Der ordre public im Internationalen Eheschließungsrecht: Eine rechtsvergleichende Untersuchung [1 ed.] 9783428586301, 9783428186303

Der durch das Kinderehen-Gesetz eingeführte Art. 13 Abs. 3 EGBGB, der Ehen Minderjähriger für unwirksam bzw. aufhebbar e

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German Pages 338 [339] Year 2022

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Der ordre public im Internationalen Eheschließungsrecht: Eine rechtsvergleichende Untersuchung [1 ed.]
 9783428586301, 9783428186303

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Schriften zum Internationalen Recht Band 236

Der ordre public im Internationalen Eheschließungsrecht Eine rechtsvergleichende Untersuchung

Von

Greta Siegert

Duncker & Humblot · Berlin

GRETA SIEGERT

Der ordre public im Internationalen Eheschließungsrecht

Schriften zum Internationalen Recht Band 236

Der ordre public im Internationalen Eheschließungsrecht Eine rechtsvergleichende Untersuchung

Von

Greta Siegert

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 978-3-428-18630-3 (Print) ISBN 978-3-428-58630-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2021/22 von der Juristischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Januar 2022 berücksichtigt werden. An dieser Stelle möchte ich denjenigen danken, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Mein Dank gebührt zunächst meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Jan von Hein. Durch seine wertvollen Ratschläge, kritischen Anmerkungen und einen stets konstruktiven Meinungsaustausch hat er die Entstehung dieser Arbeit zu jedem Zeitpunkt ganz maßgeblich gefördert. Weiter danke ich Herrn Prof. Dr. Jan Lieder, LL.M. (Harvard) für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die hilfreichen Hinweise. Für die großzügige Gewährung und Verlängerung meines Forschungsaufenthalts bin ich dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg sehr verbunden. Zudem danke ich der Studienstiftung ius vivum für die Unterstützung dieser Veröffentlichung durch einen Druckkostenzuschuss. Einen besonderen Dank möchte ich meinen Freunden aussprechen, die mich mit ihrer Fröhlichkeit und ihrer stets vorhandenen Diskussionsbereitschaft bei der Entstehung meiner Dissertation motiviert haben. Namentlich hervorgehoben seien hier Frau Amelie Weiser, deren sorgfältige und wertvollen Anmerkungen mir bei der Finalisierung des Manuskripts eine große Hilfe waren, sowie in besonderem Maße Frau Dr. Dorothea Heil, die mich bei meiner Promotion von Anfang an unterstützt und bestärkt hat. Mein uneingeschränkter Dank gebührt meiner wunderbaren Familie, allen voran meinen Eltern Anja und Jörg Siegert. Ihr grenzenloser und liebevoller Rückhalt war mir während der Entstehung dieser Arbeit eine große Stütze. Weiter gilt dieser auch meinen Brüdern Jakob und Jasper, meiner Schwägerin Julia und meinen Großeltern Ingrid und Friedrich Udo Siegert sowie Karin Wagemann für ihr Interesse und ihren Zuspruch während meiner Promotionszeit. Euch sei in großer Dankbarkeit diese Arbeit gewidmet. Hamburg, im Mai 2022

Greta Siegert

Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Stand der Forschung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 B. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Darstellung allgemeiner und besonderer ordre public-Vorbehalte . . . . . . . . . . . . II. Zur Politisierung des IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zur kulturellen Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 27 45 52

C. Die besonderen ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 13 Abs. 2 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Art. 13 Abs. 4 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61 62 88 126 146

D. Rechtsvergleichende Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausländische Ehehindernisse im englischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kinderehen im englischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Polygamie im englischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Formelle Aspekte der Eheschließung im englischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . .

158 158 163 181 192 216

E. Auswertung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 13 Abs. 2 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Art. 13 Abs. 4 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

230 231 237 284 302 306

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Stand der Forschung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 B. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Darstellung allgemeiner und besonderer ordre public-Vorbehalte . . . . . . . . . . . . 27 1. Der allgemeine ordre public-Vorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 a) Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 b) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 aa) Prüfungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 bb) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 cc) Inlandsbezug – Räumliche Relativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 dd) Gegenwartsbezug – Zeitliche Relativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 c) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Die besonderen ordre public-Vorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 a) Bestimmung der besonderen ordre public-Vorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 aa) Typisierung von ordre public-Verstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 bb) Verhältnis zu Art. 6 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 c) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 aa) Intensität der Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 bb) Inlandsbezug – Räumliche Relativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 cc) Gegenwartsbezug – Zeitliche Relativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 d) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 e) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3. Résumé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Zur Politisierung des IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Klassisches IPR nach Savigny . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Krise des klassischen IPR in den 1970er-Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Das nationale IPR im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 III. Zur kulturellen Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Das Institut der kulturellen Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 a) Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

12

Inhaltsverzeichnis b) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Das Verhältnis von kultureller Identität und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Bedeutung bestehender Rechtsordnungen für die kulturelle Identität . . . . 55 b) Appellfunktion der kulturellen Identität bei Gesetzgebung und Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

C. Die besonderen ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I. Art. 13 Abs. 2 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Genese der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Die Rechtslage bis zum 4. Mai 1971 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Der Spanier-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 636/68)

68

c) Die Rechtslage zwischen Spanier-Beschluss und IPR-Reform . . . . . . . . . 71 d) Die Reform des Internationalen Eheschließungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 73 aa) Der erste Entwurf des Deutschen Rates für IPR (1962) . . . . . . . . . . . 74 bb) Der zweite Entwurf des Deutschen Rates für IPR (1981) . . . . . . . . . . 75 cc) Der Entwurf Kühnes (1980) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 dd) Der Gegenentwurf des Max-Planck-Instituts (1980) . . . . . . . . . . . . . . 79 ee) Der Gegenentwurf von Neuhaus und Kropholler (1980) . . . . . . . . . . . 80 ff) Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung (1983) . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Die bisherige Relevanz in der gerichtlichen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Art. 13 Abs. 3 EGBGB als Teil des nationalen ordre public . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Die ordre public-Relevanz von Kinderehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Verletzung von Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 aa) Verletzung der Institutsgarantie aus Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . 94 bb) Verletzung der Grundrechte Minderjähriger/Bestehen einer staatlichen Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 cc) Verletzung von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . 96 dd) Verletzung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b) Verletzung von Völker- und Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3. Genese der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Die Rechtslage vor dem 22. Juli 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Der Beschluss des OLG Bamberg (2 UF 58/16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 aa) Änderungen im nationalen Eheschließungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 bb) Änderungen im nationalen Eheaufhebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . 107

Inhaltsverzeichnis

13

cc) Änderungen im Internationalen Eheschließungsrecht . . . . . . . . . . . . . 108 dd) Neue Überleitungsvorschriften im EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 ee) Das Verbot religiöser Voraustrauungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 ff) Sonstige Neuerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Kritik der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 aa) Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 bb) Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 cc) Art. 229 § 44 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Der Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs (XII ZB 292/16) . . . . . . . . 117 c) Der Beschluss des Bundesgerichtshofs (XII ZB 131/20) . . . . . . . . . . . . . . 119 5. Praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 a) Die bisherige Relevanz in der gerichtlichen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Die aktuelle Rechtslage zu polygamen Ehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Eheschließung unter Beteiligung eines deutschen Eheschließungsstatuts

129

b) Eheschließung ohne Beteiligung eines deutschen Eheschließungsstatuts 129 aa) Eheschließungen im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Eheschließungen im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (1) Nur polygame Eheschließungsstatuten an der Heirat beteiligt . . . 131 (2) Erstfrau mit monogamen Eheschließungsstatut . . . . . . . . . . . . . . . 134 c) Résumé der aktuellen Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 2. Der bayrische Gesetzesentwurf zur Bekämpfung der Mehrehe . . . . . . . . . . . . 135 a) Genese des Gesetzesentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Die Rechtslage de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3. Praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Die bisherige Relevanz in der gerichtlichen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Exkurs: Das dritte Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes 143 c) Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 IV. Art. 13 Abs. 4 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Genese der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Historischer Überblick zur Entstehung der obligatorischen Zivilehe . . . . 149 b) Reformvorschläge und IPR-Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

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Inhaltsverzeichnis

D. Rechtsvergleichende Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Die Rechtsquellen des englischen IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 3. Domicile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 4. Anknüpfung im Internationalen Eheschließungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 II. Ausländische Ehehindernisse im englischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Scheidungsfeindliches ausländisches Recht/Sec. 50 Family Law Act 1986 . . 163 a) Genese der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 aa) Padolecchia v. Padolecchia, 31. Juli 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (1) Sachverhalt und Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (2) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 bb) R. v. Brentwood Superintendent Registrar of Marriages, ex. Arias, 20. Juni 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (1) Sachverhalt und Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (2) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (3) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 cc) Haager Übereinkommen über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen, 1970/Sec. 7 Recognition of Divorces and Legal Separations Act, 1971 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 dd) Perrini v. Perrini, 28. November 1978 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (1) Sachverhalt und Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (2) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (3) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 ee) Lawrence v. Lawrence, 19. März 1985 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (1) Sachverhalt und Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (2) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (3) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 b) Vergleich mit der deutschen Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 aa) Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 bb) Vergleich der Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 2. Sonstige ausländischen Ehehindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Sottomayor v. de Barros (No. 2), 6. August 1879 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Dogmatische Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 c) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 d) Vergleich mit der deutschen Rechtslage und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 III. Kinderehen im englischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Die Rechtslage de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Eheschließung unter Beteiligung eines englischen Eheschließungsstatuts im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

Inhaltsverzeichnis

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b) Eheschließung ohne Beteiligung eines englischen Eheschließungsstatuts im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 c) Eheschließung ohne Beteiligung eines englischen Eheschließungsstatuts im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 d) Résumé der aktuellen Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Marriage and Civil Partnership (Minimum Age) Bill 2016 . . . . . . . . . . . . 186 b) Marriage and Civil Partnership (Minimum Age) Bill 2019/ Marriage and Civil Partnership (Minimum Age) (No. 2) Bill 2019 – 2021 189 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 IV. Polygamie im englischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Polygame Ehen aus Sicht des englischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. Entwicklung des englischen Rechts zur Polygamie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 a) Hyde v. Hyde, 20. März 1886 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 b) Re Bethell, 1. Februar 1888 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 c) The Sinha Peerage Claim, 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 d) Srini Vasan v. Srini Vasan, 17. Mai 1945/ Baindail v. Baindail, 30. Januar 1946 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 e) Risk v. Risk, 27. Oktober 1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 f) Ohochuku v. Ohochuku, 27. Oktober 1959 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 g) Sowa v. Sowa, 22. Juni 1960 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 h) Cheni v. Cheni, 30. Juli 1962 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 i) Ali v. Ali, 20. Dezember 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 j) Reformbedarf und Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 k) Radwan v. Radwan (No. 2), 17. Juli 1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 l) Hussain v. Hussain, 24. Juni 1982 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 m) Private International Law (Miscellaneous Provisions) Act 1995 . . . . . . . . 210 3. Résumé der aktuellen Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 a) Lex loci als maßgebliches Recht zur Bestimmung polygamer Ehen . . . . . 211 b) Keine polygamen Eheschließungen in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 c) Partielle Anerkennung von ausländischen polygamen Ehen . . . . . . . . . . . 213 4. Vergleich mit der deutschen Rechtslage und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 V. Formelle Aspekte der Eheschließung im englischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Entwicklung des formellen englischen Eheschließungsrechts . . . . . . . . . . . . . 217 2. Formelle Anforderungen des englischen Eheschließungsrechts . . . . . . . . . . . 219 a) Eheschließung nach dem Ritus der Kirche von England . . . . . . . . . . . . . . 219 b) Andere religiöse Eheschließungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 c) Staatliche Eheschließungen in einem Standesamt oder registriertem Gebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

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Inhaltsverzeichnis d) Rechtsfolgen bei Nicht-Beachtung der formellen Eheschließungsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 aa) Wirksame Eheschließungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 bb) Nichtige Ehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 cc) Nichtehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 3. Reformbemühungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 4. Vergleich mit der deutschen Rechtslage und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

E. Auswertung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 I. Art. 13 Abs. 2 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 a) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 b) Vereinbarkeit mit Völker- und Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 c) Kulturelle Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 2. Vereinbarkeit mit Grundsätzen des Kollisionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 3. Auswertung der rechtsvergleichenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 a) Scheidungsfeindliches ausländisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 b) Sonstige ausländische Ehehindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 4. Abschließende Bewertung und Änderungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1. Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 aa) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (1) Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (a) Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 (aa) Persönlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 (bb) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (b) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (c) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (aa) Grundsatz der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (bb) Kindeswohl und Entwicklungschancen des Kindes . . . . . 247 (d) Ergebnis zu Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (2) Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG . . . . . . 248 (a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (b) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (c) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (3) Vereinbarkeit mit Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . 252 (a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (b) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (c) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

Inhaltsverzeichnis

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(4) Vereinbarkeit mit Art. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (a) Ungleichbehandlung gegenüber Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB 255 (b) Ungleichbehandlung durch Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (c) Ungleichbehandlung durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 bb) Vereinbarkeit mit Völker- und Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 (1) Vereinbarkeit mit Art. 12 UN-KRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 (2) Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 2 GFK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (3) Vereinbarkeit mit Artt. 8, 12 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (4) Vereinbarkeit mit Art. 21 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 cc) Kulturelle Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 b) Vereinbarkeit mit Grundsätzen des Kollisionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 c) Auswertung der rechtsvergleichenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 d) Abschließende Bewertung und Änderungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2. Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 a) Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 aa) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (1) Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 (b) Eingriff und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 (2) Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG . . . . . . 272 (3) Vereinbarkeit mit Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . 274 (4) Vereinbarkeit mit Art. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (a) Ungleichbehandlung durch Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (b) Ungleichbehandlung gegenüber nach § 1303 Abs. 2 BGB a. F. geschlossenen Ehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 (c) Ungleichbehandlung gegenüber Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB durch fehlende Überleitungsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 bb) Vereinbarkeit mit Völker- und Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (1) Vereinbarkeit mit Art. 12 UN-KRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (2) Vereinbarkeit mit Artt. 8, 12 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (3) Vereinbarkeit mit Art. 21 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (4) Vereinbarkeit mit Art. 18 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 cc) Kulturelle Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 b) Vereinbarkeit mit Grundsätzen des Kollisionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 c) Auswertung der rechtsvergleichenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 d) Abschließende Bewertung und Änderungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

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Inhaltsverzeichnis III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 1. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 a) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 aa) Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 (1) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 (2) Eingriff und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (a) Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (b) Gleichberechtigung von Mann und Frau, Art. 3 Abs. 2 GG . . 286 bb) Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 Alt. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (1) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (2) Eingriff und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 cc) Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG 290 dd) Vereinbarkeit mit Art. 4 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 ee) Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG durch Typisierung . . . . . . . . . . . . 292 b) Vereinbarkeit mit Völker- und Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 aa) Vereinbarkeit mit Art. 12 EMRK, Art. 9 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 bb) Vereinbarkeit mit Art. 8 EMRK, Art. 17 Abs. 1 IPbpR . . . . . . . . . . . . 294 cc) Vereinbarkeit mit dem Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 dd) Vereinbarkeit mit dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko über soziale Sicherheit 297 c) Kulturelle Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 2. Vereinbarkeit mit Grundsätzen des Kollisionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 3. Auswertung der rechtsvergleichenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 4. Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 IV. Art. 13 Abs. 4 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 1. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 a) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 aa) Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 bb) Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 (1) Ungleichbehandlung ausländisch-ausländischer Paare gegenüber deutsch-deutschen Paaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 (2) Ungleichbehandlung ausländisch-ausländischer Paare gegenüber ausländisch-deutschen Paaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 b) Vereinbarkeit mit Völker- und Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 c) Kulturelle Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 2. Vereinbarkeit mit Grundsätzen des Kollisionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 3. Auswertung der rechtsvergleichenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 4. Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

Inhaltsverzeichnis

19

V. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 1. Ergebnisse der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 a) Ergebnisse hinsichtlich der bestehenden besonderen ordre public-Vorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 aa) Keine generelle Unzulässigkeit besonderer ordre public-Vorbehalte im Internationalen Eheschließungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 bb) Zulässigkeit und Unzulässigkeit einzelner besonderer ordre publicVorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 b) Hinweise für die Schaffung besonderer ordre public-Vorbehalte . . . . . . . . 308 2. Ausblick und alternative Lösungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 a) Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 aa) Vereinheitlichtes Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 bb) Vereinheitlichtes Sachrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 b) Modifikation des Eheschließungsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 aa) Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 bb) Anknüpfung an die lex loci celebrationis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

A. Einleitung I. Gegenstand der Untersuchung Am 22. Juli 2017 trat im Nachbeben der so genannten „Flüchtlingskrise“ in Deutschland das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen in Kraft.1 Diese bereits im Vorfeld hoch umstrittene2 Änderung des geltenden Rechts sah neben der Heraufsetzung des nationalen Ehemündigkeitsalters auch eine die Ehen Minderjähriger regelnde Spezialvorschrift für das Internationale Privatrecht (IPR) vor. Der neu eingeführte Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB ordnet die pauschale Unwirksamkeit von Ehen an, wenn eine der beteiligten Personen bei der Heirat das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Ehen, die von Personen geschlossen wurden, die zu diesem Zeitpunkt älter als 16, aber jünger als 18 Jahre alt waren, sind aufhebbar (Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB). Diese Gesetzesänderung, die sich faktisch vor allem auf im Ausland geschlossene Kinderehen auswirkte, erntete von allen Seiten harsche Kritik.3 Dies hielt den Freistaat Bayern nicht davon ab, nur ein knappes Jahr später mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Mehrehen einen ähnlichen Gesetzesvorschlag in den Bundesrat

1

BGBl. I 2017, 2429. Siehe etwa die Stellungnahme des Deutscher Notarverein vom 22. 2. 2017, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2017/Downloads/ 02222017_Stellungnahme_Notarverein_RefE_Kinderehe.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt abgerufen am 3. 12. 2020, 15.43); Stellungnahme des Deutschen Caritas Verband e. V. vom 22. 2. 2017, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Stellungnahmen/2017/Downloads/02222017_Stellungnahme_Caritasverband_RefE_Kinder ehe.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt abgerufen am 3. 12. 2020, 15.44 Uhr); Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds vom 18. 4. 2017, abrufbar unter: https://www.djb. de/presse/stellungnahmen/detail/st17-08/ (zuletzt abgerufen am 3. 12. 2020, 15.45 Uhr); Stellungnahme des Deutschen Familiengerichtstags e. V. vom 23. 2. 2017, abrufbar unter: https: //www.dfgt.de/resources/SN-KiKo_Stellungnahme%20Kinderehen%2022.02.2017.pdf (zuletzt abgerufen am 3. 12. 2020, 15.46 Uhr); Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte vom 16. 5. 2017, abrufbar unter: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/ Redaktion/Publikationen/Stellungnahme_Rechtsausschuss_Minderja__hrigen-Ehen_DIMR_1 6Mai17.pdf (zuletzt abgerufen am 3. 12. 2020, 15.47 Uhr); Stellungnahme des Deutschen Kinderhilfswerks vom 17. 2. 2017, abrufbar unter: https://www.dkhw.de/fileadmin/Redakti on/1_Unsere_Arbeit/1_Schwerpunkte/2_Kinderrechte/2.12_Stellungnahme_Kindereehen/Stel lungnahme_Dt._Kinderhilfswerk_zum_GE_Kinderehe.pdf (zuletzt abgerufen am 3. 12. 2020, 15.48 Uhr). 3 Siehe dazu ausführlich Fn. 8. 2

22

A. Einleitung

einzubringen.4 Auch die von Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E vorgesehene zwingende Aufhebung polygamer Ehen bei gemeinsamem gewöhnlichen Aufenthalt beider Partner im Inland fand in der rechtswissenschaftlichen Literatur nur wenig Anhänger.5 Es fällt dabei auf, dass sich die an den Gesetzesvorhaben geäußerte Kritik nur selten gegen das grundsätzliche Tätigwerden des deutschen Gesetzgebers zu Kinder- oder polygamen Ehen richtete. Im Gegenteil, die Anhebung des nationalen Ehemündigkeitsalters im Zuge der Kinderehen-Gesetzgebung wurde allgemein begrüßt.6 Auch zeigen die seit 2019 geänderten Voraussetzungen für die Anspruchseinbürgerung und insbesondere der ausdrückliche Ausschluss derselben bei bestehender Mehrehe, dass in diesem Bereich durchaus Regelungsbedarf bestand.7 Gegenstand der erwähnten Kritik war also weniger das „Ob“, sondern mehr das „Wie“ des gesetzgeberischen Handelns. Maßgeblich bezog sich dies auf den Umstand, dass die kollisionsrechtlichen Neuregelungen weitestgehend von einer Prüfung der Einzelfallumstände absahen.8 Während ein solch typisierendes Vorgehen grundsätzlich charakteristisch für gesetzgeberisches Handeln ist, ist dieses RegelAusnahme-Prinzip in den durch das Kinderehen-Gesetz beziehungsweise Mehrehen-Gesetzesentwurf geregelten Rechtsfragen des ordre public gerade ins Gegenteil verkehrt: Grundsätzlich erfolgt der Schutz der wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts (sprich: des ordre public) durch die allgemeine Vorbehaltsklausel des 4

Gesetzesentwurf des Freistaats Bayern zur Bekämpfung der Mehrehe vom 5. 6. 2018, BRDrucks. 249/18, abrufbar unter: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2018/02010300/249-18.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 3. 12. 2020, 15.51 Uhr). 5 Siehe dazu ausführlich Fn. 8. 6 Coester, FamRZ 2017, 77; Rohe, StAZ 2018, 73, 77; Dethloff, International Journal of Law, Policy and the Family 2018, 302, 310. 7 Eingeführt durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, BGBl. I 2019, 1124, vgl. dazu unter C.III.3.b). 8 Zu Art. 13 Abs. 3 EGBGB: Beitrag von Heiderhoff am 17. 12. 2018, „Möge diesem Gesetz kein langes Leben beschert sein“ –: das Kinderehengesetz vor dem BVerfG, Verfassungsblog.de, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/moege-diesem-gesetz-kein-langes-leben-be schieden-sein-das-kinderehengesetz-vor-dem-bverfg/ (zuletzt abgerufen am 4. 12. 2020, 14.29 Uhr); Stellungnahme des Deutschen Notarvereins (vgl. A. Fn. 2), 1 ff.; Schwab, FamRZ 2017, 1369 ff.; Coester, FamRZ 2017, 77, 79; Antomo, NZFam 2016, 1155, 1161; dies., ZRP 2017, 79, 81; Stellungnahme des Deutschen Caritas Verbands e. V. (vgl. A. Fn. 2), 8; Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds (vgl. A. Fn. 2), 3 ff.; Stellungnahme des Deutschen Familiengerichtstags e. V. (vgl. A. Fn. 2), 3 ff.; Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte (vgl. A. Fn. 2), 5 ff.; Stellungnahme des Deutschen Kinderhilfswerks (vgl. A. Fn. 2), 3 ff.; Rohe, StAZ 2018, 73, 76 ff.; Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41 ff.; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 435 f.; zu verfahrensrechtlichen Aspekten der Nichtigkeits-Lösung Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1377; Dethloff, International Journal of Law, Policy and the Family 2018, 302, 309; Erbarth, FamRB 2018, 338, 340; Rauscher, FS Kren Kostkiewicz, 245, 253; zu Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E: Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 763 ff.; Jayme, IPRax 2018, 473, 474 f., der von einer „unreife[n] Frucht des politischen Asylstreits“ spricht; Dutta, FamRZ 2018, 1141 f.; Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds (vgl. A. Fn. 2), 1 ff.

I. Gegenstand der Untersuchung

23

Art. 6 EGBGB. Diese greift als Korrektiv bei der Anwendung einer kollisionsrechtlich berufenen Rechtsordnung dann ein, wenn das Ergebnis der Fremdrechtsanwendung nicht mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts zu vereinbaren wäre.9 Da der allgemeine ordre public-Vorbehalt damit von für das IPR relevanten Grundsätzen wie dem Streben nach einem internationalen Entscheidungseinklang,10 der Achtung fremder Rechtsordnungen und der Wahrung von Statuskontinuität abweicht,11 wird dieser nur sehr zurückhaltend angewendet. So wird für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel ein hinreichender räumlicher, sachlicher und zeitlicher Bezug zur deutschen Rechtsordnung verlangt.12 Der allgemeine ordre public-Vorbehalt wird von so genannten besonderen Vorbehaltsklauseln flankiert. Diese Normen typisieren ordre public-Verstöße. Während Art. 6 EGBGB also eine Einzelfallprüfung der Fremdrechtsanwendung anhand des konkreten Sachverhalts fordert, legt der Gesetzgeber durch die speziellen Vorbehalte fest, wann die deutschen Rechtsgrundsätze, losgelöst von der spezifischen Fallgestaltung, stets als verletzt anzusehen sind.13 Er trifft damit eine politische Entscheidung zur Durchsetzung des geschützten Rechtsgrundsatzes.14 Diese Typisierungen bezwecken vor allem die Förderung von Rechtssicherheit.15 Indem der Gesetzgeber festlegt, dass sich in bestimmten, häufig besonders sensiblen,16 Rechtsfragen deutsche Wertungen stets durchsetzen, nimmt er Gerichten und Behörden die Einzelfallentscheidungen hierüber ab. Das Ergebnis der Rechtsanwendung wird dadurch für die Parteien voraussehbar. Dieses, aus Sicht des Gesetzgebers wünschenswerte, Ergebnis geht jedoch zulasten der bereits erwähnten Grundsätze des Kollisionsrechts. Ebenso können dadurch so genannte „hinkende Rechtsverhältnisse“ entstehen. Als solche bezeichnet man Statusverhältnisse, die von einem Land als wirksam, von einem anderen jedoch als unwirksam erachtet werden.17 Häufig hat dies für die Betroffenen negative Konsequenzen.18 9

von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, § 7, Rn. 258, die von einem „Überdruckventil“ sprechen; von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 126 ff.; Lorenz, in: BeckOK BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 10 ff. 10 Auf diesen Grundsatz weist Looschelders hin in: Staudinger, Einleitung zum IPR, Rn. 3. 11 Zu diesen Grundsätzen von Hein, in: MüKo BGB, Einleitung zum IPR, Rn. 28 ff.; Rohe, StAZ 2018, 73, 76; Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 769; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 434; von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, § 7, Rn. 265. 12 von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, § 7, Rn. 263; Hemler, in: Erman BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 20; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 36 II 2; Antomo, NZFam 2016, 1155, 1160. 13 Wall, StAZ 2018, 96, 98; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 36 VIII; Mörsdorf, in: Prütting/Wegen/Weinreich, Art. 6 EGBGB, Rn. 2; Nojack, Exklusivnormen im IPR, 165. 14 Vgl. speziell zum Kinderehen-Gesetz Rauscher, FS Kren Kostkiewicz, 245, 248. 15 Kropholler, Internationales Privatrecht, § 36 VIII. 16 von Hoffmann, IPRax 1996, 1, 8. 17 Zum Begriff der hinkenden Rechtsverhältnisse etwa Ludwig, in: jurisPK BGB, Art. 3 EGBGB, Rn. 13; Weller, IPRax 2009, 202 ff. (dort Fn. 96).

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A. Einleitung

Der Blick in das nationale Kollisionsrecht zeigt, dass sich viele solcher besonderen Vorbehaltsklauseln im Internationalen Eheschließungsrecht finden. Hier hat der Gesetzgeber durch Art. 13 Abs. 2, Art. 13 Abs. 3 und Art. 13 Abs. 4 EGBGB drei verschiedene Rechtsfragen typisierend beantwortet. Die Normen weichen somit, unter Verzicht auf eine Einzelfallprüfung, von der Regelanknüpfung an die Staatsangehörigkeit (Art. 13 Abs. 1 EGBGB) ab. Dieser Umstand gibt zunächst kaum Anstoß für Verwunderung, da etwa bereits das Bekenntnis zur obligatorischen Zivilehe oder der verfassungsrechtlich verankerte Schutzauftrag zugunsten der Ehe erkennen lassen, dass in diesem Bereich erhebliche staatliche Regulierung- und Rechtssicherheitsinteressen bestehen.19 Auf den zweiten Blick zeichnet sich das Eherecht daneben aber auch durch seine besondere soziale und historische Prägung aus. Dies hat die erhebliche Bedeutung kultureller Belange in diesem Bereich zur Folge. Zugleich handelt es sich bei der Ehe auch um ein höchstpersönliches Rechtsverhältnis. Die besondere Sensibilität der hier relevanten Rechtsfragen lässt es daher fraglich erscheinen, ob ein typisierendes Vorgehen tatsächlich sachgerecht ist. Diese Überlegung spiegelt sich auch in der an dem Kinderehen-Gesetz beziehungsweise Mehrehen-Gesetzesentwurf geäußerten Kritik wider. Angestoßen davon stellt sich die Frage, ob besondere ordre public-Vorbehalte im Internationalen Eheschließungsrecht angesichts einer zunehmend globalisierten Welt (noch) angemessen sind. Dabei sind sowohl hinsichtlich der Achtung der Grundsätze des Kollisionsrechts als auch in verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Hinsicht Zweifel angebracht. Vor dem erläuterten Hintergrund ist Gegenstand dieser Arbeit die Frage, ob die Kodifikation besonderer ordre public-Vorbehalte im Internationalen Eheschließungsrecht grundsätzlich statthaft ist und – sollte dies zu bejahen sein – welche der vom Eheschließungsrecht vorgesehenen besonderen Vorbehaltsklauseln der Durchsetzung schützenswerter staatlicher Interessen dienen und daher beibehalten werden sollten.

II. Stand der Forschung und Gang der Untersuchung Allgemeine ordre public-Vorbehalte nationaler sowie internationaler Kodifikationen sind bereits umfassend erforscht worden.20 Auch finden sich zahlreiche 18 Zu hinkenden Rechtsverhältnissen als Folge besonderer ordre public-Vorbehalte Kegel, RabelsZ 25 (1960), 201, 206 (zu Art. 13 Abs. 4 EGBGB). 19 So etwa BVerfG, Beschl. v. 30. 11. 1982 – 1 BvR 818/82 = NJW 1983, 511; BVerfG, Beschl. v. 2. 2. 1993 – 2 BvR 1491/91 = NJW 1993, 3316, 3317. 20 Siehe zu Art. 6 EGBGB nur auszugsweise Schemmer, Der ordre public-Vorbehalt unter der Geltung des Grundgesetzes; Jayme, Methoden der Konkretisierung des ordre public im Internationalen Privatrecht; Spickhoff, Der ordre public im internationalen Privatrecht; Epe, Die Funktion des Ordre Public im deutschen internationalen Privatrecht; zum ordre public in in-

II. Stand der Forschung und Gang der Untersuchung

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Untersuchungen zur Bedeutung der allgemeinen Vorbehaltsklausel für das internationale Familienrecht.21 Demgegenüber fristet der Bereich der besonderen ordre public-Vorbehalte bislang eher ein Schattendasein in der rechtswissenschaftlichen Forschung. Hierzu finden sich bisher beinah ausschließlich punktuelle Untersuchungen zu einzelnen Normen.22 Eine Lücke besteht jedoch in Hinblick auf eine sich über einzelne Vorbehaltsklauseln erstreckende Betrachtung und Kontextualisierung. Dieser Aufgabe widmet sich für den Bereich des Eheschließungsrechts die vorliegende Arbeit. Dazu werden im ersten Kapitel der Arbeit die Grundlagen für die Untersuchung gelegt (B). Der Normtyp der allgemeinen und der besonderen ordre public-Vorbehalte wird unter Berücksichtigung von Funktion, Systematik und der sich daraus ergebenden Rechtsfolgen erläutert (B. I.). Weiter ermöglicht es eine knappe Darstellung der Entwicklung des IPR, die Entstehung besonderer Vorbehaltsklauseln im historischen Kontext zu verorten (B. II.). Anschließend wird das Phänomen der kulturellen Identität aus rechtswissenschaftlicher Sicht dargestellt, damit dieses bei der späteren Beurteilung der einzelnen Vorbehaltsklauseln berücksichtigt werden kann (B. III.). Das zweite Kapitel widmet sich der Darstellung und Untersuchung der besonderen Vorbehaltsklauseln des Internationalen Eheschließungsrechts (C.) Dabei wird neben der Genese der jeweiligen Norm auch die daran geübte Kritik sowie die praktische Relevanz für die deutsche Rechtsprechung berücksichtigt. Da es sich bei den hinter der jeweiligen Norm stehenden gesetzgeberischen Interessen um einen nur schwer quantifizierbaren Faktor handelt, wird zur weiteren Klärung ein Vergleich mit der englischen Rechtsordnung vorgenommen. Hiermit befasst sich das dritte Kapitel der Arbeit (D.). Sollte sich herausstellten, dass der englische Gesetzgeber an gleicher oder ähnlicher Stelle den Schutz nationaler Interessen für erforderlich erachtet, kann dies als Indikator für die Erheblichkeit dieser ternationalen Rechtsakten etwa Frey/Pfeifer, EuR 2015, 721 ff.; Ayazi, NJOZ 2018, 1041; Mankowski, KTS 2011, 185 ff. 21 Vgl. Weitz, Inlandsbeziehungen und ordre public in der deutschen Rechtsprechung zum internationalen Familienrecht; Ollick, Das kollisionsrechtliche Vorfragenproblem und die Bedeutung des ordre public unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Rechtsprechung zum internationalen Familienrecht; Wuppermann, Die deutsche Rechtsprechung zum Vorbehalt des ordre public im Internationalen Privatrecht seit 1945 vornehmlich auf dem Gebiet des Familienrechts. 22 Auszugsweise zu Art. 40 Abs. 3 EGBGB: Dethloff, FS Stoll, 481, 482 ff.; Kropholler/von Hein, FS Stoll, 553 ff.; Hay, FS Stoll, 521 ff.; Spickhoff, NJW 1999, 2209, 2213; zu Art. 13 Abs. 4 EGBGB (Art. 13 Abs. 3 EGBGB a. F.): Frank, StAZ 2011, 236, 238; einleitend dazu auch Hepting, StAZ 1987, 154 f.; Görgens, StAZ 1977, 79 ff.; Nojack, Exklusivnormen im IPR, 35 ff.; zu Art. 13 Abs. 2 EGBGB: Schwimann, StAZ 1988, 35 ff.; Henrich, FamRZ 1986, 841, 842; Nojack, Exklusivnormen im IPR, 31 ff.; zu Art. 17 Abs. 3 EGBGB (Art. 17 Abs. 2 EGBGB a. F.): Ziereis/Zwirlein, IPRax 2016, 103 ff.; zu Art. 17a EGBGB: Finger, FuR 2002, 197 f.; Pietsch, FuR 2016, 685, 686; zu Art. 23 S. 2 EGBGB: Wengler, RabelsZ 53 (1989), 409, 430 f.; Sturm, StAZ 1997, 261, 264; übergreifend aber Nojack, Exklusivnormen im IPR.

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A. Einleitung

Belange gewertet werden. Eine Auswertung der gewonnenen Ergebnisse wird im vierten Kapitel der Arbeit vorgenommen (E.). Dabei erfolgt neben der Beantwortung der Frage nach der Statthaftigkeit einzelner oder aller besonderer Vorbehaltsklauseln auch die Darstellung zweier alternativer Lösungsansätze, die es ermöglichen, die Kodifikation von besonderen ordre public-Vorbehalten zu umgehen.

B. Grundlagen Das erste Kapitel der Arbeit schafft die Grundlagen für die nachfolgende Untersuchung. Da diese sich mit der Zulässigkeit und der spezifischen Ausgestaltung besonderer ordre public-Vorbehalte befasst, wird dieser Normtyp im ersten Teil dieses Kapitels umfassend beleuchtet (I.). Die strukturellen Charakteristika besonderer ordre public-Vorbehalte werden dabei erst durch die Abgrenzung zur allgemeinen Vorbehaltsklausel deutlich. Deshalb erfolgt zunächst eine Darstellung des Art. 6 EGBGB (1.). Daran anschließend werden Funktion und Systematik besonderer ordre public-Vorbehalte erläutert (2.). Zudem wird auch die gegen diese Rechtsfigur geäußerte Kritik angerissen. In einem zweiten Schritt soll die Rolle besonderer ordre public-Vorbehalte im Internationalen Privatrecht beleuchtet werden. Dazu wird die Entwicklung dieses Rechtsgebiets seit Savignys grundsätzlicher Restrukturierung im Jahr 1849 bis in die Gegenwart nachvollzogen (II.). Die Untersuchung beschränkt sich auf die besonderen ordre public-Vorbehalte des autonomen Internationalen Eheschließungsrechts. Wie einleitend bereits dargestellt, handelt es sich dabei um ein Rechtsgebiet, welches im besonderen Maße durch individuelle kulturelle Wünsche und Wertvorstellungen geprägt ist. Es stellt sich daher die Frage, inwiefern die Normen des Eheschließungsrechts diesem Umstand Rechnung tragen müssen. Diese unter dem Begriff der kulturellen Identität firmierende Thematik wird im letzten Teil des Kapitels behandelt (III.). Dabei soll einerseits der Frage nach der Rechtsnatur und der dogmatischen Grundlage eines Anspruchs auf Wahrung der kulturellen Identität nachgegangen werden. Andererseits soll untersucht werden, welche Auswirkung die individuelle kulturelle Identität auf die Rechtspraxis hat.

I. Darstellung allgemeiner und besonderer ordre public-Vorbehalte 1. Der allgemeine ordre public-Vorbehalt Die autonome allgemeine Vorbehaltsklausel ist seit der IPR-Reform im Jahr 1986 in Art. 6 EGBGB kodifiziert. Dem Wortlaut nach ist „eine Rechtsnorm eines anderen Staates […] nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere dann nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist“.

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B. Grundlagen

a) Funktion Art. 6 EGBGB dient als „allgemeiner Vorbehalt“ zum Schutz der wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts. Zusammengefasst werden sie unter dem Begriff des ordre public. Diese schützenswerten Prinzipien können dabei nicht abschließend aufgezählt werden. Vielmehr ist anhand des Einzelfalls zu ermitteln, ob ein wesentlicher deutscher Rechtsgrundsatz durch einen Sachverhalt beeinträchtigt wird.1 Eine Konkretisierung erfolgt dabei lediglich durch Art. 6 S. 2 EGBGB. Diese im Rahmen der IPR-Reform eingeführte Ergänzung verdeutlicht,2 dass jedenfalls die Grundrechte stets zum deutschen ordre public zu zählen sind. Art. 6 EGBGB ist eine Generalklausel. Der Vorbehalt greift folglich unabhängig von dem streitgegenständlichen Rechtsgebiet und losgelöst vom Inhalt des verletzten Rechtsgrundsatzes ein.3 Diesem Umstand trägt der offene, teils als unbestimmt kritisierte4 Wortlaut der Norm Rechnung. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Art. 6 EGBGB der Unvorhersehbarkeit und der Diskrepanz der Sachverhalte im internationalen Rechtsverkehr gerecht wird.5 Der Anwendungsbereich des allgemeinen ordre public-Vorbehalts ist dabei auf Ausnahmekonstellationen beschränkt. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass im Internationalen Privatrecht grundsätzlich ein Entscheidungseinklang angestrebt wird. Damit ist gemeint, dass die Frage nach der anwendbaren Rechtsordnung stets gleich beantwortet werden soll, unabhängig davon, welches Gericht welchen Landes über den Sachverhalt entscheidet.6 Dies dient vor allem der Vermeidung hinkender Rechtsverhältnisse. Zusätzlich soll das Ergebnis der Kollisionsrechtsanwendung für die Parteien voraussehbar gestaltet werden. Dieses Ziel wird beeinträchtigt, wenn aufgrund des ordre public-Vorbehalts von der Anwendung der zunächst berufenen Rechtsordnung abgesehen wird. Zugleich bringt das Eingreifen der Vorbehaltsklausel zum Ausdruck, dass deutsche Wertvorstellungen im konkreten Fall als vorrangig gegenüber der fremden Rechtsordnung gewertet werden. Dies steht im Widerspruch zu dem historischen Leitgedanken des Internationalen Privatrechts, wonach Gleichwertigkeit zwischen allen Privatrechtsordnungen besteht.7 1

Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 135. Vgl. zur Einführung des Art. 6 S. 2 EGBGB unter C.I.1.d)ff). 3 BT-Drucks. 10/504, 43; Baetge, in: jurisPK BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 2, 9; Hay, FS Kropholler, 89. 4 Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 19. 5 BT-Drucks. 10/504, 43. 6 von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 27; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 6 II; von Hein, in: MüKo BGB, Einleitung zum IPR, Rn. 4 ff.; von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, § 6, Rn. 56 f. 7 Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 434; von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, § 7, Rn. 265; Nojack, Exklusivnormen im IPR, 10; vgl. zu diesem Prinzip im Übrigen auch unter B.II. 2

I. Darstellung allgemeiner und besonderer ordre public-Vorbehalte

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Diesen kollisionsrechtlichen Belangen steht die Grundrechtsbindung des deutschen Rechtsanwenders aus Art. 1 Abs. 3 GG gegenüber. Aus der Gesamtschau dieser widerstreitenden Interessen ergibt sich das Erfordernis einer restriktiven Handhabung des ordre public-Vorbehalts.8 Art. 6 EGBGB soll nur dann den Rechtsanwendungsbefehl durchbrechen, wenn und soweit dies für den Rechtsanwender aufgrund seiner Bindung an die Grundrechte sowie sonstiger rechtsstaatlicher Grundsätze zwingend ist. In einem solchen Fall „wehrt“ Art. 6 EGBGB dann die Anwendung der ausländischen Norm insofern ab,9 als diese trotz des ursprünglichen Rechtsanwendungsbefehls nicht zur Anwendung gelangt. Dies wird als negative Funktion des ordre public bezeichnet. Die Nicht-Anwendung der ausländischen Norm bei potentieller Verletzung des ordre public dient vorrangig dazu, das Vertrauen der inländischen Bürger in die Aufrechterhaltung elementarer gesellschaftlicher Wertvorstellungen zu schützen.10 Weiter bezweckt Art. 6 EGBGB die Durchsetzung grundlegender staatlicher Interessen gegenüber denen des ausländischen Rechts.11 Während die negative Funktionsweise des ordre public-Vorbehalts unstreitig ist, bestand in der Rechtswissenschaft lange Zeit Uneinigkeit darüber, ob daneben auch ein positives Eingreifen möglich ist.12 Hierunter verstand man die zwingende Anwendbarkeit deutscher Rechtsnormen auch in Auslandssachverhalten.13 Von der herrschenden Meinung wird das mittlerweile einhellig abgelehnt.14 Dabei wird auf den insofern eindeutigen Wortlaut des Art. 6 EGBGB verwiesen. Zudem wird angeführt, dass die Frage, wann inländische Normen entgegen den kollisionsrechtli8 Pentzlin, Der universelle ordre public im Wirtschaftsrecht als ein Ordnungsprinzip des innerstaatlichen Rechts, 10. 9 Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 1; Schemmer, Der ordre public Vorbehalt unter der Geltung des Grundgesetzes, 4. 10 Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 58 ff.; BT-Drucks. 504/10, 43. 11 Pentzlin, Der universelle ordre public, 13 f.; Völker, Dogmatik des ordre public, 57 f., 61; zu Art. 30 EGBGB a. F.: Kegel, in: Soergel, Art. 6 EGBGB, Rn. 22; ders., Internationales Privatrecht, § 16 II; Schemmer, Der ordre public-Vorbehalt unter der Geltung des Grundgesetzes, 111. 12 Vgl. Baetge, in: jurisPK BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 13 f.; umfassend Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 12 ff.; Epe, Die Funktion des ordre public im deutschen Internationalen Privatrecht, 125 ff.; Schwung, Die Rechtsfolgen aus der Anwendung der ordre public-Klausel, 13 ff.; Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 364 ff. 13 Die Existenz einer positiven Funktion bejahen von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 6, Rn. 142; Looschelders, Internationales Privatrecht, Art. 6 EGBGB, Rn. 2; Siehr, Internationales Privatrecht, § 53; wohl auch Spangenberg, Die Lehre vom deutschen ordre public nach der neueren deutschen Rechtsprechung, 14 f.; Schwung, Die Rechtsfolgen aus der Anwendung der ordre public-Klausel, 30 f.; Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 9. 14 Vgl. dazu auch von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 2; Lorenz, in: BeckOK BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 4; Völker, Dogmatik des ordre public, 60; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 36 I; Junker, Internationales Privatrecht, § 12 Rn. 6; Martiny, FS Sonnenberger, 523, 539; Baetge, in: jurisPK BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 12; Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 17; Vallindas, RabelsZ 18 (1953) 1, 3; Neumayer, FS Dölle, Band II, 179, 205 ff.

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B. Grundlagen

chen Verweisungen unbedingt angewendet werden müssen, durch das Institut der Eingriffsnormen geregelt werde.15 b) Systematik aa) Prüfungsgegenstand Die ordre public-Prüfung beschränkt sich stets auf das Ergebnis der Anwendung der ausländischen Norm. Eine abstrakte Kontrolle des fremden Rechts findet nicht statt. Diese Begrenzung des Prüfungsgegenstandes folgt aus der Erwägung, dass der ordre public-Vorbehalt nicht zum Oktroi deutscher Wertvorstellungen im Ausland dient.16 Praktisch führt dies dazu, dass die jeweilige Fallkonstellation unter hypothetischer Anwendung des ausländischen Rechts durchdacht werden muss. Sollte man dabei zu einem Ergebnis gelangen, welches wesentlichen deutschen Wertvorstellungen widerspricht, ist die ausländische Norm soweit es ihre Anwendung auf den konkreten Fall betrifft, zu verwerfen.17 Folglich können Entscheidungen deutscher Richter auch dann rechtmäßig sein, wenn sie auf ordre public-widrigen Normen beruhen.18 Umgekehrt kann die Anwendung eines ausländischen Gesetzes im Ergebnis an dem Vorbehalt des ordre public scheitern, auch wenn die Norm als solche nicht der deutschen öffentlichen Ordnung widerspricht.19 bb) Prüfungsmaßstab Der Wortlaut von Art. 6 S. 1 EGBGB verdeutlicht, dass der ordre public dann verletzt ist, wenn das Rechtsanwendungsergebnis mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Diese offene Formulierung macht eine Konkretisierung des Prüfungsmaßstabs erforderlich:20 Einigkeit herrscht darüber, dass es unbeachtlich ist, ob der verletzte Rechtsgrundsatz aus dem deutschen, europäischen oder internationalem Recht stammt21 oder welchem Rechtgebiet dieser zuzuordnen ist.22 Anderseits ist auch anerkannt, dass allein der nicht-dispositive Charakter einer Norm nicht zwingend dazu führt,

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Lorenz, in: Bamberger/Roth BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 4. Lorenz, in: Bamberger/Roth BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 10. 17 So im Ergebnis auch Lorenz, in: Bamberger/Roth BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 14 f. 18 Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 125; Mörsdorf, in: Prütting/Wegen/Weinreich, Art. 6 EGBGB, Rn. 14. 19 Kegel, in: Soergel, Art. 6 EGBGB, Rn. 10. 20 Vgl. von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 141. 21 Lorenz, in: BeckOK BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 14; Mörsdorf, in: Prütting/Wegen/ Weinreich, Art. 6 EGBGB, Rn. 10. 22 Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 136. 16

I. Darstellung allgemeiner und besonderer ordre public-Vorbehalte

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dass diese auch ein Teil des nationalen ordre public ist.23 Vielmehr wird zusätzlich verlangt,24 dass die Norm zum Kernbestand der deutschen Rechtsordnung zählt und deshalb „unverzichtbar“ ist.25 Im Übrigen dient vor allem die Rechtsprechung zur Konturierung der Vorbehaltsklausel.26 Dabei ist stets zu berücksichtigen, dass eine Verfestigung der entstandenen Fallgruppen dem Charakter und Zweck von Art. 6 EGBGB widersprechen würde. Eine Konkretisierung hin zu allgemeinen Regeln wird gerade nicht angestrebt, vielmehr muss weiterhin der Einzelfall im Vordergrund der ordre publicPrüfung stehen.27 Zu beachten ist zudem, dass nicht jede Verletzung eines wesentlichen deutschen Rechtsgrundsatzes zum Eingreifen von Art. 6 EGBGB führt. Vielmehr ist ein Verstoß von schwerem, untragbarem Gewicht erforderlich.28 cc) Inlandsbezug – Räumliche Relativität Trotz der überragenden Bedeutung der von Art. 6 EGBGB geschützten Rechtsgrundsätze bezweckt der allgemeine ordre public-Vorbehalt keinen globalen Schutz dieser Werte. Dies erscheint mit Blick auf die Funktion der Norm auch nicht erforderlich: Bei einem Sachverhalt mit Schwerpunkt im Ausland ist weder zu befürchten, dass das Vertrauen deutscher Bürger in den Fortbestand elementarer Wertevorstellungen erschüttert wird noch müssen hier wesentliche Staatsinteressen aufrechterhalten werden. Vielmehr ist es für die Erfüllung der Funktion der Vorbehaltsklausel stets geboten, dass die Rechtsverletzung eine gewisse Verbindung zum Inland aufweist. Aufgrund dieser Erwägungen ist für Art. 6 EGBGB das Erfordernis eines hinreichenden Inlandsbezugs als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal anerkannt.29 Dies bedeutet, dass der Sachverhalt, damit eine Verletzung des ordre public in Betracht kommt, durch hinreichend enge Anknüpfungspunkte personeller, sachlicher oder rechtlicher Art mit dem Inland verbunden sein muss.30 Auch die Anforderungen an den Inlandsbezug können dabei nicht abstrakt-generell bestimmt werden, sondern sind anhand des Einzelfalls festzulegen. Dabei kann ins23 BGH, Urt. v. 4. 6. 1992 – IX ZR 149/91 = BGHZ 118, 312, 330; Spickhoff, Der ordre public im Internationalen Privatrecht, 87; Epe, Die Funktion des ordre public im deutschen Internationalen Privatrecht, 110. 24 Davon ausgehend, dass die Abdingbarkeit einer deutschen Sachnorm als Zeichen für ihre Irrelevanz im Rahmen der Bestimmung des ordre public spricht, Spickhoff, Der ordre public im Internationalen Privatrecht, 87 mit Verweis auf Savigny; von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 144. 25 Pentzlin, Der universelle ordre public, 11. 26 Schemmer, Der ordre public-Vorbehalt unter der Geltung des Grundgesetzes, 115. 27 So auch Spickhoff, Der ordre public im Internationalen Privatrecht, 87. 28 von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, § 7 VIII, Rn. 259; Kegel, in: Soergel, Art. 6 EGBGB, Rn. 25. 29 BT-Drucks. 10/504, 43. 30 Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 158.

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B. Grundlagen

besondere die Schwere des ordre public-Verstoßes Bedeutung erlangen: Es gilt, dass die Anforderungen an die Inlandsbeziehung sinken, je gravierender die Verletzung der wesentlichen Rechtsgrundsätze ist et vice versa. Man spricht hier von der räumlichen Relativität des ordre public.31 Ebenso ist bei der Bestimmung des hinreichenden Inlandsbezugs von Bedeutung, ob es sich bei dem ordre public-relevanten Sachverhalt um eine Haupt- oder Vorfrage handelt.32 dd) Gegenwartsbezug – Zeitliche Relativität Die Überprüfung der Anwendung einer ausländischen Rechtsnorm auf ihre Vereinbarkeit mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts beinhaltet neben der räumlichen auch eine zeitliche Komponente. Diese findet sich einerseits darin wieder, dass bei der ordre public-Kontrolle der Wandel der herrschenden Wertvorstellungen berücksichtigt werden muss.33 Der ordre public ist „nicht statisch und unveränderlich, sondern als Substrat der geltenden Rechtsordnung […] eine Ausprägung der elementaren Wertvorstellungen und […] dem Wandel dieser […] unterworfen“.34 Daraus folgt, dass der ordre public-Vorbehalt nicht bereits dann eingreift, wenn der fragliche Sachverhalt bei seiner Entstehung die zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechtsgrundsätze verletzt hat.35 Vielmehr ist für die Prüfung allein entscheidend, ob der ordre public im Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung beeinträchtigt wird.36 Zudem greift Art. 6 EGBGB nur dann, wenn eine Verletzung wesentlicher Rechtsgrundsätze auch für die Gegenwart Konsequenzen hat.37 Dies beruht auf der Erwägung, dass bereits länger bestehende Sachverhalte einen Gewöhnungseffekt zur Folge haben. Somit besteht allenfalls eine geringe Gefahr, dass durch in der Vergangenheit liegende ordre public-Verstöße das gegenwärtige Vertrauen der Bürger in die Aufrechterhaltung wesentlicher Rechtsgrundsätze erschüttert wird.38 Auch für diesen zeitlichen Bezug gilt, dass die Anforderungen hieran mit steigender Intensität der Rechtsverletzung sinken.39 31

Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 161; Spickhoff, Der ordre public im Internationalen Privatrecht, 97; Mörsdorf, in: Prütting/Wegen/Weinreich, Art. 6 EGBGB, Rn. 15. 32 Epe, Die Funktion des ordre public im deutschen Internationalen Privatrecht, 132; während Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 166, die Vorfragen-Thematik unter dem Begriff der „sachlichen Relativität“ des ordre public behandelt; vermittelnd Spickhoff, Der ordre public im Internationalen Privatrecht, 100. 33 Vgl. dazu Frank, FS Vrellis, 287, 288 ff. 34 BGH, Urt. v. 17. 9. 2004 – V ZR 339/03 = BGHZ 160, 240, 251. 35 Vgl. zu den unterschiedlichen möglichen zeitlichen Anknüpfungspunkten Frank, FS Vrellis, 287, 289 ff. 36 BGH, Urt. v. 9. 1. 1969 – VII ZR 133/66 = BGHZ 51, 290, 293; Mörsdorf, in: Prütting/ Wegen/Weinreich, Art. 6 EGBGB, Rn. 12; Kegel, Internationales Privatrecht, 7. Auflage, § 16 VII; Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 144. 37 Spickhoff, Der ordre public im Internationalen Privatrecht, 101; Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 165; von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 222. 38 Makowsky/G. Schulze, in: NomosKommentar BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 43.

I. Darstellung allgemeiner und besonderer ordre public-Vorbehalte

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c) Rechtsfolgen Art. 6 EGBGB trifft selbst keine Rechtsfolgenregelung. Dies beruht auf der gesetzgeberischen Erwägung, dass es durch diese offene Ausgestaltung Rechtsprechung und Literatur möglich wird, eine interessengerechte und vor allem flexible Lösung zu finden.40 Dabei herrscht Einigkeit darüber, dass die Rechtsfolgen eines ordre public-Verstoßes dann eindeutig sind, wenn der Ausschluss des ausländischen Rechts keine Lücke bei der Rechtsanwendung hinterlässt. Die ordre public-widrige Norm bleibt dann unangewendet, im Übrigen bleibt das ausländische Recht jedoch anwendbar.41 Weniger eindeutig sind die Rechtsfolgen dann, wenn sich aus der Nicht-Anwendung des fremden Rechts eine Regelungslücke ergibt. Für die Lösung dieser Fälle werden im Wesentlichen zwei Alternativen diskutiert:42 Einerseits wird vorgeschlagen, die lex fori zur Lückenschließung heranzuziehen.43 Dafür wird vorgebracht, dass dies zu einer Vereinheitlichung von Kontrollmaßstab und Rechtsfolge führe, wodurch ein optimaler Schutz des ordre public sichergestellt werde.44 Weiter würden durch diesen Ansatz die Grundsätze der Methodenehrlichkeit und realen Entscheidung gewahrt.45 Zudem wird darauf verwiesen, dass die Anwendung der lex fori zur Einheitlichkeit der Rechtsfolgen von allgemeinen und speziellen ordre public-Vorbehalten führe. Zudem spreche für diese Herangehensweise ihre Praktikabilität. Denn den Gerichten sei regelmäßig die Anwendung der heimischen Rechtsordnung vertrauter als die des ausländischen Rechts. Diesem Ansatz begegnet vor allem die Kritik, dass hierdurch der tatsächlich noch bestehende Auslandsbezug des Sachverhalts ignoriert werde. Dieser entfalle nicht aufgrund der ordre public-Widrigkeit der berufenen Rechtsnorm. Dies werde da-

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Spickhoff, Der ordre public im Internationalen Privatrecht, 101. BT-Drucks. 10/504, 44. 41 KG, Beschl. v. 21. 11. 2011 – 1 W 79/11 = NJOZ 2012, 165, 166; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 12. 2008 – 3 Wx 51/08 = NJW-RR 2009, 732, 734; OLG Frankfurt, Beschl. v. 10. 5. 2010 – 20 W 4/10 = ZEV 2011, 135, 136; OLG Hamm, Beschl. v. 28. 2. 2005 – 15 W 117/ 04 = FamRZ 2005, 1705, 1709 f.; OLG Schleswig, Beschl. v. 31. 5. 2001 – 2 W 69/01 = NJW-RR 2001, 1372 f.; Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 205 f.; Baetge, in: jurisPK BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 156 ff. 42 Daneben wurde auch vorgeschlagen, die Lücke durch das Berufen einer weiterer (dritten) Rechtsordnung zu schließen (dazu Schwung, RabelsZ 49 (1985), 407 ff.), autonomes, vereinheitlichtes Recht zur Anwendung zu bringen (dazu Schwung, RabelsZ 49 (1985), 407, 415) oder eine neue Sachnorm zur Lückenfüllung zu entwickeln (Kegel, FS Drobnig, 315, 325 f.). Weiter wurde angemerkt, das für die rechtliche Lücke maßgebliche Recht könne nur anhand der Umstände des Einzelfalls bestimmt werden (Schwung, RabelsZ 49 (1985) 407, 419 ff.). 43 Zur gesamten Argumentation vgl. von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, § 7 VIII Rn. 285. 44 von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, § 7 VIII Rn. 285. 45 So auch Kegel, FS Drobnig, 315, 326. 40

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B. Grundlagen

durch verdeutlicht, dass das berufene Recht im Übrigen voll anwendbar bleibe.46 Es würden folglich grundsätzliche Wertungen der deutschen Kollisionsrechtsregeln außer Acht gelassen, wenn bei Eingreifen des ordre public-Vorbehalts stets die lex fori für anwendbar erklärt würde. Insbesondere dem letztgenannten Aspekt begegnet die mittlerweile als herrschend anzusehende Meinung, die primär die lex causae für die Lückenschließung zur Anwendung bringen will.47 Praktisch soll dies durch eine Modifikation der ordre public-widrigen Rechtsnorm oder durch die Heranziehung weiterer Rechtssätze der berufenen Rechtsordnung gelingen. Nur in den Fällen, in denen sich durch dieses Vorgehen kein sinnvolles Ergebnis erzielen lässt, soll die lex fori als Ersatzrecht dienen. Diesem Vorschlag wird zwar entgegengehalten, dass die Anwendung der modifizierten lex causae den Grundsatz der realen Entscheidungsfindung vernachlässige.48 Im Übrigen hat dieser Ansatz jedoch viel Zustimmung erfahren. Dies folgt insbesondere daraus, dass dadurch dem ursprünglich erteiltem Rechtsanwendungsbefehl und den dahinterstehenden Erwägungen weitestmöglich Rechnung getragen wird.49 Die fortbestehende Beziehung des Sachverhalts zu dem Recht eines anderen Staates setzt sich hier konsequent durch. Zudem entspricht dieses Vorgehen dem Ausnahmecharakter der Vorbehaltsklausel. Diese soll gerade nicht die gesamte ausländische Rechtsordnung ausschließen,50 sondern eine möglichst schonende Lösung unter Berücksichtigung der internationalprivatrechtlichen Grundsätze erzielen. Zu beachten ist auch, dass sich die Anwendung der lex causae zur Lückenschließung auch für die ordre public-Prüfung im Rahmen internationaler Rechtsvereinheitlichungen durchgesetzt hat.51 Diese Lösung führt somit zu einem

46 Schwung, Die Rechtsfolgen aus der Anwendung der ordre public-Klausel im Internationalen Privatrecht, 99 ff.; Hemler, in: Erman BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 3; Rauscher, Internationales Privatrecht, Rn. 595; von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 227; Vallindas, RabelsZ 18 (1953), 1, 10. 47 Vallindas, RabelsZ 18 (1953) 1, 10 f.; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 36 V; Rauscher, Internationales Privatrecht, Rn. 597 f.; Siehr, Internationales Privatrecht, § 53, 492; von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 227; Lorenz, in: BeckOK BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 18; Baetge, in: jurisPK, Art. 6 EGBGB, Rn. 159; Neumayer, FS Dölle Band II, 179, 207 f.; BGH, Beschl. v. 14. 10. 1992 – XII ZB 18/92 = NJW 1993, 848, 850; BGH, Urteil v. 7. 10. 1992 – IV ZR 160/91 = FamRZ 1993, 318 f.; BGH, Urteil v. 21. 11. 1958 – IV ZR 107/58 = NJW 1959, 529, 531 f.; RG, Beschl. v. 19. 12. 1922 – III 137/22 = RGZ 82, 84 ff. 48 von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, § 7 VIII Rn. 285. 49 Dölle, GRUR 1957, 56, 60. 50 Schwung, RabelsZ 49 (1985), 407, 413. 51 Zu Art. 21 Rom I-VO: Martiny, in: MüKo BGB, Art. 21 Rom I-VO, Rn. 6; Spickhoff, in: BeckOK BGB, Art. 21 Rom I-VO, Rn. 4; Hausmann, in: Staudinger, Art. 21 Rom I-VO, Rn. 31; zu Art. 26 Rom II-VO: von Hein, ZEuP 2009, 6, 24, der von Fortsetzung der ständigen Praxis der Mitgliedsstaaten ausgeht (in Deutschland somit Lückenschließung anhand der lex causae); Spickhoff, in: BeckOK BGB, Art. 26 Rom II-VO, Rn. 4.

I. Darstellung allgemeiner und besonderer ordre public-Vorbehalte

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aufgrund des internationalen Entscheidungseinklangs erstrebenswerten Gleichlauf von autonomem deutschen und vereinheitlichtem IPR. d) Fazit Nach dieser Betrachtung des allgemeinen ordre public-Vorbehalts können nun dessen maßgebliche Charakteristika benannt werden. Zunächst ist festzustellen, dass die Vorbehaltsklausel durch das Gebot der restriktiven Anwendung geprägt ist. Dieses wirkt sich sowohl auf die tatbestandlichen Voraussetzungen von Art. 6 EGBGB als auch auf dessen Rechtsfolgenregelung aus. Eine überschießende Beachtung der wesentlichen deutschen Rechtsgrundsätze soll in jedem Falle vermieden werden. Verdeutlicht wird dies durch den gegenüber Art. 30 EGBGB a. F. abweichenden und zugleich die Formulierung des Europäischen Schuldvertragsübereinkommens (EVÜ) übernehmenden52 Wortlauts der Norm, der gerade die „offensichtliche Unvereinbarkeit“ verlangt. Es lässt sich daher sagen, dass Art. 6 EGBGB zwar die Rolle des „Störenfrieds“ im IPR einnimmt, dies allerdings in gemäßigter Form: Die allgemeine Vorbehaltsklausel respektiert weiterhin die durch das ausländische Recht kodifizierten Wertvorstellungen und versucht, diese nur sofern zwingend erforderlich und auf möglichst schonende Art mit den deutschen wesentlichen Rechtsgrundsätzen in Einklang zu bringen. Trotz seines Vorbehaltscharakters stellt sich Art. 6 EGBGB somit als eine „internationale“ Norm dar, die die Bedeutung ausländischer Rechtsordnungen und -kulturen erkennt und ihnen Bedeutung beimisst.53 Zudem zeichnet sich die Vorbehaltsklausel durch ihre Flexibilität aus. Eine abstrakte Umschreibung dieser Norm ist kaum möglich, da diese erst Gestalt bei der Anwendung auf den konkreten Sachverhalt annimmt. Dies ergibt sich insbesondere durch das Erfordernis eines hinreichenden Inlands- und Gegenwartsbezugs. Eine Einschränkung dieser Anpassungsfähigkeit ließe sich allenfalls in der Konkretisierung des Prüfungsmaßstabs durch Art. 6 S. 2 EGBGB sehen. Jedoch ist auch diese dadurch geprägt, dass der räumliche Geltungsbereich des Grundrechts erst ermittelt werden muss und sich daher auch bei einer Grundrechtsverletzung keine abstrakten Vorhersagen treffen lassen. 2. Die besonderen ordre public-Vorbehalte Der allgemeine ordre public-Vorbehalt wird durch die speziellen Vorbehaltsklauseln des EGBGB ergänzt. Der Darstellung dieser lediglich punktuell kodifizierten Normen widmet sich der folgende Abschnitt. Dabei wird aufgrund der diesbezüglich bestehenden Unklarheiten in der Literatur zunächst bestimmt, was unter dem Begriff der besonderen Vorbehaltsklauseln zu verstehen ist, und welche Normen des EGBGB hiervon erfasst werden. Anschließend werden entsprechend der 52 53

von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 12. Vgl. zusammenfassend dazu Raape/Sturm, Internationales Privatrecht, Band I, § 13 II.

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B. Grundlagen

Vorgehensweise bei der allgemeinen Vorbehaltsklausel Funktion, Systematik und Rechtsfolgen besonderer Vorbehaltsklauseln beleuchtet, bevor abschließend die gegen diesen Normtyp vorgebrachte Kritik dargestellt wird. a) Bestimmung der besonderen ordre public-Vorbehalte Der Begriff der „besonderen ordre public-Vorbehalte“ wird nicht einheitlich verstanden. Teilweise wird dieser zur Beschreibung von in Staatsverträgen oder Unionsrechtsakten kodifizierten ordre public-Klauseln verwendet.54 Diese sind aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts beziehungsweise aufgrund von Art. 3 Nr. 2 EGBGB vorrangig gegenüber den ordre public-Vorbehalten des autonomen deutschen IPR anzuwenden und insofern spezieller.55 Das Kriterium der Spezialität ist hier jedoch allein quellenbezogen zu verstehen, sofern die Klauseln im Übrigen der generellen Verteidigung wesentlicher Rechtsgrundsätze und nicht dem Schutz einzelner bestimmter Rechtsgüter dienen.56 Weiter stößt man in der Literatur häufig auf den Begriff der „Exklusivnorm“.57 Für die Klärung des Begriffs der „besonderen ordre public-Vorbehalte“ ist dies jedoch allenfalls am Rande hilfreich, da auch über die Definition der Exklusivnorm noch Uneinigkeit herrscht:58 Während Junker eine Exklusivnorm als eine einseitige Kollisionsnorm mit ordre public-Gehalt beschreibt,59 nehmen von Hoffmann und Thorn an, dass der Begriff der Exklusivnorm einseitige Kollisionsnormen beschreibt, die „den Anwendungsbereich des inländischen Rechts in systemwidriger Weise ausdehnen“.60 Diese könnten zwar auch der Begünstigung inländischer Ordnungsinteressen und somit dem ordre public dienen, zwingend sei dies aber nicht.61 Kegel 54 Vgl. dazu beispielsweise die Überschrift von Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 42. 55 von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 50; zur rein deklaratorischen Wirkung von Art. 3 Nr. 1 EGBGB siehe Hausmann, in: Staudinger, Art. 3 EGBGB, Rn. 15; zu Art. 3 Nr. 2 EGBGB siehe von Hein, in: MüKo BGB, Art. 3 EGBGB, Rn. 179, der klarstellt, dass sich der Vorrang der Staatsverträge auch aus der lex posterior- beziehungsweise lex specialis-Regelung ergeben kann. 56 Siehr, FS Hoffmann, 424, 427 f.; von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 50. 57 So bezeichnet beispielsweise Andrae Art. 17 Abs. 2 EGBGB a. F. als Exklusivnorm, da diese „die Scheidung nach deutschem Recht [ermöglicht], soweit sie nach ausländischem Scheidungsstatut nicht zulässig ist“, NJW 2007, 1730, 1731; dies., IPRax 2021, 522, 525; vgl. im Übrigen auch Junker, Internationales Privatrecht, § 12, Rn. 39; von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 51; Neuhaus, Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 384. 58 So auch Nojack, Exklusivnormen im IPR, 2. 59 Junker, Internationales Privatrecht, § 12, Rn. 39; als einseitige Kollisionsnormen werden dabei solche Normen bezeichnet, die lediglich erklären, wann das deutsche Recht anwendbar ist, mithin keine allgemeine Verweisung aussprechen; ein ähnliches Verständnis zeigt auch Krause, Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht, 249 f. 60 von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 4, Rn. 13. 61 Vgl. von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 4, Rn. 13.

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wiederum bezeichnet die Exklusivnormen als Normen, die den Anwendungsbereich des deutschen Rechts in „sachwidriger Weise“ ausdehnen. Hierzu gehörten auch die besonderen ordre public-Vorbehalte.62 Nojack geht bei ihrer eingehenden Befassung mit diesem Normentypus davon aus, dass bei einseitigen Kollisionsnormen ohne einen verallgemeinerbaren Rechtsgedanken von Exklusivnormen zu sprechen sei.63 Dabei konstatiert sie, dass diese Normen häufig deshalb nicht zu verallgemeinern seien, weil diese einen Bezug zum ordre public aufweisen. Dies sei jedoch nicht zwingend, vielmehr existierten auch Exklusivnormen ohne ordre public-Gehalt.64 Ein ähnliches Verständnis zeigt sich bei Raape und Sturm.65 Weiter wird zum Begriff der besonderen ordre public-Vorbehalte vertreten, dass dieser jedenfalls nicht solche Normen erfasse, die von vorneherein die Rechtsfrage dem deutschen materiellen Recht unterstellen. Auch wenn diesen grundsätzlich ordre public-Charakter zukomme, könne in diesen Fällen rein begrifflich nicht von einem Vorbehalt gesprochen werden, da diese Normen nicht nachträglich die Anwendung der an sich berufenen fremden Rechtsordnung beschränken würden.66 Solche Normen seien stattdessen als einseitige Kollisionsnormen zu qualifizieren. Unter Berücksichtigung der vorgenannten unterschiedlichen Interpretationen soll nun ein eigenes Begriffsverständnis definiert werden. Demnach sollen von dem Begriff der besonderen ordre public-Vorbehalte im Rahmen dieser Untersuchung solche Normen erfasst werden, die dem Schutz eines konkreten wesentlichen Grundsatzes der deutschen Rechtsordnung dienen und deshalb eine Abweichung von der kollisionsrechtlich berufenen Rechtsordnung zugunsten des deutschen Rechts vornehmen. Unbeachtlich ist dabei, ob sie direkt oder indirekt, anfänglich oder erst nach Prüfung des Tatbestandes deutsches Sachrecht zur Anwendung berufen. Zudem ist nicht erforderlich, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Normen denen des Art. 6 EGBGB entsprechen. Vielmehr können sowohl höhere als auch geringere Anforderungen für das Eingreifen der jeweiligen Norm gelten. Wie bereits erwähnt, resultieren aus den verschiedenen Begriffsverständnissen Uneinigkeiten hinsichtlich der Frage, welche Normen als besondere ordre publicVorbehalte zu qualifizieren sind. Eine abschließende Klärung dieser Zuordnungsproblematik würde den Umfang der vorliegenden Arbeit übersteigen. Daher sind unter Zugrundelegung des eigenen Begriffsverständnisses sowie in Übereinstimmung mit dem Gros der rechtswissenschaftlichen Literatur- und Forschungsmeinungen jedenfalls Art. 13 Abs. 2,67 Art. 13 Abs. 3,68 Art. 13 Abs. 4,69 Art. 17 Abs. 370 62 Kegel, Internationales Privatrecht, 2. Auflage, § 16 VIII; ders., Internationales Privatrecht, 7. Auflage, § 6 I 3. 63 Nojack, Exklusivnormen im IPR, 2. 64 So Nojack, Exklusivnormen im IPR, 147 f. zu Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB. 65 Raape/Sturm, Internationales Privatrecht, Band I, § 5 II. 66 Vgl. zu diesem Verständnis vor allem Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 48. 67 Stöcker, RabelsZ 38 (1974), 79 ff.; Nojack, Exklusivnormen im IPR, 164; Lorenz, in: Bamberger/Roth BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 2; Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 47;

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B. Grundlagen

sowie Art. 40 Abs. 3 EGBGB als spezielle Vorbehaltsklauseln anzuerkennen.71 Ebenso ist der vom bayrischen Gesetzgeber vorgeschlagene Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E nach dem hier vertretenen Verständnis als besondere Vorbehaltsklausel zu qualifizieren.72 b) Funktion Nachfolgend wird die Funktion der besonderen ordre public-Vorbehalte dargestellt. Dabei wird insbesondere auch auf die Frage nach dem Konkurrenzverhältnis von besonderen und allgemeiner Vorbehaltsklausel eingegangen. aa) Typisierung von ordre public-Verstößen Indem der Gesetzgeber einen ordre public-Verstoß in Form einer besonderen Vorbehaltsklausel kodifiziert, konkretisiert er einen wesentlichen deutschen

Kegel, in: Soergel, Art. 6 EGBGB, Rn. 36; Makowsky/G. Schulze, in: NomosKommentar BGB, Art. 6 EGBGB Rn. 17; Ferid, Internationales Privatrecht, § 3, Rn. 3 – 29,1; Mörsdorf, in: Prütting/Wegen/Weinreich, Art. 6 EGBGB, Rn. 2; Hemler, in: Erman BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 13; Siehr, Internationales Privatrecht, § 53, 486; Junker, Internationales Privatrecht, § 12, Rn. 40; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 36 VIII; Baetge, in: jurisPK BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 21; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 6, Rn. 144; Jayme, Methoden der Konkretisierung des ordre public im Internationales Privatrecht, 24 ff. 68 Wall, StAZ 2018, 96, 98; Rohe, StAZ 2018, 73, 76; schon vorab Antomo, NZFam 2016, 1155, 1161; Erbarth, FamRB 2018, 338, 339. 69 von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 51; Nojack, Exklusivnormen im IPR, 164; Kegel, in: Soergel, Art. 6 EGBGB, Rn. 36; Ferid, Internationales Privatrecht, § 3, Rn. 3 – 29, 2; Mörsdorf, in: Prütting/Wegen/Weinreich, Art. 6 EGBGB, Rn. 2; Hemler, in: Erman BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 13; Siehr, Internationales Privatrecht, 486; Junker, Internationales Privatrecht, § 12 Rn. 40; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 36 VIII; Baetge, in: jurisPK BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 21. 70 Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 47; von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 51; Nojack, Exklusivnormen im IPR, 164; Kegel, in: Soergel, Art. 6 EGBGB, Rn. 36; Ferid, IPR, § 3 Rn. 3 – 29, 4; Hohloch, in: Erman Art. 6 EGBGB, Rn. 8; Siehr, Internationales Privatrecht, § 53, 486; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 36 VIII; Baetge, in: jurisPK BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 21; Kegel, Internationales Privatrecht, § 16 VIII; Kemper, in: Schulze, Bürgerliches Gesetzbuch, Art. 17 EGBGB, Rn. 7. 71 Zu Art. 40 Abs. 3 EGBGB: BT-Drucks. 14/343, 12; Kropholler/von Hein, FS Stoll, 553, 561; Lorenz, in: Bamberger/Roth BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 2; von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 50; Nojack, Exklusivnormen im IPR, 164; Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 47; Makowsky/G. Schulze, in: NomosKommentar BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 17; Mörsdorf, in: Prütting/Wegen/Weinreich, Art. 6 EGBGB, Rn. 2; Hemler, in: Erman BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 13; Siehr, Internationales Privatrecht, 486; Junker, Internationales Privatrecht, § 12, Rn. 40; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 36 VIII; Baetge, in: jurisPK BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 21; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 6, Rn. 144. 72 Dutta, FamRZ 2018, 1141; in diese Richtung auch die Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes (vgl. A. Fn. 2); vgl. dazu unter C.III.

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Rechtsgrundsatz.73 Zugleich wird durch dieses Vorgehen auch klargestellt, dass im Rahmen der kodifizierten Rechtsfrage die Einzelfallprüfung hinsichtlich einer ordre public-Verletzung entfällt und sich der deutsche Rechtsgrundsatz stets durchsetzt.74 Diese Kodifizierungen von ordre public-Verstößen dienen vor allem der Schaffung von Rechtssicherheit.75 Indem der Gesetzgeber dem Rechtsanwender die Entscheidung über den Einzelfall abnimmt, wird das Ergebnis der Rechtsanwendung für die Parteien voraussehbar.76 Zugleich kann der Gesetzgeber so die Aufrechterhaltung bestimmter wesentlicher Wertgrundsätze sicherstellen. bb) Verhältnis zu Art. 6 EGBGB Bereits die Bezeichnung als besondere Vorbehaltsklausel wirft die Frage nach dem Verhältnis zum allgemeinen ordre public-Vorbehalt auf. Dieses steht unter der grundsätzlichen Prämisse, dass der Gesetzgeber durch die vereinzelte Schaffung besonderer ordre public-Vorbehalte den Schutz der wesentlichen Rechtsgrundsätze erweitern anstatt beschränken wollte.77 Daraus geht hervor, dass das Bestehen einer einschlägigen besonderen Vorbehaltsklausel die Anwendbarkeit von Art. 6 EGBGB auf entsprechende Sachverhalte nicht generell ausschließt. Die besonderen ordre public-Vorbehalte gehen diesem somit nur hinsichtlich der von ihnen konkret geregelten Rechtsfrage im Wege eines Spezialitätsverhältnisses vor.78 Daneben bleibt die allgemeine Vorbehaltsklausel hinsichtlich aller übrigen Rechtsgüter und -fragen anwendbar.79 Aus dem Gedanken der Rechtsschutzverstärkung ergibt sich zudem, dass die allgemeine Vorbehaltsklausel in Einzelfällen sogar auch im Regelungsbereich der besonderen ordre public-Vorbehalte anwendbar sein kann. Dies kann dann der Fall sein, wenn deren tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind oder

73 Mörsdorf, in: Prütting/Wegen/Weinreich, Art. 6 EGBGB, Rn. 2; Siehr, Internationales Privatrecht, 53, 486; Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 51 f.; anders Kropholler, Internationales Privatrecht, § 36 VIII; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 6, Rn. 144. 74 Westermann, ZGR 1975, 68, 96; Siehr, Internationales Privatrecht, § 53, 486; Junker, Internationales Privatrecht, § 12 Rn. 39; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 6 Rn. 144. 75 Ferid, Internationales Privatrecht, § 3, Rn. 3 – 31; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 36 VIII. 76 Ferid, Internationales Privatrecht, § 3, Rn. 3 – 31. 77 von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 71. 78 Rauscher, Internationales Privatrecht, Rn. 598; „ergänzen nicht verdrängen“, so Kropholler, Internationales Privatrecht, § 36 VIII; Junker, Internationales Privatrecht, § 12, Rn. 43. 79 Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 52; Baetge, in: jurisPK BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 22.

