Demokratie und Diktatur in der englischen Revolution 1640–1660 [Reprint 2019 ed.] 9783486764826, 9783486764819

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German Pages 220 [224] Year 1933

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Table of contents :
EINTEILUNG
VORBEMERKUNG
I. KAPITEL . ÖKONOMISCHE UND SOZIALE VORAUSSETZUNGEN
II. KAPITEL. KAMPF ZWISCHEN KÖNIGTUM UND PARLAMENT. MONARCHIE UND KONSTITUTIONELLE DOKTRIN
III. KAPITEL. DIE SEKTEN. AUFSTIEG DER RELIGIÖSEN DEMOKRATIE
IV. KAPITEL. ENTSTEHUNG DES REPUBLIKANISMUS UND DER POLITISCHEN DEMOKRATIE
V. KAPITEL. SPALTUNG DER INDEPENDENTEN. DIE ARMEE UND DIE CITY. GRUNDLAGEN DER DIKTATUR
VI. KAPITEL. DIE SOLDATENRÄTE. DER VERFASSUNGSENTWURF DER OFFIZIERE
VII. KAPITEL. CROMWELL UND DIE LEVELLER. DER VERFASSUNGSENTWURF DER SOLDATEN
VIII. KAPITEL. DIE BEGRÜNDUNG DER REPUBLIK. DER ZWEITE VERFASSUNGSENTWURF DER SOLDATEN. UNTERDRÜCKUNG DER LEVELLER
IX. KAPITEL. ANFÄNGE EINER KOMMUNISTISCHEN BEWEGUNG. DIE AUSSENPOLITIK DER REPUBLIK. CROMWELLS STAATSSTREICH. DAS KLEINE PARLAMENT. DIE PROTEKTORATSVERFASSUNG
X. KAPITEL. DIE DIKTATUR DER ARMEE. DIE GENERALMAJORE. ANGEBOT DER KÖNIGSWÜRDE. DIE VERFASSUNGSÄNDERUNG
XI. KAPITEL. DIE RESTAURATION
ANMERKUNGEN
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Demokratie und Diktatur in der englischen Revolution 1640–1660 [Reprint 2019 ed.]
 9783486764826, 9783486764819

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DEMOKRATIE UND DIKTATUR IN DER ENGLISCHEN REVOLUTION 1640-1660 VON

GEORG L E N Z

MÜNCHEN UND BERLIN 1933

VERLAG VON R.OLDENBOURG

B E I H E F T 38 D E R H I S T O R I S C H E N

ZEITSCHRIFT

A l l e R e c h t e , e i n s c h l i e ß l i c h des Ü b e r s e t z u n g s r e c h t e s , v o r b e h a l t e n D R U C K V O N R. O L D E N B O U R G , M Ü N C H E N U N D B E R L I N

Die vorliegende Arbeit verdankt ihre Entstehung einem mir von der Hamburgischen Landesjustizverwaltung in den Jahren 1929/30 gewährten längeren Urlaub, dessen größeren Teil ich auftragsgemäß in England zubringen konnte. Es ist mir ein Bedürfnis, der Hamburgischen Landesjustizverwaltung für ihr verständnisvolles Eingehen auf den Plan meiner wissenschaftlichen Arbeit während dieser Zeit, insbesondere auch hinsichtlich der Wahl des Themas, meinen aufrichtigen Dank auszusprechen. Mein Dank gilt femer Vorstand und Beamten der Bibliothek des British Museum in London und der University Library in Cambridge, die mir ihre reichen Bestände an Flugschriften und Literatur über die behandelte Epoche bereitwillig zur Verfügung stellten. Den gleichen Dank schulde ich den Beamten und Angestellten der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin und der Staats- und Universitätsbibliothek in Hamburg. Infolge der wirtschaftlichen Schwierigkeiten verzögerte sich die Drucklegung bis jetzt. G. L.

1*

EINTEILUNG.

Seite Vorbemerkung

7

I. K a p i t e l : P o l i t i s c h e u n d ö k o n o m i s c h e V o r a u s s e t z u n g e n . . . . II.

,,

: K a m p f zwischen K ö n i g t u m und Parlament.

14

Monar-

chische u n d k o n s t i t u t i o n e l l e D o k t r i n

32

III.

,,

: D i e S e k t e n . A u f s t i e g d e r religiösen D e m o k r a t i e . . .

47

IV.

,,

: E n t s t e h u n g d e s R e p u b l i k a n i s m u s u n d der p o l i t i s c h e n Demokratie

61

V.

,,

: S p a l t u n g der I n d e p e n d e n t e n . D i e A r m e e u n d die C i t y . Grundlagen der Diktatur

69

VI.

,,

: Die Soldatenräte. ziere

80

VII.

,,

: C r o m w e l l u n d die L e v e l l e r . entwurf der Soldaten

VIII.



: Die Begründung der Republik. Der zweite Verfassungse n t w u r f der S o l d a t e n . U n t e r d r ü c k u n g der L e v e l l e r - B e wegung

IX.

,,

: A n f ä n g e einer k o m m u n i s t i s c h e n B e w e g u n g . D i e A u ß e n -

D e r V e r f a s s u n g s e n t w u r f der O f f i -

p o l i t i k der R e p u b l i k . kleine Parlament.

D e r erste

Verfassungs91

Cromwells Staatsstreich.

Die Protektoratsverfassung

X.

,,

: D i e D i k t a t u r der A r m e e .

XI.



: Die Restauration

gebot der Königswürde.

Die

Generalmajore.

106

Das . .

.

131

An-

Die V e r f a s s u n g s ä n d e r u n g .

161 178

VORBEMERKUNG.

Wenn ich im folgenden versuche, eine Epoche der englischen Verfassungsgeschichte zur Darstellung zu bringen, deren konstitutionelle Elemente bis jetzt in der deutschen staatsrechtlichen Literatur wenig bekannt sind und eine spezielle Behandlung — abgesehen von den Arbeiten von R o t h s c h i l d und K o t t i e r 1 ) — nicht erfahren haben, so geschah dies ursprünglich lediglich in der Absicht, einen Standpunkt für die Erkenntnis des modernen englischen Verfassungslebens zu gewinnen. Schon eine flüchtige Bekanntschaft mit den Einrichtungen der englischen Konstitution hatte mir klar gemacht, daß die Analyse derselben nicht begonnen werden kann mit der „Glorious Revolution" von 1688, deren Ergebnisse lange Zeit hindurch als die Grundlage der modernen englischen Verfassung angesehen worden sind, sondern daß es — insbesondere für die Geschichte des englischen Parteiwesens — notwendig ist, auf die vorhergehende Epoche der „Great Rebellion" zurückzugreifen, die erst die Voraussetzungen für die Entwicklung des modernen Verfassungslebens in England geschaffen hat. Aber die eingehendere Beschäftigung mit der Entwicklung der strukturellen Elemente dieser Epoche führte doch hinaus über die bloße Schilderung und Bewertung der Verfassungen und Verfassungsentwürfe, welche damals entstanden sind, und machte eine Untersuchung der allgemeinen Grundlagen notwendig, auf denen jene beruhten. Die Frage erhob sich, wie die konstitutionellen Elemente mit der politischen Geschichte, insbesondere der Geschichte der Parteien, die damals das politische Leben beherrsch^ ten und ihm seine charakteristische Färbung verliehen, in eine systematische Verbindung zu bringen seien, wo gewissermaßen das konstruktive Verbindungsstück zu suchen sei, das die Ereignisse des geschichtlichen Prozesses hinüberführt in das System der allgemeinen Begriffe und Gedanken, in denen sich das Wesen der staatsrechtlichen Gestaltung einer Epoche ausdrückt. Es erwies sich als unmöglich, in den eigentlichen Kern der konstitutio-



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nellen Formen einzudringen ohne den breiten Hintergrund zu beachten, den die Verfassungskämpfe, d. h. die Kämpfe der um die Macht ringenden faktischen Elemente, für die legalen Institutionen abgeben, d. h. also die Entstehung der Verfassungen nicht nur auf den äußeren Ablauf der Entstehungsakte, sondern auch auf das Zusammenwirken der außerrechtlichen, reinen Machtfaktoren hin zu untersuchen. War dieses Vorgehen schon an und für sich erschwert durch die auf dem Grundgedanken prinzipieller Trennung der faktischen und der Rechtssphäre beruhende Übung, die Rechtserscheinungen losgelöst von der Welt der Tatsachen von einem angeblich allgemeinen Rechtsbegriff aus zu erfassen, so ergaben sich bei der speziellen Gestaltung des Stoffs besondere Schwierigkeiten, die auf der bisherigen Behandlung desselben beruhen. Zunächst bestand die Gefahr — eine Gefahr, die völlig vermieden zu haben ich keineswegs behaupten will —, daß die Untersuchung der strukturellen Elemente hinüberglitt in eine solche des „ideologischen Überbaus", d. h. also der politischen Ideen jener Zeit. So wichtig nun auch die Analyse dieser geistigen Sphäre ist, und so reich die Ausbeute gerade in der hier behandelten Epoche sein würde, — nicht nur an großen politischen Theoretikern ist die Zeit besonders reich (Hobbes, Milton, H a r r i n g t o n , um nur die berühmtesten zu nennen), sondern auch die Flugschriftenliteratur ist voll von politischen Spekulationen, — so kann sie doch nur auf Grund der Feststellung des faktischen Elementes erfolgen. Eine Binsenwahrheit vielleicht, sofern wir an die geschlossenen politischen Systeme, wie etwa H a r r i n g t o n s „Oceana", denken; weniger selbstverständlich, sobald wir auf das Gebiet der subjektiven öffentlichen Rechte kommen, die in der englischen Revolution zum erstenmal ihre politische und verfassungsrechtliche Formulierung erhalten haben. Diese werden — und zwar mit vollem Recht •— im Zusammenhang mit den Verfassungen behandelt, in denen sie rechtlich verankert sind. Aber der Umstand, daß die Grundrechte nicht nur als „paramount law" der Verfassungsentwürfe der Leveller erscheinen, sondern eine viel reichere Ausgestaltung und Begründung in den Flugschriften jener Partei erhalten haben, weist darauf hin, daß sie der Ausdruck einer konkreten Interessenlage sind, d. h. also, daß sie Ansprüche geltend machen, die unter der vorhandenen Konstellation keine Befriedigung finden. Es ist also auch hier das faktische Element, das ihre Gestaltung bestimmt, und es ergibt sich die Notwendigkeit, diese alegalen, politischen Hintergründe zu untersuchen und auf ihre Zusammensetzung hin zu prüfen.2) Hierbei ergab sich eine andere Schwierigkeit, die in der bisherigen Behandlung des



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politischen Stoffs begründet ist. Die politische Geschichte der englischen Revolution ist zwar mit einer bewundernswerten Genauigkeit und Ausführlichkeit erforscht, das Quellenmaterial mit einzigartiger Sorgfalt bereitgestellt; ich brauche in dieser Hinsicht nur die Namen G a r d i n e r und F i r t h zu erwähnen. Auch ist das verfassungsrechtliche Element in der politischen Historie durchaus in einer seiner Bedeutimg entsprechenden Weise gewürdigt worden. Dennoch erwies es sich als unmöglich, bei der Betrachtungsweise der politischen Geschichtsschreibung stehen zu bleiben. Nicht nur weil naturgemäß die auswärtige Politik, welche in jener den Hauptplatz inne hat, für uns, wenn auch keineswegs bedeutungslos, so doch von geringerem Einfluß ist, sondern auch weil es sich als unmöglich herausstellte, aus der politischen Historie die Kenntnis jener strukturellen Elemente zu gewinnen, die die Grundlage des politischen Kampfes und seiner verfassungsmäßigen Resultate sind. E s erwies sich als notwendig, von der politischen zur Wirtschaftsgeschichte Rekurs zu nehmen. Aber wenn auch die Heranziehung der vorhandenen Arbeiten über die englische Wirtschaftsgeschichte im 17. Jahrhundert, insbesondere der Werke von R o g e r s und C u n n i n g h a m , ein neues Licht auf die konstitutionellen Kämpfe dieses Jahrhunderts zu werfen geeignet sind, so lassen sie doch die wichtige Frage nach den ökonomischen Veränderungen der hier in Betracht kommenden 20 Jahre unbeantwortet. Da es hierüber auch sonst keine eingehenderen Untersuchungen gibt, so galt es den Versuch zu machen, ein Bild von diesen Umwälzungen zu gewinnen. Ich stehe nicht an zu erklären, daß dieser Versuch sehr mangelhaft ausgefallen ist. Bei dem völligen Schweigen der offiziellen Quellen über diesen Punkt hätte es eines eingehenden Studiums des archivalischen Ouellenmaterials bedurft, einer Arbeit, deren ich mich aus verständlichen äußeren Gründen nicht unterziehen konnte und die im übrigen auch die Arbeitskraft eines einzelnen überstiegen hätte. Trotzdem glaube ich, daß die Hinweise auf den Zusammenhang der materiellen, wirtschaftlichen Strukturveränderungen jener Epoche mit den parteipolitischen Kämpfen ein gewisses Licht auf die politischverfassungsrechtlichen Erscheinungen zu werfen geeignet sind. Zeigt uns doch schon z. B. der unleugbare Zusammenhang zwischen den politischen Grundrechten, wie sie — m. W. zum erstenmal in der Geschichte — von den Levellern aufgestellt werden, und den Forderungen der letzteren auf Beseitigung der den freien Handel unterdrückenden großen Monopolgesellschaften, wie eng wirtschaftliche und politische Forderungen schon damals miteinander verbunden waren. E s erscheint fast unverständlich, daß dieser



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Zusammenhang, der aus den Schriften L i l b u r n e s deutlich hervorgeht, bis jetzt gänzlich übersehen werden konnte. Der noch immer, vor allem in der deutschen Wissenschaft bestehende Streit über die Entstehung und Geschichte der „Menschen- und Bürgerrechte" würde m. E. bei Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts erheblich fruchtbarer geworden sein. Überhaupt ist unerklärlich, warum man bei der Behandlung verfassungsgeschichtlicher Fragen bisher so wenig auf die zugrunde liegenden realen Tatsachen eingegangen ist. Die rechtlichen Bestimmungen sind doch — hier wie auf jedem Rechtsgebiet — nur der Ausdruck bestimmter, historisch entstandener Situationen; sie werden — gerade im Staatsrecht tritt dies besonders deutlich hervor — durch diese Situationen geschaffen und sind nicht etwa prähistorische Axiome, die das politische Leben aller Zeiten bestimmen. Die Verbindung der Verfassungs- mit der Wirtschaftsgeschichte ist daher eine unbedingte Notwendigkeit. Eine solche Verbindung würde für beide Disziplinen von unschätzbarem Werte sein. Ein hiermit eng zusammenhängender Punkt ist die Frage der Stellung der politischen Parteien im Rahmen der Gesamtheit der Bevölkerung und die Analyse der verschiedenen Klassen und Schichten in der hier behandelten Epoche. Auch hier konnte die vorliegende Arbeit nur mehr einführend als abschließend sein. Wissen wir doch über die Zusammensetzung der Parteien der englischen Revolution so gut wie nichts, am wenigsten über die ökonomischen Verschiebungen innerhalb derselben. Daß diese vor allem infolge der Konfiskationen des Bischofs- und royalistischen Besitzes ganz gewaltig gewesen sein müssen, können wir nur mehr ahnen als feststellen. Die Zersetzung der republikanischen Partei ist zweifellos auf die hierdurch bewirkte Differenzierung der Besitzverhältnisse zurückzuführen. Wieweit dies auf die Gestaltung der beiden Protektoratsverfassungen zurückgewirkt hat, habe ich anzudeuten versucht. Auch hier sah ich mich von der bisherigen Forschung fast gänzlich im Stiche gelassen. Fragen wie die nach dem Verhältnis der Presbyterianer und Independenten zu den Monopolgesellschaften, dem Umfang und dem Einfluß des freien Handelskapitals auf die Politik des Langen Parlaments, dem Gegensatz zwischen agrarischer und industrieller Produktion in den Parlamentsparteien konnten nicht mit vollständiger Sicherheit beantwortet werden. Immerhin glaube ich, daß die Politik der Parteien unter diesem Gesichtspunkt eine gewisse Beleuchtung erhalten hat. Dies gilt insbesondere auch von der persönlichen Stellung Cromwells und der Begründung des Protektorats. Was nun die Persönlichkeit Cromwells selbst anlangt, so



11



ist viel darüber gestritten worden, welche Bedeutung das religiöse Moment bei ihm spielt und wie es sich zu seinen politischen Handlungen verhält.3) Man hat sich hierfür vor allem auf seine eigenen Zeugnisse in seinen Reden und Schriften berufen. Ich glaube, daß es richtiger ist, Cromwell nicht nach seinen Worten, sondern nach seinen Taten zu beurteilen. Diese sprechen eine viel deutlichere Sprache als die zu ihrer Rechtfertigung gehaltenen, meistens sehr vorsichtig abgefaßten öffentlichen und privaten Meinungsäußerungen. Was sie insbesondere kennzeichnet, ist der geniale Blick für die praktischen Notwendigkeiten des Augenblicks, der durch keine theoretischen und religiösen Spekulationen getrübt ist. Das erhebt ihn erst über das Niveau seiner eigenen Parteigenossen, deren Doktrinarismus vielfach nur der Ausdruck ihrer schwankenden Haltung ist, und macht ihn zum Führer im Kampf gegen den seine Ziele mit größter Kaltblütigkeit verfolgenden royalistischen Feind. Es befähigt ihn, auch gegen seine eigenen Freunde dann mit rücksichtsloser Härte vorzugehen, wenn er erkennt, daß die Verfolgung ihrer Ziele mit der Sache der Revolution und seiner eigenen Stellung unvereinbar ist. Diese persönliche Seite seiner Stellung wird ergänzt durch die Tatsache, daß Cromwell in allen Etappen seiner Laufbahn durch die Macht der revolutionären Entwicklung selbst vorwärts gestoßen und in seinen Willensentschlüssen beeinflußt wird. Wir werden sehen, wie diese Abhängigkeit jeden seiner Schritte bestimmt. Er bleibt dem Gesetz seines eigenen Handelns unterworfen. In diesem Kampf mit der Notwendigkeit ist er trotz aller heroischen Anstrengung schließlich unterlegen. Daß ein Mann von solchen Eigenschaften und in solcher Lage eine tiefe, innere Religiosität besessen hat, halte ich für durchaus wahrscheinlich. Sie ist freilich von dem religiösen Schwärmertum seiner „heiligen" Offiziere verschieden und findet in seinen religiösen Äußerungen nur einen bedingten Ausdruck. In Cromwell sehen wir bereits die Umwandlung sich vollziehen, die das Bürgertum in jener Epoche durchmacht: von einer politisch noch unentwickelten Klasse, für die die religiösen Formen der Ausdruck ihres Aufstrebens sind, zur herrschenden Macht, welche die alten Formen abstreift und eine souveräne Anschauung über Gott und das Verhältnis der Menschen zu ihm ausbildet. Ein Wort noch über die beiden Begriffe, unter denen die folgenden Ausführungen zusammengefaßt sind. Es war ursprünglich nicht meine Absicht, den Diktaturbegriff in den Mittelpunkt derselben zu stellen. Dieser Begriff, der durch die Arbeit von Carl S c h m i t t auch in die deutsche Staatslehre eingeführt ist, drängte



12



sich aber im Verlaufe der Studien als einer der beherrschenden gerade in der Geschichte der englischen Revolution auf. Wenn andererseits der Begriff der Demokratie als Gegenstück zu der Diktatur ausgewählt wurde, so hat auch dies seine wohlbegründete historische Berechtigung. Die Verfolgung der demokratischen Ideen jener Epoche zeigte, daß hier nicht nur zum erstenmal in der Geschichte die Grundgedanken der modernen politischen Demokratie gebildet und ausgesprochen worden sind, sondern sie zeigte auch, wie und warum die Versuche, diese Gedanken in die Wirklichkeit umzusetzen, damals scheitern mußten: eben durch die Errichtung der Diktatur, die die demokratische Bewegung unterdrückt, um die Ergebnisse der Revolution zu sichern. Dieser Gedanke läßt die Begriffe Demokratie und Diktatur als die beiden Hauptmerkmale der revolutionären Entwicklung jener Zeit erscheinen. Er führt auch in systematischer Hinsicht zu interessanten Folgerungen bezüglich der Rolle, die das Faktum in der Rechtsentwicklung spielt, und zeigt die zeitliche Bedingtheit des modernen Rechtsbegriffs und seine Bedrohung durch die außerrechtlichen Machtfaktoren, die als die eigentlichen Träger des jeweiligen Rechtssystems anzusprechen sind. Die Staatsrechtslehre wird an diese Faktoren, deren Bedeutung bereits von S m e n d und Carl S c h m i t t hervorgehoben ist, in Zukunft nicht vorbeigehen können. Eine Lehre, die den Rechtsbegriff von der konkreten Grundlage der materiellen Rechtsgestaltung loslöst und in seinen theoretischen Postulierungen mehr sieht als den Ausdruck einer bestimmten politischen Situation, birgt die Gefahr in sich, daß der geschichtliche Ablauf selbst die zeitliche Bedingtheit jeder Rechtstheorie zu Tage treten läßt. Das Schicksal der LevellerBewegung kann in dieser Hinsicht als warnendes Beispiel dienen. Aber abgesehen hiervon dürfte die Notwendigkeit, die alegalen Elemente in die Staatsrechtslehre einzuführen, insofern einen Fortschritt bedeuten, als diese Einführung eine organische Verbindung der Staatslehre mit der Soziologie und Geschichte einerseits, mit der Rechtslehre andererseits ermöglicht. Was damit der Staatslehre an „Idealismus" verloren geht, dürfte durch die Erschließung ganz neuer Gebiete um ein Mehrfaches ersetzt werden. Auch die Behandlung des positiven Gesetzesstoffs dürfte durch die Zurückführung auf die außergesetzlichen Faktoren neue Interpretationsregeln gewinnen. Denn die Formen der Legalität sind das Produkt alegaler Kräfte. Wer die letzteren kennt, sieht auch, wessen Interessen Rechtsschutz genießen sollen. Das aber ist bei der Anwendung des Gesetzes der entscheidende Gesichtspunkt. Er ermöglicht es, das subjektive Recht nicht als vom Gesetz geschütz-

— 13 — ten Willen, sondern als Ausdruck der allgemeinen Lage anzusehen. Daß diese Methode insbesondere die Frage zu prüfen haben wird, ob die auf dem Prinzip der freien Konkurrenz beruhende Theorie des subjektiven Rechts dem heutigen Wirtschaftssystem noch entspricht, sei nur nebenbei erwähnt. Die Theorie der Leveller mußte schon deswegen zusammenbrechen, weil sie von einer nicht mehr richtigen Vorstellung von den bestehenden Machtverhältnissen ausging. Daß Cromwells Diktatur letzten Endes im Interesse des Preismonopols der großen Handelsgesellschaften wirkte, zeigt, welche Rolle die wirtschaftlichen Differenzierungen schon in jener Epoche spielten. Diese Ausführungen mögen genügen, um eine Andeutung zu geben, welche Probleme und Schwierigkeiten bei der Behandlung des Themas sich ergaben. Darüber, daß der Versuch unvollkommen ausgefallen ist, bin ich mir klar. Man möge den Mängeln der Arbeit jene Schwierigkeiten zugute halten. Ist sie auch nicht , ,full of wise saws'', so doch, ,of modern instances''. Die praktischen Lehren hieraus möge jeder selbst entnehmen, auf daß nicht Dum Roma deliberat, Saguntum perit.

I. K A P I T E L .

ÖKONOMISCHE UND SOZIALE VORAUSSETZUNGEN.

Während die konstitutionellen Elemente der französischen Revolution in Deutschland häufig behandelt und im 19. Jahrhundert von deutschen Gelehrten zum Gegenstand eingehender Untersuchungen gemacht worden sind, hat die englische „Great Rebellion" nicht dasselbe Interesse in Deutschland gefunden. Zwar ist man im allgemeinen geneigt, die englische Revolution von 1640 als eine der bedeutsamsten Etappen auf dem Wege der Emanzipation des modernen Geistes von den Fesseln des alten Feudalstaates zu bezeichnen, und H o b b e s und M i l t o n , die beiden glänzendsten Sterne unter den vielen bedeutenden Geistern, deren Werke von dieser Epoche beeinflußt sind, sind stets ein Gegenstand des Interesses und der Betrachtung bedeutender Gelehrter gewesen.4) Aber die Erscheinung der englischen Revolution ist doch überschattet von dem Einfluß, den seit jeher die „Glorious Revolution" auf die Welt des Kontinents ausgeübt hat. So wie die englische Verfassung im Verfolg dieses Ereignisses diejenige Gestalt gewonnen hat, die bis 1832, und in ihren Grundzügen bis heute unverändert geblieben ist, so haben auch die politischen Ideen jener Epoche trotz mancher Schwankungen bis heute ihre Kraft bewahrt und insbesondere auf die deutsche Wissenschaft entscheidenden Einfluß gewonnen. Die Durchbrechung des Grundsatzes der monarchischen Erbfolge zugleich mit der Bindung des Monarchen an bestimmte Verpflichtungen religiöser und politischer Natur schuf ein Gleichgewicht zwischen der Krone und den privilegierten Klassen der Bevölkerung, wie es in den Staaten des Kontinents erst nach langen Konflikten und viele Zeitalter später erreicht worden ist. Der leicht errungene Sieg über einen Gegner, der für eine hoffnungslose Sache kämpfte, eröffnete die Möglichkeit einer Änderung des staatlichen Systems ohne die sozialen Erschütterungen, die im allgemeinen die Folge einer gewaltsamen Änderung des bestehenden Verfassungszustandes sind. Und die Idee der Glaubens- und Gewissensfreiheit, die unvermeidbar wurde, nach-

— 15 — dem einmal die Grundsätze des göttlichen Rechts des Königs und der religiösen Konformität der Untertanen aufgegeben waren, entfaltete ihre werbende Kraft bei den übrigen Völkern Europas und befruchtete oder zerstörte diejenigen Gebilde, die sich ihnen entgegenstellten. E s wäre ungerecht, wollte man diese Ergebnisse der geschichtlichen Entwicklung deswegen mißbilligen, weil sie häufig genug den Blick des Beobachters ablenkten von denjenigen Elementen, die den Grundstoff darstellen für die Komposition von Staat und Gesellschaft in England. So wie die Dinge im 18. und 19. Jahrhundert lagen, bildeten die Ideen L o c k e s und H u m e s einen Besitz, dessen Verlust für die europäische Staatenwelt nur nachteilige Folgen hätte haben können. Daß aber die Struktur des Staats überhaupt wie der einzelnen Staaten nicht voll erkannt werden kann, wenn man sich ausschließlich in dem Umkreis der Gedankenwelt der englischen Aufklärung bewegt, ist eine Feststellung, deren Richtigkeit auch von der englischen Gelehrtenwelt nicht in Zweifel gezogen werden dürfte. Gerade in England hat man sich mit unvergleichlichem Fleiß und vorbildlicher Vorurteilslosigkeit der Erforschung derjenigen Epoche der englischen Geschichte gewidmet, die einen gewaltsamen Bruch mit der Vergangenheit darstellt und daher mehr wie andere geeignet ist, einen Blick in die Tiefen der sozialen Struktur des Landes zu gewähren.5) Die beiden Dezennien englischer Geschichte, die zwischen der Einberufung des Langen Parlaments am 3. November 1640 und der Rückkehr Karls II. am 25. Mai 1660 liegen, sind in der Tat von größter Bedeutung, nicht nur für England selbst, sondern für die europäischen Länder überhaupt. E s kann gesagt werden, daß diese Revolution, die in der Gewalt ihres Ausbruchs wie in ihren Wirkungen wohl vergleichbar ist mit der von 1789, die erste große bürgerliche Revolution der nachchristlichen europäischen Geschichte ist. Die Bürgerkriege des Mittelalters waren doch mehr aristokratischer Natur; in ihren Kämpfen mit dem Königtum suchten die großen Landbesitzer der Feudalzeit sich von den Fesseln freizumachen, die ihnen das Recht des Königs hinsichtlich der Ausnutzung ihrer Ländereien und ihrer Pächter auferlegte. Die Vertreter der Grafschaften und der Städte hatten auch in England für lange keinen Anteil an der Ausübung der Staatsgewalt. Die revolutionären Erhebungen gingen — hier wie anderswo — vom Lande aus und waren — dem Charakter der Nation entsprechend — agrarischer Natur. Als die Macht der Städte wuchs und ihre Bedeutung als Zentren der beginnenden Industrialisierung erkennbar wurde, wird ihr Druck auf die Entscheidungen

des Königs stärker. Aber erst unter Heinrich V I I I . erscheinen die „Commons" als gleichberechtigt neben einem „House of Lords". 8 ) E s ist bekannt und oft hervorgehoben, daß die religiösen Erhebungen des 16. Jahrhunderts mit auf dieses Erstarken des bürgerlichen Elements zurückzuführen sind. Aber weder der Kalvinismus, der dem Fürsten den Einfluß auf das religiöse Leben der Nation nehmen wollte, noch das Luthertum, das die Macht des Papstes auf die Fürsten übertrug, führten zu einer Emanzipation des Bürgertums. Der Erstere konnte sich — wenn wir von der Entwicklung Hollands absehen — nur in geringem Umfang und jedenfalls nicht in seinem Ursprungslande durchsetzen; das letztere erlangte zwar dauernde Geltung in den mittleren Teilen Europas; aber seine hoffnungsvollen Ansätze wurden nur allzu bald zerstört durch eine unduldsame Geistlichkeit und durch die dynastischen und religiösen Kämpfe des Dreißigjährigen Krieges, der Deutschland um zwei Jahrhunderte in der Geschichte zurückwarf. In England selbst beobachten wir als Folge der Reformation ein starkes Ansteigen der königlichen Gewalt; obwohl längst zu einer Stellung gelangt, die sie zu einem der bedeutendsten Stände der Nation macht, ist der Einfluß der Städte auf die allgemeinen Angelegenheiten doch nur gering. Der König regiert durch seine Minister, Beamten und Richter das Volk, das sich, soweit es überhaupt bewußt teilnimmt an den inneren Kämpfen, zurückgesetzt und einem ihm unerträglich dünkenden Zwange in Glaubens- und Gewissensfragen unterworfen fühlt. Die Stellung Englands innerhalb der Staatenwelt war trotzdem in dieser Epoche nicht allzu bedeutend und jedenfalls nicht ungefährdet. Im Innern ließ die irische Frage ein Gefühl wirklicher Konsolidierung nicht aufkommen. Die englischen Könige konnten sicherlich nicht den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, die Seele des irischen Volkes gewonnen zu haben; die Reformation hatten den Gegensatz zwischen beiden Nationen noch verschärft. 7 ) Schottlands Rivalität tritt in der Folgezeit immer deutlicher hervor. Die Personalunion zwischen beiden Reichen war um so wenigergeeignet, dies zu verhindern, als die Einführung des presbyterianischen Kirchenregiments im Gegensatz zur episkopalen Verfassung der englischen Kirche erfolgt war. Diese Einführung des kalvinistjschen Systems in Schottland war so tiefgreifender Natur, daß selbst Jakob I. sich hütete, daran zu rühren, und den Erzbischof Williams warnte vor dem Versuch, das englische System in Schottland einzuführen.8) Wie gefährlich der schottische Vetter der Selbständigkeit des englischen Königreichs werden konnte, sollte sich in der Politik des schottischen Parlaments während der

— 17 — Bürgerkriege noch zeigen. Die Gefahr, die von Spanien her drohte, war zwar seit dem mißglückten Vorstoß gegen die Küste Englands (1588) nicht mehr tödlich; aber noch war Spanien Beherrscher des Atlantischen und des Mittelländischen Meeres, seine Städte: das neue und täglich sich ausbreitende Madrid, Cadiz, Granada, Toledo, Valladolid und Lissabon größer und volkreicher als irgendwelche auf dem Kontinent.9) Sein Handel mit beiden Indien füllte die Schatzkammern des Reichs. Aber schon erhob sich in nächster Nähe des englischen Königreichs selbst eine Macht, die der Stellung Englands noch gefährlicher zu werden drohte als die spanische Handelsflotte. Der englische Außenhandel war noch unter Elisabeth begrenzt. Jahrhundertelang hatte England seine Wolle nach Flandern verkauft und den Überschuß in auswärtigen Kriegen und in Tributen an den Papst angelegt. 10 ) Doch die Eroberung Antwerpens (1595), das bis dahin der Hauptstapelplatz für England gewesen war, zerstörte den Handel mit Flandern. Amsterdam, das im 17, Jahrhundert etwa die Stellung einnimmt, die London im 19. erlangte, wurde das Handelszentrum des nördlichen und östlichen Europas. Die Bank von Amsterdam, 1609 gegründet, machte die Hauptstadt Hollands zum Kapitalmarkt der damaligen Zeit, die Niederlande zum kapitalistischen Musterland der Epoche. Der Hafen von Amsterdam wurde alsbald der erste Seehafen von Europa und das Emporium des Baltischen Handels, der damals eine weit bedeutendere Rolle spielte als später. 1 1 ) Zaandam wurde das Zentrum des östlichen Holzhandels, Middelburg ein Seehafen von großer Frequenz. Diese Entwicklung traf den englischen Handel empfindlich, dessen Hauptbedeutung in seinen Beziehungen zum Norden und Osten lag. 12 ) Der Wettbewerb Hollands mußte den Londoner Kaufleuten um so unangenehmer werden, als der Handel mit Indien erst in- den Anfängen war und keinen erheblichen Gewinn abwarf. 13 ) Die Generalstaaten blieben während des ganzen 17, Jahrhunderts die gefährlichsten Rivalen des aufstrebenden englischen Händelsund Kaufmannstandes. Wir sind gewöhnt, die Äußerungen der nationalen Politik eines Volkes als einen Ausfluß des Willens der Gesamtheit aufzufassen und die Handlungen der Organe der auswärtigen Politik als Ausdruck des Volkswillens selbst zu betrachten. Das ist richtig und trifft das Wesen der Sache, soweit die formale Seite jener Aktionen in Frage steht. Denn daß die Handlungen im Rahmen der auswärtigen Politik das Volk als Gesamtheit der Staatsbürger binde, kann nicht in Zweifel gezogen werden. Keineswegs aber kann man behaüpten, daß die Politik des StaaBeiheft d. H . Z. 28.

o



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tes als Organs der herrschenden Schichten mit dem Interesse aller Angehörigen einer Nation übereinstimmen müßte oder tatsächlich übereinstimmte. So wie der moderne Staat selbst ein Konglomerat sehr verschiedenartiger und höchst selbständiger historischer Gebilde ist, deren Zusammenfassung nur mit geschichtlichem, nicht mit ethischen Maßstäben zu werten und zu erklären ist (Kirche, Beamtentum, Großgrundbesitz, Bauern, Städte usw.), so sind auch die zahllosen verschiedenen Interessen der Staatsangehörigen keineswegs immer identisch mit der Richtung der staatlichen Politik, und eine völlige Harmonie aller Teile der Gesamtheit ist praktisch ausgeschlossen. Eine Darstellung der politischen Entwicklung eines Volkes wird daher nur teilweise richtig sein und jedenfalls farblos bleiben, wenn sie nicht alle jene Elemente des Staates mitberücksichtigt, die für die Willensbildung der verfassungsmäßigen Organe von Bedeutung sind. Und ebenso wird eine verfassungsgeschichtliche Studie nur dann den Zusammenhang der Dinge etwas zu erhellen imstande sein, wenn sie die Gesamtheit der für die Ausbildung und Veränderung der Verfassung bedeutungsvollen Momente erfaßt und in den Kreis der Untersuchung zieht. 14 ) Fragen wir, wie und in welcher Richtung der Gegenstand der Betrachtung zum Zweck der besseren Beleuchtung der historischen Phänomene erweitert werden kann, so werden wir notwendig auf ein Gebiet gelenkt, das — wenn es auch keineswegs unerforscht geblieben ist — doch bisher nur selten in den Umkreis politischer und verfassungsgeschichtlicher Untersuchungen gezogen ist: auf das Gebiet der ökonomischen Bedingungen einer Epoche und — damit zusammenhängend — die Lage der verschiedenen Schichten der Bevölkerung. R o g e r s , der Erforscher des englischen Wirtschaftslebens der vergangenen Jahrhunderte, bemerkt einmal, daß F r e e m a n , der berühmte Autor der „Norman Conquest", trotzdem er alles nur erreichbare Quellenmaterial für sein Werk gesammelt habe, sich kaum auf das „Domesday Book" beziehe, das ein viel echteres, lebenswahreres Material darbiete als alle seine anderen Autoritäten. 15 ) E r berichtet, daß H a l l a m (der Verfasser der „Constitutional History of England") es einmal bedauert habe, daß wir uns nicht das Leben eines einzigen mittelalterlichen Dorfes vergegenwärtigen könnten, und fügt hinzu, daß Material hierfür in Hülle und Fülle vorhanden sei, und daß es keineswegs schwer sei, sich aus den Finanzberichten, Rechnungsbüchern, Gutsurkunden usw. ein klares Bild von dem Leben eines Engländers in den Tagen der Plantagenets von der Wiege bis zum Grabe zu rekonstruieren.

— 19 — Er führt weiter aus, wie ökonomische Tatsachen von größter Bedeutung auch für die politische und verfassungsmäßige Gestaltung Englands gewesen sind. Seine Darlegungen, die ich dem zitierten Buch „The Economic Interpretation of History" entnehme, sind so einleuchtend und einführend in die englische Geschichte, daß ich nicht unterlassen möchte, einige Beispiele zu referieren. Es ist bekannt, daß der Reichtum Englands vom 13. bis zum 16. Jahrhundert auf der Wollproduktion beruhte. In diesem Zeitraum spielte die englische Wolle dieselbe Rolle in Europa, wie im 19. Jahrhundert die Baumwolle und die Kohle, heute das Petroleum und der Kautschuk. England war damals das bei weitem wichtigste wollproduzierende Land Europas. Sein faktisches Monopol war weniger eine Folge des Klimas und des Bodens als eine solche der Aufrechterhaltung der Ordnung im Königreich. Denn nachdem die englische Landwirtschaft die Ackerwirtschaft aufgegeben und die Schafzucht eingeführt hatte, wurde eine starke königliche Zentralgewalt zum Schutz der Schafzüchter notwendig; sonst wären die Herden bald von den Vornehmen und ihren Gefolgsleuten geplündert worden. Der Friede des Königs war also zum Schutz des Schafbesitzers erforderlich. Wie sehr der Reichtum Englands damals auf seiner Wollproduktion beruhte, ergibt die Tatsache, daß Wolle der einzige Exportartikel war, auf den ein Ausfuhrzoll gelegt werden konnte, der vollen Umfangs von dem ausländischen Verbraucher bezahlt wurde. Und wie die Politik der englischen Könige durch diese ökonomischen Beziehungen zu den Niederlanden bestimmt wurde, wie die Freundschaft mit den flämischen Machthabem, die von Eduard III. und Heinrich V. so eifrig gepflegt wurde, von den Wollpreisen abhing, das alles näher zu untersuchen würde von großem Interesse sein. Sicher ist jedenfalls, daß die Fragen der Ausfuhrverbote und -erlaubnisse Gegenstand unzähliger diplomatischer Verhandlungen waren, und daß, wenn die englische Wolle ausblieb, Unzufriedenheit herrschte unter den Bürgern von Gent, Brügge und Ypem. Ein anderes, von R o g e r s gegebenes Beispiel — gleichfalls dem Historiker nicht unbekannt, aber wichtig genug um in diesem Zusammenhange erwähnt zu werden — betrifft die Veränderung der Handelswege zu Beginn des 16. Jahrhunderts. 16 ) Im 12. und 13. Jahrhundert bestanden eine Anzahl wohlbegangener und leicht zu bereisender Handelswege zwischen Hindostán und der westlichen Welt; die Umschlagsplätze, von denen aus die Waren über See nach Italien und von dort über die Alpenpässe 2«



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zum Rhein gebracht wurden, waren Seleucia, Trapezunt und Alexandria. Es ist bekannt, daß der Reichtum und die Macht der venezianischen und genuesischen Kaufleute und das Aufblühen der Städte im Süden Deutschlands und im Gebiete des Rheins und der Donau von der Vermittlung dieses Handels herrührten. Nürnberg, Regensburg, Köln, Antwerpen bergen noch heute die Denkmäler ihrer damaligen Größe. Diese Wege wurden — bis auf den über Alexandra — versperrt, als die Türken sich in den Besitz von Kleinasien und Griechenland setzten. Und auch die letzte Quelle versiegte, als Selim I. (1512—20) Mesopotamien, Arabien und Ägypten seinem Reiche einverleibt hatte. Da verfielen die so sorgsam gepflegten Handelsbeziehungen zwischen dem Norden und dem Orient, die deutschen Adligen, die bis dahin in den freien Städten sich hatten einbürgern lassen, verarmten; sie suchten ihre Verluste durch vermehrte Ausbeutung ihrer Pächter wettzumachen, und das Land wurde alsbald von schweren revolutionären Erschütterungen heimgesucht. Es ist bekannt, wie diese Verluste durch die portugiesischen und spanischen Entdeckungen und Eroberungen wettgemacht wurden. Aber der Norden Europas hatte an dieser Entwicklung zunächst nur geringen Anteil. Die Kämpfe der Folgezeit gehen um den Besitz der Seewege nach den beiden Indien. Der Landweg nach dem Osten bleibt für lange Zeit den europäischen Völkern verschlossen. Diese Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse Europas war auch für die ökonomische Entwicklung Englands von größter Bedeutung. Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts fängt England an, sich aus einem Agrar- in einen Handels- und Industriestaat umzuwandeln. Der Verlust der östlichen Handelswege traf England bei weitem nicht so schwer wie die mittelländischen und deutschen Stadtrepubliken. Er schuf andererseits die Möglichkeit, einen eigenen überseeischen Handel zu gründen und Beziehungen anzuknüpfen, die bis dahin in den Händen fremder Kaufleute gewesen waren. Ende des 16. Jahrhunderts wird der „Stalhof", der bis dahin den Handel Englands mit dem Osten Europas vermittelt hatte, aufgehoben. So verschwanden die venezianischen Händler aus dem Hafen von Southampton, und London begann, die erste Handelsstadt des Reiches zu werden. Seit Jakob I. beginnt die Reichshauptstadt gewaltig anzuwachsen und eine Stellung als Handelsplatz einzunehmen, wie sie nur von Amsterdam übertroffen wurde.17) Diese Entwicklung wurde begünstigt durch den niederländischen Aufstand, der den Handel der flandrischen Städte lahmlegte, und — späterhin — durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges, dessen Nutznießer



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zum guten Teil England war. ) Es ist zu dieser Zeit, daß die ersten englischen Auswanderer den amerikanischen Kontinent betraten, und der Grundstein zum englischen Kolonialreich gelegt wurde.19) Aber nicht nur der auswärtige Handel, auch die Manufaktur erleidet in dieser Epoche erhebliche Veränderungen. Wir sahen, daß die Wollproduktion jahrhundertelang den Hauptzweig der agrarischen Produktion bildete und daß der Reichtum Englands auf dem Export der geschorenen Wolle beruhte. Nach dem niederländischen Aufstand 20 ), der die westlichen Niederlande verwüstete und den Wollexport nach Flandern lahmlegte, begann ein Aufschwung der wollverarbeitenden Manufaktur in England selbst, der dem Lande neue Quellen des Reichstums eröffnete. Dieser Industriezweig, der durch das Königtum gefördert wurde21), verdankt seine Entwicklung vor allem der Einwanderung flandrischer Weber, die ihre Methoden der Wollverarbeitung in England heimisch machten. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß der Hauptanteil an den neuen Gewinnen auf die östlichen Grafschaften entfiel, während der Westen und insbesondere der Norden Englands, später der Hauptsitz seines Reichtums, von dieser Entwicklung zunächst nur wenig berührt wurden und hinter den östlichen Counties an Reichtum und Produktivität weit zurückstanden. Middlesex (mit London) ist bei weitem die reichste der englischen Grafschaften. Es bedarf keiner Ausführung, daß diese Entwicklung in erster Linie den Mittelklassen in Stadt und Land zugute kam. Wir werden auf diese Tatsache, die für die Beurteilung der sozialen und rechtlichen Probleme der englischen Revolution von entscheidender Bedeutung ist, noch öfters zurückkommen. „Die Freiheit, für welche das Parlament focht, war kein Einsatz, an welchem die Arbeiter irgendein Interesse oder einen Anteil hatten." 22 ) „Es war vorzugsweise ein Aufstieg der Mittelklassen gegen die absoluten Theorien der Regierung." Gleichwohl war der Arbeiter nicht ohne Bedeutung in den Kämpfen, die zur Befreiung des Bürgertums von den Fesseln der alten Feudalmonarchie führten. Es ist das hier behandelte Zeitalter, in welchem die sozialen Probleme entstanden, die bis heute die europäischen Staaten in Bewegung gehalten haben. Die Macht der Arbeiter war begründet in dem Anwachsen ihrer Zahl und in der Wanderung, die während des Bürgerkrieges einsetzte und insbesondere den Städten der östlichen Grafschaften große Mengen neuer Arbeitskräfte zuführte. 23 ) Die Arbeiter begannen einen erheblichen Teil der Bevölkerung auszumachen. Zusammen mit Seeleuten, Häuslern



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und Soldaten beträgt ihre Zahl Ende des 17. Jahrhunderts mehr als die Hälfte der ganzen Bevölkerung. 24 ) Diesem Anwachsen der Zahl entsprach ein Herabsinken des Lebensstandards, wie es bis dahin in der englischen Geschichte unbekannt gewesen war. Die Lage der Arbeiter in England war in früheren Jahrhunderten nicht ungünstig gewesen. Die Landarbeiter hatten vielfach eine faktische Unabhängigkeit erlangt und waren zu kleinen freeholders geworden, wie sie während des Bürgerkrieges die Reihen der Parlamentsarmeen füllten; die städtischen Handwerker, häufig Architekten und Zimmerleute in einer Person, hatten eine angesehene Stellung in den Städten. Die „Great Plague" und der Bauernkrieg im 14. Jahrhundert hatten die Lage der arbeitenden Bevölkerung eher verbessert als verschlechtert. Die menschliche Arbeitskraft war nach einem Naturereignis, das nahezu die Hälfte der Bevölkerung vernichtete25), teuer geworden. Die dann folgenden Bürgerkriege des 16. Jahrhunderts waren rein aristokratischer Natur und hatten die ökonomischen Verhältnisse des Landes kaum berührt.26) Aber im 16. Jahrhundert wurden die arbeitenden Klassen schwer bedrückt. Die Münzverschlechterung, ein Erbteil der Regierung Heinrichs V I I I . , die Einziehung der Klöster und des Gildenlandes waren die Ursachen dieses plötzlichen Abstiegs. Die Münzverschlechterung hatte die von festen Löhnen lebenden Teile der Bevölkerung viel härter getroffen als die übrigen Klassen. 27 ) Die Einziehung der Gildenländer, der Kranken- und Altersversorgungsanstalten des Mittelalters, hatte die Handwerker ihres wirtschaftlichen Rückhalts beraubt und sie — zusammen mit anderen Ursachen, von denen noch zu sprechen sein wird — dem Elend preisgegeben. Von größter Bedeutung für die Folgezeit wurde unter diesen Umständen die zwangsweise Festsetzung der Löhne, die durch die berühmte Act of 5 Elizabeth, Cap. 4, im Jahre 1562 eingeführt wurde und die die Magistrate ermächtigte, nicht nur die Löhne für Landarbeiter und städtische Bevölkerung in regelmäßigen quarter sections festzusetzen, sondern auch die Durchführung ihrer Einschätzungen durch Geld- und Gefängnisstrafen zu erzwingen und für alle Handwerker eine bestimmte Lehrzeit festzusetzen. Die Bedeutung dieser Act für die Entwicklung der modernen Arbeiterfrage kann nicht leicht überschätzt werden. Sie war — wenn wir den Worten des schon oft zitierten R o g e r s glauben dürfen — „das mächtigste Instrument, das je erdacht wurde, um den englischen Arbeiter zu degradieren und verarmen zu lassen". „Das Gesetz hatte das Beste dazu getan, um aus dem englischen Arbeiter einen Leibeigenen ohne Land zu machen." 28 ) Und weder unter dem Commonwealth, noch nach

— 23 — der Restauration, noch während des 18. Jahrhunderts hat ein Parlament es gewagt, an seinen Einrichtungen zu rütteln.29) Flüchtig, wie diese Skizze der ökonomischen Bedingungen nur sein kann, möge noch die Frage der Agrarverhältnisse zu Beginn des 17. Jahrhunderts gestreift werden. Im Mittelpunkt des englischen Wirtschaftslebens steht der „Landowner", d. h. der Großgrundbesitzer, der sein Land von dem Gutshof („manor") aus verwaltet oder verwalten läßt. Die großen Lords besitzen oft mehrere solcher „manors" und kommen nur zu gelegentlichen Inspektionen auf den Hof, auf dem der „baiüff" sie vertritt. Kirche und Korporationen gehören gleichfalls zu den Großgrundbesitzern. Daneben sehen wir die „Knights" der Gentry als Vertreter des mittleren Grundbesitzes. Die Bauern („farmers") stehen teils im Abhängigkeitsverhältnis von dem Grundherren und haben für ihr „leasehold" eine Rente zu zahlen, teils sind sie im Laufe der Zeit „freeholder" geworden. Der „villain" (Häusler) arbeitet mit auf dem Gutshof und steht sozial eine Stufe unter dem „farmer". Auf die verschiedenartigen Fragen, die mit der allmählichen Entstehung dieser Schichten der Landbevölkerung zusammenhängen, kann hier nicht näher eingegangen werden. Nur so viel sei bemerkt, daß der Prozeß der Emanzipation des Bauerntums von der gutsherrlichen Gewalt einen der bemerkenswertesten Züge der mittelalterlichen Agrargeschichte bildet und daß der englische Bauernkrieg im 14. Jahrhundert mit dieser Tendenz zusammenhängt.80) Daß die Lage der Bauern bis in das 16. Jahrhundert hinein verhältnismäßig günstig war, wurde bereits bemerkt, ebenso daß sie sich im 17. Jahrhundert rapide verschlechterte. Die Rente der „tenants" (Pächter) steigt vom Ende des 16. bis zum ersten Viertel des 17. Jahrhunderts von 1 s auf 5 s 6 d für den acre, während sich die Weiderente in demselben Zeitraum nur verdoppelt. Daß hierdurch die Lage der Pachtbauern sehr verschlechtert wurde, leuchtet ein, und wir lernen den Haß verstehen, der in diesen Kreisen gegen die Landowner herrschte, deren Habgier der Gegenstand fortwährender Klagen im 17. Jahrhundert ist. 31 ) Trotzdem waren die Bauern damals noch keineswegs bedeutungslos für das englische Staatswesen. Ihre Unabhängigkeit von fremder Arbeitskraft und häufige Nebenbeschäftigung (Spinnen und Weberei) machten sie neben ihrer Zahl und dem Umfang ihres Besitzes zu einem Faktor, der ihren Einfluß auf die revolutionären Ereignisse der 40er Jahre verständlich macht. Wir werden sehen, wie besonders die Gentry eifrig darauf bedacht ist, die Bauern „parlamentstreu" zu halten, während die Großgrundbesitzer, an der Aufrechterhaltung der hohen Renten und der Niedrighai-

— 24 — tung der Löhne interessiert, im Gegensatz zu der Bauernschaft stehen. Der Entwicklung auf dem Lande entsprach die wirtschaftliche Ausbildung der Industrie und des Handels in den Städten. Hier ist es vor allem die Ausbildung der großen Handelskompanien, die das wirtschaftliche Leben bestimmt und einen weitgehenden Einfluß auf die Politik der Könige ausübt. 32 ) Mit der Ausbildung einer nationalen Tuchindustrie im 16. Jahrhundert und eines starken Tuchexports fällt die Bildung der Handelsgilden oder „regulated companies" zusammen, die ein faktisches Monopol auf den Tuchexport nach den Niederlanden und nach Deutschland erlangen und diesen wichtigsten englischen Handelszweig auf dem Festland in bestimmten Stapelplätzen zentralisieren.33) Die Organisation dieser Kompanien ist noch eine lose; jedes ihrer Mitglieder — sie werden „merchant adventurers" genannt — handelt auf eigene Rechnung und Gefahr, ist aber an die gemeinsamen Regeln und Festsetzungen gebunden und hat die regelmäßigen Zusammenkünfte zu besuchen. Insbesondere dürfen sie ihre Waren nur an bestimmten Stapelplätzen zum Verkauf bringen. Der Seetransport findet noch — den Gefahren und der Unsicherheit der Seereise entsprechend — in Form des „convoy" statt, d. h. die Flotte fährt gemeinsam unter Schutz von Kriegsschiffen aus und bringt die Ladung zu dem Stapelplatz, an dem dann der gemeinsame Verkauf erfolgt. Die Kompanien übten ihr Monopol mit unerbittlicher Strenge aus; jedem anderen Kaufmann — die freien Händler werden als Eindringlinge, „interlopers", bezeichnet — ist der Verkauf von Waren verboten, seine Waren verfallen der Konfiskation. Da der englische Handel noch während der Revolution vorwiegend auf dem Tuchexport beruhte, ist das Privileg der Monopolkompanien volkswirtschaftlich von größter Bedeutimg für diese Epoche und führt zu den immer wiederkehrenden Beschwerden der im Unterhaus versammelten Vertreter der Bürgerschaften über ihre Willkür und die Nachteile, die durch sie dem freien Handel zugefügt werden. J a , man kann sagen, daß der Gegensatz zwischen dem „well ordered trade" und der „individual enterprise" einer der Hauptgründe für die Opposition des Unterhauses gegen die Politik der Stuarts ist und daß der Kampf des Langen Parlaments gegen die Monarchie hieraus seine eigentliche Kraft schöpft. Das Königtum war sich über die Bedeutung dieser Entwicklung durchaus klar. Der protektionistischen Tradition der früheren Jahrhunderte entsprechend stützte es sich auf die großen Monopolkompanien und benutzte sie zur Ausdehnung des Handels und

— 25 — zur Aktivierung der englischen Handelsbilanz. Dies war insbesondere die Politik Elisabeths, unter der die Verdrängung der ausländischen, insbesondere der hanseatischen Kaufleute und die zeitweilige Verlegung des Stapelplatzes von Antwerpen an die Elb- und Wesermündungen stattfand. 34 ) Unter den Stuarts wurde diese Politik zwar fortgesetzt, jedoch unter einem etwas veränderten Gesichtspunkt. Das Privileg der merchant adventurers wird aufrecht erhalten, Karl I. setzt jedoch die Eintrittssumme herab und schafft damit die Möglichkeit einer Vergrößerung des Kreises der Mitglieder.35) Diese Maßnahme war an sich durchaus gerechtfertigt. Denn die Holländer hatten inzwischen selbst die Manufaktur von Stoffen aufgenommen und sie auf eine beträchtliche Höhe gebracht, so daß die künstlich hochgehaltenen Monopolpreise der Kompanien die englischen Waren in Rotterdam unverkäuflich machten.36) Trotzdem diente auch diese Maßnahme dazu, die Opposition des Parlaments gegen die Monarchie zu verstärken. Denn die merchant adventurers, die ihre Vertretung in den presbyterianischen Abgeordneten hatten, dachten nicht daran, ihr Privileg aufzugeben, und setzten sofort nach dem Bruch mit dem König im Jahre 1643 eine Verdoppelung der Eintrittsgelder durch.37) So hatte die Maßnahme, die auf der Linie einer Lockerung der Fesseln des Handels lag, eine noch verstärkte Opposition des Parlaments zur Folge. Überhaupt ist es interessant zu sehen, wie die wirtschaftlichen Interessen die Politik der Königtums und des Parlaments während der Revolutionsjähre beeinflussen. Die Monarchie wurde ja nicht nur von den Presbyterianern bekämpft, sondern in noch schärferem Maße — wie wir noch sehen werden — von den Independenten. Diese stellen ein Element dar, das zwar in seinem Kampf gegen das Königtum auf der Seite der Presbyterianer steht, von diesen aber durch entgegengesetzte Interessen wieder getrennt ist. Wir werden noch sehen, wie die Spaltung beider Parteien den eigentlichen Anstoß zu der republikanischen Bewegung und den Vorgängen, die zur Hinrichtung des Königs führen, gibt. Hier nur so viel, daß die Independenten, sofern die städtischen Verhältnisse in Frage kommen, zahlreiche „interlopers" in ihren Reihen hatten und schon aus diesem Grunde in einem natürlichen Gegensatz zu den merchant adventurers standen.38) Diese „interloper" hatten ihren Sitz vorwiegend in den Provinzstädten, während die Kompanien am stärksten und besten in London entwickelt waren.39) Ihre Stellung war keineswegs unbedeutend. Sie hatten weitreichende Handelsbeziehungen und müssen einen. beträchtlichen Teil des Handels auf sich vereinigt haben. Ihre Position



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war vor allem gestärkt durch die Politik des deutschen Reichstags, dessen Schutz gegen die englischen Kompanien nach deren Festsetzung in Hamburg die Hanse angerufen hatte, und der durch einen Bescheid vom Jahre 1587 bewirkte, daß die englischen merchant adventurers sich von Hamburg nach Stade zurückzogen, und daß das Gebiet des deutschen Reichs nunmehr dem freien Handel von England offen stand.40) Wenn auch die englische Kompanie im Jahre 1 6 1 1 nach Hamburg zurückkehren durfte, so müssen die Handelsbeziehungen der Interloper nach Deutschland doch sehr zahlreich und gut ausgebaut gewesen sein.41) Daß diese Kreise des Handels die schärfsten Gegner des Königtums waren, braucht nicht weiter begründet zu werden. Schon im 16. Jahrhundert standen sie mit ihrer Forderung nach Beseitigung der Schranken des Handels im Gegensatz zur Monarchie, und auch zeitweiliges Nachgeben seitens der letzteren konnte die alte Gegnerschaft nicht beseitigen. In dieser trafen sie sich mit den Bestrebungen der Tuchindustrie, deren Absatz in den Städten zentralisiert und die derartig organisiert war, daß die Tuchhändler den auf dem Lande wohnenden Webern Wolle, sonstige Materialien, schließlich sogar Webstühle lieferte, wogegen die Weber nur ihnen das fertige Produkt verkaufen durften (sog. „Verlagsystem"). 42 ) Durch die einseitige Preispolitik der Monopolgesellschaften und die dadurch bewirkte Absatzstockung auf dem Markt in Rotterdam war gerade diese Industrie bei Ausbruch der Revolution in eine schwere Krisis geraten, die eine starke Auswanderung der Weber zur Folge hatte.48) Die Regierung versuchte, dieser Krisis durch Sperrung des Wollexports zu begegnen, der trotz aller behördlichen Maßnahmen einen nicht geringen Umfang gehabt haben muß.44) An der Aufrechterhaltung der Wollausfuhr hatten aber gerade die großen Landbesitzer ein Interesse, in deren Hand vor allem die Schafzucht lag. Die Regierung entfremdete sich also mit ihrer Industrie- und Handelspolitik gerade die Kreise, die ihr nach ihrer historischen Stellung am nächsten standen. Sie stellte sich damit dem Prozeß der Entwicklung eines kapitalistischen Großgrundbesitzes entgegen, der durch die immer mehr um sich greifenden Einhegungen gefördert wurde. Die Streitfrage, ob die Interessen des Tuchexports oder der Wollausfuhr den Vorzug verdienten, war — wie L o h m a n n darlegt (S. 74) — damals eine politische Frage ersten Ranges, die die Gemüter nicht weniger erregte, wie im 19. Jahrhundert der Streit um die Kornzölle. Wenn die Regierung in diesem Falle die merchant adventurers und die Tuchfabrikanten bevorzugte, so verdarb sie sich die Sympathien der ersteren wiederum dadurch, daß sie die Londoner Tuchfärber

— 27 — und -bearbeiter begünstigte. Denn die Kaufleute führten lediglich ungefärbte Tuche aus, weil — wie sie sagten — den holländischen und hamburgischen Abnehmern die englische Appretur und Färberei nicht gut genug sei. Da aber auch diese Zweige der Tuchverarbeitung monopolisiert waren, so konnten die Regierungsmaßnahmen die Unzufriedenheit der Handwerker nicht beseitigen, die ihrerseits vergeblich versuchten, in den großen Monopolgesellschaften Fuß zu fassen.45) Dieses Zusammenfallen der Interessen der Freihändler und Handwerker ist, wie wir noch sehen werden, für die innere und äußere Politik der Revolutionsepoche von großer Bedeutung. Es erklärt das Zusammengehen dieser beiden Bevölkerungsgruppen und die revolutionäre Energie gerade dieser Elemente. Die Monarchie stand diesen Kreisen der kleinen Produzenten und Kaufleute ablehnend gegenüber. Hatten die Tudors noch eine Wirtschaftspolitik getrieben, die bis zu einem gewissen Grade die allgemeinen Interessen der Bevölkerung begünstigte, so war die Politik der Stuarts auch wirtschaftspolitisch reaktionär. Ihr Bestreben war darauf gerichtet, sich von dem Einfluß der Vertreter der Städte und Grafschaften ganz frei zu machen und demgemäß die lokale Selbstverwaltung zu vernichten. Wir werden auf die kirchliche und staatliche Politik in dieser Beziehung noch zu sprechen kommen. Wirtschaftlich stützten sich Jakob I. und Karl I. vor allem auf den großen Grundbesitz, dann aber auch auf die „joint stock companies", d. h. auf diejenigen Handelsgesellschaften, die nicht, wie die merchant adventurers, den Handel durch ihre Mitglieder treiben ließen, sondern mit einem gemeinsamen Kapital mit entsprechendem Gewinnanteil der Gesellschafter handelten. Diese Gesellschaften stellten gegenüber den Handelsgilden eine noch höhere Form der Monopolisierung des Handels dar. Denn während jene den freien Wettbewerb zwischen den einzelnen Mitgliedern nicht ausschlössen und die Anzahl der letzteren grundsätzlich nicht beschränkten, gaben diese, wenn sie das Recht erhielten, mit bestimmten Gütern oder nach einer bestimmten Gegend zu handeln, anderen keine Möglichkeit eines Wettbewerbs. Sie waren auch rechtlich eine Monopolgesellschaft, während jene nur faktisch eine Monopolstellung hatten. 46 ) Sie wurden gegründet mit der Bestimmung, den Handel nach den entfernteren Gegenden zu treiben. Die berühmteste Gesellschaft dieser Art ist die East India Company, doch waren auch die Guinea und die Hudson Bay Company nach diesem System organisiert. Diese Gesellschaften standen mit der Monarchie in enger Verbindung; wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir ihre Mit-



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glieder während der Revolutionsjähre unter den Royalisten suchen. Begünstigte doch Karl I. gerade darum die Ostindische Kompanie, weil er durch ihre Erträgnisse sich vom Geldbewilligungsrecht des Unterhauses frei zu machen hoffte. 47 ) Auch außenpolitisch wirkte dies sich aus. Bestand doch eine natürliche Gegnerschaft zwischen der englischen und holländischen Ostindischen Kompanie, die jede Regierung, die sich auf die erstere stützte, zum Feinde Hollands machte, während andererseits Spanien, das nach dem Abfall Portugals in Ostindien keine Interessen zu verteidigen hatte, einer solchen Regierung freundlich gegenüber stand.48) Hieraus folgt auch, daß die merchant adventurers, die mit Holland handelten, mit der Ostindischen Kompanie im Gegensatz stehen mußten. Denn sie hatten an der Erhaltung des holländischen Marktes ein Lebensinteresse. Andererseits waren die Interlopers der Gesellschaft nicht feindlich gesinnt; denn da der ostindische Handel lediglich Import war — er betraf in der hier behandelten Periode vor allem Gewürze, die in Indien mit englischem Geld bezahlt wurden —, so wurde das Interesse der Freihändler, für die eine indische Reise an sich schon kaum in Frage kam, damals noch kaum berührt. Karl I. konnte daher das Eintrittsgeld für die holländische Handelsgilde ruhig herabsetzen, ohne befürchten zu müssen, das Interesse der von ihm begünstigten Ostindischen Kompanie zu verletzen. Die Industriepolitik der Stuarts war nicht weniger monopolistisch und restriktiv wie ihre Handelspolitik. Wie C u n n i n g h a m in seinem mehrfach zitierten Werk ausführt, war das Handwerk gerade auf dem Lande und in den Vorstädten früher verhältnismäßig frei gewesen; die Handwerkergilden übten nur in den größeren Städten einen schärferen Zwang auf ihre Mitglieder aus.49) Der Markt in den Provinzstädten war im allgemeinen unbeschränkt. Dieser binnenländische Marktverkehr war nun für die große Masse der konsumierenden Bevölkerung von größter Wichtigkeit. Die Freiheit derselben wurde als das „natürliche Freiheitsrecht" jedes freien Engländers betrachtet. 50 ) In direktem Gegensatz zu dieser Entwicklung stand die bereits unter Elisabeth begonnene, unter den beiden ersten Stuarts fortgesetzte Übung, gewisse Personen durch königliches Patent mit der Ausübung eines bestimmten Produktionszweiges zu betrauen und ihnen ein Aufsichtsrecht über die freien Produzenten zu geben. Der Sinn dieser merkantilistischen Politik war ein doppelter : einmal die Möglichkeit einer staatlichen Kontrolle über die Produktion zu schaffen und die Qualität der Erzeugnisse zu überwachen, dann aber auch die selbständigen Elemente und ihre parlamentarische Opposition zu ver-

— 29 — nichten und sich dadurch von dem Steuerbewilligungsrecht des Parlaments frei zu machen. Daß diese Politik die schärfste Gegnerschaft der großen Masse der Bevölkerung hervorrufen mußte, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Die Klagen der Abgeordneten des Langen Parlaments über die „monopolies" legen hiervon Zeugnis ab. Es ist eine industrielle Revolution, die damals von der Regierung selbst eingeleitet wurde, und die die Existenz von zahllosen selbständigen Gewerbetreibenden bedrohte. Denn die zentralisierte Produktionsweise schuf tatsächlich bessere Methoden der Herstellung und rief ganz neue Manufakturzweige ins Leben.51) Versuche, neue Maschinen einzuführen, stießen auf den geschlossenen Widerstand der Handwerker, die sich dadurch um ihr tägliches Brot gebracht sahen. Der Tuchexport, der sich mit der Ausfuhr unverarbeiteter Stoffe befaßte, sah die Einführung einer nationalen Tuchverarbeitungsindustrie mit Mißtrauen an. Es war das Schicksal des Königtums, daß es, indem es die alten Formen der Produktion zu zerstören versuchte, alle diejenigen Kräfte gegen sich aufrief, die an der Erhaltung derselben ein Interesse hatten. In dem Kampf, der sich darüber erhob, erwiesen sich die letzteren als stärkere Macht.52) Wir müssen, wenn wir die allgemeine Lage bei Ausbruch der Revolution verstehen wollen, noch auf die Frage der Steuerbewilligung des Parlaments eingehen, die in der Geschichte des Parlamentarismus, nicht nur in England, sondern überhaupt, eine besondere Rolle spielt. Die Untersuchung dieses Punktes gibt zugleich Anhaltspunkte für die Beantwortung der Fragen, die mit der Stellung des Königtums innerhalb der ökonomischen Elemente der damaligen Zeit zusammenhängen. Seit alters ist in England die Besteuerung (taxation) ein ausschließliches Recht des Parlaments gewesen. Die Steuerbewilligungen (grants to the king) stellten Zuschüsse zu den gewöhnlichem Einkommen des Königs dar, die dieser im Falle besonderer Notwendigkeit von den Commons sich gewähren lassen mußte. Ein Grundsatz, der während des ganzen Verlaufs der englischen Geschichte festgehalten wird, ist nun der, daß der König die Ausgaben für seinen Unterhalt und die Aufrechterhaltung des staatlichen Apparats aus den Einkünften seiner „estates" zu bestreiten hatte. Diese sind über ganz England zerstreut und stellen die alte „terra regis" dar, die der König durch seine „bailiffs" verwalten läßt. Wir sehen, daß der Ursprung der königlichen Gewalt in England — nicht anders wie im übrigen Europa — agrar-feudalischer Art ist und sich grundsätzlich nicht unterscheidet von dem Ursprung des Eigentums der übrigen Vornehmen des Landes. Außer

— 30 — dieser Einkommensquelle hatte der König gewisse Einkünfte, die aus seinen spezifisch königlichen Rechten flössen: Zölle auf Export und Import, Gebühren und Geldstrafen der Gerichte, Renten von Städten, die ihm direkt unterstanden, u. a. m. Dafür lagen ihm die Erhaltung des Friedens und gewisse Schutzpflichten gegen äußere Feinde ob. Ein direktes Besteuerungsrecht hatte er, wie gesagt, nicht. Dies war Sache des Parlaments. Es leuchtet ein, daß dieses System der Verteilung von Rechten und Pflichten zwischen dem Königtum und Parlament zu erheblichen Schwierigkeiten in der Praxis führen mußte. Zwar wurden dem König im allgemeinen keihe Schwierigkeiten gemacht, wenn er in Fällen außergewöhnlicher Gefahr eine außerordentliche Bewilligung verlangte. Wohl aber setzte die Kritik sehr lebhaft ein, wenn ein solcher dringender Fall nicht vorlag. Der Gedanke, der dieser Kritik zugrunde lag, war der, daß der König seinen „estate" nicht durch willkürliche und zwecklose Ausgaben vermindern dürfe. Es liegt auf der Hand, daß die Frage, wann und ob ein dringender Fall vorlag, von beiden Teilen sehr oft verschieden beantwortet wurde und daß hier eine Quelle fortwährender Streitigkeiten beider Teile lag. Das Recht der Steuerbewilligung ist sicherlich ein uraltes Institut des englischen Rechts, das auf altgermanischen Rechtsgedanken der angelsächsischen Periode beruht. Das was diese Institution so bemerkenswert gemacht und ihr die gewaltige Bedeutung für das moderne Verfassungsleben verliehen hat, ist, daß das englische Parlament in jahrhundertelangen Kämpfen dieses sein Recht zu verteidigen und insbesondere den normannischen Eroberern gegenüber durchzusetzen vermocht hat. Die Magna Charta ist nur eine Etappe — freilich eine der bedeutendsten —, auf diesem Wege. Der Begriff der Gesetzgebung, ist auf diesem Wege gefunden worden. Unser modernes Leben, alle seine Errungenschaften auf dem Gebiete der Finanz und Verwaltung, ja, der Begriff der Nation selbst als einer Einheit mit gemeinsamen Pflichten und Rechten, wären kaum denkbar, wenn das englische Parlament in seinem Kampfe mit dem Königtum unterlägen wäre. Ein anderer bemerkenswerter Punkt ist die immer mehr anwachsende Bedeutung des House of Commons innerhalb des Parlaments. Das alte House of Lords war in der Theorie nichts anderes als das „king's council", den dieser nach Belieben berufen und entlassen konnte. Daß dem König von dieser Seite eine dauernde und intensive Opposition entgegengesetzt werden wäre, kann nicht behauptet werden. Erst unter Karl I. beanspruchten

— 31 — und erhielten die Lords das Recht auf Einberufung. 53 ) Auch waren ihre Interessen, sowohl in ihren geistlichen wie in ihren weltlichen Gremium, mit denen des Königs zu gleichartig, als daß die königliche Gewalt von hier aus eine dauernde und grundsätzliche Einschränkung hätte erleiden können. Die Commoners dagegen waren erwählte Vertreter der Städte und Grafschaften, verantwortlich ihren Auftraggebern und bereit, für die Interessen derselben einzutreten und zu kämpfen. Sie wählten sich ihren Sprecher, der sie der Krone gegenüber zu vertreten hatte. Es leuchtet ein, daß das Recht zur Steuerbewilligung nur in diesem Hause ernsthaft vertreten werden konnte. Doch war diese Entwicklung am Vorabend der Revolution noch keineswegs abgeschlossen. Zwar hat Karl I. das Recht des Parlaments zur Gewährung der von ihm geforderten „subsidies" selbst nicht in Frage gezogen. Wohl aber suchte er, dem Beispiele seines Vaters folgend, durch Zurückgreifen auf alte, aus seiner Königsstellung fließende Rechte diejenigen Lücken auszufüllen, die er auf gesetzlichem Wege nicht beseitigen konnte. Eben hierdurch aber rollte er alle die Fragen auf, die hinsichtlich der Machtverteilung zwischen Krone und Parlament bestanden und ihre Lösung noch nicht gefunden hatten.

II. KAPITEL.

KAMPF ZWISCHEN KÖNIGTUM UND PARLAMENT. MONARCHIE UND KONSTITUTIONELLE DOKTRIN.

Wir sind gewohnt, die Stellung des Königtums in England unter dem Gesichtspunkt ungetrübter Harmonie zwischen Herrscher und Volk zu betrachten und das Äquivalent für die historisch begründete und äußerlich manifestierte Stellung des Monarchen und des Adels in der faktischen Präponderanz des Unterhauses und seines Rechts, die wichtigsten Stellen des Staats mit seinen Mitgliedern zu besetzen, zu sehen. Zugegeben, daß diese Harmonie heute tatsächlich besteht und daß sie, wenn auch nicht im 18., so doch im 19. Jahrhundert bestanden hat, so erscheint es doch notwendig darauf hinzuweisen, daß historisch jedenfalls Monarchie und Volksvertretung aus verschiedenen Wurzeln entsprungen sind und daß es zur Erkenntnis sowohl der geschichtlichen Entwicklung der rechtlichen Institutionen als auch der verschiedenen Rechtsinstitute selbst notwendig ist, beide Teile als Exponenten verschiedener sozialer Mächte zu betrachten, verschieden sowohl nach ihrer Herkunft, Stellung und Interessensphäre, wie nach ihrer Ideen- und Vorstellungswelt. Daß dieses Verhältnis in England seine besondere Note erhalten hat durch die normannische Eroberung, sei nur nebenbei erwähnt. Es ist kein Zufall, daß in den Jahren der Revolution und des Sturzes der Monarchie ein starkes Gefühl dafür entstehen konnte, daß die Herrschaft der normannischen Könige die alten Freiheiten vernichtet habe, und daß die These aufgestellt wurde, das Recht der Eroberung sei nicht imstande, die alten Freiheiten der englischen Nation zu zerstören.54) Denn auf dem Rechtstitel der Eroberung beruht in der Tat die Stellung des englischen Königtums, und — wenn es auch praktisch absurd sein mag, die Krone Englands heute mit derartigen Rechtstiteln und Akten in Verbindung zu bringen, — theoretisch hat sich an ihrer Rechtsstellung bis heute nichts geändert. Daß das Gleichgewicht, das sich im Kampf des Königtums mit den angelsächsischen Großen und — später — mit den Vertretern der Commons herausgebildet hat, nachdem es zu Beginn des

— 33 — i8. Jahrhunderts seine endgültige Form erhalten hatte, für zwei Jahrhunderte die Rechtsgrundlage für die Handlungen aller staatlichen Organe des Königsreichs und seiner Dominions geworden ist, ist gleichfalls unbestreitbar. Aber der Ausgleich zweier entgegengesetzter Interessensphären bedeutet niemals die endgültige Beseitigung der einmal vorhandenen Gegensätze. Gerade die Zeiten sozialer Erschütterungen zeigen uns, wie längst vergessene Feindschaften und Streitigkeiten von neuem zum Ausbruch kommen, destruktiv häufig in ihrer praktischen Wirkung, aber zugleich aufklärend und erhellend für die Erkenntnis der Vergangenheit und der Struktur der sozialen Gebilde. Es würde lächerlich sein, der Idee des Staats- und Sozialvertrages heute eine andere als historische Bedeutung zuzuschreiben. Wir haben es jetzt nicht mehr nötig, zum Beweise der Rechte des Individuums auf derartige Konstruktionen zurückzugreifen. Aber zu einer Zeit, als das Bürgertum seinen Emanzipationsprozeß noch nicht vollendet hatte, war die Konstruktion einer rechtlichen Verpflichtung nicht nur ein wirksames Mittel im Kampf gegen die Prärogative des Königs, sondern sie entsprach auch der geschichtlichen Rechtslage insofern, als sie die Tatsache der Anerkennung des Rechtsbegriffs seitens des Magistrats — um einen allgemeinen Begriff zu gebrauchen — zum Ausdruck brachte. Solche Anerkennung hatte in den Kämpfen zwischen König und Ständen im Mittelalter unzählige Male stattgefunden. Ihr eine juristische Einkleidung zu verschaffen und sie zu schützen gegen Übergriffe der souveränen Gewalten, diente der Gedanke des Gesellschaftsvertrages, der so zu einem Schema wurde, das überall dort Anwendung fand, wo es galt, Untertanenrechte gegen das Jus divinum des Souveräns zu verteidigen. So ist es zu verstehen, daß wir dem Vertragsgedanken bis in die Neuzeit hinein unter den verschiedensten Verhältnissen und Bedingungen begegnen und daß er überall der Ausdruck des Grades des jeweiligen Emanzipationsprozesses einer bestimmten Schicht der Bevölkerung ist. Wenn wir nun die beiden entgegengesetzten Theorien betrachten, die den Kampf des Königtums und des zur Macht strebenden Bürgertums begleiten: die Theorie vom „jus divinum" des Königs und dem passiven Gehorsam einer-, die Lehre vom Grundvertrag und dem aktiven Widerstandsrecht andererseits, so müssen wir uns darüber klar sein, daß, so wie beide Theorien die Exponenten zweier entgegengesetzter Systeme sind, sie doch auch wieder auf einer gemeinsamen Grundlage beruhen. Gooch weist darauf hin, daß die Hugenotten trotz der revolutionären Lehren ihrer Führer niemals über eine liberale Interpretation der konstitutioBeiheft d. H. Z. 28.

