122 84 29MB
German Pages 341 Year 1998
CHRISTIAN VÖLKER
Zur Dogmatik des ordre public
Tiibinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann, Hans v. Mangoldt Wernhard Möschel, Wolfgang Graf Vitzthum sämtlich in 1übingen
Band43
Zur Dogmatik des ordre public Die Vorbehaltsklauseln bei der Anerkennung fremder gerichtlicher Entscheidungen und ihr Verhältnis zum ordre public des Kollisionsrechts
Von Christian Völker
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Völker, Christian:
Zur Dogmatik des ordre public : die Vorbehaltsklauseln bei der Anerkennung fremder gerichtlicher Entscheidungen und ihr Verhältnis zum ordre public des Kollisionsrechts I von Christian Völker. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht ; Bd. 43) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1995/96 ISBN 3-428-09028-4
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany
© 1998 Duncker &
ISSN 0720-7654 ISBN 3-428-09028-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1995/96 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Der Text ist auf dem Stand von Februar 1996. Meinem Doktorvater, Herrn Rechtsanwalt Prof. Dr. Rolf A. Schütze, Stuttgart I Tübingen, darf ich für die Anregung zu dieser Arbeit und seine gelegentlichen kritischen aber fruchtbaren Anmerkungen sowie die zügige Fertigung des Erstgutachtens danken. Herrn Prof. Dr. Heinz-Dieter Assmann, LL.M., Tübingen, ist nicht nur für seine ebenfalls zeitnah beendete Tätigkeit als Zweitgutachter, sondern auch - gemeinsam mit seinem Tübinger Mitherausgeber Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Oppermann - für die bereitwillige Aufnahme dieser Arbeit in die Tübinger Schriftenreihe zum internationalen und europäischen Recht zu danken. Dank gebührt ferner Herrn Rechtsanwalt Dr. Alexander Völker (s.lb.), Reutlingen, der in den fast drei Jahren der Arbeit an diesem Thema ein stets interessierter und offener Ansprechpartner war und mir bereitwillig seine Erfahrung und die Ressourcen der Kanzlei zur Verfügung stellte. Dank gebührt auch Herrn Prof. Eugen Buri, Präsident des Verwaltungsgerichts Sigmaringen i.R., für die großzügige Übernahme des Druckkostenzuschusses. Ferner ist Herrn Dipi.-Ing. Frank Mellton, Reutlingen, für technische Unterstützung zu danken. Nicht zuletzt schulde ich Dank meiner Lebensgefährtin Frau Rechtsanwältin
Dagmar Hoppe, Metzingen, die mir während der gesamten Zeit die für das Gelingen einer solchen Arbeit zwingend notwendige Unterstützung in allen privaten Bereichen bot und für das Ertragen so mancher dissertationsbedingten Zumutung. Reutlingen, im Mai 1997
Christian Völker
Inhaltsübersicht § 1 Einleitung A. Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen...............................................
25
B. Gang der Darstellung..........................................................................................
26
C. Terminologisches ...............................................................................................
28
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlieben ordre public A. Geschichtliche Grundlagen.................................................................................
29
B. Anwendungsbereiche .........................................................................................
44
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public .......................
51
§ 3 Methoden der Konkretisierung A. Annäherung aus Systematik und Wortlaut.........................................................
94
B. Formeldefinitionen ............................................................................................. 110 § 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-
System mit drei Variablen
A. Die "wesentlichen Grundsätze".......................................................................... 115 B. Krasser Unterschied der Anwendungsergebnisse............................................... 203 C. Relevanz des Inlandsbezuges ............................................................................. 231 § 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung A. Verfahrensrechtlicher und materiellrechtlicher ordre public .............................. 252
B. Voller und abgeschwächter ordre public ............................................................ 254 C. Ordre public interne und ordre public international........................................... 254
8
Inhaltsübersicht
D. Ordre public universei ....................................................................................... 282 E. Völkerrechtlicher ordre public ........................................................................... 285 F. Europäischer ordre public..................................................................................
286
G. Zusammenfassung..............................................................................................
303
Anhang· Normtexte...............................................................................................
305
Literaturverzeichnis...............................................................................................
313
Sachverzeichnis ......................................................................................................
337
Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung
A. Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen...............................................
25
B. Gang der Darstellung..........................................................................................
26
C. Terminologisches ...............................................................................................
28
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
A. Geschichtliche Grundlagen.................................................................................
29
I.
Die Anerkennung fremder Gerichtsentscheidungen im allgemeinen........
29
li.
Entwicklung des ordre public als Anerkennungshindernis im besonderen................................................................................................ 1. Römisch-rechtliche Vorläufer eines kollisionsrechtlichen ordre public.................................................................................................. a. Entwicklung in der Wissenschaft.................................................
33 34 34
b. Frühe Kodifikationen ...................................................................
35
2. Entwicklung ab dem 19. Jahrhundert .................................................
37
a. Entwicklung in der Wissenschaft.................................................
37
h. Kodifikationen .............................................................................
40
B. Anwendungsbereiche .........................................................................................
44
I.
Der ordre puhlic bei der Anerkennung von Entscheidungen staatlicher Gerichte ....................................................................................................
44
II.
Der ordre public bei der Anerkennung ausländischer Schiedssprüche .....
46
111.
Praktische Bedeutung...............................................................................
47
IV.
Rechtsvergleichender Überblick...............................................................
49
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public .......................
51
I.
Die Theorie vom ordre public attenue de Ia reconnaissance.....................
51
Inhaltsverzeichnis
10
li.
Ill.
l. Die überwiegende Ansicht.................................................................
51
2. Mindermeinung und grundsätzliche Kritik.................................... ....
53
Unterschiedliche Funktion....................................................................... 1. Funktionen der Vorbehaltsklausel im Internationalen Privatrecht.....
56 56
a. Durchsetzung elementarer Rechtsgrundsätze der Iex fori.... ........
57
b. Souveränitätsgedanke und Schutz von unmittelbaren Staatsinteressen............................................................................
57
c. Positive und negative Funktion des ordre public.........................
58
d. Externe Entscheidungsharmonie .................................................
61
2. Funktionen der Vorbehaltsklausel im Internationalen Zivilverfahrensrecht...........................................................................
61
a. Wahrung fundamentalster Forderungen der Gerechtigkeit..........
62
b. Durchsetzung fundamentaler Staatsinteressen.............................
62
c. Negative Funktion.......................................................................
65
d. Wahrung der mit der internationalen Entscheidungsanerkennung bezweckten Ziele ............................
65
3. Ergebnis.............................................................................................
67
Unterschiedliche Struktur........................................................................
67
1. Unterschiedliches Prüfungsobjekt .....................................................
67
a. Prüfungsobjekt der kollisionsrechtlichen Vorbehaltsklausel.......
68
b. Prüfungsobjekt der anerkennungsrechtlichen Vorbehaltsklausel ........................................................................
68
(1) Ergebnis der Anerkennung....................................................
69
(2) Stellungnahme.......................................................................
71
c. Vergleich............. ........................................................................
71
2. Unterschiedlicher Anwendungsbereich .............................................
72
a. Verfahrensrechtlicher ordre public ..............................................
73
b. International zwingende Eingriffsnormen ...................................
74
c. Weitere Fälle ...............................................................................
76
3. Unterschiedliche Stringenz der Rechtsfolgen? ..................................
76
a. Die Rechtsfolge bei Eingreifen des kollisionsrechtlichen ordre public .................................................................................
77
b. Die Rechtsfolge bei Eingreifen des anerkennungsrechtlichen ordre public .................................................................................
78
(I) Exequatur selectif..................................................................
78
Inhaltsverzeichnis
IV.
11
(2) Exequatur reductif..................................................................
80
(a) Überhöhter isoHerbarer Rechtsfolgeausspruch ................
80
(b) Unaufgeschlüsselter Gesamtrechtsfolgeausspruch mit ordre public-widrigem Teilinhalt .....................................
82
(3) Ergebnis.................................................................................
85
(4) Die ausländische Entscheidung als unabänderliches Faktum...................................................................................
85
(a) Hinkende Rechtsverhältnisse ...........................................
85
(b)Kritik ................................................................................
86
(c) Achtung der res iudicata und wohlerworbener Rechte....
87
(d) Geringere Beispielswirkung ausländischer Entscheidungen................................................................
88
Generell unterschiedlicher Maßstab oder Ansatzpunkt Inlandsbeziehung? ....................................................................................
89
1. Fehlende Abhängigkeit in beide Richtungen .....................................
89
2. Rechtfertigung durch das Kriterium Inlandsbezug.............................
91
§ 3 Methoden der Konkretisierung A. Annäherung aus Systematik und Wortlaut .........................................................
94
Das Verhältnis der allgemeinen Vorbehaltsklausel zu den weiteren Anerkennungsvoraussetzungen ................................................................
94
1. Insbesondere die explizit das erststaatliche Verfahren betreffenden Anerkennungsvoraussetzungen ..........................................................
94
2. Weitere Unterfälle ..............................................................................
97
I.
3. Konsequenz ........................................................................................ 100 II.
Die unterschiedlichen Formulierungen der Vorbehaltsklauseln ...............
102
l. Insbesondere die "offensichtliche" Unvereinbarkeit..........................
104
a. Interpretationsansätze................................................................... 104 b. Stellungnahme.............................................................................. 106 2. Alternativen zur Generalklausel? ....................................................... 108 B. Formeldefinitionen ............................................................................................. 110
I.
Die Rechtsprechung des Reichsgerichts................................................... 110
II.
Die Rechtsprechung seit 1945 .................................................................. 111
111.
Fo rmeldefinitionen im Ausland................................................................ 113
Inhaltsverzeichnis
12 IV.
Definitionsversuche in der Literatur........................................................
113
V.
Ergebnis...................................................................................................
114
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-
System mit drei Variablen
A. Die "wesentlichen Grundsätze"..........................................................................
115
Ordre Public und Verfassung................................................................... 1. Ordre public und Grundrechte ...........................................................
117 119
a. Grundrechte und lnlandsbezug....................................................
122
(1) Die "Spanierentscheidung" des BVerfG................................
122
(2) Bewertungen .........................................................................
124
b. Grundrechte und "Offensichtlichkeit" des Verstoßes..................
126
I.
c. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG- Faires Verfahren...........
127
(1) Möglichkeit der Einflußnahme auf das Verfahren................
127
(2) Anforderungen an den Spruchkörper ....................................
128
d. Art. 2 Abs. 1 GG .........................................................................
131
(1) Allgemeine Handlungsfreiheit und Privatautonomie ............
131
(2) Allgemeines Persönlichkeitsrecht .........................................
132
e. Art. 3 Abs. 1 GG ............ ................ .............................................
132
( 1) Grundsatz..............................................................................
132
(2) Die american rufe of costs..................................................... . 133
II.
(3) Sonderfall Haftungsrecht? .....................................................
135
f. Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3, Art. 12 GG..........................................
136
g. Art 14 GG....................................................................................
136
h. Art. 103 Abs. 1 GG .....................................................................
137
(1) Reduzierte Anforderungen....................................................
137
(2) Beispielsfälle .........................................................................
140
i. Art. 103 Abs. 2 GG .....................................................................
141
(1) Bestimmtheitsgebot...............................................................
141
(2) Staatliches Strafmonopol.......................................................
142
k. Art. 103 Abs. 3 GG .....................................................................
143
2. Ordre public und Art. 34 GG .............................................................
144
Ordre public und Völkerrecht...................... ............................................ 1. Allgemeine Regeln des Völkerrechts.................................................
144 145
Inhaltsverzeichnis 2. Sonstiges Völkerrecht......................................................................... 111.
13 146
Ordre Public und Europäisches Gemeinschaftsrecht ................................ 147
l. Unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht ........................................ 14R a. Problem der re1·isio11 au Jo11d .......................................................
149
b. Wirkung auch gegenüber Drittstaaten .......................................... 150 2. Richtlinien und ordre public............................................................... IV.
151
Ordre public und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit .............................. 153 1. Konkretisierung.................................................................................. 154 a. Pauschalierungen ......................................................................... 154 h. Übertragung der Formel des Verfassungsrechts...........................
155
2. Insbesondere die Leistungsfähigkeit des Schuldners ......................... 157 V.
Ordre public und die rechtsethischen Grundsätze der§§ 138, 826 BGB ..........................................................................................................
159
1. Terminologische Übereinstimmungen............................................... 160 2. Funktionale Übereinstimmungen.......................................................
161
3. Betrügerische Machenschaften....................... ....................................
163
4. Mißbräuchliche Klageerhebungen...................................................... 165 VI.
Anerkennungsrechtlicher Ordre puhlic und deutsches Internationales Privatrecht................................................................................................
166
1. Textliche Sonderstellung und Reform...... .......................................... 167 2. Überlagerung des Kollisionsrechts und forum shopping....................
168
3. Fehlender materiellprivatrechtlicher Gerechtigkeitsgehalt.................
171
VII. Art. 38 EGBGB und anerkennungsrechtlicher ordre public ..................... 172
1. Art. 38 EGBGB als spezialgesetzliche Ausprägung des ordre puhlic ..................................................................................................
173
2. Zielsetzung von Art. 38 EGBGB........................................................
174
3. Stellungnahme....................................................................................
176
VIII. Rechtspolitische Erschütterung der Regelung .......................................... 1. Erschütterung der Regelung im Anerkennungsstaat...........................
179 179
2. Beispiele ............................ ................................................................. 180 a. Nemo contra se edere tenetur .......................................................
180
h. Begründungspflicht richterlicher Entscheidungen....................... 181 c. Prozeßkostentragung und Veranlasserprinzip ..............................
183
d. Dispositionsmaxime und Unzulässigkeil von Popularklagen ......
183
Inhaltsverzeichnis
14
e. Pactum de quota litis ...................................................................
184
Strenge Kompensationsfunktion des Schadensrechts..................
185
(1) Ersatz materieller Schäden ....................................................
188
(2) Ersatz immaterieller Schäden................................................
188
(a) Genugtuungsfunktion des§ 847 BGB ............................
188
(b) Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und anderer Immaterialgüterrechte.................................
190
(3) Abfindungszahlung nach§§ 9, 10 KSchG ............................
191
f.
(4) Inanspruchnahme Privater zur Verfolgung öffentlicher Interessen...............................................................................
192
(5) Täter-Opfer-Ausgleich..........................................................
193
g. Weitere Grundsätze des Schadensrechts......................................
193
3. Erschütterung der Regelung im Urteilsstaat ......................................
194
Die Frage nach internationalen Standards - Rechtsvergleichung zur Gewinnung eines Maßstabs..................................................................... 1. Die Relevanz internationaler Standards .............................................
196 196
2. Aubins Ansatz....................................................................................
198
a. Der "Regelfall" ............................................................................
198
b. Der "atypische" Fall.....................................................................
199
3. Die Ermittlung eines internationalen Standards.................................
200
a. Internationale Übereinkommen ...................................................
200
b. Sonstige "internationale Texte"...................................................
201
c. Gemeinschaftsrechtliche Richtlinien ...........................................
201
d. Der Referenzkreis ........................................................................
201
B. Krasser Unterschied der Anwendungsergebnisse ..............................................
203
Der wertungsjuristische Ansatz................................................................ 1. Materiellrechtliche Interessen und lnlandsbezug...............................
204 204
2. Internationalprivatrechtliche und internationalverfahrensrechtliche Gerechtigkeit ........................................... .................................. ........
204
3. Arten von Wertungsunterschieden.....................................................
205
IX.
I.
4. Faktorentheorie .................................................................................. 206 II.
Blick auf die Rechtsordnungen - nicht auf die Rechtssätze ..................... 206 1. Erfordernis funktionaler Rechtsvergleichung .................................... 207 2. Beispiele ................... ........... ...................................... ........................
208
a. Materiellrechtlicher Prozeßkostenersatz und Erfolgshonorare ....
209
Inhaltsverzeichnis
15
h. Pre-trial discovery ........................................................................ 210 c. Gewinnabschöpfung im Gewande des Schadensersatzanspruchs ...... ....................................................... 211 d. Systeme der sozialen Sicherheit und claim preclusion-doclrine.. 212 lll.
Blick auf den Einzelfall- nicht auf den Regelfall..................................... 213 1. Konkreter Verstoß nicht abstrakte Gefahr.......................................... 214 a. Verfahrensrechtlicher ordre public............................................... 215 b. Materiellrechtlicher ordre public.................................................. 217 2. Verhalten der Parteien........................................................................ 218 a. Vorprozessuales Verhalten........................................................... 218 b. Verhalten im erststaatlichen Verfahren........................................ 219 c. Verhalten im zweitstaatlichen Verfahren..................................... 222 (1) Ordre public-Vorbehalt und revision aufond ........................ 223 (a) Zweifel an Tatsachen....................................................... 225 (b) Zweifel an der rechtlichen Einschätzung......................... 229 (2) Rügepflicht eines ordre public-Verstoßes.............................. 230
C. Relevanz des Inlandsbezuges ............................................................................. 231 I.
Objektive Anknüpfungspunkte des Inlandsbezugs ................................... 233
II.
Auslandsbezug.......................................................................................... 235
III.
Relatives System....................................................................................... 235 1. Anknüpfungspunkt und inländische lnteressenwertung..................... 236 2. Gewicht der Inlandsbeziehung und Art des Verstoßes....................... 239
IV.
Absolutes System ..................................................................................... 241
V.
Inlandsbeziehung und Diskriminierungsverbote ...................................... 244 1. Art. 6 Abs. 1 EGV .............................................................................. 244 2. "Inländerbehandlung" nach FCN-Vertrag.......................................... 245
VI.
Relevante Zeitpunkte...... .......................................................................... 246 1. Zeitpunkt der Inhaltsfestlegung des ordre public ............................... 246 2. Zeitpunkt der Bewertung der Binnenbeziehung................................. 250
§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung A. Verfahrensrechtlicher und materiellrechtlicher ordre public .............................. 252
B. Voller und abgeschwächter ordre public ............................................................ 254
Inhaltsverzeichnis
16
C. Ordre public interne und ordre public international........................................... 254 I.
Der ursprüngliche Ansatz Brochers ......................................................... 254
II.
Der Ansatz des BGH................................................................................ 256
III.
Sonderproblem Schiedsgerichtsbarkeil .................................................... 257 1. Die Unterscheidung zwischen schiedsrichterlichem und staatsgerichtlichem ordre public ........................................................ 257 a. Ausgangspunkt............................................................................ 257 b. Diskussion in der Schweiz........................................................... 258 c. Verfassungsrechtliche Vorgaben................................................. 259 d. Volenti 11011 fit iniuria? ................................................................
259
e. Problem Doppelexequatur ........................................................... 263 f.
Ergebnis....................................................................................... 264
2. Ordre public d'arbitrage interne und ordre public d'arbitrage international.......................................................................................
265
a. Die überwiegende Ansicht.............. .............................................
265
b. Analyse der Argumente............................................................... 267 ( 1) Begrenzung der These auf Verfahrensstandards ...................
268
(2) Internationale Praxis als Argument? ..................................... 269 c. Bewertung ........... ........................................................................ 272 IV.
Die dem ordre public international zugeschriebenen Inhalte.................. 275 1. Ordre public international und Internationaler ordre public .............. 275 2. Die völkerrechtlichen Varianten ........................................................ 275 3. Ordre public vraiment international und ordre public transnational.......................................................................................
276
4. Weitere Varianten .............................................................................. 280 5. Stellungnahme...................................................................................
282
D. Ordre public universei .......................................................................................
282
I.
Inhalte ......................................................................................................
282
II.
Stellungnahme.........................................................................................
283
E. Völkerrechtlicher ordre public ...........................................................................
285
F. Europäischer ordre public .................................................................................. 286 I.
Der ordre public des EuGVÜ ................................................................... 1. Keine generell engere Auslegung staatsvertraglicher Vorbehaltsklauseln ............................................................................
288 288
Inhaltsverzeichnis
17
2. Sonderfall EuGVÜ'! ........................................................................... 290 a. Intentionen der Vertragsstaaten.................................................... 292 b. Besonderer Standard der Zuständigkeitsgerechtigkeit ................. 293 c. Art. 28 Abs. 3 EuGVÜ .................... ............................................. 294 d. Auslegung durch den Gerichtshof................................................ 295 (1) Wesentliche Grundsätze der Union ........................................ 297 (2) Wichtige nationale Rechtsgüter ....................... ...................... 299 li.
Europäischer ordre public im autonomen Recht? ..................................... 300 1. Das Integrationsmoment..................................................................... 300 2. Reduktion von Wertungen mit ordre public-Qualität durch Rechtsvergleichung ............................................................................ 302 3. Ergebnis.............................................................................................. 303
G. Zusammenfassung .............................................................................................. 303 Anhang - Normtexte ................ ... ......... ................ .... .... ........................................... 305 Literaturverzeichnis .. .... .. ............. .... ....... ... .. .... ... .. .............. ... .... .. ......... ... ... ........ ...
313
Sachverzeichnis.......................................................................................................
33 7
2 Völker
Abkürzungen a.A.
a.a.O. ABI. ab I. Abs. abw. AcP a.E. a.F. AG AGB AGBG ähnl. AktG al. allgM a.M. AmJCompL Anh. Anm. AnVollstrAbk AnVollstrV AnwBI ArbGG Art./ art. ausf. AWD BayObLG BayObLGZ BB BerDGesVR begr. belg. Beseht. betr. BGBI. BGE
anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ablehnend Absatz abweichend Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte Fassung Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen ähnlich Aktiengesetz alinea allgemeine Meinung anderer Meinung American Journal of Comparative Law Anhang Anmerkung Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag Anwaltsblatt Arbeitsgerichtsgesetz Artikel I article ausführlich Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungssammlung des - in Zivilsachen Betriebsberater Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht begründet belgisch Beschluß betreffend Bundesgesetzblatt Entscheidungssammlung des schweizerischen Bundesgerichts
Abkürzungen BGH BGHZ
BJM
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2*
19
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20 EuMRK EuR EuSorgÜbk
EuVÜ EuZW EWG EWiR f. I ff. FamRZ FGG Fn franz. F.R.Civ.P. FS GA.J.Int'L.&Comp.L gern. GG ggf. grds. griech. GVG HaagBewÜbk HaagZustÜbk hLit hM HoldhMSchr Hrsg. ICC i.d.F. i.d.R. i.Erg. IGH lherJb Int'ILaw IPR IPRax
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Abkürzungen IPRspr i.R i.S. israel. ital. i.V.m. JbPrSchG J.D.I. (Ciunet) jew. JR JuS JW JZ Kap. krit. KTS LG lit. LM Lugü MarkenG m.a.W. MDR m.E. m.w.N Nachw. N.C.P.C NdsRpfl n.F. niederl. NiemeyersZ NJW NJW-RR no. Nr. o.g. ÖJZ OLG OLGZ OR öst.
21
Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts im Rahmen von I des im Sinne von I des israelisch italienisch in Verbindung mit Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeil Journal de Droit International, begr. von Clunet jeweils Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kapitel kritisch Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen (bis 1988) Landgericht Iitera Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. von Lindenmaier I Mähring
Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (1988) Markengesetz mit anderen Worten Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens mit weiteren Nachweisen Nachweise Nouveau Code de Procedure Civile (Frankreich) Niedersächsische Rechtspflege neue Fassung niederländisch Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungsreport Zivilrecht numero Nummer oben genannte(r) Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Privatrechts Obligationenrecht (Schweiz) österreichisch
22 östEO östiPRG östOGH östZPO PatentG ProdHaftG RabelsZ RdC Rev.crit.d.i.p. RG RGBI. RGW RGZ RheinZ RICO RIW Rn Rs Rspr. RVO Rz
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S.Ct. s.f.
SJZ Slg. span. st.Rspr. StAZ str. teilw. Tex.lnt.L.J T.G.l. tun. u.a. Übk
Abkürzungen Österreichische Exekutionsordnung österreichisches IPR-Gesetz Oberster Gerichtshof (Österreich) Österreichische Zivilprozeßordnung Patentgesetz Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recueil des Cours de I'Academie de Droit International de La Haye Revue critique de droit international prive Reichsgericht Reichsgesetzblatt Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Zivilsachen Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozessrecht Racketeer lnfluenced Corrupt Organisation Recht der Internationalen Wirtschaft Randnummer Rechtssache Rechtsprechung Reichsversicherungsordnung Randziffer siehe Satz/ Seite Schiedskonkordat (Schweiz) schweizerisches Bundesgericht Entscheidungssammlung des schweizerischen Bundesgerichts Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (Schweiz) United States Supreme Court Reporter siehe ferner Schweizerische Juristen-Zeitung Sammlung der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft spanisch ständige Rechtsprechung Das Standesamt streitig teilweise Texas International Law Journal Tribunal de Grande Instance tunesisch unter anderem Übereinkommen
Abkürzungen UmweltHG UN UNCITRAL UNCITRAL-MG unstr. UNÜ UrhG Vrt.
u.s. u.s.c.
U.S.L.W. UVÜ UWG VAHRG VersR vgl. vKamptzJb
vo
Vol. VollstrÜbk Vorbem. WHG WiB WKÜ WM w.o. WuB z.B. ZdtZP ZfHR ZtRVgl Ziff. ZIP ZivG ZPO ZRP Zshg. zugl.
23
Umwelthaftungsgesetz United Nations United Nations Commission on International Trade Law UNCITRAL-Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (1985) unstreitig New Yorker ON-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (1958) Urheberrechtsgesetz Urteil United States United States Code United States Law Week Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen ( 1958/1973) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Gesetz zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich Versicherungsrecht vergleiche Jahrbücher für die preussische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung, hrsg. von Kamptz Verordnung(en) Volume Vollstreckungsübereinkommen Vorbemerkung Wasserhaushaltsgesetz Wirtschaftsrechtliche Beratung Wiener ON-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf (1980) Wertpapier-Mitteilungen wie oben Entscheidungssammlung zum Wirtschaftsund Bankrecht zum Beispiel Zeitschrift für deutschen Zivilprozeß Zeitschrift für das gesamte Randesirecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zivilgericht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zusammenhang zugleich
24 zust.
zwh. ZZP
Abkürzungen zustimmend zweifelhaft Zeitschrift für Zivilprozeß
Weitere Abkürzungen ergeben sich aus der im Literaturverzeichnis unmittelbar nach dem Autor in eckigen Klammern angeführten Zitierweise.
§ 1 Einleitung A. Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen Nach ganz herrschender Auffassung in der völkerrechtlichen Doktrin besteht keine originäre Pflicht zur Anerkennung gerichtlicher Streitentscheidungen fremder Provenienz1• Daß eine solche Anerkennung inzwischen in der Praxis dennoch regelmäßig und ohne unüberwindlich große Hindernisse erreicht werden kann, ist nicht nur Ausdruck der internationalen comitas, sondern findet seine tiefere Ursache in der pragmatischen Einsicht, daß internationale Durchsetzbarkeit einmal getroffener Streitentscheidungen zu den Grundbedürfnissen moderner Industriegesellschaften gehört 2• Eine Aufforderung, wie die des rheinpreußischen LG Saarbrücken, nach größerer Unnachgiebigkeit bei der Anerkennung fremder Entscheidungen, wenn und weil "deutsche Gerechtigkeitsliebe und Billigkeit anders einen allgemeinen Einfluß [... ] sich zu verschaffen nicht vermögen" 3, ist gewiß heutzutage indiskutabel. Trotz dieser Einsicht ist die Beschäftigung mit diesem Rechtsgebiet ausgesprochen ambivalent. Einerseits ist man um die bewußte Betonung der eigenen Toleranz gegenüber den fremden Rechts- und Wertvorstellungen bemüht4 • Dies fällt umso leichter, je abstrahierter die Regionen sind, in denen man sich bewegt. Andererseits ist man dann doch über die Zumutungen verblüfft, die sich für das eigene, noch unreflektierte Rechtsgefühl ergeben, wenn man die in der Höhe der Abstraktion gewonnenen Maßstäbe auf die konkret zur Anerkennung stehende Entscheidung überträgt.
Statt vieler Sclriitze [DtlZPR]. 1985, S. 128; Spellenberg (Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 3; Martiny (Hdb IZVR Ill/1], 1984, Rz 156 ff., alle m.w.N. auch vereinzelter anderer Stimmen. Differenzierend Geimer [Anerkennung), 1995, S. 10 f. betreffend Statusentscheidungen. Ähnl. aus verfassungsrechtlicher Sicht ders.
[Verfassung}. ZfRVgl33 (1992), S. 321 (405). 2 Auf die Wettbewerbsnachteile einer restriktiven Anerkennungspolitik für die eigenen Wirtschaftsunternehmen weisen nicht nur Raeschke-Kessfer I Biihler (Aufsicht), ZIP 1987, S. 1157 (1165) hin. Vgl. den Bericht in vKamptzJb. 49 (1837), S. 297 (299). 4 Was schon Mittermaier [Vollstreckung), AcP 14 (1831), S. 84 (93) als allein den "wahren völkerrechtlichen Principien" entsprechend ansah.
26
§ 1 Einleitung
Eine Generalklausel wie der Vorbehalt des ordre public gegenüber fremden gerichtlichen Entscheidungen, ist per se kein für die Errichtung eines subsumtionsfähigen, begriffsjuristischen Denkgebäudes geeignetes Objekt. Letztendlich bleibt unbestreitbar immer nur die Gewichtung und Abwägung mehrerer Faktoren des konkret zur Entscheidung stehenden Falles. Dieser Befund enthebt aber nicht von der Möglichkeit und der wissenschaftlichen Aufgabe, zu strukturieren. Der Ausschluß generell unzulässiger und die Erarbeitung grundsätzlich zulässiger, möglicherweise im gerade vorliegenden Fall zu berücksichtigender Topoi in Form einer gedanklichen Checkliste, ist eines der mit der vorliegenden Arbeit verfolgten Ziele. Die Strukturierung soll helfen, die geforderte diskretionäre Ja-/Nein-Entscheidung\ die es trotz aller Struktur bleiben muß, vor sich selbst und den davon Betroffenen überzeugend zu begründen.
B. Gang der Darstellung Die Darstellung beginnt mit einem Blick in die Geschichte der Vorbehaltsklausel, die den gemeinsamen Ursprung von anerkennungsrechtlichem und kollisionsrechtlichem ordre public aufzeigt. Dies wird zum Anlaß genommen der Frage nachzugehen, ob die allenthalben anzutreffende Unterscheidung zwischen beiden Formen sinnvoll ist, und wenn ja, wie sie sich eine solche spezifizieren läßt. Die Untersuchung wird zeigen, daß dies nur in sehr begrenztem Rahmen der Fall ist. Daran an schließt sich der Versuch, durch Gewinnung und Ausschließung von Aspekten des ordre public, seiner Inhaltsbestimmung näher zu kommen. Das Schwergewicht liegt hierbei mehr auf einer systematischen Darstellung und weniger auf der Wiedergaber der umfangreichen Kasuistik, die sich besser aus einem Praktikerkommentar erschließt. Unter der Prämisse der Notwendigkeit einer Bewertung der besonderen, selten wirklich gleichen Aspekte des Einzelfalls, die gerade im Rahmen der Auslegung einer Generalklausel mit einem nahezu unübersehbar breiten Anwendungsbereich besonderes Gewicht erlangt, birgt eine kasuistische Darstellung offensichtliche Gefahren. Eine schlagwortartige Aufteilung von denkbaren Inhalten ausländischer Entscheidungen in ordre public-widrig und nicht ordre public-widrig kann -außer in denkbar krassen Fällen, und die sind wissenschaftlich wenig interessant - nicht wirklich sinnvoll sein. Eine zu sehr auf verkürzt repetierte Einzelfallergebnisse beschränkte Darstellungsweise birgt auch die Gefahr, den Blick auf die hinter der Einzelfallentscheidung stehenden
5
Zu den Möglichkeiten einer teilweisen Anerkennung vgl. unten S. 78.
B. Gang der Darstellung
27
Maßstäbe zu verstellen, die bei einer Generalklausel schon begriffsnotwendig schwer erkennbar sind, und Weiterentwicklungen zu verhindern. Die punktuelle Darlegung des derzeitigen Standes der Anwendung oder Nichtanwendung des ordre public kann vor dem Hintergrund der Wandelbarkeit des ordre public zudem immer nur Momentaufnahme einer sich entwickelnden Tendenz sein. Im Vordergrund stehen vorliegend deshalb in der Regel Strukturen und weniger Einzelfälle. Um der Plastizität willen und zur Plausibilitätskontrolle der entwickelten Thesen, wird es aber dennoch notwendig, den "enfant terrible" 6 des Internationalen Zivilprozeßrechts an geeigneter Stelle auf die konkreten Problemfelder internationaler Entscheidungsanerkennung loszulassen. Um den Umfang des zu verarbeitenden Stoffs beherrschbar zu halten, blieb allerdings das in der Praxis gewichtige, aber von ganz spezifischen Problemen geprägte Gebiet der Anerkennung ausländischer Entscheidungen auf dem Gebiet des Familienrechts weitgehend ausgeblendet. Letzter Schwerpunkt der Arbeit ist die Sichtung und Analyse der inzwischen in Literatur und Rechtsprechung anzutreffenden, äußerst uneinheitlich verwendeten, begrifflichen und inhaltlichen Differenzierung einer Vielzahl von ordre public-Spezien und Subspezien. Besonderes Augenmerk liegt hierbei auf der Untersuchung des Vorbehalts gegenüber Schiedssprüchen in- und ausländischer Provenienz sowie einer möglichen "europäischen" Ausprägung des ordre public. Als Ergebnis der Analyse zeigt sich, daß jedenfalls für den Bereich des Internationalen Privat- und Zivilprozeßrechts nicht nur keine Notwendigkeit solch ziselierter, begrifflicher Differenzierung besteht, sondern diese darüber hinaus in weiten Teilen eine gemeinsame Strukturen verdeckende Begriffshypertrophie darstellt, die den Blick auf Inhalte verstellt. Besonderer Wert kommt durchgängig, schon wegen der zwangsläufigen Internationalität des Themas, dem ständigen, vergleichenden Blick über die deutsche Grenze zu. Der kurze Blick - und ein solcher muß es bei dem vorgegebenen Rahmen bleiben - auf die Diskussion und Behandlung desselben Problems in unseren Nachbarstaaten, hier insbesondere nach Frankreich, England. nach Österreich und in die Schweiz, ermöglicht nicht selten eine überzeugendere Argumentation auch im Rahmen des deutschen Rechts und kann in Deutschland schon axiomatisch zementiert erscheinende Positionen relativieren oder auch noch weiter stärken.
6 Raape [DtlPR I], 1938, S. 60. Jeweils einen Überblick über die Vielzahl teils phantasievoller, schlagwortartiger Charakterisierungen des ordre public bieten z.B. Similis [Kodifikation], 1970, S. 267 und Wietltölter [Frage], BerDGesVR 7 (1967),
S. 133 (136).
28
§ 1 Einleitung
C. Terminologisches Die wechselnde Verwendung der Begriffe ordre public und öffentliche Ordnung7 soll keine Differenzierung ausdrücken, sondern hat lediglich semantische und stilistische Gründe.
Aus denselben Gründen ist im weiteren der auf Ernst Zitelmann zurückgehende Begriff der VorbehaltsklausefS synonym für die - international privatrechtliche oder international zivilprozessuale- ordre public-Norm verwandt. In mancher Veröffentlichung -hauptsächlich auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts - wird der Begriff materiellrechtlicher ordre public synonym für den kollisionsrechtlichen ordre public und der verfahrensrechtliche bzw. prozessuale ordre public synonym für den anerkennungsrechtlichen ordre public benutzt9 . Im Gegensatz dazu soll hier, dem inzwischen verbreiteten Gebrauch folgend, zwischen kollisionsrechtlichem und anerkennungsrechtlichem ordre public unterschieden werden, um so innerhalb letzterem, der den eindeutigen Schwerpunkt der Arbeit bildet, noch zwischen verfahrensrechtlichem und materiellrechtlichem ordre public differenzieren zu können. Auch wird der Begriff des anerkennungsrechtlichen ordre public synonym mit dem des vollstreckungsrechtlichen verwandt und umgekehrt, weil die zwischen Anerkennung und Vollstreckung unbestritten vorhandenen Unterschiede sich insoweit in aller Regel nicht auswirken 10• Wo sie es dennoch tun, ist dies hervorgehoben. Ist im Rahmen der Arbeit von der Anerkennung von Entscheidungen oder von gerichtlichen Entscheidungen die Rede, sind, sofern sich aus dem Kontext nichts Gegenteiliges ergibt, stets Entscheidungen staatlicher Gerichte wie auch Schiedssprüche privater Schiedsgerichte gemeint.
7 Eine Nicht-Gleichsetzung der Begriffe in der Literatur ist selten. Differenzieren will aber z.B. Wuppermann [Vorbehalt], 1977, S. 59, 63 ff. 8 Zitelmamr [IPR 1] 7 1897, S. 317 f. 9 Vgl. dazu unten S. 252. 10 Ebso schon G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 15. Vgl. aber unten S. 248.
§ 2 Geschichte und Funktion des
anerkennungsrechtlichen ordre public Die Untersuchung der geschichtlichen Entwicklung und der heutige Bedeutung des Umgangs mit fremden Vorstellungen von "Recht" im allgemeinen und dessen Kristallisation in Form ausländischer gerichtlicher Entscheidungen im besonderen und dessen Prüfung an Maßstäben des eigenen Rechts, einschließlich einiger rechtsvergleichender Blicke, ist nicht bloßer wissenschaftlicher Selbstzweck. Die eigene "Fortschrittlichkeit", die eigene "Liberalität" wird dadurch unter Umständen erheblich relativiert und auch ein Gleichlauf von politischer Einigung oder Toleranz und der Toleranz gegenüber fremden Wertmaßstäben wird deutlich.
A. Geschichtliche Grundlagen
I. Die Anerkennung fremder Gerichtsentscheidungen im allgemeinen Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Entscheidungen ausländischer Gerichte im Inland anerkannt und gegebenenfalls vollstreckt werden sollen, ist im wahrsten Sinne ein "klassisches" Problem. Im Gegensatz zum zeitlich nachfolgenden römischen Weltreich 11 wurden wohl bereits im Verhältnis der antiken griechischen Stadtstaaten 12 untereinander in engen Grenzen fremde gerichtliche Entscheidungen anerkannt. Nicht ganz geklärt ist das Bild der "internationalen" 13 Anerkennungspraxis im Frühmittelalter und für das alte deutsche Kaiserreich. Ursprünglich wurden 11 Vgl. hierzu Seizack (IZVRJ, 1991, Rz 121 f.; Martiny (Hdb IZVR 111!1], 1984, Rz 18; Graupner [Geschichte], 1978, S. 183 (184); Riezler [IZPRJ, 1949, S. 57 f. 12 Vgl. Graupner [Geschichte), 1978, S. 183 (184); einschränkend aber Martiny (Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 18 m.w.N. D Graupner [Geschichte], 1978, S. 183 ( 184, 189) weist darauf hin, daß "bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts [... ) in der einschlägigen Literatur die Abgrenzung zwischen der Vollstreckung von Urteilen, die von einem anderen Gericht innerhalb desseihen Territoriums gefällt wurden, von Urteilen, die in einem Territorialstaat innerhalb des Reichsverbandes und letztlich von solchen, die von einem Gericht eines außerdeut-
30
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
fremde Urteile, konnten sie bewiesen werden, wohl ohne weiteres als Akt der Rechtshilfe 14 vollstreckt 15 . Der Sachsenspiegel ordnete zu Beginn des 13. Jahrhunderts an: "Wer sin recht vor gerichte verluset in einer stat, der hat ez ubir al verloren [... ]" 16 Innerhalb des Heiligen Römischen Reichs lies man sich zunächst, noch unter dem Einfluß des Gedankens der Oberherrschaft von Kaiser und Papst, von der auf Ulpian 17 zurückgehenden, römisch-rechtlichen Maxime der res iudicata pro veritate accipitur leiten. Jedenfalls die Anerkennung der reichsgerichtliehen Urteile in den selbständigen Territorialstaaten war die RegeJI 8 • Auch die Anerkennung von Urteilen von Gerichten der Territorialstaaten untereinander dürfte - mit einigen Vorbehalten - regelmäßig möglich gewesen sein 19 • Auch in den italienischen Stadtstaaten Oberitaliens war die Anerkennungspraxis bis Ende des 13. Jahrhunderts relativ liberal 20 • Aufkommende Souveränitätsgedanken als Konsequenz des Bezweifelns der Oberhoheit von Kaiser und Papst führten ab Ende des 13. Jahrhunderts aber zu Restriktionen der Urteilsanerkennung21 • Diese wurden nicht aufgewogen durch
sehen Staates erlassen wurden, werm überhaupt, nicht klar genug vorgenommen wurde". 14 Die Vorstellung, "Vollstreckungsgericht" bliebe das Erstgericht und das um Vollstreckung von diesem ersuchte Zweitgericht werde für dieses nur ausführend tätig, hielt sich bis in die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts. So z.B. noch z.B. C.L. v. Bar [IPR II], 1899, S. 403 ff. und v. Feuerbach [Themis], 1812, S. 120 f. Vgl. dazu auch Martiny [Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 39. 15 In diesem Sinne auch Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 19 ff.; Schack [IZVRJ, 1991, Rz 123 ff., 786. Vgl. a. Neumeyer [IPR II], 1916, S. 102 f., der darauf hinweist, daß "de iure die ganze Christenheit als das Gebiet dieses Reiches" ga.lt. Vorsichtiger dagegen Graupner [Geschichte], 1978, S. 183 (184 f.). 16
Vgl. Sachsenspiegel Landrecht 3. Buch Art. 82
17
Digesten, I, 5, 25 a.E. =50, 17,207 (Uipian).
18 Vgl. dazu näher Mittermaier [Vollstreckung), AcP 14 (1831), S. 84 f.; Graupner [Geschichte), 1978, S. 183 (185); Martilry [Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 21. 19 Vgl. v. Feuerbach [Themis), 1812, S. 77; Mittermaier [Vollstreckung), AcP 14 (1831), S. 84 f.; Graupner [Geschichte], 1978, S. 183 (185).
20 Näher Neumeyer [IPR II], 1916, S. 53 ff.; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 21 f., 24 m.w.N. dort in Fn 52. S. auch Graupner [Geschichte], 1978, S. 183 (184).
21
Vgl. Schack [IZVRJ, 1991, Rz 126, 786; Martiny lHdb IZVR 111/1], 1984, Rz 24.
A. Geschichtliche Grundlagen
31
den sich ab dem 17. Jahrhundert verbreitenden Gedanken der comitas gentium bzw. courtoisie international22 . Für das Gebiet des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation verschärfte sich diese Tendenz noch bedeutend im Zuge des nach dessen Zerfall 1806 einsetzenden "Souveränitätsrauschs" 23 der Territorialstaaten 24• Mit der völkerrechtlichen Begründung, das ausländische Urteil sei Befehl eines fremden Souveräns, das dieser im Inland durchzusetzen versuche und damit die eigene Souveränität bedrohe25 , wurde eine Pflicht zur Vollstreckung fremder Urteile negiert. Das schon damals bestehende praktische Bedürfnis nach internationaler Urteilsanerkennung führte indes dazu, daß trotz vielerlei Hindernissen eine Vollstreckungsmöglichkeit nicht ernsthaft in Frage stand 26• In Anlehnung an einen Entwurf Anselm von Feuerbachs27 von 1812 kam es in der Folge zum Erlaß einiger territorialstaatlicher Verordnungen 28 und zum Abschluß etlicher bilateraler Verträge 29, die die gegenseitige Anerkennung von Urteilen regelten.
22 Hier sind vor allem die Holländer Paul Voet (1619-1667) und dessen Sohn Joham1es Voet (1647-1714) sowie Ulrich Huber (1636-1694) zu nennen. Vgl. C. v. Bar [IPR 1], 1987, Rz 445 ff.; Seizack (IZVRJ, 1991, Rz 126; Spickhofffordre public], 1989, S. 33 f.; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 26, 37; Kegel [IPR], 1995, § 3 V, S. 138 f.
23
So Jellinek [Anerkennung], 1953, S. 7.
Vgl. Mittermaier [Vollstreckung], AcP 14 (1831), S. 84 (86 ff.) sowie Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 31 ff. mit Wiedergabe der einzelstaatlichen Regelungen, Graupner [Geschichte], 1978, S. 183 (191 ff.) mit Darstellung der damaligen wissenschaftlichen Diskussion sowie den Bericht des LG Saarbrücken vKamptzJb 49 (1837), S. 297 (300), mit der Klage über fehlende Grundsätze und schwankende Rechtsprechung sowohl innerhalb des Deutschen Bundes als auch im Verhältnis zum Ausland. 24
25 Vgl. v. Feuerbach [Themis], 1812, S. 78, der selbst aber den gegenteiligen Standpunkt vertritt. Hierzu auch Martiny [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 31, 38. 26 Vgl. Mittermaier [Vollstreckung], AcP 14 (1831), S. 84 (89); Martiny [Hdb IZVR 111/1 ), 1984, Rz 32.
27 Vgl. 11. Feuerbach [Themis], 1812, S. 103 ff., 307 ff. Feuerbach stellt im wesentlichen auf spiegelbildliche Zuständigkeit des ausländischen Gerichts als wesentliche Bedingung für eine Vollstreckbarkeit ab. Sei diese Bedingung erfüllt, würden die fremden Urteile "unweigerlich vollstreckt" (a.a.O. S. 311). Vgl. auch zur Diskussion über den Entwurf Graupner [Geschichte]. 1978, S. 183 ( 193). 28
Vgl. die Aufstellung bei
11.
Feuerbach, [Themis), 1812, S. 128, 131.
Insbesondere zwischen den deutschen Staaten. Verträge mit dem Ausland blieben die Ausnahme. Vgl. die (unvollständige) Zusammenstellung bei Jellinek [Anerkennung], 1953, S. 8, 11 auch mit Überblick über die internationale Entwicklung. 29
32
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public Im internationalen Vergleich läßt sich feststellen, daß im Frankreich des 19. Jahrhunderts unter der Geltung des Code Napoleon eine außerordentlich restriktive Anerkennungsdoktrin herrschte 30. Zwar wurde seit 1789 ausländischen Urteilen, die gegen einen Franzosen ergingen, die Anerkennung nicht mehr völlig versagt. Die Cour de Cassation lies eine n?visio11 au fondaber ausdrücklich zu 31 . Im Gegensatz dazu kann die Anerkennungspraxis in Großbritannien ab der Mitte des 19. Jahrhundert~. verglichen mit der vom französischen Recht geprägten kontinentaleuropäischen Praxis, als ausgesprochen liberal bezeichnet werden 32 •
Die deutsche Civilprozeßordnung von 187733 hielt zunächst in ihren §§ 660, 661 am Erfordernis einer actio iudicati fest. Streitgegenstand der "Judikatsklage" war - im Gegensatz zu § 722 f. ZPO - nicht unmittelbar die Vollstreckbarkeit des ausländischen Urteils und damit der Anspruch in der Sache selbst, sondern die im ausländischen Urteil festgestellte "Judikatsobligation" des Schuldners34 • Eine Vorschrift über die Anerkennung fehlte hingegen, weil diese noch als ein Problem des Bürgerlichen Rechts angesehen wurde35 . Das Reichsgericht urteilte 1883, daß die Rechtskraft eines ausländischen Urteils nur unter den Voraussetzungen anerkannt werde, die auch für die Vollstreckung aus diesen Titeln galten 36 • Die ZPO-Novelle von 189837 brachte dann zwar erstmals auch
Vgl. a. Graupner [Geschichte), 1978, S. 183 (196); Martiny [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 32 m.w.N. 30 Vgl. v. Feuerbach [Themis], 1812, S. 92 f., 98; Mittermaier [Vollstreckung), AcP 14 (1831), S. 84 (91 ff.); Graupner [Geschichte), 1978, S. 183 (191). 3t
Vgl. Marti11y [Hdb IZVR 111/1], 1984, Fn 85 m.N.
Vgl. Mittermaier [Vollstreckung], AcP 14 (1831), S. 84 (93); Graupner [Geschichte], 1978, S. 183 ( 195); Martiny [Hdb IZVR 111/1 ), 1984, Rz 42. Aus der englischsprachigen Literatur exemplarisch Cheshire I North I Fawcett [PrlntL), S. 630 f. 32
33
RGBI. 1877, 83.
Vgl. Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1582 ff., 1616; Schack [IZVR), 1991, Rz 941; Geimer [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 280. Ähnl. heute noch im englischen Recht die "action upon the foreign judgement". 34
35 Vgl. z.B. C.L. v. Bar [IPR II], 1889, S. 421 f. Fn 21, S. 461 f. sowie Gebhard in den Motiven seines Zweiten Entwurfs in Niemeyer [Vorgeschichte], 1915, S. 376. Das (isolierbare) Problem der Anerkennung reduzierte sich auf Fälle klagabweisender ausländischer Urteile und auf Statusurteile, die -bis auf den Kostenausspruch - nicht vollstreckt zu werden brauchten. Vgl. auch Martiny {Hdb IZVR 111/1 ), 1984, Rz 45 f., 50. 36 RG v. 29/01/1883, RGZ 8, 385 (387). Zust. Reysclzer [Vollstreckung], 1892, S. 15. Diese Ansicht vehement bekämpfend insbes. C.L. v. Bar [IPR II), 1889, S. 421 Fn 21 sowie ders. in [Vollstreckung), HoldhMSchr 7 (1898), S. 29 (33 f.). Zum
A. Geschichtliche Grundlagen
33
gesetzestechnisch die dogmatisch klare Trennung von Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile38 • Damit einher ging aber eine materielle Verschärfung der Anerkennungsvoraussetzungen, die durch den auch auf Rechtswissenschaft und Rechtsprechung ausstrahlenden, von Nationalismus geprägten Zeitgeist in ihrer Wirkung noch verstärkt wurde 39. Der Nationalsozialismus brachte kein selbständiges anerkennungsrechtliches Profil40 . In die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fällt der Abschluß etlicher bilateraler und multilateraler Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge41 , allen voran des Brüsseler EWG-Übereinkommens über die Gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen im Jahre 1968 sowie des Parallel-Übereinkommens von Lugano zwischen den EG-Staaten und den EFfA-Staaten von 1988.
II. Entwicklung des ordre public als Anerkennungshindernis im besonderen Zum Verständnis der geschichtlichen Entwicklung des ordre public-Vorbehalts vorauszuschicken ist, daß relativ lange die ausländische Entscheidung und die gesetzliche Regel, auf der sie beruhte, vollständig gleichgesetzt42 oder
damaligen Streitstand s. a. Gebltard in Niemeyer [Vorgeschichte], S. 376; Graupner [Geschichte], 1978, S. 183 (203 ff.); Martiny [Hdb IZVR IIV1], 1984, Rz 45 ff. 37
S. dazu unten S. 42.
38
Vgl. dazu Fuld [Urteile), NiemeyersZ 8 (1898), S. 369 f.
Beispielhaft sei das von Wolffson [Vollstreckbarkeit], RheinZ 2 (1910) S. 187 (191 f.) entworfene Zerrbild der "vogelfreien" deutschen Kaufleute genannt, die mangels ausreichenden Schutzes durch § 328 ZPO von Gerichten aus Staaten "einer niedrigen Kulturstufe [... ] in ihrem Vermögen schwer geschädigt werden." Vgl. zu dieser Tendenz auch C.L. v. Bar [IPR II], 1889, S. 488; Wittmaak [Vollstreckungsurteil], NiemeyersZ 22 (1912), S. 1 (73 dort Fn 1, S. 115); Marti11y (Hdb IZVR IIV1], 1984, Rz 54 ff. m.w.N. sowie den flammenden Appell v. Feuerbachs [Themis], 1812, S. 127 f. wider diese Tendenzen. S. a. dazu auch unten S. 43. 39
40
Vgl. Marti11y [Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 57 f. m.w.N.
Zu den bilateralen Verträgen vgl. z.B. die Übersicht bei Waelller (Hdb IZVR Ill/2], 1984, Rz 40, zu den multilateralen Staatsverträgen vgl. etwa die Übersicht bei Martiny (Hdb IZVR IIV2], 1984, Rz 271 ff. 41
42 So im 14. Jahrhundert Bartofus de Saxoferrato (Cunctos populos] Codex 1,1,1 Nrn. 33, 40. 41 , 4 7. 50 (zit. nach Marti11y (Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 22). S. hierzu a. Kaufmann [Geschichte], 1972, S. 66 (81 ff.)
3 Völker
34
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
jedenfalls gleichbehandelt43 wurden. Grund dafür war, daß die Rechtskraft der fremden Entscheidung unter den Parteien an die Stelle des Gesetzes trat. Die Wirkungen von Gesetz und Einzelakt waren insoweit prinzipiell gleichgestellt. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde diese Lehre überwunden, und erst damit konnte sich überhaupt ein vom kollisionsrechtlichen isolierbarer, spezifisch anerkennungsrechtlicher ordre public herausbilden.
1. Römisch-rechtliche Vorläufer eines kollisionsrechtlichen ordre public a. Entwicklung in der Wissenschaft Erste Ansätze44 eines Vorbehaltsgedankens mag man in der Mitte des 13. Jahrhunderts aufkommenden45 und insbesondere von Johannes Faber46 vertieften These sehen, ein Fremder, der in Unkenntnis der örtlichen consuetudo loci contractus einen Vertrag geschlossen habe und nun daraus haften solle, könne, sollte sich daraus eine laesio enormis ergeben, eine Billigkeits43 Vgl. z.B. v. Feuerbach [Themis], 1812, S. 86 f.; C.L. v. Bar [IPR II], 1889, S. 413 ff.; Richard [exceptio], BöhmsZ 3 (1893), S. 10 (24 f.); M. Klein [Vollstreckung], BöhmsZ 9 (1899), S. 206 (230). A.A. Reyscher [Vollstreckung], 1892, S. 14. S. a. Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 40 ff. Eine ausdrückliche Gleichsetzung in der Behandlung fand sich im noch 1932 geltenden Art. 12 der Einleitung zum italienischen Codice civile: "[ ... ]können Gesetze, Akte und Erkenntnisse eines ausländischen Staates ( ... ] weder die zwingenden Vorschriften [ ... ] noch Gesetze, welche die öffentliche Ordnung betreffen, außer Geltung setzen." (zit. nach Melchior [DtiPR), 1932, S. 328). Vgl. hierzu auch Spickhoff[ordre public], 1989, S. 46, 49. 44 Noch frühere sehen Spickhoff [ordre public], 1989, S. 27 f. ; Kaufmann [Geschichte], 1972, S. 66 (70 f.) und Lagarde [public policy], 1994, S. 3; Batiffol I Lagarde [DrlntPr 1), 1993, no 354 bei Aldricus bereits im 12. Jahrhundert. S. a. Gutzwiller [Geschichte], 1977, S. 14 f. 45 S. hierzu die Nachweise auf lmzocentius Quart11s und Bemardus Compostellanus itmior bei Ne11meyer [IPR II), 1916, S. 119 ff. und Kaufmann [Geschichte], 1972, S. 66 (74 f.). Ob lmzocentills allerdings bei der Formulierung seiner These auch den Fall vor
Augen hatte, in denen der Gerichtsort nicht mehr im Geltungsbereich der Iex loci contractus lag, oder ob hier nur ein Rangverhältnis zwischen örtlicher consuetudo und kanonischem Recht für den im Bereich der consuetudo entscheidenden Richter ausgedrückt sein sollte, ist zweifelhaft. Die erste Variante entspricht der Interpretation der Stelle durch Faber (s. nächste Note) und Ne11meyer [IPR II), 1916, S. 137 f., 148. Zweifelnd dagegen Kaufmann [Geschichte), 1972, S. 66 (75 f.) und Spickhoff [ordre puhlic), 1989, S. 29. 46 S. hierzu Kaufmann [Geschichte), 1972, S. 66 (76 f.); Spickhoff [ordre puhlic), 1989, S. 29 f.; Mayer [DrlntPr], 1991, no 203.
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kontrolle im Wege einer restitutio in integrum orientiert an der römisch-kanonischen Iex fori verlangen 47 . Ein weiterer Vorläufer des ordre public-Vorbehalts kann in dem auf Wilhelmus de Cuneo48 zurückgehenden Gedanken der statuta odiosa gesehen werden. Diesen maß Bartolus de Saxoferrato49 im 14. Jahrhundert erstmals den Zweck bei, eine Rechtsordnung50 gegen die unerträglich erscheinenden Auswirkungen einer anderen Rechtsordnung zu schützen. Sein Schüler Baldus de Ubaldis erwähnt in seiner Weiterentwicklung der Theorie erstmals die Sittenordnung des Forumstaates als Maßstab für die Anwendbarkeit eines Statuts51 . Bei Charles Dumoulin52 geben im 16. Jahrhundert erstmalig staatspolitische Interessen den Ausschlag für die Nichtanwendung ausländischen Rechts. Eine konkretisierte Vorbehaltsklausel des "internationalen Vertragsrechts" mag man auch in No. 18 des Commentarius ad Pandectas von 1698 des Johannes Voet sehen53 • Unerlaubte Personal- und damit Vertragsstatuten waren hier solche, die primario privatorum ius, den publica utilitas oder den publica honsestas nicht entsprachen.
b. Frühe Kodifikationen Umgesetzt und auf die Urteilsanerkennung übertragen wurden diese Thesen z.B. in den oberitalienischen Städten des Mittelalters. die der gegenseitigen Vollstreckung ihrer Zivilurteile recht aufgeschlossen gegenüber standen54, aber 47
Vgl. Neumeyer (IPR II), 1916, S. 148; Epe [Funktion), 1979, S. 108.
Ebso Szaszy [study), 1967, S. 718; Mayer [DrlntPr), 1991, no 203. Hierzu auch Kaufmann [Geschichte]. 1972, S. 66 (77 ff.); Spickhoff [ordre public], 1989, S. 30; Kegel [IPR), 1995, § 3 111 1 b, S. 131. 49 S. hierzu Spickhoff [ordre public], 1989, S. 30 f. m.w.N.; Kaufmann [Geschichte), 1972, S. 66 (84); Epe [Funktion], 1979, S. 109; Batiffol / Lagarde [DrlntPr I), 1993, no 354. 50 Und zwar nicht zwingend die des Forumstaates. Bartofus verstand den statutum odiosum-Gedanken als- modern gesprochen- allseitige Kollisionsnorm. Vgl. Spickhoff [ordre public), 1989, S. 31; Epe [Funktion], 1979, S. 109. 51 Vgl. Spickhoff (ordre public), 1989, S. 31 f. S. auch Gutzwi/ler [Geschichte], 1977, S. 39 ff. 48
52 Charles Dwnoulin, Caroli Molinaei Franciae et Germaniae celeberimi Jurisconsulti et in supremo Parisiorum senatu antiqui advocati, omnia quae extant opera, Band III, Paris 1681, S. 741 (zit. nach Spickhoff [ordre public], 1989, S. 32). S. auch Gutzwiller (Geschichte), S. 80 Fn 25 . 53 So Gutzwiller (Geschichte], 1977, S. 147. 54 S. ohen S. 30.
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Vorbehalte u.a. dahin machten, die Vollstreckung dürfe den Interessen der Stadt nicht widersprechen oder gegen ius gentium vel naturale55 verstoßen. Die preußische Kammergerichtsordnung von 1709 schloß eine revision au fond56 auch gegenüber ausländischen Urteilen, die zum Nachteil eigener Bürger ergangen waren, grundsätzlich aus57• Dagegen war die bayerische Gerichtsordnung von 1753, der Codex Maximilianeus Juris Bavarici, dem Gedanken des Inländerschutzes verhaftet 58 . Sie differenzierte danach, ob das zur Vollstreckung anstehende fremde Urteil gegen einen Inländer oder einen Ausländer erging59 • Im ersteren Fall mußte es eine "vorläufige summarische Einsicht der Hauptsache" überstehen 60• Im zweiten Fall solle sich das requi-
55 So Radulplms Cumanus, um 1540 (zit. nach Martiny [Hdb IZVR 111/1]. 1984, Rz 24 m.w.N.). 56
Zu dem Begriff näher unten S. 223.
Titel 54§ 6: "Wie denn auch unser Kammergericht[ ... ] die verlangte Execution [... ] ohne Untersuchung, ob wohl oder übel anderwärts verfahren, wider unsere Untertanen vollstrecken zu lassen {hat}." Die Vorschrift läßt im folgenden im Wege der Retorsion dann doch eine sachliche Nachprüfung zu, wenn eine solche im Erststaat gegenüber preußischen Urteilen praktiziert wurde. Vgl. Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 28. Ihre Nachfolgerin, die Allgemeine Gerichtsordnung fiir die preußischen Staaten von 1793 (neu veröffentlicht 1815) blieb dagegen noch unpräziser und schloß eine revision au fond auch nicht mehr ausdrücklich aus: "[ ... ] Urteile müssen die Gerichte in königlichen Landen gehörig vollstrecken, es wäre denn, daß sich[ ...] bei der Sache selbst ein Anstand ereignete; [...] ". Vgl. Graupner [Geschichte], 1978, S. 183 (186 f.); Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 29. 57
58 Nach Kreittmayr [Anmerkungen], 1754, S. 239 war Hintergrund des Inländerschutzes ausdrücklich nicht das größere Vertrauen in die eigene Justiz, sondern die im Ausland für den dort Ausländer oft fehlenden Rechtsmittel gegen "widerrechtliche Proceduren". 59 S. dort 18. Kap. § 2. Vgl. Mittermaier [Vollstreckung], AcP 14 (1831), S. 82 (85), der diese Ansicht als die damals herrschende bezeichnet. 60 " ... dafern sich Exequandus über Nullitäten und Ungerechtigkeiten mit Wahrscheinlichkeit beklagte". Als Beispiele nennt Kreittmayr [Anmerkungen], 1754, S. 239 hier interessanterweise nur Einwendungen, die heute unter den prozessualen ordre public rechnen würden. Ähnlich auch v. Feuerbach [Themis], 1812, S. 125, der von "äußeren rechtlichen Bedingungen" als einzigem Prüfungsobjekt spricht. Vgl. a. Mittermaier [Vollstreckung], AcP 14 (1831), S. 82 (85); Martiny [Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 27; Graupner [Geschichte], 1978, S. 183 (186). Dort jeweils auch der Gesetzestext.
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rierte 61 Gericht "nicht weigern, das ausländische Urteil zu vollziehen oder sich eine Cognition 62 anmaßen". Die Rechtsprechung des Reichskammergerichts ging im 18. Jahrhundert dahin, Urteile von Gerichten der Territorialstaaten seien in den anderen grundsätzlich anzuerkennen, es sei denn das Urteil sei "offenbar ungerecht" 63 •
2. Entwicklung ab dem 19. J ohrhundert a. Entwicklung in der Wissenschaft 1812 verwirft Anselm von Feuerbach64 jede n?vision au fond eines fremdrichterlichen Urteils als "wider alles Völkerrecht" und als Gedanken, der "schon in sich selbst zerfallen" sei. Knapp zwanzig Jahre darauf nennt Karl Mittermaier65 als Versagungsgrund einer Anerkennung neben wenigen anderen den, daß der Vollstreckungsgegner dartun könne, "daß das Urteil solchen Gesetzen des zur Vollstreckung requirierten Staates widerspricht, welche durch keine Parteiwillkür geändert werden können". Als solche sieht Mittermaier die Gesetze an, die "im Interesse öffentlicher Ordnung gegeben sind oder überhaupt mit dem öffentlichen Rechte zusammenhängen". Als Beispiele nennt er im Anerkennungsstaat unbekannte Vollstreckungsarten, unzulässig hohe Zinsen und Leibeigenschaftsgefälle. Einen entscheidenden Wendepunkt in der Theorie vom ordre public-Vorbehalt markiert das Erscheinen des achten Bandes von Friedrich Carl von Savignys System des heutigen Römischen Rechts 1849. In grundsätzlicher
6 1 Also das aufgrund eines erstgerichtlichen "Ersuchungsschreibens" um Vollstreckung im Rahmen der Rechtshilfe tätig werdende Zweitgericht Näher Martiny [Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 27,39 f.
62 Also eine sachliche Nachprüfung der Gesetzmäßigkeit. Kreittmayr [Anmerkungen). 1754, S. 239, läßt - wiederum modern gesprochen - eine Erinnerung "modum & ordinem exequendi" betreffend zu. Grundsatz war schon damals, daß Einwendungen "ad meritae causae principalis", Kreittmayr nennt hier beispielhaft u.a. die "exeptione compensatoris, rei judicatae, nullitatis, restitutionis in integrum", nur gegenüber dem Erstrichter möglich sein sollten. Vgl. dazu auch Graupner [Geschichte], 1978, S. 183 (185) m.w.N. 63 So im übrigen auch die Österreichische Regelung dieser Zeit. Dazu näher Hoyer [Geschichte], ZfRVgl4 (1964), S. 94 (99).
64 V. Feuerbach [Themis), 1812 S. 126, der sich damit gegen die damals wohl herrschende Meinung stellte, vgl. schon oben Fn 25. 65
Vgl. Mittermaier [Vollstreckung], AcP 14 (1831), S. 84 (100 ff.).
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Abkehr von der Statutentheorie66 stellte er den Satz auf, daß Gesetze von "streng positiver, zwingender Natur", die nicht "lediglich um der Personen willen, welche Träger der Rechte sind", erlassen wurden 67, sondern die "auf sittlichen Gründen" oder solchen "des öffentlichen Wohls (publica utilitas)" beruhen 68 , einer "freien Behandlung der Rechtsgemeinschaft unter verschiedenen Staaten" widerstreben und deshalb, als Ausnahme zur Regel 69 , nicht den regulären, von ihm entwickelten kollisionsrechtlichen Regeln folgen. Eine zweite von Savigny als Ausnahme zu den allgemeinen Kollisionsregeln angeführte Fallgruppe betraf "Rechtsinstitute eines fremden Staates70, deren Dasein in dem unsrigen überhaupt nicht anerkannt ist". Im Gegensatz zur ersten wurde diese Fallgruppe aber in der Folge von Wissenschaft und Gesetzgebung verworfen 71 • Friedrich Mommsen 72 formuliert 1878 in seinem Gesetzentwurf, ein ausländisches Gesetz sei nicht anzuwenden, "wenn dessen Anwendung durch inländische Gesetze nach der Vorschrift oder nach dem Zwecke derselben ausgeschlossen ist" oder "den Ausländern ein Vorrecht vor den Inländern" gewährt würde.
66 Nicht mehr die Frage nach dem räumlichen und personalen Anwendungsbereich von Rechtssätzen - ursprünglich die statuta der oberitalienischen Städte und daher die Bezeichnung als Statutentheorie- war kollisionsrechtlicher Ausgangspunkt der Überlegungen, sondern das konkret betroffene Rechtsverhältnis. Zur Statutentheorie vgl. z.B. Kegel [IPR), 1995, § 3 III- VI, S. 129 ff. 67 Als Beispiel führt v. Savigny (System VIII], 1849, S. 34 f., die Regelung der Volljährigkeit an.
68 V. Savigny [System VIII}, 1849, S. 37 f., nennt beispielhaft Gesetze, die den Grunderwerb durch die jüdische Bevölkerung einschränken(!) und das Verbot der Polygamie. Die Gesetze streng positiver Natur waren also schon für v. Savigny nicht deckungsgleich mit dem ius cogens. 69 Über das Regel-Ausnahme-Verhältnis herrschte seitdem wenigstens in der deutschen Doktrin - im Gegensatz zum romanischen Rechtskreis- weitgehend Einigkeit. Vgl. aus der älteren Literatur etwa C.L. v. Bar [IPR 1], 1889, S. 127 ff.; Reyscher [Vollstreckung], 1892, S. 41 f.; Zitelmann [IPR 1), 1897, S. 317, 329 ff.; Niemeyer (IPR], 1901, S. 96. F. Kahn [Abhandlungen), IherJb 39 (1898), S. 1 (9 f.) kritisiert dies allerdings als bloßes Lippenbekenntnis. Der Einsatz des ordre public werde eben nicht nur auf "exotische Raritäten" begrenzt. 70
Er nennt hier als Beispiele die Sklaverei und den bürgerlichen Tod.
Vgl. C.L. v. Bar [IPR 1), 1889, S. 90 ff., 130 dort Fn 7; Mommsen [Verhältnis), AcP 61 (1878), S. 149 (194). 71
72
Mommsen [Verhältnis], AcP 61 (1878), S. 149 (202).
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Carl Ludwig von Bar73 erkennt 1889 den Versagungsgrund des Verstoßes gegen "das ius publicum" oder den "ordre public" des Vollstreckungsstaates im Rahmen der Vollstreckbarerklärung fremder Urteile an. Er betrachtet allerdings die außerordentlich liberale Regelung der Reichs-CPO von 187774 lediglich als Unterfall dieses Versagungsgrundes. Daneben entwickelt er extra Iegern noch den ungeschriebenen Unterfall der "zweifellosen Moralwidrigkeit", den er als Verstoß gegen den ordre public international im Sinne Charles Brochers75 verstanden haben wiiJ76 . Lediglich für den Bereich der Vollstreckbarerklärung fremder Urteile nach autonomem Recht(!) möchte von Bar sich noch das "Sicherheitsventil" einer Verweigerung des Exequatur wegen Verstoßes "gegen die natürliche Gerechtigkeit" sowie wegen zweifelloser Ungerechtigkeit oder betrügerischerErwirkungdes Urteils vorbehalten 77 • Ernst Zitelmann untersucht in seinem 1897 erscheinenden Lehrbuch eingehend die Funktion der Vorbehaltsklausel 78 und kommt zum Ergebnis, letztlich entscheidendes Kriterium sei ein richtig verstandener Sittenverstoß. Ein solcher liege dann vor, wenn der fremde Rechtssatz einer Anschauung widerspreche, die Grundlage des sozialen Lebens sei. Das Merkmal der "öffentlichen Ordnung" hielt er dagegen für verunglückt 79 • Franz Kahn verwirft in einem vielbeachteten Aufsatz80 1898 die bisherige Dogmatik als "nichtssagend" und "platte Selbstverständlichkeiten in einer möglichst komplizierten und prätentiösen Form" 81 ausdrückend und lehnt den im Gefolge Savignys entwickelten "verbesserten Prohibitivgedanken" 82 der
73 C.L. v. Bar [IPR II], 1889, S. 480 ff. Sehr ähnlich zur selben Zeit in Frankreich Despagnet [ordre public), J.D.I. (Ciunet) 16 (1889), S. 5 (21). 74 Ordre public-ähnliche Bedingung der Vollstreckbarerklärung des fremden Urteils war lediglich die "Erzwingbarkeit" der Handlung. Vgl. dazu sogleich unten S. 41. 75 Dazu unten S. 254. 76 C.L. v. Bar [IPR II), 1889, S. 483 f. 77 C.L. v. Bar [IPR II], 1889, S. 486 ff. Vgl. auch v. Bars Formulierungsvorschlag in [Novelle], HoldhMSchr 7 (1898), S. 29 (32). 78 Zitelmamz [IPR 1], 1897. S. 317 ff. 79 Vgl. Zitelmann [IPR I], 1897, S. 334 ff. S. dazu auch Spickhoff [ordre public], 1989, s. 41 f. 8 F. Kalm [Abhandlungen), IherJb 39 (1898), S. 1 ff. =[Abhandlungen 1], 1928, S. 161 ff. Hier wird im folgenden lediglich auf das ältere Werk verwiesen. 81 F. Kahn (Abhandlungen], IherJb 39 (1898), S. 1 (21). 82 Kein Gesetz, "mag es auch noch so fundamental sein, verlangt exklusive, absolute Anwendung". Vgl. F. Kahn (Abhandlungen], lherJb 39 (1898), S. 1 (9 ff., 28).
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modernen deutschen Schule ebenso ab, wie den ordre publie-Begriff der romanischen Schule83 • Er selbst versuchte mittels einer flexibler gehandhabten Anknüpfung im Einzelfall, ohne eine Vorbehaltsklausel allgemeiner Art auszukommen 84 .
b. Kodifikationen In den Rheinbundstaaten galt nach 1806 -direkt oder in der Form von besonderem Landesrecht - Art. 2123 Code civil mit seinem schon in einer französischen Ordonnance von 162985 enthaltenen rigorosen Verbot der Anerkennung eines ausländischen Urteils, das gegen einen Inländer8 6 ergangen war.
1816 erwähnt das Appelationsgericht Kaiserslautern in einem deutsch-belgischen Fall die Möglichkeit, daß ein ausländisches Urteil "der öffentlichen Ordnung oder den Fundamentalgesetzen des Inlands, wo man es in Vollzug setzen will. zuwider Iiege" 87 • Ähnlich verfuhr die Hamburger Praxis Anfang des 19. Jahrhunderts, die prüfte, ob ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung oder die Verfassung vorlag88 oder die preußische Regelung der Zeit89, die eine 83 Die er nicht ganz zu Unrecht als "moderne Statutenlehre" (a.a.O. S. 40) bezeichnet. Vgl. zur inzwischen auch in Frankreich und Italien überwundenen, auf Stanislao Mancini zurückgehenden Schule F. Ka/111 [Abhandlungen], IherJb 39 (1898), S. 1 (40 ff.); C. v. Bar [IPR 1], 1987, Rz 474 ff.; Spickhoff [ordre public], 1989, S. 45 ff.; Lagarde [public policy], 1994, S. 3 f.; Batiffol I Lagarde [DrlntPr 1], 1993, no 354 f.; sowie die Nachweise bei Kegel [IPRJ, 1995, § 3 X 1 a, S. 147 ff. 84 Vgl. F. Kahn [Abhandlungen], IherJb 39 (1898), S. 1 (108 ff.). Große Sympathien für Kahns Ansatz nunmehr wieder bei Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 154 ff. ; in dieselbe Richtung Wiethölter [Frage], BerDGesVR 7 (1967), S. 133 (136). Kahns Gedanke ist freilich auf den Bereich der Urteilsanerkennung nicht übertragbar.
85 Art. 121 des sogenannten Code Michaut. Vgl. Bericht des LG Saarbrücken vKamptzJb 49 (1837), S. 297 (298) sowie v. Feuerbach [Themis], 1812, S. 92 f., 98; dort jeweils auch der Normtext Vgl. dazu auch Mittermaier [Vollstreckung], AcP 14 (1831), S. 84 (89 f.); Martiny [Hdb IZVR IIUIJ, 1984, Rz 30. 86 Im Unterschied zum Urteil gegen einen Ausländer. Hier Unterschied sich die deutsche Praxis von der späteren französischen, die in jedem Fall eine revision au fond vorschrieb. Vgl. den Bericht des LG Saarbrücken vKamptzJb 49 (1837), S. 297 (298 f.); v. Feuerbach [Themis], 1812, S. 93; Mittermaier [Vollstreckung], AcP 14 (1831), S. 84 (92). Allerdings bestanden mit einigen Staaten Staatsverträge, die diese Praxis etwas abmilderten, vgl. dazu Graupner [Geschichte], 1978, S. 183 (191. Fn 32). 87 Vgl. Annalen der Rechtspflege in Rheinbaiern, 1830, S. 41 f., 43 f. (zit. nach Graupner [Geschichte], 1978, S. 183 (207 Fn 94)).
88
Vgl. Martiny [Hdb IZVR IIU1], 1984, Rz 959 m.N.
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Vollstreckung untersagte, wenn ihr Inhalt einem preußischen Verbotsgesetz widersprach, sich mit zwingenden inländischen Rechtsnormen oder inländischem öffentlichem Recht nicht vertrug90• Außerordentlich weit ging§ 661 der CPO von 187791 • Er enthielt keine typische, im Rückblick als "klassisch" einzustufende, sondern eine "fast bis zur Unkenntlichkeit abgeschwächt[e )" 92 ordre public-Kiausel: Unzulässig war danach die Überprüfung (Kognition) der materiellen Rechtmäßigkeit des ausländischen Erkenntnisses. Der revision au fand war damit eine Absage erteilt. Dies galt auch für den Fall, daß deutsche materielle Gesetze nicht berücksichtigt waren und auch dann, wenn es sich um gebietende oder verbietende Gesetze handelte. Der Grundsatz wurde lediglich dadurch eingeschränkt, daß eine Vollstreckung nicht erfolgen durfte, wenn diese nach deutschem Recht nicht erzwungen werden durfte 93 •
89 AllgGO Th. I Tit. 24 § 30. Vgl. dazu Bericht des LG Saarbrücken vKamptzJb 49 (1837), s. 297 (299). 90
Vgl. Gebhard in Niemeyer [Vorgeschichte], 1915, S. 385.
"Das Vollstreckungsurteil ist ohne Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Entscheidung zu erlassen. Dasselbe ist 11icltt zu erlassen: [... ] 2. wenn durch die Vollstreckung eine Handlung erzwungen werden würde, welche nach dem Rechte des über die Zulässigkeil der Zwangsvollstreckung urteilenden deutschen Richters nicht erzwungen werden darf.[ ...]". Die Vorschrift ist abgedruckt z.B. bei Marti11y [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 43. Zu ihrer Vorgeschichte Geblzard in Niemeyer [Vorgeschichte), 1915, s. 385 f. 92 So Geblwrd in den Motiven zu seinem Ersten Entwurf in Niemeyer [Vorgeschichte], S. 271 mit Bedenken insbesondere betreffend die Auswirkungen auf das Familienrecht C.L. v. Bar (IPR li], 1889, S. 483 ff. entwickelte aufgrund ähnlicher Bedenken ungeschriebene weitere Fallgruppen, vgl. oben S. 39. Auch für M. Klein [Vollstreckung]. BöhmsZ 9 (1899), S. 206 (229 Fn 24) und Reysclter (Vollstreckung], 1892, S. 16 ging der Schutz nicht weit genug. Graupner (Geschichte], 1978, S. 183 (206) sieht in § 661 S. 2 CPO überhaupt "keine Vorbehaltsklausel im Sinne des ordre public". Vgl. a. Marti11y [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 43 f., 959. 91
93 Vgl. dazu Mittermaier [Vollstreckung], AcP 14 (1831), S. 84 (102); v. Wilmowski I Levy [CPO], 1889, § 661 Rz 4, die darauf hinweisen, daß es entschei-
dend auf die Erzwingbarkeit der Handlung, nicht auf deren Verbot oder Klagbarkeil ankomme. Reyscher (Vollstreckung], 1892, S. 43 ff. will zwischen qualitativ und quantitativ unerzwingbaren Handlungen unterscheiden . Vgl. dazu auch Graupner [Geschichte], 1978, S. 183 (206). Zur heutigen, abweichenden Sicht vgl. z.B. Albers (B/L!NH-ZPOJ, 1996, § 1041 Rz 16.
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Der Erste Entwurf eines Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuchs des badischen Ministerialrats Albert Gebhard aus dem Jahr 1881 94, in dessen Kapitel vom "objektiven Recht" untere anderem die Anerkennung ausländischer Urteile geregelt werden sollte9S, übernahm diesen Versagungsgrund einer Vollstreckung aus der CPO und fügte das Verbot der Anerkennung von dem deutschen Recht unbekannten Privatstrafen96 hinzu. Gebhards Zweiter Entwurf von 188797 war hingegen "moderner" formuliert und enthielt als Maßstab die guten Sitten und die öffentliche Ordnung98 sowie ein grundsätzliches Verbot der Anerkennung von Privatstrafen. Gebhards Entwürfe wurden nicht Gesetz. Vielmehr entschloß man sich, in wörtlicher Anlehnung an die Formulierung der neuen ordre public-Vorschrift in Art. 30 EGBGB in der ZPO-Novelle von 189899, der anerkennungsrechtlichen ordre public-Vorschrift in § 328 Abs. 1 Nr. 4 die dann bis 1986 geltende Fassung zu geben, wonach die Anerkennung und in deren Gefolge auch eine Vollstreckung ausgeschlossen war, wenn das ausländische Urteil "gegen die guten Sitten oder gegen den Zweck eines
94 .§ 37 Entw. 1881: ,.Dem Urteile eines ausländischen Gerichts ist die Anerkennung versagt: [... ]2. wenn die Verurteilung auf Vomahme einer Handlung gerichtet ist, welche nach deutschem Recht nicht erzwungen werden darf, oder auf Zahlung einer Privatstrafe, welche das deutsche Recht als Folge des Verhaltens des Beklagten nicht anerkennt". S. Hartwieg I Korkisch [Materialien], 1973, S. 62 (67) = Niemeyer [Vorgeschichte], 1915, S. 11, ebda Gebhards MotiveS. 281 f. 95 Dies lag an der Einordnung der Anerkennung der Rechtskraft fremder Urteile als bürgerlichrechtliches und damit materiellrechtliches Problem. Vgl. Gebhards Motive bei Niemeyer [Vorgeschichte), 1915, S. 376 ff. sowie oben S. 32.
96 Vgl. Gebhard bei Niemeyer [Vorgeschichte], 1915, S. 281 f., C.L. v. Bar [IPR II], 1889, S. 485 f. sowie Mommsen [Verhältnis], AcP 61 (1878), S. 149 (177), die damit eine auch heute wieder hochaktuelle Problematik ansprechen, vgl. unten S. 185. 97 § 37 Entw. 1887: "Dem Urteile eines ausländischen Gerichts ist die Anerkennung versagt: ( ... ]2. wenn die Anerkennung des Urteils gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstößt oder wenn das Urteil die Verurteilung zu einer Privatstrafe enthält." S. Hartwieg I Korkisch [Materialien], 1973, S. 68 (73) = Niemeyer [Vorgeschichte], 1915, S. 21, Gebhards MotiveS. 383 ff. 98 Wohl zum ersten Mal taucht damit in einem deutschen Gesetzestext der Begriff der "öffentlichen Ordnung" auf. Auch § 108 des Kommissionsentwurfs, der spätere § 138 BGB, nennt neben den "guten Sitten" noch die "öffentliche Ordnung". Materielles und internationales Privatrecht laufen also im Entwurf sprachlich gleich. Hierzu auch Similis [Kodifikation], 1970, S. 267 (293). Zur Rechtfertigung der Unterscheidung beider Fallgruppen vgl. Gebhards Motive bei Niemeyer [Vorgeschichte), 1915, S. 386 f. 99 Vgl. Protokolle Bd. VI. Nr. 409, S. 88 dann RGBI. 1898, 369. Dazu Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 50 ff.; 960 ff.; Graupner [Geschichte], 1978, S. 183 (199 ff.).
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deutschen Gesetzes verstoßen würde". Die Vorschrift war damit im Vergleich zur bisherigen Regelung weiter gefaßt und gleichzeitig verschärft 100. Die jetzige Fassung von § 328 Abs. 1 Nr. 4 wie von § 1044 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist Ergebnis einer parallel dazu wiederum auch die kollisionsrechtliche Vorbehaltsklausel Art. 6 EGBGB erfassenden Novellierung, die versuchte ohne Änderung in der Sache 101 , die inzwischen von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätze in eine gesetzliche Form zu gießen. Demnach ist eine Anerkennung ausgeschlossen, wenn diese "zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen deutschen Rechts", "insbesondere mit den Grundrechten" "offensichtlich unvereinbar" ist. Die Formel gießt aber lediglich alten Wein in ein neues Faß102.
100 Vgl. Fuld [Urteile], NiemeyersZ 8 (1898), S. 369 (378); Martiny [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 53 ff. m.w.N. zur Rechtsprechungspraxis. Ein rechtsvergleichender Überblick über ordre public-Kiauseln dieser Zeit findet sich bei Gebhard in Niemeyer [Vorgeschichte], 1915, S. 387 sowie beiM. Klein [Vollstreckung], BöhmsZ 9 (1899), S. 206 (227). Vgl. auch Graupner [Geschichte], 1978, S. 183 (206 f.). 101 Vgl. BGH v. 28/04/88, BGHZ 104, 240 (243); OLG Frankfurt v. 29/06/89, RIW 1989, S. 911 (913); LG Harnburg v. 04/02/93, FamRZ 1993, S. 980 (981); Regierungsbegründung zur IPR-Novelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 42 (zu Art. 6 EGBGB), S. 89 (zu § 328, 1041, 1044 ZPO); Geimer [Anerkennung], 1995, S. 58; Albers (B/UNHZPO], 1996, § 1041 Rz 15, § 1044 Rz 9; Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 414; Kegel [IPR], 1995, § 16 V, S. 378; Blumenwitz [Staudinger-12], 1991, Art. 6 EGBGB Rz 7; Heldrich [Palandt-BGB], 1996, Art. 6 Rz 1, 4, 14; Hohloch [ErmanBGB], 1993, Art. 6 Rz 1, 11, 13; Meyer-Sparenberg [Kollisionsnormen], 1990, S. 195; Sclmmamr [St/J-ZPO], 1988, § 328 Rz 221; Jayme [Methoden], 1989, S. 9; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1169; Hök [discovery], 1993, S. 258; Nagel [IZPR], 1991, Rz 676; Linke [IZPR], 1990, Rz 420; Koch [Anerkennung], 1987, S. 161 (167); Sclrwab/ Walter (Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 24 Rz 17; Kap. 30 Rz 18; Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 56; Wemderer [arbitrage], 1993, S. 35 f.; He11n [SchiedsverfahrensR], 1991, S. 223, 273; Liideritz [IPRJ, 1992, Rz 203. Vorsichtiger dagegen Schlosser [RipS], 1989, Rz 865 "nicht [... ] viel"; Rölrl [AK-ZPOJ, 1987, § 1041 Rz 9; Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 66; Gottwald [Entwurf], IPRax 1984, S. 57 (61). A.A. wohl Hartmann (B/UA/H-ZPO], 1996, § 328 Rz 30, 35; Thomas I Putzo [ZPO], 1995. § 328 Rz 16 beide für "weiter". Im Gegensatz dazu hält Basedow [Haftungsersetzung]. IPRax 1994, S. 85 die neue Fassung für "sehr viel enger" und die Berufung auf Äußerungen zum früheren Recht für "neben der Sache". 102 So Kegel [IPR], 1995, § 16 V, S. 378 für Art. 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB n.F.
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§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
8. Anwendungsbereiche I. Der ordre public bei der Anerkennung von Entscheidungen staatlicher Gerichte Ein Vorbehalt zugunsten des zweitstaatlichen ordre public findet sich schon sehr früh im autonomen Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht 103• Heute ist er in § 328 Abs. 1 Nr. 4 bzw. § 723 ZPO geregelt. Wortgleich normiert die Parallelvorschrift § 16a Nr. 4 FGG die Anerkennung ausländischer Entscheidungen auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Das Feld wird jedoch beherrscht von bilateralen und multilateralen Staatsverträgen104. Ein ordre public-Vorbehalt findet sich hier in sämtlichen vom Deutschen Reich oder der Bundesrepublik Deutschland geschlossenen und sich noch in Kraft befindenden bilateralen Abkommen 105 . So in Art. 4 Abs. 1 des deutsch-schweizerischen AnVollstrAbk von 1929 106, in Art. 4 Abs. 1 des deutsch-italienischen AnVollstrAbk von 1936 107, in Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 des deutsch-belgischen AnVollstrAbk von 1958 108, in Art. 2 Nr. 1 des deutsch-österreichischen AnVollstrV von 1959 109, in Art. 3 Abs. 1 Iit. c des deutsch-britischen AnVollstrAbk von 1960110, in Art. 3 Nr. 1 des deutsch-griechischen AnVollstrV von 1961 111 , in Art. 2 lit. a des deutsch-niederländischen AnVollstrV von 1962 112, in Art. 29 Abs. 1 Nr. 2 des deutsch-tunesischen Vertrages von 1966113 , in Art. 5 Abs. l Nr. 2 des deutsch-israelischen AnVollstrV von
103 S. oben S. 35 f. 104 Vgl. dazu sogleich unten S. 47. 105 Zum Wortlaut der ordre public-Vorschriften vgl. unten den Anhang S. 305 ff. Die vollständigen Texte der Abkommen, teilw. mit Erläuterungen, z.B. bei Biilow I Böckstiegel I Geimer I Schütze [BIBIGIS-IntRvk], 1973 ff., Nm. 610 ff.; Literaturnachweise zu den einzelnen Abkommen auch bei Schack [IZVR], 1990, Rz 803. 106 RGBI. 1930 II S. 1066. 107 RGBI. 1937 II S. 145. 108 BGBI. 1959 II S. 766. 109 BGBI. 1960 II S. 1246. 110 BGBI. 1961 II S. 302. 111 BGBI. 1963 II S. 110. 112 BGBI. 1965 II S. 27. 113 BGBI. 1969 Il S. 889.
B. Anwendungsbereiche
45
1977 114, in Art. 6 Abs. 1 Nr. I des deutsch-norwegischen AnVollstrV von 1977 115 sowie in Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 des deutsch-spanischen AnVollstrV von 1983 116.
Für die Bundesrepublik von überragender praktischer Bedeutung ist inzwischen jedoch das Mitgliedern der Europäischen Union offenstehende und nunmehr von allen Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Neumitglieder Österreich, Schweden und Finnland ratifizierte Europäische Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 117, das in seinem Anwendungs- und Geltungsbereich die oben genannten bilateralen Abkommen ersetzt 118 • Von gewisser Bedeutung in der Zukunft könnte das am 1. März 1995 auch für die Bundesrepublik in Kraft getretene, sich sehr stark an das Brüsseler Abkommen anlehnende Luganer (Parallel-)Übereinkommen von 1988 werden 119• Beide Übereinkommen nennen in ihrem Art. 27 Nr. 1 die öffentliche Ordnung des Zweitstaates als Versagungsgrund der Anerkennung. Auch die einige Sondermaterien des Familienrechts regelnden, und damit - ganz im Gegensatz zur Praxis- hier nur am Rande interessierenden Staatsverträge, beinhalten sämtlich einen ordre public-Vorbehalt. So die beiden Haager Übereinkommen iiber die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen von 1958 120 und 1973 121 , die in ihren Art. 2 Nr. 5 bzw. Art. 5 Nr. 1122 Vereinbarkeil mit dem ordre public des Anerkennungsstaates verlangen. Keine Ausnahme machen auch das Luxemburger C/EC-Übereinkommen iiber die Anerkennung von Ehe-
114
BGBI. 1980 II S. 925.
115
BGBI.198111S. 341.
116
BGBI. 1987 II S. 35.
BGBI. 1972 II S. 774. Für Deutschland seit dem 1. Dezember 1994 im Verhältnis zu Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal und Spanien in Kraft i.d.F. des dritten Beitrittsübereinkommens vom 26. Mai 1989, BGBI. 1994 II S. 3707. Im Verhältnis zu Belgien und Dänemark gilt derzeit noch die Fassung des zweiten Beitrittsübereinkommens vom 25. Oktober 1982, BGBI. 1988 II S. 453. 117
118 Vgl. Art. 55 EuGVÜ. Auch im Verhältnis zu Mitgliedstaaten des EuGVÜ sind die bilateralen Verträge aber nicht bedeutungslos geworden, wie das Beispiel EuGH v. 14/10/76, Rs. 29/76, Slg. 1976, S. 1541 (LTU I Eurocontrol) zeigt. 119 BGBI. 1994 II S. 2658. Vertragsstaaten des Lugü, die in absehbarer Zeit nicht auch solche des EuGVÜ sein werden sind Norwegen, Island und die Schweiz. 12o
BGBI.1961 IIS.1006.
121
BGBI. 1973 II S. 826.
122
Vgl. dazu Verwilglren [Bericht], 1983, BT-Drucks. X/258, S. 45 Nrn . 63 f.
46
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
sclzeidungen von 1967 123 in seinem Art. 1 Nr. 3 und das Europäische Sorgereclztsiibereinkommen von 1980124 in Art. 10 Abs. 11it. a.
Einer der seltenen Fälle, in denen sich im Text eines Abkommens keine Vorbehaltsklausel findet, ist die Revidierte Mannheimer Rheinschiffahrtsakte von 1868 125, deren Art. 40 Vollstreckbarkeit der Erkenntnisse der Rheinschiffahrtsgerichte in allen Uferstaaten anordnet, ohne die Möglichkeit einer Prüfung der ordre public-Konformität zu erwähnen. Eine ebenfalls zumindest formal "ordre public freie" Regelung enthält Art. 192 Abs. 2 EGV, der aber, da es sich um Entscheidungen supranationaler Instanzen handelt, jedenfalls nicht direkt mit den bislang genannten Vorschriften vergleichbar ist 126•
II. Der ordre public bei der Anerkennung ausländischer Schiedssprüche Auch bei Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche ergibt sich ein ähnliches Bild. Im innerstaatlichen Recht fordert§ 1044 Abs. 2 Nr. 2 ZPO Vereinbarkeil mit der öffentlichen Ordnung. Eine analoge Vorschrift enthält in Art. 5 Abs. 2 Iit. b auch das für die Praxis zentrale New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1958127 • Von eher untergeordneter praktischer Bedeutung sind das Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1927 128 und der teilweise vom UNÜ überlagerte 129 deutsch-US-amerikanische Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag von 1954 130, die in ihren Art. 1 Abs. 2 lit. c bzw. Art. VI Abs. 2
123
Von der Bundesrepublik zwar gezeichnet aber bislang nicht ratifiziert.
124
BGBI. 1990 II S. 220. Vgl. AnhangS. 306.
BGBI. 1969 II S. 597. Weitere formal ordre public-freie Abkommen bei Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Fn 2883; ders. [Hdb IZVR 111/2], 1983, Rz 441,459,480. 125
126 Vgl. hierzu mit unterschiedlichem Ergebnis betreffend die Geltung eines stillschweigend vereinbarten Vorbehalts Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (218 Fn 30); Sclmiewind (Vollstreckung], 1972, S. 61 f. einerseits sowie Scltiitze [Nachprüfung], NJW 1963, S. 2204 (2205) andererseits. l27
BGBI. 1961 II S. 122. Vgl. im AnhangS. 308.
128
RGBI. 1930 II S. 1068.
129
Vgl. Art. 7 Abs. 1 UNÜ.
130
BGBI. 1956 II S. 488.
B. Anwendungsbereiche
47
S. 3 ebenfalls das Erfordernis der Vereinbarkeil der Anerkennung des Schiedsspruchs mit der öffentlichen Ordnung aufstellen. Gleichermaßen vom UNÜ überlagert werden die Schiedssprüche betreffenden Vorbehaltsklauseln in den oben genannten bilateralen Verträgen Deutschlands mit Belgien in Art. 13 Abs. 1 und mit Tunesien in Art. 52 Abs. 1 Nr. 1. Als Versagungsgrund der Vollstreckbarerklärung eines inländischen Schiedsspruchs131 oder eines Schiedsvergleichs nennen § 1041 Abs. 1 Nr. 2 bzw. § 1044a Abs. 2 ZPO ebenfalls den Verstoß gegen die öffentliche Ordnung.
Die nach einer Pressemitteilung des BMinJustiz v. 07/02/94 "in nächster Zeit" zu erwartende Neuordnung des 10. Buchs der ZPO soll sich maßgeblich an das von der United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL) verabschiedete Modellgesetz über die Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit anlehnen, das in seinem Art. 34 lit. b Nr. ii und Art. 36 Abs. 1 lit. b Nr. ii 132 ebenfalls einen Vorbehalt zugunsten des zweitstaatlichen ordre public enthält.
111. Praktische Bedeutung Die Bedeutung ausländischer Streitentscheidungen im Rechtsverkehr der Bundesrepublik ist schwer zu erfassen. Das liegt zum einen daran, daß die Anerkennung selbst grundsätzlich formlos erfolgt und insofern keine Statistik darüber Auskunft erteilen kann 133• Weiterhin ist unbekannt, wieviele ausländische Leistungsurteile und vor allem entsprechende Schiedssprüche in Deutschland freiwillig erfüllt werden. Niemand erfaßt ipso iure wirkende Feststellungs- und Gestaltungsurteile, und niemand kennt die Zahl ausländischer Urteile, deren Rechtskraft in deutschen Folgeprozessen inzidenter als Vorfrage geprüft werden muß. Insofern gibt die, im übrigen nur bis 1981 und nur Verfahren zur Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen staatlicher ausländischer Gerichte betreffend, geführte amtliche Statistik 134 nur sehr begrenzt Auskunft über die tatsächliche Bedeutung ausländischer Streitentscheidungen im Inland. Trotzdem seien die
131 Zur Qualifikation in in- und ausländische Schiedssprüche vgl. unten S. 270. 132
Vgl. den Text im AnhangS. 309.
m Eine Ausnahme bildet das Anerkennungsverfahren in Ehesachen, das den Lan-
desjustizverwaltungen der Länder übertragen ist. Aus diesem, hier allerdings ausgeklammerten Bereich, liegen deshalb auch Zahlen vor. 1.14 Vgl. Statistisches Bundesamt Fachserie 10, Reihe 2 Zivilgerichte und Strafgerichte, 1981, S. 16, 32.
48
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
Zahlen hier genannt: Im letzten dokumentierten Jahr 1981 135 wurden insgesamt 2382 erstinstanzliehe Verfahren erledigt 136 • Der Löwenanteil von beinahe 97% entfiel dabei auf Anträge auf Vollstreckbarerklärung nach bilateralen oder multilateralen Staatsverträgen 137 . In quantitativer Hinsicht war also die Anerkennung und Vollstreckung nach autonomem deutschen Recht bereits damals von untergeordneter Bedeutung. Die Entwicklung ist seitdem nicht stehengeblieben. Das lokrafttreten des 3. Beitrittsübereinkommens zum EuGVÜ vom 26. Mai 1989 138 am 1. Dezember 1994 und des Luganer Parallelübereinkommens vom 16. September 1988 139 auch für die Bundesrepublik hat die verbliebene geringe Bedeutung der autonomen Regelungen noch weiter zurückgedrängt. Was den speziellen Versagungsgrund des ordre public betrifft, dürfte in jedem Fall unstreitig sein, daß der Verstoß in der Praxis häufig behauptet, selten substantiiert und noch seltener bewiesen und von den Gerichten akzeptiert wird 140• Das "Damokles-Schwert" des ordre public hängt an einem kräftigen Strick 141 .
135 Zu den Zahlen vergangener Jahre vgl. z.B. die Aufstellung bei Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 72 f. 136 Verschwindend gering im Gegensatz dazu die Anzahl von lediglich 6 (!) erledigten Verfahren in der Rechtsmittelinstanz. 137 Hier wird in der Statistik nicht weiter differenziert. Koclr [Anerkennung], 1987, S. 161 ( 169, 174) schätzt wegen der häufigen direkten Zuständigkeiten nach dem EuGVÜ den Anteil der auf bilateralen Verträgen beruhenden Exequaturverfahren etwas höher als den nach EuGVÜ. 138
ABI. EG 1989 Nr. 285, S. 1. Beigetreten sind Spanien und Portugal.
Anerkennung und Vollstreckung auf Basis eines Staatsvertrages damit erstmals auch im Verhältnis zu Schweden, Norwegen, Finnland und Island. 139
14° Vgl. Speilenberg (Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 239; Martiny (Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 975; Waelrler (Hdb IZVR lll/2], 1984, Rz 230, 234. Ebso Dasser [Iex mercatoria], 1989, S. 362 f. für den Bereich der internationalen SchiedsgerichtsbarkeiL Koclr [Anerkennung], 1987, S. 161 (167) schätzt den Anteil der Ablehnungen für den autonomrechtlichen Bereich in vermögensrechtlichen Angelegenheiten insgesamt auf 10-15%. Auf ordre public-Verstößen beruhende Ablehnungen dürften, zumal im europäischen Bereich, noch weit darunter liegen. Ähnl. Stojan (Anerkennung], 1986, S. 156 für die Schweiz. 141
So treffend Dasser (Iex mercatoria], 1989, S. 363.
B. Anwendungsbereiche
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IV. Rechtsvergleichender Überblick Das Erfordernis des Bestehens des fremden Titels vor einem - wie auch immer definierten - heimischen ordre public kann, soweit ersichtlich, wohl als geschriebenes oder auch ungeschriebenes Gemeingut aller Rechtsordnungen betrachtet werden, die überhaupt die Anerkennung und Vollstreckung aus solchen Titeln auf einem geordneten Weg vorsehen 142• Der ordre public-Vorbehalt ist Bestandteil aller die Anerkennung und Vollstreckung betreffenden bilateralen oder multilateralen Staatsverträge 143• Selbst das EuGVÜ und in dessen Gefolge auch das Lugano-Parallelübereinkommen stellen in ihrem Art. 27 Nr. 1 das Erfordernis der Vereinbarkeil mit der öffentlichen Ordnung des Zweitstaates auf. Auf die unwiderlegliche Vermutung, daß Gerichte bestimmter Staaten oder auch nur bestimmte Gerichte bestimmter Staaten ordre public-konform entscheiden, konnten sich damit bislang noch nicht einmal - selbst nicht auf dem im Gegensatz zu Familiensachen weniger heiklen Teilbereich der Zivil- und Handelssachen - die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einigen. Offenbar meint man, auch im Verhältnis befreundeter Staaten mit ähnlichen Rechtsord-
142 Vgl. z.B. den Überblick bei Sztiszy [study), 1967, S. 176 f. Für einen recht aktuellen Überblick über die Rechtsanwendungspraxis der Vorbehaltsklauseln vgl. z.B. die Länderberichte in Jayme (Hrsg.) [Gesamteuropa), 1992, betreffend Albanien (S. 41), Belgien (S. 302), Bulgarien (S. 50), Jugoslawien (S. 84), Island (S. 251), Luxemburg (S. 306), Niederlande (S. 304), Polen (S. 104), Portugal (S. 379), Schweden (S. 268), Schweiz (S. 284 f.), Spanien (S. 358), Türkei (S. 151), Ungarn (S. 125). Weitere ausgewählte Literatur zum anerkennungsrechtlichen ordre public in England: Clzeslzire I North I Fawcett [PrlntLJ, 1992, S. 128 ff. , 381 f.; in Frankreich: Batiffol I Lagarde [DrlntPr I], 1993, no 354 ff.; Fricke [Frankreich], IPRax 1989, S. 202 (206 f.); in Kanada: Tepper [Kanada], 1995, FS-Sandrock, S. 89 (95 f., 101); in Österreich: Geimer I Schütze [IntUrtAn 1]. 1971, S. 85 ff. ; in der Schweiz: Volkeil [schwlPRG], Art. 27 Rz 18 ff.; Hauser (Schweiz], FS-Keller, 1989, S. 589 (596 f.); Keller I Siehr [IPRJ, 1986, § 49 II 5, S. 622; in Spanien: Kar/ [Spanien], 1993, S. 61 ff.; Weiga11d [dt.sp. Rvk], 1992, S. 232 ff. Zur mehr politisch beeintlußten Doktrin der "public policy" im Gegensatz zur "public order" im anlgo-amerikanischen Rechtskreis vgl. z.B. Schiitz [ordre public], 1984, S. 7 f. m.w.N.; Verwilglzen [UVÜ-Bericht), 1983, BT-Drucks. X/258, S. 45; Wuppermmm [Vorbehalt], 1977, S. 9 sowie im Schlußantrag von Generalanwalt Warner Rs. 30/77 (Bouchereau), Slg. 1977, S. 2024 f. 143 Auch die multilateralen internationalprivatrechtliehen Übereinkommen und die internationalen Rechtshilfeabkommen enthalten sämtlich entsprechende Vorbehaltsklauseln. So z.B. Art. 16 EuVÜ, Art. 7 Haager Übk betreffend die Form letztwilliger Verfügungen v. 05110161, BGBI. I965 II S. 1145; Art. I2 Abs. I lit. b HaagBewÜbk vom I8103/70, BGBI. I977 II S. 1472 oder Art. 13 Abs. I HaagZustÜbk v. I5/11!65, BGBI. 1977 II S. I453.
4 Völker
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nungen auf vergleichbar hohem Niveau, die zudem letztendlich auf demselben ethischen Wertsystem aufbauen, auf eine solche "Notbremse" nicht verzichten zu können. Eine herausragende Ausnahme stellen insoweit einige skandinavische !PRKonventionen dar, die mit dem Vertrauensargument bewußt auf eine Vorbehaltsklausel verzichten 144 • Auch die ehemaligen Mitgliedstaaten des RGW verzichteten in ihren Rechtshilfeverträgen teilweise auf eine ausdrückliche Vorbehaltsklausel 145. Für die Auslegung bedeutet dieser Befund, daß dort wo der Vorbehalt einmal fehlen sollte 146, er durch Auslegung zu ergänzen ist 147 • Dies gilt auch für ein teilweises Fehlen. So wird im Anwendungsbereich des deutsch-schweizerischen AnVollstrAbk, das in seinem Art. 4 lediglich den materiellen ordre public als Vorbehaltsgrund nennt, nach heutiger Auslegung, soweit ersichtlich unbestritten, auch der verfahrensrechtliche ordre public erfaßt 148. Eine andere Interpretation wäre nur dann vertretbar, wenn die historischen Materialien eindeutig ergeben, daß das Fehlen des Vorbehalts eine ordre
144 Vgl. Kropholler [IPR), 1994, § 36 VI, S. 232. Zur möglichen unterschiedlichen Behandlung sogen. "offener" und "geschlossener" Konventionen unter diesem Gesichtspunkt vgl. unten S. 288.
145 Vgl. Gottwald (Freizügigkeit], 1992, S. 155 (166); Blumenwitz [Staudinger-12), 1991, Art. 6 EGBGB Rz 60; Waehler [Hdb IZVR 111/2), 1984, S. 294 Fn 369. Dort, wo sich trotzdem ein solcher Vorbehalt fand, wie zum Beispiel im Vertrag DDR - Polen, wurde er als "gegenstandslos" betrachtet, so Hofmann I Fincke [Zivilprozeß], 1980, S. 167. 146 Vgl. hierzu bereits oben S. 46. 147 So schon Jelfinek [Anerkennung), 1953, S. 189 f. Ebso Schütze [Problem), 1960, S. 77 ff., hier allerdings differenzierend zwischen materiellem und verfahrensrechtlichem ordre public; ders. [Nachprüfung), NJW 1963, S. 2204 (2205); Hohloch (ErrnanBGB], 1993, Art. 6 Rz 6; La/ive (public policy), 1987, S. 257 (262 Nr. 12); Schütz [ordre public], 1984, S. 47. Ebso für das Kollisionsrecht OLG Hamm v. 29/04/92, FamRZ 1993, 111 (115 f.); Sonnenberger [MünchKomm-BGBJ, 1990, Art. 6 EGBGB Rz27. Anders dagegen Martiny [Hdb IZVR III/1), 1984, Rz 989 f.; ders. (Hdb IZVR III/2), 1983, Rz 441,459,480. Blumenwitz [Staudinger-12), 1991, Art. 6 EGBGB Rz 53 will (i.R.d. Kollisionsrechts) zwischen "offenen" und "geschlossenen" Abkommen unterscheiden; vgl. zu diesem Ansatz auch unten S. 288. 148 Vgl. Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 420; Waelrler [Hdb IZVR III/2), 1984, Rz 232; G. Miiller [8/B/G/S-IntRvk], 1978, dt.-schweiz. AnVollstrAbk (Nr. 660) Art. 4 Anm. 2jew. m.w.N.
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
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public-Prüfung auch in Extremfällen und entgegen der üblichen Praxis verhindern sollte.
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
I. Die Theorie vom ordre public attenue de Ia reconnaissance 1. Die überwiegende Ansicht Die nicht nur in Deutschland eindeutig überwiegende Meinung hält den ordre public in dem Sinne für "teilbar", daß auch in Fällen, in denen die Anwendung eines ausländischen Gesetzes durch den deutschen Richter wegen Art. 6 EGBGB ausscheiden würde, die Anerkennung eines ausländischen Urteils, das auf einem solchen Gesetz beruht, nicht von vornherein ausgeschlossen sei 149• Damit ist nach Ansicht der meisten Stimmen aber nicht ausgedrückt, es handle sich immer um eine Einzelfallentscheidung mit ihren Besonderheiten, wobei eine einmal im Rahmen des Art. 6 EGBGB verworfene Norm ohne weiteres in einer anderen Konstellation in einem Fall der Urteilsanerkennung, in dem diese Norm eine tragende Rolle spielt, noch hinnehmbar sein könnte. Mit der oben genannten Aussage soll vielmehr ein Stufenverhältnis ausgedrückt werden. Ceteris paribuswerde der anerkennungsrechtliche ordre public im Vergleich zu seinem kollisionsrechtlichen Pendant nur "abgeschwächt", mit einem "effet attenue" durchgesetzt 150• 149 So z.B. BGH v. 0410611992, BGHZ 118, 312 (329); Geimer (Anerkennung], 1995, S. 60; ders. [Zöller-ZPOJ, 1995, § 328 Rz 152; ders. [EWG-Übk], RIW 1976, S. 139 (148); Schack (Anm. zu BGH v. 04106192], ZZP 106 (1993), S. 104 (110) jedenfalls außerhalb des Deliktsrechts; Schumann (StiJ-ZPOJ, 1988, § 328 Rz 221; Geimer I Schütze [IntUrtAn U1], 1983, S. 1059; Geimer I Schütze [IntUrtAn U2], 1984, S. 1583, 1588; Schlosser (RipS], 1989, Rz 866; Bucher [Schweiz], 1989, Rz 456. In diesem Sinne schon Zitelmann (IPR I], 1897, S. 352 ff.; Habicht (IPR], 1907, S. 241; Raape [Staudinger-9], 1931, Art. 30 EGBGB Anm. H. I. Einen ausführlichen Überblick über den Diskussionsstand vor 1925 gibt v. Gierke (Zweck], ZfHR 88 (1926), S. 143 (145 ff.). 150 So ausdrücklich Geimer [IZPRJ, 1993, Rz 27; ders. [Anerkennung], 1995, S. 60; ders. [Zöller-ZPOJ, 1995, § 328 Rz 152; Geimer I Schütze [IntUrtAn U2], 1984, S. 1583; Firsching I v. Hoffmann [IPRJ, 1995, Rz 153; Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 399; Kropholler (IPR], 1994, § 60 III 5, S. 546 ("im allgemeinen"); ders. [Anm. zu BGH v. 22106183], JZ 1983, S. 906 (907); Stiefel I Bungert (RICO), ZIP 1994, S. 1905 (1910); dies. [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (769); Bungert [lnlandsbezug], ZIP 1993, S. 815; ders. [enforcing), Int'ILaw 27 (1993), 4•
52
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
Insbesondere das schweizerische Bundesgericht vertritt sowohl im Rahmen der Anerkennung von Entscheidungen fremder staatlicher Gerichte 151 wie der von Schiedssprüchen 152, gefolgt von der ganz überwiegenden Literatur 153, in ständiger, beinahe stereotyper Rechtsprechung seit den fünfziger Jahren explizit diesen Standpunkt.
S. 1075 (1081 f.); distanzierter aber ders. in [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1711); Koch I Zekoll [Unterschied], IPRax 1993, S. 288 (290 f.); Zekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (315 f.); ders. [Produkthaftpflicht], 1987, S. 29; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1014; ders. [Hdb IZVR 111/2], 1983, Rz 91; ders. [recognition], AmJCompL 35 (1987), S. 721 (745); v. Hoffmann [Staudinger-12], 1992, Art. 38 EGBGB Rz 248b; Blumenwitz [Staudinger-12], 1991, Art. 6, Rz 76; wohl ebso Hohloc/1 [Erman-BGBJ, 1993, Art. 6 Rz 7; Stiefel I Stürner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (833); Wandt [IntProdhaftg), 1995, Rz 1257; Wunderer [arbitrage], 1993, S. 127 f., variiert S. 155; Cramer-Frank [Auslegung], 1987, S. 215; Kar{ [Spanien], 1993, S. 62 f., 153; Weigand [dt.-sp. Rechtsverkehr], 1992, S. 233; Raape [DtiPR 1], 1938, S. 94; Raape I Sturm [IPR 1], 1977, § 13 III 5, S. 204. Ebso für den Bereich der Anerkennung von Schiedssprüchen Schlosser [St/J-ZPOJ, 1994, § 1044 Rz 18; Dasser [Iex mercatoria], 1989, S. 282 f.; Mezger [Verstoß), NJW 1970, s. 368 (369). Ähnlich, aber den "effet attenm!" nicht auf den Bereich der Entscheidungsanerkennung beschränkend, sondern auf alle Fälle im Ausland erworbener Rechte ausdehnend, die herrschende Auffassung in Frankreich, vgl. Lagarde [public policy], 1994, S. 38 ff.; Batiffol I Lagarde [DrlntPr I], 1993, no 361 f., m. Nachw. aus der Rspr. sowie unten Fn 335. 151 Vgl. schwBG v. 13105152, BGE 78 II 243 (251); v. 06104155, BGE 81 I 139 (145); V. 11/06158, BGE 84 I 119 (123); V. 13105164, BGE 90 I 112 (118); V. 13105170, BGE 96 I 387 (391); v. 03102/71, BGE 97 I 151 (157); v. 16106171, BGE 97 I 250 (256); v. 20109172, BGE 98 Ia 527 (533); v. 19105/76, BGE 102 Ia 308 (314); v. 09102177, BGE 103 Ia 199 (204); v. 26110/77, BGE 103 Ia 531 (533); v. 01/07183, BGE 109 lb 232 (235); v. 19/12190, BGE 116 II 625 (630); ZivG Basel v. 01102189, BJM 1991, s. 31 (34, 37).
!52
Vgl. schwBG v. 12102158, BGE 84 I 39 (49); 25101167, BGE 93 I 49 (58).
Walter [schwiZPR], 1995, S. 331; Volken [schwiPRG], 1993, Art. 27 Rz 24; Viscller [schwiPRG], 1993, Art. 17 Rz 24; Walter I Bosch I Brönnimann [Schiedsgerichtsbarkeit], 1991, S. 227 f.; Lalive I Poudret I Reymond (arbitrage], 1989, Art. 190 Anm. 5 e; Keller I Sieirr [IPRJ, 1986, § 49 II 5 a, S. 623 m.w.N.; Lenz [punitive damages], 1992, S. 164; Stoja11 [Anerkennung], 1986, S. 153. Ebso F.-E. Klein [Schiedsgerichtsbarkeit], 1979, S. 33 (43); Bucher [Schweiz], 1989, Rz 456 für Schiedssprüche. Kritisch aber nunmehr ders. in [ordre public], RdC 239 (1993-11), S. 9 (47 ff.). 153
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
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2. Mindermeinung und grundsätzliche Kritik Warum einerseits der deutsche (Erst-)Richter, einen bestimmten Sachverhalt prüfend, der Verweisung des deutschen Kollisionsrechts auf eine bestimmte ausländische Sachnorm unter Berufung auf deren ordre public-Widrigkeit nicht folgt, andererseits aber derselbe Richter als Zweitrichter die Anerkennungsfähigkeit einer ausländischen Entscheidung prüfend, die auf denselben Sachverhalt dieselbe eben verworfene Norm anwendet und demzufolge zu demselben Ergebnis kommt, hingegen nicht den ordre public bemüht, ist jedenfalls nicht unmittelbar einleuchtend 154 . Weshalb soll, immer ceteris paribus, der unerträgliche Verstoß gegen fundamentale Wertungsgrundsätze des Inlands davon abhängig sein, in welchem internationalen Gerichtsstand geklagt wird? 155 Eine Mindermeinung geht deshalb ausdrücklich auch davon aus, gegenüber ausländischen Rechtssätzen gelte der gleiche Begriff des ordre public, wie gegenüber Urteilen und verneint infolgedessen eine Teilbarkeit des ordre public in einen generell strengeren kollisionsrechtlichen und einen generell abgeschwächten anerkennungsrechtlichen 156•
154
Ebso Hök [discovery], 1993, S. 264.
155
Ähnl. Bucher [ordre public], RdC 239 (1993-11), S. 9 (49).