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wenn neben dem durch die spezielle Vorbehaltsklausel geschütztem Rechtsgut noch weitere wesentliche Rechtsgrundsätze verletzt sind.80 c) Systematik Nachfolgend wird die Systematik der besonderen ordre public-Vorbehalte dargestellt. Da dadurch ein generelles Verständnis für die Struktur dieser Normen geschaffen werden soll, wird nur dann auf die tatbestandlichen Besonderheiten einzelner Klauseln eingegangen, wenn dies für die Erläuterung zwingend erforderlich ist. Bei der Darstellung wird auf die gleichen Kriterien wie bei der Erörterung der allgemeinen Vorbehaltsklausel zurückgegriffen. Dies dient dazu, einen Vergleich von besonderen und allgemeinen ordre public-Vorbehalten zu ermöglichen. Die Systematik der besonderen Vorbehaltsklauseln folgt grundsätzlich aus dem Tatbestand der jeweiligen Norm. Dieser legt fest, unter welchen Sachverhaltsbedingungen die Klausel anwendbar und was Gegenstand der ordre public-Prüfung ist. Da für die allgemeine Vorbehaltsklausel das Bestehen ungeschriebener Tatbestandsmerkmale anerkannt ist, stellt sich die Frage, ob solche auch für die besonderen ordre public-Vorbehalte existieren. aa) Intensität der Rechtsverletzung Anders als Artikel 6 EGBGB setzen die Tatbestände der einzelnen besonderen Vorbehaltsklauseln, ausgenommen Art. 40 Abs. 3 EGBGB, nicht ausdrücklich die „Offensichtlichkeit“ der ordre public-Verletzung voraus.81 Fraglich ist daher, ob dem entnommen werden kann, dass im Rahmen dieser besonderen Vorbehaltsklauseln bereits jede Verletzung der öffentlichen Ordnung genügt, ohne dass deren besondere Schwere festzustellen ist. Da dies unter Umständen nicht für alle besonderen Vorbehaltsklauseln einheitlich beurteilt werden kann, müssen zur Beantwortung dieser Frage die Normen einzeln untersucht werden. Hinsichtlich Art. 13 Abs. 2 EGBGB, der für eine Eheschließung deutsches materielles Recht für anwendbar erklärt, wenn – neben weiteren Voraussetzungen – ein ausländisches Ehehindernis die grundrechtliche Eheschließungsfreiheit beschränkt, hat sich in Rechtsprechung und Literatur die Ansicht herausgebildet, dass nicht jedes Ehehindernis zu einer Verletzung der Eheschließungsfreiheit führt. Vielmehr wird für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel verlangt, dass eine „unverhältnismäßige

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von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 70; Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 54. 81 Für Art. 40 Abs. 3 EGBGB hat der Gesetzgeber das Erfordernis der Erheblichkeit der Rechtsverletzung durch eine entsprechende Formulierung klarstellen wollen („wesentlich weitergehenden Entschädigung“ beziehungsweise „offensichtlich anderen Zwecken dient“), vgl. dazu auch BT-Drucks. 14/343, 12.

I. Darstellung allgemeiner und besonderer ordre public-Vorbehalte

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Einschränkung“ der Eheschließungsfreiheit vorliegt.82 Es ist mithin hier nicht von einem abgeschwächten Prüfungsmaßstab auszugehen. Die die deutsche Form für Eheschließung und -scheidung anordnenden Art. 13 Abs. 4 S. 1 sowie Art. 17 Abs. 3 EGBGB eröffnen bereits aufgrund ihrer anfänglichen Anknüpfung an das deutsche materielle Recht keine Möglichkeit zur Berücksichtigung der Verletzungsintensität. Ebenso eröffnet auch der die Kinderehen behandelnde Art. 13 Abs. 3 EGBGB mit der strikten Bindung an das Alter der Eheleute kaum Wertungsspielraum.83 Dies lässt zweierlei Deutung zu: Zunächst könnte anzunehmen sein, dass der Gesetzgeber in diesen Fällen jede Rechtsverletzung für das Eingreifen der Klausel als ausreichend erachtet. Hierfür spricht, dass es unwahrscheinlich erscheint, dass der Gesetzgeber bei der Kodifikation des Art. 6 und Art. 40 Abs. 3 EGBGB das Erfordernis einer wesentlichen Verletzung verankert, dies bei den übrigen ordre public-Vorbehalten jedoch trotz dahingehender Intention übersehen hat. Es wäre jedoch auch ein Verständnis dahingehend möglich, dass in den Fällen des Art. 13 Abs. 3, Abs. 4, Art. 17 Abs. 3 EGBGB sowie Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E stets eine offensichtliche Rechtsverletzung unwiderleglich vermutet wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber grundsätzlich von dem Erfordernis einer offensichtlichen Rechtsverletzung auszugehen scheint. Dies ergibt sich gerade aus der normsystematischen Betrachtung von Art. 6 EGBGB, Art. 13 Abs. 2 EGBGB sowie Art. 40 Abs. 3 EGBGB. Da keine evidenten Gründe ersichtlich sind, warum die oben genannten Normen hiervon eine Ausnahme machen sollten, überzeugt die Erwägung zum Bestehen einer unwiderleglichen Vermutung.84 Somit ist für die aktuell bestehenden besonderen Vorbehaltsklauseln des EGBGB festzustellen, dass diese insgesamt eine den Anforderungen des Art. 6 EGBGB entsprechende Eingriffsintensität fordern. bb) Inlandsbezug – Räumliche Relativität Weiter ist zu fragen, ob für das Eingreifen der besonderen Vorbehaltsklauseln ebenfalls ein hinreichender Inlandsbezug erforderlich ist. Dies wird von der Literatur nicht einheitlich beantwortet: So wird teilweise vertreten, dass es gerade Funktion der besonderen Vorbehaltsklauseln sei, durch ihren Tatbestand zu konkretisieren,

82 BVerwG, Urt. v. 19. 7. 2012 – 10 C 2/12, NJW 2012, 3461 (Rn. 20); OLG Stuttgart, Beschl. v. 4. 11. 1999 – 19 VA 6/99, FamRZ 2000, 821 (Rn. 13 ff.); so auch Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 147, 150; Mörsdorf, in: BeckOK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 62. 83 Dieser besteht lediglich für Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB: Dieser verweist auf § 1314 Abs. 1 BGB, welcher seit neuester Rechtsprechung des BGH als Ermessensnorm verstanden wird (vgl. dazu unter C.II.4.c)). Auch hier ist das Ermessen der Gerichte jedoch gebunden. 84 So auch von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 64.

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wann ein solcher hinreichender Inlandsbezug bestehe.85 Andere wiederum lehnen eine generalisierende Antwort hierauf ab und nehmen an, dass die Frage nach dem Erfordernis eines Inlandsbezugs allein anhand der jeweiligen Norm zu ermitteln sei.86 Zunächst ist festzuhalten, dass das Erfordernis eines Inlandsbezugs jedenfalls dort keiner weiteren Untersuchung bedarf, wo dieses tatsächlich bereits tatbestandlich kodifiziert ist, so bei Art. 13 Abs. 2, Art. 13 Abs. 4, Art. 17 Abs. 3, Art. 229 § 44 Nr. 2 EGBGB. Mithin verbleiben für eine entsprechende Untersuchung lediglich Art. 40 Abs. 3 EGBGB, Art. 13 Abs. 3 sowie Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB. Bezüglich Art. 40 Abs. 3 EGBGB hat sich dabei in der Literatur die Auffassung herausgebildet, dass hier ein hinreichender Inlandsbezug als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal erforderlich sei.87 Dies wird damit begründet, dass Art. 40 Abs. 3 EGBGB als besondere Vorbehaltsklausel zwar der Konkretisierung eines Aspektes des ordre public diene, im Übrigen jedoch der allgemeinen Vorbehaltsklausel entspreche. Daher sei auch deren Systematik auf Art. 40 Abs. 3 zu übertragen.88 Zu Art. 13 Abs. 3 EGBGB wird angenommen, dass der hinreichende Inlandsbezug sich bereits aus der Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt, eine darüberhinausgehende Verbindung zur deutschen Rechts- und Werteordnung ist nicht erforderlich.89 Aufgrund des engen Zusammenhangs mit Art. 13 Abs. 3 EGBGB ist anzunehmen, dass diese Überlegungen entsprechend auch für Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB greifen. Mithin lässt sich kein einheitliches Bild hinsichtlich des Erfordernisses eines hinreichenden Inlandsbezugs bei besonderen Vorbehaltsklauseln feststellen. cc) Gegenwartsbezug – Zeitliche Relativität Eine gesonderte Prüfung des hinreichenden Gegenwartsbezugs ist für die besonderen Vorbehaltsklauseln generell nicht erforderlich. Dies ergibt sich aus der 85 Mörsdorf, in: Prütting/Wegen/Weinreich, Art. 6 EGBGB, Rn. 2; Siehr, Internationales Privatrecht, 486; Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 367; Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 50; Ferid, Internationales Privatrecht, § 3 Rn. 3 – 31, der von der Entbehrlichkeit einer weiteren Prüfung des Inlandsbezugs bei Eingreifen einer speziellen Vorbehaltsnorm ausgeht; zu Art. 13 Abs. 2 EGBGB: Baetge, in: jurisPK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 32; Mörsdorf, in: BeckOK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 60; Coester, in: MüKo BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 30; Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 126 f. 86 von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 67. 87 Kropholler/von Hein, FS Stoll, 553, 563; Spickhoff, NJW 1999, 2209, 2213; von Hoffmann, in: Staudinger, Art. 40 EGBGB, Rn. 416; Wagner, in: NomosKommentar BGB, Art. 40 EGBGB, Rn. 36; Junker, in: MüKo BGB Art. 40 EGBGB, Rn. 112. 88 Spickhoff, in: BeckOK BGB, Art. 40 EGBGB, Rn. 47; ders., NJW 1999, 2209, 2213. 89 Ausdrücklich Mörsdorf, in: BeckOK BGB Art. 13 EGBGB, Rn. 26; in diese Richtung kritisch Rohe, StAZ 2018, 73, 78. Dieses Verständnis lässt sich zudem der Kritik an Art. 13 EGBGB hinsichtlich der Verletzung von Art. 21 AEUV entnehmen, vgl. dazu Stellungnahme Deutscher Familiengerichtstag e. V. (vgl. A. Fn. 2); Rohe, StAZ 2018, 73, 78.

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Erwägung, dass bereits das Bestehen der besonderen Vorbehaltsklausel Ausdruck der aktuellen Schutzwürdigkeit des jeweiligen Rechtsgrundsatzes ist.90 d) Rechtsfolgen Die Rechtsfolgen bei Eingreifen der besonderen Vorbehaltsklauseln ergeben sich größtenteils unmittelbar aus dem Tatbestand der Normen. Es besteht folglich kein Wertungsspielraum.91 Dies gilt jedoch nicht für Art. 13 Abs. 3 sowie Art. 40 Abs. 3 EGBGB, weshalb diese Normen noch einmal genauer zu untersuchen sind. Hinsichtlich Art. 13 Abs. 3 EGBGB ist dabei festzustellen, dass dieser zwar keine unmittelbare Rechtsfolgenregelung trifft, indem die Norm Kinderehen für unwirksam beziehungsweise für aufhebbar erklärt. Auch darin ließe sich jedoch eine indirekte Durchsetzung der deutschen Werteordnung gegenüber der ausländischen Rechtsordnung sehen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass sich in Rechtsprechung und Literatur die Ansicht durchgesetzt hat, dass sich sowohl die Nichtigkeit beziehungsweise Aufhebbarkeit als auch die daraus resultierenden Rechtsfolgen nach materiellem deutschem Recht richten.92 Für Art. 40 Abs. 3 EGBGB fehlt es ebenfalls an einer ausdrücklichen Rechtsfolgenregelung. Indes setzt auch diese Norm indirekt die Grundsätze der lex fori durch, indem deutsches Sachrecht hier als Korrekturmaßstab für die Begrenzung von Schadensersatzansprüchen fungiert.93 e) Kritik Obgleich an dieser Stelle primär eine Darstellung von Zweck und Funktionsweise der besonderen ordre public-Vorbehalte erfolgen soll, kommt man bei der Befassung mit diesen Normen nicht umhin, die hiergegen erhobene Kritik zu bemerken. Häufig werden besondere ordre public-Vorbehalte als nicht erforderlich und wenig wünschenswert angesehen.94 Dabei wird dieser gesetzgeberischen Methodik vorgehalten, dass sie mit der Konkretisierung bestimmter Rechtsgrundsätze über ihr Ziel – die Wahrung der Mindestanforderung materieller Gerechtigkeit – hinaus90

Von diesem Grundsatz weicht indes Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB ab, der auf Tatbestandsebene den Gegenwartsbezug ausdrücklich normiert. 91 Vgl. Art. 13 Abs. 2, Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E, Art. 13 Abs. 4, Art. 17 Abs. 3 EGBGB. 92 Hohloch, in: Erman BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 41b; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 433; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1375 f. 93 Auf die Frage, ob Art. 40 Abs. 3 EGBGB sowohl auf quantitative als auch auf qualitative Verstöße gegen den deutschen ordre public anzuwenden ist, wird hier mangels Relevanz für die Bearbeitung nicht eingegangen, siehe zu dieser Frage Kropholler/von Hein, FS Stoll, 553, 567 ff.; zu der Rechtsfolgenregelung von Art. 40 Abs. 3 EGBGB Wagner, in: NomosKommentar BGB, Art. 40 EGBGB, Rn. 41; Wurmnest, in: jurisPK BGB, Art. 40 EGBGB, Rn. 60. 94 Auszugsweise etwa Kegel, Internationales Privatrecht, 2. Auflage, § 16 VIII; von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 81.

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schieße und die Bedeutung der nationalen Werteordnung verkenne.95 Dadurch verstoße sie gegen den anerkannt restriktiven Charakter des ordre public und gefährde den internationalen Entscheidungseinklang.96 Letzteres folge daraus, dass es in Folge des Eingreifens dieser Normen regelmäßig zu hinkenden Rechtsverhältnissen komme.97 Darüber hinaus wird der Vorwurf erhoben, dass die besonderen Vorbehaltsklauseln ihre Funktion – die Schaffung von Rechtssicherheit – häufig wegen ihres unvollständigen Regelungsgehalts nicht erfüllen. Es sei sogar das Gegenteil der Fall, da ihre teilweise lückenhafte Ausgestaltung zu Unsicherheiten bei der Rechtsanwendung führe.98 Insbesondere aber wird den besonderen ordre publicVorbehalten ihre fehlende Flexibilität vorgehalten. Dies führe zu zwei maßgeblichen Problemen: Zunächst verringere sich die Halbwertszeit dieser Normen aufgrund ihrer starren Ausgestaltung erheblich.99 Zudem fehle es diesen Bestimmungen auch an Möglichkeiten zur hinreichenden Berücksichtigung der Umstände des konkreten Lebenssachverhalts und damit an Raum für Einzelfallgerechtigkeit.100 3. Résumé Im Anschluss an die Darstellung der allgemeinen und besonderen ordre publicVorbehalte des EGBGB sollen diese nun miteinander verglichen werden. Dies dient dazu, die an späterer Stelle erfolgende Argumentation hinsichtlich der Erforderlichkeit einzelner oder aller besonderer Vorbehaltsklauseln im Internationalen Eheschließungsrecht besser nachvollziehbar zu machen. Primäre Gemeinsamkeit von allgemeinen und besonderen ordre public-Klauseln ist deren Zwecksetzung. Beide Normentypen streben den Schutz der wesentlichen Grundsätze der deutschen Rechtsordnung an. Damit bezwecken beide die Stärkung des Vertrauens der Bürger in den Bestand der Rechtsordnung. Weiter dienen beide Arten der Vorbehaltsklauseln auch der Aufrechterhaltung staatlicher Ordnungsinteressen. Daneben sind auch Übereinstimmungen in der Systematik beider Arten der Vorbehaltsklausel festzustellen. So setzen sowohl die allgemeine als auch die besonderen Vorbehaltsklauseln eine offensichtliche Rechtsverletzung, mithin einen gewissen Grad an Eingriffsintensität, voraus. Auch verlangen beide zumindest mittelbar einen hinreichenden Gegenwarts- sowie Inlandsbezug des streitgegenständlichen Sachverhalts. 95

Kegel, RabelsZ 25 (1960), 201, 206. Kropholler, Internationales Privatrecht, § 36 VIII; Neuhaus, Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 384. 97 So zu Art. 13 Abs. 4 EGBGB Kegel, RabelsZ 25 (1960), 201, 206. 98 von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 81; Kropholler/von Hein, FS Stoll, 553, 574. 99 Kropholler/von Hein, FS Stoll, 553, 574; als Beispiel kann hier etwa auf die besonderen Bestimmungen für Lebenspartnerschaften und gleichgeschlechtliche Ehen in Art. 17b Abs. 4 EGBGB a. F. verwiesen werden. 100 Kegel, Internationales Privatrecht, 2. Auflage, § 2 III. 96

II. Zur Politisierung des IPR

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Diesen Gemeinsamkeiten stehen erhebliche Unterschiede gegenüber. Dabei fällt zunächst die Divergenz in der Verbreitung beider Normentypen auf. Während sich allgemeine Vorbehaltsklauseln in nahezu allen internationalen Rechtsvereinheitlichungen und Abkommen finden, sind die besonderen Vorbehaltsklauseln lediglich in einzelnen Fällen im internationalen Kontext anzutreffen.101 Ein weiterer Unterschied lässt sich auch hinsichtlich der Restriktion bei der Normenanwendung feststellen. Während sich dieses Charakteristikum bei Art. 6 EGBGB in Funktion, Systematik und Rechtsfolge widerspiegelt, lässt sich eine solche Zurückhaltung bei den besonderen ordre public-Vorbehalten nicht feststellen. Besonders deutlich wird dies bei Betrachtung der Funktionsweise der Normen: Während der allgemeinen Vorbehaltsklausel lediglich eine Abwehrfunktion (negative Funktion) hinsichtlich des Ergebnisses der konkreten Anwendung des ausländischen Rechts zukommt, setzen die besonderen Vorbehalte die Wertungen des deutschen Rechts positiv durch. Dies geschieht teilweise auch ohne eine vorherige hypothetische Anwendung der berufenen ausländischen Rechtsordnung auf die Rechtsfrage. Es lässt sich daher festhalten, dass der im Rahmen von Art. 6 EGBGB vorausgesetzten Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen und dem Gebot der größtmöglichen Schonung dieser bei den besonderen Vorbehaltsklauseln weniger Bedeutung zugemessen wird. Zuletzt fällt die unterschiedlich flexible Ausgestaltung der Normen auf. Während der Wortlaut der allgemeinen Vorbehaltsklausel bewusst weit gefasst wurde, um ein schematisches Vorgehen auszuschließen und eine Anpassung an die konkrete Fallgestaltung zu ermöglichen, nehmen die besonderen Vorbehaltsklauseln gerade eine solche – im Rahmen von Art. 6 EGBGB abgelehnte – Typisierung vor. Gleiches ist mit Blick auf die Rechtsfolgenseite festzustellen: Der Gesetzgeber hat diese für die allgemeine Vorbehaltsklausel bewusst nicht geregelt, und auch die von der Literatur überwiegend vertretene Lösung stellt sich als anpassungsfähig dar. Anders ist dies hinsichtlich der besonderen ordre public-Vorbehalte, die überwiegend unmittelbar deutsches materielles Recht für anwendbar erklären. Bei dieser Gegenüberstellung fällt auf, dass die beiden letztgenannten Unterschiede zwischen den Normentypen sich mit den oben festgestellten Charakteristika der allgemeinen Vorbehaltsklausel decken. Dem lässt sich jedenfalls die Wertung entnehmen, dass die Unterschiede über marginale Feinheiten hinausgehen, indem sie die Grundprinzipien der Normentypen berühren.

II. Zur Politisierung des IPR Die Zahl besonderer ordre public-Vorbehalte im autonomen deutschen IPR hat in den letzten 30 Jahren stark zugenommen.102 Hierbei handelt es sich um keinen Zufall. 101 102

Ein Beispiel hierfür ist etwa Art. 10 Rom III-VO. von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 79.

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B. Grundlagen

Vielmehr entspricht dies einer aktuell in allen Bereichen des deutschen Kollisionsrechts zu verzeichnenden Tendenz hin zu einer vermehrten „Materialisierung“ beziehungsweise „Politisierung“. Diese Entwicklung soll in dem folgenden Abschnitt nachvollzogen werden. Dadurch wird eine Einordnung der besonderen ordre public-Vorbehalte in den entwicklungspolitischen Kontext des deutschen IPR ermöglicht.

1. Klassisches IPR nach Savigny Das System des deutschen Kollisionsrechts geht auf die Lehre von Friedrich Carl von Savigny zurück. Dieser entwickelte die Idee eines Internationalen Privatrechts, welches die anwendbare Rechtsordnung anhand des Sitzes des jeweiligen konkreten Rechtsverhältnisses – und nicht wie zuvor aus dem Sachrecht heraus – bestimmt.103 Diesen Überlegungen lag ein Privatrechtsverständnis zugrunde, welches auf einer strikten Trennung von Staat und Gesellschaft basierte.104 Daraus folgerte Savigny, dass die Rechtsmaterie des Zivilrechts frei von staatlichen Einflüssen sei: Da das Privatrecht nur dazu diene, die Rechtsbeziehungen zwischen den Bürgern zu regeln, tangiere es keine staatlichen beziehungsweise politischen Interessen. Aus diesem Grund müsse der Staat umgekehrt auch keinen Einfluss auf diesen Teilbereich des Rechts nehmen.105 Das Privatrecht entstehe allein organisch aus dem Bürgertum und sei daher bereits durch den Volksgeist selbst legitimiert.106 Daraus folgerte Savigny die für sein Kollisionsrechtsverständnis maßgebliche Prämisse der Gleichwertigkeit aller (Privat-)Rechtsordnungen. Da die Zivilrechtsordnungen der Staaten nicht durch spezifische politische Interessen geprägt seien, ergebe sich zwischen diesen auch kein wertungsmäßiger Unterschied.107 Zugleich entwickelte er aus diesen Erwägungen einen weiteren Grundsatz: Das Streben nach einem internationalen Entscheidungseinklang. Dieser Gedanke, der vor allem der Erzeugung von Rechtssicherheit dient, ist ebenfalls nur dann tragfähig, wenn die Privatrechtsordnungen mangels Prägung durch staatliche Interessen fungibel sind, so dass der zuständige Richter keine Präferenzen bezüglich der Berufung seiner eigenen beziehungsweise einer bestimmten ausländischen Rechtsordnung hat. Allerdings schränkte Savigny die Lehre vom internationalen Entscheidungseinklang an mehreren Stellen ein, etwa durch das Institut der „Gesetze streng positiver Natur“ oder den Vorbehalt zugunsten des ordre public.108 Zudem begrenzte er das Ideal des internationalen Entschei103 von Hein, in: MüKo BGB, Einleitung zum IPR, Rn. 29; Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, 4 ff. 104 Joerges, RabelsZ 36 (1972), 421, 423 ff. 105 Rehbinder, JZ 1973, 151, 153; Wiethölter, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Erbrechts, 142. 106 Zweigert, RabelsZ 37 (1973), 435, 436; Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, 6, 9 f. 107 Rehbinder, JZ 1973, 151, 153. 108 Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, 15 f.

II. Zur Politisierung des IPR

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dungseinklangs räumlich auf eine „völkerrechtlich verankerte Gemeinschaft miteinander verkehrender Nationen“.109 In Anschluss an die Lehre Savignys entstand die Überlegung, dass nicht nur zwischen privatem und öffentlichem (staatlichen) Recht, sondern auch zwischen materiellem Recht und Kollisionsrecht unterschieden werden müsse. Letzteres hatte insbesondere Einfluss auf den maßgeblichen Gerechtigkeitsmaßstab.110 So sei kollisionsrechtliche Gerechtigkeit dann gegeben, wenn durch die Verweisungsnormen des Kollisionsrechts diejenige Rechtsordnung ermittelt worden sei, zu der das Rechtsverhältnis die räumlich engste Beziehung aufweise.111 Auf das materielle Ergebnis der Rechtsanwendung komme es für die Frage nach der kollisionsrechtlichen Gerechtigkeit gerade nicht an. Demgegenüber liege materiellrechtliche Gerechtigkeit dann vor, wenn die Parteien das Ergebnis der Rechtsanwendung als angemessen betrachteten. Da, wie bereits erwähnt, die Kodifikation des Kollisionsrechts auf dem vorgestellten Rechtsverständnis Savignys sowie den daraus entwickelten Lehren beruht, sind diese Normen mithin weitestgehend frei von regulativen staatlichen Interessen konzipiert worden.

2. Krise des klassischen IPR in den 1970er-Jahren In den 1970er-Jahren kamen zunehmend Stimmen auf, die das klassische, auf die Konzeption Savignys zurückgehende IPR als sich „in der Krise“ befindend erklärten.112 Teilweise wurde – etwas apodiktisch – von einem „Scheitern des Savigny’schen Ansatzes“ beziehungsweise einem „Sterben des klassischen IPRs“ gesprochen.113 Andere gingen jedenfalls von einem „Funktionsverlust des Internationalen Privatrechts“ aus.114 Hintergrund dessen war eine bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – und damit wenige Jahre nach der Veröffentlichung von Savignys Lehre im Jahr 1849 – beginnende gesellschaftliche und (rechts-)politische Entwicklung. Diese führte dazu, dass sich die Rechtsrealität immer weiter von den für Savignys Rechtsverständnis maßgeblichen Prämissen entfernte:115 So stellten zunächst bereits die zu Beginn des Jahrhunderts aufkommenden umfassenden Privatrechtskodifikationen in ganz Europa eine Gefahr für die Savigny’sche Überlegung 109

Stöcker, RabelsZ 38 (1974), 79, 122 ff.; Hartwieg, RabelsZ 42 (1978), 431 ff. Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, 4; Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 559; Siegrist, RabelsZ 24 (1959), 54, 62 ff. 111 Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 42. 112 Rehbinder, JZ 1973, 151 ff.; Wiethölter, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen, internationalen Erbrechts, 142 ff.; umfassend dazu auch Kühne, FS Schurig, 129 ff. 113 Zweigert, RabelsZ 37 (1973), 435, 438, der wiederum auf Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, 16 ff., 156 ff., verweist; Wiethölter, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Erbrechts, 143. 114 Hartwieg, RabelsZ 42 (1978), 431, 432. 115 Zur gesellschaftlichen Entwicklung auch Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft. 110

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B. Grundlagen

von der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen dar.116 Zudem baute sich im Laufe des 20. Jahrhunderts, maßgeblich geprägt durch die Absage an die monarchische zugunsten einer republikanischen Regierungsform, die strikte Trennung von Staat und Gesellschaft zunehmend ab.117 Dies hatte eine vermehrte Einflussnahme von hoheitlicher Seite auf das Privatrecht zur Folge. Zunehmend wurde anerkannt, dass der Staat nicht nur die Rahmenbedingungen für den Rechtsverkehr zwischen den Bürgern schaffen solle, sondern vielmehr für die Herstellung einer „guten Ordnung“ zwecks sozialer Gestaltung verantwortlich sei.118 Da sich dieser Wandel zunächst nur auf der Ebene des materiellen Rechts vollzog, wurde bald Unmut aus den Reihen der Kollisionsrechtler laut. Es wurde angemahnt, dass das IPR mit dem sozialen und politischem Wandel Schritt halten und sich hieran anpassen müsse, um seine gesellschaftliche Legitimation zu wahren.119 In Hinblick darauf wurden die bestehenden Kollisionsnormen als zu starr und wenig wertungsoffen empfunden. Dem IPR wurde Blindheit gegenüber materiellrechtlichen Interessen sowie das Fehlen einer sozialen Dimension vorgeworfen.120 Weite Teile der Rechtswissenschaft forderten, dass schon auf der Ebene der Bestimmung des anwendbaren Rechts materiellrechtliche Gerechtigkeitsvorstellungen berücksichtigt werden müssten. Nur so könne der Gesetzgeber seiner Pflicht zur sozialen Gestaltung in angemessenem Maße nachkommen. Als Beispiel für die konkrete Umsetzung eines solchen interessenorientierten IPR wurde dabei auf die US-amerikanische Kollisionsrechtsdoktrin verwiesen. Hier taten sich insbesondere die Lehren von Currie („Governmental Interest Analysis“) und Leflar („Better law approach“) hervor.121 Currie ging von einem mehrstufigen Verfahren zur Ermittlung der anwendbaren Rechtsordnung in Kollisionsrechtsfällen aus.122 Im Mittelpunkt dieses Vorgehens sollte dabei zunächst die Bestimmung der policy der konkurrierenden Sachnormen stehen. Darunter verstand Currie die der

116

Zweigert, RabelsZ 37 (1937), 435, 437; vgl. Schweizer ZGB, in Kraft getreten am 1. 1. 1912; niederländisches ZGB von 1938; polnische Kommission zur Erarbeitung einer Zivilgesetzkodifikation von 1912; Novellen des österreichischen ABGB von 1914, 1915, 1916; deutsches BGB vom 1. 1. 1900. 117 Joerges, RabelsZ 36 (1972), 421; ders., Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, 16 f. 118 Rehbinder, JZ 1973, 151, 154. 119 Vgl. dazu auch Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 558 ff. m. w. N.; Zweigert, RabelsZ 37 (1973), 435 ff. 120 Zweigert, RabelsZ 37 (1973), 435 ff.; dazu auch Krause, Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht, 60 ff. 121 Currie, Duke L. Rev. 1959, 171, 178 ff.; Leflar, N.Y.U.L. Rev. 41 (1966), 267 ff.; Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, 38 ff.; Zweigert, RabelsZ 37 (1973), 435, 440 ff.; Rehbinder, JZ 1973, 151; Kühne, FS Heldrich, 815, 817; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 754; zu beiden Ansätzen auch Krause, Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht, 61 ff. 122 Currie, Duke L. Rev. 1959, 171, 178 ff.

II. Zur Politisierung des IPR

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jeweiligen Norm zukommende rechtspolitische Aufgabe.123 Im Anschluss an die Ermittlung der streitgegenständlichen policies müsse danach gefragt werden, ob für den konkreten Fall ein governmental interest an der Anwendung einer nationalen Sachnorm und mithin an der Durchsetzung der darin verkörperten policy bestehe.124 Aus dem governmental interest ergäbe sich zugleich auch der Geltungsbereich einer jeweiligen Norm.125 Dieser interessenbezogene Ansatz Curries stieß sowohl im amerikanischen als auch im europäischen Raum auf große Resonanz, da er eine vollkommen neue kollisionsrechtliche Methodik darstellte. Leflar wiederum wollte die Rechtswahl in Kollisionsrechtsfällen von einer Evaluierung der in Frage kommenden Sachnormen abhängig machen.126 Hierfür schlug er fünf Bewertungskriterien vor: Voraussehbarkeit der Ergebnisse, Aufrechterhaltung der interlokalen und internationalen Ordnung, Vereinfachung der Aufgabe des Richters, Durchsetzung der staatlichen Interessen des Forums sowie die Qualität der Norm und des daraus erzielten Ergebnisses (better rule).127 Dieser konzeptionelle Ansatz, der ebenfalls eine Berücksichtigung staatlicher sowie richterlicher Interessen ermöglichte, erfuhr vor allem aus der Sphäre der Rechtsvergleichung großen Zuspruch.128 Keiner der beiden Ansätze konnte sich jedoch in Deutschland vollständig gegen die Savigny’sche Methodik durchsetzen.129 Beide Theorien ließen noch grundsätzliche konzeptionelle Fragen offen und waren daher noch nicht reif für eine umfassende praktische Anwendung.130 In Folge der Kritikwelle der 1970er Jahre zeigte sich in der deutschen Gesetzgebung zunehmend eine Tendenz zur Lösung vom Bild des IPR als wertneutrales Verweisungsrecht.131 Als Ausdruck dessen kann zunächst die Bezugnahme auf nationale Verfassungsnormen im EGBGB gewertet werden (vgl. Art. 13 Abs. 2 EGBGB)132 sowie die Zunahme von Eingriffsnormen.133 Ebenso wurde an einigen Stellen des nationalen Kollisionsrechts die Möglichkeit einer flexibleren Anknüpfung geschaffen und es zeigt sich eine allgemeine Tendenz zur Ausgestaltung der Normen zugunsten des Schutzes der schwächeren Partei.134 123 Currie, Duke L. Rev. 1959, 171, 178; zu Fragen der policies auch ders., U.C.L.R. 27 (1959), 1, 66 ff.; dazu auch Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, 45. 124 Currie, Duke L. Rev. 1959, 171, 178. 125 Currie, Duke L. Rev. 1959, 171, 178 f. 126 Leflar, N.Y.U.L. Rev. 41 (1966), 267, 295 ff. 127 Leflar, N.Y.U.L. Rev. 41 (1966), 267, 282 ff.; ders., Cal. L. Rev. 54 (1966), 1584, 1586 ff. 128 Vgl. hierzu insgesamt Zweigert, RabelsZ 37 (1973), 435, 441 ff. 129 Kühne, FS Heldrich, 815, 816. 130 Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, 45; umfassend Zweigert, RabelsZ 37 (1973), 435, 440; Krause, Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht, 64 f. 131 Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 750; so auch Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 30. 132 Rehbinder, JZ 1973, 151; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 755. 133 Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 40. 134 Kühne, FS Heldrich, 815, 817.

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B. Grundlagen

Auch die Zunahme besonderer ordre public-Vorbehalte ist als Ausdruck dieser Materialisierungstendenzen zu werten, da der Gesetzgeber hier vom Grundsatz der Neutralität abweicht. Dieser Trend entspringt zunächst dem Bedürfnis nach der Durchsetzung nationaler Wert- und Gerechtigkeitsvorstellungen im internationalen Kontext.135 Weiter ist er aber wohl auch dem Umstand geschuldet, dass der deutsche Gesetzgeber sich bei der IPR-Reform im Jahr 1986 dazu entschied, das Staatsangehörigkeitsrecht als maßgebliche Anknüpfung für Statusfragen beizubehalten. Der damit kollidierende Wunsch nach einer – auch rechtlichen – Integration von in Deutschland lebenden ausländischen Staatsbürgern macht somit an mehreren Stellen eine Korrektur der Regelanknüpfung erforderlich.136 3. Das nationale IPR im 21. Jahrhundert Auf diese Reformbewegungen folgte jedoch keineswegs ein Stillstand in der Entwicklung des nationalen Kollisionsrechts. Allerdings verschoben sich die für diese Dynamik verantwortlichen Faktoren. Waren dies in den 70er- und 80er-Jahren noch das nationale Rechts- und Gesellschaftsbild sowie der Blick auf die USamerikanische Doktrin, verlagerte sich dies nach der Jahrtausendwende zunehmend hin zu Fragen und Herausforderungen unionspolitischer Art. Als ein die Entwicklung beeinflussender Faktor ist hier das durch die RomVerordnungen kodifizierte Unions-Kollisionsrecht zu nennen.137 Dessen Struktur unterscheidet sich hinsichtlich der Bedeutung materieller Wertungen grundlegend von der des klassischen deutschen IPR.138 Dies ist auf den aus Art. 5 Abs. 2 S. 1 EUV und Art. 7 AEUV folgenden Grundsatz der beschränkten Einzelermächtigung zurückzuführen. Demnach ist die Union beim Tätigwerden im Rahmen der ihr übertragenen Befugnisse gehalten, kohärent und im Einklang mit der sonstigen Unionspolitik, insbesondere den Unionsgrundsätzen, zu handeln.139 Das auf Grundlage von Art. 5 Abs. 2 S. 1 EUV, Art. 81 AEUV entwickelte Gemeinschafts-Kollisionsrecht ist daher zwingend von materiellrechtlichen Grundsätzen und Erwägungen durchzogen. Diese Strukturverschiedenheit beeinflusst jedenfalls mittelbar auch die Ausgestaltung des nationalen IPR und bewirkt dort eine Fortsetzung der Materialisierungstendenzen.140 Diese Fortführung der Materialisierung des deutschen IPR ergibt sich jedoch nicht allein aus den Einflüssen des Unions-Kollisionsrechts. Vielmehr folgt diese auch 135

Siehr, RabelsZ 37 (1973), 466, 467. von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 79 a. E.; vgl. zur IPR-Reform sogleich unter C.I.1.d). 137 Kühne, FS Schurig, 129, 144. 138 Weller, RabelsZ 81 (2017) 747, 758. 139 Fastenrath/Groh, Europarecht, Rn. 42 ff. 140 Kühne, FS Schurig, 129, 143; ders., FS Heldrich, 815, 818 f. 136

II. Zur Politisierung des IPR

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unmittelbar aus der Unionspolitik.141 Zu den hieraus hervorgegangenen politischen Leitlinien zählen beispielsweise die Gleichstellung der Geschlechter sowie der Schutz der schwächeren Vertragspartei, etwa von Arbeitnehmern und Verbrauchern.142 Diese Grundsatzentscheidungen wirken sich auch auf das nationale IPR und dessen weitere Ausgestaltung aus. Praktisch erfolgt dies primär durch die Schaffung von entsprechenden Eingriffsnormen.143 Daneben zeigt sich aber auch eine steigende Anzahl von unilateralen Verweisungen. Dies bezeichnet Kollisionsnormen, die zwar objektiv allseitig ausgestaltet sind, tatsächlich jedoch durch das Zusammenspiel mit den Normen des internationalen Zivilverfahrensrechts (IZVR) oder durch einen Günstigkeitsvergleich zur Anwendung der lex fori führen.144 Neben der fortschreitenden Materialisierung ist noch eine weitere Entwicklungstendenz des nationalen IPR zu beobachten: Dieses wendet sich zunehmend dem Individuum mit seinen spezifischen Bedürfnissen zu und richtet sich daran aus. Hierbei handelt es sich um eine strukturelle Veränderung gegenüber dem klassischen IPR. Während dieses zum Ziel hatte, das Individuum einem Staat und seiner Rechtsordnung zuzuordnen, orientiert sich das Kollisionsrecht des 21. Jahrhunderts zunehmend an dem Bild des grenzüberschreitend aktiven europäischen Bürgers.145 Zurückführen lässt sich dieser Perspektivwechsel auf den Einfluss der Unionsgrundsätze, insbesondere der Unionsbürgerschaft (Art. 20 AEUV), der Personenfreizügigkeit (Art. 21 AEUV) und des aus Art. 67 AEUV hervorgehenden Mobilitätskonzepts. Praktisch wirkt sich dies vor allem durch die zunehmende Stärkung der Parteiautonomie aus.146 Auch trägt der in einigen Fällen erfolgte Wechsel der Anknüpfung des Personalstatuts an den gewöhnlichen Aufenthalt – anstatt wie zuvor an die Staatsangehörigkeit – der zunehmenden Mobilität der Unionsbürger Rechnung.147 Es ist mithin festzustellen, dass die steigende Anzahl besonderer Vorbehaltsklauseln sich in die allgemeine Tendenz zur Materialisierung beziehungsweise Politisierung des IPR einfügt. Der Gesetzgeber wird durch die Schaffung spezieller ordre public-Vorbehalte regulierend tätig und setzt materielle Wertungen unmittelbar auf Ebene der Verweisung durch. Andererseits widerspricht die Typisierung von ordre public-Verstößen gerade der gleichfalls zu beobachtenden Tendenz des Kollisionsrecht hin zu einer Orientierung am Individuum. Die von Einzelfall gelöste Bewertung bestimmter Rechtsfragen im Rahmen der besonderen Vorbehaltsklauseln kann sich dabei insbesondere negativ auf die Freizügigkeit der Unionsbürger aus141

Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 759. Kühne, FS Schurig, 129, 144. 143 Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 767 f.; zudem auch Normen mit eingriffsnormähnlichem Charakter, beispielsweise Art. 10 Rom III-VO. 144 Kühne, FS Schurig, 129, 144; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 769 f. 145 Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 760 ff. 146 Kühne, FS Schurig, 129, 144; ders., FS Heldrich, 815, 817. 147 Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 761 ff. 142

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B. Grundlagen

wirken. Weiter ließe sich auch hinterfragen, ob ein am Individuum orientiertes IPR nicht auch zum Schutz von dessen individueller Lebensweise als Ausdruck seiner kulturellen Identität verpflichtet ist. Diese Thematik soll im folgenden Abschnitt beleuchtet werden.

III. Zur kulturellen Identität Der vorangegangene Teil der Arbeit weist auf den besonderen Einfluss hin, den die europäischen Kodifikationen sowie die Unionspolitik auf das nationale IPR haben. Dies ist zwar richtig und entspricht der Entwicklungstendenz des deutschen Kollisionsrechts. Trotzdem kann nicht außer Acht gelassen werden, dass die deutsche Rechtsordnung längst nicht mehr allein europäischen Einflüssen ausgesetzt ist. Vielmehr kommt diese infolge der zunehmenden Globalisierung in Kontakt mit Kulturen und Rechtsordnungen aus aller Welt.148 In Deutschland ist dieses Phänomen in besonderem Maße infolge des erheblichen Zustroms Geflüchteter seit Sommer 2015 zu beobachten. Die Reaktionen auf dieses Aufeinandertreffen von Kulturen erfassen ein breites Spektrum. In vielen Lebensbereichen lässt sich eine Öffnung gegenüber ausländischen Gebräuchen, Methoden, Rechts- und Moralvorstellungen konstatieren. Dies betrifft etwa die zunehmende Akzeptanz gegenüber dem Tragen islamischer Kopftücher im öffentlichen Raum.149 Es sind jedoch auch gegenläufige Tendenzen zu beobachten: Angesichts des steigenden Einflusses fremder Kulturen und Gebräuche ist zunehmend ein Bedürfnis nach einer Vergewisserung der eigenen nationalen Werte festzustellen.150 Beispielhaft sei auf die wiederentfachte Debatte rund um die Existenz einer deutschen Leitkultur verwiesen.151 Mit Blick auf diese Entwicklungen ergibt sich die Frage, wie mit der Kollision von Kulturen umzugehen ist und inwiefern ausländische Sitten und Gebräuche im Inland zu schützen sind. Zusammengefasst wird dieser Themenkomplex unter dem Stichwort der „kulturellen Identität“. Dieser aus der Sozialwissenschaft stammende Be-

148

Vgl. zum Konzept und Ursprung der Globalisierung Basedow, FS Stoll, 405 f. m. w. N. BVerfG, Beschl. vom 27. 1. 2015 – 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10 = NJW 2015, 1359 ff.; BVerfG, Beschl. vom 18. 10. 2016 – 1 BvR 354/11 = NJW 2017, 381 ff. 150 Siehe dazu auch Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 5 f.; Basedow, FS Stoll, 405, 414; Hailbronner/Thym, JZ 2016, 753; eine ähnliche Debatte wurde 2019 durch eine Äußerung von der Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen auf europäischer Ebene losgetreten, vgl. dazu von Hein, in: Legal Theory and Interpretation in a Dynamic Society, 151 f. 151 Zuletzt angestoßen durch den Gastbeitrag von Thomas de Mazière in der „Bild am Sonntag“ vom 29. 4. 2017, abrufbar unter: https://www.bild.de/politik/inland/thomas-de-mai ziere/leitkultur-fuer-deutschland-51509022.bild.html (zuletzt abgerufen am 4. 12. 2020, 15.31 Uhr). 149

III. Zur kulturellen Identität

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griff hat nicht nur Eingang in Politik und Philosophie gefunden,152 sondern seit dem 20. Jahrhundert auch auf rechtswissenschaftlicher Ebene Bedeutung erlangt. Hier fanden sich zunächst vor allem im Völkerrecht Bestimmungen, die die Achtung und die Wahrung kultureller Belange von Minderheiten statuierten.153 Auch die europäischen Kodifikationen nahmen später entsprechende Bestimmungen auf.154 Maßgeblich beeinflusst durch die Arbeiten von Erik Jayme fand das Institut der kulturellen Identität schließlich auch Eingang in das Internationale Privatrecht.155 Handelt es sich dabei zunächst um einen schillernden Begriff, der durchaus spontane Assoziationen weckt, bereitet die Konkretisierung des Phänomens der „kulturellen Identität“ Schwierigkeiten. Ziel dieses Abschnittes ist es daher, in gebotenem Umfang der Frage nach der Begriffsbedeutung, der Rechtsnatur und dem Verhältnis von Recht und kultureller Identität nachzugehen. Dabei beschränkt sich die Untersuchung allein auf den Bereich der individuellen kulturellen Identität. Die Möglichkeit der kulturellen Identität eines Personenkollektivs oder Rechtssystems wird mangels hinreichender Bedeutung für die weitere Arbeit außenvorgelassen.156 1. Das Institut der kulturellen Identität a) Begriffsbestimmung Wirft bereits die Bestimmung des Kulturbegriffs Unklarheiten auf,157 so setzen sich diese gleichermaßen in Hinblick auf die genaue Bedeutung von kultureller Identität fort.158 Dennoch ist von einigen Seiten der Versuch einer Definition dieses Begriffes unternommen worden: Jayme etwa versteht unter der kulturellen Identität einer Person die „Rückbesinnung auf die eigene Sprache, Geschichte, Tradition“ beziehungsweise „Lebensstil, Sprache, Religion und Kunst als [ihre] äußere Ausdrucksformen, welche durch ein Bewusstsein oder auch Gefühle der Menschen zusammengehalten werden“.159 Mansel beschreibt kulturelle Identität als „Selbst152

Vgl. zum politischen Kontext beispielsweise BT-Drucks. 13/4445, 1; BT-Drucks. 19/ 7426, 1; zur Auseinandersetzung auf sozialwissenschaftlicher Ebene Huntington, Kampf der Kulturen; Meyer, Identitätspolitik; Sen, Identitätsfalle; zur Auseinandersetzung auf philosophischer Ebene Jullien, Es gibt keine kulturelle Identität. 153 So etwa Art. 27 IPbpR, Art. 30 UN-Kinderrechtekonvention 1989; vgl. dazu von Hein, in: Juristische Studiengesellschaft Jahresband 2018, 29, 43 f. 154 Art. 167 AEUV. 155 Vgl. etwa Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht; ders., RabelsZ 67 (2003), 211 ff.; ders., IPRax 1996, 237 ff.; mit Hinweis hierauf auch von Hein, in: Juristische Studiengesellschaft Jahresband 2018, 29, 46 f. 156 Zu den unterschiedlichen Subjekten einer kulturellen Identität Mansel, in: Pluralistische Gesellschaften, 137, 142; zur kulturellen Identität eines Rechtssystems Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 5, 11 m. w. N. 157 Vgl. dazu Fuchs, Kultur Macht Sinn, 11 ff. 158 Vgl. dazu auch Mankowski, IPRax 2004, 282. 159 Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 5, 7.

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B. Grundlagen

verständnis einer Person […], einer Gruppe anzugehören, deren Mitglieder sich von anderen Gruppen durch sozial erworbene Faktoren wie Sprache, Religion oder Weltanschauung, Traditionen, Sitten und Gebräuche sowie andere geistige Faktoren unterscheiden“. Dabei geht er davon aus, dass „eine kulturelle Identität nicht die Zuordnung zu konkret abgrenzbaren Personengruppen [verlangt], sondern ausreichend die [Zuordnung] zu einer abstrakten kulturellen Bezugssystemgruppe“ sei.160 Häufig beschränkt sich die Literatur bei der Frage nach der Begriffsdefinition jedoch allein auf eine Benennung derjenigen Faktoren, die Bestandteile der kulturellen Identität darstellen. Übereinstimmend wird hier auf die religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen161 sowie die Sprache verwiesen.162 b) Rechtsnatur Neben Unklarheiten definitorischer Art ist auch die Rechtsnatur der kulturellen Identität streitig. Jayme geht von einem Anspruch auf Achtung und Wahrung der kulturellen Identität aus und spricht diesem die Qualität eines subjektiven Rechts zu.163 Dieses entwickelt er vorrangig aus Art. 8 EMRK, der UN-KinderrechteKonvention (UN-KRK) sowie dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.164 Zusätzlich zieht er Art. 5 Abs. 1 Framework Convention of the Council of Europe for the Protection of National Minorities vom 1. Februar 1995 sowie Art. 4 GG heran.165 Die Einordnung der kulturellen Identität als subjektives Recht hat einige Kritik erfahren.166 Insbesondere Mansel spricht sich hiergegen aus. Er bezweifelt die Tauglichkeit von Art. 8 EMRK als Rechtsgrundlage, da die Rechtsprechung bisher hieraus lediglich einen Schutzanspruch für Minderheitenangehörige (zum Beispiel Sinti und Roma) ableitet.167 Ob darüber hinaus dieser Rechtsprechung ein generelles Recht auf Achtung der eigenen kulturellen Identität entnommen werden kann, erachtet er als fraglich. Zudem führt er an, dass es den von Jayme ins Feld geführten Normen an einem hinreichend konkreten Anspruchstatbestands fehle. Insbesondere seien hieraus Begünstigter, Adressat sowie die Trennung von individuellen und kollektiven Rechten nicht eindeutig erkennbar.

160 161 162 163 164

469. 165

Mansel, in: Pluralistische Gesellschaften, 137, 144. Mankowski, IPRax 2004, 282. Henrich, FS Jayme, Band 1, 321. Dem wohl folgend Büchler, in: Pluralistische Gesellschaften, 215, 219. Zu einer Verankerung in Art. 2 Abs. 1 GG auch Looschelders, RabelsZ 65 (2001), 463,

Vgl. dazu insgesamt Mansel, in: Pluralistische Gesellschaften, 137, 146. Mansel, in: Pluralistische Gesellschaften, 137, 147 f.; jedenfalls nur von dem „Charakter“ eines Menschenrechts ausgehend von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 2, Rn. 57; Coester-Waltjen, BerGesVR 38 (1998), 9, 15 ff. 167 Vgl. dazu EGMR, Urt. v. 3. 10. 1983 – 9278/81 (G. et E./Norvège). 166

III. Zur kulturellen Identität

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Mit dieser Kritik will Mansel jedoch keineswegs dem Institut der kulturellen Identität eine generelle Absage erteilen.168 Vielmehr schlägt er vor, diese als „Abwägungstopos“ bei der Rechtssetzung sowie der Anwendung von kollisions- und materiellrechtlichen Normen zu berücksichtigen. Die für eine abschließende Beantwortung der Frage nach der rechtlichen Qualifikation erforderlichen Untersuchungen würden den Umfang dieser Arbeit überschreiten. Zugleich hätte dies allenfalls geringe Relevanz für das Forschungsziel. Daher wird hier die Frage nach der rechtlichen Einordnung des Instituts der kulturellen Identität zunächst offengelassen. Wenn und soweit das Ergebnis der Arbeit aufgrund der einen oder anderen Qualifizierung divergieren sollte, wird an der entsprechenden Stelle darauf hingewiesen. 2. Das Verhältnis von kultureller Identität und Recht Da die Untersuchung sich mit der deutschen Gesetzgebung und somit mit einem rechtswissenschaftlichen Thema befasst, wird die kulturelle Identität hier allein aus rechtlicher Perspektive beleuchtet. Dabei ist zunächst zu überlegen, inwiefern auch das bestehende Recht Bestandteil oder Ausdruck einer bestimmten kulturellen Identität ist. In einem zweiten Schritt ist zu hinterfragen, welche Wirkung das Phänomen der kulturellen Identität auf Rechtssetzung und -anwendung zeitigt. a) Bedeutung bestehender Rechtsordnungen für die kulturelle Identität Die Frage nach der Bedeutung bestehender Rechtsordnungen für die kulturelle Identität hat zwei unterschiedliche Auslegungsweisen hervorgebracht. Ob und inwieweit diese im Widerspruch zueinander stehen, ist zu hinterfragen. Einerseits wird ein Verständnis von Recht als „kulturprägendes Element“ vertreten. Die Rechtsordnung eines Staates wirke durch ihre Ge- und Verbotsnormen auf die Umwelt ein und forme diese in gleichem Maße wie Religion, Weltanschauung oder Sprache.169 Daraus wird geschlussfolgert, dass auch das Recht als „kulturelles Phänomen“ mit seinem Rechts- und Gerechtigkeitsvorstellungen Anteil an der individuellen kulturellen Identität der in diesem Rechtssystem lebenden Bürger hat. Man könnte hier von Recht als Bestandteil einer kulturellen Identität sprechen.170 Diesem Verständnis wird indes vorgeworfen, dass es auf einem – verfehlten – juristisch-akademischem Weltbild beruhe, welches die prägende Bedeutung des Rechts für den Laien überschätze.171 Voraussetzung dafür, dass das Recht die indi168

Coester-Waltjen, BerGesVR 38 (1998), 9, 16. Henrich, FS Stoll, 437, 444. 170 So Jayme, IPRax 1996, 237, 241 f.; Henrich, FS Jayme, 321; kritisch Mankowski, IPRax 2004, 283 f.; mit Verweis auf Jayme, von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, § 4, Rn. 50; Looschelders, RabelsZ 65 (2001), 463, 469. 171 Vgl. dazu ausführlich Mankowski, IPRax 2004, 282, 283 f.; Henrich, FS Stoll, 437, 444. 169

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B. Grundlagen

viduelle kulturelle Identität beeinflussen könne, sei, dass der Bürger hinreichend konkrete Vorstellungen von der jeweiligen Rechtsordnung habe. Der Laie mache sich jedoch in aller Regel über das Recht als „Ordnungsrahmen“ allenfalls ungenaue Vorstellungen, er lebe „mit dem Recht, aber nicht im Recht“.172 Wenn überhaupt, könnten einzelne Rechtsvorstellungen, denen sich der Laie zumindest rudimentär bewusst ist, auf diesen prägend einwirken. Hinsichtlich einer ganzen nationalen Rechtsordnung sei dies aber abzulehnen. Die Überlegung das Recht als Bestandteil der kulturellen Identität anzusehen, ließe sich in einigen Konstellationen bisweilen sogar ins Gegenteil verkehren. Eine Rechtsordnung sei jedenfalls gerade dann nicht Bestandteil eines individuellen Kulturverständnisses, wenn Regelungen des geltenden Rechts erneuert würden oder dieses gezielt dazu eingesetzt würde, gewachsene Traditionen zu durchbrechen.173 Daneben findet sich noch eine weitere Interpretation des Verhältnisses von Recht und kultureller Identität. So wird von einigen Teilen der Rechtswissenschaft angenommen, dass das Recht ein Abbild gewisser kultureller Vorstellungen und Strukturen sei.174 Diese organisch gewachsenen Merkmale einer bestimmten Kultur würden vom Gesetzgeber vorgefunden und durch Rechtsnormen gesetzlich verankert. Daraus ließe sich folgern, dass sich Individuen häufig dann mit einer Rechtsordnung identifizieren können, wenn diese sich aus dem Kulturkreis, dem der Betroffene angehört, entwickelte habe. Zusammenfassend ließe sich hier von Recht als Ausdruck kultureller Identität sprechen. Auch dabei wäre jedoch einschränkend auf die Fälle der aktuellen Rechtsänderungen oder des bewussten Traditionsbruchs durch Rechtssetzung hinzuweisen. Die Darstellung dieser beiden konzeptionellen Ansätze lässt erkennen, dass sich diese nicht zwingend gegenseitig ausschließen: Es ist durchaus vorstellbar, dass zumindest einige maßgebliche Grundprinzipien einer Rechtsordnung und die Gewissheit über deren Geltung prägend auf den einzelnen Bürger einwirken. Als Beispiele aus der deutschen Rechtsordnung kann dabei etwa auf das Zerrüttungsprinzip des Ehescheidungsrechts, den in dubio pro reo-Grundsatz des Strafrechts oder den öffentlich-rechtlichen Grundrechtsschutz verwiesen werden. Daneben erscheint es möglich, dass sich die Rechtsordnung beziehungsweise der Gesetzgeber an der organisch gewachsenen kulturellen Umwelt orientiert, diese inkorporiert und ihr durch Ausgestaltung entsprechender Normen Ausdruck verleiht. b) Appellfunktion der kulturellen Identität bei Gesetzgebung und Rechtsanwendung Obwohl die Relevanz der Frage, inwiefern Recht Ausdruck beziehungsweise Bestandteil der individuellen kulturellen Identität ist, nicht zu leugnen ist, bleibt die 172 173 174

Mankowski, IPRax 2004, 282, 284. Mankowski, IPRax 2004, 282, 284. So Mansel, in: Pluralistische Gesellschaften, 137, 163.

III. Zur kulturellen Identität

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Betrachtung dessen bislang im Theoretischen verhaftet. Ungeklärt ist weiterhin, wie dies konkret praktisch umzusetzen ist. Hierzu wurden verschiedene Lösungsansätze entwickelt. Diese beziehen sowohl die Ebene der Gesetzgebung als auch der Rechtsanwendung mit ein. Einigkeit herrscht darüber, dass dem Institut der kulturellen Identität ein Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber zu entnehmen ist. Dies ist jedenfalls dann nahezu zwingend, wenn man mit Mansel die kulturelle Identität als Abwägungstopos verstanden wissen möchte. Ein solcher zeitigt nur dann Wirkung, wenn der Gesetzgeber sich dazu berufen fühlen muss, diesen bei der Rechtssetzung zu berücksichtigen. Aber auch bei einer Qualifikation als Menschenrecht könnte einem solchem individuellen Recht ein Berücksichtigungsgebot entnommen werden. Dies ergibt sich bereits aus der deutschen Ratifikation der entsprechenden Menschenrechtskodifikationen. Inhaltlich besagt der vorgenannte Gestaltungsauftrag, dass es die Aufgabe des Gesetzgebers ist, bei der Rechtssetzung die kulturelle Identität eines Individuums zu achten und zu wahren.175 Im Internationalen Privatrecht wird dieser Appell insbesondere bei der Bestimmung des Personalstatuts relevant.176 Dieser Anknüpfungspunkt ist für die individuelle kulturelle Identität von besonderer Bedeutung, da das Personalstatut die persönlichen Rechtsverhältnisse einer Person regelt und den Einzelnen somit in Fragestellungen von erheblicher Relevanz – wie etwa der Rechtsund Geschäftsfähigkeit oder dem Namensrecht – einer nationalen Rechtsordnung „zuordnet“.177 Neben der Ebene der Gesetzgebung wird der Topos der kulturellen Identität auch bei der Rechtsanwendung relevant. Dies betrifft zunächst das Internationale Privatrecht. Hier spricht Jayme sich dafür aus, dass der kulturellen Identität bei der Anwendung des Kollisionsrechts durch eine besonders restriktive Anwendung des ordre public-Vorbehalts Rechnung zu tragen sei.178 Sofern der streitgegenständliche Sachverhalt kulturprägende Aspekte wie etwa Religion oder Sprache betreffe, sei mit besonderer Vorsicht zu hinterfragen, ob die Rechtsanwendung tatsächlich gegen die wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts verstößt. Dies mache im Ergebnis eine Überprüfung erforderlich, ob die in Rede stehende ausländische Regelung gerade Ausdruck einer bestimmten kulturellen Prägung ist (Recht als Ausdruck kultureller Identität) oder ob diese als Grundprinzip der ausländischen Rechtsord-

175 Henrich, FS Jayme, 321; Mankowski, IPRax 2004, 282; so wohl auch Jayme, Internationales Privatrecht und Völkerrecht, Band III, 41; mit Verweis auf Jayme von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, § 4 Rn. 50; Looschelders, RabelsZ 65, 463, 468; so wohl auch Jayme, Kulturelle Identität, 5, 14. 176 Vgl. dazu auch Basedow, FS Stoll, 405, 414. 177 Vgl. dazu von Hein, in: MüKo BGB, Art. 5 EGBGB Rn. 10. 178 Jayme, Internationales Privatrecht und Völkerrecht, Band III, 41 f.

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B. Grundlagen

nung dazu geeignet ist, prägend auf den Einzelnen einzuwirken (Recht als Bestandteil der kulturellen Identität). Diesen Bestrebungen Jaymes ist Kokott entgegengetreten.179 Gegen eine Restriktion des ordre public-Vorbehalts wendet sie ein, dass der ausländische Bürger sich regelmäßig freiwillig in den deutschen Rechts- und Kulturkreis begeben habe. Daraus folge, dass er mit der Geltung des hiesigen Rechts- und Wertesystems rechnen müsse. Zudem ließen sich Fälle finden, in denen sich ausländische Bürger durch den Wechsel des Rechts- und Kulturkreises bewusst den heimischen traditionellen Praktiken entziehen wollten. Hinzu komme, dass das Gerichtsverfahren – und damit auch der ordre public-Vorbehalt – in der Regel Schutzfunktion für die schwächere Partei habe. Es sei eine Frage des Einzelfalls, ob der Schutz der kulturellen Identität tatsächlich vorrangig gegenüber der Wahrung der wesentlichen deutschen Rechtsgrundsätze und den darin verkörperten Werten sei. Dies gelte insbesondere mit Blick auf die Durchsetzung der Grundrechte.180 Der Argumentation beider Standpunkte ist Zutreffendes zu entnehmen. Sicherlich ist Kokotts erstes Argument in Zeiten der „Flüchtlingskrise“ neu zu überdenken. Ob angesichts politischer Verfolgung und einem Leben am wirtschaftlichen Existenzminimum im Herkunftsstaat tatsächlich von Freiwilligkeit gesprochen werden kann, ist fraglich. Gleichzeitig kann jedoch gerade mit Blick auf diese Entwicklung das individuelle Interesse an der Außerachtlassung der heimischen Wertungen gestiegen sein. Zugleich ist Jayme darin Recht zu geben, dass die kulturelle Identität nicht nur bei der Gesetzgebung, sondern auch bei der kollisionsrechtlichen Rechtsanwendung Beachtung finden sollte. Dies gilt besonders bei der Anwendung des ordre publicVorbehalts, der das Prinzip der Neutralität und Gleichwertigkeit fremder Rechtsordnungen zugunsten eigener grundlegender Wertvorstellungen durchbricht. Hier besteht besonders die Gefahr, die in der ursprünglich berufenen fremden Rechtsordnung zum Ausdruck kommende kulturelle Identität zu missachten. Ob dies aber eine generelle Abschwächung dieses „Schutzmechanismus‘“ erforderlich macht, ist insbesondere mit Blick auf Kokotts letztes Argument bezüglich des Grundrechtsschutzes fraglich. Abschließend hierzu ist noch auf einen weiteren Aspekt hinzuweisen: Bislang wurde der Blick auf die Frage nach einer Kollision von kultureller Identität und ordre public-Vorbehalt gelenkt. Dies ist jedoch nicht zwingend der Fall. Vielmehr kann der ordre public-Vorbehalt auch dazu dienen, fundamentale kulturelle Prinzipien durchzusetzen.181 Die kulturelle Identität wäre in diesen Konstellationen gewissermaßen als Beweggrund für die Abwehr ausländischer Rechtssätze anzusehen. In 179 Dagegen spricht sich auch aus von Hein, in: Juristische Studiengesellschaft Jahresband 2018, 29, 47 f. 180 Kokott, BerGesVR 38 (1998), 71, 91. 181 Vgl. zu diesem Aspekt etwa die Rechtsprechung des BGH, Beschl. v. 14. 11. 2018 – XII ZB 292,15 = NJW-RR 2019, 321 ff. (Rn. 39); Schlussanträge der Generalanwältin Kokott zu EuGH C-490/20, Rn. 70 ff.; zur Literatur von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 163 ff.

III. Zur kulturellen Identität

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diesen Konstellationen kann es dann auch zu der besonders brisanten Situation der Kollision zweier kultureller Identitäten kommen. Daneben sind auch Stimmen laut geworden, die die Berücksichtigung der kulturellen Identität bei Anwendung des materiellen Rechts verlangen.182 Dies wird damit begründet, dass die berufenen Normen nur auf Inlandssachverhalte zugeschnitten seien und daher nicht hinreichende Möglichkeiten zur Berücksichtigung einer ausländischen kulturellen Identität böten. Im Ergebnis entspricht dieses Vorbringen weitestgehend der teilweise in der Literatur vertretenen „Zwei-StufenTheorie“.183 Kern der Zwei-Stufen-Theorie ist die Überlegung, dass das Sachrecht der nationalen Rechtsordnungen primär auf die Anwendung auf Inlandssachverhalte zugeschnitten ist. Damit die anwendbaren materiellen Normen auch Sachverhalte mit Auslandsbezug sachgerecht regeln, soll bei der Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung ein zweistufiges Verfahren durchgeführt werden: In einem ersten Schritt ist – wie gehabt – anhand der nationalen oder vereinheitlichten Kollisionsnormen die anwendbare Rechtsordnung zu bestimmen. Die Besonderheit dieses Vorgehens liegt dann in der zweiten Stufe. Hier soll das berufene Sachrecht und insbesondere dessen Generalklauseln nur unter Berücksichtigung der verdrängten ausländischen Rechtsordnung angewendet werden. Dies soll unter anderem der Beachtung der fremden kulturellen Identität dienen. Über die Anwendbarkeit der Zwei-Stufen-Theorie im Internationalen Privatrecht ist viel diskutiert worden, wobei sich dies Großteils auf dogmatische Fragen beschränkt hat. Eine weitergehende Erörterung ist dem Ziel dieser Untersuchung nicht zuträglich. Vielmehr ist hier abschließend auf die richtige Anmerkung von Heins zu dieser Thematik hinzuweisen. Dieser diagnostiziert, dass „es sich bei der Berücksichtigung ausländischen Rechts im Rahmen von Generalklauseln […] um einen Fall der teleologischen Auslegung des Sachrechts handelt“.184 Ausländische Normen könnten stets dann, auch unter dem Aspekt der Achtung der individuellen kulturellen Identität, Berücksichtigung finden, wenn diese dem Sinn und Zweck des anwendbaren inländischen Sachrechts entsprächen. Dafür sei es erforderlich, dass das deutsche Sachrecht grundsätzlich einer solchen Berücksichtigung ausländischer Werte zugänglich sei sowie dass deren Berücksichtigung im konkreten Fall gerade erforderlich sei, um dem Telos der deutschen Norm Rechnung zu tragen. 3. Ausblick Das Institut der individuellen kulturellen Identität wird dem Grunde nach von der Rechtswissenschaft weitestgehend anerkannt. Es sind kaum Stimmen zu finden, die 182 Mansel, in: Pluralistische Gesellschaften, 137, 204 ff.; Siehr, BerGesVR 38 (1998), 120, 121; von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, § 4, Rn. 51; Coester-Waltjen, BerGesVR 38 (1998), 9, 16; wohl eher dagegen Jayme, Kulturelle Identität, 5, 11. 183 Zur „Zwei-Stufen-Theorie“ ausführlich von Hein, in: MüKo BGB, Einleitung zum IPR, Rn. 294 ff.; Looschelders, in: Staudinger, Einleitung zum IPR, Rn. 245 ff. 184 von Hein, in: MüKo BGB, Einleitung zum IPR, Rn. 294 ff.

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B. Grundlagen

unabhängig von Fragen der konkreten Ausgestaltung, das Bestehen einer individuellen kulturellen Identität als solche gänzlich ablehnen.185 Es bestehen jedoch noch diverse offene Fragestellungen, so dass weitere Untersuchungen unerlässlich sein werden. An dieser Stelle soll zum Abschluss der Darstellung nur auf einige ungeklärte Problemkreise hingewiesen werden: Diese beziehen sich zum einen auf die Charakteristika der kulturellen Identität. So ist bislang ungeklärt, ob es möglich ist, dass eine Person mehrere kulturelle Identitäten in sich vereint.186 Daran schließt sich die Frage an, ob bei Bejahung dieser Möglichkeit eine Person zwischen ihren verschiedenen kulturellen Zugehörigkeiten wählen kann.187 Ebenso ist die Wandelbarkeit der kulturellen Identität zu klären.188 Aber nicht nur hinsichtlich der Ausgestaltung der kulturellen Identität ergeben sich Unsicherheiten. Auch die praktische Umsetzung des daraus hervorgehenden Achtungsanspruchs ist unklar. Es stellt sich hier insbesondere die Frage, wie die kulturelle Identität einer Person ermittelt werden kann.189 Auch ist bislang ungeklärt, wem die Entscheidungshoheit darüber zukommt. Zunächst möchte man wohl die Festlegung einer solch persönlichen Frage der betroffenen Person überlassen. Zweifelhaft ist aber, wie damit umzugehen ist, wenn eine Person sich weigert eine Entscheidung hierüber zu treffen. Ungeklärt ist zudem, wie mit der Kollision von kultureller Identität und Grundrechten umzugehen ist.190 Dieser oben bereits kurz angesprochene Problemkreis wirft die Frage auf, ob grundsätzlich von einem Vorrang zugunsten des einen oder anderen Rechtsinstituts auszugehen ist. Auch kommt, vergleichbar zur Grundrechtsdogmatik, die Herstellung einer praktischen Konkordanz in Betracht. Zuletzt ist noch darauf hinzuweisen, dass eine Berücksichtigung der individuellen kulturellen Identität auch auf der Ebene des internationalen Verfahrensrechts nicht ausgeschlossen ist.191 Ob und in welcher Gestalt dies erfolgen könnte – etwa durch Erweiterung der Möglichkeiten einer Gerichtsstandswahl –, taugt ebenfalls als Gegenstand zukünftiger Untersuchungen.

185 186 187 188 189 190 191

Scharfe Kritik erfolgt jedoch von Siehr, BerGesVR 38 (1998), 120, 121. Mankowski, IPRax 2004, 282, 285 ff.; Siehr, BerGesVR 38 (1998), 120, 121. Mansel, in: Pluralistische Gesellschaften, 137, 155 f. Mansel, in: Pluralistische Gesellschaften, 137, 155 f. Siehr, BerGesVR 38 (1998), 120 f.; Coester-Waltjen, BerGesVR 38 (1998), 9, 16. Siehr, BerGesVR 38 (1998), 120, 121 f. Mankowski, IPRax 2004, 282, 288.

C. Die besonderen ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts Das erste Kapitel dieser Arbeit hat gezeigt, dass besondere ordre public-Vorbehalte sich in verschiedensten Rechtsbereichen nationaler und internationaler Kodifikationen finden. Diese unterscheiden sich nicht nur in ihrer tatbestandlichen Ausgestaltung und Rechtsfolgenanordnung, sondern dienen auch der Durchsetzung verschiedenster Rechtsgrundsätze. Wie anfangs bereits dargelegt wurde, konzentriert sich die vorliegende Untersuchung auf das Internationale Eheschließungsrecht. Die dafür maßgeblichen Bestimmungen finden sich im autonomen Internationalen Privatrecht in Art. 13 EGBGB. Das Internationale Eheschließungsrecht bietet sich aus mehreren Gründen in besonderem Maße für eine Untersuchung allgemeiner und besonderer ordre public-Vorbehalte an. Offenkundig ist das zunächst deshalb der Fall, da man hier auf eine große Anzahl besonderer Vorbehaltsklauseln stößt. Daneben handelt es sich auch um ein Rechtsgebiet, welches in außerordentlichem Maße kulturellen Einflüssen ausgesetzt ist. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich bei der Ehe(-schließung) um ein gesellschaftlich gewachsenes Phänomen handelt, dessen Besonderheiten auch bei der Rechtsetzung zu beachten sind. Zudem sind die dieses Rechtsgebiet betreffenden Fragen stark durch die sich verändernden Moralund Sozialvorstellungen beeinflusst. Es soll somit ermittelt werden, in welchen Fällen und warum sich der deutsche Gesetzgeber hier für die zwingende Durchsetzung nationaler Wertvorstellungen entschieden hat. Dadurch soll es ermöglicht werden, im letzten Teil der Arbeit eine Aussage über die Recht- und Zweckmäßigkeit der einzelnen besonderen Vorbehaltsklauseln zu treffen. Zu diesem Zweck werden im nachfolgenden Abschnitt die besonderen ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts in chronologischer Reihenfolge dargestellt. Konkret erfasst sind also Art. 13 Abs. 2 EGBGB (I.), Art. 13 Abs. 3 EGBGB (II.), Art. 13 Abs. 4 EGBGB (IV.). Weiter soll auch der vom bayrischen Gesetzgeber vorgeschlagene Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E (III.) untersucht werden. Die Untersuchung befasst sich dabei zunächst mit der Entstehung der jeweiligen besonderen Vorbehaltsklausel. Dabei wird die Rechtslage dargestellt, die bis zum Inkrafttreten der jeweiligen Norm galt und zur Schaffung der besonderen Vorbehaltsklausel führte. Um zu ermitteln, ob sich die hinter der Norm stehenden gesetzgeberischen Erwägungen erfüllt haben, wird im Anschluss die praktische Relevanz der besonderen Vorbehaltsklauseln für die Rechtsprechungspraxis beleuchtet.

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

Abschließend wird die gegen die jeweilige Norm vorgebrachte Kritik dargestellt und analysiert.

I. Art. 13 Abs. 2 EGBGB Der chronologisch erste besondere ordre public-Vorbehalt des Internationalen Eheschließungsrechts ist Art. 13 Abs. 2 EGBGB. Dieser lautet: Art. 13 EGBGB […] (2) Fehlt danach [Eheschließungsstatut nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB] eine Voraussetzung, so ist insoweit deutsches Recht anzuwenden, wenn 1. ein Verlobter seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat oder Deutscher ist, 2. die Verlobten die zumutbaren Schritte zur Erfüllung der Voraussetzungen unternommen haben und 3. es mit der Eheschließungsfreiheit unvereinbar ist, die Eheschließung zu versagen; insbesondere steht die frühere Ehe eines Verlobten nicht entgegen, wenn ihr Bestand durch eine erlassene oder anerkannte Entscheidung beseitigt oder der Ehegatte des Verlobten für tot erklärt ist.

Der Wortlaut der Norm erscheint zunächst verwirrend – nicht ganz zu Unrecht hat Kegel diese als „Monstrum“ beschrieben, welches nur verstehe, „wer schon weiß, was es meint“1. Es soll daher zunächst kurz die Funktionsweise der Vorbehaltsklausel erläutert werden: Art. 13 Abs. 2 EGBGB bestimmt, wann Verlobte trotz entgegenstehenden ausländischen Ehehindernisses in Deutschland heiraten können. Der Tatbestand der Norm stellt also die Voraussetzungen auf, bei deren Vorliegen ausländische Ehehindernisse unbeachtet bleiben. Erforderlich ist dafür zunächst das Bestehen eines hinreichenden Inlandsbezugs (Nr. 1). Dieser kann entweder aus dem gewöhnlichen Aufenthalt eines der Partner in Deutschland oder aus der deutschen Staatsangehörigkeit folgen. Weiter verlangt Art. 13 Abs. 2 EGBGB, dass die Anwendung des ausländischen Rechts das Grundrecht auf Eheschließung verletzen würde (Nr. 3). In diesen Fällen kann deutsches Recht punktuell („insoweit“) an die Stelle der nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufenen ausländischen Rechtsordnung treten. Da hierdurch jedoch der internationale Entscheidungseinklang durchbrochen und zudem eine hinkende Ehe geschaffen wird, müssen die Verlobten zunächst alle zumutbaren Schritte unternehmen, um eine auch im Ausland wirksame Eheschließung zu ermöglichen (Nr. 2). Nach dieser Erläuterung der Funktionsweise der Vorbehaltsklausel soll nun die zu ihrer Entstehung führende rechtspolitische Entwicklung nachvollzogen werden.

1

Kegel, Internationales Privatrecht, 7. Auflage, § 20 IV 1.

I. Art. 13 Abs. 2 EGBGB

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1. Genese der Norm a) Die Rechtslage bis zum 4. Mai 1971 In der deutschen kollisionsrechtlichen Rechtsprechung seit 1945 zeichnete sich lange Zeit ein nahezu homogenes Bild zur Anwendung und Anerkennung von Ehehindernissen ab. Sofern man bei der Anwendung des berufenen ausländischen Rechts auf ein solches stieß, wurde dies ganz überwiegend von den deutschen Gerichten akzeptiert und bei der weiteren Entscheidung berücksichtigt. Ohne Bedeutung war dabei, ob im deutschen Eherecht ebenfalls ein entsprechendes oder ähnliches Ehehindernis existierte.2 Die Thematik wurde in der Regel bei der Erteilung von Ehefähigkeitszeugnissen i. S. d. § 10 Abs. 1 EheG relevant.3 Die deutschen Standesämter verlangten ein solches Zeugnis, sofern an der geplanten Eheschließung ein ausländischer Staatsangehöriger beteiligt war. Das Ehefähigkeitszeugnis diente dabei dem Zweck, den Standesbeamten die Prüfung des nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB maßgeblichen ausländischen Rechts abnehmen. Sollte der Heimatstaat des ausländischen Verlobten entsprechende Zeugnisse nicht ausstellen, hatte der Präsident des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk die Eheschließung stattfinden sollte, über die Befreiung des Verlobten von diesem Erfordernis zu entscheiden. Ähnlich verhielt sich die Konstellation, in der der ausländische Staat zwar grundsätzlich entsprechende Zeugnisse ausstellte, dies aber in dem konkreten Fall verweigert hatte. Auch hier mussten dann die deutschen Richter entscheiden, ob ein besonderer Fall i. S. d. § 10 Abs. 2 S. 3 EheG vorlag und somit die Befreiung von der Beibringungspflicht ausgesprochen werden konnte. In beiden Fallgestaltungen oblag es mithin deutschen Hoheitsträgern zu prüfen, ob der ausländische Verlobte nach dem Recht seiner Staatsangehörigkeit heiratsfähig war und daher die Befreiung zu erteilen sei. In der Praxis ist dabei vor allem das Ehehindernis des bestehenden Ehebands („Doppelehe“) bedeutsam geworden. Das ist damit zu erklären, dass die Rechtsordnungen Spaniens und Italiens bis in die 1970er-Jahre Ehescheidungen ablehnten. Zeitgleich mehrte sich infolge des „Gastarbeiterzuzugs“ die Anzahl deutsch-spanischer und deutsch-italienischer Paare. Relevant wurde dabei der Umstand, dass die Scheidungsfeindlichkeit des spanischen beziehungsweise des italienischen Rechts nicht allein darauf begrenzt war, dass das jeweilige nationale Eherecht eine Auf-

2

KG, Beschl. v. 14. 9. 1961 – 1 W 1524/61 = IP-Rechtsprechung 1960 – 1961, 318 ff.; LG Köln, Beschl. v. 10. 1. 1962 – 1 T 12/62 = IP-Rechtsprechung 1962 – 1963, 196 f.; HansOLG Hamburg, Beschl. v. 29. 1. 1962 – 2 VA 11/61 = IP-Rechtsprechung 1962 – 1963, 197 ff.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 3. 9. 1962 – VA 2/62 = IP-Rechtsprechung 1962 – 1963, 209 ff.; OLG Hamm, Beschl. v. 10. 9. 1963 – 15 VA 4/63 = IP-Rechtsprechung 1962 – 1963, 226 ff.; HansOLG Hamburg, Beschl. 27. 9. 1963 – 3462 E – L 3h/115 = IP-Rechtsprechung 1962 – 1963, 232 ff.; BGH, Beschl. v. 12. 2. 1964 = BGHZ 41, 136 ff.; BGH, Urt. v. 29. 4. 1964 = BGHZ 42, 5 ff.; OLG Oldenburg, Beschl. v. 11. 4. 1967 – 4 VA 1/67; KG, Beschl. v. 9. 12. 1968 – 1 VA 6/68. 3 Heute findet sich die entsprechende Bestimmung in § 1309 BGB.