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— 34 — nellen Monarchie hinausgekommen sind, und daß es kindisch sei zu behaupten, ihre Wortführer seien Zeitgenossen von 1789. 65 ) In der Tat dürfen wir moderne demokratische Gedanken nicht in der Sphäre suchen, in der jene Kämpfe ausgefochten wurden. Solche Forderungen, wie wir sie später verwirklicht oder aufgestellt sehen, wären damals von allen Beteiligten als undiskutabel angesehen worden. Sie konnten erst ans Licht gelangen, als der Emanzipationsprozeß des Bürgertums soweit vorgeschritten war, daß die mittleren und unteren Klassen der Bevölkerung ans Licht drängten und Wortführer für ihre Ideenwelt gefunden hatten. Wir werden noch sehen, wie in den Jahren des Commonwealth die modernen demokratischen Gedanken urplötzlich und blitzartig auftauchen, freilich nur, um alsbald unterdrückt und nach der Restauration für 100 Jahre vergessen zu werden. Die Lehre vom Grundvertrag und die ihr verwandten Lehren erhalten unter diesen Umständen eine neue Beleuchtung. Gewiß, die Vorläufer des modernen Liberalismus kämpften für Freiheit in Kirche und Staat, wenn sie gegen Königtum und Episkopat angingen, und es ist eine Linie von W y c l i f bis zu den Puritanern der Revolutionsepoche. Aber wenn sie den Satz aufstellten, daß die Könige nicht nur Gott verantwortlich seien, sondern auch den Menschen, und damit den Grundgedanken des modernen konstitutionellen Staates fanden, so beanspruchten sie die Führerschaft im Staat nicht nur, weil sie selbst von König und Bischof bedrückt wurden, sondern auch weil sie das Gefühl hatten, daß, wenn einmal dies System zusammenstürzte, sie selbst mit in den Abgrund gerissen werden würden. E s ist kein Zweifel, daß die Lehre von der Gnadenwahl dazu diente, um die Unwürdigkeit tyrannischer Herrscher darzutun. Aber wir wissen andererseits, wie sehr C a l v i n darauf bedacht war, den Einfluß des Pastors auf die Kongregation zu sichern, „damit die Menge nicht mit Überstürzung oder in Aufruhr vorgehe". 56 ) Die unterhalb des Niveaus der damaligen Kämpfe befindliche Masse der Kleinbürger, Bauern und Arbeiter ist in der Tat ein Faktor, der in mehr als einer Beziehung von Bedeutung ist und die notwendige Komponente zu den Ereignissen bildet, die im Lichte der geschichtlichen Forschung erscheinen. Wer berichtet von den Leiden und Qualen, die grausame Beamte, ungerechte Richter, habgierige Gutsverwalter den Bauern, Handwerkern und Tagelöhnern zugefügt haben ? Ich habe in den Parlamentsberichten der damaligen Zeit wenig darüber finden können; die Klagen der parlamentarischen Führer bewegen sich in einer anderen Sphäre; sie betreffen Abgaben, Steuern und sonstige Belastungen des Handels und der Produktion. Eine wie große Rolle trotzdem

— 35 — die Massen auch in der englischen Revolution gespielt haben, wird noch gezeigt werden. Es sind noch nicht unsere modernen radikalen Ideen in den Massenbewegungen der damaligen Zeit, die das Bürgertum erschreckten; die Ideenwelt, in der sich die Sekten und die ihnen verwandten Gruppen bewegen, beruht noch ganz auf der kirchlichen und religiösen Vorstellungsweise des Jahrhunderts. Aber die Tatsache ihres Vorhandenseins, die Keime des Radikalismus, die in den sektiererischen Kreisen der Bevölkerung vorhanden waren, die mit dem Anwachsen der Städte und der Gründung neuer Industrien verbundene Proletarisierung des Handwerkerstandes und die Vermehrung der Arbeiterbevölkerung machen die Gefahr von dieser Seite von Tag zu Tag größer. Die zahlreichen Sekten fangen jetzt —namentlich in den Städten— an stereotyp zu werden. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß diese Kreise der Bevölkerung wenig profitierten von allen den Freiheitsgarantien, die die Meilensteine sind auf dem Wege der Emanzipation des englischen Volkes, und daß die Bauern und Handwerker jene Bürgschaften vergeblich angerufen haben würden.57) Um so mehr drängen diese Kreise nunmehr ans Licht. Und die Folgezeit hat gelehrt, daß ihre Ideen nicht nur nützlich, sondern sogar unbedingt notwendig waren für die Entwicklung der modernen Welt. Ist doch — um nur ein Beispiel zu nennen — der Gedanke der Toleranz, ohne den die Geschichte der beiden folgenden Jahrhunderte nicht gedacht werden kann, in den Kreisen der damaligen Sekten entstanden, und zwar im Gegensatz zu dem veralteten Grundsatz der Konformität, an dem noch die Kalvinisten und Presbyterianer festhielten.58) Die Festsetzungen der Grenzen königlicher und parlamentarischer Gewalt gewinnen unter diesen Umständen eine neue Beleuchtung. Sie sind nicht nur Abgrenzungen der beiderseitigen Machtsphären — ich behaupte nicht etwa, daß sie das nicht seien —, sondern sie sind auch Festlegungen der gemeinsamen Interessen im Verhältnis zu denjenigen, die an dieser Interessengemeinschaft nicht teilhaben. Das erscheint vielleicht überraschend, ist aber nichts Außergewöhnliches; bedeutet doch jede vertragliche Übereinkunft, auf welchem Gebiet sie auch immer stattfindet, nicht nur eine Abgrenzung der gegenseitigen Sphären, sondern auch die Feststellung gemeinsamer Interessen Dritten gegenüber. So ist auch die Lehre vom Vertrag zwischen Volk und Fürst als ein Ausdruck der gemeinsamen Interessen beider Vertragsteile aufzufassen.59) Ihre Bedeutung liegt darin, daß sie den Keil bildete, der den Block der theologischmonarchischen Theorien des Mittelalters sprengte und dadurch die modernen Gedanken über Staat und Gesellschaft zur Ent3*

— 36 — stehung brachte, daß sie aber gerade hierdurch diejenigen Schichten der Bevölkerung zum Selbstbewußtsein erweckte, die bis dahin ohne politische Bedeutung gewesen waren. Daß sie das letztere bewirkte, obwohl sie das Gegenteil davon bezweckte, ist eine Tatsache, die in der Dialektik der Geschichte nicht ohne Beispiel ist. Das Gegenstück zum Naturrecht und zum Gesellschaftsvertrag ist, wie bereits bemerkt, die Lehre vom Jus divinum des Königs.60) In England war diese Lehre seit langem die Grundlage der weltlichen Autorität gewesen. Die englischen Könige nahmen damit nur Rechte in Anspruch, wie sie jeder Fürst und jeder Magistrat Europas als die selbstverständliche Grundlage seiner Stellung ansah.61) Natürlich waren die Rechte des Königs auch früher nicht unangefochten geblieben. Aber diese Streitigkeiten lassen doch — wenn ich recht sehe — das Jus Divinum des Monarchen unberührt und bewegen sich meistens in einer aristokratisch-feudalen Sphäre.62) Es ist wahr, Männer wie B a c o n , Lord Brooke und R a l e i g h vertraten Ansichten, die eine Beschränkung der königlichen Gewalt bedeuteten.63) Aber es war, wenn wir von einer Opposition überhaupt sprechen können, eine solche des Oberhauses sie hatte ihre ökonomische Grundlage in der Landaristokratie und war durchaus verschieden von den puritanischen Ideen jener Zeit. Elisabeth, die den Puritanismus duldete, weil sie ihn nicht unterdrücken konnte, war doch weit davon entfernt ihn zu akzeptieren. An den Rechten ihrer Prärogative hat sie immer festgehalten, wie ihre Streitigkeiten mit den Commons zur Genüge zeigen. Jakob I. tat nichts anderes, als die Grundlagen seines Rechts betonen, wenn er das göttliche Recht des Königtums in seinen Schriften und Handlungen zum Ausdruck brachte. Sein berühmtes Wort: „Ohne Bischöfe kein König" 64 ), ist historisch durchaus richtig. Auf dem Zusammenhalten beider Institutionen hatten die europäischen Monarchien bis dahin beruht. Der Sturz des Königtums war Voraussetzung und Folge der Beseitigung der bischöflichen Gewalt. Kirche und Königtum standen in einer Front gegen Parlamentarismus und Volksherrschaft.65'66) Was war nun der Inhalt der Jus Divinum des Königs?67) In erster Linie umfaßt es den Satz, daß die Monarchie erblich sei und daß dieses Erbrecht durch keinen Akt der Usurpation beseitigt werden könne. Das Recht der Geburt geht allen anderen Erwerbstiteln vor.68) Es leuchtet ein, daß dieser Grundsatz die Hauptstütze einer Dynastie sein mußte, die, wie die Stuarts, im Kampfe mit den Ansprüchen des Parlaments auf Regelung der Sukzession den Thron bestiegen hatte und daß das Bestreiten

— 37 — dieses Anspruchs die gesamte Grundlage des bestehenden Staatsrechts erschüttern mußte. Die Kämpfe in Frankreich im 16. Jahrhundert hatten vor allem diese Frage zum Gegenstand gehabt. Wenn das englische Parlament das Recht, die Nachfolger des Königs zu bestimmen, für sich in Anspruch nahm, so stellt es damit alle Akte der staatlichen Gewalt in Frage. Nicht nur das Königtum selbst, sondern alle, die ein Recht von seinem Bestände ableiteten, waren daher an der Aufrechterhaltung des Grundsatzes interessiert. Es war nicht vor 1688, dem Jahre der „Glorious Revolution", daß der Grundsatz der erblichen Sukzession ohne Erschütterung der rechtlichen Struktur des Landes modifiziert werden konnte. Der zweite Hauptsatz der Lehre vom Jus Divinum ist das Prinzip, daß Nicht-Widerstand und passiver Gehorsam gottgefällig seien. Ihm trat die Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes entgegen. Es wurde bereits erwähnt, daß diese Lehre keine Geltung hatte, soweit sie den individuellen Widerstand gegen die Staatsgewalt zum Gegenstand hatte. Nur die unteren Magistrate bzw. das Parlament — dieser Satz galt auch für England — durften dem König Widerstand leisten. Auch fehlte es nicht an Versuchen, beide Grundsätze theoretisch miteinander zu vereinigen. Noch während des Bürgerkrieges hielt das Parlament stets an der Fiktion fest, daß es die Autorität des Königs selbst verteidige. Und ebenso wurde nach der Abdankung Jakobs II. die Behauptung aufrechterhalten, daß das Verfassungssystem ohne Bruch mit der Vergangenheit weiter entwickelt worden sei.69) Diese Konstruktionen können aber über die Größe des faktischen Gegensatzes nicht hinwegtäuschen. Der Streit ging eben darum, wo der Sitz der souveränen Gewalt hege, ob im erblichen Königtum oder in dem Parlament und seiner Gesetzgebung. Dieser Streitpunkt war auf theoretischem Wege nicht zu beseitigen. Denn wenn die Souveränität im Gesetz lag, so band dieses auch den König, und die Akte der „Prärogative", wie man damals die Gesamtheit der königlichen Vorrechte bezeichnete, waren ungültig. Wenn aber derjKönig vor und über dem Gesetz stand, so konnte er durch dieses nicht gebunden werden. Der Gesetzesbegriff wurde der Idee des göttlichen Rechts des Monarchen gegenübergestellt. Der Widerstand, der von dieser Seite dem Anspruch des Königs auf Gehorsam entgegengesetzt wurde, war für ihn nicht minder gefährlich wie der des Puritanismus. Die Vertreter des Gesetzes und seine Avisleger, die Richter, konnten sich auf die jahrhundertealten Statuten berufen, in denen die Grundsätze des englischen Rechts niedergelegt waren. Waren die Lehren der

— 38 — Kalvinisten vom Gnindvertrag und Widerstandsrecht theoretische Konstruktionen, deren Richtigkeit unter Berufving auf logische Argumente bestritten werden konnte, so waren die Akte des Statute Book positives Recht, in dem die Privatinteressen der einzelnen ihre feste Abgrenzimg gefunden hatten. Obwohl Jakob I. den größten Teil der Richter sich gefügig zu machen wußte — er setzte die Klausel in ihre Patente, daß sie jederzeit absetzbar seien —, fanden sich doch genug, die den Ansprüchen des Königs entgegentraten.70) Bekannt ist der Fall des Chief justice Coke, des Wortführers der oppositionellen Lawyers, der darüber sein Amt verlor.71) Und nicht nur auf die Autorität des Statute Law konnten sich die Richter berufen. Die Auslegung des geheimnisvollen, ungeschriebenen, auf die ältesten Zeiten zurückgehenden und beinahe göttliche Autorität besitzenden „Common Law" lag in ihrer Hand und konnte ihnen selbst von einem Jakob I. nicht genommen werden. Diese Rechtsquelle hat von jeher einen ebenso großen wie unbestimmbaren Einfluß auf die Gestaltung der politischen Verhältnisse in England gehabt. Der Gedanke, ihre Autorität zu benutzen, um nicht nur Ordonnanzen des Königs, sondern auch Parlamentsakten die rechtliche Wirksamkeit abzusprechen, lag nahe, denn auf dem Rechtsgedanken beruhten alle Handlungen der weltlichen Autorität. Wurde er durch Richterspruch aberkannt, so war ihre Wirksamkeit praktisch beseitigt. Freilich war das Gesetz selbst wieder verschiedener Auslegung fähig, nicht nur das Common Law, dessen richterliche Feststellung den Richter faktisch zum Gesetzgeber machte, sondern auch das statutarische Recht. Es ist hier nicht der Ort auseinanderzusetzen, ob und warum die Interpretation eines Rechtssatzes in Hinblick auf einen bestimmten Fall stets verschiedene Möglichkeiten der Entscheidung offen läßt. Sicher ist, daß, wenn man die Fiktion der imbedingten Richtigkeit der richterlichen Entscheidung beseitigen würde, das Gesetz viel von seiner Autorität verlieren würde. Tatsächlich ließ nun aber die alte, höchst unklare und widerspruchsvolle englische Gesetzgebung die verschiedenartigsten Auslegungen zu. Die Vertreter der königlichen Prärogative konnten sich ebensowohl auf alte Statuten und Sätze des Common Law berufen wie die Verfechter der Autorität des Gesetzes. Ja, man wird sagen dürfen, daß sie sogar bessere juristische Argumente für sich anführen konnten als ihre Gegner. Wenn sie trotzdem unterlagen, so deshalb, weil das Parlament in seinem Kampfe gegen den König diejenigen Gesetze beseitigte, die seinen Ansprüchen entgegenstanden, und infolgedessen keine Richter dulden

— 39 — konnte, die seinen Titel bestritten. Indem das Übergewicht der königlichen Gewalt, in ihrer Verflechtung mit den Ansprüchen der geistlichen und weltlichen Aristokratie, dahinschwand und die Kreise des besitzenden Bürgertums und der ihr durch gemeinsame Interessen verbundenen Landbesitzer das Ubergewicht erlangten, änderte sich auch die Auffassung vom Wesen des Rechts und die Auslegung der positiven Gesetzesbestimmungen. Denn nicht nur die Auffassung von Recht und Unrecht, sondern bis zu einem gewissen Grade auch die Interpretationsmethoden selbst und, demgemäß, die Regeln logischen Denkens sind Ausdruck der jeweiligen Machtverhältnisse und ändern sich mit diesen. Die Ideen ringen ebenso miteinander und kämpfen um das Recht auf Existenz wie die materiellen Kräfte, deren Ausdruck sie sind. Es ist unmöglich, eine .Instanz zu erdenken, die — außerhalb des Individuums stehend — potentiell einen absoluten Maßstab für die Handlungen des Menschen geben könnte, weil dieser Maßstab doch immer derjenigen Machtsphäre zugehört, die ihn als allgemeine Norm in Geltung wissen will. Ein Beispiel hierfür gibt die Kontroverse zwischen dem royalistischen Richter J e n k i n s und seinen parlamentarischen Gegnern, die von beiden Seiten mit großer Heftigkeit und großem Aufwand an juristischem Scharfsinn geführt wird.72) Man ist heute geneigt darüber zu lächeln, wie sich beide Teile unter Berufung auf die ältesten Gesetze des Königreichs bemühen, ihren Standpunkt zu rechtfertigen. Aber diese juristische Scholastik verbirgt doch nur die realen Gegensätze und zeigt in der Tat die Unvereinbarkeit der Ansprüche des Königs und des Parlaments. Insbesondere zeigen die Jenkinsschen Ausführungen die Verbundenheit der faktischen Ansprüche der Monarchie auf Unbeschränkbarkeit der Exekutive mit der alten Gesetzgebung des Königreichs. So wenn er die „vertuell power" — wir würden heute sagen, die Souveränität — als gleichsam körperlich im König selbst ruhend erklärt, so daß sie von ihm wohl der Ausübung, nicht aber der Substanz nach zu trennen ist. Oder wenn er sich auf den alten Rechtsgrundsatz Englands beruft, daß der natürliche und der politische Körper einen unsichtbaren Körper bildeten, und wenn er den „assent" des Königs zu den Parlamentsakten als die Seele des Körpers bezeichnet, die diesem gleichsam erst das Leben gebe. Solche Argumentationen zeigen den absolutistischen Ursprung des englischen Königtums und sind für die monarchische Staatsauffassimg überhaupt bezeichnend. Sie erinnern an verwandte kirchliche Gedanken und zeigen die idealistische Grundlage der theokratischen Theorie. Zweierlei ist ferner besonders charakteristisch: die unbe-

— 40 — streitbare Folgerichtigkeit vom Standpunkt der Monarchisten aus und die Unvereinbarkeit dieses Standpunkts mit dem Anspruch des Parlaments, selbst der Sitz der „vertuell power" zu sein.73) Die ganze Tiefe des Gegensatzes zwischen der alten Auffassung vom Gottesgnadentum des Monarchen und der modernen Auffassung vom Rechte des Parlaments tritt uns hier entgegen. Dieser Gegensatz war nur durch Kampf zu beseitigen. Unmöglich, die Tatsache dieses Gegensatzes durch juristische Konstruktionen zu beseitigen. Gewiß, auch die Juristen des Parlaments konnten sich auf die Gesetze Englands berufen. Sie konnten darauf hinweisen, daß der König nach englischem Staatsrecht unrecht handele, wenn er die Gesetze des Landes verletze, wenn er Subsidien erhebe, Steuern auferlege, Verhaftungen vornehme, die Rechtsprechung verweigere, aufschiebe oder käuflich mache. Aber alle diese Schranken ließen doch immer die Frage offen, wo der eigentliche Sitz der Souveränität sei und wer die Entscheidung in denjenigen Fällen zu treffen habe, in denen eine gesetzliche Grundlage nicht vorhanden war. Diese Frage ist die crux aller konstitutionellen Staatsrechtslehrer gewesen. Sie ist bisher endgültig nur durch Gewalt entschieden worden.74) Aber diese Feststellungen erklären noch nicht, warum der Gesetzesbegriff eine derartige Rolle spielte im Kampf des Parlaments mit dem Königtum und worauf die faktische Macht beruhte, die das Recht und seine Vorschriften auf die Handlungen beider Parteien in ihrem Kampfe miteinander ausübte. Wenn der Kampf ein solcher der materiellen Kräfte war, warum setzte sich der König nicht über alle diese schwierigen Rechtsfragen und bestrittenen Rechtstitel hinweg und bestätigte seinen Rechtanspruch mit der Schärfe des Schwerts ? Warum berief er immer wieder das Parlament, obwohl er wußte, daß die Opposition desselben von einem zum anderen Mal stärker wurde, und warum zögerte Karl I. so lange mit der Eröffnung des Kampfes, bis die Dinge keine andere Wahl mehr übrigließen ? An der Spitze der Exekutive, gestützt auf seine militärische Macht, hätte er ohne Schwierigkeit der oppositionellen Mitglieder des Parlaments Herr werden können. Was machte seine Stellung so schwach, daß er Schritt um Schritt vor den Forderungen der Führer der Opposition im Parlament zurückwich? Wir rühren hiermit an einen Punkt, der in der politischen Geschichtsschreibung bisher geringe Beachtung gefunden hat. Wohl hat man immer wieder gefragt, warum es so weit kommen mußte, wie es gekommen war. Aber man hat die Antwort weniger in einer Untersuchung der faktischen Machtverhältnisse der Par-

— 41 — teien gesucht, als den Grund für den Sturz des Königs in seinem Verhalten gegenüber dem Parlament finden zu können geglaubt. In dieser Hinsicht besteht eine seltene Einmütigkeit unter den politischen Historikern. C l a r e n d o n , obwohl konservativer Staatsmann und Parteigänger Karls II., führt doch in seiner berühmten „History of the Rebellion"' 5 ) die Quelle aller Übel, die er selbst und seine Freunde in der Verbannung zu erleiden hatten, auf die unzeitgemäße, unkluge und überstürzte Auflösung des Parlaments zurück (Bd. i , S. 5). B u r n e t , in seiner „History of my own Time", ist gleichfalls der Ansicht, daß, wenn der König den Forderungen des Parlaments nicht nachgegeben hätte, er noch schneller gestürzt worden wäre, weil er dann nicht imstande gewesen sein würde, die Nation zu spalten und den mit den Konzessionen zufriedenen Teil auf seine Seite zu ziehen.76) Den Grund für den Mißerfolg seiner Handlungen sieht er im übrigen in den persönlichen Eigenschaften des Monarchen und in den ungünstigen Einflüssen seitens seiner Berater. M a c a u l a y ist davon überzeugt, daß, wenn der König seine ersten Versprechungen gehalten hätte, die Reaktion sehr bald so stark geworden wäre, daß die besten Royalisten sie sich nicht hätten stärker wünschen können. E r schreibt das Unglück des Königs seiner Wortbrüchigkeit und der Verachtung des Gesetzes zu (S. 107/8). R a n k e teilt diesen Standpunkt nicht. Er sieht, daß der Versuch, das Gleichgewicht zwischen Prärogative und parlamentarischem Recht durch Nachgiebigkeit herzustellen, notwendig scheitern mußte, und findet den Grund dafür in „der großen Strömung der europäischen Dinge, welche eine Wendung zugunsten der rein protestantischen Idee genommen hatte" 77 ), d. h. mit anderen Worten in den Verhältnissen der äußeren Politik. Das ist sicher ein maßgebender Gesichtspunkt ; er erklärt aber die Handlungsweise des Königs nicht vollständig. Die Frage bleibt offen, warum die äußere Politik einen solchen Einfluß auf die Handlungen Karls I. ausübte und warum dieser nicht imstande war, die Verhältnisse so zu gestalten, daß er eine nach außen und innen gesicherte Stellung erlangen konnte. Daß dies trotz der protestantischen Bewegung des Jahrhunderts möglich war, beweist die gleichzeitige Entstehung des Absolutismus in Frankreich. Im übrigen steht R a n k e mit seiner „objektiven" Theorie, soweit ich sehe, allein. Die herrschende Auffassung ist die, daß das Königtum stürzte, weil es den Forderungen des Parlaments nicht rechtzeitig nachgab. Die Schuld an dem Zusammenbruch — soweit man überhaupt von einer solchen sprechen kann — wird also dem Monarchen und seinem, durch schlechte Berater beeinflußten falschen Verhalten zugeschrieben.

— 42 — Nun ist es hier nicht des Ortes, ein Urteil über den moralischen Wert der Handlungen Karls I. und seiner parlamentarischen Gegner zu fällen, noch ist es u. E. überhaupt möglich, in diesem Falle ein Werturteil abzugeben. Denn — wie bereits ausgeführt — die Moralbegriffe selbst sind dem Wandel der Machtverhältnisse unterworfen und ändern sich mit diesen. Notwendig aber ist es, nach den Ursachen solcher historischer Erscheinungen zu forschen, wie sie die Nachgiebigkeit des Königs, sein gleichzeitiges und so schwer damit zu vereinbarendes starres Festhalten an den Rechten der Prärogative, der Einfluß der außenpolitischen Verhältnisse auf seine Entschließungen, die Kühnheit der oppositionellen Führer des Unterhauses, das Nachgeben des Oberhauses in allen entscheidenden Fragen usw. darstellen, — Erscheinungen und Tatsachen, die eine Fülle von Schwierigkeiten und Problemen in sich bergen. Es leuchtet ein, daß es nicht genügen kann, ein derartiges Phänomen mit der Tatsache des Vorhandenseins eines anderen Phänomens zu begründen. Es ist unmöglich, die Tatsache des Sturzes der englischen Monarchie mit dem Verhalten des Königs zu erklären, ohne gleichzeitig die Gründe dieses Verhaltens darzulegen. Es genügt auch nicht, diese Gründe in den Charaktereigenschaften Karls I. zu erblicken. Denn die Eigenschaften des Charakters sind selbst nur die Reflexe äußerer Einflüsse und Umstände, sei es der Erziehung, der Umgebung, der Erfahrung, der Lebensbedingungen. Nur wenn man in jedem Fall nach den weiteren Ursachen sucht, kann man zu einer gerechten Würdigung der geschichtlichen Ereignisse gelangen. Dies vorausgeschickt, und in der Absicht, einen objektiven Bewertungsmaßstab für die Beurteilung der Position beider Parteien zu gewinnen, werden wir auf einen Faktor geführt, der eine entscheidende Rolle in den Kämpfen des Königtums und des Parlaments gespielt hat: Das der Entwicklung entsprechende Empordrängen der unteren Klassen und der Einfluß, den dieses Empordrängen auf die Entschließungen des Königs und des Parlaments ausgeübt hat. Ich behaupte nun nicht etwa, daß dies Element in der bisherigen Forschung nicht berücksichtigt worden sei. Im Zusammenhang mit der Erforschung wirtschaftlicher Erscheinungen ist das Aufsteigen der unteren Klassen in dieser Epoche oft bemerkt worden. Ich habe am Anfang meiner Ausführungen Gelegenheit gehabt, auf die vortrefflichen Forschungen von R o g e r s über diese Frage hinzuweisen und könnte die Zahl der Autoren auf diesem Gebiet durch Hinzufügung anderer Namen leicht vermehren. Ebenso ist im Zusammenhang mit der Darstellung der

— 43 — politischen Ereignisse der Einfluß der Demonstrationen der „apprentices" von London auf die Handlungen der beiden Parteien oft bemerkt worden. So berichtet R a n k e über die Unruhen in der Hauptstadt Ende des Jahres 1641. E r sieht dabei vollkommen richtig, daß die Führer der Opposition im Unterhaus den Eindruck der bewaffneten Demonstrationen vor dem Parlamentshaus und dem Palast des Königs dazu benutzten, um — vermittels einer völlig unbegründeten und jeder Rechtsgrundlage entbehrenden öffentlichen Anklage wegen Hochverrats — die Bischöfe aus dem Oberhaus zu entfernen und dieses ihren Wünschen gefügig zu machen.78) Daß diese revolutionären Bewegungen von Bedeutung für den Gang der politischen Ereignisse gewesen sind, war schon Clarendon klar, der feststellt, daß die Begünstigung derselben durch das Unterhaus ihre Stärke erheblich vergrößerte.79) In den Vordergrund geschoben ist dieses Element der politischen Geschichte jedoch keineswegs. Und insbesondere fehlt es an einer systematischen Untersuchung der Frage, in welchem Umfang diese „populären Bewegungen" für den Fortgang der politischen Geschichte von Bedeutung gewesen sind. Ich glaube annehmen zu können, daß das Ergebnis einer solchen eingehenden Untersuchung überraschend sein würde. Vergegenwärtigen wir uns nun, daß — wie mehrfach hervorgehoben — die Hauptkämpfe des 17. Jahrhunderts solche waren, die durchaus oberhalb des Niveaus der Bauern, Kleinbürger und Handwerker lagen, und daß die Führer der Opposition sich vorwiegend aus den Kreisen des besitzenden Bürgertums und des mit ihm durch gleiche Interessen verbundenen größeren Landbesitzes rekrutierten, so leuchtet ein, daß sowohl der König und seine Berater und Anhänger wie auch die Parlamentarier an der Aufrechterhaltung des bestehenden Rechtszustandes interessiert waren. Durch die Elisabethanische Gesetzgebung war die Struktur des sozialen Aufbaus zu einem wesentlichen Teil von der Tätigkeit der Friedensrichter in bezug auf die Löhne und Preise abhängig geworden. Aber auch die Rechtsprechung in der streitigen Gerichtsbarkeit war ein Teil der sozialen Struktur. Sie zu beseitigen hätte die Grundlagen des bestehenden Rechtssystems zu erschüttern bedeutet. Keine Regierung der folgenden beiden Jahrzehnte hat es gewagt, an diesen Grundlagen zu rütteln. Wenn wir nun davon ausgehen, daß die Lage der arbeitenden Klassen in England damals außerordentlich schlecht war — ich verweise auf meine früheren Ausführungen —, und daß der Haß dieser Klassen — was unbestreitbar ist — sich in erster Linie gegen das Königtum und das Episkopat richtete, so folgt daraus zu-

— 44 — nächst einmal, daß diese beiden Exponenten der konservativen Interessen und Traditionen ein lebhaftes Interesse daran hatten, sich gegenseitig zu stützen und ihre Theorien und Dogmen miteinander in Einklang zu bringen. Es folgt ferner daraus, daß die Vertreter des Parlaments als derjenigen Körperschaft, in der die materiellen Interessen der Nation repräsentiert waren, vor die Wahl gestellt waren, ob sie die Forderungen des Volkes unterstützen oder ihnen entgegentreten sollten, und daß für sie bei dieser Wahl die Frage eine Rolle spielen mußte, wo ihre Interessen, die ja gleichzeitig auch die Interessen der ganzen Nation waren, am besten gewahrt seien. Es ist dies die Frage, die zu den Spaltungen innerhalb der beiden Häuser des Parlaments und — entsprechend dem Zurückweichen des Königs — zur allmählichen Zersetzung und — nach dem Sturz des Königtums — zur schließlichen Auflösung des Langen Parlaments geführt hat. Sie ist die eigentliche Ursache für die Aufrichtung der Diktatur Cromwells geworden. Nun konnte zwar das Parlament in seiner Politik gegen den König und seine Berater derjenigen Sicherheiten entbehren, die die Institution der Monarchie mit ihrer durch die Jahrhunderte hindurch geheiligten Tradition ihm bis dahin dargeboten hatte. Denn der Haß der Massen richtete sich in diesem Augenblick nicht gegen das Parlament, sondern gegen die Monarchie, und die Führer des Unterhauses brauchten nur den Druck zu verstärken, um der Popularität in der Bevölkerung sicher zu sein. Nicht aber konnte der König auf die Garantien verzichten, die ihm das Vorhandensein des Parlaments und der übrigen öffentlichen Korporationen in diesem Augenblick bot. Denn diese waren aufs engste mit dem ganzen rechtlichen und sozialen Aufbau des Landes verbunden, ja, sie waren der wesentlichste Teil derselben. Mehr noch, das Königtum selbst war ihnen in seinem Ursprung verwandt und hatte mit ihnen zahlreiche gemeinsame Interessen. Saß doch der König selbst im Parlament und war einer der größten Grundbesitzer. Hätte der König das Parlament selbst angegriffen, so hätte er den Widerstand des ganzen Landes erregt und wäre — denn auch seiner eigenen Ratgeber war er in diesem Falle nicht sicher — faktisch isoliert gewesen.80) Ich zweifle nicht, daß Karl I. ein lebhaftes Gefühl für die Schwäche seiner Position gehabt hat. Seine Seelenkämpfe bei der Zustimmung zu der bill of attaindre gegen Strafford werden erst dann recht verständlich.81) Wenn nun aber der König auch nicht wagen konnte, die Rechtsgrundlage des Staats anzugreifen und insofern gegenüber seinen Gegnern in erheblichem Nachteil war, so bestanden doch auch für das Parlament Schranken hinsichtlich der Frage, wieweit

— 45 — es in seinen Handlungen gegen den König vorgehen sollte. Zwar konnte das Parlament des Rechtsschutzes, den ihm die Krone gewährt hatte, im Augenblick eher entbehren, als diese die Sicherheiten, die ihr Parlament und öffentliche Verfassung boten. Es erwies sich aber alsbald, daß die Position des Parlaments seinerseits abhängig war von dem Vorhandensein einer monarchischen Gewalt, und daß eine Veränderung in dem Verhältnis von Krone und Volksvertretung auch eine Veränderung der Stellung der letzteren bedeutete. Es zeigte sich, daß der Rekurs des Parlaments an das Volk zu einer societas leonina zwischen beiden zu führen drohte. Es ist dies eine Erscheinung, die wir in allen Revolutionen beobachten können. Es wurde bereits bemerkt, daß die Führer der Opposition keineswegs daran dachten, dem Volk einen aktiven Anteil an der Bestimmung der Geschicke der Nation zu gewähren. Vom Wahlrecht war etwa die Hälfte der ganzen Bevölkerung durch den Zensus ausgeschlossen. Die Veränderungen im Kirchenregiment — damals von ungleich größerer Bedeutung als heute — sollten zwar die Macht der Bischöfe beseitigen; Freiheit der zahllosen religiösen freien Vereinigungen — der Sekten — stand aber keineswegs im Programm der Parlamentsmehrheit. In dieser Abgrenzung gegen die radikalen Tendenzen lag die Schranke, die das Parlament in seinem Vorgehen gegen die Monarchie sich selbst setzte. Und so erklärt sich — wiederum aus der Doppelseitigkeit seiner Position —, daß alsbald nach dem Bruch zwischen beiden die Notwendigkeit einer Annäherung sich herausstellt, die während des ganzen Bürgerkrieges zu andauernden Unterhandlungen der beiden kriegführenden Parteien führt. Dies stärkt wiederum die Stellung des Königs in hohem Maße. Es macht ihn selbst dann noch einem gewichtigen Faktor, als er sich bereits in Gefangenschaft befindet. Diese wechselseitige Verbundenheit ist es, die den Grundton bildet für alle Abwandlungen und Modulationen im Kampfe des Königtums mit dem Parlament. Sie ist nur verständlich — um es noch einmal zu betonen —, wenn wir das gemeinsame Interesse beider Parteien gegenüber den Ansprüchen der an diesem Streit aktiv nicht Beteiligten als die notwendige Komponente hinzunehmen. Sie macht es auch erklärlich, warum der König trotz seines Erbrechts, trotz seiner dominierenden Stellung, trotz aller theoretischen und tatsächlichen Vorrechte an den bestehenden Rechtszustand gebunden war, warum er sich nicht über die ihn einschränkenden Rechtstitel und Chartern hinwegsetzen konnte, sondern — wie Jakob I. — selbst seine Zuflucht dazu nahm, seine Rechtsansprüche theoretisch zu begründen.82) Das bestehende

— 46 — Rechtssystem bedeutete nicht nur eine Beschränkung des Königtums, sondern auch seine Sicherung; und es war nicht nur eine Sicherung der Macht des Parlaments, sondern auch ihre Schranke. Das Gleichgewicht beider Mächte beruhte auf dem Ausgleich, der zwischen ihnen im Laufe der Jahrhunderte allmählich geschaffen worden war. Der Streit um die Prärogative ging darum, ob dieses Gleichgewicht in der alten Form aufrechterhalten werden, oder ob eine neue Verteilung der Macht eintreten sollte. Er sollte die Frage entscheiden, wer in Zukunft die Führerschaft in der Beherrschung der Massen auszuüben habe. Er ist also ebensosehr ein Kompetenzkonflikt wie ein Streit um gegenseitige Ansprüche. Er beruht auf der Voraussetzung, daß die vorhandene Rechts- und Interessenlage von beiden Seiten gewahrt werde. Wenn es gleichwohl zu einer neuen Festsetzung nicht kam, so deswegen, weil beide Teile die Lage verkannten. Der Lauf der Dinge war schneller und gewaltsamer, als die beiden Hauptfaktoren in diesem Spiel ahnten, — vielleicht ahnen konnten. Die Dialektik des historischen Prozesses brachte neue Kräfte ans Licht, die bis dahin den Beteiligten verborgen gewesen waren.

III. K A P I T E L .

DIE SEKTEN. AUFSTIEG DER RELIGIÖSEN DEMOKRATIE.

Man kann zweifeln, ob die englische Monarchie, so wie sie sich ausgebildet hatte, am Vorabend der Revolution noch imstande war, die Führerschaft in der Nation zu behaupten. Heinrich VIII. hatte nicht nur den Staatsschatz vergeudet und durch die Münzverschlechterung ungeheures Elend über das Volk gebracht, sondern auch einen unerträglichen Druck auf das House of Commons und seine Gesetzgebung ausgeübt. Das Unterhaus war unter seiner Regierung nahezu bedeutungslos.83) Das House of Lords, meist in Übereinstimmung mit dem König und seinem Privy Council, übte einen, seiner wirtschaftlichen und öffentlichen Vormachtstellung entsprechenden beherrschenden Einfluß auf die Burgesses aus. Die Mitglieder des Privy Council andererseits ließen kein Mittel unbenutzt, um die Zusammensetzung und Haltung des Unterhauses in einem ihnen günstigen Sinne zu beeinflussen. Wenn Opposition zu erwarten war, wurde mit Hilfe von Predigern und besoldeten Publizisten versucht, die öffentliche Meinung im Sinne der königlichen Politik zu beeinflussen. Die Regierung scheute auch keine Mittel, um schon vor dem Zusammentritt des Hauses sich eine gefügige Mehrheit für ihre Gesetzesvorschläge zu schaffen. Wahlbeeinflussungen waren an der Tagesordnung. Die Sessionen wurden so eingerichtet, daß sie für die der Regierung gefügigen Mitglieder des Unterhauses günstig, für die Opposition ungünstig gelegen waren. Waren die für die Regierung wichtigen Vorlagen erledigt, so kam es wohl vor, daß das Parlament aufgelöst wurde, ohne daß die noch ausstehenden Sachen zur Besprechung kamen. Bei weitem die meisten Vorlagen wurden von der Regierung eingebracht; sie gingen zuerst an das House of Lords, und wurden von dort durch einen der großen Peers zu den Commons gebracht, wo diese Art der Vorlage ihren Eindruck nicht zu verfehlen pflegte. Unter der Regierung Marias regt sich zwar der Oppositionsgeist der Commons stärker, aber die Unterdrückung der oppositionellen Elemente bleibt die gleiche.

— 48 — Und nicht anders ist es unter Elisabeth. Es kam vor, daß die Regierung die Reden vorbereitete, die von bestimmten, ihr nahestehenden Mitgliedern des Hauses zugunsten ihrer Vorlagen gehalten wurden. Insbesondere wurde darauf gesehen, den Speaker, der eine bedeutende diskretionäre Macht hinsichtlich der Behandlung der Gesetzesvorlagen besaß, dem Willen der Regierung gefügig zu machen. In den Committees hatten die Councillors und die ihnen nahestehenden Mitglieder des Hauses das Übergewicht; die etwa opponierenden Mitglieder wurden durch den Druck, den Councillors und die Überredungskunst der von diesen beeinflußten Redner auf sie ausübten, bald für die Vorlage gewonnen. Mitglieder, die gleichwohl auf ihrem Standpunkt verharrten, mußten Bestrafung und Einsperrung gewärtigen. Dieser Zustand dauert bis zum Ende der Regierungszeit der Königin an.84) In den ersten drei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts ändert sich jedoch dieser Zustand. Die Councillors des Königs werden nach und nach in den Hintergrund gedrängt. Die Maßnahmen der Regierung für Beeinflussung von Wahl, Abstimmung und Diskussion werden geringer oder hören ganz auf. Das Oberhaus ist nicht mehr die unbedingte Stütze der Regierung, die sie bis zum Ende der Regierungszeit Elisabeths gewesen war. Die Peersernennungen Jakobs I. bringen keine neuen einflußreichen Mitglieder ins Oberhaus. Die Stellung des Speakers im Unterhaus, der bis dahin der stärkste Rückhalt der Regierung gewesen war, wird durch Einführung des „Committee of the Whole House" verringert; diesem Committee werden annähernd alle wichtigen Vorlagen überwiesen. Es wählt seinen Chairman nicht aus den Privy Councillors, sondern aus seinen eigenen Reihen. Kurz, die Position der Regierung beginnt an allen Stellen schwächer zu werden. Die Führerschaft geht faktisch auf das Unterhaus über. Diesem Vordringen der Commons entspricht die Unfähigkeit der Regierung, dem Angriff mit gleicher Kraft zu begegnen. Nicht nur daß Jakob I. und Karl I. unfähige Günstlinge zu ihren Beratern erwählten; diese selbst waren oft persönlich mit den Handelsinteressen verbunden, deren Emporkommen — wie wir früher bemerkten — den ökonomischen Hintergrund für die wachsende Aktivität des Unterhauses bildeten.85) Ihre Aufmerksamkeit wandte sich infolgedessen ab von den sozialen Fragen, deren gesetzliche Regelung eine so große Rolle zur Zeit Elisabeths gespielt hatte; diese werden von den Commons aufgegriffen, die nunmehr von sich aus alle die so dringenden Probleme der Armengesetzgebung, Kirchenzehnten, Arbeiterlöhne usw. behandeln und die Abstellung der vorhandenen Mißstände fordern. Ihre Politik ist,

— 49 — die Krone für diese Mißstände verantwortlich zu machen und die Schwierigkeiten, die aus der Zuspitzung der sozialen Gegensätze erwachsen, zu benutzen, um ihren Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten Schritt für Schritt zu erweitern. Nehmen wir die schwierige außenpolitische Lage des Landes hinzu: die Mißerfolge der unbesonnenen und schlecht ausgerüsteten Expeditionen nach Spanien und Frankreich, die, anstatt das Ansehen des Königreichs zu vergrößern, dazu dienten, den Namen Englands in Mißkredit zu bringen, der Krieg mit Schottland, die unsicheren Verhältnisse in Irland, das Emporkommen eines Rivalen wie die Generalstaaten, die — obwohl bei weitem kleiner und ärmer an Hilfsmitteln als England — doch mit Erfolg das spanische Riesenreich anzugreifen und in seinen kolonialen Positionen zu erschüttern begannen, so wird es verständlich, daß der König und seine Berater die Lage beim Zusammentritt des Langen Parlaments im November 1640 mit Sorge betrachteten.86) Ich darf es mir versagen, im Rahmen dieser Studie eine Darstellung des Kampfes zwischen Königtum und Parlament zu geben. Diese Episode der englischen Geschichte ist so oft behandelt und von so berufener Seite geschildert worden, daß eine Verweisung auf die historischen Darstellungen jener Zeit genügt.87) Das tragische Ende von S t r a f f o r d und L a u d , die Ereignisse der beiden Bürgerkriege mit ihrem wechselnden Kriegsglück, die Auslieferung und Gefangennahme des Königs, die Versuche, mit ihm zu einer Einigung zu gelangen, und — als Ergebnis derselben — sein Prozeß und gewaltsamer Tod, — das alles hat seit jeher die größten Historiker zu einer Darstellung gereizt und die Quellenforschung auf einen besonders hohen Stand gebracht.88) Was unserer Aufgabe mehr entspricht, ist eine Beschäftigung mit der Frage, wie es kam, daß das Parlament trotz des fortschreitenden Erfolges seiner Truppen sich durch innere Spaltungen so weit schwächte, daß es schließlich, ohne ernsthaften Widerstand zu leisten, der Auflösung verfiel, deren äußere Form nur der faktische Ausdruck für den Grad der inneren Schwäche war. Die Ursache hierfür liegt in dem Anwachsen der radikalen Tendenzen in der Bevölkerung, die einen immer stärker werdenden Druck im demokratischen und revolutionären Sinne auf das Parlament ausübten. Wir hatten bereits mehrfach Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß die puritanische Bewegimg mit Demokratie im modernen Sinne nichts zu tun hatte. Die Vorgänger des modernen Konstitutionalismus waren weit davon entfernt, dem Volke einen Einfluß auf die Politik zu gewähren, und wenn sie auch gegen Königtum und Episkopat kämpften, so dachten sie doch nicht daran, die Fesseln Beiheft d. H. Z. 28.

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— 50 — des Glaubenszwanges, die damals ungleich härter drückten als in modernen Zeiten, zu beseitigen. Ihr Bestreben war, den Staat zu zwingen, die neue Lehre anzuerkennen und gleichzeitig der Kirche eine feste Organisation zu geben, um sie gegen alle Eingriffe desselben zu wappnen. Diese Theorie stand zwar im schroffen Gegensatz zu der katholisch-mittelalterlichen Auffassung, in der Kirche und Staat keine prinzipiell getrennten Korporationen waren, auch hat sie unstreitig einen großen Anteil an der Ausbildung des modernen Staatsbegriffs, indem sie dazu beitrug, den Gedanken der Universalität des Religionsbegriffs zu zerstören und die nationale Stellung der weltlichen Gewalt zu schaffen, aber sie ging doch nicht so weit, eine kirchliche Demokratie in dem Sinne einzuführen, daß sie die Teilnahme an der Bestimmung der äußeren Angelegenheiten der Gesamtheit übertrug oder gar die Bildung neuer kirchlicher Kongregationen als zu Recht erfolgend anerkannte. Der Kalvinismus ist seiner Grundtendenz nach weder tolerant noch demokratisch. Dieser exklusive Charakter der kalvinistischen Lehre hat nun seinen tieferen Grund in dem Vorhandensein derjenigen religiösen Gemeinschaften innerhalb der Kirche und des Volks, die — so alt wie die Kirche selbst und mit ihrer Entstehung aufs engste verbunden — seit jeher der Sammelpunkt demokratischer kirchlicher Bewegungen gewesen waren. Es ist heute schwierig, sich eine Vorstellung zu machen von der Bedeutung, welche die Sekten für ein Zeitalter hatten, das noch ganz in der Vorstellungswelt der Bibel und der kirchlichen Tradition lebte. Die Erschütterungen des kirchlichen Glaubenssystems bedeuteten in viel höherem Maße als heute eine Bedrohung der ganzen sozialen Struktur. Der Persönlichkeitsbegriff war noch weit von derjenigen Unabhängigkeit den religiösen Dingen gegenüber entfernt, die ein Gefühl der persönlichen Freiheit auch außerhalb der Grenzen des religiösen Dogmas gewährt. Freund und Feind waren sich in diesem Zustand der religiösen Befangenheit gleich. In den Kreisen dieser Sekten nun sind diejenigen Gedanken entstanden, die wir als demokratisch in modernem Sinne des Worts zu bezeichnen pflegen. Unklar und häufig mit kindlicher Unsicherheit auftretend, tragen sie doch schon die Kennzeichen des modernen Individualismus an sich und lassen einen Persönlichkeitsbegriff erkennen, wie er, geläutert durch die Denker des 18. Jahrhunderts, durch die großen Philosophen des folgenden Jahrhunderts ausgebildet und zum Gemeingut aller Nationen im 19. Jahrhundert geworden ist. Wenn die englische Revolution die erste der großen Revolutionen ist, in der das Bürgertum sich von

— 51 — den Fesseln des Feudalis- mus befreit, so haben die Sekten das Verdienst, der Sauerteig gewesen zu sein, der diesen Prozeß beschleunigt und den Boden für das Emporkommen der Mittelklassen vorbereitet hat. Was waren nun die gemeinsamen Eigenschaften, die diese Sekten den etablierten Glaubensgemeinschaften so gefährlich erscheinen ließen, daß selbst die Presbyterianer es für notwendig hielten, sie mit Gewalt zu unterdrücken ? E d w a r d s kennzeichnet das Wesentliche aller Sekten mit folgenden Worten: „all these sects agree in separating from our Church, refusing communion in our publik Assemblies, and disallowing the authoritative power of Classes and Synods". 89 ) Während die Westminster Assemblee of Divines ein Kirchenregiment formte, das die Grundlage seiner Existenz in der strengen Kirchendisziplin und dem Jus Divinum of Presbyterie fand — der Presbyterianismus wurde im Juni 1646 in den Kirchen von London eingeführt und blieb die offizielle Kirchenform bis zur Restauration —, regten sich bereits außerhalb der Kirchentüren allenthalben die Mengen, die eine Duldung ihrer abweichenden Meinungen forderten und religiöse Prinzipien verkündeten, die eine von dem „Solemn League and Covenant" sehr abweichende Tendenz verrieten.90) Der Einfluß der sektiererischen Bewegung auf die Kirchenpolitik des Parlaments muß sehr hoch eingeschätzt werden. Das Zurückweichen des letzteren von seinem ursprünglichen Standpunkt der Reform des bischöflichen Systems bis zu der Einführung der Solemn League and Covenant ist nur so zu erklären. E d w a r d s schreibt in der an das Parlament gerichteten Vorrede (S. 10) zu seiner 1646 erscheinenden „Gangraena", daß die Sekten im letzten Jahre unerträglich gewachsen seien, und daß, wenn die Dinge weiter so gingen, „we shall need no Cavaliers nor enemies from without to destroy us". „Our dear Brethren of Scotland stand amazed and astonished, and had they not teen these things, could not have believed them." 9 1 ) Die dogmatischen Abweichungen im einzelnen zu untersuchen, würde ein tieferes Eindringen in die theologischen Streitfragen nicht nur jener Zeit, sondern auch der vorgehenden Jahrhunderte erfordern. Denn diese Sekten sind nicht nur Erscheinungen der damaligen Epoche, sondern gehen in ihren Ursprungsgedanken selbst dort, wo sie neu auftreten, weit bis in das Mittelalter zurück. Nur zur Illustrierung der prinzipiellen Bedeutung der aufgeworfenen Fragen seien einige dieser „ketzerischen" Gedanken wiedergegeben. Im Vordergrund steht die Frage, ob die Bibel als das „Wort Gottes" anzusehen sei. In den Sekten nun wird der Standpunkt vertreten, daß die Bibel nicht göttlichen, sondern mensch4*

— 52 — liehen Ursprungs sei, und daß ihr nicht mehr zu glauben sei wie jeder anderen, von Menschenhand geschriebenen Schrift. 92 ) Wenn aber die Heilige Schrift keinen autoritativen Charakter hat, so entfällt auch die autoritative Macht der Kirchenvorstände, und die zwingende Gewalt der kirchlichen Disziplin verliert ihre Rechtfertigung.93) Und nicht nur die Disziplin wird hinfällig, auch die Doktrin, das Dogma, ist ohne Rechtsgrund und hört auf, ein untrügbare Grundlage des Glaubehs zu sein.94) Wenn aber dem so ist, so wird das Gewissen die einzige Grundlage des Glaubens und die Regeln für das Verhalten der Menschen haben in ihm allein ihren Ursprung. Dann aber entfällt auch jedes Recht der weltlichen Gewalt, Menschen anderen Glaubens zu zwingen, einen bestimmten Glauben anzunehmen. Denn auch die Heiden, Juden und Türken sind durch die Menschwerdung Christi der göttlichen Gnade teilhaftig geworden, und es ist unrecht, sie mit anderen Mitteln zu bekämpfen, als mit dem Schwerte des göttlichen Geistes: dem Wort Gottes.95) Selbst diejenigen, die niemals von Christus gehört haben, sind des Evangeliums teilhaftig, denn jede Kreatur : Sonne, Mond und Sterne, predigen das Evangelium den Menschen; auf diese Weise ist auch ihnen der gekreuzigte Christus offenbart und ihre Sünde ist ihnen verziehen, wenn sie nur Augen haben zu sehen.96) Diejenigen Heiden, die verderben, gehen unter, weil sie nicht an das Evangelium in der Form glauben, wie es ihnen offenbart ist. Solche Sätze, die damals höchst ketzerisch erschienen, zeigen das erste Aufdämmern derjenigen Ideen, die in den folgenden Jahrhunderten die Grundlage für die Ausbildung des modernen Persönlichkeitsbegriffs geworden sind. Es sind die Gedanken der Toleranz und der Gewissensfreiheit, die uns hier entgegentreten. Sie waren wenigstens, soweit die breite Masse der Bevölkerung in Frage kam, bis dahin wenig verbreitet gewesen. Ihre Bedeutung für die damalige Zeit kann nicht leicht überschätzt werden. Nicht nur in politischer Hinsicht ist ihr Einfluß höchst bedeutend — es waren, wie wir noch sehen werden, die Independenten, die unter dem Commonwealth die führende Rolle bei der Umgestaltung der sozialen und politischen Struktur des Landes spielten und die auch nach außen hin die treibende Kraft in der Regierung wurden —, sondern auch für die Entwicklung des modernen Geistes ist ihre Entstehung von welthistorischer Bedeutung. E s ist wahr, auch den früheren Jahrhunderten war der Gedanke der Toleranz nicht unbekannt gewesen. Marsiglio di Padua lehrte bereits im 14. Jahrhundert, daß die Kirche kein Recht habe, weltliche Strafgewalt auszuüben, und daß die Obrigkeit kein Recht habe, in Fragen der

— 53 — Weltanschauung einzuschreiten. Auch kann es keinem Zweifel unterliegen, daß diese Gedanken durch die Reformation eine gewaltige Förderung erhalten haben. Und selbst in dem hier behandelten Zeitraum sehen wir in England ähnliche Gedanken entstehen; die „latitudinarians" um C h i l l i n g w o r t h , F a l k l a n d and H a i e s treten als Verteidiger der Toleranz auf und ziehen beeinflußt durch die Arminianische Lehre gegen die religiöse Unduldsamkeit der Puritaner zu Felde.97) Aber obwohl die Bedeutung und der Einfluß dieser Kreise nicht unterschätzt werden soll — Hobbes und L o c k e stehen auf ihrem Boden und der Toleranzbegriff des 18. Jahrhunderts kommt von dorther —, so ist doch der Unterschied zwischen den freigeistigen Führern dieser Bewegung und den sektiererischen Tendenzen unverkennbar. Jene gehören einer dünnen Schicht geistig hochstehender und politisch liberal denkender Männer an, die zwar eine hohe Auffassung vom Werte der menschlichen Persönlichkeit und der Freiheit des Individuums haben, die aber weit davon entfernt sind, diese Ideen zur geistigen und sozialen Befreiimg der großen Masse des Volkes zu gebrauchen. Sie suchen die Toleranz unter Aufrechterhaltung der sozialen Struktur zu verwirklichen. Es leuchtet ein, daß auf diesem Wege nur eine schmale Basis für die Einführung toleranter Grundsätze gefunden werden konnte. Daß eine Änderung der Kirchenverfassung in demokratischem Sinne in diesen Kreisen ernsthaft verfolgt worden ist, möchte ich nicht glauben. Die Sekten dagegen wollten sich selbst von dem Zwange befreien, den Kirche und Staat auf sie ausübten. Sie kämpften nicht nur für liberale Ideen, sondern vor allem für die Verbesserung ihrer geistigen und materiellen Lebensbedingungen. Ihre religiösen Anschauungen rühren deshalb allenthalben an die Grundpfeiler des ganzen kirchlichen und sozialen Systems. Sie sind nicht der Ausdruck einer geistigen Oberschicht, sondern die Stimme aller derjenigen, die unter den Sorgen und Nöten der Zeit zu leiden und für den täglichen Unterhalt zu kämpfen hatten. Wir werden noch sehen, daß auch unter den Sekten opportunistische Strömungen herrschten, und sicher ist, daß das geistige Blickfeld der „Freigeister" ungleich weiter und umfassender war als der begrenzte und religiös gebundene Gesichtskreis der Sektierer. Aber wie die Interessen beider Teile verschieden waren, so ist auch die Richtung ihrer verschiedenen Bestrebungen voneinander abweichend. Der Unterschied ist weniger ein ideologischer, als ein topischer. Nehmen wir das friedensrichterliche System der Lohn- und Preisfestsetzung als einen der wichtigsten Träger der damals bestehenden sozialen Struktur, so standen die „latitudinarians" über, die Sekten unter-

— 54 — halb dieser Linie. Die freigeistigen Ideen sind der Reflex der populären Tendenzen der Sekten, ohne doch ihr politischer Ausdruck zu sein.98) Was einem an den sektiererischen Ansichten vor allem auffällt, ist die starke demokratische Tendenz derselben. „Der Mensch ist gut" könnte man als Motto über die von den Sekten aufgestellten Sätze und Lehren schreiben. „ . . . God loves the creature that creep upon the ground as well as the best Saints; and there is no distance between the flesh of a Man, and the flesh of a Toad." „God has not decreed all the actions of men, because men doing what God decreed, do not sin." „ . . . God was never angry or displeased with man; for if he were ever displeased and pleased again, then there is a changeableness in God." 99 ) Aus jedem solcher Sätze spricht das Bestreben, die Schranken niederzureißen, die bis dahin den Menschen von Gott getrennt hatten, — einen Gott zu finden, der nicht nur drohend und schreckenerregend die Handlungen der Menschen beurteilt, sondern der Freude hat an dem Dasein seiner Kreaturen. — Eine solche Gestaltung des Gottesbegriffs war mit der kalvinistischen Prädestinationslehre unvereinbar. „ . . . God loved not one man more than an other before the world, neither is there an absolute particular election, but only generali and conditionall upon perseverance; and the Scripture no where speakes of Reprobates and Reprobation." 100 ) Die Lehre von der Vorausbestimmung muß einem weitreichenden Pantheismus Platz machen; man scheut sich nicht, die Schöpfung mit Gott zu identifizieren. „Every creature in the first estate of creation was God, and every creature is God, every creature that hath life and breathe being an efflux from God, and shall return into God again, be swallowed up in him as a drop is in the ocean." 101 ) Ein solcher Pantheismus kann nicht anders als monistisch sein; die Lehre von der Dreieinigkeit wird zurückgewiesen: ,,. . . there is but one Person in the Divine nature." Christ selbst ist nur dem Namen nach der Sohn Gottes. Er ist ebenso wie wir mit der Erbsünde behaftet und von Natur nicht heiliger als wir.108) Seine Kreuzigung ist nutzlos, sofern er nicht in uns selbst lebendig ist. Er starb für alle Menschen, „for the reprobate as well as for the elect, and that not only sufficiently, but effectually, for Judas as well a Peter, for the damned in hell as well as the Saints in Heaven." 103 ) Er kam in die Welt, um den Menschen Gottes Liebe zu beweisen, nicht, um sie ihnen zu verschaffen oder um Gott zu befriedigen. Er wollte uns von Gottes Liebe überzeugen, indem er in uns das zerstörte, was zwischen uns und Gott stand. Solcherweise wird Chri-

— 55 — stus zum Mittler zwischen Gott und den Menschen. E r ist die Ursache, nicht die Wirkung der Liebe Gottes. 104 ) Von ihm ist das Evangelium in die Welt gekommen. E r selbst war noch ein „legall" Prediger und predigte noch über das Gesetz; aber nach ihm und durch ihn ist das Predigen über das Evangelium den Menschen verliehen. Wenn nun aber — so können wir diese Gedanken fortsetzen und sie im Sinne ihrer Urheber interpretieren — Christ der Mittler zwischen Gott und den Menschen ist und diese der göttlichen Gnade von vornherein teilhaftig sind und gewiß sein können, was bedarf es dann noch der Bischöfe, Priester und des ganzen geistlichen und gesetzlichen Apparats? Wenn Christus das Evangelium in die Welt gebracht und das Gesetz zerstört hat, was hindert die Menschen noch, ihre eigenen religiösen Kongregationen zu gründen und das Amt des Predigers ohne geistliche Würden auszuüben? Die Separierung der Sekten von der Kirche, nicht nur von der bischöflichen, sondern — nach ihrer Einführung — auch von der presbyterianischen, ist in der Tat die ständige Klage jener Zeit. 105 ) Dem Verfasser der G a n g r a e n a erscheint sie gefährlicher noch als die von Seiten des Königs und der Monarchisten drohende Reaktion. Die Unterdrückung der Sekten ist daher eine Forderung, die immer wieder von presbyterianischer Seite erhoben wird. „ . . . they infect the simple people with their contagious Tenents" klagt ein Presbyterianer im Jahre 1646 und trifft damit den eigentlichen Grund der Besorgnis, die im presbyterianischen Lager herrschte. 106 ) Die Furcht vor dem Radikalismus ist in der Tat der maßgebende Gesichtspunkt für alle Handlungen der kirchlichen Republikaner. Der Sturz des Bischofssystems und seiner kirchlichen Disziplin und Doktrin hatte zwar den Weg freigemacht für die Einführung der kalvinistischen Lehre in England, aber er hatte gleichzeitig freie Bahn für alle die so lange unterdrückten und im Geheimen vegetierenden Konventikel und religiösen Kongregationen geschaffen. Diese fordern jetzt Legalität ihrer Existenz und Duldung ihrer Lehren. Sie melden ihre Ansprüche nicht weniger peremptorisch an als die Presbyterianer dies ihrerseits getan hatten, und erheben die gleichen Vorwürfe gegen das presbyterianische Kirchensystem, wie jene gegen das Episkopat. Eine schwierige Lage für den Presbyterianismus! E s ist dieselbe Konstellation, wie wir sie für das Parlament in seinem Kampf mit dem König feststellen konnten. So wie dieses trotz aller Feindschaft gegen die Monarchie doch stets durch das gemeinsame Interesse beider Teile gebunden und in seiner Handlungsfreiheit beschränkt war, so hatten auch die Presbyterianer mit den Bischöfen trotz der Un-

— 56 — Versöhnlichkeit der beiderseitigen Standpunkte ein gemeinsames Interesse: die Unterdrückung aller derjenigen Lehren, die auf Beseitigung einer etablierten Kirchengewalt überhaupt und auf Ersetzung derselben durch das Laientum der Kongregationen hinausliefen. Daß beide Kontroversen nur verschiedene Seiten derselben Bewegung waren, wird man trotz der zwischen Parlament und presbyterianischer Kirche bestehenden Gegensätze behaupten dürfen. Die anfänglichen Bestrebungen des Parlaments, mit einer Reform des Episkopalsystems sich zu begnügen, und die spätere Bereitwilligkeit, mit dem König auf der Grundlage einer beschränkten Episkopalgewalt zu einer Einigung zu gelangen107), liegen zwar nicht auf der Linie des strengen Presbyterianismus, sind aber um so mehr der Ausdruck für die Notwendigkeit einer praktischen Regelung auf Grund dieser Gemeinsamkeit der beiderseitigen Interessen. Die Presbyterianer hatten auf der Seite der Sekten gestanden, solange sie selbst unterdrückt und auf dem Niveau einer Sekte gehalten worden waren. Im Moment des Sieges treten die tiefen Verschiedenheiten zwischen ihnen und den übrigen Sekten praktisch hervor. Es zeigt sich, daß die opponierenden Elemente in sich selbst divergieren, und es stellt sich als notwendig heraus, gewisse feste Formen zu schaffen, wenn man nicht Gefahr laufen will, die Führung an die noch radikaleren Elemente zu verlieren. So wie die Form der staatlichen Verfassung — wäre sie damals in England geschaffen worden — das beiderseitige Kräfteverhältnis im Rahmen einer konstitutionellen Monarchie zum Ausdrucke gebracht haben würde, so wäre das durch den Presbyterianismus modifizierte Episkopalsystem ein Kompromiß zwischen diesen beiden Systemen geworden.108) Ja, das zu schaffende Dogma selbst wäre der Ausdruck des beiderseitigen Kräfteverhältnisses gewesen. Denn jede gesetzliche Regelung findet ihr Objekt in den Tendenzen und Bewegungen, die außerhalb der Gesetzessphäre liegen. Der Umfang der gesetzesfreien Sphäre richtet sich nach dem Einfluß, den die Parteien auf die Gestaltung der politischen Verhältnisse in jedem Staat auszuüben pflegen. Der Einfluß der letzteren war, um es noch einmal hervorzuheben, im England der Bürgerkriege sehr erheblich, um nicht zu sagen ausschlaggebend. Demokratische Tendenzen mischen sich mit prophetischen Traumbildern von der Wiederkehr Christi und einem tausendjährigen Reich, in dem es keine Gesetze, keine Sünde, keine Sakramente gibt, sondern wo die Menschen, ohne staatlichen Zwang und befreit von ihrem alten Sklaventum, sich aller Güter gleichmäßig erfreuen, essen, trinken und Kinder erzeugen. In diesem Reiche wird Christus regieren; er wird alle

— 57 — Monarchien und Kaiserreiche dieser Welt niederwerfen.109) Solche Traumbilder gewinnen praktische Bedeutung, sobald die Frage aufgeworfen wird, ob die Zeit gekommen sei, das Ideal zu verwirklichen und den Zukunftsstaat in dieser Welt aufzurichten. Daß solche Absichten damals vorhanden waren, kann keinem Zweifel unterliegen, ebensowenig, daß diese Möglichkeit einen starken Eindruck auf die herrschenden Klassen machte. Die Ereignisse von Münster im Jahre 1534 waren auch in England nicht vergessen. 110 ) Ihre Wiederholung in London wäre für die Sache des Parlaments von vernichtender Wirkung gewesen. Wir werden noch sehen, wie innerhalb der einzelnen Sekten hinsichtlich der Frage der Durchsetzung ihrer Ideale alsbald nach dem Tode des Königs Spaltungen entstehen, die zu einer Schwächung der sektiererischen Bewegung führen und damit die Aufrichtung der Diktatur ermöglichen und notwendig machen. Die Geschichte des Protektorats ist zugleich eine solche des Sektenwesens jener Zeit. Es wäre eine große Aufgabe, die Lehren der einzelnen Sekten im Rahmen der gesamten Sektenbewegung zu untersuchen und bis auf ihre Wurzeln in der Sektengeschichte zurückzuverfolgen, — eine Aufgabe freilich, die eher zur Kompetenz des Theologen, als zu der des Juristen gehört. 111 ) Die gemeinsamen Züge aller Sekten würden dann schärfer hervortreten. Waren doch auch alle reformatorischen Bewegungen ursprünglich sektiererisch gewesen und hatten auf ähnlichen Lehren beruht, wie die hier skizzierten. 112 ) Doch bedarf es eines solchen Versuchs an dieser Stelle nicht. Hier interessiert lediglich die Frage, welches die allgemeine Richtung der Sekten in unserem Zeitabschnitt war und zu welchen Konsequenzen ihre Lehren schließlich führen mußten. Diese Konsequenzen sind verschieden, je nach dem Grade der Emanzipation und des Fortschritts der einzelnen Sekten. Allen gemeinsam ist die Separation von der etablierten Kirche und die Gründung eigener Kongregationen. Wir sehen zahlreiche Prediger auftreten — darunter auch Frauen —, die ihre Lehren allenthalben in Versammlungen verkünden. Gesundbeter erscheinen und gewinnen Anhang durch ihre wunderbaren Heilungen. Humanitäre Bewegungen unserer Zeit haben ihren Ursprung in den Sekten jener Epoche; so berichtet die G a n g r a e n a von einem Mann, der es für unrecht hielt, ein Tier zu töten. 113 ) Die Einführung der Erwachsenentaufe gibt zu allerhand Erzählungen über sexuelle Ausschreitungen Anlaß. Wir hören ferner von Unterbrechungen des Gottesdienstes durch Laien und von Predigern, die aus ihrer Kirche vertrieben werden. Ein gewisser Lawrence C l a r k s o n , der wegen „Dippens" in Bury St. Edmunds ins Ge-

— 58 — fängnis geworfen ist, richtet an die Behörde ein Gnadengesuch: daß er „doth finde, and is convinced, That he ought not to Dip any more", und wird darauf — nach sechsmonatiger Gefangenschaft — freigelassen.114) Aber er kehrt nicht etwa in den Schoß der etablierten Kirche zurück, sondern wird aus einem Täufer zu einem „Sucher", d. h. er leugnet die Bedeutung der Heiligen Schrift für die Christen überhaupt und hält Lehre und Disziplin nicht für die rechten Mittel, Gott zu erkennen, was dem Verfasser der G a n g r a e n a Anlaß gibt, an der Aufrichtigkeit seines Widerrufs zu zweifeln und diesen als „ Jesuitical Equivocation, and deep Dissimulation" zu bezeichnen. Aber sein Gesinnungswechsel mag nichtsdestoweniger ehrlich gemeint gewesen sein, freilich in einem anderen Sinne, als seine Richter annehmen. Denn das war der allgemeine Lauf der Entwicklung: daß, je mehr die alten Autoritäten verschwanden, desto freier sich die neuen Gedanken entwickelten, und daß die historischen Ereignisse selbst dazu beitrugen, das Wachstum des Radikalismus innerhalb der Sekten zu fördern. Ja, dieser Radikalisierungsprozeß ist selbst nur ein Ausdruck für die allgemeine Veränderung der Dinge und für die neue Richtung, die Staat und Nation in England genommen hatten. Er schreitet vorwärts, wenn die auswärtige Politik ungünstig, die Armee des Parlaments erfolglos ist; er kommt zum Stillstand im Augenblick des Sieges. Es fehlte nicht an Versuchen ihn aufzuhalten ; auf Ansuchen des Londoner Magistrats werden Versammlungsverbote erlassen, einzelne besonders gefährliche Führer werden verhaftet und jahrelang im Gefängnis festgehalten. Aber trotz des Verfolgungseifers der Presbyterianer, die nicht müde werden, gegen die „monsters" zu Felde zu ziehen, führen die Unterdrückungsmaßnahmen des Parlaments nicht zur Ausrottung des Sektierertums, sondern scheinen seine Kraft eher zu vergrößern. Hatten doch im Unterhaus bereits Führer der Independenten Plätze erobert und begonnen, die Politik des Hauses zu beeinflussen. Und da die Radikalen die gleichen Ziele hatten, was die Frage des Widerstandes und der nationalen Verteidigung betraf, so konnten sie mit Recht immer dann als Vertreter der nationalen Interessen auftreten, wenn die Energie des Parlaments zu erschlaffen drohte. Die Gemeinsamkeit der Verteidigungsfront und die Aussicht des gemeinsamen Unterganges im Falle des Sieges der Monarchie machten die Stellung der Radikalen trotz ihrer Zersplitterung so stark, daß sie ihre faktische Duldung trotz aller Anfeindungen ihrer Gegner durchsetzen konnten.115) Waren nun unter diesen Sektierern auch sozialistische und kommunistische Tendenzen verbreitet? Wir werden sehen, daß

— 59 — dies in der späteren Epoche der Revolution der Fall ist. In der Zeit des Bürgerkrieges sind solche Lehren nicht vorhanden. Wohl aber treten uns bereits Anschauungen entgegen, die, wenn auch nicht klar formuliert und als solche weder bezeichnet noch erkannt, doch bereits die Grundzüge einer primitiven materialistischen Philosophie zeigen. Diese bewegen sich jedoch, wie bei dem Entwicklungsgrad jener Epoche nicht Wunder nehmen kann, noch ganz im Rahmen biblischer Formulierungen. Derselbe Mann, der das Töten von Tieren für ungesetzlich hält — ein gewisser W e b —, leugnet nicht nur die Heiligkeit der Bibel, sondern auch die Gottessohnschaft von Christus und die Auferstehung der Menschen; er erklärt, daß „there were no more Resurrection of a Man than of a Beast, ñor had he any more Soul than the Body". Er spricht den Guten und den Bösen einen und denselben Geist zu und leugnet, daß es eine andere Hölle gebe als die auf Erden.116) Ein gewisser Clement W r i g h t e r , ehemals „Professor of Religion" und ein „godly" Mensch, kommt vom Presbyterianismus über Independentismus bzw. Brownismus zum Anabaptismus und von dort zum „Mortalismus", wie die G a n g r a e n a die Theorie von dér Sterblichkeit der Seele nennt. Edwards hält ihn für den Verfasser eines Buches, das den bezeichnenden Titel „Mortality of the Soul" trägt. 117 ) Er lehrte, daß der Mensch keine unsterbliche Seele habe, sondern daß er, wenn er sterbe, bis zur Auferstehung schlafe. Ist in dem Gedanken der Auferstehung noch ein Rest kirchlicher Anschauung erkennbar, so ist doch die Indentifizierung von Seele und Körper bereits ein rein materialistischer Gedanke. Das Grunddogma der Kirche: die grundsätzliche Verschiedenheit der Substanz von Körper und Seele, wird damit in seiner Richtigkeit angegriffen. Fürwahr ein unerträglicher Gedanke für jeden „godly man" und eine Bedrohung des ganzen bestehenden Systems. Und der Satz, daß die Hölle nichts außerhalb der realen Welt Liegendes sei, läßt die praktischen Konsequenzen dieser Gedanken deutlich erkennen. Der Hauptvertreter dieser Lehre und der Leugnung der Unsterblichkeit der Seele ist Richard O ver t o n , der anonyme Verfasser des Traktats über des Menschen Sterblichkeit.118) Er legt in dieser Schrift dar, daß die Vorstellung einer Seele oder einer übernatürlichen und unsterblichen „essence" im Menschen, unterschieden von seinem körperlichen Organismus, eine Wahnvorstellung ist, und daß von dieser Vorstellung alle Arten von Aberglauben und faktischem Unglück herrührten. Interessant ist, daß der Verfasser seinen Beweis nicht nur mit Zitaten aus der Bibel, sondern auch mit physiologischen Argumenten begründet. Daß diese Lehren noch einen letzten Rest von Theis-



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mus in'sich bergen, insofern sie eine Unsterblichkeit der Seele nach der allgemeinen Wiederauferstehung anerkennen, mag hervorgehoben werden. Aber dieser Theismus ist auch der einzige Punkt, der den Verkünder der Lehre von der Sterblichkeit der Seele von einem reinen Materiadismus unterscheidet. Wir müssen den ungeheuren Abstand zwischen diesen extremen Richtungen der Sekten und den kirchlichen Dogmen, mochten sie nun bischöflich oder presbyterianisch gefärbt sein, klarmachen, um die ganze Größe des Abfalls von der damaligen Kirche ermessen zu können. Nur dann sind wir imstande, den Widerstand zu verstehen, der seitens fast aller höher stehenden Schichten der Bevölkerung .den Sekten entgegengesetzt wurde. Dieser Widerstand nun nahm verschiedene Formen Ein, je nachdem es zweckmäßiger erschien, die gemäßigteren Elemente an sich heranzuziehen und für die Sache des Parlaments zu gewinnen, oder die gemäßigten und die radikalen Tendenzen gleichmäßig zu bekämpfen. Denn auch innerhalb der Sekten bestanden Unterschiede, die zwar zunächst kaum in Erscheinung treten und hinter den Gemeinsamkeiten verschwinden, die aber alsbald hervorkommen, wenn die gemeinsame Front fortfällt und eine Spaltung in verschiedene Teile eintritt. Es ist bekannt, daß diese Sekten, soweit sie die Revolution überdauert haben, sich später durchaus selbständig und nach eigenen Prinzipien entwickelt haben. Die Keime dieser Entwicklung sind schon in den Anfängen ihres Daseins erkennbar. Und wenn wir ihre Stellung im heutigen Staatsleben betrachten, so dürfen wir die Feststellung treffen, daß ihre Prinzipien keineswegs gleichmäßig radikal gewesen sind, sondern daß ein gut Teil Konservatismus in den gemäßigten Kreisen des Sektentums vorhanden ist. Der Kampf zwischen den bestehenden Gewalten und den um Geltung ringenden neuen Kräften tritt damit in einen neuen Abschnitt ein.

IV. K A P I T E L .

ENTSTEHUNG DES REPUBLIKANISMUS UND DER POLITISCHEN DEMOKRATIE.

Es ist dieser Hintergrund der sich fortwährend radikalisierenden Sektenbewegung, der jene Entwicklung deutlich werden läßt, die zur Ausbildung der republikanischen Ideen und damit zum Sturze der Monarchie geführt hat. 119 ) Republikanische Ideen und Erscheinungen waren dem damaligen Europa nicht fremd geblieben. Die republikanische Staatsform hatte in den Stadtrepubliken des Mittelalters eine hohe Ausbildung erhalten und stellte ein Element in der europäischen Staatenwelt dar, das den Monarchien in mehr als einer Hinsicht ebenbürtig, ja sogar überlegen war. Mehr noch hatte die Entstehung der Niederländischen Republiken zu einer Popularisierung der republikanischen Staatsform in den fortgeschrittensten Kreisen der damaligen Welt geführt. Aber gerade in England war, wie wir sahen, der monarchische Gedanke tief in dem Boden der Nation verwurzelt. Das Mutterland des Parlamentarismus war auch die Heimat einer starken dynastischen Macht. Dieser historischen Entwicklung entspricht es, daß die Monarchie in den Jahren des Bürgerkrieges eine so starke Widerstandskraft entwickelt, und daß selbst nach der Entscheidungsschlacht im Jahre 1645 der König noch eine so große Rolle in den Kämpfen um die zukünftige Gestaltung der Verfassung spielt. Die Absichten des Langen Parlaments gingen — wie bereits mehrfach hervorgehoben — zunächst über eine konstitutionelle Gestaltung des Königtums nicht hinaus. Zwar ließ die naturrechtliche Lehre sehr wohl die Interpretation zu, daß der König seine Macht an die Vertretung des Volkes abzutreten habe, wenn er dem im Parlament verkörperten Willen desselben zuwider handelte. Aber die eigentümliche Situation, die eine Interessengemeinschaft zwischen Parlament und König zur Folge hatte, ließ es zu einer praktischen Durchführung solcher Konsequenzen durch die bestehende Volksvertretung nicht kommen.120) Nur soweit die Frage der Souveränität dem Volke gegenüber in Frage kam, wurde das absolute Recht des Parlaments auf Ge-



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staltung der Verfassung behauptet und mit allen Mitteln der Gewalt durchgesetzt. Der Intoleranz des Presbyterianismus entsprechen die Verfolgungsmaßnahmen des Parlaments gegen die politischen Gegrier. Nun brachte es aber der Gang der Ereignisse mit sich, daß diese Stellung des Parlaments, unklar und unsicher wie sie war, sich auf die Dauer als unhaltbar erwies. Eine dauernde Gestaltung der staatlichen Verhältnisse auf konstitutioneller Grundlage war nur möglich, wenn der König seine Zustimmung zu den parlamentarischen Vorschlägen gab. Diese Zustimmung aber war — wie bekannt — nicht von ihm zu erlangen. So machtlos wie Karl I. nach der Schlacht bei Naseby und der Auslieferung seitens der Schotten geworden war, — die Zustimmung zu den Vorschlägen des Parlaments war ein Akt, den nur er allein vornehmen konnte. Die Sachlage kompliziert sich jetzt außerordentlich. Auf der einen Seite stehen der König und die zu ihm haltende Partei der Royalisten, die, wenn auch militärisch ohne Macht und im Felde besiegt, einen starken Einfluß auf weite Kreise der Bevölkerung, selbst in den Schichten der Handwerker, Bauern und Tagelöhner, ausüben und noch keineswegs unterdrückt sind. Auf der anderen Seite finden wir die große Masse der Handwerker, Bauern und kleinen Händler, deren politische Ziele, wenn auch unklar und befangen in der religiösen Vorstellungswelt, doch eine immer radikalere Tendenz verraten und auf die Beseitigung oder doch wenigstens Beschränkung des parlamentarischen Systems und damit des ganzen sozialen und rechtlichen Aufbaus hinauslaufen. Dazwischen stehen die parlamentarischen Lords und die presbyterianische Mehrheit des Unterhauses, die an einer Aufrechterhaltung der bestehenden Verhältnisse, allerdings in der modifizierten Form einer konstitutionellen Monarchie und unter Beseitigimg der Prärogative des Königs, interessiert sind. Je mehr nun der Druck der Massen auf die Parlamentsregierung anwächst, desto mehr ist diese bestrebt, zu einem Ausgleich mit dem König zu gelangen. Da dieser aber nicht zu erreichen ist — der König hält bis zuletzt an seinem Standpunkt fest und verweigert die Annahme der parlamentarischen Bedingungen —, so wächst erklärlicherweise der Druck der Massen immer mehr, und die Regierung droht gestürzt zu werden — nicht auf parlamentarischem Wege, sondern auf gewaltsame Weise. Aus dieser Situation heraus ist das Aufkommen jener Partei im Unterhaus zu verstehen, die wir als die Independenten zu bezeichnen pflegen.

