissenkoetter, Straßer. Eine Anzahl Konservativer — prominente Deutschnationale, auch einige bekannte Agrarier vornehmlich des Ostens — vollzog im Frühjahr 1932 im stillen den Eintritt in die NSDAP oder näherte sich ihr. Straßer hielt seine schützende Hand über diese Vorgänge. Im Mai verließ der Stahlhelmführer v. Arnim, Herr auf Kunersdorf, seinen Verband, um kurz danach als Stabschef der SA-Gruppe Berlin-Brandenburg neben dem Gruppenführer Graf Helldorf in Erscheinung zu treten. Der NSDAP trat er zunächst nicht als Mitglied bei. Protest hiergegen vom Gaugeschäftsführer an Straßer, 1. Juli 1932; BA, NS 22/1046. Ein anderer Protest im Schriftwechsel des Gauleiters Ernst Schlange mit Straßer betraf den Parteieintritt des Landwirtschaftskammerpräsidenten v. Oppen-Dannenwalde, 20. Juni; a. a. O. Anders verhielt es sich mit einem dringenden Ersuchen des bereits vorher der NSDAP beigetretenen v. Oppen-Tornow, auf Grund einer Materialveröffentlichung nunmehr gegen den SA-Stabschef Rohm vorzugehen, „sofort und nachdrücklich, um Röhm zu beseitigen. Sie haben uns alle hinter sich, wenn Sie eine diesbezügliche Aktion in München unternehmen... Aus dem Fall Röhm wird ein Fall Hitler." Oppen-Tornow an Schlange, 8. Mai, handschriftl.; Schlange an Straßer, 9. Mai; a. a. O. Schlange fuhr daraufhin nach München, um dort mit Straßer und Major a.D. Buch, dem Leiter des Untersuchungsund Schlichtungsausschusses (Uschla), ein Vorgehen gegen Röhm zu beraten, das dann während der nächsten Monate auf mehreren Wegen, letztlich erfolglos, unter Einschaltung des Sekretärs von Rudolf Heß, Martin Bormann, dem Schwiegersohn von Buch, geprobt wurde. Bormann schlug damals schon Viktor Lutze als Nachfolger Röhms vor. Für den letzten Teil Kissenkoetter, Straßer, S. 65 f., 80 ff. Aufschlußreich ist ein Brief des Leiters des Berliner Büros des Völkischen Beobachters, Schickedanz, an seinen Freund Alfred Rosenberg am 19. April 1932, in dem er die Widerstände gegen Röhm kommentiert: „Und doch wird mit der Beseitigung Röhms der Schicksalsweg der Partei für die Zukunft entschieden... Adolf Hitler ist wohl der Führer der Partei; aber beherrscht wird sie heute schon von Gregor Straßer. Wie die Parallele Moskau zeigte: Schon zu Lebzeiten Lenins brachte Stalin die Partei in seine Hände. Auch Gregor Str. hat die NSDAP. Und wie diese in die Machtstellung im heutigen Staat hineinwächst, so wächst die Stellung Straßers in die Erbfolge hinein." BA, NS 22/1046. 539
540
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dann aber begnadigte Oberleutnant a.D. Paul Gustav Schulz. 541 Seit Frühjahr 1930 befand er sich zunächst auf Kaution und Bewährung wieder in Freiheit, in enger Verbindung zu Gregor Straßer, dessen Vertrauter, Sekretär und Adjutant er wurde; im Frühjahr 1931, nach dem „Stennes-Putsch", übernahm er für kurze Zeit die Führung der ostdeutschen SA. Brüning kannte Schulz, der sich 1925 dem DGB angeschlossen hatte, seit 1923. Er war der geborene Mann des Untergrundes mit reichen Erfahrungen, der sich aber auch an der Oberfläche gewandt zu bewegen wußte, wie geschaffen für ein vielseitiges Fädenziehen, wofür ihn zuerst einige IG-Farben-Direktoren, dann Emil Kirdorf, Fritz Springorum und Ernst Poensgen gewannen; schließlich lernte er den Münchener Kosmetikfabrikanten Albert Pietzsch kennen, der der NSDAP angehörte, und trat zu dem Industrielobbyisten August Heinrichsbauer sowie zu dem einflußreichen amerikanischen Journalisten Knickerbocker in enge Beziehungen. Die erste Begegnung von Schulz mit Straßer und anderen Nationalsozialisten, Frick und Buch, fiel in die letzte Zeit seiner Gefängnishaft; sie führte im Herbst 1930 zu seiner bis 1934 dauernden Parteitätigkeit. 542 Brünings Verbindungen zur NSDAP-Führung konzentrierten sich immer mehr auf Straßer, Schulz und ihren Kreis, der bald eine besondere Fraktion innerhalb der Partei repräsentierte. Wie weit die Absprache ging, die Brüning in der Nacht vom 1. zum 2. Dezember 1931 in der Wohnung des badischen Zentrumsvorsitzenden und Reichstagsabgeordneten Föhr in einem längeren Gespräch unter vier Augen mit Straßer traf, bleibt ungewiß. Ob er, sicherlich nur unter Kautelen, Straßer das Kanzleramt abtreten wollte, sobald der „in der Reichstagsfraktion eine Mehrheit nachweisen könne", um sich selbst bis zum Abschluß der Reparationsverhandlungen der Außenpolitik zu widmen, wie Treviranus berichtet, 543 erscheint nicht gesichert. Derartige Abreden dürften die 541
Wichtige Angaben enthält, mit einigen Ungenauigkeiten, ein 1976 deklassifizierter
geheimer OSS-Bericht aus Bern vom 13. August 1945 über Schulz (geb. 1898), der am 30. Juni 1934 verhaftet wurde, aber flüchten konnte und in Budapest zu einem amerikanischen Konsularbeamten Kontakt aufgenommen hatte. 5 S., National Archives, Washington D. C., R G 226 F. 19/Box 20 J X L 13980. 542
Vgl. Kissenkoetter, Straßer, S. 1 2 4 ff., 204 f.
541
So Treviranus, Ende, S. 164, auch 302, 339. Brüning nennt in seinen Erinnerungen
weder Datum noch Ort dieses Gespräches, noch läßt er sich über den Inhalt seiner Verhandlungen aus, bemerkt nur ebenso vielsagend wie geheimnisvoll: „Meine dauernde geheime Fühlungnahme mit dem Straßer-Flügel der NSDAP, außerhalb der Reichskanzlei oder zu nächtlichen Stunden — wobei Besucher mit anderen Namen auftraten —, konnte durchgehalten werden..." Memoiren, S. 461.
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Konflikte mit der NSDAP in der Vorgeschichte der Reichspräsidentenwahl kaum überstanden haben, auch wenn Brüning seine Kontakte zu Straßer „durchgehalten" hat. Immerhin ist dies die den frühesten Zeitpunkt datierende Nachricht, die den Gedanken einer Beschränkung Brünings auf die Außenpolitik bezeugt, als er sich einem außenpolitischen Erfolg nahe wähnte, ihm aber die Innenpolitik schon zu entgleiten drohte. Dennoch ist Straßer nie ein Gefolgsmann Brünings gewesen oder geworden. Über Zweckmäßigkeitserwägungen und Erörterungen von Möglichkeiten, die Brüning wohl häufig mit schweifender Phantasie entwickelte, dürften ihre Gespräche kaum hinausgekommen sein. Brünings Darlegungen vor dem Vorstand der Reichstagsfraktion des Zentrums am 9. Mai 1932, soweit das Protokoll ein Urteil erlaubt, scheinen mehr Ungewißheit als Klarheit über die Absichten der NSDAP zu verraten. 544 Doch den Gedanken seines Ausscheidens als Kanzler hat Brüning selbst wiederholt ins Spiel gebracht, offenkundig auch ohne Not, vielleicht aus Lust an den gedanklichen Möglichkeiten — in wechselnder Maskierung. Der Fraktionsvorsitzende der Nationalsozialisten im preußischen Landtag, Wilhelm Kube, beanspruchte in einer ersten Stellungnahme nach der Wahl am 25. April für seine Partei die Führung der preußischen Regierung. Ein Angebot an das Zentrum war dies jedoch nicht. 545 Die Gespräche zwischen beiden Parteien schienen zum Stillstand gekommen. Verhandlungen aus diesen Tagen sind nicht bekannt; im Mai fanden offenbar keine mehr statt. Weder die von sozialdemokratischen Führern gehegte Erwartung noch die der Reichswehrführung schien sich zu erfüllen; auch der Reichspräsident drängte nicht. Die Entwicklung wurde von anderer Seite in Gang gebracht, ohne daß der Reichskanzler dies sogleich bemerkte. Im Laufe des 9. April, am Tag vor dem zweiten Urnengang zur Reichspräsidentenwahl, hatte Schleicher bereits deutlich sein Umschwenken hinsichtlich des SA-Verbots erkennen lassen. 546 Be544 Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 567. Brüning ging auf Gerüchte über eine Regierungsumbildung ein und erwähnte, daß ihm die Außenpolitik bleiben solle. 545 Horkenbach 1932, S. 130 f. 544 Nachträgliche, chronikartige Niederschrift Pünders, unterzeichnet am 30. Mai; Schulz, Staat, S. 3 2 2 - 3 2 6 ; auch AR: Brüning, 3, S. 2437 - 2440. Dies wird unter dem gleichen Datum bestätigt und inhaltlich ergänzt in der umfangreichen Aufzeichnung Groeners vom Oktober 1932: „Der Leiter der Pressestelle des Reichswehrministeriums, Mareks... machte beim Hinausgehen aus dem Zimmer eine Bemerkung, aus der hervorging, daß er das SA-Verbot nicht billigte. Er habe General von Schleicher seine Einwände gesagt; nun sei es dessen Sache, mir Vortrag zu halten. Als dann General von Schleicher
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denken und Einwände waren von außen an ihn herangetragen worden, 547 bestanden aber auch im Reichswehrministerium.548 Der nationalsozialistische brandenburgische Gauleiter Schlange analysierte die Lage Straßer gegenüber dahingehend, daß es „zur Zeit drei Strömungen im RWM" gebe. Eine wolle die sofortige und vollständige Auflösung der SA, eine andere im Grunde dasselbe, aber auch die Auflösung des Reichsbanners, während die dritte, „die bis jetzt auch die stärkste war", eine Auflösung der SA- und SS-Formationen ablehne. Unmittelbare Sorge bereitete die Nachricht aus dem Reichswehrministerium, daß das preußische Innenministerium „anscheinend" beabsichtige, „die oberen SA-Führer zu verhaften". 549 Ob nun dies die Reaktionen auf nationalsozialistischer Seite zum Vortrag erschien, machte er ganz gegen seine sonstige Art einen beklommenen Eindruck." Höchstwahrscheinlich äußerte sich Mareks seinem Minister gegenüber auftragsgemäß, wohl kaum aus eigenem Antrieb. Vogelsang, Reichswehr, S. 450. 547 Am 8. April hatten sowohl Gereke als auch Dingeldey Schleicher gegenüber Bedenken wegen des Zeitpunkts des Verbotes vor der Preußenwahl geäußert. Sie sahen die Chancen ihrer Parteien vermindert, weil sie Wähler an die Nationalsozialisten verlieren würden. Schleicher unterrichtete Groener. a. a. O. Dingeldey erhielt von einem Gewährsmann im Reichsinnenministerium, Oberregierungsrat Erbe, am 9. April einen alarmierenden Bericht über „die wenig glückliche Rolle" Groeners und den Versuch, „ein Verbot der SA zu erreichen, nicht, weil ein strafbarer Tatbestand vorliegt, sondern weil man sich des politischen Gegners entledigen will". Schulz, Staat, S. 309 — 312. Es läßt sich nicht ausschließen, daß diese Mitteilung das Zünglein an der Waage der Entscheidungen bildete. Aber auch der ehemalige Kronprinz hatte, „um sich Liebkind bei der NSDAP zu machen, seine Schergendienste angeboten, um mit Hilfe von Schleicher und Hammerstein den Groener zu stürzen, seinen bisherigen .Freund'..." Levetzow an Baronin Tiele-Winckler, 10. April 1932; Granier, Levetzow, S. 340 (Datum möglicherweise irrtümlich). — Sowohl die Landvolkpartei als auch die DVP erfreuten sich der Förderung durch das Reichswehrministerium. Dingeldey erhielt in späteren Monaten, nach dem Versiegen industrieller Finanzhilfen, Geldüberweisungen von Schleicher aus Mitteln, die ihm Großindustrielle zur Verfügung gestellt hatten. Den vorhandenen Unterlagen zufolge bezog Schleicher von Juli bis November 1932 offenbar insgesamt 590000 RM von der Gruppe Springorum, Vogler, Otto Wolff. Hiervon gingen 68 000 RM an Dingeldey. Briefwechsel und Bankauszüge BA, Nachl. Schleicher/22. 548 Etwa zur gleichen Zeit erhielt der brandenburgische Gauleiter der NSDAP, Schlange, aus dem Reichswehrministerium Kenntnis von dem bevorstehenden SA-Verbot, dem bei Haussuchungen gefundenen Material, aber auch von dem Wunsch des Ministeriums nach Verbindung mit der Reichsleitung der NSDAP. Informant war ein Herr v. Natzmer, der sich als „Vertreter von Kapitän Busse in der Abteilung Arbeitsdienst" bezeichnet haben soll — eine sehr ungenaue Bezeichnung. Busse war später, nach Ausweis des Handbuches des Deutschen Reichs 1936, Generalarbeitsführer und Präsident des Rechtshofs des Reichsarbeitsdienstes. Schlange an Gregor Straßer, 9. April, mit Rotstift-Anmerkung Straßers „wichtig!"; BA, NS 22/1046. 549 Ebda. Von Straßer angestrichen. Die Nachricht erscheint etwas zweifelhaft, da die
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auslöste oder nicht; es war jedenfalls nicht die Straßer-Gruppe, die handelte, sondern die SA-Führung, Röhm und der Berliner SA-Gruppenführer Graf Helldorf, die es nicht bei der Einsicht beließen, Verbote könnten „nur schwache Parteien vernichten. Starke Bewegungen werden dadurch in ihrer Kraft gefestigt." 550 Unmittelbar nach der Wahl in Preußen alarmierten sie Hitler und führten Gespräche zwischen ihm und Schleicher herbei. 551 Während Goebbels noch am 26. April davon überzeugt war, daß parlamentarisch „ohne das Zentrum nirgends etwas zu machen" sei, „weder in Preußen noch im Reich", änderte sich seine Ansicht in den folgenden Tagen, nachdem Graf Helldorf am 25. oder 26. April mit Schleicher gesprochen und auch Röhm sich eingeschaltet hatte. Hitler zog sich vor dem Zentrum zurück. Am 4. Mai war es für Goebbels klar: Erst sollte Groener, dann Brüning fallen; und am 8. Mai schien das große Ereignis bevorzustehen: Hindenburg werde dem Reichskanzler in den nächsten Tagen das Vertrauen entziehen, „ein Präsidialkabinett installieren", den Reichstag auflösen und zur Neuwahl den Nationalsozialisten nach Aufhebung des SA-Verbots völlige Betätigungsfreiheit zusichern. „Wir bekommen Agitationsfreiheit und liefern dann ein Meisterstück an Propaganda", schrieb Goebbels. 552 Hitler setzte wieder auf den Reichstag und eine neue Reichstagswahl; die Nationalsozialisten erwarteten nun alles von Wahlen, nachdem die letzten so günstig ausgegangen waren. Neue Wahlen schienen neue Erfolge zu versprechen. Dies ließ sich aus den Ergebnissen im April folgern. Die NSDAP war außerhalb Bayerns überall zur stärksten Partei geworden. Sie besaß große Zugkraft in allen Bevölkerungsschichten, außerhalb des Lagers der traditionellen katholischen Wähler, Anhängern des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei. Der Primat der Sozialdemokraten war gebrochen; einige Parteien der rechten Mitte schienen von der Bildfläche verschwunden, so die Wirtschaftspartei und die Landvolkpartei in Preußen, wo sie zuletzt 28
Länder, auch das preußische Innenministerium, gerade den Reichsinnenminister zum Handeln gebracht hatten. Beweise f ü r diese unbestimmte Behauptung sind nicht bekanntgeworden. 550
Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 155 (14. April).
551
Ein deutliches Bild ergibt sich aus verschiedenen Tagebucheintragungen von Goeb-
bels v o m 26. April bis 8. Mai; a. a. O., S. 161 — 166; auch zum Folgenden. 552
a. a. O., S. 165; Vogelsang, Reichswehr, S. 189.
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Abgeordnete stellten, die DVP in Bayern, wo die Sozialdemokraten 15 von vorher 35, der Bauernbund acht von vorher 17 und die DNVP zehn von dreizehn Mandaten verloren hatten. Nicht nur die Sozialdemokratie verlor; auch die Zunahme der KPDWähler blieb in engen Grenzen und ließ sich mit den Wahlerfolgen der NSDAP nicht vergleichen. Manchenorts erlitt die KPD Schlappen. Das gilt auch für den zweiten Urnengang zur Reichspräsidentenwahl. Hatte ihr Kandidat Thälmann am 13. März mit 4,98 Millionen Stimmen (13,2 Prozent) im Vergleich mit der Reichstagswahl 1930 einen bescheidenen Erfolg errungen, so ging dieser am 10. April nicht nur verloren, sondern erzielte Thälmann mit 3,7 Millionen Stimmen ein Ergebnis, das — bei einer erheblich höheren Zahl der Wahlberechtigten — der Wählerzahl der KPD 1928 näher lag als der vom September 1930. Eine Übersicht über die Ergebnisse vom 24. April zum Hausgebrauch der Parteiführung 553 ließ keinen Zweifel, daß die Einbußen im Verhältnis zur Reichstagswahl am 14. September 1930 beträchtlich waren. Nennenswerte Gewinne konnte die KPD lediglich in Bayern verzeichnen, bescheidene in Württemberg, unbedeutende in Anhalt und in den preußischen Wahlkreisen Weser-Ems, Südhannover, Koblenz-Trier und Liegnitz. In den übrigen 19 preußischen Wahlkreisen ergaben sich Einbußen, nach dem bislang günstigsten Ergebnis 19 Monate zuvor, auch in stark industrialisierten Gebieten mit hohen Anteilen der Arbeiterbevölkerung und entsprechend hoher Arbeitslosigkeit. Noch augenfälliger nahmen sich die Verluste in Hamburg aus, wo die Kommunisten in der Bürgerschaftswahl einen Stimmenanteil von 15,9 Prozent erreichten, während in der Reichstagswahl am 14. September 1930 noch 21,9 Prozent auf sie entfallen waren. Gewiß schnitt die KPD überwiegend besser ab als in den vier Jahre zurückliegenden letzten Landtagswahlen. Tatsache aber blieb, daß sich ihre Anhängerschaft während der letzten eineinhalb Krisen- und Notjahre rückläufig entwickelte, in vielen Hochburgen das Zentrum besser abschnitt als zuvor und vor allem die Nationalsozialisten vordrangen und die Hauptgewinner der Wahlen waren. Der stetige Abfluß von SPD-Wählern wie der Zugang von Neuwählern kam nicht mehr der KPD, sondern überproportional der NSDAP zugute.
553
BA, R 45 IV/1475. Die Übersicht weist in einigen Fällen unbedeutende Differenzen
gegenüber den später bekanntgegebenen amtlichen Endergebnissen auf (für Hamburg 0,1 Prozent), die jedoch nicht ins Gewicht fallen und hier außer Betracht bleiben können. Zu Hamburg Büttner, Hamburg, S. 665.
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Besser als manche spätere Wahlstudie 5 5 4 belegen Beobachtungen der Beteiligten und Vergleiche, daß die nach ihrem Selbstverständnis so genannten Arbeiterparteien zusehends an Boden verloren, während die Nationalsozialisten auf Kosten aller Richtungen deutlich gewannen und sich quer durch alle Schichten, auf den Wegen ihrer verbreiteten Ideologie und organisierten Propaganda, auf stetem Vormarsch befanden. „Das Programm der sozialen und nationalen Befreiung Deutschlands ist ... nicht in dem Maße ausgewertet worden, wie es ... möglich gewesen wäre", kritisierte ein Kölner Kommunist nach Untersuchung der letzten Wahlergebnisse die Generallinie seiner Partei. 5 5 5 Es müßte „stets die Abhängigkeit der nationalen Befreiung v o n der sozialen zum Ausdruck kommen ... Warum K P D ? Und diese A n t w o r t kommt in den meisten Fällen zu kurz und bewegt sich oft nur in einer ... marxistisch klingenden Phraseologie, die ob ihres abstrakten Charakters schon unmarxistisch zu nennen ist." Die K P D blieb einseitig, letztlich blind gegenüber den Erfolgen der NSDAP, der sie im Grunde nur vorarbeitete in der unbeirrbaren Entschlossenheit, „den Hauptstoß gegen die SPD" zu richten. 556 Es fehlte nicht an mehr oder minder fundierten V o r w ü r f e n an die Adresse der
554 Ein E i n g e h e n auf Wahlanalysen erübrigt sich an dieser Stelle. Die in mehreren Veröffentlichungen vorliegenden neueren Versuche, alten Fragen mit verfeinerten mathematischen M e t h o d e n — aber ohne eingehende Untersuchung des Forschungsgebietes selbst — nachzugehen, fördern zwar neue Methoden, aber e r w a r t u n g s g e m ä ß keine neuen Antw o r t e n zutage. Im übrigen w i r d in formal-statistischer Hinsicht stets ein notorischer Erfassungsfehler wiederholt, indem exakte Vergleiche zwischen den Wählerpopulationen außer acht bleiben. Weder Sterbe- noch Zuwachsraten finden Berücksichtigung; es scheint daher so, als o b stets die gleiche W a h l b e v ö l k e r u n g zur Wahl g i n g e , was realiter keineswegs der Fall w a r u n d ist. Allein bei den Reichstags Wahlergebnissen von Mai 1928 bis Juli 1932 bleibt jeweils eine Z u n a h m e der Zahl der Wahlberechtigten zu berücksichtigen, die zwischen 2,9 und 6 Prozent lag, ein Z u g a n g von Erstwählern zwischen 5,2 und 10,7 Prozent und eine A b n a h m e von A l t w ä h l e r n , die, nach der nur durch A n n ä h e r u n g auf Grund der Reichsstatistik zu ermittelnden Sterberate, darüber lag. Auf der Ebene der unteren Verwaltungseinheiten (Städte, Landkreise) sind derartige E r h e b u n g e n nicht vorhanden und wahrscheinlich nicht mehr zu gewinnen. A u c h die B i n n e n w a n d e r u n g wäre zu berücksichtigen, w e n n eine Korrelation von Wahlverhalten u n d Sozialstruktur sinnvoll und schlüssig sein soll.
R. Scheer an W i l h e l m Pieck, 20. J u n i 1932; B A , R 45 IV/1475. Dieser Topos im Protokoll über die Sitzung der KPD-Bezirksleitung Halle mit den Leitern der Massenorganisationen am 21. M ä r z 1932 findet sich ähnlich oder wörtlich in vergleichbaren Protokollen vor der A p r i l w a h l ; B A , R 45 IV/11; sinngemäß auch in späteren Flugblättern, so noch in einem Flugblatt an die Sozialdemokraten im November 1932; BA, R 45 IV/4. 555 556
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III. Das inveite Kabinett Brüning
Parteiführung, 5 5 7 die jedoch den eingeschlagenen K u r s nicht wirklich änderte. In getrennten Richtungen bekämpften K P D und N S D A P teilweise das gleiche politische Lager, die liberale „Bourgeoisie" sowie die SPD. 5 5 8 Hinsichtlich der K P D war dies auch, aber nicht allein das Werk der Komintern, der die deutsche Parteiorganisation anhing, die einseitig darauf ausging, Spannungen zu verstärken, Krisen zu verschärfen, durch fortgesetzte Aktionen Unruhe zu erzeugen, Stimmungen und Meinungen zu aktivieren, sich indes v o r Festlegungen zu hüten, deutliche Programme zu meiden und sich auf die Schaffung und Stärkung v o n Potentialen „revolutionärer Gewalt" zu konzentrieren. 5 5 9 In dieser Taktik des Destruierens, die konstruierender Strategie entbehrte, liegt eine merkwürdige Entsprechung zu der bedachten Erzeugung von Krisengefühl und Katastrophenstimmung mittels politischer Propaganda, derer sich die nationalistische Rechte in Deutschland seit Jahren befleißigte. 5 6 0 Erst im Juni 1 9 3 2 entwickelte die K P D neue Parolen für die nächste Reichstagswahl und erhielt die „antifaschistische Aktion gegen den Faschismus" Vorrang. 5 6 1
557 Interesse verdient, daß intern Berufsstatistiken zur Analyse der Wählerschaft herangezogen wurden, die keinen Zweifel ließen, daß von einer „Einheit der Arbeiterklasse" nicht die Rede sein konnte. Auch ein Artikel der Roten Fahne fand Kritik, der Kleinbürger, Angestellte und Beamte als „die gläubige Schar Hitlers" bezeichnet hatte. Vorgänge BA, R 45 IV/1445. 558 Der Gedanke des formenden Kampfes als Politikum findet sich nicht nur bei nationalistischen Intellektuellen, sondern auch in der KPD, in Anlehnung an Lenin freilich: „... der Kampf erzieht die ausgebeutete Klasse, erst der Kampf gibt ihr das M a ß ihrer Kräfte, erweitert ihren Horizont, steigert ihre Fähigkeit, klärt ihren Verstand auf, stählt ihren Willen". Man gestand als Manko ein, daß man „keine solchen Kämpfe" der Angestellten und Beamten „organisiert habe", a. a. O.
Flugblätter und Anweisungen von 1932 BA, R 45 IV/1506. Vgl. Schulz, Aufstieg, bes. S. 455—476. Ernst Nolte, Der europäische Bürgerkrieg 1917—1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus, Frankfurt a.M./Berlin 1987, versucht, dies in einen Zusammenhang der europäischen Geschichte zu rücken, und hebt den lehrhaften Charakter der russischen Revolution, von Bolschewismus bzw. Leninismus hervor. Dies eröffnet ein weites Feld, das hier nicht betreten werden kann. Karl Dietrich Bracher, Europa in der Krise. Innengeschichte und Weltpolitik seit 1917, Frankfurt a.M./ Berlin/Wien 1979, S. 52 f., weist auf das gleiche Problem hin, aber unter Andeutung des bemerkenswerten Gedankens, den Revolutionsbegriff für die Zeit nach 1917 anders zu bewerten als aus der Geschichte geläufig. In der Tat handelt es sich hierbei überwiegend um planmäßige, systematisierte Destruktion ohne konstruktiven Zukunftsplan, um inneren Bürgerkrieg auf Gedeih und Verderb. Freilich drohte diese Gefahr auch schon in früheren Revolutionen. BA, R 45 IV/1558. 559 560
Verfall der Regierung Brüning
Die Reichsschuldenverwaltung verhindert Kreditermächtigung Notverordnung
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durch
Die Reichsregierung erschien auch von anderer Seite bedrängt, gar in ein fragwürdiges Licht gerückt. Der schwierige Haushaltsausgleich für 1932 ließ sich lediglich durch die Begebung von Reichsschatzanweisungen bewerkstelligen. Im November 1931 hatte die Reichsschuldenverwaltung hierzu noch mit knapper Mehrheit ihrer durch einen Sondereid verpflichteten Mitglieder eine in der Notverordnung vom 6. Oktober enthaltene Kreditermächtigung gebilligt, nachdem die Reichstagsmehrheit einen Antrag auf Aufhebung der Notverordnung abgelehnt hatte. Am 30. Januar teilte die Reichsschuldenverwaltung dem Reichsschuldenausschuß sowie dem Finanzministerium mit, daß nunmehr die Mehrheit des geheim tagenden Kollegiums zu der Überzeugung gelangt sei, daß Kreditermächtigungen des Reiches durch Ausnahmeverordnungen nach der Reichsverfassung nicht zulässig seien. Als der Reichsfinanzminister im Rahmen einer durch Notverordnung vom 20. Februar geschaffenen Kreditermächtigung 562 um Ausstellung sechsprozentiger Reichsschatzanweisungen, zunächst in Höhe von 100 Millionen RM, ersuchte, 563 wurde dies abgelehnt. Zum ersten Mal in der Geschichte dieser Institution ereignete es sich, daß die Vertreter der Reichsregierung in der entscheidenden Sitzung unterlagen. 564 Der sofort dem Kanzler bekanntgegebene und ausführlich begründete Standpunkt wurde mit einem unverblümten Kommentar eingeleitet: „Die Frage der Anwendung der außerordentlichen Befugnisse des Artikels 48 der Reichsverfassung für die Erteilung von Kreditermächtigungen durch Ausnahmeverordnung fällt nicht unter die Richtlinien der Politik, die Sie, Herr Reichskanzler, zu bestimmen haben. Dies erscheint uns zumal unter den jetzigen Verhältnissen zuzutreffen, da diktatorisch erteilte Anleihebewilligungen geeignet erscheinen könnten, die Rechtsgrundlagen des Kredits und damit das öffentliche Vertrauen zu erschüttern, dessen Wiederherstellung Sie in wiederholten programmatischen Erklärungen als unerläßliche Voraussetzung zur Überwindung der gegenwärtigen Krise bezeichnet haben." Dies ließ keinen 562 Verordnung des Reichspräsidenten über die Sanierung von Bankunternehmen vom 20. Februar 1932 (RGBl I, 1932, S. 83), § 1 f. 563 Vorgänge BA, R 43 1/2392. 564 Gutachtliche Stellungnahme der Reichsschuldenverwaltung für den Reichsschuldenausschuß, 22. März, „Geheim!"; handschriftl. Randnotiz Pünders vom 31. März auf dem Begleitschreiben der Reichsschuldenverwaltung an den Reichskanzler, 22. März 1932, „Geheim!"; BA, R 43 1/2392.
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III. Das %a>eite Kabinett
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Zweifel, daß sich die Reichsschuldenverwaltung gegen die Politik Brünings wandte, soweit sie die Anwendung des Artikels 48 auf die Kreditermächtigung der Reichsregierung betraf. 565 Der Verfasser und Vizepräsident der Reichsschuldenverwaltung, Geheimrat Kühnemann, hatte schon früher in der juristischen Literatur Auffassungen dieser Art vertreten, die sich nun durchsetzten. 566 Staatssekretär Schäffer bemühte sich gemeinsam mit Schwerin v. Krosigk, dem Präsidenten der Reichsschuldenverwaltung sowie dem Präsidenten des Reichsschuldenausschusses, Saemisch, die schwierige Situation darzustellen, die durch den „Umfall der Reichsschuldenverwaltung" entstand. 567 Doch diese Aussprache ergab nichts anderes als eine Klarstellung, daß die neuerdings mitgeteilte Auffassung nicht neu war, sondern daß „lediglich die Minderheit gegen unseren Standpunkt sich inzwischen in eine Mehrheit verwandelt hatte". Schäffer hatte zuvor versucht, durch den Vertreter des Finanzministeriums in der Reichsschuldenverwaltung, Ministerialrat Bayrhoffer, eine Beschlußfassung zu verhindern. Noch am gleichen Tage bemühte er sich gemeinsam mit Zweigert, die Professoren Anschütz und Jellinek zu Rechtsgutachten in der aufgeworfenen Frage zu veranlassen, „falls unsere Stellungnahme ihrem Standpunkt entspräche". Um die Gutachter vorzubereiten und zu beraten, begab sich Schäffer nach Heidelberg, wo er „den ganzen ersten März hindurch mit beiden Herren die Dinge" besprach. Die erbetenen Gutachten trafen am 17. März in Berlin ein. Doch in der Zwischenzeit übte Kühnemann einen starken Druck aus. 568 Der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Reinhardt, Mitglied des Reichsschuldenausschusses, unterstützte dies und legte in einem Akten565
Das 39 Seiten zählende, von allen Mitgliedern der Reichsschuldenverwaltung ge-
zeichnete Schreiben an den Reichsschuldenausschuß kommentierte Pünder sogleich mit einem Hinweis, der politische Hintergründe vermutete: „Ich scheue mich nicht, unter dieses, für mich ganz unfaßliche und unverständliche ,Gutachten' das mir kürzlich recht verwirrt zugegangene Gerücht zu verzeichnen, daß der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Reinhardt v o r einiger Zeit obigen Herren mitgeteilt haben soll, sie würden nach Bildung der nationalsozialistischen Regierung sofort ihre Stellen verlieren, wenn sie in dieser Frage der gegenwärtigen Regierung zu Willen sein würden." Das bezeugt die Konsterniertheit der Reichskanzlei, die auf eine kritische Beurteilung der Anwendungen des Instrumentariums aus dem Artikel 48 nicht vorbereitet war. 566
Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, VI, S. 487, 5 0 6 f f . ; ausführlich Schulz, Inflations-
trauma, S. 289 ff. 567
Gemeinschaftlicher Vermerk der Staatssekretäre Schäffer und Zweigert f ü r den
Reichskanzler, 31. März 1932; BA, R 4 3 1/2392. 568
Vermerk Schäffers; BA, R 43 1/2392; dort auch die weiteren Vorgänge.
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vermerk nieder, „daß er die Ausstellung von Schatzanweisungen auf Grund von Notverordnungen als unzulässig und als eine Verletzung des von der Reichsschulden Verwaltung geleisteten Sondereides ansehe". Schäffer zog daraus den Schluß, daß „die Reichsschuldenverwaltung ... offenbar durch diesen Vermerk, von dem sie Anfang März Kenntnis erhalten hat, sehr eingeschüchtert worden" sei. Eine nationalsozialistische Einwirkung, wenn man sie in der Stellungnahme Reinhardts sehen will, setzte jedoch erst nach Beginn der Auseinandersetzung ein. Das Umschlagen der beständigen Auffassung einer Minderheit in die einer Mehrheit lag vor dem Tätigwerden Reinhardts. Beschluß, gemeinschaftliche Besiegelung und Absendung der von Kühnemann ausgearbeiteten Stellungnahme am 22. März erfolgten dann noch vor der Übergabe der eingeholten Gutachten von Anschütz und Jellinek, die erst am 23. an die Reichsschuldenverwaltung gelangten. Am 29. März versuchte der zuvor erkrankte Bayrhoffer, den Standpunkt der Reichsregierung einer Reihe von Mitgliedern der Reichsschuldenverwaltung darzulegen und darauf hinzuweisen, daß nunmehr „die ersten vier Staatsrechtslehrer Deutschlands (Anschütz, Thoma, Schmitt und Jellinek) und das Reichsjustizministerium und das Reichsministerium des Innern sich auf den der Reichsregierung günstigen Standpunkt gestellt haben, daß demgegenüber nur die Auffassung des Herrn Vizepräsidenten Kühnemann, eines Berliner und eines Münchener Rechtsanwalts stünden". Er wies „auch auf die Lahmlegung der Staatsmaschine, die zu befürchten sei", hin. Doch die nächste Sitzung der Reichsschuldenverwaltung am 30. März brachte nach einer fast fünfstündigen Aussprache, in der jedes Mitglied erklärte, wie es zu stimmen beabsichtige, ein eindeutiges Resultat: „Diese Abstimmung wäre mit sechs zu drei Stimmen gegen uns ausgefallen", notierte Schäffer. In Frage stand für ihn, „wie lange wir nach dieser Stellungnahme ... noch in der Lage sind, ohne eine gesetzliche Kreditermächtigung die Reichsgeschäfte fortzuführen". Die eingehende Prüfung der Möglichkeiten — die Wiederbegebung von Wechseln, eine Lombardtransaktion mit Reichsbahnvorzugsaktien und einige andere Posten — ergab eine knappe Deckung der unmittelbaren Anforderungen, bei einem Fehlbetrag von 325 Millionen RM. Unter Einbeziehung von Bankhilfen kurzfristiger Art blieben die Auswege beengt. „Unter dem Vorbehalt des Unvorhergesehenen, der in solchen Fragen immer eingeschaltet werden muß", reichten die vorhandenen Kreditermächtigungen nach Schäffers Berechnung noch bis Ende April; eine Erweiterung schien „völlig ausgeschlossen". Am 10. Mai waren wieder Erneuerungen von Reichspapieren in Höhe von 37,5 Millionen RM vorzunehmen. Daraus
788
III. Das zweite Kabinett
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ergab sich, daß „spätestens am 30. April eine neue gesetzliche Kreditermächtigung vorliegen muß". 569 Inmitten der schwersten politischen Belastung der Regierung während der Monate März und April drohte ihr nun von der finanzrechtlichen Seite her aus scheinbar gesicherter Domäne eine unmittelbare Gefahrdung. Die letzten Ratschläge Schäffers klingen wie ein Vermächtnis, da er nun seinen Rücktritt ankündigte, tief getroffen durch die aussichtslos erscheinende finanzpolitische wie staatsrechtliche Situation.
Eine Kontroverse über Grenzen des
Ausnahmerechts
Innerhalb der Reichsschuldenverwaltung unter ihrem Präsidenten, dem ehemaligen preußischen Ministerialdirektor Articus, ging die Richtung Kühnemann, die nun die Mehrheit bildete, von dem Grundsatz des Artikels 87 der Reichsverfassung aus, der der Kreditbeschaffung außerordentlich enge Grenzen zog und vorschrieb, daß sie „nur auf Grund eines Reichsgesetzes erfolgen" dürfe. Zur Handhabung war 1924 eine Reichsschuldenordnung erlassen und die Behörde der Reichsschuldenverwaltung unter der Aufsicht des Reichsschuldenausschusses geschaffen worden, die allerdings im Verlaufe der Geschichte der Republik allmählich in den Hintergrund traten und an Bedeutung einbüßten. Aber es traf zu, wie in dem Gutachten zum Ausdruck kam, daß seit der Beratung der Reichsverfassung, der Reichshaushaltsordnung und ihrer Ergänzung „der Reichstag stets, und zwar auch für Notzeiten, besonderes Gewicht auf Wahrung seines Budgetrechtes gelegt" hatte. „Entsprechendes gilt für den Reichsrat, der an der Handhabung und Kontrolle der Diktaturgewalt nicht beteiligt ist. Eines der wichtigsten Anwendungsgebiete dieser Art sind die Kreditermächtigungen wegen ihrer überragenden finanziellen und zugleich politischen Bedeutung ... Schon aus diesen allgemeinen Gesichtspunkten könnten vom Standpunkt des Reichstags und des Reichsrats Bedenken gegen die Erteilung von Kreditermächtigungen im Verordnungswege hergeleitet werden, zumal die Nationalversammlung ein einheitliches Notverordnungsrecht bewußt abgelehnt hat..." Für die Ablehnung der Bewilligung von Krediten im „Diktaturwege" sprach eine ganze Reihe von Gründen: Der Artikel 48 verlieh dem Reichspräsidenten lediglich die Vollmacht, „nötige Maßnahmen" zu treffen — im allgemeinen. Artikel 87 der Reichsverfassung regelte in569
Vermerk Schäffers, a. a. O.
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dessen ausschließlich die Kreditmaßnahmen des Reiches. Diese Sonderregelung konnte nach einer in der allgemeinen Rechtslehre weithin verbreiteten Auffassung nicht abgewandelt oder eingeschränkt werden. Die Grundzüge des Haushaltsrechts ergaben sich aus den Artikeln 85 — 87 der Reichsverfassung. Danach wurde der Haushaltsplan „durch ein Gesetz festgestellt". Dies hieß nach herrschender Rechtsauffassung, daß lediglich der Weg der ordentlichen Gesetzgebung unter Beteiligung von Reichstag und Reichsrat beschritten werden durfte. Dies regelten die Artikel 68 — 71 im einzelnen. In subtiler, gelehrter Weise entwickelte Kühnemann den Begriff des formellen Gesetzes, den er seiner weiteren Gedankenführung zugrunde legte. Mit diesem Begriff erklärte er die Darlegungen Carl Schmitts, 570 gegen den er seit längerem theoretisch die Feder führte, für unrichtig, daß der Reichspräsident nach Artikel 48 Abs. 2 unter bestimmten Voraussetzungen alle Maßnahmen treffen dürfe, für die auch ein Reichsgesetz beschlossen werden kann. Kühnemann meinte, daß sich dies allein auf Rechtsverordnungen beziehen könne; nur „auf gesetzlicher Delegation beruhende Rechtsverordnungen, die Gesetze in materiellem Sinn, Rechtsnormen, sind, haben die Kraft, andere gesetzliche Vorschriften aufzuheben, abzuändern oder im Einzelfall zu durchbrechen". Diese Auffassung hatte in der Jurisprudenz etliche Vertreter gefunden. „Eine Kreditermächtigung auf Grund des Artikels 48 Abs. 2 ist aber keine Rechtsnorm — weder im formellen noch im materiellen Sinne, im formellen Sinne nicht, weil sie nicht in dem verfassungsmäßig vorgeschriebenen ordentlichen Wege der Gesetzgebung, sondern von einem Verwaltungsorgan, dem Reichspräsidenten, erlassen ist, und im materiellen Sinne nicht, weil sie nur eine Zustimmung zum Abschluß eines privaten Rechtsgeschäfts bedeutet." Entscheidend blieb die von Kühnemann erneuerte und nun wieder herangezogene These, „daß die Maßnahmen nach Artikel 48 Abs. 2 nur provisorischen Charakter haben dürfen", ein Gesichtspunkt, den Anschütz, Walter Jellinek und auch Thoma schon vertreten hatten. 571 570
Schmitt, Hüter, S. 118. Zur Begründung der Ansicht der Reichsregierung s. oben
S. 2 2 4 f. 571
Grundsätzlich auch weitere Ausführungen Kühnemanns: Der Einwand, daß die
Reichsregierung „nur einen Vertrauensausschuß der Mehrheit des Reichstages" darstelle, entspricht vielleicht der abstrakten „Verfassungslehre einer Idealdemokratie, widerspricht aber dem konkreten Verfassungsrecht des Reiches, v o r allem dem in den Artikeln 54, 56 Reichsverfassung niedergelegten demokratischen Grundgedanken der Führerauslese. Wäre der Einwand richtig, so wären die seit langem im Deutschen Reich üblichen und allgemein als verfassungsmäßig anerkannten Minderheitsregierungen, auch die gegenwärtige, verfas-
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Offen blieb die Frage, wie denn praktisch regiert werden sollte, wenn der Reichstag zu einem eindeutigen positiven Mehrheitsbeschluß nicht mehr gelangte. Kühnemann äußerte sich nicht, ob seine Auffassung in jedem Fall eine Regierungsbildung erforderte, die auf einer gesicherten Reichstagsmehrheit beruhte; aber es ließ und läßt sich folgern, daß alles sungswidrig." Resümierend und belehrend heißt es weiter: „Selbstverständlich haben sich die überlieferten Formen des alten Staates bei dem Ersatz der Monarchie durch die demokratische Republik gewandelt. Gerade bei der Gesetzgebung ist das Schwergewicht einseitig zugunsten der Volksvertretung verlagert, die jetzt — neben der Volksgesetzgebung durch Volksentscheid — das einzige gesetzgebende Organ des Reiches geworden ist. Insbesondere sind auf dem Gebiet der formellen Gesetze die Rechte des Reichstages nicht eingeschränkt, sondern erweitert worden. Im Gegensatz zur alten Reichsverfassung, nach der Kriegserklärung und Friedensschluß, der Abschluß von Bündnissen und völkerrechtlichen Vertretungen zur Prärogative des Kaisers gehörten, ist unter weitgehender Einschränkung der Rechte des Reichspräsidenten zur völkerrechtlichen Vertretung des Reiches der Reichstag eingeschaltet worden." Die nachfolgende Auseinandersetzung mit den Argumenten, die in der Nationalversammlung vorgebracht wurden, gipfelt in dem Ergebnis: „Die ... Entstehungsgeschichte bestätigt..., daß auch in Notzeiten die Aufnahme von Krediten ohne förmlichen Gesetzesbeschluß des ordentlichen Gesetzgebers unzulässig ist. Die Weimarer Verfassung hat ein Notverordnungsrecht im staatsrechtlichen Sinne, das im Gegensatz zum Ausnahmerecht des Artikels 48 auch Dauerregelungen gestattet, bewußt abgelehnt und statt dessen auf die Möglichkeit spezieller gesetzlicher Ermächtigung verwiesen." Ein „überverfassungsrechtliches", die außerordentlichen Befugnisse nach Artikel 48 Abs. 2 überschreitendes „Staatsnotrecht" ist, „wie noch jüngst das Reichsgericht in Übereinstimmung mit der herrschenden Staatsrechtslehre anerkannt hat, der Reichsverfassung fremd". Auch der Gesichtspunkt, daß bereits eine Praxis oder eine allgemeine Staatsübung eingetreten sei, könne nicht verfangen. „Ein Gewohnheitsrecht mag sich neben der Verfassung, kann sich aber nicht gegen die Verfassung bilden", da Verfassungsänderungen „nur auf dem im Artikel 76 vorgeschriebenen Wege zustande kommen können". Da aber die Verfassung „für Kreditermächtigungen Gesetzesform vorschreibt, kann der Formmangel nur durch eine Neuvornahme des Staatsaktes in der vorgeschriebenen Form, also durch Gesetz, geheilt werden". Auch „ein Verzicht des Reichstages auf die Formvorschriften der Verfassung ist unzulässig oder könnte jedenfalls nur im Wege des verfassungsändernden Gesetzes erfolgen. Die Gesetzgebung in der verfassungsmäßigen Form ist kein verzichtbares Recht, sondern eine unverzichtbare Pflicht des Reichstages. Der Artikel 87 dient auch nicht dem Schutze der Rechte des Reichstages, dem hierzu andere Mittel zur Verfügung stehen, sondern — ähnlich wie die Grundrechte — dem Schutze der Staatsbürger gegenüber der Verwaltung, nämlich gegen eine zu starke steuerliche Belastung infolge leichtfertiger Kreditgebarung, die an sich zum Machtbereich der Exekutive gehört." Nicht minder gewichtig erscheint die Erörterung der Praxis gewordenen Übung, die Anträge auf Aufhebung von Notverordnungen durch Mehrheitsbeschluß des Reichstages zurückzuweisen. „Wenn der Reichstag angesichts des vorläufigen Ersatzes eines Haushaltsplanes durch die Verordnung des Reichspräsidenten vom 26. Juli 1930 seinerseits auf eine Feststellung verzichtet hat, so war dies, wie auch Thoma in seinem Gutachten anerkennt, verfassungswidrig; denn der Reichstag hat nicht das Recht, sondern
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andere innerhalb des Haushaltsrechts — und nur haushaltsrechtliche Gesichtspunkte standen für die Gutachter zur Erörterung, wenn sich auch weitere Ausblicke eröffneten, — verfassungswidrig war. Die deutsche Geschichte wäre wohl anders verlaufen, wenn diese klare, aber strenge Auffassung schon bei den Haushaltsberatungen des Jahres 1930 geltend gemacht worden wäre. Aber die Reichsschuldenverwaltung hatte in früheren Fällen vorläufige Maßnahmen des Reichspräsidenten als rechtswirksame Kreditermächtigungen anerkannt. Der Gutachter Kühnemann scheute nicht die Aufgabe, sich mit diesem Widerspruch auseinanderzusetzen und die neue Mehrheit in der Reichsschuldenverwaltung zu legitimieren. Der entscheidende Satz verdient Interesse: „Wenn nach allem die Reichsschuldenverwaltung auf Grund nochmaliger Erwägungen, nachdem inzwischen die diktatorisch erteilten Kreditermächtigungen Milliardenhöhe überschritten und angesehene Staatsrechtslehrer die gegenteilige Auffassung begründet haben, glaubt, sich ihnen anschließen zu müssen, so kann ihr nicht das Recht hierzu (ebensowenig wie dem Reichsgericht) abgesprochen werden. Ihr Sondereid legt ihr vielmehr die Pflicht zu besonders sorgfaltiger Prüfung der Rechtsgrundlage auf." Das konnte nicht über den Sachverhalt hinwegtäuschen, daß die Reichsschuldenverwaltung vorher andere Maßstäbe angelegt, es nicht „so genau" genommen hatte. In ihrem Kern verweist die Begründung der veränderten Haltung auf die stete Zunahme von Kreditermächtigungen, ihr Ausmaß, die Größenordnungen und ihre Häufigkeit, die aus einstmals vereinzelten Ausnahmefallen eine förmliche Regierungspraxis erwachsen ließen. Man wird sich dem neuen, gewiß begründeten Gesichtspunkt nicht verschließen können, daß das Moment der Permanenz und der Dimension, das Umschlagen von Ausnahmeregelungen in Regelfalle eine für den Juristen alles andere als unbedeutende Perspektive ergeben mußte. Insofern ließ sich gegen dieses Gutachten nicht angehen. Welche Fallstricke juristische Stringenz zu schaffen vermochte, zeigte sich, als das Reichskabinett die Lage erörterte. 572 Es mochte dem von nach Artikel 85 Abs. 2 die verfassungsmäßige Pflicht zur rechtzeitigen Feststellung des Haushalts durch Gesetz. Schon die Überschreitung der v o n der Verfassung befohlenen Frist erzeugt, wie im Haushaltsrecht anerkannt, einen verfassungswidrigen Zustand, erst recht die Unterlassung der Feststellung überhaupt." Diese nachträglich vorgebrachte und in der Reichsschuldenverwaltung erst spät durchgesetzte Erkenntnis kam zu spät. Dies begründete auch das mangelnde Verständnis der Staatssekretäre. 572
A R : Brüning, 3, S. 2444 ff. Im Wortlaut des Protokolls findet sich der Ausdruck
„Schuldenausschuß" irrtümlich auch dann, wenn es richtig „Reichsschuldenverwaltung" heißen müßte. Der Reichsschuldenausschuß war ein größeres Gremium als die Reichsschul-
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III. Das %weite Kabinett Brüning
Joël bezeichneten Weg nun doch nicht folgen, durch eine neue Notverordnung die Reichsschuldenordnung dahin abzuändern, daß die Ausschreibung von Schuldverschreibungen auf den Reichsfinanzminister übertragen wurde. 573 Die ganze Konstruktion, die die Reichsschuldenordnung geschaffen hatte, wäre dann mit einem Strich hinfällig geworden; aber der vorgebrachten Interpretation des Artikels 87 der Reichsverfassung konnte nicht begegnet werden. Schäffer empfahl daher den Weg eines formellen Reichsgesetzes für die Kreditermächtigungen, den Kühnemann und die Schuldenverwaltung wiesen. Das Kabinett schloß sich dem nach einigem Zögern an und traf taktische Vorbereitungen. Die Sitzung des Reichstags sollte „bis gegen den 6. Mai hinausgezögert" und mit Rücksicht auf die Pfingstzeit auf wenige Tage beschränkt werden; Ältestenrat und Präsident des Reichstags ermöglichten dann eine noch schnellere Abwicklung vom 9. bis 12. Mai. Am 12. passierte die Gesetzesvorlage über Schuldentilgung und Kostenermächtigung mit 288 gegen 260 Stimmen den Reichstag. 574 Der von Kühnemann gewiesene Weg erwies sich nicht als ungangbar, wenn auch als unbequem und inzwischen ungewohnt. Allzu lange hatte man sich auf die praktischen Ratschläge von Joël und die wenigen von ihm noch bemühten Autoritäten und deren Meinungen beschränkt. Der Versuch Brünings, mit einem verfassungsdurchbrechenden Beschluß die Verlängerung der Amtszeit des Reichspräsidenten herbeizuführen, hatte zum ersten — politisch motivierten — Reinfall geführt, dies nun zu einem zweiten, der juristisch fundiert war. Die Regierung kehrte genötigt und ungewollt zur parlamentarischen Beschlußfassung in Budgetfragen zurück — und überstand die gefürchtete Klippe. Man darf dies als eine denkwürdige Station in der Regierungsweise mit Hilfe des Artikels 48 vermerken. Die gelehrte Jurisprudenz der Staatsrechtler beharrte indessen auf ihren anders gewichteten Prinzipien. Gerhard Anschütz schloß sich ebenso wie
denverwaltung. Er bestand aus dreizehn Mitgliedern, dem Präsidenten des Rechnungshofes des Deutschen Reiches als Vorsitzenden und je sechs Vertretern des Reichsrats und des Reichstags. Die Angabe über das Stimmenverhältnis 6:3 bezieht sich auf das neunköpfige Kollegium der Reichsschuldenverwaltung mit dem Präsidenten Articus und dem Vizepräsidenten Kühnemann. 573
Die Reichsschuldenordnung v o m 13. Februar 1924 (RGBl I, 1924, S. 95), nach der,
gemäß § 24, Reichsschuldenverwaltung und Reichsschuldenausschuß zur Ausführung der Bestimmungen des Artikels 87 der Reichsverfassung geschaffen wurden, ging auf das Ermächtigungsgesetz v o m 8. Dezember 1923 zurück. 574
S. 191.
Entwurf BA, R 43 1/2392. StenBer V h RT, Bd. 446, S. 2 6 8 9 - 2 6 9 5 ; RGBl I, 1932,
Verfall der Regierung Brüning
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Walter Jellinek der Ansicht Carl Schmitts an. Beide traten mit ihren Gutachten über „Reichskredite und Diktatur" an die Öffentlichkeit, in denen sie einer extensiven Auslegung des Artikels 48 — auch in staatsschuldrechtlicher Hinsicht — keine Grenzen mehr setzten.575 Der Wille zur politischen Entscheidung obsiegte über Distinktion der Begriffsbildung und analytische Schärfe. „Ob man in der Tatsache der übereinstimmenden Haltung der obersten Staatsorgane ein verfassungsänderndes oder verfassungsauslegendes Gewohnheitsrecht erblicken oder ... eine .Verfassungswandlung' sehen oder hier die im Staatsleben so häufige .normative Kraft des Faktischen' feststellen will, bleibt sich gleich. Jedenfalls ist die Wissenschaft ... verpflichtet, anzuerkennen, daß der Art. 48 II nicht von vornherein eng, sondern daß er weit auszulegen ist ... Es wäre schlechthin widersinnig, wollte man dem verfassungsmäßigen Diktator die Bekämpfung der Not, die uns jetzt am schwersten drückt, der Finanz- und Wirtschaftsnot, verbieten", meinte Anschütz. Diese Verweisung der Verfassung in die Rolle eines Generators der Diktatur bekräftigte Jellinek: Man müsse die Verfassung „als ein politisches Werk erster Ordnung im staatsmännischen Geiste576 auslegen". Dank der „Hilfsfigur" des Staatsmannes befand er vor „weitem Horizont" nun „die staatsmännisch allein mögliche Lösung" als „vernünftige Auslegung der Verfassung". Diese bedeutenden Staatsrechtslehrer machten es sich nicht leicht, um dem Anschein des politischen Dezisionismus im Dienste des amtierenden Machthabers zu entgehen. Aber die politisch drängend gewordene Frage, wer denn nun Diktator oder Staatsmann sein werde, Brüning oder Hindenburg oder noch ein anderer, zwischen denen Welten lagen, bewegte sie noch nicht. Vielleicht im Zweifel über einen glücklichen Ausgang der Abstimmung im Reichstag, gewiß unter dem Eindruck der etatpolitischen Situation, wie sie sich im April 1932 darstellte, seit längerem von Bedenken über manche der wichtigsten Entscheidungen erfüllt, entschloß sich der treibende Kopf der Reichsfinanzpolitik, Hans Schäffer, der seit Monaten Amtsmüdigkeit äußerte, zum Rücktritt. 577 Um dem Reichskanzler Zeit 575 Gerhard Anschütz u. Walter Jellinek, Reichskredite und Diktatur. Zwei Rechtsgutachten, Tübingen 1932. 576 Im Original unterstrichen. 577 Den Rücktritt hatte Schäffer wahrscheinlich am 9. April beschlossen. Wandel, Schäffer, S. 228. A m 30. April wurde er von Dietrich verabschiedet; aber Brüning wünschte sein Ausscheiden erst zum 15. Mai, um es nicht vor der Reichstagssitzung bekanntwerden zu lassen.
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III.
Das zweite
Kabinett
Brüning
zur Wahl eines geeigneten Nachfolgers zu geben, der dann doch nicht mehr ernannt wurde, erklärte sich Schäffer bereit, einen Urlaub anzutreten und seine Entlassungsurkunde erst am 14. Mai entgegenzunehmen. Sein letztes dienstliches Gespräch mit Brüning hielt er in seinem Tagebuch fest, auch seine eigenen Äußerungen, die im Hinblick auf die Reparationspolitik des Kanzlers den immer noch lastenden Alpdruck einer Zwangslage verraten, in der der Young-Plan angenommen wurde: „Ich habe den ganzen Herbst und Winter immer auf Haushaltsdeckung gedrängt, die eine sichere Kassenlage für den Augenblick der Verhandlungen böte, weil ich eine Notwendigkeit des Abschlusses verhindern wollte und weil ich selbst nicht in die menschlich und politisch schiefe Lage kommen wollte, Ihnen sagen zu müssen, wenn Sie nicht unterschreiben, sei die Kasse und wahrscheinlich auch die Währung zuschanden. Da ich mit diesen Vorschlägen nicht durchgekommen bin, muß ich, um eine solche Lage zu vermeiden, die Folgerungen ziehen..." 578 Deutlicher konnte einer der besten Kenner der Lage dem Reichskanzler kaum die Einsicht vermitteln, daß es so wie zuletzt nicht weiterging. Wenige Wochen später, Ende Mai, teilte Schäffer seine Einschätzung der Politik des Reichskanzlers und die Gründe für seine Demission in einem persönlichen Brief an einen Vertrauten mit: „Die Reparationspolitik des Kanzlers, die ich für ein sehr hohes Spiel halte, wird von ihm mit dem festen Willen betrieben, bis zum Ende bei ihr zu bleiben. Es ist für ihn keine taktische, sondern eine persönliche Frage, seinen Standpunkt nicht aufzugeben. Ich habe ihm mehrfach meine Bedenken gegen diese Art, sich festzulegen, geäußert, ohne ihn jedoch zu überzeugen. Ich habe ihm dann gesagt, daß dieser Außenpolitik aber auch eine Finanzpolitik entsprechen muß, die uns stark genug erhält, auch das Scheitern einer oder mehrerer Konferenzen in Kauf zu nehmen, und habe die finanziellen Vorschläge auf diese Notwendigkeiten eingestellt. Der Kanzler hat mir nun zwar den Grundsatz zugegeben, aber in allen Einzelfällen eine Politik gemacht, die meinen Anforderungen nicht entsprach ... Daß der Kanzler eine so starre Außenpolitik treibt, ist wiederum eine Folge des von innen her auf ihn ausgeübten Druckes, und daß er nicht die finanzpolitischen Folgerungen zieht, hängt wiederum damit zusammen, daß die Folgerungen zum Teil recht wenig populär sind und er von der Vergrämung jeder weiteren Schicht eine Erschütterung der politischen Lage fürchtet." 579 Danach erscheint es kaum 578 575
IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch, Eintragung vom 2. Mai. Schäffer an Arthur Feßler, 27. Mai; IfZ, Nach]. Schäffer/Tagebuch.
Verfall der Regierung Brüning
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zweifelhaft, daß Schäffer die Chance Brünings, mit seinen außenpolitischen Vorhaben zum Ziele zu gelangen, pessimistisch beurteilte und das Verfahren im ganzen für verfehlt hielt.
Unter dem Druck der Arbeitslosigkeit Auch in anderer Hinsicht wird die Wende im April schon deutlich. Nach der Wiederwahl des Reichspräsidenten und angesichts der bevorstehenden Preußenwahl begann das Verhältnis zwischen Brüning und dem preußischen Ministerpräsidenten zusehends stärker zu erkalten. Hierzu dürften körperliche Überanstrengung, Krankheit und depressive Stimmungslagen Brauns 580 beigetragen haben. Doch fraglos stellte die Entwicklung der Arbeitslosigkeit im späten Winter und in den ersten Monaten 1932 ein äußerst heikles Problem gerade für die preußischen Finanzen dar. Die stetig zunehmende Zahl der Dauerarbeitslosen in den Industriegemeinden führte zu erklärten Kassennotständen und der Einsetzung von Staatskommissaren für die Gemeindefinanzen. 581 Am 1. April 1932 belief sich in sieben größeren Städten des Ruhrgebiets allein der Anteil der arbeitslosen Arbeitnehmer, die aus Mitteln der gesetzlichen Arbeitslosenunterstützung oder Krisenunterstützung erhalten wurden, auf mehr als 30 Prozent der Einwohnerzahl. Nimmt man den stetig wachsenden Anteil der nur durch Wohlfahrtserwerbslosenunterstützung erhaltenen langfristig Arbeitslosen hinzu, so ergibt sich, daß in diesen Städten die Zahl der Beschäftigten zu einer schrumpfenden Minderheit geriet. 582 580
Schulze, Braun, S. 723 f., 729.
581
Die teilweise verheerenden Auswirkungen der Massen- und Dauerarbeitslosigkeit
auf die Kommunalverwaltungen und in der Kommunalpolitik bilden einen unterbelichteten Komplex in der Sozialgeschichte dieser Phase. Er fehlt vollkommen in dem amerikanischen Reader von Peter D. Stachura (Hrsg.), Unemployment and the Great Depression in Weimar Germany, New York 1986, aber auch weitgehend bei Preller, Sozialpolitik; wichtig: Rebentisch, Kommunalpolitik. 582
Tabelle mit Zahlenmaterial über die Belastung einiger Industriestädte durch Arbeits-
losigkeit in der Anlage zu einem Brief des Bevollmächtigten der Provinz Westfalen zum Reichsrat, Gilsing, an Innenminister Severing, 2. Juni; Orig.-Durchschl. B A , Nachl. Brecht/ 45. A n der Spitze dieser Aufstellung stand am 1. April 1932 Herne mit 4 0 0 0 0 öffentlich unterstützten Arbeitslosen bei insgesamt 9 9 0 0 0 Einwohnern; es folgten Duisburg mit 1 7 0 000 Arbeitslosen bei 421 000 Einwohnern, Gladbeck mit 24 000 bei 62 000 Einwohnern, Dortmund mit 2 1 0 000 bei 5 3 4 0 0 0 , Wanne-Eickel mit 3 2 0 0 0 bei 94 000, Bochum mit 9 7 0 0 0 Arbeitslosen bei 3 1 2 0 0 0 Einwohnern und Gelsenkirchen mit 101 000 Arbeitslosen
III. Das %u>eite Kabinett Brüning
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Der angesichts einer kaum noch Auswege versprechenden Lage resignierende Ministerpräsident sah sich von jüngeren, energisch treibenden Persönlichkeiten seiner Umgebung zu entschlossenen Schritten gedrängt. Auch in Preußen war die Stunde der hohen Beamten angebrochen, die sich in unausweichlicher Verantwortung sahen. Ministerialdirektor Brecht ventilierte den Gedanken, die Möglichkeiten der Reichsregierung, da sie den Artikel 48 im umfassenden Sinne für Maßnahmen einsetzte, die unter dem Ausdruck „Behebung der Not" firmierten, nunmehr für ein Programm zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit zu nutzen, das von der preußischen Regierung ausging. Ein von ihm entworfenes Schreiben des Ministerpräsidenten vom 30. April an den Reichskanzler 583 konzentrierte sich auf die Arbeitslosigkeit als „das Zentralproblem unserer inneren Politik". Es hielt „in erster Linie eine andere Verteilung der vorhandenen Arbeit unter Rückführung der Arbeitslosen auf die dadurch frei werdenden Arbeitsplätze für notwendig". Eine Kürzung der Arbeitszeit auf eine 40-Stunden-Woche sollte generell verordnet, alsdann, darüber hinausgehend, eine „staffeiförmige Abstufung bis etwa auf 32 oder 30 Stunden" angestrebt werden. Diese Einfälle ohne nähere Prüfung der Folgen und ohne Berücksichtigung der Lohn- und Tarifprobleme blieben gewiß unzulänglich und hätten wohl die Zustimmung des sozialdemokratischen Parteivorstandes nicht sogleich gefunden. Immerhin benutzte sie der „Vorwärts", um noch in den letzten Tagen der Regierung Brüning in der Öffentlichkeit für jene zu werben, die sich das Vorhaben einer Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu eigen machten und zu einer zentralen Forderung erhoben. Diese Thematik beherrschte die Stunde, in der die Regierung passiv blieb oder sich mit knappen Reaktionen begnügte. Der ADGB vermochte in der Arbeitslosenfrage wenig mehr zu tun, als Taten der Reichsregierung anzumahnen und den Verlust des Vertrauens in die „Wirtschaftsführung des kapitalistischen Systems" zu konstatieren. 584 Auch die von Otto Braun mitgeteilten Gedanken einer Staffelung der Arbeitszeit innerhalb eines 40-Stunden-Rahmens fanden nach Fürsprache Leiparts Anklang im Bundesvorstand. 585 Da sich jedoch der RDI jeder Arbeitszeitverkürzung widersetzte, 586 bot sich nur der schon und 335 000 Einwohnern. Wahrscheinlich sind die abhängigen Familienangehörigen der statistisch erfaßten Arbeitslosen in diesen Zahlen einbezogen. Die Quelle gibt hierüber keine Auskunft. 583
Entwurf BA, Nachl. Brecht/45.
584
Jahn, Gewerkschaften, S. 545.
585
28. April; a. a. O., S. 553 f.
586
Kastl an Brüning, 3. Mai; Schulz, Politik, 2, S. 1431 f.
Verfall der Regierung Brüning
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einmal, im Frühjahr 1930, erfolglos begangene Weg durch das „Nadelöhr" von Verhandlungen mit den Arbeitgebern und mit dem Reichskanzler. Auf Veranlassung Stegerwaids befaßte sich die Reichsregierung seit dem 4. Mai mit einer Arbeitszeitbeschränkung, die allerdings nur indirekt eine 40-Stunden-Woche ansteuerte, indem Überstunden in der Industrie, im Handel und Versicherungswesen von behördlicher Genehmigung abhängig gemacht und in einigen Sparten ausdrücklich nur innerhalb des 40-Stunden-Rahmens zugelassen werden sollten. 587 Der bescheidene Entwurf, dem keine stimulierende Bedeutung beizulegen war, blieb liegen und unentschieden. 588 Andere Probleme erschienen wichtiger, vor allem Einsparungen in der Arbeitslosenfürsorge. Aber auch hier ging der Kanzler einer Entscheidung aus dem Wege, um „nochmals reiflich überlegen" zu können. Sorgsam mied er jeden Beschluß und jedes Bekanntwerden einer Stellungnahme vor der für ihn so heiklen „Tagung des Reichstags". 589
Eine nationalsozialistische Initiative Unter diesen Umständen ergriff Gregor Straßer am 10. Mai im Reichstag das Wort, um in einer im Tone maßvollen Rede — zum Verdruß seiner innerparteilichen Gegner 590 — ein nationalsozialistisches Programm zur Arbeitsbeschaffung und Krisenbekämpfung vorzutragen, 591 das sogleich 587
AR: Brüning, 3, S. 2489 f. 19 Tage später entschied Brüning, unterstützt von Trendelenburg und Goerdeler, einer Förderung der 40-Stunden-Woche durch freiwillige Vereinbarungen den Vorzug zu geben. Doch der Verhandlungsgegenstand wurde am 23. Mai erneut vertagt; a. a. O., S. 2566 f. 589 a. a. O., S. 2491. 590 Kurz und abfällig Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 166. 5,1 StenBer Vh RT, Bd. 446, S. 2510-2521; wesentlicher Auszug Bombach, Keynesianismus II, S. 247—260; hierzu Kissenkoetter, Straßer, S. 83—87. Brüning hat später Straßers Reichstagsrede mit eigenen Plänen in Beziehung gesetzt und behauptet, er habe vor der Reichstagssitzung Straßer in einer „vertraulichen Besprechung über das Arbeitsbeschaffungsprogramm" (?!) angedeutet, daß er ihn „in einen Verwaltungsrat für die Ausführung der Arbeitsbeschaffungspläne hineinzunehmen" beabsichtige. Spuren von Vorarbeiten hierzu sind nicht bekannt. Gänzlich unbegründet ist Brünings Behauptung: „Das Kabinett hat natürlich Kenntnis genommen von diesen Plänen." Seine Kritik bezeugt die alte Einstellung: „Sie litten alle an dem einen Fehler, daß sie nicht auf unsere internationalen Verpflichtungen unter dem Young-Plan, vor allem auch auf das Reichsbankgesetz, Rücksicht nahmen." Brüning an Heinrich Dräger, 13. September 1954; abgedruckt Bombach, a. a. O., S. 287 - 297 (Zit. S. 296). 588
798
III. Das zweite Kabinett Brüning
die Aufmerksamkeit der Arbeitsbeschaffungsprogrammatiker fand, doch eng mit dem Anspruch der Nationalsozialisten „zu regieren" verknüpft war. Für manchen Beobachter entstand allerdings der Eindruck, „daß hier ein Vertreter des koalitionswilligen Flügels der NSDAP Fühlung suchte..." 592 Straßer konnte sich auf einige Autoren zu seinem Thema stützen und nutzte sie für seine Zwecke. Woytinskis Vorschläge kannte und zitierte er; vielleicht kannte er Röpkes Ausführungen, wahrscheinlich auch eine Schrift mit dem faszinierend zeitgemäßen Titel „WirtschaftsWende". 593 Von nun an wurde die Diskussion über die Arbeitsbeschaffung zu einer Angelegenheit ersten Ranges, 594 die die Parteien nicht länger ignorieren konnten, so wenig dies Straßers Rivalen innerhalb der NSDAP behagen mochte. Viele schlichte, in der Krise jederzeit leicht zu bewegende Empfindungen mag die weitab vom geläufigen nationalistischen Jargon gewählte, betont sozialistische Rhetorik berührt haben: „Der Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung ist der Protest des Volkes gegen einen Staat, der seinen Volksgenossen das Recht auf Arbeit und die Wiederherstellung des natürlichen Auskommens verweigert. Es ist der Protest gegen einen Staat, der eine Wirtschaftsordnung erlaubt und möglich macht, die den Ertragsreichtum der Natur verfälscht, Weizen verbrennt, Kaffee ins Meer wirft, notwendige Lebensgüter in sinnloser Weise aufstapelt, alles nur zu dem Zweck, die Preise und die Gewinne der Börse in die Höhe zu treiben." Solche pathetischen Exklamationen eines schlichten Realitätsempfindens und gefühlsbetonter Abbreviaturen wirtschaftlicher Wahrnehmungen sind in Deutschland nicht mit dem Nationalsozialismus dahingegangen. Dies gilt erst recht für die entweder stillschweigend vorausgesetzte oder erklärte, von Straßer nachgerade klassisch formulierte Ansicht vieler überzeugter Sozialisten verschiedener Couleurs, die die Perioden des 20. Jahrhunderts überdauerte: „Wenn der Verteilungsapparat des weltwirtschaftlichen Systems von heute es nicht versteht, den Ertragsreichtum der Natur richtig zu verteilen, dann ist dieses System falsch und muß geändert werden um des Volkes willen." Straßers Wort von der „großen antikapitalistischen Sehnsucht, ... die durch unser Volk geht", blieb ebenso haften wie seine
Bracher, Auflösung, S. 508. Robert Friedlaender-Prechtl, Wirtschafts-Wende. Die Ursachen der ArbeitslosenKrise und deren Bekämpfung, Leipzig 1931. Besondere Bedeutung mißt Kroll, Weltwirtschaftskrise, S. 435—455, dieser Schrift und ihrem als sicher angenommenen Einfluß auf das spätere „Sofortprogramm" der NSDAP zu. 5,4 Vgl. die positive Bewertung von Grotkopp, Krise, S. 77 ff. 552 553
Verfall der Regierung
Brüning
799
deutsche Vision von „einer grandiosen Zeitenwende" und dem „Aufkommen neuen Denkens", das über alle Parteien und Anschauungen triumphiert. Wahrscheinlich gelang es Straßer besser als Hitler, die bleibenden bewegenden deutschtümlichen Topoi des 20. Jahrhunderts zu formulieren. Meister der Rhetorik und Demagogie waren beide, Hitler wie Straßer; doch dieser erweckte den Eindruck redlicher Urwüchsigkeit, deren mitteleuropäischer Charme unbestritten bleibt. Da schien es gar kein Kunstgriff mehr, wenn er gegen die Sozialdemokratie zu Felde zog und die Gewerkschaften gegen die „jüdisch-intellektuell zusammengesetzte sozialdemokratische Parteiführung" in Schutz nahm, sich für den alten Legien und auf die Seite Woytinskis schlug und für „Kreditschöpfung", gegen „Tributpolitik", Goldwährung und Anleihen aussprach. Das geistige Wurzelwerk mutet ebenso archaisch wie dauerhaft an; und der schlichten Form des nur allzu einfachen Menschenverstandes entsprach der programmatische Kern seines „nationalsozialistischen Arbeitsbeschaffungsprogramms". Im Grunde war keine Idee sorgfaltig ausgearbeitet, kein Gedanke logisch entwickelt. Aber die rechtschaffen aufgelesenen und in einen Zusammenhang gebrachten Schlagworte „Arbeitsbeschaffung", „Kreditschöpfung", „Wirtschaft durch Arbeit", „Arbeit schafft Kapital" und dergleichen, die ebenso richtig wie falsch sein mögen und nur in einem rationalen Kontext deutlich werden können, regierten die Stunde. Die politischen Gegner mühten sich um sorgsame und sachgerechte Widerlegung, auch Hilferding und sogar Brüning; aber sie empfanden den Kontrast zu den haßerfüllten Tiraden von Leuten wie Hitler und Goebbels als wohltuend. Die vorsichtigen, geradezu schonenden Bemerkungen Brünings über Straßers am wenigsten überzeugende Äußerungen zur Finanzierung der Arbeitsbeschaffung 595 hatten allerdings andere als in dieser Sache liegende Gründe. Es ist hinreichend deutlich geworden, daß Brüning selbst dann, wenn er von „Arbeitsbeschaffung" sprach, kaum etwas anderes im Sinn hatte als psychologisch günstig wirkende Maßnahmen, die vor allem mit Opfern versöhnen sollten. 596 Für ihn gehörte dies zum Spiel auf der psychologischen Klaviatur der Politik, gleichsam im Schlagschatten seines jeweils bekundeten Zieles, das, wie er wiederholt hervorhob, auf längere Sicht angelegt war, jedenfalls, weil „das laufende Jahr vor allem 595
StenBer Vh RT, Bd. 446, S. 2599 ff.
Vgl. Henning Köhler, Arbeitsbeschaffung, Siedlung und Reparationen in der Schlußphase der Regierung Brüning, in: V Z G , 17 (1969), S. 2 7 6 - 3 0 7 . 596
800
III.
Das zweite Kabinett Brüning
außenpolitisch entscheidend sei..., unter allen Umständen in den nächsten Winter hinein und über ihn hinaus durchgehalten werden müsse" 5 9 7 . Der kurze Zeit erörterte Gedanke einer vom Reich aufgelegten „Prämienanleihe", die gehortetes Sparkapital zur Finanzierung von Arbeitsförderungsmaßnahmen und Siedlungen — bescheidenen Umfangs — hervorlocken sollte, 5 9 8 erwies sich schnell als Fehlschlag. D e r Reichskanzler hatte sich reserviert verhalten. Das Ergebnis lohnte in der Tat den Aufwand nicht. In der historischen Betrachtung erwächst der Eindruck, daß diese Frage nur mit halber Kraft und geringem Interesse wie eine unvermeidliche Pflichtübung absolviert und aus Prinzip nur die alte Überzeugung repetiert wurde, die Luther als „richtige Bemerkung" Trendelenburgs notierte: „Erst wenn durch politische Maßnahmen eine grundsätzliche Wandlung in der Vertrauensfrage entstanden sei, dann könne man in die Kreditgewährung mit einer neuen großen Welle hineingehen." Das hieß aber im letzten nichts anderes, als abwarten bis zur Klärung der Reparationsfrage in dem angestrebten Sinne einer völligen Beendigung deutscher Zahlungsverpflichtungen. Nicht einmal Vorbereitungen eines großen Programms für den Tag nach diesem erhofften Ergebnis irgendwann „im Juni" lassen sich in der Reichskanzlei und in der Umgebung des Kanzlers nachweisen. Wenn Initiativen des um zwei oder gar drei wichtige Minister und einen einflußreichen Staatssekretär reduzierten Kabinetts in einer sukzessiv veränderten Situation noch vor der Konferenz in Lausanne durchdrangen, von der nun alles erwartet wurde, so lag dies nur daran, daß sie auf Gebieten ansetzten, auf denen Brüning — aus Rücksicht auf Hindenburg, aber auch auf seine Partei — seit längerem nur zusah und sich scheute, ihnen entgegenzutreten.
Neues landwirtschaftliches Entschuldungsverfahren in Ostdeutschland Unter den unverändert fortbestehenden Voraussetzungen besaß die Osthilfe in ihrem stetig weiter ausgedehnten Geltungsbereich ungleich größeres Gewicht als jedes der umstrittenen Projekte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Reichsregierung vervollkommnete ihre subsidiäre Politik im Laufe des Jahres 1932. Auf Grund der Sicherungsverordnung vom 17. November 1931 und der hierzu ergangenen Durchführungs3,7
Aufzeichnung
des Direktors der Reichsbank Waldhecker über die Sitzung
des
Reichskabinetts am 12. April; Schulz, Politik, 2, S. 1371. 598
A R : B r ü n i n g , 3, S. 2485, 2491, 2517; Tagesbericht Luthers, 13. Mai; Schulz, Politik,
2, S. 1447 ff.
Verfall der Regierung Brüning
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Verordnung vom 5. Dezember entstand ein verzweigtes Treuhandwesen unter der Aufsicht des Osthilfekommissars. Dem Treuhänder oblag die Sorge, daß der Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten seine Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern erfüllte und für das laufende Wirtschaftsjahr einen Zahlungsplan aufstellte, dessen Durchführung sich überwachen ließ. 599 Schlange-Schöningen erlitt seine erste Schlappe, als er in der Kabinettssitzung am 21. Januar eine neue, nur unvollständig vorbereitete Entschuldungsverordnung zur Verabschiedung vorlegte. 600 Erst nach längeren Beratungen und einem Gespräch Schlanges mit Luther in Gegenwart des Reichspräsidenten konnte eine stark reduzierte und veränderte Verordnung verabschiedet werden. Der Zweck der von SchlangeSchöningen vertretenen neuen Osthilfepolitik lag darin, „die bisherigen Wege der Entschuldung" zu verlassen und nunmehr den „großen Teil der Betriebe", die sich im ,Sicherungsverfahren' befanden, in ein Entschuldungsverfahren überzuleiten, das neu geregelt werden sollte. Schlange hatte sich vorher der Zustimmung der Rentenbank-Kreditanstalt sowie der Agrarorganisationen des Ostens, namentlich der Präsidenten des Deutschen Landwirtschaftsrates und des Reichslandbundes versichert. Doch der Reichsfinanzminister, der Auswirkungen auf die Finanzen und eine erneute Beanspruchung des Aufkommens aus der Industriebelastung befürchten mußte, wandte sich gegen diesen Kurs, zumal die Frage offen blieb, was mit den Gütern geschehen solle, die sich im Sicherungsverfahren befanden und trotz aller Hilfen auch in Zukunft nicht zu halten waren. Die wachsenden Haushaltsbelastungen zwangen dazu, nun „umgehend daran zu gehen, solche Güter durch Erwerbslose wieder nutzbar zu machen". Damit war die Aufmerksamkeit auf den möglichen Zusammenhang zwischen Sicherungsverfahren und Arbeitslosenbekämpfung gelenkt und die Frage nach dem Schicksal der aus eigener Kraft nicht mehr wirtschaftsfähigen, überschuldeten Güter erneut gestellt. Nach wiederholten Auseinandersetzungen konnte Schlange eine veränderte Entschuldungsverordnung durchbringen; doch
599
Ausführliche Erläuterungen der Funktionsweise in einem Rundschreiben des RDI
an die Mitglieder des Präsidiums sowie an die Fachgruppen und regionalen Verbände, „...betr. Osthilfe (Sicherungsverfahren)", 14. Januar; B A , Nachl. Silverberg/232. 600
Kabinettssitzungen am 21. Januar u. 5. Februar; AR: Brüning, 3, S. 2206 - 2209,
2 2 1 9 f., 2267—2272; Vermerk Feßlers über eine Chefbesprechung am 22. Januar und die Vorlage des Reichskommissars am 4. Februar; B A , R 43 1/1812.
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III. Das ¡¿weite Kabinett Brüning
die Frage der Ansiedlung von Erwerbslosen blieb für die Zukunft ein strittiger Punkt. Die Durchführung der revidierten Verordnung mitsamt ihren nachfolgenden Handhabungen, 601 die eine neue Art des landwirtschaftlichen Vollstreckungsschutzes und der Entschuldung entwickelten, stellte dem Erfindungsreichtum der kreditpolitisch engagierten Entschuldungspolitiker ein bemerkenswertes Zeugnis aus. Neu war die Schaffung sogenannter Entschuldungsbriefe, mit denen die Gläubiger abgefunden wurden. Diese Briefe wurden von der Deutschen Rentenbank bis zu einer Höhe von 500 Millionen RM ausgegeben, verzinst und in zwei Tranchen wieder eingelöst. Die Mittel hierzu kamen aus der Aufbringungsumlage der Industrie, aus dem Reichsetat und den verfügbaren Reingewinnen der Rentenbank-Kreditanstalt sowie aus Zins- und Tilgungsbeiträgen der Entschuldungshypotheken. Auch Wechselforderungen sollten auf diesem Wege abgefunden werden. Das Instrument der Entschuldungsbriefe, das nur auf das Osthilfegebiet Anwendung fand und eine Exemtion aus dem allgemeinen landwirtschaftlichen Schuldrecht begründete, stellte einerseits gewiß eine Hilfe für die zu größeren Summen verschuldeten landwirtschaftlichen Betriebe dar. Auf der anderen Seite aber blieb das Gläubigerverhältnis, im besonderen die Bindung von Kapitalien bestehen. Der RDI bekundete daher einen gewissen Widerstand. 602 Dem wurde durch eine stärkere Formalisierung des Verfahrens begegnet. Die offiziellen „Richtlinien für die landwirtschaftliche Entschuldung im Osthilfegebiet" bestimmten, daß die Entscheidung über die Gewährung von Entschuldungsdarlehen namens des Kommissars für die Osthilfe die jeweilige Landstelle in Übereinstimmung mit der Bank für deutsche Industrieobligationen zu treffen habe. Auf diese Weise blieb die Stellung der Industriebank, die die Aufbringungsumlage verwaltete, gesichert. Sie behielt ihre Selbständigkeit und wirkte bei allen Entscheidungen über Kredite mit; sie blieb frei von jedweder Anweisung, von künftigen Durchführungsbestimmungen und Richtlinien. Die Bank war auch ermächtigt, die technische Durchführung der Kreditgewährung an ein Spezialinstitut zu übertragen und
601
Entschuldungsverordnung vom 6. Februar 1932 (RGBl I, 1932, S. 59) sowie die
hierzu erlassene Durchführungsbestimmung v o m 12. März (RGBl I, 1932, S. 130) und die auf Grund von § 1 dieser Bestimmung veröffentlichten „Richtlinien für die landwirtschaftliche Entschuldung im Osthilfegebiet" vom 15. März (RGBl I, 1932, S. 143). 602
Rundschreiben des RDI vom 14. Januar.
Verfall der Regierung Brüning
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selbst gar nicht in Erscheinung zu treten. Schlange gab sich hiermit zufrieden. 603 Während Schlanges Versuch, sich durch Konzilianz der industriellen Seite gegenüber den Rücken frei zu halten, gelang, klärte dies keineswegs sein Verhältnis zum Reichsarbeitsminister, in dessen Zuständigkeit die Siedlungspolitik fiel. Mit der Aufwertung der Siedlung ergab sich die praktische Frage, ob auch die erwarteten Siedlungsflächen unter Sicherungsschutz blieben, was dazu führen konnte, daß die ländliche Siedlung im Osten mangels Landanfalls zum Erliegen kam. 604 Um Unstimmigkeiten vorzubeugen, unterbreitete Schlange der Reichskanzlei einen „Vergleichsvorschlag", wie er es nannte, der den Reichsarbeitsminister kühn und offensiv in der Zuständigkeitsfrage bloßzustellen versuchte: Die Organisation der landwirtschaftlichen Siedlung sollte in die Hände des Ostkommissars gelegt werden, um „bürokratische Hemmnisse", die gerne zitiert wurden, auszuräumen. Dem „berechtigten Wunsche" des Reichsarbeitsministers, „neben der Belastung durch den Abbau der Sozialpolitik eine aufbauende Aufgabe zu behalten", wollte Schlange auf seine Weise Rechnung tragen. Er schlug vor, daß das Arbeitsministerium alle Siedlungsaufgaben außerhalb des Osthilfegebietes verwaltete, innerhalb dieses Gebietes aber nur solche, die der Bekämpfung des Arbeitslosenproblems dienten, namentlich die Stadtrandsiedlungen. An den Ostkommissar sollten mithin im Osthilfegebiet alle Angelegenheiten der bäuerlichen Siedlung übergehen, da sie unmittelbar mit der Umschuldung zusammenhingen, was in der Tat kaum strittig war. 605 Stegerwald reagierte hierauf mit einer drängenden Erinnerung an den Reichskommissar, er habe am 25. Februar in einer Chefbesprechung 606 „in sichere Aussicht gestellt", daß „in etwa 2 bis 3 Wochen erhebliche Landmengen für Siedlungszwecke anfallen würden", weil zahlreiche Entschuldungsverfahren wegen zu hoher Verschuldung nicht mehr durchführbar seien. Bisher seien aber keine derartigen Güter freigegeben worden; infolgedessen stockten die Osthilfemaßnahmen wie der Gütermarkt im Osthilfegebiet und sähen sich die Siedlungsträger nicht mehr
603
Schlange an Silverberg, 19. Februar u. 1. März; BA, Nachl. Silverberg/579; 23. März; Schulz, Politik, 2, S. 1356 f. 604 Boyens, Siedlung, II, S. 104. 605 Schlange an den Staatssekretär in der Reichskanzlei, 5. März; BA, R 43 1/1289. Dem war ein Schreiben Stegerwaids an Pünder vom 2. März vorausgegangen, das die Finanzierungsfrage auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Siedlung betraf. 606 Bisher nicht dokumentiert.
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III. Das zweite Kabinett Brüning
im Besitz notwendiger Landvorräte, um den Erfordernissen der Siedlungspolitik genügen zu können. Daran knüpfte Stegerwald das Verlangen, die Aufhebung der Sicherungsverfahren für die in Frage kommenden Güter zu veranlassen. „Es ist eine so große Zahl von geeigneten, ernsthaften Siedlungsbewerbern vorhanden, ... daß die psychologischen Wirkungen nicht abzusehen sind, wenn nicht umgehend dem Drängen nach Land, dem gesunden Willen zur landwirtschaftlichen Ansiedlung stattgegeben wird..." 6 0 7 Dem lieh auch Pünder seine Unterstützung — sicherlich im Einvernehmen mit dem Reichskanzler und an dessen Stelle —, indem er den Reichskommissar bat, umgehend Siedlungsland zu beschaffen. Das Jahr 1932 dürfe nicht „für den Siedler verloren" gehen, die Durchführung des Sicherungsverfahrens die Siedlung nicht verzö-
Kontroversen über
Siedlungspolitik
Schlange-Schöningen hatte selbst den Siedlungsgedanken als zentralen Punkt seines Programms stilisiert. Er antwortete Stegerwald in der Form entgegenkommend und versicherte, daß er es als eine seiner Hauptaufgaben betrachte, „die Frage zu klären, was mit den nicht mehr sanierungsfahigen Betrieben im Osten geschehen soll". Es sei „damit zu rechnen, daß von jetzt ab ständig Güter, die nicht mehr entschuldet werden können, zu anderweitiger Verwendung anfallen". 609 Seinem Schreiben war der „Entwurf einer Verordnung des Reichspräsidenten zur Förderung der landwirtschaftlichen Siedlung" beigefügt, der ein verhältnismäßig einfaches Verfahren in fünf Paragraphen ordnete. Dies bildete die erste Station einer verwirrenden Geschichte, die den äußeren Anstoß zur Demission Brünings gab, der Sinn und Tragweite der Kontroverse niemals beachtete und auch später keiner näheren Betrachtung unterzog. Der Reichskommissar wollte für den Ankauf, die Stillhaltung der Gläubiger — auf Kosten des Reiches — sorgen und dann über die Verwendung des erworbenen Landes bestimmen. Ob diese Art des Auf607
Der Reichsarbeitsminister an den Reichskommissar für die Osthilfe, 22. März;
Abschr. für die Reichskanzlei, BA, R 43 1/1289. 608
Der Staatssekretär in der Reichskanzlei an den Reichskommissar, 1. April; BA, R 43
1/1289. A n dem Rand des Stegerwald-Briefes vermerkte Pünder: „Ich glaube, wir werden diese Forderung sehr nachdrücklich unterstützen." 609
Reichskommissar an Reichsarbeitsminister, 7. April; Abschr. BA, R 4 3 1/1289.
Verfall der Regierung Brüning
805
fangens nicht mehr entschuldungsfähigen Grundbesitzes in Kürze beträchtliche Landmengen zur Besiedlung freigab, blieb offen. In Frage stand allerdings auch, ob, wie und in welchem Umfange Siedlungswillige angesetzt werden konnten. Schließlich ließ sich kaum erwarten, daß städtische Arbeitslose in großer Zahl bereit waren, sich freiwillig als Siedler in einem ihnen fremden Bereich zu betätigen und ihre Familien mitzuziehen. Die Vermutung sprach eher dagegen; dies bestätigte sich später. Doch diese Frage wurde kaum erörtert, obgleich es einige skeptische Stimmen gab, die von der Siedlung wenig erwarteten, wie die des sozialdemokratischen Agrarwissenschaftlers Fritz Baade, der meinte: „Wir können nicht in großem Umfang vorsätzlich Menschen in die Landwirtschaft hineinpressen oder Bevölkerungsüberschüsse dort festhalten." Doch solche Stimmen blieben seltene Ausnahmen. Auch kundige Siedlungsexperten und Agrarwissenschaftler wollten dem Bevölkerungsstrom von Ost- nach Westdeutschland Einhalt gebieten und Bauern als „raumsicherndes Element" festhalten oder als Siedler auf dem Lande im Osten ansetzen. 610 Unter dem Gesichtspunkt größtmöglicher Einsparung billigte Reichsfinanzminister Dietrich der landwirtschaftlichen Siedlung nur eng bemessenen Spielraum zu und verzichtete auf die Möglichkeit weiterer Beschäftigung beteiligter Gewerbe oder Industrien, so daß man sich auf die billigste Seßhaftmachung von etwa 20 000 Siedlern mit ihren Familien beschränkte. Für Materiallieferungen sollten möglichst wenig Mittel aufgewendet, Bauten aus Holz gefertigt, baupolizeiliche Vorschriften großzügig ausgelegt werden, die Länder das erforderliche Holz unentgeltlich zur Verfügung stellen, als Rundholz liefern und die Schnittkosten durch zusätzliche Rundholzlieferungen ersetzen. Auf diesem Wege ließ sich theoretisch mit einem Höchstaufwand von 5000 RM eine Siedlerstelle errichten, sofern nur bebaubares Land zur Verfügung stand, das unter den Pflug genommen werden konnte. Die Ansetzung von 20 000 Siedlern ließ sich nach Dietrichs Rechnung mit 100 Millionen RM bewerkstelligen. 611 Dem stimmten sowohl Stegerwald als auch Schlange-Schöningen zu; Reichsernährungsminister Schiele wollte die Kosten sogar noch weiter drücken. Bei „Ansetzung von Landarbeitern auf dem Lande ... komme man mit 1000 RM aus" — für jede Siedlerstelle. 612 Einig waren sich die 6,0
Vgl. Boyens, Siedlung, II, S. 1 1 6 .
611
Aufzeichnung des Direktors der Reichsbank Waldhecker, 12. April; Schulz, Politik,
2, S. 1 3 7 1 , dort auch Anm. 5. 6,2
a. a. O., S. 1372.
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III. Das zweite Kabinett Brüning
drei Minister, denen sich der Kanzler anschloß, auch in der Absicht, schnell noch ein großes Projekt — möglichst vor den Preußenwahlen — anzukündigen. Dies bestimmte Stegerwald, am 13. April auf dem „Krisenkongreß" der Gewerkschaften im Plenarsaal des Reichstags mit einer programmatischen und vieles versprechenden Rede die Aufmerksamkeit auf seine Vorhaben zu lenken. 613 Die Sparpolitik der Regierung vertrat er mit ebenso kräftigen Worten wie einfachen Erklärungen. Da, wie er meinte, etwa 85 Prozent der Etats der öffentlichen Hand in Deutschland aus Personalaufwendungen bestünden, bliebe keine andere Möglichkeit, als Gehälter, Pensionen und Arbeitslöhne drastisch zu kürzen. Dadurch sei es auch gelungen, „die Währung zu halten". Dies sei die entscheidende Leistung, „die größte soziale Tat, die von einer deutschen Regierung erwartet werden konnte". Im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit verwies Stegerwald auf die seiner Meinung nach „in Deutschland noch reichlichen Arbeitsgelegenheiten". An erster Stelle nannte er „das bäuerliche Siedlungswesen" und zählte er die Formen auf, die er zu einem Bukett programmatischer Blüten zusammenfaßte: „Anliegerpachtung und Anliegersiedlung, nachdrücklichste Förderung des Kleingartenwesens, Förderung des Landarbeiterwohnungsbaues, städtische Vorraumsiedlung, Meliorationen, Straßenbau, Reparaturen von Altwohnungen, Zinserleichterung für Bausparkassen zwecks Förderung des Baues von Eigenheimen..." Stegerwald griff hierbei auf seine früher entwickelten Vorstellungen von einer Reagrarisierung jener Bevölkerungsteile zurück, die in den Großstädten ohne Beschäftigung blieben. Das „Ende der Scheinblüte" des Jahres 1929 gab das Signal, diese Anschauungen von einer Umgestaltung des Volkskörpers als Programm und als Lösung von Krisenproblemen der Zeit vorzuführen: „Ich vermag nicht daran zu glauben, daß die industrielle Entwicklung Deutschlands sich wieder im ähnlichen Tempo vollziehen wird... Wir werden insbesondere die auf dem Lande geborene Bevölkerung verstärkt auf dem Lande festhalten müssen. Gegenwärtig werden im Osten große Landmassen frei in Verbindung mit der Osthilfe, so daß in den ersten Jahren die ländliche Siedlung in viel größerem Umfange und Ausmaß durchgeführt werden muß als in den letzten Jahren." Stegerwald befand sich hierin in unmittelbarer Nähe zu Vorstellungen Straßers. Er glaubte sich schließlich zu der Erklärung berechtigt, daß „an der Spitze dessen, was die Reichsregierung für die Arbeitsbeschaffung beabsichtigt", die „verstärkte För6,3
Auszüge a. a. O., S. 1 3 7 4 - 1 3 7 9 .
Verfall der Regierung Brüning
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derung der ländlichen Siedlung und die Fortsetzung der städtischen Vorraumsiedlung" stehen müßten. 614 Auch das hatte Straßer anvisiert. Hinsichtlich der Finanzierung beließ es der Reichsarbeitsminister bei vagen Andeutungen; es seien „Wege gefunden, die keinerlei Gefahr für die Währung darstellen..." 615 Die weiteren Punkte seines unter dem erklärten Diktat größtmöglicher Sparsamkeit verkündeten Programms galten Straßenbauten, Meliorationen, Wasserbau- und Wasserregulierungsarbeiten. Erst am Ende nannte er auch eine „Arbeitsstreckung", also Verkürzung der Arbeitszeit, als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Am 19. April fand auf Einladung Stegerwaids eine Chefbesprechung im Reichsarbeitsministerium statt, 616 in der erneut wesentliche Fragen ungelöst blieben. Ein Aktenvermerk hielt fest, daß Schlange sich dagegen gewandt habe, „daß die Kommissare des Reichsarbeitsministers Entscheidungen zu treffen hätten, die von der Ostorganisation ausgeführt werden müßten". Doch die amtliche Mitteilung war so gehalten, daß die Öffentlichkeit nur von „einem großzügigen Siedlungswerk im Osten" als „einer schöpferischen Tat des Wiederaufbaus" erfuhr und von der Reichsregierung nunmehr Entschlüsse von großer Bedeutung erwarten durfte. Stegerwaids Ankündigungen von 1919, in der Debatte über das Reichssiedlungsgesetz in der Nationalversammlung, 617 erlebten eine Neuauflage, die er mit Pathos, gefühlsbetonter Überzeugtheit und knapper Begründung kundgab: „Zwei Millionen Morgen Land, das trotz aller Hilfsmaßnahmen den bisherigen Eigentümern nicht erhalten werden kann, soll
614
Boyens, Siedlung, II, S. 117; Köhler, Arbeitsbeschaffung, S. 276 ff.; Schneider, A r -
beitsbeschaffungsprogramm, S. 89 ff.; Michael Wolffsohn, Industrie und Handwerk im K o n f l i k t mit staatlicher Wirtschaftspolitik? Studien zur Politik der Arbeitsbeschaffung in Deutschland 1 9 3 0 - 1 9 3 4 , Berlin 1977, S. 6 2 - 6 8 . 6.5
In seine Äußerungen über die behauptete Währung ließ Stegerwald eine Bemerkung
einfließen, die ein Nachspiel hatte. Er erklärte, daß „Vertreter der Großwirtschaft in der Industrie, insbesondere auch in der Landwirtschaft, bei der Reichspräsidentenwahl für Hitler" eingetreten seien, „weil sie durch eine zweite Inflation zum zweiten Male ihre Schulden auf Kosten der Sparer loszuwerden hoffen". Diese Äußerung fand unter den Zuhörern großen Beifall, brachte im Druck fett hervorgehobene Zeilen im Vorwärts und führte zu einem Protestschreiben Kastls am 14. April, auf das sich Stegerwald jedoch nicht einließ. Blank an Reusch, 15. April; Schulz, Politik, 2, S. 1 3 8 4 f.; und der nachfolgende Antwortbrief v o n Reusch an Blank, 17. April; a. a. O., S. 1385 f. 6.6
Aktenvermerk Feßlers; A R : Brüning, 3, S. 2 4 6 1 ; amtliche Mitteilung über die
Chefbesprechung W T B , 83. Jg., Nr. 839, 20. April; abgedruckt Schulz, Politik, 2, S. 1 3 8 9 f. 617
Gerhard Schulz, Preußen, Deutschland und die polnische Frage im Kaiserreich und
in der Weimarer Republik, in: Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte, 2 2 (1986), S. 156 f.
808
III. Das syvette Kabinett Brüning
Zehntausende neuer Siedler im deutschen Osten fest verankern. Die Guts- und Landarbeiter und die Bauernsöhne des Ostens, in der alten Heimat neu verwurzelt und mit neuem Blut aus dem Überfluß der Landwirtschaft des Westens belebt, bilden einen festen Wall zur Erhaltung deutschen Wesens und deutscher Kultur im deutschen Osten." 618 Daß gesetzgeberische Maßnahmen „zur Förderung dieses Werkes" in Vorbereitung seien, wie Stegerwald ankündigte, wurde im Schlußsatz relativiert, der erkennen ließ, daß Brüning an dieser Beratung keinen Anteil hatte: „Sofort nach Rückkehr des Kanzlers" sollten die Maßnahmen „im Kabinett verabschiedet werden". Tatsächlich war lediglich beschlossen worden, daß die zuständigen Ressorts „aufgrund der Aussprache neue Entwürfe" erarbeiten und mitteilen wollten. Enttäuscht ging Schlange nach Hause. „Auf Deutsch gesagt liege ich, arbeitsmäßig gesehen, auf der Straße", klagte er in einem Brief an Pünder. Der Reichskanzler „hatte mir etwas anderes bei meinem Amtsantritt zugesagt". 619 So schnell, wie die amtliche Verlautbarung glauben machen wollte, kamen die Dinge natürlich nicht voran. Zunächst zeigten sich mehr Schwierigkeiten als Klärungen. Der Reichsbankpräsident griff die Gedanken Dietrichs über besondere Sparmaßnahmen in Verbindung mit dem Siedlungsprogramm auf und veranlaßte eine Denkschrift der Reichsbank über ein „hilfswirtschaftliches Programm" zur Arbeitsbeschaffung in Ausführung des Siedlungsgedankens. 620 Diese Vorschläge gingen über die Dietrichs weit hinaus. Die Siedlungen sollten durch Erwerbslose im freiwilligen Arbeitsdienst aufgebaut werden, die lediglich Gemeinschaftsverpflegung und Unterbringung erhielten, nach dem Grundsatz, „daß die Arbeitsfreiwilligen ihre Siedlungen selbst erbauen". Die Formierung von Gruppen, die gemeinsam siedeln wollten, ihre Ausbildung in der Landwirtschaft, in Siedlungskursen und Arbeitslagern war entschieden kostensparend durchdacht. Eine „durchgreifende Verbilligung des Materials durch möglichst umfangreiche Verwendung von Holz", das Länder und Gemeinden geldlos lieferten, tauchte auch hier wieder auf; jetzt kamen sogar ausrangierte Güter- und Personenwagen der Eisenbahn als Wohngebäude in Betracht. Allerdings stellte sich die Reichsregierung nicht einmütig hinter diese Gedanken Luthers, die nur Schlange-Schöningen und Dietrich unterstützten. Holzeinschlag in preußischen Wäldern 618
Schulz, Politik, 2, S. 1390.
6,9
Schlange an Pünder, 19. April; B A , Nachl. Pünder/115.
620
Schulz, Politik, 2, S. 1 3 9 7 - 1 4 0 1 .
Verfall der Regierung Brüning
809
ohne Zahlungsleistungen, die Überlassung von Produktionsräumen auf freiwilliger Basis, die Inbetriebnahme von Sägewerken und Ziegeleien, die darniederlagen, aber noch nicht vollends zerfallen waren, alles unter dem Gesichtspunkt der niedrigsten Aufwendung — dies konnte nach außen kaum den Eindruck erwecken, daß es sich hierbei um groß angelegte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen handelte. Diese Gedanken wurden noch über Wochen verfolgt. 621 Man bewegte sich auch in dieser Hinsicht offenkundig auf abschüssiger Bahn. Die Überlegungen wichen schon sehr weit von dem Stegerwaldschen Gedanken der bäuerlichen Massensiedlung ab und gerieten in die Nähe ländlicher oder landnaher Notunterbringung mit beschränkter Bodennutzung, die wenig Anziehungskraft auf Freiwillige ausgeübt hätte. Da aus der Ressortbesprechung am 19. April nichts Wegweisendes hervorgegangen war, ergriff Stegerwald erneut die Initiative und ließ er den Entwurf einer Notverordnung über die Förderung der landwirtschaftlichen Siedlung dem Reichskanzler vorlegen. 622 Soweit nur denkbar, wurde bei dieser Gelegenheit die „grundsätzliche Meinungsverschiedenheit" mit dem Osthilfekommissar unterstrichen, der große Interessengegensatz so scharf wie nie zuvor hervorgehoben, sogar die Ostpolitik in Frage gestellt und ein neues Verfahren anvisiert. „Stegerwald saß in der Falle. Er hatte kein Land. Er hatte kein Geld." 623 Nun wandte er sich gegen die Osthilfe: Ihre Maßnahmen würden „letzten Endes das Ergebnis haben, daß Land, welches sonst in ganz besonderem Maße besiedlungsfahig gewesen wäre, in den Händen der Großlandwirtschaft erhalten bleibt und der Siedlung entzogen wird". Stegerwald verlangte, daß „die entschuldungsunfahigen Güter im Interesse der landwirtschaftlichen Siedlung ... dieser ... mit größter Beschleunigung und zu einem Preise zugeführt werden, der die erfolgreiche Durchführung der Siedlung ermöglicht". 624 Die Kontroverse trieb dem Höhepunkt zu. Was zunächst zum Teil ein Streit der Ressorts, zum Teil persönlicher Gegensatz war, entwickelte sich zu einem harten Antagonismus infolge des geglückten Versuchs Schlanges, die Grenzen der Entschuldung und das Verfahren weit aus621
Reichsministerbesprechung am 6. Mai; AR: Brüning, 3, S. 2495—2498; Tagesbericht Luthers, 6. Mai; Schulz, Politik, 2, S. 1441 f. 622 Referentenentwurf einer Verordnung des Reichspräsidenten über die Förderung der landwirtschaftlichen Siedlung vom April 1932, Anlage zum Schreiben des Reichsarbeitsministers an den Staatssekretär in der Reichskanzlei, 2. Mai; BA, R 43 1/1289. 623 So Boyens, Siedlung, II, S. 116. 624 Brief des Reichsarbeitsministers vom 2. Mai.
810
III.
Das zweite Kabinett Brüning
zudehnen, während Stegerwald möglichst viel Siedlerland zur Verfügung haben wollte und ständig von den nicht mehr entschuldungsfahigen Gütern sprach, die Schlanges Verfahren allenfalls als Ausnahme zuließ. Dahinter standen die Interessen nicht nur der Besitzer, sondern auch der Gläubiger, die sich am Umschuldungsverfahren beteiligt und Kredite zur Sanierung hergegeben hatten, sich aber an der Siedlung und der Gewinnung von Siedlerland nicht interessiert zeigten. Der von Stegerwald vorgelegte Entwurf sollte nun für die beschleunigte Entlassung von Gütern aus dem Sicherungsverfahren sorgen, um die Besiedlung in dem gewünschten Maße vorantreiben zu können. Wenn „Aussichtslosigkeit des Entschuldungsverfahrens" ein Sicherungsverfahren ausschloß, sollte in der Weise eingeschritten werden, daß sowohl der Reichskommissar für die Osthilfe als auch der Reichsarbeitsminister oder von ihnen bestimmte Dienststellen innerhalb einer bestimmten Frist Zwangsversteigerungen beantragten, um den Zuschlag für das Reich anzustreben. Über die Verwendung der erworbenen Grundstücke zum Zwecke der landwirtschaftlichen Siedlung wollte der Reichsarbeitsminister „im Benehmen mit dem Reichskommissar für die Osthilfe" entscheiden. Daß Stegerwald hierbei aber mehr im Sinne hatte, geht aus seinen Andeutungen hervor, die sich auf das anvisierte Verfahren, das noch gar nicht Gegenstand des Entwurfs war, beziehen. Hier wurde von der Durchführung eines „Besiedelungsplanes" gehandelt und von der Absicht, „Siedlungskommissare bei jeder Landstelle zu bestellen, die möglichst unter Ausschaltung behördlicher Einwirkungen den Besiedlungsvorgang zu fördern und zu beaufsichtigen haben". Ihnen oblag die Auswahl des Landes, seine Zuführung an den Siedlungsträger, die Kreditbewilligung, die Beaufsichtigung des Siedlungsträgers und so fort. Das hatte nur Sinn bei einem großen Anfall besiedlungsfahigen Landes. Bei der Beschaffung sollten Reichsarbeitsminister und Reichskommissar ebenso wie die von ihnen bestimmten Dienststellen gleichermaßen in den Zwangsversteigerungsverfahren tätig werden, das eine Ressort nicht ohne das andere. Bei der Verwendung des Landes und der Ansetzung von Siedlern wollte dann der Arbeitsminister durch seine Kommissare die alleinige Zuständigkeit der Siedlungsabteilung seines Ministeriums behaupten. Ein Einspruch Schlange-Schöningens lag bereits vor, als der Entwurf in der Reichskanzlei eintraf. 625 Die unüberbrückbaren Gegensätze zum 625
D e r Reichskommissar f ü r die Osthilfe an den Staatssekretär in der Reichskanzlei,
30. A p r i l ; B A , R 4 3 1/1289. D e r Schnellbrief Schlange-Schöningens geht auf den genannten E n t w u r f ein, v o n dem er unter der Hand K e n n t n i s erlangt hatte.
Verfall der Regierung Brüning
811
Arbeitsministerium legte Schlange ausführlich dar, der Form nach Zuständigkeitsansprüche, in politischer Hinsicht jedoch weit mehr. Er wollte die nicht entschuldungsfahigen Grundstücke keinesfalls unmittelbar der Siedlung zuführen, sondern zunächst einer Auffangorganisation überweisen, den bereits in den Provinzen bestehenden Treuhandstellen, die in enger Verbindung mit den provinziellen Landstellen für die Osthilfe standen. Der Erwerb der Güter sollte Aufgabe der auch künftig allein für die Entschuldung zuständigen Landstellen sein; eine Kooperation mit dem Reichsarbeitsminister und den von ihm eingesetzten Kommissaren lehnte Schlange-Schöningen ab. Schließlich verlangte Schlange eine Chefbesprechung unter Vorsitz des Reichskanzlers, die die strittigen Fragen klären und seine Federführung auch in all jenen Angelegenheiten feststellen sollte, die er „gemeinschaftlich mit dem Herrn Reichsarbeitsminister, der wegen der Vorschriften über die landwirtschaftliche Siedlung beteiligt ist", wahrnahm. Dem ebenso redseligen wie pathetischen und anmaßenden Stegerwald trat der harte und unbewegliche, aber ähnlich anmaßende Schlange entgegen. Beide erhoben Anspruch auf ein Kanzlerwort. Brüning geriet aber auch in anderer Hinsicht in die Drift verschiedener Initiativen aus dem Kreise des Kabinetts.
Defizit an Richtlinien und Programmatik. Divergierende Reichskabinett
Initiativen aus dem
Im April wandte sich Reichspreiskommissar Goerdeler unmittelbar an den Reichspräsidenten, um ihm nach der Erfolglosigkeit seiner ersten Vorschläge beim Kanzler626 nunmehr ein umfassendes Staats- und Wirtschaftsreformprogramm zu unterbreiten, das die von verschiedenen Seiten geäußerten Gedanken denkschriftartig, wenn auch deutlich unbefangen und etwas sprunghaft zusammenzufassen versuchte. 627 Er ließ es keineswegs bei einer Mitteilung seiner Vorstellungen zur Preisgestaltung und zum Wirtschaftsleben bewenden, sondern befaßte sich mit großen Gebieten der Innenpolitik. Die Stärke des Oberbürgermeisters war das systematische Denken nicht; aber er war ein unermüdlicher Sammler von Gedanken und Eindrücken, die er sich schnell zu eigen machte und auf eigene Weise zu stilisieren versuchte. So wünschte er, die Gewerkschaften 626
So auch seine Denkschrift zur Wirtschaftsankurbelung, die er am 21. April Brüning
übermittelte. B A , R 43 1/2405. 627
B A , Nachl. Goerdeler/21.
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III. Das zweite Kabinett
Brüning
und durch sie „den deutschen Arbeiter ... in das soziale, politische und kulturelle Leben unseres Volkes mittragend und mitwirkend einzugliedern", auch Kollektivverträge über Arbeitsbedingungen beizubehalten, verlangte aber, grundsätzlich die Möglichkeit zu verankern, „nach den Bedürfnissen der Wirtschaft ... die Lohnhöhe und die Arbeitszeit im einzelnen zu ändern". 628 Wie man diesen Vorstoß, unter Umgehung des Kanzlers und über die Köpfe der zuständigen Ressortminister hinweg, auch beurteilen mag, im ganzen war er mehr von symptomatischer als von politischer Bedeutung. Den Rücktritt Warmbolds als Reichswirtschaftsminister, der kurz zuvor erfolgte, hat Goerdeler weder durch diesen noch durch andere Schritte bewirkt. 629 Auch unter den Ministern, die als zuständig erachtet werden mußten, dürfte die Denkschrift große Aufregung kaum hervorgerufen haben. Sie bleibt das Zeugnis eines zweifellos begabten, höchst ehrgeizigen Mannes und versuchte eine Zusammenfassung konservativer Revisionsvorschläge der Zeit auf engstem Raum, um dem bitter empfundenen Mangel eines greifbaren Regierungsprogramms abzuhelfen, obgleich sie kaum mehr enthielt als den Gesprächsstoff, der zwischen den Ressorts bewegt und in der Vorbereitung einer neuen Notverordnung erörtert wurde. Folgen zeitigte sie insofern, als Goerdeler vom 4. Mai an regelmäßig an den Reichsministerbesprechungen teilnahm, wo er das Wort aber nur wenige Male ergriff und seine Annahmen widerlegt wurden. Gleichwohl wird man auch den 628 Goerdeler nannte als Prinzip, in einer Originalität beanspruchenden Ausdrucksweise: „Die Arbeitskraft des einzelnen Menschen muß grundsätzlich von ihrer Zwangsbewirtschaftung nach Zeit und Höhe des Entgelts befreit werden." Er wollte eine Ermächtigung des Reichskommissars für die Preisüberwachung auf Grund des Artikels 48 für einen Zeitraum von drei Jahren, um derartige Bindungen zu beseitigen. Er nahm sich auch der Beamten und des Verhältnisses der Länder zum Reich an. Das Reich sollte „das Recht haben, Stellen in der Landesregierung in bestimmtem Umfang mit verdienten Ministerialbeamten zu besetzen". Um eine „vielseitige Verwendung guter Beamtenkräfte" zu gewährleisten, sollte „eine innige Verbindung" der Reichsverwaltung mit der preußischen Verwaltung herbeigeführt werden. „Es darf nicht davor zurückgeschreckt werden, auf der Grundlage des Art. 48 der Reichsverfassung preußische Ministerien mit Reichsministerien zu verbinden." Goerdeler dachte hierbei in erster Linie an die Innenministerien, das Landwirtschafts- und das Handelsministerium; Kultus- und Finanzverwaltung sollten selbständig bleiben. Die breit gestreuten Vorschläge Goerdelers berührten auch Parlamentsrechte, Wahlalter, die kommunale Selbstverwaltung, die Wehrerziehung der Jugend und das Verbot von halbmilitärischen Organisationen der Parteien. Der Reichskommissar ließ an dem Umfang seines Interessenbereiches wie seiner programmatischen Vorstellungen keinen Zweifel. 625 Eine grundlose Annahme von Gerhard Ritter, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, 4. Aufl. Stuttgart 1984, S. 56.
Verfall der Regierung Brüning
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Vorstoß Goerdelers zu den Momenten zählen müssen, die das programmatische Defizit und die Entscheidungsschwäche der Regierung Brüning dokumentierten und ihre Erosion vorantrieben. Die die Regierung bedrängenden Probleme — Arbeitszeitregelung, Sanierung und Vereinheitlichung der Arbeitslosenfürsorge, die Notlage der Gemeinden, Maßnahmen zur „Wirtschaftsankurbelung", aber auch die Fragen der Siedlung und des Ausbaus des freiwilligen Arbeitsdienstes — sollten noch vor dem Zusammentreten des Reichstags am 9. Mai in einer „Generalaussprache" der Reichsminister bis zur Entscheidungsreife erörtert werden, 630 sobald der Kanzler von seinem ersten Aufenthalt in Genf nach Berlin zurückgekehrt war. Diese Absicht mißlang. In den sechs Reichsministerbesprechungen sowie zwei Chefbesprechungen vom 2. bis 7. Mai 631 kam ein Programm nicht zustande, ergab sich nicht einmal eine Annäherung in den wichtigsten Fragen, nur eine Kontroverse zwischen Dietrich und Stegerwald über die Änderung der Organisation der Arbeitslosenversicherung. Das letzte Wort behielt Luther, 632 der jetzt viel davon abhängen sah, daß die Jugend gewonnen und jungen Menschen wieder Mut gemacht werde. Mit dieser Begründung entwickelte er den Gedanken seiner „geldlosen Hilfswirtschaft", den Trendelenburg unterstützte, dann auch Goerdeler, was aber nicht zu Beschlüssen führte. Die von Goerdeler vorgeschlagene, in ihren Auswirkungen optimistisch dargestellte Einführung der Bedürftigkeitsprüfung aller Erwerbslosen, schon vor Erhalt der Wohlfahrtserwerbslosenunterstützung, sowie die zur Diskussion gestellte Suspendierung der Arbeitslosenversicherung in bisheriger Form, obgleich Rechte durch Beitragszahlungen erworben waren, blieben nicht nur politisch, sondern auch rechtlich problematisch, was Stegerwald und wohl auch Brüning erkannten. 633 Schlange-Schöningen versuchte ebenfalls einen Direktvorstoß beim Reichspräsidenten. Den Reichskanzler unterrichtete er hierüber. 634 Man
630
Schnellbrief Pünders an die Reichsminister, den Reichsbankpräsidenten und Staats-
sekretär Meissner, 29. April; Schulz, Politik, 2, S. 1 4 2 4 f. 631
A R : Brüning, 3, S. 2 4 8 0 - 2 4 8 7 , 2 4 8 8 - 2 5 0 1 .
632
Schulz, Politik, 2, S. 1427 ff., 1434.