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

lösung der Ehe nicht vorsah.4 Vielmehr hatte dies auch zur Folge, dass im Ausland ergangene Scheidungsurteile im Inland nicht anerkannt wurden. Insbesondere in Spanien wurde die Situation noch dadurch verschärft, dass bei der Berufung spanischen Rechts als Eheschließungsstatut häufig nicht das nationale Zivilrecht, sondern kanonisches Eherecht zur Anwendung gelangte. Dieses sieht jedoch vor, dass die Ehe allein durch den Tod des Ehegatten aufgelöst werden kann.5 Die damalige typische Fallgestaltung vor deutschen Gerichten kann folgendermaßen skizziert werden: Ein lediger Spanier/Italiener beabsichtigte in Deutschland eine bereits wirksam geschiedene Deutsche zu heiraten. Das für ihn gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB maßgebliche spanische/italienische Recht nahm die Verweisung an, so dass das jeweilige Sachrecht zur Anwendung kam. Dieses beinhaltete das zweiseitige Ehehindernis der Doppelehe. Es fragte mithin nicht nur, ob der spanische/italienische Staatsangehörige ledig sei (was zu bejahen war), sondern auch, ob die Person, die er heiraten wolle, noch unverheiratet sei. Für diese Frage war ebenfalls das berufene ausländische Recht maßgebend, da die Vorfrage nach dem Bestand einer weiteren Ehe unselbstständig angeknüpft wurde. Es beurteilte sich also nach spanischem/italienischem Recht, ob die deutsche Verlobte als ledig anzusehen sei. Das spanische/italienische Kollisionsrecht knüpfte dabei an das Heimatrecht an. Da das deutsche Kollisionsrecht diese Verweisung annahm und die deutsche Verlobte nach deutschem Recht wirksam geschieden und somit ledig war, war sie grundsätzlich (wieder) heiratsfähig. An dieser Stelle zeigte sich die grundlegende Problematik der Fallkonstellationen: Denn das spanische/italienische Recht erkannte die deutsche Beurteilung hinsichtlich der Ehefähigkeit nicht an. Das beruhte auf der Erwägung, dass sich die Ehefähigkeit der deutschen Verlobten (auch) aus dem wirksamen deutschen Scheidungsurteil ergab. Da das spanische/italienische Recht jedoch scheidungsfeindlich war, berief es sich gegenüber dem Anerkenntnis ausländischer Scheidungsurteile auf den nationalen ordre public. Folglich wurde die deutsche Verlobte vom spanischen/italienischen Recht weiterhin als verheiratet angesehen. Daraus folgte, dass für den Spanier/Italiener das zweiseitige Ehehindernis der Doppelehe eingriff, die Eheschließung war ihm somit nach seinem Heimatrecht versagt. Ähnlich verhielten sich die Fälle, in denen der Spanier/Italiener selbst in Deutschland rechtskräftig geschieden worden war und nun erneut im Inland heiraten wollte. Auch hier galt nach dem für ihn berufenen spanischem/italienischem Eheschließungsstatut das Ehehindernis der bereits bestehenden Ehe, so dass ihm eine erneute Eheschließung nicht möglich war.

4

Müller-Freienfels, FS Kegel, 55, 68; Luther, RabelsZ 34 (1970), 679, 685 ff. BGH, Beschl. v. 12. 2. 1964 – IV AR (VZ) 39/63 = NJW 1964, 976, 978; zur Unscheidbarkeit der Ehe nach kanonischem Recht BGH, Urt. v. 11. 10. 2006 – XII ZR 79/04 = NJW-RR 2007, 145 ff. (Rn. 33 ff.); Milzer, in: Langenfeld/Milzer, Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen, Rn. 133 ff. 5

I. Art. 13 Abs. 2 EGBGB

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Wie bereits dargelegt, erkannte der ganz überwiegende Teil der deutschen Rechtsprechung diese Wertentscheidung des ausländischen Rechts an.6 Dem wirksamen deutschen Scheidungsurteil wurde dabei keine Bedeutung zugesprochen. Diese Vorgehensweise wurde damit begründet, dass deutsche Staatsangehörige vor den Folgen hinkender Ehen geschützt werden müssten. Aus diesen würden besondere Gefahren für die deutschen Ehepartner entstehen. Dabei wurde etwa darauf hingewiesen, dass der ausländische Ehegatte sich jederzeit durch eine Rückkehr in seinen Heimatstaat aus der Ehe lösen könne. Der deutsche Ehepartner sei dadurch dem Verlust seiner aus der Ehe erworbenen Rechte ausgesetzt.7 Aber auch im Falle eines gemeinsamen Übersiedelns der Ehegatten ins Ausland hätten sie dort wegen der Nicht-Anerkennung ihrer Ehe mit Schwierigkeiten zu rechnen. Zudem, so wurde argumentiert, spreche auch der Telos von Art. 13 Abs. 1 EGBGB für die Berücksichtigung des ausländischen Ehehindernisses. Dies folge daraus, dass die Norm gerade den Zweck verfolge, den „Normalzustand“ herbeizuführen, bei dem die Existenz einer Ehe überall gleich beurteilt werde.8 Eine mögliche Verletzung des ordre public durch diese Vorgehensweise schlossen die deutschen Gerichte überwiegend aus. Dabei wurde darauf verwiesen, dass „die Vorstellung der Unauflösbarkeit des Ehebandes [selbst] von hoher Sittlichkeit [sei] und deshalb nicht gegen die guten Sitten im Sinne des Art. 30 EGBGB [a. F.] verstoßen könne“.9 Einige Stimmen jedoch widersprachen dem und sahen den deutschen ordre public dadurch als verletzt an, als dass die Berücksichtigung des scheidungsfeindlichen ausländischen Rechts die Gestaltungswirkung des deutschen Scheidungsurteils unterlaufe.10 Die von einem deutschen Gericht ausgesprochene, rechtskräftige Scheidung binde jedoch alle deutschen Spruchkörper unabhängig davon, ob sie deutsches oder ausländisches Recht anzuwenden hätten.11 Dem wurde von der herrschenden Ansicht entgegengehalten, dass die Argumentation mit der Rechtskraft des deutschen Urteils hier nicht greife. Diese sei auf den Anwendungsbereich deutschen Rechts beschränkt.12 Es sei zudem zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber sich durch die Kodifikation des Art. 13 Abs. 1 EGBGB für die Anwendbarkeit ausländischen Rechts entschieden habe.13 Angesichts einer solchen ausdrücklichen gesetzgeberischen Wertung könne es durch den 6

Insbesondere BGHZ 41, 136 ff.; BGHZ 42, 7 ff.; weitere Nachweise siehe Fn. 2. BGHZ 41, 136, 145 f. 8 BGHZ 41, 136, 145. 9 OLG Hamm, Beschl. v. 10. 9. 1963 – 15 VA 4/63 63 = IP-Rechtsprechung 1962 – 1963, 226 ff. 10 Fischer, NJW 1964, 1323, 1324. 11 OLG Stuttgart, Beschl. v. 12. 11. 1962 – 1 VA 4/62 = StAZ 1963, 157 ff.; Müller, RabelsZ 36 (1972), 60, 62; kritisch dazu auch Hausmann, FamRZ 1981, 835 ff. 12 OLG Hamm, Beschl. v. 10. 9. 1963 – 15 VA 4/6363 = IP-Rechtsprechung 1962 – 1963, 226 ff. 13 KG, Beschl. v. 9. 12. 1968 – 1 VA 6/68 = OLGZ 1969, 244, 247; vgl. dazu auch MüllerFreienfels, FS Kegel, 55, 85. 7

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

Vollzug dieser nicht zu einer Relativierung der Gestaltungswirkung deutscher Urteile kommen. Unterstützend wurde bei dieser Argumentation auf den Wortlaut des Art. 2 Abs. 3 des Haager Eheschließungsabkommens hingewiesen.14 Die Norm sehe ausdrücklich vor, dass kein Vertragsstaat verpflichtet sei, die Eingehung einer Ehe zu ermöglichen, wenn diese mit Rücksicht auf eine vormalige Ehe – oder auf ein Hindernis religiöser Natur – gegen ein Gesetz verstoße.15 Deutschland habe durch seinen Beitritt zum Abkommen zum Ausdruck gebracht, dass es scheidungsfeindliche Rechtsordnungen grundsätzlich anerkenne. Folglich könnten diese nicht als Verstoß gegen den ordre public gewertet werden.16 Die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung wurde in diesen Fällen nur selten diskutiert.17 Dies ist vor allem auf das damals vorherrschende Verständnis vom Anwendungsbereich der Grundrechte zurückzuführen. So wurde angenommen, dass die Grundrechte nur in solchen privatrechtlichen Fallgestaltungen Wirkung entfalteten, in denen deutsches Sachrecht anwendbar sei.18 Dementsprechend wurde diesen keine Bedeutung zugemessen, sofern sich ein Fall nach ausländischem Recht richtete.19 Dieses Verständnis beruhte auf der Annahme, dass das Kollisionsrecht als neutrales „Zuordnungsrecht“ normenhierarchisch über den Verfassungsnormen stehe.20 Dass deutsche Richter damit grundrechtswidriges Recht zu Anwendung bringen mussten, erachtete man als hinnehmbar.21 Es wurde angenommen, dass die allgemeine Vorbehaltsklausel einen hinreichenden Schutz gewähre. Auch bei der Berufung des ordre public sei jedoch besondere Zurückhaltung zu üben, um nicht gleichermaßen die Geltung der Grundrechte unter dem „Mäntelchen“ der Vorbehaltsklausel herbeizuführen.22 Daraus wurde gefolgert, dass für das Eingreifen des ordre public-Vorbehalts eine besonders schwerwiegende Grundrechtsverletzung erforderlich sei, die den Wesensbereich des jeweiligen Grundrechts berühre.23 14

Abkommen zur Regelung des Geltungsbereichs der Gesetze auf dem Gebiet der Eheschließung (Haager Eheschließungsabkommen) vom 12. 6. 1902. 15 KG, Beschl. v. 9. 12. 1968 – 1 VA 6/68 = OLGZ 1969, 244, 246 f. 16 BGHZ 41, 136, 148. 17 Lediglich BGHZ 41, 136, 150 f., zu den Spanier-Fällen; KG, Beschl. v. 14. 9. 1961 – 1 W 1524/61, zum Ehehindernis der Staatsangehörigkeit nach iranischem Recht; HansOLG Hamburg, Beschl. v. 29. 1. 1962 – 2 VA 11/61, zur Verweigerung der Eheschließung wegen Kriegsdienstverweigerung. 18 BayObLG, Beschl. v. 1. 2. 1971 – BRreg. 2 Z 77/69; Gamillscheg, FS Nipperdey, Band I, 323, 327; dazu auch Sturm, FamRZ 1972, 16. 19 BGHZ 41, 136, 151. 20 OLG Hamm, Beschl. v. 10. 9. 1963 – 15 VA 4/63; Dölle, FS Kaufmann, 19, 39 f.; vgl. hierzu auch Rühl, Höchstrichterliche Rechtsprechung in der frühen Bundesrepublik, 109, 115 f.; in diese Richtung geht auch BGH, Urt. v. 18. 1. 1954 – IV ZR 144/53 = FamRZ 1954, 16. 21 Gamillscheg, FS Nipperdey, Band I, 323, 328. 22 Gamillscheg, FS Nipperdey, Band I, 323, 328. 23 BGH, Urt. v. 29. 4. 1964 – IV ZR 93/63 = NJW 1964, 2013, 2014; KG, Beschl. vom 14. 9. 1961 – 1 W 1524/61; Siegrist, RabelsZ 24 (1959), 54, 69 f.; Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 345;

I. Art. 13 Abs. 2 EGBGB

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Das dargestellte Rechtsverständnis führte dazu, dass vielfach Eheschließungen in Deutschland unter Berufung auf ein ausländisches Ehehindernis versagt wurden.24 Diese herrschende Auffassung traf jedoch auch auf kritische Stimmen.25 Dabei wurde häufig mit einem übertriebenen Paternalismus hinsichtlich des Schutzes vor den negativen Folgen hinkender Ehen sowie einer Überhöhung des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs argumentiert: Dem Schutz vor der Eingehung einer nicht universell als gültig betrachteten Ehe sei mit einem entsprechenden Hinweis des Standesbeamten auf diesen Umstand genüge getan.26 Im Übrigen sei es Angelegenheit der Verlobten zu entscheiden, ob sie dieses Risiko eingehen wollten. Weiter wurde darauf verwiesen, dass die deutsche Rechtsprechung neben dem internationalen Entscheidungseinklang auch zur Einheitlichkeit nationaler Entscheidungen verpflichtet sei. Dem widerspreche es jedoch, dass das deutsche Scheidungsurteil hier gänzlich außer Acht gelassen werde. Zudem wurde angenommen, dass es nicht vertretbar sei, wenn der deutsche Gesetzgeber aufgrund „fernstehender familienrechtlicher Auffassungen“ ein „Zwangszölibat“ schaffe.27 Auch gingen die Kritiker davon aus, dass die Versagung der Eheschließung die Paare nicht von einem Zusammenleben abhalten werde („Die Macht der Tatsachen [ist] oft stärker als rechtliche Gebote“).28 Dabei verwiesen sie darauf, dass „eine hinkende Ehe […] besser als eine wilde Ehe“ sei.29 Auch gegen den auf überwiegend nationale Sachverhalte beschränkten Anwendungsbereich der Grundrechte wurde Protest laut.30 Dessen Kerngedanken brachte Bernstein pointiert zum Ausdruck, indem er fragte, ob das „Verfassungsrecht zu einem Zweig des Internationalen Privatrechts geworden“ sei.31 Besonders umstritten war jedoch die Frage nach der Bindungswirkung des deutschen rechtskräftigen Scheidungsurteils für nachgehende Entscheidungen. Hierzu wurden zwei abweichende Lösungsvorschläge vertreten: So sprachen sich einige Teil der Literatur dafür aus, die Wirksamkeit der Scheidung als selbstständig anzuknüpfende Vorfrage zu behandeln. Der Bestand sowie die Wirkung des Scheidungsurteils sollten sich demnach allein nach dem maßgeblichen Scheidungsstatut (Art. 17 EGBGB a. F.) richten.32 Noch weitergehender war die Auffassung, die die Wirkung des deutschen vgl. auch Sturm, FamRZ 1972, 16; Rühl, Höchstrichterliche Rechtsprechung in der frühen Bundesrepublik, 109, 118 f. 24 Jayme, RabelsZ 36 (1972), 19, 20 f. 25 So etwa Ficker, FS Nipperdey, Band I, 297 ff.; Kegel/Lüderitz, FamRZ 1964, 57 ff.; Bernstein, NJW 1965, 2273 ff. 26 Ficker, FS Nipperdey, Band I, 297, 313; Kegel/Lüderitz, FamRZ 1964, 57, 60; Henrich, NJW 1964, 2015, 2016. 27 Ficker, FS Nipperdey, Band I, 297, 314; Kegel, RabelsZ 25 (1960), 201 ff. 28 Kegel/Lüderitz, FamRZ 1964, 57, 60. 29 Ficker, FS Nipperdey, Band I, 297, 313. 30 Wengler, JZ 1964, 621 ff.; ders., JZ 1965, 101. 31 Bernstein, NJW 1965, 2273. 32 Kegel/Lüderitz, FamRZ 1964, 57, 59.

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

Scheidungsurteils nicht als kollisionsrechtliche Frage, sondern als eine solche des Internationalen Verfahrensrechts ansah.33 Allein dieses könne festlegen, welche Wirkung deutsche Scheidungsurteile bei einem Sachverhalt mit Auslandsbezug entfalteten. Die Vertreter dieser Ansicht gelangten dabei zu dem Ergebnis, dass das deutsche Scheidungsurteil vollumfänglich beachtet werden müsse. Das deutsche Internationale Verfahrensrecht kenne keine Regel, wonach die Bindung des Richters an die rechtskräftige Entscheidung deutscher Gerichte unter dem Vorbehalt der Anerkennung des Urteils im Ausland stehe.34 Die kollisionsrechtliche Diskussion über die richtige Anknüpfung der Scheidung sei daher hinfällig. Trotz dieser Kritik hielt der Bundesgerichtshof und in seinem Gefolge das Gros der instanzgerichtlichen Rechtsprechung an der Berücksichtigung ausländischer Ehehindernisse fest. Infolgedessen machten gemischt-nationale Paare immer häufiger Gebrauch von der Möglichkeit der so genannten „Tondern-Ehen“. Dazu reisten sie in das grenznahe Tondern (Dänemark), um dort eine (wirksame) Eheschließung vorzunehmen. Das deutsche Recht erkannte diese als wirksam an. Dies beruht auf dem Umstand, dass das dänische internationale Eherecht das Ortsrecht als maßgebliches Eheschließungsstatut erklärte. Dieser Grundsatz wurde zwar mit der Zeit aufgrund der Missbrauchsmöglichkeiten zunehmend eingeschränkt. Die Möglichkeit der „Tondern-Ehen“ für deutsch-spanische beziehungsweise deutsch-italienische Paare blieb von diesen Restriktionen jedoch unberührt.35 b) Der Spanier-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 636/68) Diese rechtliche Situation erfuhr durch den so genannten „Spanier-Beschluss“ des BVerfG eine fundamentale Kehrtwende.36 Der Entscheidung lag die Eheschließung eines ledigen Spaniers und einer geschiedenen Deutschen zugrunde. Das OLG Hamm hatte in der Vorinstanz entsprechend der bisherigen Rechtsprechung die Eheschließung unter Verweis auf das spanische Ehehindernis versagt.37 Dabei hatte es sich sowohl mit der Frage nach der Verletzung des deutschen ordre public als auch einer Beeinträchtigung des Ehegrundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG auseinandergesetzt und beides unter Zugrundelegung der oben dargestellten Argumentation verneint.38 Dieser Auffassung hatte sich auch der BGH angeschlossen.39 Die Beschwerdeführer hatten sich dem entgegengestellt und argumentiert, dass Art. 13 Abs. 1 EGBGB

33

Kegel, RabelsZ 25 (1960), 201, 204. Dazu die umfassende Erläuterung von Müller, RabelsZ 36 (1972), 61 ff. 35 Ausführlich zu den Tondern-Ehen Luther, RabelsZ 34 (1970), 679 ff.; zu den formellen Aspekten der Eheschließung in Dänemark Opris, ZErb 2017, 158, 159. 36 BVerfG, Beschl. v. 4. 5. 1971 – 1 BvR 636/68 = BVerfGE 31, 58 ff. 37 OLG Hamm, Beschl. v. 10. 9. 1963 – 15 VA 4, 5/63. 38 BVerfGE 31, 58, 59 ff. 39 BGH, Beschl. v. 12. 2. 1964 – IV AR (VZ) 39/63 = NJW 1964, 976 ff. 34

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verfassungskonform auszulegen sei und ihnen somit die Eheschließung ermöglicht werden müsse.40 Auch das BVerfG gelangte zu dem Ergebnis, dass das Paar die Ehe eingehen könne. Dies stützten sie auf den Umstand, dass die bislang praktizierte Anwendung des ausländischen Rechts zu einer Verletzung der verfassungsrechtlich verbürgten Eheschließungsfreiheit führe.41 Zu diesem Ergebnis konnten die Richter jedoch nur gelangen, indem sie einige grundsätzliche Verständnisfragen in neues Licht rückten. Dies betraf zunächst den sachlichen Schutzbereich des Eheschließungsgrundrechts. Hierzu stellten die Richter klar, dass Art. 6 Abs. 1 GG nicht allein dem Schutz von Bestandsehen diene. Vielmehr sei hiervon auch die Freiheit der Eheschließung umfasst.42 Diese Facette des Ehegrundrechts erfasse dabei nicht allein das positive Recht, die Ehe mit einem selbstgewählten Partner neu einzugehen, sondern gewähre auch ein Abwehrrecht, welches die Verlobten vor staatlichen Behinderungen bei der Eheschließung schütze.43 Weiter stellte das Gericht klar, dass sich auch ausländisches Recht an den deutschen Grundrechten messen lassen müsse.44 Die herrschende Meinung, die die Beachtlichkeit der Grundrechte auf solche Fälle reduziere, in denen deutsches Sachrecht anwendbar sei, sei verfehlt. Sie verkenne den Vorrang der Verfassung und werde der wesentlichen Bedeutung der Grundrechte für die deutsche Rechtsordnung nicht gerecht.45 Die Geltung der Grundrechte als unmittelbarer und untrennbarer Kern der demokratischen Verfassung könne nicht von der Entscheidung des einfachen Gesetzgebers im Rahmen des Kollisionsrechts abhängen. Andernfalls wäre es diesem möglich, grundrechtsfreie Räume in Deutschland zu schaffen.46 Dabei erkannten die Richter, dass das Verfassungsrecht den kollisionsrechtlichen Sachverhalten immanenten Auslandsbezug nicht gänzlich ignorieren könne. Hieraus folgerten sie, dass der Geltungsbereich jedes Grundrechts unter Berücksichtigung des Auslandsbezugs ermittelt werden müsse.47 Die Richter bekräftigten dabei ihre Auffassung, wonach auch bei diesem Rechtsverständnis kein Oktroi deutscher Wertungen gegenüber ausländischen Sachverhalten zu befürchten sei. Dabei verwiesen sie darauf, dass das ausländische Recht weiterhin nicht abstrakt-generell auf seine Verfassungskonformität hin überprüft werde. Vielmehr sei nach wie vor nur das Rechtsanwendungsergebnis Gegenstand der – nunmehr auch verfassungsrechtlich

40 41 42 43 44 45 46 47

BVerfGE 31, 58, 65 f. BVerfGE 31, 58, 67. BVerfGE 31, 58, 67. BVerfGE 31, 58, 67. BVerfGE 31, 58, 70 ff. BVerfGE 31, 58, 72. BVerfGE 31, 58, 74. BVerfGE 31, 58, 76 f.

70

C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

aufgeladenen – ordre public-Kontrolle. Dies entspreche und genüge zugleich dem Grundsatz der Bindung der deutschen Staatsgewalten an die Grundrechte.48 Die ermittelten Prinzipien wendete das Gericht im Anschluss auf den streitgegenständlichen Sachverhalt an, indem es die für die Fallgestaltung maßgeblichen Normen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Verfassungsrecht hin untersuchte. Die Richter gelangten dabei zu dem Ergebnis, dass die Kollisionsnorm des Art. 13 Abs. 1 EGBGB mit der Eheschließungsfreiheit zu vereinbaren sei.49 Zwar stelle die Anknüpfung an verschiedene Staatsangehörigkeiten unter Umständen eine Erschwerung der Eheschließung gegenüber reinen Inlandssachverhalten dar.50 Dieser Eingriff sei jedoch durch den Wunsch nach der Gültigkeit der Ehe in den Heimatstaaten sowie durch das individuelle Interesse an der Behandlung nach dem jeweiligen Heimatrecht gerechtfertigt.51 Zu einem anderen Urteil gelangten die Richter hinsichtlich des Rechtsanwendungsergebnisses des spanischen Rechts.52 Hierzu stellten sie fest, dass das Ehehindernis der Doppelehe im konkreten Fall die Eheschließungsfreiheit der Beschwerdeführerin verletze. Dabei verwies das Gericht darauf, dass hier die gleichen persönlichen Verhältnisse, die der deutschen Verlobten nach deutschem Recht die Möglichkeit zur Eheschließung verschafften, bei der Frage nach der Ehefähigkeit ihres Verlobten zu einer Versagung von dessen Ehefähigkeit führen würden.53 Die deutschen Gerichte würden sich durch eine solche Lösung in einen unhaltbaren Widerspruch zu dem zuvor ergangenen Scheidungsurteil begeben.54 Zugleich würde durch ein solches Vorgehen auch die Eheschließungsfreiheit des spanischen Verlobten verletzt, da die Frage nach der Möglichkeit der Eheschließung allen Beteiligten gegenüber nur einheitlich ergehen könne. Eine Rechtfertigung dieses Grundrechtseingriffs sahen die Richter nicht gegeben.55 Insbesondere folge diese nicht aus dem Streben nach einem internationalen Entscheidungseinklang. Zur Begründung verwies das Gericht darauf, dass es sich hierbei um ein „unerfülltes Ideal“ handele,56 so dass dieses nicht zu einer konkreten Einschränkung von Grundrechten geeignet sei. Auch der Schutz der Ehegatten vor den nachteiligen Folgen hinkender Ehen wurde nicht als geeigneter Rechtfertigungsgrund angesehen. Dies folge aus dem Umstand, dass der Staat den Bürgern einen entsprechenden Schutz nicht aufdrängen dürfe. Das Gerichte ergänzte diese 48 49 50 51 52 53 54 55 56

BVerfGE 31, 58, 74 ff. Im Ergebnis BVerfGE 31, 58, 80. BVerfGE 31, 58, 79. BVerfGE 31, 58, 78 f. BVerfGE 31, 58, 80 f. BVerfGE 31, 58, 81. BVerfGE 31, 58, 81. BVerfGE 31, 58, 83. BVerfGE 31, 58, 83.

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Überlegungen dahingehend, dass nicht erwiesen sei, dass hinkende Ehen tatsächlich mehr gefährdet seien als „nicht-hinkende“ Partnerschaften.57 Das BVerfG ließ bei seiner Entscheidung offen, wie die nun entwickelten Grundsätze zum Schutz der Eheschließungsfreiheit konkret umzusetzen seien. Die Richter wiesen jedoch auf mögliche Vorgehensweisen hin.58 Namentlich betraf dies die Qualifikation als Frage des Internationalen Verfahrensrechts, die selbstständige Vorfragenanknüpfung, die Heranziehung der Grundrechte als unmittelbare Schranke gegenüber der Anwendung ausländischen Rechts sowie die Berücksichtigung der Grundrechte durch die allgemeine ordre public-Klausel. Bei letzterem Vorgehen müsse jedoch beachtet werden, dass entgegen der bisherigen Rechtsprechung nicht zwischen „tragbaren“ und „untragbaren“ Grundrechtsverletzungen unterschieden werden dürfte.59 c) Die Rechtslage zwischen Spanier-Beschluss und IPR-Reform Der Beschluss des BVerfG rief gemischte Reaktionen hervor.60 Während einige diesen als „allem Anschein nach wichtigsten Meilenstein der Entwicklung des deutschen Internationalen Eherechts“ ansahen61 oder von einem „juristischen Schmuckstück“ sprachen,62 zweifelten andere die Entscheidung vollumfänglich oder zumindest hinsichtlich einzelner Erwägungen an.63 Die Kritik richtete sich dabei einerseits gegen die vom BVerfG vertretene Auffassung, wonach Art. 6 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf Eheschließung gewährleiste.64 Dabei wurde darauf verwiesen, dass der Wortlaut der Norm keinen Hinweis auf ein solches Recht gebe.65 Weiter wurde kritisiert, dass die Entscheidung den Weg für die Entstehung hinkender Ehen ebne.66 Diese wurden weiterhin aus mehreren Gründen als äußerst problematisch angesehen.67 So wurde etwa darauf verwiesen, dass es faktisch zur Unscheidbarkeit von Ausländern führe, wenn sich deren Scheidungsstatut nach einem Recht be57

BVerfGE 31, 58, 84 f. BVerfGE 31, 58, 86 f. 59 BVerfGE 31, 58, 86. 60 Vgl. zu den Reaktionen auch Krause, Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht, 74 f.; Rühl, Höchstrichterliche Rechtsprechung in der frühen Bundesrepublik, 109, 123. 61 von Bar, NJW 1983, 1929, 1930. 62 Kegel, RabelsZ 36 (1972), 27 ff. 63 Vgl. dazu Rühl, Höchstrichterliche Rechtsprechung in der frühen Bundesrepublik, 109, 123. 64 Guradze, NJW 1971, 2121; Kegel, RabelsZ 36 (1972), 27, 28; Neuhaus, RabelsZ 36 (1972), 127, 132 ff. 65 Guradze, NJW 1971, 2121; auf diese Auffassung verweisen auch Scholz/Krause, FuR 2009, 1, 3. 66 Dazu etwa Müller, RabelsZ 36 (1972), 60, 62 f.; auf diesen Kritikpunkt verweist auch Guradze, NJW 1971, 2121, 2122. 67 Wochner, FamRZ 1971, 421. 58

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

stimme, welches die Ehescheidung nicht vorsehe.68 Auch, so wurde angemerkt, resultierten aus hinkenden Ehen häufig Probleme bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im Ausland.69 Zudem habe das BVerfG bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass eine solche Ehe nicht allein im Heimatstaat des ausländischen Verlobten, sondern überall dort hinke, wo die Rechtsordnung eine Ehescheidung nicht anerkenne. Demnach bestehe für die dargestellten Probleme auch außerhalb des Heimatstaates des ausländischen Ehepartners ein Anwendungsbereich. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung wurde angesichts dieser kritikwürdigen Umstände als eine „billige Lösung“ empfunden, die in der Realität nicht zwangsläufig zu einer Besserstellung der Paare führe.70 Andererseits wurde mit Blick auf die Entscheidung kritisch angemerkt, dass das BVerfG versucht habe eine verfahrensrechtliche Streitigkeit auf verfassungsrechtlicher Ebene zu klären.71 Auch sei es mit der umfassenden Überführung der Grundrechte in das IPR zu weit gegangen.72 Der geäußerten Kritik kann zudem insgesamt die Sorge vor Unklarheiten entnommen werden. Dies betraf zum einen die Frage nach dem sachlichen Anwendungsbereich des Eheschließungsgrundrechts. Das Urteil habe offengelassen, wie der räumliche Anwendungsbereich von Verfassungsnormen „aus diesen heraus“ konkret zu ermitteln sei.73 Daneben habe sich das BVerfG nicht hinreichend mit der Berücksichtigungsfähigkeit und Anwendbarkeit religiösen Rechts durch deutsche Gerichte auseinander gesetzt.74 Dieser Kritik standen jedoch auch viele wohlwollende Stimmen gegenüber. Die Befürworter der Entscheidung begrüßten zunächst das dadurch erzielte praktische Ergebnis. Es wurde grundsätzlich als wünschenswert erachtet, den Verlobten die Eheschließung in Deutschland zu ermöglichen.75 Lobend wurde auch die Zurückhaltung des Gerichts bei der Frage nach der konkreten Umsetzung der von ihm entwickelten Grundsätze hervorgehoben.76 Dies entspreche seiner Rolle als oberstes Verfassungsorgan und wahre den Kompetenzbereich der Zivilgerichtsbarkeit. Insbesondere aber wurde die Klärung der Geltung der Grundrechte im Kollisionsrecht als richtig und wünschenswert hervorgehoben.77

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Wochner, FamRZ 1971, 421. Makarov, RabelsZ 36 (1972), 54, 59. 70 Wochner, FamRZ 1971, 421. 71 Kegel, RabelsZ 36 (1972), 27, 34. 72 Kegel, RabelsZ 36 (1972), 27, 29 ff. 73 Wengler, RabelsZ 36 (1972), 116, 117 f.; Jayme, RabelsZ 36 (1972), 19, 20, der von einer „partiellen Rückkehr zur Statutenlehre“ spricht. 74 Sturm, FamRZ 1972, 16, 20. 75 Neuhaus, RabelsZ 36 (1972), 127, 128. 76 Neuhaus, RabelsZ 36 (1972), 127, 130 f.; so Sturm, FamRZ 1972, 16, 22. 77 von Bar, NJW 1983, 1929, 1930; Neuhaus, RabelsZ 36 (1972), 127, 129 f. 69

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Wie von Teilen der Literatur befürchtet,78 kam es jedoch auch im Anschluss an den Spanier-Beschluss nicht zu einer völligen Klärung im Umgang mit ausländischen Ehehindernissen. Zwar entschied sich die Rechtsprechung unter den vom BVerfG vorgegebenen Lösungsansätzen beinah einheitlich und ohne größeren Begründungsaufwand für eine Lösung anhand der allgemeinen ordre public-Klausel.79 Insbesondere der BGH setzte in der Folgezeit in mehreren Entscheidungen die im Spanier-Beschluss vorgegebenen Maßstäbe um. Das Gericht bestätigte dabei zugleich, dass die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung auch auf den umgekehrten Fall, also der Eheschließung eines in Deutschland wirksam geschiedenen Ausländers mit einer ledigen Deutschen, der eine Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses unter Berufung auf Art. 6 Abs. 1 GG verlangt, anwendbar sei.80 Dennoch blieben weiterhin Unklarheiten bestehen, etwa, welche ausländischen Ehehindernisse zur Verletzung der Eheschließungsfreiheit führten. d) Die Reform des Internationalen Eheschließungsrechts Die geschilderten Unsicherheiten im Internationalen Eheschließungsrecht sorgten für einen verstärkten Reformdruck auf den Gesetzgeber. Eine Neugestaltung dieses Rechtsgebiets sollte Unklarheiten endgültig beseitigen. Der Wunsch nach Novellierung im Internationalen Privatrecht war dabei keineswegs neu. Das EGBGB befand sich ganz überwiegend auf den Stand seines Inkrafttretens am 1. Januar 1900. Dem Gesetz haftete daher eine starke nationale Prägung an. Diese zeigte sich insbesondere in der überwiegend einseitigen Ausgestaltung der Kollisionsnormen. Auch das dem EGBGB zugrundeliegende Gesellschaftsbild wurde als überholt angesehen.81 Insbesondere die familienrechtlichen Bestimmungen, die häufig das Recht des Ehemannes für maßgeblich erklärten, entsprachen nicht mehr dem im deutschen Recht vordringenden Gleichberechtigungsgrundsatz.82 Ebenso wurde kritisiert, dass das EGBGB das zwischenzeitlich in Kraft getretene Grundgesetz nicht hinreichend beachte.83

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Neuhaus, RabelsZ 36 (1972), 127, 139. BGH, Beschl. v. 12. 5. 1971 – IV AR 38/70 = BGHZ 56, 180 ff.; BGH, Beschl. v. 20. 12. 1972 – IV ZB 20/72 = BGHZ 60, 68, 78; OLG Hamm, Beschl. v. 3. 9. 1976 – 15 VA 1/76 = FamRZ 1977, 323 ff.; zustimmend, wenn auch im Ergebnis wegen Unzulässigkeit keine materielle Entscheidung, BGH, Beschl. v. 23. 2. 1977 – IV ARZ 2/77 = FamRZ 1977, 384 ff.; zustimmend zu dieser Lösung Stöcker, RabelsZ 38 (1974), 79, 99. 80 Kritisch dazu Jayme, StAZ 1972, 227 f.; ders., RabelsZ 36 (1972), 19 ff.; Otto, NJW 1972, 1622. 81 Basedow, NJW 1986, 2971, 2972. 82 von Hein, in: MüKo BGB, Einleitung zum IPR, Rn. 23. 83 Kühne, IPR-Gesetzes-Entwurf, 21 f. 79

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

aa) Der erste Entwurf des Deutschen Rates für IPR (1962) Den ersten Vorschlag für eine Reform des deutschen internationalen Eherechts legte der Deutsche Rat für IPR im Jahr 1962 vor.84 Der Entwurf beinhaltete – obwohl er noch vor dem Spanier-Beschluss erarbeitet worden war – bereits eine Klausel zum Umgang mit scheidungsfeindlichem ausländischen Recht. Art. 13 Abs. 2 EGBGB-E sah dazu vor: Art. 13 EGBGB-E […] (2) Hat ein deutsches Gericht durch rechtskräftiges Urteil eine Ehe für nichtig erklärt, aufgehoben oder geschieden oder festgestellt, dass eine Ehe nicht besteht, so steht diese Ehe einer erneuten Eheschließung nicht entgegen, wenn das Urteil in einem ausländischen Staat nicht anerkannt wird. Entsprechendes gilt, wenn ein deutsches Gericht rechtskräftig einen Ehegatten für tot erklärt oder den Zeitpunkt seines Todes festgestellt hat.

Der Entwurf lässt zwei Umstände deutlich zu Tage treten: Erstens spricht das Bestehen der Klausel dafür, dass die „Spanier-Fälle“ keine Seltenheit vor deutschen Gerichten darstellten. Bei der Diskussion um die richtige Handhabung dieser handelte es sich mithin nicht um einen rein auf die theoretisch-wissenschaftliche Ebene beschränkten Diskurs. Zweitens lässt sich der Existenz der Klausel entnehmen, dass – aufgrund der Relevanz der Fälle und der diesbezüglich verworrenen Rechtslage – schon geraume Zeit vor dem Spanier-Beschluss ein Bedürfnis nach gesetzgeberischer Klarstellung bestand. Die Fassung dieses ersten Reformentwurfs lässt jedoch auch erkennen, dass dessen Urheber eine verfahrensrechtliche Lösung bevorzugten. Hierfür spricht die mit der Norm vorgelegte Begründung. Diese ging davon aus, dass man „der Rechtskraft [des deutschen Urteils] den Vorzug“ geben sollte.85 Die Verfasser verwiesen zur Unterstützung dieses prozessualen Verständnisses auf die gleichlaufende französische Rechtspraxis.86 Dabei setzten sie sich mit ihrem eigenen Vorhaben durchaus kritisch auseinander und erkannten, dass es bei Anwendung der vorgeschlagenen Norm zu hinkenden Ehen kommen würde.87 Dies erachteten sie jedoch als geringeres Übel gegenüber einem zum Scheidungsurteil im Widerspruch stehendem Handeln deutscher Gerichte. Insbesondere verwiesen die Verfasser darauf, dass „weder die Beteiligten noch die öffentliche Meinung […] es verstehen [würden], wenn der Standesbeamte sich in Widerspruch zu einem deutschen Urteil

84 Vgl. dazu Krause, Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht, 53 f.; Henrich, IPRax 2017, 120 f. 85 Lauterbach, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Eherechts, 12. 86 Lauterbach, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Eherechts, 12 f. 87 Lauterbach, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Eherechts, 12.

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setzt, um den Widerspruch zu der Auffassung eines ausländischen Staates zu vermeiden“.88 Dieser erste Gesetzesentwurf unterschied sich wegen seiner prozessualen Verortung der Spanier-Fälle noch erheblich von dem heutigen Art. 13 Abs. 2 EGBGB. So war es wegen des verfahrensrechtlichen Verständnisses dieser Fälle nicht erforderlich, ordre public-typische Restriktionsmerkmale wie einen hinreichenden Inlandsbezug oder Anforderungen an das Verhalten der Verlobten festzulegen. Auch befasste sich der Entwurf allein mit dem Ehehindernis der Doppelehe (beziehungsweise dem vorangegangen deutschen Scheidungsurteil) und den – bereits zuvor in Art. 13 Abs. 2 EGBGB a. F. geregelten – Fällen der Todeserklärung. Die Bestimmung hatte mithin nur einen sehr punktuellen Regelungsgehalt, der anderweitige Ehehindernisse unberührt ließ. Zudem war dieser erste Entwurf – im Einklang mit der damaligen Fassung des EGBGB – noch stark national geprägt. Deutlich wird dies daraus, dass eine einschränkende Rechtsfolgenregelung – wie sie im heutigen Art. 13 Abs. 2 EGBGB („insoweit“) existiert – fehlte. Die Verfasser schienen mithin von der vollumfänglichen Anwendbarkeit deutschen Rechts als Ersatzrecht auszugehen. Zudem beschränkt sich der Entwurf auf die rechtskräftige Auflösung einer Ehe beziehungsweise die rechtskräftige Todeserklärung durch ein deutsches Gericht. Die Möglichkeit eines aufgrund seiner Anerkennung im Inland gleichermaßen geltenden ausländischen Hoheitsakts wurde hier vollends außen vor gelassen. bb) Der zweite Entwurf des Deutschen Rates für IPR (1981) In der folgenden Zeit wurde die Novellierung des Kollisionsrecht in Familien- und Ehesachen wegen des vorrangigen Reformbedarfs im materiellen Recht zunächst zurückgestellt.89 Erst im Anschluss an den Spanier-Beschluss des BVerfG wurden die Forderungen nach einer Erneuerung der Verweisungsnormen wieder laut. Einerseits ergaben sich diese aus der zunehmenden Anzahl staatsvertraglicher Regelungen im Bereich des IPR und dem Wunsch, das nationale Recht an die internationalen Bestimmungen anzupassen.90 Andererseits beruhten sie auf dem Umstand, dass im Licht des Spanier-Beschlusses einige bislang akzeptierte Kollisionsnormen wegen der Bevorzugung des Mannesrechts nun als verfassungswidrig beurteilt wurden.91 Dies führte zu der Unsicherheit, ob derartige Normen weiterhin angewendet werden dürften. Weiter wurde der Wunsch laut, einigen für das materielle Recht entwickelten Grundsätze auch im Internationalen Privatrecht Geltung zu verschaffen.92 Gemeint 88

Lauterbach, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Eherechts, 12. 89 Krause, Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht, 67. 90 Krause, Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht, 54 f. 91 BT-Drucks. 10/504, 1; Kühne, IPR-Gesetzes-Entwurf, 21; Krause, Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht, 56 f. 92 Krause, Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht, 56 f.

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

war damit etwa die Förderung des Kindeswohls. Daneben wurde gefordert, das EGBGB an die seit dessen Entstehung in Kraft getretenen Staatsverträge anzupassen.93 Der Deutsche Rat für IPR nahm diese Forderungen zum Anlass für eine Überarbeitung seiner früheren Reformvorschläge. Im Jahr 1981 legte er neue Vorschläge zur Reform des deutschen internationalen Personen-, Familien- und Erbrechts vor. Auch dieser Gesetzesentwurf beinhaltete eine Norm zum Umgang mit den „SpanierFällen“. § A des Abschnitts zur Eheschließung bestimmte: § A Eheschließung […] (2) Ist die frühere Ehe eines Verlobten durch ein deutsches oder durch ein in Deutschland anerkanntes Urteil rechtskräftig für nichtig erklärt, aufgehoben oder geschieden worden oder ist durch ein solches Urteil rechtskräftig festgestellt worden, dass die frühere Ehe nicht besteht, so steht diese Ehe der neuen Eheschließung selbst dann nicht entgegen, wenn das nach Abs. 1 für einen ausländischen Verlobten maßgebende Recht wegen der früheren Ehe die Eheschließung nicht zulässt. Entsprechendes gilt, wenn der Ehegatte eines Verlobten rechtskräftig für tot erklärt oder wenn der Zeitpunkt des Todes des Ehegatten rechtskräftig festgestellt worden ist.

Dass der deutsche Rat trotz der Spanier-Rechtsprechung des BVerfG weiterhin eine Norm zur Regelung dieser Fälle für erforderlich hielt, lässt die in diesem Bereich weiterhin bestehenden Unsicherheiten deutlich werden. Dies ist wenig überraschend, da das BVerfG gerade keine Aussage hinsichtlich eines konkreten Lösungswegs getroffen hat. Dadurch konnte sich in der Literatur der Streit um eine selbstständige Vorfragenanknüpfung oder eine prozessuale Lösung fortsetzen. Der zweite Entwurf stimmte dabei mit der ersten Fassung des Rates überein und unterschied sich insoweit von dem heute geltenden Art. 13 Abs. 2 EGBGB, als dieser nur eine Regelung für die Fälle des scheidungsfeindlichen ausländischen Rechts sowie der Todeserklärungen enthielt. Insofern traf auch dieser eine nur sehr punktuelle Regelung. Bei dieser Begrenzung handelte es sich um eine bewusste Entscheidung des Rates. Dieser sah es als ausreichend an, die Spanier-Fälle als „für die Praxis wichtigste […] und dogmatisch plausibelste […]“ Konstellationen im Sinne einer „Sonderregel“ herauszugreifen.94 Entgegen des ersten Vorschlags war der zweite Entwurf jedoch insoweit internationalisiert, als er neben deutschen Scheidungsurteilen und Todeserklärungen auch in Deutschland anerkannte ausländische Entscheidungen einbezog. Eine Rechtsfolgenregelung beinhaltete er jedoch weiterhin nicht. Der Gesetzesentwurf ließ in seiner Begründung ausdrücklich offen, auf welcher dogmatischen Grundlage dem deutschen Scheidungsurteil vor dem ausländischen Eherecht der Vorrang einzuräumen sei.95 Der Wortlaut der Norm spricht jedoch für 93

Kühne, IPR-Gesetzes-Entwurf, 21. Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Reform, 94, 101, der wohl aber im Übrigen von der Einordnung dieser Thematik als Vorfrage ausgeht. 95 Beitzke, Vorschläge und Gutachten zur Reform, 29. 94

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eine Einordnung dieser als besondere ordre public-Klausel. Dies folgt aus dem Verweis, dass die geschiedene Ehe der neuen Eheschließung „selbst dann“ nicht entgegenstehe, wenn das nach Abs. 1 maßgebliche ausländische Recht diese untersage. Die Formulierung legt ein Verständnis nah, wonach das ausländische Recht zunächst vollumfänglich auf den Fall anzuwenden sein soll, und erst im Anschluss die Möglichkeit zur Eheschließung überprüft wird. Dies entspräche der Vorgehensweise beim ordre public, die grundsätzlich nur das Rechtsanwendungsergebnis auf seine Vereinbarkeit mit den wesentlichen deutschen Rechtsgrundsätzen überprüft.96 Der Wortlaut steht zudem einem Verständnis als vorangestellte verfahrensrechtliche Fragestellung oder als selbstständige Vorfragenanknüpfung entgegen. In diesen Fällen würde das ausländische Recht von Anfang an nicht auf den Fall angewendet. cc) Der Entwurf Kühnes (1980) Auf Grundlage des damals noch unveröffentlichten Entwurfs des Rates erarbeitete Kühne, beauftragt durch den Bundesjustizminister, einen weiteren Entwurf für die Neukodifikation des IPR.97 Dieser betraf schwerpunktmäßig die Vorschriften des Internationalen Personen-, Familien- und Erbrechts. Dabei legte Kühne besonderen Wert darauf, die Normen in Einklang mit den im Spanier-Beschluss entwickelten verfassungsrechtlichen Grundsätzen auszugestalten.98 Der von ihm gewählte Ansatz für die kollisionsrechtliche Regelung der Eheschließung unterschied sich grundsätzlich von denen der bisherigen Vorschläge: § 12 Voraussetzungen der Eheschließung (1) Für die Voraussetzungen der Ehe gilt hinsichtlich jedes Verlobten das Recht des Staates, dem er angehört. (2) Hinsichtlich eines Verlobten, der sich im Zeitpunkt der Eheschließung im Inland gewöhnlich aufhält, sind die Voraussetzungen der Ehe auch dann erfüllt, wenn der Verlobte nach inländischem Recht die Ehe eingehen kann und diese nach der im Inland vorgeschriebenen Form geschlossen wird. (3) Ist eine früher geschlossene Ehe eines Verlobten durch ein im Inland ergangenes oder durch ein im Inland anerkanntes Urteil rechtskräftig für nichtig erklärt, aufgehoben oder geschieden worden oder ist durch ein solches Urteil rechtskräftig festgestellt worden, dass die frühere Ehe nicht besteht, so steht diese Ehe einer erneuten Eheschließung selbst dann nicht entgegen, wenn das nach Absatz 1 für den ausländischen Verlobten maßgebende Recht wegen jener Ehe die Eheschließung nicht zulässt. Entsprechendes gilt, wenn der Ehegatte eines ausländischen Verlobten im Inland für tot erklärt oder wenn der Zeitpunkt des Todes des Ehegatten im Inland oder mit Wirkung für das Inland rechtskräftig festgestellt worden ist. 96 97 98

Vgl. dazu etwa Coester, in: MüKo BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 25. BT-Drucks. 10/504, 27 f. Kühne, IPR-Gesetz-Entwurf, 34.

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

Auch Kühnes Entwurf hielt also grundsätzlich an der Staatsangehörigkeit als maßgeblichen Anknüpfungspunkt für die Eheschließung fest.99 Hiervon sah er jedoch eine Ausweichmöglichkeit für ausländische Verlobte mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland vor. Durch die Regelung in Abs. 3 stellte der Entwurf darüber hinaus sicher, dass auch Ausländer ohne gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nicht durch ihr scheidungsfeindliches Heimatrecht an einer Heirat in Deutschland gehindert werden dürften. Kühnes Entwurf stimmt damit insofern mit dem geltenden Art. 13 Abs. 2 EGBGB überein, als er die vorgeschlagene Regelung des § 12 Abs. 2, Abs. 3 des EGBGB-E als Ausprägung des ordre public verstanden wissen wollte. Die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt sollte dabei den für das Eingreifen des ordre public erforderlichen Inlandsbezug in abstrakt-genereller Weise festlegen.100 Der Gesetzesentwurf folgte damit dem von der Rechtsprechung eingeschlagenen Weg, wonach die Grundrechte mittels des ordre public-Vorbehalts Eingang in das IPR finden sollten. Dass für die Fälle der Eheschließung eine besondere Vorbehaltsklausel erforderlich sei, wurde damit begründet, dass so ein höheres Maß an Rechtssicherheit gegenüber der fallweisen Anwendung der allgemeinen Vorbehaltsklausel gewährleistet werde.101 Dies sei insbesondere bei der Begründung von Statusverhältnissen von besonderer Relevanz.102 Kühne ging dabei davon aus, dass ein Missbrauch der Ausweichregel nicht zu befürchten sei. Die Bindung an die inländische Eheschließungsform und die damit einhergehende Prüfung der Ehevoraussetzungen erachtete er als hinreichenden Schutz gegen entsprechendes Vorgehen.103 Im Vergleich zu der heutigen Fassung von Art. 13 Abs. 2 EGBGB ist der Vorschlag Kühnes deutlich weiter gefasst. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass § 12 Abs. 3 EGBGB-E für die Fälle des scheidungsfeindlichen ausländischen Rechts keinen über das deutsche oder in Deutschland anerkannte Scheidungsurteil hinausgehenden Inlandsbezug voraussetzte. Die Regelung erfasste mithin, und insofern abweichend von Art. 13 Abs. 2 EGBGB, auch die Eheschließung zweier Ausländer in Deutschland. Aber auch für sonstige Ehehindernisse gestaltete sich der Entwurf Kühnes besonders „ehefreundlich“. Zwar verlangte § 12 Abs. 2 EGBGB-E, dass gerade der ausländische Verlobte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Im Übrigen verzichtete der Vorschlag aber sowohl auf die Tatbestandsvoraussetzung der Bemühungen der Verlobten zur Beseitigung des Ehehindernisses als auch auf die Überprüfung dessen anhand von Art. 6 Abs. 1 GG. Auch die Rechtsfolgen beim Eingreifen der Ausweichanknüpfung gingen über die von Art. 13 Abs. 2 EGBGB hinaus, indem das deutsche Recht vollumfänglich für den ausländischen Verlobten als maßgeblich erklärt wurde. 99

Vgl. zu Kühnes Entwurf auch Henrich, IPRax 2017, 120, 123. Kühne, IPR-Gesetz-Entwurf, 82. 101 Kühne, IPR-Gesetz-Entwurf, 83. 102 Kühne, IPR-Gesetz-Entwurf, 83. 103 Kühne, IPR-Gesetz-Entwurf, 83.

100

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dd) Der Gegenentwurf des Max-Planck-Instituts (1980) Im Zuge des konkreter werdenden Reformvorhabens der Bundesregierung wurden vom Max-Planck-Institut zwei Gegenentwürfe zu dem vom Deutschen Rat vorgelegten Vorschlag erarbeitet. Unter der Leitung von Dopffel und Siehr wurde ein in 24 Thesen gegliederter Vorschlag für ein neues Internationales Privatrecht entwickelt.104 Auch dieser beinhaltete eine Regelung zur Situation scheidungsfeindlicher ausländischer Rechtsordnungen: These 5: Voraussetzungen der Eheschließung im Inland (1) Die sachlichen Voraussetzungen für die Eheschließung im Inland unterliegen grundsätzlich für jeden Verlobten seinem Heimatrecht. Bei der Eheschließung vor dem deutschen Standesbeamten genügt es jedoch, dass sie nach inländischem Recht zulässig ist, solange auch nur ein Verlobter Deutscher ist. (2) Bei der Eheschließung vor dem deutschen Standesbeamten bleibt eine frühere Ehe eines Verlobten außer Betracht, wenn diese durch rechtskräftige inländische Scheidung oder im Inland anerkannte ausländische Entscheidung für nicht bestehend oder nichtig erklärt, aufgehoben oder geschieden worden ist. Entsprechendes gilt, wenn ein früherer Ehegatte eines Verlobten für tot erklärt worden ist. (3) Das für die Voraussetzungen der Eheschließung maßgebliche Recht entscheidet auch über die Folgen seiner Verletzung. Haben Personen mit verschiedenen Heimatrechten eine Ehe geschlossen, die nach einem dieser Rechte oder beiden fehlerhaft ist, so geht das für den Bestand der Ehe günstigere Recht vor.

Der Entwurf sah somit ebenfalls eine Ausweichregel zugunsten des deutschen Rechts vor. Diese sollte – hier weiter als die von Kühne vorgeschlagene Lösung – bereits dann anwendbar sein, wenn einer der beiden Verlobten die deutsche Staatsangehörigkeit besaß. In Übereinstimmung mit Kühnes Entwurf erstreckte sich diese Regelung auf sämtliche nach ausländischem Recht bestehenden Ehehindernisse. In den Fällen der scheidungsfeindlichen ausländischen Rechtsordnung bewerteten die Verfasser des Entwurfs ebenfalls das deutsche beziehungsweise das in Deutschland anerkannte Scheidungsurteil sowie die Eheschließung durch einen deutschen Standesbeamten als hinreichenden Inlandsbezug. Erläuternd ist noch darauf hinzuweisen, dass die besondere Betonung der „Eheschließung vor dem deutschen Standesbeamten“ in diesem Entwurf darauf beruhte, dass die Verfasser für die Form der Eheschließung im In- wie auch im Ausland fakultativ die Beachtung der Ortsform oder der Form des Heimatrechts eines Verlobten für ausreichend erachteten (These 7). Für den Vergleich mit dem geltenden Art. 13 Abs. 2 EGBGB kann auf das zu dem Entwurf Kühnes Gesagte verwiesen werden.

104 Dopffel/Siehr, Reform des deutschen internationalen Privatrechts, 145 ff.; dazu auch Basedow/Siehr, RabelsZ 44 (1980), 344 ff.

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ee) Der Gegenentwurf von Neuhaus und Kropholler (1980) Einen weiteren Gegenentwurf entwickelten Neuhaus und Kropholler.105 Dieser war in besonderem Maße darauf ausgerichtet, dem Ideal des internationalen Entscheidungseinklangs Rechnung zu tragen.106 Der Reformvorschlag enthielt deshalb nur allseitig formulierte Kollisionsnormen und vermied insgesamt Ausweichklauseln. Weiter richteten die Autoren ihren Entwurf darauf aus, eine einheitliche Behandlung zusammenhängender größerer Fragenkomplexe zu ermöglichen. Dadurch sollten Rechtsunsicherheiten vermieden werden.107 Die Autoren verlangten daher, dass sich der Gesetzgeber bei der Reform des IPR zurückzuhalten habe. Hierdurch sollte eine Übernormierung des Rechtsgebiets verhindert werden, welche einer dynamischen Weiterentwicklung des IPR im Weg stünde. Der Gesetzestext sollte daher möglichst „kurz und elastisch“ formuliert werden.108 Für das Internationale Eheschließungsrecht bedeutete das: Art. 13 EGBGB Eine Eheschließung ist rechtsgültig, soweit sie es für jeden Teil nach seinem Recht ist.

Eine Regelung zu den Spanier-Fällen beziehungsweise generell zu Ehehindernissen sah der Reformvorschlag nicht vor. Dies beruhte jedoch nicht auf einem Versäumnis, sondern ging vielmehr auf eine bewusste Entscheidung der Autoren zurück. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erachteten diese als überflüssig, da sachgerechte Ergebnisse bereits durch die Anwendung der allgemeinen Vorbehaltsklausel erzielt werden könnten.109 Deutlich wird also, dass sich auch Neuhaus und Kropholler dem Verständnis der herrschenden Meinung anschlossen und die Ehehindernisse als Fall des ordre public qualifizierten. Dabei schätzten sie das Bedürfnis nach Rechtssicherheit in diesen Fällen – insbesondere auch unter Berücksichtigung des Ideals des internationalen Entscheidungseinklangs – nicht als derart hoch ein, dass es der Absicherung durch eine besondere Vorbehaltsklausel bedürfe. ff) Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung (1983) Art. 13 Abs. 2 EGBGB wurde in seiner heutigen Fassung erstmals durch den Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts vom 20. Oktober 1983 vorgelegt.110 Dieser Entwurf wurde bis zu seinem Inkrafttreten im Jahr 1986 zwar noch einige Male überarbeitet, die Norm des Art. 13 105 106 107 108 109 110

Neuhaus/Kropholler, RabelsZ 44 (1980), 326 ff. Zu diesem Entwurf auch Krause, Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht, 59. Neuhaus/Kropholler, RabelsZ 44 (1980), 326. Neuhaus/Kropholler, RabelsZ 44 (1980), 326. Neuhaus/Kropholler, RabelsZ 44 (1980), 326, 329. BT-Drucks. 10/504.

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Abs. 2 EGBGB blieb hiervon jedoch unberührt. Es kann daher hier auf die Entwurfsbegründung aus dem Jahr 1983 zurückgegriffen werden. Mit Art. 13 Abs. 2 EGBGB führte der Gesetzesentwurf eine besondere Vorbehaltsklausel für den Umgang mit ausländischen Ehehindernissen ein. Der Gesetzgeber schloss sich damit der herrschenden Meinung an, wonach es sich bei dieser Thematik um eine Fragestellung des ordre public handele. Zugleich bewertete er das Bedürfnis nach Rechtssicherheit in diesen Fällen offensichtlich – in Übereinstimmung mit Kühne – derart hoch, dass dies die Kodifikation einer besonderen Vorbehaltsklausel erforderlich machte. Eine konkrete Begründung für diese Einschätzung erfolgte jedoch nicht. Strukturell gliederte der Gesetzgeber die Norm in vier Tatbestandsvoraussetzungen: Zunächst ist erforderlich, dass das nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufene ausländische Eheschließungsstatut die Eheschließung verweigert. Da dies nicht grundlos geschieht, muss mithin nach dieser Rechtsordnung ein Ehehindernis eingreifen. Einige Stimmen in der Literatur fordern, dass das ausländischem Recht ein Ehehindernis vorsieht, welches im deutschen Recht nicht besteht.111 Dies ist insofern zweckmäßig, als Art. 13 Abs. 2 EGBGB darauf abzielt, die Eheschließung abweichend vom Regelfall des Art. 13 Abs. 1 EGBGB zu ermöglichen. Die Tatbestandsvoraussetzung des Art. 13 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB schreibt den für eine ordre public-Verletzung erforderlichen Inlandsbezug in generalisierter Weise fest. Dabei ist die von der Bundesregierung vorgeschlagene Norm grundsätzlich gegenüber dem Entwurf Kühnes milder,112 indem sie die deutsche Staatsangehörigkeit oder den gewöhnlichen Aufenthalt eines der Verlobten ausreichen lässt und dabei nicht zwingend auf den ausländischen Verlobten abstellt. Das nachfolgende zweite Tatbestandsmerkmal – wonach zu überprüfen ist, ob die Verlobten alle zumutbaren Schritte zur Beseitigung des Ehehindernisses unternommen haben – soll die vorschnelle Anwendung deutschen Rechts vermeiden. Diese wäre aufgrund der dadurch entstehenden hinkenden Ehen sowie der Störung des internationalen Entscheidungseinklangs misslich. Mithin kann das Tatbestandsmerkmal der Nr. 2, welches ein Novum gegenüber den übrigen Gesetzesvorschlägen darstellt, als Ausdruck des restriktiven Charakters des ordre public gewertet werden. Welche Schritte dabei als (noch) zumutbar angesehen werden, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Dies wird etwa für das Abwarten einer Wartezeit bis zur Wiederheirat oder das Betreiben eines Verfahrens zum Erhalt einer Befreiungsvorschrift anerkannt.113 Demgegenüber wird es für unzumutbar gehalten, wenn die Paare Schritte unternehmen müssen, die von vornherein keine Aussicht auf Erfolg haben und bei denen es sich mithin um eine reine Förmelei

111 112 113

von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, § 4 II, Rn. 38. So auch BT-Drucks. 10/504, 52. Hohloch, in: Erman BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 19.

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handelt.114 Gleiches gilt dann, wenn die von den Paaren zu unternehmenden Schritte selbst grundrechtswidrig sind.115 Es wird zudem vertreten, dass eine Erfüllung des zweiten Tatbestandsmerkmals stets dann für das Eingreifen der Norm nicht erforderlich sei, wenn das Ehehindernis unmittelbar in der Person des Verlobten begründet ist (Schwägerschaft, Verwandtschaft) und deshalb keine Möglichkeit zur Beseitigung des Ehehindernisses im Ausland besteht.116 Im Ergebnis kann dies ebenfalls als Fall der von vornherein erfolglosen Schritte angesehen werden. Das dritte Tatbestandsmerkmal soll schließlich der Konkretisierung der wesentlichen deutschen Rechtsgrundsätze dienen, indem es die Anwendung des berufenen ausländischen Rechts versagt, wenn dieses – unter Erfüllung der Voraussetzungen der Nr. 1 und Nr. 2 – nicht mit der Eheschließungsfreiheit aus Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist. Dies ist jedenfalls („insbesondere“) in den Fällen des zweiten Halbsatzes der Fall. Daneben erfasst Art. 13 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB aber auch alle sonstigen ausländischen Ehehindernisse. Die ausdrückliche Erwähnung des Grundrechts der Eheschließungsfreiheit – als Bekenntnis zum Spanier-Beschluss des BVerfG – ist in dieser Deutlichkeit ein Novum gegenüber den vorangegangenen Reformvorschlägen. Aus der Formulierung der dritten Tatbestandsvoraussetzung und insbesondere aus der Hervorhebung der Fälle des zweiten Halbsatzes ergibt sich, dass nicht jedes ausländische Ehehindernis per se schon mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar ist.117 Wäre dem so, wäre die besondere Hervorhebung der Fälle des zweiten Halbsatzes nicht erforderlich, da diese als ausländische Ehehindernisse in jedem Falle ausgeschlossen wären. Wann genau ein Ehehindernis grundrechtswidrig ist und damit zum Ausschluss des ausländischen Rechts führt, kann nur anhand des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Strebens des Gesetzgebers nach Vermeidung hinkender Ehen ermittelt werden. Hinsichtlich der Rechtsfolge im Falle eines Eingreifens der Norm beruft der Gesetzgeber materielles deutsches Recht als Ersatzrecht. Auch dabei orientiert er sich jedoch an dem dem ordre public innewohnenden Restriktionsgebot, indem das deutsche Recht nur insoweit zur Anwendung kommt, wie dies zur Beseitigung der Verletzung der Eheschließungsfreiheit erforderlich ist. Hierin unterscheidet sich der gesetzgeberische Entwurf des Art. 13 Abs. 2 EGBGB maßgeblich von den anderen Reformvorschlägen. Diese schlossen das ausländische Recht entweder vollumfänglich aus oder sie verzichteten gänzlich auf die Bestimmung einer Rechtsfolge. Offen gelassen hat der Reformgesetzgeber die Frage nach dem Verhältnis von Art. 13 Abs. 2 EGBGB zu der ebenfalls im Zuge der Reform novellierten allgemeinen

114

BGH, Urt. v. 27. 11. 1996 – XII ZR 126/95 = FamRZ 1977, 542, 544. Andrae, in: Nomos Kommentar BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 90. 116 Hausmann, in: Hausmann Internationales und Europäisches Familienrecht, A. (Ehesachen), Rn. 605. 117 Stürner, in: Erman BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 21. 115

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Vorbehaltsklausel des Art. 6 EGBGB. Dies wurde allgemein kritisiert, wie später noch zu zeigen sein wird.118 2. Praktische Relevanz a) Die bisherige Relevanz in der gerichtlichen Praxis In der gerichtlichen Praxis hat Art. 13 Abs. 2 EGBGB nur wenig Bedeutung erlangt. So sind seit Inkrafttreten der Norm kaum ein Dutzend Entscheidungen zu der Vereinbarkeit von ausländischen Ehehindernissen mit der Eheschließungsfreiheit ergangen.119 Dabei ist insbesondere die Anzahl der – ursprünglich relevanten – Fälle des scheidungsfeindlichen ausländischen Rechts erheblich zurückgegangen. Zurückzuführen ist dies auf die zunehmende Liberalisierung ehemals scheidungsfeindlicher Rechtsordnungen. Das spanische und das italienische Recht, welche zuvor den maßgeblichen Teil der relevanten Fallgestaltungen bestritten, haben sich in den 1970er- beziehungsweise 1980er-Jahren gegenüber der Scheidung im Inland sowie der Anerkennung ausländischer Scheidungsurteile geöffnet.120 Aber auch über den europäischen Kontinent hinaus hat die Zahl der scheidungsfeindlichen Rechtsordnungen erheblich abgenommen. Die Möglichkeit einer Scheidung lehnen heute nur noch die Rechtsordnungen des Vatikanstaates, der Philippinen sowie die einiger christlicher Minderheiten ab.121 Andere Ehehindernisse als das des bestehenden Ehebandes haben die deutschen Gerichte auch vor der Schaffung von Art. 13 Abs. 2 EGBGB bereits kaum beschäftigt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Anzahl der Ehehindernisse in europäischen Rechtsordnungen stetig abnimmt.122 Diese Tendenz setzte sich auch nach Inkrafttreten der Norm fort. Es ist somit keine Fallgestaltung mehr ersichtlich, die regelmäßig zum Eingreifen der Vorbehaltsklausel führt.

118

Siehe dazu unter C.I.3. OLG Celle, Beschl. v. 2. 4. 1988 – 10 VA 2/88 = StAZ 1988, 261 ff.; OLG Köln, Beschl. v. 23. 1. 1989 – 7 VA 2/88 = StAZ 1989, 260 ff.; LG Kassel, Beschl. v. 26.2. 1990 – 3 T 58/90; LG Stuttgart, Beschl. v. 29. 1. 1998 – 10 T 395/97; OLG Stuttgart, Beschl. v. 4. 11. 1999 – 19 VA 6/ 99; OLG Hamm, Beschl. v. 12. 2. 2003 – 15 VA 6/02; KG Berlin, Beschl. v. 16. 6. 2004 – 1 W 392/ 03; OLG München, Beschl. v. 7. 2. 2011 – 31 Wx 278/10; KG Berlin, Beschl. v. 3. 1. 2012 – 1 VA 12/11 = FGPrax 2012, 113 ff.; BGH, Urt. v. 19. 7. 2012 – 10 C 2/12 = FamRZ 2012, 1802 ff.; AG Halle, Beschl. v. 15. 6. 2015 – F 199/15; das OLG Hamburg, Beschl. v. 23. 11. 2020 – 2 W 57/20 = FamRZ 2021, 956 ff. hat jedoch in einer neueren Entscheidung Art. 13 Abs. 2 EGBGB als Auslegungshilfe herangezogen, vgl. dazu auch die Besprechung von von Hein, FamRZ 2021, 961 ff. 120 Zum italienischen Recht Jayme/Luther, Das italienische Scheidungsgesetz; ausführlich zum spanischen Recht Dollinger-Richter, Vom Unauflöslichkeitsprinzip zur Ehescheidung, 137 ff. 121 Winkler von Mohrenfels, in: MüKo BGB, Art. 10 Rom III-VO, Rn. 12. 122 Neuhaus, RabelsZ 34 (1970), 253, 260. 119

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b) Ausblick Zu fragen ist, ob es Hinweise darauf gibt, dass sich an dieser geringen praktischen Bedeutung von Art. 13 Abs. 2 EGBGB künftig etwas ändern wird. Dass es aufgrund des erhöhten Zuzugs Geflüchteter nach Deutschland zu einer vermehrten Befassung deutscher Richter mit ausländischen, insbesondere nach islamischem oder afrikanischem Recht bestehenden Ehehindernissen gekommen sei, ist bisher nicht ersichtlich. Ein Umschwung ist auch in näherer Zukunft nicht zu erwarten. Dies ist mit den für Flüchtlinge einschlägigen Personalstatut zu erklären.123 Dabei werden solche Geflüchtete, die bereits die deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben, wegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB unabhängig vom Bestehen einer sonstigen Staatsangehörigkeit im Inland stets nach deutschem Recht behandelt. In den Fällen, in denen es (noch) nicht zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit gekommen ist, wird regelmäßig Art. 12 Abs. 1 GFK anwendbar sein. Dieser verweist für das Personalstatut von Flüchtlingen i. S. d. Konvention auf das Recht des Wohnsitzes, hilfsweise auf das Recht des Aufenthaltslandes.124 Mithin wird der Hauptanwendungsfall des Art. 13 Abs. 2 EGBGB die nachträgliche Überprüfung einer im Ausland entgegen den ausländischen Eheverboten geschlossenen Ehe zwischen einer/einem Geflüchteten und einer/einem Deutschen sein. Die Zahl dieser Konstellationen wird aufgrund der gesellschaftlichen Situation in den Herkunftsstaaten wohl gering bleiben. 3. Kritik Art. 13 Abs. 2 EGBGB ist in vielfacher Hinsicht kritisiert worden. Dabei wendeten sich einige Stimmen in der Wissenschaft bereits generell gegen die Existenz der Norm. Diese erachteten sie als überflüssig und sprachen sich dafür aus, die erfassten Fälle mittels der allgemeinen Vorbehaltsklausel zu lösen. Eine über den Einzelfall hinausgehende Verrechtlichung dieser Sachverhalte bedürfe es nicht.125 Derart eindeutig wie von den Vertretern dieser Ansicht vorgetragen war die Rechtslage hinsichtlich der Fälle der ausländischen Ehehindernisse, insbesondere ihre Einordnung als Fragestellung des ordre public, jedoch nicht. Es fanden sich auch nach den Entscheidungen durch BVerfG und BGH in der Literatur weiterhin Stimmen, die sich für die Verortung der Thematik im IZVR aussprachen.126 Auch die Anhänger dieser Auffassung wendeten sich dementsprechend gegen die Schaffung von Art. 13 Abs. 2 EGBGB. Sie kritisieren dabei jedoch weniger die grundsätzliche 123

Vgl. dazu beispielsweise Baetge, StAZ 2016, 289 ff.; Budzikiewicz, StAZ 2017, 289 ff. Vgl. Lorenz, in: BeckOK BGB, Anhang zu Art. 5 EGBGB, Rn. 23 ff. 125 Kegel, Internationales Privatrecht, 7. Auflage, § 20 IV 1; Mäsch, in: jurisPK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 28. 126 Kegel, Internationales Privatrecht, 7. Auflage, § 20 IV 1; so wohl auch Lüderitz, Internationales Privatrecht, 164; Mäsch, in: jurisPK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 28. 124

I. Art. 13 Abs. 2 EGBGB

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gesetzgeberische Entscheidung zum Tätigwerden als die Lösung anhand des ordre public. Doch auch unter den Befürwortern des Vorgehens anhand einer besonderen ordre public-Klausel wurde Kritik laut. Diese bezog sich zunächst auf die Ausgestaltung der Norm. Deren Wortlaut wurde insgesamt als zu unbestimmt und abstrakt bemängelt. Insbesondere bezog sich dies auf das Tatbestandsmerkmal der „zumutbaren Schritte“. Der insoweit unklare Wortlaut würde den Verlobten nicht hinreichend verdeutlichen, welche Maßnahmen im Rahmen der Vorschrift von ihnen erwartet würden. Diese könne zu Verfahrensverzögerungen führen.127 Ebenfalls wurde der Verweis des Art. 13 Abs. 2 EGBGB auf die „Unvereinbarkeit mit der Eheschließungsfreiheit“ als zu unscharf kritisiert. Hier werde offengelassen, welche ausländischen Ehehindernisse erfasst seien. Dies sei zum einen auf den „äußerst unscharfen“ Schutzbereich der Eheschließungsfreiheit zurückzuführen,128 zum anderen aber auch auf die im zweiten Halbsatz kodifizierten Sonderfälle. Letztere wiesen alle eine auffallend starke Beziehung zur deutschen Rechtsordnung auf. Es stelle sich daher für den Normanwender die Frage, ob ein solch enger Inlandsbezug auch für die übrigen unbenannten Ehehindernisse Voraussetzung sei. Da dies kaum erfüllt werden könne, kam Schwimann zu dem Schluss, dass die Norm über die in Nr. 3 Halbsatz 2 geregelten Fälle nicht verallgemeinerungsfähig sei. Neben dieser wortlautbezogenen Kritik wurde auch die inhaltliche Ausgestaltung der Norm als nicht angemessen erachtet. Insbesondere das zweite Tatbestandsmerkmal, also die Vornahme der zumutbaren Schritte, wurde angegriffen. Dieses Kriterium würde „den Verlobten das Leben [erschweren]“,129 ohne, dass dies durch hinreichend gewichtige rechtspolitische Interessen gerechtfertigt sei: Der Schutz der Beteiligten und des Rechtsverkehrs vor den Folgen einer hinkenden Ehe allein sei nicht ausreichend.130 Der Gesetzgeber habe hier eine unzutreffende Interessenabwägung vorgenommen,131 da es grundsätzlich nicht seine Aufgabe sei, „in einem Akt paternalistischer Bevormundung den Verlobten zur Aufgabe [zu machen], sich um eine Anerkennung […] zu bemühen“.132 Diese Überlegung wurde vor allem von den Anhängern der prozessualen Auffassung vertreten. Im Mittelpunkt der Kritik stand jedoch die Frage nach dem Verhältnis von allgemeiner und besonderer ordre public-Klausel. Da der Gesetzgeber keine ausdrückliche Klarstellung dieser Frage unternommen hat, wurden in der Literatur mögliche Lösungsansätze hierzu entwickelt: So wurde etwa vorgeschlagen, Art. 13 127

Kühne, StAZ 1984, 3 ff. Schwimann, StAZ 1988, 35, 37. 129 Mäsch, in: jurisPK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 34. 130 So etwa Mäsch, in: jurisPK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 15; vgl. dazu auch CoesterWaltjen, FS Henrich, 91, 96, die es ablehnt einen entsprechenden Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 1 GG herzuleiten. 131 Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 132; Kühne, StAZ 1984, 3, 6. 132 Mäsch, in: jurisPK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 15. 128

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

Abs. 2 EGBGB nur auf noch zu schließende Ehen anzuwenden, während die Wirksamkeit bereits geschlossener Ehen – auch unter Verletzung ausländischer Ehehindernisse – allein anhand von Art. 6 EGBGB zu beurteilen seien.133 Richtigerweise wurde jedoch darauf hingewiesen, dass weder dem Wortlaut noch dem Telos der Norm nach Anhaltspunkte für ein solch restriktives Verständnis entnommen werden können. Auch wurde angemerkt, dass als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Ehe derjenige der Eheschließung anerkannt sei.134 Daher müsse es ebenfalls auf diesen Zeitpunkt ankommen bei der Prüfung, ob von dem maßgeblichen Ehestatut hätte abgewichen werden können. Es sei widersprüchlich, Art. 13 Abs. 1 EGBGB für die spätere Beurteilung der Wirksamkeit der Eheschließung heranzuziehen, Art. 13 Abs. 2 EGBGB hierbei jedoch außen vor zu lassen.135 Wie bereits dargelegt, sprach Schwimann sich dafür aus, Art. 13 Abs. 2 EGBGB nur auf die Sonderfälle der Nr. 3 Halbsatz 2 anzuwenden und im Übrigen die Fälle der ausländischen Ehehindernisse anhand von Art. 6 EGBGB zu beurteilen. Anderenfalls würde es bei einer „wahllosen“ Anwendung des Art. 13 Abs. 2 EGBGB auf ausländische Ehehindernisse zu unangemessenen Ergebnissen kommen.136 Dabei wird man Schwimann zwar insoweit zustimmen müssen, als die Sonderfälle des Art. 13 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 EGBGB tatsächlich einen besonders engen Inlandsbezug aufweisen. Dass dies aber als Maßgabe für sämtliche andere Ehehindernisse anzusehen wäre, lässt sich der Norm weder aus systematischen noch aus teleologischen Gesichtspunkten entnehmen. Zudem verfehlt die Abgrenzung offenkundig den hinter dieser Norm stehenden gesetzgeberischen Willen. Die Anerkennung dieser beiden Vorschläge ist in der Wissenschaft gering geblieben. Überwiegend wird angenommen, dass Art. 13 Abs. 2 EGBGB sowohl auf die Eheschließung als auch auf die nachträgliche Überprüfung der Wirksamkeit einer Ehe Anwendung findet. Auch soll die Vorbehaltsklausel sich nicht allein auf die Sonderfälle der Nr. 3 Hs. 2 beschränken. Dies löst jedoch noch nicht die Frage, inwiefern Art. 6 EGBGB (hilfsweise) neben der besonderen Vorbehaltsklausel zur Anwendung kommen kann, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 13 Abs. 2 EGBGB nicht erfüllt sind. Auch diesbezüglich herrscht in Literatur und Rechtsprechung keine Einigkeit. So wird etwa vertreten, dass Art. 6 EGBGB dann im Bereich der Eheschließungsfreiheit zur Anwendung komme, wenn wegen der Schwere des ordre public-Verstoßes eine Prüfung der Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 EGBGB nicht mehr geboten ist.137 Einige befürworten demgegenüber die generelle Anwendbarkeit des Art. 6 EGBGB auf dem Gebiet der 133

Andrae, in: NomosKommentar BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 94. KG, Beschl. vom 16. 6. 2004 – 1 W 392/03; OLG München, Beschl. vom 7. 2. 2011 – 31 Wx 278/10; Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 110a. 135 So insbesondere Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 110a. 136 Schwimann, StAZ 1988, 35, 38. 137 Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 110 f. 134

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Eheschließungsfreiheit. Sie gehen dabei davon aus, dass nicht die Gefahr bestünde, dass die allgemeine Vorbehaltsklausel zur Auffangklausel des Art. 13 Abs. 2 EGBGB werde, da auch die Anwendung des Art. 6 EGBGB wiederum das Vorliegen der einschlägigen Tatbestandsmerkmale verlange.138 Demgegenüber lehnen große Teile von Rechtsprechung und Literatur die Anwendbarkeit des Art. 6 EGBGB im Bereich der Eheschließungsfreiheit grundsätzlich ab. Art. 13 Abs. 2 EGBGB gehe der allgemeinen Vorbehaltsnorm im Wege des Spezialitätsverhältnisses vor. Daher verbleibe für Art. 6 EGBGB hier kein weitergehender Anwendungsbereich.139 In Anbetracht der vielfältigen und zum Teil erheblich divergierenden Auffassungen, die zum Verhältnis von Art. 6 EGBGB und Art. 13 Abs. 2 EGBGB existieren, ist für den weiteren Gang der Untersuchung eine Stellungnahme erforderlich. Dabei wird sich zunächst dafür ausgesprochen, Art. 6 EGBGB neben Art. 13 Abs. 2 EGBGB jedenfalls in Fällen besonders erheblicher Verletzungen der Eheschließungsfreiheit zur Anwendung zu bringen. Der Charakter der allgemeinen Vorbehaltsklausel als Instrument zum Schutz wesentlicher deutscher Wertvorstellungen lässt es dann entbehrlich erscheinen, das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 EGBGB zu prüfen. Weitergehend ist zu erwägen, Art. 6 EGBGB auch in sonstigen Fällen neben Art. 13 Abs. 2 EGBGB zur Anwendung zu bringen. Der Grund für diese Überlegung ist, dass andernfalls durch die besonderen tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzbereich des ordre public zulasten der Verlobten verkürzt wird. Es ist durchaus denkbar, dass ein ausländisches Ehehindernis deutsche Wertvorstellungen verletzt, obwohl die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 EGBGB nicht erfüllt sind. Hier wäre es dann störend, wenn ein ausländisches Ehehindernis von deutschen Gerichten zur Anwendung gebracht oder anerkannt würde, obwohl dieses nicht mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts vereinbar ist. Dieser Vorschlag muss sich zwar den Vorwurf gefallen lassen, dass Art. 13 Abs. 2 EGBGB damit entbehrlich werde. Dem ist entgegenzuhalten, dass die mit der Schaffung von Art. 13 Abs. 2 EGBGB intendierte Klarstellungsfunktion auch bei einem solchen Verständnis des Normenverhältnisses noch greifen würde. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Kodifikation besonderer Vorbehaltsklauseln vornehmlich auf die Schaffung von Rechtssicherheit abzielt und nicht auf eine Begrenzung des Schutzbereichs des ordre public. Zuletzt kann noch auf ein systematisches Argument verwiesen werden: Art. 6 EGBGB ist im vorangestellten allgemeinen Teil des EGBGB kodifiziert. Dieser

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Schulz, StAZ 1991, 32, 36; Coester, in: MüKo BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 27; Scholz, StAZ 2002, 321, 326. 139 Mörsdorf, in: BeckOK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 56; Schwimann, StAZ 1988, 35, 39; Schurig, in: Soergel, Art. 13 EGBGB, Rn. 73; Stürner, in: Erman BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 9; Andrae, in: NomosKommentar BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 92; BVerwG, Urt. v. 19. 7. 2012 – 10 C 2/12 = NJW 2012, 3461, 3464.