— 63 — Wer waren die Independenten und was für eine Rolle spielten sie in den religiösen Kämpfen der damaligen Zeit ? — Ursprünglich nichts anderes als eine der vielen Sekten, die am Vorabend der Revolution das kirchliche Leben Englands charakterisieren, war ihre Anhängerzahl zunächst gering und ihre Bedeutung nicht größer als die der übrigen Konventikel. Gleich nach Einschlagen des neuen Kurses im Jahre 1640 aber fangen sie an rapide zu wachsen. Ihr Einfluß wird so groß, daß sie sogar in die „Assembly" Eingang finden und dort mit ihren Prinzipien selbst bei Männern von „untadelhafter Orthodoxie" Unterstützung erhalten. 121 ) Während sie früher sich aus den unteren Kreisen der Bevölkerung zusammensetzten122), dringen sie jetzt auch in die oberen Schichten ein. Sie zählten viele gelehrte Theologen in ihren Reihen und fanden selbst in der Peerage Anhänger. In Neu-England bereitete sich ihre Lehre aus und begann eine der Grundlagen eines neuen und mächtigen Staatswesens zu werden. Von dort wirkte sie wieder befruchtend auf das Mutterland zurück. Von Holland kamen die fünf Minister, die unter dem alten Regime dorthin geflüchtet waren und dort eine Zufluchtsstätte gefunden hatten, zurück und wirkten für die Ausbreitung der Lehre; sie fanden allenthalben williges Gehör und machten selbst auf die schottischen Kommissäre einen günstigen Eindruck; „They found them excellent men, likeable for many things, and especially for their declarations in conversation that they had as little sympathy with extreme Separatists and mere sectarian blockheads as the English Presbyterians or the Scots had; but still there was a possibility of trouble from their own Congregationalist scruples". 123 ) Der Standpunkt der Independenten in religiösen Angelegenheiten bedarf einer ausführlichen Darlegung an dieser Stelle nicht. In Hinsicht auf die Doktrin weichen sie nicht allzusehr von den Presbyterianern ab; die Ähnlichkeit zwischen beiden Parteien ist in dieser Beziehung so groß, daß diese Fragen ein ernsthaftes Hindernis für eine Vereinigung nicht bedeutet hätten. Wohl aber differieren sie in den Fragen der Disziplin. Während der Presbyterianismus eine strenge kirchliche Organisation verlangte, die jede Abweichung von der eingeführten Form als Schisma und Häresie verwarf, traten die Independenten, wie alle übrigen Sekten, für Toleranz auf dem Gebiete des kirchlichen Lebens ein. Sie setzen dem Glaubenseifer der Kalvinisten den Grundsatz entgegen, daß geistige Waffen die einzigen seien, welche die Religion kenne, und verwerfen den Gedanken eines Staatskirchentums, wie es in Schottland eingeführt war und auf Betreiben der Schotten in England etabliert wurde. Dieser Separatismus ist es, der den

— 64 — heftigen Unwillen der Presbyterianer hervorruft, — ein Unwille, der freilich mit Bedauern gemischt ist. Denn auch in den Reihen des Presbyterianismus entstand nun ein Flügel, der auf eine Annäherung an die Independenten hindrängt und eine Lockerung der strengen Disziplin gestatten will. Aber im allgemeinen bleibt doch die Trennungslinie zwischen beiden kirchlichen Parteien bestehen. „For all sorts of government: whether they be civile or Ecclesiasticall, a Democraticall form is most apt to foment and breed divisions and contentions, witnesse tho Democraticall Common weals of the Athenians, Aeolians, and Achaians, that were of small continuance and always tossed up and down with Civile contentions, as the rowling billows of a tempestuous sea — " so schreibt ein Presbyterianer im Jahre 1645 mit Bezug auf die independentistischen Grundsätze, solchergestalt den undemokratischen Charakter der exklusiven kalvinistischen Kirchenverfassung gut kennzeichnend. 124 ) Die „Gangraena" ist voll von Klagen über die Separation der „brethren"; aber ihr Verfasser E d w a r d s wird nicht müde, gegen die Toleranz zu eifern und die Schädlichkeit der independentistischen Grundsätze darzutun. Was waren nun die politischen Ziele der Independenten? Nach E d w a r d s dieselben wie die aller anderen Sekten. E r bezeugt, daß die „Anabaptists, Libertines, and Independents" nicht nur gegen das Kirchenregiment kämpfen, sondern auch gegen die weltlichen Autoritäten. Und nicht nur gegen König und Lords richtet sich nach ihm ihre Agitation, sondern gegen jegliches bürgerliche Regiment überhaupt. 125 ) Damit stimmen überein die Berichte über das tatsächliche Verhalten der Sektierer gegenüber den Beamten und Richtern. Der Haß der Bevölkerung gegen alle Arten von Juristen scheint damals von einer kaum zu überbietenden Stärke gewesen zu sein. Wir wiesen früher bereits auf die ökonomischen Ursachen dieses allgemeinen Unwillens hin. Daß derselbe häufig einen sehr drastischen Ausdruck fand, bezeugt E d w a r d s , der von der Verhaftung eines Friedensrichters durch die besonders unruhige Bevölkerung der Londoner Vorstadt Southwark zu berichten weiß und zahlreiche andere Gewalttätigkeiten gegen die unteren Magistrate meldet, die diese bei Ausführung der Ordonanzen des Parlaments „upon Sectaries", Einziehung von Kirchenzehnten usw. zu erleiden hatten. 126 ) Das war in der Tat die Frage, von der alles abhing und die im Mittelpunkt der Gedanken aller stand, wenn sie auch nur selten öffentlich aufgeworfen wurde 1 2 7 ): ob der soziale Rahmen mit seiner jahrhundertealten Struktur, mit1 seinem Beamtentum, seinem Gesetzesapparat, seinen „coürts" und Friedensrichtern zerstört

— 65 — werden würde, oder ob es möglich sei, ihn aufrechtzuerhalten. Man hat die Stellung des Independentismus innerhalb dieser Bewegungen bisher so aufgefaßt, als ob er eine der Hauptursachen dieser Entwicklung gewesen und für die Unsicherheit der Verhältnisse in erster Linie verantwortlich zu machen sei. Schon E d wards wird nicht müde, den Führer des radikalen Independentismus, John L i l b u r n e , als Hauptschuldigen anzuklagen und die Ausschreitungen der Bevölkerung auf seine aufrührerische Agitation zurückzuführen.128) Und das letztere ist die allgemeine Auffassung bis heute geblieben. Aber diese Anschauimg gibt doch nur die eine Seite der independentistischen Bewegung wieder. Sicherlich hat die Agitation von L i l b u r n e in erheblichem Maße zur Erregung der Londoner Bevölkerung und zur Erschütterung der bestehenden Ordnung beigetragen. Es fragt sich aber, ob L i l b u r n e , wenn er sich hätte durchsetzen können, wirklich ein zweiter Johann von Leiden geworden wäre, wie E d w a r d s meint, und ob er mit Recht einem Thomas Münzer an die Seite gestellt werden kann. Die Tatsache, daß er, wenn auch der Gegenspieler von Cromwell, doch immerhin sein Parteigenosse gewesen ist, spricht nicht dafür, daß er eine soziale Revolution im Sinne der radikalen Sekten erstrebt hat. Weder seine Geburt — er stammte aus einer angesehenen alten Familie —, noch sein Beruf als Tuchhändler — soweit er solchen überhaupt ausüben konnte, — noch sein Eintreten für die Interessen der Handwerker und des kleineren Kaufmannstandes lassen darauf schließen, daß er eine Änderung der bestehenden sozialen Ordnung erstrebt hat.129) Eine solche Änderung lag in der Tat nicht im Programm der Independenten. Sie, die sich aus den Kreisen der Handwerker, der freien Kaufleute und der mittleren und kleinen Landbesitzer zusammensetzten, waren lediglich bestrebt, ihre eigene Stellung im Rahmen der bestehenden Rechts- und Wirtschaftsformen zu wahren bzw. zu verbessern. Ihre radikalen Vertreter bringen die Beschwerden derjenigen Elemente dieser Bevölkerungskreise zum Ausdruck, die am meisten unter den bestehenden Beschränkungen des Handels, der Konkurrenz der Monopolgesellschaften und der Last der Renten zu leiden hatten. Insofern traten sie zwar mit den an der Aufrechterhaltung dieser Zustände interessierten Kreisen der Bevölkerung in Gegensatz; sie sind aber nicht mit den Arbeitern und Tagelöhnern auf eine Stufe zu stellen.130) Es ist also nicht richtig, den Independentismus lediglich unter dem Gesichtspunkt der revolutionären Bewegung zu betrachten, sondern man muß auch das retardierende Moment berücksichtigen, das in seiner Agitation Beiheft d. H. Z. 28.

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für eine Sicherung und Verbesserung der sozialen Lage der Bevölkerung und für eine freiere Gestaltung des kirchlichen und sozialen Lebens liegt. So wie die Presbyterianer die populäre Bewegung benutzt hatten, um ihren Forderungen gegen Königtum und Episkopat Nachdruck zu verleihen, stützen sich die Independenten auf die radikaleren Elemente und werfen das Gewicht derselben den Presbyterianern gegenüber in die Waagschale. Das ist der eigentliche Sinn der Rolle, die der linke Flügel der Independenten in dieser Zeit der schwersten Erschütterung aller sozialer Ordnung spielt; das der Grund, warum die Independenten trotz ihrer Spaltung, auf die wir noch zu sprechen kommen, doch so oft auch wieder zusammen kommen. In diesen Kreisen und aus diesen Motiven und Absichten heraus ist es geschehen, daß diejenige Theorie zur Entstehung gelangte und zum Leben erwuchs, die wir — im Gegensatz zu der bis dahin herrschenden konstitutionellen Tendenz der Parlamentsmehrheit — als die Staatsauffassimg der politischen Demokratie bezeichnen können. „The power is in you the people; keep it, part not with it!" — so predigt ein Feldprediger und Kaplan von Sir Thomas Fairfax am 7. Juni 1646 in der Kirche von Marston bei Oxford vor dem General, den Kommandeuren und den Soldaten des Parlamentsheeres. Der Sinn dieser Worte ist nicht mißzuverstehen; er enthält die Aufforderung, jetzt, nachdem der eine Gegner besiegt ist, auch den anderen Feind, die „Formalists and carnall Gospellers", zu überwinden.131) Wer war aber dieser neue Feind ? Niemand anders als die Lords, die Gutsbesitzer, die Juristen, die Kaufleute und die presbyterianischen Geistlichen, die in den beiden Häusern des Parlaments saßen und an der Erhaltung der Renten und „tythes" aus den „copy-holds" ebenso interessiert waren, wie die kleinen „freeholder", „copyholder" und die Handwerker, aus denen sich die Parlamentsarmee zusammensetzte, an deren Beseitigung.132) Dieser Gegensatz, der im Keime von Anfang an vorhanden ist, in voller Schärfe sich aber erst nach der Besiegung des Königs ausbildet, bringt den Gedanken zur Entstehung, daß das Volk der Souverän und demgemäß das Königtum zu beseitigen und das Parlament dem Volke zu unterwerfen sei. Eine Anschauimg, die von der des bestehenden Parlaments grundsätzlich abwich. Denn dieses wollte zwar den König machtlos machen, aber es wollte das Königtum selbst erhalten, und es wollte zwar eine Vertretung der Interessen seiner Wähler sein, aber es wollte seinen Rechtstitel nicht auf das Volk selbst gründen. Der Gegensatz ist letzten Endes in den tatsächlichen Verhältnissen begründet: Die Bauern und Handwerker,

— 67 — aus denen sich die Armee zusammensetzt .haben anderelnteressen und Ziele wie die großen Kaufleute und Landeigentümer des Parlaments. Den schärfsten Ausdruck hat diese neue politische Lehre in den Handlungen und Schriften John L i l b u r n e s gefunden. Ein überzeugter Independent bereits vor dem Zusammentreten des Parlaments und späterer Hauptmann in der Parlamentsarmee, war er stets ein Verfechter der Toleranzidee gewesen und hatte die Unterzeichnung des Solemn League and Covenant verweigert. Auf Cromwells Empfehlung hin war er zum Lieutenantcolonel befördert und hatte sich bei Marston-Moor ausgezeichnet. Trotzdem und trotz der Unterstützung seitens seines Parteigenossen bekommt er bald den Glaubenseifer seiner „orthodox brethren" zu spüren.133) Unter nichtigem Vorwand wird er 1645 verhaftet und verbringt seitdem den größten Teil seines Lebens in der Verbannung oder hinter Kerkermauern, ohne freilich seine agitarorische Tätigkeit aufzugeben. Seine zahlreichen Flugschriften zeigen den ungebeugten Charakter dieses Märtyrers für die Sache der Freiheit. Immer wieder erhebt er seine Anklagen gegen die Willkür und Korruption der Parlamentsherrschaft.184) Der ganze Katalog der demokratischen Forderungen ist in diesen Schriften und Flugblättern enthalten: regelmäßige Wahlen zum Parlament, Zahlung von Diäten an die Mitglieder der Volksvertretung, Trennung der gesetzgebenden Funktion von der richterlichen und — demgemäß — Abschaffung der Jurisdiktionsbefugnis des Oberhauses, Beseitigung aller konfessionellen Schranken, Unterlassung aller Eingriffe in das religiöse Leben und — als alles beherrschende Idee — Überordnung des Volkes über das Parlament — das sind die Grundgedanken, auf denen die Politik Lilburnes und der radikalen Independenten beruht. Es sind dieselben Gedanken, wie sie für die moderne Entwicklung grundlegend geworden sind.185) Immerhin ist der Radikalismus keineswegs unbegrenzt; das retardierende Element in der Bewegung der radikalen Independenten tritt uns heute klarer vor Augen, als es den Zeitgenossen erschien. Auch die linken Independenten wollten keineswegs die Grundlagen der sozialen Ordnimg beseitigen, wie sie in den bestehenden Gesetzen zum Ausdruck kam. Das zeigt uns fast jede der zahlreichen Flugschriften, die L i l b u r n e , sei es zur Verteidigung seiner und seiner Angehörigen und Freunde Interessen, sei es zur Darlegung der Rechte des Volkes, verfaßt hat. So wie er seine persönlichen Ansprüche unter Berufung auf die Gesetze Englands geltend macht, so gründet er auch die Rechte und Freiheiten der Engländer auf die alten englischen Freiheitsgesetze, hierin in nichts verschieden von den alten Führern des Parlaments und den 5*



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früheren Opponenten des Königtums. Die „Magna Charta" und die „Petition of Right" sind die Grundgesetze,'auf die er sich beruft, die Kommentare Ed. Cokes das Gesetzesbuch, das er heranzieht.136) Darin liegt die Beschränkung und die Grenze der Forderungen des Independentismus, die diesen ebensosehr von den übrigen radikalen Parteien trennt, wie sie ihn trotz aller Gegensätze mit dem konstitutionellen Standpunkt der alten Parlamentsparteien verbindet.137) Es istderRechtsgedanke, den diese Demokraten in den Mittelpunkt ihres politischen Denkens stellen. Mit dem Gedanken der Volkssouveränität verbinden sie die Idee der Souveränität des Rechts.138) Nun aber ist die Berufung auf den Rechtsgedanken und die bestehende Rechtsordnung immer ein Rekurs an eine außerhalb des eigentlichen Kampffeldes liegende Macht. Wir sahen, wie schon im Kampfe des Königs mit dem Parlament das letztere an die bestehenden Gesetze appellierte, weil diese die einzige Grundlage waren, auf die es sich nach dem Fortfall der königlichen Autorität noch stützen konnte; die Gesetze waren nicht nur die Sicherung der Macht des Parlaments, sondern auch deren Schranke. Dasselbe trifft für die Stellung der Independenten in dieser Frage zu. Sie konnten selbst in ihrem radikalen Flügel den Standpunkt des Rechts nicht verlassen, ohne die ganze, schwer erschütterte soziale Ordnung preiszugeben. Das aber lag weder in ihrem eigenen Interesse — sie waren als Bauern und Handwerker an der Erhaltung des Privateigentums interessiert, — noch im Interesse der Nation selbst. Wir werden daher gut daran tun, die landläufige Auffassung, die in Lilburne lediglich den blutdürstigen Radikalen sieht, insofern zu modifizieren, als wir seinen durchaus bürgerlichen Gesichtskreis mehr als bisher geschehen betonen.139) Damals freilich erschienen solche Ideen nicht nur den Monarchisten als das non plus ultra des politischen Radikalismus. In den Reihen der Independenten selbst erhebt sich der Widerstand gegen die extremen Forderungen und Theorien L i l b u r n e s und seiner Anhänger. Es tritt jene Spaltung des Independentismus ein, die für die englische Geschichte so bedeutungsvoll geworden ist. Gleichzeitig erleben wir jene Veränderung des Schauplatzes, welche den Ereignissen der Jahre 1647/48 eine so charakteristische und belebende Färbung verleiht: die Armee erscheint auf der politischen Bühne und spricht ihr Machtwort in den Kämpfen der Parteien und in den Reden und Debatten der Politiker. Westminster hört für einige Zeit auf, der Brennpunkt der politischen Ereignisse dieser Zeit zu sein. Das Armeehauptquartier tritt an seine Stelle und nimmt für sich das Recht in Anspruch, die nationalen Interessen zu verteidigen und zu gestalten.

V. K A P I T E L .

SPALTUNG DER INDEPENDENTEN. DIE ARMEE UND DIE CITY. GRUNDLAGEN DER DIKTATUR.

Was die Stellung der Führer der Independenten charakterisiert, ist nicht nur das retardierende Moment in ihrer Agitation für die Souveränität des Volks, sondern auch die Unsicherheit ihrer Stellung gerade in dieser Beziehung. Wie würden die Dinge sich weiterentwickeln, wenn Königtum und Oberhaus abgeschafft, die Souveränität des Volks in dem neu gewählten Parlament verkörpert sein würde? Würde dieses Parlament imstande sein, den bestehenden Staats- und Gesetzesapparat in der veränderten Form aufrechtzuerhalten, oder würden nicht die neuen, freigewordenen Kräfte ihrerseits eine weitere Auflösung aller Ordnung bewirken ? Würde nicht die soziale und nationale Anarchie die notwendige Folge so weitgehender Konzessionen an die Volkswünsche sein müssen ? Das waren die Fragen und Bedenken, die notwendig in der Brust aller derjenigen entstehen mußten, die zwar eine monarchisch-konstitutionelle Gestaltung der Staatsform im Sinne der presbyterianischen Mehrheit des Langen Parlaments ablehnten, an der Erhaltung des Privateigentums und des von ihnen erstrebten ökonomischen Zustandes aber in hohem Maße interessiert waren. Es vollzieht sich eine jener charakteristischen Differenzierungen innerhalb der independentistischen Partei, die das Resultat einer jeden Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse in Zeiten staatlicher Evolutionen zu sein pflegen: die früheren Radikalen erschrecken vor den Konsequenzen ihrer eigenen Taten und nähern sich im Angesicht der gemeinsamen Gefahr ihren früheren Gegnern. Dem linken Flügel tritt eine gemäßigte Opposition gegenüber, und die Gegensätze spitzen sich infolge des Zwanges der Ereignisse bald so zu, daß ein Bruch unvermeidlich wird. Und nicht unbegründet waren die Befürchtungen des konservativen Flügels der Partei. Die Berufung auf die alten Rechte des Volks war in mehr als einer Beziehung eine unsichere Grund-

— 70 — läge für die Existenz eines souveränen Parlaments. Wenn schon die Ansprüche der Parlamentsmehrheit eine unsichere Stütze in den Rechtssatzungen der Monarchie fanden, um wieviel mehr mußte das für die Forderungen der Demokraten gelten! Die Royalisten bedurften keiner großen Anstrengung, um solche Berufungen auf die englischen Rechtsbücher, wie wir sie bei L i l burne finden, zu widerlegen. Wenn man aber diese Grundlage verließ und sich auf den „... unanimous consent of all rational men in the world, written in every man's heart with the pen of a diamond in capital letters" berief140), wo war dann die Grenze, an der die Abschaffung der bestehenden Institutionen Halt zu machen hatte, wo die Garantie für die Einhaltung derjenigen Schranken, die vor einem Abgleiten zum Anarchismus und zur Beseitigung des Privateigentums sicherten? Und mußte nicht die Folge einer solchen Entwicklung die Beseitigung aller Errungenschaften und die Wiederaufrichtung der alten Monarchie sein? Denn daß aus dem Chaos selbst sich eine neue Ordnung der Dinge entwickeln könne, dürfte damals kaum jemand für möglich gehalten haben. Die Restauration aber bedeutete nicht nur Verlust der neuen Freiheiten, sondern für die Führer auch Verlust ihrer Existenz, Denn darüber, daß Karl I. und seine Partei den parlamentarischen Häuptern im Falle seines Sieges den Strick zugedacht hatte, waren sich alle Beteiligten klar. 141 ) So vollzieht sich die Spaltung innerhalb der Partei und mit ihr die Annäherung des rechten Flügels an den linken Teil der presbyterianischen Mehrheit des Parlaments mit der Notwendigkeit, die in dem Fortschreiten der geschichtlichen Ereignisse selbst liegt. Nicht anders, wie die Presbyterianer, suchen auch die Independenten jetzt einen Rückhalt in der Person des Königs und der Institution der Monarchie.142) Das, was jene trotz der Kämpfe immer wieder an die Seite des Königtums gedrängt hatte, zwingt auch sie in dieselbe Bahn. Die Notwendigkeit der Erhaltung der bestehenden sozialen Verhältnisse und die Gefahr einer Revolution der unteren Schichten der Bevölkerung sind die gemeinsame Opponente, durch die beide ursprünglich so differierende Gruppen in eine Front gebracht werden. In dem Bruch des rechten Flügels der independentistischen Mitglieder mit den „Levellern" am 21. September 1647 findet diese Spaltung ihren parlamentarischen Ausdruck. Diesem Frontwechsel entspricht eine Veränderung der ökonomischen Verhältnisse innerhalb der independentistischen Partei selbst. Diese hatte ihren Anhang nicht nur in der nicht inkorporierten Kaufmannschaft, sondern auch in den Reihen

— 71 — der kleinen und mittleren Landbesitzer. Diese aber machten während des Bürgerkrieges einen durch die Ereignisse selbst bedingte Umwandlung durch: sie erhalten Teile des konfiszierten Bischofslandes und der royalistischen Besitzungen und verwandeln sich so zum Teil in Großgrundbesitzer. Es liegt nahe anzunehmen, daß von dieser Verteilung insbesondere die independentistischen Mitglieder des Parlaments profitierten, die somit auch materiell an der Aufrechterhaltung des neuen Zustands interessiert wurden. Eine weitere Veränderung der agrarischen Bedingungen, die sich zugunsten des großen Grundbesitzes vollzog und die kleine Bauernschaft schädigt, war die bereits erwähnte, auch in dieser Zeit fortschreitende Einzäunung des alten Gemeindelandes und die Rodung der Wälder und Trockenlegung der Sümpfe. Da alle diese Veränderungen Sache der Gesetzgebung und der Lokalverwaltung waren, diese aber in den Händen des Parlaments lag bzw. seiner Aufsicht unterstand, so bildete sich eine natürliche Interessengemeinschaft zwischen der neuen agrarischen Mittelschicht und der großen Kaufmannschaft der Städte aus, die sich in der Folgezeit in dem immer mehr in die Erscheinung tretenden Zusammenarbeiten beider Teile ausdrückt. Doch bestanden innerhalb dieser „gentlemen"-Independenten selbst wieder verschiedene Strömungen, die in der verschiedenen politischen Haltung ihrer Führer ihren Ausdruck fanden. Nicht alle Mitgüeder der independentistischen Oberschicht waren mit den Interessen der Landbesitzer so verbunden, daß sie die Sache der Bauern und Handwerker, die die große Masse der Partei ausmachten, ohne weiteres preisgegeben hätten. Es ist bekannt, daß Cromwells erste Tat, die ein Licht auf seine politische Haltung wirft, die Verteidigung der Bauern von Ely gegen die Schmälerung ihrer Rechte durch die Entziehung von Weideland seitens der Grafen von Bedford gewesen ist, — eine Geschichte, die in mehrfacher Beziehung von Interesse ist. Denn sie zeigt erstens den sozialen Hintergrund, vor dem sich die politischen Kämpfe jener Zeit abspielen — eben der Versuch der Trockenlegung der Sümpfe war es, der zu der Vertreibung des Viehes der Bauern und zur Schmälerung ihrer alten Rechte am gemeinsamen Weideland führte —, sondern auch die Stellung, die Cromwell in diesem sozialen Konflikt einnahm: als mittlerer Besitzer und natürlicher Gegner des großen Lords macht er sich zum Wortführer der Bauern, so nicht nur ihr, sondern auch sein Interesse wahrend. Er gewinnt damit jene charakteristische Mittelstellung zwischen den Lords und den Bauern, die einer der

— 72 — Gründe für seinen späteren Aufstieg ist. Und so wie Cromwell dachten und handelten in der ersten Periode des revolutionären Konflikts sehr viele Angehörige der ländlichen Mittelklassen in den Grafschaften. In einer Petition an den General Fairfex im Juni 1647, d. h. zur Zeit des ersten Vormarsches der Armee auf London, protestieren die „Knights, Gentlemen and Freeholders" der County of Herford zusammen mit zahlreichen anderen Einwohnern der Grafschaft dagegen, daß die „copyholders", aus denen der Körper des Königreichs vor allem bestehe, und die zum größten Teil parlamentstreu seien, den Lords ausgeliefert würden, die gegen das Parlament und jede Reformation seien und von denen sie nur Schlimmes zu erwarten hätten. 143 ) Wir sehen hier ganz deutlich die Stellung der führenden Schichten innerhalb des independentistischen Lagers: die Notwendigkeit, den kleinen Bauern zufriedenzustellen, führt zur Gegnerschaft gegen die Lords und das mit diesen zusammenhaltende Parlament. Der Lord ist der gemeinsame Feind der Gentry und der Bauern. Das Parlament soll dazu gebracht werden, die Interessen der kleinen Besitzer wahrzunehmen. Da es hierzu nicht freiwillig bereit ist, muß es mit Gewalt gezwungen werden. Aber auch in den Städten führt die Differenzierung der wirtschaftlichen Lage zu einer Spaltung innerhalb der Reihen der independentistischen Mitglieder des Parlaments. Hier hatten sich die freihändlerischen Interessen des Handelsstandes zunächst mit denen der nach Freiheit von den Monopolen strebenden Handwerkern begegnet. Die zunehmende Radikalisierung der unteren Klassen der Bevölkerung mußte aber diejenigen Teile der Fortschrittspartei, die bereits größere Interessen zu verteidigen hatten, an die Wahrung der letzteren denken lassen. Das Eindringen der breiten Massen in die Sphäre der Großkapitals war auch für die Anhänger der Handels- und Gewerbefreiheit eine bedenkliche Erscheinung. Zwar bleiben die städtischen Independenten stets in grundsätzlichem Gegensatz zu den presbyterianischen und royalistischen Elementen der großen Handelskompanien. Aber ihre kaufmännischen Interessen lassen doch auch den Gegensatz zu den radikalen Richtungen innerhalb der kleinen Handwerker, Händler und Hausbesitzer immer mehr hervortreten. Der wachsende politische Einfluß schafft zudem eine Hebung der Lage der politisch einflußreichen Independenten, die sie auch gesellschaftlich in eine den alten herrschenden Schichten gleichgeordnete Stellung bringt und ihnen den Zutritt zu wichtigen Staatsämtern verschafft. Wie müssen diese Entwicklung um so mehr beachten, als diese Kreise später die Oberhand gewinnen und in der Partei

— 73 — der Whigs und als Vorkämpfer der Freihandelstheorie die Handelspolitik zu ihren Gunsten entscheidend beeinflussen. Auf der anderen Seite stellen sich die radikaleren Independenten entschlossen auf die Seite der kleinen Handwerker und Gewerbetreibenden und machen sich zum Sprachrohr ihrer durch die Entwicklung gefährdeten Interessen. John L i b u r n e ist nicht nur der Führer der kleinen Handwerker und Kaufleute in ihrem Kampf gegen die großen Kaufleute und Faktoreibesitzer, sondern er ist auch ein Vertreter derjenigen Teile der Mittelklassen, die sich entschlossen auf die Seite des unteren Bürgertums stellen. Solchergestalt bietet die Parteiung der mittleren Klassen der Bevölkerung in jener Periode ein höchst mannigfaltiges Bild, das in seinen Grundlinien zu erkennen nicht leicht ist. Dem Fortschreiten der politischen Entwicklung und den ökonomischen Verschiebungen entspricht eine fortwährende Veränderung und Spaltung innerhalb der independentistischen Mittelschichten. Die Masse des kleinbürgerlichen und -bäuerlichen Anhangs der Partei — zugleich das fermentierende Element innerhalb Staat und Gesellschaft — findet zunächst seine Wortführer in den Kreisen der Gentry und des städtischen Mittelstandes. In dem Maße wie der Einfluß dieser Kreise wächst und die Gefahr von Seiten der Gegner sich verringert, entfernen sich diese von den ursprünglichen Verbündeten und schließen sich den neuen Interessengenossen an. Das Gesetz ihres Handelns wird ihnen dabei durch die Ereignisse selbst und die dadurch geschaffene faktische Lage aufgezwungen. Aber ihre Lage wird doch nicht so sicher, daß sie des Schutzes der eigenen Waffen entbehren könnten. Weder gelingt es ihnen, die Gährung innerhalb der unteren Klassen der Bevölkerung zu beseitigen, noch können sie sich einer endgültigen Anerkennung seitens der oberen Klassen der Gesellschaft erfreuen. In ihrer unsicheren Stellung suchen sie Hilfe im Bündnis mit der königlichen Gewalt. Aber der König versagt sich ihnen ebenso wie den Presbyterianern. Hierüber kommt es zu heftigen Kämpfen innerhalb der rechten Kreise, die unter dem Druck des linken Flügels — der Leveller — in die Richtung auf die Republik gedrängt werden, ohne sich deswegen doch mit den radikalen Führern zu identifizieren. Es ist ein höchst verwickeltes System von Gewichten und Gegengewichten. Jede neue Situation schafft neue Gefahren und neue Notwendigkeiten. Alle Beteiligten aber — vom König bis zu Lilburne hin — haben ein gemeinsames Interesse: die Aufrechterhaltung der sozialen Struktur und die Verhinderung einer weiteren Auflösung des staatlichen Apparates. Seine Neuformung und Anpassung an die Erfordernisse der er-

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rungenen Stellung, das ist nicht nur das Ziel, sondern auch die Begrenzung der Bestrebungen aller politischen Parteien. Und in diesem verwickelten System entsteht nun das Übergewicht eines Faktors, der seine Bedeutung durch die Entwicklung der Dinge selbst gewinnt: der Armee oder — um es gleich genauer auszudrücken — der Offiziere derselben. Denn in dem Offiziersrat des Parlamentsheeres sind die Pläne ausgearbeitet worden, die der Aufrichtung der Diktatur und der Stabilisierung einer neuen souveränen Macht innerhalb des Staates galten. Das Protektorat war in der Tat nichts anderes als eine Diktatur der Generale und Stabsoffiziere; Cromwells Stellung beruht nicht so sehr auf seinem persönlichen Einfluß — wenn auch dieser nicht zu trennen ist von seiner Stellung und die Voraussetzung für seinen Aufstieg darstellt —, als auf dem Umstand, daß er für die zu lösende Aufgabe als der geeignetste und geschickteste Mann erschien. Nun war aber der Generalstab der Armee selbst wiederum nichts anderes als eine Vertretung eben jener Mittelklassen, die in jener Zeit sich zu einer Machtstellung innerhalb des englischen Staates erheben. Wir deuteten bereits darauf hin, daß diese Schichten der Bevölkerung keineswegs zu den ärmsten und ungebildetsten Kreisen gehörten; sie sind — wie Cromwell selbst — zum Teil „gentlemen" und gehören dem mittleren Grundbesitz an, der einen bedeutenden Einfluß auch auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes ausübt und ihn während der Revolution noch vergrößert. Die frühere Auffassung, daß die Offiziere des Parlamentsheeres ausschließlich „tradesmen, brewers, tailors, goldsmiths, shoemakers and the like" seien, ist, wie Firth bemerkt, nicht richtig.144) Von den 37 Regimentskommandeuren und Generalen der Cromwellschen Armee waren nur 7 keine „gentlemen" von Geburt. Eine große Anzahl der unteren Offiziere gehörten der niedrigeren Landgentry an und kam aus Familien, deren Stammbaum und Wappen bei den Heroldsämtern eingetragen waren. Die Handelsklassen von London und den anderen Städten waren zunächst nur in geringem Umfang in den Offiziersstellen zu finden; erst im Laufe des Bürgerkrieges gelangen sie in höhere Stellen. Vergegenwärtigen wir uns nun, daß diese Offiziere, wie wir noch sehen werden, die führende Stellung trotz aller Schwierigkeiten behaupteten und bei ihren politischen Handlungen von ihren eigenen Interessen nicht weniger geleitet wurden wie die Mitglieder des Parlaments, so können wir feststellen, daß ihre Herrschaft und die diktatorische Handhabung derselben eine solche der höheren Mittelklassen war, die in der politischen Herrschaft der Armee ein Gegen- oder vielmehr Über-

— 75 — gewicht über die Diktatur des Parlaments in Westminster und der in diesem vorherrschenden Kreise suchten und fanden. War der Kampf zwischen Königtum und Parlament darum gegangen, ob die Souveränität künftig beim Monarchen oder in den beiden Häusern der Volksvertretung liegen sollte, so entsteht jetzt die neue Frage, ob das Parlament oder die Armee Träger der Souveränität sei. Die späteren Konflikte Cromwells mit den Protektoratsparlamenten haben diese Frage zum Gegenstand. Im Keime aber existiert das Problem bereits zu Beginn des Bürgerkrieges. So gesehen erscheint die Republik nur als Durchgangsstadium zur Diktatur; die Versuche der Armeeführer, zu einer Einigung mit dem König zu gelangen, entsprechen der Notwendigkeit, ein Haupt für die Aufrichtung ihrer Diktatur zu finden, und die Schaffung der Institution der Generalmajore ist lediglich ein letzter, wir können sagen: verzweifelter Versuch, diese Diktatur der Armee aufrechtzuerhalten.

Es ist eine verbreitete Ansicht, daß der Gang der geschichtlichen Ereignisse — einem gut gehenden Uhrwerk ähnlich — gleichmäßig und gleichsam durch eine höhere Macht reguliert sich vollziehe. Die Geschichte lehrt uns jedoch, daß die Geschehnisse selbst die ihnen eigentümlichen Wirkungen hervorbringen, und daß diese oft in ganz anderer Richtung liegen, als die Urheber derselben vermutet hatten. Aus sich selbst heraus, durch Wirkung und Gegenwirkung vorwärts getrieben, nehmen die Ereignisse ihren eigenen Lauf und wandeln den Stoff der Geschichte selbst dann noch, wenn sie schon durch neue Geschehnisse überholt sind. Und diese — gewissermaßen sich selbst reproduzierende — Funktion des geschichtlichen Ablaufs gewinnt an Schnelligkeit und Rasanz, je stärker die revolutionären Erschütterungen einer Epoche sind, so daß es oft schwer ist, die einzelnen Phänomene solcher Zeiten zu erkennen und auseinanderzuhalten. Gerade hierin liegt der Reiz der Betrachtung solcher Epochen.145) Auch in der englischen Revolution sehen wir diesen dialektischen Prozeß der Entwicklung sich vollziehen. Die Ereignisse des Bürgerkrieges sind es, die hier den Gang der Ereignisse beschleunigen und ihnen eine Wendung geben, die niemand vorausgesehen hatte und voraussehen konnte. Schon die Eröffnung des Krieges war ein Faktum, das nicht in der ursprünglichen Absicht der parlamentarischen Opposition lag. Von vorwärtstreibender Wirkung aber werden die Ereignisse des Krieges selbst, insbesondere

— 76 — die Schaffung des „New Model" und die dadurch bewirkte Veränderung in dem Bewaffnungssystem des Staates. 146 ) Man hat die Bedeutung des „New Model" meist in der Verbesserung der Disziplin und Kampfkraft der Truppe, insbesondere durch die Ausbildung einer kampferprobten Kavallerie — der „iron sides" Cromwells — gesehen. Das ist allerdings die eine Seite des Entwicklungsprozesses, den die englische Armee in jener Epoche durchmachte. Wir können gerne glauben, daß die Truppen des Parlaments den alten „trained bands", die nach einem Ausdruck von F i r t h diesen Namen eher deswegen trugen, weil sie zum Trainieren bestimmt, als deswegen, weil sie wirklich trainiert waren, weit überlegen gewesen sind. Die andere Seite aber ist die Verschiebung der sozialen und wirtschaftlichen Schichtung im Rahmen der Armen. Die „trained bands" waren die bewaffnete Macht der Korporationen und Großen gewesen, die letztere dem König im Kriegsfalle zur Verfügung zu stellen hatten. Sie stellten die alte Miliz der Stände dar und beruhten auf der Wehrverfassung des Mittelalters. Durch den Bürgerkrieg und die dadurch hervorgerufene Notwendigkeit einer besseren Bewaffnung und Ausbildung der Streitkräfte beider Parteien kam das System der freiwilligen Eintragung in die von Kommissaren aufgelegten Listen in Aufnahme. Schon hierdurch wurde eine faktische Veränderung in der alten Aushebungsform der Lokalinstanzen bewirkt. Ein ganz neues System der Aushebung und Bewaffnung wurde durch die Einführung des „New Model" im Jahre 1645 inauguriert, durch das eine zentralisierte Leitung und Verwaltung und eine vollkommen neue Armee geschaffen wurde. Eine allgemeine Hebung des Niveaus der Soldaten und eine Verschiebung und Veränderung in der sozialen Zusammensetzung des Soldatenstandes ist die Folge. Die alten, schlecht ausgebildeten und den unteren Kreisen angehörenden Söldner treten zurück oder werden durch sozial höher stehende Elemente ersetzt. Namentlich in die Kavallerie treten jetzt Männer aus den besitzenden Klassen der Bevölkerung ein — außer Pächtern „freeholders" ; wenn wir dem von F i r t h 1 4 7 ) erwähnten Armeekaplan glauben können, war es selbst für einen „gentleman" zweckmäßig, ein Kavallerist zu sein und die Vorteile einer reichlichen Löhnung und wirtschaftlich gesicherten Existenz zu genießen. Und welche Veränderung in der Besetzung der höheren Offiziersstellen mußte nicht dadurch erfolgen, daß jetzt die einfachen Soldaten bis in die höchsten Stellen aufrücken konnten! Eine Demokratisierung des Offizierskorps ist die Folge; die alten, dem hohen Adel angehörenden Generale werden durch die „Selfdenying-bill" Cromwells



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entfernt und durch Angehörige der Gentry und der Mittelklassen ersetzt. Nicht GeburtsVorrecht entscheidet mehr über den Aufstieg in die höheren Stellen, sondern das Verdienst um die Sache des Parlaments. Die Bewährung in den Schlachten und Belagerungen — denn dieser Krieg war vorwiegend ein Kampf um den Besitz der festen Plätze — gibt den Maßstab für die Würdigung der Verdienste des einzelnen. Diese Soldaten waren nicht nur Söldner, sondern sie kämpften für ihre eigene Sache, für ihre Unabhängigkeit, für die Freiheit ihres Glaubens und ihrer Existenz. Sie waren in Wahrheit Bauern, Handwerker und Kaufleute im Soldatenrock. Ihr Adel war nicht ein Adel der Geburt, sondern ein solcher des Verdienstes. Bemerken wir nochmals, daß diese Entwicklung nicht in der Absicht der beteiligten Parteien lag, sondern durch die Ereignisse selbst bedingt wurde. Wäre die Umwandlung des Heeres nicht vollzogen worden, so hätte das Parlament den Kampf gegen den König trotz seiner wirtschaftlichen Überlegenheit wahrscheinlich nicht durchführen können. Es war vor die Wahl gestellt, entweder das Heer im Sinne der independentistischen Parteihäupter zu reorganisieren, oder die Niederlage und den Verlust aller Errungenschaften zu gewärtigen. Sein eigenstes Interesse trieb es dazu, die erste Alternative zu bevorzugen. Aber indem es dies tat und die Landbesitzer und Handwerker bewaffnete, gab es diesen mit den Waffen auch die tatsächliche Möglichkeit in die Hand, den neu erworbenen Einfluß gegen den Willen ihrer Machtgeber zu behaupten. Ein neuer Faktor entsteht in dem System der inneren Kräfte des Landes und beginnt bald nach allen Seiten und in voller Stärke seine Wirksamkeit zu offenbaren. Die Grundlage zur Diktatur ist damit geschaffen. Ein anderer Faktor, der in dieser Zeit des Konfliktes zwischen Armee und Parlament von Bedeutung, ist der Einfluß der City von London auf die Parlamentsregierung. Auch innerhalb der City standen sich die beiden Parteien der Presbyterianer und Independenten gegenüber und verfolgten ihre verschiedenen Ziele. Jede Partei stachelte ihre „voung men and apprentices" und andere Anhänger auf, das Parlament mit Petitionen zu bestürmen.148) Die Stadtverwaltung lag jedoch in den Händen der Presbyterianer. Diese lassen kein Mittel ungenutzt, um ihre Herrschaft gegen das Vordringen der Independenten aufrechtzuerhalten. Da die City die nächste und beste Geldquelle für die Regierung ist, so ist ihre Stellungnahme für das Parlament von größter Bedeutung, um so mehr, als die Zahlung der Armeelöhnung zum großen Teil von den Geldbewilligungen der Lon-

— 78 — doner City abhängt. Der Konflikt der Parlamentsarmee mit der presbyterianischen Mehrheit des Unterhauses wird solchergestalt auch zu einem mit der presbyterianisch regierten Stadtverwaltung Londons, die mit jener ständig in engster Fühlung stand. Die Politik der City-Presbyterianer ist darauf gerichtet, die Auflösung der independentistisch geführten Armee zu erreichen, nicht nur um von der Zahlung der Löhnung befreit zu werden — sie wollten nicht einmal den rückständigen Sold auszahlen —, sondern auch um sich eine ihrem eigenen Einfluß unterstehende neue Armee zu schaffen, die sie mit den früheren presbyterianisch gesinnten Offizieren zu besetzen gedachten. 149 ) Demgegenüber ist es erklärlich, daß sich die städtischen Independenten auf die Armee stützen und in dieser die bewaffnete Organisation ihrer Partei erblicken. Auf diese Weise bildet sich die oben erwähnte Interessengemeinschaft zwischen den Armen und den Parlamentsindependenten, die in einem engen Zusammenwirken beider Teile ihren Ausdruck findet. Doch ist es notwendig, darauf hinzuweisen, daß der spätere Gegensatz zwischen den hohen Offizieren und den parlamentarischen Vertretern in der independentistischen Partei schon damals im Keime vorhanden ist. Die Beantwortung der Frage, warum dieser Gegensatz sich ausbilden mußte, dürfte darin zu finden sein, daß die Independenten, zum Teil wenigstens, den Kreisen des freien Handels angehörten, die mit den agrarischen Interessen der Armeeangehörigen nicht vollkommen übereinstimmten. Sie bedienten sich der Armee als einer Waffe gegen die Macht der Presbyterianer, deren beherrschende Stellung in London nicht ohne Waffengewalt zu brechen war. 150 ) So kommt es im Jahre 1647 zu dem Konflikt zwischen der Armee und der City, der die Grundlage für die politische Herrschaft der ersteren legt und die Herrschaft der Presbyterianer nach kurzem und hoffnungslosem Widerstand beseitigt. Der Konflikt zwischen bewaffneter Macht und städtischer Selbstverwaltung endigt mit dem Siege der ersteren. So wirkt sich das Auftreten der Armee alsbald ausschlaggebend auf die Gestaltung der politischen Lage aus. Aber auch diese Entwicklung wäre nicht eingetreten, wenn nicht wiederum ein unvorhersehbares Ereignis den Lauf der Dinge beschleunigt und in eine neue Richtung gelenkt hätte: das Eingreifen der Soldaten in die Politik der Armee durch die Wahl von „Agitatoren" — wir würden heute sagen Soldatenräten — bringt ein neues Element in den Prozeß der Entwicklung. Die Armeeleitung sieht sich einer neuen Bewegung gegenübergestellt, die einen unwiderstehlichen Druck auf ihre Entschließungen auszuüben beginnt. Ihr

— 79 — Nachgeben und Zurückweichen vor dieser Bewegung, ihre Versuche, derselben Herr zu werden, und ihr gleichzeitiges Bestreben, sie für ihre eigenen Zwecke zu benutzen, das Vordringen der Soldatenräte unter Führung radikaler Offiziere, ihr Rückzug und ihre schließliche Unterdrückung — alles das sind Vorstufen und Voraussetzungen für die spätere Errichtung der Diktatur.

VI. K A P I T E L .

DIE SOLDATENRÄTE. DER VERFASSUNGSENTWURF DER OFFIZIERE.

Den unmittelbaren Anlaß zur Wahl der Soldatenräte gab der Beschluß des Parlaments, die Armee aufzulösen und nur einen kleinen Teil der Regimenter unter Waffen zu halten. 151 ) Letztere waren für die Wiedereroberung Irlands und als Garnisonen in England bestimmt. 152 ) Den zu entlassenden Soldaten wurde ein geringer Teil ihrer rückständigen Löhnung und Indemnität für die in Ausführung der Befehle ihrer Führer begangenen Handlungen bewilligt. Die Soldaten hielten diese Bewilligungen mit Recht für nicht ausreichend. Sie hatten den begründeten Verdacht — und sahen diesen Verdacht durch die Prozesse und Exekutionen ihrer entlassenen Kameraden bestätigt — , daß namentlich die Indemnitätsbill sie nicht vor Verfolgungen und Bestrafungen seitens der presbyterianisch gesinnten Behörden schützen würde. Im März 1647 stellen diejenigen Offiziere, die sich zu Wortführern der Forderungen der Armee machten, eine Petition an das Parlament zusammen, in der sie unter anderem volle Indemnität auf Grund eines, eventuell vom König zu zeichnenden Gesetzes, volle Befriedigung hinsichtlich ihrer rückständigen Löhnung, Entschädigung für die erlittenen Verluste an Leib und Gut, Sicherstellung der Kriegswitwen und -waisen und Vorschüsse zur Bezahlung der Quartiersschulden fordern. 153 ) Diese Petition, die im Tone sehr' gemäßigt ist und die Stimmung der Soldaten keineswegs voll zum Ausdruck bringt, wird vom House of Commons als meuterisch und aufrührerisch zurückgewiesen; den Verfassern derselben wird ein Verfahren wegen Hochverrats angedroht. Eine Besprechung zwischen den Kommissaren des Parlaments und dem kommandierenden General F a i r f a x Mitte April 1647 zeigt zwar die Bereitwilligkeit des letzteren, den Befehlen des Parlaments nachzukommen, offenbar aber auch seine Machtlosigkeit in der Durchführung dieser Instruktionen 154 ); eine währenddessen tagende Versammlung der Offiziere der Armee — diese lag damals in Cambridgeshire im Quartier, ihr Haupt-



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quartier war in Saffron-Walden — , bei der die Parlamentskommissare die Befehle des Parlaments bekanntgaben, verläuft ohne Resultat. Weitere Verhandlungen scheitern an dem allgemeinen Unwillen, auf die Vorschläge der Kommissare einzugehen. F a i r f a x kommt dadurch in eine schwierige Stellung. Das Parlament verlangt von ihm eine energische und sofortige Ausführung seiner Befehle und die Unterdrückung jeder Insubordination. Aber selbst bei den Regimentskommandeuren besteht keine Neigung, seinen Anordnungen nachzukommen, und in den unteren Offiziersrängen und bei den Unteroffizieren und Gemeinen ist der Aufruhr in vollem Gange; einige Regimenter verweigern ihren Kommandeuren bereits den Gehorsam, Noch will man an die Möglichkeit einer offenen Revolte nicht glauben. Aber schon beginnen die Soldaten auf eigene Faust zu handeln. In der richtigen Erkenntnis, daß die Offiziere, namentlich die höheren, auf die Dauer den Parlamentskommissaren keinen ernsthaften Widerstand entgegensetzen werden, wenn sie nicht von Seiten der Soldaten eine entsprechende Rückenstärkung erhalten, tun sie sich zusammen und setzen eine gemeinsame Adresse an ihre Offiziere auf, in der sie diese auffordern, bei ihnen zu stehen und sie nicht zu verlassen. Ein ähnlicher Brief wird von dem Generalmajor S k i p p o n dem House of Commons vorgelegt; seine Überbringer, drei Soldaten ohne Offiziersrang, werden vor die Commons gebracht und verhört. 155 ) Sie erklären, daß die Deklaration in einer Versammlung verschiedener Regimenter aufgesetzt und von den Agenten dieser Regimenter durchberaten sei. Ihre Antworten verraten einen trotzigen Geist und verfehlen ihren Eindruck nicht.15®) Das Haus beschließt, die Generale S k i p p o n , C r o m w e l l , I r e t o n und den Oberst F l e e t w o o d zur Armee zu senden und ihr mitzuteilen, daß es eine beträchtliche Summe für sie bewilligen, ihre Rechnungen prüfen und alsbald eine umfassende Indemnitätsbill einbringen werde. Hierüber kommt es in Saffron-Walden zu Besprechungen und schließlich zu einer Versammlung aller Offiziere, an der auch eine Anzahl Agitatoren beteiligt sind. 157 ) Bei dieser Zusammenkunft in der Kirche von Saffron-Walden treten unter den Offizieren deutlich zwei Strömungen hervor; die einen lehnen jede Beteiligung der Truppen bei den Verhandlungen ab 158 ), der andere größere Teil ist für eine Hinzuziehung der Mannschaftsvertreter zu den Verhandlungen und eine gemeinschaftliche Aktion. Schließlich wird nach langen Debatten, bei denen es dem den Vorsitz führenden Generalmajor S k i p p o n häufig schwer ist, die Ordnung aufrechtzuerhalten, beschlossen, C r o m w e l l und F l e e t w o o d nach London zu senden und dem Parlament die Beiheft d. H. Z. 28.

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Beschwerden der Armee zu unterbreiten. Dieses beschließt darauf die Auflösung der Armee, ohne die Forderungen derselben zu befriedigen, insbesondere ohne seine frühere Zusage einer achtwöchentlichen Kopfzahlung der Löhnung zu erweitern. Das bringt die Soldaten zu einem entscheidenden Schritt. Am 29. Mai versammeln sich die Agitatoren von 10 Kavallerie- und 6 Infanterieregimentern in Bury St. Edmunds und beschließen mit 82 gegen 4 Stimmen, dem Befehl zur Auflösung nicht Folge zu leisten. Der Kriegsrat stellt sich auf die Seite der Mannschaften. E r nimmt — gleich den anderen Generalen und höheren Offizieren —- von nun an jene charakteristische Zwischenstellung ein, die zu den verschiedenen Versuchen eines Ausgleichs zwischen Parlament und Armee führt. Der Umfang und die Stärke der Armeerevolte kann nicht leicht überschätzt werden. Wer die „Clarke-Papers" daraufhin durchliest, findet, daß die Soldaten eine Energie und eine Selbständigkeit beweisen, die einen hohen Grad politischer Energie voraussetzt. Schon der Umstand, daß nicht nur die meisten Subalternoffiziere, sondern auch ein großer Teil der Stabsoffiziere auf ihrer Seite stehen, beweist die Stärke und Ausbreitung der Bewegung. E s kann keinem Zweifel unterliegen, daß ein weitverzweigtes System von Verbindungen zwischen den einzelnen, zum Teil weit auseinander liegenden Truppenteilen bestand. Das interessante Instruktionsschreiben vom 4. 5. 47 1 5 9 ), das wahrscheinlich von S e x b y , einem der Häupter der Agitatoren, stammt, zeigt uns nicht nur die Verbundenheit der Soldatenvertreter untereinander, sondern offenbart auch die politischen Ziele der Bewegung. Die Autorität der Offiziere ist völlig verschwunden. Die Agitatoren stehen in ständiger Verbindung mit London und werden über alle Maßnahmen des Parlaments sofort unterrichtet. Als die Kommissare des Parlaments nach Chelmsford kommen, wo das Regiment des General Fairfax selbst liegt, finden sie, daß dasselbe ohne Befehl abgerückt ist. Die Offiziere, die ihm nachgesandt werden, werden mit dem Ruf: „There comes our Enemies" empfangen. Die von ihnen überbrachten Ordonannzen des Parlaments werden als „two penny pamphlets" verhöhnt. Auf dem Weitermarsch brechen einige Soldaten in ein Haus ein und nehmen 50 Pfund in Geld mit sich. Sie werden verhaftet; aber die, welche sie bewachen sollen, lassen sie frei. Einer der Hauptleute wirft sich zum Regimentskommandeur auf und gibt Befehle aus, „als wenn er der Oberstleutnant selbst wäre". Der Erfolg ist, daß die Kommissare abreisen und die Auflösung des Regimentes unterbleibt; die Agitatoren setzen die Anberaumung einer allgemeinen

— 83 — Armeeversammlung auf den 5. Juni in N e w m a r k e t 1 6 0 ) durch. Das Regiment I n g o l s b y , das in Oxford liegt, besetzt das dortige Armeemagazin und verhindert den Abtransport des Artillerieparks, der sich seit der Übergabe des Platzes im Jahre 1646 in Oxford befand. Das Regiment R a i n s b o r o u g h , das sich auf dem Marsche nach Hampshire befindet, vertreibt seine Offiziere, geht zurück nach Oxford und unterstützt das Regiment I n g o l s b y bei der Besetzung der Magazine und der Sicherung des Artillerieparks. Der Regimentswachtmeister wird von den Soldaten mißhandelt und beinahe getötet. E s ist in diesem Zusammenhange zu verstehen, daß der König von einer Kavallerieabteilung unter dem Kornett J o y c e von Holmby, wo er für das Parlament gefangen gehalten wird, fortgeführt und in den Gewahrsam der Armee gebracht wird. Auch diese Tat erfolgte aus eigenem Entschluß der Agitatoren und wahrscheinlich ohne Vorwissen der Generale. 181 ) Die Entführung war nur dadurch möglich, daß auch die Wachmannschaften, denen die Bewachung des Königs oblag, mit den Aufrührern sympathisierten. 182 ) Zwischen den Agitatoren der Hauptarmee und deren nördlichen Teilen bestehen Verbindungen. 163 ) Der Kommandeur der Nordarmee, der die Bildung der Soldatenräte verbietet, wird in seinem eigenen Quartier gefangen genommen und nach Pontrefact gebracht, wo er im Gewahrsam gehalten wird. Die Nordarmee unterstellt sich dem Befehle von Fairfax. Diese Beispiele mögen genügen, um zu beweisen, daß die Armeerevolte in Wahrheit eine weitverzweigte, wohlorganisierte und mit elementarer Wucht hervorbrechende politische Bewegung war. Alle Maßnahmen der Soldaten sind von einem leitenden Gedanken diktiert und liegen auf derselben Linie: die Verhinderung der Auflösung der Regimenter, die Verbindung der Truppen untereinander, die Festhaltung der Waffen, der Offiziere und des Königs im Machtbereich der Armee — alles das zielt auf den einen Effekt: die Konzentrierung der Macht in den Händen der Armee und ihrer Vertreter, der Agitatoren, ab. Und der politische Erfolg dieser Handlungen ist außerordentlich bedeutungsvoll: Zum erstenmal wurde die bürgerliche Ordnung der Dinge faktisch bedroht und eine Macht aufgerichtet, die imstande war, der Macht des Parlaments, der Scheriffs und Friedensrichter Trotz zu bieten. Wir sahen, daß auch die Sektierer, die —wie nicht weiter begründet zu werden braucht — mit den Soldaten nicht nur politisch verwandt, sondern vielfach identisch waren — denn die Armee war der Hauptsitz der sektiererischen Bewegungen —, derartige Ziele hatten; aber die Insubordinationen und Versuche, das System

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— 84 — der bürgerlichen Ordnung zu stürzen, die von Seiten der sektiererischen Zivilbevölkerung ausgeführt wurden, waren bisher immer unterdrückt worden und konnten unterdrückt werden, weil die Waffen im Besitz der Behörden waren. Jetzt entstand eine Macht, gegen die das Parlament und die Behörden ohnmächtig waren. Der ganze Bestand des Staates war in Frage gestellt, wenn die Soldaten die Oberhand gewannen und eine von den Agitatoren geleitete Republik aufrichteten. Wir können es nicht unternehmen festzustellen, wie weit die Ziele der radikalen Führer innerhalb der Truppe gesteckt waren. Daß die Forderungen der Soldaten zunächst nur auf die Erreichung praktischer Resultate: volle Auszahlung der rückständigen Löhnung, volle Amnestie usw. vor Auflösung der Regimenter gerichtet waren, schließt nicht aus, daß, wenn die Bewegung sich völlig durchgesetzt hätte, weiterreichende politische Gedanken entstanden wären und nach Verwirklichung gestrebt hätten. Ich möchte nicht meinen, daß die soziale Zusammensetzung der Armee eine Weiterentwicklung über die Ideen der bürgerlichen Demokratie hinaus unmöglich gemacht hätte. Richtig ist, daß die Kavallerie, die den Hauptanteil an der Revolte hatte, sich aus Kreisen zusammensetzte, die nach ihrer ökonomischen Stellung über eine gewisse Linie in der demokratischen Entwicklungstendenz nicht hinauskamen. Aber es waren doch auch noch ärmere Klassen, namentlich in den Infanterieregimentern, vertreten, die an der Aufrechterhaltung der Bodenverhältnisse kein Interesse hatten, und selbst die große Masse der Pächter mußte zum, mindesten in der Verwandlung ihrer Pachtgüter in freies Eigentum ein erreichbares Ziel für die Verbesserung ihrer ökonomischen Lage erblicken. Wir erinnern uns ferner, wie radikal die religiösen Gedanken in diesen Kreisen waren, und wie weitreichend die Wirkungen einer Umsetzung derselben in die Praxis sein mußten. Man wird unter diesen Umständen die Möglichkeiten, die in der Fortsetzung der Meuterei lagen — etwa auf dem Wege, der zur Absetzung der Generale geführt hätte —, nicht zu gering einschätzen dürfen.184) Sie hätten jedenfalls durchaus auf dem Wege gelegen, den die Entwicklung der Bewegung in ihren ersten Anfängen genommen hatte. Wie dem aber auch sei, der Lauf der Geschichte führte nicht in dieser Richtung. Die Generale, die sich nicht hätten halten können, wenn sie sich der Bewegimg entgegengestellt hätten, machen sich zu den Wortführern derselben ; sie verhandeln mit den Agitatoren und wissen diese so weit zu bringen, daß eine gemeinsame Beratung der Offiziere und Soldaten stattfindet, bei der es zu der erwähnten Vereinbarung

— 85 — zwischen den Offizieren und den Soldaten kommt. Dadurch wird diesen die Möglichkeit gegeben, die weiteren Verhandlungen mit dem Parlament im Namen der gesamten Armee zu führen. Die Generale sind es jetzt wieder, die die militärische und politische Führung des Heeres in der Hand haben. 165 ) Ihren Standpunkt stellen sie in einer Reihe von Kundgebungen an das Parlament klar, die aus der Feder des hierfür besonders geeigneten I r e t o n — er ist von Haus aus Jurist — stammen und deren wichtigste die Repräsentation vom 14. Juni 1647 ist, die die verfassungsrechtlichen Forderungen der Armee enthält. 166 ) Sie ist die Grundlage für den Verfassungsentwurf, der unter dem Namen: „The Heads of the Proposal of the A r m y " bekannt ist. 167 ) Die Stellung der höheren Offiziere, unter denen jetzt C r o m w e l l anfängt die führende Rolle zu spielen, ist bei diesen Verhandlungen sehr kompliziert und schwer erkennbar. Die Wiederherstellung der Disziplin war das Ziel, das sie in erster Linie zu erreichen suchen mußten. Denn davon hing ihre eigene Existenz und ihre Stellung in den politischen Kämpfen des Augenblicks ab. Man wird auch darüber hinaus annehmen können, daß es ihnen mit ihrem Versprechen, die Armee entsprechend den Befehlen des Parlaments aufzulösen, zunächst durchaus ernst war. C r o m w e l l , der nach den interessanten Aufzeichnungen des Colonel W o g a n „seemed to be as forward for this as any in the House" 168 ), drückte mit dieser Zusage an seine Parlamentsfreunde durchaus seine wahren Intentionen aus. Aber die Generale hatten auch wieder ein Interesse daran, die Disziplinlosigkeit der Truppe bis zu einem gewissen Grade aufrechtzuerhalten. Denn die Auflösung der Armee hätte sie, ebenso wie alle anderen Angehörigen der Armee, ihres Einflusses und ihrer Stellung beraubt. Zudem bestand noch immer die Möglichkeit, daß nach der Auflösung des Heeres das Parlament selbst von der keineswegs unterdrückten royalistischen und katholischen Opposition — diese beiden Parteien stehen während des Bürgerkrieges in einer Front — überwältigt und die alte Monarchie wieder hergestellt werden würde. Die allgemeine E r hebimg der Royalisten im Frühjahr des folgenden Jahres zeigt, daß solche Befürchtungen nicht ungerechtfertigt waren. Anderseits durften die Offiziere die Auflösung der Ordnung nicht so weit gehen lassen, daß die Zügel den militärischen Führern ganz entglitten. So kommt es zu der oben erwähnten Vereinbarung zwischen Offizieren und Agitatoren, die auf eine, freilich sehr untergeordnete Mitwirkung der letzteren bei der Ausarbeitung der „Heads" hinausläuft. Aber auch diese Grundlage erscheint nicht stark genug, um die Armee — d. h. in diesem Fall das Offiziers-



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korps — vor allen Eventualitäten zu schützen; dem offenen Bündnis, das die presbyterianische Mehrheit jetzt mit den Royalisten eingeht169), begegnen die Offiziere dadurch, daß sie ihrerseits Verhandlungen mit dem König bzw. den Häuptern der royalistischen Partei anknüpfen. Diese Verhandlungen haben den Erfolg, daß die Royalisten sich auf Befehl des Königs zurückziehen, und daß das Parlament dadurch in eine sehr schwierige Lage kommt, da jetzt auch die City ihre Hand von ihm abzieht. So gelingt es den Generalen, die presbyterianische Partei im Parlament zu isolieren und die Gefahr einer Vereinigung der beiden reaktionären Parteien, die den inneren Bestand der Armee zu gefährden drohte, zu beseitigen. Man kann die Klugheit und Vielseitigkeit Cromwells und seines Vertrauten Ire ton, die den Hauptanteil an der Wendung haben, den die Dinge in diesem Zeitraum nahmen, nicht hoch genug einschätzen. Inmitten der größten Schwierigkeiten und kompliziertesten Situationen haben sie es verstanden, nicht nur die eigene Stellung und die der anderen Offiziere zu entscheidender Bedeutimg zu erheben, sondern auch ein Gleichgewicht zu schaffen, das für Jahre hinaus der Fortentwicklung des englischen Staatswesens zur Grundlage gedient und eine gewaltige Ausbreitung seiner Macht zur Folge gehabt hat. Aber nicht alles, was zugunsten dieser Offizier-Politiker sich auswirkte, lag in deren ursprünglicher Absicht. Das berühmte Wort Cromwells, daß derjenige am weitesten komme, der nicht wisse, wohin er gehe, ist gerade für diese Epoche seiner Wirksamkeit zutreffend. Die Ereignisse selbst trieben ihn vorwärts, nachdem er einmal in den Strom derselben hineingeraten war. Indem er die Agitatoren begünstigte, handelte er doch nur unter dem Zwang der Ereignisse, die sonst über ihn hinweggegangen wären. Wenn er gleichzeitig das Parlament seiner Bemühungen versicherte, der Meuterei Herr zu werden, so war doch auch dies notwendig, um eine Vereinigung zwischen Presbyterianern und Royalisten und die Beseitigung aller Errungenschaften der letzten Jahre zu verhindern. Dem gleichen Zwecke dienten seine Unterhandlungen mit dem König. Wie wichtig gerade die letzteren für die Stellung Cromwells waren, folgt aus der Erwägung, daß, hätte der König sich für die Presbyterianer entschieden, die City auf die Seite des Parlaments getreten und die alsbaldige Auflösung der Armee durch entsprechende Geldbewilligungen wahrscheinlich erreicht hätte. Cromwells eindringliche Beteuerungen seiner Loyalität und die liberale Behandlung des gefangenen Königs werden durch diese Situation erklärlich. Es war ein gewagtes Spiel, das Cromwell hier durch-

— 87 — führte. Hatte doch das Parlament bereits alle, die bei der Entführung des Königs ihre Hand im Spiele gehabt hätten, für Hochverräter erklärt. Mußten da nicht auch die Generale, die den König gegen den Willen des Parlaments festhielten, im Falle ihres Unterliegens mit einer Anklage wegen Hochverrats rechnen? Aber die Dinge ließen schon keine andere Wahl mehr. Die gemeinsame Gefahr der Reaktion trieb die Generale nicht nur auf die Seite der Soldaten, gegen welche die Friedensrichter bereits mit Exekutionen wegen ihrer Taten im Bürgerkriege vorgingen, sondern auch in die Arme des Königs. Dieser, der gleichzeitig mit den Schotten, dem Parlament und der Armee verhandelte, konnte doch zu einem Entschluß nicht kommen. Hierdurch wird die Spannung so groß, daß schließlich kein anderer Ausweg bleibt, als die Besetzung Londons durch die Armee und die gewaltsame Niederwerfung des von den Presbyterianern gegen die Armeeforderungen erhobenen Widerstandes. Dieses Vorgehen war freilich eben nur möglich, nachdem es zwischen Offizieren und Mannschaften zu jener Vereinbarung gekommen war, die als Grundlage für den Verfassungsentwurf der Offiziere gelten muß. Der Sinn jener Vereinbarung ist ganz eindeutig und ergibt sich aus den Bestimmungen der „Heads" ohne weiteres. Den Soldaten, unter denen — wie bereits bemerkt — die aus den bäuerlichen Kreisen kommenden Kavalleristen die politische Führung hatten, werden gewisse Zugeständnisse gemacht, um die durch die Mißernten von 1646 und 1647 noch besonders aufsässig gewordene Bevölkerung zu beruhigen. 170 ) Das ist der Kaufpreis, um die Mitwirkung der Agitatoren bei der Ausarbeitung des Entwurfs durch die Offiziere ( I r e t o n , L a m b e r t ) zu gewinnen. Die übrigen Bestimmungen sind durchaus im Sinne der Offiziere, insbesondere der höheren, gehalten. Das praktisch wichtigste Organ ist der Staatsrat (Council of State), der aus „trusty and able persons", die bis zu 7 Jahren in ihrem Amt bleiben können, besteht. 171 ) E r ist das Organ, das den Einfluß der Generalität auf die Zivilverwaltung, insbesondere die Leitung der auswärtigen Politik, sichern soll. Die Stellung des Parlaments ist demgegenüber durch Einführung der zweijährigen Legislaturperiode beschränkt, doch dienen diese Beschränkungen andererseits wiederum als Schutzgarantien dem König gegenüber, dessen Stellung durch die faktische Macht des Staatsrats begrenzt ist. 172 ) Die Zwischenstellung, die das Offizierskorps in dieser Periode einnimmt und die dazu führt, König und Parlament gegeneinander auszuspielen und in ihren Kompetenzen gegenseitig zu begrenzen, kommt in den konstitutionellen Bestimmungen der „Heads" deutlich zum



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Ausdruck. Ihr eigentlicher Sinn ist die Aufrechterhaltung des vorwiegenden Einflusses, den die Armee bzw. ihre Führer verlangt hatten. Der Weg ist Unschädlichmachung der reaktionären, Niederhaltung der radikalen Elemente.173) Wieweit hierbei die Agitatoren und die sie unterstützenden Elemente des Offizierskorps den Generalen entgegenkamen, zeigt ein Vergleich der „Heads" mit der „Representation of the Agitators", die die Grundlage der Verhandlungen im Generalrat zuReading abgibt. 174 ) Forderungen, wie z. B. die der sofortigen Freilassung der politischen Gefangenen, zeigen, welche Spannung damals in der Truppe vorhanden gewesen sein muß. Darf man doch annehmen, daß selbst die von den Agitatoren erhobenen Forderungen noch keineswegs alle Wünsche der Soldaten zum Ausdruck brachten. Bezeichnend ist auch die Eile, mit der Cromwell und Ire ton, die bei den Verhandlungen in Reading besonders hervortreten, den Entwurf der „Heads" einbringen175); desgleichen das Bemühen Cromwells, die Forderungen der Agitatoren zu mildern und alles auf ein „treaty" mit dem Parlament abzustellen, sowie das allmähliche Zurückweichen der Agitatoren unter den Einfluß seiner Überredungskunst und des Übergewichts der Generalspartei. Daß die Bedeutimg dieser Ereignisse schon damals in diesem Sinne gewürdigt und von Seiten der gemäßigten Politiker als ein großes Verdienst Cromwells und seiner Freunde angesehen wurde, zeigt ein Brief vom 17. 7. 47, der über die Verhandlungen in Reading berichtet.176) Das ist in der Tat das Besondere in der Haltung Cromwells: daß er die Agitatoren, die er zuließ, weil er nicht gegen sie vorgehen konnte, gleichzeitig benutzt, um die erregte Stimmung der Truppe zu besänftigen und die Disziplin auf diese Weise wieder herzustellen. Daß er — trotz aller Rückschläge und Schwierigkeiten — in diesem Bemühen Erfolg hatte, sicherte seine Stellung in doppelter Hinsicht: Es gab ihm dem Parlament gegenüber die Macht in die Hand und erwarb ihm gleichzeitig die Dankbarkeit derjenigen Kreise, deren Sicherheit und Existenz von dem Vorhandensein einer disziplinierten Armee abhing. Die Möglichkeit einer Vereinbarung mit den beiden alten rivalisierenden Mächten: Königtum und Parlament, erschien auf dieser Grundlage gegeben. Sie herbeizuführen sollten die „Heads of the Proposals" dienen. Armee — Königtum — Parlament — das sind die drei Mächte, die nach dem Willen Cromwells zusammenwirken sollten, um die Gesamtheit des Staates zu bilden und die bürgerliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Der Entwurf blieb unausgeführt. Weder der König, dem er

— 89 — zuerst vorgelegt wurde, noch das Parlament — nach seiner Veröffentlichung am i. 8. 47 — gedachten, die ihnen auferlegten Einschränkungen ihrer Macht freiwillig auf sich zu nehmen. Die City beschließt vielmehr, jetzt mit Gewalt gegen die Armee vorzugehen. Die Presbyterianer sammeln ihre „Apprentices", nachdem sie vorher das Parlament mit Petitionen bestürmt haben, und beantragen sofortigen Friedensschluß mit dem König. Entlassene Offiziere, die „Reformadoes", und die Stadtmiliz werden bewaffnet, die Stadt wird in Verteidigungszustand gesetzt. Die Sprecher beider Häuser des Parlaments fliehen zur Armee. Aber die Entscheidung des Königs177) bringt zusammen mit dem Vormarsch der Armee einen Umschwung in der Haltung der Presbyterianer mit sich. Von den Royalisten im Stich gelassen und von der eigenen Opposition innerhalb der Stadt bedrängt, beschließen die City-Behörden, der Armee keinen bewaffneten Widerstand entgegenzusetzen. F a i r f a x kann ohne Schwertstreich in London einrücken. ( E r s t e B e s e t z u n g L o n dons.) 1 7 8 ) Der Verfassungsentwurf der Offiziere — wie wir die „Heads of the Proposais" bezeichnen können — ist oft als ein erster Versuch, die Verfassung eines Landes auf Grund einer schriftlichen Urkunde im Sinne einer modernen Staatsverfassung festzusetzen, gewürdigt worden. Und in der Geschichte der geschriebenen Verfassungen nimmt dieser Entwurf in der Tat eine besondere Stellung ein. Man darf aber hierüber seine geschichtliche und aktuelle Bedeutung in der Geschichte seiner Entstehung nicht vergessen. Erst wenn wir ihn als einen Ausdruck der damals miteinander ringenden Mächte innerhalb des Staates betrachten, gewinnen seine Bestimmungen Leben und gewähren uns einen aufschlußreichen Einblick in die Kämpfe, als deren Ergebnis er in die Erscheinung tritt. Als die Faktoren, die damals um die Macht rangen, stellen wir noch einmal fest: die Soldaten, deren Aufstand den Anstoß gibt, das Parlament, das sich in seiner Existenz gefährdet sieht und Anschluß an die Royalisten sucht, der König, der seinerseits zur Armee hinneigt, und schließlich die Armeeführer, die in dieser verwickelten Situation trotz ihrer schwankenden Haltung und trotz ihrer Stellung diejenigen sind, die den Schlüssel zur Lösung der Schwierigkeiten in der Hand haben. Die „Heads" stellen den Versuch dar, die Diktatur der Offiziere, d. h. des mittleren ländlichen Grundbesitzes, unter Einbeziehung der alten Mächte des Reiches zu etablieren. Der Weg, der zur Aufrichtung des Protektorats und zur Einrichtung der „Generalmajore" führt, ist mit ihnen bereits beschritten.

— 90 — Noch glauben sie, ihre Ziele ohne Gewaltanwendung, auf dem Wege der Vereinbarung, erreichen zu können. Aber schon stellt die Weigerung ihrer Gegner, mit ihnen zu paktieren, sie vor eine neue Situation. Die „Heads" verschwinden ohne die ihnen zugedachte praktische Geltung zu erlangen. Die Ereignisse nehmen einen anderen Lauf: den Weg, der zur Beseitigung des Königtums und zur Erklärung der Republik führt.

VII. K A P I T E L .

CROMWELL UND DIE LEVELLER. DER VERFASSUNGSENTWURF DER SOLDATEN.