Vgl. Schütze [Anm. zu BGH v. 04/06/92], RIW 1993, S. 139 (140); ders. [dt.am. Urteilsanerkennung], 1992, S. 170; ähnl. schon ders. [Produkthaftung], FS-Nagel, 1987, S. 392 (400); Seimmann [St/J-ZPO], 1988, § 328 Rz 221; Hök [discovery], 1993, S. 264; Schlosser [RipS], 1989, Rz 866 speziell für den schiedsrechtlichen ordre public; Altenmüller [Überprüfung], KTS 1974, S. 150 (156); Melchior [DtiPRJ, 1932, S. 326; Gesler [§ 328 ZPO], 1933, S. 35, 45; Nussbaum [DtiPR], 1932, S. 436, der als einzigen Unterschied den Anwendungsbereich nennt. Skeptisch auch Speilenberg [Staudinger12], 1992, § 328 ZPO Rz 439; wohl auch G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 97. Für Fälle der Vollstreckung, nicht jedoch der Anerkennung, besteht für Niemeyer [IPR], 1901, S. 98 f. Fn 1 und Riedner S. 80 Nr. 6 (zit. nach Niemeyer a.a.O. Fn 1) kein Unterschied. Keinen Unterschied im Maßstab macht auch C. v. Bar [IPR 1], 1987, Rz 388, der den wesentlichen Unterschied lediglich in der präsumtiv größeren Sachkunde des ausländischen Richters hinsichtlich der Anwendung seines eigenen Rechts sieht, im übrigen auf seine Ausführungen zu Art. 6 EGBGB verweist, dort aber keinerlei Besonderheiten des anerkennungsrechtlichen ordre public erwähnt. Auch Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 12 f. erwähnt als einzigen Unterschied das weitere Anwendungsfeld des anerkennungsrechtlichen ordre public. Auch in der britischen Doktrin nehmen Cheshire I North I Fawcett [PrlntL], 1992, S. 128 ff., 381 keine grundsätzliche Unterscheidung vor, ebso wohl die spanische Praxis und überwiegende Literatur, vgl. Kar[ [Spanien], 1993, S. 62; Weigand [dt.-sp. Rechtsverkehr]. 1992, S. 232 jew. m. Nachw. Für die Mindermeinung in Frankreich FwrckBrentano [Begriff]. JbPrSchG 3 ( 1989), S. 248 (253). Uneinigkeit auch in Italien, vgl. Preusche [Generalklausel], 1978, S. 11 f. m.w.N. 156
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§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
Nicht selten bleibt die Haltung allerdings unklar. Die oft bemerkenswert unscharfen Verweisungen, insbesondere in den Kommentaren zu §§ 328 Abs. 1 Nr. 4, 1041 Abs. 1 Nr. 2, 1044 Abs. 2 Nr. 2 ZPO auf Art. 6 EGBGB und umgekehrt sind zumindest mißverständlich 157 . Exemplarisch sei Schurnano 158 genannt, der in seiner Kommentierung zu § 328 ZPO meint, "die zu Art. 6 EGBGB und zu Art. 30 EGBGB a.F. entwickelten Grundsätze gelten im allgemeinen auch für[ ... ] § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO". Koch 159 sieht § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO als "mit Recht ebenso gehandhabt" wie Art. 6 EGBGB. Von Bar160 meint zum Verhältnis der Anwendung fremden Rechts und der Anerkennung einer darauf beruhenden Entscheidung unter dem Gesichtspunkt ordre public "theoretisch läuft beides aber (fast) auf dasselbe hinaus." Worin er aber den "(fast)" nicht vorhandenen Unterschied sieht, bleibt dann unklar. Regelmäßig werden auch Urteile, die zu Art. 6 EGBGB ergangen sind - bestenfalls unter Erwähnung dieser Tatsache - als Belege zu Aussagen über den anerkennungsrechtlichen ordre public herangezogen und umgekehrt 161 • Das in jeder Anerkennung einer fremden Entscheidung liegende mittelbare Überwirken des fremden Rechts ist offensichtlich 162• Zwar etwas mißverständlich aber nicht grundfalsch wird deshalb auch von "mittelbarer" oder "indirekter" Rechtsanwendung durch Anerkennung fremder Entscheidungen gesprochen 163, denn Kollisionsrecht und Entscheidungsanerkennung dienen
157 So zu Recht Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1583 Fn 17; Wunderer [arbitrage], 1993, S. 145. 158 Seimmann [St/J-ZPO), 1988, § 328 Rz 221. Ähnl. Rölrl [AK-ZPO], 1987, § 1041 Rz 9, der ebenfalls von der Geltung derselben "Grundsätze" spricht und dies auch noch auf die§§ 1041 Abs. 1 Nr. 2, 1044 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ausdehnt. 159 Vgl. Koch [AK-ZPO], 1987, § 328 Rz 38. 160 C. v. Bar [IPR I], 1987, Rz 388.
161 Vgl. beispielhaft BGH Urt. v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (330, 331); Beschl. v. 26/09/79, BGHZ 75, 167 (171 f.); LG Harnburg v. 04/02/93, FamRZ 1993, S. 980 (981). Als Beispiel für die Gängigkeil solchen "Querzitierens" auch in der Literatur Heldrich [Palandt-BGB], 1996, Art. 6 Rz 16. 162 Vgl. z.B. die Diktion des BGH, Beseht. v. 26/09/79, BGHZ 75, 167 (171), der vom "Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts" spricht. Vgl. auch C. v. Bar [IPR 1], 1987, Rz 388; Wuppermann [Vorbehalt], 1977, S. 9. 163 Vgl. Schlosser [St/J-ZPO), 1994, § 1044 Rz 18; Wunderer [arbitrage], 1993, S. 129; Martiny (Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1014. Niemeyer (IPR 1], 1901, S. 98 f. Fn 1 a.E. differenziert zwischen Anerkennung und Erlaß eines Vollstreckungsurteils. Letzteres sei "immer Anwendung, Zwangsverwirklichung fremden Rechts."
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
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beide der extraterritorialen Wirkungserstreckung von Rechtssätzen 164 . In beiden Fällen geht es um die Tragbarkeil der Auswirkungen der Anwendung fremder Rechtsnormen im konkreten Fall 165 . Durch diese Feststellung allein ist aber noch nicht viel für die Fragestellung gewonnen. Spellenberg166 weist in diesem Kontext auf die augenfällige funktionelle Übereinstimmung zwischen kollisionsrechtlichem und anerkennungsrechtlichem ordre public jedenfalls außerhalb von Gestaltungsurteilen hin. Die inländische wie die ausländische Entscheidung regelten eigentlich nur deklaratorisch das aufgrund materiellen Rechts selbst schon bestehende Rechtsverhältnis. Wenn nun der kollisionsrechtliche ordre public bedeute, daß im Inland eben nicht so entschieden werden dürfe, wie das zum Sachstatut berufende Recht dies vorsehe, so könne sich daran grundsätzlich nichts ändern, weil ein ausländischer Richter gerade dieses nach diesem Sachstatut festgestellt habe. Die Schwäche von Speilenbergs Ansatz liegt jedoch in der unzutreffenden Prämisse, es komme nach jedes Staates Kollisionsrecht immer dasselbe "richtige Recht" und dies in "richtiger" richterlicher Auslegung zur Anwendung. Dies ist offensichtlich nicht der Fall. Andere wollen den "effet attenue"' nur dort erkennen, wo es um die Durchsetzung grundlegender Forderungen der Gerechtigkeit geht, nicht jedoch, wenn unmittelbare Staatsinteressen gefährdet erscheinen 167 . Es liegt aber auf der Hand, daß eine Spaltung des ohnehin schon unscharfen ordre public-Begriffs wenig wünschenswert ist 168 . Eine sachlich nicht gerechtfertigte, rein terminologische Differenzierung und ein "Rückfall in Begriffsjurisprudenz"169 ist zu vermeiden. Die Fragwürdigkeit schematischer, aber doch nicht konkretisierbarer Verschiebungen des Maßstabes wird besonders deutlich, wenn nunmehr neben dem einen "ordre public attenue"' ein weiterer "ordre
164 Ähnl. auch Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 130. Vgl. auch den überkommenen Ansatz oben S. 34. 165 Vgl. z.B. BGH v. 26/09/79, BGHZ 75, 167 (171) im Rahmen der Entscheidungsanerkennung einerseits und die dortige Verweisung auf die identische Formulierung in BGH v. 20103/63, BGHZ 39, 173 (176)- (direkte) Rechtsanwendung andererseits. 166 Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 439. 167 So Geimer [Gerichtsptlichtigkeit], IPRax 1987, S. 143 (146). Ders. [ex parte], IPRax 1992, S. 5 (14) will auch bei den Anforderungen an das rechtliche Gehör, keinen "ordre public attenue" zulassen. Im Rahmen von Verfahrensanforderungen fehlt jedoch das kollisionsrechtliche Pendant, vgl. unten S. 73. Geimer scheint hier den Vergleich mit inländischen Gerichtsverfahren zu meinen. 168 Vgl. G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 97. 169 So WallerIBoschI Brömrimamr [Schiedsgerichtsbarkeit], 1991, S. 227.
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§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
public international tres attenue" 170 für den Bereich des EuGVÜ oder ein "ordre public doublement attenue" 171 für Fälle mit geringem Inlandsbezug gefordert wird. Ein Anwendungsfall der These vom "effet attenue", bei dem ceteris paribus der Effekt deutlich geworden wäre, wurde freilich, soweit ersichtlich, bislang nicht entschieden 172. Manche Vertreter der Theorie vom "effet attenue" gestehen dann auch offen ein, eine Quantifizierung oder auch nur Konkretisierung der Abschwächung sei unmöglich 173 • Damit stellt sich aber die Frage nach deren Sinn, und die Gefahr nur noch begrifflicher Argumentation wird augenscheinlich. Diese Gefahr hatte wohl auch der Gesetzgeber gesehen, der im Zuge der !PR-Reform 1986 sämtlichen ordre public-Bestimmungen des autonomen deutschen Rechts einen identischen Wortlaut gab, und betonte, "die ordre public-Kiauseln des Verfahrensrechts sollen nicht ohne zwingenden Grund von der entsprechenden kollisionsrechtlichen Vorschrift abweichen."1 74 Die Behauptung der herrschenden Meinung, es werde ein generell unterschiedlicher Maßstab angelegt, bedarf also einer bislang noch nicht gefundenen, überzeugenden Begründung.
II. Unterschiedliche Funktion Eine Divergenz im Maßstab ließe sich unter Umständen auch aus einer unterschiedlichen Funktion des ordre public-Vorbehalts im Internationalen Privatrecht und im Internationalen Zivilverfahrensrecht herleiten.
1. Funktionen der Vorbehaltsklausel im Internationalen Privatrecht Nach ganz herrschender Auffassung liegen die beiden Hauptfunktionen des kollisionsrechtlichen ordre public in der Durchsetzung grundlegender Gerech-
170 So M.J. Schmidt [Durchsetzung), 1991, S. 160. Zum ordre public des EuGVÜ vgl. unten S. 288. 171 So Lenz [punitive damages), 1992, S. 175. Vgl. hierzu unten S. 91. 172 Ebso Bucher [ordre public], RdC 239 (1993-II), S. 9 (48) für die schweizerische Praxis; Raape I Sturm [IPR 1), 1977, § 19 II 4 d, S. 355 führt immerhin als Beispiel die Verurteilung zu -geringen - Spielschulden an. Zur Anerkennung von Urteilen auf Zahlung von Spielschulden Gottwald [MünchKomm-ZPO), 1992, § 328 Rz 88; LG Mönchengladbach v. 14/07/94, WM 1994, S. 1374 (1376 f.). 173 So z.B. Speilenberg (Staudinger-12), 1992, § 328 ZPO Rz 399. 174 Vgl. Regierungsbegründung zur !PR-Novelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 89.
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
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tigkeitsvorstellungen und - von geringerer Bedeutung - im Schutz elementarer staatspolitischer Zielsetzungen 175. a. Durchsetzung elementarer Rechtsgrundsätze der Iex fori Ein aufgrund des ausländischen Statuts von der deutschen Lösung abweichendes Rechtsanwendungsergebnis ist nicht nur hinzunehmen, wie oft formuliert wird, sondern sogar bewußt durch die Einführung der Kollisionsnormen gewollt. Deren bloße Existenz ist der Beweis dafür, daß der deutsche Gesetzgeber für bestimmte Konstellationen davon ausging, die Anwendung seines eigenen Rechts führe nicht zu den (sach-)gerechtesten Lösungen. Dieses Zugeständnis an die potentiell höhere "Lösungskompetenz" der fremden Rechtsordnung muß abstrakt in Kollisionsnormen geregelt werden und ist damit zwangsläufig mit einem Unsicherheitsfaktor behaftet. Die kollisionsrechtliche ordre public-Klausel soll die damit möglichen, aus deutscher Sicht unerträglichen Auswüchse begrenzen und so die hinter dem positiven Recht stehenden elementaren Rechtsgrundsätze, deren materiellen Gerechtigkeitsgehalt sowie die grundlegenden gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen der Iex fori vor Konterkarierung schützen 176• Soweit das ein Rechtsverhältnis beherrschende Statut gewählt werden kann, begrenzt der Vorbehalt damit auch die Privatautonomie bzw. verhindert in gewissem Umfang die fraus legis 177 • b. Souveränitätsgedanke und Schutz von unmittelbaren Staatsinteressen Insbesondere in früherer Zeit wurde im kollisionsrechtlichen ordre public ein Instrument zur Durchsetzung spezifisch öffentlicher Interessen an der territorialen oder sachlichen Anwendung nationaler Gesetze 178, insbesondere solcher
175
S. 12.
Vgl. statt vieler z.B. Geimer (IZPR], 1993, Rz 24; Marx (Schiedssprüche], 1994,
176 Dies betonen besonders Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1582; Geimer [IZPR), 1993, Rz 25; Wunderer [arbitrage], 1993, S. 123 sowie Kegel [IPRJ, 1995, § 16 II, S. 374. Ähnl. für Frankreich Mayer [DrlntPr], 1991, no 202 f. Marx (Schiedssprüche], 1994, S. 19 hält dagegen die Unterscheidung zwischen gesetzlichen Vorschriften und den hinter ihnen stehenden Rechtswerten für unerheblich.
177 Vgl. Vischer (schwiPRGJ, 1993, Art. 17 Rz 16; Martiny (Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1120; Altenmiiller (Überprüfung), KTS 1974, S. 150 (155 f.). Vgl. auch RG v. 04/04/28. RGZ 121, 24 (30). 17R
Vgl. Jaenicke [Frage), BerDGesVR 7 (1967), S. 77 (79).
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§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
ordnungspolitischer Natur 179, gesehen. Damit ist der ordre public aber nicht nur, wie Stöcker180 meint, eine bloße Härteklausel zum Schutz des von ausländischer Rechtsanwendung Betroffenen 18 '. Die Aufgabe derartige staatliche Interessen zu schützen, ist jedoch nach moderner Dogmatik aber von deutlich nachrangiger Bedeutung 182• Wie auch der in dieser Hinsicht inzwischen eindeutige Wortlaut der kollisionsrechtlichen Vorbehaltsklausel zeigt, der auf die wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts Bezug nimmt, ist es nicht deren Aufgabe bestimmten positiv geregelten, als besonders wichtig eingestuften einzelnen inländischen Rechtsnormen, zur Geltung zu verhelfen. Dies wird heute insbesondere im Bereich des "international zwingenden" Wirtschaftsrechts -weitestgehend ohne dogmatischen Rückgriff auf den ordre public - mit Hilfe der Technik der Sonderanknüpfung bewerkstelligt 183 •
c. Positive und negative Funktion des ordre public Die durch Wortlaut und Konzeption vorgegebene Hauptfunktion des Vorbehalts des ordre public im Internationalen Privatrecht ist unbestritten eine "negative" Abwehrfunktion 184• Über diese negative Funktion wird der von der Kollisionsnorm angeordnete, berühmt gewordene "Sprung ins Dunkle" 185 abgemildert, sollte er dazu führen, daß die an sich anwendbare ausländische Rechtsnorm zu unerträglichen Ergebnissen führt. Primärer Zweck des kollisionsrechtlichen ordre public ist demnach nicht die Anwendung des eigenen Rechts.
179
Vgl. Pe11tzlin [Ordnungsprinzip], 1985, S. 13 f.
Stöcker [Härteklausel], StAZ 1970, S. 325 (328). 181 Wie hier Raape I Sturm [IPR I], 1977, § 13 ll 5, S. 202; Sonnenherger (MünchKomm-BGB], 1990, Art. 6 EGBGB Rz 11. 180
l82 Vgl. Kegel [IPR), 1995, § 2IV, S. 119; § 16ll, S. 374; Jayme [Methoden), 1989, S. 62 f. G.H. Rollt [ordre public), 1967, S. 89 Fn 3. A.A. Kornhlum [Grenzfragen), KTS 1968, S. 143 (149); ähnl. für das franz. Recht Mayer [DrlntPr), 1991, no 202. Weniger deutlich ist die Nachrangigkeit beim anerkennungsrechtlichen ordre public, vgl. unten s. 62. 183 S. Art. 34 EGBGB (= Art. 7 Abs. 2 EuVÜ). Vgl. v. Hoffmann [Sachnormen], IPRax 1989, S. 261 (265 f.); Jayme [Methoden), 1989, S. 62 f. 184 Vgl. Kropftoller [IPR], 1994, § 36 I, S. 221; Sonnenherger (MünchKommBGB], 1990, Art. 6 EGBGB Rz 2. 185 Raape [DtiPR 1], 1938, S. 59.
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
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Ob ihm daneben noch eine "positive" Funktion 186 in dem Sinne zukommt, auch bestimmte inländische Rechtsvorstellungen ohne Ansehen der ausländischen Regelung durchzusetzen, ist streitig und wurde namentlich in früherer Zeit vertreten 187• Die Diskussion hierüber ist oft irreführend 188 und wenig fruchtbar, weil nicht mit der r.ötigen Schärfe präzisiert wird, was man unter der "positiven Funktion" verstanden haben wi1Jl 89. Die Erweiterung der Funktion des ordre public durch Postulation einer positiven Funktion wird meist darin gesehen, daß deutsche Rechtsvorstellungen nicht nur optional als Ersatzrecht zur Schließung der aus der Abwehrfunktion resultierenden Rechtslücke herangezogen werden 190• Der ordre public hat nach dieser Ansicht, völlig unabhängig vom Inhalt des durch die deutsche Kollisionsnorm berufenen ausländischen Rechts, den entsprechenden deutschen Rechtssatz als "international zwingend" durchzusetzten. Auf die fremde Norm muß hier gar nicht geschaut werden. Das Ursache-Folge-Prinzip ist hier im
Die "positive" Beachtung inländischer Wertmaßstäbe ist zwangsläufig Prämisse der negativen Funktion im o.g. Sinne und hier nicht gemeint. Ebso N. Voser (Theorie], 1993, s. 248. 186
187 Vgl. Ansätze bereits bei litelmann (IPR I), 1897, S. 318 ff., 325 f.; später Wolf! [IPR), 1954, S. 63 ff.; Neuhaus (Grundbegriffe], 1976, S. 364; Raape I Sturm (IPR 1), 1977, § 13 li 1, S. 200; Wuppermann [Vorbehalt), 1977, S. 26 f.; Martiny (Hdb IZVR III/1 ), 1984, Rz 977; Similis (Kodifikation], 1970, S. 267 (274). Auch Jaenicke [Frage), BerDGesVR 7 (1967), S. 77 (78 f.) dürfte so zu verstehen sein. Unter anderem Etikett, aber faktisch Elemente der Lehre aufgreifend, auch der BGH im Urt. v. 18110/67, BGHZ 48, 327 (331). Neuerdings in diese Richtung wieder Firsching I v. Hoffmann [IPR], 1995, Rz 142; Blumenwitz [Staudinger-12], 1991, Art. 6 EGBGB Rz 24 ff. Ähnl. für das schweizerische Recht Waller I Bosch I Brönnimann [Schiedsgerichtsbarkeit), 1991, S. 236. Die Lehre von der positiven Funktion des ordre public steht in engem Zusammenhang mit der ursprünglich romanischen, von Stanislao Mancini und Charles Brocher geprägten Doktrin der lois d'ordre public international. Vgl. dazu Mayer [DrlntPr], 1991, no 213 (a); Neumayer [Funktion], FS-Dölle, 1963, S. 177 (185 ff.); G.H. Rolh [ordre public], 1967, S. 21, 99; BGH a.a.O. sowie unten S. 254. 188 So auch Marx (Schiedssprüche), 1994, S. 17, der dennoch Sympathie für den Begriff hegt. 189 So versuchte insbes. Neumayer [Funktion), FS-Dölle, 1963, S. 177 (187 ff.) einen "Rettungsversuch". Ähnl. auch Blumenwitz [Staudinger-12), 1991, Art. 6 EGBGB Rz 24 ff.; Hohlach [Erman-BGB), 1993, Art. 6 Rz 2, 9; Lüderitz [IPR), 1992, Rz 64, 215. Zur Theorie des "effet m'igatif' und des "effet positif" im franz. Recht vgl. Mayer [DrlntPr], 1991, no 212 f.; Batiffol / Lagarde [DrlntPr 1], 1993, no 367. 190
Vgl. hierzu unten S. 77.
60
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
Vergleich zur Abwehrfunktion verkehrt 191 • Die Nichtanwendung des ausländischen Rechtssatzes ist Folge der angeblich ordre publie-geprägten inländischen Sachnorm. Der Vorbehalt wäre dann nichts anderes, als eine in die Form einer Generalklausel gegossene, einseitige Kollisionsnorm 192. Diese Lehre von der positiven Funktion des ordre public ist heute in dem System der lois d'application immediate 193 bzw. der Lehre von den international zwingenden Eingriffsnormen 194 aufgegangen 195 und mit der inzwischen ganz überwiegenden Meinung als überflüssig abzulehnen 196 •
191 Weshalb z.B. Mayer (DrlntPr], 1991, no 207 die Verwendung des häufig in diesem Zusammenhang verwendeten Begriffs der lois d'ordre public als systemwidrig ablehnt. Vgl. zu den sogen. lois d'ordre public z.B. Wuppermann [Vorbehalt], 1977, S. 9 f., 26; Neumayer [Funktion], FS-Dölle, 1963, S. 177 (187 ff.).
192 So insbes. Epe [Funktion], 1983, S. 139 ff. Gegen ein solches Verständnis Sonnenherger (MünchKomm-BGB], 1990, Art. 6 EGBGB Rz 9; Kegel (IPRJ, 1995, § 16 XI, S. 385. Die Nähe zum Kalm'schen Ansatz [Abhandlungen], IherJb 39 (1898), S. 1 (108 ff.), der versucht den ordre public durch immer feiner zu differenzierende Anknüpfungen überflüssig zu machen, hierzu schon oben S. 39, ist offensichtlich. 193 Ausführlich zum Verhältnis der lois d'application immediate und dem ordre public N. Voser (Theorie], 1993, S. 244 ff. 194 Vgl. die Verweisungen z.B. in Art. 34 EGBGB und Art. 7 EuVÜ. Die Thematik wird auch unter dem Stichwort "Sonderanknüpfung international zwingenden Schuldrechts" abgehandelt. Gemeint sind in diesem Zusammenhang insbesondere Vorschriften des Wirtschaftsrechts, oft mit öffentlichrechtlichem Einschlag. Beispiele z.B. bei Martiny (MünchKomm-BGB], 1990, Art. 34 Rz 62 ff. sowie nach Art. 34 Anh. I und li. Vgl. für Frankreich Art. 3 C.civ., hierzu z.B. Mayer [DrlntPr], 1991, no 213. 195 Die Theorie der lois d'application immediate hat sich inzwischen von den historischen Wurzeln im positiven ordre public emanzipiert. Überzeugend insoweit N. Voser (Theorie], 1993, S. 2247 ff. Ähnl. Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (222). A.A. Blume11witz [Staudinger-12], 1991, Art. 6 EGBGB Rz 28. 196 Vgl. Kropholler [IPR], 1994, § 36 I, S. 221 (anders noch ders. in [Hdb IZVR I], 1982, Rz 193); Geimer (Anerkennung], 1995, S. 59 Fn 287; ders. [IZPRJ, 1993, Rz 24; N. Voser [Theorie], 1993, S. 254 f.; Sonnenherger [MünchKomm-BGB], 1990, Einl. IPR, Rz 30 ff., Art. 6 EGBGB Rz 4, 8; Heldrich [Palandt-BGB], 1996, Art. 6 Rz 3; Jayme (Methoden], 1989, S. 32; Geimer I Schütze [lntUrtAn I/2], 1984, S. 1577 ff.; Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht), 1994, Rz 958; Schiitz [ordre public], 1984, S. 53; Coester-Waltjen [IntBewR], 1983, Rz 72, 104; G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 70 f.; ders. [Vorbehalt], NJW 1967, S. 134 (135); Wiethölter (Frage], BerDGesVR 7 (1967), S. 133 (137, 160); Aubin (Konkretisierung], 1966, S. 99 (102 Fn 19); Gesler [§ 328 ZPO], 1933, S. 38. Ähnl. schwBG v. 05105176, BGE 102 Ia 574 (581) ("essentiellement negative") für die Schweiz; ebso Clreshire I North I Fawcett [PrlntLJ, 1992, S. 137 für die britische Doktrin. I. Erg. ebso Lalive [public policy ], 1987, S. 257
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
61
d. Externe Entscheidungsharmonie Die Zielsetzung des kollisionsrechtlichen ordre public kann auch "negativ" definiert werden. Ein wichtiges Ziel des Kollisionsrechts besteht in der Erreichung internationaler Entscheidungsharmonie 197 • Die inländische Rechtsanwendung soll möglichst mit der des Auslands übereinstimmen 198 . Dieses sowohl ordnungspolitischen als auch Parteiinteressen dienende Ziel wird durch den Einsatz des ordre public gestört. Es besteht die Gefahr der Entstehung hinkender Rechtsverhältnisse, die nur in einem Land rechtswirksam sind 199• Das Streben nach äußerem Entscheidungseinklang begrenzt die Funktionen des kollisionsrechtlichen ordre public.
2. Funktionen der Vorbehaltsklausel im Internationalen Zivilverfahrensrecht Nach herrschender Auffassung200 hat auch die ordre public-Kiausel im Bereich der Anerkennung fremder Entscheidungen, unabhängig von den konkreten, durchaus unterschiedlichen Formulierungen, zwei trennbare Hauptaufgaben. Beide Aufgaben sind hier, noch deutlicher als beim kollisionsrechtlichen Gegenstück, offensichtlich losgelöst von bestimmten, positiv normierten Einzelregelungen und gerichtet auf die hinter diesen Normen stehenden, elementaren Rechtsprinzipien sowohl des Verfahrensrechts wie des materiellen Rechts201 •
(263 f. Nr. 16); Batiffol I Lagarde [DrlntPr 1], 1993, no 355. Vorsichtiger Spickhoff [ordre public], 1989, S. 114 f.; ders. [Eheschließung], JZ 1991, S. 323 (325). 197 Der Gedanke geht zurück auf v. Savigny (System VIII], 1849, S. 27. Ebso Schütz [ordre public], 1984, S. 58. Zurückhaltend dagegen Raape I Sturm (IPR 1], 1977, § 13 II 5, S. 203; Stöcker [ordre public], RabelsZ 38 (1974), S. 79 (84). 198
Vgl. Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 104 m.w.N.
199
Vgl. hierzu unten S. 85.
Vgl. beispielhaft Schlosser [StiJ-ZPO], 1994, § 1044 Rz 19; Martiny (Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 992; ders. [Hdb IZVR 111/2], 1983, Rz 91; Geimer I Schütze [lntUrtAn 1/2], 1984, S. 1482 Fn 54; Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/1], 1983, S. 1060 im Zshg. mit Art. 27 EuGVü; Bork [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, S. 11 (39); Jaenicke [Frage], BerDGesVR 7 (1967), S. 77 (79); Geimer [Gerichtspflichtigkeit], IPRax 1987, S. 143 (145) für Art. 2 Nr. 1 des dt.-öst. AnVollstrV. A.A. jedoch Cramer-Frank [Auslegung], 1987, S. 217. 200
201 So für das Verfahrensrecht BGH v. 18/10/67, BGHZ 48, 327 (333); v. 19/09/77, NJW 1978, S. 1114 (1115); Geimer [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 155; ders. [ex parte], IPRax 1992, S. 5 (13); ders. [Verfahren], JZ 1969, S. 12 (13 Fn 6); Wengier [Anm. zu BGH v. 18110167], JZ 1969, S. 596 (597); G.H. Roth (Anm. zu BGH v. 18110/67], ZZP
62
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
a. Wahrung fundamentalster Forderungen der Gerechtigkeit Die wohl wichtigste Funktion der Vorbehaltsklausel ist, ähnlich wie im Internationalen Privatrecht, in der Sicherung von Grundprinzipien materiellprivatrechtlicher und materiellverfahrensrechtlicher Gerechtigkeit zu sehen 202 • Materielle Gerechtigkeit an sich ist sicher gemeinsames Ziel aller ernstzunehmenden Rechtsordnungen. Worin sie liegt, ist jedoch positiv kaum zu definieren und im Detail oft diskussionswürdig. Sehr viel einfacher zu bestimmen und in aller Regel kaum streitig ist hingegen, was offensichtlich nicht den Grundanforderungen an materielle Gerechtigkeit genügt. Infolgedessen ist es nicht Aufgabe des Zweitrichters, positiv festzustellen, ob das Urteil ein materiell gerechtes ist. Er kann vielmehr nur "negativ" feststellen, daß es elementaren Gerechtigkeitsvorstellungen jedenfalls nicht offensichtlich widerspricht.
b. Durchsetzung fundamentaler Staatsinteressen Die zweite Hauptfunktion der anerkennungsrechtlichen Vorbehaltsklausel ist im Schutz fundamentaler staatlicher Machtinteressen zu sehen 203 • Hier scheinen die Gerichte204 bisweilen weniger Liberalität zu zeigen, als in den Fällen, in denen es "nur" um den Schutz privatrechtlicher Interessen geht 205 . Eine ähnliche Tendenz findet sich auch bei Geimer. Ansonsten ein Vertreter der Theorie eines "effet attenue" des anerkennungsrechtlichen ordre public206 , ist er der Ansicht, in dieser Funktion komme der anerkennungsrechtlichen Vorbehaltsklausel
82 (1969), S. 152 (154 f.). (Schiedssprüche], 1994, S. 19.
A.A.
Schlosser
[RipSJ,
1989,
Rz 868;
Marx
202 Vgl. z.B. Speilenberg (Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 398, andererseits Rz 424; Geimer [IZPR], 1993, Rz 28; Kegel [IPR], 1995, § 22 V 1 g, S. 818; Schlosser (StiJ-ZPO], 1994, § 1044 Rz 22; Raeschke-Kessler (Binnenmarkt], EuZW 1990, S. 145 (146); Martiny (Hdb IZVR 111/1 ), 1984, Rz 992.
203 Vgl. Geimer [IZPR), 1993, Rz 27; Geimer I Schütze (lntUrtAn 1/2), 1984, S. 1482, Fn 54; Geimer I Schütze (lntUrtAn 1/1), 1983, S. 1060 im Zusammenhang mit Art. 27 EuGVÜ. Zweifel bei G.H. Roth [ordre public), 1967, S. 89 Fn 3. Ganz in den Vordergrund stellt diese Aufgabe dagegen, m.E. zu Unrecht, Cramer-Frank [Auslegung], 1987, S. 217. Ähnl. die britische Lehre, vgl. Clzeshire I North I Fawcett [PrlntL), 1992, S. 132 f. 204
Vgl. z.B. BGH v. 11111/56, BGHZ 22, 24 (29).
So auch Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2), 1984, S. 1587; Geimer [Zöller-ZPO], 1995, § 1041 Rz 61; Martiny [recognition], AmJCompL 35 (1987), S. 721 (747); Koch [Anerkennung], 1987, S. 161 (177). 205
206
Vgl. z.B. Geimer [IZPR], 1993, Rz 27; ders. [Anerkennung), 1995, S. 60.
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
63
keine abgeschwächte Wirkung im Vergleich zu ihrem kollisionsrechtlichen Pendant zu207.
Der Gesichtspunkt des Schutzes der Staatsautorität kam insbesondere in der alten Formulierung der Vorbehaltsklauseln vom Verstoß gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes zum Ausdruck 208 • Der Gesetzeszweck im Sinne der Vorschrift mußte, da kein Gesetz zweckfrei erlassen wird, und der Wortlaut insofern nur als verunglückt bezeichnet werden kann 209, restriktiv verstanden werden. Im Kontext der ordre public-Prüfung relevante Gesetzeszwecke waren nur solche Ziele, die die deutsche Gesetzgebung in einer die Grundlagen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens berührenden Frage aus bestimmten staatspolitischen, sozialen, kulturellen, rechtlichen, ethischen oder wirtschaftlichen Anschauungen, nicht nur aus bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen verfolgt 210. Insbesondere durch die Neufassung der Vorbehaltsklauseln des autonomen Rechts211 wird aber deutlich, daß dem so bezweckten Schutz der Staatsautorität nur noch sekundäre Bedeutung zukommt 212 .
207 Vgl. Geimer [Gerichtsptlichtigkeit], IPRax 1987, S. 143 (146). 208 Ebso Schlosser [RipS], 1989, Rz 865. Änl. wohl auch Jaenicke [Frage], BerDGesVR 7 (1967), S. 77 (79). Auch einige -zumeist ältere- Staatsverträge betonen ausdrücklich die Interessen des Staates, so z.B. Art. 5 Abs. 1 Nr. 4 dt.-israel. AnVollstrV; Art. 1 Abs. 2 lit. e Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche; Art. 13 Abs. 1 HaagZustÜbk; Art. 12 Abs. 1 lit. b HaagBewÜbk. Vgl. hierzu den Anhang. 209 Statt vieler Seuffert [Revision], ZdtZP 22 ( 1896), S. 322 (342); Similis [Kodifikation], 1970, S. 267 (286 f.); Spickhofffordre public], 1989, S. 73 beide m.w.N. Einer der wenigen Verteidiger der alten Fassung ist Wuppermann [Vorbehalt], 1977, S. 63 ff.
210 Vgl. RG v. 29/06/42, RGZ 169, 240 (245); sowie zu Art. 30 EGBGB in Urt. v. 21/05/05, RGZ 60, 296 (299 f.); v. 27/05/10, RGZ 73, 366 (368 f.); v. 28/06/18, RGZ 93, 182 (183); v. 12/12/18, RGZ 95, 268 (272). Später ebenso der BGH v. 02/10/56, BGHZ 22, 1 (15); v. 09/01/69, BGHZ 51, 290 (292). Ebso OLG Harnburg 01/10/54, NJW 1955, S. 390 i.R.v. § 1044 Abs. 2 Nr. 2 ZPO a.F. Auf den so verstandenen Verstoß gegen einen Gesetzeszweck stützte der BGH z.B. seine - inzwischen aufgegebene - restriktive Rspr. zur Anerkennung von Forderungen aus Börsentermingeschäften, vgl. BGH v. 04/06/75, NJW 1975, S. 1600 f. einerseits, Urt. v. 26/02/91, IPRax 1992, S. 380 andererseits. Ein anderer Aspekt der Nennung des Gesetzeszwecks liegt im Hinweis auf die Notwendigkeit des Vergleichs des gesamten ausländischen Regelungssystems und nicht einer einzelnen Norm mit dem deutschen Lösungsansatz, vgl. dazu unten S. 206. 211 Deutlich anders aber z.B. der -allerdings formal aus der ordre public-Kiausel ausgegliederte- Art. 5 Abs. 1 Nr. 4 des dt.-israel. AnVollstrV von 1977, der die
64
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
Staatsinteressen in diesem Sinne sind insbesondere dirigistische und ordnungspolitische Grundentscheidungen im wirtschaftlichen Bereich2 13, der unmittelbare Bereich der Hoheitsrechte 214 oder der Schutz international anerkannter Immunitätsgrundsätze vor flagranter Verletzung2 15 . Derartige Machtinteressen des Zweitstaates können jedoch erkennbar nur bei einem gewissen Inlandsbezug berührt sein. Im Gegensatz zur Rolle des kollisionsrechtlichen ordre public kommt dem anerkennungsrechtlichen ordre public hier auch die Aufgabe zu, im Einzelfall das international zwingende Wirtschaftsrecht des Zweitstaats, insbesondere soweit es sich um öffentliches Recht handelt216, gegen Störungen durch konkurrierendes ausländisches Privatrecht abzuschirmen2 17. Auch wirtschaftsferne, aber generell von der Völkergemeinschaft anerkannte Staatsinteressen, wie der Schutz nationalen Kulturguts vor Abwanderung ins Ausland 218 , grundlegende Forderungen des Umweltschutzes219 oder außenpoliAnerkennung versagt, wenn diese "geeignet ist, die Hoheitsrechte oder die Sicherheit des Anerkenmmgsstaates zu beeinträchtigen", vgl. AnhangS. 307. 212 I. Erg. ebso Speltenberg (Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 398; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 994. A.A. Cramer-Frank (Auslegung], 1987, S. 217, die letztlich allein auf den Schutz elementarer öffentlicher Interessen abstellt. 213 Als Beispiele sind z.B. das öffentliche Unfallversicherungsrecht, das Kartellrecht, Preisbindungsvorschriften oder die legitime Kontrolle von Abfluß und Eindringen von Kapitalströmen aus dem bzw. ins Inland oder Wareneinfuhrbestimmungen zu nennen. Speziell auf diesem Bereich macht sich das Gemeinschaftsrecht besonders bemerkbar, vgl. hierzu unten S. 147 und S. 297. 214 Ein deutliches Beispiel nach Je/linek [Anerkennung], 1953, S. 193 wäre z.B. die Nichtigerklärung eines zweitstaatlichen Patents oder die Korrektur eines ausländischen Zivilstandsregisters. 215 Vgl. Linke [B/B/G/S-IntRvk], 1977, B I 1 e, EuGVÜ, Art. 27 Anm. II 2. Als Unterfall der ordre public-Kiausel ausdrücklich genannt z.B. in Art. III Abs. 1 lit. c Nr. 4 des dt.-brit. AnVollstrAbk, vgl. AnhangS. 306. 216 Vgl. auch Kropfroller [EuZPR), 1993, Art. 27 Rz 16 m.w.Bsp. 217 Vgl. dazu unten S. 74. Jüngstes Beispiel ist die Entscheidung BGH v. 16/09/93, BGHZ 123,268 ff. Vgl. auch Eichenhofer [Anm. zu BGH v. 16/09/93], JZ 1994, S. 258 (259), der aber insoweit nicht zwischen kollisionsrechtlicher und anerkennungsrechtlicher Vorbehaltsklausel differenzieren will. 218 Vgl. Schlosser [St/J-ZPO), 1994, § 1044 Rz 20; Matray [arbitrage), FS-Sanders, 1982, S. 241 (249). Ähnl. BGH v. 22/06/72, BGHZ 59, 82 (85 f.), allerdings in anderem Kontext. 219 Vgl. Lalive [public policy), 1987, S. 257 (284 Nr. 91 ff.) m.w.Bsp.; Matray [arbitrage], FS-Sanders, 1982, S. 241 (246).
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
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tische Beziehungen zu befreundeten Staaten220 können über die Vorbehaltsklausel geschützt werden.
c. Negative Funktion Auch wenn der anerkennungsrechtliche ordre public in Bereichen zur Anwendung kommt, auf denen im Kollisionsrecht über eine Sonderanknüpfung international zwingendes deutsches Recht zur Anwendung kommen würde 221 , ist ihm damit noch keine "positive Funktion" zugeschrieben 222 • Offensichtlich setzt die Verweigerung der Anerkennung nicht die deutsche Wertung oder gar den deutschen Rechtssatz durch, sondern schafft zunächst nur eine Lücke. Die im ausländischen Spruch liegende Rechtsfolge entfaltet keine oder nur eingeschränkte223 Wirkungen im Anerkennungsstaat. Auch der anerkennungsrechtliche ordre public hat daher lediglich eine negative Funktion 224 •
d. Wahrung der mit der internationalen Entscheidungsanerkennung bezweckten Ziele Wie auch auf der Ebene des Kollisionsrechts, kann die Funktion des ordre public im Bereich der Entscheidungsanerkennung "negativ" limitierend be220 Ebso Kaye [enforcement], 1987, S. 1442 für das englische Recht. Matray [arbitrage], FS-Sanders, 1982, S. 241 (243, 246) spricht unter Hinweis auf OS-amerikanische Rspr. sowie die im Kontext von § 138 BGB ergangenen Entscheidungen des BGH v. 21/12160, BGHZ 34, 169 (177) und v. 24105162, NJW 1962, S. 1436 (1437), die bewußt gegen US-Embargobestimmungen verstoßende Verträge für sittenwidrig erklärten, von einem "ordre public atlantique". 221
Hierzu unten S. 74.
A.A. v. Heymatm [ordre public], 1969, S. 166 f., 172 im Rahmen des schiedsrichterlichen ordre public. Diesem komme überhaupt keine negative, das Ergebnis fremder Rechtsanwendung verhindernde Funktion, sondern ausschließlich eine positive, zwingende inländische Rechtsnormen durchsetzende Funktion zu. Ähnl. Kornblum [Grenzfragen], KTS 1968, S. 143 (154); Wunderer [arbitrage], 1993, S. 133; Kilgus [Schiedssprüche), 1995, S. 158 und v. Bemutlz (Doppelkontrolle], 1995, S. 17, letztere beschränkt auf Fälle ohne Auslandsberührung. 222
223
Hierzu unten S. 78 ff.
Ebso Drolshammer I Schärer (punitive damages], SchweizJZ 1986, S. 309 (312); Mayer [DrlntPr], 1991, no 373; Batiffol I Lagarde [DrlntPr I], 1993, no 367. Unklar Martiny (Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 313 einerseits, Rz 978 andererseits; Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 17 ("regelmäßig"). Szdszy [study], 1967, S. 179, nennt die Theorie von der Maßgeblichkeil des Ergebnisses der Anerkennung der fremden Entscheidurrg, "theorie of the positive effect". Damit ist nicht die hier in Rede stehende "positive Funktion" gemeint. 224
S Völker
66
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
schrieben werden. Der Einsatz des ordre public muß im Einklang mit den durch die internationale Entscheidungsanerkennung bezweckten Zielen stehen. Eines ihrer Hauptziele ist der äußere Entscheidungseinklang, was bedeutet, daß Gerichte verschiedener Staaten gleich entscheiden sollen. Dies fördert die internationale Rechtssicherheit und verhindert das Entstehen hinkender Rechtsverhältnisse. Der favor recognitis ist damit wichtiges, verfassungsrechtlich begründetes225 , rechtspolitisches Prinzip des Anerkennungsrechts226• Dem muß der Einsatz des anerkennungsrechtlichen ordre public Rechnung tragen 227 • Die bewußte Enge des Begriffs soll die mit den Anerkennungsregeln insgesamt bezweckte generelle Fungibilität eines Urteils oder eines Schiedsspruchs im internationalen Verkehr nicht unterlaufen 228 • Ein im Ausland erwirkter Titel soll in seinen Wirkungen mit einem im Inland erstrittenen grundsätzlich austauschbar sein 229 • Dieses grundlegende Ziel liegt unbestritten im Interesse aller Betroffenen230: Es liegt im Interesse der beteiligten Staaten, sofern ihnen an ungehindertem Handelsverkehr gelegen ist, der unzweifelhaft durch gegenseitige Entscheidungsanerkennung gefördert wird. Eine Verhinderung von Vollstreckungsexklaven und hinkender Rechtsverhältnisse liegt im allgemeinen Ordungsinteresse aller modernen lndustriestaaten 231 •
225
Vgl. BVerfG v. 22/03/83, BVerfGE 63, 343 (378, 380).
226
Vgl. Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 104.
227
Vgl. Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 976.
Zu den mit der internationalen Entscheidungsanerkennung verfolgten Interessen grundlegend Martiny [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 75 ff.; Stojan [Anerkennung], 1986, S. 12 ff. 228
229 Vgl. z.B. BGH Urt. v. 06/10/82, NJW 1983, S. 514 (515); v. 01/06/83, NJW 1983, S. 1976 (1977); v. 15/05186, BGHZ 98, 70 (74); Geimer [IZPR], 1993, Rz 2194. Die von der Rspr. vertretene "Kumulationstheorie", die Wirkungserstreckung auf beide Seiten hin begrenzt, quasi auf die "Schnittmenge" der ausländischen Urteilswirkungen mit den Urteilswirkungen eines entsprechenden inländischen Urteils, stellt dieses Ziel nicht qualitativ in Frage. Vgl. hierzu z.B. Schack [IZVR], 1991, Rz 793 ff. Zu möglicherweise vorzugswürdigen Alternativen s. insbes. Bungert [Rechtskrafterstreckung], IPRax 1992, S. 225 (226 f.); Schiitze [DtiZPR], 1985, S. 133 f.; Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 99 ff.; Geimer I Schütze [lntUrtAn 1/1], 1983, S. 971 f. Zur Wirkungserstreckung im Bereich des EuGVÜ vgl. EuGH v. 04102188, Rs 145186 (Hoffmann I Krieg), Slg. 1988, S. 645 (Erw. 10).
230 Der BGH spricht in diesem Zusammenhang im Urt. v. 15105186, BGHZ 98, 70 (74) vom "Interesse des internationalen Handelsverkehrs", ohne diese Interessen aber genauer zu differenzieren. Ebso OLG Harnberg v. 18/12/86, RIW 1987, S. 541 (542); Wunderer [arbitrage], 1993, S. 156. 231
Vgl. Sclrack [IZVR], 1991, Rz 789.
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
67
Das Ziel liegt weiter im Interesse der Gerichte, die lediglich die Anerkennungsvoraussetzungen zu prüfen haben und nicht den gesamten Rechtsstreit in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht neu aufrollen müssen232. Internationale Urteilsanerkennung liegt offensichtlich auch im Interesse der Parteien. Weder dem Kläger darf zugemutet werden, sein Recht stückehenweise in vielen Staaten suchen zu müssen. Auch wird nach Erlaß eines dem Beklagten ungünstigen Leistungsurteils verhindert, daß sich dieser durch Umschichtung seiner Vermögenswerte ins Ausland einer Vollstreckung entziehen kann. Die grundsätzliche Möglichkeit der Titelanerkennung liegt aber auch im wohlverstandenen Interesse der Schuldner, deren Kredit in Auslandsgeschäften damit höher liegt233.
3. Ergebnis Beide Vorbehaltsklauseln haben dieselbe Hauptfunktion, die inländische Rechts- und Sittenordnung, die unverzichtbaren Grundgedanken der jeweiligen deutschen Gesetzgebung und die dahinterstehenden fundamentalen Interessenund Gerechtigkeitswertungen zu schützen. Neben diese "Gerechtigkeitsfunktion" tritt in beiden Fällen die im Interesse des Staates liegende "Machtfunktion". Ferner ist auch das Leitbild der externen Entscheidungsharmonie gemeinsamer Auslegungstopos beider Vorbehaltsklauseln 234 • Insbesondere nicht Funktion der Vorbehalte ist dagegen die Durchsetzung konkreter Rechtssätze der Iex fori 235 • Die nicht völlig deckungsgleichen Nebenfunktionen in Teilbereichen allein zwingen jedoch keineswegs zur Annahme einer generell "abgeschwächten Wirkung" des anerkennungsrechtlichen ordre public.
111. Unterschiedliche Struktur Ein generell unterschiedlicher Maßstab könnte sich aber auch aus einer unterschiedlichen Struktur der Vorbehaltsklauseln rechtfertigen.
1. Unterschiedliches Prüfungsobjekt Der unterschiedliche Prüfungsgegenstand ist augenscheinlichster Strukturunterschied beider Vorbehaltsklauseln.
m Vgl. Koch (AK-ZPO], 1987, § 328 Rz 3. m Vgl. Sclrack [IZVR], 1991, Rz 787; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 95. 234 Vgl. oben S. 61. 235 Vgl. G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 25, 89.
s•
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§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
a. Prüfungsobjekt der kollisionsrechtlichen Vorbehaltsklausel Prüfungsobjekt bei der Frage der Anwendung des kollisionsrechtlichen ordre public ist nicht der abstrakte ausländische Rechtssatz oder die hinter dem jeweiligen Rechtssatz stehenden Prinzipien, sondern das Ergebnis der ausländischen Rechtsanwendung im konkreten Fa11 236.
b. Prüfungsobjekt der anerkennungsrechtlichen Vorbehaltsklausel Vergleichbares gilt auch im Fall des anerkennungsrechtlichen ordre public. Tertium comparationis ist nach dem Wortlaut der Vorschriften weder die fremde Entscheidung selbst noch der Rechtssatz, auf dem sie beruht 237 oder die hinter diesem stehenden Prinzipien238 , sondern die potentielle Situation nach einer Anerkennung 239 . Unschärfen in der Formulierung unterlaufen hier jedoch selbst dem BGH240 •
236 So der inzwischen eindeutige Wortlaut von Art. 6 EGBGB. Ebso aber schon die hM zum insoweit unklareren Art. 30 EGBGB. Vgl. Regierungsbegründung zur IPRNovelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 43; RG v. 17102/36, RGZ 150,283 (285 f.); BGH Urt. V. 15105/56, BGHZ 22, 162 (163); V. 20103!63, BGHZ 39, 173 (177); V. 18110167, BGHZ 48, 327 (333). G.H. Roth [Vorbehalt], NJW 1967, S. 134 (137) m.w.N. Ebso z.B. das schweizerische Recht Art. 17 IPRG, dazu Vischer [schwiPRG], 1993, Art. 17 Rz 19. I.Erg. ebso Batiffol I Lagarde [DrlntPr 1], 1993, no 358 für Frankreich. A.A. aber Steindorff [Gemeinschaftsrecht], EuR 1981, S. 426 (440); ders. [Termingeschäfte], IPRax 1982, S . 49 (50), der im Verhältnis zu Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zusätzlich eine Diskrepanz der generellen Wertvorstellungen und Schutzzwecke der Rechtsordnungen verlangt. 237 Vgl. OLG Koblenz v. 21/09/92, NJW-RR 1993, S. 70 (71); OLG Frankfurt a.M. v. 18105189, EWiR § 328 ZPO, 2192, S. 829; SciiUmann [St/J-ZPO], 1988, § 328 Rz 221, 226, 228; Hartmann [BIUAIH-ZPO], 1996, § 328 Rz 34; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1025; Stiefel I Bungert [RICO], ZIP 1994, S. 1905 (1912). Ebso für die Schweiz Stojan [Anerkennung], 1986, S. 150. A.A. noch RG v. 25106126, RGZ 114, 171 (172); Gesler (§ 328 ZPO), 1933, S. 42; Geimer [Anm. zu BayObLG v. 03110/73), NJW 1974, S . 419 für das ausländische Verfahrensrecht; ähnl. Aubin [Konkretisierung), 1966, S. 99 (109) jedenfalls für die rechtsvergleichende Prüfung. 238 So deutlich BGH v. 04106/1992, BGHZ 118, 312 (331); v. 26109179, BGHZ 75, 164 (171); Martiny [recognition), AmJCompL 35 (1987), S. 721 (745). 239 AllgM. Stellvertretend Koch (Schadensersatz], NJW 1992, S. 3073 (3074); Haas [Unfallversicherung), ZZP 108 (1995), S. 219 (234). Ebso pragmatisch den teilweise unterschiedlichen Normwortlaut überspielend die franz. Rspr., vgl. hierzu Mezger [Anerkennung), 1983, S. 45 (58 Fn 35); v. Bernuth [Doppelkontrolle], 1995, S. 95. A.A., soweit ersichtlich, lediglich v. Heymann [ordre public), 1969, S. 172, allerdings beschränkt auf den schiedsrichterlichen ordre public, dem unabhängig vom Inhalt des
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
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Zutreffend ist demnach der Ausgangspunkt, wonach eine generell nicht tolerierbare Rechtsnorm im Einzelfall zu einem noch hinnehmbaren Ergebnis führen kann 241 oder umgekehrt, eine Entscheidungsanerkennung gegen die öffentliche Ordnung verstoßen würde, obwohl die sie tragende Norm als solche ordre public-konform ist242. Damit ist die ordre public-Widrigkeit des die Entscheidung tragenden Rechtssatzes weder hinreichende noch notwendige Bedingung der ordre public-Widrigkeit der Anerkennung, wenn auch häufig beide Wertungen übereinstimmen dürften 243 . Unterschiedliche Wertungen können zum Beispiel an der fehlenden oder unzureichenden Qualität der Inlandsbeziehung244 liegen oder daran, daß die Auswirkungen der Norm aufgrund der fallweise unterschiedlichen Gegebenheiten nicht oder nicht in ihrem vollen Ausmaß zum Zuge kommen 245 . Dem so definierten Prüfungsobjekt widerspricht es aber nicht, sich auch und zunächst mit Sinn und Zweck der die fragwürdige ausländische Entscheidung tragenden Norm auseinanderzusetzen246.
(1) Ergebnis der Anerkennung Über Sinn oder Unsinn der weiteren, feinsinnigen Unterscheidung zwischen der Entscheidung selbst und deren Anerkennung247 herrscht freilich Uneinigkeit. Manche sehen in der Formulierung eine juristisch überflüssige, subtile Unterscheidung eher diplomatischer Natur248 . Mit der Nichtanerkennung sei kein ausländischen Rechts allein die positive Funktion der Durchsetzung inländischen zwingenden Rechts zukomme. 240 Vgl. BGH v. 16109193, BGHZ 123, 268 (279). Haas [Unfallversicherung], ZZP 108 (1995), S. 219 (234) glaubt hingegen nicht an ein "Versehen". 241 Ähnl. z.B. Stojm1 [Anerkennung], 1986, S. 150.
242 So Mayer [DrlntPr], 1991, no 373; ähnl. Batiffol I Lagarde (DrlntPr 1], 1993, no 358 für das französische Recht. 243 So zu Recht Mayer [DrlntPr], 1991, no 208, 373 f. Ebso für die Parallelproblematik im Kollisionsrechtsfall Raape I Sturm [IPR 1], 1977, § 13 VI 1, S. 214 f. mit Bsp. 244 Hierzu unten S. 231. 245 Hierzu unten S. 213.
Vgl. M.J. Scltmidt [Durchsetzung], 1991, S. 135. 247 § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO spricht im Gegensatz zu Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ oder Art. 5 UVÜ noch etwas "distanzierter" vom Ergebnis der Anerkennung. Anders Art. 2 Nr. 5 UVÜ (1958). Prüfungsobjekt ist hiernach kurz und knapp "die Entscheidung". Zu den weiteren Formulierungsvarianten vgl. den AnhangS. 305 ff. 24 6
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§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
völkerrechtlich bedenkliches "Verdikt" über das fremde Urteil verbunden249 und sachlich mache es keinen Unterschied, ob die Entscheidung selbst, ihr Inhalt oder die Anerkennung der Entscheidung gegen den ordre public verstoße250. Überwiegend wird die Unterscheidung allerdings für berechtigt gehalten 251 . Als Begründung für diese Konstruktion wird häufig angeführt, auf diese Weise könne die politisch unerwünschte Verwerfung des fremden Akts selbst als unhaltbar vermieden werden 252 . Eine solche Argumentation erscheint aber eher als begriffliche Augenwischerei denn als dogmatische Notwendigkeit. Kaye253 behauptet, die Formulierung ermögliche eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Klausel, da Fälle denkbar seien, in denen eine Entscheidung zwar nicht selbst, wohl aber deren Anerkennung gegen den ordre public verstoßen könne. Der umgekehrte Fall einer ordre public-widrigen Entscheidung, deren Anerkennung nicht gegen die öffentliche Ordnung verstoße, sei dagegen nicht möglich 254. Für Martiny 255 ergibt sich bereits aus der Formulierung, daß von der Vorbehaltsklausel nur in beschränktem Umfang Gebrauch gemacht werden könne. Wieder andere se-
248 Gottwald [MünchKomm-ZPO], 1992, IZPR Art. 27 EuGVÜ Rz 7; Baumann [B/B/G/S-IntRvk], 1989, E 6, Nr. 795, UVÜ 1973 Art. 5 Anm. I 1; Linke [B/B/GISIntRvk], 1977, BI 1 e EuGVÜ, Art. 27 Anm. II 1. Cheshire I North I Fawcett [PrlntL], 1992, S. 425 halten sie für "not particulary helpful". 249 Vgl. Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1468 Fn 15. A.A. Lenz [punitive damages], 1992, S. 164, der- unabhängig von der dogmatischen Konstruktion- in dem inzidenten Vorwurf an den Erstrichter, zu einem unhaltbaren Resultat gelangt zu sein, gar einen "bedeutenden Eingriff in die Souveränität des fremden Staates" sieht.
zso So schon Jellinek [Anerkennung], 1953, S. 191. 25 1 Vgl. Kropholler [EuZPR], 1993, Art. 27 Rz 3; Jenard [Bericht], 1967, BT-Drucks. Vl/1973, S. 52 (88); Koch [AK-ZPO], 1987, § 328 Rz 38; M.J. Schmidt [Durchsetzung], 1991, S. 131; Cramer-Frank [Auslegung], 1987, S. 216; Karl [Spanien], 1993, S. 152; Kaye [enforcement], 1987, S. 1437; Martiny [Hdb IZVR 111/2], 1983, Rz 90; Waehler [Hdb IZVR 111/2], 1984, Rz 231; Droz [competence], 1972, Rn 498; v. Gierke [Zweck], ZtHR 88 (1926), S. 143 (147 f.); Denkschriften zum dt.-belgischen AnVollstrAbk, BT-Drucks. 111/919 S. 16 sowie zum dt.-öst. AnVollstrV, BT-Drucks. 111/1419 S. 8. 252 Z.B. Klinke [EuGVÜ-1], 1993, Rz 243. Ähnl. Jenard [Bericht], 1967, BT-Drucks. VII1973, S. 52 (88) zu Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ u. Gamillscheg [Staudinger10111], 1973, § 328 ZPO Rz 332 zum alten autonomen Recht. 253 Kaye [enforcement], 1987, S. 1438. Ähnl. Droz [competence ], 1972, Rn 498. 254 Die von ihm gebildeten Beispiele überzeugen indes nicht, da er den Umfang der Prüfung der ordre public-Widrigkeit der Entscheidung selbst überflüssig beschränkt. 255 Martiny (Hdb IZVR III/2), 1983, Rz 90.
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
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hen in der Formulierung einen Beleg für die Theorie des angeblichen "effet attenue" der anerkennungsrechtlichen Vorbehaltsklausel 256.
(2) Stellungnahme KegeJ2.~ 7 betont, daß für das Kollisionsrecht grundsätzlich nur Interessen an der Anwendung, nicht jedoch am Inhalt eines Rechts eine Rolle spielen. Das im Rahmen der kollisionsrechtlichen Vorbehaltsklausel zu prüfende "Ergebnis" der Anwendung fremden Rechts sei deshalb zunächst nur das "internationalprivatrechtliche" Ergebnis, nicht aber die Tatsache einer der eigenen, nationalen Rechtsvorstellung mehr oder minder nahekommenden und deshalb mehr oder minder "sympathischen" Lösung des vordergründigen materiellen Interessenkonflikts. Die vom nationalen Recht geschützten materiellrechtlichen Interessen müssen im Fall mit Auslandsbezug jedoch nicht mit den vorrangig258 zu berücksichtigenden kollisionsrechtlichen Interessen dekkungsgleich sein 259 •
Der Kegel'sche Ansatz kann auf die Formulierung von der Maßgeblichkeil des Ergebnisses der Anerkennung der fremden Entscheidung übertragen werden. Maßgeblich sind demnach nicht nur die grundlegenden Vorstellungen der Iex fori von materiellrechtlicher oder verfahrensrechtlicher Gerechtigkeit. Jedenfalls gleichrangig zu berücksichtigender Abwägungstopos ist auch das davon unabhängige internationalverfahrensrechtliche Ergebnis: das Interesse an der Wirkungserstreckung der Entscheidung ohne Rücksicht auf ihren Inhalt. Insoweit mag der "feinsinnigen" Formulierung tatsächlich eine Bedeutung zukommen. Das Ergebnis erfolgter Anerkennung hat genau betrachtet einen Wert, der der Entscheidung allein noch nicht zukommt.
c. Vergleich Der Gesetzgeber versuchte erkennbar, durch die Formulierungen der beiden Klauseln ein möglichst identisches Prüfungsobjekt zu schaffen. Beide Instrumente laufen insoweit gleich, als es gerade nicht entscheidend auf den abstrakten Inhalt des die Lösung des Interessenkonflikts präjudizierenden ausländischen Rechtssatzes, sondern auf seine Auswirkungen im Anerkennungsstaat, läßt man ihn im konkreten Fall -unmittelbar oder mittel256
So Generalanwalt Darmon in seinem Schlußantrag zur Rs. 145/86, Slg. 1988,
s. 656. 257
Vgl. Kegel (IPRJ, 1995, § 2 I, S. 108.
258
Vgl. unten S. 243.
259
Vgl. Wandt (lntProdhaftg], 1995, Rz 542.
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§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
bar260 - zum Zuge kommen, ankommt261 • Dieses "Ergebnis" gilt es genau und ohne pauschalisierende und schematisierende Einordnung in jedem Einzelfall zu bewerten. In den jeweils zur konfliktentscheidenden Norm "distanzschaffenden" Formulierung der Vorbehaltsklauseln im Kollisionsrecht wie im Bereich der Entscheidungsanerkennung, ist deshalb ebenfalls ein Hinweis auf die Relevanz des jeweiligen Inlandsbezugs zu sehen 262 • Auch der "umgekehrte", ergebnisorientierte Ansatz stützt die These, daß allein das unterschiedliche Prüfungsobjekt keine Maßstabskorrektur bei der Anwendung der beiden unterschiedlichen Typen von Vorbehaltsklauseln verlangt. Das Ergebnis, aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung einen bestimmten Sachverhalt betreffend eine bestimmte Summe bezahlen zu müssen, ist im Ausgangspunkt unabhängig davon, welcher Provenienz die Entscheidung ist. Dies gilt unbestreitbar jedenfalls für die am Rechtsstreit beteiligten Parteien selbst. Ob der zur Vollstreckung verwandte Titel nun originär deutscher oder fremder Herkunft ist, spielt für die Auswirkungen der Vollstreckung auf die Parteien keine Rolle263 • Aus dem unterschiedlichen Prüfungsobjekt allein folgt deshalb nach der hier vertretenen Auffassung264 noch nicht zwingend, daß auch ein unterschiedlicher Maßstab zu gelten habe.
2. Unterschiedlicher Anwendungsbereich Auch aus dem unterschiedlichen Anwendungsbereich ergeben sich strukturelle Unterschiede. Betrifft der sich nicht überschneidende Anwendungsbereich im Fall des anerkennungsrechtlichen ordre public einen besonders sensiblen
260
Ähnl. auch Schlosser (RipS], 1989, Rz 866.
Dies stellt auch Speilenberg (Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 439 heraus. Ebenso die Betonung z.B. in BGH v. 16/09/93, BGHZ 123, 268 (270); v. 26/09/79, BGHZ 75, 167 (171) zum anerkennungsrechtlichen ordre public mit Verweis auf Entscheidungen zur kollisionsrechtlichen VorbehaltsklauseL 261
262 In diesem Sinne wohl schon G.H. Roth [Vorbehalt), NJW 1967, S . 134 (138 f.) für das Kollisionsrecht
263 So zu Recht Bartos [Handelsschiedsgerichtsbarkeit), 1984, S. 57. In Frage stellen kann man die Behauptung der Gleichwertigkeit allenfalls für Dritte, nicht unmittelbar Beteiligte, wie den Staat als solchen oder die Gesellschaft an sich. Zur geminderten "Beispielswirkung" fremder Entscheidungen s. unten Fn 339.
264 A.A. Linke (IZPRJ, 1990, Rz 420, der im unterschiedlichen Prüfungsobjekt (und der für das Kollisionsrecht naturgemäß fehlenden Parallele zum Verbot der revision au fond) den Grund für eine abgeschwächte Wirkung sehen will. Zur Bedeutung des Verbots der revision au fond vgl. unten S. 223.
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
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Bereich, könnte sich hieraus die Begründung für einen zu modifizierenden Maßstab ergeben.
a. Verfahrensrechtlicher ordre public Eine Parallele zum verfahrensrechtlichen ordre public im Anerkennungsrecht gibt es bei der kollisionsrechtlichen Vorbehaltsklausel augenscheinlich nicht 265 . Einen Sonderweg geht in diesem Zusammenhang Roth 266 Er möchte einige sich aus der "Natur der Sache" ergebende Anerkennungserfordernisse aus dem ordre publieBegriff ausgliedern. Insbesondere sei eine solche natürliche Anerkennungsvoraussetzung, daß ein "justizförmiges Verfahren" zu der anzuerkennenden Entscheidung geführt habe. Hierunter rechnet er im wesentlichen die Kernpunkte dessen, was von der damals wie heute ganz überwiegenden Meinung zum "verfahrensrechtlichen ordre public" gerechnet wird 267 . Roth, ein Verfechter der Theorie von der Einheitlichkeit der ordre publie-Begriffe im Kollisions- und Anerkennungsrecht, versucht mit diesem Ansatz auch im Anwendungsbereich der Vorbehaltsklauseln Übereinstimmung zu erzielen268. Die verfahrensrechtlichen Aspekte des ordre public sind jedoch, erkennt man sie an, kein Fremdkörper im System der beschränkten Nachprüfung ausländischer Rechtsordnungen oder Rechtsfindung anhand zweitstaatlicher Grundwertungen, sondern vervollständigen dieses System sinnvoll und konsistent. Die Ausgliederung der von Roth genannten Bereiche aus dem ordre publie-Begriff hindert einerseits nicht dessen einheitliche Erfaßbarkeit, insbesondere müssen keine unterschiedlich strengen Maßstäbe für den materiellrechtlichen und den verfahrensrechtlichen Aspekt angelegt werden. Andererseits bringt die Ausgliederung auch keinen Erkenntnisgewinn im Hinblick auf die inhaltliche Konkretisierung. Sie erschwert diese eher, weil die den Toleranzmaßstab liefernde dogmatische Brücke zum traditionell sehr eng zu fassenden ordre public abgebrochen wird. Dieselben Probleme stellen
265 Vgl. Geimer [IZPRJ, 1993, Rz 23; v. Bemuth [Doppelkontrolle], 1995, S. 16; Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 12; Koch [AK-ZPOJ, 1987, § 328 Rz 38; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1013; Geimer/ Schütze [IntUrtAn 1/1], 1983, S. 1059; Stojan [Anerkennung], 1986, S. 155; Cramer-Frank [Auslegung], 1987, S. 215; Gesler [§ 328 ZPOJ, 1933, S. 46. Ebso aus franz. Sicht Mayer [DrlntPr], 1991, no 373. 266 Vgl. G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 40 ff., 157 ff.; ders. [Anm. zu BGH v. 18/10/67], ZZP 82 (1969), S. 152 (154). Ähnl. auch Schack [IZVRJ, 1991, Rz 863.
267 Er nennt die Unparteilichkeit des Gerichts, die Waffengleichheit der Parteien, das rechtliche Gehör aber auch Fälle der Rechtsbeugung, des Prozeßbetruges oder der Urteilserschleichung. Vgl. G./1. Roth [ordre public], 1967, S. 41, 46. 268 Vgl. seine Zusammenfassung G./1. Roth [ordre public], 1967, S. 97.
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§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
sich dann unter anderem Etikett. Roths Ansatz ist deshalb von der jüngeren Literatur zu Recht nicht übernommen worden 269. Auch Gamillscheg270 versuchte § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (a.F.) ohne die "Belastung mit der ordre public-Erwägung zu einer Generalklausel des ordnungsgemäßen Verfahrens" auszubauen. Die von ihm geäußerten Bedenken hinsichtlich fehlender Flexibilität bei der Kausalität des Verstoßes und der Schwere des Eingriffs, lassen sich jedoch nach der hier vertretenen Auffassung ohne weiteres durch eine weniger "belastete" allgemeine ordre public-Dogmatik vermeiden.
Der in dieser Hinsicht weitere Anwendungsbereich des anerkennungsrechtlichen ordre public ist also nicht zu leugnen. Warum aber wegen der Besonderheit, auch verfahrensrechtliche Aspekte zu erfassen, ein grundsätzlich anderer Maßstab gelten soll, obwohl zu diesem Aspekt überhaupt keine Parallele zum Kollisionsrecht zu ziehen ist, ist nicht ersichtlich271 •
b. International zwingende Eingriffsnormen Der Anwendungsbereich des anerkennungsrechtlichen ordre public ist noch in einer zweiten Hinsicht weiter als der seines kollisionsrechtlichen Pendants. Der Anerkennungsstaat verhindert über Ersteren auch die Durchsetzung ausländischen Rechts auf einem Gebiet, auf dem er sein eigenes Recht als international zwingend einstuft 272 • Auf kollisionsrechtlicher Ebene wird dies unter grundsätzlicher Beibehaltung des ausländischen Sachstatuts gesetzes269 Rosenbergt Schwab/ Gottwald [ZPR], 1993, § 176 I 3, S.1110 Fn 9; Schwab/ Walter [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 24 Rz 25; Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 159; Martiny [Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 315, 993, 1022; Komblum [Grenzfragen], KTS 1968, S. 143 (151). 270 Vgl. Gamillscheg [Staudinger-10/11], 1973, § 328 ZPO Rz 246. Ähnl. im Rahmen von § 1041 Abs. 1 Nr. 4 bzw. § 1044 Abs. 2 Nr. 4 ZPO auch Henn [SchiedsverfahrensRJ, 1991, S. 226, 274. 271 Geimer [ex parte], IPRax 1992, S. 5 (14), will dennoch bei den Anforderungen an das rechtliche Gehör, einem Aspekt des verfahrensrechtlichen ordre public, vgl. unten S. 137, keinen "ordre public attenue" zulassen. Mit seiner Aussage scheint er also -mangels Entsprechung im Kollisionsrecht- den "effet attenue" wohl "untechnisch" und im Vergleich zu Anforderungen im Rahmen inländischer Gerichtsverfahren zu verstehen.
272 Vgl. Geimer [Anerkennung], 1995, S. 59 f. ; ders. [Zöller-ZPOJ, 1995, § 328 Rz 152; ders. [IZPRJ, 1993, Rz 26m. Bsp.; Koch [Anerkennung], 1987, S. 161 (177); Wunderer [arbitrage], 1993, S. 126; Haas [Schiedssprüche], 1990, S. 241; Altenmiiller [Überprüfung], KTS 1974, S. 150 (156). Dies verkennt Kohler [Einheit], IPRax 1992, s. 277 (283). Deutlich der Verweis in § 595 Abs. 1 Nr. 6 östZPO, vgl. Anhang S. 311, auf § 35 östiPRG, hierzu Rechberger [östZPO], 1994, § 595 Rz 10.
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technisch, ohne daß ein Rückgriff auf die Vorbehaltsklausel notwendig wäre, qua Sonderanknüpfung bewerkstelligt273 . Ein Bemühen des ordre public über Art. 6 EGBGB für diesen Bereich wird damit entbehrlich. Negiert man die sogenannte "positive Funktion" des kollisionsrechtlichen ordre public, liegt hier zwar ein kardinaler Unterschied im Anwendungsbereich, nicht aber in der Funktion zwischen beiden ordre public-Erscheinungsformen274. Dem anerkennungsrechtlichen ordre public ist dadurch, daß er auf Feldern (abwehrende) Wirkungen zeigt, die bei kollisionsrechtlicher Fragestellung über eine Sonderanknüpfung gelöst werden, noch keine "positive Funktion" zugeschrieben. Die Interessen, die durch eine Sonderanknüpfung gewahrt werden sollen, decken sich häufig mit schutzwürdigen elementaren Grundwerten im Sinne des ordre public. Der Schutz wird nur über eine andere Rechtstechnik bewirkt. Die Schutztechnik des anerkennungsrechtlichen ordre public ist aber immer dieselbe abwehrend .,negative". Allerdings führt nach ganz überwiegender Auffassung nicht jeder Fall, in dem der deutsche Zweitrichter, hätte er den Fall anstelle des Erstrichters zu entscheiden gehabt, kraft Sonderanknüpfung sein international zwingendes Recht angewandt hätte, zur Versagung der Anerkennung unter dem Gesichtspunkt eines ordre public-Verstoßes275 • So kann nicht jeder Entscheidung, die dem inländischen Kunden eines ausländischen AGB-Verwenders nicht den Mindeststandard des AGBG zugute kommen läßt, unter Berufung auf den ordre public die Anerkennung im Inland versagt werden276. Wer sich auf ausländische oder international übliche Gepflogenheiten einläßt, muß besondere Vorsicht walten lassen oder mit Überraschungen rechnen. Auch
273 Bsp. BGH v. 11111156, BGHZ 22, 24 ff. für den Bereich deutscher Devisengesetze, der diesen Unterschied aber nicht herausstellt. Vgl. hierzu die Kritik von Geimer I Schütze (IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1583. Ebso Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1090. 274 A.A. insbes. Komblum [Grenzfragen], KTS 1968, S. 143 (154 ff.). Ihm folgend Wunderer [arbitrage], 1993, S. 133. 275 Vgl. Geimer [Anerkennung], 1995, S. 60; ders. [IZPR], 1993, Rz 28; ders. [Gerichtspflichtigkeit], IPRax 1987, S. 143 (145); Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1587; Schock [IZVRJ, 1991, Rz 867; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1009; Schlosser [StiJ-ZPOJ, 1994, § 1044 Rz 27; Wuppermann [Vorbehalt], 1977, S. 27. A.A. Martiny [recognition], AmJCompL 35 (1987), S. 721 (747); Altenmiiller [Überprüfung), KTS 1974, S. 150 (156). Eine dahingehende Tendenz in der Rspr. ist allerdings nicht zu verkennen, vgl. Koch [Anerkennung), 1987, S. 161 (177) und die Nachweise oben Fn 205. 276 So aber v. Westphalen [AGB], WM 1978, S. 1310 (1317); ders. [Großkommentar], 1983, § 12 Rz 19. Wie hier Sonnenberger [Bemerkungen], FS-Ferid, 1978, S. 377 (386 f., 393). Vermittelnd Otto [AGB), 1984, S. 228.
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§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
würden die Anforderungen an die Kenntnis und Berücksichtigung der Feinheiten des deutschen AGB-Rechts durch die ausländischen Geschäftspartner und den Erstrichter überspannt. Es kann, wie überall bei der Entscheidungsanerkennung, nur darum gehen, völlig unerträgliche Auswüchse zu begrenzen 277.
Auch durch die Tatsache der Entkoppelung des kollisionsrechtlichen ordre public von den unabhängig von der Binnenbeziehung des Falls eingreifenden international zwingenden Eingriffsnormen, kann keine generell weniger strenge Handhabung der anerkennungsrechtlichen Vorbehaltsklausel in deren korrespondierendem Anwendungsbereich begründet werden.
c. Weitere Fälle Rechnet man auch die Fälle der Kollision mit einem früher ergangenen rechtskräftigen Urteil und die Berufung unterschiedlichen materiellen Rechts durch das zweitstaatliche Kollisionsrecht zu Unterfällen des ordre public278 , ergibt sich auch insoweit ein breiterer Anwendungsbereich als derjenige der kollisionsrechtlichen VorbehaltsklauseJ 279 • Der Anwendungsbereich des anerkennungsrechtlichen ordre public ist auch deshalb weiter, weil er auch gegen Entscheidungen Anwendung findet, die - wenn auch auf gründlich mißverstandenem - deutschem Recht als Sachstatut beruhen 280 • Auch aus diesen strukturellen Unterschieden im Anwendungsbereich läßt sich aber nach der hier vertretenen Auffassung noch kein Sachgrund zur Verschiebung des Maßstabs gewinnen.
3. Unterschiedliche Stringenz der Rechtsfolgen? Ein weiterer Ansatz zur Begründung unterschiedlicher Maßstäbe für das Eingreifen von anerkennungsrechtlichem und kollisionsrechtlichem ordre 277 Auch Geimer [Zöller-ZPO), 1995, § 328 Rz 170 will lediglich die "elementaren Grundsätze des deutschen Verbraucherschutzes" gegenüber ausländischen Entscheidungen durchsetzen. 278 Vgl. unten S. 97. 279 In ersterem sieht Nussbaum [DtiPR], 1932, S. 436 den einzigen Unterschied zwischen kollisionsrechtlichem und anerkennungsrechtlichem ordre public. Zum zweiten Aspekt vgl. unten S. 166 sowie Raape [Staudinger-9], 1931, Art. 30 EGBGB Anm. H. II. 280 Vgl. unten S. 166 sowie Geimer [Anerkennung), 1995, S. 25, 61; ders. [IZPR], 1993, Rz 29; ders. [Verfassung), ZfRVgl 33 (1992), S. 321 (413); Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1030.
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
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public liegt im Blick auf die möglichen unterschiedlichen Rechtsfolgen. Aus der grundsätzlich richtigen Überlegung, eine größere Radikalität der Rechtsfolge erfordere größere Zurückhaltung bei der Anwendung eines Instruments, wurde geschlossen, es könnten geringere Anforderungen an das Eingreifen des kollisionsrechtlichen ordre public gestellt werden 281 • Zu überprüfen ist also die Behauptung, der kollisionsrechtliche ordre public könne flexibler gehandhabt werden als sei anerkennungsrechtliches Gegenstück.
a. Die Rechtsfolge bei Eingreifen des kollisionsrechtlichen ordre public Die ganz überwiegende Auffassung zeigt sich hier flexibel und dem Grundsatz der möglichst weitgehenden Schonung des fremden Rechts verhaftet 282• Je nach Fall soll zunächst versucht werden, Ersatzwertungen - z.B. in einer Art "geltungserhaltenden Reduktion" 283 - der Rechtsordnung, deren Vorschrift im Einzelfall nicht angewendet werden konnte, festzustellen 284 • Gelingt dies nicht
Kallman11 [Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und Vergleiche), 1946, S. 239; Dietzi (Der ordre public im IPR in der Praxis des Bundesgerichts], Diss. Basel 1969, S. 19 Fn 4 (beide zit. nach Geimer I Schütze [IntUrtAn I/2), 1984, S. 1595 Fn 50). Die Unterscheidung in der Lückenfüllung betont für das franz. Recht auch Mayer [DrlntPr), 1991, no 373. 281
282 Der Grundsatz des "minimum d'atteinte portee a Ia loi etrangere" findet sich schon bei Pillet-Niboyet, [Manuel de droit international prive], 2ieme edition, Paris, 1928, S. 554 (zit. nach Kegel [IPR), 1995, § 16 IX, S. 384). Noch älter ist das berühmt gewordene Bild C.L. v. Bars, wonach nicht der in der fremden Rechtsordnung stehende Stamm des Rechtsverhältnisses zu treffen ist, sondern nur diejenigen wirklich schädlichen Zweige und Schößlinge, die im Bereich unserer Rechtsordnung hervortreten und abgehauen und abgegraben werden sollen, vgl. C.L. v. Bar [IPR 1), 1889, S. 129. 283
So Spickho.ff[Eheschließung), JZ 1991, S. 323 (324).
So z.B. BGH v. 14110/92, BGHZ 120, 29 (37); OLG Hamm v. 29/04/92, FamRZ 1993, 111 (115 f.); RG v. 19112122, RGZ 106, 82 (86); Regierungsbegründung zur IPRNovelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 44; C. v. Bar [IPR 1], 1991, Rz 640 ff.; Heldrich [Palandt-BGBJ, 1996, Art. 6 Rz 13; Kropholler [IPR), 1994, § 36 V, S. 231 f.; Smmenberger (MünchKomm-BGB], 1990, Art. 6 EGBGB Rz 80 ff.; Geimer I Schütze [lntUrtAn I/2], 1984, S. 1579 Fn 7; Jayme [Methoden], S. 35; Wupperma11n [Vorbehalt], 1977, S. 72 f.; G.H. Roth [Vorbehalt], NJW 1967, S. 134 (136). Krit. Lüderitz [IPR), 1992, Rz 214. A.A. und für generelle Anwendung der Iex fori , gegen Schaffung "lebensfremder Bastardlösungen" durch Erfinden eines "Phantasierechts" Raape I Sturm [IPR 1), 1977, § 13 VIII, S. 219 f. Ähnlich auch die Praxis z.B. in Frankreich, die die Lücke ohne weiteres mit der Iex fori schließt, hierzu z.B. Mayer [DrlntPr), 1991, no 212 f.; Batiffol I Lagarde [DrlntPr 1), 1993, no 367. 284
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§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
oder führen auch diese nicht zu einem tolerierbaren Ergebnis, sind rechtsvergleichend entwickelte Normen oder schließlich die Iex fori anzuwenden 285 •
b. Die Rechtsfolge bei Eingreifen des anerkennungsrechtlichen ordre public · Der für den Bereich des kollisionsrechtlichen ordre public geltende Grundsatz der möglichst weitgehenden Schonung und des geringstmöglichen Eingriffs in das ausländischen Recht286 ist auch auf den anerkennungsrechtlichen ordre public übertragbar287 • Wie im Kollisionsrecht bei quantitativ teilbaren Rechtsfolgen288 , ist auch im Bereich der Entscheidungsanerkennung die Bandbreite zwischen gänzlicher Nichtanerkennung und vollständiger Anerkennung bei quantitativ teilbaren Tenorierungen nutzbar. Zum Kernproblem wird damit, wann eine solche Teilbarkeit der Tenorierung vorliegt. (1) Exequatur selectif Der Gedanke des Verbots der revision au fondwäre geradezu in sein Gegenteil verkehrt, würde man' aus ihm die Unantastbarkeit des ausländischen Titels in dem Sinne herleiten, daß er entweder in voller Höhe oder überhaupt nicht anerkannt werden könne289 . Der Kläger wäre ja auch keineswegs gehindert, seinen Antrag auf Vollstreckbarerklärung auf einen bestimmten Teil der ausgeurteilten Summe zu begrenzen 290• Auch eine Analogie zu § 301 Abs. 1 Var. 1 und 2 ZPO wegen Teilbarkeit des Streitgegenstandes liegt auf der
285 Ähnlich die schweizerische Praxis, vgl. hierzu Vischer [schwlPRG], 1993, Art. 17 Rz 34 ff. Rechtsvergleichend Lagarde [public policy], 1994, S. 53. 286
Vgl. Regierungsbegründung zur IPR-Novelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 44.
Ebso Btmgert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1724); ders. [enforcing], Int'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1088). Zu oberflächlich wohl Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1594. 287
288
Vgl. Regierungsbegründung zur IPR-Novelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 44.
Vgl. OLG Düsseldorf v. 28105191, VersR 1991, S. 1161 (1163). Ähnl. Zekoll RIW 1990, S. 302 (305). Rechtsvergleichende Nachweise bei Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 251. 289
290 Vgl. OLG Düsseldorf v. 28105191, VersR 1991, S. 1161 (1163); Bmtgert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1724); Malscher [Teilanerkennung], PSReimer, 1976, S. 33 (37); Stiefel I Stürner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (843); Stiefel I Stiimer IStadler [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (799). S. a. Art. 42 S. 2 EuGVÜ.
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
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Hand 291 • Die von Kronke 292 gezogene Parallele zur Abänderbarkeit auch ausländischer Titel gern. § 323 ZP0293 , mit der er "die Teilanerkennbarkeit", die er aber nicht weiter differenziert, begründet, ist hingegen wohl etwas schief. Zu verschieden erscheinen beide Situationen. Enthält eine Entscheidung also mehrere, eindeutig isotierbare Rechtsfolgeaussprüche, z.B. Verurteilung zu einer Handlung neben Verurteilung zur Zahlung, kann jeder Teil ebenso isoliert auf seine Anerkennungsfähigkeit untersucht werden. Dasselbe gilt, wenn ein Zahlungsurteil in rechtlich selbständige Ansprüchen bzw. Schadensarten "teilbar" ist294 • Eine Reihe von Staatsverträgen läßt die Teilanerkennung und Teilvollstreckbarerklärung auch ausdrücklich zu 295 • Damit ist eine Teilanerkennung bei objektiver oder subjektiver Klagehäufung oder Klage und Widerklage problemlos möglich 296 • Gleiches gilt, selbst im Fall der Akzessorietät, für Haupt- und Nebenansprüche 297 •
291
Ebso Koch I Zeko/1 [Unterschied], IPRax 1993, S. 288 (292).
Kronke {Anm. zu BGH v. 04106192], LM § 328 ZPO, 1993, Nm. 38-40, Anm. 2c. 292 293
Vgl. z.B. BGH v. 29104192, NJW-RR 1993, S. 5 ff.
Fast einhellige Auffassung. Vgl. BGH v. 04106192, BGHZ 118, 312 (342, 346); OLG Düsseldorf v. 28105191, VersR 1991, S. 1161 (1163); Schütze (Anm. zu BGH v. 04106192], RIW 1993, S. 139 (141); ders. [dt.-am. Urteilsanerkennung], 1992, S. 171; ders. [Produkthaftungshdb II], 1991, § 103 Rz 11; ders. [Produkthaftung], FS-Nagel, 1987, S. 392 (400); Basedow [Haftungsersetzung], IPRax 1994, S. 85 (86); Schack [Anm. zu BGH v. 04106192], ZZP 106 (1993), S. 104 (112); Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1724); Geimer (Zöller-ZPOJ, 1995, § 328 Rz 285; Firsching I v. Hoffmann (IPR], 1995, Rz 172; Mark [dass action], EuZW 1994, S. 238 (241); Kiilln [RICO], FS-Glossner, 1994, S. 193 (207); Zeko/1 [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (330); ders. (Produkthaftpflicht], 1987, S. 123, 156; Böllmer [Spannungen], NJW 1990, S. 3049 (3051). Ebso für das schweizerische Recht Drolsllammer I Schärer [punitive damages], SchweizJZ 1986, S. 309 (318); Stojan [Anerkennung], 1986, S. 180. Zweifel allerdings bei Volken [schwiPRG], 1993, Art. 27 Rz 22 f. Ablehnend für das deutsche Recht auch Hohloch [Ennan-BGB], 1993, Art. 38 Rz55. 294
295
Z.B. Art. 42 EuGVÜ oder Art. 3 UVÜ (1973).
Ebso Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 327. Für das Österreichische Recht Malseller [Teilanerkennung], FS-Reimer, 1976, S. 33 (34 f.). Für die Schweiz Stojan [Anerkennung), 1986, S. 180 f. 296
297 Vgl. OLG Saarbrücken v. 03108187, NJW 1988, S. 3100 (3102); Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 329 f., allerdings zu Recht einschränkend im Verhältnis Hauptund Kostenentscheidung. Anders die Rechtslage unter dem von der Bundesrepublik zwar gezeichneten aber nicht ratifizierten Haager Zivilprozeßübereinkommen v. 1954, vgl. dort Art. 18, 17, hierzu Stojan [Anerkennung], 1986, S. 181.
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§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
Der Zusammenhang der verschiedenen Einzelaspekte, die sich zu einem "Gesamtergebnis der Anerkennung" addieren, muß aber im Blick behalten werden, ohne daß aber einer "Faktorentheorie", die eine Kumulation einzelner, für sich nicht für einen ordre public-Verstoß ausreichender Aspekte, das Wort geredet werden soll298.
(2) Exequatur reductif Im Gegensatz zum eben angesprochenen, dogmatisch wenig problematischen "exequatur selectif" steht ein "exequatur reductif" 299 oder auch "Teil-Teilanerkennung" 300 • Hier wird nur ein Teil eines einheitlichen Ausspruchs anerkannt und für vollstreckbar erklärt. Hierbei sind, was häufig nicht klar gesehen wird301 , zwei weitere, grundsätzlich unterschiedlich gelagerte Fälle zu differenzieren. Einmal besteht die Möglichkeit, eine in der Höhe unerträgliche Entscheidung auf ein noch annehmbares Maß zu reduzieren . Zum zweiten stellt sich die Frage, was zu tun ist, wenn Ausführungen zur Zusammensetzung einer Gesamtausspruchs oder zu möglichen unterschiedlichen Begründung eines Einzelausspruchs fehlen, und ein Teil des Gesamt- oder Einzelausspruchs von einer sicher oder möglicherweise ordre public-widrigen Begründung getragen wird302 . ( a) Überhöhter isotierbarer Rechtsfolgeausspruch Die für § 301 ZPO notwendige Teilbarkeit des Streitgegenstandes liegt hier zweifellos nicht vor. 298 Vgl. dazu unten S. 206. 299 So Martiny [Hdb IZVR 111/1 ), 1984, Rz 251. 300 So ßwrgert [Vollstreckbarkeit), ZIP 1992, S. 1707 (1724). Andere sprechen von "teilweiser Anerkennung" im Gegensatz zur "Teilanerkennung". Diese Terminologie ist aber weniger eindeutig. 301 Vgl. z.B. Hungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1724); Kronke (Anm. zu BGH v. 04106/92), LM § 328 ZPO, 1993, Nm. 38-40, Anm. 2 c; Mark [dass action], EuZW 1994, S. 238 (240). Stiefel I Stiirner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (842); Stiefel I Stiimer I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (798); Lenz [punitive damages], 1992, S. 172, 190 halten Geldtitel immer für "teilbar". Schack [Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (1993), S. 104 (112) läßt Teilanerkennung zu, wenn (wann?) Trennbarkeil in einen anerkennungsfähigen und einen ordre publicwidrigen Teil möglich ist. Wann die Voraussetzung "Trennbarkeit" vorliegen soll, beantwortet Seilack aber gerade nicht. 302 Ähnl. Lenz (punitive damages], 1992, S. 179 ff., 189 ff. für das schweizerische Recht. Auch Martiny [Hdb IZVR 111!1], 1984, Rz 327 f. versucht eine differenzierte Betrachtungsweise.
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
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Nach Ansicht des BGH ist eine Aufteilung "nach freiem Ermessen" des deutschen Anerkennungsrichters ausgeschlossen 303 . Damit scheint das Gericht den Fall einer "freien" Kürzung eines Betrages, der auf einem suspekten Anspruchsgrund beruht, auf eine für den Anerkennungsrichter gerade noch erträgliche Höhe zu meinen. Noch strenger sieht Stojan304 in jeder Abänderung des Entscheidungstenors eine verbotene revision au fond. Viele Stimmen in der Literatur halten dagegen die Kürzung einer unter einem bestimmten Aspekt zugesprochenen Summe für vorstellbar305 • Dem stehen jedenfalls keine unüberwindlichen dogmatischen Hindernisse entgegen, weshalb diesem Ansatz, weil dem oben angesprochenen Schonungsprinzip besser gerecht werdend, der Vorzug zu geben ist. Maßgeblich ist demnach die "Isolierbarkeit" der hinter dem einheitlichen Rechtsfolgeausspruch stehenden materiellen Begründung und Zielsetzung des Anspruchs306 • Ist hier mit hinreichender Sicherheit eine AufschlüsseJung möglich, kann jeder Aspekt, der zum Rechtsfolgeausspruch beiträgt, sofern quantifizierbar, einzeln auf seine ordre public-Verträglichkeit geprüft werden307.
303 BGH v. 04106192, BGHZ 118, 312 (342); anders noch die Vorinstanz OLG Düsseldorf 28105191, RIW 1991, S. 594 (597). Wie der BGH auch LG Berlin v. 13106189, RIW 1989, S. 988 (990); Nettesheim I Staftl [enforcement], Tex.lnt.L.J. 28 (1993), S. 415 (423); M.J. Schmidt (Durchsetzung], 1991, Fn 799; Habscheid (ordre public], FS-Keller, 1989, S. 575 (580 Fn 13); Malscher [Teilanerkennung], FS-Reimer, 1976, s. 33 (38). 304
Vgl. Stojan [Anerkennung], 1986, S. 75, 181 f.
305 Geimer [Anerkennung], 1995, S. 141; ders. (Zöller-ZPOJ, 1995, § 328 Rz 285;
ders. (IZPRJ, 1993, Rz 2974; Schiitze (Anm. zu BGH v. 04106192], RIW 1993, S. 139 (141); Martiny [Hdb IZVR 11111], 1984, Rz 328; R. Mann [class-action], NJW 1994, S. 1187 (1188); Kühn [RICO], FS-Glossner, 1994, S. 193 (207); Siehr [punitive damages], RIW 1991, S. 705 (708); lekoll [Produkthaftpflicht], 1987, S. 123 f. Für die Schweiz Lenz (punitive damages], 1992, S. 179 ff. ; Walter/ Bosch I Brönnimann [Schiedsgerichtsbarkeit], 1991, S. 235 Fn 103. 306
N.B. nicht des einzelnen materiellrechtlichen Anspruchs i.e.S.
Ebso Stiefel I Stiimer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (842); Stiefel I Stiirner I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (798); Hungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1724). Noch weitergehend ders. (enforcing], lnt'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1088). Ebso Lenz [punitive damages], 1992, S. 181 ff. für das schweizerische Recht. 307
6 Völker
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
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Konsequenterweise sprechen sich deshalb etliche Autoren 308 für eine regelmäßige Teilanerkennung von US-amerikanischen treble damages309 in Höhe eines Drittels aus. Haas und Basedow310 wollen die gegen den Unternehmer entgegen §§ 636, 637 RVO ergangene ausländische Entscheidung wenigstens insoweit anerkennen, als sozialrechtlicher und zivilrechtlicher Ersatzanspruch denselben Leistungszweck verfolgten, mithin "kompatibel" seien. Matscher3 11 hält dagegen eine freie, von Amts wegen vorgenommene Kürzung für unmöglich, will aber Teilanerkennung zulassen, wenn der Gläubiger selbst einen auf einen ordre public-konformen Teilbetrag beschränkten Vollstreckbarerklärungsantrag stellt.
Handelt es sich bei der ausländischen Entscheidung um ein Teilurteil, kann allein auf den tatsächlich ausgeurteilten Betrag abgestellt werden. Die Tatsache, daß lediglich ein Teilurteil vorliegt, braucht hier nicht berücksichtigt werden. Ist auch ein inländischer Gerichtsstand gegeben, steht einer späteren Klagerhebung dann zwar nicht der Rechtskrafteinwand entgegen. Der Klage kann dem Grunde nach entsprochen werden. Auf die Höhe der geltend gemachten Summe kann aber der bereits durch Vollstreckbarerklärung des Teilurteils zugesprochene Betrag voll angerechnet werden. Die Anerkennung eines weiteren erststaatlichen Teilurteils kann unter Hinweis auf die bereits erfolgte Anerkennung des ersten Teilurteils verweigert werden. (b) Unaufgeschlüsselter Gesamtrechtsfolgeausspruch mit ordre public-widrigem Teilinhalt Im Gegensatz zur ersten Fallgruppe hat der BGH ausdrücklich offengelassen, ob die Teilanerkennung eines einheitlichen, nicht aufgeschlüsselten Anspruchs, der einen unter Umständen ordre public-widrigen Teil enthält, möglich wäre312 • 308 Stiefel I Bwzgert [RICOJ, ZIP 1994, S. 1905 (1917); ähnl. dies. [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (788); Seizack (IZVR), 1991, Rz 869; Nettesheim I Stalzl (enforcement), Tex.lnt.L.J. 28 (1993), S. 415 (425). Ähnl. auch Martiny (Hdb IZVR Ill/1], 1984, Rz 504; Stiefel I Stlimer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (844). 309
Vgl. hierzu auch unten Fn 889.
Vgl. Haas [Unfallversicherung], ZZP 108 (1995), S. 219 (234); ebso Basedow [Haftungsersetzung], IPRax 1994, S. 85 (86) gegen BGH v. 16109193, BGHZ 123, 268 (275 ff.). 310
311 Malseizer [Teilanerkennung], FS-Reimer, 1976, S. 33 (38 f.). Gegen ihn Stiefel I Stiimer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (843); Stiefel I Stiimer I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (799). 3IZ BGH v. 04106192, BGHZ 118, 312 (346). Das OLG Frankfurt a.M. v. 18105189, EWiR § 328 ZPO, 2192, S. 829 (Leitsätze 3 u. 4 ) scheint die Frage bei einem "Gesamtschadensersatz", der unaufgeschlüsselte materielle und immaterielle Komponenten enthält, zu bejahen.
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
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Eine Analogie zu § 301 Abs. 1 Var. 2 ZPO ist auch hier mangels teilbarem Streitgegenstand nicht möglich 313 • Mit dem Argument, eine Teii-Teilanerkennung der Entscheidung in Höhe eines nach deutschem Recht noch erträglichen Betrages beinhalte eine verbotene revision auf fond und eine unzulässige Abänderung der ausländischen Entscheidung, wird bei nicht teilbarem Entscheidungsinhalt die pauschale Nichtanerkennung und der Verweis auf erneute Klageerhebung im Zweitstaat vertreten 314• Einres iudicata-Einwand stünde dieser erneuten Klageerhebung ja nicht entgegen 315 . Auch würde jedenfalls eine sogenannte ordre public-Zuständigkeit, bei sonst fehlender Anknüpfungsmöglichkeit, einen deutschen NotGerichtsstand eröffnen 316, um einen ansonsten eintretenden deni de justice zu verhindern. Diese zuständigkeitsrechtlichen Folgen, die, liegt kein exorbitanter Gerichtsstand vor, einen Eingriff in die Zuständigkeitsgerechtigkeit darstellen, wären allerdings bei der anerkennungsrechtlichen ordre public-Prüfung zugunsten der Teii-Teilanerkennung berücksichtigungsfähig und berücksichtigungsbedürftig31 7. Das revision au fond-Argument ist aber offensichtlich ambivalent und im Kern ein rein begriffliches. Ordre public-Vorbehalt und Verbot einer revision au fond lassen sich nicht scharf trennen 318 , und durch eine möglichst weit gehende Teilanerkennung wird das von dem Verbot der sachlichen Nachprüfung bezweckte Ziel der weitestgehenden Nichtantastung der ausländischen Entscheidung gefördert3 19 •
313 Ebso Koch I lekoll [Unterschied], IPRax 1993, S. 288 (292); lekoll [Produkthaftpflicht], 1987, S. 123. 314 So Schütze [dt.-am. Urteilsanerkennung], 1992, S. 171; Böhmer [Spannungen), NJW 1990, S 3049 (3051); Martiny [Hdb IZVR IIIJ1], 1984, Rz 1015. Wohl auch Geimer [IZPR], 1993, Rz 2974. 315 Vgl. z.B. die Regelung des deutschen Rechts § 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, Art. 27 Nm. 3, 5 EuGVÜ. Ebso Böhmer [Spannungen], NJW 1990, S 3049 (3051). 316 Vgl. hierzu Pfeiffer [Gerechtigkeit], 1995, S. 753 ff.; Geimer [Anerkennung], 1995, S. 106; Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 409; Neuhalts [Grundbegriffe], 1976, S. 427. Ebso Kropholler (Hdb IZVR I], 1982, Rz 193, der aber in [EuZPRJ, 1993, vor Art. 2 Rz 21, Einschränkungen für den Bereich des EuGVÜ vornimmt. Gegen ihn wiederum Pfeiffer [Gerechtigkeit], 1995, S. 762 ff. 317
So insbes. Pfeiffer [Gerechtigkeit], 1995, S. 763 f.
3l8
S. hierzu unten S. 223.
Ehso Koch I lekoll [Unterschied], IPRax 1993, S. 288 (292); lekoll [Produkthaftptlicht], 1987, S. 124. Ähnl. auch Martiny [Hdb IZVR IIIJ1], 1984, Fn 3046. 319
6•
84
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
Nicht ganz den Punkt trifft allerdings Bungerts Hinweis auf die Theorie der Wirkungserstreckung, mit der er die Notwendigkeit einer Teil-Teilanerkennung begründen zu können glaubt320. In Rede stehen im Fall einer Teilanerkennung eines einheitlichen Anspruchs letztlich nicht Urteilswirkungen wie materielle Rechtskraft und vergleichbare ausländische Rechtsinstitute. Im Ergebnis spricht letztlich nur das Rechtssicherheitsargument gegen eine Teilanerkennung eines einheitlichen Anspruchs. Der Argumentation, der Zweitrichter sei mit der Aufgabe, die hypothetische innere Begründung für "unselbstständige" Teile des Urteils zu finden, mangels ausreichender Anhaltspunkte überfordert, kann man sich nämlich kaum verschließen. Gleichzeitig wächst die Gefahr, die eigene Sicht der Dinge in die Entscheidung hineinzuinterpretieren. Diskretionäre Entscheidungen des Zweitrichters bei der Prüfung der Vorbehaltsklausel sind aber ohnehin unumgänglich, weshalb das Rechtssicherheitsargument allein nicht durchschlägt und die Teilanerkennung eines einheitlichen Anspruchs im Einzelfall durchaus eine den Interessen beider Parteien dienende Lösung darstellt321 • Allerdings geht hier ein aus der fehlenden oder unzureichenden Begründung der Summe verbleibendes non liquet über deren Aufspaltung zu Lasten des die Anerkennung Betreibenden322• Ein Rückgriff auf das Protokoll erscheint aber immerhin möglich 323 .
320 Vgl. Bwrgert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1724) unter Hinweis auf seinen Beitrag [Rechtskrafterstreckung], IPRax 1992, S. 225 (226 f.). Wohl ähnlich die Überlegung von Spellenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 103. Zur Wirkungserstreckungs- und Gleichstellungstheorie vgl. oben Fn 229. 321 Im Erg. ebso Seilack (IZVR], 1991, Rz 1026; Koch (Schadensersatz], NJW 1992, S. 3073 (3075); Coester-Waltjen [punitive damages], 1994, S. 15 (34); Stiefel/ Stürner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (843); Stiefel! Stürner I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (799). A.A. LG Berlin v. 13/06/89, RIW 1989, s. 988 (989 f.). 322 Vgl. LG Berlin v. 13/06/89, RIW 1989, S. 988 (989); Geimer [Anerkennung], 1995, S. 144; ders. (Zöller-ZPO], 1995, § 1044 Rz 18g; ders. [IZPR], 1993, Rz2970; Geimer I Schütze [lntUrtAn 1/2], 1984, S. 1600; Schack (Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (1993), S. 104 (108); ders. [IZVR], 1991, Rz 940; Heidenherger [jury], RIW 1990, S. 804 (807); Kiihn (RICO], FS-Giossner, 1994, S. 193 (207); ebso für das schweizerische Recht Lenz [punitive damages], 1992, S. 190 f. A.A. dagegen Zekoll [Produkthaftpflicht], 1987, S. 122, der die Beweislast für die "Einrechnung" eines völlig überhöhten Erfolgshonorars in den zugesprochenen Schadensersatzbetrag in einem juryUrteil dem Vollstreckungsschuldner auferlegt; ähnl. wohl Spellenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 240. Generell zu Zweifeln bei gänzlich fehlender oder unzureichender Begründung unten S. 181.
323 Bedenken allerdings bei Sc/rack [Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (1993), S. 104 (108). Der BGH Urt. v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (342), läßt ausdrücklich nur
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
85
(3) Ergebnis
Allein die Auswirkungen im Inland im Blick, ist der anerkennungsrechtliche ordre public grundsätzlich ebenso flexibel und sensibel im Sinne einer Schonung der ausländischen Entscheidung einsetzbar wie sein Ebenbild im Kollisionsrecht Eine Differenzierung im Maßstab rechtfertigt sich also auch mit dem Argument der geringeren Flexibilität bei der Beschneidung einer Rechtsfolge der fremden Interessenwertung nicht. (4) Die ausländische Entscheidung als unabänderliches Faktum
Der Einsatz des anerkennungsrechtlichen ordre public führt aber, auch bei Zulassung einer Teil- oder Teii-Teilanerkennung, zu auf den ersten Blick mißlichen Konsequenzen, die im Kollisionsrecht nicht mit derselben Deutlichkeit zu Tage treten. (a) Hinkende Rechtsverhältnisse Wird die fremde Entscheidung auch nur teilweise vom Erstrichter nicht anerkannt, so bleibt sie dennoch im Erststaat und möglicherweise in einem Drittstaat insoweit ein rechtliches und soziales Faktum, ein "fait accompli", das vom Zweitrichter nicht aus der Welt zu schaffen ist. Jede Nichtanerkennung eines ausländischen Urteils stört den äußeren Entscheidungseinklang324. Es besteht zwar in aller Regel die Möglichkeit, zu versuchen, im Inland eine gleichlautende Entscheidung zu erstreiten 325 • Hat der Versuch Erfolg, verhindert dies jedenfalls bei Leistungs- oder Feststellungsurteilen einen Entscheidungsmißklang. Gestaltungsurteilen kommt jedoch keine auf den Zeitpunkt der ersten, nicht anerkannten Entscheidung rückwirkende Kraft zu, so daß hier unvermeidlich für diese Zwischenzeit ein hinkendes Rechtsverhältnis entsteht326 . Bei Verstößen gegen den materiellen ordre public wird der Versuch, ein gleichlautendes zweitstaatliches Urteil zu erwirken, aber ohnehin regelmäßig scheitern. Die dann zwangsläufige Entstehung eines "hinkenden Rechtsverhältnisses", genauer gesprochen, die nicht zu verhindernden Auswirkungen, die eine Entscheidung im Erststaat oder einem Drittstaat, unabhängig von einer
die "amtliche Begründung" als Grundlage zu. Kiilm [RICOJ, FS-Giossner, 1994, S. 193 (207) will dagegen gar die Parteien um eine "sinnvolle Interpretation des Urteils bitten". Hierzu Martiny [Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 104 ff. Vgl. soeben S. 83. 326 Vgl. Geimer [IZPRJ, 1993, Rz 62.
324
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§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
zweitstaatlichen Anerkennung zeitigen würde327, werden dann auch häufig als Rechtfertigung für die Theorie des "effet attenuC" des ordre public im Recht der Entscheidungsanerkennung herangezogen328. Die Wahl zwischen Nichtanerkennung und Schaffung eines hinkenden Rechtsverhältnisses einerseits und internationaler Perpetuierung eines unerträglich erscheinenden Urteilsspruchs andererseits, erscheint vordergründig häufig als die zwischen Scylla und Charybdis. Sich widersprechende Entscheidungen schaden zudem nicht nur häufig den Parteien, denen man damit oft genug Steine statt Brot gibt, sondern auch dem Ansehen der Justiz überhaupt329. (b) Kritik Die tatsächlichen Auswirkungen des Bestehenbleibens der erststaatlichen Entscheidung auch bei Nichtanerkennung im Zweitstaat sind aber - insbesondere bei Leistungsurteilen - bei genauerem Hinsehen nicht von hohem Gewicht und auch nicht ausschließlich auf den Bereich der Entscheidungsanerkennung beschränkt. Von hinkenden Rechtsverhältnissen im engeren Sinne kann nur bei Statusentscheidungen gesprochen werden. Bei allen Arten von Leistungsurteilen besteht dieses Problem nicht 330. Der ausländischen Entscheidung bleibt - und zwar nur in ihrem ordre public-widrigen Teil331 - lediglich die Anerkennung und Vollstreckbarkeit im Zweitstaat versagt. Der Gläubiger steht insoweit, auch unter Beachtung der Rechtskraftwirkung, die nicht über die einer inländischen Entscheidung hinausgeht 332, grundsätzlich nicht schlechter als hätte er unter 327 So zu Recht präzisierend Bucher [ordre public], RdC 239 (1993-11), S. 9 (51); Wunderer [arbitrage], 1993, S. 128. Ähnl. Stojan [Anerkennung], 1986, S. 153. 328 Vgl. schwBG v. 19/12/90, BGE 116 II 625 (630): "En refusant de les reconnaitre [... ] on creerait des rapports juridiques boiteux". Ähnl. ZivG Basel v. 01/02/89, BJM 1991, S. 31 (34); Walter [schwiZPR], 1995, S. 331; Volkeil [schwiPRGJ, 1993, Art. 27 Rz 24; Lmz [punitive damages], 1992, S. 164; Dasser [Iex. merc.], 1989, S. 283 Fn 62; Batiffol I Lagarde [DrlntPr I], 1993, no 361; Preusche [Generalklausel], 1978, S. 12. Skeptischer Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 440. 3 29
So Schack [IZVR], 1991, Rz 788.
330 Dies betont auch Hök [discovery], 1993, S. 263; ähnl. Stojan [Anerkennung],
1986, S. 14. Vgl. dazu soeben S. 85.
331 Vgl. dazu oben S. 78. 332 So jedenfalls nach der in der Rspr. vorherrschenden Gleichstellungstheorie und
der in der Literatur überwiegend vertretenen Kumulationstheorie, hierzu bereits oben Fn 229.
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
87
Geltung desselben Sachrechts im Inland geklagt. Faktisch mögen sich dennoch im Einzelfall auch bei Zahlungsurteilen z.B. Rechtskraft- oder Regreßfolgen im Ausland ergeben. Das Problem der Schaffung hinkender Rechtsverhältnisse ist auch keineswegs auf den Bereich der Entscheidungsanerkennung beschränkt. Bei der Frage der Anwendung der kollisionsrechtlichen Vorbehaltsklausel stellt sich ebenfalls nicht selten dasselbe Problem333 . Auch derjenige, der "nur" ausländisches Recht nicht anwendet, schafft in vielen Fällen "hinkende", international nicht stimmige Rechtsverhältnisse. (c) Achtung der res iudicata und wohlerworbener Rechte Teilweise wird die Ansicht vertreten, der anerkennungsrechtliche ordre public müsse deshalb noch zurückhaltender angewandt werden, weil der abstrakten Achtung vor der res iudicata 334 bzw. vor im Ausland wohlerworbenen Rechten 335 , dem Vertrauensschutz336 oder auch dem Gebot der Rücksichtnahme und Achtung der Staaten untereinander337 ein eigenes Gewicht zukomme. Dieses sei gegen das Interesse an der Durchsetzung nationaler Rechts-
333
Vgl. Firsching I v. Hoffmann [IPR), 1995, Rz 143.
Vgl. v. Hoffmann (Staudinger-12), 1992, Art. 38 EGBGB Rz 248b; lekoll [Produkthaftpflicht), 1987, S. 29; Martiny (Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 1014; Raape I Sturm (IPR 1), 1977, § 13 111 5, S. 204; Raape (Staudinger-9], 1931, Art. 30 EGBGB Anm. H. 1.; Habicht [IPRJ, 1907, S. 241. Etwas distanzierter Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1711); Hök (discovery], 1993, S. 265. 334
335 So insbesondere die Argumentation in Frankreich. Die "droits acquis a l'etranger" stehen im Gegensatz zum Fall der "creation d'un droit en France". Nach französischem Verständnis fallen unter erstere allerdings nur solche Rechte, die nicht in fraudulösem Verfahren und unter einem auch nach französischem IPR geltendem Sachstatut (!) erworben wurden. Vgl. Mayer (DrlntPr], 1991, no 209, 374 m.w.N.; Batiffol I Lagarde (DrlntPr 1], 1993, no 361 f.; Pricke (Frankreich), IPRax 1989, S. 202 (207); M.J. Schmidt (Durchsetzung], 1991, S. 152; P. Kahn (principes], J.D.l. (Ciunet) 116 (1989), S. 304 (314) jew. m.w.N. Ähnl. für das schweizerische Recht Stojan [Anerkennung], 1986, S. 153. 336 So Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 440 jedenfalls für Statusentscheidungen.
337 Vgl. Stiefel I Stümer (Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (833); Lenz (punitive damages], 1992, S. 164 für Urteile. Ebso Wunderer (arbitrage], 1993, S. 157 betreffend ausländische private Schiedssprüche, wo dieses Argument aber besonders zweifelhaft erscheint, vgl. unten S. 268. Ähnl. aber letztlich unklar, hinsichtlich einer generellen Maßstabsänderung Gamillscheg (Staudinger-10111], 1973, § 328 ZPO Rz 332.
88
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
anschauungen als Datum abzuwägen. Lenz338 sieht gar in der Nichtanerkennung eines fremden Urteils einen bedeutenden Eingriff in die Souveränität des fremden Staates. All diese Argumente finden aber schon ausreichend Berücksichtigung darin, daß generell der Toleranzmaßstab gegenüber fremden Wertvorstellungen, sei man mit ihnen auf der Ebene des Kollisionsrechts oder der Entscheidungsanerkennung konfrontiert, bis zur Grenze des schlechterdings Unerträglichen gesenkt ist. Die Achtung vor dem ausländischen Hoheitsakt ist hierdurch bereits gewährt und als Argument "aufgezehrt". (d) Geringere Beispielswirkung ausländischer Entscheidungen Teilweise wird weiter argumentiert, auch die geringere "Beispielswirkung" 339 einer ausländischen gegenüber einer inländischen Entscheidung rechtfertige eine Verschiebung des Maßstabs. Die Identifikation der deutschen Rechtsordnung mit dem fremden Recht sei im Fall der Befolgung der kollisionsrechtlichen Verweisung durch den deutschen Richter im Gegensatz zur bloßen Anerkennung und Befolgung eines fremden Gerichtsakts "nahezu vollständig"340. Psychologisch verständlich und als Faktum in der Praxis ernstzunehmen ist hierbei noch die Erkenntnis, daß der subjektive Grad der Zumutung für den deutschen Erstrichter im Fall der "eigenhändgen" Anwendung des anstößigen Rechtssatzes höher sein mag, als bei der vermeintlich passiveren, bloßen Hinnahme einer auf dem Rechtssatz aufbauenden fremden Entscheidung341 . Das subjektive Gefühl des Zweitrichters weniger involviert zu sein, kann aber nicht ernsthaft als objektives dogmatisches Differenzierungskriterium herhalten. Sind die konkreten Auswirkungen einer gerichtlichen Entscheidung im Inland wirklich unerträglich, können die deutschen Gerichte auch nicht ledig-
338 Lenz (punitive damages), 1992, S. 164. Dem mag man die wohl anerkannte Doktrin entgegenhalten, daß staatliche Souveränität grundsätzlich an den Landesgrenzen endet. 339 So Mezger [Verstoß], NJW 1970, S. 368 (369 f.). Gegen ihn Komblum [ordre public), 1987, FS-Nagel, S. 140 (148). Hiergegen wiederum -allerdings einer petitio principii erliegend- Wunderer [arbitrage], 1993, S. 148 f. 340 So Stiefel I Stiirner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (833). 341 Vgl. /Jök (discovery], 1993, S. 265; Martiny [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 1014; Raape [Staudinger-9], 1931, Art. 30 EGBGB Anm. H I., sowie ders. [DtlPR I], 1938, S. 94, der dies als zentrale Begründung eines modifizierten Maßstabs im Anerkennungsrecht nimmt.
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
89
lieh zur Erstreckung dieser Wirkungen "ihren Arm leihen" 342• Gerade dem Zweitrichter, der darüber zu befinden hat, ob dem fremden Urteil tatsächlich "Außenwirkung" zukommen soll, weil eine Vollstreckung in einem dritten Staat mangels Vermögenswerten des Urteilsschuldners häufig nicht in Frage kommen wird, kann hinsichtlich der Verantwortung für die realen Auswirkungen in vielen Fällen sogar ein bedeutend höheres Gewicht zukommen, als dem über einen reinen Auslandssachverhalt urteilenden deutschen Erstrichter, der sich "nur" vor die Frage der Anwendbarkeit einer ausländischen Norm gestellt sieht. Weiter ist kaum bestreitbar, daß auch die Anerkennung fremder Entscheidungen prinzipiell geeignet ist, Begehrlichkeilen im Inland zu wecken und erststaatliche Rechtsgrundsätze langfristig aufzuweichen 343 • Auch dieser Ansatz führt also nicht zu einer generell gerechtfertigten Verschiebung der Toleranzmaßstäbe.
IV. Generell unterschiedlicher Maßstab oder Ansatzpunkt Inlandsbeziehung?
Als Resultat der bisherigen Untersuchung zeigt sich, daß weder die Funktion noch die Folgen eines ordre public-Einsatzes zwingende Gründe ergeben, den anerkennungsrechtlichen ordre public im Vergleich zum kollisionsrechtlichen nur in generell abgemilderter Form zum Zuge kommen zu lassen.
1. Feh/ende Abhängigkeit in beide Richtungen Der Satz, die Nichtanwendung eines ausländischen Rechtssatzes aufgrund Art. 6 EGBGB schließe ceteris paribus noch nicht zwingend auch eine Anerkennung eines auf dieser Norm beruhenden ausländischen Urteils aus, ist nach der bisherigen Untersuchung insoweit richtig, als er nicht ein Stufenverhältnis ausdrücken will, sondern lediglich eine generelle präjudizielle Aussage ausschließt. Entscheidend sind allein die Umstände des Einzelfalls. Drobnig:l44, weist hier zu Recht darauf hin, daß bei Anwendung des suspekten fremden Rechtssatzes dem Richter häufig noch die Möglichkeit bleibt, diesen Rechtssatz auszulegen. Dies wird naheliegenderweise in die Richtung geschehen, die ihm akzeptabler, weil näher an der eigenen Rechtsordnung orientiert, erscheint345. Die Keule der ordre public-Widrigkeit muß also unter Umständen gar J 42 So Sclziitze (Anm. zu BGH v.
04/06/92], RIW 1993, S. 139 (140).