633
Tagesbericht Luthers, 7. Mai; a. a. O., S. 1443; vgl. Reichsministerbesprechung am
7. Mai; A R : Brüning, 3, S. 2499 f. 634
Schlange an Brüning, 15. Mai; Schulz, Politik, 2, S. 1456 f. Schlange erwähnt „Dar-
legungen", die er dem Reichspräsidenten „ v o r etwa 8 Tagen" geben „mußte". Dies sei „auf dessen ausdrücklichen Wunsch" geschehen. Eine Abschrift habe er Staatssekretär Pünder in der Reichskanzlei übermittelt. Sie hat sich jedoch nicht auffinden lassen. Diese „Darlegungen" sind vielleicht in einer nicht unterzeichneten Unterlage des Reichspräsiden-
III. Das %weite Kabinett Brüning
814
kann die Bestrebungen Schlanges in der Endphase der Regierung Brüning doppelgleisig nennen: Er versuchte, den Anstoß zu einem umfassenden agrarpolitischen Programm zu geben, für das eigentlich Schiele zuständig gewesen wäre; zugleich entwickelte er seine in ständiger Kontroverse mit Stegerwald aufgestellten Pläne. Der verbindende Gedanke lag in Schlanges Überzeugung, daß die Osthilfegesetzgebung „ihren Zweck verfehlt" habe, wenn sie nicht durch eine Agrarpolitik unterstützt werde, „welche den Landwirten auskömmliche Preise gewährt". 635 Als Anknüpfungspunkt dienten ihm die Erörterungen über Arbeitsbeschaffung, in der richtigen Erkenntnis, dies trete jetzt „immer mehr als Zentralproblem in den Vordergrund, und wenn wir es nicht zu lösen imstande sind, haben wir unseren Zweck verfehlt", was er auch dem Kanzler verständlich zu machen versuchte, da der außenpolitische Erfolg, den er anstrebe, ungewiß sei und sich womöglich „längere Zeit herauszögert, was kein Mensch wissen kann". Man sollte doch den „ungünstigeren Fall" ins Auge fassen. Das hieß für Schlange, ein „Aufleben der Volkswirtschaft" nicht von der Industrie, „sondern vom Binnenmarkt und der Agrarwirtschaft" zu erwarten und zu fördern. Er dachte nur an „Agrarwirtschaft", die dort gegebenen „natürlichen Arbeitsmöglichkeiten" und entwickelte das Bild einer agrarisch organisierten Binnenwirtschaft in den Handelsschranken strikter Autarkie. 636 Im Rahmen derartiger Vorstellungen befand er „die Landwirtschaft mit durchgreifenden und vernunftgemäßen Maßnahmen" die „beste Sozialpolitik, die man sich denken kann". Ohne daß er es so ausdrückte und ähnliche Ziele verfolgte wie Stegerwald, hing auch Schlange dem Gedanken einer Reagrarisierung
ten für eine Besprechung mit Reichsernährungsminister Schiele zu erblicken, a. a. O., S. 1 4 4 4 f. Es ist gut möglich, daß sich Hindenburg für ein Gespräch mit Schiele v o n Schlange Material beschaffte. Ein weiterer Zusammenhang ließe sich aus einem Vorstoß des Interessenverbandes der Großgrundbesitzer, des Reichsgrundbesitzerverbandes, folgern, dessen Sprecher, Fürst Oettingen-Wallerstein, Eugen Graf Quadt zu Wykradt und Isny und Regierungspräsident a.D. v. Miquel, am 14. Mai beim Reichskanzler erschienen und sich v o r allem gegen die Hergabe von Land zu Siedlungszwecken gegen bloße Hypothekeneintragungen, die nicht verfügbar sind, und gegen die Zuständigkeit des Reichsarbeitsministers in Pachtfragen wandten. AR: Brüning, 3, S. 2 5 1 8 ff. Es ist nicht bekannt, darf aber vermutet werden, daß die Petenten auch mit der Präsidialkanzlei in Fühlung standen und an Schlange selbst herantraten. 635
Schulz, Politik, 2, S. 1444; die nachfolgenden Zitate dort, S. 1455 ff. Zeitgenössische Bedenken und Einwände gegen eine Reagrarisierung und den Plan
einer Verminderung der Arbeitslosigkeit durch Siedlung referiert Fiederlein, S. 299 ff.
Osten,
Verfall der Regierung Brüning
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an, wollte er die Landflucht in eine Stadtflucht wenden und zu diesem Zweck den Menschen ein günstiges Los auf dem Lande versprechen. In seiner Auseinandersetzung mit Stegerwald über die Siedlungspolitik ließ er zur Verdeutlichung seiner Anliegen der Reichskanzlei noch einen weiteren Verordnungsentwurf über die Verwendung nicht mehr entschuldungsfahiger Grundstücke im Osthilfegebiet zugehen 637 , da die bisherigen Verhandlungen mit dem Reichsarbeitsminister kein Ergebnis gehabt hätten. Er gab sich fürsorglich siedlungspolitisch und wollte „nicht länger verantworten", daß Betriebe, bei denen ersichtlich sei, daß ein Entschuldungsverfahren nicht in Betracht komme, weiterhin im Sicherungsverfahren belassen würden. Sowohl die Klärung der Lage der Gläubiger als auch die Weiterbewirtschaftung der Güter, schließlich die Zahlung der Löhne und so fort ergaben genügend Gründe, diese Betriebe beschleunigt aus dem Sicherungsverfahren in die Auffangorganisation zu transferieren, um dann „über ihre Verwendung später" entscheiden zu können. Nicht über materielle Siedlungs- und Finanzierungsfragen, auch nicht über den möglichen Landanfall und irgendwelche Modalitäten wollte Schlange verhandeln, sondern nur über die Auffangorganisation. Die Gründe waren schlichtester Art. 638 Sein Adlatus Passarge hatte — für sich und wohl auch für seinen Chef — eine bedenkenswerte Begründung zur Hand: „Für den Reichsarbeitsminister ist Siedlung ... politisches Saisongeschäft. Für uns ist die Siedlung Ausgangspunkt der deutschen Agrarreform, Garantin für die dauernde Sicherstellung der deutschen Ernährung." 639 Daß Schlange Stegerwald zuvorkommen und den Rang ablaufen wollte, unterstrich seine Betonung der Auffangorganisation, bei der es, wie er schrieb, „der Mitwirkung des Herrn Reichsarbeitsministers nicht" bedürfe, „da diese Maßnahme unmittelbar mit der Durchführung der Sicherungs- und Entschuldungsverfahren im Zusammenhang steht". Schlange wollte gar keine sofortige Regelung der Siedlungsfrage, aber der Zuständigkeit für die nicht mehr entschuldungsfähigen Güter. Sie sollte ausschließlich bei den Landstellen der Osthilfe, in Verbindung mit 9. Mai; AR: Brüning, 3, S. 2 5 0 1 - 2 5 0 6 . Auch eine persönliche Note im Gegensatz Schlange-Stegerwald bezeugt Schlanges enger Mitarbeiter Passarge; Tagesnotiz vom 19. Mai; BA, Nachl. Passarge/6. 639 Passarge: „Für mich selbst dazu noch: einziger Weg zu einer gesünderen Bodenverteilung (die jetzige ist auf dem Stand von 1830 stehen geblieben, für ein 35 Millionen-, nicht für ein 65 Millionenvolk geeignet), aber mehr noch: einziger Weg zur Beseitigung der politischen Reaktion, die nur auf dem Landadel beruht und von dort aus den Staat zersetzt." ebda. 637 638
III. Das %weite Kabinett Brüning
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den Treuhandstellen, liegen. Kerngedanke der vorgesehenen Konstruktion war, daß der Reichskommissar für die Osthilfe oder die von ihm beauftragten juristischen Personen in die Besitzregulierung lenkend eingriffen. Sie sollten innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung eines Sicherungsverfahrens eine Zwangsversteigerung beantragen oder einer bereits eingeleiteten beitreten können; gab im Zwangsversteigerungsverfahren die vom Osthilfekommissar beauftragte Stelle ein Gebot ab, so durfte der Zuschlag nicht versagt werden. Wurde der Zuschlag erteilt, so war die Zahlung nur im Rahmen bestimmter zu befriedigender Ansprüche vorzunehmen; die übrige Schuld sollte erst nach zehn Jahren fallig und bis dahin zu sechs Prozent verzinst werden. 640 Stegerwaids Reaktion ließ nicht auf sich warten. Vielleicht hatte er noch keine genaue Kenntnis von dem Entwurf Schlanges, als er dem Staatssekretär der Reichskanzlei eine Aufstellung zusandte, derzufolge innerhalb des Osthilfegebietes 735 000 ha landwirtschaftlicher Flächen so hoch über dem Einheitswert verschuldet waren, daß eine Entschuldung nicht mehr in Betracht kam. Die gesamte erststellige hypothekarische Verschuldung bezifferte der Arbeitsminister mit 300 Millionen RM, für die er jährliche Tilgungs- und Zinsleistungen von 24 Millionen ansetzte, „wovon die Siedler im Lauf der Zeit einen Teil tragen können". Die darüber hinausgehenden Schulden schätzte er mit einigen Vorbehalten auf 400 Millionen. 641 Diesen Angaben lag eine Erhebung des Deutschen Landwirtschaftsrates auf den 1. Juli 1930 zugrunde. Stegerwald setzte stillschweigend einen Null-Effekt der inzwischen getroffenen Osthilfemaßnahmen voraus. Er nahm zudem an, daß nach seinen sehr großzügig angestellten Ermittlungen etwa zwei Drittel der insgesamt drei Millionen Morgen nicht mehr entschuldungsfahiger Güter zur Besiedlung geeignet seien. Ob diese Zahlen zuverlässig waren, konnte in der Eile kaum jemand feststellen. Aber gelegentlich wurden noch höhere Zahlen genannt. Insgesamt schien der Eindruck nicht verfehlt, daß der Anteil der 640
Der Entwurf v o m 9. Mai enthielt noch eine weitere Zuständigkeitsregelung, § 6:
„Der Reichskommissar für die Osthilfe bestimmt, ob und inwieweit die erworbenen Grundstücke, gegebenenfalls unter Belassung eines Restgutes, für die landwirtschaftliche Siedlung oder für andere Zwecke zu verwenden sind." Von dieser Entscheidung blieben der Reichsarbeitsminister und seine Siedlungsabteilung ausgeschlossen, während der Osthilfekommissar ein privilegiertes Erwerbsrecht für nicht mehr entschuldungsfahige Güter und das Verwaltungsmonopol über die erworbenen Ländereien beanspruchte, über deren Verwendung er sich ausschwieg. 641
Schnellbrief v o m 10. Mai an den Staatssekretär in der Reichskanzlei mit Anlage;
B A , R 43 1/1289.
Verfall der Regierung Brüning
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nach einem Entschuldungsverfahren erneut in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Betriebe, denen die Zwangsversteigerung drohte, recht groß war. 6 4 2 Es gab aber auch Einsprüche, die den schwachen Kern der siedlungspolitischen Argumente bloßlegten, obgleich sie die Siedlung durchaus als „notwendig aus volkspolitischen und nationalen Gründen" betrachteten. D e r Präsident der Landwirtschaftskammer Pommern, v. FlemmingPaatzig, wies den Reichskan2ler auf den Kardinalfehler hin, „der bisher gemacht wurde", daß man Siedler mit einer zu hohen Anfangsverschuldung angesetzt habe. 643 „Siedeln kostet Geld, und wenn der Zweck der Siedlung, nämlich die Schaffung selbständiger Existenzen erfüllt werden soll, so muß der Siedler in eine günstigere Lage kommen als ... die alteingesessenen Bauern..." Diese häufig übergangene Einsicht richtete sich freilich kritisch nur an die Adresse des Arbeitsministers: „Hiermit will ich sagen, daß eine Siedlung niemals glücklich durchgeführt werden kann, wenn die Arbeit bei einem Ministerium liegt, dem die Landwirtschaft und die Verhältnisse des deutschen Ostens, in welchem nun doch besonders gesiedelt werden soll, wesensfremd sind." Diese Einwände liefen auf eine Parteinahme zugunsten Schlanges hinaus, dem Flemming gewissermaßen das Argumentieren abnahm. „Viele Großbetriebe, die umgeschuldet werden sollen, werden nur dann saniert werden können, wenn Teile von ihnen [auf]gesiedelt werden. Das bedeutet, daß zur Zeit die Siedlungsarbeit im Osten untrennbar verbunden ist mit der Tätigkeit des Reichsostkommissariats und der Landstellen in den Provinzen." Das war in der Sache zweifellos eine starke Schützenhilfe., Doch der Reichskanzler mied eine Entscheidung. Der Konflikt begann sich dem Regulierungsmechanismus der Regierung zu entziehen, während der Reichspräsident nach seiner Wiederwahl in dichter Folge unmittelbar in die Politik hineingezogen wurde. Nicht nur Interessenverbände wandten sich an ihn, was der Regel entsprach.
642
Dies geht auch aus einer Eingabe der Landwirtschaftskammer Niederschlesien v o m
13. Mai an den Reichspräsidenten hervor, „Letzte Forderung zur Rettung der niederschlesischen Landwirtschaft". Das Büro des Reichspräsidenten leitete sie an den Reichskanzler weiter. B A , R 43 1/1289. Die Forderungen der Agrarinteressenten wandten sich jedoch in eine andere Richtung als die der Siedlungspolitiker. Man verlangte eine völlige Veränderung der Handels- und Zollpolitik, um die Rentabilität der landwirtschaftlichen Betriebe zu erreichen, Steuererleichterungen, Anhebung der Freigrenzen bei der Vermögensteuer, Senkung der Realsteuern usw. 643
16. Mai; Schulz, Politik, 2, S. 1458 f. Eine Kopie des Briefes ging am gleichen Tag
über Staatssekretär Meissner an den Reichspräsidenten.
818
III. Das zweite Kabinett Brüning
Parteien der Rechten und der Stahlhelm versuchten häufiger noch als vorher, mit ihm in Verbindung zu treten. Goerdeler und SchlangeSchöningen, die ihre Stellung als Reichskommissare durch Behauptung einer Immediatbeziehung zum Reichspräsidenten herauszuheben versuchten, hatten sich direkt an ihn gewandt. Dadurch wurde Hindenburg selbst zur Stellungnahme, wenn nicht zur Entscheidung gedrängt. Dies führt eine weitere Wandlung der präsidentiellen Regierungspraxis vor Augen, die durch Immediatinitiativen verursacht wurde. Die Stellung des Reichskanzlers wie der Ressortminister mußte dies wohl auch in den Augen des Reichspräsidenten beeinträchtigen. Die Position des von ihm früher geschätzten Reichsernährungsministers Schiele erschien prekär. Nur dank eines Zufalls entging er am 10. Mai dem Sturz durch eine Reichstagsmehrheit — wie auch Schlange. 644 Ein gewöhnlich gut unterrichteter Beobachter kündigte dem Großindustriellen Reusch Bemühungen um eine neue Reichsregierung an, ohne DNVP, aber nicht ohne Zentrum, auch nicht ohne NSDAP. 645 Im Gegensatz zu Severing zeige sich der preußische Ministerpräsident Braun entschlossen, „die SPD möglichst in die Opposition zu führen". 646 Doch „die hohe Reichsbürokratie — Büro des Reichspräsidenten usw." wolle „offensichtlich lieber eine von Parteien ganz unabhängige ,Präsidial-Regierung' bilden als eine Koalitionsregierung unter Beteiligung von rechts". Wir behalten die Nachricht über diese Alternative in Erinnerung, denn sie erweist sich in der nächsten Zeit als relevant.
644
Die Wirtschaftspartei brachte am 10. Mai einen Mißtrauensantrag gegen Schiele und
Schlange ein, den Bredt begründete. Er beantragte namentliche Abstimmung, die getrennt durchgeführt werden sollte. Lediglich infolge der Tumulte während der Sitzung des Reichstags am 12. Mai und ihrer Aufhebung durch den Reichstagspräsidenten kam es nicht mehr zur Abstimmung. D r S RT, Bd. 453, Nr. 1530; StenBer V h RT, Bd. 446, S. 2655 ff., 2686 ff. 645
Blank an Reusch, 1. Mai; Schulz, Politik, 2, S. 1425 ff.
646
Dies war allerdings ein Mißverständnis. Braun strebte persönlich aus dem Amt,
nicht in die Opposition. Vgl. Schulze, Braun, S. 729.
SECHZEHNTES
KAPITEL
Die Demission Der erste Versuch eines Sturzes der Regierung Die Unzufriedenheit des Reichspräsidenten und seiner Umgebung kam deutlich zum Ausdruck, als Hindenburg dem Reichskanzler am 6. Mai durch Meissner mitteilen ließ, daß er demnächst die Parteiführer über die politische Lage berichten lassen wolle. 647 Brüning empfand dies als Brüskierung und befürchtete eine Gefahrdung der für den 9. Mai vorgesehenen Reichstagssitzung. Mit knapper Not konnte er mit außenpolitischen Bedenken diese Einladung abwenden und auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Er war schon vorher gewarnt worden. Während er sich vom 15. bis 29. April wegen der Abrüstungskonferenz in Genf aufgehalten, am 30. an einem geheimgehaltenen Ort wieder mit einem „Vertrauensmann von Straßer", vermutlich Paul Schulz, getroffen hatte, 648 entstand in Berlin der Eindruck einer „Zwischenpause" seiner Tätigkeit 649 . Am Abend des 2. Mai suchte ihn General v. Schleicher auf. 650 Kurz zuvor war, vielleicht aus dem Reichswehrministerium, an die Parteikorrespondenz der BVP die Nachricht lanciert worden, daß Brüning zurücktreten und ein Präsidialkabinett gebildet werde; der Zweck der Unterredung schien gleichsam im voraus bekanntgegeben. Der umfassenden Demission, auf die Schleicher zielte, hielt Brüning ein Konzept entgegen, das zunächst auf Preußen abstellte, wo eine Koalition des Zentrums mit den Nationalso-
647 Nachträglich gefertigte, von Meissner gezeichnete „Niederschrift aus dem Büro des Reichspräsidenten über die Entwicklung der Krise und Demission des Kabinetts Brüning", 10. Juni; BA, Nachl. Dingeldey/38; abgedruckt Vogelsang, Reichswehr, S. 459—466; aus dem Nachl. Hindenburg bei Hubatsch, Hindenburg, S. 323—331; die von Schleicher veranlaßten Änderungen bzw. Ergänzungen des ursprünglichen Entwurfes Schulz, Politik, 2, S. 1 5 2 8 - 1 5 3 3 . 648 Brüning, Memoiren, S. 544, 567, 571. 649 Vogelsang, Reichswehr, S. 190. 650 Über das Gespräch unterrichtet nur die ausführliche Schilderung von Brüning, Memoiren, S. 5 7 5 - 5 8 0 .
820
III.
Das zweite Kabinett Brüning
zialisten gebildet werden sollte. Der General drängte auf eine Regierung der Rechten im Reich. Brüning hielt jedoch die Zeit „noch nicht für r e i f und schlug vor, die „Gesamtpolitik und die Außenpolitik bis zu dem Punkt" zu betreiben, „wo es keinen Rückschlag mehr geben könnte", um danach für ihn, Schleicher, das Reichskanzleramt zu räumen. Als der General dies zurückwies, nannte er Goerdeler als Reichskanzler. Auch den Gedanken einer Restauration der Hohenzollernmonarchie brachte er wieder ins Spiel, ohne Schleicher zu beeindrucken. Der General richtete nichts aus. Brüning und Schleicher gingen getrennte Wege. Am 7. traf sich Schleicher im geheimen mit Hitler und nahm wahrscheinlich den beabsichtigten Sturz Groeners in der Reichstagssitzung zur Kenntnis, dem der Sturz Brünings folgen sollte. 651 Wenige Tage vor dem Zusammentreten des Reichstags wurde der Rücktritt von Reichswirtschaftsminister Warmbold in der Öffentlichkeit bekannt. Dies konnte als erstes Anzeichen eines Wankens der Regierung genommen werden. 652 Die Reichstagssitzungen vom 9. bis 12. Mai beendeten die Laufbahn Groeners, der am 10. eine ungeschickt eröffnete, durch dauernden Lärm und Zwischenrufe gestörte Rede hielt und den wohlvorbereiteten Ausführungen Görings und anderer gegenüber ziemlich versagte. 653 Äußerlich erweckte er keinen gesunden Eindruck. Straßer stellte den rhetorischen Antrag, Groeners Rede durch Schallplatten zu verbreiten, und 651
Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 165; Vogelsang, Reichswehr, S. 189. So empfand es wohl auch der verärgerte Brüning, Memoiren, S. 567 f., 572. Warmbold war seit der Vorbereitung der Vierten Notverordnung im Reichskabinett mehr oder minder isoliert und blieb mit den meisten seiner Vorschläge erfolglos. Er zog aber, wie er betonte, erst nach den Wahlkämpfen die Konsequenz und bat am 28. April um Amtsentbindung, da „sich die Meinungsverschiedenheiten in Angelegenheiten grundsätzlicher Natur noch mehr verschärft haben". Rücktrittsgesuch AR: Brüning, 3, S. 2474 f. Milde Beurteilung durch Schäffer, 5. Mai; IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch. Der Rücktritt wurde bereits am 3. Mai in der Presse bekannt, ehe der Reichspräsident dem Gcsuch stattgegeben hatte, was erst am 6. Mai geschah. Schulthess 1932, S. 70. Ein von Pünder mit Warmbold vereinbartes Kommunique konnte nicht mehr rechtzeitig erscheinen. Brüning wandte sich daraufhin mit einem besonderen Schreiben am 7. Mai an den Reichstagspräsidenten, der es am 9. verlas. StenBer Vh RT, Bd. 446, S. 2468. Schon vorher erschien Quaatz bei Meissner, der ihn über seinen Versuch unterrichtete, Brüning zum Rücktritt zu bewegen. „In den Kreisen um den Reichspräsidenten wünscht man den Rücktritt des Kabinetts und eine Verständigung mit der Rechten (Nationalsozialisten und Deutschnationalen) unter Einbeziehung des Zentrums, und zwar gleichmäßig in Preußen wie im Reiche." Zu diesem Zweck werde auch eine Reichstagsauflösung erwogen. Aufzeichnung von Quaatz, 6. Mai; Quaatz, Tagebuch, S. 189. 6,2
653 StenBer Vh RT, Bd. 446, S. 2545-2550. Hierzu die Schilderung von Brüning, Memoiren, S. 587. „Politisch war er tot nach dieser Rede."
Die Demission
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verlangte von der Reichsregierung, daß sie sich darüber „klar wird, ob dieser Mann weiterhin die öffentliche Sicherheit gewährleisten und die Armee in Deutschland führen soll", was zur Unterbrechung der turbulenten Sitzung führte. Dies nahm Schleicher am nächsten Tag zum Anlaß, Groener einen Urlaub vorzuschlagen, der aber eine solche „Fahnenflucht" ablehnte. Darauf riet ihm Schleicher, durch Ankündigung seines Rücktritts als Wehrminister die Reichswehr „zu entlasten". 654 Meissner teilte unterdessen dem Reichskanzler mit, daß Hindenburg auf dem vollständigen Rücktritt Groeners, also auch vom Innenministerium, bestehe. Dies hätte eine größere Umbildung des Kabinetts erfordert, auf die Brüning nicht vorbereitet war. Er wandte sich sofort gegen diese Absicht und bot seine Demission an — unter dem nun schon üblichen Verweis auf die außenpolitischen Folgen. Daraufhin zeigte sich Hindenburg mit dem angekündigten Rücktritt des Reichswehrministers vorerst zufrieden und begab sich nach Neudeck, von wo er erst am 28. zurückkehrte. Groener ließ am 12. Mai seinen Rücktritt in der Presse ankündigen 655 und übergab Brüning einige Tage später ein entsprechendes Gesuch „zur Vorlage an den Reichspräsidenten nach seinem Ermessen". Da Hindenburg in Neudeck weilte, hatten es beide, Groener und Brüning, nicht mehr eilig, nachdem Schleicher die ihm zunächst von Groener, dann von Brüning angetragene Übernahme des Wehrministeriums abgelehnt hatte, 656 was trotz der Vertraulichkeit der Gespräche sogleich von der Presse gemeldet wurde. Groener erschien weiterhin zu den Kabinettssitzungen, so daß de facto das Reichswehrministerium vertreten war, da der Reichspräsident seine Entlassung noch nicht vollzogen hatte. Schleicher erschien nicht mehr unter den Staatssekretären der Kabinettsrunde, was ganz und gar ungewöhnlich war. Vergegenwärtigt man sich die aufgeregte Stimmung zu Beginn der zweiten Maidekade in Berlin, so kann sich der Beobachter des Eindrucks nicht erwehren, daß sich der Knoten zu schürzen begann und der Sturz der Regierung bevorstand. Hindenburg harrte bis zum Ende der Reichstagssitzung aus, wohl schon auf alles gefaßt und vorbereitet, um am
654
Die beiden nachträglichen Darstellungen von Meissner (10. Juni) und Groener
(Oktober) stimmen in dieser Hinsicht überein, nur datiert Groener irrtümlich den Vorschlag Schleichers auf den 12. Mai. s. oben Anm. 546 u. 647. 655
Horkenbach 1932, S. 1 4 8 f.
656
Brüning, Memoiren, S. 589 ff.; Schulthess 1932, S. 88 f.; Pünder, Reichskanzlei,
S. 124; A R : Brüning, 3, S. 2 5 3 4 f. Das Reichswirtschaftsministerium bot Brüning Goerdeler an, der jedoch zögerte und nicht mehr zusagte.
822
III. Das zweite Kabinett Brüning
12. Mai spät abends die anstrengende Reise auf sein Gut anzutreten. Wie Goebbels überliefert hat — hierin ein wichtiger Zeuge —, war schon am 9. Mai eine baldige Unterredung Hitlers mit dem Reichspräsidenten so gut wie verabredet. Goebbels wußte auch, warum: „Danach soll die Sache ins Rollen kommen. Ein farbloses Übergangskabinett wird uns den Weg freimachen. Möglichst nicht zu stark, damit wir es um so leichter ablösen können." 657 Fraglos mischen sich die aufgenommenen Nachrichten mit den Absichten der Nationalsozialisten, jedenfalls von Hitler, Goebbels, Göring, Röhm und einigen anderen. Doch zu dem Gespräch ist es nicht mehr gekommen. Die Entwicklung sollte „beschleunigt werden, damit der Reichstag keine Gelegenheit mehr hat, Brüning sein Vertrauen auszusprechen". 658 Aus diesem Grunde wurde Hitler, der wiederholt mit Schleicher Verbindung aufnahm, sorgfaltig versteckt gehalten. „Solange Hitler in Berlin ist, bleibt Brüning voll von Verdacht und kommt vielleicht eher als sonst hinter des Rätsels Lösung." Diesen Rat gab vermutlich Schleicher selbst. In aller Heimlichkeit war Hitler am 7. Mai nach Berlin gefahren; ebenso zog er sich wieder zurück. Am Abend des 10. reiste er abermals an, um wenig später erneut, diesmal nach Leipzig, abzufahren. Drei Momente verdarben das Konzept. Straßer hielt am 10. seine lange, allgemein mit Aufmerksamkeit verfolgte Rede, die von den Absichten Hitlers und der NSDAP ablenkte; und danach sprach Brüning ausführlich und eindrucksvoll vornehmlich über die Außenpolitik. In die gespannte Stimmung des Reichstagsplenums fielen seine bedeutungsschwer klingenden, beifallumbrandeten Worte von „den letzten hundert Metern vor dem Ziel", vor dem zu stehen er vorgab. 659 Die bis zum nächsten Tag hinausgezögerte Abstimmung über den Mißtrauensantrag der Nationalsozialisten, Deutschnationalen und Kommunisten ergab dann eine Mehrheit von 286 gegen 259 Stimmen für die Regierung. 660 Als drittes Moment entschied die Zügellosigkeit der Nationalsozialisten. Nach ersten Krawallen im Anschluß an einen Überfall nationalsozialistischer Abgeordneter im Reichstagsrestaurant auf den von der NSDAP zur SPD übergetretenen ehemaligen Kapitänleutnant Klotz, der sich
657
Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 166.
658
a. a. O., S. 165.
659
StenBer V h RT, Bd. 446, S. 2602. Goebbels, a. a. O., S. 1 6 6 ff.
660
a. a. O., S. 2689 — 2695. Der Mißtrauensantrag wurde auch von den Abgeordneten
der DVP, mit Ausnahme von Curtius, und der Landvolkpartei, mit Ausnahme Schlanges, angenommen.
Die Demission
823
durch die Veröffentlichung von Material über Röhm und andere Nationalsozialisten einen Namen gemacht hatte, berief Reichstagspräsident Löbe den Ältestenrat ein. Dieser vertagte nach einer Stunde die Sitzung bis Juni, so daß über die weiteren Mißtrauensanträge gegen Schiele und Schlange nicht mehr abgestimmt werden konnte. Als sich daraufhin neue Unruhe ausbreitete, drang Polizei in den Reichstag ein und verhaftete einige nationalsozialistische Abgeordnete, was weitere Empörungen stimulierte. Ein Sturz des Kanzlers gelang aber nicht. „Eine Gnadenfrist für Brüning", notierte Goebbels. Doch am nächsten Tage meldete sich Schleicher: „Die Krise geht programmgemäß weiter." 661 In dem entscheidenden Gespräch des Reichskanzlers mit Hindenburg am 9. Mai hatte sich ein Einvernehmen darüber eingestellt, daß der Reichspräsident an die Parteien herantreten werde, wie Brüning es wünschte, um eine Verbindung vom Zentrum bis zu den Nationalsozialisten zu erreichen. Als Zeitpunkt nannte er die Tage nach der Eröffnung des preußischen Landtags, wie Meissner notierte, „am 25., 26. oder 27. Mai". 662 In diesen Tagen sollte sich das Schicksal des Kabinetts entscheiden. Auf eine Zwischenfrage Meissners äußerte der Kanzler, daß er eine Zusammenarbeit der Parteien vom Zentrum bis zu den Nationalsozialisten anstrebe, um eine Regierungsbildung in Preußen zu ermöglichen. In diesem Punkte legte er sich also dem Reichspräsidenten gegenüber fest — noch vor dem Rücktritt Groeners. Auf die weitere Frage Meissners, ob er denn seine Mitwirkung auch für den Fall zusage, daß eine derartige Zusammenarbeit und die Bildung einer Regierung in Preußen von der Neubildung der Reichsregierung abhingen, erwiderte Brüning — Meissner gab dies, wortwörtlich gekennzeichnet, wieder —: „Ich bin in diesem Falle bereit, auch für die Reichsregierung Konzessionen zu machen und für eine Neubildung der Reichsregierung den Weg freizumachen, jedoch nicht vor der Lausanner Konferenz. Ich halte es nicht in meinem persönlichen Interesse, sondern im Interesse Deutschlands für notwendig, daß die gegenwärtige Reichsregierung so lange bleibt, bis man über die Lausanner Konferenz klar sieht; andernfalls würden alle angebahnten außenpolitischen Verhandlungen — Abrüstungskonferenz wie Reparationskonferenz — bedroht oder zum Schei-
661
Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 1 6 8 f. Nach dem Urteil von Quaatz hatte der „Überfall
der Nazi auf Klotz" das wankende Kabinett Brüning gerettet. Quaatz, Tagebuch, S. 190, auch Anm. 41. Zu den Vorgängen im Reichstag Heinrich A . Winkler, Katastrophe, S. 563 f. 662
Aktennotiz Meissners, 9. Mai; abgedruckt Hubatsch, Hindenburg, S. 319; Schulz,
Politik, 2, S. 1445 f.
824
III. Das %weite Kabinett Brüning
fern gebracht." Der Kanzler fuhr schweres Geschütz auf. Man darf wohl vermuten, daß Brüning darauf rechnete, ein aus Lausanne erfolgreich zurückkehrender Reichskanzler könne schwerlich zur Demission veranlaßt werden. In Brünings Sicht blieb es denn auch in den nächsten Wochen so, daß er einen außenpolitischen Erfolg anstrebte, selbst um den Preis der Inaktivität in innerpolitischen Streitfragen. In dieser Hinsicht hatte Regierungsrat Passarge, der den Ehrgeiz Schlange-Schöningens mit eigenen, unbefangenen Vorstellungen auszufüllen suchte, wohl recht, wenn er notierte: „Bei uns ein zerfallendes Kabinett und Regime, eine tobende Opposition, die sich von Tag zu Tag unfähiger macht, ein Erbe anzutreten, um das sie eigentlich nicht mehr zu kämpfen brauchte. Brüning macht Kabinettssitzungen, vormittags eine, nachmittags eine. Das Programm hat immer den gleichen Hauptpunkt: Beratung wirtschafts- und sozialpolitischer Maßnahmen. Dahinter steckt Siedlung, Arbeitsbeschaffung, Arbeitslosenfürsorge, Etat. Fertig geworden ist bisher nichts ... Das Kabinett hat keinen Innenminister, keinen Wirtschaftsminister, keinen Wehrminister und einen Ernährungsminister, der nur durch einen reinen Zufall neulich dem tiefen Sturz entging. Tag für Tag heißt es: Heute wird die Ergänzung und Umbildung erfolgen. Sie erfolgt nicht." 663 Passarge übersah nur, daß die Aufmerksamkeit des Reichskanzlers ganz durch außenpolitische Fragen in Anspruch genommen war. Sogar unter eingeschworenen Anhängern Brünings verdichtete sich der Eindruck, daß er „physisch und psychisch stark erschöpft sei und möglicherweise nicht mehr lange in der Lage sein werde, das Amt des Reichskanzlers beizubehalten". 664 Die Verhandlungen wegen einer Regierungsneubildung in Preußen und eines Zusammengehens von Zen-
663
Tagebuchaufzeichnung von Passarge, 18. Mai; a. a. O., S. 1461 f. Entsprechende
Äußerungen waren auch in der Presse schon weithin verbreitet. So schrieben die angesehenen, gemäßigt konservativen hanseatischen Hamburger Nachrichten, die 1930 Brüning unterstützt hatten, im Frühjahr 1931 Keynes zu Worte kommen ließen und weiter rechts Anschluß suchten, am 26. Mai unter der Überschrift „Geflickte Reichsregierung" u. a.: „Längst ist die Hoffnung begraben, daß es unter der Reichskanzlerschaft Brünings einmal besser werden könnte... Bei allen Notverordnungen verkündete Herr Brüning mit großem Pathos, daß die äußerste Grenze der Belastung erreicht sei. Bis zur nächsten Notverordnung wurde das aber vergessen... Aber das ist ja das Kennzeichen der Politik Brünings, ein Loch erst so spät zu stopfen, wenn es schier nicht mehr zu stopfen geht. Diese Politik ist darum ein Irrweg gewesen von Anfang an." 664
Blank an Reusch über ein vertrauliches Gespräch Kastls mit Brüning, 18. Mai;
a. a. O., S. 1460 f.
825
Die Demission
trum und Nationalsozialisten schienen ohne Erfolg zu bleiben, da die NSDAP die geschwächte Position des Kanzlers erkannte und sich zurückhielt. So blieb nur die Außenpolitik als das von Brüning herausgestellte Moment, das Erfolg zu versprechen schien. Kastl erklärte er, daß, wenn Lausanne kein Ergebnis bringe, ab 1. September „ein allgemeines Auslandsmoratorium auch für sämtliche privaten Verpflichtungen erklärt werden müsse". Diese überraschende Mitteilung am 17. Mai erscheint kaum denkbar ohne eine vorherige Konsultation der amerikanischen Seite.665
Brüning stützt sich auf die
Außenpolitik
Um den Primat der außenpolitischen Entscheidungen, wie er ihn sah, zu betonen, sprach Brüning noch ausführlicher und eindringlicher als in der großen Reichstagsrede am 11. Mai 666 vor dem Auswärtigen Ausschuß des Reichstags. Dies ist nicht in offiziellen Protokollen überliefert worden, aber durch Berichte zweier Ländervertreter, die einander ergänzen und sich gegenseitig bestätigen, wie die wörtlichen Wiedergaben der Darlegungen des Reichskanzlers sowie der Beiträge der Ausschußmitglieder und der Zwischenrufer erkennen lassen.667 Diese Rede zeigt den Außenminister Brüning, der in maßvoll klingenden Worten seinem Publikum die Situation vor Augen führt. Sie ist ein Meisterstück politischer Rhetorik im engen Kreise der nicht in alle Einzelheiten eingeweihten, in dieser fast intimen Umgebung zur klärenden Diskussion angehaltenen Teilnehmer. In unaufdringlicher Sachlichkeit unterstrich Brüning den Rang der kommenden Verhandlungen, die er bis ins Frühjahr 1933 hinein umriß. Die Konferenz in Lausanne erscheint in dieser Beleuchtung als Abschluß eines langen Weges, der seit Chequers, Anfang Juni 1931, deutlich sich abzeichnende Erfolge in greifbare Nähe rückte, ohne daß 665
Eindeutige Belege hierfür haben sich bislang nicht finden lassen. Überliefert ist, daß
Stimson zu einigen Privatgesprächen mit Brüning in G e n f erschien. Vgl. Schmidt, Statist, S. 236; auch Henry L. Stimson, McGeorge Bundy, On Active Service in Peace and War, New York 1947, S. 277 f. In seiner Reichstagsrede am 1 1 . Mai gab Brüning auch Rumbold einige Rätsel auf, die nicht gelöst wurden. DBFP, 2, III, S. 136 f., 1 3 9 f. Die Ablehnung weiterer Zinsleistungen wurde Mitte Mai erklärt. FRUS 1932, I, S. 6 1 9 — 6 2 3 . 666
StenBer V h RT, Bd. 446, S. 2593 ff.
667
Bericht des Ministerialdirektors Fecht an das Badische Staatsministerium, 24. Mai;
Schulz, Politik, 2, S. 1 4 7 2 — 1 4 7 5 ; sowie das Protokoll, das der bayerische Gesandte Ritter v. Preger dem Bayerischen Staatsministerium des Äußern übermittelte; a. a. O., S. 1475 — 1485; auch Vernekohl, Brüning, S. 1 6 6 - 1 8 8 .
826
III. Das zweite Kabinett
Brüning
sie schon in vollem Umfange gesichert waren. Brüning warnte vor Illusionen, deutete aber doch denkbar große Möglichkeiten an, wie die völlige Beseitigung der Reparationen und auch die Streichung des Teiles V des Versailler Vertrages, der die Bestimmungen zur Rüstungsbegrenzung für Deutschland enthielt. Alles hänge von der Wahl der Wege, des rechten Zeitpunktes und der Methoden ab. In diesem Zusammenhang bemühte er ein berühmtes, in späteren Jahrzehnten anderen Männern in den Mund gelegtes Wort: „Wir können überhaupt nur ein Ziel nach dem anderen erreichen, was gewissen Leuten in Frankreich so auf die Nerven gegangen ist, daß man schon von der ,Artischockenpolitik' Deutschlands spricht, die man sich nicht länger gefallen lassen könne, da Deutschland ein Blatt nach dem anderen herausziehe." 668 Daß der Reichskanzler so ausführlich und scheinbar offenherzig Gedanken und Vorhaben darlegte, läßt Rückschlüsse auf die persönliche Einschätzung seiner Situation zu. Er versuchte, überzeugend sein Programm zu erklären und Erwiderungen auszuschalten, was ihm, soweit wir sehen, auch gelang. Keiner seiner Zuhörer konnte zweifeln, daß Brüning sich anschickte, der erfolgreichste Außenpolitiker der Republik zu werden. Was er in seiner Rede dartat, wie weit er zu gehen bereit war und was ihm vorschwebte, nimmt sich wie ein Erfolgsbericht oder zumindest die Ankündigung eines alsbald greifbar werdenden Erfolges aus, der die lange düstere Strecke der inneren Krise, die er wiederholt andeutete, durch das Licht einer günstigen Lösung erhellte. Brüning bestand auf einer Fortsetzung seiner Außenpolitik und konnte zeitweilig Meissner und den Reichspräsidenten von ihrer Notwendigkeit überzeugen und noch andere, wie Graf Westarp 669 . Er vermochte sie aber ohne Prestigeminderung eben nur als Reichskanzler in Lausanne und in den künftigen Verhandlungen zu vertreten. Im Gegensatz zu der bestimmenden Richtung in der französischen Politik hatte im angelsächsischen Ausland das Ansehen des Reichskanzlers zuletzt wieder gewonnen. Das Zaudern und Zögern, das man bei Brüning beobachtete, zeugte von seiner Sensibilität und großen Vorsicht, die im angelsächsischen Ausland eher anerkannt wurden als im eigenen Lande, wo ihm seine Unsicherheit, sein hypersensibles Taktieren, Entscheidungsschwäche, Schweigen und
wis
a. a. O., S. 1480. Brünings Quelle für den Ausdruck war möglicherweise Schäffer;
s. im folgenden Anm. 687. Graf Westarps Niederschrift v o m 1. Juni; Schulz, Politik, 2, S. 1 5 1 4 - 1 5 2 2 .
Die Demission
827
Abwarten im Wechsel mit Mißtrauen weckendem Mitteilungsdrang immer seltener zum Vorteil, häufig zum Nachteil ausschlugen und man ihn gelegentlich ironisch beurteilte.
jDas Gespräch von Bessinge und die „ Artischocke des Versailler Vertrages" In den letzten Stunden seines Genfer Aufenthaltes am 26. April arrangierte Stimson, der seit seiner Berliner Visite 1931 Sympathie für Brüning hegte, in seiner Villa in Bessinge bei G e n f eine Zusammenkunft mit dem Kanzler. Die Einladung erging an die Regierungschefs Englands, Deutschlands und Frankreichs; ihr Zweck lag in einer cordialen Erörterung der Kontroverse zwischen der deutschen und der französischen Seite, um die Verhandlungen der Abrüstungskonferenz voranzubringen. Ministerpräsident Tardieu war zunächst durch einen aufreibenden Wahlkampf v o n Genf ferngehalten und dann durch eine Erkrankung und allgemeine Erschöpfung an der Rückkehr gehindert worden. 670 Seine Abneigung gegen Vier-Mächte-Gespräche dieser A r t mag ihm, in einer prekären innerpolitischen Situation, den Entschluß erleichtert haben, der Zusammenkunft fernzubleiben. Das Gespräch fand dennoch statt. Brüning hatte sich kurz zuvor ebenfalls v o n Genf entfernt, um am 24. April — in der sigmaringischen Gemeinde Achberg — an der preußischen Landtagswahl teilzunehmen und sich auf der Rückfahrt von Lindau nach Basel mit Groener zu beraten, der ihm die Ansichten des Reichswehrministeriums eingehend erläuterte. 671 Eingehende Prüfung der Umstände von Bennett, Rearmament, S. 149 ff. Brüning, Memoiren, S. 546 — 556. Es ergibt sich nicht ganz klar, ob die lange Unterredung in erster Linie dem SA-Verbot, dem Miliz-Gedanken, Groeners Auseinandersetzung mit Schleicher und seinen Schwierigkeiten mit Hindenburg oder dem Genfer Thema diente. Offenbar wurde von einer deutschen Aufrüstung innerhalb von vier bis fünf Jahren gesprochen, unter subsidiärer Einschaltung eines „Milizsystems" in Anlehnung an das italienische Vorbild der faschistischen Miliz mit „neunmonatiger Dienstzeit", um zu einem modernen Millionenheer zu gelangen: „700 000 Mann schlagkräftige Infanterie und 300000 allen anderen Armeen überlegene Spezialisten für die technischen Waffen." Jedenfalls war dieser Gedanke auch in der Betrachtung Brünings von Bedeutung; denn er schreibt, durchaus angetan: „Um diese neue Miliz militärisch unbedingt schlagfertig zu halten, mußte sie sich aus Angehörigen aller Parteien rekrutieren, die keinen gewaltsamen Umsturz wollten. Zu diesem Zweck mußten auch alle militärähnlichen Verbände parteipolitischen Charakters verschwinden. Um die Jugend für die neunmonatige Dienstzeit in der Miliz vorzubereiten, sollte statt dessen der Wehrsport obligatorisch schon in der Schulzeit und während der Universitätszeit beginnen. Dieses hatte Groener bei Übernahme des Innenministeriums 1931 zur Bedingung gemacht. Ich hatte ihm dabei meine volle 670 671
828
III. Das %>veite Kabinett Brüning
Die voraufgegangenen langwierigen Verhandlungen zwischen Reichswehrministerium und Auswärtigem A m t über die deutsche Politik auf der Abrüstungskonferenz und die auch v o m Reichskanzler gebilligten Richtlinien f ü r die deutsche Delegation ergaben keine ausreichende Grundlage f ü r den besonderen Fall angelsächsisch-deutscher Gespräche, den Brüning als günstige Gelegenheit betrachtete und der ihm einen Erfolg zu versprechen schien. Das Denken der Militärs war ihm so geläufig wie sympathisch. Die Kontroversen zwischen Auswärtigem A m t und Truppenamt bzw. Reichswehrministerium berührten Brüning offenbar nicht; jedenfalls äußerte er sich nie hierzu. Er selbst hatte sich 1930 auf dem Wege über eine private Fühlungnahme erfolglos um direkte Verhandlungen mit dem französischen Generalstabschef Weygand bemüht, was der damaligen Linie des Reichswehrministeriums entsprochen haben dürfte. 6 7 2 Es kann nicht zweifelhaft sein, daß er mit dem Herzen auf der Seite der Reichswehr stand.
Unterstützung zugesagt. Die Vorbereitungen für diesen obligatorischen Wehrsport waren im Innenministerium bereits durchdacht und fertiggestellt. Sie sollten es ermöglichen, im Laufe von fünf Jahren ein Volksheer aufzustellen von solcher militärischen Schlagkraft, wie wir es nie vor dem Kriege besessen hatten. Es war die Vollendung der Scharnhorstschen Gedanken unter Berücksichtigung der inzwischen gewonnenen Erfahrungen. — Ich hatte Groener gebeten, mir die neuesten Formulierungen sofort chiffriert nach Genf zu senden." Im Zusammenhang mit diesen Bemerkungen wird auch Brünings Mitteilung seiner Eröffnungen Hitler gegenüber zu sehen sein. Vgl. Schulz, Restauration, S. 69, Anm. Zur Bedeutung der Milizkonstruktion (mit dreimonatiger Dienstzeit) Wilhelm Deist, Schleicher und die deutsche Abrüstungspolitik im Juni/Juli 1932, in: VZG, 7 (1959), S. 166 ff.; ergänzend und erweiternd Wolfgang Sauer, Die Mobilmachung der Gewalt, in: Bracher, Sauer, Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, 2. Aufl. Köln/Opladen 1962, S. 777. Eine fünfjährige Aufrüstungsfrist sah das sogenannte 2. Rüstungsprogramm der Reichswehr 1932 vor. Michael Geyer, Das Zweite Rüstungsprogramm (1930 — 1934). Eine Dokumentation, in: M G M , 17 (1975), S. 125 — 172, vornehmlich im finanziellen Aspekt. Wenn auch mit Rücksicht auf die Vorliebe Brünings für alles Militärische — und seine Fähigkeit zur Phantasie — eher eine restriktive Interpretation am Platze sein dürfte, so erscheint es doch verständlich, daß von „einer machtpolitischen Perspektive von geradezu Tirpitzschen Dimensionen" gesprochen wird. Michael Geyer, Die Konferenz für die Herabsetzung und Beschränkung der Rüstungen und das Problem der Abrüstung, in: Becker, Internationale Beziehungen, S. 174. 672 Brüning berichtet, daß er Briand und Laval während ihres Berliner Aufenthaltes über den Mißerfolg aufklärte, offenbar zum Vergnügen der beiden Franzosen. Brüning fährt fort: „Und trotzdem glaubte ich, diesen Versuch nicht aufgeben zu sollen." Memoiren, S. 555. Der französische Generalstabschef erwähnt in seinen Memoiren hierzu nichts, aber daß Frankreich von amerikanischer wie von englischer Seite ermutigt wurde, in den Abrüstungsverhandlungen „keinen Mann und keine Kanone" preiszugeben; so vom ame-
Die Demission
829
Nach der Rückkehr Brünings und seiner beiden Begleiter, Bülow und Oberregierungsrat Planck, nach G e n f fand die Besprechung mit den amerikanischen und englischen Politikern, in Gegenwart Bülows, in Bessinge statt. Brüning hatte leichtes Spiel. Er konzentrierte sich darauf, die Teilnehmer der Runde gewinnend zu behandeln und f ü r sich einzunehmen. A m Ende kam es zu einer ersten, allerdings nur provisorischen Einigung v o r der entscheidenden Aussprache mit den abwesenden Franzosen. 6 7 3 Brünings Darlegung der deutschen Gleichberechtigungsforderung wurde respektiert, gerade wegen der v o m Reichskanzler bezeichneten Selbstbeschränkungen Deutschlands: für die Dauer der A b r ü stungskonvention Beibehaltung des derzeitigen deutschen Rüstungsstandes, unter „Wahrung der Freiheit", „Änderungen" am Wehrsystem v o r zunehmen, d. h. Änderung der Dienstzeit und Aufstellung einer begrenzten „Miliz", sowie die „vorbehaltlose" Zustimmung zur „Abschaffung der sogenannten Angriffswaffen". Die anderen Anwesenden erklärten sich mit der Gleichberechtigung „im Sinne einer Abschaffung" v o n Teil V des Versailler Vertrages und seiner Ersetzung „durch eine neue A b rüstungskonvention" — in Gestalt einer „Innovation", nicht einer „feierlichen Widerrufung" dieses Vertragsteiles — einverstanden.
rikanischen Stabschef MacArthur und von Winston Churchill. Maxime Weygand, Mémoires, Bd. II: Mirages et réalité, Paris 1957, S. 374. Dank amerikanischer Vermittlung fanden am 20. und 22. Februar 1932 Treffen General Blombergs mit dem Chef des Deuxième Bureau des französischen Generalstabs, Oberstleutnant Koeltz, in Genf statt. In Berlin hielt François-Poncet ständig Kontakt mit Groener, Schleicher und Hammerstein. Vaïsse, Sécurité d'abord, S. 219 f. m Aufzeichnung Bülows in Genf, 26. April; ADAP, B, X X , S. 149 f., Anm.; dort auch der handschriftl. Kopfvermerk: „Auf Anordnung des Herrn Reichskanzlers dürfen von dieser Aktennotiz nur folgende Herren Kenntnis nehmen: Der Herr R[eichs]Präsident], der Herr St[aats]S[ekretär] Pünder, der Herr stellv. St.S. des AA". — In Bessinge waren zugegen auf englischer Seite Premierminister MacDonald und der Luftfahrtminister The Marquess of Londonderry, auf amerikanischer außer Stimson Norman Davis und der Delegationsvorsitzende und Botschafter in Brüssel Gibson. Auch F R U S 1932, I, S. 108 ff. Die ausführliche Schilderung in Brüning, Memoiren, S. 557 — 563, ist offenkundig lückenhaft und nicht frei von Irrtümern. Mehrfach werden Äußerungen von Henderson zitiert, der gar nicht anwesend war. S. 590 wird auch gesagt, daß Henderson „stark verschnupft" gewesen sei, weil er nicht hinzugezogen wurde. Brüning schreibt (S. 563), daß er „am Abend" Nadolny, Graf Welczeck, Blomberg, Schönheinz und Admirai v. Freyberg über „das heute Erreichte" unterrichtet habe. Es war „im ersten Anhieb gelungen, die Gesamtforderungen der Reichswehr hundertprozentig ... durchzusetzen". Das ist sehr viel mehr als nur eine Übertreibung. Im übrigen hätte es dann der Geheimhaltung der Aufzeichnung gar nicht bedurft. Nadolny, Beitrag, erwähnt weder die abendliche Zusammenkunft noch das Gespräch von Bessinge.
830
III. Das zweite Kabinett Brüning
Das glich eher den vom Auswärtigen Amt empfohlenen Vorstellungen als den Richtlinien für die Abrüstungskonferenz, auf die die Reichswehrführung die deutsche Delegation festgelegt und denen Brüning schließlich zugestimmt hatte. Von den zehn Militärs der 58köpfigen deutschen Abrüstungsdelegation 674 war keiner hinzugezogen worden. Das verstand sich angesichts der Intimität dieser Runde von selbst. Eine Frage blieb, wie sich Brüning aus dem Widerspruch zwischen dem nun in Genf Erreichten und dem dafür Gebotenen einerseits und dem zuvor in Berlin bezogenen Standpunkt anderseits hinausmanövrieren wollte. Mag sein, daß der Kanzler ganz auf das erklärte Fallenlassen des Teiles V des Friedensvertrages, da dies eine deutliche Gemeinsamkeit beider Positionen bildete, abheben wollte, obgleich die von einer Rüstungskonvention abhängende „Innovation" — faktisch die Ersetzung des alten Teiles durch einen neuen — ganz und gar nicht den Vorstellungen der Rüstungsspezialisten der Reichswehrführung entsprach. Dasselbe galt — der Aufzeichnung Bülows zufolge — für Brünings Begrenzung der künftigen Miliz auf eine Größenordnung, die unterhalb der nominellen Stärke der Reichswehr lag; das wäre kaum mehr gewesen, als die geheime Grenzschutzorganisation der Reichswehr allein in den Ostprovinzen bereits besaß. Diese Position, die immer noch mit Frankreich auszuhandeln und insofern auch nicht als Minimalposition anzusehen war, mußte den Kanzler als Außenminister über kurz oder lang in einen Konflikt mit dem Reichswehrministerium bringen, dem in Anbetracht der in der Entwicklung befindlichen Wehrsportorganisation und der Einbindung der Wehrverbände an einer Festlegung der Milizstärke nicht gelegen sein konnte, zumindest nicht in der Form, die Brüning angedeutet hatte. Von der Annahme einer von Brüning vorgebrachten „Abrüstungsformel" 675 oder „Kompromißformel" 676 , die nur noch von Frankreich akzeptiert werden mußte, kann keine Rede sein. Die Erörterung der — von Groener auf der Fahrt nach Basel eindringlich behandelten — „Miliz nach Schweizer Muster" findet sich wohl in der geheimgehaltenen Aufzeichnung Bülows 677 , aber nicht in dem amerikanischen „Memorandum
674
Vgl. Hans-Jürgen Rautenberg, Deutsche Rüstungspolitik v o m Beginn der Genfer
Abrüstungskonferenz bis 2ur Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1 9 3 2 — 1 9 3 5 , phil. Diss. Bonn 1973, S. 20. 675
Brüning, Ein Brief, S. 10; Vernekohl, Brüning, S. 243.
676
Josef Becker, Probleme der Außenpolitik Brünings, in: ders., Internationale Bezie-
hungen, S. 267. 677
s. oben Anm. 673.
Die Demission
831
of Conversation" 678 , wo sachlich und begrifflich ganz und gar unmißverständlich von der sogenannten „Grünen Polizei" gehandelt wird. Das meinte üblicherweise die militärisch ausgebildete und organisierte, teilweise kasernierte Schutzpolizei, die die meisten Länder unterhielten und deren Gesamtstärke Brüning mit 150000 Mann angab, von denen weniger als 100000 im Gebrauch von Waffen ausgebildet seien, während etwa weitere 50 000 als „Detektive, Geheimdienstagenten, Buchhalter, Stenotypisten, Türsteher und Angestellte" Dienst täten. Zahlenspiel und Angaben erscheinen etwas willkürlich; vielleicht ist einiges mißverstanden worden oder hat sich Brüning mißverständlich ausgedrückt. Doch die Frage galt eindeutig nicht dem italienischen oder „Schweizer" MilizGedanken, über dessen Auswertung durch die Reichswehrführung die angelsächsischen Anwesenden auch gar nichts zu wissen schienen, sondern den Schutzpolizeiorganisationen; und zumindest ein Teil der Angaben Brünings bezog sich ebenso eindeutig hierauf. 679 Aber wegen der von ihm ersonnenen Zahlen und Angaben erschien es wohl ratsam, statt „Polizei" „Miliz" zu schreiben, wodurch dieser hauptsächlich von Brüning bestrittene Teil des Gesprächs den Charakter eines duldenden Anhörens seiner Darlegungen zur Größe der geplanten Miliz erhielt, die als eines der wichtigsten Vorhaben im Rüstungsplan der Reichswehr figurierte. 680 Gewiß hatte Brüning etwas erreicht, nämlich eine günstige Einstellung der anwesenden angelsächsischen Staatsmänner, unter denen Stimson ihm besonders wohlgesonnen war. 681 Er hatte sich überaus konziliant gezeigt, so daß eine deutsch-französische Annäherung in den Augen der 678
FRUS 1932, I, S. 1 1 1 .
679
Bennett, Rearmament, S. 153, bemerkt diesen Widerspruch, erwähnt auch, daß
Stimson fünf Monate später bestritten habe, daß „the Swiss-style militia proposai" erwähnt wurde, meint aber, daß eine Frage von Davis in diesem Sinne zu verstehen gewesen sei, was sicherlich verfehlt ist. Davis konnte wohl kaum nach einer Sache fragen, deren Existenz ihm unbekannt war. Und ein sachkundiger Franzose, der hierzu etwas hätte sagen können, fehlte in der Runde. 680
Auch Brünings Erklärung der besonderen Aufgaben der Polizei in der entmilitari-
sierten Zone, die das Memorandum festhält, entsprach dem Brauch. Eine erhebliche Verstärkung der Polizei begann mit der Ruhrkrise 1923. Ausführlich wird diese Thematik, die schon die Interalliierte Militärkontrollkommission beschäftigt hatte, von Castellan behandelt, Réarmement, S. 364—369. Nach Einschätzung des französischen Militärattaches in Berlin konnten jederzeit sofort 5 6 0 0 0 Mann als Infanterie innerhalb der Reichswehr eingesetzt werden. Nach deutsch-alliierten Vereinbarungen war die Gesamtstärke der Polizei auf 1 4 0 0 0 0 Mann begrenzt, die der Schutzpolizeiorganisationen der Länder auf 105 000, davon etwa 4 0 0 0 0 Angehörige der kasernierten Schutzpolizei und der Polizeischulen. 681
Vgl. G o r d o n A. Craig, Die Regierung Hoover und die Abrüstungskonferenz, in:
Becker, Internationale Beziehungen, S. l l l f . ; Stimson, Service, S. 2 7 0 f f .
832
III. Das %»>eite Kabinett Brüning
Amerikaner nicht aussichtslos erschien, „Stimson seine Aufgabe als erledigt" ansah 682 und sich zur Heimreise rüstete. Nach einem letzten Gespräch während eines Dinners bei Norman Davis gab ihm Brüning noch eine dringende schriftliche Erinnerung an die Reparationsfrage mit auf den Weg, 683 die ihn in Genf ständig beschäftigt und die er doch als sein wichtigstes Anliegen betrachtet haben dürfte. Da man in Bessinge nichts beschloß oder definitiv festsetzte, konnte das Gespräch unterschiedliche Eindrücke hinterlassen, die frei interpretiert wurden. Was sie wirklich bedeuteten, würde sich erst herausstellen, wenn man an eine konkrete Ausfüllung des umstrittenen Rahmens, wie ihn die alliierten Mächte sahen, dachte. Bülows Aufzeichnung reduzierte die deutschen Zugeständnisse und erweiterte die der angelsächsischen Gesprächsteilnehmer, die sich in dem amerikanischen Memorandum ganz anders ausnehmen, vor allem weniger bestimmt erscheinen, weil man in dem Gespräch lediglich Präliminarien zu Verhandlungen mit dem französischen Regierungschef erblickte. 684 Man glaubte allerdings, daß sich eine hoffnungsvolle Perspektive für die Abrüstungskonferenz ergeben habe. Stimson kabelte am 29. April nach Washington: „...I met Bruening ... and found him more conciliatory towards making a reasonable compromise with the French on their fundamental issues than we had anticipated." 685 In dieser Sicht konnte man vielleicht in dem Gespräch von Bessinge eine günstige Voraussetzung für das Gelingen der Abrüstungskonferenz erblicken, wenn Brüning bei der Stange gehalten wurde. Daß er sich dann in seiner Reichstagsrede auf Grund dieser Sachlage „100 Meter vor dem Ziele" stehend wähnte, zeugt von einem entschlossen zur Schau getragenen Optimismus. Doch schon Bülow gab die Lage in bescheideneren Relationen wieder: Man trete „auf der Stelle"; die Abrüstungskonferenz sei „festgefahren", die Konferenz von Lausanne werde „sehr schwierig". 686 Die großen außenpolitischen Schwierigkeiten standen dem Reichskanzler noch bevor. 682
Craig, Hoover, S. 121. Als Anlaß diente die Mitteilung, daß im neuen englischen Budget keine Reparationsund Schuldenzahlungen berücksichtigt seien; „under these circumstances you will understand it will be impossible for us to include in our next budget any items in respect of reparation payments". Brüning an Stimson, 29. April 1932; Abschr. PAAAB, W. Rep./ Friedensvertrag Allg., 21 D, 2. , 84 ' Bennett, Rearmament, S. 154 ff. 685 FRUS 1932, I, S. 112. 686 Die Mitteilungen an die Botschafter v. Neurath in London und v. Schubert in Rom klangen nicht optimistisch: „In der Abrüstungs- und in der Reparationsfrage ist nicht viel 681
Die Demission
833
Während sich Brüning und Bülow in Genf aufhielten, hatten Schäffer und Schwerin v. Krosigk am 19. April in Berlin eine private Unterredung mit einem der einflußreichsten französischen Bankiers, dem Generaldirektor des Crédit Lyonnais, Masson. Die Aufzeichnung Schäffers hierüber, die Bülow und Pünder zuging, umriß die konservative Position — wie Schäffer schrieb — „der rechts eingestellten Finanzkreise" in der französischen Politik. Masson bestritt nicht die derzeitige Unfähigkeit Deutschlands, Reparationszahlungen zu leisten; aber er lehnte eine Revision der Zahlungsverpflichtungen mit der Begründung ab: „...wenn man erst einmal anfängt, Vereinbarungen aufzuheben, so ist darin kein Ende abzusehen. Die Deutschen sind ein zielbewußtes und diszipliniertes Volk. Sie zupfen aus der Artischocke des Versailler Vertrages ... ein Blatt nach dem anderen heraus... Die Welt fürchtet, daß nach der Streichung der Reparationsschulden die Streichung der privaten Schulden erfolgen wird. W i r Franzosen fürchten, daß, sobald die Reparationen gestrichen sind, die Deutschen sich an die anderen Bestimmungen des Versailler Vertrages heranmachen werden. Die deutsche Abrüstung wird schon angegriffen, dann kommt der Anschluß, dann der Korridor, dann Oberschlesien, weiter Schleswig und schließlich wird die elsaß-lothringische Frage aufgerollt. Welche festen und unveränderlichen Grundlagen gibt es noch, auf die man irgendetwas aufbauen und Kredite geben soll?" 6 8 7 Schäffer versuchte zu widersprechen, in den aktuellen Punkten, auch
unternommen worden, abgesehen von der Ihnen bekannten bedeutungsvollen Aussprache zwischen dem Reichskanzler und den Vertretern der Angelsachsen am 26. April. Bei dieser Aussprache plädierten wir für allgemeine Abrüstung und deutsche Gleichberechtigung gegen die deutsche Versicherung, zunächst bei dem gegenwärtigen Rüstungsstande zu verbleiben... Sehr schwierig wird die Konferenz von Lausanne, da es fraglich erscheint, ob ihre Vorbereitung in genügendem Maße gelingen wird." Bülow an Neurath, 4. Mai; ADAP, B, X X , S. 163 — 166. Die in der Literatur mehrfach erwähnten Gespräche belgischer, deutscher und französischer Industrieller in Luxemburg lassen sich, von der ausstehenden Stellungnahme Brünings ganz abgesehen, kaum wesentlich günstiger beurteilen. Vgl. Link, Stabilisierungspolitik, S. 521 ff.; dagegen Gosmann, Reparationsfrage, S. 261; Becker, Probleme, S. 279; auch die wenig deutlichen Bemerkungen von Brüning, Memoiren, S. 566 f., teilweise in wortwörtlicher Anlehnung an ein Telegramm Bülows an Pünder vom 28. April, wonach der Kanzler — für Geheimrat Bücher in Luxemburg — nach einer Aussprache mit Hymans anordnete, „zur Reparationsfrage schärferen Standpunkt einzunehmen ... und deutsche Zahlungen abzulehnen, falls sie nicht auf Vorschüssen der Gläubiger beruhen". PAAAB, Alte Reichskanzlei, Auswärt. Angelegenheiten 4/Vorbereitung Lausanne, 54. Über die Zwischenergebnisse Aufzeichnung Bülows, „ganz geheim", für den Reichskanzler, 4. Mai; ADAP, B, X X , S. 161 ff. 687
Aufzeichnung für Bülow; PAAAB, Büro St.S./Reise, 3.
III. Das
834
veite Kabinett Brüning
zum Korridor, die deutschen Forderungen durch Begründungen verständlich zu machen, ohne Masson zu beeindrucken: Frankreichs Volk und Parlament verlangten „für eine rechtliche Fixierung" eines neuen Zustandes Gegenleistungen. Deutschland werde „eine völlige Streichung der Reparationen ohne jede Gegenleistung von Frankreich nicht erlangen". Daß dies nicht nur die Auffassung „rechter Finanzkreise", sondern auch die eines linken Politikers, nach der Kammerwahl die des präsumtiven Ministerpräsidenten Herriot war, erfuhren die beiden Mitglieder der amerikanischen Abrüstungsdelegation Norman Davis und Hugh Wilson, die ihn auf seine Einladung hin und im Einverständnis mit dem noch amtierenden Ministerpräsidenten Tardieu in Lyon trafen. Herriot bemühte sich, das amerikanisch-englisch-deutsche Gespräch in Bessinge durch Ignorieren zu entwerten. 688 Der Hintergrund, auf den er sich mehrfach bezog, ergab sich aus dem jüngsten Vorabdruck des zweiten Bandes von Stresemanns „Vermächtnis" in der nationalistischen Zeitung „L'Illustration" und der Veröffentlichung eines mit peinlichen Formulierungen gespickten Briefes des verstorbenen Reichskanzlers an den ehemaligen Kronprinzen aus dem Jahre 1925.689 Dies schien geeignet, die Politik Stresemanns in ein zweifelhaftes Licht zu rücken. In einer erregten Stimmung nach der Ermordung des Präsidenten der Republik, Paul Doumer, am 7. und einem überraschend großen Sieg der Linken in den
668
Memorandum von Norman Davis, 22. Mai; FRUS 1932, I, S. 1 3 2 - 1 3 9 ; vgl. die
Erinnerungen von Edouard Herriot, Jadis, Bd. 2: D'une guerre ä l'autre, 1 9 1 4 — 1 9 3 6 , Paris 1952, S. 293. 689
Gustav Stresemann, Vermächtnis. Der Nachlaß in drei Bänden, hrsg. von Henry
Bernhard unter Mitarbeit von Wolfgang Goetz und Paul Wiegler, Bd. 2, Berlin 1932. Der Brief Stresemanns an den ehemaligen Kronprinzen v o m 7. September 1925, dort S. 553 ff., erklärte den Völkerbundseintritt als einen Schritt zur Erreichung dreier Aufgaben der deutschen Außenpolitik „für die nächste Zeit": die „Lösung der Reparationsfrage in einem für Deutschland erträglichen Sinne und die Sicherung des Friedens, die die Voraussetzung für eine Wiedererstarkung Deutschlands ist... den Schutz der Auslandsdeutschen, jener zehn bis zwölf Millionen Stammesgenossen, die jetzt unter fremdem Joch in fremden Ländern leben... die Korrektur der Ostgrenzen: die Wiedergewinnung Danzigs, des polnischen Korridors und eine Korrektur der Grenze in Oberschlesien". Außerdem erwähnte Stresemann — mit deutlicher Vorsicht — einen „Anschluß v o n Deutsch-Österreich". Von dem zweiten Punkt abgesehen, wurden diese Zielsetzungen während der Amtszeit Brünings nicht nur verstärkt in der deutschen Presse propagiert, sondern auch in den Bemühungen der deutschen Diplomatie sichtbar. Die französische Veröffentlichung hatte also einen unmittelbaren Anlaß.
Die Demission
835
Kammerwahlen am 8. Mai 690 kam die Wirkung der als enthüllend empfundenen Veröffentlichung in der Tat einer „Verheerung" in der herrschenden Meinung gleich. 691 Hieran wollte und konnte auch Herriot nicht vorübergehen. Die deutsche Weigerung, weiterhin Reparationen zu zahlen, bezeichnete er schlicht als „unmoralisch", um zu einer Diskussion über den „deutschen Charakter" überzuleiten. Der Franzose konnte die Amerikaner davon überzeugen, wie Davis vermerkte, daß die Deutschen in der Politik immer wie Schüler Bismarcks dächten. Sobald die Reparationsfrage nach ihren Wünschen geregelt sei, würden sie sich dem polnischen Korridor zuwenden, dann Danzig, dann den Kolonien usw. Vertraulich äußerte Herriot, ihm sei bekannt, daß die Deutschen beschlossen hätten, keine Reparationen mehr zu zahlen, und sich hierin englischer Unterstützung sicher seien. Die einzelnen Komplexe, je für sich genommen, hielt er für keineswegs entscheidende Probleme; diese lägen vielmehr in der fundamentalen Schwierigkeit, zu einer Vereinbarung mit einem Lande zu gelangen, zu dem man kein Vertrauen habe. Letztlich lief dies auf dasselbe hinaus, was Schäffer von Masson berichtet hatte. Herriot wollte sich Verhandlungen nicht entziehen. Er setzte jedoch einen wesentlichen Gedanken voraus, der das Ende des kurzen Hoffnungsschimmers von Bessinge bezeichnete. Er fand, daß lediglich drei Staaten in der Welt, die Vereinigten Staaten, England und Frankreich, jederzeit miteinander unter der Bedingung vollen Vertrauens und gegenseitiger Achtung verhandeln könnten. Daher sollten diese drei sich regelmäßig wechselseitig konsultieren und um Zusammenarbeit bemühen. Der künftige französische Regierungschef nannte die Abrüstung eine erste Bewährungsprobe. Davis und Wilson gingen hierauf ein, verwiesen allerdings auf die Notwendigkeit einer Einbeziehung Italiens, was Herriot zur Kenntnis nahm, ohne zuzustimmen. Erst im letzten Drittel seines Berichtes erwähnt Davis das Gespräch von Bessinge, doch von der Absprache mit Brüning nur kurz das Wesentliche, an das man in weiteren Verhandlungen anknüpfen sollte: „...the idea was proposed and discussed sympathetically by Bruening of writing the disarmament clauses of the Treaty of Versailles in the new disarmament treaty with a
690
Eingehende Erörterung des Wahlergebnisses in einem langen Telegramm von Hoesch
an das Auswärtige Amt, 9. Mai; ADAP, B, X X , S. 171 — 176. Vgl. Edouard Bonnefous, Histoire politique de la Troisième République, Bd. V : La République en danger: des Ligues au Front Populaire ( 1 9 3 0 - 1 9 3 6 ) , Paris 1962, S. 1 1 9 f f . 691
Hoesch an das Auswärtige Amt, 13. Mai; A D A P , B, X X , S. 181 f.
836
111.
Das
reite Kabinett
Brüning
foot-note to the effect that Germany voluntarily accepted this obligation." Das wollte der Kanzler auf gar keinen Fall, sondern eine Eliminierung und Ersetzung der „disarmament clauses". In der Absicht, die weiteren Verhandlungen vorzubereiten, sandte Davis ein Telegramm nach Washington, das einige freundliche Bemerkungen über den deutschen Kanzler enthielt und auch die Möglichkeit eines gemeinsamen Treffens mit Brüning vor Beginn der Konferenz in Lausanne eröffnete, die nach Herriots Vorschlag um zwei oder drei Tage hinausgeschoben werden könnte. 6 9 2 Dies verdichtete sich schließlich zu dem zwischen dem amerikanischen Delegationsführer Gibson in Genf und Stimson in Washington telegraphisch diskutierten Versuch, Brüning durch eine vertrauliche Botschaft zu bewegen, schon einige Tage vor Beginn der Konferenz nach Genf zu kommen, wenn Herriot, MacDonald und die Amerikaner sich träfen. 693 An eine förmliche Einladung dachte niemand. Die Begegnung sollte informell bleiben, aber Brüning doch die Gelegenheit geben, den schlechten Eindruck, den die Veröffentlichungen des Wochenblattes „L'Illustration" hervorgerufen hatten, bei Herriot und den anderen auszuräumen. Um die Wiederherstellung der Atmosphäre nach der Stresemann-Geschichte, nicht um eine Anknüpfung an die besprochene Thematik war es Gibson zu tun. Er ließ schließlich dem amerikanischen Botschafter in Berlin durch einen Vertrauten, Dolbeare, einen Brief überbringen, dessen Inhalt Botschafter Sackett dem Kanzler vertraulich zur Kenntnis geben sollte. 6 9 4 Darin war „informell" der Wunsch ausgesprochen, daß Brüning vor der Konferenz in Lausanne nach Genf kommen möge, wo sich Herriot am 13. oder 14. Juni ebenfalls aufhalten werde. „It was his [Herriots] opinion that to inject new life into the Disarmament Conference at that time would have a very favorable effect on public opinion and thus better prepare the way for the
" 2 Kontroverse Interpretation hierzu von Bennett, Rearmament, S. 159 f.; Becker, Probleme, S. 275—278, der überzeugend auf einige Flüchtigkeiten und formale Nachlässigkeiten in dem in F R U S 1932, I, S. 132 — 139 veröffentlichten Memorandum — im Unterschied zu dem Text des Telegramms — hinweist, woraus sich eine Klärung in der Abfolge der Fertigstellung beider Texte — am gleichen Tage — ergibt. Treffend die Feststellung von Link, Stabilisierungspolitik, S. 520: „Stimsons positive Einschätzung der Brüningschen Hauptzugeständnisse kam durch die Fehlbewertung der an sie geknüpften revisionistischen Bedingungen zustande und ging mithin von unzutreffenden Voraussetzungen a u s . " 653
Gibson an Stimson, 23. Mai; F R U S 1932, I, S. 139 f.; weiterer Telegrammwechsel
a. a. O . , S. 1 4 2 - 1 4 5 . 6,4
Streng vertraulicher Brief von Gibson an Sackett und für die Botschaft bestimmtes
Begleitschreiben, beide vom 25. Mai; erstmals abgedruckt von Becker, Probleme, S. 271 ff.
Die Demission
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meeting at Lausanne..." Gibson versäumte nicht, auf die Wirkung der „L'Illustration"-Veröffentlichungen hinzuweisen, so daß über den Hauptzweck der Zusammenkunft kein Zweifel entstehen konnte. Von einer Fortsetzung des Gespräches von Bessinge kann keine Rede sein. Das dürfte auch Brüning nicht verkannt haben. Vielmehr mußte er sich eingestehen, daß sich vor dem nächsten Schritt zu einem Erfolg ein neues Hindernis erhoben hatte. Botschafter Sackett erreichte den Kanzler mit dem Brief Gibsons am Vormittag des 30. Mai, vor Brünings letztem Besuch beim Reichspräsidenten und der Übergabe des Demissionsschreibens seiner Regierung. Der Brief konnte ihn begreiflicherweise hiervon nicht abhalten. Die Darstellung in seinen Memoiren ist „inexakt" 695 — im weitesten Sinne des Wortes. Seine Regierung hatte „in den entscheidenden Fragen ... keinen durchgreifenden außenpolitischen Erfolg erzielen können. Das Ende war damit gekommen." 696 Brüning stand trotz seiner Taktik der Instrumentalisierung von manchen kleinen Erfolgen in der Hoffnung, zu wirklich großen zu gelangen, mit leeren Händen da. In Genf resümierte Gibson: „It is felt that in a sense the situation is simplified by the fact that the German Government and its need for face-saving need no longer be taken into account to the same extent as was the case when the other powers had an interest in keeping Bruening Government in power. If progress can be achieved among the other powers they can speak with one voice in telling Germany she must take what she can get as a first step toward equality." 697 Wenn Brüning an einen Erfolg von Bessinge geglaubt haben sollte, so doch wohl nur, weil er eine Verbindung mit den Angelsachsen, zu dritt, wenn nicht gar eine gemeinsame Front gegen Frankreich für möglich hielt. Doch im Grunde versprach auch dies, wäre es möglich geworden, nur wenig, nichts, was das Reichswehrministerium honoriert hätte. Seit Ende Januar 1932 lag dem Chef der Heeresleitung nach jahrelangen Vorarbeiten ein erstes Rüstungsprogramm vor, das jedoch in Anbetracht der Situation, in der sich die Reichsregierung befand, dem Kabinett nicht zur Beratung zugeleitet wurde. 698 Auf Brünings Anweisung mußte nun die Aufzeichnung Bülows über das Gespräch in Bessinge
695
a. a. O., S. 273 f.; vgl. Brüning, Memoiren, S. 601.
696
Das Urteil von Gosmann, Reparationsfrage, S. 262, darf hier als das sachkundigste
gelten. 697
Gibson an Stimson, 5. Juni; FRUS 1932, I, S. 152 f.
698
Rautenberg, Rüstungspolitik, S. 2 1 5 f., 436.
838
III.
Das zweite Kabinett Brüning
intern geheimgehalten, sollte sie weder der Abrüstungsdelegation noch dem Reichswehrministerium bekannt werden. Erst Anfang Juli gelangte sie in die Hand des neuen Außenministers Frhr. v. Neurath. Brüning wollte die Erörterung des Inhalts der intimen Abrede hinausschieben, bis dahin ihm unliebsamen Gesprächen aus dem Wege gehen. Wie sich Hindenburg und dessen engste Umgebung, Meissner und der Sohn, verhielten, entzog sich allerdings seiner Kontrolle. Die auffallende Ausgrenzung des Delegationschefs Nadolny bewirkte eine gewisse Sicherung gegen Rückfragen. Der Botschafter hatte sich selbst durch Betonung seiner unmittelbaren Beziehung zum Reichspräsidenten und zum Reichskabinett aus der dienstlichen Hierarchie des Auswärtigen Amtes zu separieren versucht. 699 Daß Brüning aber von der strikten Geheimhaltung der Aufzeichnung den Reichspräsidenten ausnahm, obgleich es gar kein Ergebnis zu berichten gab, ihn vielleicht sogar als Adressaten ins Auge faßte, mag auch an dem ausgeprägten Interesse des Feldmarschalls an Wehrmachts- und Rüstungsfragen gelegen haben, das der Kanzler respektierte. Doch er dachte ebenso an den innerpolitischen Rückhalt am Reichspräsidenten, den er sich durch den Nachweis einer erfolgreichen außenpolitischen Tätigkeit zu sichern versuchte. Dies mißlang. Nicht in seinen „Memoiren", aber in einer Reihe von Briefen der Nachkriegszeit, sogar in dem häufig zitierten, publizierten „Brief von 1947,700 hat Brüning wiederholt eine besondere Rolle des Generals v. Blomberg, des Führers der militärischen Gruppe in der Genfer Abrüstungsdelegation, hervorgehoben und ihm einen Anteil an der Vorgeschichte seines Rücktritts zugewiesen. Die ausführlichste unter diesen Darstellungen besagt: „Herr von Blomberg wurde von Genf nach Berlin berufen und gab dem Präsidenten einen völlig falschen Bericht über die Ergebnisse meiner Besprechungen in Genf [Bessinge], so daß der Präsident mich in der entscheidenden Unterhaltung ... einer bewußten Irreführung in meinen Berichten beschuldigte und mir nicht einmal die Zeit zur Antwort ließ." 701 Daß dieses Gespräch wahrscheinlich am 9. Mai stattfand, ergibt sich aus einer anderen Stelle des gleichen Briefes: „Als ... es klar wurde, daß die Mißtrauensvoten gegen das Kabinett abgelehnt
699
Köpke an Bülow in Genf, 9. April; ADAP, B, X X , S. 99. Brüning, Ein Brief, S. 18. 701 Brüning an den ehemaligen Landeshauptmann der Provinz Ostpreußen, Manfred Graf v. Brünneck-Bellschwitz, 12. Oktober 1948; GehStAB, Nachl. Graf Brünneck/II. Ähnliche Andeutungen und Mitteilungen auch später an Brünneck, 12. Dezember 1955; in anonymisierter Form an Baumhof, 27. Dezember 1955; Abschr. BA, Nachl. Pünder/613. 700
Die Demission
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würden, ließ der Präsident mich aus dem Reichstag herausrufen und verlangte meinen sofortigen Rücktritt. Als ich ihm sagte, daß ich sofort in den Reichstag gehen würde, um dem versammelten Hause Mitteilung v o n den Wünschen des Reichspräsidenten zu geben, lenkte er ein und entließ mich mit den Worten, er werde nach Neudeck fahren und sehen, welche Entscheidung er dort in Ruhe treffen würde; auf alle Fälle würde er sich weigern, der Regierung bis dahin die Vollmacht des Artikels 48 weiter zu gewähren." Das Vertrauensverhältnis zwischen Reichskanzler und Reichspräsident war zerstört, noch ehe Hindenburg nach Neudeck fuhr. Der Regierung blieben noch knapp drei Wochen, die Brüning nutzen konnte — oder nicht. Brünings Lage war fatal. Auch die Außenpolitik entglitt ihm. In seinen langen Ausführungen v o r dem Auswärtigen Ausschuß des Reichstags am 24. Mai hob er immer wieder die Lösung der Reparationsfrage durch völlige Beseitigung der Reparationen hervor; auf sie bezog er nun ausdrücklich seine Bemerkung v o n den „letzten hundert Metern v o r dem Ziel". 702 Aber er streute auch einige Mitteilungen über seine Genfer Verhandlungen ein, nur keine klaren und bei weitem keine erschöpfenden. 7 0 3 ™2 Die Wendung entstammt der Reichstagsrede am 11. Mai, als Metapher, nicht als Aussage; so auch Brüning, Memoiren, S. 588; vgl. Morsey, Entstehung, S. 37 f. Vor dem Auswärtigen Ausschuß gab Brüning am 24. Mai eine weitere Erklärung. Seine Bemerkung wandte sich nunmehr gegen einen Artikel der Kölnischen Zeitung, daß er der Reparationsfrage zu großes Gewicht beilege: „... nur nicht fünf Minuten vor zwölf am Festhalten der Linie unserer Reparationspolitik weich werden . . . " Schulz, Politik, 2, S. 1483; Vernekohl, Brüning, S. 183. 703 Brüning unterstrich, „daß die Reparationsfrage mit den Abrüstungsfragen letzten Endes außerordentlich eng zusammenhängt und daß wir diese beiden Fragen taktisch und zeitlich immer aufeinander einstellen müssen, denn daß keine Schuldenstreichung zu erreichen ist, wenn nicht in Europa eine Lösung in der Abrüstungsfrage gefunden ist, die die Volksseele in den Vereinigten Staaten einigermaßen befriedigt, das werden Sie selbst erkennen". Korrekt erklärte Brüning, „daß die Ersetzung des Teiles V des Versailler Vertrages durch die Allgemeine Abrüstungskonvention", die noch beraten werden sollte, „das Wesentliche dessen ist, was wir mit den Amerikanern, Engländern und Italienern verhandelt haben..." Zur Genfer Absprache hatte er jedoch zuvor schon bemerkt, daß „keine Abmachung angenommen werden könne, die direkt oder indirekt auf den territorialen status quo oder auf die Sicherung der militärischen Übermacht Frankreichs hinauslaufe". Schulz, Politik, 2, S. 1478 f., 1473; nur die zweite Rede Brünings, ohne das letzte Zitat, Vernekohl, Brüning, S. 173 f. Brüning unterließ es — und konnte dies tun, da ihn niemand bedrängte —, die Absprache in Stimsons Villa bei Genf zu beleuchten. In seinen Erinnerungen schrieb er lapidar: „Ich erwähnte ... noch nicht die Abmachungen von Bessinge außer Quaatz und Freytagh-Loringhoven gegenüber, die sich verständnislos zeigten..." Brüning, Memoiren, S. 594.
840
III.
Das zweite Kabinett
Brüning
Schleicher zählte nicht von Haus aus zu den Maximalisten unter den wehrpolitischen Planungsstrategen der Reichswehr und besaß etwas mehr politische Erfahrungen als sie. Doch er hatte sich ihnen angeschlossen und ebenso wie Groener den entscheidenden Köpfen innerhalb des Truppenamtes und der Wehrmachtsführung — den Chefs der Heeresleitung und der Marineleitung — zugestimmt, was den anvisierten Kurs definitiv festlegte. Überlegungen und Erwägungen des Generals im einzelnen bleiben im dunkeln; 704 aber dies ist kein Problem, dem gravierende Bedeutung zukäme. Gewiß wurde Schleicher aus der Umgebung Hindenburgs auf dem laufenden gehalten, sowohl vom Adjutanten und Sohn, den er seit langem kannte und zu dem er Kontakte pflegte, als auch über Meissner, mit dem er in jenen Wochen im Mai so eng zusammenarbeitete, daß er schließlich sogar auf die Redaktion der abschließenden Darstellung des Staatssekretärs zur Vorgeschichte der Demission Brünings maßgeblichen Einfluß nahm. 705 Die mehrfach behaupteten Kontakte zwischen Schleicher und dem Reichspräsidenten während der Neudecker Wochen im Mai 1932706 dürften der Erkundung über den Stand der Dinge gedient haben. Auch für Schleicher, der in seiner erstaunlichen Karriere viel Glück gehabt hatte, war die Lage nicht ohne Schwierigkeiten. Begreiflicherweise konnte er sich nach Groeners Rücktrittserklärung nicht für die Übernahme des Reichswehrministeriums entscheiden, wenn ihn der Reichskanzler in seine Außenpolitik nicht einweihte. Brüning ließ es in dem langen Abendgespräch am 2. Mai in seiner Neigung zu gewinnender Beredsamkeit unter vier Augen dabei bewenden, dem General seine Vorstellungen nahezubringen und aus ihm Neuigkeiten herauszuhören; aber nach dem von ihm selbst überlieferten Gesprächsverlauf 707 weihte 704
Die biographische Arbeit von Friedrich-Karl v. Plehwe, Reichskanzler Kurt von
Schleicher. Weimars letzte Chance gegen Hitler, Esslingen 1983, geht zwar auf innerpolitische, auch zivile Aspekte der Tätigkeit Schleichers als Chef der Wehrmachtsabteilung, seit 1929 des Ministeramtes ein, läßt aber die wichtigen außen- und rüstungspolitischen Fragen der Zeit und Schleichers Haltung hierzu fast gänzlich unberücksichtigt. Diese teilweise ausführlich, aber nicht zuverlässig behandelt von H. R. Berndorff, General zwischen Ost und West. A u s den Geheimnissen der deutschen Republik, Hamburg o.J. 7115
Niederschrift v o m 10. Juni; Vogelsang, Reichswehr, S. 459—466; Schleichers Anteil
Schulz, Politik, 2, S. 1 5 2 8 - 1 5 3 3 . w, Brüning, Memoiren, S. 594; daß Schleicher selbst in Neudeck war, berichtet Meissner, Staatssekretär, S. 224. Auch Groener erwähnte dies; Reginald H. Phelps, Aus den GroenerDokumenten, in: Deutsche Rundschau, 77 (1951), S. 29. 71)7
Brüning, Memoiren, S. 575 — 580, eine ebenso phantasievolle wie aufschlußreiche
Darstellung. Schleichers Rüstungsvorschläge — im Rahmen der Arbeitsbeschaffung —
Die Demission
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er ihn nicht ein, erwähnte er Bessinge mit keinem Wort. Seine Verfügung über die Aufzeichnung Bülows hatte den General — wie das ganze Reichswehrministerium, auch Groener — von der Unterrichtung ausgeschlossen. Doch allein schon die ständige Begleitung Brünings durch den Oberregierungsrat Planck, einen Vertrauten und Freund Schleichers, läßt das Bemühen um strikte Geheimhaltung fragwürdig, die Haltung des Kanzlers kaum klar durchdacht erscheinen. Dieser Eindruck verliert allerdings einiges von seinem Gewicht, wenn man berücksichtigt, daß der Beginn der Entfremdung zwischen Kanzler und General schon früher datierte, Brüning ihn schon als Gegner und Gegenspieler taxierte. Wie Schleicher etwas später rückblickend, als Reichswehrminister, den Prozeß bewertete, läßt sich aus einer Mitteilung an seinen Amtsnachfolger als Chef des Ministeramtes, Oberst v. Bredow, schließen; auch der Beweggrund für seinen Entschluß, selbst in den Vordergrund zu treten, läßt sich entnehmen sowie die Unfähigkeit des aufs Ganze gehenden Militärs, die Unvollkommenheit des Politikers zu tolerieren. 708 Von der Haltung des „vorausschauenden Staatsmanns" zur „nationalsozialistischen Bewegung" war zu fordern, wie Schleicher meinte, daß er nach der Reichstags wähl vom 14. September 1930 ihr „außerordentliches Anwachsen" als „Tatsache in seine Rechnung" einstellte, um „sie schrittweise zur Mitarbeit am Staate heranzuziehen". Das hatte Brüning versucht, aber nicht vollbracht. Auch die Neubildung des Kabinetts im November 1931 mit Warmbold und Groener für die „Aufgabe, die innerpolitischen Spannungen durch den Einsatz der Staatsautorität zu mildern, um der Regierung für schwere Aufgaben im Innern und in der Außenpolitik den nötigen großen Rückhalt im deutschen Volk zu sichern", erfüllte die gehegten Erwartungen nicht. „Warmbold hat es nicht vermocht, seine Vorschläge durchzusetzen, und der Reichsinnenminister hat, offenbar unter dem Einfluß der Länderregierungen, die Reichspolitik nicht auf eine Entspannung der politischen Gegensätze einstellen können." Seit der Vierten Notverordnung im Dezember „überstürzten sich die Ereignisse", und „die Dinge endeten logisch im Sturz des Kabinetts". Damit erklärte Schleicher nicht seine Entschlüsse im Einzelfall. Doch besitzt seine Darlegung den Vorzug, daß sie das Defizit eines hinlänglich geklärten Programms der Regierung Brüning, das wiederholt nachteilig in Erscheinung trat, von seiner Warte aus erklärt und werden nur an anderer Stelle (S. 572 f.) beiläufig erwähnt („sonderbarer Vorstoß") und könnten den Eindruck erwecken, daß Brüning hiervon überhaupt nichts begriffen hatte. 708
Schleicher an Bredow, 14. Juni 1932; BA, Nachl. Bredow/1.
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111.
Das somite Kabinett
Brüning
auch die vom Reichskanzler — bis Bessinge — nie bestrittene Bedeutung des Diskurses mit dem Reichswehrministerium und seinen politisch maßgebenden Männern in das rechte Licht zu rücken vermag. Man darf aber aus allen vorangegangenen Erwägungen und Entschlüssen folgern, daß Brüning sich auf das zuletzt doch sehr gewagte Spiel nur einließ, um die ihm zunächst am Herzen liegende Aufgabe erfolgreich hinter sich zu bringen, an deren Erfüllung er sich seit Monaten klammerte, so daß er sie als Schicksalsmarke, als Überschreitung der Wasserscheide empfand; doch die Terminverschiebung für Lausanne hatte sie aus seiner Reichweite gerückt: die völlige Beseitigung der Reparationen. Alles andere instrumentalisierte er. Um die Belastungen durch die früher begonnenen, einer Klärung in die Quere gekommenen Abrüstungsverhandlungen zu neutralisieren, blieb dem Kanzler keine andere Wahl, als sich so konziliant wie möglich zu zeigen, um das ihm nähere andere Ziel zu erreichen. In der vorletzten Reparationsbesprechung in der Reichskanzlei am 27. Mai wurde — wie er es wünschte — festgelegt, daß es „untunlich" sei, „bestimmte Pläne auszuarbeiten, die eine Beendigung der Reparationen durch eine irgendwie geartete Abschlußzahlung vorsehen". Für Lausanne blieb die Pflicht der Härte. Da aber „Erfolg" für die deutsche Delegation oberstes Gebot war und sie nicht ohne Ergebnis zurückkehren durfte, wurde noch der Ausweg eröffnet, der sie notfalls „kurzfristig" zu eigener Stellungnahme befugte. 709 Die Forderung nach „Streichung der Reparationen" wurde unbeirrt beibehalten. Durch Materialsammlungen sollte die neuerlich Bedeutung gewinnende Behauptung widerlegt werden, daß Deutschland nach dem Fortfall der Reparationen, infolge seiner geringen inneren Verschuldung, alsbald einen wirtschaftlichen Vorsprung vor den Gläubigerländern haben könne. Es sollte „bewiesen werden", daß die jährliche Auslandsbelastung „für die ausländische Privatverschuldung" letztlich durch die Reparationsbelastung entstanden sei und sich infolge der „fortschreitenden Deflation immer drückender gestaltet". Sogar die Wirkungen der nachgerade programmatisch verfolgten Deflationspolitik wurden als instrumentum politicum eingesetzt, um eine waghalsige Gedankenführung zu untermauern. Von der bislang als stichhaltig geltenden Konstruktion, daß eine Entlastung Deutschlands zu einer Besserung der weltwirtschaftlichen Lage insgesamt führen werde, sah man jetzt ab. Selten hat eine Regierung in Deutschland so unverfroren ihre Politik als zwangsläufig unter äußeren Bedingungen deklariert. 705
ADAP, B, X X , S. 208 ff.; auch AR: Brüning, 3, S. 2575 ff.
Die Demission
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Die Unbeweglichkeit dieser politischen Zielsetzung, der andere Zwecke subsumiert wurden, hatte Staatssekretär Schäffer nicht mehr hinnehmen wollen, so daß er sich zum Rücktritt veranlaßt sah. Am Ende einer langen Tagebucheintragung notierte er eine milde Bemerkung von Kempner: „Wir könnten unter keinen Umständen gegen die Ausländer in allen vier Fragen, Reparationen, Währung, Donauraum und Abrüstung, uns durchsetzen. Wir müssen eine gewisse Auswahl treffen." 710 Schäffer schrieb diesen Satz in innigem Einverständnis nieder. Brüning dürfte es letztlich nicht wesentlich anders gesehen haben; aber er vermochte sich dem Spiel mit dreien dieser vier Fragen und den Erfolgsaussichten, die es eröffnete, nicht zu entziehen. Doch für eine derartig gewagte Equilibristik ermangelte er Bismarckscher Robustheit, fehlte ihm das Nervenkostüm. Ihm blieb nur die Variation von Energie und Nachgiebigkeit, Fordern und Geben und Akten der Konzilianz, deren Verbindlichkeit er gern im „Halbdunkeln" ließ und über die er vielleicht selbst keine Klarheit wünschte. Tauschungen und Enttäuschungen konnten kaum ausbleiben.
Das Zünglein an der Waage: Streit ohne Entscheidung über die nächste Notverordnung Nach wochenlangem Hin und Her zwischen Schlange-Schöningen und Stegerwald verließ Schlange tief deprimiert eine der letzten Sitzungen der Regierung Brüning am 20. Mai 1932.711 Er sah sich vor der Wahl, entweder stillschweigend zurückzuweichen oder einen „Sturm der Meinung" hervorzurufen, der die Entwicklung vorantrieb. Der Beschluß der Reichs regierung überließ faktisch die gesamte Siedlung dem Reichsarbeitsminister und seiner Siedlungsabteilung. 712 Die weiteren Regelungen und die Sicherstellung des Siedlungslandes blieben noch offen. Passarge kommentierte erbost: „Das Zentrum läßt sich diese Aufgabe unter keinen Bedingungen entreißen. Schlange steht vor der ersten, aber gründlichen Niederlage. Soll er gehen?" 713 Der junge Intimus zog den zögernden und unentschiedenen Schlange mit: „Ich rate ab. Die Entwicklung der letzten Tage läßt den allgemeinen Zusammenbruch schon für die nächste Zeit befürchten. Dann muß man am Ruder sein." Passarge riet Schlange, 7.0
IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch, 7. April.
7.1
Tagebuchaufzeichnung von Passarge, 20. Mai; Schulz, Politik, 2, S. 1462.
712
A R : Brüning, 3, S. 2544 - 2550.
713
Schulz, Politik, 2, S. 1462 f.
III. Das zweite Kabinett Brüning
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„als die aktivste Persönlichkeit des Kabinetts" die Gelegenheit zu nutzen und neue Positionen für sich zu verlangen: „Ministerien sind genügend frei, Innen, Ernährung — denn Schiele soll ja doch wohl mal beseitigt werden —, Reichswehr usw. — Wenn nicht, gehe ich; aber dann stürzt das Kabinett mit mir." Am folgenden Tag übersandte Stegerwald dem Reichskommissar einen in großer Eile abgeänderten Entwurf, der dessen Wünschen entgegenkam und die Auffangorganisation für die nicht entschuldungsfähigen Güter nach Schlanges Vorschlag einschaltete. Der Reichsarbeitsminister wollte sich allerdings in Einzelfällen den Zugriff und die unmittelbare Übernahme der Güter zu Siedlungszwecken vorbehalten. 714 Der Kompromiß war offenkundig äußerlicher Art; vermutlich hätte ihm Schlange kaum zugestimmt. Stegerwald drängte, um rasch zu einem Ergebnis zu gelangen und seine Ankündigungen auf dem gewerkschaftlichen Krisenkongreß einzulösen. Diese Eile brachte die Dinge ins Rollen und vereitelte die fälligen Beschlüsse. Am Sonntag, den 22. Mai, gab Pünder ein ausführliches Kommunique über die Kabinettssitzung am 20. aus, das sich weitgehend auf die Siedlungsvorlage konzentrierte. 715 Dies lenkte zwangsläufig die Aufmerksamkeit der opponierenden Kräfte auf die Vorgänge in der Reichsregierung. Über welche Kanäle der Wortlaut der letzten Fassung des Entwurfs von Stegerwald an die Öffentlichkeit gelangte, läßt sich eindeutig nicht bestimmen. Am 24. wurde er von einer in Berlin erscheinenden Korrespondenz publiziert. Noch am gleichen Tage, als der Reichskanzler seinen Vortrag vor dem Auswärtigen Ausschuß des Reichstags hielt, faßte auf Grund dieser Veröffentlichung die deutschnationale Reichstagsfraktion eine Entschließung, die keinen Reflex der außenpo714
Der Sonderfall sollte gelten, wenn eine Einigung zwischen dem Leiter der Landstelle
und dem Siedlungskommissar dahingehend erreicht wurde, daß ein G u t auch unter Umgehung der Auffangorganisation der Siedlung unmittelbar zugeführt werden sollte. Stegerwald an den Reichskommissar für die Osthilfe, 21. Mai 1932; Abschr. BA, R 43 1/1812. Muth, Agrarpolitik, S. 338, meint, daß dieser Entwurf eine Einigung zwischen Stegerwald und Schlange besiegelte. Das trifft in dieser Form nicht zu. Es gibt keinen Anhalt für eine unmittelbare Vereinbarung, auch nicht über ein Gespräch zwischen
Stegerwald
und
Schlange nach dem Abend des 20. Mai. Vielmehr blieb die Veränderung, die offenkundig flüchtig vorgenommen und schon am 2 1 . Mai v o m Reichsarbeitsminister unterzeichnet und ausgesandt wurde, ein einseitiger Akt, der allerdings der Absicht entsprach, die Einwände Schlanges schnell zum Schweigen zu bringen. 7,5
Pünder, Reichskanzlei, S. 124; vgl. Muth, a. a. O., S. 339, der allerdings irrtümlich
davon ausgeht, daß Pünder die Siedlungsverordnung in allen wesentlichen Einzelheiten mitteilte.
Die Demission
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litischen Situation mehr enthielt, sondern sich ganz auf den Protest gegen die Ziele einer neuen Siedlungspolitik beschränkte. 716 In der outrierten Sprache der Hugenberg-Richtung enthielt sie eine vehemente Anklage, die die letzten Verlautbarungen noch übertraf: „Dieser Entwurf stellt das ungeheuerlichste an Verletzung bestehender Rechtsgrundsätze dar, was bisher das deutsche Volk erlebt hat." Als Begründung diente die Behauptung, „daß für landwirtschaftliche Siedlung unendlich viel landwirtschaftlich genutzte Flächen angeboten sind, also aufgenommen werden können, daß also auch ohne ein derart rigoroses Gesetz die Möglichkeit weitester Förderung der Siedlung gegeben ist". Die Sache selbst wurde nicht erörtert. Den deutschnationalen Reichstagsabgeordneten genügte dies, um die Regierung an den Pranger zu stellen: „Der Weg, den die Reichsregierung mit dieser Notverordnung [!] zu gehen gewillt ist, stellt sich als vollendeter Bolschewismus dar. Die wichtigsten Rechtsgarantien, die bisher bei Zwangsversteigerungen für Eigentümer und Gläubiger gegeben waren, fallen hin. Die Entscheidung, ob ein Grundstück vom Reich versteigert oder ersteigert werden kann..., liegt in den völlig unkontrollierbaren Händen des Reichskommissars für die Osthilfe, des Reichsarbeitsministers oder der von ihnen bezeichneten Dienststellen, so daß keine Gewähr für eine objektive Handhabung so ungeheurer Machtbefugnis gegeben ist." Sollte dieser Plan durchgeführt werden, dann bedeute das „furchtbares Unrecht am deutschen Osten..." Daß Schlange in das Feuer dieser Kritik geriet und in der Entschließung der DNVP-Fraktion sogar noch vor dem Reichsarbeitsminister an erster Stelle genannt wurde, gibt zu denken. Offenkundig wurde innerhalb des Reichsernährungsministeriums gegen Schlange gebohrt. Der vielseitig tätige und seit langem in Ostfragen rührige Ministerialdirektor Wachsmann wollte durch Schiele in der Reichs kabinettssitzung einen Gegenentwurf zu dem von Stegerwald vorgelegten Verordnungsentwurf vorbringen lassen, war jedoch bei seinem Minister nicht durchgedrungen. Die nachträglich seinem Duzfreund Pünder mitgeteilten Gründe Wachsmanns erinnern an Passagen in der Entschließung der deutschnationalen Reichstagsfraktion: Durch diesen Gesetzentwurf habe er „den Kanzler auf die verhängnisvollen Folgen der agrarbolschewistischen Pläne Schlanges [!] im letzten Notverordnungsentwurf hinweisen" wollen, „die jetzt der Presse Anlaß zu der unerwünschten und vermeidbar gewesenen Fehde 716
B A , R 43 1/1289. Die Entschließung wurde dem Reichskanzler erst mit Schreiben
v o m 27. Mai zugestellt; doch vor ihrem Eintreffen in der Reichskanzlei, am frühen Morgen des 28. Mai, erschien sie im Berliner Lokalanzeiger.
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III.
Das zweite Kabinett Brüning
gegeben haben". 717 Das Stichwort „bolschewistische Pläne" war also unter höchsten Ministerialbeamten geläufig; es machte die Runde und zeitigte Wirkungen. Daß man es auch auf Schlange anwandte und seine unvollkommenen Vorschläge mit den Schnellprodukten Stegerwaids in eins tat, ließ den gegen die ganze Regierung gerichteten Stoß erkennen, brachte aber den Reichskommissar zu einer weiteren Reaktion, mit der er wenigstens sein Ansehen in den eigenen Kreisen zu retten versuchte. Den in Neudeck weilenden Reichspräsidenten erreichten die Proteste mit geringer Verzögerung. Am 24. Mai übersandte Landbundpräsident Graf Kalckreuth einen von ihm verfaßten Artikel in der „Deutschen Zeitung" unter der Schlagzeile: „Entrechtung des Ostens!". In dem Begleitschreiben an Hindenburg unterstrich er die „Verbitterung" der Grundbesitzer und den „außerordentlichen Schaden", der der Wirtschaft des Ostens zugefügt werde. „Die Überführung der Güter, die nicht mehr saniert werden können, zur Siedlung, läßt sich ... durchaus in Formen und unter rechtlichen Garantien vollziehen, die der Landwirtschaft erträglich erscheinen, ohne die notwendige Siedlung zu hemmen. Ich zweifle nicht, daß es in Ihrem Sinne ... liegt, daß statt der im Referentenentwurf vorliegenden Notverordnung solche Wege beschritten werden, die nicht einen Bruch aller bisherigen Rechtsgrundsätze bedeuten." 718 Welche Rechtsgrundsätze tatsächlich bedroht schienen, führte Kalckreuth nicht aus. Noch größere Bedeutung kommt einer Botschaft zu, die Frhr. v. Gayl über Staatssekretär Meissner ebenfalls am 24. Mai an den Reichspräsidenten in Neudeck richtete. 719 Gayl übermittelte nicht nur den vollständigen Wortlaut der letzten Fassung des Entwurfs der vorgesehenen Notverordnung vom 21. Mai, der ihm in einem unmittelbar aus dem Reichsarbeitsministerium bezogenen Originaldurchschlag vorlag. 720 Das beigefügte Schreiben kommentierte diesen Entwurf knapp, aber deutlich: „Selbst wenn Gläubiger und Schuldner einig sind, kann künftig eine Behörde, ohne selbst Gläubigerin zu sein, wider Willen der Beteiligten die Zwangsversteigerung betreiben und nicht nur den Besitzer von Haus und Hof bringen, sondern auch die Gläubigerforderungen unter den
717 Wachsmann an Pünder, 31. Mai, mit handschriftl. Kopfvermerk „Rein persönlich! Nicht für den Geschäftsgang!" BA, Nach]. Pünder/657. Zum Vorwurf und Schlagwort „Bolschewisierung" Fiederlein, Osten, S. 357 ff. 7.8 Schulz, Politik, 2, S. 1496. 7.9 a. a. O., S. 1486-1492. 720 a. a. O., S. 1487, Anm. 1; dort auch die älteren Versionen in der Literatur.
Die
Demission
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Tisch fallen lassen ... Praktisch ist der Nutzen der ganzen Neuordnung gering. Nach den vielen schweren Eingriffen der früheren Notverordnungen in das Privateigentum bedeutet das neue Zwangsversteigerungsrecht der Behörde einen weiteren Eingriff und neues Abgleiten in den Staatssozialismus." Der ruhigere Ton dürfte auf Meissner wie auf Hindenburg den Eindruck nicht verfehlt haben, zumal es Gayl nicht unterließ, in aller nur denkbaren Höflichkeit darauf hinzuweisen, daß er „nur selten und nur in Notfallen um Gehör gebeten habe. Ich darf daher bitten, dieses Schreiben gütigst als Ausfluß besonderer Sorge betrachten zu wollen." Letztlich gab Staatssekretär Meissner den Ausschlag. Frhr. v. Gayl befaßte sich schon vorher mit dem Entwurf Stegerwaids und versuchte, eine Art Gegenentwurf zustande zu bringen. Nach einem Vortrag hierüber am Abend des 23. Mai, im Anschluß an ein Essen des Herrenclubs, 721 erfuhr er früh am 24. im Reichsrat, daß Meissner zum Vortrag über den „Entwurf" nach Neudeck fahren wolle. Meissners Absicht einer besonderen Berichterstattung beim Reichspräsidenten stand also fest. Gayl teilte ihm telefonisch seine Einwände gegen den Entwurf mit, woraufhin ihn der Staatssekretär aufforderte, seine Gedanken in einem Schreiben an Hindenburg darzulegen, das er nach Neudeck mitnehmen würde. Gayls Absicht blieb es, einen eigenen Entwurf an die miteinander in Kontroverse stehenden Reichsinstanzen heranzutragen. 722 Dieser Gegenentwurf erklärt Gedankengänge und Beweggründe Gayls. Er bemühte sich nicht nur um eine Revision des Sicherungsverfahrens, sondern deutete auch darüber hinausgehende grundsätzliche, den agrarischen Forderungen entsprechende Veränderungen in der Ost721
Hierzu Trumpp, Papen, S. 119 f.
722
„Als Gegenentwurf gegen die Notverordnung Brüning ausgearbeitet"; Überschrift
handschriftl. von Gayl; Schulz, Politik, 2, S. 1493 — 1496. Wahrscheinlich hat dieser den beteiligten Ressorts bekannte Gegenentwurf von Gayl nach 1945 die Behauptung veranlaßt, es habe eine „zweite Denkschrift" gegeben, die dem Reichspräsidenten zugespielt wurde, was ursächlich für den Sturz Brünings gewesen sei. Diese Behauptung gehört dem Bereich der Legenden an, wurde aber eifrig bemüht; so Hans Schlange-Schöningen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. Mai 1957; eine etwas veränderte Version v o n Erwin Topf, Wer stürzte Brüning? in: Der Monat, 13 (Nr. 146), November 1960, S. 41—49. Topf behauptet, es habe sich hierbei um eine „Konkurrenz-Vorlage" der preußischen Regierung gehandelt, die aber gar nicht mehr zuständig und in keinem Augenblick an der Angelegenheit beteiligt war. Auch die häufig, teilweise in Verbindung mit der Legende von der „zweiten Denkschrift" vertretene Auffassung ist abwegig, Reichskanzler Brüning habe den Verordnungsentwurf überhaupt nicht gekannt. Sogar die Presse hat ihn mehr oder minder ausführlich oder wörtlich unverzüglich wiedergegeben. Vgl. Schulthess 1932, S. 89 f.; vor allem Fiederlein, Osten, S. 353 ff.
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III. Das zweite Kabinett Brüning
hilfepolitik an. Er versuchte, das Gewicht von der Überlegung, was mit den nicht mehr entschuldungsfähigen Gütern zu geschehen habe, zur Produktionsseite zu verschieben, also das zu tun, was auch Schlange versucht hatte, dem dann Stegerwaids Intentionen in die Quere kamen. Gayl schlug allerdings einen anderen Weg ein. Er teilte die Betriebe im Osten in vier typische Gruppen, von denen die letzte diejenigen umfaßte, „die nicht mehr ordnungsmäßig produzieren können". Doch offensichtlich war sein Verfahren darauf angelegt, diese letzte Gruppe klein zu halten oder gar nicht erst entstehen zu lassen, vorher alle Möglichkeiten der Sanierung auszuschöpfen. Jedenfalls wurde sie nicht weiter behandelt. So blieb es im Grunde bei einer Sanierung der Betriebe, zum Teil auf neuen Wegen. Gayl dachte an eine Beseitigung der in letzter Zeit geschaffenen rechtlichen Bestimmungen, die zu einem guten Teil SchlangeSchöningens Werk waren. Das gesamte Sicherungsverfahren der bisherigen Art sollte liquidiert, die Umschuldung rein wirtschaftlich durch die Obligationenbank und andere Institute betrieben werden, ohne daß staatliche Stellen hieran noch mitwirkten. „Der Gesundungsprozeß muß aus der Privatwirtschaft heraus angefaßt und geführt werden durch Selbsthilfemaßnahmen von Gläubigern und Schuldnern." Die Gläubiger sollten in ihrem eigenen Interesse in dieses Verfahren eingespannt werden. „Ihnen liegt heute mehr an der Erhaltung ihrer Kapitalforderung als an dem Eingang der Zinsforderung." Gayl dachte an einen privaten Akkord zwischen dem Betriebsinhaber, der verschuldet war, und den Gläubigern, die einen Treuhänder einsetzten. Das weitere Verfahren sollte der Treuhänder bestimmen, von dem der Betriebsinhaber unter Darlegung seiner Gesamtverhältnisse und eines Schuldverzeichnisses ein privates Moratorium „erbitten" konnte. Die weitergreifende Zielbestimmung einer allgemeinen Besserung der Voraussetzungen, unter denen die Landwirtschaft produzierte, hatte freilich wenig mit dem von Gayl an anderer Stelle hervorgekehrten Gesundungsprozeß „aus der Privatwirtschaft" zu tun, der doch nur das Gläubiger-Schuldner-Verhältnis betraf. Seine Vorschläge — Hebung der Rentabilität der Landwirtschaft, Senkung der öffentlichen Lasten und der sozialen Abgaben, Befreiung des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen von Steuerbelastungen, Erlaß der Real- und Vermögensteuern für Betriebe unter Moratorium usw. — folgten dem breiten Strom agrarischer Forderungen der letzten Jahre, wenn auch mit der vielsagenden Einschränkung „bis zur Klärung der Verhältnisse der deutschen Landwirtschaft". Seinen Gegenentwurf übergab Gayl am 23. Mai den zuständigen Referenten im Osthilfekommissariat und im Reichsarbeitsministerium. Ob
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ihn Schlange-Schöningen oder Stegerwald zu Gesicht bekamen, ist ungewiß, eher unwahrscheinlich. In der damaligen Aufregung wurde diesem Entwurf wohl keine sonderliche Aufmerksamkeit mehr zuteil. Es ist auch auszuschließen, daß er in die Hände des Reichspräsidenten gelangte. Das war aber gar nicht nötig. Die über Meissner zu Hindenburg gelangte Briefsendung Gayls mit dem Originaldurchschlag des Stegerwald-Entwurfs verstärkte das Gewicht der bereits nach Neudeck gelangten Einsprüche, die der Reichspräsident dann durch Meissner Schlange-Schöningen unmittelbar übermitteln ließ. 723 Meissner verließ am Abend des 24. Mai Berlin und hielt am nächsten Tag dem Reichspräsidenten Vortrag „in der Frage der Ostsiedlung", wobei er den Entwurf der Verordnung Stegerwaids, den er von Gayl erhalten, der aber in seiner letzten Fassung dem Reichskabinett zur Beratung noch nicht vorgelegen hatte, und das „gesamte Material" mit den Einsprüchen und Protesten vorwies. Hindenburg hatte bereits ihm bekannte Grundbesitzer empfangen und sich darauf festgelegt, „daß er der gegenwärtigen Fassung des Verordnungsentwurfs nicht zustimmen könne". 724 Er lehnte mithin einen Verordnungsentwurf ab, den Stegerwald veranlaßt hatte, der noch in der Reichskanzlei schlummerte, zu dem sich bislang weder der Kanzler noch das Kabinett geäußert hatten und der, durch Gayl .hintenherum' beschafft, nur durch Meissner nach Neudeck gelangte. Schlange traf es schwer, als er die Meinung des Reichspräsidenten erfuhr, es sei „unmöglich", daß die Oststelle bzw. die Landstellen ohne Antrag der Schuldner die nach ihrer Ansicht nicht mehr entschuldungsfähigen Grundstücke der Zwangsversteigerung zuführten. Hierum hatte 723
Meissner an Schlange-Schöningen, 26. Mai; abgedruckt Schulz, Politik, 2, S. 1498 f.;
mit anliegenden Briefen von Frhr. v. Gayl, Graf Kalckreuth, der Industrie- und Handelskammer f ü r Ost- und Westpreußen (bereits v o m 21.), dem Führer der Landvolkbewegung in Ostpreußen, v. Weiss-Großplauen (vom 23.), vom Sächsischen Landbund (vom 24.) sowie v o m Landbund Grenzmark Posen-Westpreußen (ebenfalls 24. Mai); Abschriften BA, R 43 1/1289. Zu dieser Thematik schon Fiederlein, Osten, S. 365—374; ferner Bruno Buchta, Die Junker und die Weimarer Republik. Charakter und Bedeutung der Osthilfe in den Jahren 1 9 2 8 - 1 9 3 3 , Berlin (Ost) 1959, S. 1 3 6 f f . -
Unter dem gleichen Datum richtete
Meissner im Auftrag des Reichspräsidenten ein Dankschreiben an Gayl, das das Gewicht der von seiner Seite gekommenen Einwände verdeutlicht. Schulz, Politik, 2, S. 1497 f. Die frühe Literatur — Werner Conze, Zum Sturz Brünings, in: V Z G , 1 (1953), S. 2 6 1 — 2 8 8 ; Graf Henning v. Borcke-Stargordt, Der ostdeutsche Landbau zwischen Fortschritt, Krise und Politik. Ein Beitrag zur Agrar- und Zeitgeschichte, Würzburg 1957, S. 172 — kann hier übergangen werden. 724
Schulz, Politik, 2, S. 1498 f.