Es wäre ungerecht, wollte man verkennen, welchen ungeheuren Einfluß die aufrührerischen Elemente in der Armee auf diese Entwicklung gehabt haben und wie groß ihre Bedeutung für die Gestaltung der Zukunft geworden ist. Wenn die Armee sich im April 1647 nicht erhoben hätte, wäre es niemals zur Republik und zur Diktatur gekommen; Schottland wäre nicht bekämpft und besiegt, die Einigung Englands und Schottlands über ein förderalistisches Verhältnis beider Staaten nicht hinausgekommen. Ja, man kann zweifeln, ob England die Machtstellving, die es unter dem Protektorat gewinnen sollte, erreicht hätte, wenn die Presbyterianer sich behauptet hätten, oder ob in diesem Falle nicht die holländischen Rivalen Sieger geblieben wären. Die aufständischen Soldaten sind die Kraft, die das Staatsschiff vorwärts treibt und seinen Lauf bestimmt.179) Es lag in der Natur der Sache, daß die Offiziere, je mehr sie sich dem Standpunkt eines Gleichgewichts zwischen den antagonistischen Mächten im Staat näherten, desto mehr von den Soldaten abrücken mußten. Indem sie sich zu den Beschützern der bestehenden Ordnung machten, mußten sie in Gegensatz zu denjenigen Elementen treten, die sie emporgebracht hatten und über diese Grenze hinausgehende Ziele verfolgten. Es ist eine in Zeiten politischer Erschütterungen häufige Erscheinung, daß ein Armeeführer sich zum entscheidenden Faktor im Kampfe der verschiedenen Parteien macht. Aber stets wird derselbe seine Stellung im Kampfe gegen die revolutionären Elemente gewinnen. Es ist wie ein Naturgesetz, daß jede Macht, die sich aus einem Chaos entwickelt, selbst wieder eine Ordnung der Dinge, freilich in veränderter Form und unter veränderten Bedingungen, hervorbringen muß. Auch der Generalsrat der Parlamentsarmee mußte zum Gegner der radikalen Tendenzen innerhalb des Heeres — wir lernten diese Richtung in der Leveller-Bewegung bereits kennen —•

— 92 — werden. Seine Offiziersmitglieder, mochten sie auch zuerst mit voller Überzeugung für die Forderungen der Soldaten eingetreten sein, waren doch klug genug, um die Gefahren, die aus einer Soldatenherrschaft für sie selbst entspringen konnten, zu erkennen. Ihr Zurückweichen im Augenblick der Gefahr macht einem Vorwärtsgehen nach dem überstandenen ersten Ansturm Platz. Die Sinnesänderung, die viele von ihnen in der Zeit zwischen S a f f r o n - W a l d e n und R e a d i n g durchmachen, ist in mehr als einer Hinsicht bemerkenswert. Zwar scheiden die monarchistischen Offiziere in diesem Zeitraum aus; aber dafür ist mit dem Einströmen weiterer populärer Elemente und der Befestigung der Disziplin um so mehr Möglichkeit gegeben, die Soldaten von ihren ursprünglichen Forderungen abzubringen. Das zeigt sich ganz deutlich bei den oben erwähnten Verhandlungen in R e a d i n g und in den Bestimmungen der „Heads". Forderungen, wie die sofortige Freilassung der politischen Gefangenen oder allgemeines und gleiches Wahlrecht werden schon gar nicht mehr diskutiert; der von den Soldaten vertretene Grundsatz, daß zunächst Garantien geschaffen werden sollten, ehe in Verhandlungen mit dem Parlament eingetreten werde, wird unter dem Einfluß Cromwells und I r e t o n s bald aufgegeben. Die meisten Forderungen der Soldaten finden in einem, den konstituierenden Bestimmungen des Entwurfs angefügten Katalog Platz, in dem sie wenig mehr als eine dekorative Bedeutung haben.180) Die faktische Macht Verteilung geht an den Interessen des gemeinen Soldaten vorbei; der Pächter und Handwerker bleibt Objekt der Staatsverwaltung, so wie er es früher gewesen war. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß dieses Zurückweichen auf das Verhalten der Agitatoren zurückzuführen ist, denen das gute Verhältnis mit den Offizieren mehr am Herzen lag als die energische Vertretung der Forderungen ihrer Auftraggeber.181) Immerhin muß zugegeben werden, daß ihre Stellung schwierig war und daß der Versuch, gegen den Widerstand der Offiziere ihre Forderungen durchzusetzen, Eigenschaften erfordert hätte, die den damaligen Vertretern wohl nicht gegeben waren. Aber eine Lösung der Spannung wurde auf diese Weise doch nicht erreicht. Es konnte nicht ausbleiben, daß sich die Soldaten fragten, was sie nun eigentlich gewonnen hätten. Die Befürchtung, die in dem Brief der Agitatoren an ihre Kameraden in Wales ausgesprochen wird, daß es später einmal von ihnen heißen könne: „Our predecessors had a prize in their hands, and an opportunity offered to have freed us from it and have made us happy, but woe to us, through their neglects they have let it slip, and left

— 93 — us in misery", drohte Wahrheit zu werden. 182 ) Selbst die nächstliegendsten und gerechtfertigsten Forderungen: Bezahlung der rückständigen Löhnung 183 ), vollständige Amnestie, Versorgung der Kriegsinvaliden, Witwen und Waisen erscheinen völlig ungesichert; ihre Durchsetzung hing allein von dem guten Willen der neu zu schaffenden* Regierung ab. Die Auflösung der Armee schließlich, die im Hintergrunde jeder Vereinbarung mit dem Parlament stand, überlieferte zahllose militärische Existenzen der Erwerbslosigkeit. 184 ) Alles das mußte zu einer erneuten Spannung zwischen Offiziersrat und Soldaten und damit zu neuen Verwicklungen und Kämpfen führen. Ich möchte nicht meinen, daß im Herbst 1647 die Politik Cromwells notwendig zusammenbrechen mußte. 185 ) Sein Plan, König und Parlament unter seiner Führung zusammenzubringen, war zwar zunächst gescheitert. Aber die Besetzung Londons und die Reinigung des Parlaments von den 1 1 wichtigsten Mitgliedern der presbyterianischen Partei 188 ) hatte ihm die Oberhand über das Parlament verschafft und ihm die Möglichkeit gegeben, seinen Gegnern das Gesetz des Handelns zu diktieren. Es ist nicht einzusehen, warum nicht auf dieser Grundlage eine endliche Vereinbarung im Sinne der „Heads of the Proposais" hätte möglich sein sollen. An Versuchen, dieselbe herbeizuführen, fehlte es jedenfalls nicht. Ob der König ihnen auf die Dauer sich versagt hätte, läßt sich heute nicht feststellen. Ein Nachgeben seinerseits lag durchaus im Bereich des Möglichen. Das, was die Politik Cromwells scheitern ließ, war weniger die innere Unmöglichkeit seines Systems 187 ), als der erneute Anstoß, der aus den Reihen der um ihre Hoffnungen betrogenen Soldaten kam und der eine neue Umgruppierung in den Kreisen der independentistischen Führer verursachte. Diese Umgruppierung führt im Unterhaus zur Ausbildung eines entschiedenen republikanischen Flügels, der — unter der Führung von V a n e , St. J o h n , F i e n n e s u. a. stehend — dem konstitutionellen Flügel der independentistischen Parteigegenübertritt. Diese reinen Republikaner vertreten zwar nicht die Forderungen der Leveller, aber sie stehen doch in ausgesprochenem Gegensatz zu allen auf einen Vergleich mit den Presbyterianern abzielenden Tendenzen und Elementen. Die entsprechende E r scheinung finden wir in den Reihen der Offiziere. Auch hier spalten sich die zu den Soldaten haltenden und auf einen Ausgleich mit ihnen bedachten Teile von den Vertretern der auf eine Vereinigimg mit dem Parlament abzielenden Politik ab. E s braucht nicht gesagt zu werden, daß die eifrigsten Verfechter der letzteren die

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hohen Offiziere waren, während die andere Partei sich außer aus einigen Regimentskommandeuren — R a i n s b o r o u g h , R o b e r t L i l b u r n e — hauptsächlich aus den unteren Offizieren zusammensetzt. Diese Entwicklung der Dinge ist nun aber für C r o m w e l l s Stellung von größter Bedeutimg. Denn nur wenn er eine disziplinierte und einmütige Armee hinter sich hatte, konnte er auf eine Durchsetzung seiner Politik König und Parlament gegenüber hoffen. So hatte er im Mai desselben Jahres seine Stellung dadurch zu entscheidender Bedeutung erhoben, daß er durch Vereinbarung mit den Agitatoren die Disziplin wiederherstellte und die Armee unter den Gehorsam des Parlaments zurückbrachte. Eine erneute Revolte war nicht nur eine Bedrohung des Parlaments, sondern in noch höherem Maße eine solche seiner eigenen Stellung. Denn sie mußte zur Spaltung innerhalb des Offizierskorps und damit zu einer Gefährdung der Einheit unter den Offizieren führen. Eine solche aber fürchtete C r o m w e l l mehr als alles andere. Hing doch von der Einmütigkeit des Offizierskorps die Einheit der Truppe selbst ab. Niemals hat C r o m w e l l eine Politik getrieben, die zum offenen Bruch mit dem Offizierskorps der Armee geführt hätte. E s geht wohl zu weit, wenn man mit dem Verfasser der „History of Independency", Clem. W a l k e r 1 8 8 ) , annehmen wollte, daß der erneute Aufstand der Soldaten im Herbst 1647 auf das Betreiben der „Independent Grandees" selbst zurückzuführen ist. C r o m w e l l jedenfalls mußte die neue Revolte höchst unwillkommen sein, und auch seine Gegner im Offiziersrat wird man nicht als die Anstifter des Aufstandes ansehen dürfen. Der eigentliche Grund ist vielmehr in der sich ständig verschlechternden Lage der Bauernschaft und des Mittelstands in den Städten und in der wachsenden Gährung innerhalb dieser Schichten zu erblicken, die zu der Erkenntnis kamen und kommen mußten, daß eine Durchsetzung des Verfassungsentwurfs der Offiziere für sie eine Verbesserung ihrer Lage nicht bedeutete. Die Spaltung innerhalb des Offizierskorps ist lediglich ein Ausdruck des Schwankens seiner Mitglieder hinsichtlich der Frage, welche Stellung man zu den sozialen Problemen dieser Epoche einnehmen sollte. Denn namentlich auf die mittleren Landbesitzer, die „Gentlemen" und die „Freeholders" der Grafschaften, stützte sich die Politik der Generale und das Vorgehen derselben dem Parlament gegenüber. Indem diese Schichten selbst in ihrer Haltung der neuen Bewegung gegenüber uneinig wurden, hörten sie auf, die feste Grundlage zu sein, auf die sich C r o m w e l l und seine Parteige-

— 95 — nossen bis dahin hatten stützen können. Das Fundament ihrer Diktatur, wie sie in den Verfassungsformen der „Heads" aufgerichtet werden sollte, fing an unsicher zu werden. Alle E r rungenschaften der letzten Jahre drohten damit verloren zu gehen. 189 ) Aber hatte nicht die Haltung der parlamentstreuen „Gentry" und Freibesitzer in den Kämpfen des Bürgerkrieges gerade darauf beruht, daß sie im Kampf gegen das Königtum und die mit ihnen verbündeten Lords die Interessen der Bauern gegenüber den letzteren vertrat ? War nicht das die eigentliche Grundlage ihrer sozialen Stellung gewesen, die Ursache für ihre oppositionelle Gesinnung und ihre dissentierenden Bestrebungen ? Wir erinnern uns, daß C r o m w e l l s erste Tat, durch die er im Lichte der Geschichte erscheint, die Verteidigung der Bauern seines Bezirks in ihrem Kampf gegen den Lord war. Diese Stellung hat C r o m w e l l im Jahre 1647 grundsätzlich aufgegeben. Zwar ist es sicherlich nicht richtig, was L u d l o w annimmt, daß I r e t o n , der auf C r o m w e l l damals den größten Einfluß hatte, lediglich im Interesse der Presbyterianer handelte. 190 ) Richtiger ist wohl die Annahme, daß es die fortschreitende Radikalisierung der Bauern und Pächter war, die einen großen Teil des demokratisch gesinnten Landadels an die Seite der Presbyterianer trieb. C r o m w e l l und I r e t o n waren nur die Vollender einer Entwicklung, deren tiefere Ursache in der Umwandlung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes lag. Daß die hierdurch bedingten Schwankungen C r o m w e l l s , der in steter Fühlung mit der Gentry und den Freeholders stand und in hohem Maße von ihnen beeinflußt wurde 191 ), von seinen Zeitgenossen, namentlich seinen Gegnern in allen feindlichen Lagern, als Ausdruck heuchlerischer Gesinnung betrachtet wurde, mag allerdings erklärlich erscheinen. In Wahrheit sind sie der Ausdruck seiner schwierigen Lage, die ihn zwang, dort Anschluß und Unterstützung zu suchen, wo er sie gerade finden konnte. Diejenige Wendung, die am überraschendsten erscheint, ist das plötzliche Abrücken C r o m w e l l s von der Sache des Königs nach dessen Flucht von H a m p d e n C o u r t und dem Rendezvous von W a r e Mitte November 1647. 1 9 2 ) E s erscheint in der Tat überraschend, daß derselbe Mann, der kurz vorher die Flucht des Königs mit ins Werk gesetzt oder doch wenigstens zugelassen und die Armee anscheinend zur Disziplin zurückgeführt hatte, mit einem Male seine eigenen Handlungen so weit verleugnet, daß er den Abgesandten des Königs nicht nur sehr kühl empfängt, sondern sogar seine Verhaftung plant. 193 ) Der Grund dafür ist allein die

— 96 — wachsende Erregung der Soldaten und der drohende Zerfall der Armee, deren gewaltsame Befriedung durch Cromwell bei dem Rendezvous auf Corkbush Field keineswegs die Gärung in den Truppen beseitigen konnte. Der erste Ausdruck dieser erneuten Gärung war die Wahl neuer Agitatoren im Oktober 1647 gewesen, die — zum Unterschied zu den alten Agitatoren — „agents" genannt werden. Aber die Soldaten blieben auch diesmal nicht hierbei stehen. Es kommt wieder zu Gehorsamsverweigerungen und zu Vertreibimg von Offizieren. Ja, es gingen sogar Gerüchte um, 4aß die Soldaten beabsichtigten, F a i r f a x selbst gefangen zu nehmen und Cromwell in der Nacht vor dem Rendezvous in seinem Bett zu ermorden.194) Ob solche Drohungen ausgeführt worden wären, läßt sich heute nicht mehr entscheiden. Daß sie ausgestoßen werden konnten, zeigt den Grad der Erbitterung die in der Armee herrschte. Die auf Cromwells Befehl vorgenommene Exekution eines der Meuterer sowie die Gefangennahme von 1 1 anderen hatte nur die Wirkung, die Erbitterang der Soldaten noch zu erhöhen. Die momentane Einschüchterung, die durch diesen Gewaltakt bewirkt war, verschwand bald; zwei Drittel der Armee — so berichtet Ludlow 1 9 5 ) — erklärten, daß sie, auch wenn sie selbst dabei zugrunde gehen sollten, nichts unversucht lassen würden, um den Rest auf ihre Seite zu bringen, und daß sie, wenn alles fehlschlüge, die Armee spalten und sich mit jedem verbünden würden, der sie in der Vernichtung ihrer Gegner unterstützen würde. Daß dies die Stelle war, an der Cromwell am leichtesten verwundbar war, wurde bereits auseinandergesetzt. Die Möglichkeit einer Reaktion war in diesem Falle ebenso vorhanden wie die Gefahr der Anarchie. Sie genügte, um die Generale zu einem völligen Umschwung in ihrer Gesinnung dem König gegenüber zu veranlassen. Sie beschließen, daß, wenn sie die Armee nicht zu ihrer Ansicht bringen könnten, es das beste sei, ihr nachzugeben, „a schism being utterly destructive to both".196) Cromwell beeilt sich, mit der radikalen Partei Frieden zu schließen, „acknowledging, as he knew well how to do on such occasions, that the glory of this world had so dazled his eyes, that he could not discern clearly the great works that the Lord was doing", wie Ludlow ironisch bemerkt. Hatte er im Mai noch zwischen den beiden Flügeln innerhalb der Armee vermitteln können, so bleibt ihm jetzt keine andere Wahl mehr als bedingungsloses Nachgeben.19') Wir haben damit den Punkt erreicht, der Cromwells Stellung in den Ereignissen der Folgezeit bis zur Hinrichtung des Königs erklärt. Alle seine Versuche, aus dieser Lage sich zu be-

— 97 — freien : die Annäherung an das Parlament unter dem Druck des royalistischen Aufstandes und der schottischen Invasion im Jahre 1648, die erneuten Verhandlungen mit dem König nach Niederwerfung der Rebellion und Besiegung Schottlands, können ihn doch nicht vor der Notwendigkeit bewahren, mit den radikalen Elementen der Armee in Übereinstimmung zu handeln. Seine scheinbare Mittlerstellung zwischen den radikalen Elementen rechts und links bedeutet in Wahrheit Abhängigkeit von den radikalen Elementen. Und selbst die Abschaffung der Monarchie brachte keine Veränderung dieser Stellung. Denn die Erklärung der Republik beseitigte weder die starke royalistische Partei innerhalb des Landes, noch die Ansprüche des Prince of Wales auf Wiederherstellung der Monarchie und Erhebung auf den Thron seiner Väter. Wohl verschiebt sich dasGefügeder Kräfte imLaufe des folgenden Jahrzehnts; der statische Bau derselben aber bleibt der gleiche. Die Abhängigkeit Cromwells und der anderen Generale von den radikalen Tendenzen innerhalb der Armee steht nicht im Gegensatz zu der Tatsache, daß es ihnen gelingt, einen großen Teil der unteren und mittleren Offiziere zu einer „Generalspartei" innerhalb der Armee zu vereinigen und auf ihre Seite zu ziehen. Die Haltung der meisten Offiziere war eben eine schwankende. Gewannen, wie im Sommer 1647, der Einfluß und die Autorität der Generale das Übergewicht, so folgten sie dieser und wandten sich von den unteren Elementen ab; gerieten — wie im Herbst desselben Jahres — die Soldaten in Aufruhr, so gingen sie zu diesen über und waren bereit, die Generale preiszugeben. Gerade darum war Cromwell von ihrer Haltung abhängig. Da die große Masse der unteren Offiziere den religiösen radikalen Sekten angehörten — sie waren zumeist Baptisten oder sog. „Männer der fünften Monarchie" —, so hatten sie keine direkten politischen Ziele. Diese werden in der Hauptsache nicht von den „heiligen" Offizieren, sondern von den bürgerlichen Radikalen, den uns bereits bekannten Levellern, vertreten, die im Herbst 1647 anfangen, auf die Armee Einfluß zu gewinnen. In dieser Beziehung sind aufschlußreich die Verhandlungen im Offizierrat in Putney. 198 ) In diesem Offiziersrat, an dem außer den höheren Offizieren auch einige der neu gewählten „agents" teilnahmen, werden die beiden von den Soldaten den Generalen vorgelegten Deklarationen: „The Case of the Army" 199 ) und das „Agreement of the People"200) diskutiert. Die Debatte ist sehr erregt. Deutlich treten zwei opponierende Parteien einander gegenüber: Cromwell und Ireton auf der einen, die Verfechter des „Agreement", deren Wortführer Wildman ist, auf Beiheft d. H. Z. 28.

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der anderen Seite. ) Diesen muß man als den eigentlichen Opponenten der Generalspartei ansehen. Er repräsentierte zusammen mit den Agitatoren und einem Mr. P e t t y , der, wie Wildman, zu den bürgerlichen Levellern gehört, die Interessen der mit diesen jetzt durch enge Zusammenarbeit verbundenen Soldaten der aufrührerischen Regimenter.202) Deutlich tritt die Tendenz Cromwells hervor, die Besprechimg des „Agreement" hinauszuschieben und die Bestimmungen desselben im Sinne der „Heads" umzuwandeln. Nur dem Eingreifen Wildmans und des ihm zur Seite stehenden Regimentsobersten Rainsborough ist es zu danken, daß der Entwurf der Soldaten überhaupt verlesen wird. Nachdem dies geschehen203), entspinnt sich alsbald eine Debatte über die in § i des „Agreements" vorgesehene Wahlreform. Ireton, der die Sache des Parlaments am schärfsten vertritt und weniger zu Kompromissen geneigt ist, wie Cromwell, fragt, ob diese Bestimmungen bedeuteten, daß jeder Einwohner ein gleiches Wahlrecht haben solle, oder ob die alten Wahlberechtigungen nur modifiziert werden sollten. Darüber belehrt, daß der Wille der Soldaten auf Einführung des allgemeinen und gleichen Stimmrechts gerichtet sei, verbreitet er sich über die Konsequenzen, die eine solche Ausdehnung der Wahlberechtigung für die soziale Struktur des Königreiches haben müsse. Er führt aus, daß nur diejenigen ein Recht hätten, die Angelegenheiten des Gemeinwesens zu bestimmen, die ein dauerndes, bestimmtes Interesse an demselben hätten. Er weist den Gedanken zurück, daß das „Geburtsrecht" die Befugnis verleihe, an der Gesetzgebung des Landes teilzunehmen. Das örtliche Interesse werde durch die Landbesitzer und die Korporationen als Träger des Handelsverkehrs vertreten. Diese allein seien durch die bestehende Konstitution zur Mitwirkimg bei der Gesetzgebung berufen. Wer dieses Grundgesetz beseitige, rüttele an den Grundlagen des Privateigentums. Rainsborough hält ihm entgegen, daß er kein göttliches Gesetz kenne, welches vorschreibe, daß ein Lord 20, ein Gentleman nur 2 und der Arme überhaupt keinen Abgeordneten entsenden dürfe.204) Weder das Naturrecht, noch das Völkerrecht sehe etwas Derartiges vor. Die englischen Gesetze aber unterlägen der Abänderung durch das Volk. Eine Verfassung, die es möglich mache, daß eine kleine Korporation, die das Königspatent erhalten habe, 2 „burgesses" sende, während 500 Grundbesitzer nur einen senden sollten, und die es erlaube, daß diejenigen, die die Gesetze machten, vom König ernannt würden und nur auf Berufung des Königs handeln könnten, bedeute alles andere als Freiheit.205)

— 99 — Wir haben diesen Punkt aus den Verhandlungen von P u r n e y herausgegriffen, weil er diejenige Frage betrifft, hinsichtlich derer die beiden feindlichen Parteien am unversöhnlichsten gegenüberstehen. Wohl hatten auch die „grandees" eine Reform in ihrem Verfassungsentwurf vorgesehen gehabt; sie erstrebten eine bessere Verteilung des Stimmrechts auf die vorhandenen Wahlkomplexe im Sinne einer Verringerung des Einflusses der royalistischen Kreise, d. h. vor allem der großen Lords. Aber die Ausdehnung des Stimmrechts auf die besitzlosen Klassen: Lehrlinge, Gesellen, kleine Handwerker und Kaufleute lag ihnen fern. Eine solche mußte nach ihrer Ansicht zur Anarchie führen. Und sehr groß war in der Tat der Unterschied beider Standpunkte. Denn auf dem Wahlrecht zum Parlament beruhte die ganze soziale und rechtliche Ordnung des Königreichs seit Jahrhunderten. Jede Berechtigung im öffentlichen Leben war mit ihm verknüpft ; die vom Mittelalter her bestehende Einteilung der Stände fand hier ihren staatspolitischen Ausdruck. Das allgemeine Stimmrecht dagegen war ein ganz neues Prinzip; es beseitigte nicht nur die Vormachtstellung der „nobility", sondern griff auch die Privilegien der großen Monopolgesellschaften an, deren Stellung auf der Patentverleihung durch den König beruhte. Deren Inhaber waren aber nicht nur die Geldgeber für die Armee, sondern auch die politischen Führer der Mehrheit des Parlaments. Wer die Einführung des allgemeinen Wahlrechts forderte, griff somit auch das Parlament an, und zwar an einer Stelle, an der ein großer Teil der Independenten ebenso empfindlich war wie die Presbyterianer. Denn auch die Independenten hatten, mochten sie auch mit dem bestehenden Wahlmodus unzufrieden sein, ein Interesse daran, die unteren Klassen von der Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten auszuschließen. Indem nun aber die Soldaten auf ihrer Forderung bestehen, — denn der Erfolg, den Cromwell und I r e t o n durch ihre überlegene Debattierkunst und durch die schwankende Haltung der unteren Offiziere davontragen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Stimmung der Soldaten nach wie vor äußerst erregt ist — ergibt sich eine starke Spannung, die schließlich dahin führt, daß I r e t o n die Versammlung unter Protest verläßt und eine gewaltsame Lösung unvermeidlich erscheint. 206 ) Es ist interessant, die Stellung der verschiedenen Mitglieder der Versammlung in dieser Situation zu beobachten und zu sehen, wie es schließlich zu einem Ausweg kommt. Wir dürfen annehmen, daß die meisten der anwesenden Offiziere von vorneherein auf seiten der Generale standen, an die 7*



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Sit: nicht nur durch das Verhältnis der Subordination, sondern teilweise wohl auch durch persönliche Begünstigung gebunden waren. Unter den opponierenden Offizieren tritt vor allem der bereits erwähnte Oberst Rainsborough hervor. Als Regimentskommandeur, der sich — er stammte aus dem Handwerkerstande — durch seine Verdienste zu dieser Stellung emporgearbeitet hatte, konnte er damit rechnen, daß seine Stimme Beachtung finden würde. Er ist es, der — neben Wildman — Ireton am schärfsten und erfolgreichsten opponiert. Er vertritt die Interessen aller der Soldaten, die im Kriege gegen den König gefochten haben und nun nach Beendigung desselben sich nicht nur um einen großen Teil ihrer Löhnimg gebracht, sondern auch mit dem wirtschaftlichen Ruin bedroht sehen.207) Für sie fordert er das Stimmrecht, um ihnen auf diese Weise wenigstens einen Einfluß auf die Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten zu geben. Daß seine Berufung auf das natürliche Recht und den Gegensatz desselben zu den Ungerechtigkeiten der bestehenden Wahlordnung eine Vorwegnahme von Ideen bedeutete, die erst viele Generationen später verwirklicht werden sollten, konnte dieser tapfere Haudegen freilich nicht wissen. Ihm erscheint es als selbstverständlich, daß jeder freie Engländer das gleiche Recht hat und daß die Unterschiede im Besitz diese Gleichheit nicht zerstören können. Indem er so für die nächstliegenden Interessen seines Standes eintritt, wird er zu einem der frühesten Verkünder der modernen Idee des allgemeinen und gleichen Stimmrechts. Rainsborough war in erster Linie Vertreter der Soldaten. Als solcher war er an einer Ausdehnung des Stimmrechts auf Personen außerhalb der Armee weniger interessiert. Wir dürfen daher annehmen, daß er mit einer Verleihung des Stimmrechts an diejenigen, die während des Bürgerkrieges in der Parlamentsarmee gedient hatten, zufriedengestellt gewesen wäre. Da diese Ausdehnung verhältnismäßig gering und von nicht allzu großer Bedeutung war, konnte seine Opposition auf die Dauer nicht allzu gefährlich werden. Ein anderer Typus der an der Debatte beteiligten Offiziere ist Lieut.-Col. Goffe. Er gehört zu den „Saints" und steht den „Männern der Fünften Monarchie" nahe. Während Rainsborough immerhin noch offen für die Interessen der Soldaten eingetreten war, bedeutet das „Gottsuchen" Goffes eine faktische Unterstützung des Standpunkts der Generale. Als die Debatte die Schwierigkeiten einer Einigung zu offenbaren beginnt, ist er es, der — unter Anführung zahlreicher Bibelzitate — ein „prayer-meeting" vorschlägt, — ein Gedanke, der von Cromwell und Ireton sofort aufgegriffen wird.208) Das



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„prayer-meeting" findet statt; die Ansprache, die G o f f e im Anschluß hieran hält 209 ), zeigt, daß er durchaus im Geiste der Versöhnung der Gegensätze und des Aufschubs entscheidender Handlungen tätig ist. Von irgendwelchen Forderungen der Soldaten ist bei ihm nicht die Rede; sie werden ersetzt durch Überlegungen religiöser Natur, die geeignet sind, eine klare Stellungnahme zu vermeiden.210) Die Teilnahme G o f f e s an der Diskussion ist dementsprechend gering und die Schwächlichkeit seiner Haltung tritt deutlich hervor.211) Er stellt diejenigen Elemente in der Armee dar, die einer klaren Entscheidung ausweichen und in ihrer politischen Haltung schwankend sind. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß I r e t o n und Cromwell mit diesen Gegnern unschwer fertig geworden wären, wenn die Dinge sich so weiterentwickelt hätten, wie sie es sich dachten. Aber die erneute Weigerung des Königs, auf ihre Vorschläge einzugehen, und insbesondere seine Flucht am I i . Nov. führen — wie wir sahen — eine derartige Verschärfung der Situation herbei, daß eine Beruhigimg der Truppen durch Beeinflussung der Offiziere und Agenten schon nicht mehr möglich war. Wohl gelingt es Cromwell, durch* Einsetzung seiner Person die offene Meuterei noch einmal zu unterdrücken. Aber die Gefahr ist damit nicht beseitigt. Die augenscheinliche Beiseitesetzung aller Forderungen der Soldaten durch das Committee der Offiziere wirkt mit dem Mißerfolg der Pläne Cromwells zusammen. Die Armee, von deren Zusammenhalt seine und des Parlaments Stellung abhängt, kann nur durch eine bedeutende Konzession beruhigt und zur Disziplin zurückgebracht werden. Und diese Konzession kann nur auf der Linie liegen, die Cromwell bis dahin am sorgfältigsten vermieden hatte: auf der Linie, die zur Abschaffung der Monarchie führt. Daß Cromwell diesen Weg nur sehr ungern eingeschlagen hat, ist bekannt. Seine Haltung während des Prozesses gegen den König zeigt dies ebenso wie die Loyalitätsbezeugungen, die er bis zuletzt dem Monarchen erwies. Es ist daher erklärlich, daß Cromwell dem Druck der Armee nur zögernd nachgab und daß es nicht an ihm lag, wenn der Entschluß, den König gewaltsam zu beseitigen, gefaßt wurde. Auf der anderen Seite konnte er nicht daran denken, sich von seiner Partei loszulösen und etwa sich auf die Seite seiner Soldaten gegen die republikanische Partei im Parlament zu stellen. Der Gedanke, eine Diktatur der in der Armee vereinigten Bauern und Handwerker aufzurichten, lag ihm fern. Die Verbindungen zwischen den Angehörigen seiner



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Schicht und den Interessen des städtischen Bürgertums waren bereits zu eng, als daß eine Trennung für ihn noch in Frage gekommen wäre. So sehr er auch den populären Strömungen nachzugeben geneigt war, eine Mitwirkung der unteren Klassen des Volkes bei der Gesetzgebung lag nicht in seinen Plänen. Aber indem er den Gedanken einer strukturellen Veränderung der Verfassung im Sinne des „Volksvertrags" ablehnte, übernahm er alle die Probleme, die mit dem bisherigen Aufbau des Staates verbunden waren, insbesondere die sozialen Fragen und die Aufgabe, dieselbe zu lösen. Wie aber konnten diese anders gelöst werden als durch eine Einbeziehung der Massen in die Verwaltung des Staats und der Munizipalbezirke? Die Geschichte zeigt uns, daß eine andere Lösung nicht möglich war, Die Ablehnung der demokratischen Gedanken bedeutete ihre Bekämpfung und Unterdrückung. Diese aber war — dem Stadium der revolutionären Entwicklung entsprechend — nur möglich, wenn auch die reaktionären Elemente auf einen Stand heruntergedrückt wurden, der ihren Einfluß auf den Staat beseitigte. Nur so war die Möglichkeit gegeben, die Disziplin in der Armee wiederherzustellen und die Bauernschaft, aus der sich diese vorwiegend zusammensetzte, zur Ruhe zu bringen, ohne das Gefüge des Staats selbst anzutasten. Alle Bemühungen Cromwells waren darauf gerichtet gewesen, diese reaktionären Elemente — den König, die Lords und ihren Anhang — zu einem freiwilligen Verzicht auf ihre alte Vormachtstellung zu bringen. Das Scheitern dieser Bemühungen mußte ein gewaltsames Vorgehen gegen diese Kreise zur Folge haben. Und nicht nur der Royalismus war der Gegner, der bekämpft werden mußte, sondern auch derjenige Teil des Unterhauses, der im Bündnis mit jenem hoffte, die Verhältnisse wieder stabilisieren zu können. Denn — wie wir oben ausführlich dargelegt haben —• auch die großen Handelsherrn waren trotz ihres anfänglichen Kampfes gegen die Monarchie zu sehr verflochten mit den Interessen der Royalisten, als daß für sie eine endgültige Trennung von der Monarchie als Institution in Frage gekommen wäre. Die Aufrechterhaltung des Parlaments als Trägers der staatlichen Gewalt bedeutete nicht etwa die Konservierung seines augenblicklichen Mitgliederbestandes. Im Gegenteil, gerade um die Politik der Generale zu ermöglichen, mußte dieser so weit gefügig gemacht werden, daß er den Plänen derselben keinen Widerstand entgegensetzen konnte. Nur so war es möglich, die Regierungsgewalt zu erhalten, ohne die Macht den Händen der Radikalen zu überlassen. Wenn wir sagten, daß die Unterdrückung populärer Tenden-

— 103 — zen in der Armee und in den Städten nur möglich war, wenn auch die royalistischen Elemente auf einen Stand herabgedrückt wurden, der ihren Einfluß auf die Regierung beseitigte, so möge zur näheren Begründung noch einmal auf die Stellung der mittleren und unteren Offiziere zu dieser Frage hingewiesen werden. Diese ist dadurch charakterisiert, daß das Offizierskorps einerseits in einem natürlichen Abhängigkeitsverhältnis zu den Generalen steht, während es andererseits mit den Soldaten nicht nur durch die gemeinsamen Kriegserlebnisse, sondern — zum großen Teil — auch durch die gleiche wirtschaftliche Lage und Herkunft verbunden ist. E s ist daher nur natürlich, daß der Vorschlag, den im August 1647 ausgeführten Gewaltakt gegen das Parlament zu wiederholen, von den Offizieren ausgeht. 212 ) Nun waren aber die Offiziere die eigentlichen Träger der Disziplin; ohne ihre Mithilfe oder gar gegen sie konnte C r o m w e l l niemals hoffen, die Soldaten ruhig zu halten. Seine gegen die radikalen Demokraten gerichtete Politik konnte daher nur dann Erfolg haben, wenn sie mit den Tendenzen innerhalb des Offizierskorps übereinstimmte. C r o m w e l l mußte sich allen solchen Forderungen unterwerfen, die ihn von der Notwendigkeit befreiten, den Forderungen der Leveller nachzugeben, und die geeignet waren, die Einheit der Armee wieder herzustellen. Zögernd und widerwillig nur gab er dem Drucke derselben nach. Die Reinigung des Parlaments, die Abschaffung der Monarchie und des Oberhauses, die Erklärung der Republik und das Protektorat waren die Etappen auf dem Wege, den zu verfolgen er gezwungen wurde. Ein Zurück aber gab es für ihn auf diesem Wege nicht. Die Beseitigung der Monarchie und der mit ihr zusammenhängenden feudalen Institutionen war der Kaufpreis, den er seinen Offizieren für ihre Mitwirkung bei der Unterdrückung der radikalen Elemente zu zahlen hatte. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die wesentüchen Bestimmungen des Verfassungsentwurfs der Offiziere und vergleichen sie mit dem „Agreement", dem Verfassungsentwurf der Soldaten. Die Gegensätze sind ebenso groß und mannigfach wie die Ähnlichkeiten. Die „Heads" beruhen auf dem Gedanken der Vereinigung der Interessen der Armee mit den beiden Institutionen, auf denen das englische Reich bis dahin beruht hatte: Königtum und Parlament. Sie sollen dem mittleren ländlichen Grundbesitz den seiner Bedeutimg entsprechenden Einfluß verschaffen. Dementsprechend sahen sie eine Neueinteilung der Wahlbezirke und die Auflösung des Langen Parlaments vor und begrenzen die Legislaturperioden der zukünftigen Parlamente auf -2 Jahre. Die Macht des Königs wird eingeschränkt; ihm wird der Ober-

— 104 — befehl über die Miliz und der Einfluß auf die auswärtigen Angelegenheiten genommen. In religiöser Beziehimg wird die Wiedereinführung des Episkopatsystems unter gewissen Einschränkungen (Abschaffung der „coercive jurisdiction" und der bürgerlichen Wirkung der geistlichen Zensur) und Versammlungsfreiheit für alle Dissentierenden mit Ausnahme der Katholiken geplant. Das „Agreement" fordert allgemeines und gleiches Stimmrecht („according to the number of the inhabitants"), Auflösung des Langen Parlaments (i. 9.48), 2 jährige Legislaturperiode. Die „Heads" zeigen unter ihrem konstitutionellen Gewand bereits deutlich die Linien der zukünftigen Diktatur. Ihr Kennzeichen ist nicht etwa — wie man meinen könnte — der Gedanke der Trennung der Gewalten, sondern der der Unterordnimg der Gesetzgebung unter die vollziehende Gewalt. Das „Agreement" will die Macht des kleinen Bürgertums und der Bauern befestigen. Es glaubt dies durch die Ausdehnung des Wahlrechts und die Popularisierung der gesetzgebenden Gewalt bewirken zu können. Ihm liegt der Gedanke der Überordnung der letzteren über die vollziehende Gewalt zugrunde. Die „Heads" sehen die Übernahme des bestehenden Staatsapparates unter Aufrechterhaltung der bisherigen Gesetzgebungs- und Verwaltungsorganisation vor; das „Agreement" will diese Organisation — wir dürfen das aus dem nächsten (2.) Entwurf, von dem noch zu sprechen sein wird, ergänzen — in demokratischem Sinne umändern. Die „Heads" laufen auf eine Stabilisierung der Staatsgewalt durch die faktische Macht hinaus. Ihr Schweigen bezüglich der Frage, wie die Ergänzung des Staatsrats erfolgen sollte, zeigt, daß — zunächst wenigstens — die Besetzung dieser Stellen dem faktischen Einfluß der Armeeführer vorbehalten sein sollte. Aber auch das „Agreement" weist eine solche rechtliche Lücke in seinen Bestimmungen auf. Wenn die Volksvertreter den Grundgesetzen entgegenhandelten und die Freiheiten der Wähler verletzten, wer sollte sie zur Rechenschaft ziehen? Die Berufung auf die Freiheitsrechte der Verfassung konnte die Notwendigkeit einer tatsächlichen Macht zum Zwecke der Durchsetzung derselben nicht ersetzen. Eine solche Macht hätte die Armee darstellen können, wenn sie aus den Händen der Generale in die der Leveller übergegangen wäre. Daß dies und warum es nicht geschah, wurde soeben versucht darzulegen. Aber auch ohne dieses Machtinstrument hätten die Leveller ihre Ziele erreichen können, wenn sie eine klare, zielbewußte Politik getrieben hätten. Ihr Schwanken und ihre Verflechtung mit den Interessen der besitzenden Klassen — ein Beispiel hierfür istWildman, der in den späteren-Jahren

— 105 — Spekulant in den konfiszierten Gütern der Royalisten wurde und ein beträchtliches Vermögen erwarb 213 ) — verhinderte sie daran, zur Durchsetzung ihrer Ziele sich des faktischen Mittels der Diktatur zu bedienen. Cromwell war ihnen vor allem darin überlegen, daß er den Sinn für die Bedeutung und Notwendigkeit der Macht hatte und sich in den Kämpfen seiner Zeit weniger um geschriebene Verfassungen als um die Erhaltung der bewaffneten Macht bekümmerte. So kommt es, daß das „Agreement" weder in seiner ursprünglichen Gestalt noch in seinen späteren Veränderungen jemals geltendes Recht wurde, während die „Heads of the Proposais" wenn auch nicht ihrer Form, so doch ihrem Inhalt nach eine den veränderten Umständen angepaßte Verwirklichung in der Verfassimg des Protektorats fanden.

VIII. K A P I T E L .

DIE BEGRÜNDUNG DER REPUBLIK. DER ZWEITE VERFASSUNGSENTWURF DER SOLDATEN. UNTERDRÜCKUNG DER LEVELLER.

Wir sahen, wie die beiden Parteien, die dem Kampf gegen die Prärogative des Königs geführt hatten, doch glaubten, auf die Mitwirkung desselben bei der Schaffung der von ihnen erstrebten Staatsverfassung nicht verzichten zu können. Miteinander im Kampf liegend und durch die prinzipielle Verschiedenheit ihrer Stellung voneinander getrennt, werden sie doch durch den gemeinsamen Gegensatz gegen die von unten anstürmenden Massen zu einer insofern gleichen Stellungnahme in den konstitutionellen Fragen gedrängt. Ihr Gegenstück bilden die Leveller, die Demokraten dieser Epoche, die Repräsentanten der bäuerlichen und kleinbürgerlichen Kreise, die mit ihrer Forderung nach Umgestaltung des Parlaments die Belange dieser Kreise zum Ausdruck bringen. Die Frage der Abschaffung des Königtums spielt lediglich eine praktische Rolle; soweit eine Einigung unter Wahrung der gegenseitigen Ansprüche möglich ist, sind alle Parteien mit der Beibehaltung der Monarchie einverstanden. Das Entscheidende ist, daß die Unmöglichkeit dieser Einigung durch die Gegensätzlichkeit der Interessen selbst bedingt ist. Denn auch das Königtum hat Interessen zu verteidigen, deren Preisgabe die Vernichtung seiner bisherigen Stellung und die Unterwerfung unter eine ihm bis dahin untergeordnete Macht bedeutet, und die es zur Verteidigung derselben veranlassen—um nicht zu sagen—zwingen. Es ist weniger ein Kampf des Rechts mit der Macht als ein solcher der Macht gegen die Macht, und des Rechts gegen das Recht, der hier ausgetragen wird. Indem nun die Leveller von allen Seiten auf eine Ablehnung ihrer Forderungen stoßen und hierdurch zur Verschärfung des Konflikts getrieben werden, kommt es zu der erwähnten Spaltung innerhalb der Armeeindependenten. Von den Generalen, die an dem Versuch eines Ausgleichs auch weiterhin festhalten, trennen sich die übrigen Offiziere mit der Forderung nach der Abschaffung der Monarchie und der Beseitigung aller derjenigen Verfassungsinstitutionen,

— 107 — die mit derselben verbunden sind. Es tritt eine neue Partei in die Erscheinung, deren Ziel die Einführung der Republik ist. Dieses Ziel wird von ihnen desto energischer verfolgt, je lauter die demokratischen Forderungen von den Wortführern der Radikalen angemeldet werden. Die Abschaffung der Monarchie muß als Mittel dazu dienen, die erregten Massen von der wirksamen Durchsetzung ihrer politischen Forderungen abzuhalten.214) Wie stark der von ihnen ausgehende Druck gewesen sein muß und wie notwendig die Durchsetzung der republikanischen Forderungen war, können wir daraus ermessen, daß selbst Männer wie Cromwell und Ireton sich mit der Beseitigung des Königtums schließlich einverstanden erklären, ja, sogar dabei mitwirken mußten. Im Rahmen dieser Kombination entwickeln sich die Ereignisse in der Folgezeit weiter. Die von dem König geplante Vereinigung mit der royalistischen Partei in Schottland und die dem entsprechende Ablehnung der „Four Bills" führt im Parlament zu dem „Vote of No Addresses", d. h. zu dem Beschluß, keine Vorschläge mehr an den König zu machen.215) Gleichzeitig und lediglich, um einen Druck auf die Lords auszuüben, wird L i l burne aus der Haft entlassen.216) Diese Linksschwenkung der konstitutionellen Parteien führt zu einer allgemeinen Reaktion der royalistischen Elemente im Lande und außerhalb der Grenzen derselben. Schottland, wo die royalistische Partei die Oberhand gewinnt, droht mit der Invasion, in den Grafschaften erheben sich allenthalben die Anhänger des Königs, und die City selbst, die Hauptstütze der Parlamentsmacht, zeigt offen monarchistische Regungen.217) Das Parlament, in finanzieller Beziehung abhängig von den Geldgebern in London, kann sich zu einer entscheidenden Aktion nicht entschließen, zumal auch ein Teil der Flotte meutert und zu den Aufständischen übergeht. In dieser Lage kann es für die Armeeführer und die mit ihnen Verbündeten keinen Zweifel hinsichtlich ihrer Stellungnahme geben. Die von der Reaktion drohende Gefahr ist größer als die Furcht vor der Anarchie. Alle Errungenschaften des ersten Bürgerkrieges und des Jahres 1647 stehen auf dem Spiel. Die Besiegung der Schotten bei Preston (19. 8. 48) entscheidet die Frage, ob die alten Zustände wieder hergestellt werden oder ob ein neues England aus den Kämpfen entstehen soll. Wir verfolgen die Ereignisse, die zur Enthauptung des Königs und zur Erklärung der Republik führen, nicht im einzelnen. Sie liegen auf der Linie, die oben aufgezeigt wurde. Trotz der Erfolge im Felde setzt das Parlament seine alte Politik der Verhandlungen mit dem König fort. 218 ) Die Armee beschreitet den Weg, den sie



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im Sommer des vorhergehenden Jahres gegangen ist. Nachdem auch von ihrer Seite ein letzter Versuch, mit dem König zu einem Einverständnis zu gelangen, gescheitert ist, kommt es zur Durchführung der alten Politik der Armeeführer. Am 2 . 1 2 . 48 besetzen F a i r f a x ' Truppen Westminster, am 3. und 4. die Vorstädte von London (2. Besetzung Londons), am 5 . 1 2 . werden die Presbyterianer mit Waffengewalt aus dem Parlament entfernt (Pride's purge), am 19. wird der König nach Windsor überführt, am 20. beginnt der Prozeß vor dem Staatsgerichtshof, dem „High Court of Justice", am 30.1. findet die Hinrichtung statt. Das House of Lords wird aufgehoben (6. 2.), die Monarchie für abgeschafft erklärt (7. 2.), am 19. Mai erfolgt die Proklamierung der Republik, des „Commonwealth and Free State" von England. Der Prozeß und die Hinrichtung des Königs sind seit jeher der Hauptgegenstand des Hasses und Abscheus gewesen, mit dem die Royalisten damals und später die hier behandelte Epoche der englischen Revolution betrachtet haben. Noch heute ist der Eindruck, den dies Ereignis damals machte, nicht völlig verwischt. Diese Beurteilung muß einer gerechteren Würdigung Platz machen, sobald man die Bedingungen betrachtet, unter denen jener Prozeß stattfand. Die Besiegung der Royalisten in England und Schottland hatte zwar die Gefahr beseitigt, die von einem Zusammenwirken der Presbyterianer mit der Partei des Königs der allgemeinen Sache aller revolutionären Kreise drohte. Sie hatte damit aber auch alle die Fragen wieder ans Tageslicht gebracht, die mit der Neuorganisation des sozialen Körpers der Nation zusammenhingen. Trotz des Schweigens der Quellen über diesen Punkt dürfen wir annehmen, daß sich die Schichten der Bauern und Handwerker gerade im Herbst des Jahres 1648 in einem Zustand höchster Erregung befanden. Die Enteignimg der kleinen Landbesitzer und Pächter durch die fortschreitende Inbesitznahme des freien Gemeindelandes seitens der großen Landbesitzer, mochten diese Royalisten oder Independenten, „nobles", „gentlemen" oder sonstige größere Landbesitzer sein, hatte damals bereits einen beträchtlichen Umfang. Die Mißernte des Jahres 1648, in ihrer Wirkung noch verheerender als die des vorhergehenden Jahres, kam als erschwerendes Moment hinzu. Wir dürften nicht fehlgehen, wenn wir die Herbstmonate des Jahres 1648 als die Zeit der größten Krisis in den Annalen der neueren englischen Geschichte bezeichnen. Niemals vor- oder nachher dürfte die Gefahr einer sozialen Revolution so nahe gewesen sein wie damals. Es ist in der Tat der Wendepunkt in der Geschichte der englischen

— 109 — Revolution. Die Frage mußte entschieden werden, ob die soziale Struktur, den Forderungen der Leveller entsprechend, geändert werden oder ob die Grundlage derselben unverändert bleiben sollte. Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt die historischen Ereignisse jener Zeit und die in ihnen zum Ausdruck kommenden Änderungen des Verfassungsbaus und der konstitutionellen Elemente desselben, so erscheinen die Akte der Abschaffung der Monarchie und Erklärung der Republik als notwendige Folgen der von den betreffenden Schichten der Bevölkerung und ihren Führern verfolgten politischen Ziele. Wir sahen, wie bereits im Jahre 1647 die Politik der Generalspartei in der Armee dahin abzielte, die revolutionäre Bewegung der Soldaten zu unterdrücken und die Armee als ein Werkzeug in ihrer Hand zu erhalten. Die Demokratisierung des Offizierskorps und der zeitweilige Druck auf die Königspartei im Parlament und der City hatten damals genügt, um das Gleichgewicht innerhalb der Armee wiederherzustellen und ihre Auflösimg und damit den allgemeinen Umsturz zu verhindern. Diese Mittel reichten jetzt schon nicht mehr aus. Die Niederwerfung der Royalisten hatte den Gegensatz zwischen Offizieren und Soldaten neu aufleben lassen. Wollte man eine Erneuerung der Vorgänge im Frühjahr und Herbst 1647 vermeiden, so mußten energischere Maßnahmen gegen die Urheber der bisherigen Kämpfe ergriffen werden. 219 ) Nur wenn man dem Volke das Opfer der Person des Monarchen brachte, konnte man hoffen, den bestehenden Zustand auf der Stufe, die nun einmal erreicht war, zu erhalten. E s bedarf keiner besonderen Hervorhebung, daß damit an der sozialen Lage der unteren Schichten der Bevölkerung nichts geändert wurde. Keine der drückenden Lasten, deren Beseitigung die ständige Forderung jener Kreise ist: der „tithes" der Geistlichen, der „fees" der lawyers, der „monopolies" der großen Handelsgesellschaften, wurde damit beseitigt. Die Gewissensfreiheit, gleichfalls eine der Hauptforderungen jener Zeit, wurde dadurch ebenso wenig gewährleistet, wie die Mitwirkung der breiten Massen der Bevölkerung am politischen Aufbau. J a , mehr noch, nicht einmal die von den Royalisten drohende Gefahr der Reaktion wurde durch die Beseitigung des Königtums endgültig gebannt. 220 ) Im Gegenteil, dieser Akt der Gewalt trieb zahlreiche gemäßigte Elemente in das Lager der Reaktion und verbreiterte die Kluft zwischen Independenten und Presbyterianern. Die Vorteile desselben lagen nicht auf der Seite der besitzlosen, sondern der besitzenden Klassen, insofern als die Erregung der Bevölkerung von der Verfolgung der eigentlichen Ziele abgelenkt und namentlich



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die unteren Offiziere, von deren Verhalten die Aufrechterhaltung der Disziplin in der Armee abhing, auf die Seite der Generale gebracht wurden. Das war — wenn ich recht sehe — das eigentliche Ziel der Männer, die bei dem Prozeß des Königs in der Westminster Hall den Gerichtshof bildeten, mochten dieselben dem bürgerlichen Stande angehören oder Delegierte des Offiziersrats, der Armee sein. Die Rufe der Soldaten nach „justice", die beim Erscheinen des Königs erklingen, zeigen, daß der Vorgang seine Wirkung nicht verfehlte. Der Strom der allgemeinen Erregung wird in ein Bett geleitet, in dem er dahinfließen kann, ohne die Felder und Saaten der entstehenden Republik zu verwüsten. Die neuen Machthaber, die den Urteilsspruch fällen, stabilieren damit auch die Autorität des neuen Staates. Der bestehende Zustand erhält seine Rechtfertigung durch den Akt der Gewalt; die Revolution hat die Stufe erreicht, in der sie Halt macht in der bis dahin verfolgten Bewegung.221) Die einzelnen Phasen dieser Entwicklung sind jedoch nicht so leicht erkennbar wie das Ergebnis derselben und zeigen eine Mannigfaltigkeit, die den Aufbau der Republik als einen höchst verwickelten Prozeß der verschiedenen, nebeneinander bestehenden Parteien erscheinen läßt. Was zunächst die Partei der Generale und ihres Anhangs anlangt, so verfolgen diese im Grunde dieselbe Politik und erstreben dieselben verfassungsmäßigen Ziele wie im Jahre 1647, nur unter Berücksichtigung der Veränderung in der politischen Lage. Hatten sie damals versucht, ein Gleichgewicht zwischen Königtum und Parlament herzustellen und durch Einsetzung eines Staatsrats die entscheidende Stellung zwischen diesen beiden Mächten zu behaupten, so ist dieser Weg jetzt, nach dem Aufstand der Royalisten, nicht mehr gangbar. Sie können den König nicht mehr halten und sind, trotzdem sie bis zuletzt einen Ausgleich versuchen, zu seiner Preisgabe gezwungen. E s ist daher nur folgerichtig, wenn sie unter Ausschaltung der Monarchie versuchen, die zukünftige Verfassung auf ein Zusammenwirken von Armee und Parlament allein zu gründen. Das ist der Sinn der „Remonstrance", die von den Offizieren im November 1648 ausgearbeitet und dem Parlament vorgelegt wurde.222) In diesem, für die damalige Lage höchst charakteristischen Schriftstück fordern die Offiziere der Parlamentsarmee, daß der König als der Haupturheber aller bisherigen Kämpfe und Kriege und aller damit zusammenhängenden Übel zur Verantwortung gezogen werde, daß der Prince of Wales und der Duke of York unter Androhung der Todesstrafe aufgefordert würden, sich vor Gericht zu stellen, und daß ein Teil der Anhänger des Königs zum Tode verurteilt.

— 111 ~ andere mit Geldstrafen belegt werden sollen. Die Soldaten Sollen aus den konfiszierten Gütern entschädigt werden. Sodann werden die Grundzüge der zukünftigen Verfassung umrissen: dem gegenwärtigen Parlament wird auferlegt, den Tag seiner Auflösung zu bestimmen und seine zukünftigen Sitzungen auf i oder 2 Jahre zu begrenzen. Das Wahlrecht soll gleichmäßiger verteilt, die Royalisten sollen ^uf bestimmte Zeit davon ausgeschlossen werden.. Das House of Commons wird als Träger der höchsten Macht im Staate erklärt, ihm werden die gesetzgebende, die ausführende und die richterliche Gewalt übertragen. Das Volk hat gewisse Kontrollrechte im Falle von Korruption, kein König darf ohne Wahl des Volkes eingesetzt werden. Man könnte einwenden, daß diese Bestimmungen äußerlich wenig Ähnlichkeit mit denen der „Heads" haben, und daraus auf eine Änderung der Grundlinie der Politik I r e t o n s in Richtung auf eine Annäherung an die Grundgedanken des „Agreement" schließen. Hierfür scheint vor allem das Fehlen der Institution des Staatsrats zu sprechen, der in den „Heads" eine, wenn auch äußerlich geringe, so doch praktisch so bedeutungsvolle Rolle spielt. Wir müssen aber in Rücksicht ziehen, daß I r e ton alle Ursache hatte, den Levellern, die gerade damals wieder großen Einfluß auf die Soldaten gewonnen hatten, entgegenzukommen, und dürfen aus einer scheinbaren Übereinstimmung nicht auf eine faktische Vereinigung der beiden Standpunkte schließen. Die Art und Weise, mit der I r e t o n in den folgenden Wochen den zweiten Entwurf des „Agreement" wirkungslos zu machen verstand, sowie der Umstand, daß nach der „Remonstrance" die drei Gewalten im Parlament vereinigt sein sollten — ein Standpunkt, der — wie wir alsbald sehen werden — mit der Theorie der Leveller völlig unvereinbar war, zeigen zur Genüge, daß I r e t o n nicht daran dachte, die Grundsätze des „Agreement" zu akzeptieren, und daß die vorhandenen Ähnlichkeiten lediglich Konzessionen darstellen, die er machen mußte, um die Hände gegenüber dem Parlament freizubekommen.22S) Auch das Schweigen der „Remonstrance" hinsichtlich der Institution des Staatsrats darf uns nicht irre machen. Bei der Stellung L i l b u r n e s zur Frage einer Armeediktatur hätte I r e t o n niemals dessen Zustimmung zu der Einfügung dieser Institution in den Verfassungsentwurf der „Remonstrance" erhalten. Zudem war die Bildung eines solchen Exekutivorgans nach Sachlage eine Notwendigkeit. Ein Parlament, das alle Gewalt in sich vereinigte, wäre ohne ein solches nicht aktionsfähig gewesen. Die Schaffung desselben konnte daher unbedenklich späterer Vereinbarung überlassen bleiben. Der Hauptzweck der



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„Remonstrance" war, die durch die Unmöglichkeit, das Königtum zu erhalten, geschaffene Lücke auszufüllen und den Stoß der von neuem vordrängenden Massen aufzufangen, um Raum und Zeit für eine Vereinbarung mit dem Parlament zu gewinnen. Was waren nun die positiven Absichten Iretons bei der Durchsetzung der Verfassungsbestimmungen der „Remonstrance" ? Unzweifelhaft eine Verbindung aller im Parlament vorhandenen Parteien zum Zwecke einer gemeinsamen Arbeit an dem Neubau des Staates, d. h. vor allem ein Verzicht der Presbyterianer auf den bisher von ihnen eingenommenen Standpunkt. Das war das Ergebnis der Aktion C r o m w e l l s i n Schottland nach der Niederwerfung der schottischen Royalisten gewesen. Warum sollte eine Vereinigung der beiden Schwesterparteien im englischen Parlament nicht möglich sein ? Daß sie durch zahlreiche gemeinsame Interessen, vor allem materieller Art, verbunden waren, kann nicht geleugnet werden.224) Und an Bestrebungen, beide Faktionen zusammenzubringen, hatte es auch auf seiten der Presbyterianer nicht gefehlt. Sobald diese sich damit einverstanden erklärten, auf ihre Verbindung mit dem Royalisten zu verzichten, war der Weg für eine Verständigung frei. Eine gemeinschaftliche Herrschaft des alten und des neu entstandenen Handelskapitals mit demokratischem Einschlag, wenn auch ohne tatsächlichen Einfluß der Massen, wäre das Ergebnis einer solchen Vereinigung gewesen, das selbst mit einer Erneuerung der Monarchie auf dieser Grundlage nicht unvereinbar gewesen wäre. Aber es liegt in der Natur der einmal entstandenen Mächte, daß sie das Prinzip ihres Ursprungs nicht preisgeben können, ohne ihre Existenz aufzugeben. Die Presbyterianer waren nicht gewillt, eine Verbindung einzugehen, die sie der Möglichkeit beraubte, das Königreich nach ihren Grundgedanken zu konstituieren, und die sie vor allem zwang, auf ihre kirchlichen Grundanschauungen zu verzichten. Nach einer langen und hitzigen Debatte beschließt das Unterhaus, die „Remonstrance" nicht in Erwägung zu ziehen.225) Damit ist der Bruch mit der Armee vollzogen. Genau wie im Sommer des vorhergehenden Jahres entwickeln sich jetzt die Dinge. Die Armee erklärt es als „treacherous or corrupt neglect of publick Trust to lay the Remonstrance aside" 226 ) und besetzt Westminster und die Vorstädte von London. Die erneute Weigerung der City, die Rückstände der Soldaten zu bezahlen, sowie die Unterwerfung des Parlaments unter die Bedingungen des Königs zeigen, daß die Presbyterianer nicht auf friedlichem Wege zu gewinnen sind. Wie im Jahre 1647 die „Heads", wird jetzt die „Remonstrance" durch die Ereignisse überholt und verschwindet

— 113 — von der Bildfläche. Aber während damals der Aufschub einer En1> Scheidung noch möglich war, kommt es jetzt zur gewaltsamen Änderung der Staatsform. Die Reinigung des Parlaments von allen feindlichen Elementen durch die Armee macht den Weg frei für die Herrschaft der Republikaner. Die Frage drängt sich auf, ob dieses Ergebnis notwendig war oder ob der bestehende Zustand auf diese oder jene Weise hätte erhalten werden können. Die Frage muß im Sinne der ersten Alternative beantwortet werden. So wie die Dinge einmal gelaufen waren, war eine andere Lösung nicht möglich. Auch eine Unterwerfung der Presbyterianer unter das Diktat der Armee hätte den König wahrscheinlich nicht vor seinem Schicksal bewahrt. Und was wäre die Folge für die eigene Stellung der Presbyterianer gewesen? Sie hätten sich der Unterstützung seitens ihrer Freunde und Gesinnungsgenossen in Schottland, Frankreich, der Schweiz und den Niederlanden beraubt, die Kriege gegen Schottland und die Generalstaaten wären nicht im Gegensatz zu ihnen, sondern in ihrem Namen geführt worden, ihre rechtliche Grundlage, die auf den königlichen Patenten und Charten beruhte, wäre von ihnen selbst verlassen und durch eine revolutionäre Basis ersetzt worden, jede Möglichkeit einer Versöhnung mit den Royalisten und einer Restauration auf dieser Grundlage wäre geschwunden. Ich will nicht sagen, daß dieser Weg nicht gangbar gewesen wäre. Nur so viel möchte ich behaupten, daß die Geschichte der englischen Nation eine andere geworden wäre. Man kann vielleicht sagen, daß das Ergebnis des Jahres 1688 um 40 Jahre vorweggenommen worden wäre. Aber indem dergestalt die Presbyterianer von der Mitwirkung am Aufbau des Staates ferngehalten und in die Stellung einer reaktionären Oppositionspartei gedrängt waren, blieb doch die Frage offen, wie die Verfassung des Reichs in Zukunft gestaltet werden sollte. Der folgerichtige Weg wäre die sofortige Aufrichtung der Diktatur der Armee gewesen; sie allein hätte die Möglichkeit geschaffen, die sozialen Reformen durchzuführen, die von den demokratischen Elementen im Heer und im Land gefordert wurden: Abschaffung der „tythes" der Geistlichkeit, Reform der Gesetze und Rechtsprechung, der Steuer- und der Handelspolitik. Und in der Tat finden wir Ansätze hierzu in den Verhandlungen, die im Offiziersrat der Armee hinsichtlich der Beratung des II. Agreement stattfinden.227) Dieser Gedanke konnte jedoch nicht die Zustimmung der Führer der republikanischen Partei finden. Diese, hatten nicht das geringste Interesse daran, soziale Reformen durchzuführen, die sie der von ihnen errungenen Machtstellung beraubt Beiheft d. H. Z. 28.

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— 114 — und sie mit der Geistlichkeit und der Beamtenschaft verfeindet hätten. Ihr Ziel war nicht eine Veränderung der sozialen Struktur, sondern die Anpassung des vorhandenen staatlichen und kirchlichen Apparats an ihre Interessenlage. Trotzdem wäre die Armeediktatur damals möglich gewesen, wenn das Offizierskorps in sich selbst geschlossen und einmütig gewesen wäre. Das war aber nicht der Fall. Die erwähnten Verhandlungen des Offizierrats über das II. Agreement zeigen, daß die Bemühungen Iretons und Cromwells, die Offiziere auf ihre Seite zu bringen und in sich zu spalten, nicht erfolglos gewesen waren. Charakteristisch ist vor allem das Verhalten der „heiligen" Offiziere, die durch ihren Glauben an die Wiederkehr des Reiches Christi gerade zu einem zeitweisen Aufgeben ihrer politischen Forderungen veranlaßt werden.228) Die Unsicherheit der Offiziere hinsichtlich dieser Frage wurde noch vergrößert durch die Haltung der Leveller, die — wie wir sehen werden — von ihrem rein demokratischen Standpunkt aus die schärfsten Gegner jeder Diktatur waren und das Ziel der sozialen Reformen mit der Durchsetzung ihres „Agreements" zu erreichen hofften. Unter diesen Umständen konnte der Plan einer reinen Armeediktatur damals noch nicht Wurzel fassen. Wenn man aber auf die Diktatur der Offiziere verzichtete, so blieb für die Offiziere in der Tat kein anderer Ausweg, als die Regierung auf dem Zusammenwirken der Republikaner im Parlament mit der Armee zu begründen. Denn der Mittelweg, den Ireton und Harrison vorschlugen, das Parlament aufzulösen und durch Neuwahlen an den Willen des Volks zu appellieren, hätte bei dieser Sachlage auch bei einem anderen Wahlmodus zu einer Rückkehr der Presbyterianer und zur Erneuerung der alten Schwierigkeiten geführt. Dem widerstrebten nicht nur die Offiziere, sondern auch die Republikaner im Parlament, die an dem Femhalten der Presbyterianer von der Zivilgewalt ein noch größeres Interesse hatten als die Armeeindependenten. Ihre Ansicht dringt in dem Komitee, in dem die Frage entschieden wird und das aus je 'drei Offizieren und Parlamentsmitgliedern zusammengesetzt ist, durch.229) Unter diesen Umständen ist die Reinigung des Unterhauses von seinen presbyterianischen Mitgliedern der einzige Ausweg aus den Schwierigkeiten der Situation. An der tatsächlichen Lage der unteren Klassen der Bevölkerung wurde jedoch, wie bemerkt, durch die neue Staatsform nicht allzu viel geändert. Waren die Presbyterianer jeder Konzession an die demokratischen Tendenzen abhold gewesen, so waren es die Republikaner nicht minder. Gestützt auf die Armee und im Einverständnis mit dem Offizierkorps derselben beschreiten sie den

— 115 — Weg zur rücksichtslosen Unterdrückung der nach der Hinrichtung des Königs mit erneuter Macht hervorbrechenden Volksbewegungen. Am 19. März 1649 erlassen die Commons eine „ A c t " — so werden seit der Abschaffung der Monarchie und des Oberhauses die Beschlüsse des Unterhauses wieder genannt — durch den die Miliz in Westminster neu organisiert und mit weitgehender Zwangsgewalt ausgerüstet wird, „for the surpression of all Rebellions, Insurrections and Invasions that may happen within the said City and Liberties. . . " ; das Komitee, dem die Miliz unterstellt wird, wird mit entsprechenden Vollmachten für das ganze Gebiet der Republik ausgerüstet; ihm wird das Recht der Besteuerung zur Aufbringung der notwendigen Geldmittel übertragen. 280 ) Die Sozialgesetzgebung bewegt sich durchaus auf der bis dahin eingehaltenen Linie; Arbeitsdienstpflicht und Unterbindung der Freizügigkeit sollen das Problem der Arbeitslosigkeit lösen und sind zusammen mit anderen weitgehenden Vollmachten eines neu eingesetzten Komitees zugleich ein gutes Mittel, politische Unruhestifter in sicheren Gewahrsam zu bringen. 231 ) Ein Gesetz zum Schutze des Staats erklärt für Hochverrat und stellt unter Todesstrafe nicht nur jeden Versuch, die Autorität der bestehenden Regierung zu gefährden oder auch nur zu bestreiten, sondern auch jede Verbindung der Zivilbevölkerung mit der Armee zum Zwecke der Aufhetzung der Soldaten gegen ihre Offiziere. Zur besseren Unterdrückung der „verabscheuungswürdigen Sünde des Schwörens und Fluchens" wird ein Gesetz erlassen, das diese Handlungen unter Strafe stellt. 232 ) Das Gesetz zur Neuorganisierung der Miliz der Republik wird zu dem ausgesprochenen Zweck erlassen, den Staat gegen die Anschläge der verschiedenen staatsfeindlichen Parteien zu schützen. 233 ) Vor allem aber wird die Freiheit der Presse rücksichtslos unterdrückt. Verbote von Büchern und Zeitungen sind an der Tagesordnung und die Buchhandlungen und Druckereien werden auf staatsgefährliche Bücher hin durchsucht. 234 ) Auf derselben Linie liegen die handels-, finanz- und steuerpolitischen Maßnahmen. Die Akzise bleibt die wichtigste Form der Besteuerung. Als reine Konsumabgabe belastet sie vor allem die Schichten der Arbeiter, Handwerker und kleinen Kaufleute. Hohe Schutzzölle erschweren die Einfuhr ausländischer Waren. Der Förderung des Handels insbesondere mit dem Ausland wird gleichwohl größte Aufmerksamkeit geschenkt und darauf hingewirkt, daß die Zölle und sonstigen Abgaben ihm so wenig wie möglich abträglich sind. Das zur Regelung der Handelsbeziehungen eingesetzte Komitee erhält weitgehende Vollmachten, 235 ) Die

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heikle Frage des Freihandels wird allerdings nur flüchtig berührt und führt in der Praxis zunächst zu keiner ernstlichen Gefährdung der großen Monopolkompagnien. Von großer Bedeutung ist, daß die freie Einfuhr von Gold- und Silberbarren erlaubt wird. 236 ) Gold-, Silber- und Kupfermünzen werden neu geprägt und mit den Insignien der Republik versehen. 237 ) Andere Maßnahmen betreffen das Verhältnis zur Kirche und die öffentlichen Angelegenheiten. Während bis dahin die Einziehung und der Verkauf der Ländereien der „Deans" und „Chapter" immer wieder hinausgezögert worden war, wird jetzt zur Verwirklichung dieser alten Forderung der Republikaner geschritten. 238 ) Dagegen wird der übrige kirchliche Apparat erhalten, seine äußere Stellung und die Besoldung der Pfarrer werden neu geregelt.239) Die Friedensrichter und sonstigen Amtspersonen werden in ihren Ämtern bestätigt. Ein allgemeiner Untertaneneid wird eingeführt. Das Amt eines Königs wird als „unnecessary, burthensome and dangerous to the liberty, safety and publique interest of the people" erklärt. E s ist Hochverrat, einen Versuch zu seiner Wiederherstellung zu unternehmen.240) Die wichtigste Maßnahme aber ist die Einsetzung des Staatsrats. 2 4 1 ) Ihm werden die weitgehendsten Vollmachten erteilt; alle Schranken, die gesetzgebende und richterliche Gewalt der Exekutive bis dahin gesetzt hatten, fallen vor der Machtübertragimg, die zugunsten dieses Organs erfolgt, in sich zusammen. Ihm wird nicht nur die gesamte Leitung der auswärtigen Politik und die Fürsorge und das Kommando über die Land- und Seestreitkräfte anvertraut, sondern der Staatsrat erhält auch ein unbegrenztes Untersuchungsrecht, er darf jeder Person den Eid abnehmen, jede Person, die seinen Instruktionen zuwiderhandelt, verhaften lassen und die öffentlichen Kassen beliebig in Anspruch nehmen. Es war in der Tat eine absolute Gewalt, die ihm übertragen wird. 242 ) Seine 4 1 Mitglieder, zum großen Teil zugleich Mitglieder des Parlaments und alle Inhaber hoher Staatsämter oder einflußreicher Stellungen innerhalb der Nation, führen in der Folge die gesamten Staatsgeschäfte in unbeschränkter Weise; der großartige Aufschwung, den die Republik unter ihrer Führung nimmt, zeugt von der staatsmännischen Weisheit der Mitglieder dieses Gremiums. Sie wählen B r a d s h o w , den Vorsitzenden des Gerichtshofs im Prozeß des Königs, zu ihrem Präsidenten. Drei Tage darauf wird ein Verwandter B r a d s h o w s , der Dichter John M i l t o n , zum Sekretär „for foreign tongues" ernannt. Sir Henry V a n e , der große Staatsmann und Führer der bürgerlichen republikanischen Partei im Parlament 243 ), tritt auf Bitten C r o m w e l l s aus seiner Zurück-

— 117 — gezogenheit hervor, in der er sich während der Vorgänge der vorhergehenden Zeit gehalten hatte, und wird Mitglied des Rates. Die Schaffung eigener Hoheitszeichen: eines „Great Seal" und eines „mace", sowie die Ernennung eines „Sergeant-at-arms" bringen auch äußerlich die Stellung des Staatsrats zur Geltung. Die Tatsache, daß seine Mitglieder zum Teil die führenden Männer des Parlaments sind, bewirkt, daß die Initiative von letzterem auf ihn übergeht. Er arbeitet die Gesetzesentwürfe aus, die dem Parlament vorgelegt und die dann von diesem entsprechend beschlossen werden. Solchergestalt wird die gesetzgebende Gewalt des Parlaments faktisch in eine solche des „Council of State" verwandelt. Und in dieser seiner Machtfülle führt der Staatsrat, unter neunmaliger Erneuerung seines Mitgliederbestandes und mit den durch die späteren staatsrechtlichen Veränderungen bedingten Modifikationen, während der iojährigen Dauer der Republik und des Protektorats die ihm übertragenen Geschäfte; der Ausbau der Flotte, die Ernennung der nachmals so berühmt gewordenen Admirale, wie vor allem Blake, die Begründung der Vormachtstellung Englands auf dem Meere ist auf seine Wirksamkeit nicht weniger zurückzuführen, als die achtunggebietende Stellung, welche die Republik alsbald nach ihrer Begründung unter den übrigen Nationen Europas einnimmt. Diese Herrschaft der republikanischen Partei ist bisher meistens lediglich als die Herrschaft einer Minderheit gewertet worden, die den Todeskeim in sich trug, weil sie nicht den Willen des gesamten Volkes darstellte, sondern auf der Unterdrückung des größeren Teils des Volkes beruhte. Aber auch in seiner ursprünglichen Gestalt hatte das Unterhaus nicht das ganze Volk, sondern nur gewissen Schichten desselben repräsentiert. Gerade die Weigerung, die demokratischen Forderungen zu bewilligen, hatte ja zu der Entwicklung der Dinge, wie sie sich im Laufe der letzten beiden Jahre vollzogen hatte, geführt. Und war nicht auch das alte Königtum im Grunde eine Oligarchie, nämlich eine solche der Großen des Reichs, gewesen ? Und doch hatte es sich auf dieser Basis Jahrhunderte hindurch erhalten. Nicht auf das „Prinzip" oder die „Idee" einer Staatsform kommt es an, sondern auf die Frage, ob sie der zeitgemäße Ausdruck für die innerhalb einer Nation vorwaltenden Kräfte ist, und ob diese selbst imstande sind, ihre Herrschaft in der einmal geschaffenen Staatsform aufrechtzuerhalten. Von dieser Frage hängt nicht nur der Bestand und die Dauer einer Neuorganisation des Staatswesens ab, sondern auch der Inhalt und das Wesen seiner Verfassung. „Prinzip" und „Idee"



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wandeln sich je nach den Aufgaben, die dem Staat nach innen wie nach außen gestellt werden, und nach der Form, die er als Folge der geschichtlichen Veränderungen erhält. Gerade in diesem Wechsel der Form offenbart sich die Einheit der nationalen Idee. So waren Presbyterianer und Independenten in der ersten Periode der Revolution zusammen gegen das Königtum vorgegangen, weil die Forderungen der Ersteren als gemeinsame Plattform beider Parteien ausreichend erschienen. Dieser Abschnitt des revolutionären Kampfes wurde von beiden Parteien unter der Losung der Überordnung der gesetzgebenden Gewalt des Unterhauses über die Exekutive oder — um es mit einem modernen Begriff auszudrücken — unter dem Schlagwort des „Parlamentarismus" geführt. Die herangezogenen Theorien, die Berufung auf die alten Gesetze des Königreichs, ja, die Ausbildung des Gesetzesbegriffs im modernen Sinne überhaupt beruhten auf dem Bestreben, die Macht im Staate in die Hände der Presbyterianer und der durch sie verkörperten Klasse der großen Handelsherren zu bringen. Diese Losung des „Parlamentarismus" erschien auch als ausreichende Grundlage, um die breiten Massen des Volkes zu gewinnen und mit den Interessen der im Parlament vertretenen Schichten der Bevölkerung zu verbinden. Die Entwicklung der revolutionären Ereignisse führte mit Notwendigkeit dazu, daß diese Plattform von den Independenten verlassen und durch eine andere ersetzt wurde. Hervorgegangen aus einer anderen Bevölkerungsschicht und durch die Revolution zu einer neuen, bis dahin nicht innegehabten Bedeutung erhoben, wurden sie gezwungen, ihre Stellung durch Aufrichtung einer starken Staatsgewalt gegen die Angriffe von rechts und links zu erhalten. Dieser Entwicklung entspricht eine Wandlung der begrifflichen und theoretischen Grundlegung; der Gesetzesbegriff tritt zurück und macht anderen Vorstellungsinhalten Platz 244 ); er verschmilzt mit dem Begriff der Exekutive zu einer beide Funktionen umschließenden Idee staatlicher „Integration"; die Berufung auf die bürgerlichen Grundrechte dient jetzt dazu, die ausführende Gewalt mit der Gesetzgebung zu verschmelzen. Es tritt die interessante Erscheinimg auf, daß das „Faktum" im „Recht" aufgeht, und daß das „Recht" aufhört, der Wegbereiter des „Faktums" zu sein. Der Staat, ausgebildet von der Monarchie im Gegensatz und zum Zwecke der Unterdrückung der lokalen Selbstverwaltung, wird von der neuen Regierung übernommen und muß der Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft dienen. Seine Reorganisation und die Besetzung der oberen Stellen mit Parteiangehörigen sichern, ebenso wie die zahlreichen zur Beaufsichtigung und Überwachung ein-

— 119 — gesetzten Ausschüsse, die Durchführung der Gesetze und Verordnungen. Die richterliche Gewalt tritt in den Dienst der neuen Herrschaft. Die auf der lokalen Selbstverwaltung aufgebauten und im Gegensatz zur Exekutive ausgebildeten Schwurgerichte bleiben zwar bestehen, werden aber in Fällen von politischer Bedeutung durch speziell für den Fall eingesetzte Sondergerichte ersetzt. Die Royalisten und die mit ihnen zusammengehenden Katholiken sind von jeder Teilnahme an der Staatsgewalt ausgeschlossen. Die Vereinbarkeit der Mitgliedschaft im Parlament mit der in der Regierung verhindert die Möglichkeit eines Zwiespalts zwischen beiden. Eine solche Herrschaft trug keineswegs den Todeskeim deswegen in sich, weil sie im Gegensatz zu dem größeren Teil der Bevölkerung errichtet worden war. Im Gegenteil, ihre Stärke lag gerade darin, daß sie sich über veraltete Traditionen und Rechtstheorien hinwegsetzte und die Macht ihrer Partei stabilierte.245) Auch kann man keineswegs sagen, daß die große Masse der Bevölkerung durch sie mehr bedrückt worden wäre, als sie es unter dem presbyterianischen Regiment gewesen war. Innerhalb der gezogenen Grenzen war die Freiheit des Individuums in weit höherem Maße gewährleistet, als unter der monarchischen und presbyterianischen Regierung.246) Wenn sich die Republik auf die Dauer nicht halten konnte und zur Diktatur führte, so deswegen, weil die Partei, die sie geformt hatte, aus verschiedenartigen Elementen zusammengesetzt war, deren Interessen sich alsbald zu differenzieren anfangen. Von den Machthabern, die durch ihre Stellung und ihren Einfluß bereits eine neue Oberschicht in der Nation zu bilden anfangen, sondern sich die mittleren und kleineren Besitzer ab, die von der Revolution die Befriedigung und Sicherstellung ihrer Interessen erst erwarteten. Diese aber befinden sich im Besitz des größten Machtinstruments: der Armee, deren Erhaltung — wie wir mehrfach zeigten — die Grundlage für den ganzen Aufbau des Staates war. Indem sie sich dieses Machtinstruments zur Wahrung ihrer Interessen bedienen, entreißen sie den Staatsapparat den Händen ihrer früheren Verbündeten. Die Errichtung der Diktatur ist die nächste Etappe auf dem Wege der Revolution. Vorläufig aber hatte die Republik mit einem anderen inneren Feinde zu kämpfen, dessen Unterwerfung die Voraussetzung für ihren Widerstand war: der demokratischen Bewegimg der Leveller und ihrem imbeugsamen Führer John Lilburne. Wir führten aus, wie die konstitutionellen Gedanken Lilburnes und seiner Anhänger in der Armee und in den bürgerlichen