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

regelt folglich die Grundsätze, die auf alle Normen des besonderen Teils und somit auch auf Art. 13 Abs. 2 EGBGB, Anwendung finden sollen.

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB Mögen die kulturellen und sozialen Prägungen der nationalen Ehe- und Familienrechtsordnungen innerhalb Europas auch divergieren, so besteht dennoch Einigkeit bezüglich einiger fundamentaler Wertvorstellungen. Eine davon ist, dass die Ehe grundsätzlich volljährigen Partnern vorbehalten ist. Dies beruht auf dem Gedanken, dass eine Ehe nur dann schützenswert ist, wenn beide Partner sich aus freiem Willen zur Heirat entschließen. Das Volljährigkeitserfordernis soll also sicherstellen, dass beide Partner die nötige Selbstständigkeit und Entscheidungsreife besitzen, um diese Entscheidung treffen zu können. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus die Ablehnung von so genannten Kinderehen. Dies meint solche Ehen, bei denen jedenfalls einer der Ehepartner das 18. Lebensjahr bei Eingehung der Ehe noch nicht vollendet hat.140 Derartige Verbindungen werden in Europa nicht nur als wenig wünschenswert angesehen.141 Vielmehr besteht Einigkeit darüber, dass es eines gezielten Vorgehens dagegen bedarf.142 Der Grund dafür liegt in den nachteiligen physischen und psychischen Folgen, die häufig mit einer solchen frühen Eheschließung für die Beteiligten einhergehen.143 Beispielhaft wird hier regelmäßig auf einen vorzeitigen Schulabbruch, sexuelle Übergriffe oder verfrühte Schwangerschaften hingewiesen.144 Sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene wurden daher in den vergangenen zehn Jahren verschiedene Maßnahmen getroffen, um der Entstehung und dem Fortbestand von Kinderehen entgegen zu wirken: Auf internationaler Ebene wurde dies etwa umgesetzt, indem die UN die Bekämpfung von Kinderehen als Ziel in die Agenda 2030 aufnahm. Hierbei handelt es sich um eine von den Mitgliedsstaaten im Jahr 2015 verabschiedete Resolution, 140 Vgl. die Definition des Europarats, Resolution 1468 (2005), Nr. 8, abrufbar unter: http: //assembly.coe.int/nw/xml/xref/xref-xml2html-en.asp?fileid=17380&lang=en (zuletzt abgerufen am 16. 6. 2021, 17.25 Uhr). 141 Vgl. zum historischen Hintergrund den Beitrag von Moses am 20. 9. 2018, „Foreign Ideas about Child Marriage?“, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/foreign-ideas-aboutchild-marriage/ (zuletzt abgerufen am 16. 6. 2021, 17.42 Uhr). 142 Vgl. dazu etwa die Entschließung vom 4. Oktober 2017, Amtsblatt der Europäischen Union v. 27. 9. 2018 – 346/66, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/ PDF/?uri=CELEX:52017IP0379&from=IT (zuletzt abgerufen am 16. 06. 2021, 8.57 Uhr); Schoppe, in: Die Frühehe im Recht, 191, 207. 143 Vgl. dazu etwa die Ausführungen des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), https://www.unfpa.org/child-marriage-frequently-asked-questions (zuletzt abgerufen am 16. 6. 2021, 17.59 Uhr). 144 Vgl. dazu etwa die Studie „A Childhood Lost“ der britischen parlamentarischen Gruppe für Bevölkerung, Entwicklung reproduktive Gesundheit, abrufbar unter: https://static1.squaresp ace.com/static/5dc18cebdf3c7b576d0caacf/t/5ddbdacd9de5330a90d623f9/1574689490162/ APPG+on+PDRH+-+A+Childhood+Lost.pdf (zuletzt abgerufen am 16. 6. 2021, 17.33 Uhr).

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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welche 17 Ziele für eine nachhaltigere Entwicklung innerhalb der nächsten 15 Jahre bestimmt. Auch die Europäische Union positioniert sich in einer aktuelleren Entschließung klar gegen Kinderehen.145 Daneben ist auch auf mitgliedsstaatlicher Ebene einige Bewegung im Bereich der Kinderehen festzustellen.146 Dies spiegelt sich einerseits in der zu beobachtenden Tendenz zur Anhebung des nationalen Ehefähigkeitsalters wider.147 Andererseits ergreifen die nationalen Gesetzgeber auch konkrete Maßnahmen zur Vermeidung von Kinderehen. Dabei sind verschiedener Vorgehensweisen zu beobachten. Der französische Senat etwa verabschiedete am 14. März 2019 eine Resolution, durch welche dem Kampf gegen Kinderehen umfängliche Unterstützung zugesichert wurde.148 Ähnlich verhält sich Belgien, wo vor allem durch die finanzielle Unterstützung staatlicher und nicht-staatlicher Organisationen zur Bekämpfung von Kinderehen beigetragen wird.149 Demgegenüber setzen die skandinavischen Länder vermehrt auf ein verschärftes Vorgehen im eigenen nationalen Recht. So schuf Dänemark im Jahr 2016 zunächst eine Gesetzgebung gegen Kinderehen, wonach weder im Inland Ehen von unter 18-Jährigen geschlossen werden können noch solche anerkannt werden, wenn sie vor Einreise nach Dänemark im Ausland eingegangen worden sind. Dieser Gesetzgebung war jedoch kein langes Leben beschert, da schnell erkannt wurde, dass das Vorgehen in unzulässiger Weise in die Rechte von Migranten eingriff. Daher wurde dieses bereits nach wenigen Monaten durch eine flexiblere Regelung ersetzt. Das dänische Recht sieht nun vor, dass Ehen Minderjähriger aufrechterhalten werden können, wenn die Betroffenen hierfür überzeugende Gründe liefern können.150 Ein ähnliches Vorgehen zeigt sich in Schweden. Seit dem 1. Januar 2019 werden dort die Ehen von Paaren nicht mehr anerkannt, wenn einer der Partner bei der Heirat unter 18 Jahre alt war. Eine Eheschließung unterhalb dieser Altersgrenze im Inland ist ebenfalls ausgeschlossen. Bei der Anerkennung der Ehen können jedoch in Einzelfällen unter strengen Voraussetzungen Ausnahmen gemacht 145 Entschließung vom 4. Oktober 2017, Amtsblatt der Europäischen Union v. 27. 9. 2018 – 346/66, vgl. Fn. 142. 146 Siehe dazu umfassend auch hinsichtlich des globalen Kontexts, Max Planck Institut für Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705 ff. 147 So wurde etwa in Frankreich im Jahr 2005 das Ehemündigkeitsalter von Frauen von 15 auf 18 Jahre angehoben, vgl. dazu https://www.senat.fr/questions/base/2004/qSEQ041215406. html (zuletzt abgerufen am 13. 11. 2020, 9.05 Uhr); der spanische Gesetzgeber hob im Jahr 2015 das Ehemindestalter von 14 auf 16 Jahre an, siehe dazu https://www.bbc.com/news/ world-europe-33636920 (zuletzt abgerufen am 4. 12. 2020, 16.20 Uhr). 148 Résolution pour soutenir la lutte contre le mariage des enfants, les grossesses précoces et les mutilations sexuelles féminines, abrufbar unter: https://www.senat.fr/leg/tas18-080.html (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2020, 16.33 Uhr). 149 https://www.mr.be/mariages-forces-la-belgique-a-la-pointe-du-combat/ (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2020, 16.35 Uhr). 150 Vgl. dazu https://www.independent.co.uk/news/world/europe/denmarkban-under-18marriage-under-18-asylum-seeking-teens-arrive-spouses-minors-a7537441.html (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2020, 16.40 Uhr); https://www.thelocal.dk/20170119/denmark-bans-marriagefor-under-18s (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2020, 16.40 Uhr).

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

werden, etwa wenn beide Partner zum Zeitpunkt der Einreise nach Schweden bereits volljährig geworden sind und ihre Ehe vor dem 1. Januar 2019 geschlossen wurde. Daneben gestattet das schwedische Recht auch dann die Aufrechterhaltung der Ehe, wenn es den Paaren möglich ist, besondere Gründe darzulegen, die für eine Anerkennung sprechen.151 Mit dem im Jahr 2017 verabschiedeten Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen (im Folgenden: Kinderehen-Gesetz) reiht sich der deutsche Gesetzgeber in diesen internationalen Trend ein. Die neue Gesetzgebung beinhaltet dabei nicht nur Änderungen des materiellen Familienrechts, sie sieht vielmehr mit Art. 13 Abs. 3 EGBGB n. F. auch eine Änderung des Internationalen Eheschließungsrechts vor. Diese ist Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung. Dabei sollen einige Erwägungen vorangestellt werden. Zunächst betrifft dies den Ausdruck der „Kinderehen“. Im Rahmen der Kritik an der gesetzgeberischen Neuregelung wurden auch vermehrt Stimmen laut, die sich gegen diesen Begriff wendeten.152 Begründet wurde dies mit der unzutreffenden historischen Besetzung des Wortes sowie damit, dass der Terminus des Kindes jedenfalls ab einem bestimmten Alter nicht mehr passend sei.153 Auch wurde angemerkt, dass das deutsche Recht – jedenfalls soweit es das Zivilrecht betreffe – traditionell bei Personen zwischen Voll- und Minderjährigen, anstatt zwischen Erwachsenen und Kindern unterscheide.154 Sofern in der öffentlichen Diskussion und vom Gesetzgeber trotzdem der Kinderehen-Begriff verwendet werde, geschehe dies zum Zwecke der Emotionalisierung und Stigmatisierung entsprechender Ehen.155 Als Alternative wurde der Begriff der Minderjährigen-Ehe vorgeschlagen,156 der in der folgenden 151 https://www.socialstyrelsen.se/globalassets/sharepoint-dokument/artikelkatalog/vagled ning/2019-2-3-about-child-marriage.pdf (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2020, 16.45 Uhr); Jänterä-Jareborg, Beitrag vom 6. 2. 2019 auf Conflict of Laws.net, abrufbar unter: http://conflictof laws.net/2019/sweden-new-rules-on-non-recognition-of-underage-marriages/ (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2020, 16.47 Uhr), dazu auch: https://www.politico.eu/article/immigrants-migrati on-culture-integration-sweden-struggles-over-child-marriage/ (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2020, 16.48 Uhr) und https://sverigesradio.se/artikel/7094810 (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2020, 16.51 Uhr). 152 So etwa auch Yassari/Möller, KJ 50 (2017), 269 f. 153 Zur historischen Besetzung des Begriffs etwa Schwab, FamRZ 2017, 1369, 1373; ders., Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band II, 1747 f.; zur Unzutreffenheit wegen des Alters Rixen, JZ 2019, 628, 629; Rohe, StAZ 2018, 73, 74; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429 sowie Heiderhoff, IPRax 2017, 160, 161, die allein bei Ehen von unter 14-Jährigen von „echten“ Kinderehen ausgehen will. 154 Stellungnahme des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF) vom 17. 2. 2017, 2, abrufbar unter: https://www.dijuf.de/files/downloads/2017/DIJuF-Hinweise_ Gesetzesentwurf_Bekaempfung_von_Kinderehen_v._22.02.2017.pdf (zuletzt abgerufen am 8. 6. 2021, 17.23 Uhr). 155 Stellungnahme des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrechte e. V. (vgl. Fn. 154). 156 Stellungnahme DIJuF 1, 2; von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, § 4, Rn. 84.

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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rechtswissenschaftlichen Diskussion weitestgehend auf Akzeptanz gestoßen ist.157 Der Begriff der Minderjährigen-Ehe vermag dabei in Anbetracht der geltend gemachten Kritik jedenfalls dann zu überzeugen, wenn sich dieser auf die Bestimmungen des deutschen materiellen Rechts bezieht. Mit Blick auf die Verwendung im international-privatrechtlichen Kontext bestehen jedoch Zweifel hinsichtlich seiner Geeignetheit. Das folgt aus dem Umstand, dass es hier an einer einheitlichen Definition der Volljährigkeit fehlt.158 Diese bestimmt sich vielmehr gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB anhand des jeweiligen Staatsangehörigkeitsrechts.159 Insbesondere mit Rücksicht auf den etwa in der Rechtsordnung Armeniens,160 Aserbaidschans161 oder Georgiens162 geltenden Grundsatz „Heirat macht mündig“, scheint der Begriff der Kinderehe für den kollisionsrechtlichen Kontext ungeeignet. Für ein Festhalten an der Kinderehen-Begrifflichkeit spricht zudem die Übereinstimmung mit der Definition des Haager Kinderschutzübereinkommens (KSÜ).163 Dieses versteht gem. Art. 2 KSÜ unter dem Begriff der Kinder Personen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs. Mit Blick auf die international-privatrechtliche Ausrichtung dieser Arbeit wird somit im weiteren Gang der Untersuchung an dem Begriff der Kinderehe festgehalten. Weiter soll vorab deutlich gemacht werden, dass Kinderehen grundsätzlich von Zwangsehen unterschieden werden müssen.164 Die Untersuchung setzt voraus, dass grundsätzlich die Möglichkeit besteht, auch vor Erreichung der Volljährigkeit 157

Vgl. dazu nur etwa Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland; CoesterWaltjen, IPRax 2019, 127 ff. 158 So auch Otto, in: BeckOGK BGB, § 1314 BGB, Rn. 3. 159 Auf diese Problematik verweist auch Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, Fn. 3. 160 Art. 24 Abs. 3 des armenischen Zivilgesetzbuches, abrufbar unter: http://www.translati on-centre.am/pdf/Translat/HH_Codes/CIVIL_CODE_en.pdf (zuletzt abgerufen am 8. 6. 2021, 17.53 Uhr). 161 Art. 28 Abs. 6 des aserbaidschanischen Zivilgesetzbuches, abrufbar unter: https://www. izvoznookno.si/Dokumenti/pravo/azrccode.pdf (zuletzt abgerufen am 8. 6. 2021, 17.56 Uhr). 162 Art. 12 Abs. 3 des georgischen Zivilgesetzbuches, abrufbar unter: https://www.wipo.int/ edocs/lexdocs/laws/en/ge/ge012en.pdf (zuletzt abgerufen am 8. 6. 2021, 18.02 Uhr). 163 Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz des Kindes, abrufbar unter: https: //www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact= 8&ved=2ahUKEwifsf2tuIjxAhVPtqQKHQIZC3AQFjAAegQIBBAD&url=https%3A%2F%2 Fwww.bundesjustizamt.de%2FDE%2FSharedDocs%2FPublikationen%2FHKUE%2Fhaager_ uebereinkommen19Okt1996.pdf%3F__blob%3DpublicationFile%26v%3D3&usg=AOvVaw2 lqJoQ6GFjKbahM7hGNytu (zuletzt abgerufen am 18. 6. 2021, 18.19 Uhr). 164 Zu diesem Unterschied auch Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 435; Rohe, StAZ 2018, 73 f.; von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, § 4, Rn. 85; Gössl, Migration, 19, 21; Yassari/Möller, KJ 50 (2017), 269 f.; Max Planck Institut für Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 711; Beitrag von Michaelsen am 4. 2. 2021 „Gut gemeint und schlecht gemacht – Das Gesetz zur Bekämpfung der Kinderehe vor dem Bundesverfassungsgericht“, Verfassungsblog.de, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/gut-gemeint-undschlecht-gemacht/ (zuletzt abgerufen am 20. 5. 2021, 11.25 Uhr).

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

selbstbestimmte Entscheidungen in eherechtlichen Fragen zu treffen. Ehen, die aufgrund von äußerem Zwang geschlossen werden, stellen unabhängig vom Alter des Zwangsverheirateten eine Straftat dar. Die Verfasserin möchte zudem betonen, dass die vorliegende Untersuchung sich allein aus rechtswissenschaftlicher, insbesondere kollisionsrechtlicher Sicht der Thematik der Kinderehen anzunähern versucht. Physische, psychische, emotionale sowie soziale Komponenten von vor der Volljährigkeit erfolgten Eheschließungen können nur berücksichtigt werden, soweit sie für rechtswissenschaftliche Überlegungen relevant sind. Eine Banalisierung von durch Betroffene tatsächlich erlittenen Schmerzen physischer oder psychischer Art ist von der Verfasserin nicht beabsichtigt. 1. Art. 13 Abs. 3 EGBGB als Teil des nationalen ordre public Zunächst ist der Frage nachzugehen, ob es sich bei Art. 13 Abs. 3 EGBGB überhaupt um eine besondere Ausprägung des ordre public handelt, so dass die Norm thematisch vom Untersuchungsgegenstand erfasst wird. Der Wortlaut der Norm lautet: Art. 13 EGBGB […] (3) Unterliegt die Ehemündigkeit eines Verlobten nach Absatz 1 ausländischem Recht, ist die Ehe nach deutschem Recht 1. unwirksam, wenn der Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte, und 2. aufhebbar, wenn der Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung das 16., aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte.

Die dogmatische Einordnung der Norm wird von der Literatur nicht einheitlich beantwortet.165 Zwar spricht sich ein Großteil der Rechtswissenschaft für die Charakterisierung von Art. 13 Abs. 3 EGBGB als besonderen ordre public-Vorbehalt aus, und auch der BGH hat sich dieser Auffassung angeschlossen.166 Dem stehen jedoch auch Stimmen gegenüber, die die Norm als Eingriffsnorm verstanden wissen wollen.167 Beide Auffassungen sollen hier nachvollzogen und gegeneinander abgewogen werden. 165

Rentsch bezeichnet die Norm etwa als „Hybridgebilde aus Sachnorm, Eingriffsnorm und Ehehindernis“, in: BeckOGK, Art. 13 EGBGB, Rn. 51; vgl. dazu auch Duden, in: Die Frühehe im Recht, 629, 631 f. 166 So etwa von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 54; Looschelders, in: Staudinger, Einleitung zum IPR, Rn. 667; Mörsdorf, in: BeckOK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 26; Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 580 f.; Weller/Thomale/Hategan/Werner, FamRZ 2018, 1289, 1293 f.; zur Meinung der Rechtsprechung BGH, Vorlagebeschluss v. 14. 11. 2018 – XII ZB 292/ 16, Rn. 54. 167 Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 432; dies., IPRax 2021, 29, 32; Thorn, in: Palandt, Art. 13 EGBGB, Rn. 20; Junker, Internationales Privatrecht, § 18, Rn. 22.

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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Dafür ist zunächst der Begriff der Eingriffsnormen zu klären. Hierbei handelt es sich um Normen, die „unabhängig von dem auf die jeweilige Rechtsfrage anwendbaren Recht Geltung beanspruchen“.168 Der Geltungsvorrang folgt dabei aus dem Umstand, dass die Normen nicht allein den Belangen Privater, sondern einem übergeordneten öffentlichen Zweck dienen.169 Folglich sind diese Bestimmungen regelmäßig dem öffentlichen Recht zuzuordnen.170 Die Eingriffsnormen weichen damit grundlegend von der klassischen IPR-Dogmatik ab. Während im Regelfall das anwendbare Recht vom Sachverhalt aus ermittelt wird, folgt die Durchsetzung einer Eingriffsnorm aus dem Anwendungswillen der Norm selbst.171 In Bezug auf Art. 13 Abs. 3 EGBGB wird dabei argumentiert, dass dieser der nationalen Bestimmung des Ehemündigkeitsalters in § 1303 BGB zur universellen Geltung verhelfe.172 Das deutsche Recht gelange dadurch unabhängig vom Inlandsbezug des jeweiligen Falles zur Anwendung. Für die Einordnung als Eingriffsnorm spreche zudem, dass die Norm keine Verweisung vornimmt, sondern selbst unmittelbar eine Rechtsfolge anordne.173 Diese Argumentation überzeugt nicht. Dabei ist, übereinstimmend mit einem Großteil der Literatur, darauf hinzuweisen, dass Art. 13 Abs. 3 EGBGB gerade nicht losgelöst vom ursprünglichen Rechtsanwendungsbefehl seinen Anwendungsbereich vorgibt. Der Wortlaut der Norm verdeutlich dies. Auf deutsches Sachrecht wird nur dann verwiesen, wenn „die Ehemündigkeit eines Verlobten nach Absatz 1 ausländischem Recht“ unterliegt. Art. 13 Abs. 3 EGBGB greift mithin erst nachträglich als Korrekturmechanismus ein, sollte das nach Absatz 1 berufene Recht ein niedrigeres Ehemündigkeitsalter als das deutsche Recht vorsehen. Gleichsam wird daraus auch deutlich, dass Art. 13 Abs. 3 EGBGB gerade nicht in sämtlichen Fällen der Eheschließung zur Anwendung gelangt. Makowsky weist richtigerweise darauf hin, dass dies etwa dann nicht der Fall ist, wenn das ausländische Recht ein höheres Eheschließungsalter vorsieht.174 Es überzeugen somit die Argumente für die Qualifikation von Art. 13 Abs. 3 EGBGB als Korrekturmechanismus zur Durchsetzung wesentlicher deutscher Rechtsgrundsätze und somit als Teil des ordre public. 2. Die ordre public-Relevanz von Kinderehen Vor der eingehenden Befassung mit der besonderen Vorbehaltsklausel des Art. 13 Abs. 3 EGBGB soll zunächst geklärt werden, woraus sich die ordre public-Relevanz von Kinderehen ergibt. Dafür reicht es nicht allein aus, auf das diffuse – und wohl in 168 169 170 171 172 173 174

Lorenz, in: BeckOK BGB, Einleitung zum Internationalen Privatrecht, Rn. 50. Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 107. Lorenz, in: BeckOK BGB, Einleitung zum Internationalen Privatrecht, Rn. 50. von Hein, in: MüKo BGB, Einleitung zum Internationalen Privatrecht, Rn. 307. Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 432. Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 432. Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 581.

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

großen Teilen der Bevölkerung vorhandene – Gefühl hinzuweisen, wonach diese Beziehungen unserer Gesellschafts- und Werteordnung widersprechen. Denn obwohl dies grundsätzlich zutreffen mag,175 bedarf es für ein rechtliches Vorgehen gegen solche Verbindungen einer genauen Begründung, welche Grundsätze des deutschen Rechts hierdurch verletzt werden. Bei der Evaluierung von Kinderehen aus Sicht des ordre public muss zwischen zwei Sachverhaltskonstellationen unterschieden werden. Einerseits betrifft dies die Fälle der geplanten Eheschließung im Inland. Sofern das Eheschließungsstatut des ausländischen Verlobten für diesen ein niedrigeres Ehemindestalters vorsieht, wäre es theoretisch möglich, dass in Deutschland Kinderehen geschlossen werden. Andererseits sind auch die Fälle der Anerkennung von im Ausland geschlossenen Kinderehen auf ihre Vereinbarkeit mit wesentlichen deutschen Rechtsgrundsätzen zu hinterfragen. a) Verletzung von Grundrechten Wie Art. 6 S. 2 EGBGB verdeutlicht, sind die Grundrechte wesentlicher Bestandteil des deutschen ordre public. Daher sind die Kinderehen auf ihre Vereinbarkeit mit den Normen des deutschen Verfassungsrechts zu untersuchen. aa) Verletzung der Institutsgarantie aus Art. 6 Abs. 1 GG Dabei kommt zunächst eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG in seiner Qualität als Institutsgarantie in Betracht. Eine solche könnte dann vorliegen, wenn Kinderehen in Deutschland als „Ehen“ geschlossen beziehungsweise anerkannt werden, obwohl sie nicht der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Ehebegriffs entsprechen.176 Insofern könnte das Begründen beziehungsweise Zulassen einer entsprechenden Partnerschafts- oder Lebensform die Exklusivstellung der Ehe und das daraus hervorgehende verfassungsrechtliche Privilegierungsgebot verletzten.177 Bei diesen Erwägungen muss jedoch berücksichtigt werden, dass im Internationalen Privatrecht der Ehebegriff grundsätzlich weiter verstanden wird als im materiellen deutschen Recht.178 Diese Flexibilität des kollisionsrechtlichen Eheverständnisses ist aufgrund

175 So auch die Stellungnahme von Weller aus dem Mai 2017 zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 2, abrufbar unter: https://www.ipr.uni-heidelberg.de/md/jura/ ipr/personen/weller/weller_stellungnahme_bt_rechtsausschuss_kinderehen_2017_final.pdf (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2019, 16.15 Uhr). 176 Auf die Frage, ob auch solche Ehen den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen können, wird an späterer Stelle eingegangen werden. 177 Uhle, in: BeckOK GG, Art. 6 GG, Rn. 36. 178 Siehe dazu etwa Thurm, Der Ehebegriff im europäischen Kollisions- und Zivilverfahrensrecht, 105, die darauf verweist, dass das kollisionsrechtliche Eheverständnis sich „jedenfalls“ mit dem des jeweiligen nationalen Sachrechts deckt.

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der Vielgestalt der in diesem Rechtsgebiet relevant werdenden Paarbeziehungen erforderlich.179 Daran schließen sich zwei Überlegungen an: Einerseits muss berücksichtigt werden, dass auch solche Ehen, die nicht dem deutschem materiellen Eheverständnis entsprechen, prinzipiell vom Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG erfasst werden können.180 Das materiell-rechtliche und das verfassungsrechtliche Eheverständnis sind insofern nicht deckungsgleich.181 Aufgrund des Vorrangs des Gesetzes ist es dem einfachen Recht nicht möglich den Schutzbereich des Ehegrundrechts zu begrenzen. So sind also nach ausländischem Recht wirksame Kinderehen nicht bereits deshalb per se vom Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG ausgeschlossen, weil sie nicht unmittelbar mit dem deutschen einfachgesetzlichen Ehebegriff übereinstimmen.182 Andererseits ist zu beachten, dass nicht jede Ehe im weiten international-privatrechtlichem Sinne auch automatisch den Schutz des Ehegrundrechts genießt.183 Das schließt aber nicht aus, dass diesen Verbindungen trotzdem in gewissem Umfang staatlicher Schutz zukommen kann. Denn aus der Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG ergibt sich nicht, dass anderen Paarbeziehung die Möglichkeit einer rechtlich ähnlich ausgestalteten Partnerschaft versagt werden muss.184 Es wird somit deutlich, dass die Zulassung entsprechender Verbindungen unter Beteiligung mindestens eines Minderjährigen nicht eine Verletzung der Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG darstellen, da sie unter den weiten kollisionsrechtlichen Ehebegriff fallen. bb) Verletzung der Grundrechte Minderjähriger/ Bestehen einer staatlichen Schutzpflicht Die Möglichkeit einer Eheschließung Minderjähriger im Inland bei entsprechendem ausländischen Ehestatut beziehungsweise die Anerkennung solcher Verbindungen, könnte für den ordre public auch relevant werden, sofern diese die verfassungsmäßig geschützten Rechtspositionen von Kindern beeinträchtigt. An dieser Stelle muss dabei auf die besondere Struktur und Bedeutung der Grundrechte Minderjähriger hingewiesen werden. Minderjährige sind unabhängig von ihrem Alter oder ihren individuellen Fähigkeiten Träger von Grundrechten.185 Insoweit ergeben sich im Hinblick auf den persönlichen Schutzbereich keine Unterschiede gegenüber volljährigen Personen. Anders ist dies in Hinblick auf die gerichtliche und 179

Coester-Waltjen, FS Henrich, 91, 92 f.; Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 44. Hierzu umfassend unter E. 181 Henrich, FS Lerche, 239, 245. 182 Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6 GG, Rn. 17; dies., FS Henrich, 91 ff. 183 Coester-Waltjen, FS Henrich, 91, 94. 184 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 6 GG, Rn. 17; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6 GG, Rn. 48. 185 BVerfG, Beschl. v. 29. 7. 1968 – 1 BvL 20/63, 31/66 und 5/67 = BVerfGE 24, 119, 144; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 89. 180

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

außergerichtliche Wahrnehmung dieser Rechte.186 Dies folgt in formeller Hinsicht aus den Vorschriften über die Verfahrens- beziehungsweise Prozessfähigkeit Minderjähriger. Weiter ist auch zu berücksichtigen, dass Minderjährige sich noch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung befinden. Sie benötigen häufig besondere Unterstützung Dritter bei der Ermittlung und Durchsetzung ihrer Rechte.187 Diese Pflicht zum Schutz und zur Durchsetzung der Rechte von Kindern ist gem. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG grundsätzlich den Eltern zugewiesen.188 Daneben kommt aber auch dem Staat die Pflicht zu, im Rahmen seines gesetzgeberischen sowie rechtsprechenden Tätigwerdens die Grundrechtsverwirklichung von Kindern zu gewährleisten.189 Diese Schutzpflicht wird vornehmlich im Rahmen des aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG hervorgehenden Wächteramtes und somit im Dreiecksverhältnis von Staat, Eltern und Kind relevant.190 Doch auch losgelöst davon muss die staatliche Gewalt sich für das Wohl des Kindes einsetzen.191 Dies folgt aus der besonderen Schutzbedürftigkeit von Kindern sowie aus dem Umstand, dass diese selbst Träger der Menschwürde sind.192 Der Staat kann und muss also Maßnahmen zum Schutz des Kindeswohls treffen. Dabei steht ihm grundsätzlich ein weiter Entscheidungsspielraum zu.193 Fraglich ist mithin, ob der Staat durch die Schließung oder Anerkennung von Kinderehen seinen Schutzauftrag vernachlässigen würde oder ob sich hieraus sogar eine aktive Pflicht zum Vorgehen gegen solche Beziehungen ergibt. cc) Verletzung von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG Die Schließung und Anerkennung von Kinderehen könnte zunächst eine Beeinträchtigung des Grundrechts des Kindes auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG darstellen.194 Dieses Recht gewährt

186

Eingehend dazu auch Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 90 ff. Umfassend dazu Radtke, DRiZ 2019, 56 ff. 188 Schoppe, in: Die Frühehe im Recht, 191, 194. 189 Döll, in: Erman BGB, Vorbemerkung vor § 1626, Rn. 20; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 208; Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 478. 190 Vgl. dazu auch Schoppe, in: Die Frühehe im Recht, 191, 194 ff. 191 So zum Beispiel im Rahmen des Rechts auf Persönlichkeitsentfaltung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG auch der BGH in seinem Vorlagebeschluss vom 14. 11. 2018 – XII ZB 292/16, Rn. 82; Schoppe, in: Die Frühehe im Recht, 191, 194 f. 192 Vgl. zur Eigenschaft als Träger der Menschenwürde insb. BVerfGE 24, 119, 144; zum Schutzauftrag Lang, in: BeckOK GG, Art. 2 GG, Rn. 74, der auf die dogmatischen Streitigkeiten hinweist, daneben auch Heiß, NZFam 2015, 491; Kirchof, NJW 2018, 2690, 2692; KG Berlin, Beschl. v. 21. 11. 2011 – 1W 79/11 = FamRZ 2012, 1495, 1496. 193 Lang, in: BeckOK GG, Art. 2 GG, Rn. 77. 194 Zu diesem Grundrecht BVerfG, FamRZ 2010, 865; Frank, StAZ 2012, 129, 130; ähnlich auch Rauscher, FS Kren-Kostkiewicz, 245, 247; BT-Drucks. 18/12086, 1; Jeand’Heur, Verfassungsrechtliche Schutzgebote, 17; Coester, StAZ 2016, 257, 258. 187

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Kindern einen Anspruch auf Schutz des „Menschwerdungs-Prozesses“.195 Hierunter fällt auch der Schutz vor Eingehung rechtlicher Verbindungen, deren Reichweite und Folgen der Minderjährige zum Zeitpunkt der Eingehung noch nicht überblickt.196 Die Schließung beziehungsweise der Fortbestand einer Ehe ist grundsätzlich geeignet, die freie Entfaltung der Persönlichkeit des minderjährigen Ehegatten zu gefährden.197 Dies folgt etwa aus dem mit diesen Verbindungen häufig einhergehenden Abbruch der Schulausbildung und der daraus resultierenden Abhängigkeit vom Ehepartner.198 Auch geht mit der Eheschließung nicht selten eine erhebliche Einschränkung der individuellen Freiheit des Minderjährigen einher.199 Vor der Eingehung derartig relevanter Entscheidungen sollen Minderjährige aber grundsätzlich gerade geschützt werden.200 dd) Verletzung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Weiter scheinen Kinderehen grundsätzlich auch geeignet das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit zu gefährden. Dabei ist insbesondere auf die Gefahr verfrühter Schwangerschaften und den damit einhergehenden Komplikationen hinzuweisen.201 Auch kommt es nicht selten innerhalb entsprechender Ehen zu nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen mit dem minderjährigen Ehepartner.202 b) Verletzung von Völker- und Unionsrecht Die Schließung beziehungsweise Anerkennung von Kinderehen könnte zudem auch aufgrund eines Verstoßes gegen Völker- oder Unionsrecht gegen den ordre 195

Dazu auch Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 99 ff.; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 105. 196 Coester, StAZ 2016, 257, 258; Reuß, FamRZ 2019, 1; Rohe, StAZ 2018, 73, 74; Voltz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB, Rn. 171; BT-Drucks. 18/12086, 15; Frank, StAZ 2012, 129, 130; Dethloff, International Journal of Law, Policy and The Family 2018, 302, 307. 197 Siehe dazu auch umfänglich Max Planck Institut für Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 711 f.; Beitrag von Michaelsen am 4. 2. 2021 „Gut gemeint und schlecht gemacht – Das Gesetz zur Bekämpfung der Kinderehe vor dem Bundesverfassungsgericht“, Verfassungsblog.de, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/gut-gemeint-und-schlecht-ge macht/ (zuletzt abgerufen am 20. 5. 2021, 11.24 Uhr); Schoppe, in: Die Frühehe im Recht, 191, 207. 198 Reuß, FamRZ 2019, 1 f.; vgl. dazu auch Trenczek, GISCA Occasional paper 2018, Nr. 19, 29 f., abrufbar unter: https://goescholar.uni-goettingen.de/bitstream/handle/1/15076/ GISCA%2019%20Trenczek%202018.pdf?sequence=3&isAllowed=y (zuletzt abgerufen am 8. 9. 2021, 9.32 Uhr); Rohe, StAZ 2018, 73, 74; Gössl, Migration, 19, 25. 199 Vgl. dazu umfassend Reuß, FamRZ 2019, 1 f. 200 So auch Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 430. 201 Vgl. dazu auch Trenczek, GISCA Occasional paper 2018, Nr. 19 (vgl. Fn. 198), 35; Rohe, StAZ 2018, 73, 74; Antomo, NZFam 2016, 1155, 1160; dies., NJW 2016, 3558, 3561; Gössl, Migration, 19, 25. 202 Vgl. Coester, StAZ 2016, 257, 258; Reuß, FamRZ 2019, 1, 2.

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public verstoßen.203 Wie bereits dargelegt, gehören auch internationale Rechtsakte zu den wesentlichen deutschen Rechtsgrundsätzen.204 Von einer ordre public-Widrigkeit wäre dabei jedenfalls dann auszugehen, wenn Kinderehen bindendes internationales Recht verletzen würden. Daneben können jedoch auch nicht-bindende Vereinbarungen einen gewissen Einfluss auf die „wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts“ entfalten.205 Regelungen zum Schutz Minderjähriger trifft auf internationaler Ebene zunächst das UN-Übereinkommen über die Erklärung des Ehewillens, das Heiratsalter und die Registrierung von Eheschließungen.206 Art. 2 der Vereinbarung verpflichtet die Vertragsstaaten ein gesetzliches Heiratsmindestalter festzulegen. Da das Abkommen jedoch keine konkrete Altersgrenze vorgibt, stellt die Schließung beziehungsweise Anerkennung von Ehen Minderjähriger in Deutschland keinen unmittelbaren Verstoß gegen Völkerrecht dar. Abhängig von der Ausgestaltung des konkreten Einzelfalls kann die Schließung beziehungsweise Anerkennung eine Verletzung des Kindeswohlprinzips aus Art. 3 der UN-KRK darstellen.207 Inhaltlich kann dabei auf die zum deutschen Verfassungsrecht angestellten Überlegungen verwiesen werden.208 Weiter ist Art. 16 Abs. 2 der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) zu beachten. Dieser verpflichtet die Gesetzgeber der Unterzeichnerstaaten alle erforderlichen Maßnahmen zur Bestimmung eines Mindestheiratsalters zu treffen sowie der Verlobung und Eheschließungen von Kindern die rechtliche Wirksamkeit zu entziehen.209 Neben diesen verpflichtenden internationalen Rechtsakten bestehen auch solche, die zwar keine verbindliche Regelungswirkung entfalten, aufgrund der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes aber dennoch bei der Auslegung von Verfassungsnormen zu beachten sind.210 Hierunter fällt etwa die bereits erwähnte Agenda 2030 der Vereinten Nationen und die Resolution der

203

Zu der Thematik insgesamt auch Reuß, FamRZ 2019, 1, 2 f. Konkret zu den Ehen Minderjähriger auch Bongartz, NZFam 2017, 541, 542. 205 von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 156. 206 BGBl. I 1969, 161; Antomo, NZFam 2016, 1155, 1159; zur Bindungswirkung Lorenzmeier, Völkerrecht, 25 f. 207 Dazu auch Andrae, NZFam 2016, 923, 928. 208 Zu den einzelnen Rechtspositionen Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 238 f., 242 f. zur Anwendbarkeit in Deutschland. 209 Vgl. Art. 16 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau vom 18. 12. 1979; dazu ausführlich im Zusammenhang mit der Entscheidung des OLG Bamberg Nehls, ZJS 2016, 657, 660 ff. 210 Zur Bindungswirkung Reuß, FamRZ 2019, 1, 3; Mankowski, FamRZ 2016, 1274, 1275; zur Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes Herdegen, Völkerrecht, § 22, Rn. 8. 204

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UN-Generalversammlung vom 1. November 1965.211 Im Rahmen letzterer sprachen sich die Mitgliedsstaaten für ein universelles Ehemindestalter von 15 Jahren aus.212 Wie anfangs bereits erwähnt, ist auch auf unionsrechtlicher Ebene eine Auseinandersetzung mit der Problematik der Kinderehen erfolgt. So sprach sich der Europarat im Jahr 2005 dafür aus, dass die Mitgliedsstaaten ihr nationales Ehemindestalter einheitlich auf 18 Jahre anheben sollten.213 Daneben betonte das Europäische Parlament in einer Entschließung vom 27. September 2018 sein Ziel den „Kinderehen ein Ende [zu] setzen“.214 Beiden Maßnahmen kommt zwar keine unmittelbare rechtliche Bindungswirkung zu.215 Wegen des verfassungsrechtlichen Bekenntnisses zur Mitwirkung bei der Entwicklung der Europäischen Union besteht dennoch ein gewisser Achtungsanspruch gegenüber deutschen Hoheitsträgern. Es hat sich mithin gezeigt, dass Kinderehen grundsätzlich in mehrfacher Hinsicht geeignet sind, wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts zu beeinträchtigen. Wie der Gesetzgeber damit bislang verfahren ist und welche Änderungen das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen bewirkt hat, wird im nachfolgenden Abschnitt dargestellt. 3. Genese der Norm Im Folgenden soll die Entstehung von Art. 13 Abs. 3 EGBGB nachvollzogen werden. Dabei wird zunächst die bis zum Inkrafttreten der Norm geltende Rechtslage dargestellt, bevor die rechtspolitische Wende im Anschluss an die Entscheidung des OLG Bamberg abgebildet wird. Abschließend wird die seit dem 22. Juli 2017 geltende Rechtslage beleuchtet. a) Die Rechtslage vor dem 22. Juli 2017 Bei der Darstellung der bis zum 22. Juli 2017 geltenden Rechtslage ist erneut zwischen der Schließung von Kinderehen im Inland und der Anerkennung dieser bei bereits erfolgter Eheschließung im Ausland zu unterscheiden. 211

Das Vorgehen gegen Kinderehen ist i. R. d. Agenda 2030 unter 5.3 verankert. Die Agenda ist abrufbar unter: https://www.un.org/Depts/german/gv-70/band1/ar70001.pdf (zuletzt abgerufen am 1. 12. 2020, 17.11 Uhr); zur Bindungswirkung Lorenzmeier, Völkerrecht, 44 f. 212 Resolution Nr. A/RES/2018(XX), abrufbar unter https://www.un.org/Depts/german/gvearly/ar2018-xx.pdf (zuletzt abgerufen am 1. 12. 2020, 17.13 Uhr). 213 Resolution Nr. 1469 (2005), abrufbar unter: http://assembly.coe.int/nw/xml/xref/xrefxml2html-en.asp?fileid=17380&lang=en (zuletzt abgerufen am 1. 12. 2020, 17.14 Uhr). 214 Die Entschließung ist abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/ PDF/?uri=CELEX:52017IP0379&from=IT (zuletzt abgerufen am 13. 7. 2021, 19.33 Uhr). 215 Zur Bindungswirkung der Entschließung des Europäischen Rates Reuß, FamRZ 2019, 1, 3; zur Bindungswirkung der Entschließung des Europäischen Parlaments Haltern, Europarecht, Band I, Rn. 905.

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Zunächst soll hier die Rechtslage bei beabsichtigter Heirat Minderjähriger in Deutschland beleuchtet werden. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass dies im materiellen deutschen Eherecht bis Juli 2017 unter bestimmten Voraussetzungen möglich war. § 1301 Abs. 2 BGB a. F. sah vor, dass Minderjährige heiraten konnten, sofern sie mindestens das 16. Lebensjahr vollendet hatten, der andere Verlobte bereits volljährig war und das Familiengericht eine Befreiung vom Volljährigkeitserfordernis erteilt hatte (so genannter Dispens). Sollte eine Person unter 16 Jahren in Deutschland eine Ehe geschlossen oder eine ältere Person die Voraussetzungen von § 1301 Abs. 2 BGB a. F. nicht erfüllt haben, führte dies zur Aufhebbarkeit der Ehe. Neben diesen rein nationalen Fällen wurden Kinderehen in Deutschland auch dann relevant, wenn an einer beabsichtigten Eheschließung mindestens ein ausländischer Staatsangehöriger beteiligt war. Sofern dessen nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufenes Eheschließungsstatut ein niedrigeres Ehemindestalter vorsah, stellte sich die Frage, ob derartige Ehen in Deutschland geschlossen werden konnten. Hierzu herrschte im deutschen Recht die Auffassung vor, dass die Schließung einer Ehe von unter 16-Jährigen im Inland gegen den deutschen ordre public verstoße und daher zu versagen sei.216 Dies wurde mit der Parallele zur Regelung im deutschen materiellen Eherecht begründet.217 Weiter konnten deutsche Gerichte und Behörden auch dann mit Kinderehen befasst sein, wenn diese vor der Einreise nach Deutschland im Ausland geschlossen worden waren. Zwar existiert im deutschen Recht kein eigenständiges Anerkennungsverfahren für Ehen. Die Wirksamkeit einer im Ausland begründeten Ehe konnte jedoch als Vorfrage etwa in unterhalts- oder aufenthaltsrechtlichen Streitigkeiten relevant werden. In deren Rahmen war erneut zu beurteilen, ob diesen Ehen aus Gründen der öffentlichen Ordnung die Anerkennung zu versagen sei. Diesbezüglich wurde vielfach vertreten, dass es hier einer Lockerung der 16 Jahre-Altersgrenze bedürfe. Begründet wurde dies mit dem geringeren Inlandsbezug dieser Fälle, der daraus folge, dass kein deutscher Hoheitsträger an der Entstehung des Statusverhältnisses mitgewirkt habe. Vielmehr werde allein darüber entschieden, ob der im Ausland begründete Status im Inland weiter fortbestehen könne.218 In diesem Zusammenhang wurde auch auf den Gedanken des Schutzes erworbener Rechte und Statusverhältnisse verwiesen.219 Anders als bei den noch zu schließenden Ehen, handele es sich bei der Anerkennung ausländischer Ehen bereits um die Lebensrealität der Paare. Dies müsse bei der Beurteilung anhand der ordre public-Klausel berücksichtigt werden. 216

Heiderhoff, IPRax 2017, 160, 161; Andrae, NZFam 2016, 923, 924, 926; Antomo, NZFam 2016, 1155, 1156; Weller, Stellungnahme (vgl. Fn. 175), 3. 217 Heiderhoff, FS Geimer, 231, 233. 218 Coester, StAZ 2016, 257, 259. 219 Zu diesem Grundsatz auch Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 130; Coester, FamRZ 2017, 77, 79; Antomo, ZRP 2017, 79, 80.

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Die Vertreter dieser Auffassung waren sich zwar grundsätzlich einig hinsichtlich der Absenkung der Altersschwelle bei der Anerkennung von Ehen. Unklar war jedoch, welches alternative Ehemindestalter maßgeblich sein sollte.220 Einige Stimmen vertraten, dass die Altersgrenze bei 15 Jahren gezogen werden solle.221 Dabei stützten sie sich auf den entsprechenden Vorschlag der UN-Resolution.222 Andere erachteten eine Ehe unter Beteiligung von 14-Jährigen als noch mit dem deutschen ordre public vereinbar.223 Sie beriefen sich einerseits auf die Übereinstimmung mit der Strafbarkeitsgrenze der §§ 176 ff. StGB,224 andererseits auf die bis 1974 in Deutschland geltende Rechtslage. Der damalige § 1 EheG sah zwar ein Ehemündigkeitsalter von 16 Jahren vor, ließ hiervon jedoch eine Befreiung ohne Benennung einer Mindestaltersgrenze zu. Mithin waren bis zur Novellierung des Eherechts Eheschließungen von 14-Jährigen in Deutschland möglich. Die gemilderten Maßstäbe bei Anerkennung von Ehen stießen jedoch gerade in der Literatur auch auf Kritik.225 Hier wurde teilweise vertreten, es auch bei der Anerkennung von Ehen bei der Altersgrenze von 16 Jahren zu belassen. Begründet wurde dies mit der erst ab diesem Alter eintretende Entscheidungsreife226 sowie mit dem Einklang mit internationalen Rechtsakten.227 Unstimmigkeiten bestanden jedoch nicht nur bei der Festlegung eines mit dem ordre public zu vereinbarenden Mindestheiratsalters. Auch die Frage nach den Rechtsfolgen bei Eingreifen von Art. 6 EGBGB wurde uneinheitlich beantwortet.228 Dies bezog sich insbesondere auf die Frage nach der Möglichkeit einer Heilung von

220

Zur alten Rechtslage eingehend auch Wall, StAZ 2018, 96, 97. Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 203; ders., FamRZ 2016 1274, 1275; Rohe, StAZ 2006, 93, 95; AG Hannover, Urt. v. 7. 1. 2002 – 616 F 7355/00 S = FamRZ 2002, 1116, 1117. 222 Resolution der UN-Generalversammlung 2018 (XX) vom 1. 11. 1965. 223 Looschelders, Internationales Privatrecht, Art. 6 EGBGB, Rn. 44; Heiderhoff, IPRax 2017, 160, 161; dies., FS Geimer, 231, 234; Rohe, StAZ 2006, 93, 95; Coester, FamRZ 2017, 77, 78; Opris, ZErb 2017, 158, 162; Rohe, StAZ 2018, 73, 77; Bongartz, NZFam 2017, 541, 542. 224 Opris, ZErb 2017, 158, 162; Rohe, StAZ 2018, 73, 77; vgl. zu dieser Begründung auch Antomo, NZFam 2016, 1155, 1159. 225 Andrae, NZFam 2016, 923, 924; Antomo, NZFam 2016, 1155, 1160; Coester, ZfJ 1992, 141. 226 Antomo, NZFam 2016, 1155, 1160. 227 Antomo, NZFam 2016, 1155, 1160. 228 Für die Anwendung deutschen Rechts Mankowski, FamRZ 2016, 1274, 1276; Antomo, NZFam 2016, 1155, 1160; AG Offenbach, Urt. v. 30. 10. 2009 – 314 F 1132/09 = FamRZ 2010, 1561, 1562; KG, Beschl. v. 21. 11. 2011 – 1 W 79/11 = FamRZ 2012, 1495, 1496; Wall, StAZ 2018, 96, 97; für die Anwendung des berufenen ausländischen Eheschließungsrechts Bongartz, NZFam 2017, 541, 542; OLG Bamberg, Beschl. v. 12. 5. 2016 – 2 UF 58/16 = FamRZ 2016, 1270 ff.; VGH BW, Beschl. v. 11. 1. 2006 – 13 S 2345/05 = FamRZ 2007, 144, 145; AG Hannover, Urt. v. 7. 1. 2002 – 616 F 7355/00 S = FamRZ 2002, 1116, 1117; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1375. 221

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

Kinderehen ab Volljährigkeit beider Ehegatten.229 Daneben wurde auch allgemeiner die Lösung der Anerkennungsfälle anhand des ordre public kritisiert. Da die Anwendung der Vorbehaltsklausel stets nur inter partes Wirkung entfalte, könne es zur uneinheitlichen Beurteilung ein und desselben Sachverhalts kommen.230 Dies wirke sich negativ auf den Umgang mit entsprechenden Ehen aus.231 Aufgrund dieser Unklarheiten wurde die Rechtslage in Bezug auf Kinderehen insgesamt als unbefriedigend empfunden. Dies betraf insbesondere den Bereich der Eheanerkennung. Mangels praktischer Bedeutung für die Gerichte bestand jedoch zunächst kein Bedürfnis nach einem klarstellenden Vorgehen in diesem Bereich. Dies änderte sich mit dem Einsetzen der so genannten „Flüchtlingskrise“ im Jahr 2015. Unter den ankommenden Geflüchteten befanden sich vermehrt Kinder und Jugendliche, die angaben, bereits verheiratet zu sein. Dies deckte sich mit der gleichzeitig erfolgten Feststellung einer steigenden Zahl von Kinderehen in den Hauptherkunftsländern. Die Eheschließungen wiesen nicht selten einen unmittelbaren Bezug zur bevorstehenden Flucht nach Europa auf. So diente die Heirat häufig dazu, minderjährige – überwiegend – Mädchen vor sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen auf der Flucht zu schützen sowie ihre statusmäßige Absicherung im Aufnahmeland sicherzustellen.232 In das Blickfeld der medialen und politischen Öffentlichkeit geriet diese Thematik dabei im Jahr 2016 durch eine Entscheidung des OLG Bamberg.233 b) Der Beschluss des OLG Bamberg (2 UF 58/16) Das OLG Bamberg hatte im Rahmen der Vorfrage einer vormundschaftsrechtlichen Streitigkeit die Wirksamkeit einer syrischen Ehe aus Sicht des deutschen Rechts zu beurteilen.234 Konkret ging es um eine in Syrien erfolgte Eheschließung zwischen einer zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alten Syrerin und ihrem 21-jährigen ebenfalls syrischen Cousin. Die Beteiligten waren nach ihrer Flucht über die Balkanroute im Jahr 2015 nach Deutschland gelangt und von dem zuständigen Jugendamt nach kurzer Zeit getrennt worden.235 Hiergegen wendete sich das Paar. 229 Bejahend, unabhängig vom Alter zum Zeitpunkt der Eheschließung etwa Heiderhoff, IPRax 2017, 160, 161; AG Hannover, FamRZ 2002, 1116, 1117; dagegen KG, FamRZ 2012, 1495, 1496. 230 Weller, Stellungnahme (vgl. Fn. 175), 3. 231 Frank, StAZ 2019, 129; Opris, ZErb 2017, 158, 162; Rohe, StAZ 2018, 73, 77; Antomo, NJW 2016, 3558, 3563. 232 Vgl. dazu zum Beispiel die Stellungnahme des Deutschen Caritas Verbands e. V. (vgl. A. Fn. 2), 1 f. 233 OLG Bamberg, Beschl. v. 12. 5. 2016 – 2 UF 58/16 = FamRZ 2016, 1270 ff.; Frank, StAZ 2019, 129; Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41; Gössl, BRJ 2019, 6; Rauscher, FS Kren Kostkiewicz, 245, 246; Rohe, StAZ 2018, 73; Majer, NZFam 2017, 537; Antomo, NJW 2016, 3558, 3559. 234 OLG Bamberg, Beschl. v. 12. 5. 2016 – 2 UF 58/16 = FamRZ 2016, 1270 ff. 235 OLG Bamberg, FamRZ 2016, 1270, 1271.

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Maßgeblich für die Entscheidung war, ob die minderjährige Ehefrau wirksam verheiratet war und die zwischenzeitlich angeordnete Vormundschaft des Jugendamts sich daher gem. §§ 1800, 1633 BGB a. F. allein auf die Vertretung in persönlichen Angelegenheiten beschränkte. Das OLG Bamberg stellte in seiner Entscheidungsbegründung zunächst fest, dass die Eheschließung unter Beteiligung einer 14-Jährigen nach dem gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB maßgeblichen syrischen Recht zulässig sei.236 Zwar erachte auch § 16 des syrischen Personalstatutgesetzes (PSG) Frauen erst im Alter von 17 Jahren als heiratsfähig. Dieses Erfordernis könne jedoch ausgesetzt werden, wenn die Verlobte das dreizehnte Lebensjahr vollendet habe und der zuständige Richter die körperliche Reife festgestellt habe.237 Dies sei hier der Fall gewesen, so dass die Ehe nach syrischem Recht wirksam sei. Die Frage, ob der Anerkennung der Ehe möglicherweise der deutsche ordre public entgegenstehe, ließen die Richter im Ergebnis offen.238 Dies begründeten sie damit, dass auch wenn Art. 6 EGBGB die Anerkennung der Ehe verhindern würde, diese nach dem maßgeblichen syrischen Ersatzrecht lediglich aufhebbar sei. Folglich bestehe die Ehe bis zur Durchführung eines entsprechenden Verfahrens weiter wirksam fort.239 Das OLG Bamberg verwies dabei darauf, dass dieses Ergebnis auch dann erzielt würde, wenn man deutsches Recht für die Rechtsfolgen heranzöge. Die umstrittene Frage nach dem maßgeblichen Ersatzrecht müsse daher nicht abschließend beantwortet werden.240 Das Ergebnis des OLG Bamberg verblüfft zunächst. Es ließe sich dem Gericht vorwerfen, die maßgebliche Frage nach einer konkreten Mindestaltersgrenze durch die an den Rechtsfolgen orientierte Lösung umgangen und somit nicht zur Klärung der Rechtslage beigetragen zu haben.241 Dabei muss jedoch auf zwei Besonderheiten der Entscheidung aufmerksam gemacht werden: Zunächst ist anzumerken, dass das OLG Bamberg die Entscheidung über die ordre public-Widrigkeit der Ehe in seiner Urteilsbegründung zwar offen ließ, sich in seinen Leitsätzen aber dafür aussprach, dass „eine in Syrien nach syrischem Eheschließungsrecht wirksam geschlossene Ehe einer zum Eheschließungszeitpunkt 14-Jährigen mit einem Volljährigen […] als wirksam anzuerkennen [sei], wenn die Ehegatten der sunnitischen Glaubensrichtung angehören und die Ehe bereits vollzogen“ sei.242 Das Gericht schien also trotz fehlender Entscheidungserheblichkeit seine Auffassung von der Anerkennungsfähigkeit ausländischer Kinderehen zum Ausdruck bringen zu wollen. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht die Relevanz des Falles für die Bestimmung 236 237 238 239 240 241 242

OLG Bamberg, FamRZ 2016, 1270, 1273. OLG Bamberg, FamRZ 2016, 1270, 1273. OLG Bamberg, FamRZ 2016, 1270, 1273. OLG Bamberg, FamRZ 2016, 1270, 1273. OLG Bamberg, FamRZ 2016, 1270, 1273 f. So zum Beispiel Opris, ZErb 2017, 158, 162; Coester, StAZ 2016, 257, 262 f. OLG Bamberg, FamRZ 2016, 1270.

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konkreter Altersgrenzen durchaus erkannte und daher die Rechtsbeschwerde zum BGH gem. § 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG wegen „grundsätzlicher Bedeutung“ der Rechtssache zuließ.243 Die Entscheidung rief gemischte Reaktionen hervor. Während der Bamberger Beschluss von rechtswissenschaftlicher Seite jedenfalls hinsichtlich seines konkreten Ergebnisses,244 wenn auch nicht durchweg seiner Begründung nach,245 positiv aufgenommen wurde, löste er in den Medien überwiegend Skepsis und Unverständnis aus. Dabei ist kritisch anzumerken, dass die medialen Berichterstattungen sich teilweise kaum mit den konkreten Umständen des Sachverhalts, wie der gemeinsamen Flucht der Beteiligten nach Europa und ihrem Wunsch nach einem gemeinsamen Leben sowie mit den genauen Entscheidungsgründen des OLG auseinandersetzte.246 Nicht selten fanden sich überspitzte und teilweise pauschalisierende Medienberichte, die ein eher generelles Bild von der unfreiwilligen Verheiratung minderjähriger Mädchen entwarfen und dabei die Grenzen zwischen Minderjährigen- und Zwangsehen verwischten.247 Aufgrund des großen gesellschaftlichen und medialen Interesses erreichte die Diskussion um die Bamberger Entscheidung und die damit einhergehende Frage nach dem Umgang mit verheirateten Minderjährigen bald auch die Politik. Diese äußerte sich dabei überwiegend kritisch gegenüber der liberalen Haltung des OLG: So merkte der bayrische Justizminister Bausback an, dass „der MinderjährigenSchutz in unserer Rechtsordnung ein hohes Gut und Verfassungsauftrag“ sei und verlangte daher eine Klärung der Rechtslage durch den Bundesgerichtshof.248 Andere Politiker bezeichneten das Urteil des OLG Bamberg als „Sündenfall“, da es den „Weg für den weiteren Vollzug und Bestand von Kinder- und Zwangsehen in

243 OLG Bamberg, FamRZ 2016, 1270, 1274; eine entsprechende Beschwerde wurde eingelegt, siehe dazu sogleich zu BGH, XII ZB 292/16. 244 Arnold, GPR 2017, 29, 35; Nehls, ZJS 2016, 657, 658; Mankowksi, FamRZ 2016, 1274, 1275. 245 Nehls, ZJS 2016, 657 ff. 246 Dazu auch Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429. 247 Vgl. dazu beispielsweise BILD-Zeitung, „Kinderehe hat Deutschland erreicht“, vom 10. 6. 2016, abrufbar unter: https://www.bild.de/politik/inland/kinder/ehe-hat-deutschland-er reicht-46235142.bild.html (zuletzt abgerufen am 1. 12. 2020, 17.15 Uhr); Augsburger Allgemeine, „Flüchtlinge bringen Kinderehen nach Deutschland“, vom 31. 8. 2016, abrufbar unter: https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Fluechtlinge-bringen-die-Kinderehe-nach-Bay ern-id38936122.html (zuletzt abgerufen am 1. 12. 2020, 17.16 Uhr); DeutschlandFunk, „Bayrisches Gericht erklärt Kinderehen für rechtmäßig“, vom 15. 6. 2016, abrufbar unter: https: //www.deutschlandfunk.de/urteil-von-bamberg-bayerisches-gericht-erklaert-kinderehe.886.de. html?dram:article_id=357185 (zuletzt abgerufen am 1. 12. 2020, 17.16 Uhr); zu dieser Vermischung von Kinder- und Zwangsehe auch Ring, FF 2016, 410, 412. 248 So Bausback gegenüber der Zeitschrift „Welt“, vgl. dazu https://www.welt.de/politik/ deutschland/article155837698/Kinderehen-nach-Scharia-Recht-spalten-deutsche-Justiz.html (zuletzt abgerufen am 4. 6. 2021, 10.54 Uhr).

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Deutschland“ ebne249 und verwiesen im Anschluss an das Urteil darauf, dass „arrangierte Zwangsehen im Kindesalter, bei denen heiratswillige ältere Männer die Not von Frauen ausnutzen, […] fundamentale Frauen- und Kinderrechte“ verletzten und daher „ernsthaft [zu] erwägen [sei], zukünftig nur noch solche Ehen anzuerkennen, bei denen beide Ehegatten volljährig sind“.250 Insgesamt machte sich in der politischen Öffentlichkeit die Auffassung breit, dass es wegen des (erwarteten) erhöhten Aufkommens von Kinderehen im Zuge der so genannten „Flüchtlingskrise“ einer eindeutigen gesetzgeberischen Positionierung zu dieser Thematik bedürfe.251 Diese Ansicht erfuhr auch von rechtswissenschaftlicher Seite Unterstützung.252 Uneinig war man sich jedoch hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung eines solchen Vorgehens. Um bei dieser Frage Klarheit zu gewinnen und in Anbetracht der im September 2017 anstehenden Bundestagswahl, berief Bundesjustizminister Maas bereits im September 2016 eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Erarbeitung einer entsprechenden Regelung ein. Einen ersten Entwurf des „Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen“ legte die Bundesregierung am 17. Februar 2017 vor.253 Dieser wurde, trotz entgegenstehender Kritik vieler Fachverbände,254 wortlautgleich am 249

Frauke Petry im sächsischen Landtag am 1. 9. 2016, vgl. dazu das Plenarprotokoll 6/40, S. 3261, abrufbar unter: https://www.landtag.sachsen.de/de/aktuelles/tagesordnungen-protokol le-des-plenums/protokoll/855 (zuletzt abgerufen am 1. 12. 2020, 17.17 Uhr). 250 NRW-Justizminister Thomas Kutschaty, vgl. dazu https://www.waz.de/region/ministerprueft-kinderehen-aus-fluechtlingsregionen-in-nrw-id12079720.html (zuletzt abgerufen am 1. 12. 2020, 17.18 Uhr). 251 So auch Antomo, NJW 2016, 3558, 3563; Stellungnahme des Deutschen Familiengerichtstags vom 29. 11. 2016 (vgl. A. Fn. 2); Stellungnahme des Deutschen Frauenrings e. V. vom 6. 2. 2017, abrufbar unter: https://deutscher-frauenring.de/wp-content/uploads/2019/10/DFRStellungnahme_Kinderehe.pdf (zuletzt abgerufen am 4. 12. 2020, 17.19 Uhr); Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds vom 1. 2. 2017 (vgl. A. Fn. 2); kritisch dazu Ernst, DRiZ 2019, 182, 183. 252 Andrae, NZFam 2016, 923, 926; Antomo, NZFam 2016, 1155, 1161, die für im Ausland geschlossene Ehen von unter 14-Jährigen eine Nichtigkeitslösung fordert; dies., NJW 2016, 3558, 3563. 253 Abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/ RegE_Bekaempfung_Kinderehe.pdf?__blob=publicationFile&v=5 (zuletzt abgerufen am 1. 12. 2020, 17.22 Uhr); kritisch zu dieser zeitlichen Nähe zur Bundestagswahl und den daraus resultierenden Folgen Rohe, StAZ 2018, 73, 74; von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, § 4, Rn. 85. 254 Stellungnahme des Deutschen Familiengerichtstags vom 23. 2. 2017 (vgl. A. Fn. 2); Stellungnahme des Deutschen Berufsverband für Soziale Arbeit im Februar 2017, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2017/Down loads/02212017_Stellungnahme_DBSH_RefE_Kinderehe.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt abgerufen am 4. 12. 2020, 17.24 Uhr); Stellungnahme des Deutschen Notarvereins vom 22. 2. 2017 (vgl. A. Fn. 2); Stellungnahme der Deutschen Caritas Verband e. V. (vgl. A. Fn. 2); Stellungnahme des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (vgl. Fn. 154); Stellungnahme des Deutschen Landkreistags vom 22. 2. 2017, abrufbar unter: https://www. bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2017/Downloads/02222017_ Stellungnahme_Landkreistag_RefE_Kinderehe.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 4. 12. 2020, 17.25 Uhr); Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins im Februar

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

25. April 2017 in den Bundestag eingebracht und trat nach Beschluss im Bundesrat am 22. Juli 2017 in Kraft.255 c) Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen aa) Änderungen im nationalen Eheschließungsrecht Das Kinderehen-Gesetz traf dabei eine Vielzahl von Maßnahmen, die dieser Praktik in Deutschland entgegenwirken sollten. Dies betraf zunächst das materielle deutsche Eherecht. Hier hob der Gesetzgeber durch den neuen § 1303 BGB die nationale Ehemündigkeitsgrenze an und beseitigte zugleich die Möglichkeit eines gerichtlichen Dispenses. Die maßgebliche Bestimmung lautet nun: § 1303 Ehemündigkeit 1

Eine Ehe darf nicht vor Eintritt der Volljährigkeit eingegangen werden. 2 Mit einer Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, kann eine Ehe nicht wirksam eingegangen werden.

Diese Regelung modifiziert die bislang geltende Rechtslage in zweifacher Hinsicht: Dies betrifft zunächst den bereits erwähnten Wegfall der Dispens-Möglichkeit. Der Gesetzgeber begründet dies damit, dass sich die für die Einführung der Ausnahmeregelung maßgeblichen Erwägungen, insbesondere die Möglichkeit einer nichtehelichen Mutterschaft, gesellschaftlich überholt hätten.256 Dies würde aus der umfassenden Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder deutlich.257 Auch wird darauf hingewiesen, dass praktisch kein Bedürfnis mehr nach dieser Befreiungsmöglichkeit bestehe. Dies habe sich anhand der geringen Anzahl der in den letzten Jahren gestellten Befreiungsanträge gezeigt. Daneben wird die bisherige Rechtslage insofern modifiziert, als der Verstoß gegen die Ehemündigkeitsvorschrift nun zur Entstehung einer Nichtehe führen kann, wenn einer der Ehepartner das 16. Lebensjahr bei Eingehung der Ehe noch nicht vollendet hat.258 Das bedeutet Folgendes: Nach bisheriger Rechtslage waren die Ehen von 2017, abrufbar unter: https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-7-17-initiative-zur-kinderehe-dis kussion (zuletzt abgerufen am 2. 9. 2021, 13.37 Uhr); Stellungnahme Terre des hommes vom 22. 2. 2017, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellung nahmen/2017/Downloads/02222017_Stellungnahme_terre_des_hommes_RefE_Kinderehe. pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 4. 12. 2020, 17.26 Uhr). 255 Finale Fassung abrufbar unter: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=%2F%2 F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl117s2429.pdf%27%5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_ id%3D%27bgbl117s2429.pdf%27%5D__1606839812404 (zuletzt abgerufen am 1. 12. 2020, 17.24 Uhr). 256 So auch Rauscher, FS Kren Kostkiewicz, 245, 248. 257 So auch Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 430. 258 Vgl. zu der Entwicklung der Regelung nichtiger Ehen nach deutschem Recht auch Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1376; Weller/Thomale/Hategan/Werner, FamRZ 2018, 1289, 1294 f.

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eheunmündigen Personen lediglich aufhebbar.259 Sie blieben also wirksam bis ein Aufhebungsverfahren durchgeführt wurde. Auch dieses hatte jedoch nur zur Folge, dass die Ehe mit ex nunc-Wirkung beendet wurde.260 Es folgte dann eine Regelung der Rechtsfolgen, die sich am Scheidungsrecht orientierte. Diese Rechtslage wird nun durch die Nichtehe ergänzt. Hierbei handelt es sich um Verbindungen, die mit ex tunc-Wirkung kraft Gesetzes beendet werden.261 Bis zum Inkrafttreten des Kinderehen-Gesetzes wurde diese Rechtsfigur vornehmlich bei Verstößen gegen die formellen Voraussetzungen des § 1310 BGB oder bei fehlender Eheschließungserklärung relevant.262 Die Ehe wird nach § 1303 S. 2 BGB n. F. folglich so behandelt, als hätte sie nie existiert. Sie entfaltet keinerlei Rechtsfolgen.263 Der Gesetzgeber begründet diese Neuerung damit, dass Kinder im Alter von unter 16 Jahren besonders schutzwürdig seien. Aufgrund der Nichtigkeit der Ehe stehe der Minderjährige weiterhin unter der elterlichen Sorge beziehungsweise unter der Sorge seines Vormundes.264 Zudem sei dieser nicht durch Rechtsfolgen weiterhin an den Ehepartner gebunden. bb) Änderungen im nationalen Eheaufhebungsverfahren Auch die Eheaufhebungsvorschriften des BGB wurden durch das KinderehenGesetz neugestaltet. So wurde zunächst die die Antragsbefugnis im Eheaufhebungsverfahren betreffende Vorschrift des § 1316 BGB verschärft. Während nach alter Rechtslage die Verwaltungsbehörden hinsichtlich sämtlicher Aufhebungsgründe über einen Ermessensspielraum bezüglich der Antragsstellung verfügten, ist dieser durch den neuen Absatz 3 Satz 2 für den Fall der Eheaufhebung wegen Eheunmündigkeit entfallen.265 Die Behörde ist nun verpflichtet einen Aufhebungsantrag zu stellen, wenn einer der Ehegatten unter 18 Jahre alt ist. Eine Ausnahme von dieser Verpflichtung besteht nur dann, wenn der bei der Eheschließung minderjährige Ehegatte zwischenzeitlich die Volljährigkeit erlangt und die Ehe bestätigt hat. Eine Pflicht zur Antragsstellung wäre in diesen Fällen überflüssig, da die Eheaufhebung ohnehin wegen § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a BGB ausgeschlossen ist. Wegen dieser nahezu zwingenden Aufhebbarkeit von Kinderehen wurde § 1315 BGB, der die Gründe für einen Ausschluss der Eheaufhebung regelt, um eine Härtefallklausel 259

Frank, StAZ 2012, 129, 131 f.; Heiderhoff, IPRax 2017, 160, 161. Vgl. zur Wirkweise des § 1318 BGB Wellenhofer, in: MüKo BGB, § 1318 BGB, Rn. 1 f.; Voppel, in: Staudinger, § 1318 BGB, Rn. 9; im Übrigen auch Opris, ZErb 2017, 158, 161. 261 Vgl. zur Rechtsfolge der Eheunwirksamkeit auch Duden, in: Die Frühehe im Recht, 629 ff. 262 Erbarth, NZFam 2021, 9 ff. 263 Rauscher, FS Kren Kostkiewicz, 245, 258. 264 BT-Drucks. 18/12086, 17. 265 § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB; die zuständige Verwaltungsbehörde bestimmt sich nach Landesrecht, in Baden-Württemberg nach § 1 der Verordnung der Landesregierung zur Bestimmung der für Eheaufhebungsanträge zuständigen Verwaltungsbehörde vom 16. 1. 2011 (EheAufhzustVwBehV BW). 260

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ergänzt. Gemäß Absatz 1 Satz 1 Nr. 1b ist die Aufhebung der Ehe wegen Minderjährigkeit dann ausgeschlossen, wenn „auf Grund außergewöhnlicher Umstände die Aufhebung der Ehe eine so schwere Härte für den minderjährigen Ehegatten darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint“. Der Gesetzgeber stellt jedoch klar, dass an das Vorliegen eines Härtefalls hohe Anforderungen zu stellen sind. Es müsse sich um „gravierende Einzelfälle“ handeln, „in denen die Aufhebung der Ehe für den Minderjährigen unter Berücksichtigung des Kindeswohls eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint“.266 Als Beispiele für solche Härtefälle verweist der Gesetzgeber auf schwere und lebensbedrohliche Erkrankungen, eine krankheitsbedingte Suizidabsicht des Minderjährigen oder eine Verletzung des unionsrechtlich gewährleisteten Freizügigkeitsrechts.267 Im Übrigen wurde die Vorschrift des § 1315 BGB an den Wegfall der familiengerichtlichen Befreiung angepasst. Der Gesetzgeber ging folglich davon aus, dass durch das Rechtsinstitut der Nichtehe und durch die Antragspflicht im Aufhebungsverfahren der verheiratete Minderjährige gänzlich aus dem nationalen Eherecht verschwunden sei. Dementsprechend wurden sämtliche Sondervorschriften zu dieser Thematik aufgehoben.268 cc) Änderungen im Internationalen Eheschließungsrecht Auch das deutsche Kollisionsrecht wurde im Zuge der Kinderehen-Gesetzgebung überarbeitet. Im Mittelpunkt stand dabei der neu eingeführte Art. 13 Abs. 3 EGBGB. 266

BT-Drucks. 18/12086, 17. BT-Drucks. 18/12086, 17. 268 Geändert wurden somit: § 1411 BGB (Eheverträge Betreuter); im Unterhaltsrecht: § 1602 Abs. 2 BGB (Bedürftigkeit); § 1603 Abs. 2 BGB (Leistungsfähigkeit): § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB (Rangverhältnis mehrerer Pflichtiger); § 1609 Nr. 1 BGB (Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter); § 1611 Abs. 2 BGB (Beschränkung oder Wegfall der Verpflichtung); bei den besonderen Vorschriften für das Kind und seine nicht miteinander verheirateten Eltern: § 1617a Abs. 2 S. 1 BGB (Geburtsname bei Eltern ohne Ehenamen und Alleinsorge); § 1618 S. 1 BGB (Einbenennung); bei den Vorschriften der Elterlichen Sorge: § 1649 Abs. 2 BGB (Verwendung der Einkünfte des Kindesvermögens); bei den Vorschriften zur Annahme als Kind: § 1749 Abs. 2 BGB (Einwilligung des Ehegatten); § 1757 Abs. 3 BGB (Name des Kindes); § 1767 Abs. 2 BGB (Zulässigkeit der Annahme, anzuwendende Vorschriften); § 1778 BGB (Übergehen des benannten Vormunds); bei den Vorschriften zur Vormundschaft: § 1800 S. 1 BGB (Umfang der Personensorge); § 1903 Abs. 2 BGB (Einwilligungsvorbehalt); im Erbrecht: § 2275 BGB (Voraussetzungen zum Abschluss eines Erbvertrags); § 2282 Abs. 1 und Abs. 2 BGB (Vertretung, Form der Anfechtung des Erbvertrags); § 2290 Abs. 2 BGB (Aufhebung durch Vertrag); § 2347 Abs. 1 BGB (Persönliche Anforderungen, Vertretung). Aufgehoben wurden: § 1458 BGB (Vormundschaft über einen Ehegatten); § 1484 Abs. 2 S. 2 BGB (Ablehnung der fortgesetzten Gütergemeinschaft); § 1492 Abs. 3 S. 1 BGB (Aufhebung durch den überlebenden Ehegatten); § 1516 Abs. 2 S. 2 BGB (Zustimmung des anderen Ehegatten); § 1633 BGB (Personensorge für verheiratete Minderjährige); § 2284 S. 2 BGB (Bestätigung); § 2296 Abs. 1 S. 2 BGB (Vertretung, Form des Rücktritts); kritisch zur Streichung dieser Vorschriften Schwab, FamRZ 2017, 1369, 1371 ff. 267

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Der Gesetzgeber bezeichnete diese Neuregelungen als „internationalprivatrechtliche Weichenstellung des Entwurfs“.269 Die Regelung bewirkt eine einheitliche rechtliche Handhabung von Kinderehen in Deutschland. Dies betrifft zunächst die Eheschließung. Hier wird Einheitlichkeit durch das Zusammenwirken der kollisionsrechtlichen Neuregelung mit dem ebenfalls neuen § 1310 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 und Nr. 2 BGB n. F. erzielt. Letzterer sieht vor, dass der Standesbeamte die Mitwirkung an einer Eheschließung verweigern muss, wenn „1. offenkundig ist, dass die Ehe nach § 1314 Absatz 2 aufhebbar wäre, oder 2., wenn nach Artikel 13 Absatz 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche die beabsichtigte Ehe unwirksam wäre oder die Aufhebung der Ehe in Betracht kommt“. Bei der Behandlung von im Ausland geschlossenen Kinderehen setzt sich die deutsche Rechtslage durch die in Art. 13 Abs. 3 EGBGB getroffene Verweisung durch. dd) Neue Überleitungsvorschriften im EGBGB Art. 13 Abs. 3 EGBGB wurde durch Überleitungsregeln ergänzt. Diese finden sich im neuen Art. 229 § 44 EGBGB. Der erste und zweite Absatz der Vorschrift trifft Maßnahmen zum Schutz von Kinderehen, die nach alter Rechtslage in Deutschland geschlossen worden waren. Sofern eine familiengerichtliche Genehmigung erteilt worden ist, bleiben die Ehen weiterhin wirksam. Im Übrigen sind sie lediglich nach Maßgabe der §§ 1303, 1313 ff. BGB a. F. aufhebbar. Die Unwirksamkeitsregelung des § 1303 S. 2 BGB n. F. sowie die behördliche Pflicht zur Stellung eines Aufhebungsantrags entfalten für diese Ehen mithin keine Wirkung. Der dritte Absatz bestimmt, dass mit Inkrafttreten der neuen Rechtslage keine familiengerichtlichen Genehmigungen i. S. d. § 1303 Abs. 2 BGB a. F. in laufenden Befreiungsverfahren oder in Aufhebungsverfahren mehr erteilt werden können. Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB sieht in Hinblick auf im Ausland geschlossene Ehen vor, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB dann keine Wirkung entfaltet, wenn der zum Zeitpunkt der Eheschließung minderjährige Ehegatte bei Inkrafttreten des Kinderehen-Gesetzes bereits volljährig war (Nr. 1). Weiter sind auch solche Ehen vom Anwendungsbereich ausgenommen, bei denen der minderjährige Ehegatte zwar erst später volljährig geworden ist, keiner der beiden Ehepartner jedoch vor dessen Volljährigkeit einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte und die Ehe bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten geführt worden ist (Nr. 2).270 ee) Das Verbot religiöser Voraustrauungen Im Zuge der Kinderehen-Gesetzgebung wurde zudem in §§ 11 Abs. 2, 70 PStG ein sanktionsbewehrtes Voraustrauungsverbot eingeführt.271 Dieses richtet sich 269 270 271

BT-Drucks. 18/12086, 15. Zur kritischen Bewertung der Überleitungsvorschrift sogleich unter C.II.4.a)cc). Vgl. dazu auch von Hein, in: Juristische Studiengesellschaft Jahresband 2018, 29, 73.