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III. Das zweite Kabinett
Brüning
er mit Stegerwald gerungen, um andere, weitergehende Lösungen auszuschalten, was Hindenburg wahrscheinlich nie erfuhr. Nun sah sich Schlange einem Angriff ausgesetzt, der sich in Wahrheit gegen die Regierung und gegen den Kanzler richtete. Der Reichspräsident verlangte kurzerhand eine andere Regelung, die die berufsständischen Organe der Landwirtschaft einschalten sollte, was die Richtung auf den Gayischen Entwurf wies und die Vertrautheit der agrarischen Umgebung Hindenburgs mit diesem Gedanken bezeugt. Schließlich wünschte er eine Zentralisierung der landwirtschaftlichen Siedlung und die Entscheidung über die Zuführung von Ländereien zum Siedlungszweck „entweder beim Ostkommissar oder beim Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft", von dem in letzter Zeit kaum die Rede war und dessen dezidierte Passivität auffällt. Nur Wachsmann war tätig; es darf vermutet werden, daß er, der außerhalb des Geschäftsganges seine Ansichten weiterzugeben pflegte, sie auch dem Staatssekretär beim Reichspräsidenten übermittelte. 725 Der Reichskanzler hatte sich bald nach der Kabinettssitzung vom 20. Mai entschlossen, den Entwurf der neuen Notverordnung Hindenburg persönlich vorzulegen, die politische Lage mit ihm zu besprechen und in Erfahrung zu bringen, „wohin auch nach Ansicht des Herrn Reichspräsidenten die Reise gehen soll". 726 In der Presse erschienen den ganzen Mai hindurch Meldungen und Artikel, die auf Gerüchten beruh725 Ein starkes Indiz für die Weiterleitung seiner Ansichten ist der Brief Wachsmanns an Pünder vom 31. Mai (s. oben Anm. 717), der eine Art Resümee in rechtfertigender Absicht dieses administrativen Gründervaters der Osthilfe — aus Anlaß des Rücktritts der Reichsregierung — enthält. Darin heißt es, er, Wachsmann, habe, „ehe die unselige Idee der Gründung einer Oststelle aufkam, ein Ostkommissariat empfohlen, das unter der Ägide des Kanzlers bei Aufrechterhaltung der alten Ressortzuständigkeit lediglich die Ausräumung und Uberbrückung der ressortmäßigen Interessengegensätze im Reich und Preußen zur Aufgabe haben sollte. Die Gründung der Oststelle beruhte lediglich auf dem freilich als verfehlt vorhergesagten und erwiesenen Gedanken, die Zusammenarbeit mit Preußen zu erleichtern... Die Bildung wurde für das Reichsernährungsministerium erträglich, weil zwischen Schiele und Treviranus durch mich gewisse Brücken und Bänder gebildet wurden. Nachdem die Osthilfe allein auf das Reich übergegangen ist, hat eine Oststelle oder ein Ostkommissariat gar keine Berechtigung mehr... Die Isolierung der landwirtschaftlichen Osthilfe in Verbindung mit einer Galvanisierung des Ostkommissariats muß sachlich und politisch zum Verhängnis für den Osten werden. Leider hat Herr Schiele meinen Entwurf nicht unterzeichnet, in welchem ich den Kanzler auf die verhängnisvollen Folgen der agrarbolschewistischen Pläne Schlanges im letzten Notverordnungsentwurf hinweisen wollte..." BA, Nachl. Pünder/657 (Unterstreichungen im Orig., Zeichensetzung leicht korrigiert, einige Abkürzungen aufgelöst). 126 Pünder, Reichskanzlei, S. 124 f.
Die Demission
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ten oder Gerüchte verbreiteten und in verschiedenen Farben einen Regierungswechsel ankündigten. Pünder besprach sich am 22., Brüning an einem der nächsten Tage mit Meissner, ohne das „Material" zu kennen, das dieser zusammengebracht hatte. Nicht die Siedlungsnotverordnung hatte der Reichskanzler im Sinn, sondern das künftige Aussehen der Regierung, wobei es Brüning darum zu tun war, Groener zu halten. Er war „nicht geneigt, unpopuläre Dinge mit der Notverordnung jetzt noch zu verantworten und nach vierzehn Tagen vielleicht abtreten zu dürfen". 727 Von seinem Vorhaben, selbst nach Neudeck zu fahren, nahm Brüning wieder Abstand, da der Reichspräsident für Ende der Woche in Berlin zurückerwartet wurde. Aber er wünschte jetzt Klarheit und durfte annehmen, daß nach eingehender „Vorbereitung" durch Meissner der Reichspräsident nicht ausweichen würde. Dennoch erscheint es sicher, daß Brüning die Siedlungsfrage und den Notverordnungsentwurf zur Siedlung ignorierte und auch später kaum zur Kenntnis nahm, von diesem Komplex, der seine Regierung bedrohte, gar nichts ahnte. Die Pressestimmen zerrten an seinen Nerven, obgleich er den Details nur geringe Aufmerksamkeit zuwandte. Sonst verläßliche Gewährsleute wandten sich ab. 728 Aber Brüning legte jetzt auf ein gemächlicheres, bedachtsames Verfahren Wert. In der vorletzten Sitzung seines Kabinetts erklärte der Reichskanzler abschließend, daß die endgültigen Beschlüsse über den Reichsetat bis zur Rückkehr Meissners zurückgestellt werden müßten. Zudem bat er, „für die Aufnahme in die Notverordnung nur solche Gegenstände vorzusehen, die in den Rahmen eines wohl überlegten Finanz- und Wirtschaftsprogramms hineinpaßten. In der Öffentlichkeit dürfe nicht der Gedanke entstehen, daß die Reichsregierung die Notverordnung dazu verwendet habe, ein Vielerlei unzusammenhängender Dinge zusammenzufassen", 729 wie es bislang regelmäßig geschehen war. Insoweit hatte ihn die verbreitete Kritik doch erreicht. Das bedeutete aber, daß der Reichskanzler die Notverordnung noch nicht für entscheidungsreif hielt und auch von der Lösung des Siedlungsproblems nicht überzeugt war. Weitere Vorarbeiten sollten „zunächst durch Chefbesprechungen" beraten werden. Am Fronleichnamstag, dem 26., traf Meissner nach einer zweiten Nachtfahrt wieder in Berlin ein, um dem Reichskanzler und Pünder über 727
a. a. O., S. 125; 24. Mai.
728
Paul Baecker, der einflußreiche Chefredakteur der Deutschen Tageszeitung, gehörte
zu ihnen. Treviranus, Ende, S. 167. 729
23. Mai; A R : Brüning, 3, S. 2567 f.
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III. Das zweite Kabinett Brüning
seine Gespräche mit Hindenburg zu berichten. Die Presse hatte sowohl die Reise Meissners nach Neudeck als auch seine Rückkehr mit unverhältnismäßiger Aufmerksamkeit verfolgt und schien über hintergründige Vorgänge bereits unterrichtet, wobei die Klagen über die permanente „Notverordnungspraxis", die „Siedlungspläne", „die Zerschlagung der ostdeutschen Besitzverhältnisse" und die personellen Defizite der Regierung schon ineinandergriffen. 7 3 0 Die angemahnten Entscheidungen des 730 Das Scheitern der nächsten Notverordnung kündigte die Deutsche Tageszeitung, die dem Reichslandbund, aber auch der Landvolkpartei und Schlange nahestand, schon am 26. Mai, unter dem Datum des Vortages, mit der Schlagzeile an „Staatssekretär Meissner in Neudeck eingetroffen — Brünings Pläne finden beim Reichspräsidenten wenig Gegenliebe...": „Die bekannten Pläne Brünings sind dem Vernehmen nach zum großen Teil bei Hindenburg auf Ablehnung gestoßen, der darauf hinweist, daß er die letzten Notverordnungen schon nur unter der Voraussetzung unterzeichnet habe, daß ihre Wirkung ausreichend genug wäre, weitere Belastungen des deutschen Volkes zu vermeiden. Nachdem sich die Notverordnungspraxis als erfolglos herausgestellt hat, scheint der Reichspräsident nicht ohne weiteres bereit zu sein, erneut diese Politik, wie sie der Reichskanzler verlangt, fortzusetzen, zumal der Reichspräsident sich an die Versprechungen gebunden hält, die er im Vertrauen auf die Darstellungen der Reichsregierung dem deutschen Volke gegeben hat." Besonderen Anstoß erregten „die Siedlungspläne" und der „Siedlungsfanatismus Herrn Stegerwaids und des Reichskanzlers", denen gegenüber der Reichspräsident, „der gerade auf agrarpolitischem Gebiet selber ein sehr genauer Sachkenner ist", sich „im Interesse der Volksernährung" für „eine Sicherung des Besitzstandes im deutschen Osten" einsetze. Auch „die notwendigen personellen Maßnahmen bezüglich der Zusammensetzung der Reichsregierung" wurden — ohne Namensnennung — erörtert. Schließlich behauptete der Artikel, Brüning habe „um weitgehende Vollmachten zur Konzentration seiner Regierung und zum Kampf gegen den Reichstag gebeten. Die Gegner Brünings legen dem Reichspräsidenten nahe, diese Vollmachten nicht dem Reichskanzler, sondern einem Direktorium zu geben, das in seiner politischen Zusammensetzung wenn nicht der parlamentarischen, so doch der moralischen Unterstützung der Rechten sicher sein kann, da ein Direktorium Brüning nach Ansicht dieser Kreise ... nichts anderes als eine Diktatur des Zentrums und seiner Gewerkschaften darstellen würde ... Bekommt Brüning die Ermächtigung, so dürfte nach der jetzigen Entwicklung Schleicher kaum mehr einem solchen Direktorium angehören. Brüning würde dann ein Mißtrauensvotum des Reichstages mit seiner Auflösung beantworten, ohne sich binden zu lassen, in der verfassungsmäßigen Frist Neuwahlen anzusetzen. Gibt der Reichspräsident seine Vollmachten den Kreisen, die insbesondere dem General von Schleicher nahestehen, so würde Brüning einem solchen Direktorium auch nicht als Außenminister mehr angehören. Auch dieses Kabinett würde zur Reichstagsauflösung schreiten, aber ordnungsgemäß die Neuwahlen durchführen, um einen letzten Versuch zu machen, im Rahmen der Verfassung die Rechte verantwortlich an der Regierung zu beteiligen." Der Artikel enthielt wesentliche Gesichtspunkte späterer Überlegungen, die sowohl innerhalb der Reichskanzlei als auch im Umkreis Schleichers wie des Reichspräsidenten angestellt wurden, und dürfte von wohlinformierter und interessierter Seite inspiriert gewesen sein. Der Schluß auf Schleicher liegt nahe, der sich für den Ankauf der Deutschen Tageszeitung interessierte. Brüning, Memoiren, S. 591. Auffällig
Die Demission
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Reichspräsidenten standen auch für jene Kreise im Vordergrund, die seiner Wiederwahl widerstrebt hatten. 7 3 1 „Der alte Herr sei äußerst rüstig und interessiert", erfuhr Pünder v o n Meissner. 732 Änderungswünsche zur Notverordnung erschienen „nicht sehr erheblich", zeigten aber, so meinte er, „wie klar der alte Mann noch ist". Andere politische Wünsche, die nichts mit der Osthilfefrage zu tun hatten, berührten Brüning offenbar stärker: Hindenburg hege nach wie erscheint einmal der Terminus „Direktorium", der in der Sache verständlich und in politischen Plänen konservativer Kreise nicht neu war, zum anderen, daß Hitler und die NSDAP nicht ein einziges Mal genannt, sondern der mehrfach erwähnten „Rechten" subsumiert, Benennung und Kommentierung strikt vermieden werden. Schließlich fällt die sparsame Polemik auf, die sich lediglich gegen Brüning und Stegerwald und das „Zentrum und seine Gewerkschaften" richtet. Photokopie dieses Artikels in einer interessanten Auslese von Zeitungsausschnitten im Tagebuch von Passarge; BA, Nachl. Passarge/6. Dort auch eine weitere Meldung des 8 Uhr-Abendblattes v o m 26. Mai unter den Schlagzeilen „Verschwörung gegen Brüning: Großintrigue bei Hindenburg! Wühlarbeit in Neudeck", in der aber die „Entscheidung" vorangestellt wird, die „nach wie vor der Unterredung vorbehalten [bleibt], die der Reichskanzler mit dem Reichspräsidenten am Sonntag oder Montag der kommenden Woche [29. bzw. 30. Mai] in Berlin selbst haben wird". Auch im übrigen entsprechen die nüchternen Informationen nicht der Aufmachung, wirkt die Meldung vielmehr beruhigend und wird die sich abzeichnende Krise in eine Abfolge ähnlicher, schon gewohnter Ereignisse eingeordnet. „Positive Beweise" dafür, „daß die Stellung des Kanzlers einigermaßen erschüttert sei", lägen „nicht vor"; doch sei „das Gefühl überall vorhanden..., daß Dr. Brüning eines ausdrücklichen neuen Beweises des Vertrauens bedarf, um mit voller Autorität sowohl im Innern wie auf der Mitte Juni in Lausanne beginnenden Reparationskonferenz handeln zu können". Andere Pressemeldungen vom 26. Mai kündigten eine Umbildung der Reichsregierung an. Im Hamburger Abendblatt wurde Schlange als künftiger Reichskanzler genannt, mit dem Schleicher einverstanden sei. Ausschnitte BA, Nachl. Pünder/45. — Auffallend ist die durchgängige Hervorhebung der Persönlichkeit oder einer wichtigen Rolle Schleichers. Man hatte sich in den Amtszimmern der obersten Reichsinstanzen daran gewöhnt, daß der General als wichtigster Mittler, Vermittler und politischer Plänemacher in Berlin figurierte. Bezeichnend Pünders Glückwunschschreiben zum 50. Geburtstag an Schleicher, 6. April 1932: „Als ehrlicher Vaterlandsfreund muß ich ... im Interesse unseres schwer um sein Dasein ringenden Volkes den Wunsch beifügen, daß Sie noch lange berufen sein möchten, die Geschichte des Deutschen Reiches wie bisher mit Meisterhand mit zu beeinflussen." BA, Nachl. Pünder/642. 7 , 1 Ein Beispiel gibt das Bekenntnis Oldenburg-Januschaus in einem Brief an Frhr. v. Gayl, 21. Mai: „Und nun wollen wir Gott danken, daß der alte Hindenburg Präsident geblieben ist und die Möglichkeit infolgedessen besteht, so oder so das Regiment Hitlers zu vermeiden." Über Hindenburg: „Er hatte mir die Freundschaft gekündigt wegen meines Eintretens für Duesterberg, aber w i r haben uns wieder vertragen." Schulz, Politik, 2, S. 1469. 732 Pünder, Reichskanzlei, S. 126; in deutlichem Widerspruch zum optimistischen Text Pünders Brüning, Memoiren, S. 593 ff.; vgl. Meissner, Staatssekretär, S. 224 ff.
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III. Das zweite Kabinett
Brüning
vor große Verehrung für den Kanzler und habe den dringenden Wunsch, „wenn irgend möglich, ihn zu halten", versicherte Meissner Pünder. Die Verärgerung vom 9. Mai schien vergessen. Doch der Reichspräsident nahm die Regierung nun fest in die Pflicht. Sein Verlangen erscheint auch in der euphemistisch gefärbten Darstellung Pünders keineswegs unbedeutend. Das Kabinett nach rechts hin auszubauen, aber eine Zuziehung der Nationalsozialisten zu vermeiden, bezeichnete zwar keinen neuen Wunsch Hindenburgs, klang aber nun — in der Übermittlung — definitiv. Leute wie Goerdeler und Schleicher seien „sehr genehm", erfuhr er. Aber beide hatten schon abgewinkt; allerdings ließ eine derartige Feststellung Rückschlüsse auf die Beurteilung anderer Persönlichkeiten der Regierung zu. Ohne Zweifel bedeutete eine Rechtsausdehnung des Kabinetts eine Einbeziehung des Stahlhelms und der Deutschnationalen — mit Hugenberg, der für Brüning nicht zu haben war, wie sich mehrfach erwiesen hatte. Groener sollte dem neuen Kabinett jedenfalls nicht mehr angehören. Nach Pünders Eindrücken stellte sich der Reichspräsident die Lösung so vor, daß man in Preußen die Nationalsozialisten heranzog und mit einer Beteiligung an der Regierung abfand, um mit ihrer Hilfe die Sozialdemokraten hinauszudrängen. Dies erschien Brüning in nächster Zeit nicht erreichbar. Die Außenpolitik, über die außer ihm und — in anderer Perspektive — den Reichswehrpolitikern keiner unter den Handelnden in diesen Tagen ernsthaft nachgedacht zu haben scheint, konnte nicht für längere Zeit in der Schwebe gehalten werden. Gewiß hatte Brüning ausnehmend gute Gründe, in Lausanne nicht in geschwächter Position zu verhandeln und vorher noch eine hinreichend deutliche Klärung herbeizuführen. Pünders resümierender Tagebuchnotiz wird mithin gravierendes Gewicht beizumessen sein, nach einem an die Botschaften Meissners anschließenden Zwiegespräch mit dem Reichskanzler: „Er erwägt stark, völlig zurückzutreten und der Rechten die Sache zu überlassen. Dann auch nicht als Außenminister." 733 Schon der Blick auf die Abrüstungskonferenz in Genf nährt Zweifel, ob Brüning für die Wahrnehmung der Pläne des Reichswehrministeriums der geeignete Mann gewesen wäre, der einem Erfolg in Lausanne ein in diesem Sinne erfolgreiches Ergebnis in Genf hätte nachfolgen lassen können. Daß Meissner an einen anderen Kanzlerkandidaten dachte, erscheint frag-
733
Pünder, ebda.
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lieh. 734 Derjenige, der derartige Erwägungen anstellte, dürfte Schleicher gewesen sein. Schlange hielt sich am 26. auf seinem Gut in Pommern auf, als mit Meissner das Schreiben des Reichspräsidenten in der Hauptstadt eintraf, das die Abänderung der Ostsiedlungsverordnung verlangte. Schlange fuhr sogleich nach Berlin. 735 Auf Anraten Passarges verständigte er sich nun mit Stegerwald, dem er die „reine Technik" der Siedlung überlassen wollte. Nach dieser Frontbereinigung entlud Schlange in einem Telefongespräch mit Meissner seinen ganzen Groll darüber, daß er „torpediert werde von ostpreußischen Latifundienbesitzern, die in Neudeck auf den Herrn Reichspräsidenten eingewirkt haben ... Wenn die Parteien hören, daß der östliche Großgrundbesitz die Siedlung in der Hand hat, schlägt man mir die ganze Osthilfe kaputt ... Für mich ist das Wesentliche, daß Stegerwald keinen Einfluß auf die Maßnahmen des Landes hat." Die „reine Technik" sei aber beim Arbeitsminister besser aufgehoben. Er erwähnte auch Gerüchte, die ihm zu Ohren gekommen seien, wonach sich der Reichspräsident „abfallig" über ihn geäußert, ihn sogar „Agrarbolschewik" genannt habe; schließlich: „Mein Abschiedsgesuch liegt vor mir, ich brauche es nur zu unterschreiben..." 736 Einem anschließend von Schlange niedergeschriebenen Brief an Meissner, in dem er den Verordnungsentwurf begründete und verteidigte, 737 folgte, nach Unterrichtung Brünings, ein weiterer, noch schärfer formulierter an den Reichspräsidenten, den Schlange mit einem kurzen Begleitschreiben 738 Meissner zur freien Disposition überließ. Er fuhr unverzüglich wieder nach Schöningen zurück, „da er sich inzwischen weder mit bürokratischen Bagatellen befassen will, noch irgendwie dem Verdacht ausgesetzt sein mag, an irgendwelchen Schiebereien teilzuhaben", wie Passarge begründete, von dem wohl dieser Rat herrührte. 739 Ob Brüning an einem ereignisreichen Tag in einer knapp halbstündigen Unterredung innerhalb einer Folge von Besprechungen das Anliegen des wutentbrannten Schlange, das ihn nie sonderlich interessiert hatte, wirklich erfaßte und mehr als die Ermutigung eines Schrittes beim Reichs-
734
Vgl. Meissner, Staatssekretär, S. 226; Brüning, Memoiren, S. 595 f.
735
Tagebuchaufzeichnung von Passarge, 27. Mai; Schulz, Politik, 2, S. 1499 f.
736
Mitschrift der Telefonäußerungen Schlanges von Passarge, 27. Mai; a. a. O., S. 1500 f.
737
a. a. O., S. 1501 ff. Nur das Schreiben an Hindenburg ist abgedruckt bei Schlange-
Schöningen, A m Tage danach, S. 70 ff. 7,8
Schulz, Politik, 2, S. 1504 ff.
739
a. a. O., S. 1500.
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III. Das syveite Kabinett Brüning
Präsidenten in allgemeiner Wendung ausdrückte, bleibt fraglich. 7 4 0 Doch die wenigen Stunden, die der cholerische Schlange in Berlin zubrachte, zeitigten unverhältnismäßige Effekte. Sein Rechtfertigungsschreiben mitsamt Rücktrittsanerbieten legte Meissner noch am Vormittag des 29. Mai dem Reichspräsidenten vor, „ v o r dem Empfang des Reichskanzlers". 741 Das lenkte die Aufmerksamkeit Hindenburgs buchstäblich in letzter Minute nochmals auf diesen Punkt, in dem der Präsident so neuralgisch reagierte. Man mag fragen, ob der Reichspräsident das Schreiben Schlanges selbst vollständig las, ob es ihm vorgelesen wurde, was gelegentlichem Usus entsprochen hätte, oder ob ihm der Inhalt v o n Meissner nur referiert wurde. Zu denken gibt die nicht ganz korrekte Darstellung des Inhalts in Meissners Erinnerungen. 7 4 2 Inzwischen hatte Goerdeler, der bislang hiermit nicht befaßt und in keiner Hinsicht zuständig war, noch einen eigenen Abänderungsvorschlag zu der Siedlungsverordnung an die Reichskanzlei gelangen lassen, die darob etwas in Verlegenheit geriet, 7 4 3 aber doch eine weitere BearDaß Schlange bei Brüning war, belegen die Tagebuchnotiz von Passarge und die Eintragung in den Tageszetteln der Reichskanzlei; BA, Nachl. Pünder/44, 27. Mai — mehr indessen nicht. In seinen Erinnerungen erwähnt Brüning hierzu nichts. Nach dem Kriege schrieb er an Pünder, er habe „erst nach Weihnachten 1932" von diesen Zusammenhängen erfahren, die in seiner Ausdrucksweise zu „Dr. Passarges Memorandum über den Großgrundbesitz im Osten" schrumpften. „Als der Präsident sich am 30. Mai [gemeint der 29.] sehr scharf über die .bolschewistische Agrarpolitik' des Kabinetts äußerte, konnte ich seine Vorwürfe nicht verstehen... Der alte Mann wurde anscheinend ... vor seiner Abreise von Neudeck nach Berlin über Passarges Memorandum ins Bild gesetzt und kam zu dem Ergebnis, daß ich ihn irregeführt hätte... Ich vermute, daß Schleicher dafür verantwortlich war." Brüning an Pünder, 18. November 1947; BA, Nachl. Pünder/613. 740
741 So in der nachträglichen Niederschrift Meissners vom 10. Juni; Vogelsang, Reichswehr, S. 464. 742 „Er schrieb..., daß es unbedingt notwendig sei, nicht mehr sanierungsfahige große Betriebe im Rahmen der Osthilfe der Besiedlung zuzuführen, sprach von den ,mit Blindheit geschlagenen' Kreisen des Großgrundbesitzes, ,die die Zeichen der Zeit nicht verstehen', und davon, daß eines Tages ,eine stürmische Entwicklung über sie hinweggehen' w e r d e . . . " Dann habe Schlange „im Schlußsatz ... dem Reichspräsidenten in ziemlich ultimativer Form die Kabinettsfrage" gestellt. Meissner, Staatssekretär, S. 226. Das klingt nach einem Ausfall Schlanges gegen den Reichspräsidenten. In Wahrheit schrieb Schlange seinen Brief aus dem Bedürfnis der Rechtfertigung. Er schloß mit dem Angebot des Rücktritts — und der einleitenden Floskel: „Sollte ich aber nunmehr Ihr volles Vertrauen eingebüßt haben, ohne das ich zweckdienlich nicht zu arbeiten v e r m a g . . . " 741 BA, R 43 1/1289, mit handschriftl. Kopfvermerk Pünders, 27. Mai. Der Text dieses Entwurfs enthält keine wesentlichen Änderungen gegenüber dem Entwurf von SchlangeSchöningen, allerdings einige Vereinfachungen in der Sache und in der Formulierung, aber auch unbestimmte Angaben. Seinem Charakter nach war er lediglich ein Diskussionsbeitrag.
Die
Demission
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beitung veranlaßte. A m 28. fand dann eine neuerliche C h e f b e s p r e c h u n g statt, diesmal zwischen Schiele, J o ë l u n d d e m V e r t r e t e r des R e i c h s k o m missars f ü r die Osthilfe, Ministerialrat Reichard. 7 4 4 Eine E i n i g u n g ergab sich t r o t z der A b w e s e n h e i t S t e g e r w a i d s auch hierbei nicht. Das alles ereignete sich in einer höchst erregten A t m o s p h ä r e , in d e r m e h r e r e Zeitungen — nicht ohne Schlanges und Passarges Z u t u n — unter fetten Schlagzeilen über S i e d l u n g s g e s e t z e n t w ü r f e
berichteten. 7 4 5
Schlange scheint sich selbst als m ö g l i c h e n Retter in dieser N o t e m p f u n d e n zu haben. D o c h seine eigenartige Betrachtungsweise d e r V o r g ä n g e enth o b ihn der N o t w e n d i g k e i t eines Eingreifens. F ü r derartige „Schiebereien" w a r er in seinem altdeutschen Sinne „zu stolz"; 7 4 6 und sein G e h i l f e Passarge bestärkte ihn in seinen G e f ü h l e n . D i e U n t e r r e d u n g , die dann B r ü n i n g am 2 9 . Mai mit dem Reichspräsidenten in Berlin hatte, ist mehrfach, aber in den Einzelheiten nicht einheitlich überliefert w o r d e n , w o b e i d e r Schilderung des K a n z l e r s das g r ö ß t e G e w i c h t z u k o m m t . 7 4 7 A l s K e r n dieses Gesprächs, das B r ü n i n g
Nach Erkundigung eines Beamten der Reichskanzlei ergab sich, daß ein Mitarbeiter Goerdelers im Reichskommissariat für die Preisbildung diesen Entwurf im Auftrage seines Chefs auf Grund von Zusammenstellungen der Kabinettsbeschlüsse rasch erarbeitet hatte. In der Besprechung am 25. Mai hatte der anwesende Goerdeler selbst das Wort nicht ergriffen. Aktenvermerk des Regierungsrates Krebs, 31. Mai; Schulz, Politik, 2, S. 1508. Die von Krebs angegebenen Bezüge lassen sich nicht mehr verifizieren. Da der Vermerk nicht fingiert ist, bleibt nur der Schluß, daß mehrere Akten dieser Tage dem überlieferten Bestand entnommen bzw. vernichtet wurden. 744 Reichard an Pünder, 28. Mai; BA, R 43 1/1289. 745 Eine bemerkenswerte Übersicht und ebensolche Hinweise auf die Tätigkeit der Agrarkorrespondenz, dem Organ des Osthilfekommissars, gibt Boyens, Siedlung, II, S. 132-144. 746 a. a. O., S. 144. 747 Brüning, Memoiren, S. 597 — 603, in Einzelheiten präzise, mit Wiedergabe der wörtlichen Rede, aber auch phantasievollen Ausschmückungen. Zum Ganzen, die frühe Literatur zusammenfassend und durchleuchtend, nach wie vor maßgebend Bracher, Auflösung, S. 513—517. Gegen die frühe Darstellung von Schlange-Schöningen, Am Tage danach, S. 70 ff., richtete sich der ehemalige Reichskanzler einige Monate später in einer ersten ausführlichen Stellungnahme (Brüning, Ein Brief, S. 1—22), die längere Zeit hindurch als Hauptquelle für die Ereignisse in den Maitagen 1932 angesehen wurde, jedoch durch einige unzuverlässige Angaben, auch in der Datierung, auf Bedenken stieß. Vgl. mit den Tagebucheintragungen Pünders, Reichskanzlei, bes. S. 124—131. Die im Nachlaß Dingeldey entdeckte „Niederschrift aus dem Büro des Reichspräsidenten über die Entwicklung der Krise und Demission des Kabinetts Brüning", die Vogelsang, Reichswehr, S. 459—466, erstmals abdruckte, wurde im Auftrage des Kabinetts Papen von Staatssekretär Meissner angefertigt, der Entwurf jedoch vorher dem Reichswehrminister v. Schleicher vorgelegt, der zahlreiche, teilweise wesentliche Zusätze und Änderungen veranlaßte. Schleicher an
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III.
Das \weite Kabinett Brüning
mit seinem Wunsch nach Klärung eröffnete, schält sich der bereits von Meissner angekündigte Gedanke heraus, keine neuen Ministerernennungen für diese Regierung mehr vorzunehmen — mithin eine Neubildung, sofort oder demnächst, ins Auge zu fassen — und keine Notverordnungen zu unterschreiben. Hindenburg gab zu verstehen, daß er dem Kanzler die Außenpolitik belassen wollte. Doch nach kurzem Zaudern entschloß sich Brüning zur Demission. 748 Die gesamte Mai-Krise verdeckte die von Genf und von der Reichswehr her gestörte Beziehung zwischen Kanzler und Reichspräsident. Einem roten Faden gleich, wurde sie von Stegerwaids proklamierter Siedlungspolitik und dem Gedanken der Aufsiedlung nicht mehr entschuldungsfähiger Güter durchzogen, die aus siedlungspraktischen, technischen und finanziellen Gründen bis zuletzt zwischen den beteiligten Ressorts umstritten blieben. Es steht außer Frage, daß Hindenburg die Ernennung Schlange-Schöningens zum Reichskommissar für die Osthilfe mit besonderen Erwartungen begrüßt hatte. Mehrfache Immediatkontakte des Reichskommissars zum Reichspräsidenten lassen erkennen, daß fast bis zuletzt die Beziehung zwischen beiden günstig schien. Anfangs stand gar nicht zur Diskussion, ob und wie gesiedelt werden sollte, sondern wie das Sicherungsverfahren geregelt werden müsse, wenn ein großer Teil hochverschuldeter Großbetriebe auf dem Wege der gewohnten Kreditgewährung und des eingeführten Umschuldungsverfahrens sich nicht mehr über Wasser halten ließ. An diesem Punkt, auf den ihn der Reichspräsident auch persönlich hingewiesen hatte, setzte die Tätigkeit Schlan-
Meissner, 9. Juni, und Änderungsvorschläge Schleichers zum Entwurf der Niederschrift; Schulz, Politik, 2, S. 1528 — 1532. Dies dokumentiert die Stellung, die Schleicher zu dieser Zeit Meissner gegenüber einnahm; Meissner, Staatssekretär, S. 222 ff. Eine weitere zeitgenössische Darstellung findet sich in den Protokollen der Reichstagsfraktion des Zentrums, die sich durch die für sie überraschende Demission Brünings „unvermutet vor schwerste Entscheidungen gestellt" sah. Da Brüning und Kaas abwesend waren, gab der über Einzelheiten nicht informierte, aber Brüning anhängende Reichstagsabgeordnete Joos am 1. Juni der Fraktion einen ausführlichen Bericht über „die Hintergründe des tragischen Abschlusses der Regierungsperiode des Reichskanzlers Dr. Brüning". Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 573 ff. 748 Dem Tageskalender der Reichskanzlei zufolge hielt sich Brüning von 11.00 bis 11.45 Uhr beim Reichspräsidenten auf. Um 12.20 Uhr empfing er Prälat Kaas. Zu dem Gespräch wurde Pünder um 12.45 Uhr zugezogen. Der Staatssekretär vermerkte: „Ergebnis des Vortrages beim Herrn Reichspräsidenten: Empfang war rein sachlich; wenig verbindlich, so daß der Herr Reichskanzler den Eindruck hatte, daß sein Rücktritt und damit der des Kabinetts durchaus gewünscht werde." BA, Nachl. Pünder/44.
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Die Demission
ges ein. 749 Die Verwirrung ging von dem voreilig und auf übertriebene Weise von Stegerwald verkündeten Programm aus, die Arbeitslosigkeit durch eine großzügige Siedlungspolitik im Osthilfegebiet zu bekämpfen, was in jeder Hinsicht solider Voraussetzungen entbehrte. Da Stegerwald das für eine Reagrarisierung großen Ausmaßes erforderliche Land nicht zur Verfügung stand, griff er in Schlanges Pläne mit den nicht mehr entschuldungsfähigen Gütern ein, um diese Frage schnell und in seinem Sinne zu lösen. Da aber der größte Teil des ostdeutschen Grundbesitzes entweder sich dicht vor der Grenze der Entschuldungsunfahigkeit sah — soweit er sie nicht schon überschritten hatte — oder damit rechnen mußte, in ihre Nähe zu geraten, stießen diese Pläne, sobald sie bekannt wurden, auf Widerstand der Agrarier. Diejenigen, die Hindenburg näher kannten — und hierzu zählten die namhaftesten Vertreter des Großgrundbesitzes in Ostdeutschland —, wußten auch, wie sie ihn zu interessieren vermochten und in welchen Punkten er sensibel reagierte. Die Entschließung der deutschnationalen Reichstagsfraktion vom 24. Mai kann als auslösendes Signal für die letzte Phase gelten, wenn nicht unmittelbar gegenüber dem Reichspräsidenten, so doch gegenüber jenen, deren Interessen betroffen waren und die den Ruf hören mußten. Der nach vielen Seiten Ausschau haltende und die Fäden verknüpfende Meissner sorgte dafür, daß der neuralgische Punkt in der Persönlichkeit des Reichspräsidenten nachhaltig berührt wurde.
Suche nach einem neuen Kanzler. Direktorium
oder
Präsidialkabinett?
Nach der vom Reichspräsidenten angenommenen Demission der Regierung am 30. Mai 750 äußerten Brüning wie Pünder, aber auch andere Empörung über die plötzlich entdeckte „kaltschnäuzige Art" Hindenburgs. Sie sahen darin auch eine Nichtachtung der Wähler, die sich sieben Wochen vorher für Hindenburg als Brünings Kandidat ausgesprochen
749
Dies geht auch aus einem Brief Hindenburgs an Oldenburg-Januschau
hervor,
17. Februar; Vogelsang, Reichswehr, S. 442 f. „Was die Frage der Einbeziehung bereits umgeschuldeter Gutsbesitzer im Osten in das Sicherungsverfahren anlangt, so habe ich diese Frage bereits mit Herrn Minister Schlange-Schöningen besprochen; er wird eine diesbezügliche Vorlage im Kabinett einbringen. Ich werde auch mit dem Reichskanzler noch darüber sprechen." 750
Letzte Reichsministerbesprechung; A R : Brüning, 3, S. 2585 ff.
III. Das %u>eite Kabinett Brüning
860
hatten. 751 Wahrscheinlich hoffte Brüning bis zur letzten Entscheidung auf eine Änderung der Einstellung des Präsidenten oder wenigstens auf Erhaltung seines Einflusses — auch hinsichtlich der Ernennung eines Nachfolgers. 752 Für die Sozialdemokraten war es eine Niederlage, 753 auf die sie nicht vorbereitet waren und von der sie sich — in ihrer reinen Defensivposition ohne Reservestellung — nicht mehr erholten. Ohne eine Beteiligung der Nationalsozialisten an der Reichsregierung blieb die Bildung des neuen Kabinetts schwierig. Auch hierfür reichten die Vorbereitungen nicht aus. Pünder notierte nach einem Gespräch mit Meissner, dem Sohn Hindenburgs schwebe „anscheinend ein Kabinett mit dem Grafen Westarp oder dem früheren Landrat von der Osten" als Kanzler vor. 754 Osten-Warnitz war bereits vor Monaten als Reichsinnenminister durch Hindenburg ins Gespräch gebracht worden. Der von Brüning geförderte Graf Schwerin v. Krosigk sollte Finanzminister werden, Schleicher Wehrminister und Ulrich v. Hasseil, derzeit deutscher Gesandter in Belgrad, Außenminister, Männer von Fach und Profession, ohne Parteibindung, ganz im Stile eines vom Reichspräsidenten eingesetzten und abhängigen „Direktoriums". Aber darüber hinaus schien nichts geklärt. Wahrscheinlich hatte es Hindenburg zunächst doch nur darauf abgesehen, sich Brüning gefügig zu machen, selbst die Zügel in die Hand zu nehmen und ihm ein Kabinett nach seiner Façon aufzudrängen, „mit ihm die Linie nach rechts zu verlegen", wie Pünder von Meissner erfuhr. Der alte Mann wollte „die Zeit der Notverordnungen" beenden; „das Volk wolle das nicht mehr". 755 Eine Änderung des Regierungsstiles war beabsichtigt — eine Verkleinerung und Konzentration der Regierung und ihre enge Bindung an den Reichspräsidenten mit einem Programm, das sowohl Hindenburg als auch „das Volk" beruhigte.
751
Pünder, Reichskanzlei, S. 129; weitere überlieferte Reaktionen von
Koch-Weser
Schulz, Politik, 2, S. 1509 f.; und Dietrich, der am 12. Juni v o r dem Gesamtvorstand der Deutschen Staatspartei eine erste Darstellung der Ereignisse gab und das Ende der Regierung Brüning mit dem der Regierung Müller verglich. „Auch dies Kabinett war schon längst vorher unterhöhlt, bis dann sich ein äußerer Anlaß fand..." a. a. O., S. 1533 — 1537. Albertin, Linksliberalismus, S. 7 1 7 - 7 2 0 . 752
Diese Vermutung v o n Dorpalen, Hindenburg, S. 3 0 3 ff., hat gute Gründe für sich.
751
Knapp zusammenfassend Heinrich A. Winkler, Katastrophe, S. 582 f. Die parteiof-
fiziellen sozialdemokratischen Reaktionen blieben sehr zurückhaltend. Vgl. Schaefer, SPD, S. 4 1 5 f. 754
Pünder, Reichskanzlei, S. 127.
755
a. a. O., S. 1 2 9 f.
Die Demission
861
Brüning konnte dies nicht bieten; nun aber herrschte „großes Durcheinander". Pünder hielt sich — im Einvernehmen mit Brüning — zunächst an Goerdeler, der schon in Preußen Kontakte aufgenommen hatte, um Deutschnationale und Zentrum zur Annäherung zu bewegen, mithin als Unterhändler in Preußen, als Mittelsmann zum Reichspräsidenten, aber auch als Kandidat für die preußische Ministerpräsidentschaft ein kommender Mann zu sein schien. Pünder hielt sogar eine Kanzlerschaft Goerdelers für möglich, in der Brüning dann doch noch als Außenminister denkbar sei; sein letztes Wort schien noch nicht gefallen. 756 Brüning inspirierte aber auch in einer anderen Hinsicht die Nachfolgerschaft. Treviranus, der, wie so oft, in diesen Tagen nach vielen Seiten Nachrichten und Absichten vermittelte, wandte sich schon am Abend des 29. Mai an Graf Westarp. Er teilte ihm sowohl den Fehlschlag des Gespräches zwischen Brüning und dem Reichspräsidenten mit als auch die angebliche Absicht, auf Westarp als Nachfolger „zurückzugreifen", die er mit einer Warnung Brünings verknüpfte, was wohl besagen sollte, daß das Zentrum sich nicht hinter die nächste Regierung stellen werde: Schleicher, Oskar v. Hindenburg und Meissner verfolgten den Plan, daß der Nachfolger Brünings nur ein Kanzler des Übergangs sein könne, der den Nationalsozialisten die Auflösung des Reichstages — „für den Herbst" — zusagen solle. Dazu sei Westarp zu schade. 757 Dieser scheint nicht überrascht worden zu sein; doch die Aussichten, die Treviranus eröffnete, trafen ihn doch, so daß er sich in einer längeren Aussprache mit ihm weitere Klarheit zu schaffen versuchte. Es waren reichlich ungenaue Nachrichten, die Westarp erhielt, aber für wert befand, sie seinem Tagebuch anzuvertrauen. Hindenburg selbst sei auf ihn verfallen. Dies habe Brüning in einem vertraulichen Gespräch von Meissner schon am 28. Mai erfahren. 758 Danach muß vermutet werden, daß Brüning sich auf die Demission vorbereitete und über Treviranus einem Angebot an Graf Westarp, die Reichskanzlerschaft zu übernehmen, mit seinen Warnungen zuvorkam. Die in vorsichtiger Form vorgebrachte Erklärung Brünings, daß er auch unter Westarp das Außenministerium nicht übernehmen würde, entzog diesem Manne den Boden. Man mag sich fragen,
756 757
Ebda. Aufzeichnung Graf Westarps, 1. Juni; Schulz, Politik, 2, S. 1 5 1 5 f f .
758 Dies stimmt mit der Aufzeichnung Pünders v o m 29. Mai überein; Reichskanzlei, S. 127.
862
III. Das zweite Kabinett Brüning
ob Brüning stärker auf Goerdeler setzte, wie es Pünder tat, oder ob er die Verlegenheit des Reichspräsidenten bis zum äußersten treiben wollte. Dennoch zeigte sich Westarp bereit, „einen starken vaterländischen und persönlichen Appell" des Reichspräsidenten nicht durch eine Absage zu beantworten. Doch am nächsten Tag blieb „die erwartete Einladung" Hindenburgs aus. Die Situation schien sich verändert zu haben. Bereits seit Tagen hatte der „Berliner Lokalanzeiger" die Nachricht verbreitet, daß v. d. Osten-Warnitz oder Graf Westarp als Kanzler-Nachfolger ausersehen seien, und hieran kritische Bemerkungen über Westarp geknüpft. Am 30. Mai berichtete die „Deutsche Allgemeine Zeitung" ähnlich. Am 31. morgens „war die Presse voll" mit dem Namen Westarp. Er nahm daraufhin Fühlung mit Simpfendörfer auf, dem Führer des Christlichsozialen Volksdienstes, mit dem sich die drei Abgeordneten der Volkskonservativen Partei, Westarp, Lindeiner-Wildau und Treviranus, zur Fraktionsgemeinschaft zusammengeschlossen hatten. Für den fiktiven Fall, daß er in eine Lage versetzt würde, in der er „nicht dem Alten Herrn sofort eine schroffe Absage" erteilen wollte, unterrichtete Westarp Simpfendörfer, daß er als „das Äußerste" erklären würde, er „sei bereit, mit den Nazi zu verhandeln"; er würde ihnen die Bedingung stellen, daß sie sich mit Ministern an dem Kabinett beteiligten, aber jede Zusage einer Auflösung des Reichstags ablehnen, so daß die derzeitigen Kräfteverhältnisse bestehen blieben. Westarp nahm aus guten Gründen an, daß „die Nazi auf dieser Grundlage nicht bereit sein würden, mich zu tolerieren". Am Nachmittag des 30. Mai erfuhr er dann von Treviranus, daß das neue Kabinett bereits fertig sei, ohne ihn. Man sprach jetzt von Goerdeler als Kanzler, Graf Kalckreuth als Ernährungsminister und weiterhin Graf Schwerin v. Krosigk als Finanzminister. Absicht sei, „den Reichstag aufzulösen und die Auflösung nötigenfalls mehrmals zu wiederholen". 759 Als Graf Westarp am späten Nachmittag des 30. Mai im Verlaufe der Aussprachen des Reichspräsidenten mit den Parteiführern gemeinsam mit Simpfendörfer empfangen wurde, gab er, seiner Aufzeichnung zufolge, eine ausführliche Darlegung der Situation, die auf eine Verteidigung der Politik Brünings hinauslief. Er rückte in jeder Einzelheit von der Entlassung des Reichskanzlers ab. Meissner scheint dies mit Gereiztheit angehört und sich gelegentlich in die Diskussion eingeschaltet zu haben, auch mit der richtigstellenden Behauptung, daß nicht eine Übergangs-
759
Aufzeichnung Westarps, l . J u n i .
Die
Demission
863
regierung, sondern ein Präsidialkabinett beabsichtigt sei, daß es keine Auflösung des Reichstags geben werde, sondern lediglich eine Auflösungsbefugnis für alle Fälle zu Händen des neuen Reichskanzlers und daß die Nationalsozialisten von der Reichsregierung ferngehalten werden sollten. Das war offenbar die Konzeption, der Meissner folgte. Hindenburg selbst hat in diesem Gespräch wenig zu sagen gewußt. „Er dankte in herzlichem Ton ... Als Simpfendörfer und Meissner bereits in der Tür waren, gab er mir besonders die Hand und sagte, er sei in einer furchtbaren Lage, wer solle denn nun eigentlich Reichskanzler werden." Diese Schilderung bezeugt die Verwirrung, die den Reichspräsidenten erfaßte, nachdem seine kurz angebundene Art Brüning düpiert hatte. Offenkundig war Hindenburg auf eine Kanzlerkrise nicht vorbereitet. Eine von Westarp vermerkte Frage nach der Notverordnung bezog sich auf Vorstellungen, die Reichsbankpräsident Luther kurz vorher erhoben hatte, indem er den Reichspräsidenten auf die fatale Entwicklung der Finanzen hinwies, was Hindenburg überraschte und aus dem Konzept brachte. 760 Es waren mehrfache Enttäuschungen im Spiele, als die drei volkskonservativen Politiker schließlich noch am 30. Mai begannen, die Entwicklung der jüngsten Zeit in enthüllender Absicht den Parteianhängern und der Öffentlichkeit mitzuteilen. Die lange Geschichte der Darstellung von Hintergründen des Sturzes Brünings nahm damit ihren Anfang. 761 Am Abend des gleichen Tages empfing Hindenburg den ehemaligen westfälischen Landtagsabgeordneten des preußischen Zentrums Franz v. Papen, der durch Eigenschaften und Tätigkeiten hervorgetreten war, die man nicht als alltäglich bezeichnen kann, ihn aber nicht für das Amt des Reichskanzlers empfahlen. 762 Der ehemalige Major und „Kaiserliche Osmanische Oberstleutnant", durch Heirat zu Vermögen gekommen, konnte sich seinen persönlichen Interessen widmen, die er nicht ohne Ehrgeiz, doch ohne nennenswerte Leistung verfolgte. Er hatte sich durch Kauf der Aktiva in den Besitz der „Germania" gebracht, des hochgeach760
Pünder, Reichskanzlei, S. 1 3 0 f.
761
Briefe nach Ostdeutschland, Nr. 26, 30. Mai 1932; vgl. Jonas, Volkskonservative,
S. 121 f. 762
Papen hatte in die im Luxemburgischen und im Saarland ansässige, in der Keramik-
industrie führende Familie v. Boch-Galhau eingeheiratet. Als Hauptmann im Generalstab war er Militärattache in Washington geworden. Dort spielte er in den ersten Kriegsjahren eine wenig rühmliche Rolle und wurde als persona non grata ausgewiesen. Zu weiteren Einzelheiten die biographische Studie von Jürgen A. Bach, Franz von Papen in der Weimarer Republik. Aktivitäten in Politik und Presse 1 9 1 8 — 1 9 3 2 , Düsseldorf 1977. Die eigene Sicht in Franz v. Papen, Der Wahrheit eine Gasse, München 1952.
864
III. Das inveite Kabinett Brüning
teten Blattes der Zentrumspartei, dessen politische Haltung seitdem nach rechts glitt. Diese Beziehungen hatten schon 1928 seinen Namen — ohne Ergebnis — bei der Suche nach einem neuen Reichswehrminister ins Spiel gebracht. Erfolglos gingen auch seine Bemühungen aus, innerhalb des Zentrums für ein reines Präsidialkabinett ohne Parteienrückstände Stimmung zu machen. Doch jetzt war es so weit, daß diese Lösung zur Sprache kam. Wie Papen seinem alten Freund Schleicher schon eine Woche vorher angekündigt hatte, 763 erschien er am 28. Mai in Berlin. In den Verwirrungen dieser Tage bediente sich Schleicher dieses Mannes, der sich sowohl die Idee des Präsidialkabinetts zu eigen gemacht als auch — wenngleich ohne Erfolg — die Annäherung des Zentrums an die DNVP verfochten hatte. Die Wahl schien hintergründig durchdacht, war jedoch im Hinblick auf die Person höchst verwegen, auch wenn sie als Verlegenheitslösung zu betrachten ist. Es gibt keinen verläßlichen Anhalt dafür, daß Schleicher seinen älteren Freund vorbereitet oder ihn gar seit Wochen vorgesehen hatte. 764 Hindenburg überging alle notwendigen Einzelheiten und richtete an Papen gleich die Frage, ob er bereit sei, die Bildung „eines überparteilichen nationalen Kabinetts zu übernehmen". 765 Papen wurde offenbar unsicher und betonte, daß ihm das Zentrum keine Rückendeckung geben werde. Nachdem sich die Situation so unglücklich entwickelt hatte, bedeutete dies in den Augen des Reichspräsidenten keine Einschränkung mehr: „Er wolle als Reichskanzler eine Persönlichkeit, die parteipolitisch unabhängig und gewillt sei, die Reichsregierung aus Männern gleicher Art zu bilden..." Hieraufließ sich Papen schließlich ein; und der Reichspräsident präsentierte ihm die Mitglieder seiner Regierung: Frhr. v. Neurath für das Auswärtige Amt; der versierte Botschafter v. Hoesch in Paris schien angesichts der deutsch-französischen Beziehungen derzeit
763
Papen an Schleicher, 2 1 . Mai; abgedruckt Morsey, Zentrumspartei, S. 423.
764
Papen berichtet, daß er am 26. Mai von Schleicher, der über seine Ankunft in Bferlin
am 28. unterrichtet war, zu einer dringenden Besprechung in sein Büro gebeten wurde. Er suchte ihn am 28. auf. Schleicher brachte ihn durch eine temperamentvolle Schilderung der Situation zur Darlegung seiner Ansichten. Doch die Mitteilung, daß er als Kanzlerkandidat gelte, überraschte Papen. Erst die — möglicherweise improvisierte — Behauptung Schleichers, daß er ihn „schon dem Alten Herrn vorgeschlagen" habe, brachte ihn zum Nachdenken. Zunächst lehnte er ab. A m folgenden Tag riet ihm auch Kaas zur Ablehnung. Schleicher hat ihn nicht gewinnen können, wohl aber Hindenburg. Papen, Wahrheit, S. 1 8 2 - 1 8 8 ; vgl. auch Dorpalen, Hindenburg, S. 305. 765
Aufzeichnung Meissners vom 10. Juni; s. oben Anm. 747.
Die Demission
865
unersetzlich, Botschafter v. Schubert in Rom als ehemaliger Staatssekretär mit der Amtszeit Stresemanns zu eng verbunden, Nadolny in Genf unabkömmlich, und Ulrich v. Hasseil stieß als Gesandter unter den älteren Berufsdiplomaten auf Anciennitätsbedenken. So blieb denn nur Neurath, der älteste und dienstälteste unter den deutschen Missionschefs in Europa. Aber sein Name bot noch einen besonderen Vorteil und stand wohl deshalb auf Meissners Kandidatenliste. „Kommt Neurath und nimmt in Genf stramme Haltung, dann müssen wir ä tout prix für Kabinett sein", meinte Quaatz. 766 Nicht sein diplomatisches Ansehen, sondern seine Verbindung zu den Hugenberg-Deutschnationalen wog. Nicht ganz dasselbe galt für den Reichsinnenminister, Frhr. v. Gayl, den Sohn eines Generalskameraden von Hindenburg, der sich beim Reichspräsidenten so entschieden gegen die Siedlungsverordnung eingesetzt und in Oldenburg-Januschau einen gewichtigen Fürsprecher hatte. Warmbold sollte das Wirtschafts-, Schleicher das Wehrministerium übernehmen. Der konservative katholische Präsident der Reichsbahndirektion Karlsruhe, Frhr. Eitz v. Rübenach, war für das Verkehrsministerium, das mit dem Postministerium zusammengelegt wurde, und Frhr. v. Lüninck für das Ernährungsministerium vorgesehen; als sich dieser versagte, fiel die Entscheidung für den Ostdeutschen Frhr. v. Braun. Das Arbeitsministerium wurde Goerdeler angeboten, der dem Reichspräsidenten in seinen schriftlichen Erwägungen zur Lage erstmals den Vorschlag einer Ermächtigungsverordnung unterbreitete, einer Vollmacht für die Reichsregierung, die ihr für die Dauer von drei Jahren die volle Gesetzgebungsgewalt „innerhalb der Reichsverfassung" übertragen sollte. 767 In der Sache wäre dies einer ausnahmerechtlichen Delegation des Notverordnungsrechts vom Reichspräsidenten auf die Reichsregierung nahegekommen. Doch dies wollte Hindenburg gerade nicht. Das Arbeitsministerium aber wollte Goerdeler nicht und lehnte er ab. 768 Das Amt des Reichsjustizministers blieb zunächst offen. In der Tat war das Kabinett zu diesem Zeitpunkt bereits fast fertig. Nur über das Amt des Reichskanzlers fiel erst zuletzt die definitive Entscheidung. Papen bot
766
Quaatz, Tagebuch, S. 193.
767
Undatiertes, unsigniertes, vervielf. Exemplar eines Memorandums BA, Nachl. Goer-
deler/9. 768
Undatierte, maschschr. Aufzeichnung über seine Tätigkeit im Reichsdienst 1931 —
1936, mit einem Bericht über die Entstehung des Kabinetts Papen, 11 S.; B A , Nachl. Goerdeler/12.
866
III. Das zweite Kabinett Brüning
den Ausweg, auf den Schleicher verfallen war, den Hindenburg akzeptierte und mit dem sich Meissner abfinden mußte. 769 Hans Schäffer vertraute am 3. Juni seinem Tagebuch an — nach gründlichen Informationen, die ihn wie immer erreichten, und nach kluger Kombination, wie es seine Art war: „So sind durch die verschiedenen Interessentengruppen konzentrische Druckmaßnahmen auf den Reichspräsidenten ausgeübt worden, denen er schließlich nachgegeben hat. Ob er sich dabei nicht der Hoffnung hingegeben hat, daß Papen das Zentrum mitbringen und daß dieses die Regierung zum mindesten wohlwollend dulden würde, ist eine weitere Frage. Ich könnte mir vorstellen, daß der Reichspräsident heute schon einsieht, daß er eine große Voreiligkeit begangen hat. Für Brüning sind die Sympathien täglich im Wachsen." 770 Hierauf arbeitete der zurückgetretene Reichskanzler unablässig hin, um einen neuen Ansatz in seiner politischen Laufbahn zu finden. Der Kurs richtete sich scharf gegen Papen. 771
Fa^it Die Bildung des neuen Kabinetts „der Hochwohlgeborenen" oder „der Barone", wie es in der Presse häufig genannt wurde, dem schließlich neben sieben Adeligen nur drei bürgerliche Minister 772 angehörten, was es in der deutschen Nachkriegsgeschichte noch nicht gegeben hatte, ist mehrfach als Abbruch der Geschichte der Weimarer Republik und als 769 Meissners Ministerliste sah teilweise etwas anders aus. Er hatte Quaatz als Reichsverkehrsminister vorgesehen. Quaatz, Tagebuch, S. 192 f. 770 Schulz, Politik, 2, S. 1523 f. 771 Auch eine Schamade fehlte nicht. Schlange-Schöningen saß auf seinem Gut und zürnte dem Schicksal. Mit der beziehungsvollen Datierung am 2. Juni — „ A m 1. Tag auf Hlba — oder St. Helena?" — schrieb er seinem Vertrauten Passarge a m Ende eines elegischen Briefes: „Man hat uns von den Zinnen Trojas vertrieben, während das Unglück um die Mauern tobt. Das Schicksal führt mich weder, noch zieht es mich; für mich gilt offenbar nur das eine Gesetz einer höheren Gewalt, daß mir die Tür vor der Nase zugeschlagen wird, sobald ich die Schwelle überschreiten will. So sitze ich hier, tatenlos und arbeitslos, mit der brennenden Sehnsucht zum Handeln im Herzen, aber Gott sei Dank, zu wenig Alcibiades, um mich egocentrisch an dem Unglück Deutschlands zu weiden, das ich von unseren Nachfolgern befürchte, die sicher Gesetze machen, aber nicht versöhnen können. Ihr Schlange." Ein sprachlich wie geistig interessantes Zeugnis für die Ansichten des abgetretenen Ministers, der sich stets zu großen Taten bereithielt. BA, Nachl. Passarge/6. 772 Reichswirtschaftsminister Warmbold, Reichsarbeitsminister — ab 6. Juni — H u g o Schäffer, nachdem Goerdeler abgelehnt hatte, und Reichsjustizminister Gürtner.
Die Demission
867
Zäsur in der Nachkriegsentwicklung betrachtet worden. 773 Die politische Distanz zwischen den Regierungen Brüning und Papen scheint augenfällig. Das neue Kabinett ging ganz aus der Hand des Reichspräsidenten hervor und blieb in seiner Hand. Es fallt hierbei kaum entscheidend ins Gewicht, welchen Personalvorschlägen er im einzelnen folgte, ob mehr den Vorstellungen Schleichers oder Meissners oder anderer oder eigenen Eindrücken und Erinnerungen, die nicht zuletzt durch Gespräche mit seinen Gutsnachbarn und alten Bekannten belebt wurden. Der neue Reichskanzler wurde jedenfalls nicht gefragt. Schon das zweite Kabinett Brüning wies in der kommissarischen Übernahme des Reichsinnenministeriums durch Reichswehrminister Groener einen deutlichen Einschlag präsidentiellen — von Schleicher beeinflußten — Entscheidungswillens auf, wie später auch in dem geforderten Ausscheiden Groeners und Stegerwaids aus der Regierung. An jedes Verlangen nach einer Rechtsanlehnung des Kabinetts knüpfte Hindenburg Personalvorschläge, die er zunehmend substantieller gestaltete. Aber bislang gaben im ganzen noch Zustimmung und Entscheidungen des Kanzlers den Ausschlag. Die Ausweitung der „präsidentiellen Sphäre" 774 hatte früher schon begonnen; doch sie schritt nun stetig voran. Dies war die gravierende Folge der Wiederwahl Hindenburgs als Reichspräsident, der die Entscheidung Brünings und der ihm folgenden Parteiführer zugrunde lag, unter Einschluß der SPD — immer noch die größte Massenpartei —, die mehr oder minder deutlich in der Gefolgschaft des Reichskanzlers stand. Die Atmosphäre der Rechtsstaatlichkeit und des politischen Maßhaltens, die einer Demokratie Sicherheit und Würde verschafft, hatte sich nach dem ersten Weltkrieg nur zaghaft ausgedehnt und verdichtet. Ihre Pflege empfanden die meisten Regierun-
773
Entschieden von John W. Wheeler-Bennett, The Pipe Dream of Peace. The Story
of the Collapse of Disarmament, New York 1935, S. 26 ff.; ders., Wooden Titan, S. 395 ff. Eine vermittelnde Stellung nimmt Bracher, Auflösung, mit seiner eindrucksvollen K o n struktion der „Stufen der Auflösung" v o m Rücktritt der Regierung Müller bis zur Ernennung der Regierung Hitler ein. Neben diesen beiden Auffassungen hat sich die von Ferdinand Friedensburg, Die Weimarer Republik, 2. Aufl. der Neubearbeitung Hannover/ Frankfurt a.M. 1959 (1. Aufl. Berlin 1946), der das Fallenlassen Brünings durch den Reichspräsidenten als den Sturz des „letzten parlamentarischen Regierungschefs Deutschlands" und als das Ende der Demokratie bezeichnet, nicht behaupten können. Auch die noch etwas ältere Version von Arthur Rosenberg, Geschichte der deutschen Republik, zuerst Karlsbad 1935, 20. A u f l . Frankfurt a.M. 1980, die bereits mit der Wahlentscheidung im September 1930 endet, hat sich wissenschaftlich nicht durchgesetzt. 774
Scheuner, Art. 48, S. 271.
868
III. Das zweite Kabinett Brüning
gen nicht als ihre vornehmste Aufgabe, eher doch das Rechnen mit Fakten, soweit sie sich dazu imstande sahen. Es zeigte sich, daß auch die von der Sozialdemokratie ausgehende Politisierung der Massen nicht sonderlich weit und tief genug gedrungen war und auch nicht ausreichte, um eine dauerhafte Fundierung der Partei zu sichern. Die Zentrumspartei, die noch größere Masse der Sozialdemokraten, die über die Zentrumsführung zum Mitgehen gebrachte Bayerische Volkspartei, die von Brüning unter Druck gehaltene Wirtschaftspartei und der kleine Rest der Staatspartei, dem nichts anderes übrig blieb, als zu folgen, bildeten schließlich keine aktionsfahige Koalition mehr, sondern eine Agglomeration, die schon nach der Reichstagswahl am 14. September 1930 nicht mehr die parlamentarische Mehrheit darstellte, ihr aber — mit 273 von 577 Reichstagsmandaten — immerhin noch nahe kam. Außerdem brachten die kleinen Parteien der rechten Mitte und der gemäßigten Rechten, die DVP und die Sezessionisten der DNVP, Konservative Volkspartei, Landvolkpartei und der protestantische Christlichsoziale Volksdienst, schließlich die Bayerische Bauernpartei 73 Abgeordnete zusammen, die in ihrer überwiegenden Mehrheit fast immer hinter der Regierung Brüning standen. Sie war daher parlamentarisch kaum ernsthaft gefährdet. Dies blieb zwar eine Erhaltungs- und Abwehrmajorität, aber als solche eine brauchbare Kombination, die der Notwendigkeit einer gemeinsamen Politik enthoben war und Antagonismen für die Wahlkämpfe aufsparte. Das gilt für die Verhandlungen und Abstimmungen im Reichstagsplenum wie für den Ältestenrat und die Ausschüsse, unter denen der Haushaltsausschuß und der Geschäftsordnungsausschuß in der Sache und der Auswärtige Ausschuß als gelegentliche Tribüne Brüningscher Darstellungen zur Außenpolitik die wichtigsten blieben. Freilich mußte sich der Reichskanzler um diese Gruppierung bemühen, was zuweilen Konzessionen erforderte. Mit diesem System der Provisorien hätte Brüning wohl einige Zeit lavieren, wenn auch kaum zum Führer aus der Krise aufsteigen können, solange sich ein Auseinanderbrechen der Parteienagglomeration durch allzu stark hervortretende Gegensätze vermeiden ließ. Die staatliche Interventionspolitik galt in Anbetracht der wirtschaftlichen Krise weithin als unvermeidlich — wenn auch nur im Sinne einer Entscheidung für das kleinere Übel; sie wurde schließlich, wenn auch nicht vorbehaltlos, von allen Interessenten hingenommen. 775 Allerdings wuchsen die For775
Zur Diskussion über die staatliche Intervention Gerald D. Feldman, Der deutsche
Organisierte Kapitalismus während der Kriegs- und Inflationsjahre 1 9 1 4 — 1 9 2 3 , in: Hein-
Die Demission
869
derungen aus der agrarwirtschaftlichen Sphäre stetig und gefährdeten die labile Balance. Als Dauerbelastung von Regierung und Regierungssystem erwies sich in der fortschreitenden wirtschaftlichen Krise die Entsachlichung und ideologische Radikalisierung der Politik, die sowohl von der großen Masse der Bevölkerung als auch von maßgebenden Politikern wie selbstverständlich Besitz ergriff. 776 Die gegen nahezu alle Friedensvertragsfolgen aufbegehrende nationalistische Stimmung übertönte weithin das Urteilsvermögen. Mythisch verklärte Reminiszenzen an Weltkriegsschlachten und parabolische Darstellungen soldatischer Ideale drängten über die Grenzformen nationalistischen Ausdrucksvermögens, die auch in Frankreich studiert und mobilisiert werden konnten, stetig hinaus. Der Kanzler entzog sich dem nicht, obgleich er in seinem Auftreten und Denken betont zivil blieb. Die in der Krise zunehmenden sozialen Notstände gaben der nationalistischen Rechten weiteren Auftrieb. In Erkenntnis dieser Lage und der in ihr erstehenden Bedrängnis der Regierung entschied sich Brüning zu einer aktiven Außenpolitik, die Curtius bereits begonnen hatte, und zur völligen Beseitigung der Reparationen, was er für den Trumpf seiner Bemühungen hielt, den er sich nicht nehmen lassen wollte. Die Krise benutzte der Reichskanzler aber auch als Instrument zur Legitimation umfangreicher administrativer Maßnahmen in Gestalt zusammengefügter, überaus voluminöser Notverordnungen auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung mit nicht sogleich abschätzbaren, wenn überhaupt absehbaren Wirkungen. Technisch knüpfte die Regierung an einen Brauch in der Gesetzgebung an, der bereits unter der Dominanz der Exekutive stand und keine Gegner fand, nämlich die Gesetzgebung außerhalb der Verfassung, was nach herrschender Rechtsauffassung als unbedenklich galt, sofern die im Artikel 76 für verfassungsändernde Gesetze verlangte Zweidrittelmehrheit des Reichstags zustimmte. 777 Die
rieh A. Winkler (Hrsg.), Organisierter Kapitalismus. Voraussetzungen und Anfänge, Göttingen 1974, S. 150 — 171; Feldman, Aspekte deutscher Industriepolitik am Ende der Weimarer Republik 1 9 3 0 - 1 9 3 2 , in: Holl, Wirtschaftskrise, S. 106 ff., 109 f., 1 1 3 - 1 1 8 ; Fritz Blaich, „Garantierter Kapitalismus". Subventionspolitik und Wirtschaftsordnung in Deutschland zwischen 1925 und 1932, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 22 (1977), H. 1; auch Wengst, Unternehmerverbände. 776
Dies ist an anderer Stelle behandelt; Schulz, Aufstieg, bes. V. Kap. Neben den durch den Art. 76 ermöglichten verfassungsändernden Gesetzen sind von Anbeginn und fortgesetzt auch Reichsgesetze in der in diesem Artikel vorgeschriebenen Form beschlossen worden, die keine Änderung des Wortlautes der Verfassung vornahmen, 777
870
III. Das zweite Kabinett Brüning
Verfassung wurde durchbrochen, aber die Verletzung galt durch die qualifizierte Zustimmung als sogleich geheilt. Unter dieser Voraussetzung konnte gar der Weg einer Verlängerung der Amtszeit des Reichspräsidenten durch ein Gesetz mit qualifizierter Zustimmung für gangbar gehalten werden. In Preußen wurden zeitweilig Notverordnungen auf Grund der Landesverfassung auch dann erlassen, wenn der Regierung eine zur Gesetzgebung ausreichende Mehrheit im Landtag sicher war. Die Zeit der Großen Koalition 1921 — 1924 und der stabilsten Mehrheitsverhältnisse im Landtag „war zugleich die Zeit ausufernder Notverordnungspraxis" 778 . In den Jahren 1921 bis 1929 erließ das Preußische Staatsministerium insgesamt 85 Notverordnungen. Administrative Schnelligkeit und die Möglichkeit, eingehende Erörterungen in der Öffentlichkeit zu vermeiden, gaben hierbei den Ausschlag, letztlich Gesichtspunkte einer ungeschmälerten Potenz der Exekutive, denen gegenüber Parlament und Öffentlichkeit zurücktraten. Die parlamentarische Kontrolle blieb indessen gewährleistet, wenn auch lediglich in Form nachträglicher Genehmigungen durch den Landtag, die der Artikel 55 der preußischen Verfassung vorschrieb, so daß der Akt der außerordentlichen Gesetzgebung im Regelfall — ohne Aufhebens und ohne störende Einwirkungen — in einen der ordentlichen transferiert wurde. Auch andere Länder bedienten sich der verfassungsrechtlich ermöglichten Transformation von Gesetzgebung und Notverordnungsrecht, am häufigsten Thüringen und Sachsen, sogar Hessen und Baden. Sie alle sahen daher keinen Anlaß, dem Ubergang der Reichsregierung zur permanenten Regierungsweise mit dem präsidentiellen Notverordnungsrecht Widerstand zu leisten. Partielle Stillegungen im parlamentarischen Gehäuse der Republik wurden fast so lange schon geübt, wie sie existierte. Eine entschlossene, gar durchdringende Kritik an der Notverordnungspraxis von Ländern gab es nicht; gegenüber der Reichsregierung blieb sie nach 1929 begrenzt. Die seit langem erhobenen Forderungen der Rechten nach Stärkung der Regierung und einer engeren Bindung an den Reichspräsidenten — unter jedoch inhaltlich v o n einzelnen Verfassungsbestimmungen abwichen. A u f diesem Wege kamen 1920 das Reichswahlgesetz sowie drei weitere Gesetze, 1921 fünf, 1 9 2 2 vier, 1923 die Ermächtigungsgesetze vom 13. Oktober und v o m 8. Dezember, 1924 das Reichsbahngesetz, 1925, 1926 und 1927 jeweils ein Gesetz, 1 9 2 8 drei Gesetze, 1929 ein Gesetz und 1930 wie 1932 je zwei Gesetze zustande. Vgl. Fritz Poetzsch-Heffter, Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, in: JböR, 1 3 (1925), S. 2 2 7 - 2 3 0 , 17 (1929), S. 1 3 9 f f . , 21 (1933/ 34), S. 201 f. 778
Möller, Parlamentarismus, S. 431 f.
Die Demission
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Betonung seiner Rechte — standen nach den verlorenen Mühsalen der letzten Koalitionsregierung Hermann Müller auf der Tagesordnung. Die Vermutung läßt sich nicht abweisen, daß die seit 1929 fortgesetzt stärker hervortretenden Probleme der Finanzpolitik, vornehmlich des stets schwierigen Haushaltsausgleichs, sich wahrscheinlich nicht mehr ohne Einschaltung der präsidentiellen Gewalt lösen ließen. Immerhin bemühte sich die Reichskanzlei um eine juristisch kompetente Abklärung der Anwendung des Notverordnungsrechts sowohl auf die Regelung des Reichshaushalts als auch im Falle einer Auflösung des Reichstags. Hierbei unterblieb allerdings jede rechtliche Vorsorge gegen weiter abgleitende Entwicklungen. Von nun an trat im Reich der Vorrang der Exekutive ebenso hervor wie die Zurückdrängung des Parlaments. Während nach der Wahl am 14. September 1930 die schockartige Wirkung des unerwartet großen Wachstums der NSDAP Probleme aufgab, schien die veränderte Haltung der SPD zugunsten einer Tolerierung der Regierung auch neue Perspektiven zu eröffnen. Mehr als „Tolerierung" war freilich nicht zu erwarten. Der Reichskanzler beschränkte sich auf die Sicherung einer Mehrheit im Reichstag, die Anträge gegen die Regierung und zur Aufhebung von Notverordnungen regelmäßig abwies. Die Tätigkeit des Parlaments wurde bereits hierdurch, aber auch prinzipiell und systematisch beschnitten. Die Zahl der Plenarsitzungen, die zunehmend unter Rüpelszenen Radikaler litten, betrug 1930 noch 94,1931 nur 41, und 1932 gar nur 13. Gleichzeitig mehrten sich die teilweise gesetzbuchähnlichen, umfangreichen Notverordnungen, in die manche Zufallsfrucht administrativer Arbeit einfloß, die mit der legitimierenden Zweckbestimmung der Krisenbekämpfung und der Abwendung von Notständen beschlossen und in Kraft gesetzt wurden. Hierbei kamen wiederholt Ansätze von Reformgedanken vergangener Jahre zum Vorschein. Von Reformen wurde häufig gesprochen; aber es fehlte jegliches geklärte, konstruktive und vorausschauende Programm, das über die Wahrnehmung von Okkasionen hinauswies. Hierin offenbarte sich die größte Schwäche Brünings, der, auf kleine, wechselnde Kreise weniger Ratgeber vertrauend, zusehends die Kontrolle über einzelne Sachen und Fragen verlor, die Einsicht in manche Vorgänge nie gewann und sich niemals zur Erklärung programmatischer Leitlinien oder Gedanken aufschwang — von einzelnen Parolen und der Forderung nach Beseitigung der Reparationen abgesehen. Hält man dies den teilweise eindrucksvollen Reden des Kanzlers 779 entgegen, so ergeben sich 779
Vgl. die Auswahl v o n Vernekohl, Brüning.
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III. Das %n>eite Kabinett Brüning
Fragen, die sowohl auf die politische Situation als auch auf die Persönlichkeit verweisen. Gewiß sprach die Zentrumstradition mit, in der Brüning politisch aufwuchs und die ein zeitgenössischer Beobachter in den Worten artikulierte, daß „Kundgebungen und Aktionen entscheidender als Parteiprogramme sind", eine Tradition, die, nach einem Wort des Brüning-Vertrauten Josef Joos, „unveränderliche Grundsätze frei in der Anwendung hält". 780 Historiker, die versuchen, einzelne Darlegungen logisch miteinander zu verbinden, gewissermaßen auf einen roten Faden zu ziehen und aus Interpretationen in sich schlüssige Konstruktionen zu ersinnen, haben aus Äußerungen Brünings die Absicht zu einer Restauration der Monarchie — angesichts des Aufstiegs des Nationalsozialismus ein scheinbarer Ausweg 781 — oder das Programm zu einer umfassenden, im einzelnen aber keineswegs deutlichen Reichsreform 782 gefolgert. Die letzten Absichten Brünings, sofern es sie gegeben haben sollte, blieben jedoch unerörtert. Überlieferte Andeutungen einer „Diktatur für zehn Jahre" 783 kommen aus zweiter oder dritter Hand und erscheinen kaum verläßlich. Hingegen bleibt das sichere Ergebnis, daß die Gespräche und Unterhandlungen zwischen Kanzler und Reichspräsident stetig an Bedeutung gewannen und Entscheidungen immer mehr auf diese Beziehung zugeschnitten wurden. Der Reichskanzler mußte aber auch auf die beständigen Wünsche Hindenburgs eingehen. Das war neben der Erhaltung des alten ostelbischen Grundbesitzes die Erweiterung der Regierung nach rechts, die Brüning nie in dem Maße gelang, wie Hindenburg sie sich vorstellte. Als die Unpopularität der Regierung Brüning und — angesichts der wachsenden sozialen Notstände und sozialpolitischen Defizite — die begrenzte, kaum krisendämpfende Effizienz ihrer Notverordnungen dem Reichspräsidenten vor Augen geführt wurden, folgten permanente Verhandlungen des Kanzlers sowie anderer Mittelsmänner, schließlich vor allem Schleichers und Meissners mit der rechten Opposition, um sie zu beruhigen — um den Preis einer fortschreitenden Lockerung der Beziehungen zu den Sozialdemokraten. 780
Sigmund Neumann, Die Parteien der Weimarer Republik, mit einer Einführung von
Karl Dietrich Bracher, Stuttgart 1965, S. 45; 1. A u f l . unter dem Titel: Die politischen Parteien in Deutschland. Wesen und Wandel nach dem Kriege, Berlin 1932. 781
So Becker, Brüning, S. 74, 111; ders., Heinrich Brüning, S. 3—17.
782
Werner Conze, Brüning als Reichskanzler. Eine Zwischenbilanz, in: HZ, 2 1 4 (1972),
S. 3 1 0 — 334; ders., Reichsverfassungsreform, S. 209—217. Eine Diskrepanz zwischen erklärter Absicht und verfolgter Politik konstatiert Huber, Verfassungsgeschichte, VII, S. 973 ff., allerdings in Beschränkung auf Brünings Äußerungen in den Memoiren. 783
Miller, Bolz, S. 367 f.; vgl. auch Besson, Württemberg, S. 135.
Die Demission
873
Dem Verlangen nach einer präsidentiellen Regierung und den Personalvorstellungen Hindenburgs — ohne Nationalsozialisten, aber mit Konzessionen zur Beruhigung der NSDAP — konnte Brüning nicht nachkommen. Als sich nach Bessinge das Verhältnis verschlechterte, verweigerte der Reichspräsident mit einer gewissen Konsequenz seine Unterschrift unter die nächste Notverordnung und verwies er den Reichskanzler an den Reichstag, zurück in das Parlament. Das kann man nicht als Sturz des Kanzlers bezeichnen, aber als Artikulation und Abgrenzung der präsidentiellen Regierungsweise den zum permanent angewendeten Instrument gewordenen, umfangreichen Notverordnungen gegenüber, was Brüning in größte Verlegenheit brachte. Auch spätere Äußerungen Hindenburgs bezeugen, daß sein Mißvergnügen mit den vielen Notverordnungen, die seinen Namen trugen, ernster Natur war und nicht unterschätzt werden durfte. Wenn er den Kanzler gewähren ließ, so scheute er doch das Odium seiner Politik. Allerdings gibt es keine positive Antwort auf die Frage, ob der Reichspräsident jemals eine systematisch durchdachte Alternative verfolgte. Wir würden uns gewiß einer Fehleinschätzung seiner wenig beweglichen altkonservativen Grundstimmung hingeben, wenn wir mehr suchen und aufspüren wollten als feststehende Uberzeugungen und ad hoc gebildete Meinungen über Personen und Sachen. Brüning betrachtete die Entscheidung Hindenburgs als Besiegelung des Vertrauensverlusts und sah sich alternativlos in einer Sackgasse. Infolgedessen vermochte er schließlich nur seinen und seiner Regierung Rücktritt zu erklären. Im Ergebnis hat Brüning die Regierungsweise der zwanziger Jahre im raschen Auf und Ab der wirtschaftlichen Krisenerscheinungen und ihrer Folgen, in stetem Drängen nach Sparen und Opfern schnell und unumkehrbar verlassen. Insofern behält das harte Urteil des sozialdemokratischen preußischen Regierungsrates und Publizisten Hans Muhle bedenkenswertes Gewicht: „Brüning ist gescheitert... wie kaum noch irgendein anderer Kanzler in der Republik. Man wußte seit Wochen, daß die Stellung Brünings unterminiert war ... Der Kanzler würde, so hieß es, die Vertrauensfrage beim Reichspräsidenten stellen ... Man hat es hingenommen, daß der Reichskanzler sich ein Vertrauensvotum holen wollte, das weder dem Buchstaben noch dem Sinne der parlamentarischen Verfassung entspricht. Vielleicht hatte man auch das Gefühl — und es wäre nicht unberechtigt gewesen —, daß man einem Kanzler, der selber sein Bestes getan hatte, um die Umwandlung der parlamentarischen Demokratie in eine präsidentielle zu fördern, durch Erörterungen verfassungspolitischer Grundsätze nicht helfen könne ... Gibt es im Leben
111. Das zweite Kabinett Brüning
874
Brünings eine persönliche Schuld, eine persönliche Tragik? Die Begriffe der antiken Tragödie sind für diesen vorläufig letzten parlamentarischen Kanzler der Republik zu groß, zu hoch, zu voll mythischen Dunkels, als daß dieser saubere, aber schwache Führer des Zentrums sie für sich in Anspruch nehmen könnte. Brüning ist an seinen eigenen Widersprüchen zugrunde gegangen." 784 So mußte denn die nächste Reserve des Systems zum Zuge kommen, war die Frage nach der Alternative gestellt. Gewisse, wenn auch unausgereifte Vorbereitungen des Reichspräsidenten und seiner Umgebung entschieden, daß nur eine präsidentielle Regierung in Gestalt des Kabinetts einer sogenannten „nationalen Konzentration" in Betracht kam. Doch dies war in Wahrheit nur ein schwaches Wort ohne klar erkannten und bedachten Inhalt, eine täuschende Vokabel, die verbarg, daß Handlungsspielräume zu bloßen Zwangslagen eingeengt waren.
784
Unter dem Pseudonym Florian Geyer, Der Zusammenbruch Brünings, in: NBS, 3
(1932), S. 281 f.
VIERTER
TEIL
Vollendung und Scheitern des präsidentiellen Systems
SIEBZEHNTES
KAPITEL
Das präsidentielle Regierungssystem mit dem Reichskanzler Franz v. Papen Papen und die „Anpassung an die Armut der Nation" Nach der Demission der Regierung Brüning unterlag das präsidentielle System weiteren Wandlungen. Aber weder der neue Reichskanzler noch der Reichspräsident versuchte, ein „Direktorium" zustande zu bringen. Hierfür war die Zeit nicht reif; auch hatten die Tolerierungsverhandlungen Schleichers mit nationalsozialistischen Führern die Weichen schon zu weit in andere Richtung gestellt. Eine Besprechung Papens mit „dem bevollmächtigten Vertreter der NSDAP" führte hinsichtlich der preußischen Regierungsbildung zu dem Ergebnis, daß die NSDAP von sich aus an die DNVP und an das Zentrum wegen der Wahl eines Ministerpräsidenten herantreten und „außer anderen Ressorts" auch den Innenminister stellen würde. Das Zentrum sollte veranlaßt werden, „falls es sich an der preußischen Regierungsbildung beteiligen will", seine „oppositionelle Haltung" gegen die Regierung v. Papen aufzugeben. Am 8. Juni wollte der Reichskanzler hiervon Hugenberg und die DNVP sowie über den preußischen Wohlfahrtsminister Hirtsiefer das Zentrum unterrichten. 1 Die Anfange waren jedoch nur unvollkommen vorbereitet, so daß die Regierung Papen fast vom ersten Tage an in Schwierigkeiten geriet, aus denen sie bis zuletzt nicht herausfand. Die Zentrumsfraktion im Reichstag stellte sich sofort geschlossen gegen das neue Kabinett. 2 Sie gab noch am 1. Juni eine entschieden oppositionelle Entschließung bekannt, mit der sie den Reigen von Stellungnahmen der Fraktionen eröffnete. 3 Ihr folgten am nächsten Tag die SPD und die Staatspartei mit noch stärkeren ' Undatierter Vermerk im Anschluß an die Änderungsvorschläge Schleichers zu der Aufzeichnung des Staatssekretärs Meissner; dieser Teil scheint nicht an Meissner weitergegeben worden zu sein, wurde jedenfalls in der Aufzeichnung vom 10. Juni nicht berücksichtigt. Abgedruckt Schulz, Politik, 2, S. 1532 f. 2 Vgl. Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 572 ff.; Köhler, Lebenserinnerungen, S. 308 f. 3 Schulthess 1932, S. 95 ff.
878
IV Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
Tönen. Auch der Christlich-soziale Volksdienst lehnte „jede Mitverantwortung für die gefahrlichen Folgen" ab und verlangte „die Herstellung einer klaren, verfassungsmäßigen Verantwortlichkeit ... durch formale Eingliederung der Nationalsozialisten in die Verantwortung", 4 was wohl besagen sollte, daß man die Wiederherstellung einer Regierung auf der Grundlage der parlamentarischen Mehrheit wollte — wenn auch nur „formal". Die DNVP strich heraus, daß sie „an der Bildung und Zielsetzung der neuen Reichsregierung unbeteiligt" und „keinerlei Bindungen" eingegangen sei. Sogar die „Germania", das Blatt des Kanzlers, meinte, daß jene, die die Regierungskrise verschuldet hätten, auch die Verantwortung tragen sollten. Lediglich NSDAP, KPD und DVP blieben schweigsam; die ersten, weil sie Erklärungen nicht für nötig hielten, die letzte, weil sie jetzt finanziell, über den Parteivorsitzenden, an den Reichswehrminister gebunden war. Entgegen zeitweiligen Behauptungen Brünings, von denen er später wieder abrückte, stand der Zentrumsvorsitzende Kaas in enger Verbindung mit ihm und gab er keinen Anlaß, hieran zu zweifeln. 5 Eine briefliche Erklärung Papens dem Zentrumsvorsitzenden gegenüber beleuchtet das Rechtfertigungsbedürfnis des neuen Kanzlers vor seiner Partei. Die von ihm bekundete „Zusammenfassung aller ... Kräfte zum Wohle des Landes" enthielt einen versteckten Appell an den Parteiführer, ihm Absolution zu erteilen und von heftiger Opposition abzusehen. Doch Kaas erwiderte unverzüglich deutlich und zornig, daß „der von Ihnen beschrittene Weg ein Irrweg ist", 6 wobei er offenbar mit Bedacht auch Kritik am Verhalten des Reichspräsidenten einfließen ließ. Dies bildete den Auftakt zu einem Versuch des Prälaten, das Amt des Parteiführers an Brüning abzugeben, der sich jedoch dieser neuen Belastung entzog, wohl auch in der Befürchtung, noch mehr als katholischer Politiker zu erscheinen, der er durchaus nicht sein wollte; er hatte noch Pläne für die Zukunft. Dem folgte der Versuch des Reichskanzlers, zugleich mit seinem Austritt aus der preußischen Zentrumsfraktion die neue Regierung zu rechtfertigen. Er stellte die Behauptung auf, die seine Verlegenheit anzeigte, daß der Reichspräsident ihn in der Absicht berufen habe, „eine Synthese zwischen den in der Zentrumspartei organisierten
4
Günter Opitz, Der Christlich-soziale Volksdienst. Versuch einer protestantischen Partei
in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1969, S. 275, Anm. 19. 5
Morsey, Untergang, S. 25 f., 231; May, Kaas, 3, S. 174 ff.
6
Schulthess 1932, S. 96; vgl. Morsey, a. a. O., S. 47 f.; May, a. a. O., S. 177 ff.
Das präsidentielle
Regierungssystem mit dem Reichskanzler Fran% v. Papen
879
Kräften und der politischen Rechten herzustellen". 7 Das sollte es so scheinen lassen, daß er einen Grund zu der Annahme gehabt hätte, das Zentrum würde ihn unterstützen. Papens begreiflichen Versuch, mit einer Regierungserklärung und einer „kurzen Bilanz der Lage" einen weiteren werbenden Schritt in die Öffentlichkeit zu tun, 8 ließ Schleicher gleich in der ersten Ministerbesprechung zunichte werden. Der Reichswehrminister zeigte, daß er der bestimmende Kopf der Regierung sei und nicht der Kanzler. Er legte auch die nächste Richtlinie fest und benannte die wichtigsten Traktanden der nächsten Zeit: Verkündung der Reichstagsauflösung, Ausarbeitung eines „sachlichen Programms", wobei er bereits die Aufmerksamkeit auf die Kassenlage und auf Preußen lenkte — „die Kassenlage des Reichs sei bis Ende Juni in Ordnung", was keineswegs zutraf, „die Kassenlage Preußens sei schwieriger" —, dann die Abrüstungsfrage und der Termin der Neuwahl des Reichstages; man entschied sich — gegen den Reichswirtschaftsminister, der eine möglichst schnelle Beruhigung im Interesse der Wirtschaft verlangte, — für den letztmöglichen Termin, den 31. Juli. Erst in der übernächsten Reichsministerbesprechung, am 4. Juni, kam es zur Aussprache und Entscheidung über den Wortlaut der kurzen Regierungserklärung. 9 Mit Schlagworten der Zeit wie „Staatssozialismus", „gemeinschaftsfeindlicher Klassenkampf' und „Kulturbolschewismus" leitete sie einen Aufruf ein, der auf Kritik an der vorangegangenen Regierung nicht verzichtete: „Reichskanzler Dr. Brüning hat als erster den Mut gehabt, eine klare Bilanz der Lage zu fordern ... Diese Bilanz, die die heutige Regierung vorfindet, soll das deutsche Volk kennen: Die finanziellen Grundlagen des Reiches, Preußens und der Mehrzahl aller anderen Länder und Gemeinden sind erschüttert. Keine der notwendigen grundlegenden Reformen ... — Verwaltungsreform, Finanzreform, Anpassung unseres staatlichen Lebens an die Armut der Nation — ist über schwache Ansätze hinausgekommen. Die Sozialversicherungen stehen vor dem Bankrott." Natürlich wurde auch die Arbeitslosigkeit erwähnt. Dies vermittelte einen Eindruck von der Größe der Aufgabe, vor der sich die neue Regierung sah und die ihre Vorgängerin hinterlassen hatte. Sie wollte keine Versprechungen machen, aber doch Erwartungen einer Besserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage wecken. Mit dem neuen Schlagwort von der Anpassung „an die Armut der Nation" kündigte sie AR: Papen, 1, S. 7; hierzu Papen, Wahrheit, S. 188 ff. AR: Papen, 1, S. 3 ff. * a. a. O., S. 12 ff. 7 8
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IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen Systems
an, daß weitere Kürzungen öffentlicher Mittel folgen müßten und daß die nächste Notverordnung einen Teil der bereits v o n der Regierung Brüning vorbereiteten übernehmen werde, was aus Gründen der Zahlungsverpflichtungen in den nächsten Wochen unvermeidlich sei. 1 0 Die Erklärung schloß mit dem Appell: „Es muß eine klare Entscheidung darüber fallen, welche K r ä f t e gewillt sind, das neue Deutschland auf der Grundlage der unveränderlichen Grundsätze der christlichen Weltanschauung aufbauen zu helfen." Der „klaren und eindeutigen Entscheidung" sollte die Wahl des Reichstags dienen, dessen Auflösung durch den Reichspräsidenten 1 1 ganz beiläufig — wie selbstverständlich — erwähnt wurde. Begreiflicherweise empfand Brüning dies als eine ihn brüskierende Erklärung, der er energisch schon am nächsten Tag entgegentrat. So, wie Papen es versuchte, ließ sich Brüning nicht beikommen: „In dieser Lage haben wir in den Jahren 1930 bis 1932 die Ausgaben von Reich, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen um mehr als 6 Milliarden RM gedrosselt. Das sind nicht .schwache Ansätze'. Die tatsächliche ,Anpassung an die A r m u t der Nation' ist weitestgehend erfolgt und in dem Haushalt jedes einzelnen fühlbar geworden. Die Regierung hat der Gesamtheit des Volkes Opfer zugemutet, um in den außenpolitischen Verhandlungen freie Hand zu bekommen im Kampfe gegen die Reparationslasten und zur Überwindung der Wirtschaftskrise." 1 2 In dieser Die neue Notverordnung wurde noch mehrfach beraten und nach üblichem Verfahren wieder sehr umfangreich, schließlich in zwei Verordnungen aufgeteilt, allerdings mit scheinbar sachlicheren, umständlicheren Überschriften: Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen zur Erhaltung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialversicherung sowie zur Erleichterung der Wohlfahrtslasten der Gemeinden vom 14. Juni (RGBl I, 1932, S. 273) sowie Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen auf dem Gebiete der Rechtspflege und Verwaltung (RGBl I, 1932, S. 285). Die Veröffentlichung begleitete eine Entschließung der Reichsregierung, die die einzelnen Maßnahmen zu begründen versuchte und die Zukunftsaufgabe programmatisch ankündigte: „Der Wille des deutschen Volkes, von der Geißel der Arbeitslosigkeit erlöst zu werden, und die Hoffnung der jungen Generation, neue Lebensgrundlagen zu finden, werden von der Regierung als eine für die Zukunft der Nation entscheidende Aufgabe ... unterstützt..." Schulthess 1932, S. 109. A m gleichen Tage wurde die umfangreiche Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitungen (RGBl I, 1932, S. 297) unterzeichnet, die eine Reihe von einschränkenden Bestimmungen und Verboten enthielt, dafür das Verbot der SA und SS vom 13. April außer Kraft setzte. 10
" Die AuflösungsVerordnung gab als Begründung an, daß der Reichstag „nach dem Ergebnis der in den letzten Monaten stattgehabten Wahlen zu den Landtagen der deutschen Länder dem politischen Willen des deutschen Volkes nicht mehr entspricht". (RGBl I, 1932, S. 255) 12 Schulthess 1932, S. 99 ff.
Das präsitkntielle
Regierungssystem
mit dem Reichskanzler
Fran% v. Papen
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ersten, erbittert ausgefochtenen öffentlichen Kontroverse mochte es sich der ehemalige Reichskanzler nicht versagen, die rigide Politik der Ausgabenbeschränkung als Instrument zu einem außenpolitischen Zweck darzustellen und einen in Aussicht stehenden Erfolg anzudeuten. Die übrigen Behauptungen waren in der Sache nicht besser als die Phraseologie Papens: Angeblich „waren die finanziellen und technischen Maßnahmen getroffen, um bis zu 600000 Menschen in Notstandsarbeiten und freiwilligem Arbeitsdienst Brot und Arbeit zu verschaffen und in einem umfassenden Siedlungsplan [!] weiteren Volkskreisen Hoffnung auf Lebensrückhalt auf eigener Scholle zu eröffnen". Diese Attacke ließ keinen Zweifel an der unerbittlichen Opposition Brünings gegen die neue Regierung. Der Vorstand der Zentrumspartei stellte sich hinter ihn und drängte ihn, die Liste des Zentrums im Wahlkampf anzuführen. 13 Es konnte so scheinen, als werde der innerpolitische Gegensatz durch ein Duell Brünings und der Zentrumspartei mit der Reichsregierung bestimmt. Die Initiative lag bei diesem Teil der Opposition und überbot die Geschäftigkeit Hugenbergs und der DNVP. Das ließ die NSDAP nicht unberührt. Die Reichsregierung erachtete die Vorbereitung der unmittelbar bevorstehenden Konferenz von Lausanne als vordringliche Aufgabe, sah sich aber im Gefolge der heftigen innerpolitischen Gegensätze durch Vorgänge in Preußen zum raschen Handeln im Inneren gedrängt. Nachdem erste Kontakte zwischen Zentrum und NSDAP sich ergebnislos wieder gelöst hatten, erneuerte Frick noch im Mai im „Völkischen Beobachter" die Forderung nach einem Junktim der Regierungsbildungen — nach der Reichstagswahl — in Preußen und im Reich, das in früheren Jahren die DVP vertreten hatte. „Nur gleichgerichtete Regierungen im Reich und in Preußen gewährleisten eine fruchtbare Zusammenarbeit.'" 4 Die Nationalsozialisten wurden von mehreren Seiten umworben und konnten es wagen, aus einer vorteilhaften Position sich in eine noch vorteilhaftere hineinzuspielen. 13
a. a. O., S. 101; vgl. Morsey, Untergang, S. 48. Innerhalb der Zentrumsführung schien
die Lage allerdings weniger eindeutig, als nach außen sichtbar wurde. Brüning ließ sich drängen, die Wahlliste anzuführen, was im Grunde selbstverständlich war. Er lehnte aber die Übernahme des Parteivorsitzes, den ihm Kaas antrug, ab. Der Prälat trat einen mehrmonatigen Erholungsurlaub in Südtirol an. Infolgedessen lagen Parteiführung und Leitung des Wahlkampfes in den Händen des stellvertretenden Vorsitzenden Joos. In Preußen handelte und verhandelte Hirtsiefer im Namen des Zentrums. 14
4. Mai; Bay, Preußenkonflikt, S. 34; ausführlich auch zum Folgenden Hömig, Zen-
trum, S. 257 ff.
882
IV.
Vollendung und Scheitern des präsidentiellen Systems
Rückzug Otto Brauns. Geschäftsführende Rumpfregierung in Preußen Die preußische Regierungsbildung, angesichts der nicht gelösten Haushaltsfrage dringend erforderlich, schien sich in die Länge zu ziehen. Daraus erwuchs die Gefahr, daß ein Reichskommissar für die preußischen Ministerien eingesetzt wurde, was man schon im Sommer 1931 theoretisch erörtert und was Otto Braun Ende Mai der Fraktion und dem Parteivorsitzenden der SPD als möglich und bevorstehend angekündigt hatte. 15 Nach der Wahl des Nationalsozialisten Kerrl zum Landtagspräsidenten am 25. Mai und schließlich dem Rücktritt Brünings zeigte der Ministerpräsident keine Lust mehr, an der Spitze des lediglich geschäftsführenden Staatsministeriums im Parlament zu erscheinen, das ihn durch Mehrheitsbeschluß herbeizitieren wollte. Am 2. Juni hatten 252 der 423 Abgeordneten - die der K P D , der NSDAP, der DNVP, zwei der D V P und drei des C S V D und der kleinen Deutsch-Hannoverschen Partei — in namentlicher Abstimmung einen von den Kommunisten eingebrachten Mißtrauensantrag gegen die Regierung angenommen, der ohne Folgen blieb, da sie ohnehin nur geschäftsführend im Amt war. Daraufhin nahm eine Mehrheit aus Kommunisten, Nationalsozialisten und Deutschnationalen den von der K P D und der N S D A P eingebrachten Antrag an, die nicht erschienenen geschäftsführenden Staatsminister zur Landtagssitzung zu zitieren. Da dem nur die Zentrumsminister folgten, brachte die N S D A P einen weiteren Antrag auf Anklageerhebung gegen die ferngebliebenen Minister ein. 16 Dieser Antrag erhielt ebenfalls eine Mehrheit, wenngleich nicht die nach der preußischen Verfassung erforderliche Zweidrittelmehrheit. Auch der Preußische Staatsrat meldete sich zu Wort und brachte sein seit geraumer Zeit kumuliertes Mißfallen mit der Staatsregierung zum Ausdruck. Nach einer Reihe von Vorfällen, „in denen der Staatsrat zu der Feststellung gezwungen war, daß seine verfassungsmäßigen Rechte von der Staatsregierung nicht oder nicht genügend beachtet worden sind", die sich „beträchtlich" vermehrt hätten, mahnte er unter Androhung einer Anrufung des Staatsgerichtshofs Verhandlungen über neue Richtlinien an, die einen früheren Vergleich ausgestalten und präzisieren sollten. 17 Braun löste das Problem ganz persönlich, indem er So Schulze, Braun, S. 732. SBer PLT, 4. WPer, I, Sp. 109 f., 309 ff., 102, 124 f., 348, 415 ff.; UuF, VIII, S. 559; vgl. Möller, Parlamentarismus, S. 558 f. 13
16
Der Präsident des Staatsrates, Adenauer, an das Preußische Staatsministerium, 2. Juni; GehStAB, Rep. 90/141. Hirtsiefer antwortete erst am 23. Juni hinhaltend. Der Staatsrat hatte bereits am 18. Juni 1931 die Anrufung des Staatsgerichtshofs beschlossen, Adenauer
Das präsidentielle Regierungssystem mit dem Reichskanzler Fran^ v. Papen
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sich auf den 6. Juni selbst beurlaubte „mit der festen Absicht, nicht mehr in das Amt zurückzukehren", 18 und am 4. Juni seinem Stellvertreter, dem Wohlfahrtsminister Hirtsiefer, die Amtsgeschäfte übergab. Wie einst der König von Sachsen resignierte er und beschloß er, Privatmann zu sein. Er wußte zu amtieren; das Kämpfen in kritischer Situation widerstrebte ihm. In dieser Lage, auch durch das Gerede über einen Reichskommissar für Preußen veranlaßt, erstattete der geschäftsführende preußische Innenminister Severing am 6. Juni dem Staatsministerium ein Votum über die Möglichkeit der Einsetzung eines solchen Kommissars. Er kam zu dem Ergebnis, daß rechtlich stichhaltige Voraussetzungen sowohl nach Art. 48 Abs. 1 der Reichsverfassung — Nichterfüllung der Preußen obliegenden Verpflichtungen — als auch nach Abs. 2 — erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Deutschen Reich — nicht gegeben seien. „Die Einsetzung eines Reichskommissars durch die Reichsregierung würde daher der Verfassung widersprechen; sie würde unter allen Umständen bedenkliche Folgen zeitigen. Es liegt zunächst eine starke Rückwirkung auf die deutschen Länder nahe..." 1 9 Nach dieser vermeintlichen Klärung warf er Mitte Juni von sich aus in einem Gespräch mit dem Reichsinnenminister diese Frage auf. Angesichts der Erörterungen in der Öffentlichkeit mag dies in einem persönlich gefärbten Gespräch begreiflich erscheinen. Severing ging sogar so weit, Verständnis zu äußern für eine Zusammenfassung der Polizeikräfte der größeren Länder mit den „Machtmitteln" des Reiches. Daraus läßt sich nur folgern, daß auch der preußische Innenminister an Rückzug dachte. Allerdings darf unterstellt werden, daß ihm lediglich an einer Übernahme bzw. Ubergabe der preußischen inneren Verwaltung lag. Er sprach später sogar nur von den „Polizeikräften"; gemeint war wohl der Bereich in den Grenzen der Zuständigkeit des Innenministers. Mit einer Absetzung der gesamten preußischen Rumpfregierung rechnete er jedenfalls nicht.
aber „von der Erhebung der Klage bisher Abstand genommen, weil es uns widerstrebte, in der gegenwärtigen konfliktreichen Zeit das Ansehen der Staatsregierung durch Austragung eines weiteren Streitfalles v o r dem Staatsgerichtshof zu schädigen". 18
Braun, Weimar, S. 396; Schulze, Braun, S. 733 f.; von „Führungsschwäche" Brauns
spricht Hömig, Zentrum, S. 259. 19
Zit. in Preußen contra Reich v o r dem Staatsgerichtshof. Stenogrammbericht der
Verhandlungen v o r dem Staatsgerichtshof in Leipzig v o m 10. bis 14. und v o m 17. Oktober 1932, Berlin 1933, S. 61.
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IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen Systems
A m 5. Juni hatte auch Frhr. v. Gayl in einem Presseinterview Gerüchte zurückgewiesen, die die Einsetzung eines Kommissars in Preußen ankündigten. 2 0 In der Tat war man noch nicht so weit. Ein Rückgriff auf Brünings Vorarbeiten 2 1 fand nicht statt. Das lag freilich auch an Papen, der sich in den Kabinettssitzungen wie kein anderer Kanzler v o r ihm zurückhielt, eher moderierte als dirigierte, dann nach Lausanne abreiste, dem Reichsinnenminister seine Vertretung übertrug und Schleicher das entscheidende W o r t überließ. Dies zeigt die allmähliche Veränderung der Institution im Funktionszusammenhang des politischen Systems an. Hatte im Mai Joël anläßlich der versuchten Initiative Hindenburgs zu einer Parteiführerbesprechung das Hervortreten des Reichspräsidenten gegen den Reichskanzler, dem nach der Reichsverfassung die Bestimmung der Richtlinien der Politik oblag, beanstandet, da es außerhalb der bisherigen A n w e n d u n g des Artikels 48 lag, 2 2 so erscheint nun die Situation durch die Selbstbeschränkung des Kanzlers sowohl dem Reichspräsidenten als
Schulthess 1932, S. 99. Brünings Versuche, eine Koalition des Zentrums und der NSDAP zustande zu bringen, erscheinen einigermaßen kompliziert. Sie liefen neben den von ihm geduldeten oder gar geförderten Bemühungen Goerdelers um die Ministerpräsidentschaft in Preußen einher, der sich zunächst an die DNVP gewendet haben dürfte, hier aber erfolglos blieb. Pünder, Reichskanzlei, S. 128. Offenbar legte es Brüning auf eine Einbeziehung Gregor Straßers an, was er am 11. Mai 1932 im Reichstag auch deutlich und, wie er wohl meinte, taktisch klug, aber Straßer vor seiner Partei bloßstellend, unterstrich. Brüning wollte aber über die preußische Ministerpräsidentschaft erst nach einem Erfolg in Lausanne disponieren. Zugleich kam der Entwurf einer Notverordnung ins Spiel, der im Falle einer Koalition mit den Nationalsozialisten die Justiz w i e die Polizei Preußens dem Reich unterstellte. Eine Abschrift hiervon sei „im Besitz Schleichers" gewesen. Trumpp, Papen, S. 76 f. Dies gibt zu mancherlei Fragen Anlaß. Insgesamt ist dieser Vorgang unzulänglich, allerdings partiell mehrfach belegt, mithin glaubwürdig. So Brüning in einer eidesstattlichen Erklärung für Papen vom 17. Januar 1949: Durch die „von mir bereits vorher entworfene Notverordnung ... sollte die Polizei- und Justizhoheit Preußens auf das Reich übertragen werden, falls ein Koalitionskabinett mit der NSDAP in Preußen zustande kommen sollte. Eine Abschrift des Entwurfes dieser Notverordnung war im Besitz des Herrn von Schleicher, bevor ich aus der Reichskanzlei ausschied." Amtl. beglaubigte Abschr. IfZ, Sammlung Graf BorckeStargordt/II. Das kann nur heißen, daß entweder Brüning den Chef des Ministeramtes im Reichswehrministerium von seiner Absicht in Kenntnis setzte — dann wahrscheinlich, um sich der Unterstützung durch die Reichswehr zu vergewissern —, oder daß der Plan gar vom Ministeramt ausging. Der spätere Ablauf scheint allerdings nicht für die zweite Möglichkeit zu sprechen. Nach der Abkühlung in und infolge der mehrfach belegten Aussprache Brünings mit Schleicher am Abend des 2. Mai darf das Ende dieses Gespräches wohl als terminus ante quem eines solchen Entwurfs gelten. Brüning, Memoiren, S. 575 — 580; vgl. Trumpp, ebda.; dort auch weitere Hinweise. 20 21
22
Pünder, Reichskanzlei, S. 119.
Das präsidentielle Regierungssystem mit dem Reichskanzler Frant^ v. Papen
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auch den stärkeren Ministern gegenüber wesentlich verändert. Das waren keine günstigen Voraussetzungen für den Fall künftiger Kontroversen innerhalb des Kabinetts. Nach dem Rückzug Otto Brauns entwickelte das Preußische Staatsministerium nur noch wenig Kraft. Die Personalpolitik — mehr der sozialdemokratischen Landtagsfraktion als des Ministerpräsidenten — hatte mittlerweile in den Ministerämtern nichts mehr übriggelassen, was Tatkraft erwarten ließ. Diese beschränkte sich nahezu vollständig auf den Innenminister Severing, der nicht auf Widerstand sann, und Finanzminister Klepper, für den der Ausgleich des preußischen Staatshaushalts zum schwierigen Problem geworden war. Die stärkste Mannschaft stellten die Staatssekretäre, darunter Abegg und die Sozialdemokraten Krüger und Staudinger. Uber die Zentrumsminister urteilte Brüning später: „Allen, mit Ausnahme von Hirtsiefer, fehlte politischer Instinkt und die politische Erfahrung." 23 Das ist ein eher schonendes als scharfes Urteil. Da die noch unter Brüning ausgehandelten und bewilligten, aber nie überwiesenen 100 Millionen RM für den Kassen- und Haushaltsausgleich unter Papen und Schwerin v. Krosigk erst recht nicht zu erlangen waren, erließ das Staatsministerium angesichts des drohenden Staatsbankrotts eine preußische Notverordnung, die durch drakonische steuerpolitische und ausgabenkürzende Maßnahmen die Haushaltslücke schließen sollte. 24 Damit wurde bewiesen, daß eine preußische geschäftsführende Rumpfregierung innerhalb des preußischen Verfassungsrechtes, ohne präsidentielle Notstandsbefugnis, ebenso parlamentsfrei handeln und einschneidende notstandsrechtliche Maßnahmen treffen konnte wie die Reichsregierung im Einvernehmen mit dem Reichspräsidenten. Hier deutete sich sogar eine Konkurrenz notstandsrechtlich begründeter gesetzgeberischer Maßnahmen der Reichs- und der preußischen Regierungen an. Zunächst bemühte sich der Reichskanzler selbst um eine Koalition des Zentrums mit den Rechtsparteien, DNVP und NSDAP, in einem Gespräch mit dem Zentrumsminister Hirtsiefer, dem interimistischen Vorsitzenden der Landtagsfraktion Steger und dem Abgeordneten Graß am 8. Juni, 2 5 wie es Schleicher mit der NSDAP vereinbart hatte. Doch Papen benahm sich ungeschickt und erweckte Mißtrauen. 26 Die Nationalsozia-
23
Brüning, Memoiren, S. 570.
24
Verordnung zur Sicherung des Haushalts vorn 8. Juni (GS 1932, S. 199).
25
Hömig, Zentrum, S. 261 f.
26
Nach seinem eigenen Zeugnis traf der Reichskanzler am 9. Juni „zum ersten Mal"
in seinem Leben mit Hitler zusammen. Papen, Wahrheit, S. 195. Dies trifft wahrscheinlich
886
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
listen hatten zu diesem Zeitpunkt wenig Interesse an einer Koalition mit dem Zentrum in Preußen, das von den parlamentarischen Gepflogenheiten nicht abgehen wollte. 27 Ein Brief Papens an den Landtagspräsidenten Kerrl, der eine frühe Einberufung des Landtags empfahl, um die Wahl des Ministerpräsidenten zu beschleunigen und die geschäftsführende Regierung abzulösen, wurde von Hirtsiefer am Tage seiner ersten Verhandlung mit dem Kanzler und den zuständigen Reichsministern über die Notlage der preußischen Finanzen als „bisher nicht übliches Verfahren" beanstandet. 28 Papen erwiderte kalt und geringschätzig, daß er nicht zusage, „keinesfalls nochmals in gleicher Weise zu verfahren". Hiergegen wehren konnten sich die preußischen Minister allerdings nicht. 29 Aber der Präsident des Staatsrates, der Kölner Oberbürgermeister Adenauer, entwickelte eine eigene Initiative. Er forderte Severing zur Alarmierung der Polizei auf 30 und wandte sich im voraus für den Fall einer Einschaltung des Dreimännerkollegiums gegen eine Auflösung des Landtags. Ein Auflösungsbeschluß oblag nach Artikel 14 der preußischen Verfassung allein diesem Gremium, das sich aus den Präsidenten des Landtags und des Staatsrates und dem Ministerpräsidenten zusammensetzte, die übereinstimmen mußten; andernfalls gab es nur die Möglichkeit eines Volksbegehrens nach Auflösung des Landtags. Eine Neuwahl des Landtags blieb ausgeschlossen, die Frage einer neuen preußischen Regierung einstweilen ungelöst und in der Schwebe.
nicht zu und könnte ein Irrtum Papens sein. Schon am 31. Mai dürfte er eine „Unterredung" mit Hitler gehabt haben. Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 177. Doch eingehende Verhandlungen mit Hitler führte Schleicher, hauptsächlich am 4. Juni. a. a. O., S. 179. Die N S D A P forderte Reichstagsauflösung und Aufhebung des SA-Verbots, wollte aber v o r der Wahl keine Bindung eingehen, auch in Preußen nicht. „ A u f jeden Fall müssen w i r die Verantwortung entweder ganz oder gar nicht übernehmen." Zu Preußen: „Entweder ein K o m missar, oder w i r stellen den Ministerpräsidenten." ebda. Folgt man dem Tagebuch von Goebbels, dann gab es am 9. Juni kein Gespräch Hitlers mit Papen, sondern nur einen Brief Hitlers, ein Gespräch erst am 13., bereits in einer Konfrontation. Noch vor der Aufhebung des SA-Verbots begann die N S D A P gegen die Regierung umzuschwenken, a. a. O., S. 1 8 1 - 1 8 6 . 27
Vgl. Bracher, Auflösung, S. 505 ff.; Hömig, Zentrum, S. 264.
28
6. Juni bzw. 7. Juni; A R : Papen, 1, S. 2 2 - 2 7 , 41 f.; Trumpp, Papen, S. 1 8 0 f .
29
Über einen vergeblichen Versuch Grzesinskis, im Vorwärts zu Worte zu kommen,
um v o r einem Reichskommissar zu warnen, Ehni, Bollwerk, S. 255, Anm. 47. 30
Rudolf Morsey, Adenauer und der Nationalsozialismus, in: Hugo Stehkämper (Hrsg.),
Konrad Adenauer, Oberbürgermeister von Köln. Festgabe der Stadt K ö l n zum 100. Geburtstag ihres Ehrenbürgers am 5. Januar 1976, K ö l n 1976, S. 455. K o n r a d Adenauer, Konrad Adenauer als Präsident des Preußischen Staatsrats, a. a. O., S. 388.
Das präsidentielle
Regierungssystem mit dem Reichskanzler Fran^ v. Papen
Aufhebung des SA- Verbots. Der Reichsinnenminister der Länder ein
greift in das
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Poli^eirecht
In Vorbereitung der neuen Notverordnung und der Aufhebung des SAVerbots verhandelte die Reichsregierung am 11. Juni sowohl mit den vereinigten Reichsratsausschüssen als auch — auf Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten — im engeren Kreise der Minister und Ländergesandten. Gayl nahm erneut zu den Reichskommissarsgerüchten Stellung. Das Protokoll der Reichskanzlei hielt fest: „Die Rechte der Eigenstaatlichkeit der Länder wolle er nicht antasten ... Der Gedanke der Einsetzung eines Reichskommissars in Preußen sei weder von dem Kabinett Brüning noch von dem jetzigen Reichskabinett in die deutsche Öffentlichkeit getragen worden. Die Einsetzung eines Reichskommissars sei die ultima ratio, wenn das Leben der Nation auf dem Spiele stehe." 31 In der Tat hatte Brüning eine Erörterung in der Öffentlichkeit nicht gewollt und wünschte auch Gayl sie nicht. Die nicht von preußischer, aber von badischer und bayerischer Seite heftig geäußerte Kritik unter einem „Zwang zu stärkstem Mißtrauen" veranlaßte Papen sogar, mehrfach durch hohes Lob seines Vorgängers Harmonie zu stiften: „Er habe die Arbeit dieses ausgezeichneten Mannes mit seinen heißesten Wünschen verfolgt, weil er die nationale Mission dieses Mannes gesehen und erkannt habe. Es sei ihm fern gelegen, sich jemals auf seinen Stuhl setzen zu wollen. Lediglich die Entwicklung der inneren Verhältnisse und der Appell des Herrn Reichspräsidenten hätten ihn zu dem Entschluß geführt, das Opfer zu bringen..." 3 2 Mit versöhnlichen Worten ging man in diesen Tagen großzügig um. Als während eines Empfangs der süddeutschen Minister — die preußischen und norddeutschen waren nicht geladen — die Kontroverse über die Aufhebung des SA-Verbotes sich wieder belebte, erklärte Hindenburg rundweg, die Länder könnten erforderlichenfalls im Rahmen ihrer Polizeihoheit von ihren Rechten Gebrauch machen, ohne „die geringsten Schwierigkeiten von Seiten des Reiches befürchten zu müssen". Er aber habe sich nach einem Besuch Hitlers zu der Auf-
31
A R : Papen, 1, S. 57; die Aufzeichnungen des badischen Gesandten Fecht am 13. Juni
stimmen hiermit teilweise wörtlich überein. Schulz, Staat, S. 330. Eine weitere Aufzeichnung der Besprechungen des bayerischen Ministerpräsidenten Held vom 14. Juni gibt zusätzlich eine eigene Stellungnahme wieder: „Gerade die Ausführungen des Reichskanzlers und des Reichsinnenministers ergäben für die Einzelstaaten den Zwang zu stärkstem Mißtrauen und zu einer unabhängigen scharfen Beobachtung Berlins." B G e h S t A M , MA/ 103 322. 32
Aufzeichnung Fecht; a. a. O., S. 332.
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IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
hebung des Verbots entschlossen. Dieser habe versprochen, nur noch einmal den Versuch zu wagen, zur Macht zu gelangen. Wenn er sein Ziel verfehle, wolle Hitler sich „mit entsprechender Verantwortung in die Reichsregierung eingliedern" lassen. 33 Dieses Wort verdient, beachtet zu werden. Es erklärt die Haltung des Reichspräsidenten nach der Demission Brünings. Hindenburg hatte am Nachmittag des 30. Mai Hitler zu der von Schleicher vorbereiteten ersten Unterredung empfangen und die Aufhebung des SA-Verbots sowie die Auflösung des Reichstags zugesagt, 34 nachdem er von Hitler die gewünschte Erklärung erhalten hatte, die nach dem „letzten Versuch" in der Reichstagswahl irgendeine Einbeziehung der NSDAP in die „Verantwortung" zu ermöglichen schien. Der überdeutliche Hinweis auf das Recht der Länder, selbständig vorzugehen, wozu sie vorher schon neigten, läßt Rückschlüsse auf die vorsichtige Bewertung dieser Absprache durch den Reichspräsidenten zu. Am 4. Juni wurden weitere Verabredungen zwischen Schleicher und Hitler getroffen; inzwischen hatte der Reichswehrminister den spätestmöglichen Termin der Neuwahl des Reichstags, am 31. Juli, durchgesetzt, während Hitler und die NSDAP noch den frühestmöglichen, den 3. Juli, und einen kurzen Wahlkampf im Auge hatten. 35 Eine Kapitulation Hindenburgs, der wiederholt eine Erweiterung der Reichsregierung nach rechts verlangt hatte, vor den Nationalsozialisten war dies nicht, nur eine unmittelbare Einschaltung in das Spiel um die Einbindung der NSDAP, eine Absicherung der Regierung der nationalsozialistischen Massenpartei gegenüber. Wie wir gesehen haben, folgte das Reichswehrministerium auch noch anderen Gründen. Es besteht indes kein Anlaß, an der Richtigkeit von Meissners Erklärung zu zweifeln: „Weder bei dem General von Schleicher noch beim Reichspräsidenten sprach bei Brünings Entlassung
31
Aufzeichnung Held, a. a. O.
34
Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 177; hiermit übereinstimmend Meissner, Staatssekretär,
S. 232 f., der von einem Gespräch Hindenburgs mit „Hitler und Göring" berichtet: Der Reichspräsident „ersuchte sie, der neuen Regierung nicht aus parteipolitischen Gründen Hindernisse in den Weg zu legen. Hitler erklärte, er sei bereit, das neue Kabinett zu unterstützen oder zu tolerieren, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt würden: Auflösung und Neuwahl des Reichstags, Aufhebung des SS- und SA-Verbots und Einräumung des Rechts, den Rundfunk zu benutzen, auch an die NSDAP." Meissners Niederschrift über das Gespräch bei Hubatsch, Hindenburg, S. 321. Zur Vorbereitung dieser Unterredung durch Schleicher „in der letzten Maiwoche" Meissner, a. a. O., S. 230. Hierzu über Schleicher Dorpalen, Hindenburg, S. 301 ff., 318. 35
Goebbels, a. a. O., S. 1 7 8 f f .