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demokratischen Schichten im strikten Gegensatz standen zu den Verfassungsprojekten der Generale und wie die Bemühungen der letztere^ trotz zeitweiligen Zusammengehens mit jenen und trotz aller Schwankungen in einzelnen Fragen, doch auf der Linie der Unterdrückung der Leveller-Bewegung lagen. Die weitere Entwicklung der Dinge Ende des Jahres 1648 und im Laufe des folgenden Jahres bestätigt diese Feststellung. Wir sehen, wie die neu einsetzende Agitation für die Durchsetzung des „Agreement" dem stillen, aber zähen Widerstand der Generalspartei begegnet, und wie die Forderungen der Leveller, die ihren Ausdruck in dem „ I I . Agreement" finden, allmählich zurückgedrängt und wirkungslos gemacht werden. E s verdient hervorgehoben zu werden, daß die Mäßnahmen, die von der Armee im Einverständnis mit den Independenten im Unterhaus getroffen werden: die Beseitigung der presbyterianischen Mehrheit und der Prozeß des Königs, keineswegs im Sinne L i l b u r n e s und seiner Parteigenossen liegen. Denn obwohl auch diese — wie nicht weiter ausgeführt zu werden braucht — in dem König und den Presbyterianern ihre schlimmsten Feinde sahen, so waren sie doch keineswegs gewillt, die Macht in den Händen der „Granden" zu legen, wohl wissend, daß damit ihre eigenen Ansprüche für immer zunichte gemacht sein würden. 247 ) Aus diesem Grunde widerspricht L i l b u r n e jeder entscheidenden Maßnahme, bis das „Agreement" endgültig beschlossen und die Konstitution der Nation festgelegt sei. Die Politik der Offiziere geht nun dahin, die Beratungen so lange hinauszuzögern, bis ihre Pläne verwirklicht waren, um auf diese Weise ihre Gegner vor eine vollendete Tatsache stellen und den Ansprüchen derselben um so wirksamer begegnen zu können. Daß sie hiermit vollen Erfolg hatten, sahen wir bereits; es bleibt zu untersuchen, auf welche Gründe das Versagen der volksdemokratischen Bewegung und ihrer Führer zurückzuführen ist. Was waren die konstitutionellen Grundgedanken der Leveller ? Wir hoben bereits bei der Besprechung des „I. Agreement" hervor-, daß sie den Grundsatz der Souveränität des Volkes proklamieren. Die Garantie für die Gewährleistung der Rechte des Volks erblicken sie in der Verbreiterung der Grundlage des Parlaments in Verbindung mit einer scharfen Kontrolle der Volksvertreter durch die Wähler und durch gewisse Grundregeln, durch die das Recht der gesetzgebenden Körperschaft selbst begrenzt wird. Das „ I I . Agreement" beruht auf denselben Gedanken, gibt aber eine sehr viel klarere und genauere Festlegung der Rechte der Volksvertretung und ihres Verhältnisses zu den übrigen Staatsorganen. 248 ) E s überantwortet die höchste Gewalt im Staate einem



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Parlament von 400 Mitgliedern, das von allen englischen Bürgern über 2 1 Jahre mit Ausnahme der Lohnempfänger und der von Almosen Lebenden gewählt wird. Die Wähler müssen Hausbesitzer sein und zur Armenunterstützung beisteuern. Das Wahlrecht ruht für alle Finanzbeamten und für die Mitglieder des „Council of State"; Rechtsanwälte sind während der Dauer ihrer Zugehörigkeit zum Parlament von der Ausübung ihrer Praxis ausgeschlossen. Das gleiche gilt für die Anhänger des Königs während einer Reihe von Jahren. Das gegenwärtige Parlament ist bis zum Ende April 1649 aufzulösen, die zukünftigen Parlamente tagen vom Juni bis zum Dezember eines jeden Jahres, die Wahlen finden alle zwei Jahre im Mai statt. Die Volksvertretung ernennt einen „Council of State", der bis zum 10. Tage nach Zusammentritt des nächsten Parlaments im Amte bleibt. E r ist in seinen Handlungen streng an die Instruktionen der Volksvertretung gebunden. Die Befugnisse der letzteren sind weitgehend, jedoch nicht unbegrenzt. Sie hat die Gesamtheit der öffentlichen Angelegenheiten zu regeln, Gerichtshöfe und Behörden zu errichten und aufzuheben, Gesetze zu erlassen und die höchste Entscheidung in allen weltlichen Angelegenheiten. Sie darf jedoch niemand zu einem militärischen Dienst zwingen, es sei denn, daß es sich um die Abwehr feindlicher Angriffe, die Unterdrückung von Aufständen oder die Ausführung von Gesetzen handelt. Keiner ist von der Befolgung der erlassenen Gesetze ausgenommen und niemand kann zur Verantwortung gezogen werden, wenn nicht ein Gesetz vorher bereits erlassen ist. Die bestehenden Freiheitsrechte und Eigentumsverhältnisse dürfen nicht beseitigt werden. Das Recht der Minderheit im Parlament darf nicht geschmälert werden. Die christliche Religion wird als Staatsreligion erklärt, doch ist jeder Zwang zu einem bestimmten Bekenntnis unzulässig. Die Glaubensfreiheit ist aber nicht den Katholiken und Anhängern des Bischofssystems zu gewähren. Gewisse Bestimmungen (Begrenzung der Legislaturperioden, Wahlfreiheit usw.) werden als Grund- und Freiheitsrechte des Volks erklärt, andere, die lediglich Zahlen, Zeiten und örtlichkeiten feststellen, können durch das Parlament geändert werden. Diese Grundsätze werden ergänzt durch die allgemeinen Gedanken, die sich in den zahlreichen Flugschriften L i l b u r n e s verstreut finden. Sie bewegen sich auf der Linie, die dem heutigen Denken wohlvertraut ist und als die Generallinie der demokratischen Ideologie bezeichnet werden kann: Gleichheit vor dem Gesetz, Schutz des Individuums vor der Staatsgewalt durch gesetzliche und prozessuale Garantien, als da sind: Wahl der Geschworenen durch das Volk, Unterordnung der Rechtsprechung unter



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das Gesetz („nulla poena sine lege"), Konsumtion des Strafanspruchs durch einmal erfolgte Verurteilung, Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt von der Exekutive, Anspruch des Angeklagten auf Aushändigung einer Anklageschrift und auf genügende Gelegenheit zur Benennung von Zeugen, Zuständigkeit der Geschworenen nicht nur als Tat-, sondern auch als Rechtsrichter. Eine spezielle Ergänzung finden die Bestimmungen des „Agreement" durch die Flugschrift: „Englands New Chains Discovered"249), in der vorgeschlagen wird, daß zur Vermeidung usurpatorischer Tendenzen des Staatsrats während der Zeit zwischen den Parlamentssitzungen ein Ausschuß, bestehend aus Mitgliedern des alten Parlaments und gebunden an bestimmte Instruktionen, die Rechte der Volksvertretving der Exekutive gegenüber wahrnehmen soll. Andere Vorschläge sind mehr ökonomischer und sozialer Natur: Freiheit des Handels, Erhaltung des durch die Einzäunungen und Trockenlegung der Sümpfe bedrohten Gemeindelandes, Abschaffung der „copyholds" und Verwandlung derselben in freies Eigentum. Um diese Gedanken, die für die neuere Verfassungsgeschichte von so weittragender Bedeutung geworden sind, in ihren eigentlichen Ursachen zu erkennen, müssen wir uns klarmachen, daß Lilburne die Wünsche und Interessen derjenigen Kreise zum Ausdruck bringt, die durch die bestehende Sozial- und Wirtschaftsordnung zwar bedrückt wurden, andererseits aber doch auch wiederum an ihrer teilweisen Aufrechterhaltung interessiert waren. So wie er selbst durch das Monopol der großen Manufaktur- und Handelsgesellschaften -an der Begründung einer wirtschaftlichen Existenz verhindert wurde, konnten Tausende und Abertausende trotz aller Anstrengung nicht zu einer Entfaltung ihrer wirtschaftlichen Kräfte gelangen. Das Bild, das Lilburne von der Macht dieser Gesellschaften entwirft, zeigt, welche Stellung diese damals noch immer innehatten. Die „merchant adventurers" hatten den ganzen Handel im Inland und mit dem Ausland an sich gerissen. Sie verladen ihre Waren auf ihren eigenen Schiffen und verkaufen sie in Rotterdam mit 50—60% Aufschlag. Die Handwerker gehen scharenweise aus dem Lande, weil sie zu Hause verhungern. Die Kompanien üben über ihre Angestellten eine unbeschränkte Gewalt aus, sie legen ihnen die Ableistung von Eiden auf, durch die sie sie an die Gesellschaft fesseln und sie zu ihren gefügigen Werkzeugen machen. Ja, sie haben sogar das Recht dei Besteuerung. Und alle diese Rechte werden nicht nur durch das Parlament bestätigt, sondern neue Gesellschaften werden gegründet und mit denselben Privilegien ausgestattet. Dagegen sind die nicht mono-

— 123 — polisierten Handeltreibenden aufs äußerste beschränkt. L i l burne selbst kann nur in London einen Handel eröffnen.250) Die Stadt Newcastle hat sogar den Fluß Tyne und das Ufergelände bis zu 7 Meilen landeinwärts vergeben.251) Es ist unmöglich, einen Handel anzufangen; das einzige, was einem übrig bleibt, ist selbst sein Geld in einer der Monopolgesellschaften anzulegen. Und wie in den Städten die Handwerker und kleinen Kaufleute, so wurden auf dem Lande die Bauern von den Grundbesitzern aller Grade bedrängt und in ihrer Existenz bedroht oder vernichtet.252) Und diese Lage wurde — wie mehrfach hervorgehoben — auch unter der Herrschaft der Independenten nicht gebessert, sondern im Gegenteil noch verschlechtert. Diese Tatsachen erscheinen überraschend, da — wie wir in der Betrachtung der ökonomischen Voraussetzungen diese Epoche sahen (Kap. I) — die Politik der Republik den Monopolen der großen Handelsgesellschaften grundsätzlich ungünstig war und den Handel insbesondere in den wichtigen Exportartikeln freigab. Man sollte meinen, daß die Handelspolitik der Republik dahin hätte gehen müssen, den Mittelstand vor der erdrückenden Macht der Monopolgesellschaften zu beschützen und diese an der Ausnutzimg ihrer Stellung zu verhindern. Die Erklärung für die Haltung der republikanischen Regierung in diesem Falle liegt darin, daß die Kreise des freien Handels, dessen Interessen die Republik vor allem vertrat, den Handwerkern und Bauern, wenn sie auch die Methoden direkter Unterdrückung verwarfen, doch nicht viel weniger ungünstig gesinnt waren als die presbyterianischen Großkaufleute. Die „interlopers" waren in dieser Zeit schon nicht mehr nur kleine und unbedeutende Unternehmer, die erst anfingen, dem korporierten Handelskapitel Konkurrenz zu machen, sondern sie hatten — zum Teil wenigstens — bereits eine bedeutende Stellung und weitverzweigte Handelsbeziehungen. Sie bedienten sich gleichfalls gesellschaftlicher Organisationsformen253) und führten einen scharfen Kampf gegen die korporierten Gesellschaften, denen sie nicht nur in England, sondern auch in den Exportländern Konkurrenz machten. Das Committee of Trade der Republik sucht zwischen beiden Parteien auszugleichen. Diese Politik erklärt einerseits, daß die alten Monopolgesellschaften noch weiter bestehen, andererseits, daß die von den Bauern, Kleinhändlern und Handwerkern geforderten sozialen Reformen, insbesondere auf steuerlichem und prozessualem Gebiet, von der Republik nicht durchgeführt werden. Die ökonomische Entwicklung lief gegen die Interessen der kleinen Kaufleute und Handwerker. Wir wollen nicht behaupten, daß diese Entwicklung,

— 124 — die zu ihrem Ruin führte, von ihnen nicht aufzuhalten gewesen wäre. Aber es hätte einer anderen Zielsetzung bedurft, als sie die Leveller sich zu eigen gemacht hatten. Ihr Ideal war nicht die Beseitigung der kapitalistischen Grundlagen, sondern eine Modifikation derselben in Richtung auf die Niederlegung der sie begünstigenden gesetzlichen Schranken. Sie glaubten, daß es möglich sei, diese Schranken zu beseitigen, ohne den Bau des sozialen Körpers selbst zu berühren. Aber die Formen waren doch nur der Ausdruck der tatsächlich bestehenden Machtverhältnisse. Sie zu verändern, hieß die Interessen aller derjenigen verletzen, die an ihrer Aufrechterhaltung interessiert waren: Grundbesitzer, Geistlichkeit, Handelsgesellschaften, Rechtsanwälte, Beamtenschaft. Gegen alle diese Kategorien der besitzenden Bevölkerung richteten sich ihre Angriffe. Ein ernsthafter Angriff auf die Privilegien dieser Stände lag jedoch nicht in ihrer Absicht. Die Abgrenzung ihrer Ziele von denen der „wahren" Leveller, der Kommunisten, zeigt überdies die Schranke, die sie selbst ihrem Wege gesetzt haben. In dieser doppelten Frontstellung liegt die Erklärung für die Widersprüche in den konstitutionellen Projekten der Leveller. Aber freilich, die konsequente Durchführung ihrer sozialen Forderungen hätte Maßnahmen von' größter Tragweite erfordert. Hing die Stellung der Independenten davon ab, daß die Armee in ihrer Gesamtheit erhalten blieb, so hätten die Leveller nur dadurch ihr Ziel erreichen können, daß sie die Armee in ihre Hand bekamen und mit ihrer Hilfe die Diktatur ihrer Klasse aufrichteten. Das wäre nur möglich gewesen, wenn sie sowohl die Agrarrevolution — denn eine solche bedeutete die Beseitigung der „copyholds" — durchgeführt, als auch die Macht der großen Handelsgesellschaften durch Inbesitznahme der Regierungsgewalt gebrochen hätten. Dies aber hätte nur im Bündnis mit der großen Masse der für Lohn arbeitenden Bevölkerung geschehen können. Hiervor schrecken sie zurück.254) Daß sie trotzdem bis zur Revolutionierung der Armee vorschritten, zeigt, wie weit die revolutionäre Entwicklung damals bereits gediehen war. Das Haltmachen auf diesem Wege ist auf eben jenes Zurückweichen vor der Gefahr der sozialen Revolution zurückzuführen. Unter diesen Umständen sind die Verfassungsprojekte der Leveller nicht geeignet, die praktische Durchführung ihrer Forderungen zu gewährleisten. Das Parlament wird zwar als Sitz der höchsten Gewalt erklärt, aber — abgesehen davon, daß das Wahlrecht im II. Entwurf des „Agreement" eingeschränkt, insbesondere den Lohnempfängern genommen wurde — bedeutete die Aus-

— 125 — dehnung desselben unter den damaligen Verhältnissen eine direkt reaktionäre Maßnahme; gab es doch auch den reaktionärsten Elementen, den Royalisten und Katholiken, Anteil an der Bildung des Staatswillens, Das gleiche muß von dem Gedanken der Wahl der Beamten und Richter und der Dezentralisierung der Armee und ihrer Unterstellung unter die örtlichen Behörden gelten; sie hätte große Teile Englands, namentlich die agrarischen Bezirke, den Händen der Royalisten überliefert, die Städte wären in der Hand der Presbyterianer geblieben. Die Unabhängigkeit der Richter vollends erschien als eine so ungefährliche Maßnahme, daß sie selbst von den Gegnern ohne weiteres bewilligt wurde; zur Bekämpfung der reaktionären Elemente war sie jedenfalls nicht geeignet. So ergibt sich die eigentümliche Tatsache, daß die Diktatur der Armeeführer zur Erhaltung der Ergebnisse der Revolution in viel höherem Maße geeignet war, als die Durchführung der volksdemokratischen Forderungen es gewesen wäre. Ein Ergebnis, das den nicht in Erstaunen setzen kann, der sich darüber klar ist, daß die großen Entscheidungen in der Geschichte nicht nach Theorien und Prinzipien, sondern auf Grund der vorhandenen Machtverhältnisse getroffen werden. Darin, daß sie dies erkannten und ihre Politik danach einrichteten, liegt die Bedeutung I r e t o n s und Cromwells und die historische Rechtfertigung ihres Verhaltens den Levellern gegenüber. Wären sie selbst in dem Vorstellungskreis der letzteren befangen gewesen, so hätten sie ihre Politik der Spaltung der Royalisten und Presbyterianer niemals durchführen können. Sie hätten die Macht, die sie besaßen, aus ihren Händen gegeben und damit nicht nur ihre eigene Position verlassen, sondern auch die Interessen der von ihnen Vertretenen preisgegeben. Daß sie auf dem von ihnen innegehaltenen Wege die Belange der bürgerlichen und bäuerlichen Mittelschicht verletzten lag in den objektiven Verhältnissen selbst begründet. Nur auf der Unterdrückung der widerstrebenden Kräfte konnte die Stellung des republikanischen Englands begründet werden. Auf dieser Grundlage erhob sich die Macht der Nation zu jener Höhe, in der die Form verschwindet und sich verschmilzt mit ihrem Inhalt. In dieser Sphäre hört die Macht auf, der Ausdriick der sich bekämpfenden Kräfte zu sein; sie löst sich auf in der Einheit der nationalen Idee. In der damaligen Epoche der geschichtlichen Entwicklung Europas erschienen die demokratischen Gedanken als ein Ausdruck der zwiespältigen Stellung des kleinen Bürgertums, das sich einerseits zur Mitwirkung an einer gewaltsamen Veränderung der wirtschaftlichen Struktur nicht entschließen konnte, andererseits



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durch den Übergang der Produktionsmittel vom Handwerkerund Manufakturkapitel auf die großen Monopolorganisationen sich immer mehr seiner wirtschaftlichen Basis beraubt sah. Die Bestimmungen des II. A g r e e m e n t s , die wir oben kennen lernten, tragen die Zeichen dieser Zwiespältigkeit an sich. Die Reform des Wahlrechts, das durch Ausschluß der Lohnarbeiterschaft auf den Kreis der Grundbesitzer beschränkt wird, ist nicht nur ein Mittel, den Einfluß der Mittelklassen zu verstärken, sondern liefert auch große Teile derselben dem faktischen Übergewicht der reaktionären Elemente im städtischen und ländlichen Bezirken aus und bringt große Teile des Landes unter den Einfluß der Monarchisten. Diese Wirkung wird noch erhöht durch die geplante Wiederbelebung der lokalen Selbstverwaltung, gegen deren Zerstörung durch die Politik S t r a f f o r d s der Zorn des Parlaments vor allem sich gerichtet hatte. Wie weit war doch die Republik davon entfernt, das Prinzip der Dezentralisation, für das die Presbyterianer im Langen Parlament gekämpft hatten, zu verwirklichen! Der republikanischen Entwicklung entsprach die Zentralisation der Machtmittel in der Hand des Staatsrats, der an einem Wiederaufleben der Miliz und der lokalen Selbstverwaltung kein Interesse hatte. Wenn L i l b u r n e in diesem Fall alles auf eine Erneuerung der Selbstverwaltung abstellt, so ist sein Ziel die Beseitigung der Vormachtstellung der ausführenden Gewalt, in der früher der Schwerpunkt der staatlichen Regierung gelegen hatte und die auch in den „Heads" das faktische Übergewicht hatte haben sollen. Das ist überhaupt der Grundgedanke des „Agreements": die Exekutive soll ihres Einflusses beraubt und doch wenigstens so weit wie möglich in ihrer Bedeutung beschränkt werden. Keineswegs ist der Gedanke der Gewaltenteilung für die demokratischen konstitutionellen Ideen entscheidend. Entscheidend ist vielmehr das Bestreben, die ausführende Gewalt der gesetzgebenden, diese aber dem Volk zu unterwerfen. Zu diesem Zweck muß die richterliche Gewalt aus der Exekutive herausgenommen und ihr gegenüber mit Selbständigkeit ausgerüstet werden. Die Garantien der Angeklagten und die Wählbarkeit der Richter dienen dem gleichen Zweck; der Grundsatz, daß niemand seinem ordentlichen Richter entzogen werden kann, beruht auf demselben Gedanken. Richter und Parteien werden mit Mitteln der Gesetzmäßigkeit vor Eingriffen der Regierung geschützt und zugleich zu Herren des Prozeßgegenstands bzw. der anzuwendenden Gesetze gemacht, um die Unterwerfung der Exekutive und der Gesetzgebung unter die Volkssouveränität zu garantieren. Wir sehen den absoluten Gegensatz, der zwischen dieser Theo-

— 127 — rie der Leveller und den Verfassungszielen der Generale und Republikaner bestand. Eine Vereinigung war schlechterdings nicht möglich, und es erscheint als Selbstverständlichkeit, daß die Republikaner im Rumpfparlament den II. Entwurf des „Agreement" zu den Akten legten, ohne seine Durchführung überhaupt in Frage zu ziehen. Beruhte der Grundgedanke der Republik auf einer starken Zusammenfassung aller Gewalt in der Hand der Zentralleitung, so bauen die Demokraten in direktem Gegensatz hierzu alles auf die subjektive Befugnis und das individuelle Recht auf. Hierbei stoßen sie auf die Schwierigkeit, wie die Macht der gesetzgebenden Gewalt selbst zu begrenzen sei; denn wenn die Legislative die Exekutive kontrolliert, so fehlt es an einer Garantie dafür, daß jene selbst innerhalb der ihr gezogenen Grenzen bleibt. Dieser Schwierigkeit soll neben der Aufstellung allgemeiner Grundrechte die Befugnis der Volksrichter, nicht nur die Tat-, sondern auch die Schuldfrage zu beurteilen, abhelfen. Das richterliche Prüfungsrecht hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit der erhobenen Anklage, das nachmals eine so große Rolle spielen sollte, ist also historisch als ein Versuch zu verstehen, die gesetzgebende Gewalt zu kontrollieren und in den für sie vorgesehenen Schranken zu halten. Die richterliche Gewalt soll im Verein mit der Legislative die Exekutive einschränken, aber sie soll auch ihrerseits die letztere kontrollieren. Ihre Macht geht so weit, daß sie sogar die Vereinbarkeit der Parlamentsakte mit dem bestehenden „common law" prüfen muß.255) Das bedeutet bei der Dehnbarkeit und Unbestimmbarkeit des letzteren Begriffs die Möglichkeit, jedes Gesetz für unwirksam zu erklären, kann also theoretisch zu einer völligen Lahmlegung der gesetzgebenden durch die richterliche Gewalt führen. Und doch ist die ausführende Gewalt der so beschränkten Legislative unterworfen, ihre Organe sind den Volksvertretern, wenn sie auch unabhängig handeln, für ihre Handlungen verantwortlich. Es ist — wie wir sehen — ein ganz verwickeltes System von gegenseitigen Kontrollen und Abhängigkeiten, auf dem die Grundsätze der modernen Demokratie beruhten. Ihr Hauptgedanke ist die Begrenzung der gesetzgebenden Gewalt v o n u n t e n h e r , im Gegensatz zu den Independenten, die dieses Ziel von der Exekutive, d. h. also v o n oben erreichen wollten. Die Volksdemokraten übernahmen den Gesetzesbegriff, wie er von dem Parlament im Kampf mit der Prärogative des Königs ausgebildet worden war, und begrenzen ihn gleichzeitig durch Aufstellung des Prüfungsrechts der vom Volke gewählten Richter. Dieses Vorgehen erscheint inkonsequent, insofern als gerade zur Erreichung der wirtschaftlichen Ziele: Abschaffung der Akzise,,



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des faktischen Außenhandelsmonopols der großen Gesellschaften und — vor allem — der „copyholds", eine starke Legislative erforderlich gewesen wäre. Aber wie konnte die Volksvertretung diesen Zielen anders gefügig gemacht werden ? Das wäre sonst nur durch Aufrichtung der Diktatur möglich gewesen.256) Wenn man diesen Weg nicht gehen wollte — und die Leveller konnten und wollten ihn nicht einschlagen —, so blieb nichts anderes übrig, als durch Proklamierung der von ihnen verkündeten Grundsätze, insbesondere durch Berufung auf die Grundrechte des Volks, die Beseitigung der faktischen Macht der im Parlament verkörperten Interessen zu erhoffen. Darin, daß sie hierauf ihre Hoffnung gesetzt hatten, liegt das Utopische in den Anschauungen der Leveller. Ihr Irrtum entspricht ihrer wirtschaftlichen Stellung, die sie, die Pächter und Handwerker, als eine Mittelschicht erscheinen läßt, deren Ideale ebensoweit von der fortschreitenden Entwicklung des gesellschaftlich organisierten Kapitals wie von den Zielen der in der Bildung begriffenen Lohnarbeiterschaft entfernt waren. Ihr wirtschaftliches Ziel: die Erlangung freien Parzelleneigentums und freier gewerblicher Betätigung, gehörte in Wahrheit schon damals einer dem Untergang geweihten Wirtschaftsform an. Auf diese Mittelstellung ist alles das zurückzuführen, was wir als die speziell demokratische Idee in der englischen Revolution bezeichnen können: die Ablehnung des Diktaturgedankens und — dementsprechend — die Duldung der reaktionären Elemente; die Erhaltung des alten Gesetzesapparats und demgemäß die Anerkennung des vorhandenen sozialen Apparats, insbesondere des Privateigentums; die Abgrenzung der Bewegung von den „wahren" Levellern, d.h. den Kommunisten, und dementsprechend die Ersetzung des Begriffs der ökonomischen Gleichheit durch den der Gleichheit vor dem Gesetz. Überall ein Zurückweichen vor dem Gedanken, die überlieferten Grundlagen der Gesellschaft in ihren wesentlichen Punkten anzugreifen. Die Ideen der Volksrechte und der persönlichen Freiheit sind nur das Spiegelbild dieser Ablehnung des Gedankens einer gewaltsamen Veränderung der bestehenden sozialen Verhältnisse. In dieser ihrer Begrenzung haben diese Ideen in den folgenden Jahrhunderten gewirkt; sie haben den Freiheitsbegriff der modernen Philosophie überhaupt erst ermöglicht. Aber zur Durchsetzung der wirtschaftlichen Ziele waren sie nicht geeignet. Weder die Bauernbefreiung noch die Freiheit der gewerblichen Tätigkeit waren auf diesem Wege erreichbar. Das Hineintragen jener Gedanken in die Reihen der Soldaten mußte daher im Ergebnis zersplitternd und lähmend wirken. Hätten die Bauern-Soldaten ihre Ziele

— 129 konsequent verfolgen wollen, so hätten sie ihre „Agitatoren" nicht zur Durchführung eines demokratischen, auf Erhaltung der sozialen Grundlagen hinauslaufenden Verfassungsentwurfs, sondern zur Durchsetzung der revolutionären Diktatur benutzen müssen. Daß die ersten Keime der Aufrichtung einer revolutionären demokratischen Diktatur damals bereits vorhanden waren, zeigte uns das selbständige Vorgehen der Soldaten gegen bzw. ohne die Offiziere und die Konzentrierung ihrer Macht im allgemeinen Armeerat. Der Verfassungsentwurf der Volksdemokraten bedeutet demgegenüber — wie wir es bereits gelegentlich der allgemeinen Würdigung der Leveller-Bewegung bezeichneten — ein r e t a r d i e r e n d e s Moment. 257 ) E r lenkt die illegale Revolutionsbewegung in das Bett einer zwar oppositionellen, aber doch streng gesetzlichen politischen Strömung. Damit war überhaupt erst einmal der Grund und Boden geschaffen, auf dem die Politik C r o m w e l l s erfolgreich durchgeführt werden konnte. Wir sahen, wie diese Politik auf eine Unterdrückung der Soldatenräte Ende 1647 Durchsetzung des Standpunkts der Independenten hinauslief. Seitdem ist die Soldatenbewegung in ihrem Lebensnerv zerstört. Die Wiederherstellung der Disziplin wird auch durch die im Frühjahr 1649 noch einmal aufflammende Empörung nicht mehr ernsthaft gefährdet. Zwar ist auch diesmal der Widerstand der Soldaten gegen die Expedition nach Irland von elementarerer Wucht 258 ), aber die Bewegung bleibt isoliert und wird nicht mehr — wie im Jahre 1647 — zu einer allgemeinen politischen Aktion der ganzen Armee. Die Führer sind nicht mehr zum Nachgeben und zu einer vermittelnden Politik gezwungen, sondern können die Empörung isolieren und an ihren verschiedenen Aufstandsherden mit Gewalt ersticken. Die Zeiten, wo der Gehorsam der Soldaten durch Zugeständnisse erkauft werden mußte, sind jetzt endgültig vorüber. Das Verhältnis der gegenseitigen Vereinbarung über Konzession und Gegenkonzession hat der faktischen Macht der Führer über die Truppe Platz gemacht. Der regierungstreue Teil der Armee steht jetzt den Kommandeuren zum Zwecke der Unterwerfung der Aufrührer zur Verfügung. Diese werden nicht mehr als die Vorkämpfer der Volksfreiheit angesehen, sondern erscheinen nunmehr als Feinde des Staats. Damit aber — und das ist in gewissem Sinne das Tragische in der Rolle, welche die Leveller dabei gespielt haben — ist auch die Kraft der demokratischen Bewegung gebrochen. L i l b u r n e , ihr Vorkämpfer, wird alsbald wieder verhaftet, und wenn er auch in dem Prozeß, der im Herbst des Jahres 1649 stattfindet, unter dem nicht enden wollenden Jubel der Zuhörer von den GeschwoBeiheft d. H. Z. 28.

q

— 130 — renen freigesprochen wird, so ist er doch nicht mehr imstande, den herrschenden Gewalten ernsthaften Widerstand zu leisten. Nach jahrelanger Verbannung und Einkerkerung findet er Anschluß an die Quäkerbewegung, Zwar flammen auch in den nächsten Jahren noch hier und da Bauernaufstände auf und macht sich die Erbitterung des Volkes in terroristischen Akten Luft. Aber die eigentliche Rolle der demokratischen Erhebung als einer allgemeinen politischen Bewegung ist ausgespielt. Die Republik erhebt sich auf der Grundlage der unterdrückten Volksrechte zu um so größerer Höhe.

IX. K A P I T E L .

ANFÄNGE EINER KOMMUNISTISCHEN BEWEGUNG. DIE AUSSENPOLITIK DER REPUBLIK. CROMWELLS STAATSSTREICH. DAS KLEINE PARLAMENT. DIE PROTEKTORATSVERFASSUNG,

Das, weis die kommunistische Bewegung in der englischen Revolution charakterisiert, ist der Umstand, daß sie entsteht in dem Augenblick, wo die Kraft der demokratischen Bewegung bereits gebrochen ist. Die Hinrichtung des Königs, deren Zweck die Hinüberleitung der auf den sozialen Umsturz gerichteten Tendenzen in eine politische Bewegung war, hatte die Wirkung, daß jene sich in einer neuen Form erheben, die, wenn sie damals auch der klaren Zielsetzung entbehrt, doch eine bewußte Abkehr von der zwischen der Armee und dem Parlament getroffenen Vereinbarung bedeutet.259) Die „wahren" Leveller, wie sie sich selbst zum Unterschied von den demokratischen Levellern bezeichnen, sind also einerseits von denjenigen Elementen in der Armee zu scheiden, die sich der Politik der Generale und der Republikaner unterwerfen, wie auch von den Demokraten, die dies zwar nicht tun, die aber ihrerseits eine auf der parlamentarischen Idee beruhende Politik treiben und eine soziale Revolution ablehnen. In dieser ihrer Stellung müssen sie als die Vorläufer des modernen Kommunismus bezeichnet werden. Allerdings nur als die Vorläufer; denn die Methoden der Durchsetzung ihres Ideals sind noch durchaus utopisch und gehen über eine kleinbäuerliche Zielsetzung nicht hinaus. Vergegenwärtigen wir uns die kurze äußere Geschichte der Bewegung.260) Am 16. April 1649 wird dem Staatsrat berichtet, daß ein gewisser E v e r a r d , ein entlassener Soldat, mit mehreren anderen das Gemeindeland auf St. Georges Hill in Surrey umzugraben und dort Erbsen und Bohnen zu säen begonnen habe. Sie hätten — so meldet der Anzeigende — gedroht, die Einzäunungen niederzureißen und das Vieh, das ihren Arbeiten zu nahe komme, zu töten. Der Staatsrat, offensichtlich erschreckt durch diese anarchische Bewegung, beauftragt F a i r f a x dieselbe zu unterdrücken. Der mit dieser Aufgabe beauftragte Offizier meldet, daß die Angelegenheit durchaus harmloser Natur sei 9*

— 132 — und daß die beiden Anführer, E v e r a r d und Winstanley, versprochen hätten, demnächst vor dem General zu erscheinen und sich zu rechtfertigen. Dies geschieht am 20. April d. J . Der Sprecher erklärt, den Hut auf dem Kopf — denn der General sei nicht mehr als er selbst —, daß die Zeit der Befreiung des „Volkes Israel" jetzt gekommen sei. Eine Vision habe ihn aufgefordert die Erde zu graben und zu pflügen und die Früchte zu ernten, um die Hungrigen davon zu sättigen und die Nackten zu kleiden. Im übrigen — so erklären sie — wollten sie das Eigentum nicht verletzen und sich nicht mit Waffengewalt verteidigen, sondern sich der staatlichen Autorität unterwerfen und warten, bis die versprochene Gelegenheit gekommen sei. F a i r f a x nimmt Gelegenheit, die kleine Kolonie persönlich zu besichtigen. Er scheint ihr eine erhebliche Bedeutung nicht beigemessen zu haben, während die bürgerlichen Magistrate alsbald mit allen gesetzlichen Mitteln gegen sie vorgehen und ihre Unterdrückung ins Werk setzen. Die Kolonisten werden mit hohen Geldstrafen belegt, ihr bewegliches Eigentum wird gepfändet und ihnen fortgenommen. Sie werden von den Besitzern der anliegenden Güter überfallen und mißhandelt; Widerstand leisten sie gegen ihre Unterdrücker nicht. Sie beharren auf ihrem Standpunkt, daß das Gemeindeland — % des englischen Bodens war damals noch nicht im Privatbesitz261) — ihnen gehöre, daß sie es nach dem Sturz des Königtums zu Recht besäßen; denn nur mit Gewalt hätten die normannischen Könige es den freien Engländern genommen und niemals seien sie rechtmäßige Besitzer des freien Grund und Bodens geworden. An dieser Uberzeugung halten sie fest, trotz aller Verfolgungen und Mißhandlungen. So ganz ungefährlich war freilich die neue Bewegung für die Regierung doch nicht. Der fortschreitenden Verarmung und Verbitterung der um die Früchte ihres Sieges gebrachten Bauern entsprechend breiten sich die Gedanken Winstanleys rasch aus und finden insbesondere in den östlichen Grafschaften zahlreiche Anhänger. Wir müssen uns, um dies zu verstehen, vergegenwärtigen, bis zu welchem Grade die Gegensätze auf dem Lande gerade damals sich auszubilden begonnen hatten. Die Gentry, auf deren Erhebung die Erfolge des Bürgerkrieges in besonderem Maße zurückzuführen waren, hatte die Konfiskation der geistlichen und royalistischen Güter nicht nur zur Belohnung der ihr ergebenen Angehörigen der Armee, sondern in erster Linie zu ihrer eigenen Bereicherung benutzt. Abgesehen hiervon aber hatte sie mit dem Prinzip der Konfiskation auch die Grundlagen der bestehenden Agrarverfassung übernommen, ja sie hatte

— 133 — dieselbe noch mehr im Sinne einer Verwandlung des Gemeindelands in Privatboden und einer Intensivierung der Agrarwirtschaft und Vergrößerung der Agrarbetriebe entwickelt. Eine soziale Reform — sei es der Bodenverhältnisse, sei es des staatlich geregelten Lohnsystems — konnte unter diesen Umständen nicht in ihrem Programm liegen.262) Nicht als ob die Grundbesitzer nicht der sich hieraus ergebenden Gefahr klar und bereit gewesen wären, auf ihre Rechte an den Nutzungen des Gemeindelandes zu verzichten oder sonstige Maßnahmen zur Erleichterung der Lage der besitzlosen Bauern zu ergreifen.263) Aber die durch die objektiven Verhältnisse der Wirtschaftslage bewirkten Gegensätze konnten auf diesem Wege nicht aus der Welt geschafft werden. Ja, man kann sagen, daß die Begünstigung der Bewegung selbst eine Gefahr für die Republik darstellte, die deren Bestand hätte gefährden können. Denn schon scheint sich auch in der DiggerBewegung eine Spaltung zu vollziehen begonnen zu haben, die auf ein Verlassen der friedlichen Tendenzen ihrer Führer hinauslief. Die Duldung derartig destruktiver Tendenzen bedeutete eine schwere Gefahr für das bestehende Staatswesen, das auf der Anerkennung der Grundsätze des überlieferten Rechts beruhte. Die Republik zögerte nicht, die Mittel der Gewalt zur Anwendung zu bringen; W i n s t a n l e y verschwindet alsbald von dem Schauplatz der sozialen Kämpfe.264) Seinen Grundsätzen gemäß schüeßt er sich der entstehenden Quäkerbewegung an.266) Wir behandeln nicht die zahlreichen Flugschriften Wins t a n l e y s , deren Inhalt Berens und — in gedrängter Form — Gooch dargestellt haben. In ihrer Berufung auf das Recht der „righteousness" und die Kraft der inneren Erleuchtung liegen sie auf der Linie der religiösen Theorien, nach welchen die Veränderimg der tatsächlichen Verhältnisse durch passive Duldung möglich sein soll. Solche Anschauungen hat es zu allen Zeiten gegeben, wie uns das Beispiel der deutschen Mystiker, deren Einfluß auf W i n s t a n l e y zwar nicht nachweisbar, aber nicht unwahrscheinlich ist, und zahlreicher moderner Bewegungen zeigt. Interessant ist vor allem die Abgrenzung dieser Bewegung von den Demokraten und die Verschiedenartigkeit der beiderseitigen Standpunkte trotz gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen. Denn das wirtschaftliche Moment ist in beiden Fällen nicht nur entscheidend, sondern auch identisch; es ist der Kampf, wie ihn die Leveller gegen die Bedrückung durch Behörden, Lawyers, Geistlichkeit und Monopole führen, der auch die Frontstellung der „wahren" Leveller bestimmt.266) Und es ist dieselbe Ursache: die Enttäuschung über den Ausgang des Bürgerkrieges

— 134 — und die Nichteinlösung der gegebenen Versprechungen, die sowohl zum Aufstand der „Grünen" — das grüne Band war damals das Wahrzeichen der demokratischen Bewegung — w i e auch zu den utopischen Experimenten der Vorläufer des Kommunismus führt. Die Ursache des Gegensatzes beider Bewegungen ist in der Tat schwer zu ergründen. Mit der Feststellung, daß die Demokraten mehr eine städtische Bewegung darstellten, während die „wahren" Leveller ausschließlich ländlich orientiert waren, ist dies nicht getan, denn auch jene hatten in der Bauernschaft Fuß gefaßt und insbesondere auf die in der Hauptsache aus Bauern bestehende Armee ihren Einfluß gewonnen. Auch mit der Tatsache, daß die wirtschaftlichen Prinzipien verschieden waren — dort der Grundsatz der Freiheit des Handels, des Eigentums und der Konkurrenz, hier der Gedanke der gemeinschaftlichen Verwaltung aller Güter und Angelegenheiten — ist noch keine Erklärung der Verschiedenheit beider Standpunkte gegeben. Doch dürfte in dieser Richtung die Lösung der Frage zu suchen sein. Die Leveller glaubten, daß es nur der Eroberung des Staates bedürfe, um die soziale Lage ihrer Schicht umzugestalten. Sie sahen nicht, daß die Formung des Staats der Ausdruck und die Folge der jeweiligen faktischen Verhältnisse ist. Sie scheiterten daran, daß sie die Entwicklung der letzteren nicht erkannten und ihren Einfluß auf die Gestaltung der Machtverhältnisse innerhalb des Staats ignorierten. Die „wahren" Leveller dagegen hatten ein, wenn auch unklares und unentwickeltes, so doch im Grunde richtiges Gefühl dafür, daß nur die Umgestaltung der bestehenden Eigentumsverhältnisse eine Verbesserung ihrer Lage bewirken konnte. Ihr Kampf gegen den Handel und das Eigentum als solches entsprach dem Gedanken, daß nur die Beseitigung dieser Formen der Produktion und Güterverteilung eine Veränderung ihrer Lage herbeiführen könne. Beide Systeme waren der konstituierten Macht entgegengesetzt, beide wurden von dieser unterdrückt, beide verschwanden, um erst nach langer Zeit wieder zum Leben zu erwachen. Aber beide haben später, gemeinsam oder im Kampfe miteinander, den größten Einfluß auf die europäische Staatengesellschaft gewonnen und die Verfassungen innerhalb derselben von Grund auf verändert. Zum Studium der Verfassungsgeschichte Europas ist die Erkenntnis der Wurzeln beider Bewegungen unentbehrlich. — Wenn wir somit die äußersten Spitzen der innerpolitischen Tendenzen jener Zeit berührt haben, mag es unnötig erscheinen, wenn wir im Anschluß hieran und in der Absicht, das Verständnis

— 135 — für die verfassungsmäßigen Wandlungen der Folgezeit zu gewinnen, einen Blick auf die äußere Politik jener Epoche werfen. Doch hängt beides so eng zusammen, daß es unmöglich ist, eines ohne das andere zu erkennen. Die Außenpolitik Englands erscheint als Spiegelbild der inneren Parteiverhältnisse; beide stehen in so engem Zusammenhang, daß eine Trennung das Verständnis der gesamten Lage unmöglich macht. Es ist bekannt, daß die Schwierigkeiten der englischen Monarchie vor der Revolution auf der Frage beruhten, welche Stellung sie in dem Kampf der beiden Mächte Spanien und Frankreich einnehmen sollte. Indem die Presbyterianer diese Schwierigkeit ausnutzten und von der Monarchie die Unterstützung der kalvinistischen Parteien Europas forderten, brachten sie die sich auf Spanien stützende Politik Karls I. zu Fall. Dem Zurückweichen der Royalisten und Katholiken in England entspricht das Zurückdrängen des spanischen und des mit Spanien zusammenwirkenden päpstlichen Einflusses auf die englische Politik. Weiter aber als bis zu einem Ausgleich zwischen dem monarchischen und presbyterianischen Prinzip wollten die englischen Kalvinisten nicht gehen; sie wollten zwar das Episkopalsystem beseitigen, die Monarchie im Prinzip aber erhalten. Hierin treffen sie sich mit den Interessen der französischen Regierung, die der Unterstützung ihrer kalvinistischen Untertanen zur Bekämpfung des oppositionellen hohen Adels bedarf. Das Ziel der französischen Regierung ist daher die Stärkung des presbyterianischen Widerstandes sowohl dem König, wie auch den Independenten gegenüber. Das bedeutete praktisch die Losreißung Schottlands von England und die Ersetzung des spanischen Einflusses durch den französischen. Die Presbyterianer sind die französische Partei in der Geschichte der englischen Revolution. Die Bedeutung der independentistischen Bewegung wird in diesem Zusammenhang besonders klar. Dem Vordringen des französischen Einflusses setzen die Independenten die ihnen eigentümlichen Gedanken der Zentralisation und religiösen Freiheit entgegen, beide notwendig, um die drohende Vereinigung von Royalisten und Presbyterianern zu verhindern. So absurd es erscheint, durch dieses Vorwärtstreiben der revolutionären Tendenz wird die Stellung der reaktionärsten der europäischen Monarchien, der spanischen, erleichtert, die gerade damals im Bündnis mit der französischen Fronde stand. Die Independenten nehmen den Kampf auf, den die Presbyterianer von ihrer Stellung aus nicht führen konnten. Die Hinrichtung des Königs bedeutet den Bruch mit der Politik der Presbyterianer und

— 136 — einen Schlag gegen die Interventionspolitik Frankreichs, deren Ziel die Loslösung der englischen Krone von dem spanischen Einfluß, die Herrschaft des Presbyterianismus in Schottland und der Ausgleich der englischen Monarchie mit dem Presbyterianismus in England ist. Das Eigentümliche ist hierbei, daß die französische Krone, um ihre eigene Stellung zu bewahren, die Schwächung der englischen Monarchie erstreben muß, während umgekehrt die Presbyterianer, um sich selbst zu erhalten, die Stärkung der französischen Krone wünschen. Eine Tatsache, die doch verständlich ist, wenn wir uns klar machen, daß auch im politischen Leben die Gegensätze sich verbinden und aus diesen Verbindungen neue Kombinationen entstehen, die die Vernichtung der ursprünglichen Kräfte bedeuten. So würde die Besiegung der Adelsopposition in Frankreich und die Zurückdrängung Spaniens letzten Endes auch die Vernichtung des kalvinistischen Systems diesseits und jenseits des Kanals bedeutet haben. Daß dies die Zurückdrängung Englands in dem politischen System des neuen Europas bedeutet hätte, bedarf keiner näheren Ausführung; es wird durch die Ereignisse nach der Restauration, die ja mit dem Pyrenäischen Frieden zeitlich zusammenfällt267), bestätigt. Soweit war es allerdings im Jahre 1648 noch nicht; aber die Möglichkeit dieser Entwicklung war schon damals gegeben und die Stellung, die die französische Krone im Westfälischen Frieden errungen hatte, stark genug, um eine Intervention derselben zugunsten eines presbyterianischen Königtums und gegen die Independenten als drohend erscheinen zu lassen. Wir haben gesehen, daß diese Möglichkeit die independentistische Generalspartei veranlaßte, mit dem König Verhandlungen anzuknüpfen. Diese Kombination wurde durch die Soldaten der Armee selbst verhindert. Praktisch hätte sie zu einer Wiederbelebung der Adelspartei und zu der alten Abhängigkeit von der spanischen Politik geführt. In diesem Dilemma war die Schaffimg der Republik ein Ausweg, der zwar die Beseitigimg der augenblicklichen von den Presbyterianern drohenden Gefahr bewirkte, eine Lösung im Sinne der Leveller aber nicht darstellte. Denn diese hätten, wenn sie ihre sozialen Ziele hätten durchführen wollen, sich auf Schichten stützen müssen, die in Spanien und Frankreich damals gleichmäßig unterdrückt waren: die Schichten der dortigen Bauern und Kleinbürger, d. h. mit anderen Worten, sie hätten eine gegen b e i d e Monarchien gerichtete Politik betreiben müssen. Und nicht nur das, auch die anderen Monarchien Europas wären durch eine solche Politik in ihrem Bestände getroffen worden; denn sie alle beruhten auf der Unterdrückung des Kleinbürger- und Bauern-

— 137 — tums und fingen gerade wieder an, auf dieser Grundlage ihre Macht zu befestigen (Entstehung des modernen Absolutismus). Unter diesen Umständen hätte die Levellerbewegung sich außenpolitisch nur durchsetzen können, wenn sie eine revolutionäre Politik dem ganzen damaligen Staatensystem gegenüber betrieben hätte. Daß hierzu ihre geistige Kraft nicht ausreichte, sahen wir bei der Betrachtung ihrer Verfassungsentwürfe. Die Zersplitterung in die verschiedenen Richtungen religiöser und politischer Natur ist nur der Ausdruck des Unvermögens, eine gemeinsame Plattform für die Durchsetzung ihrer sozialen Ziele zu finden. Die Zeiten, da die Bauernaufstände Fürsten und Adel in Schrecken gesetzt hatten, waren vorbei; die Zeiten, wo die städtischen Massen zu einem selbständigen Eingreifen in die inneren Verhältnisse berufen sein sollten, noch nicht gekommen.268) Man kann nicht sagen, daß eine levellerische Politik überhaupt undenkbar gewesen wäre; aber sie hätte eine Vereinigung der gesamten Kraft in Richtung auf die Durchsetzung der sozialen Forderungen vorausgesetzt — eine Bedingung, die nun einmal nicht gegeben war. Bei dieser Sachlage spielt sich die Außenpolitik Englands in der Folgezeit durchaus oberhalb der demokratischen Tendenzen, in der Sphäre der herrschenden Mächte ab. Die Republik, deren Feindschaft gegen die Presbyterianer nach deren Besiegung in einer sofortigen Änderung der äußeren Politik zum Ausdruck kommt, lehnt sich an Spanien an. 269 ) Frankreich und die Generalstaaten sind die beiden Mächte, die von nun an die Interventionsbestrebungen gegen England befördern. Unter dieser Konstellation erfolgt die Eroberung Irlands und Schottlands durch Cromwell und die Armee. Indem dadurch die Einheit Englands hergestellt wird, werden nicht nur die Presbyterianer endgültig besiegt — sie stehen von nun an als Reaktions- und Oppositionspartei Seite an Seite mit den Royalisten —, sondern auch den demokratischen Tendenzen wird weiterer Boden entzogen. Denn die Vereinigung und Zentralisierung der ehemaligen Königreiche war natürlich auch eine demokratische Forderung. Die independentistisch-republikanische Partei ist es, die den Krieg mit den Niederlanden (1652—54) beginnt. Dieser Krieg ist die logische Folge der Veränderung der Parteiverhältnisse in England. In den Niederlanden standen sich — ähnlich wie in England — zwei Parteien gegenüber: die Gomaristen — die Vertreter des städtischen Bürgertums und Anhänger des Hauses Oranien — und die Arminianer — die zahlenmäßig geringere Partei der Amsterdamer Handelsherren und der Rentneroligarchie.

— 138 — Historisch hatten sich diese Parteien ähnlich wie die entsprechenden Parteien in England entwickelt, mit dem Unterschiede jedoch, daß in den Niederlanden die Parteientwicklung sich bereits vollzogen hatte, als in England der Ausbruch der Revolution den Anstoß zu dieser Entwicklung gab. Dem entsprach es, wenn die englischen Prebyterianer ihre Stütze —• wie in Frankreich in dem Königtum und den Hugenotten — so in den Generalstaaten in dem Statthalter und den Gomaristen suchten und den freihändlerischen Tendenzen der Amsterdamer Handelsherren feindlich gegenüberstanden. Die Interventionsbestrebungen der Generalstaaten zugunsten einer Wiederherstellung der englischen Monarchie auf presbyterianischer Grundlage gehen daher von dem Statthalter Wilhelm II. und seiner Partei aus, während die Amsterdamer Kaufleute eine solche Politik nicht befürworten. Auf dieser Grundlage hatte das Verhältnis beider Mächte bis zur endgültigen Besiegung der Presbyterianer beruht. Nach derselben tritt mit dem Hervortreten des Republikanismus in England eine Änderung der Beziehungen ein. Entsprechend ihren freihändlerischen Tendenzen eröffnen die Republikaner zunächst den Handelskrieg mit den Niederlanden, indem sie den exklusiven Handel mit Tuchen aufgeben und damit das Privileg der merchant adventurers beseitigen. Wir erinnern uns aus dem Eingangskapitel, welche Bedeutung das faktische Ausfuhrmonopol der letzteren für die wirtschaftliche Lage beider Länder hatte. Die Freigabe des Handels brachte dementsprechend eine sofortige Änderung auch der politischen Beziehungen hervor. Die Generalstaaten setzen edles daran, die Presbyterianer in ihrem Kampf gegen die Republikaner zu unterstützen und diese durch Interventionsversuche zu stürzen. Ihr Ziel ist, durch Wiederherstellung der Macht der Presbyterianer die englische Tuchausfuhr wieder auf den Markt von Rotterdam zu konzentrieren und ihre eigene Tuchindustrie vor der englischen Konkurrenz zu bewahren. Der Entschluß der englischen Regierung, diesen Kampf aufzunehmen und bis zur völligen Auflösung des holländischen Staatsverbandes zu führen, beweist die ungeheure Energie, die in den Kreisen der diese Politik unterstützenden Freihändler und Tuchfabrikanten lebendig war. Auf ihren Einfluß ist auch die Maßnahme zurückzuführen, die recht eigentlich gegen die Niederlande und deren Frachtenmonopol gerichtet ist: die N a v i g a t i o n s a k t e . Die Niederlande waren damals die erste Handelsmacht der Welt. Ihre Frachtraten waren billiger als die der Engländer, was zur Folge hatte, daß nicht nur der Handel mit den Ostseestaaten, mit Afrika, Ostindien und dem Mittelmeer, sondern auch

— 139 — der Frachtverkehr zwischen England und seinen amerikanischen Kolonien zum beträchtlichen Teil mit holländischen Schiffen betrieben wurde. Eine andere Quelle des Reichtums Hollands war die Heringsfischerei, die die Schiffe der holländischen Fischerflotte häufig bis in die englischen Küstengewässer führte. Nun war es ein alter englischer Rechtsgrundsatz, daß die Souveränität des englischen Staates sich auf die britischen Küstengewässer mit erstreckte. 270 ) Dieser Grundsatz war lange Zeit außer acht gelassen worden; er wurde jetzt von neuem geltend gemacht, um die Ansprüche Englands auf die Heringsfischerei in den englischen Küstengewässern zu rechtfertigen.271) Daneben wurde das Frachtenmonopol der holländischen Reeder durch die Bestimmungen der Navigationsakte angegriffen, nach denen der Import aus überseeischen Ländern nur in englischen, derjenige aus europäischen Staaten sowohl in englischen wie in Schiffen des Ursprungslandes erfolgen durfte, das holländische Frachtgeschäft also, soweit England und seine Kolonien in Frage kamen, praktisch lahmgelegt wurde.272) Alle diese Gegensätze führten zum Kriege zwischen den beiden Seemächten. Was ist nun der Grund dafür, daß gerade unter der Herrschaft der Republik und nach dem Sturz des Königtums diese Politik der maritimen Aggressivität mit solcher Energie aufgenommen und durchgeführt werden konnte ? Wirtschaftliche und politische Momente kommen hier zusammen. Der Zurückwerfung der Presbyterianer im Innern entspricht die Beseitigimg des Ausfuhrmonopols der merchant adventurers und dementsprechend die Freigabe des Handels nach Holland.273) Dadurch gewinnt die Republik die Freundschaft Amsterdams, dessen Handelskreise den freien Handel begünstigen und an der Aufhebung des Tuchstapelplatzes in Rotterdam interessiert sind. Amsterdam beteiligt sich daher nur widerwillig an dem Kriege und macht seinen Einfluß auf baldige Beendigung desselben geltend. Der für die Generalstaaten ungünstige Verlauf des Krieges ist zum guten Teil auf die widerstrebende Haltung der größten niederländischen Handelsstadt zurückzuführen. Dagegen müssen die holländischen Tuchfabrikanten Befürworter des Krieges gewesen sein. Denn sie hatten an der Aufrechterhaltung des Monopols der englischen merchant adventurers ein Interesse und mußten die von der englischen Republik begünstigte Politik der freien Aus- und Einfuhr englischer Tuche bekämpfen. Vergleichen wir hiermit die Tatsache, daß die Partei der Intervention und des Krieges in der Tat die Statthalterpartei war, in der die handwerklichen und industriellen Elemente vertreten waren, so wird uns die enge

— 140 — Verflechtung der ökonomischen und politischen Interessen jener Zeit klarer. E s wird auch klar, warum die englische Republik die Presbyterianer unterdrücken und sich auf die Kreise der „interlopers" 274 ) stützen mußte: weil diese die Träger der antimonopolistischen und freiheitlichen Ideen waren und, wie sie das religiöse Monopol der presbyterianischen Staatskirche bekämpften, so auch auf politischem und ökonomischem Gebiet für freie Betätigung der Persönlichkeit eintreten. Die hierdurch freiwerdenden Energien sind so gewaltig, daß nicht nur in kurzer Zeit die Flotte vollständig neu organisiert wird, sondern auch der Gedanke einer völligen Verschmelzung der Generalstaaten mit dem englischen Commonwealth in den Kreis der politischen Ziele gezogen wird; gerade die Ablehnung dahin abzielender Bündnisangebote führt zum Ausbruch des englisch-niederländischen Krieges. E s ist höchst interessant festzustellen, daß diese Politik des Freihandels, die für die neu entstandene Republik so charakteristisch ist, Halt macht vor derjenigen Monopolgesellschaft, die das exklusivste und reaktionärste Element unter den großen Handelskompanien der damaligen Zeit darstellt: der Ostindischen Kompanie. In der Tat ist der Handel nach Ostindien bis zum Jahre 1653 Monopol dieser Gesellschaft geblieben, und erst C r o m w e l l hat den Handel nach Asien freigegeben. 275 ) Dieser anscheinende Widerspruch in der Politik des Staatsrats der Republik wird dadurch erklärt, daß die Manufaktur und der Exporthandel kein Interesse an dem Handel mit Indien hatten, da weder Tuche noch andere Erzeugnisse dorthin ausgeführt wurden und somit die Interloper ein geringeres Interesse an der Aufhebung der Kompanie hatten. Zugleich aber war die Ostindische Kompanie seit jeher die schärfste Rivalin ihrer holländischen Konkurrenzgesellschaft gewesen, die ihr durch Umfang des Transports und insbesondere durch ihre Besitzungen auf den Gewürzinseln überlegen war. Dem Interesse der Ostindischen Kompanie entsprach also der Krieg mit den Generalstaaten vollkommen, und wir dürfen wohl annehmen, daß die Hauptbeteiligten an der Gesellschaft einen erheblichen Einfluß auf die Entschlüsse des Staatsrats hatten, und daß sowohl die Navigationsakte wie auch der Ausbruch der Feindseligkeit mit auf diesen Einfluß zurückzuführen sind.276) Dieses so unnatürlich erscheinende Bündnis zwischen der königsmörderischen Republik und der reaktionärsten Monopolgesellschaft hat sein Gegenstück in der engen Freundschaft, welche dieselbe Republik mit der reaktionärsten der europäischen Monarchien, der spanischen, verband. Dieses Königreich ist interessanterweise die erste Macht, welche

— 141 — die neue Republik offiziell anerkennt. Auch dies ist ganz erklärlich, insofern Spanien von der Durchführung der Navigationsakte nicht betroffen wurde, weil es nach dem Abfall Portugals in Ostindien keine Interessen zu verteidigen hatte. Die westindischen Besitzungen Spaniens lagen aber nicht im Bereiche der Zielsetzung der englischen Republik. So verschiedenartig die beiderseitigen politischen und Wirtschaftssysteme sein mochten, so führten sie doch eben deswegen zu keinem Konflikt, weil sich die Interessensphären beider Staaten nicht berührten. — E s gehört zu den interessantesten und zugleich am schwersten verständlichen Momenten in der Geschichte der englischen Revolution, daß der Staatsstreich C r o m w e l l s gerade in einem Augenblick erfolgt, in dem die Republik im siegreichen Vordringen begriffen ist. E s ist nicht etwa Erfolglosigkeit in der Kriegführung, die zum Sturz der republikanischen Regierung führte. Im Gegenteil, gerade im Februar 1 6 5 3 hatten die englischen Kriegsschiffe unter B l a k e in der Seeschlacht von P o r t l a n d den Sieg über die Flotte des Admirals v a n T r o m p davongetragen. E s ist auch nicht erkennbar, inwiefern die Fortsetzung des Krieges, die aller Wahrscheinlichkeit nach zur vollständigen Niederwerfung der Vereinigten Provinzen geführt hätte, sich ungünstig auf die außenpolitische Stellung Englands hätte auswirken sollen. Sie hätte mit der Vernichtung der holländischen Seemacht das Übergewicht Englands dermaßen befestigt, daß es wohl auch einer Kombination Frankreich—Spanien, die dann wahrscheinlich geworden wäre, hätte widerstehen können. Aber gerade darin lag die innenpolitische Gefahr für alle diejenigen, die — wie C r o m w e l l und seine Offiziere — auf Grund der Revolution und des Kampfes gegen die alten Parteien sich erhoben hatten. Denn wenn sich die nunmehr zur Macht gelangte neue Kapitalistenklasse — denn als solche müssen wir die Freihändler doch bezeichnen — anfing mit den alten Parteien zu versöhnen und ihre ursprünglichen Gegensätze auszugleichen, so war damit auch die Stellung der Armee bzw. der von ihr repräsentierten mittleren und kleinen Landbesitzer, und damit die Stellung C r o m w e l l s selbst bedroht.277) C r o m w e l l war nach wie vor abhängig von seinen Offizieren; versagten sich diese ihm, so bestand die Gefahr einer Spaltung und der Abwanderung großer Teile der Soldaten in das royalistische Lager. In einem Konflikt mit dem Parlament mußte daher C r o m w e l l stets auf der Seite der Armee bleiben und sich gegen die Politik der Parlamentarier wenden.

— 142 — Wir sind über den Strukturwandel, der sich in jenen ersten Jahren nach der Hinrichtung des Königs in der ökonomischen Gestaltung Englands vollzieht, mangels einer speziellen Untersuchung dieses Gegenstandes nicht unterrichtet. Doch läßt der Umstand, daß das Parlament in den 4 Jahren 1649—1653 eine Gesetzgebung im Sinne der sozialen Forderungen nicht gezeitigt hat, darauf schließen, daß eine immer stärker werdende Solidarität der Interessen aller Handelskreise den allgemeinen Unwillen der kleinen wirtschaftlichen Elemente in Land und Stadt hervorruft. Anders ist weder das Bestreben des Parlaments, seine Legislaturperiode zu verewigen, noch der wachsende Unwille der mittleren Kreise der Bevölkerung zu erklären. Für die agrarischen Verhältnisse ist dies ohne weiteres ersichtlich; die Landwirtschaft hatte an der Entwicklung des Handels kein Interesse. Aber auch die Handwerker und kleinen Kaufleute scheinen von der Republik nicht das erhalten zu haben, was sie von ihr erhofft hatten. Jedenfalls führen die Dinge dahin, daß C r o m w e l l unter dem Einfluß der immer unruhiger werdenden Kreise seiner Offiziere und ihres Anhangs in der Bevölkerung sich entschließt, das Parlament, das 1 3 Jahre hindurch getagt und 10 Jahre lang das Land regiert hatte, aufzulösen. — Man sieht gewöhnlich die Auflösung des Langen Parlaments durch C r o m w e l l als einen persönlichen Akt des letzteren an, der nicht nur seiner eigenen Initiative entsprungen, sondern auch in dieser Einmaligkeit und großen Bedeutung das Produkt seiner freien Willensentschließung gewesen sei. Man wird jedoch nicht vergessen dürfen, daß C r o m w e l l unter den gegebenen Verhältnissen nicht anders handeln konnte, wenn er nicht seine eigene Existenz aufs Spiel setzen wollte. Seine Genialität besteht darin, daß er den Augenblick, der für die Situation entscheidend war, erkannte und — im Gegensatz zu seinen Offizieren, mit deren Schicksal das seinige verbunden w a r — nicht zögerte, ihn zu nutzen. E s ist der Augenblick, in dem der Speaker die Frage stellt, ob die Bill, die das Fortbestehen des Langen Parlaments ausspricht, angenommen werden soll. „This is the time" flüstert C r o m w e l l seinem von der Bedeutung des Augenblicks überwältigten Nachbarn H a r r i s o n ins Ohr, „ I must do it." Die Vorgänge bei der Auflösung des Parlaments sind bekannt: wie C r o m w e l l die Versammelten der Korruption anklagt, sie des Strebens nach tyrannischer Gewalt beschuldigt, einzelne von ihnen Hurenfreunde und Trunkenbolde nennt, wie er den Speaker gewaltsam von seinem Stuhl entfernen läßt und die „mace", das höchste Symbol

— 143 — der parlamentarischen Autorität, als Spielzeug bezeichnet. Vor der einrückenden Soldatenabteilung weichen die Mitglieder, wenn auch nicht ohne Protest, zurück. A m 20. April 1653 ist die Herrschaft des englischen Parlaments beendigt, die militärische Diktatur ist errichtet. — Die Grundlage zu dieser militärischen Diktatur war bereits im Frühjahr 1647 gelegt worden, damals, als die Armee den Vormarsch gegen die Hauptstadt antrat, der zur ersten Besetzung Londons führte. Wir sahen, wie das erste Verfassungsprojekt der Armee, die „Heads of the Propsals", der Ausdruck dieses Diktaturgedankens war, und wie auch im Winter 1648/49 dieselbe Idee politisch wirksam wird, ohne freilich zu einer Verwirklichung der geplanten Militärherrschaft zu führen. Der Stoß, der damals von der independentistischen Minderheit des Parlaments aufgefangen worden war, wird jetzt ausgeführt. Allerdings waren die Bedingungen für die Durchführung des Planes jetzt andere wie damals. Im Sommer 1647 hatten die hohen Offiziere noch hoffen können, die Verfassung des Landes auf Grund eines Ausgleichs zwischen einem beschränkten Königtum und dem Parlament und im Gegensatz zu den »volksdemokratischen Tendenzen innerhalb und außerhalb der Armee durchführen zu können. Dieser Weg hatte sich als ungangbar erwiesen; weder die Monarchie noch das Parlament hatten diese Lösung angenommen, und beide hatten ihre Weigerung mit schwerem Verlust büßen müssen. Trotz dieser Verluste und trotz der ursprünglichen Feindschaft zwischen ihnen war das zusammenstrebende Element in beiden so stark, daß, nachdem die außenpolitische Situation sich geändert hatte und die Gefahr des Zusammenschlusses von Presbyterianern und Royalisten verringert war, der Plan einer Wiederherstellung der alten Parlamentsmacht und die Gefahr der Wiedereinführung der alten Monarchie auftauchen und in drohende Nähe rücken konnte.278) Hiergegen mußte die Armee, wollte sie nicht ihre alsbaldige Auflösung riskieren, vorgehen. Denn noch immer stellte sie, trotz der Unterdrückung der demokratischen Bewegung, ein revolutionäres Element in der Kombination der damaligen Machtfaktoren des englischen Staats dar. Ihre Offiziere gehörten in den unteren Rängen zum großen Teil denjenigen Mittelklassen an, die an der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Zeit nicht teilgenommen hatten und von der Revolution die Belohnung für ihre Dienste noch erwarteten. Wir sahen bereits, daß sie sich sowohl aus den Vertretern des mittleren ländlichen Grundbesitzes, der in einem alten und durch die Entwicklung der Agrarverhältnisse nicht beseitigten Gegensatz zum

— 144 — Großgrundbesitz stand, als auch aus Angehörigen der städtischen handwerklichen Kreise zusammensetzten, die durch die Ausdehnung der Monopolgesellschaften wie auch vor allem durch die Erstarkung des Handels und den Zustrom von Handelskapital namentlich nach London mit dem wirtschaftlichen Ruin bedroht waren. In diesen Kreisen lebte der alte Sektengeist noch fort, der den mächtig gewordenen Independenten längst abhanden gekommen war. In den freien Kongregationen, in denen die religiösen Ideen eine lebendige und echte Bedeutung behalten hatten, fanden die Offiziere, wie H a r r i s o n , eine willige Zuhörerschaft. Ihre Trennung von der Leveller-Bewegung — die „Saints" sahen auf die Leveller als „Carnal multitude" herab 279 ) — hatte sie zwar der damaligen demokratischen Idee entfremdet; sie stellen insofern eine reaktionäre Richtung innerhalb der unteren Bevölkerungsklassen jener Zeit dar. Aber das Bewußtsein, die Auserwählten Gottes zu sein, denen die Macht in die Hand gegeben sei, damit sie im Sinne der Wiederaufrichtung des Reiches Christi gebraucht werde 280 ), bewirkte doch, daß ein gewisses religiösrevolutionäres Element in diesen Kreisen lebendig blieb, die, weil sie im Besitze des Machtmittels der Armee waren, noch einen politischen bedeutenden Faktor darstellten. Doch waren nicht alle Offiziere von diesem Geiste besessen. Eine unter dem Einfluß von L a m b e r t stehende Partei vertrat eine gemäßigtere Richtung und stimmte mit dem C r o m w e l l s c h e n Gedanken einer Neuwahl des Parlaments überein. Beide Richtungen, obwohl in der Frage der Fortsetzung des eingeschlagenen Weges getrennt, trafen sich doch in dem Gedanken, daß die Armee der Träger der Macht sein müsse. Aus diesem Gedanken heraus wird am 29. April 1653 ein Council of State eingesetzt, dem die Fortführung der Staatsgeschäfte übertragen wird und der aus 7 Militärs und 3 Zivilisten besteht. Dieser Staatsrat verkörpert in seiner Zusammensetzung die Idee der militärischen Diktatur. E r erinnert an den alten Staatsrat nur insofern, als er denjenigen Flügel des letzteren darstellt, der schon damals die Vorherrschaft der Armee den Republikanern gegenüber vertrat. Und er ist nur die Folie für den Mann, der nun auch nach außen anfängt als der Führer und Gesetzgeber seines Volkes aufzutreten. A m 6. Juni beruft C r o m w e l l in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber aller Streitkräfte des Commonwealth eine Versammlung von „Persons, fearing God, and of approved fidelity and Honesty" ein, die sich am 4. Juli 1653 in Westminster versammelt. 281 ) Sie gibt sich alsbald nach Beginn ihrer Sitzungen selbst die Bezeichnung eines Parlaments. E s ist das Kleine, auch mit

— 145 — dem Namen eines seiner Mitglieder Barebone 2 8 2 ) benannte Parlament, eine Vertretung der den Offizieren der Armee nach Herkunft und Bekenntnis nahestehenden Kreise des Kleinbürgerund -bauerntums, in denen sich republikanische Gesinnung mit sektiererischem Geist mischte. Diese Versammlung der „Heiligen" hatte mit dem alten englischen Parlament nichts zu tun, als dessen Darstellung sich sogar der Rest des Langen Parlaments noch gefühlt hatte. Sie ist in Wahrheit ein Versuch der Offiziere, insbesondere der mittleren und unteren Ränge derselben, ihre faktische Macht gegenüber den herrschenden Kreisen der Grundbesitzer, Juristen, Geistlichen und Kaufleute durchzusetzen und ihr ein gesetzmäßiges Aussehen zu verleihen. Sie ist weniger ein gesetzgebender Körper mit einer der Exekutive gegenüber begrenzten Kompetenz, als ein Ausdruck der integrierenden Funktion des in dem Träger der faktischen Gewalt verkörperten Willens, nicht so sehr eine legislative Körperschaft als eine beschließende Behörde mit kollegialer Organisation. Als solche hat das Kleine Parlament nicht gezögert, diejenigen Aufgaben in Angriff zu nehmen, die von der Schicht des Kleinbürgertums als eine allgemeine Forderung angesehen wurden. Gestützt und angetrieben durch zahlreiche Petitionen der ihr nahestehenden Bevölkerungskreise gehen sie zunächst daran, eine Reform der Besoldung der Geistlichen und der bestehenden Gesetze zu beraten und eine Untersuchung der staatlichen Finanzen anzuordnen, um jeden, der Geld vom Staatsschatz erhalten hätte, zur Rechenschaft zu ziehen. Auf allen drei Gebieten entfalten sie eine umfassende Tätigkeit, die sich vor allem in den Kommissionen abspielt, von denen sie eine große Anzahl ernennen.283) Geschichtlich interessant ist vor allem das Unternehmen einer Reform der bestehenden Zivilgesetzgebung und des Prozeßverfahrens. Daß die Mißstände auf dem Gebiete der Rechtsprechimg unerträglich geworden waren, geht aus den immer wieder erhobenen Forderungen nach ihrer Beseitigung hervor.284) Unter den „acts", die das Parlament auf diesem Gebiet herausgab, ist von besonders großer Bedeutung die vom 24. 8.1653, durch welche die Zivilehe eingeführt und die Errichtung von Standesamtsregistern vorgesehen wird. Eine Tat, durch die das Kleine Parlament seiner Zeit weit vorausschritt und eine für damalige Verhältnisse äußerst radikale Gesinnung bewies. Die übrigen Gesetze und Gesetzesentwürfe zeigen eine entsprechende Tendenz; sie beziehen sich auf Erleichterung der Schuldhaft, die häufig zur lebenslänglichen Einkerkerung wegen geringer Schuldsummen führte, auf die Verhinderung von Prozeßverschleppung durch Beiheft d. H. Z. 28.

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— 146 — böswillige Schuldner, auf die Einführung geordneter Vormundschaftsverhältnisse für Geisteskranke u. ä. Das größte und einschneidendste Projekt aber ist der Plan einer Kodifikation des gesamten Rechts, „by means of which the great volumes of the law would come to be reduced to the bigness of a pocketbook" (!).286) Alles Gedanken, die in späteren Zeiten wieder aufgenommen und heute als selbstverständliche Ergebnisse der modernen Rechtsentwicklung angesehen werden. Damals wirkten sie so revolutionierend auf die herrschenden Schichten und insbesondere die an der Aufrechterhaltung der bestehenden Zustände interessierte Juristenwelt, daß sie den Widerstand der gesamten oberen Kreise der Bevölkerung hervorriefen. Der Haß dieser Kreise gegen das Kleine Parlament, der in der Beurteilung desselben durch die spätere Geschichtsschreibung einen bezeichnenden Ausdruck findet286), ist auf diese, die Lebensinteressen derselben berührende Reformtätigkeit zurückzuführen. Gleich bedeutend sind die Reformen auf dem Gebiete des Finanzwesens, wo ein modernes System der Verrechnung eingeführt wird — die Restauration zögert nicht, auch diese segensreiche Einrichtung aufzuheben und das alte verwickelte Verrechnungssystem wieder einzuführen —, sowie die Beratungen über die Kirchenfragen, die an die Frage der Bezahlung der Geistlichen anknüpfen. Seit langem waren die „Tithes" ein Gegenstand der Beschwerde der Landbesitzer gewesen, die hierin eine unberechtigte und drückende Abgabe zugunsten einer Institution erbückten, die häufig genug nicht nur den materiellen Vorteil für sich in Anspruch nahm, sondern auch noch die Freiheit des religiösen Bekenntnisses der Abgabepflichtigen bestritt und unterdrückte. Die Abgabe traf vor allem die kleinen und mittleren Besitzer, die durch die schwere wirtschaftliche Lage schon an sich die am wenigsten tragfähigen Schultern hatte. Hier nun, gelegentlich der Beratungen über die Tithes, kommt es zum Bruch zwischen den beiden Parteien, die sich nach der Auflösung des Langen Parlaments in der Armee gebildet hatten und die sich auch im Kleinen Parlament gegenüber standen: der von der gemäßigten Partei eingebrachte Gesetzesentwurf wird durch die Fraktion Harrisonszu Fall gebracht. Nach einer Rücksprache mit Cromwell bringt die ihm nahestehende Partei Lamberts und des Speakers Rous die Selbstauflösung der Verhandlung dadurch zustande, daß sie sich früher als sonst üblich versammeln und vor dem Erscheinen derOpposition beschließen,dem Lord-General ihre Vollmachten zurückzureichen. Ein Akt der von den später Erschienenen nicht rückgängig gemacht werden kann und so trotz seiner Ungesetzlichkeit einen endgültigen Zustand schafft.