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gegen religiöse oder traditionelle Handlungen, die zwischen Minderjährigen eine der Ehe vergleichbare, dauerhafte Bindung schaffen.272 Ergänzt wird dieses Verbot durch den novellierten § 54 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG. Dieser sieht nun ein besonderes Ausweisungsinteresse für Personen vor, die entsprechende religiöse oder traditionelle Handlungen gegenüber Personen unter 16 Jahren vornehmen. Der Gesetzgeber erkannte bei Schaffung dieser Normen zwar, dass diese einen Eingriff in die verfassungsrechtlich gewährleistete Religionsfreiheit darstellen würden. Diesen sah er jedoch als durch das Kindeswohlprinzip gerechtfertigt an. Es verlange, Minderjährige vor den Gefahren von Zwangsehen zu schützen. Solche entstünden jedoch häufig nicht durch bürgerlich-rechtlich wirksame Eheschließungen, sondern im Rahmen kultureller, nicht-staatlicher Zeremonien.273 ff) Sonstige Neuerungen Im Mittelpunkt der Kinderehen-Gesetzgebung standen die soeben dargestellten Änderungen des Bürgerlichen Rechts sowie des Kollisionsrechts. Flankiert wurden diese durch einige weniger präsente Neuerungen im Verfahrens-, Sozial- und Asylrecht. Diese beschränkten sich im Wesentlichen auf Anpassungen und Klarstellungen zur veränderten Zivilrechtslage. Auf verfahrensrechtlicher Ebene wurden so etwa die Zuständigkeitsregelungen der §§ 98, 122 FamFG ergänzt sowie das Beschleunigungsgebot durch den neuen § 129a FamFG auf die Eheaufhebungsverfahren nach Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB erweitert. Weiter wurden die richterlichen Zuständigkeiten nach § 14 Rechtspflegergesetz an die veränderte materielle Rechtslage angeglichen. Auch die angepassten §§ 30, 31 AufenthaltsG tragen den Neuregelungen im IPR Rechnung. Klarstellend wurde zudem im neu gefassten § 26 Abs. 1 S. 1 AsylG bestimmt, dass dem minderjährigen verheirateten Ehegatten auch dann Familienasyl gewährt werden kann, wenn die Ehe nach deutschem Recht als nicht existent oder aufhebbar angesehen wird. Anknüpfend daran bewirkt § 42a Abs. 1 SGB VIII n. F., dass ein ausländisches Kind oder Jugendlicher auch dann als unbegleitet angesehen wird, wenn er verheiratet ist. 4. Kritik „Möge diesem Gesetz kein langes Leben beschieden sein“ lautete CoesterWaltjens Reaktion auf das Kinderehen-Gesetz.274 Andere bezeichneten die neue Gesetzgebung als „gesetzgeberischen Furor“,275 der auf „unterdrückten Ängste[n] vor fremden Lebensweisen“ beruhe, durch die dem Gesetzgeber „jede Rationalität 272 Vgl. zu der Einführung dieses Verbotstatbestandes auch Rauscher, FS Kren Kostkiewicz, 245, 251 f.; kritisch Schwab, FamRZ 2017, 1369, 1374. 273 BT-Drucks. 18/12086, 24. 274 Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 436. 275 Löhnig, FamRZ 2018, 749, 750.

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verloren“ gegangen sei.276 Diese wenigen ausgewählten Kommentare spiegeln exemplarisch die allgemeine Resonanz wider, die auf das Inkrafttreten des KinderehenGesetzes im Sommer 2017 folgte. Dies war wenig überraschend.277 Bereits der erste Entwurf des Gesetzesvorhabens hatte harsche Kritik geerntet, als dieser im Februar 2017 den zuständigen Fachverbänden zur Stellungnahme vorgelegt wurde. Zwar begrüßten die Organisationen durchweg die hinter dem Vorschlag stehende gesetzgeberische Intention, äußerten zugleich jedoch Bedenken hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung des Vorhabens.278 Diese Auffassung fand sich nach Inkrafttreten des Kinderehen-Gesetzes ganz überwiegend auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur vertreten. Im Mittelpunkt der Kritik standen dabei die Neuregelungen des Kollisionsrechts.279 Während die Heraufsetzung des nationalen Ehefähigkeitsalters unter Abschaffung der Dispensmöglichkeit jedenfalls teilweise begrüßt wurde,280 fanden nur wenige lobende Worte für die kollisionsrechtlichen Änderungen:281 Dürbeck etwa begrüßte die restriktiven Neuregelungen im IPR und verwies auf deren Einklang mit dem internationalen Trend zum Vorgehen gegen Kinderehen. Die pauschalisierenden Unwirksamkeits- beziehungsweise Aufhebungslösungen im Rahmen des neuen Art. 13 Abs. 3 BGB hielt er angesichts der mit den Kinderehen einhergehenden Gefahren für angemessen.282 Opris sprach von einem „wichtigen Meilenstein vor allem im deutschen IPR“ und verwies dabei besonders auf die durch das Gesetz gewonnene Rechtssicherheit.283 Zudem ging er davon aus, dass durch die gesetzgeberischen Neuregelung ein „wichtiges Signal nach innen und nach außen“ hinsichtlich der Verheiratung Minderjähriger gesetzt werde.284 Coester-Waltjen räumte dem Gesetz ein, dass es „handwerklich gelungen“ sei, Wall bezeichnete die Neuregelungen als „systematisch zutreffend verortet“.285 276

Beitrag von Heiderhoff am 17. 12. 2018, „Möge diesem Gesetz kein langes Leben beschieden sein!: das Kinderehen-Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht“, Verfassungsblog.de, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/moege-diesem-gesetz-kein-langes-leben-be schieden-sein-das-kinderehengesetz-vor-dem-bverfg/ (zuletzt abgerufen am 27. 8. 2019, 9.07 Uhr). 277 So auch Junker, Internationales Privatrecht, § 18, Rn. 23; darauf verweist auch Martiny, in: Prütting/Wegen/Weinreich, Art. 13 EGBGB, Rn. 11. 278 Vgl. dazu nur beispielweise die Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte (vgl. A. Fn. 2); Stellungnahme des Deutschen Familiengerichtstags vom 23. 2. 2017 (vgl. A. Fn. 2); Stellungnahme des Deutschen Notarvereins vom 22. 2. 2017 (vgl. A. Fn. 2). 279 Dies bestätigt auch Rauscher, FS Kren Kostkiewicz, 245, 248. 280 Opris, ZErb 2017, 158, 164; Bongartz, NZFam 2017, 541, 543; Rohe, StAZ 2018, 73, 77; Weller/Thomale/Hategan/Werner, FamRZ 2018, 1289, 1291, die die Anhebung des Ehefähigkeitsalters als „gesellschaftlich hinnehmbar“ bezeichnen. 281 So aber beispielsweise Majer, NZFam 2019, 659, 662. 282 Dürbeck, ZKJ 2019, 113 f.; so auch Opris, ZErb 2017, 158, 164, der in Hinblick auf die Einzelfallprüfung vor allem mit der daraus entstehenden Rechtsunsicherheit argumentiert. 283 Opris, ZErb 2017, 158, 164. 284 Opris, ZErb 2017, 158, 162. 285 Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 436; Wall, StAZ 2018, 96, 98.

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Diese Stimmen bilden jedoch Ausnahmen gegenüber der hier im Anschluss dargestellten umfassenden Kritik an dem Kinderehen-Gesetz. a) Kritik der Literatur aa) Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB Auf Ablehnung stieß zunächst die bei den Neuregelungen angewendete Gesetzgebungstechnik. Die typisierende Ausgestaltung der Normen wurde bereits auf tatbestandlicher Ebene als unpassend erachtet, insbesondere wurde jedoch auf die negativen Folgen dieser vom Einzelfall gelösten Regelungen verwiesen. Die rechtsfolgenbezogene Kritik betraf vor allem die von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB vorgesehene Unwirksamkeitslösung, welche gemeinhin als mit dem Minderjährigenschutz unvereinbar erachtet wurde.286 Dabei wurde vor allem auf den mit der Eheunwirksamkeit einhergehenden Verlust zivilrechtlicher Rechtspositionen verwiesen.287 Beispielhaft betraf dies Unterhalts-, Renten- und Erbschaftsansprüche des minderjährigen Ehegatten. Die ex tunc-Rechtsfolge des Art. 13 Abs. 3 EGBGB bewirke, dass diese Rechtspositionen in Deutschland nicht geltend gemacht werden könnten.288 Davon werden nicht allein die Ehepartner betroffen, sondern dies könne sich auch auf aus der Ehe hervorgegangene Kinder auswirken,289 so etwa indem durch die ex tunc-Unwirksamkeit die gesetzliche Vaterschaftsvermutung gem. Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB, § 1592 Nr. 1 BGB entfalle.290 Relevanz entfalte dies auch im Sorge- und Namensrecht.291 Besonders schwerwiegend seien die Konsequenzen der Eheunwirksamkeit dann, wenn der Verlust beziehungsweise das NichtBestehen solcher Ansprüche erst nach langjährigem Bestand der Ehe erkannt würde.292 Im Zusammenhang mit den unterhaltsrechtlichen Fragen wurde auch darauf verwiesen, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB dem volljährigen Ehepartner eine „billige Lösung“ aus seinen ehelichen Verpflichtungen eröffne. Von diesen könne er sich allein durch die Einreise nach Deutschland lossagen.293 Daneben wurde darauf verwiesen, dass die Unwirksamkeitslösung zur Entstehung von Doppelehen 286 Majer, NZFam 2019, 659; Rohe, StAZ 2018, 73, 77; Weller/Thomale/Hategan/Werner, FamRZ 2018, 1289, 1294 ff. 287 Gössl, Migration, 19, 36. 288 Frank, StAZ 2019, 129, 133; Erbarth, FamRB 2018, 338, 339; Majer, NZFam 2019, 659, 660; Bongartz, NZFam 2017, 541, 545. 289 Reuß, FamRZ 2019, 1, 5; Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 585. 290 Majer, NZFam 2019, 659, 660; Frank, StAZ 2019, 129, 132, der davon ausgeht, dass der Gesetzgeber dieses Problem schlicht übersehen hat; Schwab, FamRZ 2017, 1369, 1370 f.; Kemper, FamRB 2021, 226, 229; ausführlicher dazu auch Duden, in: Die Frühehe im Recht, 629, 634 f. 291 Menne, FamRZ 2016, 1223, 1225. 292 Fall der so genannten. „unerkannt hinkenden Ehen“, dazu auch Rauscher, FS Kren Kostkiewicz, 245, 260; Reuß, FamRZ 2019, 1; Majer, NZFam 2019, 659, 660 f. 293 Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 435.

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führen könne.294 Dies würde nicht nur die Unterhaltsansprüche des minderjährigen Ehegatten gefährden. Daneben setzten sich beide Partner der Gefahr einer möglichen Strafverfolgung wegen Bigamie im Ausland aus, wenn sie in Deutschland erneut heirateten.295 Neben diesen nachteiligen rechtlichen Folgen wurde auch auf die soziale Problematik hingewiesen, die mit der pauschalen Unwirksamkeitsregelung einhergehe. Dessen vom Einzelfall gelöste Regelung führe dazu, dass auch solche Beziehungen als unwirksam behandelt würden, die aus gegenseitiger Zuneigung entstanden seien.296 In diesen Fällen stelle es für die Parteien eine besondere Härte dar, jegliche rechtliche Bindung an ihren Partner zu verlieren.297 Es wurde angenommen, dass die Paare häufig mit Unverständnis und Widerstand auf die Maßnahmen des deutschen Gesetzgebers reagieren dürften, was nicht zuletzt deren erfolgreiche Integration in Deutschland gefährde.298 Ob sich daraus, wie von Coester-Waltjen vorgebracht, auch eine erhöhte Gefahr des Beitritts zu salafistischen Vereinigungen ergibt,299 mag aber zu bezweifeln sein. Die Kritiker des Kinderehen-Gesetzes verwiesen zudem darauf, dass aus Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB die Gefahr resultiere, dass Paare in Kenntnis der deutschen Rechtslage ihre Ehe bei der Einreise nach Deutschland verschweigen. Dadurch könnte jedoch gerade denjenigen Minderjährigen, die tatsächlich unfreiwillig verheiratet wurden, der Schutz des deutschen Rechts- und Sozialsystems entgehen.300 Nicht zuletzt wurde in der Literatur darauf hingewiesen, dass, anders als in Deutschland, in manchen ausländischen Kulturkreisen der Status einer unverheirateten Frau, insbesondere wenn aus der Beziehung schon Kinder hervorgegangen seien, nur wenig oder gar keine Akzeptanz erfahre.301 Die von der Unwirksamkeitsregelung betroffenen minderjährigen Ehefrauen müssten daher befürchten, bei der Rückkehr in ihr Herkunftsland gesellschaftlich geächtet zu werden, sobald ihr in Deutschland geltender Status bekannt würde.302

294 Erbarth, FamRB 2018, 338, 339; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1377; Ernst, DRiZ 2019, 182, 184; Frank, StAZ 2019, 129, 133; Rohe, StAZ 2018, 73, 77; Weller/Thomale/Hategan/ Werner, FamRZ 2018, 1289, 1295; Martiny, in: Prütting/Wegen/Weinreich, Art. 13 EGBGB, Rn. 14. 295 Majer, NZFam 2017, 537, 541; Duden, in: Die Frühehe im Recht, 629, 642 f.; vgl. dazu auch Gutmann, NVwZ 2019, 277, 281, der zumindest für Frauen die im Ausland bestehende Bigamie als „gesellschaftlich nicht hinnehmbaren Zustand“ bezeichnet. 296 Coster-Waltjen, IPRax 2017, 429 f. 297 So auch Rauscher, FS Kren Kostkiewicz, 245, 253. 298 Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 436; Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderehe, 8. 299 Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 436. 300 Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465, 469; Rohe, StAZ 2018, 73, 79; so auch Opris, ZErb 2017, 158, 164. 301 Rohe, StAZ 2018, 73, 79; ders., StAZ 2000, 161, 165; Gutmann, NVwZ 2019, 277, 281. 302 Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 435.

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Neben der konkreten Ausgestaltung von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB wurde zudem die Unvollständigkeit der Regelung bemängelt. Dabei wurden zunächst ergänzende verfahrensrechtliche Regelungen vermisst.303 Dies bezog sich etwa auf das Fehlen eines Verfahrens zur Feststellung der Ehe-Unwirksamkeit. Zudem wurde bemängelt, dass der Gesetzgeber keine Regelung getroffen habe, wie mit Unsicherheiten bei der Altersfeststellung umzugehen sei.304 Insbesondere fehle es hierzu an einer Klarstellung hinsichtlich der Verteilung der Beweislast.305 Weiter wurde kritisiert, dass der Gesetzgeber durch die Schaffung von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zahlreiche Prinzipien des Kollisionsrechts missachtet habe. So ignoriere die Vorschrift etwa den Grundsatz der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen.306 Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB führe zudem zur Entstehung hinkender Statusverhältnisse und schaffe damit Rechtsunsicherheit.307 Ebenso würden durch die pauschale Unwirksamkeitslösung der Grundsatz von der Beachtlichkeit der Parteiinteressen sowie der Schutz der individuellen kulturellen Identität missachtet.308 bb) Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB Auch Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB lieferte bei seinem Inkrafttreten Anlass für Unmut. Dies betraf zunächst den Inhalt der von der Norm getroffenen Regelung. Die sich aus Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB i. V. m. § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB ergebende, nahezu zwingende Antragsstellung durch die zuständige Behörde wurde als wenig zweckmäßig empfunden.309 Die fehlende Flexibilität der Norm führe insbesondere dann zu unnötiger Bürokratie, wenn der Minderjährige unmittelbar vor der Volljährigkeit stehe – und somit die Ehe gem. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a BGB im Verfahren bestätigen könne – oder wenn ein unionsrechtlich relevanter Fall gegeben sei, bei dem jedenfalls die Härtefallklausel des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1b BGB eingreifen 303

Thorn, in: Palandt, Art. 13 EGBGB, Rn. 22. Zu diesen Unsicherheiten Rohe, StAZ 2018, 73, 75. 305 Erbarth, FamRB 2018, 338, 339; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1377 ff., der besonders auf das Fehlen eines für alle Körperschaften verbindliches Verfahren hinweist; Rohe, StAZ 2018, 73, 77; Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465, 469. 306 Reuß, FamRZ 2019, 1, 5; Coester-Waltjen, JZ 2017, 1073, 1075; dies., IPRax 2017, 429, 432; Gutmann, NVwZ 2019, 277, 281, der in diesen Regelungen einen „Export deutscher Leitkultur“ sieht; Gössl, Migration, 19, 21; Thorn, in: Palandt, Art. 13 EGBGB, Rn. 20, der in Hinblick auf das Kinderehen-Gesetz von „politischem Aktionismus“ spricht. 307 So insbesondere zu dem Fall der „unerkannt hinkenden Ehen“ Rauscher, FS Kren Kostkiewicz, 245, 254; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1377; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 432; Majer, NZFam 2019, 659, 660; Rohe, StAZ 2018, 73, 77; Weller/Thomale/Hategan/ Werner, FamRZ 2018, 1289, 1295; Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 584; Yassari/Möller, KJ 50 (2017), 269, 283. 308 Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 432; dies. im Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 1 GG in: von Münch/Kunig, Art. 6 GG, Rn. 22; vgl. auch Looschelders, RabelsZ 65 (2001), 463, 468. 309 Reuß, FamRZ 2019,1, 5; Weller/Thomale/Hategan/Werner, FamRZ 2018, 1289, 1297 f.; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 75; Otto, in: BeckOGK BGB, § 1314 BGB, Rn. 3. 304

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müsse.310 Speziell gegen die Härtefallklausel wurde argumentiert, dass diese, jedenfalls wenn man sie nach den vom Gesetzgeber genannten Beispielsfällen auslege, zu eng gefasst sei.311 Auch müssten die Fälle der Unionsrechtsverletzung losgelöst von der Härtefallklausel durch eine eigene tatbestandliche Ausnahmebestimmung geregelt werden. Dies ergebe sich daraus, dass die Vorschrift im Übrigen wegen des Vorrangs des Europarechts prinzipiell schon nicht anwendbar sei.312 Weiter wurde die Unklarheit der von Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB getroffenen Regelung kritisiert. Auch dies bezog sich vor allem auf die Auslegung der Härtefallklausel des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1b BGB. Insbesondere wurde hinterfragt, welche Umstände bei der Beurteilung der „schweren Härte“ beachtlich sein sollten.313 Die hierzu in der Gesetzesbegründung genannten Beispielsfälle stifteten dabei aufgrund der fehlenden Vergleichbarkeit untereinander – Suizid einerseits, Verletzung des Grundrechts auf Freizügigkeit andererseits – eher Verwirrung, als dass sie Klarheit schafften.314 Daneben wurde auch die Heilungsvorschrift des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a BGB als unvollkommen angesehen.315 So wurde etwa kritisiert, dass ein Hinweis darauf fehle, ob sich die von der Norm geforderte Volljährigkeit unselbstständig anhand des deutschen Sachrechts bestimme oder selbstständig nach Art. 7 EGBGB angeknüpft werde.316 Zudem wurde angemerkt, dass der Gesetzgeber es versäumt habe eine kollisionsrechtliche Verweisung für die Folgen der Eheaufhebung zu normieren.317 Dass die überwiegende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur hier von der Anwendbarkeit des § 1318 BGB ausgehe, lasse das Bedürfnis nach einer gesetzgeberischen Klarstellung nicht entfallen.318

310 Vgl. dazu die Rechtsprechung des OLG Oldenburg, Beschl. v. 18. 4. 2018 – 13 UF 23/18 = FamRZ 2018, 1152 (in der Vorinstanz: AG Nordhorn, Beschl. v. 29. 1. 2018 – 11 F 855/17 = FamRZ 2018, 750); ebenso AG Frankenthal, Beschl. v. 15. 2. 2018 – 71 F 268/17 = FamRZ 2018, 749 ff.; Bongartz, NZFam 2017, 541, 544; Evaluierung des Kinderehen-Gesetzes, 17 f.; Antomo, in: NomosKommentar BGB, § 1314 BGB, Rn. 4. 311 Stellungnahme des Bundesrates vom 12. 5. 2017, BR-Drucks. 275/15; Weller/Thomale/ Hategan/Werner, FamRZ 2018, 1289, 1297 f.; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 75; Antomo, in: NomosKommentar BGB, § 1315, Rn. 7. 312 Rohe, StAZ 2018, 73, 79; Bongartz, NZFam 2017, 541, 544; Rauscher, FS Kren Kostkiewicz, 245, 266; Schwab, FamRZ 2017, 1369, 1371. 313 Insbesondere wurde immer wieder die Frage relevant, ob der Vollzug der Ehe Beachtung finden könne, dazu noch zur alten Rechtslage Mankowski, FamRZ 2016, 1274, 1275; zu dieser Problematik Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 131. 314 Reuß, FamRZ 2019, 1, 4; Bongartz, NZFam 2017, 541, 544. 315 Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 76. 316 Rohe, StAZ 2018, 73, 78. 317 Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1379. 318 Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1379; hierzu besonders kritisch Rauscher, FS Kren Kostkiewicz, 245, 255.

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cc) Art. 229 § 44 EGBGB Kritisiert wurden auch die neu geschaffenen Überleitungsvorschriften des Art. 229 § 44 EGBGB. Auch hier wurde das Vorgehen des Gesetzgebers als zu pauschal erachtet.319 Ebenso beurteilte man die in Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB enthaltene Bezugnahme auf den gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland als willkürlich.320 Insbesondere aber wurde den Überleitungsbestimmungen ihre Unklarheit vorgeworfen. Dies betraf zunächst den Wortlaut der Norm: Hinsichtlich der Bezugnahme auf den „gewöhnlichen Aufenthalt“ in Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB wurde auf die Unsicherheiten verwiesen, die daraus resultierten, dass der Begriff gebietsspezifisch unterschiedlich ausgelegt werde.321 Insbesondere wurde auch hinterfragt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssten, damit von dem „Führen einer Ehe“ ausgegangen werden könne.322 Im Rahmen dieser begrifflichen Kritik wurde zudem angemerkt, dass auch bei Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB die Altersanknüpfung unklar sei. Für den Fall einer selbstständigen Anknüpfung wurde auf das in einigen ausländischen Rechtsordnung geltende Prinzip „Heirat macht mündig“ verwiesen.323 Die Überleitungsvorschrift würde in diesen Fällen dazu führen, dass Ehen von unter 16-Jährigen in Deutschland als geheilt und damit voll wirksam angesehen werden müssten.324 Weiter wurde kritisch beurteilt, dass der Gesetzgeber keine Klarstellung des Verhältnisses der Überleitungsvorschrift zur allgemeinen ordre public-Klausel des Art. 6 EGBGB getroffen habe.325 Dabei wurde angemerkt, dass die Anwendung des lex specialis-Grundsatzes zu dem inakzeptablen Ergebnis führe, dass wegen des Eingreifens der Heilungsvorschrift eine ordre public-widrige Ehe in Deutschland anerkannt werden müsse.326 Unsicherheit löste daneben auch die Frage nach den Folgen des Eingreifens der Heilungsvorschriften aus. Es wurde diskutiert, ob die 319 So zu einzelnen Aspekten Wellenhofer, in: MüKo BGB, Art. 229 § 44 EGBGB, Rn. 10; kritisch insgesamt auch Frie, FamRB 2017, 232, 236 f. 320 Frank, StAZ 2019, 129, 130; Bongartz, NZFam 2017, 541, 545; dagegen aber Wall, StAZ 2018, 96, 98, der dies als Ausprägung des für den ordre public erforderlichen Inlandsbezug ansieht. 321 Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 433; zu den Schwierigkeiten des gewöhnlichen Aufenthalts insbesondere bei Bürgerkriegsflüchtlingen auch Rauscher, FS Kren Kostkiewicz, 245, 259; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 76. 322 Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1375; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 433; SchulteBunert, FuR 2017, 641; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 77; von Hein, in: Juristische Studiengesellschaft Jahresband 2018, 29, 66. 323 Rauscher, FS Kren Kostkiewicz, 245, 258 f.; Wellenhofer, in: MüKo BGB, Art. 229 § 44 EGBGB, Rn. 11; so auch von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, § 4, Rn. 92. 324 Zu dieser Problematik auch Hohloch, in: Erman BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 41b; generell zur Heilungsmöglichkeit auch Frank, FS Vrellis, 287, 289 ff. 325 Auf diese Unklarheit verweist etwa Martiny, in: Prütting/Wegen/Weinreich, Art. 13 EGBGB, Rn. 16. 326 Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 432; anderer Ansicht Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1375, der von der Möglichkeit einer ordre public-Kontrolle anhand von Art. 6 EGBGB ausgeht.

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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geheilten Ehen als voll wirksam oder lediglich als aufhebbar anzusehen seien. Für letztere Ansicht wurde darauf verwiesen, dass die „ärgere Fallgruppe“ der Heirat unter 16 Jahren nicht aufgrund der Heilung milder gestellt werden dürfe als die Fälle der Heirat unter 18 Jahren.327 Zudem stieß auf Kritik, dass der deutsche Gesetzgeber eine Heilungsmöglichkeit allein für die unwirksamen, nicht aber für die aufhebbaren Ehen vorgesehen hat. Dies wurde insbesondere deshalb als „sonderbar“ beurteilt,328 weil es sich bei den Eheschließungen von unter 16-Jährigen um die gravierenderen Fälle handele, bei denen der Fortbestand der Ehe weniger wünschenswert sei. b) Der Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs (XII ZB 292/16) Gegen den mit dem Kinderehen-Gesetz eingeführten Art. 13 Abs. 3 EGBGB wurde – neben der dargestellten kollisions- und materiellrechtlichen Kritik – auch immer wieder der Vorwurf der Verfassungs-, Völker- und Unionsrechtswidrigkeit erhoben. Insbesondere die Unwirksamkeitsregelung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB wurde von vielen Stimmen als unvereinbar mit dem Ehegrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG, dem Kindeswohlprinzip aus Artt. 3, 12 UN-KRK sowie dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gem. Art. 8 EMRK erachtet.329 Zudem wurde auch auf eine mögliche Beeinträchtigung der unionsrechtlichen Freizügigkeitsgarantie durch die neue Gesetzgebung verwiesen.330 Entsprechende Bedenken kamen auch dem Bundesgerichtshof, als sich dieser wegen der vom OLG Bamberg zugelassenen Rechtsbeschwerde mit der syrischen Eheschließung befasste.331 Nach dem zwischenzeitlichen Inkrafttreten des Kinderehen-Gesetzes hätten die Richter nun Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zur Anwendung bringen müssen. Das Gericht äußerte jedoch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm. Das Verfahren wurde daher ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung des entscheidungserheblichen Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB vorgelegt. In ihrem Vorlagebeschluss bestätigten die Richter dabei zunächst die Entscheidung des OLG Bambergs dahingehend, dass die Ehe nach alter Rechtslage – somit unter Anwendung von Art. 6 EGBGB – keinen Verstoß gegen den deutschen 327

Vgl. zu dieser Problematik Wall, StAZ 2018, 96, 97 ff.; Gössl, Migration, 19, 34. Rauscher, FS Kren Kostkiewicz, 245, 257; Wall, StAZ 2018, 96, 97. 329 Zu Art. 6 Abs. 1 GG: Stellungnahme des Deutschen Familiengerichtstags zum Kinderehen-Gesetz (vgl. A. Fn. 2); Coester, FamRZ 2017, 77, 79; zu Artt. 3, 12 UN-KRK: Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 43; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1377; Coester, FamRZ 2017, 77, 79; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 431; zur Verletzung von Artt. 8, 12 EMRK: Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1377; Coester, FamRZ 2017, 77, 79; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 431; Siede, in: Palandt, Einf. v. § 1313 BGB, Rn. 2. 330 OLG Oldenburg, Beschl. v. 18. 4. 2018 – 13 UF 23/18 = FamRZ 2018, 1152 (in der Vorinstanz: AG Nordhorn, Beschl. v. 29. 1. 2018 – 11 F 855/17 = FamRZ 2018, 750); ebenso AG Frankenthal, Beschl. v. 15. 2. 2018 – 71 F 268/17 = FamRZ 2018, 749 ff.; Gutmann, ZAR 2021, 108, 112 f.; Keuter, FamRZ 2021, 473, 478; Junker, Internationales Privatrecht, § 18, Rn. 23. 331 BGH, Beschl. v. 14. 11. 2018 – XII 292/16 = FamRZ 2019, 181 ff. 328

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

ordre public dargestellt habe.332 Dies begründeten sie mit dem Fehlen einer klaren Altersgrenze bei der Anerkennung ausländischer Ehen sowie damit, dass es vorliegend keine Anhaltspunkte dafür gäbe, dass die Eheschließung dem Willen der Ehefrau widersprochen habe.333 Hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB äußerten die Richter zunächst Bedenken hinsichtlich einer möglichen Verletzung des Ehegrundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG.334 Dazu führten sie an, dass die typisierende Unwirksamkeitsregelung ohne sachlichen Grund in den Kernbereich der Ehe eingreife, indem sie den Paaren ohne Berücksichtigung der Einzelfallumstände die freie Gestaltung ihrer Ehe verweigere. Dabei sei auch das Fehlen von Rechtsfolgenregelungen zu beachten, ebenso wie die durch die Norm geschaffene Gefahr von Doppelehen. Weiter sah der Gerichtshof eine Verletzung des aus Art. 6 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG resultierenden Vertrauensschutzgrundsatzes gegeben.335 Die Richter qualifizierten Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB als Fall der so genannten „unechten Rückwirkung“, deren belastende Rechtsfolge erst nach Verkündigung des KinderehenGesetzes eingreife.336 Diese Form der Rückwirkung sei zwar grundsätzlich zulässig, die getroffene Maßnahme müsse jedoch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Dieser Anforderung werde Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB jedoch nicht gerecht, da die streitgegenständliche Ehe zum Zeitpunkt der Einreise des Paares auch nach deutschem Recht lediglich aufhebbar gewesen sei und somit ein schutzwürdiges Vertrauen des Paares bestehe. Zudem sei die Regelung auch zur Erreichung des Gesetzeszwecks – dem Schutz des Kindeswohls – nicht geeignet, da diese keinerlei Wirkung gegenüber der Eheschließung im Ausland entfalte.337 Daneben hielten die Richter auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes durch die Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB für möglich.338 Diese bewirke, dass die in Deutschland vor dem 22. Juli 2017 geschlossenen Ehen Minderjähriger wirksam blieben, während im Ausland geschlossene Ehen als unwirksam angesehen würden. Einen sachlichen Grund für diese Differenzierung konnten die Richter nicht erkennen. Zuletzt bezogen sich die Richter auf das aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG folgende staatliche Schutzgebot zugunsten des Kindeswohls.339 Dieses gewähre jedem Kind einen Anspruch auf Schutz und Achtung seiner Persönlichkeitsentfaltung und beinhalte auch ein Recht auf ein an den

332

BGH, FamRZ 2019, 181, 183 f. [Rn 39 ff.]. BGH, FamRZ 2019, 181, 184 [Rn. 42]. 334 BGH, FamRZ 2019, 181, 186 [Rn. 69 ff.]. 335 BGH, FamRZ 2019, 181, 186 f. [Rn. 71 ff.]. 336 Zur Abgrenzung echter und unechter Rückwirkungen und zur Kritik an dieser Qualifikation siehe unter E.II.1.a)aa)(2). 337 BGH, FamRZ 2019, 181, 187 [Rn. 75]. 338 BGH, FamRZ 2019, 181, 187 [Rn. 76 ff.]. 339 BGH, FamRZ 2019, 181, 187 f. [Rn. 81 ff.]. 333

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konkreten Bedürfnissen des jeweiligen Kindes orientiertes staatliches Verfahren. Dem werde die generelle Festlegung eines Ehemindestalters nicht gerecht. Dem Grunde nach wurde das Vorgehen des Gerichtshofs allgemein begrüßt.340 Dies überrascht wenig angesichts der bereits frühzeitig in der Literatur geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Kinderehen-Gesetzes. Einige Stimmen kritisierten jedoch die vom BGH zu den Grundrechtsverstößen vorgebrachten Begründungen.341 So wurde dem Gerichtshof ein zu ungenaues Vorgehen hinsichtlich der Eröffnung des Schutzbereiches sowie der Verletzung des Ehegrundrechts vorgeworfen. Es wurde angemerkt, dass der BGH sich bei seiner Argumentation teils auf unzutreffende Verweise stütze.342 Zudem wurde auch die Einschätzung der Richter, dass es sich bei Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB um einen Fall der unechten Rückwirkung handele, angezweifelt.343 Dem BGH wurde zudem mangelnder Argumentationsaufwand hinsichtlich der im Vorlagebeschluss zitierten völkerrechtlichen Normen der Artt. 3, 12 UN-KRK vorgeworfen.344 Weniger in grundrechtsdogmatischer als in praktischer Hinsicht wurde kritisiert, dass der BGH in seinem Vorlagebeschluss der vorinstanzlichen Tatsachenwürdigung gefolgt und mangels Anhaltspunkten für eine Zwangsehe von einer selbstbestimmten Eheschließung ausgegangen war. Bei dieser Annahme handele es sich wegen der fehlenden Aufklärbarkeit im Nachhinein um eine „kaum widerlegliche Vermutung, wenn nicht sogar einer Fiktion“.345 Zudem beziehe sich die Argumentation des Gerichtshofs, soweit sie die nachteiligen Folgen der Unwirksamkeitsregelung für aus der Ehe hervorgegangene Kinder sowie die Gefahr der Entstehung von Doppelehen betreffe, zu wenig auf die konkret streitgegenständliche Fallgestaltung.346 c) Der Beschluss des Bundesgerichtshofs (XII ZB 131/20) Eine weitere Änderung der Rechtslage zu Kinderehen erfolgte durch einen Beschluss des BGH vom 22. Juli 2020.347 Der Entscheidung lag eine im Jahr 2001 im Libanon geschlossene, nun aufzuhebende Ehe zugrunde. Beide Partner waren li340 Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 129; Hettich, FamRZ 2019, 188; Dutta, FamRZ 2019, 188, 190; Beitrag von Michaelsen am 4. 2. 2021 „Gut gemeint und schlecht gemacht – Das Gesetz zur Bekämpfung der Kinderehe vor dem Bundesverfassungsgericht“, Verfassungsblog.de, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/gut-gemeint-und-schlecht-gemacht/ (zuletzt abgerufen am 20. 5. 2021, 11.22 Uhr). 341 Rixen, JZ 2019, 628, 632 bezweifelt sogar, dass das BVerfG in der Sache hierzu entscheiden wird angesichts der „wenig eingehenden Argumentation des BGH mit den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstäben“. 342 Rixen, JZ 2019, 628, 629; Hettich, FamRZ 2019, 188. 343 Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 129. 344 Rixen, JZ 2019, 628, 629. 345 Rixen, JZ 2019, 628, 629. 346 Rixen, JZ 2019, 628, 629. 347 BGH, Beschl. v. 22. 7. 2020 – XII ZB 131/20 = FamRZ 2020, 1533 ff.

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banesische Staatsangehörige muslimischen Glaubens. Die Ehefrau, die zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits in Deutschland lebte, war bei der Heirat 16 Jahre alt, der Ehemann fünf Jahre älter. Die Ehefrau erwarb 2002 die deutsche Staatsangehörigkeit. Im gleichen Jahr zog der Ehemann nach Deutschland, wo das Paar 14 Jahre zusammenlebte und vier gemeinsame Kinder bekam. Diese lebten nach der Trennung im Jahr 2016 bei der Mutter. Das Paar hatte sich in Deutschland nach islamischen Recht scheiden lassen. Die Ehefrau äußerte zudem im Jahr 2018 im Rahmen einer Beurkundung vor einem Standesbeamten, dass sie die Ehe nicht fortsetzen wolle.348 Kurze Zeit später hatte die zuständige Verwaltungsbehörde gem. Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB, § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB einen Antrag auf Eheaufhebung gestellt. Das AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg lehnte diesen in erster Instanz ab.349 Begründend wurde darauf verwiesen, dass die Wirksamkeit von Ehen, die vor dem 22. Juli 2017 geschlossen wurden, anhand des bis dahin geltenden Rechts zu beurteilen sei. Doch auch bei Anwendbarkeit der aktuellen Rechtsnormen sei kein Aufhebungsgrund gegeben. Dies folge daraus, dass die Ehefrau durch das jahrelange Zusammenleben im volljährigen Alter sowie durch die gemeinsamen Kinder zu erkennen gegeben habe, die Ehe fortsetzen zu wollen. Es liege somit eine Bestätigung der Ehe gem. § 1316 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BGB vor. Das Kammergericht lehnte die Aufhebung der Ehe in zweiter Instanz ebenfalls ab, stützte sich dabei aber auf den Umstand, dass die Behörde wegen der durch die Ehefrau erteilten Bestätigung nicht antragsberechtigt und der Antrag daher unzulässig sei.350 Befasst mit dieser Fragestellung gelangte der BGH im Ergebnis ebenfalls zur Erfolglosigkeit des Aufhebungsantrags.351 Den beiden von den Vorinstanzen gewählten Begründungsansätzen erteilten die Richter jedoch eine Absage: Hierzu wurde, nachdem das Gericht die Wirksamkeit der Ehe aus Sicht des libanesischen Rechts bestätigt hatte,352 darauf verwiesen, dass die Überleitungsnormen des Art. 229 § 44 Abs. 1, Abs. 2 EGBGB entgegen der vom AG vertretenen Ansicht auch nicht entsprechend auf die Fälle des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB anzuwenden seien.353 Dies verdeutliche bereits der Wortlaut der Vorschrift, der sich auf § 1303 BGB a. F. beziehe. Dieser sei jedoch nur für Eheschließungen unter Beteiligung eines deutschen Personalstatuts maßgeblich gewesen. Eine analoge Anwendung der Überleitungsvorschriften auf die Fälle des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB scheitere an dem entgegenstehenden eindeutigen Willen des Gesetzgebers. Auf die vorliegende Fallgestaltung fänden daher Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB sowie die Vorschriften der 348

BGH, FamRZ 2020, 1533 [Rn. 2 f.]; vgl. dazu auch Andrae, IPRax 2021, 522, 523. AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg, Beschl. v. 14. 11. 2018 – 160 F 13324/18 = BeckRS 2018, 53363. 350 KG, Beschl. v. 17. 2. 2020 – 3 UF 173718 = BeckRS 2020, 19312. 351 BGH, FamRZ 2020, 1533 [Rn. 5]. 352 BGH, FamRZ 2020, 1533 [Rn. 8]. 353 BGH, FamRZ 2020, 1533, 1535 [Rn. 20 ff.]. 349

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§§ 1313 ff. BGB in ihrer aktuellen Fassung Anwendung. Der behördliche Antrag sei entgegen der Auffassung des KG auch zulässig, da die Frage nach der Antragsberechtigung im Rahmen der Begründetheit zu prüfen sei.354 Hiermit befasst, stellten die Richter zudem die Anforderungen an eine Bestätigung der Ehe klar.355 Diese setze voraus, dass dem vormals Minderjährigen der rechtliche Mangel und die daraus folgende Aufhebbarkeit der Ehe bewusst sei. Zudem müsse er durch sein Verhalten deutlich machen, auf ein mögliches Aufhebungsrecht zu verzichten. Das Gericht stellte dazu fest, dass dem Verhalten der Ehefrau kein entsprechender Erklärungswert zukomme. Dies begründete das Gericht damit, dass es keinerlei Hinweise darauf gebe, dass die Ehefrau Zweifel an der Wirksamkeit ihrer Ehe gehabt habe. Weiter prüften die Richter die Anwendbarkeit der Härtefallklausel des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1b BGB.356 Da keine der von der Gesetzesbegründung vorgegebenen Fallgruppen einschlägig war, lehnten sie dies ab. Dennoch gelangte das Gericht im Ergebnis zur Wirksamkeit der Ehe. Möglich wurde dies, indem die Richter sich dafür aussprachen, § 1314 BGB als echte Ermessensvorschrift zu verstehen.357 Zur Unterstützung dieser Auffassung verwiesen sie einerseits auf den Wortlaut der Norm, andererseits auf die Gesetzessystematik: So sei zu beachten, dass der Gesetzgeber die behördliche Antragsstellung eindeutig obligatorisch ausgestaltet habe („muss“), während die letztliche Aufhebung scheinbar weiterhin im Einschätzungsspielraum der Gerichte stehe. Dies verdeutliche die Verwendung des „Kann“-Begriffs.358 Neben diesen systematischen Erwägungen sprächen vor allem auch verfassungsrechtliche Überlegungen für ein Verständnis des § 1314 BGB als Ermessensnorm. Dies beruhe auf dem Prinzip der verfassungskonformen Auslegung.359 Danach sei bei mehreren Verständnismöglichkeiten diejenige zu wählen, die zur Verfassungsmäßigkeit der Norm führe. Das Gericht verlieh dabei seiner Auffassung Ausdruck, dass bei einem Verständnis der Norm als obligatorisch von deren Verfassungswidrigkeit auszugehen sei.360 Dies beruhe darauf, dass die Existenz der Überleitungsvorschriften für Ehen, die vor dem 22. Juli 2017 in Deutschland aufgrund eines Dispenses geschlossen würden, zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung gegenüber ausländischen Ehen mit einer gleichwertigen Befreiung führen würde.361 Gleiches gelte für die Ehe der über 16-Jährigen gegenüber den Fällen des Art. 229 § 44 EGBGB. Danach würden Ehen von unter 16-Jährigen, die vor Inkrafttreten des Gesetzes bereits volljährig geworden seien, anhand der alten Rechtslage und somit anhand der all354 355 356 357 358 359 360 361

BGH, FamRZ 2020, 1533, 1535 f. [Rn. 25 ff.]. BGH, FamRZ 2020, 1533, 1536 [Rn. 28 f.]. BGH, FamRZ 2020, 1533, 1536 [Rn. 31]. BGH, FamRZ 2020, 1533, 1536 f. [Rn. 33 ff.]. BGH, FamRZ 2020, 1533, 1536 [Rn. 39]. BGH, FamRZ 2020, 1533, 1537 f. [Rn. 42 ff.]. BGH, FamRZ 2020, 1533, 1537 f. [Rn. 44 ff.]. BGH, FamRZ 2020, 1533, 1537 f. [Rn. 45].

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gemeinen Vorbehaltsklausel beurteilt. Eine entsprechende Regelung für die Fälle des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB fehle.362 Ebenso würde die zwingende Aufhebbarkeit gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht Minderjähriger verstoßen, welches eine Berücksichtigung fallbezogener Besonderheiten erforderlich mache. Schließlich sei auch der aus Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitete Vertrauensschutzgrundsatz in diesen Fällen zu beachten. Diese Erwägungen führten dazu, dass § 1314 BGB im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung als echte Ermessensnorm verstanden werden müsse.363 Einschränkend fügten die Richter jedoch hinzu, dass der Beurteilungsspielraum der Gerichte bei der Aufhebung verkürzt werden müsse, um die hinter der Kinderehen-Gesetzgebung stehenden gesetzgeberischen Motive sicherzustellen. Die Eheaufhebung solle bei Eheschließungen unter 18-Jähriger weiterhin der Regelfall bleiben, von dem nur abgewichen werden könne, wenn gewichtige Anhaltspunkte gegen die Beendigung der Ehe sprächen.364 Hinsichtlich der im Libanon geschlossenen Ehe gelangten die Richter dabei zu dem Ergebnis, dass ein solcher Ausnahmefall vorliege. Sie begründeten dies damit, dass die Frau inzwischen 35 Jahre alt sei, lange Jahre mit dem Ehemann zusammengelebt und gemeinsame Kinder bekommen habe. Auch sei aus Sicht des Gerichts zu berücksichtigen, dass die Trennung von der Ehefrau ausgegangen sei und diese bereits einen neuen Partner habe. Die Ehefrau erscheine unabhängig und frei in ihren Entscheidungen. Es wurde daher festgestellt, dass die Ehe von Anfang an wirksam gewesen sei. Eine Auflösung dieser Ehe durch eine Scheidung sei möglich.365 Durch den Beschluss des BGH wurde die Rechtslage zur Aufhebung von Kinderehen erheblich modifiziert.366 Während diese bislang im Grunde zwingend aufzuheben waren und nur im Rahmen der engen Härtefallklausel Abweichungen zulässig waren,367 wurde durch das vom BGH vorgegebene Verständnis von § 1314 BGB als Ermessensnorm eine echte Möglichkeit zur Berücksichtigung der Einzelfallumstände geschaffen.368 Dies wirkt sich einerseits praktisch für die von Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB betroffenen Paare aus. Andererseits hat sich damit aber auch das Gros der an der Norm geäußerten Kritik überholt. Dies wird bei der späteren Beurteilung der Norm zu berücksichtigen sein.369

362

BGH, FamRZ 2020, 1533, 1537 f. [Rn. 46]. BGH, FamRZ 2020, 1533, 1537 f. [Rn. 49]. 364 BGH, FamRZ 2020, 1533, 1538 [Rn. 50]. 365 BGH, FamRZ 2020, 1533, 1538 [Rn. 52]. 366 Zu diesem Beschluss auch Gutmann, ZAR 2021, 108, 113; Dürbeck, ZKJ 2021, 31 f.; Wagner, FamRZ 2021, 1266, 1270. 367 Vgl. dazu unter C.II.3.c)bb). 368 Kritisch zur Auslegung von § 1314 Abs. 1 lit. a) als echte Ermessensnorm Antomo, FamRZ 2020, 1538, 1539; dies., in: NomosKommentar BGB, § 1314 BGB, Rn. 4; Löhnig, NJW 2020, 3777, 3783. 369 Siehe dazu unter E.II.2. 363

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5. Praktische Relevanz a) Die bisherige Relevanz in der gerichtlichen Praxis Die Praxis seit Inkrafttreten des Kinderehen-Gesetzes bestätigt den vom Gesetzgeber prophezeiten Anstieg von Fällen verheirateter Minderjähriger vor deutschen Gerichten. Dabei lagen etwa gleich viele Fälle unwirksamer und aufhebbarer Ehen vor.370 Die Rechtsprechung führt dabei vor allem die Mängel der neuen Regelungen vor Augen. Diese decken sich teils mit der bereits von der Literatur geäußerten Kritik, teils werden neue Schwachpunkte deutlich. Auch die vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz im Jahr 2020 durchgeführte Evaluierung des Kinderehen-Gesetzes bestätigt diese Ergebnisse.371 So stellte sich in der Praxis etwa die Frage, wie damit umzugehen sei, wenn die beteiligten „Ehepartner“ die Unwirksamkeit ihrer Ehe nach deutschem Recht nicht anerkannten. Das Kinderehen-Gesetz beinhaltet hierfür kein spezifisches Verfahren. Dies mag damit zu begründen sein, dass die Eheunwirksamkeit kraft Gesetzes eintritt. Der Gesetzgeber schien daher anzunehmen, dass weitere Feststellungen hierzu nicht nötig seien. Zwar bietet das geltende Recht hier mit §§ 121 ff. FamFG die Möglichkeit, ein Feststellungsverfahren über den Bestand der Ehe einzuleiten. Antragsberechtigt sind dabei jedoch primär die Eheleute selbst. Gerade in den Fällen der ausländischen Kinderehen wird es jedoch wohl eher selten zu einer Antragsstellung von Seiten der Parteien kommen, da sie sich jedenfalls teilweise der Unwirksamkeit ihrer Ehe nicht bewusst sein werden. Ob und gegebenenfalls auf welcher rechtlichen Grundlage eine Behörde ein entsprechendes Feststellungsverfahren einleiten kann, musste daher bislang von den Gerichten selbst beantwortet werden. Das AG Kassel hat sich diesbezüglich dazu 370 Vgl. dazu die gesetzgeberische Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 6, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Externe Dokumente/Evaluierung_Gesetz_Kinderehen_Gesamtbericht.pdf?__blob=publicationFi le&v=1 (zuletzt abgerufen am 4. 12. 2020, 17.46 Uhr); zur Eheaufhebung: AG Frankenthal, Beschl. v. 15. 2. 2018 – 71 F 268/17 = FamRZ 2018, 331; OLG Oldenburg, Beschl. v. 18. 4. 2018 – 13 UF 23/18 = FamRZ 2018, 1152 ff. sowie in der Vorinstanz AG Nordhorn, Beschl. v. 19. 1. 2018 – 11 F 855/17 E1 = FamRZ 2018, 750; OLG Frankfurt, Beschl. vom 28. 8. 2019 – 5 UF 97/19 = FamRZ 2019, 1853 ff.; OLG Frankfurt, Beschl. v. 11. 1. 2019 – 5 UF 172/18 = FamRZ 2019, 1530 f. (zur alten Rechtslage); AG Mainz, Beschl. v. 27. 2. 2018 – 35 F 5/18; AG Bremen, 22. 6. 2018 – 60 F 185/18 E1; AG Lüdenscheid, 10. 7. 2018 – 5 F 393/18; AG Ludwigshafen am Rhein, Beschl. v. 25. 7. 2018 – 5c F 160/18; AG Ahaus, Beschl. v. 12. 9. 2018 – 12F 59/18; AG Bremen-Blumenthal, Beschl. v. 15. 2. 2019, 71a F 162/18 E1; AG Herford, Beschl. v. 30. 8. 2018 – 14 F 555/18; sowie der bereits erwähnte Beschluss des BGH vom 22. 7. 2020 (XII ZB 131/20) = FamRZ 2020, 1533; zur Eheunwirksamkeit: VG Berlin, Urt. v. 28. 9. 2018 – 3 K 349.16 V; VG Berlin, Urt. v. 19. 1. 2018 – 28 K 418.16 V; VG Berlin, Beschl. v. 30. 11. 2017 – 5 L 550. 17 V = FamRZ 2018, 1466 ff.; AG Kassel, Beschl. v. 7. 3. 2018 – 524 F 3451/17 = FamRZ 2018, 1149 ff.; AG Fürth, Beschl. v. 19. 6. 2019 – 4F 425/18 = NZFam 2020, 490. 371 Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, veröffentlicht am 14. 8. 2020, alle Unterlagen dazu abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsver fahren/DE/Bekaempfung_Kinderehe.html (zuletzt abgerufen am 6. 12. 2020, 13.10 Uhr).

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

entschieden, einen behördlichen Feststellungsantrag gerichtet auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Ehe zuzulassen.372 Das Gericht ging dabei von einem berechtigten Feststellungsinteresse der Behörde aus. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass durch ein entsprechendes Verfahren der Rechtsschein einer wirksamen Ehe beseitigt werden könne. Dass an dieser Einschätzung des AG Kassel Kritik geübt wurde,373 veranschaulicht die Unklarheiten bezüglich der Behandlung dieser Fälle und macht zugleich das Bedürfnis nach gesetzgeberischer Klarstellung deutlich. Insgesamt kam es in neun Fällen zu derartigen Verfahren, wobei dies allein nach ausländischem Recht geschlossene Ehen betraf. In etwa gleich vielen Fällen erfolgte die Antragsstellung dabei durch die Ehefrau wie durch die zuständige Behörde.374 Weiter hat sich hinsichtlich der Aufhebungslösung gezeigt, dass diese im wesentlichen Paare aus Osteuropa erfasst.375 Die daraus resultierende Unionsrechtsrelevanz der Fälle hat zu Schwierigkeiten im Umgang mit diesen Sachverhalten geführt. Einigkeit bestand dabei dahingehend, dass eine Ehe im Ergebnis dann nicht aufgehoben werden soll, wenn dies eine Verletzung des unionsrechtlich garantierten Freizügigkeitsrechts darstellt. Unklar war jedoch, zu welchem Zeitpunkt des Aufhebungsverfahrens diese Erwägungen zu berücksichtigen seien. Während das AG Frankenthal, im Vorgriff auf die spätere BGH-Rechtsprechung, bereits die Vorschrift des § 1314 BGB als Ermessensvorschrift auslegte (aufgrund des Wortlauts „kann“) und die unionsrechtliche Relevanz somit bereits bei der Antragstellung berücksichtigt wissen wollte,376 sprachen andere sich dafür aus, diese Gesichtspunkte erst im Rahmen der Härtefallklausel des § 1315 Abs. 1 Nr. 1b BGB zu berücksichtigen.377 Diese Lösung entspricht zwar der Gesetzesbegründung, musste sich jedoch die Kritik gefallen lassen, dass bereits die Antragsstellung durch die Behörde und das dadurch ausgelöste Verfahren eine Verletzung der Freizügigkeit darstellten.378 Daher wurde zum Teil eine Ausnahmevorschrift für Fälle mit Unionsrechtsbezug gefordert.379 Insgesamt kam es nur in etwa jedem zehnten Aufhebungsverfahren tatsächlich zu einer Abwicklung der Ehe.380 Diese Fälle betrafen dabei allein auslän372 AG Kassel, Beschl. v. 7. 3. 2018 – 524 F 3451/17 E1 = FamRZ 2018, 1149 ff.; vgl. dazu auch Wagner, FamRZ 2021, 1266, 1268. 373 Zur Kritik Dutta, FamRZ 2018, 1150, 1151, der sich vor allem gegen die Antragsbefugnis der Behörde wendet; Erbarth, FamRB 2018, 338, 340. 374 Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 6; Wagner, FamRZ 2021, 1266, 1268 f. 375 Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 6. 376 AG Frankenthal, Beschl. v. 15. 2. 2018 – 71 F 268/17 = FamRZ 2018, 749. 377 OLG Oldenburg, Beschl. v. 18. 4. 2018 – 13 UF 23/18 = FamRZ 2018, 1152 ff.; AG Nordhorn, Beschl. v. 29. 1. 2018 – 11 F 855/17 E1 = FamRZ 2018, 750 f.; so auch Löhnig, FamRZ 2018, 749, 750; Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 129. 378 Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 435; dies., IPRax 2019, 127, 130; Antomo, in: NomosKommentar BGB, § 1314, Rn. 4. 379 Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 9. 380 Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 5.

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dische Ehen; zu der Aufhebung einer nach deutschem Recht geschlossenen Ehe kam es nicht. Die vom Gesetzgeber intendierte strenge Auslegung der Härtefallklausel hat sich in der Praxis der Gerichte nicht durchsetzen können. Anstatt sich allein an den vorgegebenen Fällen der schweren Krankheit, Suizidgefahr oder Unionsrechtswidrigkeit zu orientieren, sind die Gerichte dazu übergegangen, auch andere Aspekte, wie etwa den Wunsch nach dem Fortbestand der Ehe, der Existenz eines gemeinsamen Kindes oder den Umstand, dass das Paar erklärte, nach der Aufhebung sofort erneut die Ehe schließen zu wollen, im Rahmen von § 1315 Abs. 1 Nr. 1b BGB zu berücksichtigen.381 Dies führt dazu, dass die Aufhebungslösung sich insgesamt als nur wenig wirksam im Vorgehen gegen Kinderehen erwiesen hat. So wird es auch von der Gesetzes-Evaluierung bestätigt, welche zu dem Ergebnis gelangt, dass „die Aufhebbarkeit von Ehen nach deutschem Recht […] auf im Ausland wirksam geschlossene Ehen insgesamt wenig Einfluss [hat]“.382 Auch bestätigte sich in der Praxis der von der Literatur bereits prophezeite Unwillen der Paare gegenüber den deutschen Maßnahmen. So meldeten die Jugendämter, dass die betroffenen Paare „aufgrund der Traditionen im Herkunftsland und der kulturellen Lebenswirklichkeit das Vorgehen der deutschen Behörden oft nicht nachvollziehen können“ und dadurch in familiäre und kulturelle Konfliktlagen gerieten.383 b) Ausblick Die seit dem Jahr 2017 stetig abnehmende Zahl der Asylanträge in Deutschland lässt zunächst vermuten, dass dies auch für eine geminderte Häufigkeit von Kinderehen vor deutschen Gerichten spricht.384 Bei diesen Überlegungen müssen jedoch weitere Aspekte berücksichtigt werden: Zunächst ist aufgrund der unsicheren politischen Lage im Nahen Osten keineswegs sicher, ob es bei einem verminderten Zustrom Geflüchteter aus diesen Regionen bleibt. Zwar ist aufgrund der Verschärfung der Regularien zur Migration nicht mit Flüchtlingszahlen zu rechnen, die mit denen aus den Jahren 2015 und 2016 vergleichbar wären. Dennoch stellen die zukünftigen politischen Umstände in den Hauptherkunftsländern einen instabilen Faktor dar, der einer sicheren Prognose über die künftigen Zuwanderungszahlen und 381 Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 8; Wagner, FamRZ 2021, 1266, 1268 f. 382 Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 8. 383 Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 8. 384 Anzahl von Asylanträgen in Deutschland im Jahr 2015 gesamt: 476.649; im Jahr 2016 gesamt: 745.545; im Jahr 2017 gesamt: 222.684; im Jahr 2018: 185.853; im Jahr 2019 (Januar – Juni): 84.866; im Jahr 2020 (bis November): 93.758 Erstanträge, vgl. die „Aktuellen Zahlen“ des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, abrufbar unter: https://www.bamf.de/Shared Docs/Anlagen/DE/Statistik/AsylinZahlen/aktuelle-zahlen-november-2020.pdf?__blob=publica tionFile&v=3 (zuletzt abgerufen am 10. 12. 2020, 12.29 Uhr).

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

der damit im Zusammenhang stehenden Befassung der Gerichte entgegensteht.385 Zudem muss bei den Überlegungen hinsichtlich der zukünftigen Relevanz der Kinderehen berücksichtigt werden, dass zwar die Zahl der Asylanträge sinkt, die Anzahl der Eheschließung unter Beteiligung Minderjähriger in den Hauptherkunftsländer in Folge politischer Unruhen jedoch ansteigt.386 Diese Tendenz wird vor allem mit Versorgungs- und Schutzerwägungen hinsichtlich der verheirateten, überwiegend weiblichen Minderjährigen begründet. Daneben zeigt sich auch die Covid 19-Pandemie als Motor für vermehrte Eheschließungen mit Minderjährigen.387 Eine sichere Prognose über die zukünftige Relevanz der neuen kollisionsrechtlichen Regelungen scheitert aber vor allem an dem vor dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren. Ob und in welchem Umfang das Kinderehen-Gesetz der verfassungsrechtlichen Prüfung standhält, wird ausschlaggebend sein für dessen zukünftige praktische Bedeutung.

III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E Einen weiteren besonderen ordre public-Vorbehalt im Bereich des Internationalen Eheschließungsrechts enthält der vom Freistaat Bayern eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Mehrehe.388 Das Gesetzgebungsvorhaben befasst sich – wie bereits aus dem Titel des Entwurfs deutlich wird – mit der Schließung und Anerkennung von polygamen Ehen in Deutschland. Bevor die deutsche Rechtslage de lege lata und die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen untersucht werden, ist zu klären, was unter den Begriff der Polygamie zu verstehen ist. Dieser soll auch zur Bigamie abgegrenzt werden. Ebenso wird der Frage nachgegangen, in welchen Teilen der Welt diese Lebensformen aktuell noch gelebt werden und womit dies zu begründen ist. 385

Hauptherkunftsländer in Januar bis Juni 2019 waren Syrien, Irak und Nigeria, vgl. die „Aktuellen Zahlen“ des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (abrufbar siehe Fn. 384). 386 Vgl.: https://www.humanium.org/de/syrien/ (zuletzt abgerufen am 3. 9. 2019, 8.25 Uhr); https://www.sos-kinderdoerfer.de/presse/pressemitteilungen/immer-mehr-zwangsheiraten-kin derehen-syrische-fluc (zuletzt abgerufen am 3. 9. 2019, 8.20 Uhr); Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte (vgl. A. Fn. 2); Yassari/Möller, KJ 50 (2017), 269, 270; auf den Zusammenhang zwischen politischen Unruhen und Kinderehen verweist auch Max Planck Institut für Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 725 f. 387 Vgl. dazu die Neue Züricher Zeitung vom 3. 12. 2020, „Kinderehen nehmen während Corona erstmals seit Jahrzehnten wieder zu“, abrufbar unter: https://www.nzz.ch/international/ kinderehen-mehr-verheiratete-minderjaehrige-wegen-corona-ld.1585140 (zuletzt abgerufen am 3. 12. 2020, 13.22 Uhr); davon geht auch UNICEF aus, vgl. https://data.unicef.org/resources/ covid-19-a-threat-to-progress-against-child-marriage/ (zuletzt abgerufen am 16. 6. 2021, 17.46 Uhr) sowie https://www.unicef.org/press-releases/10-million-additional-girls-risk-childmarriage-due-covid-19 (zuletzt abgerufen am 16. 6. 2021, 17.46 Uhr). 388 BR-Drucks. 249/18.

III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E

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Der Begriff der „Polygamie“ fungiert als übergeordnete Bezeichnung für die so genannte Polygynie (ein Mann ist mit mehreren Frauen verheiratet) sowie die Polyandrie (eine Frau ehelicht mehrere Männer). Faktisch existiert die Polygamie dabei nahezu ausschließlich in Form der Polygynie. Polyandrie ist aktuell nur sehr vereinzelt in einigen afrikanischen Stammeskulturen zu finden.389 Zudem konnten polyandrische Lebensformen in der Vergangenheit kurzzeitig im Hochland Tibets festgestellt werden.390 Aufgrund dieses faktischen Überwiegens der Polygynie wird sich die Arbeit im weiteren Verlauf auf diese Erscheinungsform der Polygamie beschränken. Im Zusammenhang mit Mehrehen und Polygamie stößt man zudem auf den Begriff der Bigamie. Hiervon ist, in Anschluss an Mankowski, dann zu sprechen, wenn ein bereits verheirateter Ehepartner unter Geltung eines monogamen Ehestatuts erneut heiratet.391 Polygame Ehen sind vor allem ein Phänomen islamisch geprägter Länder.392 Dies ist mit dem mittel- oder unmittelbaren Bezug zu begründen, der zwischen den Rechtsordnungen dieser Länder und den Schriften des Korans besteht.393 Letzterer geht von der Zulässigkeit polygamer Ehen aus. Dies wird etwa aus Sure 4, Vers 3 deutlich. Diese lautet: Und wenn ihr befürchtet, nicht gerecht hinsichtlich der Waisen zu handeln, dann heiratet, was Euch an Frauen gut scheint, zwei, drei oder vier. Wenn ihr aber befürchtet, nicht gerecht zu handeln, dann (nur) eine oder was eure rechte Hand besitzt. Das ist eher geeignet, dass ihr nicht ungerecht seid.394

Weiter verweist auch Sure 4, Vers 130 auf ein Nebeneinander mehrerer Ehefrauen: Und Ihr könnt zwischen den Frauen keine Gerechtigkeit üben, so sehr Ihr es auch wünschen möget.

Sure 4, Vers 3 wird dabei dahingehend verstanden, dass die zulässige Anzahl von Ehefrauen auf vier beschränkt ist. Auch eine solche Mehrehe ist jedoch nur dann gestattet, wenn der Ehemann nachweisen kann, alle seine Ehefrauen sowie potentiell aus der Ehe hervorgehende Kinder versorgen zu können.395 Trotz dieses grundsätzlichen Anerkenntnisses der Polygamie ist in den islamisch geprägten Staaten in den letzten Jahren eine Abkehr gegenüber Mehrehen festzustellen.396 Vielfach wird 389

Mankowski, FamRZ 2018, 1134, 1136. Coester-Waltjen/Coester, FS Hahne, 21, 24. 391 Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 233. 392 Dethloff, FS Schwenzer, 409, 412; Coester/Coester-Waltjen, FamRZ 2016, 1618, 1619 ff.; eine vollständige Auflistung der die Polygamie gestattenden Länder findet sich auch bei Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 239 ff.; Helms, StAZ 2012, 2. 393 Dazu Yassari, FamRZ 2011, 1, 2; dies., ZVglRWiss 103 (2004), 103, 106 ff.; Scholz, StAZ 2002, 321 f. 394 Zitiert nach Ahmad, Der Heilige Qur-Ân. 395 Lenz, FuR 2017, 597, 602. 396 Frick, Ordre public und Parteiautonomie, 99. 390

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

die Eingehung einer Zweit-, Dritt- oder Viertehe nur bei Erfüllung bestimmter formaler Bedingungen gestattet.397 Einige Länder haben sich sogar bereits ganz von der Polygamie verabschiedet.398 Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine große Anzahl polygamer Bestandsehen existiert und diese Ehen auch weiterhin geschlossen werden. Die genaue Anzahl der in Deutschland gelebten polygamen Ehen ist dabei nicht bekannt. Dies beruht auf dem Umstand, dass derartige Ehen häufig nicht vor einem Standesbeamten geschlossen, sondern in privaten, rein religiösen Trauungen eingegangen werden (so genannte Imam-Ehen).399 Solche Eheschließungen werden in Deutschland jedoch wegen des obligatorischen Charakters der Ziviltrauung nicht registriert. Nach diesen grundsätzlichen Ausführungen zu polygamen Ehen, soll die Erforderlichkeit einer diesbezüglichen spezialgesetzlichen Regelung untersucht werden. Dafür wird zunächst die deutsche Rechtslage de lege lata beleuchtet. Im Anschluss wird die Genese des bayrischen Gesetzesentwurfs nachvollzogen und die darin vorgeschlagenen inhaltlichen Änderungen und die dahinterstehende Motivation dargestellt. Abschließend wird die gegen das Vorhaben geäußerte Kritik aufgezeigt. 1. Die aktuelle Rechtslage zu polygamen Ehen Bei der Darstellung der aktuellen Rechtslage zu Mehrehen muss zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen dieser Thematik unterschieden werden. So soll zunächst die Frage beantwortet werden, ob Paare unter der (jedenfalls einseitigen) Beteiligung eines deutschen Eheschließungsstatuts eine Ehe eingehen können, obwohl einer der Beteiligten bereits verheiratet ist. Im Anschluss wird die Rechtslage erläutert, die gilt, wenn auf beide Partner ein Eheschließungsstatut Anwendung findet, welches Mehrehen gestattet. Hier wird zwischen den Fällen einer Heirat im Inland und einer bereits erfolgten Eheschließung im Ausland zu unterscheiden sein. Abschließend wird beleuchtet, wie der Fall, dass ein Ehegatte mit polygamem Eheschließungsstatut, der in erster Ehe mit einer Deutschen verheiratet ist, eine wirksame weitere Ehe mit einer Frau schließt, auf die ebenfalls ein polygames Eheschließungsstatut Anwendung findet, einzuordnen ist. Das deutsche Recht wird in diesen Fallkonstellationen stets als Beispiel einer monogamen Rechtsordnung herangezogen.

397

Scholz, StAZ 2002, 321, 332. Namentlich die Türkei und Tunesien, Scholz, StAZ 2002, 321, 332. 399 Positionspapier von Terre des Femmes – Menschrechte für Frauen e. V. zu Polygamie in der Bundesrepublik Deutschland, 1, abrufbar unter: https://www.frauenrechte.de/images/down loads/allgemein/Positionspapier-Polygamie-Bundesrepublik-Deutschland.pdf (zuletzt abgerufen am 18. 6. 2021, 18.09 Uhr). 398

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a) Eheschließung unter Beteiligung eines deutschen Eheschließungsstatuts Sofern bei einer Eheschließung im In- oder Ausland einer der Beteiligten die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB für dessen Ehefähigkeit das deutsche materielle Eherecht maßgeblich. Dieses sieht in § 1306 BGB vor, dass „eine Ehe nicht geschlossen werden [darf], wenn zwischen einer der Personen, die die Ehe miteinander eingehen wollen, und einer dritten Person eine Ehe oder eine Lebenspartnerschaft besteht“. Bei § 1306 BGB handelt es sich um ein zweiseitiges Ehehindernis.400 Daraus folgt, dass die Vorschrift nicht nur dann eingreift, wenn deutsche Staatsbürger zum Zeitpunkt der beabsichtigten Eheschließung bereits verheiratet sind, sondern auch dann, wenn diese beabsichtigen, eine bereits verheiratete Person zu heiraten. In beiden Fällen ist wegen § 1306 BGB eine Eheschließung nicht möglich. Aus dieser Ausgestaltung des materiellen Rechts folgt, dass bei Beteiligung eines deutschen Eheschließungsstatuts die Eingehung einer aktuell polygamen Ehe, sprich das Heiraten bei bereits bestehender Ehe, ausgeschlossen ist.401 Etwas anderes gilt für so genannte potentiell polygame Ehen. Dies bezeichnet Verbindungen, bei denen ein oder sogar beide Ehepartner über ein Eheschließungsstatut verfügen, welches Mehrehen gestattet, sie von dieser Möglichkeit jedoch (bislang) keinen Gebrauch gemacht haben. Die Eingehung einer solchen potentiell polygamen Ehe wird vom deutschen Recht als zulässig erachtet.402 Ein Eingreifen des ordre public-Vorbehalts wird hier für nicht erforderlich gehalten, da „die bloße Möglichkeit einer verfänglichen Entwicklung der Dinge“ nicht ausreicht.403 Aus verfassungsrechtlicher Sicht wäre ein solches Verbot zudem unter dem Aspekt der durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Eheschließungsfreiheit bedenklich.404 Umgekehrt bestünde sogar die Möglichkeit, Art. 6 EGBGB zum Schutz der Eheschließungsfreiheit zur Anwendung kommen zu lassen, wenn ein anzuwendendes monogames Eheschließungsstatut die Eingehung einer potentiell polygamen Ehe versagt.405 b) Eheschließung ohne Beteiligung eines deutschen Eheschließungsstatuts Deutsche Gerichte und Behörden können zudem mit solchen polygamen Ehen befasst sein, an denen kein deutsches Eheschließungsstatut beteiligt ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Eingehung einer zweiten Ehe vor einem deutschen Stan400

Wellenhofer, in: MüKo BGB, § 1306 BGB, Rn. 2. Coester, in: Staudinger, § 1306 BGB, Rn. 6. 402 Scholz, StAZ 2002, 321, 333. 403 Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 248; von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, § 4, Rn. 115. 404 Coester/Coester-Waltjen, FamRZ 2016, 1618, 1624. 405 Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 247. 401

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desbeamten beabsichtigt wird. Weiter kann sich die Frage nach der Anerkennung einer im Ausland geschlossenen polygamen Ehe auch als Vorfrage bei zivil- oder öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten stellen. aa) Eheschließungen im Inland Sofern eine verheiratete Person die Schließung einer weiteren Ehe in Deutschland anstrebt, richtet sich deren Zulässigkeit grundsätzlich nach dem Recht der Staatsangehörigkeit. Sofern die am Sachverhalt beteiligten Eheschließungsstatuten die Möglichkeit einer polygamen Eheschließung vorsehen, begründet dies für den inländischen Standesbeamten grundsätzlich die Pflicht, die Ehe zu schließen. Dem steht nach ganz überwiegender Auffassung jedoch der deutsche ordre public entgegen.406 Dessen Eingreifen wird zunächst damit begründet, dass diese Form der Ehe dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG) widerspreche.407 Daneben wird mit dem christlichen – und somit monogamen – Eheverständnis des Grundgesetzes argumentiert.408 Dieses präge die gesamte deutsche Rechtsordnung und sei somit als wesentlicher Grundsatz des deutschen Rechts anzusehen. Entsprechend spiegele sich der Schutz der Einehe auch im einfachen Recht wider, so etwa durch das bürgerlich-rechtliche Verbot der Doppelehe (§ 1306 BGB) und dem strafrechtlichen Verbot der Bigamie (§ 172 StGB).409 Ob die polygame Lebensform daneben auch, wie von einigen Stellen geltend gemacht wird, eine Verletzung der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG darstellt, ist demgegenüber eher fraglich.410 Wie vorab bereits erläutert, greift der ordre public-Vorbehalt zum Schutz wesentlicher deutscher Rechtsgrundsätze jedoch nur dann ein, wenn ein hinreichend räumlicher, sachlicher und zeitlicher Bezug des konkreten Sachverhalts zur deutschen Rechtsordnung gegeben ist. Wegen der zwingend notwendigen Mitwirkung 406 Helms, StAZ 2012, 2, 3; kritisch Scholz, StAZ 2002, 321, 333; Coester, in: MüKo BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 70; Mörsdorf, in: BeckOK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 34; Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 252; Stürner, in: Erman BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 32; Coester-Waltjen/Coester, in: FS Hahne, 21; Eichenhofer, SGb 1986, 136, 140; Majer, NZFam 2019, 242, 243; Spickhoff, JZ 1991, 323, 327; Mörsdorf, in: Bamberger/Roth BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 33; Schurig, in: Soergel, Art. 13 EGBGB, Rn. 127; Andrae, in: NomosKommentar BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 38; Elwan/Otto, StAZ 2000, 97, 101; Coester-Waltjen/ Heiderhoff, JZ 2018, 762, 763; Cullmann, Die Behandlung polygamer Ehen, 82; anders Stöcker, RabelsZ 38 (1974), 79, 106; Weitz, Inlandsbeziehung und ordre public, 59. 407 Scholz, StAZ 2002, 321, 333; Frick, Ordre public und Parteiautonomie, 103 f.; BVerwG, Urt. v. 29. 5. 2018 – 1 C 15.17 = FamRZ 2018, 1624, 1627 (Rn. 23 ff.). 408 Helms, StAZ 2012, 2, 3; BVerwG, Urt. v. 29. 5. 2018 – 1 C 15.17= FamRZ 2018, 1624, 1625 (Rn. 12). 409 Helms, StAZ 2012, 2, 3; Martens, ZRP 2018, 242; Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 763; Mai, Möglichkeiten der Integration islamischen Rechts in das deutsche Rechtssystem, 337. 410 So auch Frick, Ordre public und Parteiautonomie, 103; dazu auch BVerwG, Urt. v. 29. 5. 2018 – 1 C 15.17 = FamRZ 2018, 1624, 1627 (Rn. 27).

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deutscher Standesbeamter bei Eheschließungen im Inland wird dieser hier regelmäßig bejaht.411 Auch kann wegen der Behandlung der polygamen Eheschließung als Hauptfrage von einer hohen sachlichen Intensität ausgegangen werden. Diese Rechtsauffassung wird als mit der Eheschließungsfreiheit vereinbar erachtet. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass den Paaren weiterhin die Möglichkeit bleibe, die Ehe im Ausland zu schließen.412 Mithin wird deutlich, dass aktuell polygame Eheschließungen durch deutsche Standesbeamte nicht möglich sind. Dies gilt auch dann, wenn das Eheschließungsstatut aller Beteiligten die Mehrehe zulässt. Sollte es dennoch gelingen, eine solche Ehe in Deutschland zu schließen – was wegen der Prüfpflicht deutscher Standesbeamter gem. § 13 PStG wohl vor allem in den Fällen der Eheschließung durch ermächtigte Personen gem. Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB der Fall sein wird –, wird eine solche Ehe ganz überwiegend, entsprechend der Rechtslage im deutschen materiellen Recht, als aufhebbar erachtet.413 Allein Coester spricht sich dafür aus, diese Ehen als wirksam anzusehen. Dies rechtfertigt er damit, dass der deutsche ordre public hier lediglich ein Trauungsverbot für deutsche Standesbeamte, nicht aber ein materielles Ehehindernis begründe.414 bb) Eheschließungen im Ausland Neben den Fällen der Eheschließung in Deutschland befassen sich deutsche Gerichte und Behörden auch mit im Ausland geschlossenen Mehrehen. Diese werden im Rahmen von Streitigkeiten über zivil- und öffentlich-rechtliche Ansprüche relevant, so etwa bei Fragen des Ehegattennachzugs, der Gewährung von Witwenrente oder eherechtlicher Unterhaltsansprüche. Die Wirksamkeit der Ehe in Deutschland stellt sich dann als Vorfrage.415 (1) Nur polygame Eheschließungsstatuten an der Heirat beteiligt Wenn im Ausland geschlossene polygame Ehen vor deutsche Gerichte gelangen, ist zunächst zu prüfen, ob diese unter Beachtung des nach Artt. 11, 13 EGBGB maßgeblichen Rechts eingegangen wurden. Nur dann, wenn die Ehe aus Sicht des ausländischen Rechts wirksam ist, stellt sich die Frage, ob deren Anerkennung in Deutschland der ordre public entgegensteht. Hierzu wird ganz überwiegend vertreten, dass die wesentlichen deutschen Rechtsgrundsätze der Anerkennung poly-

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Majer, NZFam 2019, 242, 243; ähnlich auch Martens, ZRP 2018, 242, 243; BFH, Urt. v. 6. 12. 1985 – VI R 56/82 = NJW 1986, 2209, 2210. 412 Coester, in: MüKo BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 70. 413 Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 763; Majer, NZFam 2019, 242, 243. 414 Coester, in: MüKo BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 70. 415 Zur Vorfragen-Thematik vgl. von Hein, in: MüKo BGB, Einleitung zum Internationalen Privatrecht, Rn. 159 ff.