Das präsidentielk
Regierungssystem
mit dem Reichskanzler
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der Wunsch mit, Hitler zur Macht kommen zu lassen oder der NSDAP in einer Koalitionsregierung der Rechten maßgebliche Beteiligung einzuräumen; sie wollten durch den Rücktritt Brünings nur den Weg für eine überparteiliche Regierung freimachen, welche den Nationalsozialisten deren Unterstützung oder wenigstens Tolerierung ermöglichte." 36 Der Eindruck auf nationalsozialistischer Seite könnte allerdings anders gewesen sein. In der rauhen Wirklichkeit des länger währenden Wahlkampfes wich die „Tolerierung" der Reichsregierung durch die NSDAP harten Konfrontationen, hielt die Tolerierungsphase keine zwei Wochen an. Die Nationalsozialisten fanden schnell in dem neuen Reichsinnenminister ihren Gegner als dem Verantwortlichen für die Verzögerung der Aufhebung des SA-Verbots. Frhr. v. Gayl versuchte aus begreiflichen Gründen, einen Konsens mit den Ländern und einige Sicherheiten zu schaffen, ehe er sich auf das große Wagnis einließ. Schließlich wollte er auch den in der Entwicklung begriffenen Rundfunk für seine Zwecke nutzen, auf den Hitler und Göring Ansprüche angemeldet hatten, und eine tägliche Auflagesendung für die Regierung sichern. 37 Gayl genoß einiges Vertrauen. Während des Krieges war er von 1916 bis 1918 Chef der Abteilung für innere Politik und Verwaltung im Oberkommando Ost; 38 1920 wurde er Abstimmungskommissar in Alienstein. Seit 1921 gehörte er dem Preußischen Staatsrat an und war Bevollmächtigter zum Reichsrat für die Provinz Ostpreußen. Er galt als ausgeprägt konservativ und politisch erfahren, wurde aber, obgleich er der DNVP auch unter Hugenberg angehörte, auf der äußersten Rechten zunehmend kritisch und nach seiner Ernennung zum Reichsinnenminister — als möglicher künftiger preußischer Ministerpräsident oder Reichskommissar — mit Mißtrauen beobachtet. 39 Innerhalb Ostpreußens hatte er sich stets um eine Zusammenfassung der Rechten mit der DVP, unter Einschluß des Stahlhelms und militärischer Traditionsverbände, bemüht, sich den Nationalsozialisten indessen nie genähert. In der Presse fiel das Urteil über ihn nach seiner Ernennung zum Reichsinnenminister unterschiedlich aus. Nicht zu Unrecht galt er als ständiger Gegenspieler Otto
Meissner, Staatssekretär, S. 230. Vgl. auch Horn, Führerideologie, S. 253 f. Gayl an den Reichsrundfunkkommissar Bredow, 11. Juni; AR: Papen, 1, S. 62. 38 Vgl. Schulz, Demokratie, S. 268 f. 39 Quaatz, Tagebuch, S. 193. Gayl erklärte am 10. Juni seinen Austritt aus der DNVP; Schreiben an Hugenberg BA, Nachl. Gayl/2. 36 37
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IV Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
Brauns im Reichsrat. 40 Doch auch die Nationalsozialisten mißtrauten ihm. Am 14. Juni erschien Goebbels im Auftrage Hitlers bei Schleicher, um sich über Gayl zu beschweren. Es bezeichnet den Grad der gegenseitigen Annäherung in den Augen des Berliner Gauleiters, wenn er verlangte: „Er muß weg. Sonst wachsen die Roten ihm und uns über den Kopf." 41 Da er nichts erreichte, beschlossen die Nationalsozialisten, sich aufs Provozieren zu verlegen. Sie führten den Wahlkampf mit unsäglichen Schmähungen und heftigen Angriffen gegen die Regierung, unter ständiger Verschärfung lokaler Auseinandersetzungen. Den „roten Terror" versuchten sie zu provozieren und durch noch größere Gewalttätigkeiten zu übertreffen. Als dann die Reichsregierung durch die Verordnung gegen politische Ausschreitungen vom 14. Juni das zwei Monate zuvor erlassene SAVerbot aufhob und den Bewegungsraum der Nationalsozialisten erweiterte, waren Entscheidungen der Polizeiinstanzen gefordert. Die Reaktionen der Länder und der Polizeipräsidenten wichen indessen erheblich voneinander ab, weniger auf Grund der Eigenart örtlicher Vorgänge und Entwicklungen als vielmehr der politischen Einstellungen der Verantwortlichen. 42 Damit gelangten auch die Länder, soweit sie zielbewußt gegen nationalsozialistische und kommunistische Übergriffe vorgingen, unmittelbar in die Stoßrichtung der Angriffe. Preußen hielt sich vorsichtig zurück, um keinen Bruch mit der Reichsregierung zu riskieren. Dies veranlaßte Goebbels, Gayl zu attackieren, indem er von „offenen Mordzuständen" sprach, für die er „nicht zum wenigsten ... die schwächliche Haltung des Reichsinnenministers" verantwortlich machte. 43 Die Entwicklung drohte der Kontrolle des Ministers zu entgleiten, ohne daß er dies eingestand, vielleicht überhaupt erkannte. Eine zweistündige
4,1
So die Neue Freie Presse (Wien), 13. August 1932. „Zehn Jahre lang ist Freiherr
v. Gayl der Mann von morgen gewesen. Er ist ein Mann mit vielen Beziehungen, elastisch bei aller Starrheit der Gesinnung..." Helmuth v. Gerlach urteilte: „Der Mann hat Format... Er denkt nämlich und hat Charakter. Er denkt stockkonservativ in den Kategorien verflossener Zeiten. Mit ihm zu diskutieren muß Genuß sein... Er weiß was er will." Verfassungsfeier — Leichenfeier, in: Die Weltbühne, 28 (1932), Nr. 33, 16. August. Bemerkenswert ist, daß diese Urteile in der Zeit nach dem 20. Juli geschrieben wurden. — 1925 war Frhr. v. Gayl als Kandidat der Rechten für die Reichspräsidentenwahl im G e spräch. Er unterlag gegenüber Jarres. 41
Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 185, 1 8 9 f., 192, 195, 201.
42
Einzelne Orientierungsbeispiele bei Pyta, Gegen Hitler, S. 383 ff.; in bezug auf örtliche
Ereignisse unergiebig. 43
A R : Papen, 1, S. 147, Anm. 23.
Das präsidentielle Regiertmgssystem mit dem Reichskanzler Franz
Pape«
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Aussprache Gayls mit Hitler am 21. Juni 4 4 verlief „stürmisch", nach Gayls allzu optimistischem Eindruck „zum Schluß aber freundlich". 45 In einer Besprechung mit den Innenministern der Länder versuchte er, einen Konsens hinsichtlich der Behandlung der NSDAP nach sieben Punkten herbeizuführen: die Nationalsozialisten „nicht mehr als staatsfeindlich anzusehen", keine allgemeinen, sondern nur örtliche, zeitlich begrenzte Uniformverbote zu erlassen, Aufzugsverbote auf Einzelfalle zu beschränken, „legale Organisationen" und ihren „Anspruch auf staatlichen Schutz" zu respektieren, „schärfsten Kampf gegen die kommunistische Bewegung" zu führen, sonst auf „gleichmäßige Behandlung in kleinen Dingen" zu achten und auf eine milde Handhabung von Presseverboten. 46 Er mußte sich aber angesichts der Tatsache, daß außerhalb Bayerns „im übrigen Reich Mord und Totschlag zu täglichen Erscheinungen geworden" waren, entschiedene Einsprüche der Innenminister Bayerns, Württembergs, Sachsens, Hessens, Thüringens und einiger kleinerer Länder und Stadtstaaten gefallen lassen, von denen die meisten nach den letzten Erfahrungen für ein allgemeines Uniformverbot eintraten. Dennoch glaubte Gayl, nur eine Durchgangsphase verstärkter Unruhen überstehen zu müssen. Auf Grund seiner Eindrücke in der Konferenz der Innenminister wollte er selbst nur bescheidene Vorkehrungen treffen, generell den Anmeldezwang für Versammlungen einführen; hingegen sollten die Länder allgemeine Beschränkungen von Versammlungen und Uniformen aufheben, womit er sich allerdings nicht durchsetzen konnte. Uniformverbote blieben in Bayern und Baden weiterhin bestehen; Württemberg, Hamburg und Lippe weigerten sich, in den strittigen Fragen von ihren polizeilichen Grundsätzen abzurücken. Die preußische Rumpfregierung hingegen vermied jeden Gegensatz zum Reichsinnenminister; die hessische folgte ihr hierin. Unter diesen Umständen drohte eine Regionalisierung und Schwerpunktbildung massierter politischer Gewalttätigkeit. 47 Doch Gayl hielt 44
Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 189.
45
Gayl in der Reichsministerbesprechung am 25. Juni; AR: Papen, 1, S. 148.
46
Bericht über die Besprechung erstattete der bayerische Innenminister Stützel im
bayerischen Ministerrat am 24. Juni; B G e h S t A M , MA/99 524. 47
Der bayerische Innenminister deutete dies an und sah die Auswirkungen, gewisser-
maßen in Ermangelung eines kommunistischen Gegengewichtes gegen die NSDAP, zu Lasten Süddeutschlands: „In vier Wochen werde sich im Ruhrgebiet wohl kaum noch ein Nationalsozialist in Uniform sehen lassen... Während im Norden die Gegenaktion der Kommunisten einsetze, könne sich in Bayern die nationalsozialistische Bewegung nun hemmungslos entfalten. Die Auswirkung... sei daher im Süden viel schlimmer." ebda.
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IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen Systems
die Lage nicht f ü r bedrohlich, auch hinsichtlich der starken kommunistischen Beunruhigung nicht. „Insbesondere Preußen würde der kommunistischen Bewegung Herr werden", unterrichtete er die Reichsminister am 25. Juni. 4 8 Aus diesem Grunde wollte er auch von Ausnahmebestimmungen gegen Kommunisten absehen. Insofern war er in der Tat auf eine lockere Gleichbehandlung beider radikaler Bewegungen zur Linken wie zur Rechten bedacht, was Goebbels und die Nationalsozialisten erbitterte, in dieser Form aber auch den sozialdemokratischen Polizeipraktiken nicht entsprach, die zuvor zwar ebenfalls auf Gleichbehandlung, aber auf Restriktionen und Kontrollen hinausliefen. Gayl teilte den Reichsministern mit, der preußische Innenminister habe ihm erklärt, daß er sich an der „Hetze gegen das Kabinett" nicht beteilige; aber „wenn ein Reichskommissar f ü r Preußen bestimmt werden solle, dann möchte es nicht zu spät geschehen". 49 Severing hat dies in seinen Erinnerungen etwas anders dargestellt. 50 Die Differenz erscheint bei näherem Zusehen aber nicht gravierend. Tatsache blieb, daß Preußen über eine — wenn auch stark strapazierte — Polizeimacht verfügte, das Reich jedoch nicht, und daß bei zunehmenden Beunruhigungen und Gewalttaten entweder Preußen nach den Vorstellungen und Weisungen des Reichsinnenministers oder der Reichsinnenminister mit den Voll-
A R : Papen, 1, S. 149. Ebda. 50 „Ich sprach ... die Überzeugung aus, daß es der Polizei gelingen werde, der Unruhen Herr zu werden. Jedenfalls sei die Polizei trotz aller Zersetzungsversuche fest in der Hand der Regierung. Auf meine Frage, ob die Reichsregierung tatsächlich die Einsetzung eines Reichskommissars plane, antwortete der Reichsinnenminister unbestimmt... In aller Offenheit habe ich ihm weiter meine Meinung über die politische Gesamtlage dargelegt. Der Reichstag werde nach der Wahl des 31. Juli wahrscheinlich ebenso arbeitsunfähig sein wie der Landtag. Wenn ... größere Unruhen entständen, könnte ich mir sehr wohl vorstellen, daß das Reich zu ihrer wirksamen Abwehr die eigenen Machtmittel mit den Polizeikräften des größten Gliedstaates, Preußen, zusammenfassen würde. Das würde zweckmäßig nicht durch die Einsetzung eines besonderen Kommissars, sondern durch eine Personalunion zwischen dem zuständigen Minister des Reiches und Preußens herbeigeführt werden." Severing, Lebensweg, 2, S. 340 f. Diese Darstellung weicht, vom letzten Satz abgesehen, nicht so weit von der Gayls ab, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte. Der letzte Satz enthält aber doch wohl eine eingefügte Fiktion. Severing wußte, das zeigt die ganze Passage, daß der Reichsinnenminister seine Berechnungen anstellte — wie er es auch tat. Dazu gehörte natürlich die recht sichere Annahme, daß die Reichsregierung, wenn sie zunehmenden Unruhen begegnen wollte, nicht erst die Reichstagswahl abwarten, sondern vor der Wahl Vorkehrungen treffen müßte. Wie aber sollte wohl eine „Personalunion zwischen den zuständigen Ministern" — den Innenministern — des Reiches und Preußens zustande kommen, solange keine Regierungsbildung in Preußen möglich war? 48
45
Das präsidentielle
Regierungssystem
mit dem Reichskanzler
Frans^ v. Papen
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zugskräften Preußens einschreiten mußte. Verfassungsrechtlich glich die hierdurch aufgeworfene Frage vorerst noch der Quadratur des Zirkels; doch auf die praktische Lösung des Problems kam es letztlich an. Es hieße Severing unterschätzen, wollte man unterstellen, daß er dies nicht so sah. Das Verfängliche seiner Bemerkung liegt darin, daß sie historisch in die Nähe zu den Vorgängen des 20. Juli 1932 rückte. Doch diese wurden von Severing weder herbeigeführt noch herbeigeredet. Mit Sicherheit darf aber auch davon ausgegangen werden, jedenfalls ist kein anderslautendes Zeugnis bekannt geworden, daß der Reichsinnenminister zu diesem Zeitpunkt weder beabsichtigte noch erwog, einen Reichskommissar für die preußische innere Verwaltung einzusetzen und auf diese Weise eine Lösung des preußischen Problems herbeizuführen, wenngleich das ständige Geräusch von Nachrichten und Gerüchten dafür sorgte, den Gedanken landläufig zu machen. Zeichen der Amtsmüdigkeit legte auch Severing an den Tag, der der ständig schwieriger sich gestaltenden Verhältnisse in seiner Stellung überdrüssig war; der selbstherrliche Entschluß Otto Brauns lag ihm freilich nicht und wäre für ihn auch schwerer zu vollziehen gewesen. Er erwog Ende Mai den Gedanken eines ganz aus Zentrumsministern bestehenden preußischen Rumpfkabinetts unter Hirtsiefer, aus dem er dann, gemeinsam mit Kultusminister Grimme, ausscheiden wollte. Doch dies konnte er bei Wels und im SPD-Parteivorstand nicht durchsetzen. Die sozialdemokratischen Minister wären jedenfalls „ihre Ämter nur zu gerne losgeworden" 5 1 ; es kam lediglich auf den Modus an. Bemerkenswert bleibt noch der Versuch, eine Konfrontation der Länder mit dem Reichsinnenminister zu verhindern. Severing bemühte sich zu vermitteln, indem er die Vertreter einiger Länder zu einer Konferenz einlud. Er empfahl ihnen, die erwartete Notverordnung 5 2 hinzunehmen und lediglich die Anrufung des Staatsgerichtshofes für den äußersten Fall in Reserve zu halten. Zur Begründung führte er sicher erscheinende Informationen an,
51 Schulze, Braun, S. 738, 1005, Anm. 593. Am 8. Juli gab der Berliner Polizeipräsident Grzesinski der Vossischen Zeitung ein Interview, in dem er resigniert erklärte, daß in Berlin kein Bürgerkrieg herrsche, die Polizei aber am Ende ihrer Kräfte sei. Hsi-Huey Liang, Die Berliner Polizei in der Weimarer Republik, Übers, aus dem Amerikanischen, Berlin/New York 1977, S. 128. 52 Zweite Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitungen vom 28. Juni und die Verordnung des Reichsministers des Innern über Versammlungen und Aufzüge vom gleichen Tag (RGBl I, 1932, S. 339).
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IV
Vollendung und Scheitern des präsidentiellen Systems
wonach das Reichswehrministerium die Verhängung des Ausnahmezustandes vorbereite. 5 3 Die Länder hätten sich wohl auch ohne diese Vorwarnung der Notverordnung „gegen politische Ausschreitungen" gefügt. Auf Vorhaltungen des bayerischen Ministerpräsidenten erklärte Frhr. v. Gayl den Sinn einzelner Bestimmungen 5 4 als nunmehr „klare Regelung der Zuständigkeit": Allgemeine Verbote wurden Sache des Reiches; für bestimmte Orte und Ortsteile, zum besonderen Schutz von Bade- und Kurorten, Hafenstädten oder Verkehrsmittelpunkten „zugelassene" Demonstrationsverbote blieben zwar grundsätzlich Sache der Länder, aber Eingriffe des Reichsinnenministers im Einzelfalle stets möglich. Die neuen Regelungen bewegten sich im Rahmen der Reichsverfassung, im besonderen innerhalb der Bereiche konkurrierender Gesetzgebung, die der Artikel 7 enumerierte. Die Liberalisierung des Versammlungs- und Demonstrationsrechtes brachte einen Abbau von Vorschriften aus Notverordnungen der Regierung Brüning. In der Theorie könnte man dies als Rückkehr zum früheren Normalzustand des Verfassungs- und Polizeirechts interpretieren. Die nunmehr verstärkte Reichszuständigkeit sollte für rechtliche Gleichmäßigkeit der Handhabungen in den Ländern sorgen; insofern griff sie in langjährige Praktiken ein, aber im Rahmen des nach der Verfassung Zulässigen. Insgesamt gaben allerdings sowohl die Erste Notverordnung gegen politische Ausschreitungen vom 14. Juni als auch — in erweiterter Form — die Zweite Verordnung vom 28. den Polizeibehörden unter der Maßgabe des Vorgehens gegen Aufrufe zu Gewalttaten, gegen Verächtlichmachung der Regierung und die Gefahrdung außenpolitischer Interessen zusätzliche Handhaben zur Unterdrückung von Druckschriften, im besonderen Zeitungen und Zeitschriften, Plakaten, Flugblättern und Flugschriften. Das Reichsinnenministerium wachte über ihre Ausführung, ersuchte Landesbehörden um Verbote und setzte auch befristete Verbote von Zeitungen durch, die nicht radikalen Organisationen gehörten, so etwa des sozialdemokratischen „Vorwärts" und der „Kölnischen Volkszeitung", die dem Zentrum nahestand. 55 In
53
Schulze, Braun, S. 739, übersieht in seinen Bemerkungen über den Vertrag von
Versailles und die Polizeihoheit der Länder, daß der Friedensvertrag sogar eine innerpolitische Aufgabe der Reichswehr festlegte und ihr große Bedeutung beigelegt wurde. D i e Konzeption, die dem Friedensvertrag und im besonderen seinen Abrüstungsbestimmungen, namentlich auf französischer Seite, zugrunde lag, ist bisher noch nicht untersucht worden. 54
Rundschreiben an die Landesregierungen, 28. Juni; A R : Papen, 1, S. 153 ff.
55
a. a. O . , S. 150, A n m . 35.
Das präsidentielle Regierungssystem mit dem Reichskanzler Fran% v. Papen
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dieser Hinsicht, im engsten Sinne der Interessen der Reichsregierung und des Reichspräsidenten, gab es keine Liberalisierung, wurde vielmehr die Eingriffsmöglichkeit verstärkt, wohl im Prinzip, aber eben nicht für alle Fälle den Ländern überlassen. Vor der Autorität der Reichsregierung endete die Liberalität. Es wurde gar zum Leitprinzip des präsidentiellen Systems, daß sich hinter den verschärften Vorschriften der Reichsinnenminister als Wahrer der Belange der Regierung stets bereit hielt und jederzeit einschreiten konnte. Daß dies der primäre Zweck war, ließ sich sogar aus einer Stellungnahme des Reichspräsidenten herauslesen, die sich an den bayerischen Ministerpräsidenten richtete: „daß bei der notwendigen Wahrung einer einheitlichen Reichspolitik die Polizeihoheit der Länder beachtet und den Ländern die Möglichkeit belassen wird, bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit nach eigenem, pflichtmäßigen Ermessen einzuschreiten". 5 6 Wenn Zweifel bestanden, o b diese Revision und länderrechtliche Beschränkung polizeirechtlicher Handhaben zu einem Zeitpunkt, da die Reichsregierung ihre Zusagen an die N S D A P einlöste, zweckmäßig und weise war, so wurden sie in den folgenden Wochen bestätigt. Im Juni kamen 20 Menschen bei politischen Krawallen ums Leben. Allein am 22. Juni gab es in Berlin-Moabit und in Hamburg bei tätlichen Auseinandersetzungen mit anschließender Schießerei vier Tote, in Breslau am 23. vier Schwerverletzte und mehrere leichter Verletzte, dann am 10. Juli im gesamten Reichsgebiet 27 Tote und 181 Schwerverletzte, davon in der schlesischen Kleinstadt Ohlau allein vier Tote und 34 Verletzte im Verlaufe mehrerer Gewaltaktionen, die erst eine Reichswehreinheit unter Waffengebrauch beenden konnte. Im Juli starben im Gefolge tätlicher politischer Auseinandersetzungen im Reichsgebiet 86 Menschen, darunter 38 Nationalsozialisten und 30 Kommunisten. 5 7 Den dramatischen Höhepunkt bildete die blutig verlaufene nationalsozialistische Demonstration durch Arbeiterviertel Altonas am 17. Juli, dem „Altonaer Blutsonntag". Sie endete in einem Geschoßhagel mit zunächst 15 Toten, 14 schwer und 52 leichter Verletzten. Der Bericht, den der Regierungspräsident in Schleswig, Abegg, erstattete, 5 8 stellte mehrfaches Versagen der Verantwortlichen im Altonaer Polizeipräsidium fest. Als erste der miteinander verketteten Ursachen kamen die verhängnisvolle Genehmigung des Um-
56
a. a. O . , S. 151, A n m . 37.
57
Zahlen nach Heinrich A. Winkler, Katastrophe, S. 639 ff.
3H
19. Juli; A R : Papen, 1, S. 248 — 256; hierzu ergänzend Lothar Danner, Ordnungspo-
lizei Hamburg. Betrachtungen zu ihrer Geschichte 1918 bis 1933, Hamburg 1958, S. 234 ff.
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Systems
zugs durch den sich dann selbst beurlaubenden Polizeipräsidenten Eggerstedt und die bürokratisch nachlässige, aber doch bezeichnende Interpretation der Notverordnung vom 28. Juni zum Vorschein, die den Polizeipräsidenten zu der Überzeugung gelangen ließ, „wenn er ... die beabsichtigte Veranstaltung verboten hätte, so hätte er erwarten müssen, daß die Nationalsozialisten auf entsprechende Beschwerde bei den maßgebenden Reichsstellen doch Recht bekommen hätten". Nach Lage der Dinge besaß diese Annahme hohe Wahrscheinlichkeit, was allerdings die Entscheidung des Polizeipräsidenten nicht rechtfertigen kann. Um der aufbrechenden Gewalttätigkeit zu begegnen, hätte die Reichsregierung zu anderen Mitteln greifen müssen. Aber sie wähnte sich durch die Zusagen Schleichers und vor allem des Reichspräsidenten an die Nationalsozialisten länger gebunden, als sich unter irgendeinem Gesichtspunkt vertreten ließ. Das Zögern Gayls in den ersten beiden Juniwochen bewirkte nichts, trieb den Preis am Ende noch höher, so daß ihm der Vorwurf einer schwerwiegenden Fehleinschätzung nicht erspart werden konnte, zumal er während der Abwesenheit sowohl des Reichskanzlers — mit kurzen Unterbrechungen — als auch des Außen-, des Finanz- und des Wirtschaftsministers infolge der Lausanner Konferenz vom 16. Juni bis 10. Juli die Reichsregierung führte. Auch sie amtierte während dieser Wochen in Berlin als eine Art Rumpfkabinett.
Eine Hinterlassenschaft:
Die
Gelsenberg-Affäre
Die Regierung Papen übernahm von ihrer Vorgängerin neben den bekannten Problemen einen überraschenden Komplex: eine Transaktion, die das Reich in den Besitz eines großen Aktienpaketes brachte, den Großaktionär Friedrich Flick vor dem Ruin bewahrte, aber dem Reichsfinanzminister weitere erhebliche Aufwendungen abverlangte. 59 Die Charlottenhütte, Kern und Rückhalt des Flick-Konzerns, hatte ein Aktienpaket der Gelsenkirchener Bergwerks-AG von nominell 110 Millionen RM bei der Dresdner Bank hoch beliehen. Doch die Kurse waren beträchtlich gefallen; der Kredit hätte zurückgezahlt werden müssen. Infolgedessen blieb Flick und dem mit ihm verbundenen Vogler nichts anderes übrig, als das Paket zu verkaufen. Durch einen Mittelsmann, den Generaldirektor der Vereinigten Aluminiumwerke, Max v. d. Porten, wurde der Reichsfinanzminister interessiert, der Brüning unterrichtete, 59
Aufstellung AR: Papen, 1, S. 110.
Das präsidentielle Regierungssystem mit dem Reichskanzler Franz
Popen
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der aber schon eingeweiht und einverstanden war. So kamen am 31. März ein Vorvertrag über den Verkauf des Aktienpaketes an das Reich und am 4. Mai der rechtsgültige Vertrag — ohne Einschaltung der zuständigen Stellen im Reichsfinanzministerium — zustande. Die Anordnung für die Ausführung ließ Dietrich noch am 31. Mai nachfolgen, nachdem die Reichsregierung demissioniert hatte und sich nur noch geschäftsführend im Amt befand. Eine etatrechtliche Behandlung der Angelegenheit war nicht erfolgt. Dies spielte sich unter strenger Geheimhaltung ab und kam erst nach und nach ans Licht, seitdem in der Presse Nachrichten, Darstellungen, Stellungnahmen und Polemiken die Transaktion bekannt machten und die Regierung sich selbst um Aufklärung bemühen mußte. Staatssekretär Zarden stellte Nachforschungen an; das Kabinett holte Erklärungen von Dietrich ein. Aussagen von Flick und Befragungen, die der ehemalige Staatssekretär Schäffer vornahm, der über die auch ihm — vor seiner Beurlaubung im April — verschwiegene Aktion betroffen war, rundeten das Bild. 60 Die Reichsregierung befaßte sich mehrmals mit der Angelegenheit, die auch den in Lausanne weilenden Kanzler beschäftigte. Zunächst beabsichtigte das Kabinett, eine dreiköpfige Untersuchungskommission einzusetzen. Dies verzögerte sich zuerst infolge unterschiedlicher Auffassungen über die zweckmäßige Zusammensetzung. Dann bestand Unklarheit über die Aufgabe des Gremiums. Zudem hatte sich Flick zwar für eine „richtiggehende Klarstellung der ganzen Vorgänge" durch einen Untersuchungsausschuß ausgesprochen, aber „recht fatale Folgen für die heutige Regierung" mit dem „Stichwort Ostoberschlesien" dunkel angekündigt oder gar angedroht, wobei er auf die Wahlagitation Bezug nahm. Er bot die Unterrichtung des Kanzlers durch einen Vertrauensmann an. Zweifellos war Flick unmittelbarer Nutznießer dieses Handels mit der Regierung Brüning, der ihm den Fortbestand seiner Unternehmen si60
Protokolle der Reichsministerbesprechungen mit entsprechendem Tagesordnungs-
punkt am 21., 24., 25., 29. Juni, 1. Juli, 15. August, 19. September; Schreiben Warmbolds an Planck, 22. Juni; Aufzeichnung über eine Besprechung mit Flick am 29. Juni und Schreiben Dietrichs an Gayl, 15. Juli; a. a. O., S. 1 0 9 f f . , 121, 130, 1 5 2 f . , 161 f., 1 6 3 - 1 6 6 , 175, 218—223, 4 0 4 f . ; 2, S. 6 0 9 f . Die Edition gewährt durch die in den Anmerkungen zitierten Überlieferungen und erwähnten Vorgänge einen bislang nicht erreichten Einblick in die Zusammenhänge. Als A u t o r der unsignierten Aufzeichnung über die Stellungnahme Flicks am 29. Juni vermutet der Bearbeiter den Reichswehrminister. Dies ist allerdings mehr als kühn und überschreitet die Grenze nachprüfbarer Vermutung. Hierzu noch Aufzeichnungen Schäffers v o m 30. Juni und 5. Juli; IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch.
898
IV.
Vollendung
und Scheitern
des präsidentiellen
Systems
cherte. 61 Aus unternehmensstrategischen Gründen lehnte er eine Übernahme des Aktienpaketes durch die IG Farben, die interessiert war, ebenso ab wie mit politischen Argumenten einen Kauf durch Fritz Thyssen, der bereits der NSDAP nahestand, sich aber der Hilfe eines französischen Konsortiums bedienen wollte, was nach Meinung Flicks „die Ruhr an Frankreich ausgeliefert hätte". Die ungewöhnliche und ganz geheime Abwicklung durch Dietrich, nach Flicks Wünschen, unter Feststellung des Wertes nach der Verpflichtung des Flick-Konzerns, nicht nach dem weit abgesunkenen Börsenkurs, sowie die Billigung durch Brüning wurden vom ehemaligen Reichsfinanzminister unterschiedlich begründet: mit der Gefahr einer erneuten Erschütterung der eben rekonstruierten Banken, was im Falle eines Bankrotts der Charlottenhütte oder eines fortschreitenden Kursverlustes der beliehenen GelsenbergAktien in der Form einer starken Belastung der Dresdner Bank in der Tat zu befürchten war; alsdann mit der „Gefahr einer Überfremdung" und ihrer Abwendung im „nationalen Interesse". Schäffer gegenüber korrigierte sich Dietrich dann dahin, es sei „ihm weniger unter dem Gesichtspunkt der Überfremdung unangenehm gewesen", daß „die Franzosen in den Besitz von Gelsenkirchen kämen", sondern „weil damit die Möglichkeiten, den Franzosen auf der Lausanner Konferenz etwas zu gewähren, erheblich erschwert seien. Er hat sich immer gedacht, daß man durch gemeinsame Kohlen- und Eisenexporte, bei denen die Franzosen einen größeren Anteil am Erlös erhalten sollten, ihnen eine Art Gegenleistung für die Streichung der Reparationen gewähren könnte." 62 Das letzte Argument könnte die Geheimhaltung — nicht die Außerachtlassung des Haushaltsrechts — erklären. Wenn Lausanne, im Sinne einer bedingungslosen Streichung der deutschen Reparationsleistungen, ein Erfolg werden sollte, mußten die heimlichen Konzessionen auch geheim bleiben. Dietrich nannte aber noch andere Gründe. In einer Wahlversammlung der Deutschen Staatspartei in Heidelberg erklärte er am 26. Juni, seine Politik sei darauf angelegt gewesen, „die babylonischen Turmbauten der monopolisierten Betriebe, die innerlich ungesund und unhaltbar geworden waren, in einer Form zu liquidieren, die dem Reich und der deutschen Volkswirtschaft den geringsten Schaden zufügen könnte. Der Kampf um die und gegen die Hochfinanz ist mit der Einflußnahme des Reiches auf die Großbanken ausgegangen." Mit einem 61
Hierzu Henning Köhler, Zum Verhältnis Friedrich Flicks zur Reichsregierung am
Ende der Weimarer Republik, in: Mommsen, Industrielles System, S. 878 — 883. 62
Tagebuchnotiz Schäffers am 5. Juli; auch AR: Papen, 1, S. 222, Anm. 10.
Das präsidentielle Regierungssystem mit dem Reichskanzler Fran^ v. Papen
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Bankrott von Flicks Charlottenhütte aber wäre „das ganze kunstvolle Gebäude der Großkonzerne, die irgendwie damit in Beziehung standen und stehen, ins Wanken geraten..., auch die oberschlesische Montanindustrie und die österreichische Alpine-Montangesellschaft ... Aus diesen volkswirtschaftlichen Beweggründen hat dann das Reich ... Herrn Flick geschluckt und von ihm die Substanz gefordert." 6 3 Doch das Reich hatte Flick gar nicht „geschluckt". Dieser hielt die gesamte Transaktion gerade nach seinen Vorstellungen für günstig und ziemlich sicher, weil nicht nur oberschlesische Konzernbeziehungen ins Spiel kamen, sondern er auf maßgebende Montanbeteiligungen im polnischen Ostoberschlesien verweisen konnte, die seit Jahren unter Beteiligung des Reiches gefördert und subventioniert wurden. Das geschah im stillen, weil das Bekanntwerden inner-, wirtschafts- und außenpolitisch bedenklich war und sich im übrigen schwerlich mit der von Dietrich wiederholt betonten Grundlinie seiner Politik in Einklang bringen ließ. Daß auch die westdeutsche Schwerindustrie die Sonderstellung und erneute Sonderbehandlung Flicks anstößig fand, ergibt ein weiteres Motiv für die strikte Geheimhaltung des ganzen Handels. Als er bekannt wurde, fiel die Ruhrindustrie in den Chor der kritischen Stimmen ein und beklagte sie — in gewohnt übertreibender Manier — den „Einbruch der eisenschaffenden Ministerialräte" in ihr Revier. 6 4 Dies waren Hinterlassenschaften des vorigen Finanzministers, die die Regierung Papen verteidigen mußte. Doch die deutsche Stellung in der Industrie Ostoberschlesiens, die von der Charlottenhütte, der Gelsenkirchener Bergwerks-AG, Thyssen und den Vereinigten Stahlwerken beherrscht wurde, 6 5 erschien im Gefolge der wirtschaftlichen Depression noch in weiterem Ausmaß notleidend, so daß zu den neu in die Ausgabenseite des Reichshaushalts aufgenommenen 30 Millionen RM für die Gelsenberg-Aktien weitere 23 bis 30 Millionen aufzubringen waren, um
63
a. a. O., S. 163, Anm. 3.
64
Deutsche Bergwerkszeitung, Nr. 182 v o m 5. August 1932.
65
In den Jahren 1927 bzw. 1929 bildeten die genannten Firmen mit beträchtlicher
Finanzhilfe des Reiches und Preußens aus ostoberschlesischen Konzernen eine HoldingGesellschaft, die sie völlig in Besitz nahmen. A u f dieser Grundlage entstand die Interessengemeinschaft Kattowitzer Aktiengesellschaften für Bergbau- und Hüttenbetrieb (IG Kattowitz-Laura), die 1931 80 Prozent der ostoberschlesischen Eisenindustrie beherrschte und mit den größten westdeutschen Montankonzernen verglichen werden konnte. Sie bildete mit Abstand das größte polnische Montanunternehmen mit einem Anteil von 50 Prozent der Eisen- und von zwölf Prozent der Kohlenerzeugung Polens. Vgl. AR: Papen, 1, S. 277, Anm. 12, 13.
900
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
die Position in Ostoberschlesien zu halten und die IG Kattowitz-Laura — unter dem Aufsichtsratsvorsitzenden Flick — neben einigen anderen Unternehmen vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Nach Berechnungen des Reichswirtschaftsministers hätte er die Reichsfinanzen mit etwa 56,7 Millionen allein für die IG belastet. 66 Der Reichsaußenminister verlangte aus außenpolitischen Gründen die Aufrechterhaltung aller „deutschen Betriebe" unter „allen Umständen..., damit uns nicht von Polen entgegengehalten werden kann, daß wir sie kampflos aufgegeben ... und damit einen Verzicht auf oberschlesische Gebiete zum Ausdruck gebracht hätten". Dies sollte eine Notverordnung gewährleisten, „aus deren Wortlaut natürlich nicht ohne weiteres herauszulesen sein dürfe, um welche Unternehmungen es sich handele". Neurath brachte bei dieser Gelegenheit eine neue Spielart ins Gespräch, die sicherlich schon bedacht, aber noch nie so deutlich bezeichnet wurde: die Notverordnung mit kryptonymer Wortwahl für die Öffentlichkeit, die für rechtsförmige Maßnahmen ausreichend schien. Die Umstände und die Höhe der in Betracht kommenden Summen trieben die Angelegenheit mehrmals in Kabinettsberatungen, wo sich der Reichskanzler zu „grundsätzlichen Ausführungen über die Zweckmäßigkeit von Subventionen aus Reichsmitteln" herbeiließ, da doch „die Wiederherstellung der Finanzen in Deutschland das Rückgrat jeder Politik" war. Mit der Erwägung, sich auf die Stabilisierung der Finanzen zu beschränken und zusammenbrechende Unternehmen in Polen später zurückzukaufen, wandte er sich gegen den Außenminister, der zunächst kaum Unterstützung fand. Aber außenpolitische und einige wirtschaftliche Gesichtspunkte wirkten am Ende dann doch zugunsten der Vorlage Neuraths. Der schmale Grat sorgsamer Geheimhaltung wurde weiterhin beschritten, 67 obgleich Papen, Schwerin v. Krosigk, Schleicher und Gayl ihr deutliches Mißfallen an der Subventionierungspolitik zum Ausdruck brachten. Flick, mit dem die Affare begonnen hatte, mußte während der folgenden Monate Presseattacken von allen Seiten durchstehen. Er versuchte sich auf seine Weise zu helfen, indem er als politischer Mäzen
Ausführungen in der Reichsministerbesprechung am 21. Juli; a. a. O., bes. S. 276 ff. Kabinettsvorlage mit Schreiben Neuraths an Warmbold vom 14. Juli; A D A P , B, X X , S. 4 8 1 - 4 8 6 . 67
Zur Abdeckung einer Reichsbürgschaft wurde eine Ermächtigung in die Verordnung
des Reichspräsidenten zur Belebung der Wirtschaft v o m 4. September 1932 eingefügt (RGBl I, 1932, S. 429, II. Teil, § 1, Ziffer 2).
Das präsidentielle Regierungssjstem
mit dem Reichskanzler Fran^ v. Papen
901
auftrat und in alle Richtungen Gelder spendete, schließlich auch an die NSDAP, 68 ehe er im Frühjahr 1933 sein Aufsichtsratsmandat in der IG Kattowitz-Laura niederlegte.
Eine Kontroverse
Bülow-Schleicher.
Vorentscheidungen in Genf
Die innerpolitischen Vorgänge überschatteten die außenpolitischen. Nachgerade unauffällig versuchte Staatssekretär v. Bülow schon während der ersten Tage der Amtszeit Papens und Neuraths, das nach Bessinge verlorengegangene Einvernehmen mit dem Reichswehrministerium möglichst rasch wiederherzustellen. In großer Eile legte er am 2. Juni einen neuen „Entwurf zu Richtlinien für die Abrüstungsbesprechungen" vor, „die der ursprünglichen Instruktion an die Abrüstungsdelegation und dem gegenwärtigen Stand der Verhandlungen zwischen den Delegationsführern in bezug auf eine Regelung der Grundprobleme entsprechen". 69 Der letzte Teil dieser Situationsbestimmung bezeichnet — unter Vermeidung genauer Angaben — im Grunde nur die Gespräche von Bessinge; denn die voraufgegangenen Erörterungen mit Tardieu hatten nichts ergeben. Das Ganze sei notwendig, so Bülow, weil in Lausanne „versucht werden muß, die ... Anerkennung des deutschen Standpunktes auch bei den Franzosen durchzusetzen..." Er präsentierte gewissermaßen das Resümee von Bessinge in gefälliger und fast beiläufiger Form: „Mit Rücksicht darauf, daß ein unserer primären Forderung [Gleichstellung der Rüstungsniveaus] entsprechendes Rüstungsniveau bei der ersten Konferenz [in Genf] nicht erreicht werden kann, daß aber in kurzer Frist weitere Abrüstungskonferenzen das allgemeine Rüstungsniveau weiter senken sollen, verzichten wir auf Aufrüstung und sind grundsätzlich bereit, auf unserem jetzigen Rüstungsstand die künftige Entwicklung abzuwarten" — ein bemerkenswerter Einfall, die vermutete Erfolglosigkeit verdeckter Rüstungsambitionen schmackhaft zu machen. Er sugge68
Erster Versuch einer historischen
Bearbeitung
dieses Komplexes
von
George
W. F. Hallgarten, Hitler, Reichswehr und Industrie. Zur Geschichte der Jahre 1 9 1 8 — 1933, Frankfurt a.M. 1955, S. 108, auf Grundlage des Materials des Nürnberger Flick-Prozesses, jedoch mit einigen Irrtümern und einer chronologisch verfehlten Zuweisung der Affare in die Verantwortung der Regierung Papen. Danach kurz, aber korrigierend Gerhard Schulz, Die Anfänge des totalitären Maßnahmenstaates, in: Bracher, Machtergreifung (1. Aufl. 1960), S. 403; veränderte Angaben v o n Hallgarten, Hitler, ND 1962. Über die Spendenangelegenheit Turner, Großunternehmer, S. 3 1 0 ff. m
Bülow an Neurath, 2. Juni, und anliegende Richtlinien, „ganz geheim"; ADAP, B,
X X , S. 229 — 232. Zu Inhalt und Fortgang einige Beobachtungen bei Deist, Schleicher.
902
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
rierte die Permanenz oder mehrfache Erneuerung der Abrüstungskonferenz, von der bislang nie offiziell gesprochen worden war. Sie lag allerdings nahe und ließ sich vielleicht sogar von deutscher Seite herbeiführen. Dies darf man als einen Versuch des Staatssekretärs betrachten, den Reichswehrpolitikern die Durchsetzung eines Entweder-oder-Standpunktes, mit dem Hintergedanken eines Verlassens der Abrüstungskonferenz, beizeiten auszureden. Von den weiteren Gesichtspunkten, die Bülow entwickelte, verdient vor allem einer Beachtung, der aus dem Gespräch von Bessinge hervorging, den Bülow aber juristisch genauer umschrieb und mit einem neuen, offenbar von ihm erfundenen Begriff einführte, dem der „theoretischen Gleichberechtigung", die eben darin lag, daß die Rüstungsbestimmungen für Deutschland und die anderen Staaten in Gestalt einer allgemeinen Rüstungskonvention an die Stelle von Teil V des Vertrages von Versailles traten. Bülow war es ebenso wie Brüning darum zu tun, die Konferenz von Lausanne mit einem Erfolg ausgehen zu lassen und daher die in Aussicht stehenden Vorbesprechungen der späteren Abrüstungskonferenz zu entschärfen. An den Reichswehrminister richtete er die Mahnung: „Der Angelpunkt einer Verständigungsmöglichkeit liegt in der Tatsache, daß wir tatsächlich in den nächsten Jahren aus finanziellen Gründen zu einer irgendwie nennenswerten Aufrüstung nicht in der Lage sein werden." Das hätte ein Satz von Brüning sein können, und vielleicht war es einer. Bülow legte die Richtlinien seinem Minister und dem Reichskanzler vor und veranlaßte eine Chefbesprechung, 70 in der neben Papen auch Schleicher zustimmte, aber doch die Maßgabe durchsetzte, „daß das taktische Verhalten der deutschen Vertreter unter allen Umständen vermeiden müsse, Anlaß zu einer Polemik in der deutschen Öffentlichkeit . . . z u geben". Der General ließ sich scheinbar auf das Spiel Bülows ein, versuchte aber, jede denkbare Sicherung gegen Angriffe von rechts in Deutschland zu schaffen. Das gab Bülow auch so nach Genf an Nadolny weiter, den er um eine Zusammenstellung der deutschen Petita auf Grund dieser Weisung bat, um sich seinerseits abzusichern. Dem kam Nadolny auch nach, jedoch in Konkurrenz mit dem Reichswehrminister, der — offenkundig unter dem Einfluß der Rüstungsspezialisten seines Ministeriums — wieder umschwenkte, die Richtlinien kritisierte und die materielle „völlige Gleichberechtigung" verlangte, die „de facto durch eine
70
A R : Papen, 1, S. 15 ff.
Das präsidentielle
Regierungssystem
mit dem Reichskanzler
Fran\ v. Papen
903
deutsch-französische Verständigung über die tatsächlichen deutschen Rüstungszahlen eingeschränkt werden könnte", aber „nur bis zur nächsten Abrüstungskonferenz", die „spätestens in 5 Jahren wieder stattfinden müßte. Die von Ihnen vorgeschlagene Formel ist schon im Hinblick auf die für uns besonders dringliche Milizfrage nicht ausreichend." 71 Bülows Vorschlag war also reflektiert worden und erfuhr eine Variation im Reichswehrsinne. Damit war der heikelste und strittigste Punkt erneut kontrovers ins Gespräch gebracht. Schleicher versuchte, Rüstungsziele und Abrüstungsverhandlungen aufeinander abzustimmen. Bülow erwiderte mit einer geänderten Fassung seiner Richtlinien. 72 In beziehungsvoller Anspielung hatte Schleicher vorgeschlagen, Nadolny und Blomberg aus Genf nach Berlin zu zitieren. Bülow kam dem zuvor. Er präzisierte in einem ersten Teil der Richtlinien unter der Überschrift „Das interne deutsche Ziel" die grundsätzlichen deutschen Forderungen, während der begründende Teil unverändert blieb; auf eine Erwähnung der „Milizfrage" ließ er sich nicht ein. Beim Stande der Verhandlungen konnte er im übrigen dem Reichswehrminister mit äußerlichen Konzessionen ohne Bedenken entgegenkommen. Daß er das ganze Manöver auch so auffaßte, läßt ein handschriftlicher Randvermerk des Staatssekretärs vermuten, der die mehrseitigen Ausführungen in den wesentlichen Punkten zusammenfaßte und bequemen Lesern im Amt die Lektüre ersparte: „1) Abrüstung so weit als möglich. 2) Auf dem erreichten Niveau verlangen wir Gleichberechtigung. 3) Über die Zahlen lassen wir mit uns reden." Das war in der Tat der Kurs, auf dem ein einfallsreicher und Vereinfachungen nicht scheuender Kopf wie Bülow nachgerade mühelos die Gespräche von Bessinge mit der künftigen Haltung einer deutschen Delegation ohne Zeit- und Ansehensverlust verbinden konnte. Reichsaußenminister v. Neurath störten diese Regularien nicht; er trat auch diesmal fürs erste gar nicht in Erscheinung. Doch auf der Reise nach Lausanne übergab Neurath dem Staatssekretär überraschend ein neues Votum des Reichswehrministers, der den Grundsatz völliger Gleichberechtigung „praktisch durch Aufnahme von Rüstungszahlen in die Konvention sichergestellt" haben wollte. In der nun definitiv mit fünf Jahren angesetzten ersten Konventionsperiode bedeutete dies für das Heer „Parität mit Frankreich oder mindestens Parität mit Polen und Tschechoslowakei", für die Marine „Parität mit Frankreich
71 72
ADAP, B, X X , S. 2 6 7 - 2 7 5 , 283, Anm. 3. a. a. O., S. 2 8 2 - 2 8 7 .
904
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
bzw. Italien". 73 In der Unbedingtheit der Formulierung scheint das Bestreben nach Anpassung von Konferenz-Traktanden an Rüstungspläne des Reichswehrministeriums durch. Daß Schleicher dies erst nach der Abreise Bülows — und Neuraths wie Papens — von Berlin eilig nachschob, läßt vermuten, daß ihm inzwischen neue Informationen oder Überlegungen zugegangen waren. Die Erwähnung Blombergs, der sich vermutlich wieder in Berlin aufhielt, gibt auch diesmal den entscheidenden Hinweis. Bülow wehrte auch diesen neuen Vorstoß ab. In Lausanne eingetroffen, schrieb er sogleich, ohne sich auf eine tiefer dringende Erörterung einzulassen, einen in der Sache alle Punkte ablehnenden Brief. 74 Er schloß mit einer Bemerkung über Nadolny, die einerseits klärte, daß sich Bülow nicht als Vermittler zwischen dem Reichswehrminister und dem Botschafter betrachtete, aber anderseits andeutete, daß er über die unmittelbare Verbindung zwischen beiden Bescheid wußte. 75 Die Weisungen der Reichswehr an Nadolny konnte er allerdings nicht unterbinden. Diese Kontroverse lief aber an den Realitäten der Verhandlungssituation schon vorbei. Das mit Brüning in Aussicht genommene Vorgespräch über Abrüstung, vor Beginn der Reparationskonferenz in Lausanne, fand ohne ihn und ohne deutsche Beteiligung statt. 76 Am 14. Juni trafen sich Herriot, MacDonald und Sir John Simon in Genf. Herriot erklärte sich in diesem Kreise außerstande, mit Deutschland außerhalb der Bestimmungen von Versailles zu verhandeln. Der französische Kriegsminister Paul-Boncour nahm in der Abrüstungskonferenz einen ähnlichen Standpunkt ein. MacDonald gab zu verstehen, daß in London die City entschiedener als je zuvor auf völliger Beseitigung der Reparationen bestand, was seiner Meinung nach dazu führen werde, daß sich die Franzosen zu Konzessionen in der Abrüstungskonferenz nicht mehr bewegen ließen. 77
73
a. a. O., S. 304 f., Anm. 2. Vgl. Bennett, Rearmament, S. 174 f.; Va'isse, Sécurité d'a-
bord, S. 259 f. 74
Bülow an Schleicher, 16. Juni; a. a. O., S. 304 ff.
'5 Nadolny erhielt durch Blomberg die gleiche Denkschrift Schleichers, jedoch mit anderer Überschrift, „ganz geheim": „Ziele für Heer und Luftstreitkräfte des Heeres, aufgestellt v o m Reichswehrministerium, gebilligt v o m Reichskanzler". Blomberg hatte dies dahingehend kommentiert, daß es sich um „letzte Zugeständnisse" handle; der „Ausgangspunkt" müsse höher ansetzen. Sten Nadolny, Abrüstungsdiplomatie 1932/33. Deutschland auf der Genfer Konferenz im Übergang v o n Weimar zu Hitler, München 1978, S. 404, A n m . 79. 76
Gibson an Stimson, 5. Juni; FRUS 1932, I, S. 152 f.
77
Gibson an Stimson, 14. Juni; a. a. O., S. 169 f.
Das präsidentielle
Repierungssystem
mit dem Reichskanzler
Fra«% v. Papen
905
Schon am 11. und 12. Juni hatten sich MacDonald, Sir John Simon, Botschafter Lord Tyrrell und Clive Wigram mit Herriot und Alphand, am nächsten Tage auch mit dem Finanzminister Germain-Martin in der englischen Botschaft in Paris getroffen und die Frage der Reparationen und der deutschen Zahlungsverpflichtung besprochen. 78 Nach einigen Mühen einigte man sich auf den Vorschlag, Deutschland zuzugestehen, daß es jetzt nicht zahlen könne und zum 1. Juli 1932 keine Zahlungen leisten müsse, für die Zukunft jedoch noch eine vorsichtige Formel zu beraten und nichts zu präjudizieren. Herriot bestand darauf, daß man schrittweise vorging, um eine europäische Vereinbarung und schließlich eine endgültige Lösung zu finden, die die Grundlage des europäischen Rechtszustandes nicht preisgab. Im Hinblick auf die Lausanner Konferenz lauteten die Prognosen pessimistisch; sie ließen einen raschen Erfolg nicht vermuten. 7 9 Die Vorbereitungen für die britische Empire-Wirtschaftskonferenz im Oktober in Ottawa und eine Weltwirtschaftskonferenz in London, die danach stattfinden sollte, begannen die Reparationsfrage zu überschatten. Der Reichskanzler dämpfte im Kabinett alle hochgespannten Erwartungen. „Eine fest umgrenzte Instruktion werde man der Delegation wohl nicht erteilen können. Das Ziel müsse sein, auf dem Wege der endgültigen Lösung der Reparationen so weit zu kommen, wie dies nach Lage der politischen Verhältnisse in Lausanne möglich sei." 80 Daß die Regierung in dieser Frage nicht unter demselben Erfolgsdruck stand wie Brüning, der sich auf diese Weise nach rechts zu behaupten und nach links zu verteidigen versuchte, sprach Schleicher aus, obgleich er im Hinblick auf die Abrüstungsverhandlungen einen anderen Konnex hergestellt hatte. Doch der Wind hatte sich gedreht; die Reparationen erschienen bereits wie Traktanden von gestern. Nun galt, „daß man die Abhängigkeit der innerdeutschen Finanz- und Wirtschaftspolitik von der Reparationspolitik nicht übertreiben dürfe". 8 1 Dies führt nochmals vor
78
DBFP, 2, III, S. 1 7 3 - 1 8 4 . Genaue Darstellung der kritischen Punkte Herriot, Jadis,
2, S. 317. Simon übergeht in seinen Erinnerungen alle Differenzen; Retrospect. The Memoirs of the Rt. Hon. Viscount Simon, London 1952, S. 188. 75
Der Reichsbankpräsident leitete Papen eine Mitteilung Hülses, des deutschen Gene-
raldirektors der BIZ, v o m 7. Juni zu: „Niemand rechnet mit einem günstigen Ausgang der Lausanner Konferenz." A R : Papen, 1, S. 39 ff. 80
Reichsministerbesprechung am 13. Juni; a . a . O . , S. 69 — 72.
81
Vgl. Geyer, Aufrüstung, S. 292; ders., Rüstungsprogramm, S. 133. Von einer durch
die Reichswehr geförderten „neuen expansiven Finanzpolitik" kann im Mai 1932 noch keinesfalls die Rede sein; hierzu fehlte es schon an präzisen finanzpolitischen Zielsetzungen
906
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
Augen, welche Wirkungen die Erklärungen des ehemaligen Reichskanzlers am Ende tatsächlich erreicht hatten. Nun mehrten sich Gegenstimmen in dichter Folge. Zudem teilte Hoesch aus Paris in einem moderaten Bericht über die englisch-französischen Gespräche mit, daß ein unbefristetes Moratorium zum 1. Juli in Aussicht stünde, aber alle grundsätzlichen Regelungen im weitesten wirtschaftlichen und politischen Zusammenhang erst später angebahnt würden, so daß es ratsam sei, den Augenblick für das erreichbare Ergebnis zu nutzen und, „wenn irgend möglich, jetzt mit Herriot abzuschließen". Einige Tage vorher hatte Fran^ois-Poncet avisiert, daß die französische Regierung auf ihre vertraglichen Rechte nicht „ausdrücklich" verzichten könne, aber Herriot für eine Vertagung der Reparationsfrage sine die zu haben sei. 82 Mehr schien nicht in Aussicht zu stehen. Der Entschluß der Regierung Papen, eine vollständige Liquidation der Reparationsverpflichtungen durchzusetzen, fiel denn auch um Grade weniger unbeirrt aus als vordem. Die ursprünglich für die Reparationspolitik und die Revisionsforderung der Regierung Brüning maßgebende Motivation, durch eine klare rechtliche Entscheidung die wirtschaftliche Handlungsfreiheit Deutschlands wie seine uneingeschränkte Kreditfähigkeit wiederherzustellen, der auch die aufwendige Bankenstützung, die konservative Währungspolitik Luthers und Brünings und zahlreiche finanzpolitische Bestimmungen in den großen Notverordnungen dienten, kam außer Sicht. Neue nationalpolitische Gesichtspunkte drängten weltwirtschaftliche Orientierungen zurück.
Papen in Lausanne Den Auftakt in Lausanne meisterte Papen mit einigem Geschick. In deutsch-französischen Fragen war er kein Neuling. In dem deutschfranzösischen Studienkomitee, dem „Comité Mayrisch", stand er seit längerem in Verbindung zu überwiegend konservativen Kreisen der
— auch in der Reichswehr. Aber Groeners Auffassung, daß man „zweifellos auf dem Wege der Geldbeschaffung sowieso nach neuartigen Aushilfen wird suchen müssen", deutet tastende Versuche nach neuen Finanzierungsquellen und die Bereitschaft, solche Pläne zu fördern, deutlich an. G r o e n e r an Brüning, 13. April 1932; Rüstungsprogramm, S. 152 f. 82
Telegramme von Hoesch an das Auswärtige Amt, 11. u. 13. Juni; A D A P , B ,
S. 287 ff., 298 ff.; Aufzeichnung Bülows, 8. J u n i ; a. a. O . , S. 2 5 4 ff.
XX,
Das präsidentielle Regierungssystem mit dem Reichskanzler Fran\ v. Papen
907
Schwerindustrie in Frankreich. 83 Gleich nach der Eröffnungsrede MacDonalds stattete er als erstem Herriot einen Besuch ab, den dieser zum Anlaß nahm, die jüngsten französischen wirtschaftlichen Schwierigkeiten den häufig erörterten deutschen entgegenzuhalten, um die Erwartung auszudrücken, daß Deutschland später, „wenn es ihm wieder besser gehe", doch „gewisse Zahlungen leiste". 84 Papen blieb bei völliger „Schuldenstreichung". Im Verlaufe des Gesprächs berührte er nacheinander jene Gesichtspunkte der deutschen Außenpolitik, die auf der Tagesordnung einer Revision von Versailles standen, so die Frage der Ostgrenzen und die Gleichberechtigungsthese für eine künftige Abrüstungskonvention. Er pointierte dies aber mit der Behauptung, daß das französische Sicherheitsbedürfnis hiervon nicht tangiert und keine große Aufrüstung „beabsichtigt werde", daß er vielmehr mit Frankreich Unterhaltungen hierüber pflegen wolle, womit er auf den zuletzt mehrfach geäußerten Gedanken ständiger wechselseitiger Konsultationen anspielte, was Herriot günstig aufnahm. Offenkundig war es Papen mit dem Gedanken einer deutsch-französischen Verständigung ernst; in dieser Hinsicht hatte Schleicher gar keine schlechte Wahl getroffen. Auch die Ratschläge in bezug auf Herriots Europa-Ideen beherzigte der Kanzler. Er entwickelte dem französischen Ministerpräsidenten noch viel weitergehende Gedanken, als den Anschauungen Bülows entsprach. Für die Beseitigung gewisser Klauseln des Vertrages von Versailles, für die Streichung des Kriegsschuldartikels 231 und die Anerkennung einer Gleichstellung der Rüstung Deutschlands mit der anderer Staaten bot er einen Konsultativ-Vertrag mit dem Ziel eines Bündnisses und eine ständige enge Zusammenarbeit der Generalstäbe an. 85 Diese Vorschläge 83
Fernand L'Huillier, Dialogues franco-allemands 1 9 2 5 - 1 9 3 3 ,
Paris 1 9 7 1 , S. 170,
111 —120. Dieses Comité franco-allemand d'Information hatte der luxemburgische Präsident des Stahlkonzerns Burbach ( A R B E D ) sowie der Internationalen Rohstahlgemeinschaft 1926 ins Leben gerufen. A u s Kreisen der deutschen Wirtschaft gehörten ihm an: Bruhn (Krupp), Bücher, Deutsch ( A E G ) , Diehm (Kalisyndikat), Frowein, Müller-Oerlinghausen (RDI), Louis Hagen, Haniel (Gutehoffnungshütte), v. Mendelssohn, Ernst Poensgen (Ver. Stahlwerke), v. Simson (IG Farben), v. Stauss (Deutsche Bank), Stimming (Norddeutscher Lloyd), Fritz Thyssen, Max Warburg, Frhr. v. W i l m o w s k y und Otto Wolff, aber auch ehemalige Minister, Diplomaten und Politiker, wie Hellpach, Papen, Graf Praschma und der ehemalige Reichsaußenminister und Reichsgerichtspräsident Simons. Die französische Seite war ähnlich repräsentativ zusammengesetzt. 84
Telegramm Neuraths an das Auswärtige Amt, 16. Juni; ADAP, B, X X , S. 309 ff.
85
Die kürzeren Mitteilungen von Papen, Wahrheit, S. 202 f., werden durch ausführliche
in den Memoiren von Herriot, Jadis, 2, S. 321 ff., bestätigt und erweitert. Auch eine gemeinsame Politik gegenüber der Sowjetunion und politische Garantien, etwa hinsichtlich
908
/K.
Vollendung und Scheitern des präsidentiellen Systems
nahmen sich auf deutscher Seite einigermaßen originell aus, wenn auch die Möglichkeit fehlte, Seriosität und Tiefenschärfe präzis festzustellen. Einen günstigen Eindruck vermittelte am nächsten Tag Papens konziliante Rede in der zweiten Plenarsitzung der Konferenz. Das Manuskript hatte er noch in letzter Stunde revidiert, um es dann, einem raschen Entschluß folgend, in französischer Fassung vorzutragen, was als forsche Neuerung der Konferenz-Praxis auch auf Kritik stieß und dem Kanzler in Deutschland keinen Beifall brachte. 86 Doch die Gespräche entfernten sich von dem Konferenzthema der Reparationen, als gäbe es hierzu nichts mehr zu verhandeln, als Papen Herriot über den Entwurf eines deutschfranzösischen Vertrages unterrichtete, in dem sich nun die Möglichkeit einer Annäherung abzeichnete. Zwei Monate zuvor hatte es noch so ausgesehen, als habe Deutschland gerade mit Frankreich die größten Schwierigkeiten und sei es auf den bevorstehenden Konferenzen von Lausanne und Genf auf tatkräftige Hilfe und Vermittlung Englands und der Vereinigten Staaten angewiesen, deren Vertreter sich ob dieser Wechselhaftigkeit irritiert zeigten. Als vorzeitige Pressemeldungen hierzu erschienen und Papen sich wieder zurückhaltender gab, 87 kam es — ganz im Sinne der im Lyoner Gespräch von Herriot bezeichneten Linie — zu einem engeren französisch-englischen Zusammengehen auf der Konferenz, wobei der französische Ministerpräsident der Reparationsfrage wieder den ihr gebührenden Vorrang zuwies. Er stellte eine Vergleichsrechnung — nach dem Baseler Bericht — an, der zufolge sich die Schuldenlast Deutschlands auf 12 Milliarden, die Frankreichs auf 51 und die Englands auf 130 Milliarden RM belief, so daß eine Streichung der Reparationen Deutschland eine privilegierte Position verschaffen würde, 88 womit er dem Reichskanzler und seiner Delegation die Aufgabe beträchtlich erschwerte. Die Gespräche der folgenden Tage wurden deutscherseits von dem Versuch bestimmt, den französischen Bemühungen um eine Reduktion der Zahlungen die völlige Streichung der Reparationsverpflichtungen entgegenzuhalten, wobei neue kühne Angebote Papens — etwa einer deutsch-französischen Zollunion und einer militärischen „Entente" —
der Ostgrenze, wurden genannt. In der deutschen Aktenüberlieferung hat dieses Gespräch, von der knappen telegraphischen Mitteilung Neuraths an das Auswärtige Amt abgesehen, keinen Niederschlag gefunden. 86 AR: Papen, 1, S. 9 2 - 9 9 ; auch Papen, Wahrheit, S. 200; DBFP, 2, III, S. 1 9 6 - 2 0 2 . 87 DBFP, a. a. O., S. 271 f. 88 a. a. O., S. 204 ff., 280; Herriot, Jadis, 2, S. 325 f.
Das präsidentieUe Regierungssystem
mit dem Reichskanzler
Fran\ v. Papen
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als Gegenleistungen ins Spiel kamen, die jedoch zusehends an Wert verloren und keinen Neuigkeitswert mehr besaßen. 89 In voreiligem, völlig verfehltem Euphemismus gab der Reichskanzler unmittelbar vor einem kurzen Zwischenaufenthalt in Berlin dem „Matin" ein Interview, in dem er euphorisch erklärte, er sei „der erste, der anerkenne, daß Frankreich bei der sogenannten Reparationsliquidierung ein Anrecht auf eine Kompensation hat". Auf diese Fanfare folgte die Schamade in Berlin. Vor der überraschten deutschen Presse erklärte er dies als einen Irrtum und zeigte er sich unnachgiebig, so daß in Lausanne der Eindruck eines plötzlichen Stimmungswandels entstand und Herriots skeptische Frage: „Avec qui traiterons-nous?" sich auch für MacDonald und die Engländer in ähnlicher Weise stellte. 90
Schleicher versucht, die Außenpolitik einem Primat der unterzuordnen
Militärpolitik
Mehrere Momente bestimmten die Schlußphase in Lausanne, die schließlich ganz in den Schatten der Abrüstungskonferenz in Genf geriet, an der wieder die Vereinigten Staaten teilnahmen. Da sich die Genfer Verhandlungen über schwierige Detailfragen hinschleppten, griff nach fortlaufender telegraphischer und telefonischer Berichterstattung durch den Delegationsvorsitzenden Gibson Hoover selbst ein. Am Abend des 21. Juni ließ der Präsident eine mit Stimson besprochene Stellungnahme telegraphieren, mit der er das störrische Pferd von der anderen Seite aufzäumen wollte, indem er sich nun für strikte Begrenzung der Rüstungsausgaben aussprach. Am folgenden Tage ließ er dies der Presse mitteilen, um die Genfer Verhandlungen voranzutreiben. 91 Doch hiermit stieß er auf heftige Ablehnung sowohl der Franzosen als auch der Engländer. Das Ergebnis wandelte die Lage in Genf lediglich insofern, 89
Aufzeichnungen Bülows und Papens über Gespräche mit Herriot am 24. und 29. Juni;
A D A P , B, X X , S. 3 5 4 f . , 374 ff.; Herriot, a. a. O., S. 338 ff., 347. 90
Schulthess 1932, S. 1 1 2 f.; Herriot, a. a. O., S. 342; Marquand, MacDonald, S. 720 f.
91
FRUS 1932, I, S. 212 f. Zur Festlegung der Stärke der Landstreitkräfte z. B. gab die
Stellungnahme einen einfachen Schlüssel an: „Under the Treaty of Versailles and the other peace treaties, the armies of Germany, Austria, Hungary and Bulgaria were reduced to a size deemed appropriate for the maintenance of internal order, Germany being assigned 1 0 0 000 troops for a population of approximately 65 000 000 people. I propose that w e should accept for all nations a basic police component of soldiers proportionate to the average which was thus allowed Germany and these other states." Zur Vorgeschichte und zum Ende a. a. O., S. 1 8 0 - 2 2 5 .
910
IV.
Vollendung und Scheitern des präsidentielien Systems
als sich die beiden Mächte nun für eine enge Kooperation ä deux und eine gemeinsame Resolution über die bisher erzielten Erfolge entschieden. Ohne diese Vorgänge in Einzelheiten zu kennen, hatte Schleicher inzwischen in der Auseinandersetzung mit Bülow seinen Forderungen mit Schärfe neuen Nachdruck verliehen. 92 Sein Brief glich einer Ohrfeige, aber keiner diplomatischen. Bülow sandte daraufhin den Schriftwechsel mit Schleicher mit der Bitte um Stellungnahme Weizsäcker und Nadolny in Genf zu, die nicht zugunsten des Reichswehrministers ausfiel. 93 Entsprechend ablehnend, wenn auch formsicher und verbindlicher im Ton, antwortete Bülow dem General, 94 der eine deutliche Probe seiner politischen Absichten gegeben hatte. Er bekümmerte sich in Angelegenheiten der Reichswehr, über die er selbst keine Rechenschaft ablegte, weder um Zuständigkeiten noch Kabinettsbeschlüsse und ließ sich auch nicht durch Einsichten, Erfahrungen, Kenntnisse und Handlungsweisen der Diplomaten beeindrucken, sondern beanspruchte Maßgeblichkeit seiner Weisungen auch für ihr Ressort, sobald er es für richtig hielt. Sogar in der Wahl der Formen unternahm der General nicht einmal bescheidene Versuche, die Stellung des Reichsaußenministers und des Reichskanzlers, die er sichtlich für abhängig hielt, zu respektieren. Zu einer Zeit, da die wirtschaftliche Krise und die Notlage des Reichshaushalts die schlimmsten Formen annahmen, verfolgte Schleicher vorbehaltlos die Rüstungspläne der Reichswehr, setzte er das Auswärtige Amt und die Abrüstungsdelegation in Genf unter Druck, um seine Forderungen durchzusetzen — mit der Alternative eines Rückzugs aus Genf. Da die Stellungnahme Hoovers eine beschleunigte Beschlußfassung der Genfer Konferenz beabsichtigte und trotz einiger Verwirrungen schließlich auch erreichte, sah sich die deutsche Delegation angesichts der Forderungen der Reichswehr einem drückenden Handlungszwang ausgesetzt. Unterdessen fiel in den Reparationsverhandlungen zu Lausanne MacDonalds Vermittlung zwischen Deutschland und Frankreich zunehmend zurückhaltender aus und wurde am Ende eine auf vier bis fünf Milliarden RM bezifferte Abschlußzahlung vorgeschlagen, durch 92 23. Juni; ADAP, B, X X , S. 351 - 354. Auffallend ist die in Briefen dieser Art zwischen Persönlichkeiten dieser Stellung ungewöhnliche Geschäftsmäßigkeit des Tones. 93 Zit. ebda., Anm. 2. Nadolny antwortete ausführlich und etwas weiter ausholend unter Berufung auf die „Richtlinien, die ... durch Kabinettsbeschluß unter meiner Beteiligung festgesetzt sind ..." Blomberg am 2. Juli an Schleicher: „Nadolny hält sich nur an die Instruktion des Kabinetts Brüning vom 15. Januar 1932." Er bittet, „über diesen sehr wichtigen Punkt eine Entscheidung herbeiführen zu wollen". 94 Erst am 6. Juli; a. a. O., S. 429 ff.
Das präsidentielle Regierungssjstem
mit dem Reichskanzler Franx, v. Papen
911
die weitere deutsche Reparationsleistungen abgegolten werden sollten. 95 Am 30. Juni knüpfte dann Herriot an Papens Versuch, eine deutschfranzösische Verständigung herbeizuführen, wieder an, indem er ihm den Entwurf einer Erklärung übermittelte, die in erster Linie eine erneute Anerkennung völkerrechtlicher Bindungen, auch der Locarno-Verträge, enthielt und insofern nichts Neues brachte, mit Ausnahme einer in dem abschließenden Satz untergebrachten Formel zur Konsultationsverpflichtung („une consultation amicale préalable") — „pour ne pas soulever une question politique affectant leurs intérêts communs". Das war nach Papens Charmeoffensive zu Beginn der Konferenz und seinem eigenen Angebot zu erwarten. Doch Papen versuchte jetzt, dies durch einen Gegenvorschlag zu entkräften, der den deutsch-französischen Disput wieder beendete. 96 Herriot verlangte die Bestätigung von Verpflichtungen als selbstverständliche Gegenleistung der Deutschen für eine Ermäßigung der Abschlußzahlung, während sich der Reichskanzler darum bemühte, möglichst fundierte Erklärungen mit dem Lausanner Abkommen einzuhandeln, die sich dann in Genf politisch ausmünzen ließen. In Berlin verfolgte die Rumpfregierung diese Entwicklung, indem sie in ganz und gar ungewöhnlicher Form, weitab vom Verhandlungsort, die deutsche Delegation und den Reichskanzler unter Druck hielt. Der — neben Gayl — das Wort führende Reichswehrminister setzte die schlichte und unsachliche Forderung durch, Deutschland müsse erklären, daß es „nicht zahlen könne, solange es als zweitklassige Nation behandelt werde". Offen gegen eine Empfehlung Gayls Stellung nehmend, verlangte Schleicher, „daß die Ehrenerklärung der anderen Mächte" die „Voraussetzung für jedes deutsche Zugeständnis sein müßte ... Die deutsche Öffentlichkeit würde es nicht verstehen, wenn nunmehr auf alle politischen Forderungen verzichtet würde, nachdem sie öffentlich gestellt worden seien." Natürlich war es ihm um einen Bonus für die Verhandlungen in Genf zu tun. Der derbe demagogische Ton und eine Darstellungsweise, die die Tatsache verkannte oder verschleierte, daß sich Deutschland um Konzessionen in der einen wie in der anderen Frage bemühte, hielten nun auch Einzug in die Kabinettssitzungen; die diminuierende Niederschrift der Protokollanten verbirgt dies nicht. 97 Mit
95
a. a. O., S. 3 8 1 - 3 8 9 , 4 1 6 f . , 4 1 8 f . , 421 f.
96
a . a . O . , S. 405 ff., mit der A n t w o r t des Reichskanzlers; nur kurzer Vermerk v o n
Herriot, Jadis, 2, S. 348. 97
7. Juli; ADAP, B, X X , S. 4 3 3 - 4 3 6 ; A R : Papen, 1, S. 1 8 6 - 1 9 0 ; ausführliche Tage-
buchaufzeichnung Luthers; BA, Nachl. Luther/369. Auch die Zurückweisung Schleicher-
912
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
einiger Mühe konnte der Reichsbankpräsident, der nur noch vereinzelt zu Reichskabinettssitzungen eingeladen wurde, erreichen, daß die Entscheidung dem Kanzler und den drei Ministern in Lausanne, Neurath, Schwerin v. Krosigk und Warmbold, belassen wurde. So kam es zur Annahme einer in der Sache für die deutsche Seite erträglichen Endzahlung, die nach dem von Layton entwickelten Plan auf 3 Milliarden RM mit günstigen Modalitäten festgesetzt wurde. Die BIZ erhielt das Recht, in der Höhe dieser Summe frühestens nach drei, spätestens in 15 Jahren fünfprozentige Bonds mit einprozentiger Tilgungsrate zu begeben, so daß sich im Ergebnis die rechnerische Wertstellung sogar noch günstiger ausnahm. Der am 9. Juli unterzeichnete Vertrag 98 enthielt auch eine Reihe von politischen Erklärungen, jedoch nicht von der Art, wie sie Schleicher gern gesehen hätte und Papen erfolglos anstrebte. Der letzte Teil bekundete den gemeinsamen Beschluß zu einer Weltwirtschaftskonferenz. Ein ergänzendes Gentlemen's Agreement zwischen den Alliierten besagte, daß die Ratifikation des Vertragswerkes erst nach einer befriedigenden Vereinbarung zwischen Gläubigern und Schuldnern erfolgen werde. Dieser Konditionszusammenhang war nicht nur als Sicherung für alle Fälle den Vereinigten Staaten gegenüber gedacht, sondern auch als — schwache — Bestätigung des von der französischen Außenpolitik vertretenen Prinzips, Verträge nur im gegenseitigen Einvernehmen zu revidieren. Ministerpräsident und Außenminister Herriot verkündete dies in der französischen Deputiertenkammer in einer Version, die den vorläufigen Charakter der Lausanner Regelung unterstrich." Diese Vorläufigkeit konnte sich allerdings nur auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens, nicht mehr auf die Frage der künftigen Geltung beziehen. Bedeutsamer war die zur gleichen Zeit erreichte Wiederherstellung der Entente cordiale durch eine auf Frankreich und England — nach der voreiligen Zurückweisung durch Papen — beschränkte
scher Tiraden durch Frhr. v. Braun ist deutlich: „Die Ehre Deutschlands könne nicht auf ihr [der Erklärung der Mächte] beruhen, sondern ruhe in sich." Auch Luther: „Das habe mit der Ehre des deutschen Volkes nichts zu tun." 98
Text Johannes Hohlfeld (Hrsg.), Dokumente der deutschen Politik und Geschichte
von 1848 bis zur Gegenwart. Ein Quellenwerk für die politische Bildung und staatsbürgerliche Erziehung, Bd. III: Die Weimarer Republik 1 9 1 9 - 1 9 3 3 , Berlin/München 1 9 5 1 , S. 4 3 7 ff.; Horkenbach 1932, S. 233 ff.; Auszug Schulthess 1932, S. 4 1 0 ff. Text sämtlicher Protokolle der Verhandlungen, auch der voraufgegangenen Gespräche, sowie der ausgetauschten Noten DBFP, 2, III, S. 5 9 5 - 6 0 2 , 1 8 8 - 4 3 7 ; ein erratisches Protokoll vom 7. Juli A D A P , B, X X , S. 4 3 7 - 4 4 7 . '>' DDF, 1, I, S. 50 ff.; Schulthess 1932, S. 299.
Das präsidentielle Regierungssystem mit dem Reichskanzler Fran% v. Papen
913
gemeinsame Erklärung zur künftigen europäischen Zusammenarbeit. Sie kam einem Konsultativpakt nahe und begründete eine sehr weitgehende Zusammenarbeit beider Mächte in allen Fragen auf der Suche nach einer Lösung der Abrüstungsprobleme sowie in weltwirtschaftlicher Hinsicht. 100 Konnte es vielleicht Ende April 1932 so scheinen, als sei Brüning ein Brückenschlag zwischen Deutschland und den beiden angelsächsischen Großmächten gelungen, so zeichnete sich zweieinhalb Monate später die Erneuerung der Entente ä deux ab. Das Ergebnis von Lausanne hätten wohl auch erfahrene Diplomaten oder die Außenminister aushandeln können. Die stillschweigend beschlossene Anwesenheit der Regierungschefs am Konferenzort, deren Notwendigkeit Brünings „Interview" am 9. Januar intendiert hatte, machte einen Auftritt des neuen deutschen Reichskanzlers unvermeidlich, der seine Aufgabe mit Emphase in Angriff nahm. Doch die Entwicklung entglitt seinen Händen. Der Erfolg entsprach am Ende den Erwartungen und Voraussagen der Kenner der Sache. Aber nach mehrwöchigen Verhandlungen leitender Staatsmänner erschien er gering, fiel er, gemessen an den in Deutschland durch Brünings Erklärungen und eine erregte Presse geweckten Erwartungen, enttäuschend aus. Papen sah sich daher nach seiner Rückkehr in Berlin heftiger Kritik und scharfen Angriffen — wie auch Brüning wieder von zwei Seiten her — ausgesetzt. Diejenigen, die von seinem Vorgänger die Maßstäbe bezogen, urteilten abwertend, „Brüning würde ohne Zahlungen durchgekommen sein und noch obendrein die politischen Forderungen durchgesetzt haben", 101 was freilich nur die gleiche Unkenntnis der Gegenseite bekundete, der auch Papen erlegen war. Vor Presse und Öffentlichkeit mußte sich der Reichskanzler gegen Vorwürfe verteidigen, durch das Einbringen politischer Forderungen, die nicht mit der Reparationsfrage verknüpft waren, ein optimales Ergebnis verfehlt zu haben. Er tat dies auf eine die Verhandlungspartner in Lausanne düpierende Weise, indem er sich zu außenpolitischen Zielen bekannte, die der äußersten Rechten, vor allem den Nationalsozialisten
100
DDF, 1, I, S. 30 ff.; DBFP, 2, III, S. 438, 446, A n m . ; Bernstorff an das Auswärtige
Amt, 14. Juli; P A A A B , W. Rep./Friedensvertrag, Allg. 22/Lausanne, 7. 11,1
So zitierte Reichs justizminister Gürtner in der Ministerbesprechung am 11. Juli Fritz
Schäffer, den Vorsitzenden der B V P ; A R : Papen, 1, S. 1 9 5 - 2 0 4 (202). Dieses Protokoll von Ministerialrat Vogels gehört zu den wichtigsten der Nach-Brüning-Zeit. In den Anmerkungen des Bearbeiters ausführliche erklärende Stellungnahmen Papens und Warmbolds in der Pressekonferenz am 1 1 . Juli.
914
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
weit entgegenkamen. Erregt berichtete François-Poncet Herriot: „M. von Papen a annoncé que la conférence de Lausanne marquerait le début d'une ère nouvelle ... On ne peut, cependant, se défendre de l'impression que l'abcès hitlérien empoisonnera encore, pendant un temps difficile à prévoir, l'Allemagne et l'Europe." 102 Innerhalb der Reichsregierung stieß Papen auf die schneidende Kritik Schleichers: „Die. deutsche Delegation habe gesagt, daß Deutschland nicht zahlen werde, weil es nicht zahlen könne. Nachträglich habe man sich dann doch zur Zahlung bereit erklärt, für den Fall, daß politische Bedingungen durchgesetzt würden, d. h. wenn Deutschland ... wieder eine honorige Nation geworden sei. Das politische Ziel sei dann nicht erreicht worden." Gleichwohl sei die Delegation auf „den Zahlungen sitzen geblieben". Papen äußerte die Bereitschaft, seine Demission anzubieten. Schleicher war der einzige, der hierauf einging und zustimmte; Freundschaft schlug in Gegnerschaft um. Der General verband dies mit dem Anspruch, Herr über die Verhandlungen der deutschen Delegation in Genf zu sein, was er, der seit Monaten im Hintergrund die Szene beeinflußte, mit der ultimativen Drohung verknüpfte: „Wenn das Kabinett es für richtig halten sollte, in Genf von der ursprünglichen deutschen Forderung nur im geringsten abzuweichen, werde er nicht einen Tag länger im Amte bleiben können." Mit diesen Worten verlangte Schleicher den schwerwiegenden Entschluß, daß auf der Abrüstungskonferenz „keiner Entscheidung zugestimmt werde, die nicht im gleichen Sinne für alle anderen Mächte gelte". Hierfür erhielt er nur von Magnus v. Braun mäßige Zustimmung; alle anderen Anwesenden gaben der Innenpolitik und dem Wirtschaftsprogramm den Vorrang. Gürtner lehnte es ab, den Reichspräsidenten zu befragen, „ob er das Kabinett im Amte belassen 11,2
DDF, 1, I, S. 1 7 — 21. Der Botschafter sprach jetzt v o n „la révolte ouverte contre le
traité de Versailles". Papen hatte feierlich versichert, daß Deutschland, nachdem es seine wirtschaftliche Freiheit wiedergewonnen habe, den „ K a m p f ' fortsetzen werde, um seine politische Freiheit wiederzugewinnen, sich von der Lüge der Verantwortung f ü r den Krieg zu befreien und seine Rechte auf dem Gebiet der Bewaffnung wiederzuerlangen. Poncet meinte, daß Brünings „Interview" im Januar und die erklärte Weigerung, weiterhin Reparationszahlungen zu leisten, diese Entwicklung eingeleitet hätten. Jetzt behaupteten die Nationalsozialisten, daß Papen zurückgewichen sei, das Zentrum, daß Brüning es besser gemacht hätte, die Sozialisten, daß Papen zwar richtig gehandelt habe, aber Brüning fester geblieben wäre bei der Umsetzung der Ergebnisse der Politik Wirths, Müllers und Stresemanns. Die Stellung der Regierung Papen — „un gouvernement nationaliste, mis par les éléments réactionnaires et militaires" — bleibe zweifelhaft. In der Sache ähnlich, im Ton zurückhaltender, Pressestimmen stärker differenzierend, Sir Horace Rumbold an Simon am 12. u. 13. Juli; DBFP, 2, III, S. 4 4 0 - 4 4 6 .
Das präsidentielle Regierungssystem mit dem Reichskanzler Frarr.j v. Papen
915
wolle oder nicht. Das Kabinett müsse das Gesetz des Handelns behalten" und klarzumachen versuchen, wie man nun weiterkomme. Damit wischte er die Demissionserörterungen vom Tisch. Bülow, vom Reichskanzler unterstützt, tat das gleiche mit Schleichers Absicht, die Regierung für Genf festzulegen; denn der Sachverhalt sei „verwickelter, als das Kabinett im Augenblick annehme". Schleicher fiel mit seinem Aplomb durch und sah sich isoliert. Dies ließ den General aber nicht ruhen. In die Vorbereitung der „Ferienresolution", vor der Unterbrechung der Abrüstungskonferenz, schaltete er sich erneut in der Absicht ein, die Linie des Reichswehrministeriums durchzusetzen. „Wir könnten nur die volle Gleichberechtigung gebrauchen." 1 0 3 Auch der Gedanke, die Konferenz zu sprengen, tauchte auf. Bülow setzte dem entschlossenen Widerstand entgegen, „weil den meisten anderen Staaten in erster Linie daran gelegen ist, Frankreich abzurüsten, und weil ihnen dieser Punkt ungleich wichtiger ist als die deutsche Gleichberechtigung", wie er es in einer Vorlage für den Minister ausdrückte. 1 0 4 In der Tat waren deutliche Worte am Platze. Neurath hielt aber Vorsicht mehr dem Reichswehrminister als Frankreich oder irgendeinem anderen Lande gegenüber für angebracht. Dem französischen Botschafter suchte er die Annahme einer Gleichberechtigungsformel nahezulegen, die „keinerlei Konzession" bedeute. Eine Ablehnung würde bewirken, daß Deutschland „voraussichtlich an einer weiteren Beteiligung an der Abrüstungskonferenz kein Interesse mehr" hätte. 105 Das war in der Sache etwas weniger, als Schleicher wünschte, ließ aber doch das Abschwenken Deutschlands auf einen Sonderweg zur Rüstung als Möglichkeit aufscheinen. Vom Kabinett wurde dies ferngehalten; Neurath teilte schlicht „Übereinstimmung" mit Schleicher mit, während die Reichswehrführung — Schleicher, Hammerstein und Adam, im Einvernehmen mit Blomberg — daran ging, di6 „Mindestforderungen" für die Abrüstungskonferenz nach dem eigenen Aufrüstungsplan zu präzisieren. 106 Das Reichswehrministerium hielt fortan die Weisungen des Außenministers in Abrüstungsfragen unter seiner Kontrolle; und Schleicher verlangte Berücksichtigung seiner eigenen Formulierungen, 1 0 7 ein
103
ADAP, B, X X , S. 450 f.
104
12. Juli; a. a. O., S. 466 f.
"I5 Aufzeichnung Neuraths über sein Gespräch mit Fran$ois-Poncet, 13. Juli; a. a. O., S. 474. 106
AR: Papen, 1, S. 210; ausführlich hierzu Bennett, Rearmament, S. 183 ff.
107
Schleicher an Neurath, 14. Juli; ADAP, B, X X , S. 486 ff.
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IV. Vollendung und Scheitern des präsidentkllen
Systems
alarmierendes Zeichen für die Beschneidung der Bewegungsfreiheit und die beginnende Zermürbung des Auswärtigen Amtes. Das Ergebnis war die Ablehnung der Vertagungsresolution am 23. Juli in Genf durch Deutschland, der sich nur die Sowjetunion anschloß, während sich die Delegierten von Italien, Ungarn, Österreich, Bulgarien, China, der Türkei und einigen anderen außereuropäischen Staaten der Stimmen enthielten. Das ließ Nadolny hoffnungsvoll annehmen, daß „wir ... uns daher sicherlich nicht in die Gefahr der moralischen Isolierung bringen". 108 Doch eine Rundfunkrede Schleichers am 26. Juli, die die Absicht des Ausbaus der Reichswehr andeutete und Vorwürfe, sogar Schmähungen und Beleidigungen Frankreichs und der französischen Politiker, namentlich Herriots, auch eine indirekte Invektive gegen Stresemann enthielt, beschwor neue Erregungen in der französischen Presse herauf. Sie war ausschließlich auf die innere Politik und den Wahlkampf zugeschnitten und zeigte die Annäherung des Generals an Parolen, Schlagworte und Stereotypen der radikalen Rechten an. Indem sie auf dem heikelsten Terrain die Außenpolitik — in einer in Deutschland auffällig tradierten Weise — ausschließlich der inneren Politik subsumierte, stellte sie die Unzulänglichkeiten mehr noch als die Einseitigkeiten des Wehrministers auf diesem Gebiet unter Beweis und vergrößerte sie nur die Ungewißheit anderer Staaten hinsichtlich der künftigen deutschen Haltung. Gewiß hätte „das Auswärtige Amt ihre vorauszusehende schädliche Auswirkung sofort diplomatisch abfangen" müssen. „Doch nichts dergleichen geschah." 109
Deutschnationale fordern Eingreifen in Preußen Die letzten Ereignisse in Genf gerieten wieder in den Schatten der innerpolitischen Vorgänge in Deutschland; die „intransigente Erklärung" Nadolnys wie die Rundfunkrede Schleichers folgten schon der Entwicklung an einem anderen Schauplatz. In bemerkenswerter Konsequenz aus den Prinzipien, die Brüning verfolgt hatte, betonte man den „Glauben an die Festigkeit des deutschen Revisionswillens", in der vornehmlich durch Zeitungslektüre des nächsten Umfelds genährten Annahme, daß Demonstrationen der Entschlossenheit letztlich entscheidend seien; „denn ,0"
Berichte Nadolnys, 21. u. 23. Juli; a. a. O., S. 529 ff., 537 ff.; hierzu auch Gibson an
Stimson, 22. u. 23. Juli; FRUS 1932, I, S. 3 1 2 - 3 2 2 . "" Nadolny, Beitrag, S. 227 ff.; hierzu auch Hoesch an das Auswärtige A m t , 29. Juli; ADAP, B, X X , S. 5 5 3 - 5 5 6 .
Das präsidentielle
Regierungssystem mit dem Reichskanzler Frans^ v. Papen
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wir können nicht mit wirksamer Unterstützung deutscher Revisionspolitik durch andere rechnen, wenn diese nicht die Uberzeugung von unserer eigenen Festigkeit haben". 110 Dieser merkwürdige Stilisierungen wählende politische Provinzialismus, der das Banner hoher Erwartungen vor sich hertrug, suchte auch innerpolitisch gegen den „Widerstand Frankreichs" zu mobilisieren. Allen Ernstes forderte ein hochangesehener Drahtzieher im nationalistischen Verbandswesen, der sich „parteipolitisch nicht gebunden" nannte, aber in engsten militärischen Begriffen dachte, dem „allzulangen Zögern gegenüber der von den Systemparteien vorgeschickten süddeutschen Opposition" ein Ende zu machen und gegenüber Preußen tätig zu werden, dessen Lage „nach unserer Auffassung ein Eingreifen der Reichsregierung spätestens nach dem 31. Juli gebieterisch verlangt. Es wäre sehr zu bedauern, wenn ein weiteres Absinken der Stimmung im nationalen Lager eintreten würde." 111 Derartige Appelle blieben nicht ohne Wirkung, was den Deutschnationalen Hugenbergs schon vor der Wahl neue Perspektiven eröffnete. Um sich der Haltung der anderen Länder zu den Notverordnungen vom Juni zu vergewissern, lud Hirtsiefer, der Vertreter des geschäftsführenden Ministerpräsidenten, die preußischen Minister und die Vertreter Bayerns, Württembergs, Hessens, der drei Hansestädte und einiger kleiner Länder in das preußische Wohlfahrtsministerium ein, um über die Folgen der Notverordnungen und über weitere Schritte zu beraten. 112 Man verständigte sich lediglich auf die Feststellung, daß eine Berechtigung der bevorstehenden Notverordnung — vom 28. Juni — nicht gegeben sei und daß die Notverordnung vom 14. große Erregung in der Bevölkerung verursacht habe. Doch ein erörterter gemeinsamer Schritt beim Reichspräsidenten kam nicht zustande. Größere Entschlußkraft der Länder hätte wohl Wirkungen haben können. So aber nahmen die Dinge ihren Lauf. Auch die Fraktionen der beiden großen Parteien, die hinter der preußischen Regierung standen, SPD und Zentrum, harrten aus, aber handelten nicht mehr. 113 ' 1 0 Graf v. d. Goltz als Präsident der Vereinigten Vaterländischen Verbände Deutschlands an den Reichsaußenminister, 13. Juli; A R : Papen, 1, S. 208, Anm. 1; auch an den Reichskanzler. Neurath erteilte am 15. Juli eine deutlich korrigierende Antwort; Abschr. BA, R 43 1/678. 1,1
Goltz an den Reichskanzler, 1 1 . Juli; a. a. O . , S. 2 0 8 f.
" 2 a. a. O., S. 2 0 4 f . , Anm. 4. 113
Treffend Hömig, Zentrum, S. 265: „Sie verharrten in einer gleichermaßen von Furcht
wie von Resignation geprägten Untätigkeit, die man unter Berufung auf Verfassung und Gesetz zu rechtfertigen und zu verschleiern suchte."
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IV. Vollendung und Scheitern des präsidentieUen
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Wie schon mehrfach entbrannte im preußischen Landtag heftiger Streit, diesmal aus Anlaß eines von der NSDAP-Fraktion eingebrachten Gesetzentwurfes über die Amnestie politisch motivierter Straftäter, die nach einer Reihe von Änderungen beschlossen wurde, jedoch am Einspruch des Staatsrates scheiterte. Die dadurch erforderlich gewordene Zweidrittelmehrheit kam in der Landtagssitzung am 8. Juli nicht zustande. Die einsetzenden Tumulte führten zur Aufhebung der Sitzung und zur Vertagung des Landtags bis zum 24. August, ohne daß der Landeshaushalt noch auf dem Wege der ordentlichen Gesetzgebung verabschiedet werden konnte. 114 Der deutschnationale Fraktionsvorsitzende v. Winterfeld und der Abgeordnete Borck wandten sich daraufhin an den Reichsinnenminister, an den Staatssekretär der Reichskanzlei und brieflich an den in Lausanne weilenden Reichskanzler, um angesichts des Umstandes, „daß eine geschäftsführende Regierung ohne verabschiedeten Etat und mit einem arbeitsunfähigen Landtag die Situation vergeblich zu meistern" versucht, ein „schnelles Eingreifen des Reichs" zu erbitten, „und zwar noch vor den Reichstagswahlen, weil bis dahin die gefahrlichsten Zustände eintreten könnten". 115 Angesichts der polizeilichen Lage sah sich Gayl, dem dieser Vorstoß nicht gelegen kam und der den beiden deutschnationalen Petenten keine eindeutige Antwort gab, 116 am nächsten Tage, dem 9. Juli nachmittags, dann doch veranlaßt, Schleicher aufzusuchen und ihm darzulegen, daß „die Zeit zu einem Eingreifen in Preußen vor der Tür stehe". Diese „Auffassung wurde von dem Reichswehrminister geteilt". 117 Die in emotionsloser Sprache das Wesentliche zusammenfassende Notiz Gayls läßt erkennen, daß für ihn nur der Beweggrund zählte, „daß in Preußen ... gegen Terrorakte nicht mit der genügenden Schärfe" vorgegangen wurde, die er ausschließlich den Kommunisten zur Last legte. Schleicher und Papen hatten sich den Nationalsozialisten gegenüber festgelegt; Frhr. v. Gayl hatte sich dem, wenn auch zögernd, angeschlossen. Nun ermangelten sie der Einsicht, daß dies verfehlt war, die Aufhebung des SA114
Ausführlich Möller, Parlamentarismus, S. 562 ff.
115
Vermerk des Staatssekretärs Planck; A R : Papen, 1, S. 1 9 0 f.; Schreiben Winterfelds
an den Reichskanzler; a. a. O., S. 192 f.; Trumpp, Papen, S. 202—205. 116
Quaatz, Tagebuch, S. 197, bemerkt noch unter dem 15. Juli, daß er einer Abendein-
ladung folgte, um „Gayl zum Absprung in der Preußenfrage zu bringen, einen Staatsstreich durch Absetzung von Braun und Severing zu machen und Reichskommissare einzusetzen". Gayl war „unentschlossen, fürchtete Generalstreik", ließ seine Absichten nicht erkennen. 1,7
53.
Nicht datierter, nicht unterzeichneter Aktenvermerk Gayls, 2 S.; B A , Nachl. Gayl/
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Verbotes nach auslösender Initiative der Kommunisten die Serie von Gewalttätigkeiten zu einer nicht mehr abreißenden Folge verdichtet hatte. 118 Die gleichartigen Reaktionen auf beiden Seiten führten bereits zur Eskalation, ehe die Geschehnisse am Altonaer Blutsonntag in größtem Umfang durch politische und technische Fahrlässigkeit der zuständigen Polizeiinstanz verschuldet wurden. Am Nachmittag des 10. Juli empfing Gayl den aus Lausanne zurückkehrenden Reichskanzler auf dem Anhalter Bahnhof, um ihm eine kurze Schilderung der Lage zu geben, die er am nächsten Morgen weiter ausführte. In der folgenden nachmittäglichen Reichsministerbesprechung trug er seine Version vor mit dem Ergebnis, „daß jetzt für die Reichsregierung der psychologische Moment zum Eingreifen gekommen" und dem Reichspräsidenten eine Verordnung vorzulegen sei, um einen Reichskommissar für Preußen einzusetzen, der „die polizeilichen Verhältnisse ... durch Ersetzung der Polizeipräsidenten in Ordnung" bringen müsse. Als Reichskommissar schlug er den Reichskanzler selbst vor, was er vorher mit ihm vereinbart haben dürfte. Ihm sollten „Unterkommissare" zur Seite stehen. Gayl unterließ es nicht, über den Anlaß hinaus ein weiteres Ziel zu proklamieren: Jetzt sei „die historische Stunde gekommen, um die Beziehungen zwischen dem Reich und Preußen zu regeln. Eine Verwaltungsreform in Preußen werde notwendig sein ... und Süddeutschland müßte über die Absichten der Reichsregierung beruhigt werden." Eine Klage der preußischen Regierung beim Staatsgerichtshof hielt er „für möglich, aber aussichtslos". 119 Auf diese Weise verband er den Anlaß mit weiterreichenden Absichten, die ältere Ideen aufgriffen. Wie bei allen wichtigen Entscheidungen seiner kurzen Amtszeit hatte 1,8
Die K P D hatte bereits die Bildung der Regierung Papen zum Anlaß genommen,
u. a. die Aufhebung des SA-Verbotes anzukündigen, und „ein weitaus verschärftes Stadium" des „Klassenkampfes" propagiert, in dem neue Parolen und massierte Aktionen unter dem Stichwort „Antifaschistische Aktion" entwickelt wurden. Die Eigenart der mit der Offensive der gegnerischen „Klasse" begründeten Aktionen lag darin, daß der Gegner mit aller K r a f t provoziert wurde. Das löste Reaktionen und Überreaktionen aus. Anweisungen des Sekretariats des Zentralkomitees der K P D v o m 4., 16. u. 23. Juni; Weber, Generallinie, S. 4 9 2 - 5 2 6 . Vgl. Liang, Polizei, S. 127 f. 119
11. Juli; A R : Papen, 1, S. 2 0 4 - 2 0 8 ; Vogelsang, Reichswehr, S. 4 7 2 f f . ; Trumpp,
Papen, S. 2 1 9 ff.; UuF, VIII, S. 560 ff. Zum Folgenden vor allem Bracher, Auflösung, S. 5 8 0 f f . ; Trumpp, a . a . O . , S. 1 2 8 f f . ; Bay, Preußenkonflikt, S. 1 0 7 f f . ; Ehni, Bollwerk, S. 2 6 0 f f . ; Schulze, Braun, S. 740 ff.; Mommsen, Freiheit, S. 451 ff. Juristische Durcharbeitung der Literatur von Henning Grund, „Preußenschlag" und Staatsgerichtshof im Jahre 1932, Baden-Baden 1976; politisch-historische Reflexionen von Wolfgang Benz, Immanuel Geiss, Staatsstreich gegen Preußen. 20. Juli 1932, Düsseldorf [1982],
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Gayl gezögert, sich dann aber in einer Zwangslage gesehen, aus der er keinen besseren Weg wußte, als den Aufforderungen der DNVP zu folgen. Er mag, wie manche behaupteten, ein redlicher und rechtlich denkender Mann gewesen sein; doch die Enge seines Vorstellungs- und Aktionskreises stand im deutlichen Mißverhältnis zu dem Maß der Anforderungen an sein Amt in schwerer Zeit. Der Reichskanzler sah einen günstigen Anlaß, das Versagen seiner Politik mit leichter Hand zu camouflieren. „Die Polizeigewalt müsse eine feste Staatsführung spüren. Bisher seien alle Maßnahmen der Reichsregierung durch die Preußische Staatsregierung sabotiert worden."
Die Genese eines
Staatsstreichs
Daß die offiziell zurückgetretene, aber noch geschäftsführende preußische Rumpfregierung des zwar nominell, aber nicht mehr de facto amtierenden, in Krankheit und Depression sich schon auf eine Emigration einstellenden Ministerpräsidenten Otto Braun unter dem von ihm benannten Vertreter Hirtsiefer weder parlamentarisch noch außerparlamentarisch reagieren oder gar regieren konnte, läßt sich nicht bestreiten. Braun hat auch bekannt, daß er sich nicht etwa aus taktischen Gründen zurückzog; er mußte aus taktischen Gründen pro forma noch im Amt bleiben. Man wird ihm darin zustimmen müssen, wie er später die „unhaltbar gewordene Situation" beschrieb: „Nach dem Ausfall der Preußenwahl war ich als leitender Staatsmann ein erledigter Mann. Meine Autorität schwand ... Ein kraftvolles Eingreifen in die Ereignisse war für mich unmöglich geworden." 120 Eine Lösung aus der verwirrten Situation stand aber nicht in Aussicht. Daß die Preußen-Regierung nicht mehr viel ausrichten konnte, erkannte Innenminister Severing. Er bemühte sich seit der Unterbindung seines Rücktritts um vorsichtige und unauffällige Anlehnung an Gayl. Allerdings brachte der Versuch nichts ein. 12 ' Doch den status quo zu behaupten, sich aber auf eine nur noch geschäftsführende preußische Rumpfregierung zu verlassen, erschien in jedem Betracht fragwürdig und letztlich verfehlt. Daß die Opposition ein Einschreiten verlangte, konnte man nicht verwunderlich finden, was kein Urteil über Motive und 120
Braun, Weimar, S. 245.
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Das Folgende faßt schon früher veröffentlichte Gedanken zusammen;
Gerhard
Schulz, „Preußenschlag" oder Staatsstreich? Neues zum 20. Juli 1932, in: Der Staat, 1 7 (1978), S. 5 6 3 - 5 8 1 .
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Qualitäten bedeutet. Die amtierende Rumpfregierung gebot nicht mehr über eine parlamentarische Mehrheit und stützte sich auf eine zusammengeschmolzene Koalition dreier Parteien, von denen eine zur Bedeutungslosigkeit abgesunken war und die zweite in kaum noch geheimen Verhandlungen mit der nationalsozialistischen Opposition stand. Die geschäftsführende Regierung war weder ihrer Polizei ganz sicher, noch hatte die politisch bestimmte Personalauslese in den höheren Rängen des Beamtentums einen der Krise gewachsenen homogenen Block erzeugt. Aus eigener Kraft vermochte sie nichts mehr zur Abwehr der anwachsenden NSDAP und ihrer halbmilitärischen Organisationen und schon gar nichts gegen den ähnlich systematisierten Terrorismus der KPD ins Werk zu setzen. Wenn sie für viele Mitglieder und Anhänger der Sozialdemokratie und für einige anderer Parteien als letztes „Bollwerk" der Demokratie in Deutschland galt und ihre Beseitigung Empörung auslöste, so lassen sich daraus eher Schlüsse auf die verbreitete Furcht vor den weiteren Folgen, aber kaum auf einen Willen und Weg zur Verteidigung der Bastion ziehen. Sie lieferte auch kein Argument gegen die unvermeidliche Ansicht, daß dies ein zweifelhaftes und kaum noch verteidigungsfahiges „Bollwerk" auf schwachem Grunde war. Geschäftsordnungsbestimmungen und -anwendungen mochten den rechtsstaatlichen Schein wahren; aber sie blieben auf längere Sicht unzulängliche Mittel, um eine Krise unbehelligt durchstehen zu können, die der preußische Innenminister schon lange vor der Zuspitzung im Sommer 1932 — und früher als seine späteren Prozeßgegner vor dem Staatsgerichtshof — mit dem Schlagwort „Bürgerkriegssituation" deutlich umrissen hatte. Was auch die Reichsregierung Preußen gegenüber plante, sie wußte, daß sie keine sonderlichen Risiken einging. Das Fanal einer Protestaktion stand kaum zu erwarten. Wer später meinte, daß der Bürgerkrieg und ein Zusammenbruch im Jahre 1932 dem von 1945 vorzuziehen gewesen wären, darf vielleicht für seine Überlegungen Konsequenz behaupten; doch damals hätten dies sehenden Auges nur wenige riskieren können, zumal die preußische Rumpfregierung bestenfalls die schwächeren Bataillone mobilisiert hätte. Und wer dürfte schon annehmen, daß eine Katastrophe „in Ehren", aber unabsehbaren Ausmaßes 1932 die andere von 1945 wirklich ausschließen konnte? Die Reichsregierung riskierte im Grunde nur wenig, allzu wenig, wie hervorzuheben ist; und diesen Umstand nutzte sie bedenkenlos. Der Gedanke, die preußische Regierung kurzerhand mit Hilfe der Diktaturermächtigung des Reichspräsidenten nach dem Artikel 48 der Reichsverfassung zu beseitigen und einen Reichskommissar an ihre Stelle
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zu setzen, war schon vor Jahren als staatsrechtliche Erwägung zur Diskussion gestellt und empfohlen worden. 122 Nunmehr ergab sich alles Wesentliche aus der ungenierten Ausdeutung der mehrfach beschriebenen „Bürgerkriegslage". Da über sie gesprochen wurde, war sie anscheinend da. Noch deutlicher als man es aus den Memoiren Brünings kennt, fallt in mehreren früher angefertigten, aussagekräftigen Aufzeichnungen Gayls die ständige Sorge vor Indiskretionen, geheimen Abhörvorrichtungen und „unterirdischen" Verbindungen von Beamten auf. Der Reichsinnenminister fühlte sich in Berlin wie ein Politiker auf dem Boden einer fremden Macht. Er drückte es jedenfalls so aus und fand es unerträglich, „daß das Reich keine Einrichtungen und Personen hatte [womit er die Polizei meinte], um seine Geheimnisse und seine Sicherheit zu schützen, sondern darauf angewiesen war, sich unter den polizeilichen Schutz der ihm feindlichen Preußenregierung zu begeben..." 123 „Ganz besonders schlimme Zustände" fand er unter „parteigebundenen Beamten" in seinem Ministerium. „Zwischen dem Reichsinnenministerium und den preußischen Regierungsstellen bestand fraglos sehr lebhafter Meinungsaustausch, der bei der damals herrschenden Spannung zwischen dem Reich und Preußen geradezu gefährlich war." Wer „die Zustände" so betrachtete und beurteilte, konnte freilich zu der Folgerung gelangen, daß sie einer radikalen Wandlung unterworfen werden müßten. Demgegenüber kommt einem anderen Gesichtspunkt so gut wie keine Bedeutung zu. Wenn Papen in den letzten Monaten vor seiner Ernennung zum Reichskanzler vom Zentrum eine Öffnung „nach rechts" und Koalitionsverhandlungen mit der NSDAP und DNVP in Preußen gefordert hatte, so kann hieraus keineswegs gefolgert werden, daß er nach seiner Ernennung diese Absicht vorbehaltlos durchsetzen wollte. Inzwischen hatte er sich vom Zentrum getrennt, das zu ihm in der schärfsten Opposition stand. Es wäre verwegen gewesen, gleich zwei gegnerische Parteien, die sich zur Zeit entschieden bekämpften, zusammen- und in die preußische Regierung hineinzubringen. Beide bekämpften auch ihn; die NSDAP wollte die ganze Macht, aber vorläufig in Preußen beteiligt 122
Wiederholt der Staatsrechtler Heinrich Herrfahrdt, der im September 1931 auch
öffentlich die Einsetzung eines Reichskommissars in Preußen vorschlug;
Herrfahrdt,
Reichsreform durch Notverordnung? in: Reich und Länder, V (1931), S. 257 — 261. Frhr. v. Gayl hatte sich ähnlich geäußert. Vgl. Schulz, Aufstieg, S. 679 f. Auch den Gedanken, durch ein Ermächtigungsgesetz „einem bestimmten Gremium das Werk der Reichsreform" zu überantworten, griff Gayl wieder auf; zuerst Herrfahrdt, Reich und Preußen. Vorschläge zur Verfassungsreform, Greifswald 1928. 123
Undatierte Aufzeichnung über das Jahr 1932; BA, Nachl. Gayl/53.
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sein. 1 2 4 Die Akten lassen erkennen, daß Papen von Anfang an nicht auf gleichem Fuß mit Führern der DNVP, der N S D A P und des Zentrums in Preußen verhandelte, um eine Neubildung der Regierung zu fördern. 1 2 5 Von einem „Scheitern der Bemühungen Franz v. Papens um unverzügliche Regierungsneubildung in Preußen" 1 2 6 kann wohl keine Rede sein.
124 Die These von Trumpp, Papen, S. 87, daß Papen mit der Einsetzung eines Reichskommissars drohte, um „eine katalysatorische W i r k u n g " auf die Koalitions- und Regierungsbildung auszuüben, ist schon von Bay, Preußenkonflikt, S. 93, Anm. 492, mit erkennbarer Skepsis übernommen worden — allerdings nur im Hinblick auf die NSDAP. 125 Die von Grund, „Preußenschlag", S. 56, aufgestellte Behauptung, „am 8. Juni sprach Papen mit dem preußischen Wohlfahrtsminister Hirtsiefer und anderen Zentrumsvertretern über seine Pläne", vermittelt einen falschen Eindruck. Tatsächlich fanden zwei Gespräche Papens mit Hirtsiefer statt. Das erste, am 7. Juni, beschäftigte sich mit der Finanzsituation Preußens und den Druckmitteln, die die Reichsregierung anzuwenden bereit war. An ihm beteiligten sich von preußischer Seite Hirtsiefer als amtierender Vorsitzender des Preußischen Staatsministeriums, Finanzminister Klepper und Staatssekretär Schleusener, die beide nicht dem Zentrum angehörten. Gegenstand des Gesprächs bildete die von Preußen gewünschte finanzielle Intervention des Reiches, um das preußische Etatdefizit in Höhe von 400 Millionen R M auszugleichen. Hierüber hatte man schon monatelang mit der Regierung Brüning verhandelt. Daß ein Haushaltsausgleich in Preußen nicht mehr zustande kam, weil viele Gemeinden ihrer Steuerablieferungspflicht nicht nachkommen konnten, ist bisher meist übersehen oder übergangen worden. Hierzu die wichtige Arbeit von Rebentisch, Kommunalpolitik, bes. S. 130 ff. Dieses Problem beschäftigte später auch die Reichskommissare. Am 9. August 1932 schätzte Staatssekretär Schleusener das Kassendefizit Preußens bis Ende 1933 auf ca. 630 Millionen RM. BA, R 43 1/2289; dort auch die Vorgänge, die eine Rekonstruktion der seit Dezember 1931 geführten Verhandlungen zwischen den Finanzministerien Preußens und des Reiches erlauben. — Das zweite Gespräch, das Papen am 8. Juni mit Hirtsiefer und dem Vorsitzenden der Zentrumsfraktion im preußischen Landtag führte, dürfte vom Zentrum angeregt worden sein. Es verlief ohne Ergebnis und leitete zu neuen Verhandlungen des Zentrums mit der NSDAP — hinter dem Rücken des Kanzlers — über, die sich nach kurzer Zeit zerschlugen. Nach Aktenfund im Nachlaß Lauscher Morsey, Zentrumspartei, S. 311. — Papen hatte am 6. Juni auf unübliche Weise den zuvor mit den Stimmen der Zentrumsabgeordneten gewählten nationalsozialistischen Landtagspräsidenten Kerrl aufgefordert, den Landtag einzuberufen und für die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten zu sorgen. Sein Brief wurde in der Presse veröffentlicht, um zu demonstrieren, daß der Reichskanzler die Initiative in den Angelegenheiten Preußens ergriffen hatte. Wie zu erwarten, gerieten bereits wegen des Briefwechsels Papen-Kerrl die Zentrumsminister und der Landtagspräsident aneinander. Das Zentrum w a r im ersten Anlauf ausgespielt. Der Reichskanzler mahnte und drängte den Landtagspräsidenten vor aller Öffentlichkeit; doch er gab nicht die geringste wirkliche Unterstützung. Wenn sich Kerrl vorübergehend in dem bezeichneten Sinne um eine „parlamentarische Lösung" bemüht hat, so gibt es doch, sieht man von dem veröffentlichten Brief ab, keinen Anhalt dafür, daß auch Papen dies getan haben sollte. 126 Grund, a. a. O., S. 60. Pünder bezeugt noch im August die Besorgnis der Reichskanzlei, daß Koalitionsverhandlungen zwischen Zentrum und NSDAP in Aussicht standen,
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Ein Erfolg hätte ein gewisses Maß von Energie und Beständigkeit vorausgesetzt, die in den reichlich vorhandenen Quellen gewiß Spuren hinterlassen hätten. Schließlich hätte sich der Reichskanzler für die Regierungsbildung in Preußen nach Lage der Dinge auch mindestens der Zustimmung des Reichswehrministers sicher sein müssen, die nicht in Aussicht stand, und des Reichsinnenministers, der sich anders entschied. Die unmittelbare Vorgeschichte des 20. Juli beseitigt jeden Zweifel daran, daß es Papen, Gayl und Schleicher, die man in diesem Zusammenhang als ein Triumvirat bezeichnen darf, auf die Übernahme des Regiments in Preußen und nicht nur auf die Verfügung über die Polizei und die innere Verwaltung und auf schärfere Ordnungsmaßnahmen, die gar nicht erörtert wurden, abgesehen hatten. Eine Gelegenheit boten allerdings die schweren politischen Zwischenfalle. Am Tag nach den blutigen Ausschreitungen in Ohlau und einigen anderen Orten stimmte das Reichskabinett überein, den Kanzler als Reichskommissar einzusetzen. Am folgenden Tage, dem 12. Juli, akzeptierte es den von Gayl vorgelegten Entwurf einer Notverordnung. Dem Sitzungsprotokoll zufolge wurde scheinbar schon der 20. Juli als Tag der Veröffentlichung, mithin als Tag des Handelns bestimmt. 127 Allerdings müssen quellenkritische Bedenken gewürdigt werden. Die Preußen behandelnden Traktanden in der Niederschrift der Reichsministerbesprechungen des 12. Juli und der folgenden Tage wurden ebenso wie das gesamte Protokoll der Sitzung am 11. Juli vom Protokollführer der Reichskanzlei, gänzlich unüblich, erst am 6. August abgezeichnet und mehrere Tage danach vom Staatssekretär in der Reichskanzlei genehmigt, während alle anderen Tagesordnungspunkte der gleichen Sitzungen, wie üblich, schon wenige Tage später fertiggestellt waren. 128 Dies läßt auf Abfassungsprobleme besonderer Art schließen. Offensichtlich ist das Datum des 20. Juli nachträglich eingesetzt worden. Es ergibt sich, daß zunächst eine raschere Durchführung der Aktion gegen die preußische Regierung vorgesehen war, am nächsten Tage jedoch zurückgestellt wurde. Denn inzwischen die man nicht wünschte. Man erwog sogar eine Auflösung des preußischen Landtags, um sie zu unterbinden. Pünder, Reichskanzlei, S. 143. 127
Niederschriften über die Reichsministerbesprechungen am 11. u. 12. Juli; B A , R 43
1/1457; auch B A , R 4 3 1/2280 (Auszug der Sitzung am 12. Juli), hiernach abgedruckt bei Trumpp, Papen, S. 2 1 9 — 227. Dort anschließend auch weitere Auszüge aus den Protokollen v o m 13. und v o m 16. Juli; alle abgedruckt A R : Papen, 1, S. 2 0 4 - 2 0 8 , 211 ff., 217, 240. 128
Da für diese Tagesordnungspunkte offenkundig eine andere Schreibmaschine benutzt
wurde, ist zu vermuten, daß die ursprüngliche Niederschrift eliminiert, abgeändert, korrigiert oder ergänzt wurde.
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hatte Severing einen Erlaß an die Regierungspräsidenten gerichtet, der verschärfte Sicherheitsvorkehrungen bei Veranstaltungen unter freiem Himmel anordnete und ein sofortiges Vorgehen inopportun erscheinen ließ. 129 Man entschloß sich, einige Tage abzuwarten. Die in den Niederschriften erkennbaren Meinungsverschiedenheiten zwischen den Reichsministern sind sicherlich nicht nachträglich verschärft oder gar erst eingefügt worden. Sie verdienen gebührendes Interesse; denn sie zeigen, daß das Führungstriumvirat — Papen, Schleicher und der in der Preußen-Frage tonangebende Gayl — erhebliche, allerdings unterschiedlich motivierte Bedenken der zum Teil unvorbereiteten Minister ausräumen mußte. Meissner wünschte, man solle Preußen erst ein Ultimatum stellen, ehe man zur Einsetzung eines Reichskommissars schreite. „Man müsse darauf achten, vorm Staatsgerichtshof zu bestehen", dessen Anrufung auch Gayl schon für möglich hielt. Angesichts des Ablaufs der Ereignisse erscheint dies alles andere als nebensächlich. Auch Frhr. v. Braun stellte sich auf die Seite Meissners. Im weiteren Verlauf der Sitzung am 12. Juli berichtete dann Gayl über die später häufig erwähnten und erörterten angeblichen „Verhandlungen", die Staatssekretär Abegg im preußischen Innenministerium „wegen eines Zusammenschlusses der SPD mit der KPD" geführt haben soll, was in dieser protokollierten Form schon eine Übertreibung war und wohl als zugespitzte Zufalls- oder Verlegenheitsäußerung Gayls nach Pressepolemiken und Gerüchten der letzten Tage zu werten ist. Abegg hat später lediglich einen Versuch bekannt, „durch die bei mir erschienenen Vertreter der Reichstags- wie der Landtagsfraktion der KPD die Einheitsfront gegen den Nationalsozialismus herzustellen". 130 Als sich noch Reichswirtschaftsminister Warmbold wegen der Gefahr eines Generalstreiks einschaltete, entgegnete Gayl, daß in einem solchen Falle der militärische Ausnahmezustand verhängt werden müsse. Es scheint nicht ausgeschlossen, daß Gayl, als zuständiger Minister und treibender Kopf in der Preußenaktion, sich zu improvisierten Argumenten gedrängt sah. Es mag 129
Horkenbach 1932, S. 240. Das Protokoll der Reichsministerbesprechung am 13. Juli
vermerkt die Stellungnahme Gayls, „daß Minister Severing mit diesem Erlaß der Reichsregierung den Boden f ü r die geplante Aktion in Preußen im Moment entzogen habe. Es sei abzuwarten, wie der Erlaß sich auswirke. Deshalb müsse v o n dem gestrigen Beschluß über die sofortige Einsetzung eines Reichskommissars in Preußen Abstand genommen werden." A R : Papen, 1, S. 2 1 7 . 130
Abegg an Severing, 3 1 . Mai 1947; B A , K l . Erw. 3 2 9 - 8 . Dies ohne nähere Erläu-
terung als „unwichtigen Anlaß" zu bezeichnen, würde den Bemühungen Abeggs, wie er selbst sie sah, allerdings schweres Unrecht zufügen. So Pyta, Gegen Hitler, S. 386.