— 147 — Fragen wir nach den Ursachen, die zu diesem Zusammenbruch eines in vollster Tätigkeit befindlichen politischen Körpers führten, so werden wir auf den inneren Gegensatz geführt, der trotz der äußerlichen Übereinstimmung zwischen den Mitgliedern des Kleinen Parlaments herrschte. Bezeichnend ist die Bemerkung eines seiner Mitglieder bei dem Vorgang der Auflösung, daß die radikale Partei Harrisons die Grundlagen der Republik bedrohe, indem sie die Gesetze und das „Privateigentum" abschaffen wolle.287) Das ist in der Tat die Stelle, an der sich die Geister scheiden: in dem Augenblick, wo die radikalen Tendenzen drohen Wirklichkeit zu werden, erhebt sich der Widerstand aller ihnen entgegengesetzten Kreise in voller Stärke. Wir hatten bereits öfter Gelegenheit darauf hinzuweisen, wie die sich bekämpfenden Parteien sich zusammenschließen, sobald sie von einem ihnen feindlichen dritten Interesse bedroht werden. Es ist dies das retardierende Moment, das im Verlauf jeder revolutionären Bewegung hervortritt und dem vorwärtstreibenden Moment der Spaltung die Tendenz zur Konsolidation entgegensetzt. Dieses retardierende Moment pflegt um so stärker zu werden, je mehr sich die auflösenden Tendenzen den Fundamenten der bestehenden Rechts- und Sozialordnung nähern. Diese anzugreifen, nicht nur durch Reform der positiven Gesetzgebung — damit hätte sich das englische Bürgertum vielleicht abgefunden —, sondern auch durch Beseitigung der kirchlichen Institutionen, die die religiösen Grundlagen der bestehenden Ordnung zu erhalten hatten — das hieß der englischen Gesellschaft den Boden nehmen, auf dem sie seit jeher beruht hatte. Aus der Versammlung, die zur Abstellung der vorhandenen Mißstände berufen worden war, selbst regte sich der Widerspruch gegen eine derartige Auslegung ihrer Aufgaben. Der Abgrund, der die anarchischen Elemente der unteren Klassen verbarg, durfte nicht geöffnet werden. Ein bedeutsamer Abschnitt in der Entwicklung der englischen Revolution ist mit dieser Unterdrückung der religiösradikalen Bewegung erreicht. War diese doch nach der Niederwerfung der Leveller die radikalste Gruppe unter den sich damals bildenden Parteien. Es ist interessant, daß die „Heiligen" erst nach der Schlacht bei Worcester (1651) anfangen, eine politisch bedeutende Rolle in und außerhalb der Armee zu spielen.288) In einem Zeitraum also, der nach der endgültigen Unterdrückung der demokratischen Bewegung und nach der Niederwerfung der presbyterianischen Opposition liegt, und in dem die Möglichkeit eines Zusammengehens der Reaktionsparteien mit dem rechten 10»

— 148 — Flügel der Independenten auf der Grundlage eines neuen Gleichgewichts der Kräfte zum erstenmal am Horizont auftaucht. Die Mitglieder dieser Versammlungen setzen sich aus den Offizieren der unteren Ränge, ehemaligen Levellern — auch solchen, die für die Durchsetzung des „Agreement" gewirkt hatten — und den Kreisen des bürgerlichen Mittelstandes zusammen; sie finden Sympathien auch in den Kreisen des linken Flügels der Republikaner (z. B. bei Ludlow 2 8 9 ). In religiöser Hinsicht sind sie Baptisten oder Männer der Fünften Monarchie —beide Richtungen sind bei ihnen vielfach miteinander verschmolzen und doktrinell wenig unterschieden —, ihre Stütze in der Heiligen Schrift ist vor allem das 7. Buch Daniel.290) Mit dem Glauben an eine Erneuerung des Gottesreichs verbinden sie die Hoffnung auf eine Besserung der Zustände auf dieser Welt. Die Auflösung des Langen Parlaments und die Einberufung der neuen Versammlung ist unter diesen Umständen der Anlaß zu weitreichenden Plänen und Anträgen. Doch schon bald bemerken sie, daß der Sinn Cromwells und seiner Partei keineswegs auf Durchführung aller der von ihnen erstrebten Reformen gerichtet ist. Wie der Widerstand, den sie der Majorität der Gemäßigten leisten, zur Auflösung der Versammlung führte, sahen wir bereits. Diese Handlung schafft nicht nur die Grundlage für die Errichtung des Protektorats, d.h. der persönlichen Diktatur Cromwells, sondern sie bedeutet auch die gewaltsame Unterdrückung der Bewegung selbst. Diese spaltet sich in zwei Teile; die einen glauben in Cromwell das „instrument" zu erkennen, das die freie Kirche Christi unterstützen und von dieser selbst wieder geschützt werden soll, die anderen verharren in ihrer Ablehnung und Verurteilung des Protektorats und der neuen Formen der Regierung. Die Führer der letzteren wurden, soweit sie gefährlich erscheinen, verhaftet. Die Bewegung ist damit jedoch keineswegs unterdrückt, sondern lebt unter der Decke fort und macht sich auch weiterhin innerhalb der Armee und außerhalb derselben durch soziale Erhebungen bemerkbar; die Kongregationen fahren fort, neben der Staatskirche gottesdienstliche Handlungen vorzunehmen. Auch die ständige Unterdrückung durch die Regierung vermag diesen Geist der Opposition nicht zu vernichten; sie bringt vielmehr die Radikaleren auf Pläne, die eine praktischere Beurteilung ihrer Position erkennen lassen. Sie verbinden sich mit den früher von ihnen zurückgewiesenen und — während des Kleinen Parlaments — sogar verfolgten Levellern.291) Wenn auch solche verspäteten und infolge ihrer Zersplitterung hoffnungslosen Versuche die Macht der Regierung nicht ernsthaft erschüttern

— 149 — konnten, so stellten sie doch ein Element in der Diktaturperiode dar, das durch seine destruktive Tendenz den Charakter und die Maßnahmen der Protektoratsregierung wesentlich bestimmte. Daß Cromwell dieser Bewegung feindlich gegenüberstehen mußte, geht aus seiner allgemeinen Stellung im Rahmen des damaligen Parteiwesens hervor. Zwar hatte er selbst der drohenden Koalition zwischen seinen früheren Feinden und seinen Freunden entgegentreten müssen; um sich und seine Stellung zu erhalten, hatte er das Lange Parlament aufgelöst. Aber diese Handlung bedeutete keineswegs die Übereinstimmung mit den Plänen der radikal-religiösen Elemente. Schon seit W o r c e s t e r , d. h. also seit dem Augenblick, in dem die faktische Einheit des Landes hergestellt und die Gefahr einer presbyterianischen Regierung beseitigt ist, wendet sich Cromwell — wie uns sein ehemaliger Kamerad und späterer erbitterter Gegner Ludiow in einer trotz seiner Gegnerschaft glaubwürdigen Weise berichtet 292 ) — von seinen früheren Freunden ab und sucht Verbindung mit seinen Gegnern. Schon damals soll er daran gedacht haben, sich zum König zu machen. Das Amnestiegesetz, das zugunsten der Royalisten damals erlassen wird, ist auf diese Wendung in seiner Politik zurückzuführen. Wenn auch die unversöhnliche Haltung der reaktionären Parteien ein Zusammengehen mit ihnen in der Folgezeit unmöglich und Unterdrückungsmaßnahmen erforderlich macht, so bleibt doch die Position Cromwells unverändert; die Feindschaft beider Teile hindert nicht, daß sie im Interesse der Aufrechterhaltung des gemeinsamen Fundaments zusammenarbeiten. Und wenn Cromwell schließlich auch dem republikanischen Parlament ein Ende bereitete, so war auch dieser Akt im Grunde im Interesse der Besiegten selbst. Denn starkem Zweifel muß es unterliegen, ob ein von den Royalisten auf der einen, von einer in Gärung befindlichen Bevölkerung auf der anderen Seite bedrängtes, zu irgendwelchen Reformen unfähiges Gremium von etwa 100 Mitgliedern, das seine Legitimation auf veraltete Delegierung und auf die Macht der Armee gründete, imstande gewesen wäre, die Errungenschaften der Revolution zu behaupten. Der persönliche Anspruch, den Cromwell in dem Augenblick geltend machte, wo seiner eigenen Laufbahn ein Ziel gesetzt werden sollte, entspricht gleichsam einer geschichtlichen Notwendigkeit. Wenn er dem Drängen der radikal-religiösen Kreise nachgab, so geschah dies nicht im Interesse der letzteren, sondern derjenigen, gegen die sich jene wandten: der Juristen, Geistlichen und großen Kaufleute der City. 298 ) Diese sind es, die, obwohl politisch und religiös untereinander verfeindet, doch in ihrer

— 150 — Gesamtheit die Träger der lebenswichtigen Interessen der Nation sind und es immer mehr werden. Ihr gemeinsames Interesse besteht außerhalb der kirchlichen und politischen Parteiung; trotzdem oder vielleicht gerade darum ist es besonders stark entwickelt und wird aufs lebhafteste empfunden. Wenn man eine paradoxe Ausdrucksform wählen wollte, die aber der tatsächlichen Lage und dem Gange der Entwicklung entspricht, könnte man sagen, daß Crom well, wie er das Königtum beseitigte, um die Monarchie zu erhalten, das Parlament auflöste, um den Parlamentarismus zu retten. Beide Male waren die Grundlagen der damaligen Gesellschaft durch radikale Strömungen in Frage gestellt worden; beide Male hatte es sich als notwendig herausgestellt, die Träger der überlieferten Institutionen zu opfern, um diese selbst zu erhalten. Beide Male waren diejenigen, die dieses Opfer Vinter Verzicht auf die gewaltsame Durchsetzung ihrer Ziele annahmen, um den Erfolg ihrer Mühen betrogen und zur Unterwerfung verurteilt worden. Daß Cromwell dies gelungen, ist ihm von allen Schriftstellern bis auf den heutigen Tag als sein größtes Verdienst angerechnet worden; es hat die Einsichtsvolleren unter ihnen sogar mit seinen Gewaltakten selbst versöhnt. Aber wenn Cromwell somit die herrschenden Schichten durch seine Diktatur neu stabilierte, so geschah dies doch auf einer Grundlage, die von der des alten England mit seinen feudalen Institutionen weit verschieden war. Auch das Königtum der Stuarts hatte die „corrupt interests" der Juristen und Geistlichen begünstigt. Es hatte diese benutzt, um seine mit der Stellung des grundbesitzenden Adels eng verwachsenen Interessen gegen das aufstrebende Bürgertum der Städte zu schützen. Der Kampf, der hierüber entbrannte, hatte mit dem Sieg des letzteren und der Vernichtung des alten Feudalsystems geendigt. Dieser Sieg war nur dadurch möglich gewesen, daß das Bürgertum die Massen der Bauern und des städtischen Mittelstandes zu Hilfe rief und sich ihrer bei der Unterwerfung der Anhänger des alten Systems bediente. Indem nun das Bürgertum in der durch diesen Kampf hervorgerufenen Zersplitterung beharrte, ergab sich, sollten nicht sämtliche Errungenschaften in Frage gestellt werden, die Notwendigkeit, eine gemeinsame Plattform für die neu sich ausbildende tatsächliche Gemeinschaft der Interessen zu finden. Diese Plattform konnte nur durch Unterdrückung der absolutistischen Tendenzen der episkopalen und presbyterianischen Kirchenform geschaffen werden, in denen sich die separatistischen Neigungen der neu entstehenden Schicht ausdrückten. An der gegen diese Tendenzen gerichteten Politik der Independenten mußte daher

— 151 — auch die Diktatur Cromwells festhalten. Andererseits machte gerade diese Unterdrückung eines absoluten und die bürgerliche Sphäre ganz in ihren Umkreis einbeziehenden Staatskirchentums die Duldung der dissentierenden Kirchengemeinschaften notwendig, deren Existenz ja gerade aus der Opposition gegen das exklusive bischöfliche und presbyterianische Kirchensystem entsprungen war. Indem nun die Diktatur diese Toleranzpolitik durchführt — sofort nach der Auflösung des Kleinen Parlaments wird von Cromwell eine Ordonnanz erlassen, die eine Regelung der englischen Kirchenverhältnisse auf dieser Grundlage ins Werk setzt 294 ), — schafft sie die Möglichkeit einer Versöhnung der verschiedenen Kirchenformen unter Ausmerzung der staatsfeindlichen und Anerkennung der den Staat bejahenden Elemente. Es ist dies die Grundlage, auf der das englische Kirchensystem trotz aller Abwandlungen in der Folgezeit noch heute beruht. Zugleich ist es die Grundlage für die Ausbildung des Toleranzbegriffs in der englischen Literatur, der auch für die Gestaltung desselben auf dem Kontinent von größter Bedeutung geworden ist.296) Für eine Zeit, in der noch die: Scheiterhaufen brannten und Religionsverfolgungen keineswegs nur in den katholischen Monarchien stattfanden, bedeutete diese Entwicklung einen ungeheuren Fortschritt, und zwar nicht nur den reaktionären, sondern in gewissem Sinne auch den revolutionären Tendenzen gegenüber. Denn auch die kongregationeilen Kirchen waren nicht tolerant, sondern hätten, wenn sie gesiegt hätten, die alten Systeme beseitigt. Cromwells Diktatur schuf also ein System des Gleichgewichts zwischen den verschiedenen Kirchensystemen, indem er jedes einzelne von ihnen nur insoweit anerkannte, als es sich mit diesem Gleichgewichtssystem zufrieden gab. Er diente damit zugleich dem praktischen Interesse der neuen Schicht der bürgerlichen Gesellschaft in England, die mit der Duldung der religiösen Sekten zugleich sich des Zustroms neuer Kräfte und der Erweiterung des Arbeitsmarktes erfreuen durfte und somit durch das neue System besser unterstützt wurde als durch die alte presbyterianische Kirchenverfassung, die den Interessen des immer mehr in den Vordergrund tretenden großen Handels nicht mehr entsprach.296) Die Diktatur dient also — und das tritt, wie wir sehen werden, in den folgenden Jahren des Protektorats immer stärker hervor — der Entwicklung des sich zur Vormacht innerhalb der ökonomischen Mächte ausbildenden Großhandels und der mit diesem verbundenen Kreise der englischen bürgerlichen Gesellschaft. Das ist der eigentümliche Widerspruch bei der Aufrichtung der Diktatur Cromwells: Daß sie im Kampf mit denjenigen

— 152 — Mächten entstand, die sie zu erhalten berufen war. Die Revolution hatte die alteli Mächte in ihren Abgrund gezogen und neue, bis dahin verborgene Kräfte ans Licht gebracht. Der Verschiedenheit ihrer Klassenlage und der Entwicklung der politischen Verhältnisse entsprechend standen diese selbst wieder im Gegensatz zueinander. Dieser Gegensatz wird zwar durch den Fortgang des revolutionären Prozesses zeitweise verdeckt, er wird aber nicht beseitigt. Das gilt insbesondere von den beiden Parteien, die jetzt, nachdem die demokratischen und religiösen Bewegungen niedergeschlagen sind, die führenden werden: die soeben charakterisierte Partei des großen Handels, verkörpert insbesondere durch die Londoner City, und die militärische Partei, die in den hohen Offizieren, wie L a m b e r t und F l e e t w o o d , ihre Repräsentation hat. Beide Parteien sind nicht nur durch die ökonomischen Grundlagen, sondern auch durch die historische Entwicklung in ihren Interessen einander entgegengesetzt: Jene stützt sich auf den in voller Entwicklung begriffenen Handels- und Kapitalmarkt, diese auf ihren in den Revolutionsjahren erworbenen ländlichen Grundbesitz. Jene ist • bis zu einem gewissen Grade der Fortentwicklung der Revolution abgeneigt, die ihrem Interesse auf die Dauer abträglich sein muß, diese beruht auf der Erhaltung der durch die Revolution errungenen politischen Position. Jene stellt also bereits ein retardierendes Element in der Gesamtentwicklung dar, diese muß, wenn sie sich selbst erhalten will, den Stand der erreichten Entwicklung festhalten, bildet also trotz der reaktionären Maßnahmen gegen die vorwärtstreibenden Parteien immer noch ein Element der neuen Tendenzen, die auf der Beseitigimg der alten Zustände beruhten. Und was der hauptsächliche Unterschied in der faktischen Lage beider Parteien ist: jene ist ohne eigene Machtmittel, diese hat den hauptsächlichen Machtapparat, die Armee, in ihrer Hand. Es ist nun eine der interessantesten Erscheinungen der englischen Revolution, wie sich aus diesem Gegensatz heraus die Notwendigkeit ergibt, die Exekutive, die seit der Beseitigung des Königtums — und faktisch schon seit dem Ausbruch des Kampfes zwischen König und Parlament — mit der legislativen Gewalt verschmolzen war, wieder selbständig zu machen und auch rechtlich ein Organ für die Handhabimg der ausführenden Gewalt zu schaffen. Das Ziel des Kampfes gegen die Monarchie war die Unterwerfung der letzteren unter die Macht des Parlaments als des Trägers der Rechtsinstitutionen des Landes gewesen. Mit den von uns dargestellten Modifikationen war diese Idee im Langen Parlament lebendig gewesen; ja, auch das Kleine Paria-

— 153 — ment war der Form nach eine Darstellung der parlamentarischen Macht gegenüber den vollziehenden Organen. Die hieraus sich ergebenden Ansprüche auf Ausübung der vollziehenden Gewalt hatten in dem Bestreben des Langen Parlaments, die Armee zu beherrschen und eventuell aufzulösen, ihren rechtlichen Ausdruck gefunden. Demgegenüber stellt die Diktatur der Armee das faktische Moment in der Entwicklung dar, das freilich mit dem Fortschreiten der revolutionären Bewegung eine so überwiegende Bedeutung erlangt, daß im letzten Stadium der Parlamentsherrschaft —während des Kleinen Parlaments — die parlamentariForm nur noch die Hülle der bereits uneingeschränkten Diktatur der Armee ist. Auch diese Hülle fällt mit der Auflösimg des Parlaments der „Heiligen". Aber während früher bei den entsprechenden Vorgängen — dem Impeachment der n Parlamentarier 1647, Pride's purge 1648, Auflösung des Langen Parlaments 1653 — die faktische Macht aus ihrer rechtlich nicht faßbaren — wir würden heute sagen „metajuristischen" — Stellung nicht herausgetreten war, nimmt sie jetzt auch rechtlich eine greifbare Gestalt an. Die Diktatur tritt aus dem Stadium des Faktums in das der rechtlichen Geltung ein. Sie bekleidet sich mit Legalität. Die Armee gibt ihrem Oberhaupt, in dem sich die Traditionen des Kampfes verkörpern, auch äußerlich die Stellung eines Organs der Staatsgewalt. Sie macht Cromwell zum „Protektor" und damit zum höchsten Zivilbeamten des Staats. Was war der Sinn dieser Maßnahme, die für die Folgezeit deswegen so wichtig geworden ist, weil sie das erste Beispiel einer Trennung der vollziehenden Gewalt von der gesetzgebenden im Sinne der Verfassungen der Neuzeit ist? Mail könnte daran denken, die Ursache in dem Prinzip der Gewaltenteilung selbst zu sehen und Cromwell als den Vollzieher dieser staatsrechtlichen Theorie aufzufassen.297) Doch würde eine solche doktrinäre Anschauung den tatsächlichen Verhältnissen, unter denen die Begründung des Protektorats erfolgte, nicht gerecht werden. Cromwell dachte nicht daran, dem Prinzip der Gewaltenteilung zu Liebe sich zum Protektor zu machen und seine Macht durch die eines zu wählenden Parlaments zu beschränken. Wenn er im Einverständnis mit dem Teil seiner Offiziere, die ihm anhingen und von denen er abhing, beschloß, die faktische Diktatur der Armee in eine persönliche Diktatur zu verwandeln, so tat er dies nicht einem Prinzip zu Liebe, sondern weil die Dinge ihm keine andere Wahl ließen. Theoretisch wäre die Errichtung einer Diktatur ohne Hinzufügung eines Organs der Gesetzgebung wohl denkbar gewesen. Eben auf dieser Grundlage bildete sich

— 154 — damals die absolute Monarchie in Europa aus. Aber es bestand doch ein Unterschied zwischen den erblichen Monarchien Europas und dem Protektorat C r o m w e l l s . Jene beruhten auf dem Erbrecht und der göttlichen Legitimation und erfreuten sich der Unterstützung der alten kirchlichen Institutionen. Dieses konnte sich auf keinen der alten Rechtstitel berufen, sondern vertrat die Idee der faktischen Macht. Hierauf allein konnte aber die Diktatur, die nicht nur die reaktionären Parteien, sondern auch die Radikalen der verschiedenen Richtungen zu unterdrücken hatte, nicht gegründet werden. Wollte sie aus dem Stadium der Faktizität in das der Legalität übertreten, so mußte sie diejenigen Klassen, in denen die alten Rechtsinstitutionen verkörpert waren und auf denen die wirtschaftliche Kraft des Landes beruhte, an der Gewalt teilnehmen lassen. Dies konnte nach der geschichtlichen Entwicklung nur durch Bildung eines Parlaments neben der Institution des Protektors geschehen. Nur so erschien es möglich, der neuen Machtinstitution den Charakter der Gesetzlichkeit zu geben, den sie zur Durchführung ihrer Aufgaben nötig hatte. Allerdings bedeutete diese grundsätzliche Anerkennung der gesetzgebenden Gewalt und ihrer Repräsentation im Parlament noch nicht die Machtübergabe an dieses selbst. Im Gegenteil, ebenso wie in dem ersten Verfassungsentwurf der Offiziere, den „Heads", die ausführende Gewalt im Mittelpunkt stand und ihren Ausdruck in der zentralen Stellung des Staatsrats fand, wird auch jetzt die entscheidende Funktion der Exekutive übertragen. Diese ruht in der Institution des Protektors und der militärisch zusammengesetzten Mehrheit des Staatsrats, die beide bereits in der Verfassung namentlich bestimmt werden. Hier ist der feste Punkt, an dem das tatsächliche Übergewicht der Offizierspartei, die das Protektorat begründet, auch verfassungsmäßig verankert ist. Ein höchst interessantes Moment in der Entstehung dieser modernen Verfassung: die tatsächliche Macht, die der Verfassung das Leben gibt, sichert sich selbst den maßgebenden Einfluß den übrigen Institutionen gegenüber, indem sie die Leitung des Staats- und Beamtenapparats fest in ihre Hand nimmt. Wir haben damit bereits die Grundzüge des „Instrument of Government" umrissen, in denen die Verfassungsbestimmungen der Protektoratsperiode enthalten sind.298) Dieses Dokument, das eine so große Bedeutung für die Verfassungsgeschichte hat, weil es die erste geschriebene Verfassung im modernen Sinne ist, wird am 16. Dez. 1653 einer Versammlung der Offiziere, hohen Beamten und Londoner Stadtvertreter von seinem Verfasser

— 155 — L a m b e r t verlesen. Cromwell wird die Würde des „LordProtektors" angetragen. Er leistet den vorgeschriebenen Eid. Das „Instrument" ist damit die rechtliche Grundlage des Protektorats geworden. — Wenn wir die einzelnen Bestimmungen der Protektoratsverfassung verstehen wollen, müssen wir an die bereits gekennzeichnete Struktur der das Verfassungsinstrument tragenden Kräfte anknüpfen. So wie das „Instrument" selbst von den gegebenen politischen Verhältnissen ausgeht und die wichtigsten Posten — das Protektorat (Art. X X X I I I ) und die Majorität des Staatsrats (Art. X X V ) — mit bestimmten Persönlichkeiten besetzt, so müssen wir auch in diesen beiden Faktoren die ausschlaggebenden Instanzen der Protektoratsverfassung erkennen. Protektor und Staatsrat — seine Höchstzahl wird auf 21 Mitglieder festgesetzt — führen zusammen die Geschäfte der nunmehr als staatsrechtliche Einheit konstituierten drei Nationen England, Schottland und Irland und der dazu gehörenden Dominions (Art. I—III). Sie haben insbesondere die Verfügung über die Regelung der auswärtigen Beziehungen und das Recht, Krieg zu erklären und Frieden zu schließen (Art. V). Die Führung der gesamten bewaffneten Macht steht ebenfalls beiden zu, zu Zeiten der Parlamentstagungen jedoch dem Protektor allein „mit Zustimmung des Parlaments" (Art.IV).299) Die Zusammensetzung des Staatsrats liegt faktisch in den Händen des Protektors; das Parlament hat jedoch ein Vorschlagsrecht, an das der Staatsrat gebunden ist, der seinerseits aus den Vorgeschlagenen zwei Persönlichkeiten aussucht und sie dem Protektor präsentiert (Atr. X X V ) . Protektor und Mehrheit des Staatsrats können bis zum Zusammentritt des nächsten Parlaments die Zahl der Staatsratsmitglieder bis zu der gesetzlichen Höchstzahl vergrößern und das Quorum entsprechend erhöhen (Art. X X V I , X X V ) . Die Bindung des Protektor an die Mehrheit des Staatsrats wird noch dadurch erhöht, daß die Mitglieder des Staatsrats von ihm nicht willkürlich entfernt werden können. Sie können im Fall von Korruption und „other miscarriage" nur von einem aus Parlaments- und Staatsratsmitgliedern zusammengesetzten Gerichtshof abgeurteilt werden. Dem Protektor steht in diesem Fall kein Begnadigungsrecht zu (Art. X X V ) . Insbesondere aber hat der Staatsrat das Recht der Ernennung des Nachfolgers Cromwells im Protektorat (Art. X X X I I ) . Das Amt des Protektors ist nicht erblich, sondern wählbar. Bis zur Ernennung führt der Staatsrat die Regierungsgeschäfte. Mitglieder der Familie des letzten Königs sind von der Wahl ausgeschlossen.

— 156 — Ist somit die ausführende Gewalt dem Zusammenwirken von Protektor und Staatsrat übertragen, so steht die höchste gesetzgebende Autorität dem Protektor und dem Volk, „assembled in Parliament" gemeinsam zu (Art. I). Solcher gemeinsamen Tätigkeit unterliegt insbesondere auch die Auferlegung neuer Steuern und Auflagen (Art. VI), jedoch mit der Ausnahme, daß bis zum Zusammentritt des ersten Parlaments die zur Unterhaltung der vorhandenen Streitkräfte erforderlichen Aufwendungen vom Protektor mit Zustimmung des Staatsrats gemacht werden können (Art. X X X ) . Das Bewilligungsrecht des Parlaments wird ferner beschränkt durch die Festsetzung, daß die Mittel für die Aufrechterhaltung einer entsprechenden Land- und Seemacht und die Summe von 200000 £ jährlich für die Zivilverwaltung der Zuständigkeit des Parlaments entzogen sind (Art. X X V I I ) . Das Parlament soll zum erstenmal am 3. September 1654 zusammentreten. Es tagt einmal innerhalb von 3 Jahren. Seine Legislaturperiode muß mindestens 5 Monate betragen (Art. VII, VIII). Der Protektor kann mit Zustimmimg des Staatsrats außerordentliche Parlamente berufen, die mindestens 3 Monate tagen müssen (Art. XXIII). Das soll stets im Falle eines Krieges geschehen. Die Wahlkörper werden — entsprechend dem im „II. Agreement" aufgestellten Schema — neu verteilt (Art. X). Die Zahl der Abgeordneten soll 400 nicht übersteigen. Irland und S c h o t t l a n d , die jetzt zum erstenmal in einem englischen Parlament vertreten sind, entsenden nur je 30 Abgeordnete (Art. IX); die Einrichtung ihrer Wahlkörper wird dem Protektor überlassen. Das alte „freehold franchise" wird aufgegeben und das Wahlrecht an persönlichen oder Realbesitz von 200 £ und an das Alter von 21 Jahren gebunden (Art. X V I I , XVlII). Katholiken und solche, die der Revolution in Irland Vorschub geleistet hatten, sind vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen, desgl. die Royalisten für das erste Parlament, bzw. die ersten drei Parlamente (Art XIV—XV). Die Wahlprüfung steht dem Staatsrat zu. Die vom Parlament beschlossenen Bills werden dem Protektor zur Zustimmung vorgelegt (Art. X X I V ) . Ein Vetorecht hat dieser nicht, die Bills werden Gesetz, wenn sie nicht innerhalb von 20 Tagen die Zustimmung des Protektors erlangen. Vorausgesetzt ist, daß diese Bills nichts enthalten, „contrary to the matters contained in these presents". Zu diesen Vorbehalten gehört vor allem das Recht freier Religionsausübung, das in ähnlicher Weise wie im „Agreement" festgestellt wird (Art. X X X V ) . 3 0 0 )

— 157 — Die „public prdfession" wird zwar aufrechtgehalten und dementsprechend die Staatskirche und ihre materielle Basis bewahrt, die vernünftige Religionsausübung außerhalb derselben aber gesetzlich geschützt. Dieses Schutzes sind nicht teilhaftig die Katholiken, die Anhänger der Bischofskirche und diejenigen, welche „,under the profession of Christ, hold forth and practice licentiousness" (Art. XXXVII). Der Gesetzgebungsbefugnis des Parlaments sind ferner entzogen die Konfiskationen der Königsund Bischofsländer und entsprechende Gesetzgebungsakte der Republik (Art. XXXIX). — Wenn auf Grund dieser Verfassungsbestimmungen der Protektor und der Staatsrat die Stellung des Parlaments weit überragen, so ist doch die Struktur des Ganzen anderseits dergestalt, daß die Stellung des Staatsrats durch die Möglichkeit einer kombinierten Front von Protektor und Parlament nicht ungefährdet erscheint. Dies kommt vor allem für das Gebiet der Gesetzgebung in Betracht, die, da sie vom Protektor und Parlament gemeinsam ausgeübt wird, der unmittelbaren Einwirkung des Staatsrats entzogen ist. Da dem Protektor ein Vetorecht nicht zusteht, die Parlamentsbills vielmehr auch ohne seine Zustimmung Gesetz werden können, so ist die Möglichkeit einer den Absichten der Regierung zuwiderlaufenden Gesetzgebungstätigkeit gegeben. Insbesondere kann das Parlament die Verfassung selbst gegen den Willen des Protektors abändern. Die hierin liegende Schwäche der Stellung des Protektors und des Staatsrats wird zwar durch die oben erwähnten Garantievorschriften gemildert, die gewisse Materien der Gesetzgebungsbefugnis des Parlaments entziehen (Art. XXXV), sowie durch die Festsetzung eines jährlichen bestimmten Budgets (Art. XXVII). Aber die Stellung des Staatsrats wird hierdurch doch nur so lange gesichert, als er sich mit dem Protektor in tatsächlicher Übereinstimmung befindet. Im Falle eines Konflikts zwischen beiden kommt es darauf an, ob der Staatsrat bzw. die Armee ihren faktischen Einfluß, der bis dahin maßgebend gewesen war, aufrechterhalten können. Dies hing jetzt, nach der Niederwerfung der radikalen Elemente des Offizierskorps, davon ab, inwieweit die Offiziere unter sich einig und gewillt waren, die alte Stellung der Armee noch aufrechtzuerhalten. Wir werden noch sehen, wie diese Voraussetzungen unter dem wachsenden Druck der parlamentarischen Tendenzen im Lande allmählich verschwinden und die Offiziere, in sich selbst uneinig und durch die Verschiebungen der Besitzverhältnisse in ihren eigenen Reihen gespalten, die faktische Macht der Armee immer mehr preisgeben.

— 158 — Die Protektoratsverfassung stellt also, trotzdem sie von der Diktatur der Armee ausgeht und diese in ihren Hauptbestimmungen verfassungsmäßig verankert, doch bereits einen ersten Schritt zur Beseitigung eben jenes Monopols der Armee dar. Insofern ist sie der Ausdruck des Schwankens der Offizierskreise, die nicht mehr den Mut finden, die „gute alte Sache" gegen die Partei der „Freiheit und des Eigentums" zu verteidigen. Auffallend muß es sein, daß trotz dieser Tendenz das Parlament diese Verfassung und die im Grunde im Interesse der bürgerlichen Parteien errichtete Diktatur C r o m w e l l s bekämpft. Der Grund hierfür liegt darin, daß das Parlament danach strebt, den Einfluß der Armee auf die Verfassung überhaupt zu beseitigen. Das Parlament bekämpfte nicht so sehr die Form derselben — mit dieser hätte es sich, wie wir sehen werden, zufrieden gegeben —, als den Inhalt, nämlich den in ihr noch immer in entscheidender Weise konstituierten Einfluß der Armee. Hierauf ist in erster Linie die Abneigung zurückzuführen, die gegen die Diktatur C r o m w e l l s bestand und in der Verurteilung seines „persönlichen Gewaltregiments" ihren bezeichnenden Ausdruck fand. Wäre C r o m w e l l nicht an die Beschlüsse seiner Offiziere bzw. seines Staatsrats gebunden gewesen, so hätte er sich die Sympathien des Parlaments bald gewinnen können. Der Umstand, daß die Diktatur errichtet wurde, um die bedrohten Interessen der parlamentarischen Kräfte zu bewahren, hinderte nicht, daß diese sich ihrem Beschützer feindlich gegenüber stellten. Die Gegnerschaft war sogar so groß, daß die untereinander verfeindeten Parteien im Parlament sich in ihr zusammenfanden und trotz ihrer Gegensätze, und trotzdem die Diktatur nach Sachlage den einzigen wirksamen Schutz gegen den Radikalismus darbot, den Mann bekämpften, auf dessen Schultern die Hauptlast der momentanen Situation ruhte. Dieses Beispiel zeigt, wie die Beurteilung einer Staatsform abhängig ist von der Stellung und dem Einfluß, den sie den einzelnen Schichten der Bevölkerung auf ihre Gestaltung gewährt. Die Gegnerschaft des Parlaments offenbarte sich alsbald nach seinem Zusammentritt am 3. September 1654. E s wählt L e n t h a l l , den alten Speaker, zu seinem Chairman und beginnt sofort, die Bestimmungen der Verfassungsurkunde in den Kreis seiner Beratungen zu ziehen. Dies konnte von C r o m w e l l nicht geduldet werden. In einer Rede, in der er die Gründe für die Übernahme des Protektorats auseinandersetzt, und sich insbesondere darauf beruft, daß die Regierang im Einverständnis nicht nur mit den Offizieren, sondern auch mit großen Teilen der Zivilbevölkerung, namentlich der City von London, eingesetzt

— 159 — worden sei, erklärt der Protektor dem Parlament, daß er die Autorität sei, die es zusammengerufen habe, und daß er nicht gewillt sei, die Grundlagen seiner Macht in Zweifel ziehen zu lassen. 301 ) E r fordert die Mitglieder auf, eine schriftliche Erklärung zu unterzeichnen, inhalts deren sie verpflichtet wurden, die Grundlagen der bestehenden Verfassung anzuerkennen. Mehr als 300 Mitglieder unterzeichnen die Erklärung. Und trotzdem fährt das so gereinigte Parlament fort, die einzelnen Verfassungsbestimmungen zu beraten und die unter dem Druck der Regierung unterzeichnete Erklärung als ein freiwillig gegebenes Zugeständnis zu betrachten. Die von ihm beschlossenen Abänderungen des Verfassungsinstruments liegen auf der Linie einer Verstärkung der Macht des Parlaments und einer Schwächung des Einflusses des Protektors und namentlich des Staatsrats. 302 ) Sie verwandeln den letzteren, indem sie die Wahl seiner Mitglieder an die Zustimmung des Parlaments binden und diesem die Möglichkeit einer Neubesetzung einräumen, in eine Art von Kabinettministerium und nehmen ihm die Unabhängigkeit, auf der seine eigentliche Stärke beruht. Damit wäre die Grundlage der diktatorischen Stellung der Armee zerstört worden, die Armee wäre in die Abhängigkeit des Parlaments geraten, das Protektorat und die vollziehende Gewalt, die in ihm verkörpert war, der parlamentarischen Macht unterworfen. Soweit konnte es C r o m w e l l nicht kommen lassen. Noch bevor die verfassungsmäßig vorgesehene Zeit von 5 Monaten voll abgelaufen ist, löst er das Parlament auf, mit einer Rede, aus der neben dem Unmut über die Fruchtlosigkeit der Tätigkeit desselben das Bedauern über den Mißerfolg herausklingt. 303 ) Vergleichen wir die Stellung C r o m w e l l s mit der der Stuarts vor der Revolution, so zeigen sich mancherlei Analogien. Wie die Stuarts sich auf den alten feudalen Grundbesitz gestützt hatten, so stützt sich C r o m w e l l auf die mittleren ländlichen Besitzer. Wie jene gezwungen gewesen waren, der Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse entsprechend den Handel zu begünstigen, weil der alte Agrarstaat der Monarchie keine hinreichende Unterstützung mehr bot, so sah sich auch C r o m w e l l genötigt, die Grundlagen seiner Macht von der Armee auf das Parlament zu übertragen und dieses in die Verfassung des Reiches wieder einzugliedern. Wie die Stuarts hieran gescheitert waren, so scheiterte auch C r o m w e l l an diesem Versuch. In beiden Fällen erwies es sich als immöglich, die Interessen der neuen mit denen der alten Schichten zu vereinigen. Beide Male erklärte sich das Parlament



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gegen die Politik der Regierung und beide Male geriet diese dadurch in Gefahr, daß sie die alte Grundlage nicht verlassen und die neuen Mächte doch nicht entbehren konnte. Der Konflikt, der darüber ausbrach, endigte in beiden Fällen mit dem Siege des Parlaments. Aber während Karl I., der den Radikalismus mehr fürchtete als das Parlament, vor diesem zurückwich, ohne doch den Entschluß fassen zu können, sich ihm zu unterwerfen, ging Cromwell zum Parlament über, ohne freilich imstande zu sein, sich von seiner alten Grundlage, der Armee, loszulösen. Die Frage war, ob und wie lange er diese Stellung aufrechterhalten konnte.

X. K A P I T E L .

DIE DIKTATUR DER ARMEE. DIE GENERALMAJORE. ANGEBOT DER KÖNIGSWÜRDE. DIE VERFASSUNGSÄNDERUNG.

Es folgt aus dem im vorhergehenden Kapitel Gesagten, daß die innere Politik der Republik nach der Auflösung des ersten Protektoratsparlaments nicht lediglich als Ausfluß der persönlichen Diktatur Cromwells aufgefaßt werden kann. Diese Auffassung, die auch heute noch in der Literatur vorherrscht, muß in der Richtung modifiziert werden, daß Cromwell selbst unter dem Einfluß seines Staatsrats stand und daß, wenn er auch mit diesem in mancher Hinsicht tatsächlich übereingestimmt haben mag, der entscheidende Anstoß zu den nun folgenden diktatorischen Maßnahmen nicht von ihm ausgegangen ist. Denn diejenige Stelle, die an der Aufrechterhaltung der eingerichteten Verfassung ein lebenswichtiges Interesse hatte, war das Offizierskorps der Armee, die ihren Einfluß auf die bürgerliche Regierung durch den Council of State geltend machte. Der Protektor war von ihr nur so lange abhängig, als er in seiner Eigenschaft als Chef der Zivilverwaltung sich auf keine andere Instanz als auf die Armee stützen konnte. Sobald es ihm gelang, seine Stellung so zu begründen, daß er ohne die Armee sich den Gegnern der Verfassung gegenüber halten konnte, mußte er das Ziel verfolgen, den faktischen Einfluß seiner Offiziere und damit die Diktatur der Armee zu beseitigen. Denn noch stand der ganze Apparat der Exekutive und der Rechtsprechung in seinen Grundlagen unverändert da. Die Verfassung, die diesen von der Legislative losgelöst und ihm eine selbständige Spitze gegeben hatte, hatte ihn wohl der tatsächlichen Macht der Armee unterworfen, ihn aber nicht beseitigt. Sein natürliches Bestreben, sich mit dem Parlament als dem Träger der materiellen Interessen und der alten Gesetze zu vereinigen, konnte die Stellung des Hauptes der Exekutive nicht anders als im Sinne einer Loslösung von dem Einfluß der Offiziere beeinflussen. Die alte Idee vom Gleichgewicht zwischen Königtum und Parlament — utopisch wie sie war — wirkte doch insofern zuungunsten der Armee, als sie den Beiheft d. H. Z. 28.

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Einfluß der letzteren als den alten Gesetzen der Nation zuwiderlaufend und mit den Traditionen derselben unvereinbar erscheinen ließ. Die grundsätzliche Verschiedenheit der bürgerlichen und der militärischen höchsten Gewalt mußte allmählich zu einem Widerstreit beider führen. Solange beide Gewalten in der Person Cromwells vereinigt waren, konnte dieser Gegensatz überbrückt werden. Die Frage war, ob dies nach seinem Ableben noch möglich sein würde. Vorläufig freilich war die Armee noch ein Faktor, der zur Aufrechterhaltung der erreichten Stufe notwendig war. Ihre Stellung hatte sie — wie wir gesehen haben — einer doppelten Wirksamkeit zu verdanken: Einmal der Niederwerfung derreaktionären Elemente, insbesondere des Königtums und seiner Anhänger, sodann der Unterdrückung der Radikalen in ihren eigenen Reihen und außerhalb derselben. Die von beiden Seiten drohende Gefahr war immer noch so stark, daß die bürgerlichen Kreise dieses Schutzes nicht entbehren konnten. Noch immer standen in den schottischen Hochlanden Parteigänger des Königs im Felde und wurden nur langsam in mühsamem Kleinkrieg unterworfen. Noch immer drohte auch den Presbyterianem und Independenten im Falle einer Reaktion der wirtschaftliche Ruin und die Vernichtung ihrer Stellung. Jenseits des Kanals wartete Karl II. nur auf den Augenblick, wo er zurückkehren und die alten Zustände wiederherstellen könnte. Er stand mit vielen seiner Anhänger im Lande in geheimer Verbindung. Die Armee war zur Abwendung dieser Gefahr ein notwendiges Werkzeug. Diese Notwendigkeit in Verbindung mit der dadurch verursachten Spannung führt zu den diktatorischen Maßnahmen, die die jetzt folgende Periode des Protektorats kennzeichnen und eine völlige Unterwerfung der alten Institutionen der Verwaltung und Rechtsprechung unter den Willen der Armee bedeuten. Den Anlaß hierzu bieten die zahlreichen Verschwörungen und Aufstandversuche, die nach der Auflösung des ersten Protektoratsparlaments im ganzen Lande aufflammen. Das Charakeristische ist für diese, daß sich die Royalisten mit den demokratischen und religiös-radikalen Elementen verbinden oder doch wenigstens in einer Front miteinander stehen. Es bildet sich eine gemeinsame Anschauung aus, die in Cromwell den Tyrann sieht, der die Freiheit des Volkes beseitigt und die Knechtschaft desselben begründet hat. Diese Bewegung mußte zu starken Gegenmaßregeln führen, die — sicherlich sehr gegen den Willen Cromwells selbst — auf außergesetzlichen Maßregeln beruhen mußten, weil der gesetzliche Verwaltungsapparat selbst von ihr teilweise

— 163 — mit ergriffen war. Die diktatorischen Maßnahmen waren in ihrer Richtung und Wirkung doch wiederum verschieden: Soweit sie sich gegen die Royalisten richteten, waren sie — der alten Entwicklungslinie der Revolution entsprechend — scharf und rücksichtslos und führten zur Hinrichtung oder Deportierung der betreffenden Rädelsführer nach Westindien; soweit sie die republikanischdemokratischen Bewegungen unterdrückten, gingen sie nicht weiter als bis zur Unschädlichmachung der Häupter der Verschwörung. Dies war die folgerichtige Fortsetzung der von Anfang an befolgten Politik, die radikale Bewegimg durch Nachgeben unschädlich zu machen, die reaktionäre Partei dagegen mit allen Mitteln der Gewalt zu bekämpfen. Bedenklich mußte es allerdings erscheinen, daß die Opposition der radikalen Kreise sich sogar auf die höheren Offiziere erstreckte und zu einer Abfallbewegung in der schottischen Armee führte, an deren Spitze der Generalmajor O v e r t o n stand. M o n k , dem Kommandeur dieser Armee und nachmaligem Restaurator des Stuartschen Königthrons, war es zu danken, daß diese Beweg\mg, in die nicht nur Leveller, wie W i l d m a n n , und Leute der Fünften Monarchie, wie H a r r i s o n , sondern auch Republikaner wie B r a d s h a w und Henry M a r t e n , die independentistischen Führer des Langen Parlaments, verstrickt waren, unterdrückt wurde. 304 ) Trotzdem, oder gerade deshalb, begnügte sich der Protektor mit der Entlassung der kompromittierten Offiziere und der Verhaftving einiger Häupter der Verschwörung. 805 ) Eine Milde, die nicht nur aus der Sympathie C r o m w e l l s für die radikalen Ideen und sektiererischen Tendenzen seiner Zeit zu erklären ist, sondern auch aus der Notwendigkeit, die für ihn und insbesondere für die Offiziere seiner Partei bestand, die Armee in ihrer Gesamtheit zu erhalten und eine Wiederholung der Vorgänge der Jahre 1647 und 1649 zu vermeiden. Denn nur auf der Grundlage, auf der damals die Disziplin der Armee wiederhergestellt war, konnte bis jetzt noch der Zusammenhalt der Armee aufrechterhalten werden. Wäre man gegen die Radikalen mit denselben Maßnahmen vorgegangen wie gegen die Royalisten, so hätte die Gefahr einer Auflösung der Armee und damit die royalistische Reaktion gedroht. Gegen die Opposition aus allen Lagern sind diejenigen Maßnahmen gerichtet, die der Protektor im Interesse der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Lande ergreift. Schon bei den Wahlen des Jahres 1654 waren umfassende Maßregeln getroffen worden, um die Regierungskandidaten ins Parlament ziu bekommen. Hatte sich die Verpflichtung, die den Wählern auferlegt wurde, nur solche Vertreter zu wählen, die die bestehende

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— 164 — Regierungsform anerkennen würden, noch innerhalb des Verfassungsrechts gehalten, so wurden bald Maßnahmen erforderlich, die kaum noch mit den bestehenden Gesetzen vereinbar waren. Die royalistische Verschwörung im März 1655, die offenbar als allgemeiner Aufstand geplant war, faktisch aber nur einen geringen Umfang annahm, führt zur Ernennung von 21 Kommissaren, denen die Ausforschung royalistischer Pläne und die Überwachung der antirepublikanischen Organisationen übertragen wird, und die mit dementsprechenden Vollmachten (Recht zur Entwaffnung und Verhaftung) ausgerüstet werden. 306 ) Die Kosten dieser Maßregeln waren von der unterdrückten Partei einzuziehen.307) E s ist dies der Anfang der Institution der Generalmajore, durch die im Herbst 1655 das ganze Land einer über dem alten Verwaltungsapparat stehenden, zentralisierten Gewalt unterworfen wurde. Ganz England wurde in 1 2 Distrikte eingeteilt ; an ihre Spitze traten die zuverlässigen Generale der Armee 308 ), die neben anderen weitgehenden Vollmachten das Recht hatten., eine neue Miliz auszuheben. Die Kosten dieser Maßnahmen wurden durch Auferlegung einer ioproz. Einkommenssteuer auf sämtliche früheren Anhänger des Königs, gleichgültig ob sie an einer Verschwörung beteiligt gewesen waren oder nicht, aufgebracht. Vor dem Willen der Generalmajore beugt sich das ganze Land. Unter Nichtachtung aller persönlichen Freiheitsrechte werden zahlreiche Verhaftungen gerade der vornehmsten Mitglieder des Adels vorgenommen — ein Appellationsrecht an den Protektor war praktisch bedeutungslos — , über die der Regierung verdächtigen Personen werden Listen geführt, ein ausgedehntes Spionagesystem wird eingerichtet. Die Zivilgewalten sind der militärischen Gewalt untergeordnet und haben ihren Anweisungen Folge zu leisten. Jede Person hat ihren Aufenthaltswechsel anzuzeigen, die Häuser werden auf Waffenlager untersucht, die gefundenen Waffen fortgenommen. Mit einem Wort, das ganze Land steht unter dem Belagerungszustand. Unverständliche Tatsachen, wenn man sie lediglich unter dem Gesichtspunkt einer Willkürherrschaft des Protektors betrachtet. Nach der Grundlinie seiner Politik mußte C r o m w e l l die Beseitigung der bürgerlichen Rechtsgrundlage geradezu als eine Verletzung seiner Prinzipien empfinden. Seinen Intentionen konnten sie keinesfalls entsprechen. War er es doch gewesen, der schon nach W o r c e s t e r versucht hatte, den Weg für eine gemeinsame Grundlage mit seinen Gegnern zu finden; im Gegensatz zu den Republikanern hatte er 1652 die Amnestie der Royalisten durchgesetzt. Die Erklärung liegt darin, daß diese Diktatdr

— 165 — in Wahrheit eine solche der hohen Offiziere war. Wir kennen die Verhandlungen nicht, die Cromwell mit seinen Generalen gepflogen hat; Aufzeichnungen bestehen darüber nicht. Aber wir können doch so viel feststellen, daß nicht er, sondern sie das treibende Element bei der Durchführung der diktatorischen Maßnahmen gewesen sind.309) Aber freilich, nachdem einmal die Einrichtung geschaffen war und sich bewährt hatte, konnte Cromwell nicht anders, als sie zu begrüßen. Denn sie war, solange die Opposition gegen ihn noch bestand — und dies war bis jetzt noch der Fall; die Zahl der Regierungsfreunde wurde auf nicht mehr als zwei Siebentel der Bevölkerung geschätzt 310 ) — auch für ihn das einzige faktische Mittel, seine Stellung zu erhalten. Er konnte den Weg, den er einmal beschritten hatte, nöch nicht verlassen. Im übrigen war die Tätigkeit der Generalmajore keineswegs so verhaßt, wie man es später anzunehmen geneigt war. Mögen auch die Meldungen T h u r l o e s über die günstige Aufnahme der Einrichtung selbst bei einem Teil der Kavaliere übertrieben sein311), so dürfte es doch richtig sein, daß die allgemeine Beruhigung von vielen als wohltätig empfunden wurde. Dies um so mehr, als die Generalmajore das Privateigentum unangerührt ließen und durch Unterdrückung aller sozialen Bewegungen doch auch im Interesse des Besitzes tätig waren. In dieser Richtung ist die von ihnen ausgeübte Kontrolle der Reisenden, die Verfolgung der Landstreicher, die Unterdrückung des Gasthausbesuches, das Vorgehen gegen öffentliche Belustigungen und die Erneuerung des Gesetzes gegen Trunkenheit, Schwören und Fluchen zu werten. Daß das System der Lohnfestsetzungen durch die Friedensrichter beibehalten wurde, bedarf keiner Erwähnung. Auch die Maßnahmen gegen „unwissende und skandalöse" Geistliche wirkten in dieser Richtung. In einer Zeit, in der die politischen Kämpfe das ganze System der Wirtschaft schwer erschütterten und die Gefahr einer sozialen Revolution noch nicht gebannt erschien, wurde die Durchführung eines starken Regiments auch von den Gegnern desselben als eine Wohltat empfunden. Sie sahen sich zur faktischen Anerkennung desselben veranlaßte, auch wenn sie ihm die rechtliche Anerkennimg versagten.312) Wir sehen hier die für jede Diktatur charakteristische Strukturverschiebung innerhalb der politischen und sozialen Kräfte eines Landes. Keiner der Republikaner, die — wie z. B. L u d low — in dem Protektor nur den Tyrannen und Inhaber einer willkürlichen Gewalt sahen, hätte geglaubt, daß eben diese Gewalt notwendig war, um den letzten Rest der revolutionären



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Entwicklung zu erhalten, und daß Cromwell selbst gezwungen war, die diktatorischen Maßnahmen durchzuführen, wenn er nicht seine Stellung als Träger des revolutionären Gedankens ganz aufgeben wollte. Denn trotz aller retardierenden Momente und repressiven Maßnahmen war die Diktatur der Offiziere eine Fortsetzung der Revolution und ihrer ursprünglichen antiroyalistischen und antiparlamentarischen Tendenz. In dieser doppelten Frontstellung hatte ihr Sinn seit Beginn der Cromwellschen Ära gelegen. Die Herauslösung der vollziehenden Gewalt aus der universalen Parlamentsmacht lag auf dieser Linie. Trotzdem mußte die Regierung einen Weg einschlagen, der auf die Unterdrückung der gesetzlichen Institutionen und aller derjenigen Einrichtungen hinausführte, für die ursprünglich der Kampf geführt worden war. Damit ergab sich eine Umstülpung aller bisherigen Auffassungen; was bis dahin oppositionell gewesen war, wurde jetzt reaktionär, was reaktionär gewesen war, oppositionell. Die Royalisten konnten jetzt als die Verfechter von Ideen auftreten, die sie früher am wenigsten zu respektieren geneigt gewesen waren. Es konnte geschehen, daß ihre früheren Todfeinde, die Demokraten, sich mit ihnen verbündeten.313) Die alten Parteigruppierungen verschwinden gegenüber der neuen Konstellation und dementsprechend ändern sich die Anschauungen über den Wert und das Wesen der höchsten Gewalt. Maßnahmen, die im Interesse der Sicherung der revolutionären Errungenschaften ergriffen werden — denn Cromwell setzte doch nur das fort, was die Revolution begonnen hatte —, werden als tyrannisch und Ausfluß der Willkür empfunden. Von hier aus müssen wir auch die äußere Politik des Protektors verstehen, in der sich nach der Auflösung des Kleinen Parlaments ein grundlegender Umschwung vollzieht. Nach langen Verhandlungen kommt der Friede mit den Niederlanden zustande (1654). Bald darauf wird eine Flotte ausgerüstet, die den — zunächst geheimen — Auftrag erhält, die spanischen Besitzungen in Ostindien anzugreifen. Im folgenden Jahre wird der Friede mit Frankreich geschlossen, dem 1657 e i n Bündnis mit dieser Macht folgt. Zu Anfang des Jahres 1656 kommt ein Vertrag zwischen England und Schweden zum Abschluß, der gegen den Kaiser gerichtet ist und den englischen Einfluß im Osten Europas befestigen soll. Es ist die Politik, die Cromwell selbst als die protestantische Politik seiner Regierung bezeichnet und auf deren Durchführung er stets besonderes Gewicht gelegt hat. Und in der Tat wissen wir aus einem Protokoll der Verhandlungen im Staatsrat, daß sich Cromwell persönlich für die

— 167 — Durchführung des spanischen Unternehmens eingesetzt hat. 3 1 4 ) Mit dem protestantischen Charakter seiner Politik hat er auch die Notwendigkeit des Friedens mit Holland begründet. Damit stehen aber — wie B e e r hervorhebt 315 ) — die äußerst harten Bestimmungen des Friedensvertrages in Widerspruch, die u. a. der holländischen Ostindischen Kompanie die Zahlung von 85000 £ an ihre englische Konkurrenzgesellschaft auferlegen und die Bestimmungen der Navigationsakte voll aufrechterhalten. Wir brauchen auch nicht hervorzuheben, daß das intime Verhältnis, in das der Protektor mit Frankreich tritt, nicht gerade im Interesse des französischen Protestantismus lag. Denn wenn es auch die Duldung des französischen Kalvinismus zur Voraussetzung hatte, so beförderte es doch die französisch-katholische Politik und war gleichzeitig als Rückversicherung gegen die Handelsmacht der protestantischen Niederlande gedacht. Der Vertrag mit Schweden vollends war ausschließlich von Handelsinteressen bestimmt; er richtete sich gegen das dänisch-holländische Bündnis, und sicherte den englischen Kaufleuten Zollfreiheit im Sund und damit ungehinderten Zutritt zu den wichtigen Handelsplätzen der Ostsee.31®) Wenn man auch nicht behaupten kann, daß C r o m w e l l persönlich diese Pläne und Verhandlungen lediglich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten durchgeführt hat, so wird man doch die Auffassung, daß ihn ausschließlich religiöse Interessen geleitet hätten, nicht aufrechterhalten können. Was waren nun die Gründe, die C r o m w e l l veranlaßten, den Weg, den die Republik beschritten hatte, zu verlassen und eine von Grand aus verschiedene auswärtige Politik zu betreiben? Sehen wir zunächst einmal, welche Ziele C r o m w e l l s Außenpolitik verfolgte. Sie gehen aus einem Vertragsentwurf hervor, der die beabsichtigte Gestaltung der überseeischen Beziehungen beleuchtet 317 ): Den Niederlanden sollten der asiatische Handel sowie die portugiesischen Besitzungen in Brasilien überlassen bleiben, während England die amerikanischen Besitzungen Spaniens erwerben sollte; d. h. also, England erklärte sich in der holländischen Einflußsphäre für desinteressiert und nahm dafür das spanische Amerika mit seinen Silberminen für sich in Anspruch. Diese Politik bedeutete die vollkommene Abkehr von derjenigen sowohl des Langen wie auch des Kleinen Parlaments; diese beiden Parlamente hatten die völlige Unterwerfung der Generalstaaten im Auge gehabt. Indem C r o m w e l l sich von dieser Politik abwandte und für die Erhaltung der politischen Selbständigkeit der Generalstaaten einsetzte, schob er denjenigen Bestrebungen einen Riegel vor, die auf eine völlige Lösung der



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wirtschaftlichen Organisation und auf Freimachung der bis dahin gebundenen Kräfte der freien Wirtschaftskreise abzielten. Dies war eine Notwendigkeit, weil die Auflockerung der ökonomischen Struktur bereits eine bedenkliche Wirtschaftskrise hervorgerufen hatte, die sich vor allem in einer Verschlechterung der Tuchfäbrikate geltend machte.318) Der einfachste Weg, der sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten Herr zu werden, wäre gewesen, die alte Politik der Stuarts wieder aufzunehmen und sich auf die Monopolgesellschaften zu stützen. Doch war dieser Weg nicht gangbar, da er — was für Cromwell bislang noch unmöglich war — eine Aussöhnung mit den Presbyterianern vorausgesetzt und damit die Stellung der Armee beseitigt hätte. Ein anderer Weg wäre gewesen, sich auf die neu entstandenen Handelskreise, in dem bereits die freihändlerischen Elemente eine beachtliche Position innehatten, zu stützen. Diese Politik, die in der Linie lag, die die Entwicklung Englands nach der Restauration innegehalten hat, wäre sicherlich auch inCromwells Sinne gewesen. Er konnte sie jedoch nicht verfolgen, weil er an die landwirtschaftlichen Interessen der Armee zu fest gebunden war, als daß er diese jetzt schon hätte aufgeben können. Indem er nun danach strebte, einerseits die sich neu bildende Struktur des Landes zu erhalten, anderseits seine selbständige Stellung innerhalb dieses Umbildungsprozesses zu behaupten, ergriff er den Ausweg einer Politik der Expansion, die ihn von seinen inneren Gegnern unabhängig machen sollte, ohne ihn doch zum Verlassen der politischen Grundlage seiner Stellung zu zwingen.319) Die Politik Cromwells schlug fehl. Der Angriff auf das spanische Amerika scheiterte. Das spanische Kolonialreich erwies sich als widerstandsfähiger und besser verteidigt, als Cromwell und seine Berater angenommen hatten. Die Eroberung Jamaikas war ein zu geringer Preis für die Aufwendungen und Verluste, welche die spanische Expedition verursacht hatte. Die amerikanischen Silberminen blieben in der Hand des spanischen Königs und sandten ihre Erträge weiterhin in die Häfen der iberischen Halbinsel. Der Handel mit Spanien gerät in die Hände der holländischen Kaüfleute, die jetzt diejenigen Gewinne einziehen, die bis dahin in die Taschen der englischen Handelsherrn geflossen waren. Das Bündnis mit Schweden erweist sich als wertlos, da Schweden, das die Suprematie in der Ostsee anstrebt, durch seine kriegerischen Erfolge gegen Dänemark instand gesetzt wird, die Sundfrage ohne Hilfe Englands zu regeln und den Einfluß Cromwells auf die Gestaltung der baltischen Verhältnisse auszuschalten.320) Die Eroberung von Dünkirchen liegt

— 169 — gleichfalls nicht im Interesse des englischen Handels; die Hoffnung, dort den Stapelplatz für Tuch einrichten und den holländischen Markt ausschalten zu können, scheint sich nicht erfüllt zu haben. Weitergehende Pläne, auf Eroberung der ganzen spanischniederländischen Küste abzielend, konnten schon aus militärischen Gründen keine Verwirklichung finden. 321 ) Die Verschärfung der Beziehungen zwischen Frankreich und Holland — im Jahre 1657 spricht man allgemein von einem bevorstehenden Kriege zwischen diesen beiden Mächten — bringt die Gefahr eines Krieges mit der befreundeten protestantischen Macht. Die Geldnot der Regierung wird täglich schlimmer und vergrößert ihre Abhängigkeit von der gesetzgebenden Körperschaft. Kurz — im Gegensatz zu der herrschenden Anschauung, die in der Cromwellschen Politik eine Periode der englischen Prosperität und Machtentfältung sieht — müssen wir feststellen, daß seine Unternehmungen für die damalige Zeit einen Fehlschlag bedeuteten.322) Nur wenn wir dies im Auge haben, können wir auch das Fehlschlagen der innenpolitischen Unternehmungen des Protektors verstehen. Die Errichtung der militärischen Diktatur war ja nicht das Ergebnis einer Willkürherrschaft, wie es seine republikanischen Gegner damals auffaßten, sondern geschah unter dem Druck der Verhältnisse, die sich aus der Entwicklung der Revolution selbst ergaben. Es kann m. E. keinem Zweifel unterliegen, daß Cromwell viel lieber eine Politik der Versöhnung den ihn bekämpfenden Parteien gegenüber betrieben hätte; er hat sich später, wie wir noch sehen werden, bei seinen Offizieren bitter darüber beklagt, daß diese ihn zu seinen diktatorischen Maßnahmen gezwungen hätten. Selbst mit den Royalisten wäre er am liebsten zusammengegangen. Seinem Interesse hätte es am meisten entsprochen, nach außen wie nach innen eine Neutralitätspolitik durchzuführen, die der Nation die Entwicklung ihrer Kräfte auf der neuen Grundlage gewährleistet und die Entscheidung in den Konflikten der übrigen Mächte, insbesondere Spaniens und Frankreichs, in die Hand gegeben hätten. Eine solche Neutralitätspolitik war allerdings nur möglich, wenn die beiden reaktionären Parteien — die Royalisten und Presbyterianer — ihrerseits ihren Standpunkt aufgaben und sich von den Interventionsbestrebungen Karls II. und seiner Verbündeten lossagten. Diese hingen wiederum mit den parteipolitischen Verhältnissen in Frankreich zusammen. Hier hatte die Adelspartei im Bündnis mit Spanien die Krone bekämpft. Solange diese unter dem Druck dieser Kombination gezwungen gewesen war, die französischen Protestanten zu schonen, war die

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Gefahr einer Reaktion im Sinne des presbyterianischen Regiments in England akut gewesen. Die Stärkung der französischen Monarchie in der ersten Hälfte der 50er Jahre ließ auch bei den englischen Kalvinisten die Hoffnung auf eine Gestaltung der Regierung in ihrem Sinne dahinschwinden. Wenn damit auch nicht die Gefahr einer französischen Intervention zugunsten Karls II. gebannt war, so eröffnete sich doch die Möglichkeit, ihr durch die Konstituierung einer auf den Interessen der besitzenden Klassen aufgebauten Monarchie zu begegnen und so ein Gleichgewicht zwischen England und Frankreich auf einer neuen monarchischen Grundlage zu schaffen. Anderseits hatten gerade die Spanier in ihrem Kampf mit der französischen Krone sich nicht nur auf den hohen Adel, sondern auch auf die radikalen Elemente in der französischen Bevölkerung gestützt, auf eine Kombination also, die gerade damals in England dem Protektorat am gefährlichsten war und über die sich dieser am bittersten beklagte.323) Dies war der parteipolitische Hintergrund für die Erklärung des Krieges gerade an Spanien. Denn damit wurde zugleich den royalistischen Bestrebungen in England ein Schlag versetzt. Wie nun aber diese Politik im Innern eine solche der Armee in ihrer derzeitigen politischen Stellung war, — gewissermaßen der Schlußakt der revolutionären Rolle, die sie gespielt hatte — so muß man auch den spanischen Krieg als den letzten Versuch der englischen Revolution betrachten, die europäischen Verhältnisse in ihrem Sinne umzugestalten. Cromwell mußte dieser Politik folgen, solange es für ihn keine Möglichkeit gab, seine Stellung auf andere Weise zu erhalten, d. h. solange die Royalisten ihre Restaurationstendenzen nicht aufgaben und das alte Bündnis zwischen ihnen und den Presbyterianern, verstärkt durch die Republikaner, noch eine ernsthafte Gefahr für ihn bedeutete. Nichts aber konnte seinen Absichten und Zielen mehr entsprechen, als ein freiwilliger Verzicht der Reaktionsparteien auf ihre alten Pläne und die Möglichkeit eines Bündnisses mit ihnen.324) Und diese Möglichkeit trat nunmehr ein. Sowohl in den Reihen der Presbyterianer wie auch in denen der gemäßigten Royalisten vollzieht sich ein Umschwung, dessen Sinn die Aufgabe der alten Restaurationspläne und ein Kompromiß mit der bestehenden Gewalt ist. Zwischen der Bischofspartei und den Presbyterianern hatten schon längst Verhandlungen bestanden, die auf eine Vereinbarung der beiderseitigen Standpunkte unter Aufgabe des Anspruchs des Episkopats, jure divino zu sein, abzielten.325) Das Gefühl der Sicherheit gegenüber den radikalen Tendenzen, die von dem Protektor

— 171 — unterdrückt wurden, ließ in Verbindung mit dem bereits geschilderten Zusammenwachsen der materiellen Interessen und inneren Umgestaltung der ökonomischen Lage den Angehörigen der besitzenden Kreise als einzige Möglichkeit einer Wiederherstellung der Parlamentsmacht die Vereinigung der verschiedenen Parteien erscheinen. Die Presbyterianer verbinden sich mit den gemäßigten Royalisten in dem Gedanken der Anerkennung der bestehenden Herrschaft. 328 ) Ihr Plan ist dabei, das Protektorat von dem Einfluß der Offiziere der Armee loszulösen und die Eexekutive in eine genetische Verbindung mit dem Parlament zu bringen. Dieses Ziel glauben sie erreichen zu können durch entsprechende Veränderungen der Protektoratsverfassung, deren hervorstechendste die Umwandlung des Protektorats in ein erbliches Königtum ist. E s kann keinem Zweifel unterliegen, daß C r o m w e l l in höchstem Grade bereit war, die ihm angebotene Würde anzunehmen. Sein oft geäußertes Streben, zu einem „settlement" der Nation zu kommen, konnte unter den gegebenen Umständen nur durch die Schaffung einer Stellung verwirklicht werden, die es ihm ermöglichte, sich von dem Einfluß seiner Offiziere freizumachen und die vollziehende Gewalt in ein engeres Verhältnis zum Parlament zu bringen. Seine Rede vom 3. April 1657, in der er die Ablehnung des Angebots erklärt, läßt sein Bedauern hierüber deutlich erkennen.327) Wir wissen auch, was ihn bewogen hat, diese Absage zu geben: es ist die Weigerung seiner Offiziere, ihm auf diesem Wege zu folgen. Schon am 27. Februar, dem Tage, an dem C r o m w e l l die bereits erwähnte Ansprache an seine Offiziere hält 328 ), waren diese auf das erste Gerücht von den Absichten des Parlaments zu ihm gekommen, um ihm ihre Ablehnung dieses Gedankens zu erklären; die Annahme des Königstitels würde „a scandal to the People of God" und „hazardous to his Highness's person, and making way for the return of Charles Stuart" bedeuten.829) In seiner Antwort verbirgt C r o m w e l l nicht seinen Unmut über die Haltung der Offiziere. E r weist sie darauf hin, daß sie die ersten gewesen seien, die zu ihm über die Annahme des Königstitels gesprochen hätten. 330 ) U n d dann macht er bemerkenswerte Ausführungen, die uns erkennen lassen, wie weit C r o m w e l l dem Willen seines Offizierrats unterworfen gewesen ist: Sie hätten ihn bei allen Gelegenheiten zu ihrem Packesel („drudge") gemacht. Sie hätten ihn gezwungen, das Lange Parlament aufzulösen und ein neues Parlament, oder vielmehr eine Versammlung von ihnen benannter Personen, zu berufen (das Kleine Parlament.) Und was hätten diese getan ? Sie seien hergefallen über Freiheit und Eigentum, so weit, daß

— 172 — sie den Besitzer von 12 Kühen gezwungen hätten, diese mit seinem nicht besitzenden Nachbar zu teilen. Wer hätte noch sagen können, daß er etwas besitze, wenn sie ihre Tätigkeit fortgesetzt hätten ? Nach ihrer Auflösung hätten sie ihn gedrängt, die Geistlichkeit auszurotten oder vielmehr auszuhungern. Das Parlament, das darauf einberufen worden sei, habe aufgelöst werden müssen, weil es die Verfassung in Frage gezogen habe. Aber sei nicht die Verfassung wirklich reformbedürftig gewesen ? Sei es nicht schwer für ihn gewesen, den Eid auf diese Verfassung zu leisten ? Einige Zeit darauf hätten die Offiziere es für nötig befunden, Generalmajore einzusetzen. Diese hatten ihre Sache gut gemacht. Aber niemand habe sie gebeten, eine Bill einzubringen, um sich eine Niederlage zu holen.331) Und auch das jetzige Parlament sei auf ihr Betreiben und gegen Cromwells Willen einberufen worden. Sie hätten geglaubt, ein gefügiges Parlament zu erhalten. Wie sehr sie sich darin geirrt hätten, sähen sie jetzt. 332 ) Und dann erklärt C r o m w e l l offen, daß es Zeit wäre, die willkürliche Gewalt aufzugeben, „so unacceptable to the nation", und zu einem „settlement" zu gelangen. Denn wer könne sie vor dem Schicksal von James N a y l o r schützen, wenn das Parlament seine richterliche Gewalt gegen sie — die Offiziere — selbst anwende? 333 ) Eine offene Absage C r o m w e l l s an die Macht, die ihm emporgetragen hatte und der er seine Stellung verdankte. Eine Drohung zugleich, daß er sie derjenigen Gewalt ausliefern werde, die seit jeher die schärfste Feindin einer unabhängigen Exekutive gewesen war, mochte diese sich in den Händen einer Erbmonarchie oder einer Revolutionsarmee befinden. Betrachten wir noch einmal den Gang der Entwicklung, der die Armee von ihrem Ausgangspunkte — dem Kampf gegen die Prärogative des Königs — bis zur Errichtung ihrer Diktatur geführt hatte. Geschaffen, um die Gefahr der Niederlage vom Parlament abzuwenden, war sie zum Träger der radikalen politischen Revolutionstendenz geworden. Durch Unterdrückung der auflösenden Elemente hatten ihre Führer das Land und das Parlament vor der sozialen Revolution bewahrt. Die Gefahr der Reaktion trieb diese, nachdem der Versuch, einen Gleichgewichtszustand zwischen Königtum und Parlament zu schaffen, gescheitert war, dazu, die Macht selbst in die Hand zu nehmen. Hierbei erschien es der gemäßigten Partei notwendig, die gesetzgebende Gewalt mit dem Parlament zu teilen, die ausführende aber einem einzelnen, einem der ihren, und zwar ihrem Höchstkommandierenden, zu übertragen. Der Anspruch des Parlaments auf Unterwerfung der Exekutive führt zur Schaffung eines neuen militäri-

— 173 sehen Exekutivorganismus und zur Unterdrückung aller zivilen Institutionen. Diese Einrichtung aufrechtzuerhalten erscheint jedoch auf die Dauer unmöglich. Das neue Parlament setzt seinen Angriff auf die Armee fort, indem es den Diktator von seiner Partei zu trennen sucht. Und dieser ist bereit, dem Ruf Folge zu leisten; er beruft sich dabei auf seine verfassungsmäßige Stellung und die sich daraus ergebende Unmöglichkeit, die Armee vor gesetzmäßigen Angriffen des Parlaments zu schützen. Freilich, ein völliges Aufgeben der selbständigen Ziele der Armee — d. h. also die Politik, die später Monk durchführte — war vorerst für Cromwell nicht möglich. So sehr er auch danach streben mochte, die Verfassung des Landes im Einverständnis mit den Kreisen der Juristen und Kaufleute neu zu konstituieren und die diktatorischen Elemente aus derselben auszumerzen, so konnte er doch seine eigene Vergangenheit nicht auslöschen. Die faktische Anerkennung seiner Stellung durch das Parlament war doch eben nur deswegen in eine rechtliche verwandelbar, weil die Armee den einzigen sicheren Halt in der allgemein empfundenen Unsicherheit der Lage bot. Cromwell mußte damit rechnen, daß selbst dieses Parlament, das mit soviel Mühe regierungsgenehm gemacht worden war, ihn fallen lassen würde, wenn es von einer Restauration eine bessere Sicherung des Handels und des Privateigentums erhoffen konnte. Versuchen wir, den Gedanken des dem Protektor angetragenen Königtums auf seine strukturellen Grundlagen zurückzuführen, so müssen wir es als den Versuch betrachten, das Faktum der Armeegewalt auszuschalten und die Exekutive der legislativen Gewalt des Parlaments wieder zu unterwerfen. Die „Heads of the Proposais" hatten die Exekutivgewalt des alten Königtums und die Legislative durch das Faktum der Armee beschränken und ausbalancieren wollen. Das Königtum war verschwunden und die Armee hatte die Exekutivgewalt usurpiert. Jetzt hatten die Dinge dahin geführt, daß die Exekutive sich von der Armee wieder loslöste, aber in einer neuen Form und unter Aufrechterhaltung der von der Revolution geschaffenen allgemeinen Situation. So wie das Kaisertum Napoleons wäre auch Cromwells Königtum ein solches der Freiheit des Eigentums auf der durch die Revolution geschaffenen Grundlage geworden. Man kann das Schicksal der Offiziere, die sich solchergestalt aus der entscheidenden Position, die sie bis dahin innegehabt hatten, herausgestoßen sahen, nicht ohne Mitgefühl betrachten. Nicht ohne Recht konnten sie sich beklagen, daß der Mann, den sie auf ihren Schultern bis zu der Höhe, auf der er jetzt stand,

— 174 — emporgetragen hatten, sie verraten habe. Sie waren es gewesen, denen er die Unterdrückung der radikalen Bewegung und damit die Erhaltung seiner Stellung zu verdanken hatte. Jetzt, da er ihrer nicht mehr tiedurfte, ließ er sie fallen. J a , er drohte ihnen, sie den Richtern des Parlaments auszuliefern unter Berufimg auf dasselbe Verfassungswerk, durch das sie ihn zum Protektor gemacht hatten. 334 ) Jedoch war ihr Schicksal nicht unverschuldet. Hatten sie doch selbst ihre Kameraden verlassen, als diese ihre radikaleren Ideen durchzuführen versuchten. Auch jetzt wären sie bereit gewesen, dem Willen des Protektors sich zu beugen. Nur die Rücksicht auf die Erregung, die sich der unteren Offizierskreise bei der Nachricht von dem Plan des Parlaments bemächtigte, führte zu dem Resultat der Ablehnung der Königswürde. 385 ) Indem die hohen Offiziere wegen dieser Frage unter sich uneinig werden 336 ), verlieren sie ihren entscheidenden Einfluß auf die Handhabung der Verfassung. Diese wird jetzt eine Angelegenheit, die der Protektor und das Parlament unter sich abmachen. Die Verhandlungen, die zwischen ihnen hierüber gepflogen werden, führen zu einer neuen verfassungsrechtlichen Konstruktion des Protektorats, die eine völlige Veränderung der im „Instrument of Government" enthaltenen Regelung bedeutet. Die Entstehungsgeschichte der neuen Verfassung ist kurz folgende: A m 25. Februar 1657 legte der Abgeordnete für London, Sir Christopher P a c k , dem Haus einen Verfassungsentwurf vor, der — wie er erklärt — ein neues „Settlement" für die Nation und für „Freiheit und Eigentum" enthält. E s ist die „Humble Address and Remonstrance of the Knights, Citizens, and Burgesses, now assembled in the Parliament of this Commonwealth", deren Verfasser Londoner Juristen, wie W h i t e l o c k , G l y n n e u. a. sind. Dieser Entwurf enthält als wichtigsten Teil die Verwandlung des Protektorats in ein erbliches, verfassungsmäßig beschränktes Königtum. Das Haus beschließt, in die Beratung der einzelnen Bestimmungen des Entwurfs einzutreten. Diese Beratungen dauern einen Monat und führen zu einem neuen Entwurf, der von dem Parlament dem Protektor zur Annahme vorgelegt wird; der Titel lautet nunmehr: „The Humble Petition and Advice". C r o m w e l l erklärt — die Gründe lernten wir bereits kennen — die Verfassung in dieser Form nicht akzeptieren zu können. Doch sind die Verhandlungen damit nicht abgebrochen, sondern dauern während der nächsten Wochen an. 337 ) Ihr Ergebnis ist die Ablehnung des Angebots der Königswürde und die prinzipielle Annahme der übrigen Bedingungen des Entwurfs. Das Parlament läßt daraufhin den Königstitel fallen und berät über gewisse vom

— 175 — Protektor gewünschte Abänderungen, die in einer „Additional and Explanatory Petition and Advice" zusammengefaßt werden. In dieser Form wird das Gesetz von C r o m w e l l am 26. Juni 1657 angenommen. E s folgt die Inthronisation des Protektors, bei der die Ubergabe des Schwerts, Szepters und einer Bibel an ihn und die Eidesleistung den neuen Ursprung seiner alten Würde versinnbildlichen. Die einzelnen Bestimmungen der „Humble Petition" sind dem Grundgedanken der Ausschaltung des Einflusses der Armee und der Vereinigung von Protektorat und Parlament auf dieser Basis entsprechend. Anknüpfend an die parlamentarische Tradition wird der Protektor verpflichtet, die alten und unzweifelhaften Freiheiten und Privilegien des Parlaments zu erhalten, insbesondere das freie Wahlrecht nicht zu verletzen (Nr. 3), keine Gesetze oder Verordnung ohne das Parlament zu erlassen (Nr. 6) und keine Steuern ohne Bewilligung desselben aufzuerlegen (Nr. 7). Der Protektor dagegen erhält das Recht, seinen Nachfolger zu ernennen (Nr. 1) und ein dem House of Lords nachgebildetes zweites Haus zu berufen — beide Häuser müssen mindestens einmal innerhalb von 3 Jahren einberufen werden — (Nr. 2); ihm wird ein jährlicher Etat von 1300000 £ bewilligt, wovon 1000000 £ allein für die Bedürfnisse der bewaffneten Macht bestimmt sind. Die Ernennung der Mitglieder des „anderen Hauses" ist an die Billigung 338 ), die der Mitglieder „des PrivyCouncil" — wie der Staatsrat nunmehr genannt wird — an die Zustimmung des Councils und des Parlaments geknüpft. Ihre Entfernung kann nicht ohne Einverständnis des Parlaments erfolgen (Nr. 5, 8). Der „Chief Magistrate" — der Protektor wird hier im Gegensatz zum „Instrument" nicht selbst bezeichnet — hat den Oberbefehl über die Land- und Seemacht im Einverständnis mit dem Parlament bzw. dem Council zu führen (Nr. 8). Die Ernennung der höchsten Zivilbeamten muß vom Parlament gebilligt werden (Nr. 9). Das aktive und passive Wahlrecht unterliegt •—• wie früher — starken Beschränkungen. Vollkommen ausgeschlossen sind die irländischen Empörer und die Katholiken, unter gewissen Voraussetzungen die englischen und schottischen Aufständischen. Nicht wählbar sind ferner Atheisten, Trunkenbolde (!) usw. In Glaubenssachen wird die Zulassung zur Staatskirche an gemeinsames Glaubensbekenntnis geknüpft. Ausgeschlossen von der Religionsfreiheit sind Papisten, Prelatisten (die Anhänger der alten Bischofskirche) und Gotteslästerer. Wer an die Dreieinigkeit und die Autorität der Schrift glaubt, ist in der Ausübung seines Gottesdienstes geschützt. Der gegenwärtige Zu-

— 176 — stand der Gesetzgebung und Rechtsprechung wird bestätigt. Alle Änderungen beziehen sich nur auf die Zukunft. Dies die hauptsächlichsten Bestimmungen der neuen Vereinbarung. Sie zeigen keine in die Augen fallende Abweichungen von den Grundsätzen der Protektoratsverfassung, wie sie ja auch äußerlich kein neues Verfassungsinstrument darstellen, sondern lediglich die alte Verfassung, die sie bestehen lassen, abändern. Trotzdem ist die Veränderung grundlegend. Sie besteht darin, daß der Protektor die Exekutive nunmehr ohne grundsätzliche Zustimmung seines „Council'' ausüben kann, an die er bisher in allen Fällen gebunden war. Damit verschwindet das tatsächliche Übergewicht der Armee und die vollziehende Gewalt wird wieder der gesetzgebenden Gewalt unterworfen. Der hieraus für den Protektor selbst entspringenden Gefahr wird vor allem durch die Einrichtung des „anderen Hauses" begegnet, auf dessen Zusammensetzung der Protektor den entscheidenden Einfluß hat. Während also das „Instroument" auf dem Gedanken eines Ausgleichs zwischen der Legislative und der Exekutive beruhte, stellen die Vereinbarungen der „Petition and Advice" das Übergewicht der Parlamentsmacht wieder her. Aber auch die Exekutive wird gegen die Ansprüche der Legislative in ihrer selbständigen Stellung geschützt: rechtlich durch die Einrichtung einer ersten Kammer, faktisch durch die Personalunion mit dem Oberkommando über die bewaffnete Macht, das in den Händen C r o m w e l l s verbleibt. Daß C r o m w e l l sich mit der „Petition and advice" den großen Handelsherren unterwarf oder doch wenigstens sich mit ihnen zu verbinden trachtete, geht ganz deutlich aus der Tatsache hervor, daß zur selben Zeit die Monopole der Handelsgesellschaften wieder hergestellt werden; der Umstand, daß Sir Christopher P a c k , der Urheber des neuen Verfassungsentwurfs, „master" der merchant adventurers Company ist, zeigt zur Genüge den Zusammenhang zwischen den wirtschaftlichen und politischen Zielen jener Aktion. Derselbe P a c k tritt zur gleichen Zeit für die Wiederherstellung des Monopols der Gesellschaft ein. 339 ) Wenig später erfolgt die Wiederherstellung des Monopols der East-Indian Company auf einer neuen rechtlichen Grundlage, die der Gesellschaft eine festere Organisation verleiht. 340 ) Der Handel nach Asien, der von 1 6 5 3 — 1 6 5 7 praktisch frei gewesen sein wird, wird jetzt wieder ausschließlich Angelegenheit der Gesellschaft. Wie dies Monopol gehandhabt wurde, geht aus einem Fall hervor, in dem ein „interloper" namens S k i n n e r seines Schiffes und seines Besitzes in Asien beraubt und von den Commons noch dazu in

— 177 — den Tower geworfen wurde.341) Nimmt man hinzu, daß — wie wir annehmen müssen — auch in der Armee sich insofern eine Spaltung vollzieht, als auch hier sich eine Schicht großer Grundbesitzer herausbildet, die im wirtschaftlichen Gegensatz zu den mittleren und kleinen Grundbesitzern und der großen Masse der Soldaten steht, so leuchtet ein, daß die neuen Machthaber auch auf das politische Leben der Nation Einfluß gewinnen und auf den Verfassungsbau bestimmend einwirken mußten.342) Die neue Schicht war zwar großkapitalistisch, sie war aber nicht feudal. Der Grundbesitz, der früher in den Händen der Lords und Bischöfe gewesen war, gehörte jetzt zum großen Teil den commoners, eine Folge der in großem Umfange stattgefundenen Konfiskationen.343) Die Freihändler, die — wie wir annehmen dürfen — in den Jahren seit 1649 sich zu einem Wirtschaftsfaktor von Bedeutung ausgebildet hatten, waren zu einem beträchtlichen Teil erklärte Gegner der Monarchie. Ihre Befürchtung, daß in dem neuen Haus der Lords die alte Monarchie einen Rückhalt holen könnte, war durchaus ernstlich gemeint. Sie glaubten von einer Restauration die Vernichtung ihrer errungenen Freiheit erwarten zu müssen. Aber auch die Monopolgesellschaften hatten kein aktuelles Interesse an der Wiederherstellung des stuartschen Königtums, von der sie die Beseitigung der presbyterianischen Kirchenverfassung und die Wiederaufrichtung der feudalen und bischöflichen Macht befürchteten. Die Unversönlichkeit der extremen Royalisten anderseits, die gerade aus den unzufriedenen Kreisen der mittleren und unteren Bevölkerungsklassen Zufluß erhielten, ließ den Gegensatz zwischen diesen und der neuen besitzenden Schicht auch als einen sozialen erscheinen. Unter diesen Umständen hatten die herrschenden Stände ein Interesse an der Aufrechterhaltung der bestehenden Verfassung ; sie stellten sich —nachdem sie ihr die für ihre Zwecke geeignete Form gegeben hatten — auf den Boden derselben. In diesem Sinne ist die Neukonstituierung des Cromwellschen Protektorats zu verstehen. Aber wie war diese neue Struktur des Verfassungszustandes mit dem Anspruch der Armee zu vereinbaren, die Tätigkeit des Parlaments zu kontrollieren ? Befanden sich in der Armee nicht gerade diejenigen Elemente der Nation, die durch die neue Entwicklung von dem Anteil an dem öffentlichen Leben, den sie beansprucht hatten, ausgeschlossen worden waren? Die Kluft zwischen militärischer und ziviler Gewalt wurde unter diesen Verhältnissen immer tiefer. Solange der Diktator lebte, konnte sie noch überbrückt werden. Es fragte sich, ob dies auch nach seinem Tode möglich sein würde. Beiheft d. H. Z. 28.