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

gamer Ehen im Inland jedenfalls nicht grundsätzlich entgegenstehen.416 Begründet wird dies mit dem gegenüber der Eheschließung im Inland weniger intensiven sachlichen und räumlichen Bezug. Dieser folgt zunächst daraus, dass die Mehrehe hier nur als Vorfrage beurteilt wird, die deutsche Behörde beziehungsweise das deutsche Gericht folglich also nicht an der Entstehung des Statusverhältnisses mitwirken muss.417 Der geringere räumliche Bezug ergibt sich daraus, dass der sozial kritische Aspekt der Eingehung einer Doppelehe, an den auch § 1306 BGB und § 172 StGB anknüpfen, bereits im Ausland abgeschlossen wurde.418 Die Vertreter dieser Auffassung verweisen zur Unterstützung zudem auf wichtige Prinzipien des Kollisionsrechts: Die gebotene Achtung fremder Rechtsordnungen mache es erforderlich, deren Unterschiede gegenüber dem materiellen deutschen Recht zu beachten und anzuerkennen.419 Zudem sollen hinkende Rechtsverhältnisse weitestgehend vermieden werden und somit das Ziel des internationalen Eherechts und die Herbeiführung von Statuskontinuität gefördert werden.420 Ebenso sei in diesen Fällen in besonderem Maße der Vertrauensschutz der Paare zu berücksichtigen.421 Das Fortbestehen polygamer Ehen im Inland verstoße auch nicht gegen § 172 StGB und sei daher aus strafrechtlicher Sicht unbedenklich. Das folge daraus, dass die Verbotsnorm allein an den – hier bereits abgeschlossenen – Tatbestand der Eheschließung anknüpfe.422 Weiter wird aus dem Umstand, dass das deutsche Recht gem. §§ 1306, 1314 Abs. 1 Nr. 2 BGB nur die Aufhebbarkeit der Mehrehen vorsieht, gefolgert, dass wirksam gelebte polygame Ehen dem deutschen Recht nicht gänzlich fremd seien.423 Diese grundsätzliche Vereinbarkeit mit dem deutschen ordre public ist jedoch nicht dahingehend zu verstehen, als dass diese zu einer völligen Gleichstellung von monogamen und polygamen Ehen in Deutschland führt. Es herrscht vielmehr Einigkeit darüber, dass die Anerkennung polygamer Ehen abhängig vom jeweiligen Rechtsgebiet Einschränkungen erfahren kann. Dies macht eine systematische 416 Gaaz, StAZ 1997, 141, 142; Coester/Coester-Waltjen, FamRZ 2016, 1618, 1625; Coester, in: MüKo BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 71; Mörsdorf, in: BeckOK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 34; Mankowski, in: Staudinger BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 251; Coester-Waltjen/Coester, FS Hahne, 21; Majer, NZFam 2019, 242, 243; Spickhoff, JZ 1991, 323, 327; Mörsdorf, in: Bamberger/Roth BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 34; Elwan/Otto, StAZ 2000, 97, 101; zweifelnd jedenfalls in einigen Konstellationen von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, § 4, Rn. 116; CoesterWaltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 765; BVerwG, Urt. v. 30. 4. 1985 = BVerwGE 71, 228, 230; SG Düsseldorf, Urt. v. 13. 11. 1995 – S 5 J 145/94 = IPRspr. 1995, Nr. 90 (158 ff.); LG München, Vfg. v. 26. 4. 1996 – 235 Js 54017/95 = IPRspr. 96, Nr. 62 (134). 417 von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 6, Rn. 153. 418 Gaaz, StAZ 1997, 141, 142. 419 Coester/Coester-Waltjen, FamRZ 2016, 1618, 1625. 420 Helms, StAZ 2012, 2, 3; Eichenhofer, SGb 1986, 136, 140. 421 Dethloff, FS Schwenzer, 409, 414. 422 Helms, StAZ 2012, 2, 3; Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 765; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 18. 7. 1974 – 2 K 763/72. 423 Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 765.

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Auslegung des Ehebegriffs der einschlägigen Normen erforderlich. Hierzu hat sich durchgesetzt, dass polygame Ehen im Zusammenhang mit vermögensrechtlichen Ansprüchen, so zum Beispiel Unterhalts- oder Rentenansprüche, als wirksame Ehen anerkannt werden.424 Ebenso werden die aus der Zweitehe hervorgegangenen Kinder als eheliche Kinder und der Ehemann der Zweitfrau als gesetzlicher Vater anerkannt.425 Das Zusammenleben der Paare im Familienverbund wird ebenfalls geduldet.426 Demgegenüber wird die Durchsetzung einer Klage auf Herstellung der polygamen ehelichen Lebensgemeinschaft abgelehnt.427 Dies ist mit dem hier intensiveren Sachbezug zu erklären, da die polygame Ehe in diesen Fällen erneut Hauptfrage eines deutschen Gerichtsverfahrens wäre.428 Auch besteht hier erneut ein erheblicher Inlandsbezug, da deutsche Richter unmittelbar an der Herstellung einer polygamen Lebensgemeinschaft mitwirken müssten. Auch ein Anspruch der zweiten Ehefrau auf Ehegattennachzug gem. § 30 Abs. 1 AufenthG sowie auf ein selbstständiges Aufenthaltsrecht gem. § 31 AufenthG wird abgelehnt.429 Dies wurde mittlerweile durch § 30 Abs. 4 AufenthG kodifiziert. Begründet wird dies damit, dass der Ehegattennachzug eingeführt wurde, um dem Grundrecht auf Ehe gem. Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen. Das verfassungsrechtliche Eheverständnis beruht jedoch auf dem Bild der Einehe.430 Dieses wirke daher hier gleichermaßen begrenzend.431 Auf die Frage, inwiefern das Bestehen einer Zweitehe einer Einbürgerung gem. §§ 9, 10 StAG entgegensteht, wird an späterer Stelle ausführlich eingegangen.432 Unklar ist bislang, inwiefern die zweite Ehefrau Ansprüche auf Leistungen auf Grundlage der Familienversicherung (§ 10 Abs. 1 SGB V) geltend machen kann.433 424 BGH, Hinweisbeschl. v. 10. 7. 2013 – IV ZR 209/12 = NZA-RR 2013, 659 ff.; BSG, Urt. v. 30. 8. 2000 – B 5 RJ 4/00 R = NZS 2001, 426 ff.; BT-Drucks. 10/504, 43. 425 LG Frankfurt, Beschl. v. 12. 1. 1976 – 2/9 T 2/76 = FamRZ 1976, 217 ff.; OLG Thüringen, Urt. v. 14. 10. 2013 – 9 W 366/13 = FamRZ 2014, 579. 426 VG Gelsenkirchen, Urt. v. 18. 7. 1974 – 2 K 763/72 = FamRZ 1975, 338 ff., dazu auch die Anmerkung von Cullmann, FamRZ 1976, 313, 314. 427 von Hein, MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 273. 428 Coester, MüKo BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 71; BVerwGE 71, 228, 230 = NJW 1985, 2097, 2098. 429 Helms, StAZ 2012, 2, 4; OVG Niedersachsen, Urt. v. 29. 11. 2005 – 10 LB 84/05 = BeckRS 2006, 20697; VG Berlin, Bescheid vom 11. 5. 2015 – 28 K 93.14 V = BeckRS 2015, 45893; VG Neustadt (Weinstraße), Urt. v. 26. 9. 2003 – 8 K 696/03. NW – juris; Witte, Emory Law Journal 64 (2015), 1675, 1697; zur alten Rechtslage nach §§ 17, 18 AuslG OVG Niedersachsen, Urt. v. 6. 7. 1992 – 7 L 3634/91 = BeckRS 1992, 9821. 430 Dethloff, FS Schwenzer, 409, 417; VG Berlin, Bescheid vom 11. 5. 2015 – 28 K 93.14 V = BeckRS 2015, 45893. 431 OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12. 3. 2004 – 10 A 11717/03 = InfAuslR 2004, 294 ff. 432 Vgl. dazu unter C.III.3.b). 433 Dafür Baier, in: Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 10, Rn. 21; dagegen Zimmermann, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, Rn. 3.

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

(2) Erstfrau mit monogamen Eheschließungsstatut Neben den eben erörterten Fällen der Mehrehen ist eine weitere Fallkonstellation denkbar. Sie betrifft Ehen, bei denen ein Mann mit polygamen Ehestatut zunächst im In- oder Ausland eine Frau mit monogamen Ehestatut heiratet und später im Ausland eine weitere Frau mit polygamen Eheschließungsstatut ehelicht.434 Die erste Ehe ist als nur potentiell polygame Ehe aus Sicht des deutschen Rechts wirksam. Wegen des beiderseitigen polygamen Ehestatuts ist jedoch auch die zweite Ehe vollumfänglich gültig. Sie wird von der bestehenden Erstehe unter Geltung eines monogamen Ehestatuts nicht beeinträchtigt. Folgt man dem oben zur Anerkennung von im Ausland geschlossenen polygamen Ehen Gesagten, käme man zu dem Ergebnis, dass es dem Ehemann – im Extremfall bereits durch eine kurze Reise ins Ausland – möglich wäre, seiner deutschen Ehefrau – auch gegen ihren Willen – eine zweite Ehefrau „vorzusetzen“ und die deutschen Gerichte dies anzuerkennen hätten. Dem steht jedoch nach allgemeiner Auffassung der deutsche ordre public entgegen. Dessen Eingreifen wird damit begründet, dass die Anerkennung der zweiten Ehe in diesen Fällen eine „eklatante“ Verletzung der monogamen Erstehe darstellen würde.435 Folglich wird die im Ausland geschlossene Zweitehe im Inland, entsprechend der Rechtslage nach deutschem materiellem Recht, als aufhebbar angesehen. Die erste Ehefrau wird im Rahmen dieses Aufhebungsverfahrens als antragsberechtigt erachtet.436 c) Résumé der aktuellen Rechtslage Die Rechtslage de lege lata zu polygamen Ehen lässt sich wie folgt zusammenfassen: 1. Das Prinzip der Einehe ist als wesentlicher Grundsatz der deutschen Rechtsordnung und somit als Teil des ordre public anerkannt. Zu begründen ist dies mit dem in der Verfassung verankerten Verständnis der Ehe als Einehe. Diese hat Ausstrahlungswirkung auf die gesamte deutsche Rechtsordnung. Verdeutlicht wird dies insbesondere durch das zivilrechtliche Ehehindernis der bereits bestehenden Ehe (§ 1306 BGB) sowie durch das strafrechtliche Bigamieverbot (§ 172 StGB). 2. Ob zum Schutz dieses wesentlichen Rechtsgrundsatzes bei Sachverhalten mit Auslandsbezug das Eingreifen von Art. 6 EGBGB erforderlich wird, hängt von der räumlichen, zeitlichen und sachlichen Nähe der konkreten Fallgestaltung zur deutschen Rechtsordnung ab. Grundsätzlich wird dies dann bejaht, wenn in Deutschland eine Mehrehe geschlossen werden soll. Wegen des erforderlichen 434

Zu dieser Fallkonstellation etwa VG Augsburg, Urt. v. 8. 3. 2005 – 1 K 04.697 = BeckRS 2005, 37042, im Übrigen vor allem BVerwG, Urt. v. 29. 5. 2018 – 1 C. 15.17 = ZAR 2018, 313, auf das unter C.III.3.b) noch genauer eingegangen werden wird. 435 Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 254. 436 Majer, NZFam 2019, 242; anders Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 254.

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Tätigwerdens eines deutschen Standesbeamten ist dann von einem besonders intensiven Inlandsbezug auszugehen. Weniger stark, aber dennoch ausreichend für das Eingreifen von Art. 6 EGBGB ist der Inlandsbezug bei einer Eheschließung gem. Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB. Im Fall der Anerkennung einer im Ausland wirksam geschlossenen polygamen Ehe greift Art. 6 EGBGB nicht zwingend ein. In diesen Fällen wird vielmehr eine systematische Beurteilung der Anerkennungsfähigkeit anhand des jeweiligen Rechtsgebiets für notwendig gehalten. Die bisher hierzu ergangene Rechtsprechung lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass polygame Ehen stets dann anerkannt werden, wenn 1. sie im Ausland wirksam begründet werden, 2. die Anerkennung insbesondere den als schützenswert erscheinenden Parteien (Ehefrauen, Kindern) dient und 3. die Anerkennung nicht gleichzeitig eine Belastung für den deutschen Staat darstellt. 3. Die Rechtslage zu polygamen Ehen erscheint, obwohl nicht ausdrücklich kodifiziert, gefestigt. Lediglich die Frage nach einem Anspruch der zweiten Ehefrau auf Leistungen aus der gesetzlichen Familienkrankenversicherung ist noch nicht abschließend geklärt. Es handelt sich um ein fein austariertes System, welches durch seine Einzelfallbezogenheit Reaktionen auf von der Norm abweichende Sachverhaltskonstellationen zulässt.437 Zuzugeben ist jedoch auch, dass mit dieser Einzelfallbezogenheit der Entscheidung stets ein gewisser Grad an Unsicherheit einhergeht. Da die Rechtslage nicht weiter kodifiziert ist,438 ist es den Paaren nicht möglich, die Frage nach der Wirksamkeit ihrer Ehe in Deutschland vorauszusagen.

2. Der bayrische Gesetzesentwurf zur Bekämpfung der Mehrehe a) Genese des Gesetzesentwurfs Mit dem verstärkten Zuzug Geflüchteter seit dem Jahr 2015 setzte die Sorge vor einem vermehrten Aufkommen von Polygamie in Deutschland ein. Diese Bedenken waren nicht gänzlich unbegründet, da ein Anstieg der Zahlen der Mehrehen in den Hauptherkunftsländern infolge von politischen Unruhen zu verzeichnen war.439 Die

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Hier ist insbesondere auf die Missbrauchsmöglichkeiten zu verweisen. Diese besteht, wenn der Ehemann (in erster Ehe mit einer Frau mit polygamen Ehestatut) mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland nur kurzfristig ausreist, um in seinem Herkunftsland eine weitere Frau zu heiraten und dann in die Anerkennung dieser Ehe in Deutschland zu bewirken. In diesen Fällen ist wegen des dauerhaften Aufenthalts in Deutschland von einem erheblichen Inlandsbezug auszugehen, so dass Art. 6 EGBGB greift; im Ergebnis so auch Coester-Waltjen, BerDGesVR 38 (1998), 9, 26 f. 438 Mit Ausnahme des § 30 Abs. 4 AufenthG. 439 https://www.frauenrechte.de/unsere-arbeit/themen/gleichberechtigung-und-integration/ aktuelles/3263-polygamie-im-kontext-von-flucht-gefluechtete-syrerinnen-flohen-vorm-krieg-

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

gegen diese Form der Ehe geäußerten Bedenken spiegelten sich, ähnlich wie bei den Kinderehen, in umfassenden, zum Teil wenig sachlichen medialen Berichterstattungen wider. Erscheinungen mit Titeln wie „Als die Polygamie nach Deutschland kam“,440 „Kommt nach der Homo-Ehe die Verwandtenehe oder Polygamie?“441 oder „Die Vielehe in Deutschland“442 fachten die Diskussion weiter an. Dies hatte bald ein Echo auf bundespolitischer Ebene zur Folge. Hier entstand rasch Konsens darüber, dass es einer Verschärfung der Rechtslage zu polygamen Ehen bedürfe.443 Wegen der als vorrangig erachteten Problematik der Kinderehen, insbesondere mit Blick auf die große mediale Präsenz des Urteils des OLG Bamberg,444 wurden diese Reformvorhaben jedoch zunächst zurückgestellt. Die Mehrehen blieben jedoch weiterhin im Blickfeld des öffentlichen Interesses. Dies war einerseits den weiterhin spektakulären Medienberichterstattungen („Zwei Frauen, 13 Kinder: Mehrfach-Ehe darf fortgesetzt werden“;445 „Wir wollen keine Harems in Deutschland“446) geschuldet. Andererseits heizte auch eine aufenthaltsrechtliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 29. Mai 2018 die Debatte um den korrekten Umgang mit ausländischen Mehrehen erneut an.447 Anstoß gab dabei, dass das Gericht trotz bestehender Mehrehe ein Bekenntnis und-auf-der-flucht-waren-prostitution-und-zwangs-fruehehen-ihr-schicksal (zuletzt abgerufen am 6. 12. 2019, 10.46 Uhr). 440 Artikel aus MMW – Fortschritte der Medizin, vom 21. 6. 2016, abrufbar unter: https: //link.springer.com/article/10.1007/s15006-016-8431-6 (zuletzt abgerufen am 19. 11. 2020, 10.29 Uhr). 441 Zu einer umstrittenen Äußerung von Annegret Kramp-Karrenbauer, siehe etwa den Artikel aus der Volksstimme vom 4. 6. 2015, abrufbar unter: https://www.volksstimme.de/nach richten/deutschland_und_welt/deutschland/1487550_Kommt-nach-Homo-Ehe-die-Verwand ten-Ehe-oder-Polygamie.html (zuletzt abgerufen am 19. 11. 2020, 10.33 Uhr). 442 Beitrag von DER SPIEGEL vom 5. 1. 2017, abrufbar unter: https://www.spiegel.de/vi deo/jaafars-videoblog-die-vielehe-in-deutschland-video-1732662.html (zuletzt abgerufen am 19. 11. 2020, 10.45 Uhr). 443 Heiko Maas im Interview mit der BILD-Zeitung, abrufbar unter: https://www.bild.de/po litik/inland/heiko-maas/will-gegen-kinder-und-mehrfach-ehen-vorgehen-46281732.bild.html (zuletzt abgerufen am 6. 12. 2019, 10.47 Uhr), dazu auch: https://www.welt.de/politik/deutsch land/article156204875/Kein-Recht-Glauben-ueber-unsere-Gesetze-zu-stellen.html (zuletzt abgerufen am 6. 12. 2019, 10.48 Uhr); https://www.sueddeutsche.de/politik/gesetzesreform-ge plant-ehe-zu-dritt-1.3033059 (zuletzt abgerufen am 6. 12. 2019, 10.48 Uhr); https://www.augs burger-allgemeine.de/politik/Maas-Keine-Anerkennung-fuer-Zwangsehen-und-Polygamie-id3 8111442.html (zuletzt abgerufen am 19. 11. 2020, 10.51 Uhr). 444 Vgl. dazu unter C.II.3.b). 445 Beitrag auf Domradio.de, abrufbar unter: https://www.domradio.de/themen/ehe-und-fa milie/2018-06-08/bayern-will-mehrehen-deutschland-umfassend-verbieten (zuletzt abgerufen am 6. 12. 2019, 10.53 Uhr). 446 Beitrag auf Welt.de, abrufbar unter: https://www.welt.de/politik/deutschland/article1 78803222/Bundesrat-Bayern-will-gegen-auslaendische-Vielehen-vorgehen.html (zuletzt abgerufen am 6. 12. 2019, 10.54 Uhr). 447 BVerwG, Urt. v. 29. 5. 2018 – 1 C 15.17 = ZAR 2018, 313 ff.; dazu auch von Hein, in: Legal Theory and Interpretation in a Dynamic Society, 151, 154 f.

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zur freiheitlich demokratischen Grundordnung als gegeben ansah und daher die Anspruchseinbürgerung eines Syrers nach § 10 StAG a. F. bejahte.448 Der Fokus der medialen sowie der rechtswissenschaftlichen Kritik lag dabei stets auf der vermeintlichen Handlungsunfähigkeit deutscher Gerichte und Behörden gegenüber polygamen Ehen. Begründet wurde diese mit der unklaren Rechtslage zu Mehrehen. Diese jedenfalls vermeintlich bestehende missliche Lage sollte durch den am 8. Juni 2018 vom Freistaat Bayern in den Bundesrat eingebrachten Entwurf eines „Gesetzes zur Bekämpfung der Mehrfachehe“ ein Ende bereitet werden.449 Winfried Bausback, der damalige bayrische Justizminister, begründete das Reformvorhaben damit, dass trotz eines Verbots der Polygamie in Deutschland diese hier vielfach legal gelebt werde.450 Diesen Zustand erachtete er als nicht hinnehmbar („Das kann nicht sein“), da die Einehe eine der grundlegenden Entscheidungen der deutschen Werteordnung und damit indisponibel sei. Ausdruck fände diese Wertung in dem strafrechtlichen Verbot der Bigamie sowie dem zivilrechtlichen Ehehindernis der Doppelehe. Bausback verwies darauf, dass es Aufgabe des Bundesrates sei, den Behörden und Gerichten ein Vorgehen gegen Mehrehen zu ermöglichen. Dafür sei es jedoch erforderlich, deutsches Recht zur Anwendung zu bringen. Der Reformvorschlag zielte gerade darauf ab, eine auf das deutsche Recht verweisende Kollisionsnorm einzuführen. Dem fügte Bausback hinzu, dass ein ausdrückliches Verbot der Polygamie in Deutschland im Rahmen der Reform nicht eingeführt werden müsse, da dieses bereits existiere. Der Gesetzesentwurf ziele darauf ab, die materielle deutsche Rechtslage auch auf Sachverhalte mit Auslandsbezug zu erstrecken. Hieran bestehe jedenfalls dann ein berechtigtes Interesse, wenn sich Personen dazu entschließen, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland zu nehmen. Denn „wer in Deutschland seinen Lebensmittelpunkt haben möchte, müsse sich an unsere grundlegenden Werte handeln [sic!, gemeint wohl „halten“]; die Einehe gehört dazu“. Der Gesetzesentwurf wurde dem Rechtsausschuss sowie dem Ausschuss für Frauen und Jugend im Bundesrat zugeleitet. Die vom Freistaat Bayern in der Bundesratssitzung vom 6. Juli 2018 beantragte sofortige Sachentscheidung fand keine Mehrheit. Der Reformentwurf wurde daher erneut dem Ausschuss für Frauen und Jugend zur Beratung vorgelegt.451 448 Auf dieses Urteil des BVerwG vom 29. 5. 2018 – 1 C 15.17 wird unter C.III.3.b) genauer eingegangen. 449 BR-Drucks. 249/18. 450 Rede von Winfried Bausback in der 968. Bundesratssitzung vom 8. 6. 2018 (TOP 51), abrufbar unter: https://www.bundesrat.de/DE/plenum/bundesrat-kompakt/18/968/968-node. html (zuletzt abgerufen am 6. 12. 2019, 11.21 Uhr). 451 Siehe das Plenarprotokoll zur 969. Bundesratssitzung vom 8. 7. 2018 (dort unter TOP 8), abrufbar unter: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/downloads/DE/plenarprotokolle/2018/ Plenarprotokoll-969.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt abgerufen am 2. 12. 2020, 16.04 Uhr).

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b) Die Rechtslage de lege ferenda Maßgeblicher Gegenstand des bayrischen Gesetzesentwurfs ist die Ergänzung des Art. 13 EGBGB um einen weiteren besonderen ordre public-Vorbehalt. Dieser soll der Regelung zu Kinderehen im dritten Absatz folgen und lautet: Art. 13 EGBGB-E […] (4) Haben beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so ist eine nach ausländischem Recht geschlossene Ehe nach deutschem Recht aufzuheben, wenn bei der Eheschließung zwischen einem der Ehegatten und einer dritten Person bereits eine Ehe bestand.

Zusätzlich soll die Eingehung von Mehrehen im Inland verhindert werden, indem das Mitwirkungsverbot des Standesbeamten in § 1310 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 BGB-E auch auf Eheschließungen nach Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E erstreckt wird. Die Entwurfsbegründung rechtfertigt die neue Rechtslage zur Anerkennung polygamer Ehen damit, dass das Gros der Gesellschaft es missbillige, wenn polygame Ehen trotz der für deutsche Staatsangehörige geltenden Bigamie-Verbote (§ 1306 BGB, § 172 StGB) im Inland gelebt und von deutschen Gerichten und Behörden gestattet würden.452 Diese seit jeher kritische Situation habe sich durch die gestiegene Anzahl polygamer Ehen seit Einsetzen der „Flüchtlingskrise“ noch verschärft. Es sei daher erforderlich, die Eheverbote des deutschen Sachrechts auch auf internationaler Ebene zur Anwendung zu bringen. Dies setze Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E um, indem er bei gemeinsamem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland die Vorschriften des BGB auf Mehrehen zur Anwendung bringe. Die Ehen würde somit gem. §§ 1314 ff. BGB aufhebbar. Die Verfasser des Entwurfs räumten dabei ein, dass die vorgeschlagene Regelung zu hinkenden Rechtsverhältnissen führe. Auch sei sie zur Beeinträchtigung des internationalen Entscheidungseinklangs geeignet. Das Erfordernis des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts diene daher dazu, diese negativen Konsequenzen einzuschränken und so die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme sicherzustellen. Das Aufhebungsverfahren biete zudem durch die gerichtliche Überprüfung sowie die Härtefallklausel hinreichende Möglichkeiten zur Berücksichtigung der Einzelfallumstände. Weiter verweist die Gesetzesbegründung darauf, dass die bisherige Rechtslage wegen ihrer Unklarheit einem effektiven Vorgehen von Gerichten und Behörden gegen Mehrehen entgegengestanden habe. Die gesetzlichen Neuregelungen sollen diese Unklarheiten beseitigen und damit ein staatliches Vorgehen ermöglichen.

452

Vgl. BR-Drucks. 249/18, 6.

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c) Kritik Der bayrische Gesetzesentwurf blieb von Kritik nicht verschont.453 Zwar zeigten die Medien eine eher positive Resonanz,454 und auch von rechtswissenschaftlicher Seite wurde lobend angemerkt, dass der bayrische Vorschlag „jedenfalls“ auf das im Rahmen von Art. 13 Abs. 3 EGBGB vielfach kritisierte Unwirksamkeitsverdikt verzichte.455 Auch die Anknüpfung der Eheaufhebung an einen bestehenden gewöhnlichen Aufenthalt im Inland wurde – insbesondere in Abgrenzung zum Kinderehen-Gesetz – würdigend hervorgehoben.456 Diese trage der klassischen ordre public-Dogmatik Rechnung. Solche lobenden Worte stellten jedoch die Ausnahme im rechtswissenschaftlichen Meinungsbild dar. Dem standen überwiegend Stimmen gegenüber, die mit Skepsis oder Ablehnung auf das Reformvorhaben reagierten. Dieses wurde als „unreife Frucht des politischen Asylstreits“ erachtet, durch welche der Deutsche Bundestag sich als „Weltgesetzgeber“ geriere.457 Die Kritik richtete sich zunächst grundsätzlich gegen das Tätigwerden des deutschen Gesetzgebers zur Polygamie. Dieses wurde als nicht erforderlich erachtet, da die bislang geltende Rechtslage eindeutig und unumstritten sei. Eine weitergehende Klarstellung sei daher überflüssig.458 Auch die in Folge der „Flüchtlingskrise“ steigende Anzahl von Mehrehen in Deutschland legitimiere das Vorhaben nicht. Wegen Art. 12 Abs. 1 GFK komme für Geflüchtete ohnehin häufig materielles deutsches Recht und damit § 1306 BGB zur Anwendung.459 Inhaltlich wurde an dem neuen Vorhaben kritisiert, dass das in § 1310 BGB-E kodifizierte Mitwirkungsverbot des Standesbeamten zu Unrecht als Teil des materiellen Eheschließungsrechts kodifiziert werden solle. Richtigerweise wäre dies in § 11 Abs. 1 PStG zu verorten gewesen.460 Zudem unterlaufe die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt in Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E die grundsätzliche Wertentscheidung des Art. 13 Abs. 1 EGBGB.461 Weiter wurde darauf verwiesen, dass die 453

Vgl. dazu etwa von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 75 ff. m. w. N. „Bayern will Vielehen von Migranten verbieten“, abrufbar unter https://www.bayern kurier.de/inland/33671-bayern-will-vielehen-von-migranten-verbieten/ (zuletzt abgerufen am 26. 11. 2020, 7.52 Uhr); „Bayern will Gesetz gegen Vielehen“, abrufbar unter: https://www.ovbheimatzeitungen.de/politik/2018/04/08/bayern-will-gesetz-gegen-viel-ehen.ovb (zuletzt abgerufen am 26. 11. 2020, 7.55 Uhr). 455 Dutta, FamRZ 2018, 1141; von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, § 4, Rn. 124. 456 Dutta, FamRZ 2018, 1141; von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, § 4, Rn. 123 („sehr starker Inlandsbezug“). 457 Jayme, IPRax 2018, 473, 475. 458 Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 764. 459 Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 764. 460 Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 763; Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds vom 8. 10. 2018, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/de tail/st18-16 (zuletzt abgerufen am 2. 9. 2021, 13.23 Uhr) (unter IV.). 461 Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds (vgl. Fn. 460) (unter IV.). 454

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

Anordnung der Aufhebbarkeit der zweiten Ehe zu einer erheblichen Benachteiligung der zweiten Ehefrau führe.462 Dies gelte insbesondere dann, wenn man davon ausginge, dass sich die Rechtsfolgen der Aufhebung nach § 1318 BGB richten. Insbesondere die Verweisung des zweiten Absatzes mit dem darin enthaltenen Erfordernis der Unkenntnis über die Eheaufhebbarkeit sei für die hier betroffenen Fälle zu eng gezogen.463 Die Anwendbarkeit dieser Normen führe im Ergebnis zu einer Belastung des deutschen Sozialstaates, da dieser bei Nicht-Eingreifen des § 1318 BGB für die zweite Ehefrau mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland aufkommen müsse.464 Kritisch wurde auch angemerkt, dass dem Ehemann wegen der engen Vorschrift des § 1318 BGB eine „billige“ Möglichkeit entstünde, sich von seiner zweiten Ehefrau zu trennen.465 Weiter wurde die Unklarheit und Unvollständigkeit der vorgeschlagenen Neuregelungen bemängelt. Dies betraf zunächst den Umstand, dass die Regelung nur seriell geschlossene polygame Verbindungen erfasse.466 Fälle, bei denen der Ehemann in einer Zeremonie mehrere Frauen eheliche, würden mithin nicht erfasst und müssten daher de lege ferenda in Deutschland anerkannt und insbesondere auch geschlossen werden können.467 Ein weiterer Kritikpunkt war die fehlende Klarstellung des Verhältnisses zur allgemeinen Vorbehaltsklausel.468 Dabei wurde insbesondere die Frage aufgeworfen, ob Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E als lex specialis die Anerkennung und Schließung polygamer Ehen in Deutschland abschließend regele. Dies hätte zur Folge, dass ein deutscher Standesbeamter bei Fehlen eines beider-

462 Jayme, IPRax 2018, 473, 474; Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 766; Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds (vgl. Fn. 460) (unter II.); von Hein, MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 77. 463 Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds (vgl. Fn. 460) (unter II.2.a)). 464 Jayme, IPRax 2018, 473, 474; Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 766. 465 Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds (vgl. Fn. 460) (unter II.4.), unter Verweis darauf, dass hier möglicherweise der Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens durchgreifen könne. 466 Dutta, FamRZ 2018, 1141. 467 Die genaue Anzahl dieser Form der polygamen Eheschließungen ist nicht bekannt. Da jedoch nahezu ausschließlich die serielle Polygamie Gegenstand von Literatur und Rechtsprechung geworden ist, kann angenommen werden, dass die Anzahl der Eheschließungen mit mehreren Personen gleichzeitig sehr gering sein wird. Aufsehen erregten in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren jedoch zwei bekannte gewordene Fälle aus Brasilien und Kolumbien, bei denen homosexuelle Dreier-Paarbeziehungen getraut wurden, vgl. dazu https: //www.sueddeutsche.de/leben/drei-braeute-in-brasilien-wollt-ihr-meine-frauen-werden-1.2 712434; https://www.welt.de/vermischtes/article165517995/Maenner-Trio-teilt-sich-Haus-Bettalles.html (zuletzt abgerufen am 20. 6. 2021, 12.45 Uhr). 468 Dutta, FamRZ 2018, 1141; für eine Anwendbarkeit von Art. 6 EGBGB bei geringerem Inlandsbezug von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, § 4, Rn. 123; CoesterWaltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 763.

III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E

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seitigen gewöhnlichen Aufenthalts zur Schließung einer polygamen Verbindung in Deutschland verpflichtet wäre.469 Kritisch wurde zudem die Ungenauigkeit einiger Formulierungen betrachtet. So wurde etwa die Frage gestellt, ob sich die Formulierung „Schließung der Ehe nach ausländischem Recht“ auch auf die Anwendung ausländischer Formvorschriften beziehe.470 Unklar sei zudem, welches Sachrecht auf die Rechtsfolgen des Aufhebungsverfahrens anzuwenden sei. Hier könne man nicht ohne weiteres von der Berufung deutschen Rechts ausgehen, da das Gesetz dieses dem Wortlaut nach allein für das Aufhebungsverfahren für maßgeblich erkläre.471 Zudem wurde die deutsche Vorschrift des § 1318 BGB als unpassend empfunden, da die Norm die Unwirksamkeit der Ehe nach § 1306 BGB voraussetze. Dieser finde auf Ehen, an denen kein deutsches Eheschließungsstatut beteiligt ist, jedoch gerade keine Anwendung.472 Auch das Fehlen von Heilungs- und Überleitungsvorschriften wurde beklagt.473 Letztere sei jedenfalls dann erforderlich, wenn die erste Ehe während des laufenden Aufhebungsverfahrens beendet wurde und daher die aufzuhebende Zweitehe monogam geworden sei.474 In der Literatur wurde zudem der Vorwurf erhoben, der vorgeschlagene Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E verletze wichtige Grundsätze des Kollisionsrechts. Die Abweichung vom Staatsangehörigkeitsprinzip zugunsten des deutschen Rechts führe zu hinkenden Rechtsverhältnissen,475 welche unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes sowie der Mobilität insbesondere im Bereich des Familienrechts vermieden werden müssten.476 Zudem widerspreche die Regelung der Konzeption des Kollisionsrechts als wertneutrales Verweisungsrecht.477 Daneben wurde gegen die vorgeschlagene Gesetzesänderung auch geltend gemacht, dass sie gegen höherrangiges Recht verstoße.478 Dies betraf zunächst die Grundrechte.479 Hier wurde auf die Ungleichbehandlung der Ehen verschiedenge-

469 Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 763; Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds (vgl. Fn. 460) (unter IV.). 470 Dutta, FamRZ 2018, 1141; Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds (vgl. Fn. 460) (unter IV.) 471 Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 764, 766. 472 Vgl. dazu auch Majer, NZFam 2019, 242, 244. 473 Zum Fehlen einer Überleitungsregelung auch die Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds (vgl. Fn. 460) (unter IV.). 474 Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 765. 475 Jayme, IPRax 2018, 473, 475; Martens, ZRP 2018, 242, 244. 476 Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 768. 477 Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 768; Basedow, FamRZ 2019, 1833, 1839. 478 Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 767; auf diese Bedenken verweist auch Martens, ZRP 2018, 242, 244; Jayme, IPRax 2018, 473, 475. 479 Vgl. dazu von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 78.

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

schlechtlicher Paare gegenüber homosexuellen Ehepartnern verwiesen.480 Hinsichtlich dieses Kritikpunktes ist jedoch anzumerken, dass bislang in der deutschen Rechtsprechung keine Fälle gleichgeschlechtlicher polygamer Ehen bekannt geworden sind. Wichtiger scheint daher der Hinweis, dass es nicht auszuschließen ist, dass die nahezu zwingende Aufhebung polygamer Verbindungen, soweit hieraus Kinder hervorgegangen sind, einen Eingriff in das Grundrecht auf Familie aus Art. 6 Abs. 1 Alt. 2 GG darstellt.481 Ebenso wurde mit Blick auf die Bestimmung zur Witwenrente aus dem deutsch-marokkanischem Abkommen über soziale Sicherheit (Art. 25 Nr. 6), die die Anerkennung einer zweiten beziehungsweise weiterer Ehefrauen in Deutschland voraussetzt, die Völkerrechtskonformität von Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E angezweifelt.482 Weiter wurde auf Art. 8 Abs. 3 des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens verwiesen.483 Gemäß dieser Vorschrift bleiben die Angehörigen eines jeden Staates in Bezug auf das Familienrecht auch im Gebiet eines anderen Staates den Vorschriften ihrer heimischen Gesetze unterworfen. Zwar besteht die Möglichkeit in Ausnahmefällen von dieser Regelung abzuweichen (S. 2). Die Kritiker des Polygamie-Gesetzesentwurfes verwiesen jedoch darauf, dass dies hier wegen der generellen Aufhebbarkeit von polygamen Ehen nicht der Fall sei.484 Zuletzt wurden noch einige soziale Argumente gegen die vorgeschlagene Rechtsänderung geltend gemacht. Sie betrafen zunächst die Position der zweiten Ehefrau. Sofern die vorgeschlagenen Regelungen der Stärkung der Rolle der Frau, insbesondere unter gleichberechtigungsrechtlichen Aspekten dienen sollen, so werde diese Wirkung verfehlt.485 Vielmehr nehme die Reformgesetzgebung gerade der zweiten Ehefrau durch die nahezu zwingende Aufhebbarkeit ihrer Ehe ein erhebliches Maß an Autonomie.486 Zugleich könne bei der Aufhebung der zweiten Ehe nicht automatisch von einer Aufwertung der Position der ersten Ehefrau ausgegangen werden. Dabei wurde auf die Möglichkeit hingewiesen, dass der Familienverbund trotz Aufhebung der zweiten Ehe faktisch fortbestehen könne. Dies sei mit Rücksicht darauf, dass alle ehelichen Verbindungen im Heimatstaat weiterhin als 480 Dutta, FamRZ 2018, 1141; Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds (vgl. Fn. 460) (unter IV.). 481 Martens, ZRP 2018, 242, 244; Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 768; von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 78. 482 Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko über Soziale Sicherheit vom 25. 3. 1981, BGBl. II 1986, 552; vgl. zur Kritik Jayme, IPRax 2018, 473, 474; Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 767; Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds (vgl. Fn. 460) (unter IV.); Staudinger, in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessund Kollisionsrecht, Einleitung, Rn. 73. 483 Niederlassungsabkommen zwischen dem deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien, RGBl. II 1930, 1006. 484 Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 767; Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds (vgl. Fn. 460) (unter IV.). 485 von Hein, MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 77. 486 Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 766; Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds (vgl. Fn. 460) (unter II.3.).

III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E

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wirksam angesehen werden, nicht unwahrscheinlich.487 Doch auch wenn es zu einer auch räumlichen Beendigung der zweiten Ehe komme, könne der Status der ersten Ehefrau als einzige Ehefrau nicht automatisch wiederaufleben. Insgesamt führe die Regelung dazu, dass die Rolle der Frauen faktisch geschwächt werde.488 Dies gelte insbesondere für die zweite Ehefrau, die ihre rechtliche Absicherung durch die Ehe verliere. 3. Praktische Relevanz a) Die bisherige Relevanz in der gerichtlichen Praxis Die mediale Berichterstattung lässt zum Teil den Eindruck entstehen, dass deutsche Gerichte nahezu täglich mit polygamen Ehen befasst seien. Dies ist mitnichten der Fall. Zutreffend ist jedoch, dass die Wirksamkeit von Mehrehen die deutsche Justiz seit Ende des zweiten Weltkriegs in unregelmäßigen Abständen beschäftigt hat.489 Dabei ist seit dem Jahr 2015 ein erheblicher Anstieg der hierzu ergangenen Entscheidungen zu verzeichnen, was der Grund für die oben bereits angesprochene zugespitzte Wahrnehmung in der Gesellschaft sein mag. Überwiegend bilden dabei im Ausland geschlossene polygame Ehen den Gegenstand der Gerichtsentscheidungen. Vornehmlich geschieht dies als Vorfrage bei unterhalts-, sozial- oder aufenthaltsrechtlichen Streitigkeiten. Nur in einem Fall war die Anerkennung der Ehe Hauptfrage des Verfahrens.490 Polygame Eheschließungen im Inland sind demgegenüber für die deutschen Gerichte kaum von Belang. b) Exkurs: Das dritte Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Während der Gesetzgeber bislang auf Ebene des Kollisionsrechts mit einem Eingreifen abwartet – unter Umständen wegen der kritischen Reaktionen auf das Kinderehen-Gesetz –, ist er an anderer Stelle bereits zur Thematik der Mehrehen tätig geworden. So wurden durch das dritte Gesetz zur Änderung des Staatsangehörig487

Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 765 f. Martens, ZRP 2018, 242, 244; Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds (vgl. Fn. 460) (unter II.). 489 So etwa beispielweise VerwG Gelsenkirchen, Urt. v. 18. 7. 1974 – 2 K 763/72 = FamRZ 1974, 338 ff.; LG Frankfurt, Beschl. v. 12. 1. 1976 – 2/9 T 2/76 = FamRZ 1976, 217; BVerwG, Urt. v. 30. 4. 1985 – 1 C 33.81 = NJW 1985, 2097 ff.; AG Bremen, Beschl. v. 27. April 1990 – 63 III 21/89 = StAZ 1991, 232 f.; BSG, Urteil vom 30. 8. 2000 – B 5 RJ 4/00 R = NZS 2001, 426 ff.; OLG Zweibrücken, Urt. v. 21. 11. 2003 – 2 UF 51/03 = FamRZ 2004, 950 f.; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12. 3. 2004 – 10 A 11717/03 = InfAuslR 2004, 294; OVG Niedersachsen, Urt. v. 29. 11. 2005 – 10 LB 84/05 = AuAS 2006, 74 ff.; BGH, Hinweisbeschl. v. 10. 7. 2013 – IV ZR 209/12 = NZA-RR 2013, 659 ff.; OLG München, Beschl. v. 3. 7. 2015 – 34 Wx 311/14 = FamRZ 2015, 2056 ff.; KG, Beschl. vom 31. 5. 2016 – 1 VA 7/15 = NJW-RR 2016, 1161; BVerwG, Urt. v. 29. 5. 2018 – 1 C 15.17 = FamRZ 2018, 1624. 490 KG, Beschl. v. 31. 5. 2016 – 1 VA 7/15 = NJW 2016, 1161 ff. 488

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

keitsgesetzes vom 4. August 2019 die Voraussetzungen für die Anspruchseinbürgerung gem. § 10 StAG modifiziert, indem eine spezielle Regelung hinsichtlich polygamer Ehen eingefügt wurde.491 § 10 Abs. 1 StAG verlangt nun, dass Einbürgerungsbewerber sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnen und insbesondere „nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet“ sind. Der Gesetzesreform ging das oben bereits angesprochene Urteil des BVerwG aus dem Mai 2018 voraus.492 Die Richter befassten sich dabei mit der Rücknahme einer – vermeintlich rechtswidrigen – Einbürgerung nach § 9 StAG a. F. Dieser wegen der Ehe mit einem deutschen Staatsbürger vereinfachte Einbürgerungstatbestand setzte voraus, dass der Bewerber sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnet (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG a. F.). Die Richter sahen sich dabei mit der Problematik konfrontiert, dass der syrischstämmige Kläger bei der Einbürgerung nach § 9 StAG a. F. angegeben hatte, nur mit seiner deutschen Ehefrau verheiratet zu sein.493 Im Nachhinein hatte sich jedoch herausgestellt, dass er kurz nach der Eheschließung in Deutschland in Syrien eine weitere syrische Frau geheiratet hatte.494 Diese lebte mittlerweile ebenfalls in Deutschland. Die Richter entschieden, dass wegen der bestehenden Doppelehe das Erfordernis der Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse nicht erfüllt und die Einbürgerung daher rechtswidrig sei.495 Dabei verwies das Gericht auf die Rolle der Einehe als prägendes Bild für die deutsche Rechts- und Gesellschaftsordnung.496 Sie werde sowohl verfassungsrechtlich als auch auf einfachgesetzlicher Ebene (§ 172 StGB, § 1306 BGB) geschützt.497 Mit diesen Feststellungen war das Gericht jedoch noch nicht am Ende seiner Entscheidung angelangt. Vielmehr prüften die Richter im Anschluss, ob zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung ein Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG a. F. bestand, so dass dieser bei der Ermessensausübung berücksichtigt werden könne.498 Die Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG a. F. sah dabei etwa in Hinblick auf die Aufenthaltsdauer in Deutschland zwar strengere Anforderungen als § 9 StAG vor. Zugleich verzichtete die Norm jedoch auf das Erfordernis des „Einordnens in die deutschen Lebensverhältnisse“ und verlangte lediglich ein „Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung“. Das BVerwG kam dabei zu dem Ergebnis,

491

BGBl. I 2019, 1124. BVerwG, Urt. v. 29. 5. 2018 – 1 C 15.17 = ZAR 2018, 313 ff.; in der Vorinstanz VGH Mannheim, Urt. v. 25. 4. 2017 – 12 S 2216/14 = FamRZ 2017, 1529, dazu etwa der Beitrag von von Hein vom 23. 4. 2018, „No handshake – no citizenship – but with a second wife, everything’s fine?“, auf: https://conflictoflaws.net/2018/no-handshake-no-citizenship-but-with-a-secondwife-everythings-fine/ (zuletzt abgerufen am 2. 12. 2020, 15.38 Uhr). 493 BVerwG, ZAR 2018, 313, 314. 494 BVerwG, ZAR 2018, 313, 314. 495 BVerwG, ZAR 2018, 313, 315 [Rn. 16 ff.] 496 BVerwG, ZAR 2018, 313, 315 [Rn. 22 f.] 497 BVerwG, ZAR 2018, 313, 315 [Rn. 22 f.]. 498 BVerwG, ZAR 2018, 313, 316 [Rn. 38]. 492

III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E

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dass dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt sei.499 Die Doppelehe des Klägers stehe dem nicht entgegen. Die Richter begründeten dies damit, dass das Bekenntnis-Erfordernis zwar bereichsspezifisch auszulegen sei, jedoch als „festen Begriffskern die Orientierung auf die staatliche Ordnung“ habe.500 Dieser werde durch die Doppelehe des Klägers jedoch nicht verletzt. Aus Art. 6 Abs. 1 GG folge keine Pflicht, auf Zweitoder Drittehen zu verzichten.501 Da keine Anhaltspunkte vorlägen, wonach eine der Ehefrauen zur Heirat gezwungen worden sei, begründe die Eheform auch keinen Sittenverstoß.502 Dies verdeutliche auch die gleichläufige Bewertung im Rahmen der kollisionsrechtlichen ordre public-Prüfung.503 Bei ihrer Ergebnisfindung verwiesen die Richter darauf, dass der Gesetzgeber frei darin sei, die Voraussetzungen für die Anspruchseinbürgerung zu verändern und zu verschärfen.504 Da ihm hierbei ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe, könne er insbesondere auch das Bestehen einer Mehrehe als Einbürgerungshindernis festlegen.505 Dieser mehr als offenkundige Hinweis des BVerwG stieß in der Politik schnell auf Resonanz.506 Nachdem der auf Mehrehen bezogene Änderungsvorschlag noch im April 2019 hinter in den Koalitionsverträgen beschlossenen Zielen zurückstehen musste, fand dieser bereits wenige Monate später in der oben beschriebenen Form Eingang in das StAG.507 Das gesetzgeberische Vorgehen erfuhr dabei nicht nur wegen seines zügigen, teils als übereilt erachteten Vorgehens, Kritik. Daneben wurde auch bemängelt, dass ein solches pauschales Vorgehen erhebliche Nachteile für die Betroffenen mit sich bringe.508 So schaffe das Polygamie-Verbot etwa bei Einbürgerung einen Anreiz für Männer, sich aus ihren möglicherweise seit langem bestehenden Ehen durch Scheidung zu lösen. Den daraus resultierenden Folgen für Ehefrau und mögliche Kinder sei im Entscheidungsprozess des Gesetzgebers nicht hinreichend Beachtung geschenkt worden.509 Besonders laut wurde jedoch der Vorwurf, dass die unbestimmte Formulierung des § 10 StAG n. F., der die „Einordnung in deutsche Lebensverhältnisse“ verlangt, als „Kulturvorbehalt“ instrumentalisiert werden

499 500 501 502 503 504 505 506 507 508 509

BVerwG, ZAR 2018, 313, 318 [Rn. 60]. BVerwG, ZAR 2018, 313, 317 [Rn. 47]. BVerwG, ZAR 2018, 313, 318 [Rn. 61]. BVerwG, ZAR 2018, 313, 318 [Rn. 65 f.]. BVerwG, ZAR 2018, 313, 318 [Rn. 61]. BVerwG, ZAR 2018, 313, 319 [Rn. 67]. BVerwG, ZAR 2018, 313, 319 [Rn. 67]. Vgl. dazu auch von Hein, in: Juristische Studiengesellschaft Jahresband 2018, 29, 72 ff. BGBl. 2019 I, 1124. Heiderhoff, NZFam 2020, 320, 324. Heiderhoff, NZFam 2020, 320, 324.

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

könne.510 Dies würde das „moderne“ Staatsangehörigkeitsrecht in seiner Entwicklung über 100 Jahre auf den Stand des „Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes“ von 1913 zurückwerfen. Daneben wurde angesichts des Verbots der Doppelehe auf zivil- und strafrechtlicher Ebene die Erforderlichkeit der Gesetzgebung angezweifelt.511 Es bleibt abzuwarten, ob sich die Prophezeiung des „Kulturvorbehalts“ in der Praxis bestätigen wird.512 Dies scheint angesichts der bereits bestehenden ausführlichen Rechtsprechung zu diesem unbestimmten Rechtsbegriff eher unwahrscheinlich.513 Denkbar ist jedoch, dass sich der gesetzgeberische Wunsch, ein Zeichen gegen Mehr- und Doppelehen zu setzen, mit der Änderung des StAG erfüllt ist, und somit ein weiteres Vorantreiben des bayrischen Gesetzesentwurfs ausbleiben wird.514 c) Ausblick Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Zahl polygamer Ehen vor deutschen Gerichten in Folge der Flüchtlingskrise weiter erhöhen wird. Dies stützt sich auf zwei Faktoren: Zunächst kommt es seit 2015 zu einer erhöhten Migration von Menschen aus Polygamie-freundlichen Ländern nach Deutschland und Europa. Bereits aus diesem Grund liegt es nahe, dass die absolute Zahl der Mehrehen im Inland steigt. Hinzu kommt, dass auch der prozentuale Anteil von polygamen Eheschließungen in den Hauptherkunftsländern in Folge von Bürgerkriegen ansteigt.

IV. Art. 13 Abs. 4 EGBGB Die noch verbleibende besondere Vorbehaltsklausel des Internationalen Eheschließungsrechts ist Art. 13 Abs. 4 EGBGB. Dieser setzt das nationale Gebot der obligatorischen Zivilehe auf kollisionsrechtlicher Ebene durch, indem die Norm bestimmt: Art. 13 EGBGB […] (4) Eine Ehe kann im Inland nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden. 510 Tabbara, Stellungnahme zum Gesetzesentwurf, 5, abrufbar unter: https://www.bundes tag.de/resource/blob/648722/4ec39d4478b24f4f715ddac1674a242f/A-Drs-19-4-315-C-data. pdf (zuletzt abgerufen am 26. 11. 2020, 16.18 Uhr). 511 Tabbara, Stellungnahme zum Gesetzesentwurf (vgl. Fn. 510), 6. 512 Dazu auch von Hein, in: Juristische Studiengesellschaft Jahresband 2018, 29, 72 f. 513 So auch Thym, Stellungnahme zum Gesetzesentwurf, 17 f., abrufbar unter: https://www. bundestag.de/resource/blob/648896/44db8970b8f8d2c0cc00cc530774f905/A-Drs-19-4-315-Ddata.pdf (zuletzt abgerufen am 26. 11. 2020, 16.21 Uhr). 514 So auch Basedow, FamRZ 2019, 1833, 1838.

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Bei Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB handelt es sich um eine Sachnormverweisung,515 die unmittelbar die eherechtlichen Vorschriften des BGB und damit insbesondere § 1310 Abs. 1 S. 1 BGB zur Anwendung bringt. Eine wirksame Ehe kann mithin in Deutschland nur durch Erklärung vor einem Standesbeamten geschlossen werden. Religiöse oder rituelle Eheschließungen entfalten demgegenüber keine Rechtswirkungen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist allein unter den Voraussetzungen des, ebenfalls als Sachnormverweisung anzuerkennenden,516 Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB möglich. Die zwingende Durchsetzung der Zivilehe auch bei Sachverhalten mit Auslandsbezug dient zunächst staatlichen Ordnungs- und Regulierungsinteressen:517 Durch die Mitwirkung öffentlicher Hoheitsträger bei der Trauung wird die ordnungsgemäße Prüfung aller Eheschließungsvoraussetzungen sichergestellt.518 Hierdurch wird Rechtssicherheit und Klarheit hinsichtlich des wirksamen Bestehens des jeweiligen Ehe-Statusverhältnisses erzielt.519 Neben der Wahrung hoheitlicher Interessen soll die zwingende Mitwirkung des deutschen Staates bei der Eheschließung auch dem Grundrechtsschutz der Verlobten bei der Eheschließung dienen:520 Durch die Mitwirkung des deutschen Standesbeamten soll insbesondere die Freiwilligkeit der Eheschließung sichergestellt werden. Wenn es bereits zu einer nicht-staatlichen Eheschließung unter Umgehung dieses Schutzmechanismus’ gekommen ist, wirkt Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB insofern zugunsten der schwächeren Partei, als diese aus rechtlicher Sicht nicht an den Ehepartner gebunden ist.521 Tatbestandlich erfasst Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB nur die formellen Aspekte der Eheschließung. Die Abgrenzung zu Fragen des materiellen Eherechts – und somit zum Anwendungsbereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB – erfolgt anhand einer teleologischen und funktionellen Qualifikation der jeweiligen Rechtsfrage.522 Generalisierend kann dabei festgehalten werden, dass unter das Formstatut alle Fragen der äußeren Gestaltung des Eheschließungsaktes fallen. So sind etwa Regelungen über die Mitwirkung eines Trauungsorgans,523 über die formelle Höchstpersönlichkeit 515 von Hein, in: MüKo BGB, Art. 4 EGBGB, Rn. 12; zur Form der Eheschließung als ausdrückliche Sachnormverweisung auch OVG Niedersachsen, Urt. v. 13. 12. 2007 – 8 LB 14/ 07 = FamRZ 2008, 1785, 1787; daran anschließend auch BVerwG, Beschl. v. 2. 6. 2008 – 6 B 17.08 = BeckRS 2008, 36361. 516 Dafür etwa von Hein, in: MüKo BGB, Art. 4 EGBGB, Rn. 12; anders aber Coester, in: MüKo BGB, Art. 13 EBGB, Rn. 129 sowie Majer, COVuR 2021, 11, 12. 517 Mörsdorf, in: BeckOK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 65. 518 Mit Hinweis darauf Sonnenberger, FS Coester-Waltjen, 787, 793. 519 Böhmer, FS Firsching, 41, 47; Mörsdorf, in: BeckOK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 67. 520 Mansel, in: Pluralistische Gesellschaften, 137, 179, der für die Eheschließung etwa das Beispiel der Vermeidung von Zwangsehen anführt. 521 Vgl. dazu von Hein, in: Juristische Studiengesellschaft Jahresband 2018, 29, 73 f. 522 Mörsdorf, in: BeckOK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 63. 523 BayOblG, Urt. v. 9. 12. 1999 – 1Z BR 138/98 = StAZ 2000, 145 ff.; Mäsch, in: jurisPK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 60.

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oder über die Anwesenheit von Zeugen vom Anwendungsbereich des Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB erfasst.524 Daneben greift Art. 13 Abs. 4 EGBGB auch bei Fragen hinsichtlich des Anerkenntnisses religiöser Trauungen oder – kraft Sachzusammenhangs – Vorbereitungshandlungen der Eheschließung (wie etwa das Aufgebot nach § 1309 Abs. 2 BGB).525 Dieser regelt dabei nicht nur die Voraussetzungen für eine wirksame Eheschließung, sondern ist zugleich auch auf die Frage nach den Rechtsfolgen bei einem formungültigen Eheschließungsakt anzuwenden.526 Eine Eheschließung unter Verletzung des § 1310 Abs. 1 S. 1 BGB führt zur Unwirksamkeit.527 Dies gilt insbesondere für rein religiöse Eheschließungen.528 Nichtstandesamtlich geschlossene Ehen werden – mit Ausnahme der Fälle des Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB – in Deutschland als „Nichtehen“ angesehen und entfalten im Inland keinerlei Wirkungen.529 Eine Ausnahme hiervon gilt im Sozialrecht. Seit der Witwenrenten-Entscheidung des BVerfG ist anerkannt,530 dass auch aus einer im Inland unter Verstoß gegen Art. 13 Abs. 4 EGBGB geschlossenen Ehe sozialrechtliche Rentenansprüche hervorgehen können.531 Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Ehe über einen längeren Zeitraum und in Vertrauen auf ihre Wirksamkeit im Inland geführt wurde. Der sozialrechtliche Ehebegriff weicht hier von dem des bürgerlichen Rechts ab.532 In räumlicher Hinsicht erfasst Art. 13 Abs. 4 EGBGB nur Inlandstrauungen. Hierunter versteht man Eheschließungen, bei denen sich die Trauungsperson in Deutschland befindet.533 Indem Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB stets deutsches Sachrecht für anwendbar erklärt, wird die Regelanknüpfung des Art. 11 EGBGB für die Form von Rechtsgeschäften durchbrochen. Dies wird ganz überwiegend mit dem deutschen ordre public begründet und Art. 13 Abs. 4 EGBGB mithin als besondere Vorbehaltsklausel verstanden.534 Hierfür wird argumentiert, dass Art. 13 Abs. 4 EGBGB das Verhältnis 524

Stürner, in: Erman BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 43. So zuletzt OLG Oldenburg, Beschl. v. 2. 11. 2020 – 12 W 123/20 (PS) = FamRZ 2021, 69 f.; BGH, Urt. v. 19. 12. 1958 – IV ZR 8758 = BGHZ 29, 137, 140; von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, § 4, Rn. 139. 526 Hausmann, in: Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, A. (Ehesachen), Rn. 619. 527 So etwa OLG Oldenburg, Beschl. v. 2. 11. 2020 – 12 W 123/20 (PS) = FamRZ 2021, 269 f. 528 So zuletzt OLG Oldenburg, Beschl. v. 2. 11. 2020 – 12 W 123/20 (PS) = FamRZ 2021, 69 f. 529 Erbarth, NZFam 2021, 9 ff.; Wellenhofer, in: MüKo BGB, § 1310 BGB, Rn. 26 f.; Majer, COVuR 2021, 11 ff.; Dölle, Familienrecht, Band I, 226. 530 BVerfG, Beschl. v. 30. 11. 1982 – 1 BvR 818/81 = BVerfGE 62, 323 ff.; siehe zur Witwenrenten-Entscheidung auch unter E.II.1.a)aa)(1)(a)(aa). 531 Samtleben, RabelsZ 52 (1988), 466, 495 f. 532 Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 533 f. 533 von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, § 4, Rn. 144. 534 Mörsdorf, in: BeckOK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 65; Rauscher, NJW 2019, 3486, 3487; zum alten Art. 13 Abs. 3 EGBGB schon Lauterbach, Vorschläge und Gutachten zur 525

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zwischen staatlicher und kirchlicher Eheschließung und damit eine „echte politische Frage“ zum Regelungsgegenstand habe.535 Diese Einordnung hat nur wenig Kritik erfahren. Allein Hepting verwies mehrfach darauf, dass die „Richtigkeit der Eheschließung und Klarheit der Register […] jedenfalls auch im öffentlichen Interesse [liege] und […] nicht allein mit kollisionsrechtlichen Kategorien zu beschreiben [sei]“.536 Ob er dies dahingehend verstanden wissen will, dass Art. 13 Abs. 4 EGBGB als Eingriffsnorm zu qualifizieren sei,537 ließ er offen. Die Einordnung von Art. 13 Abs. 4 EGBGB als Teil des nationalen ordre public überzeugt. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass der Einfluss öffentlich-rechtlicher Interessen am Regelungsgehalt einer Norm nicht deren Qualifikation als Vorbehaltsklausel entgegensteht. Zudem spricht auch der historisch gewachsene, stark kulturell geprägte Hintergrund der Norm für diese Einordnung.538 Im nachfolgenden Abschnitt soll die besondere Vorbehaltsklausel des Art. 13 Abs. 4 EGBGB näher untersucht werden. Dabei wird, entsprechend der vorherigen Vorgehensweise, zunächst die Entstehung der Norm nachvollzogen, bevor deren praktische Relevanz beleuchtet wird. Abschließend wird die gegen den besonderen Vorbehalt erhobene Kritik dargestellt. 1. Genese der Norm Um die Entstehung von Art. 13 Abs. 4 EGBGB verständlich zu machen, ist ein kurzer historischer Überblick über die Entwicklung des inländischen formellen Eheschließungsrechts erforderlich. a) Historischer Überblick zur Entstehung der obligatorischen Zivilehe Die Voraussetzungen für die formelle Wirksamkeit der Eheschließung sind historisch durch die Kompetenzstreitigkeiten von Staat und Kirche geprägt.539 Beide Institutionen nahmen wechselseitig in Anspruch, jedenfalls auch konstitutiver Bestandteil einer wirksamen Eheschließung zu sein. Dies zeigte sich bereits im ger-

Reform des deutschen internationalen Eherechts, 10; Beitzke, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Personen-, Familien und Erbrechts, 31; Sonnenberger, FS Martiny, 181, 186; darauf verweisen auch Hepting/Dutta, Familie und Personenstand, 257; Raape, FS Kiesselbach, 141, 143 f. 535 Müller, Das internationale Privatrecht der Eheschließung, in: Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Eherechts (1962), 37, 44. 536 Hepting/Dutta, Familie und Personenstand, 257 f.; Hepting, StAZ 1987, 154, 156. 537 Dieses Verständnis vertritt wohl Sonnenberger, FS Coester-Waltjen, 787, 793, der von einer „eingriffsrechtlichen Sonderanknüpfung“ spricht. 538 Zu dem historisch-kulturellen Ursprung siehe sogleich unter C.IV.1.a). 539 Insgesamt hierzu Maschwitz, Die Form der Eheschließung, 67 ff.

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manischen und im römischen Recht:540 Beide Systeme erkannten grundsätzlich die weltliche Eheschließung an. Parallel gab es jedoch schon damals Bestrebungen von Seiten der Kirche, eine zwingende Verbindung von weltlicher und religiöser Eheschließung herzustellen.541 Diese Zweipoligkeit setzte sich auch nach dem Ende des römischen Reichs fort. An Spannung gewann sie jedoch erst mit der Abspaltung der protestantischen Glaubensgemeinschaft von der katholischen Kirche.542 Letztere positionierte sich endgültig durch das auf dem Konzil von Trient (1563) erlassene und bis heute geltende Decretum Tametsi.543 Dieses bestimmt, dass eine Eheschließung aus Sicht der katholischen Kirche nur dann wirksam ist, wenn die Verlobten ihren Willen vor einem Pfarrer und wenigstens zwei Zeugen erklärt haben.544 Die Reformatoren unter Luther lehnten demgegenüber das Sakrament der Ehe ab und wiesen die Eheschließung staatlichen Organen zu.545 Im Zuge der Aufklärung, insbesondere aber durch die von der französischen Revolution bewirkte Lösung des Staates von der katholischen Kirche,546 wendete sich Mitteleuropa vermehrt der weltlichen Eheschließung zu.547 In Deutschland führten zunächst die rheinischen Provinzen, später auch weitere Länder die Zivilehe – teils fakultativ, teils zwingend – ein.548 Obligatorisch im gesamten Gebiet des deutschen Reichs wurde die Zivilehe erstmalig im Jahr 1875 durch § 41 des Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und der Eheschließung.549 Die Entstehung der Norm erfolgte im Lichte des „Bismarck’schen Kulturkampfes“ und sollte die völlige Trennung von Staat und Kirche in ehelichen Angelegenheiten besiegeln.550 Wenige Jahre später entschieden sich die Verfasser des BGB dafür, die Regelung für das deutsche Sachrecht beizubehalten.551 Ebenso sah auch die erste

540 Vgl. zum germanischen Recht Voppel, in: Staudinger, Einleitung zum Familienrecht, Rn. 76. 541 Maschwitz, Die Form der Eheschließung, 68 ff. 542 Koch, in: MüKo BGB, Einleitung zum Familienrecht, Rn. 5 ff. 543 Voppel, in: Staudinger, Einleitung zum Familienrecht, Rn. 78; Koch, in: MüKo BGB, Einleitung zum Familienrecht, Rn. 8. 544 Vgl. dazu Thomas, Formlose Ehen, 35. 545 Conrad, FS Lehmann, Band I, 113; Koch, in: MüKo BGB, Einleitung zum Familienrecht, Rn. 9; Maschwitz, Die Form der Eheschließung, 70 f. 546 Vgl. dazu Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 81; Koch, in: MüKo BGB, Einleitung zum Familienrecht, Rn. 12 ff.; Voppel, in: Staudinger, Einleitung zum Familienrecht, Rn. 86 f. 547 Conrad, FS Lehmann, Band I, 113. 548 Vergleiche etwa zur Einführung der obligatorischen Zivilehe in Preußen Conrad, FS Lehmann, Band I, 113 ff. 549 Vgl. dazu auch Koch, in: MüKo BGB, Einleitung zum Familienrecht, Rn. 2. 550 Maschwitz, Die Form der Eheschließung, 79; Sonnenberger, FS Coester-Waltjen, 787, 793. 551 Maschwitz, Die Form der Eheschließung, 80.

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Fassung des EGBGB schon eine Norm zur Durchsetzung dieses Grundsatzes auf kollisionsrechtlicher Ebene vor.552 Eine Durchbrechung erfuhr das Prinzip der obligatorischen Zivilehe erst wieder im Jahr 1947. Der durch das Kontrollratsgesetz Nr. 52 neu eingeführten § 15a EheG bestimmte:553 § 15a EheG 1. Als Ausnahme von den Bestimmungen der Paragraphen 11, 12, 13, 14, 15 und 17 dieses Gesetzes kann eine Ehe zwischen Verlobten, von denen keiner die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, vor einer von der Regierung des Landes, dessen Staatsangehörigkeit einer der Verlobten besitzt, ordnungsgemäß ermächtigten Person in der von den Gesetzen dieses Landes vorgeschriebenen Form geschlossen werden. 2. Eine beglaubigte Abschrift der Eintragung der so geschlossenen Ehe in das Eheregister, das von der dazu ordnungsgemäß ermächtigten Person geführt wird, ist als schlüssiger Beweis der Eheschließung anzusehen. Der deutsche Standesbeamte des Bezirkes, in dem die Eheschließung stattfand, hat auf Grund der Vorlage einer solchen beglaubigten Abschrift eine Eintragung in das Familienbuch zu machen und die Abschrift zu den Akten zu nehmen.

Die durch die Norm erzielte Aufweichung des bis dahin uneingeschränkt geltenden Grundsatzes „Inlandsehe – Inlandsform“ sollte vor allem Besatzungsehen zur Wirksamkeit verhelfen.554 Während die Relevanz der Regelung in dieser Funktion jedoch eher gering blieb,555 gewann sie infolge des „Gastarbeiterzuzugs“ ab den 1960er Jahren zunehmend an Bedeutung.556 Die Regelung des § 15a EheG a. F. wurde im Rahmen der IPR-Reform von 1986 als Art. 13 Abs. 3 S. 2 in das EGBGB überführt. Seit dem 17. Juli 2017 befindet sie sich in Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB. Inhaltlich ermöglicht die Norm zwei Verlobten, von denen keiner – wegen der Geltung des Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB jedenfalls auch557 – die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, im Inland nach dem Ritus eines ihrer Heimatstaaten zu heiraten. Dies gilt jedoch nur dann, wenn dies in Anwesenheit558 und durch eine vom Heimatstaat „ordnungsgemäß ermächtigte Person“ erfolgt. Dabei bestehen grundsätzlich keine expliziten Anforderungen an die Trauungsermächtigung. Eine solche ist nach Ansicht des BGH gegeben bei „jedem staatlichen Handeln, durch das der Entsendestaat zu erkennen gibt, dass er die Gewähr für eine seinen Gesetzen entsprechende formgerechte Eheschließung übernimmt“ und „dafür bürgt, dass die Mitwirkung der ermächtigenden Person an der in Deutschland vollzogenen Ehe552 Art. 46 § 41 EGBGB, veröffentlicht im Deutschen Reichsgesetzblatt, Band 1896, Nr. 21, 604 ff.; vgl. dazu auch Sonnenberger, FS Coester-Waltjen, 787, 793. 553 Gesetz Nr. 52 des Kontrollrates für Deutschland vom 21. 4. 1947 (ABl. KR S. 273). 554 Maschwitz, Die Form der Eheschließung, 105; Dölle, Familienrecht, Band I, 227; Hepting, StAZ 1987, 154. 555 Hepting, StAZ 1987, 154. 556 Coester, in: MüKo BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 138. 557 Mörsdorf, in: BeckOK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 68. 558 So die h. M., vgl. etwa Rentsch, in: BeckOGK, Art. 13 EGBGB, Rn. 260.

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schließung im Sinne seiner Rechtsordnung eine wirksame Ehe begründet“.559 Gefordert wird jedoch, dass die vom Staat erteilte Trauungsbefugnis gerade (auch) Eheschließungen im Ausland erfasst.560 Die Ermächtigung muss dabei nicht zwingend konkret-individuell erfolgen, auch eine Einräumung dieser Befugnis durch Gesetz genügt.561 Eine Einschränkung hiervon gilt nur für ausländische Priester und Geistliche. Ganz überwiegend wird für diese eine individuelle Beleihung für erforderlich erachtet.562 Begründet wird dies mit der Funktion des Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB: Dieser lässt die Trauung nach ausländischer Form im Inland zu, wenn der ausländische Staat sich sowohl für die Wirksamkeit der Eheschließung als auch für die die Trauung durchführende Person verbürgt. Dies wird durch das Erfordernis der ordnungsgemäßen Beleihung sichergestellt. Dieser Garantiefunktion wird jedoch nicht allein dadurch genüge getan, dass der ausländische Staat durch Gesetz erklärt, dass er religiöse Eheschließungen anerkenne.563 Die ordnungsgemäße Ermächtigung Geistlicher kann jedoch bereits durch Verbalnote der ausländischen Botschaft an das Auswärtige Amt erfolgen.564 b) Reformvorschläge und IPR-Reform Mit Blick auf die allgemein für erforderlich erachtete Reform des autonomen Internationalen Privatrechts wurden ab den 1960er Jahren vermehrt Stimmen laut, die sich für die Abschaffung der obligatorischen Zivilehe im Kollisionsrecht aussprachen.565 So schlug der Deutsche Rat für IPR bereits in seinem ersten Reformentwurf vor, es für die Form der Eheschließung bei der Regelanknüpfung des Art. 11 EGBGB zu belassen und § 15a EheG zu streichen. Die novellierte Kollisionsnorm sollte lauten: § A Eheschließung (1) Die Voraussetzungen der Ehe werden hinsichtlich jedes Verlobten nach dem Recht des Staates beurteilt, dem er angehört. Vor einem diplomatischen oder konsularischen Vertreter eines ausländischen Staates können Ehen in Deutschland nur geschlossen werden, wenn dies durch Staatsvertrag zugelassen ist. […]

Der Gefahr, dass durch die Wahl des Geschäftsstatuts in Deutschland hinkende Ehen entstünden, wollte der Entwurf durch eine fakultative Registrierung der Ehe 559

BGH, Beschl. v. 22. 1. 1965 – IV ZB 441/64 = BGHZ 43, 213, 223. BGHZ 43, 213, 223. 561 Stürner, in: Erman BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 50. 562 Rentsch, in: BeckOGK, Art. 13 EGBGB, Rn. 259.1.; Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 636. 563 Mörsdorf, in: BeckOK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 69. 564 Stürner, in: Erman BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 51. 565 Ausführlich zu diesen Reformbestrebungen Krause, Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht, 252 ff. 560

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beim deutschen Standesamt begegnen.566 Auch bei seinem zweiten Reformvorschlag im Jahr 1981 sprach sich der Rat für eine Abkehr vom damaligen Art. 13 Abs. 3 EGBGB aus. Dabei sollte diesmal eine ausdrückliche Verweisung auf Art. 11 EGBGB in den Normtext aufgenommen werden: § A (Eheschließung) […] (2) Für die Form der Eheschließung gilt Art. 11 Abs. 1 EGBGB. Vor einem diplomatischen oder konsularischen Vertreter eines ausländischen Staates kann die Ehe im Inland nur geschlossen werden, wenn dies durch Staatsvertrag zugelassen ist.

Auch Kühne sah in seinem Reformentwurf den Wegfall von Art. 13 Abs. 3 EGBGB a. F. vor. Die von ihn entwickelte Norm lautete: § 13 Form der Eheschließung Für die Form der Eheschließung gilt § 6 Abs. 1. Vor einem diplomatischen oder konsularischen Vertreter eines ausländischen Staates können im Inland Ehen jedoch nur geschlossen werden, wenn dies durch Staatsvertrag zugelassen ist. § 6 Form des Rechtsgeschäfts (1) Für die Form eines Rechtsgeschäfts gelten die Gesetze, welche für das den Gegenstand des Rechtsgeschäfts bildende Rechtsverhältnis maßgebend sind. Es genügt jedoch die Beobachtung der Gesetze des Ortes, an dem das Rechtsgeschäft vorgenommen wird. […]

Übereinstimmend mit den vorgenannten Vorschlägen für die Gesetzesänderung sah auch der Gegenentwurf des Max-Planck-Instituts eine Novellierung des formellen Eheschließungsrechts vor:567 These 7: (1) Für die Form der Eheschließung genügt die Beachtung des Heimatrechts eines der Verlobten oder des Ortsrechts. (2) Wird die Ehe im Inland anders als vor dem deutschen Standesbeamten geschlossen, so kann das Bestehen dieser Ehe erst geltend gemacht werden, wenn die Eheschließung dem deutschen Standesbeamten zur Registrierung angezeigt worden ist.

Dieser unter der Leitung von Dopffel und Siehr erarbeitete Reformvorschlag unterschied sich dabei insofern von den vorangegangenen Vorschlägen,568 als er jedenfalls dann, wenn die nach ausländischem Recht im Inland geschlossene Ehe hier Wirkung entfalten sollte, deren standesamtliche Registrierung verlangte. Ähnlich äußerten sich auch Neuhaus und Kropholler in ihrem Entwurf. Sie sahen 566 Der vorgeschlagene § 42a PStG-E lautet: „Haben die Eheleute ihre Ehe im Bundesgebiet auf Grund des Art. 13 Abs. 1 EGBGB in anderer Weise als vor einem deutschen Standesbeamten geschlossen, so kann jeder von ihnen beantragen, dass die Eheschließung ins deutsche Standesregister eingetragen wird.“ 567 Basedow/Siehr, RabelsZ 44 (1980), 344, 357. 568 Zum Reformvorschlag siehe unter C.I.1.d)dd).

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für die Form der Eheschließung die Regelanknüpfung des Art. 11 EGBGB als maßgeblich an und wollten „eine Registrierungspflicht für nicht-standesamtliche, inländische Ehen nicht als Gültigkeits-, aber als Beweiserfordernis“ einführen.569 Trotz dieser einhelligen Stimmung in der Wissenschaft entschied sich der Reformgesetzgeber für ein Festhalten an Art. 13 Abs. 3 EGBGB a. F. Im Rahmen der IPR-Reform wurde lediglich § 15a EheG in das EGBGB überführt. Dies entsprach der zuvor vielfach geäußerten Kritik, wonach es sich bei der Ausnahmeregelung um eine Norm des Kollisionsrechts handele und die Verankerung im materiellen Eherecht daher unpassend sei.570 Der Gesetzgeber begründete den Fortbestand von Art. 13 Abs. 3 EGBGB a. F. zunächst mit dem dadurch erzeugten Einklang des materiellrechtlich weiterhin geltenden Prinzips der obligatorischen Zivilehe.571 Hinsichtlich der vielfach geäußerten Sorge vor der Entstehung hinkender Ehen verwies er darauf, dass dieser Problematik durch Art. 13 Abs. 3 S. 2 EGBGB a. F. hinreichend entgegengewirkt werde. Weitere darüber hinausgehende Ausnahmen wurden für nicht erforderlich erachtet.572 Der Gesetzgeber sah sich in seiner Entscheidung zudem dadurch legitimiert, dass auch „zahlreiche andere Rechtsordnungen ähnliche Bestimmungen“ beinhalteten.573 2. Praktische Relevanz Die praktische Relevanz von Art. 13 Abs. 4 EGBGB wird anhand der Anzahl von Eheschließungen von Ausländern im Inland erkennbar. Von den knapp über 400.000 Eheschließungen in Deutschland im Jahr 2016 fanden ca. 2,5 % zwischen zwei Ausländern statt.574 Dabei wurde die Zahl der Eheschließungen, die von einer vom ausländischen Staat ermächtigten Person vorgenommen wurde, bislang nicht veröffentlicht. Für die deutschen Gerichte gehen die Zahlen der zu Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB ergangenen Streitigkeiten jedoch seit der Jahrtausendwende zurück. Eine Erklärung hierfür wäre ein grundsätzlicher Rückgang religiöser Eheschließungen, möglicherweise aber auch die Akzeptanz der in Deutschland maßgeblichen Eheschließungsform.