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sein, daß am Ende der Erörterung der Eindruck entschied, daß das Triumvirat zum Handeln entschlossen sei, alles bedacht habe und sich von seinen Plänen nicht mehr abbringen lasse. Dennoch erscheint auch diesmal das Einverständnis des gesamten Reichskabinetts etwas unvermittelt festgestellt. Grund genug, anzunehmen, daß dieser Teil des Protokolls nur einen ungenauen Ausschnitt des wahren Verlaufs der Diskussion, obendrein mit einem in dieser Form wahrscheinlich verkürzten Ergebnis, wiedergibt. Am 13. Juli war die Situation schon dadurch verändert, daß der für den Bereich des preußischen Innenministeriums vorgesehene „Unterkommissar", der verabschiedete Staatssekretär Peters, eine Ernennung abgelehnt und sogar vor einem Eingreifen in Preußen gewarnt hatte. Man mußte sich nach einem neuen Kandidaten umsehen. Nach der nur sehr knappen Sitzungsniederschrift schlug Gayl selbst vor, daß „von dem gestrigen Beschluß über die sofortige Einsetzung eines Reichskommissars in Preußen [ein offenkundiger Widerspruch zu dem gemäß Protokoll vom Vortage angeblich beschlossenen Termin des 20. Juli] Abstand genommen" werde. Meissner empfahl zu erwägen, ob nicht das mangelhafte Eingreifen der „preußischen Polizei gegen die kommunistischen Ruhestörer zum Gegenstand einer Mängelrüge nach Artikel 15 der Reichsverfassung gemacht werden könne". Die Niederschrift über die weiteren Erörterungen wurde sekretiert und nicht in das Protokoll aufgenommen. Meissners Vorschlag verdient Interesse. Der Artikel 15 Abs. 3 verpflichtete die Länder, nach einem Ersuchen der Reichsregierung Mängel in der Ausführung von Reichsgesetzen abzustellen, und sah bei Meinungsverschiedenheiten die Möglichkeit einer Anrufung des Staatsgerichtshofs vor. Meissner hatte also den Gedanken einer staatsgerichtlichen Entscheidung weiter verfolgt und ventilierte die Einschaltung des höchsten Gerichts vor einem „coup", ohne den Weg über den Reichskommissar einzuschlagen, gewiß auch, um den Reichspräsidenten herauszuhalten. Unter den gegebenen Umständen hätte sich hier wohl ernsthaft ein Ausweg aus der verfahrenen Lage geboten, wenn die Reichsregierung nur gewollt hätte. Befaßt man sich mit der Bedeutung und dem Urteil des Staatsgerichtshofs im späteren Prozeß Preußen contra Reich, so verdient auch die allmähliche Ausreifung des Prozeßgedankens schon vor dem dramatischen Konflikt Beachtung. Jener Teil des Protokolls der Reichsministerbesprechung am 16. Juli, der den Tagesordnungspunkt „Innerpolitische Lage" betrifft und ebenfalls erst am 6. August abgezeichnet wurde, fallt am kürzesten aus, hält
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eine erneute, nun endgültige Wendung fest, ohne Aufschluß über Gründe und Erörterungen zu gewähren. Die wenigen lapidaren Sätze enthalten lediglich die Feststellung, daß Gayl noch am Tage nach der letzten Sitzung, also am 14. Juli, ohne daß dies in der Sitzung angedeutet worden wäre, den Reichspräsidenten auf seinem Gut Neudeck aufgesucht, ihm Bericht erstattet und daraufhin eine Blankovollmacht erhalten habe. Hindenburg hatte die beiden von Gayl und Papen vorgelegten Notverordnungen zur Einsetzung des Reichskommissars und zur Verhängung des Belagerungszustandes in Berlin und der Mark Brandenburg unterzeichnet; das Datum blieb offen und konnte nach Belieben nachgetragen werden. Gayl und Papen hatten sich also kurzerhand über das Reichskabinett hinweggesetzt, sich im Einverständnis mit Schleicher sofort nach den nur noch verschleiernden Bekundungen am 13. Juli gemeinsam auf den weiten Weg nach Neudeck begeben und Meissner in großer Eile überspielt. 131 Wenn Frhr. v. Braun nun noch darauf hinwies, daß mit Krupp und Brandes-Zaupern zwei Exponenten verschiedener Wirtschaftskreise für einen Belagerungszustand im ganzen Reich — nicht nur in der Mark — einträten, so wollte er wohl auf heraufbeschworene Gefahren aufmerksam machen, die die Genannten überschätzt haben mögen; dieser Hinweis verfehlte jede Wirkung. Immerhin läßt sich aus der problematischen, in mancher Beziehung fragmentarischen oder rudimentären Protokollierdng der wichtigsten Reichsministerbesprechungen in der unmittelbaren Vorgeschichte des 20. Juli 1932 einiges an Aufschlüssen gewinnen. Es bleibt festzuhalten, daß die Besprechung am 13. Juli einen vorläufigen Rücktritt von der Absicht ergab, einen Reichskommissar in Preußen einzusetzen, und daß Gayl und Meissner dies deutlich bekundeten. Dennoch haben sich Papen und Gayl schon am folgenden Tag, entgegen dem Eindruck, den sie im Reichskabinett erweckten, in Neudeck die Unterschrift des Reichspräsidenten für die undatierten Notverordnungen verschafft. Rechtliche Begründungen spielten hierbei keine Rolle mehr. Soweit sie später nachgeholt wurden, dienten sie lediglich zur Ausgestaltung der amtlichen Version für „die Öffentlichkeit". Wie es Gayl im Verein mit Papen gelang, in Neudeck, in Gegenwart Meissners, Hindenburg zu einer so weitreichenden Ermächtigung auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung zu bewegen — zumal, da die Datierung fehlte und eine unmittelbare Abstützung durch die Tat-
1,1
Aktenvermerk Gayls; BA, Nachl. Gayl/36.
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sache, „daß die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird", nicht gegeben schien —, blieb bislang ungeklärt. Es läßt sich nicht ausschließen, daß die schon am 12. Juli v o n Gayl im Reichskabinett aufgestellte Behauptung, Severings Staatssekretär Abegg wirke auf einen „Zusammenschluß" von SPD und K P D hin, 1 3 2 erneut herhalten mußte. Sicher ist dies nicht. Vielleicht könnte eine vage formulierte Parallele zur Situation in Sachsen 1923 den Reichspräsidenten beeindruckt haben, die er selbst bei nächster Gelegenheit — sicherlich nicht ohne Anregung — herstellte. 133 W i r wissen also nicht zuverlässig, was in Neudeck besprochen und vorgebracht wurde, 1 3 4 nur, daß Papen mit der schon einmal erörterten Gesamtdemission seines Kabinetts operierte, die der Reichspräsident prompt ablehnte. Auch Gayl schweigt sich in seinen persönlichen A u f zeichnungen hierzu aus. 1 3 5 A b e r Entscheidung und Unterschrift des Reichspräsidenten ergaben die Rückendeckung für das zum Vorgehen 132 Erst am 19. Juli, spät abends, also unmittelbar vor Beginn der Aktion, fand eine Besprechung Staatssekretär Plancks mit Oberbürgermeister Bracht und einigen anderen hohen Beamten in der Wohnung des Regierungsrates Diels statt, der zu den engeren Mitarbeitern Abeggs zählte und nun genauer über die von ihm ausgestreuten Nachrichten befragt wurde. Seine Aussage, die der anwesende ständige Protokollführer der Reichskanzlei in einer Aufzeichnung festhielt, ließ Abklärungsbemühungen des verhandelnden Abegg in einem Gespräch mit bekannten kommunistischen Abgeordneten Anfang Juli erkennen, um freie Hand gegen die Nationalsozialisten zu gewinnen, stellte jedoch keine Anweisung oder auch nur Duldung dieser Bemühungen A b e g g s durch Severing fest, die es auch nicht gab. A m 25. Juli durchgesehener, handschriftl. ergänzter und unterzeichneter dreiseitiger Vermerk von Wienstein, Paraphe Plancks vom 5. August; BA, R 43 1/2280. AR: Papen, 1, S. 246 f. (mit irrtümlicher Datierung).
Grund, „Preußenschlag", S. 66. Nach der Darstellung von Hans Otto Meissner, Harry Wilde, Die Machtergreifung. Ein Bericht über die Technik des nationalsozialistischen Staatsstreichs, Stuttgart 1958, S. 91, erreichte „die Überredungskunst Papens" die Zustimmung Hindenburgs. Die Verfasser berufen sich auf das mündliche Zeugnis des Staatssekretärs. Was hiervon zu halten ist, erhellt aus der Behauptung, wonach Papen (am 14. Juli) Hindenburg gegenüber mit den zahlreichen Opfern des Altonaer „Blutsonntags" (17. Juli) operiert haben soll. M a n findet aber eine aufschlußreiche Schilderung Gayls über die Abfassung des „Entwurfs der Verordnung", den er „zur unbedingten Geheimhaltung" in seiner Wohnung „von einer sicheren Verwandten schreiben lassen" mußte. „Das zur Herstellung der Durchschläge benutzte Kohlepapier vernichtete ich eigenhändig. Die Reinschrift und einen Durchschlag trug ich am Leibe, den zweiten Durchschlag der Ministerialdirektor Gottheiner. Die zur Zustellung an die preußischen Minister bestimmten Ausfertigungen wurden gleicherweise gefertigt. Nur so gelang es, die Geheimhaltung zu gewährleisten. Bis zur Vorlage beim Reichspräsidenten hatten nur sechs Augen den Inhalt der Verordnung gesehen", neben Gayl und Gottheiner nur seine Tochter, die seinen Berliner Haushalt führte, nicht einmal Papen und Schleicher. BA, Nachl. Gayl/53. 113 134
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gegen Preußen entschlossene Triumvirat, auch den zögernden Reichsministern gegenüber. Die Suche nach einer Persönlichkeit, die kommissarisch das preußische Innenministerium leiten und die Verfügung über die Polizei übernehmen sollte, gelangte erst danach zum Ziel. Nachdem der erste Kandidat abgesagt hatte, fand man sie in dem schon von Brüning als Reichsinnenminister gewünschten Essener Oberbürgermeister und ehemaligen Staatssekretär in der Reichskanzlei Bracht. Gayls Aufzeichnung hierzu bedarf keines weiteren Kommentars: „ D a s ursprünglich [nach dem Verlauf der Reichsministerbesprechung am 13. Juli kann sich dies wohl nur auf eine Absprache innerhalb des Triumvirats beziehen] schon für Montag [18. Juli] vorgesehene Eingreifen in Preußen wurde verschoben, weil in der Zwischenzeit eine geeignete Persönlichkeit für den Posten des stellvertretenden Reichskommissars noch nicht gefunden war und weil ein besonderer Anlaß zum Eingreifen gefunden werden sollte. Dieser Anlaß ergab sich durch die Zwischenfälle in Altona am 17. d. M. Nach der Rückkehr des Herrn Reichskanzlers wurde Herr Oberbürgermeister Dr. Bracht zum stellvertretenden Kommissar bestimmt. Er traf im Laufe des 19. Juli in Berlin ein, und am Abend dieses Tages während eines Abendessens bei dem Herrn Reichskanzler wurden die Einzelheiten des Eingreifens für Mittwoch, den 20. Juli, festgelegt." 1 3 6 Bleibt zu ergänzen, daß sich Bracht erst nach diesem Abendessen mit Damen in die Wohnung des Regierungsrates Diels begab, um dessen Abegg belastende Aussagen anzuhören. Doch den „besonderen Anlaß zum Eingreifen", der noch „gefunden werden sollte", bot der in die Geschichte eingegangene „Altonaer Blutsonntag", der die Gewalttaten am voraufgegangenen Wochenende noch übertraf. Die traurige Bilanz veranschaulicht, in welchem Maße die von Gayl fünf Wochen vorher verkündete Absicht der Reichsregierung verwirklicht war, „daß der schwere politische Kampf ... von allen Teilen der Bevölkerung möglichst mit gleichen Waffen solle geführt werden können". Auch wenn er dies bildlich meinte, konnte nicht außer acht bleiben, daß die schärfste Form des politischen Kampfes mit Messer und Schußwaffe längst Tatsache war. Eskalationen ließen sich voraussehen. Am Vormittag des 18. Juli erschien Severing beim Parteivorsitzenden Wels, u m ihm die Frage vorzulegen, ob es nicht an der Zeit sei, den bisher verfolgten Standpunkt aufzugeben und die sozialdemokratischen Mitglieder der preußischen Regierung zurücktreten zu lassen, deren 156 Wie auch diese sind einige der wichtigsten Aufzeichnungen aus dem Nachlaß Frhr. v. Gayls, neben anderen Aktenstücken, im Anhang der nach wie vor unentbehrlichen Arbeit von Trumpp, Papen, abgedruckt.
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Tätigkeit immer stärker eingeengt werde, was den Verdacht nähre, daß das Reich auf einen Konflikt zusteuere. Sofort eingeholte Erkundigungen in der Reichskanzlei ergaben aber nichts. Man wollte daher die Situation erst mit den Parteiinstanzen und am 20. Juli mit der A D G B - F ü h r u n g beraten. Diese Beratung war noch im Gange, als der Berliner Polizeipräsident Grzesinski telefonisch die Aktion der Reichsregierung mitteilte. 1 3 7 Wie vorgesehen, wurde am Morgen des 20. Juli mit dem Vollzug der am 14. unterzeichneten Präsidialverordnungen begonnen, ohne daß das Reichskabinett nach dem 16. noch einmal zusammentrat. Die preußischen Minister Hirtsiefer und Severing erhielten eine Einladung in die Reichskanzlei, wo sie, ohne eine „Mängelrüge" zu hören und ohne vorherige Unterrichtung, allerdings entsprechend den Unkenrufen eines Teiles der Berliner Presse, vom Kanzler unvermittelt mit den Ermächtigungen konfrontiert wurden, die der Reichspräsident seinen Händen anvertraut hatte. Papen legte nicht den geringsten Wert darauf, auf den Anschein des Staatsstreichs zu verzichten. Der weitere Verlauf der Ereignisse dieses Tages wirft die Frage auf, ob Papen von Anfang an die Entbindung aller preußischen Minister von ihren Ämtern beabsichtigte oder ob die Weigerung der übrigen Minister, seiner Einladung zu einer Sitzung der Staatsregierung nachzukommen, diesen Schritt provozierte. Zu Gayls anfänglichen Plänen, die eine Verwaltungsreform einbezogen, gehörte die Verfügbarkeit sämtlicher preußischer Ministerien, eventuell durch Ernennung weiterer zuständiger Reichsminister zu Kommissaren in Preußen. Sogar an die Ersetzung einiger Staatssekretäre und Ministerialdirektoren dachte er 1 3 8 ; offenkundig ließ sich eine Zusammenarbeit zwischen gegensätzlich orientierten Persönlichkeiten schwer vorstellen. Der vollständige Bruch trat keineswegs unbeabsichtigt ein.
Recht der Macht — Macht des Rechts. Klage vor dem Staatsgerichtshof Für manche später Urteilenden wiegt entscheidend der Verzicht auf den schwerlich aussichtsreichen und auch von keinem der unmittelbar Betroffenen ernsthaft erwogenen Appell zum Massenwiderstand gegen die 117
Abweichend v o n Severing, L e b e n s w e g , 2, S. 347, eine ausführliche Aufzeichnung
von O t t o Wels, abgedruckt in: Anpassung oder Widerstand? Aus den Akten des Parteivorstands der deutschen Sozialdemokratie 1932/33, hrsg. u. bearb. von Hagen Schulze, B o n n - B a d G o d e s b e r g 1975, S. 5 ff. Vgl. Adolph, Wels, S. 2 4 1 - 2 4 5 ; für die Reaktion der gewerkschaftlichen Seite J a h n , Gewerkschaften, S. 6 2 6 — 6 3 1 . Schilderung der Vorgänge von Grzesinski, Tragi-comédie, S. 2 2 1 — 2 3 1 ; ders., Inside Germany, S. 155 — 162. ,38
A R : Papen, 1, S. 206.
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Reichsregierung, der, wie wohl zuzugestehen ist, in den Augen des Triumvirats die einzige beeindruckende Reaktion gewesen wäre, die es hätte zurückschrecken lassen. Den vorgeschlagenen Weg einer „Mängelrüge" nach der Reichsverfassung schlug es bewußt nicht ein. Man täte ihm Unrecht, wollte man seine Demonstration der Stärke unterhalb des Terminus „Staatsstreich" charakterisieren. Daher erschien es der abgesetzten Regierung konsequent, den Weg einer Klage vor dem Staatsgerichtshof zu beschreiten, dem sich auch Otto Braun anschloß, durch das Ereignis wieder reaktiviert. Es läßt sich nicht bestreiten, daß eben dieser Weg und seine von den Reichsministern nicht vorausgesehenen Ziele das Ereignis vom 20. Juli mitsamt seiner Vorgeschichte nachträglich scheinbar von dem Odium des Staatsstreichs befreiten. Jedenfalls wurde statt eines — aussichtslosen — Gewaltaktes gegen den Zwangsakt die in der Tat gravierende Frage aufgeworfen, die seit Jahren über dem Schicksal der Republik schwebte und nun eine äußerste Zuspitzung erfuhr, inwieweit der aus der Diktaturermächtigung des Reichspräsidenten fließende Zwang noch rechtens und mit der Verfassung vereinbar sei. Der Boden des Reichsverfassungsrechts war schwankend und unsicher geworden. Es erschien nur folgerichtig, daß als Reaktion auf die äußerste Strapazierung, die jedem Beobachter zweifelhaft erscheinen konnte, das Verlangen nach erneuter Sicherung des Rechts folgte, das die unterlegene preußische Regierung im Gegenzug zu ihrer Sache machte. Natürlich sind Rechtsfragen in einer politisch zugespitzten Situation immer auch Machtfragen. Aber auch Recht kann zur Macht werden. In Frage steht die bindende und verpflichtende Kraft, die dem Recht in einer gesellschaftlichen und politischen Krise anhaftet. Gewiß wiegt das Argument schwer: „Wer sich kampflos unterwirft, hat in der öffentlichen Meinung der Gegenwart und der Nachwelt unrecht." 1 3 9 Doch kampflos unterworfen haben sich die ihrer Ämter enthobenen preußischen Minister nicht. Da sie kaum in nennenswertem Umfang über eine zum Gewalteinsatz befähigte Macht geboten, warfen sie in realistischer Konsequenz, die die Nachwelt aus den Augen verloren hat, die entscheidende Frage auf. Damit war vom Staatsgerichtshof beim Reichsgericht in Leipzig in juristischer und politischer Hinsicht eine höchst bedeutsame Entscheidung gefordert. Selbst der dem Prozeßgedanken skeptisch gegenüberstehende Otto Braun sprach sich vor Vertrauten nunmehr für eine Beibehaltung der längst spruchreifen „Union Preußen-Reich" aus, jedoch
139
Eyck, Geschichte, II, S. 511.
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gegen eine bloß politische Vermittlung und für eine Befreiung von dem Odium, das die Regierung des Reiches zu ihrer Rechtfertigung über die preußische verbreitet hatte. 140 In letzter Konsequenz ließ dies keinen anderen Weg zu als den eingeschlagenen. Es gab noch einen weiteren triftigen Grund, so und nicht anders vorzugehen und den Rechtsweg zu beschreiten. Die Haltung der süddeutschen Länder zur Reichsregierung entwickelte sich seit Aufhebung des SA-Verbots derart heikel, daß sich Papen und Gayl genötigt sahen, eine nachgerade ungewohnte Rücksichtnahme an den Tag zu legen, um Hindenburg gegen Beschwerden von dieser Seite abzuschirmen. Im Grunde entsprach das Vorgehen der preußischen Minister nach dem 20. Juli der Marschroute der süddeutschen Länder, die ihrerseits in Verhandlungen mit Reichskanzler und Reichsinnenminister schon die Richtung auf einen rechtlich fundierten Kompromiß gewiesen hatten, der wie ein Schiedsspruch das Verhältnis zwischen der alten und der neuen — „kommissarischen" — Regierung in Preußen auf staatsrechtlich vertretbarer Basis glätten sollte. In dieser Hinsicht wirkten sich von Anbeginn die zerstörten Beziehungen Papens zur Zentrumspartei und fürs nächste — offenbar gegen seine auch in diesem Falle unangebrachten Erwartungen — zur Bayerischen Volkspartei als Belastung aus. Die von diesen Parteien geführten Regierungen in Bayern, Württemberg und Baden — die beiden ersten geschäftsführende Regierungen — opponierten bereits recht heftig gegen die Aufhebung des SA-Verbots und zeigten sich schon durch die ersten Meldungen über die Absicht, in Preußen Reichskommissare einzusetzen, alarmiert. Die geschäftsführenden Regierungen Hessens und Hamburgs traten ihnen zur Seite; lediglich die sächsische taktierte zurückhaltend. Der auf den Nachweis „parteiunabhängiger" Handlungsfähigkeit und Stärke bedachten Reichsregierung drohte bereits seit Beginn ihrer Amtszeit ein Konflikt, mit dem sie nicht fertigzuwerden vermochte. Nach den Ereignissen am 20. Juli erschien die Situation noch unübersichtlicher. Die Rechtsverwahrung, die die ihres Amtes enthobenen preußischen Staatsminister einlegten, 141 und die Äußerung „politischer Besorgnis" des württembergischen Staatspräsidenten Bolz 142 wie der „stärksten Bedenken" seines hessischen Amtskollegen 143 veranlaßten Papen, die präsidierenden Mitglieder der Länderregierungen auf den ,4 " 141 142 143
Brecht, Kraft, S. 221 f. AR: Papen, 1, S. 289. Bolz an Hindenburg, 21. Juli; a. a. O., S. 290. Adelung an Hindenburg, 22. Juli; a. a. O., S. 294.
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23. Juli 1932, einen Sonnabend, nach Stuttgart zusammenzurufen. Schon die Wahl des Tagungsortes ließ auf Entgegenkommen schließen, aber auch auf eine von Preußen separierte Behandlung. Das Treffen begann mit einem Bericht Papens über die Lausanner Konferenz und den Stand der Reparationsfrage; die verharmlosend „Vorgänge in Preußen" betitelten Ereignisse bildeten den zweiten Teil des Programms. 1 4 4 Die Regierungschefs der Länder Bayern, Württemberg, Baden und Hessen sowie die Stadtoberhäupter der Hansestädte nahmen bei aller Zurückhaltung in der Tonart eindeutig gegen die Maßnahmen der Reichsregierung Stellung; und die Vertreter der Länder Thüringen, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Braunschweig, Anhalt, auch Sachsen stimmten ihnen mehr oder minder entschieden zu, so daß sich Reichskanzler und Reichsinnenminister in diesem Kreise gänzlich ohne Anhang sahen.
Papen und Gayl auf der Stuttgarter
Länderkonferen^
Der Ton, den Ministerpräsident Held anschlug, klang anfanglich fast versöhnlich; er steuerte aber das staatsrechtliche Prinzip an, das er verletzt sah, um der Reichsregierung ihre Fehler vorzuhalten: „Wenn die Sicherheit gefährdet sei, habe die Reichsregierung das Recht einzugreifen; aber die Entscheidung sei dahin gefallen, daß der Reichskommissar sich an die Stelle der Rechte und Funktionen der Landesregierung gesetzt habe. Darin erblicke er eine Verfassungswidrigkeit. Der Reichskommissar könne wohl neben die Minister gestellt werden, aber er könne nicht über sie gesetzt werden. Die Dinge hätten sich so gestaltet, als wenn Landeshoheitsrecht unter das Reichsrecht gestellt werde." Er wünsche Klarheit, wie weit das Reich gehen könne bei Bestellung eines Reichskommissars. Der Reichskanzler könne nicht Minister absetzen und zugleich die ganze Landesregierung für sich in Anspruch nehmen. Seine Bestellung zum Reichskommissar sei ein „genereller Angriff auf die Rechtsgrundlage der Länder". — Wahrscheinlich hätte die Reichsregierung auf dem Verhandlungswege eine ähnliche Haltung der preußischen Rumpfregierung erfahren können. — Nun stellte sich die Frage, welche Tätigkeit die Reichsregierung in Preußen ausüben werde. Der Reichskanzler, so Held,
144
Besprechung der Reichsregierung mit den Staats- und Ministerpräsidenten der Län-
der in Stuttgart am 23. Juli; a. a. O . , S. 295 — 313; Auszug des Preußen betreffenden Teils abgedruckt in: V Z G , 18 (1970), S. 3 2 3 - 3 3 3 .
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könne nicht die preußischen Stimmen im Reichsrat für sich in Anspruch nehmen. Infolgedessen dürfe auch keine Sitzung des Reichsrats stattfinden, bevor die Frage der preußischen Stimmen geklärt sei. Ähnlich äußerten sich die Staatspräsidenten Württembergs und Badens, die ebenfalls die von Held angekündigte Anrufung des Staatsgerichtshofs als einzigen Ausweg betrachteten. Staatspräsident Bolz drückte Zweifel aus, „daß davon die Rede sein könne, daß in Preußen ein offener Widerstand gegen die Reichsregierung ausgebrochen wäre". Die Anwendung des Artikels 48 Abs. 1 der Reichsverfassung hielt er für ebenso „bedenklich" wie die Tatsache, daß der Reichskanzler unmittelbar das Amt des preußischen Ministerpräsidenten ausübte. In den maßvollen, aber in der Sache deutlichen Stellungnahmen unterblieb jede Polemik, fehlte auch der Ausdruck „Staatsstreich". Man behandelte die Preußenfrage auf Seiten der Länder als Streitfall, zu dem man zwar eine Meinung hatte, aber sich die Entscheidung offenhalten wollte, um das höchste deutsche Gericht urteilen zu lassen. Aber wenn der Reichskanzler in der Hoffnung auf Einigung und schnelle Beilegung der Streitigkeiten nach Stuttgart gekommen war, so erwies sich dies als Illusion. Die strenge Geheimhaltung der Vorbereitungen, auf die Gayl bedacht gewesen war, gereichte der Reichsregierung nicht zum Vorteil, sondern brachte sie um den Rest des Vertrauens, so daß sie für Monate mit einem staatsgerichtlichen Prozeß von großer Tragweite belastet war und sich die Opposition der Länder, der süddeutschen voran, eingehandelt hatte. Papen vermochte in seinen Erwiderungen durch vereinfachende und sachlich anfechtbare Behauptungen nicht zu überzeugen: Die Bildung einer Regierung in Preußen sei am Zentrum gescheitert. — Das Bemühen um eine Regierung in Preußen diente seitdem als Schutzbehauptung. — Infolgedessen hätten sich zwei Fronten gebildet, die Front der Rechtsparteien und die „antifaschistische Front", die vom Zentrum bis zu den Kommunisten reiche und es als ihre Aufgabe betrachte, gegen die Reichsregierung vorzugehen. Dies sei eine „staatsgefährdende" Konstellation und habe, so Papen, die Unterstützung der preußischen Behörden gefunden. Wenn es noch eines Beweises der schwachen rechtlichen wie politischen Motive für das staatsstreichartige Vorgehen der Reichsregierung bedurfte, so ergibt er sich aus diesen unfundierten Behauptungen Papens. Vom gleichen Geist zeugt seine Äußerung, die Weimarer Verfassung sei der „Urgrund dieses Konflikts, und er stelle jetzt die Frage: Ist es notwendig, daß die Länder diesen Konflikt so ernst nehmen? Als Reichskanzler beantworte er diese Frage mit nein. Wir müßten in der Staatspolitik neue Wege gehen, und wir müßten für unser Volk eine
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neue Lebensgrundlage geistiger und wirtschaftlicher Art zu schaffen suchen..." Das war die eklatanteste — und gedankenloseste — freimütige Preisgabe des Verfassungsstaates, die einem Reichskanzler vor Hitler über die Lippen kam. Frhr. v. Gayl argumentierte anders, aber nicht glücklicher, erstaunlicherweise damit, daß man „die Kreise, die bei der Reichspräsidentenwahl dreizehn Millionen aufgebracht hätten, nicht völlig ausschalten" dürfe, so daß nach seiner „pflichtmäßigen Überzeugung auf diesem Gebiet Wandel eintreten müsse". Doch „diktatorisch zu regieren, sei von ihm und seinen Ministerkollegen abgelehnt worden". Grundsätzlich bleibe die Legislative beim Reich, die Exekutive bei den Ländern. Beides waren in heikler Situation aufgestellte, zweifeis würdige Schutzbehauptungen. Die hinterlassenen Aufzeichnungen Gayls unterstreichen gerade das Programm der präsidentiellen Diktaturregierung, daß er die Trennung des Reichsinnenministeriums von der preußischen Exekutive als unerträglich empfand. Daß dies seine Pläne Preußen gegenüber bestimmte, hat er unumwunden zum Ausdruck gebracht. Eine nachgerade charakteristische Mischung von offenherzigen Eingeständnissen und offenkundiger Camouflage bezeugt auch seine Erklärung, daß die „Notwendigkeit" bestanden habe, „für vorübergehende Zeit die staatlichen Machtmittel zwischen [!] Reich und Preußen in einer Hand zu vereinigen. Der Eingriff mußte schlagartig erfolgen, wenn er Erfolg haben sollte. Die Reichsregierung sei dauernd bespitzelt worden; interne Besprechungen seien innerhalb dreier Stunden in der Presse bekannt gewesen." Ein dürftiges Argument für die Entscheidungen vom 20. Juli, über das nicht einmal die Versicherung hinwegtrösten konnte, die „Reichsregierung denke nicht daran, Folgerungen für ein anderes Land aus den Maßnahmen gegen Preußen zu ziehen". Die Reichsreform, von der einige Ministerpräsidenten gesprochen hatten, sei zwar notwendig; aber es sei nicht Absicht der Reichsregierung, sie im gegenwärtigen Zeitpunkt in Angriff zu nehmen. Nach Gayls Darstellung bestand nie die Absicht, Preußen als Land aufzulösen. Das Eingreifen des Reiches sollte lediglich vorbeugend wirken. Doch Severings Weigerung habe die Reichsregierung in Schwierigkeiten gebracht. „Erst in diesem Augenblick" habe sie zur „zweiten Waffe gegriffen". Es seien jedoch keine parteipolitischen Maßnahmen gegen einzelne Personen getroffen worden. „Unter Mitwirkung der preußischen Staatssekretäre sei die Durchführung gelungen. Nachträglich habe sich aber gezeigt, daß in einigen unpolitischen Ressorts der Widerstand sich fortsetzte. Da sei nichts anderes übrig geblieben, als auch diese Herren aus ihren Ämtern zu entfernen."
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Abgesehen davon, daß sich der in Gang gekommene Personalwechsel in den hohen und höchsten Verwaltungsämtern weder bestreiten noch in seinem Umfang auf diese Weise glaubhaft vertreten ließ, vermittelten die verschiedenen Behauptungen Papens und Gayls überaus widersprüchliche Eindrücke von den Motiven der Reichsregierung. Solche Ausflüchte boten der Reichsseite nicht mehr Rückendeckung als der neue Einfall Papens, der nach der Atem- und Gedankenpause, die ihm Gayls Ausführungen gewährte, auf den Reichsreformgedanken zurückgriff und das Einverständnis wiederzugewinnen versuchte, indem er die Darlegungen der Ministerpräsidenten dahingehend interpretierte, „daß keine grundsätzliche Ablehnung einer solchen [Reichsreform] von den Länderregierungen erfolgen werde". Die Verständigung mit den Ländern sei selbstverständlich Voraussetzung. Nach dem Verlauf des Stuttgarter Treffens bleibt es rätselhaft, worauf sich Papens Mitteilung stützte, die er zwei Tage später, am folgenden Montag, den Reichsministem gab: daß sich die Länder für eine Aufhebung des Dualismus Reich-Preußen erwärmt und gegen das Vorgehen der Reichsregierung nichts eingewandt, sondern lediglich einen ständigen Verbindungsmann der Reichsregierung für die unruhigen Zeiten erbeten hätten. 145 Als solcher wurde ein Vertrauter Papens, der reaktivierte ehemalige Legationsrat Frhr. v. Lersner, eingesetzt. Man mag die Darstellung des Reichskanzlers als übertrieben euphemistisch oder als völlig unbegründet bezeichnen; angesichts der Eigenarten seiner Politik und ihrer Begründung erscheint sie nun schon eher typisch als überraschend. Das gewohnte „Selbstvertrauen der Junker" 1 4 6 allein verlieh offensichtlich doch nicht ausreichende Fähigkeiten, die zum Regieren erforderlich sind.
Vor der
Reichstagswahl
Zwischen dem Vorgehen der Reichsregierung gegen die geschäftsführende Regierung in Preußen, das zu einem Staatsstreich ausartete, und der Reichstagswahl lagen nur zehn Tage, die unter dem Nachhall der Ereignisse am 20. Juli standen. Die SPD hatte außer den berühmten
145 146
Reichsministerbesprechung am 25. Juli; AR: Papen, 1, S. 316 ff. Zur Anwendung dieses Wortes auf Papen F.yck, Geschichte, II, S. 483.
Das präsidentielle Regierungssjstem mit dem Reichskanzler Fran\ v. Papeti
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Worten Severings, er „weiche nur der Gewalt" 147 — die ihn dann in Gestalt des neu ernannten Berliner Polizeipräsidenten Melcher, in Begleitung zweier Polizeioffiziere, aus seinem Amtszimmer abholte —, keine Möglichkeit zu drastischen Reaktionen gesehen. 148 Die Reichsregierung versuchte, Tatkraft zu beweisen; doch das beschränkte sich auf Personalpolitik, 149 die bald nicht mehr bei einem Wechsel an der Spitze der höchsten politischen Beamten im Innenministerium stehenblieb. Die Deutschnationalen bemühten sich, die kommissarische preußische Staatsregierung, Papen und Bracht, zu umfassenden und überraschenden Eingriffen zu drängen. „Nach der großen Tat der Reichsregierung gegen die ehemalige preußische Regierung, die alle Deutschen wie ein über Nacht geschehenes Wunder aufatmen ließ und die den anspruchsvollen, aber tatenlosen Nationalsozialisten viel Wind aus den Segeln genommen hat, wird ein Fortgang der Säuberungsaktion, namentlich bezüglich des Heeres der Parteibuchbeamten sehr vermißt", heißt es in einer Adresse der D N V P an den Kanzler. 150 Die Reichsregierung sah sich zum Handeln getrieben. Sogar Hugenberg ging mit ihr ins Gericht, wenngleich er versicherte, daß er nicht den Wunsch habe, einem „von der Autorität des Reichspräsidenten getragenen, sich vom bisherigen Regierungssystem abwendenden Kabinett Schwierigkeiten zu bereiten". 151 Daß die Staatsführung ihren Schwerpunkt nicht im Parlament habe, wollte er beibehalten wissen. Doch er hielt es für notwendig, daß sie „mit den großen
147
Hierzu die Schilderung von Severing, Lebensweg, 2, S. 349 — 352. Das Protokoll der Besprechung in der Reichskanzlei gibt seine Äußerung mit einem Zitat wieder: „ R r werde n u r der Gewalt weichen oder dann gehen, wenn er durch eine ausdrückliche A n o r d n u n g des Reichspräsidenten oder durch einen Beschluß des Landtags abgesetzt werde." Die nachfolgenden Sätze sind nachträglich teils maschinenschriftlich, teils handschriftlich eingefügt worden; Severing erwähnt sie nicht: „Wer Wind säe, werde Sturm ernten. Rr befürchte einen Bürgerkrieg infolge des Vorgehens der Reichsregierung." AR: Papen, 1, S. 258; gemeinsame Aufzeichnung Hirtsiefers und Severings hierzu, a . a . O . , S. 2 5 9 - 2 6 2 . Vgl. Bracher, Auflösung, S. 582ff.; Rhni, Bollwerk, S. 2 6 7 - 2 7 1 . 148
Heinrich A. Winkler, Katastrophe, S. 656 f., 660 ff., 665 ff.; Aufzeichnung v o n O t t o Wels z u m 20. Juli 1932, in: Schulze, Anpassung, S. 3—14. 14 ' Die Beschlüsse des neuen Staatsministeriums — der Kommissare des Reiches sowie der Staatssekretäre, soweit sie kommissarisch die Leitung der Ressorts übernahmen — über Amtsenthebungen und Neuernennungen in der Kategorie der politischen Beamten lassen einen in der inneren Verwaltung, dann auch darüber hinaus nahezu Vollständigkeit anstrebenden Personalwechsel erkennen. Anlagen zu den Sitzungsprotokollen des Preußischen Staatsministeriums 1932; GehStAB, Rep. 90/A 40. 150 151
BA, R 43 1/2377; letzter Satz in der Reichskanzlei unterstrichen. H u g e n b e r g an Papen, 23. Juli; AR: Papen, 1, S. 3 1 3 - 3 1 6 .
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IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
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nationalen Strömungen im Lande" Fühlung unterhalte. „Sonst entsteht die Gefahr, daß im Endergebnis trotz besten Willens eine Regierungsarbeit, die sich im Grunde auf das von der nationalen Bewegung geschaffene Vertrauens kapital stützt, die Hauptsache infrage stellt, wovon die deutsche Zukunft abhängt — die nationale Bewegung selbst, die nicht etwa mit irgendeiner Partei gleichbedeutend ist." Von der Reichsregierung verlangte er nun zuerst die Aufhebung der preußischen Sparverordnung vom 8. Juni 1932 und eine Regelung bestehender Schuldverhältnisse, die „jeden künftigen staatlichen E i n g r i f f ausschließen sollten — nicht nur in der Landwirtschaft. Doch die Regierung war weder in der Lage noch bereit, so weit in der angegebenen Richtung zu gehen, wenn es Papen auch für notwendig hielt, den Brief Hugenbergs den Reichsministern persönlich und in der Absicht zu verlesen, den Aufforderungen zumindest teilweise nachzukommen. 1 5 2 Aber unter dem Zwang zum Haushaltsausgleich befand sich die Regierung keineswegs in anderer Lage als ihre Vorgängerin, so daß sie, entgegen den Wünschen Papens, auf Hugenbergs Vorschläge gar nicht eingehen konnte 153 und sich sogar darum bemühte, über das bisher erreichte Maß hinaus nach weiteren Einsparungen in den Haushalten der Länder und Gemeinden zu suchen. 154 Auf der entgegengesetzten Seite unternahm die radikalste linke Opposition, die KPD, keinen nennenswerten Versuch, das Einerlei extremer Verbalismen und brachialer Aktionen zu durchbrechen. Auf die zentrale Leitung der KPD gewannen die Untersuchungen und Erwägungen im Anschluß an die geringen Wahlerfolge im April 1 5 5 keinerlei Einfluß, wenn auch das Bedürfnis, neue Parolen zu finden, noch vor der Reichstagswahl zu Neuerungen führte. Im Juni wurde der Gedanke entwickelt, die sogenannte „Antifaschistische Aktion gegen den Faschismus" durch eine breite Geldsammelaktion einzuleiten. Die Parteigremien selbst erklärten, daß es hierbei vor allem auf den Gedanken ankomme, Opfer zu bringen. „Die Sammlung ist keine besondere Finanzaufgabe ... Um die 25. Juli; a. a. O., S. 319. Der Reichskanzler nannte die Wünsche Hugenbergs „recht interessant und beachtlich"; besonders das Verlangen nach Aufhebung der preußischen Verordnung vom 8. Juni habe auf ihn „Rindruck gemacht". 133 Der nichtssagende Antwortbrief Papens an Hugenberg vom 26. Juli im Auszug a. a. O., S. 319 f., Anm. 14. , ' 4 Niederschrift über eine Konferenz des Reichsfinanzministers mit den Finanzministern der Länder am 20. September; AR: Papen, 2, S. 613—619; Graf Schwerin v. Krosigk an die Landesregierungen, 22. Oktober 1932; BA, R 43 1/2377. 155 Vorgänge BA, R 45 IV/1475. 152
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Opferbereitschaft der Millionen Werktätigen auszuwerten, müssen wir die Sammelkampagne auf das engste mit der antifaschistischen Aktion verbinden", hieß es in einem Flugblatt. 156 Die Nationalsozialisten übernahmen später diesen Gedanken, um ihn konsequenter und mit Hilfe einer weitgreifenden Organisation in dem sogenannten Winterhilfswerk seit dem Spätherbst 1933 zu einer Dauereinrichtung auszugestalten. In beiden Fällen wurde ein Appell zur Opferbereitschaft zur politischen Erziehung eingesetzt, um durch Spenden zu anonymisierten Zwecken Hingabe an die Gemeinschaft und Begeisterung zu erzeugen. Offenbar stieß der Versuch der K P D im Sommer 1932 schon auf beachtliche Resonanz, wenn man den Mitteilungen einiger Bezirke folgen will. 1 5 7 An mehreren Orten zeitigte die Losung von der „Antifaschistischen Aktion" erkennbare Erfolge, die der kommunistischen Agitation einen neuen Weg wiesen, an den später wiederholt angeknüpft wurde. Der Gedanke großer Streiks aus politischen Anlässen erschien 1932 in taktischer Hinsicht als bewährtes Mittel, das ähnlich eingesetzt werden konnte wie die Opferparole der Sammlung für die „Antifaschistische Aktion". Die R G O folgte derartigen Überlegungen, geriet hierüber jedoch zur Parteileitung in einen Gegensatz, nachdem sie in großer Zahl
BA, R 45 IV/1558. So berichtete der KPD-Bezirk Halle-Merseburg an das Sekretariat des Zentralkomitees: „In den von uns angesetzten öffentlichen Versammlungen fanden wir zum ersten Mal wieder SPD-Arbeiter vor." 11. Juni; Abschr. BA, R 45 IV/1558. Ähnlich die KPDBezirksleitung Mittelrhein, 14. Juni; Original a. a. O. In Köln wurde ein vorbereitender Einheitsausschuß gebildet und sowohl ein christlicher Arbeiter als auch ein JungbannerMann in das Präsidium gewählt. Auch in einigen Kohlezechen konnten Einheitsausschüsse zustande gebracht, in mehreren Orten Diskussionsveranstaltungen abgehalten werden, an denen christliche und sozialdemokratische Arbeiter teilnahmen. Einzelne Parteieintritte, vor allem Ubertritte von der SPD zur KPD, wurden eifrig registriert. Auch Redner wurden aus dem Kreis alter SPD-Angehöriger angeworben und planmäßig eingesetzt. Im bisher vorliegenden Schrifttum zur Geschichte der KPD überwiegt eine Art Geistes- bzw. Ideologiegeschichte der zentralen Weisungen der KPD-Führung und der Komintern. Die inneren Verhältnisse und Vorgänge in der KPD bleiben weithin ungeklärt. Vgl. die im übrigen verdienstvolle Arbeit von Ossip K. Flechtheim, Die Kommunistische Partei Deutschlands in der Weimarer Republik, Offenbach 1948; die umfangreiche Einführung von Horst Duhnke, Die KPD von 1933 bis 1945, Köln 1972; auch die große, weltgeschichtlich angelegte Gesamtdarstellung von Franz Borkenau, Der europäische Kommunismus. Seine Geschichte von 1917 bis zur Gegenwart, München 1952. Einzelne Momente der hier erwähnten Zusammenhänge bei Siegfried Bahne, Die Kommunistische Partei Deutschlands, in: Matthias, Ende, bes. S. 670 — 675; auch die Erinnerungen von Margarete Buber-Neumann, Kriegsschauplätze der Weltrevolution. Ein Bericht aus der Praxis der Komintern 1 9 1 9 - 1 9 4 3 , Stuttgart 1967, S. 336 ff. 156
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eine Flugschrift unter dem Schlagworttitel „Wenn wir die Macht haben..." verbreitet hatte. Die phantasievolle „Aufzeigung der Möglichkeiten, die wir in lohnpolitischer, sozialer und kultureller Hinsicht haben ... wenn die Arbeiterklasse die Macht hat", ließ sich nicht mit den engen Agitprop-Richtlinien der KPD-Führung vereinbaren. 1 5 8 Das Thema sollte nach Vorstellungen der RGO „in tausend Variationen konkretisiert werden, insbesondere gegenüber dem nebelhaften und demagogischen Dritten Reich der Nazis". Doch dies fand nicht die Zustimmung der Agitprop-Abteilung des Zentralkomitees. Die KPD versuchte fast um jeden Preis, ein wachsendes Potential an „revolutionärer" Gewalt zu demonstrieren, und vernachlässigte die programmatische Seite der Propaganda. Hierin blieb sie ebenso opportunistisch wie die Nationalsozialisten. Auch in der kalten Planung von blutigen Zwischenfallen und Mordtaten stand sie den Nationalsozialisten nicht nach. Der Altonaer „Blutsonntag" bezeichnet einen Höhepunkt dieser Geschichte. 159
Das Ergebnis Den bis dahin heftigsten, von Gewalttätigkeiten begleiteten Wahlkampf beendete die Reichstagswahl am 31. Juli 1932; die Kette von Übergriffen und Gewaltakten beendete sie allerdings nicht. Ein Vergleich der Ergebnisse dieser Wahl mit denen vom 14. September 1930 führt die Auswirkungen der politischen wie der wirtschaftlichen Krise in der Bevölkerung vor Augen, deren Beteiligung noch nie so hoch war wie an diesem Tage und im Reichsdurchschnitt 84,1 Prozent, in einigen mitteldeutschen Wahlkreisen — so in Südhannover-Braunschweig, Leipzig, ChemnitzZwickau und Magdeburg — fast 90 Prozent erreichte. Die Zahl der Wähler war um annähernd drei Millionen größer als 1930. Dies brachte den größten Erfolg der NSDAP vor ihrer Machtübernahme 1933. Auch die KPD konnte ihren Wähleranteil gegenüber 1930 etwas, im Verhältnis zu den Landtagswahlen drei Monate vorher sogar bemerkenswert steigern. Gewiß gingen die Gewinne der NSDAP, die 37,3 Prozent der Stimmen auf ihrer Liste vereinigte, in den meisten Wahlkreisen, am deutlichsten in Ostpreußen und Pommern, auf Kosten der DNVP und ihrer konservativen Konkurrenten; aber sie gewann weit mehr von den Verlusten der SPD als die KPD. Schon im Frühjahr hatte ein marxisti158 159
Materialien hierzu nur von Seiten der RGO; BA, R 45 IV/1506. Buber-Neumann, Kriegsschauplätze, S. 267 f., 321 ff.; Duhnke, KPD, S. 21 f.
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scher Schriftsteller geklagt: „In letzter Zeit beginnt der Nationalsozialismus auch innerhalb der Arbeiterschaft einzubrechen ... Die vom Reformismus enttäuschten Arbeiter gingen ... nicht mehr in die kommunistische Partei, und Hunderttausende, die bisher kommunistisch wählten, wählen nunmehr nationalsozialistisch." 160 Jeder der Wahlgänge des Jahres 1932 lief mit anhaltenden, von Demonstrationen und teils blutigen Handgreiflichkeiten begleiteten Auseinandersetzungen und mit großzügigen, jedermann in irgendeiner Weise in Mitleidenschaft ziehenden Vorbereitungen einher, die den einzelnen unentwegt zu politischen Entscheidungen aufforderten. Man durfte nicht überrascht sein, daß sich in ihnen ein Protest gegen die der Bevölkerung entrückte autoritäre Regierung aussprach und „ein Zusammenfließen der Volksmassen zu einer rebellisch-revolutionären Masse" ankündete, wie Rudolf Hilferding schrieb. 161 Den größten Nutzen hiervon hatte die NSDAP, die nun zur „Sammelpartei" 1 6 2 verschiedenartiger Elemente aus allen Gruppen und Schichten wurde. Das Festhalten am Primat außenpolitischer Entscheidungen erwies sich als ineffektiv für die innere Politik, jedenfalls als inaktuell. In der Zeit der schwersten Krise erschien es ebenso verfehlt wie der finanz- und wirtschaftspolitische Konservativismus im Stadium des Zerfalls der Weltwirtschaft. Die Auflösung des Verfassungsstaates von Weimar zeigte sich aber auch in der steten Vermehrung der Parteien, die zur Wahl angetreten waren. Berücksichtigt man Wahllisten von lediglich regionaler Bedeutung, die jeweils nur in einem oder in wenigen Wahlkreisen aufgestellt wurden und keine Rolle im Reichstag anstrebten, so belief sich zum 31. Juli ihre Zahl auf 61; eine ganze Reihe von ihnen erhielt weniger als 10000 Stimmen, etwa eine „Gerechtigkeitsbewegung", eine „Partei der Erwerbslosen für Arbeit und Brot" oder eine Liste, die schlicht mit ihrem einzigen Programmpunkt nominiert wurde: „Höchstgehalt der Beamten 5 000 Mark". Die meisten dieser Listen besaßen keine ernsthafte Bedeutung und bezeichneten nur das Stadium des politischen Zerfalls. Insgesamt 15 Parteien zogen in den Reichstag ein; sechs verfügten über mehr als 10 Mandate, neben der Fraktion der NSDAP mit 230 Abge-
160
Fritz Sternberg, Der Niedergang des deutschen Kapitalismus, Berlin 1932, S. 390.
161
Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 2 1 1 .
162
Karl Dietrich Bracher, Die totalitäre Verführung. Probleme der Nationalsozialis-
musdeutung, in: Politik und Konfession. Festschrift f ü r Konrad Repgen zum 60. Geburtstag, hrsg. von Dieter Albrecht, Hans Günter Hockerts, Paul Mikat, Rudolf Morsey, Berlin 1983, S. 341.
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des präsidentiellen
Systems
ordneten die B V P über 22, die DNVP über 37, das Zentrum über 75, die KPD über 89 und die SPD über 133. Eine Rückkehr zum Parlamentarismus schien ausgeschlossen. Zentrum und BVP blieben im Hinblick auf den Anteil der Wählerschaft beständig. Die SPD behauptete sich zwar scheinbar noch in der Nähe älterer Resultate; doch die Zunahme der Wählerzahl und der Zugang an Neuwählern hatten die Proportionen verschoben. Mit einem Anteil von 21,6 Prozent der gültigen Stimmen — gegenüber fast 30 Prozent vier Jahre zuvor — befand sich die SPD deutlich im Rückzug, war sie eine zermürbte und verbrauchte Partei, deren älteste und angesehenste Führer mehr Resignation als Widerstandswillen und Zeichen der Amtsmüdigkeit an den Tag legten. Ein auffälliger Bodengewinn der NSDAP zeichnete sich in den Arbeiter- und unteren Mittelschichten innerhalb solcher Industriebezirke ab, in denen vor allem klein- und mittelbetriebliche Unternehmen vorherrschten, die die Wirtschaftskrise am härtesten getroffen hatte, und dort, wo die Industrialisierung in ländliche und kleinstädtische Bereiche vorgedrungen war und in Aufschwungsphasen wachsende Teile der arbeitenden Bevölkerung als Pendler in die Fabrikwelt benachbarter Städte einbezogen hatte. 163 Hier verfügten vordem SPD oder KPD oder beide gemeinsam über Hochburgen, die nun an die NSDAP gingen. Auffallig große Einbrüche gelangen ihr im Wahlkreis Chemnitz-Zwickau, vor allem in der Kreishauptmannschaft Zwickau, w o sie mehr Stimmen gewann als KPD und SPD zusammen, in den Industriestädten Aue, Werdau, Zwickau und Plauen, wo die NSDAP mit 53,2 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit erreichte. In den Amtshauptmannschaften des erzgebirgischen Industriegebietes bewegte sich ihr Stimmenanteil zwischen 54 und 58,5 Prozent. Ahnliche Einbrüche gelangen ihr in Westdeutschland in den Wahlkreisen Westfalen-Nord, namentlich im Regierungsbezirk Minden und im ländlichen Lippe, in Westfalen-Süd, Köln-Aachen und Düsseldorf-Ost, dort, wo nicht das Zentrum die stärkste Partei war und blieb und nicht die katholischen Wähler gegenüber den protestantischen die Mehrheit bildeten: im Siegener Land, im Sauerland, im Bergischen Land; hier konnte die NSDAP der absoluten Mehrheit unter den Wählern nahekommen oder sie erreichen, so in den Städten Detmold, Lemgo, Siegen und Wuppertal, der ersten Industriegroßstadt des Rheinlandes, in der die Nationalsozialisten 163
Die amtlichen Wahlergebnisse in den kleinen Verwaltungsbezirken von 1 9 3 2 wurden
erst mit mehrjähriger Verspätung vom Statistischen Reichsamt veröffentlicht: Die Wahlen zum Reichstag am 3 1 . Juli und 6. November 1932 und am 5. März 1933, Berlin 1935.
Das präsidentielle
Regierungssystem mit dem Reichskanzler Fran£ v. Papen
943
mit 42 Prozent der Wähler zur stärksten Partei wurden. Schließlich fielen der NSDAP beträchtliche Gewinne in Schlesien zu. In 16 der 35 Reichstags-Wahlkreise standen nun über 40 Prozent aller Wähler hinter der NSDAP als der stärksten Partei. Von großer faktischer, auch alltäglicher Bedeutung, mehr als Zahlen für die größten Zähleinheiten erkennen lassen, war die Bildung zahlreicher Schwerpunkte und Hochburgen, die die lokale Dominanz der NSDAP vorbereiteten. Sozial- und Wirtschaftsstrukturen, örtliche Vorgänge und Persönlichkeiten reichen kaum zur Erklärung aus. Die Krise wie die stärker werdenden Zeitströmungen, die sie ausgelöst hatte, fanden einen neuen Widerhall in einigen jüngeren Komplexen der nationalsozialistischen Programmatik und ihrer Propaganda. Auch dies trug zum Erfolg bei, den die Gewaltakte allein nie herbeigeführt hätten. Als im Verlauf der Wirtschaftskrise eine Minderung des Welthandelsvolumens eintrat und die Expansion des Außen- wie des Welthandels der Vergangenheit anzugehören schien, wurde die Thematik der Autarkie, wurden sogar Großraumideen in einem recht primitiven Sinne populär. Sie wurden in Deutschland seit geraumer Zeit diskutiert. 164 Auch Schacht hatte als weithin anerkannter Fachmann einen wirtschaftspolitischen Systemwechsel gefordert, der Deutschland eigene Rohstoffe und große Siedlungsgebiete bringen sollte. 165 So erwuchs eine wirtschaftlich-politische Ideologie unter dem Prägedruck der Krisenzeit, auch wenn dies kaum für die Propagandisten und Agitatoren sans phrase galt, wie etwa Goebbels, der sich nie um wirtschaftliche Fragen kümmerte und sich auf Arbeiter und Intellektuelle spezialisierte. Die nationalsozialistische Propaganda hatte sich den Autarkie-Gedanken angeeignet. Er lag ihrem Agrarprogramm zugrunde und im Sommer 1932 auch dem Arbeitsbeschaffungsprogramm, das die NSDAP mit großem Aufwand verkündete. Dieses Werkzeug für den Wahlkampf hatte ihr der Lübecker Industrielle Heinrich Dräger geliehen, der in ihre Dienste trat, um sein bislang erfolglos vorgebrachtes Programm durchzusetzen.166 164
Hierzu die kritische Schrift von Eulenburg, Großraumwirtschaft. Vgl. die ersten
Abschnitte von Eckart Teichert, Autarkie und Großraumwirtschaft in Deutschland 1930 — 1939. Außenwirtschaftspolitische Konzeptionen zwischen Wirtschaftskrise und Zweitem Weltkrieg, München 1984. 165
Schon Hjalmar Schacht, Nicht reden, handeln! Deutschland, nimm dein Schicksal
selbst in die Hand. Rede, gehalten v o r der Bremer Handelskammer am 3. Dezember 1930, Berlin o.J. "'6 Heinrich Dräger, Arbeitsbeschaffung durch produktive Kreditschöpfung. Beitrag zur Frage der Wirtschaftsbelebung durch das sogenannte „Federgeld", München o.J.;
944
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
Vorwort von Gottfried Feder, 15. Juni 1932. Leicht überarbeitet, erschien dieses Pamphlet nach der Wahl als Aufsatz von Dräger, Das nationalsozialistische Arbeitsbeschaffungsprogramm und seine Finanzierung, in: Die Deutsche Volkswirtschaft. Zeitschrift für nationalsozialistische Wirtschaftsgestaltung, Sonderheft 1932, S. 8—21. Aus diesem Aufsatz wurde der größere Teil als „Auszug" wieder abgedruckt von Bombach, Keynesianismus II, S. 120 — 140, mit veränderter Überschrift, aber Hinweis auf die Erstveröffentlichung. Das Programm Drägers stimmt inhaltlich überein mit dem noch stärker auf die Bedürfnisse des Wahlkampfes im Juli zugeschnittenen und erweiterten Wirtschaftlichen Sofortprogramm der NSDAP, ausgearb. von der Hauptabteilung IV (Wirtschaft) der Reichsorganisationsleitung der NSDAP, München 1932. Dem ersten Text hat Gottfried Feder eine F.inleitung, den beiden anderen Texten Gregor Straßer, in seiner Eigenschaft als Reichsorganisationsleiter, eine Verbindlichkeitserklärung vorangesetzt, obgleich er wahrscheinlich keinen Einfluß genommen hat. Um ein „Straßer-Programm", wie Kroll, Weltwirtschaftskrise, S. 427, meint, handelt es sich nicht. — Das Arbeitsbeschaffungsprogramm besteht aus drei Teilen. Am Anfang steht das eigentliche „Sofortprogramm", für das Adrian v. Renteln als Verantwortlicher genannt wird und das im wesentlichen fünf Punkte umfaßt: 1. „Die Umstellung der deutschen Wirtschaft auf den Binnenmarkt"; 2. Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung; 3. Ausbau der kleineren und mittleren Industrie- und Gewerbebetriebe zu Lasten der Großindustrie (!); 4. Arbeitsbeschaffungsprojekte, Landeskulturarbeiten, Eigenheimsiedlungen und Verkehrsbauten; 5. Der allmähliche Umbau der gesamten Wirtschaft in der Ausführung dieses Programms. Der Propagandazweck überwiegt offensichtlich in diesem Teil. Hingegen meinte es der Verfasser des zweiten und umfangreicheren Teils, Heinrich Dräger, Arbeitsbeschaffung durch produktive Kreditschöpfung, mit der von ihm behandelten Frage der Finanzierung ernst. Den dritten Teil des Programms bildet der Abschnitt „Die Grenzen der produktiven Kreditschöpfung" von Werner Daitz, der die „zentrale, staatliche Verwaltung des Geldzeichen- und Kreditvolumens" und die „einheitliche Manipulierung der Geldzeichen und Kredite" (S. 43) als Bedingungen für die Funktionstüchtigkeit eines Systems „produktiver Kreditschöpfung" bezeichnet. — Dräger gehörte zu den Gründern der „Studiengesellschaft für Geld- und Kreditwirtschaft", zu den Mitarbeitern der Wirtschaftswende. Zeitschrift für Wirtschaftserneuerung und kam in beiden Beziehungen mit Männern wie Lautenbach, Gereke, Herpel und Friedlaender-Prechtl in Berührung, die bereits lebhaft den Gedanken der produktiven Vorfinanzierung einer „Wirtschaftsankurbelung" vertraten. Auf diese Beziehung dürfte sich der von Kroll, a . a . O . , S. 435 ff., vermutete Einfluß von Friedlaender-Prechtl auf die NSDAP oder auf Straßer reduzieren lassen. Die Ausführungen Drägers sind außerdem nahezu unverändert, lediglich um die unmittelbar die NSDAP betreffenden Passagen gekürzt, wieder im Druck erschienen, Heinrich Dräger, Arbeitsbeschaffung durch produktive Kreditschöpfung. ND mit Stellungnahmen von Heinrich Brüning [u. a.] u. mit einem Geleitwort von Ernst Wagemann, Düsseldorf 1956, S. 23 — 97. Die Behauptung von Kissenkoetter, Straßer, S. 81, „Tatsächlich trat Straßer im Mai 1932 ... mit einem originellen und eingängigen Arbeitsbeschaffungs- und Wirtschaftsprogramm hervor, dem die anderen politischen Parteien nichts Ebenbürtiges entgegenzusetzen hatten", ist eine kräftige Übertreibung, die S. 83 ff. nachfolgende Darstellung des „eingängigen" Programms ein mixtum compositum von Zitaten aus der Reichstagsrede am 10. Mai, dem — nicht von Straßer herrührenden — „Sofortprogramm" und einer Sportpalastrede am 20. Oktober 1932, zu einem Zeitpunkt, da „Arbeitsbeschaffung" ein gängiges Schlagwort war.
ACHTZEHNTES
KAPITEL
Der Reichspräsident verhindert eine Kanzlerschaft Hitlers August 1932 Durch ihr Vorgehen gegen Preußen hatte die Regierung Papen ihre Lage dem Reichstag gegenüber nur verschlechtert. Unter dem Eindruck von Koalitionsverhandlungen des Zentrums mit der N S D A P 1 6 7 gewann für sie der Gedanke an Gewicht, die Nationalsozialisten in das Kabinett hineinzuziehen, um sie „an der Verantwortung" zu beteiligen, was innerhalb des Reichstags einen starken Block hinter die Regierung gebracht, für eine Mehrheit allerdings noch nicht ausgereicht hätte. 168 Doch Gewaltakte und Umtriebe der SA bildeten ein Kapitel für sich. Daß die Aufhebung des SA-Verbots keine Entlastung der Gesamtlage, sondern 167 Vgl. Bracher, Auflösung, S. 623; Morsey, Zentrumspartei, S. 315 f. Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang ein Schreiben des hessischen NSDAP-Gauleiters an die Reichsleitung vom 1. August, das offensichtlich durch eine telefonische Weisung aus München veranlaßt wurde, sowie der Briefwechsel zwischen dem Fraktionsvorsitzenden Best und dem Gauleiter vom 8. bzw. 11. August. Die vertrauliche protokollartige Mitteilung Dr. Bests gab u. a. folgende Äußerungen des ihm persönlich als Anwaltskollegen bekannten Fraktionsvorsitzenden des Zentrums im hessischen Landtag, Dr. Bockius, vom 6. August wieder: „Er könnte von der Zentrumspartei sagen, daß der Wille zu einer Koalition mit der N S D A P vorhanden sei. Das sei auch die Meinung Dr. Brünings, der allerdings selbst in einer solchen Regierung nicht mitwirken könne, da er durch die Politik Hugenbergs im letzten Reichstag gegen seinen Willen auf die Tolerierung der SPD festgelegt worden sei. Auch die Reichsleitung der NSDAP sei nach seiner Information geneigt, sich mit der Zentrumspartei zu einigen. In einer kürzlich im Braunen Haus erfolgten Aussprache habe sich, wie man erfahre, die ,soziale' Richtung Hitler-Straßer gegen die .radikale' Richtung (etwa Dr. Goebbels) durchgesetzt. Er halte es für das Beste, wenn Hitler Reichskanzler würde. Mit dem Verbleiben Schleichers, der ja von der N S D A P anerkannt werde, sei man auch einverstanden. Der Zentrumspartei liege vor allem daran — dieser Satz kehrte öfter wieder —, daß ein verfassungsmäßiges parlamentarisches Weiterregieren im Reiche sichergestellt werde. Auch in Hessen könne man sich deshalb jetzt einigen. Es wäre sogar für beide Parteien wünschenswert, daß in Hessen einmal die Koalition Zentrum-NSDAP vorexerziert werde, da ein Scheitern des Versuches beiden Parteien hier nicht viel schaden könne. Er habe von seiner Reichsleitung alle Vollmachten, die erforderlichen Vereinbarungen mit der NSDAP zu treffen." BA, NS 22/1053. 168
IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch, Eintragungen am 1., 2. u. 3. August.
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beträchtliche Unsicherheit gebracht hatte, wußte man im Reichswehrministerium spätestens seit den letzten Julitagen, als von Kommandeuren in Pommern alarmierende Meldungen über SA-Bewegungen und Bewaffnungsversuche eingingen. Der Chef des Ministeramtes, Oberst v. Bredow, lud Göring und Röhm zu einem Gespräch in das Ministerium, dessen Verlauf auch schlimmste Befürchtungen bestätigte. Nun schien nicht mehr zweifelhaft, „daß die SA allerschärfster Beobachtung bedürfte". 169 Wie weit die Dinge gediehen waren, ergibt sich aus einer Weisung vom 5. August an den Chef des Stabes der 2. Division in Stettin, 170 wonach „in den nationalsozialistisch regierten Ländern 171 SALeute offiziell zur Verstärkung der ordentlichen Schutzpolizei herangezogen" wurden und „die NSDAP zur Zeit den Versuch macht, auch mit Hilfe der Wehrmacht ihren SA- usw. Leuten Zugang zur aktiven Betätigung im Staatsapparat zu verschaffen"; doch „die Überlassung von wehrmachteigenen Waffen oder von Reichswehrgerät an SA, SS usw. ... durch Reichswehrdienststellen kommt nicht in Frage ... Ein Zusammenarbeiten zwischen Truppe und SA usw. im Falle innerer Unruhen ist nicht beabsichtigt." Bredow wollte auch durchsetzen, daß künftig bei offiziellen Fühlungnahmen von Führern der NSDAP mit Reichswehrdienststellen „die einheitliche Parteikleidung nicht mehr getragen wird". Diese Entscheidungen rührten von einem Vertrauensmann Schleichers her, der ebenso wie der Reichswehrminister nicht erst neuerdings bekannt hatte, „daß die Macht im Reich einzig und allein die Wehrmacht sei". 172
169
26. Juli; Aktennotiz Bredows vom 3. August, handschriftl. zurückdatiert auf den
26. Juli; BA, Nachl. Bredow/1. Bredow traf wahrscheinlich den Nagel auf den K o p f , wenn er resümierte, daß er und der anwesende Oberstleutnant Ott den Eindruck hatten, „daß irgendetwas von der SA-Seite nach den Wahlen geplant sei und daß das Verhalten einiger SA-Führer, die sich mit den militärischen Dienststellen in Verbindung gesetzt hatten, ihnen [wohl Röhm und Göring] das Konzept verdorben habe". Er habe den nationalsozialistischen Gesprächspartnern — Röhm, Göring und v. Alvensleben, einen vielseitigen Vermittler gegen Geld, den Bredow kurzhin der N S D A P zuschlug, — erklärt: „Bei allen ungesetzlichen Maßnahmen würden sie auf die Machtmittel des Reiches bzw. des Staates stoßen. Die Herren gaben ihr Wort, daß von den Nationalsozialisten bzw. der SA nach den Wahlen nichts erfolgen würde. Sie glaubten aber, ein Recht darauf zu haben, Vergeltung zu üben, was der Marxismus an Unheil angerichtet habe." Bredow zitierte wörtlich: „Sie können uns die größten Strapazen auferlegen, Sie können uns verhungern lassen, aber das Recht auf Rache [!] lassen w i r uns von niemand nehmen, auch nicht von unserem Führer." 17l)
Bredow an den Chef des Stabes, „Geheime Kommandosache!", 5. August; Abschr.
BA, Nachl. Bredow/1. 171
Anhalt, Mecklenburg-Schwerin und Oldenburg.
172
Aktenvermerk des damaligen Leiters der Abwehr, Oberstleutnant v. Bredow, über
Der Reichspräsident verbindert eine Kanzlerschaft
Hitlers
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Klare Linien waren sonst aber kaum zu erkennen; klärende Entscheidungen standen nicht in Aussicht. Verhältnismäßig deutlich erscheint der Kurs, den die Redaktion der liberalen „Vossischen Zeitung" festlegte: Opposition gegen die Reichsregierung und Forderung nach Herstellung der Ordnung. — „Eine Regierung, die eben den Mund so voll genommen hat, macht sich lächerlich, wenn sie Vorgänge wie die in Königsberg und Oldenburg nicht verhindert." 173 — Des weiteren: penible Einhaltung der Verfassung, Herbeiführung einer beruhigten Lage, was auch die Vermeidung weiterer Wahlen verlangte, damit eine Wirtschaftsbelebung einsetzen konnte, eine Handelspolitik, die den Export nicht „zerschlägt", eine Kreditpolitik, die nicht Verträge verletzt, Sparer schädigt und den Wiederaufstieg hemmt, schließlich die Aufrechterhaltung der Währung. Dies ergab eine einigermaßen konsequente Linie für die Publizistik eines großen Blattes, nach dem ebenso honorigen wie vernünftigen Grundsatz, daß die Verfassung der einzige wirksame Schutz gegen eine „wirklich radikale Regierung von rechts oder links" bleibt. Mancher Beobachter begann jetzt erst den wahren Wert der Verfassung zu erkennen, nachdem man bislang auf allen Seiten recht großzügig mit ihr umgegangen war. Hans Schäffer moderierte: „...entweder Hereinnahme Hitlers und alsdann Regierung im Rahmen der Verfassung oder eine Beamtendiktatur, dann aber Bewegung an den Grenzen der Verfassung; nur Hitler und Verfassungserweiterung geht nicht." 174 Das letzte bezeichnete die größte Gefahr, wie die Ereignisse der Jahre 1933 und 1934 bestätigten. Überblickt man die weitere Entwicklung, so könnte es den Anschein haben, als gliche der erste Teil der Überlegung Schäffers einer Markierung des Raumes, in dem sich Verhandlungen, Erwägungen und Erprobungen der nächsten Zeit vollzogen. Bei vielen Beobachtungen spielte aber auch der innere Zustand der NSDAP eine Rolle. Schäffers Ausscheiden aus dem Reichsfinanzministerium im April 1932 bedeutete keinen Abschied von der Politik. Als Generaldirektor übernahm er die Leitung des bedeutenden Ullstein-Verlages, übte er beträchtlichen Einfluß sowohl auf die Verlagsproduktion der nächsten Monate ein Zusammentreffen mit Major a.D. Pabst, 10. März 1931, Paraphen von Schleicher und Groener; BA, Nachl. Bredow/9. 173
IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch, 1. August. In beiden Städten, aber auch in Kassel
und in mehreren Orten Oberschlesiens kam es in den ersten Tagen nach der Reichstagswahl zu Gewaltakten v o r allem der SA, in Königsberg zu Bomben- und Revolverattentaten, zur Ermordung eines kommunistischen Stadtverordneten und Übergriffen gegen jüdische Geschäfte. Horkenbach 1932, S. 279 ff. 174
IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch, 2. August.
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IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
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als auch auf die politische Linie der „Vossischen Zeitung" aus, einer der größten Zeitungen Deutschlands, die älteste und häufig bestinformierte Berliner Tageszeitung. 175 Wiederholt hatten genaue, mitunter den Entscheidungen vorauseilende Nachrichten in der Berliner Presse die Reichsregierung in Aufregung versetzt. Aber geheime Untersuchungen führten nicht zur Aufdeckung der wegen ihrer Zuverlässigkeit gefürchteten Quellen einer auf deutschem Boden neuartigen Pressemacht. Neben dem „Demokratischen Pressedienst" von Karl Brammer und dem „Vorwärts", den der Sozialdemokratische Pressedienst versorgte, traten die „Vossische Zeitung", die „Frankfurter Zeitung" und das „Berliner Tageblatt" hervor. 176 Nun bereicherte der ehemalige Staatssekretär, seine vielseitigen Verbindungen nutzend, die alteingeführte „Voss", wie sie in Berlin hieß. Er arbeitete eng mit dem ehemaligen Reichsfinanzminister Peter Reinhold zusammen und pflegte gute Beziehungen zur Reichskanzlei, in der Planck als Staatssekretär die entscheidende Stellung innehatte, zu Hilferding, Paul Hertz, Kempner, dem Großindustriellen Otto Wolff, auch zu Stegerwald. Zwischen Schäffer und Bülow bestand ein „restloses Vertrauensverhältnis, das ohne Unterbrechung bis zum Tage seines Todes im Sommer 1936 gedauert hat". 177 Häufig sprach Schäffer mit Eduard Hamm, Theodor Leipart, Luther, Melchior, gelegentlich mit Schleicher, Brüning und Otto Straßer. Die Leitung des Ullstein-Konzerns verfügte über ein vorzüglich unterrichtetes Informationsbüro, das in seiner Bedeutung einem über zuverlässige Quellen gebietenden kleinen Geheimdienst nahekam und sich auf Berliner Kreise, Behörden und politische
175 Die neben dem gutinformierten politischen Teil stets durch ihren Kulturteil ausgezeichnete Vossische Zeitung w a r als „Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen" Anfang des 18. Jahrhunderts als Wochenblatt gegründet worden und erschien seit 1824 als Tageszeitung, gegen Ende des Jahrhunderts zweimal täglich. Zur Politik der Leitartikel die vergleichende Untersuchung von Bosch, Presse. Sie berücksichtigt allerdings nicht die noch bedeutendere Nachrichtenpolitik. 176 Eine Reihe interner Vorgänge im Reichskabinett wie auch deren Vorbereitung veranlaßten in der Reichsregierung Klagen und Erörterungen über „Indiskretionen". Untersuchungen führten regelmäßig ins Leere. Strafrechtliche Handhaben, für die übrigens allein das preußische Justizministerium zuständig war, ergaben sich nicht. Politisch belangvoll waren u. a. genaue Vorausinformationen über den Nachtragshaushalt des Reiches im Oktober 1929, über die Disponierung der vom Young-Plan erwarteten und bereits benötigten Einsparungen an Reparationsleistungen, über die Stillhalteverhandlungen 1931, über Einzelheiten fast aller großen Notverordnungen während der Vorbereitungszeit und im Oktober 1931 über den deutschen Antrag in der BIZ, was auch im Ausland überraschte. Vorgänge BA, R 43 1/1971. 177
Schäffer in seinem Wallenberg-Manuskript; BA, Nachl. Dietrich/308.
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Spitzengruppen konzentrierte. Die im Nachlaß von Hans Schäffer überlieferten Informationen vermitteln ein aufschlußreiches Bild von hintergründigen Vorgängen im Sommer und Herbst 1932. Als Papen während der ersten Augusttage für einen kurzen Urlaub Berlin verließ und Gayl ihn wieder vertrat, kam Schleicher erneut mit der nationalsozialistischen Seite ins Gespräch, die auch mit Angeboten des Zentrums operierte. 178 Über seinen Vertrauten, Oberleutnant a.D. Schulz, ließ Gregor Straßer dem Chef des Ministeramtes im Reichswehrministerium am 3. August die Neuigkeit mitteilen, daß Hitler erwäge, persönlich das Kanzleramt anzustreben, Straßer und Göring aber versuchen wollten, ihn „von seinem Vorhaben abzubringen". 179 Sicherlich wollte sich Straßer, der ein ehrgeiziges Spiel begann, hierdurch selbst empfehlen. Ob Schulz oder ein anderer den Eindruck erweckte, daß im Falle einer nationalsozialistischen Regierungsbeteiligung die SA aufgelöst würde, bleibt ungewiß; 180 doch für Schleicher fiel dies in den nächsten Tagen gravierend ins Gewicht, galt als „wahrscheinlich, daß die Führer der Nationalsozialisten sich nach dem Eintreten in die Regierung der SSund SA-Abteilung selbst entledigen würden". 181 Der General ließ dem ,Braunen Haus' in München mitteilen, daß die Nationalsozialisten in ein Kabinett aufgenommen würden, das den Charakter eines Präsidialkabinetts beibehalten müsse, so daß sie nicht als Parteileute, sondern lediglich als Beauftragte des Reichspräsidenten ernannt würden; über Bedingungen könne angesichts des Charakters des Kabinetts nicht verhandelt werden. Das Reichskanzleramt stand nicht zur Diskussion. Hitler versuchte, Straßer zu überrunden, indem er unverzüglich die Initiative ergriff und sich — wahrscheinlich nach Vermittlung durch den Unterhändler Werner v. Alvensleben — am 5. oder 6. August mit Schleicher traf, der sich in Dresden aufgehalten hatte. Er präsentierte seine Forderungen, mit denen er aufs Ganze ging und für die er schließlich den Reichswehrminister gewonnen glaubte. Goebbels, der Hitler am 7. August auf dem Obersalzberg besuchte, vermerkte triumphierend: „In Tagebuch Schäffer, Eintragung vom 5. August; auch vertraulicher Bericht vom gleichen Tag; IfZ, Nachl. Schäffer/38. 179 Kurze Orientierung von Bredow, 3. August; BA, Nachl. Bredow/1. 180 Im Schäffer-Tagebuch, Eintragung am 10. August, erscheint es so — nach Information des Redakteurs Reiner durch Planck —, daß Schleicher mit Hitler und Straßer gemeinsam gesprochen hatte. Das ist möglich, aber nicht sicher. Vgl. Kissenkoetter, Straßer, S. 142 f. Offenbar war Straßer der Gewährsmann für Schleichers Auflösungshoffnungen, die dieser in der Reichsministerbesprechung am 10. August zum Ausdruck brachte. 181 AR: Papen, 1, S. 384. 178
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einer Woche bricht die Sache auf. Chef [Hitler] wird Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident. Straßer Reichs- und preußischer Innen [minister]. Goebbels preußischer Kultus [minister] und Reichserziehung[sminister]. Darre in beiden [Regierungen] Landwirtschaft. Frick Staatssekretär Reichskanzlei. Göring Luftfahrt. Justiz bleibt uns. Warmbold Wirtschaft. Krosigk Finanz. Schacht Reichsbank. Ein Kabinett von Männern. Wenn der Reichstag das Ermächtigungsgesetz ablehnt, wird er nach Hause geschickt." 182 Schleicher und Hitler hatten also nicht nur eine nationalsozialistisch geführte Regierung ohne Koalitionsbindungen erörtert, sondern sich auf die Verbindung der preußischen Regierung mit der Reichsregierung und auf Persönlichkeiten geeinigt. Ein Ermächtigungsgesetz, wie es Brüning gewollt hatte, das die Regierung sowohl vom Reichstag als auch vom Reichspräsidenten unabhängig stellte, war zumindest erwogen worden. Sogar ein Termin erscheint festgelegt: in einer Woche, also am 13. August. Die Entscheidung lag beim Reichspräsidenten; aber Schleicher war allem Anschein nach gewonnen und wollte das Wagnis unternehmen, „den Alten Herrn zu einer Kanzlerschaft Hitlers zu bekommen". Dessen Begründung, das „Führerprinzip in seiner Partei" verlange, daß die Minister der NSDAP stets seine Genehmigung einholten, daher sein „Draußenbleiben" nur die praktische Arbeit erschwere, 183 leuchtete ihm wohl ein. Aber vielleicht regte sie auch noch andere Reflexionen an. Die Beständigkeit der Eindrücke und Gedanken Schleichers steht immer in Frage. Bevor Hindenburg unterrichtet wurde, mußten Kanzler und Kabinett zu einem Entschluß gebracht werden, die sich in einer alles andere als günstigen Lage sahen. Sie befanden sich in steter Auseinandersetzung mit den Ministern der abgesetzten preußischen Regierung, 184 mit den Ländern und dem Reichsrat. 185 Außenpolitisch war die Regierung von Gehalt und Gestalt des französisch-englischen „Konsultativpaktes" irri-
182
Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 217. Das Datum des Treffens Hitler-Schleicher ergibt
sich nicht zweifelsfrei aus den Eintragungen v o n Goebbels, der Ort gar nicht. Die Wahrscheinlichkeit spricht für den 5. und einen Treffpunkt in oder um Dresden. Dieses Datum bei Bredow, Notizen für eine Besprechung der Amtschefs am 15. August; BA, Nachl. Bredow/1. Vgl. Bracher, Auflösung, S. 6 1 0 f.; auch Vogelsang, Reichswehr, S. 257, dort A n m . 1202 zu den Kontroversen über das Treffen in der älteren Literatur; vgl. Konrad Heiden, Geburt des Dritten Reiches. Die Geschichte des Nationalsozialismus bis Herbst 1933, Zürich 1934, S. 77. 183
Vogelsang, a. a. O., S. 257 f.; Horn, Führerideologie, S. 356.
184
A R : Papen, 1, S. 263 f., 289, 293, 3 3 6 - 3 4 0 .
185
a. a. O., S. 290, 2 9 4 - 3 1 3 , 3 1 6 f f . , 3 2 2 f . , 341 ff.
Der Reichspräsident verhindert eine Kanzlerschaft Hitlers
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tiert 186 und sah sie sich wenig später vor die Alternative einer Abänderung oder Kündigung des wichtigen deutsch-französischen Handelsvertrages gestellt. 187 Botschafter v. Hoesch wechselte als Nachfolger Neuraths nach London. Vor allem aber versteifte sich die Haltung sowohl Frankreichs als auch Englands hinsichtlich der deutschen Gleichberechtigungsthesen in der Abrüstungsfrage. Das Vertrauensabkommen erwies sich als wirksam; die hoch angesetzten deutschen Wünsche erschienen aussichtslos. 188 In Preußen leiteten die Reichskommissare Papen und Bracht, die sich mit den an der Spitze der Ministerien amtierenden Staatssekretären umgaben 189 und nach der Geschäftsordnung des Staatsministeriums berieten und beschlossen, den durchgreifendsten Personalwechsel in der Kategorie der disponiblen politischen Beamten seit 1919 ein, der bis 1933 nicht zum Abschluß gelangte. 190 Sie begannen mit einer rigoros einspa-
186
Schon Art, Charakter und Benennung des erklärten Einvernehmens beider Mächte irritierten. Auch in den Überlieferungen des Auswärtigen Amts wechseln die Bezeichnungen, wird der „accord de confiance" „Konsultativpakt" oder „-abkommen", „sogenannter Konsultativpakt", „französisch-englisches Abkommen" oder „Vertrauensabkommen" genannt. 187 ADAP, B, XXI, S. 90ff., 123f., 3 9 6 - 3 9 9 . DDF, 1, I, S. 4 7 1 - 4 7 4 , 5 7 8 - 6 0 1 , 703-708. 188 ADAP, B, XXI, S. 59ff., 66ff., 86ff. Dann zur französischen Note vom 11., der englischen vom 18. September und ihrer Aufnahme a. a. O., S. 1 0 4 - 1 0 8 , 1 2 0 - 1 2 3 , 129 ff., 142f.; DDF, 1, I, S. 2 2 1 - 2 3 6 , 301, 305 - 310, 312ff. ; DBFP, 2, IV, S. 172ff. 18 ; ' Hölscher (Justiz), Lammers (Wissenschaft, Kunst, Volksbildung), Schleusener (Finanzministerium), Scheidt (Volkswohlfahrt). Die der SPD angehörenden Staatssekretäre Krüger (Landwirtschaft) und Staudinger (Handelsministerium) wurden durch den Staatssekretär des Reichsernährungsministeriums Mussehl und den Reichskommissar für das Bankgewerbe, Ministerialdirektor Ernst, ersetzt. Vgl. Staudinger, Wirtschaftspolitik, S. 110. Das Ministerium für Volkswohlfahrt wurde durch Verordnung vom 29. Oktober aufgehoben. Der Staatssekretär im Staatsministerium Weismann wurde auf eigenen Antrag aus persönlichen Gründen zunächst beurlaubt und zum 31. Oktober in den Ruhestand versetzt. An seine Stelle trat Ministerialdirektor Nobis. Sitzungsprotokolle GehStAB, Rep. 90/A 40; größere Auszüge abgedruckt AR: Papen, 1 u. 2. Als erste wurden außer den sozialdemokratischen Staatssekretären Krüger und Staudinger im Innenministerium Staatssekretär Abegg und Ministerialdirektor Badt, die Oberpräsidenten der Provinzen Niederschlesien, Sachsen, Schleswig-Holstein und HessenNassau, sechs Regierungspräsidenten, außer dem Polizeipräsidenten von Altona auch die Polizeipräsidenten von Berlin, Königsberg, Kiel, Köln, Elbing, Hagen i.W., Kassel und Oppeln und die Polizeidirektoren in Wilhelmshaven und Schneidemühl als Wartestandsbeamte in den einstweiligen Ruhestand versetzt. AR: Papen, 1, S. 281 ff. Es folgten weitere hohe Beamte, vor allem Landräte. Hauptbetroffene waren der SPD angehörende Beamte, von denen im April 1933 nur noch ein Oberpräsident, ein Regierungspräsident und ein Landrat im Amt waren. Auch einige Mitglieder der Deutschen Staatspartei wurden ihrer
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Systems
renden Verwaltungsreform, 191 die infolge der noch keineswegs definitiv und einwandfrei geklärten Beziehungen zwischen Preußen und dem Reich den gesamten Problemkomplex einer Reichsreform ins Blickfeld rückte. Er wurde jedoch weder eingehend bearbeitet noch einem endgültigen Lösungsversuch nahegebracht. 192 Im Reichswehrministerium erörterte man währenddessen ein Wirtschaftsprogramm, das eine partielle ,Sozialisierung' in Gestalt einer Verstaatlichung aller mit Reichssubventionen oder Reichsgarantien arbeitenden Betriebe und ein Außenhandelsmonopol vorsah; sogar über Währungsexperimente wurde nachgedacht, die der Währung die Arbeitslöhne zugrunde legen wollten. 193 Eine solche Extravaganz verzichtete von vornherein auf außenwirtschaftliche Kompatibilität und steuerte auf Autarkie zu, wobei politische und wirtschaftliche Motive zusammenrückten. Über die Einführung der Arbeitsdienstpflicht sollte die Auflösung der SA angestrebt werden. Schließlich sollte die Kandidatenaufstellung zur Reichspräsidentenwahl durch eine Neufassung des Ausführungsgesetzes nach Artikel 41 Abs. 3 der Reichsverfassung so geregelt werden, daß künftig solche Kandidaten Vorrang erhielten, die entweder von dem amtierenden Reichspräsidenten als Nachfolger empfohlen oder von einer Mehrheit des Reichstags vorgeschlagen wurden. — Tatsächlich war der Gedanke der unmittelbaren Volkswahl in den ersten beiden Absätzen des Artikels 41 bereits durch das zweite Ausführungsgesetz über die Wahl des Reichspräsidenten vom 13. März 1925 zurückgedrängt worden, das die Wahlvorschläge der Parteien privilegierte. — Sogar die Beratung des Präsidenten bei der Anwendung des Artikels 48 durch einen „Präsidialrat" hielten die verfassungspolitisch planenden Stabsoffiziere im BendÄmter enthoben sowie der Regierungspräsident in Münster, Amelunxen, der dem Zentrum angehörte. A n seine Stelle trat Pünder, bisher Staatssekretär in der Reichskanzlei. Hierzu die Anlagen zu den Sitzungsniederschriften der Kommissarsregierung; G e h S t A B , Rep. 90/ A 40. Vollständige Übersicht über die Parteizugehörigkeit von Landräten in den Landratslisten des Preußischen Landkreistages; BA, R 36/46. A R : Papen, 1, S. 349 —357. In Ausführung der preußischen Sparverordnung v o m 23. Dezember 1931 erfolgte am 27. Juli die Aufhebung von 60 Amtsgerichten, von 58 Landratsämtern sowie des Regierungsbezirkes Stralsund, a. a. O., S. 326; s. oben S. 744. 192
Die Verfassungsfeier des Reichstags am 11. August eröffnete Gayl mit einer Rede,
die die Diskussion über eine Reichsreform — wie schon ein Jahr zuvor durch Wirth — erneut in die Öffentlichkeit tragen sollte. Auszug Schulthess 1932, S. 1 3 8 f f . ; vollständiger Text hrsg. von der Reichszentrale für Heimatdienst, Verfassungsrede, gehalten vom Reichsminister des Innern Freiherrn v. Gayl ..., Berlin 1932. Weitere Materialien hierzu BA, Nachl. Gayl/28. 193
Dies und das Folgende nach dem Tagebuch Schäffer, Eintragungen im August 1932.
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Hitlers
953
lerblock für empfehlenswert; sie stießen allerdings auf den Widerstand des Chefs des Ministeramtes. 194 Papen bemühte sich um Tolerierung der Reichsregierung durch das Zentrum, ohne es mit Ministersitzen abzufinden, um mit seiner Hilfe eine parlamentarische Verankerung zu erreichen. Falls sich dies als unmöglich erweisen sollte, wollte ein Plan Schleichers ein Volksbegehren einleiten mit dem Ziel, den Reichstag auf vier Jahre zu vertagen. 195 Der erste ,Vierjahresplan' einer Ausschaltung des Parlaments war im August 1932 schon geboren. Alle diese Erörterungen bewegten sich um die Ermöglichung eines Kabinetts Papen-Hitler oder Hitler-Papen mit einigen Nationalsozialisten, das entweder vom Zentrum toleriert oder durch eine vierjährige Ermächtigung sowohl von der Bindung an den Reichstag als auch von einem System permanenter Notverordnungen des Reichspräsidenten befreit wurde. Die Nutzung des Instruments eines Volksentscheids war geläufig, der Gedanke der Verfassungsänderung durch Plebiszit schon 1928 vom Stahlhelm ins Gespräch gebracht worden. 196 Mit der NSDAP hoffte man fertig zu werden, indem man auf gegenseitige Toleranz setzte, wobei eine schlichte Kalkulation den Ausschlag gab, in den Worten Gayls: Wenn die NSDAP „hinter Papen" trat, „so mußten ihr zwangsläufig Deutschnationale, Volkspartei und Wirtschaftspartei folgen. Sogar auf Zuzug aus dem demokratischen Lager war zu rechnen, weil Macht anzuziehen pflegt. Nur auf dem Wege über die NSDAP war mit einer Mehrheit zu rechnen, welche dem Kabinett Papen eine zwar dornenvolle, aber nicht ganz aussichtslose Zukunft" bieten konnte. 197 Lediglich in einer Hinsicht war man klüger geworden und sah man weiter als Brüning: Vom Regieren mit Hilfe von Notverordnungen des Reichspräsidenten wollte man Abstand gewinnen. Sie genügten nach Überzeugung des Reichsinnenministers, „um eine kurze Zeit autoritär regieren zu können"; aber sie bannten nicht die Gefahr der „Regierungskrisis..., die sich letzten Endes gegen den Reichspräsidenten" auswirkte und sein Ansehen schädigte. 198
194
Kurze Orientierung von Bredow für Schleicher, 23. August; BA, Nachl. Bredow/1.
195
Tagebuch Schäffer, 5. August, nach einem Gespräch mit Planck. Interessant ist eine
Erwiderung Stegerwaids auf die Mitteilung Schiffers: Ein solcher Plan der Vertagung des Reichstags über ein Volksbegehren hätte keine Aussichten; dies ließe sich die Bevölkerung nicht gefallen. Eintragung vom 6. August. m
Schulz, Vorabend, S. 274 ff.
197
Undatierte maschschriftl. Aufzeichnung; BA, Nachl. Gayl/53.
198
Ebda.
954
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Schleicher und die Gewerkschaften.
Papens
Systems
Wirtschaftsprogramm
Die Regierung Papen sah sich aber ebenso wie Brüning in der Situation, sich um eine Sicherung ihrer Stellung auch nach links bemühen zu müssen. Hans Schäffer erkannte dies zuerst. Nachdem er am 21. Juli beim Bundesvorstand des ADGB sondiert hatte, regte er über Planck Gespräche mit den Führern der größten Gewerkschaft an. 199 Schleicher, als spiritus rector des Kabinetts und auch nach außen als der eigentliche „Träger der Gewalt" hervorgehoben, 200 erkannte die Chance und schritt wie gewohnt schnell zur Entscheidung, auf die Leipart sofort einging, allerdings unter der Bedingung, daß der Kanzler und nicht der Wehrminister einlud. Noch am Tage vor der Reichstagswahl, am 30. Juli vormittags, saßen dann Leipart, Eggert und Graßmann Reichskanzler v. Papen, Schleicher und Gayl gegenüber, 201 begann die Operation mit dem Ziel eines gegenseitigen Einvernehmens. Die infolge des Vorgehens in Preußen gestörten Beziehungen der Reichsregierung zu den Ländern spielten keine Rolle. 202 So galt als wichtiges Ergebnis dieser Zusammenkunft, daß der ADGB nichts mehr nachtrug und mit Schleicher ins Gespräch kam. Daß der Reichswehrminister als der Mann der Stunde erschien, ergab sich im Verlauf der Unterredung. Leipart resümierte im ADGB-Büro seinen Eindruck, „daß die Regierung nicht gewillt sei, sich beiseite drängen zu lassen. Sie habe sich auf Jahre eingerichtet. Im übrigen dürfte man es bei aller politischer Meinungsverschiedenheit doch mit klugen und anständigen Leuten zu tun haben ... Der maßgebende Mann sei Schleicher"; „ein kluger Kopf mit weitem Gesichtskreis", ergänzte Graßmann. 203 Man war angenehm überrascht und über Schleichers Ankündigung eines großen Arbeitsbeschaffungsprogramms erfreut, das bis zum Eintritt des Winters zwei Millionen Arbeitslose in Lohn und Brot bringen sollte. Auch über ,Sozialisierung' wurde so gesprochen, wie schon die Informationen Ullsteins aus der Bendlerstraße besagten: Schleicher versicherte, die Regierung wolle stärkeren Einfluß auf subventionierte Betriebe nehmen, auch auf die Gehälter der leitenden Angestellten.
IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch, 6., 21. u. 28. Juli. 2"°
Planck telefonisch gegenüber Leipart; Aktennotiz Leiparts, 29. Juli; Jahn, Gewerk-
schaften, S. 634, auch 636. 201
Bericht Leiparts über die Besprechung a. a. O., S. 635 — 640; Tagebuchaufzeichnung
Schäffers v o m 10. August, abgedruckt a. a. O., S. 641 ff. 2,12
AR: Papen, 1, S. 336 - 344.
203
Jahn, Gewerkschaften, S. 640, auch 642 f.
Der Reichspräsident verhindert eine Kanzlerschaft
Hitlers
955
Er versprach sogar, die Gewerkschaftshäuser gegen Angriffe in Schutz zu nehmen, was eigentlich Sache der Innenminister war. Verglichen mit dem Gewicht der moralischen Eroberung des Reichswehrministers nahmen sich die programmatischen Anfange der Regierung Papen aber bescheiden aus. Allerdings versuchte sie, den Ermahnungen des Reichspräsidenten zu aufbauenden Maßnahmen insofern zu folgen, als sie bearbeitete, aber offengebliebene Vorhaben der BrüningZeit übernahm, darunter Siedlung, freiwilligen Arbeitsdienst und Arbeitsbeschaffung, um den fatalen Eindruck, den die Abfolge der Notverordnungen hinterlassen hatte, zu mildern. 204 Eine Notverordnung vom 14. Juni 205 sicherte der Reichsregierung umfassende Ermächtigungen zur Regelung eines Arbeitsdienstes, der im Juli geschaffen und dem Präsidenten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenfürsorge unterstellt wurde. 206 Dem Arbeitsbeschaffungsproblem selbst näherte man sich nur zögernd, sowohl unter dem vom Reichsarbeitsminister bezeichneten Vorbehalt, daß es nicht möglich sei, „durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der öffentlichen Hand einen neuen Aufschwung der deutschen Wirtschaft und eine durchgreifende Behebung der Arbeitslosigkeit herbeizuführen", als auch unter dem Eindruck äußerst knapper Finanzierungszusagen des Reichsfinanzministers für Zwecke der Siedlung und der Arbeitsbeschaffung von insgesamt lediglich 200 Millionen RM. 207 Erst in der Vorbereitung der Reichstagswahl am 31. Juli und im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Regierungserklärung beriet das Reichskabinett zu später Stunde ein Wirtschaftsprogramm größeren Zuschnitts, das Warmbold aus mehreren Verschiedenartigen Komplexen zusammengefügt hatte: eine Umgestaltung des Reichswirtschaftsrates, um ihn „in Zukunft aktionsfahig" zu machen, eine Regelung der Schuldverhältnisse gegenüber ausländischen Gläubigern, die immer noch schwebende Bankenfrage, um neue Gesellschaften zu gründen, und schließlich die Arbeitsbeschaffung, die der Arbeitsminister mit einer „Auflockerung
204
A R : Papen, 1, S. 105 ff.
205
R G B l I, 1932, S. 273, 283.
206
A R : Papen, 1, S. 2 1 4 ff.; Verordnung der Reichsregierung über den freiwilligen
Arbeitsdienst v o m 16. Juli (RGBl I, 1932, S. 352). Hierzu Henning Köhler, Arbeitsdienst in Deutschland. Pläne und Verwirklichungsformen bis zur Einführung der Arbeitsdienstpflicht 1935, Berlin 1967, S. 1 1 4 ff. 207
A R : Papen, 1, S. 2 8 5 - 2 8 9 , auch Anm. 5.
956
IV Vollendung und Scheitern des präsidentieüen
Systems
des Tarifwesens" und einer „Vereinfachung der Sozialversicherung" verknüpfen wollte. 208 Doch für die Erklärung, die Papen am 30. Juli im Rundfunk abgab, in der allgemeine Betrachtungen zur Innen- und zur Außenpolitik vorherrschten, 209 war noch nichts zur Hand. Erst in einer großen Rede, die der Kanzler am 28. August in Münster vor dem Westfälischen Bauernverein hielt, der dem rechten Zentrum nahestand, wollte er ein Wirtschaftsprogramm verkünden und erläutern. Er strich jedoch so nachdrücklich einen „Neubau des deutschen Staates" als vorrangige Aufgabe heraus und stellte hierzu Rundumbetrachtungen an, daß nur noch ein Teil der Rede für wirtschaftspolitische Grundsatzerklärungen übrigblieb. Diese waren vornehmlich agrarpolitischer Art und auf bekannte Töne eingestimmt. In der Landwirtschaft sollten „die Grundlagen der Ernährung ... im Binnenlande sichergestellt" werden, die die „Herstellung der Rentabilität" gewährleisteten, was nur eine Verteuerung der Lebenshaltungskosten bedeutete, aber zu den Stereotypen im Katalog agrarpolitischer Forderungen gehörte; die Regierung lehnte aber doch „eine grundsätzliche Autarkie" ab, was Papen nicht näher erklärte. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurden am Ende großzügig und katalogartig — vom Straßenbau bis zu Hausreparaturen — aufgezählt. 210 Einen sachlichen, durch Ausführlichkeit gekennzeichneten Höhepunkt erhielt die Rede lediglich durch die Ankündigung einer Aktion mit Steueranrechnungsscheinen für die meisten Steuern — mit Ausnahme der Einkommensteuer —, die vom 1. Oktober 1932 an fallig und innerhalb eines Jahres gezahlt wurden. Für sie konnten in gleicher Höhe Gutscheine ausgestellt werden, die dann für fallige Steuerleistungen in den Jahren 1934 bis 1938 an Zahlungs Statt angenommen, bis dahin von der Reichsbank diskontiert, mithin zur Kreditbeschaffung verwendet werden sollten. Dieses interessante, wesentlich von der Reichsbank beeinflußte Instrument einer Vorfinanzierung, das freilich auch der Schuldentlastung dienen konnte, nicht immer der Arbeitsbeschaffung unmittelbar zugute kam, litt unter der Begrenzung auf zwei Milliarden RM, die, analog zu den Steuerzahlungen, über ein volles Jahr gestreckt wurden und letztlich — infolge
208
28. Juli; a. a. O., S. 3 3 0 - 3 3 4 .
209
Horkenbach 1932, S. 134; Schulthess 1932, S. 134. Schleicher hatte eine noch stärker
beachtete Rundfunkrede schon am 26. Juli gehalten, a. a. O., S. 1 2 8 — 131. 210
a. a. O., S. 145 — 149; Entwürfe und Endfassung des Manuskripts der Rede B A , R
43 1/1934. Beratung der Reichsminister am 26. August; A R : Papen, 1, S. 4 4 8 ff. Vortrag beim Reichspräsidenten am 29. August; a. a. O., S. 474 ff.
Der Reichspräsident
verhindert eine Kanzlerschaft
Hitlers
957
der von der Reichsbank durchgesetzten großen Stückelung der Gutscheine — doch nur für größere Unternehmen Bedeutung besaßen. Allerdings sollten Steuergutscheine für insgesamt 700 Millionen denjenigen Unternehmen zusätzlich zukommen, die die Neueinstellung von Arbeitskräften nachwiesen; dieser Teil erhielt mithin den Charakter von Einstellungsprämien für Betriebe, die dann sogar, nach einem bestimmten Schlüssel, die Tariflöhne unterschreiten durften, was umgehend Proteste der Gewerkschaften nach sich zog. Papen stellte dies aber nicht ganz deutlich dar und meinte — hatte es vielleicht selbst so verstanden —, daß die Wirtschaftsbelebung von kleinen und mittleren Betrieben ausgehen werde, was ihm den Beifall der Zuhörer eintrug. 211 Das Projekt erscheint bemerkenswert, in den Einzelheiten und in seiner Begrenzung jedoch etwas kompliziert und bürokratisch. Der Effekt ließ sich kaum zuverlässig bestimmen; er blieb, wie sich später herausstellte, verhältnismäßig gering. Die von Papen ausgesprochene und wohl von Schleicher geteilte Erwartung, mit dem Einsatz von zwei Milliarden RM ein bis zwei Millionen Arbeitslosen Beschäftigung zu verschaffen, blieb unerfüllt. Doch das Echo war in Kreisen der nationalen Rechten, die dem Kanzler zuneigten, günstig. Manche wünschten allerdings mehr drastische Handlungen und Parolen, die eine „nationale Revolution" — gegen die „Revolution" von 1918 — einleiteten und die „Heraufführung einer vollkommenen politischen Wende" mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen unter engsten Bedingungen verknüpften. 212 Zu den Plänen nach der Reichstagswahl gehörte auch eine neue Denkschrift Goerdelers für den Reichskanzler, die sich, nunmehr von dem Gedanken geleitet, den „Posten des Präsidenten, auch im Hinblick auf weitere Entwicklungsmöglichkeiten zur Monarchie, ... so dauerhaft und autoritativ wie möglich" zu gestalten, in einem weiten Horizont über eine Verwaltungs- und Verfassungsreform ausließ. 213 Jetzt wie in den folgenden Jahren begleitete eine dichte Abfolge von Denkschriften des Oberbürgermeisters die innere Entwicklung. Sie gleichen jeweiligen Fortschreibungen einmal gefaßter
211
Zum Steuergutscheinsystem Luther, Abgrund, S. 290 ff.; Marcon, Arbeitsbeschaf-
fungspolitik, S. 180 ff. 2.2
Der ehemalige preußische Landtagsabgeordnete Hans-Joachim v. Rohr (DNVP) an
Papen, 19. August; B A , R 43 1/678. 2.3
Denkschrift v o m 8. August; A R : Papen, 1, S. 3 5 7 — 374. Erwähnung durch Papen,
der eine Vermittlertätigkeit Goerdelers zwischen Brüning, der N S D A P und der D N V P — wohl zu Recht — angenommen zu haben scheint, a. a. O., S. 481 ff.
958
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
Gedanken in dem Wechsel der politischen Verhältnisse und verdienen Beachtung als Zeugnisse gleichbleibender Vorstellungen im politischen Wandel.
Strafrechtsverschärfung
und
Sondergerichte
Die Überlieferung im Nachlaß von Hans Schäffer bewahrt den Inhalt zahlreicher Gespräche, Besprechungen und Erörterungen, die einen Eindruck der Rätsel vermitteln, die das Zentrum aufgab. Einige Stimmen traten für Hitler als Reichskanzler ein, zu dem das Zentrum die Rolle der Opposition wählen sollte; denn „die Verantwortung der Nazis kann nur dadurch dem Volke klargemacht werden, daß man sie allein läßt". Andere wünschten eine Regierungsbeteiligung, brachten jedoch erhebliche Einwände gegen Reichskanzler v. Papen vor. 214 Am 9. August bekundete Josef Joos, der amtierende Parteiführer und Gefolgsmann Brünings, eine eindeutige Haltung, die er dem Vorstand der Reichstagsfraktion am 29. August in seiner ersten Sitzung nach der Neuwahl vortrug: „1. klare Verantwortlichkeit der Nationalsozialisten, 2. verfassungsmäßige Regierungsbildung, 3. Rücktritt des Kabinetts." 215 In Gesprächen Papens mit Joos und dem württembergischen Staatspräsidenten Bolz am 11. und 13. August wurde, der Darstellung vor der Reichstagsfraktion zufolge, diese Haltung etwas modifiziert. 216 Brüning trat beharrlich dafür ein, die Nationalsozialisten in die Regierung zu bringen, das Zentrum aber in der Opposition zu halten. „Die Präsidiallösung mit nationalsozialistischer Teilnahme" 217 , die Schleicher anstrebte, besaß nur für kurze Zeit Bedeutung. Das Verhältnis der Reichswehr zur SA belastete fast von Anbeginn die Verhandlungen, 214
Tagebuch Schäffer, 6., 7. u. 8. August. Ähnliches notierte Schäffer nach einem
Gespräch mit Brüning am 11. August. Brüning habe „eine sehr bestimmte Auffassung": Das Zentrum könne keinesfalls mit dem Kabinett Papen zusammenarbeiten oder es auch nur tolerieren. Er sei jedoch bereit, mit einer Regierung Hitler zusammenzuarbeiten oder sie zu tolerieren. Voraussetzung sei, daß der preußische Ministerpräsident eine „objektive Person" sei; genannt wurden die Namen Bracht und Frhr. v. Gayl. Ausgeschlossen bleibe ein Präsidialkabinett Hitlers in der A r t des Kabinetts Papen. Im übrigen erschien auch Schleicher im Vergleich mit Papen als das kleinere Übel. Brüning habe gesagt, „man müsse gerade jetzt alles tun, um die Verfassung genau innezuhalten". Er erklärte sich auch entschieden gegen eine „Relativierung des Verfassungsrechts". 215
Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 581.
2"'
a. a. O., S. 583.
2,7
Tagebuch Schäffer, 9. August.
Der Reichspräsident
verhindert eine Kanzlerschaft
Hitlers
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seitdem sich trotz eines auf elf Tage befristeten allgemeinen Verbots politischer Versammlungen im ganzen Reichsgebiet 218 die Nachrichten über neue Gewalttaten mehrten. 219 Ein Vorstoß Gayls in der Ministerrunde zugunsten einer weiteren Notverordnung zur Aufrechterhaltung der politischen Sicherheit und Ordnung, die die Einrichtung von Sondergerichten bringen, die Strafverfolgung politischer Delikte verschärfen wollte, Tötung oder Verletzung politischer Gegner mit der Waffe sogar mit der Todesstrafe bedrohte, stieß zunächst noch auf Widerstand des Reichskommissars Bracht und auf Bedenken des Justizministeriums und des Außenministers. 220 Doch in einem engeren Kreis wußte sich dann Gayl durchzusetzen. Am 9. August lag den Ministern in ihrer 33. Sitzung seit Amtsantritt — die 19., in der der Reichskanzler zugegen war und den Vorsitz führte, — der gemeinschaftliche Entwurf einer Notverordnung des Innen- und des Justizministers vor, der nach Papens deutlichen Worten unter dem Eindruck der jüngsten Übergriffe stand. „Offenbar versuche man von bestimmter Seite, durch Beunruhigung der Öffentlichkeit das Ergebnis zu erzwingen, daß Hitler die Führung der Regierung in die Hand nehmen müsse." Papen nannte es „Selbstmord der Reichsregierung", wenn sie „angesichts dieses Tatbestandes untätig bleiben wollte. Die Lage könne nur durch drakonische Mittel gemildert werden." 221 Die Minister stimmten daraufhin der Notverordnung zu, die ein erhöhtes Strafmaß für eine Reihe politischer Delikte und die Todesstrafe für Totschlag, schwere Brandstiftung und Sprengstoffattentate vorsah. Außerdem verfügte die Regierung die Einrichtung von Sondergerichten zur schnellen Aburteilung ohne Berufungsmöglichkeit, die Bekanntgabe der Notverordnung auch durch Maueranschläge und eine erklärende öffentliche Verlautbarung „gegen politischen Terror" durch die Presse. 222 Sie wählte eine starke, drastische Sprache, die die Republik bis dahin nicht kannte.
2.8
Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung des inneren Friedens v o m 29. Juli
(RGBl I, 1932, S. 389). 2.9
Horkenbach 1932, S. 279 ff.
220
4. August; A R : Papen, 1, S. 347 ff. In Voraussicht kommender
Schwierigkeiten
warnte Staatssekretär Schlegelberger v o r der Androhung der Todesstrafe. „Eine Strafandrohung müsse ernst gemeint sein, d. h. die verhängte Strafe müsse stets vollstreckt werden. Er könne sich nicht denken, daß die in derartigen Fällen verhängte Todesstrafe stets vollstreckt werde." 221
9. August; a. a. O., S. 3 7 4 f .
222
RGBl I, 1932, S. 403; sowie die Verordnung der Reichsregierung über die Bildung
von Sondergerichten (RGBl I, 1932, S. 404).
960
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
Am 10. August erfuhr Fritz Ullstein, daß man in der Bendlerstraße, im Reichswehrministerium, angesichts der zunehmenden Beunruhigungen den Rücktritt Papens wünschte, da es unter seiner Kanzlerschaft schwerlich zu einer Klärung der Beziehungen zwischen Reichswehr und SA kommen, aber die Reichswehr „kaum auf die SA schießen" werde. 223 Während Hitler mit seinen Gefährten noch Ministerämter und Regierungspläne erörterte, 224 bestand dort Klarheit darüber, daß es eine Regierung Hitler nur nach starken vorherigen Zusicherungen — im allgemeinen wie in Einzelheiten — geben könne, die die Aufrechterhaltung von Verfassung und Ordnung gewährleisteten. Vorher sei aber eine Art indirekter Kraftprobe mit der SA erforderlich. Man rechnete damit, daß der erste Anwendungsfall der neuen Notverordnung vom 9. August durch Angehörige der SA herbeigeführt werde. Dies trat noch rascher als erwartet ein, als eine Gruppe von SA-Leuten auf Befehl und nach Verabredung in dem oberschlesischen Dorf Potempa einen kommunistischen Arbeiter nachts in seiner Wohnung überfiel und auf brutalste Weise zu Tode brachte. Das führte zur unverzüglichen Anklageerhebung vor dem soeben errichteten Sondergericht beim Landgericht Beuthen, das am 22. August fünf der Täter, die man gefaßt hatte, zum Tode verurteilte. 225 Man wollte durch Entschlossenheit und drakonisches Vorgehen die Nationalsozialisten beeindrucken. Verderben wollten es Papen wie Schleicher mit ihnen aber nicht; jedenfalls behauptete Papen seine werbende Attitüde auch dem Reichspräsidenten gegenüber. Am Vormittag des 10. August trug der Reichskanzler Hindenburg, der eben aus Neudeck nach Berlin gekommen war, Überlegungen vor, mit denen er die Situation glaubte entspannen zu können. Er beabsichtigte, sein Kabinett durch „eine unter Führung Hitlers stehende Regierung zu ersetzen", wobei er von der Bildung einer Koalition der NSDAP mit dem Zentrum ausging. Hitler selbst denke allerdings eher an ein nationalsozialistisch geführtes Präsidialkabinett. 226
223
Tagebuch Schäffer, 10. August.
224
Vgl. Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 2 1 8 - 2 2 4 .
225
Hierzu Paul Kluke, Der Fall Potempa, in: V Z G , 5 (1957), S. 2 7 9 - 2 9 7 ; ergänzend
Schulz, Maßnahmenstaat, S. 522 f. 226
Aufzeichnung Meissners vom 1 1 . August „über die bisherigen Besprechungen in
der Frage einer Regierungsumbildung"; Hubatsch, Hindenburg, S. 335 — 338.
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Kein Plat% für Hitler in einer dem Reichspräsidenten „genehmen Kabinettsführung' Der wahrscheinlich einkalkulierte Widerstand ging vom Reichspräsidenten aus, den diese Vorschläge verärgerten und der keinerlei Neigung zeigte, Hitler, den „böhmischen Gefreiten", 227 zum Reichskanzler zu ernennen. Durch Papens dezidierte Äußerung, nicht weitermachen, sondern weichen zu wollen, irritiert, wünschte Hindenburg eine Beratung im Kabinett und behielt sich, wie häufig, seine Entscheidung vor. In der Reichsministerbesprechung am Abend erstattete Papen Bericht. Er erwähnte sowohl die nationalsozialistischen „Terrorakte" der letzten Zeit als auch seine Überzeugung, daß es „nötig" sei, „die Bewegung in die verantwortliche Staatsführung mit hereinzunehmen". Weitere Gründe, Überlegungen und Zukunftspläne gab er nicht an und sind auch nicht überliefert. Schleicher schien ebenfalls für diese Lösung einzutreten, die er im Hinblick auf die Reichswehr für die sicherste hielt. Aber er sprach sich für weitere Verhandlungen aus und — unter dem Eindruck des Hindenburgschen Votums — für eine spätere Entscheidung. Seine bekundeten Erwägungen klangen überraschend beruhigend: „daß eine Gefahr, daß die Machtmittel des Staates nicht voll hinter der Regierung stünden, nicht mehr bestehe. Die Wehrmacht und die Polizeikräfte würden restlos zu Gunsten der Regierungsgewalt funktionieren, weil man hier nicht mehr das Empfinden habe, daß eine nationale Bewegung unterdrückt werde." In diesem letzten Punkte stimmte Gayl mit Schleicher überein; aber stärker als der Reichswehrminister empfand er die Gefahren, die eine nationalsozialistische Regierung heraufbeschwor, die den „erbitterten Widerstand" einer starken Linken und dann heftige Kämpfe auslösen würde. Er sprach sich dafür aus, den Reichstag wieder aufzulösen, Wahlen zunächst zu vertagen und später nach einem neuen Wahlgesetz auszuschreiben. Die Regierung blieb gespalten. Während sich Neurath, Warmbold und letztlich Braun der Meinung Gayls anschlössen, traten Graf Schwerin v. Krosigk, Gürtner und Bracht auf die Seite des Reichskanzlers. 228 227
Reichsministerbesprechung am 10. August; AR: Papen, 1, S. 377 — 386; auch Schäffer notierte diesen Ausdruck am 10. August. 228 a. a. O.; der einschlägige Tagesordnungspunkt abgedruckt von Thilo Vogelsang, Zur Politik Schleichers gegenüber der N S D A P 1932, in: VZG, 6 (1958), S. 9 3 - 9 8 ; UuF, VIII, S. 613 — 618. Die Interpretation der Haltung Krosigks anders und nur beiläufig in der Aufzeichnung von Meissner. Die Niederschrift der Reichsministerbesprechung wird
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IV. Vollendung und Scheitern
des präsidentiellen
Systems
Am Nachmittag schien es schon sicher, daß die Umgebung des Reichspräsidenten nicht mit einer Kanzlerschaft Hitlers rechnete. Der verantwortliche Redakteur des zum Ullstein-Verlag gehörenden Blattes „Tempo" hatte für die Abendausgabe des 10. August einen Artikel unter der Schlagzeile „Hitler wird Reichskanzler" vorbereitet, die auf Veranlassung Schäffers eben noch abgeändert werden konnte: „Vor der Berufung Hitlers". Die Entwicklung trieb jedoch weiter in die entgegengesetzte Richtung. In der Ministerbesprechung stellte Papen die Meinung des Gesamtkabinetts dahingehend fest, daß der derzeitigen Regierung „soviel Macht erhalten" bleiben solle „als irgend möglich", daß man in Übereinstimmung mit der Auffassung des Reichspräsidenten eine Kanzlerschaft Hitlers vermeiden wolle, wenngleich eine Beteiligung der Nationalsozialisten an der Regierung anzustreben sei, um sie aus der Opposition herauszubringen. Dies lief zunächst auf das Angebot des Vizekanzleramtes an Hitler oder einen von ihm benannten Vertrauensmann hinaus. Noch am Abend äußerte sich Hugenberg in einem Gespräch mit Papen in ähnlichem Sinne. Doch die Terrorwelle der Nationalsozialisten setzte sich fort. Angesichts des in einer starken Minderheit verbreiteten Wunsches, Hitler als den Reichskanzler zu sehen, der „Ordnung" schaffen sollte, wirkten die Regungen und Bewegungen zusammengezogener Braunhemdenverbände in der Umgebung Berlins wie ein Erpressungsversuch. Die Polizeiverbände, die das Regierungsviertel in Berlin bewachten, wurden mit Karabinern ausgerüstet, Reserve-Einheiten in Bereitschaft gehalten. Die Reichswehr stand alarmbereit, um einen möglichen Aufstand niederzuschlagen; der sechstägige Belagerungszustand, den der Reichswehrminister am 20. Juli über Berlin verhängt hatte, war in frischer Erinnerung. Schleicher setzte Hitler hiervon in Kenntnis. 229 Bei alldem sprach jetzt die Beobachtung mit, daß Hitler Schwierigkeiten in seiner Partei hatte und dem Mißtrauen einiger seiner Leute ausgesetzt war, die endlich einen Erfolg des Legalitätskurses sehen wollten. 230 Hierbei spielte sogar die Befürchtung eine Rolle, daß abtrünnige Nationalsozialisten zur kommunistischen Partei stoßen und dieser weiteren Auftrieb geben könn-
bestätigt, illustriert und teilweise ergänzt durch Mitteilungen an Schäffer. IfZ, Nachl. Schäffer/38. 229 Dorpalen, Hindenburg, S. 332. 230 Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 222 f., 257. Das Zeugnis eines unbeirrt hinter Hitler stehenden Gefolgsmannes belegt auch Mißstimmung in der SA. 231 Informationsbericht vom 11. August; IfZ, Nachl. Schäffer/38.