343
Dies betont zu Recht Wandt [IntProdhaftg], 1995, Rz 1258.
344
Vgl. Drobnig [Skizzen], FS-Caemmerer, 1978, S. 688 (697 f.).
Auf prozessuale Faktoren, z.B. die Zusammensetzung des Spruchkörpers, weisen Koch I Zekoi/[Unterschied], IPRax 1993, S. 248 hin. :145
90
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
nicht geschwungen werden. Die Möglichkeit der Konkretisierung des ausländischen Rechtssatzes durch den deutschen Richter ist weniger "riskant"346 als die Übernahme der vom Erstrichter vorgenommenen Konkretisierung in Form des ausländischen Urteils. Man denke beispielsweise an die Anwendung OS-amerikanischen Deliktsrechts und die Zumessung von Schmerzensgeld oder von punitive darnage awards347 durch den deutschen Richter, was in diesem Fall dann nicht die bizarren Formen 348 anzunehmen braucht, wie wenn derselbe Sachverhalt von einem OS-amerikanischen Gericht unter Geltung desselben Sachrechts entschieden worden wäre. Hier kann durchaus der Fall eintreten, daß "das Ergebnis der Anwendung" des ausländischen Rechtssatzes, wegen der davorgeschalteten Auslegung durch den deutschen Richter, erträglicher wird, als im Falle der Anerkennung nach der durch den Erstrichter vorgenommenen Konkretisierung.
Das Präjudiz ist aber auch in die andere Richtung nicht gegeben. Auch in Fällen, in denen eine Anerkennung einer ausländischen Entscheidung wegen Eingreifens des anerkennungsrechtlichen ordre public ausscheidet, ist die Anwendung des Gesetzes, auf dem das fremde Urteil beruht, nicht von vornherein ausgeschlossen. Man denke nur an für deutsche Maßstäbe völlig überhöhte und nicht mehr nachvollziehbare Schmerzensgeldbeträge. Hier kann sehr wohl die Anerkennung eines entsprechenden ausländischen Titels wegen ordre public-Widrigkeit versagt werden, während andererseits bei ausländischem Deliktsstatut aber deutschem forum , nichts dafür spricht, gänzlich auf die grundsätzlich mögliche Zusprechung von Schmerzensgeld zu verzichten.
Es besteht somit weder in die eine noch in die andere Richtung eine "sklavische Abhängigkeit"349.
346
Vgl. Drobnig [Skizzen], FS-Caemmerer, 1978, S. 688 (698).
347 Auch "exemplary damages", "vindictive damages", "smart money", weitere Beispiele z.B. bei Lenz [punitive damages], 1992, S. 4; Hay [enforcement], ArnJCompL 40 (1992), S. 729 (743); Bungert [Verhältnismäßigkeitsprinzip), VersR 1994, S. 15 Fn 3 m.N.
348 Beispielhaft genannt sei der Fall OLG München v. 15/07/92, NJW 1992, S. 3113 (Verurteilung eines deutschen Autoherstellers zu 4.000.000,- US-$ Strafschadensersatz wegen fehlerhaften Lacks der Karosserie eines Neuwagens); vgl. Sachverhalt und Hinweis auf dasUS-Urteil bei Koch I lekoll [Unterschied], IPRax 1993, S. 288.
349 So v. Gierke [Zweck], ZfHR 88 (1926), S. 143 (145). Dezidiert a.A. Speilenberg [Staudinger-12), 1992, § 328 ZPO Rz 400, der wenn Art. 6 EGBGB gegenüber einer Norm nicht eingriffe, die Nichtanerkennung eines auf dieser Norm beruhenden Urteils wegen Verstoßes gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public ausschließt.
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
91
2. Rechtfertigung durch das Kriterium Inlandsbezug Schon Wengler350 stellt maßgeblich auf die je nach Fall unterschiedliche Intensität der Inlandsbeziehung ab, die die Maßstäbe im Rahmen des kollisionsrechtlichen und des anerkennungsrechtlichen ordre public - in jeweils beide Richtungen - verschieben kann. Typischerweise mag die Inlandsbeziehung im Fall der Urteilsanerkennung schwächer sein als im gedachten Parallelfall, in dem sich der deutsche (Erst-)Richter vor die Frage des Befolgens der Verweisungsnorm gestellt sieht351 • Auch Lalive352 behandelt einen "effet attenue" als Folge der räumlichen Relativität und Abhängigkeit des ordre public von einer Binnenbeziehung zum Forumstaat Die wohl herrschende Meinung sieht die Ursache-Wirkung-Kette dagegen genau umgekehrt. Der anerkennungsrechtliche ordre public werde nur in abgeschwächter Form durchgesetzt. Deshalb sei ein stärkerer Inlandsbezug im Einzelfall Voraussetzung des Eingreifens der VorbehaltsklauseP53 • Andere Stimmen in der Literatur354 gehen zwar ebenfalls von einer generell abgeschwächten Wirkung des anerkennungsrechtlichen ordre public aus, aber auch der kollisionsrechtliche ordre public soll denselben "effet attenue" für den Fall haben, daß es lediglich um die Ableitung von Rechtsfolgen aus im Ausland begründeten ordre public-widrigen Rechtsverhältnissen geht, der Inlandsbezug also geringer sei 355 •
350 Wengier [Anm. zu BGH v. 18110167], JZ 1969, S. 596; ähnl. ders. [RGRK], 1981, Bd. VI, § 14 e 7, S. 400. Vergleichbare Überlegungen stellt Wengier auch für "anationale" Schiedssprüche an, vgl. [RGRK], 1981, Bd. VI, § 7 c 1, S. 75. Hierzu auch unten S. 273. 351
Ebso Hök [discovery], 1993, S. 265.
35 2
Vgl. Lalive [public policy], 1987, S. 257 (262 f. Nr. 14).
Z.B. Bungert [Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1029. Ähnl. Geimer (Anerkennung], 1995, S. 139; ders. [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 167; ders. [IZPR], 1993, Rz 2967. Lenz [punitive damages], 1992, S. 175 kreiert in diesem Zusammenhang den Begriff "ordre public doublement attenue". Ebso für das franz. Recht Mayer (DrlntPr], 1991, no 374. Dagegen insoweit noch zutreffend Wandt [IntProdhaftg], 1995, Rz 1259. 353
354 Vgl. Firsching I v. Hoffmann [IPR], 1995, Rz 153. Ähnlich auch Sonnenherger (MünchKomm-BGB], 1990, Art. 6 Rz 78; Raape I Sturm [IPR I], 1977, § 13 VI 3, S. 216. Ebso Mayer (DrlntPr], 1991, no 209 bzw. 374 für das franz. Recht. 355 In der Regel wird hier das "klassische" Beispiel genannt, daß zwar die nach dem zugrundeliegenden Sachstatut zulässige Eingehung einer Mehrehe gegen den deutschen ordre public verstoße, die Tatsache einer Mehrehe dem Erbrecht aller Ehefrauen aber nicht entgegenstehe.
92
§ 2 Geschichte und Funktion des anerkennungsrechtlichen ordre public
Der Grund für die in den beiden Fällen häufig größere Toleranz liegt aber nicht darin, daß es begrifflich vordergründig jeweils um Anerkennung von im Ausland begründeten Rechtsverhältnissen geht356• Dazu besteht zwischen einer inzidenter zu prüfenden internationalprivatrechtliehen Vorfrage und einer rechtskräftigen ausländischer Gerichtsentscheidung eine zu große sachliche Kluft. Die Parallele liegt vielmehr in dem in beiden Fällen regelmäßig geringeren Inlandsbezug, der Ursache für diese abgeschwächte Wirkung ist357• Dies wird von den genannten Autoren jedoch nicht erkannt oder herausgestellt. Der herrschenden Meinung ist damit lediglich im Ergebnis, nicht in der Begründung und ebenfalls nur für den Regelfall zuzustimmen. Daß der Zweitrichter bei der Anerkennung ausländischer Streitentscheidungen häufig toleranter sein kann, als hätte er den Streit selbst zu entscheiden, ist lediglich Folge des allgemeineren Prinzips der Berücksichtigungsfähigkeit der Inlandsbeziehung. Daß sich die Inlandsbeziehung für den Erstrichter, dessen Kollisionsrecht eine fragwürdige ausländische Norm für anwendbar erklärt, aber keineswegs immer358 intensiver darstellt als im Vergleichsfall des deutschen Exequaturrichters, der ein auf derselben Norm beruhendes Erkenntnis anerkennen und für vollstreckbar erklären soll, zeigt folgendes Beispiel: Zwei Parteien mit ausländischer Staatsangehörigkeit und ausländischem Wohnsitz A streiten im inländischen forum prorogatum oder vor einem - nach der herrschenden Verfahrenstheorie359 - inländischen Schiedsgericht. Das in Rede stehende Rechtsverhältnis hat seinen Sitz in A. Das deutsche Kollisionsrecht erklärt das Recht des Staates A, darunter die befremdliche Norm, zum anwendbaren Sachstatut. Keine der Parteien hat nennenswertes Vermögen im Inland. Eine Vollstreckung in Deutschland ist damit nicht zu "befürchten". Überhaupt scheint die deutsche Rechtsordnung denkbar wenig berührt. Weshalb soll der deutsche Erst- oder Schiedsrichter, von extremen, hauptsächlich in Lehrbüchern entwickelten Fällen des Kalibers "Sklaverei" abgesehen, der Verwirklichung der sachlich richtigen, internationalprivatrechtlich gerechten fremden Rechtsordnung durch deren eigene Organe hier entgegenstehen und die den Sachverhalt entscheidende, nach deutschen Modellen suspekte Norm
356
So aber wohl Sonnenherger (MünchKomm-BGB], 1990, Art. 6 Rz 78.
Diese Parallele zieht z.B. auch Bucher [ordre public), RdC 239 (1993-11), S. 9 (55). Ähnl. auch Martiny [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 1014. 357
358
Dies verkennt Wandt (lntProdhaftg), 1995, Rz 1259.
359
Hierzu unten S. 270.
C. Anerkennungsrechtlicher und kollisionsrechtlicher ordre public
93
wegen Verstoßes gegen den inländischen ordre public nicht anwenden 360? Im gedachten Vergleichsfall, der Entscheidung über die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung, die über ein jedenfalls teilweise "inländisches" Rechtsverhältnis zwischen zwei inländischen Parteien, die im ausländischen Gerichtsstand klagen (mußten), dessen Internationales Privatrecht dieselbe fragwürdige Norm für anwendbar erklärte und deren Vollstreckung im Inland gewiß ist, weil die Parteien im Ausland über kein nennenswertes Vermögen verfügen, ist der Inlandsbezug zweifellos höher. Die Wirkungen der Entscheidung und indirekt der sie tragenden Norm manifestieren sich hier insbesondere im Inland. Es wäre blinder Formalismus, im ersten Fall den ordre public einzusetzen, ihn im zweiten Fall aber unter Berufung auf einen generellen "effet attenue" nicht zum Zuge kommen zu lassen. Formale Differenzierung und pauschale Wertungen, die Unschärfen trotzdem weder beseitigen können noch sollen, sind gerade bei Generalklauseln, die Einzelfallwertungen zulassen sollen, nicht angebracht. Das Kriterium des Inlandsbezugs ist hier das feinnervigere Instrument der Wahl.
360 Ähnl. Bucfler (ordre publicJ, RdC 239 (1993-11), S. 9 (51). Vgl. a. Scltlosser [St/J-ZPO], 1994, § 1041 Rz 24a mit vergleichbarer Überlegung im Rahmen der Aufhebung oder Vollstreckbarerklärung inländischer Schiedssprüche, sowie - in statusrechtlichem Kontext- schon Niemeyer, [IPR], 1901, S. 98.
§ 3 Methoden der Konkretisierung Das Problem der inhaltlichen Konkretisierung des ordre public kann sicherlich nicht mit einer einzigen "Methode" gelöst werden. Man kann sich der Generalklausel nur mittels verschieden ansetzender, mehr oder weniger erkenntnisfördernder Instrumente nähern.
A. Annäherung aus Systematik und Wortlaut Zum klassischen derartigen Instrumentarium gehört hierbei zunächst der Zugang von Wortlaut und Systematik sowie der Versuch der Fallgruppenbildung.
I. Das Verhältnis der allgemeinen Vorbehaltsklausel zu den weiteren Anerkennungsvoraussetzungen Umstritten ist das Verhältnis der "allgemeinen" ordre public-Kiausel zu den weiteren Anerkennungsvoraussetzungen.
1. Insbesondere die explizit das erststaatliche Verfahren betreffenden Anerkennungsvoraussetzungen Überwiegend werden die formal aus der allgemeinen Vorbehaltsklausel ausgegliederten Anforderungen an das erststaatliche Verfahren, wie Ladungserfordernisse oder rechtliches Gehör, lediglich als hervorgehobene tatbestandliehe Ausgliederung des - verfahrensrechtlichen - ordre public angesehen 361 •
361 So zu § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO Stiefel I Bungert [Licht), FS-Trinkner, 1995, S. 749 (765); Koch [AK-ZPO), 1987, § 328 Rz 38; Schütze [Problem], 1960, S. 19, 31, 33; Geimer [Grundfragen], JuS 1965, S. 475 (478 Fn 28); ders. [Ladung), NJW 1973, S. 2128 (2143 Fn 55); Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1478 Fn 32 m.N. auf ältere anderslautende Auffassungen. Vgl. auch die Regierungsbegründung zur !PRNovelle, in BT-Drucks. X/504, 1983, S. 88. Ebso zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ Schütze [DtiZPR], 1985, S. 158; Linke [BIBIGIS-IntRvk], 1977, B I 1 e, EuGVÜ, Art. 27 Anm. III 1. Für den dt.-öst. Vertrag Geimer I Schütze [IntUrtAn II], 1971, S. 82 f. Ebso betr. Schiedssprüche Wieczorek I Schütze [ZPOJ, 1995, § 1044 Rz 30; Schütze (Schiedsgericht), 1991, Rz 147; Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 286; Schlosser (RipS], 1989, Rz 830, 908; "· Bernuth [Doppelkontrolle ], 1995, S. 18; Schütze I
A. Annäherung aus Systematik und Wortlaut
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Dies erscheint deshalb zunächst etwas zweifelhaft, weil die Rüge der Nichteinhaltung der genannten Erfordernisse im zweitstaatlichen Verfahren zur Disposition des Beklagten steht, dessen Schutz primär mit den Vorschriften intendiert ist 362 . Damit scheint ein Widerspruch zur allgemeinen Vorbehaltsklausel zu bestehen, auf deren Beachtung, sieht man durch sie in erster Linie unverzichtbare inländische Grundwerte und nicht Parteiinteressen geschützt, nicht generell verzichtet werden kann 363. Der Gegensatz löst sich jedoch, differenziert man auch innerhalb der allgemeinen Vorbehaltsklausel nach dem im konkreten Fall berührten Schutzobjekt364. Überflüssige Beschränkungen, die mit einem im öffentlichen Interesse liegenden Schutzzweck nicht gerechtfertigt werden können, sind zu vermeiden365.
Tscheming I Wais (Hdb], 1990, Rz 645; ähnl. H.J. Maier (Hdb], 1979, Rz 465; OLG Stuttgart v. 22112/86, IPRax 1987, S. 369 (372). Ebso für das Österreichische Recht betr. Urteile Rechherger I Simotta [Exekutionsverfahren], 1992, Rz 256, betr. Schiedssprüche Rechherger [östZPO], 1994, § 595 Rz 10; für die Schweiz z.B. schwBG v. 19112190, BGE 116 II 625 (629). Anders jedoch die Dogmatik im common law-Rechtskreis, vgl. Cheshire I North I Fawcett [PrlntL], 1992, S. 426; Holtzmann I Neuhaus [UNCITRAL], 1989,5.914,1001 f.m.w.N. 362 Noch zu § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a.F. Martiny (Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 830; Schiitze (DtiZPR], 1985, S. 162. Eindeutig nun der Wortlaut von § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO n.F. (" ...sich darauf beruft. .. "). Geimer [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 133 dehnt dieses Erfordernis, entgegen der hM, konsequent auch auf Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ aus. Vgl. auch Art. V Abs. 1 und Abs. 2 UNÜ. Ebso schwBG v. 19/12190, BGE 116 II 625 (630) m. Nachw. älterer anderslautender Urteile; Stojan [Anerkennung], 1986, S. 157 f. aus schweizerischer Sicht. 363 Vgl. Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 292; ähnl. Gesler [§ 328 ZPO], 1933, S. 76. S. a. BGH v. 30111160, BGHZ 34, S. 134 (149). Ebso für das schweizerische Recht Stoja11 [Anerkennung], 1986, S. 152; Walter I Bosch I Brönnimann [Schiedsgerichtsbarkeit], 1991, S. 233. 364 Den Grundsatz teilend, im Ergebnis jedoch a.A. Schiitze [DtiZPR], 1985, S. 162; ders. [Probleme], 1960, S. 32 f. Vorsichtig auch Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 213 ff., der betont, von der Schutzrichtung könne jedenfalls nicht unmittelbar auf die Verfügbarkeil für die Parteien geschlossen werden und als Parallele die Anerkennungsvoraussetzung der spiegelbildlichen Zuständigkeit anführt. 365 Vgl. Schütze [DtiZPR], 1985, S. 159; Martiny [Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 289; Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 213; Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/1], 1983, S. 1057; Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 148; Gesler [§ 328 ZPO], 1933, S. 75 f. Ebso im Rahmen von Schiedssprüchen Schütze (DtiZPR], 1985, S. 222; Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 25; Schlosser (RipS], 1989, Rz 885; ders. [St/J-ZPO], 1994, § 1041 Rz 34; H.J. Maier [Hdb], 1979, Rz 543; v. Bemuth [Doppelkontrolle], 1995, S. 17. A.A. für die Schweiz Satmer [Schiedssprüche], 1994, S. 73; Stojm1
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§ 3 Methoden der Konkretisierung
Teilweise wird behauptet, ein öffentlicher Schutzzweck fehle stets im Bereich des verfahrensrechtlichen ordre public366 . Dies ist indes eine zu pauschale These. Ihr ist entgegenzuhalten, daß z.B. das Gebot überparteilicher Rechtspflege nicht nur dem Schutz der Parteien dient, sondern auch im öffentlichen Interesse liegt367 . Weiterhin könnten durch extraterritoriale Anwendung fremden Prozeßrechts, z.B. bei einer extensiven pre-trial discovery 68 auf deutschem Boden, Hoheitsrechte verletzt sein. Einer auf einem solchem Beweiserhebungsverfahren beruhenden Entscheidung müßte die Anerkennungsfähigkeit von Amts wegen unter Berufung auf den verfahrensrechtlichen ordre public versagt werden 369•
Eine Überprüfung der ordre public-Konformität damit ist von Amts wegen nur bei Verletzung unmittelbarer Staatsinteressen, wie der Nichtanerkennung wegen Verletzung der im Interesse des entsendenden Staates eingeräumten diplomatischen Immunität, geboten370• Wo es um die Wahrung grundlegender Forderungen der Gerechtigkeit geht, werden diese nur im Interesse des Aner-
[Anerkennung], 1986, S. 152. A.A. für die Anerkennung nach § 1044 Kilgus [Schiedssprüche), 1995, S. 55. Eindeutig und konsequent die den verfahrensrechtlichen ordre public positiv und abschließend normierende schweizerische Regelung in Art. 27 Abs. 2 IPRG. Vgl. hierzu im Anhang S. 312 sowie Vischer [schwiPRG], 1993, Art. 17 Rz 18; Stojan [Anerkennung), 1986, S. 157. 366 Vgl. z.B. Geimer I Schütze [lntUrtAn 1/2], 1984, S. 1481; Schütze [DtiZPR], 1985, S. 162; ders. [Probleme], 1960, S. 33. Ebso für Schiedssprüche Schlosser [St/JZPO], 1994, Anh. § 1044 Rz 86. A.A. insbes. G.H. Roth [ordre public), 1967, S. 45; Cramer-Fra11k [Auslegung], 1987, S. 218; für Schiedssprüche Bartos [Handelsschiedsgerichtsbarkeit), 1984, S. 85 f. Albers (BIUA/H-ZPO), 1996, § 1044 Rz 14 bejaht zwar eine Prüfung von Amts wegen, läßt aber einen - dann wohl nur ausdrücklichen - Verzicht zu. 367 Vgl. BGH v. 15105186, BGHZ 98, 70 (72) nun auch für die Schiedsgerichtsharkeil unter Aufgabe der in Urt. v. 03107175, BGHZ 65, 59 (64) geäußerten Auffassung. Zust. Kambium [Gebot], NJW 1987, S. 1105 (1107). 368
Vgl. hierzu unten S. 180.
So Stiefel I Bungert [Licht), FS-Trinkner, 1995, S. 749 (768). Vgl. a. Schack [Einführung], 1995, S. 51 mit Fallbeispiel u.w.N. 369
370 Vgl. Marti11y [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1154. Ebso Schlosser [StiJ-ZPO], 1994, Anh. § 1044 Rz 83 zu Art. 5 Abs. 2 UNÜ. Gegen eine Verfügbarkeil der möglichen Einwendungen i.R.d. § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO überhaupt allerdings BGH v. 30!11160, BGHZ 34, 134 (149).
A. Annäherung aus Systematik und Wortlaut
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kennungsgegners geschützt. Er muß sich also auf sie berufen 371 , gegebenenfalls auch beweisen, sofern ihm dieser Beweis nicht abgeschnitten ist372 . Für eine Überprüfung der Entscheidung auf ordre public-Widrigkeit von Amts wegen unter jedem Gesichtspunkt spricht sich dagegen Cramer-Frank aus373 . Allerdings wird die von ihr374 angesprochene Gefahr der Anerkennung unlauterer, durch kollusives Zusammenwirken beider Parteien erwirkter Urteile zu Lasten Dritter kaum durch den nach ihrer Ansicht stets geltenden geltenden Amtsermittlungsgrundsatz gemindert. Dieser Gefahr ist schon durch das Prinzip der Inzidentanerkennung und der Rechtskraftbegrenzung entsprechend derjenigen im deutschen Recht gemäß der Kumulationstheorie 375 vorgebeugt. Werden schutzwürdige Belange eines Dritten durch die Anerkennung berührt, bleibt diesen als Partei in einem weiteren Rechtsstreit immer die Möglichkeit, sich auf mögliche schwerwiegende Verfahrensmängel im Erstprozeß zu berufen. Der Frage, wann und ob eine ordre public-Prüfung von Amts wegen durchzuführen ist, dürfte im übrigen kaum praktische Bedeutung zukommen, ist man doch mit der- meist substanzlosen-Behauptungeines ordre public-Verstoßes schnell bei der Hand376.
2. Weitere Unterfälle Auch die meisten anderen, der häufig wiederkehrenden, leicht unterschiedlich formulierten Anerkennungsvoraussetzungen wurden schon als mit dem ordre public verwandt bzw. als dessen speziell geregelte Unterfälle angesehen oder auch diese Einordnung bestritten 377 : so der Prozeßbetrug oder fraud378 ,
3?1 A.A. z.B. Lalive [public policy), 1987, S. 257 (314 Nr. 6); Schütze [DtiZPR), 1985, S. 162; ders. [Probleme), 1960, S. 33. 372 Vgl. hierzu unten S. 219 und S. 225.
373 Vgl. von ihrem Standpunkt des immer tangierten staatlichen Interesses aus konsequent Cramer-Frank [Auslegung), 1987, S. 217 f. Ähnl. Hartmann [B/UNH-ZPO), 1996, § 328 Rz 14 bzw. Albers (BIUNH-ZPOJ, 1996, § 1044 Rz 14; v. Bernuth [Doppelkontrolle), 1995, S. 45; Henn [SchiedsverfahrensR), 1991, S. 253; Glossner I Bredow /Biihler [Schiedsgericht), 1990, Rz 542 für Schiedssprüche. 374 Vgl. Cramer-Frank [Auslegung], 1987, S. 219. 375 Vgl. dazu oben Fn 229. 376 Vgl. Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 239; Martiny [Hdb IZVR IIIJ1), 1984, Rz 975. Ebso Dasser [Iex mercatoria], 1989, S. 362 f. für den Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit. 377 Einen grundlegend anderen Ansatz verfolgt dagegen G.H. Roth [ordre public), 1967, S. 40 ff., der alle diese Aspekte aus dem ordre publie-Begriff ausgliedern möchte. Hierzu oben S. 73.
1 Völker
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§ 3 Methoden der Konkretisierung
die frühere, anderweitige Rechtshängigkeit des eingeklagten Anspruchs379 oder ein Widerspruch zu einer älteren rechtskräftigen Entscheidung zwischen den Parteien 380 und zwar auch eines Schiedsspruchs381 , die fehlende indirekte 378 Vgl. Ba11mann [BIBIGIS-IntRvk], 1989, E 6, Nr. 796, UVÜ 1973 Art. 5 Anm. II; Coester-Waltjen [IntBewRJ, 1983, Rz 71 Fn 251; Wuppermamz [Vorbehalt], 1977, S. 21; Jellinek (Anerkennung], 1953, S. 195 ff.; Haas [Schiedssprüche], 1990, S. 240; Wengier [RGRKJ, 1981, Bd. VI, § 14 e 7, S. 400; Martiny [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 1119; Collins [jurisdiction], 1983; S. 108 für Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ; Kaye [enforcement), 1987, S. 1444 ff.; Szaszy [study], 1967, S. 184. Ebso für die Schweiz Stojan [Anerkennung], 1986, S. 158; Satmer [Schiedssprüche), 1994, S. 75 betr. UNÜ. A.A. Verwilghen [UVÜ-Bericht), 1983, BT-Drucks. X/258, S. 45 m.w.N.; Gamillscheg [Staudinger-10111), 1973, § 328 ZPO Rz 380. I.Erg. ebso auf internationaler Ebene der Commission Report zum UNCITRAL-MG, vgl. Holtzmann I Neuhaus [UNCITRAL], 1989, S. 914 m. ausf. Dokumentation. Differenzierend Cheshire I North I Fawcett [PrlntL), 1992, S. 425; Lalive [public policy], 1987, S. 257 (265 f. Nr. 22); Droz [competence], 1972, Rn 493 ff. Weitere Nachw. zur abw. Sicht in den common lawStaaten bei Geimer [Anerkennung], 1995, S. 144 Fn 189; Holtzmann I Neuhaus [UNCITRALJ, 1989, S. 913. Anders wohl auch die Einordnung in Frankreich, vgl. Fricke [Frankreich], IPRax 1989, S. 202 (203 f.); Batiffol I Lagarde [DrlntPr 1), 1993, no 374. Uneinigkeit wohl in Italien, vgl. Preusclze [Generalklausel], 1978, S. 12.
379 Vgl. OLG Hamm v. 22107192, FamRZ 1992, S. 189 (190); BayObLG v. 28/01/83, FamRZ 1983, S. 501; OLG Frankfurt v. 24/04/70, OLGZ 1971, 57 (59 f.); OLG München v. 02/04164, NJW 1964, S. 979 (980 f.); Firsching I v. Hoffmann (IPR), 1995, Rz 163; Hartmann (BIUA!H-ZPO), 1996, § 328 Rz 42; Schlosser [RipS], 1989, Rz 880, jedenfalls für klare Fälle; W11ppermann [Vorbehalt], 1977, S. 20; Keller I Siehr [IPRJ, 1986, § 49 II 5 a, S. 623. A.A. Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1145; ders. [recognitionj, AmJCompL 35 (1987), S. 721 (744); Nagel [IZPR), 1991, Rz 681; G.H. Roth [ordre publicj, 1967, S. 116 f.; Marx [Schiedssprüche), 1994, S. 121. Vgl. auch Art. 27 Abs. 2 lit. c schwlPRG, der die Unterfälle des verfahrensrechtlichen ordre public aufführt sowie hierzu schwBG v. 19112190, BGE 116 II 625 (629). 38o Vgl. RG v. 12105!15, JW 1915, S. 1264; BayObLG v. 28101183, FamRZ 1983, S. 500 (501); Firsching I v. Hoffmann [IPRJ, 1995, Rz 163; Sch11mann [St/J-ZPO), 1988, § 328 Rz 195; Speilenberg [Staudinger-12), 1992, § 328 ZPO Rz 248; Klinke [EuGVÜ-1]. 1993, Rz242; G. Müller (BIBIGIS-IntRvkJ, 1978, dt.-schweiz. AnVollstrAbk (Nr. 660) Art. 4 Anm. 2.; Weigand (dt.-sp. Rechtsverkehr], 1992, S. 234, 237 Fn 400; W11ppermann [Vorbehalt], 1977, S. 20; Wieczorek (ZPOJ, 1976, § 328 Anm. E IV b 2; etwas unklar Gamillscheg [Staudinger-10111], 1973, § 328 ZPO Rz 333, 372; Sztiszy (study], 1967, S. 184; Jellinek (Anerkennung), 1953, S. 197 ff.; Riezler (IZPR), 1949, S. 547; N11ssballm (DtiPR), 1932, S. 436; v. Gierke [Zweck], ZfHR 88 (1926), S. 143 (155). Ebso die Einordnung in Frankreich, vgl. Fricke [Frankreich), IPRax 1989, S. 202 (207 m.w.N.). A.A. Clzeslrire I Nortlr I Fawcett [PrlntLJ, 1992, S. 426 i.R.v. Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ; G.H. Rotlz [ordre public), 1967, S. ll4. Weitere Beispiele zur internationalen Handhabung bei Je1zard (Bericht), 1967, BT-Drucks. VI/1973, S. 52 (89).
A. Annäherung aus Systematik und Wortlaut
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internationale Zuständigkeit382 und die Berufung unterschiedlichen materiellen Rechts durch das erststaatliche Kollisionsrecht383 . Hier sollte dasselbe gelten, wie bei den Mindestanforderungen an das Verfahren im Rahmen der ordre public Prüfung. Deshalb ist eine Nichtgeltendmachung bestimmter Verstöße bei der Entscheidung des zweitstaatlichen Gerichts - insbesondere wenn eine Entscheidung in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten in Rede steht, dessen Ergebnis die Parteien hinnehmen wollen durchaus relevant384 •
381 Hierauf weist Schlosser [Österreich], FS-Kralik, 1986, S 287 (299) ausdrücklich hin. Ebso Wieczorek I Schütze [ZPO], 1995, § 1041 Rz 24, § 1044 Rz 26. A.A. Haas [Schiedssprüche], 1990, S. 239 f.; Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 121; Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 326. Differenzierend Schlosser [St/J-ZPOJ, 1994, § 1044 Rz 34 f.; ders. [RipS], 1989, Rz 880 f.
382 Vgl. Morisse [Zustellung], RIW 1995, S. 370 (372). Ebso Gesler [§ 328 ZPOJ, 1933, S. 49 f. speziell für das heute noch u.a. nach belgischem, italienischem und englischem Recht bedeutsame forum loci co11tractus; vgl. Schack [IZVRJ, 1991, Rz 258. Vgl. auch Art. 28 Abs. 3 2. HS EuGVÜ. Geimer hält in [Ladung], NJW 1973, S. 2128 (2139) § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (a.F.) neben dem allgemeinen Vorbehalt Nr. 4 für überflüssig. Zum verwandten Problem der Mißachtung einer Schiedsvereinbarung vgl. OLG Celle v. 08/12/77, RIW 1979, S. 131 (132); M.J. Sclzmidt [Einrede], FS-Sandrock, 1995, S. 205 (218 f.) m.N. zum Streitstand, bzw. zu deren Fehlen BGH v. 09103/78, BGHZ 71, 131 (135). Kontrovers auch die Sicht in der Schweiz, vgl. schwBG v. 23106192, BGE 118 li 353 (357) m.w.N. 383 Vgl. Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1394; Geimer [Grundfragen], JuS 1965, S. 475 (478); Schütze [Problem], 1960, S. 31; Jellinek [Anerkennung], 1953, S. 194; Weigand (dt.-sp. Rechtsverkehr], 1992, S. 234 Fn 400; Riezler [IZPR], 1949, S. 538; Melchior [DtlPRJ, 1932; S. 353. Für das EuGVÜ vgl. EuGH v. 04102188, Rs 145186, (Hoffmmm I Krieg) Slg. 1988, S. 645 Erw. 21; Klinke [EuGVÜ-1], 1993, Rz 242; G. Miiller [BIBIGIS-IntRvk], 1978, 8 II, dt.-schweiz. AnVollstrAbk, Art. 4 Anm. 2. Besonders betont wird diese Aufgabe des ordre public von Raape [DtiPR 1], 1938, S. 91. Dezidiert a.A. hingegen Martiny [Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 899; Raape I Sturm [IPR 1], 1977, § 19 li 4 a, S. 354; Gamillsclzeg [Staudinger-10111], 1973, § 328 ZPO Rz 281; G.H. Rotlz [ordre public], 1967, S. 105; Gesler [§ 328 ZPO], 1933, S. 46, 58. S. hierzu auch Art. 27 Nr. 4 EuGVÜ, § 328 Abs. I Nr. 3 ZPO a.F. 384 Vgl. Regierungsbegründung zur IPR-Novelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 88; Martiny (Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 292; AG Hamburg-Aitona v. 11/09191, FamRZ 1992, S. 82 (83) für Fragen des verfahrensrechtlichen ordre public auch außerhalb von § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO; ebso Jellinek [Anerkennung]. 1953, S. 193 f. für den Spieleinwand; Keller I Sieirr [IPR ], 1986, § 49 li 5 b, S. 624 für das schweizerische Recht.
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§ 3 Methoden der Konkretisierung
3. Konsequenz Die verbale, gesetzestechnische oder dogmatische Ausgliederung von Aspekten des verfahrensrechtlichen ordre public aus dem ordre public-Begriff385 bringt ebensowenig zusätzlichen Erkenntniswert386 wie umgekehrt die Diskussion, ob die explizit das Verfahren betreffenden Anerkennungsvoraussetzungen Anwendungsfälle eben dieses verfahrensrechtlichen ordre public seien387. Die Formulierungen der Anerkennungsvoraussetzungen sind zumal im internationalen Bereich sehr unterschiedlich 388 . Ziel dürfte meist gewesen sein, dem Zweitrichter festere Regeln an die Hand zu geben als es die "konturenarme Generalklausel" 389 ermöglicht. Insbesondere ist die Ausgliederung geeignet, unter Beibehaltung einer außerordentlich großen Toleranz das sonstige Verfahrens betreffend, eine verhältnismäßig dichte Überprüfung des besonders sensiblen Zeitabschnitt der Verfahrenseinleitung zu ermöglichen. Beispielhaft, weil besonders auffällig, sei auf zwei Fälle hingewiesen: Einmal auf Art. III Abs. 1lit. c des deutsch-britischen AnVollstrAbk, der in Nm. 1-4 ausdrücklich die Kollision mit einem zwischen denselben Parteien ergangenen rechtskräftigen Urteil, Prozeßbetrug und völkerrechtliche Immunität des Beklagten als Unterfälle des ordre public nennt. Andererseits sei Art. 4 des deutsch-schweizerischen AnVollstrAbk erwähnt, der lediglich den materiellen ordre public als Versagungsgrund der Anerkennung aufführt und doch nach heutiger Auffassung auch den verfahrensrechtlichen ordre public enthält390.
385 Vgl. z.B. den Ansatz von G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 43 ff., 157 ff., der als positive Anerkennungsvoraussetzung ein "justizförmiges Verfahren" normiert, aber schließlich zu denselben Ergebnissen kommt. 386 Ebso Schlosser [St/J-ZPO], 1994, § 1041 Rz 21; Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 166; Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1469 Fn 18; Geimer [Verfahren], JZ 1969, S. 12 (13 Fn 5). 387 Verneinend z.B. Gamillscheg [Staudinger-10/11], 1973, § 328 ZPO Rz 246,267, vgl. zu seinem Ansatz bereits oben S. 74. Die Trennung konsequent vollzogen hat das (moderne) schweizerische Recht, vgl. Art. 27 Abs. 1, Abs. 2 IPRG im AnhangS. 312. Hierzu Vischer [schwiPRG], 1993, Art.17 Rz 18; Volkeil [schwlPRG], 1993, Art. 27 Rz26. 388 Vgl. AnhangS. 305 ff. 389 Vgl. Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1477. Ähnliche Überlegungen stehen z.B. hinter den Vorbehalten § 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, § 16a Nr. 3 FGG, Art. 27 Nrn. 3und 5 EuGVÜ, vgl. Kropholler [IPR], 1994, § 60 Ill4, S. 544. 390 Vgl. Speileilberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 420; Waehler [Hdb IZVR Ill/2], 1984, Rz 232; G. Müller [B/B/G/S-IntRvk], 1978, dt.-schweiz. AnVollstrAbk (Nr. 660) Art. 4 Anm. 2 jew. m.w.N.
A. Annäherung aus Systematik und Wortlaut
101
Dieser Befund legt nahe, daß der eigentlichen ordre public-Klausel, je nach konkreter Ausgestaltung der speziellen Anerkennungsvoraussetzungen oder Versagungsgründe, eine mehr oder minder ausgeprägte Auffangfunktion zukommt 391 . Ein anderer Schluß hieße, den Schutz des Antragsgegners gesetzgeberischen Zufälligkeilen oder "modischen" Formulierungen anheim zu geben 392 . Grundsätzlich ergänzen sich die jeweiligen Normen gegenseitig und decken den gesamten rechtlich relevanten Bereich ab. Einen ordre public-freien Raum gibt es somit nicht. Die explizit genannten Anerkennungsvoraussetzungen sind jedenfalls nicht abschließende Ieges speciales in dem Sinne, daß eine Überprüfung der Entscheidung über die dort angesprochenen Aspekte hinaus -insbesondere an die Mindestanforderungen an das erststaatliche Verfahren393- generell ausgeschlossen wäre394 • Unterschiede können nur dort auftre391 Vgl. Kaye [enforcement], 1987, S. 1444; Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 34; Linke [IZPR), 1990, Rz 425. 392 Ebso WallerIBoschI Brönnimann [Schiedsgerichtsbarkeit], 1991, S. 232 für das schweizerische Recht der internationalen SchiedsgerichtsbarkeiL
393 Ebso OLG Hamm v. 28/12193, NJW-RR 1995, S. 189 (190); OLG Saarbrücken v. 03108187, NJW 1988, S. 3100; Geimer (Anerkennung], 1995, S. 126, 134; ders. [Zöller-ZPOJ, 1995, § 328 Rz 155; Speilenberg [Staudinger-12), 1992, § 328 ZPO Rz 415; Firsching I v. Hoffmann [IPR], 1995, Rz 165 zum autonomen Recht. Klinke [EuGVÜ-1), 1993, Rz 247; Krophol/er [EuZPR), 1993, Art. 27 Rz 11; Martiny [Hdb IZVR 111/2), 1983, Rz 98; Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/1], 1983, S. 1053, 1064; Geimer [EWG-Übk], RIW 1976, S. 139 (148); Albers [BIUA/H], 1996, Art. 27 EuGVÜ Rz 2 a.E.; H. Roth [Anm. zu OLG Saarbrücken v. 03108187], IPRax 1989, S. 14 (17) jeweils für Art. 27 Nrn. 1 u. 2 EuGVÜ; Geimer I Schütze [IntUrtAn II), 1971, S. 83 für den dt.-öst. Vertrag; Schlosser [St/J-ZPO), 1994, § 1041 Rz 31 im Rahmen inländischer Schiedssprüche. A.A. Collins [jurisdiction ], 1983, S. 108 sowie insbesondere Teile der französischen Literatur i.R.v. Art 27 Nr. 2 EuGVÜ; vgl. hierzu die Nachweise bei M.J. Schmidt [Durchsetzung), 1991, S. 133, Fn 490, der selbst, S. 134 f., Sympathien für diese Auffassung hegt. Ebso für Art. V UNÜ z.B. Satmer [Schiedssprüche], 1994, S. 74; Aden (Gehör], NJW 1993, S. 1964 (1965).
394 Ebso Komblum [ordre public], 1987, FS-Nagel, S. 140 (152); Hartmann [BIUA/H-ZPO), 1996, § 328 Rz 30; Stiefel I Bungert (Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (765); Klinke [EuGVÜ-1), 1993, Rz 242, 247; Kropfroller [EuZPR), 1993, Art. 27 Rz 8; Geimer [IZPR], 1993, Rz 2945; H.J. Maier [MünchKomm-ZPO), 1992, § 1041 Rz 14, § 1044 Rz 10; Schlosser [StiJ-ZPO], 1994, § 1044 Rz 21, 39; ders. [RipS), 1989, Rz 870; Haas [Schiedssprüche), 1990, S. 212; Regierungsbegründung zur IPR-Novelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 88. Ebso für das Verhältnis Art. 34 Abs. 2 lit. b ii zu Art. 34 Abs. 2 lit. a UNCITRAL-MG Hußlein-Sticlr [UNCITRAL], 1990, S. 185. Anders das schweizerische Recht in Art. 27 Abs. 2 IPRG. Hierzu Vischer
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§ 3 Methoden der Konkretisierung
ten, wo einzelne Aspekte des ordre public-Gedankens herausgegriffen und explizit unterschiedlich streng behandelt werden. Denn greifen die speziellen Versagungsgründe konkret einzelne Aspekte heraus, z.B. Anforderungen an die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks oder die Unvereinbarkeit von ausländischen mit inländischen Entscheidungen betreffend, sind sie in diesem Bereich abschließend 395 • Lediglich insoweit kommt den unterschiedlichen Formulierungen eine Bedeutung zu 396, die möglicherweise im Einzelfall zu differierenden Ergebnissen führen kann. Ansonsten bewirken die verschiedenartigen Formulierungen, die rein rechtstechnische Ausklammerung bestimmter Fallgruppen aus der Generalklausel und die Einordnung dieser in einen "Unterfall" des ordre public-Vorbehalts.
II. Die unterschiedlichen Formulierungen der Vorbehaltsklauseln Was sich schon bei der Betrachtung des "Umfelds" der allgemeinen Vorbehaltsklausel abzeichnet, gilt uneingeschränkt auch für die eigentlichen ordre public-Kiauseln: es lohnt nicht, sich lange mit den verschiedenen Formulierungen der allgemeinen Vorbehaltsklauseln aufzuhalten397 • Die Unterschiede lassen sich eher durch den "Zeitgeist" 398 denn durch inhaltlich gewünschte Differenzen erklären. Das moderne schweizerische IPRG399 unternimmt beispielsweise erst gar nicht mehr den Versuch einer Umschreibung des
[schwiPRGJ, 1993, Art. 17 Rz 18; Volken [schwiPRGJ, 1993, Art. 27 Rz 26. Ebenfalls für abschließend halten Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ Droz [competence], 1972, Rn 489 sowie Coltins [jurisdiction ], 1983, S. 108, gegen ihn wiederum Kaye [enforcement], 1987, s. 1441, 1443. 395 Vgl. zu ersterem z.B. OLG Hamm v. 28/12193, NJW-RR 1995, S. 189 (190); Geimer [IZPR], 1993, Rz 2927; Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 332, 415; Linke [B/BIGIS-IntRvk], 1977, B I 1 e, EuGVÜ, Art. 27 Anm. II 1, zum zweiten Aspekt EuGH v. 04102188, Rs. 145186 (Hoffmann I Krieg) Slg. 1988, S. 662 (Erw. 21). Allgemein Martiny [Hdb IZVR III/2], 1983, Rz 90; Linke [IZPRJ, 1990, Rz 421. Zum Sonderfall der Anerkennungsverweigerung wegen von der Iex fori abweichender Anknüpfung zu Lasten des Beklagten vgl. unten S. 166. 396
Ebso Waehler [Hdb IZVR IIII2), 1984, Rz 247.
So schon Jellinek [Anerkennung), 1953, S. 190; zust. Waehler [Hdb IZVR 111/2], 1984, Rz 232. Ebso Spickhoff [ordre public), 1989, S. 77; Simitis [Kodifikation], 1970, S. 267 (271); G.H. Roth [Vorbehalt], NJW 1967, S. 134 (135); ders. [ordre public], 1967, S. 23 zur alten Formulierung m.w.N. Zum Wortlaut der Klauseln vgl. den AnhangS. 305 ff. 397
398
So Schwab I Walter [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 24 Rz 17.
Vgl. Art. 17,27 schwiPRG, im AnhangS. 312. Zur Vorgeschichte insbesondere den Erfahrungen mit dem Schiedskonkordat sogleich unten S. 108. 399
A. Annäherung aus Systematik und Wortlaut
103
(materiellen) ordre public. Letztlich betonen die uneinheitlichen Formulierungen lediglich - mehr oder minder vollständig - verschiedene Gesichtspunkte der Inhaltsbestimmung. Prägnant die Diktion von Jellinek400, der meint, es sei "ziemlich gleichgültig, ob neben dem ordre public noch das öffentliche Recht [... ] oder die guten Sitten oder die Sittlichkeit[ ... ] erwähnt werden".
Ebenso verhalte es sich mit der Erwähnung von Prohibitivgesetzen. All dies sei überflüssiger Ballast. In allen Fällen handele es sich um Generalklauseln, die Ihr Gewicht nicht aus Ihrer naturgemäß "unvollkommenen" Formulierung schöpfen, sondern durch "den sich auf sein Handwerk verstehenden Richter, der auch aus der schlechtesten das herausholen wird, was ihm im konkreten Fall notwendig erscheint" 401.
Die Formulierungen allein verhindern andererseits auch nicht, daß der Respekt vor dem ausländischen Recht folgenlose verbale Deklamation bleibt. Immerhin lassen sich aus der Formulierung im autonomen Recht erste Hinweise auf Maßstäbe, die beim Versuch einer Konkretisierung des ordre public anzulegen sind, gewinnen - und erste Verwirrungen und Unklarheiten feststellen. Den ins Feld geführten "wesentlichen Grundsätzen" des deutschen Rechts muß grundrechtsentsprechendes Gewicht zukommen 402 • Kilgus403 meint aus der Formulierung entnehmen zu können, daß es sich bei den vom ordre public geschützten Fundamentalnormen im wesentlichen um das materielle Verfassungsrecht in dem ihm von der Staatsrechtslehre404 gegebenen Sinn handle. Dies ist nicht zutreffend, ist doch das Wort vom ordre ''public" nach heutigem Verständnis beinahe irreführend, denn es geht - im Rahmen des materiellen
400
Jel/inek (Anerkennung], 1953, S. 190 f.
401 Jellinek [Anerkennung], 1953, S. 190 f. Zustimmend Martiny (Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1165. Ebso Geimer I Schütze [IntUrtAn II], 1971, S. 83 für das Verhältnis der deutlich unterschiedlich formulierten Art. 2 Nr. 1 dt.-öst. AnVollstrV und § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a.F. Zu der allerdings etwas aus dem Rahmen fallenden Klausel in Art. III Abs. 1 des deutsch-britischen Vertrages meint allerdings Wengier (Anm. zu BGH v. 18/10/67], JZ 1969, S. 596, deren inhaltliche Gleichsetzung mit§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a.F. durch das Gericht hätte einer Begründung bedurft. 402
Vgl. Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1714 Fn 97).
403
Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 160.
404
Vgl. zum Begriffsinhalt z.B. Mau11z [M/D-GG], 1971, Art. 93 Rn 4.
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§ 3 Methoden der Konkretisierung
ordre public- neben einigen ordnungspolitischen Grundentscheidungen405 hauptsächlich um grundlegende Ordnungssätze des Privatrechts406 .
1. Insbesondere die "offensichtliche" Unvereinbarkeit Unklar erscheint auch die Bedeutung der Vokabel von der "offensichtlichen" Unvereinbarkeit mit der zweitstaatlichen öffentlichen Ordnung. Die Wendung ist seit 1956407 internationale Praxis, insbesondere der Haager Übereinkommen408. Die Formulierung sollte demnach den Richter zu größter Zurückhaltung bei der Anwendung und den Vollstreckungsschuldner zu ebensolcher bei der Berufung auf die Ausnahmevorschrift anhalten409. Ob der Existenz der Vokabel aber für das autonome deutsche Recht, in welches sie erst im Zuge der Novellierung 1986 Eingang gefunden hat, insoweit eine Bedeutung zukommt, als sie eine inhaltliche Änderung im Vergleich zum alten Recht mit sich brachte, wird in der Literatur nicht ganz einheitlich beurteilt410. Ebenso diskutabel erscheint es zunächst auch, die "Haager Formulierung" übernehmende Klauseln in Staatsverträgen allein deshalb restriktiver auszulegen, als solche, in denen die Vokabel, wie zum Beispiel in Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ411 , fehlt.
a. Interpretationsansätze Vage äußern sich die Materialien, nach denen sich kein "wesentlicher" 412 oder "grundsätzlicher"413 Unterschied zu Fassungen von Vorbehaltsklauseln ergeben soll, die die Vokabel nicht enthalten.
405 Hierzu oben S. 62. 406 Ähnl. Jayme [Methoden), 1989, S. 63. Wuppermann [Vorbehalt), 1977, S. 61, 64 f. hingegen betont auch die öffentlichrechtliche Komponente, ebso Hußlein-Stich [UNCITRAL), 1990, S. 185 für den Bereich der Internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. 407 Vgl. Art. 4 Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht, BGBI. 1961 II, S. 1013. Schon Jellinek [Anerkennung), 1953, S. 191 empfahl die Formulierung von der "offensichtlichen" Unvereinbarkeit. Zu noch älteren Wurzeln Kropholler [IPR], 1994, § 36 VI, S. 233 Fn 48. 408 Die Übersetzungen lauten manifestemeilt bzw. manifestly. 409 Vgl. Batiffol [rapport), 1961, S. 170; Verwilghen [UVÜ-Bericht), 1983, BTDrucks. XJ258,S.45. 410 Vgl. zur Bedeutung der Novellierung insgesamt schon oben S. 43. 411 Zu diesem Aspekt vgl. auch unten S. 291. 412 Regierungsbegründung zur IPR-Novelle, BT-Drucks. XJ504, 1983, S. 89 (zu § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO).
A. Annäherung aus Systematik und Wortlaut
105
Die Literatur zeigt sich zur Bedeutung der Formel recht uneinheitlich. Teilweise wird in der Vokabel lediglich -oder auch immerhin - eine "Akzentverschiebung"414 zugunsten einer Anerkennung gesehen. Andere messen ihr wohl eine noch weitergehende Bedeutung zu415 • Häufiger wird sie dahingehend interpretiert, der Verstoß gegen den ordre public müsse für jeden Sachkundigen bei voller Kenntnis der Umstände "klar zutage" treten416, "eklatant"417 oder "unbezweifelbar"418 sein. Bei einer Grundrechtsverletzung sei dies immer der Fall bzw. es müsse eine solche "offensichtliche Unvereinbarkeit" schon begrifflich vorliegen419 • Andere sehen hingegen in der Formulierung den Hinweis auf die notwendige Erheblichkeit der inhaltlichen Abweichung von deutschen Grundwerten und gerade nicht das "ins Auge springen" des Verstoßes420 • Der Verstoß müsse also "schlechthin untragbar sein" 421 • Spickhoff422 wiederum sieht in der Vokabel eine positive Normierung der Relativität der Klausel und eine Entscheidungsregel für Zweifelsfälle gegen einen Verstoß.
413 Regierungsbegründung zur !PR-Novelle für die Parallelproblematik in Art. 6 EGBGB, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 43.
414
SoJayme [Methoden], 1989, S. 12 f.
Vgl. Steindorff [Gemeinschaftsrecht], EuR 1981, S. 426 (438 f.) i.R.v. von Art. 16 EuVÜ. 415
416 Albers [BIUNH-ZPO], 1996, § 1041 Rz 15, §1044 Rz 9; Wunderer [arbitrage], 1993, S. 33; Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 5; H.J. Maier [MünchKomm-ZPO], 1992, § 1041 Rz 14. Ähnlich für das französische Recht Goldmann [arbitrage], FS-Sanders, 1982, s. 153 (169). 417 Vgl. LG Harnburg v. 04102193, FamRZ 1993, S. 980 (981); Heldrich [PalandtBGB], 1996, Art. 6 Rz 4; Hohloch [Erman-BGB], 1993, Art. 6 Rz 12; Thomas I Putzo [ZPOJ, 1995, § 328 Rz 16.
418 Vgl. BayObLG v. 09106193, FamRZ 1993, S. 1469; Hartmann [BIUNH-ZPO], 1996, § 328 Rz 34 "unbezweifelbar, auf der Hand liegende, offensichtlich unverkennbare Unvereinbarkeit"; Thomas I Putzo [ZPO], 1995, § 328 Rz 16. 419 So z.B. H.J. Maier [MünchKomm-ZPO], 1992, § 1041 Rz 14; Hartmann [BIL/NH-ZPO], 1996, § 328 Rz 34 ("natürlich"). Zur Zweifelhaftigkeit einer solchen Aussage vgl. unten S. 126.
420 Vgl. Sonnenherger [MünchKomm-BGB], 1990, Art. 6 EGBGB Rz 71 ; Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 240. 421
So interpretiert Kegel [IPRJ, 1995, § 16 VI, S. 378 die Vokabel.
422
Spick/wff[ordre public], 1989, S. 96 f.
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§ 3 Methoden der Konkretisierung
Lagarde423 hält in seinem Bericht zum EuVÜ die Vokabel im Rahmen des in Art. 6 EGBGB n.F. aufgegangenen Art. 16 EuVÜ insofern für bedeutsam, als nunmehr der sich auf den nationalen ordre public berufende Richter einem besonderen Begründungszwang unterworfen sei. Das wäre nach der hier vertretenen Auffassung jedenfalls für das deutsche Recht eine bedeutungslose "Einschränkung", weil das Stützen eines Urteils auf eine Generalklausel, zumal eine restriktiv gehandhabte, die der ordre public Vorbehalt auch schon vor der Novellierung war, methodisch immer eine dezidierte Begründung erfordert, weshalb man sie im vorliegenden Fall für einschlägig erachte. Nicht mehr haltbar ist dagegen in diesem Zusammenhang Wenglers424 Ansicht, der dem Gericht einen außerordentlich breiten Spielraum für den Einsatz der Klausel, "fast ähnlich, wie wenn das Gericht ein Ermessen zur Gewährung oder Verweigerung der Anerkennung hätte" einräumt. Wieder andere lassen die Bedeutung der Formulierung ausdrücklich offen425 oder messen ihr keinerlei Änderungswert zu426 • Einigkeit besteht immerhin insoweit, als mit dem Erfordernis der "Offensichtlichkeit" jedenfalls nicht eine zweifelsfreie Erkennbarkeil der das Eingreifen der Vorbehaltsklausel tragenden Tatsachen gemeint ist427 •
b. Stellungnahme In Betracht kommt einzig, in der Verwendung der Formulierung eine Verschiebung der Toleranzgrenze zugunsten einer Anerkennung zu sehen428 • Es erscheint aber jedenfalls für das deutsche Recht ausgesprochen zweifelhaft, ob die Vokabel allein irgendeine anerkennungsfreundlichere Haltung bewirken
423 Giuliano I Lagarde [EuVÜ-Bericht], 1983, BT-Drucks. X/503, S. 33 (70). Zust. Jayme [Methoden], 1989, S. 12 f.; Jayme I Kahler [Entwicklungen], IPRax: 1988, S. 133 (138); Wunderer [arbitrage], 1993, S. 33. 424
Wengier [RGRK], 1981, Bd. VI,§ 14 e 7, S. 400.
Z.B. Geimer [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 152; ders. [Verfassung], ZfRVgl 33 (1992), S. 321 (411); Wengier [Anm. zu BGH v. 18110167], JZ 1969, S. 596 Fn 2. 426 So z.B. Blumenwitz [Staudinger-12], 1991, Art. 6 EGBGB Rz 8, 50; Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 160; Meyer-Sparenberg [Kollisionsnormen], 1990, S. 194 f. 427 Vgl. Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 240. 425
428 So LG Harnburg v. 04102/93, FamRZ 1993, S. 980 (981); Schlosser [St/J-ZPOJ, 1994, § 1041 Rz 20; Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 5; Geimer [IZPR], 1993, Rz 2911; ders. [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 152; Kar/ (Spanien], 1993, S. 152. Ähnl. wohl Schiitz [ordre public], 1984, S. 47. Ebso Samtleben [Börsentermingeschäfte], RabelsZ 45 ( 1981), S. 218 (247 Fn 171) für Art. 16 EuVÜ.
A. Annäherung aus Systematik und Wortlaut
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kann 429• Es wirkt beliebig, ob die Vokabel genannt wird oder nicht. Aus ihrer Existenz Schlüsse zu ziehen, erscheint deshalb verfehlt. Das schweizerische Recht differenziert hingegen innerhalb derselben Kodifikation bei der Verwendung der Vokabel zwischen kollisionsrechtlichem und anerkennungsrechtlichem ordre public430 . Dadurch soll der "effet attenue" des letzteren betont werden431 . Nach überwiegender Auffassung in der Schweiz läuft die Einschränkung im Wortlaut also konform mit einer Einschränkung in der Anwendung. Der Vokabel kommt hier tatsächlich eine Bedeutung zu 432 . Dies erscheint aber schon deshalb konstruiert, weil der bei der Anerkennung internationaler Schiedssprüche Anwendung findende Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG die Vokabel, wie Art. 17 IPRG, nicht nennt433 . Auch das neuere französische Recht der Schiedsgerichtsbarkeil verwendet die Vokabel nicht durchgehend. In der die Anerkennung von Schiedssprüchen, die im Ausland oder in internationalen Sachen 434 ergangen sind betreffenden ordre publicKlausel, findet sie sich. Keine Erwähnung findet sie hingegen in der ordre publicVorschrift des Rechtsmittelverfahrens gegen die Anerkennung eines solchen Schiedsspruchs sowie in der die Anerkennung rein interner Schiedssprüche regelnden ordre public-Vorschrift435 . Die aus der Verwendung des Worts zu ziehenden Schlüsse werden jedoch nicht einheitlich beurteilt436 .
429 Ebso skeptisch Baumann [BIBIGIS-IntRvk), 1989, E 6, Nr. 796, UVÜ 1973 Art. 5 Anm. 11. Für die Schweiz Keller I Siehr [IPR], 1986, § 42 Ili 4, S. 544. 430
Vgl. Art. 17, 27 Abs. 1, Art. 190 Abs. 2lit. e IPRG im AnhangS. 312.
Vgl. Vischer [schwiPRG], 1993, Art. 17 Rz 24; Volken [schwiPRG), 1993, Art. 27 Rz 24; Stojan [Anerkennung), 1986, S. 153; Lenz (punitive damages), 1992, S. 165; Wafter I Bosch I Brönnimann [Schiedsgerichtsbarkeit], 1991, S. 227 Fn 67; Meyer-Sparenberg [Kollisionsnormen], 1990, S. 195; ZivG Basel v. 01102189, BJM 1991, S. 31 (34 ). Keller I Siehr [IPR ], 1986, § 49 II 5 a, S. 623 betonen, das Ergebnis müsse "wirklich "offensichtlich" untragbar" sein, was zugleich die Fragwürdigkeit der Vokabel wieder deutlich macht. 431
m
Zweifelnd allerdings Keller I Sieirr [IPR], 1986, § 42 III 4, S. 544 f.
Vgl. mit jew. unterschiedlichen Schlüssen Lalive I Poudret I Reymond [arbitrage], 1989, Art. 190 Anm. 5 e und Buclzer [Schweiz), 1989, Rz 354 und den Wortlaut der Vorschriften im AnhangS. 312. 433
434
Zu diesen Kategorien des franz. Rechts vgl. die Nachw. unten Fn 1352.
Vgl. im Anhang S. 310 Art. 1498 N.C.P.C. einerseits sowie Artt. 1502 Nr. 5, 1484 Nr. 6 N.C.P.C. andererseits. 435
436 Mezger (Schiedssprüche], 1983, S. 45 (49 f., 60) erklärt sie beispielsweise mit dem 11icht kontradiktorischen Verfahren der Anerkennung im Gegensatz zum gegen die Entscheidung möglichen kontradiktorischen Rechtsmittelverfahren. Wohl ähnlich Gofdma1111 [arbitrage), FS-Sanders, 1982, S. 153 (169 f.), der die Bedeutung der
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§ 3 Methoden der Konkretisierung
In Deutschland ist eine randschärfere Abgrenzung jedenfalls auch nach der Neufassung nicht möglich437 . Die Formulierung hat aber immerhin die "pädagogische" Funktion, den Richter vor einer voreiligen Berufung auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung zu warnen und drückt die längstens anerkannte restriktive Handhabung438 des Versagungsgrundes gesetzestechnisch aus439. In dieser Funktion schadet sie jedenfalls nicht. Schließlich mag nian ihre Bedeutung noch darin sehen, daß sie eine Umkehrung der inzwischen unstreitigen Tendenz zur restriktiven Handhabung der Vorbehaltsklauseln in gewissem Umfang erschweren, letztlich aber wohl nicht verhindern könnte.
2. Alternativen zur Genera/klausel? Auch aus der Diskussion über Alternativen zu einer Generalklausel läßt sich ein Indiz gewinnen, wie hoch die Bedeutung des Wortlauts der ordre publicKJauseln eingeschätzt werden sollte. Neben ausführlicher Umschreibung im Stil einer Formeldefinition440 bietet sich methodisch als Alternative zu einer knapp gehaltenen Generalklausel ihre enumerative Auflösung in Regelbeispiele441 oder abschließende Einzeltatbestände an 442 • Einen solchen seltenen und "mutigen Schritt" analysiert Habscheid443 am Beispiel der schweizerischen Kantone, die in ihrem Schiedskonkordat versuchten, ohne eine ordre public-KJausel auszukommen. Er weist Vokabel in einem "apparait[re) aevidence" des Verstoßes bei der Entscheidungslektüre sieht, was bei einem kontradiktorischen Verfahren weniger dringlich erscheint. 437 Ebso Geimer [Anerkennung), 1995, S. 58; ders. [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 152; ders. [IZPR), 1993, Rz 2911. 438 Eine Außenseitermeinung vertritt hier wohl Raape I Sturm (IPR 1), 1977, § 13 IV, S. 205 ff., dem die bisherige Anwendung der Vorbehaltsklausel zu "zimperlich" erscheint. 4 39 Vgl. Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1171; Kropholler [IPR], 1994, § 36 VI, S. 233; Liideritz [IPRJ, 1992, Rz 205; Neuhaus [Grundbegriffe], 1976, S. 372; Kar/ 1Spanien], 1993, S. 151 zum dt.-span. An VollstrV; ebso die Denkschrift zum Vertrag, BT-Drucks. X/5415, S. 16. 440 Zu derartigen Versuchen in Rspr. und Wissenschaft sogleich unten S. 110. 441 Dies schlägt Basedow [Auslandsscheidungen], 1980, S. 232 f. für die Anerkennung von Scheidungsurteilen vor. 442 Auf den Bereich des Kollisionsrechts beschränkt wird auch an eine - die bisherige Dogmatik freilich umwälzende - Wiederbelebung des Kahn'schen Ansatzes, vgl. oben S. 39, gedacht werden können, wie sie Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 155 ff. wagt. 443 Vgl. Habscheid [ordre public], FS-Keller, 1989, S. 575 ff.
A. Annäherung aus Systematik und Wortlaut
109
nach4.J4 , daß der Versuch gescheitert ist, da sich die "gute alte ordre publicGeneralklausel", wenn auch "verkleidet", in Art. 36 lit. f SchK445 wiederfand, der einen willkürlichen, weil auf offenbar das Recht oder die Billigkeit verletzenden Schiedsspruch, für anfechtbar erklärt. Das Bedürfnis nach einer "offenen" Generalklausel wird in dieser Entwicklung deutlich. Eine auf Bestimmtheit bedachte, enumerative Regelung würde weiterhin der rechtspolitischen Entwicklung, die auf dem Gebiet des ordre public schwankender ist als auf den meisten anderen Rechtsgebieten und mithin besondere Anpassungsfähigkeit erfordert, Fesseln anlegen 446 • Similis sieht in derartigen Versuchen deshalb ein "Attentat auf die Flexibilität", und als einzige Möglichkeit die offene Generalklausel mit der damit gegebenen Möglichkeit einer permanent revidierbaren, kasuistischen. Konkretisierung durch die Judikatur447• Als einzig weitere denkbare Variante sieht er, unter Hinweis auf eine derartige Handhabung im Ausland, auf eine Kodifikation der Vorbehaltsklausel überhaupt zu verzichten448. Ganz entledigen kann man sich der dann ungeschriebenen Vorbehaltsklausel allerdings -jedenfalls außerhalb des Bereichs der Europäischen Union, der vom Grundgesetz nur beschränkt beeinflußbar ist- durch einfaches Gesetz schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht449. Einem vollständigen ~44 Habscheid [ordre public], FS-Keller, 1989, S . 575 (580 ff.). Ebso Walter I Bosch I Brömtimann [Schiedsgerichtsbarkeit], 1991, S. 244 f. Enger wohl WalderBohner [Konkordat], 1982, Rz 60; Wenger [Rechtsmittel], 1979, S . 53 (67 f.). F.-E. Klein [Schiedsgerichtsbarkeit], 1979, S. 33 (43) nimmt neben dem ordre public-Funktionen wahrnehmenden Art. 36 lit. f SchK noch die Möglichkeit eines ungeschriebenen ordre public-Einwandes an (S. 49 f.). Demgegenüber sieht das schwBG v. 14111190, BGE 116 li 634 (636) sowie v. 05111191, BGE 117 li 604 (606) in der ordre public-Hürde den enger gefaßten Versagungsgrund; ähnl. v. Bemuth [Doppelkontrolle], 1995, S. 120. 445
Vgl. den AnhangS. 312.
446 Zum Aspekt der Wandelbarkeit des ordre public vgl. unten S. 246. 447 Vgl. Simitis [Kodifikation], 1970, S. 267 (290). Ähnl. Regierungsbegründung zur IPR-Novelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 43; Blumenwitz [Staudinger-12], 1991, Art. 6 EGBGB Rz 19; Sonnenherger [MünchKomm-BGB], 1990, Art. 6 EGBGB Rz 15; Keller I Siehr [IPR], 1986, § 42 III 4, S. 545. 448
Simitis [Kodifikation], 1970, S. 267 (288 f.).
Vgl. hierzu unten S. 117. S. auch BVerfG v. 22103183, BVerfGE 63, 343 (378), das von einem "regelmäßig" bestehenden Bedürfnis nach einer ordre public-Kontrolle spricht sowie Spickhoff [ordre public], 1989, S. 118; Lüderitz [IPR], 1992, Rz 210. Geimer [Verfassung], ZfRVgl 33 (1992), S. 321 (407, 411) nennt dies den "verfassungsrechtlichen Kern" des ordre public. 449
§ 3 Methoden der Konkretisierung
110
Verzicht auf den verfahrensrechtlichen ordre public-Vorbehalt scheint nach Auffassung des BVerfG450 die Verfassung451 allerdings für den Fall nicht entgegenzustehen, daß "ein Maß an Rechtsschutz im Ausland tatsächlich eröffnet war, das gewissen Mindestanforderungen an Rechtsstaatlichkeil genügt." .Nur wo dies "nicht generell gewährleistet erscheint, wird es regelmäßig eines Vorbehalts der deutschen öffentlichen Ordnung bedürfen". Auch Martiny 452 hält Präzisierungen, die unvollständig und fruchtlos bleiben müßten wegen des damit verbundenen Verlustes an Flexibilität für generell fragwürdig. Einer Wortlautinterpretation sind somit auch aus diesen Gründen enge Grenzen gesetzt.
B. Formeldefinitionen Näherungsweise kann man auch versuchen, den Gehalt des ordre public mittels Formeldefinitionen zu bestimmen.
I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts griff der Versagungsgrund der ordre public-Widrigkeit- neben der Sittenwidrigkeit- dann ein, wenn die "Anerkennung einem deutschen Gesetz widersprechen würde, mit welchem die deutsche Rechtsordnung ein bestimmtes Ziel in einer die Grundlagen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens bildenden Frage aus bestimmten staatspolitischen, sozialen oder wirtschaftlichen Anschauungen, nicht jedoch aus Zweckmäßigkeitserwägungen verfolgt"453.
450 Vgl. BVerfG v. 22/03/83, BVerfGE 63, 343 (378). 451 Das Gericht nennt konkret nur Art. 19 Abs. 4 GG, im folgenden aber alle grundlegenden Verfahrensprinzipien eines rechtsstaatliehen Verfahrens. 452 Martiny [Hdb IZVR III/1}, 1984, Rz 1175. 453 So RG v. 29/06/1942, RGZ 169, 240 (245). Ähnl. RG v. 25/06/26, RGZ 114, 171 (172).
B. Formeldefinitionen
111
Die beinahe wortgleiche Formulierung verwandte das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung auch im Rahmen des kollisionsrechtlichen ordre public454 •
II. Die Rechtsprechung seit 1945 Der BGH übernahm zunächst weitgehend die Formel des Reichsgerichts455 , hielt sie aber dann doch für zu eng und beschränkte sie dahin, sowohl im Rahmen des kollisionsrechtlichen wie im Rahmen des materiellen anerkennungsrechtlichen ordre public sei die Grenze überschritten, wenn "das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelung und der in ihnen liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, daß es von uns für untragbar gehalten wird"456.
Immer wieder wird auch betont, daß eine Abweichung von zwingenden Vorschriften des deutschen positiven Rechts nicht genügt, sondern auf die dahinterstehenden Grundwerte abzustellen ist457 .
45 4 Vgl. RG v. 21/03105, RGZ 60, 296 (300); v. 27105110, RGZ 73, 366 (369); v. 28106118, RGZ 93, 182 (183); v. 12112/18, RGZ 95, 268 (272); v. 14112/27, RGZ 119, 259 (263). Analyse der leicht variierenden Formeln des RG auch bei Wuppermann [Vorbehalt), 1977, S. 56. 455 Z.B. Zu§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a.F. BGH v. 11/11/56, BGHZ 22, 24 (28); OLG Celle v. 20/08/63, NJW 1963, S. 2235; OLG München v. 02/04/64, NJW 1964, S. 979 (980). Ähnl. nun wieder z.B. BayObLG v. 09/06/93, FamRZ 1993, S. 1469. Ebso z.B. Thomas I Putzo [ZPO), 1995, § 328 Rz 16; Habscheid [Randvermerke], FamRZ 1981, S. 1142 (1143). Sowie zu Art. 30 EGBGB a.F. BGH v. 02110156, BGHZ 22, 1 (15); v. 15111!56, BGHZ 22, 162 (167); v. 21/11158, BGHZ 28, 375 (384 f.); v. 30/06/61, BGHZ 35, 329 (337); v. 09/01/69, BGHZ 51, 290 (292). Im Rahmen von in- und ausländischen Schiedssprüchen BGH v. 27102169, NJW 1969, S. 978 (980); OLG Harnburg v. 01/10/54, NJW 1955, S. 390. 456 Vgl. BGH v. 16109193, BGHZ 123, 268 (270) u. ständig. Allg. Zust. in der Literatur z.B. Martiny [Hdb IZVR III/1), 1984, Rz 996; Thomas I Putzo [ZPO), 1995, § 328 Rz 16. Die wortgleiche Definition verwendet der BGH in ebenfalls ständiger Rspr. in Entscheidungen zur kollisionsrechtlichen Vorbehaltsklausel, z.B. in Beschl. v. 17109/68, BGHZ 50, 370 (376) zu Art. 30 EGBGB a.F. Ausführliche Analyse wiederum bei Wuppermann [Vorbehalt], 1977, S. 57 f. 457 Vgl. BGH v. 04106/1992, BGHZ 118, 312 (324) u. ständig; G.H. Roth [ordre puhlic], 1967, S. 87 ff.; ders. [Anm. zu BGH v. 18/ 10/67), ZZP 82 (1969), S. 152 (!54 f.). Ebso für das franz. Recht Mayer [DrlntPr], 1991, no 207. A.A. insoweit Rosenberg I SchwabIGottwald [ZPRJ, 1993, § 176 I 3, S. 1110 Fn 9, der bestreitet, daß sich aus diesen Grundwerten konkrete Ergebnisse gewinnen lassen. Krit. auch Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 19.
§ 3 Methoden der Konkretisierung
112
Seit 1967 urteilt der BGH daneben stereotyp im Rahmen der Anforderungen des verfahrensrechtlichen ordre public gegenüber Urteilen staatlicher Gerichte, ein die Anerkennung ausschließender Verstoß liege vor, "wenn die Entscheidung auf einem Verfahren beruht, das von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem Maße abweicht, daß es nach der deutschen Rechtsordnung nicht als in einer geordneten rechtsstaatliehen Weise ergangen angesehen werden kann" 45 B. Lediglich am Rande bemerkenswert ist, daß die höchstrichterliche Rechtsprechung auch heute noch im Rahmen der Prüfung des Verfahrens bei der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von ausländischen Schiedssprüchen auf eine - variierte - "Reichsgerichtsformel" zurückgreift. Die Anerkennung ist demnach lediglich dann ausgeschlossen, "wenn das schiedsgerichtliche Verfahren an einem schwerwiegenden, die Grundlagen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens berührenden Mangelleidet" 459 • Die Formeldefinitionen sind jedoch sämtlich austauschbar460• Die oben genannte Formel zum verfahrensrechtlichen ordre public gegenüber staatlichen Gerichten taucht beispielsweise in der Rechtsprechung wie in der Wissenschaft
458 So BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (320 f.). Die Formel wird nahezu unverändert seit Urt. v. 18/10/67, BGHZ 48, 327 (331) verwandt. Vgl. BGH v. 25/03/70, BGHZ 53,357 (359); v. 19/09/77, NJW 1978, S. 1114 (1115); v. 07/03/79, BGHZ 73, 378 (386); v. 21/03/90, NJW 1990, S. 2201 (2203); OLG Düsseldorf v. 28/05/91, VersR 1991, S. 1161 (1162); OLG Samberg v. 18/12/86, RIW 1987, S. 541 (542); OLG Harnburg v. 03/04/75, MDR 1975, S. 940. Zust. Hartmann [B/IJA/H-ZPOJ, 1996, § 328 Rz 34, 42; Albers [B/UNH-ZPO], 1996, § 1044 Rz 10; Kegel (IPRJ, 1995, § 16 IV 2, S. 374; Kropholler [IPRJ, 1994, § 60 III 5, S. 546; ders. [EuZPRJ, 1993, Art. 27 Rz 9; Hök [discovery], 1993, S. 259; Klinke [EuGVÜ-1], 1993, Rz 246; Kambium [ordre public], 1987, FS-Nagel, S.140 (151); Firsching/ v. Hoffmann (IPRJ, 1995, Rz 166; Schack [IZVRJ, 1991, Rz 864; Martiny (Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 1024; Waehler (Hdb IZVR 111/2], 1984, Rz 234; R. Mann [class-action], NJW 1994, S. 1187 (1188); Habscheid [Randvermerke], FamRZ 1981, S. 1142 (1143). Sehr ähnlich auch die franz. und die niederländische Sichtweise, Nachweise bei Fricke [Frankreich], IPRax 1989, S. 202 (206) bzw. Kropholler [EuZPR), 1993, Art. 27 Rz 9. 459 Vgl. BGH v. 07/01/71, BGHZ 55, 162 (175); v. 15/05/86, BGHZ 98, 70 (74); v. 14/04/88, BGHZ 104, 178 (184); v. 18/01/90, BGHZ 110, 104 (107); OLG Frankfurt v. 29/06/89, RIW 1989, S. 911 (913). Die Definition aufnehmend die Literatur z.B. Raesclzke-Kessler [Rspr], JbPrSchG 2 (1988), S. 225 (240); ders. [Entwicklungen], NJW 1988, S. 3041 (3050); Glossner I Bredow I Biilz/er [Schiedsgericht], 1990, Rz 531; Kühn [RICOJ, FS-Giossner, 1994, S. 193 (206). Ebso für die Schweiz Satmer [Schiedssprüche], 1994, S. 73.
46°
Vgl. hierzu auch unten S. 267.
B. Formeldefinitionen
113
regelmäßig auch bei der Frage der Anerkennungsfähigkeit von Schiedssprüchen auf461 .
111. Formeldefinitionen im Ausland Die ausländische Rechtsprechung gibt erstaunlich ähnliche Definitionen. Das schweizerische Bundesgericht definiert in ständiger Rechtsprechung, der Vorbehalt des ordre public greife dann ein, wenn "das einheimische Rechtsgefühl durch die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils in unerträglicher Weise verletzt würde, weil durch dieses Urteil grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung mißachtet werden."462 Der spanische Tribunal Supremo definiert den ordre publie-Begriff in einer Grundsatzentscheidung 1966 als diejenigen "öffentlich- oder privatrechtlichen, politischen oder wirtschaftlichen, moralischen und religiösen Prinzipien, die für die Erhaltung der sozialen Ordnung eines Volkes in einer bestimmten Zeit unabdingbar" und die deshalb "innerhalb der Reichweite der eigenen territorialen Souveränität unantastbar" sind463 .
IV. Definitionsversuche in der Literatur Die Literatur folgt weitestgehend der Formeldefinition des BGH. Wo dies nicht der Fall ist, werden Paraphrasen angeboten. Eigenständige Formeln sind eher selten. 461 Z.B. BGH v. 27103184, NJW 1984, S. 2765 (2766); v. 15105186, BGHZ 98, 70 (73 f.); Bork [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, S. 11 (39) mit einer "Mischform"; Tlzomas I Putzo (ZPOJ, 1995, § 1044 Rz 7; Marx (Schiedssprüche], 1994, S. 14; 11.1. Maier [MünchKomm-ZPO], 1992, § 1044 Rz 11; Raeschke-Kessler [Entwicklungen], NJW 1988, S. 3041 (3050); Engellrardt [Schiedsgerichtsbarkeit], JZ 1987, S. 227 (232).
462 Vgl. schwBG v. 09102/77, BGE 103 Ia 199 (204); v. 13103185, BGE 111 Ia 12 (14); knapper Urt. v. 03703193, BGE 119 II 264 (266). Weitere Nachweise z.B. bei Lenz [punitive damages], 1992, S. 140; Stojan [Anerkennung], 1986, S. 147. Waller I BoschI Bröwzimann [Schiedsgerichtsbarkeit], 1991, S. 226 lehnen sich an die Reichsgerichtsformel an. Für den kollisionsrechtlichen ordre public z.B. schwBG v. 0510511976, BGE 102 Ia 574 (581). 463 Übersetzung von Weigand [dt.-sp. Rechtsverkehr], 1992, S. 232 m.w.N. Vgl. hierzu auch M..l. Schmidt [Durchsetzung], 1991, S. 187 f.
8 Völker
§ 3 Methoden der Konkretisierung
114
Geimer bietet für den materiellrechtlichen ordre public immerhin die von der des BGH etwas abweichende Variante an, "die nichtbeachtete bzw. falsch angewandte deutsche Norm muß [...) vom Standpunkt der Werteordnung des deutschen Rechts schlechthin von elementarer Bedeutung sein und deshalb absolute Durchsetzung erheischen."464 Den verfahrensrechtlichen ordre public versucht er mit dem Verstoß gegen "grundlegende Forderungen prozessualer Gerechtigkeit [...], von denen wir einfach nicht abgehen können, ohne daß das Rechtsgefühl auf das tiefste verletzt würde"465 faßbarer zu machen.
V. Ergebnis Die Fassungen der Vorbehaltsklauseln sind beinahe so zahlreich wie ihre Gesamtzahl. Keine besticht durch besondere Prägnanz oder größere Klarheit. Versuche, aus dem Wortlaut Leitlinien zu destillieren, sind verdienstvoll, enden jedoch letztlich nur in weiteren, etwas weniger gesichtslosen Formeldefinitionen für unbestimmte Fallgruppen, die dann wieder untereinander wahllos kombiniert werden. Auch die ausführlichsten und "besten" Varianten sind weit von einer unmittelbar subsumtionsfähigen Definition im engeren Sinne entfernt466. Das Ergebnis der ersten Annäherung charakterisieren die Worte Martinys "Es kommt [... ] nicht so sehr darauf an, wie man den ordre public formuliert, sondern wie man ihn handhabt."467 Umso wichtiger für einen überzeugenden Einsatz der Klausel ist deshalb eine fundierte Strukturierung, die mit dem folgenden Ansatz versucht werden soll.
464 Geimer [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 152. 465 Geimer [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 155. Ebso ders. [EWG-Übk], RIW 1976, S. 139 ( 148); ders. [Verfahren j, JZ 1969, S. 12 ( 13); Geimer I Schütze [lntUrtAn 1/1], 1983, s. 1052.
466 Vgl. hierzu auch Spickhoff[ordre publicj, 1989, S. 86. 467 Martiny [Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 1175. Ähnl. Lüderitz [!PR], 1992, Rz 203.
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung -
System mit drei Variablen
Die Inhaltsbestimmung des ordre public im konkreten Fall vollzieht sich nach dem hier vorgeschlagenen System in drei Grundschritten. Als notwendige, aber noch nicht hinreichende Bedingung des Eingreifens der Vorbehaltsklausel ist zunächst zu entscheiden, ob die durch die Anerkennung durchbracheneo deutschen Rechtsprinzipien solche von grundlegendem Gewicht sind468 . Ist dies schon zu verneinen, scheidet ein ordre public-Verstoß aus. Die Bezeichnung System mit drei Variablen ist insofern etwas unscharf, als der erste Aspekt der Klarheit wegen und in Einklang mit dem Wortlaut der autonomrechtlichen Vorbehaltsklauseln auf eine Ja/Nein-Entscheidung reduziert werden kann. Die Differenzierung in Rechtsgrundsätze von "höherer" und "geringerer Fundamentalität" hätte rabulistische Züge ohne zu einem Gewinn an Einzelfallgerechtigkeit zu führen 469 .
Der zweite Schritt470 ist die Feststellung, wie weitgehend die Abweichung von den deutschen Wertungen ist. Als dritter Schritt471 wird Art und Ausmaß der Inlandsbeziehung bewertet. Inlandsbezug und Abweichung des Ergebnisses von deutschen Wertungen haben hierbei eine Art Matrixfunktion472 •
A. Die "wesentlichen Grundsätze" Nach ganz überwiegender Auffassung und der Absicht des historischen Gesetzgebers ist die 1986 ins Gesetz gekommene Formulierung von den "wesentlichen" Grundsätzen lediglich eine Zusammenfassung der Ausdrucks-
468
Vgl. sogleich unten S. 115 ff.
A.A. Bu11gert [Inlandsbezug), ZIP 1993, S. 815 (818 Fn 33), der aber die Problematik erkennt und wohl deshalb wiederum den Grad der Abweichung nicht gewichtet. 469
s•
470
Vgl. unten S. 203.
471
Vgl. unten S. 231.
472
Vgl. unten S. 235.
116
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
weise der alten Vorschriften 473 . Es ergibt sich auch insoweit keine sachliche Änderung gegenüber den Fassungen der Vorbehaltsklauseln vor der Reform 474 . Demgegenüber wird von wenigen vertreten, der so umschriebene Begriff sei wesentlich weiter als die alte Fassung vom Gesetzeszweck und den guten Sitten 475 . Wieder andere konstatieren genau das Gegentei1 476. Weder der neue Wortlaut noch die Materialien oder ein praktisches Bedürfnis zwingen aber zur einen oder anderen Wertung. Die ohnehin im Bereich der Vorbehaltsklauseln bestehende hohe Rechtsunsicherheit würde ohne Not weiter vergrößert, da die Übertragbarkeit älterer Rechtsprechung damit in Frage gestellt wäre. Allerdings dürfte die von Wengler477 noch unter Geltung der alten Fassungen der Vorbehaltsklauseln geäußerte Ansicht, daß über deren Eingreifen allein das Maß der Abweichung vom deutschen Recht und nicht auf ein besonderes Gewicht der konterkarierten Regelung abzustellen sei, nach dem eindeutigen Wortlaut der Neufassung inzwischen nicht mehr haltbar sein. Von den Vorbehaltsklauseln nicht gemeint sind sicher solche "Grundsätze", deren Gehalt sich darin erschöpft, den Gegensatz zu einer "Ausnahme" zu bilden478 . Die "wesentlichen Grundsätze" der Vorbehaltsklausel sind insbesondere auch sehr viel enger als die in § 9 Abs. 2 AGBG erwähnten479 . Orientiert man sich an der Formulierung der Klausel im autonomen Recht, muß diesen Grundsätzen vielmehr "grundrechtsentsprechendes Gewicht" zukommen480, wie überhaupt die Tatsache, daß ein Recht oder Prinzip Verfassungsrang genießt, wohl ein gewichtiges aber nicht hinreichendes Indiz dafür ist, daß es sich auch um einen wesentlichen Grundsatz i.S. der Vorbehaltsklausel handelt481. Auch der inländischen zivilrechtliehen Sanktion oder der Strafbeweh-
473 So Begründung zum IPR-ReformG BT-Drucks. X/504, 1983, S. 43. Ebso LG Harnburg v. 04/02/93, FamRZ 1993, S. 980 (981). 474 Vgl. die ausführlichen Nachweise oben Fn 101. 475 Vgl. Hartmann [B/UNH-ZPOJ, 1996, § 328 Rz 30; Tltomas I Putzo [ZPO], 1995, § 328 Rz 16. Unklar Henn [SchiedsverfahrensRJ, 1991, S. 223. 476 Vgl. Basedow [Haftungsersetzung], IPRax 1994, S. 85. 477 Vgl. Wengier [RGRK], 1981, Bd. VI,§ 7 c 1, S. 74. 478 Vgl. Hartmann [B/UNH-ZPO], 1996, § 328 Rz 31. 479 Hierauf weist Schlosser (RipS], 1989, Rz 865 zu Recht hin. 480 So Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1714 Fn 97). 481 Vgl. Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 1044; Lüderitz [IPR], 1992, Rz 204; Baur [ordre public), FS-Guldener, 1973, S. 1 (18 f.); G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 91 f.
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
117
rung des Prinzips kann ein Hinweis auf die "Wesentlichkeit" entnommen werden 482 . Ohne Erkenntniswert ist hingegen die Feststellung einer hohen Regelungsdichte im deutschen Recht, die nicht automatisch auf einen besonderen Durchsetzungswillen hindeutet muß483 oder gar die bloße Feststellung, ob es sich bei dem von der ausländischen Entscheidung konterkarierten deutschen Rechtssatz um zwingendes oder disponibles Recht handelt. Nicht zu folgen ist in diesem Zusammenhang dem Ansatz Baurs484, bei Verstoß des Erstrichters gegen eine zwingende Regel seines Verfahrensrechts, die identisch mit einer deutschen zwingenden verfahrensrechtlichen Norm ist, sei ohne Rücksicht auf deren Gewicht ohne weiteres ein ordre public-Verstoß anzunehmen. Dies wäre einerseits nur im Rahmen einer revision au fand des ausländischen Verfahrens möglich485 und widerspräche zudem dem kaum zu bestreitenden Prinzip, daß vom zwingenden Charakter der inländischen Norm nicht unmittelbar auf deren "Anerkennungsfestigkeit" geschlossen werden kann. Die Kombination zweier - isoliert betrachtet- unzulässiger Überlegungen kann nicht zu einem zulässigen Schluß führen. Gelegentlich wird in diesem Zusammenhang auch der Umkehrschluß gezogen, ein ordre public-Verstoß sei bei einer Abweichung von dispositivem deutschem Recht unmöglich 486. Habscheid487 führt zu Recht als Gegenbeispiel die Garantie des rechtlichen Gehörs an, auf das bekanntlich verzichtet werden kann.
I. Ordre Public und Verfassung Das Grundgesetz ist sicher Basis der deutschen öffentlichen Ordnung488 • Aber auch die deutsche Verfassung gilt, wie jedes andere nationale Gesetz, nur im Inland. Eine Entscheidung über die Anerkennung eines ausländischen Hoheitsakts oder auch eines Schiedsspruchs sowie der daraufhin erfolgende
482
Vgl. Liideritz [IPRJ, 1992, Rz 204.
483
Ebso Lüderitz [IPRJ, 1992, Rz 204.
4 84
Vgl. Baur [ordre public], FS-Guldener, 1973, S. 1 (14).
485
Zurrevision au fondunten S. 223.
Vgl. Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 425; Wieczorek [ZPOJ, 1976, § 328 Anm. E IV c 1; G.H. Rollt [Vorbehalt], NJW 1967, S. 134 (135). Ebso die Auffassung in Frankreich, vgl. Fricke [Frankreich], IPRax 1989, S. 202 (207 m.w.N.). A.A. Seimmann [St/J-ZPOJ, 1988, § 328 Rz 225. 486
48 7 Vgl. Habscheid [ordre public], FS-Keller, 1989, S. 575; zust. Kilgus [Schiedssprüche), 1995, S. 160. Weitere Beispiele bei Schlosser [St/J-ZPO), 1994, § 1041 Rz 29. 488
So Martiny [Hdb IZVR Ill! 1), 1984, Rz 178.
118
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
Vollstreckungszugriff der deutschen Vollstreckungsbehörden, sind aber Akte der deutschen öffentlichen Gewalt und fallen demgemäß in den Schutzbereich der Art. 1 Abs. 3, 19 Abs. 4 S. 1 und 20 Abs. 3 GG489• Der nationale Hoheitsakt der Vollstreckbarerklärung und die vorhergehende Prüfung der Anerkennungsfähigkeit müssen sich, wie jeder andere Hoheitsakt, der auf inländische Rechtsverhältnisse einwirkt, damit unzweifelhaft an den Geboten des Grundgesetzes orientieren490• Die Tatsache aber, daß ein Rechtssatz Aufnahme in die Verfassung gefunden hat, bedeutet zunächst lediglich, daß er aus bestimmten politischen Erwägungen und geschichtlichen Erfahrungen für die rein inländischen Sachverhalte unabdingbar sein sollte. Ob er allein deshalb aber mit derselben Stringenz auch gegenüber Rechtsverhältnissen, die ihren "Sitz" und ihre Auswirkungen zu einem nicht unerheblichen Teil im Ausland haben, Geltung beansprucht, ist damit noch nicht gesagt491 • Es ist deshalb auch zulässig, dem praktischen Bedürfnis nachzukommen, die einschlägige Verfassungsnorm mit ihrem für Inlandssachverhalte detaillierten Inhalt nicht direkt und schematisch auf den Auslandssachverhalt anzuwenden. Vielmehr kann auch hier auf die hinter der entsprechenden Verfassungsnorm stehenden Grundwertung als Maßstab zurückgegriffen werden 492 • Alle Verästelungen der deutschen Dogmatik zum sicherlich grundlegenden verfassungsrechtlichen Anspruch auf den gesetzlichen Richter "ungehemmt" auch auf die Verfahren vor ausländischen Gerichten anzuwenden, bedeutete sicher eine Überspannung der Anforderungen493 und würde insbesondere auch den wohlverstandenen Interessen der Parteien, die ja dem fremden Prozeß- und Gerichtsverfassungsrecht ohne eigene Einwirkungsmöglichkeit unterworfen sind, in vielen Fällen zuwiderlaufen. Festzuhalten bleibt damit, daß zumindest außerhalb des Bereichs der Grundrechte ein Verstoß gegen eine Norm mit Verfassungsrang allein noch keine Verletzung des ordre public begründet494• Schon gar nicht ausreichend ist die 48 9 Vgl. BVerfG v. 22/03/83, BVerfGE 63, 343 (375 f.); Martiny [Hdb IZVR Ill/1], 1984, Rz 164. Vgl. a. Kohler (Einheit], IPRax 1992, S. 277 (283). Ebso für den
ausländisches Recht anwendenden deutschen Richter i.R.v. Art. 6 EGBGB BVerfG v. 04/05/71, BVerfGE 31,58 (75 f.). 490 Vgl. Martiny [Hdb IZVR lll/1], 1984, Rz 177. 491 Ähnl. Baur [ordre public], FS-Guldener, 1973, S. 1 (18) für die Justizgrundrechte. 492 Vgl. Martiny [Hdb IZVR III/ 1), 1984, Rz 1001; G.H. Roth [Anm. zu BGH v. 18/10/67], ZZP 82 (1969), S. 152 (154 f.). 493 Dieses Beispiel nennt Baur [ordre public], FS-Guldener, 1973, S. 1 (18). 494 Vgl. BGH v. 16/09/93, BGHZ 123, 268 (272); Geimer [Verfassung), ZfRVgl 33 (1992), s. 321 (409).
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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bloße, abstrakte Unvereinbarkeit des die Entscheidung tragenden ausländischen
Rechts mit deutschem Verfassungsrecht495 . Weiterhin besteht die Gefahr, daß
insbesondere die verfassungsrechtliche Argumentation im Kern auf eine revision au fond abzielt496 .
1. Ordre public und Grundrechte Kein anderes Rechtsgebiet beschreibt den Kernbestand des inländischen Rechts so deutlich wie das Verfassungsrecht, und dort insbesondere die Grundrechte497. Ihnen im Kontext des kollisionsrechtlichen wie des anerkennungsrechtlichen ordre public eine zentrale textliche Bedeutung zukommen zu lassen, ist deshalb im Ansatz durchaus konsequent. Auch im Ausland kommt den Menschen- und Bürgerrechten im Rahmen der ordre public-Prüfung eine herausragende Bedeutung zu 498. Die Erwähnung der Grundrechte ist aber nach den Materialien zur Novelle des Internationalen Zivilverfahrensrechts lediglich ein "im wesentlichen klarstellender Hinweis" 499 und nichts anderes als ein Beispiel, was unter we-
495 Vgl. Martiny (Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1001. 496 Ebso Martiny (Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 179. Ähnliche Befürchtungen bei Simitis (Kodifikation], 1970, S. 267 (291). Dieselbe Gefahr in der spanischen Praxis sieht Kar/ (Spanien], 1993, S. 52 f., 152. 497 Vgl. Speilenberg (Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 412; Martiny (Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 178, 1000; Simitis [Kodifikation], 1970, S. 267 (277); G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 91; Hohloclz [Erman-BGBJ, 1993, Art. 6 Rz 18 im Rahmen des Kollisionsrechts. Ähnl. Geimer [Zöller-ZPOJ, 1995, § 328 Rz 153, der aber gleichzeitig zur Zurückhaltung außerhalb des eigentlichen Grundrechtsbereichs mahnt, s.f. Geimer [Anerkennung), 1995, S. 22; ders. [Verfassung], ZfRVgl33 (1992), S. 321 (409). 498 Vgl. z.B. für das englische Recht Cheslzire I North I Fawcett [PrlntL), 1992, S. 132 f. Die unmittelbare Berücksichtigung der Grundrechte und Grundfreiheiten der spanischen Verfassung im Rahmen der Urteilsanerkennung betont auch die spanische Rspr., vgl. Karl [Spanien]. 1993, S. 51 f., 63 f.; Weigand [dt.-sp. Rechtsverkehr], 1992, S. 232 jew. m. Nachw. 499 Vgl. Regierungsbegründung zur IPR-Novelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 89 (zu §§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO sowie den Parallelnovellierungen von §§ 1041, 1044 ZPO).
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung - System mit drei Variablen
sentlichen Grundsätzen zu verstehen ist500. Ihre Erwähnung bringt damit keine Neuerung gegenüber der alten Fassung501 . Eine solche war auch unter dogmatisch Gesichtspunkten nicht angezeigt502. Schon nach der maßgeblich von Dürig503 entwickelten und vom BVerfG im "Lüth"-Urteil504 übernommenen Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte auf den Rechtsverkehr zwischen der Grundrechtsbindung nicht direkt unterworfenen Privaten, spielen diese in die Auslegung der (zivilrechtlichen) Generalklauseln hinein. Danach entfalten sich die Grundentscheidungen des Grundgesetzes "durch das Medium derjenigen Vorschriften [ ... ], die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen, und die Grundrechte insbesondere bei der Interpretation der zivilrechtlichen Generalklauseln für die Rechtsverhältnisse der Bürger Bedeutung erlangen."505 Die Parallele zu den hier untersuchten Generalklauseln liegt auf der Hand506. Auch im Rahmen der ordre public-Prüfung geht es um die Frage der "Drittwirkung" von Grundrechten auf ausländische Instanzen, Organe oder Personen, die als solche von der Grundrechtsbindung nicht erfaßt werden. Schon die alte Formulierung der Vorbehaltsklausel konnte damit dogmatisch als "Einfallstor der Grundrechte"507 fungieren. Mehr Bedeutung als im Rahmen der anerkennungsrechtlichen ordre publicKiausel, scheint die Regierungsbegründung seltsamerweise der entsprechenden Formulierung in dem von S. 1 "unabhängigen" 508 S. 2 des Art. 6 EGBGB n.F. 500 Ebso C. v. Bar [IPR I], 1991, Rz 633. Ähnl. Tlromas I Putzo (ZPOJ, 1995, § 328 Rz 17. 501 Ebso für die Parallelnovellierungen des §§ 1041 Abs. 1 Nr. 2, 1044 Abs. 2 Nr. 2 ZPO Schwab / Walter [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 24 Rz 17; Wunderer [arbitrage], 1993, S. 35; Marx (Schiedssprüche], 1994, S. 5; sowie für Art. 30 EGBGB a.F./ Art. 6 EGBGB n.F. C. v. Bar [IPR 1], 1991, Rz 632; Jayme [Methoden], 1989, S. 14 f.; Gottwald [Entwurf], IPRax 1984, S. 57 (61). 502 Ähnl. aus rechtsvergleichender Sicht Lalive [public policy], 1987, S. 257 (226 f. Nr. 25). 503 Diirig (M/D-GGJ, 1958, Art. 1 GG Rz 127 ff. Vgl. hierzu z.B. Spiekiroff [ordre public], 1989, S. 118 m.w.N.; ders. [Eheschließung], JZ 1991, S. 323. Dagegen und für eine unmittelbare Grundrechtsbindung aus der Zivilrechtslehre neuerdings insbes. Canaris [Übermaßverbot], JZ 1987, S. 993 f. m.w.N. auf verfassungsrechtliche Literatur. 504 BVerfG v. 15/01!58, BVerfGE 7, 198 (204 ff.). Ebso BVerfG v. 19/ l0/93, NJW 1994, S. 36 (38) u. ständig. 505 BVerfG v. 15/01/58, BVerfGE 7, 198 (205 ff.). 506 Ebso Liideritz (I PR), 1992, Rz 209. 507 Vgl. BVerfG v. 04/05/71, BVerfGE 31, 58 (74) betr. Art. 30 EGBGB a.F. bzw. allgemeiner BVerfG v. 15/01/58, BVerfGE 7, 198 (206). 508 Vgl. BT-Drucks. X/504, 1983, S. 44.
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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zuzumessen. Hieraus schließt Spickhoff509 , bei der Erwähnung der Grundrechte handle es sich um einen speziellen, vorrangig zu prüfenden Sonderfall. Dem im Zusammenhang mit den Grundrechten fehlenden Erfordernis der "Offensichtlichkeit" des Verstoßes könnte dann eine eigenständige Bedeutung zukommen. Auch die Antwort auf die Frage, ob man im Rahmen der Vorbehaltsklausel unter Grundrechten nur die mit eben diesem Terminus überschriebenen Art. 1 bis 19 GG510 oder auch noch das von vielen so bezeichnete "Prozeßgrundrecht" 511 Art. 103 Abs. 1 GG auf rechtliches Gehör rechnen will, wäre dann von einer gewissen Relevanz. Eine solche Auffassung würde aber dem Wortlaut der Klausel ohne sachliches Bedürfnis zuviel Ehre erweisen. Oben512 wurde nachgewiesen, wie wenig sinnvoll ein zu starkes Verhaften hieran erscheint, und zu welchen Wertungsproblemen dies im Verkehr mit unterschiedlichen Staaten führen kann. Betrachtet man die Erwähnung der Grundrechte hingegen als lediglich beispielhaft und mißt dem Fehlen des Wortes "offensichtlich" auch im Kontext der Grundrechte keine inhaltliche Bedeutung zu, sind die angeschnittenen "Qualifikationsprobleme" eliminiert. Martinys513 Warnung anläßlich der Diskussion um die Novellierung der Vorbehaltsklausel, die Erwähnung der Grundrechte sei unzweckmäßig, wird vor diesem Hintergrund verständlich. Wie wenig technisch die Verwendung des Begriffs Grundrechte zu sehen ist, wird im übrigen auch aus den Materialien ersichtlich, nach denen sich Grundrechte und vergleichbare Menschenrechte nicht nur aus Grundgesetz und den Landesverfassungen, sondern auch aus den menschenrechtliehen Übereinkommen, die nicht Verfassungsrang genießen, ergeben sollen514 . Dies erscheint 509
(324).
Spickhoff [ordre public], 1989, S. 122; ders. [Eheschließung], JZ 1991, S. 323
510 So Hartmann [B/UNH-ZPO], 1996, § 328 Rz 33.Ebso AG Hamburg-Altona v. 11/09/91, FamRZ 1992, S. 82 (83). Zu Art. 33 Abs. 5 und Art. 34 GG sogleich unten S. 144. Sll Vgl. so dezidiert z.B. BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (321); Speilenberg [Staudinger-12), 1992, § 328 ZPO Rz 66. Ähnl. Sclrmidt-Aßmann [M/0-GGJ, 1988, Art. 103 Rn 4 m. Nachw. zum (schwankenden) Sprachgebrauch insbes. in der Rspr. des BVerfG. Zu ausländischen "Grundrechten" bei ausländischem Sachstatut vgl. Schlosser [St/J-ZPO), 1994, § 1041 Rz 27e. 512
Vgl. oben S. 102.
m
Martiny (Hdb IZVR IIUl), 1984, Rz 1172.
Vgl. Regierungsbegründung IPR-Novelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 44; Firsching / 1'. Hoffmann [IPR], 1995, Rz 148; Kropholler [IPR], 1994, § 36 IV 2, S. 229; Heldriclr [Palandt-BGB), 1996, Art. 6 Rz 7; Thomas I Putzo (ZPO), 1995, § 328 Rz 17. 514
122
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
unter systematischen Gesichtspunkten fragwürdig515 , ist aber, sofern man ohnehin nur die noch hinter den Grundrechten stehenden Wertentscheidungen, die sich weitestgehend decken, als Leitlinie nimmt, unschädlich.
a. Grundrechte und Inlandsbezug Entscheidende Bedeutung bei der Frage der Auswirkungen der Grundrechte erreicht das Merkmal der lnlandsbeziehung516• Als Höhepunkt der Diskussion über die Existenzberechtigung und Notwendigkeit der Entwicklung eines "Internationalen Grundrechtsrechts" ist eine Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1971 zu sehen, die maßgeblich auch zur Novellierung der ordre publicVorschriften 1986 beitrug. (1) Die "Spanierentscheidung" des BVerfG Auch die Neuformulierung der Vorbehaltsklauseln im autonomen Internationalen Zivilprozeßrecht ist eine Konsequenz aus der Spanierentscheidung des BVerfG51 7• Der 2. Leitsatz der Entscheidung lautete: "Die Vorschriften des deutschen Internationalen Privatrechts und die Anwendung des im Einzelfall durch sie berufenen ausländischen Rechts im Einzelfall sind an den Grundrechten zu messen."
Leitsatz und Streitgegenstand betreffen unmittelbar nur den kollisionsrechtlichen ordre public518 • Dieser soll verhindern, daß wegen der an sich vorgeschriebenen Anwendung ausländischen Rechts bestimmte, nicht mit den Grundrechten in Einklang stehende Urteile gefällt werden müßten. Im Anerkennungsverfahren, das mittels Wirkungserstreckung qua Hoheitsakt eine Gleichstellung519 des ausländischen Urteils mit einem entsprechenden deut-
515
Einschränkend auch Holl/och (Erman-BGB], 1993, Art. 6 Rz 21.
Vgl. Kropholler (IPR], 1994, § 36 IV 1, S. 228; C. v. Bar [IPR 1), 1991, Rz 634; Spickhoff [ordre public], 1989, S. 124; ders. [Eheschließung), JZ 1991, S. 323 (324); Hoh/och (Erman-BGB], 1993, Art. 6 Rz 19. Zurückhaltend dagegen Sturm [Durchbruch], FamRZ 1972, S. 16 (20). Ausführlich zur Theorie von der Relevanz der Inlandsbeziehung unten S. 231. 516
517 BVerfG, 04/05/71, BVerfGE 31, 58 ff.; Regierungsbegründung zur IPR-Novelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 44; Jayme [Methoden], S. 14 f. Besonders lesenswert zu dieser vielkommentierten Leitentscheidung die pointierte Stellungnahme von Raape I Sturm [IPR 1], 1977, § 13 IV 5, S. 207 ff. 518 Damals Art. 30 EGBGB a.F. 519
Zur Wirkungserstreckung und Gleichstellung vgl. oben Fn 229.
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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sehen Urteil erreichen soll, muß aber dieselbe Überlegung Platz greifen520, denn auch hier gilt ja ohne Zweifel Art. 1 Abs. 3 GG. Zu fragen ist nämlich nach den Vorgaben des BVerfG ganz allgemein, "ob eine innerstaatliche Rechtshandlung deutscher Staatsgewalt in bezug auf einen konkreten Sachverhalt, der eine mehr oder weniger starke Inlandsbeziehung aufweist, zu einer Grundrechtsverletzung führt" 521 . Da die Reichweite der Grundrechte nach Ansicht des Gerichts in Fällen mit Auslandsbezug aus dem jeweiligen Grundrecht selbst herzuleiten ist522, sind die in reinen Inlandsfällen geltenden, verhältnismäßig gesicherten Maßstäbe nicht auf Fälle der Entscheidungsanerkennung übertragbar523 • Ansonsten würde "das Internationale Privatrecht aus den Angeln" gehoben 524• Es muß vielmehr die Einschränkung gemacht werden, daß nicht jedes Ergebnis, das bei einem reinen Inlandsfall grundrechtswidrig wäre, dies auch in einem Fall mit Auslandsberühruns sein muß, denn ein Grundrecht kann wesensgemäß eine bestimmte Beziehung zur Lebensordnung im Geltungsbereich des Grundgesetzes voraussetzen525 • Eine Abweichung der ausländischen Entscheidung von einer Grundrechtsnorm bedeutet noch nicht gleichzeitig eine Grundrechtsver-
/etzung526.
5 20 Vgl. Bu11gert [Inlandsbezug), ZIP 1993, S. 815 (818 f.). Ebso Wunderer [arbitrage), 1993, S. 35 für die Anerkennung von Schiedssprüchen. Zweifelnd lekoll [enforceability], ColumJTransnat'IL 30 (1992), S. 641 (654). 521
BVerfG v. 04/05171, BVerfGE 31, 58 (75).
Vgl. BVerfG v. 04/05171, BVerfGE 31, 58 (73, 77); C. v. Bar [IPR 1), 1991, Rz 633; Martiny [Hdb IZVR 111/1 ), 1984, Rz 167; Kegel [IPR), 1995, § 16 VIII, S. 382; Hohloch [Erman-BGB), 1993, Art. 6 Rz 19. 522
m
Vgl. Marti11y [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 617.
524
Vgl. BVerfG v. 04/05/71, BVerfGE 31, 58 (76).
BVerfG v. 04/05171 , BVerfGE 31, 58 (77); BGH v. 18/10/67, BGHZ 48, 327 (332); v. 20/12/72, BGHZ 60, 68 (78 f.); Regierungsbegründung zur IPR-Novelle, BTDrucks. X/504, 1983, S. 44; deutlich Schlosser [St/J-ZPO], 1994, § 1041 Rz 27e; Marti11y [Hdb IZVR 111/1 ), 1984, Rz 181; Wunderer [arbitrage], 1993, S. 35. Ebso Hohloch [Erman-BGB), 1993, Art. 6 Rz 19; ähnlich Kropholler [IPR), 1994, § 36 IV 1, S. 227; Heldrich [Palandt-BGB), 1996, Art. 6 Rz 7 und schon Simitis [Kodifikation), 1970, S. 267 (291) für das Kollisionsrecht 5 25
526 Entsprechend Kroplwller [IPR), 1994, § 36 IV 1, S. 228; Kegel [IPR), 1995, § 16 VIII, S. 383; Lüderitz [IPR), 1992, Rz 210 für die kollisionsrechtliche Vorbehalts-
klausel.
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
(2) Bewertungen Als tragendes dogmatisches Fundament der auch noch nach der Spanierentscheidung umstrittenen These527, die Grundrechte wirkten in den hier untersuchten Fällen mit Auslandsbezug nicht so "schroff" wie in reinen lnlandsfällen, überzeugt insbesondere ein - hier auf das Internationale Zivilverfahrensrechi übertragener und erweiterter - Ansatz von Kegel528 : Die Grundrechte prägen insbesondere die Vorstellungen von materiellprivatrechtlicher und materiellverfahrensrechtlicher (sachlicher) Gerechtigkeit, wie wir sie verstehen. Diese ist aber im Ausgangspunkt gegenüber der internationalverfahrensrechtlichen und internationalprivatrechtliehen (räumlichen) Gerechtigkeit generell nachrangig529 • Das deutsche Wesen soll nicht allen greifbaren Sachverhalten ohne Berücksichtigung der Auslandsbeziehung aufoktroyiert werden. Vielmehr kommt nur der in ihnen wohnende "harte Kern" an unveräußerlicher materieller Gerechtigkeit auch gegenüber ausländischem Recht und ausländischen Rechtssetzungsakten zum Tragen. Terminologisch ähnlich äußert sich der BGH, der vom durch die Vorbehaltsklausel geschützten "Wesenskern" 530 oder "Kernbereich" 531 eines Grundrechts oder eines grundrechtsgleichen Rechts532 spricht. Auch das BVerfOS33 hält in einer späteren Entscheidung zum deutsch-österreichischen Rechtshilfevertrag vor dem Hintergrund der "Entscheidung des Grundgesetzes zugunsten der internationalen Zusammenarbeit und( ... ] (der) hinter der Gesamtregelung [... ]stehenden deutschen Interessen"
eine Wahrung des "Wesensgehaltes" der Grundrechte für ausreichend. Um aber eine vermutlich zu weit gehende Parallele zur staatsrechtlichen Theorie vom "Wesensgehalt" der Grundrechte zu vermeiden, bietet sich die
527 Zweifelnd bis ablehnend z.B. Raape I Sturm [IPR 1], 1977, § 13 VI 5, S. 217 f.; Stöcker (ordre public], RabelsZ 38 (1974), S. 79 (85); lekoll [enforceability], ColumJTransnat'IL 30 ( 1992), S. 641 (653). 528 Vgl. Kegel (IPR], 1995, § 16 VIII, S. 382. 529 So für das Verhältnis internationalprivatrechtlicher zu materiellprivatrechtlicher Gerechtigkeit Kegel [IPR], 1995, § 2 I, S. 107; Wa11dt (IntProdhaftg], 1995, Rz 546.
530
Vgl. BGH v. 16/09/93, BGHZ 123, 268 (272).
531
Vgl. BGH v. 11/04/79, NJW 1980, S. 529 (531).
532
Hier Art. 33 Abs. 5 GG bzw. Art. 103 Abs. 1 GG.
Vgl. BVerfG v. 22/03/83, BVerfGE 63, 343 (380). Ähnl. ("der wesentliche Kern") im Beschl. v. 09/03/83, BVerfGE 63, 322 (338) betreffend die Anforderungen an ein ausländisches Strafverfahren. 533
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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Übernahme einer von Schlosser534 auf einer allgemeineren, nicht auf den Grundrechtsbereich beschränkten Ebene entwickelten, terminologischen Differenzierung an. Er unterscheidet zwischen einem klaren, von niemandem bezweifelten "Begriffskern" einer Norm, die in ihrer Hauptstoßrichtung zweifelsfrei zum ordre public gehört. Dies trifft wohl auf die meisten Grundrechte zu. Um diesen Kern befindet sich in aller Regel ein diskussionswürdiger, regelmäßig Meinungsverschiedenheiten unterliegender Randbereich, den Schlosser "Begriffshof" nennt. In Fällen mit internationalen Bezügen zwingt nur eine Verletzung des "Begriffskerns" eines Grundrechts zum Einsatz der VorbehaltsklauseL Ist nur der in seinem Umfang diskutierte "Begriffshof" tangiert, und nach der überwiegenden Meinung für einen Inlandsfall auch verletzt, muß dies noch nicht den ordre public auf den Plan rufen. Einen dogmatisch etwas anderen Weg geht in diesem Zusammenhang Spellenberg535, der die Reichweite der Grundrechte nicht nur über das Element des Inlandsbezugs von den für Inlandsfälle entwickelten Maßstäben lösen will, sondern schon im Ansatz "den 'verfassungsrechtlichen ordre public' auf eine Art "Kembereich"536 der Grundrechte [...] beschränken" will. Dieser Kernbereich soll aber gerade nicht im selben Sinn verstanden werden wie in der verfassungsrechtlichen Diskussion um den "Wesensgehalt". Auch Martiny537 spricht sich gegen eine unmittelbare Übertragbarkeit der für reine Inlandsfälle entwickelten Maßstäbe aus, will aber dort die Grundrechte ohne Abschwächung zum Zuge kommen lassen, wo sie - ausnahmsweise - staatliche Belange regeln und die Entscheidungsanerkennung die Rechtsordnung empfindlich stören würde538 . Das bedeutet im Ergebnis zum Beispiel, daß auch bei deutscher Staatsangehörigkeit der Grundrechtsschutz selbst der "Deutschengrundrechte" nicht uneingeschränkt gilt539 • Martiny540 zieht sogar den Umkehrschluß und ist der Ansicht, daß bei denjenigen Grundrechten, die gerade nicht nach der Staatsangehörigkeit differenzieren, diese überhaupt kein geeignetes Kriterium für den Inlandsbezug sei541 . Dem ist jedenfalls für den Fall zuzustimmen, daß
534 Vgl. Schlosser [St/J-ZPOJ, 1994, § 1041 Rz 24, 28a.; ders. [RipS), 1989, Rz 867. 535 Speilenberg [Staudinger-12), 1992, § 328 ZPO Rz 411. 536 Vom Kernbereich sprechen auch Marx [Schiedssprüche), 1994, S. 5 und Geimer [Zöller-ZPOJ, 1995, § 328 Rz 153. 537 Martiny [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 1004. 538 539 540 541
Als Beispiel nennt Martiny Art. 16 GG a.F. Vgl. Martiny [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 181. Martiny [Hdb IZVR III/1), 1984, Rz 181. Ähnl. Kilgus [Schiedssprüche), 1995, S. 158.
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthaltsort des Betroffenen im Inland liegt542. b. Grundrechte und "Offensichtlichkeit" des Verstoßes Die Aussage, in einem Verstoß gegen Grundrechte liege immer ein "offensichtlicher Verstoß gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts" 543, ist wohl nahezu inhaltsleer544, jedenfalls aber mißverständlich. Die Formulierung dürfte auf dem Satz im Spanierbeschluß des BVerfG545 fußen, es dürfe im Rahmen der ordre public-Prüfung nicht zwischen "tragbaren und untragbaren Grundrechtsverletzungen" unterschieden werden. Die "Offensichtlichkeit" des Verstoßes kann aber, wie eben erörtert, nicht unter Verweis auf die für Inlandsfälle entwickelten Maßstäbe begründet werden. Deshalb hilft auch die Bewertung Schlossers546 gerade in den auch von ihm in dieser Hinsicht differenzierend betrachtenden Fällen mit Auslandsbezug nicht weiter, die "Offensichtlichkeit" des Verstoßes fehle überall da, "wo der Einfluß eines Grundrechts auf die Privatrechtsbeziehungen nicht durch Entscheidungen des BVerfG einwandfrei geklärt" sei. Vielmehr sind Reichweite und Geltungswille des entsprechenden Grundrechts für auslandsbezogene Sachverhalte nach seinem Wortlaut und seiner Funktion, unter Berücksichtigung der Gleichstellung anderer Staaten und der eigenen Regelungskompetenz ihrer Rechtsordnungen zu ermitteln547 . Definiert man den Grundrechtsverstoß so, ist in der Tat das lediglich auf eine generell restriktive Handhabung der Vorbehaltsklausel dringende Merkmal der "Offensichtlichkeit" 548 auch im textlichen Zusammenhang der Erwähnung der Grundrechte überflüssig549 .