569

Neuhaus, RabelsZ 44 (1980), 326, 329. Raape, FS Kiesselbach, 141, 145; Dölle, Familienrecht, Band I, 227. 571 BT-Drucks. 10/504, 53. 572 BT-Drucks. 10/504, 53. 573 BT-Drucks. 10/504, 53. 574 https://www.bib.bund.de/DE/Fakten/Fakt/pdf/L117-Eheschliessungen-Deutsche-Ausla ender-ab-1960-Prozent.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (zuletzt abgerufen am 27. 2. 2020, 11.16 Uhr). 570

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3. Kritik Wie bereits die Vorschläge zur Reform des EGBGB verdeutlichen, stößt die zwingende Durchsetzung des Grundsatzes „Inlandsehe – Inlandsform“ bei Teilen der Wissenschaft auf Missfallen.575 Dabei wird vorrangig ins Feld geführt, dass die Durchsetzung des locus regit actum-Grundsatzes zu hinkenden Rechtsverhältnissen führe.576 Dieses Ergebnis sei nicht durch hinreichend gewichtige Interessen gerechtfertigt.577 Letzteres gelte insbesondere deshalb, da die Regelung unter dem Eindruck des „Bismarck’schen Kulturkampfes“ entstanden und somit nicht mehr zeitgemäß sei.578 Zudem sei es nicht erforderlich, die Inlandsform generell und ohne Beachtung des Einzelfalls mittels eines besonderen ordre public-Vorbehalts durchzusetzen. Die Zivilehe könne vielmehr, wenn und soweit erforderlich, durch die allgemeine Vorbehaltsklausel zur Anwendung gelangen.579 Insbesondere werden auch die erheblichen Härten kritisiert, die aus der Nichtbeachtung des Art. 13 Abs. 4 EGBGB resultieren.580 Zusätzlich wird auch darauf hingewiesen, dass besondere Vorbehaltsklauseln als „nationale Überspitzungen“ zu vermeiden seien.581 Die Kritiker der Norm weisen zudem darauf hin, dass allein aus der Existenz vergleichbarer Regelungen in den Rechtsordnungen anderer europäischer Staaten keine Legitimation folge.582 Abschließend verweisen die Vertreter dieser Ansicht darauf, dass mit einer Abkehr vom Grundsatz der obligatorischen Zivilehe im Kollisionsrecht dieses Prinzip keineswegs zwingend im materiellen deutschen Eherecht in Frage gestellt würde.583

575

Vgl. dazu etwa Krause, Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht, 252 ff. Lauterbach, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Eherechts, 10; Beitzke, Vorschläge und Gutachten zur Reform, 32; Stoll, in: Vorschläge und Gutachten zur Reform, 106; Mörsdorf, in: BeckOK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 67; Coester, in: MüKo BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 137; Mäsch, in: jurisPK BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 67; Andrae, in: NomosKommentar BGB, Art. 13 EGBGB, Rn. 103; Schurig, in: Soergel, Art. 13 EGBGB, Rn. 84; so auch Iskander, Hinkende Ehen zwischen islamischem Recht und europäischem internationalen Privatrecht, 93; Dölle, Familienrecht, Band I, 226; auf diesen Kritikpunkt verweist auch Hepting, StAZ 1987, 154. 577 Beitzke, Vorschläge und Gutachten zur Reform, 32. 578 Hierauf verweist Sonnenberger, FS Martiny, 181, 187; ders., FS Coester-Waltjen, 787, 793. 579 Raape, FS Kiesselbach, 141, 146 f. 580 Neuhaus, RabelsZ 44 (1980), 326, 329. 581 Lauterbach, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Eherechts, 10; Dölle, Familienrecht, Band I, 226. 582 Lauterbach, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Eherechts, 11. 583 Lauterbach, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Eherechts, 11; Beitzke, Vorschläge und Gutachten zur Reform, 32. 576

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C. Besondere ordre public-Vorbehalte des Internationalen Eheschließungsrechts

Den Kritikern des Art. 13 Abs. 4 EGBGB stehen jedoch auch Stimmen gegenüber, die die kollisionsrechtliche Durchsetzung der obligatorischen Zivilehe positiv bewerten. Hierzu verweisen sie darauf, dass der Zwang zur standesamtlichen Eheschließung fehlerhaften Ehen in Deutschland vorbeuge und damit die Klarheit der Registerführung fördere.584 Die genannten Aspekte seien insbesondere bei Eheschließungen von Ausländern von besonderer Bedeutung, da die hier zu behandelnden Rechtsfragen häufig besonders komplex seien.585 Zudem wird darauf verwiesen, dass das Erfordernis der zivilen Eheschließung in Deutschland nicht „eine […] prinzipielle […] Geringschätzung der religiösen Form“ bedeute, sondern auf der Erwägung beruhe, „dass man die Prüfung der bei einer Eheschließung auftretenden schwierigen Rechtsfragen am besten bei einer spezialisierten Behörde mit ausgebildeten Beamten“ konzentriere.586 Die Befürworter von Art. 13 Abs. 4 EGBGB führen zudem die Einheitlichkeit der Rechtsordnung ins Feld: Solange man auf materiellrechtlicher Ebene zwingend die Trauung vor dem Standesbeamten anordne, sei das kollisionsrechtliche Pendant des Art. 13 Abs. 4 EGBGB „die unabdingbare notwendige Sicherung dieses Grundsatzes auf internationaler Ebene“.587 Die Gefahr der Entstehung hinkender Ehen wird zwar erkannt, es wird jedoch darauf verwiesen, dass dies nicht der Regelung des Art. 13 Abs. 4 EGBGB geschuldet sei, sondern „der Nichtrespektierung unserer [der deutschen] Territorialitätshoheit durch die konfessionellen Regelungen der betreffenden Staaten“.588 Dass aus dem Grundsatz des Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB unwirksame Ehen resultierten, sei zudem nicht als besonders scharfe Rechtsfolge anzusehen, sondern entspreche dem „allgemeinen Grundsatz“, wonach „formungültig geschlossene Rechtsgeschäfte nicht zustande kommen“.589 Die Ausnahmeregelung des Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB erfuhr deutlich weniger Kritik. Ferid jedoch, der sich für die Beibehaltung des Grundsatzes „Inlandsehe – Inlandsform“ aussprach, erachtete diese als überflüssig. Er kritisierte, dass „die Norm […] den Behörden die Abwicklung ihrer Angelegenheiten sowie den deutschen Behörden (insbesondere den Standesämtern) die Führung der Personenstandsregister und die Beurteilung des Personenstands der Beteiligten [erschwere]“. Die Regelung sei daher „eindeutig abschaffungswürdig“, da es sich um ein „von außen auferlegtes Relikt der Auslandsvertretungen [handele], das in heutiger Zeit keine Existenzberechtigung mehr“ habe.590 Auch Coester-Waltjen bezeichnet die Norm als „in vielerlei Hinsicht nicht unproblematisch“591 und 584 Hepting/Dutta, Familie und Personenstand, 257; auf den Aspekt der Registerführung verweist auch Krause, Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht, 259 f. 585 Hepting/Dutta, Familie und Personenstand, 257. 586 Hepting/Dutta, Familie und Personenstand, 257. 587 Ferid, Internationales Privatrecht, § 8, Rn. 8 – 46. 588 Ferid, Internationales Privatrecht, § 8, Rn. 8 – 48. 589 Böhmer, FS Firsching, 41, 47. 590 Ferid, Internationales Privatrecht, § 8, Rn. 8 – 45. 591 Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 32.

IV. Art. 13 Abs. 4 EGBGB

157

spricht sich primär für die Abschaffung der Norm aus.592 Bei einem Beibehalten der Norm soll diese aber jedenfalls, entsprechend ihrem Vorbild in § 15 EheG a. F., zurück ins Sachrecht überführt werden.593

592 593

Siehe Fn. 591. Siehe Fn. 591.

D. Rechtsvergleichende Untersuchung I. Einleitung „The doctrine of ordre public international is the negation of international private law, it is the triumph of nationalism over internationalism, of policy over uniformity or harmony.“1

Wie in den beiden vorangegangenen Kapiteln dieser Arbeit dargestellt wurde, dienen besondere ordre public-Vorbehalte der Durchsetzung staatlicher Interessen auf kollisionsrechtlicher Ebene.2 Dies tun sie, indem sie bei bestimmten internationalen Sachverhalten die Anwendung ausländischen Rechts untersagen und stattdessen inländisches Sachrecht zur Anwendung bringen. Eine Prüfung des Einzelfalls findet dann nicht mehr oder nur in der vorgeschriebenen Form statt. Im Internationalen Eheschließungsrecht hat der deutsche Gesetzgeber in drei Fällen einen derart starken Schutz der inländischen Werteordnung für erforderlich erachtet: Im Umgang mit ausländischen, dem deutschen Recht unbekannten Ehehindernissen, bei Kinderehen sowie bei der Form der Eheschließung im Inland. Zudem wird vorgeschlagen, auch im Fall polygamer Ehen einen solchen starken Schutz der inländischen Werteordnung zu verfolgen. Die in diesem Kapitel unternommene rechtsvergleichende Untersuchung soll nun untersuchen, ob es sich bei diesen Fallgruppen um Konstellationen handelt, die allein aus Sicht des deutschen Gesetzgebers eine besondere Relevanz für die inländische Werteordnung aufweisen. Alternativ erscheint es auch denkbar, dass es sich hierbei um grundsätzlich besonders sensible Bereiche des Internationalen Eheschließungsrechts handelt, die dementsprechend immer ein gesteigertes Schutzbedürfnis zugunsten staatlicher Interessen hervorrufen. Sollte sich zeigen, dass auch andere Staaten in den genannten Konstellationen stets ihre nationalen Interessen durch Anwendung inländischen Rechts durchsetzen, könnte dies bei der im letzten Kapitel vorzunehmenden Bewertung der einzelnen Vorbehaltsklauseln als Indikator für ein legitimes Interesse des deutschen Gesetzgebers dienen. Die rechtsvergleichende Untersuchung soll anhand der englischen Rechtsordnung erfolgen.3 Diese bietet sich aus mehreren Gründen in besonderem Maße an: Zunächst ermöglicht der Vergleich mit dem englischen Recht die Gegenüberstellung 1

Kahn-Freund, Selected Writings, 247. Vgl. dazu unter B.I.2.b). 3 Dies erfasst hier nur das Recht von England. Schottisches, walisisches oder nordirisches Recht bleiben mithin für die Untersuchung außer Betracht. 2

I. Einleitung

159

des am geschriebenen Gesetzestext orientierten deutschen Rechts mit einer an der Rechtsprechung orientierten Common Law-Rechtsordnung. Dies scheint insbesondere im stark durch Wertungsfragen geprägten Bereich des Eheschließungsrechts interessant. Zudem weist das englische Recht aufgrund der kolonialen Vergangenheit Großbritanniens eine breite Rechtsprechung insbesondere zu polygamen Ehen auf. Zuletzt bietet sich auch der Bereich der Kinderehen aufgrund eines im Jahr 2020 eingebrachten, neuen Gesetzesvorhaben in besonderem Maße für eine vergleichende Forschung an. Die Untersuchung beschränkt sich dabei auf das Recht Englands. Die schottische, walisische und nordirische Rechtsordnung bleiben außen vor. Um die Untersuchung des englischen Rechts nachvollziehen zu können, ist es erforderlich, zunächst einige grundsätzliche systematische und begriffliche Grundlagen der englischen (Kollisions-)Rechtsordnung zu erläutern. 1. Die Rechtsquellen des englischen IPR Das englische Kollisionsrecht hat sich im Vergleich zu den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen erst spät entwickelt. Echte Relevanz erlangte es erst im Laufe des 19. Jahrhunderts in Folge des vermehrten Handels- und Personenverkehrs zwischen England und dem Kontinent.4 Seine Bedeutung nimmt seitdem aufgrund der zunehmenden Internationalisierung von Sachverhalten stetig weiter zu. Vorrangige dogmatische Grundlage des englischen IPR ist dabei zunächst das geschriebene Gesetzesrecht. Dieses erfasst sowohl internationale Rechtsvereinheitlichungen als auch nationale Kodifikationen. Insbesondere letztere sind dabei jedoch bislang im englischen Recht nur bruchstückhaft vorhanden.5 Besondere Bedeutung für das IPR hat daher die Rechtsprechung der englischen Gerichte erlangt. Hierbei – sowie insgesamt im englischen Recht – spielt die so genannte Doctrine of precedent (die Relevanz von Präjudizen) eine besondere Rolle. Diese beinhaltet zwei grundsätzliche Erwägungen: Zunächst gibt sie vor, dass vorangegangene gerichtliche Entscheidungen als maßgebende Rechtsauffassungen (authorities) angesehen werden können. Es ist somit möglich, rechtliche Argumentation allein durch Verweis auf ein entsprechendes Präjudiz zu begründen. Des weiteren besagt die Doktrin, dass die Gerichte an die vorangegangenen Entscheidungen höherer oder gleichrangiger Gerichte gebunden sind (stare decisis).6 Frühere Gerichtsentscheidungen dienen mithin nicht allein als Wissensquelle zur Weiterentwicklung des Rechts, sondern begrenzen die Gerichte zugleich in ihrer Entscheidungsfreiheit. Einschränkend ist dem hinzuzufügen, dass stets nur die Rechtsfrage einer Entscheidung und ihre Begründung Bindungswirkung entfaltet

4 5 6

Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 1, Rn. 1-018. Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 1, Rn. 1-019. Hierzu umfassend Bell, in: English Private Law, Rn. 1.61 ff.

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

(ratio decidendi), für Tatsachenfragen sowie sonstige Äußerungen des Gerichtes (obiter dicta) gilt dies nicht.7 Zuletzt wird das englische IPR durch die Rechtswissenschaft im engeren Sinne, mithin vor allem durch die rechtswissenschaftliche Literatur geprägt. Hier hat insbesondere das Werk von Dicey, Morris und Collins und die darin aufgestellten rules besondere Bedeutung erlangt. Daneben wirkte auch die englische Law Commission stets bei der Ausgestaltung des Kollisionsrechts mit. Hierbei handelt es sich um eine durch den Law Commissions Act 1965 geschaffene staatliche, nicht-politische Organisation. Ihre Aufgabe ist es, das englische Recht auf Reformmöglichkeiten zu überprüfen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden dabei regelmäßig in sogenannten reports zu bestimmten Teilrechtsgebieten veröffentlicht.8 2. Ordre public Das Thema dieser Arbeit verlangt es, kurz auf die Bedeutung der ordre publicDoktrin für das englische IPR einzugehen. Diese unter der Bezeichnung public policy firmierende Rechtsfigur hat im englischen Kollisionsrecht weit weniger Beachtung erlangt als in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen.9 Zur Begründung dessen wird auf die Struktur des englischen IPR verwiesen. Dieses gelangt häufig zur Anwendbarkeit inländischen Rechts.10 Insbesondere gilt dies für die ordre publicrelevanten Bereiche des Ehe- oder Scheidungsrechts.11 Zudem wird gerade für die Anwendung des Vorbehalts auf internationale Sachverhalte immer wieder betont, dass hier Zurückhaltung an den Tag zu legen sei.12 Neben diesen strukturellen Verschiedenheiten stimmt die Systematik der public policy jedoch mit der des kontinentaleuropäischen ordre public überein: Auch hier wird allein das Ergebnis der Anwendung der ausländischen Rechtsnorm einer Überprüfung unterzogen, wobei ebenfalls die Relativität des Vorbehalts zu beachten ist.13 3. Domicile Ein weiterer, hier aus Verständnisgründen zu erörternder Punkt ist das domicilePrinzip. Dieses nimmt in England eine der Staatsangehörigkeit im deutschen Recht vergleichbare Rolle ein,14 indem es als Anknüpfungspunkt für das Personalstatut 7

Bell, in: English Private Law, Rn. 1.74 ff. Hierzu https://www.lawcom.gov.uk (zuletzt abgerufen am 30. 9. 2020, 10.12 Uhr). 9 Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 1, Rn. 5-004. 10 Kahn-Freund, Selected Writings, 236 f. 11 Kahn-Freund, Selected Writings, 236. 12 Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, 140. 13 Kahn-Freund, Selected Writings, 236. 14 Ludwig, jurisPK BGB, Art. 4 EGBGB, Rn. 101.

8

I. Einleitung

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fungiert.15 Das Wesen des domicile, welches im englischen Recht am ehesten mit „permanent home“ übersetzt wird, setzt dabei zwei Elemente voraus.16 Es verlangt zunächst objektiv die physische Anwesenheit an einem Ort.17 In subjektiver Hinsicht ist zudem der Wille, an diesem Ort dauerhaft oder jedenfalls für einen unbeschränkten Zeitraum zu bleiben, erforderlich (so genannter animus manendi et non rivertendi).18 Reisende begründen somit auch bei längerem Aufenthalt am Urlaubsort kein domicile, gleiches gilt für stationierte Soldaten.19 Das domicile dient dazu, eine Person mit einer bestimmten Rechtsordnung zu verbinden. Folglich bezieht sich dieses stets auf ein „Rechtsterritorium“ und nicht etwa auf einen einzelnen Ort.20 Dies hat gegenüber dem Staatsangehörigkeitsprinzip den Vorteil, dass bei Staaten, die in einzelne Gliedstaaten mit eigenen Rechtsordnungen unterteilt sind (etwa Großbritannien, die USA oder Kanada), eine Person konkret einer solchen einzelnen Rechtsordnung zugeordnet werden kann.21 Unterschieden wird zwischen zwei verschiedenen Formen des domicile: das domicile of origin und das domicile of choice. Das domicile of origin wird mit der Geburt, abgeleitet von dem domicile der Eltern im Zeitpunkt der Geburt, erworben und besteht bis zur Volljährigkeit einer Person fort.22 Ab diesem Zeitpunkt ist es möglich, ein neues domicile, das domicile of choice, zu erwerben. Dieses erfolgt ebenfalls und ausschließlich durch die zwei oben bereits dargestellten Elemente. Dabei werden an den Wechsel beziehungsweise die Neubegründung eines domicile grundsätzlich hohe Anforderungen gestellt.23 Zusätzlich gilt, dass eine Person stets nur ein domicile gleichzeitig haben kann.24 Sollte Unklarheit über den Erwerb eines neuen domicile bestehen, wird vermutet, dass das alte domicile so lange fortbesteht, bis der Erwerb des neuen gewiss ist.25 Zudem kann eine Person nie ohne domicile sein. Sollte ein erworbenes domicile of choice daher aufgelöst werden, ohne, dass ein neues begründet wurde, führt dies nicht etwa zur domicile-Losigkeit. Vielmehr lebt für diesen Zeitraum das ursprüngliche domicile of origin wieder auf.26

15

Henrich, in: Staudinger, Anhang zu Art. 4 EGBGB, Rn. 6. Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 1, Rn. 6-004 ff. 17 von Hein, in: MüKo BGB, Art. 5 EGBGB, Rn. 138. 18 Solomon, in: Burandt/Rohjan, Erbrecht, Länderbericht England und Wales (Vereinigtes Königreich), Rn. 6. 19 Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 1, Rn. 6-005; von Hein, in: MüKo BGB, Art. 5 EG GB, Rn. 138. 20 von Hein, in: MüKo BGB, Art. 5 EGBGB, Rn. 137. 21 Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, 156. 22 Morris, The Conflict of Laws, Rn. 2-028. 23 von Hein, in: MüKo BGB, Art. 5 EGBGB, Rn. 138. 24 Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 1, Rn. 6R-013 ff. 25 Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, 156. 26 Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, 173. 16

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

4. Anknüpfung im Internationalen Eheschließungsrecht Unterschiedliche Anknüpfungspunkte für die formellen und materiellen Aspekte der Eheschließung existieren im englischen Recht seit 1858. Zuvor wurden sämtliche Fragen hinsichtlich der Trauung einheitlich anhand der lex loci beurteilt. Seit der Abkehr hiervon werden Aspekte der materiellen Eheschließung an das Recht des domicile des jeweiligen Verlobten im Zeitpunkt der Eheschließung (so genanntes antenuptiual domicile) angeknüpft. Formelle Fragen der Eheschließung werden dagegen weiterhin anhand der lex loci beurteilt. Während letztere Anknüpfungsregel allgemein akzeptiert ist,27 gilt dies nicht für die kollisionsrechtliche Behandlung der materiellen Eheschließungsaspekte. Cheshire brachte mit der intended matrimonial home-Theorie einen Gegenvorschlag zu der bis dato vorherrschenden domicileRegel (so genannte dual domicile-Theorie) ein. Seiner Ansicht nach solle zwar grundsätzlich an der Vermutung festgehalten werden, wonach sich Fragen der materiellen Ehefähigkeit nach dem domicile des männlichen Verlobten beurteilen. Diese Regel könne aber von den Verlobten widerlegt werden, indem sie nachweisen, dass sie nach der Hochzeit einen gemeinsamen Wohnsitz in einem anderen Rechtsterritorium begründen wollen und dieser Umstand dann auch tatsächlich eintritt. In diesem Falle seien Fragen des materiellen Eheschließungsrechts nach dem Recht dieses gemeinsamen ehelichen domicile zu beurteilen.28 Zur Unterstützung seiner Theorie verwies Cheshire vor allem darauf, dass es angemessen sei, Fragen des materiellen Eherechts nach dem Recht der Gemeinschaft zu beurteilen, die mit der Ehe am ehesten in Berührung gelange. Dies sei denklogisch diejenige, in der die Ehe gelebt werde.29 Die intended matrimonial home-Theorie konnte sich jedoch nicht endgültig durchsetzen. Zwar wurde sie in einigen gerichtlichen Entscheidungen relevant,30 das Gros der Urteile knüpfte und knüpft aber weiterhin die Eheschließungsfähigkeit nach der dual domicile-Theorie an. Auch die Law Commission hat sich für letztere Theorie ausgesprochen.31 Zu beachten ist, dass die kollisionsrechtliche Anknüpfung sowohl der formellen als auch der materiellen Aspekte der Eheschließung in England nicht kodifiziert ist. Dies beruht nicht etwa auf gesetzgeberischer Nachlässigkeit. Vielmehr soll dies flexible Regelungen zugunsten des Einzelfalls ermöglichen und zugleich Entscheidungen zugunsten der Wirksamkeit der Ehe begünstigen.32 27

Vgl. dazu umfassend unter D.V. Siehe zu dieser Theorie umfassend Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, 896 ff. 29 Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, 896. 30 So etwa in De Reneville v. De Reneville, [1948] P 100; Kenward v. Kenward, [1951] P 124; Radwan v. Radwan (No. 2), [1973] Fam 35. 31 Bericht der Law Commission (Law Com. No. 165) [1987], 4, abrufbar unter: https://s3eu-west-2.amazonaws.com/lawcom-prod-storage-11jsxou24uy7q/uploads/2016/07/LC.-165SC.-105-PRIVATE-INTERNATIONAL-LAW-CHOICE-OF-LAW-RULES-IN-MARRIAGE. pdf (zuletzt abgerufen am 26. 11. 2020, 16.50 Uhr). 32 Bericht der Law Commission (Law Com. No. 165) [1987], 6. 28

II. Ausländische Ehehindernisse im englischen Recht

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Nachdem die Grundlagen für das Verständnis des englischen Ehekollisionsrechts gelegt wurden, folgt nun die rechtsvergleichende Untersuchung. Dabei wird in der gleichen Reihenfolge wie bei der Darstellung der deutschen Normen vorgegangen: Zunächst wird daher der Umgang mit ausländischen Eheverboten beleuchtet. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Fall einer scheidungsfeindlichen ausländischen Rechtsordnung. Anschließend werden die Fälle der Kinderehen sowie der polygamen Ehen untersucht. Abschließend wird die Formfrage bei Eheschließungen im Inland dargestellt.

II. Ausländische Ehehindernisse im englischen Recht Im nachfolgenden Teil der Arbeit wird untersucht, wie das englische Kollisionsrecht mit ausländischen Ehehindernissen umgeht. Dies soll einen Vergleich mit derjenigen Rechtslage ermöglichen, die in Deutschland zur Schaffung des Art. 13 Abs. 2 EGBGB führte. Zudem kann hierdurch eine Gegenüberstellung der englischen Vorgehensweise mit der des deutschen Gesetzgebers erfolgen. Dabei wird zunächst wegen der Vergleichbarkeit mit dem Spanier-Beschluss der Fall der Scheidungsfeindlichkeit des ausländischen Rechts untersucht. Anschließend wird der Umgang mit sonstigen ausländischen Ehehindernissen beleuchtet. 1. Scheidungsfeindliches ausländisches Recht/Sec. 50 Family Law Act 1986 Bei der Untersuchung des englischen Rechts auf sein Verfahren bei scheidungsfeindlichen Rechtsordnungen wird die Vorschrift der Sec. 50 des Family Law Act 1986 relevant. Diese bestimmt: Sec. 50 Non recognition or annulment in another jurisdiction no bar to remarriage Where, in any part of the United Kingdom (a) a divorce or annulment has been granted by a court of civil jurisdiction, or (b) the validity of a divorce or annulment is recognised by virtue of this Part, the fact that the divorce or annulment would not be recognised elsewhere shall not preclude either party from the marriage from forming a subsequent marriage or civil partnership in this part of the United Kingdom or cause the subsequent marriage or civil partnership of either party (wherever it takes place) to be treated as invalid in that part.

Die Norm bietet sich als Ausgangspunkt für die Untersuchung des englischen Rechts an. Sie scheint eine ähnliche Fragestellung wie der Spanier-Beschluss des BVerfG vor Augen zu haben. Zur Erinnerung: Das BVerfG befasste sich in dieser Entscheidung mit der Frage, wie deutsche Hoheitsträger mit einer Heirat umzugehen haben, bei der das Personalstatut eines Verlobten die Ehe als unauflöslich begreift,

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

eine vorangegangene Ehescheidung daher nicht anerkennt und deshalb die Eheschließungsfähigkeit seines Staatsangehörigen verneint.33 Sec. 50 des Family Law Act 1986 beantwortet dies, indem angeordnet wird, dass eine Wiederheirat dann im ganzen Vereinigten Königreich möglich ist, wenn dieser eine von einem britischen Gericht ausgesprochene oder anerkannte Scheidung oder Ehenichtigkeitserklärung vorausgegangen ist. Dies gilt auch dann, wenn die Scheidung oder die Nichtigkeitserklärung von einem anderen Staat, etwa dem Staat des domicile, nicht anerkannt wird. Ebenso müssen britische Gerichte unter den gleichen Bedingungen eine im Ausland erfolgte erneute Heirat anerkennen. Für den Vergleich mit Art. 13 Abs. 2 EGBGB ist von Interesse, ob Sec. 50 ebenfalls als Norm des englischen nationalen ordre public qualifiziert werden kann. Sollte dies nicht der Fall sein, bleibt zu fragen, auf welche andere Weise sich das Recht Englands der Problematik scheidungsfeindlicher ausländischer Rechtsordnungen angenommen hat und ob sich hieraus etwas für die Beurteilung der deutschen Vorbehaltsklausel gewinnen lässt. a) Genese der Norm Um die Genese von Sec. 50 Family Law Act 1986 verständlich zu machen, ist es erforderlich, die maßgeblichen Entscheidungen zur Thematik der scheidungsfeindlichen Rechtsordnungen nachzuvollziehen. Im Anschluss an die jeweilige Entscheidung wird stets die hierzu erfolgte Kritik dargestellt, bevor die Besonderheiten des jeweiligen Urteils herausgestellt und analysiert werden. aa) Padolecchia v. Padolecchia, 31. Juli 1967 (1) Sachverhalt und Entscheidung Der erste Fall, der die Thematik scheidungsfeindlicher Rechtsordnungen am 31. Juli 1967 vor den englischen High Court of Justice brachte, war Padolecchia v. Padolecchia.34 Das Gericht hatte sich mit der Wirksamkeit einer im Jahr 1964 in England zwischen einem Domizilitaliener und einer Dänin geschlossenen Ehe zu befassen. Auf Seiten des Italieners war dieser Heirat eine weitere Eheschließung in Italien im Jahr 1953 mit einer Domizilitalienerin vorausgegangen. Diese Ehe war 1958 in Mexiko mittels eines Stellvertreters geschieden worden. Acht Jahre später verlangte der italienische Kläger nun die Annullierung seiner zweiten Ehe. Dabei verwies er darauf, dass das italienische Recht das mexikanische Scheidungsurteil nicht anerkenne. Zum Zeitpunkt der zweiten Eheschließung sei er daher nach seinem 33

Vgl. dazu ausführlich unter C.I.1.b). Padolecchia v. Padolecchia, [1968] 2. W.L.R. 173 = [1968], 314 ff., abrufbar unter: https://www.westlaw.com/Document/I192EC050E42811DA8FC2A0F0355337E9/View/Full Text.html?transitionType=Default&contextData=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.18 Uhr). 34

II. Ausländische Ehehindernisse im englischen Recht

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domicile-Recht noch mit seiner ersten Ehefrau verheiratet gewesen. Dies habe einer wirksamen zweiten Eheschließung entgegengestanden. Die in England geschlossene Ehe sei folglich unwirksam und für nichtig zu erklären.35 Das Gericht gab der Klage statt.36 In der Urteilsbegründung bejahte das Gericht dabei zunächst seine Zuständigkeit für den vorliegenden Fall.37 Anschließend wendete der Richter sich der Wirksamkeit des mexikanischen Scheidungsurteils zu. Hier unterschied er zwischen dem „space problem“ und dem „time problem“.38 Das space problem betraf die Frage, nach welchem Recht zu bestimmen sei, ob die erste Ehe weiterhin bestehe.39 Das time problem beschäftigte sich demgegenüber mit dem Umstand, zu welchem Zeitpunkt hierüber zu bestimmen sei. Zur Lösung des space problem prüfte das Gericht zunächst die Wirksamkeit des mexikanischen Scheidungsurteils anhand aller in Betracht kommenden Rechtsordnungen. Es kam dabei zu dem Ergebnis, dass dieses als unwirksam angesehen werden müsse. In einem nächsten Schritt verlieh der Richter seiner Auffassung Ausdruck, dass einzig das italienische Recht für die Frage nach der Ehewirksamkeit maßgeblich sein könne. Dies begründete er damit, dass der Kläger, entgegen seinem Vorbringen, sein italienisches domicile nie verloren habe. Das space problem war damit gelöst. Da nach italienischem Recht die Auflösung der Ehe aber weder zum Zeitpunkt des Scheidungsurteils noch zu dem der Wiederheirat möglich war, erachtete das Gericht eine Befassung mit dem time problem als nicht mehr erforderlich.40 Dennoch verlieh es seiner Auffassung Ausdruck, wonach die Wirksamkeit der Scheidung allein im Zeitpunkt der erneuten Heirat maßgeblich sein könne.41 Anderenfalls würde den Nupturienten die Möglichkeit genommen, durch einen Wechsel des domicile ihre Heiratsfähigkeit wiederherzustellen. (2) Zwischenfazit Bei der Analyse des Urteils fällt zunächst auf, dass das englische Gericht – in Übereinstimmung mit der damaligen Vorgehensweise deutscher Gerichte – die Vorfrage nach der Wirksamkeit der Scheidung unselbstständig an das Eheschließungsstatut anknüpfte. Die ordre public-Widrigkeit der Entscheidung wurde nicht diskutiert. Dies mag auch dem geringen Inlandsbezug des Falls geschuldet sein.

35 36 37 38 39 40 41

Ebenda, 315. Ebenda, 315. Ebenda, 332 f. Ebenda, 335 f. Ebenda, 336. Ebenda, 338. Ebenda, 339 f.

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

bb) R. v. Brentwood Superintendent Registrar of Marriages, ex. Arias, 20. Juni 1968 (1) Sachverhalt und Entscheidung Die nächste Entscheidung zu scheidungsfeindlichen Rechtsordnungen war R. v. Brentwood Superintendent Registrar of Marriages, ex. Arias vom 20. Juni 1968.42 Der Richter des Divisional Court hatte sich dabei mit einem order of mandamus einer Spanierin mit schweizerischem domicile zu befassen.43 Dieser war gegen das Standesamt von Brentwood (England) gerichtet. Gegenstand der Beschwerde war die Weigerung des Standesamtes, eine Eheschließung zwischen der Spanierin und einem Domizilschweizer italienischer Staatsangehörigkeit zu ermöglichen. Der Standesbeamte berief sich auf das Vorliegen eines lawful impediments nach Sec. 32 (2) (a) des Marriage Act von 1949.44 Dem lag folgendes zugrunde: Der Domizilschweizer hatte 1946 in der Schweiz eine Schweizerin geheiratet. Im Mai 1967 wurde das Paar durch ein schweizerisches Gericht geschieden. Als Scheidungsgrund wurde die Untreue der Ehefrau angegeben. Diese heiratete im Juli des gleichen Jahres erneut. Im November 1967 schließlich bemühte sich die Klägerin um eine Eheschließung mit dem Italiener. Das Paar war allein zu diesem Zweck nach England gereist; im Anschluss beabsichtigten sie in die Schweiz zurückzukehren und dort gemeinsam zu leben.45 Der Klägervertreter brachte zum Ausdruck, dass hier eine Ausnahme vom domicile-Prinzip gemacht werden müsse. Er begründete dies zunächst mit dem faschistischen historischen Hintergrund des italienischen Wiederverheiratungsverbots sowie mit der pönalisierenden Wirkung dieses Verbots, die dazu führe, dass sich der italienische Staatsbürger in einem Zustand „unmarrigeable slavery“ befinde.46 Weiter verwies er auf das Ungleichgewicht, welches dann entstünde, wenn die schweizerische Ehefrau erneut heiraten könne, ihrem vormaligen Ehemann dies aber verwehrt bliebe. Das Recht zur erneuten Heirat müsse jedenfalls deshalb bestehen, da die erste Ehe aufgrund von Ehebruch durch die Ehefrau beendet worden sei.47 Im Übrigen wies der Klägervertreter darauf hin, dass für das Paar keine andere Möglichkeit zur Eheschließung bestehe. Insbesondere sei es dem Italiener nicht möglich, die schweizerische Staatsangehörigkeit zu erwerben. Abschließend 42 R. v. Brentwood Superintendent Registrar of Marriages, ex. Arias, [1968] 3. W.L.R. 531 = [1968] 2 Q.B., 965 ff., abrufbar unter: https://www.westlaw.com/Document/I38A1BF00E42 811DA8FC2A0F0355337E9/View/FullText.html?transitionType=Default&contextData=(sc. Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.19 Uhr). 43 Durch einen mandamus können Gericht einem untergeordneten Gericht oder einer Behörde die Vornahme einer bestimmten Handlung oder eines bestimmten Unterlassens auferlegen. In dem konkreten Fall wollte die Klägerin bewirken, dass das Gericht dem Standesamt auftrug, die Eheschließung vorzunehmen. Siehe zum order of mandamus auch Costello, IJ 33 (1998), 91, 97. 44 Siehe Fn. 42, 957. 45 Ebenda, 958. 46 Ebenda, 959 f. 47 Ebenda, 960.

II. Ausländische Ehehindernisse im englischen Recht

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vertrat er die Ansicht, dass für den Fall, dass die Ehe in England geschlossen würde, eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit bestünde, dass diese in der Schweiz anerkannt werde.48 Das Gericht bestätigte zunächst das schweizerische Recht als maßgebliches Recht für die materielle Ehefähigkeit. Dies folge aus dem in der Schweiz gelegenen domicile beider Parteien.49 Da das schweizerische Recht die Heiratsfähigkeit an die Staatsangehörigkeit anknüpfe, greife das italienische Scheidungsverbot hier ein. Im Anschluss brachte das Gericht seine Auffassung zum Ausdruck, wonach das Paar nur zu einem Zweck nach England gekommen sei: Durch die Eheschließung vor Ort sollte das Recht ihres gegenwärtigen und zukünftigen domicile umgangen werden. Dabei hatten sie die Hoffnung, dass eine vor einem englischen Standesamt eingegangene Ehe in der Schweiz anerkannt werden müsse.50 Obwohl das Gericht Sympathien mit der Idee signalisierte, durch eine Heirat das Leben in „wilder Ehe“ zu beenden, bestätigte es die Rechtsauffassung des Standesamtes.51 Hinsichtlich der vom Klägervertreter geforderten Ausnahme vom domicilePrinzip stellte das Gericht fest, dass es zur Begründung dessen nicht ausreiche, dass sich das Rechtsanwendungsergebnis für das Paar als unattraktiv darstelle.52 Es handele sich hierbei um den Ausfluss des in Kontinentaleuropa gängigen Staatsangehörigkeitsprinzips. Dies zeige sich auch daran, dass das gleiche Ergebnis in den Nachbarländern der Schweiz erzielt worden wäre.53 Das Gericht betonte weiter die Bedeutung des internationalen Entscheidungseinklangs, welchen es bei seiner Entscheidung wahren müsse. Ebenso sei auch die gegenseitige Anerkennung (comity) zu achten.54 Auch stehe es englischen Richtern nicht zu, schweizerischen Gerichten vorzuschreiben, ob und wann sie eine Ehe für wirksam zu halten hätten. Zudem sei bislang kein Beweis erbracht, wonach die Ehe, selbst wenn sie in England geschlossen würde, in der Schweiz eine höhere Chance auf Anerkennung hätte.55 (2) Kritik Die Entscheidung erfuhr nur geringe Beachtung in der Literatur.56 Lediglich Chesterman warf in Anschluss an das Urteil die Frage auf, unter welchen Bedingungen – wenn schon nicht unter den vom Klägervertreter benannten – eine Aus48

Ebenda, 960 f. Ebenda, 967. 50 Ebenda, 967. 51 Ebenda, 967 f. 52 Ebenda, 968. 53 Ebenda, 969. 54 Der Begriff der comity wird nicht einheitlich definiert und ist vielschichtig ausgestaltet. Eine Erläuterung hierzu findet sich etwa in Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 1, Rn. 1-008 ff. 55 Siehe Fn. 42, ebenda, 971. 56 Chesterman, Mod. L. Rev. 32 (1969), 84, 87 f. 49

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

nahme vom domicile-Prinzip möglich sei.57 Des weiteren merkte er an, dass es entgegen der impliziten Annahme des Gerichts keine Regelung im englischen Recht gebe, wonach die Umgehung des domicile-Rechts prinzipiell unzulässig sei.58 Auch stelle es kein unzulässiges Oktroi gegenüber der schweizerischen Rechtsordnung dar, wenn das englische Recht die Schließung einer Ehe ermögliche und diese in der Schweiz möglicherweise anerkannt werden müsse.59 (3) Zwischenfazit Zusammenfassend lässt sich zur Brentwood-Rechtsprechung zunächst feststellen, dass diese, ähnlich wie Padolecchia, einen nur sehr geringen Inlandsbezug aufweist. Dies mag ein Grund dafür sein, warum das Gericht sich gegen eine Ausnahme vom domicile-Prinzip entschied. Zudem blieb das Gericht der in Padolecchia vorgegebenen Linie treu, wonach die Vorfrage der Scheidungswirksamkeit unselbstständig anzuknüpfen sei.60 Daneben führt das Urteil zu einer weiteren Beobachtung: Die Bestrebungen nach einer Ausnahmeregelung sowie die hiergegen vorgebrachte Argumentation mit dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung, dem internationalen Entscheidungseinklang sowie der Gefahr hinkender Ehen ist aus dem Kontext des ordre public bekannt. Obwohl weder der Klägervertreter noch das Gericht die public policy ausdrücklich benannt haben, scheint es dennoch möglich, die Argumentation der Partei dahingehend zu interpretieren.61 cc) Haager Übereinkommen über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen, 1970/Sec. 7 Recognition of Divorces and Legal Separations Act, 1971 Die dargestellte Rechtsprechung lässt die bis dato geltende englische Rechtsauffassung zu ausländischen scheidungsfeindlichen Rechtsordnungen erkennen: Die Gerichte knüpften die Frage nach der Fähigkeit zur Schließung einer (zweiten) Ehe an das domicile-Recht des jeweiligen Nupturienten an. Der Fortbestand der Erstehe beurteilte sich ebenfalls anhand der lex causae. Sofern das berufene Recht wegen der Nicht-Anerkennung von Scheidungen von der Gültigkeit der ersten Ehe ausging, erkannten die englischen Gerichte dies an. Derartige Fälle wurden entweder unmittelbar bei der Eheschließung (Brentwood) oder bei der nachträglichen Überprüfung der Ehewirksamkeit (Padolecchia) relevant. Eine gänzliche Änderung dieser Rechtslage erfolgt durch die Unterzeichnung des Haager Übereinkommens über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehe57

So etwa Chesterman, Mod. L. Rev. 32 (1969), 84, 86 f. Chesterman, Mod. L. Rev. 32 (1969), 84, 87. 59 Chesterman, Mod. L. Rev. 32 (1969), 84, 88. 60 Dies bestätigt auch Gotlieb, I.C.L.Q. 26 (1977), 734, 777. 61 Dafür spricht auch die Behandlung dieser Rechtsprechung unter der Kategorie „Public Policy and Limping Marriages“ in: Law Teacher 6 (1969), 117, 118. 58

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trennungen im Jahr 1970.62 Das Übereinkommen sieht in Art. 11 eine Regelung zur Wiederheirat vor. Diese besagte: Art. 11 Ein Staat, der gemäß diesem Übereinkommen verpflichtet ist, eine Ehescheidung anzuerkennen, darf keinem der Ehegatten die Wiederverheiratung mit der Begründung verweigern, dass das Recht eines andren Staates diese Scheidung nicht anerkenne.

Die Bestimmungen des Abkommens wurden durch den Recognition of Divorces and Legal Separations Act von 1971 in das englische Recht überführt.63 Dessen Sec. 7 stellte das nationale Äquivalent zu Art. 11 der Konvention dar. Sec. 7 Where the validity of a divorce obtained in any country is entitled to recognition by virtue of the foregoing provisions of this Act or by virtue of any rule or enactment preserved by Sec. 6 of this Act, neither spouse shall be precluded from re-marrying in Great Britain on the ground that the validity of the divorce would not be recognised in any other country.

Bei dieser nationalen Umsetzungsnorm fällt auf, dass diese, anders als Art. 11 der Konvention die Möglichkeit zur erneuten Heirat auf den Bereich des Vereinigten Königreichs beschränkt. Im Vergleich mit Art. 13 Abs. 2 EGBGB fällt auf, dass die englische Regelung sich allein auf ausländische Ehescheidungen bezog und somit ausländische Ehenichtigkeitserklärungen nicht erfasst wurden.64 dd) Perrini v. Perrini, 28. November 1978 (1) Sachverhalt und Entscheidung Die erste höchstrichterliche Entscheidung unter Geltung der neuen Rechtslage war der Fall Perrini v. Perrini.65 Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beklagte, ein italienischer Staatsbürger mit italienischem domicile, hatte im Jahr 1957 in Italien standesamtlich eine Amerikanerin geheiratet. Diese kehrte kurz nach der Eheschließung in ihr Heimatland zurück. Für eine kurze Zeit folgte der Beklagte ihr dorthin, kehrte dann aber nach Italien zurück. Das Paar sah sich nicht wieder; die Ehe wurde nie vollzogen. Nachdem sie drei Jahre in New Jersey gelebt hatte, erwirkte die Ehefrau im Jahr 1961 vor dem New Jersey Superior Court eine Annullierung der Ehe. Im Jahr 1967 heiratete der Beklagte die Klägerin, eine 62 Haager Übereinkommen vom 1. Juni 1970 über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen; Volltext abrufbar über: https://www.hcch.net/de/instruments/conventions/ full-text/?cid=80 (zuletzt abgerufen am 15. 4. 2020, 10.59 Uhr). 63 Der Recognition of Divorces and Legal Separations Act von 1971 wird nachfolgend verkürzt als Act of 1971 bezeichnet; Lipstein, I.C.L.Q. 35 (1986), 178, 180. 64 Zu den ausländischen Ehenichtigkeitserklärungen siehe sogleich. 65 Perrini v. Perrini, [1979] 2 W.L.R. 472 = Fam. 84 ff., abrufbar unter: https://www.west law.com/Document/I1E080DC0E42811DA8FC2A0F0355337E9/View/FullText.html?transiti onType=Default&contextData=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.20 Uhr).

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Engländerin mit englischem domicile, in London. Bei der Eheschließung gab er an ledig zu sein. Die Klägerin hatte keine Kenntnis von der vorangegangenen Ehe. Das Paar lebte, nach einem kurzzeitigen Aufenthalt in Italien, in London. Im Jahr 1971 strebte die Klägerin eine Annullierung der Ehe an. Zur Begründung führte sie an, dass die Londoner Eheschließung wegen der damals noch bestehenden ersten Ehe des Beklagten unwirksam gewesen sei.66 Das Gericht stellte zunächst fest, dass die Annullierung durch den New Jersey Supreme Court aus Sicht des amerikanischen Rechts wirksam sei.67 Zugleich merkte es an, dass Italien bis 1970 Ehen als unauflöslich erachtet habe und die amerikanische Entscheidung folglich zum Zeitpunkt ihres Ergehens dort nicht anerkannt worden wäre. Hieran ändere sich im Ergebnis auch dadurch nichts, dass Italien im Jahr 1970 die Ehescheidung eingeführt habe, da der Beklagte sich nicht um eine Anerkennung des Scheidungsurteils bemüht habe.68 Er war daher zum Zeitpunkt der zweiten Eheschließung aus Sicht des italienischen Rechts noch verheiratet. Anschließend wendete sich das Gericht der Anerkennungsfähigkeit des amerikanischen Urteils in England zu. Dabei kam es zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung im Inland wirksam sei. Hieraus wurde gefolgert, „once recognised it [das amerikanische Urteil] must be taken to have declared the pretended marriage a nullity, with each party free to marry“.69 Die zweite Eheschließung wurde daher als wirksam angesehen. (2) Kritik Die Entscheidung wurde von der Literatur überwiegend kritisch aufgenommen.70 Zwar wurde die Annahme des Gerichts, wonach das amerikanische Scheidungsurteil anerkannt werden müsse, grundsätzlich für richtig gehalten.71 Dem Urteil wurde aber vorgeworfen, dass die zur Begründung zitierten Entscheidungen nicht einschlägig seien, und zugleich andere relevante Judikate außer Acht gelassen wurden.72 Ebenso wurde das Verständnis des Gerichts, wonach Eheunwirksamkeitserklärungen unter den gleichen Voraussetzungen wie Ehescheidungsurteile anzuerkennen seien, kritisiert.73 Einige Stimmen hielten die Schlussfolgerung, dass aus der Anerkennung der Annullierung zugleich die Möglichkeit zur Wiederheirat resultiere, für unnötig kompliziert.74 Ihres Erachtens hätte das Ergebnis durch die Anwendung des intended matrimonial home-Tests auch ohne diese neue Regel erzielt werden können.75 Auch 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75

Ebenda, 87 f. Ebenda, 88 f. Ebenda, 89. Ebenda, 92. Collier, C.L.J 38 (1979), 289, 292. Nott, I.C.L.Q. 29 (1980), 510, 513; Collier, Cambridge L. J. 38 (1979), 289. Nott, I.C.L.Q. 29 (1980), 510, 514; Collier, Cambridge L. J. 38 (1979), 289 ff. Collier, Cambridge L. J. 38 (1979), 289, 290. Nott, I.C.L.Q. 29 (1980), 510, 515. Nott, I.C.L.Q. 29 (1980), 510, 514.

II. Ausländische Ehehindernisse im englischen Recht

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die durch das Urteil vorgenommene selbstständige Vorfragenanknüpfung wurde skeptisch gesehen.76 (3) Zwischenfazit Es fällt auf, dass das Urteil Perrini erstmalig einem ausländischen Scheidungsurteil Bedeutung für englische Entscheidungen zuspricht. Dies unterbricht die bisherige Linie der Rechtsprechung, welche wegen der unselbstständigen Vorfragenanknüpfung allein die Wirkung des Urteils im Domizilstaat für beachtenswert hielt. Die nun vorgenommene selbständige Anknüpfung an die lex fori führte dazu, dass bei Anerkennung der Eheannullierung in England die betroffene Ehe als nichtig und die Partner als wieder als heiratsfähig angesehen wurden. Obwohl diese Fallgestaltung nicht unmittelbar in den Anwendungsbereich des Acts of 1971 fiel, entschied der Richter somit in Einklang mit Sec. 7 Recognition of Divorces and Legal Separations Act und Art. 11 des Haager Übereinkommens. ee) Lawrence v. Lawrence, 19. März 1985 (1) Sachverhalt und Urteil Eine neue Facette der Problematik zeigte der Fall Lawrence v. Lawrence.77 Dem Urteil lag die Ehe des Klägers, eines Amerikaners, mit der Beklagten, einer Brasilianerin, zugrunde. Für die brasilianische Ehefrau handelte es sich um die zweite Ehe. Zuvor hatte sie 1944 einen Domizilbrasilianer geheiratet. Als sie 1970 den Kläger kennenlernte, beschloss sie sich scheiden zu lassen, um den Kläger heiraten zu können. Bei diesem Plan zeigte sich die Problematik der Scheidungsfeindlichkeit des brasilianischen Rechts, welches nur Trennungen (desquite) aussprach, die jedoch nicht zur Wiederheirat berechtigten. Die Beklagte reiste daher in Begleitung des Klägers nach Las Vegas, wo sie sich nach einem Aufenthalt von sechs Wochen scheiden ließ. Am darauffolgenden Tag heiratete das Paar, ebenfalls in Las Vegas. Nach der Hochzeit zog das Paar nach England, wo sie beabsichtigten, ihren gemeinsamen Lebensmittelpunkt zu haben. Bereits kurz darauf kehrte die Ehefrau jedoch nach Brasilien zurück. Das Paar trennte sich schließlich. Im gerichtlichen Verfahren forderte der Kläger festzustellen, dass die in Las Vegas geschlossene Ehe wirksam sei. Die Beklagte wendete hiergegen ein, dass sie aufgrund des Wiederverheiratungsverbots des brasilianischen Rechts zu diesem Zeitpunkt noch verheiratet gewesen und die zweite Ehe daher unwirksam sei.78

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Nott, I.C.L.Q. 29 (1980), 510, 513. Lawrence v. Lawrence, [1985] 1985 WL 311061, abrufbar unter: https://www.westlaw. com/Document/I58304EA0F52911E09797FC9AFD735371/View/FullText.html?transition Type=Default&contextData=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 29. 5. 2021, 13.28 Uhr). 78 Ebenda, 1 f. 77

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

Der Richter der ersten Instanz gelangte unter Anwendung des intended matrimonial home-Tests zu dem Ergebnis, dass die in Nevada erfolgte Ehescheidung sowie die im Anschluss erfolgte Eheschließung wirksam gewesen sei.79 Der erste seine Stellungnahme abgebende Richter des Court of Appeal wählte in der Berufungsinstanz einen weniger dogmatischen Lösungsansatz.80 Seiner Auffassung nach bedurfte die Frage nach der Heiratsfähigkeit vorliegend keiner erneuten Überprüfung. Vielmehr sei diese bereits deshalb zu bejahen, da die englischen Gerichte das Scheidungsurteil aus Las Vegas nach den Regeln des Act of 1971 anzuerkennen hatten.81 Andernfalls, so der Richter, sei die Anerkennung eine „hollow and empty gesture“.82 Dies ergebe sich daraus, dass es gerade die essentielle Aufgabe eines Scheidungsurteils sei, die bis dato zwischen den Parteien bestehende Ehe aufzulösen. Dieses Ergebnis erachtete er als mit dem Wortlaut der Sec. 7 des Act of 1971 vereinbar. Zur Begründung wurde auf die hinter der Norm stehende Motivation verwiesen: Sec. 7 diene der Umsetzung des Art. 11 der Haager Konvention. Letzterer sei jedoch nicht auf Wiederverheiratungen in dem jeweiligen Anerkennungsstaat beschränkt.83 Der abweichende Wortlaut der englischen Vorschrift sei allein damit zu begründen, dass es dem englischen Gesetzgeber aufgrund des Territorialitätsprinzips ohnehin nicht möglich gewesen sei, die erneute Eheschließung in anderen Hoheitsgebieten zu ermöglichen.84 Ebenso müsse beachtet werden, dass Sec. 7 primär eine klarstellende Funktion habe. Durch die Norm werde sichergestellt, dass der Brentwood-Rechtsprechung nicht mehr gefolgt werden könne. Zur Begründung der Wiederverheiratungsmöglichkeit bedürfe es der Vorschrift der Sec. 7 jedoch nicht. Vielmehr ergebe sich diese schon aus Sec. 3, die die Anerkennung der Wirkungen ausländischer Scheidungsurteile anordne. Die Möglichkeit der erneuten Heirat sei gerade – wie oben bereits ausgeführt – als Teil dieser Wirkung zu begreifen.85 Eine gänzlich andere Haltung nahm der zweite Richter bei seiner Begründung ein:86 Er ging davon aus, dass die Fallgestaltung nicht von Sec. 7 des Acts of 1971 erfasst werde und begründete diese Auffassung mit dem auf die Wiederheirat im Vereinigten Königreich beschränkten Wortlaut der Norm. Eine Ausdehnung auf Eheschließungen im Ausland widerspreche der Intention des Gesetzgebers.87 Trotz dieser Auffassung bestätigte auch dieser Richter im Ergebnis die Wirksamkeit der Ehe. Hierzu gelangte er aufgrund der Annahme, dass das Scheidungsurteil auf dem 79 80 81 82 83 84 85 86 87

Ebenda, 2. Lord Justice Ackner, siehe Fn. 77, 1 ff. Ebenda, 3. Ebenda, 3. Ebenda, 4. Ebenda, 4. Ebenda, 4. Lord Justice Purchas, 4 ff. Ebenda, 7 f.

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mittlerweile nevadischen domicile der Beklagten beruhe.88 Ein solches habe sie nach US-Recht bereits durch ihren kurzfristigen Aufenthalt in Las Vegas begründet. Dieser Umstand sei von den englischen Gerichten bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen. Der Richter sah demnach keinen Grund, warum das für die Scheidung maßgebliche domicile nicht auch auf die Scheidungsfolgen und somit für die Wiederheirat maßgeblich sein solle.89 Er stellte daher fest, dass die Ehefrau zum Zeitpunkt der Scheidung ein amerikanisches domicile besaß, welches auch auf die Eheschließung am Folgetag anwendbar sei. Dadurch gelangte er zu dem Ergebnis, dass beide Partner zum Zeitpunkt der Eheschließung nach ihrem jeweiligen domicile-Recht ehefähig waren. Der zuletzt vortragende Richter sprach sich in seiner Urteilsbegründung zunächst für eine alternative Anknüpfung der materiellen Ehefähigkeit nach dem dual domicile- oder dem intended matrimonial home-Test aus.90 Dabei verwies er auf den Grundsatz, wonach im Zweifel zugunsten der Wirksamkeit einer Ehe zu entscheiden sei.91 Weiter stellte er fest, dass es zwar grundsätzlich möglich sei, die Wirksamkeit eines Scheidungsurteils anzuerkennen, ohne dass hieraus unmittelbar das Recht zur Wiederheirat folge. Dies entspreche jedoch nicht dem üblichen englischen Verständnis des Scheidungsbegriffs.92 Es sei anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sollte er von einem solchen abweichenden Scheidungsverständnis ausgegangen sein, dies entsprechend kenntlich gemacht hätte. Weder Sec. 7 noch Sec. 3 des Acts of 1971 enthielten jedoch einen solchen Hinweis. Hieraus folgerte der Richter: „In section 3 I find it impossible to suppose that the words ,the validity of an overseas divorce shall be recognized‘ do not mean that the divorce is to be recognised as dissolving the marriage so that the former husband and wife may marry again.“ Sec. 7 und dem darin eingeschränkten Wortlaut sprach der Richter eine allein klarstellende Rolle zu.93 (2) Kritik Die Literatur begrüßte die Lawrence-Entscheidung.94 Es wurde lobend hervorgehoben, dass das Urteil sich mit der Möglichkeit der selbstständigen Vorfragenanknüpfung auseinandersetze.95 Auch der Umstand, dass das Gericht von einer strengen Anwendung des domicile-Prinzips abgesehen hatte, wurde begrüßt und als

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Ebenda, 8. Ebenda, 9. 90 Sir David Cairns, 9 ff. 91 Ebenda, 10; auf die so genannte presumption in favour of marriage wird vertieft eingegangen unter D.V.2.d)aa). 92 Siehe Fn. 77, ebenda, 10. 93 Ebenda, 10. 94 Downes, I.C.L.Q. 35 (1986), 170, 173; Hill, N.I.L.Q. 36 (1985), 251, 255. 95 Downes, I.C.L.Q. 35 (1986), 170, 171. 89

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

wichtiger Schritt empfunden.96 Die Literatur teilte die Ansicht des ersten und dritten Richters, wonach die Pflicht zur Anerkennung der im Ausland erfolgten Wiederheirat unmittelbar aus Sec. 3 des Acts of 1971 folge.97 Der Umstand, dass das Vorgehen der englischen Gerichte zu hinkenden Ehen führen könnte, wurde als hinnehmbar erachtet.98 Kritisch wurde jedoch angemerkt, dass die Entscheidungen der Richter vornehmlich tatsachenbasiert erfolgt seien und es an einer hinreichenden dogmatischen Unterfütterung fehle.99 Ebenso wurde bemängelt, dass die Richter nicht die Chance genutzt hätte, der Brentwood-Rechtsprechung eine klare Absage zu erteilen.100 (3) Zwischenfazit In Lawrence musste der englische High Court sich erstmalig mit einer auf ein ausländisches Scheidungsurteil folgenden Heirat im Ausland befassen. Trotz der dabei auftauchenden Begründungsschwierigkeiten war die Argumentation der Richter einvernehmlich darauf gerichtet, die Wirksamkeit der in Las Vegas geschlossenen Ehe herbeizuführen. Die erhebliche Divergenz der hierfür herangezogenen Begründungen lässt das Ringen der Richter um eine dogmatisch fundierte Lösung deutlich werden. Während der erste Ansatz sich um eine neue Anknüpfungsregel bemühte, war das zweite Vorgehen eher an der klassischen Doktrin orientiert. Letztere Ansicht verzichtete ganz auf eine dogmatische Unterfütterung. Dieses Durcheinander hat zu Recht von der Literatur Kritik erfahren. Dass sich die Entscheidung dennoch auf einer Linie mit der Entwicklung im englischen Recht fand, zeigt die kurz darauf erfolgte Kodifikation von Sec. 50 im Family Law Act, 1986.101 Die Norm hat seit ihrem Inkrafttreten nur wenig Aufmerksamkeit erlangt. Dies mag auf zwei Umstände zurückzuführen sein. Zunächst verdeutlicht die an Lawrence geübte Kritik, dass die Haltung der Gerichte allgemein akzeptiert wurde. Da Sec. 50 sich mit dieser im Einklang befand, lieferte die Norm folglich wenig Anlass für Reibereien. Zugleich ist zu beachten, dass die besonders fallrelevante Scheidungsfeindlichkeit des italienischen Rechts durch die Einführung der Ehescheidung entfiel. Somit konnten allenfalls noch Altfälle vor Gericht gelangen. Die Zahl dieser verringert sich denklogisch mit Zeitablauf. In redaktioneller Hinsicht blieb Sec. 50 seit Inkrafttreten weitestgehend unverändert. Eine Änderung erfolgte nur im Jahr 2005 mit der Aufnahme der Lebenspartnerschaft in den Wortlaut, zurückgehend auf den Civil Partnership Act 2004. 96

Downes, I.C.L.Q. 35 (1986), 170, 171; Hill, N.I.L.Q. 36 (1985), 251, 256 f. Lipstein, I.C.L.Q. 35 (1986), 178, 181. 98 Carter, B.Y.Int’l.L. 57, 405, 444. 99 Downes, I.C.L.Q. 35 (1986), 170, 173. 100 Collier, Cambridge L. J. 44 (1985), 378, 380. 101 Carter, B.Y.Int’l.L. 57, 405, 441. 97

II. Ausländische Ehehindernisse im englischen Recht

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b) Vergleich mit der deutschen Rechtslage Im Anschluss an die Untersuchung der englischen Rechtslage kann diese nun mit der deutschen verglichen werden. Dies erfolgt anhand zweier Aspekte: Zunächst sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede innerhalb der historischen Entwicklung des Umgangs mit scheidungsfeindlichen Rechtsordnungen beleuchtet werden. Anschließend werden die daraus entstanden Normen miteinander verglichen. aa) Historische Entwicklung In historischer Hinsicht fällt zunächst die ähnliche Ausgangslage auf. Dies bezieht sich einerseits auf den Zeitraum, in der die Frage nach dem Umgang mit scheidungsfeindlichen Rechtsordnungen in beiden Ländern relevant wurde. Auch das dabei angewendete rechtliche Vorgehen ähnelt sich. So knüpften die Gerichte zunächst die Vorfrage der Scheidung unselbstständig an.102 Sofern dies zu der Anwendung einer scheidungsfeindlichen Rechtsordnung führte, akzeptierten die Gerichte diesen Umstand. Diese Zurückhaltung begründeten sie mit dem Gebot gegenseitiger Anerkennung und dem Erfordernis der Zurückhaltung bei der Durchsetzung nationaler Wertungen.103 In England wie in Deutschland wurde das durch diese Rechtsprechung erzielte Ergebnis als zunehmend unbefriedigend empfunden.104 Dabei verwiesen Literatur und Rechtsprechung auf die Widersprüchlichkeit, die daraus entstehe, dass einerseits ein Scheidungsurteil als wirksam angesehen, andererseits aber die dadurch aufgelöste Ehe als noch bestehend erachtet werde.105 Die historische Entwicklung weist dabei jedoch nicht nur Gemeinsamkeiten auf. Unterschiede zeigen sich etwa hinsichtlich des Zeitpunkts, an den die (Wieder-) Heiratsfähigkeit geprüft wurde. In Deutschland erfolgte dies regelmäßig vor der Eheschließung im Rahmen der Beantragung des Ehefähigkeitszeugnisses beziehungsweise der Befreiung von diesem Erfordernis. Dieser Zeitpunkt wurde in England hingegen nur bei der Brentwood-Rechtsprechung relevant. Im Übrigen wurde die Wirksamkeit der zweiten Eheschließung erst nachträglich bei Beendigung der Verbindung geprüft. Ebenso fällt die unterschiedliche Bedeutung auf, die die nationale Rechtsprechung und Literatur dem ordre public im Rahmen dieser Fallgestaltungen zumaß. Während in Deutschland schon vor dem Spanier-Beschluss 102

Vgl. dazu unter C.I.1.a). Vgl. zur deutschen Rechtslage BGHZ 41, 136 ff.; BGHZ 42, 7 ff.; zur englischen Rechtslage insbesondere R v. Brentwood Superintendent Registrar of Marriages, ex. Arias (siehe unter D.II.1.a)bb)). 104 Vgl. zur deutschen Rechtslage etwa Fischer, NJW 1964, 1323, 1324; zur englischen Rechtslage insb. Chesterman, Mod. L. Rev. 32 (1969), 84, 88. 105 OLG Stuttgart, Beschl. v. 12. 11. 1962 – 1 VA 4/62 = StAZ 1963, 157 ff.; Müller, RabelsZ 36 (1972), 60, 62; kritisch dazu auch Hausmann, FamRZ 1981, 835 ff., 890; zur englischen Rechtslage insb. Chesterman, Mod. L. Rev. 32 (1969), 84, 88. 103

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

regelmäßig die Frage nach der ordre public-Konformität aufgeworfen wurde, nahm dieser Aspekt in England kaum eine Rolle ein. Darüber hinaus unterschieden sich die Gründe, die für den jeweiligen „Umschwung“ im Umgang mit scheidungsfeindlichem Recht verantwortlich waren. Während dies in Deutschland auf die Rechtsprechung des BVerfG zurückging, war für das englische Recht die Unterzeichnung der Haager Konvention maßgeblich. Überspitzt lässt sich sagen, dass sich der Wandel in Deutschland von innen heraus durch ein deutsches Rechtsprechungsorgan vollzog, während die Neuerung in England auf exogenen Motiven beruhte.106 Ebenso divergieren die von beide Rechtsordnungen gewählten Problemlösungsmechanismen. Während deutsche Gerichte übereinstimmend die Problematik des scheidungsfeindlichen Rechts als Bestandteil des ordre public qualifizierten, sahen die englischen Gerichte die selbstständige Vorfragenanknüpfung als geeignete Vorgehensweise an. Zudem erstreckte sich die deutsche Herangehensweise auf alle ausländischen Ehehindernisse, während England allein das Ehehindernis der noch bestehenden Ehe in den Blick nahm. bb) Vergleich der Normen Sec. 50 des Family Law Act und Art. 13 Abs. 2 EGBGB weisen erhebliche Unterschiede auf. Dies betrifft zunächst die Entstehungsgeschichte beider Normen. Während Sec. 50 auf die Haager Konvention und somit auf ein internationales Abkommen zurückgeht, findet Art. 13 Abs. 2 EGBGB seinen Ursprung im nationalen Recht. Auch die tatbestandliche Reichweite beider Gesetzgebungen divergiert. Sec. 50 beschränkt sich auf ausländische Scheidungsverbote, während Art. 13 Abs. 2 EGBGB auch sonstige Ehehindernisse des ausländischen Rechts erfasst. Beim Vergleich des Tatbestands beider Normen fällt auf, dass Art. 13 Abs. 2 EGBGB ausdrücklich auf die Grundrechte Bezug nimmt und sich somit als Norm des ordre public zu erkennen gibt. Dem entspricht es, dass auch der hinreichende Inlandsbezug im Wortlaut der Norm verankert ist. Demgegenüber enthält Sec. 50 keine derartigen Voraussetzungen. Ebenso fällt auf, dass Art. 13 Abs. 2 EGBGB ausdrücklich die Geltung deutschen Rechts als „Ersatzrecht“ anordnet, während die englische Norm keine derartige Verweisung enthält. c) Fazit Die Untersuchung führt zu folgendem Fazit: Die deutschen und englischen Gerichte sahen sich ab Ende des Zweiten Weltkriegs zunehmend mit dem Problem scheidungsfeindlicher Rechtsordnungen konfrontiert. Die Richter beider Nationen hielten sich dabei zunächst an die herkömmliche Dogmatik, indem sie die Scheidungsvorfrage unselbstständig anknüpften. Sofern sie dabei zur Scheidungsfeind106 Wobei selbstverständlich auch die Beweggründe der englischen Hoheitsträger zum Beitritt zur Haager Konvention als endogene Motive zu berücksichtigen sind.

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lichkeit des ausländischen Rechts gelangten, wurde diese anerkannt. Begründet wurde das mit dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung sowie dem Schutz vor hinkenden Ehen. Die Haltung der Gerichte erfuhr dabei zwar Kritik, diese blieb jedoch zunächst ohne praktische Konsequenzen. Solche folgten in beiden Rechtsordnungen erst auf das Einschreiten von höherer Stelle. Während dies in Deutschland der Spanier-Beschluss des BVerfG war, führte in England die Unterzeichnung der Haager Konvention von 1970 den Wandel herbei. Die nationale Umsetzung der nunmehr vorgegebenen Richtungsänderungen erfolgte dabei auf unterschiedliche Weise. Während die deutschen Gerichte eine Lösung anhand des ordre publicVorbehalts wählten, gingen die englischen Gerichte zur selbstständigen Vorfragenanknüpfung über. Hierzu sei angemerkt, dass dieser Lösungsansatz auch von Teilen der deutschen Literatur präferiert worden war107 und das BVerfG in seinen Beschluss ebenfalls auf diese Möglichkeit hingewiesen hatte.108 Die Gesetzgeber beider Länder entschieden sich zudem dafür, der Fallkonstellation eine Sondernorm zu widmen. Dies beruht in England jedenfalls auch auf den Verpflichtungen aus dem Haager Abkommen. Daneben mag in beiden Staaten der Wunsch nach Rechtssicherheit bei ehelichen Statusverhältnissen eine Rolle gespielt haben. Spätestens ab Beginn der 1990er-Jahre verloren die Fälle des scheidungsfeindlichen ausländischen Rechts und somit auch die Spezialnormen an Relevanz. Dies kann mit der global fortschreitenden Einführung des Scheidungsrechts begründet werden. 2. Sonstige ausländischen Ehehindernisse Art. 13 Abs. 2 EGBGB erfasst neben der Scheidungsfeindlichkeit auch sonstige Ehehindernisse des ausländischen Rechts. Damit eine vollständige rechtsvergleichende Untersuchung gelingt, soll das englische Recht daher auch auf seinen Umgang mit anderen ausländischen Eheverboten beleuchtet werden. Dabei wird die so genannte „Sottomayor v. De Barros (2)“-Regel relevant.109 Dicey, Morris und Collins fassen diese folgendermaßen zusammen:110 „The validity of a marriage celebrated in England between persons of whom the one has an English, and the other a foreign, domicile is not affected by any incapacity which, though existing under the law of such foreign domicile, does not exist under the law of England.“

Die Regel erklärt ausländische, dem englischen Recht unbekannte Ehehindernisse bei der Beurteilung von in England geschlossenen Ehen für unbeachtlich, sofern ein Domizilengländer daran beteiligt war. Hierbei handelt es sich um eine

107

Kegel/Lüderitz, FamRZ 1964, 57, 59. Vgl. dazu BVerfGE 31, 58, 86 f. 109 Siehe zu der Bezeichnung etwa Clarkson, Legal Stud. 10 (1990), 80 ff. 110 Dort als vierte Ausnahme der 67. Regel, vgl. Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 2, Rn. 17E-107. 108

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

Ausprägung der englischen Haltung, wonach möglichst zugunsten der Ehewirksamkeit entschieden werden soll.111 a) Sottomayor v. de Barros (No. 2), 6. August 1879 Wie der Name bereits verdeutlicht, geht die Regel auf das Urteil Sottomayor v. de Barros (No. 2) zurück.112 Gegenstand der Entscheidung war die Wirksamkeit einer in England zwischen einer Domizilportugiesin und einem Domizilengländer geschlossenen Ehe. Nach portugiesischem Recht war diese unwirksam, da die Parteien Cousine und Cousin ersten Grades waren. Ein entsprechendes Ehehindernis kennt das englische Recht nicht.113 Das Gericht ließ bei seiner Entscheidung das portugiesische Ehehindernis unbeachtet und entschied, dass die Ehe in England wirksam sei.114 Die Urteilsbegründung bekannte sich dabei zwar zu der grundsätzlichen Bedeutung des antenuptiual domicile für die Eheschließung. Hiervon müsse jedoch im vorliegenden Fall eine Ausnahme gemacht werden. Zur Begründung wurde auf das das Urteil Simonin v. Mallac (No. 1) verwiesen.115 Dieses sah vor, dass „every nation has a right to impose on its own subjects restrictions and prohibitions as to entering into marriage contracts; either within or without its own territories; and if its subjects sustain hardships in consequence of those restrictions, their own nation only must bear the blame. But what right has one independent nation to call upon any other nation equally independent to surrender its own law in order to give effect to such restrictions and prohibitions?“.116

Weiter wurde auch die vorangegangene Entscheidung in Sottomayor v. de Barros (No. 1) zur Argumentation herangezogen.117 Hier hatte das Gericht sich dafür ausgesprochen, dass „no country is bound to recognise the laws of a foreign state when they work injustice to its own subjects“.118 In Sottomayor v. De Barros (No. 2) gelangte das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Anwendung des portugiesischen Rechts zu dem beschriebenen Unrecht gegenüber dem Domizilengländer führen würde: Ein dem portugiesischem Recht entsprechendes Ehehindernis sei vom englischen Recht nicht vorgesehen. Zudem bestehe auf Seiten des Domizilengländers ein schützenswertes Vertrauen, so dass dieser dann, wenn er alle Voraussetzung seines eigenen 111 Hartley, Mod. L. Rev. 35 (1976), 571, 577 f.; Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 2, Rn. 17-108. 112 Sottomayor v. De Barros (No. 2), [1879] 5 P.D. 94 ff., abrufbar unter: https://www.west law.com/Document/IB6DF8E60E42811DA8FC2A0F0355337E9/View/FullText.html?transiti onType=Default&contextData=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.24 Uhr). 113 Ebenda, 94. 114 Ebenda, 97. 115 Ebenda, 102 ff.; Simonin v. Mallac, [1860] 2 Sw. & Tr. 67. 116 Ebenda, 102 f. 117 Sottomayor v. De Barros (No. 1), [1877] L.R. 3 P.D. 1. 118 Siehe Fn. 112, ebenda 104.

II. Ausländische Ehehindernisse im englischen Recht

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domicile-Rechts erfüllt habe, eine wirksame Ehe schließen können müsse. Die in England geschlossene Ehe sei daher als wirksam anzusehen.119 b) Dogmatische Grundlage Die in Sottomayor v. de Barros (No. 2) begründete Regel wurde durch nachfolgende höchstrichterliche Entscheidungen bestätigt.120 Dabei blieb die dogmatische Grundlage der Ausnahmebestimmung weiter unklar. Während einige diese ohne weiteren Begründungsaufwand als „Regel“ anerkannten,121 stellten andere verschiedene Theorien auf, um das Ergebnis dieser Rechtsanwendung zu begründen. So wurde etwa vertreten, dass englische Gerichte es grundsätzlich als wichtiger erachteten, in England geschlossene Ehen aufrechtzuerhalten, als Ehen, die im Ausland geschlossen worden waren.122 Am geläufigsten war die Auffassung, dass das Ergebnis von Sottomayor v. de Barros (2) eine „crystallised rule of public policy“ darstelle.123 Zur Begründung dessen wurde auf die in der Urteilsbegründung zitierte Rechtsprechungen verwiesen. Bei der zitierten Stelle aus Sottomayor v. de Barros (No. 1) handele es sich ursprünglich um die Definition des ordre public nach dem Rechtswissenschaftler Joseph Story.124 Da die Entscheidung sich maßgeblich hierauf stütze, sei diese als Ausprägung der public policy anzusehen. c) Kritik Die günstige Wirkung, die die Sottomayor v. de Barros-Ausnahme für englische Ehen erzeugte, führte dazu, dass diese rasch akzeptiert wurde. Dicey, Morris und Collins etwa bezeichneten die Vorschrift als „good law“ trotz ihres „illogical character“.125 Dennoch fanden sich auch einzelne Stimmen, die gerade die inhaltliche Ausgestaltung der Regel bemängelten. Maßgeblicher Kritikpunkt war die einseitige Ausgestaltung zugunsten der Ehen von Domizilengländern. Diese wurde als „unworthy of a place in a respectable system of the Conflict of Laws“ beschrieben,126 die wegen ihrer nationalistischen und protektiven Ausrichtung eine „Schande“ dar-

119

Ebenda, 105 f. Siehe Ogden v. Ogden, [1908] P. 46, 74, 77; Chetti v. Chetti, [1909] P. 67, 81 – 88. 121 So Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 2, Rn. 17E-106, die die dogmatischen Grundlagen dieser Regel offenlassen. 122 Zu diesen und weiteren Theorien Falconbridge, Essays on the Conflict of Laws, 711 ff. 123 Insbesondere so Clarkson, Legal Stud. 10 (1990), 80 ff.; Kahn-Freund, Selected Writings, 244 ff.; Webb, I.C.L.Q. 10 (1961), 818, 826; wohl auch Nagan, Cambridge L. J. 8 (1977), 416, 473. 124 Kahn-Freund, Selected Writings, 244, 246. 125 Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 2, Rn. 17-108. 126 Falconbridge, Essays on the Conflict of Laws, 711. 120

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

stelle.127 Etwas milder waren die Stimmen, die die Entscheidung als „unglücklich“,128 wenig sinnvoll, parteilich oder „unelegant“ und „provinziell“ bezeichneten.129 d) Vergleich mit der deutschen Rechtslage und Fazit Die in Sottomayor v. de Barros (No. 2) entwickelte Regel weist Übereinstimmungen mit Art. 13 Abs. 2 EGBGB auf. Dies betrifft zunächst ihre Genese: Beide Regelungen entstanden aus der Konfrontation der nationalen Gerichte mit ausländischen, im Inland unbekannten Ehehindernissen. Die streitigen Sachverhalte wiesen dabei jeweils wegen der Beteiligung von Inländern sowie der im Inland erfolgten Eheschließung einen erheblichen Bezug zur nationalen Rechtsordnung auf. Sowohl die deutschen als auch die englischen Richter hatten unter diesen Umständen offenbar den Wunsch, zugunsten ihrer Staatsbürger und damit auch zugunsten der Wirksamkeit der Ehen zu entscheiden. Gemeinsam ist beiden Regelungen zudem, dass diese in dogmatischer Hinsicht als Ausdruck des nationalen ordre public einzuordnen sind. Es zeigen sich jedoch auch Unterschiede: So trifft die englische Regel keine ausdrückliche Bestimmung darüber, welche Rechtsordnung als Ersatzrecht anwendbar sein soll. Es ist jedoch anzunehmen, dass in den meisten Fällen die Berufung eines solchen Ersatzrechts gar nicht erforderlich sein wird, da das Außerachtlassen des ausländischen Ehehindernisses für die Wirksamkeit der Ehe ausreichen wird und somit keine Regelungslücke entsteht.130 Zudem setzt die englische Regelung nicht wie Art. 13 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB die Vornahme aller für die Parteien zumutbaren Schritte voraus und enthält, wegen des Fehlens einer verschriftlichten englischen Verfassung, keinen vergleichbaren grundrechtlichen Bezug. Demgegenüber ist sie insoweit strenger als die deutsche Regel, als sie die Eheschließung im Inland voraussetzt. Trotz dieser Unterschiede scheinen die Regeln dem Grunde nach von dem gleichen Rechtsgedanken durchdrungen zu sein: Inländern soll dann eine Heirat im Inland ermöglicht werden, wenn sie nach ihrem Heimatrecht alle erforderlichen Voraussetzungen für eine Eheschließung erfüllen. Dies gilt auch dann, wenn ihr Ehepartner ein ausländisches Personalstatut hat, das wegen eines im Inland unbekannten Ehehindernisses der Heirat entgegensteht.

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Webb, I.C.L.Q. 10 (1961), 818, 826. Webb, Mod. L. Rev. 21 (1958), 415, 419. Kahn-Freund, Selected Writings, 245. Vgl. dazu von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 227.

III. Kinderehen im englischen Recht

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III. Kinderehen im englischen Recht Der nachfolgende Abschnitt untersucht den Umgang des englischen Rechts mit Kinderehen. Dabei wird zunächst die Rechtslage de lege lata behandelt, bevor aktuelle Reformbemühungen dargestellt werden. 1. Die Rechtslage de lege lata Die englische Rechtslage zu Kinderehen ist weniger stark rechtsprechungsgeprägt als die zuvor untersuchten Fälle der Ehehindernisse. Dennoch finden sich einige Urteile, die den Umgang mit dieser Thematik maßgeblich geprägt haben. Daneben wird in diesem Bereich auch das geschriebene Gesetzesrecht relevant. Konkret sind dies Sec. 2 und Sec. 3 Marriage Act 1949 sowie Sec. 11 (a) (ii) Matrimonial Causes Act 1973. Die Vorschriften bestimmen, dass eine Ehe nichtig (void) ist, wenn daran eine Person beteiligt ist, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.131 Die Eheschließung von Personen, die älter als 16 aber jünger als 18 Jahre alt sind, bedarf der Zustimmung der Sorgeberechtigten oder eines Gerichts.132 Sofern es zu einer solchen Eheschließung in England gekommen ist, wird vermutet, dass der erforderliche Konsens erteilt wurde.133 a) Eheschließung unter Beteiligung eines englischen Eheschließungsstatuts im Ausland Nach aktueller Rechtslage können Domizilengländer somit frühestens ab einem Alter von 16 Jahren eine wirksame Ehe eingehen. Durch das Urteil Pugh v. Pugh vom 12. Juli 1951 wurde dabei klargestellt, dass es sich bei dieser Altersgrenze um ein zweiseitiges Ehehindernis handelt. Dieses findet auch auf Eheschließungen im Ausland Anwendung, wenn daran ein Domizilengländer beteiligt ist.134 Das Urteil befasste sich mit der 1946 in Österreich geschlossenen Ehe eines britischen Offiziers mit einem zum Zeitpunkt der Heirat 15 Jahre alten ungarischen Mädchen. Die vermeintliche Ehefrau begehrte, nach dem sie einige Zeit mit dem Offizier in England gelebt hatte, von einem englischen Gericht die Annullierung der Ehe. Dies begründete sie mit ihrer fehlenden Ehemündigkeit zum Zeitpunkt der Eheschließung.135 131 Sec. 11 a (ii) Matrimonial Causes Act 1973; zur genauen Bedeutung der Ehenichtigkeit siehe unter D.V. 132 Sec. 3 Marriage Act 1949. 133 Vgl. Sec. 48 (1) (b) Marriage Act 1949. 134 Pugh v. Pugh, [1951] 2 All E.R. 680 = [1951], 482 ff., abrufbar unter: https://www.west law.com/Document/I2DD9BC80E42811DA8FC2A0F0355337E9/View/FullText.html?transiti onType=Default&contextData=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.25 Uhr). 135 Ebenda, 482 f.