Der Reichspräsident verhindert eine Kanzlerschaft
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Am 12. August 1932 führte Papen ein Gespräch mit ihm vertrauten Politikern. 232 Sie befürchteten eine Verständigung Hitlers mit dem Zentrum und das hieraus folgende Angebot einer sich auf die parlamentarische Mehrheit stützenden Koalitionsregierung unmittelbar an den Reichspräsidenten, das Hindenburg in Verlegenheit und den Reichskanzler in Verzug bringen würde. Der Hugenberg nahestehende Reichstagsabgeordnete Herbert v. Bismarck gab eine Interpretation einschlägiger Verfassungsbestimmungen, wonach der Reichspräsident auf gar keinen Fall genötigt sei, die „ihm genehme Kabinettsführung aufzugeben" und eine Koalitionsregierung zu akzeptieren. Er „hätte vielmehr durchaus die rechtliche und politische Möglichkeit", nach Bekanntwerden einer Koalition des Zentrums mit der NSDAP „den jetzt gewählten Reichstag erneut aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben; etwa mit der Parole: gegen dieses unnatürliche, zur politischen Unfruchtbarkeit von vornherein verdammte Bündnis." Diese Überlegung verwies — nach Gayls Votum — zum zweiten Male innerhalb weniger Tage auf den Weg einer erneuten Auflösung und Neuwahl des eben erst gewählten und noch nicht zusammengetretenen Reichstags. Ausschlaggebend war die nicht unbegründete Beobachtung Bismarcks, daß „beide gedachten Koalitionsparteien" infolge des Bekanntwerdens ihrer Koalitionsabsichten so viele Wähler verlieren würden, „daß jedenfalls diese Mehrheit nicht mehr zustande käme". Der Hinweis auf die sachliche Schwierigkeit, eine Koalition zwischen Zentrum und NSDAP nach außen hin zu vertreten, hatte viel für sich. Eine solche Wendung in der inneren Politik hätte einer längeren Vorbereitung bedurft und wäre angesichts der schweren Auseinandersetzungen zwischen beiden Parteien kaum binnen kurzem in der öffentlichen Meinung durchzusetzen gewesen. Am 13. August fanden die entscheidenden Gespräche Hitlers statt, zuerst mit Schleicher und dann mit Papen, der ihm, wie er in der Ministerbesprechung hervorhob, 233 das Amt des Vizekanzlers anbot, ohne hierzu vom Reichspräsidenten ermächtigt worden zu sein, und, als Hitler dies zurückwies, sogar das Kanzleramt für einen späteren Zeit232
Ein Brief Herbert v. Bismarcks an den Reichskanzler vom 13. August behandelte
die Situation, die in dem Gespräch erörtert worden war. Bismarck teilte unter Beifügung einer kurzen Stellungnahme aufgrund des Kommentars zur Reichsverfassung von PoetzschHeffter das Ergebnis einer Prüfung der verfassungsrechtlichen Lage mit. BA, R 4 3 1/1309. Paraphe von Papen mit handschriftl. Vermerk: „Persönlich herzlich danken". Bismarck wurde im Januar 1933 auf Wunsch Schleichers und auf Vorschlag Hugenbergs zum Staatssekretär im preußischen Innenministerium ernannt. 233
1 5. August; A R : Papen, 1, S. 3 9 8 - 4 0 4 .
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IV.
Vollendung und Scheitern des präsidentiellen Systems
punkt — nach einer mehrwöchigen Vizekan2lertätigkeit — in Aussicht stellte. Papen gab sich im Rahmen seiner Möglichkeiten die größte Mühe, Hitler zu gewinnen; der aber war nie bereit, so etwas wie eine Bewährungsprobe anzuerkennen und Bindungen einzugehen. Am Nachmittag fand sich Hitler auf Einladung der Reichskanzlei mit seinen Begleitern im Reichspräsidentenpalais ein. Die Aussprache mit Hindenburg blieb jedoch kurz. In Gegenwart von Papen, Meissner, Frick und Röhm richtete Hindenburg die Frage an Hitler, ob er bereit sei, sich an der Regierung Papen zu beteiligen. A u f Hitlers Ablehnung hin kam kein Gespräch mehr zustande; der Reichspräsident erklärte lediglich, er könne es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, einer Partei allein die Verantwortung zu übertragen. 234 Für den Eklat sorgte ein bereits in der Abendpresse erscheinendes amtliches Kommunique der Reichskanzlei, das den kurzen Vorgang noch mehr verkürzte und scharf pointierte: „Der Reichspräsident richtete an Hitler die Frage, ob er bereit sei, selbst sowie mit anderen geeigneten Persönlichkeiten der N S D A P in die ... von Papen geleitete Regierung einzutreten. — Herr Hitler verneinte dies und stellte an den Herrn Reichspräsidenten die Forderung, ihm die Führung der Reichsregierung und die gesamte Staatsgewalt in vollem Umfange zu übertragen. — Reichspräsident von Hindenburg lehnte diese Forderung sehr bestimmt ... ab..." 2 3 5 Tatsächlich hatte Hitler keine Forderung gestellt, kam er gar nicht dazu, sie zu stellen. Sie entsprach allerdings seiner wahren Absicht, die er Schleicher wie Papen gegenüber zu erkennen gegeben hatte. Dies enthüllte das Kommunique, das die Reichskanzlei mit der Intention einer „Emser Depesche" abgefaßt hatte. 236 Man muß freilich fragen, was denn nun bezweckt wurde. Vermutlich sollte der innere Zusammenhalt der N S D A P einem Test unterworfen werden. Hierfür spricht die ausschlaggebende Beteiligung Schleichers, der in Ermangelung eigener Pläne und Programme schockierende Experimente bevorzugte. Der Reichswehrminister wie der Reichskanzler bemühten sich gleichwohl, die Verbindung zu den Führern der N S D A P 234 Aufzeichnung Meissners, 13. August; a. a. O., S. 391 f.; Vogelsang, Reichswehr, S. 479 f.; UuF, VIII, S. 6 1 8 f.; Hubatsch, Hindenburg, S. 338 f. Eine ausführlichere Aufzeichnung verfaßte Hitler gemeinsam mit Frick und Röhm; A R : Papen, 1, S. 393 — 396; Stellungnahme von Planck in einem Brief an Hitler, 14. August; a. a. O., S. 396 f. 235 WTB-Ausgabe BA, R 43 1/1309; Auszug A R : Papen, 1, S. 392, Anm. 5. 216 So Pünder nach einer mündlichen Mitteilung Plancks, 18. August; Pünder, Reichskanzlei, S. 1 4 1 ; auch Papen, Wahrheit, S. 224. Die Formulierung dirigierte Schleicher — im Verein mit Papen und Planck.
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nicht abreißen zu lassen. 237 Dies dürfte Hindenburg hinterbracht worden sein, der der Reichskanzlei neue Verhandlungen mit den Nationalsozialisten ohne seine vorherige Kenntnis schlicht untersagte. 238
Hitler im Streit Zentrum-Papen Die Regierung Papen fand sich nun in einer Lage, die für sie noch ungünstiger war als die der Regierung Brüning drei Monate zuvor. Obgleich sie sich jetzt ganz auf die innerpolitische Situation konzentrierte, hatte sie nichts erreicht, wenn man von der behaupteten Entlastung der Reichswehr und der Auflösung der in ihr vorhandenen Sympathien für die NSDAP absieht, so daß man „der Truppe eventuell wieder befehlen könne, auf die Nazis zu schießen". 239 Aber an größere Programme wagte sich die Reichsregierung kaum heran, obgleich Warmbold die „Lösung des Arbeitslosenproblems" und eine „neue Kreditpolitik" zu vordringlichen Aufgaben erklärte und Schwerin v. Krosigk beklagte, „in der Wirtschaft traue sich niemand etwas zu unternehmen, weil er kein Vertrauen zum Bestände der innerpolitischen Ruhe habe". 240 Auf der anderen Seite operierte auch Hitler, als Taktiker von „heller Klarheit erfüllt", wie sein Panegyriker Goebbels niederschrieb, zwischen mehreren Wegen: „Erstens: Präsidialkabinett, zweitens: Koalition, drittens: Opposition. Diese drei Möglichkeiten müssen in dieser Reihenfolge untersucht und betrieben werden." 241 Die erste kam nicht in Betracht, die zweite bedurfte der Mithilfe des Zentrums. „Im Ernst kommt das ja kaum in Frage", meinte Goebbels, vermerkte allerdings, daß „eine gewisse Stelle in der Partei" doch „stark für die Zentrumslösung" eintrete. Gemeint war Straßer. Die Nationalsozialisten konzentrierten sich darauf, prinzipiell alle Pläne der Regierung als unsozial zu bekämpfen, zielten also in eine ähnliche Richtung wie die Kommunisten und setzten auf neue Straßenkämpfe, die sie systematisch propagandistisch ausbeuteten. 242 Hitler erklärte das als Notwehrmaßnahme seiner Anhänger. In 237
Goebbels vermerkte am 13. August, daß Schleicher sich bemühe, „die Brücke nicht
endgültig abbrechen zu lassen", und am 17., daß auch Papen (offenbar am 15. oder 16.) über den nationalsozialistischen mecklenburgischen Ministerpräsidenten Granzow Verbindung zu Hitler suche. Goebbels, Tagebücher, 1, 2, S. 225, 227. 238
Vermerk Plancks, 16. August; AR: Papen, 1, S. 407.
zw
So auch Frhr. v. Hammerstein; Pünder, Reichskanzlei, S. 140.
240
Reichsministerbesprechung am 15. August; AR: Papen, 1, S. 4 0 1 ff.
241
Goebbels, Tagebücher, 1, 2, S. 231.
242
Information v o m 16. August; IfZ, Nachl. Schäffer/38.
966
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentteilen
Systems
einem Interview mit der „Rheinisch-Westfälischen Zeitung" erläuterte er sie in wilder Manier: „Es gibt ein Recht der Notwehr, das wir uns auf die Dauer nicht abschwätzen lassen durch die dummen Phrasen von ,Ruhe und Ordnung' ... Die nationalsozialistische Bewegung hat legal bis auf das äußerste gekämpft; das Abschlachten aber nimmt bald ein Ende, oder ich selbst werde mich gezwungen sehen, den Parteigenossen ein Notwehrrecht zu befehlen..." 243 Er rechnete damit, daß diese Taktik die Regierung so weit schwächte, daß sie sich auf die Dauer nicht gegen die nationalsozialistische Bewegung zur Wehr setzen, sich abnutzen und verausgaben werde und daß dann keine andere Alternative mehr bestünde, als der NSDAP die Staatsgewalt zu überantworten. Die fünf Todesurteile des Beuthener Sondergerichts nutzten die Nationalsozialisten zu vehementer Agitation gegen die Regierung. Seit Jahren wurden in Preußen in Kriminalprozessen der ordentlichen Justiz Todesurteile nicht vollstreckt, sondern auf dem Begnadigungswege in lebenslängliche Zuchthausstrafen umgewandelt. Die zuständigen Instanzen — Oberstaatsanwalt, Generalstaatsanwalt und Oberlandesgerichtspräsident — befürworteten auch im Potempa-Fall die Begnadigung; doch die oberste Begnadigungsinstanz für das preußische Gericht, das nach einer reichsrechtlichen Vorschrift handelte, die keine Berufung zuließ, blieb in Anbetracht der nicht definitiv geklärten Verhältnisse in Preußen rechtlich zweifelhaft. Die Reichskommissare befaßten sich auf Antrag des für das Justizministerium zuständigen Staatssekretärs Hölscher mit der komplizierten Angelegenheit,244 die auch unter der Belastung litt, daß der mutmaßliche Haupttäter flüchtig war und sich nach seiner Ergreifung und Vernehmung eine Veränderung des Bildes vom Tathergang nicht ausschließen ließ. Zudem war festgestellt worden, daß zur Tatzeit die durch Rundfunk und Maueranschläge veröffentlichte Notverordnung vom 9. August mit der Androhung der Todesstrafe am Ort des Verbrechens noch nicht bekannt war. Die Umstände sprachen mithin zugunsten einer Aufhebung der Todesstrafen für die fünf Angeklagten. Schließlich sprach sich auch der Reichspräsident für eine Begnadigung aus.
243
Das
fingierte
Interview in der Rheinisch-Westfälischen
Zeitung, Nr. 4 1 6
vom
16. August 1932; Sperrung im Original. Text auch bei Domarus, Hitler, I, S. 128. 244
AR: Papen, 1, S. 4 9 1 — 4 9 5 , mit Anmerkungen. A u f Hölschers Vorschlag entschied
sich das Staatsministerium der Kommissare unter Papens Vorsitz f ü r die Begnadigung aller Täter zu lebenslänglichem Zuchthaus. Im März 1933 wurden die Verurteilten aus der Haft entlassen.
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Hitler bezog wahrscheinlich unter dem Druck Röhms und seiner Drohung mit einer Revolte der unzufriedenen SA zu den Vorgängen Stellung, dann aber, mit einem Aufruf am 23. August, in einer kaum zu überbietenden Übersteigerung, die ihm nun zur Begründung dafür diente, daß er nicht in „diese Regierung" eingetreten sei. Er machte sich mit den Tätern von Potempa gemein, sprach vom „Kampf um das Leben unserer fünf Kameraden" und von „Freiheitskämpfern des deutschen Volkes", in völliger Verkehrung moralischer Urteile; „die Justiz des Herrn von Papen wird am Ende viele Tausende von Nationalsozialisten zum Tode verurteilen". 245 Das Beuthener Urteil, das weite Presseecho und die Äußerungen wütender Empörung auf Seiten der NSDAP versetzten die Öffentlichkeit in größte Erregung. Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse scheiterten die Gespräche Papens mit der nationalsozialistischen Führung endgültig und trat ein, was Fritz Ullstein vorausgesagt hatte: Die SA werde sich gegen eine Vollstreckung des Urteils zur Wehr setzen; daraus ergebe sich die „richtige Frontstellung": Reichswehr gegen Rebellen. 246 Für das Zentrum schienen sich hieraus günstige Umstände zu entwikkeln, gab aber die Antipathie gegen Papen 247 den Ausschlag. Sie lieferte die Begründung für die Verhandlungen mit der NSDAP, die Ende August zu einem gewissen Abschluß gelangten. Im Haus Ullstein wußte man seit dem 25. August, daß sich Brüning und Gregor Straßer im geheimen getroffen und die Möglichkeit eines Zusammengehens besprochen hatten. 248 Der ehemalige Reichskanzler wähnte sich wieder in seinem Element. Er entfaltete eine geheime Reisetätigkeit erstaunlichen Umfangs, wenn auch mit fragwürdigem Ergebnis. Brüning traf im D-Zug am 14. August einen „Abgesandten" Straßers, dann Schulz in München, wo er mit Kaas und Führern der BVP, Fritz Schäffer, Pfeiffer und dem bayerischen Innenminister Stützel, beriet. Dem folgte wenige Tage später eine geheimgehaltene Begegnung Brünings mit Straßer in einem Privat-
245
Domarus, Hitler, I, S. 130 f.
246
Tagebuch Schaffet, 10. August.
247
Dies ist Hauptthema der Arbeit von Detlef Junker, Die Deutsche Zentrumspartei
und Hitler 1932/33. Ein Beitrag zur Problematik des politischen Katholizismus in Deutschland, Stuttgart 1969, S. 7 6 - 9 1 . 248
Tagebuch Schäffer, 26. August. Die Aufzeichnungen Schäffers stehen in einer ge-
wissen Konkurrenz zu den Erinnerungen Brünings, Memoiren, S. 623, der ausführlicher, aber nicht präzis über seine Verhandlungen mit Straßer berichtet.
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IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
haus in Tübingen. 249 Danach verhandelte er am 28. oder 29. mit Hitler, der „wenigstens scheinbar", so Brüning, auf die Bedingungen einging, die er mit Straßer vereinbart hatte. 250 Brünings Memoiren lassen keinen Zweifel, daß eine weitgehende Einigung — auch mit Hitler — von ihm eingeleitet wurde, so daß eine „schwarz-braune Koalition", die die BVP in Bayern und das Zentrum in Preußen schon v o r dem 13. August anstrebten, nunmehr im Reich besiegelt schien. Den Zeitgenossen blieben die geheimen persönlichen Verhandlungen Brünings mit Hitler wie zwischen Zentrumsführung und NSDAP weitgehend verborgen; sie wurden erst später bekannt. Sogar der kleine Kreis der fast immer Unterrichteten an der Spitze des Hauses Ullstein nahm an, daß alles, was man in Erfahrung gebracht hatte, allein auf den Augen Brünings und Straßers stand, der zugesagt hatte, bis zum 30. August die definitive Stellungnahme seiner Partei mitzuteilen. Man hielt es aber — mit guten Gründen — nicht für sicher, daß er sich durchsetzen würde. 2 5 1 Tatsächlich war jedoch Ende August die Verbindung des Zentrums und der BVP mit der NSDAP, trotz distanzierter Haltung des Parteivorsitzenden Kaas und deutlicher Zurückhaltung einiger führender Männer der Bayerischen Volkspartei, weitaus enger als zuvor. 2 5 2 Dies ermöglichte
249 Das Treffen dürfte zwischen dem 17. und 20. August stattgefunden haben. Vgl. Brüning, ebda.; Wiesemann, Vorgeschichte, S. 128 f. Morsey, Untergang, S. 61, nennt den 23. August im Widerspruch zu Brünings eigener Schilderung. Nach Morsey auch May, Kaas, 3, S. 239, der jedoch zwei Gespräche Brünings mit Straßer angibt, was nicht begründet wird. 250 Brüning schließt seinen Bericht: „Ich erklärte mich bereit [Hitler gegenüber], nunmehr die Vermittlung zwischen seinen Leuten und denen meines Parteivorstandes zu übernehmen. Meine Aufgabe sei damit erschöpft. Er werde wohl verstehen, daß ich nach dem Vorgefallenen an solchen Verhandlungen selbst nicht teilnehmen könne. Die Verhandlungen begannen. In mehreren Sitzungen einigte man sich über ein von Dessauer entworfenes Programm, auch über alle anderen Forderungen." Memoiren, S. 624. Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 233, erwähnt die Besprechung Brüning-Hitler nur beiläufig und ohne Einzelheiten. Offenbar war er nicht unterrichtet. Unter dem 31. August findet sich dann eine Andeutung, die auf parteiinterne Kontroversen schließen läßt: „Zum ersten Male spricht er [Hitler] sich auch offen über die Treibereien der Straßerclique in der Partei aus. Er hat auch hier die Augen offengehalten; und wenn er nichts sagte, dann nicht etwa ..., weil er nichts gesehen hätte." a. a. O., S. 235. 251 Noch am 27. August telefonierte Schaffet und notierte in seinem Tagebuch, daß Brüning „das, was wir wußten, ziemlich bestätigt hat, jedoch erklärt hat, selbst nicht in die Regierung mit den Nazis gehen zu wollen. Haß gegen Papen sei nicht maßgebend. Schleicher werde der Regierung alle nur möglichen Schwierigkeiten machen." 252 Brüning, Memoiren, S. 623. Erst Wochen später erhielt Schaffet von einem gut unterrichteten Gewährsmann eine ausführliche Darstellung der mehrtägigen Verhandlungen
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zunächst ein Bündnis gegen die Regierung Papen, das im September in Erscheinung trat. Ob und inwieweit Schleicher bei diesen Verhandlungen „mithörte" oder gar mitwirkte, läßt sich kaum noch klären. Doch im Reichswehrministerium gab es annähernd parallel entwickelte Überlegungen, sprach man davon, daß nach einer erneuten Auflösung des Reichstags eine Regierung Schleicher fällig werde. Bei einer Verständigung zwischen Nationalsozialisten und Zentrum werde nicht etwa die Bildung eines Koalitionskabinetts nach altem Muster angestrebt, sondern nur eine Tolerierungsmehrheit im Reichstag. Erhielte die Regierung im neuen Reichstag ein Mißtrauensvotum, dem sich alle Parteien mit Ausnahme der D N V P anschlössen, dann würde Hindenburg den Reichstag auflösen und Maßnahmen besonderer Art treffen, wofür man noch weitere Möglichkeiten im Artikel 48 der Reichsverfassung sah. Die Neuwahl würde hinausgeschoben und ein neues Wahlgesetz auf Grund des Artikels 48 geschaffen. Auch der Gedanke eines Volksentscheids tauchte wieder auf, diesmal in der neuen Form, daß nach Auflösung des Reichstags „der Reichspräsident sich v o m jetzigen Reichskabinett eine neue Verfassung vorlegen läßt, die er persönlich billigt und die er dann von sich aus zum Volksentscheid stellt". 253 zwischen Zentrum und Hitler in Berlin. Sie begannen mit einem Gespräch zwischen Hitler, Straßer und Frick einerseits und einigen Zentrumsführern, darunter Joos und Dessauer, im .Kaiserhof 1 . Joos war der Leiter der Gesamtverhandlungen. Kaas dirigierte aus der Ferne. Die Verhandlungen machten rasche Fortschritte. Die Nationalsozialisten nahmen die dem Zentrum wichtig erscheinenden Programmpunkte an. Auch politisch hätten die Zentrumsunterhändler alle wichtigen Forderungen durchgedrückt, auch jene, die als wichtige „Garantien" gegen eine totale Machtergreifung der Nationalsozialisten zu veranschlagen seien. Den Nationalsozialisten sollten die preußische Ministerpräsidentschaft und das Innenministerium nicht zufallen. Im Reichskabinett verzichteten sie auf den Reichswehrminister. Aber Schleicher blieb ausgeschlossen, Seeckt war vorgesehen. Reichsaußenminister sollte wieder ein Berufsdiplomat, Reichskanzler ein Nationalsozialist werden, aber nicht Hitler, der schon deshalb nicht in Frage kam, weil ihn Hindenburg nicht akzeptierte und alle Personalien der letzten Entscheidung Hindenburgs unterliegen sollten. Die Unterhändler des Zentrums waren der Ansicht, daß durch den Verzicht der Nationalsozialisten auf Reichswehrministerium, Ministerpräsidentschaft und Innenministerium in Preußen, sowie die Berücksichtigung der Entscheidung des Reichspräsidenten ausreichende Garantien „wenigstens dafür gegeben waren, daß die Nationalsozialisten nichts zerstören konnten". Vertrauliche Niederschrift vom 21. Oktober 1932, unsigniert; IfZ, Nachl. Schaffet/ 38; in der Hauptsache bestätigt durch die knappen Stichworte nach dem Bericht von Joos in der Sitzung des Fraktionsvorstandes am 12. September; Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 585 f.; danach May, Kaas, 3, S. 240 ff. 253 Ausführlicher Bericht IfZ, Nachl. Schäffer/38 A, 22. August. Über die Herkunft des Berichtes Eintragung am 23. August im Tagebuch Schäffer.
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IV.
Vollendung und Scheitern des präsidentiellen Systems
Zunächst schien sich all dies gegen Papen auszuwirken. Die Reichstagsfraktion des Zentrums veröffentlichte am 29. August eine Entschließung, die auf die am Tage zuvor gehaltene „Sonntagsrede" des Reichskanzlers in Münster mit einer „grundsätzlichen Ablehnung" und mit der Forderung nach einer neuen Regierung antwortete, „die sich auf eine klare Mehrheit des Parlaments stützen kann". Das konnte nach Lage der Dinge nur eine Regierung unter nationalsozialistischer Führung sein, was allerdings nicht ausgesprochen wurde. Das Zentrum bestand auf Wahrung verfassungsmäßiger Grundsätze und erklärte in vorausschauender Erkenntnis der Absichten der Regierung, „daß es verfassungsmäßig unmöglich und für das Reich verderblich ist, eine Reichstagsauflösung nur deswegen zu befürworten und vorzubereiten, weil der gegenwärtigen Regierung die Mehrheit versagt bleibt". 254 Die Zentrumspartei wünschte keine Fortsetzung der Regierung Papen und kündete ihre Opposition an. Auch ein neues Präsidialkabinett schloß sie aus. Insofern hatte Brüning innerhalb der Fraktion sein Ziel erreicht. Einen Ausweg aus der Krise eröffnete dies aber nicht. Am 1. September äußerte sich Brüning in einem längeren Gespräch mit Schäffer überaus optimistisch, wobei er den neuen Weg des Zentrums als Fortführung eigener Absichten und Ziele in der Vergangenheit darstellte. 255 Es steht zu vermuten, daß er hierbei Gedanken rekapitulierte, die sich in seinem Gespräch mit Straßer herausgeschält hatten. Brüning hielt es für erforderlich, daß über den Winter eine Regierung auf der Grundlage einer Reichstagsmehrheit bestünde. Freilich müsse dafür gesorgt werden, daß die Verfassung geachtet werde und Ordnung herrsche. Dies seien die Bedingungen des Zentrums, das sich nicht darauf einlassen wolle, das Amt des Ministerpräsidenten in Preußen und das Reichskanzleramt gleichzeitig den Nationalsozialisten zu überlassen. Das beste wäre sein altes Kabinett, in dem die Nationalsozialisten bei „ein paar Ummöblierungen" den Reichskanzler stellten. Man müsse allerdings, wie er es vorgesehen habe und für möglich halte, das Gesetz über die Stellvertretung des Reichspräsidenten ändern, was durch Notverordnung geschehen könne. Brüning betrachtete dies als notwendige Sicherung, damit beim Ausscheiden oder Tod des Reichspräsidenten „nichts passieren könne". Auf Straßer glaubte er sich verlassen zu dürfen; von ihm hielt er viel: „Er sei überhaupt keine so flackrige Natur wie Hitler, bei dem diese Unberechenbarkeit das Schlimme sei." Man merke ihm an, daß er 254 255
Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 583 f. Tagebuch Schäffer, 1. September.
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„aus einer alten deutschen Familie einer freien Reichsstadt stamme". D i e gegenseitige A n n ä h e r u n g w a r nachgerade perfekt. D e r ehemalige Reichskanzler w a r w i e d e r optimistisch u n d f ü h l t e sich am rechten O r t in m a ß g e b e n d e r Stellung — über K r i t i k erhaben. D i e K o a l i t i o n s v e r h a n d lungen sollten nach B r ü n i n g auch die M ö g l i c h k e i t berücksichtigen, daß Schleicher Reichskanzler w e r d e n könne; dies begegnete auf w u n d e r s a m e Weise den E r w ä g u n g e n des G e n e r a l s . 2 5 6 A n der strikten A b l e h n u n g des Kabinetts v. Papen hielt das Z e n t r u m ebenso fest w i e die N S D A P . D i e s blieb gewissermaßen der g r ö ß t e gemeinsame Nenner. D i e entschlossene A b w e h r des „Ephialtes" Papen ergab schließlich auch die F o r m e l des Einverständnisses innerhalb des Z e n t r u m s . Diese negative K o a l i t i o n d e r Oppositionsparteien w a r die größte, die in der Geschichte des Reichstags Gestalt annahm. D o c h ein g r o ß e r Teil der liberalen und demokratischen Presse zeigte sich nicht geneigt, dieser B e w e g u n g zu f o l g e n , k a u m die „Vossische Zeitung", ganz und gar nicht das „Berliner Tageblatt", ebens o w e n i g die „ F r a n k f u r t e r Zeitung". B r ü n i n g h o f f t e auch v e r g e b l i c h auf eine U n t e r s t ü t z u n g d u r c h den Reichspräsidenten, in dessen beharrlicher
256 Am nächsten Tag hatte Schäffer ein ausführliches Gespräch mit Staatssekretär Planck und dem neuen Reichspressechef Major Mareks. Planck erwähnte, daß er am darauffolgenden Tage, also am 3. September, mit Brüning zum Mittagessen verabredet sei. Tagebuch Schäffer, 2. September. Offenbar war es Schäffer, der sich sowohl bei Brüning als auch bei Planck um eine Verbindung zwischen dem ehemaligen Reichskanzler und Schleicher bemühte, da er sich für eine Koalition von Zentrum und Nationalsozialisten nicht zu erwärmen vermochte. Die Fortsetzung der Geschichte berichtet Brüning in seinen Memoiren, S. 624: „Ein Herr, der mit Schleicher und Planck gefrühstückt hatte", habe ihn gebeten, „mit Planck zu sprechen..." Daraufhin habe er Planck zum Frühstück eingeladen. Doch eine Verbindung zu Schleicher kam seiner Darstellung zufolge nicht zustande. Ahnlich verhielt es sich nach den Mitteilungen Brünings mit einem anderen Annäherungsversuch. An der gleichen Stelle berichtet er von den Bemühungen, ein Gespräch zwischen ihm und dem Reichspräsidenten, das der Öffentlichkeit nicht bekanntwerden sollte, zu vermitteln. Brüning schreibt, er habe erklärt, daß eine Unterhaltung mit dem Reichspräsidenten ohne Kenntnis der Öffentlichkeit und ohne Wissen des Kanzlers seinen konstitutionellen Anschauungen widerspreche. Dies ist wohl die merkwürdigste Begründung aus der Feder Brünings, die nur zu der Frage führt, ob er eine — ungenügend verborgene — traumatische Abneigung oder gar ein schlechtes Gewissen Hindenburg gegenüber hatte. Noch ein merkwürdiger Gegenvorschlag wird von Brüning angefügt: Er habe sich bereit erklärt, „irgendwohin nach Ostpreußen zu kommen", um Oskar v. Hindenburg zu treffen. Die wunderliche Pointe des Berichtes von Brüning liegt darin, daß er der Meldung eines Kontaktes des Zentrums nach Neudeck in der Deutschen Allgemeinen Zeitung, deren Chefredakteur zu Brüning sehr gute Beziehungen unterhielt, die Schuld an dem Mißlingen dieses Vorhabens zuschrieb.
972
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
Abneigung gegen die NSDAP er sich jetzt ebenso verschätzte, wie er früher Neigungen und Entschlüsse Hindenburgs falsch eingeschätzt hatte.
Eröffnung des Reichstags. Pläne %ur Wiederauflösung Einige Tage vor dem ersten Zusammentreten des neuen Reichstags am 30. August war sich die Regierung darüber im klaren, daß man das Parlament wieder auflösen müsse.257 Doch in der Frage, wie dies vonstatten gehen sollte und ob und wie danach zu wählen sei, gab es mindestens zwei verschiedene Meinungen. Papen neigte zur einfachen Neuwahl; andere Minister suchten nach Auswegen, die sich allerdings kaum als verfassungskonform darstellen ließen. Auch Veränderungen des Wahlrechts durch eine Notverordnung des Reichspräsidenten wurden erörtert. Schäffer ventilierte den Gedanken, durch Anordnung des Reichspräsidenten ein Plebiszit, einen Volksentscheid ohne vorhergehendes Volksbegehren, anzusetzen, mit dessen Hilfe der Wahltag dann auf einen späteren Termin, etwa den 15. Mai 1933, verlegt werden sollte. Artikel 73 Abs. 4 der Reichsverfassung bestimmte jedoch, daß der Reichspräsident nur über den Haushaltsplan, über Abgabengesetze und Besoldungsordnungen einen Volksentscheid anordnen konnte. Das war gewiß keine auf die Dauer sinnvolle Beschränkung; sie erklärt sich lediglich aus ihrer Geschichte.258 Aber für eine Verfassungsänderung war es in diesem Fall zu spät. Der einzige gangbare verfassungsmäßige Weg, der eingeschlagen werden konnte, blieb die Vorlage eines Gesetzentwurfs zu einem Volksbegehren, der mit einem Zehntel der Stimmberechtigten nach Art. 73 Abs. 3 zu einem Volksentscheid gebracht wurde, dann aber der Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten bedurfte. Für die Absicht einer Einschränkung des Stimmrechts war dies ein aussichtsloser Weg. Die Regierung war also gezwungen, einen voll ausgearbeiteten Gesetzentwurf dem Reichstag vorzulegen. In jedem Falle aber blieb die Frage, wie sie die Zwischenzeit — erst bis zur Annahme des Wahlgesetzes, 257
Tagebuch Schäffer, 27. August. Schon am 15. August hatte Frhr. Eitz v. Rübenach
in der Reichsministerbesprechung empfohlen, „den Reichstag sobald wie möglich wieder nach Hause zu schicken". A R : Papen, 1, S. 404. 2,8
Diese Sonderbestimmung folgte lediglich dem Zweck, die drei genannten Komplexe
von den sonst geltenden Bestimmungen über Volksbegehren und Volksentscheid in der Weimarer Reichsverfassung auszunehmen, aber einem Plebiszit nicht grundsätzlich zu entziehen. Vgl. Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung, S. 322 f.
Der Reichspräsident
verbindert eine Kanzlerschaft
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dann von der Auflösung bis zur Neuwahl des Reichstags — überbrücken konnte. Planck neigte der Lösung zu, eine Verschiebung der Wahl vor einer Änderung des Wahlrechts durch Notverordnung des Reichspräsidenten vorzunehmen, weil die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung während der Wahl gefährdet sei. Mit Hilfe des Artikels 48 schien ihm auch dies durchführbar. Doch die Frage einer verfassungskonformen Wahlrechtsänderung wurde dadurch nicht beantwortet. Der Reichskanzler befand sich seit dem 30. August im Besitz einer vom Reichspräsidenten ohne Datum und Begründung vollzogenen, von Papen und Gayl gegengezeichneten Verordnung, die den Reichstag auflöste. Das Verfahren, das schon beim Vorgehen gegen Preußen angewandt wurde, erfuhr eine Wiederholung. Hindenburg stellte seine Befugnis zur Verfügung; der Reichskanzler hatte freie Hand zum Vollzug. Außerdem hielt der Reichsinnenminister eine auf gleiche Weise zustande gekommene Verordnung bereit, die ihm die gesamte Polizei unterstellte. 259 Die Begründung hierfür leitete Papen aus den Koalitionsverhandlungen zwischen Zentrum und NSDAP und der wahrscheinlich zutreffenden Erkenntnis her, daß das Zentrum den „doppelten Zweck" verfolge, eine Wiederauflösung des Reichstags zu vermeiden und „die Nationalsozialisten durch Übernahme der Regierungsverantwortung sich abwirtschaften zu lassen", während die NSDAP die Absicht hege, den Reichspräsidenten „dadurch ins Unrecht zu setzen, daß zunächst eine scheinbare Mehrheit gebildet wird" und der Reichspräsident „es dann ablehnt, mit dieser Mehrheit zu regieren". Papen war es darum zu tun, „abzuwarten, bis die anderen im Unrecht sind", um dann sogleich den Reichstag aufzulösen. In knapp stilisierten Wendungen charakterisierte er den Konflikt zwischen dem erklärten Willen des Reichspräsidenten, Hitler als Kanzler nicht zu akzeptieren, und der Forderung Hitlers und seiner Anhänger, die NSDAP nur unter seiner Führung an die Macht zu bringen. Unter den Ministern herrschte Klarheit, daß nach der Wiederauflösung des Reichstags ein besonderer staatlicher Notstand eintrat, der sich von der bisherigen, durch die Notverordnungen gewohnheitsmäßig erklärten
259
Niederschrift Meissners über eine Besprechung des Reichspräsidenten mit Papen,
Gayl und Schleicher in Neudeck am 30. August; A R : Papen, 1, S. 474—479; auch Hubatsch, Hindenburg, S. 339 ff. F.ine nicht ganz vollständige Darstellung gab Papen in einer Reichsministerbesprechung am 3 t . August, v o r einem stark verkleinerten Teilnehmerkreis (ohne die leitenden Ressortbeamten), zu dem aber der Reichsbankpräsident wieder zugezogen wurde, wie es in der Brüning-Zeit die Regel war. A R : Papen, 1, S. 480 ff.
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IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
Notlage deutlich abhob. Aus diesem Grunde sollte der Reichstag längere Zeit, über die verfassungsmäßig vorgeschriebene 60-Tage-Frist hinaus, nicht wiedergewählt werden. Schleicher operierte mit dem Gedanken einer „Sammlung starker Kräfte" nach Versagen des Reichstags und ihrer Organisierung nach dem Vorbild des ,Deutschen Nationalvereins' in der Vorbismarckzeit. In der Sache konnte dies nur eine Zusammenfassung jener bedeuten, die sich gegen eine Machtübernahme der Nationalsozialisten unter Hitler wandten und außerhalb der KPD standen. Doch wie bei manchem, was Schleicher einfiel, lassen sich ein Fortgang und eine beharrlich verfolgte Linie nicht erkennen. In den folgenden Tagen versuchten die Hauptbeteiligten, ihre Positionen zu verbessern. 260 Ausgestreute Nachrichten über eine letzte Unterredung Papens und Schleichers mit Hitler am 29. August, die nach außen Interesse an der NSDAP und Bemühungen um Hitler demonstrierten, 261 sorgten für Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, besaßen jedoch keine Bedeutung. Bei der Vorbereitung der Wahl des Reichstagspräsidenten hatte die SPD auf dem bisherigen Amtsinhaber Löbe bestanden, während die Zentrumsfraktion sich für Göring, den Kandidaten der NSDAP, entschied, „gemäß ihrer Tradition, den Kandidaten der stärksten Partei zu wählen", wie die Begründung lautete. 262 Dem für die Arbeit des Reichstags nicht unbedeutenden Präsidium gehörten dann schließlich neben Göring als Vizepräsidenten Eßer (Zentrum), Rauch (BVP) und Graef (DNVP), aber kein Vertreter der Sozialdemokraten an, der zweitstärksten Partei im Parlament. In der reibungslos ablaufenden konstituierenden Sitzung des neuen Reichstags am 30. August erklärte der neue Präsident in seiner Ansprache nach der Wahl demonstrativ — und etwas voreilig —, dieser Tag beweise, daß der Reichstag zu konstruktiver Arbeit wohl imstande sei, um ihn dann bis zum 12. September zu vertagen. 263 Unter den führenden Köpfen der Zentrumspartei überwog die optimistische Einschätzung der zur NSDAP hergestellten Verbindung. 264 Hitler erschien besser als sein Ruf, Göring sachlich und moderat; man neigte zur Zufriedenheit mit dem eben Erreichten. Den Höhepunkt
260
Vgl. Dorpalen, Hindenburg, S. 341.
261
Knappe Bemerkungen bei Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 233. Die Gerüchte AR:
Papen, 1, S. 475, Anm. 6. 262
Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 584.
M
StenBer V h RT, Bd. 454, S. 10.
264
Morsey, Zentrumspartei, S. 238; Miller, Bolz, S. 425 ff.; Besson,
S. 302 f.
Württemberg,
Der Reichspräsident
verhindert
eine Kanzlerschaft
Hitlers
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dieser Phase der Annäherung stellte eine gemeinsame Erklärung des Zentrums und der NSDAP am 1. September dar, die eine „Beruhigung und Festigung der politischen und staatlichen Verhältnisse auf längere Sicht" als gemeinsames Ziel bezeichnete und sogar eine Änderung der Geschäftsordnung des Reichstags sowie ein Programm zur Arbeitsbeschaffungspolitik — gegen das Programm der Reichsregierung — als Gemeinschaftswerke ankündigte. 265 Die Fronten schienen in verwirrender Weise verschoben. In der Geschichte der NSDAP blieb dies ein Intermezzo, das die Phase einer gewissen Unsicherheit überbrückte. Den Eindruck einer Koalitionsbildung, den die Erklärung vom 1. September verbreitete, nutzten die Nationalsozialisten, um sofort erneut an den Reichskanzler heranzutreten. Noch am gleichen Tage vermittelte der mit Zentrumshilfe zum Reichstagspräsidenten gewählte Göring durch ein Telefonat mit Staatssekretär Planck ein weiteres Gespräch Papens mit Hitler, das allerdings ebenso fehlschlug wie alle Bemühungen im August. Hitler verlangte nicht nur das Reichskanzleramt, sondern soll „in sehr erregter Form wiederholt erklärt" haben, daß ihn „die revolutionäre Entwicklung" alsbald an die Spitze des Staates bringen werde. 266 Die Vermutung liegt nahe, daß dieser nationalsozialistische Vorstoß den Zweck verfolgte, mit dem Druckmittel einer schwarz-braunen Koalition unverzüglich die beabsichtigte Pression auf die Reichsregierung auszuüben. Sicherlich sprach hierbei auch der Wunsch mit, einen neuen Wahlgang zu vermeiden. Doch die Absicht mißlang.
Gregor Straßers
Querverbindungen"
Bald mehrten sich die Anzeichen, daß Hitler sich um die Bildung eines engeren Vertrautenkreises bemühte, den er im geheimen zusammenhielt und dem Einfluß des Organisationsleiters Straßer entzog. Initiative, Ansehen und Selbständigkeit des zum Rivalen gewordenen einstigen Gefährten hatten ihm die Erfahrung beschert, daß Straßer als Reichs-
265 Horkenbach 1932, S. 305; vgl. Morsey, Untergang, S. 62 f.; ders., Zentrumsprotokolle, S. 586; Heinrich Köhler, Lebenserinnerungen, S. 311 f. 266 Vertraulicher Brief vom 2. September, handschriftl. Vermerk „H. Dr. Schiffer U [Ullstein?]"; IfZ, Nachl. Schäffer/38.
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
976
Systems
kanzler oder in wichtigen Ministerämtern eher gelitten würde als er selbst. 267 Das wollte er nicht dulden. Straßer dürfte dies bemerkt haben. Er ließ von seinen selbständigen Bemühungen ab, die im ganzen allerdings konfus und unstetig anmuten, wahrscheinlich durch Mittelsmänner und Vertraute beeinflußt waren, ohne daß er sie sich intensiv, nicht nur als „Techniker" des Organisierens, zu eigen gemacht hätte. Die Unterschiedlichkeit, scheinbare Wahllosigkeit der von ihm gepflegten Verbindungen bleibt ebenso merkwürdig wie das aufflammende und bald wieder verlöschende Interesse: an Beziehungen zu Kreisen der Industrie, an Arbeitsbeschaffungsprojekten und an der Studiengesellschaft für Geld- und Kreditwirtschaft, 268 bis er sich zur Propagierung eines Arbeitsbeschaffungsprogramms aufschwang und seiner Partei neue Beachtung verschaffte, sich die Abneigung von Goebbels und Hitler auflud, dann an Brüning und das Zentrum wandte, um Pläne für eine gemeinsame Regierung und Politik zu schmieden. Dieses Werkzeug nahm ihm Hitler aus der Hand, um es zu eigenen Zwecken zu verwenden. Zur gleichen Zeit und unabhängig hiervon bemühte sich Straßer um Verbindung zum ADGB und anderen Organisationen, inspirierte er „submarine Bestrebungen einer Einigung zwischen Nazis und Gewerkschaften", die manche für „sehr ernst" hielten. 269 Personalfragen wurden erörtert, Ministerlisten aufgestellt; sogar eine Aufspaltung der NSDAP, eine Trennung der Straßer-Richtung von Hitler, schien ephemer in den Bereich des Möglichen zu rücken. Auch die Presse kolportierte Gerüchte wie Nachrichten. Doch Straßer war nicht der Mann, dies systematisch zu durchdenken, und besaß schon gar nicht die Härte, um Konsequenzen durchzustehen. Er war, bestenfalls, vielleicht der „reine Idealist" in einem engen deutschen Sinne. Aber außer Projekten, die Verbindungsleute übermittelten oder selbst ersannen, kam nichts Nen-
267
Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 235 ff. (31. August, 2. u. 3. September). Goebbels
erwähnt eine „geheime Konferenz" Hitlers, an der Göring, Röhm „und ich teilnehmen"; dort „werden die nächsten Ziele durchberaten". Dann erwähnt er eine „große Parteiberatung" bei Hitler mit Göring, Frick, Straßer, Kube, Kerrl und ihm: „Einwände" von der „Straßerseite" — „wie immer gegen den Standpunkt Hitlers". A m 3. September: Hitler „mißtraut Straßer sehr stark. Er will ihm deshalb auch die Parteimacht aus der Hand schlagen." 268
„... wenngleich er sich zunächst nicht persönlich beteiligte, sondern sich durch seine
Mitarbeiter vertreten ließ", schreibt Kissenkoetter, Straßer, S. 107. Das Wort „zunächst" ist unangebracht. 265
IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch, 14. August; weitere Beobachtungen und Informatio-
nen Schäffers hierzu auch am 10., 20. u. 22. August; Jahn, Gewerkschaften, S. 643.
Der Reichspräsident verhindert eine Kanzlerschaft
Hitlers
977
nenswertes zustande, wahrscheinlich nicht einmal eine Verhandlung mit unmittelbar und mittelbar Interessierten, Leipart und Höltermann, allenfalls zwischen Straßer und einzelnen Führern der Christlichen Gewerkschaften — „weil Hitler ... eine stärkere Machtposition hat und Straßer nicht gewagt hat, gegen Hitlers Verbot etwas zu unternehmen", wie Schäffer bald erkannte. 270 Derartige „Querverbindungen" waren mehr als aus der Luft gegriffene Imaginationen, doch in der Realität fast nur von schemenhafter Art und kurzer Dauer. Reichswehrminister Schleicher beobachtete sie wie Manöver fremder Verbände, schaltete sich selbst nicht in diese Bewegungen ein, aber ließ rekognoszieren. Verbindungen und Informationen liefen über das Ministeramt; Bredow berichtete. Das war nicht schwierig, da sich die andere Seite um Kontakte mit dem Ministeramt bemühte. Reichsbannerführer Höltermann ließ sich von Bredow über den „Umbau des Heeres" unterrichten; 271 und Straßers Verbindungsmann Cordemann, der Leiter des Berliner Büros des Reichsorganisationsleiters der NSDAP, bemühte sich um eine „Aussprache" seines Chefs mit Schleicher, zu der es im Sommer 1932 — entgegen verbreiteter Annahme — nicht gekommen sein dürfte. Dies könne „nur von Hitler ausgehen", entschied Bredow; und Cordemann erwiderte, „Straßer täte nie etwas ohne Hitler, auch würde er sich nie, wie behauptet würde, von ihm trennen". 272 In einer später im Jahr 1932 Gestalt annehmenden „Querfront", unter der maßgebenden Beteiligung Gerekes, trat Straßer dann erneut hervor, nun unabhängig von der inneren Entwicklung der NSDAP. Daß persönliche Kontakte von Bedeutung zwischen ihm und dem ADGB entstanden, 273 ist ebensowenig nachzuweisen wie ein Erfolg von Auflockerungsbemühungen in den Beziehungen zwischen Gewerkschaften und SPD. 274 Als 270
Tagebuch Schäffer, 22. August.
271
Kurze Orientierung f ü r Schleicher, 6. September; BA, Nachl. Bredow/1; vgl. Rohe,
Reichsbanner, S. 444 - 452. 272
Bredow, a. a. O. Zu diesem Komplex sorgfältige und anregende Überlegungen v o n
Heinrich Muth, Schleicher und die Gewerkschaften 1932. Ein Quellenproblem, in: V Z G , 29 (1981), bes. S. 207 - 215. 273
Die teilweise kühnen Mutmaßungen von Kissenkoetter, Straßer, gehen hiervon aus
und beurteilen dann bezeichnenderweise Männer wie Gereke oder den Stahlhelmführer Lübbert als schlichte „Zwischenträger" zwischen A D G B und „Straßer-Gruppe", a. a. O., S. 151. Einen Versuch von Cordemann bezeugt Tarnow, deutlich befremdet; Jahn, G e werkschaften, S. 657 — 661. 274
Schneider, Arbeitsbeschaffungsprogramm, S. 154 f., kann sie ebenfalls nicht belegen
und arbeitet mit Annahmen und „Vielleicht"-Konstruktionen, erkennt auch eine mehrfach diskutierte Fälschung noch nicht. Zum letzten Henryk Skrzypczak, Fälscher machen
978
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen Systems
Kreuzungspunkt dieser „Querverbindungen" läßt sich der Kreis um die Zeitschrift „Die Tat" und die „Tägliche Rundschau" erkennen, der in der zweiten Jahreshälfte Ausstrahlungskraft gewann und v o n Schleicher ebenso offenkundig wie freibleibend als Ansatz zu einer antikapitalistischen und nationalistischen „Volksfront" gefördert wurde. 2 7 5
Papen bemüht sich um eine
Präsidialpartei
Wer versuchte, die Momente zu überblicken und einzuschätzen, die A n f a n g September 1932 die politische Entwicklung zu bestimmen schienen, 2 7 6 der hätte kaum eine Voraussage über die Folgen einer A u f l ö s u n g des Reichstags wagen können. Die Regierung wollte auflösen und wußte den Reichspräsidenten hinter sich. Das Zentrum wollte die A u f l ö s u n g durch eine längere Vertagung vermeiden, da sich der Plan einer Koalition und eines gemeinsamen Programms mit der N S D A P infolge der wieder
Zeitgeschichte. Ein quellenkritischer Beitrag zur Gewerkschaftspolitik in der Ära Papen und Schleicher, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 11 (1975), S. 452—471; und vor allem Muth, Schleicher, bes. S. 203 —207. Daß es auch auf der Gewerkschaftsseite einzelne Bemühungen gab, eine politische Neuorientierung und Anschluß an Gruppen der NSDAP zu suchen, bezeugt der Fall des Generalsekretärs des Berliner Büros des Reichsbanners und Mitglieds der Reichskampfleitung der Eisernen Front Gebhardt, der 1933 der NSDAP beitrat. Vgl. Jahn, Gewerkschaften, S. 652 — 656; auch Tarnow im Bundesvorstand des ADGB; a. a. O., S. 644 f.; Rohe, Reichsbanner, S. 446, Anm. 8. 275 Vgl. Möhler, Revolution, S. 434 ff.; Vogelsang, Reichswehr, S. 228 f., 268 f. Den TatKreis als „theoretische Feldzeugmeisterei des Herrn von Schleicher" zu bezeichnen, war eher irreführend und erklärt sich wohl aus der Schlagwortverliebtheit literarischer Kreise, die als geistreich gelten, aber der verläßlichen Kenntnis ermangeln. Die Linkskurve, 4 (1932), H. 11/12, S. 1. Etwas anders Axel Schildt, Militärdiktatur mit Massenbasis? Die Querfrontkonzeption der Reichswehrführung um General von Schleicher am Ende der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. 1981, S. 113 f.; vgl. auch Kurt Sontheimer, DerTatkreis, in: V Z G , 7 (1959), S. 229 - 260. Treviranus, Ende, S. 345, versichert, daß Schleicher „Zehrer nie gesehen und gesprochen" habe. Auch hier fiel einem Mittelsmann die entscheidende Rolle zu, dem Berliner Zahnarzt Hellmuth Elbrechter, der früh schon zur N S D A P stieß und Hitler kennenlernte, Schwager des Hamburger Gauleiters Kaufmann war. Zu seinen Patienten zählten sowohl Schleicher als auch Gregor Straßer, Brüning und Treviranus. Dem Tat-Kreis eng verbunden, erwirkte er Schleichers Förderung und zog auch sonst eifrig politische Strippen. Nach der Ernennung Schleichers zum Reichskanzler wurde „Elbrechter ... fast über Nacht ein Vertrauter des im Grunde einsamen, ratsuchenden Kanzlers", ebda. Kissenkoetter, Straßer, S. 8 f . , 111 f., 127ff., 147, 205ff. 27f'
38.
Hierzu ein vertraulicher Bericht vom 9. September für Schäffer; IfZ, Nachl. Schäffer/
Der Reichspräsident
verhindert
eine Kanzlerschaft
Hitlers
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hervortretenden Meinungsverschiedenheiten nicht schnell verwirklichen ließ. 277 Die Nationalsozialisten fürchteten Neuwahlen, aber auch, daß sie einer versteckten oder direkten Tolerierung der Regierung geziehen würden. Der Organisationsapparat der NSDAP war in Unordnung geraten. Randgruppen und Dissidenten des Nationalsozialismus, wie die Kreise um Stennes und um Otto Straßer, aber auch der „Tat"-Kreis arbeiteten an einer Zersetzung der NSDAP, wobei die Einsicht in die zur Entscheidung drängende Lage und Mißtrauen in das Verhalten Hitlers den Ansatzpunkt ergaben. Die Regierung stellte sich auf die Auflösung ein, ohne das Prozedieren und den Zeitpunkt ins Auge zu fassen. Um die scheinbar noch gegebenen Möglichkeiten zu nutzen, warb Papen für eine politische Unterstützung seiner Politik und seines Kabinetts. Die Vorstellungen, denen er folgte, hielten sich in der Schwebe zwischen einer volkstümlichen, breitenwirksamen Werbung für Regierung und Reichspräsidenten, die jetzt auch die verfügbaren Medien des Rundfunks wie des Tonfilms einbezog — mit starken nationalistischen Tönen —, und der Bildung einer „Präsidialpartei" aus verschiedenen Parteien und Verbänden. Schließlich versuchte er, von beidem etwas zu erreichen. Mit Hugenberg erörterte er die Möglichkeit einer Präsidialregierungspartei. Er dachte an einen Block aus Deutschnationalen, Resten der Mittelparteien, Stahlhelm, Spitzenverbänden der Wirtschaft, etwa dem Reichsverband der Deutschen Industrie und dem Reichslandbund, und anderen Interessenorganisationen. Diese phantastisch anmutende Gruppierung sollte, sobald es zur Neuwahl des Reichstags kam, für Unterstützung der Regierung und für propagandistische Hilfen sorgen. Das setzte allerdings eine Einigung in entscheidenden Wirtschaftsfragen voraus, die auch die Vertreter des Reichslandbundes und des RDI zusammenbrachte. Hugenberg selbst blieb trotz aller Konzilianz Papen gegenüber bemüht, die Fäden zur NSDAP nicht zu zerschneiden, hoffte weiterhin auf eine Koalition mit ihr und das Einverständnis des Reichspräsidenten. 278 Günstig gestaltete sich lediglich das Verhältnis des Kanzlers zum Stahlhelm, der Schleicher und seinen Wehrsportplänen mit Mißtrauen gegenüberstand und sie als „Atomisierungspläne" fürchtete. 279 Papen war der erste Reichskanzler, der sich, am 4. September, auf einer Großdemonstration des Stahlhelms zeigte, dem Frontsoldatentag mit etwa 200000 Teilnehmern, für den das Reichska277 278 279
Morsey, Zentrumspartei, S. 321; ders., Untergang, S. 69 ff. Quaatz, Tagebuch, S. 200 ff. Berghahn, Stahlhelm, S. 233 ff.
980
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
binett das Tempelhofer Feld zur Verfügung stellte. 280 Eine Wahl konnte Papen jedoch auf diesem Wege kaum gewinnen, allenfalls beeinflussen, eine Reichstagsmehrheit nicht erreichen.
Der RDI verlangt
Arbeitsbeschaffung
Im RDI registrierte man mit einiger Verzögerung, daß die Spitzenorganisation der englischen Wirtschaft sich seit Herbst 1930 für eine Commonwealth-Politik entschieden hatte, die eine kritische Einstellung zur bisherigen Außenwirtschaftspolitik Englands mit sich brachte.281 Die Federation of British Industries (FBI), das englische Pendant zum RDI, veröffentlichte in der Vorbereitung der Wirtschaftskonferenz zu Ottawa zwei Denkschriften, die ihre wirtschaftspolitischen Forderungen zusammenfaßten. Kastl gab sie dem Präsidium des RDI bekannt. Die „New British Financial Policy" war vom Grand Council, dem Präsidium der FBI, Ende April 1932 einstimmig verabschiedet worden. Es gelangte zu dem Schluß, daß Großbritannien in seinem Bestreben, den Vorkriegsmechanismus des Welthandels wiederherzustellen, seine Wirtschaft überanstrengt hatte, indem es zum Wiederaufbau Europas finanzielle Hilfen, konkurrierenden Volkswirtschaften Anleihen gewährte, die es sich im Grunde nicht leisten konnte. Die Finanz verfolgte teilweise eine Industrie und Handel entgegenwirkende Politik. Nun aber, frei von den Fesseln eines mißgeleiteten Goldstandards, sollte die britische Währungspolitik einem neuen Plan folgen, der Hand in Hand mit der Handels- und Industriepolitik den bisherigen Kurs von Grund auf revidierte. Als Ziel schwebte vor, das für Auslandsinvestitionen erübrigte Sparkapital in solche Länder innerhalb des Sterling-Gebietes zu leiten, die die Wirtschaft des Mutterlandes ergänzten. Die Konferenz von Ottawa sollte dazu dienen, ein Maximum gegenseitigen Verständnisses für eine gemeinschaftliche Währungs- und Industriepolitik im Commonwealth herbeizuführen. Kastl hatte gute Gründe für die Behauptung, daß dies eine „Finanzautarkie" Großbritanniens einleite. Allerdings bedeutete „Autarkie" im Britischen Empire etwas anderes als in der wirtschaftspolitischen Agitation und Propaganda der deutschen Agrarverbände. Aber die Verände28u
A R : Papen, 1, S. 406 f.
281
Rundschreiben Kastls an die Mitglieder des Präsidiums des RDI, „Vertraulich!",
1. Juni 1932; BA, Nachl. Silverberg/232.
Der Reichspräsident verhindert eine Kanzlerschaft
Hitlers
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rangen der englischen Wirtschaftspolitik unter dem Eindruck der Forderungen der Federation waren richtig bemerkt, vor allem die „Schärfe", mit der sich das Programm „gegen die bisherige Anleihepolitik zu Gunsten eines Wiederaufbaus Europas ausspricht". Man mußte sich künftig auf eine geringere Anteilnahme Englands an deutschen Problemen und auf eine stärkere Konkurrenz der britischen Industrien auf dem Weltmarkt einstellen. Dies ergab ein neues Moment, das sich für die nächste Zeit zu Lasten der weltwirtschaftlichen Verflechtung auswirkte und die Wahrnehmung des Exportinteresses beeinträchtigte. Das führte zu einer veränderten Orientierung in binnenwirtschaftlicher wie in innerpolitischer Beziehung. Der RDI nahm die Gelegenheit wahr, die Arbeitsbeschaffung öffentlicher Stellen anzuregen, wie es der Zentralausschuß des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates in seinem Gutachten im Frühjahr 1932 empfohlen hatte, das auch eine Reihe praktischer Vorschläge enthielt. 282 In erster Linie war die Einschaltung von Reichsbahn und Reichspost vorgesehen; außerdem kam dem Straßenbau Bedeutung zu. In dieser Hinsicht hatte die Reichsregierung viel nachzuholen. Das erste bescheidene Programm, für das lediglich 300 Millionen RM zur Verfügung standen, war noch nicht einmal abschließend beraten und verabschiedet. Richtlinien für den Landstraßenbau beließen die Durchführung der Zuständigkeit der Länder. Der preußische Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten verfügte in einem Erlaß hierzu Grundsätze, die den Sinn des ganzen Programms in Frage stellten, da sie den Unternehmern auferlegten, 20 Prozent der Gesamtkosten für drei bis fünf Jahre zu stunden, um die Aufwendungen der öffentlichen Hand niedrig zu halten. Es blieb also bei einem Notprogramm zur Gewährleistung eines mäßigen Beschäftigungsstandes notleidender Betriebe. Impulse zur wirtschaftlichen Belebung waren nicht zu erwarten. Der RDI versuchte, eine Lockerung oder Abschaffung dieser Bestimmung zu erreichen 283 und auf die Länderregierungen einzuwirken, daß sie von derartigen Auflagen absahen. Noch kam es auf Initiativen der Länder an; die der Reichsressorts blieben gering. Der Reichsfinanzminister, der die Ausgaben fortgesetzt eindämmte, hielt an Bedenken gegen eine „zu stark betriebene Arbeitsbeschaffung" fest, die seiner Auffassung nach „lediglich die Kaufkraft von einer Stelle der Bevölkerung auf die andere" verschiebe. Nützen könne sie nur bei „dem natürlichen Entwicklungs282
D r S des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates, Nr. 380.
281
Kastl an den Reichskanzler, 2. August 1932; Abschr. BA, Nachl. Silverberg/232.
982
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Systems
prozeß gesunder Wirtschaft". 2 8 4 Diese Ansicht setzte sich widerspruchslos im Kabinett durch. Die Reichsbahn sah sich mit ihren Mitteln zu größeren Aktionen nicht imstande, und auch die Reichspost wünschte, daß „sie bei den Erwägungen über weitere Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht mit einbezogen würde". Unter derartigen Voraussetzungen blieb die Zahl der Unternehmen, die Aufträge der öffentlichen Hand ausführen konnten, beschränkt, waren mittlere und kleine Betriebe von einer Beteiligung an den Arbeiten praktisch ausgeschlossen, da sich gerade kapitalschwache Betriebe nicht imstande sahen, Stundungen zu gewähren. Der RDI wollte dies nicht hinnehmen. Kastl wußte sich hierbei in Ubereinstimmung mit anderen Interessenorganisationen, die aus dem gemeinwirtschaftlichen Charakter der Deutschen Reichsbahngesellschaft die Verpflichtung ableiteten, zur Besserung der Wirtschaftslage beizutragen: Ein Unternehmen dieser Größenordnung, das im wesentlichen schuldenfrei war, habe „in begrenztem Maße ein finanzielles Risiko zu übernehmen", „wenn es sich darum handelt, diejenigen Betriebe aufrechtzuerhalten, deren Existenz auch für die Reichsbahn selbst eine Lebensnotwendigkeit ist". Dies verlangte nach einer aktiven Beschaffungspolitik, die eine Kreditaufnahme der Reichsbahn mit Hilfe der Reichsbank für die nächsten Jahre nicht ausschloß, um vor allem eine Modernisierung der Bahnkörper, eine Verbesserung des Wagenparks und technische Rationalisierungen herbeizuführen. Eine weitere Automatisierung der Fernsprechanlagen wurde von der Reichspost verlangt. Rationalisierungen großen Ausmaßes, die mit Kosten und Kreditaufnahmen verbunden waren, konnten auf längere Sicht wohl auf Personaleinsparungen und Kostensenkungen in diesen Bereichen hinauslaufen, brachten indes fürs erste eine stärkere Beschäftigung und arbeitswirtschaftliche Belebung.
Rechnung mit der NSDAP Das Drängen nach Arbeitsbeschaffung durch staatliche Maßnahmen richtete sich im Krisensommer 1932 nicht nur an die Adresse der Reichsregierung. Auch die durch den Aufstieg der Nationalsozialisten veränderte Landschaft der politischen Parteien eröffnete neue Aspekte. Hierbei stand sowohl die Frage der Arbeitsbeschaffung als auch, angesichts der radi284
AR: Papen, 1, S.286f.
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kalen Tendenzen der NSDAP, das Schicksal der Großunternehmen und „der Wirtschaft" im ganzen zur Erörterung. Nicht nur im RDI, sondern weithin in der gewerblichen Wirtschaft erhoben sich Stimmen, die immer wieder aussprachen, daß von der NSDAP „die gesamte Propaganda nur unter taktischen Gesichtspunkten geschieht und das Eigentliche verschwiegen wird" 285 . Wurde die „propagandistische Kraft Hitlers" 286 in Rechnung gezogen, sah man „ungeheuerliche Chancen" des Propagandaapparats der Nationalsozialisten in der durch die Krise erschütterten und desorientierten Bevölkerung. Das schien es nahezulegen, die propagandistischen Vorstöße der NSDAP zu regulieren und ihre Richtung gegen die Großindustrie oder bestimmte Interessenkreise der Wirtschaft zu verändern, wie es schon in der Gelsenberg-Affäre durch Flick und in Fragen der synthetischen Benzinproduktion durch die IG Farben-Industrie geschah. Der bewegliche und ideenreiche Silverberg ging zunächst wieder auf eigene Weise vor. Mittelsmann war Hans Reupke, Angestellter der Geschäftsführung des RDI, der schon durch frühere Veröffentlichungen auf sich aufmerksam gemacht hatte und den Gedanken eines nach dem Muster der faschistischen Korporationen aufgebauten Ständewirtschaftssystems in Deutschland vertrat. Einflüsse der italienischen Entwicklung, persönliche Begegnungen und Gespräche waren hierbei maßgebend. 287 Reupke gehörte der NSDAP bereits an, wußte dies aber zu verschweigen. 1932 bemühte er sich um wirtschaftliche Richtlinien für ihre künftige Politik, die er den Thesen entgegenstellte, die der nationalsozialistische Münchener Privatdozent Adrian v. Renteln entworfen hatte und die die verächtliche Bemerkung wohl verdienten, daß sie „nur das eine gemeinsam hätten: alles möglichst zu reglementieren, wie dies ja auch dem militärähnlichen Aufbau der Partei entspräche". 288 Reupke hielt Fühlung zu Gregor Straßer, der ihn und seine Pläne offen aufnahm, obgleich Renteln einer seiner engsten Mitarbeiter war. Als Gegner galten vor allem jene Kreise, die sich in Norddeutschland dem Berliner Gauleiter Goebbels angeschlossen hatten. 289 Anderseits hatte 285
Hugo Kanter an Eduard Hamm, 21. September; BA, R 11/10.
286
Schacht, 76 Jahre, S. 351 f.
287
Über Reupke Turner, Großunternehmer, S. 167 ff.; Hoepke, Rechte, S. 150 ff., 172 ff.,
179-186. 288
Vermerk
Bauer für Silverberg
„Wirtschaftsprogramm
der
Nationalsozialisten",
24. August; B A , Nachl. Silverberg/232. 289
Die heftige Gegnerschaft Goebbels-Reupke begann mit der Schrift von Reupke,
Nationalsozialismus. Goebbels' Urteil: „... glatter Verrat am Sozialismus. Dagegen müssen wir in Berlin Front machen." 17. März 1931. Allerdings war Goebbels auch gegen andere
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Reupke durch frühere Veröffentlichungen Vogler beeindruckt und näherten sich seine neuen Pläne in wesentlichen Punkten Gedanken an, die Silverberg in einem Berliner Club zur Diskussion gestellt hatte. Dies galt auch für den Gedanken, der Wirtschaft als Gegenspielerin eines zentralistisch regierten Staates durch den Ausbau ihres Selbstverwaltungssystems zu einer gewissen Autonomie zu verhelfen und ihr im Verein mit zuständigen Staatsinstanzen die gemeinsame Aufgabe zuzuweisen, die Wirtschaftspolitik zu bestimmen. Seine „Leitsätze" 290 präsentierte Reupke so, daß sie als eine Stellungnahme der Unternehmerseite zum Nationalsozialismus verstanden werden konnten. Sie wurden auch nie zur Anregung einer Diskussion innerhalb der NSDAP-Führung; größer war die Wirkung auf Unternehmer. Die Präambel liest sich wie ein Angebot an die NSDAP, in dem schon nationalsozialistischer Jargon durchklingt. Die NSDAP wird allerdings mit keinem Wort erwähnt, nur „der politische Systemwechsel", den das „nationale Unternehmertum begrüßt, weil er die Vorbedingung zu einer Gesundung des deutschen Volkes und der deutschen Wirtschaft legt". Auch der Programmpunkt „Berufung einer nationalen Regierung" war so formuliert, daß sich nicht unmittelbare Schlüsse auf die NSDAP oder ihre Führung ergaben, aber doch als Mahnung zur Moderation an sie gerichtet: „Die Krise verlangt eine Bekämpfung durch aktive Maßnahmen." Aber man „müsse mit der Tatsache rechnen, daß die Zusammenballung von Menschen auf dem engen deutschen Raum keine sogenannten radikalen Experimente verträgt. Es bedarf einer sachkundigen, zähen und geduldigen Arbeit, um die Auswirkungen der Krise ... zu mildern." Die Bedeutung Reupkes innerhalb der NSDAP blieb gering; doch er beeinflußte die Atmosphäre im RDI. Als Gregor Straßer das „Wirtschaftliche Sofortprogramm der NSDAP" veröffentlichte, stieß es sofort auf reges Interesse. Der Geschäftsführer Herle unterzog es eingehender Prüfung. 291 Seine Untersuchung ging auch an den Referenten in der Wirtschaftsabteilung der NSDAP, Adrian v. Renteln, der sich verantwortlich für das Programm nannte, was allerdings nur in redaktioneller
„Wirtschaftsprogramme" eingenommen, so gegen die von Hierl und Otto Wagener. Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 34 f., 37 f., 40, 312. 2,0 „Leitsätze für eine Wirtschaftserklärung des nationalen Unternehmertums (Entwurf)", handschriftl. Kopfvermerk „Herrn Dr. Bauer zur vertraulichen Kenntnisnahme. R.16./8."; BA, Nachl. Silverberg/232. 251 Herle an Silverberg, 9. September, mit beigefügtem ausführlichem Memorandum; BA, Nachl. Silverberg/232.
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Hinsicht zutraf. Er trat nun als zweiter Vermittler auf. 292 Herle tat das „Sofortprogramm" zwar „in erster Linie als Rednermaterial für die Sprecher der NSDAP" ab. Doch seine belehrenden Ausführungen zeigten an, daß er sich einen Nutzen von dieser Verbindung versprach. 293 Ein Erfolg des Belehrungsversuches läßt sich allerdings ebensowenig erkennen wie ein Ergebnis der Einladung Herles, daß nun „die Zeit gekommen ist, um einzelne Erörterungen konkreter Fragen zwischen Ihren und unseren leitenden Herren mit Aussicht auf Erfolg beginnen zu können". Die Offerte war ebenso deutlich wie der Kontext der Bedingungen. Die nächsten Ereignisse folgten aber einer anderen Direktion in der Wahl der Mittel, Methoden und Persönlichkeiten. Eine von Schacht für Vermittlungsaufgaben vorgeschlagene „Arbeitsstelle" hatte das Interesse von Reusch, Springorum, Thyssen, Vogler und Krupp gefunden, 294 verschiedenartigen Köpfen mit unterschiedlichen Ansichten, die jedoch nach dem Amtsantritt des von ihnen gestützten Papen die wirtschaftspolitische Orientierung der NSDAP unter ihren Einfluß zu bringen versuchten. Vielleicht durchschaute Hitler diese Absicht mit der ihm eigenen Witterung für Entwicklungen, die sich seiner Kontrolle zu entziehen drohten. Ebensogut könnte ihm Otto Wagener Ratschläge erteilt haben; jedenfalls bewegte er sich jetzt wie auch 1933 wieder auf der von Wagener formulierten Linie. Hitler hatte den badischen Fotogelatine-Fabrikanten Wilhelm Keppler beauftragt, einen Kreis von Wirtschaftlern zu bilden, die bereit waren, die NSDAP zu unterstützen. Keppler wandte sich an den Aufsichtsratsvorsitzenden der Hapag in Hamburg, Emil Helfferich, den Bruder des einstigen Staatssekretärs des Reichsschatzamtes, dann deutschnationalen Reichstagsabgeordneten Karl 252
Vermerk Herles für Silverberg, „Nur zur persönlichen Information! Nicht zur
Weitergabe!", 8. September; B A , Nachl. Silverberg/232. 2,3
Ausführlicher Brief v o n Herle an Renteln, 8. September; in der Anlage zu dem
a. a. O. genannten Brief Herles an Silverberg, 30 S. Die Aufzeichnungen von Otto Wagener, Hitler, S. 322 ff., lassen es so scheinen, als erteilten Renteln und Wagener Hitler wirtschaftspolitische Belehrungen. Doch diese Quelle ist von unsicherer Art. Erst nachträglich, viele Jahre später niedergeschrieben, enthält der Text auffallend viele wörtlich wiedergegebene Gespräche, die insgesamt, in undeutlicher und fehlerhafter Chronologie, einen idealisierten Hitler, aber auch unverkennbar eigene Anschauungen des Nationalsozialisten Wagener präsentieren. Zur Erhellung v o n Zusammenhängen tragen am ehesten die Anmerkungen des Herausgebers bei. 294
Turner, Faschismus, S. 144; ders., Großunternehmer, S. 295 f., meint, daß die „Ar-
beitsstelle" gar nicht ins Leben getreten sei, was Stegmann, Großindustrie, S. 426, bestreitet, obgleich seine These von ihrer Koordination mit dem Keppler-Kreis annähernd auf dasselbe hinausläuft. Zum Folgenden Schulz, Aufstieg, S. 7 1 8 ff.
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Helfferich. 295 Man beriet dann zu viert — Keppler, sein Neffe Kranefuß, der Juniorchef der Hamburger Firma H. J. Merck & Co. und Helfferich — und führte ein Zusammentreffen mit Hitler herbei, der die Einbeziehung Schachts verlangte. Dies war „die Geburtsstunde des KepplerKreises". 296 Keppler fand Zugang zu Industriellen und Bankiers, die gelegentlich schon vorher zur NSDAP Fühlung suchten, zu August Rosterg, Generaldirektor des marktbeherrschenden Kalikonzerns Wintershall, dem Bankier Kurt Frhr. v. Schröder, durch Vermittlung Helfferichs zu Friedrich Reinhart vom Vorstand der Commerzbank, zu Ewald Hecker, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Ilseder Hütte und Präsidenten der Industrie- und Handelskammer Hannover, ein Freund und einstiger Offizierskamerad Papens, und einigen anderen Persönlichkeiten. 297 Sie bildeten aber keine nennenswerte Repräsentation der deutschen Wirtschaft. Hitler suchte auch weniger Berater als Mittelsmänner. So blieb denn alles Drängen nach „Aufstellung eines festen Programms" vergeblich und auch der Keppler-Kreis „Hintergrund", der schließlich nur politische Funktionen zu erfüllen hatte. 298 Die westdeutsche Stahl- und Eisenindustrie und der Reichsverband der Deutschen Industrie waren weder gewonnen noch in ihren Bestrebungen neutralisiert, die sie fürs nächste noch mit der Politik der Regierung Papen verbanden. Das „Sofortprogramm", das Beachtung gefunden hatte und ernst genommen wurde, rief ihre entschiedenen Einwände hervor. Diese ließen sich erst durch Hitlers angebliche, von Schacht mitgeteilte Erklärung beruhigen, er habe
295
Emil Helfferich, 1932 — 1946 — Tatsachen. Ein Beitrag zur Wahrheitsfindung, Jever
1969, S. 7 ff. Keppler selbst gab im Nürnberger Prozeß an, Hitler habe ihm den Auftrag zur Bildung des Kreises schon im Dezember 1931 erteilt, was den Plan in engere zeitliche Nähe zu dem Programm Wageners rückt.
Eidesstattliche
Erklärung
Kepplers
vom
24. September 1946; M G N , Fall 5, Ankl.-Dok.-B. 14 a, Dok. NI-903. Doch diese Datierung gibt Anlaß zu Zweifeln. Offenbar ergriff Keppler erst im März 1932 die Initiative. Aber ein mehrmonatiges Zögern, um eine Weisung Hitlers in einer offenkundig nicht unwichtigen Angelegenheit auszuführen, ließe sich kaum erklären. Es könnte sein, daß Keppler im Dezember 1931, vielleicht in Verbindung mit Kranefuß, selbst solche Gedanken an Hitler herantrug, doch erst im März einen förmlichen Auftrag erhielt. Zur weiteren Entwicklung Turner, Großunternehmer, S. 294 f. Ohne Versuch einer verläßlichen Zeitangabe Wagener, Hitler, S. 441 ff. 296
Dies und das Folgende nach Helfferich, Tatsachen, S. 8 ff.; dort auch Auszüge aus
dem Briefwechsel Kepplers; Reinhard Vogelsang, Der Freundeskreis Himmler, Göttingen/ Zürich/Frankfurt a.M. 1972, S. 2 2 - 3 0 . 297
Vgl. Turner, Großunternehmer, S. 2 9 7 f.
298
Helfferich, Tatsachen, S. 14 ff.; Stegmann, Großindustrie, S. 428.
Der Reichspräsident
verhindert
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Hitlers
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das „berüchtigte Heft" mit dem „Sofortprogramm" einstampfen lassen. 299 Hitler gewann einen Trumpf, den er bei der „Entmachtung Straßers" 300 ausspielte. Schacht hatte die inneren Schwierigkeiten der NSDAP begriffen und Hitler empfohlen, „möglichst kein detailliertes Wirtschaftsprogramm" 2u bringen, da es keins gebe, „worüber sich 14 Millionen" Wähler einigen könnten. „Wirtschaftspolitik ist keine parteibildende Kraft, sondern sammelt bestenfalls Interessenten." 301 Der reale Wert dieser Einsicht leuchtete auch Hitler ein. So blieb ein kalkulierter Propagandawert der NSDAP erhalten und wurde eine innerparteiliche Kontroverse zu einem kritischen Zeitpunkt vermieden. Mit diesem Hinausschieben eines wirtschaftspolitischen Programms, das dem doppelten Versuch diente, ältere ideologische Elemente teils romantischer, teils sozialistischer Herkunft aus der Erörterung wirtschaftlicher Probleme in der NSDAP auszuschalten und schon bestehende Pläne auszumanövrieren, wich Schacht selbst von dem Ausgangspunkt ab, von dem aus er sich 1931 den Nationalsozialisten genähert hatte, und setzte er ganz auf Hitler. Er warb für den Eindruck, daß man Hitler vertrauen könne, weil „er seine Bewegung nach wie vor in der Hand hat und ... keinen wirtschaftspolitischen Unsinn machen wird". Das waren am Tage der letzten Reichstagsauflösung gewichtige Worte, die der ehemalige Reichsbankpräsident mit der ebenso verächtlichen wie übertriebenen Bemerkung würzte, „daß die Führer der deutschen Wirtschaft immer nur hinter der jeweiligen Regierung herlaufen werden, obgleich Herr v. Papen ... ihr die Verstaatlichung angedroht hat, wenn sie jetzt nicht für Mehreinstellung von Arbeitern sorgt". 302 Schacht hatte optiert. Er stimmte mit anderen Mittelsmännern der Ruhrindustrie überein, die zu dieser Zeit eine Kanzlerschaft Hitlers für geboten hielten, weil man mit ihm allein die als „Massenbasis" unvermeidliche NSDAP „einigermaßen regieren" könne, sofern nur Papen und andere „Garanten" einer kontinuierlichen Politik in der Reichsregierung verblieben. 303 Papen und Bracht schienen dieser „Lösung", die bereits das Ergebnis vom 30. Januar 1933 skizzierte, im Prinzip zuzuneigen. Doch gerade die
Schacht an Reusch, 12. September; Stegmann, a. a. O., S. 465. a. a. O., S. 430. ™ Schreiben Schachts an Hitler, 29. August 1932; IMT, X X X V I , S. 536 f., Dok. EC457. 302 Schacht an Reusch, 12. September. 303 Stegmann, Großindustrie, S. 432 ff. 300
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
988
Systems
führende Gruppe unter den Ruhrindustriellen, Reusch, Springorum, Poensgen, Vogler und Krupp, und der weitere Führungskreis des RDI, Kastl, Silverberg, Siemens, Borsig, Frowein, gingen nicht mit und unterstützten trotz mancher Differenzen im nächsten Wahlkampf die Regierung Papen unmittelbar, ein wenig die DVP, vor allem die DNVP, und Vogler wie Otto Wolff auch Schleicher. Der Rat Schachts wurde auf der anderen Seite von der NSDAPFührung auf eigentümliche Weise befolgt. Tatsächlich unterblieb jede Klärung und verloren sich die programmatischen Ansätze zunächst in organisatorischen Umdisponierungen innerhalb der Reichsleitung. Hinter dem „Eindruck der Hilflosigkeit" 304 vollzog sich ein stufenweiser Übergang, in dessen Verlauf die bisher sichtbar gewordenen Leitlinien verschwammen. Im Juni 1932 war Hierls Organisationsabteilung Gregor Straßer unterstellt worden, zu dem sie immer in enger Beziehung stand. Ein Umbau der Wirtschaftspolitischen Abteilung teilte sie im September 1932 in eine Hauptabteilung für „Staatswirtschaft" und eine für „Privatwirtschaft". Während Wagener aus der Parteiführung verschwand, um erst 1933 wieder hervorzutreten, übernahm Funk die „Privatwirtschaft" und Gottfried Feder das Ressort „Staatswirtschaft". Er hatte nach einigen Wochen ausgespielt. Die scheinbar zweigleisige Fahrt zwischen ständischem und staatssozialistischem Programm wurde in einem „wirtschaftlichen Aufbauprogramm" fortgesetzt, das Funk und Feder gemeinsam veröffentlichten und das den Gedanken einer „nationalen Wirtschaft" am weitesten ausspann. 305 Seine „Totallösung" betraf zuerst den Staat; „die politische Führung muß der Wirtschaftsführung" — nach Überzeugung beider Verfasser — „erst die Bahn freimachen für eine durchgreifende Erneuerung". Danach rangierte die Landwirtschaft; im Dienste einer „Stärkung der nationalen Volks- und Bodenkräfte" wurde aber auch die Schaffung „neuer nationaler Industriezweige" vorgesehen, eine „nationale Verkehrswirtschaft" und eine zentralisierte Energiewirtschaft. Dies war ein durch und durch „nationales" Wirtschaftsprogramm — wenn der Sinn des Wortes „national" gleichbedeutend mit Zentralisation verstanden wird —, allerdings unter der Voraussetzung einer nicht näher bezeichneten Staatsumwälzung. Es las sich in den letzten Sätzen wie eine Neuauflage 304
Tyrell, Führer befiehl, S. 364; Schulz, Maßnahmenstaat, S. 54 f. A u f seine Art, in
Zwiegesprächen ohne Datierung, stellt auch Wagener diese Vorgänge dar; Wagener, Hitler, S. 477 ff. 305
Abgedruckt bei Feder, Kampf, S. 1 7 1 - 1 8 2 .
Der Reichspräsident verhindert eine Kanzlerschaft
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der Gedanken von Wichard v. Moellendorff aus dem ersten Weltkrieg, im ganzen wie ein Kompromiß, der innerhalb der „Ressorts" an der Parteispitze zustande kam. 306 Aber dies glich einem Pyrrhussieg nicht nur für Feder, sondern auch für Gregor Straßer, der hinter dem Kompromiß stand. Da sogleich die Kritik von industrieller Seite einsetzte, untersagte Hitler die parteioffizielle Verbreitung des „Aufbauprogramms".
Kontroversen über
Arbeitsbeschaffung
Die Hinwendung zu Arbeitsbeschaffungsprojekten war nahezu ausnahmslos mit einem Zurücktreten der Außenhandelsproblematik verbunden. Was Kastl befürchtet hatte, bestätigte sich, als Schäffer von Vertretern der Reichskreditgesellschaft in London Nachricht erhielt, 307 daß England sich darauf einstelle, Deutschland als Absatz- und vor allem als Investitionsland nicht mehr in Betracht zu ziehen. Neue Methoden empfahl der Wirtschaftsjournalist Hans Gestrich, der Pressechef der Deutschen Reichsbank. 308 Seine Gedanken fanden in der Reichskanzlei nur geringe Aufmerksamkeit, obgleich seine Beobachtungen beachtliche Ergebnisse zutage förderten. Gestrich erkannte die Unzulänglichkeiten der Reichsfinanzpolitik Brünings, die nun fortgesetzt wurde. Er resümierte die heroischen Versuche „sowohl der alten als auch" der neuen Regierung, die öffentlichen Haushalte durch Steuererhöhungen und Ausgabensenkungen auszugleichen, was immer nur vorübergehend Erfolg brachte. Nach kurzer Zeit stellte sich regelmäßig ein neues Defizit heraus; denn die Maßnahmen zum Etatausgleich beeinflußten die Einnahmen derart, daß der Ausgleich zu einem späteren Zeitpunkt wieder unmöglich wurde. Die Minderung der Ausgaben, mit der man sich dem Schrumpfungsprozeß anzupassen suchte, leitete nur einen neuen Schrumpfungsprozeß ein. Diese fatale Wirkung der parallel zur Depres306
Über Verhandlungen mit Moellendorff, der zu dieser Zeit Aufsichtsratsmitglied der
IG Farben war, eine eidesstattliche Erklärung Max ligners v o m 16. April 1948; M G N , Fall 6, V.-Dok.-B. ligner 11, Dok. 191. In dieser Zeit wurden auch die Schriften Moellendorffs v o m Tat-Kreis bekannt gemacht. Die Tat, 23 (1931/32), S. 650; 24 (1932/33), S. 5 9 3 - 6 0 6 ; Wichard v. Moellendorff, Konservativer Sozialismus, hrsg. u. eingeleitet von Hermann Curth, Hamburg 1932. Eine andere Verbindung führt von Moellendorff zum WagemannKreis. Turner, Großindustrie, S. 3 1 8 f. 307
Tagebuch Schäffer, 23. August.
308
Denkschrift Gestrich, Abschr. mit handschriftl. Begleitschreiben an den Staatssekre-
tär in der Reichskanzlei, „Lieber Herr Planck!", 13. Juli; BA, R 43 1/2377.
990
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Systems
sion und zu den Restriktionen in der Wirtschaft abgebauten öffentlichen Ausgaben und des damit erzeugten Verstärkungseffekts der Kaufkraftreduzierung trat klar zutage. „Auf verminderte Steuerkraft wird also ständig erhöhte Steuerlast gelegt. Unabwendbar muß eines Tages ein Punkt erreicht werden, wo diese Methode nicht mehr anwendbar ist." Aus der Tradition der Finanzpolitik ließ sich keine Lösung des Haushaltsausgleichs mehr erreichen. So blieb allein die Möglichkeit einer Durchbrechung der Regel. Die Fehlbeträge waren nur durch Kreditaufnahme bei den Banken auszugleichen. Zwischen drei und vier Milliarden der öffentlichen Ausgaben seien, so Gestrich, ohnehin reine Krisenausgaben, die bei einer wirtschaftlichen Besserung fortfielen.309 Mit einer Verringerung dieser Ausgaben im Gefolge einer allmählich voranschreitenden wirtschaftlichen Belebung mußte zwangsläufig ein Steigen der Steuererträge und schließlich die Abdeckung der schwebenden Schuld möglich werden. Infolgedessen spitzte sich alles auf die Frage nach dem Wie und der Rechtfertigung der Finanzierung des Defizits durch Bankkredite zu. Gestrich bestritt, daß auf diesem Wege eine Ausweitung des gesamten Kredits stattfinde. Er sprach von einer bloßen Kreditverlagerung. Mit der Kreditaufnahme durch den Staat und größere Staatsaufwendungen werde letztlich die Fähigkeit von Unternehmen zur Abdeckung ihrer Schulden gestärkt. Gestrich meinte, daß auf vergleichbarem Wege eine Konjunkturbelebung durch Arbeitsbeschaffung möglich sei, wenn Kreditaufnahme nicht zur Deckung eines Defizits in der Staatskasse, sondern zur Schaffung neuer Anlagen diene. Die Sanierung der Staatsfinanzen erfolge gleichsam auf indirektem Wege durch eine Verringerung der Arbeitslosenausgaben und Besserung der Steuereingänge. Allerdings bedurfte diese Wirkung einer geraumen Zeit. Der Staat erzeugte eine „künstliche" Konjunktur, indem er die Rolle eines „Ersatzunternehmers" spielte. „Erst wenn er dies eine Weile getan hat, wird das Vertrauen so weit wiederhergestellt sein, daß er diese Rolle wieder an die private Unternehmerschaft abgeben kann." Die rhetorische Frage, „ob gerade eine Krisis von nie dagewesener Schwere der geeignete Zeitpunkt ist für eine asketische Finanzgebarung", zeigte die Wende an. „Es kann gar nicht dasselbe sein, wenn zusätzliche Kreditschöpfung einem voll ausm
Papen führt in seinen zweiten Memoiren den steigenden Anteil der Unterstützungs-
leistungen für Arbeitslose am Reichshaushalt (1931 mehr als ein Drittel) als ersten Gesichtspunkt bei der Behandlung von „Brünings Scheitern" an. Franz v. Papen, Vom Scheitern einer Demokratie 1930 — 1933, Mainz 1968, S. 1 4 1 .
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991
genutzten Produktionsapparat und Vollbeschäftigung aller Arbeitskräfte gegenübersteht, wie wenn ein großer Teil aller Produktionsstätten und arbeitsbereiten Hände nur auf die kaufbereiten Geldbeträge wartet, um die umlaufende Warenmenge zu vermehren", meinte Gestrich. Gegen Währungsexperimente wandte auch er sich. Im Grunde war er ein Vorläufer- von Keynes und dies schon früher, als seine später anerkannten Veröffentlichungen annehmen lassen. 310 Da die gegebenen Bedingungen der Regierung nur geringen Handlungsspielraum ließen, hätte dieser wohl mit der Energie zu großer Leistung genutzt werden müssen. Hier konnte sich eine Regierung, die sich nicht mehr den Axiomen der Politik Brünings verpflichtet glaubte, bewähren. Dies galt fraglos für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die schon angesichts der wachsenden Überlast an Fürsorgeleistungen geboten war. An Entwürfen fehlte es nicht. Nach dem Wagemann-Plan waren weitere Pläne in der Öffentlichkeit diskutiert worden, bevor das „Sofortprogramm" der NSDAP zum Wahlkampf breite Aufmerksamkeit fand. Der Zentralausschuß des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates hatte die Arbeitsbeschaffung durch Aufträge der öffentlichen Hand empfohlen, wobei die Ertragsfähigkeit der einzelnen Projekte durch besondere Finanzierungsinstitute überprüft werden sollte. 311 Der RDI unterstützte diese Vorschläge, wie wir gesehen haben. In der Reichskanzlei beobachtete man dem Gedanken einer Kreditschöpfung gegenüber Distanz. Der Nationalökonom Werner Sombart hatte den Vorschlag einer Kreditschöpfung in Höhe von drei bis vier Milliarden Reichsmark ausgearbeitet und eine völlige Abkehr vom Golde gefordert. Ein Experiment dieser Art und Größenordnung lehnte man allerdings ab. Sombarts Pläne reichten in der Tat sehr weit. Er hielt den Kapitalismus für überlebt und
"" Die Abhandlung über Gestrich in Bombach, Keynesianismus III, S. 135 — 156, setzt erst mit dem 1 9 3 4 veröffentlichten Aufsatz „Geldpolitik und Weltwirtschaft" ein, von dem der erste Teil abgedruckt ist. — Ähnliche Überlegungen liegen der späteren historischen Kritik an der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung Brüning zugrunde. Sanmann, Daten, bes. S. 1 1 4 ff., 133; Klaus Megerle, Weltwirtschaftskrise und Außenpolitik. Zum Problem der Kontinuität der deutschen Politik in der Endphase der Weimarer Republik, in: Jürgen Bergmann, Klaus Megerle, Peter Steinbach (Hrsg.), Geschichte als politische Wissenschaft. Sozialökonomische Ansätze, Analyse politikhistorischer Phänomene, politologische Fragestellungen in der Geschichte, Stuttgart 1979, S. 128 ff. Resümierende und kritische Zusammenfassung der wichtigsten Pläne in einer denkschriftartigen Niederschrift von Ministerialrat Feßler „Arbeitsbeschaffung, Kreditvorschläge, Planwirtschaft" vom 18. August f ü r den Staatssekretär in der Reichskanzlei zur Vorlage an den Reichskanzler; BA, R 43 1/2377.
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Systems
bezog in dieser Hinsicht die entgegengesetzte Position zu Adolf Weber, der in der Krise beklagenswerte Kinderkrankheiten des Kapitalismus erblickte, die man überwinden müßte. Sombarts Vorschläge zielten auf die Einführung eines planwirtschaftlichen Systems. Dies war nach den Erfahrungen der Kriegs- und ersten Nachkriegszeit alles andere als populär. Das Vertrauen in Behörden und in Instanzen, „die von zentraler Stelle das unendlich vielgestaltige und wechselnde Wirtschaftsgeschehen ausreichend überblicken und meistern können", 312 blieb gering; der Glaube an künftige Möglichkeiten eines Plansystems beschränkte sich allenfalls auf Kommunisten und linke Sezessionisten der Sozialdemokratie und ihnen zuneigende Intellektuelle in ihrer ideologisch gebundenen, wirtschaftlich notorisch rigiden Denkweise 313 . Die Krise ergab jedenfalls kein Argument, um Planwirtschaft anzustreben. Sicherlich wurde richtig bemerkt, daß jeglicher Zwang die Tendenz hat, sich auszudehnen, in der Wirtschaft von der Regelung der Produktion auf die Verteilung und den Konsum. Ohne die Ideen Sombarts für eine Planwirtschaft zu übernehmen oder sich auch nur mit ihnen auseinanderzusetzen, näherte sich die Studiengesellschaft für Geld- und Kreditwirtschaft sehr weit seinen Arbeitsbeschaffungsgedanken an, indem sie die Bereitstellung von zunächst einer Milliarde Reichsmark für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf dem Wege des Kredites vorschlug. Dies erschien dem Referenten in der Reichskanzlei riskant. Er fand es ohnehin fraglich, „ob es möglich ist, bei der gegenwärtigen Stimmung der Gewerbetreibenden mit künstlichen Mitteln ... eine Konjunktur anzukurbeln ... Entscheidend wird immer das Vertrauen in die Wirtschaftsentwicklung und in die Ruhe und Ordnung im öffentlichen Leben sein. Solange hier Zweifel und Befürchtungen vorliegen, leiden die Wirtschaftsgesetze unter Ausnahmen oder treten ganz außer Wirksamkeit." An die Stimulierung einer Aufschwungsstimmung, die von deutschnationaler Seite angelegentlich — wenn auch ohne greifbare Mittel — gewünscht wurde, dachte die Reichskanzlei nicht. Das durch Opfer mühsam Erreichte, die Einsparungen und die Preissenkungen, wollte man auf keinen Fall aufgeben. Infolgedessen hielt man sich an das Prinzip der „Ruhe und Ordnung im öffentlichen Leben".
3.2
Niederschrift Feßler.
3.3
Das Thema ist eigentlich zu reizvoll, um übergangen, aber zu groß, um hier behandelt
zu werden. Deshalb sei an dieser Stelle nur auf den zeitgenössischen Essay „Die Soziologie der Intellektuellen" verwiesen; Josef Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Übers, aus dem Amerikanischen, 2. erw. A u f l . Bern 1950, S. 235 — 2 5 1 .
Der Reichspräsident
verhindert
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Hitlers
993
Bemerkenswerte Argumente lieferte hierzu ein wissenschaftlicher Berater der Reichsbank, Palyi, der meinte, daß man einen Umschwung im Wirtschaftsleben, auf den letztlich jede Krediterweiterung und Kreditschöpfung setzte, überhaupt nicht mit Sicherheit vorhersagen könne — was, genau genommen, wohl richtig ist — und daß bei längerem Andauern der Krise die Gefahren, die durch eine dann zur Regel werdende neue Kreditschöpfung entstünden, ständig wüchsen.
Stur% der Regierung und
Reichstagsauflösung
Während die Reichsregierung wenig, fast nichts entschied und die Zeit verstreichen ließ, vollzog sich in der Zentrumsführung binnen weniger Tage eine erneute Veränderung. In der ersten Sitzung des Vorstandes der neugewählten Reichstagsfraktion am Vormittag des 12. September gab der stellvertretende Parteivorsitzende Joos mit Unterstützung des württembergischen Staatspräsidenten Bolz noch einen optimistisch klingenden Bericht über die Verhandlungen mit der NSDAP. 314 Die Frontstellung gegen die Reichsregierung, namentlich gegen Papen, wurde unterstrichen, allerdings auch die Haltung gegenüber dem Reichspräsidenten erörtert und bemerkt, daß man sich auf Angriffe gegen Hindenburg nicht einlassen dürfe, hierin mit der NSDAP nicht in die gleiche Richtung strebe. Man rechnete mit erneuter Reichstagsauflösung und bereitete sich auf einen neuen Wahlkampf vor. Daraus ergab sich die Betonung der verfassungspolitischen Haltung. Im Verlaufe des Tages gerieten die Ereignisse sofort nach der Eröffnung des Reichstags in unerwartete Bahnen und entglitten der Kontrolle der Regierung. Papen hatte leichten Sinnes mit nichts Bestimmtem gerechnet und nicht einmal die Blankoordre des Reichspräsidenten für die Auflösung zur Hand. Ein Mißtrauensantrag der Kommunisten überraschte ihn und andere, obgleich er dem Ältestenrat des Reichstags vor seinem Zusammentreten angekündigt worden war. Göring unterbrach die Sitzung für eine halbe Stunde. Danach veranlaßte er, ohne die rasch herbeigeholte und ihm zugeschobene Auflösungsordre zu beachten, die Abstimmung über den Mißtrauensantrag, der das Datum des 12. September trug. 315 39 Abgeordnete verschiedener Parteien gaben 314
Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 586.
315
StenBer Vh RT, Bd. 454, S. 1 3 - 1 6 ; Pünder, Reichskanzlei, S. 145; Vogelsang, Reichs-
wehr, S. 279.
994
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen Systems
keine Stimmkarte ab; doch in weniger als einer Viertelstunde war der kommunistische Antrag mit dem ungewöhnlichen Ergebnis v o n 513 gegen 32 Stimmen bei fünf Enthaltungen angenommen, die Regierung durch eine überwältigende Mehrheit gestürzt, der Reichstag aber aufgrund der vorliegenden Anordnung des Reichspräsidenten aufgelöst. N S D A P und K P D waren zu ihrem Vorgehen entschlossen; wie die Sozialdemokraten folgte auch das Zentrum, obgleich die beiden radikalen Parteien bereits eine Mehrheit bildeten. 3 1 6 Die für die Öffentlichkeit überraschende erneute Auflösung erfolgte mit einer fragwürdigen Begründung. Die Verordnung gab an, daß „die Gefahr besteht", daß der Reichstag die Aufhebung „der Notverordnung v o m 4. September d. J. verlangt". Tatsächlich lagen mehrere, zweifellos f ü r die Regierung peinliche Anträge der sozialdemokratischen Fraktion vor, die eine plötzlich einsetzende Initiative der S P D anzeigten und die ganze Palette sozialstaatlicher Programme enthüllten. Ein Antrag auf Aufhebung der letzten Notverordnung befand sich nicht hierunter, 3 1 7 aber ein Mißtrauensantrag, der durch den vorgezogenen kommunistischen Antrag überrundet wurde. Die hierauf nicht vorbereitete Reichsregierung antwortete, indem sie noch einen Schritt mehr tat, als bisher Praxis war. Hindenburgs Verordnung zur Auflösung des Reichstags v o m 18. Juli 1930, während der ersten Regierungsphase Brünings, gab als
Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 590; Perlitius auf der Vorstandssitzung am 12. September. So überraschend, wie Brüning die Ereignisse dieses Tages darstellt, kamen sie für die Zentrumsfraktion nach Ausweis der Protokolle nicht. Allerdings beteiligte sich Brüning nicht an den Sitzungen dieses Tages. Brüning, Memoiren, S. 628 f. 317 Die Anträge hatten keine Aussicht auf eingehende Behandlung oder gar Annahme. Im einzelnen wurde die Aufhebung von sieben Notverordnungen — vom 14. Juni, 28. Juni, 20. Juli (Einsetzung des Reichskommissars in Preußen) und 9. August — beantragt und eine Anzahl von Gesetzentwürfen eingebracht: über den Umbau der Wirtschaft, über Bankenverstaatlichung, Bankenaufsicht und Versicherungsverstaatlichung, Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und der subventionierten Unternehmungen, für ein Kartell- und Monopolgesetz, über Vereinheitlichung der Elektrizitätswirtschaft und über die Enteignung des Großgrundbesitzes — das meinte „jeden land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitz über 200 ha", gegen eine begrenzte Rentenleistung an den Enteigneten —, über die Wiedererhöhung der Sozialleistungen, Winterhilfe für die notleidende Bevölkerung, planmäßige Arbeitsbeschaffung, Verkürzung der Arbeitszeit, Mietbeihilfen und Mietsenkung, Entlastung notleidender Schuldner, ein Pachtschutzgesetz, Notsteuern zur Sicherung der Sozialleistungen, Staatsmonopole, die Streichung der Fürstenabfindung, über Kürzung der hohen Gehälter und Pensionen. StenBer V h RT, Bd. 454, DrS Nr. 8 - 2 8 . Die S P D hatte kurz vor Beginn der Reichstagssitzung in Kenntnis des Bevorstehenden beim Reichsinnenminister ein Volksbegehren gegen einen Teil der Notverordnungen vom 4. September beantragt. Vgl. Heinrich A. Winkler, Katastrophe, S. 930 f. 3,6
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Begründung an, daß das Parlament die Verordnung des Reichspräsidenten vom 16. Juli aufgehoben hatte. Nunmehr erschien bereits die „Gefahr", das Vorliegen eines Antrags auf Aufhebung, das im voraus vermutet wurde, was in dieser Form gar nicht zutraf, ausreichend, um den Reichstag wieder aufzulösen. Das war eine Folge der Blankoermächtigung durch den Reichspräsidenten, die auch den Reichskanzler in Sicherheit wiegte. Er erschien am 12. September unbegreiflich unvorbereitet zur Sitzung und verpaßte die Wahl des geeignet erscheinenden Zeitpunktes. Dies zeitigte weitere Folgen. Unmittelbare Auswirkungen bekam die Zentrumsführung zu spüren, die erkennen mußte, daß ihr Taktieren und Verhandeln mit der NSDAP keineswegs von allen Parteimitgliedern und Anhängern gebilligt wurde. 318 Für den Wahlkampf konnte sich das Zentrum kaum noch eine Fortsetzung dieses Kurses erlauben. Mit der ersten Sitzung des Parteivorstandes nach der Reichstagsauflösung am 15. September begann die Phase einer eigenartigen „Doppelstrategie", des Versuchs, die Verhandlungen mit den Nationalsozialisten aus der „Konsequenz verfassungspolitischer Grundsatztreue" zu rechtfertigen „und gleichzeitig deren Spuren [der Verhandlungen] nach Kräften zu verwischen". 319 DNVP und DVP hielten sich mangels Alternative auf Regierungskurs. Frage schien nur, welche Interimslösung zu wählen sei. Dingeldey visierte schon das hinter der Krisenphase erhoffte Jenseits an: „Die Wiedergeburt des Liberalismus erfolgt in dem Augenblick, in dem die Wirtschaftsbelebung erreicht [ist], die Wurzeln des Radikalismus also einigermaßen geschwächt sind und wir dann naturgemäß die Gegner derjenigen Kräfte wieder werden, die die autoritäre Regierung und den Untertanenverstand des Volkes für das an sich Gegebene und Erstrebenswerte ansehen." 320 Wahlkampfverdrossenheit, Überdruß und Müdigkeit machten sich bei vielen bürgerlichen Politikern bemerkbar. Sogar das Wort „Parteiauflösung" machte die Runde. 321 Die Parteien der bürgerlichen Mitte redu518
Die wenig einheitliche Politik des Zentrums in einer ihrer wichtigen Regionen
während der Reichstagswahlkämpfe 1932 behandelt Wolfgang Stump, Geschichte und Organisation der Zentrumspartei in Düsseldorf 1 9 1 7 — 1933, Düsseldorf 1971, S. 89—93. 31®
Morsey, Untergang, S. 68.
320
Dingeldey an Regh, 14. September; Durchschi. BA, Nachl. Dingeldey/116.
321
Regh an Dingeldey, 16. September; a. a. O. In der Staatspartei wurde die Auflö-
sungsfrage, wenn auch ohne Ergebnis, im Spätsommer 1932 erörtert. Dietrich beschied Marie Elisabeth Lüders in einem Brief am 1. September: „daß ein Wiederaufbau dieser Partei, in der jeder befehlen, niemand etwas arbeiten und jeder es besser wissen will, mit der Geist[es]verfassung, die sich daraus ergibt, fast unmöglich ist." BA, Nachl. Lüders/ 100.
996
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zierten sich fortlaufend selbst; der Prozeß ihrer Auflösung begann schon vor 1933. Aber was sollte die Regierung tun und wie konnte sie handeln? Nach dem Staatsstreich in Preußen und dem Fehlschlag der Gespräche mit der NSDAP nahm ein enger Mitarbeiter Schleichers, der Leiter der Politischen Abteilung des Ministeramtes, Oberstleutnant Ott, Verbindung mit bekannten Staatsrechtslehrern auf. In einem Gespräch mit Carl Schmitt, Erwin Jacobi und Karl Bilfinger am 13. September versuchte er, die rechtlichen Probleme nach dem Vorgehen der Reichsregierung zu klären und Rat einzuholen. 322 Die Fragen, die Ott den Staatsrechtlern vorlegte, enthüllen die Gedanken, die im Reichswehrministerium erwogen wurden. Die Frage, ob eine Verschiebung der Neuwahl des Reichstags nach erneuter Auflösung staatsrechtlich zu decken sei, bejahten alle drei: Eine derartige Maßnahme ließe sich auf den Verfassungseid stützen, wonach Schaden vom Volk abzuwenden sei, und im übrigen mit der schweren Notlage begründen. Die zweite Frage, ob der preußische Landtag aufgelöst werden könne, wurde ebenfalls positiv beantwortet. Hierzu zogen die Staatsrechtslehrer Parteibeschlüsse der KPD und der NSDAP heran, die die preußischen Beamten von der Treuepflicht gegenüber der vom Reichspräsidenten eingesetzten Staatsführung entbinden wollten — ein „schwerer Verstoß gegen Treue und Glauben". Eine dritte Frage betraf das Verhältnis des Reichs zu Preußen; wahrscheinlich war sie ursprünglich, vor den Ereignissen am 12. September, die dringlichste. Ott wollte wissen, ob es in der Prozeßlage vor dem Staatsgerichtshof des Deutschen Reiches Schwierigkeiten gebe. Die drei Staatsrechtler nannten die Prozeßlage „ausgezeichnet". Schwierigkeiten erblickten sie lediglich darin, daß die preußischen Reichsratsstimmen nicht sofort neu besetzt wurden. Dies war offenbar praktisch politisch, kaum juristisch gemeint — ebenso wie der Rat, daß das Reichsinnenministerium diesen Mangel ausräumen sollte. Ott war mit dem Ergebnis zufrieden und resümierte die Lage in einem deutlich zuversichtlichen Urteil, das indes die Gesamtlage der deutschen Staatsrechtswissenschaft verkannte. Wie der Prozeß Preußen contra Reich vor dem Staatsgerichtshof zeigte, gab es in der Frage der Anwendung des Artikels 48 der Reichsverfassung zumindest zwei verschiedene Lager unter den Staatsrechtlern. Nach dieser Vorklärung beriet das Reichskabinett am folgenden Tage die Frage, was nach der Reichstagsauflösung zu tun sei. 323 Inzwischen 322
Aufzeichnung von Ott; Abschr. BA, R 43 1/1000.
323
AR: Papen, 2, S. 5 7 6 - 5 8 3 .
Der Reichspräsident
verhindert
eine Kanzlerschaft
Hitlers
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hatte Göring das Äußerste aus der Situation herausgeholt, was sie für den Reichstagspräsidenten hergab. Er berief sich auf die Abstimmung und den Vertrauensentzug, die vor der Auflösung erfolgt waren, und legte beim Reichspräsidenten — in einem Brief ohne Anrede und Grußformel — „feierlichen Protest" gegen die „Verletzung der Rechte der deutschen Volksvertretung" ein. 324 Der „Überwachungsausschuß" des Reichstags — mit klarer Mehrheit, Wachs in Görings Hand — beschloß eine Untersuchung der Vorgänge während der Plenarsitzung am 12. September, die Vernehmung von Zeugen und verlangte die Anwesenheit des Kanzlers und des Reichsinnenministers. Die Lage wurde schließlich durch die Mitteilung noch weiter verwirrt, daß die Nationalsozialisten eine Anklage gegen den Reichspräsidenten nach Artikel 59 der Reichsverfassung berieten. Dadurch entglitt die Entwicklung dem Kanzler zum zweiten Male. Das Kabinett entschied nach längerer Erörterung, mit Rücksicht auf Hindenburg und angesichts des verheerenden Eindrucks, den die Umstände der Reichstagsauflösung hinterlassen hatten, nunmehr auf alle weiteren Pläne zu verzichten, die Wahlen nicht zu verschieben und auch keine Wahlrechtsreform durchzuführen. In Anbetracht der Drohungen, die die Nationalsozialisten in Umlauf setzten, nach der Pose der Stärke plötzlich kleinmütig geworden, wollte sich die Ministerrunde keine verfassungsrechtlichen Extravaganzen mehr leisten. Sie beschloß am Ende einer kontrovers geführten Diskussion schlicht eine neue Reichstagswahl zum letztmöglichen Termin am 6. November. Damit durchkreuzte sie ihre eigenen Pläne. Das hinderte die Nationalsozialisten nicht, in vehementer Polemik gegen den Reichspräsidenten vorzugehen und die Haltung der Regierung als Verfassungsbruch zu brandmarken. Hierfür lieferte ihnen die vom „Überwachungsausschuß" beschlossene und am 27. September unter dem Vorsitz Lobes durchgeführte ausgiebige Zeugenbefragung Papens, Gayls und Plancks auch noch willkommenes Material. 325 Ein von Löbe und Göring gemeinsam unterzeichnetes Schreiben an den Reichskanzler verlangte dann auf Beschluß des Ausschusses 326 vom Reichspräsidenten die Außerkraftsetzung der Notverordnungen
324 Abgedruckt Poetzsch-Heffter, Staatsleben, in: JböR, 21 (1933/34), S. 69 ff.; Ernst Rudolf Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 3: Dokumente der Novemberrevolution und der Weimarer Republik 1 9 1 8 - 1 9 3 3 , Stuttgart 1966, S. 530ff.; Auszug AR: Papen, 2, S. 577 f., Anm. 3. 325 Protokoll AR: Papen, 2, S. 6 5 0 - 7 1 2 . 326 a. a. O., S. 713 f., Anm. 22.
998
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
vom 19., 12. und 4. September und vom 14. Juni und bekräftigte die Auffassung, daß die Reichstagsauflösung am 12. September „dem Sinn und Geist der Reichs Verfassung widerspricht". Dies gründete auf den ermittelten Tatbeständen, daß der Kanzler sich „erst zum Wort gemeldet [hatte], nachdem die Abstimmung vom Reichstagspräsidenten bereits eröffnet worden war", und „daß die Reichsregierung in verfassungswidriger Weise unter allen Umständen entschlossen war, den Reichstag noch vor der Abstimmung über Aufhebung von Notverordnungen und Mißtrauensanträgen zur Auflösung zu bringen". Die Niederlage der Regierung hätte schlimmer nicht sein können. Unter diesen Umständen verhandelte Papen mit dem Stahlhelm, der seine Verbundenheit mit Hindenburg bei dessen 85. Geburtstag weit über das bisherige Maß hervorhob,327 und eröffnete das Reichswehrministerium eine zweite Runde des Kampfes gegen die NSDAP. Eine Sprachregelung, die an Staatssekretär Planck und Reichspressechef Mareks ging, erklärte den 31. Juli zum Wendepunkt in den Beziehungen infolge des „Treubruchs der nationalsozialistischen Führung" nach der Reichstagswahl und lieferte eine nachträgliche Rechtfertigung der erneuten Reichstagsauflösung: „Die angebliche parlamentarische Mehrheit zwischen [!] Nationalsozialisten und Zentrum war ein klares Scheinmanöver." 328 Führende Zentrumsleute wie Joos betrachteten die Entwicklung pessimistisch.329 Die Einschätzung der NSDAP blieb uneinheitlich und wechselte. Die Möglichkeit, daß nach der Wahl Papen gestürzt werden und es eine parlamentarische Lösung geben könne, wurde für gering erachtet, obgleich im Wahlkampf von einer solchen Alternative gesprochen wurde. Die Bemühungen um eine monarchische Restauration hielt man für weiter gediehen, als in der Öffentlichkeit bekannt werde. Der Aufmarsch des Stahlhelms am 4. September schien dies zu bestätigen. Kronprinz Wilhelm trat uniformiert und lebhaft beachtet in Erscheinung und gab den Äußerungen des Stahlhelms eine eigene persönliche, kaum 327
Berghahn, Stahlhelm, S. 238. Die Forderungen für eine Unterstützung der Regierung
betrafen das Vizekanzleramt für Seldte, das Reichskommissariat für den Arbeitsdienst und das Reichskuratorium für Jugendertüchtigung. 328
Von Schleicher veranlaßt. Exemplar f ü r das Ministeramt vom 19. September, mit
Paraphe Bredows; B A , Nachl. Bredow/2. Entwurf mit Paraphen von Ott und Bredow und handschriftl. Korrekturen Schleichers v o m 16. September; B A , Nachl. Schleicher/17; abgedruckt von Vogelsang, Politik Schleichers, S. 102 ff. 329
Hierzu und zum Folgenden Situationsanalyse in einer vertraulichen Niederschrift
v o m 2 1 . Oktober 1932; IfZ, Nachl. Schäffer/38.
Der Reichspräsident
verhindert eine Kanzlerschaft
Hitlers
999
z w e i d e u t i g e N o t e , die s o g a r u n t e r den Nationalsozialisten B e u n r u h i g u n g e n h e r v o r r i e f . N a c h r i c h t e n o d e r G e r ü c h t e behaupteten
Bemühungen
bei H i n d e n b u r g , u m i h n z u m R ü c k t r i t t zu veranlassen. Es w u r d e k o l p o r t i e r t , daß der Reichspräsident zu e i n e m g e g e b e n e n A u g e n b l i c k zur ü c k t r e t e n u n d e r k l ä r e n w e r d e , er w o l l e d e m deutschen V o l k die E n t s c h e i d u n g ü b e r die Z u k u n f t überlassen, w a s zu einer R e s t a u r a t i o n d e r M o n a r c h i e überleiten
könne.330 Einige Zentrumsleute erwarteten
die
W e n d e schon im W i n t e r . D e r P e s s i m i s m u s resultierte auch aus
der
w e i t e r e n P e r s p e k t i v e , d a ß B a y e r n eine e i g e n e R e s t a u r a t i o n v o r n e h m e n k ö n n t e u n d sich nicht m e h r d e r V o r h e r r s c h a f t P r e u ß e n s b e u g e n w ü r d e , die u n t e r einem H o h e n z o l l e r n stärker w ä r e als je z u v o r . D i e b a y e r i s c h e R e i c h s w e h r hatte der K o m m a n d e u r d e r 7. (bayerischen) D i v i s i o n u n d B e f e h l s h a b e r i m W e h r k r e i s V I I , der i m i n n e r b a y e r i s c h e n als „ L a n d e s k o m m a n d a n t "
bezeichnete
Generalleutnant
Amtsverkehr Gustav
Frhr.
K r e ß v . K r e s s e n s t e i n , fest in seiner H a n d ; u n d es hieß, er w e r d e die bayerische Königspolitik mitmachen.331
330 Der ehemalige Kronprinz hatte sich im April 1932 Göring gegenüber bereit erklärt, „den Reichspräsidentenposten zu bekleiden, um dann weiter mit der Krone belehnt zu werden". Brief Levetzows, 10. April; Granier, Levetzow, S. 339 f. Dies wurde jedoch unter Monarchisten kontrovers aufgenommen, da nach dem legitimistischen Prinzip die Krone dem ehemaligen Kaiser zustand, der eine Anteilnahme des Kronprinzen an der Republik ablehnte. „Die Wege des dritten Napoleon sind für einen Hohenzollern nicht gangbar." Namens der Vereinigten Vaterländischen Verbände trat jedoch der ehemalige Generalmajor v. d. Goltz im Sommer 1932 für die „Wiederherstellung der Hohenzollernmonarchie" durch den Reichspräsidenten und mit Hilfe der NSDAP ein. Hindenburg, „der vor der Geschichte gut zu machen hat, was er im November 1918 tat, muß heute unter Ausnutzung aller ihm zustehenden Befugnisse die staatsrechtlichen Grundlagen für die Wiederkehr der Hohenzollern-Monarchie schaffen". Graf v. d. Goltz, Quadratur des Zirkels, in: Deutsche Zeitung, Nr. 198a vom 24. August 1932; auch Goltz an Papen, 31. August; BA, R 43 1/678. In ähnlicher Weise nahm Reinhold Wulle in seinem in nationalen Kreisen verbreiteten „Informationsbrief' Überlegungen, was geschehe, „wenn der Präsident stirbt", zum Anlaß, um für eine monarchische Lösung einzutreten. Er schlug die Einsetzung eines Präsidentschaftsrates vor und verlangte vom Reichspräsidenten, „daß die letzten Lebensjahre ... der Wiedererrichtung des preußisch-deutschen Königtums dienen sollen", ohne einen Thronkandidaten zu nennen. Wulle, Der autoritäre Staat, in: Informationsbrief 231, 1. Oktober 1932. Das große, durch Levetzow und den Hofminister v. Kleist genährte Vertrauen des ehemaligen Kaisers zur NSDAP schlug im Sommer 1932 in deutliche Ungeduld um: „Hitler macht den großen Fehler, daß er die Republik auf legalem Wege stürzen will, das ist Unsinn..." — So wörtlich wiedergegebenes Zitat vom 1. September; Ilsemann, Monarchie, S. 203, auch 200 ff., 204 ff. 331 Situationsanalyse vom 21. Oktober; IfZ, Nachl. Schäffer/38. Weitere Einblicke vermittelt Aretin, Krone, S. 128 ff., 143ff. Das Januarheft 1933 der Süddeutschen Monatshefte erschien mit erhöhter Auflage unter dem Titel „König Rupprecht". Auch die Münchener
1000
IV.