542 Ebso Sturm [Durchbruch), FamRZ 1972, S. 16 (20). Zur Staatsangehörigkeit als Kriterium des Inlandsbezuges allgemein unten S. 238. 543 So Regierungsbegründung zur IPR-Novelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 44 im Zshg. mit Art. 6 EGBGB; ähnl. Spickhoff [ordre public), 1989, S. 127; ders. [Eheschließung), JZ 1991, S. 323 (324). 544 Dezidiert a.A. Spickltoff(ordre public], 1989, S. 126 für Art. 6 S. 2 EGBGB; ihm folgend Lagarde [public policy), 1994, S. 47. 5 45 BVerfG v. 04/05/71, BVerfGE 31, 58 (86). 546 Vgl. Schlosser [St/J-ZPOJ, 1994, § 1041 Rz 27e. 547 Vgl. BVerfG v. 04/05171, BVerfGE 31, 58 (71, 87). Zust. Kropholler [IPR], 1994, § 36 IV 1, S. 228. 548 Vgl. dazu schon oben S. 104. 549 Ebso Kilgus [Schiedssprüche), 1995, S. 160.
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
127
c. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG- Faires Verfahren In Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip wird nach herrschender Auffassung das Gebot eines fairen Verfahrens angesiedelt, soweit es sich nicht mit dem spezielleren Schutzbereich des Art. 103 Abs. 1 GG überschneidet550• Die Einhaltung eines "faires Verfahrens" ist ohne Zweifel ein wesentlicher Grundsatz des deutschen Rechts i.S.d. ordre public551 • Die englische Doktrin spricht in ähnlichem Zusammenhang von "natural justice" bzw. "fair trial" 552, die US-Lehre von "procedural due process" 553 • Zu den Kernanforderungen an ein "faires Verfahrens" in diesem Sinne gehören zweifelsohne die ordnungsgemäße Zustellungen entscheidender Schriftsätze, Ladungen und die tatsächliche Möglichkeit der Einflußnahme und aktiven Gestaltung des Verfahrens, selbst oder durch rechtskundige Beistände. Wie so oft im Rahmen des ordre public dürfte der Ansatz unstreitig sein, die Grenzziehung im konkreten Fall aber umso unklarer. Zwei häufiger auftretende Aspekte seien zunächst herausgegriffen. (1) Möglichkeit der Einflußnahme auf das Verfahren Das Gebot der Achtung der Menschenwürde wird verletzt, wenn dem Verfahrensbeteiligten lediglich die Rolle eines passiven Verfahrensobjekts, ohne Möglichkeit der aktiven Gestaltung des Verfahrens zugestanden wird 554 • 550 Vgl. Schmidt-Aßmann (MID-GGJ, 1988, Art. 103 Rn 9 m.w.N. Zu Art. 103 Abs. 1 GG sogleich unten S. 137 ff. 551 Vgl. Geimer [Anerkennung], 1995, S. 23, 135; ders. [Zöller-ZPOJ, 1995, § 328 Rz 155; ders. [IZPRJ, 1993, Rz 2948; Marti11y [Hdb IZVR Ill/1 ], 1984, Rz 214, 1097; Baur [ordre public], FS-Guldener, 1973, S. 1 (19); Schwab I Walter [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 30 Rz 21. Ebso für die Schweiz Hauser [Schweiz], FS-Keller, 1989, S. 589 (596); Stojan [Anerkennung], 1986, S. 155. 552 Vgl. Clreslrire I Nortlr I Fawcett [PrlntLJ, 1992, S. 131, 384 ff., 426 f.; McClean [Morris-Conflict], 1993, S. 117; Kaye [enforcement], 1987, S. 1443; Hartley [judgements), 1984, S. 89 ff.; Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1469 Fn 18; Neuhaus [Grundbegriffe), 1976, S. 42 Fn 120 m.w.N. 553 Vgl. Bu11gert [Verhältnismäßigkeit], VersR 1994, S. 15 (20); Hay [enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729; Verwilghen [UVÜ-Bericht], 1983, BT-Drucks. X/258, S. 45. S. a. Sclrmidt-Aßmann [M/D-GGJ, 1988, Art. 103 Rn 9.
554 Vgl. BGH v. 18110/67, BGHZ 48, 327 (333); v. 19/09/77, NJW 1978, S. 1114 (1115); V. 11/04/79, NJW 1980, s. 529 (531); V. 21/03/90, NJW 1990, s. 2201 (2203); v. 04106!92, BGHZ 118, 312 (321) m.w.N. Zust. Geimer [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 155; Kornblum [ordre public], 1987, FS-Nagel, S. 140 (153); Kropholler [EuZPR], 1993, Art. 27 Rz 11; Stiefel I Bwrgert [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (765). Ebso
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
Dieses Grundgebot eines menschenwürdigen, rechtsstaatliehen Verfahrens ist beispielsweise in einem nicht mehr tolerablen Umfang verletzt, wenn dem Betroffenen vor einer Entscheidung keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde 555 . Dasselbe kann faktisch auch durch Bemessung völlig unzureichender Fristen eintreten556. Eine ausreichende Einflußnahme auf das Verfahren setzt ferner voraus, daß den Parteien die prinzipielle aber auch tatsächliche Möglichkeit der Zuhilfenahme eines rechtskundigen Beistands eröffnet gewesen sein mußte557 . Das Fehlen eines Anwaltszwangs ist umgekehrt ebensowenig als Verstoß gegen den ordre public gewertet werden558 wie dessen Bestehen559. Das BVerfG behandelt die Fragen der Anwaltsvertretung, von Sprachproblemen oder innerprozessualer Fristen als Probleme des "fairen Verfahrens". Mit guten Gründen kann man diese Fragen systematisch auch an Art. 103 Abs. 1 GG festmachen560. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, daß die präjudizielle Unterscheidung in "Grundrechtsverstöße" und solche gegen andere "wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts" im Rahmen der Vorbehaltsklausel fragwürdig ist. (2) Anforderungen an den Spruchkörper Nach deutschem Verständnis von Rechtsprechung gehört zu deren Wesen ihre Überparteilichkeit. Auch hier herrscht über den Grundsatz Einigkeit, daß dieses Prinzip als "wesentliches" i.S.d. ordre public auch gegenüber fremden Entscheidungen durchzusetzen ist, indem geprüft wird, ob ein Mindestmaß an
BVerfG v. 09/03/83, BVerfGE 63, 322 (337) betreffend die Anforderungen an ein ausländisches Strafverfahren. 55 5 Vgl. BGH v. 19/09/77, NJW 1978, S. 1114 (1115). 556 Vgl. LG Harnburg v. 01/04/81, IPRspr. 1981, Nr. 182; schwBG v. 17/10/91, BGE 1171b 347 (351) betr. eine zu kurze Ladungsfrist; Satmer [Schiedssprüche], 1994, S. 186 f. im Rahmen von Schiedsverfahren unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs. 557 Vgl. BVerfG v. 22/03/83, BVerfGE 63, 343 (378) und das bemerkenswert deutliche, auf das US-Recht gemünzte obiter dieturn des BGH v. 25/11/93, RIW 1994, S. 331 (334). 558 Vgl. BayObLG v. 03/10173, NJW 1974, S. 418; zust. Geimer (Anm. zu BayObLG v. 03/10!73], NJW 1974, S. 419; ders. [IZPR], 1993, Rz 2946; Schumann [St/J-ZPO], 1988, § 328 Rz 242; Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 482. 559 Vgl. Geimer [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 156. 56° So z.B. Schmidt-Aßmann [M/D-GG], 1988, [Schiedssprüche], 1994, S. 159 ff.
Art. 103
Rn 9;
Satmer
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts gewährleistet war561 . Regelmäßig wird hierzu bei "zufällig" zusammengesetzten staatlichen Gerichten wie bei Schiedsgerichten ein Minimum an Ablehnungsrecht erforderlich sein562 . Die den Spruchkörper bildenden Personen müssen den Parteien jedenfalls bekannt werden563. Geimer564 schlägt als Richtschnur auch für die Anerkennungsfähigkeit von Entscheidungen staatlicher Gerichte die an einen Schiedsrichter zu stellenden Integritätserfordernisse vor. Das Gebot der Distanz und Neutralität des Spruchkörpers565 gilt nämlich grundsätzlich in gleichem Maße auch für Schiedsgerichte566, wo es sich aber häufiger als bei staatlichen Gerichten als neuralgischer Punkt erweist567 . Die Grenze ist aber hier wie dort erst dann erreicht, wenn das Verhalten mit Grundsätzen richterlicher Amtsführung schlechthin unvereinbar ist, etwa weil der (Schieds-)Richter für den unbefangenen Beobachter lediglich als Vollstrecker des Willens einer Partei erscheint, deren
561 Vgl. BGH v. 19/12/68, BGHZ 51, 255 (258); v. 15105/86, BGHZ 98, 70 (72) zu Art. 5 Abs. 2 fit. b UNÜ m.w.N.; OLG Köln v. 10/06/76, ZZP 91 (1978), S. 318 (320); BVerfG v. 22/03183, BVerfGE 63, 343 (378); Geimer (Anerkennung), 1995, S. 23; ders. [Zöller-ZPO), 1995, § 328 Rz 155; ders. [IZPR], 1993, Rz 2947; Geimer I Schütze (lntUrtAn 1/1 ), 1983, S. 1052; Wieczorek I Schiirze (ZPOJ, 1995, § 1041 Rz 24, § 1044 Rz 24; Schiitze [Schiedsgericht), 1991, Rz 147; Schlosser [St/J-ZPO), 1994, § 1041 Rz 31; Koch [AK-ZPOJ, 1987, § 328 Rz 38.; Seimmann [StiJ-ZPOJ, 1988, § 328 Rz 242; Martiny (Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1094; ders. (Hdb IZVR 111/2), 1983, Rz 98; Speilenberg (Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 470; Baur (ordre public), FSGuldener, 1973, S. 1 ( 19); Riezler (IZPR ), 1949, S. 552. 562 Vgl. Geimer [Verfassung], ZfRVgl 33 (1992), S. 321 (409); Albers [BIUNHZPO), 1996, § 1044 Rz 11.
563 So OLG Köln v. 10106!76, ZZP 91 (1978), S. 318 (320 f.); Schiitze I Tscherning I Wais [Hdb), 1990, Rz 643; Albers [BIUNH-ZPOJ, 1996, § 1044 Rz 11 für Schiedsgerichte. 564 Geimer (Anerkennung), 1995, S. 23; ders. [Verfassung], ZfRVgl 33 (1992), S. 321 (410). 565 Vgl. BVerfG v. 08102/67, BVerfGE 21, 139 (145 f.); v. 24103/76, BVerfGE 42, 64 (78).
S66 Vgl. BGH v. 15105186, BGHZ 98, 70 (72) m.w.N. Ausführlich zu den Anforderungen an die Unabhängigkeit der Schiedsrichter Haas [Schiedssprüche], 1990, S. 227 ff. Für die schweizerische Auffassung z.B. Bucher [Schweiz), 1989, Rz 457; /Iauser (Schweiz], FS-Keller, 1989, S. 589 (596). 56 7 Vgl. Schiitze [DtiZPR), 1985, S. 221 m.w.N.; Schwab / Waller [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 30 Rz 21. Kritisch gegenüber der Rspr. z.B. 71romas I Putzo [ZPOJ, 1995, § 1044 Rz 9. 9 Völker
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
Interessen er aus sachfremden Belangen einseitig fördert 568 • Zwischen in- und ausländischen Schiedsverfahren braucht insoweit ebenfalls nicht differenziert zu werden 569 • Einem US-amerikanisches jury-Urteil in einem Schadensersatzprozeß kann beispielsweise nicht deshalb die Anerkennung versagt werden, weil mit guten Gründen vermutet werden kann, daß diejuryeinem intuitiven Freund-Feind-Denken und der deep packet theori 70 folgend, eine emotionale Entscheidung traf und dem klagenden einfachen "Mann von der Straße" gegen den anonymen Großkonzem571 einen exorbitanten Schadensersatzanspruch zugesteht572 • Schon gar nicht kann angesichts der vielfältigen Laienbeteiligung auch an deutschen Spruchkörpem573 allein die Besetzung eines Handelsgerichts ausschließlich mit Laien einen ordre public-Verstoß begründen 574 . Auch die Zuziehung eines Beraters,
568 Vgl. betreffend Schiedsgerichte BGH v. 10/06/86, BGHZ 98, 70 (74). Zust. H.J. Maier [MünchKomm-ZPO], 1992, § 1044 Rz 11; Engelhardt [Schiedsgerichtsbarkeit], JZ 1987, S. 227 (232). Insoweit i.Erg. ebso Kilgus [Schiedssprüche]; 1995, S. 241 ff., 266. 569
Vgl. Geimer [Anerkennung), 1995, S. 34.
So treffend genannt von Schock [Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (1993), S. 104 (111); Coester-Wa/tjen (punitive damages], 1994, S. 15 (21). Hierzu auch Seizack [Einführung], 1995, S. 62. 570
571 Besonders fatal scheint sich die Kombination "keine natürliche Person", "auswärtig" und "sehr reich" auszuwirken; vgl. hierzu Justice O'Connor in ihrem dissent zur TXO-Entscheidung des U.S. S.Ct. in U.S.L.W. 4766, 4779 f. (1993) (zit. nach Bwzgert [Verhältnismäßigkeitsprinzip], VersR 1994, S. 15 (22)). Ähnl. auch Koch I Zekoll [Unterschied), IPRax 1993, S. 288 (289). 572 Vgl. Bungert [Vollstreckbarkeit), ZIP 1992, S. 1707 (1715, 1721); ders. [Verhältnismäßigkeitsprinzip], VersR 1994, S. 15 (16, 23) auch m. Nachw. skeptischer Stimmen; Geimer [IZPR), 1993, Rz 81; Deutsch [Anm. zu BGH v. 04/06/92), JZ 1993, S. 266; Thiimmel [punitive damages], RIW 1988, S. 613; Schütze [Unterschiede], WM 1983, S. 1078 (1080); Hoeclzst [Versicherbarkeit], VersR 1983, S. 13 (14); Lenz [punitive damages], 1992, S. 9, 56.
m
Vgl. §§ 1, 44 ff. DRiG, § 105 GVG, §§ 16, 35 ArbGG, § 65 PatentG, § 2 LwVG.
Vgl. OLG Saarbrücken v. 03/08/87, NJW 1988, S. 3100; zust. Rosenberg I Schwab I Gottwald [ZPR], 1993, § 157 I 3 e (2), S. 945; Geimer (IZPR], 1993, Rz 2951; ders. [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 157a; Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 471; Albers (B/UNH], 1996, Art. 27 EuGVÜ ·Rz 1; M.J. Schmidt [Durchsetzung), 1991, S. 163; II. Roth (Anm. zu OLG Saarbrücken v. 03/08/87], IPRax 1989, S. 14 (17); Martiny [recognition], AmJCompL 35 (1987), S. 721 (748); Baur [ordre public), FS-Guldener, 1973, S. 1 (16). Vgl. a. Martiny [Hdb IZVR 111/1 ], 1984, Rz 1095: Wieczorek [ZPO], 1976, § 328 Anm. E IV b 2. Ebso für jury-Urteile statt aller Zeko/1 [Produkthaftptlicht), 1987, S. 103. 574
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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der maßgeblichen Einfluß auf die Entscheidungsfindung nahm, soll nach einer Entscheidung des BGH die Anerkennungsfähigkeit nicht hindem575 .
d. Art. 2 Abs. 1 GG (1) Allgemeine Handlungsfreiheit und Privatautonomie
Über die von Art. 2 Abs. 1 GG ebenfalls geschützte allgemeine Handlungsfreiheit576 wird insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit577 als Teil der Schrankentrias zum Abwägungsdatum der Frage der Anerkennung ausländischer Entscheidungen578. Auch Einschränkungen der verfassungsrechtlich grundsätzlich gewährleisteten Privatautonomie579 sind nicht nur am Willkürverbot, sondern auch am Übermaßverbot, also den Prinzipien der Erforderlichkeil und Verhältnismäßigkeil i.e.S. zu messen580. Insbesondere exorbitante, ruinöse oder erdrosselnde zivilrechtliche Zahlungspflichten können damit den auch bei Auslandssachverhalten - eingeschränkte - Geltung beanspruchenden Art. 2 Abs. 1 GG berühren581 .
575 Vgl. BGH v. 18/01/90, BGHZ 110, 104 (107); Wieczorek/ SchiUze (ZPOJ, 1995, § 1041 Rz 24, § 1044 Rz 25; Haas [Schiedssprüche], 1990, S. 213; Kilgus (Schiedssprüche], 1995, S. 269; Albers (B/UA/H-ZPOJ, 1996, § 1044 Rz 11. Abi. Bredow [Anm. zu BGH v. 18/01/90], EWiR § 1044 ZPO, 1/90, S. 723 (724).
576 Vgl. BVerfG v. 16/01/57, BVerfGE 6, 32 (37 ff.) u. st.; Diirig (M/D-GG], 1958, Art. 2 Abs. 1 Rn 9. 577 Ebso Spickhoff [ordre public], 1989, S. 123. A.A. Koch I Zeko/1 [Unterschied], IPRax 1993, S. 288 (291). 578 Ausführlich zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unten S. 183 ff. 579 Hauptsächlich verortet in Art. 2 Abs. 1, aber auch - dann als Ieges specialesz.B. in Art. 5 Abs. 1 S. 2, 5 Abs. 3, 6 Ahs. 1, 9 Abs. 1, 12 oder 14. Vgl. z.B. BVerfG v. 13/05/86, BVerfGE 72, 155 (170); Canaris [Übermaßverbot], JZ 1987, S . 993 (994) m.w.N. 580 Vgl. z.B. BVerfG v. 04/05/82, BVerfGE 60, 329 (339); v. 19/10/83, BVerfGE 65, 196 (215); Canaris (Übermaßverbot], JZ 1987, S. 993 (995). 581 Vgl. BVerfG v. 14/07/81, BVerfGE 57, 361 (378, 380 f.); v. 27/01/83, BVerfGE 63. 88 (115); v. 19/10/83, BVerfGE 65, 196 (216) jeweils für das Familienrecht Weitergehend Canaris [Übermaßverbotj, JZ 1987, S. 993 (995) auch für Schadensersatzansprüche. Ähnl. auch Schack [Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (1993), S. 104 (111). Hier dezidiert a.A. aber Koch I lekoll [Unterschied], IPRax 1993, S. 288 (291).
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
(2) Allgemeines Persönlichkeitsrecht Die Anerkennung und Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung wird häufig neben der Handlungsfreiheit auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht tangieren 582. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht setzt Schranken, etwa für im Wege einer pre-trial discovery durchgeführte Maßnahmen, die im Einzelfall eine übermäßige, nicht mehr zu duldende Ausforschung darstellen können583 • Canaris584 betont nachdrücklich, daß in einer Schadensersatzpflicht, die den Schuldner bis ans Ende seines Lebens auf die Grenze des pfändungsfreien Existenzminimums drückt, ein überaus schwerer Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit liegt und überdies regelmäßig sogar die Menschenwürde berührt sei. Canaris' Ansatz gilt prinzipiell auch für die Anerkennung fremder Schadensersatzentscheidungen.
e. Art. 3 Abs. 1 GG Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes wird im Kontext internationaler Entscheidungsanerkennung vor allem unter den Gesichtspunkten prozessualer Waffengleichheit585 und Privilegierung ausländischer Schuldner akut.
(1) Grundsatz Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG durch Anerkennung einer fremden Entscheidung liegt keinesfalls schon deshalb vor, weil das ausländische Gericht prozessual anders verfahren ist586 oder seinem Urteil materiellrechtlich andere Wertungen zugrunde gelegt hat, als es ein deutsches Gericht getan
582 Ebso Hungert [Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815 (818 Fn 35); ders. [enforcing], lnt'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1080). 583 Ebso Stiefel! Hungert [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (767 f.); Geimer [IZPR], 1993, Rz 2953; Htmgert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1710). Vgl. auch Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 297, 303. 584 Canaris [Übermaßverbot], JZ 1987, S. 993 (1001). Gegen ihn Medicus [Verhältnismäßigkeit], AcP 192 (1992), S. 35 (66 ff.). 585 HierzuGeimer [Anerkennung], 1995, S. 23, 135; Koch [AK-ZPO), 1987, § 328 Rz 38; Sclrwab I Walter [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 30 Rz 21. Einschränkend BGH v. 11/04/79, NJW 1980, S . 529 (531). Vgl. auch Schmidt-Aßmann [M/D-GG), 1988, Art. 103 Rn 10 m.w.N. 586
Vgl. LG Harnburg v. 04/02/93, FamRZ 1993, S. 980 (982).
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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hätte587. Eine solche Argumentation würde das allgemein anerkannte Verbot der revision au fond konterkarieren. Nur eine sich in der Anerkennung manifestierende, eklatant willkürliche Diskriminierung aufgrund Herkunft, Wohnsitz, Geschlecht, Religion oder Sprache ist im Rahmen der ordre public-Prüfung berücksichtigungsfähig. (2) Die american rufe of costs Regelmäßig mißverstanden wird ein Ansatz von Schütze588 zur fehlenden Kostentragungspflicht des Unterlegenen im Prozeß. Nicht die Diskrepanz zu dem im deutschen Recht geltenden - im übrigen an einigen Stellen durchbrochenen589- Veranlasserprinzip läßt ihn an der Anerkennungsfähigkeit auf dieser Basis ergangener Urteile zweifeln590• Er hält vielmehr den Beklagten, der befürchten muß, auf seinen - unter Umständen bei umfangreicher discovery enormen - Kosten sitzen zu bleiben, von vornherein nicht für verpflichtet, sich überhaupt auf das Verfahren einzulassen, weil hierin ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG und den Grundsatz prozessualer Waffengleichheit liege. Nur der siegreiche Kläger hat nämlich die Chance, über nichtkompensatorische Elemente, etwa von punitive damages5 91 , Ersatz
587 Vgl. Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 168; Geimer [Verfassung], ZfRVgl33 (1992), s. 321 (413). 588 Schütze [Probleme], WM 1979, S. 1174 (1176). Skeptisch Stiefel I Stürner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (831). Dezidiert a.A. BGH v. 0410611992, BGHZ 118, 312 (325). 589 Vgl. hierzu unten S. 183. 590 Vgl. Schütze [Anm. zu BGH v. 04106192], RIW 1993, S. 139 (140). Soweit deckt sich seine Bewertung mit der der hM, vgl. z.B. BGH v. 04106192, BGHZ 118, 312 (325). Ebso Geimer [Anerkennung], 1995, S. 137; ders. [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 157c; Coester-Waltjen (punitive damages], 1994, S. 15 (27); Martiny (Hdb IZVR IIII 1], 1984, Rz 1111. 591 Vgl. Fiebig [recognition}, GA.J.Int'L.&Comp.L. 22 (1992), S. 635 (641 Fn 39); Siehr [punitive damages}, RIW 1991, S. 705 (707 f.); Lenz [punitive damages], 1992, S. 31 ff.; Hungert [Verhältnismäßigkeitsprinzip], VersR 1994, S. 15 (16); Kranke (Anm. zu BGH v. 04106192], LM § 328 ZPO, 1993, Nrn. 38-40, Anm. 2 b; Deutsch (Anm. zu BGH v. 04106192], JZ 1993, S. 266; Hay (enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729 (743); lekoll [Änderungen}, VersR 1992, S. 1059 ( 1060); ders. [ recognition ], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (327); Stiefel I Stürner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (831, 836); Stiefel! Stiimer I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991 ), S. 779 (796); Schütze [Produkthaftung), FS-Nagel, 1987, S. 392 (396); v. Hoffmann [Staudinger-12), 1992, Art. 38 EGBGB Rz 206; v. Westphalen [Art. 12), RIW 1981, S. 141 (143). Ebenso BVerfG v. 07112194, NJW 1995, S. 649 (650); BGH v. 04106192,
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
seiner Prozeßkosten zu erhalten592 • Dieselbe, allein den Kläger begünstigende Konstellation, taucht im Rahmen der pre-tria/ discovery auf. Wird erfolglos - regelmäßig vom Beklagten - eine proteelive order593 beantragt, muß dieser unter Umständen der anderen Partei die Kosten hierfür erstatten. Umgekehrt gilt die Kostenerstattungspflicht nicht bei Beantragung unzulässiger discoveryMaßnahmen durch den Kläger. Schützes Bedenken sind unter rechtspolitischen Gesichtspunkten ohne Zweifel diskutabel, hier aber nicht berücksichtigungsfähig, denn Prüfungsobjekt ist nicht die abstrakte amerikanische Regelung, sondern der konkrete, zur Anerkennung stehende Fa11594 • Hier wird es sich aber immer um den Fall eines siegreichen Klägers handeln, der im Ergebnis im Grunde so gestellt wird, wie auch ein deutscher Kläger behandelt würde595 • Coester-Waltjen596 betont zu Recht, daß der siegreiche Kläger nicht über die Versagung der Anerkennung des Urteils dafür bestraft werden darf, daß ein unterlegener Kläger dem siegreichen Beklagten die Kosten nicht erstatten muß. Mit demselben Argument läßt sich auch Schützes597 weiterer Ansatzpunkt gegen eine Anerkennungsfähigkeit, die amerikanische Kostenregelung führe bei kleinen Forderungen faktisch zu einer Rechtsverweigerung, da die gerichtliche Durchsetzung ökonomisch sinnlos, sei entkräften. Die von ihm hervorgehobene, in der Tat bedenkliche Konsequenz der amerikanischen Regelung per se, wird sich im Rahmen der Prüfung der Anerkennungsfähigkeit eines konkreten, tatsächlich erstrittenen Zahlungsurteils gerade nie auswirken können.
BGHZ 118, 312 (335 f.); OLG Düsseldorf v. 28/05/91 , VersR 1991, S. 1161 (1162) m.w.N. Zweifelnd Hoeren [Anm. zu BVerfG v. 07/12/94], WiB 1995, S. 306; Zekoll [Produkthaftptlicht], S. 117 ff., 122 m.w.N. 592 Schütze [Anm. zu BGH v. 04/06/92], RIW 1993, S. 139 (140). Ähnl. ders. [Produkthaftung], FS-Nagel, 1987, S. 392 (396 f.).
5 93
Hierzu z.B. Schock [Einführung], 1995, S. 48 f. m.w.N.
594
Vgl. oben S. 68.
Vgl. BGH v. 04/06/1992, BGHZ 118, 312 (326, 333); Mark [class action], EuZW 1994, S. 238 (241); Btmgert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1711); Koch [Schadensersatz], NJW 1992, S. 3073 (3075); Kro11ke [Anm. zu BGH v. 04/06/92], LM § 328 ZPO, 1993, Nm. 38-40, Anm. 2 b.; Zekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (321, 323); ders. [Produkthaftpflicht], 1987, S. 125. 595
596
Ebso Coester-Waltjen [punitive damages], 1994, S. 15 (28).
So Schütze [Anm. zu BGH v. 04/06/92], RIW 1993, S. 139 (140); ders. [Unterschiede], WM 1983, S. 1078 (1083). Vgl. a. Zekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (322); ders. [Produkthaftpflicht], 1987, S. 121, 125. 5 97
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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(3) Sonderfall Haftungsrecht? Der BGH598 vertritt in diesem Zusammenhang die These, exzessive ausländische Haftungssysteme würden ausländische Gläubiger, die auf Basis dieser Systeme Titel erstritten und in Inlandsvermögen ihrer Schuldner vollstreckten, gegenüber inländischen Gläubigern derselben Schuldner in unerträglicher Weise besser stellen. Schon allein die Vollstreckungsabsicht in inländisches Vermögen begründe einen ausreichenden Inlandsbezug, solchen Bestrebungen entgegenzutreten. Dem ist nicht zu folgen 599• Zunächst ist das Erstreiten von exorbitanten Schadensersatztiteln auf Basis einer ausländischen Rechtsordnung nicht nur Ausländern vorbehalten, denn das Deliktsstatut knüpft in aller Regel nicht an die Staatsangehörigkeit an. Weiterhin kann man die Argumentation auch umdrehen: Es ist nicht einzusehen, weshalb, z.B. im Rahmen von USProdukthaftungsfällen, ausgerechnet der Schuldner mit Vermögen in Deutschland gegenüber allen anderen Wettbewerbern auf dem US-Markt bessergestellt sein soll600 • Kein Produzent ist gezwungen, auf dem US-Markt tätig zu werden. Tut er es in Kenntnis der Risiken dennoch, besteht grundsätzlich kein Grund, ihn im Vergleich zu anderen vor Haftungsrisiken abzuschirmen. Art. 3 Abs. 1 GG ist kein Deutschengrundrecht In derartigen Fällen gar noch auf jede weitere Inlandsbeziehung, über die ohnehin immer gegebene, rein prozessuale des Antrags auf Vollstreckbarerklärung hinaus, verzichten zu wollen, macht die These des BGH noch weiter fraglich 601 . Um überhaupt ein für Art. 3 Abs. 1 GG notwendiges Komplement zu schaffen, müßte weiter eine unwiderlegliche Vermutung dahin postuliert werden, es existiere neben dem privilegierten US-Titel-Gläubiger ein weiterer,
5 98 BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (345); zust. Geimer [Anm. zu BGH v. 04/06/92], EWiR § 328 ZPO, 1/92, S. 827 (828).
599 Der BGH verwendet diese Argumentation nur im Rahmen der Prüfung des punitive damages-Anteils der ausgeurteilten Summe, nicht jedoch auch im Rahmen der Prüfung des - ebenfalls die deutschen Maßstäbe um ein mehrfaches überschreitenden Schmerzensgeldanteils, den er toleriert. Auch das weist auf die Zweifelhaftigkeit des Ansatzes hin. Ebso Hay [enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729 (746 f. Fn 72). Kritisch auch Wandt [IntProdhaftg), 1995, Rz 1258. 600 Ähnl. Hay [enforcement), AmJCompL 40 (1992), S. 729 (746 f. Fn 72). Stei11 [Herausforderung), EuZW 1994, S. 18 (22) sieht eine "ungerechtfertigte Benachteiligung" derjenigen Parteien mit Vermögen in den USA, zieht daraus aber keine Konsequenzen. 601
Vgl. dazu unten S. 240.
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
aus demselben Rechtsgrund anspruchsberechtigter, aber auf deutsches Haftungsrecht verwiesener und deshalb "willkürlich" diskriminierter Gläubiger.
f. Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3, Art. 12 GG Auch Art. 5 Abs. 1 GG sowie die Freiheit von Forschung und Wissenschaft nach Art. 5 Abs. 3 GG, oder die Berufsausübungsfreiheit z.B. einer Herstellerfirma, eines Arztes oder eines Rechtsanwalts nach Art. 12 GG kann grundsätzlich durch unmäßige Schadensersatzbeträge betroffen sein, weil sie die Berufsausübung finanziell sinnlos machen 602 . g. Art 14 GG Auch das Eigentum wird regelmäßig in der Situation der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidung tangiert werden603 • Genausowenig wie aber ein "falsches" innerstaatliches Urteil, das die von Art. 14 GG geschützte Vermögenssphäre betrifft, automatisch einen Grundrechtsverstoß darstellt, trifft dies auch auf ausländische Urteile zu, die im Inland Wirkungen entfalten sollen 604 . Nicht ausgeschlossen ist allerdings, daß Art. 14 GG Schutzwirkung zugunsten eines Urteilsschuldners entwickelt, der von ruinösen oder auch "katastrophal hohen" Schadensersatzbeträgen eines ausländischen Urteils betroffen ist 605 • Ähnliches gilt für Entscheidungen, die - auch nur inzident entschädigungslose Enteignungen606 bestätigen 607 • Der wohl regelmäßig fehlende Inlandsbezug, der allein durch die Staatsangehörigkeit des Enteigne-
602
Ebso Canaris (Übermaßverbot], JZ 1987, S. 993 (996).
603
Vgl. Bungert [Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815 (818 Fn 35).
604
Vgl. hierzu Geimer [Verfassung], ZfRVgl 33 (1992), S. 321 (409) m.w.N.
So, allerdings für reine Inlandsfälle entwickelt, Canaris [Übermaßverbot], JZ 1987, S. 993 (996), der eine Parallele zur verfassungsgerichtlichen Rspr. zu Steuern mit "Erdrosselungswirkung" zieht. Vgl. hierzu z.B. BVerfG v. 22103183, BVerfGE 63, 343 (368) betr. Anerkennung ausländischer AbgabentiteL Vgl. auch Schack [Anm. zu BGH v. 04106192],ZZP l06(1993),S.l04(111). 605
606 Die Schwierigkeit der Definition einer "Enteignung" gerade im internationalen Kontext betont Kilgus (Schiedssprüche], 1995, S. 164 f. 607 Vgl. Martiny (Hdb IZVR IH11], 1984, Rz 173, 1051: Geimer {Zöller-ZPOJ, 1995, § 328 Rz 153. Bedeutung haben unzulässige Enteignungen insbesondere im Rahmen von Schiedsverfahren, vgl. Schlosser (RipS], 1989, Rz 871; La live [public policy]. 1987, S. 257 (308 Nr. 178 Fn 140); Waller I ßosch I Brönnimann [Schiedsgerichtsbarkeit], 1991, S. 234 m.N. aus der Rspr.
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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ten, weil hier sachfremdes Kriterium 608 , nicht vermittelt werden kann, wird einer Anerkennungsverweigerung aber häufig entgegenstehen.
h. Art. 103 Abs. 1 GG Zu den auch im Rahmen der sehr beschränkten ordre public-Prüfung zu schützenden Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts gehört zunächst und insbesondere das Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör609 • ( 1) Reduzierte Anforderungen Nicht einheitlich beantwortet wird die Frage, ob die von Art. 103 Abs. 1 GG an ein deutsches Verfahren gestellten Anforderungen auch uneingeschränkt im Rahmen der Prüfung der Anerkennungsfähigkeit an ein Verfahren vor einem ausländischen staatlichen Gericht oder privaten Schiedsgericht zu stellen sind. Der BGH610 stellt hierbei zunächst auf die fragliche Einzelmaßnahme oder den Vorgang ab, und versucht diesen an den noch hinter Art. 103 Abs. 1 GG stehenden Grundwerten der Rechtsstaatlichkeil und der Achtung der Menschenwürde im Rahmen eines fairen Prozesses zu messen. Daraus folgt, daß 608 Ähnl. Lagarde [public policy], 1994, S. 29; Batiffoll Lagarde [DrlntPr 1], 1993, no 360. 609 AllgM. Vgl. z.B. BGH v. 0410611992, BGHZ 118, 312 (321); LG Harnburg v. 04102193, FamRZ 1993, S. 980 (982); Geimer [Anerkennung], 1995, S. 23, 135; ders. [Zöller-ZPO), 1995, § 328 Rz 155; ders. [Ladung), NJW 1973, S. 2138 (2139); Geimerl Schütze [IntUrtAn 111], 1983, S.l052; Schlosser (StiJ-ZPOJ, 1994, § 1041 Rz 36, § 1044 Rz 47 ff.; Rosenberg I SchwabIGottwald [ZPRJ, 1993, § 157 I 3 e (2), S.945; Klinke [EuGVÜ-1], 1993, Rz247; Koch [AK-ZPOJ, 1987, §328 Rz3; Seimmann (StiJ-ZPOJ, 1988, § 328 Rz 242; Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 472; Blumenwitz [Staudinger-12], 1991, Art. 6, Rz 73; Schütze [DtiZPR], 1985, S. 143; ders. [Probleme], 1960, S. 31; Firsching I v. Hoffmann [IPR], 1995, Rz 166; Martiny (Hdb IZVR 11111], 1984, Rz 1096 ff., ders. [Hdb IZVR 11112], 1983, Rz 98; Waehler (Hdb IZVR 11112), 1984, Rz 235; H. Roth (Anm. zu OLG Saarbrücken v. 03108187], IPRax 1989, S. 14 (17); Wuppermann [Vorbehalt], 1977, S. 17 ff.; Weigand [dt.-sp. Rechtsverkehr], 1992, S. 235; Baur [ordre public], FS-Guldener, 1973, S. 1 (19); Schwab I Waller [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 30 Rz 21; Wieczorek (ZPO), 1976, § 328 Anm. E IV b 2; Habscheid [Randvermerke], FamRZ 1981, S. 1142 (1143). Vgl. auch § 1044 Abs. 2 Nr. 4 ZPO sowie BVerfG v. 22103183, BVerfGE 63, 343 (378).
6!0 Vgl. BGH v. 04106!92, BGHZ 118,312 (321); v. 21!03190, NJW 1990, S. 2201 (2203); v. 11/04/79, NJW 1980, S. 529 (531); v. 18/10/67, BGHZ 48, 327 (333). Zust. Kropholler [EuZPRJ, 1993, Art. 27 Rz 11. Ähnl. G.J-1. Rotlt [Anm. zu BGH v. 18/10167], ZZP 82 (1969), S. 152 (153).
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
nicht jede Einzelheit der deutschen Dogmatik auch gegenüber ausländischen Entscheidungen als unverzichtbarer Mindeststandard gefordert werden kann, dessen Unterschreitung zur Versagung der Anerkennung führt 611 • Im etwas anderen, aber insoweit durchaus vergleichbaren Kontext der Überprüfung eines ausländischen Strafverfahrens, auf das ein Auslieferungsersuchen gestützt wird, spricht auch das BVerfG612 lediglich vom "wesentlichen Kern" der Gewährleistungen aus Art. 103 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG, die zum unverzichtbaren Bestand der deutschen öffentlichen Ordnung gehören. Demgegenüber ist Geimer613 der Ansicht, insoweit gebe es "keinen ordre public attenue" 614 und will offenbar keine Abschwächung der Anforderungen bei einem ausländischen Verfahren zulassen. Auch Wengler615 ist der Auffassung, Art. 103 Abs. 1 GG stelle grundsätzlich an das im Rahmen der Urteilsanerkennung zu prüfende ausländische Verfahrensrecht dieselben Anforderungen wie an das deutsche Pendant. Es könne sich aus Gründen der Normhierarchie nicht die Frage stellen, inwieweit Art. 103 Abs. 1 GG Bestandteil des einfachrechtlichen ordre public-Vorbehalts geworden sei. Letztlich entscheidend sei aber die Bewertung der ausländischen Maßnahme oder Norm im Kontext des Gesamtsystems616. Im Kern läuft Wenglers Ansicht damit, nicht unähnlich der des BGH, auf eine Gesamtschau der ausländischen Problemlösung mit anschließender Verhältnismäßigkeilsprüfung hinaus. Angesichts der ohnehin nur einen geschrumpften "Kernbereich" 617 sank· tionierenden Anforderungen der öffentlichen Ordnung an das zu gewährende rechtliche Gehör erscheint es auch verfehlt, einen weiteren Abschlag im Rah-
611 Vgl. BGH v. 18/10/67, BGHZ 48, 327 (330); OLG Harnburg v. 03/04!75, MDR 1975, S. 940; Speilenberg (Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 473; Schmidt-Aßmann [M/D-GGJ, 1988, Art. 103 Rn 53; G.H. Roth [Anm. zu BGH v. 18/10/67], ZZP 82 (1969), S. 152 (153). Ebso für Schiedssprüche Raeschke-Kessler I Biihler [Aufsicht], ZIP 1987, S. 1157 (1164);A/bers [B!L/A/H-ZPOJ, 1996, § 1044 Rz 11. 612
Vgl. BVerfG v. 09/03/83, BVerfGE 63, 322 (337 f.).
Vgl. Geimer [Anerkennung], 1995, S. 20; ders. [ex parte], IPRax 1992, S. 5 (14). Ähnl. streng v. Bernuth (Doppelkontrolle], 1995, S. 45 für Schiedssprüche sowie Mayer [DrlntPr], 1991 , no 375 für das franz. Recht. 613
614 Die Begriffsverwendung ist irreführend, wird sie doch von ihren Vertretern zur Abgrenzung der Wirkungen des kollisionsrechtlichen und des anerkennungsrechtlichen ordre public verwandt. Verfahrensrecht ist jedoch niemals Gegenstand des kollisionsrechtlichen ordre public. Vgl. hierzu oben S. 51 bzw. S. 73.
6l5
Vgl. Wengier (Anm. zu BGH v. 18/10/67], JZ 1969, 596 (597).
Ebso Kroplzoller [EuZPRJ, 1993, Art. 27 Rz 11. A.A. BGH v. 18/10/67, BGHZ 48, 327 (333). 616
617
BGH v. 11/04/79, NJW 1980, S. 529 (531).
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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men der Anerkennung von Schiedssprüchen zuzulassen 618 • Hier sind insoweit dieselben Anforderungen zu stellen, wie wenn die Entscheidung eines staatlichen Gerichts zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung steht619• Das rechtliche Gehör wird auch nicht um seiner selbst willen geschützt, sondern nur, um insgesamt ein faires Verfahren zu gewährleisten620• Dies ist dann der Fall, wenn die Gelegenheit, sich am Gerichtsverfahren zu beteiligen gegeben war. Der Berechtigte kann sie durch schuldhaftesVerhalten verwirken oder von der Ausübung des Rechts absehen 621 • So ist der Ausschluß vom weiteren Verfahren wegen Nichtbefolgung einer interimorder wegen contempt of court zu Recht nicht als ordre public-Verstoß gewertet worden 622. Auch ist es Sache der Partei, für ihre eigene ordnungsgemäße Vertretung in einem ihr bekannten Gerichtsverfahren nach besten Kräften zu sorgen. Versucht sie, sich einem Verfahren durch Flucht zu entziehen, kann sie sich auf die nur noch beschränkt mögliche Einflußnahme auf den Prozeß später nicht mehr berufen 623 .
618
Vgl. §§ 1041 Abs. 1 Nr. 4, 1044 Abs. 2 Nr. 4 ZPO, Art. V Abs. 11it. b UNÜ.
Vgl. Schütze [DtiZPR], 1985, S. 222; ders. (Schiedsgericht], 1991, Rz 147; Schiitze I Tscheming I Wais (Hdb], 1990, Rz 645. Ähnl. Wieczorek I Schütze [ZPO], 1995, § 1041 Rz 30; Schwab I Walter [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 15 Rz 1; Hemt [SchiedsverfahrensR], 1991, S. 226; Schlosser [RipS], 1989, Rz 830; OLG Stuttgart v. 22/12186, IPRax 1987, S. 369 (372); ähnl. Glossner I Bredow I Biihler [Schiedsgericht], 1990, Rz 278 im Kontext v. § 1034 ZPO. 619
Unklar dagegen BGH v. 08110159. BGHZ 31, 43 (45), der im Rahmen eines inländischen Schiedsspruchs jedenfalls keine "wesentlich geringeren Anforderungen" stellen wollte; ähnl. Zimmermann [ZPO), 1995, § 1041 Rz 11; H.J. Maier [Hdb], 1979, Rz 256. 620 So zu Recht Seizack [IZVR), 1991, Rz 864. Ähnl. SchiUze [Anm. zu BGH v. 15105186], EWiR Art. 5 UNÜ, 1/86, S. 835 (836) für Schiedsverfahren. 621
Vgl. BGH v. 04106/1992, BGHZ 118, 312 (322).
BGH v. 18110167, BGHZ 48, 327 (332 f.); zust. Geimer [Anerkennung], 1995, S. 135; ders. [IZPR], 1993, Rz 2946; Schütze [DtiZPRJ, 1985, S. 143; Rosenberg I SchwabIGottwald [ZPR], 1993, § 157 I 3 e (2), S. 945; Schumann [St/J-ZPO], 1988, § 328 Rz 242; Hartmann [BIUNH-ZPO], 1996, § 328 Rz 36; Speilenberg [Staudinger12], 1992, § 328 ZPO Rz 473; Schack [IZVR], 1991, Rz 864; Koch [Anerkennung], 1987, S. 161 (176); Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1100; ders. (recognition], AmJCompL 35 (1987), S. 721 (748 f.); Wuppermann [Vorbehalt], 1977, S. 16; Wengier [Anm. zu BGH v. 18110167], JZ 1968, S. 596; G.H. Rotlz [Anm. zu BGH v. 18110167], ZZP 82 (1969), S. 152 (154); N.N. [BIBIGIS-IntRvkJ, B II, Nr. 702, dt.-brit. AnVollstrAbk Art. 111 Fn 90. A.A. Baur [ordre public], FS-Guldener, 1973, S. 1 (20). 622
623 Vgl. BGH v. 04106/1992, BGHZ 118, 312 (321 ff.) für eine nach Flucht des Beklagten unklare Prozeßbevollmächtigung.
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
(2) Beispielsfälle Summarische Verfahren, auch wenn sie zu einer endgültigen Entscheidung führen, sind mit dem ordre public vereinbar624 . Bekannt geworden ist der Fall der Anerkennung einer beschleunigten, endgültigen Entscheidung in einem britischen Verfahren nach order 14, weil der Beklagte keine Einwendungen oder Streitpunkte darlegen konnte, die ein ordentliches Verfahren rechtfertigten 625 . Ausfluß des Grundsatzes der Gewährung rechtlichen Gehörs ist die Möglichkeit, zu jedem Beweisergebnis Stellung nehmen zu können. Ein Verstoß hiergegen kann daher einen ordre public-Verstoß darstellen626. Auch der in Deutschland seit 1933 abgeschaffte, im Ausland dagegen weit verbreitete sogenannte zugeschobene Parteieid, soll einen Verstoß gegen den ordre public darstellen 627 . Entsprechend dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung müssen ferner die der Beweiswürdigung zugrundeliegenden Gründe lediglich logisch nachvollziehbar sein628 . Selbst zweifelsfrei fehlerhafte Beweiswürdigungen lassen, sofern die Entscheidung sich noch auf wenigstens eine weitere haltbare Beweiswürdigung stützen läßt, die Anerkennungsfähigkeit unberührt, da selbst ein Fehlen der Beweiswürdigung unschädlich wäre. Auch wenn ein möglicher, und im deutschen Recht gewöhnlich eingeholter, Gegenbeweis nicht erhoben wurde, liegt kein Verstoß gegen den ordre public
624 Vgl. BGH v. 25/03/70, BGHZ 53, 357 (359 ff.); zust. Geimer [Anerkennung], 1995, S. 135; ders. [IZPR], 1993, Rz 2946; Schütze [DtiZPR], 1985, S. 143; ders. [Doppelexequierung], ZZP 77 (1964), S. 287 (289); ders. [Probleme], 1960, S. 19; Seimmann [St/J-ZPO], 1988, § 328 Rz 102, 242; Rosenberg I Schwab I Gottwald [ZPR], 1993, § 157 I 3 e (2), S. 945; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1099; Waehler [Hdb IZVR III/2], 1984, Rz 235; Wuppermann [Vorbehalt], 1977, S. 17; N.N. [B/B/G/S-IntRvk], B II, Nr. 702. dt.-brit. AnVollstrAbk Art. 111 Fn 90. Ähnl. auch die schweizerische Praxis, vgl. schwBG v. 20/05/81, BGE 107 Ia 198 (199 f.); zust. F.A. Mann [Anerkennung], IPRax 1984, S. 44 f. 625 Vgl. BGH v. 25/03/70, BGHZ 53, 357 (359 ff.). 626 Vgl. OLG Celle v. 17/04/61, NdsRpfl 1961, S. 152; zust. Schumann [St/J-ZPO], 1988, § 328 Rz 242; Henn [SchiedsverfahrensR], 1991, S. 226 f. Vgl. aber zur erforderlichen Kausalität unten S. 217. 627 Vgl. Schock [IZVR], 1991, Rz 684; differenzierend dagegen Coester-Waltjen [IntBewR], 1983, Rz 615 f.; Mayer [DrlntPr], 1991, no 375 aus franz. Sicht. 628 Vgl. LG Harnburg v. 04/02/93, FamRZ 1993, S. 980 (982).
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
141
vor629 . Zu weitgehend ist aber wohl die Forderung, in jedem Fall, in dem das Erstgericht "erheblichen und konkreten Behauptungen" nicht nachgegangen ist, einen Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public zu sehen 630. In der Praxis dürfte dies zu schwer erträglichen Friktionen führen. Den Zweitrichter damit zu belasten, die Entscheidungserheblichkeil nach fremdem Recht und das "ausreichende Nachgehen" durch den Erstrichter zu beurteilen, bedeutet ihn zu überlasten. Seine Funktion rückt damit zu nahe an die eines neuen Tatsachenrichters, was weder zulässig noch erwünscht ist. Behauptet der im Erstprozeß unterlegene Beklagte derartiges, sind solche Fälle mittels der allgemeinen Regeln über Zweifelsfälle zu lösen 631 .
i. Art. 103 Abs. 2 GG (1) Bestimmtheilsgebot Speziell im Rahmen der Anerkennungsfähigkeit US-amerikanischer punitive damages wurde diskutiert, ob nicht, da die Verurteilung zu dieser Art von Schadensersatz nach Grund und Höhe nahezu unberechenbar ist, der Grundsatz
nulla poena sine lege jedenfalls berührt sein könnte632. Dieselbe Frage stellt sich, jedenfalls was den Anspruchsgrund betrifft, bei der Prüfung der Anerkennungsfähigkeit von auf RICO beruhenden OS-amerikanischen treble damagesUrteilen633.
Ein Verstoß kann jedoch aus zwei Gründen nicht vorliegen. Die Verurteilung zu punitive damages durch ein ausländisches staatliches oder privates Gericht fällt schon gar nicht in den Schutzbereich von Art. 103 Abs. 2 GG. Adressat der Norm kann nur die deutsche öffentliche Gewalt sein. Die Verurteilung aufgrund einer nach deutschen Maßstäben zu unbestimmten Norm auch pöna629 So im Fall der Vaterschaftsfeststellung allein auf Aussage der Mutter hin. Vgl. BGH v. 09/04/86, NJW 1986, S. 2193; zust. Sclwmamz [St/1-ZPO], 1988, § 328 Rz 242. Ablehnend aber Geimer [IZPR], 1993, Rz 2964, 2984. Weniger kraß BGH v. 07/03/79, BGHZ 73, 378 (386). 630 So aber OLG Celle v. 17/04/61, NdsRptl 1961, S. 152; ihm folgend Seimmann [St/J-ZPO), 1988, § 328 Rz 242. Ähnl. Schlosser [Rspr), JbPrSchG 2 (1988), S. 241 (251) im Rahmen von Schiedsverfahren. Einschränkend OLG Köln v. 26/12/92, RIW 1993, S. 499 (501). 631 S. unten S. 225 ff. 632 Vgl.
Stein [Herausforderung], EuZW 1994, S. 18 (22); Btmgert [Vollstreckbarkeit), ZIP 1992, S. 1707 (1715 f.). Ausdrücklich offengelassen in BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (345). 633 Vgl. Stiefel I Bungert [Licht), FS-Trinkner, 1995, S. 749 (771 f.)
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
Jen Charakters, ist daher der deutschen Staatsgewalt nicht zuzurechnen. Zudem wäre der Argumentation des US-amerikanischen Supreme Court634 auch für das deutsche Recht zu folgen, das Bestimmtheilsgebot sei, da es sich bei punitive damages nicht um eine Kriminalstrafe im technischen Sinn handele, auch sachlich nicht anwendbar635 . (2) Staatliches Strafmonopol Auch ein Verstoß gegen das staatliche Strafmonopol kann bei der Anerkennung ziviler Schadensersatzurteile, denen wie den verschiedenen Varianten der US-amerikanischen punitive damages636 aber im weitesten Sinne auch ein "pönaler Charakter" zukommt, in Rede stehen. Das Strafmonopol des Staates umfaßt zwei Aspekte. Der eine betrifft die Frage wer strafen darf, der andere das Verfahren, in dem bestraft werden kann. Nur der letztere Aspekt kann bei Anerkennung eines Urteils tangiert sein. Zu weitgehend ist jedenfalls die Aussage des BGH, daß Sanktionen, die dem Schutz der Rechtsordnung im allgemeinen dienen, unter das Strafmonopol des Staates637 fallen und, werden sie in einem Zivilurteil ausgesprochen, deshalb nicht anerkennungsfähig seien638 . Es erscheint nicht konsistent, zunächst den
634 Auch im US-Kontext stellte sich die Frage. Ein Verstoß gegen den Bestimmtheilsgrundsalz wurde aber verneint. Vgl. hierzu Pacific Mutual Life Ins. Co. v. Haslip U.S. 111 S.Ct. 1032 (1991), insbesondere auch S. 1059 den dissent von Justice O'Comwr, die in der Möglichkeit, punitive damages gänzlich aufs Geratewohl ("wholly at random") verhängen zu können, einen Verstoß gegen den Bestimmtheilsgrundsatz sieht. 635 A.A. Zekol/ [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (326, 329); ders. (Produkthaftptlicht], 1987, S. 156. Wie hier Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1720); Coester-Waltjen (punitive damages], 1994, S. 15 (30). Betr. (deutsches) Schmerzensgeld ebso das BVerfG v. 14/02/73, BVerfGE 34, 269 (293) "mögen ihm auch "pönale Elemente" nicht ganz fremd sein"; zust. Kern [Genugtuungsfunktion], AcP 191 (1991), S. 247 (263). 636
Hierzu unten Fn 889.
637
Vermutlich ist zu lesen, des deutschen Staates.
Vgl. BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (344), betreffend US-amerikanische punitive damages, verhängt von einem staatlichen Gericht. Dem BGH zust. Schack [Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (1993), S. 104 (112); Wandt (lntProdhaftg], 1995, Rz 1257. Ähnl. auch Hoechst [Versicherbarkeit], VersR 1983, S. 13 (17). Ausdrücklich offengelassen ist diese Frage hingegen vom BVerfG im Beschl. v. 07/12/94, NJW 1995, S. 649 (650). Zweifel, ob das BVerfG hier dem BGH folgen würde, auch bei Kronke [Anm. zu BVerfG v. 07/12/94], JZ 1995, S. 221. 638
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Charakter als Zivilsache festzustellen 639, um dann einen Verstoß gegen das Strafmonopol zu rügen. Unter diesem Gesichtspunkt spielt es dann auch keine Rolle, ob es sich bei der zur Anerkennung stehenden Entscheidung um die eines staatlichen Gerichts oder die eines privaten Schiedsgerichts handelt640.
k. Art. 103 Abs. 3 GG Das Problem einer möglichen Doppelbestrafung tut sich auf, wenn im Ausland aufgrund desselben Sachverhalts ein Strafurteil und ein Zivilurteil, das zu Schadensersatz verurteilt erging, und das Zivilurteil, dessen Vollstreckbarerklärung begehrt wird, nach deutscher Qualifikation pönale Elemente enthält. Ein Verstoß ist jedoch aus denselben Gründen wie bei Art. 103 Abs. 2 GG ausgeschlossen641: Eine zuvor von einer ausländischen Staatsgewalt verhängte Kriminalstrafe ist nicht der deutschen öffentlichen Gewalt zuzurechnen. Schon deshalb ist der Anwendungsbereich von Art. 103 Abs. 3 GG nicht eröffnet, wenn die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Zahlungstitels ansteht642 . Zum anderen wäre richtigerweise darauf abzustellen, ob es sich bei der zur Vollstreckung anstehenden Entscheidung überhaupt um ein Strafurteil im technischen Sinne handelt643 . Da fremde Strafurteile nicht im Inland voll639 BGH v. 04106192, BGHZ 118, 312 (337 f.). Eine andere Einordnung wird geboten sein, wenn, wie in einigen OS-Bundesstaaten möglich, "Schadensersatzbeträge" an die Staatskasse gezahlt werden müssen. So zu Recht Stiefel I Stürner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (837); Stiefel I Stümer I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (785 f.); Seilack [Anm. zu BGH v. 04106192], ZZP 106 (1993), S. 104 (112). Vgl. die Nachweise dieser Staaten z.B. bei Bungert [Verhältnismäßigkeitsprinzip], VersR 1994, S. 15 (17 Fn 27). Gegen Qualifikation als Zivilsache überhaupt Schütze [Produkthaftung], FS-Nagel, 1987, S. 392 (397); ders. [dt.-am. Orteilsanerkennung], 1992, S. 164; ders. [Produkthaftungshdb II], 1991, § 103 Rz 3. 640 A.A. wohl Stein [Herausforderung], EuZW 1994, S. 18 (21 f., 25). Das OSRecht selbst beantwortet die Frage allerdings nicht einheitlich. Die Federal Courts sehen für die Bundesebene im Gegensatz zu einigen einzelstaatlichen Regelungen in der Verhängung von prmitive damages durch private Schiedsrichter keinen Verstoß gegen das staatliche StrafmonopoL Vgl. hierzu die Nachweise bei Stein [Herausforderung], EuZW 1994, S. 18 (21 f., 25 Fn 66). 641
Ausdrücklich offengelassen in BGH v. 04106192, BGHZ 118, 312 (345).
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So richtig Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1720).
Vgl. Kern (Genugtuungsfunktion], AcP 191 (1991), S. 247 (263). Ähnl. Stiefel I Stiimer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (838); Stiefel I Stürner I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (788). Auch im deutschen Recht schließen sich zum Beispiel Kriminalstrafe und Disziplinarmaßnahme aufgrund desselben Delikts nicht aus, obwohl auch beamtenrechtlichen Disziplinarmaßnahmen unzwei643
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
streckbar sind, wäre auch aus diesem Grund das grundgesetzliche Verbot der Doppelbestrafung sachlich nicht anwendbar644 •
2. Ordre public und Art. 34 GG Art. 34 S. 1 GG stellt kein hier relevantes Grundrecht dar, wohl aber sind die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" i.S.v. Art. 33 Abs. 5 GG auch wesentliche Grundsätze i.S.d. ordre public645 • Die unmittelbare Haftung eines hoheitlich handelnden Beamten aus einer Amtspflichtverletzung widerspricht zwar Grundgedanken des deutschen Amtshaftungsrechts. Der Widerspruch ist aber nicht tiefgreifend genug, wenn und weil dem Beamten ein aus der Fürsorgepflicht seines Dienstherrn resultierender, zum Wesenskern hergebrachter Grundsätze des Berufsbeamtenturns zu rechnender und damit seinerseits zum ordre public gehörender Freistellungsanspruch im Innenverhältnis bleibt646 • Das "Ergebnis der Anerkennung" ist damit noch hinnehmbar.
II. Ordre public und Völkerrecht Umstritten ist die Bedeutung des Völkerrechts für die Konkretisierung des internationalprivat- und verfahrensrechtlichen ordre public. Die Bandbreite der Ansichten reicht von Niemeyer einerseits, der den Aspekt der Völkerrechtswidrigkeit überhaupt nicht als Kriterium der ordre public-
felhaft pönale Elemente innewohnen. Ähnlich argumentierte auch der U.S. Supreme Court, als er die Vereinbarkeil von punitive damages mit der double jeopardy clause der U.S.-Verfassung überprüfte, s. dazu unten S. 195 m.w.N. Auch die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes wird nach neuester Rspr. des BGH von einer vorhergehenden Bestrafung des Täters nicht berührt, vgl. BGH v. 29/11/94, NJW 1995, S. 781 (782) m. ausf. Nachw. zu dieser nicht unumstrittenen Frage. 644 Offenbar a.A. OLG Düsseldorf 28/05/91, RIW 1991, S. 594 (596); Zekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (329); Hoechst [Produzentenhaftung), 1986, S. 122; ders. [Versicherbarkeit), VersR 1983, S. 13 (17). Wie hier Bungert [Vollstreckbarkeit), ZIP 1992, S. 1707 (1720); ders. [enforcing), Int'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1084 Fn 46); Coester-Waltjen [punitive damages), 1994, S. 15 (30). 645
Vgl. BGH v. 16/09/93, BGHZ 123, 268 (272).
Vgl. BGH v. 16/09/93, BGHZ 123, 268 (272 ff.). Zust. Geimer [Zöller-ZPO), 1995, § 328 Rz 17la. 646
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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Prüfung sieht647 , bis Schütz, der dem Völkerrecht -im Rahmen des kollisionsrechtlichen ordre public - herausragende Bedeutung zumißt648 •
1. Allgemeine Regeln des Völkerrechts Noch relativ unstreitig sind die Auswirkungen des Völkerrechts, soweit es um dessen allgemeine Regeln i.S.v. Art. 25 GG geht. Nach der Judikatur des BVerfG hierzu sind nämlich die deutschen Gerichte verpflichtet "alles zu unterlassen, was einer unter Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts vorgenommenen Handlung nicht deutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des GG Wirksamkeit verschafft" 649.
Hierunter fällt zunächst die Durchsetzung völkerrechtlicher Anerkennungsverbote650. Das Völkergewohnheitsrecht verbietet beispielsweise die Anerkennung einer Entscheidung, die unter flagranter Verletzung international anerkannter Immunitätsgrundsätze odertrotzoffenkundig fehlender Gerichtsbarkeit erging651 . Unter Art. 25 GG wird auch die Durchsetzung eines menschenrechtliehen Mindeststandards gezogen 652. Sofern hierunter auch vom Zweitstaat um-
647 Vgl. Niemeyer [IPR], 1901, S. 98 zu Art. 30 EGBGB a.F., den er aber, dort Fn 1, mit dem ordre public des § 723 ZPO gleichsetzt. 648 Vgl. Schütz [ordre public], 1984, S. 66, der auch bei einer Völkerrechtsverletzung von geringerem Gewicht und unabhängig vom Inlandsbezug, den ordre public zum Zuge kommen lassen will.
649 Vgl. BVerfG v. 31/03/87, NJW 1987, S. 2155 (2157); v. 21/05/87, NJW 1988, S. 1462 (1463). Grundlegend BVerfG v. 14/05/68, BVerfGE 23, 288 (300).
650 Vgl. hierzu näher Geimer lAnerkennung], 1995, S. 14 ff. 651 Vgl. Geimer [Anerkennung], 1995, S. 14; Speilenberg [Staudinger-12], 1992,
§ 328 ZPO Rz 216; Kropholler [EuZPR], 1993, Art. 27 Rz 11; Linke [IZPRJ, 1990, Rz 423; ders. {B/B/G/S-IntRvk), 1977, B I 1 e, EuGVÜ, Art. 27 Anm. II 2. Maunz [M/D-GG], 1964, Art. 25 Rn 20 nennt neben fehlender Jurisdiktion auch das Verbot erneuter Verhandlung einer rechtskräftig entschiedenen Streitsache als "allgemeine Regel".
Eine ähnliche Überlegung steht, allerdings ohne Völkerrechtsbezug, hinter der Versagung der Anerkennung eines ausländischen Schiedsspruchs wegen völlig willkürlich angenommener Zuständigkeit, z.B. aufgrund offensichtlich unwirksamer Schiedsklausel, hierzu z.B. BGH v. 09/03178, BGHZ 71, 131 (136 f.); Raescltke-Kessler [Entwicklungen], NJW 1988, S. 3041 (3050) sowie oben Fn 382 a.E. 652 Vgl. Martiny [Hdb IZVR IIUl], 1984, Rz 149, 982; Geimer [Anerkennung), 1995, S. 19 f.; Maunz [M/D-GG), 1964, Art. 25 Rn 20. Ähnl. BVerfG v. 09/03/83,
10
Völker
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gesetzte völkerrechtliche Konventionen, die unstreitig den nationalen ordre public prägen können, fallen 65 3, ist der Umweg über das Völkerrecht aber nicht notwendig. Besondere praktische Bedeutung kommt insbesondere Art. 6 EuMRK zu654, der Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht sowie auf rechtliches Gehör gewährt. Diese Prinzipien sind unbestritten wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts i.S. des ordre public655 . Liegt der anzuerkennenden Entscheidung ein solcher Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts zugrunde, wird die Anerkennung und Vollstreckbarerklärungbei Vorliegen eines auch nur geringen Inlandsbezuges unter Berufung auf die Vorbehaltsklausel zu versagen sein.
2. Sonstiges Völkerrecht Andererseits besteht keine, aus dem Völkerrecht selbst zu deduzierende Pflicht, dem Völkerrecht zuwiderlaufendes Recht nicht zur Durchsetzung zu bringen 656 . Beruht die erststaatliche Entscheidung beispielsweise auf einem autonomen Rechtssatz, der nur gilt, weil der Erststaat es völkerrechtswidrig versäumt hat, eine anderslautende Regelung eines völkerrechtlichen Vertrages umzusetzen, ist dies allein kein Grund, der Entscheidung die Anerkennung zu verweigern 657. Grobe Verstöße gegen völkerrechtliche Konventionen und Verhaltenskodizes, insbesondere auch durch Staaten oder von ihnen abhängige Institutionen
BVerfGE 63, 322 (337 f.) betreffend ein ausländisches Strafurteil im Rahmen der Prüfung eines Auslieferungsersuchens. 653 Vgl. z.B. Brödermann llverse11 [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 1033; Schlosser [StiJ-ZPO), 1994, § 1041 Rz 27e; Schlitz [ordre public], 1984, S. 81. 65 4 Vgl. Regierungsbegründung zur !PR-Novelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 44; Firsching I v. Hoffmann [IPR), 1995, Rz 148; C. v. Bar [IPR 1], 1991, Rz 635; Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 19; Baur [ordre public], FS-Guldener, 1973, S. 1 (19). Ebso die Ansicht in der Schweiz, vgl. z.B. schwBG v. 09/02/77, BGE 103 Ia 199 (204); Hauser [Schweiz), FS-Keller, 1989, S. 589 (596). 655
Vgl. dazu schon oben S. 137.
656 Vgl. Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 1032 ff. m.w.N.; Martiny [Hdb IZVR III11], 1984, Rz 982; Blumenwitz [Staudinger-12], 1991, Art. 6 EGBGB Rz 59. Ähnl. schon Melchior [DtlPR], 1932, § 233. 657 A.A. Wengier [RGRKJ, 1981, Bd. VI, § 7 c 1, S. 75. Zum Parallelproblem bei Nichtumsetzung gemeinschaftsrechtlicher Richtlinien vgl. unten S. 299.
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als Parteien eines Vertragsverhältnisses, können aber über den ordre public geahndet werden 658 . Ein völkerrechtswidriger Eingriff in die Souveränitätsrechte des Anerkennungsstaates spricht ebenfalls für die Anwendung des ordre public-Vorbe· halts659. Man sollte hier jedoch nach Schwere und Tragweite des "Übergriffs" differenzieren 660. Aus der Verletzung des HaagZustÜbk oder HaagBewÜbk allein folgt noch nicht zwingend, daß der vielleicht in einer Gesamtschau unwesentliche oder gar für das Ergebnis nicht kausale völkerrechtswidrige Beweisaufnahmeakt auf die Nichtanerkennung der Sachentscheidung durchschlägt661 . Hinzukommen muß z.B. eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren 662. Einer die Zwecksetzung des IWF-Abkommens verletzenden und damit Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen manifest zuwiderlaufenden Entscheidung kann ebenfalls die Anerkennung versagt werden 663 • Sind Staatseinrichtungen des Zweitstaates dagegen unmittelbar berührt, wie die Nichtigerklärung eines zweitstaatlichen Patents oder die Berichtigung eines zweitstaatlichen Registers, so liegt darin wohl in jedem Fall ein Verstoß gegen den ordre public664.
111. Ordre Public und Europäisches Gemeinschaftsrecht Die autonomen, einen ordre public-Vorbehalt enthaltenden Vorschriften unterliegen ebenso wie ihre parallelen staatsvertragliehen Normen dem gene-
658 Haas [Schiedssprüche], 1990, S. 241; Stein [Herausforderung}, EuZW 1994, S. 18 (24); Bucher [Schweiz], 1989, Rz 301 ff.; Vischer [schwiPRG}, 1993, Art. 17 Rz 30. Vgl. hierzu auch unten S. 278. 659 Vgl. BGH v. 04/06192, BGHZ 118, 312 (324); Seilack [IZVRJ, 1991, Rz 865; Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1710); Raape I Shtrm [IPR I], 1977, § 13 14, s. 201. 660 Vgl. Geimer [Anerkennung}, 1995, S. 15 m.N. auch auf abw. Ansichten. 661 Strenger Stiefel I Shirner [Vollstreckbarkeit), VersR 1987, S. 829 (830); Schütze [Produkthaftungshdb II], 1991, § 103 Rz 12; ders. [dt.-am. Urteilsanerkennung], 1992, S. 169. Coester-Waltjen [punitive damages], 1994, S. 15 (27) will hier bei Verstoß gegen die völkerrechtliche Souveränität Deutschlands die Anerkennung versagen. 662 Vgl. hierzu oben S. 85. 663 Vgl. Ebenroth I Neiss [Kreditverträge], RIW 1991, S. 617 (625). Ähnl. Matray [arbitrage], FS-Sanders, 1982, S. 241 (243 f.) m.w.N. franz. Rspr. u. Lit. 664 SoJellinek [Anerkennung], 1953, S.193 m.N. Ebso Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1087; Kropfroller [EuZPR}, 1993, Art. 27 Rz 11.
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rellen Prinzip vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts665 . Dies gilt zunächst selbst für den "verfassungsrechtlichen Kern" 666 der VorbehaltsklauseL Weitergehend hat die Pflicht zur Gemeinschaftstreue über Art. 24 GG Verfassungsrang667, und die Pflicht sich gemeinschaftsrechtskonform zu verhalten und keine Vertragsverletzungen zu begehen, ist wesentlicher Grundsatz des deutschen Rechts i.S. der Vorbehaltsklauseln668 . Damit liegt die Frage nach den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts auf der Hand.
1. Unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht Mit der unangreifbaren Aussage, der Rückgriff auf die Vorbehaltsklausel sei wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts i.V.m. Art. 5 EGV unmöglich, wenn die Anwendung der Klausel "den EG-Vertrag verletzen würde" 669, ist die interessantere Frage noch nicht beantwortet, wann denn dies der Fall ist. Nicht viel weiter hilft die ebenfalls unangreifbare, an die Theorie vom "effet utite" 670 angelehnte Aussage, über Art. 5 Abs. 2 EGV seien die nationalen Gerichte verpflichtet, alles - und damit auch die Anerkennung einer fremden Entscheidung- zu unterlassen, was die praktische Wirksamkeit des Vertrages beeinträchtigen würde671. Unbestreitbar ist ebenfalls noch der Ansatz, aus Art. 5 EGV ergebe sich die allgemeine Pflicht, die Vorbehaltsklausel dort besonders zurückhaltend anzuwenden, wo Vertragsziele berührt werden 672. Ebenso gewiß wird der
665 Vgl. Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (212 f., 220) m. ausf. Nachw. Zust. Lüderitz [IPR], 1992, Rz 217. Wie auch immer man die Rechtsnatur des EuGVÜ einstuft, besteht insoweit jedenfalls ein Gleichrang. Zur Qualifikationsfrage vgl. Kropholler [EuZPR], 1993, Eint. Rz 10m. N. zum Streitstand. 666 Vgl. oben S. 124. 667 Näher Brödermann I Iversen (Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 1046.
668 Ebso Brödermann I Jversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 1047. 669 So Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 755 m.w.N. Ähnl. Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (221). Vgl. auch Raeschke-Kessler [Binnenmarkt], EuZW 1990, S. 145 (147). 670 Vgl. Oppermann [EuropaR], 1991, Rz 441 ff. 671 Ähnl. Wunderer (arbitrage ], 1993, S. 248. 672 Vgl. Zweigert [Auswirkungen], FS-Hallstein, 1966, S. 555 (567); Samtleben (Börsentermingeschäfte], RabelsZ 45 (1981), S. 218 (245); Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 756.
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Inhalt des ordre public durch zwingendes Gerneinschaftsrecht, etwa das Kartellrecht673, konkretisiert674 .
a. Problem der revision au fond Martiny 675 ist der Ansicht, die Anerkennung einer Entscheidung aus einem Mitgliedstaat könne nicht mit Begründung abgelehnt werden, sie widerspreche wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des EGV, weil diese schon vorn Erstrichter hätten beachtet werden müssen. Andernfalls liege eine verbotene revision au fond vor676. SteindorfF77 umgeht elegant dieses Problem, indem er im Anschluß an eine Entscheidung des T.G.I. de Troyes eine Ablehnung der Anerkennung direkt aus dem unmittelbar geltenden Gemeinschaftsrecht, ohne Umweg über den ordre public, erwägt. Wo aber letztlich der Unterschied zur Anwendung jeder anderen Art von für den Erstrichter nach dessen Rechtsordnung "beachtlichen" Rechts liegen soll, ist nicht recht einleuchtend. Es kommt eben nicht auf Art oder Inhalt der vom Erstrichter seiner Entscheidung zugrundegelegten Rechtssätze oder deren vertretbarer oder unvertretbarer Auslegung durch diesen an, sondern auf das Ergebnis der Anerkennung seiner Entscheidung im Zweitstaat678 . In der Feststellung, die Anerkennung der Entscheidung des Mitgliedstaates würde zu einem flagranten Verstoß gegen die Grundprinzipien der Europäischen Wettbewerbsordnung führen, weshalb sie zu versagen sei, liegt damit nicht per se eine verbotene revision au fond. Auch Martinys Argument, für die richtige Anwendung von Gemeinschaftsrecht stehe bereits im Erstverfahren gesonderter Rechtsschutz in Form von Verfahren nach Art. 169, 170 EGV679 zur Verfügung, verfängt nicht. Zwar müssen sich die Mitgliedstaaten das Handeln ihrer 673 Vgl. Martiny [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 983, 1093 sowie unten S. 298. 674 Vgl. etwa Wunderer [arbitrage], 1993, S. 247; Martiny [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 983; Kropholler [IPR], 1994, § 36111 2c, S. 227. 675 Martiny [Hdb IZVR 111/2], 1983, Rz 95; ders. [Gemeinschaftsrecht], 1991, s. 211 (233). 676 Eine revision au fond ist nach allgM, unabhängig von der ausdrücklichen Erwähnung beispielsweise in Art. 29 EuGVÜ, nach sämtlichen in Frage kommenden Rechtsquellen ausgeschlossen. 677 Steindorff[Termingeschäfte], IPRax 1982, S. 49 (51). 678 Deshalb kann selbst die Anerkennung einer Entscheidung, der zweitstaatliches Recht zugrundegelegt wurde, bei völliger Fehlinterpretation dieses Rechts durch den Erstrichter ordre public-widrig sein, vgl. hierzu unten S. 169. 679 Gegebenenfalls auch Art. 177 EGV.
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
Gerichte zurechnen lassen680• Eine solche Feststellungsklage, sollte sie tatsächlich durchgeführt werden, was die Parteien ebensowenig erzwingen können, wie ein Verfahren nach Art. 177 EGV, beseitigt jedoch nicht das erststaatliche Urteil. Die von Martiny genannten alternativen Rechtsschutzmöglichkeiten sind damit nicht äquivalent.
b. Wirkung auch gegenüber Drittstaaten Der Anerkennungsrichter hat die Maßstäbe der Iex fori auf ihre Vereinbarkeil mit Gemeinschaftsrecht nicht nur zu überprüfen, wenn ein Urteil aus einem Mitgliedstaat zur Anerkennung steht, sondern auch bei der Prüfung von Entscheidungen aus Drittstaaten. Nationale Grundsätze und Vorschriften, die gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen, können, da die Rangkollision immer zugunsten des Gemeinschaftsrechts ausfällt, niemals Bestandteil des ordre public sein 681 • Dies gilt ohne Unterschied auch im Verhältnis zu Drittstaaten. Das Gemeinschaftsrecht hat damit aufgrund seiner übergeordneten Stellung und supranationalen Geltung in verwandten Rechtsordnungen auch im Verhältnis zu Drittstaaten regelmäßig ordre public-konkretisierende Wirkung682 • Selbst wenn das Gemeinschaftsrecht für den Sachverhalt nicht unmittelbar anwendbar ist, die Barriere des "nationalen" ordre public wird dennoch von den Werten des Gemeinschaftsrechts geprägt683 • Allerdings sind hier Fälle denkbar, in denen eine bestimmte nationale Besonderheit nicht mehr gegenüber einem Mitgliedstaat, wohl aber noch nach außen berücksichtigt werden darf684• Der Rechtsgrund für eine zurückhaltendere Anwendung des ordre public gegenüber Mitgliedstaaten liegt dann im "echten Gemeinschaftsrecht". Davon jedenfalls konstruktiv unterscheidbar ist die Frage, ob der ordre public des EuGVÜ zurückhaltender gehandhabt werden soll als der des autonomen Rechts oder sonstiger Staatsverträge685 .
680 Vgl. z.B. Geiger (EGVJ, 1995, Art. 169 Rz 4; Oppermann [EuropaRJ, 1991, Rz 629 m.w.N. 681 Vgl. Martiny (Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (238). 682 Vgl. Brödermann I Iversen (Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 410; Marx (Schiedssprüche], 1994, S. 19. Ähnl. wohl Lalive [public policy], 1987, S. 257 (307 Nr. 173). 683 So Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (222). 684 Vgl. Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (229 f.). 68 5 Hierzu unten S. 288 ff.
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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Im Ergebnis spricht eine starke Vermutung für einen ordre public-Verstoß, wenn die ausländische Entscheidung, deren Anerkennung begehrt wird, gegen eigenständiges Recht der Gemeinschaft verstößt, die gegenläufigen grundlegenden Interessenwertungen des Anerkennungsstaates mit der des Gemeinschaftsrechts aber konform gehen 686 .
2. Richtlinien und ordre public Auch einem Richtlinien-Ursprung kommt bei der Konkretisierung des ordre public-Vorbehalts im Verhältnis zu Drittstaaten eine beschränkte Indizienwirkung bei der Beurteilung der "Wesentlichkeit" eines Grundsatzes zu 687 • Jedenfalls im Verhältnis zu Mitgliedstaaten ist im Anwendungsbereich von Richtlinien auch dann, wenn Erlaß und Umsetzung der Richtlinie nicht zu einer Rechtseinheit geführt haben, sondern Regelungsoptionen erlaubt waren, eine Berufung auf die Vorbehaltsklausel ausgeschlossen, wenn die anzuerkennende Entscheidung im Ergebnis einer dieser Optionen entspricht, weil sämtliche unterschiedlichen Umsetzungsmöglichkeiten innerhalb der Union zu akzeptieren sind688 . Auch der Gegenschluß ist zulässig. Entspricht das Ergebnis der Entscheidung nicht den von einer Richtlinie in ihrem Anwendungsbereich offengelassenen Optionen, spricht viel für einen Verstoß gegen wesentliche Grundsätze der zweitstaatlichen, hier vom Gemeinschaftsrecht geprägten Rechtsordnung. Dieses Indiz ist umso gewichtiger, je höher die Regelungsintensität der für das einschlägige Rechtsgebiet geltenden Richtlinie ist689• Das Beruhen der Entscheidung auf harmonisiertem Recht dürfte selbst bei noch nicht erfolgter Umsetzung im Zweitstaat einen Einsatz der Vorbehaltsklausel ausschließen 690•
686 Vgt. BGH v. 16109193, BGHZ 123, 268 (279 f.). Ebso Haas [Unfallversicherung], ZZP 108 (1995), S. 219 (237), der vereinheitlichtes europäisches Kollisionsrecht mit einem argument11m e contrario aus Art. 27 Nr. 4 EuGVÜ allerdings ausnehmen will. Vgl. hierzu unten S. 166. 687 S. dazu auch unten S. 201. Vgl. a. Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 752; Geimer [Anerkennung], 1995, S. 140. 688 Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 759. Ebso Beise [TimeSharing], NJW 1995, S. 1724 ( 1725) für Art. 3 Abs. 2 lit. a Verbraucherschutzrichtlinie, 8515771EWG, ABI. EG Nr. L 372 v. 31!12185, S. 32. 689
Vgl. insbes. Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz l051 f.
Vgl. Brödermann I /versen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 759; Marti11y [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (238); etwas vorsichtiger ders. in [Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 983. Vgl. aber unten S. 225. 690
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
Iversen 691 weist überzeugend nach, daß in derartigen Annahmen nicht etwa eine unzulässige Umgehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur begrenzten horizontalen Richtlinienwirkung liegt692. Die der Kommission gern. Art. 155 EGV zukommende Befugnis, die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts zu überwachen, ist keine monopolisierte Zuständigkeit. Neben den Mitgliedstaaten können insbesondere auch die Gerichte im Rahmen der Prüfung von Normen anderer Mitgliedstaaten am Gemeinschaftsrecht dem EuGH im Wege der Vorabentscheidung nach Art. 177 EGV vorlegen 693 .
Auch im Verhältnis zu Drittstaaten sollte diesen Überlegungen Gewicht zukommen, also in jedem Fall eine Lösung anerkannt werden, die im Rahmen der von der Richtlinie abgesteckten Möglichkeiten noch zulässig wäre. Anwendungsfälle solcher ordre public-konkretisierender Richtlinien sind z.B. die Haustürgeschäfterichtlinie694 , Produkthaftungsrichtlinie695 , die Pauschalreiserichtlinie oder die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie696 • Umgekehrt können im Verhältnis zu Entscheidungen aus Mitgliedstaaten zweitstaatliche Wertungen, die gegen (nichtumgesetzte) Richtlinienvorgaben verstoßen, wegen der sowohl im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander als auch im Privatrechtsverkehr geltenden Pflicht zur Gemeinschaftstreue, keine "wesentlichen Grundsätze" i.S.d. ordre public sein697 • Auch hier besteht im Verhältnis zu drittstaatlichen Entscheidungen ein starkes Indiz, daß richtlinienwidrige zweitstaatliche Grundsätze keinen ordre public-Vorbehalt zu stützen vermögen.
69 1
Vgl. Brödermann I fl•ersen (Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 1024 ff.
Erst recht ist eine solche Wertung bei Vorliegen von unmittelbar geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verordnungen zulässig, vgl. hierzu BGH v. 16109/93, BGHZ 123, 268 (279 f.). 692
693 Vgl. z.B. EuGH v. 23/11/89, Rs. 150188 (Glockengasse No. 471 I I Provide), NJW 1990, S. 69 (Erw. 12). 6 94 ABI. EG Nr. L 372 v. 31/12/85, S. 32. Vgl. z.B. Beise [Time-Sharing], NJW 1995, S. 1724 (1725) für deren Art. 3 Abs. 2 lit. a. 695 ABI. EG v. 07108185, Nr. L [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 761.
210129 ff.
Ebso
Brödermann I
Jverse11
696 ABI. EG v. 11/06193, Nr. L [Gemeinschaftsrecht), 1994, Rz 1016.
141/27 ff.
Ebso
Brödermann I
/verse11
697 Ebso Brödermann I /verse11 [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 1017; Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (238); ders. [Hdb IZVR III!l ], 1984, Rz 983. Ähnl. Steindorff[Gemeinschaftsrecht], EuR 1981, S. 426 (434).
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
153
IV. Ordre public und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Das Verhältnismäßigkeilsprinzip ist verfassungsrechtlich abgesicherter Grundsatz mit Grundrechtsrang698 • Es wird sowohl aus dem objektiven Rechtsstaatsprinzip als auch aus den Freiheitsrechten abgeleitet699 • Weiterhin ist es Teil des ungeschriebenen Gemeinschaftsverfassungsrechts700 • Insbesondere im Bereich des deutschen Haftungsrechts kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine herausragende Stellung zu. In der Rechtsprechung zum Schadensrecht wird er an unterschiedlichsten Punkten berücksichtigt701 • Einfachgesetzlich manifestiert sich der Grundsatz im Bereich des Schadensrechts an prominentester Stelle in der Formulierung des§ 251 Abs. 2 BGB, der auch für die Naturalrestitution nach § 249 BGB gilt1°2 . Auch in der Genugtuungsfunktion des § 847 BGB wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berücksichtigt703 • Hinzuweisen ist ebenfalls auf die Möglichkeit richterlicher Herabsetzung unverhältnismäßiger Vertragsstrafen nach § 343 BGB704 .
Wie in rein innerstaatlichen Fällen, kommt auch im Bereich der Entscheidungsanerkennung dem Prinzip, insbesondere bei der Höhenkontrolle eines Zahlungsurteils, maßgebliche Bedeutung zu 705.
698 Vgl. Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1720); ders. [enforcing], Int'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1084); Canaris [Übermaßverbot], JZ 1987, S. 993 (995 f.). Zweifelnd Koch I Zeko/1 [Unterschied], IPRax 1993, S. 288 (291). Sehr kritisch auch Medicus [Verhältnismäßigkeit], AcP 192 (1992), S. 35 (54 ff., 69). 699 Vgl. z.B. Herzog [M/D-GGJ, 1978-81, Art. 19 Rn 9, Art. 20 Abschn. I Rn 18, Abschn. VII Rn 72, der die Quelle des Rechtsstaatsprinzips betont sowie SclunidtAßmmm [M/D-GGJ, 1985, Art. 19 Abs. IV Rn 21, der mehr auf die Verortung in den Grundrechten abhebt. 700 Vgl. Oppermann [Europarecht], 1991, Rz 407 m.w.N.; Bungert [Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815 (821). S. a. BGH v. 16/09/93, BGHZ 123, 268 (279). 701 Vgl. auch die Nachw. verfassungsgerichtlicher und arbeitsgerichtlicher Rspr. bei Hungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1720 Fn 189 f.) und Stiefel! Bungert [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (783 Fn 129). Weitere Beispiele aus dem Schadensrecht bei Medicus [Verhältnismäßigkeit], AcP 192 (1992), S. 35 (37 f.). 702 Vgl. Gmnsky [MünchKomm-BGBJ, 1994, § 251 Rz 15 f.; Stiefel/ Bungert [RICO], ZIP 1994, S. 1905 (1915); Stiefel/ Stiirner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (838); Stiefel/ Stiirner I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (789). 70.l
Vgl.llay [enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729 (741 Fn 45).
704
Vgl. Stiefel/ Stiimer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (841).
Vgl. Bungert [Verhältnismäßigkeitsprinzip J, VersR 1994, S. 15 (22); Stiefel/ ßwzgert [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (783). 705
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
I. Konkretisierung Wenn auch die allgemeine These, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei als wesentlicher Grundsatz des deutschen Rechts im Sinne der Vorbehaltsklausel auch bei der Anerkennung zu berücksichtigen, noch wenig kontrovers sein wird706, so tritt das eigentliche Problem beim Versuch seiner Konkretisierung auf. Nicht zu leugnen ist insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen Verhältnismäßigkeilsprüfung und Verbot der revision au fontf1° 7 . Weitere mißliche, aber unvermeidliche Konsequenz der Zwischenschaltung einer Verhältnismäßigkeilsprüfung ist ein zusätzlicher Verlust an Rechtssicherheit Dies sei an der vom BGH verwandten Formulierung verdeutlicht, daß lediglich "pauschal zuerkannter Strafschadensersatz von nicht unerheblicher Höhe" 708 wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht vollstreckungsfähig sein soll. Man fragt sich unwillkürlich, wann Strafschadensersatz-Summen in unerhebliche Größenordnungen sinken 709, und ob die Unerheblichkeit absolut, relativ, oder gemessen an weiteren, aus anderem Grund zugesprochenen Summen zu bestimmen sein soll7to.
a. Pauschalierungen Eine vergleichsweise starre Ausprägung des Verhältnismäßigkeilsgrundsatzes findet sich zum Beispiel - für rein inländische Schadensfälle - in der 130%-Rechtsprechung, die die Grenze der ersatzfähigen, den Wiederbeschaf-
706 Vgl. Vgl. BGH v. 04106192, BGHZ 118, 312 (343, 349); LG Heilbronn v. 06102191, IPRax 1991, S. 262; Stiefel I Bungert (RICO], ZIP 1994, S. 1905 (1915); dies. [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (783); Stiefel I Stiirner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (840); Stiefel I Stiirner IStadler [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (789 f.). Ähnl. Coester-Waltjen [punitive damages], 1994, S. 15 (33); Pfeiffer [Gerechtigkeit], 1995, S. 764; Hartmann [B/UAJH-ZPO], 1996, § 328 Rz 45. 707 Deshalb kritisch Koch I lekoll [Unterschied], IPRax 1993, S. 288 (291); lekoll [enforceability], ColumJTransnat'IL 30 (1992), S. 641 (652). 708 Vgl. BGH v. 04106192, BGHZ 118, 312 (343). 709 Ebso Hny [enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729 (748). Schütze [Anm. zu BGH v. 04/06/92], RIW 1993, S. 139 versteht den BGH so, daß es auf die absolute Höhe oder eine Deckelung wie in manchen Einzelstaaten, hierzu die unten Fn 941 genannten, überhaupt nicht ankommen soll. 710 Ähnlich will Lenz (punitive damages], 1992, S. 166, 183 erst bei "massiver", aber noch nicht bei "geringfügiger" Verletzung des schadensrechtlichen Überkompensationsverbots die Anerkennung verweigern.
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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fungswert übersteigenden Reparaturkosten eines Kraftfahrzeugs bilden. Jenseits dieser Grenze ist die Herstellung unverhältnismäßig 711 • Eine ähnlich formelhafte Typisierung der Verhältnismäßigkeilsprüfung wird auch bei der Anerkennung von Zahlungsurteilen vorgeschlagen 712 • Dies lehnt die Rechtsprechung aber wegen des denkbar unterschiedlichen Inlandsbezugs dieser Fälle mit Recht ab 713 . Die starre 130%-Grenze im Kraftfahrzeugschadensrecht läßt sich nur wegen der typischerweise immer gleichen Interessenlage aus Rechtssicherheitsgründen rechtfertigen 714 •
b. Übertragung der Formel des Verfassungsrechts Ein anderer, in der Regel brauchbare Argumente liefernder Ansatz zur näheren Konkretisierung des Verhältnismäßigkeilsgrundsatzes ist der Versuch, die im Verfassungsrecht entwickelte, dreistufige Verhältnismäßigkeitsprüfung715 auch für die Anerkennung von ausländischen Entscheidungen - insbesondere Zahlungsurteilen - fruchtbar zu machen. Hierbei sind Geeignetheit, Erforderlichkeil und Angemessenheil im engeren Sinne des Entscheidungsinhalts zum angestrebten Zweck zu überprüfen 716 • Auch Bungert717 versucht ansatzweise eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips mittels der aus dem Verfassungsrecht übernommenen Formel. Unklar bleibt bei ihm allerdings, an welchem - erst- oder zweitstaatlichen - Ziel er Geeignetheil und Erforderlichkeil bestimmen will. Für die Angemessenheilsprüfung im engeren Sinne will er, hat der Erstrichter eine Verhältnismäßigkeilsprüfung im weitesten Sinne bereits vorgenommen, mit dem revision auf fond-Argument1 18 auf erststaatliche Standards abstellen, sofern kein besonders starker Inlandsbezug be-
711 Vgl. BGH v. 15110191, BGHZ 115, 364 (367, 374); Grwrsky [MünchKommBGBJ, 1994, § 249 Rz 7a, 7b m.w.N. 712 Vgl. Stiefel I Stiirner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (840, 844); Stiefel I Stiimer I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 ( 1991 ), S. 779 (794, 802).
713
Vgl. BGH v. 04106192, BGHZ 118, 312 (349).
714
Vgl. Medims [Verhältnismäßigkeit], AcP 192 (1992), S. 35 (38).
715
Vgl. z.B. Herzog [M/D-GGJ, 1980, Art. 20 Abschn. VII Rn 74 ff.
716
Ähnl. auch Hartmann [BIUA!H-ZPO], 1996, § 328 Rz 45.
717
Bwrgert [enforcing], Int'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1084, 1086).
7 18 Bwrgert [Vollstreckbarkeit), ZIP 1992, S. 1707 ders. ( 1720); [Verhältnismäßigkeitsprinzip], VersR 1994, S. 15 (23). Ähnl. Koch I Zekoll [Unterschied], IPRax 1993, S. 288 (291).
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steht719 • Die Argumentation erscheint in diesem Punkt nicht völlig konsistent. Zunächst rügt Hungert selbst die Begrifflichkeil des Arguments des Verbots sachlicher Nachprüfung720, andererseits will er zweitstaatliche Standards der Verhältnismäßigkeit, wo sie gesetzliche Konkretisierung erfahren hätten, übernehmen 721 .
Konsequenter erscheint es, bei der Geeignetheits- und Erforderlichkeitsprüftmg auf den erststaatlichen Gesetzeszweck, ist dieser auf einer Ebene der Anspruchsgrundkontrolle nach deutschen Vorstellungen noch hinzunehmen, abzustellen. Ähnlich, aber noch weitergehend als die den entsprechenden Punkt betreffende Dogmatik im Verfassungsrecht, ist hierbei nur eine sehr geringe Prüfungsdichte angebracht. Erscheint es nicht abwegig, daß der vom Erstrichter oder fremden Normgeber bezweckte Erfolg durch die Entscheidung wenigstens teilweise erfüllt wird, und wird nicht offensichtlich durch eine weniger einschneidende Entscheidung derselbe Erfolg erzielt, sind die beiden ersten Stufen genommen. Auf der dritten Stufe, der Angemessenheitsprüfung, ist zunächst die sich stellende Eingangsfrage zu beantworten, ob hier erst- oder zweitstaatliche Standards zum Zuge kommen sollen. Dies muß unter Berücksichtigung der Qualität - nicht in erster Linie Intensität - der Inlandsbeziehung in Tatbestand und Rechtsfolge erfolgen722• Wie würde sich eine Übertragung der ausländischen Maßstäbe auf den Berührungspunkt mit dem Inland auswirken und umgekehrt? Die Anerkennung einer ausländischen Schadensersatzentscheidung ist beispielsweise nicht allein deshalb unerträglich, weil Leben und Gesundheit von anderen Rechtsordnungen deutlich 719 Ähnlich auch Stiefel I Bungert [RICOJ, ZIP 1994, S. 1905 (1916); dies. [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (784 f.); Zekoll RIW 1990, S. 302 (305).
720
Vgl. Bmrgert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1724).
Vgl. Bungert [Verhältnismäßigkeitsprinzip], VersR 1994, S. 15 (22); ders. [Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815 (821); ders. (enforcing], Int'lLaw 27 (1993), S. 1075 (1090) wo er z.B. in der 160 Millionen DM Grenze für Personenschäden in Produkthaftungsfällen, § 10 Abs. 1 ProdHaftG, und im Rahmen der Anlagenhaftung nach § 15 UmweltHG eine solche Konkretisierung sieht. Kritisch dagegen Coester- Waltjen (punitive damages], 1994, S. 15 (33). 721
722 Ähnl. Stiefel I Stümer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (840); Stiefel I Stiirner I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (793); Stiefel I Bwzgert (RICO], ZIP 1994, S. 1905 (1916); dies. [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (784); Hay [enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729 (746 Fn 72); Bungert [Verhältnismäßigkeitsprinzip], VersR 1994, S. 15 (22 f.); ders. (enforcing], Int'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1086); Wengier (Anm. zu BGH v. 18/10167], JZ 1969, S. 596. Kritisch bis ablehnend hingegen Koch I Zekoll [Unterschied], IPRax 1993, S. 288 (291); Koch (Schadensersatz], NJW 1992, S. 3073 (3075); Zekoll [enforceability], ColumJTransnat'IL 30 (1992), S. 641 (652 f.).
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höher bewertet werden als von der unsrigen 723 • Der BGH724 sah beispielsweise ein Verhältnis von ca. 1:ll 725 noch als unschädlich an. Welche Folgen hätte eine Anwendung deutscher Maßstäbe für die Parteien mit ihren jeweiligen Berührungspunkten zum Ausland? Dient beispielsweise ein zunächst extrem überhöht erscheinencter Schadensersatzanspruch wegen FehJens eines entsprechend dichten Netzes im Entscheidungsstaat legitimerweise auch der sozialen Absicherung des Geschädigten, so ist es die Qualität des Auslandsbezuges726 , die den für Inlandsfälle geltenden Verhältnismäßigkeilsmaßstab verschiebt727. Besteht ein Schützenswertes Vertrauen auf nur begrenztes Einstehenmüssen oder gerade nicht? Hier kann der Gedanke des Verbots eines venire contra factum propriumeine Rolle spielen 728. Erst wenn hiernach keine eindeutige Entscheidung möglich ist, kann eine vom Erstrichter vorgenommene und in etwa der deutschen Verhältnismäßigkeitsprüfung vergleichbare Wertung übernommen werden 729 •
2. Insbesondere die Leistungsfähigkeit des Schuldners Diskutiert wird, ob die mangelnde Leistungsfähigkeit - insbesondere in Kombination mit gänzlich fehlendem oder nur geringem Verschulden- im
723 So zu Recht Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1046. Zust. Zekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (320); ders. [Produkthaftptlicht], 1987, S. 74. Ebso Lenz [punitive damages), 1992, S. 179 für die Schweiz. Ähnlich auch Gottwald [Grundfragen], ZZP 103 (1990), S. 255 (283); Heidenberger [jury], RIW 1990, S. 804 (807). A.A. Schütze [Produkthaftung], FS-Nagel, 1987, S. 392 (400). 724 Vgl. die Schätzung des Berufungsgerichts OLG Düsseldorf v. 28/05/91, VersR 1991, ll61 (1162), das noch ein Verhältnis von 1:4 als gerade noch erträglich und nicht "jeden vernünftigen Rahmen sprengend" ansah. 725 Für vollkommen unverhältnismäßig hält dies Schack [Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (1993), S. 104 (109). Ähnl. auch Stiefel/ Stiirner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (844). Deutsch [Anm. zu BGH v. 04/06/92], JZ 1993, S. 266 (267) will beim Fünf- bis Zehnfachen des hierzulande Üblichen die Grenze ziehen. 726 Vgl. hierzu auch unten S. 235. 727 Ähnl. OLG Frankfurt a.M. v. 18/05/89, EWiR § 328 ZPO, 2/92, S. 829 f. Vgl. auch BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (333) betreffend Üblichkeil der Höhe eines Anwaltshonorars Betreffend Schmerzensgeld BGH ebda S. 350, sowie Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1721), die aber die Stärke der (aktuellen) Inlandsbeziehung wohl unterbewerten.
728
Vgl. Beispiel unten S. 218.
An die Vergleichbarkeit stellt Bungert [enforcing], Int'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1086) recht geringe Anforderungen. 729
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Rahmen der Verhältnismäßigkeilsprüfung bei der Anerkennung ausländischer Urteile die Angemessenheil im engeren Sinne entfallen Jassen könne. De lege lata gilt im deutschen Recht der Grundsatz der Totalreparation. Der Schuldner hat im Ansatz selbst bei leichtester Fahrlässigkeit oder gar aus reiner Gefährdungshaftung, einen Schaden zu ersetzen, auch wenn dessen Höhe die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit bei weitem übersteigt730. Allerdings sind nicht selten Haftungshöchstgrenzen im Bereich der Gefährdungs- und Erfolgshaftung gesetzlich festgeschrieben 731 . Jede Wechselwirkung zwischen Grad des Verschuldeos und Schadenssumme zu negieren 732 erscheint damit nicht zwingend733. Überwiegend wird weiter vertreten, die Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Schuldners sei ein systemfremder Faktor, der erst auf der Ebene des Vollstreckungsschutzes Berücksichtigung finden könne. Bei der Prüfung der Anerkennungsfähigkeit dürfe er dagegen keine Rolle spielen 734. Der BGH läßt die Frage ausdrücklich offen 735. Der ordre public ist zwar keine individualschützende HärteklauseJ736 . Ob die Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Schuldners aber eine so systemfremde Überlegung ist, erscheint indes zweifelhaft, ist sie doch nicht nur Datum der Billigkeitshaftung nach § 829 BGB737, sondern auch im Rahmen der
730 Vgl. Heinrichs [Palandt-BGB], 1996, vor § 249 Rz 6. A.A. insbes. Canaris [Übermaßverbot], JZ 1987, S. 993 (1001 ff.); ähnl. auch Schack [Anm. zu BGH v. 04106192], ZZP 106 (1993), S. 104 (111); Stiefel I Stürner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (838 f.); Stiefel I Stürner I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), s. 779 (789). 731 Vgl. §§ 18 StVG, 46 LuftVG, 9, 10 HpflG, 31 AtG, § 10 Abs. 1 ProdHaftG, § 15 UmweltHG. Vgl. aber andererseits§§ 22 WHG, 833 BGB. 732 So Heinrichs [Palandt-BGB], 1996, § 242 Rz 54. 733 Vgl. Scltack [Anm. zu BGH v. 04106192], ZZP 106 (1993), S. 104 (111); Stiefel I Stiirner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (838 f.); Stiefel I Stürner I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (789). 734 So Sclrack [Anm. zu BGH v. 04106192], ZZP 106 (1993), S. 104 (111); Geimer [Anm. zu BGH v. 04106192], EWiR § 328 ZPO, 1/92, S. 827 (828); Bungert [Verhältnismäßigkeitsprinzip], VersR 1994, S. 15 (23); ders. [Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815 (822 Fn 77); ders. [enforcing], Int'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1086). Ähnl. in allgemeinerem Zshg. Medicus [Verhältnismäßigkeit], AcP 192 (1992), ,S. 35 (66). 735 Vgl. BGH v. 04106192, BGHZ 118, 312 (350). 736 Hierzu bereits oben S. 58. 737 Vgl. BGH v. 11/10194, NJW 1995, S. 452 (453) m. ausf. Nachw.
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
159
Schmerzensgeldzumessung nach § 847 BGB zu berücksichtigen738 . Auch in der Schweiz sind ähnliche Überlegungen zu verzeichnen 739 . Obwohl dadurch eine Aufweichung des Kompensationsgedankens als oberster Leitlinie des deutschen Haftungsrechts nicht zu bestreiten ist140, muß die Berücksichtigung dieses Faktors, soweit es nicht um reine Vermögensschäden geht, noch nicht zu einer Übernahme der in der Tat systemsprengenden deep packet theory führen 741. In allgemeinerem Kontext und sehr viel weitergehend weist insbesondere Canaris742 darauf hin, daß gerade bei exorbitanten Schadensersatzbeträgen bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Verhältnismäßigkeilsprüfung stattzufinden habe. Hierbei seien primär die Auswirkungen für den Schädiger einerseits gegen die Bedürfnisse des Geschädigten sowie, als lediglich sekundäres Datum, der Präventionsgedanke andererseits abzuwägen. Eine ruinöse oder katastrophale Ersatzpflicht743 des Schädigers auf der einen Seite führe, insbesondere bei Nichtangewiesensein des Geschädigten auf der anderen Seite, nach § 242 BGB zu einer Reduktion des Ersatzanspruchs.
V. Ordre public und die rechtsethischen Grundsätze der §§ 138, 826 BGB Unbestreitbar kommen die vom ordre public geschützten Grundwerte außer in bestimmten Normen vor allem auch in den ungeschriebenen rechtsethischen Grundsätzen zum Ausdruck, die in den Generalklauseln § 138 oder § 826 BGB enthalten sind744 . Die Frage, inwieweit Wertungen der § 138 und § 826 BGB
738 Vgl. z.B. die Grundsatzentscheidung des BGH zur Genugtuungsfunktion des
§ 847 BGB, BGH -GS- v. 06107155 , BGHZ 18, 149 (159 ff.) unter Aufgabe älterer Rspr. z.B. BGH v. 29!09152, BGHZ 7, 223 (227 ff.). Hierzu und zur Entwicklung der Rspr. ausführlich Kern [Genugtuungsfunktion], AcP 191 (1991), S. 247 (259 f.).
739 Vgl. z.B. Drolshammer I Schärer [punitive damages], SchweizJZ 1986, S. 309 (318). 740 So Fiebig [recognitionj, GA.J.Int'L.&Comp.L. 22 (1992), S. 635 (652). 741 So aber Seiruck [Anm. zu BGH v. 04106192], ZZP 106 (1993), S. 104 (111). Vgl. hierzu oben S. 130. 742 Vgl. Ca11aris [Übennaßverbot], JZ 1987, S. 993 (1001 f.). Zust. Stiefel I Stür/ler IStadler [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (789 Fn 43). Dezidiert a.A. Medicus [Verhältnismäßigkeitj, AcP 192 (1992), S. 35 (66 f.). 743 Bei juristischen Personen und Gesellschaften stellt Ca11aris nicht auf den Konkurs als solchen, sondern auf die Auswirkungen der Ersatzpflicht auf Mitglieder und Arbeitnehmer ab. 744 Vgl. G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 99; Spelle11berg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 414. Ebso zum kollisionsrechtlichen ordre public Regierungsbegründung
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
für den Bereich der Bestimmung des ordre public übernommen werden sollen, wird allerdings nicht einheitlich beantwortet.
1. Terminologische Übereinstimmungen In § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a.F. 745, dessen Gehalt insoweit nicht geändert werden sollte 746, waren die "guten Sitten" als Versagungsgrund der Anerkennung erwähnt. Sie gehören sicher zu den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts747 • Ein Verstoß gegen die "Sittlichkeit" bzw. die "guten Sitten" ist noch heute Versagungsgrund der Anerkennung nach dem deutsch-schweizerischen und dem deutsch-italienischen AnVollstrAbk 748 sowie nach § 1044a Abs. 2 ZPO für die Vollstreckbarerklärung von Schiedsvergleichen 749 • Auch zum Beispiel Art. 6 C.civ., der ordre public interne750 des französischen Rechts, schlägt den Bogen zu den bonnes mreurs151 • Behauptet wird deshalb, daß der Begriff des Sittenverstoßes in den alten Fassungen der Vorbehaltsklauseln identisch sein soll mit dem der §§ 138, 817, 826 BGB752 • Allerdings folgt häufig die Einschränkung, daß bei Auslandstatbe-
zur IPR-Novelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 43; Sonnenherger [MünchKomm-BGB], 1990, Art. 6 EGBGB Rz 15 f. ; Spickhoff [ordre public), 1989, S. 84; Heldrich [PalandtBGB], 1996, Art. 6 Rz 4; Lüderitz [IPR], 1992, Rz 203 sowie Rosenberg I Schwab I Gottwald [ZPR], 1993, § 176 I 3, S. 1110; Henn [SchiedsverfahrensR], 1991, S. 224, letztere zu § 1041 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Ähnl. die britische Doktrin unter dem Gesichtspunkt morality, vgl. Cheshire I North I Fawcett [PrlntL], 1992, S. 131, die u.a. Bestechung und Betrug als Beispiele anführen. Ähnl. erhebt Basedow [Auslandsscheidungen ], 1980, S. 232 f. für den Sonderbereich des Scheidungsrechts die Generalklausel des§ 1568 BGB zur Grundnorm mit ordre public-Qualität. 745 Vgl. den Wortlaut im AnhangS. 305. 746
Hierzu oben S. 43.
747
Statt aller Wieczorek I SchiUze [ZPO], 1995, § 1041 Rz 25.
Vgl. jeweils Art. 4 Abs. 1 des dt.-schweiz. AnVollstrAbk bzw. des dt.-ital. AnVollstrAbk. 748
749 Die Nichtübernahme der in allen anderen ordre public-Kiauseln geänderten Formulierung anläßlich der Novellierung 1986 ist offensichtlich ein Redaktionsversehen, ebso Albers [BIUA/H-ZPOJ, 1996, § 1044a Rz 4; Henn [SchiedsverfahrensRJ, 1991, s. 254. 750
Vgl. hierzu unten S. 254.
751
Vgl. den Wortlaut im AnhangS. 310.
Vgl. Seimmann [StiJ-ZPOJ, 1988, § 328 Rz 224; Martiny [Hdb IZVR 11111], 1984, Rz 998; Kegel, [IPRJ, 1995, § 16 IV I, S. 374; ders. [Soergei-BGBJ, 1984, Art. 30 Rz 6; Scltiitze [§ 826], JR 1979, S. 184 (185); Schütz [ordre public], 1984, S. 71 752
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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ständen Konzessionen gemacht werden können 753 , womit die Aussage ihren Wert wiederum weitgehend verliert. Insofern weckte die Formulierung doch eher vorschnelle Assoziationen zu den §§ 138, 826, 817 BGB oder auch § 1 UWG 754 . Entsprechendes gilt für den Fall der Unklagbarkeit155 . Auch im Verhältnis zur Schweiz, in dem die einschlägige ordre public-Norm Art. 4 Abs. 1 des Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommens ausdrücklich die fehlende Klagbarkeil aus Gründen der Sittlichkeit oder öffentlichen Ordnung nennt156 kann die Einschränkung durchgehalten werden, daß nicht jede Unklagbarkeit, die für reine Inlandssachverhalte angeordnet ist, uneingeschränkt und automatisch auch zur Nichtanerkennung eines auf einen entsprechenden Anspruch lautenden ausländischen Urteils führen muß.
2. Funktionale Übereinstimmungen Mißverständnisse durch den teilweise auftretenden terminologischen Gleichlauf werden vermieden, wenn man herausstellt, daß gute Sitten im reinen Inlandsfall und ordre public gegenüber fremden Entscheidungen eine partiell ähnliche Funktion wahrnehmen, der Unterschied aber neben dem sachlich
(i.R.v. Art. 6 EGBGB); Habscheid [Randvermerke], FamRZ 1981, S. 1142 (1143); ähnl. Wieczorek I Schiitze [ZPO), 1995, § 1041 Rz 27. Vgl. auch die Argumentation des RG v. 25/10/09, RGZ 72, 124 (126); v. 25/06/26, RGZ 114, 171 (172). A.A. Stöcker (ordre public), RabelsZ 38 (1974), S. 79 (92), der insoweit eine "Provinzialisierung" sieht. Niemeyer [IPR], 1901, S. 99, wiederum will, im Rahmen von Art. 30 EGBGB a.F. zwischen unbeachtlicher "Sittlichkeit" und den beachtlichen "guten Sitten" unterscheiden. Eine Ausführliche Analyse der Rspr. zum Sittenverstoß i.R. der Vorbehaltsklausel - insbesondere unter terminologischen Gesichtspunkten - findet sich bei Wuppermamr [Vorbehalt], 1977, S. 54 f. 753 Vgl. z.B. Spicklwff[ordre public), 1989, S. 84; Martiny (Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 999; Szaszy (study), 1967, S. 184. A.A. wohl Wieczorek I Schiitze [ZPO), 1995, § 1041 Rz 27. 7" 4 So Sclrack [IZVR), 1991, Rz 861 ; Kilgus (Schiedssprüche], 1995, S. 158. Vgl. a. Hungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1723 f.); Wieczorek [ZPO), 1976, § 328 Anm. E IV b 6. Zur Nichtzugehörigkeit von § 817 S. 2 BGB zum ordre public vgl. Sclrlosser [St/J-ZPO), 1994, § 1044 Rz 22; ders. [RipS), 1989, Rz 871. 755 A.A. für Spielschulden Gottwald [MünchKomm-ZPO], 1992, § 328 Rz 88; LG Mönchengladbach v. 14/07/94, WM 1994, S. 1374 (1376 f.). Gegenüber Spielschulden und Differenzgeschäften bestehen schon traditionell größte Vorbehalte in der deutschen Literatur. Vgl. nur Fuld [Urteile), NiemeyersZ 8 (1898), S. 369 (378 f.), der die Anerkennung auch bei vollständig fehlendem Inlandsbezug verweigern will.
7" 6
II Völker
Vgl. den Text im AnhangS. 306.
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
breiteren Anwendungsfeld hauptsächlich in der räumlichen Relativität des ordre public liegt, die der Vorbehalt der guten Sitten nicht kennt757• Von Stojan758 wird auch die zeitliche Relativität als konzeptioneller Unterschied zwischen ordre public und den guten Sitten genannt. Dies ist -jedenfalls für das deutsche Recht- zweifelhaft759. Ein Vertragsverhältnis mag bei einem reinen Inlandsfall als sittenwidrig und damit gern. § 138 BGB als nichtig betrachtet werden, einem ausländischen Titel, der einen solchen Vertrag als gültig betrachtet und demgemäß zur Leistung oder zu Schadensersatz aus einem solchen Vertrag verurteilt, braucht deshalb aber noch nicht die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung versagt werden760. Ebensowenig besteht für den deutschen (Erst-)Richter eine Notwendigkeit, die für reine Inlandsfälle entwickelten Maßstäbe des § 138 BGB unreflektiert über den kollisionsrechtlichen ordre public auf ein ausländisches Vertragsstatut anzuwenden. Hier schließt sich auch Kreis zu der "inlandsspezifischen" Berücksichtigung der Grundrechte, die ja typischerweise auch zur Konkretisierung der Sittenwidrigkeit herangezogen werden 761 .
757 So zu Recht Stojan [Anerkennung], 1986, S. 154. 758 Stojan [Anerkennung], 1986, S. 154. 759 Vgl. einerseits zwar BGH v. 30/06/83, NJW 1983, S. 2692 f. andererseits aber OLG Hamm v. 11/09/79, OLGZ 1979, S. 425 (426 f.); Mayer-Maly (MünchKommBGBJ, 1993, § 138 Rz 17 m.w.N. sowie allgemein die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen. 760 Den Auslandsbezug nicht berücksichtigend dagegen (obiter dictum) BGH v. 30/09/64, BGHZ 42, 194 (203); Martiny (Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 1043. Ebenso LG Mönchengladbach v. 14/07/94, WM 1994, S. 1374 ( 1377) mit einem unzulässigen erstrecht-Schluß. Übertragbar auch die Leitentscheidung des BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (332), die zwar nicht die Klage aus einer nach deutschen Maßstäben sittenwidrigen Honorarvereinbarung zum Gegenstand hatte, sondern lediglich die Vollstreckbarerklärung eines Urteils von dem bekannt war, daß der Klägeranwalt eine quota litis erhalten würde. Der Senat hebt in diesem Zusammenhang maßgeblich auf die Abwicklung des gesamten Vertragsverhältnisses im Ausland ab (S. 332 f.), weswegen die Aussagen wohl auch auf den Fall einer direkten Honorarklage aus einem ausländischem Recht unterstehenden Anwaltsvertrag mit Auslandsbezug des Mandats übertragbar sind. Dagegen für Inlandsfälle BGH v. 15/1 2/60, BGHZ 34, 60 (69 ff.); v. 04/12/86, NJW 1987, S. 3203 (3204).
76 1 Vgl. etwa BVerfG v. 15/01/58, BVerfGE 7, 198 (206); Mayer-Maly (MünchKomm-BGBJ, 1993, § 138 Rz 16; Spicklroff[ordre public j, 1989, S. 16.
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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Auch aus der Unmöglichkeit der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Verurteilungen zu strafbaren oder verbotenen Handlungen762 folgt noch nicht zwingend, daß auch eine Verurteilung zu (Geld-)Schadenersatz wegen Nichterfüllung der solcherart gernißbilligten Vertragspflicht in Fällen mit Auslandsbezug ebenfalls nicht anerkennungsfähig wäre 763 . War die Verpflichtung zur gernißbilligten Handlung freiwillig übernommen, stand dem Risiko die Chance auf einen Vorteil gegenüber. Die Wertungsparallele zum anfänglichen Unvermögen liegt auf der Hand. Ist die Rechtslage betreffend die Erfüllbarkeil der Verpflichtung unklar, mag der Schuldner seine potentielle Garantiehaftung - gegen Preisminderung - vertraglich ausschließen. Ein sachlicher Grund, selbständige oder unselbstständige Garantieversprechen anders zu behandeln, besteht nicht 764 . Weder ist der Schuldner deshalb schutzwürdig, noch wird die Rechtsordnung, die von den Verboten geschützt werden sollte, in Frage gestellt 765 . Durch die reine Geldzahlung sind objektive Staatsinteressen nicht berührt, denn dem gernißbilligten Rechtsverhältnis oder der verbotenen Handlung wird durch die in dieser Hinsicht "neutrale" Handlung keine Geltung verschafft.