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XI. KAPITEL.

D I E RESTAURATION.

Oliver Cromwell starb. Sein Sohn Richard Cromwell erwies sich als unfähig, das Erbe, das ihm sein Vater hinterlassen hatte, zu behaupten. Der Lauf der Dinge führte zu einer rückläufigen Bewegung und zur Auflösung des durch die Revolution geschaffenen staatlichen und verfassungsrechtlichen Gebäudes. Den Anstoß zu diesem Prozeß gab wieder die Armee. Von ihr war die Initiative zu der Sozialrevolutionären Etappe der Revolution ausgegangen; trotz der Unterdrückung dieser Bewegung in den Reihen der Soldaten und unteren Offiziere war der revolutionäre Geist in ihr nicht erstorben und lebte besonders in den Kreisen der unteren und mittleren Offiziere fort. Die Entwicklung der sozialen Verhältnisse mußte — wie wir im vorhergehenden Kapitel zeigten — zur Unterdrückung der „guten alten Sache" und zur Auflösung derjenigen sozialen Gebilde führen, in deiien sie noch weitergelebt hatte. Des neuen Protektors Bestreben mußte sein, die Armee ihrer faktischen Machtstellung, auf der ihr verfassungsmäßiger Einfluß beruht hatte, noch weiter zu berauben. Aufgewachsen in der neu sich bildenden Gesellschaftsschicht und in deren Interessen vollständig aufgehend, konnte er seine Stellung nur behaupten, wenn er die Armee den neuen Formen des sozialen Lebens anpaßte und sie in ihrem Sinne umbildete.344) Daß die Armee dieselbe bewaffnete politische Partei blieb, als welche sie die Geschicke des Staates bis dahin bestimmt hatte, war ein Gedanke, der für die Besitzer des Handels- und Produktionsapparats, auf die sich der Protektor stützte, immer unannehmbarer wurde. Die Politik der Regierung wendet sich daher jetzt offen gegen die Armee. Das Parlament, das am 27. Januar 1659 zusammentritt, verfolgt eine Politik der Verschleppung der Zahlung rückständigen Lohnes, um die Armee sich gefügig zu machen.345) Die hohen Offiziere, bereits von Cromwell in seinem Sinne beeinflußt und ausgewählt, sind nicht mehr imstande, einen dauernden und energischen

— 179 — Widerstand zu leisten. Die Auflösung der Armee und die Schaffung eines den Bedürfnissen einer Handelsrepublik entsprechenden geringen Söldnerheeres wird jetzt das Ziel der Politik des Protektors und seines Parlaments. Aber nicht so leicht war die Herrschaft der neuen Schicht über die anderen Stände der Bevölkerung zu konstituieren. Die Politik des Protektors und des Parlaments stößt mit Naturnotwendigkeit auf den Widerstand der unteren Offizierskreise der Armee.848) Diese setzen eine Petition auf, in der sie Zahlung der rückständigen Löhnung und energische Bekämpfung der royalistischen Partei, die jetzt ganz offen auftritt und vom Parlament schon nicht mehr ernsthaft unterdrückt wird, fordern.347) Der Konflikt zwischen Armee und Parlament, der die staatlichen Umwälzungen seit 1647 verursacht hatte, wird damit erneuert. Und noch zeigt sich die bewaffnete Macht stärker als die Vertretung der gesetzgebenden Gewalt. Der Anspruch des Parlaments, den Oberbefehl durch den ihm gefügigen Protektor als Oberbefehlshaber der gesamten Streitkräfte selbst auszuüben, führt zur offenen Revolte und zur Forderung derAuflösung des Parlaments. Noch versucht Richard Cromwell, sich auf die ihm ergebene Offizierspartei zu stützen. Aber die Soldaten seiner Leibwache gehen zu den Aufständischen über und lassen ihre Offiziere im Stich. Unter dem Druck der Ereignisse unterzeichnet er die Auflösungsurkunde. Das Parlament wird an seinem Wiederzusammentreten verhindert.348) Die Diktatur der Armee ist damit faktisch wieder gestellt. Es ist interessant zu sehen, wie die Kombinationen, die zur Reinigung und zur Auflösung des Langen Parlaments geführt hatten, jetzt zu denselben Vorgängen, jedoch in rückwärtiger Bewegung und in umgekehrter Reihenfolge, führen. Aus dem Konflikt der Armee mit der republikanischen bürgerlichen Regierung, wie sie im gereinigten Langen Parlament ihren staatsrechtlichen Ausdruck gefunden hatte, war das Protektorat entstanden: eine Diktatur der hohen Offiziere im Interesse der sich ausbildenden, neuen besitzenden Stände. Jetzt, da das Protektorat verschwand, treten die Gegensätze innerhalb der bürgerlichen Kreise selbst wieder in die Erscheinung. Die Kombination des Winters 1649, eine111 Zusammengehen der militärischen und zivilen revolutionären Gewalt beruht hatte, ersteht zu neuer Wirksamkeit. Die Republikaner hatten seinerzeit das Bestehenbleiben des Langen Parlaments im Einvernehmen mit den unteren und mittleren Offizieren durchgesetzt; so wie sie sich wirtschaftlich auf die Mittelschichten stützten und dadurch im Gegensatz zu den Presbyterianern gestanden hatten, 12*



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hatten sie damals in der Armee die Hauptstütze ihrer Stellung gesehen. Der Sturz des Protektors ließ diese Kombination noch einmal zur Macht gelangen. Die Generale, die dem Drängen der unteren Offiziere nachgeben müssen, setzen sich mit ihnen in Verbindung. Am 7. Mai 1659 nehmen die Mitglieder des von Cromwell im Jahre 1653 aufgelösten Langen Parlaments ihre Sitze in der St. Stephans-Kapelle wieder ein. Die Republik, „ohne Herrschaft eines einzelnen, ohne Königtum und Haus der Lords", wird wieder konstituiert. Ein Staatsrat, in dem das militärische und bürgerliche Element vertreten war, wird eingesetzt. Das große Siegel des Protektors wird zerbrochen und dafür das alte Siegel der Republik wieder in Gebrauch gesetzt. Doch war eine dauernde Vereinigung zwischen Armee und Parlament auf dieser Grundlage jetzt ebensowenig möglich wie in der ersten Periode der Republik. So sehr die Republikaner des Rumpfparlaments geneigt waren, den Bestrebungen der Mittelklassen, insbesondere in der Stadt, entgegenzukommen, so wenig waren sie an der Erhaltung des durch die Revolution geschaffenen ländlichen Grundbesitzes interessiert, auf den sich die Offiziere der Armee stützten. Deren Unterstützung brauchten sie nur insoweit, als sie selbst gegen die Gefahr von rechts eines Schutzes bedurften. Als eine selbständige politische Interessenvertretung wollten sie die Armee nicht anerkennen. Nicht ohne Unrecht mochten sie befürchten, daß eine solche Anerkennung zu einer neuen Auflösung und zur erneuten Errichtung der Armeediktatur führen würde. Daß dies die Vernichtung der republikanischen und — wie wir hinzufügen dürfen — der kommerziellen Freiheit zur Folge haben würde, hatten ihnen die Vorgänge der letzten Jahre gezeigt. Auch die nicht gebundenen Handelskreise konnten sich mit einer Diktatur der Landbesitzer nicht versöhnen. Die Frage, bei wem die Entscheidung liege, kommt daher auch jetzt wieder zur Erörterung. Das Parlament beschließt, die Forderung der Generale und Obersten, für sämtliche während der Unterbrechung der Sitzungen des Rumpfparlaments begangene Handlungen Amnestie zu gewähren, nur teilweise zu erfüllen. Damit ist die Möglichkeit gegeben, daß die Offiziere wegen ihrer Handlungen, insbesondere während der Militärherrschaft, nachträglich zur Verantwortung gezogen werden. Die Legalität der Diktaturhandlungen wird grundsätzlich bestritten. Sowohl die persönliche Stellung, wie auch die wirtschaftliche Existenz der Offiziere wird damit in Frage gestellt. Denn die rechtliche Anerkennung ihrer faktischen Position war die Voraussetzung für das Fortbestehen der Armeediktatur. Indem sich so der Zwiespalt



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zwischen den bürgerlichen und den Armeeindependenten offenbart, erscheint diejenige Kombination wieder am Horizont, die zu vereiteln der eigentliche Zweck der bewaffneten Eingriffe der Soldaten gewesen war: die Royalisten und Presbyterianer treten in dem Maße zur gemeinsamen Aktion zusammen, in dem die Front des Republikanismus auseinander bricht. Es ist dieselbe Kombination, die schon Cromwell am meisten gefürchtet und die ihn auf den Weg der Verhandlungen mit dem König geführt hatte. Damals hatten die beiden Besetzungen Londons die Presbyterianer an ihrem Vorhaben, sich mit dem König zu versöhnen, verhindert. Wie ein Keil hatte sich die Armee zwischen die beiden mächtigen Parteien geschoben und die erreichte Stellung im äußeren wie im inneren Kampf zu behaupten gewußt. Doch hatte diese Stellung einen Sinn und eine Aufgabe nur so lange gehabt, als die Rückkehr der alten Monarchie die Wiederherstellung auch der alten Ansprüche des Königtums bedeutet hatte. Sobald das Königtum die vollzogene Strukturveränderung anerkannte, sobald er sich einverstanden erklärte mit der neuen Situation, in der die Umwandlung Englands aus einem ländlichen Feudalstaat in eine See- und Handelsmacht zum Ausdruck kam, war die Diktaturstellung der Armee geschichtlich nicht mehr begründet. Denn gerade der Ermöglichung jener Evolution hatte die revolutionäre Rolle der Armee faktisch gedient. Die Beseitigung der feudalen Elemente des alten Englands hatte den Weg zur Entwicklung der kommerziellen Kräfte freigemacht und die Bildung des neuen Handelsstandes ermöglicht. Diesem konnte es an sich gleichgültig sein, ob an der Spitze des Staatsapparates ein erblicher Monarch oder ein Usurpator stand, wenn nur die Ruhe und Ordnung aufrechterhalten und die sektiererischen Bestrebungen der unteren und mittleren Schichten unterdrückt wurden. Dieser Gang der Ereignisse wurde unterstützt und fand seinen entsprechenden Ausdruck in den Geschehnissen der auswärtigen Politik. Gerade in das Jahr 1659 fallen ja die Verhandlungen zwischen Spanien und Frankreich, die zum Abschluß des Friedens zwischen beiden Mächten im gleichen Jahre führen. Wir sahen bereits, wie die Parteikämpfe in England ihr Spiegelbild in jenem Kampf der beiden großen kontinentalen Monarchien fanden. Auf die französische Politik hatten sich die Presbyterianer, auf die spanische die Royalisten gestützt. Die Friedensverhandlungen nun nehmen beiden Parteien die Hoffnung auf eine Intervention seitens der beiden Mächte zu ihren Gunsten; die spanische Politik verzichtet auf die Unterstützung des französischen Adels, dessen Führer der Prinz von Conde ist, und lässt den Gedanken



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einer Restauration der Stuarts in ihrem Interesse fallen; gerade hierauf beruhte aber — worauf Ranke hinweist349) — die Möglichkeit einer Aussöhnung Condes mit dem französischen König und die innere Konsolidierung Frankreichs. Anderseits mußten nun auch die Presbyterianer die Hoffnung aufgeben, gestützt auf die französische Krone die englische Monarchie nach ihren Grundsätzen wieder herzustellen; sie mußten zufrieden sein, wenn die Royalisten sich mit ihnen auf einen Kompromiß einließen. Und dieser gegenseitige Verzicht auf die ursprünglich erhobenen Ansprüche, die den Anstoß zum Kampf zwischen Königtum und Parlament gegeben hatten, hat nun zur Folge, daß eine gemeinsame Plattform zwischen beiden Parteien entsteht, die, wenn sie auch nicht die Beseitigung aller Gegensätze in sich schloß, doch einen Zustand gegenseitiger Tolerierung schafft und die Entstehung einer einheitlichen monarchistischen Partei ermöglicht, die sich auf den alten Landbesitz und die konservative Kaufmannschaft sowie deren Anhang in Geistlichkeit und Beamtentum stützte. Doch war die Restauration auf dieser Grundlage nicht ohne Kämpfe möglich. Noch stand die Republik und bewies ihre Kraft im Sommer 1659 durch Niederwerfung einer royalistischen Erhebung, die, von den Presbyterianem unterstützt, auf Rückführung Karls II. abzielte. Sie scheiterte an der Aufmerksamkeit der Republikaner, die noch einmal mit der Armee vereint zum Kampf gegen den gemeinsamen Feind antreten. Doch nach der Unterdrückung des Aufstandes tritt der Zwiespalt wieder hervor. Innerhalb des Rumpfparlaments erhalten die handelskapitalistischen Kreise das absolute Übergewicht; ihrem Einfluß unterliegen diejenigen Elemente, die eine Aussöhnung mit der Armee anstreben. Der Beschluß, sämtliche Akte der regierenden Gewalten zwischen 1653 und 1659 für ungesetzlich zu erklären, stößt die Armee in den Zustand der Illegalität und liefert ihre Führer der Willkür der gesetzgebenden Gewalt aus. Man weiß nicht, worüber man sich mehr wundern soll: über die Kurzsichtigkeit dieser Männer, die sich der einzigen Stütze beraubten, die ihnen noch Halt verleihen konnte, oder über die Halsstarrigkeit, mit der sie an der Form der Republik festhielten, die doch nur so lange einen Sinn hatte, als die Monarchie eine Bedrohung ihrer Existenz darstellte. Glaubten sie — und das mußten sie unter den gegebenen Umständen tun —, daß die Rückkehr des Königs sie selbst vernichten würde, so durften sie sich von der Armee nicht trennen. Aber so stark war bereits das allgemeine Gefühl für die Notwendigkeit der Erhaltung der privatwirtschaftlichen Grundlage den revolutionären Bestrebungen der unteren Klassen gegenüber,

— 183 — daß die Furcht vor den letzteren den Blick für die Gefahren der Reaktion trübte. Indem die Republikaner die Armee rechtlos machen, liefern sie sich der Macht der reaktionären Parteien aus. Noch einmal erhebt sich hiergegen die Armee selbst. Am 13. Oktober 1659 finden die Mitglieder des Parlaments die Zugänge zum Sitzungsort gesperrt. Der Sprecher L e n t h a l l wird in seinem Wagen zum Umkehren gezwungen. Die Generale setzen einen Sicherheitsausschuß ein, der aus Offizieren und einigen früheren Mitgliedern des Parlaments besteht. Es ist das letztemal, daß die faktische Macht der Armee versucht, eine rechtliche Form für die Gestaltung der Verfassung zu finden; die Entwürfe, die damals entstehen, bewegen sich auf der Linie, die nach der Auflösung des Langen Parlaments im Jahre 1653 eingehalten war: die Armee soll den Kreis derjenigen bestimmen, die in Zukunft die Regierung ausüben sollen. Zum letztenmal versucht die Diktatur der bewaffneten Macht, im Gegensatz zur parlamentarischen Instanz die Regierungsform der Nation zu bestimmen. Aber schon zeigt sich, daß das Offizierskorps selbst in diesem Punkt nicht mehr einig ist. Die Nordarmee, die unter dem Kommando des royalistisch gesinnten Monk steht, wendet sich gegen die republikanischen Generale. Die Ereignisse, die nun folgen, sind bekannt. Monk, der die anabaptistischen Elemente in seiner Armee ausgemerzt und seine Truppem in royalistischem Sinne neu gebildet hat, rückt gegen die Hauptstadt vor; die Generale werden unter sich uneinig und unterwerfen sich schließlich dem Parlament, nachdem ein Versuch L a m b e r t s , Monk entgegenzutreten, gescheitert ist. Die Royalisten und Presbyterianer erheben sich jetzt um so mutiger, je schwächer die Macht der Republikaner wird. Diese selbst sehen sich nun auch von denjenigen Juristen und Geistlichen verlassen, die bis dahin zu ihnen gehalten hatten.350) Monk, der das Rumpfparlament wieder herstellt, vereinigt sich mit der City, in der die konservativen Elemente, die seinerzeit von den Republikanern aus der Stadtverwaltung entfernt worden waren, wieder die Oberhand gewinnen. Diese nehmen die Verbindung mit Karl auf und treten in offenen Widerstand gegen das Parlament. Der vereinigten Macht der Royalisten und des royalistischen Generals muß das Parlament weichen. Am 21. Februar 1660 werden die im Dezember 1648 ausgeschlossenen presbyterianischen Mitglieder des Parlaments in dasselbe zurückgeführt. Die Herrschaft der Presbyterianer ist damit wieder hergestellt, die Republik faktisch aufgehoben. Das letzte Hindernis: die Frage, wie sich der König zu den inzwischen erfolgten Veränderungen stellen werde, wird durch die Deklaration

— 184 von Breda {4. 4. 1660) beseitigt; Karl verspricht Amnestie für alle Gewaltakte, freie Religionsausübung und Legalisierung der stattgefundenen Besitzverschiebungen.351) Am 25. April tritt das neu gewählte Parlament zusammen, in dem jetzt auch die Royalisten vertreten sind. Zugleich versammelt sich das alte Haus der Lords. Es folgt die Einladung an den König. Am 29. Mai 1660 hält der König seinen Einzug in London. Die Republik ist beseitigt, die Monarchie wieder hergestellt. Die Restauration bedeutet einen vollen Sieg der Royalisten über die konstitutionelle Partei. Zwar blieben die Presbyterianer im allgemeinen zum Dank für ihre dem König geleisteten Dienste von Strafmaßnahmen befreit; aber ihre politischen und kirchlichen Forderungen mußten sie bis auf wenige und unbedeutende Konzessionen fallen lassen. Von einer Durchsetzung der presbyterianischen Kirchenform und einer entsprechenden Beschränkung des Königtums ist nicht mehr die Rede. Das Bischofssystem wird wieder eingeführt, und nur durch Erweiterung der Rechte der unteren Geistlichkeit wird den presbyterianischen Forderungen in etwas nachgegeben. Und mit voller Schonungslosigkeit und persönlicher Rachsucht gehen der König und seine royalistischen Ratgeber gegen alle vor, die sich an der Person des Monarchen und an ihren Gütern vergriffen haben. Im Widerspruch, wo nicht mit dem Wortlaut, so doch jedenfalls mit dem Sinn seiner Deklaration von Breda drängt der König auf Bestrafung der „Königsmörder" und dankt dem Haus der Lords für seine hierauf gerichtete Tätigkeit. 352 ) Überhaupt erweisen sich die royalistischen Lords und die Bischöfe als die eifrigsten Verfechter reaktionärer Maßnahmen; alle Ansprüche der vorrevolutionären Zeit werden von ihnen jetzt in noch schärferem Maße geltend gemacht. Ohne Rücksicht auf den gutgläubigen Erwerb ehrlicher Käufer werden Bischofsländer und Gutshöfe entschädigungslos eingezogen und von ihren früheren Eigentümern wieder in Besitz genommen. Das, was dieses Vorgehen der Reaktion charakterisiert, ist, daß es nicht so sehr gegen die Gegner der alten Monarchie überhaupt — denn dann hätten sie sich auch gegen die Presbyterianer, die den Kampf begonnen hatten, wenden müssen — als gegen diejenigen Vorkämpfer der Revolution gerichtet ist, welche die Volksinteressen gegenüber den feudalen und kirchlichen Machthabern vertreten hatten. Das ist der eigentliche Sinn des Prozesses und der Hinrichtung der „regicides": das Volk soll von jedem Gedanken an eine Wiederholung der Erhebung gegen das angestammte Königshaus abge-

— 185 schreckt, es soll durch Furcht in dem Zustand der Unterwerfung gehalten werden. Zu welchen Orgien des Hasses diese Gesinnung fähig war, zeigt die Schändung der Leichname Cromwells, I r e t o n s und B r a d s h a w s , die zuerst an den Galgen gehängt und deren Häupter dann in Westminsterhall zur Schau gestellt werden. Und alsbald füllen sich die Gefängnisse mit den Angehörigen der Sekten. Ein Aufstand der Männer der Fünften Monarchie, der die ganze City in Aufregung versetzt und darauf angelegt ist, die Gefängnisse zu erobern und die gefangenen Gesinnungsgenossen aus denselben zu befreien, beleuchtet die verzweifelte Stimmung, in der sich diese Kreise der Bevölkerung jetzt befinden. Seine Niederschlagung durch die Miliz und die regulären Truppen gestaltet sich trotz des zahlenmäßigen Mißverhältnisses sehr schwierig. Denn mit einem an Wahnsinn grenzenden Todesmut kämpfen die Aufrührer, deren geringer überlebender Rest den Tod am Galgen erleidet. Einen Erfolg konnten solche Erhebungen jetzt, da die Armee aufgelöst und damit die bewaffnete Organisation der Revolution beseitigt ist, nicht mehr haben. Aber es war doch nicht mehr das alte England, das aus den Kämpfen der Revolution hervorging. Zu tief waren die Spuren, die die Umwälzung hinterlassen hatte, als daß sie durch die Welle der Reaktion völlig hätten verwischt werden können. So sehr die großen Handelsherren mit den extremen Royalisten in der Niederwerfung der Volkserhebungen einverstanden sein mochten, ihre neu errungene Stellung im Staate aufzugeben waren sie nicht gewillt. Und zu groß waren ihre Beziehungen auch zur Adels- und Hofpartei, als daß ihr Einfluß hätte ohne weiteres beseitigt werden können. Das alte feudale England konnte noch ein Viertel]ahrhundert hindurch den Versuch machen, den alten Zustand zu behaupten, dann aber hatte der Handel einen solchen Umfang erreicht — denn erst nach der Restauration beginnt der Handel Englands sich voll zu entwickeln und die beherrschende Stellung in der Welt einzunehmen, die er seitdem behalten hat —, daß es darangehen konnte, die alten feudalen Institutionen, die seiner Entwicklung im Wege standen, ohne Erschütterung des sozialen Gebäudes zu beseitigen. Das Königtum der Stuarts, das seine feudal-reaktionären Anhänger nicht preisgeben will, verschwindet endgültig. Damit beginnt erst das House of Commons die herrschende Stellung im englischen Staatsleben einzunehmen, die alle entscheidenden Staatsakte, insbesondere aber die Finanzierung derselben, von seiner Bewilligung abhängig macht und das gesamte politische Leben der Kontrolle der von ihm vertretenen Kreise unterwirft. Ein Zustand also, wie er vom



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Langen Parlament angestrebt worden war, mit dem Unterschiede jedoch, daß die neue Rechtsordnung eine solche sowohl der Landwirte und der konservativen Handelskreise als auch des neu entstandenen freien Handelsstandes ist. Denn die Zunahme des Umfangs des englischen Handels am Ausgang des 17. Jahrhunderts hatte zur Folge, daß der freie Handel seine Stellung neben dem gebundenen Handelskapital behaupten und — der Entwicklung der internationalen Marktverhältnisse entsprechend — weiter ausbauen konnte. 353 ) In der Partei der W h i g s finden diese freiheitlichen Bestrebungen ihre politische Vertretung, während die Landherren und die royalistischen Elemente der Kaufmannschaft sich als T o r i e s im Parlament zusammenschließen. Auf dem Gleichgewicht dieser beiden Parteien beruhte hinfort die Herrschaft des Unterhauses. Aber so labil war dieses Gleichgewicht doch, daß keine der alten Institutionen der Verfassung geändert wurde. Man zog es vor, die Formen der Herrschaft bestehen zu lassen und nur den Inhalt zu verändern. Das, was die große Revolution vergeblich versucht hatte: die neuen Formen der Wirtschaftsentwicklung mit den alten Institutionen der feudalen Monarchie in Übereinstimmung zu bringen, gelingt jetzt. Die Formen der englischen Verfassung bleiben für fast anderthalb Jahrhunderte unverändert und erst im 19. Jahrhundert bewirken die Umwälzungen im industriellen Aufbau des Landes eine Fortbildung der Konstitution in demokratischem Sinne. Die Lage der unteren Schichten, der Pacht- und Freibauern und der Handwerker, wird durch diese Entwicklung nicht verbessert, Der selbständige freie Landbesitzer verschwindet im 18. Jahrhundert. Die Löhne steigen nur wenig über das nach der Restauration festgesetzte Niveau. Aber innerhalb der höheren Schichten schafft die, „glorious revolution" allerdings einen Freiheitsbegriff, der historisch jedenfalls von größter Bedeutung geworden ist und die Emanzipation des Bürgertums auf dem Kontinent ermöglicht hat, dergestalt, daß lange Zeit hindurch die englische Verfassung dort als das Ideal einer freien Verfassung betrachtet werden konnte. Diese Entwicklung beruht auf der Abschaffung zweier Prinzipien, die bis zur Revolution von 5688 in fast allen europäischen Staaten gegolten hatten: des Prinzips der Konformität, wonach die Untertanen dieselbe Religion wie der Souverän haben mußten, und des Grundsatzes des J u s divinum des Monarchen und des passiven Gehorsams des Untertans. Beide Grundsätze werden jetzt von der Monarchie freiwillig aufgegeben. Damit wird der Zustand erreicht, den die Presbyterianer und die Independenten, beide in ihrer Art und

— 187 — unter verschiedenen Voraussetzungen, vergeblich als einen dauernden zu konstituieren gestrebt hatten. Insoweit hat die Revolution von 1688 das vollendet, was die von 1640 begonnen hatte. Und noch ein anderes Ergebnis bringt diese Entwicklung mit sich: die Toleranz in religiöser Hinsicht, für welche die Sekten gestritten, die die Gebildeten gewünscht und die Bischöfe und presbyterianischen Geistlichen bekämpft hatten, wird jetzt eine Notwendigkeit. England wird von jetzt ab das Land der religiösen Freiheit. Wie sehr es gerade hierdurch befruchtend und befreiend auf die europäische Staatenweit gewirkt hat, braucht hier nicht ausgeführt zu werden. Die Entwicklung des modernen europäischen Geistes kann nicht ohne diese Einwirkung gedacht werden. Der großartige Aufschwung, den die englische Nation auf den so gewonnenen Grundlagen genommen hat, ist bekannt und oft genug beschrieben und bewundert worden. Vergessen wir aber darüber nicht, daß es die schweren politischen und sozialen Konflikte der großen Revolution waren, die den Weg, der zu dieser Entwicklung führte, freigemacht haben. Cromwells Größe liegt gerade darin, daß er innerhalb derselben die Lage klar beurteilte und nicht zögerte, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, wenn es die Lage der Dinge gebot. Indem er dem alten monarchisch-feudalen England den Todesstoß versetzte, schuf er die Voraussetzungen für den Aufstieg des Bürgertums und eröffnete die Ära der bürgerlichen Epoche in der europäischen Staatengeschichte. Kein Zufall ist es, daß die in den Kämpfen seiner Zeit geschaffenen Verfassungen und Verfassungsentwürfe die ersten modernen Konstitutionen sind; der Aufstieg des Bürgertums hat sich seitdem auf denselben Bahnen bewegt, wie sie durch jene Gestaltungen der staatlichen Struktur vorgezeichnet worden waren. Unaufhaltsam sind jene Ideen vorwärtsgeschritten, die in den Verfassungskonstruktionen der Independenten und der Leveller ihren Ausdruck gefunden haben. Wir begegnen ihnen seitdem in allen Epochen revolutionärer Staatsumwälzungen, nicht nur in Europa, sondern auch auf den anderen Kontinenten.354) Solchergestalt hat die „Great Rebellion" fortgewirkt in den folgenden beiden Jahrhunderten und hat, verurteilt von den einen, gelobt von den anderen, den Streit der Meinungen und den Kampf der politischen Parteien in der Folgezeit befruchtet. Wir brauchen heute nicht mehr Partei zu nehmen für oder wider die Ideen, die damals Glück und Unglück der von ihnen ergriffenen Menschen bestimmten. Gerade darum kann uns die Erforschung jener historischen Vorgänge den Einblick in die Verfassungsprobleme und in die soziale und staatliche Struktur der Nationen überhaupt eröffnen.

ANMERKUNGEN.

1) S. Anm. 119. 2) Abgesehen von dem Problem der Grundrechte habe ich mir bezüglich der politischen Ideengeschichte der behandelten Epoche weitgehende Beschränkung auferlegen müssen. Sie ist nur an einzelnen, besonders hervorspringenden Punkten berührt worden (Toleranzidee, Jus Divinum, Naturrecht usw.). Eine eingehendere Behandlung würde bei der erdrückenden Fülle des Materials eine gesonderte Darstellung erfordert haben. 3) S. neuestens K i t t e l , Oliver Cromwell, seine Religion und seine Sendung, 1928. — 4) T ö n n i e s , Thomas Hobbes, der Mann und der Denker, 2. A., 1912; L i p s , Die Stellung des Thomas Hobbes zu den politischen Parteien der Großen Englischen Revolution, 1927; G. P. G o o c h , Political Thougt in England, London 1923; Ivor B r o w n , English Political Theory, 2. A., London 1929; M u r r a y , The History of Political Science from Plato to the Present, Cambridge 1926 (S. 203 ff.); L o r d , The Principles of Politics, Oxford 1921, u. v. a. Der Anteil von Hobbes ist unverhältnismäßig viel größer als der M i l t o n s . Seit P u f e n d o r f ist Hobbes auch in der deutschen Literatur eingeführt. Weitere Literatur möge in den zitierten Werken gefunden werden. 5) Die Zahl der Werke, die sich mit der englischen Revolution befassen, ist gewaltig. Hier seien nur einige der Hauptwerke genannt: G a r d i n e r , History of England 1603—1642, 1883/4; History of the great Civil War, 1893; History of the Commonwealth and Protectorate 1649—1660 (1894 bis 1903); The Constitutional Documents of the Puritan Revolution 1625 bis 1660 (2. A., 1900); Cromwells Place in History, 1897; C. H. Firth, Cromwells Army, 1902; The House of Lords during the Civil War, 1910; The last Years of the Protectorate 1656—1659, 1909; Oliver Cromwell and the rule of the Puritans in England, London 1924; M a c a u l a y , The History of England, Bd. 1, London 1858; T h e C a m b r i d g e M o d e r n H i s t o r y , Bd. 4, Kap. 8 — 1 2 ; M. G u i z o t , Histoire de la Révolution d'Angleterre, 4. A., Paris 1850 ; M o n t a g u e , The political History of England 1603—1660, 1907; R a n k e , Englische Geschichte 1859—1869, S.W. Bd. 15 ff.; A. S t e r n , Geschichte der Revolution in England, 1881 (W. Oncken, Allgem. Geschichte in Einzeldarstellungen III, 4); Lord M o r l e y , Oliver Cromwell, London 1904; T r e v e l y a n , G. M., History of England, 1926; England under the Stuarts, 1904. Von verfassungsgeschichtlichen Werken seien genannt:

— 189 — D i c e y , A. V., The Law of the Constitution, 1885; G n e i s t , Englische Veriassungsgeschichte, 1882; H a t s c h e k , Englische Verfassungsgeschichte bis zum Regierungsantritt der Königin Victoria, 1913 (Below u. Meinecke, Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte, Abt. 3); F i g g i s , J . N., The Divine Right of Kings, 2. A., 1914; H a l l a m , Henry, The Constitutional History of England from the Accession of Henry VII. to the Death of George II., 1876; A n s o n , Sir William, Law and Custom of the Constitution, 4. A., 1909; T a n n e r , J . R., English Constitutional Conflicts of the Seventeenth Century (1603—1689), Cambridge 1927; A d a m s , G. B., Constitutional History of England, London 1921; M a s t e r m a n , A History of the British Constitution, London 1912; M o n t a g u e , The Elements of the English Constitutional History, 1923; T a s w e l l - L a n g m e a d , English Constitutional History, 9. A., London 1929; M a i t l a n d , F. W., The Constitutional History of England, Cambridge (1908) 1926; H a l l , D. G. E., A brief Survey of English Constitutional History, London 1925. Eine glänzende Darstellung der verschiedenen Theorien jener Epoche gibt G o o c h , G. P., English Democratic Ideas in the Seventeenth Century, 2. A. (Laski), Cambridge 1927. 6) H a l l a. a. O. S. 88. 7) S. Mac N e i l l , The Constitutional and Parliamentary History of Ireland till the Union, 1917. 8) He told him that if Laud hoped ,,to make that stubborn Kirk stoop more to the English pattern" he „knows not the stomach of that people" (nach T a n n e r a . a . O . S. 84). 9) M o t h l e y ( J . L.), History of the United Netherlands, 1. Bd., S. 7. 10) R o g e r s , J . E. T., A History of Agriculture and Prices in England, 7 Bände, 1861 — 1882, Bd. V, S. 128. 1 1 ) Im Jahre 1601 verließen 8—900 Schiffe innerhalb von 3 Tagen den Hafen von Amsterdam mit Ladung für baltische Häfen. ( E d m u n d s o n , G., History of Holland, Cambridge 1922, S. 98.) 12) Noch 1641, in der ersten Zeit des „Langen Parlaments", konnte Sir Thomas Roe im Unterhaus erklären, daß der Handel mit den nördlichen Ländern für England der wichtigste Handelszweig sei. Der Südhandel bringe nur Wein und Früchte, der Handel mit Schweden, Preußen, Moskovien, Norwegen, Livonien dagegen die notwendigen Rohmaterialien wie Teer, Pech, Tauwerk, Mäste. H a r l e y a n , Miscellany, Bd. IV, S. 436. 13) 1600 erfolgte die Gründung der ersten Ostindischen Kompanie: „The Governor and Company of Merchants of London trading to East Indies." 1597 war der „Stalhof", die Hanseatische Niederlassung in London, der früher den Handel Englands mit dem Norden und Osten beherrscht hatte, aufgehoben. 14) Daß dies bisher nur in geringem Umfang geschehen ist, sei hier nur beiläufig bemerkt. So groß der Unterschied in der Auffassung und im Umfang der Quellenforschung zwischen C l a r e n d o n s The History of the Rebellion and Civil Wars in England und etwa der Englischen Geschichte R a n k e s sein mag, im Stoff ist unsere politische Geschichtsschreibung seit ihren frühesten Anfängen wenig verändert. Das gleiche muß von den Erklärungen der Verfassungsgeschichte gelten.

— 190 — 15) R o g e r s , J . E. T., The Economic Interpretation of History, 2. A., 1891, S. 3. S. von demselben Autor: The Industrial and Commercial History of England (ed. A. G. L. Rogers), London, Six Centuries of Work and Wages, London 1884. 16) a. a. O. S. 10 ff. 17) Rogers, Agriculture and Prices, Bd. 5, S. 89. Eine ebenso überragende Stellung hat Edinburg in Schottland (S. 77). 18) Rogers, das., S. 141. 19) Rogers a. a. O. 1629 erhielten New England und Massachusetts, 1632 Maryland Korporationsrechte. 20) Die Bedeutung dieses Ereignisses für die neuere Geschichte kann kaum überschätzt werden. ,,The struggle of the united Netherlands against the power of Spain is in the history of modern Civilisation what the struggle of Greece against Persia was in that of antiquity" schreibt Rogers (Six Centuries of Work and Wages, Bd. 2, S. 452). „For the philosopher and the statesman, the square of the Binnenhof should be the holy place of modern Europe, because there the greatest problem of modern history was solved and the greatest of deliverances planned and carried out." Der Einfluß dieses Ereignisses auf d. dtsch. Kultur und Literatur des 17. Jahrhunderts ist bekannt. 21) Vgl. act of 4 & 5, James I., cap. 2. Ende des 17. Jahrhunderts betrug der Wert der geschorenen Wolle ca. 2 Millionen, der der verarbeiteten Wolle ca. 8 Millionen £. (Rogers, Agriculture and Prices, Bd. 5, S. 96.) Das Einkommen Englands wurde damals — wohl zu niedrig — auf 43 Millionen, das Frankreichs auf 81, das der Generalstaaten auf 1 8 % Millionen berechnet. 22) Agriculture and Prices, Bd. 5, S. 103. 23) Rogers a. a. O. S. 82. Norwich, eines der Hauptzentren der Wollindustrie, ist nach dem assessment von 1503 die 6., Bristol die 2. Stadt des Königreichs. Aber zu Beginn des Bürgerkrieges ist Norwich die 2. Stadt und ist mit nahezu der dreifachen Summe, wie Bristol, besteuert, während 1503 letzteres die doppelte Summe wie Norwich aufbrachte. 24) Rogers a . a . O . S. 91: 2823000 zu 2675520 Angehörigen der besitzenden Klassen. 25) Rogers a. a. O. Bd. 4, S. 60. 26) Rogers, Six Centuries, S. 333. 27) Rogers, Agriculture and Prices, Bd. 5, S. 610. 28) a. a. O. S. 628. 29) Es mag immerhin hervorgehoben werden, daß es die Gesetzgebung auch an Versuchen, die Armenfrage zu lösen, nicht hat fehlen lassen. Seit dem 16. Jahrhundert finden wir eine Armengesetzgebung, die nicht nur — wie bis dahin — beggary und vagrancy mit grausamen Strafen belegte, sondern Einrichtungen für die Arbeitsunfähigen schafft. Das erste englische Gesetz in dieser Beziehung ist die Act of 22 Henry VIII. c. 12 (1531) „How Aged Poor and Impotent Persons compelled to live by alms shall be ordered". (Sidney and Beatrice W e b b , English Poor Law History, Part. 1, 1927, S. 45.) S. ferner E. M. L e o n h a r d , The Early History of English Poor Relief, 1900, Sir George N i c h o l i s , A History of the English Poor

— 191 — Law, London 1898. Auch die Reformatoren des 16. Jahrhunderts waren in hohem Maße von Rücksichten sozialer Art gelenkt worden. Von besonderer Bedeutung war natürlich die Einziehung der Klöster, die bis dahin die Hauptträger der Wohlfahrtspflege gewesen waren. Vgl. über die Pläne Luthers: Gustav S c h m o l l e r , Zur Geschichte der national - ökonomischen Ansichten in Deutschland während der Reformationsperiode, 1861. Das Luthersche Schema fand weite Verbreitung in Deutschland und in den Niederlanden Hier wurde namentlich die Armengesetzgebung von Ypern richtunggebend für ganz Westeuropa (S. u. B. W e b b a. a. O. S. 39). Es sei bemerkt, daß Thomas Morus bei seinen Besuchen von Brügge wahrscheinlich mit den Problemen, die in Ypern den Anstoß zu dieser Gesetzgebung gegeben haben, bekannt geworden ist und die Anregungen für seine Utopia erhalten hat. Die Ursache für das Anwachsen der Arbeitslosigkeit bildete die bereits erwähnte Veränderung der Handelswege und der dadurch bedingte Niedergang der Manufaktur in Deutschland und in den Niederlanden. (Innerhalb eines Jahrhunderts sank die Bevölkerungszahl von Ypern von nahezu 100000 auf weniger als 6000 Einwohner; S. u. B. Webbs, S. 39). 30) Der Bauernführer Wat Tyler wollte das Königtum erhalten und nur das System der feudalen Abhängigkeit beseitigen. Er ist insofern ein Vorläufer Cromwells. (Rogers, Agriculture and Prices, Bd. 4, S. 94.) Schon damals bestand eine Interessengemeinschaft zwischen den Bauern und den städtischen Handwerkern. 31) Ein weiterer Grund waren die „Einhegnungen" (enclosures), die während des ganzen 16. u. 17. Jahrhunderts vorgenommen werden und das Gemeindeland verschwinden lassen. S. A. H. J o h n s o n , The Disappearance of the small Landowner, Oxford 1909, S. 46 ff. 32) S. W. C u n n i n g h a m , The Growth of English Industry and Commerce in Modem Times, Cambridge 1921, Bd. 2, 214 f. S c h a n z , Englische Handelspolitik gegen Ende des Mittelalters, Leipzig 1881, Bd. 1, S. 327 f. W. R. S c o t t , The Constitution and Finance of English, Scotish and Irish Joint-Stock Companies to 1720, Cambridge 1 9 1 2 ; G. C a w s t o n and A. H. K e a n e , The Early Chartered Companies, London-New York, 1896; Fr. L o h m a n n . Die staatliche Regelung der englischen Wollindustrie, Staatsund sozialwissenschaftliche Forschungen, Bd. 18, Leipzig 1900. 33) Nach E h r e n b e r g , Hamburg und England im Zeitalter der Königin Elisabeth, Jena 1896, S. 8, betrug im Jahre 1564/5 die Tuchausfuhr 81,60% des gesamten englischen Exports. 34) Damals wurde der englische Stapel in Hamburg eingerichtet und die Vorherrschaft Hamburgs im überseeischen Handel begründet. S. hierüber E h r e n b e r g a. a. O. 35) Cunningham a . a . O . S. 231. 36) Vor 1633 stellten die Holländer nicht mehr als 2000 Tuche, einige Jahre darauf bereits 20000 Tuche her. C u n n i n g h a m a. a. O. Anm. 2. 37) Cunningham a. a. O. 38) Leider fehlt es an jeder Untersuchung der Parteienverhältnisse unter diesem Gesichtspunkt. Die Parteien der englischen Revolutionsparlamente sind vielmehr bisher lediglich unter politischem und religiösem Aspekt betrachtet worden. So notwendig dies ist — wir werden selbst im

— 192 — folgenden diese Gesichtspunkte vorwiegend berücksichtigen — so muß zum Verständnis doch auch hier das ökonomische Element berücksichtigt werden. Dabei mag die Frage, welches Element das ausschlaggebende gewesen ist, dahingestellt bleiben. M. E . braucht von einem Vorwiegen eines dieser Elemente überhaupt nicht gesprochen zu werden. Vielmehr treffen sich die verschiedenen Triebkräfte in der Sphäre der einzelnen Persönlichkeit und geben dieser das für die betreffende Zeit charakteristische Kolorit. Hervorzuheben ist allerdings, daß nach dem Abschluß der englischen Revolution das religiöse Element zurückzutreten beginnt. (Cromwell selbst wünscht, daß sein Sohn nicht in Theologie erzogen werde, sondern Geschäfte, etwas Geschichte, Mathematik und Cosmographie lerne. S. G. L. B e e r , Cromwells Economie Policy, Political Science Quarterly [Columbia University], Bd. 17, S. 66.) Das Zeitalter der Religionskämpfe ist eben vorbei und es entwickelt sich jene Anschauungsweise, die bis heute herrschend ist. 39) C u n n i n g h a m a. a. O. S. 244, 249. 40) E h r e n b e r g a. a. O. S. 1 2 1 , 183. Die englischen interlopers saßen vor allem in Nürnberg. 41) C u n n i n g h a m a. a. O. S. 229. 42) E h r e n b e r g a . a . O . S. 25; L o h m a n n a . a . O . S. 2. 43) S. das pamphlet: A Discourse consisting of Motives for Enlargement and Freedome of Trade . . . bei C u n n i n g h a m a. a. O. S. 231, Anm. 2. 44) L o h m a n n a . a . O . S. 72. 45) C u n n i n g h a m a. a. O. S. 243, Anm. 3. Die „Company of Merchant Adventurers of Exeter" beklagt sich 1560 über die „excessyve number of Artificers, and other unexpert, ignorant and unworthie men, which did take upon them to use the Arte, Science and Mysterie of Merchandize and traffique of Merchant Wares, to the great detriment of the Commonwealth of this Realme of England, and to the manifest ympoverishment of the said Citye and incorporate certain Merchantes therein named . . .". 46) Cunningham a . a . O . S. 215/16. 47) B e e r a. a. O. Bd. 16, S. 588. 48) Man denke an die Politik Jakobs I. und Karls I. sowie an den 2. Holländischen Krieg, der wesentlich im Interesse der Ostindischen Kompanie geführt wurde. 49) C u n n i n g h a m a. a. O. S. 286. 50) Wir haben hier den eigentlichen Ursprung der demokratischen Freiheitsrechte vor uns. In den Schriften des demokratischen Führers der Revolution John Lilburne", die wir noch kennen lernen werden, tritt dieser Zusammenhang ganz deutlich hervor. 51) Z. B . die Herstellung von Salz, das bis dahin von Frankreich importiert worden war,' von Salpeter, das für die Bereitung des Schießpulvers unentbehrlich war, u. a. 52) Es ist eine interessante Erscheinung, daß die monopolistisch-zentralisierende Politik der Stuarts später von C r o m w e l l wieder aufgenommen wurde, allerdings unter ganz veränderten Verhältnissen. Überhaupt wäre die C r o m w e l l s c h e Politik nicht möglich gewesen, wenn nicht der Boden jür sie von den Stuarts vorbereitet gewesen wäre. 53) Rogers, The Economic Interpretation of History, S. 133.

— 193 — 54) S. die Schriften von H a r e in den H a r l e y a n Miscellanies, z. B . B d . 6, S. 36, „Englands proper and only way to an Establishment in Honour, Freedom, Peace, and Happiness . . . " (1648). Der Verfasser bestreitet den „foreigners called Normans" das R e c h t auf die Krone Englands, das nach wie vor den alten angelsächsischen Königen zukomme. E r geht freilich weit über die parlamentarische Opposition hinaus, wenn er — folgerichtig — auch den Rechtstitel des Parlaments bestreitet (der j a auf der charter der normanischen Könige beruhte) und von dessen Mitgliedern verlangt, daß sie entweder ihren T i t e l aufhöben oder auf ihre Eigenschaft als Engländer verzichteten. 55) G o o c h , Demoer. Ideas, S. 9, 17. 56) Nach Gooch, Demoer. Ideas, S. 6. 57) Vgl. R o g e r s , Agriculture and Prices, Bd. 5, S. 1 0 3 : ,,I suspect t h a t t h e Habeas corpus A c t and other guarantees of liberty were far more import a n t securities t o t h e wealthy and noble than t h e y were t o the labouring poor, and t h a t t h e paysant and artisan might have invoked these safeguards in vain." 58) Die Verbrennung von Michael Servetus am 27. Oktober 1 5 5 3 in Genf wurde von Beza, dem Nachfolger Calvins, verteidigt. Vgl. seine Schrift De Haereticis a Civili Magistratu Puniendis (1554). Die weltliche Macht hat über alle abweichenden Meinungen zu wachen und sie als Verbrechen gegen G o t t zu bestrafen. E i n christlicher Magistrat darf die Abweichungen der Bürger in Religionsangelegenheiten nicht dulden. D e r ' K e t z e r ist mit dem Tode zu bestrafen. (S. M u r r a y , The Political Consequences of t h e Reformation, 1926, S. 183.) 59) Die hugenottischen Theoretiker (die sog. „Monarchomachen") stimmen darin überein, daß das Widerstandsrecht des Volkes nicht dem einzelnen Individuum, sondern nur dem Volk als Ganzen zustehe. S. B e z a s Du Droit des Magistrats sur leurs Sujets. Selbst ein D u p l e s s i s - M o r n a y , der ihr schärfster und glänzendster Vertreter ist und den Gedanken des Vertrages a m schärfsten ausgeführt hat, — er unterscheidet drei Verträge: zwischen dem König und Gott, zwischen Gott und dem Volke und zwischen König und Volk — schließt die „populace" von jeder Teilnahme an diesem dreifachen Vertragsverhältnis aus. Das „ V o l k " ist nicht „hoi polloi" und nicht ein einzelnes Individuum. E r warnt vor dem Beispiel der Wiedertäufer von Münster. (S. Murray a. a. O. S . 206.) Der Zweck der Aufrechterhaltung von geistlicher und weltlicher Macht in bestimmten, von den bisherigen freilich abweichenden Formen als Henschaftsinstrument gegenüber der Masse t r i t t in diesem dreifachen Vertragsinstrument deutlich hervor. 60) Vgl. folgende engl. L i t e r a t u r : Lord A c t o n , Political Thoughts on t h e Church, 1859, neugedruckt in T h e History of Freedom, London 1907, S. 188 f f ; F i g g i s , J . N., T h e Divine Right of Kings, 1896; d e r s . , Pblitical Thought in the Sixteenth Century, Cambridge Modern History, B d . 3, 1904, K a p . 22, S. 7 5 1 ; S t r o u g h t o n , J o h n , History of Religion in England, 4. A., 1 9 0 1 ; H a w k i n s , L . M., Allegiance in Church and S t a t e , 1 9 2 8 ; G o o c h , G. P . , Pblitical Thought in England, S . 7 ff.; B r o w n , Ivor, English Political Theorie, 2. A., 1929, S. 38 f f . ; Sir Frederic P o l l o c k , History of t h e Science of Politic; C. H. Mc I l w a m , T h e High Court of Beiheft d. H. Z. 28.

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— 194 — Parliament and Its Supremacy, 1910; H e a t l e y , D. P., Studies in British History and Pblitics, 19x3, S. 1—30; L a s k i , H. J . , Introduction to: Brutus (Stephanus J.)> A Defence of Liberty against Tyrants, 1924; H e a r n s h a w , F , J . C., The Social and Political Ideas of some Great Thinkers of the X V I t h & X V I I t h Centuries, 1926, S. 105 ff. u. a. m. 61) Die Bedeutung der „Theokratischen Staatstheorie" ist oft unterschätzt worden, namentlich in Deutschland. Mohl, Gesch. u. Lit. d. Staats^ Wissenschaften, 3 Bde, 1855 ff., und B l u n t s c h l i , Geschichte d. neueren Staatswissenschaft, 3. A., 1881, erwähnen sie nur flüchtig und nur im Zusammenhang mit den Kämpfen des Mittelalters. Aber auch bei W o l z e n d o r f f , Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt, Breslau 1916, sucht man vergebens nach einer Behandlung dieses Gegenstandes. Es ist ein unbestreitbares Verdienst der englischen Wissenschaft, insbes. von F i g g i s , die große Bedeutung der Lehre vom Jus Divinum bereits vor Jahrzehnten erkannt und ausführlich dargestellt zu haben. Ich selbst habe die theokratische Staatslehre B o s s u e t s und ihre Abwandlung durch F 6 n £ l o n in meiner Arbeit: Französische Staatslehren im 17. und 18. Jahrhundert (Hamburgische Öffentlichrechtliche Abhandlungen, Heft 15, Hamburg 1925) beleuchtet, allerdings ohne die ökonomischen Grundlagen der damaligen Zeit zu kennen und ohne genügende Berücksichtigung der Literatur. Vgl. auch meinen Aufsatz: „Staat und Gesellschaft" bei Bossuet, (Arch. f. Gesch. d. Phil. u. Soz., Bd. 28, Heft 1 u. 2). Die Bedeutung dieser Theorie betonen heißt natürlich nicht ihr eine aktuelle Wirksamkeit zuschreiben. Ich stimme J e l l i n e k vollkommen darin bei, daß der Gedanke, Adam in die Staatslehre einzuführen — die patriarchalische Staatslehre F i l m e r s ist eine Spielart der theokratischen Theorie —, heute lächerlich wirkt (Ausgewählte Schriften u. Reden, 2. Bd., Berlin 1 9 1 1 , S. 30). Aber die Entstehung und das Wachstum der modernen liberalen Ideen kann nur dann richtig verstanden-werden, wenn man. ihr Gegenstück — die monarchische Staatsidee — historisch würdigt und zu verstehen sucht. 62) Letzteres gilt natürlich nicht für W y c l i f und seine Schule. W y clif ist, wie bereits bemerkt, ein Vorläufer des Puritanismus. Aber auch er läßt die Lehre von der Verantwortlichkeit des Fürsten Gott gegenüber unberührt, nur daß er.sie ausdehnt, indem er die Verantwortlichkeit den Menschen gegenüber hinzufügt. 63) Vgl. G o o c h a. a. O. S. 51 ff. 64) ,,No Bishop, no King", nach R o g e r s , Lessons from the Dutck Republic, in National Life and Thought, London 1891, S. 243. 65) Es sei bemerkt, daß die Universitäten sich den Bischöfen in der Verteidigung der göttlichen Institution des Königtums hinzugesellten. S. Gooch a. a. O. S. 54. Oxford und Cambridge standen bis zuletzt auf Seiten Karls I., ohne freilich nach seinem Sturz das Schicksal der Bischöfe zu teilen. 66) Ich bin mir darüber klar, daß eine innere Einheit zwischen Kirche und Staat auch dort nicht bestanden hat, wo sie in gemeinsamer Front stehen. Die Kämpfe zwischen weltlichen und geistlichen Autoritäten im Mittelalter sind bekannt genug, um diese Feststellung ohne nähere Darlegung

— 195 — treffen zu können. (Ich habe in der oben zitierten Arbeit — Anm. 61 — gerade diesen Gesichtspunkt in den Vordergrund gestellt, damit der Tradition der politisch-historischen Schule in Deutschland folgend.) Das schließt aber nicht aus, daß Königtum und Kirche überall da in einer Front stehen, wo sie ihre Stellung gegen die modernen Ideen zu verteidigen haben. Dies trifft zum mindesten für England vor der Revolution zu. S. hierzu Lord A c t o n a. a. O. (Anm. 60); F i g g i s , Political Thought, S. 752, weist andererseits mit Recht darauf hin, daß die Lehre vom göttlichen Recht des Königs auch den Ansprüchen des Staats auf Unabhängigkeit von den konkurrierenden Ansprüchen der Kirche zu dienen hatte, und daß sie die geschichtliche Ausdrucksform ist, in der der bürgerliche Staat sein Recht auf Existenz verteidigte. Das ist richtig, soweit es die kirchlichen Ansprüche im allgemeinen, insbesondere die alten Tendenzen des Papsttums auf Hegemonie innerhalb der christlichen Welt anlangt. Die Reformation greift allenthalben auf das göttliche Recht der Könige zurück. (S. G a r d i n e r and S p e d d i n g , Studies in English History, S. 245; F i g g i s , Divine Right, S. 15, 179 u. pass.) Die anglikanische Kirche in ihrer episkopalen Verfassung ist aber seit jeher mit dem Königtum verbündet gewesen. Und jedenfalls treten beide dem Puritanismus in geschlossener Front entgegen. 67) Über die geschichtliche Entwicklung der Theorie in England siehe F i g g i s , Divine Right, S. 17 ff. 68) Figgis a. a. O. S. 5. 69) Figgis a. a. O. S. 224. 70) C l a r e n d o n klagt, daß die „professors of that great and admirable mystery, the Law", alle auf der puritanischen Seite stünden. Nach Figgis a. a. O. S. 232. 71) Er konnte den Verlust wohl-verschmerzen. Die Cokes zählten zu den größten Grundbesitzern in Norfolk (s. R o g e r s , Agriculture and Prices, Bd. 5, S. 811). 72) Jenkins war einer der unbeugsamsten Parteigänger Karls I. Während seiner langjährigen Gefangenschaft weigerte er sich standhaft, die Autorität des Parlaments und seiner Richter anzuerkennen. Er wurde schließlich gegen Ende des Commonwealth freigelassen und starb wenige Jahre nach der Restauration. (S. d. Artikel: J e n k i n s , David, in dem Dictionary of National Biographie.) Er verfaßte zahlreiche Flugschriften, in denen er die Prärogative des Königs unter Berufung auf das englische statute law verteidigte. Die hier benutzte Flugschrift: „The Vindication of Judge Jenkins, Prisoner in the Tower, the 29. of April, 1647" ist der Thomason Collection of pamphlets, Brit. Mus, Bd. 317, entnommen. 73) Die Entgegnung auf die Jenkinssche Flugschrift (An Answer to the Poysonous seditious Paper of Mr. David Jenkins, Thom. Coll. a. a. O.) vindiziert dem Parlament eine „concurrent power". Die Macht des Königs ist „distinguishable" von seiner Person. Wenn der König selbst einen Unterschied macht, indem er einerseits durch „Legall Writs, Courts, and Officers", andererseits „extrajudicially by word of mouths, letters, or Ministers" regiert, so muß man seiqer Macht eher als seiner Person gehorchen. Demgegenüber konnte J . mit Recht darauf hinweisen, daß dem Unterhaus niemals das Recht zur „examination upon Oath" verliehen worden sei. Der 13*

— 196 — „Court" sei nur im House of Lords, wo der König selbst sitze. Das House of Commons habe kein Recht der Verhaftung, weder für Mord, noch für felonie, noch für treason. Niemals sei jemand verurteilt worden ohne des Königs Writ. Auf diesen könne sich das jetzige Parlament aber nicht berufen, wenn es den König verhindere, an seinen Sitzungen teilzunehmen. All dies war unbestreitbar. Die Antwort darauf (The Cordial of Mr. David Jenkins or his Reply to H. D. Barrister of Lincolns Inn Answered a. a. O.) greift demgemäß auf Argumente zurück, die außerhalb des positiven Rechts liegen. Die Prärogative des Königs beziehe sich nicht auf Handlungen, die dem allgemeinen Wohl schädlich seien. Man müsse zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Zeiten unterscheiden. Das Gesetz sei auch eine Sache der Billigkeit. Man dürfe nicht die geringere Sache unterstützen um Nachteil der wichtigeren. Die Grundlage des Rechts sei „reason, improved with logik", seine Spitze „policy crowned with History and Philosophy". Der Gegensatz zwischen der alten monarchistischen und der naturrechtlichen Rechtsauffassung tritt hier mit aller Deutlichkeit hervor. Er zeigt uns, daß das Naturrecht — den Begriff in seiner geschichtlichen Entwicklung genommen — dazu diente, die Ansprüche des „dritten Standes" gegenüber dem Staatsrecht der Monarchie durchzusetzen. Diese Rolle hat es auch in Deutschland gespielt — man denke an T h o m a s i u s , P u f e n d o r f , W o l f f —, wo es dazu führte, daß die „reason improved with History and Philosophy" der beherrschende Gedanke wurde, und das Zeitalter des Rationalismus inaugurierte. Freilich war es hier nicht stark genug, um den Parlamentarismus zu begründen, sondern diente—eine eigentümliche Wendung in der Geschichte — gerade dazu, den aufgeklärten Absolutismus zu rechtfertigen, indem es den Staatsbegriff vom Monarchen abstrahierte und den „ S t a a t " eine eigene „ratio" beilegte. (Vgl. hierzu M e i n e c k e , Die Lehre von der Staatsräson", 2. A.; s. dagegen m. Aufsatz: Zur Lehre von der Staatsräson, Arch. ö. R . N^ F . 9, Heft 3.) 74) Auch in England besteht der Gegensatz in nuce noch heute. Zwar ist dadurch, daß der Rechtstitel der Krone 1688 ein parlamentarischer wurde, ein Gleichgewicht zwischen Königtum und Parlament geschaffen worden, wie es keine andere Monarchie Europas erlangt hat. Mit Recht kann die englische Nation den Ruhm für sich beanspruchen, auf diesem Wege geistig und materiell den höchsten Stand erreicht und die Forderungen der Zeit am besten verstanden zu haben. Aber die Grundlagen des englischen Staatsrechts sind heute noch dieselben wie früher. Die Restauration von 1660 ist zwar die Voraussetzung für die Entwicklung der Folgezeit gewesen. Aber sie hat, indem sie die Rechtskontinuität wieder herstellte, auch alle Probleme der englischen Rechtsentwicklung wieder aufgerollt. Noch heute besitzt die englische Krone Rechte feudaler Herkunft; so ist er z. B . der König von England noch heute Pfründner von S. Davids (nach R o g e r s , Agriculture and Prices, Bd. 5, S. 13). 75) S. Anm. 14. 76) Ausgabe von 1823 (Oxford, Clarendon Press), Bd. 1, S. 53, 44 u. pass. 77) Englische Geschichte, S.W. Bd. 16, S. 337. 78) In seiner vorsichtigen Ausdrucksweise sagt er (S. 99): „Denn wenigstens als ein indirekter Erfolg muß es angesehen werden, daß die Bi-

— 197 — schöfe, die ihr Recht dagegen zu wahren suchten, vielleicht auf eine etwas ungeschickte Weise (!) aus dem Oberhaus entfernt wurden." 79) a. a. O. S. 456. 80) So geschah es, als der König am 4. 1. 1642 den Versuch machte, die fünf führenden Mitglieder des Unterhauses gegen den Willen desselben zu verhaften. Man kann natürlich nicht darüber urteilen, ob es dem König nicht doch möglich gewesen wäre, sei es im Rahmen der Verfassung, sei es unter Bruch derselben, die Verhaftung der fünf Mitglieder durchzusetzen. Seine Handlung ist ihm jedenfalls immer besonders zum Vorwurf gemacht. 81) Bekannt sind die Vorgänge gelegentlich des Prozesses gegen Strafford. Die Rede des Königs zugunsten des Earls ruft starke Unruhen in der City hervor. Die Menge droht das Haus des spanischen Gesandten zu besetzen und kann nur mit Mühe vom Lord Mayor daran gehindert werden. Sie blockiert die Eingänge des Palastes in Whitehall und des Parlaments mit den Rufen: „Justice and execution", ,,If we have not the Lieutenants Life, we will have the King's". Der König wendet sich darauf an das House of Commons mit dem Ersuchen, Maßnahmen gegen die Ruhestörer zu treffen, diesem so die Möglichkeit gebend, den Druck der Massen für seine Zwecke zu benutzen. Der blinde Alarm, das Haus der Gemeinen sei in die Luft gesprengt, führt zum Ausrücken der „trained bands" (Stadtmiliz von London). Die Minister und Richter raten dem König, zur Rettung seines und seiner Angehörigen Lebens Strafford fallen zu lassen. Auf ein Schreiben des Königs an die Lords, in dem er diese auffordert, Str. zu begnadigen, antworten diese, daß dies mit Rücksicht auf die ihm drohende Gefahr nicht möglich sei. Sie wollen nicht einmal das Schreiben des Königs behalten und gestatten auch nicht die Verschiebung der Hinrichtung um nur einige Tage! Die würdige Antwort des Königs lautet: „ M y Lords, what I have written to you, I shall be content it be Registered by you in your House; in it you see my mind, I hope you will use it to my honour." Die Lords beschließen daraufhin: „that these Lines should go out with the Kings Letter, when any copies of the Letter were dispersed." (Nach N a l s o n , Impartial Collection of the Great Affairs of State, London 1683, Bd. 2, S. 198.) Schon damals war übrigens die allgemeine Ansicht, daß diese Unruhen von P y m und seinen Anhängern angestiftet worden seien (a. a. O. S. 189). Daß sie den stärksten Eindruck auf alle Beteiligten machten, kann keinem Zweifel unterliegen. Auch den Bischöfen gegenüber wird die Menge aufgeregt. Eine Flugschrift: „The Discovery of Mysteries or the plots and practices of a prevalent faction in this parliament" (1643) von Gr. W i l l i a m s , Bischof von Ossory, enthält folgende Schilderung von den Angriffen auf die Bischöfe in Westminster: Sie kommen „with swords and staves and other unfashionable though not inconsiderable weapons, to cry ,no Papists, no Bishop' . . . and by this they put the good Bishops in great fear." Sie rufen: „what Bishop soever they met they would be his death." Der Verfasser fügt hinzu: „ I thanked God they knew not me to be a Bishop." Die Menge zerschlägt die Tür der Westminster Abbey und wird nur mit Mühe vom Eindringen in die Kirche abgehalten. Der Verfasser glaubt, daß das Unterhaus diese Volksbewegung unterstützt. Auch in der Provinz scheinen,solche Gewalttätigkeiten vorgekommen zu sein. In O x f o r d wer-

— 198 — den den Statuen der heiligen Jungfrau und des Erlösers die Köpfe abgeschlagen, die Bilder der Meiligen in den Fluß geworfen. In W o r c e s t e r wird die Orgel zerstört, die Menge tanzt mit den Orgelpfeifen den „mprris"Tanz. In Winscombe (Gloucestershire) macht die Menge aus der Kirche ein Schlachthaus, schlachtet Schafe, die sie gestohlen haben, und bereitet sie auf dem Altar zu. Das Münster von L i n c o l n wird als Stall eingerichtet, in W i n c h e s t e r wird die Asche der Sachsenkönige zerstreut. Der Verfasser behauptet, daß dies nur einige Beispiele der Gewalttätigkeiten der Bevölkerung seien. 82) Über die literarische Tätigkeit Jakobs I. s. insbes. H e a r n s h a w (Anm. 60). 83) Im Jahre 1547 schreibt der spanische Gesandte von den Sitzungen der Commons: ,,No man present at the sittnigs dare for his life's sake open his mouths or say a word, without watching the will of the King and his Council." (Nach W. N o t e s t e i n , The Winning of the Initiative by the House of Commons; The British Academy; The Raleigh Lecture on History, s

- 7) 84) Vgl. N o t e s t e i n a . a . O . , bei dem zahlreiche weitere Beispiele zu finden sind. 85) N o t e s t e i n a . a . O . S. 40, Anm. 1. 86) Die Regierung war übrigens auch bei dieser Wahl eifrig bemüht, sich eine gefügige Mehrheit im Unterhaus zu schaffen. Wahlbeeinflussungen seitens der königlichen Beamten und der Lords fanden in großem Umfang statt und hatten zum Teil Erfolg. Allerdings regte sich auch ein starker Op.positionsgeist innerhalb der boroughs und Korporationen. Selbst Oxford wählte einen Juristen, der keine Sympathien für die Royalisten hegte und einer der. heftigsten Gegner des Königs wurde: John Seiden. ( K e r s h a w , The Elections for the Long Parliament, Engl. Histor. Review, Bd. 38, S. 496.) 87) S. Anm. 5. Von zeitgenössischen Darstellungen und von Quellensammlungen seien hier nur einige der bekanntesten genannt: C l a r e n d o n , History of the Great Rebellion; ders., State Papers, Oxford 1773, Bd. 2; C a l e n d a r of S t a t e P a p e r s , M i s c e l l a n e o u s S t a t e P a p e r s , London 1778; T h u r l o e , A Collection of State Papers, London 1712, Bd. 1 ; R u s h w o r t h , Historical Collections, London 1692, B d . 3 ; H a r l e y a n M i s c e l l a n y , London 1808; W h i t e l o c k , Memorials of the English Affairs, London 1732; B u r n e t s History of my own Time, Oxford 1897, Bd. 1 ; T h o m a s o n Coll e c t i o n of Pamphlets pp, Brit. Mus., London, die Publikationen der C a m d e n S o c i e t y usw. 88) Ich brauche nur auf die Werke von G a r d i n e r und F i r t h zu verweisen. Die wichtigsten Verfassungsdokumente finden sich bei G a r d i n e r , The Constitutional Documents of the Puritan Revolution (s. Anm. 5); N o t e s t e i n (The Stuart Period: Unsolved Problems, Washington 1919) weist darauf hin, daß die handschriftlichen Aufzeichnungen jener Zeit: noch eine Fülle unbekannten Materials enthalten. 89) Thomas E d w a r d s , Gangraena, 2. A., 1646, S. 17. Er nennt 16 Arten von Sekten: Independandts, Brownists, Chiliasts or Millenaries, Antinomians, Anabaptist, Manifesterians or Arminians, Libertines, Familists, 1924.

— 199 — Enthusiasts, Seekers and Waiters, Perfectists, Socinians, Arians, Antitrinitarians, Antiscripturists, Sceptices and Qu est ionist. Die Quäker, die in dieser Aufzählung nicht enthalten sind, kamen erst in dem zweiten Jahrzehnt der Revolution auf. Sie sind verwandt mit den Täufern in deren mennonistischem Zweig. Die Independenten wurden bald die herrsehende Sekte. Von den übrigen waren die Männer der fünften Monarchie, Baptisten und Quäker die bedeutendsten. (S. G o o c h , Democratie Ideas, S. 220.) 90) Die presbyterianische Kirchenverfassung war eingeführt: 1559 in den reformierten Kirchen von Frankreich, 1568 in den Niederlanden, 1570 in Schottland. Der schottische Covenant, die Grundlage der schottischen reformierten Kirche in Schottland, wurde unter dem Einfluß der schottischen Kommissionäre und unter dem Eindruck der Siege des Königs, die einen Rückhalt an Schottland erforderlich erscheinen ließen, am 22. 9. 1643 in London angenommen und am darauffolgenden Sonntag auf den Kanzeln der Londoner Kirchen verlesen. Über die Geschichte der engl. Kirche im ^Bürgerkrieg s. vor allem S h a w , W. A., A History of the English Church, 2 Bd., 1900. 91) Die ,,amazed and astonished brethren of Scotland" hatten ein sehr lebhaftes Interesse an der Aufrechterhaltung des Covenant in England. In Wahrheit ging es dabei um die Frage, ob England oder Schottland die Führung auf der britischen Insel übernehmen sollte. Die Independenten waren in außenpolitischer Beziehung die Feinde Schottlands. (S. das Beispiel in Gangraena, S. 86.) 92) Gangraena, S. 18. 93) Das. S. 18. 94) Das. S. 18. 95) Das. S. 20. 96) Das. S. 22. 97) S. A. A. S e a t o n , The Theory of Toleration, S. 51. Es ist eine der interessantesten Erscheinungen jener Zeit, daß diese freigeistigen Ideen gerade in die Church of England Eingang fanden. L a u d war mit C h i l l i n g w o r t h befreundet. Ihm wurden, ebenso wie den Sekten, arminianische Tendenzen nachgesagt. Die arminianische Lehre wurde in Holland, wo sie ihren Ursprung hatte, auf der Synode von Dordrecht unterdrückt. Das Ergebnis dieser Synode-trug viel zur Stärkung des Presbyterianismus in England bei. 98) Auf den doppelten Ursprung der Toleranzidee weist auch M. F r e u n d , Die Idee der Toleranz im England der großen Revolution, Halle 1927, hin. Er unterscheidet die in der Renaissance und in der Reformation wurzelnden Vertreter des Toleranzgedankens. Das deckt sich mit dem hier wiedergegebenen Standpunkt. Doch glaube ich, daß die Unterstreichung des sozialen Fundaments den Gegensatz noch schärfer hervortreten läßt. Die intellektuellen Verfechter der Toleranz wollten den sozialen Bau und die kirchliche Verfassung im Grunde nicht verändern; da sie auf eine gewaltsame Durchsetzung ihrer Ideen verzichteten, so war ihre Lehre eine reine Theorie. Die Sekten dagegen bekämpften die Kirche und wollten ihren Bau zerstören. Wenn ihnen dies auch nicht gelang, so war die von ihrem Kampf ausgehende Erschütterung doch stark genug, um das Prinzip der KonformitäVauf dem die alte Episkopalkirche ebenso beruhte, wie die presbyteria-



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nische, zu beseitigen und damit den Weg für die Entstehung der politischen Demokratie frei zu machen- Ohne die Kämpfe der'englischen Revolution, die wir noch kennenlernen werden, wäre dieses Ergebnis nicht erreicht worden. 99) Gangraena, Teil I,. S. 20. 100) a. a. O. 101) a. a. O. S. 21. 102) a. a. O. 103) a. a. O. S. 22. 104) a. a. O. S. 23. (Formulierung eines gewissen Paul H o b s o n , eines „ignorant mechanick".) 105) Die Flugblätter sind voll davon. Die neuen Prediger gehören nach meinen Feststellungen meistens dem Handwerkerstand an. 106) Thomason Collection, Bd. 194 (An Antidote against the contagious Air of Independency, S. 12). 107) S. Thomason Collection, a. a. O. (The Propositions of the Kings Commissioner; betr. die Verhandlungen in Uxbridge). 108) S. die Vorschläge der Parlamentskommissäre in der Flugschrift Aom. 107. 109) Gangraena, S. 23. Vgl. über die Millerianer oder „Fünfte Monarchie Leute" G o o c h , Democratic Ideas, S. 108, 220. 110) Bezeichnend ist das Flugblatt ,,Mock Majesty or the Siege of Münster" (Thom. Collection a. a. O.), das eine ausführliche Beschreibung der Vorgänge während der Münsterschen Revolte gibt. Es ist dem „Worshipfull Mr. Richard Lithgold, Mr. John Child", bailiffs von Kingston, gewidmet ,,for their . . . surpressing novell Fancies". S. auch G a n g r a e n a , S. 95/96. xxr) S. „Die Religion in Geschichte und Gegenwart" 1913, Bd. 5, S. 569 (Art. Sekten); dort Literatur. 1 1 2 ) Die Ähnlichkeit dieser Lehren mit der Lutherschen springt in die Augen. Auch L u t h e r kann nur richtig aufgefaßt werden, wenn man seine Lehre als einen Ausdruck der allgemeinen Opposition gegen das Episkopalsystem und das durch dieses ausgebildeten Dogma auffaßt. Sein Zurückgreifen auf die Bibel, sein Kirchenbegriff als Gemeinschaft aller Gläubigen, sein Begriff des Laienpriestertums sind Gedanken, die ihn als einen entschiedenen Gegner des bestehenden Kirchensystems erscheinen lassen; man braucht nur die Ähnlichkeit dieser Ideen mit den Lehren der Sekten, die wir oben kennen lernten, zu beachten, um eine Vorstellung von der umwälzenden Wirkung derselben zu erhalten. Wie kommt es aber, daß Luther trotzdem gegen alle revolutionären Bewegungen seiner Zeit auftritt und sich für Kirchenregiment, Disziplinierung des Glaubens durch das Bekenntnis einsetzt ? Die Gründe sind verschiedener Natur: 1. Politisch: Luther wollte das Landesfürstentum und die soziale Struktur des Landes erhalten und die Fürsten in ihrem Kampf mit dem Kaiser unterstützen. 2. Soziologisch: Das Bürgertum, zu dem er gehörte, brauchte eine feste Grundlage, die es sowohl gegen den Radikalismus wie gegen die Junker schützte. Diesen Schutz konnte ihm nur das Landesfürstentum gewähren. 3. ökonomisch: Die beginnende wirtschaftliche Krisis in Deutschland und die damit verbundene Erregung der Massen erforderten ein System des Ausgleichs der verschiede-



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nen Bewegungen, wie ihn nur das Landesfürstentum schaffen konnte. 4. Religionsdogmatisch: Die individualistische Grundlage der Lutherschen Gedanken -wird allmählich modifiziert; sie wird nicht etwa aufgegeben, sondern durch den Gedanken weitergebildet, daß die Schöpfung, indem sie ein Ausdruck des göttlichen Willens ist und das Gesetz desselben in sich trägt, nur die äußere Form darstellt, in der der Wille Gottes a k t u e l l zum Ausdruck kommt, ohne daß sie v i r t u e l l ein solcher Ausdruck sein müßte. Darin liegt die Rechtfertigung der weltlichen Gewalt und ihrer Verbindung mit dem Kirchenregiment. Vgl. hierüber und über die Weiterbildung dieser Lehre meinen Aufsatz: Conring und die deutsche Staatsrechtsliteratur im 17. Jahrhundert (Ztschr. f. d. ges. Stwiss., 1926, S. 128 ff.). 1 1 3 ) Teil 1, S. 86. 114) Gangraena, S. 105. C l a r k s o n i s t der Urheber der oben wiedergegebenen These, daß die Heil. Schrift nicht imstande sei, Gott zu offenbaren. Er wurde später im Jahre 1650 wegen seines Buches „The Single E y e " durch Parlamentsbeschluß wiederum zu Gefängnis verurteilt, das Buch vom Henker verbrannt. (S. R o b e r t s o n , J . M., A Short History of Freethought, 3. A., 1915, Bd. 2, S. 76.) 1 1 5 ) M a s s o n , David, Life and Time of John Milton, 1873, Bd. 3, 5. 138 ff., Bd. 5, S. 15 f f ; B a r c l a y , R., The Inner Life of the Religious Societies of the Commonwealths, 1876; H. W e i n g a r t e n , Die Revolutionskirchen Englands, Leipzig 1868. 116) Gangraena, Teil x, S. 86. 1 1 7 ) Gangraena, S. 1 1 3 . S. auch M a s s o n , Life of Milton, Bd. 3, S. 158. 118) Aus einem Manifest der Presbyterianer. Die Schrift erschien 1643 mit dem Verlagsort Amsterdam auf dem Titelblatt. Eine umgearbeitete Ausgabe erschien 1655 in London („Man wholly mortal"). 119) Vgl. hierzu und zum Folgenden vor allem P e a s e , Th. C., The Leveller Movement, 1916, S. 7 ff. Ferner R o t h s c h i l d , Walter, Der Gedanke j der geschriebenen Verfassung in der engl. Revolution, 1903. Wilh. K o t t i e r , Demokratie und Rätegedanke in der großen englischen Revolution, Leipziger rechtswissenschaftl. Studien, Heft 15, 1925. 120) Einen charakteristischen Ausdruck hat diese Zwitterstellung des Parlaments in den Schriften Henry P. P a r k e r s gefunden, über den P e a s e a. a. O. S. 23 ff. berichtet. Das Lange Parlament war zwar durch den Gang der Entwicklung gezwungen, sich eine selbständige Gesetzgebungsbefugnis beizulegen. Trotzdem hat es die konstitutionelle Linie praktisch niemals überschritten. 1 2 1 ) P e a s e a . a . O . S. 98. 122) G o o c h , Democratic Ideas, S. i n (Thom. Coli., Bd. 164, 84 usw.). 123) M a s s o n , Life of Milton, Bd. 2, S. 591. 124) Thom. Coli., Bd. 194, „An Antidote against the contagious air of Independency", S. 14. 125) G a n g r a e n a , Teil 3, S. 262. 126) a. a. O. S. 232. 127) Der Poet Edmund W a l l e r macht freilich hiervon eine Ausnahme; er verteidigte im Jahre 1641 die Aufrechterhaltung des Episkopats mit der Gefahr, die „unserem" Eigentum drohe, wenn dem Volk erst einmal das

— 202 — Geheimnis e n t h ü l l t sei, daß ihm n i c h t s versagt werde, wenn es in Massen auft r e t e . S. G o o c h , Democratic Ideas, S. 175. 128) S. z. B. G a n g r a e n a , Teil 3, S. 232, 262 u. pass. 129) Vgl. ü b e r seinen äußeren Lebenslauf: Dictionary of National Biographicy, A r t . Lilburne, J o h n ( F i r t h ) . 130) Bezeichnend ist ein Brief eines I n d e p e n d e n t e n a n einen Presbytel i a n e r aus d e m J a h r e 1647. Der Verfasser f ü r c h t e t die Übergriffe der letzteren, die nicht n u r die Kirche, sondern auch den S t a a t reformieren wollen; er f ü r c h t e t , d a ß die Presbyterianer die „copy holds" ebenso für unchristlich e r k l ä r e n wollen, wie das Bischofsland. (Vgl. Thom. Coli., B d . 5 1 7 , ,,A L e t t e r of a n I n d e p e n d e n t " , S. 5.) Die „copy-holder" m a c h t e n die große Mehrzahl d e r Bauernbevölkerung aus. Sie spielten damals wirtschaftlich eine weit größere Rolle als heute. E i n e Verwandlung d e r Copy-holder in Tagelöhner h ä t t e eine agrarische Umwälzung von größtem U m f a n g b e d e u t e t u n d die englische Bauernschaft vernichtet. 1 3 1 ) G a n g r a e n a , Teil 3, S. 63. 132) Die R e n t e war damals die H a u p t k a p i t a l s a n l a g e . Sie spielte dieselbe Rolle, wie h e u t e H y p o t h e k e n u n d Wertpapiere. Über die Zusammensetzung der Parlamentsarmee s. F i r t h , Cromwells Army, 1921. Neben d e n Bauern, P ä c h t e r n und Handwerkern stellten auch die Wollarbeiter ( W e b e r ) ein s t a r k e s K o n t i n g e n t von Mitgliedern der Armee. 133) Vgl. P e a s e a . a . O. S. 86 ff. 134) Sie waren keineswegs u n b e g r ü n d e t . Auch wenn m a n die persönliche E r b i t t e r u n g L i l b u r n e s in Abzug bringt — seine berechtigten E n t schädigungsforderungen wurden i h m jahrelang vorenthalten —, bleibt g e n u g a n tatsächlicher Korruption u n d Mißwirtschaft übrig, u m seine Beschwerden a u c h tatsächlich als gerechtfertigt erscheinen zu lassen. S. P e a s e a . a. O. S. 109, A n m . 38. 135) E s ist m . W . hier d a s erstemal i n der Geschichte, d a ß d i e Prinzipien d e r politischen Demokratie — Überordnung des Volkes über die ständische Vertretung, individuelle Gleichheit vor d e m Gesetz, Sicherung der Volksrechte vor d e n Eingriffen d e r Behörden u n d gesetzlichen Vertretungen, Aufb a u des S t a a t s von u n t e n h e r — klar formuliert werden. Dadurch u n t e r scheiden sich die Independenten von d e n religiösen Sekten, sowie von den Republikanern (gemäßigten Independenten) und d e n Konstitutionellen (Presbyterianern). 136) S. z. B. Thom. Coli., B d . 294 (1646/47) „ R e g a l l Tyrannie discover e d " , S. 75, 76 u. pass. Auch die B e r u f u n g auf das „common b i r t h r i g h t of English-men" f i n d e t sich bereits bei L i l b u r n e (a. a. O. S. 73). 1 37) S p ä t e r fanden sich auch die übrigen radikalen Bewegungen jener Zeit m i t d e m bestehenden Gesetzesapparat ab. Man d e n k e an d i e Entwicklung, d i e das Q u ä k e r t u m u n d der B a p t i s m u s in seiner mennonistischen Ausp r ä g u n g gewonnen haben. 138) Allerdings meint L . nicht d a s „ J u r i s t e n r e c h t " , das v o n Wilhelm d e m Eroberer eingeführt worden war, sondern das a l t e „Volksrecht" d e r angelsächsischen Vorfahren. (S. hierzu P e a s e a. a . O. S. 132.) Auch hierin o f f e n b a r t sich d e r bürgerlich-demokratische C h a r a k t e r dieses Verteidigers d e r Volksrechte.