Vollendung
und Scheitern
Das Urteil des Staatsgerichtshofs
des präsidentiellen
Systems
im Prozeß Preußen contra Reich
Die Zeit bis zur Wahl nutzte die Regierung Papen, um ihre Position auf kurze Sicht zu festigen. Doch Pläne über den Tag der Wahl hinaus verfolgte sie nicht. Das Urteil des Staatsgerichtshofs im Prozeß Preußen contra Reich fiel denkbar knapp aus, wenn es auch etwa in dieser Form vorausgesehen wurde. 332 Die Vertreter der im Streit liegenden Parteien darf man schon als hervorragende Auswahl betrachten: Arnold Brecht, Badt, Giese, Anschütz, Hans Peters, Hermann Heller, v. Jan, Nawiasky, Maunz, Carl Schmitt, Jacobi und Bilfinger. Noch während der Verhandlung schränkte das Land Preußen seinen Antrag ein, so daß es eine Annäherung an Bedenken und Einwendungen der süddeutschen Länder erreichte: daß sich die Reichskommissare nicht als preußische Minister oder als Mitglieder der Preußischen Staatsregierung bezeichnen dürfen; daß sie nicht ohne Vollmacht der Staatsminister Preußen im Reichsrat vertreten, den Mitgliedern der Preußischen Staatsregierung nicht das Recht zur Vertretung Preußens im Reichsrat entziehen und daß sie weder Beamtenernennungen noch -absetzungen mit dauernder Wirkung vornehmen dürfen. Die Entscheidung des Staatsgerichtshofs vom 25. Oktober wies jenen salomonisch erscheinenden Ausweg, den er eine „Zuständigkeitsverschiebung" im Ausnahmefall nannte. Der Reichspräsident blieb im Rahmen der Ermächtigungen aus dem Artikel 48 an alle Vorschriften der Reichsverfassung gebunden; lediglich die Zuständigkeitsvorschriften der Verfassung durften durch Diktaturmaßnahmen außer Kraft gesetzt werden, womit der Staatsgerichtshof eine Reihe gängiger Meinungen und Äußerungen zum Thema einer Reichsreform mit Hilfe von Notverordnungen — auch von preußischer Seite — in gewissen Grenzen bestätigte. Doch die Länder durften nicht beseitigt, die preußische Regierung nicht abgesetzt und durch einen Kommissar ersetzt, sondern lediglich einiger Funktionen enthoben werden. Pflichten und Rechte in Landtag und Staatsrat, die Vertretung gegenüber anderen Ländern und des Landes Preußen im Reichsrat blieben ihr weiterhin vorbehalten. Inzwischen hatte der Reichsinnenminister nachgegeben und die preußischen Bevollmächtigten zum Reichsrat akzeptiert, denen eine Teilnahme an der ersten Sitzung nach dem 20. Juli noch verwehrt worden
Zeitung und die Münchner Neuesten Nachrichten widmeten sich zu Jahresbeginn der Thematik des künftigen Staatsoberhaupts. 332
Preußen contra Reich, S. 511 ff.; am ausführlichsten zur Sache und zum Echo Bay,
Preußenkonflikt, S. 1 9 2 - 1 9 9 .
Der Reichspräsident
perhindert eine Kanzlerschaft
Hitlers
1001
war. Dies konnte als Anzeichen eines Arrangements betrachtet werden, dessen Fortbildung dem Urteil des Staatsgerichtshofs erst den rechten Sinn gegeben hätte. Allerdings konnte eine „Zuständigkeitsverschiebung" dieser Art nicht auf Dauer angelegt und weder im Aspekt einer verfassungspolitischen Neuordnung noch als dringende Hilfe in einer Notlage positiv beurteilt werden. Entweder entstand eine neue Regierung aus Verhandlungen der Landtagsparteien mit der Reichsregierung; oder diese fand zu einem Einvernehmen und einer Arbeitsteilung mit den amtierenden Staatsministem — bis auf weiteres. Eine Ablösung der Reichsregierung konnte auch neue Kombinationen ergeben. Auf der einen Seite bestätigte der Staatsgerichtshof Rechte des Reichspräsidenten, auf der anderen aber Existenz und Unantastbarkeit der Länder und ihrer Regierungen, auch in Gestalt geschäftsführender Ministerien, wenn schon nicht die Zuständigkeiten der Ressorts in ihrem vollen Umfang. Man wird in der Entscheidung des Staatsgerichtshofs auch nicht die Anerkennung eines Gebots zur Homogenisierung der Politik des größten Landes mit der der Reichsregierung erblicken dürfen, die in der ausufernden Diskussion über die Reichsreform eine gewisse Rolle spielte und im übrigen natürlich den Vorstellungen und Wünschen deutschnationaler Petenten und konservativer Stimmen entsprochen hätte. Die Entscheidung lief darauf hinaus, daß der Staatsgerichtshof im Falle der Reichsexekution (Art. 48 Abs. 1) die Ermessensgründe der richterlichen Nachprüfung unterwarf, von der Reichsregierung die Beweisführung für die Berechtigung ihres Handelns verlangte und ihre vermeintlichen Beweismittel schließlich als nicht stichhaltig zurückwies. Auf der anderen Seite hielt sich der Staatsgerichtshof der Diktaturermächtigung des Reichspräsidenten (Art. 48 Abs. 2) gegenüber deutlich zurück, was amerikanische Verfassungsrechtler, im Hinblick auf wechselnde Tendenzen in der Entscheidungspraxis des Supreme Court, judicial self-restraint nennen. Die Richter wollten eine Ermessensüberschreitung nur dann annehmen, „wenn die durch die Verordnung vom 20. Juli getroffenen Maßnahmen offensichtlich über den Zweck der Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hinausreichten"333. An Normen ließ sich dies nicht messen, da die Richter vom subjektiven Ermessensrecht des Reichspräsidenten ausgingen, davon, daß dieser „für geboten erachtet hat und angesichts der außergewöhnlichen politischen Gefahrenlage für geboten erachten konnte, die
333
Grund, „Preußenschlag", S. 130.
1002
IV. Vollendung und Scheitern
des präsidentiellen
Systems
staatlichen Machtmittel des Reichs und des größten deutschen Landes in einer Hand zusammenzufassen und die preußische Landespolitik nach Möglichkeit der Reichspolitik anzugleichen. Zur Erreichung dieses Zwecks konnte es ohne Überschreitung des pflichtmäßigen Ermessens nötig erscheinen, auch die ministeriellen Geschäftsbereiche zu erfassen, deren Aufgaben nicht unmittelbar auf dem Gebiet der allgemeinen Politik oder der Aufrechterhaltung der polizeilichen Ordnung liegen." Man mag dieses Ergebnis am Ende unzulänglich finden, obgleich es den kaum abmeßbaren Vorhaben der Reichsregierung Einhalt gebot. Das Urteil wies keine dauerhafte Lösung, was auch nicht im Rahmen seiner Möglichkeiten lag. Es bewegte sich auf der Linie, die vorher Rechtsgutachten abgesteckt und verschiedene Sprecher der Länder, auch die preußischen, angedeutet hatten. Über praktische Anwendung und Auslegung des Leipziger Urteils gab es jedoch fortlaufend Kontroversen, die die Labilität der Situation, trotz der — wenig glücklichen — erneuten Einschaltung des Reichspräsidenten, der auch in kleinen Dingen wenig nachgiebig gestimmten Reichsregierung wiederholt vor Augen führten. 334 Ihr blieb einstweilen nur Polemik gegen die noch amtierende „Hoheitsregierung", jetzt wieder unter Otto Braun, um SPD wie Zentrum nach Kräften zu schwächen. Planck versicherte dem empörten Schäffer, daß die Reichsregierung ihren politischen Kampf nur auf diese Weise führen könne; „daß Braun und Severing Ehrenmänner seien, habe sie immer anerkannt". 335 Um sich nach außen mehr Reputation zu verschaffen, entschloß sich das Reichskabinett, neben dem bereits kommissarisch verwalteten Innenministerium weiteren preußischen Ministerien kommissarische Leiter zu geben. Nach einigen Auseinandersetzungen und Verzögerungen wurde der frühere Staatssekretär im Reichsfinanzministerium Popitz an die Spitze des preußischen Finanzministeriums gestellt und zum Reichsminister ohne Portefeuille ernannt. 336 Der bis dahin nicht hervorgetretene Greifswalder Theologe Kaehler trat an die Spitze des preußischen Kultusministeriums. Er galt als Kandidat Hugen334 Aufzeichnung Meissners über ein Gespräch Brauns mit Papen in Gegenwart des Reichspräsidenten, 29. Oktober, und nachfolgende Briefkontroverse; AR: Papen, 2, S. 8 3 1 - 8 3 7 , 8 5 6 - 8 6 0 , 8 7 2 - 8 7 6 , 8 8 5 - 8 8 9 , 9 0 7 - 9 1 1 , 924 f. 3,5 Tagebuch Schäffer, 28. Oktober. 336 AR: Papen, 2, S. 816 ff. Planck, der Popitz damals wohl noch nicht kannte, erkundigte sich bei Schäffer; darauf Schäffer: „Popitz ist sehr klug und gegen seine Freunde loyal." Planck: „Das beruhigt mich schon sehr. Die Sache hat große Schwierigkeiten gemacht. Es waren keineswegs alle Kabinettsmitglieder dafür. Auch sonst waren Widerstände." Sie gingen von Gürtner, Zarden und Schleicher aus. Tagebuch Schäffer, 28. Oktober 1932.
Der Reichspräsident
verhindert eine Kanzlerschaft
Hitlers
1003
bergs u n d der Deutschnationalen, die auf Berücksichtigung ihrer Pers o n a l w ü n s c h e drängten und denen K a e h l e r nahestand. G e w i c h t erhielt die Entscheidung, diese beiden Ministerien dem E i n f l u ß der Reichsressorts dauernd zu entziehen. D o c h das Urteil über die R e g i e r u n g Papen entwickelte sich w e i t h i n u n g ü n s t i g . 3 3 7 Ein neues Feld in den E r ö r t e r u n g e n über Verfassungsänd e r u n g e n , die Frhr. v. G a y l in einer Rede ankündigen wollte, ergab sich aus der Frage einer N a c h f o l g e o d e r A m t s v e r w e s e r s c h a f t nach einem v o r z e i t i g e n Ausscheiden oder i m Falle d e r A m t s u n f a h i g k e i t des betagten H i n d e n b u r g . Mit d e m Eintreten eines derartigen Ereignisses m u ß t e man rechnen. W i e sich bei der spät b e g o n n e n e n Suche nach einem K a n d i d a t e n f ü r die Reichspräsidentschaft im J a h r z u v o r ergeben hatte, w a r es schwierig, einen geeigneten und mehrheitsfahigen K a n d i d a t e n zu finden. M a n dachte sogar an Schleicher, auch an B r ü n i n g ; monarchistische Tendenzen m u ß t e n ernst g e n o m m e n w e r d e n . G r a f S c h w e r i n v. K r o s i g k
gestand
seinem ehemaligen Minister Peter Reinhold, daß nichts m e h r geschehen d ü r f e , „ w a s eine ruhige E n t w i c k l u n g gefährdet". D a h e r m ü ß t e n V e r f a s 3,7 Schäffer ließ es nicht an deutlichen Worten gegenüber dem ihm vertrauten Staatssekretär Planck fehlen. Er notierte: „Die Regierung Papen hat vom ersten Augenblick in der persönlichen Herabsetzung Andersdenkender mehr getan als irgendeine andere Regierung. Der einzige Erfolg, den Papen bisher gehabt hat, die Reparationsregelung, ist doch durchaus der Politik Brünings zu danken." Offenbar sah sich Schäffer selbst in seinem Ansehen herabgesetzt und von der Regierung in Mißkredit gebracht. Demgegenüber brachte Planck kaum auf die Sache eingehende Argumente vor: daß man jetzt zu Gregor Straßer Verbindung habe, der auch innerhalb des gegenwärtigen Reichskabinetts mitzuarbeiten bereit sei. Daß das Kabinett das Ziel, das es sich gesetzt habe, die „Hitler-Woge" zu brechen, erreicht habe; und daß die Reichswehr, die vor Antritt der Regierung Papen „sehr leicht zu den Nazis übergehen konnte", nun anders eingestellt sei und hinter einer überparteilichen Regierung stünde. Daß auch die Deutschnationalen mit der Regierung nicht einverstanden seien, beantwortete Schäffer sarkastisch: „Dann sind Sie wirklich überparteilich, weil Sie niemanden hinter sich haben." In diesem Gespräch spielte auch die Frage der monarchischen Restauration eine beträchtliche Rolle. Planck versicherte „auf das Bestimmteste", daß Schleicher, Papen und Gayl eine Änderung der Staatsform nicht in Betracht zögen. Wie Planck erzählte, hatte der Kronprinz aus einem Gespräch mit Brüning vor der Wiederwahl des Reichspräsidenten den Eindruck gewonnen, daß er ihm für einen späteren Zeitpunkt die Reichsverweserschaft zugesagt habe. Freilich mag „vielleicht der Wunsch der Vater der Beobachtung" des Kronprinzen gewesen sein. Auch Plancks Erwiderung hatte etwas für sich: Brüning hatte doch „diese undurchsichtige Art, bei der jeder Unterhaltungspartner glaube, daß er mit ihm übereinstimme". Übrigens gestand Planck ein, „daß bei uns vor etwa vier Monaten [Juni 1932], als wir der Reichswehr nicht sicher waren, solche Gedanken [einer monarchischen Restauration] erwogen worden sind. Es ist damals an so etwas wie die Einsetzung von Friedrich Adolf von Mecklenburg als Reichsverweser gedacht worden. Aber heute sind alle weit von solchen Gedanken entfernt."
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IV. Vollendung und Scheitern
des präsidentiellen
Systems
sungsexperimente, auch wiederholte Wahlen, unterbleiben. Man müsse aus dem Zustand, „der hart an der Grenze der Illegalität sei, wieder in die Legalität hineinkommen". 338
Die Reichstagswahl vom 6. November Ein Rückgang der Stimmen für die NSDAP in der nächsten Reichstagswahl stand zu erwarten und wurde von Männern wie Goebbels schon angenommen, wenn auch nicht in dem Ausmaß, in dem er dann eintrat. Noch in der letzten Phase des Wahlkampfes nutzten die Nationalsozialisten eine unerwartete Gelegenheit, um Stimmen der Arbeiter zu gewinnen. Die NSBO beteiligte sich am Streik in den Berliner Verkehrsbetrieben, der von kommunistischer Seite begonnen, von der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO) am 3. November öffentlich ausgerufen wurde, sich vor allem gegen die SPD und die Gewerkschaften richtete und vom 2. November bis zum Wahlsonntag den Berliner Stadtverkehr zeitweilig vollkommen lahmlegte. Im Verlaufe des Streiks versuchten nationalsozialistische Gruppen, die sich an den Streikleitungen beteiligten, offenbar erfolglos, die Führung an sich zu reißen und als die wirklichen Gegenspieler der etablierten Autoritäten in Erscheinung zu treten. Das strategische Kalkül des Berliner Gauleiters Goebbels beschränkte sich ganz auf die Gelegenheit und ihre Ausnutzung. „Viele bürgerliche Kreise werden durch unsere Teilnahme am Streik abgeschreckt ... Diese Kreise kann man später sehr leicht wiedergewinnen; hat man aber den Arbeiter einmal verloren, dann ist er auf immer verloren." 339 Doch zunächst gewann die KPD, nicht die NSDAP, die sich am Wahltag vom Streik zurückzog. Nach der Wahl nahm sich die Situation der Zentrumspartei schlechter aus als vorher. Sie verlor fünf von 75 Reichstagsmandaten. Immerhin war sie leidlich davongekommen; ihre Verluste hielten sich, verglichen mit denen der NSDAP, die 34 Sitze einbüßte, in engen Grenzen. Anderseits hatte die DNVP vierzehn Mandate gewonnen, aber auch links die KPD erheblich zugenommen und nun 100 Mandate erreicht, die SPD 138 Bericht von Reinhold; IfZ, Nachl. Schäffer/Tagebuch, 14. November. Über sein Verhältnis zu Reinhold Schwerin v. Krosigk, Persönliche Erinnerungen, II, S. 29 ff. 3W Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 268 f. Vgl. Schulthess 1932, S. 194; Horkenbach 1932, S. 357. Bracht bezeichnete den Verkehrsstreik in der Reichsministerbesprechung am 3. November als „eine Kraftprobe der KPD" mit lediglich vereinzelter nationalsozialistischer Beteiligung. AR: Papen, 2, S. 865 ff.
Der Reichspräsident verhindert eine Kanzlerschaft
Hitlers
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zwölf verloren, während die übrigen Parteien dem fortschreitenden Schrumpfungsprozeß unterlagen. Gravierend wog für das Zentrum die weitere Einschränkung seines Handlungsspielraums. Der rechte Flügel der Partei, namentlich in seiner westfälischen Hochburg, der die Verhandlungen mit der NSDAP skeptisch verfolgt hatte, verargte Männern wie Kaas und Brüning, daß sie sich unbeirrbar gegen Reichskanzler v. Papen wandten. Den Nationalsozialisten gegenüber hatte das Zentrum den Wahlkampf gedämpfter als je zuvor geführt, „Papen und nicht Hitler als das größere Übel" dargestellt. 340 Die Programmatik erschien schwach und kaum überzeugend. Auf dem Essener Katholikentag bezog der Reichstagsabgeordnete Prälat Schreiber gegen ein „volksfremdes Präsidialkabinett" Stellung, verlangte er die „Wiedereinsetzung der Volksvertretung in ihre verfassungsmäßigen Befugnisse" — in einem „fruchtbaren Zusammenwirken mit dem Reichspräsidenten". 341 Sein Reformprogramm im Wahlhandbuch der Zentrumspartei enthielt Vorschläge für eine Verfassungsreform, die zunächst auf eine Festlegung der Rechte des Reichspräsidenten nach Art. 48 der Reichsverfassung durch Einschaltung und Verstärkung der Kompetenzen des Reichsrats hinausliefen, eine Idee, die in der Vergangenheit sowohl der Reichspräsident als auch das Reichswehrministerium abgelehnt hatten. Unter den übrigen Gedanken fällt der einer Reform der großen Wahlbezirke auf; auch dies zeitigte keine Wirkungen. 342 Mehr Beachtung fand eine Rede von Prälat Kaas anläßlich einer Wahlkundgebung in Münster in Anwesenheit von Brüning, Joos und Eßer am 17. Oktober, in der der Zentrumsvorsitzende an politische Führer verschiedener Richtungen appellierte, ihre Gefolgschaft auf die „Bildung einer deutschen Not- und Mehrheitsgemeinschaft zu verpflichten", was nicht nur für den künftigen Reichstag, sondern auch in der Bevölkerung insgesamt gelten sollte. 343 Der Appell wandte sich nach rechts, zeigte aber kein Einlenken des Zentrums gegenüber Papen an. Was er bedeutete, demonstrierte Kaas nach der Wahl in der ersten Unterredung mit dem Reichskanzler am 13. November, in der er den
340
Vgl. die Stimmen, die Morsey erwähnt, Zentrumspartei, S. 322, Anm. 40, S. 325 f.,
Anm. 9 - 1 2 . 341
Bericht über die 7 1 . Generalversammlung der deutschen Katholiken in Essen v o m
31. August bis 5. September 1932, hrsg. v o m Caritasverband Essen, Essen 1933, S. 71 f. 342
Morsey, Zentrumspartei, S. 328; ders., Untergang, S. 72 f.
343
Germania, Nr. 290 v o m 18. Oktober; Horkenbach 1932, S. 346 f.; Morsey, Zentrums-
partei, S. 327; ders., Untergang, S. 70 ff.; ferner May, Kaas, 3, S. 249 ff.
1006
IV.
Vollendung
und Scheitern
des präsidentiellen
Systems
Rücktritt der Regierung als Voraussetzung einer neuen „nationalen Sammelaktion" verlangte. 344 Die Ironie der Situation lag darin, daß das Zentrum den Kanzler faktisch mit den gleichen Bedingungen konfrontierte wie Hindenburg dessen Vorgänger durch sein stetes Verlangen, die Regierungsbasis nach rechts zu erweitern. Brüning, der wohl mit Kaas dessen Rede vorher beraten hatte, legte Wert auf Einschaltung eines Vermittlers zwischen den Parteien, der im Auftrage und im Einvernehmen mit dem Reichspräsidenten die Mehrheit zustande bringen sollte. Wie Brüning später erklärte, schwebten ihm Kaas oder Schleicher oder ein „Mann vom Schlage Goerdelers oder Geßlers" — in der von ihm stilisierten Bescheidenheit die eigene Person auslassend — in dieser Schlüsselrolle vor. Auch hierin verfolgte er die Absicht, Papen auszuspielen und die unmittelbare Verbindung zum Reichspräsidenten wiederzugewinnen. Der Basiserweiterung nach rechts diente die Absicht, mit der Karte der NSDAP zu stechen. „Nicht durch naßforsches Bekämpfen der Nazis, nachdem SA und SS wieder zugelassen waren und stark zugenommen hatten, sondern durch ihr vorsichtiges Hineinspielen in langwierige politische Verhandlungen, die aber vor der Öffentlichkeit stattfinden mußten, konnte man die Nazis entweder zu positiver Mitarbeit zwingen oder ausreichend entlarven." 345 Mit anderen Worten kurz gesagt: allein durch die Taktik, die ihm lag. Die in diesem Bezug stärker rationalisierende und moralisch pointierte Situationsanalyse des jungen nationalkonservativen Schriftstellers Edgar Julius Jung, der zu den neuen Anhängern Papens zählte, traf wohl eher zu: „Das Zentrum vertraut auf die ,Treue' seiner Wählermassen und mutet ihnen deshalb zu, nun Bundesgenossenschaft mit den Nationalsozialisten zu schließen, die vorher von Bischöfen, Geistlichkeit und Agitatoren als Antichristen gebrandmarkt wurden..." 346
Notstand ex lex und
Reichsreform
Kurz nach der Wahl griff der Reichskanzler die Parole von Kaas auf, allerdings unter einem anderen Stichwort. Er sprach von einer „Konzentration der nationalen Kräfte" 347 und forderte die Mitglieder des Kabi344
Morsey, Zentrumspartei, S. 329; May, a. a. O., S. 256 f.
343
Brüning, Memoiren, S. 632.
346
Deutsche Rundschau, 233, Oktober 1932, S. 1 - 8 ; Morsey, Zentrumspartei, S. 322,
Anm. 4 1 . 347
Reichsministerbesprechung am 9. November; A R : Papen, 2, S. 901 — 907.
Der Reichspräsident verhindert eine Kanzlerschaft
Hitlers
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netts, dessen Sitzungen immer mehr den Charakter von Beratungen mit ungewissem Ausgang annahmen, dazu auf, „ihre Ansicht zur politischen Lage freimütig zu äußern, nachdem nunmehr die Wahlschlacht geschlagen" sei. Frhr. v. Gayl referierte am ausführlichsten. Die „sozialistische Mehrheit des Reichstags", wie er sie nannte — KPD, SPD und NSDAP —, erreichte nunmehr Zweidrittelstärke. Daher seien „Beschlüsse dieser Parteien denkbar, die die stärksten Eingriffe in das System des Kapitalismus darstellten". Gayl empfahl Verhandlungen mit den Parteien, um eine Tolerierung der gegenwärtigen Regierung im Reichstag zu erreichen, aber kein Nachgeben und keinen Rücktritt, und beim Scheitern dieses Versuches eine erneute Reichstagsauflösung. In dem dann faktisch eintretenden Zustand des höchsten „staatsrechtlichen Notstands", den er, anders als in den bisherigen Begründungen zu den Anwendungen des Artikels 48 seit 1930, nicht nur nominell, sondern realiter existent sah, werde sich „für gewisse Zeit ... die Diktatur dann nicht vermeiden lassen". Im Hinblick auf die „politische Untermauerung" der Reichsregierung in diesem Aspekt gab es innerhalb des Kabinetts weit auseinandergehende Auffassungen, unabhängig von der fast durchweg bejahten Notwendigkeit, auch künftig im Amt zu bleiben; und die Minister, die in dieser Frage ähnlicher Meinung waren, gaben unterschiedliche Begründungen. 348 Noch stärker kamen Bedenken gegen die staatsrechtlichen Folgen einer weiteren Reichstagsauflösung zum Ausdruck. Schleicher und — etwas zurückhaltender — Neurath hielten eine besondere Methodik für erforderlich: Man müsse, so Schleicher, den Parteien und der Öffentlichkeit beweisen, „daß ein Reichskabinett, gebildet aus Mehrheitsparteien des Reichstags, zur Zeit nicht möglich sei". Damit bezeichnete er am deutlichsten die Position gegen Kaas. Der Reichskanzler solle, vom Reichspräsidenten beauftragt, feststellen, ob die Parteien bereit seien, der Regierung eine Basis zu geben. Die Entscheidung über diese Frage liege lediglich bei Hitler. Schleicher glaubte zu diesem Zeitpunkt nicht, daß irgendein nationalsozialistischer Führer bereit sei, sich in dieser grundsätzlichen Frage von Hitler zu trennen. Von dieser Annahme ausgehend, entwickelte er ein taktisches Vorgehen: Der Kanzler spricht zuerst mit den Parteien, berichtet dem Reichspräsidenten über das Ergebnis, wonach der Reichspräsident feststellt, daß es keine arbeitsfähige Mehrheit im Reichstag gibt. Sei dies erfolgt, solle der Reichstag nicht 348
Noch deutlicher in den Tagebuchaufzeichnungen hierzu; IfZ, Tagebuch Graf Schwe-
rin v. Krosigk, ZS-20/4. Das dort behauptete gleichartige Eintreten des Reichsjustizministers Gürtner ergibt sich nicht aus der Niederschrift der Reichsministerbesprechung.
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IV.
Vollendung und Scheitern des präsidentiellen Systems
mehr zusammentreten. Eine Reform der Reichsverfassung müsse jedoch einstweilen zurückgestellt werden. Doch gerade in dieser Frage äußerte Bracht eine ganz andere Auffassung. „ Z u einer politischen Untermauerung" der Reichsregierung hielt er eine Abänderung der Reichsverfassung für dringend geboten. Um dies zu verdeutlichen, sollte baldmöglichst ein Entwurf publiziert werden. Diesen Gedanken machte sich Papen zu eigen. Er meinte, daß die Frage einer Reform der Verfassung nicht in einer Zeit wirtschaftlicher Ruhe gelöst werden könne. Allerdings hielt er eine Beschränkung auf drei Punkte für erforderlich: „Beseitigung des Dualismus Reich-Preußen, Änderung des Wahlrechts und Schaffung eines Oberhauses." Am Ende setzte sich Schleicher mit einer Art Kompromiß, aber doch mit seiner Methodik und seinem Etappenplan durch, den er als Auftrag für den Kanzler formulierte: „Die Parteien müßten ins Unrecht gesetzt werden. Zunächst müsse der Herr Reichspräsident den Reichskanzler mit der Führung von Verhandlungen mit den Parteiführern beauftragen. Nach dem voraussichtlichen Scheitern der Verhandlungen werde der Herr Reichspräsident selber mit den Parteien Fühlung nehmen müssen" und zum Schluß „festzustellen haben, daß die Bemühungen um eine Konzentration der nationalen Kräfte bzw. um eine politische Untermauerung des Kabinetts gescheitert seien". Schleicher gab sich „felsenfest davon überzeugt, daß die Nationalsozialisten sich nicht an der Regierung beteiligen würden". Die von Bracht und Papen postulierte Verfassungsreform, unter dem gelegentlich verwendeten Stichwort eines „Neuen Staates", nahm allmählich Gestalt an. Ihre Grundgedanken wurden, sorgsam dosiert, in eine begrenzte Öffentlichkeit lanciert, nicht ganz zu Recht als Pläne Schleichers deklariert. Papens hochtönende Ankündigung freilich, eine starke Staatsgewalt zu schaffen, „die nicht als Spielball von den politischen und gesellschaftlichen Kräften hin und her getrieben wird, sondern über ihnen unerschütterlich steht", 3 4 9 täuschte ebenso über die realen Machtverhältnisse hinweg wie seine Vorliebe für historische Ausdrücke wie „Imperium", die er wie Schlagworte einsetzte. Nach der letzten Reichskabinettssitzung wurde vertraulich ausgestreut, daß der Wehrminister dafür eintrete — sofern sich die Unmöglichkeit einer Einbeziehung der Nationalsozialisten herausgestellt habe —, nach alter österreichischer Praxis zu verfahren und einen ex lex-Zustand zu proklamieren. 350 Wenn 349
Horkenbach 1932, S. 342.
350
Vertraulicher Bericht vom 11. November; IfZ, Nachl. Schäffer/38.
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weder eine positiv arbeitende noch eine Vertagungsmehrheit des Reichstags zustande komme, habe sich das Parlament als aktionsunfähig erwiesen und könne es seine verfassungsmäßigen Aufgaben nicht mehr erfüllen; mithin bestünde ein außergesetzlicher Zustand. Der Reichstag brauche dann gar nicht mehr zusammenzutreten. Der im alten österreichischen Staatsrecht mögliche ex lex-Zustand legitimierte das budgetrechtliche Provisorium bei Beschlußunfahigkeit der beschließenden Instanz. Dies sollte die Vertagung und Ausschaltung eines Parlaments ermöglichen, ohne daß Neuwahlen ausgeschrieben wurden. Innerhalb der Ministerien machte sich auch die Auffassung geltend, daß selbst dann, wenn eine Neuwahl ausgeschrieben werde und eine Wiederholungswahl stattfinde, vorher, auf Grund des außerverfassungsmäßigen ex lex-Zustandes, ein neues Wahlrecht oktroyiert werden könne. Im Hinblick auf die Verfassungsreform ergaben sich in den Beratungen innerhalb des Reichsinnenministeriums erhebliche Änderungen der ursprünglich gehegten Pläne, griff ein neuer Entwurf wieder stärker auf Vorstellungen zurück, die in den Verfassungsberatungen in Weimar 1919 unterlegen waren, aber eine Rolle gespielt hatten: Der Reichspräsident sollte gleichzeitig preußischer Staatspräsident, der Reichskanzler preußischer Ministerpräsident sein. 351 Das Staatsoberhaupt sollte nach wie vor aus der Volkswahl hervorgehen. Den vorher ventilierten Plan, es durch eine Versammlung aus Reichstag und Oberhaus wählen zu lassen, ließ man fallen, weil auf das Oberhaus verzichtet wurde. Das ergab sich aus der Lage nach dem Urteil im Prozeß Preußen contra Reich. Die Aufrechterhaltung des Reichsrates als reiner Ländervertretung hatte eines der Hauptwiderstandsmomente Bayerns und der anderen süddeutschen Länder ausgeräumt, die sich gegen eine Verminderung ihres Einflusses in einem territorial-berufsständisch gemischten Oberhaus stemmten. Auf die Eingliederung der kleinen norddeutschen Länder in Preußen wurde mit Rücksicht auf die Gegebenheiten im Reichsrat ebenfalls verzichtet. Man meinte, die Reichsratsstimmen dieser Länder für die Beratung des Verfassungsentwurfes zu brauchen und leicht gewinnen zu können. Ländern, die von sich aus den Anschluß an Preußen suchten, sollte eine fakultative Möglichkeit eröffnet werden, bei Übernahme ihrer Reichsratsstimmen, indem man den Artikel 18 der Reichsverfassung über die
351
Dies schon in der „streng vertraulichen" Vorlage des Reichsinnenministers „Die
Zusammenführung v o n Reich und Preußen"; Protokoll einer Besprechung beim Reichskanzler, „streng geheim!", 28. September; AR: Papen, 2, S. 7 1 7 ff. — Zum Entwurf David 1 9 1 9 Schulz, Demokratie, S. 148.
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IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
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Gliederung des Reichs in Länder leicht veränderte und vereinfachte. 352 Schließlich sollte der Artikel 17, der den Ländern eine freistaatliche Verfassung und ein bestimmtes Wahlrecht vorschrieb, 353 entweder fortfallen oder geändert werden, um Bayern zu gewinnen, dem dann das Recht auf Einführung der Monarchie theoretisch nicht bestritten werden konnte. Auch das Wahlrecht nach Artikel 22 der Reichsverfassung sollte geändert und so geregelt werden, daß Männer und Frauen erst nach dem 25. Lebensjahr das aktive und passive Wahlrecht besaßen, Familienväter und verwitwete Mütter eine Zusatzstimme und entweder alle Kriegsteilnehmer oder alle über 32 Jahre alten Familienväter eine weitere Zusatzstimme erhielten. Von dieser Verstärkung des Einflusses der etwas älteren Staatsbürger erhoffte man sich günstigere Ergebnisse bei Reichstagswahlen. Obgleich es damals keine gesicherten Anhaltspunkte für eine Wählersoziologie nach Altersgruppen gab, 354 schienen viele Beobachtungen dafür zu sprechen, daß eine derartige Regelung Gewicht gewinnen konnte. Schließlich sollte der seit langem umstrittene Kanzler-Artikel 54 dahingehend abgeändert werden, daß die Vertrauensklausel zu einer Mißtrauensklausel und ein Mißtrauensvotum davon abhängig wurde, daß eine Parlamentsmehrheit einen Nachfolger des gestürzten Reichskanzlers oder Ministers präsentierte. In diesem Punkt, dem sogenannten „positiven Mißtrauensvotum", ist die Verbindung zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 am augenfälligsten. Seit dem Urteil des Staatsgerichtshofs blieb der Reichsregierung kein anderer Weg, als diese Gedanken den Ländern gegenüber durchzusetzen — eine Aufgabe, der sich Papen mit gewohnter Konzilianz, aber auch einer merkwürdigen Vorliebe für Ungenauigkeiten stellte, ohne noch
152
Dies betraf v o r allem die Bestimmung in A r t . 18 Abs. 1, daß die Gliederung des
Reiches in Länder „unter möglichster Berücksichtigung des Willens der beteiligten Bevölkerung" erfolge, was v o n gängigen Verfassungskommentaren als zwingender Grundsatz für die weiteren Bestimmungen ausgelegt wurde. Vgl. Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung, S. 151. 353
So im Kommentar von Poetzsch-Heffter, a. a. O., S. 1 4 0 f.
154
Dies ist ein Defizit auch der historischen Wahlforschung geblieben, das sich wissen-
schaftlich wohl nicht mehr ändern läßt. Häufig wird das Problem nicht einmal erkannt. Vgl. die jüngeren Einblicke in methodische Experimente und ihre Tendenzen bei Jürgen W.Falter, Die Wähler der NSDAP 1 9 2 8 - 1 9 3 3 . Sozialstruktur und parteipolitische Herkunft, in: Wolfgang Michalka (Hrsg.), Die nationalsozialistische Machtergreifung, Paderborn/München/Wien/Zürich 1984, S. 47 — 59; auch Falter, Anfälligkeit.
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etwas zu erreichen. 355 Auch der Reichsjustizminister bestand darauf, daß die Regierung für die Reichsreform „sich wenigstens der Mitwirkung des Reichsrats vergewissern solle". 356 Das schob den gesamten Komplex auf die Ebene der Verhandlungen, auf der sich die Regierung zunächst einer Reihe bayerischer Forderungen gegenübersah. Hieraus ergab sich schließlich ein Entwurf Gayls und Gürtners im Einvernehmen mit den Ministern der sechs größeren Länder, der als „Gegengabe für die Personalunion Reich-Preußen" Bindungen des Reiches „auf zahlreichen Gebieten" 357 vorsah. Er wurde aber von den Ereignissen überrollt. 358
Hitler besteht auf dem Kanzleramt Die Voraussage Schleichers bestätigte sich. Die Besprechungen mit den Parteiführern konzentrierten sich auf Person und Entscheidungen Hitlers, der auf seiner Forderung bestand, daß ihm der Reichspräsident die Kanzlerschaft übertrage. 359 Innerhalb der NSDAP hatte er inzwischen eine Festlegung auf seine Person durchgesetzt. Ein anderer nationalsozialistischer Parteimann oder eine parteilich nicht gebundene rechtsstehende Persönlichkeit, als die gelegentlich der ehemalige Reichsbankpräsident Schacht genannt wurde, kam nicht in Betracht. Die NSDAP lehnte auch deutschnationale Politiker ab und wollte keine Verhandlungen mit dem Zentrum mehr führen. Es gab wohl noch eine ,realpolitische Richtung' innerhalb des nationalsozialistischen Lagers — mit einigen Querverbindungen nach anderen Seiten. Diese Richtung stand mit Schacht in Beziehung und bemühte sich, in streng privaten Unterhandlungen über Mittelsmänner zu Vereinbarungen mit Papen zu gelangen, um Hitler vor vollendete Tatsachen zu stellen. 360 Da Hindenburg an Papen festhielt, kam Schacht die Rolle eines Vermittlers zu, der bei Wirtschaftsverbänden und unter namhaften Industriellen schon als unentbehrlicher Ratgeber erschien und seine Stellung ständig auszubauen wußte. 355 So, mit bevorzugter Anspielung auf das „Sacrum Imperium", in einer Rede vor dem Bayerischen Industriellenverband in München am 12. Oktober; AR: Papen, 2, S. 760 ff.; vor Vertretern der westdeutschen Wirtschaft in Paderborn am 16. Oktober; a. a. O., S. 790 ff.; ausführlicher Frhr. v. Gayl auf dem Jahresbankett der Berliner Presse am 28. Oktober; a. a. O., S. 8 2 0 - 8 2 8 . 356 a. a. O., S. 917. 357 Tagebuchnotiz Graf Schwerin v. Krosigks; a. a. O., S. 961, Anm. 16. 358 a. a. O., S. 917 - 924, 927 - 936, 939 - 944, 961, 966, 1019. 359 Vertraulicher Brief vom 11. November; IfZ, Nachl. Schäffer/38. 360 Ebda.
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Die Besprechungen des Reichskanzlers mit Parteiführern, schon als „ScheinVerhandlungen" beurteilt, 361 fanden ohne die SPD statt, die die Einladung ausschlug. 362 Papen hielt eine Diktatur für unvermeidlich. In der Bendlerstraße bereitete man sich auf die Möglichkeit lokaler Aufstände vor. 363 Auch Hitler schien sich hierauf einzurichten. Er rechnete offenbar mit kommunistischen Aufständen und damit, daß die Regierung sie niederschlagen würde. Das mußte ihre Kräfte erschöpfen und die Gegnerschaft gegen sie stetig vergrößern. Auch die Parteigänger einer Restauration der Monarchie versuchten, sich in den Gang der Entscheidungen einzuschalten. Der Kronprinz stand mit dem Reichskanzler in einem steten, wenn auch etwas einseitigen schriftlichen Austausch. Der Reichspräsident, der wohl ähnlichen Einflüssen ausgesetzt war, schien in seiner Haltung zu schwanken. Unter seinen Beratern wurde vermutet, daß Pläne zu einer Verfassungsänderung, die eine Ermächtigung für den Reichspräsidenten enthielten, für den Rest seiner Amtszeit einen Nachfolger zu bestimmen, Hindenburg bewegen könnten, sich zugunsten einer Reichsverweserschaft des Kronprinzen zu entscheiden. 364 Am 17. November referierte Papen im Reichskabinett über das Ergebnis seiner Besprechungen mit den Parteiführern, 365 am 13. November mit Prälat Kaas, dann mit Hugenberg, am 16. mit Dingeldey, erneut mit Kaas und Joos und mit Fritz Schäffer von der Bayerischen Volkspartei. 366 DNVP, DVP und BVP äußerten sich zustimmend zur Bildung einer Regierung der „nationalen Konzentration". Schäffer drückte Zweifel an dem Erfolg der Bemühungen des Reichskanzlers aus, erklärte aber sein Einverständnis mit seinem Verbleiben im Amt. Das Zentrum war anderer Auffassung. Seine Unterhändler wünschten eine neue Regierung mit einem anderen Kanzler. Für den Fall, daß dies ein Nationalsozialist werde, verlangten sie die Wiederherstellung Preußens. Aber sie arbeiteten auf den Sturz Papens hin in der Annahme, daß im „Falle einer Konzentration ... die NSDAP und das Zentrum doch den Kern zu bilden" hätten. 367 361
Tagebuch Schäffer, 15. November.
362
Tagebuch Schäffer, 16. November.
363
Tagebuch Schäffer, 15. November.
164
Ebda.; in der Lagebesprechung der Leitung des Ullstein-Verlages berichtete Äuße-
rung des Ministerialrates Doehle beim Reichspräsidenten. 365
A R : Papen, 2, S. 9 5 6 - 9 6 0 .
364
Aufzeichnungen
Plancks über
die Besprechungen
am
16. November;
a. a. O.,
S. 944 f., 951 f.; zur geheimgehaltenen Unterredung mit Kaas am 13. November Morsey, Untergang, S. 74. 367
Aufzeichnung des nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten Fabricius über eine
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Im Hinblick auf die NSDAP kam es zu einem vorbereitenden Gespräch Papens mit Hecker und Schacht vom Keppler-Kreis und Himmler als Mittelsmann Hitlers, in dem Papen bewegt werden sollte, „im Kabinett zu bleiben", um dem „Widerstand an der bekannten Stelle" — Hindenburg war gemeint — entgegenzuwirken. 348 Dies bildete den Auftakt zu einem Briefwechsel Papens mit Hitler.369 Das Schreiben des Reichskanzlers läßt die werbende Absicht erkennen. Er gab zu verstehen, daß ihn die Erinnerung an den 13. August peinlich berührte, als der Reichspräsident „aus den Ihnen bekannten Gründen ... Ihren Anspruch auf den Kanzlerposten ablehnen zu müssen geglaubt" habe. Er wisse, daß Hitler „die Forderung der Übertragung des Kanzlerpostens aufrechterhalten" werde und „in welchem Maße die dagegenstehenden Gründe, welche die Entscheidung des 13. August herbeiführten, fortbestehen", betonte aber, daß seine eigene Person hierbei keine Rolle spiele.370 „Aber trotzdem bin ich der Ansicht, daß der Führer einer so großen nationalen Bewegung, deren Verdienste um Volk und Land ich trotz notwendiger Kritik stets anerkannt habe, sich dem augenblicklich verantwortlich führenden deutschen Staatsmann nicht zu einer Aussprache über die Lage und die zu fassenden Entschlüsse versagen sollte." Was er wirklich wollte, ließ Papen offen. Hitlers langatmige Antwort entschlug sich nicht triumphierender, gar höhnischer Töne, da der Reichskanzler seine schwache Position zu erkennen gegeben hatte: „Allein die Nation erwartet von einer solchen Aussprache doch wohl mehr als eine nur theoretische371 Behandlung der augenblicklich sie bewegenden Nöte und Sorgen. Außerdem habe ich meine Auffassungen darüber so oft in Wort und Schrift bekanntgegeben, daß sie Ihnen, Herr Reichskanzler, ohnehin bekannt sein dürften. So gering mir deshalb der Nutzen einer derartigen nur allgemeinen Besprechung zu sein scheint, so groß können die schädlichen Folgen werden. Denn Millionen unserer Volksgenossen erwarten von einer solchen in diesem Augenblick stattgehabten und ihnen bekanntgewordenen Unterredung positive Ergebnisse." Nach dieser charakteristischen Sprachübung Besprechung mit dem Zentrumsabgeordneten Eßer am 17. November; abgedruckt Morsey, Zentrumspartei, S. 426. 368 Keppler an Kurt Frhr. v. Schröder, 13. November; AR: Papen, 2, S. 937 f. 369 Schreiben Papens vom 13. November; Entwurf mit Ausfertigungsvermerk BA, R 43 1/1309; abgedruckt Huber, Dokumente, 3, S. 546 f.; Hitlers Antwort vom 16. November abgedruckt AR: Papen, 2, S. 9 5 2 - 9 5 6 . 170 Dies wurde handschriftlich in den Entwurf eingefügt. 371 Im Original unterstrichen.
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stellte der Führer der Nationalsozialisten vier Bedingungen für einen „Gedankenaustausch": Er wollte keine mündliche Aussprache mehr, sondern nur eine schriftliche, da er, wie er ausführlich darlegte, immer noch unter dem Komplex der pressepolitischen Behandlung des Empfangs beim Reichspräsidenten am 13. August litt sowie unter der von Papen „seither verschiedentlich aufgestellten Behauptung..., ich hätte seinerzeit die gesamte Macht gefordert, während ich tatsächlich nur die Führung beanspruchte. Sie selbst sollten ja dem neuen Kabinett als Reichsaußenminister angehören, General Schleicher als besondere Vertrauensperson des Herrn Reichspräsidenten Reichswehrminister sein und außer dem Reichsinnenminister und zwei bzw. höchstens drei politisch gänzlich belanglosen Ministerien sollte alles teils von bereits amtierenden, teils durch Besprechung mit den vorgesehenen Parteien zu bestimmenden Männern besetzt werden..." Zum zweiten verlangte Hitler eine Erklärung Papens, „inwieweit" er sich „tatsächlich als führender deutscher Staatsmann auch ausschließlich verantwortlich" fühle. Damit spielte er etwas undeutlich auf die erkennbare Distanzierung Papens vom Reichspräsidenten an. Zum dritten äußerte Hitler, daß die Besprechung eines politischen und wirtschaftlichen Programms „überflüssig" sei, da er „die praktische Tätigkeit" der Regierung Papen „für eine zumindest als erfolglos erwiesene" halte. Die vierte Bedingung, die er stellte, ging davon aus, daß eine ausreichende Mehrheit für die Regierung im Reichstag nur mit Hilfe der Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei geschaffen werden könne, da er den „anscheinend gehegten Plan einer Einbeziehung der SPD" — hiervon konnte keine Rede sein — „von vorneherein" ablehne. Da Hugenberg aber jedes Zusammengehen mit dem Zentrum als „nationalen Verrat und als nationales Verbrechen" brandmarkte, könne eine Mehrheit nicht zustande kommen. So sehe er sich denn in seinem Entschluß bestärkt, „unverrückbar auf den Forderungen zu bestehen, die ... allein unsere Krise überwinden können". Das bedeutete die Reichskanzlerschaft Hitlers an der Spitze eines Präsidialkabinetts. In der Ministerrunde konnte Papen nur feststellen, daß eine ,Regierung der nationalen Konzentration' unter seiner Kanzlerschaft nicht möglich sei. 372 Daher müsse der Reichspräsident um eine Lösung gebeten werden. Die Minister forderte er zu Äußerungen über eine Demission des Kabinetts auf. Als erster sprach sich Schleicher dafür aus. Dem schlössen sich nach einigem Zögern Warmbold, Bracht, Graf Schwerin v. Krosigk
372
1 7. November; AR: Papen, 2, S. 9 5 6 - 9 6 3 .
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und Frhr. v. Gayl an. Keiner der Anwesenden war darüber im Zweifel, daß es lediglich um die Dokumentation eines staatsrechtlichen Notstandes ,ex lex' ging und um die Begründung eines Schrittes in Richtung auf Diktatur und Verfassungsrevision. Der Reichskanzler konnte am nächsten Tag den Ministern mitteilen, daß Hindenburg die Demission angenommen habe, jedoch in der üblichen Weise das Kabinett bitte, die Geschäfte fortzuführen. Er habe daraufhin die Bereitschaft der Kabinettsmitglieder auch zur Mitarbeit in einer künftigen Regierung erklärt. Der Reichspräsident brauchte also nichts zu überstürzen wie Ende Mai. 373 Der weitere Verlauf der Ministerbesprechung glich der Vorbereitung auf eine außergewöhnliche Situation: durch eine Notverordnung betreffend Streiks in lebenswichtigen Betrieben, die vom Reichsinnenminister, dem Reichswehrminister und Bracht erarbeitet werden sollte, eine verschärfte Handhabung für Zeitungsverbote und die Verlängerung der Ausnahmeverordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung des inneren Friedens bis zum 2. Januar 1933. In den schon länger anstehenden Sachfragen kam die Regierung allerdings nicht nennenswert voran. Es war ihr nur darum zu tun, die öffentlichen Finanzen unter Aufrechterhaltung der Währung über den Winter hinwegzubringen, in gewohnten Bahnen fortzufahren, einzusparen und nichts zu verändern. Bracht erkannte an, daß viele Gemeinden durch Kassennöte finanziell unmittelbar bedroht waren, beließ es aber bei der Diagnose. Schwerin v. Krosigk bezeichnete die Pläne von Gregor Straßer wie von Gereke kurzhin als „Änderung des Systems", die er ablehnte. Seine Absicht, Gereke als Reichskommissar für die Arbeitsbeschaffung vorzuschlagen, hatte er aufgegeben, da er keine sachliche Grundlage sah. Diese Meinung änderte der Reichsfinanzminister freilich schon wenig später. Ihm hielt Schleicher das Notargument entgegen, „Persönlichkeiten, die in der Agitation stark hervortreten, mit entsprechenden Aufgaben zu betrauen, um sie auf die allgemeine Linie hinzubringen". Die Regierung war bereit, diktatorisch zu regieren; aber ihr Mut zu entschlossenen Maßnahmen auf wirtschaftlichem Gebiet blieb erstaunlich gering. Sie erbrachte lediglich ihren Daseinsbeweis unter der überwölbenden Autorität des greisen Reichspräsidenten, der den Anspruch des präsidentiellen Regimes unbeirrt verteidigte. Auf der anderen Seite sah
373
Reichsministerbesprechung am 18. November; a. a. O., S. 964.
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es nach den fünf Wahlgängen dieses Jahres allerdings nicht besser aus. Auch die Zentrumspartei bot keine Lösungen. Brüning bestand auf Angriff gegen Papen, ohne ein Programm zu haben. „Es ist fraglich, ob das, was kommt, eine endgültige oder eine Zwischenphase ist, weshalb es für uns sowohl wie für die NSDAP heute sehr schwer ist, mit einem Programm, das Opfer verlangt, hervorzutreten." 374
Die letzte Alternative:
Präsidialkabinett oder Regierung Hitlers und Ermächtigungsgesetz
Der Reichspräsident empfing in der üblichen Folge seiner Gespräche mit Parteiführern nach Hugenberg, Kaas und Dingeldey Hitler zu zwei Unterredungen, am 19. und am 21. November, von denen die erste etwas länger als eine Stunde, die zweite nur 20 Minuten dauerte. Goebbels sorgte dafür, daß einige tausend begeisterte Nationalsozialisten die kurze Anfahrt Hitlers vom Hotel ,Kaiserhof zum Reichspräsidentenpalais mit Ovationen begleiteten. 375 Hitler hatte über Göring und Meissner den Wunsch übermitteln lassen, daß der erste Teil der Besprechung unter vier Augen stattfinden sollte. Hindenburg kam dem nach und faßte die Äußerungen seines Besuchers dem später hinzutretenden Meissner gegenüber zusammen. 376 Hitler forderte: Er habe „die stärkste Volksbewegung in Deutschland hinter sich", woraus er das Recht ableitete, „als Führer der Bewegung an die Spitze einer neu zu bildenden Regierung" gestellt zu werden. Hindenburg wiederholte seine Entgegnung vom 13. August und bestand auf dem „Grundsatz einer überparteilichen Regierung", während eine von Hitler geführte eine Parteiregierung sei. Die Nationalsozialisten könnten ihre Ziele dadurch erreichen, daß sie in einer „von einem überparteilichen Manne geleiteten Regierung einige Mini374
Tagebuch Schäffer, 17. November; Sitzung der Reichstagsfraktion am 19. November;
Morsey, Zentrumsprotokolle, S. 597. 375
Dorpalen, Hindenburg, S. 358.
376
A R : Papen, 2, S. 984 ff.; Aufzeichnung von Meissner, B A , R 43 1/1309; Hubatsch,
Hindenburg, S. 350 ff.; UuF, VIII, S. 6 8 4 f f . Meissners Niederschriften haben den Charakter von Zusammenfassungen. Nur in den Teil, der das Gespräch mit Hitler betrifft, sind zusätzlich vorher bereits festgelegte Formulierungen einbezogen worden. In sämtlichen Gesprächen — sowohl mit Hugenberg, Dingeldey, Kaas und Schäffer als auch mit Hitler — hatte der Reichspräsident eine schematisierte Gesprächsunterlage zur Hand, die auch seine A n t w o r t schon festhielt. Für Hitler wurde sie lediglich im Wortlaut variiert, nur für die zweite Unterredung am 2 1 . November dann um ein weiteres Schriftstück ergänzt und präzisiert, s. unten Anm. 381. Büro des Reichspräsidenten; IfZ, M A - 1 0 6 .
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sterposten" erhielten. Auch Hitler wiederholte sein Verlangen vom August und ebenso die Begründung, daß die „politische Führung ... eine einheitliche sein" müsse. „Ich setze nämlich nicht nur meinen Namen, sondern auch meine Bewegung dafür ein. Wenn diese Bewegung zugrunde geht, dann kommt Deutschland in die größte Gefahr..." Es liege „durchaus im vaterländischen Interesse", daß seine Bewegung erhalten bleibe. Dies aber setze voraus, daß ihr „die Leitung zufällt". In der Behauptung einer Gefahr des Zugrundegehens seiner „Bewegung" enthüllte Hitler mehr Wahrheit, als ihm lieb sein konnte. Die brodelnde Unruhe und Unzufriedenheit ließ sich nach dem Rückschlag in der letzten Reichstagswahl nicht mehr übergehen. Für Hitler blieb die Besorgnis eines Verlusts seiner Führerstellung, eines Streites mit innerparteilichen Gegnern und Rivalen für Jahre ein Alpdruck, dem er sich auf verschiedenen Wegen jeweils rasch zu entziehen versuchte. Er betrachtete seine „Bewegung" und ihre Führung als persönliche Angelegenheit. Da er seinen Führungsanspruch so deutlich hervorkehrte, stellte sich wohl die Frage, ob er nicht auch die Regierung als persönliche Angelegenheit vereinnahmen würde. Doch der Reichspräsident dürfte den Komplex einer unbegrenzten nationalsozialistischen Machtergreifung kaum ganz, vielleicht nur dunkel, erahnt haben, wenn er eine „Parteiregierung" ablehnte. 377 Es ist interessant zu sehen, daß Hitler seine Bewegung selbst nur als Instrument eigener Pläne einschätzte. Im Verlaufe der Besprechung am 19. November antwortete er auf die Frage Hindenburgs, daß er eine Fühlungnahme mit anderen Parteien weder versucht habe noch beabsichtige. „Wenn der Herr Reichspräsident mir einen Auftrag erteilt, eine Regierungsbildung zu versuchen, dann erst würde ich in Besprechungen mit den Parteien und sorgfaltige Beratungen mit ihnen über ein sachliches Programm wie über eine personelle Zusammensetzung eintreten. Ich glaube, daß ich eine Basis finden würde, auf der ich und die neue Regierung vom Reichstag ein .Ermächtigungsgesetz' bekämen. Eine solche Ermächtigung wird vom Reichstag niemand anderes als ich be-
377
In Schäffers Tagebucheintragungen v o m August 1932 finden sich Bemerkungen von
Planck, die auf eine starke Empörung Hindenburgs über Redewendungen Hitlers hinweisen. Namentlich die Vorzugsstellung, die das Verb „vernichten" in Hitlers Äußerungen über gegnerische K r ä f t e einnahm, habe ein starkes Befremden des Reichspräsidenten ausgelöst. Wie weit hierbei freie Deutungen Plancks mitsprachen, läßt sich schwer beurteilen. Im wesentlichen dürften die Urteile von Bracher, Auflösung, S. 617, 667, Bestand haben.
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kommen. Damit wäre die Schwierigkeit gelöst." Dies offenbarte sein ganzes Programm, mit dem er aus seinen Erfahrungen und Gesprächen mit Papen, Schleicher und Brüning die knappste und vitalste Konsequenz zog. D a das Regime mit Notverordnungen dem Reichspräsidenten längst suspekt war, durfte Hitler auf sein Ohr hoffen; und er hatte kein W o r t über das Zentrum gesagt, scheinbar nur Offenheit bekundet. Das sollte den alten Mann wohl sympathisch berühren, schien Hitler gar v o m Odium des engstirnigen Parteimannes zu befreien. Ihm kam es freilich nur darauf an, die Macht zu gewinnen, um sich mit Hilfe eines Ermächtigungsgesetzes v o m Reichspräsidenten wieder zu lösen. Hindenburg wurde jetzt von Eingaben geradezu überschwemmt, die „eine Regierungsführung ohne A d o l f Hitler" für „undenkbar" hielten. Noch am gleichen Tag erhielt Meissner ein Schreiben, das sich an den Reichspräsidenten richtete und — in besonders großer Schrift abgefaßt — auch v o n ihm selbst gelesen werden sollte, in dem einige Industrielle, Bankiers und Vertreter landwirtschaftlicher Verbände die Betrauung Hitlers mit dem Kanzleramt befürworteten. 3 7 8 Diese Adresse, die vermutlich
378 Der ganze Vorgang in den Akten des Büros des Reichspräsidenten, DZA, 06.01, Abt. B, Tit. III, Gr. 1, Nr. 2/8; IfZ, MA-106 (Photokopien); Brief abgedruckt UuF, VIII, S. 687 ff.; vorher Albert Schreiner, Die Eingabe deutscher Finanzmagnaten, Monopolisten und Junker an Hindenburg für die Berufung Hitlers zum Reichskanzler (November 1932), in: ZfG, 4 (1956), S. 366—369; später hierzu Joachim Petzold, Großbürgerliche Initiativen für die Berufung Hitlers zum Reichskanzler. Zur Novemberpetition von 1932 des KepplerKreises deutscher Bankiers, Großindustrieller, Überseekaufleute und Großgrundbesitzer, in: ZfG, 31 (1983), S. 3 8 - 5 4 ; vor allem Volker Hentschel, Weimars letzte Monate. Hitler und der Untergang der Republik, Düsseldorf 1978, S. 69, 133 f.; Turner, Großunternehmer, S. 365f., 518 f. Der Vorgang im Büro des Reichspräsidenten erlaubt eine Rekonstruktion der Vorgeschichte. Die Einholung der Unterschriften ging dergestalt vor sich, daß Reinhart und Schröder, wahrscheinlich Graf Kalckreuth und vielleicht auch Krogmann und Helfferich für den vereinbarten Text unter guten und angesehenen Bekannten aus der Wirtschaft warben. Im Zustimmungsfall wurde der Text unterzeichnet, am Ende dann die Unterschrift unter das Exemplar, das dem Reichspräsidenten zugedacht war, maschinenschriftlich eingesetzt, um den optischen Eindruck der Geschlossenheit zu erreichen. Da keine Verbindung zur mittel- und süddeutschen Industrie und zur Ruhrindustrie bestand, wurde Vogler gebeten, für diesen Brief zu werben, was er jedoch mit einem ausführlichen Antwortschreiben an Frhr. v. Schröder als undurchführbar zurückwies: „Es w a r nicht möglich, die genannten Herren ... des Westens zu ihrer Unterschrift unter das bekannte Schreiben zu veranlassen. Sowohl Herr Reusch wie Herr Springorum haben mir aber gesagt, daß sie an und für sich die in dem Schreiben niedergelegte Auffassung teilen, und nur darin eine wirkliche Lösung aus der jetzigen Lage sehen." Sie wollten aber überhaupt „von jeder politischen Stellungnahme sich fernhalten... Hinzu kommt, daß man die Gegensätze gerade in unserem Revier, die die frühere einheitliche Haltung und damit auch den Einfluß stark
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von Papen über Hecker angeregt wurde und mit der sich der KepplerKreis in etwas erweiterter Form vorstellte, überbrachte der Bankier Reinhart. Sie sprach sich zwar nicht ausdrücklich für die NSDAP aus, aber doch nachdrücklich für die „nationale Bewegung, die durch unser Volk geht"; das bedeutete vielleicht mehr, aber gewiß nicht weniger als die nationalsozialistische Partei. Mit ihren Unterschriften bekräftigten diese Wirtschaftsführer, die allerdings nur eine Minderheit unter den namhaften Persönlichkeiten ihrer Sparten bildeten, sie sähen in dieser Bewegung „den verheißungsvollen Beginn einer Zeit", „die durch Überwindung des Klassengegensatzes die unerläßliche Grundlage für einen Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaft erst schafft". Gegen Ende kam das Anliegen der Unterzeichner noch deutlicher zum Vorschein: „Die Übertragung der verantwortlichen Leitung eines mit den besten sachlichen und persönlichen Kräften ausgestatteten Präsidialkabinetts an den Führer der größten nationalen Gruppe wird die Schlacken und Fehler, die jeder Massenbewegung notgedrungen anhaften, ausmerzen und Millionen Menschen, die heute abseits stehen, zu bejahender Kraft mitreißen." Das bedeutete offenkundig eine Kanzlerschaft Hitlers, drückte aber auch die Hoffnung aus, daß die NSDAP zu einer „bejahenden Kraft" noch gewandelt werde — was immer dies heißen sollte. Wahrscheinlich waren manche der Formulierungen vorsichtig gewählt, um auch einige klangvolle Namen für diesen Brief zu gewinnen. Doch die Absicht schlug fehl, so daß Reinhart bei der Übergabe der 16 Unterschriften mit der Benennung weiterer Sympathisanten dem dürftigen Ganzen noch eine Verschönerung zu geben versuchte. 379 Erkennbaren Einfluß auf Hindenburg übte diese Aktion nicht aus. geschwächt
haben,
nicht
noch
weiter
verschärfen
möchte."
Vogler
an
Schröder,
2 1 . November. m
A u ß e r acht Mitgliedern des Keppler-Kreises, Hecker, Helfferich, Krogmann, Rein-
hart, Rosterg, Schacht, Frhr. v. Schröder und Witthoeft, unterzeichneten zwei Sprecher der Agrarier, v. Oppen-Dannenwalde, der bereits der N S D A P angehörte, und Graf Kalckreuth, sowie sechs bis dahin wenig hervorgetretene Fabrikanten und Bankiers des mittelständischen Bereichs, Beindorff, v. Eichborn, Lübbert, Erwin Merck, Ventzki und Woermann. Hierzu Einzelheiten bei Turner, Großunternehmer, S. 5 1 8 f. Das Mißverhältnis dieses Ergebnisses zur ursprünglichen Absicht ergibt sich auch aus der Mitteilung der Intention in Kepplers Brief an Frhr. v. Schröder am 13. November; s. oben Anm. 368. Meissner legte die Adresse erst am 22. November (!) dem Reichspräsidenten vor. — Meissner an Schröder, 22. November. — Offenbar erhoffte man noch weitere Zustimmungen. Drei Unterschriften trafen auch verspätet ein, die von Graf Keyserlingk-Cammerau, v. Rohr-Manze und Fritz Thyssen, der längst f ü r Hitler gewonnen war. Die Unterschrift des Präsidenten des Westfälischen Landbundes, Engelbert Beckmann, wurde von Reinhart angekündigt, scheint
1020
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
Am 21. November empfing der Reichspräsident Hitler in Gegenwart Meissners zu einer zweiten Unterredung. 380 Hindenburg wie Hitler hatten diesmal ihre mündlichen Ausführungen vorher schriftlich niedergelegt und tauschten die Schriftstücke während des Gespräches aus, ein etwas kurioses Zeugnis der Vorsicht wie des gegenseitigen Mißtrauens, das auch durch Äußerungen der Ehrerbietung, derer sich Hitler befleißigte, nicht gemindert wurde. Hindenburg bestand auf seinem Prinzip eines Präsidialkabinetts, das nicht von einem Parteiführer, sondern von einem „überparteilichen Manne geführt" werde, „einer Person meines besonderen Vertrauens". Da Hitler seine Bewegung nur für ein Kabinett zur Verfügung stellen wollte, an dessen Spitze er selbst als Parteiführer stand, verlangte Hindenburg, „daß ein solches Kabinett eine Mehrheit im Reichstag hat". Die Alternative Präsidial- oder Koalitionsregierung wurde kurz und klar formuliert, aber auch die Bereitschaft des Reichspräsidenten, sich mit seinem Anspruch vor einem Mehrheitskabinett zurückzuziehen, allerdings unter bestimmten Bedingungen. Er beauftragte Hitler als Moderator und ersuchte ihn, als Führer der stärksten Partei nunmehr festzustellen, unter welchen Voraussetzungen er für eine von ihm geführte Regierung „eine sichere, arbeitsfähige Mehrheit mit festem, einheitlichem Arbeitsprogramm im Reichstag" erlangen könne. Schließlich erteilte er die Auflagen, daß ein Wirtschaftsprogramm geschaffen werde, der Dualismus Reich-Preußen nicht wiederkehre, keine Absprachen mit den Ländern getroffen würden, die ihnen für den Fall einer Reichsreform besondere Rechte einräumten, und daß keine Einschränkungen des Artikels 48 erfolgten. Für die Besetzung des Reichswehrministeriums wie des Auswärtigen Amtes wähnte sich Hindenburg auf Grund seiner „verfassungsmäßigen Rechte als völkerrechtlicher Vertreter des Reichs und Oberbefehlshaber des Reichsheeres" persönlich zuständig; zudem setzte er seine generelle Billigung der Ministerliste voraus. Der Auftrag des Reichspräsidenten war klar und kühl durchdacht aber nicht eingetroffen zu sein. Ein „halbwegs repräsentativer Querschnitt durch G r o ß industrie, Handel und Bankwelt" (Stegmann, Großindustrie, S. 428) war wohl beabsichtigt, kam jedoch nicht zustande. Interessant ist allerdings die Mitwirkung des Stahlhelmführers und Generaldirektors einer Berliner Großbaufirma Lübbert auch an dieser Aktion, der in diesen Monaten durch enge Verbindungen sowohl zum Reichswehrministerium und Schleicher persönlich als auch zu Gregor Straßer und zu Gereke auffiel und mit dem A D G B verhandelte. Wenn nicht der Konstrukteur, so war er gewiß der regste Vertreter der später so genannten „Querfront"-Konzeption. 38"
Aufzeichnung
S. 9 8 8 - 9 9 2 .
Meissners;
Hubatsch,
Hindenburg,
S. 253 f.;
AR:
Papen,
2,
Der Reichspräsident
verhindert
eine Kanzlerschaft
Hitlers
1021
und eröffnete den Nationalsozialisten wenig Chancen. Ein präsidentielles Subsidium für die Kanzlerschaft Hitlers lehnte er ab. Hitler konnte dem natürlich nicht Folge leisten. In seiner langatmigen Ablehnung des Auftrags erging er sich in heftigen Ausfällen gegen das Kabinett Papen. Er könne eine Regierung zunächst nur als Präsidialkabinett bilden, wolle dann allerdings noch mehr Macht für seine Partei gewinnen. Sollte die „neue Staatsführung nicht in einer Katastrophe enden, dann muß sie einen verfassungsmäßig zulässigen Ausgangspunkt finden und in einer angemessen kurzen Zeit zum wirklichen Willensträger der Nation werden". Ihren „Prozentsatz dann weiterhin organisch zu vermehren, um allmählich die ganze Nation zu erfassen, ist ihre Aufgabe". Das war, auf die kürzeste Formel gebracht, Hitlers Programm einer nationalsozialistischen Machtergreifung. Er wollte sich weder auf Verhandlungen noch auf Bedingungen einlassen, sondern die Regierung vorbehaltlos in seine Hände bekommen. Seine Darlegungen enthalten das Konzept des Vorgehens im Frühjahr 1933. Der Reichspräsident brachte Kaas gegenüber seinen ganzen Widerwillen gegen eine Betrauung Hitlers mit der Kanzlerschaft zum Ausdruck, wie sich aus dem mit Meissner festgelegten Wortlaut seiner Äußerung ergibt: „Ich kann es vor Gott und dem deutschen Volk nicht verantworten, Hitler zum Kanzler eines Präsidialkabinetts zu machen, da ich nach der ganzen Einstellung Hitlers und seiner Bewegung befürchten muß, daß diese Regierung sich zwangsläufig zu einer Parteidiktatur entwickeln würde mit allen Gefahren eines Bürgerkriegs für das deutsche Volk." 381 Die von dem Feldmarschall über ihre Ansichten befragten Parteiführer Hugenberg, Kaas, Dingeldey und Fritz Schäffer äußerten, mit Ausnahme des letzten, ihre Abneigung der Person Hitlers gegenüber, vermieden jedoch eine eindeutige Ablehnung. 382 Meissner sandte Hitler dann eine Erläuterung zu, in der er als Gegenstand der Besprechungen Hindenburgs mit den Parteiführern „die Möglichkeit der Bildung einer Mehrheit im Reichstag für ein von Ihnen geführtes Kabinett" bezeichnete. 383 Doch Hitler ging hierauf nicht ein. Das tat ein anderer.
381 Unterlage für das Gespräch Hindenburgs mit Kaas mit Paraphe Meissners, handschriftl. „24. 11."; IfZ, MA-106. Aufzeichnung Meissners über das Gespräch am 24. November, abgedruckt AR: Papen, 2, S. 1003 f.; UuF, VIII, S. 695 f. 382 Niederschrift AR: Papen, 2, S. 9 7 3 - 9 7 9 , 987 f.; Hubatsch, Hindenburg, S. 3 4 5 - 3 5 0 , 352 f. 383 UuF, VIII, S. 6 9 2 - 6 9 5 ; AR: Papen, 2, S. 9 9 2 - 1 0 0 0 ; Hubatsch, a. a. O., S. 356 f.
1022
IV.
Vollendung und Scheitern des präsidentielten Systems
Görings Pressekonferenz, Hitlers Machtergreifungsplan, Schleichers Intervention Am 24. November, dem Tage des von Hindenburg genannten Fristablaufs, hielt Göring im ,Kaiserhof eine Pressekonferenz ab, die er mit einem Vortrag zur Lage begann. 384 Anlaß gab die Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Hitler, Hindenburg und Meissner, den Göring in seiner Darstellung auf eigene Weise interpretierte. Auffallend gut informiert sowohl über die Vorgänge innerhalb der Reichsregierung als auch über die Gespräche des Reichspräsidenten, warf er die Frage auf, ob denn diese Verhandlungen ernstgemeint gewesen seien oder nur das Ziel verfolgten, den Notstand unter Beweis zu stellen. Jetzt trat auch der Sinn des Briefwechsels wenige Tage zuvor in Erscheinung. Es war Hitler um weitere schriftlich fixierte Äußerungen zu tun, die ihn in der Öffentlichkeit von einem Schuldvorwurf reinwaschen konnten. Das hatte wohl niemand in der Umgebung des Reichspräsidenten bedacht. Die Vorbehalte Hindenburgs, erklärte Göring, hätten in jedem Falle das Gelingen einer Mehrheitsbildung ausgeschlossen. Aus der Presse und den Parteikorrespondenzen des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei wisse man zur Genüge — auch er, Göring, habe sich in Besprechungen am 20. November hiervon überzeugt —, daß diese Parteien niemals eine Personalunion zwischen preußischer Ministerpräsidentschaft und Reichskanzleramt anerkennen würden. Die Vorbehalte des Reichspräsidenten im Hinblick auf die Besetzung des Außen- und des Wehrministeriums, die sich angeblich aus seiner verfassungsrechtlichen Stellung ergäben, seien nach gewissenhafter Prüfung des Verfassungstextes abzulehnen. Ein Einfluß des Reichspräsidenten auf die Besetzung dieser beiden Ministerien sei keineswegs verfassungsgemäß. Auch für die Wehrund Außenpolitik hätten in einem parlamentarischen Kabinett allein der gegenzeichnende Reichskanzler und die beiden zuständigen Minister die Verantwortung zu tragen — und zwar in erster Linie gegenüber dem Reichstag. Hierin hatte Göring fraglos recht. Dies entsprach dem Sinn der Weimarer Reichsverfassung, der sich allerdings auf dem Wege der fortgesetzt veränderten und unter dem Eindruck eines realen „Verfassungswandels" stehenden Kommentierung verflüchtigt hatte. Wie schon im Falle der Brüningschen, von Joël und Zweigert befürworteten Idee eines außerverfassungsmäßigen Gesetzes zur Verlängerung der Amtszeit
184 Auch der Referentenbericht in der Reichskanzlei nennt dies einen „Pressevortrag", nachmittags von 5 bis 5.30 Uhr am 24. November; BA, R 43 1/1309; AR: Papen, 2, S. 1000 ff.
Der Reichspräsident verhindert eine Kanzlerschaft
Hitlers
1023
des Reichspräsidenten spielte sich die NSDAP durch den Reichstagspräsidenten als Verteidigerin der Weimarer Reichsverfassung und der Parlamentsrechte auf, nachdem Hindenburg Hitler auf den parlamentarischen Weg verwiesen hatte. Der durchschaubare Opportunismus der Positionswahl und die durchsichtige Zwecksetzung nahmen der Argumentation nicht ihr Gewicht. Auch in anderer Hinsicht entwickelte Göring eine neue, aber klare Version. Er behauptete, daß Hitler mit der Bildung einer parlamentarischen Mehrheitsregierung hätte beauftragt werden können — dann aber keinerlei Einschränkungen und Vorbehalten unterworfen werden durfte — oder mit der Kanzlerschaft und dann alle Vollmachten erhalten mußte. Dies hätte es ihm ermöglicht, „auf die Parteien und den Reichstag den zu erfolgreicher Verhandlung nötigen Druck auszuüben und gegebenenfalls gegen einen widerspenstigen Reichstag an das Volk zu appellieren. Das allein wäre eine Chance für Hitler und eine faire Beauftragung gewesen." 385 Diese Bemerkung deutet einige Kenntnis der Erörterungen über die Wege an, die die Regierung Papen einschlagen wollte. Auch die nationalsozialistischen Führer hatten nun ihr Konzept bereit — ob bereits am 19. November, während der ersten Unterredung Hindenburgs mit Hitler, bleibt offene Frage. Vorgänge und Entscheidungen im Frühjahr 1933 lieferten jedenfalls aller Welt anschauliche Beispiele für den „Druck" auf den Reichstag und das Ausspielen der Bevölkerung gegen ihn und die widerstrebenden Parteien. Göring schloß mit der Bemerkung, daß die Türen zwar von beiden Seiten nicht zugeschlagen seien, Hitler und die nationalsozialistische Bewegung aber von ihrer „klaren Linie" nicht abweichen, kein Kabinett unterstützen oder tolerieren und „jedes Kabinett ebenso zur Strecke bringen" würden 386 wie die Regierung Papen. Als Pointe nutzte Göring ein Interview Schachts am 22. November, der erklärt hatte, wenn Hitler jetzt nicht Kanzler würde, werde man ihn in vier Monaten holen. Schleicher hatte unterdessen wieder unmittelbare Verbindung mit Hitler aufgenommen und sich zu einer Aussprache mit ihm getroffen, 387 385
Wiedergabe durch den Berichterstatter.
386
Der Berichterstatter vermerkt: „wörtlich".
387
23. November; Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 284. A m 23. November unternahmen
auch die Parteigänger Gerekes, Herpel, Cordemann und Nöggerath, nach seinem eigenen Zeugnis, einen Vorstoß bei Schleicher, um ihn f ü r eine Kanzlerschaft Gerekes zu interessieren. Dieser Versuch hatte zu dieser Zeit wenig Aussicht auf Erfolg, spielt aber eine Rolle in der Vorgeschichte der Ernennung zum Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung. Günther Gereke, Ich war königlich-preußischer Landrat, Berlin (Ost) 1970, S. 208—213.
1024
IV. Vollendung und Scheitern
des präsidentiellen
Systems
über die er in der Reichsministerbesprechung am 25. November berichtete. 388 Er hatte eine Reihe von Fragen an ihn gerichtet, die sich aus Schleichers Versuch erklärten, selbst eine Regierung zu bilden: Ob Hitler bereit sei, in ein anders zusammengesetztes und geführtes Kabinett als Mitglied einzutreten. Hitlers Antwort lautete negativ. — Ob er ein von dem jetzigen Reichswehrminister geführtes Kabinett bekämpfen würde. Die von Schleicher berichtete Antwort war ausführlicher, lief indessen auf eine Bejahung hinaus. — Ob er anderen Mitgliedern der NSDAP die Erlaubnis erteilen würde, in ein Reichskabinett einzutreten, das nicht von ihm geführt würde. Auch hier fiel die Antwort negativ aus. — Ob Hitler einem Angehörigen seiner Partei erlauben würde, als Beobachter oder Verbindungsmann in einer ähnlichen Konstruktion innerhalb des Reichskabinetts mitzuwirken. Hierauf gab es ebenfalls eine eindeutig ablehnende Antwort. Schließlich fragte Schleicher, wie Hitler denn über seine Beziehung zum Reichspräsidenten oder zur Reichsregierung dächte. Hierauf entgegnete Hitler, daß er eine Verbindung mit der Regierung ablehne, dem Präsidenten aber seinen Rat nicht versagen werde, wenn dieser ihn wünsche. Wenn dies nicht Spiegelfechterei Schleichers war, um früher geknüpfte Beziehungen abzubrechen oder um die Reichsminister zu beeindrucken, dann war es der letzte, nachgerade verzweifelte Versuch des Generals, durch eigene Intervention zu erreichen, was er noch für möglich hielt. Diese Mitteilung lief auf eine deutliche Ankündigung Schleichers hinaus, die Nachfolge Papens anzutreten. In diesem Sinne nahmen auch die Reichsminister Stellung. Frhr. Eitz v. Rübenach setzte sich für Papen ein: Er müsse „mit seinem Idealismus und mit seiner Tatkraft dem Reichskabinett erhalten bleiben und an der Spitze des Reichskabinetts bleiben". Schleicher sagte selbst, daß ein Wechsel im Amt keinen Vorteil bringe, und erwähnte auch, daß eine Vereinigung des Reichswehrministeriums mit dem Kanzleramt Nachteile hätte. Er traf seine Wahl doch wohl nur mit halbem Herzen. Aber er bestand gerade jetzt, als dies vollends ausgeschlossen schien, auf einem Eintritt Hitlers in die Regierung. Die Lücke in der Logik der Zusammenhänge, die sich hier ergibt, läßt sich nur mit der Vermutung ausfüllen, daß Schleicher eine Ausschaltung Papens für geboten hielt. Er hatte längst erkannt, daß sein Beitrag zur Ernennung dieses Kanzlers der größte seiner Fehler war. Andere Mitglieder der Regierung äußerten den Wunsch, daß erneut mit Hitler verhandelt werde. Schwerin v. Krosigk führte vor Augen, daß 388
AR: Papen, 2, S. 1 0 1 3 - 1 0 1 7 .
Der Reichspräsident verhindert eine Kanzlerschaft Hitlers
1025
die vom Reichspräsidenten gewünschte wirtschaftliche Entwicklung, gar eine künstliche Wirtschaftsbelebung nur unter der Voraussetzung möglich sei, daß die Regierung eine breite Basis erlange. Eine Beibehaltung des Präsidialkabinetts bedeutete in seiner wie auch in der Sicht mehrerer seiner Kollegen ein Erschwernis der wirtschaftlichen Lage und der dringend erforderlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und würde binnen kurzem zur Verhängung des militärischen Ausnahmezustandes zwingen. Ähnlich bezeichnete Frhr. v. Gayl die Alternative, vor die er die Regierung gestellt sah. Doch in einer Betrauung Hitlers mit der Kanzlerschaft erblickte er ebenso wie Gürtner eine Gefahr, falls Nationalsozialisten Chefs der Ministerien würden. Vor allem in Süddeutschland könne dies zu einer gefahrlichen Entwicklung führen. Hitlers Anhänger verlangten Posten. Ein großer Beamtenschub wäre unvermeidlich; hierbei könnten die Beamten nicht sorgfältig, geschweige denn nach sachlichen Gesichtspunkten ausgesucht werden. Schleicher wie Papen betonten demgegenüber, daß Hindenburg Hitler auf gar keinen Fall an die Spitze einer präsidentiellen Regierung stellen werde. Eine erneute Aufforderung Hindenburgs, sich am 1. Dezember zu einer Aussprache über die politische Lage einzufinden, lehnte Hitler in einem Schreiben an Meissner ab;389 Schleicher ließ er vergeblich warten. 390 Auf der anderen Seite fiel der Gedanke an eine Nachfolge des Reichspräsidenten, auch die Überlegung, daß sich Hindenburg eben aus diesem Grunde veranlaßt sah, den Verhandlungsspielraum Hitlers einzuschränken, schon erschwerend ins Gewicht. 391 Im Kabinett wurde überlegt, ob denn der Reichspräsident überhaupt noch in der Lage sein werde, einen einmal ernannten Reichskanzler Hitler wieder zu entlassen, wenn sich der Organisationsapparat der N S D A P gegen eine solche Absicht stemmte und mit Demonstrationen und Druckmitteln bis zum äußersten arbeitete. Die Auseinandersetzungen, die von Hitler und Göring nach Hindenburgs Anspruch auf die Besetzung des Wehr- und Außenministeriums geführt wurden, hatten den Feldmarschall verstimmt und in seinem Eindruck bestärkt, daß er sich im Falle einer Betrauung Hitlers mit dem Reichskanzleramt permanenten Kompetenzstreitigkeiten aussetzen würde, sobald sich dieser nicht mehr der Kontrolle durch
389
Abschr. des Schreibens vom 30. November BA, R 43 1/1309. "> Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 286 f. 3 " Vertraulicher Bericht, 25. November; IfZ, Nachl. Schäffer/38. 3
1026
IV.
Vollendung
und Scheitern
des präsidentiellen
Systems
andere Parteien unterworfen sah. Äußerungen von deutschnationaler Seite und von Hugenberg persönlich, von Dingeldey und von den Stahlhelmführern mahnten zu größter Vorsicht 392 und legten im Hinblick auf eine künftige Machtstellung Hitlers jetzt größere Skepsis an den Tag, als das Zentrum erkennen ließ. 393
3,2
A R : Papen, 2, S. 973 f., 978f., 9 8 3 f.
in
In einem weiteren Gespräch am 24. November hielt Kaas an einer Verhandlungs-
lösung mit Hitler zur Bildung einer Reichstagsmehrheit fest, nannte sogar Brüning als Unterhändler, den Hindenburg und Meissner jedoch ablehnten, a. a. O., S. 1003 f.
NEUNZEHNTES
KAPITEL
Die letzten Wochen Schleicher wird
Reichskanzler
Hitler setzte auf die Vorteile, über die er im Reichstag verfügte. Schleicher erklärte er, die Kommunisten würden ihm durch dick und dünn folgen, soweit es sich um das Niederstimmen von Regierungsmaßnahmen handle; er sei entschlossen, diese Situation auszunutzen, um jede wie immer geartete Notverordnung aufzuheben und praktisch die Arbeit der Regierung unmöglich zu machen. Diese „scharfe Richtung" der NSDAP, die sich in Worten und Haltung Hitlers ausdrückte, 394 wollte wohl die Initiative der Regierung überlassen, ihre Arbeit jedoch sabotieren und auf den Konfliktfall zusteuern. Dies hatte Keppler schon in seinem Brief an Kurt v. Schröder am 13. November deutlich zum Ausdruck gebracht: Der Winterbeginn sei „ein wenig geeigneter Zeitpunkt zur Übernahme der Regierungsführung; eine nochmalige Zwischenlösung, die sicher mit einem Fiasko enden würde", bedeute „eine weitere Stärkung der Position" Hitlers. 395 Das dürfte der Auffassung des Führers der NSDAP entsprochen haben; sonst hätte sich Keppler kaum so deutlich geäußert. Hindenburg versuchte mit Härte, aber auch mit Zeichen der Ermüdung, seine diktatorische Vorstellung durchzusetzen. Dies beunruhigte Staatssekretär Meissner, der schier unlösbare Probleme auf sich zukommen sah, einerseits engen Kontakt zu Schleicher hielt, aber auch mit Kaas und wieder mit Brüning in Verbindung trat. 396 Auch den Namen Goerdeler brachte er dem Reichspräsidenten gegenüber ins Spiel, indem er eine Kabinettsliste vorlegte. Doch Hindenburg interessierte dies ebensowenig wie die Benennung Geßlers und die von Kaas angedeutete Lösung mit Brüning, der seinerseits für Schleicher als Kanzler eintrat. Die letzte Einladung Hitlers durch Meissner zu einem Gespräch mit dem Vertraulicher Bericht, 25. November; IfZ, Nachl. Schäffer/38. s. oben Anra. 368. 396 Tagebuch Schäffer, 15. u. 17. November; Dorpalen, Hindenburg, S. 366 f.; Meissner, Staatssekretär, S. 247; Papen, Wahrheit, S. 243—250; Vogelsang, Politik Schleichers, S. 105 ff. 394
595
1028
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen Systems
Reichspräsidenten hatte Hitler mit einer Ablehnung beantwortet, die er jedoch in einer auffallend höflichen Form abfassen ließ. 3 9 7 Dies war keine A n t w o r t , die einen Bruch bezeugte, sondern die neue Brücken zu schlagen versuchte, nur kein Fundament fand. Danach hielt Hindenburg am Abend des 1. Dezember an Papen fest und betraute ihn aufs neue. Doch Papen w a r unsicher geworden; und eine deutliche Mehrheit der Reichsminister entschied sich für Schleicher. Daraufhin gab Hindenburg nach. Zermürbt und müde sah der alte Mann keine andere Wahl, als den General mit der Führung der neuen Regierung zu beauftragen, in der Bracht anstelle v o n Gayl auch das Reichsinnenministerium übernahm. 3 9 8 Die K r i s e des Systems hatte den Reichspräsidenten selbst erfaßt und ihm eine Entscheidung abverlangt, der er — wie auch Meissner — innerlich widerstrebte. Der häufig erwähnten Kriegsspielstudie zu einem „militärischen Ausnahmezustand", über die Oberstleutnant Ott auf Vorschlag Schleichers dem Kabinett berichtete, kam entscheidende Bedeutung wohl nicht mehr im Hinblick auf die Mehrheit der Reichsminister, aber doch f ü r Papen zu. Sie ergab, daß bei einer angenommenen Kombination v o n außenund innerpolitischen Krisenfällen — militärischem A n g r i f f auf die Ostgrenze, Blockade der Häfen, Lahmlegung des Bergbaus und der Industrie durch Generalstreik — die „Ordnungskräfte des Reiches und der Länder in keiner Weise ausreichen, um die verfassungsmäßige Ordnung gegen 397 Büro des Reichspräsidenten; IfZ, MA-106; A R : Papen, 2, S. 1034 f.; Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 287: „Brief wird ganz sorgsam stilisiert. Schlag Schleichers pariert. Jetzt wird er m ü r b e . " 398 „ A k t e n n o t i z " Meissners vom 2. Dezember über eine Besprechung des Reichspräsidenten mit Papen, Schleicher, Meissner und Oskar v. Hindenburg am v o r a u f g e g a n g e n e n Abend. Schleicher erstattete einen Lagebericht. Der Reichspräsident äußerte daraufhin, daß ein Kabinett Schleicher nichts ändern würde, und betraute trotz des Einwandes des Generals, man müsse die Entwicklung „im N a z i - L a g e r " in den nächsten Tagen abwarten, erneut Papen mit der Kanzlerschaft. Papen nahm an „unter der Voraussetzung", daß der Reichspräsident „ihm für den mit Sicherheit zu erwartenden Konflikt mit dem Reichstag zusichere, alle präsidialen Maßnahmen zu ergreifen, um Deutschland vor einem Schaden zu bewahren, der aus einer Verletzung der Pflichten des Reichstags entstehen könnte". Meissners Aktennotiz vermerkt keine A n t w o r t , auch keinen Widerspruch Hindenburgs. Papen wollte aber vor Bekanntgabe des Entschlusses des Reichspräsidenten auf einer Pressekonferenz noch mit den Regierungsmitgliedern sprechen, die seinem neuen Kabinett angehören sollten. IfZ, MA-106; abgedruckt Vogelsang, Politik Schleichers, S. 105 f.; danach UuF, VIII, S. 701 f.; Hubatsch, Hindenburg, S. 366 f. Z u m Ausscheiden Papens Protokolle der Ministerbesprechungen am 2. und 3., Tagebuchaufzeichnung Graf Schwerin V . K r o s i g k s am 2. Dezember; AR: Papen, 2, S. 1 0 3 5 - 1 0 4 0 . Vgl. Papen, Wahrheit, S. 243 — 250; Brüning, Memoiren, S. 636; Morsey, Untergang, S. 76.
Die letzten Wochen
1029
Nationalsozialisten und Kommunisten aufrechtzuerhalten und die Grenzen zu schützen. Es sei daher die Pflicht des Reichswehrministers, die Zuflucht der Reichsregierung zum militärischen Ausnahmezustand zu verhindern." 399 In Extremfällen lassen sich wohl immer Unzulänglichkeiten und Mängel nachweisen; doch die Frage nach Wahrscheinlichkeit und Voraussetzungen des Extremfalls wurde nicht gestellt. Das Spiel diente der Vermittlung eines hohen Gefahrdungsgrades, zielte aber in erster Linie auf den Reichskanzler, den das Bemühen Hindenburgs beeindruckt hatte, ihn im Amt zu halten. Die von Kaas wie auch von Brüning geforderte „wesentlich verbreiterte Basis" im Reichstag für eine Präsidialregierung — eine Umkehrung der einstigen Forderung des Reichspräsidenten an Brüning — ließ sich, wie vorauszusehen, nicht verwirklichen. Allerdings wurden die Ereignisse der nächsten Wochen durch vorsichtige Toleranz der Zentrumspartei dem neuen Reichskanzler gegenüber einstweilen mildernd beeinflußt. Doch Schleicher glaubte zuversichtlich, auch andere Stützen für seine Regierung schaffen zu können. Schon in der Vorbereitung auf seine Kanzlerschaft lud er am Vormittag des 28. November eilig Theodor Leipart vom ADGB in das Reichswehrministerium, um mit ihm und dem begleitenden Eggert den Fall zu erörtern, daß er vom Reichspräsidenten „gedrängt" werde, das Kanzleramt zu übernehmen. Die Berufung eines neuen Arbeitsministers, auch dringende sozialpolitische Maßnahmen wollte er mit ihnen erörtern. Vor allem aber bemühte er sich in seiner Manier der offenen Sprache um Sympathien, was ihm auch gelang — auf Kosten Papens, Brauns und Gayls, mit ziemlich willkürlich gebildeten Urteilen und gewohnheitsmäßiger Saloppheit. „Ich habe den Eindruck, daß Schleicher ein offener Charakter ist", resümierte Eggert im Vorstandsbüro des ADGB. 400 Die Attitüde der Offenherzigkeit hatte sich Schleicher längst angeeignet und auch seinen engsten Mitarbeitern anerzogen. Man begegnet ihr in den zahlreichen Aufzeichnungen und Notizen seines Amtsnachfolgers Bredow, dessen Verhalten manche Rückschlüsse auf die Haltung Schleichers erlaubt. Am Schreibtisch oder im Salon tête-à-tête empfing er Mitteilungen der Gewährsleute, die schlicht als Realität genommen wurden. Dies erklärt auch die für gewichtig gehaltene euphemistische Andeutung Schleichers über eine Richtungs399 Vortragsnotiz abgedruckt Vogelsang, Reichswehr, S. 484 f.; ausführlich, nach dem Erinnerungszeugnis von Ott, Papen, Wahrheit, S. 247 ff.; nachgedruckt von Schüddekopf, Heer, S. 374 f. 400 Bericht Leiparts und Eggerts; Jahn, Gewerkschaften, S. 766 — 770; auch S. 773.
1030
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
Spaltung innerhalb der NSDAP zwischen Goebbels, der Verbindung mit den Kommunisten habe, und Straßer; nur „vorläufig sei Hitler noch der Führer". Der präsumtive Kanzler beeindruckte die Gewerkschaftler, indem er eine Arbeitsbeschaffungspolitik und die Ernennung Gerekes zum Arbeitsbeschaffungskommissar ankündigte, der bereits im Vorzimmer wartete. Unverzüglich kam Leipart Schleichers Aufforderung zur schriftlichen Vorlage der Wünsche der Gewerkschaften nach, indem er vier Forderungen präsentierte, die sich aus der Kritik und den Protesten während der letzten drei Monate ergaben: die Aufhebung der Verordnung des Reichsarbeitsministers vom 5. September und die Wiederherstellung der seitdem verschlechterten Sozialleistungen und beseitigten Tarifverträge; die Umstellung des Steuergutscheinsystems zur Förderung von Neueinstellungen, das sich als wenig wirksam erwiesen hatte, auf öffentliche Arbeitsbeschaffung; die gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit auf 40 Stunden und eine Verbesserung der Versorgung der Arbeitslosen im bevorstehenden Winter. 401 Diese weder überraschenden noch exzentrischen Wünsche hatte Schleicher im Gespräch schon indirekt anerkannt und die Neubesetzung des Reichsarbeitsministeriums hervorgehoben, so daß man ihre Erfüllung erwarten durfte. Schleicher wandelte auf den Pfaden Brünings, indem er sich auch der Zustimmung der SPD zu vergewissern suchte. Leipart und Eggert hatten sich hierzu nicht geäußert. Breitscheid, ebenfalls zu einem Gespräch aufgefordert, erwies sich weniger zugänglich und kündigte dem General scharfe Opposition seiner Partei an, bei der er, nicht ohne Grund, „im Ruf größter Unzuverlässigkeit" stand, 402 was sich nicht von einem Tag auf den anderen beheben ließ. Als Leipart in einem Interview für den General eintrat, erhob sich ein Sturm der Entrüstung, der von der KPD ausging, in der SPD weites Echo fand und durch gefälschte Protokolle, die von kommunistischer Seite publiziert wurden, in seiner Wirkung verstärkt werden konnte, so daß sich Leipart zu einer Korrektur veranlaßt sah. 403 Auch der Mann, der seit Monaten Verbindung zum Reichswehrministerium pflegte in der Absicht, Nutzen aus der Einrichtung des Reichskuratoriums für Jugendertüchtigung und der milizartigen halb-
401
Leipart an Schleicher, 29. November; a . a . O . , S. 770—773. Vgl. James, Weltwirt-
schaftskrise, S. 186 f. 4,12
Friedrich Stampfer, Erfahrungen und Erkenntnisse. Aufzeichnungen aus meinem
Leben, Köln 1957, S. 253. 403
Vgl. Heinrich A . Winkler, Katastrophe, S. 8 1 8 f . ; Jahn, Gewerkschaften, S. 7 8 0 - 7 8 4 .
Die letzten Wochen
1031
militärischen Ausbildung zu ziehen, der Bundesvorsitzende des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold Höltermann, 404 sah sich unvermittelt in einem heftigen Gegensatz zum Parteivorsitzenden Wels, der eine Spaltung der SPD befürchtete. Am 12. November erhielt Höltermann auf der Gauführertagung des Reichsbanners zu Bremen noch ein klares Mandat zur Fortsetzung seiner Verhandlungen mit dem Wehrministerium. Doch in einer Sitzung des Parteiausschusses am 16. Dezember erlitt er eine schwere Niederlage und wurde die Beteiligung des Reichsbanners am Reichskuratorium auf Verlangen von Wels durch einen eindeutigen Beschluß beendet.405 Allerdings konnte Höltermann weiterhin auf stille Unterstützung im ADGB und auch durch den mit seiner Partei hadernden Otto Braun rechnen. 406 Der ADGB ließ sich nicht in gleicher Weise behandeln. Wenn auch die SPD-Führung seinem Bewegungsraum gewisse Grenzen setzte, blieben doch latente Neigungen zur Stützung des neuen Kanzlers. Noch entschiedener — und mit ähnlichen Wünschen wie der ADGB — gingen die Christlichen Gewerkschaften, die Schleicher nach seiner Regierungsbetrauung ebenfalls für sich gewonnen hatte, auf die Idee gewerkschaftlicher „Querverbindungen" zur Absicherung des Generals ein. 407
Arbeitsbeschaffung
und
Regierungsprogramm
Inzwischen hatten Arbeitsbeschaffungsprogramme weithin Resonanz in der Öffentlichkeit gefunden. Der Deutsche Städtetag entwickelte Pläne für vorstädtische Kleinsiedlungen, die als Erwerbslosensiedlungen erörtert und in Angriff genommen wurden. Der städtische freiwillige Arbeitsdienst, den die Oberbürgermeister Brauer, Jarres und Rive in Altona, 404
Oberst v. Bredow unterrichtete Schleicher am 6. September über Höltermanns Wün-
sche: „Der Stahlhelm-Aufmarsch hatte ihm gefallen... die Uniform stammte doch sicherlich von der Reichswehr. Ich wies dies zurück, worauf er fragte, ob denn nicht eine solche Abgabe mal möglich wäre. Er gebrauchte [sie!] für seine Organisation in erster Linie Stiefel." Handschriftl. Zusatz Bredows: „wäre ein gutes Druckmittel!" „Er für seine Person habe Interesse am Grenz- und Landesschutz (Miliz). Seine Partei... wende sich [nur] gegen U-Boote und Schlachtschiffe." Kurze Orientierung; B A , Nachl. Bredow/1. 405
Protokoll abgedruckt Schulze, Anpassung, bes. S. 1 1 1 — 130.
406
Jahn, Gewerkschaften, S. 7 3 0 f . , 739, 7 8 9 f f . , 8 0 8 f f . ; Matthias, Sozialdemokratische
Partei, S. 230 f. 407
Empfang einer Delegation durch den Reichspräsidenten, 8. Dezember; A R : Schlei-
cher, S. 35 ff.; dann die Eingabe des Generalverbandes der Christlichen Gewerkschaften an den Reichskanzler, 13. Dezember; BA, R 43 1/2024.
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
1032
Systems
Duisburg-Hamborn und Halle eingeführt und erprobt hatten, fand nun allgemeine Befürwortung als Möglichkeit praktischer Arbeitsbeschaffung. 408 Größere Pläne der Kommunen gediehen indessen erst in Verbindung mit dem Arbeitsbeschaffungsprogramm der Regierung Schleicher. Denn die Vorschläge des Städtetages 409 unterlagen stets einschränkenden Bedingungen und Voraussetzungen: Die Privatwirtschaft sollte eingeschaltet, aber nirgends beengt werden; den finanziell arg beanspruchten Gemeinden durften keine zusätzlichen Lasten erwachsen; und die Arbeiten, die zu verrichten waren, sollten aus dem ordentlichen Etat finanziert werden und solcher dringenden Art sein, daß man sie lediglich infolge der Not bislang zurückgestellt hatte. Dies reichte nicht weit über den konventionellen kommunalpolitischen Gedanken hinaus, im Industriezeitalter aus sozialen Erwägungen den Bau von Kleinwohnungen und Stadtrandsiedlungen zu fördern. Hinzu kamen als dringlich erachtete Verkehrsbauten, die Anlegung von Kleingärten und landwirtschaftliche Meliorationen. Die Maßstäbe blieben bescheiden. Die erforderlichen Mittel ließen sich allerdings ohne Kreditexperimente höheren Schwierigkeitsgrades aus eingesparten Unterstützungen, Steuergutscheinen und zu einem Drittel aus Darlehen der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Arbeiten beschaffen. Doch der ökonomisch wie sozialpolitisch zu Buche schlagende Nutzeffekt blieb begrenzt. Für den kommunalen Fiskus modifizierten sich die Etatposten; von den Wohlfahrtserwerbslosen wurde Vollarbeit gegen unterdurchschnittlichen Lohn erwartet, der nur unwesentlich über den niedrigsten Unterstützungssätzen lag. Auch ein neuer Versuch innerhalb der NSDAP, mit einem Arbeitsbeschaffungsplan zu operieren, der eine Million Arbeitssuchende im Rahmen einer allgemeinen Arbeitsdienstpflicht zum Bau eines Reichsautostraßennetzes — zur „Stärkung der Wehrfähigkeit" — unterbringen wollte, 410 entwickelte noch keine Kreditprojekte, sondern suchte das Problem der Arbeitslosigkeit unter möglichst geringen Aufwendungen konsequent außerhalb der privaten Wirtschaft zu lösen. Hitler und die Nationalsozialisten näherten sich dem Gedanken der Krisenbekämpfung durch Kreditexpansion nur 408
Sitzungen des engeren Vorstandes, 5. November, 16. Dezember 1 9 3 1 , 23. Juni 1932;
A D S T B , A 7. m
Sitzung des engeren Vorstandes am 20. Oktober 1932; A D S T B , A 295.
410
Durchschi, einer elf Seiten umfassenden Denkschrift mit dem Titel „Hitler schafft
Arbeit" bei den Akten des späteren Staatssekretärs Grauert mit angeheftetem Vermerk: „Dieser Arbeitsbeschaffungsplan, der die Beschäftigung von einer Million v o n Volksgenossen vorsieht, wurde am 31. Dezember 1932 dem Führer in Obersalzberg übergeben." GehStAB, Rep. 320/Grauert 39.
Die letzten Wochen
1033
äußerst zögernd, im Grunde erst, nachdem sie sich in den Besitz aller Mittel der Staatsmacht gebracht hatten und die kritische wirtschaftliche Bilanz rasche wirkungsvolle Maßnahmen in neuen Größenordnungen erheischte. Einer der namhaftesten Verfechter dieser Gedanken, Wilhelm Lautenbach, der kein Nationalsozialist war, bemühte sich, wie überliefert ist, die ängstlichen Bedenken Hitlers aus dem Wege zu räumen und ihm die Furcht vor einer Inflation zu nehmen. 411 Der Präsident des Deutschen Landgemeindetages und des Verbandes der Preußischen Landgemeinden, Gereke, hatte im Sommer 1932 den Plan des Landrates Ludwig Herpel aufgegriffen, der sich schon 1931 mit dem originellen Experiment eines kommunalen Kreditschöpfungsrings in genossenschaftlicher Form befaßt hatte. 412 Den zentralen Gedanken, den Gemeinden fürs erste unbeschränkt finanzielle Mittel zum Zwecke der kommunalen Arbeitsbeschaffung zur Verfügung zu stellen, die er — optimistisch — auf vier Milliarden RM bezifferte, wollte Gereke mit Hilfe einer Art zweiter Währung in Form von „Giralgeld" verwirklichen, das außerhalb des üblichen Geldumlaufs zirkulieren, die Arbeitsbeschaffung in Gang setzen und in Gang halten sollte. Gereke wußte sein Projekt im Verein mit kräftigen Parolen gegen die internationale Hochfinanz und gegen die Reichsbank mit Geschick der Öffentlichkeit zu präsentieren. 413 Luther lenkte nach einer Aussprache mit ihm und Herpel Ende September scheinbar ein, ließ allerdings öffentlich erst nach dem Kanzlerwechsel seine modifizierte Position erkennen. 414 Aber innerhalb des Reichsbankdirektoriums wurde jetzt eingestanden, wenn auch nur im Gespräch unter vier Augen, daß man mit Krediten „vielleicht noch höher, ja erheblich höher gehen" könne, sobald zu sehen sei, „ob und wie die Wirtschaft" die ersten 500 Millionen „verdaue". 415 Der Wirtschaft 411
Wilhelm Röpke im V o r w o r t zu Lautenbach, Zins, S. X .
4,2
A R : Schleicher, S. 55, Anm. 3.
413
„Leitsätze f ü r ein Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit"; BA, R 43 1/
2045. Hierzu auch die Sitzung des geschäftsführenden Vorstandes des Verbandes der Preußischen Landgemeinden am 29. Juli 1932; A D S T B , A 3 1 3 . 414
Tagesbericht Luthers, 24. September; BA, Nachl. Luther/370. Von einer Unterstüt-
zung der Pläne kann keine Rede sein. Aber die bedingte Zustimmung zu Maßnahmen der öffentlichen Arbeitsbeschaffung und der moderate Ton der Erörterung wie einiger Bedenken des Reichsbankpräsidenten — immerhin noch — „gegen diese besondere Art der Subvention an öffentliche Körperschaften" fielen doch als Neuerung auf. Luther auf der Jahrestagung der Freunde und Förderer der Technischen Hochschule München
am
3. Dezember 1932; Manuskript der Rede BA, Nachl. Luther/421; Auszug, unter Auslassung der hier zitierten Passage, A R : Schleicher, S. 14 f., Anm. 9. Vgl. Luther, Abgrund, S. 298. 415
a. a. O., S. 297.
1034
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
nicht in die Quere zu kommen, blieb sorgsam beobachteter Grundsatz. In der Konsequenz hieraus beschränkten sich die Belebungsprogramme auf eine ergänzende Zusatzwirtschaft.
Ständegedanken und Quer
front-Experiment
Dem Gedanken, die parlamentarischen Institutionen ganz oder teilweise durch eine institutionalisierte Repräsentation organisierter Interessen zu ersetzen,416 schien das immer häufiger erörterte Beispiel der korporativen Organisation im Staate des italienischen Faschismus Auftrieb und neue Anregungen zu vermitteln. Schon im Januar 1932 behandelte die Wirtschaftliche Vereinigung der Unternehmerverbände in Karlsruhe das Verhältnis zwischen „berufsständischer Gliederung und kapitalistischer Wirtschaftsordnung". 417 Dem folgten andere wirtschaftliche und politische Organisationen, so unter dem Eindruck der im Zentrum sonst wenig erörterten päpstlichen Enzyklika „Quadragesimo anno" der Verband der Katholischen Vereine und der Wirtschaftsbeirat der Zentrumspartei. 418 Nach dem Ende der Regierung Brüning befaßte sich der Hauptausschuß des RDI mit derartigen Fragen 419 . Auch im DIHT begannen ähnliche Erörterungen im Zeichen der Unsicherheit künftiger Entwicklungen. Die Befürworter ständischer Organisationen blieben jedoch in der Minderheit gegenüber den Skeptikern, die eine „Allmacht des Staates" fürchteten und mit Besorgnis gerade auf die wenig aufschlußreichen
4,6
Eine vergleichende Übersicht über die jüngere ausländische und deutsche Literatur
zur „ständisch-korporativen Idee" findet sich bei Kaiser, Repräsentation, S. 54 ff. Über den italienischen Korporationsstaat neben Hans Reupke, Das Wirtschaftssystem des Faschismus, Berlin 1930, ders., Unternehmer; Ludwig Bernhard, Der Staatsgedanke des Faschismus, Berlin 1931; Fritz F.rmarth, Theorie und Praxis des faschistisch-korporativen Staates, Heidelberg 1932; Werner Niederer, Der Ständestaat des Faschismus. Der italienische Berufsverein und seine rechtliche Struktur, München/Leipzig 1932; Walter Heinrich, Das Ständewesen, mit besonderer Berücksichtigung der Selbstverwaltung
der Wirtschaft,
1. Aufl. Jena 1932, 2. A u f l . 1934; s. auch unten Anm. 423. 417
Vervielf. Exemplar der Niederschrift über die Sitzung v o m 12. Januar 1932; B A , R
11/10. 4.8
Pater Gundlach in der Germania v o m 3. Mai 1932, später auch die Rede des
Präsidenten des Katholikentages, Bernhard Otte; Inhaltsangabe in der Kölnischen Zeitung, Nr. 479 v o m 2. September 1932. 4.9
Der Vortrag des Reichstagsabgeordneten Lammers (Zentrum) v o r dem Hauptaus-
schuß des Reichsverbandes am 24. Juni 1932 erschien im Druck: Clemens Lammers, Autarkie, Planwirtschaft und berufsständischer Staat? Berlin 1932.
Die letzten Wochen
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Bekundungen der N S D A P zu dieser Frage verwiesen. 4 2 0 A u s dem preußischen Handelsministerium verlautete warnend, daß den Kammern nach nationalsozialistischen Plänen — womit wohl die von Otto Wagener gemeint waren — „in Zukunft in stärkerer Weise ein amtlicher Charakter zuerkannt" und sie „allzusehr zu Behörden gemacht werden sollten". 421 Der Geschäftsführende Präsident des D I H T hielt es für unumgänglich, über Funk mit der N S D A P in Verbindung zu treten und verbandsdiplomatische Beziehungen aufzunehmen, während die Verbände des Handwerks zum mächtigeren RDI „ständisch" enge Fühlung suchten. 4 2 2 So ernteten die Nationalsozialisten die Früchte alter Beziehungen zur Wiener Schule Othmar Spanns und ihrer romantischen Soziologie, die die Idee „ständischer Bindungen", aber auch das vakuose Vokabularium eines „ganzheitstrunkenen Geists" gegen „Individualismus", Kapitalismus, Sozialismus, Kommunismus, Liberalismus und Demokratie ins Feld führte. 4 2 3 Hitler hing ihnen wahrscheinlich zur frühen Zeit des Münchener Kampfbundes f ü r deutsche K u l t u r und der ersten Mäzene seiner Bewegung an, was die spätere Konfrontation nicht ausschloß. 4 2 4 Die 420 Ein umfangreicher Teilbericht über eine Sitzung des Verfassungsausschusses des D I H T vom 30. Juni 1932 ist in dem Entwurf eines Schreibens Eduard Hamms an den Ersten Syndikus der Bergischen Industrie- und Handelskammer in Wuppertal-Remscheid vom 9. Juli enthalten. Durchschi, mit Ausfertigungsvermerk BA, R 11/10. Kritisch abwägende Übersichten und Urteile in dem Aufsatz von Hamm, Zum Problem des berufsständischen Aufbaus, in: Deutsche Wirtschafts-Zeitung, 29 (1932), S. 709—716; und in den Schriften zweier Syndici, Hugo Kanter, Staat und berufsständischer Aufbau, Wolfenbüttel 1932; Josef Wilden, Die berufsständische Organisation der Wirtschaft, Köln 1932. Vgl. hierzu Schulz, Maßnahmenstaat, S. 399 f.; Heinrich A. Winkler, Unternehmerverbände zwischen Ständeideologie und Nationalsozialismus, in: V Z G , 17 (1969), S. 341—371. 421 Bericht der Industrie- und Handelskammer für die Provinz Oberschlesien in Oppeln über einen Besuch im preußischen Handelsministerium mit Schreiben an den DIHT vom 9. Juli und Antwort hierauf von Hamm, 28. Juli; ausgefertigter Entwurf BA, R 11/10. 422 Mitteilung Hamms an den Reichstagsabgeordneten Otto Hugo (DVP) vom 3. August 1932 mit der Empfehlung, „daß wir nach außen Zurückhaltung üben..., aber vielleicht doch zeigen ..., daß wir uns zur Sache gemeldet haben". BA, R 11/10. 423 Othmar Spann, Der wahre Staat. Vorlesungen über Abbruch und Neubau der Gesellschaft, gehalten im Sommersemester 1920 an der Universität Wien, Leipzig 1921, 3. Aufl. Jena 1931. Von den späteren Schriften Spanns: Irrungen des Marxismus. Eine Darstellung und Prüfung seiner Wirtschaftslehre, 1. Aufl. Berlin 1929; Hauptpunkte der universalistischen Staatsauffassung, 1. Aufl. Berlin 1930. 424 Der offenkundige Eklektizismus angelesener Vorstellungen in Hitler, Mein Kampf, erschwert den Nachweis von einzelnen Ideen, der sich nur selten völlig eindeutig ergibt. Einige Stellen weisen jedoch eine verblüffende Ähnlichkeit mit Spanns Vorlesungen und auch früher geäußerten Ansichten auf. Schon in der ersten Auflage des zweiten Bandes, München 1927, weist Hitlers „völkischer Staat" Merkmale ständischer Gliederung auf. Ein
1036
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
„Überwindung der Krise durch ständische Neuordnung der Wirtschaft", 425 die die Schule Othmar Spanns lehrte, deren Betrachtung die weltwirtschaftliche Depression als akuten Ausdruck einer universalen Krisis deutete, wurde zu einem Organisationsziel, das außerhalb der NSDAP die politischen Diskussionen in Bahnen lenkte, die nicht mehr durch unüberwindbare Hindernisse von den Projekten nationalsozialistischer Ideologen getrennt schienen. Auf der anderen Seite gelangten die Gewerkschaften nicht zu einer Einigung. Der ADGB blieb vorsichtig, während sich die Führer der Christlichen Gewerkschaften, die unter Papen, ganz im Zentrumssinne, entschiedene Opposition gegen die Regierung beobachtet hatten, einem „sozialen Volksstaat" nahe wähnten, in dem vor allem die Bergarbeiter unter Imbusch mit „einer Kombination Hitler, Schleicher, Stegerwald ... gewisse Wünsche in bezug auf die Verstaatlichung des Bergbaus durchsetzen zu können" glaubten. 426 Ähnliche Neigungen wurden dem Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband nachgesagt, zu dem Gregor Straßer — neben anderen Nationalsozialisten — enge Beziehungen unterhielt. In dieser Kombination schien sich eine gewisse Möglichkeit zur Unterstützung der Regierung durch das gewerkschaftliche Lager unter Beteiligung von Nationalsozialisten abzuzeichnen. Die Idee eines „Kabinetts Schleicher-Gregor Straßer", das mitunter zitiert wurde und vielleicht von jungkonservativen, wahrscheinlich von nationalrevolutio-
wichtiger Satz ist teilweise wörtlich entlehnt, aber mit camouflierenden Zusätzen versehen. S. 88: „Die beste Staatsauffassung und Staatsform ist diejenige, die mit natürlicher Sicherheit die besten K ö p f e der Volksgemeinschaft zu führender Bedeutung und zu leitendem Einfluß bringt." Vgl. Spann, Der wahre Staat, S. 204: „Die beste Staatsform ist diejenige, welche die Besten zur Herrschaft bringt." Otto Wagener berichtet, daß er „im A u f t r a g Hitlers ... mehrfach mit Vertretern Spanns verhandelt" habe. Er empfand den Wiener Professor wohl als Konkurrenten und hat möglicherweise Hitler dann gegen ihn eingenommen. Wagener, Hitler, S. 397. Vgl. Turner, Großunternehmer, S. 79. 425
S o der Titel eines Aufsatzes aus der Feder des Wiener Privatdozenten Walter Heinrich
im ersten Heft (S. 2—5) der seit Juli 1 9 3 2 erscheinenden Braunen Wirtschaftspost. Nationalsozialistischer Wirtschaftsdienst der Gruppe Nord-West; als Herausgeber zeichnete der Beauftragte der wirtschaftspolitischen Abteilung der Reichsleitung der N S D A P in Düsseldorf, Joseph Klein. Das erste Heft widmete sich bezeichnenderweise ausschließlich „dem Gedanken des organischen Ständestaates". Der Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes der Gruppe Nordwest, Ludwig Grauert, der schon viel für die N S D A P getan hatte, war Anhänger Othmar Spanns. Turner, a. a. O., S. 180, 266, 270, 466. 426
So schon Bracher, Auflösung, S. 623, Anm. 99; hierzu auch Schneider, Christliche
Gewerkschaften, S. 754 ff.
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nären Kräften begrüßt worden wäre, stellte gewissermaßen die linke Version unter den denkbaren Möglichkeiten dar. Als wichtigsten Bestandteil dieser Konstruktion betrachtete Schleicher eine Kooperation mit jener Richtung innerhalb der NSDAP, die mit dem Namen Gregor Straßer verknüpft war. Offenbar verließ sich der General auf interne Reichswehrinformationen, die über Höltermann, Schulz und Cordemann an Bredow gelangten, der auch zuerst über die „Querfront" berichtete. Dies war jetzt das inrierministerielle Stichwort für Parteien durchquerende Verbindungen zwischen den „Gruppen, die hinter dem Gereke-Plan" standen und als Kanzler „nur Schleicher oder Gereke" sehen wollten — nicht „Papen, Schacht, Goerdeler oder Bracht". Von dieser — keineswegs homogenen — Seite kam das Signal, daß man auf Straßer rechnen könne, „daß Straßers Haltung für Hitler nur dem Korpsgeist entspränge ... Er hielte sich bereit, sich persönlich in die Bresche zu werfen, falls aus den Bemühungen Hitlers nichts würde." 427 Das politische Bild dieser Gruppe erweist sich als nicht eindeutig konturiert. Man wird ihr am ehesten gerecht, wenn man sie als ein aktivistisches Zentrum begreift, das sich um handlungsfähige Großorganisationen, nicht um Parteien bemühte, aber mit Straßer einen größeren Teil der NSDAP — ohne die SA — zu binden und dadurch auch die Regierung zu beeinflußen versuchte. Soweit ein Blick auf Schleichers Vorhaben wie auf sein Nachrichtenmaterial möglich ist, bleibt der Eindruck insgesamt begrenzt und fiele der Versuch, eine deutliche Alternative zur eintretenden Entwicklung post festum zu konstruieren, nur enttäuschend aus. Kapitän Gotting, Kommandant des Linienschiffes „Schleswig-Holstein", unterrichtete Schleicher über die Formierung einer Opposition innerhalb der NSDAP, die ihn zu unterstützen bereit sei. 428 Dies wollte er von Fregattenkapitän a.D. Neureuther aus München — auf Grund nicht mehr zu präzisierender Informationen — erfahren haben, dem vormaligen Marineadjutanten des Reichswehrministers Geßler. Es kann nicht sicher beurteilt werden, in welchem Umfang Schleicher sich hierdurch bestimmen ließ. Doch Informationen aus verdeckten Quellen in München, die ihn auf Umwegen erreichten, dürften seine Entschlüsse, in denen er merkwürdig lange noch auf Straßer setzte, in Ermangelung besserer Einfälle einige Wochen lang geleitet haben. 427
Kurze Orientierung, 23. November; BA, Nachl. Bredow/2. Bredow berichtete auch
Cordemanns ausdrückliche Empfehlung, der Reichspräsident möge nochmals die N S D A P zur Mitarbeit auffordern. Dies dürfte die Einladung Hitlers auf den 1. Dezember durch Meissner veranlaßt haben, s. oben Anm. 397. 428
Gotting an Schleicher, 1. Dezember, handschriftl.; B A , Nachl. Schleicher/23.