3. Betrügerische Machenschaften Auch Fälle der arglistigen Urteilserschleichung766, des -vorsätzlichenProzeßbetruges oder der Rechtsbeugung767 führen unstreitig zur Versagung der 762 Soweit ersichtlich unstr. Grundsatz, Vgl. BGH v. 11/11/56, BGHZ 22, 24 (31);
G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 175. Für lediglich ordnungswidrige Handlungen gilt der Grundsatz wohl nicht, vgl. Hartmann [B/UA!H-ZPO], 1996, § 328 Rz 41. Vgl.
auch§ 1044 Abs. 2 ZPO a.F. 763 So aber die hM. Vgl. Geimer [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 169, § 1044 Rz 18; ders. [Anerkennung], 1995, S. 141; ders. [IZPR], 1993, Rz 2972; H.J. Maier [MünchKomm-ZPO], 1992, § 1044 Rz 11; Fuchs (Anm. zu OLG Köln v. 30/07/52], NJW 1957, S. 1420; LG Dortmund v. 08/01/36, IPRspr. 1935-44, Nr. 714. Wie hier OLG Bamberg v. 25/03/37, IPRspr. 1935-44, Nr. 644a. 764 A.A. Schlosser (St/J-ZPO], 1994, § 1044 Rz 27; ders. [RipS], 1989, Rz 874, der nur bei Verletzung ersterer ein Schadensersatzurteil anerkennen will. Wohl ebso OLG Harnburg v. 08/10/57, AWD 1958, S. 79. 765 Vgl. OLG Köln v. 30/07/52, NJW 1957, S. 1420 f. ; G.H. Rotlz [ordre public], 1967,S.175. 766 BGH v. 10/07/86, IPRax 1987, S. 236 (237), bestätigt in BGH v. 04!03!93, NJW 1993, S. 1801 (1802); LG Harnburg v. 01/04/81, IPRspr. 1981, Nr. 182; Albers (B/L/NH-ZPO], 1996, § 1044 Rz 11, Art. 27 EuGVÜ Rz 1; Grunsky [Vollstreckung], IPRax 1987, S. 219 (221); Geimer (IZPR), 1993, Rz 2987; Linke [IZPR), 1990, Rz 422; Schütze !§ 826), JR 1979, S. 184 (186); H. Roth (Anm. zu OLG Saarbrücken v. 03/08/87], IPRax 1989, S. 14 (18); Hafke (Anm. zu BGH v. 10/07/87], WuB VII 8.1 !!•
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Anerkennung wegen Verstoßes gegen den ordre public 768 • Einige Staatsverträge bezeichnen diese ausdrücklich als Unterfälle des ordre public769 . Sie sind die eklatantesten Fälle eines Verstoßes gegen die inhaltlichen und das Verfahren betreffenden rechtsstaatliehen Elementargrundsätze. Rechtstechnisch werden diese Fälle, die bei einem rechtskräftigen inländischen Urteil über§ 826 BGB bzw. § 580 Nrn. 1 bis 5 ZPO, bei einem inländischen Schiedsspruch über die gern. § 1041 Abs. 1 Nr. 6 ZPO geltenden Restitutionsgründe des § 580 ZPO gelöst werden, im Fall eines ausländischen Urteils 770 oder Schiedsspruchs771 über die ordre public-Klausel gelöst 772 • Für
Art. 27 EuGVÜ, 2.86 (sub 3). Ebso für die Schweiz Stojan [Anerkennung], 1986, S. 518; M.J. Schmidt [Einrede], FS-Sandrock, 1995, S. 205 (219). Zum arglistigen Umgehen der deutschen Gerichtsbarkeit als ordre public-Verstoß vgl. RG v. 03103138, RGZ 157, 138 (139); Basedow [Auslandsscheidungen], 1980, S. 232; Schumann [St/JZPO], 1988, § 328 Rz 242 m.w.N. Zur Bewertung von "fraud" im anglo-amerikanischen Rechtskreis vgl. die Nachweise oben Fn 378. 767 Vgl. z.B. Hartmann (BIUNH-ZPO], 1996, § 328 Rz 42; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1095. 768 Vgl. Rosenberg I Schwab I Gottwald [ZPR], 1993, § 157 I 3 e (1), S. 945; Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 484; Gottwald [MünchKomm-ZPO], 1992, Art. 27 EuGVÜ Rz 8; Geimer [Anerkennung], 1995, S. 144 f.; ders. [ZöllerZPO], 1995, § 328 Rz 175a; ders. [IZPR], 1993, Rz 2986; Grunsky [Vollstreckung], IPRax 1987, S. 219 (221): Seilack [IZVR], 1991, Rz 865; Schlosser [StiJ-ZPO], 1994, § 1044 Rz 24; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1118; Waehler (Hdb IZVR 111/2], 1984, Rz 249; Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 119; Jellinek [Anerkennung], 1953, S. 195 ff.; Linke [BIBIGIS-IntRvk], 1977, BI 1 e, EuGVÜ, Art. 27 Anm. II 2. Ebso für die Schweiz Stojan (Anerkennung], 1986, S. 158; Satmer [Schiedssprüche], 1994, S. 75 hetr. UNÜ. Ebso für den Bereich des UNCITRAL-MG der Commission Report, vgl. Holtzmann I Ne11haus [UNCITRAL], 1989, S. 914, 1002. Vorsichtiger Kropholler [EuZPR], 1993, Art. 27 Rz 11. G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 172 ordnet die Fälle in die von ihm aus dem ordre publie-Begriff ausgegliederte Fallgruppe des "justizförmigen Verfahrens" ein, verweigert aber ebenfalls die Anerkennung. Durch Bestechung erlangte Urteile will dagegen anerkennen Gesler [§ 328 ZPO], 1933, S. 50. 769 Vgl. Art.lll Abs. 1 lit. c Nr. 2 dt.-brit. AnVollstrAbk. Art. 29 Abs. 1 Nr. 3, 52 Abs. 1 Nr. 4 dt.-tun. AnVollstrV, Art. 5 Abs. 1 Nr. 3 dt.-israel. AnVollstrV führen den Fall als getrennten Versagungsgrund auf. Vgl. die Normtexte im AnhangS. 306 f.
770 Vgl. Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 998, 1119; Waehler [Hdb IZVR 111/2], 1984, Rz 249; Grwrsky [Vollstreckung], IPRax 1987, S. 219 (221); Zimmermann (ZPO], 1995, § 1044 Rz 8. 771 Schwab I Walter (Schiedsgerichtsbarkeit), 1995, Kap. 30 Rz 22; Wieczorek I Schütze [ZPOJ, 1995, § 1044 Rz 26; Schlosser [StiJ-ZPO), 1994, § 1044 Rz 24; ders. [RipS), 1989, Rz 873; Marx [Schiedssprüche), 1994, S. 35, 119 f.; Geimer [ZöllerZPO], 1995, Rz 18c; H.J. Maier [MünchKomm-ZPOJ, 1992, § 1044 Rz 10; Raeschke-
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die Aburteilung einer derartigen Straftat wird jedoch regelmäßig ein ausländisches Gericht zuständig sein, was die Beweisführung im Rahmen von § 581 ZPO wesentlich erschwert. Im Gegensatz zu § 580 Nrn. 1 bis 5 ZPO kann deshalb für den Bereich der Entscheidungsanerkennung aus praktischen Erwägungen nicht erst ein rechtskräftiges ausländisches Strafurteil verlangt werden 773 . Eine Zuständigkeitserschleichung, zum Beispiel durch Täuschung über den Wohnsitz, braucht, wo eine Prüfung der spiegelbildlichen Zuständigkeit noch Anerkennungsvoraussetzung ist, allerdings nicht über den ordre public verhindert zu werden774. Schütze775 schlägt hingegen für den Bereich des EuGVÜ, wegen dessen Art. 28 Abs. 3, der die Vorschriften über die Zuständigkeit von der ordre publicPrüfung ausnimmt, den Weg über § 826 BGB vor.
4. Mißbräuchliche Klageerhebungen Der beantragten Anerkennung eines auf mißbräuchlicher Klageerhebung beruhenden Titels, wie sie insbesondere die keine Kostenerstattung vorsehende american rule of costs in Verbindung mit den Möglichkeiten einer pre-trial discovery776 und der Vereinbarung eines Erfolgshonorars provoziert 777, die den Beklagten im Einzelfall vor die Wahl zwischen Führung eines mit astronomischen Kosten der Verteidigung verbundenen "völlig unsinnigen Prozesses" 778 und dem Abschluß eines sachlich nicht gerechtfertigten Vergleichs oder
[Entwicklungen), NJW 1988, S. 3041 (3050); Engelhardt [Schiedsgerichtsbarkeit), JZ 1987, S. 227 (231). 772 G.H. Roth (ordre public), 1967, S. 180 ff. hält dies für inkonsistent und schlägt auch für inländische Urteile eine Lösung über den ordre public vor (S. 184). 773 Ebso Schlosser [RipS], 1989, Rz 873; Geimer [Zöller-ZPOJ, 1995, § 1041 Rz 149 im Rahmen von Schiedsverfahren. Wohl ebso Grunsky [Vollstreckung], IPRax 1987, S. 219 (221). Für den Inlandsfall gilt hingegen die Einschränkung des§ 581 ZPO, hierzu z.B. Rosenberg I SchwabIGottwald (ZPR), 1993, § 160 li 3 a (6), S. 968. 774 Ebso Martiny [Hdb IZVR 111!1], 1984, Rz 1130. A.A. RG v. 04104128, RGZ 121, 24 (29 f.); v. 03103138, RGZ 157, 136 (139)- obiter; Raape I Sturm [IPR 1), 1977, § 19 li 4 d, S. 355; Raape [DtiPR 1), 1938, S. 94. 775 Vgl. Schiitze (§ 826), JR 1979, S. 184 (186). 776 Vgl. hierzu oben S. 134 sowie unten S. 210. 777 Ebso Sclziitze [Unterschiede), WM 1983, S. 1078 (1083); Stiefel I Stiirner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (831); Lenz [punitive damages], 1992, S. 10 f.; lekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (322). Vgl. zum Zusammenspiel von Erfolgshonorar und american rufe of costs auch unten S. 209. 778 Schütze (Probleme), WM 1979, S. 1174 ( 1176).
Kessler
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
kampfloser Hinnahme eines Urteils stellen kann 779, will der BGH "mit den dafür allgemein vorgesehenen Mitteln [... ] begegnen" 780. Unklar bleibt, welche Mittel der BGH hier einzusetzen gedenkt. In Frage kommt hier wohl ebenfalls nur der Rekurs auf flagrant und schwerwiegend verletzte Prinzipien der §§ 826 und 242 BGB.
VI. Anerkennungsrechtlicher Ordre public und deutsches Internationales Privatrecht Dem zweitstaatlichen materiellen Kollisionsrecht kommt im Rahmen der internationalen Entscheidungsanerkennung in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung zu. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die französische Praxis, im Gefolge der eine noch ältere Rechtsprechung bestätigenden Grundsatzentscheidung "Munzer"781 grundsätzlich zu überprüfen, ob das vom Erstrichter angewandte Sachstatut auch nach französischem Kollisionsrecht berufen ist. Hierdurch soll fraudulöser Gesetzesumgehung vorgebeugt werden. Das auf den ersten Blick äußerst restriktiv und einschneidend erscheinende Prinzip scheint aber, dank einiger regelmäßig die Rettung der ausländischen Entscheidung ermöglichender dogmatischer Aufweichungen - inzwischen - von nur noch geringer praktischer Bedeutung zu sein 782 .
779 Diese Praxis ist unstreitig, ihre Häufigkeit dagegen schon. Vgl. etwa Schütze [Unterschiede), WM 1983, S. 1078 (1083); ders. [Probleme], WM 1979, S. 1174 (1176); Seilack [Einführung], 1995, S. 45 f.; ders. [Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (1993), S. 104 (108); Junker [discovery], 1987, S. 91 f.; Lenz [punitive damages], 1992, S. 7. Skeptisch lekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (322); ders. [Produkthaftpflicht], 1987, S. 125. Besonders bei sogen. RICO-Verfahren scheint die Mißbrauchsmöglichkeit aufgrund Struktur von Tatbestand und Verfahren besonders hoch zu sein, hierzu Stiefel! Bungert [RICO], ZIP 1994, S. 1905 (1907, 1911); dies. [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (765, 772 f.) jew. m.w.N. auch amerikanischer Stimmen. Bei offensichtlich fraudulöser Klageerhebung besteht aber auch nach USRecht die Möglichkeit der Kostenerstattung, vgl. Coester-Waltjen [punitive damages), 1994, S. 15 (27) m.w.N. 780 BGH v. 04/06/1992, BGHZ 118, 312 (326). Ebso Schack [Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (1993), S. 104 (108).
781 Vgl. Cass.civ. lre section, 07/01/64, Rev.crit.d.i.p. 1964, 344 = J.D.I. (Clunet) 1964, 302. Hierzu z.B. Mayer [DrlntPr], 1991, no 376; Fricke [Frankreich], IPRax 1989, S. 202 (203 f.). 782
Vgl. Mayer (DrlntPr], 1991, no 377.
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
167
1. Textliche Sonderstellung und Reform Vor der IPR-Reform 1986 wurde in § 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a.F. einigen personenrechtlichen Kollisionsnormen besonderes Gewicht beigemessen. Eine Abweichung zum Nachteil einer deutschen Partei führte zwingend zur Versagung der Anerkennung 783 • Das zweitstaatliche Internationale Privatrecht spielt jedoch nach wie vor noch eine Sonderrolle beispielsweise in Art. 4 Abs. 2 des deutsch-schweizerischen AnVollstrAbk, in Art. 6 des deutsch-israelischen AnVollstrV, in Art. 7 des deutsch-norwegischen AnVollstrV, in Art. 29 Abs. 1 Nr. 2 des deutsch-tunesischen AnVollstrV sowie insbesondere in Art. 27 Nr. 4 EuGVÜ bzw. LugÜ. Die Vorschriften sind jedenfalls, wo sie noch bestehen, als Ausnahmeregelungen eng auszulegen 784 • Daß der anerkennungsrechtliche ordre public aber "insbesondere über die Kollisionsnormen" wache785 , kann jedenfalls nach der Reform 1986, die durch das Streichen von § 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a.F. eine Loslösung der Urteilsanerkennung insgesamt von den materiellen Kollisionsregeln brachte786, nicht mehr behauptet werden. Auf der Hand liegt in diesem Zusammenhang die Frage, ob sich für die genannten Staatsverträge aus der Aufzählung der einzelnen, mit Nichtanerkennung sanktionierten zweitstaatlichen Kollisionsnormen, ein argumentum e contrariogewinnen läßt787• Die Frage wird teils bejaht788, teils verneint789•
783 Ob hier systematisch ein Unterfall des ordre public vorlag, oder lediglich einzelne Kollisionsnormen als international zwingend hervorgehoben wurden, war umstritten. Vgl. hierzu oben S. 99. 784 Ebso Geimer [EWG-Übk), RIW 1976, S. 139 (148); Geimer I Schütze [lntUrtAn 1/1 ), 1983, s. 1060.
785 So noch Raape [DtiPR 1), 1938, S. 91; gegen ihn Raape I Sturm [IPR 1], 1977, § 19114 a, S. 354; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 899. 786
s. 88.
Vgl. BGH v. 04106192, BGHZ 118, 312 (329) sowie BT-Drucks. X/504, 1983,
787 Die Streitfrage war im Fall des§ 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a.F. so alt wie das Gesetz selbst, vgl. Protokolle Bd. VI. Nr. 409, S. 88 f. 788 So schon Raape [DtiPR 1], 1938, S. 92; Raape I Sturm [IPR 1], 1977, § 19 II 4 b, S. 354 jew. zu § 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a.F. m.w.N. Ebso Haas [Unfallversicherung], ZZP 108 (1995), S. 219 (237); Koch [Anerkennung], 1987, S. 161 (177); Martiny [Hdb IZVR 11112], 1983, Rz 94; M.J. Schmidt [Durchsetzung], 1991, S. 139; Hartley [.iudgements], 1984, S. 89; wohl auch Jenard [Bericht). 1967, BT-Drucks. VI/1973, S. 52 (89) jew. für Art. 27 Nr. 4 EuGVÜ.
789 Vgl. Kropholler [EuZPR], 1993, Art. 27 Rz 13; Klinke [EuGVÜ-1], 1993, Rz 249. Ebso für den Art. 27 Nr. 4 EuGVÜ entsprechenden § 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
Der letztgenannten Auffassung ist grundsätzlich der Vorzug zu geben. Gerade nach Abschaffung von§ 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a.F., der zu schematisierter Durchsetzung deutschen Kollisionsrechts zwang, besteht kein zwingender systematischer Grund, die nunmehr gewonnene Flexibilität wieder aufzugeben. Läßt man dies zu, besteht dann auch kein Anlaß, eine angebliche "Kollisionsrechtsblindheit" 790 des Anerkennungsrechts zu bedauern. Überzeugende teleologische Gründe sprechen sogar dafür, das im Grundsatz unbestrittene Prinzip, wonach auch bei Bestehen einer staatsvertragliehen Regelung anerkennungsfreundlicheres autonomes Recht zum Zuge kommen kann 791 , so auszudehnen, daß auch eine "Mischanerkennung" in dem Sinne möglich ist, daß lediglich die in beiden Regelungen auftretenden, gemeinsamen Anerkennungsvoraussetzungen vorliegen müssen. Aus dem Fehlen einer kollisionsrechtlichen Kontrolle im autonomen deutschen Anerkennungsrecht könnte mithin geschlossen werden, auch im Verhältnis zu Staaten, mit denen die staatsvertragliche Regelung noch eine strikte kollisionsrechtliche Kontrolle vorsieht, verzichte Deutschland als Anerkennungsstaat auf diese Anerkennungsvoraussetzung 792 .
2. Überlagerung des Kollisionsrechts und forum shopping Die geringe Gewichtung der Wertungen des "übergangenen" zweitstaatlichen Kollisionsrechts im Rahmen der anerkennungsrechtlichen ordre public-Prüfung wird gestützt, wenn man sich klarmacht, daß es durch die Schaffung einheitlicher, teilweise sogar zwingender Gerichtsstände in multilateralen Abkommen 793 zu einer "Unterordnung des internationalen Privatrechts unter das internationale Verfahrensrecht" 794 oder auch zur Anwendung eines das
a.F. llabiclrt [IPR ), 1907, S. 241. Eine sehr vorsichtige Analogie findet sich auch bei BGH v. 07/03/79, BGHZ 73, 378 (382 f.) zu§ 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a.F. 790
So Kolrler [Einheit), IPRax 1992, S. 277 (281 f.) i.R.d. EuGVÜ.
A.A. Marti11y [Hdb IZVR 111/2], 1984, Rz 198 f., der einen Rückgriff zu Lasten des EuGVÜ ausschließt. Zweifelnd Gottwald [Grundfragen], ZZP 103 (1990), S. 255 791
(278, 292).
792 So wohl Geimer [IZPR], 1993, Rz 2767, m.E. aber zu Unrecht unter Berufung auf BGH v. 18/03/87, NJW 1987, S. 3081 (3083). 793
Z.B. Art. 16 EuGVÜ bzw. LugÜ.
794
So mit deutlicher Kritik Kolrler [Einheit), IPRax 1992, S. 277 (282).
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
eigene Internationale Privatrecht verdrängenden "virtuellen" 795 "verkappten zweiten Kollisionsrechtssystems" 796 kommt.
169 oder
Der Kläger soll gerade im Kontext der Zielsetzung dieser Abkommen nicht darauf verwiesen werden, nur weil qua zwingender Verweisung des erststaatlichen Kollisionsrechts unterschiedliches Sachrecht zur Anwendung kommt, zweimal klagen zu müssen. Dies würde neben doppeltem Aufwand, der gerade vermieden werden sollte, zu weiteren mißlichen Ergebnissen führen 797. Das Ergebnis, daß der Kläger mit der Wahl des forum gleichzeitig das anwendbare Sachrecht wählen kann und letztlich auch wählen muß, hat demnach nichts "Peinliches" an sich 798, sondern ist als zwangsläufige Folge legitimer Ausnutzung der den Forumstaat betreffenden Wahlmöglichkeiten hinzunehmen und nicht vorwerfbar799. Umgekehrt ist es aber auch nur konsequent, nicht schon dann, wenn der ausländische Erstrichter aufgrund Verweisung seines Kollisionsrechts, seiner Entscheidung deutsches materielles Recht oder auch nur deutsches Kollisionsrecht zugrunde legte, jede Berufung auf den ordre public im Anerkennungsstadium zu verwehren 800. Prüfungsgegenstand ist eben nicht der isolierte, die Entscheidung tragende - in diesem Fall also deutsche - Rechtssatz, sondern das Ergebnis seiner Anwendung
795 So Kolrler [Einheit], IPRax 1992, S. 277 (282). 796 Vgl. Picone I Wengier (IPRJ, 1974, S. 435 ff.; Geimer [Anerkennung], 1995, S. 19; ders. [Zöller-ZPOJ, 1995, § 328 Rz 164; ders. [Verfassung], ZfRVgl 33 (1992), S. 321 (412). Ähnl. Gottwald [Grundfragen], ZZP 103 (1990), S. 255 (268) "Kollisionsrecht zweiter Stufe". 797 S. oben S. 85. 798 So aber Jellinek [Anerkennung), 1953, S. 194. Kritisch auch Kohler [Einheit], IPRax 1992, S. 277 (282); Schack [Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (1993), S. 104 ( 110). 799 Vgl. Rosenberg I Schwab/ Gottwald (ZPR), 1993, § 157 I 3 e (1), S. 945; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1124. Ähnl. aus (neuerer) franz. Sicht Mayer [DrlntPr), 1991, no 383. 800 Vgl. BayObLG v. 19/07/67, MDR 1967, S. 1018. Ebso Geimer [Anerkennung], 1995, S. 25, 61; ders. [IZPR), 1993, Rz 29; ders. (Zöller-ZPOJ, 1995, § 328 Rz 154, 160; Speilenberg (Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 439; Hök [discovery], 1993, S. 262; Geimer I Schütze [lntUrtAn 1/2], 1984, S. 1483; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1030; ders. [recognition), AmJCompL 35 (1987), S. 721 (745 Fn 136); Weigand [dt.-sp. Rechtsverkehr), 1992, S. 233; Raape I Sturm [IPR I], 1977, § 19 II 4 c, S. 355; Raape (Dt!PR I], 1938, S. 93; v. Gierke [Zweck], ZfHR 88 (1926), S. 143 (146, 153).
170
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
durch den Erstrichter8°1. Kommt der Erstrichter aufgrund völliger Verkennung des Inhalts des von ihm angewandten deutschen materiellen Rechts, insbesondere der Generalklauseln802, zu einer schlechthin untragbaren Entscheidung, ist es ein rein begriffliches Argument, dem davon Betroffenen im Anerkennungsstadium die Berufung auf den ordre public zu versagen, weil hierin eine generell unzulässige Überprüfung der Rechtsanwendung durch den Erstrichter und damit eine revision au fand liege803. Ein ähnliches Scheinproblem stellt sich auch, wenn die anzuerkennende Entscheidung eines Mitgliedstaates der Europäischen Union auf harmonisiertem Recht beruht804. Die Bedeutung des zweitstaatlichen Internationalen Privatrechts darf auch nicht mit der Begründung übersteigert werden, ansonsten werde dem forum shopping Vorschub geleistet805 . Tendenzen über das Vehikel des ordre public
Abweichungen vom angeblich von der Natur der Sache - aber letztlich eben doch nur vom Kollisionsrecht des Zweitstaats - berufenen Sachstatut zu sanktionieren, und damit insbesondere die Privatautonomie zu beschränken, sind aber immer wieder festzustellen 806.
Für den Bereich der Schiedsgerichtsbarkeil wird beispielsweise - nach der hier vertretenen Auffassung zu Unrecht - vertreten, eine ohne ausdrückliche Rechtswahl oder Ermächtigung nach Billigkeit zu entscheiden vorgenommene objektive Anknüpfung an eine Iex mercatoria, verstoße gegen den ordre public807. Ein zudem noch sehr weit verstandenes forum shopping wird in Frankreich als rechtsmißbräuchlich mit Anerkennungsverweigerung geahndet, wenn die Gerichte des Staates, in dem das Urteil vor allem geltend gemacht werden sollte, bei erstge-
801 Genauer die Situation nach einer Anerkennung dieser Rechtsanwendung, vgl. oben S. 68. 802 Vgl. Geimer [IZPR], 1993, Rz 29. 803 So i.Erg. aber Melchior {DtiPR], 1932, S. 330; Vischer [Tatbestände], 1953, s. 89. 804 Gegen die Anwendung der Vorbehaltsklausel in diesem Fall Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (225); Brödermann I /versen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 759. Vgl. hierzu auch bereits oben S. 149. 805 Dies tut aber Jellinek [Anerkennung], 1953, S. 194. Ebso Schütze [Anm. zu BGH v. 04/06/92], RIW 1993, S. 139 (140) für Art. 38 EGBGB. 806 Vgl. Haas [Schiedssprüche], 1990, S. 242; Satmer [Schiedssprüche], 1994, S. 74 Fn 142. Auf dieser Linie z.B. die bekannte Entscheidung des U.S. Supreme Court Mitsubishi Motors Corporation v. Soter Chrysler-Plymoth lnc. 473 U.S. 614, 637, 87 L Ed 2d 444,461 f., 105 S.Ct. 3346 FN 19. 807 So insbes. C. v. Bar [IPR 1], 1991, Rz 113. A.A. Dasser [Iex mercatoria], 1989, s. 302 f., 362 f.
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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richtlicher Befassung anders entschieden hätten, als tatsächlich erstgerichtlich entschieden worden ist808 . Auch dies geht für das deutsche Recht zu weit.
Im Gegensatz hierzu äußerte der BGH in einer der jüngsten Entscheidungen zu diesem Thema809, die Verhinderung eines forum shopping sei, "soweit erforderlich, im Einzelfalle selbständig810 anzustreben". Die Grenze bleibt damit nebulös.
3. Fehlender materiellprivatrechtlicher Gerechtigkeitsgehalt Wenn auch keine zwingenden systematischen Gründe gegen eine grundsätzliche Einbeziehung des zweitstaatlichen Kollisionsrechts in den vom ordre public erfaßten Bereich sprechen, scheint inhaltlichen Argumenten größeres Gewicht zuzukommen. So ist Schack811 der Ansicht, nicht der kollisionsrechtliche Weg, sondern allein das materiellrechtliche Ergebnis zähle im Rahmen der allgemeinen ordre public-Kiausel. Mithin hätte keine Wertung des deutschen Internationalen Privatrechts in irgendeinem Zusammenhang mehr ordre public-Qualität. Das erscheint zunächst einleuchtend, weil ja im Rahmen des anerkennungsrechtlichen ordre public letztlich nur auf "das Ergebnis der Anerkennung" 812, also in erster Linie die Folgen des vom Internationalen Privatrecht des Erststaat berufenen Sachrechts, abzustellen ist. Daran ist richtig, daß den Kollisionsnormen kein materiellprivatrechtlicher Gerechtigkeitsgehalt innewohnt. Materielle Gerechtigkeit ist auch sicher Hauptschutzobjekt der Vorbehaltsklause1 813 • Kollisionsnormen sind dennoch keine lediglich technischen oder wertneutralen Normen 814, denn sie dienen der
808
Vgl. Fricke [Frankreich], IPRax 1989, S. 202 (206).
809
BGH v. 16/09/93, BGHZ 123, 268 (270).
Nach dem Kontext der Passage ist mit "selbständig" wohl außerhalb der ordre public-Prüfung gemeint. Auch G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 41 sieht in der Absicht, die inländische Gerichtsbarkeit "zu umgehen" einen eigenständigen Versagungsgrund aus der "Natur der Sache". Hierzu oben S. 73. 810
811 Seizack (IZVR], 1991, Rz870.1. Erg. ebso Geimer [IZPR), 1993, Rz2966; Martiny (recognition], AmJCompL 35 (1987), S. 721 (746). 812
Vgl. den Wortlaut z.B. von§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Hierzu schon oben S. 68.
813
Vgl. oben S. 62.
So aber G. H. Roth [ordre public), 1967, S. 104. Ähnl. Seizack (IZVR], 1991, Rz 870. 814
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
internationalprivatrechtliehen Gerechtigkeit815 • Nimmt man die Kollisionsnormen ganz aus dem Geltungsbereich ordre public-relevanter Wertungen heraus, könnte die Verweigerung der Anerkennung nicht mehr auf eine schlechthin unerträgliche Anknüpfung und damit einen Verstoß gegen die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit gestützt werden. Dies ist nicht zu begründen. Der ordre public schützt damit auch - wie im Bereich materiellprivatrechtlicher Normen jedoch nur in Extremfällen- die deutschen Kollisionsnormen816 • Der also ebenfalls von der Vorbehaltsklausel bezweckte Schutz der internationalprivatrechtliehen Gerechtigkeit bleibt aber insofern "ergebnisbezogen", als er nur dann notwendig ist, wenn die unerträglich willkürliche Anknüpfung tatsächlich zu einem - wenn auch im sonst üblichen Rahmen der ordre publicPrüfung geringfügig- anderen materiellen Ergebnis führt 817 • Der so erreichte Schutz zweitstaatlichen Kollisionsrechts und der internationalprivatrechtliehen Gerechtigkeit über die allgemeine ordre public-K.Jausel ist auch dann sinnlos, wenn die Anwendung des nach Verweisung der (deutschen) Iex fori räumlich gerechten Rechtsl18 zu einem (materiellen) Ergebnis führt, dessen Auswirkungen, weil fundamentale materiellrechtliche Gerechtigkeitsvorstellungen konterkarierend, unerträglich erscheinen. Ein solches Ergebnis nach fiktiver Befolgung der Verweisung und Anwendung des entsprechenden Sachrechts kann das Eingreifen der Vorbehaltsklausel zugunsten der deutschen Kollisionsnorm offensichtlich nicht rechtfertigen.
VII. Art. 38 EGBGB und anerkennungsrechtlicher ordre public Art. 38 EGBGB bildet im Rahmen seiner kollisionsrechtlichen Anwendung die Grenze hinsichtlich Schadensersatzhöhe, aber auch hinsichtlich anspruchs815 So deutlich Martiny [Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 1031; Ne11haus [Grundbegriffe], 1976, S. 42; Reicheil [ordre public], ZfRVgl 16 (1975), S. 217 (220). Zum Begriff weiterhin z.B. Sonnenherger [MünchKomm-BGB], 1990, IPR Einl. Rz 67 f. m.w.N.; Kegel [IPR], 1995, § 2 I, S. 106 ff. 816 Ebso Kropholler [EuZPR], 1993, Art. 27 Rz 8, 13; M.J. Sclrmidt [Einrede], FSSandrock, 1995, S. 205 (219). Noch zum alten Recht Sclriitze [DtiZPRJ, 1985, S. 161; ders. [Probleme], 1960, S. 27; ders. [Probleme], 1960, S. 31. Ebso i.R.v. Art. 6 EGBGB Lüderitz [IPRJ, 1992, Rz 213m. Bsp.
.
8 17 Ebso Kropholler [EuZPR], 1993, Art. 27 Rz 13. Keinerlei Relevanz will Heini [ordre public], FS-Habscheid, 1989, S. 153 (159)- jedenfalls bei der Anerkennung von Schiedssprüchen - selbst willkürlichen Anknüpfungen unter dem Gesichtspunkt einer ordre public-Kontrolle beimessen. A.A. Lalive I Poudret I Reymond [arbitrage], 1989, Art. 190 Anm. 6; F.-E. Klein [Schiedsgerichtsbarkeit], 1979, S. 33 (43).
818 Wa11dt [IntProdhaftg], 1995, Rz 556 schlägt als terminologisch vorzugswürdigen Begriff "kollisionsrechtlich bestes Recht" vor.
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berechtigtem und haftendem Personenkreis819 • Diskutiert wurde insbesondere in der Vergangenheit, ob und inwieweit sich Art. 38 EGBGB als Unterfall des kollisionsrechtlichen ordre public auch über die anerkennungsrechtliche ordre public-Klausel bei der internationalen Entscheidungsanerkennung auswirken soll.
1. Art. 38 EGBGB als spezialgesetzliche Ausprägung des ordre public Die Durchsetzung von Art. 38 EGBGB auch gegenüber ausländischen Schadensersatztiteln liegt im Ansatz schon deshalb nahe, weil es sich bei der Norm nach ganz überwiegender Auffassung um einen Sonderfall des ordre publicGedankens handelt820• Aber schon dieser Ansatz ist nicht unzweifelhaft821 • Koch 822 betont den menschenrechtliehen Charakter von Art. 6 EGBGB und § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, der im Gegensatz zum bürgerlichrechtlichen des Art. 38 EGBGB stehe. Bungert823 und Kropholler8 24 sehen, auch unter Berücksichtigung seiner Entstehungsgeschichte, in Art. 38 EGBGB eine reine Inländerschutzklausel, die, vergleichbar der Technik einer einseitigen Kollisionsnorm, lediglich die Interessen 8!9 Vgl. z.B. Wandt [IntProdhaftg], 1995, Rz 1247; Kreuzer [MünchKomm-BGB], 1990, Art. 38 EGBGB Rz 314 f. 820 Vgl. z.B. BGH v. 04/06/1992, BGHZ 118,312 (329); SchiUze (Anm. zu BGH v. 04/06/92], RIW 1993, S. 139 (140); ders. [dt.-am. Urteilsanerkennung], 1992, S. 170; ders. [Produkthaftungshdb li], 1991, § 103 Rz 10; ders. [Produkthaftung], FS-Nagel, 1987, S. 392 (400); Heldrich [Palandt-BGB], 1996, Art. 38 EGBGB Rz 28; Lüderitz [IPRJ, 1992, Rz 216, 307; Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (236); Sonnenberger (MünchKomm-BGB], 1990, Art. 6 EGBGB Rz 17; Kreuzer (MünchKommBGB), 1990, Art. 38 EGBGB Rz 319; Hohlach [Erman-BGB), 1993, Art. 6 Rz 8 f., Art. 38 Rz 53; Firsching I v. Hoffmann [IPR], 1995, Rz 144; Hay [enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729 (738); Lagarde [public policy], 1994, S. 28 f; Blumenwitz [Staudinger-12], 1991, Art. 6 EGBGB Rz 4; v. Hoffmann [Staudinger-12], 1992, Art. 38 EGBGB Rz 244; Kegel [IPR), 1995, § 2 III, S. 117 f., § 16 X, S. 385; ders. [Soergei-BGB], 1984, Art. 30 Rz 25; Stiefel I Stiimer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (832 f.); Lüderitz [Soergei-BGB], 1984, Art. 12 Rz 64; Schack [Art. 12], VersR 1984, S. 422; v. Westphalen [Art. 12], RIW 1981, S.141 ; Raape/ Sturm (IPR 1], 1977, § 13 lii 3, S. 204; Raape [DtlPR I], 1938, S. 91; Frankenstein [IPR li], 1929, S. 381. 82 1 Kritisch z.B. Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1713 f.); Kropholler [IPR], 1994, § 36 VIII, S. 235; Koch [Schadensersatz], NJW 1992, S. 3073 (3074 Fn 7); lekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (315); ders. [Produkthaftpflicht], 1987, S. 23 ff.; Neuhaus [Grundbegriffe), 1976, S. 88, 384. Ähnl. auch Similis [Kodifikation], 1970, S. 267 (270); Gesler [§ 328 ZPOJ, 1933, S. 59 f. 822
Koch [Schadensersatz], NJW 1992, S. 3073 (3074 Fn 7) m.w.N.
823
Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1713 f.).
8 24
Kroplroller [IPRJ, 1994, § 36 VIII, S. 235.
174
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
der inländischen Partei schützen soll. Dem ist immerhin entgegenzuhalten, daß die Finanzierbarkeil des Schadensausgleichs, der ja häufig über Versicherungen erfolgt, auch im öffentlichen Interesse liegt825 . Zekol1826 bezweifelt die konzeptionelle Vergleichbarkeit hauptsächlich wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen.
Diesen Kriterien ist zuzugeben, daß der Gedanke, ein deutscher Staatsangehöriger solle für durch ihn verursachte Schäden nicht über den vom deutschen Schadensrecht gesetzten Rahmen haften, sich in keiner anderen Vorschrift auch nur im Ansatz manifestiert. Schon insofern sind deshalb Zweifel angebracht, ob es sich beim privilegium germanicum des Art. 38 EGBGB um einen der wesentlichen Grundgedanken der deutschen Rechtsordnung i.S. des ordre public handelt. Eine solche These wird weiter dadurch erschüttert827, daß mit beachtlichen Gründen vertreten wird, die Norm verstoße gegen Art. 6 EGV und sei damit nichtig, jedenfalls aber gegenüber EG-Angehörigen nicht anzuwenden828 .
2. Zielsetzung von Art. 38 EGBGB Das wesentliche, mit Art. 38 EGBGB avisierte Ziel ist, die Haftpflicht und auch deren Versicherbarkeit im Inland gemeinverträglich und berechenbar zu halten 829 • Ohne Zweifel könnte dies durch dessen entsprechende Anwendung im Verfahren der Vollstreckbarerklärung fremder Entscheidungen noch besser erreicht werden. Teilweise wird gar behauptet, ohne die Erstreckung von
825 Vgl. Stiefel I Stiirner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (839); Stiefel I Stiimer I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (789). 826 Vgl. Zekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (315); ders. [Produkthaftpflicht], 1987, S. 23 ff. 827 Zur Kollision nationalen Rechts mit Europäischem Gemeinschaftsrecht und den Auswirkungen auf dessen mögliche ordre public-Qualität vgl. oben S. 147. 828 Vgl. Wandt [IntProdhaftg], 1995, Rz 1252 f. m.w.N.; Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 499; Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 ·(236 f.); Bu11gert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1712 Fn 65); C. v. Bar (IPR 1], 1987, Rz 172 f.; Heldrich [Palandt-BGB], 1996, Art. 38 EGBGB Rz 28; Kropholler [IPR], 1994, §53 IV, S. 447; Raape I Sturm [IPR 1], 1977, § 13 III 3, S. 204; Zweigert [Auswirkungen], FS-Hallstein, 1966, S. 555 (566); Spickhoff (ordre public], 1989, S. 198; Seilack (Anm. zu BGH v. 04106192], ZZP 106 (1993), S. 104 (111 Fn 49). A.A. aber z.B. Kreuzer (MünchKomm-BGB], 1990, Art. 38 Rz 304 m.w.N. Allgemein für ein Diskriminierungsverbot von EG-Bürgern im Rahmen der Urteilsanerkennung Neuhaus [Grundbegriffe], 1976, S. 372. 829 Vgl. BGH v. 04106/1992, BGHZ 118, 312 (330); Geimer (Anm. zu BGH v. 04/06/92], EWiR § 328 ZPO, 1/92, S. 827 (828); Ebenroth [Entwicklungen], JZ 1988, S. 18 (27); Stiefel I Stiirner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (833).
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
175
Art. 38 EGBGB auch auf die Entscheidungsanerkennung, sei der vom Gesetzgeber mit Art. 38 EGBGB intendierte Schutz ein "Gebiß ohne Zähne" 830• Für die Erstreckung von Art. 38 EGBGB auf die Vollstreckungsmöglichkeiten mit ausländischen Titeln spricht weiterhin der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit, dem gerade in einem Verfahrensabschnitt, der so zügig wie möglich abgewickelt werden sollte, eine besondere Bedeutung zukommt831 • Schack832 wird jedem Praktiker aus dem Herzen sprechen, wenn er feststellt, daß ein Exequaturverfahren durch möglicherweise drei Instanzen den Parteien, die im Internationalen Zivilverfahrensrecht schon mit genug Schwierigkeiten zu kämpfen haben, nicht auch noch zugemutet werden sollte. Deshalb wird von einer Minderheit in der Literatur gefordert, Art. 38 EGBGB müsse auch die Grenze für die Anerkennung ausländischer Titel sein833• Zum Teil wird dann aber die Einschränkung vertreten, bei Staatsverträgen sei eine andere- liberalere- Beurteilung geboten834•
830
So Sclwck (Art. 12], VersR 1984, S. 422 (423).
Vgl. Schack [Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZJ? 106 (1993), S. 104 (llO); ders. [IZVR[, 1991, Rz 869. 83 1 832
Seizack [Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (1993), S. 104 (111).
So insbes. SchiUze (Anrn. zu BGH v. 04/06/92], RIW 1993, S. 139 (140); ders. (dt.-am. Urteilsanerkennung], 1992, S. 170; ders. [Produkthaftungshdb II], 1991, § 103 Rz 10; ders. [Produkthaftung], FS-Nagel, 1987, S. 392 (400); Schack [Art. 12], VersR 1984, S. 422 (423), vorsichtiger nunmehr ders. (IZVRJ, 1991, Rz 869; Kreuzer [MünchKomm-BGB], 1990, Art. 38 EGBGB Rz 318, allerdings nur für Klagen außerhalb des Gerichtsstands nach Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ; ähnl., aber letztlich unklar, Ebenroth [Entwicklungen], JZ 1988, S. 18 (27, Fn 135); Hoechst [Produzentenhaftung], 1986, S. 120; ders. [Versicherbarkeit], VersR 1983, S. 13 (16); Frankenstein [IPR II], 1929, S. 381; Raape [Staudinger-9), 1931, Art. 12 EGBGB Anm. B. VIII.; Habicht [IPRJ, 1907, S. 241 f. ; Seuffert (Revision], ZdtZP 22 (1896), S. 322 (342). Ebso für die schweizerischen Parallelnorm Art. 135 Abs. 2 IPRG Stojan (Anerkennung], 1986, S. 75; ZivG Basel v. 01/02/89, BJM 1991, S. 31 (36). Ähnl. Lenz [punitive damages], 1992, S. 151, der aber (S. 125, 160 ff.), wegen der unterschiedlichen Schutzfunktionen der Klauseln und der nach schweizerischem Recht ausgeschalteten Möglichkeit eines fortun shopping in Deliktsfällen, die Problemstellung insoweit nicht für vergleichbar hält; a.A. insoweit Wandt [IntProdhaftg], 1995, Rz 80, 1243. 833
834 BGH v. 22/06/83, BGHZ 88, 17 (24 ff.); Kreuzer (MünchKomm-BGB], 1990, Art. 38 EGBGB Rz 318 m.w.N. Gegen ihn Seilack (Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (1993 ), S. 104 ( 110).
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
176
3. Stellungnahme Die Frage der Relevanz von Art. 38 EGBGB bei der Anerkennung ausländischer Schadensersatztitel ist im Zusammenhang mit dem allgemeinen Problem des forum shopping zu sehen835 • Je höher die mutmaßliche betragsmäßige Diskrepanz zwischen einem im Ausland erstreitbaren und einem entsprechenden inländischen Titel wäre, umso höher ist der Anreiz für den Geschädigten, im Ausland zu klagen. Ohne Zweifel würde der Antrieb, einen Deutschen im Ausland zu verklagen, durch die rigorose Durchsetzung von Art. 38 EGBGB gegenüber ausländischen Titeln wenn auch sicher nicht beseitigt836, so doch gemindert. Es ist aber im Ausgangspunkt noch kein verwerfliches Verhalten, sich Unterschiede in den nationalen Rechtsordnungen zunutze zu machen837• Durch die Neufassung des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO 1986 und insbesondere die Streichung der alten Nr. 3 brachte der Gesetzgeber dagegen deutlich zum Ausdruck, daß die Tatsache, daß Urteilsschuldner ein Deutscher ist, und es deshalb zu kollisionsrechtlichen Abweichungen kommen kann, die ein - international zuständiger - ausländischer Richter weder beachten wird noch dies überhaupt könnte, einer Anerkennung grundsätzlich nicht mehr im Weg stehen so11838• Erlaubt es das nationale Recht, das EuGVÜ oder allgemeine Regeln an verschiedenen Gerichtsständen zu klagen, kommt in jedem Fall unterschiedliches Prozeßrecht und kann, wegen Unterschieden im Internationalen Privatrecht des Forumstaates, unterschiedliches Sachrecht zur Anwendung kommen. Der Kläger kann, nach der nicht nur für das Deliktsstatut geltenden Ubiquitätslehre839, in dem für ihn potentiell günstigsten Gerichtsstand klagen. Diese grundsätzlich nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO eröffnete Möglichkeit würde jedenfalls für den Bereich deliktischer Haftung durch entsprechende Anwendung von Art. 38 EGBGB wieder weitgehend unterlaufen 840. 835
Hierzu bereits oben S. 168.
So aber Sclrack [IZVR], 1991, Rz 869. Zu den komplexen Überlegungen, die hinter der Wahl des internationalen Gerichtsstands stehen vgl. unten Fn 847. 83? A.A. jedenfalls für das Deliktsrecht Schack (Art. 12], VersR 1984, S. 422 (425). 838 Vgl. BGH v. 04106!1992, BGHZ 118, 312 (329); Koch (Schadensersatz], NJW 1992, S. 3073 (3074); Coester-Waltjen [punitive damages], 1994, S. 15 (29). 839 Vgl. BGH v. 23110/79, NJW 1980, S. 1224 (1225); Seizack [IZVRJ, 1991, § 8 II 4 Rz 293 ff.; Kreuzer [MünchKomm-BGBJ, 1990, Art. 38 EGBGB Rz 40, 50 ff.; Heldric/1 [Palandt-BGBJ, 1996, Art. 38 EGBGB Rz 3. Ähnlich für Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ EuGH v. 30111/76, Rs 21/76 (Bier I Mines de Potasse), NJW 1977, S. 493 f. sowie Urt. v. 11101190, Rs C-220188- (Dumez I HeLaBa), NJW 1991, S. 631 f. 840 Vgl. BGH v. 22106183, BGHZ 88, 17 (24 f.); LG Berlin v. 13106189, RIW 1989, S. 988 (989); Kreuzer (MünchKomm-BGBJ, 1990, Art. 38 EGBGB Rz 318 m.w.N. 836
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
177
Nicht schlüssig wäre es, diese Argumentation auf das Deliktsrecht und die Wahlmöglichkeiten des EuGVÜ zu beschränken841 . Insoweit ist Kreuzertl42 zu widersprechen, der einen Unterschied zwischen autonomem ordre public-Vorbehalt und dem des EuGVÜ macht und meint, Art. 38 EGBGB sei lediglich integraler Bestandteil des ersteren. Die von Kronke843 in diesem Zusammenhang geäußerte Hoffnung, daß gerade die unter dem Blickwinkel der Schadensersatzhöhe für europäische Verhältnisse besonders suspekte US-amerikanische Rechtsordnung extensivem forum slwpping, das allein darauf abzielt in den Genuß der exorbitanten Schadensersatzsummen zu gelangen, "gerne" mit dem dort anerkannten Instrument des forum non con· veniens844 begegne, erscheint allerdings angesichts der tatsächlichen Handhabung der long-arm-statutes845 durch die US-Gerichte -jedenfalls bei US-amerikanischen Klägern846 - eher als frommer Wunsch denn als tragfähige Hoffnung für den Beklagten.
Ohnehin ist die Wahl unter mehreren international zulässigen Gerichtsständen ein äußerst komplexes Problem, dessen Verkürzung auf die Frage nach dem materiellen Recht, aufgrund dessen die theoretisch höchste Summe zugesprochen werden könnte, der Praxis nicht gerecht wird847.
Kritisch zu diesem "einseitigen, ex post und ad hoc"-Wahlrecht G.H. Roth [forum shopping), IPRax 1984, S. 183 (184 f.), der aber am Ende auch nur eine "gewisse Ratlosigkeit" für unvermeidlich hält. 841 So hat dann der BGH in Urt. v. 04/06/92, BGHZ 118,312 (328) die Argumentation zu Recht auch auf§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO übertragen.
842
Kreuzer [MünchKomm-BGBJ, 1990, Art. 38 EGBGB Rz 318 m.w.N.
Kranke [Anm. zu BGH v. 04/06/92], LM § 328 ZPO, 1993, Nm. 38-40, Anm. 2 a.
w
844 Vgl. hierzu Schack [Einführung], 1995, S. 33 ff. ; ders. [IZVR], 1991, Rz 493; Schiitze [DtiZPR), 1985, S. 38, ders. [Unterschiede], WM 1983, S. 1078 (180) jew. m.w.N.; Kroplwller [Hdb IZVR 1], 1982, Rz 204. 845
Hierzu z.B. Schack [Einführung], 1995, S. 23 ff.
Ebso die Bewertung von Seizack [Einführung], 1995, S. 34 m.w.N.; ders. [IZVRJ, 1991, Rz 496 und Schiitze [DtiZPR), 1985, S. 38m. Bsp. Völlig anders stellt sich die Handhabung für ausländische Kläger dar, vgl. Piper Aircraft Co. Reyno, 454 U.S. 235, 247 ff., 253 (1981). Hierzu und zu den Konsequenzen Schock [Einführung], 1995, S. 34 f. 846
Vgl. zu den hinter der Gerichtsstandswahl stehenden Überlegungen, deren Nichtbeachtung sogar regelmäßig zu einer Schadensersatzpflicht des mit dem Fall befaßten Anwalts führen dürfte z.B. Geimer [IZPR), 1993, Rz 79 ff.; C. v. Bar [IPR 1], 1991, Rz 410; etw. abweichend Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 81. Gelegentlich kumulieren allerdings die Vorteile für den Kläger in einem Gerichtsstand. Erinnert sei an das bekannt gewordene Bild von Lordrichter Denning, ehemaliger Oberster Richter 847
12 Völker
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
Als weiteres systematisch-historisches Argument gegen die Durchsetzung von Art. 38 EGBGB im Rahmen des anerkennungsrechtlichen ordre public kann angeführt werden, daß es der Gesetzgeber bei der Neufassung von § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO - in Kenntnis des Streitstandes- bei einer Angleichung an Art. 6 EGBGB beließ, ohne dessen spezielle deliktsrechtliche Ausprägung, so Art. 38 EGBGB denn als solche anzusehen sein sollte848, in irgend einer Weise zu berücksichtigen849 • Es ist damit nicht einzusehen, weshalb im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung des zulässigerweise im ausländischen Gerichtsstand erstrittenen Titels Art. 38 EGBGB eine absolute Barriere bilden sollte850. Vielmehr kann die Stärke der Berücksichtigung der "Leitbildfunktion des deutschen Haftungs-
am englischen Court of Appeal betreffend den OS-amerikanischen Zivilprozeß, in: Smith Kline Ltd. v. Bloch, [1983] 2 All E.R.72, 74 (C.A.).: "Wie eine Motte an das Licht, so wird ein Kläger in die Vereinigten Staaten gezogen. Wenn er einen Fall vor die Gerichte der USA bringt, hat er Aussichten, ein Vermögen zu gewinnen - ohne eigene Kosten und ohne das Risiko, beim Prozeßverlust dem Gegner die Kosten erstatten zu müssen.( ... ). Der Kläger hält alle Trümpfe." 848
Vgl. oben S. 173.
So Stiefel I Stümer [Vollstreckbarkeit], VersR Coester-Waltjen [punitive damages), 1994, S. 15 (29). 849
1987,
S. 829
(833);
850 Vgl. BGH v. 16/09/93, BGHZ 123, 268 (270); v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (328 f.); v. 22/06/83, BGHZ 88, 17 (24 f.); OLG Düsseldorf 28/05/91, RIW 1991, S. 594 (596); LG Berlin v. 13/06/89, RIW 1989, S. 988 (989); Koch I lekoll [Unterschied], IPRax 1993, S. 288 (290); lekoll RIW 1990, S. 302 (303); ders. [recognition), ArnJCompL 37 (1989), S. 301 (317); ders. [Produkthaftpflicht), 1987, S. 30 f.; Bungert [enforcing), lnt'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1081); Stiefel I Bungert [RICOJ, ZIP 1994, S. 1905 (1910); Coester-Waltjen (punitive damages], 1994, S. 15 (29); Wand/ (lntProdhaftg), 1995, Rz 1256; Hay [enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729 (738 Fn 34); Rosenberg I Schwab/ Gottwald (ZPR), 1993, § 157 I 3 e (1), S. 945; Basedow [Haftungsersetzung), IPRax 1994, S. 85; Kronke (Anm. zu BGH v. 04/06/92), LM § 328 ZPO, 1993, Nrn. 38-40, Anm. 2 a; Geimer (Anerkennung), 1995, S. 141; ders. [Zöller-ZPO), 1995, § 328 Rz 169; ders. [IZPR), 1993, Rz 2973; Deutsch (Anm. zu BGH v. 04/06/92), JZ 1993, S. 266 (267); v. Hoffmann [Staudinger-12), 1992, Art. 38 EGBGB Rz 248b; Holrloch [Erman-BGB), 1993, Art. 38 Rz 55; Heldrich [Palandt-BGB), 1996, Art. 38 EGBGB Rz 28; Kühn [RICO), FS-Giossner, 1994, S. 193 (205 f.), speziell auch zu § 1044 Abs. 2 Nr. 2 ZPO; C. v. Bar [IPR q, 1991, Rz 638; Linke [IZPR), 1990, Rz 422; Böhmer (Spannungen], NJW 1990, S 3049 (3051); Martiny (Hdb IZVR lll/1), 1984. Rz 1045; ders. [recognition]. ArnJCompL 35 (1987), S. 721 (746); Krophol/er [Anm. zu BGH v. 22/06/83), JZ 1983, S. 906 (907); v. Westphalen(Art. 12), RIW 1981, S. 141 (142).
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
179
rechts" 851 danach differenziert werden, ob die Auswirkungen des forum shopping allein den Vollstreckungsstaat betreffen, letztlich ganz oder teilweise auf den Erststaat zurückwirken oder generell, zum Beispiel bei einem multinationalen Konzern als Anerkennungsgegner, in einem internationalen Kontext stehen. Eine dabei im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten insgesamt etwas deutlichere Berücksichtigung nationaler Vorstellungen als Richtgröße verhindert ausreichend, daß die mit Art. 38 EGBGB verfolgten Ziele durch Klagen im ausländischen Gerichtsstand völlig konterkariert werden, ohne aber in dessen enges Korsett zu zwingen.
VIII. Rechtspolitische Erschütterung der Regelung "Wesentliche Grundsätze" des eigenen Rechtskreises zeichnen sich in der Regel auch dadurch aus, daß über ihre Berechtigung breiter Konsens in Rechtsprechung, Wissenschaft und Gesellschaft herrscht.
1. Erschütterung der Regelung im Anerkennungsstaat Gegen die "Wesentlichkeit" der von der ausländischen Entscheidung in Frage gestellten zweitstaatlichen Interessenwertung spricht damit im Zweifel die rechtspolitische Erschütterung dieser Wertung im eigenen Rechtskreis852 • Diese Erschütterung kann sich in mehrfacher Weise manifestieren. Zum einen kann die Regelung selbst in der rechtspolitischen Diskussion Angriffen ausgesetzt sein853 • Gegen eine Verletzung des ordre public aus deutscher Sicht spricht auch, daß das vom ausländischen Urteil durchbrochene heimische Prinzip wiederum selbst eine für die deutsche Rechtsordnung ganz außergewöhnliche Regelung enthält. 851 So Stiefel/ Stiimer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (833, 837). Deutsch [Anm. zu BGH v. 04/06/92], JZ 1993, S. 266 (267) spricht von der "Anleitungswirkung" des Art. 38 EGBGB. Ebenfalls nicht anders dürfte der BGH v. 04/06/1992, BGHZ 118, 312 (330) zu verstehen sein. In diesem Sinn auch Art. 40 des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Internationalen Privatrechts v. 01/12/1993, vgl. AnhangS. 310. 852 Vgl. BGH v. 24/04/74, BGHZ 62, 282 (283); Basedow [Haftungsersetzung], IPRax 1994, S. 85 (86); Koclr I lekoll [Unterschied], IPRax 1993, S. 288 (291); Spiekiroff [ordre public], 1989, S. 150; Jayme [Methoden], 1989, S. 46; Gesler [§ 328 ZPOJ, 1933, S. 42.
853 Wengier (RGRKJ, 1981, Bd. VI, § 7 c 1, S. 75 läßt dieses Argument nur zu, wenn der "Reformbedarf" von den gesetzgebenden Körperschaften erkannt ist, die Inhalte einer möglichen Neuregelung bereits ersichtlich sind, und die ausländische Wertung diesen Inhalten nahe kommt.
!2•
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
Als praktisch gewordene Beispiele kann für die erste Variante das System der "echten" und "unechten" Unfallversicherung854 oder, in einem kollisionsrechtlichen Fall, die Kranzgeldregelung des § 1300 BGB855 angeführt werden. Für die zweite Variante kann § 762 BGB856 genannt werden. "Erschüttert" in diesem Sinn ist aber eine Wertung der Iex fori auch, wenn sie unmittelbare Durchbrechungen erleidet oder auch Erosionen auf verwandten Gebieten ausgesetzt ist857 • Ein löchriges Prinzip kann schwerlich Gegenstand des ordre public sein. Auf dieses Argument wird weit häufiger zurückgegriffen, um die ordre public-Qualität einer Wertung in Frage zu stellen.
2. Beispiele a. Nemo contra se edere tenetur Im Zusammenhang mit der Anerkennungsfähigkeit US-amerikanischer Urteile, die aufgrund einer pre-trial discovery858 mit regelmäßig ausforschendem Charakter859 ergangen sind, wird die Frage diskutiert, ob der hierbei durchbrochene deutsche Rechtsgrundsatz, daß niemand die Waffen gegen sich selbst liefern muß860, ein solcher mit ordre public-Qualität ist.
854 Vgl. Basedow [Haftungsersetzung], IPRax 1994, S. 85 (86) m.w.N. vor dem Hintergrund der Entscheidung des BGH v. 16109193, BGHZ 123, S. 268 (275 ff.). 85 5
Vgl. BGH v. 24104/74, BGHZ 62, 282 (283).
85 6
Gegen LG Mönchengladbach v. 14107194, WM 1994, S. 1374 (1377).
Vgl. Koch I lekoll [Unterschied], IPRax 1993, S. 288 (291); Geimer [Anerkennung], 1995, S. 141; Jayme [Methoden], 1989, S. 59; v. Brunn [Nachprüfbarkeit], NJW 1969, S. 823 mit weiteren Bsp. Ebso Stiefel I Stürner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (839); Stiefel I Stiirner I Stadler [enforceability), AmJCompL 39 (1991), S. 779 (791), zu letzteren vgl. aber unten Fn 899. 857
858 Zu den einzelnen Möglichkeiten im Rahmen einer pre-trial discovery und deren Funktion ausführlich z.B. Junker [discovery], 1987, S. 145 ff.; Schack [Einführung), 1995, S. 44 ff.; Geimer [IZPR), 1993, Rz 88 ff., 98a.; lekoll [Produkthaftpflicht), 1987, S. 127 ff. Zu den weitaus geringeren Möglichkeiten i.R. einer discovery nach englischem Recht z.B. Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 288 ff., 295 m.w.N. 8 59 Vgl. Hök [discovery), 1993, S. 283; Geimer [IZPR), 1993, Rz 82; Schütze [dt.am. Urteilsanerkennung], 1992, S. 169; ders. [Probleme], WM 1979, S. 1174 (1175); Greger [discovery], ZRP 1988, S. 164 (165). Ebso LG Berlin v. 13106189, RIW 1989, s. 988 (990). 860 Vgl. Schütze [Anm. zu BGH v. 04106192), RIW 1993, S. 139 (141); ders. [discovery]. FS-Stiefel, 1987, S. 697 (702).
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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Dies läßt sich mit gewichtigen Gründen mindestens bezweifeln861 • Durchbrechungen des Grundsatzes finden sich nämlich nicht nur in den materiellrechtlichen Auskunfts- und Urkundenvorlageansprüchen862, sondern auch im Prozeßrecht selbst863 . Schlosser864 weist überzeugend nach, daß die Geltung des Grundsatzes durch vielfältige, an noch anderer Stelle ansetzende Instrumente inzwischen noch weiter ausgehöhlt ist865 •
b. Begründungspflicht richterlicher Entscheidungen Aus der Tatsache, daß im Rahmen der Vereinbarung eines nationalen Schiedsgerichts ein Verzicht auf die Begründung des Schiedsspruchs zulässig
861 Grundlegend Hök [discovery], 1993, S. 285 ff.; Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 296 Fn 126. Auch lekoll [recognition], ArnJCompL 37 (1989), S. 301 (333 f.); ders. RIW 1990, S. 302 (305); ders. [Produkthaftpflicht], 1987, S. 138 ff. m.w.N. sieht im Verbot des Ausforschungsbeweises - so ein solches überhaupt anzunehmen sei jedenfalls keinen tragenden deutschen Rechtsgrundsatz. Ähnlich OLG Düsseldorf v. 28/05/91, VersR 1991, S. 1161 (1162): Es stelle jedenfalls keinen generell unerträgli· chen Verstoß gegen hiesige Gerechtigkeitsvorstellungen dar, wenn ausländisches Recht dem Versuch der Wahrheitsermittlung Vorrang gegenüber den Selbstschutzinteressen einräume. 862 Z.B. §§ 242, 259, 371, 402, 444, 666, 681, 716, 810, 2027, 2314 BGB, §§ 18, 157 HGB. Vgl. auch Seizack [IZVR], 1991, Rz 740. Weitere Beispiele materiellrechtlicher Auskunftspflichten bei Schlosser [Moderne], JZ 1991, S. 599 (606); Kilgus [Schiedssprüche), 1995, S. 287 f. Fn 78. 863 Bsp. §§ 142 Abs. 1, 273 Abs. 2 Nr. 1, 422 ff., insbesondere auch § 372a ZPO. Beachtlich auch die mittelbaren Sanktionsmöglichkeiten nach §§ 138 Abs. 3, 446 ZPO. Vgl. auch § 53b Abs. 2 FGG, § 11 Abs. 2 VAHRG. 864 Vgl. Schlosser [Moderne], JZ 1991, S. 599 (604 ff.). Er nennt insbesondere die "sekundären Behauptungslasten", die zugelassenen Schlußfolgerungen bei "Beweisvereitelungen" i.w.S., die Ausschöpfung von Indizienbeweismöglichkeiten und die Zulässigkeil von begrenzten fishing expeditions bei Plausibilität der Primärbehauptung und Beweisnot Bemerkenswert in diesem Zusammenhang auch die Zielrichtung von § 142 StGB. 865 Auch die von Schlosser [Moderne], JZ 1991, S. 599 (S. 600 ff.) vorgenommene rechtsvergleichende Untersuchung der Möglichkeiten sowie die jüngere Entwicklung in den USA, England, Frankreich und Österreich ergibt, daß es sich bei der deutschen Haltung um eine besonders unnachgiebige, "rückständige", das Ziel der Wahrheitsfindung relativ gering bewertende handelt. Zur Zulässigkeil dieses Arguments im Rahmen der ordre public-Konkretisierung vgl. unten S. 196, zur Zulässigkeil funktional rechtsvergleichender Bewertungen vgl. unten S. 210.
182
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
ist866, muß man schließen, daß die Begründung eines Schiedsspruchs grundsätzlich861 nicht eine imperative Forderung mit ordre public-Charakter sein kann868. Entscheidungen staatlicher Gerichte sind schon deshalb nicht anders zu behandeln869, weil auch das deutsche Zivilprozeßrecht etliche Fälle kennt, in denen auf Tatbestand und Entscheidungsgründe verzichtet werden kann870. Eine gegenteilige Forderung hätte auch die rechtspolitisch kaum hinnehmbare Konsequenz, daß US-amerikanische jury-Urteile, die grundsätzlich in geheimer Be-
866 Vgl. die Regelung in§ 1041 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 2 ZPO. § 1044 ZPO nennt einen entsprechenden Grund gar nicht. 867 Das Fehlen einer Begründung führt aber bei Schiedssprüchen wie bei Urteilen staatlicher Gerichte immer dann zur Nichtanerkennung, wenn entweder nach der Vereinbarung der Parteien oder nach dem anwendbaren ausländischen Recht, eine begründungslose Entscheidung nicht hätte ergehen dürfen. Ebso Schlosser [St/J-ZPO], 1994, § 1044 Rz 26 mit Überblick über dieneuere internationale Praxis zu dieser Frage. Hierzu auch ders. [Rspr], JbPrSchG 2 (1988), S. 241 (252). 868 Vgl. Schwab I Waller (Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 30 Rz 21, Kap. 57 Rz 34; Schlosser [St/J-ZPO], 1994, § 1044 Rz 25 f.; Geimer (Zöller-ZPO], 1995, § 1044 Rz 18g; Kilgus (Schiedssprüche], 1995, S. 201; Marx (Schiedssprüche], 1994, S. 116; Haas (Schiedssprüche), 1990, S. 224; G.H. Roth [ordre public), 1967, S. 171; Holtzmann I Neuhaus [UNCITRAL), 1989, S. 1069 f.; für die Schweiz schwBG v. 21108190, BGE 116 II 373 (375); Satmer (Schiedssprüche], 1994, S. 198 f., letztere m.w.N. auch der internationalen Praxis. 869 Ebso OLG Dösseidorf 28105191, RIW 1991, S. 594 (595); LG Berlin v. 13106189, RIW 1989, S. 988 (989); Gottwald [MünchKomm-ZPOJ, 1992, IZPR Art. 27 EuGVÜ Rz 9; Speilenberg (Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 479; Geimer [Anerkennung], 1995, S. 144; ders. (Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 173; ders. [IZPR), 1993, Rz 2970; Schack [Anm. zu BGH v. 04106192], ZZP 106 (1993), S. 104 (108); lekoll RIW 1990, S. 302 (303); G.H. Roth [ordre public), 1967, S. 171; Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2), 1984, S. 1597; Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/1 ), 1983, S. 1055, 1061; wohl ebenso Klinke [EuGVÜ-1 ), 1993, Rz 248; Schock [IZVRJ, 1991, Rz 940; Schütze (DtiZPR], 1985, S. 158; Martiny [recognition], AmJCompL 35 (1987), S. 721 (749): ders. (Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 1114; Waehler [Hdb IZVR 111/2], 1984, Rz 244; Kropholler [EuZPR], 1993, Art. 27 Rz 11, beide m. Hinweisen zur teilw. abw. franz. Praxis; Kornblum [ordre public], 1987, FS-Nagel, S. 140 (153). Vgl. zur entsprechenden schweizerischen Praxis schwBG v. 09102/77, BGE 103 Ia 199 (205 f.) (deutsches Versäumnisurteil); Bucher [Schweiz], 1989, Rz 459. Wie hier auch die englische Sicht, vgl. Collins [jurisdiction], 1983, S. 107. Restriktiver dagegen die spanische Praxis, die die Anerkennung tatbestandsloser oder begründungsloser Urteile ablehnt, vgl. Kar/ [Spanien], 1993, S. 51 f.; Weigand (dt.-sp. Rechtsverkehr), 1992, S. 236 jew. m.w.N. Gegen eine Anerkennung auch Jellinek (Anerkennung], 1953, S. 192; ebf. kritisch Hartmann (BIUA/H-ZPOJ, 1996, § 328 Rz 37. 870 Z.B. §§ 313a, 313b, 495a, 699 ZPO.
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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ratung und ohne schriftliche Begründung gefällt werden 871 , in Deutschland faktisch nicht vollstreckt werden könnten872_ Eine fehlende oder unzureichende Begründung geht aber im Zweifel zu Lasten des die Anerkennung Betreibenden873, der deshalb gehalten ist, Prozeßunterlagen, wie zum Beispiel die Klagschrift und Zustellnachweise, beizubringen, damit der Zweitrichter erkennen kann, auf welchen rechtlichen Gesichtspunkten die Entscheidung beruht874.
c. Prozeßkostentragung und Veranlasserprinzip Gelegentlich wurde die Anerkennungsfähigkeit US-amerikanischer Urteile mit dem Argument bezweifelt, die american rule of costs, die keine Kostenerstattung zugunsten der siegreichen Partei vorsieht875, verstoße gegen das hinter der deutschen Regelung stehende Veranlassungsprinzip876 . Auch das deutsche Recht kennt aber Ausnahmen von der Kostentragungspflicht der unterlegenen Partei877, was tendenziell die Vermutung, daß es sich um einen Grundprinzip i.S. des ordre public handelt, erschüttert878 .
d. Dispositionsmaxime und Unzulässigkeil von Popularklagen Im Wege eines - auf den US-amerikanischen Rechtskreis beschränkten class action-Verfahrens können einzelne Mitglieder einer aus einem im wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund geschädigten Personengruppe im Gruppeninteresse eigene und fremde zivilrechtliche Ansprüche geltend machen879. Das Ergebnis des Rechtsstreits erwächst für alle 871 Vgl. z.B. Lenz [punitive damages), 1992, S. 8 f. 872 Vgl. Scltack [Anm. zu BGH v. 04/06/92), ZZP 106 (1993), S. 104 (108) m.N.; Zekoll RIW 1990, S. 302 (303); ders. [Produkthaftpflicht), 1987, S. 80 ff. 873 Vgl. hierzu bereits oben S. 84. Zum Zweifel über Tatsachen dagegen unten S. 225. 874 Vgl. Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1114. Vgl. hierzu auch oben S. 84. 875 Zu den Ausnahmen und der inneramerikanischen Kritik sogleich unten S. 195. 876 Vgl. BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (325) m.w.N. auch zum US-amerikanischen Recht. Zu dem weiteren Problem des hierin liegenden Verstoßes gegen die Waffengleichheit der Parteien vgl. bereits oben S. 133. 877 §§ 93a, 93c ZPO, § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG, § 193 Abs. 1 SGG; s.f. § 91a ZPO. 878 Ähnl. Coester-Waltjen [punitive damages), 1994, S. 15 (27). 879 Vgl. zu den Voraussetzungen und Wirkungen im einzelnen R. Mann [classaction], NJW 1994, S. 1187 f. ; Mark [dass action], EuZW 1994, S. 238 f.; Scltack [Einführung), 1995, S. 79 f. jew. m.w.N.
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§ 4 Aspekte
der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
Gruppenmitglieder, die nicht von der Möglichkeit eines ausdrücklich zu erklärenden opt-out Gebrauch gemacht haben, in Rechtskraft. Diese Folge trifft auch diejenigen Gruppenmitglieder, die vom Verfahren überhaupt keine Kenntnis erhalten haben880. Gegen die Anerkennungsfähigkeit von Urteilen, die in einem solchen Verfahren erstritten wurden, wird insbesondere von Mann881 ins Feld geführt, hiermit würden gleich mehrere tragende Prinzipien des deutschen Zivilverfahrensrechts in unerträglicher Weise verletzt. Eine Popularklage, in der wie im dass action-Verfahren der Anspruch eines Geschädigten ohne dessen Wissen geltend gemacht werden könne, beeinträchtige das durch die Dispositionsmaxime882 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Recht, jederzeit und eigenverantwortlich hierüber entscheiden zu können 883 . Auch die wegen der Rechtskraftwirkung eintretende Präklusion der Geltendmachung eigener Ansprüche selbst gegenüber Gruppenmitgliedern, die gar keine Kenntnis vom Verfahren erlangten, verletze diese Grundsätze in unerträglicher Weise. Dies erscheint jedenfalls zweifelhaft, erleiden doch beide Prinzipien auch im deutschen Recht Durchbrechungen. Der Dispositionsgrundsatz ist zum Beispiel in Familiensachen in mehrfacher Hinsicht durchbrochen 884 . Popularklageverfahren gibt es außer im öffentlichen Recht auch nach §55 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG oder§ 81 PatentG.
e. Pactum de quota litis Wiederum US-amerikanische Urteile betreffend, wurde deren Anerkennungsfähigkeit bezweifelt, wenn sie auf Grundlage einer Erfolgshonorarvereinbarung zwischen siegreichem Kläger und seinem Anwalt erstritten wurden. Das hiermit -wenn auch nur mittelbar, denn der Urteilsschuldner ist nicht Honorarschuldner- durchbrochene Verbot der Vereinbarung einer quota litis habe ordre public-Qualität885.
880 Vgl. R. Mann [class-action], NJW 1994, S. 1187 (1188); Mark [dass action], EuZW 1994, S. 238 (239). 881 Vgl. R. Mann [class-actionj, NJW 1994, S. 1187 (1188 f.).I.Erg. zust.llartmann [B/UA/H-ZPOJ, 1996, § 328 Rz 36. 882 Vgl. Greger (Zöller-ZPOJ, 1995, vor§ 128 Rz 9. 883 !.Erg. a.A. OLG Frankfurt (obiter) v. 21/03/91, RIW 1991, S. 417 (419) in einem Verfahren der Inlandszustellung einer class action. 884 Vgl. Rosenberg I Schwab I Gottwald (ZPRJ, 1993, § 165 V 8, S. l012 f. m. Bsp. 885 So insbes. Schiitze (Anm. zu BGH v. 04/06/92], RIW 1993, S. 139 (140).
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Der Ansatz kann mit der Begründung in Zweifel gezogen werden, daß der Grundsatz des Verbots eines pactum de quota litis auch für das deutsche Recht nicht mit letzter Konsequenz durchgehalten ist. Nicht Erfolgsbeteiligungen im engeren Sinne, aber doch vorn Prozeßausgang abhängige Vergütung ergibt sich bei Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für den Obsiegensfall, weil dann die reduzierten Sätze des § 123 BRAGO nicht zur Anwendung kommen. Mit umgekehrten Vorzeichen, nämlich für den Fall der Klagabweisung, aber mit demselben Ergebnis der Abhängigkeit der Anwaltsvergütung vorn Streitausgang, können § 247 Abs. 2 S. 4 AktG, § 142 MarkenG sowie § 23a UWG angewandt werden886 . Eine weitere Möglichkeit einer faktisch erfolgsabhängigen Anwaltsvergütung im deutschen Recht ist auch in der seit der Kostenrechtsnovelle 1994 für Mahn- und Zwangsvollstreckungssachen möglichen Honorarvereinbarung zu sehen, wonach ein Rechtsanwalt im Fall der Uneinbringlichkeit des Kostenerstattungsanspruch - und damit auch der Hauptforderung- einen im Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko "angemessenen" Teil dieses uneinbringlichen Erstattungsanspruchs an Erfüllungs Statt annehmen werde887 • Das Argument ist jedoch schwach, denn hier führt die "echte" quota litis gerade zu einer de facto Honorarverringerung.
f. Strenge Kompensationsfunktion des Schadensrechts Insbesondere im Rahmen der seit der Entscheidung des BGH vorn 04/06/92 kaum mehr überschaubaren Diskussion um die Anerkennungsfähigkeit arnerikanischer punitive damagesB 88 und anderer Formen von Strafschadensersatz889
886 887
Ebso Sclziitze [Zweierlei Maß], JZ 1979, S. 239. Vgl. § 3 Abs. 5 S. 3 BRAGO.
888 Generell die Anerkennungsfähigkeit verneinend Bungert [Verhältnismäßigkeitsprinzip ], VersR 1994, S. 15 (22); ders. [Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815 (823); ders. [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1719); Hoeren [Anm. zu BVerfG v. 07/12194], WiB 1995, S. 306 f.; Schlosser [StiJ-ZPOJ, 1994, § 1041 Rz 24a; Juenger I Reima1111 [Zustellung], NJW 1994, S. 3274 (3275); Geimer [Anerkennung], 1995, S. 142; ders. [Anm. zu BGH v. 04106192], EWiR § 328 ZPO, 1192, S. 827 (828); Firsching l v. Hoffmann [IPRJ, 1995, Rz 172; Wandt [IntProdhaftg], 1995, Rz 1256; Zekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (329 f.); Kühn [RICOJ, FS-Giossner. 1994, S. 193 (203 f.), anders jedoch ders. für Schiedssprüche, (a.a.O. S. 204 f., 207); Liideritz [IPR], 1992, Rz 307; Schock [IZVR], 1991, Rz 869; Schütze [dt.-am. Urteilsanerkennung], 1992, S. 171; ders. [Produkthaftungshdb li], 1991, § 103 Rz 11; ders. [Produkthaftung), FS-Nagel, 1987, S. 392 (400); Nettesheim I Stalzl [enforcement], Tex.Int.L.J. 28 (1993), S. 415 (425); Böhmer [Spannungen], NJW 1990, S. 3049 (3051); 1/oeclzst [Produzentenhaftung], 1986, S. 122; ders. [Versicherbarkeit], VersR
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
1983, S. 13 (17). Unschlüssig Schumann [St/J-ZPOJ, 1988, § 328 Rz 241 und Junker [discovery], 1987, S. 272. Der BGH will in seiner Leitentscheidung v. 04106!92, BGHZ 118, 312 (338) "regelmäßig" nicht anerkennen. Das BVerfG scheint im Beschl. v. 07112194, NJW 1995, S. 649 f. eine Vollstreckbarkeit eher zu bejahen als der BGH. Für ordre public-Widrigkeit speziell der Anerkennung Internationaler Schiedssprüche Sclrwab I Walter [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 30 Rz 20; Wieczorek I Schütze [ZPOJ, 1995, § 1044 Rz 27; Stein [Herausforderung], EuZW 1994, S. 18 (20 ff.); wohl ebso Schlosser [RipS], 1989, Rz 871; ders. [StiJ-ZPOJ, 1994, § 1044 Rz 22. Eine Anerkennung ablehnend auch die überwiegende Ansicht in der Schweiz vgl. z.B. Bezirksgerichtspräsidium Sargans v. 1982, Auszüge in der zustimmenden Anm. Drolshammer I Sclrärer [punitive damages), SchweizJZ 1986, S. 309 ff.; Stojan [Anerkennung], 1986, S. 75, 151; Walter [schwiZPRJ, 1995, S. 333; Walter IBoschI Brömrimamr [Schiedsgerichtsbarkeit], 1991, S. 235; Habscheid [ordre public], PSKeller, 1989, S. 575 (580). Auf kollisionsrechtlicher Ebene wurde hauptsächlich zu ihrer Abwehr die "Sperrklausel" des Art. 135 Abs. 2 schwiPRG geschaffen. Ebso auch die überwiegende Meinung in Japan, vgl. Kono [punitive damages], 1994, S. 35 (39 ff.) mit eigener abweichender Ansicht (für Regelanerkennung). Eine Mindermeinung geht hingegen von einem nicht generellem Ausschluß der Anerkennungsfähigkeit aus, vgl. Rosenberg I SchwabIGottwald [ZPR], 1993, § 157 I 3 e (1), S. 945; Gottwald [Grundfragen], ZZP 103 (1990), S. 255 (283); Stürner I Stad/er [Zustellung), IPRax 1990, S. 157 (159); Martiny [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 507; v. Westphalen [Art. 12), RIW 1981, S. 141 (149); Mark [dass action), EuZW 1994, S. 238 (241); Vorpeil [Haftungsdurchgriff), RIW 1991, S. 995 (1001); wohl auch Zimmermann [ZPO), 1995, § 328 Rz 18 ("soweit"). Für das schweizerische Recht Lenz [punitive damages), 1992, S. 174 ff.; ZivG Basel v. 01!02/89, BJM 1991, S. 31 (38). Für das englische Recht halten Clreshire I North I Fawcett [PrlntL), 1992, S. 381 f.; McClemr [Morris-Conflict], 1993, S. 117; Collbrs [D&M-Conflict], 1993; Vol. 1, S. 513, jeweils unter Hinweis auf ein obiter dieturn von Lord Denning in der Entscheidung des London Court of Appeal, S.A. Consortium General Textiles v. Sun and Sand Agencies Ltd. [1978] Q.B. S. 279 (299 f.) eine Vollstreckbarerklärung von exemplary damages-Urteilen für möglich. Ein knapper Überblick über die punitive damagesRechtsprechung in England und Australien findet sich m.w.N. auch bei Stein [Herausforderung], EuZW 1994, S. 18 (20 Fn 26, 28). 889 Z.B. den im wesentlichen in anti trust-und sogenannten RICO-Verfahren sowie bei Verletzung gewerblicher Schutzrechte verhängten treble damages.
Für eine Regelanerkennung spricht sich hier Bungert [Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815 (822 f.) aus. Sympathien hierfür auch bei lekoll [recognition ), AmJCompL 37 (1989), S. 301 (330 Fn 159). Eine Teilanerkennung befürworten Schack (IZVRJ, 1991, Rz 869; Nettesheim I Stahl [enforcement], Tex.Int.L.J. 28 (1993), S. 415 (425). Ähnl. auch Martiny [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 504; Stiefel ! Stümer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (844, 846). Differenzierend nach der Anspruchsgrundlage (anti trltst: Regelanerkennung; RICO: rnax. 1/3) Stiefel I Bwrgert [RICO), ZIP 1994, S. 1905 (1915 f., 1917); dies. [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (781 f.). Differenzierend zwischen Urteil (keine Anerkennung) und Schiedsspruch (Regelanerkennung) Kühn [RICO], FS-Glossner, 1994, S. 193 (204 f., 207). Generell gegen eine Anerkennungsfä-
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zusprechender Urteile890 und Schiedssprüche891 wird die Frage diskutiert, ob es sich bei der strengen Kompensationsfunktion des Schadensrechts um ein grundlegendes Prinzip des deutschen Rechts im Sinne des ordre public handle. Ganz überwiegend wird die Frage -jedenfalls für den Kernbereich des Schadensersatzrechts- bejaht892. Interessanterweise wurde schon in den beiden Gebhardschen Entwürfen von 1881 und 1887893 sowie in Mommsens Entwurf von 1878894 einem Urteil ausdrücklich die Anerkennung versagt, das auf Zahlung einer Privatstrafe lautete. In seinem ersten Entwurf befürwortete Gebhard noch die Vollstreckung eines solchen Urteils, wenn die inländische Rechtsordnung die dem Urteil zugrundeliegende Handlung für strafbar erklärte895 . Der Versagungsgrund wurde dann jedoch als Unterfall der allgemeinen ordre public-Kiausel angesehen und letztlich als überflüssig verworfen 896. Die These ist aber angreifbar. Verhaltenssteuerung durch Haftungsrecht ist dem deutschen Recht keineswegs fremd 897, sondern steht - in Bereichen wie
higkeit Stojan (Anerkennung], 1986, S. 75 für das schweizerische Recht. Unentschieden noch Junker [discovery ], 1987, S. 145 ff. 890 Zu den in den Bundesstaaten recht unterschiedlichen Voraussetzungen der Verhängung von punitive damages bis zu deren Verbot aus dem inzwischen unübersehbaren, auch deutschsprachigen Schrifttum exemplarisch Lenz (punitive damages], 1992, S. 38 ff.; Stiefel! Stiimer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (836); Bungert [Verhältnismäßigkeitsprinzip], VersR 1994, S. 15 (16); ders. [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1715 f.); ders. [enforcing], Int'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1084); Hay [enforcement], ArnJCompL 40 (1992), S. 729 (744 Fn 60); Lagarde (public policy], 1994, S. 30.
891 Zunehmend wird in den USA auch die Schiedsfähigkeit von Strafschadensersatzansprüchen anerkannt. Ausführlich hierzu Barher [Schiedsfähigkeit], 1994, S. 81 ff. mit Fallstudien. S. a. Stein [Herausforderung], EuZW 1994, S. 18 (21 f.). 892 So Stiefel! Bungert [RICOJ, ZIP 1994, S. 1905 (1913); dies. [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (776); Stiefel! Stiimer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (838); Stiefel! Stiirner I Stad/er [enforceability], ArnJCompL 39 (1991), S. 779 (788). Ebso für die Schweiz Stojan (Anerkennung], 1986, S. 74 f.; Lenz [punitive damages], 1992, S. 143 ff., 149. 893 Vgl. Hartwieg I Korkisch [Materialien], 1973, S. 67, 73. 894 Vgl. Mommsen [Verhältnis], AcP 61 (1878), S. 149 (177, 199). 895 Vgl. die Motive zu Gebhards erstem Entwurf (1881) bei Niemeyer (Vorgeschichte], 1915, S. 282. 896 Vgl. Hartwieg I Korkisch [Materialien], 1973, S. 152. 897 So zu Recht Kranke [Anm. zu BGH v. 04/06/92], LM § 328 ZPO, 1993, Nrn. 38-40, Anm. 2 c m.w.N.
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
dem Produkthaftungsrecht sogar gleichrangig898 funktion.
-
neben der Kompensations-
Das strenge Kompensationsprinzip selbst ist auch an vielen Stellen - wenn auch nur für bestimmte Fallgestaltungen - Aufweichungen ausgesetzt, was nach der hier entwickelten These die Einordnung als ordre public sanktioniertes Prinzip jedenfalls in Frage stellt899 . (1) Ersatz materieller Schäden Jedenfalls soweit es um den Ersatz materieller Schäden geht ist nicht ernsthaft zu bestreiten, daß das Ausgleichsprinzip hier oberstes Leitprinzip des deutschen Schadensersatzrechts ist900• Prävention stellt sich hier lediglich als "Reflexwirkung" 901 ein. Aber selbst für diesen Bereich ist die strenge Kompensation nicht klar durchgehalten. Erinnert sei hierbei an die Anerkennung abstrakter Schadensberechnung902 und die Nutzungsentschädigung für ausgefallene Kraftfahrzeuge und andere Gegenstände903 • (2) Ersatz immaterieller Schäden Wesentlich undeutlicher wird die Prädominanz des reinen Kompensationsgedankens im Bereich des lmmaterialgüterschutzes. (a) Genugtuungsfunktion des§ 847 BGB Nach gefestigter Rechtsprechung, aber nicht unumkämpft in der Literatur, kommt dem Schmerzensgeldanspruch des § 847 BGB neben einer Ausgleichsfunktion auch eine Genugtuungsfunktion zu 904• Zweck der Genugtuungsfunk8 98
Vgl. hierzu Wandt [IntProdhaftg], 1995, Rz 631 ff. bzw. 775 m.w.N.
I.Erg. ebso Coester-Waltjen [punitive damages], 1994, S. 15 (32 f.). Ebenso argumentiert für die Schweiz das ZivG Basel v. 01/02189, BJM 1991, S. 31 (38). Stiefel I Stiimer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (841, 846); Stiefel I Stümer I .Stad/er (enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (795) ziehen hierbei allerdings entgegen der von ihnen oben Fn 857 grundsätzlich anerkannten These eine konträre Folgerung: die Ausnahme zu einem Prinzip ließe dieses nur umso klarer hervortreten! 900 Vgl. nur Stiefel I Stümer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (838) m.w.N. 901 So Stief el I Stiimer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (838); Stief el I Stiimer I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (788). 902 Ebso Coester-Waltjen[punitive damages], 1994, S. 15 (30). 899
Ebso Coester-Waltje11 [punitive damages], 1994, S. 15 (30). St. Rspr. z.B. BGH v. 29/11/94, NJW 1995, S. 781 (782) m. ausf. Nachw. auch auf kritische Stimmen in der Literatur. 903
904
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tion des Schmerzensgeldes sind auch Sühne und Buße905 • Weitaus häufiger wird von der Rechtsprechung allerdings betont, bei dem Institut Schmerzensgeld handle es sich eben nicht um eine Buße oder Privatstrafe, die zivilrechtsfremd einem Bedürfnis nach Rache oder Abrechnung nachkomme906 . Die Weigerung einer Versicherung, über einen längeren Zeitraum wenigstens eine Abschlagszahlung auf ein zu erwartendes Schmerzensgeld zu zahlen, das ernstlich nur in seiner Höhe streitig sein kann, führt aber zu einer Erhöhung des Betrages907. Dies ist kaum bestreitbar ein pönales Element. Interessanterweise ist auch im amerikanischen Rechtskreis die Leistungsverzögerung durch Versicherer eine typische Fallgruppe für das Zusprechen von pwzitive damages908 • Auch die Reform von 1990, die die Unübertragbarkeit und Unvererblichkeit des Anspruchs aufhob, stützt dadurch, daß der Blick mehr auf die Folgen beim Schädiger gelenkt wird, die These, daß der Genugtuungsfunktion auch ein pönales Element innewohnt909 • Teilweise wird deshalb die Ansicht vertreten, § 847 BGB sei als Ausnahme von der Regel zu sehen, wonach das Zivilrecht keine Strafzwecke verfolgen solle910 • Die Genugtuungsfunktion sei eine zulässige Privatstrafe911 •
905 BGH v. 16/12/75, JZ 1976, S. 559 f.; Hungert [enforcing], lnt'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1086); v. Westphalen [Art. 12], RIW 1981, S. 141 (147).
906 St. Rspr. BGH v. 29/11/94, NJW 1995, S. 781 (782) m.w.N. Ebso die hM in der Schweiz; vgl. Drolshammer I Schärer [punitive damages], SchweizJZ 1986, S. 309 (316) m.w.N. 907 Vgl. OLG Karlsruhe v. 02111172, NJW 1973, S. 851 (853); Tlzomas [PalandtBGB], 1996, § 847 Rz 11; Stiefel I Stiimer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (840); Stiefel I Stiimer I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (792). 908
Vgl. Zeko/1 [Änderungen], VersR 1992, S. 1059 (1061).
Vgl. Hay [enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729 (745 Fn 68). Kern [Genugtuungsfunktion], AcP 191 (1991), S. 247 (261 Fn 97) sah mit historischer Begründung im Gegensatz dazu in der ehern. begrenzten Vererblichkeit des Schmerzensgeldanspruchs die Verwandtschaft zur Privatstrafe. Gegen jedes pönale Element Zekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (328); ders. [Produkthaftpflicht], 1987, S. 154, der sich aber maßgeblich ebenfalls auf§ 847 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. stützte. 909
910 So in neuerer Zeit insbes. Kern (Genugtuungsfunktion], AcP 191 (1991), S. 247 (261 ff., 268) m.w.N. Ebso Fiebig [recognition], GA.J.Int'L.&Comp.L. 22 (1992), S. 635 (651 ff.). A.A. die ganz hLit beispielhaft Hungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1719); Koch [Schadensersatz], NJW 1992, S. 3073 (3075). Das BVerfG v. 14102/73, BVerfGE 34, 269 (293) äußerte dagegen, dem Schmerzensgeld seien wohl "pönale Elemente nicht ganz fremd". 911
So v. Westphalen [Art. 12], RIW 1981, S. 141 (149).
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
(b) Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und anderer Immaterialgüterrechte Während beim "eigentlichen" 912 Schmerzensgeldanspruch die Ausgleichsfunktion jedenfalls dogmatisch noch im Vordergrund steht, ist dies bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers913 bzw. auch offen der Präventions- und Strafgedanke914 • Bemerkenswert in diesem Zusammenhang die neuere Rechtsprechung des BGH915 , wonach der Gedanke der Prävention es bei einer vorsätzlichen, mit Gewinnerzielungsabsicht begangenen unerlaubten Handlung gebietet, die Gewinnerzielung als Bemessungsfaktor in die Entscheidung über die Höhe der Geldentschädigung einzubeziehen. Dies bedeutet zwar nicht eine rigorose Gewinnabschöpfung im Einzellfall. Die Kluft zu den Überlegungen der jury im bekannten Pinto-Fall916 erscheint jedenfalls auf den ersten Blick aber nicht mehr unüberbrückbar groß917•
912
So BGH v. 15/11!94, NJW 1995, S. 861 (864).
Vgl. BGH v. 15/11!94, NJW 1995, S. 861 (865). Zust. Ehmann (Anm. BGH. v. 15/11/94), LM § 823 (Ah), H. 5/1995, Nr. 119, BI. 9. 9 13
914 Deutsch [Anm. zu BGH v. 04/06/92], JZ 1993, S. 266 (267) und Coester-Waltjen [punitive damages), 1994, S. 15 (34) weisen zu Recht darauf hin, daß auch für den ausländischen Erstrichter der Weg vom Ausgleichsschmerzensgeld zum Strafschmerzensgeld ein kurzer und insbesondere die Gefahr nicht von der Hand zu weisen sei, daß in Kenntnis der Konsequenzen für eine absehbare Vollstreckung in Deutschland statt punitive damages ein noch höheres "Ausgleichs"schmerzensgeld ausgeworfen werden könne. Coester-Waltjen weist a.a.O. auf einen in der Neuen Züricher Zeitung v. 11/07/95 referierten Fall hin, der, obgleich nur Schmerzensgeld (i.H.v. 90 Mio. US-$!) auswerfend, frappierende Ähnlichkeit mit dem Pinto-Fall, vgl. Fn 916, hat. 915 BGH v. 15/11/94, NJW 1995, S. 861 (865). Zust. Ehmann [Anm. BGH. v. ·15/11/94), LM § 823 (Ah), H. 5/1995, Nr. 119, BI. 9. 916 Grimshaw v. Ford Motor Co. 174 Cal. Rptr. 348 (1981) bzw. das Berufungsurteil 119 Cal. App. 3d 757. Diejury schöpfte hier im Wege des Instituts der punitive damages in etwa die "unmoralisch" erzielte Summe ab, die FORD in Kenntnis eines Produktfehlers nach einer eigenen, geheimgehaltenen internen Kosten-Nutzen-Analyse dadurch glaubte einsparen zu können, den Pinto nicht zurückzurufen und die Konstruktion zu ändern. Günstiger erschien es FORD, etwaige Schadensersatzsummen (ohne mit ptmitive damages zu rechnen) zu bezahlen. Die zunächst von der jury verhängten 125 Mio. US-$ wurden vom Berufungs(berufs)richter allerdings auf 3,5 Mio. US-$ gekürzt. Darstellung des Sachverhalts, des Verfahrens, mit ebenfalls interessanten pre-trial discovery-Aspekten, und des Urteils z.B. bei Lenz (punitive damages), 1992, S. 35 f.;
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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Vergleichbare Phänomene finden sich auch im Urheberrecht, wo § 54f Abs. 3 bzw. § 54g Abs. 3 UrhG doppelten Schadensersatz zusprechen, nachdem die bisherige deliktische und quasi-deliktische Haftung, die eine Abschöpfung der durch die Rechtsverletzung geführten Gewinne nicht ermöglichte und der Präventionsgedanke damit versagte, als "in hohem Maße unbefriedigend"918 empfunden wurde919 . Der doppelte Schadensersatz zielt zwar primär auf die Verhinderung von Marktversagen 920, dies allerdings mit Mitteln, denen pönale Elemente nicht ohne weiteres abgesprochen werden können 921 .
(3) Abfindungszahlung nach §§ 9, 10 KSchG Bei einer sozial nicht gerechtfertigten Kündigung besteht für den Arbeitsrichter bei Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit, den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die Regelung geht über die eines bloßen, pauschalierten Schadensersatzanspruches hinaus. Sie hat auch repressiven und generalpräventiven Charakter. Zu berücksichtigen sind nämlich auch Aspekte wie Maß der Sozialwidrigkeit und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers922.
Hungert [Verhältnismäßigkeitsprinzip], VersR 1994, S. 15 (17 Fn 21); Schütze [Anm. zu BGH v. 04106192], RIW 1993, S. 139; ders. (Produkthaftungshdb II], 1991, § 103 Rz 3; Stiimer I Stad/er [Zustellung], IPRax 1990, S. 157 (159 Fn 31).
917 Die Parallele ist aber nur dann haltbar, wenn man unterstellt, daß lediglich der erste klagende Produktgeschädigte solcherart "kalkulierten" Strafschadensersatz erhält, was aber zweifelhaft ist. 918 Z.B. Mertens [MünchKomm-BGBJ, 1986, vor § 823 ff. Rz 44. Ähnl. das Resümee von Assmann [Schadensersatz], BB 1985, S. 15 (24 f.). 919 Keine Bedeutung wollen der Regelung wegen ihres singulären Charakters Stiefel I Stiimer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (845 f.) beimessen.
920 So zu Recht damals de lege ferenda Assmann [Schadensersatz], BB 1985, S. 15
(24).
921 Deutlich Stiimer I Stad/er [Zustellung], IPRax 1990, S. 157 (158) zur US-amerikanischen Parallelregelung. 922 Ebso Coester-Waltjen [punitive damages], 1994. S. 15 (32) m.w.N. Auch Lenz [punitive damages ], 1992, S. 99 ff., 105 sieht für das schweizerische Recht in Art. 336a, 337c OR, die ähnliche Regelungen beinhalten wie §§ 9, 10 KSchG, starke Parallelen zu den punitive damages.
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
(4) Inanspruchnahme Privater zur Verfolgung öffentlicher Interessen Die Möglichkeit, punitive damages zu erhalten, ermutigt die Geschädigten durch den ökonomischen Anreiz im öffentlichen Interesse, ähnlich der Funktion eines Generalanwalts, sozialschädliches Verhalten anderer Privater abzuschalten, und so die Rechtsordnung im allgemeinen zu stärken923 . Ganz offensichtlich wird diese Rechtsdurchsetzungsfunktion ebenfalls bei den gesetzlich geregelten Fällen von Strafschadensersatz, den treble damages im anti trust-Recht und nach dem RICO-Act924 . Dieses ordnungspolitische Instrument der Schaffung eines zusätzlichen, über den reinen Kompensationszweck hinausgehenden materiellen Eigeninteresses für konkret von einem Mißstand betroffene Einzelne, diesen auch dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung von Ordnungsnormen der Wirtschaftsverfassung zuwiderlaufenden Mißstand anzugehen, ist auch dem deutschen Recht - wenngleich es sich dort nicht um Haftungsrecht im engeren Sinne handelt nicht völlig fremd. Eine deutliche Parallele insbesondere zu den Klagemöglichkeiten der Verbände zum Schutz des lauteren Wettbewerbs i.S.v. § 13 Abs. 2 UWG aber auch zu den Verbraucherverbänden i.S.v. § 13 AGBG925 ist nicht völlig von der Hand zu weisen926. Ähnliche Überlegungen dürften auch hinter den Popularklageverfahren nach §55 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG oder§ 81 PatentG stehen.
923 Vgl. BVerfG v. 07/12/94, NJW 1995, S. 649 (650); BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (335); Stein [Herausforderung], EuZW 1994, S. 18 (23); Morisse [Zustellung], RIW 1995, S. 370 (371); Fiebig [recognition], GA.J.lnt'L.&Comp.L. 22 (1992), S. 635 (641); Lenz (punitive damages], 1992, S. 27 ff. Als unbedeutende Annexwirkung stuft die Funktion dagegen lekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (327); ders. [Produkthaftpflicht], 1987, S. 154 ein. 924 Vgl. Stiefel I Hungert [RICOJ, ZIP 1994, S. 1905 (1914); dies. [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (752); Hungert [Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815 (822); Assmann [Schadensersatz], BB 1985, S.15 (23)jew. m.w.N. 925 Hierzu Gerlach [MünchKomm-BGB], 1993, § 13 AGB Rz 52 ff. 926 Ebso Morisse [Zustellung], RIW 1995, S. 370 (371); Stiefel/ Hungert [RICOJ, ZIP 1994, S. 1905 (1914); dies. (Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (779, 781).
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
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(5) Täter-Opfer-Ausgleich Mit Blick aus dem Strafrecht heraus, schlägt Ostendorf'J 27 doppelten Wertersatz als strafrechtliches Präventionsmodell bei Ladendiebstählen vor. Das Strafrecht selbst verquickt in § 46a StGB den Kompensationsgedanken des Täter-Opfer-Ausgleichs auch mit dem Strafbedürfnis, das gleichsam kompensiert (!) wird. Auch Koch 928 vermischt beide Systeme, wenn er den allerdings etwas begrifflichen Schluß in die umgekehrte Richtung ziehen möchte, einem "Schadensersatz" mit pönalem Hintergrund könne der Kompensationsgedanke nicht wesensfremd sein.
g. Weitere Grundsätze des Schadensrechts Der Streit über Grenzen und Ausnahmen von § 253 BGB929 legt nahe, in der Limitierung von Immaterialschadensersatzansprüchen auf deliktische Körperverletzungs- und Persönlichkeitsrechtsverletzungstatbestände keinen wesentlichen Grundsatz des deutschen Rechts mit ordre public-Qualität zu sehen930• Zwar sind fiktive Heilungskosten nach deutschem Recht grundsätzlich nicht erstattungsfähig931 • Schon die Ungleichbehandlung von fiktiven Wiederherstellungskosten bei Sachschäden einerseits und Personenschäden im deutschen Recht andererseits932 deutet aber darauf hin, daß der Grundsatz, im letzteren Fall keine fiktiven Heilungskosten zuzusprechen, nicht "wesentlicher Grund-
927 H. Ostendorf[Präventionsmodell], ZRP 1995, S. 18 (23) auch mit Nachw. ähnlicher Reformbestrebungen in Österreich. 928
Vgl. Koch [Schadensersatz], NJW 1992, S. 3073 (3075).
Vgl. die Nachweise bei B11ngert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1714 Fn 96). 929
930 Vgl. Koch I Zeko/1 (Unterschied), IPRax 1993, S. 288 (291); B11ngert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1714); Stiefel I Stümer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (839); Stiefel I Stiimer I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (791). Ähnl. Wandt [IntProdhaftg], 1995, Rz 1260; Hartmann [BIUNHZPO], 1996, § 328 Rz 43.
9:\l Vgl. z.B. BGH v. 14101186, BGHZ 97, 14 (18 f.). Im Fall BGH v. 29110157, LM § 249 (Gb) BGB Nr. 2 wurden allerdings doch fiktive Heilungskosten -für die Vergangenheit- ersetzt. 932 Vgl. z.B. BGH v. 23103176, BGHZ 66, 239 (241 ff.) für Sachschäden sowie v. 14101/86, BGHZ 97, 14 (17 ff.).
13 Völker
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satz" des deutschen Rechts i.S. des ordre public sein kann933 • Die These wird gestärkt durch Tendenzen wie die der Ausweitung der Möglichkeiten zum Erhalt abstrakter Nutzungsentschädigung, das Fortschreiten der Kommerzialisierung von Nichtvermögensgütern und des Frustrationsgedankens934 • Eine pauschalierende Schadensschätzung ohne Vorliegen der strengen Voraussetzungen des § 287 ZPO ist, soweit nicht völlig unangemessen und willkürlich, zulässig935 • Der BGH zieht hier eine Parallele zur, nach deutschem Recht zulässigen, materiellrechtlichen Vereinbarung eines pauschalierten Schadensersatzes durch die Parteien und entnimmt dieser Möglichkeit zu Recht die Wertung, die entsprechende Vorgehensweise durch einen ausländischen Richter könne im Ergebnis nicht gegen fundamentales inländisches Recht verstoßen.
3. Erschütterung der Regelung im Urteilsstaat Sind nationalrechtliche Besonderheiten im Urteilsstaat ernsthaft umstritten oder im eben entwickelten Sinn "erschüttert", soll auch dies es dem Zweitrichter einfacher machen, Zurückhaltung bei der internationalen Perpetuierung der Regelung zu üben936•
933 l.Erg. ebso Geimer [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 169; ders. [IZPR], 1993, Rz 2973; Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1714); Hartmann [B/UA/HZPO], 1996, § 328 Rz 40; Haas [Unfallversicherung], ZZP 108 (1995), S. 219 (234); Wandt [IntProdhaftg], 1995, Rz 1260.
934 So i.Erg. BGH v. 04/06/ 1992, BGHZ 118, 312 (327). Ebso Koch [Schadensersatz], NJW 1992, S. 3073 (3074); Deutsch [Anm. zu BGH v. 04/06/92], JZ 1993, S. 266 (267); Geimer [Anerkennung], 1995, S. 141. Ähnlich OLG Düsseldorf v. 28/05/91, VersR 1991, S. 1161 (1162). A.A. Schack [Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (1993), S. 104 (112). 935 Vgl. BGH v. 26/09/79, BGHZ 75, 167 (172). Bestätigt in Urt. v. 04/06/1992, BGHZ 118, 312 (331); v. 16/09/93, BGHZ 123, 268 (271). Ebso Krophol/er [EuZPR], 1993, Art. 27 Rz 14; Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1718); Haas [Unfallversicherung], ZZP 108 (1995), S. 219 (233 f.); M.J. Schmidt [Durchsetzung], 1991, S. 163; Koch [Anerkennung], 1987, S. 161 (177); Wandt [IntProdhaftg], 1995, Rz 1260. Für Schiedssprüche ebso Schlosser [St/J-ZPO], 1994, § 1044 Rz 22; ders. [RipS], 1989, Rz 871. Ähnl. im Kontext der Zustellung einer treble damages-Kiage OLG München v. 27/11/80, RIW 1981, S. 555 (556).
936 Vgl. BGH v. 17/09/68, BGHZ 39, 370 (376). Ebso Sonnenherger [MünchKomm-BGBJ, 1990, Art. 6 Rz 56; Stein [Herausforderung), EuZW 1994, S. 18 (24); 71u'imme/ [punitive damages), RIW 1988, S. 613 (614); Stiefel I Bungert [RICOJ, ZIP 1994, S. 1905 (1912); dies. [Licht), FS-Trinkner, 1995, S. 749 (774); Jayme [Methoden), 1989, S. 43; Spicklwff[ordre public], 1989, S. 150.
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
195
Die Behauptung ist dogmatisch angreifbar, ist doch Ansatzpunkt der ordre public-Prüfung immer zunächst die Situation im Zweitstaat Dieses Prinzip ist jedoch nicht nur an mehreren Stellen durchbrochen 937. Die Überlegung mag sich auch mit einem in diesem Fall geringeren Geltungsanspruch der erststaatlichen Wertentscheidung rechtfertigen, der eher hinter eine konträre zweitstaatliche Wertung zurücktreten kann. Beispielsfälle sind die kontroversen inneramerikanischen Debatten über rechtspolitischen Sinn und verfassungsrechtliche Zulässigkeil der verschiedenen Ausprägungen von Strafschadensersatz938 oder sonstiger exorbitanter Summen für Nichtverrnögensschäden939: Mehrfach wurden insbesondere punitive damages auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeil überprüft940. In einigen Staaten sind sie generell oder zumindest in Produkthaftungssachen verboten 941 . Auch der Geltungsanspruch der eben erwähnten american rufe of costs ist inzwischen, weil von Ausnahmen durchlöchert942 und heftiger innerstaatlicher Kritik ausgesetzt943, im Kontext internationaler Entscheidungsanerkennung gemindert.
937 Vgl. hierzu oben S. 156, unten S. 196 sowie S. 235. 938 Ausf. Nachw. betreffend punitive damages z.B. bei Stiefel I Bungert [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (786 f.); Stiefel I Stürner [Vollstreckbarkeit), VersR 1987, S. 829 (836); Stiefel I Stiimer I Stad/er [enforceability), AmJCompL 39 (1991), S. 779 (783 Fn 22); betr. RICO-Ansprüche z.B. Stiefel I Bungert [RICO), ZIP 1994, S. 1905 (1911 f.); dies. [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (772 f.). 939 Vgl. z.B. Sabella [Arzthaftptlichtversicherung], VersR 1990, S. 1186 (1187 ff.) mit eindrücklichen Beispielen. 940 Vgl. z.B. Coester-Waltjen [punitive damages), 1994, S. 15 (21); Lenz [punitive damages], 1992, S. 73 ff.; Reueher [punitive damages], RIW 1992, S. 893 ff.; Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1717 f.); Stürner I Stad/er [Zustellung), IPRax 1990, S. 157 (160); Peterson [constitutionality], IPRax 1990, S. 187 (190). Speziell zu RICO-Ansprüchen Stiefel I Bungert [Licht), FS-Trinkner, 1995, S. 749 (754) m.w.N. 941 Vgl. die Darstellung bei Hay [enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729 (744 Fn 60) oder Bungert [Verhältnismäßigkeitsprinzip]. VersR 1994, S. 15 (16); ders. [enforcing], Int'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1084). Das Recht von Louisiana enthält sogar explizite kollisionsrechtliche Abwehrklauseln betreffend punitive damages, hierzu Lagarde [public policy). 1994, S. 30; Wandt [IntProdhaftg), 1995, Rz 1245. 942 Bsp. Rule 54 (d) F.R.Civ.P., 18 U.S.C. § 1964 lit. c (1988) RICO-Act oder auch im Patentrecht, s. dazu z.B. Stiefel I Bungert [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (752); Stiefel I Stiirner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (845). Vgl. auch Schack [Einführung]. 1995, S. 9 f.; ders. [Anm. zu BGH v. 04106192], ZZP 106 (1993), S. 104 ( 107) m.w.N. 943 Vgl. hierzu und zu den Reformbestrebungen Manset (Tagungsbericht], JZ 1994, S. 618 (620); Hay [enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729 (743 Fn 54) m.N. 13*
196
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
IX. Die Frage nach internationalen Standards Rechtsvergleichung zur Gewinnung eines Maßstabs Der Wortlaut der Vorbehaltsklauseln beruft als Maßstab eindeutig nur die nationale öffentliche Ordnung gerade des Anerkennungsstaates944. Ausgangspunkt für die Konkretisierung des Begriffs ist damit zunächst allein die deutsche Rechtsordnung945 . Einige Autoren stellen infolgedessen bei der Ermittlung des Prüfungsmaßstabs allein auf die Rechtsordnung des Zweitstaates ab946. Dogmatisch unproblematisch ist unter diesem Gesichtspunkt ein internationaler Standard, der sich ergibt, weil es sich bei der in Rede stehenden Wertung um unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht947, nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG transformiertem Recht internationalen Ursprungs oder über Art. 25 GG948 geltende Grundsätze handelt.
1. Die Relevanz internationaler Standards Die Frage liegt damit auf der Hand, weshalb internationale Standards nach dem eben Gesagten überhaupt beachtlich sein sollten, so die Suche nach ihnen denn definiert und Ergebnisse auch gefunden werden949. Aubin rechtfertigt die Relevanz solcher Standards überzeugend mit der Erwägung,
944 So nachdrücklich Kornblum [ordre public], 1987, FS-Nagel, S. 140 (142); Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 164. Zum Sonderfall des Art. III Abs. 1 lit. c dt.-brit AnVollstrAbk vgl. unten Fn 1420. 945 Vgl. Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 981. Ebso auch Spickhoff [ordre public], 1989, S. 88; Kegel [IPR], 1995, § 16 I, S. 373 jew. zum kollisionsrechtlichen ordre public. Vgl. auch Regierungsbegründung zu Art. 6 EGBGB BT-Drucks. X/504, 1983, S. 43. Ebso für Österreich Rechberger I Simotta [Exekutionsverfahren], 1192, Rz 256; östOGH v. 11/05/83, ÖJZ 38 (1983), S. 519 (520). 946 So z.B. Cramer-Frank (Auslegung], 1987, S. 214. Reichelt [ordre public], ZfRVgl 16 (1975), S. 217 (225) lehnt rechtsvergleichende Auslegungsmethoden jedenfalls für den Bereich des autonomrechtlichen ordre public ab. Mit anderem Ansatz, aber ebenfalls die Relevanz internationaler Standards ablehnend, Stöcker [ordre public], RabelsZ 38 (1974), S. 79 (97). 947 Hierzu oben S. 148. 948 Ebso Spickhoff[ordre public], 1989, S. 88 f.; Spellenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 418; Kropho/ler [IPR), 1994, § 361II 2a, S. 225 f. 949 Similis (Kodifikation), 1970, S. 267 (297) schlug zur Vermeidung dieser dogmatischen Schwierigkeit vor, bei der Normierung der Vorbehaltsklausel auf jede nähere Umschreibung der öffentlichen Ordnung zu verzichten.
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
197
"daß die ausnahmsweise Unterbrechung der internationalen juristischen Kooperation nur zugunsten von Rechtswerten vertretbar ist, die nicht ausschließlich nationaler Selbstbestimmung entspringen. "950
Spickhoff'J51 sieht mit eher rechtsphilosphischem Ansatz in der Rechtsvergleichung und der Erforschung internationaler Regelungsstandards eine Möglichkeit, den der ordre public-Wertung letztendlich zugrundeliegenden, allgemeineren Begriff vom "Recht"952 zu konkretisieren. Da dem ordre public heutiger Prägung im wesentlichen privatrechtsschützende Funktion953 und weit weniger der Schutz staatlicher Souveränitätsinteressen zukommt954, ist die Methode der Rechtsvergleichung955 , und damit insbesondere der Privatrechtsvergleichung, ein legitimes Mittel zu dessen Konkretisierung956. Gerade auf dem Gebiet der internationalen Entscheidungsanerkennung bietet sich weiterhin an, nicht nur nach einem rechtsvergleichend gewonnenen Regelungsstandard zu suchen, sondern auch einen Anerkennungsstandard zu ermitteJn957. Die rechtsvergleichend gewonnene Wertung hat zumindest Indizwirkung dafür, ob es sich bei dem deutschen Lösungsmodell um einen wesentlichen Grundsatz handelt oder nicht958 . Eine solche Untersuchung dient damit in erster Linie der Legitimierung eines mit Hilfe anderer, insbesondere an der nationalen Rechtsordnung ansetzender Methoden, gewonnenen Befundes.
95 0 Aubin [Konkretisierung], 1966, S. 99 (122). 951
Spickhoff(ordre public], 1989, S. 149 f.
Als dessen Elemente er wiederum die Gebote der Rechtssicherheit, der Zweckmäßigkeit des Rechts sowie der Billigkeit im Einzelfall sieht. 952
953 Jayme [Methoden], 1989, S. 63 hebt dies besonders hervor, wenn er formuliert, die Vorbehaltsklausel sei zum "privatrechtlichen ordre public" mutiert. 954
Zu diesem Befund vgl. oben S. 63.
955 Der Begriff Rechtsvergleichung soll hier unspezifisch im weitesten Sinn ver-
wandt werden. 956
EbsoJayme [Methoden], 1989, S. 63.
Dies betont besonders Wunderer (arbitrage ], 1993, S. 224 f. Ähnl. Martiny [Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 984, der auf "international übliche Kontrollmaßstäbe" blickt. 957
958 Vgl. Jayme [Methoden], 1989, S. 44; Raeschke-Kess/er (Entwicklungen], NJW 1988, S. 3041 (3050); Martiny [Hdb IZVR lll/1), 1984, Rz 984; Wunderer [arbitrage), 1993, S. 25, 223 für ihren ordre public d'arbitrage international; Spickhoff [ordre public), 1989, S. 91 f., 149 f.; Kropholler [IPR), 1994, § 36 lll 2, S. 225 ff. für den
kollisionsrechtlichen ordre public.
198
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
Die Grundthese der rechtsvergleichenden Untersuchung ist einfach gefunden: Entspricht die in der zur Anerkennung stehenden Entscheidung zum Ausdruck kommende ausländische Bewertung der beteiligten Interessen nicht dem rechtsvergleichend entwickelten Maßstab, der aber wiederum im Einklang mit der inländischen Lösung steht, spricht dies für ein Eingreifen der Vorbehaltsklausel959. Ergänzend gilt: wird im Referenzkreis allgemein auch die Anerkennung einer entsprechenden Entscheidung versagt, spricht viel dafür, dies auch hier zu tun. Diese Grundüberlegung soll im folgenden genauer ausgearbeitet werden.
2. Aubins Ansatz Als Basis der rechtsvergleichenden Konkretisierung des ordre public soll hier Aubins960 grundlegender, in einigen Teilen ausgeweiteter961 , andererseits aber auch relativierter Ansatz dienen. Aubin sieht als Kontrollgegenstand der rechtsvergleichenden Prüfung nicht den - hypothetischen - Akt der Anerkennung des fremden Urteils, sondern die "an sich maßgebliche", die Entscheidung tragende ausländische Interessenwertung und die "an sich ausgeschaltete" Wertung des Sachverhalts durch die Iex fori. Er unterscheidet zwei Fälle, die jeweils an einem anderen Prüfungsobjekt ansetzen.
a. Der "Regelfall" Im methodisch vorzugswürdigen und aussagekräftigeren "Regelfall" wird, nach Feststellung der Abweichung der ausländischen Wertung von der inländischen, nach einem internationale Standard gesucht. Ein Standard ist dann gefunden, wenn die Rechte des Referenzkreises ganz überwiegend eine vergleichbare Regelung besitzen962. Eine bloße "Einzelübereinstimmung" mit Regelungen einiger Staaten genügt zur Etablierung eines Standards nicht963 . Läßt sich so schon gar kein Standard ermitteln, spricht dies gegen die Durchsetzung der inländischen, den Sachverhalt entscheidenden Interessenwertung,
959 Ähnl. Kropholler [IPR ), 1994, § 36 III 2b, S. 226; Jayme [Methoden), 1989, S. 45, 65. 9 6°
Vgl. A11bin [Konkretisierung], 1966, S. 99 (109 ff.)
961 Aubin begrenzt seinen Ansatz ohne Notwendigkeit auf eine reine Normverglei-
chung ohne jimktiona/-rechtsvergleichende Wertungen.
962 Vgl. Aubi11 [Konkretisierung), 1966, S. 99 (110, 113). 963 Beispiel hierfür BGH v. 15/11/56, BGHZ 22, 162 (164) zum i.Erg. abgelehnten
Standard hinsichtlich der Zulässigkeil anwaltlicher Erfolgshonorare.