— 203 — 139) Die frühere Auffassung ist bereits von P e a s e aufgegeben. Einen weiteren bedeutenden Fortschritt stellt die Arbeit von K o t t i e r (Anm. 119) dar, der unter glücklichster Verwendung des benutzten Quellenmaterials die m. £ . beste Darstellung der Entwicklung des politischen Independentismus gibt. Auf seine Ausfahrungen sei als Ergänzung zu dem hier Gesagten vollen Umfangs verwiesen. K o t t i e r trägt auch bereits den sozialen und ökonomischen Fundamenten der Bewegung Rechnung; wenn er auch in dieser Hinsicht über Andeutungen nicht hinauskommt, so gestatten seine Ausführungen doch eine Ergänzung auf diesem Gebiet und mögen in dieser Arbeit eine Erweiterung erfahren: in sozialer Beziehung insofern, als sie die parteipolitische Differenzierung nach Maßgabe des fortschreitenden revolutionären Prozesses darlegt und daraus die Spaltung der Independenten erklärt, in ökonomischer Hinsicht durch den Hinweis auf die verschiedene Struktur der in der Partei der Independenten vertretenen Interessengruppen, die im wirtschaftlichen Existenzkampf miteinander liegen. Über die Schwierigkeiten, die diesem Versuch entgegenstehen, habe ich mich bereits in der Vorbemerkung geäußert. 140) Vgl. G o o c h a. a. O. S. 156. 141) Die Stimmung scheint im parlamentarischen Lager während des Bürgerkrieges teilweise sehr flau gewesen zu sein. In dem Anm. 130 zitierten Brief eines Independenten an einen Presbyterianer heifit es: »You know in what low condition we both were, when Sir Thomas Fairfax lay before Oxford, how tumultuous the Londoner were, when Leicester was taken, and how we were resolved to passe over the Channel, if Naseby fight had gone against us". 142) Der Brief Anm. 141- enthüllt die Übereinstimmung zwischen beiden Parteien auch in dieser Hinsicht. Er fordert lediglich Toleranz der independentistischen Kongregationen seitens des Königs. 143) R u s h w o r t h , IV, 1, S, 576. 144) F i r t h , Cromwells Army, S. 46. 145) Ich sehe hierin das, was man als die Dialektik des historischen Prozesses bezeichnet. Dieser besteht darin, daß der Gegensatz von Thesis und Antithesis! auf dem jede Bewegung beruht, neue Gegensätze hervorruft,, die zu einer. Spaltung innerhalb der alten Behauptungssphären führen und diese selbst als ein Kompositum verschiedener Bewegungsrichtungen erkennen lassen. Es kommt darauf an zu erkennen, daß die Spaltungen die notwendige Folge des alten Gegensatzes sind und sich aus der Entwicklung desselben ergeben. 146) S. K o t t i e r a. a. O. S. 17. 147) S. F i r t h a. a. O. S. 40. 148) N o o r t h o u c k , History of London, London 1773. S. 187. 149) S. K o t t i e r a . a . O . S - 2 1 . 150) Die Armee wird also, wie schon K o t t i e r richtig gesehen hat (S. 13), zum parteipolitischen Instrument. 151) Vgl. zum Folgenden: The Clarke Papers, Bd. 1 (Ausgabe der Camden Society, mit Einleitung von Firth); R u s h w o r t h a. a. O.; Firth,.Cromwells Army, S. 349 ff., insbes. K o t t i e r , der die Stellung der Soldatenräte; die Verhandlungen mit den Offizieren und die Haltung der hohen Offiziere

— 204 — besonders klar und ausführlich darstellt, a. a. O. S. 21 ff.). Auf seine Darstellung sei als Ergänzung des hier Gesagten verwiesen. 152) Sie sollten gleichzeitig im Sinne der Presbyterianer umgebildet werden (Kottier a. a. O.). 153) Clarke Papers, I, S. X, S. 2. S. auch Thom. Coll., Bd. 309 (1647), Nr. 18 u. 19. 154) Clarke P., S. 6. 155) Rushworth a . a . O . S. 474; Clarke P., S. 430 ff. 156) Wie der Geist der Soldaten bereits damals war, zeigt z. B. folgende Erklärung einer Kompanie des Regiments S h e f f i e l d : ,,Wee, the Souldiers in Captain Evelyn's Troope, desire, ,,First, „Before any man of us list our names for Ireland, we desire satisfaction for our arrears heere in England according t o the Parliament's manifold Declarations and Remonstrances. ,,Wee desire a satisfactory answer to our Officers Request given in to their Commissioners when they first came downe t o treate with the Army about going for Ireland; and before such time as these are answered, wee shall desire, neither to list, nor provide ourselves for that service. Though wee are perswaded that that Kingdome stands in neede of helpe, yett wee conceive that wee are nott soe to helpe them as wholly to deprive our selves of our just rights and liberties, and of receiving satisfaction for former services." (Clarke P., S. 17.) 157) Clarke P., S. 93 ff. 158) Der Wortführer dieser Partei ist Colonel S h e f f i e l d , derselbe, dessen Soldaten besonders aufsässig gewesen zu sein scheinen. 159) Clarke P., S. 22. 160) Hier, auf der Heide von New-Market, wird der feierliche Vertrag (,;solemn*engagement") zwischen Soldaten und Offizieren geschlossen, durch den sich diese, e i n s c h l i e ß l i c h d e r G e n e r a l e , den Forderungen der Soldaten in aller Form unterwerfen. (S. K o t t i e r a. a. O. S. 32.) Damit sind die Agitatoren als Vertreter der Mannschaften anerkannt. Es wird der ,,Generalrat der Armee" geschaffen, in dem die Regimenter außer den Agitatoren der Soldaten noch durch je 2 Vertreter der Offiziere repräsentiert werden. Den Generalen steht, ebenso wie den Regimentsvertretern, nur je eine Stimme zu. J6I) S. über diese bekannte Streitfrage F i r t h , Clarke P., S. X X I V ff. 162) Clarke P., S. 427. 163) Clarke P., S. 90, 92, 121. 164) Wir sehen hier, wie die außerrechtliche Erscheinung der Soldatenbewegung dadurch, daß sie durch den „solemn engagement" in rechtlich anerkannte Bahnen geleitet wird, von ihren eigentlichen, ursprünglichen Zielen abgelenkt und zum Verzicht auf die Erreichung derselben gebracht wird. Der Vertrag zwischen Agitatoren und Offizieren enthält im Keime bereits die Unterwerfung der ersteren unter die Autorität der letzteren. Das wird einem klar, wenn man die Sprache und die Haltung der Agitatoren, wie sie z. B . in der „Apologie of the Common soldiers of his Excellencie Sir Thomas Fairfax A r m y " (Thom. Coll., Bd. 309) zum Ausdruck kommt, mit

— 205 — den oben beschriebenen Handlungen und der späteren Haltung der Soldaten selbst vergleicht. 165) S. K o t t i e r a. a. O. S. 39. 166) ,,A Declaration, or Representation from His Excellency Sir Thomas Fairfax, and of the Army under his Command", Rushworth a. a. O. S. 5Ö4;Kottler, S. 41. 167) S. F i r t h , Clarke P., S. X X X I V . 168) Clarke P., S. 425. 169) Clarke P., S. 428. 170) S. die letzten 5 Artikel der „Heads". Es handelt sich um dieselben Forderungen, wie sie von den unteren Kreisen der Bevölkerung immer wieder erhoben, faktisch aber niemals erfüllt worden sind (Abschaffung der Akzise, Aufhebung der Monopole (!), der Kirchenzehnten usw.). Die Stellung dieser Artikel als eines Anhangs zu den eigentlichen Verfassungsbestimmungen ist für diese Form der Entstehung einer staatlichen Konstitution bezeichnend. Die sozialen Forderungen werden nicht zur Grundlage der Verfassung gemacht, sondern stellen lediglich eine Versprechung dar, deren Durchführung absichtlich ungewiß gelassen wird. 171) Bezeichnend ist das Hervorheben dieses Organs durch I r e t o n , den Verfasser des Entwurfs. Clarke P., S. 214. S. „Heads", I I I , 1 — 6. ( G a r d i n e r , Const. Doc., S. 319.) 172) S. R o t h s c h i l d a . a . O . S. 46 ff. Da die Stellung des Königs grundsätzlich unverändert bleibt, wird sein Vetorecht nicht beseitigt. 173) Immerhin ist das Entgegenkommen gegen die Royalisten in der Frage der „Kompositionen", d. h. der Ablösung der Einziehung ihrer Länder durch Geldzahlungen, bemerkenswert. (Art. X V , X V I , Abs. 2.) Vgl. über die „Compositions" W. O. S c r o g g s , Finances under the Long Parliament, The Quarterly Journal of Economics, Bd. 2 1 , 1906, S. 475. 174) Clarke P., S. 170. 175) Der Generalrat trat am 16. 7. 47 zusammen; am 17. 7. wurde bereits der von I r e t o n und L a m b e r t ausgearbeitete Entwurf vorgelegt. (Clarke P., S. 211.) 176) Der Brief stammt wahrscheinlich von R u s h w o r t h . S. Clarke P., S. 214; höchst bezeichnend ist die Bemerkung des Verfassers, daß man die Agitatoren unbedingt zu den Beratungen zulassen müsse, „considering the influence they have upon the souldiers" und daß diese Politik, zusammen mit den Neubesetzungen im Offizierkorps, eine wunderbare Einigkeit unter den Offizieren und Befestigung der Disziplin bewirkt habe. „ I t is the hand of God that doth it, I hope for a good end", ruft der Verfasser aus. Aus diesen Erwägungen erfolgt die Ernennung Fairfax' zum Oberbefehlshaber aller Parlamentsstreitkräfte. (Rushworth, IV, 1, S. 626.) Für die Überredungskunst C r o m w e l l s und die Haltung der Agitatoren ist die folgende Stelle aus dem genannten Briefe bezeichnend: „ . . . the Generali and the Officers after many hours debate so satisfyed them (die Agitatoren) with arguments and reasons to the contrary, that they submitted it to the Generali and Officers, no man gainsaying it." 177) Noorthouck a. a. O. S. 189.



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178) P e a s e schreibt (a. a. O. S. 187, Antn. 45): , Cromwell and Fairfax moved the army on London only when the Parliament under the coercion of the city mob had already ceased t o be a free Parliament." Diese Darstellung ist nicht ganz richtig und geeignet, ein falsches Bild von den Vorgängen zu geben. Die Demonstration war von den Presbyterianern selbst veranstaltet und ihre Teilnehmer waren die Anhänger der Presbyterianer (d. h. der Großkaufleute von London), verstärkt durch royalistische Elemente (entlassene Offiziere usw.). Es handelte sich nicht um einen Aufruhr des „mob", sondern um einen wohlangelegten Putsch der „ C i t y " . Das Motiv für den Vormarsch der Armee war auch nicht die Wiederherstellung der Freiheit des Parlaments (zu dem sie damals gerade im schärfsten Gegensatz stand), sondern der Entschluß zum Vormarsch entsprang aus der Notwendigkeit, den Widerstand der jetzt offen mit den Royalisten zusammengehenden Presbyterianern zu brechen. Bei dieser Sachlage durften die Generale nicht länger zögern, wenn sie ihre Stellung behaupten wollten. Nach dem Scheitern der Verhandlungen konnten sie die Armee in ihrem Verlangen nach einer endgültigen Auseinandersetzung nicht länger zurückhalten. Allerdings erhielten sie durch die Entzweiung zwischen Presbyterianern und Royalisten eine unerwartete Hilfe. S. auch die sehr klare Darstellung der Vorgänge bei N o o r t h o u c k a . a. O. S. 187, ferner die Artikel X V , X V I , Abs, 2, der,.Heads" 179) Ich weise auf diesen Gesichtspunkt besonders deswegen hin, weil die Bedeutung des Soldatenaufstandes bisher im allgemeinen nicht richtig eingeschätzt worden ist. Man ist vielfach geneigt, die weitgreifende Soldatenbewegung lediglich als einen begrenzten Ausdruck persönlicher Unzufriedenheit aufzufassen. (Vgl. z. B. G a r d i n e r , Cromwell's Place in History, S. 35ff.) 180) Wir sehen hier eine Formulierung bestimmter Volksrechte, wie sie für die nach dem Muster der „ H e a d s " gebildeten Verfassungen überhaupt charakteristisch ist. Der provisorische Charakter derselben erklärt sich aus der Vereinbarung zwischen den drei Faktoren Armee, König und Parlament, die im Grunde gegen die Bewilligung der von den unteren Schichten der Bevölkerung aufgestellten Forderungen gerichtet ist. Ich erinnere an das, was oben über die ausschließende Wirkung der konstitutionellen Vertragstheorien gesagt wurde (Kap. 2). Diese Vereinbarung wurde unmöglich durch die Weigerung des Königs und den erneuten Ausbruch der sozialen Bewegung. 181) So machte z. B. S e x b y , einer der Hauptagitatoren der damaligen Zeit, später eine sehr gute Karriere. Er war für Cromwell und das Parlament tätig und wurde für seine Verdienste mehrfach ausgezeichnet. S. Clarke P., S. 83, Anm. S. auch F i r t h , Cromwells Army, S. 40. 182) Clarke P., S. 160. Der Brief wurde sogar in der Armeedruckerei in Oxford gedruckt und veröffentlicht. 183) Diese betrug z. B. allein bei dem Regiment T h o r n h a g h 40000 £. S. die Briefe der Soldaten dieses Regiments an F a i r f a x bei R u s h w o r t h , IV, 1, S. 624. Der Gesamtrückstand belief sich nach G a r d i n e r , History of the great Civil War, Bd. III, S. 227, auf 331000 £. 184) S. den zweiten der Anm. 183 zitierten Briefe: ,, . . . Our present Quality now being such as renders us unable to subsist, or compel a Livelihood by any regular way of our poor exhausted County v. ."

— 207 — 185) P e a s e a. a. O. S. 200. G a r d i n e r , History of the Great Civil War, Bd. 3. S. 369. 186) S. G a r d i n e r a. a. O. S. 349. 187) Vgl. über seine verschiedenen Wendungen im Verhältnis zum König und Parlament, G a r d i n e r a . a . O . , Bd. 4, S. 11. 188) The Complete History of Independency, London 1661, Teil 2, S. 5. 189) Auch hier möchte ich nicht glauben, daß C r o m w e l l bewußt die Spaltung innerhalb der „ G e n t r y " benutzt hat, um die einzelnen Teile derselben gegeneinander auszuspielen. Seine verschiedene Politik den „Gentlemen" von Y o r k s h i r e und S u r r e y gegenüber ist wohl auf seine eigene Schwenkung im Laufe dieser Wochen zurückzuführen. (S. W a l k e r a. a. O. S. 6.) Daß diese Spaltung der „Gentlemen of the Country" für die Folgezeit von entscheidender Bedeutung geworden ist, möchte ich um so mehr hervorheben, als m. W. dieser Punkt bisher nicht genügend beachtet worden ist. Die verschiedenartigen Interessen, die dabei mitspielten, werden gut beleuchtet durch die Flugschrift: „ T w o Petitions to the General Excellency, one frome the County of Hartfordshire, the other from Rutland" v . 19. 1 1 . 1647. (National Library in Aberystwyth.) Die Vertreter von H a r t f o r d beklagen sich über die neue Bewegung und die Politik der Verfasser des „Case of the Army", während diejenigen von R u t l a n d das Parlament und seine Steuerpolitik angreifen, die ihnen nicht nur unerträgliche Lasten auferlege, sondern auch zu Vollstreckungen in ihre Güter f ü h r e : , , . . . Y e t finding ourselves greatly oppressed with the payment of Tithes (. . . tithes of all profits are there paid in Kinde, which in open fields amounts to the fifth part at least of mens estates ( ! ) , . . . because many suites of laws have been commenced, and prosecuted against divers of yours Petitioners; as also upon an Ordinance of Parliament. . ., giving power to the Justices of Peace t o distraine and make sale of yours Petitioners goods, , . . many Judgements being procured, and like to be procured, by some covetous and contentious Ministers. . .." Derindependentistische Standpunkt der Gentry erhält durch diese Darstellung seine ökonomische Begründung. 190) The Memoirs of Edmund L u d l o w , ed. F i r t h , Oxford 1894, Bd. 1 , S. 1 7 7 191) So hatte z. B. C r o m w e l l , bevor er sich nach Irland einschiffte, eine Besprechung „with the officers of the Army and Gentlemen of the Country". S. „ T h e Declaration of the Lord Governor Cromwell" (23. 8.. 1649). (National Library Aberystwyth.) 192) L u d l o w a. a. O. S. 175. 193) a. a. O. S. 176. 194) G a r d i n e r , History of the Great Civil War, Bd. 4, S. 21. 195) L u d l o w a. a. O. 196) L u d l o w a. a. O. S. 177. 197) Seine Stellung wurde noch dadurch kompliziert, daß auch der Kpnig auf die Erhebung der Soldaten hoffte, freilich nicht auf die radikalen, sondern auf die royalistischen Elemente unter ihnen. Vgl. G a r d i n e r a, a. O S.20. 198) C l a r k e P a p e r s , B d . 1, S. 226 ff.; K o t t i e r a. a. O. S. 60.



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199) ..The Case of the Army truly stated, together with the mischiefs aud dangers that are imminent, and some suitable remedies, and humble proposed by the Agents of fife Regiments of Horse, to the respective Regiments and the whole Army" v. 9. 10. 47. S. G o d w i n , History of the Commonwealth, Bd. 2, S. 445; R u s h w o r t h , IV, 2, S. 845. 200) G a r d i n e r a. a. O. Bd. 3, Appendix. Die Dokumente sind in den wesentlichen Punkten gleichlautend. 201) W i l d m a n , einer der Führer der Leveller, war vermutlich der Verfasser des „Case of the Army". S. F i r t h in C l a r k e P. a. a. O. S. 354, Anm. 202) S. P e a s e , The Leveller Movement, S. 232. L i l b u r n e und O v e r ton spielten eine hervorragende Rolle hierbei und hatten mit den Agenten Zusammenkünfte in London. Ihre Abgesandten verbreiteten das „Agreement" in anderen Teilen des Landes (Pease, S. 233). 203) C l a r k e P., S. 299. 204) a. a. O. S. 304. 205) a. a. O. S. 305. 206) Clarke P., S. 441. 207) a . a . O . S. 320: „ I say still, what shall become of those many men that have laid out themselves for the Parliament of England in this present warre, that have ruined themselves by fighting, by hazarding all they had ? They are Englishmen. They have now nothing to say for themselves." 208) a. a. O. S. 253, 255, 256. 209) a. a. O. S. 281. 210) Interessant ist in dieser Beziehung auch die Predigt C l a r k e s (S. 280), in der dieser die Anwesenden auffordert, die Vernunft dem Geiste Gottes unterzuordnen. 2 1 1 ) a. a. O. S. 376. 212) Am 1. ix. 47 erklärt Lieut. Col. J u b b e s : „Truly I doe nott know how to distinguish whether the spiritt of God lives in mee, or noe, butt by mercy, love, and peace; and on the contrary whether the spirit of Antichrist lives in mee, butt by enviy, malice, and warre. I am altogether against a warre if there bee a composure so that the Englishman may have his priviledges." Er schlägt dann die „purye" des Parlaments, Konstituierung eines Hauses aus solchen Personen, ,,as are desirous of giving satisfaction to our or the Kingdome's just desires", Verantwortlichmachung des Königs und — Wiedereinsetzung desselben als König von England, Schottland und Irland. Hier sehen wir den Kompromißcharakter des Vorschlags; das Parlament soll gereinigt werden, um einen neuen Bürgerkrieg zu vermeiden. S. C l a r k e P., S. 372. 2x3) S. Dictionary of National Biography, Art. W i l d m a n , John. Auch die rechten Independenten wußten ihren persönlichen Vorteil zu wahren. Der Presbyterianer H o l Iis gibt zahlreiche Beispiele über die in ihren Kreisen herrschende Korruption und die von ihnen geübte Verschwendung von Staatsgeldern. (S. M a s e r e s Tracts, London 1815, Bd. 1, S. 267.) C r o m w e l l bezog als Generalleutnant ein jährliches Gehalt von 2500 £ (a. a. O. S. 268). Fairfax erhielt nach seinem Abschied (1650) eine Pension von 5000 £. (Ludlow, Memoirs, Bd. 1, S. 244.)

— 209 — 214) S. G a r d i n e r , Great Civil War, Bd. 4, S. 44: Sobald die Einigung in der Frage der Abschaffung der Monarchie hergestellt ist, verzichtet R a i n s b o r o u g h auf weitere Unterstützung der meuternden Soldaten. Er wird zur Belohnung für seine Verdienste als Vizeadmiral der Flotte in Vorschlag gebracht. Die vor das Kriegsgericht gestellten Offiziere und Soldaten werden begnadigt. Die Disziplin in der Armee ist wieder hergestellt. 215) Das Oberhaus war erst unter dem Druck einrückenden Militärs zur Zustimmung zu bewegen. ( G a r d i n e r a. a. O. S. 53.) 216) Zwei Tage nach dem Sieg Ober das Oberhaus beschließen die Commons die Wiederhaftung. (Gardiner a. a. O. S. 54.) 217) Die großen Kaufleute, deren Handelsinteressen eine alsbaldige Beilegung der Streitigkeiten erfordern, drängen auf friedliche Auseinandersetzung. Auch jetzt bedienen sie sich wieder ihres Anhangs, um auf das Parlament einen Druck auszuüben. Im April brechen Tumulte der „appreatices" aus, die zu einer vorübergehenden Inbesitznahme der Stadt durch diese führen. ( G a r d i n e r a. ä. O. S. 98.) Von Surrey aus kommen Parteigänger der „Caväliers" nach Westerminster und bedrängen das Parlament. ( L u d l o w , Memoire, Bd. 1, S. 188.) 218) Der Treaty of Newport. (Rushworth, IV, 2, S. 1265 ff.) 219) In der Tat wurde auch im Herbst 1648 wieder die Forderung erhoben, den Council of the Army einzuberufen. F a i r f a x berief jedoch nur den Council of Officers. ( G a r d i n e r , Great Civil War, Bd. 4, S. 237.) 220) Die Royalisten bildeten, zusammen mit den auf ihrer Seite Stehenden Katholiken, noch immer eine große Partei im Lande. Sie hatten auch nach ihrer Niederwerfung versteckte Waffenlager. (S. C a r y , Memorials of the Great Civil War, London 1842, Bd. 2, S. 110.) Auch von den Richtern weigerten sich viele, nach der Hinrichtung des Königs ihr A m t weiter zu versehen. 221) Zum Prozeß des Königs s. R u s h w o r t h a . a . O . S. 1399 ff. Die beiden alten Theorien des jus divinum und jus resistendi treten sich während des Prozesses noch einmal gegenüber. Der König bestreitet die Autorität des Gerichtshofs; der Präsident hält ihm entgegen, daß er hier wäre auf Grund der Autorität des englischen Volkes, das ihn erwählt. G a r d i n e r (a. ä. O. S. 300) weist an dieser Stelle auf die Schwäche der juristischen Position des Gerichtshofs hin. Aber die letztere war nicht schwächer als die des Parlaments in den Fällen von S t r a f f o r d und L a u d . Es war eben schon keine Frage des Rechts mehr, sondern eine solche der Macht: Die beiden einander widerstreitenden Machtsysteme finden ihre Rechtfertigung in dem Kampf für die von ihnen vertretenen Interessen. Die Schwäche in der Position des Königs lag darin, daß er dies nicht sah, sondern an der Fiktion festhielt, ein Märtyrer für die Freiheit „seines" Volkes zu sein. 222) A Remonstrance of his Excellency, Thomas Lord Fairfax, General of the Parliament's Forces, and of the General Council of Officers held at St. Albans, the l 6 t h of November, 1648. (Thom. Coli., Bd. 473. Die wesentlichen Bestimmungen sind bei R u s h w o r t h a. a. O. S. 1331 wiedergegeben.) Ihr Verfasser war wiederum I r e t o n . 223) Ich kann mich daher der von P e a s e , The Leveller Movement, 5.264, ausgesprochenen Ansicht, daß I r e t o n sich ernstlich bemüht habe, ein Beiheft d. H. Z. ä8.

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— 210 — „Agreement" im Einvernehmen mit den Levellern zustande zu bringen, nicht anschließen. G a r d i n e r bezeichnet die verfassungsrechtlichen Bestimmungen der „Remonstrance" mit Recht als einen Kompromiß zwischen dieser und dem „Agreement" (a. a. O. S. 240). E r weist darauf hin, daß die „Remonstrance" auf der Linie des späteren „Instrument of Government" liegt, was in der Tat der Fall ist. 224) Vgl. das interessante pamplet „The Mystery of the two Juntos, 1647, aus der „History of Independency" von Clement W a l k e r . 225) R u s h w o r t h , S. 1332. 226) R u s h w o r t h , S. 1 3 4 1 . 227) C l a r k e P a p e r s , Bd. 2, S. 178. Ein gewisser E r b u r y fordert Einsetzung eines Rates von 12—24 Personen, denen die Verwaltung des Staats und insbes. die Durchführung der sozialen Reformen Obertragen werden sollten. E s ist derselbe Vorschlag, der später, im Jahre 1653, nach Auflösung des Rumpfparlaments von L a m b e r t gemacht wurde. Auf die Verhandlung bezttgl. des II. Agreement kommen wir alsbald zu sprechen. 228) S. C l a r k e P. a. a. O. S. 183. I r e t o n wird in seinem Bestreben, die Aufrichtung einer Armeediktatur zu verhindern, unterstützt von H a r r i s o n , der ausführt, daß der Tag des Herren, an dem die weltliche Macht in die Hände seiner „Heiligen" gelegt werden solle, noch nicht gekommen sei, und sich dafür ausspricht, die Macht sobald wie möglich in die Hände des Volkes und der von ihm erwählten Vertreter im Parlament zurückzugeben (S. 184). 229) G a r d i n e r a. a. O. S. 270. 230) Siehe C. H. F i r t h and R. S. R a i t , Acts and Ordinances of the Interregnum, 1642—1660, Bd. 2, London 1 9 1 1 , S. 20. 231) An Act for the Relief and Imployment of the Poor, and the Punishment of Vagrants, and other disorderly Persons, with in the City of London, and the Liberties thereof v. 7. 5. 1649. (Acts and Ordinances a. a. O. S. 104.) 232) a. a. O. S. 393. 233) a. a. O. S. 397. 234) An Act against Unlicensed an Scandalous Books and Pamplets. and for better regulating of Printing a. a. O. S. 245. S. G a r d i n e r , Commonwealth and Protectorate, Bd. 1, S. 55. 235) a. a. O. S. 405. 236) a. a. O. S. 495. 237) a . a . O . S. 191. Die Münzen trugen die Inschriften: „The Commonwealth of England" und „God with us", sowie die Insignien der Republik: Kreuz, Harfe und Palme. 238) Das gleiche geschieht mit dem persönlichen beweglichen und unbeweglichen Eigentum des früheren Königs, der Königin und des Kronprinzen. Das betreffende Gesetz (a. a. O. S. 160) begründet diesen Schritt damit, daß diese Personen ihre Ansprüche auf diese Gegenstände verwirkt hätten „ f o r their several Delinquencies". Das Gesetz wurde später auf die andern Kinder des Königs ausgedehnt (S. 548). 239) a. a. O. S. 369. 240) a. a. O. S, 19.

— 211 — 241) ,,An Act of this present Parliament for Constituting a Counsell of State for the Commonwealth of England" a. a. O. S. 2. 242) G u i z o t , Histoire de la Republique d'Angleterre et de Cromwell, Bd. i, S. 3. 243) S. F o r s t e r , John, Lives of eminent British statesmen, London 1838; Bd. 4, S. 126. 244) Das tritt in der Literatur deutlich zutage. Vgl. z. B . die Schriften der Republikaner John Cook und Marchmont N e d h a m . 245) Hierin lag ihre Überlegenheit sowohl den Presbyterianern mit ihrem Gesetzesbegriff wie auch — wie wir sogleich sehen werden — den Levellern gegenüber. 246) Der Republikaner N e d h a m hebt in seiner Flugschrift: „The Case of the Kingdom stated", London 1647, hervor, daß die Presbyterianer nicht nur die Macht des Königs zu einem Schatten machen wollten^ sondern auch mit ihren religiösen Prinzipien den Zweck verfolgten, das Volk so in Angst und Schrecken zu versetzen, daß es ein gefügiges Werkzeug in ihren Händen wurde. 247) Vgl. L i l b u r n e , The Legal Fundamental Liberties of the People of England, Revived, Asserted and Vindicated (8. 6. 1649), S. 33. (Abgedruckt in C l a r k e P a p e r s , Bd. 2, Appendix B , S. 254 ff., 256.) 248) „An Agreement of the People of England, and the places therewith incorporated, for a secure and present peace, upon grounds of common right, freedom and safety." S. G a r d i n e r , Constitutional Documents, S.359. 249) 26. 2. 1648; dem Parlament vorgelegt im Sept. 1648. 250) „The Legall Fundamental Liberties", S. 64 ff. 251) Es handelt sich hierbei offenbar um die Monopolstellung der Kohlenhändler („free Hostmen") in Newcastle, die den ganzen Kohlenhandel an sich gebracht hatten und durch Pachtung des Ufergeländes und der Wege, die zum Hafen führten, die Kohlenproduzenten verhinderten, unmittelbar ihre Kohle an die Schiffseigner zu verkaufen. Diese „Agenten" werden auf diese Weise mächtiger als die Bergwerksbesitzer und richten ein scharfes Preismonopol auf. Die Klagen darüber, daß die ganzen Gewinne aus der Kohlenförderung in Newcastle in die Taschen weniger Monopolisten fließen, halten noch im 18. Jahrhundert an. Die Kohlenhändler drücken auch die Frachtraten der Schiffseigner herunter und zwingen diese dadurch, die Löhne der Seeleute herabzusetzen. (S. R . T u r n e r , English Coal Industry, The American Historical Review, Bd. 27, 1921, S. 8 ff.) Hier sieht man deutlich die ökonomischen Grundlagen der sog. „Grundrechte", die von L i l b u r n e im Interesse der von den Monopolgesellschaften unterdrückten und aus dem freien Wettbewerb ausgeschalteten Elemente des freien Handels aufgestellt werden. 252) S. E . T r o t t e r , Seventeenth Century Life in the Country Parish, Cambridge 1919, S. 176; R . H. T a w n e y , Religion and the Rise of Capitalism, S. 224, 256. 253) Vgl. W. R. S c o t t , The Constitution and Finance of English, Scottish and Irish Joint-Stock Companies to 1720, Cambridge 1912, Bd: i, S. 246. Damals entsteht die Gesellschaftsform: A. B. and Co. Die nicht inkorporierten Gesellschaften überwiegen bereits die Individualkaufleute.

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254) Vgl. ihr Nachgeben in den Fragen des allgemeinen Wahlrechts im II. Agreement. 255) L i l b u r n e , The Legall Fundamental Rights, S. 51. 256) Ansätze hierzu sind tatsächlich vorhanden; sie finden sich in dem Versuch L i l b u r n e s , nach Niederschlagung der militärischen Meuterei im Frühjahr 1649 seine Parteigenossen in den Grafschaften zur Wahl von „Bürgerräten" zu veranlassen. (S. K o t t i e r a. a. O. S. 78.) Jede Grafschaft soll 2 Vertreter wählen, die zusammenkommen und im Einvernehmen mit Vertretern der Armee über die Wahrung der Freiheiten wachen sollen. Hier sehen wir die Keime einer Diktatur der Bürger. Doch fehlte es den Levellern an dem Vermögen, diesen Diktaturgedanken bis in seine faktischen Konsequenzen durchzuführen. Die Bürgervertreter sollen sich im wesentlichen auf Petitionen und passive Funktionen beschränken. Immerhin ist die Feststellung interessant, daß auch die demokratische Grundidee in ihrer konsequenten Durchführung zur autonomen Konstituierung genossenschaftlicher Organisationsformen führt. Die „Grundrechte" sind nur der Reflex dieser immanenten Korporationskeime. K o t t i e r weist auf die Verwandtschaft dieser Bürgerräte mit den Legislatoren R o u s s e a u s hin (S. 80). 257) S. oben Kap. IV, VI. 258) Es ist interessant, daß die Grundgedanken der Leveller sich auch in ihren Vorstellungen von der gegen Irland einzuschlagenden Politik widerspiegeln. Sie hoffen, daß die Iren durch Überredung zum freiwilligen Gehorsam gegen die Republik gebracht werden könnten (Pease a. a. O. S. 300). Das Utopische dieses Gedankens ist in die Augen springend und entspricht durchaus dem Gedanken, daß die Freiheit des Einzelnen in faktischer Beziehung durch Proklamierung seiner Freiheitsrechte herbeigeführt werden könne. C r o m w e l l s Genialität zeigt sich auch hier darin, daß er die Unmöglichkeit, die irische Frage anders als durch das Schwert zu lösen, erkannte. Wie unmöglich eine andere Lösung war, zeigt uns die Tatsache, daß Irland der Herd der interventionistischen Bestrebungen, sei es des Papstes und des spanischen Königs, sei es — in anderer Kombination — Frankreichs war. 259) Vgl. über die „Digger"-Bewegung: L. H. B e r e n s , The Digger Movement in the Days of the Commonwealth, London 1906; G o o c h a. a. O. S. 175; N. B e e r , History of British Socialism, Bd. 1, S. 58 f. 260) C l a r k e Papers, Bd. 2, S. 209; W h i t e l o c k , Memorial of English Affairs, Bd. 3, S. 17. 261) B e r e n s a. a. O. S. 75. 262) Ein anschauliches Bild von den sozialen Zuständen auf dem Lande gibt uns das Pamphlet: A Declaration of the Ground and Reasons why we the poor inhabitants of the Town of Wellinborrow, in the County of Northamton, have begun and give consent to dig up, manure and sow corn upon the Commons and the vaste Ground called Bareshank, belonging to the inhabitants of Wellinborrow by those that have subscribed and hundreds more that give consent. 1650. (British Museum, London.) Danach sind in Wellinborrow in einer Pfarrei 1169 Almosenempfänger. Die Justices of Peace haben die Stadt angewiesen, für diese Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, es ist aber nichts geschehen. Viele Familien bestehen aus 5—9 Mitgliedern, die Frauen und Kinder schreien nach Brot, es ist nicht möglich, etwas zu kaufen.

— 213 — Der Handel ist zerstört, alles ist verkauft. Verschiedene Arme sind schon Hungers gestorben. Wenn sie stehlen, werden sie mit dem Tode bestraft. Es ist besser für sie, durch das Schwert als durch Hunger zu sterben. Übrigens wird die Arbeitslosigkeit in London bereits im Jahre 1644 auf 40000 (einschließlich Familienmitgliedern) berechnet. („ A Remonstrance humbly presented to the High and Honourable Court of Parliament", Thom. Collection, Bd. 197.) Auch in dieser Flugschrift wird die Errichtung eines Fonds zur Arbeitsbeschaffung als Mittel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit empfohlen. 263) Nach dem in der vorhergehenden Anmerkung genannten Flugblatt haben einige der großen Grundbesitzer das Bebauen des Gemeindelandes durch die „Digger" gestattet, die Bauern haben diese mit Saatgetreide versehen. 264) Seine letzte Schrift stammt aus dem Jahre 1658. S. G o o c h a. a. O. S. 191, Anm. 2. 265) Über seine Verwandtschaft mit den Quäkern s. B e r e n s a. a. O. 266) Vgl. die Flugschrift W i n s t a n l e y s ,,A Declaration of the WellAffected in the County of Buckinghamshire" (King's Pamphlets, British Museum). 267) Durch den Pyrenäischen Frieden wurde Spaniens Einfluß auf Mitteleuropa beseitigt und die Vormachtstellung Frankreichs (Zeitalter Ludwigs XIV.) begründet. Die Folge war die Vernichtung des Kalvinismus in Frankreich (Aufhebung des Edikt von Nantes, 1682). 268) Nur einmal haben die Gedanken der Leveller eine Rolle in der äußeren Politik dieser Zeit gespielt. Der frühere Agitator S e x b y , der inzwischen zum Oberstleutnant avanciert war, wird von Crom well und dem Staatsrat nach Bordeaux gesandt, um dort mit den Führern der Fronde, d. h. also im spanischen Interesse, zu verhandeln. E r knüpft dort mit populären Kreisen Beziehungen an und sucht die Grundsätze des „Agreement of the People" zu verbreiten. (S. G a r d i n e r , History of the Commonwealth, Bd. 2, Kap. 21.) Die Mission blieb erfolglos. Sie ist bezeichnend für das Versagen der Leveller-Bewegung auf dem Gebiete der äußeren Beziehungen Englands. 269) Spanien ist die erste Macht, die die Republik sofort anerkennt, während Frankreich die Anerkennung beharrlich verweigert. 270) B e e r , CromweUs Econ. Policy, Pol. Sc. Quart., Bd. 16, S. 592. 271) Dies ist der ökonomische Hintergrund für die berühmte Kontroverse zwischen S e i d e n und G r o t i u s über die Freiheit des Meeres. S e i d e n trat in seinem ,,mare clausum" für die Geltung der englischen Hoheitsrechte, G r o t i u s in seinem „mare liberum" für die Ungültigkeit dieser behaupteten Rechte ein. G r o t i u s vertrat das modernere Prinzip, S e i d e n das ältere, das aber mit den Interessen der Engländer an der Ausbreitung ihres Fischfangs und Handels zusammenfiel. 272) Das holländische Frachtgeschäft mit den englischen Kolonien in Amerika wurde zudem durch eine Ordonnanz vom Jahre 1650 unmöglich gemacht, das jeden Schiffsverkehr mit denselben an eine spezielle Erlaubnis des Staatsrats knüpfte. S. B e e r a. a. O. S. 595. 273) C u n n i n g h a m a. a. O. S. 189.

— 214 — 274) S. Kap. I, S. 25. 275) C u n n i n g h a m a . a . O . S. 198. Nach L y a l l , Thê Rise of the British Dominion in India, London 1907, S. 28, ist C r o m w e l l die Aufhebung des Monopols zwar geraten worden, er hat sie aber auf Grund reichlicher Geldzuwendungen der Gesellschaft abgelehnt. S. auch G. C a w s t o n und A. H. K e a n e , The English Chartered Companies, 1896, S. 103. 276) S. das von F i r t h unter den Clarendon State Papers gefundene, in der English Historical Review, Bd. 8, S. 531 abgedruckte Manuskript: , ,The war at first was sett on by those that were the procurers of the act prohibiting trade, which act was procured by some few men for ther interrest . . . " 277) Die Gemeinsamkeit der Interessen der beiden Parteien (Presbyterianer und Independenten) erhält in dem Anm. 224 erwähnten Pamphlet „The Mystery of the two juntos" eine interessante Beleuchtung. Auch wenn man die persönliche Feindschaft des Verfassers gegen die „Granden" in Betracht zieht, bleibt doch genug übrig, um die enge Interessengemeinschaft der independentistischen und der damals (1647) noch im Parlament sitzenden presbyterianischen Parteihäupter anschaulich zu machen. Die persönliche Bereicherung derselben und die von ihnen geübte Ämterpatronage bilden ja auch sonst die ständige Klage in der Flugschriftliteratur der damaligen Zeit. Von Interesse ist die Mitteilung, daß die meisten dieser „Granden" große Teile ihres Vermögens nach Holland geschafft haben, um im Falle ihres Sturzes dort eine Zuflucht zu finden. Der Verfasser weist auf den prinzipiellen Frontwechsel in der Stellung der Parteiführer hin ; früher haben sie für die alten Rechte und Freiheiten gekämpft, jetzt gilt es als Zeichen der Unzufriedenheit, wenn man sich über die Verletzung dieser Freiheiten beklagt. Der City ist das Parlament so verschuldet, daß es keine Kredite mehr bekommt und alle Ausgaben durch neue Steuern decken muß ; es ist den „uncircumcised Jews" vollkommen ausgeliefert. Die beiden Juntos wollen die „tatsächliche Diktatur" aufrichten, indem sie die unbeteiligten Mitglieder unschädlich und sich selbst zu ständigen Diktatoren machen, „incorporating and ingrossing to themselves both the Consultative, Directive and Ministeriall power of the Kingdom". In den „Committees" werden alle Angelegenheiten im Vorwege beschlossen. Dieses System, eine Notwendigkeit im Bürgerkriege, jetzt aber überflüssig geworden, wird nicht abgeschafft. Die alten Freiheiten sind jetzt ebenso verletzt durch die „legislative power" wie früher durch die Prärogative des Königs. Unruhen werden absichtlich hervorgerufen, um die Einrichtungen neuer Garnisonen zu rechtfertigen. • Als Mittel zur Abschaffung dieser Mißstände schlägt der Verfasser — die Schaffung einer neuen Partei vor. 278) Das Parlament plante bereits die Absetzung Crom we Iis und die Wiederberufung von F a i r f a x . (Gardiner, History of the Commonwealth, Bd. 2, Kap. 25, S. 206; M o n t a g n e , History of England, S. 396.) F a i r f a x war der Vertreter der konstitutionellen Elemente unter den Independentisten. Sein Wiedereintritt in die Armee hätte die Zulassung der Presbyterianer und die Wiedereinführung der Monarchie bedeutet. 279) P e a s e a. a. O. S. 323. 280) P e a s e , S. 306.

— 215 — 281) Journals of the House of Commons, Bd. 7, S. 281. Das Einberufungsschreiben lautet: „ I , Oliver Cromwell, Captain General and Commander in Chief of all the Armies and Forces raised, and to be raised, with in this Commonwealth, do hereby summon and require you . . . being one of the said Persons nominated, personally to be and appear at the Council Chamber in Whitehall, within the City of Westminster, upon the Fourth Day of July next ensuing the Date hereof, then and there to take upon you the said Trust, unto which you are hereby called and appointed, to serve as a Member for the County of . . . : And hereof you are not to fail. Given under my Hand and Seal the Sixth Day of June 1653. O. Cromwell." 282) Praisegod B a r e b o n e ( B a r b o n ) war Lederhändler und einer der Führer der Londoner Baptistengemeinden. Im Kleinen Parlament trat er kaum hervor; in einem Flugblatt „Petition of Mr. Praisegod Barebone and several others to the Parliament" trat er gegen jede Versöhnung mit den Stuarts und der Monarchie ein. Nach der Restauration wurde er verhaftet und monatelang im Tower gefangen gehalten. S. Dictionary of National Biography, Art. B a r b o n , Praisegod. 283) SieheH. A. G l a s s , The Barbone Parliament, London 1899, S . 9 1 . 284) Bei dem High Court of Chancery waren nach zuverlässiger Schätzung 32 000 Prozesse anhängig, von denen viele 5, 10, 20, 30 und mehr Jahre schwebten zum größten Nachteil der Parteien (Glass a. a. O. S. 96). 285) G l a s s a. a. O. S. 96, Anm. 80. 286) S. G l a s s , Introductory. Männer wie C l a r e n d o n , C a r l y l e und selbst M a c a u l y und G a r d i n e r stehen in der Verkennung der Bedeutung des Kleinen Parlaments nebeneinander. Eine gerechtere Beurteilung geben R a n k e und G u i z o t . 287) S. G a r d i n e r , History of the Commonwealth, Bd. 2, S. 326. 288) Vgl. die interessante Arbeit von Louise Fargo B r o w n , The political Activities of the Baptists and Fifth Monarchy Men in England during the Interregnum, Washington 1912, S. 19. Damals entsteht in London eine Gesellschaft von „divers officers and Members of several Congregations, that had not succumbed to the temptations of the day", die beschließt, Cro mw e l l und seine Offiziere anzutreiben, die Sache Gottes zu beschleunigen und ,,to quicken -the Parliament to some good work". C r o m w e l l und die Independenten verhalten sich ablehnend und die führenden independentistischen Geistlichen bemühen sich, die Teilnehmer an den Versammlungen von der Unrichtigkeit ihres Vorhabens zu überzeugen, was ihnen zum Teil auch gelingt. 289) S. F i r t h in L u d l o w s Memoirs, S. X X I X . 290) B r o w n a. a. O. S. 22. Aus den Visionen damals schöpften sie ihren Glauben an das Kommen des 5. Reiches. 291) Vgl. B r o w n , S. 38. Eine Petition der Leveller an das Kleine Parlament wird abgewiesen, L i l b u r n e auf Befehl desselben verhaftet. 292) Memoirs, Bd. 1, S. 344/45. 293) Das hat L u d l o w vollkommen richtig erkannt. S. M e m o i r s a. a. O. S. 345: C r o m w e l l machte sich die Partei H a r r i s o n s gefügig, angeblich um die Macht des Parlaments zu beseitigen, in Wahrheit aber, um den



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„corrupt interests" der Geistlichkeit und Juristen zu dienen. S. 365; ,,His proposition was readily embraced by the corrupt part of the lawyers and clergy, and so he became their Protector, and they the humble supporters of his tyranny." Mit diesen Worten ist die Stellung C r o m w e l l s in der Sache treffend charakterisiert. 294) G l a s s a. a. O. S. 122. 295) Die Flugschriftenliteratur der damaligen Zeit ist voll von derartigen Unionsgedanken, in denen das gemeinsame Interesse der Kirchen zum Ausdruck kommt. Vgl. z . B . : „Gospel-libertie" von Walter Cradock, 1648: Die verschiedenen Ansichten innerhalb der Kirchen sind notwendig. Man muß zusammenhalten gegen die „common superstitious multitude". Diese ist für „conformity". Aber eine richtige „division" ist besser als eine schlechte „conformity". Man muß nicht nur fragen, was ist „lawful", sondern auch, was ist „convenient" ? Nur der Schwache fragt immer, ob etwas gesetzlich sei. — Diese Bestrebungen konnten aber aus sich heraus zu keinem Ergebnis führen. Es bedurfte der durch die Diktatur errichteten starken Macht, um der Idee der Toleranz praktische Geltung zu verleihen. 296) Die Entwicklung, die sich in Holland vollzogen hatte, wiederholt sich somit, der Veränderung der ökonomischen Grundlagen entsprechend, in England. Damit hängt zusammen die Zulassung der Juden, die seit 300 Jahren vom englischen Boden verbannt gewesen waren. 297) Dies ist der Gesichtspunkt, der bei der Beurteilung der modernen Verfassung im allgemeinen maßgebend ist. Vgl. z. B . K l i m o w s k i , Die englische Gewaltenteilungslehre bis zu Montesquieu", Berlin 1927, der die gesamte Entwicklung des engl. Verfassungsrechts ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung beurteilt. Dabei verschwinden die geschichtlichen Vorgänge vollkommen, und anstatt einer Analyse der Entstehung der Verfassungen erhalten wir eine schematisierte und historisch unrichtige Darstellung einiger Verfassungsteile. 298) S. G a r d i n e r , Constitutional Documents ( i . A . , 1889), 8 . 3 1 4 , W h i t e l o c k , Memorials, Bd. 4, S. 56, Old Parliamentary History, Bd. 20, S. 248. 299) Bei der Besetzung gewisser höchster Staatsämter ist gleichfalls die Mitwirkung des Parlamentes vorgesehen (Art. X X X I V ) . 300) Agreement, § 10, s. G a r d i n e r , Constitutional Documents, S 280. 301) C a r l y l e , Letters and Speeches, Speech III. 302) S. G a r d i n e r , Constitutional Documents, S. 353 ff.; eine Zusammenstellung der betr. Bestimmungen des Instruments und der Abänderungsvorschläge daselbst S. L X . 303) C a r l y l e a. a. O. Speech IV. 304) M a s s o n , Life of Milton, Bd. 5, S. 33. 305) Einer der Beteiligten war S e x b y , der ehemalige Agitator, dem es gelang, ins Ausland zu fliehen. E r war späterhin (1656) an dem S i n d e r combschen Anschlag auf C r o m w e l l beteiligt, den er mit Geldmitteln, die er von K a r l I I . erhalten hat, organisiert. Wenn man auch wird zugeben müssen, daß S e x b y bei dieser Verbindung mit seinen ehemaligen Feinden nicht aus privatem Eigennutz gehandelt hat, so ist die Entwicklung dieses Anhängers der levellistischen Bewegung doch bezeichnend. Sie zeigt, daß

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die Demokratie nicht imstande war, die Linie ihrer Entwicklung konsequent weiter zu verfolgen, sondern in der Verfolgung dieses Ziels versagte. 306) Eine Übersicht derselben, deren Seele der Staatssekretär T h u r l o e war, gibt S. v. B i s c h o f f s h a u s e n , Die Politik des Protektors Oliver Cromwell in der Auffassung und Tätigkeit seines Ministers und Staatssekretärs John Thurloe, Innsbruck 1899, S. 43 f. 307) B i s c h o f f s h a u s e n a. a. O. S. 50. 308) Aufzählung bei Masson a. a. O. S. 49. Es handelt sich um die bekannten höheren Offiziere, wie S k i p p o n , G o f f e , F l e e t w o o d , W h a l l e y , L a m b e r t , D e s b o r o u g h u. a. 309) Ich weise insbesondere auf die Rede C r o m w e l l s an seine Offiziere vom 27. 2. 1657 hin, als diese ihn veranlaßten, die vom Parlament angebotene Königskrone abzulehnen. ( B u r t o n , Parliamentary Diary, London 1828, Bd. 1, S. 382—384; G u i z o t a. a. O. Bd. 2, S. 260 f.) In dieser Rede spricht C r o m w e l l aus, daß seine Offiziere „es ffir nötig befunden hätten", die Generalmajore einzusetzen. Wir werden auf diese wichtige Rede noch weiter unten einzugehen haben. 310) B i s c h o f f s h a u s e n a. a. O. S. 45. 3 1 1 ) B i s c h o f f s h a u s e n , S. 56. 312) Ich weiß nicht, ob damals auch Lohnbewegungen größeren Umfangs stattgefunden haben. Immerhin verdient es Erwähnung, daß W h i t e l o c k in seinen „Memorials" unter dem 25. 8. 1654 von einer „Meeting of the Keelmen at Newcastle, for increase of Wages" berichtet. Vgl. über die „Keelmen" von Newcastle R. T u r n e r , English Coal Industry, The American Historical Review, Bd. 27, 1921. Die Keelmen hatten die Aufgabe, die Kohle im Hafen mit Booten auf die Seeschiffe zu bringen Sie bildeten früh eine selbstständige Klasse von Arbeitern, die für die Verteidigung ihrer Rechte mit der Bildung von Arbeiterorganisationen eintreten. Über die Lage der Kohlenarbeiter von Newcastle im 1 8 . Jahrhundert gibt eine Flugschrift aus dem Jahre 1756 [Edmund Burke ?] ein anschauliches Bild: „these unhappy Wretches scarce ever see the Light of the Sun ; they are buried in the Bowels of the Earth; there they work at a severe and dismal Task, without the least prospect of being delivered from it; they subsist upon the coarsest and worst sort of Fare ; they have their Health miserably impaired, and their Lives cut short, by being confined perpetually in the close Vapours of the malignant Minerals." Wir sehen hier die Anfänge der modernen Industriearbeiterschaft. Im 18 Jahrhundert kam es häufig zu Streiks der Kohlenarbeiter von Bristol und Newcastle. 313) Daß dies tatsächlich im Sinne der demokratischen Opposition lag, ergibt sich aus der Schrift W i l d m a n s , des Führers der Leveller bei den Verhandlungen des Offizierrats in Putney: „Declaration of the free and wellaffected People of England", in dem W. für ein „truly free Parliament" eintritt. Dies wurde schon damals jnit Recht als die Anbahnung eines Bündnisses mit den Royalisten aufgefaßt. ( W h i t e l o c k , Memorials, 1682, S. 606 f.) Der Inhalt der Flugschrift deckt sich im übrigen mit den alten Forderungen der Leyeller W i l d m a n wurde auf Grund dieser Schrift verhaftet.



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314) S. Clarke Papers, Bd. 3, S. 207. Dies geschah im Widerspruch zu L a m b e r t , dem nach ihm mächtigsten General der Armee. Seine Argumente gegen das Unternehmen sind sehr begründet und werden durch den Erfolg bestätigt. 315) Cromwells Economic Policy, Political Science Quarterly, Bd. 16, S. 601. 316) Von den Ostseestaaten bezogen "England und Holland die für ihren Schiffbau notwendigen Rohstoffe, wie Holz, Teer, Hanf usw. Der Handel wurde von der Eastland-Company betrieben, die aber kein Monopol hatte. 317) B e e r a . a . O . Bd. 16, S. 600. 318) S. z. B . Domestic State Papers, 1650, S. 21. 319) Die Auffassung, die in C r o m w e l l vor allem den Verfechter merkantiler Interessen sieht ( R a n k e , G a r d i n e r ) , ist m. E. nicht richtig. (So auch C u n n i n g h a m a . a . O . S. 193). Der spanische Krieg war höchst unpopulär, die Handelsverluste durch das Embargo englischer Schiffe in den spanischen Häfen waren sehr erheblich. M. E. war die Abneigung der City gegen den spanischen Krieg auch dadurch begründet, daß C r o m w e l l durch die Eroberung der spanischen Silberminen sich vom Parlament finanziell frei gemacht hätte. Dies war auch wirklich seine Absicht dabei. (Siehe B e e r a. a. O. S. 600.) Andererseits schützte seine Politik die freie Entwicklung des Handels gegen die Angriffe der radikalen Tendenzen. Gerade dieses doppelseitige Verhältnis ist es, das in den rechtlichen Bestimmungen der Protektoratsverfassung, insbes. in der Trennung der Exekutive von der gesetzgebenden Gewalt, seinen Ausdruck findet. 320) C r o m w e l l versuchte damals, die Wesermündung mit Bremen für England zu erwerben. (S. E r d m a n n s d ö r f f e r , Deutsche Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrichs d. Gr., Berlin 1892, S. 284.) 321) B e e r a. a. O. Bd. 17, S. 5 1 . 322) DerUmstand, daß die Eroberung Jamaikas späterhin von großer Bedeutung für die Ausdehnung des englischen Kolonialreichs geworden ist, worauf insbesondere R a n k e hinweist, steht dem nicht entgegen. 323) Z. B . in seiner Rede bei der Auflösung des ersten Protektoratsparlaments. S. C a r l y l e , Speech I V : „That the correspondence held with the Interest of the Cavaliers, by that Party of men called Levellers . . . ,is in our hands'." Der Führer der Leveller in ihrem Streben, eine Kombination zwischen Royalisten und Demokraten und die Restauration der Stuarts mit Hilfe Spaniens durchzuführen, war wieder S e x b y . S. M a s s o n a. a. O. S. 119. 324) In einem Gespräch mit L u d l o w erklärt C r o m w e l l offen, daß er nichts mehr wünsche als eine Regierung ,,by consent" der Nation. (Memoire, Bd. 2, S . u . ) 325) Masson a. a. O. S. 63. 326) Masson a. a. O. S. 125. 327) C a r l y l e a. a. O. Speech V I I I . 328) S. Anm. 309. 329) B u r t o n a. a. O. S. 382. 330) Dies war gelegentlich der Entstehung des „Instrument of Government" gewesen. S. B u r t o n a. a. O. Anm. Nach den C l a r k e Papers, Bd. 3.

— 219 — S. 16, hatte auch im Parlament schon im Dezember 1654 eine Diskussion über diese Frage stattgefunden. 331) Nach der Einberufung des 2. Protektoratsparlaments brachte D e s b o r o u g h eine Bill ein, wonach die Besteuerung der Royalisten aufrechterhalten bleiben sollte. Allgemein glaubte man, daß die Bill im Auftrage C r o m w e l l s eingebracht sei. Zum allgemeinen Erstaunen stimmte der Beauftragte des Protektors dagegen. (Journal of the House of Commons, Bd. 7, S. 475. Vgl. auch Clarke P., Bd. 3, S. 88.) Der Widerwille des Parlaments richtete sich vor allem gegen die „arbitrary power" der Generalmajore. Das Institut der Generalmajore verschwand damit. 332) Das zweite Protektoratsparlament war am 17. September 1656 zusammengetreten. Bei seinen Wahlen war seitens der Generalmajore der schärfste Druck auf Wähler und Gewählte ausgeübt worden. Mehr noch waren nur diejenigen zugelassen worden, die eine Bescheinigung vorzeigen konnten, daß sie die Genehmigung von dem Staatsrat erhalten hätten. Die Beschränkung der Parlamentsfreiheit war also noch größer als bei dem ersten Protekoratsparlament. Die ausgeschlossenen Mitglieder (93) protestierten: das Haus beschloß jedoch, sie an den Staatsrat zu verweisen und in die Beratungen einzutreten. 333) James N a y l o r war als einer der ersten Quäker vor das Parlament gebracht und zu grausamen Strafen verurteilt worden. Das Urteil bei W h i t e l o c k , unter dem 17. 12. 1656 (S. 644). 334) Ob C r o m w e l l die richterliche Gewalt nach dem „Instrument of Government" dem Parlament fiberlassen mußte, kann zudem zweifelhaft sein. Die Verfassung besagt (Iber die Ausübung der Gerichtsbarkeit nichts. Faktisch wäre der Protektor jedenfalls zur Sistierung eines derartigen Prozesses imstande gewesen. Aber das hätte freilich den,,consent" mit dem Parlament zerstört und das Zurückgreifen auf die Macht der Armee bedeutet. 335) Eine Petition der unteren Offiziere an das Parlament bringt die Entscheidung. S. M a s s o n a . a . O . S. 1 3 1 . Nach einem Bericht des französischen Gesandten vom Ende Dezember 1656 sind die höheren Offiziere schon damals mit dem Vorschlag einverstanden gewesen und haben ihre Ablehnung nur erklärt, um das Vertrauen der unteren Offiziere nicht zu verlieren. (Guizot a. a. O. [Ausg. Brüssel 1854, S. 225]. S. auch Clarke P., Bd. 3, S. 92.) Wir sehen, welche Macht die Armee noch immer darstellte, und welche Bedeutung für die politischen Entscheidungen die Haltung der unteren Offiziere hatte. Auf dem Zusammenhalt des Offizierkorps beruhte noch immer die Erhaltung des gegenwärtigen Zustandes, insbesondere den radikalen Elementen gegenüber. (Gerade damals fand ein Aufstand der Leute der Fünften Monarchie statt, dessen Haupt ein Weinküfer namens Vennerwar.) 336) Dies tritt gelegentlich der Abstimmung im Parlament hervor. S. M a s s o n a . a . O . S. 125. 337) Die Reden C r o m w e l l s vgl. bei C a r l y l e , Speech X ff. 338) Die Ernennung neuer Mitglieder an Stelle gestorbener und entfernterstand dem Protektor allein zu. S. „Additional Petition", b. G a r d i n e r , a. a. O. S. 347. 339) B u r t o n s Diary, Bd. 1, S. 308. P a c k setzte sich für die Sache seiner Gesellschaft mit großer Energie ein. ,,He turned in the debate like

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a horse, and answered every m a n . I bejive h e spoke a t least t h i r t y times." E r „did cleave like a clegg, a n d was v e r y angry h e could n o t be heard ,ad i n f i n i t u m ' . " Trotzdem ist das Komitee überwiegend für Beibehaltung des Freihandels. Dieser wird von C r o m w e l l gegen das Votum des P a r l a m e n t s aufgehoben, ein Zeichen, wie groß der Einfluß des organisierten H a n d e l s auf C r o m w e l l bereits war. S. auch C a w s t o n und Keane a. a. O. A n m . 286. 340) Mercurius Politicus, Nr. 354, v. 16. 3. 1656/57. 341) S. C u n n i n g h a m a. a. O. S. 264, Anm. 6. 342) Sogar m i t den großen Monopolgesellschaften t r e t e n die hohen Offiziere in Verbindung. Vgl. C l a r k e P., Bd. 3, S. 166: L a m b e r t wird z u m Aufseher über die Tuchprüfungsstelle f ü r exportierte Tuche e r n a n n t , w a s ihm eine jährliche Revenue von 1500 £ einbringt. Diese Verbindung eines d e r höchsten Offiziere d e r Armee m i t den Interessen der E x p o r t industrie wirft ein Schlaglicht auf die wirtschaftlichen Unterschiede, die j e t z t in der Armee herrschend geworden waren. 343) Vgl. B u r t o n a. a. O. Bd. 3, S. 404. 344) S. C l a r k e P., Bd. I I I , S. 212. 345) T a n n e r a. a. O. S. 202. 346) Daß es die unteren Offiziere waren, die den Widerstand organisier e n , wird in d e n Clarke P. a. a . O. ausdrücklich b e s t ä t i g t . 347) W h i t e l o c k , Memorials, u n t e r d e m 14. 4. 59. Wie sehr diese Bewegung von d e n u n t e r e n Klassen d e r Bevölkerung ausgeht, geht d a r a u s hervor, d a ß d i e Petition von d e n Quäkern u n t e r s t ü t z t wird. 348) L u d l o w a . a. O. S. 71. 349) Englische Geschichte, S.W. B d . 17, S. 239. 350) L u d l o w a. a. O. S. 204. 351) S. G a r d i n e r , Constitutional Documents ( i . A . ) , S. 351. 352) L u d l q w a . a. O. S. 287, 292. 353) i*>94 wurde die B a n k von England durch das P a r l a m e n t gegründ e t , 1698 eine neue Ostindische K o m p a n i e gleichfalls m i t Mitteln des Parl a m e n t s . S. R o g e r s , Agriculture a n d Prices, Bd. 5, S. 38. 354) Es wäre eine interessante Aufgabe, die noch d e r Lösung h a r r t , d e n Grundgedanken d e r beiden Verfassungskonstruktionen in den späteren bürgerlichen Konstitutionen, insbesondere d e r Verfassung der Vereinigten S t a a t e n nachzugehen. Hierüber herrschen noch völlige Unklarheit u n d vielf a c h irrtümliche Ansichten. So meint G a r d i n e r (Great Civil War, Bd. 3, S. 379, Constitutional Documents, S. L I I I ) , d a ß d a s „ p a r a m o u n t l a w " des „Agreement of t h e People" seine N a c h a h m u n g in der Verfassung d e r Vereinigten S t a a t e n von Amerika gefunden habe, Demgegenüber ist zu bemerken, d a ß d i e Verfassung d e r USA. nicht nach d e m Schema des ,,Agreem e n t " , sondern nach d e m der Verfassungen d e r I n d e p e n d e n t e n gebildet ist. D a s zeigt sich in d e r scharfen T r e n n u n g einer selbständigen E x e k u t i v gewalt des Präsidenten von der Legislative des Kongresses, — eine Trennung, d i e mit d e m Grundgedanken des Agreements nicht vereinbar ist. Von den Levellern übernommen h a t die nordamerikanische Verfassung die Selbständigkeit der Gerichte; sie h a t diese weiter ausgebildet (Zuständigkeit auch f ü r die Frage d e r Vereinbarkeit eines Gesetzes mit der Verfassung) u n d d e n Gerichten damit, eine die Legislative einschränkende F u n k t i o n verliehen.

Beihefte der Historischen Zeitschrift Die Bezieher der „Historischen Zeitschrift" erhalten die Beihefte bei Bestellung vor Erscheinen mit 2 5 % , nach Erscheinen mit 1 5 % Nachlaß.

Heft 1: Baron, Hans: Calvins Staatsanschauung und das konfessionelle Zeitalter. 130 S. 8°. 1924 M. 3.20 Heft 2: Troeltsch, Ernst: Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt. 5. Aufl. 103 S. 8°. 1928. . . . Geb. M. 4.80 Heft 3: Precht, Hans: Englands Stellung zur deutschen Einheit 1848—1850. 192 S. 8°. 1925 M. 4.50 Heft 4: Erman, W . : Der tierische Magnetismus in Preußen vor und nach den Freiheitskriegen. 128 S. 8°. 1925 M. 3.80 Heft 5: Hölzle, E.: Die Idee einer altgermanischen Freiheit vor Montesquieu. 118 S. 8°. 1925 M. 4.20 Heft 6: Masur, Gerh.: Rankes Begriff der Weltgeschichte. 141 S. 8°. 1926 M. 4.50 Heft 7: Vigener, Fritz: Drei Gestalten aus dem modernen Katholizismus (Möhler, Diepenbrock, Döllinger). 200 S. 8°. 1926 M. 6.80 Heft 8: Stolberg-Wernigerode, Otto Graf zu: Anton Graf zu Stolberg-Wernigerode, ein Freund und Ratgeber König Friedrich Wilhelms IV. 144 S. 8°. 1926 M. 4.80 Heft 9: Hoffmann-Linke, Eva: Zwischen Nationalismus und Demokratie. Gestalten der franz. Vorrevolution. 324 S. 8°. 1927 M. 8.50 Heft 10: Below, G. v.: Die italienische Kaiserpolitik des deutschen Mittelalters. 167 S. 8°. 1927 M. 7 . — Heft 11: Voßler, Otto: Mazzinis politisches Denken und Wollen in den geistigen Stömungen seiner Zeit. 94 S. 8°. 1927 M. 3.60 Heft 12: Bein, Alex.: Die Staatsidee Alexander Hamiltons in ihrer Entstehung und Entwicklung. 191 S. 1 Taf. 8°. 1927 M. 5.80 Heft 1 3: Leusser, Herrn.: Ein Jahrzehnt deutsch-amerikanischer Politik (1897—1906). 114 S. 8°. 1928 M. 4.50 Heft 14: Walser, Fritz: Die politische Entwicklung Ulrichs von Hutten während der Entscheidungsjahre der Reformation. 143 S. 8°. 1928. M. 4.80

Heft IJ : Simon, Ernst: Ranke und Hegel. 220 S. 8°. 1928

M. 5.80

Heft 16: Erben,Wilh.: Kriegsgeschichte des Mittelalters. 144 S. 8". 1929. M. 6. j o Heft 17: Voßler, Otto; Die amerikanischen Revolutionsideale in ihrem Verhältnis zu den europäischen. Untersucht an Thomas Jefferson. 201 S. 8°. 1929 M . 7.50 Heft 18: Ruth, Paul Hermann: Arndt und die Geschichte. Ein Beitrag zur Arndtforschung und zur ProblemgescJfichte des Historismus vornehmlich bis zum Ende der Befreiungskriege. 216 S. 8°. 1930 M . 7.20 Heft 19: Geyer, Fritz: Makedonien bis zur Thronbesteigung Philipps II. 155 S. 8°. 1930 M. 7 . — Heft 20: Gilbert, Felix: Johann Gustav Droyaen und die Preußisch-Deutsche Frage. 154 S. 8°. 1931 M. 6.40 Heft 21: Spiegel, Käthe: Die kulturgeschichtlichen Grundlagen der amerikanischen Revolution. 224 S. 8°. 1931 M. 9 . — Heft 22:Lerner, Franz: Kardinal Hugo Candidus. 77 S. 8°. 1931 . . . M. 4 . — Heft 23: Fritzemeyer, Werner: Christenheit und Europa. Zur Geschichte des europäischen Gemeinschaftsgefühls von Dante bis Leibnitz. 173 S. 8°. 193 1 M. 7.20 Heft 24: Spangenberg, H.: Territorial-Wirtschaft und Stadtwirtschaft. Ein Beitrag zur Kritik der Wirtschaftsstufentheorie. 155 S. 8°. 1932. M. 8.50 Heft 2;: Rosenthal, Erwin: Ibn Khaldüns Gedanken über den Staat. Ein Beitrag zur Geschichte der mittelalterlichen Staatslehre. 127 S. 8°. 1932. M. 6.50 Heft 26: Nitzschke, Heinz: Die Geschichtsphilosophie Lorenz von Steins. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts. 145 S. 8°. 193 2 M. 6 . — Heft 27: Kluke, P.: Heeresaufbau und Heerespolitik Englands vom Burenkriege bis zum Weltkrieg. 213 S. 8®. 1932 M. 8.50

Rechtsphilosophie Von Arthur B a u m g a r t e n . 90 S. Gr.-8°. 1929. Kart. M. 3.80 Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance Von A . D e m p f . 590 S. Gr.-8°. 1929. Brosch. M . 17.50, in Leinen geb. M. 19.50 Verfassungsgeschichte der australischen Kolonien und des,,Commonwealth of Australia". Von D o e r k e s - B o p p a r d . 351 S. 8°. 1903. Geb. M. 5.80

Napoleon, England und die Presse Von Th. E b b i n g h a u s . 226 S. 8°. 1914.Brosch. M. 4.50 Oliver Cromwell Von S. R. G a r d i n e r . 235 S. 8°. 1903. Geb. M. 4.50 England und der Aufstieg Rußlands Von D . G e r h a r d . Erscheint im Herbst 1933 Innozenz i n . und Englbnd Von E. G ü t s c h o w . 205 S. 8°. 1904. Geb. M. 3.80 Englische Verfassungsgeschichte Von J . H a t s c h e k . 771 S. Gr.-8°. 1913. Brosch. M. geb. M. 17.—

IJ.-—,

in Leinen-

Britisches und römisches Weltteich Von J . H a t s c h e k . 377 S. 8°. 1921. Brosch. M. 6.—, geb. M. 7.50 Tabellen der gesamten Kulturgeschichte Von Arthur H ertz. Bearb. v. Willy Brandl. 80S. 1913. Brosch. M. 3.80 Staatsphilosophie Von Günther H o l s t e i n und Karl L o r e n z . 188 S. Gr.-8°. 1933. Kart. M. 8.— Die Geschichtswissenschaft. Aufbau und Aufgaben Von Erich K e y s e r . 247 S. 8°. 1931. Brosch. M. 9.—, in Leinen geb. M. 10.80 Die großen Mächte geojuristisch betrachtet Von Manfred L a n g h a n s - R a t z e b u r g . 262 S. mit 19 Kartenskizzen. 8°. 1931. Brosch. M. 8.50, in Leinen geb. M. 10.50 Edmund Burke und sein politisches Arbeitsfeld Von R . L e n n o x . 316 S. Gr.-8°. 1923. Brosch. M. 5.—, geb. M. 6.50 Geschichte des deutsch-englischen Bündnisproblems 1890-1901 Von Friedr. M e i n e c k e . 268 S. 8°. 1927. Brosch. M. 6.80, in Halbpergament geb. M. 8.50 Geschichte des europäischen Staatensystems 1555 -1660 Von W. P l a t z h o f f . 297 S. Gr.-8°. 1928. Brosch. M. 1 1 . — , in Leinen geb. M. 13.— Hegel und der Staat VonFr. R o s e n z w e i g . 2 Bände. 268 u. 267 S. 8°. 1920. Brosch. M.9.—^ geb. M. 1 1 . — Gesellschaftsphilosophie Von O. Spann. 188 S. Gr.-8 9 . 1928. Kart. M. 8.—

Oliver Cromwell E I N K A M P F UM F R E I H E I T U N D D I K T A T U R

Von Dr. Heinrich Bauer 417 Seiten mit 17 Bildtafeln. 1932. Broschiert M. 8.—, in Leinen M. 9.50

Der heldische Kampf eines nationalen Revolutionärs, den tragische Notwendigkeit um der Freiheit seines Volkes willen immer weiter auf den Weg der Diktatur trieb. Eine Biographie voller Anklänge und Gleichklänge zum Geschehen unserer Zeit.

Das viel umstrittene Charakterbild Cromwells wird mit wohltuender historischer Objektivität betrachtet, die aus eindringendem Studium der Quellen entspringt.

(Christliche Welt.)

Dieser Cromwell ist ein mustergültiger historischer Roman, wie es wenige gibt, aus der völligen Beherrschung der Zeit heraus geschrieben, und auch sprachlich ist es ein Genuß, diesen kultivierten Stil zu lesen. (Der Ring.) Dank den gewissenhaften Einzelstudien des Verfassers verdient die Arbeit auch als historiographische Leistung genannt zu werden. Als Perönlichkeitsschilderung gehört sie zum besten, was in jüngster Zeit dem großen Publikum an belletristisch-wissenschaftlichen Biographien großer Männer geboten wurde.

(Basler Nachrichten.)

R. OLDENBOURG, MÜNCHEN UND BERLIN