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IV. Vollendung und Scheitern
des präsidentiellen
Systems
Der Rückzug aus außenpolitischen Handlungsräumen
beginnt
Zunächst schien sich einiges günstig anzulassen und das Blatt zugunsten des neuen Reichskanzlers zu wenden. Um die festgefahrenen Abrüstungsverhandlungen wieder in Gang zu bringen und den Deutschen eine Teilnahme zu ermöglichen, hatte die englische Regierung Anfang Oktober die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Italiens zur Vorverhandlung nach England eingeladen und auch den amerikanischen Präsidenten aufgefordert, Norman Davis zu einer „Fortsetzung der Verhandlungen von Bessinge" zu ermächtigen. 429 Dies scheiterte an der Weigerung Herriots, diesen Verhandlungen Bedeutung beizumessen und an einem anderen Ort als Genf zu einem besonderen Zeitpunkt an Gesprächen teilzunehmen. 430 Die deutsche Seite blieb daher der Notwendigkeit einer präzisen Stellungnahme einstweilen enthoben, für die der Reichswehrminister zum Verdruß Bülows eine- erneute Erhöhung der Ansprüche und Zahlenspiegel von Reichsheer und Reichsmarine anmeldete — „fast eine Vervierfachung" der Kopfstärke des Heeres in drei Kategorien verschiedenen militärischen Wertes und für die Marine die „Parität mit Frankreich", wie Bülow bemerkte, „ganz unsinnig, da Deutschland keine überseeischen Besitzungen hat". 431 Eine zweite englische Initiative in Gestalt einer Unterhauserklärung Sir John Simons am 10. November nahm die deutsche Forderung nach gleicher Geltung einer Abrüstungskonvention für alle Staaten, anstelle von Teil V des Friedensvertrages, auf und akzeptierte in dieser Form das Verlangen nach Gleichberechtigung, deren inhaltliche Ausgestaltung noch verhandelt werden sollte. Auf der anderen Seite kam Simon mit der Zielsetzung eines Ausschlusses von kriegerischen Handlungen und Vorbereitungen dem französischen Verlangen nach Sicherheit entgegen. Hierauf reagierte nun Bülow gewunden und undeutlich, weil er in einer Sicherheitserklärung „indirekt ... ein Anerkenntnis der deutschen Grenzverhältnisse" sah, was nicht sein sollte.432 Schließlich kam es zu einer
429 ADAP, B, X X I , S. 191 ff.; der Erinnerung an Bessinge hat Bülow sofort widersprochen. Vgl. a. a. O., S. 194 ff., 211 ff. 430 DDF, 1, I, S. 413, 414 ff. 4,1 Aufzeichnung Bülows vom 18. Oktober; ADAP, B, XXI, S. 245 ff.; Schleichers Darlegung a. a. O., S. 2 3 9 - 2 4 5 . 412 Rumbold gegenüber drückte Bülow dies allerdings weniger klar aus: „Eine einseitige deutsche Erklärung [von der gar nicht die Rede war] würde voraussetzen, daß wir unsere Haltung zu rechtfertigen hätten." a. a. O., S. 3 2 7 - 3 3 0 , 320ff., 3 2 4 - 3 2 7 , 338f.; Newton und Rumbold an Simon, 12. bzw. 13. November; DBFP, 2, IV, S. 2 6 9 - 2 7 2 .
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Einladung der deutschen Seite durch die Delegationen der Vereinigten Staaten, Englands, Frankreichs und Italiens nach Genf, wo eine Formel Herriots die „Gleichheit der Rechte in einem System der Sicherheit für alle Nationen" als Zweck der Konferenz bezeichnete und die deutsche Rückkehr an den Verhandlungstisch erleichterte. 433 Ohne weitere Hintergedanken hätte dies als ein Fortschritt — aus einer wenig komfortablen außenpolitischen Situation — verstanden werden können. Mehr ließ sich kaum erreichen, um eine weitere Teilnahme Deutschlands in Genf unter besonderen Auspizien zu vertreten. Neurath war allerdings bescheiden genug, um diese nicht von ihm bewirkte Lösung distanziert zu behandeln und erst dem Reichskabinett in Berlin vorzulegen, wo Bülow für sie eintrat, aber eine Kontroverse über die Formel auslöste. 434 Schleichers Einspruch veranlaßte weitere Verhandlungen und führte schließlich zur Annahme eines etwas längeren Textes, nach einem Entwurf von MacDonald, der der ursprünglichen Formel beigegeben wurde und diese nunmehr als Prinzip und nicht als Ziel der Konferenz bezeichnete. 4,5 Neurath erging sich am 10. Dezember in ausführlichen Schilderungen seines Widerstandes im Verlaufe eines mehrstündigen Ringens um Worte, nicht um Prinzipien und Sachen, das er dann als Erfolg hinstellte, mit dem sich Schleicher zufrieden zeigte. Doch in diesem wenig belangvollen Streit, der nur mangelhaft das deutsche Interesse an eigenen Rüstungen verbarg, war der Maßstab für reale außenpolitische Ziele und Erfolge schon weitgehend abhanden gekommen und die Außenpolitik zusehends, ohne eigenes Programm auf Taktik angelegt, zum Reagieren in vielfacher Rücksichtnahme verpflichtet und nicht mehr zum strategischen Agieren imstande. Der Rückzug aus außenpolitischen Handlungsräumen ist unverkennbar.
433
Von der französischen Formulierung der Formel weicht die englische Fassung um
Nuancen ab. ADAP, B, X X I , S. 425 ff., 428 f., Anm. 12. K u r z und klar Simon: „equality of rights in a régime o f security". Simon, Retrospect, S. 183. Herriot, Jadis, 2, S. 354, erwähnt ausdrücklich die Unterstützung durch den Kriegsminister Paul-Boncour, der diese Formel als Stufe zu einem weiteren „Plan Constructif français" bezeichnet, die in Genf zwischen MacDonald, Norman Davis, Grandi, Neurath und ihm schon am 11. November besprochen wurde. Joseph Paul-Boncour, Entre deux guerres. Souvenirs sur la IIIe" République, Bd. II: Les lendemains de la victoire, 1 9 1 9 - 1 9 3 4 , Paris 1945, S. 231 f. 434
ADAP, B, X X I , S. 4 4 9 f . ; AR: Schleicher, S. 1 8 - 2 2 , 37 f. Vgl. Bennett, Rearmament,
S. 264 ff. 435
ADAP, B, X X I , S. 4 5 8 - 4 6 3 ; A R : Schleicher, S. 91 f. Einschätzung des Ergebnisses
durch Bennett, a. a. O., S. 270 ff.
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IV. Vollendung und Scheitern
des präsidentiellen
Systems
Schleicher täuscht sich Die Arbeit im Reichstag, der vom 6. bis 9. Dezember tagte und dann bis Mitte Januar 1933 auseinanderging, schien sich verhältnismäßig friedlich und sachlich anzulassen, wie seit den turbulenten Sitzungen im Mai nicht mehr geschehen. 436 Gereke trat neben dem neuen Reichsarbeitsminister Syrup, dem bisherigen Präsidenten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenfürsorge und Reichskommissar für den Freiwilligen Arbeitsdienst, als Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung in das Kabinett ein und zog die führenden Männer der „Querfront" in die neue Dienststelle, Herpel, den Nationalsozialisten Cordemann aus dem Straßer-Kreis, Reichsbannerführer Gebhardt, den ADGB-Funktionär Furtwängler und den Stahlhelmführer Eckstein. 437 Das kam einer politischen Neuorientierung der Reichsregierung nahe. Auch die umstrittenen Verordnungen vom 4. und 5. September, die Schleicher schon in den Vorverhandlungen mit dem ADGB wie mit den Christlichen Gewerkschaften und danach mit Kaas preisgegeben hatte, konnten im Reichstag, auf Antrag des Zentrums wie der NSDAP, widerstandslos fallen. 438 Schleichers euphemistische Erklärung vor den Reichsministern am 7. Dezember, daß die Nationalsozialisten „entschlossen seien, den Weg der Tolerierung zu gehen", 439 beruhte aber kaum auf gesicherten Informationen, war von den Tatsachen jedenfalls schon überholt. „Die Krise wird uns nach oben heben. Straßer liegt falsch", schrieb Goebbels in sein Tagebuch. 440 Straßer stand seit Tagen in enger Verbindung mit Schleicher und verfügte seit dem Abend des 4. Dezember über das Angebot der Vizekanzlerschaft. Daraufhin setzte er sich Hitler gegenüber für die Tolerierung der Regierung ein. Schleicher drohte gleichzeitig der NSDAP mit erneuter Auflösung und Neuwahl des Reichstags, während sich Straßer mit dem Gedanken der Aufstellung einer eigenen Liste befaßt haben soll. 441 Insoweit kann man von einer Idee der Spaltung der Vgl. hierzu und zum Folgenden Hentschel, Letzte Monate, S. 78 ff. Kissenkoetter, Straßer, S. 170. 4,8 AR: Schleicher, S. 2, 23 f.; StenBer Vh RT, Bd. 455, DrS Nr. 14 u. 20, S. 80 ff. Die Anträge wurden den zuständigen Reichstagsausschüssen überwiesen. 439 AR: Schleicher, S. 22. Schleicher hatte Oberstleutnant Ott zu Hitler geschickt, mit dem er am 1. Dezember abends verhandelte, ohne eine eindeutige Tolerierungszusage zu erreichen. Ungeklärt ist, was Ott Schleicher telefonisch berichtete. Vgl. Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 287 f. 440 a. a. O., S. 288. Hierzu Horn, Führerideologie, S. 367 ff. 441 Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 292 f. 4,6
437
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NSDAP sprechen. Doch Hitler und sein Anhang reagierten rasch und erfolgreich. Nach heftigen Aussprachen während einer Führertagung am 5. Dezember sah Straßer keinen anderen Weg, als sogleich mit Hitler in aller Form zu brechen; 442 er zog sich zurück, reiste ab und trat einen Urlaub an. Die Organisationsabteilung übernahm Hitler noch am 9. Dezember selbst „mit Ley als Stabsleiter"; Feder, Funk und Schulz wurden ausgeschaltet. In wenigen Tagen hatte Hitler die Krise überwunden. 443 Der Reichspräsident versuchte unterdessen, das preußische Ministerpräsidentenamt wiederherzustellen, das Schleicher Straßer zugedacht hatte, für das nun aber Göring, der geschickte „Wegbereiter" Hitlers, in Betracht gezogen wurde. 444 Beziehungen und Möglichkeiten des nationalsozialistischen Reichstagspräsidenten begannen sich der Kontrolle Schleichers zu entziehen, der die Initiative Hindenburgs erst zu hintertreiben, dann zu verzögern suchte. 445 Der ehemalige Kronprinz übermittelte Schleicher zwei Berichte über die Straßer-Krise in der NSDAP, die auf eine deutliche Empfehlung hinausliefen, Straßer in die Regierung aufzunehmen, ihn stark herauszustellen und auf diese Weise vor Hitler zu retten. 446 Kronprinz Wilhelm setzte sich offenkundig zugunsten Straßers, nicht Görings ein, der in Doorn seinem Vater hofierte, und sandte Schleicher mit weiteren Berichten „Münchener Vertrauensleute" über interne Vorgänge in der Parteileitung der NSDAP eine sorgfaltig abwägende Analyse des bayerischen Generalmajors a.D. Ritter v. Hörauf mit der Empfehlung, „die Kräfte in
442 Schreiben Straßers an Hitler vom 8. Dezember; Kissenkoetter, Straßer, S. 202 f., der es, unter dem Eindruck widersprechender Zeugenaussagen, als „Entwurf" bezeichnet (S. 172); vgl. Horn, Führerideologie, S. 369 f.; auch Fest, Hitler, S. 493 f. 443 Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 295, 298 ff., 302 ff. 444 a.a.O., S. 303 f., mit einer nicht einwandfrei entzifferten Stelle, deren Sinn aber deutlich ist; bestätigt durch Bericht der Abwehr an den Chef des Ministeramtes, 13. Dezember, „Geh. Kommando-Sache". Einem — dechiffrierten und übersetzten — Drahtbericht zufolge informierte der italienische Botschafter Cerruti Rom über den Inhalt eines Gespräches mit Göring. Schleicher habe der Wahl Görings zum Ministerpräsidenten noch nicht zugestimmt. Göring rechne mit Neuwahlen, aber „unter Anwendung von Gewaltmitteln". BA, Nachl. Schleicher/23. 445 Über Görings Einfluß in Kreisen der Berliner Gesellschaft Tyrell, Wegbereiter. Alvensleben berichtete Schleicher über ein Gespräch mit Göring am 22. Dezember in einem als ganz persönlich bezeichneten Brief, den Schleicher am 27. an Göring weitergab, wohl um ihn zu düpieren. BA, Nachl. Schleicher/23. 446 Vom 13. u. 16. Dezember; a. a. O. Als Gewährsmann wurde im ersten Brief Frick genannt.
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IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
der NSDAP positiv nutzbar zu machen". 447 Die Konzeption, der Schleicher folgte, war nun die Höraufs: „Wenn es möglich wäre, Straßer ... an einen verantwortlichen Regierungsposten zu bringen, wo er zeigen kann, daß er etwas leistet, so wird er ... zwangsläufig die Partei, ob mit oder ohne Hitler, hinter sich bringen." Dieses Urteil hat sich allerdings nicht bewährt. Erst Anfang Januar traf Straßer wieder in Berlin ein und kam es zu einem weiteren Treffen mit Schleicher, der ihn beim Reichspräsidenten einführte und bereits dessen Einverständnis mit seiner Aufnahme in die Reichsregierung erwirkte. 448 Kronprinz Wilhelm sandte dem General am 13. Januar einen weiteren Bericht aus München über die Besprechung Papens mit Hitler im Kölner Hause von Frhr. v. Schröder, der etwas konfuse allgemeine Ratschläge enthielt, so daß die Behauptung, die Persönlichkeit Straßers sei „so stark, daß eine sachliche Übereinstimmung mit ihr und eine Zusammenarbeit wünschenswert erscheint", 449 bei vorsichtiger Prüfung kaum noch Vertrauen erwecken konnte. In der Ministerbesprechung am 16. Januar warb aber Schleicher für diesen Einfall und erklärte „eine breite Basis, vielleicht von Straßer bis zum Zentrum einschließlich" für erreichbar. Er sprach sich auch für die Aufnahme Hugenbergs und eines Zentrumsmannes in das Reichskabinett aus, womit er auf deutliche Skepsis in der Ministerrunde stieß, die sich mit diesen Vorschlägen nicht befreundete. Im Grunde stand der General schon am Ende seiner von wechselnden Einfällen gelenkten kurzen Kanzlerkarriere, hatte er sich mit seiner Voreiligkeit auch eine unentschuldbare Blöße vor dem Reichspräsidenten gegeben. 450 Am 19. Januar zeigte sich Kronprinz Wilhelm wieder mehr vom Stahlhelm beeindruckt und übermittelte kurzhin einen neuen Bericht vom 17., der nun Straßer gar keine Aussichten mehr eröffnete. Hitler werde die Regierung Schleicher entschieden bekämpfen — was er schon
447
K r o n p r i n z Wilhelm an Schleicher, 29. Dezember, mit dem Bericht Höraufs v o m 2 1 .
und einem ungezeichneten Bericht v o m 27. Dezember; a. a. O. Hentschel, Letzte Monate, S. 80 f., 1 5 0 — 1 5 4 , schreibt alle Berichte Hörauf zu, was nicht begründet ist. Hörauf traf selbst mit Schleicher zusammen, war ihm also bekannt. Es gab keinen Grund, die A n o n y mität im Falle Höraufs zu wahren. Die beiden Berichte unterscheiden sich im Stil und in der Begrüßungsformel, wenn auch nicht in der inhaltlichen Tendenz voneinander. W i e Hentschel auch der Bearbeiter der A R : Schleicher, S. 154 ff. 448
Meissner, Staatssekretär, S. 251 f.; in Einzelheiten unzuverlässige Erklärung v o n
Elbrechter bei Kissenkoetter, Straßer, S. 2 0 5 f. 449
Abgedruckt A R : Schleicher, S. 220—224, von dem Editor deutlich überschätzt.
450
a. a. O., S. 230 - 238; s. unten Anm. 457.
Die letzten Wochen
1043
seit Wochen tat; „so kann sie nur auf Bestand rechnen, wenn sie sich auf die SPD, Zentrum und Anhängsel stützt". 451 Der Traum von der Gewinnung eines Teiles der Nationalsozialisten mit Hilfe Gregor Straßers, der sich als kranker Mann entpuppte, 452 war ausgeträumt. Aber es bleibt eine spannende Geschichte, Schleicher auf seinen falschen Fährten zu folgen, die ihn auf die Brüningsche Konstellation zurückführten — freilich unter vollends ungünstigen Voraussetzungen. Am Ende wird sichtbar, daß Schleicher weder über Pläne noch über Konzeptionen verfügte, in der inneren Politik ebensowenig wie in der äußeren, wo er sich nur als gewandter Techniker den Ansichten und Vorhaben anderer Persönlichkeiten, wie Adam, Hammerstein, Schönheinz und Blomberg, anschloß und zur Verfügung stellte. Die Fehleinschätzung Papens und seine Verkennung des Reichskanzleramtes charakterisieren den ganzen Mann, der fast schon verzweifelt nach Helfern suchte und auch hierin versagte. Von der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie wurde noch eine Mine gelegt. Paul Silverberg versuchte seit September, an Hitler heranzukommen, um den Gedanken einer Stärkung des „nichtsozialistischen Flügels" der NSDAP weiter zu verfolgen. 453 Dies schien über Mittelsmänner im November zu gelingen, veranlaßte aber auch Silverberg am Ende nur zur Unterstützung Gregor Straßers, 454 der sich paradoxerweise sowohl von einigen Gewerkschaftsführern als auch von einflußreichen Großindustriellen — aus bei weitem nicht übereinstimmenden Beweggründen — ermutigt sah. Aber weder Silverberg noch die anderen Männer der Ruhrlade zählten zu den wenigen Industriellen, wie Otto Wolff und — mit Vorbehalt — Albert Vogler, die jetzt noch auf Schleicher setzten. Die westdeutsche Schwerindustrie hielt sich schließlich an Papen, vollends nachdem Gregor Straßer überraschend das Feld geräumt und kampflos die in ihn gesetzten Hoffnungen preisgegeben hatte. Im Januar 1933 fiel die Entscheidung über die Zukunft. Schleicher besaß keinen Bewegungsraum und verfügte weder über die Einfalle noch die Zeit, um etwas Wesentliches zu seinen Gunsten zu ändern, nachdem 451
BA, Nachl. Schleicher/23.
452
Auch Kissenkoetter, Straßer, S. 176 f., vermag Straßers Wandlungen nur psycholo-
gisch-krankengeschichtlich zu erklären. Allerdings scheint die Möglichkeit noch nicht ausgeschöpft, nach stärkeren Charakteren in der Umgebung Straßers zu suchen, die ihn wechselnd zu beeinflussen vermochten. 453
Turner, Großunternehmer, S. 360 ff.
454
Paul Silverberg, Reden und Schriften, hrsg. v o n Franz Mariaux, K ö l n
S. L X X X I I ; hierzu Neebe, Großindustrie, S. 142, 1 6 6 - 1 7 0 .
1951,
1044
IV.
Vollendung
und Scheitern
des präsidentiellen
Systems
er Jahre hindurch mit Möglichkeiten, schließlich auch mit sozialistischen und nationalrevolutionären Ideen gespielt hatte. Die Alternative Schleicher oder Hitler galt vielen schon zu lange als gefahrlich, beides als unerwünscht, als daß noch eine eindeutige und entschlossene Entscheidung erwartet werden konnte — weder von den Sozialdemokraten noch vom Zentrum und auch nicht von der Industrie oder der Landwirtschaft. 455 Der General mußte schließlich erleben, daß der Reichspräsident — wie zur Zeit der „großen Koalition" unter dem Sozialdemokraten Hermann Müller — die stets regsamen Vertreter des Reichslandbundes einlud, unter seinem Vorsitz Forderungen und Einwände gegen die Aufhebung des Vollstreckungsschutzes nicht mehr entschuldungsfähiger landwirtschaftlicher Betriebe dem Reichskanzler und den Ministern Frhr. v. Braun und Warmbold vorzutragen, um „eine Annäherung und eine Verständigung ... im Interesse des Vaterlandes" zu vermitteln. 450 Daß man „Politik gewissermaßen nicht im luftleeren Raum treiben" kann und eine „breite Basis" braucht, wußte Schleicher seit langem. Als er dies vor den Reichsministern aussprach, hatte er wohl schon bemerkt, daß er seinen Rückhalt bei Hindenburg verloren hatte. Der vagen Idee einer Sammlung „von Straßer bis zum Zentrum" galt nur ein letzter, wenig aussichtsreicher Versuch. Daß Schleicher noch nach dem Fall Straßers im Reichskabinett über dessen Verwendung als Minister vorfühlte und sich gar zu der Behauptung verstieg, daß Hitler „ernsthaft nicht an die Macht wolle", 457 was er wohl selbst nicht glaubte, läßt sich nur aus dem Bemühen erklären, Projekte vorzutäuschen und im übrigen auf Zeit zu spielen.
Entscheidung für Hitler und das
Ermächtigungsgesetz
Die Gegenspieler hatten die Schwäche erkannt. Keppler und Schacht bemühten sich seit dem Übergang des Kanzleramtes an Schleicher, die Isolierung Hitlers zu überwinden. Sie wandten sich zuerst an Frhr. v. Schröder, den sie gegen die Persönlichkeit des Generals einzunehmen versuchten, was der rheinische Bankier zunächst „ungläubig" aufnahm, aber der von ihm befragte und offenbar eingeweihte Papen „100 %ig" 455
Vgl. Stegmann, Großindustrie, S. 437.
456
A R : Schleicher, S. 2 0 8 - 2 1 4 .
457
Reichsministerbesprechung am 16. Januar 1933; a. a. O., S. 2 3 0 — 242; Auszug Vo-
gelsang, Reichswehr, S. 4 8 6 ff.
Die letzten Wochen
1045
unterstützte. 458 Das Endspiel, das die fast schon abseitige Position Hitlers innerhalb weniger Wochen überwand, ähnelte eher einer Intrige als einer abgewogenen Entscheidung. Doch jeder Regierungsrücktritt und jede Neuernennung eines Kanzlers des letzten Jahres ereignete sich unter stilloseren und unwürdigeren Umständen als der jeweils vorhergehende Wechsel. Die Umwandlung des glücklosen Parlamentssystems von Weimar in ein präsidentielles System schritt fort, aber drängte nun auch den Reichspräsidenten an die Peripherie der Entscheidungen. Schröder, dessen Einfluß nicht unbedeutend war, vermittelte am 4. Januar 1933 ein Gespräch Papens mit Hitler, 459 das eine Aussöhnung zwischen beiden herbeiführte. Hitler hatte das Treffen sogar seiner engeren Gefolgschaft gegenüber streng geheimgehalten. Er befürchtete noch immer Querschüsse und legte auch nach der Resignation Straßers äußerste Vorsicht an den Tag. Obgleich sich ihm seit den starken Belastungen im Herbst nur noch wenige Möglichkeiten eröffneten, verlangte er starrsinnig die Kanzlerschaft, was Papen für unmöglich hielt; aber das Eis zwischen beiden schien gebrochen. Nach einem nationalsozialistischen Wahlsieg in dem kleinsten Ländchen Lippe am 11. Januar, der als Zeichen eines neuen Aufstiegs der NSDAP übertrieben bewertet wurde, räumte eine Serie von Besprechungen und Aktionen in Berlin die an höchster Stelle bestehenden Widerstände gegen eine Regierungsbetrauung Hitlers aus. Am 18. und wieder am 22. Januar trafen Papen und Hitler im Dahlemer Haus des zu den Nationalsozialisten gestoßenen Import- und Exportkaufmanns Joachim v. Ribbentrop zusammen. An den dazwischenliegenden Tagen traf Ribbentrop mehrmals den ehemaligen Reichskanzler. 440 Er war es auch, der für den Abend des 22. Januar 458
Keppler an Hitler, 19. Dezember 1932; abgedruckt Vogelsang, a. a. O., S. 485 f.
459
Eidesstattliche Erklärung des Bankiers Frhr. v. Schröder v o m 21. Juli 1947; M G N ,
Fall 6, Ankl.-Dok.-B. 3, Dok. NI-7990. Vgl. Bracher, Auflösung, S. 691 ff.; Turner, Großunternehmer, S. 379 ff. Otto Dietrich, Mit Hitler an die Macht. Persönliche Erlebnisse mit meinem Führer, 4. Aufl. München 1934, S. 169 ff.; Goebbels, Tagebücher, I, 2, S. 328 (6. Januar). 460
Joachim v. Ribbentrop, Zwischen London und Moskau. Erinnerungen und letzte
Aufzeichnungen, aus dem Nachlaß hrsg. von Annelies v. Ribbentrop, Leoni 1953, S. 38 ff.; auch die Nürnberger Aussage Meissners; IMT, X X X I I , S. 152, Dok. PS-3309. Eine Chronik dieser Besprechungen gibt Carl Vincent Krogmann, Es ging um Deutschlands Zukunft 1 9 3 2 — 1939. Erlebtes täglich diktiert von dem früheren Regierenden Bürgermeister von Hamburg, Leoni 1976, S. 30 f. Goebbels erfuhr nach mehreren Tagen nur das letzte dieser Gespräche von Hitler; 25. Januar: „ A m Sonntag war er mit Papen, Meissner und dem jungen Hindenburg zusammen. Terrain planiert. Der junge Oskar ein seltenes Abbild von Doofheit." Tagebücher, I, 2, S. 349. Ausführlich hierzu Bracher, Auflösung, S. 707 — 714.
1046
IV. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
Oskar v. Hindenburg einlud; außer Papen erschien Hitler mit Göring, Frick und Körner. Doch dies alles erwies sich nur als Geplänkel, das den Reichspräsidenten noch nicht umzustimmen vermochte. Erst die systematische Bearbeitung durch alle in Betracht kommenden Gruppen und die Wiederherstellung der Beziehungen zwischen NSDAP, Hugenberg und Stahlhelm führten zum Ziel. Hierbei taten sich Schacht, Papen, Ribbentrop, zunehmend auch Hugenberg hervor und ventilierte Meissner unter sich wandelnden Voraussetzungen den Gedanken, daß Hindenburg „vielleicht" für eine „Kanzlerschaft Hitler" zu gewinnen sei, sofern er nicht mit einem Präsidialkabinett amtieren wolle, sondern „eine Mehrheit habe, die ihm ein Ermächtigungsgesetz gebe". 461 Hitlers neue Freunde, Papen voran, bearbeiteten die Industrie mit bescheidenem, den Reichslandbund mit vollem Erfolg, den deutschnationalen Parteiführer Hugenberg und einige Generäle, die die Reichswehr aus der politischen Schußlinie heraushaben wollten, um die Aufrüstungspläne in sicherer Deckung zu verwirklichen; dies besaß Vorrang vor einer Unterstützung Schleichers in seinem Kanzleramt. Schließlich mußte der Widerstand Hindenburgs gebrochen werden. Man brauchte ihm aber am Ende nur den schmalen Boden, auf dem Schleicher stand, deutlich vor Augen zu führen, um dem alten Mann das Gefühl zu vermitteln, daß ihm keine andere Wahl mehr bleibe, als das, was Brüning und Schleicher hinterlassen hatten, in die Hände Hitlers zu legen. Diese Entscheidung war wohl von deprimierenden Empfindungen begleitet; aber als ein Trost, der sie ihm erleichterte, erschienen Einstellung und künftige Position des Herrn v. Papen, der nach wie vor Hindenburgs Vertrauen besaß, sowie der Männer, die in der neuen Regierung den Führer der Nationalsozialisten umgaben. Das erschien zunächst weit gewichtiger, als sich später herausstellte. In Schleichers Umgebung wurden Ende 1932 die drei noch denkbaren Wege erörtert: 1. die Auflösung des Reichstags und Aussetzung von Neuwahlen, ein Gedanke, den Papen schon Wochen vorher erwogen hatte; 2. Zwangsvertagung des Reichstags ohne förmliche Auflösung; 3. die Nichtberücksichtigung eines Mißtrauensvotums, das zu gewärtigen war, und erneute Bestätigung der Reichsregierung durch den Reichspräsidenten. 462 Alle drei Wege stellten Verletzungen der Verfassung dar. Nach Lage der Dinge versuchte Schleicher, wie schon im Vorjahr in der Bendlerstraße vorgeschlagen, Neuwahlen um jeden Preis zu vermeiden 461 462
Quaatz, Tagebuch, S. 225. AR: Schleicher, S. 241 ff.
Die letzten Wochen
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und das Parlament für einige Zeit auszuschalten, nachdem alle anderen Versuche fehlgeschlagen waren. Seine Entscheidung fiel zugunsten des ersten Weges: Auflösung des Reichstags ohne Neuwahlen. Dem versagte sich Hindenburg. Am 28. Januar verweigerte er die Zustimmung zu einer Auflösungsordre und löste damit den Rücktritt des Kabinetts aus. 463 In ihrem ausgeprägten Sinn für dramatische Erklärungen sagte sich die Reichstagsfraktion der DNVP von der Regierung los, um sie nun zu bekämpfen. 464 Ohne Rückhalt innerhalb wie außerhalb des Reichstags, erwies sich Schleichers Ankündigung Anfang Dezember, daß er eher als Papen der Regierung eine sichere Basis schaffen könne, als vermessene Behauptung, wenn auch nicht als seine einzige und nicht seine letzte. Das Jahr 1932 ist in der deutschen Geschichte ein Jahr der Abfolge schwerwiegender Täuschungen. Alles, was bekannt ist, verdichtet sich zu Annahmen, die unter den Zeitgenossen schon Graf Schwerin v. Krosigk seinem Tagebuch anvertraute: „daß zu der seit dem August... eingetretenen Trübung des Verhältnisses zwischen Hindenburg und Schleicher beim Reichspräsidenten hinzugekommen war der Groll über die ihm aufgezwungene Lösung von Papen, die ... Enttäuschung über die ... von Schleicher als sehr wahrscheinlich hingestellte... Untermauerung des Kabinetts, der starke Eindruck der Kampfansage der Deutschnationalen und der Landwirtschaft, der Arger über die Angriffe gegen den Sohn ... sowie über die angeblich vom Kabinett nicht stark genug zurückgewiesenen Angriffe des Reichstages und der Presse wegen des ,Osthilfeskandals' und der Erbschaftssteuersache Neudeck — kurz, es waren wohl eine ganze Menge sachlicher und persönlicher Momente zusammengekommen, die den in den letzten Tagen vielleicht sehr einseitig beeinflußten Reichspräsidenten zu seiner Haltung gegen das Kabinett Schleicher bestimmten." 465 Der Widerstand
463
a. a. O., S. 3 1 0 f . , 306 - 309; Meissner, Staatssekretär, S. 255 f.
464
Die Entschließung v o m 21. Januar wurde erst am 24. bzw. am 25. Januar veröf-
fentlicht. AR: Schleicher, S. 282 f. Leicht veränderte Fassung für die Presse UuF, VIII, S. 750 f. Sie wurde v o n Quaatz „entworfen" und Schleicher als „Ultimatum" überbracht, da innerhalb der D N V P die Zustimmung nicht gesichert schien und starke Gegenstimmen nicht fehlten. Erst nachdem drei Tage verstrichen waren, wurde die Presse unterrichtet. Quaatz, Tagebuch, S. 227 f.; Schmidt-Hannover, Umdenken, S. 323 f. 465
A R : Schleicher, S. 3 1 8 f . Vgl. hierzu Bracher, Auflösung, S. 7 1 6 - 7 2 4 ;
Dorpalen,
Hindenburg, S. 4 0 1 — 4 1 4 ; ferner Fest, Hitler, S. 501 ff. Über den Neudeck-Komplex und die von Ludendorff in die Öffentlichkeit gebrachte Erbschaftssteuerprävention zugunsten Oskar v. Hindenburgs Wolfgang Weßling, Hindenburg, Neudeck und die deutsche Wirtschaft. Tatsachen und Zusammenhänge einer „Affare", in: V S W G , 64 (1977), S. 4 1 — 7 3 .
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/K. Vollendung und Scheitern des präsidentiellen
Systems
Hindenburgs gegen eine Betrauung Hitlers mit dem Reichskanzleramt war nicht gänzlich gebrochen. Aber eine Flut von Briefen und Petitionen, die seit Monaten den alten Mann bestürmten, und anhaltende Beeinflussungen durch seine Umgebung und vor allem durch Papen, auch durch den häufiger in Berlin auftauchenden Generalleutnant v. Blomberg trieben ihn auf den Weg einer Lösung der Regierungskrise mit Hilfe Hitlers und Papens. Nach beharrlichem Widerstand schickte er sich schließlich in diese Möglichkeit, von der ihm kein Wort mehr, das an sein Ohr drang, abriet. So vertraute er denn dem ihm unsympathischen Hitler das Kanzleramt an und nahm er die Bildung einer neuen Reichsregierung noch einmal persönlich in die Hand. Den deutschnationalen Parteiführer Hugenberg und den Stahlhelmführer Seldte hatte Papen bereits gewonnen, den der Reichspräsident als Vizekanzler enger an seiner Seite wünschte als den Reichskanzler. 466 Den Reichsministern war von der Vorbereitung einer Regierung Hitler bis dahin nur Widersprüchliches bekanntgeworden. 467 Als sie jedoch erfuhren, daß Papen eine Ernennung Hitlers zum Kanzler betrieben hatte, ließen sich diejenigen, die aufgefordert wurden und die sich schon unter Papen in ihren Amtern befanden, Frhr. v. Neurath, Graf Schwerin v. Krosigk und Frhr. Eitz v. Rübenach, ebenso wie der Landvolkabgeordnete Gereke als Reichskommissar für die Arbeitsbeschaffung dazu bewegen, in die neue Reichsregierung Hitler-Papen-Hugenberg einzutreten. Der Ubergang konnte infolgedessen ohne Schwierigkeiten vonstatten gehen. Es gab keine Unterbrechung der Geschäftsführung der Reichsministerien und keine Regierungskrise. Das Kabinett Schleicher trat zurück, als die Regierung Hitler nahezu perfekt war. Nicht immer sind Regierungen in der Weimarer Republik so schnell gebildet worden. Am Abend des 30. Januar 1933 zogen Zehntausende mit Musik und Fackeln in der Wilhelmstraße vor den Fenstern der Reichskanzlei und des Präsidentenpalais vorbei. Es konnte scheinen, als stünde schon die Mehrheit hinter Hitler, wo doch nur die Gegner keine Regierung mehr zustande brachten. Die Vorstellung der neuen Reichsregierung in tradi466
Dies bezeugt Hermann Pünder, Von Preußen nach Europa. Lebenserinnerungen,
Stuttgart 1968, S. 132 ff., nach einem persönlichen Gespräch mit Hindenburg wahrscheinlich Anfang Februar 1933. Das Büro des Vizekanzlers erfuhr 1933 allerdings eine deutliche Aufwertung, der Vizekanzler auch in der Öffentlichkeit eine große Beachtung — bis 1934; allerdings entzog er sich schon vorher den zahlreichen Petenten und Besuchern, die seine Unterstützung in Anspruch zu nehmen wünschten. Umfangreiche Überlieferung BA, R 53. 467
Wichtiges Zeugnis hierzu Graf Schwerin v. Krosigk; A R : Schleicher, S. 320 — 323.
Die letzten Wochen
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tioneller Form und Umgebung, Hitler und die beiden anderen Nationalsozialisten, Reichsminister und Reichskommissar Göring und Reichsinnenminister Frick, würdevoll in dunklen Anzügen oder im Cutaway, neben den Gestalten der konservativen Kabinettsmitglieder, konnte den Eindruck erwecken, daß die NSDAP den Weg der Restauration eingeschlagen und Umsturzgedanken wie nationalrevolutionäre Parolen aufgegeben hatte. Aber Frage blieb, wie der Rechtsstaat sich behaupten konnte unter der Ägide einer Bewegung, die die Republik und ihre Verfassung — und nicht nur deren Träger — stets angegriffen und häufig verhöhnt, sich erst während der letzten Monate Stilelemente einer äußerlichen Reputation anzueignen versucht hatte. Der Zentrums Vorsitzende Kaas begründete in einem Brief an Schleicher die Ablehnung weitergehender, verfassungsdurchbrechender Notstandspläne der Regierung durch seine Partei mit den bedenkenswerten Worten, „daß von einem echten Staatsnotstand gar nicht geredet werden kann, sondern höchstens von dem Notstand eines Regierungssystems, das durch die Begehung eigener und durch die Duldung oder gar Ermunterung fremder Fehler in die heutige schwierige Lage in steigendem Tempo hineingeglitten ist. Aus diesem Engpaß führt nicht der Verfassungsbruch hinaus, sondern nur die ernsthafte und planvolle Rückkehr zu Methoden, welche die in der Verfassung ruhenden Möglichkeiten zur Herbeiführung tragfahiger Regierungskombinationen zu sinngemäßer Auswirkung bringen." 468 Es gab allerdings niemanden, der eine derartige planvolle Rückkehr bedachte und auf ihr bestand. Wir schließen hier die Betrachtungen einer zermürbenden Krise ab, die an diesem Tage noch nicht zu Ende ging, aber alle Elemente der Zukunft, sei es auf kurze, sei es auf längere Sicht, doch schon enthüllte. Daß zwischen Brüning und Hitler in dem großen deutschen Volk keine Macht und kein Mensch von Bedeutung und Gewicht eine andere Richtung wies oder auch nur versuchte, die scheinbar unaufhaltsame Entwicklung kraftvoll zu hindern, verdient auch am Ende dieses Jahrhunderts als des Nachdenkens wertes Faktum im Gedächtnis behalten zu werden.
468
Kaas an Schleicher, 26. Januar; a. a. O., S. 305.
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Arcbivalien
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Akten des Bayerischen Staatsministeriums des Äußern Berichte der Bayerischen Gesandtschaft in Berlin Institut für Zeitgeschichte München Nachlässe Curt Liebmann, Hans Schäffer Tagebuch und Zeugenschrifttum Lutz Graf Schwerin v. Krosigk Sammlung Henning Graf v. Borcke-Stargordt Akten aus dem Büro des Reichspräsidenten, Photokopien Archiv des Deutschen Städtetages Berlin Akten des ehemaligen Deutschen Städtetages A 7, 295, 313 Akten des ehemaligen Deutschen Landgemeindetages B 880 Archiv der sozialen Demokratie Bonn Nachlaß Carl Severing Akten des Parteivorstandes der SPD 1931/32 Amerikanischer Militärgerichtshof Nürnberg SfZT Akten zum Fall 5 („Flick-Prozeß"), vervielfältigt Akten zum Fall 6 („IG-Farben-Prozeß"), vervielfältigt Akten zum Fall 12 („OKW-Prozeß"), vervielfältigt Ministère des Affaires Etrangères Paris Sous-Direction de la Société des Nations I-R-Réparations/Carton 1026 u. 1027, Dossier I. In Privathand Erinnerungen Dietrich Mende
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D. Thematische
Dokumentensammlungen
Borchmeyer (Hrsg.), Hugenbergs Ringen in deutschen Schicksalsstunden. Tatsachen und Entscheidungen in den Verfahren zu Detmold und Düsseldorf 1949/50,2 Teile, Detmold [1951] Borcke-Stargordt, Graf Henning v., Der ostdeutsche Landbau zwischen Fortschritt, Krise und Politik. Ein Beitrag zur Agrar- und Zeitgeschichte (Ostdeutsche Beiträge aus dem Göttinger Arbeitskreis, III), Würzburg 1957 Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg, 14. 11. 1 9 4 5 - l J O . 1946, Bde. XIII, XXXII, XXXVI, Nürnberg 1948/49 Die Entstehung des Young-Plans, dargestellt vom Reichsarchiv 1931 — 1933, hrsg. von Martin Vogt (Schriften des Bundesarchivs, 15), Boppard 1970 Die Generallinie. Rundschreiben des Zentralkomitees der KPD an die Bezirke 1929 — 1933, eingeleitet und bearb. von Hermann Weber unter Mitwirkung von Johann Wachtier (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Dritte Reihe, Bd. 6), Düsseldorf 1981 Domarus, Max, Hitler. Reden und Proklamationen 1932—1945, kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen, 2 Bde., Würzburg 1962/63 Hitlers Zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahre 1928, eingeleitet u. kommentiert von Gerhard L. Weinberg, mit einem Geleitwort von Hans Rothfels (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 7), Stuttgart 1961 Hohlfeld, Johannes (Hrsg.), Dokumente der deutschen Politik und Geschichte von 1848 bis zur Gegenwart. Ein Quellenwerk für die politische Bildung und staatsbürgerliche Erziehung, Bd. 3: Die Weimarer Republik 1919-1933, Berlin/München 1951 Huber, Ernst Rudolf (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 3: Dokumente der Novemberrevolution und der Weimarer Republik 1918 — 1933, Stuttgart 1966 Maser, Werner, Hitlers Briefe und Notizen. Sein Weltbild in handschriftlichen Dokumenten, Düsseldorf/Wien 1973
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Bibliographie
Schwendemann, Karl, Abrüstung und Sicherheit. Handbuch der Sicherheitsfrage, mit einer Sammlung der wichtigsten Dokumente, Leipzig [1932] Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart. Eine Urkunden- und Dokumentensammlung zur Zeitgeschichte, hrsg. u. bearb. von Herbert Michaelis und Ernst Schraepler, Bde. VII u. VIII, Berlin o.J.
E.
Gesetzblätter
Ministerialblatt der gesamten inneren Verwaltung 1930 Preußische Gesetzsammlung 1931 — 1933 Reichsgesetzblatt 1924; 1930-1933
F. Statistische Periodika und Handbücher Bry, Gerhard, Wages in Germany 1871—1945 (National Bureau of Economic Research, General Series, 68), Princeton, N. J. 1960 Das amtliche Ergebnis der beiden Wahlgänge zur Reichspräsidentenwahl am 13. März u. 10. April 1932, in: Statistik des Deutschen Reiches, N. F., 427 (1932) Das deutsche Führerlexikon 1934/35, Berlin 1934 Die Wahlen zum Reichstag am 14. September 1930 (Fünfte Wahlperiode), in: Statistik des Deutschen Reiches, N. F., 382 (1932) Die Wahlen zum Reichstag am 31. Juli und 6. November 1932 und am 5. März 1933, in: Statistik des Deutschen Reiches, N. F., 434 (1935) Erster bis Fünfter Bericht der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, 1928 ff., Sonderdrucke aus dem Reichsarbeitsblatt, Berlin 1928 — 1934 Konjunkturstatistisches Handbuch 1933, hrsg. vom Institut für Konjunkturforschung, Berlin 1933 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1930 — 1933, hrsg. vom Statistischen Reichsamt Statistisches Reichsamt (Hrsg.), Die deutsche Zahlungsbilanz nach Ländern (Sonderheft Wirtschaft und Statistik, 11), Berlin 1934 lVagemann, Ernst (Hrsg.), Die Bedeutung des Außenmarktes für die deutsche Industriewirtschaft (Sonderhefte des Instituts für Konjunkturforschung, Nr. 41)
G. Andere Periodika und
Geschichtskalender
Egelhaafs Historisch-politische Jahresübersicht 1930 — 1932 Horkenhach, Cuno (Hrsg.), Das Deutsche Reich von 1918 bis heute, Jgg. 1930-1933 Jahrbuch der Deutschen Sozialdemokratie für die Jahre 1930 u. 1931
1056
Bibliographie
Schulthess' Europäischer Geschichtskalender für die Jahre 1930—1932 Wippermann, Deutscher Geschichtskalender 1930—1932, Inland Wolffs Telegraphisches Büro, 81.-83. J g .
H. Zeitungen Von zahlreichen deutschen, englischen und amerikanischen Tages- und Wochenzeitungen wurden einzelne Ausgaben benutzt.
I. Memoranden und
Programme
Anschüt\, Gerhard¡Jellinek, Walter, Reichskredite und Diktatur. Zwei Rechtsgutachten, Tübingen 1932 Beiträge zu einem Agrarprogramm (Veröffentlichungen des RDI, 52), Berlin 1930 Bericht des Generalagenten für Reparationszahlungen, 21. Mai 1930: Die Reparationsleistungen im 5. Planungsjahr (deutsche amtliche Ausgabe), Berlin [1930] Best, Werner, „...wird erschossen". Die Wahrheit über das Boxheimer Dokument, Mainz [1932] Blunk, Paul, Ostpreußenhilfe und Umschuldung. Denkschrift des Landeshauptmanns der Provinz Ostpreußen, Königsberg 1931 Brüning, Heinrich: Reden und Aufsätze eines deutschen Staatsmanns, hrsg. von Wilhelm Vernekohl unter Mitwirkung von Rudolf Morsey, Münster 1968 —: Zwei Jahre am Steuer des Reiches. Reden aus Brünings Kanzlerzeit, hrsg. von Josef Hof mann, Köln 1932 Buchner, Hans, Die goldene Internationale. Vom Finanzkapital, seinem System und seinen Trägern (Nationalsozialistische Bibliothek, 3), München 1928 — .Warenhauspolitik und Nationalsozialismus (Nationalsozialistische Bibliothek, 13), з. Aufl. München 1931 Das Basler Gutachten über die deutsche Wirtschaftskrise. Der Layton-Bericht. Bericht des auf Empfehlung der Londoner Konferenz von 1931 ernannten SachverständigenAusschusses bei der BIZ, Frankfurt a.M. 1931 Dräger, Heinrich, Arbeitsbeschaffung durch produktive Kreditschöpfung. Beitrag zur Frage der Wirtschaftsbelebung durch das sogenannte „Federgeld" (Nationalsozialistische Bibliothek, H. 41), 2. Aufl. München 1932, 3. Aufl. 1934 —, Arbeitsbeschaffung durch produktive Kreditschöpfung. Neudr. mit Stellungnahmen и. a. von Heinrich Brüning u. mit einem Geleitwort von Ernst Wagemann, hrsg. in Zusammenarbeit mit der Studiengesellschaft für Geld- und Kreditwirtschaft, 4. Aufl. Düsseldorf 1956 —, Das nationalsozialistische Arbeitsbeschaffungsprogramm und seine Finanzierung, in: Die Deutsche Volkswirtschaft. Zeitschrift für nationalsozialistische Wirtschaftsgestaltung, Sonderheft 1932, S. 8 - 2 1
Bibliographie
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1058
Bibliographie J. Memoiren und andere persönliche
Zeugnisse
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Bibliographie
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1060
Bibliographie
Ribbentrop, Joachim v., Zwischen London und Moskau. Erinnerungen und letzte Aufzeichnungen, aus dem Nachlaß hrsg. von Annelies v. Ribbentrop, Leoni 1953 Röhm, Ernst, Die Memoiren des Stabschefs Röhm, Saarbrücken 1934 Schacht, Hjalmar, 76 Jahre meines Lebens, 3. Aufl. Bad Wörishofen 1953 Scheringer, Richard, Das große Los. Unter Soldaten, Bauern und Rebellen, Hamburg 1959 Schlange-Schöningen, Hans, Am Tage danach, Hamburg 1946 Schleicher, Kurt v.: Craig, Gordon A., Briefe Schleichers an Groener, in: Die Welt als Geschichte, 11 (1951), S. 122-133 Schmidt, Paul, Statist auf diplomatischer Bühne 1923 — 1945. Erlebnisse des Chefdolmetschers im Auswärtigen Amt mit den Staatsmännern Europas, Bonn 1949 Schmidt-Hannover, Otto, Umdenken oder Anarchie. Männer, Schicksale, Lehren, Göttingen 1959 Schwerin v. Krosigk, Lutz Graf, Memoiren, Stuttgart 1977 — , Persönliche Erinnerungen, II. Teil: 25 Jahre Berlin, 1920—1945, vervielfältigtes Manuskript o.J. Severing, Carl, Mein Lebensweg, Bd. 2: Im Auf und Ab der Republik, Köln 1950 Simon, John, Retrospect. The Memoirs of the Rt. Hon. Viscount Simon, London 1952 Speer, Albert, Erinnerungen, Frankfurt a.M./Berlin 1969 Stampfer, Friedrich, Erfahrungen und Erkenntnisse. Aufzeichnungen aus meinem Leben, Köln 1957 Staudinger, Hans, Wirtschaftspolitik im Weimarer Staat. Lebenserinnerungen eines politischen Beamten im Reich und in Preußen 1889 — 1934, hrsg. u. eingeleitet von Hagen Schulze (Archiv für Sozialgeschichte, Beiheft 10), Bonn 1982 Stimson, Henry L . ¡ B u n d y , McGeorge, On Active Service in Peace and War, New York 1947 Straßer, Otto, Mein Kampf (Streit-Zeit-Bücher, 3), Frankfurt a.M. 1969 —, Ministersessel oder Revolution. Eine wahrheitsgemäße Darstellung meiner Trennung von der NSDAP, Berlin [1930] Stresemann, Gustav, Vermächtnis. Der Nachlaß in drei Bänden, hrsg. von Henry Bernhard unter Mitarbeit von Wolfgang Goetz und Paul Wiegler, Berlin 1932/33 Treviranus, Gottfried Reinhold, Das Ende von Weimar. Heinrich Brüning und seine Zeit, Düsseldorf/Wien 1968 Wagener, Otto, Hitler aus nächster Nähe. Aufzeichnungen eines Vertrauten 1929 — 1932, hrsg. von H. A.Turner, Jr., Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1978 Weygand, Maxime, Mémoires, Bd. II: Mirages et réalité, Paris 1957 Woytinski, Wladimir S., Stormy Passage. A Personal History Through Two Russian Révolutions to Democracy and Freedom, 1905 — 1960, New York 1961 Wurm, Theophil, Erinnerungen aus meinem Leben. Ein Beitrag zur neuesten Kirchengeschichte, Stuttgart 1953
K. Monographien, Sammelbände und Aufsätze
(Auswahl)
Abelshauser, Werner, Die Weimarer Republik — ein Wohlfahrtsstaat? in: ders., Wohlfahrtsstaat, S. 9 - 3 1 — (Hrsg.), Die Weimarer Republik als Wohlfahrtsstaat. Zum Verhältnis von Wirtschaftsund Sozialpolitik in der Industriegesellschaft (VSWG, Beiheft 81), Stuttgart 1987
Bibliographie
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Abraham, David, The Collapse of the Weimar Republic. Political Economy and Crisis, Princeton, N. J. 1981 Adam, Uwe Dietrich, Judenpolitik im Dritten Reich (Tübinger Schriften zur Sozial- und Zeitgeschichte, 1), Düsseldorf 1972 Adenauer, Konrad, Konrad Adenauer als Präsident des Preußischen Staatsrats, in: Stehkämper, Adenauer, S. 355—404 Adolph, Hans J. L., Otto Wels und die Politik der deutschen Sozialdemokratie 1894—1939. Eine politische Biographie (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 33), Berlin 1971 Aldcroft, Derek H., Die zwanziger Jahre. Von Versailles zur Wall Street 1919 — 1929 (Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert, 3), München 1978 Andic, Suphan/ Veverka, Jindrich, The Growth of Government Expenditure in Germany since Unification, in: Finanzarchiv, N. E, 23 (1963/64), S. 1 6 9 - 2 7 8 AnschütGerhard, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, zuletzt 14. Aufl. Berlin 1933 Artaud, Denise, Les dettes de guerre de la France 1919 — 1929, in: Maurice Lévy-Leboyer (Hrsg.), La position internationale de la France. Aspects économiques et financiers X I X C - X X C siècles, Paris 1977, S. 3 1 3 - 3 1 8 Bach, Jürgen A., Franz von Papen in der Weimarer Republik. Aktivitäten in Politik und Presse 1918-1932, Düsseldorf 1977 Bahne, Siegfried, Die Kommunistische Partei Deutschlands, in: Matthias, Ende, S. 653—739 Barkai, Avraham, Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus. Der historische und ideologische Hintergrund 1933 — 1936 (Bibliothek Wissenschaft und Politik, 18), Köln 1977 Bassett, Reginald, Nineteen Thirty-One. Political Crisis, London 1958 Bay, Jürgen, Der Preußenkonflikt 1932/33. Ein Kapitel aus der Verfassungsgeschichte der Weimarer Republik, jur. Diss. Erlangen-Nürnberg 1965 Becker, Josef, Brüning, Prälat Kaas und das Problem einer Regierungsbeteiligung der NSDAP 1930-1932, in: HZ, 196 (1963), S. 7 4 - 1 1 1 —, Geschichtsschreibung im politischen Optativ? Zum Problem der Alternativen im Prozeß der Auflösung einer Republik wider Willen, in: APZ, B 50/80, S. 2 7 - 3 6 —, Heinrich Brüning und das Scheitern der konservativen Alternative in der Weimarer Republik, in: APZ, B 22/80, S. 3 - 1 7 — , Probleme der Außenpolitik Brünings, in: ders., Internationale Beziehungen, S. 265—286 —, /Hildebrand, Klaus (Hrsg.), Internationale Beziehungen in der Weltwirtschaftskrise 1929 — 1933. Referate und Diskussionsbeiträge eines Augsburger Symposions, 29. März bis 1. April 1979 (Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg, 18), München 1980 Beer, Siegfried, Der „unmoralische" Anschluß. Britische Österreichpolitik zwischen Containment und Appeasement 1931 — 1934 (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs, 75), Wien/Köln/Graz 1988 Bendersky, Joseph W., Carl Schmitt, Theorist for the Reich, Princeton, N. J. 1983 Bennecke, Heinrich, Hitler und die SA, München/Wien 1962 Bennett, Edward W., German Rearmament and the West, 1932—1933, Princeton, N . J . 1979 — , Germany and the Diplomacy of the Financial Crisis, 1931, Cambridge, Mass. 1962 Benoist-Méchin, Jacques, Histoire de l'armée allemande depuis l'armistice, Bd. II: De la Reichswehr à l'armée nationale, Paris 1938; Neuaufl. Bd. III: L'Essor (1925 — 1937), Paris 1964
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Personenregister Der häufig vorkommende Name Brüning wird nicht aufgeführt. Ahegg, Waldemar 895 Ahegg, Wilhelm 84, 285 f., 295, 550, 588, 593, 606 f., 609, 765, 885, 925, 928 f., 951 Adam, Wilhelm 660, 663 f., 915, 1043 Adelung, Bernhard 932 Adenauer, Konrad 221, 771, 882, 886 Aereboe, Friedrich 33, 63, 581 Alphand, Hervé 905 Altrichter, Kapitän z. S. a. D. 472 Alvensleben, Werner von 946, 949, 1041 Amelunxen, Rudolf 952 Amiinger, Hans 62 Amulree, William Wartender Mackenzie Baron 413 Anschütz, Gerhard 18, 260, 376, 786 f., 789, 792 f., 1000 Aretin, Erwein Frhr. von 176, 482, 735 Arnim, Achim von 777 Arons, Hans 222, 700 Articus, Gustav 788, 792 Aufhäuser, Siegfried 169, 624 August Wilhelm Prinz von Preußen 557, 764 Avenarius, Ferdinand 146, 148 Baade, Fritz 624, 641, 805 Bachem, Heinrich 619, 738 Badt, Hermann 705, 951, 1000 Baecker, Paul 851 Bäumer, Gertrud 54 Baldwin, Stanley 413 Bang, Paul 46, 51, 466 Barker, Ernest 259 Bartels, Adolf 148 f. Batocki-Bledau (B.-Friebe), Adolf Tortilowicz von 64, 726 Bauer, Otto 349
Baum, Erwin 140, 143 ff., 157, 496 Baumhof, Josef 838 Baurichter, Kurt 604 Bayrhoffer, Walther 786 f. Bazille, Wilhelm 46 f., 51 Beck, Max Waldimir Frhr. von 386 Becker, Carl Heinrich 580 Beckmann, Engelbert 1019 Behrens, Franz 726 Beindorff, Fritz 1019 Bell, Johannes 282, 378 Below, Otto von 495, 705 Beneduce, Alberto 651, 674, 677 f., 684, 696 f. Benesch, Eduard 301, 310, 655 Berenger, Henry 683 Berg, Friedrich von 712, 722, 768 Berger, Fritz 322, 325 f., 336, 419, 672 Bergery, Gaston 669 Bernhard, Georg 391 ff. Bernstorff, Johann Heinrich Graf von 197, 291 f., 417, 679, 913 Berthelot, Philippe 309, 314, 332, 454, 578, 699 Bertram, Adolf 724 Best, Werner 605, 607, 609, 945 Bethge, Albert 459 Bienerth-Schmerling, Richard Graf von 386 Bilfinger, Karl 260, 996, 1000 Bindschedler, Rudolf G. 464, 674 Bismarck, Herbert von 963 Bismarck, Otto Fürst von 243, 310, 582, 586, 711, 835, 843 Blank, Herbert 127 Blank, Martin 28 f., 43, 45, 90, 92, 101, 107, 115, 119f., 135f., 173, 186, 345,
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Personenregister
365 f., 397, 471, 522, 524, 537, 557 f., 563, 614, 625 f., 807, 818, 824 Blohm, Rudolf 91, 558 Blomberg, Werner von 59, 660, 829, 838, 903 f., 910, 915, 1043, 1048 Blunk, Andreas 63, 65 Bock, Fedor von 473 Bockius, Fritz 945 Boden, Friedrich 362 Bötzkes, Wilhelm 74, 79 Bolz, Eugen 162, 188, 364, 491, 932, 934, 958, 993 Bonin, Erich von 59 Borck, Eldor 918 Borinski, Fritz 348 Bormann, Martin 777 Borsig, Conrad von 135 Borsig, Ernst von 91, 201, 221, 468, 618, 988 Bosch, Carl 379 Bosch, Robert 620, 726 Bracht, Franz 103, 345, 405, 550 ff., 928 f., 937, 951, 958 f., 961, 987, 1004, 1008, 1014 f., 1028, 1037 Brammer, Karl 948 Brand, Robert Henry Baron 444 Brandes(-Zaupern), Ernst 27, 29, 63, 209, 618, 623, 927 Brauer, Max 1031 Braun, Magnus Frhr. von 76 f., 865, 912, 914, 925, 927, 961, 1029, 1044 Braun, Otto 34, 40, 48, 55 f., 60, 73, 82, 98,102,109,111 ff., 163-167,170,174, 189 f., 202, 207 f., 214, 216,231 f., 234 f., 279,281, 317,345, 348, 355 ff., 362, 397, 409 f., 431 f., 435 f., 438 - 441, 443, 446, 476, 535f., 540, 5 7 6 - 5 8 7 , 591 f., 594, 596, 598 f., 635, 650, 677, 711, 726, 743 - 747, 755, 757, 766, 769, 771, 773 ff., 795 f., 818, 882 f., 885, 889 f., 893, 918, 920, 931, 1002, 1031 Brauns, Heinrich 7 f., 201, 328, 511 Brauweiler, Roland 92, 176, 201, 222, 625 Brecht, Arnold 56, 189-192, 429 - 432, 435 ff., 476, 478/581, 583 f., 599, 705, 745, 748, 796, 1000 Bredow, Ferdinand von 841, 946, 949 f., 953, 977, 998, 1029, 1031, 1037
Bredow, Hans 889 Bredt, Johann Victor 102, 156, 203, 374, 552, 730, 818 Breitscheid, Rudolf 9, 19, 29 f., 197, 231 f., 318, 330, 344, 348, 350, 356, 465, 552, 561,603, 606, 624, 700 f., 746, 756,1030 Brey, August 442 Briand, Aristide 194, 288, 295, 299, 302, 304 ff., 309, 311-315, 321, 334, 336 f., 422, 450 f., 454, 460 f., 501 f., 576 ff., 647, 656, 667, 692 f., 699, 704, 828 Brincard, Georges de 454 Brückner, Wilhelm 445 Brünneck-Bellschwitz, Manfred Graf von 838 Buch, Walter 173, 777 f. Buchrucker, Ernst 127, 777 Bücher, Hermann 468, 548 f., 833, 907 Bühler, Ottmar 266 ff. Bülow, Bernhard Wilhelm von 94, 110, 118, 133, 139, 193f., 227f., 289, 291, 298f., 304, 306ff., 311-314, 323, 332, 335 f., 368, 383, 389, 416 f., 419, 422 f., 449 ff., 474, 500 ff., 553, 649, 651, 655 f., 658, 660, 663, 6 6 6 - 6 7 0 , 685, 6 8 7 - 6 9 9 , 702f., 707, 714f., 718f., 829f., 832f., 837f., 841, 9 0 1 - 9 0 4 , 906 - 910, 915, 948, 1038 f. Bülow, Bernhard Fürst von 242 Bünger, Wilhelm 610 Bumke, Erwin 161, 272, 278 Bussche-Ippenburg, Erich Frhr. von dem 59, 477 Caillaux, Joseph 653 f. Carl Eduard Herzog von Coburg s. Sachsen-Coburg-Gotha Caro, Nikodem 26 f. Caspari, Hans 73 Cassel, Gustav 416, 420, 512 Castle, William 452, 456 f. Cerniti, Vittorio 1041 Chamberlain, Sir Austen 413 Chamberlain, Houston Stewart 4, 147 Chapiro, Joseph 196 Chintschuk, Lew Michailowitsch 331 Church, Archibald 297, 337 f., 444 Churchill, Winston 829
Personenregister Claß, Heinrich 466, 571 Claudel, Paul 656-659, 666 f., 680 f., 712 f. Clodius, Carl August 387 Cohen-Reuß, Max 733 Colijn, Hendrikus 674 Colm, Gerhard 514 f. Cordemann, Hermann 977, 1023, 1037, 1040 Coulondre, Robert 309, 313 Cuno, Wilhelm 176-179, 550, 613, 618, 648, 671, 705, 734 Curtius, Julius 70, 95, 101 f., 110f., 193-197, 235, 251, 288, 294, 303 - 317, 326, 331-337, 340, 345, 356 f., 367 f., 381 ff., 387 ff., 396 f., 405 ff., 415, 417 ff., 425, 451, 455 f., 458, 46t, 466, 474, 494, 500 ff., 537, 548, 553 f., 659, 822, 869 Daitz, Werner 944 Dard, Emile 712 Darré, Richard Walther 497, 563, 950 David, Eduard 196, 1009 Davis, Norman 829, 831-836, 1038f. Dawes, Charles Gates 680 Decker, Georg [d. i. Georg Denicke] 205 Dernburg, Bernhard 506, 509 Dessauer, Friedrich 632, 968 f. Deterding, Sir Henri 732 Detten, Georg von 132 Deutsch, Georg F. 907 Dewitz, Johann Georg von 213, 533 ff. Deybeck, Karl Ritter von 348 Dieckhoff, Hans Heinrich 691, 715, 718 Diederichs, Eugen 348 Diels, Rudolf, 928 f. Dietrich, Hermann 53 f., 62, 70, 72, 102-107, 120, 134, 166, 188, 195, 197ff., 209, 220, 228, 235, 264, 317f., 322 f., 328, 333, 345 f., 359 f., 367 f., 373, 382, 397, 400, 405 f., 418 f., 439, 461, 487, 489, 507, 509, 519, 526, 535, 538 f., 546 f., 553, 581-584, 587 f., 590 f., 598, 600, 615, 622, 685 f., 697, 731, 739, 749, 751 ff., 770, 793, 805, 808, 813, 860, 897ff., 995 Dietrich, Hermann, Rittergutsbesitzer 64 Dietrich, Otto 497
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Dingeldey, Eduard 344-348, 364, 366, 397, 405 f., 409, 465, 479, 501, 604, 629, 730, 758, 765, 780, 995, 1012, 1016, 1021, 1026 Dinter, Artur 147 f., 149 Dirksen, Herbert von 332 f., 336, 370, 663 f. Dirksen, Viktoria von 179 Djuritch, G. 674 Döbrich, Friedrich 217 Doehle, Heinrich 706 f., 1012 Dönicke, Walther 126 Dohna-Schlobitten, Alexander Georg Burggraf und Graf zu 377 Dollfuß, Engelbert 305 Donnersmarck, Guidotto Graf von Henkkel Fürst von 177, 550, 556 f., 570, 735 Donovan, William J . 671 Dorn, Herbert 18, 232, 319, 323, 325, 374 ff. Dorpmüller, Julius 542, 550, 614, 618 Dorsch, Xaver 132 Doumer, Paul 834 Draeger, Hans 196 Dräger, Heinrich 644, 797, 943 f. Drewitz, Hermann 203, 348, 562 Dreyse, Friedrich Wilhelm 117, 228, 296 f., 400, 489, 518, 527, 621, 631, 646, 747 Drück, Karl 750 Duesterberg, Theodor 110f., 113,176, 344, 459, 555, 557, 563, 707, 730, 732, 756, 758, 766, 853 Dufour-Feronce, Albert 703 Duisberg, Carl 23, 25, 28, 524, 530, 725 f., 732 f. Ebermayer, Ludwig 242 Ebert, Friedrich 8, 23, 493, 705 Eckart, Dietrich 147 Eckener, Hugo 705 Eckstein, Ernst 353 Eckstein, H. 1040 Edge, Walter E. 423, 452, 457, 685 Eggerstedt, Otto 896 Eggert, Wilhelm 365, 383, 521, 618, 740, 742, 954, 1029 f. Eichborn, Kurt von 1019 Einstein, Albert 324
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Personenregister
Eisenhart-Rothe, Georg von 55 Eitel Friedrich Prinz von Preußen 557, 764 Elbrechter, Hellmuth 978, 1042 Eliat, Vertreter der Disconto-Gesellschaft in Paris 653 Eltz-Rübenach, Peter Paul Frhr. und Edler Herr von und zu 865, 972, 1024, 1048 Enckevort, Gerhard von 727 Ender, Otto 304, 387 Engel, Johannes 564 Engels, Friedrich 640 Epp, Franz Ritter von 172 Erbe, Oberregierungsrat 603 f., 758, 765, 780 Erdmann, Gerhard 119 Erkelenz, Anton 54, 84, 134, 199 Emst, Friedrich 368, 509, 526, 951 Erzberger, Matthias 2 f., 5 ff. Escherich, Georg 177, 274, 479 f., 726 Eschmann, Ernst Wilhelm 348 Eßer, Hermann 161, 168, 289, 974, 1005, 1013 Eulenburg-Prassen, Fritz Graf zu 64 Eulenburg-Prassen, Mortimer Botho Wend Graf zu 116 Eulenburg-Wicken, Siegfried Graf zu 59, 64 Fabricius, Hans 132, 1012 Falk, Bernhard 134, 587 f., 590 Faulhaber, Michael von 724 Fecht, Hermann 825, 887 Fechter, Paul 497 Feder, Gottfried 83, 497, 558, 736, 944, 988 f., 1041 Fehrenbach, Konstantin 6 Feßler, Arthur 794 Feßler, Othmar 30, 32, 66 f., 217, 220 ff., 331, 333, 344, 443, 451, 749 f., 801, 807, 991 f. Finck, August von 732 Fischer(-Baling), Eugen 196 Fischer, Otto Christian 559 Flandin, Pierre Etienne 304 f., 450, 455, 459, 461, 647, 657, 665, 683, 703 Flemming-Paatzig, Hasso Richard von 27, 209 f., 506, 527, 817 Flick, Friedrich 731, 896 - 901, 983
Föhr, Ernst Gottlieb 162, 778 Förster, Richard 196 Förster-Nietzsche, Elisabeth 146 Fonk, Wilhelm 739 Forster, Dirk 578 Fraenkel, Ernst 771 Franjois-Poncet, André 500 f., 5 7 5 - 5 7 9 , 634, 648, 656 ff., 666, 668, 679 f., 682, 685, 691 f., 697 ff., 714, 829, 906, 914 f. Francqui, Emile 674 Frank, Felix 306 Frankenbach, Friedrich Wilhelm 41, 63, 213 Franzen, Anton 154, 495 f. Frauendienst, Werner 196 Freund, Richard 5 7 6 - 5 7 9 Freyberg, Albrecht Frhr. von 678, 829 Freytag-Loringhoven, Axel Frhr. von 570, 839 Frick, Wilhelm 132, 1 4 0 - 1 5 1 , 155, 158, 161, 172, 179 f., 494, 496, 554, 706, 709 f., 778, 881, 950,964,969,976,1041, 1046, 1049 Fried, Ferdinand [d.i. Ferdinand Friedrich Zimmermann] 348 Friedberg, Heinrich von 682 Friedlaender-Prechtl, Robert 944 Frohwein, Hans 649, 660 ff., 665, 693 Frowein, Abraham 506, 524 f., 907, 988 Funk, Walther 497 f., 731, 988, 1035, 1041 Furtwängler, Franz Josef 194, 700, 1040 Garnier-Turawa, Eberhard Carl Conrad Graf von 60 Gaus, Friedrich 684, 702 Gautsch von Frankenthurn, Paul Frhr. 386 Gayl, Wilhelm Frhr. von 64, 846 - 850, 853, 865, 884, 887, 8 8 9 - 8 9 7 , 900, 911, 918ff., 922, 9 2 4 - 9 3 6 , 949, 952ff., 958 f., 961, 963, 973, 997, 1003, 1007, 1011, 1015, 1025, 1028 f. Gebhardt, Albert 978, 1040 Gereke, Günther 217, 344 f., 348, 725 f., 780, 944, 977, 1015, 1020, 1023, 1030, 1033, 1037, 1040, 1048 Gerlach, Helmuth von 62, 890 Germain, André 669 Germain-Martin, Louis 905
Personenregister Geßler, Otto 7 f., 177, 199, 479, 481, 494, 5 4 8 - 5 5 2 , 1006, 1027, 1037 Gestrich, Hans 646, 989 ff. Gibson, Hugh 829, 836 f., 904, 909, 916 Gierke, Otto von 259 f., 268 Giese, Friedrich 1000 Gilbert, Seymour Parker 105 f., 226, 296, 456, 458, 675 Gilsa, Erich von 54, 81, 85 f., 89, 114, 177, 456, 467, 471, 558 f., 629, 650, 731 Gilsing, Anton 795 Gleich, Gerold von 160, 503, 725 Gleichen, Heinrich Frhr. von [d. i. Raimund August Heinrich Frhr. von Gleichen-Russwurm] 5, 175 f., 481, 555 Goebbels, Joseph 126 ff., 135, 154, 161, 172ff., 178 ff., 182, 203, 276, 278 f., 444, 494, 564, 566, 707, 757, 766, 781, 799, 822 f., 886, 890, 892, 943, 945, 949 f., 965, 968, 976, 983, 1004, 1016, 1030, 1040, 1045 Goerdeler, Carl 126, 266, 632 f., 635, 725, 743, 797, 811 ff., 818, 820 f., 854, 856 f., 861 f., 865 f., 884, 957, 1006, 1027, 1037 Goldschmidt, Jakob 379, 396, 443 Goltz, Rüdiger Graf von der, Generalmajor a.D. (später Generalleutnant a. D.) 64, 178, 459, 557, 570, 917, 999 Goltz, Rüdiger Gustav Adolf Graf von der 154, 178 Göring, Hermann 178 ff., 408 f., 444, 466, 494, 498, 559, 561, 570 f., 608, 629, 708, 710, 728, 731 f., 820, 822, 888 f., 946, 949 f., 974 ff., 993, 997, 999, 1016, 1022 ff., 1041, 1046, 1049 Gotting, Kapitän zur See 1037 Goslar, Hans 39 Gottheiner, Georg 928 Graef, Walther 974 Grandi, Dino 312, 666, 1039 Granzow, Walter 965 Graß, Fritz 55, 885 Giaßmann, Peter 222, 365, 618, 624 f., 630, 701, 954 Grauert, Ludwig 498, 558, 1032, 1036 Grimm, Friedrich 173 Grimme, Adolf 893
1091
Groener, Wilhelm 9, 5 8 - 6 1 , 86, 107, 1 5 7 - 1 6 0 , 1 7 7 f., 277,279,340,396,472, 476 f., 503, 543, 551 ff., 590, 6 0 0 - 604, 608, 610 f., 630, 650, 688, 695, 706, 710, 723 ff., 727 f., 730, 7 5 4 - 7 7 0 , 779 ff., 820f., 823, 827 - 830, 840f., 851, 854, 867, 906, 947 Groenesteyn, Otto Frhr. von Ritter zu 275 Gropius, Walter 145 Groß, Robert 618 Grotkopp, Wilhelm 644 Grünhut, Karl 386 Grund, Bernhard 618 Grzesinski, Albert 58, 114, 142, 344, 433, 775, 886, 893, 930 Guérard, Theodor von 29, 139, 333, 340, 367, 474, 553 Günther, Hans F. K. 149 Gürtner, Franz 866, 913 f., 961,1002,1007, 1011, 1025 Gundlach, Gustav 1034 Haas, Walter de 196 Habermann, Max 174 Hackelsberger, Albert 506, 509, 618 Häntzschel, Kurt 154 f., 543, 604, 610, 758 Hagen, Louis 527, 907 Hagen, Maximilian von 196 Hagenow, Viktor von 224, 331, 376 f., 509, 619 Hahn, Ludwig Albert 644 Haindl, Georg 618 Halder, Franz 285 Haller, Max 619 Hamburger, Ernst 772, 774 Hamm, Eduard 120, 135 f., 530 f., 550, 588, 625, 742, 760, 948, 983, 1035 Hammer, Paul 600 Hammerstein-Equord, Kurt Frhr. von 473, 477, 491 f., 560, 612, 659, 661, 678, 694, 756, 763, 769, 775, 780, 829, 915, 965, 1043 Hammerstein-Loxten, Adolf Frhr. von 425 Haniel, Karl 199 f., 907 Hankey, Sir Maurice 460 Hantos, Elemér von 301 Harms, Bernhard 22, 74
1092
Personenregister
Harrison, George Leslie 321, 400, 410, 449, 458 Hassell, Ulrich von 502, 550, 860, 865 Haßlacher, Johann Jacob 49 Haubach, Theodor 2 5 3 - 2 5 7 Hecker, Ewald 986, 1013, 1019 Hecker, Wilhelm 618 Heeren, Victor von 305 Heilmann, Ernst 588, 774 Heimann, Eduard 351 Heimerich, Hermann 488 Heinrich, Walter 1036 Heinrichsbauer, August 497 f., 778 Held, Heinrich 170, 187, 190, 269, 272, 274 f., 347, 363, 482 f., 485, 487, 545 f., 601, 628, 887 f., 933 f. Helfferich, Emil 985 f., 1018 f. Helfferich, Karl 5 f., 985 f. Helldorf, Wolf Heinrich Graf von 777, 781 Heller, Hermann 261 f., 1000 Hellpach, Willy 54, 83 f., 177, 199, 907 Hemeter, Emil 49 Henderson, Arthur 311 f., 336 ff., 356, 393, 416ff., 421,424, 446 - 449,451 f., 455f., 458, 460, 467, 829 Hepp, Karl 217, 344 Herle, Jacob 524, 614, 984 f. Herman, Beno Frhr. von 178 f. Herpel, Ludwig 944, 1023, 1033, 1040 Herrfahrdt, Heinrich 15, 922 Herriot, Edouard 682, 703, 834 ff., 9 0 4 - 9 1 2 , 914, 916, 1038f. Hertling, Georg Graf von 582 Hertz, Paul 208, 231, 344, 348, 356, 603, 624, 626, 948 Heß, Joseph 55, 232, 776 Heß, Rudolf 496, 777 Heuss, Theodor 52 Heydt, Eduard Frhr. von der 135, 732 f. Heye, Wilhelm 393, 473 Heymann, Ernst 242 Hierl, Konstantin 496, 498 f., 984, 988 Hilferding, Rudolf 105, 164 f., 167ff., 196, 205, 208, 231 f., 318, 342, 348, 356, 373, 506, 509, 515, 551, 603, 624, 640f., 701, 723, 746, 799, 941, 948 Hiller, Kurt 570 Himmler, Heinrich 1013
Hindemith, Paul 149 Hindenburg, Herbert von 196 Hindenburg, Oskar von 434, 548, 710, 769, 838, 840, 860 f., 971, 1028, 1045 ff. Hindenburg, Paul von Beneckendorff und von 9, 14, 18f., 23f., 2 6 - 30, 45, 50, 56, 63, 65, 73, 84 ff., 95, 101 ff., 109, 111 ff., 116,119, 163 ff., 167,170,174f., 177f., 180, 182, 184, 205, 2 1 6 - 219, 235 f., 274, 289, 308, 331, 342, 344 f., 347,393,405,417,427,433 ff., 438,456, 467 f., 472, 476 ff., 487, 490 - 495, 502, 533-537, 545, 547f., 550f., 553, 556, 559 ff., 583, 590, 608, 610, 613 f., 618 f., 623, 633, 664, 677, 684, 691, 704 - 710, 712, 7 2 1 - 7 2 9 , 732, 756 f., 761-769, 781, 793, 800 f., 814, 818 f., 821, 823, 826 f., 837 - 840, 846f., 849 - 867, 872 f., 877 f., 884,887 f., 896, 927 f., 932, 945, 950, 955, 960 - 966, 969, 971 ff., 993 f., 997 ff., 1002 f., 1006,1011-1029, 1037, 1041 f., 1044, 1046 ff. Hippel, Walter von 39 f., 63 ff. Hirtsiefer, Heinrich 55, 212, 538, 588, 591-594, 596f., 877, 881 ff., 885f., 893, 917, 920, 923, 930, 937 Hitler, Adolf 1, 44 f., 52, 126-135, 140, 147 ff., 151, 158 ff., 165, 172, 174-183, 206, 276 - 281, 284 - 287, 305, 351, 353 f., 371, 444 f., 459, 465 f., 471, 491, 494ff., 498, 537, 554 - 564, 570f., 601, 607-610, 614, 626, 629, 668ff., 698, 700, 702, 706-711, 722, 726, 728-736, 755-759, 7 6 3 - 7 6 6 , 776f., 781, 784, 799, 807, 820, 822, 828, 853, 885 - 891, 935, 945, 947, 949 f., 953, 958-970, 973-979, 983, 985 ff., 989, 999, 1003, 1005, 1007, 1011-1028, 1030, 1032f., 1035 ff., 1040-1049 Hoare, Sir Samuel 413 Hölscher, Heinrich 748, 951, 966 Höltermann, Karl 569, 977, 1031, 1037 Höpker-Aschoff, Hermann 33 f., 54, 84, 102, 134, 136, 189, 436f., 439ff., 476, 487, 489, 536, 580, 582, 584 - 590, 773 Hörauf, Franz Ritter von 1041 f. Hörsing, Otto 569
Personenregister Hoesch, Leopold von 197, 294, 304, 306f., 309 f., 313 f., 321, 332 ff., 336, 383, 387, 389, 417 ff., 422, 424, 450ff., 454 f., 502, 575 ff., 647 f., 656 f., 665, 668 f., 683, 685, 692f., 697ff., 713 - 716, 720, 835, 864, 906, 916, 951 Hoetzsch, Otto 249 Hoff, Curt 548 Holstede de Groot, Pieter 464 Holtmeier, Hermann 618, 623 Honold, Franz Xaver 195 f., 318 Hoover, Herbert Clark 249, 293, 319, 324, 398, 410, 414 - 425, 433, 449, 454, 4 5 7 - 4 6 0 , 465, 578, 647f., 652, 656f., 666, 670, 680 f., 702, 720, 752, 909 f. Horion, Johannes 189 Hülse, Franz 652, 905 Hugenberg, Alfred 4 1 - 5 2 , 64, 67, 79, 85 f., 88, 108 f., 115 f., 118, 135, 138, 177, 182ff., 199f., 204, 206, 208, 230f., 287, 344, 348, 355, 408 f., 431, 459, 4 6 5 - 4 7 4 , 477, 4 9 1 - 4 9 6 , 500, 502, 537, 548, 550, 554 - 558, 562, 607, 629, 633, 702, 7 0 5 - 7 0 9 , 711, 722, 7 2 6 - 7 3 1 , 765, 845, 854, 865, 877, 881, 889, 917, 937 f., 945, 962 f., 979, 1002 f., 1012, 1014, 1016, 1021, 1026, 1042, 1046, 1048 Hugo, Otto 345, 347, 1035 Hymans, Paul 833 ligner, Max 989 Imbusch, Heinrich 1036 Imhoff, Karl Frhr. vom 487 Jacobi, Erwin 996, 1000 Jänecke, Walter 479 Jahn, Walther 479 ff., 618 Jan, H. von 1000 Jarres, Karl 201, 890, 1031 Jegorow, Alexander Iljitsch 663 Jeidels, Otto 580, 619 Jellinek, Georg 251 Jellinek, Walter 18, 260, 786 f., 789, 793 Jenukidse, Abel Sofronowitsch 663 Joël, Curt Walter 16 ff., 156, 186, 224, 232, 235,276,282,367,371 - 3 7 5 , 3 7 7 f., 435, 507, 526, 544, 552 f., 579, 581, 597, 608, 705, 710, 760, 763, 792, 857, 884, 1022
1093
Johnson, Hiram 681 Joos, Josef 858, 872, 881, 958, 969, 993, 998, 1005, 1012 Jung, Edgar Julius 1006 Jung, Rudolf 127 Kaas, Ludwig 8, 139, 194, 270, 272 f., 283, 290f., 369 f., 405 f., 492, 552, 554, 563, 776, 858, 864, 878, 881, 967 ff., 1005 ff., 1012, 1016, 1021, 1026 f., 1029, 1040, 1049 Kaehler, Wilhelm 1002 f. Kahl, Wilhelm 242, 250, 378, 499 Kahn, Otto 680 f. Kaiser, Jakob 520, 523 Kalckreuth, Eberhard Graf von 41, 222, 342, 459, 467, 557, 571, 846, 849, 862, 1018 f. Kalle, Wilhelm 499, 730 Kanter, Hugo 983 Kantorowicz, Hermann 196 Kardorff, Siegfried von 177, 499 Kastl, Ludwig 25 - 28, 89, 97, 1 0 4 - 1 0 7 , 169 ff., 222, 321, 323, 327, 343, 426, 521 f., 524 f., 530, 549, 563, 625, 742, 796, 807, 824 f., 980 ff., 988 f. Kaufmann, Karl 978 Keil, Wilhelm 651, 700 Kellogg, Frank Billings 308 Kelsen, Hans 251 Kempner, Franz 725 f. Kempner, Paul 843, 948 Kempner, Robert M. W. 156 Keppler, Wilhelm 497 f., 985 f., 1013,1019, 1027, 1044 f. Kerrl, Hans 882, 886, 923, 976 Kessler, Harry Graf 145 f., 478 Keynes, John Maynard 512, 641, 645, 689, 736, 824, 991 Keyserlingk-Cammerau, Robert Graf von 1019 Kiep, Otto Carl 671 Killinger, Manfred Frhr. von 129 King, William H. 416 Kircher, Rudolf 679 Kirdorf, Emil 732, 778 Klagges, Dietrich 496, 603 Klausener, Erich 163, 741
1094
Personenregister
Klein, Fritz 345, 355, 368 Klein, Joseph 1036 Kleist, Leopold von 571, 999 Kleist-Schmenzin, Ewald von 571, 626, 725 Klepper, Otto 33 f., 67, 70, 581-588, 598, 711, 7 4 3 - 7 4 8 , 885, 923 Klitzsch, Ludwig 64 Klöckner, Florian 336 Klöckner, Peter 200, 331 f., 336, 468 Klotz, Helmuth 735, 822 f. Knebel-Doeberitz, Karl Magnus von 27, 379 Knickerbocker, Hubert R. 778 Koch, Walter 311 Koch-Weser, Erich 52 ff., 83, 107, 118,134, 136, 173, 199, 436, 860 Köhler, Heinrich 139, 173 Koellreutter, Otto 146, 155 Koeltz, Louis 829 Köpke, Gerhard 314f., 666, 718, 838 Körner, Emil Edwin 618, 1046 Köstring, Ernst 663 f. Köttgen, Carl 201, 222 Kork, Awgust Iwanowitsch 663 Korostowetz, Wladimir von 196 Kraemer, Hans 92, 505 f., 524, 742 Kranefuß, Fritz 986 Krebs, Albert 174 Krebs, Joseph 339, 857 Kreß von Kressenstein, Gustav Frhr. 999 Krestinski, Nikolaj Nikolajewitsch 133, 663 Krogmann, Karl Vincent 1018 f. Krüger, Hans 168, 213, 748, 885, 951 Krupp von Bohlen und Halbach, Gustav 426, 468, 549, 614, 724, 733, 927, 985, 988 Kube, Wilhelm 779, 976 Küchenthal, Werner 496 Kühnemann, Geheimrat, Vizepräsident der Reichsschuldenverwaltung 786—792 Kuenzer, Richard 252 Kuh, Frederic (Friedrich) Robert 117 Laband, Paul 241 Ladendorff, Carl 562 Lammers, Clemens 28, 506, 509, 510, 1034
Lammers, Aloys 748, 951 Lamont, Thomas William 414, 456, 680, 681 Landauer, Carl 737 Landmann, Julius 74 Landsberg, Otto 701 Lange, Adolf 54 Laporte, Maurice 133 Laski, Harold J. 259 Lassalle, Ferdinand V, 52 Lauffer, Herbert 33, 37 f., 213 Lautenbach, Wilhelm 320, 511, 515ff., 525, 620, 631, 640, 643 ff., 944, 1033 Lavai, Pierre 422, 449, 451 - 4 5 7 , 459, 461, 501 f., 575-578, 647ff., 654, 657, 665 ff., 677, 680, 683, 692 f., 697 ff., 714, 716, 718, 828 Layton, Sir Walter 462 f., 486, 510, 667, 672, 677, 679, 687, 912 Leber, Julius 60 Legien, Carl 799 Lehmann-Rußbüldt, Otto 62 Leicht, Johann 230, 269 f., 272, 600 Leipart, Theodor 193 ff., 202, 364 f., 445, 505 f., 624ff., 630, 643, 651, 699 ff., 740, 742, 796, 948, 954, 977, 1029 f. Leith-Ross, Sir Frederick 94, 415, 677, 679, 685, 716 f. Leitner, Rudolf 417, 422, 456 Lemmer, Ernst 84, 222, 364 Lenin, Wladimir Iljitsch 777, 784 Lenz, Karl 609 Leopold, Bernhard 49 Lerchenfeld auf Köfering und Schönberg, Hugo Graf von 304 Lerroux y García, Alejandro 501 Lersner, Kurt Frhr. von 655, 936 Leuschner, Wilhelm 760 Levetzow, Magnus von 177 ff., 550, 556 f., 570, 735, 780, 999 Ley, Robert 1041 Leyen und zu Geroldseck, Erwein Fürst von der 176 Liebmann, Otto 159, 241, 474, 769, 775 Lienhard, Friedrich 148 Lind, Heinrich 49, 459 Lindeiner-Wildau, Hans-Erdmann von 47, 84 f., 172 f., 186, 207, 293, 862
Personenregister Lindsay, Sir Ronald 393, 416, 421, 455 List, Friedrich 75 Litwinow, Maxim Maximowitsch 332 Löb, Rudolf 619 Lobe, Paul 203, 282, 378, 701, 823, 974, 997 Loeper, Wilhelm 130 Loewenstein, Hans von und zu 558 Lohmeyer, Hans 488 Londonderry, Charles Steward Henry Vane-Tempest-Stewart, 7. Marquess of 829 Ludendorff, Erich 7, 147, 472, 1047 Ludin, Hans 158 Ludwig, Emil 664 Lübbert, Erich 977, 1019 f. Lübsen, Georg 200 Lüders, Marie Elisabeth 54, 995 Lueger, Karl 386 Lüninck, Ferdinand Frhr. von 5, 9, 865 Lüninck, Hermann Frhr. von 9 Lüttwitz, Walther Frhr. von 473 Luther, Hans 70, 103, 107 f., 114 f., 117, 136 f., 172, 177, 195, 198, 215, 219, 221, 234f., 288 f., 295, 297, 303, 308, 317 f., 323 f., 333 f., 339 f., 367 ff., 3 7 9 - 3 8 3 , 388f., 394-398, 400, 402, 405, 408ff., 415 f., 418 ff., 422,425 ff., 442 ff., 448 ff., 454 f., 459, 463, 466 f., 479, 487, 509-517, 527, 537, 545, 559, 579, 583, 600, 616 - 622, 624, 626, 631-638, 645 ff., 652, 659, 667, 673, 677, 685 f., 696 f., 702, 738 f., 743, 745, 747, 749 f., 752, 800f., 808 f., 813, 863, 906, 911 f., 948, 973, 1033 Lutze, Viktor 777 Maaß, Hermann 613 MacArthur, Douglas 829 MacDonald, James Ramsay 297, 312, 337, 382, 413, 415 f., 446, 449, 457, 459 f., 467, 545, 685, 829, 836, 904 f., 907, 909 f., 1039 Mackensen, Hans Georg von 660 Mackensen, August von 393 Maginot, André 453 f., 692f. Mahraun, Artur 53, 61 f., 136, 173, 199 Maitland, Frederic William 259
1095
Malaparte, Curzio [d. i. Kurt Erich Sukkert] 606 Man, Hendrik de 349 Mannheimer, A. 420 Mareks, Erich 779 f., 971, 998 Marschak, Jakob 74 Marschier, Willy 496 Marshall-Cornwall, J.H. 86 Marx, Karl 349, 640 Masson, Generaldirektor des Crédit Lyonnais 833 ff. Maunz, Theodor 1000 Mayrisch, Emile 906 f. McGarrah, Gates W. 696 Mecklenburg-Schwerin, Adolf Friedrich Herzog von 1003 Meissner, Otto 26, 98, 101 f., 111, 203, 217, 235, 347, 373, 433 f., 459, 466 ff., 493, 502, 529, 533, 548, 608, 615, 618, 633, 663, 706, 708ff., 722ff., 726, 763, 813, 817, 819 ff., 823, 826, 838, 840, 846 f., 849-867, 872, 877, 888, 925ff., 960f., 964, 973, 1002, 1016, 1018-1022, 1025-1028, 1037, 1045 f. Melcher, Kurt 937 Melchior, Carl 379, 463, 667, 674-679, 696 f., 948 Mellon, Andrew 414, 416 f., 420, 422 f., 425, 457, 666, 683 Mendelssohn, Franz von 25, 120, 135, 527, 530, 907 Menzel, Hans 153, 604, 608 Merck, Erwin 1019 Meyer, Oscar 199, 589 Meynen, Otto 27, 534 Middendorf, Ernst 558 Mierendorff, Carl 164, 252, 348 Miquel, Paul von 814 Mitchell, Charles E. 512, 680 f. Moellendorff, Wichard von 738, 989 Moldenhauer, Paul 24, 28, 47, 69, 70, 72 f., 92, 94, 97, 99, 100-106, 663 Mollath, Jacob Ludwig 562 Monnet, Jean 303 Monzie, Anatole de 669 Moreau, Emile 410 f., 454 Moret, Clément 425, 450 Morgan, Shephard 294, 671
1096
Personenregister
Morrow, Dwight W. 414 Muchow, Reinhold 564 ff. Muhle, Hans 348, 873 Mulert, Oskar 264 f., 317, 487 f., 490, 742 Müller, Hermann 26, 58 ff., 134,167 f., 170, 208, 230, 232, 326, 860, 871, 914, 1044 Müller, Ludwig 59 Müller-Oerlinghausen, Georg 222, 527, 907 Murnane, George 117, 294 ff., 647, 670 f. Mussehl, Fritz Leberecht 40, 213, 951 Mussolini, Benito 445, 503, 549, 654 Mutschmann, Martin 126 Nadolny, Rudolf 664, 693 ff., 718, 829, 838, 865, 902 ff., 910, 916 Naphtali, Fritz 74 f., 195, 447, 641, 740 Nathan, Otto 324 f. Naumann, Friedrich 196 Nawiasky, Hans 1000 Neumann, Heinz 196 f., 318 Neurath, Konstantin Frhr. von 307 f., 312, 338, 356, 449, 451, 502, 548, 550, 676, 679, 683 ff., 690 f., 713 f., 716f., 832, 838, 864 f., 900 f., 903 f., 907 f., 912, 915, 917, 951, 961, 1007, 1039, 1048 Neureuther, Karl 1037 Newton, Basil Cochrane 455 f., 1038 Niemann, Erich 135 Nietzsche, Friedrich 147 Nobis, Ludwig Eduard 112, 951 Nohara, Daisuke 674 Norden, Artur 517 Nordhoff, Karl 738 Norman, Sir Montagu C. 388 f., 398, 400, 410 f., 414-418,420,451, 518, 647, 652, 672, 676 Oberfohren, Ernst 19, 42, 44, 108, 116, 182, 408 Oettingen-Oettingen und Oettingen-Wallerstein, Eugen Prinz zu, seit 1930 Fürst von 176, 481, 814 Oldenburg auf Januschau, Elard von 163, 492 f., 853, 859, 865 Oppen-Dannenwalde, Georg Sigismund von 618, 623, 777, 1019 Oppen-Tornow, Joachim von 777
Oskar Prinz von Preußen 393, 570, 765 Ostau, Joachim von 478 Osten-Warnitz, Oskar von der 629, 724 f., 860, 862 Ott, Eugen 946, 996, 998, 1028 f., 1040 Otte, Bernhard 222, 618, 630, 1034 Pabst, Waldemar 947 Pacelli, Eugenio 274 f. Pähl, Walther 349 Palyi, Melchior 993 Pantlen, Hermann 326 Papen, Franz von 481, 584, 728, 733, 748, 773, 857, 863 - 866, 877 - 881, 8 8 4 - 887, 897, 900 - 914, 918 - 938, 949, 951-975, 978 ff., 985 ff., 990, 993, 995-1003, 1005 f., 1008, 1010-1019, 1021, 1024 f., 1028 f., 1036 f., 1 0 4 2 1048 Passarge, Karl 550 f., 588, 593, 597, 607, 815, 824, 843, 853, 855 ff., 866 Paul-Boncour, Joseph 682, 904, 1039 Perlitius, Ludwig 162, 994 Peters, Hans 1000 Peters, Max 926 Pfeffer von Salomon, Franz 128 f. Pfeiffer, Edouard 669 Pfeiffer, Anton 967 Pferdmenges, Robert 506, 509, 618 f. Pflugmacher, Ernst 618 Phipps, Sir Eric 311 Piatscheck, Konrad 91 Pieck, Wilhelm 783 Pieper, Kurt 196 Pietzsch, Albert 778 Pinner, Felix 646 Planck, Erwin 59, 61, l l l f . , 294, 475ff., 492, 552, 581, 672, 691, 829, 841, 897, 918, 928, 948 f., 953 f., 964 f., 971, 973, 975, 989, 997 f., 1002 f., 1012, 1017 Plener, Ernst von 386 Poensgen, Ernst 91, 778, 907, 988 Poetzsch-Heffter, Fritz 190 f., 233 ff., 362, 429 f., 432, 478, 487, 963 Poincaré, Raymond 411, 453 Popitz, Johannes 242, 2 4 5 - 2 4 9 , 265, 486, 582, 1002 Porten, Max von der 896
Personenregister Preger, Konrad Ritter von 170, 187, 347, 429, 483, 502, 599 f., 825 Preuß, Hugo 244, 260, 430 Prittwitz und Gaffron, Friedrich Wilhelm von 294, 299, 308, 657, 666, 670 f., 681 Pünder, Hermann 1, 30, 44, 50, 59, 65, 94, 102, 108, 110-116,133, 160-169,172, 174, 180, 182, 201 ff., 207ff., 213, 224f., 227, 230 ff., 236, 272,274,279, 283,289, 294f., 298 f., 306, 337, 343f., 355 f., 362 f., 368, 372, 377 ff., 382, 405, 419, 436, 476, 479, 487, 492, 500, 502, 522, 531, 540, 549, 553, 578, 581, 587, 598, 603, 618, 622, 626, 648, 6 8 4 - 690, 692, 694, 697 f., 702 f., 706, 708ff., 721-724, 727,743, 748 f., 752,755, 761-764,769, 779, 785, 803 f., 808, 813, 820, 829, 833, 844 ff., 850 f., 853 f., 856-862, 923,952, 964 Quaatz, Reinhold 46, 466, 468, 470, 492 f., 548, 570, 629, 706 - 709, 820, 823, 839, 865 f., 1047 Quadt zu Wykradt und Isny, Eugen Graf von 177, 365, 814 Quesnay, Pierre 651 f. Radbruch, Gustav 374 Rademacher, Walther 49 Raeder, Erich 763 Rathmann, August 351 Rauch, Hans 974 Raumer, Hans von 89 f., 95, 98, 345 f. Ravene, Louis 558 Reading, Rufus Daniel Isaacs The Marquess of 493, 495, 501 Rechberg, Arnold 61 Regh, Engelbert 344 f., 348, 995 Reichard, Ernst 857 Reichert, Jacob Wilhelm 46, 49 Reinhardt, Fritz 786 f. Reinhart, Friedrich 506, 509, 559, 614 f., 618, 986, 1018 f. Reinhold, Peter 948, 1003 f. Reismann-Grone, Theodor 497 f. Remarque, Erich Maria [d. i. Erich Paul Remark] 279 Remshard, Hans 527
1097
Renteln, Adrian von 944, 983 ff. Renzetti, Mario 445 Respondek, Erwin 738 Reupke, Hans 983 f. Reusch, Paul 27 ff., 43, 45, 54, 73, 81, 85 f., 89f., 92, 101, 107, 114f., 119f., 135ff., 139, 177, 184, 200, 345, 365, 397, 427, 465, 467 f., 471, 479, 521 f., 524, 537, 557 ff., 563, 614, 625, 629, 650, 731, 734 f., 807, 818, 824, 985, 987 f., 1018 Reventlow, Ernst Graf zu 127, 196 f., 318 Ribbentrop, Joachim von 1045 f. Richthofen, Hartmann Frhr. von 83 Richthofen-Boguslawitz, Praetorius Frhr. von 47, 49 Riesser, Jakob 391 Riesser, Joseph 242 Rieth, Kurt 110, 228, 313 Rist, Charles 674 Ritscher, Samuel 619 Ritter, Karl 198, 303, 319 f., 323, 368, 679, 682 f., 702, 720 Rive, Richard 1031 Rodd, Francis James Renell 652 f. Roedern, Siegfried Graf von 177, 479 ff. Röhm, Ernst 130, 278, 284 ff., 445, 496 f., 563, 728, 735, 777, 781, 822 f., 946, 964, 967, 976 Rönneburg, Heinrich 37, 39 f., 65, 213, 590 Röpke, Wilhelm 74, 798, 1033 Rössiger, Max 618 Rohr(-Demmin), Hans-Joachim von 957 Rohr-Manze, Kurt von 1019 Ronde, Hans 320, 324 Rosenberg, Alfred 149, 172, 179, 669, 777 Rosenfeld, Kurt 353 Rosterg, August 986, 1019 Rothenbücher, Karl 134 Rowe-Dutton, Ernest 719 Rumbold, Sir Horace 86, 197, 311 f., 335 - 338,356,393,415,447 f., 456,467, 493, 495, 501, 679, 686, 690 ff., 713, 718 f., 825, 914, 1038 Rydbeck, Oscar 674 Sachsen-Coburg-Gotha, Carl Eduard Herzog von 175 Sachsen-Weimar-Eisenach, Carl Alexander Großherzog von 145
1098
Personenregister
Sachsen-Weimar-Eisenach, Wilhelm Ernst Großherzog von 145 f. Sacke«, Frederic Moseley 288, 293, 337 f., 417, 419, 423, 456, 665 f., 685, 691, 732, 752, 836 f. Saemisch, Friedrich 103, 250, 515, 786 Sahm, Heinrich 488, 724 ff. Sankey of Moreton, John Baron 413 Sargent, Sir Orme 415 Sauckel, Fritz 148 Seeckt, Hans von 5 7 - 6 0 , 177, 393, 557, 612, 756, 969 Seelhoff, Paul 196 Seißer, Hans Ritter von 726 Seldte, Franz 111, 113, 176 f., 355, 393, 459, 494, 554, 557, 707, 730, 998, 1048 Semler, Paul 59 Sergent, Charles 454 Severing, Carl 36, 48, 59, 134, 141 ff., 189, 277, 279, 281, 283, 285 f., 409, 431, 433 ff., 438, 476, 489, 580, 582, 584 f., 602 f., 606 f., 650, 705, 745 f., 7 5 4 - 7 5 9 , 774, 795, 818, 883, 885f., 892f., 918, 920, 925, 928 ff., 935, 937, 1002 Seyboth, Ministerialrat 347 Seydewitz, Max 165, 352 f. Seydoux, François 303 Sieghart, Rudolf 385 ff. Siehr, Ernst 39, 41, 216, 536 Siemens, Carl Friedrich von 201, 468, 505 f., 988 Siepmann, Harry 398, 518 Silverberg, Paul 26 ff., 7 3 - 7 9 , 91, 105 ff., 169, 200, 209 f., 218 f., 222, 367, 441, 465, 468, 533 f., 549 f., 575, 614, 618 ff., 631, 702 ff., 803, 983 ff., 988, 1043 Simon, Sir John 685, 713, 718 f., 904 f., 914, 1038 f. Simons, Walter 726, 907 Simpfendörfer, Wilhelm 319, 862 f. Simson, Ernst von 907 Sinzheimer, Hugo 201 Smend, Rudolf 261 f. Snowden, Philip, Viscount S. of Ickornshaw 404, 413, 459, 545 Sogemeier, Martin 107, 366 Sollmann, Wilhelm 701 Solmssen, Georg 426, 444, 742
Somary, Felix 390 ff. Sombart, Werner 991 f. Sommer, Karl 479, 481, 502, 600 Sonnenschein, Carl 65 Spahn, Martin 2 - 6 , 8, 48, 555 Spann, Othmar 1035 f. Spengler, Oswald 146 Spliedt, Franz 222 Sprague, Oliver 444, 457, 652, 678, 683, 685, 697 Springorum, Fritz 119, 135, 365ff., 379, 468, 735, 778, 780, 985, 988, 1018 Suhr, Otto 618 Sybel, Heinrich von 223 Syrup, Friedrich 1040 Schacht, Hjalmar 13, 25, 103, 117, 177, 192, 199, 296 f., 326, 392, 399, 402, 406, 417 f., 426 f., 444 f., 448, 467, 557 ff., 561, 571, 646, 733 - 736, 943, 950, 9 8 5 - 9 8 8 , 1011, 1013,1019, 1023,1037, 1044, 1046 Schäfer, Wilhelm 604 f. Schäffer, Fritz 269 f., 272 ff., 347, 479, 487, 491, 913, 967, 1012, 1016, 1021 Schäffer, Hans 67, 71, 93ff., 97, 1 0 1 - 1 0 4 , 117,137 f., 165-169,172,185,194,198, 219ff., 227, 232, 288f., 295ff., 313, 3 1 7 - 3 2 6 , 368, 373, 377, 388, 390, 398, 400, 418 f., 426 f., 436, 443, 450, 456, 466, 476, 489, 5 1 1 - 5 1 5 , 517, 548, 553, 598 f., 636, 641, 646, 651, 673, 677 ff., 685, 687, 697, 707, 727 f., 738, 743, 752f., 770, 786ff., 7 9 2 - 7 9 5 , 820, 826, 833, 835, 843, 866, 897 f., 947 ff., 953 f., 958, 961 f., 967 f., 970 ff., 976 ff., 989, 1002 f., 1017 Schäffer, Hugo 866 Schaer, Wilhelm 196 Schätzel, Georg 160, 234, 269, 333, 340, 382, 600 Scharnhorst, Gerhard von 828 Schauff, Johannes 38, 252 Scheffel, Franz 625 Scheidemantel, Eduard 199 Scheidt, Adolf 951 Schellen, Heinrich 610 Scheringer, Richard 158, 755 Scherpenberg, Hilger van 417
Personenregister Schickedanz, Arno 777 Schieck, Walter 485, 546 f. Schiele, Martin 2 6 - 3 1 , 41 f., 45 ff., 49, 62, 66f., 69f., 72f., 84f., 167, 170, 209f., 212,216f., 220-223,235,288, 293,333, 340 - 344,361 f., 367,448,472, 528,533, 537, 561, 579, 596, 622 f., 805, 814, 818, 823, 844 f., 850, 857 Schiffer, Eugen 242, 250, 374 Schlack, Peter 162 Schlange, Ernst 777, 780 Schlange-Schöningen, Hans 538, 550 f., 553, 561, 581, 584, 5 9 2 - 5 9 8 , 607, 621 f., 632, 722, 801, 803 - 818, 822ff., 843 - 859, 866 Schlegelberger, Franz 509, 959 Schleicher, Kurt von 9, 18, 43, 50, 59 ff., 107, 119, 159f., 285, 434, 4 7 1 - 4 7 7 , 491 f., 551-554, 560, 603 f., 611 f., 629 f., 659, 661 f., 678, 694 f., 706, 710, 722 f., 727 ff., 754 f., 759, 761, 763 f., 766, 779ff., 819 - 823, 827, 829, 840f., 852-861, 864-867, 872, 877, 879, 884 ff., 888, 890, 896, 900-918, 924f., 927f., 945-950, 953-965, 968f., 971, 973 f., 977 ff., 988, 996, 998, 1002 f., 1006 ff., 1011, 1014 f., 1018, 1020, 1022-1032, 1036-1044, 1046-1049 Schlenker, Max 27, 365, 558 Schleusener, Frank 581, 587, 748, 923, 951 Schlieben, Otto von 406 Schlieper, Gustav 619, 653 Schmidt, Hermann 55, 435 Schmidt, Max 98 Schmidt, Richard 242 Schmidt-Hannover, Otto 494, 554 Schmitt, Carl 18, 243f., 248, 250f., 2 5 9 263, 268 f., 374f., 787, 789, 793, 996, 1000 Schmitt, Joseph 188, 546 f., 764 Schmitt, Kurt 618 f. Schmitz, Hermann 463, 506, 549, 550, 614, 618, 619, 738 Schnee, Heinrich 196 Schneidhuber, August 129 f., 132 Schober, Johannes 304 ff., 311, 387 f., 500 Schönheinz, Curt 290, 660 ff., 678, 693, 829, 1043
1099
Schönner, Kurt 153 Scholz, Ernst 54 f., 83,104,115, 136 f., 203, 548, 552 Schotte, Walther 481 Schreiber, Georg 1005 Schreiber, Walter 580, 589 Schröder, Kurt Frhr. von 986, 1013, 1018 f., 1027, 1042, 1044 f. Schubert, Carl von 307 f., 313, 336, 417, 685, 832, 865 Schuchert, Margarete 613 Schulenburg, Friedrich Graf von der 472 - 475, 765 Schultze-Naumburg, Paul 146—150 Schulz, Paul Gustav 497, 565 f., 778, 819, 949, 967, 1037, 1041 Schumpeter, Josef 74 Schwander, Richard 242 Schwendy, Osthilfekommissar 213 Schwerin von Krosigk, Lutz Graf 94, 97, 232, 368, 377, 400, 451, 466, 489, 544, 553, 559 f., 581, 672, 678, 747, 786, 833, 860, 862, 885, 900, 912, 938, 950, 961, 965, 1003 f., 1014 f., 1024, 1047 f. Schwertfeger, Bernhard 196 Stadtler, Eduard 5, 6, 355, 555 f., 570 f. Stalin, Jo?if Wissarionowitsch 354, 662, 664, 777 Staudinger, Hans 98, 166, 168, 580, 885, 951 Stauß, Emil Georg von 179, 444, 559, 614, 732, 907 Steger, Christian 885 Stegerwald, Adam 2 - 7, 24, 29, 69 f., 92, 94, 96,104, 139, 200,202, 221, 231, 316, 328, 332 f., 342 f., 359 ff., 367 f., 382, 466, 488f., 520-523, 527ff., 539ff., 549, 562, 579, 633, 650, 741, 748, 752 f., 797, 803-816, 8 4 3 - 8 5 3 , 855, 857ff, 867, 948, 953, 1036 Steiger, Heinrich 39f., 55, 212, 538, 581, 588 Stein, Philipp 506, 509 Steinhoff, Werner 536 Stenglein, Albert 241 Stennes, Walter 129, 131 f., 279, 286, 610, 758, 778, 979 Stewart, Walter W. 674
1100
Personenregister
Stimming, Carl 307 Stimson, Henry Louis 383, 393, 414, 416 f., 449, 451, 455 ff., 459 f., 467, 483, 670, 680 f., 825, 827, 829, 831 f., 836 f., 839, 904, 909, 916 Stöhr, Georg 204 Stolper, Gustav 13, 54, 83, 107, 245, 737 Stoppani, Pietro 703 f. Straßer, Gregor 127, 180, 471, 494, 496 f., 554, 566, 608, 629, 728, 733, 776 - 781, 797 ff., 806 f., 819 f., 822, 884, 944 f., 949f., 965, 967 - 970, 975 - 978, 983f., 987 ff., 1003, 1015, 1020, 1030, 1036 f., 1040-1045 Straßer, Otto 125-129, 159, 948, 979 Strathmann, Hermann 46 Strawinsky, Igor 149 Stresemann, Gustav 7, 58, 82, 196, 288, 308 f., 312, 325, 369, 472, 834, 836, 865, 914, 916 Strüvy, Wilhelm 64, 215, 535 Stülpnagel, Joachim von 59 Stützel, Karl 602, 759 f., 891, 967 Tardieu, André 227, 291, 453, 461, 575, 693, 702, 718, 827, 834, 901 Tarnow, Fritz 74, 194, 351, 442, 626, 641, 740, 742, 977 f. Taussig, Theodor 385 Terboven, Josef 626 Thälmann, Ernst 203, 732, 756 f., 766, 782 Thaer, Albrecht von 612 Thoma, Richard 260, 375, 787, 789 f. Thomas, James Henry 413 Thyssen, Fritz 91, 131, 135, 444f., 558, 732 f., 898 f., 907, 985, 1019 Tiele-Winckler, Marie Freifrau von 780 Tietmann, Otto 213 Tippeiskirch, Werner von 335 Tirpitz, Alfred von 828 Toynbee, Arnold 649 Trendelenburg, Ernst 200, 202, 320, 332 f., 340, 359 ff., 367 f., 406, 443, 463, 489, 507, 509, 527 f., 549, 553, 577, 618, 636, 685, 687, 697, 752, 797, 800, 813 Treviranus, Gottfried Reinhold 8, 43, 45, 48, 50, 53, 70, 80, 84 f., 107, 115, 118 f., 134, 139, 164, 174, 180, 182, 194, 212,
214 f., 288, 293, 329, 381, 434, 448, 493, 501, 528, 533-541, 550 f., 591 f., 596 f., 615, 632, 635, 650, 685, 687, 697, 706, 778, 850, 861 f., 978 Triepel, Heinrich 242 Troost, Paul Ludwig 131 Trotzki, Leo Dawidowitsch 606 Tschakotin (Chakotin), Sergej 569 f. Tuchatschewski, Michail Nikolajewitsch 663 Tucholsky, Kurt 570 Twardowski, Fritz von 332 Tyrrell of Avon, William George Baron 424, 455 f., 720, 905 Urbig, Franz 527 Ulitzka, Carl 64 Ullstein, Fritz 960, 967 Umbreit, Paul 505 f., 742 Vansittart, Sir Robert 312, 393, 446, 458, 460, 718 Vavrecka, Hugo 311 Velde, Henry van de 145 f. Ventzki, Rudolf 1019 Vocke, Wilhelm 228, 398, 451, 647, 672 Vogler, Albert 28, 92, 135, 200, 230, 379, 405f., 410, 468, 548ff., 614, 780, 896, 984 f., 988, 1018 f., 1043 Vogels, Werner 294, 318, 326, 328, 683, 685, 713, 719, 745, 913
456,
652, 368, 618, 488,
Wachhorst de Wente, Friedrich 589 Wachsmann, Kurt 71, 73, 212 f., 466, 534, 845 f., 850 Waentig, Heinrich 112 ff., 128, 142, 152, 203 Wagemann, Ernst 22, 75, 93, 99 f., 103, 638f., 7 3 7 - 7 4 0 , 989, 991 Wagener, Otto 128, 496-499, 563, 731, 9 8 4 - 9 8 8 , 1035 f. Wagner, Siegfried 111, 113f., 494 Waldhecker, Hermann 800, 805 Wallenberg, Marcus 400, 444, 450, 474 f., 678, 948 Wallraf, Max 46 Warburg, Max 137, 165, 527, 658, 907
Personenregister Warmbold, Hermann 549, 553, 600, 617ff., 622, 627, 632, 685 f., 697, 737, 752, 812, 820, 841, 865f., 879, 897, 900, 912f., 925, 950, 955, 961, 965, 1014, 1044 Wassermann, Oskar 400, 444, 527, 619 Wassung, Hauptmann a.D. 605 Weber, Adolf 506, 509, 631, 992 Weber, August 588, 590 f., 756 Wegener, Leo 494 Wegerer, Alfred von 196 Weichmann, Herbert 35, 40, 214, 586 f., 592 Weinlig, Otto 139 Weismann, Robert 104, 154, 165 f., 295 ff., 362, 409, 509, 543, 576 f., 581, 583, 586 f., 598, 635, 711, 743, 746, 748, 951 Weiss (Großplauen), von, Gutsbesitzer 849 Weizsäcker, Ernst Frhr. von 308, 910 Welczek, Johannes Graf von 829 Wels, Otto 167 f., 348, 446 f., 465, 603, 606, 630, 650, 700, 746, 893, 929 f., 937,1031 Wendt, Hans Friedrich 158 Werner, Karl August 606 Westarp, Kuno Graf von 14, 28 ff., 4 1 - 5 0 , 52, 55, 66, 85, 107, 115f., 118, 121, 170, 293, 343, 425, 472f., 531, 550, 588, 726, 768, 826, 8 6 0 - 8 6 3 Weygand, Maxime 714, 828 Widmann, Berthold 196 Wienstein, Richard 224, 431, 713, 928 Wiggin, Walter H. 463 f., 488, 674, 687 Wigram, Clive 692, 905 Wiley, John C. 691 Wilhelm II., ehem. Deutscher Kaiser und König von Preußen 176, 178, 196, 472, 764 f., 999, 1041 Wilhelm, ehem. Deutscher Kronprinz und Kronprinz von Preußen 147, 434, 472 f.,
1101
475, 478, 570, 612 f., 723, 764, 780, 834, 998 f., 1003, 1012, 1041 f. Willisen, Friedrich Wilhelm Frhr. von 7 f., 43 Wilmowsky, Tilo Frhr. von 379, 726, 507 Wilson, Hugh 834 f. Windthorst, Ludwig 4, 139 Winterfeld, Friedrich von 64, 73, 182, 918 Winterfeldt, Detlof von 726 Wirth, Josef 6f., 29, 48, llOf., 139, 143f., 156f., 161 f., 194, 235, 276, 288, 300, • 333,345,367,382,429-436,474,478 f., 488, 494, 543, 552 f., 604, 914, 952 Wissel, Rudolf 134 Wittemann, Josef Franz 282, 284, 491 Witthoeft, Franz Heinrich 1019 Wittke, Wilhelm 24, 91, 618 Woermann, Kurt 1019 Wohlmuth, Georg 272 Wolff, Otto 619, 731, 780, 907, 948, 988, 1043 Wolff, Theodor 199 Woroschilow, Klimenti Jefremowitsch 663 f. Woytinski, Wladimir 639 - 644, 740, 798 f. Wulle, Reinhold 999 Young, Owen 680 Zarden, Arthur 92, 97, 103, 221, 232, 242, 368, 377, 466, 476, 489, 553, 581, 897, 1002 Zechlin, Walter 509, 531 Zehrer, Hans 348, 978 Zitzewitz-Kottow, Friedrich Karl von 27 Zweigert, Erich 16ff., 59, 111, 156, 186, 224, 232, 235, 282, 372-378, 434, 436, 487, 553, 604, 705, 710, 786, 1022
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Walter de Gruyter Berlin • New York
The Atlantic Pact Forty Years Later A Historical Reappraisal Edited by Ennio Di Nolfo 1991. Large-octavo. VIII, 268 pages. Cloth DM 138,- ISBN 3 11 012738 5 A reappraisal of the origins of the Atlantic Pact of April 4, 1949 and of the attitudes of the parties (Governments and political forces) involved in negotiations. 14 papers, mostly based on new archival research.
Price ¡8 subject to change
w DE
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Walter de Gruyter Berlin • New York
1939 - An der Schwelle zum Weltkrieg Die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges und das internationale System Herausgegeben von Klaus Hildebrand, Jürgen Schmädeke, und Klaus Zernack Groß-Oktav. XVI, 393 Seiten. 1990. Ganzleinen DM 38,- ISBN 3 11 012596 X (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Band 76) Die Frage, wie es in der Wechselwirkung zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und dem internationalen Mächtesystem zum Zweiten Weltkrieg gekommen ist, wird anhand folgender Themenbereiche behandelt:Das nationalsozialistische Deutschland und die Entfesselung des Krieges; Revisionistische Mächte (Japan, Italien, Ostmitteleuropa); Kriegsgefahr und die großen Demokratien des Westens; Osteuropa vor der Katastrophe; Der historische Ort des Zweiten Weltkrieges. Preisundenuig vorbehalten