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
199
gleich welchen Inhalts964 . Einzig die Übereinstimmung der inländischen Norm mit einem internationalen Standard besitzt in der rechtsvergleichenden Perspektive Aussagekraft und indiziert das Eingreifen des ordre public965 • Der Standard des Rechtsüblichen könne bei der Konkretisierung des ordre public aber immer nur als Erkenntnismittel für die eigene Wertentscheidung des Richters dienen966• Der rechtsvergleichenden Methode damit aber eine bloße "Kontrollfunktion" zuzubilligen, wird ihr jedoch nicht gerecht. Ihr sollte vielmehr, um auf ein weiteres Schlagwort zu verfallen, "Leitfunktion" zukommen.
b. Der "atypische" Fall Der von Aubin so genannte "atypische", teilweise in der Rechtsprechung auftauchende Fall, setzt nicht an der inländischen, sondern an der ausländischen Wertung an. Die Durchsetzung des fremden Regelungsinhalts durch die Entscheidungsanerkennung soll dann ausgeschlossen sein, wenn dieser von einem internationalen Standard abweicht und im Widerspruch zur Wertung der Iex fori steht967• Auf diese letzte Voraussetzung wollen Lalive968 und Schlosser969 unter Umständen verzichten. Der universalistisch verstandene, die Bedürfnisse des internationalen Handels berücksichtigende ordre public970 könne sogar dazu führen, daß einer auf Rechtsvorstellungen oder Normen des Exequaturstaates beruhenden fremden Entscheidung, der in einem Inlandsfall ohne Schwierigkeit die Anerkennung zu Teil werden könne, wegen der Internationalität des Sachverhalts diese Anerkennung versagt werden müsse, weil die der Entscheidung zugrundeliegenden Rechtsnormen auf die Bedürfnisse des internationalen Handels überhaupt nicht paßten, oder auch eine international zwingende Vorschrift eines ausländischen Rechts nicht angewandt
964
Vgl. Aubin [Konkretisierung], 1966, S. 99 ( 110).
965
Aubi11 [Konkretisierung], 1966, S. 99 (109).
966
SoAubin [Konkretisierung), 1966, S. 99 (124). V gl. A11bin [Konkretisierung], 1966, S. 99 ( 117 f. ). Er hält diesen Ansatz aber für
967
bedenklich, da er zu einer verfehlten "absoluten Internationalisierung" des ordre public führe. 968 Vgl. Lalive [public policy], 1987, S. 257 (274 Nr. 54 f., 312 f. Nr. 4) unter Berufung auf Niboyet. 969 Vgl. Schlosser [St/J-ZPO], 1994, § 1044 Rz 20; ders. [RipS], 1989, Rz 869, 874. Er scheint seine These im Gegensatz zu Lalive auf den Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeil begrenzen zu wollen.
970
Den sie ordre public tra11s11ational nennen. Vgl. hierzu unten S. 276.
200
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
wurde 971 . Durch eine solche Konstruktion wird aber dem ordre public eine systemwidrige positive Funktion zugemessen 972. Ein zwingendes Bedürfnis hierfür besteht nicht.
3. Die Ermittlung eines internationalen Standards a. Internationale Übereinkommen Die Existenz von unmittelbar innerstaatlich geltenden, internationalen Übereinkommen, wie der Europäischen Menschenrechtskonvention973 oder sonstiger international vereinheitlichter Regeln wie das Wiener Kaufrechtsübereinkommen974 oder das Haager Beweisübereinkommen975 , vereinfachen nicht nur rein technisch die Ermittlung eines internationalen Standards, sie ist auch besonders gewichtiges Indiz, daß der Rechtssatz oder eine parallellaufende deutsche Norm eine wesentliche Wertung im Sinne der Vorbehaltsklausel bildet976 . Dabei macht es keinen qualitativen Unterschied, ob es sich bei dem vereinheitlichten Recht um ein self-executing Abkommen handelt, das Abkommen schon ratifiziert ist oder nicht977. Ebenso können multinationale Abkommen wie das EuGVÜ oder das Luganer Parallelabkommen einen
971 Als Beispiel führen Lalive und Schlosser u.a. den berühmten Fall "Messageries maritimes" der franz. Cour de cassation v. 21/06/50, Revue Dalloz 1950, S. 609 an. 972 Vgl. hierzu oben S. 65. 973 Vgl. Regierungsbegründung zur IPR-Novelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 44. Vgl. a. Firsching I v. Hoffmann [IPRJ, 1995, Rz 147 f.; C. v. Bar [IPR 1], 1991, Rz 635; Speilenberg (Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz418; Jayme [Methoden], 1989, S. 51 f.; Marriny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 983; Stöcker [Menschenrechte], StAZ 1981, S. 16 (19); Baur [ordre public], FS-Guldener, 1973, S. 1 (19). Ebso aus franz. Sicht Mayer [DrlntPr], 1991, no 205. 974 Vice versa ist bei Anwendung des WKÜ kein Verstoß gegen den deutschen ordre public mehr möglich. So zu Recht SchiUze [Wiener Kaufrecht], FS-Matscher, 1993, s. 423 (433). 975 Hier zieht Schürze [dt.-am. Urteilsanerkennung], 1992, S. 169; ders. [Produkthaftungshdb II], 1991, § 103 Rz 12 den strengen Gegenschluß, bei Verletzung des HaagBewÜbk liege immer ein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public vor. 976 Vgl. BGH v. 22/06/72, BGHZ 59, 82 (85 f.) allerdings in etwas anderem Kontext. Zust. Jayme [Methoden], 1989, S. 51 f. Ähnl. Kropholler [IPRJ, 1994, § 36 III 2b, S. 226.; Baur [ordre public], FS-Guldener, 1973, S. 1 (19). 977 So zu Recht Jayme (Methoden], 1989, S. 51; Baur (ordre public], FS-Guldener, 1973, S. 1 (19). A.A. Lalive [public policy], 1987, S. 257 (308 Nr. 177).
A. Die "wesentlichen Grundsätze"
201
Standard der Zuständigkeitsgerechtigkeit aufstellen 978, der sich auch im Verhältnis zu Drittstaaten als Wertungsdatum auswirkt.
b. Sonstige "internationale Texte" Auch Regelungen ohne Rechtsnormqualität979, wie z.B. die ICC-Verfahrensordnung980, die "Standesregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Gemeinschaft"981 oder der "International Code of Ethics" 982 der International Bar Association oder andere "internationale Texte" von Regierungs- oder NichtRegierungsorganisationen983 bilden einen Standard, dessen Einhaltung die Anerkennung indizieren und im Verhältnis der "Vertragsstaaten" untereinander einen ordre public-Verstoß sogar regelmäßig ausschließen muß.
c. Gemeinschaftsrechtliche Richtlinien Geht die deutsche Wertung auf die Umsetzung einer Richtlinie zurück, ist eine rechtsvergleichende Untersuchung nur begrenzt notwendig, da der Anerkennungsrichter ohne weiteres davon ausgehen kann, daß eine vergleichbare Wertung auch von den Rechtsordnungen von fünfzehn weiteren europäischen Staaten vorgenommen wird984.
d. Der Referenzkreis Der Referenzkreis985 zur Ermittlung eines Standards ist im weitesten Sinn "soziologisch", nicht institutionell -etwa auf die Mitgliedstaaten der Europäi978 Vgl. hierzu unten S. 293. 979 LaliFe [public policy), 1987, S. 257 (306 Nr. 171, 308 Nr.177) versucht die verschiedenen denkbaren Quellen "internationaler Texte" in einer Art "Leiter" abnehmender Eignung zur Herausbildung eines Standards zu ordnen. 980 Ebso Raeschke-Kessler I Bülzler [Aufsicht], ZIP 1987, S. 1157 (1165); Wunderer [arbitrage ). 1993, S. 227. 981 Ebso M.J. Sclzmidt [Durchsetzung), 1991, S. 140 ff. Die Standesregeln des Conseil des Barreaux de Ia Commwwute Europeenne (CCBE) sind veröffentlicht z.B. im AnwBI. 1989, S. 647. 982 Vgl. M.J. Sclunidt [Durchsetzung], 1991, S. 143 f. m.w.N. Ähnl. Rietsclzel [Anm. zu BGH v. 15111156), 1957, LM Art. 30 EGBGB Nr. 3; F. Brunn [Nachprüfbarkeit], NJW 1969, S. 823 Fn 9. 98 ~ Vgl. Lalive [public policy], 1987, S. 257 (307 f., Nrn. 176 f.) m. Bsp. 984 Ähnl. Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 751 für Art. 6 EGBGB. Zur Auswirkung von Richtlinien vgl. auch oben S. 151. 985 Nach Aubin [Konkretisierung], 1966, S. 99 (103).
202
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
sehen Union begrenzt - zu bestimmen. Die Kriterien können hierbei zivilisatorischer986, sozialethischer987 oder ideologischer988 Art sein989. In wirtschaftsrechtlichen Fällen ist eine Erweiterung auf die Praxis internationaler Warenhandelsschiedsgerichte990 oder Wertungen in deren häufigsten Sitzorten991 angebracht. Die Rechtsvergleichung darf jedoch nicht als eine Methode mißverstanden werden, mit der allein die empirisch-quantitative Mehrheit der Rechtsordnungen den Maßstab für die Bedeutung des entsprechenden, einen Interessenkonflikt lösenden Rechtsgrundsatz abgibt992. Dann ist auch Stöckers993 Argument, die bloße Anzahl der Staaten, die einen Rechtssatz anerkenne, könne keine Rolle spielen, denn "Vernunft lasse sich nicht dekretieren", mit dem er internationalen Standards generell die Relevanz absprechen will, als unzulässige Verkürzung der Rechtsvergleichung auf eine reine Staatenzählerei unzulässig. Die Rechtsvergleichung muß vielmehr - insbesondere durch Wahl des Referenzkreises- im Kern wertende Methode bleiben994 .
986 "Kulturstaaten". Vgl. BGH Urt. v. 15/11/56, BGHZ 22, 162 (163); Urt. v. 30/06/61, BGHZ 35, 329 (337). Ebso Hök [discovery], 1993, S. 261; Baur [ordre public], FS-Guldener, 1973, S. 1 (19). 987 "Gemeinsamer durch sittliche Anschauungen verbundener Kulturkreis", "sachrechtlich vergleichbare Rechtsordnungen". Vgl. Spickhoff [ordre public], 1989, s. 150. 988 "Europäisches Rechtsdenken", "abendländischer Kulturkreis". 989 Im Erg. werden häufig die "europäischen Nachbarstaaten" genannt. Vgl. Kropholler [IPR ], 1994, § 36 III 2b, S. 226 f.; Spickhoff [ordre public ], 1989, S. 91; v. Brunn [ordre public], NJW 1962, S. 985 (988). In anderem Zshg. rechtsvergleichende Überlegungen des BVerfG im Beschl. v. 14/02/73, NJW 1973, S. 1221 (1225) ("Länder der westlichen Weit"); v. 04/12/74, FamRZ 1975, S. 82 (83) ("Kontinentaleuropa"). Zum Ganzen A11bin [Konkretisierung], 1966, S. 99 (109). 990 Als Indiz gegen einen Verstoß gewertet von BGH v. 18/01/90, BGHZ 110, 104 (108). 991 Wunderer [arbitrage], 1993, S. 227 m.w.N. Fn 555. 992 In diese Richtung, jedoch begrenzt auf reine Normvergleichung, Aubin [Konkretisierung], 1966, S. 99 (123). Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 418 will dem rein quantitativen Vorkommen eines Lösungsmodells immerhin "Indizwirkung" zukommen lassen. 993 Stöcker [ordre public], RabelsZ 38 (1974), S. 79 (97). 994 Vgl. Basedow [Hdb IZVR 1], 1982, Rz 52.
B. Krasser Unterschied der Anwendungsergebnisse
203
B. Krasser Unterschied der Anwendungsergebnisse Auf der zweiten Stufe der Prüfung ist festzustellen, wie kraß das Ergebnis der Anerkennung von zweitstaatlichen Rechtsgrundsätzen abweicht 995 . Unbestritten ist hierbei noch der Ausgangspunkt, wonach weder die bloße Feststellung, daß eine erhebliche Abweichung von deutschen Rechtsprinzipien vorliege996, noch die Tatsache, daß diese Rechtsprinzipien in zwingenden deutschen Normen zum Ausdruck kommen 997 für sich allein geeignet ist, einen ordre public-Verstoß zu begründen. Den zentralen Kriterien zur Bewertung des "Ergebnisses der Anerkennung", nämlich der Stärke der Abweichung von den Interessenwertungen der Iex fori und der Intensität der Inlandsbeziehung kommt vielmehr eine Art Matrixfunktion zu: Stellt sich heraus, daß diametral entgegengesetzte Wertungen der beteiligten Rechtsordnungen sich weitgehend im Inland auswirken, liegt der ordre public-Verstoß auf der Hand. Problematisch bleiben insbesondere die Fälle, in denen zwar eine im Ergebnis von der nationalen Vorstellung fundamental unterschiedliche Lösung des streitgegenständlichen Interessenkonflikts vorliegt, diese aber im Inland kaum Auswirkungen zeigt998, oder umgekehrt kein so gravierender Widerspruch 999 zur deutschen Vorstellung vorliegt, dieser sich aber im wesentlichen im Inland realisieren würde. Tendenziell in dieselbe Richtung zielt der von Bungert unter Berufung auf die Leitentscheidung des BGH vom 04/06/92 1000 entwickelte Ansatz 1001 . Bungerts Prüfung vollzieht sich grundsätzlich auf zwei Ebenen. Auf der ersten Ebene der Anspruchsgnmdkontrolle wird unter Berücksichtigung des Inlandsbezuges die "Fundamentalität" der in Rede stehenden Rechtsgrundsätze ermittelt. Auf einer zweiten Stufe will er unter maßgeblicher Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und wiederum des Inlandsbezugs eine Höhenkontrolle vornehmen.
995 Dies ist nicht unstreitig. Vgl. hierzu sogleich S. 206. 996 Vgl. z.B. Schuma1111 [St/J-ZPOJ, 1988, § 328 Rz 225. 997 AllgM. Vgl. z.B. BGH v. 07/03/79, BGHZ 73, 378 (386); RG v. 14/12/27, RGZ 119, 259 (263); Schuma1111 [St/J-ZPOJ, 1988, § 328 Rz 225; Hartmann [B/UA!H-ZPO], 1996, § 328 Rz 45.
998 Z.B. nur das Vermögensobjekt, auf das zugegriffen werden soll im Inland liegt, der Fall ansonsten aber ein reiner Auslandsfall ist.
999 Z.B. lediglich eine Übersteigerung eines auch dem deutschen Recht bekannten Gedankens. 1000
BGHZ 118,312 ff.
1001 Vgl. Hungert [Verhältnismäßigkeitsprinzip], VersR 1994, S. 15 (22). Ähnl. Stiefel I Hungert [RICOJ, ZIP 1994, S. 1905 (1909).
204
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
Unter systematischen Gesichtspunkten hat sein Ansatz den Nachteil, daß der Inlandsbezug auf beiden Ebenen geprüft wird. Weiterhin beschränkt Hungert seinen Ansatz auf den anerkennungsrechtlichen ordre public in seiner materiellrechtlichen Ausprägung auf Zahlungsurteile, wohingegen hier ein weiterer Ausgangspunkt gewählt wird.
I. Der wertungsjuristische Ansatz 1. Materiellrechtliche Interessen und Inlandsbezug Um Generalklauseln wie die des ordre public wertend ausfüllen zu können, bedarf es der Analyse der den jeweiligen Normenkomplexen des Erst- und Zweitstaats zugrundeliegenden Interessenlagen und eines Ergebnisvergleichs der Lösungsmodelle die für Fälle der Kollision dieser Interessen, von den beiden Rechtsordnungen vorgegeben werden. Die so festgestellten Interessen bilden aber lediglich den Gegenstand der nachfolgenden Bewertung und noch nicht den Maßstab der Bewertung selbst 1002 • Die Bewertung der Interessen ist dann maßgeblich von der konkreten Ausprägung des Inlands- bzw. Auslandsbezug abhängig. Ein ausländischer Lösungsansatz, basierend auf einem - aus erststaatlicher Sicht - typischen Interessenkonflikt mag mangels Auftreten dieses Interessenkonflikts oder Auftretens in geringerer Schärfe im "Auslandsfall", von einer abweichenden zweitstaatlichen Wertung bei hinreichender Inlandsbeziehung der betroffenen Interessen eher zu erschüttern sein. Umgekehrt ist es möglich, daß bestimmte Interessenlagen, die dem erststaatlichen Regelungsmodell zugrunde liegen, wegen des starken Auslandsbezugs der von der Entscheidung berührten Interessen, das inländische Wertungsmodell mangels konkretem Inlandsbezug nicht ernsthaft in Frage zu stellen vermögen.
2. Internationalprivatrechtliche und internationalverfahrensrechtliche Gerechtigkeit Als Komplement der so ermittelten, für den konkreten Fall zu gewichtenden materiellrechtlichen Interessen ist das, in der Regel für die Anerkennung des erststaatlichen Lösungsmodells streitende Rechtsideal der präsumtiv vom
1002
Vgl. grundlegend Spickhoff[ordre public], 1989, S. 142 ff.
B. Krasser Unterschied der Anwendungsergebnisse
205
Erstrichter gewahrten internationalprivatrechtliehen Gerechtigkeit 1003, also der Anwendung des "räumlich besten Rechts", zu berücksichtigen. Gleichfalls generell zu Lasten der Durchsetzung des zweitstaatlichen Wertungsmodells geht die mit der erststaatlichen Entscheidung erreichte internationalverfahrensrechtliche Gerechtigkeit, sofern die Entscheidung den durch dieses Prinzip geschützten Interessen wie Sachnähe oder wirksamer Gerichtsschutz nicht offensichtlich widerspricht 1004• Der anerkennungsrechtliche ordre public ist damit Schnittpunkt kollidierender materiellrechtlicher, internationalprivatrechtlicher und internationalverfahrensrechtlicher Interessen.
3. Arten von Wertungsunterschieden Nach dem hier vorgeschlagenen Ansatz, ist die Qualität der Abweichung von den Fundamentalwertungen mit ordre public-Qualität zu ermitteln. Hier muß generell ein unauflösbarer Widerspruch vorliegen. Die Qualität des Widerspruchs ist je nach Art der theoretisch denkbaren Möglichkeiten zur Lösung eines Interessenkonflikts unterschiedlich. Eine "schwerwiegende" oder "unerträgliche" Abweichung wird, soweit mehrere, insbesondere abgestufte Lösungen der Interessenbewertung denkbar sind, insbesondere dann vorliegen, wenn die zweitstaatliche Lösung diametral anders wertet 1005 . Gibt es überhaupt nur zwei logisch denkbare Lösungen eines lnteressenkonflikts, und wird dieser von der fremden Entscheidung anders gelöst als von der deutschen Werteordnung, muß deshalb aber noch kein krasser, nicht mehr tolerabler Unterschied der Anwendungsergebnisse vorliegen. Oftmals wird es so liegen, daß auch hier anerkennungswürdige (!) Argumente für die Berücksichtigung des vom deutschen Recht als nachrangig eingestuften Interesses sprechen 1006 . 1003 Z.B. die Wahrung von Verkehrsinteressen oder Ordnungsinteressen an äußerem und innerem Entscheidungseinklang. Vgl. hierzu Kegel [IPR), 1995, § 2 I, S. 106 ff.; Wandt [IntProdhaftg), 1995, Rz 542; Sonnenherger [MünchKomm-BGB), 1990, Ein!. IPR Rz 67 f.; Neuhaus [Grundbegriffe), 1976, S. 42. 1004
Vgl. hierzu Som1enberger [MünchKomm-BGB], 1990, Ein!. IPR Rz 321.
So auch die Analyse der schweizerischen Rspr. bei Drolshammer I Schärer [punitive damages], SchweizJZ 1986, S. 309 (312 Fn 15); ähnl. Walter [schwiZPR], 1995, S. 331. 1005
1006 Häufig dürfte allerdings in einem solchen Fall bereits die Verletzung eines "wesentlichen Grundsatzes" überhaupt zu verneinen sein .
206
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
Andererseits kann sich auch bei grundsätzlicher Lösung des Interessenkonflikts zugunsten desselben Interesses, wie sie auch die deutsche Werteordnung vornimmt, die Berücksichtigung dieses Interesses derart einseitig und kraß darstellen, daß dies nicht mehr tolerabel erscheint. Die Notwendigkeit dieser Untersuchung von Qualität und Quantität der Abweichung der Interessenbewertung ist nicht unbestritten. Zum Beispiel hält Roth 1007 die dem ordre public zugrundeliegenden Wertungen für Absoluta, die - abhängig vom Inlandsbezug- entweder verletzt wären oder nicht 1008 .
4. Faktorentheorie Die Betonung, es komme auf eine Gesamtbewertung des Ergebnisses einer Anerkennung der in Rede stehenden Entscheidung an, darf jedoch nicht dazu verführen, verschiedene zweifelhafte Aspekte, die jeder für sich allein betrachtet keinen unerträglichen Verstoß gegen fundamentale Rechtsgrundsätze i.S. des ordre public darstellen, am Ende in einer Art Gesamtschau aller Faktoren zu kumulieren, und aufgrunddieser Gesamtschau einen Verstoß zu bejahen 1009• Dem offensichtlich dahinterstehenden Bedürfnis, nicht im Wege einer "Salamitaktik" doch allzuviele inländische Grundwerte aufgeben zu müssen, kann besser mit Hilfe einer differenzierten Teilanerkennung der Entscheidung begegnet werden 1010•
II. Blick auf die Rechtsordnungen - nicht auf die Rechtssätze Das durch die Anerkennung eines vollständigen, fremden Lösungsvorschlags für einen komplexen Interessenkonflikt entstehende Konglomerat an Wirkungen ist regelmäßig zu vielschichtig, als daß es sinnvoll an einem einzelnen Rechtssatz der Iex fori zu messen wäre. Ein Vergleich einzelner Rechtssätze greift deshalb häufig zu kurz. Hierbei auftretende, scheinbar krasse Unterschiede zur deutschen Interessenbewertung können sich auflösen oder doch erheblich abmildern, beachtet man die beiderseits den Konflikt lösenden "Rechtsnormkomplexe" 1011.
1007 Vgl. G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 71 f., 96; ders. [Vorbehalt], NJW 1967, S. 134 (136 Fn 29). 1008 A.A. der BGH z.B. in Urt. v. 28/10/65, NJW 1966, S. 296 (299); Beschl. v. 16/09/93, BGHZ 123, 268 (272). 1009 So aber das LG Berlin, 13/06/89, RIW 1989, S. 988 (990). Wie hier Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1713). 1010
S. dazu oben S. 78 ff.
1011
Spicklwff[ordre public], 1989, S. 92.
B. Krasser Unterschied der Anwendungsergebnisse
207
1. Erfordernis funktionaler Rechtsvergleichung Eine solche Gegenüberstellung der Wertungen macht eine funktional-rechtsvergleichende Betrachtung beider Rechtsordnungen notwendig 1012 : Mit welchem Ergebnis regelt das ausländische Recht den gesamten Sachverhalt? Mit welchem Sinn und Zweck? Gibt es eine vergleichbare Zielsetzung im nationalen Recht, die vielleicht auf methodisch und dogmatisch völlig andere Weise verwirklicht wird?1 01 3 Dazu ist ein Blick auf den gesetzlichen Kontext sowie System und Struktur der ausländischen Regelung notwendig1014. Insbesondere der hinter einer "bedenklichen" ausländischen Einzelregelung und der darauf beruhenden Entscheidung stehende Verhältnismäßigkeilsmaßstab wird von der dortigen gesamten Rechtsordnung geprägt 1015 . Eine Einzelvorschrift mag im Kontext der deutschen Parallelregelung desselben Rechtsgebiets unverhältnismäßig erscheinen. Betrachtet man allerdings die globale ausländische Regelung des Problemkreises, und übernähme diese insgesamt ins deutsche Recht, muß dieser Eindruck nicht aufrechterhalten bleiben 1016. Wengler 1017 nennt als Beispiel einer solchen Konstellation die englische Sanktionsmöglichkeit des Ausschlusses vom weiteren Verfahren wegen contempt of court1018. Ein solcher sei, ins aktuelle deutsche Zivilprozeßrecht übertragen, wegen Verstoßes gegen das Übermaßverbot wahrscheinlich verfassungswidrig. Wäre aber das deutsche Zivilprozeßrecht so ausgestaltet wie das gegenwärtige englische, wäre die Einzelmaßnahme wohl tragbar. Damit sind die durch die ausländische Rechtsordnung insgesamt gesetzten Maßstäbe, sofern diese noch für das deutsche Rechtsverständnis tragbar sind, als Kontext der auf dem Prüfstand stehenden Einzelfallregelung zu berücksichtigen. 101 2 Ebso Koch [Schadensersatz], NJW 1992, S. 3074 (3075); Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1714); Kronke [Anm. zu BGH v. 04/06/92], LM § 328 ZPO, 1993, Nm. 38-40, Anm. 2 a. 1013 Vgl. dazu Jayme (Methoden], 1989, S. 42; Steindorff (Gemeinschaftsrecht], EuR 1981, s. 426 (440).
1014 So z.B. in BGH v. 15/05/86, BGHZ 98, 70 (75 ff.). Ebso Kropholler [EuZPR], 1993, Art. 27 Rz 11 für verfahrensrechtliche Regelungen.
1015 Zur Berücksichtigung ausländischer Standards im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vgl. schon oben S. 155. 1016 Vgl. Wandt [IntProdhaftg], 1995, Rz 555 für das Produkthaftungsrecht 1017 Vgl. Wengier (Anm. zu BGH v. 18/10/67], JZ 1969, S. 596 (598). 101 8 Vgl. hierzu auch die Nachweise oben Fn 622.
208
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
Aber auch im eigenen nationalen Recht ist wiederum nicht die einzelne Norm der Maßstab, sondern die hinter dem ganzen Normenkomplex stehende Wertung, die aus dem positiven Recht herauszudestillieren ist 1019 . Maßstab für die Prüfung, ob das erststaatliche Rechtsinstitut dem Verdikt der ordre publicWidrigkeit ausgesetzt wird, ist damit auch nicht lediglich der Vergleich mit dem entsprechenden zweitstaatlichen Teilrechtsgebiet, sondern mit dessen Gesamtrechtsordnung 1020. Die Notwendigkeit einer solchen Überlegung kam deutlicher in der alten Formulierung der Vorbehaltsklausel zum Ausdruck, die einen Verstoß "gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes" forderte 1021.
2. Beispiele Der folgende, zunächst nur schlagwortartige Abriß einiger in der Praxis aktueller Themen soll die Frage der Anerkennungsfähigkeit entsprechender Entscheidungen, die die angesprochenen Problemkreise berühren, nicht endgültig beantworten, sondern lediglich Anschauungsmaterial liefern, daß mittels anfangs fernab deutschrechtlicher Lösungsmethoden erscheinender Einzelerscheinungen im Kontext des gesamten Systems durchaus vergleichbare Gesamtergebnisse erzielt werden. Das besitzlose französische Registerpfandrecht verfolgt ähnliche Zielsetzungen wie das deutsche Institut des Sicherungseigentums und ist diesem zumindest funktional ohne weiteres vergleichbar 1022. Schmidt 1023 weist überzeugend nach, daß die zunächst höchst unterschiedlichen Kriterien zur Berechnung der Höhe der Vergütung für anwaltliehe Beratung in Deutschland und in Frankreich, beachtet man das Gesamtsystem, sich nahezu vollständig entsprechen. Die zunächst exotisch erscheinende "Morgengabe" 1024 des islamischen Rechts verliert ihren befremdenden Charakter, wenn man sich klar macht, daß sie den Zweck 1019 So für das materielle Recht BGH v. 11/11/56, BGHZ 22, 24 (29); ähnl. schon das RG v. 25/06/26, RGZ 114, 171 (173); für das Verfahrensrecht BGH v. 18/10/67, BGHZ 48, 327 (333); v. 19/09/77, NJW 1978, S. 1114 (1115); G.H. Roth [Anm. zu BGH v. 18/10/67], ZZP 82 (1969), S. 152 (154 f.); Geimer [Zöller-ZPOJ, 1995, § 328 Rz 155; ders. [ex parte ], IPRax 1992, S. 5 ( 13); ders. [Verfahren], JZ 1969, S. 12 ( 13 Fn 6); Wengier [Anm. zu BGH v. 18/10/67], JZ 1969, S. 596 (597). A.A. Schlosser [RipS], 1989, Rz 868; Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 19. 1020
Vgl. BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (324).
1021 Vgl. BGH v. 11/11/56, BGHZ 22, 24 (29). Ähnl. schon RG v.25/06/26, RGZ 114, 171 (173). 1022
Vgl. BGH v. 20/03/63, BGHZ 39, 173 (178 f.); Jayme [Methoden], S. 42 m.w.N.
1023
M.J. Scfzmidt [Durchsetzung), 1991, S. 155 ff.
1024
Hierzu BGH v. 28/01/87, FamRZ 1987, S. 463 ff. m.w.N.
B. Krasser Unterschied der Anwendungsergebnisse
209
verfolgt, die Versorgung der geschiedenen Ehefrau sicherzustellen, und sie damit funktional einer Unterhaltsabfindungsvereinbarung nach § 1585c BGB entspricht1025. Ein darauf gerichtetes ausländisches Zahlungsurteil wäre anzuerkennen. Fiebig 1026 weist fundiert auf einige dogmatische Parallelen in der Funktion und Bemessung von pwritive damages einerseits und der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes nach deutschem Recht andererseits hin 1027 . Einige fremde Lösungsansätze lohnen unter diesem Gesichtspunkt genauerer Betrachtung.
a. Materiellrechtlicher Prozeßkostenersatz und Erfolgshonorare Obsiegt der Kläger eines Schadensersatzprozesses in einem Staat wie den USA, der, im Einklang mit etlichen anderen Rechtsordnungen, die dem deutschen Recht grundsätzlich 1028 zugrundeliegende Regel des looser-pays nicht kennt, werden ihm nach verbreiteter Ansicht jedenfalls für den US-Prozeß 1029 über die großzügige Bemessung des materiellen Schadensersatzanspruchs 1025 Vgl. BGH v. 28101187, FamRZ 1987, S. 463 (466); Jayme [Methoden], S. 42. 1026 Vgl. Fiebig [recognition], GA.J.Int'L.&Comp.L. 22 (1992), S. 635 (651 ff.). Ähnl. Siehr [punitive damages], RIW 1991, S. 705 (707). 1°27 Ähnl. 1981, S. 141 (147) auch v. Westpiraten [Art. 12], RIW "Artverwandtschaft". Unklar Kühn [RICO], FS-Giossner, 1994, S. 193 (200), "im Ansatz[ ...] vergleichbar[ ... ]" andererseits "dogmatischer Ansatzpunkt ein vollkommen anderer". Für diametral gegensätzlich hält die Institute dagegen Zekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (328); ähnl. i.Erg. Lenz [punitive damages], 1992, S. 94 ff., 98 für das schweizerische Recht. 1028 Zu den Durchbrechungen der Prinzipien auf beiden Seiten vgl. oben S. 183 und 195. 1029 Vgl. Fiebig [recognition], GA.J.Int'L.&Comp.L. 22 (1992), S. 635 (641 Fn 39); Siehr [punitive damages], RIW 1991, S. 705 (707 f.); Lenz [punitive damages], 1992, S. 31 ff.; Hungert [Verhältnismäßigkeitsprinzip], VersR 1994, S. 15 (16); Kronke [Anm. zu BGH v. 04106192], LM § 328 ZPO, 1993, Nrn. 38-40, Anm. 2 b; Deutseit [Anm. zu BGH v. 04106192), JZ 1993, S. 266; Hay [enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729 (743); Zekoll [Änderungen), VersR 1992, S. 1059 (1060); ders. [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (327); Stiefel I Stiirner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (831, 836); Stiefel I Stürner I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (796); Schütze [Produkthaftung], FS-Nagel, 1987, S. 392 (396); v. Hoffmann [Staudinger-12], 1992, Art. 38 EGBGB Rz 206; v. Westpiraten [Art. 12], RIW 1981, S. 141 (143). Ebenso BVerfG v. 07112194, NJW 1995, S. 649 (650); BGH v. 04106192, BGHZ 118, 312 (335 f.); OLG Düsseldorf v. 28/05191 , VersR 1991, S. 1161 (1162) m.w.N.; OLG Frankfurt a.M. v. 18/05189, EWiR § 328 ZPO, 2192, S. 829. Zweifelnd dagegen Hoeren [Anm. zu BVerfG v. 07/12194], WiB 1995, S. 306; Zekoll [Produkthaftpflicht], S. 117 ff., 122 m.w.N. 14 Völker
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
insoweit funktional die Prozeßkosten erstattet 1030. Die erwartete Erfolgsbeteiligung des Anwalts wird bei der Zumessung des Schadensersatzes gleichsam "diskontiert" 1031 . So sind auch mittellose Parteien in der Lage, selbst vor dem Hintergrund nur spärlich gewährter staatlicher Prozeßkostenhilfe 1032, im Zusammenspiel mit der Praxis der Vereinbarung von Erfolgshonoraren, berechtigte Ansprüche vor Gericht zu verfolgen. Damit werden, wenn auch auf unterschiedlichem Weg, mit grundlegenden deutschen rechtspolitischen Wertentscheidungen, wie der des§ 91 ZPO oder der Regelungen der Prozeßkostenhilfe1033 im Einklang stehende Ergebnisse erreicht. Dieser Befund ist bei der Bewertung der Anerkennungsfähigkeit z.B. eines punitive damage-awards zu berücksichtigen 1034.
b. Pre-trial discovery Die weitgehenden Möglichkeiten der Ausforschung im Rahmen einer pretrial discovery nach US-amerikanischem Recht103S werden erträglicher1036, 1030 Zum Problem der hierin liegenden Störung der Waffengleichheit der Parteien für die Anerkennungsfähigkeit der Entscheidung vgl. oben S. 133. 1031 So Deutsch (Anm. zu BGH v. 04/06/92], JZ 1993, S. 266. 1°32 Hierzu z.B. Schock [Einführung], 1995, S. 11 f. 1033 Vgl. Koch I lekoll [Unterschied], IPRax 1993, S. 288 (290); Koch [Schadensersatz], NJW 1992, S. 3073 (3075). 1034 Vgl. BVerfG v. 07/12/94, NJW 1995, S. 649 (650); OLG Düsseldorf v. 28/05/91, RIW 1991, S. 594 (595 f.) (25% der Summe); lekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (326). Ebso für das schweizerische Recht Lenz (punitive damages], 1992, S. 182 f. Zweifelnd aber Hoeren [Anm. zu BVerfG v. 07/12/94], WiB 1995, s. 306 f.
1035 Vgl. hierzu die Nachweise oben Fn 858. 1036 Die überwiegende Ansicht spricht sich dann auch gegen einen generellen ordre public-Verstoß durch Anerkennung einer auf discovery proceedings beruhenden Entscheidung aus, vgl. BGH v. 04/06/1992, BGHZ 118, 312 (323); OLG Düsseldorf v. 28/05/91, VersR 1991, S. 1161 (I162); LG Berlin v. 13/06/89, RIW 1989, S. 988 (990); Geimer [Anerkennung], 1995, S. 137; ders. [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz I62; ders. [IZPR], I993, Rz 2964; Schütze [Anm. zu BGH v. 04/06/92], RIW 1993, S. 139 (141); Hungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (I710); ders. [enforcing], Int'lLaw 27 (1993), S. 1075 (1080); Koch I lekoll [Unterschied), IPRax 1993, S. 288 (290); Koch [Schadensersatz], NJW 1992, S. 3073 (3075); Coester-Waltjen [punitive damages], I994, S. 15 (27); Seizack [Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (I993), S. 104 (107); Kilgus [Schiedssprüche], I995, S. 295; Vorpeil [Haftungsdurchgriff], RIW 1991, S. 995 ( 100 I); Rosenberg I Schwab I Gottwald [ZPR], 1993, § 157 I 3 e ( 1), S. 945; Gottwald [Grundfragen], ZZP 103 (I990), S. 255 (283); lekoll [recognition], AmJCompL 37 ( I989), S. 30 I (335); ders. RIW 1990, S. 302 (305); Stiefel / Stiirner
B. Krasser Unterschied der Anwendungsergebnisse
211
wenn man berücksichtigt, daß der Geschädigte sich in den USA zumindest in Produkthaftungssachen einer gänzlich anderen Beweislage gegenüber sieht 1037 • Beweiserleichterungen wie im deutschen Produkthaftungsrecht 1038 werden in den USA so nicht gewährt. Das US-Recht versucht vielmehr mit anderen Mitteln als das deutsche Recht, ein grundsätzlich ähnliches Ziel 1039 zu erreichen: Ausforschung hier, Beweislastumkehr dort. Auch die Tatsache, daß neben einigen prozeßrechtlichen Vorschriften 1040, auch das deutsche materielle Recht 1041 vielfach für den Betroffenen möglicherweise sehr unangenehme Auskunftspflichten normiert, ist, weil funktional vergleichbar, bei der Prüfung, ob die konkret durchgeführte pre-trial discovery deutsche Rechtsgrundsätze über alle Maßen konterkariert, zu berücksichtigen 1042.
c. Gewinnabschöpfung im Gewande des Schadensersatzanspruchs Häufig wird vertreten, daß OS-amerikanischen punitive damages, sofern mit ihnen die durch das schädigende Verhalten erreichten Vorteile abgeschöpft werden, insoweit dem Rechtsinstitut der ungerechtfertigten Bereicherung
[Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (830 f.); Hoechst [Produzentenhaftung], 1986, S. 121. Strenger wohl Seimmann [St/J-ZPOJ, 1988, § 328 Rz 242; v. Westphalen [Art. 12], RIW 1981, S. 141 (142). "Extremfälle" nicht anerkennen will lekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (335). Dagegen nehmen Hök [discovery), 1993, S. 297; Schiitze [Produkthaftung], FS-Nagel, 1987, S. 392 (401); ders. [Verteidigung), WM 1986, S. 633 (636), ders. [Probleme], WM 1979, S. 1174 (1175) regelmäßig einen ordre public-Verstoß an. 1037
Vgl. Böhmer [Spannungen), NJW 1990, S. 3049 (3052).
Vgl. BGH Urt. 13/12/51, BGHZ 4, 192 (195); 19/05/65 NJW 1965, S. 1583 (1584 f.); V. 26/11/68, BGHZ 51, 91 (104 ff.); V. 18/09/84, BGHZ 92, 143 (147); V. 30/04/91, NJW 1991, S. 1948 (1951); v. 19/11!91, BGHZ 116, 104 (107 ff.). 1038
!039
Vgl. z.B. Emmerich [MünchKomm-BGB], 1994, § 282 Rz 3.
1040
Z.B. §§ 138 Abs. 3, 142 Abs. 1, 273 Abs. 2 Nr. 1, 422 ff., 446 ZPO.
Z.B. §§ 242, 259, 371, 402, 444, 666, 716, 810, 2027, 2314 BGB, §§ 18, 157 HGB. Vgl. auch Seizack [IZVR], 1991, Rz 740. Weitere Beispiele materiellrechtlicher Auskunftspflichten bei Schlosser [Modeme], JZ 1991, S. 599 (606). 1041
1042 Ebso BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (324). Zust. Koch I lekoll [Unterschied), IPRax 1993, S. 288 (290). Konsequent prüft lekoll [Produkthaftpflicht), 1987, S. 137 die discovery-Maßnahmen deshalb auch unter dem Gesichtspunkt Art. 38 EGBGB als Maßstab für die sehr allgemein verstandenen deutschen Grundsätze im (Produkt-)Haftungsrecht. Sehr krit. betreffend die funktionale Vergleichbarkeit dagegen llök (discovery ), 1993, S. 274 ff.
14•
212
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
funktional vergleichbar seien 1043. Ähnliche Abschöpfungsfunktion kommt auch den treble damages nach OS-amerikanischen anti trust-Recht und nach dem RICO-Act zu 1044. Hierbei wird allerdings übersehen, daß wesensnotwendig im Bereicherungsrecht dem Bereicherten ein EntreicheTter gegenüberstehen muß. Ein solcher ist, jedenfalls im Produkthaftungsfall, der zu einer Verurteilung zu punitive damages führt, in der Person des geschädigten Produktkäufers nicht ersichtlich 1045 . Etwas anderes mag bei Kartellverstößen oder RICO-Fällen, die zu Umsatzverlusten bei den Geschädigten führen, vorstellbar sein. Die Parallele ist damit etwas "schief". Tragfähiger ist dagegen eine solche zu den Regeln des Eigentümer-BesitzerVerhältnisses in §§ 990, 987 BGB, dem Leistungsstörungsrecht in §§ 325 Abs. 1 S. 3, 323, 281 BGB oder der unerlaubt vorsätzlichen Eigengeschäftsführung in §§ 687 Abs. 2, 681, 667 BGB, die allesamt den Gedanken beinhalten, daß derjenige, der bösgläubig oder schuldhaft in die Rechtsposition eines anderen eingreift, aus dieser Handlung keinen Gewinn soll ziehen können1046.
d. Systeme der sozialen Sicherheit und claim preclusion-doctrine Aufgrund des wesentlich grobmaschiger geknüpften sozialen Netzes und vor dem Hintergrund der sogenannten claim preclusion-doctrine 1041, die den Erlaß eines dem deutschen Grundurteil vergleichbaren Urteils unmöglich macht,
1043 So Coester-Waltjen [punitive damages), 1994, S. 15 (18, 31); Bungert [Verhältnismäßigkeitsprinzip], VersR 1994, S. 15 (16); ders. [Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815 (822); ders. [Vollstreckbarkeit), ZIP 1992, S. 1707 (1717); ders. [enforcing], Int'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1082 f.); Stiefel I Bungert [Licht), FS-Trinkner, 1995, S. 749 (779); Siehr [punitive damages], RIW 1991, S. 705 (708). Ebso für das schweizerische Recht ZivG Basel v. 01102189, BJM 1991, S. 31 (36); Lenz (punitive damages], 1992, S. 183.
Zur Gewinnabschöpfung als Maßstab vgl. ferner Zekoll [Änderungen), VersR
1992, S. 1059.
1044 Vgl. Stiefel I Bungert [RICO], ZIP 1994, S. 1905 (1914); Bungert [Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815 (822). Bei Stiefel I Stiirner [Vollstreckbarkeit), VersR 1987, S. 829 (844 f.) nennen diese Funktion dagegen nicht. 1045 Vgl. etwa den FORD Pinto-Fall oben Fn 916. 1046 Auf diese Parallelen weist Coester-Waltjen (punitive damages], 1994, S. 15 (31) hin. Ähnl. für die Schweiz ZivG Basel v. 01102189, BJM 1991, S. 31 (37). 1047 "The claim mergers in judgement". Vgl. hierzu Hay [enforcement], ArnJCompL 40 (1992), S. 729 (739, 742); Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1714 Fn 98); Schack [Einführung], 1995, S. 71 f.
B. Krasser Unterschied der Anwendungsergebnisse
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wohnen einem OS-amerikanischen Schadensersatzurteii' 048 oft spekulative Elemente hinsichtlich möglicher, noch nicht erkennbarer Spätfolgen inne. Den Opfern wird etwas gegeben, was die öffentliche Hand oder die Gesellschaft als Solidargesellschaft nicht leisten kann. Die Schadensersatzsumme hat damit die Funktion einer Art "Versicherung" für möglicherweise in der Zukunft eintretende Schäden 1049• Ist das Opfer in den USA ansässig, ist dies bei der ordre public-Verträglichkeit einer Anerkennung in Deutschland zu berücksichtigen. Ist der Täter OS-Amerikaner, das Opfer jedoch in Deutschland versorgungsberechtigt, kann die Funktion unberücksichtigt bleiben. Den Verletzten darauf zu verweisen, nach tatsächlichem Entstehen der Heilungskosten erneut im Zweitforum, in dem unter Umständen lediglich ein außerordentlicher ordre public-Gerichtsstand eröffnet wäre, zu klagen bzw. die insoweit ursprünglich abgelehnte Vollstreckbarerklärung erneut zu betreiben 1050, kann nicht ernsthaft verlangt werden 1051 •
111. Blick auf den Einzelfall · nicht auf den Regelfall Der rechtsvergleichende Blick in die verwandte Umgebung verstellt dadurch, daß er die abstrakte Normsituation feststellt, allerdings oft den Blick auf den Einzelfall 1052, dessen Bewertung aber letztendlich den Ausschlag geben muß 1053 • Denn nicht die Anstößigkeit des Rechtssatzes, der die Entscheidung trägt, ist entscheidend. Seine Anwendung im Einzelfall muß nicht notwendig
1048 Gleichwohl, ob in Form von enormen Summen für suffering and pain oder in Form von ptmitive damages, vgl. hierzu Hay [enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729 (742 f., 747 Fn 76); OLG Frankfurt a.M. v. 18/05/89, EWiR § 328 ZPO, 2/92, s. 829 f. 1049 Vgl. Hay [enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729 (743); Deutsch (Anm. zu BGH v. 04/06/92), JZ 1993, S. 266. Ähnl. BVerfG v. 07/12/94, NJW 1995, S. 649 (650) und der BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (335). 1050
Der nicht vollstreckte Teil des Urteils wäre noch unverbraucht, vgl. hierzu
Bu11gert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 ( 1724).
1051 Vgl. v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (331). Ebso Kro11ke [Anm. zu BGH v. 04/06/92], LM § 328 ZPO, 1993, Nrn. 38-40, Anm. 2 a; Koch I Zekoll [Unterschied], IPRax 1993, S. 288 (291); Hay [enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729 (742 m.w.N., 747 Fn 76); Coester-Waltje11 (punitive damages], 1994, S. 15 (34). 1052 Ähnl. Aubi11 [Konkretisierung], 1966, S. 99 (124); zust. Spickhoff[ordre public], 1989, S. 92. 1053
Vgl. zum Prüfungsobjekt bereits oben S. 67.
214
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
ebenso anstößig sein, wenn die anstößige Zielsetzung der Norm oder des Normenkomplexes gar nicht zum Tragen kommt 1054. Maßgeblich ist die Abweichung der Situation von zweitstaatlichen Rechtsgrundsätzen nach einer Anerkennung. Nicht entscheidend ist damit, wie stark das ausländische Urteil von einem entsprechenden - ceteris paribus gefällten deutschen Urteil abweichen würde. Im Extremfall kann der ordre public selbst dann eingreifen, wenn das zu vollstreckende Urteil im Inland ebenso ausgefallen wäre 1055 . Gemeint sind hier Fälle, die im Inland zu einem Restitutionsverfahren oder jedenfalls zur Arglisteinrede gegen ein rechtskräftiges Urteil gern. § 826 BGB berechtigen würden. Die Betonung dieser Einzelfallprüfung darf aber - auf einer wiederum anderen gedanklichen Ebene - auch nicht dazu verführen, die Präjudizwirkung einer Anerkennung völlig unberücksichtigt zu lassen. Sind ähnlich liegende Fälle in Zukunft tatsächlich zu erwarten, wäre es allzu begrifflich zu argumentieren, daß es ja ausschließlich auf den Einzelfall ankomme. Hier kann die einheitliche Entscheidung der Gruppe von Einzelfällen Prüfungsobjekt sein 1056. In Anlehnung an die Formel des BGH zur Anerkennung ausländischer Schiedssprüche1057 mag man für eine Anerkennungsverweigerung fordern, daß zwar nicht der Einzelfall, aber doch die bedeutende Anzahl konkret zu erwartender Fälle insgesamt das vom ordre public geschützte System "aus den Angeln zu heben" 1058 drohe.
1. Konkreter Verstoß nicht abstrakte Gefahr Zur Versagung der Anerkennung genügt jedenfalls nicht die bloße Feststellung, daß im Ausspruch nur möglicherweise ein ordre public-Verstoß liege 1059.
1054 Vgl. Raape I Sturm [IPR 1), 1977, § 13 VI 1, S. 214 f. 1055 Vgl. Grrmsky [Vollstreckung), IPRax 1987, S. 219 (220 f.). 1056 Ähnl. Kegel [IPR], 1995, § 16 VI 1, S. 378 f., der aber gleichzeitig zu Recht die Unzulässigkeil des Arguments "Wenn's alle bei uns so machten!" hervorhebt. 1057 Vgl. z.B. BGH v. 15105186, BGHZ 98, 70 (74); v. 14104188, BGHZ 104, 178 (184).
1058 So Basedow [Haftungsersetzung), IPRax 1994, S. 85. 1059 Vgl. BGH v. 23104159, BGHZ 30, 89 (94) zu § 1041 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, v. 27102164, MDR 1964, S. 590 f. zu § 1044 Abs. 1 Nr. 2 ZPO; Schlosser [RipS), 1989, Rz 866; G.H. Roth (ordre public], 1967, S. 141. A.A. Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1600 sofern durch die Anerkennung unmittelbare Staatsinteressen berührt sind.
B. Krasser Unterschied der Anwendungsergebnisse
215
Davon zu trennen ist die Frage, wie zu entscheiden ist, wenn unsicher bleibt, ob sich ein "an sich" vorliegender ordre public-Verstoß auch in der Entscheidung niedergeschlagen hat.
a. Verfahrensrechtlicher ordre public Diese Frage der Kausalität eines ordre public-Verstoßes für die Entscheidung stellt sich häufig bei der Prüfung des erststaatlichen Verfahrens. Unstreitig reicht hier eine lediglich abstrakte Wertung des erststaatlichen Verfahrens oder gar nur des erststaatlichen Prozeßrechts nicht aus 1060. Zu fordern ist die zusätzliche Feststellung, daß der abstrakt festgestellte Verstoß, sich auch konkret auf das Ergebnis des Verfahrens ausgewirkt hat oder haben kann 1061 . Der sichere Nachweis, daß die Entscheidung auf dem Verstoß beruht, ist dabei angesichts der zwangsläufigen Beweisschwierigkeiten 1062 allerdings nicht zumutbar 1063• Für den Bereich der Anerkennung von Schiedssprüchen wird vorgeschlagen, die zu § 549 ZPO entwickelten Grundsätze entsprechend anzuwenden 1064, wonach, jedenfalls bei Verfahrensrügen, die bloße Möglichkeit eines Verstoßes für die Begründetheil der Revision ausreicht 1065 • Andererseits hindern selbst
106° Vgl. Martiny [Hdb IZVR 111}1], 1984, Rz 1026. Ebso Mezger [Verstoß], NJW 1970, S. 368 (369) im Zshg. mit Schiedsverfahren. A.A. Geimer [Anm. zu BayObLG v. 03/10/73), NJW 1974, S. 419. 1061 BGH v. 04106!1992, BGHZ 118, 312 (324 f.); v. 15105186, BGHZ 98, 70 (75); LG Harnburg v. 04102193, FamRZ 1993, S. 980 (982). Ebso v. Winterfeld [ordre public), NJW 1987, S. 3059 (3061); Engelhardt [Schiedsgerichtsbarkeit], JZ 1987, S. 227 (232). Schon eine abstrakte Gefährdung will Kornblum [Gebot], NJW 1987, S. 1105 (1108) ausreichen lassen. Auf eine Kausalitätsvermutung ganz verzichten will dagegen G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 45. 1062
Dies gilt insbesondere bei nicht begründeten ausländischen Schiedssprüchen.
Vgl. BGH v. 08110159, BGHZ 31 , 43 (48); OLG Harnburg v. 03104175 , IPRspr. 1975. Nr. 202; Satmer [Schiedssprüche], 1994, S. 83, 193. 1063
1064 So von Sclzwab I Waller [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 24 Rz 16; Wieczorek I Schütze [ZPO], 1995, § 1041 Rz 22; Marx (Schiedssprüche), 1994, S. 28. I. Erg. ebso OLG Stuttgart v. 22/12186, IPRax 1987, S. 369 (372); zust. Raeschke-Kessler I Biihler (Aufsicht), ZIP 1987, S. 1157 (1166).
1065 Vgl. z.B. BGH v. 03107186, NJW 1987, S. 781; Walchshöfer (MünchKommZPO), 1992, § 549 Rz 16; Rosenberg I Schwab I Gottwald (ZPR], 1993, § 143 VI, S. 878 f. Ähnl. OLG Harnburg v. 03104/75, IPRspr. 1975, Nr. 202.
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
schwerste Verstöße die Anerkennungsfähigkeit nicht, wenn auszuschließen ist, daß diese sich auf den Spruch des Erstgerichts ausgewirkt haben 1066• Diesem Ansatz ist grundsätzlich, und zwar auch für die Anerkennung von Entscheidungen ausländischer staatlicher Gerichte, zuzustimmen. Da es sich um den Vergleich mit einer fiktiven Situation handelt, dürfen keine allzu hohen Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Kausalität des abstrakten Verstoßes für das konkrete Ergebnis gestellt werden 1067 • Ein substantiierter und plausibler Vortrag, eine "konkrete Gefahr" oder "realistische Möglichkeit" 1068 muß hier ausreichen. Stärke des festgestellten abstrakten Verstoßes sowie Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich seiner Kausalität stehen hierbei in einem umgekehrten Abhängigkeitsverhältnis 1069• Die bloße, nicht auszuschließende Möglichkeit allein, die nur in den seltensten Fällen zu verneinen sein wird, kann allerdings nicht ausreichen 1070• Das Erfordernis der Kausalität wäre ansonsten entwertet und praktisch bedeutungslos. Die bloße Möglichkeit einer nach deutschen Maßstäben unerträglichen Ausforschung, die letztlich zu der erststaatlichen Entscheidung geführt hat, genügt zum Beispiel zur Anerkennungsversagung nicht 1071 . Die nicht eingeräumte Mög1066 Vgl. Martiny [Hdb IZVR Ill/1], 1984, Rz 1026. Raeschke-Kessler I Bühler [Aufsicht}, ZIP 1987, S. 1157 (1166) für Schiedssprüche.
1067 Vgl. Schlosser [StiJ-ZPOJ, 1994, § 1044 Rz 40 f.; ders. [RipS], 1989, Rz 866; Geimer [IZPR], 1993, Rz 2958; Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 28; Satmer [Schiedssprüche], 1994, S. 193 f.; v. Bernuth [Doppelkontrolle], 1995, S. 14, 18; Martiny [Hdb IZVR Illll], 1984, Rz 1026. Man mag dies mit H.J. Maier [MünchKomm-ZPO], 1992, § 1044 Rz 11 "konkrete Gefahr" nennen. Speilenberg [Staudinger-12), 1992, § 328 ZPO Rz 407 f., 467 neigt sogar dazu, auf eine Kausalitätsprüfung, jedenfalls im Rahmen des verfahrensrechtlichen ordre public, ganz zu verzichten. Geringe Anforderungen an die Kausalität auch bei BGH v. 08110159, BGHZ 31, 43 (48) im Rahmen von§ 1041 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. 1068 So Satmer [Schiedssprüche), 1994, S. 83, 193. Ähnl. H.J. Maier [Hdb], 1979, Rz 467 ("begründete Zweifel"). Noch geringere Anforderungen will Wieczorek I Schütze (ZPO], 1995, § 1041 Rz 35, § 1044 Rz 31 jedenfalls bei Versagung des rechtlichen Gehörs stellen ("nicht offenbar unbegründetes Vorbringen"). 1069 Vgl. OLG Harnburg v. 02/08/68, MDR 1968, S. 1018 (1019); Satmer (Schiedssprüche), 1994, S. 85.
1070 Ähnl. Satmer [Schiedssprüche], 1994, S. 83; Hermanns [Verletzung], IPRax 1987, S. 353 (355). G./1. Roth (ordre public], 1967, S.172, ihm folgend Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 119 wollen für den Fall der Rechtsbeugung auf Kausalität verzichten. Die Einschränkung dürfte kaum praktisch werden. 1071 Das Erfordernis der Kausalität, zu dem auch die fehlende Einwilligung des Beklagten im Erstprozeß gehört, stellen insbesondere Schütze [Anm. zu BGH v. 04106/92], RIW 1993, S. 139 (141); ders. [Produkthaftungshdb li), 1991, § 103 Rz 12; ders. [dt.-
B. Krasser Unterschied der Anwendungsergebnisse
217
Iiehkeii zu einem Beweisergebnis Stellung zu nehmen, mag einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör darstellen. Beruht die Entscheidung nicht auf dem Beweisergebnis, liegt jedoch lediglich ein fonneller Verstoß vor, der sich nicht zum Nachteil der betroffenen Partei ausgewirkt hat und damit unter ordre public-Gesichtspunkten irrelevant ist1072 . Grobe Widersprüche in der Begründung oder die Entscheidung tragende, kraß sachfremde, zu Grundwerten i.S. des ordre public in völligem Gegensatz stehende Entscheidungsgründe können zur Versagung der Anerkennung führen 1073. Lassen sich die Widersprüche aber ohne Verstoß gegen das Verbot der revision au fond durch aus der Entscheidung zu entnehmende, unverdächtige Begründungen ersetzen, fehlt es an der Kausalität des Verstoßes für das Ergebnis 1074. Der ordre public steht einer Anerkennung dann nicht entgegen.
b. Materiellrechtlicher ordre public Auch bei der Prüfung von materiellrechtlichen Gesichtspunkten kann der Gesichtspunkt der Kausalität zum Tragen kommen. Da das Ergebnis der Anerkennung zu bewerten ist, ist aber auch eine Berücksichtigung künftiger Tatsachen nicht ausgeschlossen, sofern ihr Eintritt "konkret [ ... ) drohen würde" 1075 . Wenn nicht aufklärbar bleibt, wie sich die im ausländischen Urteil ausgeurteilte Summe im einzelnen zusammensetzt, werden verbleibende Zweifel zu Lasten einer Anerkennung gewerteti076.
am. Urteilsanerkennung], 1992, S. 169; ders. [Verteidigung], WM 1986, S. 633 (636) sowie Stiefel I Hungert [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (768) in diesem Zusammenhang deutlich heraus. Ebso BGH Urt. v. 04/0611992, BGHZ 118, 312 (324 f.); zust. Hungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1710); ders. [enforcing], Int'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1080); Koch I Zekoll [Unterschied), IPRax 1993, S. 288 (290); Hartmann [BIUNH-ZPO], 1996, § 328 Rz 35. !072 Vgl. Wieczorek I SchiUze [ZPO], 1995, § 1041 Rz 35 m.w.N.; Satmer [Schiedssprüche], 1994, S. 193; ähnl. Martiny [Hdb IZVR Ill/1], 1984, Rz 1156. 1073 Ebso Martiny [Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 1112 f. m. Bsp.; Schlosser [StiJ-ZPO], 1994, § 1041 Rz32, § 1044 Rz23; ders. [RipS], 1989, Rz872. Ähnl. Wieczorekl Schiitze [ZPOJ, 1995, § 1041 Rz 24. 1074 So Schlosser [RipS], 1989, Rz 872; La live I Poudret I Reymond [arbitrage ], 1989, Art. 190 Anm. 6. Ähnl. schwBG v. 14111/90, BGE 116 li 634 (637) m.w.N. 1075 So BGH v. 22106183, BGHZ 88, 17 (27). 1076 Vgl. hierzu bereits oben S. 82.
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
2. Verhalten der Parteien Die Tolerierbarkeit des Ergebnisses der Anerkennung einer fremden Entscheidung ist auch, insoweit losgelöst vom Ausspruch, maßgeblich vom Verhalten der Parteien während der gesamten "Prozeßgeschichte" beeinflußt.
a. Vorprozessuales Verhalten Hat das beanstandete erstgerichtliche Verfahren oder der inhaltlich anstößige erstrichterliche Spruch seine vorhersehbare Ursache in einer parteiautonomen Gerichtsstandsvereinbarung, Rechtswahl- oder Schiedsklausel, ist es nicht unangebracht die Parteien nach dem Grundsatz volenti non fit inuria mit größerer Konsequenz an deren Folgen festhalten, als bei mehr "zufälliger" internationaler Zuständigkeit oder Anknüpfung kraft Gesetzes 1077. Auch die Berechtigung der Frage, inwieweit sich ein geschäftserfahrenes, international tätiges deutsches Unternehmen, das seine Chancen auf einem attraktiven fremden Markt, respektive dem US-Markt sucht 1078, sich nachträglich wegen dessen Sonderheilen oder auch Sonderlichkeilen im Haftungsrecht hinter deutschrechtlichen Vorstellungen im Wege des ordre public1079 "verstecken" können soll, ohne sich dem Vorwurf des venire contra factum proprium auszusetzen, ist nicht von der Hand zu weisen 1080. Schon aus dem Verhalten vor Entstehung des Rechtsstreits kann damit häufig ein Argument für die Verteilung des Rechtsanwendungsrisikos und damit der Zumutbarkeit und Zurechenbarkeit fremder Wertmaßstäbe gezogen werden 1081 . Eine Verkürzung
1077 Vgl. Stein [Herausforderung], EuZW 1994, S. 18 (20) im Zshg. mit Schiedsverfahren. 1078 Allgemeiner jedes für den Marktzutritt verantwortliche, weil die Vennarktung in diesem Staat beabsichtigende oder in Kauf nehmende Glied in der Herstellungs- und Handelskette. 1079 Respektive seiner Ausprägung in Art. 38 EGBGB. 1080 Ebso Bungert [Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815 (821). Ähnl. Martiny [recognition), AmJCompL 35 (1987), S. 721 (746); Stiefel I Stiirner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (833); Stiefel I Stiirner I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (790 Fn 45). Ebso Zekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (335) für ausländisches Prozeßrecht, das von deutschen Prinzipien abweicht. Vgl. auch Wandt [IntProdhaftg), 1995, Rz 712. 1081 Grundlegend hierzu Wandt [IntProdhaftg), 1995, Rz 612 ff. für den Bereich der internationalen Produkthaftung. Seine Thesen sind aber sinngemäß jedenfalls auf den Bereich des gesamten Haftungsrechts übertragbar.
B. Krasser Unterschied der Anwendungsergebnisse
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auf die Prüfung der Vorhersehbarkeit wird hierbei der Problemstellung allerdings nicht in jedem Fall gerecht 1082.
b. Verhalten im erststaatlichen Verfahren Ähnlich kann argumentiert werden, wenn das Ergebnis des ausländischen Verfahrens zwischen den Parteien einvernehmlich erzielt wurde. In diesem Fall kann der mit der abstrakten Interessenwertung der Iex fori intendierte Schutz ins Leere gehen, und das Bedürfnis nach Wahrung der Interessen des Unterlegenen durch ein deutsches Gerichtsverfahren nicht mehr bestehen 1083 • Der ordre public ist auch nicht dazu da, die Folgen von im Erststaat nicht erhobenen Verfahrensrügen oder Einwänden gegen den materiellen Anspruchsgrund zu beseitigen oder gar die Folgen nachlässiger oder unzweckmäßiger Prozeßführung zu heilen 1084 • Ein Verfahren, oder auch dessen Ausgang, ist eben häufig nicht mehr unerträglich ungerecht, wenn die betroffene Partei die Art des Verfahrens oder das Ergebnis hätte verhindern können. Häufig wird auch das Verbot der revision au fondder Einwendung offensichtlich entgegenstehen 1085 . Es ist weiter nicht einsichtig, weshalb eine Partei, mit der Geltendmachung eines ihr bekannten Rechtsmittel- oder Aufhebungsgrundes zögern können soll, um diesen erst im Fall ungünstigen Prozeßausgangs als "Trumpf in der Hinterhand" gegen die drohende Vollstreckung im Ausland geltend zu machen 1086• Ebenfalls gegen Treu und Glauben verstößt die Berufung auf einen von der betroffenen Partei absichtlich provozierten Verfahrensverstoß 1087 • Deshalb darf das Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht als Rechtsmittelinstanz mißbraucht werden 1088• Rechtsmittel, worunter in diesem Zusammenhang nur die den ordentlichen Rechtsmitteln des deutschen Prozeßrechts
108 2
Überzeugend Wandt [IntProdhaftg], 1995, Rz 558 ff.
Vgl. Martiny [Hdb IZVR Ill/1], 1984, Rz 167, 1002, der als Beispiel die einvernehmliche, aber gleichheitswidrige Eheauflösung durch Verstoßung nennt. 1083
1084 So Martiny [Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 1024; Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 26; Geimer [Anerkennung], 1995, S. 62, 143. 1085 Vgl. a. Schütze [Problem], 1960, S. 66 generell betr. aller vor Erlaß des erststaatlichen Urteils entstandener Einwendungen. 1086 Ähnl. Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 27; Bartos [Handelsschiedsgerichtsbarkeit], 1984, S. 123. 108?
Vgl. Satmer [Schiedssprüche], 1994, S. 108 f.
Zur teilweisen Durchbrechung dieses Grundsatzes für Fälle wie die des § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO vgl. unten S. 230. I088
220
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
vergleichbaren Rechtsmittel und Rechtsbehelfe zu rechnen sein werden 1089, wegen Verstößen gegen Verfahrensgrundsätze 1090 oder materielle Schutzbestimmungen1091, müssen regelmäßig 1092 im Erststaat ausgeschöpft werden 1093 . Die Prüfung des Einwands angeblich nicht gewährten rechtlichen Gehörs im ausländischen Erkenntnisverfahren im zweitstaatlichen Vollstreckbarerklärungsverfahren ist wegen der häufig notwendig werdenden Beweiserhebung sehr zeitraubend.
I089 Ebso Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 424; Geimer [Verfahren], JZ 1969, S. 12 (14); ders. [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 159; Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1478. Für Fälle von betrügerischen Machenschaften wollen Martiny [Hdb IZVR 111/2], 1983, Rz 101 und Krop/wller [EuZPR], 1993, Art. 27 Rz 11 den Anerkennungsgegner auch auf die Wiederaufnahmemöglichkeiten im Erststaat verweisen. Differenzierend für Fälle von "fraud" i.R.v. Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ auch Cheshire I North I Fawcetl [PrlntL], 1992, S. 425; Kaye [enforcement], 1987, s. 1445 f., 1448 f. 1090 Vgl. Geimer [Anerkennung], 1995, S. 137; ders. [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 158; ders. [IZPR], 1993, Rz 2955; ders. [ex parte], IPRax 1992, S. 5 (14); ders. [EWG-Übk], RIW 1976, S. 139 (148); ders. [Ladung], NJW 1973, S. 2128 (2143); ders. [Anm. zu BayObLG v. 03110/73], NJW 1974, S. 419; ders. [Verfahren], JZ 1969, S. 12 (15); Kropholler [EuZPRJ, 1993, Art. 27 Rz 10; ders. (IPRJ, 1994, § 60 III 5, S. 546 f.; Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/1], 1983, S. 1055 f.; Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1478; Geimer I Schütze [IntUrtAn II], 1971, S. 83 f. zum dt.-öst. Vertrag; Rosenberg I SchwabIGottwald [ZPRJ, 1993, § 157 I 3 e (2), S. 945; Schumann [StiJZPO], 1988, § 328 Rz 230; Nagel (IZPRJ, 1991, Rz 681; M.J. Schmidt [Einrede], FSSandrock, 1995, S. 205 (219); lekoll [Produkthaftpflicht], 1987, S. 103; Vischer [Tatbestände], 1953, S. 89; AG Harnburg v. 24101/85, IPRspr. 1986, Nr. 71. A.A. Baur [ordre public], FS-Guldener, 1973, S. 1 (14); Satmer [Schiedssprüche], 1994, S. 94 für die Schweiz. 1091 Vgl. Jellinek [Anerkennung), 1953, S. 193 f. Ebso Kaye [enforcement], 1987, S. 1443 m. Bsp. aus der englischen Rspr. 1092 So soll der Grundsatz nicht für Fälle des § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO gelten, so BGH v. 02/12192, NJW 1993, S. 598 (600); zust. Zimmermann [ZPO], 1995, § 328 Rz 16; -ebso Gottwald [MünchKomm-ZPO), 1992, § 328 Rz 72; ähnl. Schack [IZVR], 1991, Rz 846; Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 Rz 344 m.w.N. oder für Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ, vgl. EuGH v. 12111192, Rs C-123191 (Minalmet I Brandeis), EuZW 1993, S. 39 (40 Erw. 19, 21) gelten. A.A. Geimer [Ladung], NJW 1973, S. 2138 (2143); ders. [Anm. zu BGH v. 02/12192, LM § 328, 1993, Nr. 42, Anm. 3 a m.w.N. 1093 Keine Differenzierung vornehmend oder beide Arten von Verstößen nennend BGH v. 21/03190, NJW 1990, S. 2201 (2203); OLG Harnburg v. 18106193, RIW 1994, S. 424 (425); Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2), 1984, S. 1601; Martiny [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 1155; ders. [recognition], AmJCompL 35 (1987), S. 721 (748); Speilenberg [Staudinger-12), 1992, § 328 ZPO Rz 221, 426; lekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (321); Cramer-Frank [Auslegung), 1987, S. 220.
B. Krasser Unterschied der Anwendungsergebnisse
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Einem böswillig handelnden Vollstreckungsschuldner bliebe währenddessen Zeit, sein Vermögen zu verschieben 1094. Der ausforschende Charakter einer pre-trial discovery-Maßnahme im US-Prozeß kann im Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht mehr als Verstoß gegen den ordre public gerügt werden, wenn die Maßnahme durch Beantragung einer proteelive order hätte verhindert werden können 1095 .
Im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von ausländischen Schiedssprüchen kann nichts prinzipiell anderes gelten. Die von einem Schiedsspruch belastete Partei ist mit Einwendungen im Vollstreckbarerklärungsverfahren grundsätzlich präkludiert, die sie hätte im Schiedsverfahren selbst oder vor den staatlichen Gerichten des Ursprungslandes gegen den Schiedsspruch hätte erheben können 1096• Dem dahingehenden, von der Kommission zur Neuordnung des Schiedsverfahrensrechts im Anschluß an Art. 4 UNCITRAL Modellgesetz unterbreiteten Vorschlag 1097 kann in jeder Hinsicht zugestimmt werden. Demgegenüber will Satmer 1098 im Rahmen der Anerkennung von Schiedssprüchen Präklusionsgrundsätze bei Verstößen gegen den verfahrensrechtlichen ordre public nicht anwenden. Dabei vermengt er aber nach der hier vertretenen Auffassung zwei unterschiedliche und voneinander unabhängige Problemkreise. Einmal geht es um die Frage der Berücksichtigung bestimmter Umstände des Erstverfahrens im zweitstaatlichen Vollstreckbarerklärungsverfahren von Amts wegen, zum anderen um Präklusion bestimmter, im Erstverfahren rügbarer Verfahrensfehler im Zweitverfahren.
Die Pflicht, sich zunächst mit den Rechtsmitteln des Erststaates gegen die Entscheidung zur Wehr zu setzen, ist aber dann unzumutbar, wenn es sich um systemimmanente Mängel der fremden Rechtsordnung handelt, und der Be1094
Vgl. Geimer [Verfahren], JZ 1969, S. 12 (14).
Vgl. lekoll [recognition], AmJCompL 37 (1989), S. 301 (335), der wegen des damit erzielbaren Schutzes vor Ausforschung eine pre-trial discovery nur noch in extrem seltenen Ausnahmefällen als möglichen Versagungsgrund für vorstellbar hält. 1095
1096 Vgl. BGH v. 26/06/69, BGHZ 52, 184 (190); Schlosser [St/J-ZPOJ, 1994, § 1044 Rz 14, 42; Marx [Schiedssprüche), 1994, S. 26; Schütze [Schiedsgericht), 1991, Rz 148. Ebso Raeschke-Kessler [Entwicklungen], NJW 1988, S. 3041 (3050); ähnl. ders. [Rspr 1991], BB 1992, Beil. 15, S. 19 (21 ), wo er aber eine Ausnahme bei der Rüge mangelnden rechtlichen Gehörs machen möchte. Für die Schweiz Wenger [Rechtsmittel], 1979, S. 53 (67 f.). 1097
Vgl. § 1027 ZPO-E im AnhangS. 309.
1098 Vgl. Satmer (Schiedssprüche], 1994, S. 94, 195. Für unter der Schwelle des ordre public liegende Verfahrensfehler, die zur Versagung der Anerkennung nach Spezialtatbeständen, etwa Art. V Abs. 1 UNÜ, berechtigen, will er (S. 94 f., 194 f.) hingegen die Präklusionsgrundsätze anwenden.
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
klagte damit zu prozessual sinnlosem Verhalten gezwungen wäre 1099• Auch die Einlegung eines weiteren Rechtsmittels gegen einen ersten Rechtsmittelentscheid der übergeordneten erststaatlichen Kontrollinstanz wird regelmäßig die Zumutbarkeitsschwelle überschreiten 110°. Soweit die ordre public-Prüfung wesentlich am Gedanken des Schutzes einer Partei vor subjektiver Ungerechtigkeit orientiert ist, leuchten diese Überlegungen unmittelbar ein. Die Wertung ist aber auch dort, wo es (auch) um Einhaltung grundlegender wirtschaftsdirigistischer Regeln oder sonstiger unmittelbarer Staatsinteressen geht, nicht unzulässig, sofern der verbleibende Verstoß gegen objektive deutsche Grundwerte noch erträglich ist 1101 • Schon im deutschen Zivilprozeßrecht machen selbst schwerste Verfahrensfehler, völlige Verkennung materiellen Rechts oder der zugrundeliegenden Tatsachen die richterliche Entscheidung nicht unwirksam, sondern lediglich anfechtbar1102• Diese Anfechtung aber liegt im Belieben der beschwerten Partei. Unterbleibt sie, sind auch andere Gerichte an die Entscheidung - im üblichen Rahmen gebunden 1103 •
c. Verhalten im zweitstaatlichen Verfahren Von der eben untersuchten Präklusionswirkung wegen Nichteinleguns eines aussichtsreichen Rechtsmittels im Erststaat trennbar ist die Frage der Zulässig-
1099 Ebso Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 26; Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/1], 1983, S. 1061.
1100 Vgl. Satmer [Schiedssprüche], 1994, S. 108. Noch geringere Anforderungen scheinen Scltiitze [DtiZPRJ, 1985, S. 143 und Schack [IZVR], 1991, Rz 866 zu stellen, die bei "unfairen" Verfahren das Vertrauen des Betroffenen in die erststaatliche Gerichtsbarkeit derart erschüttert sehen, daß sie ihm Rechtsmitteleinlegung nicht zumuten ·möchten. Dies ist eine aber eine zu pauschale, insbesondere Rechtsunsicherheit provozierende Sicht. 1101 Ähnl. Schlosser [St/J-ZPOJ, 1994, § 1044 Rz42; Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 424. Wohl a.A. Geimer [Anerkennung], 1995, S. 25; ders. [ZöllerZPOJ, 1995, § 328 Rz 182; ders. [Verfassung], ZfRVgl 33 (1992), S. 321 (412), der inzident unterstellen muß, die Funktionen würden sich prinzipiell gegenseitig ausschließen.
1102 Ähnl. in diesem Zshg. Geimer [Verfahren], JZ 1969, S. 12 (13 f.); ders. [Ladung], NJW 1973, S. 2128 (2143). 1103
Vgl. Jelli11ek [Anerkennung], 1953, S. 193 f.
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keit neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel, insbesondere in Form neuen Tatsachenvortrags im zweitstaatlichen Verfahren 1104 . Ein weiterer Aspekt des Parteiverhaltens im zweitstaatlichen Verfahren, der im Rahmen der ordre public-Prüfung relevant wird, ist die Frage, ob ein ordre public-Verstoß von Amts wegen oder nur auf Rüge der betroffenen Partei zur Versagung der Anerkennung führt. (1) Ordre public-Vorbehalt und revision aufond Der Zulässigkeil neuen Sachvortrags im zweitstaatlichen Vollstreckbarerklärungsverfahren steht das heute nahezu allgemein anerkannte Prinzip des Verbots der sachlichen Nachprüfung bzw. einer revision au fondgrundsätzlich entgegen. Der Begriff entstammt der französischen Doktrin und charakterisiert die von der Cour de Cassation bis zur Grundsatzentscheidung im Fall "Munzer" 1964 1105 sanktionierten Praxis, ausländische Urteile umfassend hinsichtlich richtiger Tatbestandsfeststellung und Rechtsanwendung zu überprüfen 1106• Eine revision au fond ist heute in Europa nach autonomem Recht wohl nur noch in lsland 1107, in vermögensrechtlichen Angelegenheiten in Belgien 1108 sowie in Portugal, sofern sich die ausländische Entscheidung gegen einen Portugiesen richtet, zulässig 1109. So klar das grundsätzliche Prinzip, so streitbefangen sind die exakten Grenzen, denn der Übergang von einer verbotenen zu einer unter dem Etikett "ordre public" zulässigen revision au fondist sicher ein fließender 1110• 1104 Beide Problemkreise können sich aber durchaus überlagern, weshalb sie in der Literatur häufig gemeinsam behandelt werden. 1105 Cass.civ. 1re section, 07101164, Rev.crit.d.i.p. 1964, 344 = J.D.I. (Ciunet) 1964, 302. Hierzu z.B. Fricke [Frankreich], IPRax 1989, S. 202 (203 f.). 11 06
Vgl. hierzu Volken [schwlPRGJ, 1993, Art. 27 Rz 56 ff.
Vgl. Oskarssmr [The Lugano Convention and Iceland], in: Jayme (Hrsg.) [Gesamteuropa], 1992, S. 249 (251). 1107
1108 Vgl. Tebbens [Europäische Urteilsanerkennung und -Vollstreckung aus der Sicht der Benelux-Staaten], in: Jayme (Hrsg.) [Gesamteuropa], 1992, S. 301 (303) m. Nachw. der sich gegen diese Praxis aussprechenden belgiseben Lehre. 1109 Vgl. Ferreira Pinto [Die Reform des nationalen Zivilprozeßrechts als Angleichung: Das Beispiel Portugal], in: Jayme (Hrsg.) [Gesamteuropa], 1992, S. 369 (379 f.).
1110 Vgl. Jellinek [Anerkennung], 1953, S. 190, 194; Gesler [§ 328 ZPO), 1933, S. 77 f., Martiny [Hdb IZVR III/1], 1984, Rz 979; Bungert [Vollstreckbarkeit), ZIP 1992, S. 1707 (1724); Klinke [EuGVÜ-1], 1993, Rz 245; Sclrack [IZVRJ, 1991, Rz 1026; Stiefel I Stiirner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (842); Stiefel I Stiimer I Stad/er [enforceability J, AmJCompL 39 (1991), S. 779 (798); Sclriitze [§ 826],
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
Dies mit der Begründung zu verneinen, bei der revision au fand werde geprüft, ob das Ergebnis aufgrund der Sach- und Rechtslage "zutreffend" sei, bei der ordre public-Prüfung hingegen werde nur die "Annehmbarkeit" des Ergebnisses geprüft 11 11 , beweist eher das Gegenteil. Zwischen beiden Begriffen besteht kein Antagonismus1 112 . Von einer tatsächlich nicht stattfindenden sachlichen Nachprüfung des Urteils könnte nur gesprochen werden, wenn die Prüfung sich tatsächlich lediglich auf den Tenor des Ersturteils, losgelöst von dem dahinterstehenden konkreten Fall, beschränkt 1113. Auf diese Weise erkennbare ordre public-Verstöße sind zweifellos Entscheidungen, die zur Vomahme strafbarer oder jedenfalls per se verbotener Handlungen -wie z.B. die Lieferung von Kriegswaffen 1114 - zwingen 1115 . Einer solchen Entscheidung ist die ordre public-Widrigkeit gleichsam "auf die Stirn geschrieben"1 116. Eine auf den Tenor beschränkte Prüfung würde aber andererseits der Pflicht zur Einzelfallprüfung nicht gerecht. Dagegen gibt es Fälle, die unzweifelhaft als revidierte Sachentscheidung zu werten sind. So, wenn das zweitstaatliche Gericht die korrekte Anwendung erststaatlichen Rechts überprüft 1117. Auch die stereotyp wiederholte Formulierung, daß keine Prüfung der "Richtigkeit" der Sachentscheidung 1118 stattfinden dürfe, ist im Grunde wenig hilfreich. Es ist eine Frage der Definition, wann man von einer Nachprüfung der Sachentscheidung spricht. Der Sinn der Formulierung liegt wohl vielmehr
JR 1979, S. 184 (185). Ebso für die Schweiz Vischer [schwiPRGJ, 1993, Art. 17 Rz 24; Lenz [punitive damages], 1992, S. 172 f. A.A. Geimer [Anerkennung], 1995, S. 126 sowie Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1482, der glaubt scharf abgrenzen zu können. Unklar Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 5 einerseits und Rz 64 andererseits. 1111 So Keller I Siehr [IPRJ, 1986, § 49 II 7, S. 625. 1112 So aber Geimer [Anerkennung], 1995, S. 126. 1113 Vgl. Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 402, 441; Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1595; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1017, 1089. Ähnl. Dasser [Iex mercatoria], 1989, S. 284 für die Anerkennung von Schiedssprüchen. 1114 Beispiel nach Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/1], 1983, S. 1058.
1115 Vgl. BGH v. 11111!56, BGHZ 22, 24 (31). Zur Anerkennungsfähigkeit dann entstehender Sekundäransprüche vgl. oben S. 163. 1116 So Schack [IZVR], 1991, Rz868. Völlig ausgliedern aus dem ordre publie-Begriff will diese Fälle dagegen G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 48 ff., 53. 1117 BGH v. 22106183, BGHZ 88, 17 (22). Für Zulässigkeil dieser Prüfung aber offenbar Schumann [St/J-ZPOJ, 1988, § 328 Rz 221. 1118 Beispielhaft BGH v. 04106192, BGHZ 118, 312 (320); BayObLG v. 09106193, FamRZ 1993, S. 1469 m.w.N.; Geimer [IZPRJ, 1993, Rz 2910; ders. [EWG-Übk], RIW 1976, S. 139 (147); Raape I Sturm [IPR 1], 1977, § 19 II 4, S. 353. Für die Schweiz z.B. Volken [schwiPRGJ, 1993, Art. 27 Rz 54; für England z.B. Cheshire I North I Fawcett [PrlntL], 1992, S. 368.
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darin, daß vorausgeschickt werden soll, daß an die Qualität, bezogen auf
Gesetzmäßigkeit des ausländischen Erkenntnisses, keine größeren Ansprüche
gestellt werden sollen als an inländische. Daß die Urteilswirkungen ohne Rücksicht auf die so definierte Richtigkeit der Entscheidung eintreten, gehört ja geradezu "zum Wesen einer richterlichen Entscheidung" 1119, sei sie inländischen oder ausländischen Ursprungs. Auch objektiv fehlerhafte ausländische Entscheidungen sind genauso hinzunehmen wie fehlerhafte inländische 1120. Würde diese "Richtigkeit" hinsichtlich der tatsächlichen oder rechtlichen Feststellungen vom Zweitrichter geprüft, wäre die Bindung an das Ersturteil, die Sinn und Zweck jeder Anerkennung eines fremden Urteils ist, unterlaufen1121. Selbst offensichtlich unrichtige, weil rechtlich unhaltbare Entscheidungen, sind, wenn das Ergebnis noch hinnehmbar ist, aus Rechtssicherheitsgründen zu respektieren1122. (a) Zweifel an Tatsachen Die Beschränkung des Verbots der revision au fondauf ein Verbot der Nachprüfung der "Gesetzmäßigkeit" ist jedoch zu eng 1123. Klassischer Gegenstand einer revision au fond ist neben der Prüfung der Rechtsanwendung durch das erststaatliche Gericht die Prüfung, ob im ausländischen Verfahren der Sachverhalt auch richtig aufgeklärt wurde. Zwar bieten zumindest Feststellungen, insbesondere der Obergerichte der Industriestaaten, die kontradiktorisch erforscht wurden und nicht lediglich aufgrund Säumnis und Parteivorbringen als wahr unterstellt wurden, kaum Ansatzpunkte für Zweifel an zuverlässiger Sachverhaltsaufklärung 1124, es verbleiben aber Einzelfälle, nichtstreitige Entscheidungen und Entscheidungen anderer Gerichte.
1119 Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1467. Vgl. auch BGH v. 07/05/1962, BGHZ 37, 113 (120 f.) sowie die Denkschrift zu Art. 5 des deutsch-belgischen Abk. v. 30/06/58, BT-Drucks. III/919, S. 18. 1120 Vgl. Geimer [IZPR], 1993, Rz2910; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz321; Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 29. 1121 So dann auch Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1467, der dies aber lediglich "grundsätzlich" so behandelt sehen will. 1122 Ebso Schlosser [St/J-ZPO], 1994, § 1044 Rz 23 mit Nachweisen internationaler Praxis. Ähnl. Seimmann [St/J-ZPO], 1988, § 328 Rn 229. 1123 N.B. die "redaktionelle"(!) Änderung von Art. 29 EuGVÜ gern. Anlage I des 3. Beitrittsübk. v. 1989, die das Verbot der Nachprüfung der ausländischen Entscheidung "auf ihre Gesetzmäßigkeit" durch "in der Sache selbst" ersetzte. 1124 Vgl. G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 62. lS Völker
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Zu argumentieren, eine revision au fond sei nun einmal verboten und also könne kein Zweifel an ausländischer Sachverhaltsfeststellung Platz greifen, wäre jedoch allzu begrifflich und Paradebeispiel einer petitio principii. Eine starke Strömung in der Literatur geht dann auch davon aus, das Anerkennungsgericht sei nicht an die tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts gebunden 1125 . Insbesondere Geimer 1126 will hierbei allerdings danach differenzieren, ob die in Rede stehenden, elementaren deutschen Prinzipien dem Schutz unmittelbarer Staatsinteressen dienen oder einen Mindeststandard an elementarer Gerechtigkeit sichern sollen und damit den Schutz der Parteien bezwecken. Im ersteren Fall soll eine Ermittlung von Amts wegen möglich sein, im zweiten - insbesondere also im Bereich des verfahrensrechtlichen ordre public - bliebe es beim Verhandlungsgrundsatz. Hier werden aber zwei lediglich benachbarte Problemkreise vermengt1127. Der eine betrifft die Rügelast und die Frage der Verzichtbarkeit. Hier mag eine solche Differenzierung angebracht sein 1128 . Die Frage der Bindung an erstrichterlich festgestellte Tatsachen ist aber eine andere 1129. Die wohl überwiegende Auffassung in Deutschland geht hingegen dahin, daß grundsätzlich keine neue Tatsachenfeststellung oder Beweiswürdigung durch den Zweitrichter vorzunehmen sei' 13°. Sehr vereinzelt, ausdrücklich entgegen1125 So Speflenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 220; Cramer-Frank [Auslegung), 1987, S. 216; Geimer I Schütze [1ntUrtAn 1/2], 1984, S. 1600; Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/1), 1983, S. 1057; Geimer [Verfahren], JZ 1969, S. 12 (16 Fn 30); Wieczorek [ZPO], 1976, § 328 Anm. E IV d 2; G.H. Rotlz [ordre public], 1967, S. 62; RG v. 25107108, Recht 1908, S. 543 Nr. 3052; wohl auch Gamillscheg [Staudinger10111], 1973, § 328 ZPO Rz 339 unter m.E. fehlgehender Berufung auf Jellinek. Vordergründig a.A., im Erg. aber ebso, LG Harnburg v. 04102/93, FamRZ 1993, S. 980 (981 ). Ebso für die Schweiz Stojan [Anerkennung}, 1986, S. 148 ("selbstverständlich"). Ähnl. wohl auch die Tendenz in der jüngeren Rspr. in Spanien, vgl. Kar/ [Spanien], 1993, S. 51, 153; Weigand [dt.-sp. Rechtsverkehr], 1992, S. 236 jew. m.w.N. 1126 So insbes. Geimer [Anerkennung], 1995, S. 142 f.; ders. [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 161, 181; ders. [IZPR], 1993, Rz 2991; ders. [EWG-Übk], RIW 1976, S. 139 (148); ders. [Anm. zu BayObLG v. 03110173], NJW 1974, S. 419. 1127 Deshalb geht auch Geimers Hinweis auf Stojan [Anerkennung], 1986, S. 158 wohl fehl. 1128 Vgl. hierzu sogleich unten S. 230 sowie ausführlicher oben S. 95. 11 29 Ähnl. schon Schütze [Problem], 1960, S. 28, 34.
10101157, FamRZ 1957, S. 370 (371); RG v. 25!10109, RGZ 72, 124 (127); OLG Harnburg v. 08/10157, AWD 1958, S. 79; OLG Nürnberg v. 18/11158, FamRZ 1959, S. 222 (223); OLG Hamm v. 07/ 12/60, FamRZ 1961, S. 223 (226); Sclwmann [St/J-ZPOJ. 1988, § 328 Rz 227; Thomas I Putzo [ZPO], 1995, § 328 Rz 15; Martiny [Hdh IZVR III/1}, 1984, Rz 1157; 1130 Vgl. BGH v. 11/04179, NJW 1980, S. 529 (531); v.
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stehende Regelungen in Staatsverträgen 1131 sind demnach als Hervorhebung eines vom Normalfall abweichenden Willens anzusehen und bekräftigten den Grundsatz der Nichtnachprüfbarkeil eher, als sie ihn aufweichen. Interessanterweise verneint der BGH 1132 und ein Großteil der Literatur 1133 aber bei der Anerkennung ausländischer und inländischer Schiedssprüche eine Bindungswirkung an die tatsächlichen Feststellungen des Schiedsgerichts. Für eine derartige Differenzierung zwischen Schiedssprüchen und Urteilen staatlicher Gerichte fehlt jedoch nach der hier vertretenen Auffassung sowohl eine dogmatisch tragfähige Begründung als auch ein sachliches Bedürfnis1134• Ergebnis ist, daß neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel, die im Erstprozeß hätten vorgebracht werden können, im zweitgerichtlichen Verfahren ausge-
Zekoll [recognition], ArnJCompL 37 (1989), S. 301 (321); Weigand [dt.-sp. Rechtsverkehr], 1992, S. 236; Nagel [IZPR], 1991, Rz 680; Sztiszy [study], 1967, S. 184; Riezler [IZPRJ, 1949, S. 543; Gesler [§ 328 ZPOJ, 1933, S. 47, 77; Nussbaum [DtiPRJ, 1932, S. 436 Fn 2. Ebso wohl Cheshire I North I Fawcett [PrlntL], 1992, S. 426 i.R.v. Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ. 1131 Vgl. z.B. Art. 5 dt.-schweiz. AnVollstrAbk oder Art. 5 dt.-ital. AnVollstrAbk. Gegenteilige Aussagen treffen dagegen z.B. Art. 5 dt.-belg. AnVollstrAbk, Art. 5 dt.griech. AnVollstrV oder Art. 5 dt.-niederl. AnVollstrV. 11 32 Vgl. BGH v. 27102164, MDR 1964, S. 590 f. i.R.v. § 1044 Abs. 2 Nr. 2. Ebso i.R.v. § 1041 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, BGH v. 13104159, BGHZ 30, 89 (95); v. 25/10166, BGHZ 46, 365 (370). A.A. OLG Celle v. 01103156, NJW 1956, S.1723 (1724); OLG Harnburg 01110154 NJW 1955, S. 390; OLG Köln v. 30107151, NJW 1952, S. 1420. 1133 Vgl. Wieczorek I Schütze [ZPO], 1995, § 1041 Rz 28, § 1044 Rz 28; Albers [BIUA/H-ZPOJ, 1996, § 1041 Rz 15, § 1044 Rz 10; Schlosser [St/J-ZPOJ, 1994, § 1041 Rz 33 m.w.N., Anh. § 1044 Rz 83; Geimer [Anerkennung], 1995, S. 204; H.J. Maier [MünchKomm-ZPOJ, 1992, § 1044 Rz 11; v. Bemuth [Doppelkontrolle], 1995, S. 15, 44; Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 31; H.J. Maier [Hdb], 1979, Rz 465, 475; G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 176. A.A. Geimer [Zöller-ZPOJ, 1995, § 1041 Rz 56, soweit es nicht um unmittelbare Staatsinteressen geht. 1134 Ebso v. Brunn [Nachprüfbarkeit], NJW 1969, S. 823 (825). G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 61 f. hält die Ungleichbehandlung durch die deutsche hM, allerdings mit umgekehrter Forderung, gar für "schlechterdings unerfindlich". Auch in der Schweiz reicht selbst eine offensichtlich falsche Tatsachenfeststellung für sich allein nicht aus, den Schiedsspruch aufzuheben, vgl. Waller I Bosch I Brömzimann [Schiedsgerichtsbarkeit], 1991, S. 238 m.w.N.
IS•
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schlossen sind1135 . Verbleibende Zweifel über relevante Tatsachen können zugunsten der Anerkennbarkeit durchschlagen 1136• Sollten im Erstprozeß Tatsachen unter gröblicher Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtliches Gehör nicht eingeführt worden sein können, bleibt für den Benachteiligten die Möglichkeit der Versagung der Anerkennung wegen Verstoßes gegen den verfahrensrechtlichen ordre public 1137 • Auch bei absolut willkürlich erscheinenden, tatsächlichen Feststellungen, zum Beispiel völliger Fehldeutung eines Schriftstücks, läßt sich häufig überzeugend mit dem Verstoß gegen das rechtliche Gehör argumentieren, ohne daß der Grundsatz der Unnachprüfbarkeit erstrichterlicher Tatsachenfeststellung durchbrachen werden müßte 1138 . Es ist weiter denkbar, daß im Zweitverfahren ergänzende Feststellungen getroffen werden müssen, die im erststaatlichen Verfahren mangels Entscheidungserheblichkeil keinerlei Rolle spielten 1139• Auch hier ginge Sinn und Zweck des Verbots erneuter Tatsachenfeststellung ins Leere. Eine echte Ausnahme vom postulierten Grundsatz bildet hingegen der Fall betrügerischer Machenschaften, die erst nach rechtskräftigem erststaatlichen Urteil erkennbar und beweisbar werden 1140. Hier kann der Betrogene nicht in jedem Fall auf die Möglichkeit einer Wiederaufnahme im Erststaat verwiesen werden 1141 .
1135 Vgl. BGH v. 19109/77, NJW 1978, 1114 (1115); Hartmann [BIUA!H-ZPO], 1996, § 328 Rz 30. 1136 Vgl. Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 240, der aber eine m.E. nicht tragfähige Parallele zum Erfordernis der "Offensichtlichkeit" des Verstoßes zieht. Anders bei verbleibender Unsicherheit über die rechtliche Begründung des Ausspruchs, vgl. hierzu oben S. 84. 1137 Vgl. BGH v. 11/04/79, NJW 1980, S. 529 (531); Thomas I Putzo [ZPO), 1995, § 328 Rz 15; Wengier [RGRK), 1981, Bd. VI, § 14 e 7, S. 401; v. Gierke [Zweck), ZfHR 88 (1926), S. 143 (155 Fn 14). 1138
Ähnl. Schlosser [RipS), 1989, Rz 872.
Vgl. Martiny [Hdb IZVR III/1), 1984, Rz 1159; Speilenberg [Staudinger-12), 1992, § 328 ZPO Rz 220 jew. mit Bsp. 1139
1140 Vgl. Martiny [Hdb IZVR III11), 1984, Rz 1119, 1160; Waehler [Hdb IZVR III/2), 1984, Rz 250; Baumann (BIBIGIS-IntRvk], 1989, E 6, Nr. 796, UVÜ 1973 Art. 5 Anm. II; Nussbaum [DtiPR), 1932, S. 436 Fn 2; Cheshire I Nortlz I Fawcett [PrlntL], 1992, S. 425; strenger Kaye (enforcement), 1987, S. 1448 f. Ähnl. BGH v. 19/09!77, NJW 1978, 1114 (1115). 1141
s. 163.
Vgl. Wengier (RGRK], 1981, Bd. VI, § 14 e 7, S. 400. S. hierzu bereits oben
B. Krasser Unterschied der Anwendungsergebnisse
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Auch die Möglichkeit der Erhebung einer Vollstreckungsgegenklage bleibt dem Vollstreckungsschuldner unbenommen 1142. Im Rahmen von § 767 Abs. 2 ZPO ist für die Möglichkeiten der Geltendmachung auf das ausländische Prozcßrecht abzustellen. Geimer 1143 ist für den Sonderfall, daß das erststaatliche Zivilurteil ohne eigene Beweisaufnahme, sondern unter Zugrundelegung der in einem vorhergehenden Strafverfahren ermittelten Tatsachen erging, der Ansicht, daß das deutsche Verbot der Bindung des Zivilrichters an die Feststellungen des Strafrichters als Wertung mit ordre public-Qualität zur Versagung der Anerkennung führen müsse. Es gebe keine vom Verfahrensziel abstrakte, isolierbare Tatsachenfeststellung und "Wahrheitsfindung". Dem ist nicht zuzustimmen 1144. Die bloße Tatsache, daß Beweis in einem Strafverfahren erhoben wird, hindert nicht deren Verwertung. In Rede steht bei der genannten Konstellation in Wahrheit nämlich nicht das Verbot der Bindung des Zivilrichters an in Strafprozeß gewonnene Tatsachen, sondern der deutsche Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Dieser ist aber nicht in der für Inlandsfälle geltenden Strenge auch gegenüber ausländischen Erkenntnissen durchzusetzen. Ein in einem ausländischen Adhäsionsverfahren eingeklagter Schadensersatz ist damit auch unter diesem Gesichtspunkt problemlos anerkennungsfähig1145. (b) Zweifel an der rechtlichen Einschätzung Mit dem etwas irreführenden Schlagwort von der fehlenden Bindung des Zweitrichters an die rechtliche Bewertungen des Erstgerichts 1146 ist nicht die Überprüfung der Entscheidung auf ihre "Gesetzmäßigkeit" nach erststaatlichem Recht gemeint. Dies wäre der Paradefall einer 1-ivision au fand. Vielmehr soll 1142 Das RG wollte allerdings i.R.v. § 767 Abs. 2 ZPO mögliche Einwendungen entsprechend auch im Exequaturverfahren zulassen, vgl. RG v. 25106126, RGZ 114, 171 (173); ähnl. auch Schiitze [Problem), 1960, S. 70. 11 43 Geimer [IZPR], 1993, Rz 109 ff., 114. 1144 Auch der BGH rekuriert im Urt. v. 04106192, BGHZ 118, 312 (324 f.), allerdings im etwas anderen Kontext der Kausalitätsprüfung eines zweifelhaften erststaatlichen Verfahrensabschnitts für den Ausgang des Rechtsstreits, auf die Aufdeckung von Tatsachen in einem vorangegangen Strafverfahren. 1145 I.Erg. ebso Gottwald [MünchKomm-ZPO), 1992, § 328 Rz 37; Seimmann [St/JZPO), 1988, § 328 Rz 107; Schiitze [Problem), 1960, S. 19 f. Ebso für das englische Recht Cheshire I North I Fawce/1 [PrlntL), 1992, S. 382; Coltins [D&M-Conflict], 1993; Vol. 1, S. 463. 1146 Vgl. BGH v. 27102164, MDR 1964, S. 590; Albers [BIUNH-ZPOJ, 1996, § 1044 Rz 10 für Schiedssprüche sowie v. Gierke [Zweck], ZfHR 88 (1926), S. 143 (153) m. Bsp.; Cramer-Frank [Auslegung], 1987, S. 216 für Urteile. Das OLG Harnburg v. 08110157, AWD 1958, S. 79 glaubte sich auch an die Auslegung einer Vertragsklausel durch das Schiedsgericht gebunden.
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
damit ausgedrückt werden, daß der Zweitrichter aufgrund der erstrichterlich festgestellten Tatsachen den Sachverhalt - selbstverständlich - nach Maßstäben der Iex fori zu qualifizieren hat. Die fehlende Bindungswirkung an die rechtliche Bewertung gilt auch für die einen Verfahrensverstoß oder dessen Kausalität ablehnende -und das damit begründete Rechtsmittel verwerfende- Entscheidung des Erstgerichtsll 47 • Mit der Einhaltung dieses Grundsatzes läßt sich dann auch die von Geimer1148 gerügte Durchbrechung eines anderen rechtfertigen: im Rahmen von § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO prüft das Zweitgericht als "Superrevisionsinstanz" die Einhaltung des ausländischen Zustellungsrechts. Schack 1149 meint weitergehend, Korrekturen an der vom Erstrichter vorgenommenen Bewertung der haftungsausfüllenden Kausalität oder der Erforderlichkeil seien ohne Verstoß gegen das Verbot der revision au fond möglich. Dies dürfte allerdings nur für Extremfälle völlig willkürlicher Prognosen haltbar sein.
(2) Rügepflicht eines ordre public-Verstoßes Eine Überprüfung und Berücksichtigung der ordre public-Konformität ist von Amts wegen nur bei Verletzung unmittelbarer Staatsinteressen geboten 1150• Dieses Interesse fehlt regelmäßig - aber keineswegs immer - im Bereich des verfahrensrechtlichen ordre public. Wo es hingegen um die Wahrung individueller Gerechtigkeit geht, die nur im Interesse des Anerkennungsgegners geschützt wird, muß sich dieser, sofern er mit der Rüge nicht präkludiert ist, auf den Verstoß berufen und ihn nötigenfalls nachweisen.
1147 Unklar BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (320), der auf eine Prüfung der "ordnungsgemäßen" Ladung nach dem Recht des Erststaats verzichtet, weil das erststaatliche Rechtsmittelgericht eine solche ausdrücklich festgestellt habe. Wie hier Geimer (IZPR], 1993, Rz 2956; ders. [Verfahren], JZ 1969, S. 12 (16); Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1481. 1148 Vgl. Geimer [IZPR], 1993, Rz 2913. Ähnl. auch Mayer [DrlntPr], 1991, no 372 für das franz. Recht. 1149
Seilack (Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (1993), S. 104 (109).
1150
Vgl. hierzu ausführlicher bereits oben S. 95.
C. Relevanz des Inlandsbezuges
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C. Relevanz des Inlandsbezuges Unter Inlandsbezug oder Binnenbeziehung 1151 soll die Nähe der Anerkennungsfolgen für das Inland gemeint sein. Die Intensität eines "Angriffs" auf die inländische Rechts- und Werteordnung durch Anerkennung einer ausländischen Streitentscheidung oder Anwendung eines ausländischen Rechtssatzes ist schon bei unbefangener erster Annäherung abhängig von den konkreten Verbindungen des zu beurteilenden Rechtsverhältnisses zum Inland 1152• Machtinteressen des Zweitstaates können überhaupt nur bei einem gewissen Inlandsbezug berührt sein. Auch wenn beide Parteien ihr ganzes Leben auf die ausländische Rechtsordnung ausgerichtet haben, dürften inländische Grundwerte durch die Anerkennung einer Entscheidung, die auf widersprechenden Grundwertungen beruht, selten ernsthaft in Frage gestellt werden 1153•
Der Inlandsbezug des Sachverhalts entscheidet nach wohl allgemeiner Überzeugung maßgeblich über das Eingreifen des kollisionsrechtlichen ordre public 1154• Die Spezialnormen des kollisionsrechtlichen ordre public, etwa Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB machen dies deutlich 1155 • Sie greifen nur im Fall des dort gesetzlich definierten Inlandsbezuges ein.
11 51 Der zweite Terminus wird -ohne, daß inhaltliche Unterschiede beabsichtigt sind - insbesondere in der schweizerischen Doktrin verwandt. Vgl. z.B. Vischer [schwiPRG], 1993, Art. 17 Rz 20; Volken [schwiPRG], 1993, Art. 27 Rz 21; Bucher [ordre public], RdC 239 (1993-Il), S. 9 (52 ff.); Keller I Siehr [IPR], 1986, § 42 III 3, S. 544, § 49 II 5, S. 623; Stojan [Anerkennung], 1986, S. 149; Drolshammer I Schärer [punitive damages], SchweizJZ 1986, S. 309 (312). Der Begriff "Inlandsbeziehung" hat inzwischen selbst in die französische Rechtssprache Einzug gehalten, vgl. z.B. Batiffol I Lagarde [DrlntPr 1], 1993, no 359. 1152
Vgl. Spickhoff[ordre public], 1989, S. 99.
1153
Ähnlich Bungert [lnlandsbezug], ZIP 1992, S. 815 (818).
Vgl. BGH v. 21/11158, BGHZ 28, 375 (385); v. 04106192, BGHZ 118, 312 (348) u. ständig; Kegel, [IPR], 1995, § 16 VI 2, S. 379 f.; Kroplrol/er [IPR], 1994, § 36 ll 2, S. 223; Lüderitz [IPR), 1992, Rz 206 f.; Jayme [Methoden), 1989, S. 35; Spickhoff [ordre public), 1989, S. 97 f.; Regierungsbegründung zur !PR-Novelle, BT-Drucks. X/504, 1983, S. 43. Früh schon litelmann [IPR I], 1897, S. 355 ff. Ebso für das franz. Recht Mayer [DrlntPr], 1991, no 205, 208 f.; Batiffol I Lagarde [DrintPr I], 1993, no 360 m.w.N., der konstatiert, daß inzwischen auch die franz. Rspr. vorsichtig der Theorie folgt, ohne sie allerdings beim Namen zu nennen. 11 54
1155 Vgl. Jayme [Methoden], 1989, S. 23. Ebso für die schweizerische Lehre Keller I Siehr [IPR], 1986, § 42 III 3, S. 544; für Frankreich Batiffol I Lagarde [DrintPr 1], 1993, no 359, dessen Gesetzgeber aber bislang diese Technik nicht verwendet. Ähnl. zu Art. 17 EGBGB a.F. Gamillscheg [Staudinger-10/11], 1973, § 328 ZPO Rz 281.
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
Derartige spezielle Ausprägungen des ordre public existieren im Anerkennungsrecht zwar nicht bzw. nicht mehr1156• Die Inlandsbeziehung ist aber auch und gerade im Rahmen des anerkennungsrechtlichen ordre public zu berücksichtigen 1157 . Eine andere Bewertung erscheint auch unter Beachtung der Rechtsprechung des BVerfG 1158 nicht mehr haltbar. Die Berücksichtigung der Inlandsbeziehung bei der ordre public-Prüfung ist Ausfluß von dessen nationalem Charakter 1159 und macht seine Relativität deutlich. Einen Hinweis auf ihre Relevanz mag man auch aus der Formulierung der Vorbehaltsklausel selbst entnehmen, die nicht darauf abstellt, ob die Entscheidung selbst, sondern ihre Anerkennung gegen den ordre public verstößt 1160• Wenig oder keinen Unterschied soll die Internationalität des Falles nach Ansicht einiger im Rahmen des verfahrensrechtlichen ordre public spielen 1161 • Eine solche Begrenzung ist jedoch nicht einleuchtend 1162 • Die entscheidende Berücksichtigung der Inlandsbeziehung im Rahmen der Anerkennung fremder Entscheidungen liegt auch auf einer Linie mit der neueren, aller-
1156 § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a.F. als Ausprägung des ordre public nannte - rechtspolitisch zweifelhaft und wohl unter Verstoß gegen Art. 6 EGV - immerhin die deutsche Staatsangehörigkeit des Beklagten als notwendigen Inlandsbezug. 1157 Vgl. BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (348) ("erst recht"); Speilenberg [Staudinger-12), 1992, § 328 ZPO Rz 427; Kropholler [IPRJ, 1994, § 60 111 5, S. 546; Coester-Waltjen [punitive damages), 1994, S. 15 (26); Geimer [Anm. zu BGH v. 04/06/92), EWiR § 328 ZPO, 1/92, S. 827 (828); Kronke [Anm. zu BGH v. 04/06/92], LM § 328 ZPO, 1993, Nm. 38-40, Anm. 2 c; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1027; Marx (Schiedssprüche], 1994, S. 19; Mezger [Verstoß], NJW 1970, S. 368 (369); G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 95 f.; Gamillscheg [Staudinger-10/11], 1973, § 328 ZPO Rz 332; Raape [Staudinger-9], 1931, Art. 30 EGBGB Anm. H. I. Dezidiert a.A. Koch I Zekoll [Unterschied), IPRax 1993, S. 288 (291); Wieczorek (ZPOJ, 1976, § 328 Anm. E IV a.; kritisch Zekoll [enforceability], ColumJTransnat'IL 30 (1992), S. 641 (654). Zurückhaltend auch Wunderer [arbitrage], 1993, S. 164 ff. 115 8 Vgl. a. BVerfG v. 04/05/71, BVerfGE 31, 58 (75), das eine Verbindung zwischen grundrechtsrelevanten Rechtshandlungen deutscher Staatsgewalt und konkreter Inlandsbeziehung des Falls herstellt. Vgl. ferner oben S. 122. !!59
Vgl. Bucher [ordre public ], RdC 239 (1993-11), S. 9 (52).
1160
S. dazu oben S. 68.
1161 Vgl. Komblum [ordre public], 1987, FS-Nagel, S. 140 (148 ff.); Schlosser [St/JZPOJ, 1994, § 1044 Rz 19. Ähnl. Geimer [ex parte], IPRax 1992, S. 5 (14) für Art. 103 Abs. 1 GG. Auch der BGH nennt im Urt. v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (348) ausdrücklich nur den materiellen ordre public. 1162 Ehso Speilenberg [Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 427; Wuppermann [Vorbehalt], 1977, S. 144. I. Erg ehso Mark [class action], EuZW 1994, S. 238 (241).
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dings auch vielkritisierten Rechtsprechung des BGH 1163 zum Vermögensgerichtsstand des § 23 ZPO, der nur noch gegeben sein soll, wenn der Rechtsstreit eine ausreichende Beziehung zum Inland hat1164• Qualität der Inlandsbeziehung und die präsumtive Kompetenz, eine materiell gerechte Lösung eines Interessenkonflikts zu finden, stehen in direktem Zusammenhang 1165 . Dies gilt sowohl für die volle Sachentscheidungskompetenz des mit der Sache, zum Beispiel über § 23 ZPO, befaßten Erstrichters wie für die beschränkte Prüfungskompetenz des Zweitrichters.
I. Objektive Anknüpfungspunkte des Inlandsbezugs Die im Rahmen des Inlandsbezugs relevant werdenden Aspekte können personeller oder örtlicher Art sein 1166: Als Faktoren eines objektiv feststellbaren Inlandsbezugs bieten sich die Berücksichtigung der "klassischen" internationalprivatrechtliehen Parameter der Staatsangehörigkeit1167 beider Parteien oder mittelbar betroffener Dritter1168 an, deren Wohnsitz, gewöhnlicher oder einfacher Aufenthaltsort, der Ort der Belegenheit der Streitsache, der Vornahme- oder Erfüllungsort 1169 des streitigen Rechtsgeschäfts und ähnliches1170• Bei der Anerkennung ausländischer Entscheidungen schlägt die Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB nicht durch 1171• Bei Doppelstaatern kann deshalb die weitere Staatsangehörigkeit einer Partei, sofern die Staatsangehörigkeit
1163 BGH v. 02/07/91, BGHZ 115, 90 ff. Krit. Schack [Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (1993), S. 104 (110 Fn 37) m.w.N. 1164 Die Parallele zieht auch Bwzgert [Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815 (816); ders. [enforcing), Int'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1089). 11 65 Vgl. hierzu unten S. 242. 11 66
Ausführlich z.B. Wuppermamz [Vorbehalt), 1977, S. 35 ff.
Bzw. bei juristischen Personen deren "Staatszugehörigkeit" nach Kriterien wie effektiver Verwaltungssitz, Gründungsort und Gründungsstatut oder der "Kontrolltheorie. Vgl. zum ganzen Ebenroth [MünchKomm-BGB), 1990, nach Art. 10 EGBGB Rz 574 ff. 1167
1168
hin.
Darauf weist zu Recht Speilenberg [Staudinger-12), 1992, § 328 ZPO Rz 428
1169 Vgl. BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (332) betreffend eine Anwaltshonorarvereinbarung. 1170 Vgl. z.B. Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 181; Btmgert [Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815 (816); Lenz [punitive damages), 1992, S. 170; Sonnenherger [MünchKomm-BGB), 1990, Art. 6 EGBGB Rz 74 jeweils mit weiteren Bsp. 1171 Vgl. BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (327 f.), zust. Heldrich (Palandt-BGBJ, 1996, Art. 5 Rz 5. A.A. aber Hartmann [B/UA/H-ZPO), 1996, § 328 Rz 41.
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung-System mit drei Variablen
im konkreten Fall ein zulässiges Kriterium darstellt 1172, den Inlandsbezug der Streitentscheidung abschwächen. Etwas fernliegender, aber nicht von generell geringem Gewicht, ist speziell auch im Anerkennungsrecht die Berücksichtigung des Aspekts, ob die Anerkennung der fremden Entscheidung sich lediglich als Vorfrage oder als Hauptfrage stellt 1173 . Noch stärker wird die Inlandsbeziehung, wenn nach der Anerkennung der Entscheidung ihre Vollstreckung im Inland ansteht 1174 • Den häufig schwächsten denkbaren Inlandsbezug in einem Anerkennungsfall vermittelt die bloße Tatsache, daß der Urteilsschuldner über Vermögen im Inland verfügt 1175 • Im Zweitstaat belegenes Vermögen eines Unternehmens mit Sitz im Erststaat darf wirtschafts- und sozialpolitischen Grundentscheidungen des Erststaates eher ausgesetzt sein als inländisches Vermögen von zweitstaatlichen Wirtschaftssubjekten, insbesondere wenn ihr Kontakt zum Forumstaat und damit zu dessen Grundsätzen ein zufälliger oder sonst sehr begrenzter ist 1176• Wobei auch hier noch, wegen der unterschiedlichen denkbaren Auswirkungen auf Dritte, nach der Art des Vermögensgegenstandes zu differenzieren sein wird. Das rechtliche Schicksal eines wenn auch beträchtlichen Bankguthabens ist tendenziell weniger geeignet, Wirkungen im Inland hervorzurufen, als der Wechsel der Inhaberschaft an einem Unternehmen. Steht ein Schiedsspruch zur Anerkennung kommt bei internationalen Sachverhalten dem Sitz des Schiedsgerichts, insbesondere wenn es sich um einen ansonsten zum Rechtsstreit beziehungslosen "neutralen" Drittstaat handelt, allenfalls sekundäre Bedeutung zu, da er auf einer willkürlichen Entscheidung der Parteien beruht 1177.
1172
Vgl. hierzu sogleich unten S. 236.
Für den Bereich des kollisionsrechtlichen ordre public entspricht diese Differenzierung seit C.L. v. Bar [IPR I), 1889, S. 128 ff. der hM. Vgl. z.B. Kegel, [IPRJ, 1995, § 16 VI, S. 380; Sonnenherger [MünchKomm-BGB), 1990, Art. 6 Rz 78. A.A. G.H. Roth [ordre public), 1967, S. 55 f. 1173
1174 Ähnl. Martiny [Hdb IZVR Ill/1), 1984, Rz 1029. A.A. Speilenberg [Staudinger12), 1992, § 328 ZPO Rz 430; Geimer I Schütze [IntUrtAn l/2), 1984, S. 1591. 1175 Vgl. BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (348); Le11z (punitive damages], 1992, S. 184 f.; Weiter (Anm. zu BGH v. 15/05/86], WuB VII A. § 1044 ZPO, 1.87. 11 76 Ähnl. Lenz [punitive damages], 1992, S. 184 f. 1177
S. 235.
So zu Recht Dasser [Iex mercatoria], 1989, S. 284. S. auch sogleich unten
C.
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II. Auslandsbezug Übedegenswert erscheint, ob neben der rein negativ wirkenden, den Durchsetzungswillen der inländischen grundlegenden Interessenwertungen abschwächenden Bewertung des Inlandsbezugs auch eine positiv wirkende, konkreten ausländischen Wertungen zur Durchsetzung gegenüber widersprechenden inländischen Wertungen verhelfende Feststellung eines "Auslandsbezugs" angebracht ist 1178 • Der konkret festgestellte "Auslandsbezug" wäre dann mehr als nur die unbestimmte Kehrseite eines nicht vollständigen Inlandsbezugs. Hat das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien zu einer bestimmten ausländischen Rechtsordnung einen qualifizierten Bezug, und steht das Ergebnis der zur Anerkennung stehenden Entscheidung mit den Prinzipien dieser Rechtsordnung in Einklang, liegt es nahe, diesen ausländischen Rechtsprinzipien bei der Frage der Tolerierbarkeit ein besonderes Gewicht zukommen zu lassen 1179• Der qualifizierte Auslandsbezug fehlt demnach zum Beispiel, wenn die aus unterschiedlichen Staaten stammenden Parteien, wie im internationalen Handelsverkehr nicht unüblich, durch Gerichtsstands- und Rechtswahlklausel eine Verbindung zu einem ansonsten "unbeteiligten", neutralen Drittstaat herstellen oder wenn anzunehmen ist, daß sich die Parteien durch eine vergleichbare Schiedsklausel bewußt noch weiter von ihren jeweiligen besonderen nationalen Wertvorstellungen lösen wollten. Die Feststellung eines qualifizierten Auslandsbezug ist auch im Rahmen der funktional rechtsvergleichenden Bewertung notwendig, wie das Beispiel zur sozialen Sicherungskomponente von Schadensersatzansprüchen 1180 zeigt.
III. Relatives System Die Inlandsbeziehung kann faktisch mehr oder minder stark sein. Ob aus dieser graduellen Abstufbarkeil auch rechtliche Konsequenzen gezogen werden sollen, ist streitig. Hier vertreten wird ein "relatives System", in dem zunächst eine Gewichtung der Inlandsbeziehung durch Verknüpfung des Berührungspunktes mit der Zielsetzung der überspielten inländischen Interessenwertung vorgenommen 11 78
In diese Richtung, allerdings beschränkt auf Prinzipien des Verfahrensrechts,
Wunderer (arbitrage], 1993, S. 165.
" 79 So hat der BGH im Urt. v. 15/05/86, BGHZ 98, S. 70 (75 ff.), auf den ersten Blick einer revision au fond nicht unähnlich, aber mit anderer Intention, den Inhalt des an gewandten ausländischen (Verfahrens-)Rechts ermittelt. 1180 Vgl. oben S. 212.
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wird. Auf einer zweiten Stufe wird die so ermittelte Intensität der Inlandsbeziehung ins Verhältnis zum Gewicht des verletzten Prinzips und der Stärke der Abweichung gesetzt.
1. Anknüpfungspunkt und inländische Interessenwertung · Selten betont, aber dennoch von grundlegender Bedeutung im Rahmen der Berücksichtigung der Inlandsbeziehung, ist der Ansatz, daß ihre Kriterien nicht abstrakt gewichtet in feste Formen eingefroren werden dürfen, sondern flexible, je nach Konstellation des Falls unterschiedlich zu gewichtende Anknüpfungspunkte bilden müssen, die es gestatten.. variable und interessengerechte Lösungen zu finden 1181 • Nicht die Quantität der Berührungspunkte der Entscheidung mit dem Inland ist entscheidend, sondern ihre Qualität in bezug zur Zielsetzung der von der ausländischen Entscheidung konterkarierten grundlegenden deutschen Wertung. Ein im Einzelfall gewichtiger Aspekt der Inlandsbeziehung muß den Kern der jeweiligen Rechtsfrage berühren 1182• Als Beispiel hierfür sei die streitige Frage der Anerkennungsfähigkeit von ausländischen Titeln, die auf Zahlung des zwischen Rechtsanwalt und Mandant vereinbarten Erfolgshonorars lauten, untersucht. Das deutsche Gebührenrecht, das eine Erfolgshonorarvereinbarung ausschließt, sucht zum einen die Gefahr der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Anwalts von des Interessen seines Mandanten möglichst zu verhindern. Es bezweckt damit den Schutz der deutschen Rechtspflege, als deren Organe Rechtsanwälte in Deutschland angesehen werden und weswegen ihnen von der Allgemeinheit besonderes Vertrauen entgegengebracht wird 1183. Die erste, hinter dem quota fitis-Verbot stehende Zielrichtung, geht damit, ist Vertragspartner ein ausländischer Rechtsanwalt, offensichtlich ins Leere 1184. Es steht jeder Rechtsordnung frei, ob und welche standesrechtlichen Beschränkungen sie ihrer eigenen Rechtsanwaltschaft auferlegt. Die deutsche Rechtspflege wird aber durch die Anerkennung einer auf eine quota litis eines ausländischen Urteils erkennenden Entscheidung nicht in Frage gestellt1185• Daneben soll mit dem Verbot der Erfolgshonorarvereinbarung das Interesse des anwaltlich beratenen Mandanten an der Erhaltung der Substanz der ihm zustehenden
ll 8 l
Dies betont auch Similis [Kodifikation], 1970, S. 267 (276).
1182
Ähnl. Kropholler [IPR ], 1994, § 36 li 2, S. 223.
1183 Vgl. BGH v. 15!11/56, BGHZ 22, 162 (165); v. 09/01!69, BGHZ 51,290 (293); Schütze [Anm. zu BGH v. 04/06/92], RIW 1993, S. 139 (140); Spickhoff[ordre public], 1989, s. 194. 11 84
Ebso BGH v. 15/11/56, BGHZ 22, 162 (165 f.); Spick.lzoff(ordre public], 1989,
s. 195.
1185 I. Erg. ebso Mark [dass action], EuZW 1994, S. 238 (241). A.A. Schütze [Anm. zu BGH v. 04/06/92], RIW 1993, S. 139 (140).
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Ansprüche geschützt werden, insbesondere wenn diesen existenzsichernder oder unterhaltssichernder Charakter zukommt 1186. Wird die Anerkennung einer nur auf Basis einer solchen quota /itis-Vereinbarung erstrittenen Entscheidung verweigert, erhält der siegreiche Kläger noch weniger und wäre auf erneute Klage im Zweitstaat oder einem dritten Staat, so eine solche denn möglich ist 1187, angewiesen. Das ist den Beteiligten gegen ihren Willen kaum zumutbar. Ein Effekt auf den im Inland ansässigen, aufgrund eines ausländischen Prozesses zahlungspflichtigen Beklagten ergibt sich nicht mit dem Argument, ohne die quota litis Vereinbarung wäre es gar nicht zum Prozeß und folglich auch nicht zur Zahlungspflicht gekommen. Bei einem ausschließlichen z.B. dinglichen Gerichtsstand in den USA, dessen Urteil in Deutschland vollstreckt werden müßte, käme dies, wegen der Verkehrsüblichkeil der contingent fees in den USA, einer Rechtsverweigerung gleich. Die Anerkennung kann deshalb in diesen Fällen in aller Regel nicht verweigert werden 1188. Im Fall der Anerkennung eines zwischen dem ehemaligen, möglicherweise im Inland ansässigen Kläger und seinem ehemaligen Anwalt ergangenen Leistungsurteils auf Zahlung des vereinbarten Erfolgshonorars kann die zweite Zielrichtung der deutschen Regelung dagegen unter Umständen unterlaufen werden. Eine Grenze mag hier erreicht sein, wo die absolute Höhe des Honorars in keinem Verhältnis mehr zu den Leistungen des Anwalts steht 1189• Hierbei sind insbesondere Arbeitsaufwand, Haftungsrisiko und das Risiko der Erfolglosigkeit zu berücksichtigen. Besonders kritisch sind hier deshalb Fälle gleichzeitiger Übernahme mehrerer, im wesentlichen gleichartiger Mandate zu beleuchten 1190, die bei nahezu gleichem Arbeitsaufwand ein Mehrfaches an Honorar ermöglichen 1191 • Wirkt sich die unI t86 Vgl. BGH v. 28110165, BGHZ 44, 183 (188 f.); Spickhoff [ordre public], 1989, S. 194. Allein dieser Gesichtspunkt wird bei Stiefel I Stürner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (842); Stiefel I Stürner I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (796) erwähnt. 1187
Vgl. hierzu bereits oben S. 83.
I. Erg. ebso Bwzgert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1723); Geimer [Anerkennung], 1995, S. 142; ders. [IZPRJ, 1993, Rz 2975; Coester-Waltjen [punitive damages], 1994, S. 15 (28); Koch [Schadensersatz], NJW 1992, S. 3073 (3074 f.); M.J. Schmidt [Durchsetzung], 1991, S. 194; R. Mann [class-action], NJW 1994, S. 1187 (1188); Stiefel I Stürner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (831). Ähnl auch BGH v. 04106192, BGHZ 118, 312 (332). Mit anderer Begründung i.Erg. a.A. Schütze [Anm. zu BGH v. 04106192], RIW 1993, S. 139 (140), hierzu bereits oben S. 133. Vgl. auch OLG Düsseldorf28105191, RIW 1991 , S. 594 (596). 11 88
11 89 So Seizack [Anm. zu BGH v. 04106/92], ZZP 106 (1993), S. 104 (112); ähnl. Zeko/1 [enforceability], Columffransnat'IL 30 (1992), S. 641 (655); ders. [Produkthaftptlicht], 1987, S. 119. Stiefel I Stiimer [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (842); Stiefel I Stlimer I Stad/er [enforceability], AmJCompL 39 (1991), S. 779 (797) wollen die Grenze je nach Streitwert zwischen 10% und 30% ziehen.
ll 90
Ebso Zekoll [Produkthaftptlicht], 1987, S. 120.
ll9l
Vgl. stattdessen im deutschen Recht§ 6 BRAGO.
238
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
verhältnismäßige Schmälerung des ursprünglichen klägerischen Anspruchs im wesentlichen im Inland aus, kann dies eine teilweise Anerkennungsverweigerung rechtfertigen 1192. Zu behaupten, die Rechtsprechung zur Anerkennungsfähigkeit von Urteilen auf Basis von Erfolgshonoraren 1193 bzw. die - mutmaßliche - Rechtsprechung zur Anerkennungsfähigkeit unmittelbar auf eine quota litis lautender Zahlungsurteile einerseits, und diejenige zu den entsprechenden Fällen, in denen der Einsatz des kollisionsrechtlichen ordre public durch den deutschen Erstrichter im Raum steht andererseits1194, sei die Bestätigung der Theorie von der angeblich generell abgeschwächten Wirkung des anerkennungsrechtlichen ordre public 119S, ist dagegen nach der hier vertretenen Auffassung unzutreffend 1196. Insbesondere das starre Kriterium der Staatsangehörigkeit, das häufig undifferenziert als generelles, eine besonders intensive Inlandsbeziehung vermittelndes Kriterium angeführt wird 1197, birgt die Gefahr, daß der ordre public systemwidrig und rechtspolitisch zweifelhaft zu einer reinen Inländerschutzklausel mutiert 1198. Dieser Gedanke wurde aber, wie die Neufassung des § 328 ZPO deutlich macht, bewußt und zu Recht vom Gesetzgeber aufgegeben 1199. Eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit setzt wie jedes andere Kriterium des Inlandsbezugs eine sachliche Rechtfertigung im konkreten Fall voraus1200, die beispielsweise nicht gegeben ist, wenn das in Frage gestellte Grundprinzip lediglich den Schutz des inländischen Rechtsverkehrs be· zweckt 1201 . Insbesondere bei vermögensrechtlichen Angelegenheiten ist die 1192 Vgl. oben S. 80. Auch das europäische Ausland steht der Anerkennung von auf quota litis lautenden Titeln reserviert gegenüber; vgl. hierzu Kaye [enforcement], 1987, S. 1442; Batiffol I Lagarde [DrlntPr I), 1993, no 360 Fn (1) jew. m.w.N. Für Anerkennung Walter [schwiZPR], 1995, S. 333.
1193 Insbesondere BGH v. 04106192, BGHZ 118,312 (332). 1194 Insbesondere BGH v. 15111156, BGHZ 22, 162 (165 f.); v. 28110165, BGHZ 44, 183 (188 ff.); v. 09101169, BGHZ 51,290 (293 ff.). 1195 So Hay [enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729 (737); Hungert 1Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1723); ders. [enforcing], Int'lLaw 27 (1993), S. 1075 (1086); Stiefel I Stiirner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (842). Ähnl. schon Zekoll [Produkthaftptlicht], 1987, S. 119. 1196 So wohl auch Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1111. 11 97 So z.B. von Kegel, [IPR], 1995, § 16 VI 2, S. 379. 1198 Ebso Hungert [Inlandsbezug), ZIP 1993, S. 815 (816). 1199 Ebso Koch I Zekoll [Unterschied], IPRax 1993, S. 288 (290); Zekoll [enforceability], ColumJTransnat'lL 30 (1992), S. 641 (653). 1200 Vgl. Marti11y [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 170. 120 1 Ebso Kropholler [IPR], 1994, § 36 II 2, S. 223.
C. Relevanz des Inlandsbezuges
239
Berücksichtigung der Staatsangehörigkeiten häufig zweifelhaft 1202. Das Abstellen auf den Wohnsitz der Parteien wird in aller Regel zu Sachgerechteren Ergebnissen führen 1203 . Ein Beispiel für ein zweifelhaftes Abstellen auf die Staatsangehörigkeit ist der Vorschlag von Mark 1204, der im Rahmen der Anerkennungsfähigkeit US-amerikanischer class action-Urteile 1205 nach der Nationalität der Gruppenmitglieder differenzieren will. Nicht anerkennungsfähig sei das Urteil insoweit, als es deutsche Gruppenmitglieder binden soll, die nicht ausdrücklich ein opt-out erklärt haben. Insoweit lediglich Amerikaner betroffen seien, könne das Urteil hingegen anerkannt werden. Der Differenzierung allein nach der Staatsangehörigkeit des Betroffenen kann aber deshalb nicht gefolgt werden, weil sie hier ein sachfemes Kriterium der InIandsbeziehung ist. Weder die von der Anerkennung eines class action-Urteils in Frage gestellte Dispositionsmaxime noch Art. 2 Abs. 1 GG gelten nur für deutsche Staatsangehörige.
2. Gewicht der Inlandsbeziehung und Art des Verstoßes Als zweite, die abstrakt gefundenen Wertungen relativierende Überlegung ist das im Einzelfall ermittelte Gewicht der Inlandsbeziehung zur Art des Verstoßes in Bezug zu setzen. Je fundamentaler das verletzte Prinzip und je krasser die Abweichung, desto weniger Anforderungen sind an die Intensität der Inlandsbeziehung zu stellen1206. Umgekehrt bewirken stärkere bzw. mehr Kontakte zur deutschen I202 Lagarde [public policy], 1994, S. 29 hält sie in allen "matters of property" für ein sachfremdes Kriterium des Inlandsbezuges. Ähnl. Hay [enforcement], AmJCompL 40 (1992), S. 729 (741 Fn 42). 1203 So nennt auch Lenz [punitive damages), 1992, S. 170, auf seiner "Leiter" die Staatsangehörigkeit überhaupt nicht, den Wohnsitz dagegen an erster Stelle. 1204 Mark [dass action], EuZW 1994, S. 238 (241 f.). 1205 Vgl. hierzu bereits oben S. 183. 1206 Ebso Bungert [Verhältnismäßigkeitsprinzip], VersR 1994, S. 15 (22); ders.
[Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815 (818); ders. [enforcing), Int'ILaw 27 (1993), S. 1075 (1086); Stiefel I Hungert [RICO], ZIP 1994, S. 1905 (1915); Coester-Waltjen [punitive damages], 1994, S. 15 (26); dies. [IntBewR], 1983, Rz 72; Schack (IZVR], 1991, Rz 867; Speilenberg [Staudinger-12), 1992, § 328 ZPO Rz 430; Martiny [Hdb IZVR 111/1 ], 1984, Rz 1028 f. Ebso Schlosser [St/J-ZPOJ, 1994, § 1044 Rz 19, Anh. § 1044 Rz 86 im Rahmen der Anerkennung von Schiedssprüchen nach autonomem Recht bzw. nach Art. 5 Abs. 2 UNÜ. Ebso im Rahmen des kollisionsrechtlichen ordre public Kropholler (IPR], 1994, § 36 II 2, S. 223; Kegel, [IPRJ, 1995, § 16 VI 2, S. 379; Heldrich [Palandt-BGB], 1996, Art. 6 Rz 6; Lüderitz [IPR], 1992, Rz 207; Spickhoff [ordre public], 1989, S. 97; Neu/raus [Grundbegriffe], 1976, S. 367. Ähnl. die schweizerische Praxis, vgl. Satmer [Schiedssprüche], 1994, S. 73; Volken [schwiPRGJ, 1993,
240
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
Rechtsordnung im Urteilssachverhalt eine geringere Duldsamkeit gegenüber abweichenden lnteressenwertungen. Von Bar 1207 spricht in diesem Zusammenhang treffend von einem "System kommunizierender Gefäße", in dem das Sinken des einen vom Steigen des anderen ausgeglichen wird. Dieses Zusammenspiel von Binnenbeziehung, Fundamentalität des Prinzips und Abweichung darf aber nicht so verstanden werden, daß bei überwältigendem Binnenbezug auch eine nicht mehr kraß zu nennende Abweichung zum Eingreifen der Vorbehaltsklausel führen kann 1208• Der Ausgleich zwischen "den Gefäßen" findet hier eine Untergrenze. Auch in der anderen Richtung findet sich einen Untergrenze, deren Unterschreiten nicht mehr egalisiert werden kann. Besteht keinerlei Inlandsbezug, läuft auch im Bereich der Entscheidungsanerkennung die richterliche Bewertung auf eine abstrakte Beurteilung des vom Erstrichter angewendeten Rechts hinaus 1209 . Das ist mit dem Wortlaut der Vorbehaltsklauseln aber schwerlich vereinbar. Daraus folgt nach der hier vertretenen Auffassung, daß allein die rein prozessuale Inlandsbeziehung, die ja im Exequaturverfahren in jedem Fall vorliegt, nicht genügen kann 12 10• Unvermeidliche Konsequenz dieses "relativen" Ansatzes ist allerdings eine gesteigerte Rechtsunsicherheit 1211 , die sich aber in Grenzen hält und gegenüber dem größeren Gewicht des Gewinns an Einzelfallgerechtigkeit in "extremen" Fällen, um die es ja ausschließlich geht, zurücktreten muß. Art. 27 Rz 21; Bucher [ordre public], RdC 239 (1993-11), S. 9 (53); Lenz [punitive damages], 1992, S. 169; Walter IBoschI Brönnimann (Schiedsgerichtsbarkeit], 1991, S. 229 Fn 72; Drolshammer I Schärer [punitive damages], SchweizJZ 1986, S. 309 (312); Stojan [Anerkennung], 1986, S. 149; ZivG Basel v. 01102189, BJM 1991, S. 31 (34). 12°7
C. v. Bar [IPR 1], 1991, Rz 635.
So zu Recht für die kollisionsrechtliche Vorbehaltsklausel Hohlach [ErrnanBGBJ, 1993, Art. 6 Rz 17. 1208
1209 Spickhoff [ordre public], 1989, S. 99 zieht hier zutreffend eine Parallele zu der abgelehnten Lehre von der streng positiven Funktion des ordre public. Dazu näher oben s. 58.
l210 Vgl. Bungert [Vollstreckbarkeit], ZIP 1992, S. 1707 (1711); Speltenberg [Staudinger-12), 1992, § 328 ZPO Rz428; Martiny [Hdb IZVR 111!1], 1984, Rz 180, 1027; Wunderer [arbitrage], 1993, S. 130; Kropholler [IPRJ, 1994, § 60 III 5, S. 546; wohl auch Basedow [Auslandsscheidungen], 1980, S. 233. Ähnl. Wengier [Anm. zu BGH v. 18110167], JZ 1969, S. 596. A.A. Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 21. Ähnl. i.R. von Art. 6 EGBGB Lüderitz [IPRJ, 1992, Rz 206.
C. Relevanz des Inlandsbezuges
241
Demgegenüber äußert insbesondere Geimer 1212 verfassungsrechtliche Bedenken und will bei Anwendung "absolut unmoralischen Rechts", in der er einen Verstoß gegen den ordre public universe/1213 erblickt, auf jede Inlandsbeziehung verzichten. Auch der BGH 1214 scheint die mögliche Vollstreckung im Inland als jedenfalls in Extremfällen ausreichende Binnenbeziehung gelten zu lassen. Besteht noch nicht einmal diese Möglichkeit, fehlt ohnehin regelmäßig das für eine Exequierung notwendige Rechtsschutzbedürfnis bzw. liegt rechtsmißbräuchliches Verhalten nahe 1215 . Eines Rückgriffs auf die Vorbehaltsklausel bedarf es hier nicht 1216.
IV. Absolutes System Die Notwendigkeit einer Gewichtung des Inlandsbezugs und seines Anknüpfungspunktes in bezug zu den in Frage gestellten deutschen Rechtsgrundsätzen im Einzelfall ist nicht unbestritten. Insbesondere Sturm 1217 will die Frage nach einer Inlandsbeziehung auf eine Ja/Nein-Entscheidung reduzieren: graduelle Abstufungen seien "Magie und nicht Jurisprudenz". Damit ist ein "absolutes
1211
Deshalb sehr kritisch auch Zekoll [enforceability ], ColumiTransnat'IL 30 (1992),
S. 641 (653 f.).
12 12 Geimer [Anerkennung], 1995, S. 24, 139. Ähnl. ders. [Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 167; ders. [IZPR], 1993, Rz 2967; ders. [Verfassung], ZfRVgl 33 (1992), S. 321 (411); Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1590 Fn 40; Spickhoff [ordre public], 1989, S. 98 f.; G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 96; Baumann [BIBIGIS-IntRvk], 1989, E 6, Nr. 796, UVÜ 1973 Art. 5 Anm. I 1; Lalive [public policy], 1987, S. 257 (262 Nr. 14). Schütz [ordre public], 1984, S. 65 f. will bei Völkerrechtsverletzungen ebenfalls auf eine Inlandsbeziehung verzichten. Ähnl. Vischer [schwiPRG], 1993, Art. 17 Rz 20, der für das schweizerische Recht bei Verletzung von Fundamentalgrundsätzen keine Binnenbeziehung verlangt; ähnl. Stojan [Anerkennung], 1986, S. 149 f., der aber - profaner - das Beispiel eines Darlehenszinssatzes von 60% nennt, der auch ohne Binnenbeziehung am ordre public scheitere. 1213
Zum Begriff des ordre public universel, s. unten S. 282.
1214
Vgl. BGH v. 04106192, BGHZ 118, 312 (345).
Vgl. Schiitze [Doppelexequierung], ZZP 77 (1964), S. 287 (291 f.) für den Fall, daß erkennbar das zweitstaatliche Exequatur eines ausländischen Schiedsspruchs lediglich Grundlage eines weiteren Exequaturs in einem Drittstaat sein soll. 12 15
1216 Zur schon begrifflichen Unmöglichkeit der "Anerkennung" ohne Vorliegen einer Inlandsbeziehung vgl. unten S. 251. 1217 Raape I Sturm [IPR 1], 1977, § 13 VI 4, S. 217. Vgl. aber auch ders. [Durchbruch), FamRZ 1972. S. 16 (20), wo er einer variablen Handhabung eher zugeneigt scheint. Ebso Marx [Schiedssprüche), 1994, S. 21; Schütz [ordre public], 1984, S. 65 f. jedenfalls für "seinen" internationalen ordre public. Ähnl. auch Wuppermamr [Vorbehalt], 1977, S. 32 f., 35 und Stöcker [ordre public], RabelsZ 38 (1974), S. 79 (85).
16 Völker
242
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
System" in der Weise postuliert, daß bei Vorliegen der Bedingung "Inlandsbezug" bzw. "hinreichender Inlandsbezug" die Abweichung von einem ordre public-sanktionierten Rechtsgrundsatz nicht toleriert wird. Die Je/DestoFormeP218 findet hier keine Anwendung. Zunächst bestechend ist der offensichtlich - neben dem erhofften Gewinn an Rechtssicherheit - dahinterstehende Gedanke, materielle Gerechtigkeit, als grundlegendes, von der Vorbehaltsklausel vorrangig verfolgtes ZieJ1 219, sei ein absoluter, nicht auf das Inland beschränkter Wert, sondern eine universelle Idee ohne räumliche Fixierung, die der Zweitrichter erkennen und durchsetzen könne 1220. Die Richtigkeit dieser Prämisse ist zweifelhaft 1221 , kann aber dahinstehen. Der Schluß, der Inlandsbezug sei allenfalls sekundäres Entscheidungskriterium 1222, das mit einer Ja/Nein-Entscheidung ausreichend berücksichtigt sei, ist aber nach der hier vertretenen Auffassung keinesfalls zutreffend. Denn mit der Frage nach materiellen Gerechtigkeitszielen ist die Frage der Zuständigkeitsgerechtigkeit1223 als einer Ausprägung internationalverfahrensrechtlicher Gerechtigkeit 1224 ebenso unlösbar verbunden wie die Frage der internationalprivatrechtliehen Gerechtigkeit. Als Weiterentwicklung der "Vermutungsregel" von Bars1225 , das "räumlich beste Recht" i.S. internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit sei auch das zur Lösung des jeweiligen Sachverhalts sachlich beste Recht 1226, kann man postulieren, die internationale Zuständigkeit und damit die grundsätzliche Konfliktlösungskompetenz des Erstrichters vorausgesetzt, ergebe prima facie die Vermutung, das Urteil sei auch ein materiell gerechtes.
1218 Vgl. oben S. 239. 1219 S. dazu oben S. 56. 1220 Änl., aber die regelmäßige Existenz mehrerer materiell gerechter Lösungen erkennend, der Ansatz von Stöcker [ordre public], RabelsZ 38 (1974), S. 79 (85, 94). 122 1 Differenzierend z.B. Kegel, [IPR], 1995, § 2 III, S. 116. 1222 So z.B. Wuppermann [Vorbehalt], 1977, S. 35. 1223 So insbes. Pfeiffer [Gerechtigkeit], 1995, S. 760 f. 1224 Vgl. hierzu bereits oben S. 297. 1225 Vgl. C. v. Bar [IPR 1], 1991, Rz 509. 1226 Ähnlich auch schon Mittermaier [Vollstreckung], AcP 14 (1831), S. 84 (95). A.A. Bucher [ordre public], RdC 239 (1993-11), S. 9 (49), der eine deutliche Trennung vornimmt und moniert, daß durch die Eröffnung mehrerer Gerichtsstände und dem damit ermöglichten forwn slwpping, begüterte Parteien, die sich Aufwand und Kosten eines Prozesses im ausländischen Gerichtsstand leisten könnten, bevorzugt werden.
C. Relevanz des Inlandsbezuges
243
Eine vergleichbare Überlegung stellt KegeJI 227 im Rahmen des kollisionsrechtlichen ordre public an, wenn er betont, nur ausnahmsweise müsse die von den Kollisionsnormen geschützte internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit, die das "räumlich beste Recht" zum Zuge kommen lasse, hinter Wertungen der materiellprivatrechtliehen Gerechtigkeit zurücktreten. Der Kreis der materiellprivatrechtlich gerechten Lösungen enge sich mit zunehmendem Inlandsbezug immer weiter auf die von der Iex fori vorgegebenen Grundwertungen ein. Auch Spickhoff1228 kommt - ebenfalls im Kontext des Kollisionsrechts - zum selben Ergebnis, wenn er feststellt, daß das internationalprivatrechtliche Interesse an der Geltung des durch die Grundanknüpfung berufenen "örtlich besten Rechts" in reziprokem Verhältnis zur Inlandsbeziehung stehe. Entsprechende Zurückhaltung sei bei Einsatz des die Grundanknüpfung ausschaltenden kollisionsrechtlichen ordre public zu waren. Diese Ansätze sind auch für den Bereich der Entscheidungsanerkennung fruchtbar zu machen. Die Gerechtigkeit, und damit auch die Anerkennungsfähigkeit der internationalverfahrensrechtlich gerechten, weil in einem "richtigen" Gerichtsstand ergangenen Entscheidung, kann nur in Ausnahmefällen und bei hinreichendem Inlandsbezug von der durch die Grundwertungen der Iex fori konkretisierten, ein diametral entgegengesetztes Ergebnis verlangenden, materiellprivatrechtliehen Gerechtigkeit in Frage gestellt werden. Je geringer die Inlandsbeziehung ist, desto stärker ist das internationalverfahrensrechtliche, durch das Erfordernis der spiegelbildlichen Zuständigkeit des Erstrichters von der Iex fori sanktionierte Interesse daran, die vom Erstrichter getroffene Sachentscheidung unberührt zu lassen. Das Prüfungsobjekt "Ergebnis der Anerkennung" ist zunächst eben das internationalverfahrensrechtliche Ergebnis und nur sekundär das materiellprivatrechtliche Ergebnis1229. Die "Zweifelkompetenz" des Zweitrichters, die erststaatliche Entscheidung sei keine materiell gerechte, karreliiert deshalb unmittelbar mit seiner - potentiellen - Sachentscheidungskompetenz, d.h. mit seiner gedachten internationalen Zuständigkeit. Die internationale Zuständigkeit ist aber ihrerseits stets Ausdruck eines irgendwie gearteten Inlandsbezugs. Die internationale Zuständigkeit ist dabei zwangsläufig eine Ja/Nein-Entscheidung. Die eine internationale Zuständigkeit begründende Inlandsbeziehung ist es aber nicht. Sie hierauf auch im Rahmen der Prüfung der Anerkennungsfähigkeit zu redu-
1227 Vgl. Kegel [IPRJ, 1995, § 2 I, III, S. 107 f., 116. Spickhoff[ordre public], 1989, S. 145. 1229 Analog für den Bereich der direkten Anwendung fremden Rechts Kegel [IPR), 1228
1995, § 2 I, S. 108. 16•
244
§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
zieren, hieße ein unnötig grobes Raster für ein sachgerechte Differenzierungen erlaubendes, transparentes und verifizierbares Kriterium einzuführen.
V. Inlandsbeziehung und Diskriminierungsverbote Ein besonderes Problem der Bestimmung der Intensität der Binnenbeziehung taucht im Bereich der Geltung von Diskriminierungsverboten auf.
1. Art. 6Abs. 1 EGV Im sehr weiten Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts mit seinem dort geltenden Diskriminierungsverbot stellt sich die Frage, ob generell die "Inlandsbeziehung" durch "Gemeinschaftsbeziehung" zu ersetzen ist. Sicherlich darf der Einsatz der Klausel nicht zu einer "willkürlichen" Diskriminierung von Unionsbürgern anderer Nationalität führen 1230 • Gerade erwähnt wurde, daß die Staatsangehörigkeit Aspekt der Inlandsbeziehung und damit entscheidendes Kriterium bei der Frage der Anerkennung einer fremden Entscheidung sein kann 1231 • Teilweise wird nun überhaupt jede Differenzierung zu Lasten eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union als versteckte Diskriminierung für unzulässig erachtet 1232 . Eine solch weitgehende Gleichstellung steht aber auf wackligem dogmatischem Fundament. Eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit im Rahmen des Inlandsbezugs ist aber immerhin dann eindeutig unzulässig, wenn die anzuerkennende Entscheidung einen Sachverhalt betrifft, bei dem eine der Parteien Gebrauch von ihren Grundfreiheiten gemacht hat oder im Anwendungsbereich von Art. 6 EGV liegt 1233 • Die Unionsbürgerschaft vermittelt in diesem Fall einen Inlandsbezug von derselben Intensität wie die deutsche Staatsangehörigkeit. Für juristische Personen oder nichtrechtsfähige Gesellschaften, die Staatszugehörige eines Mitgliedstaates sind, ist eine entsprechende Behandlung zwar nicht von vornherein zwingend. Hier ist die Gleichstellung im Rahmen der Feststellung des Inlandsbezugs aber erforderlich, wenn durch die Anerkennung der Entscheidung Bereiche der Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit betroffen sind, in denen die besonderen Diskrimi1230
So Wunderer [arbitrage], 1993, S. 249.
1231
Vgl. oben S. 233.
So z.B. Schütz (ordre public], 1984, S. 70. Ähnlich jedenfalls für Rechtsgebiete, die weitgehend angeglichen sind Spickhoff[ordre public], 1989, S. 98. 1232
1233 Vgl. Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (230). Ähnl. Brödermann I Iversen (Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 498 im Kontext von Art. 38 EGBGB.
C. Relevanz des Inlandsbezuges
245
nierungsverbote gern. Art. 58 und 60 EGV auch auf diese Gesellschaften ausgedehnt sind 1234• Eine völlige Ersetzung der Inlandsbeziehung durch "Gemeinschaftsbeziehung" nicht nur in persönlicher, sondern auch in räumlicher Hinsicht, bleibt jedoch zweifelhaft. Zweigert 1235 will bei einem innereuropäischen Sachverhalt im Interesse möglichst weitgehender Einschränkung der Klausel eine "echte" Inlandsbeziehung zum Forumstaat verlangen, bei Beziehungen zu Drittstaaten aber differenzieren. Wirke sich die Entscheidung im wesentlichen nur in einem vom Anerkennungsstaat verschiedenen Mitgliedstaat aus, nicht aber im sonstigen Unionsraum, sei keine ausreichende Inlandsbeziehung gegeben. Werde aber z.B. der Gemeinsame Markt tangiert, sei dies einer "echten" Inlandsbeziehung gleichzustellen. Blumenwitz1236 will auf Rechtsgebieten, die weitgehend angeglichen sind und im Gegensatz zu solchen, die in keiner Weise mit der europäischen Integration zusammenhängen, die Beziehung zu einem Unionsstaat einer "echten" Inlandsbeziehung gleichstellen. Ähnlich will Iversen 1237 immer dann, wenn der "wesentliche Grundsatz" einer Richtlinie entnommen ist, die Beziehung zu einem Mitgliedstaat derjenigen zum Inland gleichstellen. Eine fundierte dogmatische Begründung wird aber nicht gegeben. Vorzugswürdig erscheint damit immer noch die These, daß bei lediglich das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates, das Territorium der Bundesrepublik aber überhaupt nicht betreffenden fremden Entscheidungen, es an einer räumlichen Inlandsbeziehung fehit 1238 . Die mögliche Unionsbürgerschaft einer Partei vermittelt unter Umständen dennoch eine andere, personelle Inlandsbeziehung unter den oben 1239 dargelegten Einschränkungen.
2. "Inländerbehandlung" nach FCN-Vertrag Bungert 1240 erwägt, im Kontext deutsch-amerikanischer Entscheidungsanerkennung für die Inlandsbeziehung Wertungen aus dem deutsch-amerikanischen
1234
Vgl. Geiger [EG-Vertrag], 1995, Art. 6 Rz 6.
1235
Zweigert [Auswirkungen], FS-Hallstein, 1966, S. 555 (568).
1236
Blumenwitz [Staudinger-12], 1991, Art. 6 EGBGB Rz 116.
Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 751. Martiny [Gemeinschaftsrecht), 1991, S. 211 (231); [MünchKomm-BGB], 1990, Art. 6 EGBGB Rz 77. 1239 Vgl. S. 238. 1240 Bungert [Inlanrlsbezug), ZIP 1993, S. 815 (816). 1237
1238
Sonnenberger
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei
Variablen
Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag (FCN-Vertrag)1241 , für dessen Anwendbarkeit jede Art wirtschaftlicher Betätigung ausreicht, zu entnehmen. Der Vertrag enthält an mehreren Stellen 1242 das Gebot der "Inländerbehandlung". Er normiert in Art. VI Abs. 2 betreffend die Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche allerdings auch einen ordre publicVorbehalt1243. Schon unter systematischen Gesichtspunkten ist dem Konzept der Inländerbehandlung also nicht der vollständige oder weitestgehende Verzicht auf einen ordre public-Vorbehalt zu entnehmen. Hier läßt sich - etwas begrifflich - sogar argumentieren, die Inländerbehandlung eines US-amerikanischen Klägers müsse zu einer Verschärfung der Anerkennungsvoraussetzungen führen, denn er müsse sich so behandeln lassen, wie ein deutscher Kläger, der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung des im amerikanischen Gerichtsstand erstrittenen Titels in Deutschland begehrt. Die damit fingierte regelmäßig stärkere Inlandsbeziehung würde für einen erhöhten Geltungswillen deutscher Grundwertungen sprechen1244.
VI. Relevante Zeitpunkte Auch in zeitlicher Hinsicht kann von einer Relativität des ordre public gesprochen werden. Hierbei können zwei vom Ansatz zunächst unterschiedliche Momente differenziert werden. Sollte sich der Inhalt des ordre public geändert haben, das zu beurteilende Rechtsverhältnis aber Bezüge zur Vergangenheit wie zur Gegenwart aufweisen, kann zum einen die Frage relevant werden, welche Grundmaßstäbe bei der Prüfung der Anerkennungsfähigkeit gelten sollen -die der Vergangenheit oder die der Gegenwart. Eine hiervon trennbare Frage ist die, welcher Zeitpunkt zur Feststellung der Binnenbeziehung gewählt wird.
1. Zeitpunkt der Inhaltsfestlegung des ordre public Genauso wie die Rechts- und Gesellschaftsordnung einem Wandel unterliegt, können sich auch die Vorstellungen vom Inhalt des ordre public im Laufe der Zeit ändern 1245 . Überspitzt drückt dies der vielzitierte Satz von Sir Allen "public policy 'is the policy of the day'" 1246 aus. 1241 Vertrag v. 29/10/54, BGBI. 1956 II S. 488. 1242 Vgl. Art. VI Abs. 1, VII Abs. 1 FCN-Vertrag. 1243 Vgl. AnhangS. 308. 1244 So Bungert [Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815 (816). 1245 AllgM. Statt aller Martiny [Hdb IZVR 111/1 ], 1984, Rz 994, 1149. Deutlich auch für Frankreich Mayer [DrlntPr), 1991, no 203.
C. Relevanz des Inlandsbezuges
247
Als traurig berühmtes Beispiel mag hier nur der Kranzgeldanspruch des § 1300 BGB angeführt werden. 1958 vom BGH 1247 noch zum deutschen ordre public gerechnet, wird er inzwischen von nicht wenigen gar als verfassungswidrig eingestuft1248. Das Argument, was nach einer früheren deutschen Regelung möglich war, könne nicht wenig später einen unerträglichen Verstoß gegen Fundamentalprinzipien des deutschen Rechts darstellen 1249, ist dabei unter der Prämisse, der ordre public sei wandelbar, nicht überzeugend 1250. Jayme 1251 zieht sogar den Umkehrschluß und entnimmt aus der Tatsache der Gesetzesänderung ein Indiz auf geänderte Grundanschauungen. Diese Folgerung dürfte indes regelmäßig zu weit gehen. Ein Indiz wird aber immerhin den innerstaatlichen Übergangsregelungen zu entnehmen sein 1252. Was die Feststellung dieser Grundanschauungen angeht, ist nach Riezler 125 3 sowohl auf den Urteils- als auch auf den Anerkennungszeitpunkt abzustellen. Zu beiden Zeitpunkten dürfe kein Widerspruch zum ordre public vorliegen. Umgekehrt will Wieczorek 1254 den jeweils günstigeren Moment als maßgeblich werten. Die ganz überwiegende Auffassung geht heute aber dahin, aus dem Gebot der restriktiven Handhabung der Vorbehaltsklausel ergebe sich, daß es für das ordre public-Verständnis auf den Zeitpunkt des Anerkennungsstadiums 1246 Allen [Iaw], 1964, S. 155 a.E. f. 1247 BGH v. 21/11!58, BGHZ 28, 375 (384). Aufgegeben in BGH v. 24/04/74, BGHZ 62, 282 (283). 1248 So AG Münster v. 08/12/92, NJW 1993, S. 1720. Sympathien in diese Richtung wohl auch beim BVerfG im Nichtannahmebeschluß v. 05/02/93, FamRZ 1993, S. 662. Wie AG Münster auch Wacke [MünchKomm-BGB], 1993, § 1300 Rz 5 m. Nachw. zum Meinungsstand. 1249 So Kropholler [IPR], 1994, § 36 II 3, S. 224; v. Brwuz [ordre public], NJW 1962, S. 985 (988). Ähnlich auch die Argumentation des BGH v. 20/06/79, BGHZ 75, 32 (44).
1250 Ebso Heldrich [Palandt-BGB), 1996, Art. 6 Rz 4. Die Schwäche des Arguments wird insbesondere in OLG Frankfurt v. 26/11/79, OLGZ 1980, S. 130 ff. deutlich, das, S. 134, einen Verstoß verneint, weil die frühere deutsche Regelung ebenso gewertet habe um sofort darauf, S. 135, zu betonen, die Grundwerte i.S. des ordre public seien einem ständigen Wechsel unterworfen. 1251 Jayme [Methoden), 1989, S. 34. 1252 Vgl. Mayer [DrlntPr], 1991, no 202. 1253 Riezler [IZPR), 1949, S. 542 ff. Ihm folgend Szaszy [study), 1967, S. 184. 1254 Wieczorek [ZPO], 1976, § 328 Anm. E IV d 1.
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
ankomme und nicht auf den des Erlasses der zur Anerkennung oder Vollstrekkung stehenden Entscheidung 1255 . Dies ist aber deshalb nicht selbstverständlich, weil die Anerkennung selbst, im Gegensatz zur Vollstreckbarerklärung, formlos erfolgt und auf den Zeitpunkt des Erlasses der ausländischen Entscheidung zurückwirkt 1256 • Andererseits gilt der Grundsatz, daß eine einmal eingetretene Anerkennung - Gestaltungsurteile machen dies besonders deutlich - nachträglich nicht mehr entfallen kann. Fallen Anerkennungsvoraussetzungen später weg, muß es damit grundsätzlich bei der Anerkennung bleiben 1257 • Geimer 1258 unterscheidet deshalb im Ausgangspunkt überzeugend zwischen Anerkennung und Vollstreckbarerklärung. Er ist der Ansicht, es komme für die Frage der Anerkennung auf den Zeitpunkt an, zu dem die zur Anerkennung stehenden
1255 BGH v. 11104/79, NJW 1980, S. 529 (531); v. 26106169, BGHZ 52, 184 (192); vorsichtiger formuliert BGH v. 23104159, BGHZ 30, 89 (97); BayObLG v. 09106193, FamRZ 1993, S. 1469; RG v. 25106126, RGZ 114, 171 (172); Wieczorek I Schütze [ZPOJ, 1995, § 1041 Rz 28; Kropholler [EuZPRJ, 1993, Art. 27 Rz 3; Schumann [StiJZPOJ, 1988, § 328 Rz 231; Gottwald [MünchKomm-ZPOJ, 1992, § 328 Rz 7; Firschingl v. Hoffmann [IPR], 1995, Rz 174; Kegel [IPRJ, 1995, § 22 V 1 g, S. 818; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1150; ders. [Hdb IZVR 111/2], 1983, Rz 104, 301; Blumenwitz [Staudinger-12], 1991, Art. 6 EGBGB Rz 119; Thomas I Putzo [ZPOJ, 1995, § 328 Rz 15; Linke [BIBIGIS-IntRvk], 1977, BI 1 e, EuGVÜ, Art. 27 Anm. II 1; Baumann [BIBIGIS-IntRvk], 1989, E 6, Nr. 796, UVÜ 1973 Art. 5 Anm. I 1; Marx (Schiedssprüche], 1994, S. 33: M.J. Schmidt [Durchsetzung], 1991, S. 131 f.; Weiga11d [dt.-sp. Rechtsverkehr], 1992, S. 234; Wupperman11 [Vorbehalt], 1977, S. 65; vorsichtig Gamil/scheg [Staudinger-10111], 1973, § 328 ZPO Rz 336, 338. Ebso für das franz. Recht Mayer [DrlntPr], 1991, no 206, 374; Batiffoll Lagarde [DrlntPr 1), 1993, no 364. Nach Lagarde [public policy ], 1994, S. 45 entspricht diese Sicht auch der jeweils überwiegenden Ansicht in Frankreich, Österreich, Belgien, Spanien und Italien. Ebenso die Auffassung in der Schweiz, vgl. Keller I Siehr [IPR], 1986, § 49 II 5 a, S. 623. Droz [competence], 1972, Rn 499 will auch Änderungen in den tatsächlichen Gegebenheiten zu jedem Zeitpunkt durchschlagen lassen. Vgl. aber andererseits BGH v. 25110166, BGHZ 46, 365 (372), der eine zwischen Schiedsspruch und Vollstreckbarerklärungsverfahren liegende Nichtigerklärung eines Patents nicht auf die ordre public-Prüfung durchschlagen lies.
Vgl. Schack [IZVR], 1991, Rz 880, 901; Speileilberg [Staudinger-1 2], 1992, § 328 ZPO Rz 432 f.; Geimer I Schütze (lntUrtAn 112), 1984, S. 1602 f. 1256
1257
Vgl. Schiitze [DtiZPRJ, 1985, S. 164.
Geimer [IZPR), 1993, Rz 29a; ders. [Anerkennung], 1995, S. 144; ders. [ZöllerZPO], 1995, § 328 Rz 175c, Anh I Art. 27 GVÜ Rz 5; Geimer I Schütze [IntUrtAn I/2), 1984, S. 1603 ff., 1606. Vgl. andererseits Geimer I Schütze [IntUrtAn I/1], 1983, S. 1061. Unklar in dieser Hinsicht Hartmann [BIUA/H-ZPO], 1996, § 328 Rz 32 1258
("Zeitpunkt der Anerkennung").
C. Relevanz des Inlandsbezuges
249
Wirkungen der erststaatlichen Entscheidung eintreten 1259, regelmäßig also nicht der Zeitpunkt der Entscheidung des Zweitrichters über die Anerkennungsfrage. Bei der Vollstreckbarerklärung sei dagegen, wegen deren ex nunc Wirkung, auf den späteren Zeitpunkt, also den der Entscheidung des Zweitrichters, abzustellen 1260. Dabei nimmt er die von ihm mit einer Naturalobligation verglichene Situation in Kauf, daß die Leistungspflicht aus einem Urteil zwar durch den Zweitrichter festgestellt werden könne, eine Vollstreckung aber mangels Möglichkeit einer Vollstreckbarerklärung unmöglich sei 1261 . Der überwiegenden Ansicht ist zuzugeben, daß es in aller Regel der Zeitpunkt der Entscheidung über die Anerkennung ist, der für die Feststellung und Bewertung der ordre public-Kriterien entscheidend ist. Dieser Grundsatz ist aber nicht für alle Fallgestaltungen haltbar. Stellt sich die Frage der - formlosen- Anerkennung als präjudizielle Vorfrage im Rahmen eines Folgeverfahrens, besteht ohnehin keine Bindungswirkung an die Entscheidung für ein weiteres, späteres zweitstaatliches Verfahren1262. Die Anerkennungsfähigkeit könnte dann bei Wandel der Anschauungen anders gewertet werden. Auch ohne formal festgestellte Anerkennung kann sich aber der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes noch zugunsten einer Anerkennung auswirken 1263 . Damit schlägt eine Liberalisierung der Maßstäbe - sei diese durch Gesetzesänderungen oder Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung motiviert- unmittelbar zugunsten der Anerkennung auch auf in der Vergangenheit liegende Tatbestände durch 1264. Verschärfungen nach einmal formal festgestellter Anerkennung, zum Beispiel im Rahmen der Vollstreckbarerklä-
1259 Ebso OLG Frankfurt v. 26/11/79, OLGZ 1980, S. 130 (131) unter Berufung auf zur internationalen Zuständigkeit ergangene Rspr. Dezidiert a.A. Martiny [Hdb IZVR III/2), 1983, Rz 104. l260 Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2), 1984, S. 1607. 1261 Auch Habicht [IPR), 1907, S. 241 hält die Situation für denkbar, daß eine fremde Entscheidung zwar anerkannt, aber nicht für vollstreckbar erklärt werden kann. 1262 Vgl. Martiny [Hdb IZVR III/1), 1984, Rz 1593. 1263 Geimer [IZPR), 1993, Rz 29a will hier hingegen vor allem das Vertrauen der unterlegenen Partei schützen. Ähnl. Gamillsclzeg [Staudinger-10/11), 1973, § 328 ZPO Rz 338. 1264 Ebso BGH v. 23/04/59, BGHZ 30, 89 (97) (zu § 1041 Abs. 1 Nr. 2 ZPO); v. 26/06/69, BGHZ 52, 184 (192 f.); v. 26/02/91, IPRax 1992, S. 380 (381) (zu § 1044 Abs. 2 Nr. 2 ZPO); Raeschke-Kessler [Rspr 1991), BB 1992, Beil. 15, S. 19 (22) letzterer z.B. die gewandelten Anschauung von § 764 BGB betreffend, die auch auf Termingeschäfte vor In krafttreten der Novelle des BörsenG durchschlage.
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§ 4 Aspekte der Inhaltsbestimmung- System mit drei Variablen
rung, berühren diese allerdings nicht. Dies würde einen unzulässigen Entzug einmal eingetretener Inlandswirkungen bedeuten 1265 • Ist die Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung dagegen eine formale Entscheidung, und damit der materiellen Rechtskraft fahig, einmal abgelehnt, steht auch bei einer Liberalisierung der Maßstäbe einer erneuten anderweitigen Entscheidung der res iudicata-Einwand entgegen. Hier kann nichts anderes gelten als bei einem reinen Inlandsfall, bei dem ein Rechtsverhältnis wegen Verstoßes gegen die guten Sitten oder ein gesetzliches Verbot rechtskräftig verworfen wurde. Auch hier bewirkt eine später eintretende Veränderung, die zu einer anderen Beurteilung führen würde, nichts. Nicht ganz zutreffend, weil zu undifferenziert, ist deshalb der Satz, Rechtsentwicklungen, normative wie solche, die lediglich die grundlegenden Anschauungen betreffen, seien stets zu berücksichtigen 1266.
2. Zeitpunkt der Bewertung der Binnenbeziehung Der erwähnte Grundsatz der Rückwirkung der Anerkennung kann nicht bewirken, daß auch ehemalige, vor der Entscheidung über die Anerkennung liegende Binnenbezüge berücksichtigungsfähig wären 1267 • Die Binnenbeziehung ist schon begrifflich, insbesondere aber von ihrer Funktion her, ein gegenwartsbezogenes Element. Es drückt die Relativität des Interesses der zweitstaatlichen Ordnung an der Bewertung der involvierten Interessen aus. Ist kein Gegenwartsbezug gegeben, ist auch kein solches Interesse mehr zu rechtfertigen. Für den Binnenbezug kommt es also allein auf den Zeitpunkt der Prüfung der Anerkennungsfähigkeit an 1268 • Andererseits scheidet eine Anerkennung ohne Vorliegen eines Binnenbezugs mangels "Wirkung", die durch die Anerkennung erstreckt werden könnte, schon be-
1265 Ebso Spellerrberg (Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 433. Ähnl. Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/1], 1983, S. 1061; Schütze (Zeitpunkt], NJW 1966, S. 1598 (1599). 1266 So H.J. Maier (MünchKomm-ZPO], 1992, § 1041 Rz 14; Hartmann (B/UNHZPOJ, 1996, § 328 Rz 32; Martiny (Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1150. 1267
Ebso Spellenberg (Staudinger-12], 1992, § 328 ZPO Rz 431,435.
A.A. allerdings BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (349 f.), der maßgeblich auf den Zeitpunkt der Tat, die Gegenstand des zur Anerkennung stehenden Urteils war, abstellt und damit die aktuelle Inlandsbeziehung unterbewertete. A.A. auch Geimer [Anerkennung], 1995, S. 144. Wie hier dagegen Seilack (Anm. zu BGH v. 04/06/92], ZZP 106 (1993), S. 104 (111). 1268
C. Relevanz des Inlandsbezuges
251
grifflieh aus 1269. Eine Wirkung kann isoliert und abstrakt aus sich selbst heraus nicht bestehen. Sie kann immer nur im Hinblick auf das potentielle lngangsetzen einer Kausalkette definiert werden. Diese denkbaren Kausalketten charakterisieren Art und Stärke der Binnenbeziehung.
Unter diesem Blickwinkel rechtfertigt sich dann auch die Theorie von der "zeitlichen Relativität" des ordre public. Danach soll nach Auffassung einiger auch Berücksichtigung finden, wie lange der zu beurteilende Sachverhalt in der Vergangenheit zurückliegt 1270• Je länger ein Tatbestand in der Vergangenheit zurückliege, um so zurückhaltender sei mit dem Instrument des ordre public umzugehen. Eine gesteigerte Zurückhaltung soll zum Beispiel dann angebracht sein, wenn die Parteien sich auf die länger zurückliegende Entscheidung eingestellt oder gar ihr Leben danach ausgerichtet haben 1271 • Die Berücksichtigung auch dieser Gegenwartsbeziehung des Verstoßes legt zwar schon der Wortlaut der Vorbehaltsklausel nahe, der als fiktive Situation für die ordre public-Prüfung die Situation nach einer Anerkennung vorgibt. Sie rechtfertigt sich aber auch aus der Funktion der Vorbehaltsklausel, die insbesondere aktuelle Störungen abwehren soll 1272• Die "aktuelle Störung" muß sich aber nach der Theorie von der Berücksichtigung der Binnenbeziehung im Inland manifestieren.
1269 Diesen meist unbeachteten Aspekt hebt insbesondere Schütze [Problem], 1960, S. 7 f.; ders. [Zeitpunkt], NJW 1966, S. 1598 (1599); ders. [DtiZPR), 1985, S. 163 hervor. 1270 Z.B. Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1150; Spickhoff [ordre public], 1989, S. 101; ders. [Eheschließung], JZ 1991, S. 323 (324); Kegel [IPRJ, 1995, § 16 VI 2, S. 380; Sonnenberger [MünchKomm-BGB], 1990, Art. 6 Rz 79; Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2], 1984, S. 1607; Similis [Kodifikation], 1970, S. 267 (277). 1271
Ähnl. Gamillscheg [Staudinger-10/11], 1973, § 328 ZPO Rz 338.
l272 Vgl. Marx [Schiedssprüche), 1994, S. 33; Lalive [public policy), 1987, S. 257 (263 Nr. 14).
§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch
Begriffsaufsplitterung
Vor dem Hintergrund des hier entwickelten Systems der Konkretisierung des ordre public soll nun versucht werden, eine andere Art der Annäherung an den Inhalt zu bewerten. In der wissenschaftlichen Diskussion um Inhalte und Funktionen von ordre public-Kiauseln ist eine bemerkenswerte Begriffsaufsplitterung festzustellen, die bis ins feinsinnigste Detail ziselierte Differenzierungen terminologischer Art vornimmt. Diese Differenzierungen mögen häufig dem Ziel der Präzisierung dienen oder auch nur charakterisierende Fallgruppen eines übergeordneten ordre public-Begriffs kennzeichnen und damit durchaus ihre Berechtigung finden. Eine geradezu groteske Verkehrung des damit gewünschten Effekts der Systematisierung und Strukturierung tritt jedoch dann ein, wenn denselben Begriffen im selben Zusammenhang völlig uneinheitliche Inhalte gegeben werden. Damit wird es häufig unmöglich, gerade in kürzeren wissenschaftlichen Beiträgen oder auch Urteilen festzustellen, auf welchen Begriffsinhalt nun rekuriert wird. Auch besteht die Tendenz, daß die wissenschaftliche Diskussion zum Austausch von Worthülsen verkommt, über deren Inhalt wenig Klarheit herrscht. Deshalb sei hier der -erneute- Versuch unternommen, terminologischen Wildwuchs von sinnvoller Strukturierung, und für den hier diskutierten Bereich, nützliche von nutzlosen Begriffen zu trennen, um so wieder einen Schritt in Richtung Klarheit zu gehen 1273.
A. Verfahrensrechtlicher und materiellrechtlicher ordre public Noch verhältnismäßig einfach läßt sich eine evident sinnvolle Struktur in diese, mitunter dennoch inkonsequent gebrauchten Begriffe bringen.
1273 Weitere, hier nicht tiefer behandelte Varianten des ordre public sollen sein ein politischer, intersystemarer, verfassungsrechtlicher oder kultureller sein; näher hierzu z.B. Wuppermann [Vorbehalt], 1977, S. 24 f.
A. Verfahrensrechtlicher und materiellrechtlicher ordre public
253
Es ist hier lediglich insofern Aufmerksamkeit geboten, als der Begriff "verfahrensrechtlicher ordre public" oder "prozessualer ordre public" 1274 , insbesondere in Publikationen mit Schwerpunkt im Kollisionsrecht. oft synonym für den anerkennungsrechtlichen ordre public und in Abgrenzung zum kollisionsrechtlichen, dort "materiellrechtlichen" ordre public, gebraucht wird 1275 • Dies ist nicht nur eine überflüssige begriffliche Unschärfe durch Schaffung zweier unterschiedlicher Begriffe desselben Inhalts 1276• Schwerwiegender ist der Verlust der allgemein als sinnvoll anerkannten Möglichkeit, innerhalb des anerkennungsrechtlichen ordre public weiter terminologisch zwischen verfahrensrechtlichen und materiellrechtlichen Aspekten trennen zu können. Der verfahrensrechtliche ordre public soll die Auswirkungen einer in anstößiger Weise zustandegekommenen Entscheidung, gleich welchen Inhalts, international begrenzen 1277 . Der richtig verstandene materiellrechtliche ordre public soll die internationale Perpetuierung eines gernißbilligten Rechtsverhältnisses durch die Anerkennung der Entscheidung verhindern 1278 • Diese, unter systematischen Gesichtspunkten sehr attraktive Unterscheidung, ist allerdings nicht in jedem Fall praktikabel und streng durchzuhalten 1279 . Als Beispiel für auftretende Überschneidungen sei das Ineinandergreifen der american rule of costs- also dem Ausschluß der Kostenerstattung auch für die obsiegende Partei -, die daraus resultierende Praxis der Vereinbarung von Erfolgshonoraren und
1274 Synonym taucht auch z.B. bei Satmer [Schiedssprüche], 1994, S. 72 ff. der Begriff "formeller ordre public" auf. 1275 In diesem Sinne terminologisch unzweckmäßig z.B. Epe [Funktion], 1979, S. 123; Spickhoff [ordre public], 1989, S. 21; Keller I Siehr [IPRJ, 1986, § 42 II 6, S. 542. Auch dem BGH unterlaufen mitunter begriffliche Unschärfen, vgl. Urt. v. 18/10167, BGHZ48, 327 (333); v. 0410611992, BGHZ 118,312 (330). 1276 Vollends unübersichtlich wird die Terminologie, wenn auch noch ein "materieller" und ein "prozessualer" ordre public eingeführt wird. Vgl. z.B. die Einteilung bei Raape I Sturm [IPR 1], 1977, § 13 III 6, S. 204. Konsequenter wiederum Wuppermann [Vorbehalt], 1977, S. 11 ff., der offenbar (inhaltlich) sachrechtliehe Aspekte im Rahmen von kollisions- und anerkennungsrechtlichem ordre public als materieller ordre public gleichbehandelt Der prozessuale ordre public taucht dann nur im Rahmen der Entscheidungsanerkennung auf. 1277
Statt aller Schütze [DtiZPR], 1985, S. 143.
1278
Statt aller Schütze [DtiZPRJ, 1985, S. 143.
1279
Vgl. Martiny [Hdb IZVR 111!1], 1984, Rz 1016.
254
§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
das häufig verdeckte Zusprechen pauschalierten, Verfahrenskosten deckenden Schadensersatzes genannt 1280.
Wie auch in anderen Bereichen des Internationalen Privat- und Prozeßrechts zeigt sich, daß eine scharfe Differenzierung zwischen decisoria und ordinatoria litis nicht stringent durchzuhalten ist 1281 •
8. Voller und abgeschwächter ordre public Die Frage nach der Existenz eines gesonderten anerkennungsrechtlichen ordre public-Begriffs, der sich durch seinen generellen "effet attenue"' von seinem Gegenstück im Kollisionsrecht unterscheiden soll, wurde oben 1282, was dessen abgeschwächte Wirkung betrifft, verneint. Als Ursache des faktisch selteneren Eingreifens des ordre public bei der Anerkennung fremder Entscheidungen hat sich der typischerweise geringere Inlandsbezug des konkreten Falls herausgestellt.
C. Ordre public interne und ordre public international Das wohl schillerndste Gewand des ordre public ist sein "internationales" 1283.
I. Der ursprüngliche Ansatz Brochers Die erste begriffliche Unterscheidung zwischen ordre public interne und ordre public international wird meist auf Charles Brocher zurückgeführt 1284• Nach Auffassung Brochers ist der ordre public interne mit dem innerstaatlichen
1280 Vgl. z.B. BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (325 f., 332 f., 340 f.). Ebso Koch [Schadensersatz], NJW 1992, S. 3073 (3075). 128 1
Vgl. hierzu Schack (IZVR], 1991, Rz 40, 125, 656 ff.
1282
Vgl. oben S. 51.
Die Etiketten heißen auch ordre public der Iex fori, domestic public policy, interner ordre public oder Internationaler ordre public. 1283
1284 Vgl. Broc/zer [Cours de droit international prive suivant !es principes consacres par Je droit positiv francais, Bd. I], 1882, S. 108 ff. So z.B. Niboyet [ordre public], 1931, Nr. 3. Despagnet [ordre public], J.D.I. (Ciunet) 16 (1889), S. 5 (207 Fn 2) glaubt schon bei den Römern jedenfalls eine stillschweigende Unterscheidung nachweisen zu können. Ago [regles], RdC 58 (1936-IV), S. 243 (426 Fn 1) nennt dagegen den Italiener Esperson (1868) als Begriffsschöpfer. Vgl. hierzu ferner Jayme [Methoden], 1989, S. 62 Fn 148 oder Wunderer [arbitrage], 1993, S. 121 f. sowie den Wortlaut von Art. 6 C.civ. im AnhangS. 310.
C. Ordre public interne und ordre public international
255
ius cogens deckungsgleich 1285, hat also mit dem Internationalen Privat- oder Zivilverfahrensrecht nichts zu tun 1286• Weniger verwechselungsträchtig wäre der Begriff ordre public contractue/1287• Synonym für den so verstandenen ordre public interne "französischer Lesart" wird häufig auch der Begriff ordre public national gebraucht 1288• Hingegen sind mit den lois d'ordre public international i.S. Brochers diejenigen nationalen Normen gemeint, die auch gegenüber dem nach allgemeinem Kollisionsrecht berufenen ausländischen Sachstatut Geltung beanspruchten 1289• Weniger verwechslungsträchtig und damit vorzugswürdig wäre hier die Verwendung des Begriffs ordre public au sens du droit international prive1290• Nach modernerer Terminologie und Dogmatik ist Brochers Begriff vom ordre public international - in seiner damaligen Interpretation - einem sehr weit gefaßten System unter Einschluß unseres kollisionsrechtlichen ordre public in Art. 6 EGBGB und der international zwingenden Eingriffsnormen bzw. den lois d'application immediate vergleichbar1291 • 1285 So auch das Begriffsverständnis bei Despagnet [ordre public], J.D.I. (Ciunet) 16 (1889), S. 5 (207 f.); Batiffol I Lagarde [DrlntPr 1], 1993, no 354 a.E., 363; Kropholler [IPR], 1994, § 36 I, S. 222; Spickhoff[ordre public], 1989, S. 87; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 992; Groos [Schiedsgerichtsbarkeit], RIW 1987, S. 343 (346); Raape I Sturm [IPR I], 1977, § 13 III 1, S. 203; Weigand (dt.-sp. Rechtsverkehr], 1992, S. 234; G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 24; Neumayer [Funktion], FS-Dölle, 1963, S.177 (184). Ähnl. auch Wuppermann [Vorbehalt], 1977, S. 2 f., 11, der aber unter internem ordre public - etwas enger- den sachrechtlichen, etwa die in den Regelungen von § 138 BGB oder§ 1041 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zum Ausdruck kommenden guten Sitten, verstanden wissen will. 1286 Vgl. Mayer [DrlntPr], 1991, no 207; Jaenicke [Frage], BerDGesVR 7 (1967), S. 77 (80); Reichelf [ordre public], ZfRVgl 16 (1975), S. 217 (218). Ablehnend deshalb schon Niboyet (ordre public], 1931, Nr. 7. 1287
So Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (213 Fn 8).
Z.B. bei Raape I Sturm [IPR 1], 1977, § 13 III 1, S. 203; Spickhoff(ordre public], 1989, S. 87. Differenzen will wiederum Jaenicke [Frage], BerDGesVR 7 (1967), S. 77 (80) feststellen . 1288
1289 So auch das Begriffsverständnis bei Despagnet [ordre public], J.D.l. (Ciunet) 16 (1889), S. 5 (207 f., 216 ff.); Bucher [Schweiz], 1989, Rz 250; Raape I Sturm [IPR 1], 1977, § 13 III 1, S. 203; Weigand [dt.-sp. Rechtsverkehr], 1992, S. 234; wohl auch Seizack [IZVRJ, 1991, Rz 867. 1290 So Goldmann [arbitrage], FS-Sanders, 1982, S. 153 (168 Fn 38). Kritisch auch Matray [arbitrage], FS-Sanders, 1982, S. 241 (242 Fn 5). 129 1 Vgl. Firsching/ v. Hoffmann [IPR], 1995, Rz 146; Schütz [ordre public], 1984, S. 8 f, 52 f.; Pentzlin [Ordnungsprinzip], 1985, S. 12 Fn 18. A.A. wohl M.J. Schmidt [Durchsetzung], 1991, S. 150 f. Blumenwitz [Staudinger-12], 1991, Art. 6 EGBGB
256
§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
II. Der Ansatz des BGH Erstaunlicherweise war der BGH in einem Urteil des Jahres 1967 1292 der Auffassung, auch im deutschen "Internationalen Zivilprozeßrecht biete(t) sich eine ähnliche Differenzierung [zwischen ordre public interne und ordre public international) an" 1293 •
Er beschränkte dies zunächst auf die Anerkennung von Urteilen ausländischer staatlicher Gerichte 1294• Unklar bleibt allerdings, weshalb das Gericht der Auffassung war, die Übernahme dieser schon im Internationalen Privatrecht nach moderner Dogmatik im Kern erkenntnisfreien und überflüssigen Differenzierung biete sich auch für den Bereich der internationalen Entscheidungsanerkennung an, waren doch Stimmen in der Literatur, die behaupteten, der gesamte Bestand an zwingendem nationalem Recht gehöre zum anerkennungsrechtlichen oder auch kollisionsrechtlichen ordre public nur auf eng begrenzte Teilbereiche beschränkt und im übrigen vereinzelt geblieben 1295 • Rechtsprechung, die diesen Auffassungen gefolgt wäre, ist nicht bekannt geworden. Die begriffliche Unterscheidung unterschiedlicher Dinge kann zwar nicht als "falsch", aber im Fall des ordre public als überflüssiger, terminologische Verwirrung beschwörender Ausdruck einer wissenschaftlichen Banalität1296 Rz 56; Coester-Waltjen [IntBewR), 1983, Rz 72 ziehen zu Recht die Parallele zur "positiven Funktion" des ordre public. 1292
BGH v. 18/10/67, BGHZ 48,327 (331).
Vgl. auch BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (330); BayObLG v. 09/06/93, FamRZ 1993, S. 1469; OLG Bamberg v. 18/12/86, RIW 1987, S. 541 (542). In diesem - zweifelhaften - Sinn wird der Begriff inzwischen auch von Teilen der Literatur verwandt, vgl. z.B. Gottwald [MünchKomm-ZPO), 1992, IZPR Art. 27 EuGVÜ Rz 7. 1293
1294 Zur später in Urt. v. 15/05/86, BGHZ 98, 70 (74) vorgenommenen Übernahme der terminologischen Unterscheidung auch auf den Bereich der Anerkennung von ausländischen Schiedssprüchen vgl. unten S. 257.
1295 Vorschläge in diese Richtung unternahmen immerhin Mezger [Verstoß), NJW 1970, S. 368 (369 f.); Altenmüller [Überprüfung], KTS 1974, S. 150 (156); 1'. Heymann [ordre public ), 1969, S. 175, erstere allerdings nur für den Bereich der Vollstreckbarerklärung inländischer Schiedssprüche im Gegensatz zu ausländischen. V. Heymann lehnt diese Differenzierung hingegen ab. Ähnlich jüngst wieder 1'. Bernuth [Doppelkontrolle ), 1995,S.17. 1296 Ebso Kornblum [Gebot], NJW 1987, S. 1105. Ähnl. kritisch Schlosser [Schiedssprüche], IPRax 1991, S. 218; Reicheil [ordre public], ZfRVgl 16 (1975), S. 217 (218). Unklar "· Bemuth [Doppelkontrolle], 1995, S. 17 einerseits, S. 45 andererseits. Bei gleicher Analyse kommt zum gegenteiligen Ergebnis ("nicht falsch oder sinnlos") 1'. WinteTfeld [ordre public], NJW 1987, S. 3059 (3060), der sofort (Fn 7) Opfer der terminologischen Verwirrung wird, und das internationalzivilprozessuale
C. Ordre public interne und ordre public international
257
bezeichnet werden: der ordre public interne des französischen Rechtskreises hat mit den Erscheinungsformen des ordre public im Internationalen Privatund Zivilverfahrensrecht im Grunde nichts zu tun. Die immerhin erkennbare funktionelle Ähnlichkeit ist äußerst beschränkt: beim ordre public interne i.S. Brochers handelt es sich ebenfalls um einen Vorbehalt der Rechtsordnung, nämlich gegenüber der Ausübung der ansonsten gestatteten Privatautonomie. Der schillernde Begriff des ordre public international mit seinen ihm schon zuvor unter ganz anderen Aspekten zugeschriebenen Inhalten 1297 und den damit kaum zu verhindernden Mißverständnissen war damit ohne "terminologische Not" auch in die deutsche Rechtsprechung eingeflossen.
111. Sonderproblem Schiedsgerichtsbarkeit 1. Die Unterscheidung zwischen schiedsrichterlichem und staatsgerichtlichem ordre public a. Ausgangspunkt Ihrer Funktion und Wirkung nach ist die Schiedsgerichtsbarkeil materiell Rechtsprechung 1298 . Grundsätzlich haben die Vorbehaltsklauseln beider Bereiche auch dieselbe Funktion 1299: die Lösung eines Interessenkonflikts und die Art und Weise seiner Findung durch einen Spruchkörper, der nicht Teil der deutschen staatlichen Gewalt ist, soll von eben dieser staatlichen Gewalt auf völlige Unverträglichkeit mit nach deutschen Vorstellungen unabdingbaren Grundvorstellungen von "Recht"sprechung geprüft werden können. Das führt zum Ausgangspunkt, daß im Rahmen der Anerkennung von Schiedssprüchen jedenfalls im Ansatz dieselben Grundsätze wie bei der Aner-
Pendant des von ihm aus kollsionsrechtlicher Sicht definierten ordre public international im ordre public d'effet attbme sieht. 1297 Unklar die Verwendung des Begriffs z.B. bei Gottwald [Freizügigkeit), 1992, S. 155 (166). Pentzlin (Ordnungsprinzip), 1985, S. 31 ff. versucht mit gewissem Erfolg, sich einem kleinen Ausschnitt der Konzeptionen internationaler ordre publies graphisch zu nähern. 129 8 St. Rspr. Vgl. z.B. BGH v. 19/ 12/68, BGHZ 51, 255 (258); v. 05/11/70, BGHZ 54, 392 (395); v. 03/07/75, BGHZ 65, 59 (61); v. 05/05/86, BGHZ 98, 32 (36); v. 15/05/86, BGHZ 98,70 (72) m.w.N. Ebso z.B. G.H. Rolli [ordre public], 1967, S. 127. 1299
17 Völker
Vgl. Geimer [Zöller-ZPOJ, 1995, § 1041 Rz 51.
258
§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
kennungvon Urteilen staatlicher Gerichte gelten müssen 1300• Abweichungen im Maßstab wären zu begründen. Aus dem "besonders ungereimten" 1301 Befund, daß ausländische Schiedssprüche de lege lata, betrachtet man die Gesamtheit der Voraussetzungen von § 328 und § 1044 ZPO, "sehr viel leichter" anerkannt werden als Urteile ordentlicher Gerichte, läßt sich jedenfalls noch nicht schließen, daß damit auch die Hürde des ordre public leichter zu nehmen sein sollte. Wunderer1302 zieht allerdings aus der richtigen Analyse, ein ausländisches Urteil verdanke seine Bedeutung der Staatshoheit, der Schiedsspruch aber habe letztlich seine Ursache in einer privaten Vereinbarung der Parteien, den nicht ohne weiteres nachvollziehbaren, und von ihr auch nicht konkretisierten Schluß, es gehe im Schiedswesen um einen "eigenständigen" ordre public d'arbitrage. Auch von Heymann 1303 hält, unter anderem wegen der in vieler Hinsicht geringeren und weniger bestandskräftigen Rechtswirkungen eines Schiedsspruchs und der schwächeren staatlichen Kontrolle von Ergebnis und Ergebnisfindung, die Vorbehaltsklauseln für kaum vergleichbar. Empirisch ergeben sich immerhin, wie ein Blick in die Rechtsprechung zeigt, aufgrund der Eigentümlichkeiten des schiedsgerichtlichen Verfahrens jedenfalls Unterschiede in den in der Praxis im Vordergrund stehenden ordre publicsensiblen Bereichen. Beispielsweise wird bei ausländischen staatsgerichtlichen Verfahren ein Verstoß gegen den Grundsatz überparteilicher Rechtspflege seltener virulent werden.
b. Diskussion in der Schweiz Das schweizerische IPRG unterscheidet begrifflich zwischen dem gegenüber fremdem Recht oder der Anerkennung von Urteilen fremder staatlicher Gerichte zum Zuge kommenden "schweizerischen ordre public" in Art. 17 bzw. 27 Abs. 1 IPRG und dem zur Anfechtung eines internationalen Schiedsspruchs berechtigenden Verstoß gegen "den ordre public" in Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG 1304 . Ob aus dem Fehlen des Wortes "schweizerisch" allerdings Schlüsse zu ziehen sind, und Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG deshalb liberaler gehandhabt
1300 Schlosser [St/J-ZPOJ, 1994, § 1041 Rz 21 ; Kornblum [ordre public], 1987, FSNagel, S. 140 (147 f.). 1301
So Schack [IZVR], 1991, Rz 790.
1302
Wunderer [arbitrage], 1993, S. 135.
130J
Vgl. v. l/eyma1111 [ordre public], 1969, S. 174 f .
1304
Vgl. die Vorschriften im AnhangS. 312.
C. Ordre public interne und ordre public international
259
werden kann als Art. 27 Abs. 1 IPRG, wird in der schweizerischen Literatur kontrovers diskutiertl3°5 • c. Verfassungsrechtliche Vorgaben Im Hinblick auf Art. 1 Abs. 3 GG und den nicht universellen Geltungsanspruch der Verfassung sind die Grundrechte und sonstigen verfassungsmäßigen Rechte in schiedsgerichtlichen Verfahren nicht mit derselben Stringenz durchzusetzen wie gegenüber Verfahren der- wie Geimer1306 zu Recht hervorhebtdeutschen staatlichen Gerichte. Ausländische staatliche Gerichte unterliegen aber ebensowenig unmittelbar der Bindung durch die deutsche Verfassung wie ausländische oder internationale Schiedsgerichte. Insofern besteht nach der hier vertretenen Auffassung jedenfalls von Verfassungs wegen kein Grund, Verfahren und Entscheidungsinhalt ausländischer staatlicher oder privater (Schieds-) Gerichte unter dem Blickwinkel des ordre public-Verstoßes unterschiedlich zu behandeln 1307•
d. Volenti non fit iniuria? Die Parteien verzichten immerhin durch Unterzeichnung der Schiedsklausel auf einen Teil des Schutzes der staatlichen Justiz. Sie haben sich damit freiwillig der internationalen oder nationalen Schiedsgerichtsbarkeil aus Gründen präsumtiv größere Sachkunde, schnellerer Entscheidung, größerer Diskretion und jedenfalls faktisch einfacherer internationaler Durchsetzung 1308 unterworfen. Alle diese von den Parteien durch Ausschluß der staatlichen Gerichte verfolgten Ziele werden durch eine - möglicherweise durch drei Instanzen gehende - Prüfung der Entscheidung in einem Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren konterkariert.
13°5 Befürwortend z.B. Vischer (schwiPRG], 1993, Art. 17 Rz 31; Heini (ordre public], FS-Habscheid, 1989, S. 153 (154); Buclrer [Schweiz], 1989, Rz 354. Dagegen verneinend Walter I Bosclr I Brönnimann [Schiedsgerichtsbarkeit], 1991, S. 231; Lalive I Poudret I Reymond [arbitrage], 1989, Art. 190 Anm. 5 e. Vgl. auch Art. III Abs. llit. c dt.-brit. AnVollstrAbk, hierzu unten Fn 1420. 1306
Geimer [Anerkennung], 1995, S. 35.
13°7 Geimer (Anerkennung], 1995, S. 35 will jedenfalls für das Erfordernis des recht-
lichen Gehörs und des fairen Verfahrens, eine Unterscheidung nicht vornehmen. 1308 Vgl. zu den aufgeführten Gründen z.B. Wunderer [arbitrage), 1993, S. 2 ff. m.w.N. 17•
260
§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
Gilt damit möglicherweise der Satz volenti non fit iniuria 1309 oder liegt ein Anwendungsfall des Verbots des venire contra factum proprium vor, wenn sich der im Schiedsverfahren Unterlegene im -selten notwendig werdendennachfolgenden Exequaturverfahren auf "Unzulänglichkeiten" des Verfahrens oder des Spruchinhalts beruft, die möglicherweise vor einem staatlichen Gericht nicht aufgetreten wären? Tendenzen in diese Richtung scheinen jedenfalls in der neueren Rechtsprechung des BGH anzuklingen, wenn das Gericht feststellt, daß bei der Anerkennung ausländischer Schiedssprüche unter dem Gesichtspunkt des ordre public jedenfalls keine strengeren Anforderungen als bei Urteilen staatlicher Gerichte zu stellen sind 1310 und ausdrücklich betont, im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit bestehe "vielmehr besonderer Raum" für privatautonome Gestaltun· gen 1311_ Vorsichtig zweifelnd äußert sich auch Geimer1312, der vor diesem Hintergrund soweit es um die Wahrung unmittelbarer Staatsinteressen geht sämtliche Klauseln zwar für völlig übereinstimmend hält. Andererseits seien Divergenzen, sofern es um den Schutz von Parteiinteressen gehe "möglicherweise vorstellbar".
1309 Vgl. Digesten 47, 10, 1 § 5 a.E. (Uipian). Ähnl. Stein [Herausforderung], EuZW 1994, S. 18 (20) betreffend die parteiautonome RechtswahL In diese Richtung wohl auch Heini [ordre public], FS-Habscheid, 1989, S. 153 (159); Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 18; Kühn [RICO], FS-Giossner, 1994, S. 193 (204). Zweifelnd Wuppermann [Vorbehalt], 1977, S. 14 f. Ähnl. Wunderer [arbitrage], 1993, S. 159, die hieraus ein Argument für die Differenzierung zwischen ordre public d'arbitrage international und interne gewinnen will.
1310 Zust. Wunderer [arbitrage], 1993, S. 141; Kornblum [Gebot], NJW 1987, S. 1105 (1106). Ebso Schlosser [St/J-ZPO], 1994, § 1044 Rz 19. Ähnl. H.J. Maier [MünchKomm-ZPO], 1992, § 1041 Rz 14. In diese Richtung wohl auch Hermanns [Verletzung], IPRax 1987, S. 353 (355). 1311 Vgl. BGH v. 15/05/86, BGHZ 98, 70 (74). Wunderer [arbitrage], 1993, S. 141 f. meint hierin sogar einen Hinweis zu sehen, das Gericht wolle einen weniger strengen Maßstab als bei der Urteilsanerkennung anlegen. Dagegen wohl H.J. Maier (MünchKomm-ZPO], 1992, § 1041 Rz 14.
1312 Geimer (Zöller-ZPO], 1995, § 1041 Rz 51. Die von ihm ebda Rz 51 f. angedeuteten Stufen sinkender "Angriffsintensität" für den Bereich des Schutzes von Parteiinteressen wären also Art. 6 EGBGB, § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, sowie wohl gleichrangig - s. ders. [Anerkennung], 1995, S. 204; ders. [IZPRJ, 1993, Rz 3771- §§ 1041 Abs. 1 Nr. 2, 1044 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Vgl. ferner ders. [Gerichtspflichtigkeit], IPRax 1987, s. 143 ( 146).
C. Ordre public interne und ordre public international
261
Diese "mögliche" Einschränkung ist aber nur auf den ersten Blick überzeugend. Der Ansatz verkennt, daß dieselben parteiautonomen Gestaltungsmöglichkeiten, die, sind sie vorgenommen, tatsächlich zu einer Modifikation der Maßstäbe führen können, auch in ganz anderen Konstellationen erscheinen: Durch eine Gerichtsstandsklausel wählen die Parteien auch im Bereich staatlicher Gerichtsbarkeit das anwendbare Verfahrensrecht Durch Rechtswahlklauseln entscheiden die Parteien, welches materielle Recht mit seinen dahinterstehenden Prinzipien das zwischen ihnen bestehende Rechtsverhältnis regieren soll. Diese parteiautonomen Gestaltungen findet der deutsche Zweitrichter, der über die Anerkennung eines ausländischen Urteils zu befinden hat ebenso vor, wie der mit einer der vielfältigen Rechtswahlmöglichkeiten des Internationalen Privatrechts befaßte deutsche Erstrichter. Nicht anders verhält es sich mit dem inländischen Richter, der mit der Prüfung der Vollstreckbarerklärung oder Aufhebung eines "inländischen" Schiedsspruchs, dem ausländisches materielles Recht zugrunde liegt, befaßt ist. Insofern ist es auch nicht überzeugend, wenn Kühn 1313, der die Anerkennungsfähigkeit von in einem staatlichen Urteil zugesprochenen punitive damages ablehnt, Sympathien dafür hegt, in einem Schiedsspruch zugesprochene Strafschadensersatzansprüche anzuerkennen, wenn und weil die Parteien, gegebenenfalls auch konkludent, eine Rechtsordnung gewählt haben, die solche Ansprüche gewährt. Er neigt dazu, in der Schieds- und Rechtswahlklausel die vertragliche Vereinbarung von Strafschadensersatzansprüchen zu sehen, was dann dem deutschen Rechtsinstitut der Vertragsstrafe (§§ 339 ff. BGB) vergleichbar sei. Warum dieselbe Überlegung aber bei Prorogation eines staatlichen Gerichts und Wahl derselben Rechtsordnung nicht auch gelten soll, ist schwer einsichtig1 314. Überzeugender erscheint hingegen ein weiterer Ansatz, der allerdings nur für einen Ausschnitt der "problematischen" Schiedssprüche verfängt. Der Schiedsrichter ist in seiner Rechtsfindung freier als der staatliche Richter. Dasser meint deshalb, es sei widersprüchlich und nicht schätzenswert, wenn dieselben Parteien nachträglich nun deshalb den staatlichen Richter anriefen, weil sich die Schiedsrichter "in guten Treuen und nach reiflicher Überlegung einer experimentellen Rechtsfindung verschrieben haben, die von anerkannten Juristen und manchem Gesetzgeber unterstützt wird" 1315. Liegt eine solche Konstellation vor, kann man sich dem Argument eines Verbots des venire contra factum proprium nicht vollständig verschließen, das 1m Vgl. Kiihn [RICO], FS-Giossner, 1994, S. 193 (204). 1314 Auch das ZivG Basel v. 01/02/89, BJM 1991, S. 31 (37) zieht für das schweizerische Recht die Parallele zur Konventionalstrafe. 13 15 Dasser [Iex mercatoria], 1989, S. 285 f.
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§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
ermöglicht, den Maßstab im Vergleich zu dem der Anerkennung von Urteilen staatlicher Gerichte etwas zu verschieben. Auch hier liegt die tiefere Ursache für die Verschiebung des Maßstabs aber tatsächlich in der unterschiedlichen Binnenbeziehung. Die Parteien haben sich bewußt ein Stück von den nationalen (Sonder-)Vorstellungen ihrer Herkunftsländer emanzipiert. Wird später Vollstreckung aus dem Schiedsspruch in einem ihrer Herkunftsländer gesucht, kann dies über die geringere Inlandsbeziehung berücksichtigt werden. Das Kriterium der Parteiautonomie ist damit zwar bei der Festlegung des für den konkreten Fall geltenden ordre public-Maßstabes berücksichtigungsfähig, taugt aber nicht zur generellen, vom Einzelfall unabhängigen Schematisierung verschiedener ordre public-Maßstäbe. Andere argumentieren -jedenfalls für den grenzüberschreitenden Bereich -, die Tatsache, daß sich die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit auf dem Hintergrund internationaler Handels- und Wirtschaftsbeziehungen entwickelt habe, verlange eine stärker universalistisch geprägte und damit liberalere ordre public-Prüfung als gegenüber Urteilen 1316• Immerhin liegt in der Vereinbarung der Zuständigkeit eines internationalen Schiedsgerichts gleichzeitig der Verzicht auf Prozeßführung vor einem staatlichen Gericht. Die Vertragsparteien wünschen keine Streitentscheidung durch Institutionen irgendeines Staates. Wird darüber hinaus noch eine "anationale" Verfahrensordnung gewählt und - in der Praxis selten - "internationalisiertes" Recht1317, als den Konflikt materiell entscheidendes Recht gewünscht, verstärkt sich der Eindruck, die Parteien begehrten eine möglichst weitgehende Loslösung vom jeweiligen, national ausgerichteten und nicht auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen rechtlichen Korsett. Der als solche wohl zu pauschale bloße Hinweis auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung der "Erfordernisse des internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehrs" wird aber bereits bei der Anerkennung von Urteilen staatlicher Gerichte gegeben. Der internationale Handel löst zwar faktisch seine Rechtsstreitigkeiten weitgehend unter Ausschaltung des Rechtswegs vor die staatlichen Gerichte. Es fehlt aber nach der hier vertretenen Auffassung jeder Sachgrund, die verbliebenen, vor die staatlichen Gerichte getragenen Streitfälle "des internationalen Handels" im Exequaturverfahren allein deshalb einem strengeren Regime zu unterwerfen. Die Parteien hätten statt der Zuständigkeit des internationalen Schiedsgerichts auch die eines ausländischen staatlichen
1316
So z.B. Koch [Anerkennung], 1987, S. 161 (187).
1317
Z.B. die Iex mercatoria.
C. Ordre public interne und ordre public international
263
Gerichts vereinbaren können. Die "Internationalität" des streitigen Rechtsverhältnisses und die Erfordernisse und Bräuche des internationalen Handels sind zweifellos berücksichtigungsfähige Abwägungstopoi, aber sie sind eben nicht auf Schiedsurteile beschränkt 1318 • Weder im Rahmen der parteischützenden Funktion noch soweit unmittelbare Staatsinteressen betroffen sind, die von einem Schiedsspruch auch nicht stärker berührt werden als von einem Urteil eines fremden staatlichen Gerichts, ist deshalb einzusehen, die Beteiligten wegen der Wahl eines Schiedsgerichts anders zu stellen. Man kann weiterhin argumentieren, daß die Toleranzschwelle gegenüber ausländischen Verfahren vor staatlichen Gerichten unter dem Gesichtspunkt ordre public ja schon bis zur Grenze des schlechterdings Unerträglichen hinausgeschoben ist. Sieht man hierin nicht lediglich ein Lippenbekenntnis, ist der Spielraum für darüber hinausgehende parteiautonome Gestaltungsmöglichkeiten aufgebraucht. Außerdem wird durch eine Gleichbehandlung dem wirtschaftlich Starken die Möglichkeit genommen, sich durch Vereinbarung eines dubiosen Schiedsgerichts, einem rechtsstaatliehen Verfahren weitestgehend zu entziehen.
e. Problem Doppelexequatur Verwendet man im Rahmen der Anerkennung von Schiedssprüchen einerseits und im Rahmen der Anerkennung von Urteilen staatlicher Gerichte andererseits einen, in welche Richtung auch immer, unterschiedlich strengen ordre public-Maßstab, handelt man sich ein weiteres dogmatisches Problem in Fällen des Doppelexequaturs 1319 ein. Folgt man nicht einer verbreiteten, in dieser Konstellation den Grundsatz exequatur sur exequatur ne vaut vertretenden Literaturansicht 1320, sondern läßt
1318 Ebso Lalive I Poudret I Reymond [arbitrage], 1989, Art. 190 Anm. 5 e. Unklar Batiffol I Lagarde [DrlntPr 1], 1993, no 365. 1319 Präziser und weniger verwechslungsträchtig als Exequatur des Exequatur zu bezeichnen, vgl. Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 118 Fn 1. 1320 Grundlegend mit beachtlichen Gründen jüngst Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 129, 132 f. I.Erg. ebso Martiny [Hdb IZVR IIU1], 1984, Rz 371 f.; Schwab I Walter [Schiedsgerichtsbarkeit), 1995, Kap. 30 Rz 13, Kap. 42 Rz 5; Gottwald [MünchKommZPO], 1992, § 328 Rz 38 u. § 722 Rz 16; Geimer [Zöller-ZPO], 1995, § 722 Rz 8, 11; Kahler [Einheit], IPRax 1992, S. 277 (279 Fn 16) sowie Schack [IZVR], 1991, Rz 936 f.; Geimer I Schütze [IntUrtAn Ul ], 1983, S. 985 f. für den Bereich des EuGVÜ.
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§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
mit der Rechtsprechung 1321 und der wohl überwiegenden Meinung 1322, jedenfalls bei OS-amerikanischen und englischen Exequatur-Urteilen, der doctrine of merger 1323 folgend sowohl Anerkennung und Vollstreckbarerklärung des staatlichen Urteils gern. §§ 328, 722 ZPO wie die des Schiedsspruchs nach UNÜ zu, entstehen nur dann keine Wertungswidersprüche, wenn die jeweiligen ordre public Vorbehalte in Gehalt und Maßstab identisch gehandhabt werden. Die Bildung einer Unterfallgruppe des "ordre public gegenüber Exequatururteilen", die dann hinsichtlich der ordre public-Prüfung entweder wie "echte Urteile" eines staatlichen Gerichts oder wie ein Schiedsspruch behandelt werden würden, erscheint unbefriedigend.
f. Ergebnis Es handelt sich bei beiden Klauseln um dasselbe Instrument, eingesetzt zur Erreichung desselben Zwecks. Begriffliche Unterscheidungen sind nicht notwendig. Allerdings sind unbestreitbar spezifische Verstöße im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeil möglich 1324• Auch die Anwendungsschwerpunkte mögen auf anderen Bereichen, insbesondere dem verfahrensrechtlichen Sektor, liegen. Die "Angriffsintensität" des ordre public ist gegenüber Schiedssprüchen und Schiedsverfahren aber nicht geringer als gegenüber Urteilen 1325 • Es handelt sich in den Worten Roths
1321 Vgl. BGH v. 10105184, NJW 1984, S. 2763; v. 27103184, NJW 1984, S. 2765 f.; OLG Harnburg v. 05111191 NJW-RR 1992, S. 568. A.A. LG Harnburg v. 24104/79, IPRspr. 1979, Nr. 223 (belg. Schiedsspruch).
1322 Vgl. u.a. Sclriitze (Doppelexequierung], ZZP 77 (1964), S. 287 (290 f.); ders. [Exequatururteil], RIW 1984, S. 734 f. ; ders. [DtiZPR), 1985, S. 134 f.; Schlosser (RipS], 1989, Rz 884, 908, 915 f. m.w.N. ausländ. Praxis; ders. (Doppelexequatur), IPRax 1985, S. 141; Hartmann [BIUNH-ZPO), 1996, § 328 Rz 8; Schumann (St/JZPO], 1988, § 328 Rz 103, 25la; Zimmermann [ZPO), 1995, § 1044 Rz I; Engelhardt [Schiedsgerichtsbarkeit), JZ 1987, S. 227 (230). Ähnlich für das schweizerische Recht Salmer [Schiedssprüche), 1994, S. 14 f. m.w.N. auf die nämliche Rechtslage in weiteren Staaten. 1323
Hierzu Kilgus (Schiedssprüche), 1995, S. 123 ff. m.w.N.
Vgl. H.J. Maier (MünchKomm-ZPO), 1992, § 1041 Rz 14; Sclrwab I Waller [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 24 Rz 24 jeweils für das Verhältnis inländischer Schiedsspruch -ausländisches Urteil eines staatlichen Gerichts. 1324
1325 Ebso Geimer [Anerkennung], 1995, S. 204; ders. (IZPR ), 1993, Rz 3919; Nagel (IZPR], 1991, Rz 678; H.J. Maier (MünchKomm-ZPO), 1992, § 1041 Rz 14; Kambium [ordre public], 1987, FS-Nagel, S. 140 (147 f.); G.H. Roth [ordre public), 1967, S. 178; 1'. Brunn [Nachprüfbarkeit), NJW 1969, S. 823 (825); wohl auch K.P. Rölrl (AK-ZPO], 1987, § 1041 Rz 9. Ebso Waller/ Bosclr I Brömrimamr (Schiedsgerichtsbarkeit), 1991,
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"um ein und denselben Vorbehalt des ordre public, nämlich um den "ordre publicVorbehalt gegenüber fremden gerichtlichen Entscheidungen'"' 1326.
2. Ordre public d'arbitrage interne und ordre public d'arbitrage international Mit der Frage, ob im Rahmen der ordre public-Prüfung bei der Anerkennung zwischen Schiedssprüchen und Urteilen staatlicher Gerichte ein generell unterschiedlicher Maßstab anzulegen ist untrennbar verquickt, die noch kontroverser diskutierte Frage, ob insoweit nicht eine Differenzierung zwischen "inländischen" und "ausländischen" Schiedssprüchen vorgenommen werden muß.
a. Die überwiegende Ansicht Der BGH 1327 und ihm folgend die wohl überwiegende Literatur 1328 unterscheidet auch im Rahmen der Anerkennung von Schiedssprüchen zwischen einem (strengeren) ordre public (d'arbitrage) interne, der gern. § 1041 Abs. 1 Nr. 2 ZPO gegenüber inländischen Schiedssprüchen zur Anwendung kommt, und dem "regelmäßig" weniger strengen Regime des ordre public (d'arbitrage) international, das gegenüber ausländischen Schiedssprüchen gelten soll. Auch
S. 231, 234; Lalive I Poudret/ Reymond [arbitrage], 1989, Art. 190 Anm. 5 e für das schweizerische Recht. 1326
G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 179.
Grundlegend BGH v. 15/05/86, BGHZ 98, 70 (73 f.), fortgeführt in Urt. v. 18/01/90, BGHZ 110, 104 (107). Ähnl. schon OLG Harnburg v. 03104175, MDR 1975, S. 940. 132 7
1328 Schlosser [St/J-ZPO], 1994, § 1044 Rz 19; ders. [Schiedssprüche], IPRax 1991, S. 218 (219); Albers [BIUA!H-ZPO], 1996, § 1044 Rz 10; Wunderer [arbitrage], 1993, S. 138 ff.; Marx (Schiedssprüche], 1994, S. 80; v. Bernuth [Doppelkontrolle], 1995, S. 17; Bredow [Anm. zu BGH v. 18101/90], EWiR § 1044 ZPO, 1/90, S. 723 (724); ders. [8/B/G/S-IntRvk], 1991, CI 3 b, Nr. 714, UNÜ Art. 5 Anm. d.; SchiUze [Schiedsgericht], 1991, Rz 147, 152 (anders ders. in Fn 1340); Zimmermann [ZPO], 1995, § 1044 Rz 8; Weiter [Anm. zu BGH v. 15105186], WuB VII A. § 1044 ZPO, 1.87; wohl auch Glossner I Bredow I Biihler [Schiedsgericht], 1990, Rz 531 ; Bartos [Handelsschiedsgerichtsbarkeit], 1984, S. 55 ff. Davor schon, ohne die Terminologie zu gebrauchen, Mezger [Verstoß], NJW 1970, S. 368 (369 f.). Raeschke·Kessler [Rspr], JbPrSchG 2 (1988), S. 225 (240); etwas unklar ders. [Binnenmarkt], EuZW 1990, S. 145 (146), definiert zunächst den Maßstab des ordre public international anhand internationaler (Verfahrens-)Standards, setzt ihn im Ergebnis dann aber mit dem ordre public national gleich.
266
§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
in diesem Zusammenhang wird teilweise von einer "abgeschwächten Wirkung" gesprochen 1~29 • Im Rahmen der Anerkennung von Schiedssprüchen würde die begriffliche Unterscheidung, akzeptiert man die dahinterstehende Begründung, auch Sinn ergeben. Hier bestünde, im Gegensatz zum Bereich des Kollisionsrechts und der Urteilsanerkennung 1330, ein echtes Abgrenzungsbedürfnis zweier unterschiedlicher Maßstäbe, die man auch terminologisch nachzeichnen sollte. Hiernach sei ein nationaler Schiedsspruch aus Gründen des ordre public d'arbitrage interne aufzuheben und eine Vollstreckbarerklärung 1331 zu versagen,
"wenn er sich über einen Kernbereich von zwingenden Normen hinwegsetzt, welche die Grundlagen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens berühren und die aufgrund bestimmter staatspolitischer, sozial- oder wirtschaftspolitischer Zielsetzungen heraus erlassen wurden, nicht nur aus bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen"t33Z.
Es fällt jedoch auf, daß die dieselbe Formulierung, bestenfalls paraphrasiert, seit reichsgerichtliehen Zeiten 1333 von der Rechtsprechung wie von der Literatur auf sämtliche Vorbehaltsklauseln von Art. 6 EGBGB 1334 über § 328 Abs. 1
1329 So Wunderer [arbitrage), 1993, S. 155, wobei unklar bleibt, ob dahinter dieselbe Überlegung steht, wie im Rahmen der ebenfalls von ihr (S. 127 f.) dahingehend vorgenommenen Differenzierung zwischen anerkennungsrechtlichem und kollisionsrechtlichem ordre public. 1330
Hierzu oben S. 256.
Schlosser [St/J-ZPO), 1994, § 1041 Rz 24a weist zu Recht darauf hin, daß Aufhebung und Versagung der Vollstreckbarerklärung nicht zwingend gleichlaufen müssen. Wenn etwa der einzige Inlandsbezug durch das Schiedsgerichtsforum erzeugt wird, ist es u.U. denkbar, lediglich den Vollstreckbarerklärungsantrag abzulehnen, den ordre public-widrigen Schiedsspruch aber nicht aufzuheben, wenn dieser Vollstreckungschancen im Ausland hätte. 1331
1332 Mit leichten Unterschieden in den Formulierungen tendenziell allgM. Vgl. z.B. Schwab I Waller [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 24 Rz 22. Schlosser [St/J-ZPO], 1994, § 1041 Rz 23 m.w.N.; Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 160; Wunderer [arbitrage], 1993, S. 150; Marx [Schiedssprüche), 1994, S. 13; Dasser [Iex mercatoria], 1989, S. 282; Kühn [RICO), FS-Giossner, 1994, S. 193 (206); Kornblum [Gebot], NJW 1987,S. 1105 m.w.N.
1333 Vgl. schon Urt. v. 21/03/05, RGZ 60, 296 (300) zu Art. 30 EGBGB a.F. bzw. Urt. v. 29/06/42, RGZ 169,240 (245) zu§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a.F. 1334
Vgl. z.B. BGH v. 15/11/56, BGHZ 22, 162 (167).
C. Ordre public interne und ordre public international
267
Nr. 4 1335 , § 1041 Abs. 1 Nr. 2 1336 und § 1044 Abs. 2 Nr. 2 ZP0 1337 und den entsprechenden staatsvertragliehen Regelungen, zum Beispiel Art. V Abs. 2 Iit. b UNÜ 1338, angewandt wird 1339• Schon allein deshalb könnte man an der Notwendigkeit einer begrifflichen und schematischen Differenzierung eines ordre public d'arbitrage interne und eines ordre public d'arbitrage international zweifeln. Die Unterscheidung ist dann auch -jedenfalls für das geltende deutsche Recht - keineswegs allgemein anerkannt 1340•
b. Analyse der Argumente Selbst Vertreter einer begrifflichen und -wenn auch nur in "Nuancen", so doch - schematischen Differenzierung zwischen der ordre public-Barriere gegenüber inländischen und ausländischen Schiedssprüchen unter dem Etikett ordre public international geben zu, daß dahinter wohl weniger dogmatische Gründe stehen, als vielmehr die werbemäßige Herausstellung des Begriffs
1335 Vgl. z.B. BGH v. 11/11/56, BGHZ 22, 24 (28); Coester-Waltjen [punitive damages], 1994, S. 15 (26); Stiefel I Bungert [Licht], FS-Trinkuer, 1995, S. 749 (768 f.); Hartmann [BIUA!H-ZPO), 1996, § 328 Rz 31. 1336 Vgl. z.B. BGH v. 27102169, NJW 1969, S. 978 (980); H.J. Maier [Hdb), 1979, Rz 465.
tm Vgl. z.B. BGH v. 07101/71, BGHZ 55, 162 (175); Henn [SchiedsverfahrensR), 1991, S. 274; Zimmermann [ZPOJ, 1995, § 1044 Rz 8. 1338
Vgl. z.B. BGH v. 14104188, BGHZ 104, 178 (184).
Üblich ist auch das "Querzitieren" von zum jeweils anderen Komplex ergangener Rspr. ohne entsprechenden Hinweis. Beispielhaft BGH v. 07101!71, BGHZ 55 , 162 (175); v. 22106183, BGHZ 88, 17 (24); v. 26109/79, BGHZ 75, 167 (171); BayObLG v. 09106193, FamRZ 1993, S. 1469 oder Rosenberg I Schwab I Gottwald [ZPRJ, 1993, § 177III3S.ll18,Fn22. 1339
1340 Dagegen insbes. Wieczorek I Schütze [ZPOJ, 1995, § 1041 Rz 23, § 1044 Rz 24; Schwab I Walter [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 30 Rz 19, Kap. 57 Rz 33; Kornblitm [ordre public], 1987, FS-Nagel, S. 140 ff.; ders. [Gebot], NJW 1987, S. 1105 ff.; ders. [Grenzfragen], KTS 1968, S. 143 (157); Sclziitze [Anm. zu BGH v. 15105186], EWiR Art. 5 UNÜ, 1/86, 835 f.; Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 162 f.; Waller I Bosch I Brönnimann [Schiedsgerichtsbarkeit], 1991, S. 230 Fn 74; G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 133, 178; v. Heymann [ordre public], 1969, S. 157, 167 f., 171. Wohl auch, weil unter Hinweis auf Kornblum Nagel [IZPR), 1991, Rz 1094. Am Sinn zweifelnd auch Geimer [Anerkennung], 1995, S. 204; ders. [IZPRJ, 1993, Rz 3771; Bork [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, S. 11 (39); Hußlein-Stich [UNCITRAL], 1990, S. 186 f.; Wuppermmm [Vorbehalt], 1977, S. 22. Dem BGH nur vorsichtig zustimmend H.J. Maier [MünchKomm-ZPO], 1992, § 1044 Rz 10 f.
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§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
"international", der die Weltoffenheit und Liberalität der deutschen Exequaturgerichte demonstrieren soll 1341 • Marx 1342 führt als Argument für die liberalere Haltung gegenüber ausländischen Schiedssprüchen das Prinzip der "Achtung der Staaten untereinander" an. Was bei der Differenzierung zwischen kollisionsrechtlicher Vorbehaltsklausel und dem ordre public gegenüber Urteilen staatlicher Gerichte noch ein diskussionswürdiges, wenn auch letztlich nicht überzeugendes Argument sein mag 1343, kann für den Bereich der Anerkennung von Entscheidungen privater, selbst im Entscheidungsstaat nicht mit Hoheitsgewalt ausgestatteter Schiedsgerichte jedoch keinesfalls mehr gelten. Welcher vorn Zweitstaat besonders zu achtende, staatliche französische Anspruch soll beispielsweise hinter einem Schiedsspruch des Pariser ICC-Schiedsgerichtshofs stehen? 1344 (1) Begrenzung der These auf Verfahrensstandards
Die Beschränkung der Diskussion um den Inhalt des ordre public international auf im internationalen Kontext noch tolerable Verfahrensstandards entspricht zwar nicht der herrschenden Auffassung 1345 • Häufig wird die Diskussion -jedenfalls im Rahmen der Anerkennung von Schiedssprüchen dennoch allein auf der Ebene der erforderlichen Verfahrensstandards in- und ausländischer Schiedsverfahren geführt 1346 und damit eine Übertragbarkeit des Ansatzes vom toleranteren Maßstab des ordre public d'arbitrage international auch auf materielle Fundamentalwertungen zumindest offengelassen.
134 1 Vgl. Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 81, 124. Die Vermutung teilt auch Schlosser [Schiedssprüche], IPRax 1991, S. 218 (220). Vgl. auch ders. [Rspr], JbPrSchG 2 (1988), S. 241 (251). 134 2
Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 80.
Vgl. hierzu oben S. 88. Ähnl. in etwas anderem Zshg. Lalive [public policy], 1987, S. 257 (313 Nr. 5) . .V. Bemuth [Doppelkontrolle], 1995, S. 16 meint, m.E. unzutreffend, einen solchen in dem staatlichen Anspruch zu sehen, auftretende Streitfälle per Hoheitsakt zu entscheiden. 1345 Vgl. z.B. BGH v. 04/06/92, BGHZ 118, 312 (330); BayObLG v. 09/06/93, FamRZ 1993, S. 1469. Beide Entscheidungen betreffen aber nicht Schiedssprüche. 1346 So von Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 80; Raeschke-Kessler / Biihler (Aufsicht], ZIP 1987, S. 1157 (1165); ähnl. ders. [Rspr], JbPrSchG 2 (1988), S. 225 (240) "insbesondere[ ... ] Verfahrensrecht"; Glossner I Bredow I Bühler [Schiedsgericht], 1990, Rz 531; Bartos [Handelsschiedsgerichtsbarkeit], 1984, S. 53 ff. Auch Tlwmas I Putzo [ZPO), 1995, § 1044 Rz 7 verwenden den Begriff nur für den verfahrensrechtlichen ordre public und verweisen ansonsten pauschal auf§ 1041 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. 1343 1344
C. Ordre public interne und ordre public international
269
Schon der vielfach genannte Ausgangspunkt dieser These, ein rein innerstaatliches Schiedsverfahren fungiere als Alternative zur (inner-)staatlichen Gerichtsbarkeit und müsse deshalb an deren rechtsstaatliehen Standard gemessen werden, erscheint bei genauerem Hinsehen dürftig. Unstreitig werden auch bei rein innerstaatl!chen Schiedsverfahren unter dem Gesichtspunkt der parteiautonomen Verfahrensgestaltung etliche der vor staatlichen Gerichten zwingenden Verfahrensprinzipien aufgelockert. Das Schiedsverfahren - sei es ein inländisches oder ausländisches- ist ein von den Vorgaben der ZPO zumindest teilweise gelöstes Verfahren. Eine Differenzierung im Grad der Bindung ist jedenfalls nicht zwingend. Auch der Grenzstein in die andere Richtung ist erkennbar und dürfte kaum streitig sein: an ein ausländisches Schiedsverfahren dürfen jedenfalls keine höheren Ansprüche gestellt werden als an ein im Rahmen des ordre public zu überprüfendes Verfahren eines ausländischen staatlichen Gerichts 1347 . (2) Internationale Praxis als Argument? Zur Rechtfertigung der Unterscheidung zwischen ordre public international und interne im Bereich der Anerkennung von Schiedssprüchen wird auch häufig auf eine entsprechende internationale Praxis, zum Teil sogar auf gesetzliche Terminologie 1348 hingewiesen. Das Argument ist wenig überzeugend 1349• Im französischen Recht ist beispielsweise die Verwendung des Begriffs ordre public international in Art. 1498 N.C.P.C. 1350 als Versagungsgrund der Aner-
kennung "ausländischer" und "internationaler" 1351 Schiedssprüche sinnvoll, weil ein echtes Abgrenzungsbedürfnis zu dem in Funktion und Inhalt völlig andersgearteten ordre public des Art. 6 C.civ. und auch zu Art. 1484 Nr. 6 N.C.P.C. besteht, der gegenüber "französischen" Schiedssprüchen zur Anwen-
1347
Ebso Schlosser (RipS], 1989, Rz 688.
Vgl. im Anhang S. 310 Art. 1484 Nr. 6 einerseits und Art. 1498, 1502 Nr. 5 N.C.P.C. andererseits. 1348
1349 I.Erg. lehnte auch die international besetzte Arbeitsgruppe zur Erarbeitung des UNCITRAL-MG die Einführung des Begriffs mit der Begründung ab, er berge die Gefahr der Fehlinterpretation und es mangle ihm trotz Verwendung in den Exequatururteilen von Gerichten mehrerer Staaten an Präzision; vgl. hierzu Holtzmann I Neuhaus [UNCITRALJ, 1989, S. 919, 1084. 1350
Vgl. die Normtexte im AnhangS. 310.
1351
Vgl. zu diesen Kategorien sogleich nächster Absatz sowie unten Fn 1370.
270
§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
dung kommt 1352 • In geringerem Maße und auch ohne die Terminologie gesetzlich festzuschreiben, findet sich eine ähnliche Abstufung in der Schweiz1353 • Zu beachten ist in diesem Zusammenhang jedoch, daß Frankreich und die Schweiz, wie die meisten anderen Industriestaaten, z.B. auch die USA oder Spanien, "inländische" und "ausländische" Schiedssprüche dem Territorialitätsprinzip folgend nach dem Sitz des Schiedsgerichts qualifizieren 1354 • Demgegenüber läßt die deutsche Dogmatik das vom Schiedsgericht angewandte Verfahrensrecht über die Einordnung entscheiden. Ein inländischer Schiedsspruch liegt nur und immer dann vor, wenn das Schiedsgericht deutsches Verfahrensrecht angewendet hat 1355 • De lege lata gibt es auch die neben den "inländischen" und "ausländischen Schiedsspruch" tretende dritte rechtliche Kategorie des "internationalen Schiedsspruchs" in Deutschland im Gegensatz zur Schweiz oder Frankreich nicht 1356• Holtzmann I Neuhaus 1357 tragen in ihrer auf internationale Verwendung angelegten Kommentierung zu Art. 36 Abs. 2 lit. b (ii) UNCITRAL-MG 1358 dem 1352 Vgl. hierzu Schwab I Walter [Schiedsgerichtsbarkeit), 1995, Kap. 30 Rz 19; Barber [Schiedsfähigkeit], 1994, S. 111, 113 f.; Schlosser [St/J-ZPO), 1994, § 1044 Rz 19; Haas [Schiedssprüche], 1990, S. 220 f.; Hußtein-Stich [UNCITRAL], 1990, S. 186 f.; Groos [Schiedsgerichtsbarkeit], RIW 1987, S. 343 (346); Kornblum [Gebot), NJW 1986, S. 1105 (1106) m.w.N.; Mezger [Schiedssprüche), 1983, S. 45 (49); Goldman11 [arbitrage), FS-Sanders, 1982, S. 153 (168 f.); Matray [arbitrage), FSSanders, 1982, S. 241 (243); G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 142 f. Eine Darstellung der frz. Rspr. findet sich z.B. bei Wunderer [arbitrage), 1993, S. 175 ff. Selbst in Frankreich sind diesbezügliche inhaltliche und terminologische Konfusionen nicht zu vermeiden: anschaulich hierzu Funck-Brentano [Begriff), JbPrSchG 3 (1989), S. 248 ff., insbes. S. 253 f. Zu Art. 6 C.civ. vgl. ferner oben Fn 1285.
1353 Vgl. Walter IBoschI Brönnimann [Schiedsgerichtsbarkeit), 1991, S. 229 f., die aber die Unterscheidung (Fn 74) für Deutschland für überflüssig halten. Die Parallele zum französischen Recht und Art. V Abs. 2 lit. b UNÜ ziehen auch Lalive I Poudret I Reymond [arbitrage], 1989, Art. 190 Anm. 5 e, 7. Vgl. zur Kategorisierung unten Fn 1370. •
1354 Hierzu Wunderer [arbitrage), 1993, S. 177, 183, 187, 200; Satmer [Schiedssprüche], 1994, S. 23 f. Zu den gegenläufigen Tendenzen auch in der deutschen Gesetzgebung und wissenschaftliche Diskussion vgl. z.B. Geimer [Anerkennung], 1995, S. 202; Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 109 ff. jew. m.w.N. 1355 Z.B. BGH v. 26109/85, BGHZ 96, 40 (41) m.w.N. u. ständig. Aus der Lit. statt aller Geimer [IZPR), 1993, Rz 3895; leicht variiert Kilgus [Schiedssprüche), 1995, S. 116, der auf das von den Parteien gewählte Verfahrensrecht abstellt. Krit. dagegen z.B. Wunderer [arbitrage], 1993, S. 47 ff.
1356
Vgl. hierzu unten Fn 1370.
1357
Holtzmann I Neuhaus [UNCITRALJ, 1989, S. 1069.
C. Ordre public interne und ordre public international
271
Bedenken, internationalen Transaktionen könnten unreflektiert inländische Standards aufgebürdet werden dann auch dadurch Rechnung, daß sie entweder zwischen international public order und domestic public order differenzieren wollen oder den ordre public-Einwand auf extreme, nicht mehr tolerierbare Fälle beschränken. Das deutsche Recht geht den zweiten Weg. Einen strengen, etwa Art. 6 C.civ. vergleichbaren, ordre publie-Begriff gibt es nicht. Die Unterscheidung in einen "liberaleren" ordre public international und einen "strengeren" ordre public interne findet auch nach der Neufassung der Vorschriften 1986 in Deutschland keine Stütze im Gesetzestext. Warum aber im Rahmen der ordre public-Prüfung das Ausmaß an Liberalität gegenüber dem Schiedsspruch sich ausgerechnet danach maßgeblich bemessen soll, welches Verfahrensrecht angewandt wurde, ist nicht unmittelbar einsichtig 1359• Soll tatsächlich ein inhaltlich gleichlautender Schiedsspruch, betreffend denselben Sachverhalt, beruhend auf demselben Sachstatut, gefällt durch dasselbe Schiedsrichterkollegium am selben Sitz einmal anerkennungsfähig sein, weil nicht nach deutschem Prozeßrecht verhandelt wurde, im anderen Fall aber die Anerkennung möglich sein, weil die Verfahrensordnung z.B. eines internationalen Handelsschiedsgerichts zur Anwendung kam? Aber auch der Schiedsort kann kein maßgeblich über das Ausmaß an Toleranz gegenüber dem Schiedsspruch entscheidendes Kriterium sein. Vor dem Hintergrund der französischen, den ordre public (interne) mit dem innerstaatlichen ius cogens gleichsetzenden Dogmatik 1360, bezweifelt Mezger 1361 , daß die mit dem Zusatz "international" beabsichtigte generelle Abschwächung des Vorbehalts gegenüber -nach der Sitztheorie- "ausländisch" qualifizierten Schiedssprüchen in jeder Beziehung sachgerecht erscheint, weil die Abschwächung dann auch auf rein intern-französische Streitverhältnisse durchschlagen könne. Er fragt zu Recht - vergleichbar dem obigen Beispiel, aber in den Kategorien des französischen Rechts gedacht -, warum ein im ausländischen Schiedsort ergangener Schiedsspruch zwischen zwei in Frankreich wohnhaften
1358
Vgl. den AnhangS. 309.
1359 Dies betonen auch Schwab I Walter (Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 30 Rz 19. Ähnl. Wieczorek I Schütze [ZPO], 1995, § 1041 Rz 23, § 1044 Rz 24; G.H. Roth [ordre public], 1967, S. 178. Skeptisch auch Schlosser [Schiedssprüche], 1PRax 1991, S. 218 (219 f.). D60
Vgl. hierzu bereits oben S. 254.
D 61
Mezf?er [Anerkennung], 1983, S. 45 (49, 58).
272
§5
Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
Franzosen über einen nur das französische Wirtschaftsleben betreffenden Vertrag, der zwingendes französisches Wirtschaftsrecht verletzt, nur aufgrund des Schiedsortes anerkannt werden soll, während einem den identischen Sachverhalt betreffenden, inhaltsgleichen "französischen" Schiedsspruch hingegen diese Anerkennung versagt bliebe. c. Bewertung Weder das Verfahrensstatut noch der bloße Sitzort des Schiedsgerichts sind damit als maßgebliches Kriterium der Angriffsintensität des ordre public geeignet. Sachgerechter erscheint hingegen die Bestimmung von Art und Ausmaß des auch bei einem "deutschen" Schiedsspruch möglichen Auslandsbezugs1362 und des bei einem "ausländischen" Schiedsspruchs möglichen Inlandsbezuges. Die hierbei möglichen Kriterien wurden bereits erläutert. Beispielhaft für die Argumentationsschwächen der deutschen herrschenden Meinung sei hier von Winterfeld 1363 angeführt, der im Maßstab zwar zwischen ausländischen und inländischen Schiedssprüchen -bestimmt nach der Verfahrenstheorie1364- trennen will, dann als Grund für diese Differenzierung die "uralte (Savigny) Erkenntnis, daß der Anwendung des eigenen Rechts auf Auslandssachverhalte (-entscheidungen), für die an sich ausländisches (materielles oder Verfahrens-) Recht maßgeblich ist, bestimmte Grenzen gesetzt" 1365 seien, anführt. Das von den Parteien gewählte Verfahrensrecht ist aber, wie das ebenfalls von den Parteien regelmäßig wählbare materielle Recht, nur ein Kriterium des Auslandsbezugs. Die Internationalität des Sachverhalts bzw. der Inlandsbezug wird nicht originär vom angewandten Verfahrensrecht geprägt. Ursache und Folge würden hiermit verkehrt. Es spricht umgekehrt die Internationalität des Sachverhalts dafür, "internationales" Schiedsverfahrensrecht zu vereinbaren. Im Ergebnis ist der herrschenden Meinung damit nur bedingt zuzustimmen, und zwar lediglich im Ergebnis, nicht aber in der Begründung und auch nur für den RegelfalL Die begriffliche Differenzierung in ordre public d'arbitrage international und interne ist nicht notwendig. Sie stellt ebenfalls, ähnlich der Theorie vom ordre public d'effet attenue 1366 , lediglich einen pauschalisierenden Anwendungsfall der Theorie von der Relevanz der Inlandsbeziehung dar, l362 Ebso Schwab I Walter [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, Kap. 30 Rz 19. l363 V. Willterfeld [ordre public], NJW 1987, S. 3059 (3060). 1364 Hierzu oben Fn 1355. 1365 Hervorhebungen vom Verfasser. 1366 Vgl. oben S. 51.
C. Ordre public interne und ordre public international
273
indem typisierend aber vergröbernd unterstellt wird, bei einem nationalen Schiedsspruch sei der Inlandsbezug stets signifikant höher als bei einem "ausländischen" Schiedsspruch 1367 • Wird hierin lediglich eine widerlegliehe Vermutung gesehen, wird die Differenzierung zwischen ordre public d'arbitrage national und international im Kern überflüssig. Sieht man hierin dagegen eine Fiktion, beraubt man sich der notwendigen Flexibilität und schafft Umgehungsmöglichkeiten, indem ceteris paribus schlicht ausländisches Schiedsverfahrensrecht vereinbart wird. Man mag deshalb auch in einer Schiedsabrede zugunsten eines internationalen Schiedsgerichts eine auf alle potentiellen Vollstreckungsstaaten zutreffende und damit "generell" kraft Parteivereinbarung derogierte Inlandsbeziehung sehen. Bei Vereinbarung eines nationalen Schiedsgerichts ist die Verbundenheit zum Inland und seiner Prozeßordnung entsprechend höher. Dies wird Unterschiede in den Auswirkungen der Vorbehaltsklauseln in § 1044 Abs. 2 Nr. 2 und§ 1041 Abs. 1 Nr. 2 ZPO häufig rechtfertigen. Fast noch einsichtiger als die herrschende Meinung, aber letztlich zu weitgehend ist die "strenge" Gegenposition, die jedwedem, durch bloße parteiautonome Vereinbarung konstruierbarem und damit "manipulierbarem" Auslandsbezug die Relevanz im Rahmen der ordre public-Prüfung abspricht 1368 . Eine Sonderposition vertritt in diesem Kontext Wengler1369, der zwischen ausländischen und anationalen Schiedssprüchen differenzieren will. Letztere seien nicht als Ersatz für die Entscheidung eines Gerichts eines bestimmten anderen Staates vereinbart. Deshalb sei dort für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel eine stärkere Inlandsbeziehung zu fordern. Im Ergebnis sollte die Unterscheidung in inländische und ausländische Schiedssprüche -jedenfalls im Rahmen der ordre public-Prüfung - zugunsten der Kategorien internes oder internationales Schiedsverfahren bzw. entsprechend interner und internationaler Schiedsspruch aufgegeben werden 1370 •
1367 Man könnte auch so die relativierende Formulierung in BGH v. 18/01/90, BGHZ 110, 104 ( 107) verstehen, wo das ausländische Schiedsverfahren dem nur "regelmäßig" strengeren Regime des ordre public international unterworfen sei. In diese Richtung wohl auch Geimer [IZPRJ, 1993, Rz 3920. 1368 So z.B. Bartos [Handelsschiedsgerichtsbarkeit], 1984, S. 58; v. Heymann [ordre public], 1969, S. 156 f., 171. 1369 Vgl. Wengier [RGRK], 1981, Bd. VI,§ 7 c 7, S. 85. 1370 Ähnlich auch die Kategorien des franz. und des schweizerischen Rechts. Vgl. Art. 1492 N.C.P.C. nachdem ein internationaler (inländischer) Schiedsspruch dann vorliegt, wenn die Entscheidung "met en cause des inten!ts du commerce international". Zu der Einteilung z.B. Mezger [Schiedssprüche], 1983, S. 45 (47 f.).
18 Völker
274
§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
Der hier vertretenen Auffassung nahe kommt Kornblum, der ebenfalls die Differenzierung zwischen ordre public d'arbitrage interne und ordre public d'arbitrage international prinzipiell ablehnt 1371 , bei fehlendem oder geringerem Inlandsbezug aber jedenfalls den materiellrechtlichen ordre public 1372 großzügiger handhaben wi1P 373 • Dasser 1374 will ebenfalls nicht nach "inländischem" und "ausländischem" Schiedsspruch differenzieren, sondern nach Art und Intensität der Binnenbeziehung des Einzelfalls. In der Grundthese vergleichbar sind auch einige andere Ansätze 1375 , die dazu neigen, den Grund für eine differenzierte Betrachtung nicht an der "Nationalität" des Schiedsspruchs, sondern am unterschiedlichen Grad der Inlandsbeziehung festzumachen. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt -über dogmatische Umwegeletztlich auch Schlosser1376, der zwar die prinzipielle Trennung in ordre public d'arbitrage interne und international befürwortet, unter Hinweis auf schweizerische Praxis aber auch bei formal "inländischen" Schiedssprüchen umso geringere Anforderungen an den ordre public stellt, je größer die Internationalität des Streitgegenstandes ist.
Auch die Schweiz kennt in Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG eine eigene ordre publicKiausel für inländische (definiert nach dem Territorialitätsprinzip) Schiedssprüche mit internationalem Einschlag, vgl. z.B. Wunderer [arbitrage), 1993, S. 182 f., die, S. 264, ebenfalls deren Übernahme empfiehlt. Unverhohlene Sympathie für diese Kategorien auch bei Schlosser [Schiedssprüche], IPRax 1991, S. 218 (219 f.). Die schweizerische Regelung knüpft in Art. 176 IPRG jedoch nicht an eine streitgegenstandsbezogene Internationalität sondern an eine parteibezogene, vgl. zusammenfassend mit Hinweisen zu weiteren Rechtsordnungen Barber [Schiedsfähigkeit], 1994, S. 9 f.
s.
1371 Komb/um [ordre public], 1987, FS-Nagel, S. 140 ff.; ders. [Gebot), NJW 1987,
1105 ff.
Außer im Bereich der Sonderanknüpfung zwingenden Wirtschaftsrechts, vgl. Komb/lun [ordre public], 1987, FS-Nagel, S. 140 (149 f.). 1372
1373
Kambium [ordre public], 1987, FS-Nagel, S. 140 (148 ff.).
Vgl. Dasser [Iex mercatoria], 1989, S. 283 f. Grds. a.A. dagegen Bartos [Handelsschiedsgerichtsbarkeit], 1984, S. 56 ff., der die Inlandsbeziehung nur als untergeordnete Begründung für die Differenzierung zwischen ordre public d'arbitrage 11ational und i11temational ansieht. 1374
1375 Vgl. Geimer [Anerkennung], 1995, S. 204; ders. [Zöller-ZPOJ, 1995, § 1044 Rz 18; H.J. Maier [MünchKomm-ZPO), 1992, § 1044 Rz 10; ders. (Hdb], 1979, Rz 475; Weller [Anm. zu BGH v. 15/05/86), WuB VII A. § 1044 ZPO, 1.87. 1376 Schlosser [St/J-ZPO), 1994, § 1041 Rz 24 sowie Anh . § 1044 Rz 86; ders. [RipS), 1989, Rz 868.
C. Ordre public interne und ordre public international
275
IV. Die dem ordre public international zugeschriebenen Inhalte 1. Ordre public international und Internationaler ordre public Teilweise wird der ordre public international, meist im herkömmlichen, auf Brocher zurückgehenden Sinne von einem Internationalen ordre public unterschieden, der dann wieder die gesamte Bandbreite von universellem bis völkerrechtlichem ordre public in deren jeweiligen Spielarten haben kann 1377. Keller I Siehr 1378 seien, weil den Finger in die Wunde legend, hervorgehoben1379. Sie betonen, daß die Varianten des aus übernationalen Werten destillierten, sogenannten Internationalen ordre public, den sie betont vom ordre public international i.S. der herkömmlichen französischen Auffassung und "übernationalen" ordre publies wie dem der Europäischen Union abheben, keinen der Rechtsquelle nach bindenden Standard bilden, sondern lediglich faktisch die Aussicht bieten, in mehreren Staaten angewandt und anerkannt zu werden.
2. Die völkerrechtlichen Varianten Als Gegensatzpaar nationaler I internationaler ordre public kann dem ersteren aber auch der Inhalt zugeschrieben werden, lediglich auf den inländischen Rechtsgrundsätzen und Gerechtigkeitsvorstellungen zu beruhen 1380. Dem
1377 Vgl. mit beträchtlichen Unterschieden Blumenwitz [Staudinger-12], 1991, Art. 6 EGBGB Rz 57 ff.; Schütz [ordre public], 1984, S. 9; Keller I Siehr [IPR], 1986, § 42 ll 3, S. 540 f. Ebso Neuhaus (Grundbegriffe], 1976, S. 372 f., der letzteren Terminus wegen der Verwechslungsgefahr deshalb ganz ablehnt. Genau umgekehrt Jaenicke [Frage], BerDGesVR 7 (1967), S. 77 (80 f.), der die Bezeichnung internationaler ordre public und völkerrechtlicher ordre public ebenfalls synonym gebraucht, aber letztere Bezeichnung für klarer hält, hierzu sogleich unten S. 275. Synonyme Verwendung von ordre public international und Internationalem ordre public hingegen z.B. bei Stöcker [ordre public], RabelsZ 38 (1974), S. 79 (87). 1378 Vgl. Keller I Siehr [IPRJ, 1986, § 42 ll3, S. 540 f. 1379 Ähnl. - ohne den Begriff zu verwenden - sich gegen jede Art eines "rechtsordnungsübergreifenden" ordre public aussprechend Hohlach [Errnan-BGB), 1993, Art. 6 Rz 6. D80 Schütz [ordre public], 1984, S. 7 ff. So auch das Verständnis des dort als "ordre public der Iex fori" bezeichneten Begriffs bei Niederer [Einführung), 1961, S. 289 m.w.N., der als Gegensatz den ordre public universei bzw. den ordre public vraiment international bildet, die Unterscheidung für den Bereich des Internationalen Privatrechts aber letztlich ablehnt (S. 290). 1s•
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§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
zweiten Begriff können dann Inhalte zugeschrieben werden, die andere wiederum mit dem Etikett "völkerrechtlicher ordre public" versehen 1381 • So sieht Schütz1382 in seinem "Internationalen ordre public" im wesentlichen ein Instrument zur Abwehr von Auswirkungen von völkerrechtswidrigem ausländischen Recht. Wengler 1383 erwägt, mittels eines ordre public international solchen Rechtssätzen der Iex fori zur Durchsetzung zu verhelfen, die - aus Sicht des Forumstaates - im wohlverstandenen Interesse der ganzen Völkergemeinschaft liegen. Auch Jaenicke unternimmt den Versuch einer Synthese von Kollisionsrecht und völkerrechtlichem ius cogens. Er versteht unter seinem internationalen ordre public einen ordre public "völkerrechtlicher Provenienz" 1384, der insbesondere die "Grundnormen" der Völkerrechtsordnung, die general principles of international law1385 beinhalte. Im kollisionsrechtlichen Zusammenhang relevante Beispiele sollen z.B. sein, der Satz pacta sunt servanda, die clausula rebus sie stantibus und der abus de droit. Neben den so definierten "Grundnormen" nennt Jaenicke 1386 als Bestandteil seines ordre public-Begriffs noch "Sachnormen mit ius cogens-Qualität" wie das Gewaltanwendungsverbot, die aber im kollisionsrechtlichen Kontext kaum praktisch werden dürften. Man mag seinen Begriff als einen innerstaatlich geltenden, kollisionsrechtlich gestalteten internationalen ordre public mit Geltungsgrund im Völkerrecht charakterisieren.
3. Ordre public vraiment international und ordre public transnational In neuerer Zeit insbesondere von Matray 1387 und Lalive 1388 beeinflußt, wird die Diskussion um die Notwendigkeit der Schöpfung eines minimalisierten und
1381 So z.B. die Verwendung des Begriffs bei Moser (Quelle], ÖJZ 29 (1974), S. 650 (651) und Stöcker [Menschenrechte], StAZ 1981, S. 16 ff. , der aber S. 19 Fn 41 die Dogmatik im romanischen Rechtskreis verkennt. Zu den Varianten des "völkerrechtlichen ordre public" sogleich unten S. 285.
1382 Schütz (ordre public], 1984, S. 38 ff. Ähnl. Blumenwitz [Staudinger-12], 1991, Art. 6 EGBGB Rz 57. 1383
Vgl. Wengier [RGRK], 1981, Bd. VI, § 7 d, S. 93.
Jaenicke [Frage], BerDGesVR 7 (1967), S. 77 (80 ff.) Zur terminologischen Präzisierung empfiehlt er allerdings dann die Bezeichnungen "völkerrechtlicher ordre public", noch präziser "ordre public de Ia communaute internationale" bzw. "ordre public of the international community". 1384
!385
Jaenicke (Frage], BerDGesVR 7 (1967), S. 77 (91).
1386
Jaenicke [Frage], BerDGesVR 7 (1967), S. 77 (92 f.).
1387
Vgl. Matray [arbitrage], FS-Sanders, 1982, S. 241 (246 ff.).
Vgl. Lalive [public policy], 1987, S. 257 ff.; ihm folgend Vischer [schwiPRG], 1993, Art. 17 Rz 28 ff.; Stein [Herausforderung], EuZW 1994, S. 18 (23 f.); Bucher 1388
C. Ordre public interne und ordre public international
277
weitestgehend abstrahierten ordre pub/ic transnational oder auch ordre public vraiment internationa/1389 geführt, der als kleinster gemeinsamer Nenner der allen "zivilisierten Staaten" gemeinsamen Grundprinzipien und Grundwerte sowohl die Grenze für den (rechtsanwendenden) internationalen Schiedsrichter aber auch für den staatlichen Richter im Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren darstellen soll. Für letzteren soll er jedenfalls insoweit relevant sein, als sich am ordre public transnational theoretisch auch entgegenstehende Grundprinzipien der Iex fori brechen würden 139o. Verwandt erscheint dieser Ansatz der hundert Jahre älteren Konzeption von Despagnet 1391 , der die Existenz von in allen zivilisierten Staaten geltenden regles d'ordre public international absolues postulierte, die von regles d'ordre public intemational relatives zu unterscheiden seien. Auch letztere würden von dem jeweiligen Staat als unabdingbar für jede zivilisierte Gesellschaft angesehen. Der Inhalt dieser so qualifizierten "relativen" Grundregeln habe aber de facto von Staat zu Staat teilweise diametral entgegengesetzte Inhalte. Niboyet1392 nahm Despagnets Ansatz auf, lehnte aber dessen Terminologie ab und schlug, auch um Verwechslungen zu dem von ihm schon damals abgelehnten Begriff des ordre public international i.S. Brochers zu vermeiden, soweit ersichtlich als erster Autor vor, von einem allen zivilisierten Staaten gemeinsamen ordre public vraiment intemational zu sprechen 1393. Der Gehalt des ordre public transnational oder vraiment international soll sich beispielsweise an den völkerrechtlich anerkannten, allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Kulturstaaten i.S.v. Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut orientieren1394. Allerdings mit der Besonderheit, daß er, weil in der internationalen Staatengemeinschaft entwickelt, von einer spezifischen Inlandsbeziehung [Schweiz}, 1989, Rz 300. Zustimmend, aber die Bezeichnung universaler ordre public empfehlend, Heini [ordre public}, FS-Habscheid, 1989, S. 153 (154); ähnl. Vischer [schwiPRG], 1993, Art. 17 Rz 30; P. Kahn [principes], J.D.I. (Clunet) 116 (1989), S. 304 (306, 314 ff.); Szaszy [study], 1967, S. 179. 1389 Häufig auch etikettiert mit "ordre public reellement international", "ordre public veritablement international", "really" oder "truly international public policy" oder mit "übernationaler ordre public". 1390 Vgl. Schlosser [St/J-ZPO), 1994, § 1044 Rz 20; Dasser [Iex mercatoria], 1989, S. 118.
1391 Despagnet [ordre public], J.D.I. (Ciunet) 16 (1889), S. 5 (217 ff.). 1392 Niboyet [ordre public}, 1931, Nr. 3 f., 399 ff.
1393 Dessen Inhalt z.B. das Verbot der Sklaverei, des Mädchenhandels, der Piraterie und des Schmuggels sein sollte. 1394 So insbes. Visclrer [schwiPRG}, 1993, Art. 17 Rz 30. Weniger streng betreffend die Quellen Lalive [public policy], 1987, S. 257 (306 f . Nm. 171 ff.); Matray (arbitrage ), FS-Sanders, 1982, S. 241 (246 ff.).
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§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
unabhängig sein so11 1395 • Im Vergleich zum nationalen anerkennungsrechtlichen ordre public ist damit ein einerseits liberalerer, da auf den wenigen transnational geltenden Grundwerte beruhender, andererseits strengerer, da keine Inlandsbeziehung erfordernder ordre public geschaffen 1396• Mit diesem ordre public transnational sollen kodifizierte und auch unkodifizierte Minimalstandards an rechtsstaatliehen und ethisch-moralischen Prinzipien -insbesondere auch im kaufmännischen Verkehr 1397 - gesichert werden 1398• Speziellere Ausprägungen sollen hierbei Prinzipien wie der Grundsatz von Treu und Glauben, die Einhaltung der Guten Sitten, der Grundsatz pacta sunt servanda, das Verbol des venire contra factum proprium bzw. der estoppel-Doktrin oder das Verbot des Rechtsmißbrauchs sein 1399, die im allgemeinen in den verschiedenen Rechtssystemen anerkannt seien. Zielrichtung des so verstandenen ordre public transnati01wl ist insbesondere auch der Schutz vor einseitigen, oft hoheitlichen Eingriffen des Staates in Vertragsverhältnisse, deren Gefahr insbesondere dann hoch erscheint, wenn dieser selbst oder eine seiner Organisationen Vertragspartei ist 1400. Matray 1401 sieht in seinem ordre public transnational insbesondere auch ein Instrument internationalen Verhaltenskodizes, die die grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit betreffen, noch vor Abschluß des "langen und beschwerlichen Weges" der parlamentarischen Ratifikation und Inkraftsetzung in den Unterzeichnerstaaten, sofortige Durchsetzung zu garantieren. 1395
Vgl. Lalive (public policy], 1987, S. 257 (313 Nr. 5); Bucher (Schweiz], 1989,
Rz 300; Dasser [Iex mercatoria], 1989, S. 284. Heini (ordre public], FS-Habscheid,
1989, S. 153 (155) nennt als Beispiel einen bewußt von beiden Parteien auf die Vornahme einer widerrechtlichen Handlung in einem Drittstaat gerichteten Vertrag.
1396 Dies führt dann z.B. bei Bucher [Schweiz], 1989, Rz 358a zu unerfreulichen dogmatischen Komplikationen, u.a. der Schaffung eines weiteren ordre public-Begriffs für die Beschwerdeinstanz gegen Schiedssprüche. 139 7 Etwa in Form der Iex mercatoria; so die Überlegung von Matray [arbitrage], FSSanders, 1982, S. 241 (243 f.).
1398
Vgl. Stein (Herausforderung], EuZW 1994, S. 18 (23).
einem recht differenzierten Katalog versucht sich P. Kahn (principes], J.D.I. (Ciunet) 116 (1989), S. 304 (325 f.). Weitere Bsp. bei Bucher (Schweiz], 1989, Rz 303 f.; Heini [ordre public], FS-Habscheid, 1989, S. 153 (154 f.); Dasser (Iex mercatoria], 1989, S. 118; Stein (Herausforderung), EuZW 1994, S. 18 (24); Lalive (public policy], 1987, S. 257 (306 Nr. 171); Matray [arbitrage], FS-Sanders, 1982, S. 241 (246 ff.). Ablehnend Schlosser [St/J-ZPO], 1994, § 1041 Rz 30. 1399 An
1400 Bsp. der vieldiskutierte "Bangladesh-Fall" des schwBG, Urt. v. 05/05/76, BGE 102 Ia, 574 ff. Nachw. und weitere Beispiele z.B. bei Bucher (Schweiz], 1989, Rz 301 ff.; Vischer [schwiPRG), 1993, Art. 17 Rz 30; Stein [Herausforderung], EuZW 1994, S. 18 (24); Heini [ordre public], FS-Habscheid, 1989, S. 153 (155). Zust. auch Schlosser [RipS), 1989, Rz 871. 1401
Vgl. Matray [arbitrage], FS-Sanders, 1982, S. 241 (248) m. Bsp.
C. Ordre public interne und ordre public international
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Daß die Tragweite dieser international geltenden Prinzipien der zwischenstaatlichen Wirtschaftsbeziehungen nicht genau bestimmt werden könne, und der Rechtsbereich sich überhaupt in steter Entwicklung befinde, solle der praktischen Anwendbarkeit des ordre public transnational - emem "Rechtsinstitut im Werden" 1402 - keinen Abbruch tun14o3. Bemerkenswert und Zweifel an der Notwendigkeit wie an der Umsetzbarkeil der Konstruktion weckend, erscheint in diesem Zusammenhang, daß gerade im Bereich der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit inhaltliche und terminologische Verwirrung herrscht, inwieweit der so "definierte" ordre public vraiment international oder transnational mit dem von vielen propagierten ordre public d'arbitrage internationa/1404 identisch sei 1405 . In dieselbe Richtung geht die bezeichnende Klage von Dasser 1406, daß - insbesondere bei Schiedssprüchen der Internationalen Handelskammer- häufig unklar bliebe, ob von dem ordre public reel/ement international im hier definierten transnationalen Sinne oder nur vom staatlichen ordre public international für internationale Sachverhalte die Rede sei. Angesichts der bereits vorhandenen dogmatischen wie begrifflichen Systematik besteht für das deutsche Recht keine Notwendigkeit diese neueren Wortschöpfungen 1407, die ihre Existenz wohl hauptsächlich den bereits angerissenen, uneinheitlichen und undurchsichtigen Definitionen des ordre public intemational und seiner Derivate verdankt, zu übernehmen 1408. 1402 So Stein [Herausforderung], EuZW 1994, S. 18 (23). 1403 Vgl. Bucl!er [Schweiz], 1989, Rz 302; Lagarde [public policy], 1994, S. 51;
Lalive [public policy], 1987, S. 257 (286 f. Nm. 100 f.); ähnl. Batiffol I Lagarde [DrlntPr 1], 1993, no 365.
1404 Vgl. hierzu oben S. 265. 1405 Vgl. das von Wunderer [arbitrage], 1993, S. 172 beklagte Beispiel des östOGH
v. 11105183, ÖJZ 38 (1983), S. 519 (520). Auch das schwBG rechnet im genannten "Bangladesh-Fall" v. 0510511976, BGE 102 Ia 574 (581) sowie in Urt. v. 14111/90, BGE 116 li 634 636) die oben genannten zivilrechtliehen Grundverhaltensregeln begrifflich wenig hochtrabend schlicht zum "ordre public suisse".
1406 Vgl. Dasser [Iex mercatoria], 1989, S. 119m. Bsp. 1407 Weitere in diese Richtung zielende Wortschöpfungen sind beinahe zahllos, z.B.
ordre public au vrai sens du terme, ordre public au sens strict du mot, ordre public international commun, real international public policy, public order of an international community, world public policy, und lassen sich nahezu beliebig weiter vermehren.
1408 Im Erg. ebso ablehnend Komblum [ordre public], 1987, FS-Nagel, S. 140 (141); Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 18; Walter I Bosch I Brönnimann [Schiedsgerichtsbarkeit], 1991, S. 226; Haas [Schiedssprüche], 1990, S. 222 f.; Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 164; Lalive I Poudret I Reymond [arbitrage], 1989, Art. 190
280
§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
4. Weitere Varianten Baur1409 will mit seinem ordre public international besonders qualifizierte, verfassungsrechtlich abgesicherte Sätze des Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrechts, das droit public extern, auch gegenüber ausländischen Urteilen unmittelbar durchsetzen. Ein wiederum anders ansetzendes, wohl singulär gebliebenes Begriffsverständnis schlägt Stöcker1410 vor. Der ordre public national verhindere das Überwirken fremder Normen wegen Unvereinbarkeit mit spezifischen Eigentümlichkeiten des Forumrechts 1411 . Der durch Verfassungsrecht angereicherte ordre public international hingegen soll extraterritoriale Auswirkungen eines erststaatlichen Rechtssatzes verhindern, der so sehr von spezifischen Anliegen seines Ursprungsstaates geprägt ist, daß sein Wirkungsbereich auf dessen Hoheitsgebiet beschränkt bleiben müsse. Der Grund für die Ausschaltung der Wirkung der fremden Norm liegt also einmal in der zweitstaatlichen Rechtsordnung, im Fall des internationalen ordre public dagegen in der Zielsetzung, die der Erststaat mit der Norm verfolgt1 412• Völlig anders ist wiederum die Verwendung der Begriffe bei Junker 1413 und Morisse 1414, die den strengeren "internen" ordre public des Entscheidungsanerkennungsrechts im Gegensatz zum enger zu fassenden "internationalen" ordre public des Rechtshilfeverkehrs in Art. 12 Abs. 1 lit. a des Haager Übereinkommens über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen 1415 sehen. Ihnen wiederum ist jedenfalls zuzugeben, daß das Nichteingreifen dieses "Rechtshilfe-ordre public" die spätere Entscheidungsanerkennung nicht präju-
Anm. 5 e. Niederer [Einführung], 1961, S. 289 und C. v. Bar (IPR 1), 1987, Rz 635 benutzen den Terminus synonym mit dem des ordre public universei und als Gegensatz zu einem ordre public der Iex fori, lehnen aber seine Existenzberechtigung für das Internationale Privatrecht ebenfalls ab. 1409 Vgl. Baur (ordre public), FS-Guldener, 1973, S. 1 (17 f.). 141 0 Stöcker [ordre public]. RabelsZ 38 (1974), S. 79 (87 ff.). 1411 Stöcker sieht a.a.O. S. 92 diesen Gedanken in der (alten) Formulierung vom "Zweck eines deutschen Gesetzes" wiedergegeben, wohingegen der internationale ordre public im Schutz der "guten Sitten" zum Ausdruck komme. 1412 Stöcker (ordre public], RabelsZ 38 (1974), S. 79 (89) nennt diese Normen unter Berufung auf Lüderitz "verstecktes öffentliches Recht". 14U Vgl. .Iunker (discovery), 1987, S. 270 ff. 1414 Vgl. Morisse (Zustellung), RIW 1995, S. 370 (372). 1415 Sehr ähnlich auch Art. 13 Abs. 1 HaagZustÜbk (1965), BGBI. 1977 li S. 1453. Vgl. zum Wortlaut der Vorschriften AnhangS. 310.
C. Ordre public interne und ordre public international
281
diziert 1416 . Der "Rechtshilfe-ordre public" ist von seiner Zielsetzung noch enger faßbar als der anerkennungsrechtliche ordre public 1417 . Auch die allgemeine These, daß umso geringere Anforderungen an die Vereinbarkeit der Entscheidung mit den Wertungsgrundsätzen des deutschen Rechts gestellt werden müssen, je größer der Auslandsbezug der Angelegenheit ist, wird bisweilen unter dem Begriff internationaler ordre public diskutiert 1418 • Zum Teil wird besonders betont, der ordre public international müsse als nationaler ordre public international verstanden werden 1419 • Darunter wird man wohl zu verstehen haben, daß es nach diesem Begriffsverständnis allein um den aus der zweitstaatlichen Ordnung gewonnenen ordre public und nicht um das Destillat einer transnationalen oder internationalen Rechtsordnung geht. Bemerkenswerterweise fehlt lediglich im deutsch-britischen AnVollstrAbk jeder Rekurs auf den ordre public gerade des Anerkennungsstaates 1420.
1416 So nun auch BVerfG v. 07112194, NJW 1995, S. 649 (650) zu Art. 13 Abs. 1 HaagZustÜbk (1965); zust. Kronke [Anm. zu BVerfG v. 07112194], JZ 1995, S. 221. Ebso schon OLG Düsseldorf v. 19102192, NJW 1992, S. 3110 f. Das OLG München v. 15/07/92, NJW 1992, S. 3113 unterscheidet wiederum, i.Erg. zu Recht, einen strengeren Maßstab des bei der Beweisaufnahme nach Art. 12 Abs. 1 lit. a HaagBewÜbk im Gegensatz zu einem weniger strengen bei der Zustellung nach Art. 13 Abs. 1 HaagZustÜbk. Zum rechtshilferechtlichen ordre public vgl. noch Geimer [IZPRJ, 1993, Rz 29b; Schütze [Verteidigung), WM 1986, S. 633 (635). 1417 Ähnl. Stiirner I Stadler [Zustellung), IPRax 1990, S. 157 (159); wohl auch Stiefel I Hungert [Licht], FS-Trinkner, 1995, S. 749 (786). 141 8 So z.B. Schlosser [StiJ-ZPO], 1994, Anh. § 1044 Rz 86; Haas [Schiedssprüche), 1990, S. 222. Vgl. hierzu unten S. 231. 1419 So Wunderer [arbitrage), 1993, S. 14, 172; Marx [Schiedssprüche), 1994, S. 18. A.A. N.N. (BIB/GIS-IntRvk), B II, Nr. 702, dt.-brit. AnVollstrAbk Art. III S. 13 Fn 90. Kritisch deshalb Bork [Schiedsgerichtsbarkeit], 1995, S. 11 (39); Matray [arbitrage], FS-Sanders, 1982, S. 241 (242); ablehnend Niboyet (ordre public), 1931, Nr. 3. Vgl. auch BGH v. 14/04/88, BGHZ 104, 178 (184). Walter/ Bosch! Brönnimann [Schiedsgerichtsbarkeit], 1991, S. 229 f. sprechen aufschlußreicher von "schweizerischem ordre public in internationalen Fällen, dem sog. "internationalen" ordre public." Für verfehlt und überflüssig hält die Diskussion um die Quelle der internationalen ordre publies La live (public policy ), 1987, S. 257 (278 Nrn. 68 f.).
14 20 Vgl. dort Art. 1II Abs. 1 lit. c. N.N. [BIB/GIS-IntRvk], B II, Nr. 702, dt.-brit. AnVollstrAbk Art. III Fn 90 sieht darin einen Hinweis auf die Maßgeblichkeil des ordre public international. Eine vergleichbare Differenzierung existiert noch im schweizerischen Recht. Vgl. Art. 27 Abs. 1 und Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG. Hierzu näher oben s. 258.
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§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
5. Stellungnahme Die Differenzierung in ordre public interne und ordre public international in seinen verschiedenen Ausprägungen wird von etlichen Autoren, insbesondere aus Gründen mangelnder Klarheit, abgelehnt 1421 oder als im Grunde sinnlose "heuristische Arbeitsvokabel" 1422 allenfalls geduldet. Dem ist zuzustimmen. Die obige Darstellung macht überdeutlich, warum.
D. Ordre public universei Die verschiedenen Konzeptionen eines ordre public universei sind kaum minder vielgestaltig und schillernd wie die des internationalen ordre public. Am häufigsten wird er synonym oder als Subspezies zum ordre public vraiment international verstanden 1423. Es tauchen aber auch gänzlich andere Ansätze auf.
I. Inhalte Pentzlin 1424 versucht, in betonter Abgrenzung zu etmgen Varianten eines internationalen, eines völkerrechtlichen und eines transnationalen ordre public1425, einen universellen ordre public des Wirtschaftsrechts zu konzipieren. Ihr Begriff soll sich vom überstaatlich internationalen ordre public, der internationale im Gegensatz zu nationalen Interessen schütze, durch eine Betonung weltweite Geltung beanspruchender Gemeinschaftsinteressen abgrenzen. Vom völkerrechtlichen ordre public unterscheide er sich dagegen durch die Berücksichtigung auch nicht-rechtlicher, universeller Regeln und vom transnationalen ordre public durch die Möglichkeit der Aufrechterhaltung der Dichotomie von Völkerrecht und staatlichem Recht. 1421 Vgl. Schiitze [Anm. zu BGH v. 04/06/92), RIW 1993, S. 139 (140); ders. [dt.am. Urteilsanerkennung), 1992, S. 170; Kropholler [IPR), 1994, § 36 III 2d, S. 227; Raape I Sturm [IPR I), 1977, § 13 III 1, S. 203; Neuhaus [Grundbegriffe], 1976, S. 372 f.; wohl auch G.H. Roth [ordre public), 1967, S. 99; Niederer [Einführung), 1961, S. 288 f. Die Gefahr sieht auch Jaenicke [Frage), BerDGesVR 7 (1967), S. 77 (80 f.). Auch in Italien scheint terminologische wie dogmatische Verwirrung über das Verhältnis und den Inhalt des ordine pubblico interno und des ordine pubblico intemaziona/e zu herrschen, vgl. Preusche [Generalklausel), 1978, S. 6 f. m.w.N. 1422 So Wietltölter [Frage), BerDGesVR 7 (1967), S. 133 (137). 1423 Z.B. bei Heini (ordre public], FS-Habscheid, 1989, S. 153 (154); ähnl. Vischer [schwiPRG), 1993, Art. 17 Rz 30. 1424 Pentzlin [Ordnungsprinzip), 1985, S. 16 ff. 1425 Pentzlin [Ordnungsprinzip], 1985, S. 12 Fn 18, 23 f.
D. Ordre public universei
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Die Idee der Konstruktion eines universellen ordre public als Ausdruck einer "justice universelle"1426, einer "universalen Rationalität" 1427, basierend auf den principes communes au.x peuples civilises1428, folgt auch häufig einem naturrechtlichen Ansatz 1429 mit verschieden ausgeprägter völkerrechtlicher Anreicherung. Er schöpft seine W::rtungen aus einer Art von ius cogens des überstaatlichen Rechts 1430 und einer angeblich unabänderlich allen Rechten vorgegebenen Ordnung. Er soll ein "Bollwerk aller zivilisierten Staaten gegen Barbarei und Unmenschlichkeit" 1431 sein. Das innerstaatliche Recht ist dann nur zufällig der Ort, an dem sich der universelle Geltung beanspruchende Verhaltenskodex manifestiert. Auf eine Inlandsbeziehung könnte folgerichtig - auch hier zeigen sich Parallelen zum ordre public vraiment internationalverzichtet werden 1432. Der fremde Konfliktlösungsvorschlag in Form einer Rechtsnorm oder einer Entscheidung ist demnach nicht ordre public-widrig, weil sie den eigenen fundamentalen Interessenwertungen widerspricht, sondern weil sich keine Rechtsordnung mit solchen Wertungen abfinden kann.
II. Stellungnahme Betrachtet man allein die Schwierigkeiten bei der Konkretisierung eines auf nationaler Ebene geltenden ordre public, ist der Begriff des universellen ordre public noch farbloser und unpraktikabler 1433 • Zudem sind seine Prinzipien, sollten sie erkennbar sein, jedenfalls auf dem Gebiet des Kollisions- und Anerkennungsrechts von ausgesprochen untergeordneter praktischer BedeuVgl. z.B. Mayer [DrlntPr), 1991, no 202 m.w.N. So insbes. Stöcker [ordre public), RabelsZ 38 (1974), S. 79 (88 ff.) unter dem Etikett "internationaler ordre public". Ähnl. auch Sztiszy [study), 1967, S. 179 unter Gleichsetzung von ordre public universei und ordre public vraiment international. Ablehnend Raape I Sturm [IPR 1], 1977, § 13 II 5, S. 202. 1428 Vgl. auch Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut. 1429 Vgl. Geimer [Anerkennung], 1995, S. 24, 139; ders. [Zöller-ZPOJ, 1995, § 328 Rz 167; ders. [IZPR), 1993, Rz 2968; ders. [Verfassung], ZfRVgl 33 (1992), S. 321 (411 ). Rechtsvergleichend Lagarde [public policy ), 1994, S. 48 f. 1430 Vgl. Niederer [Einführung), 1961, S. 289; Schiitz [ordre public), 1984, S. 24 m.w.N. Dagegen Stöcker [ordre public], RabelsZ 38 (1974), S. 79 (91 Fn 68). 1431 SoGeimer I Schütze [lntUrtAn l/2], 1984, S. 1590 Fn 40. 1432 So Geimer [Anerkennung], 1995, S. 24, 139; Geimer I Schütze [lntUrtAn l/2], 1984, S. 1590 Fn 40; Lagarde [public policy], 1994, S. 49 f.; vorsichtiger Batiffol 1 Lagarde [DrlntPr 1], 1993, no 365; Lenz [punitive damages], 1992, S. 168 Fn 119. 1433 Raape I Sturm [IPR 1], 1977, § 13 II 5, S. 202; Neuhaus [Grundbegriffe], 1976, 1426
1427
S. 372.
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tung 1434. Wo sie dennoch einmal zum Zuge kommen, reduziert sich ihr Gehalt auf Phrasen oder Trivialitäten, die Selbstverständlichkeiten darstellen, über die man nicht zu sprechen braucht1 435. Über die Anerkennung fremder Urteile oder Anwendung fremder Gesetze, die Völkermord, Sklavenhandel oder Menschenhandel zum legalen Gegenstand haben, unterhält sich niemand ernstlich. Das Verbot der Rassen- oder Geschlechterdiskriminierung dürfte, zählt man es zum so gebildeten universellen ordre public, ein - wenn auch geringes- Anwendungsfeld sein. Aber schon bei der Reichweite des Verbots der Geschlechterdiskriminierung wird eine "universelle Einigkeit" aller "zivilisierten Staaten" nicht mehr feststellbar sein. Der Drang zur Überhöhung der Iex fori durch Projektion der Wertungen in einen scheinbar jeder Kritik enthobenen Bereich elementarer und unveränderlicher Naturrechtsprinzipien führt entweder, wegen deren Enge, zur nur noch philosophischen Relevanz der Aussagen oder ist, faßt man die Werte doch weiter, ein vorgeschobenes und überzogenes Argument. Es ist letztlich eine Anmaßung als "universaler" Richter darüber zu entscheiden, was "in den Kulturstaaten" und daher überstaatlich geltenden, rechtlichen oder sittlichen Grundanschauungen widerspricht1 436. Im Wege "simpler" Rechtsvergleichung 1437 lassen sich ohne ausdrückliche politische Diskriminierung von "unzivilisierten" Rechtsordnungen und ohne Implikation rein völker- und staatsrechtlicher Probleme über Existenz, Inhalt und Reichweite von überstaatlichem ius cogens dieselben Ergebnisse zur Frage des "Fundamentalcharakters" von Wertungen der Iex fori erzielen 1438. Der Rekurs auf einen angeblichen universellen ordre public ist im Rahmen der internationalprivat- wie verfahrensrechtlichen Vorbehaltsklauseln des deutschen Rechts überflüssig und damit abzulehnen 1439.
1434 Geimer I Schütze [IntUrtAn 1/2), 1984, S. 1590 sieht den so definierten ordre public universei dann auch primär als Hilfsmittel internationaler Gerichte, denen ein
nationaler ordre public nicht zur Verfügung steht. · 1435 In diesem Sinne Wiethölter [Frage], BerDGesVR 7 (1967), S. 133 (170 f.), der diesen Universalistischen Ansatz unter dem - letztlich verworfenen Etikett"internationaler ordre public" diskutiert. 1436 Ähnl. auch Walter IBoschI Brönnimann [Schiedsgerichtsbarkeitj, 1991, S. 226; Kilgus [Schiedssprüche), 1995, S. 163 Fn 44. 1437 Im wesentlichen ist damit hier Privatrechtsvergleichung gemeint. 1438 Ähnl. Wiethölter [Frage), BerDGesVR 7 (1967), S. 133 (170 f.); Aubi11 [Konkretisierung), 1966, S. 99 (109, 117). 1439 Dezidiert gegen solche Ansätze auch Similis [Kodifikation), 1970, S. 267 (272 f.).
E. Völkerrechtlicher ordre public
285
E. Völkerrechtlicher ordre public Unter der Rubrik "völkerrechtlicher ordre public" 1440 lassen sich im wesentlichen drei grundsätzlich unterschiedliche Ansätze finden. Ist mit der Berufung auf einen völkerrechtlichen ordre public der Fall völliger Inkompatibilität des Urteils mit Völkerrechtssätzen gemeint, die entweder über Art. 25 GG oder kraft Transformation eines Staatsvertrags gern. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG gelten, ist der Begriff schlicht überflüssig 1441 • Hierbei handelt es sich um Rechtssätze des nationalen Rechts, lediglich entstehungsgeschichtlich völkerrechtlichen Ursprungs 1442 • An sie ist der deutsche Richter, sei es als Richter in der Sache oder als Anerkennungsrichter, unmittelbar gebunden 1443 • Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts und die transformierten Verträge bilden somit keinen "systemsprengenden" 1444, selbständigen Ausschlußgrund, sondern fließen ohnehin als Wertungsmaßstab in die innerstaatliche öffentliche Ordnung mit ein 1445 • Eine zweite Variante, die einigen Ansätzen eines ordre public universet1 446 nahe steht, ist ein völkerrechtlicher ordre public, der aus den general principles of international law bestehen soll 1447. Die unmittelbare Geltung dieser princip/es stößt neben verfassungsrechtlichen Bedenken 1448 auf denselben, schon beim ordre public universei erhobenen Einwand der mangelnden BestimmbarkeiL Ist damit lediglich die Forderung nach (Privat-) Rechtsvergleichung zur Bestimmung des "Gewichts" eines konkreten Interessenkonflikts gemeint, ist
1440 Manche diskutieren die folgenden Ansätze, wie bereits angesprochen, wiederum unter dem Etikett "internationaler ordre public". So Schütz [ordre public], 1984, S. 11 ff.; ähnl. Stöcker [Menschenrechte], StAZ 1981, S. 16 ff. 1441
Vgl. auch Lalive [public policy), 1987, S. 257 (284 Nr. 90).
Dies betont zu Recht Spiekiroff [ordre public], 1989, S. 90. Ähnl. auch Jae11icke [Frage], BerDGesVR 7 (1967), S. 77 (83). A.A. Stöcker [Menschenrechte), StAZ 1981, s. 16 (17, 20). 1442
1443 Darauf weist insbesondere auch Schiitz (ordre public], 1984, S. 24 f. hin. Kropho/ler [IPR), 1994, § 36 III 2a, S. 226 spricht in diesem Zusammenhang dann auch
von einem "völkerrechtsbezogenen ordre public", den er vom "völkerrechtlichen" ordre public, dessen Rechtsquelle unmittelbar das Völkerrecht sei, scheidet. 1444
Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (222).
1445
Ähnl. Wietlrölter [Frage), BerDGesVR 7 ( 1967}, S. 133 ( 172).
1446
Vgl. soeben S. 282.
1447
Näher hierzu insbes. Jaenicke [Frage), BerDGesVR 7 (1967), S. 77 (91 f.).
1448
Ebso Spickhoff[ordre public), 1989, S. 91.
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§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
diesem Gedanken zwar uneingeschränkt zuzustimmen 1449, das Etikett "völkerrechtlicher ordre public" ist dann aber an dieser Stelle zu Unrecht vergeben. Die dritte Spielart - man mag hier vom völkerrechtlichen ordre public im engeren Sinne 1450 sprechen- versteht hierunter das auf Völkerrechtsebene zwingende Recht, das sich an Staaten und Internationale Organisationen richtet und von dem diese kraft "Parteivereinbarung", hier also völkerrechtlichem Vertrag, nicht abweichen dürfen. Hier schließt sich erkennbar der gedankliche Kreis zum ius cogens und zum ordre public interne i.S. Brochers wieder 1451 • Diese dritte Variante besitzt jedoch im Internationalen Privat- und Anerkennungsrecht keine unmittelbare Bedeutung, denn sie ist Instrument internationaler Instanzen. Der Begriff des völkerrechtlichen ordre public ist deshalb, jedenfalls für den Bereich des Internationalen Zivilverfahrens- und Privatrechts, wo er nicht irrelevant ist, als überflüssig abzulehnen1 452.
F. Europäischer ordre public Auch der Begriff eines europäischen ordre public 1453 taucht seit langem in den verschiedensten terminologischen und insbesondere auch inhaltlichen Ausprägungen auf. Eine "Europäisierung" im weitesten Sinn der für den deutschen Richter relevanten ordre public-Vorschriften ist kaum bestreitbar. Der europäische Aspekt ist jedoch vielschichtig und kann sich an unterschiedlicher Stelle auswirken. Manche sehen im europäischen ordre public die regionale Ausprägung eines ordre public völkerrechtlichen Ursprungs 1454, zum Teil mit Schwerpunkt im
l449 Vgl. dazu oben S. 196 und S. 207. Oder auch vom völkerrechtlichen internationalen ordre public, so Pentzlin '[Ordnungsprinzip], 1985, S. 33. Hier will auch Wengier (RGRKJ, 1981, Bd. VI, § 7 c 1, S. 75 den Begriff ordre public international zulassen. 1450
1451
Ebso Schütz (ordre publicJ, 1984, S. 12. Zu Brochers Ansatz vgl. oben S. 254.
Ebso Spickhoff [ordre public], 1989, S. 91; Neuhaus [Grundbegriffe], 1976, S. 372; Reichelt [ordre public], ZfRVgll6 (1975), S. 217 (223). 1452
145 3 Auch etikettiert nationaler ordre public gemeinschaftsrechtlichen Ursprungs, Europäischer common core-ordre public. 1454 In diese RichtungJaenicke [Frage], BerDGesVR 7 (1967), S. 77 (125 f.). Ähnl. auch Keller I Sie/zr [IPR), 1986, § 4211 3, S. 541, die in ihm aber letztlich nur ein- m.E. dogmatisch überflüssiges - Instrument zur Durchsetzung des höherrangigen Gemein-
F. Europäischer ordre public
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menschenrechtliehen Bereich 1455 , der gewisse übereinstimmende ideologische Wertvorstellungen, wie zum Beispiel das Demokratiegebot und ein allgemeines Diskriminierungsverbot beinhalte. Man mag den europäischen ordre public auch als Inbegriff der fundamentalen Grundsätze des unmittelbar geltenden Gemeinschaftsrechts begreifen 1456, das den Inhalt ja ohne Zweifel beeinflußt1457. Der so definierte europäische ordre public ist neben den bereits gefundenen Kriterien unter der Zielvorgabe "Konkretisierung" aber wenig erkenntnisfördernd. Eine andere Ebene der Diskussion ist die Frage, ob der ordre public im Verhältnis zu Unionsstaaten mit noch größerer Zurückhaltung angewandt werden sollte als gegenüber Drittstaaten. Im Ausgangspunkt hiervon wiederum zu unterscheiden -und deshalb auch möglicherweise unterschiedlich zu beantworten - ist die Frage danach, ob die Vorbehaltsklauseln der Europäischen Abkommen, Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ und Art. 16 EuVÜ, enger auszulegen sind als ihre Parallelvorschriften im autonomen Recht, § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO und Art. 6 EGBGB, oder sonstige Besonderheiten gelten. Die Unterscheidung in der Fragestellung ist schon wegen des sich nicht vollständig deckenden Kreises der jeweiligen Vertragsstaaten nicht nur eine rein akademische. Eine Differenzierung nach der Rechtsquelle würde zum Beispiel für den Bereich der Urteilsanerkennung zur Zeit eine fragwürdige Schlechterstellung der Neumitglieder der Union Österreich, Finnland und Schweden bedeuten, die dem EuGVÜ bislang nicht beigetreten sind, sich hierzu aber verpflichtet haben 1458 . Ebenfalls vom hier diskutierten Problem eines internationalprivat- oder verfahrensrechtlich relevanten "europäischen ordre public" deutlich abzuheben ist der ordre public des primären Gemeinschaftsrechts, wie er etwa in Art. 36, 48 Abs. 2 oder 56 Abs. 1 auch i.V.m. Art. 66 EGV zum Ausdruck kommt, und der aus zwingenden Gründen der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" ein schaftsrechts sehen. Kritisch auch Reichelf [ordre public], ZfRVgl 16 (1975), S. 217 (225). 1455 Z.B. Moser [Quelle], ÖJZ 29 (1974), S. 650 (651 f.); Stöcker [Menschenrechte], StAZ 1981, S. 16 (18 f.). Ablehnend Reichelf [ordre public], ZfRVgl 16 (1975), S. 217 (220 f.). Vgl. auch Firsching/ v. Hoffmann [IPR], 1995, Rz 147 f. 1456 So Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 746. Ähnl. Matray [arbitrage], FS-Sanders, 1982, S. 241 (244). 14 57 Vgl. hierzu bereits oben S. 148. 1458 Ähnlich für die entsprechende damalige Situation Samtleben [Börsentermingeschäfte], RabelsZ 45 (1981), S. 218 (245 f.). Im Verhältnis zu Österreich, das das LugÜ bislang noch nicht in Kraft gesetzt hat, gilt sogar noch der dt.-öst. AnVollstrV v. 1959. Unklar in diesem Zusammenhang die Aussage von Geimer [Anerkennung], 1995, S. 13 f.
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§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
Abweichen von Verpflichtungen des Vertrages zur Verwirklichung der jeweiligen Grundfreiheiten erlaubt. Dies schließt aber noch nicht aus, daß Parallelwertungen übernommen werden könnten 1459.
I. Der ordre public des EuGVÜ
1. Keine generell engere Auslegung staatsvertraglicher Vorbehaltsklauseln Schon früh wurde erwogen, die ordre public-Kiauseln in bilateralen oder multilateralen Staatsverträgen mit generell größerer Zurückhaltung anzuwenden als die des autonomen Rechts1460. Durch das Aushandeln des Vertrages sei eine Grobkontrolle der Rechtsordnung bereits erfolgt, und diese biete deshalb eine Art von Garantie gegen Fälle gröblicher Rechtsverletzungen 1461. Der ordre public-Vorbehalt sei lediglich eine die staatliche Souveränität dokumentierende Notklausel1 462. Gegen die eine engere Auslegung befürwortende Argumentation mit dem Vertrauensvorschuß und einer erfolgten Grobkontrolle spricht bei "offenen" Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen, daß der Kreis der beitretenden Nationen bei Ratifikation des Abkommens noch nicht absehbar ist 1463. Ein Beispiel für ein solch "offenes Abkommen" ist das UNÜ, dessen Vorbehaltsklausel Art. V Abs. 2 deshalb auch mit § 1044 Abs. 2 Nr. 2 ZPO inhaltlich identisch istl464. 1459 Vgl. hierzu unten S. 299. 1460 Aktuell noch z.B. Schack (IZVRJ, 1991, Rz 867; ders. (Art. 12], VersR 1984, S. 422 (423); wohl auch Heldrich (Palandt-BGBJ, 1996, Art. 6 Rz 2. A.A. z.B. Schütze (Produkthaftungshdb II], 1991, § 103 Rz 15; Blumenwitz [Staudinger-12], 1991, Art. 6 EGBGB Rz 50; Holzloch [Erman-BGBJ, 1993, Art. 6 Rz 6; Waehler [Hdb IZVR 111/2], 1984, Rz 247; Meyer-Sparenberg [Kollisionsnormen], 1990, S. 194. Ebso Waller [schwiZPRJ, 1995, S. 386 für das Verhältnis Art. 27 Nr. 1 Lugü und Art. 27 schwiPRG. 1461 So verzichten nach Kropholler [IPRJ, 1994, § 36 VI, S. 232 dann auch die skandinavischen [PR-Konventionen mit diesem Argument im allgemeinen auf eine Vorbehaltsklausel. Ähnlich argumentiert M.J. Schmidt [Einrede], FS-Sandrock, 1995, S. 205 (219) betreffend das Zivilprozeßrecht der Mitgliedstaaten von EuGVÜ und LugÜ. 1462 Vgl. C.L. v. Bar [IPR II], 1889, S. 487. Neuerdings wieder ähnlich Hungert [Inlandsbezug], ZIP 1993, S. 815 (819). 1463 Ebso Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 991. 1464 Ebso Marx [Schiedssprüche], 1994, S. 37; Kilgus [Schiedssprüche], 1995, s. 161.
F. Europäischer ordre public
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Zwar handelt es sich beim EuGVÜ theoretisch um ein solches "offenes" Abkommen. Der Kreis der potentiellen Mitgliedstaaten ist aber im Gegensatz zum UNÜ überschaubar. Kropholler1465 weist allerdings zu Recht darauf hin, daß selbst bei inhaltlich beschränkten, bilateralen Abkommen unliebsame Überraschungen durch Änderungen der Gesetze oder der Praxis des Vertragspartners nicht ausgeschlossen werden können. Auch die unvermeidliche Konsequenz der eine engere Auslegung von staatsvertragliehen Klauseln befürwortenden Ansicht, eine liberalere Auslegung der autonomrechtlichen Vorbehaltsklausel müsse stets eine noch liberalere Auslegung aller staatsvertragliehen ordre public-K.Iauseln nach sich ziehen, erscheint bedenklich. Richtig an der Differenzierung zwischen autonomrechtlichen Vorbehaltsklauseln und solchen im Anwendungsbereich von Staatsverträgen ist immerhin, daß es schon nach allgemeinen Grundsätzen den Gerichten eines durch einen völkerrechtlichen Vertrag zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen aus Vertragsstaaten verpflichteten Staates nicht ohne Limitierung überlassen sein kann, den Begriff des zweitstaatlichen ordre public aufzublähen, könnte der Staat doch auf diese Weise die von ihm eingegangene Verpflichtung ad absurdum führen. Damit gibt es bereits nach allgemeiner völkerrechtlicher Dogmatik Grenzen für den Einsatz des zweitstaatlichen, nicht autonomrechtlichen ordre public 1466. Diese Überlegung gilt erst recht im europäischen Zivilprozeßrecht, das deshalb eine uferlose Ausweitung der ordre public-Kontrolle verbietet 1467 • Das EuGVÜ garantiert damit einen höheren Mindeststandard als das autonome Recht 1468 • Dieser Unterschied macht sich allerdings bei der derzeitigen großen Zurückhaltung der deutschen Gerichte bei der Auslegung auch der autonomrechtlichen Vorbehaltsklausel nicht bemerkbar. Aus der bloßen Tatsache, daß es sich beim EuGVÜ um einen Staatsvertrag, gleichviel ob "offen" oder nicht handelt, Schlüsse zugunsten einer generell engeren Auslegung zu ziehen, ist mithin nicht überzeugend.
1465
Vgl. Kropholler [IPRJ, 1994, § 36 VI, S. 232 f.
1466 Vgl. Geimer [Anerkennung], 1995, S. 13. S.f. Schockweiler [Gründe], 1993, S.l49 ( 150). 1467 SoGeimer [ex parte], IPRax 1992, S. 5 ( 13 Fn 111); Geimer I Schütze [lntUrtAn 1/1], 1983, s. 970. 1468
s. 295. 19 Völker
Zur noch darüberhinausgehenden Auslegungskompetenz des EuGH s. unten
290
§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
2. Sonderfall EuGVÜ? Auch wenn der Vorbehalt in Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ verschiedentlich als Anachronismus bezeichnet wird 1469, muß aus seiner 1470 bloßen Existenz der simple Schluß gezogen werden, daß auch im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten des Übereinkommens ein Rückgriff auf den national oder "transnational" bestimmten ordre public nicht generell ausgeschlossen sein sollte 1471 • Dies gilt auch dann, wenn bei Schaffung der Klausel die Überlegung eine Rolle gespielt haben sollte, die Ratifikation des Vertrages durch die so erreichte "Beruhigung" der Parlamente der Vertragsstaaten zu erleichtern und einen Anerkennungsrichter, dem tatsächlich eine aus irgendeinem Grunde völlig inakzeptable Entscheidung vorgelegt wird, in jedem Fall vor der bewußten Verletzung eines internationalen Vertrages zu bewahren 1472. Ob allerdings dem materiellen ordre public des EuGVÜ angesichts der relativ homogenen Privatrechtsordnungen in den Mitgliedstaaten überhaupt eine praktische Bedeutung zukommt, ist jedenfalls bestreitbar 1473 . In über zwanzig Jahren Geltung des EuGVÜ wurde, soweit ersichtlich, jedenfalls von deutschen Gerichten bislang lediglich in einem einzigen Fall die Anerkennung wegen Verstoßes gegen Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ versagt 1474 . Zumindest in wirtschaftli-
1469 So z.B. Linke [B/B/G/S-IntRvk], 1977, BI 1 e, EuGVÜ, Art. 27 Anm. II 1. Als "selbstverständlich" empfindet den Vorbehalt dagegen z.B. Raeschke-Kessler [Binnenmarkt], EuZW 1990, S. 145 (147). Gottwald (Freizügigkeit], 1992, S. 155 (166) nennt ihn "zeitlos". Kropholler [EuZPR], 1993, Art. 27 Rz 2 hält die Zeit für einen Verzicht für "noch nicht reif". 1470 Entsprechendes gilt für die Vorbehaltsklauseln der Europäischen Internationalprivatrechtlichen Abkommen insbes. Art. 16 EuVÜ aber auch Art. 9 Abs. 1 des EuÜbk über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen v. 29/02/68 (BGBI. 1972 II S. 370). 1471 Dies stellen auch Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 756; Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (228) heraus. Ähnl. auch Spickhoff [ordre public], 1989, S. 90; Raesclzke-Kessler [Binnenmarkt], EuZW 1990, S. 145 (148). 1472 Vgl. Droz (competence], 1972, Rn 487; Kaye [enforcement], 1987, S. 1437. Kritisch hierzu Geimer I Schütze [lntUrtAn U1], 1983, S. 968 f. 1473 So Schütze [DtiZPR], 1985, S. 158. Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ bliebe dann lediglich noch die Funktion, von Art. 27 Nr. 2 nicht erfaßte Verstöße gegen den verfahrensrechtlichen ordre public zu sanktionieren. Ähnl. M.J. Sclzmidt [Durchsetzung], 1991, S. 163. 1474 Vgl. BGH v. 16/09/93, BGHZ 123, 268 ff. zu §§ 636, 637 RVO. Immerhin einen Fall aus Italien nennt auch Martiny (Hdb IZVR III/2 j, 1983, Rz 97.
F. Europäischer ordre public
291
chen Bereichen darf daher wohl von der Vermutung ausgegangen werden, daß das Recht der Mitgliedstaaten sich nicht am deutschen ordre public bricht 1475 • Von Bar 1476 meint, dem Gemeinschaftsrecht wohne eine Tendenz inne, das Wirtschaftsrecht der Mitgliedstaaten mit einer besonderen Duldsamkeit und Liberalität anzugehen und postuliert eine Art "Beweislastumkehr", die für Übereinstimmung der unerläßlichen Bestandteile der (Wirtschafts-) Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten spreche. Kaye 1477 weist in diesem Zusammenhang allerdings zu Recht darauf hin, daß es ja nicht unbedingt Sachrecht der Mitgliedstaaten sein muß, das dem mitgliedstaatliehen Urteil zugrunde liegt. Kam nach dem erststaatlichen Kollisionsrecht drittstaatliches Sachrecht zur Anwendung, durchlief dieses zwar auch -vielleicht nur knapp- eine erststaatliche kollisionsrechtliche ordre public-Kontrolle. Diese ordre public-Wertung muß im Zweitstaat nicht unbedingt gleich ausfallen, zumal der Inlandsbezug im Zweitstaat ein ganz anderer sein kann 1478. Auch der Wortlautvergleich der Vorschriften stützt eine liberalere Anwendung keineswegs 1479• Im Vergleich zur autonomrechtlichen Parallelvorschrift § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO oder auch zu Art. 16 EuVÜ fehlt beispielsweise die einschränkende Vokabel der "offensichtlichen" Unvereinbarkeit. Dem Fehlen des Worts kommt aber nach der hier vertretenen Auffassung schon generell keine Bedeutung zu 1480• Speziell im Bereich des EuGVÜ soll das Fehlen der Vokabel die Berufung auf den ordre public im Vergleich zum autonomen Recht wohl unstreitig nicht erleichtern 1481 .
1475 Vgl. Brödermann I Jversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 756. Ähnl. schon Droz [competence], 1972, Rn 487. 1476
C. v. Bar [IPR I], 1987, Rz 175.
1477
Vgl. Kaye [enforcement], 1987, S. 1442.
Diese Diskrepanz spräche im übrigen dafür, den "Inlandsbezug" generell, in personeller wie in räumlicher Hinsicht, durch "Gemeinschaftsbezug" zu ersetzen, vgl. hierzu oben S. 244. 1478
1479 Im Gegenteil sind die Regelungen von Art. 27 EuGVÜ insgesamt sogar anerkennungsunfreundlicher als ihr autonomrechtliches Gegenstück § 328 ZPO, enthält doch Art. 27 Nr. 4 einen antiquierten Vorbehalt zugunsten bestimmter Normen des zweitstaatlichen IPR. Vgl. dazu oben S. 166. 1480
Vgl. hierzu bereits oben S. 104.
Ebso Geimer (Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 168a; Gottwald [MünchKommZPO], 1992, Art. 27 EuGVÜ Rz 7; Sclwck [IZVRJ, 1991, Rz 862. Ebso Walter [schwiZPR], 1995, S. 386 für Art. 27 Nr. 1 LugÜ und Art. 27 schwiPRG. Vorsichtiger Weigand (dt.-sp. Rechtsverkehr], 1992, S. 231 Fn 380, der "kaum praktische Divergenzen" sieht. 1481
292
§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
Ob der gegensätzliche Schluß einer noch geringeren Prüfungsdichte im Anwendungsbereich des EuGVÜ allerdings zulässig ist 1482, erscheint nach wie vor unklar. Basedow 1483 meint hierzu, die präzisere Vorbehaltsklausel des autonomen Rechts konkretisiere zugleich die äußersten Grenzen von Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ, denn "kein nationaler Gesetzgeber faßt die Vorbehaltsklausel im autonomen Kollisionsrecht enger als im Bereich der völkervertraglichen Anerkennungs- und Vollstreckungspflichten". Etwas kryptisch äußert sich Schack 1484, der "auch und gerade" im EuGVÜ das Eingreifen des ordre public nur in Extremfällen zulassen will. Auch die jüngere Rechtsprechung des BGH scheint, betrachtet man den Entscheidungsaufbau, eine -jedenfalls konstruktiv-dogmatische- Differenzierung zwischen "autonomer" öffentlicher Ordnung und der des EuGVÜ vorzunehmen 1485 . Nach der Feststellung, daß eine bestimmte Interessenwertung zum deutschen ordre public gehöre 1486, folgt eine ausführliche Begründung, daß und weshalb diese Wertung auch im Rahmen von Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ zur Geltung zu bringen sei 1487 .
a. Intentionen der Vertragsstaaten Eine im Vergleich zum autonomen Recht besonders zurückhaltende Auslegung könnte sich jedoch aus dem historischen oder aktuellen Willen der vertragsschließenden Parteien ergeben. Primärer Zweck der gesamten Konvention war und ist gern. Art. 220 EGV die Vereinfachung und Ordnung der Förmlichkeiten für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung richterlicher Entscheidungen, ein möglichst "freier Urteilsverkehr" 1488 • Als Integrationsendziel ist angestrebt, die Mitglied-
1482 I.Erg. bejahend wohl Klinke [EuGVÜ-1), 1993, Rz 244; Linke [IZPR), 1990, Rz 424; ders. [B/B/G/S-IntRvk], 1977 ff., B I 1 e, EuGVÜ Vorbem. 4 S. 14. A.A. dagegen z.B. Geimer (Zöller-ZPO], 1995, § 328 Rz 168a; Schütze [Produkthaftungshdb II], 1991, § 103 Rz 15. 1483
Vgl. Basedow [Haftungsersetzung], IPRax 1994, S. 85.
1484
Vgl. Seizack [IZVRJ, 1991, Rz 862.
1485
Vgl. BGH v. 16/09/93, BGHZ 123, 268 (276 ff.).
1486
BGH v. 16/09/93, BGHZ 123, 268 (276 unter Il.2.).
1487
BGH v. 16/09/93, BGHZ 123, 268 (278 unter Il.3.).
Ähnl. Kropholler [EuZPR), 1993, Einl. Rz 1; Linke [8/B/G/S-IntRvk], 1977 ff., 8 I 1 e, EuGVÜ, Vorbem. 5 S. 16; Raeschke-Kessler [Binnenmarkt], EuZW 1990, S. 145 (147 Fn 33); Martiny (Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 101; Kaye [enforcement], 1987, S. 1442; Droz [competence), 1972, Rn 487. 1488
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staaten der Europäischen Union zu einem "zivilprozessualen Inland" 1489 zu vereinigen. In Droz 1490 Worten wird bei der Anwendung des Vertrages "der beste Schutz der Parteien (und ihrer Berater) dadurch erreicht, daß diese Erfahrung darin gewinnen, ihren Fall vor ausländischen Gerichten zu präsentieren (...) ebenso wie Richter feststellen werden, daß der beste Weg, den eigenen Urteilen Geltung zu verschaffen darin liegt, denjenigen ihrer ausländischen Kollegen ein Maximum an Respekt zu zollen." Dieses Vertragsziel ist in Zweifelsfragen Leitlinie für eine Interpretation des Übereinkommens 1491 . Damit gilt jedenfalls die sonst im Rahmen völkerrechtlicher Verträge anerkannte Vermutung, von zwei möglichen Auslegungsmöglichkeiten sei diejenige vorzuziehen, die die staatliche Souveränität weniger beeinträchtige, nicht für den Bereich des EuGVÜ 1492. Ob aus diesem generellen Zweck des Übereinkommens aber eine über die derzeitige Handhabung der autonomrechtlichen Vorbehaltsklauseln noch hinausgehende, noch liberalere Anerkennungspraxis gefolgert werden kann, ist jedenfalls nicht zwingend. Es stehen neben der "besonderen Auslegung" des EuGVÜ noch mehrere andere Vehikel zur Erreichung des Ziels eines freien Urteilsverkehrs zur Verfügung1493.
b. Besonderer Standard der Zuständigkeitsgerechtigkeit Von einer noch so liberalen Auslegung der autonomrechtlichen Klausel nicht "aufgesogen" werden kann jedoch, weil systematisch anders ansetzend, der vom Übereinkommen gesetzte, eigene Standard der Zuständigkeitsgerechtigkeit. Der mit einer Nichtanerkennung verbundene, üb~r den stets vorliegenden Eingriff in die Zuständigkeitsordnung hinausgehende Eingriff in den besonderen zuständigkeitsrechtlichen Vereinheitlichungszweck des EuGVÜ oder auch des LugÜbedarf ceteris paribuseiner besonderen Begründung 1494.
1489 So Basedow [Hdb IZVR I], 1982, Rz 51; Kollier [Einheit], IPRax 1992, S. 277 (280). Ähnl. Geimer [Anerkennung), 1995, S. 13.
1490 Eigene Übersetzung. Vgl. Droz [competenceJ, 1972, Rn 497. Zust. Kaye [enforcement], 1987, S. 1442. 1491 Li11ke [IZPRJ, 1990, Rz 424; ders. (B/B/G/S-IntRvk], 1977 ff., BI 1 e EuGVÜ, Vorbem. 4 S. 12 f.; M.J. Schmidt (Durchsetzung], 1991, S. 132; Geimer I Schütze [lntUrtAn 1/1], 1983, S. 967. 1492 Linke [B/B/G/S-IntRvk], 1977 ff., BI 1 e, EuGVÜ, Vorbem. 5 S. 15. 1493 S. sogleich unten S. 300. 1494 Vgl. Pfeiffer [Gerechtigkeit], 1995, S. 763 f.
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§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
Ähnlich, allerdings mit deutlich geringerem Gewicht, muß sich auch im Rahmen derjenigen bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsabkommen argumentieren lassen, die wechselseitig zu akzeptierende internationale Zuständigkeiten festschreiben 1495 . Die dort geregelten, vereinheitlichten Anerkennungszuständigkeiten sind jedoch nur notwendige Bedingungen der Anerkennung und werden rechtlich erst im Zweitverfahren relevant. Die detaillierten Zuständigkeitsregelungen der Art. 2 ff. EuGVÜ gehen darüber nicht nur inhaltlich weit hinaus, sondern sind insbesondere als echte Entscheidungszuständigkeiten bereits im Erstverfahren zwingend zu beachtende Prozeßvoraussetzungen.
Die mittels der vereinheitlichten Entscheidungszuständigkeit erreichte, erhöhte internationalverfahrensrechtliche Gerechtigkeit streitet immer und ausschließlich im Anwendungsbereich von EuGVÜ und LugÜ für die Anerkennung der Entscheidung, nicht jedoch, wenn lediglich die (einseitige) Spiegelbildprüfung der Anerkennungszuständigkeit nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erfolgreich durchlaufen worden ist. Die Hürde der ordre public-Widrigkeit bei Verfahren nach EuGVÜ und LugÜ ist damit, wenn auch schwer meßbar, höher.
c. Art. 28 Abs. 3 EuGVÜ Eine unübersehbare Besonderheit des ordre public im Rahmen des EuGVÜ ist Art. 28 Abs. 3, der die Frage der Zuständigkeit ausdrücklich aus der ordre public-Prüfung herausnimmt 1496• Dies gilt auch im Verhältnis zu Drittstaatangehörigen 1497 • Im Rahmen von Zuständigkeitsfragen können allerdings noch Verletzungen des rechtlichen Gehörs relevant werden 1498 • Im Fall der arglistigen Zuständigkeitserschleichung hält Schütze 1499 den Weg über § 826 BGB für gangbar.
1495 So Art. 2 dt.-schweiz. AnVollstrAbk, Art. 2 dt.-ital. AnVollstrAbk, Art. 3 dt.belg. AnVollstrAbk, Art. IV dt.-brit. AnVollstrAbk, Art. 4 dt.-niederl. AnVollstrV oder Art. 7 f. dt.-span. AnVollstrV. 1496 Martiny [Hdb IZVR III/2], 1983, Rz 172 wendet den Gedanken mit beachtlichen Gründen analog auch auf die vereinbarte, aber nicht beachtete Zuständigkeit eines Schiedsgerichts an. I.Erg. ebso Gottwald [MünchKomm-ZPO), 1992, IZPR Art. 27 EuGVÜ Rz 9. Allgemein zur fehlenden indirekten Zuständigkeit als Unterfall des ordre public vgl. oben S. 99. 1497 Vgl. Gottwald [Freizügigkeit], 1992, S. 155 (162); ders. [MünchKomm-ZPO), 1992, IZPR Art. 28 EuGVÜ Rz 3. A.A. Kropholler [IPRJ, 1994, § 60 II1 2d, S. 543; ders. [EuZPR), Art. 28 Rz 3. 1498 Vgl. Gottwald [MünchKomm-ZPOJ, 1992, Art. 27 EuGVÜ Rz 9; Leipold [Einlassung), IPRax 1982, S. 222 (223); Kaye [enforcement), 1987, S. 1439 f. 1499
Vgl. Sclriitze [§ 826), JR 1979, S. 184 (185).
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d. Auslegung durch den Gerichtshof Der ordre public-Vorbehalt des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ unterscheidet sich noch durch eine weitere Besonderheit von der des autonomen Rechts, die unter Umständen nur faktisch, weniger aus zwingenden rechtlichen Gründen, zu einer engeren Handhabung führen wird. Bei einer ordre public-Klausel scheint es sich auf den ersten Blick um ein Refugium nationalen Rechts und auch nationaler Rechtsprechung zu handeln. Dennoch und völlig zu Recht wurde die Reichweite der "nationalen" ordre publicVorbehalte des EGV vom EuGH 1500 mit dem Argument überprüft, es handle sich um einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff, der als Ausnahme von der jeweiligen Grundfreiheit eng auszulegen sei, und deshalb in seiner Tragweite nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Nachprüfung durch Organe der Gemeinschaft bestimmt werden dürfe 1501 . Das EuGVÜ sieht in Art. 1 des AuslProt 1971 1502 eine generelle Auslegungsmöglichkeit des Übereinkommens durch den Gerichtshof vor. Es ist deshalb nicht einsichtig, weshalb derselbe teleologische Ansatz, der im Bereich des EGV die Auslegung der ordre public-Vorbehalte durch den Gerichtshof rechtfertigt und der, konkretisiert durch dessen Präambel sowie über Art. 220 EGV durch die allgemeinen Ziele der Gemeinschaft 1503 bereits die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum EuGVÜ im übrigen durchzieht und dominiert, vor Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ Halt machen sollte. Ursprünglich stand allerdings der BGH auf einem anderen Standpunkt. Die Frage, ob eine Entscheidung der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik widerspreche, sei, da allein nationales Recht berührend, keine Frage der Auslegung des Übereinkommens und damit nicht vorlagefähig. Der Gerichtshof sei nicht dazu berufen, den Begriff der öffentlichen Ordnung in den einzelnen Mitgliedstaaten für deren Gerichte bindend zu definieren 1504 . 1500 Vgl. z.B. die umfängliche Rspr. z.B. zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer Art. 48 Abs. 3 EGV. EuGH v. 04/12/74, Rs 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, S. 1337 (1350); v. 27/10/77, Rs 30177 (Bouchereau), Slg. 1977, S. 1999 (2013, 2019 f.); v. 03/07/80, Rs 157179, Slg. 1980, S. 2171 (2185); v. 18/05/82, Rs 115 u. 116/81, NJW 1983, s. 1250 (1251). 1501 Vgl. EuGH v. 04/12174, Rs 41174 (van Duyn), Slg. 1974, S. 1337 (1350), seitdem st. Rspr.; Oppermann [EuropaRJ, 1990, Rz 1441; Geiger [EGVJ, 1995, Art. 48 Rz 42jew. m.w.N. 1502
z. Zt. gültige Fassung ABI. EG 1989 Nr. L 285 S. 1.
Z.B. Art. 2 und 3 EGV sowie nunmehr die Zielsetzung von Art. B UnionsV, der unter anderem "die Entwicklung einer engen Zusammenarbeit" im Bereich Justiz als Unionsziel nennt. 1504 Vgl. BGH v. 22/06/83, BGHZ88, 17 (20); v. 26/09/79, BGHZ 75, 167 (171). 1503
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Diese Haltung scheint sich nunmehr etwas aufzuweichen. Der BGH erkennt ausdrücklich an, daß durch die Anerkennung einer Entscheidung eben nicht nur nationales Recht berührt sein kann, sondern auch Recht der Gemeinschaft1505 . Wenn die zum ordre public gehörende deutsche Grundwertung Europäischem Recht offensichtlich nicht widerspreche, "brauche" dem Gerichtshof die Frage der Auslegung von Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ nicht vorgelegt zu werden1 506. Ausgangspunkt der Bewertung, ob eine ordre public-Verletzung durch die Anerkennung einer fremden Entscheidung eintreten würde, ist damit zwar in jedem Fall auch im Rahmen des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ das autonome Recht des Zweitstaates 1507. Der EuGH kann jedoch die Auslegung von Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ durch die nationalen Gerichte an europarechtlichen Grundsätzen 1508 prüfen und so einheitliche, in allen Vertragsstaaten zu beachtende Grenzen für die Berufung auf die Klausel ziehen. Dies bedeutet einerseits zwar nicht die detaillierte Ausfüllung des Begriffs, sofern dies überhaupt möglich sein sollte. Andererseits gehen aber die Möglichkeiten des Gerichtshofs in dieser Frage über die bloße Festlegung, welche Arten von Normen generell geeignet oder ungeeignet sind, die Anwendung der Vorbehaltsklausel zu stützen oder in welchem Verhältnis die einzelnen Versagungsgründe zueinander stehen 1509, deutlich hinaus 1510. Es besteht im Rahmen dieser Prüfungskompetenz sogar eine Vorlagepflicht 1511 aus Art. 3 Nr. 1 i.V.m. Art. 2 Nr. 1 AuslProt 1971.
1505 Vgl. BGH v. 16/09/93, BGHZ 123, 268 (279). 1506 BGH v. 16/09/93, BGHZ 123, 268 (280). 1507 Wohl unstr. vgl. z.B. Klinke [EuGVÜ-1], 1993, Rz 244; Schockweiler [Gründe], 1993, S.149 (150). 1508 Z. B. der Cassis de Dijon-Dogmatik oder dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, vgl. sogleich unten S. 299. 1509 So aber Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (231); ders. [Hdb IZVR 111/2), 1983, Rz 92; ähnlich Linke (Probleme], 1993, S. 157 (165 f.); Kroplwller [EuZPR], 1993, Ein!. Rz 21 , Art. 27 Rz 4; Samtleben [Börsentermingeschäfte], RabelsZ 45 (1981), S. 218 (248 Fn 172). Unklar hinsichtlich der zugestandenen Prüfungskompetenz Martiny [Auslegung), RabelsZ 45 (1981), S. 427 (435); Koch [Anerkennung], 1987, S. 161 (176). Gegen eine Auslegung durch den EuGH Wunderer [arbitrage], 1993, s. 246. 1510 So Pfeiffer (Gerechtigkeit), 1995. S. 764; Seimichels I Dietze [EuGVÜJ, EuZW 1994, S. 366 (372); M.J. Schmidt [Durchsetzung], 1991, S. 132; Geimer [Zöller-ZPOJ, 1995, Anh I Art. 27 GVÜ Rz 5; Geimer I Schütze (IntUrtAn 1/1), 1983, S. 56, 970; Rasmussen [generation), C.M.L.Rev. 1978, S. 249 (264 ff.); Basedow (Hdb IZVR 1], 1982, Rz 51 m.w.N. auch für die französischen Lehre. Auch in der britischen Lehre
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Auch im Rahmen der Parallelproblematik Art. 16, 18 EuVÜ bzw. deren transformierte Ausprägungen Art. 6, 36 EGBGB wird eine Vorlagepflicht verbreitet angenommen l512. (1) Wesentliche Grundsätze der Union Zum Maßstab, den der Gerichtshof an die Auslegung der Vorbehaltsklausel durch die mitgliedstaatliehen Gerichte legen kann, gehört sicher die Prüfung, ob wesentlichen Grundsätzen und Zielen der Union entsprochen wurde. Die Existenz von Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ berechtigt insbesondere nicht zu unzulässigen Einschränkungen 1513 der wirtschafts- und sozialpolitischen Zielsetzungen 151 4, allen voran den Grundfreiheiten 1515, die vor allem bei der Anerkennung von Entscheidungen auf wirtschaftsrechtlichem Bereich regelmäßig berührt sein werden 1516• Für den nationalen ordre public bleibt überhaupt nur im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Freiheiten Raum. Von gleichem Gewicht sind daneben Regelungen, die materiell für das Gemeinschaftsrecht von fundamentaler Bedeutung sind 1517, wie das Funktionieren des
wird dies bejaht z.B. von Cheshire I North I Fawcett [PrlntLJ, 1992, S. 425 m.w.N.; Kaye [enforcement], 1987, S. 1438; Hartley [judgements], 1984, S. 89; Coltins [jurisdiction), 1983, S. 107 f. Ähnl. wohl auch Schockweiler [Gründe], 1993, S.149 (150), der aber eine Berufung auf abgeleitetes Gemeinschaftsrecht zur Konkretisierung des ordre public nicht zulassen will. 151l
SoK/inke[EuGVÜ-1),1993,Rz248.
1512 Vgl. Jayme [Methoden), S . 13 f.; C. v. Bar [IPR 1], 1987, Rz 175. Wohl auch Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht), 1994, Rz 494; Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht), 1994, Rz 757. 15 D
Zu den Anforderungen an die Zulässigkeil sogleich unten S. 299.
Vgl. Basedow (Hdb IZVR 1], 1982, Rz 51, der als Beispiel bereits den erst später mit der EEA 1987 in den Vertrag (Art. 130r ff.) aufgenommenen Umweltschutz nennt. Allgemein von "Community objectives" spricht Kaye [enforcement], 1987, S. 1442. 1514
1515 Vgl. Pfeiffer (Gerechtigkeit], 1995, S. 764, 766. Die Durchsetzung der Grundfreiheiten benutzt inzwischen auch der BGH als (Hilfs-)Argument für einen ordre puhlic-Verstoß, vgl. BGH v. 16109/93, BGHZ 123,268 (278). 1516 Vgl. Raeschke-Kessler (Binnenmarkt], EuZW 1990, S. 145 (148). Ähnl. Jayme [Methoden], 1989, S. 12 zur Parallelproblematik i.R.v. Art. 16 EuVÜ. 1517
Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 1057.
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Gemeinsamen Marktes, das Diskriminierungsverbot 1518 oder der Schutz des Wettbewerbs vor Beschränkungen 1519 . Schon 1969 entschied der BGH 1520 im Rahmen einer Prüfung nach § 1041 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, daß die Regeln des Art. 85 EGV zur deutschen "öffentlichen Ordnung" gehören 1521 . Hier besteht auch außerhalb des EuGVÜ gegebenenfalls eine Vorlagepflicht nach Art. 177 EGV1522. Auch die vom EuGH mit Hilfe der (Privat-)Rechtsvergleichung entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze sind hier, falls berührt, für den Inhalt des ordre public prägend 1523 . Nicht zu den wesentlichen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört die Umsetzungsverpflichtung von Richtlinien, die ansonsten wirksam sanktioniert wäre 1524, weshalb einer Entscheidung, die auf einer die Umsetzungsverpflichtung mißachtenden Rechtsgrundlage beruht, nicht aus diesem Grund die Anerkennung versagt werden kann. Die Nichtumsetzung verstößt aber unter Umständen gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts. Dies ist dann der Fall, wenn durch eine
1518 So auch der BGH v. 16109193, BGHZ 123, 268 (279) m.w.N.; Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (230). 1519 Vgl. Art. 3 lit. g i.V.m. 85 ff. EGV. Eine völlige Überlagerung des nationalen durch das Europäische Wettbewerbsrecht sieht in diesem Zshg. v. Brunn [ordre public], NJW 1962, S. 985 (988). 1520 BGH v. 27102169, NJW 1969, S. 978 (979 f.); ebso BGH v. 31/0511972, NJW 1972,S. 2180(2181~ I52J Zust. Raeschke-Kessler [Binnenmarkt], EuZW 1990, S. 145 (147); C. v. Bar [IPR 1], 1987, Rz 175; Brödermann I Iversen [Gemeinschaftsrecht), 1994, Rz 29; Martiny [Gemeinschaftsrecht), 1991, S. 211 (221); Wunderer [arbitrage), 1993, S. 247; Schlosser (RipS), 1989, Rz 878; Martiny [Hdb IZVR III/1), 1984, Rz 1093. Steindorff [Termingeschäfte], IPRax 1982, S . 49 (51) neigt im Anschluß an ein Urteil des T.G.I. de Troyes dazu, hier die Nichtanerkennung unmittelbar ohne Umweg über Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ aus Art. 85 EGV zu begründen. Vgl. auch Lalive (public policy], 1987, S. 257 (306 f. Nr. 172). 15 22 Ebso Schlosser (RipS), 1989, Rz 878. l523 Wunderer [arbitrage], 1993, S. 34, 250. Ähnl. auch Jayme [Methoden), 1989, S. 12; Neuhaus [Grundbegriffe), 1976, S. 372. "Vorerst" (i.J. 1977) deren Existenz bezweifelnd Raape I Sturm [IPR 1), 1977, § 13 III 1, S. 204. Zweifel, jedenfalls für die Bereiche des Familien- und Erbrechts auch bei Spickhoff [ordre public], 1989, S. 89 f. m.w.N. Die extreme Gegenposition vertrat bereits 1962 v. Brunn [ordre public], NJW 1962, S. 985 (988). 1524 So Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 1040. A.A. wohl Kroplwller [!PR), 1994, § 36 III 2c, S. 227.
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Richtlinie mit ausreichend hoher Regelungsintensität Vertragsziele konkretisiert wurden, und die praktische Wirksamkeit der Richtlinie gefährdet ist 1525 .
(2) Wichtige nationale Rechtsgüter Komplement der Berücksichtigung wesentlicher Grundsätze der Union, insbesondere der Grundfreiheiten und dem Funktionieren des Gemeinsamen Marktes, ist die Einschränkung der im Rahmen der Vorbehaltsklausel zulässigen, die Integration behindernden nationalen Besonderheiten. Sachgerecht erscheint in diesem Zusammenhang die ursprünglich zur Warenverkehrsfreiheit entwickelte, inzwischen vom EuGH auch auf andere Grundfreiheiten ausgedehnte Cassis de Dijon-Dogmatik 1526 gleichermaßen auf die Titelfreizügigkeit und damit die ordre public-Prüfung nach Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ zu übertragen 1527 : die Ablehnung der Anerkennung ist nur unter Gesichtspunkten zulässig, mit denen besonders wichtige nationale Allgemeininteressen im Sinne dieser Rechtsprechung gewahrt werden. Dezidiert gegen solche Ansätze spricht sich allerdings Kohler1528 mit dem Argument aus, die Freizügigkeitsregeln seien grundsätzlich "staatsgerichtet", wohingegen es durch die Urteilsanerkennung zu unmittelbaren Eingriffen in Rechtsgüter privater Dritter komme. Der Einwand überzeugt indes nicht. Auch die Pflicht zur möglichst weitgehenden Gewährleistung internationaler Titelanerkennung ist "staatsgerichtet". Ferner werden durch die Wahrnehmung der Grundfreiheiten auch Rechte Dritter, etwa von Wettbewerbern oder Kunden unmittelbar berührt. Beispiel für solche, auch im Rahmen der Vorbehaltsklausel berücksichtigungsfähiger nationaler Allgemeininteressen ist der Schutz des unverfälschten
1525 Hierzu insbes. Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 1051 f. sowie oben S. 151. 1526 Vgl. EuGH v. 20/02/79, Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), Slg. 1979, S. 649 (662 ff.); v. 12/03/87, Rs. 178/84 (Reinheitsgebot für Bier), Slg. 1987, 1227 (1274 f.); v. 14/07/88, Rs. 90/86 (Hartweizenpasta), Slg. 1988, 4285. Dazu und zur Ausdehnung auf andere Grundfreiheiten etwa Oppermann [Europarecht], 1991, Rz 1164 f., 1494, 1525; Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (216 f.). 1527 So insbes. Pfeiffer [Gerechtigkeit], 1995, S. 764. Ähnl. Rasmussen [generation], C.M.L.Rev. 1978, S. 249 (267); ebso Kropholler [EuZPR], 1993, Art. 27 Rz 4, ihm folgend Klinke [EuGVÜ-1], 1993, Rz 244 Fn 477, die eine Parallele zu Art. 48 Abs. 3 EGV ziehen. In diese Richtung auch Basedow [Haftungsersetzung], IPRax 1994, S. 85 (86); Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (217, 230); Hartley [judgements], 1984, s. 89. 1528 Vgl. Kahler [Einheit], IPRax 1992, S. 277 (282 f.). Skeptisch auch Zweigert [Auswirkungen], FS-Hallstein, 1966, S. 555 (566) sowie Samtleben [Börsentermingeschäfte], RabelsZ 45 (1981), S. 218 (245 Fn 156).
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Wettbewerbs. Die Anerkennung einer kraß gegen nationales Kartellrecht verstoßenden Entscheidung könnte deshalb verweigert werden 1529• Die Bewertung der "wichtigen nationalen Rechtsgüter" gilt überdies umgekehrt, weshalb auch Vorstellungen des Erststaats mit ordre public-Qualität, sollten sie in dem Urteil zum Ausdruck kommen, bei der Prüfung der Anerkennungsfähigkeit zugunsten einer Anerkennung berücksichtigt werden können 1530•
11. Europäischer ordre public im autonomen Recht? Weder die Einschränkung, daß lediglich besonders wichtige nationale Rechtsgüter im Sinne der Cassis de Dijon-Dogmatik den Einwand des ordre public gegenüber Entscheidungen aus Mitgliedstaaten zu stützen vermögen, noch die Berücksichtigung wesentlicher Grundsätze der Union ist aber notwendig auf den Anwendungsbereich des EuGVÜ beschränkt 1531 • Die genannten Gesichtspunkte sind vielmehr allein davon abhängig, ob ein Urteil eines Unionsmitgliedsstaates zur Anerkennung steht 1532 und inwieweit Rechtsdurchsetzungsinteressen der Union selbst oder eines Mitgliedstaates berührt sind 1533 • Folgerichtig wird die Diskussion um die "Europäisierung" des ordre public häufig auch außerhalb des EuGVÜ geführt. Die "Europäisierung" kann hierbei auf methodisch unterschiedliche Weise zu ähnlichen Ergebnissen führen.
1. Das Integrationsmoment Zunächst kann man den nach wie vor "national" bestimmten ordre public gegenüber Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft noch zurückhaltender anwenden als gegenüber Drittstaaten 1534 •
1529 Pfeiffer (Gerechtigkeit], 1995, S. 765; Martiny [Hdb IZVR 111/1], 1984, Rz 1093. Ähnl. z.B. Kaye [enforcement], 1987, S. 1442 für die englische Doktrin. 1530 Ebso Klinke [EuGVÜ-1], 1993, Rz 244. Allgemein zur Bewertung und zur Berücksichtigungsfähigkeit des erststaatlichen Interesses an der Durchsetzung seiner 'Rechtsgrundsätze vgl. oben S. 194 sowie Kilgus [Schiedssprüche], 1995, S. 165, der einen ähnlichen Ansatz an der qua Art. 25 GG geltenden völkerrechtlichen comitas festmacht. 1531 Vgl. zur Bedeutung des Gemeinschaftsrechts für die Konkretisierung des ordre public bereits oben S. 147. 1532
Vgl. oben S. 150.
1533
Vgl. oben S. 244.
So Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht], 1994, Rz 1020; Martiny [Gemeinschaftsrecht], 1991, S. 211 (229 f.); Raescltke-Kessler [Binnenmarkt], EuZW 1990, S. 145 (148); Stei11dor!f [Gemeinschaftsrecht], EuR 1981, S. 426 (439 f.). Wohl 1534
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Eine Neigung in diese Richtung mag man auch der Formulierung des BGH 1535 entnehmen, § 1 Abs. 1 der VO über die Rechtsanwendung bei Schädigungen deutscher Staatsangehöriger außerhalb des Reichsgebiets gehöre "jedenfalls bei Urteilen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft" nicht zum ordre public. Steindorff1536 will beispielsweise, einerlei auf welche Rechtsquelle zurückgegriffen wird, den ordre public im Verhältnis zu Mitgliedstaaten nur noch zur Erreichung "gemeinschaftsrechtlich billigenswerter Ziele" einsetzen. Noch sehr viel weiter geht dagegen die bereits 1962 geäußerte Ansicht von Brunns1537, was in einem Mitgliedstaat als Rechtssatz gelte, könne in einem anderen nicht als sittenwidrig 1538 oder gegen fundamentale Prinzipien der eigenen Rechtsordnung verstoßend verworfen werden 1539. Zum Teil wird allerdings ein Sachgrund für eine solche grundsätzlich andere, noch zurückhaltendere Verwendung des Einwandes im Verhältnis der Mitgliedstaaten der Union auch verneint 1540 . Einer besonders hohen Akzeptanz gegenüber mitgliedstaatliehen Urteilen kann eine integrationsfördernde Wirkung aber kaum ernsthaft abgesprochen werden 1541 . Der Sachgrund für eine noch engere Auslegung der Klausel im auch Schütz [ordre public), 1984, S. 48; Zweigert [Auswirkungen], FS-Hallstein, 1966, S. 555 (567); Geimer [Anerkennung), 1995, S. 13 f. Zu weitgehend v. Brunn (ordre public), NJW 1962, S. 985 (988). 1535
Vgl. BGH v. 16109193, BGHZ 123, 268 (270).
Vgl. Steindor.ff(Gemeinschaftsrecht), EuR 1981, S. 426 (439 f.) im Rahmen des kollisionsrechtlichen ordre public. Seine Überlegung ist jedoch übertragbar. 1536
1537 Vgl. v. Brunn [ordre public), NJW 1962, S. 985 (988), wohl unter dem Eindruck der Kollision der großen politischen Blöcke auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Gegen ihn auch Martiny [Gemeinschaftsrecht), 1991, S. 211 (229); ebso Samtleben [Börsentermingeschäfte), RabelsZ 45 (1981), S. 218 (245). 1538 Vgl. die Fassungen der Vorbehaltsklauseln des autonomen Rechts bis zur Reform 1986 im Anhang, die sämtlich "die guten Sitten" als ordre public-Maßstab nannten.
" 39 Ähnl. auch Zweigert [Auswirkungen], FS-Hallstein, 1966, S. 555 (567); Schütz [ordre public], 1984, S. 48. 1540 So Spickhoff [ordre public], 1989, S. 89 f.; Geimer [Zöller-ZPO), 1995, § 328 Rz 168a; ders. [EWG-Übk), RIW 1976, S. 139 (148); Gottwald [MünchKomm-ZPO), 1992, Art. 27 EuGVÜ Rz 7; Stiefel I Stiirner [Vollstreckbarkeit], VersR 1987, S. 829 (833); lekoll [Produkthaftpflicht], 1987, S. 31 Fn 89. Ähnl. wohl auch Kropholler [EuZPR), 1993, Art. 27 Rz 6. Ebso Geimer [Zöller-ZPO], 1995, § 1044 Rz 18d für Schiedssprüche aus Mitgliedstaaten sowie Holzloch [Erman-BGB), 1993, Art. 6 Rz 6 für den kollisionsrechtlichen Vorbehalt. 1541 Ebso Martiny [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 102; Basedow [Hdb IZVR 1), 1982, Rz 51. In allgemeinerem Zusammenhang Brödermann I lversen [Gemeinschaftsrecht),
§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
302
Verhältnis zu Unionsstaaten wäre also gegeben 1542 • Das Integrationsmoment würde einzelstaatliche Ordnungsgesichtspunkte insoweit dominieren 1543 oder jedenfalls relativieren 1544 .
2. Reduktion von Wertungen mit ordre public-Qualität durch Rechtsvergleichung Die zweite Möglichkeit einer "Europäisierung" besteht darin, den ordre public nicht mehr aus den nationalen Rechtsordnungen zu destillieren, sondern ihn im Weg der Rechtsvergleichung 1545 auf einen "europäischen" Kern gemeinsamer Rechtsgrundsätze reduziert zu gewinnen 1546• Die Reduktion auf "europäische" Grundwerte und eine Anerkennungsliberalisierung muß deshalb eintreten, weil das Überwirken von fremden Rechtsvorstellungen und Konfliktlösungsmodellen das eigene, nationale Modell nicht beseitigt, ihm aber die ordre public-Qualität dadurch nimmt, daß ihm ein weiteres, ebenfalls zu tolerierendes Konfliktlösungsmodell an die Seite gestellt wird 1547• Der vielzitierte Satz Paul Lagardes1548, "die öffentliche Ordnung der Gemeinschaft (...)[sei) Bestandteil der öffentlichen Ordnung der Mitgliedstaaten(...) geworden", darf nicht etwa dahin mißverstanden werden, daß die öffentliche Ordnung der Gemeinschaft als zusätzliche Anforderung die nationalen öffentlichen Ordnungen ergänze und so die Anerkennung im Einzelfall erschweren könnte. Nicht gefolgt werden kann deshalb Reichelt 1549, der über eine "Drittwirkung" der jeweiligen,
1994, Rz 755; Linke [BIBIGIS-IntRvk), 1977 ff., B I 1 e, EuGVÜ Vorbem. 4 S. 12.; Wunderer [arbitrage), 1993, S. 243. 1542 Vgl. insbes. Art. 5 Abs. 2 EGV. I.Erg. ebso wohl Basedow (Hdb IZVR I), 1982, Rz 51; Haas [Unfallversicherung], ZZP 108 (1995), S. 219 (226). Sehr kritisch hingegen Kohler [Einheit], IPRax 1992, S. 277 (282). Allgemein zur integrationsfreundlichen Auslegung des EuGVÜ z.B. Kropholler [EuZPR), 1993, Einl. Rz 36. 1543
SoMartiny [Hdb IZVR 111/1), 1984, Rz 102.
1544
So Kropholler [EuZPR), 1993, Art. 27 Rz 4.
1545
Zur Methode vgl. oben S. 196.
Vgl. Blumenwitz [Staudinger-12], 1991, Art. 6 EGBGB Rz 60; WallerIBoschI Brönnimam1 [Schiedsgerichtsbarkeit), 1991, S. 227 Fn 64; Jaenicke [Frage), BerDGesVR 7 (1967), S. 77 (125 f.); Neuhaus [Grundbegriffe], 1976, S. 372; v. Brunn [ordre public), NJW 1962, S. 985 (988). 15 4 6
1547
Ähnl. Schütz [ordre public], 1984, S. 59.
Vgl. Giuliano I Lagarde [EuVÜ-Bericht], 1983, BT-Drucks. X/503, S. 33 (70). Zust. Jayme I Kahler [Entwicklungen), IPRax 1988, S. 133 (138); Geimer [Anerkennung), 1995, S. 139 f. 15 4 8
1549
Vgl. Reichelt [ordre public], ZfRVgl 16 (1975), S. 217 (225).
G. Zusammenfassung
303
rechtsvergleichend bestimmten ordre publies der Staatengemeinschaft, auch eine Verschärfung der Anforderungen zulassen will.
3. Ergebnis Über beide Wege wird damit, unabhängig von der Anwendbarkeit des EuGVÜ, das verfolgte Ziel, die Anerkennung von Urteilen aus den Mitgliedstaaten zu erleichtern, erreicht. Ein grundlegender Unterschied zwischen beiden Wegen besteht aber in der Hürde, die gegenüber drittstaatlichen Titeln errichtet bleibt. Nach dem ersten Modell wird die Anerkennungshürde nur gegenüber Mitgliedstaaten abgebaut. Gegenüber drittstaatlichen Titeln bleibt sie unangetastet. Die zweite Möglichkeit führt dagegen zu einer generellen Liberalisierung, die allerdings gegenüber Urteilen aus Mitgliedstaaten besonders durchschlägt, da deren nationale Wertungen ja regelmäßig in den Kanon von zu tolerierenden Lösungs- und Interessenwertungsmöglichkeiten mit einfließen. Als weiteres Ergebnis läßt sich festhalten, daß der ordre public des EuGVÜ zwar mit den Auslegungsmöglichkeiten durch den Gerichtshof und mit Art. 28 Abs. 3 Besonderheiten aufweist. Als einziges eine Anerkennungsliberalisierung bewirkendes Spezifikum hat sich aber der durch das Abkommen gesetzte, eigene Standard an erhöhter Zuständigkeitsgerechtigkeit herausgestellt. Alle anderen Rechtsgründe, die für eine noch zurückhaltendere Anwendung der Vorbehaltsklausel gegenüber Entscheidungen aus Mitgliedstaaten sprechen, haben ihre Ursache nicht darin, daß einmal Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ und im anderen Fall § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO oder ein bilateraler Staatsvertrag Anwendung findet 1550• Sie sind vielmehr im sonstigen Gemeinschaftsrecht, hier insbesondere den Geboten des EG-Vertrages, aber auch im sekundären Gemeinschaftsrecht zu suchen.
G. Zusammenfassung Angesichts der Vielzahl der auch bei gleichem Etikett anders ausgefüllten ordre publies kann man sich dem Eindruck einer Begriffshypertrophie kaum verschließen. Eine zu fein ziselierte ordre public-Abstufung ist aber nicht mehr praktikabel und verführt zu apodiktischem Rückzug auf im Kern rein begriffliche Argumente. Eine lediglich als Spielwiese der Wissenschaft dienender Begriffs-overkill ist nicht wünschenswert und kann ohne Verlust zurückgeführt werden. Die inflationär auftretenden Wortschöpfungen entstehen aus dem
1550 Auf die Nichtidentität des Kreises der Mitgliedstaaten von EuGVÜ und Unionsvertrag wurde bereits oben Fn 1458 hingewiesen.
304
§ 5 Versuche einer Inhaltsklärung durch Begriffsaufsplitterung
Bedürfnis, sich von der bisherigen, völlig zu Recht als unbefriedigend angesehenen Terminologie zu lösen und Mißverständnisse zu vermeiden. Erreicht wird das Gegenteil. Der gegen diesen Versuch eines "Schritts zurück" provozierte Vorwurf, hiermit gesteigerte Rechtsunsicherheit zu erzeugen und den schwer faßbaren Begriff wieder weiter zurück ins Unkalkulierbare zu stoßen, ist unberechtigt. Der zulässige Umgang mit dem ordre public ist in Strukturen faßbar. Rechtsunsicherheit erzeugte vielmehr das bisherige System mit seinen uneinheitlich definierten ordre public-Spezien und Subspezien und der Unsicherheit, ob die terminologische Unterscheidung per se schon eine Veränderung der Maßstäbe bewirkt oder nicht.
Anhang - Normtexte 1. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung
von Entscheidungen staatlicher Gerichte
§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO
Die Anerkennung des Urteils eines ausländischen Gerichts ist ausgeschlossen, wenn die Anerkennung des Urteils zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist. § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a.F.
Die Anerkennung des Urteils eines ausländischen Gerichts ist ausgeschlossen, wenn die Anerkennung gegen die guten Sitten oder gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde.
§ 16a Nr. 4 FGG Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung ist ausgeschlossen, wenn die Anerkennung des Urteils zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ (1968), BGBI. 1972 II S. 774; = Art. 27 Nr. 1 LugÜ (1988), BGBI. 1994 II S. 2658. Eine Entscheidung wird nicht anerkannt, wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung des Staates, in dem sie geltend gemacht wird, widersprechen würde. Art. 2 Nr. 5 UVÜ (1958), BGBI. 1961 II S. 1006. Unterhaltsentscheidungen, die in einem der Vertragsstaaten ergangen sind, sind in den anderen Vertragsstaaten, ohne daß sie auf ihre Gesetzmäßigkeit nachgeprüft werden dürfen, anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären, wenn die Entscheidung mit der öffentlichen Ordnung des Staates in dem sie geltend gemacht wird, nicht offensichtlich unvereinbar ist. Art. 5 Nr. 1 UVÜ (1973), BGBI. 1973 II S. 826. Die Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung darf jedoch versagt werden, wenn die Anerkennung und Vollstreckung mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist. 20 Völker
Anhang - Normtexte
306
Art. 10 Abs. 11it. a EuSorgÜbk (1980), BGBI. 1990 II, S. 220. In anderen[ ... ] Fällen können die Anerkennung und Vollstreckung[ ... ] versagt werden, wenn die Wirkung der Entscheidung mit den Grundwerten des Familien- und Kindschaftsrechts im ersuchten Staat offensichtlich unvereinbar ist. Art. 4 Abs. 1 deutsch-schweizerisches AnVollstrAbk (1929), RGBI. 1930 II S. 1066. Die Anerkennung ist zu versagen, wenn durch die Entscheidung ein Rechtsverhältnis zur Verwirklichung gelangen soll, dem im Gebiete des Staates, wo die Entscheidung geltend gemacht wird, aus Rücksichten der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit die Gültigkeit, Verfolgbarkeil oder Klagbarkeil versagt ist. Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 deutsch-spanischer AnVollstrV (1987), BGBI. 1987 II S. 35. Die Anerkennung darf nur versagt werden, wenn sie mit der öffentlichen Ordnung des ersuchten Staates offensichtlich unvereinbar ist. Art. 4 Abs. 1 deutsch-italienisches AnVollstrAbk (1936), RGBI. 1937 II S. 145. Die Anerkennung ist zu versagen, wenn die Entscheidung Bestimmungen enthält, die gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstoßen. Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 deutsch-belgisches AnVollstrAbk (1958), BGBI. 1959 II S. 766. Die Anerkennung darf nur versagt werden, wenn sie der öffentlichen Ordnung des Staates, in dessen Hoheitsgebiet sie geltend gemacht wird, zuwiderläuft. Art. 2 Nr. 1 deutsch-österreichischer AnVollstrV (1959), BGBI. 1960 II S. 1246. Die Anerkennung darf nur versagt werden, wenn sie der öffentlichen Ordnung des Staates, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, widerspricht. Art. III Abs. 11it. c deutsch-britisches AnVollstrAbk (1960), BGBI. 1961 II S. 302. Entscheidungen [ ... ] werden [ ... ] anerkannt, sofern nicht [ ...] ein Versagungsgrund vorliegt; letzteres ist der Fall, wenn die Entscheidung[ ...] aus Gründen der öffentlichen Ordnung nicht anerkannt werden kann, einschließlich der Fälle, 1.
in denen eine Entscheidung über einen Anspruch ergangen ist, der [ ...] zwischen den Parteien [ ...] Gegenstand einer anderen Entscheidung war
[ ...]
2.
in denen das Gericht oder die Behörde des Anerkennungsstaates zu der Überzeugung gelangt, daß die Entscheidung durch betrügerische Machenschaften erwirkt ist;
3.
in denen das Gericht[ ... ] zur Überzeugung gelangt, daß der Beklagte[ ... ] nach dem Völkerrecht der Gerichtsbarkeit des Urteilsstaates nicht unterlegen ist[ ...]
4.
in denen die Entscheidung gegen eine Person geltend gemacht wird, die nach dem Völkerrecht der Gerichtsbarkeit des Anerkennungsstaates nicht unterliegt.
Anhang - Normtexte
307
Art. 3 Nr. 1 deutsch-griechischer AnVollstrV (1961), BGBI. 1963 II S. 110. Die Anerkennung darf nur versagt werden, wenn sie der öffentlichen Ordnung des Staates, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird widerspricht; ein solcher Verstoß ist insbesondere gegeben, wenn die Entscheidung einen Anspruch betrifft, der [... ] zwischen denselben Parteien bereits Gegenstand einer Entscheidung war
[ ... ].
Art. 21it. a deutsch-niederländischer AnVollstrV (1962), BGBI. 1965 II S. 27. Die Anerkennung darf nur versagt werden, wenn sie der öffentlichen Ordnung des Staates, in dem sie geltend gemacht wird, widerspricht. Art. 29 Abs. 1 Nr. 2, 3 deutsch-tunesischer AnVollstrV (1966), BGBI. 1969 II S. 889. Die Anerkennung der Entscheidung darf nur versagt werden:
[... ]
2. 3.
wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung des Anerkennungsstaates widerspricht. wenn die Entscheidung durch betrügerische Machenschaften erwirkt worden ist.
Art. 5 Abs. 1 Nm. 2-4 deutsch-israelischer Vertrag (1977), BGBI. 1980 II S. 926. Die Anerkennung darf nur versagt werden: [ ... ] 2. wenn die Anerkennung der Entscheidung der öffentlichen Ordnung des Anerkennungsstaates widerspricht; 3. wenn die Entscheidung auf betrügerischen Machenschaften während des Verfahrens beruht; 4. wenn die Anerkennung der Entscheidung geeignet ist, die Hoheitsrechte oder die Sicherheit des Anerkennungsstaates zu beeinträchtigen. Art. 6 Abs. 1 Nr. 1 deutsch-norwegischer V (1977), BGBI. 1981 II S. 341. Die Anerkennung der Entscheidung darf nur versagt werden, wenn sie der öffentlichen Ordnung des Staates, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird (Anerkennungsstaat), widerspricht.
2. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen § 1041 Abs. 1 Nr. 2 ZPO
Die Aufhebung des Schiedsspruchs kann beantragt werden, wenn die Anerkennung des Schiedsspruchs zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des 20•
Anhang - Nonntexte
308
deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist. § 1044 Abs. 2 Nr. 2 ZPO
Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist abzulehnen, wenn die Anerkennung des Schiedsspruchs zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist. § 1044a Abs. 2 ZPO
Die Vollstreckbarerklärung [des Schiedsvergleichs) ist abzulehnen, wenn [... ] seine Anerkennung gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstoßen würde. Art. 1 Abs. 2 lit. e Genfer Abk. Vollsir Schiedssprüche (1927), RGBI. 1930 II
s. 1068.
Zur Anerkennung ist ferner notwendig, daß die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs nicht der öffentlichen Ordnung oder den Grundsätzen des öffentlichen Rechts des Landes, in dem er geltend gemacht wird, widerspricht. Art. V Abs. 2 lit. b New Yorker ON-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (1958), BGBI. 1961 II S. 121. Die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs darf auch versagt werden, wenn die zuständige Behörde [... ] feststellt, daß die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs der öffentlichen Ordnung[ ... ] widersprechen würde. Art. 13 Abs. 1 deutsch-belgisches AnVollstrAbk (1958), BGBI. 1959 II S. 766. Schiedssprüche [... ]werden [... )anerkannt und vollstreckt, wenn [... ) Anerkennu-ng nicht der öffentlichen Ordnung des Staates, in dessen Hoheitsgebiet sie geltendgemacht werden, zuwiderläuft[ ... ]. Art. VI Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika (1954), BGBI. 1956 II s. 488. Das Gericht muß ihn {den Schiedsspruch für} vollstreckbar erklären, außer wenn die Anerkennung des Schiedsspruchs gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstoßen würde. Art. 13 Abs. 1 deutsch-belgisches AnVollstrAbk (1958), BGBI. II 1959 S. 766. Schiedssprüche [... ] werden [... ] anerkannt und vollstreckt, wenn (... ] ihre Anerkennung nicht der öffentlichen Ordnung des Staates, in dessen Hoheitsgebiet sie geltend gemacht werden, zuwiderläuft.
Anhang - Normtexte
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Art. 52 Abs. 1 Nr. 1, 4 deutsch-tunesischer AnVollstrV (1966), BGBI. 1969 II S. 889. Die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs darf nur versagt werden: 1. 4.
wenn die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs der öffentlichen Ordnung des Anerkennungsstaates widerspricht; [ ... ] wenn der Schiedsspruch durch betrügerische Machenschaften erwirkt worden ist.
Art. 36 Nr. llit. b Nr. ii UNCITRAL-Modellgesetz Die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs darf, unabhängig davon, in welchem Land er erlassen worden ist, nur versagt werden, wenn [... ]das Gericht feststellt, daß die Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs der öffentlichen Ordnung dieses Staates widersprechen würde. § 1027 ZPO-Entwurf: Verlust des Rügerechts
Ist eine Bestimmung dieses Buches, von der die Parteien abweichen können, oder einem vereinbarten Erfordernis des schiedsrichterlichen Verfahrens nicht entsprochen worden, und setzt eine Partei das Verfahren, ohne diesen Mangel unverzüglich oder innerhalb einer dafür gesetzten Frist zu rügen, kann sie den Mangel nicht mehr geltend machen. Dies gilt nicht, wenn der Partei der Mangel nicht bekannt war und auch nicht bekannt sein mußte.
3. Kollisionsrecht Art. 6 EGBGB Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Art. 38 EGBGB (=Art. 12 EGBGB a.F.) Aus einer im Auslande begangenen unerlaubten Handlung können gegen einen Deutschen nicht weitergehende Ansprüche geltend gemacht werden, als nach den deutschen Gesetzen begründet sind. Art. 16 EuVÜ (1980), BGBI. 1986 II S. 810. Die Anwendung einer Norm des nach diesem Übereinkommen bezeichneten Rechts kann nur versagt werden, wenn dies offensichtlich mit der öffentlichen Ordnung des Staates des angerufenen Gerichts unvereinbar ist.
Anhang - Normtexte
310 Art. 30 EGBGB a.F.
Die Anwendung eines ausländischen Gesetzes ist ausgeschlossen, wenn die Anwendung gegen die guten Sitten oder den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde. Referentenentwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Internationalen Privatrechts v. 01/12/1993 1551 : Artikel 40 Unerlaubte Handlung
[ ... ]
Abs. 3 Der Ersatzpflichtige ist nicht zu Leistungen nach fremdem Recht verpflichtet, soweit sie den eingetretenen Schaden wesentlich überschreiten oder offensichtlich anderen Zwecken als einer angemessenen Entschädigung des Verletzten dienen.
4. Rechtshilfeübereinkommen Art. 13 Abs. 1 Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen, (1965), BGBI. 1977 II S. 1453. Die Erledigung eines Zustellungsantrags nach diesem Übereinkommen kann nur abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden. Art. 12 Abs. 11it. a Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen (1970), BGBI. 1977 II S. 1472. Die Erledigung eines Rechtshilfeersuchens kann nur insoweit abgelehnt werden, als der ersuchte Staat die Erledigung für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden.
5. Ausländische Regelungen Frankreich Art. 6 Code civil On ne peut pas deroger, par les conventions particulieres, aux lois qui interessent l'ordre public et les bonnes mreurs. 1551
Abgedruckt z.B. bei Kropholler (IPR], 1994, S. 556 ff.
Anhang - Normtexte
311
Art. 1484 Nr. 6 Nouveau Code de Procedure Civil (N.C.P.C.) II (le recours en annulation de Ia sentence arbitrale) n'est ouvert que si l'arbitre a vioh! une regle d'ordre public. Art. 1498 N.C.P.C. Les sentences arbitrales (rendues ii l'etranger ou en matiere d'arbitrage international) sont reconnues en France [... } si cette reconnaissance n'est pas manifestement Contraire ii l'ordre public international. [... }. Art. 1502 Nr. 5 N.C.P.C. L'appel de Ia decision qui accorde Ia reconnaissance ou l'execution n'est ouvert que dans Ies cas suivants: [ ... ] 5. Si Ia reconnaissance ou l'execution sont contraires a )'ordre public international. Österreich
§ 6 östiPRG
Eine Bestimmung des fremden Rechts ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der Österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. § 81 östEO
Die Bewilligung der Exekution[ ... } ist[ ...} zu versagen: [ ... ] 2. wenn durch die Exekution eine Handlung erzwungen werden soll, welche nach dem Rechte des Inlandes überhaupt unerlaubt oder doch nicht erzwingbar ist. [...) 4. wenn vermittels der Exekution oder der begehrten Exekutionshandlung ein Rechtsverhältnis zur Anerkennung oder ein Anspruch zur Verwirklichung gelangen soll, welchem durch das inländische Gesetz im Inlande aus Rücksichten der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit die Gültigkeit oder Klagbarkeil versagt ist. § 595 Abs. 1 Nr. 6 östZPO
Der Schiedsspruch ist aufzuheben, wenn der Schiedsspruch mit den Grundwertungen der Österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist oder gegen zwingende Rechtsvorschriften verstößt, deren Anwendung auch bei einem Sachverhalt mit Auslandsberührung nach § 35 IPR -Gesetz durch eine Rechtswahl nicht abbedungen werden kann.
312
Anhang - Normtexte
Schweiz Art. 17 schwiPRG Die Anwendung von Bestimmungen eines ausländischen Rechts ist ausgeschlossen, wenn sie zu einem Ergebnis führen würde, das mit dem schweizerischen ordre public unvereinbar ist.
Art. 27 schwiPRG (1)
(2)
Eine im Ausland ergangene Entscheidung wird in der Schweiz nicht anerkannt, wenn die Anerkennung mit dem schweizerischen ordre public offensichtlich unvereinbar wäre. Eine im Ausland ergangene Entscheidung wird ebenfalls nicht anerkannt, wenn eine Partei nachweist: (a)
daß sie weder nach dem Recht an ihrem Wohnsitz noch nach dem am gewöhnlichen Aufenthalt gehörig geladen wurde, es sei denn, sie habe sich vorbehaltlos auf das Verfahren eingelassen; (b) daß die Entscheidung unter Verletzung wesentlicher Grundsätze des schweizerischen Verfahrensrechts zustande gekommen ist, insbesondere daß ihr das rechtliche Gehör verweigert worden ist; (c) daß ein Rechtsstreit zwischen denselben Parteien und über denselben Gegenstand zuerst in der Schweiz eingeleitete oder in der Schweiz entschieden worden ist oder daß er in einem Drittstaat früher entschieden worden ist und dieser Entscheid in der Schweiz anerkannt werden kann. (3) Im übrigen darf die Entscheidung in der Sache selbst nicht nachgeprüft werden.
Art. 135 Abs. 2 schwiPRG Unterstehen Ansprüche aus Mängeln oder mangelhafter Beschreibung eines Produktes ausländischem Recht, so können in der Schweiz keine weitergehenden Leistungen zugesprochen werden, als nach schweizerischem Recht für einen solchen Schaden zuzusprechen wären. Art. 190 Abs. 2Iit. e schwiPRG Der [internationale Schieds-]Entscheid kann nur angefochten werden, wenn der Entscheid mit dem ordre public unvereinbar ist. Art. 36 lit. f SchK Gegen den Schiedsspruch kann [ ... ] Nichtigkeitsbeschwerde erhoben werden, um geltend zu machen der Schiedsspruch sei willkürlich, weil er auf offensichtlich aktenwidrigen Feststellungen beruht oder weil er eine offenbare Verletzung des Rechts oder der Billigkeit enthält.
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