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

Der High Court gab ihrem Ansinnen statt. Das Gericht stellte dabei zunächst fest, dass die Ehe aus Sicht des ungarischen Rechts geheilt worden und daher wirksam sei.136 Anschließend bejahten die Richter die bislang offene Frage, ob sich der Anwendungsbereich von Sec. 2 Marriage Act 1949 auch auf extraterritoriale Eheschließungen erstrecke.137 Sie stellten fest, dass die grundlegende Bestimmung zum Schutz Minderjähriger nicht durch die Verlagerung der Eheschließung ins Ausland umgangen werden dürfe.138 Entscheidend war nun, ob es sich bei der Vorschrift zum englischen Ehemündigkeitsalter um ein zweiseitiges Ehehindernis handele. Das Gericht bestätigt dies und begründete diese Auffassung mit der zunehmend kritischen englischen Haltung gegenüber Kinderehen. So werde es aus sozialer und moralischer Sicht als falsch angesehen, „that persons of an age, which we now believe them to be immature and provide for their education, should have the stresses, responsibilities and sexual freedom of marriage and the physical strain of childbirth“.139 b) Eheschließung ohne Beteiligung eines englischen Eheschließungsstatuts im Inland Durch Pugh v. Pugh ist die Frage nach der extraterritorialen Anwendbarkeit des Marriage Act 1949 für Domizilengländer geklärt worden. Unklar ist jedoch weiterhin die Reichweite von Sec. 2 bei Eheschließungen im Inland. Gemeint ist die Frage, ob die Altersbegrenzung auch dann gelten solle, wenn ausländische Personen deren Eheschließungsstatut ein niedrigeres Ehemindestalter vorsieht in England heiraten.140 Der Marriage Act selbst trifft hierzu keine Aussage. In der englischen Literatur zeichnet sich jedoch die Tendenz ab, die Altersgrenze auf sämtliche Eheschließungen im Inland anwenden zu wollen. Dicey und Morris etwa beschreiben dies in der dritten Ausnahme der 67. Regel als „a marriage celebrated in England is possibly not valid if either of the parties is, according to English domestic law, under incapacity to marry the other“.141 Daneben sprechen sich auch weitere Stimmen im Schrifttum für das Erfordernis der Konformität mit den Ehehindernissen des englischen Rechts aus.142 Dabei verweisen sie auf die Kongruenz mit den Bestimmungen anderer Common Law-Rechtsordnungen, die diese Anforderungen bereits ausdrücklich kodifiziert haben.143 Zudem entspreche dies der Auffassung der Law Commission, wonach es vernünftig sei „that parties choosing to marry in England 136

Ebenda, 483. Ebenda, 484 f. 138 Ebenda, 492 f. 139 Ebenda, 492. 140 Siehe zu dieser Frage etwa Morris, L.Q.R. 62 (1946), 170 ff. 141 Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 2, Rn. 17E-099 ff. 142 So etwa Clarkson, Legal Stud. 10 (1990), 80, 83 f.; Beckett, B.Y. Int’l. L. 46 (1934), 46, 64 ff.; gegen die Ansicht aber Bradshaw, AngloAm. L. R. 15 (1986), 112 ff. 143 So etwa Sec. 38 (3) des schottischen Family Law Act 2006. 137

III. Kinderehen im englischen Recht

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should have to comply with the English law“ und „that our courts can hardly be expected to comply with validity of marriages which their own law does not countenance“.144 Eine höchstrichterliche Klärung dieser Frage steht bislang noch aus. Angesichts der verbreiteten Literaturstimmen scheint es jedoch nicht fernliegend anzunehmen, dass die 16 Jahre-Altersgrenze auch gegenüber ausländischen Nupturienten eingreift, die in England die Ehe schließen wollen. c) Eheschließung ohne Beteiligung eines englischen Eheschließungsstatuts im Ausland Weiter ist zu untersuchen, welche Regelungen das englische Recht zu im Ausland geschlossenen Kinderehen vorsieht. Dabei wird das Urteil Mohamed v. Knott relevant.145 Die Entscheidung befasste sich mit einer in Nigeria geschlossenen, nach dortigem Recht wirksamen Ehe zwischen einem 26-jährigen Nigerianer und einem 13-jährigen nigerianischen Mädchen. Nach der Heirat im Jahr 1967 ging das Paar nach England, damit der vermeintliche Ehemann dort sein Studium fortführen konnte. Dabei erwarben sie zu keiner Zeit ein englisches domicile of choice, da sie beabsichtigten, später nach Nigeria zurückzukehren. Bei einem Arzttermin in London fiel das junge Alter des Mädchens auf. Nachdem der Arzt dies der Polizei gemeldet hatte, wurde das Mädchen vom Jugendgericht in Fürsorge genommen.146 Es erging ein so genannter fit order.147 Der Richter des Jugendgerichts stellte dazu fest, dass das Mädchen in der Ehe keine hinreichende Fürsorge erhalte. Sie befände sich zudem in moralischer Gefahr im Sinne der Sec. 2 (2) Children and Young Persons Act, 1963.148 Die Aufrechterhaltung der Beziehung des Paares sei, unabhängig von der Eheschließung als solche, unzulässig, da diese jedem „decent-minded English man oder woman“ zuwider (repugnant) sei.149 Zudem würde der Mann sich durch den Vollzug der Ehe nach Sec. 6 (1) Sexual Offences Act, 1956 strafbar machen. Dieser stellte „unlawful sexual intercourse with a girl … under the age of 16“ unter Strafe.150 Der High Court hob das Urteil des Jugendgerichts auf. Das Gericht betonte 144

Working Paper der Law Commission (Law Com. No. 89) [1985], Rn. 3.42 (97 f.), abrufbar unter: https://s3-eu-west-2.amazonaws.com/lawcom-prod-storage-11jsxou24uy7q/uplo ads/2016/08/No.089-Private-International-Law-Choice-of-Law-Rules-in-Marriage.pdf (zuletzt abgerufen am 26. 11. 2020, 16.51 Uhr). 145 Alhaji Mohamed v. Knott, [1968] 2 W.L.R. 1446 = [1969] 1 Q.B. 1 ff., abrufbar unter: https://www.westlaw.com/Document/I54C2F010E42711DA8FC2A0F0355337E9/View/Full Text.html?transitionType=Default&contextData=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.26 Uhr). 146 Ebenda, 1 f. 147 Das Gericht sprach einen so genannten „fit person order“ aus. Dieser dient dazu, Kinder mit einem problematischen Hintergrund unter die Fürsorge einer so genannten „fit person“, sprich einer vom Gericht als zuverlässig erachteten volljährigen Person, zu stellen. 148 Siehe Fn. 145, 5 ff. 149 Ebenda, 9. 150 Ebenda, 10.

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in seiner Begründung, dass es zwar grundsätzlich möglich sei, auch gegenüber verheirateten Personen ein fit order zu erlassen.151 Die streitgegenständliche Ehe stelle jedoch nicht, wie vom Jugendgericht angenommen, eine moralische Gefahr für das Mädchen dar. Sie sei daher aus Sicht des englischen Rechts wirksam. Der Fehler des erstinstanzlichen Urteils liege darin, dass der Jugendrichter bei der Beurteilung die Sichtweise eines verständigen Engländers hinsichtlich englischer Ehen zum Maßstab genommen habe.152 Dies sei hier verfehlt. Entscheidend sei vielmehr, wie ein vernünftiger Engländer eine entsprechende Ehe unter Berücksichtigung der Herkunft und der Lebensumstände des Paares beurteilen würde. Der Richter folgerte daraus: „I cannot think myself that decent-minded English men or women, realizing the way of life in which this girl was brought up, and this man for that matter, would inevitably say that this is repugnant. It is certainly natural for a girl to marry at that age. They develop sooner, and there is nothing abhorrent in their way of life for a girl of 13 to marry a man of 25.“153 Die Annahme, der Ehemann mache sich nach dem Sexual Offences Act strafbar, wurde zurückgewiesen. Der Vollzug einer als wirksam anerkannten Ehe könne keinen Fall von „unlawful sexual intercourse“ darstellen.154 Auch sei eine moralische Gefährdung der Ehefrau durch solche Handlungen ausgeschlossen, da es sich dabei um ihre „wifely duties“ handele.155 Die Entscheidung des High Courts kann als Grundstein für die bis heute anhaltende liberale Haltung englischer Gerichte bei der Anerkennung ausländischer Kinderehen verstanden werden. Diese werden auch dann als wirksam anerkannt, wenn die nationale Altersgrenze noch nicht erreicht ist. Nur bei besonders jungen Beteiligten wird solchen Ehen die Anerkennung im Inland versagt.156 Eine konkrete Altersgrenze hierfür benennt die englische Literatur jedoch nicht. d) Résumé der aktuellen Rechtslage Die aktuelle Rechtslage in England kann folgendermaßen zusammengefasst werden: 1. Personen mit einem englischen Domizil können weder im Inland noch im Ausland heiraten, wenn sie das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Solche Ehen sind nichtig. Ab Vollendung des 16. und bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs bedürfen die Nupturienten des Einverständnisses ihrer Sorgeberechtigten oder eines Gerichts.

151 152 153 154 155 156

Ebenda, 14. Ebenda, 15. Ebenda, 15. Ebenda, 16 f. Ebenda, 17. Karsten, Mod. L. Rev. 32 (1969), 212, 215; Poulter, I.C.L.Q. 36 (1987), 589, 610.

III. Kinderehen im englischen Recht

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2. Domizilengländer können weder im In- noch im Ausland eine Person heiraten, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Dies gilt auch dann, wenn das Eheschließungsstatut der jüngeren Person dies als zulässig erachtet. 3. Unklar ist, ob ausländische Personen, deren domicile-Recht eine niedrigeres Ehemündigkeitsalter vorsieht, eine solche Ehe in England schließen können. Die Literatur lehnt diese Möglichkeit überwiegend, zum Teil aufgrund des ordre public, ab.157 Sofern eine Kinderehe im Ausland wirksam geschlossen wurde, besteht in England die Tendenz diese auch dann anzuerkennen, wenn die minderjährige Person das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Die Anerkennung einer Ehe soll nur bei besonders jungen Beteiligten versagt werden. Auch dies wird auf den ordre public zurückgeführt.158 2. Reformbestrebungen Bereits die Reaktionen auf das Urteil Mohamed v. Knott zeigen, dass der Umgang mit Kinderehen in England kontrovers diskutiert wird. So erntete die Entscheidung einerseits viel Lob. Die Bereitschaft des Gerichts zur Auseinandersetzung mit ausländischen Werten und Kulturvorstellungen im Rahmen des Urteils wurde als positiv bewertet und zugleich die „up to date“-Haltung der englischen Richter hervorgehoben.159 Die Entscheidung wurde gegenüber dem als „eurozentrischen“ und „kulturell arrogant“ empfundenen Urteil des Jugendgerichts als ein wichtiges Beispiel für kulturelle Toleranz und das Konzept des moralischen Pluralismus empfunden.160 Man wies darauf hin, dass bis 1929 auch in England das Ehefähigkeitsalter bei 12 Jahren gelegen habe und es daher falsch sei einer Ehe die Anerkennung zu versagen, obwohl diese noch vor relativ kurzer Zeit in England hätte geschlossen werden können.161 Daneben seien auch die problematischen Folgen zu bedenken, die aus der Ehenichtigkeit für die betroffenen Paare folge.162 Andererseits musste sich das Urteil auch kritischen Stimmen stellen. So wurde der Entscheidung vorgeworfen, dass sie rassistisch sei und sich nicht hinreichend für den Schutz eines verletzlichen Kindes in England einsetze.163 Zudem sei unklar, wer im pluralistischen England den „verständigen Engländer“ repräsentieren solle.164 Das 157

Clarkson, Legal Stud. 10 (1990), 80, 83. Karsten, Mod. L. Rev. 32 (1969), 212, 214. 159 Green, Malaya L. Rev. 12 (1970), 38 ff., 48 f.; ders., University of Toronto L. J. 20 (1970), 422, 429. 160 Freeman, Int’l. J. Child. Rts. 3 (1995), 1, 3; Phillips, Mod. L. Rev. 66 (2003), 510, 519; dies., Multiculturalism without Culture, 78 f. 161 Karsten, Mod. L. Rev. 32 (1969), 212, 215. 162 Poulter, I.C.L.Q. 36 (1987), 589, 610. 163 Mit Nachweisen dazu Freeman, Int’l. J. Child. Rts. 3 (1995), 1, 2. 164 Murphy, N.I.L.Q. 47 (1996), 35, 38. 158

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Urteil veranschauliche die fehlende Kenntnis des Richters über die muslimische Kultur, was er durch Vorurteile, Mutmaßungen und irrige Annahmen auszugleichen versucht habe. Dem Urteil wurden daher desaströse Auswirkungen prophezeit.165 Trotz dieser eher durchwachsenen Kritik wurde an Mohamed v. Knott festgehalten. Die Thematik der Kinderehen geriet nachfolgend immer wieder in das Blickfeld der Öffentlichkeit. So etwa, als Mitte der 1980er-Jahre der Fall zweier zwölf und dreizehn Jahre alter Bräute aus dem Iran beziehungsweise dem Oman bekannt wurde, die mit ihrem jeweiligen Ehemann in London lebten.166 Zu einem gerichtlichen Verfahren kam es dabei nicht, da die Paare aufgrund der großen medialen Aufmerksamkeit fluchtartig das Land verließen. a) Marriage and Civil Partnership (Minimum Age) Bill 2016 Nachdem der britische Gesetzgeber sich zu Beginn der 2000er-Jahre zunächst intensiv mit der Thematik der Zwangsehen befasst hatte,167 wurden im Jahr 2016 die Kinderehen wieder Gegenstand parlamentarischer Debatten.168 Maßgeblich dafür war die neu eingebrachte Marriage and Civil Partnership (Minimum Age) Bill 2016, die die Anhebung des Ehemündigkeitsalters im nationalen Recht auf ausnahmslos 18 Jahre vorsah. Zugleich sollte es durch den neuen Sec. 121 (2) des Anti-social Behaviour, Crime and Policing Act 2014 unter Strafe gestellt werden, Personen vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zur Eheschließung zu drängen. Der Gesetzesentwurf beruhte auf einer umfassenden Untersuchung des britischen Parlaments zu Kinderehen.169 Die Verfasser der Bill stützten ihr Vorhaben auf drei maßgebliche Erwägungen:170 Zunächst betraf dies den Schutz junger Frauen vor den negativen Folgen verfrühter

165

Freeman, Int’l. J. Child. Rts. 3 (1995), 1, 3. Siehe dazu Poulter, I.C.L.Q. 36 (1987), 589, 610. 167 Siehe etwa den Forced Marriage (Civil Protection) Act 2007, abrufbar unter: https: //www.legislation.gov.uk/ukpga/2007/20/contents (zuletzt abgerufen am 23. 6. 2021, 16.32 Uhr) sowie die Forced Marriage Unit; Part. 10 Anti-social Behaviour, Crime and Policing Act 2014, abrufbar unter: https://www.legislation.gov.uk/ukpga/2014/12/contents/enacted (zuletzt abgerufen am 23. 6. 2021, 16.33 Uhr) sowie die Einführung der Forced Marriage Unit (FMU), vgl. dazu unter https://www.gov.uk/guidance/forced-marriage (zuletzt abgerufen am 23. 6. 2021, 16.34 Uhr). 168 Der Gesetzesentwurf ist abrufbar unter: https://bills.parliament.uk/bills/1792 (zuletzt abgerufen am 14. 5. 2020, 15.58 Uhr). 169 A Childhood Lost, abrufbar unter: https://sharan.org.uk/wp-content/uploads/2018/09/ child-marriage-hearing-report-low-res-file-for-web.pdf (zuletzt abgerufen am 13. 5. 2020, 17.22 Uhr). 170 Siehe dazu die 2. Lesung im House of Lords, abrufbar unter: https://hansard.parliament. uk/lords/2016-10-21/debates/CBC523D9-2F79-4D54-9CAB-28B36D700901/MarriageAndCi vilPartnership(MinimumAge)Bill(HL) (zuletzt abgerufen am 14. 5. 2020, 11.23 Uhr). 166

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Eheschließungen.171 Durch die Gefahr verfrühter sexueller Aktivitäten und hieraus folgenden Frühschwangerschaften könnten sich diese Ehen nachteilig auf das physische und psychische Wohl junger Mädchen auswirken.172 Auch habe sich gezeigt, dass jungen Frauen in ihren neuen Familien häufig häuslicher Gewalt und Missbrauch begegneten.173 Zudem müssten die Betroffenen vor einer finanziellen Abhängigkeit, die aus dem regelmäßig mit einer frühen Eheschließung einhergehenden Schul- und Bildungsabbruch resultiere, bewahrt werden.174 Dabei betonten die Verfasser des Entwurfs, dass die bislang geltende Zustimmungslösung nicht ausreiche.175 Vielmehr beinhalte diese die Gefahr, dass die Mädchen bei der Entscheidung über die Eheschließung von ihren Familienangehörigen beeinflusst würden. Die Anhebung des Ehefähigkeitsalters biete demgegenüber den erforderlichen Schutz der freien Willensbildung.176 In diesem Zusammenhang wurde auch erneut die Bedeutung der Registrierung von Ehen betont. Hierdurch könne der Gefahr inoffizieller Eheschließungen, die häufig mit einer Gesetzesumgehung hinsichtlich des Ehemündigkeitsalters einhergingen, begegnet werden.177 Die zweite hinter dem Gesetzesvorhaben stehende Erwägung betraf die Anpassung des nationalen Rechts an internationale Vereinbarungen. So stehe die Anhebung des Ehefähigkeitsalters mit den Zielen der Agenda 2030 der Vereinten Nationen im Einklang.178 Zudem trage dies auch den Bestimmungen der UN-KRK sowie internationalen Menschenrechtsstandards Rechnung.179 Zuletzt wurde auf die globale Vorbildfunktion des britischen Gesetzgebers verwiesen.180 Die Anhebung des Ehefähigkeitsalters auf 18 Jahre ohne Befreiungsmöglichkeit entspreche dem internationalen Trend der Industrienationen. Auch würde der englische Gesetzgeber sich damit solidarisch mit anderen Staaten im Kampf gegen Kinderehen positionieren. Insbesondere wurde jedoch auf die Gefahr hingewiesen, dass ein Verbleib bei der aktuellen Rechtslage als heuchlerisch angesehen werden könnte. Das englische Engagement gegen Kinderehen in Entwicklungsländern werde unglaubwürdig, wenn das nationale Recht selbst derartige Ehen zulasse.181 Dies habe sich bereits gezeigt als in Bangladesch die Heraufsetzung

171

Auch die in England dokumentierten Fälle von Kinderehen betreffen maßgeblich Frauen im Alter von unter 18 Jahren. 172 Baroness Uddin, 2. Lesung im Haus of Lords (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 170). 173 Baroness Tonge, 2. Lesung im Haus of Lords (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 170). 174 Baroness Uddin, 2. Lesung im Haus of Lords (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 170). 175 Baroness Tonge, 2. Lesung im Haus of Lords (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 170). 176 Baroness Uddin, 2. Lesung im Haus of Lords (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 170). 177 Baroness Uddin, 2. Lesung im Haus of Lords (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 170). 178 Baroness Tonge, 2. Lesung im Haus of Lords (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 170). 179 Zur völkerrechtlichen Relevanz von Kinderehen vgl. unter C.II.2.b) sowie E.II.1.a)bb). 180 Baroness Uddin, 2. Lesung im Haus of Lords (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 170). 181 Baroness Uddin, 2. Lesung im Haus of Lords (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 170).

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des Ehefähigkeitsalters diskutiert wurde. Hier wurde von den Gegnern einer Altersanhebung auf das englische Recht als Legitimationsgrundlage verwiesen.182 Der Gesetzesvorschlag erfuhr dabei nicht nur Lob.183 So wurde für ein Festhalten an der Rechtslage de lege lata angeführt, dass das englische Recht an die Vollendung des 16. Lebensjahrs der Eheschließung vergleichbare Rechte knüpfe, wie etwa die Möglichkeit eines Armeeeintritts. Ebenso würde eine Anhebung des Ehefähigkeitsalters zu einer Diskrepanz mit dem Schutzalter führen.184 Es herrschte die grundsätzliche Überzeugung vor, dass diese beiden Altersgrenzen übereinstimmen sollten. Anderenfalls liefe der englische Gesetzgeber Gefahr außereheliche sexuelle Aktivität zu proklamieren.185 Der behauptete internationale Druck bestehe in dieser Klarheit nicht, da auch andere Industrienationen bislang an einem Ehefähigkeitsalter unter 18 Jahren festhielten. Auch lasse sich der UN-KRK keineswegs eine solche konkrete Verpflichtung entnehmen.186 Weiter wurde angemerkt, dass die Anhebung des nationalen Ehemündigkeitsalters nicht geeignet sei, die mit dem Gesetzesentwurf verfolgten Ziele zu erfüllen. Hierbei wurde darauf verwiesen, dass einer Änderung des nationalen Rechts im internationalen Kontext allenfalls eine sehr geringe Ausstrahlungswirkung zukomme.187 Dies gelte insbesondere deshalb, da in den Ländern in denen Kinderehen vermehrt vorkämen geschriebenem Gesetzesrecht weniger Bedeutung zugemessen werde. Projekte zur Förderung von Frauen seien daher die geeigneteren Mittel im Kampf gegen Kinderehen.188 Insbesondere wurde dem Vorhaben jedoch entgegengehalten, dass es keine hinreichenden Belege für einen tatsächlichen Änderungsbedarf gebe.189 So sei die Zahl der Eheschließungen Minderjähriger in Großbritannien extrem gering. Die Zahl derer, die im minderjährigen Alter eine Lebenspartnerschaft eingehen wollen, läge sogar bei null.190 182

In Bangladesch sind 59 % der Mädchen verheiratet bevor sie das 18. Lebensjahr vollendet haben, 22 % werden vor Vollendung des 15. Lebensjahrs verheiratet. Damit ist Bangladesch international das Land mit der vierthöchsten Anzahl an Kinderehen, siehe dazu: https: //www.girlsnotbrides.org/child-marriage/bangladesh/. 183 Siehe auch zu dieser gegenteiligen Argumentation die Debatte im englischen Oberhaus, https://hansard.parliament.uk/lords/2016-10-21/debates/CBC523D9-2F79-4D54-9CAB-28B3 6D700901/MarriageAndCivilPartnership(MinimumAge)Bill(HL) (zuletzt abgerufen am 11. 12. 2020, 9.44 Uhr). 184 Baroness Goldie, 2. Lesung im Haus of Lords (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 170). Als Schutzalter wird das Alter beschrieben, bis zu dem Jugendliche im Hinblick auf sexuelle Verführung o. ä. durch Gesetz geschützt sind (Definition Duden). 185 Baroness Goldie, 2. Lesung im Haus of Lords (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 170). 186 Lord Collins of Highbury, 2. Lesung im Haus of Lords (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 170). 187 Baroness Goldie, 2. Lesung im Haus of Lords (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 170). 188 Lord Collins of Highbury, 2. Lesung im Haus of Lords (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 170). 189 Lord Collins of Highbury, 2. Lesung im Haus of Lords (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 170). 190 Baroness Goldie, 2. Lesung im Haus of Lords (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 170).

III. Kinderehen im englischen Recht

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Der Gesetzesentwurf wurde zum dritten und letzten Mal am 20. Dezember 2016 im britischen Oberhaus gelesen und im Anschluss an das Unterhaus übersendet. Zu einer finalen Entscheidung über das Gesetzesvorhaben kam es aufgrund des Abbruchs der Sitzungsperiode des britischen Parlaments im Jahr 2017 nicht. b) Marriage and Civil Partnership (Minimum Age) Bill 2019/ Marriage and Civil Partnership (Minimum Age) (No. 2) Bill 2019 – 2021 Am 27. Januar 2020 erfolgte im englischen Oberhaus die erste Lesung der neu überarbeiteten, nun deutlich umfangreicheren Marriage and Civil Partnership (Minimum Age) Bill 2019.191 Diese wurde wenig später erneut, jedoch kaum überarbeitet, als Marriage and Civil Partnership (Minimum Age) (No. 2) Bill 2019 – 2021 ins Unterhaus eingebracht. Die erste Lesung des Reformvorhabens erfolgte am 6. Oktober 2020. Der Gesetzesvorschlag sieht nunmehr neben der Anhebung des Ehemündigkeitsalters auf ausnahmslos 18 Jahre die Schaffung eines umfangreichen Straftatbestandes vor. Letzterer soll Fälle erfassen, in denen die für ein Kind verantwortlichen Personen dieses bei der Eingehung einer Kinderehe unterstützt haben. Gleiches gilt, sofern entsprechende Personen nicht hinreichend zum Schutz des Kindes vor einer Kinderehe eingegriffen haben.192 Daneben werden Personen, die beruflich mit Kindern in Kontakt kommen, umfangreiche Informationspflichten auferlegt sofern sie Kenntnis von einer möglichen Kinderehe erlangen.193 In prozessualer Hinsicht räumt der Gesetzesvorschlag den Gerichten das Recht ein zum Schutz eines Kindes vor Eheschließung im Rahmen von so genannten Child marriage protection orders selbstständig und somit ohne einen vorherigen behördlichen oder privaten Antrag tätig zu werden.194 Den beiden Gesetzesentwürfen von 2019/2021 ging eine Debatte im englischen Unterhaus voraus.195 Die Argumentation für die Erforderlichkeit der Gesetzesänderung entsprach dabei weitestgehend der bereits im Jahr 2016 gehörten Begründung. Unter dem Aspekt des Minderjährigenschutzes wurde zusätzlich die Absicherung junger Frauen vor sozialer Isolation sowie vor Verschleppungen ins Ausland

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Der erste Gesetzesentwurf ist abrufbar unter: https://bills.parliament.uk/bills/2584 (zuletzt abgerufen am 14. 5. 2020, 10.51 Uhr); der zweite Gesetzesentwurf ist abrufbar unter: https: //publications.parliament.uk/pa/bills/cbill/58-01/0192/200192.pdf (zuletzt abgerufen am 18. 11. 2020, 15.37 Uhr). 192 Sec. 5 des Gesetzesvorschlags. 193 Sec. 8 des Gesetzesvorschlags. 194 Schedule 2; Einführung des Part 4B in den Family Law Act 1996. 195 Sitzung am 15. 5. 2019, abrufbar unter: https://hansard.parliament.uk/Commons/201905-15/debates/D44FC707-D2E2-4675-BA21-4E8EE24C62EE/MarriageAndCivilPartner shipMinimumAge?highlight=marriage%20civil%20partnership%20minimum%20age%2 0bill%202019#contribution-76ECEF2B-CAE8-4C9E-BFCC-C9DC7AD48F70 (zuletzt abgerufen am 14. 5. 2020, 11.37 Uhr).

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

angeführt.196 Mit Blick auf den Kritikpunkt der geringen Anzahl von Kinderehen in England wurde darauf verwiesen, dass die erheblichen negativen Konsequenzen der individuellen Fälle die geringe Quantität ausgleichen.197 Zudem wurde angeführt, dass der englische Gesetzgeber auf den sozialen und gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahrzehnte reagieren müsse. Das seit dem Jahr 1929 unveränderte Ehefähigkeitsalter müsse angepasst werden.198 Dabei wird auf das in den letzten Jahrzehnten erheblich nach hinten verlagerte Berufseinstiegsalter verwiesen, welches Einflüsse auf die Entwicklungsgeschwindigkeit Jugendlicher habe.199 Schließlich betonten die Mitglieder des Unterhauses, dass bereits das erneute Aufgreifen der Thematik als Beweis für deren soziale und gesellschaftliche Relevanz anzusehen sei.200 Der weitere Fortgang des Gesetzgebungsprozess ist zum aktuellen Zeitpunkt noch offen. Die zweite Lesung im Unterhaus steht noch aus.201 Zuletzt wurde von Regierungsseite gegenüber Kinderschutzorganisationen im Juni 2021 Bereitschaft zur Anhebung des nationalen Ehemündigkeitsalters signalisiert.202 c) Zwischenfazit Zu der vorgeschlagenen Gesetzesreform ist festzuhalten: 1. Die in beiden Gesetzesentwürfen verkörperten Bemühungen um die Anhebung des Ehemündigkeitsalters unter Abschaffung der Dispensmöglichkeit entspricht dem allgemeinen Trend der westlichen Industrienationen. Es bleibt abzuwarten, ob das englische Parlament diese Änderungen beim zweiten Anlauf akzeptieren wird. 196

Mrs. Latham, Debatte des House of Commons vom 15. 5. 2019 (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 195). 197 Mrs. Latham, Debatte des House of Commons vom 15. 5. 2019 (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 195). 198 Mrs. Latham, Debatte des House of Commons vom 15. 5. 2019 (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 195). 199 Mrs. Latham, Debatte des House of Commons vom 15. 5. 2019 (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 195). 200 Mrs. Latham, Debatte des House of Commons vom 15. 5. 2019 (vgl. zur Abrufbarkeit Fn. 195). 201 Zu einer zweiten Lesung des Gesetzesentwurfs im House of Commons ist es bis zum Januar 2022 noch nicht gekommen. Der aktuelle Stand des Gesetzgebungsverfahrens kann unter https://bills.parliament.uk/bills/2787 nachvollzogen werden. 202 Vgl. dazu die Berichterstattung etwa unter: https://www.gl.law/insight/news/new-legalage-for-marriage-in-england-and-wales-set-to-be-18-years-old/ (zuletzt abgerufen am 24. 8. 2021, 18.16 Uhr); https://www.theguardian.com/global-development/2021/jun/11/governmentpledges-to-raise-legal-age-of-marriage-to-18-in-england-and-wales (zuletzt abgerufen am 24. 8. 2021, 18.16 Uhr); https://www.theguardian.com/global-development/2021/may/04/child-marria ge-thriving-in-uk-due-to-legal-loophole-warn-rights-groups (zuletzt abgerufen am 24. 8. 2021, 18.18 Uhr).

III. Kinderehen im englischen Recht

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2. Der englische Reformvorschlag geht über das deutsche Kinderehen-Gesetz hinaus, indem er ein strafbewährtes Vorgehen vorschlägt. Die Einführung eines Straftatbestandes hat sich bereits bei der Gesetzgebung zu Zwangsehen als erfolgreich herausgestellt. 3. Eine ausdrückliche kollisionsrechtliche Regelung enthalten die englischen Gesetzesentwürfe nicht. Deren internationale Anwendbarkeit wird somit richterrechtlich zu bestimmen sein. Sofern man sich jedoch der Literaturmeinung anschließt, wonach Sec. 2 Marriage Act 1949 als Ehehindernis für alle Eheschließungen im Inland gilt, wäre die Gesetzesänderung auch für das IPR von Bedeutung. Ebenso kann die Frage, inwiefern sich eine Neuregelung auf die Anerkennung von ausländischen Kinderehen auswirken würde, noch nicht endgültig beantwortet werden. Die Argumentation der Entwurfsverfasser lässt sich zwar zum Teil so verstehen, dass de lege ferenda entsprechende Ehe nicht mehr anerkannt werden sollen. So wurde etwa dem Entwurf von 2016 vorgeworfen, er würde eine neue Hürde für die Einreise von Flüchtlingen begründen, die als Kinder verheiratet worden wären. Dies wäre jedoch nur dann der Fall, wenn diesen Ehen entgegen der bisherigen Praxis keine Wirkung im Inland mehr zukäme. Gleichermaßen ließe sich auch die Argumentation zum 2019er-Entwurf verstehen. Dieser wurde mit dem Hinweis gerechtfertigt, dass er der Verschleppung und Verheiratung von Kindern im Ausland entgegenwirke, indem diese Ehen im Inland nicht mehr anerkannt würden. Hierdurch entfalle der Anreiz für entsprechende Vorgänge. Auch dann, wenn man die neue Rechtslage nicht derart verstanden wissen will, dass sie einer Anerkennung von Kinderehen vollständig ausschließt, ist zu vermuten, dass sie jedenfalls eine Verschiebung der bei der Anerkennung zulässigen Altersgrenze bewirkt. 3. Fazit Die Untersuchung hat gezeigt, dass die rechtliche Situation in England Ähnlichkeiten zur deutschen Rechtslage bis zum Inkrafttreten des Kinderehen-Gesetzes aufweist. Dies betrifft zunächst die Altersgrenze für Eheschließungen im nationalen Recht. Hier war jeweils ein Mindestalter von 18 Jahren vorgesehen. Eine Ausnahme davon war möglich, wenn die heiratswillige Person das 16. Lebensjahr vollendet und entweder die Sorgeberechtigten oder ein Gericht zugestimmt hatten. Diese nationale Bestimmung entfaltete für die jeweiligen Staatsbürger beziehungsweise Domizilinhaber auch bei Eheschließungen im Ausland Wirkung. Hinsichtlich Eheschließungen ohne Beteiligung des jeweiligen nationalen Rechts gingen beide Länder davon aus, dass die 16 Jahre-Altersgrenze für sämtliche Eheschließungen im Inland gelte. Dies wurde in Deutschland mit dem ordre public begründet. Auch in der englischen Literatur finden sich Stimmen, die diese Fälle auf

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

Erwägungen der public policy stützen wollen.203 Bei der Anerkennung von im Ausland geschlossenen Kinderehen zeigten sich beide Rechtsordnungen großzügiger, wobei sich die englischen Gerichte ein wenig liberaler positionierten als die deutschen. Diese Übereinstimmungen haben sich durch das Inkrafttreten des KinderehenGesetzes erübrigt. Dies betrifft nicht nur das nationale Ehemündigkeitsalter, sondern auch die Haltung bei der Anerkennung ausländischer Kinderehen und bei Eheschließungen von Ausländern im Inland. Eine erneute Annäherung könnte durch das Inkrafttreten des englischen Reformvorschlags erfolgen. Zwar geht das englische Vorgehen insofern über das deutsche hinaus, als es die Normierung umfangreicher Straftatbestände und Informationspflichten vorsieht. Es wirkt jedoch harmonisierend in Hinblick auf das nationale Ehemündigkeitsalter. Inwiefern auch die zukünftige kollisionsrechtliche Lage in England mit der deutschen übereinstimmen wird, lässt sich noch nicht mit Sicherheit beantworten. Es erscheint jedenfalls nicht unwahrscheinlich, dass England insoweit vergleichbar zur deutschen Rechtslage, bei Annahme des Gesetzesvorschlags die Altersgrenze von 18 Jahren auf sämtliche Eheschließungen im Inland anwenden wird. Die Frage, inwiefern die vorgeschlagene Rechtsänderung Ausdruck des englischen ordre public ist, findet keine ausdrückliche Bestätigung. Dies liegt angesichts der grundsätzlichen Einordnung der Kinderehe als Frage der öffentlichen Ordnung jedoch nahe.

IV. Polygamie im englischen Recht Das englische Recht blickt auf eine lange Tradition im Umgang mit Polygamie zurück. Seit der ersten Grundsatzentscheidung in Hyde v. Hyde vor über zweihundert Jahren haben Mehrehen die englischen Gerichte sowie die Rechtswissenschaft immer wieder beschäftigt. Zunehmend mehr wurde dies ab Ende des Zweiten Weltkriegs durch den verstärkten Zuzug von Migranten aus afrikanischen und asiatischen Staaten.204 Die englische Rechtslage zur Polygamie hat sich dabei stetig entlang der veränderten sozialen Verhältnisse entwickelt. Dies war vor allem deshalb möglich, da es bis in die 1970er-Jahre in nahezu allen Rechtsbereichen an geschriebenen Rechtssätzen hierzu fehlte.205 Maßgeblich waren daher vor allem die Leitentscheidungen der englischen Gerichte und die hieran geübte Kritik von Literatur und Law Commission. 203

Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 1, Rn. 5-011. Hartley, Mod. L. Rev. 32 (1969), 155 ff.; Shah, I.C.L.Q. 52 (2003), 369, 389; Wortley, Rev. Esp. Der. Int. 25 (1972), 441 ff. 205 Eine Ausnahme stellte Sec. 3 des Family Allowances and National Insurance Act 1956 dar. 204

IV. Polygamie im englischen Recht

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Die so entstandene Rechtslage soll im Nachfolgenden dargestellt werden. Zunächst wird untersucht, welche Verbindungen vom englischen Recht als polygam klassifiziert werden. Anschließend wird anhand der einschlägigen Leitentscheidungen die Entwicklung der englischen Rechtslage nachvollzogen. Auch in England sind nur Fälle polygyner Ehen bekannt geworden, so dass diese Fallkonstellation im nachfolgenden Abschnitt zur Beispielsbildung herangezogen wird.

1. Polygame Ehen aus Sicht des englischen Rechts Polygame Ehen werden vom englischen Recht in Abgrenzung zu den so genannten „christlichen Ehen“ definiert. Letztere wurden in der Entscheidung Hyde v. Hyde beschrieben als „voluntary union for life of one man and one wife, to the exclusion of all others“.206 Diese Begriffsbestimmung hat sich für das englische Recht als maßgebliche Ehedefinition durchgesetzt. Die Betonung der Christlichkeit der Ehe ist dabei missverständlich. Nach allgemeiner Auffassung ist es nicht erforderlich, dass einer oder beide Partner dem christlichen Glauben angehören. Die ausdrückliche Bezugnahme auf das Christentum in der Hyde-Rechtsprechung muss vielmehr im Kontext der viktorianisch geprägten Haltung der Gerichte verstanden werden. Danach stellte sich die christliche Ehe als das Idealbild des menschlichen Zusammenlebens dar. Diese Auffassung hat zwar nachträglich erhebliche Kritik erfahren,207 wurde dem Grunde nach aber beibehalten. Die englische Rechtsordnung ist somit weiterhin durch das Bild der Einehe geprägt. Mit Blick auf das Eheverständnis aus Hyde wird für die hier zu untersuchende Frage der Polygamie vor allem relevant, wann aus Sicht des englischen Rechts eine Verbindung „to the exclusion of all others“ eingegangen wird. Die herrschende Auffassung knüpft dies an die lex loci celebrationis, also das Recht des Eheschließungsortes an.208 Dies mag zunächst verwundern, da die lex loci sowohl im deutschen als auch im englischen Recht vor allem für die formellen Aspekte der Eheschließung maßgeblich ist. Das ließe den Rückschluss zu, dass das englische Recht den mono- beziehungsweise polygamen Charakter einer Ehe als Formfrage beurteilt. Ein solches Verständnis würde jedoch zu kurz greifen. Das englische Eheschließungsrecht muss somit weiter erläutert werden, um die Anknüpfungsregel verständlich zu machen. Dabei ist erneut auf die Hyde-Rechtsprechung und das dadurch geprägte Verhältnis von Mono- und Polygamie zurückzukommen. Der für die Entscheidung zuständige Richter Lord Penzance ging bei seinem Urteil davon aus, dass Ein- und 206 Hyde v. Hyde, [1866] L. R. 1 P. & D. 130 ff.; abrufbar unter: https://www.westlaw.com/ Document/IC59E8A10E42711DA8FC2A0F0355337E9/View/FullText.html?transitionType= Default&contextData=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.32 Uhr), vgl. dazu auch unter D.IV.2.a). 207 So etwa Poulter, I.C.L.Q. 25 (1967), 475, 485. 208 Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 2, Rn. 17-144; Schuz, Mod. L. Rev. 46 (1983), 653, 654; Sinclair, Brit. Y.B. Int’l L 1954, 248, 249; Hartley, Mod. L. Rev. 32 (1969), 155, 156.

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

Mehrehen sich ganz grundlegend voneinander unterschieden.209 Mono- und Polygamie verstand er gerade nicht als zwei unterschiedliche Ausprägungen der Ehe als übergeordnetes Rechtsinstitut. Vielmehr entstünden durch mono- beziehungsweise polygame Eheschließungszeremonien zwei gänzlich verschiedenartige Ehegebilde. Für die Bestimmung welches dieser Systeme vorliege, sei der jeweiligen Entstehungsakt zu begutachten. Allein die Eheschließungszeremonie könne Aufschluss darüber geben welches eheliche Konstrukt eingegangen worden sei. Daraus folgt, dass Ehen die unter Geltung eines Mehrehen gestattenden Rechts geschlossen werden vom englischen Recht grundsätzlich als polygame Ehen angesehen werden. Eine Unterscheidung zwischen potentiell und aktuell polygamen Ehen erfolgt dabei zunächst nicht. 2. Entwicklung des englischen Rechts zur Polygamie Wie bereits erwähnt fehlte es in England bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts an geschriebenen Rechtssätzen zum Umgang mit Polygamie. Dies änderte sich grundlegend durch den Matrimonial Proceedings (Polygamous Marriages) Act 1972. Da jedoch auch vor dessen Inkrafttreten ein Bedürfnis nach Leitlinien zum Umgang mit Mehrehen bestand, war es vornehmlich die Aufgabe der Gerichte hierfür Regeln zu entwickeln. Im nachfolgenden Abschnitt werden die hierbei relevant gewordenen Leitentscheidungen und die daraus entwickelten Regeln zum Umgang mit Mehrehen dargestellt. a) Hyde v. Hyde, 20. März 1886 Die erste Entscheidung zu polygamen Ehen war der bereits erwähnte Fall Hyde v. Hyde.210 Dem Urteil lag die Ehe zweier Mormonen zugrunde. Beide stammten ursprünglich aus England, wo sie sich auch verlobt hatten. Kurz darauf wanderten sie gemeinsam nach Utah aus und schlossen dort die Ehe. Schon bald darauf sagte der Ehemann sich von seinem mormonischen Glauben los und ging zurück nach England. Hier war er als Geistlicher tätig und erwarb schließlich ein englisches domicile. Nachdem seine Frau sich geweigert hatte, sich von ihrem Glauben zu lösen, beantragte der Ehemann die Scheidung.211 Das Gericht lehnte dies ab, da das englische Scheidungsrecht auf die vorliegende Verbindung nicht anwendbar und das englische Gericht somit nicht zuständig sei.212 Bei seiner Urteilsbegründung definierte das Gericht zunächst in oben beschriebener Weise, was 209

Hyde v. Hyde, [1866] L. R. 1 P. & D. 130, 133 ff. Hyde v. Hyde, [1866] L. R. 1 P. & D. 130 ff., abrufbar unter: https://www.westlaw.com/ Document/IC59E8A10E42711DA8FC2A0F0355337E9/View/FullText.html?transitionType= Default&contextData=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.32 Uhr). 211 Ebenda, 130 ff. 212 Ebenda, 133. 210

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aus Sicht des englischen Rechts die Ehe kennzeichne. Im Anschluss stellte der Richter fest, dass die von dem Kläger eingegangene Verbindung von dieser Begriffsbestimmung nicht erfasst werde. Dies wurde damit begründet, dass die Ehe unter Geltung des mormonischen Rechts eingegangen worden sei. Da dieses Mehrehen gestatte, sei die Ehe nicht „to the exclusion of all others“ geschlossen worden. Das Gericht folgerte daraus, dass das englische Scheidungsrecht auf die Ehe nicht angewendet werden könne.213 Es sei „obvious that the matrimonial law of this country is adapted to the Christian marriage, and it is wholly inapplicable to polygamy. The matrimonial law is correspondent to the rights and obligations which the contract of marriages has, by the common understanding of the parties, created“.214 Die Anwendung der englischen Normen auf Mehrehen wäre „quite unjust and almost absurd“.215 Diese Feststellung beschränkte das Gericht ausdrücklich auf die Fälle der Ehescheidung und der daraus folgenden Ansprüche. Sonstige Rechtsfragen, etwa das Erbrecht von Ehegatten oder Kindern oder der Status von Nachkommen als eheliche Kinder, würden von der Entscheidung ausdrücklich nicht erfasst („This court does not profess to decide upon the rights of succession or legitimacy which it might be proper to accord to the issue of the polygamous union, nor upon the rights of obligations in relation to third persons which people living under the sanction of such unions may have created for themselves. All that is intended to be here decided is that as between each other they are not entitled to the remedies, the adjudication, or the relief of the matrimonial law of England“).216 Die Hyde-Entscheidung prägte damit die Grundsätze, die für die nächsten hundert Jahre den Umgang mit Mehrehen bestimmten. Dies betraf zunächst die Frage, welche Rechtsordnung für die Entscheidung über den polygamen Charakter der Ehe maßgeblich sei. Dabei wurde an den Akt der Eheschließung und somit an die lex loci celebrationis angeknüpft. Weiter prägte die Entscheidung die Auffassung, dass nicht zwischen aktuell und potentiell polygamen Ehen zu unterscheiden sei. Dies wurde daraus gefolgert, dass in Hyde die Ehe bereits deshalb als Mehrehe angesehen wurde, da das mormonische Recht die Möglichkeit polygamer Eheschließungen eröffnete. Der Umstand, dass der Ehemann nie vorgehabt hatte, eine weitere Frau zu heiraten und dies auch tatsächlich nie tat, wurde vom Gericht als unbeachtlich eingestuft. Zuletzt prägte das Urteil die Regel, dass das englische Recht kein Verfahren zur Gewährung des matrimonial relief für Mehrehen biete und diese daher durch englische Gerichte nicht aufgelöst werden könnten.217 Dies ergebe sich daraus, dass das 213

Ebenda, 135. Ebenda, 135. 215 Ebenda, 135. 216 Ebenda, 138. 217 Der Begriff des matrimonial relief erfasst dabei sowohl die Beendigung der Ehe als solche (zum Beispiel durch Scheidung oder Eheaufhebung) als auch die Regelung von Folgefragen, wie etwa Unterhaltsansprüche. 214

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

englische Recht in diesem Bereich allein auf die so genannten christlichen Ehen zugeschnitten sei. b) Re Bethell, 1. Februar 1888 Die nächste Leitentscheidung zu Mehrehen erging nur zwei Jahre später durch Re Bethell.218 Dem Urteil lag die Ehe eines Domizilengländers und einer Südafrikanerin zugrunde. Das Paar hatte in Südafrika nach dem Ritus des BaralongStammes geheiratet, nachdem Mr. Bethell sich geweigert hatte, die Ehe in einer Kirche zu schließen. Als Mr. Bethell kurz nach der Heirat verstarb, machte seine Frau das Erbrecht der gemeinsamen Tochter geltend.219 Dies wurde vom englischen Gericht abgelehnt. Dabei berief es sich auf die Bindungswirkung der Hyde-Rechtsprechung: Da das maßgebliche Stammesrecht die Mehrehe gestatte, sei die in Südafrika geschlossene Ehe (potentiell) polygam. Hieraus folge, dass die Verbindung keine Ehe im Sinne des englischen Rechts darstelle.220 Die daraus hervorgegangenen Kinder seien folglich unehelich, so dass ihnen kein Erbrecht zustehe.221 Die Entscheidung wurde scharf kritisiert. So wurde zunächst angemerkt, dass völlig unklar sei, woraus sich die Unwirksamkeit der Ehe ergebe. Es könne allein gemutmaßt werden, dass dies mit dem englischem domicile des vermeintlichen Ehemannes zu begründen sei.222 Zudem wurde die Annahme des Gerichts, dass es durch die Hyde-Rechtsprechung gebunden sei, als unzutreffend erachtet. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass Hyde die Frage nach der Ehelichkeit von Kindern und deren Erbrecht ausdrücklich offengelassen habe. Aufgrund dieses offenkundigen Fehlers in der richterlichen Argumentation wurde die Eignung des Urteils als Leitentscheidung angezweifelt.223 Trotzdem setzte sich im Anschluss an Hyde und Re Bethell in der englischen Rechtsprechung und Literatur die Ansicht durch, dass potentiell oder aktuell polygame Ehen in England unter keinen Umständen anerkannt werden könnten. Diese strikte Auslegung der Urteile wurde vornehmlich mit dem Schutz christlicher Werte sowie englischer Moral- und Wertvorstellungen begründet.224 Ferner wurde im Anschluss an die Argumentation des Gerichts in Hyde angenommen, dass die Normen des englischen Rechts zur Anwendung auf polygame Ehen ungeeignet 218

Re Bethell, [1888] 38 Ch.D.220 ff., abrufbar unter: https://www.westlaw.com/Document/ I74315AE0E42711DA8FC2A0F0355337E9/View/FullText.html?transitionType=Default&con textData=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.33 Uhr). 219 Ebenda, 220. 220 Ebenda, 233 ff. 221 Ebenda, 236 f. 222 Beckett, L.Q.R. 48 (1932), 341, 359. 223 Beckett, L.Q.R. 48 (1932), 341, 347; Davis, Fed. L. Rev. 5 (1973), 294, 295. 224 Hartley, Mod. L. Rev. 32 (1969), 155, 161; Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 782.

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seien. Dieses enge Rechtsverständnis erntete jedoch nicht nur Beifall. So wurde die Argumentation hinsichtlich des auf die Monogamie beschränkten Anwendungsbereichs des englischen Eherechts jedenfalls in Bezug auf potentiell polygame Ehen kritisch hinterfragt.225 Es wurde gemutmaßt, dass es sich vielmehr um eine bloße Schutzbehauptung handele, während das Hyde-Urteil tatsächlich auf Erwägungen des ordre public beruhe.226 Auch wurde den englischen Gerichten eine feindliche Haltung gegenüber der afro-asiatischen Kultur vorgeworfen.227 Die Urteile seien als Ausdruck imperialistischer Gesinnungen und viktorianischer Moralvorstellungen zu bewerten.228 c) The Sinha Peerage Claim, 1939 Eine erste Abweichung von dieser strikten Haltung der englischen Gerichte zeigte sich 1939 in dem Urteil zum Sinha Peerage Claim.229 Der Kläger machte darin das Erbrecht am Vermögen seiner Eltern geltend. Diese hatten 1880 in Indien nach Hindu-Ritus geheiratet. Das Brauchtum gestattete es dabei dem Ehemann mit mehreren Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein. Der Vater des Klägers hatte von dieser Möglichkeit jedoch nie Gebrauch gemacht, da beide Eheleute noch vor der Geburt des Klägers einer monogamen Sekte beigetreten waren. Das Gericht gab dem Begehren des Klägers statt. Zur Frage nach der Ehewirksamkeit wurde hervorgehoben, dass „it cannot be doubted now (notwithstanding some earlier dicta by eminent judges) that a Hindu marriage between persons domiciled in India is recognised in our court“.230 Weiter hielt das Gericht den Umstand für relevant, dass die Ehe der Eltern des Klägers de facto monogam gewesen sei. Dies führe dazu, dass das englische Recht auf den Sachverhalt ohne Schwierigkeiten angewendet werden könne („It is apparent that great difficulty may arise in cases relating to the descent of a dignity where the marriage from which heirship is alleged to result is one of a polygamous character, using the word polygamous as meaning a marriage which did not forbid a plurality of wives and where there has been in fact a plurality of wives“).231 Das Gericht wollte jedoch nicht so weit gehen, der Hyde-Rechtsprechung eine völlige Absage zu erteilten. Es wurde daher betont, dass eine solche Entscheidung nur möglich gewesen sei, da diese Fragen des matrimonial relief und somit die Hyde-Rechtsprechung unberührt lasse.232 225

Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 782. Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 782; Poulter, I.C.L.Q. 25 (1967), 475, 478. 227 Hartley, Mod. L. Rev. 32 (1969), 155, 161; Poulter, I.C.L.Q. 25 (1967), 475, 485; ausführlich zu diesem Thema unter Analyse der Rhetorik der Gerichte Naqvi, Int. J.L.C. 13 (2017), 408 ff. 228 Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 782; Naqvi, Int. J.L.C. 13 (2017), 408, 414 ff. 229 The Sinha Peerage Claim, [1939] 171 Lord’s Journal 350. 230 The Sinha Peerage Claim, [1939] 171 Lord’s Journal 349. 231 The Sinha Peerage Claim, [1939] 171 Lord’s Journal 349. 232 The Sinha Peerage Claim, [1939] 171 Lord’s Journal 348 f. 226

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Trotz dieser einschränkenden Äußerungen wurde das Urteil als Kehrtwende gegenüber der in Re Bethell vertretenen starren Haltung gefeiert. Es wurde als Wegbereiter für eine realistischere Annäherung an den Umgang mit Mehrehen verstanden.233 Auch das in dem Urteil zu Tage getretene Verständnis der Polygamie, welches nur aktuell polygame Ehen erfasste, traf auf große Zustimmung.234 d) Srini Vasan v. Srini Vasan, 17. Mai 1945/ Baindail v. Baindail, 30. Januar 1946 Die tolerantere Haltung der englischen Gerichte setzte sich in den darauffolgenden Entscheidungen fort.235 Dies war nicht allein einem wissenschaftlichen Sinneswandel, sondern vielmehr auch praktischen Bedürfnissen geschuldet: Aufgrund des in der Nachkriegszeit einsetzenden erhöhten Zuzugs von Migranten aus polygamen Rechtsordnungen stellte sich eine gänzliche Negierung der Wirkungen von Mehrehen als nicht mehr praktikabel dar. Es entstand vielmehr der Wunsch, die englische Rechtsordnung mit den Bedürfnissen der Eingewanderten zu versöhnen.236 Diese Situation spiegelte sich in den zwei aufeinander folgenden Entscheidungen Srini Vasan v. Srini Vasan237 und Baindail v. Baindail wider.238 Beiden Fällen lag die Eheschließung von Domizilindern in Indien zugrunde. Da jeweils Hindu-Recht auf die Eheschließungszeremonie Anwendung gefunden hatte, waren die Ehen aus Sicht des englischen Rechts potentiell polygam. In beiden Fällen heiratete der Ehemann später standesamtlich in England erneut eine Engländerin. Daraus ergab sich die Frage, ob die erste potentiell polygame Ehe der Wirksamkeit der zweiten Eheschließung entgegenstehe.239 In Srini Vasan wurde dies ausdrücklich bejaht. Der Richter erkannte dabei zwar die bislang vorherrschende Auffassung, wonach potentiell polygame Ehen nicht anerkannt werden könnten, an („None of the less, the standard text books suggest that the only kind of marriage which English law recognises is one which is essentially the voluntary union, for life, of one man and one woman, to the exclusion of all

233

Morris, Harvard L. Rev. 66 (1953), 961, 965. Bartholomew, Mod. L. Rev. 15 (1952), 35, 38. 235 Freeman, Fam. L. Q. 29 (1995), 549, 551. 236 Furmston, I.C.L.Q. 10 (1961), 180; Lasok, Quis Custodiet 37 (1972), 123 f. 237 Srini Vasan v. Srini Vasan, [1946] 67 ff., abrufbar unter: https://www.westlaw.com/Docu ment/IB7F236E0E42811DA8FC2A0F0355337E9/View/FullText.html?transitionType=De fault&contextData=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.35 Uhr). 238 Baindail v. Baindail, [1946], 122 ff., abrufbar unter: https://www.westlaw.com/Docu ment/I6DBDBE61E42711DA8FC2A0F0355337E9/View/FullText.html?transitionType=De fault&contextData=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.35 Uhr). 239 Srini Vasan, ebenda, 67 f.; Baindail, ebenda, 122 f. 234

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others“).240 Diese herrschende Ansicht erachtete er jedoch als nicht länger akzeptabel: „I have come to the conclusion that the text book view is wrong and, relying as I do on the above passages from Lord Maugham’s speech, I ought to recognize this Hindu marriage as a valid marriage.“241 Das Gericht verwies zudem darauf, dass die gegenteilige Entscheidung zu einem bizarren Ergebnis führen würde: „To refuse recognition would mean that the respondent would be lawfully married to his Hindu wife in India, and to the English wife in England, but if he brought his Hindu wife to this country and lived with her here, he would be living in adultery with her.“242 Dabei wurde gefolgert, dass ein derartiges Ergebnis eher dazu geeignet sei, polygame Lebensformen zu fördern als zu unterbinden.243 Gleichermaßen entschied das Gericht in Baindail. Hier wurde darauf verwiesen, dass man bei dieser Entscheidung nicht durch die Hyde-Rechtsprechung gebunden sei.244 Der vorliegende Fall betreffe keine Fragen des matrimonial relief und müsse daher „de novo and from a different angle“ beurteilt werden.245 Letztlich stelle sich die Frage, ob die englischen Gerichte den aus dem indischen Personalstatut resultierenden Status als verheirateten Ehemann anerkennen könnten. Dies bejahte das Gericht, da „English law certainly does not refuse all recognition of that status. For many purposes, quite obviously, the status would have been recognized“.246 e) Risk v. Risk, 27. Oktober 1950 Ungeachtet dieser grundsätzlich an einer Öffnung orientierten Tendenz der englischen Gerichte, blieb die in Hyde aufgestellte Regelung zunächst weiterhin bestehen. Dies zeigte sich etwa im Urteil Risk v. Risk. Das Gericht lehnte es hier wegen des potentiell polygamen Charakters der Ehe ab diese für nichtig zu erklären.247 Hierzu stellte der Richter zwar zunächst fest, dass „if English law regards such a marriage as the one now before me as no marriage, it might seem at first sight that there could be no objection to the court’s saying so, for the decree would be declaratory“.248 Da jedoch auch aus einem Nichtigkeitsurteil für die Klägerin das Recht resultiert hätte gegenüber ihrem Ehemann Unterhaltsforderungen gerichtlich geltend zu machen, greife auch in diesem Zusammenhang die Hyde-Regel ein.249 240

Ebenda, 68. Ebenda, 69. 242 Ebenda, 69 f. 243 Ebenda, 70. 244 Siehe Fn. 238, ebenda 126 f. 245 Ebenda, 127. 246 Ebenda, 127. 247 Risk v. Risk, [1951] 50 ff., abrufbar unter: https://www.westlaw.com/Document/ I885C5C30E42811DA8FC2A0F0355337E9/View/FullText.html?transitionType=Default&con textData=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.36 Uhr). 248 Ebenda, 53. 249 Ebenda, 54. 241

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

f) Ohochuku v. Ohochuku, 27. Oktober 1959 Trotz steigenden Unmuts gegen die zunehmend als unpassend empfundene HydeRegel sahen die englischen Gerichte in den folgenden Jahren zunächst davon ab, diese tradierte Rechtsprechung aufzugeben. Um dennoch die daraus hervorgehenden, als nicht hinnehmbar empfundenen Folgen abzuwenden, zeigten die englischen Gerichte eine bemerkenswerte Kreativität in der Umgehung der Anwendung der Hyde-Regel. Hierzu ist etwa auf das Urteil Ohochuku v. Ohochuku zu verweisen.250 Der Entscheidung lag eine in Nigeria zwischen zwei Domizilnigerianern geschlossene potentiell polygame Ehe zugrunde. Nachdem das Paar nach England gekommen war, heirateten sie erneut vor einem englischen Standesbeamten. Der englische High Court befasste sich mit dem Fall, als die Ehefrau später die Scheidung beantragte.251 Zu diesem Zweck musste über die Wirksamkeit der Ehe entschieden werden. Dabei stellte sich insbesondere die Frage, welche Bedeutung der zweiten in England erfolgten Eheschließung zukomme.252 Das Gericht gelangte dabei zunächst zu dem zu erwartenden Ergebnis, dass es durch die Hyde-Regel daran gehindert sei die polygame Ehe zu scheiden.253 Dies entsprach der herrschenden Auffassung zur englischen Rechtslage. Eine Überraschung bot die Entscheidung jedoch dadurch, dass der Richter fortfuhr und konstatierte „I therefore pronounce a decree nisi fort he dissolution not of the Nigerian marriage but of the marriage in London. I am told that, in fact, that will be effective by Nigerian Law to dissolve the Nigerian marriage; but that forms no part of my judgement. That is for someone else to determine and not for me.“254 Trotz des wünschenswerten Ergebnisses erfuhr das Urteil Ohochuku einige Kritik. Das Konstrukt von zwei nebeneinander bestehenden Ehen der gleichen Personen wurde als unlogisch beurteilt.255 Zudem wurde dem Urteil vorgeworfen, es habe die Möglichkeit außer Acht gelassen, dass die polygame Ehe durch die zweite Eheschließung in eine Einehe umgewandelt worden sei.256 Nach Auffassung des Gerichts waren die Parteien als wirksam verheiratetes Paar nach England gekommen. Bei stringenter Anwendung dessen hätten die Richter jedoch zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass die spätere Eheschließung auf diesen Status keinen Einfluss mehr

250

Ohochuku v. Ohochuku, [1960] 1 W.L.R. 183 ff., abrufbar unter: https://www.westlaw. com/Document/I125DE8A1E42811DA8FC2A0F0355337E9/View/FullText.html?transition Type=Default&contextData=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.47 Uhr). 251 Ebenda, 183 f. 252 Ebenda, 184 f. 253 Ebenda, 185. 254 Ebenda, 185. 255 Hartley, Mod. L. Rev. 32 (1969), 155, 158. 256 Higgins, Mod. L. Rev. 26 (1963), 205, 207 f.

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haben könne.257 Zudem wurde angemerkt, dass eine Scheidung stets den persönlichen Status einer Person als Ganzes betreffe und daher nicht nur auf einzelne Ereignisse bezogen erfolgen könne.258 g) Sowa v. Sowa, 22. Juni 1960 Die fortbestehende Bindung an die Hyde-Rechtsprechung zeigte sich auch in der unterhaltsrechtlichen Streitigkeit Sowa v. Sowa.259 Die Parteien, zwei Domizilghanaer, hatten 1955 in Ghana geheiratet. Die Ehe war aus Sicht des englischen Rechts potentiell polygam. Der Ehemann hatte im Vorfeld der Eheschließung seiner Frau einen Ring und eine Bibel überreicht. Dies galt nach ghanaischem Ritus als Versprechen die polygame Ehe in eine monogame umzuwandeln. Nach der Hochzeit ging das Paar nach England, wo sie einige Jahre gemeinsam lebten. Während dieser Zeit forderte die Ehefrau ihren Mann mehrfach erfolglos auf seinem Versprechen zur Umwandlung der Ehe nachzukommen. Nachdem das Paar sich 1958 getrennt hatte, verklagte die Ehefrau ihren Mann auf Zahlung von Unterhalt.260 Das Gericht wies dieses Ansinnen unter Verweis auf den polygamen Charakter der Ehe zurück.261 Da es nie zu einer Umwandlungszeremonie gekommen sei, bestehe die Verbindung weiterhin als Mehrehe fort.262 Allein das Versprechen des Ehemannes reiche nicht aus. Mit dieser Entscheidung bestätigte das Gericht zugleich, dass eine Konversion von Mehrehen in monogame Ehe grundsätzlich möglich sei.263 Zudem drückte der Richter sein Bedauern über die aktuelle Rechtslage aus. Diese habe zur Folge, dass der Ehemann in ungerechtfertigter Weise von seinen ehelichen Verpflichtungen befreit werde.264 Das Sowa-Urteil stieß im Lichte der zunehmend polygamie-freundlichen Haltung der englischen Literatur auf großes Missfallen. Die Entscheidung wurde als „Höchststand der Ungerechtigkeit“ bewertet,265 welche alle Härten aufzeige, die aus der Bindung der Gerichte an die Hyde-Entscheidung resultierten.266 Es sei grundlegend falsch, wenn die gebildeten und um Menschenfreundlichkeit bemühten englischen Richter durch eine knapp 100 Jahre alte Regelung derart gebunden 257

Poulter, I.C.L.Q. 25 (1967), 475, 502. Poulter, I.C.L.Q. 25 (1967), 475, 501. 259 Sowa v. Sowa, [1960] 3 W.L.R. 733 ff., abrufbar unter: https://www.westlaw.com/Docu ment/IB757F2B1E42811DA8FC2A0F0355337E9/View/FullText.html?transitionType=De fault&contextData=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.37 Uhr). 260 Ebenda, 734 f. 261 Ebenda, 733. 262 Ebenda, 735. 263 Ebenda, 735. 264 Ebenda, 738. 265 Poulter, I.C.L.Q. 25 (1967), 475, 497. 266 Lasok, Quis Custodiet 37 (1972), 123, 124. 258

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würden, dass sie Entscheidungen treffen müssten, die ihrem Gerechtigkeitsgefühl zutiefst widersprächen.267 Ebenso sei es misslich, dass das Gericht nicht die Chance genutzt hätte, durch die Entscheidung der Hyde-Rechtsprechung eine endgültige Absage zu erteilen.268 h) Cheni v. Cheni, 30. Juli 1962 Deutlich mehr Zustimmung erfuhr die Entscheidung Cheni v. Cheni.269 Diese behandelte die 1924 in Ägypten geschlossene Ehe eines Paar jüdischen Glaubens. Da das Recht der jüdischen Sekte, der das Paar angehörte, es Ehemännern gestattete eine weitere Frau zu heiraten, sofern innerhalb der ersten zehn Ehejahre kein Kind geboren wurde,270 handelte es sich aus Sicht des englischen Rechts um eine potentiell polygame Ehe. Das Paar bekam zwei Jahre nach der Eheschließung ein gemeinsames Kind. Später siedelte die Familie nach England aus.271 Die englischen Gerichte befassten sich mit der Wirksamkeit dieser Ehe als die Ehefrau vor einem englischen Gericht deren Auflösung beantragte. Das Urteil hielt zunächst fest, dass die Ehe zum Zeitpunkt ihrer Entstehung potentiell polygam gewesen sei.272 Daran anschließend untersuchte das Gericht, welche Wirkung dem Umstand beizumessen sei, dass das Recht des Ehemannes auf weitere Eheschließungen mittlerweile erloschen und die Ehe dadurch de facto monogam geworden sei. Der Richter führte dies auf die Frage zurück, welcher Zeitpunkt für die Bestimmung des Charakters der Ehe maßgebend sei.273 Hierfür komme entweder derjenige der Entstehung der Ehe oder der des gerichtlichen Verfahrens in Betracht. Für die Anknüpfung an das gerichtliche Verfahren spreche der Sinha Peerage Claim sowie die Argumentation des Gerichts in Sowa v. Sowa, wonach „implied that the marriage there, which was potentially polygamous in its inception, could have been converted into a monogamous marriage, and that the English matrimonial court would then have had jurisdiction“.274 Das Gericht schloss sich diesen Auffassungen an. Es bestätigte, dass im Fall Cheni die Parteien durch eine Ehe verbunden seien, von der alles Polygame durch die Geburt

267

Bericht der Law Commission (Law Com. No. 42) [1971], 11, abrufbar unter: https://s3eu-west-2.amazonaws.com/lawcom-prod-storage-11jsxou24uy7q/uploads/2016/07/LC.-042-FA MILY-LAW-REPORT-ON-POLYGAMOUS-MARRIAGES.pdf (zuletzt abgerufen am 26. 11. 2020, 16.53 Uhr). 268 Poulter, I.C.L.Q. 25 (1967), 475, 499. 269 Cheni v. Cheni, [1965] 85 ff., abrufbar unter: https://www.westlaw.com/Document/ I866FC3E1E42711DA8FC2A0F0355337E9/View/FullText.html?transitionType=Default&con textData=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.38 Uhr). 270 Weston, Mod. L. Rev. 28 (1965), 484, 486 f. 271 Ebenda, 85 f. 272 Ebenda, 88. 273 Ebenda, 89. 274 Ebenda, 91.

IV. Polygamie im englischen Recht

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des Kindes abgefallen sei.275 Die Ehe sei daher trotz ihrer anfänglichen polygamen Natur zum maßgeblichen Zeitpunkt monogam.276 Die auf die Entscheidung folgende positive Reaktion ist wenig überraschend. Zwar wurde kritisch angemerkt, dass Cheni weiterhin keine Klarheit zur Frage der Zuständigkeit englischer Gerichte für polygame Ehen geschaffen habe.277 Die Entscheidung sei jedoch in sich logisch und erziele vor allem ein wünschenswertes Ergebnis.278 i) Ali v. Ali, 20. Dezember 1965 Eine weitere, besonders viel beachtete Entscheidung zur Konversion polygamer Ehen war Ali v. Ali.279 Der Fall befasste sich mit einem zu Studienzwecken in England lebenden indischen Staatsbürger. Er kehrte noch bevor er ein englisches domicile erworben hatte in seine Heimat zurück und heiratete dort eine Inderin. Da auf die Eheschließung Hindu-Recht Anwendung fand, war die Ehe potentiell polygam. Das Paar kehrte später nach England zurück, wo sie eine Zeit lang zusammenlebten und ein gemeinsames Kind bekamen. Durch diesen Aufenthalt in England erwarb der Ehemann ein englisches domicile.280 Der High Court befasste sich infolge des Scheidungsantrags des Ehemanns mit dem Fall. Das Gericht gab diesem Ansinnen statt. Dabei stützte der Richter sich maßgeblich auf den Umstand, dass der Kläger durch den Erwerb des englischen domicile sein Recht auf weitere Eheschließungen verloren habe.281 Da es somit keinem der Ehegatten mehr möglich sei eine weitere Person zu heiraten, sei die Ehe durch den Erwerb des englischen domicile monogam geworden.282 Das Gericht erkannte dabei zwar an, dass diese Lösung insofern verwunderlich sei, als die polygame Ehe so ohne einen Mitwirkungsakt der Parteien in eine monogame überführt worden sei.283 Dies wurde jedoch als hinnehmbar bewertet: „In my opinion, however, this anomaly is no more strange than many other consequences of the English law which makes domicile the test of personal law in matters of status. The husband in this case carried into effect his intention of making England his country of domicile. 275

Ebenda, 92. Auf diese Ansicht verweist auch Nwagbara, J. L., P. & G. 26 (2014), 13, 15. 277 Higgins, Mod. L. Rev. 26 (1963), 205 ff. 278 Higgins, Mod. L. Rev. 26 (1963), 205, 206. 279 Ali v. Ali, [1968] 564 ff., abrufbar unter: https://www.westlaw.com/Document/I54C3 DA70E42711DA8FC2A0F0355337E9/View/FullText.html?transitionType=Default&contextD ata=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.39 Uhr). 280 Ebenda, 565 f. 281 Ebenda, 577. 282 Die indische Ehefrau war nach muslimischem Recht von Anfang an nicht hierzu berechtigt, da das religiöse Recht nur Polygynie, nicht aber Polyandrie anerkennt. 283 Ebenda, 578. 276

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

Thereby he subjected himself to monogamy as a rule of his personal law and in my view this was effective to convert a potentially polygamous to a monogamous marriage as specific legislation (having the same intendment) would have been.“284 Die Entscheidung wurde als wichtiger Meilenstein in der Entwicklung des englischen Rechts zu Mehrehen angesehen. Insbesondere wurde der dadurch eingeführten Form der Eheumwandlung hohe praktische Bedeutung zugesprochen.285 Andererseits wurde aber auch von mehreren Seiten der Vorwurf erhoben, dass Ali nicht mit der Hyde-Rechtsprechung zu vereinbaren sei.286 Begründet wurde dies damit, dass das Gericht in Hyde trotz vergleichbarer Sachverhaltslage eine Konversion der Ehe durch den Erwerb eines englischen domicile nicht in Betracht gezogen habe. Weiter wurde kritisiert, dass der Umwandlungsmechanismus nicht mit der Lebenswirklichkeit zu vereinbaren und somit künstlich sei.287 Trotz dieser Kritik bestätigen die Entscheidungen Ohochuku, Sowa, Cheni und Ali, dass das englische Recht grundsätzlich die Möglichkeit der Konversion polygamer Ehen anerkennt. Anlass für eine solche Umwandlung können dabei verschiedene Umstände sein: Diese können etwa aus einer entsprechenden Bestimmung der lex loci oder der lex domicilii resultieren, ebenso aus dem Erwerb eines monogamen Personalstatuts. Unklar ist bislang, ob auch eine nachträgliche Eheschließung in monogamer Form zur Umwandlung der Ehe führen kann. Hinsichtlich der aus einer solchen Umwandlung resultierenden Rechtsfolgen hat sich dabei die Ansicht verfestigt, dass diese nur mit ex nunc-Wirkung ab dem die Umwandlung begründenden Ereignis Wirkung entfalten kann.288 Zu beachten ist, dass die zu dieser Thematik ergangene Rechtsprechung sich bislang ausschließlich mit potentiell polygamen Ehen befasst hat. In der Literatur wird jedoch auch eine Konversion aktuell polygamer Ehen für möglich gehalten, sofern sich die Anzahl der Ehefrauen zum Zeitpunkt des Gerichtsverfahrens, etwa durch Scheidung oder Tod, auf eine einzige reduziert hat.289 Die hier beschriebene Umwandlungsmöglichkeit ist dabei nicht frei von Kritik geblieben. So wurde teilweise angenommen, dass allein die lex loci im Zeitpunkt der Eheschließung über die Natur der Ehe bestimme. Eine nachträgliche Änderung der Umstände könne darauf folglich keinen Einfluss mehr nehmen.290 Zudem wurde die Frage aufgeworfen, ob die Konversionsmöglichkeit auch in gegenteiliger Richtung greife, so dass monogame Ehen, sofern der Ehemann nach der Eheschließung ein 284

Ebenda, 578 f. Hartley, Mod. L. Rev. 32 (1969), 155, 158 f.; Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 784; Bericht der Law Commission (Law Com. No. 42) [1971], 5. 286 Tolstoy, I.C.L.Q. 17 (1968), 721, 724; Poulter, I.C.L.Q. 25 (1967), 475, 501. 287 Poulter, I.C.L.Q. 25 (1967), 475, 501. 288 Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 2, Rn. 17-154 ff. 289 Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 2, Rn. 17-154 ff. 290 Tolstoy, I.C.L.Q. 17 (1968), 721, 729; Beckett, L.Q.R. 48 (1932), 341, 357; Morris, Harvard L. Rev. 66 (1953), 961, 975 f.; Blake, Law of marriage, 261. 285

IV. Polygamie im englischen Recht

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polygames Personalstatut erwirbt, in polygame Verbindungen umgewandelt werden könnten.291 Aus Gründen des Vertrauensschutzes zugunsten der Erstfrau wurde dies als wenig wünschenswert erachtet.292 Es setzte sich daher die Auffassung durch, dass die Umwandlung nur „zugunsten der Ehe“, sprich zugunsten ihrer Wirksamkeit aus Sicht des englischen Rechts erfolgen könne.293 j) Reformbedarf und Gesetzgebung Unterstützung erfuhr das bereits seit längerem bestehende Ansinnen nach einer Reform des Mehrehen-Rechts durch einen 1971 veröffentlichten Bericht der Law Commission. Die Experten verlangten dabei primär die Abschaffung der HydeRegel,294 sprachen sich daneben aber auch ganz allgemein für eine Anpassung der rechtlichen Situation an die veränderten sozialen Bedürfnisse aus.295 Begründet wurde dieser Wunsch damit, dass die aktuelle Rechtslage zu nicht länger hinnehmbaren, unbilligen Härten gegenüber Frauen und Kindern aus Mehrehen führe.296 Gerade deren Schutz wurde jedoch als grundsätzliche englische Wertung erachtet.297 Zudem wurde hervorgehoben, dass im Ausland wirksam begründete Rechtsverhältnisse grundsätzlich in England anzuerkennen seien.298 Nur in Ausnahmefällen, nämlich dann, wenn es hierfür zwingende Gründe des ordre public gäbe, solle diesen die Wirksamkeit versagt werden.299 Diese flexiblere Regelung wirke dabei nicht allein zum Vorteil der migrierten Paare und deren Kinder. Vielmehr werde durch die vermehrte Anerkennung von Mehrehen – insbesondere in unterhaltsrechtlichen Fragen – auch das englische Sozialsystem entlastet.300 Zudem entspreche ein solches am Einzelfall orientiertes Vorgehen den Grundsätzen der public policy.301 Der Wunsch nach Neuerung stieß dabei zum Teil auf erhebliche Ressentiments. Kritiker hoben etwa hervor, dass eine speziell auf Polygamie zugeschnittene Gesetzgebung als Einladung verstanden werde und es in Folge vermehrt zu Schließungen beziehungsweise Zuzug polygamer Ehen nach England kommen könne.302 291

Pearl, Cambridge L. J. 42 (1983), 26, 29; Lipstein, Cambridge L. J. 24 (1966), 179, 181. Ekelaar, I.C.L.Q. 15 (1966), 1181, 1184. 293 Morris, Harvard L. Rev. 66 (1953), 961, 976; kritisch dazu Furmston, I.C.L.Q. 10 (1961), 180, 186. 294 Bericht der Law Commission (Law Com. No. 42) [1971]. 295 Lasok, Quis Custodiet 37 (1972), 123; Blake, Law of Marriage, 260 f. 296 Lasok, Quis Custodiet 37 (1972), 123, 124. 297 Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 784; darauf verweist auch Naqvi, Int. J.L.C. 13 (2017), 408, 420 ff. 298 Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 784. 299 Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 784; Ekelaar, I.C.L.Q. 15 (1966), 1181, 1185; Turpin, Cambridge L. J. 21 (1963), 18, 19. 300 Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 783. 301 Turpin, Cambridge L. J. 21 (1963), 18, 19. 302 Bericht der Law Commission (Law Com No. 42) [1971], 14. 292

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

Dies könne sich verunsichernd auf die inländischen monogamen Verbindungen auswirken.303 Weiter wurde angemerkt, dass Migranten in England keine Sonderrolle zugewiesen werden sollte. Diese hätten sich vielmehr den englischen Verhaltens- und Wertmaßstäben anzupassen.304 Die Befürworter der Reform verwiesen demgegenüber darauf, dass die avisierte Gesetzgebung zu Mehrehen sowie die Abschaffung der Hyde-Regel nicht geeignet sei, englische Paare zu verunsichern. Das materielle Eherecht bleibe von der Reform unberührt, so dass inländische Bürger mit den neuen Bestimmungen nicht in Kontakt kämen.305 Auch seien gesetzliche Regelungen zu Mehrehen eher geeignet, die Anzahl dieser zu verringern als diese ansteigen zu lassen. Dies folge daraus, dass bei Abschaffung der Hyde-Regel Mehrehen aufgelöst werden könnten, was nach aktueller Rechtslage nicht der Fall sei.306 Der englische Gesetzgeber kam schließlich den Forderungen nach einer Reform durch den Matrimonial Proceedings (Polygamous Marriage) Act 1972 nach. Die dabei für die Polygamie relevanten Regelungen wurden kurz darauf in Sec. 11 (d) und Sec. 47 des Matrimonial Causes Act 1973 überführt und lauteten: Sec. 11 Ground on which a marriage is void A marriage celebrated after 31st July 1971 shall be void on the following grounds only, that is to say […] in the case of a polygamous marriage entered into outside England and Wales, that either party was at the time of the marriage domiciled in England and Wales. For the purposes of paragraph (d) of this subsection a marriage may be polygamous although at its inception neither party has any spouse additional to the other. Sec. 47 Matrimonial relief and declarations of validity in respect of polygamous marriages (1) A court in England and Wales shall not be precluded from granting matrimonial relief or making a declaration concerning the validity of a marriage by reason only that the marriage in question was entered into under a law which permits polygamy. […] This section has effect whether or not either party to the marriage in question has for the time being any spouse additional to the other party; and provision may be made by rules of court […]

Sec. 47 setzte die seit langem bestehende Forderung nach Abschaffung der HydeRegel um.307 Die Scheidung oder sonstige Auflösung polygamer Ehen durch englische Gerichte war nun möglich. Für das Verfahren waren dabei die Vorschriften des 303

Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 785. Bericht der Law Commission (Law Com No. 42) [1971], 14; Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 785. 305 Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 785. 306 Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 785. 307 Lasok, Quis Custodiet 37 (1972), 123, 124 f. 304

IV. Polygamie im englischen Recht

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materiellen englischen Rechts maßgeblich. Das Tätigwerden der englischen Gerichte erfolgte dabei jedoch unter der Bedingung, dass die zu beendende polygame Ehe aus Sicht des ausländischen Rechts wirksam war.308 Zudem musste die Zuständigkeit der englischen Gerichte gegeben sein. Dies konnte sich etwa aus einem dauerhaften Aufenthalt des Paares in England ergeben. Wie zu erwarten, wurde diese als überfällig empfundene Gesetzesänderung allgemein begrüßt. Weniger Lob erntete die neu eingeführte Sec. 11 (d). Die Norm setzte das Mehrehen-Verbot für Inländer auf internationaler Ebene durch und folgte damit dem bereits in Re Bethell eingeschlagenen Weg.309 In der Praxis stellte sich die Bestimmung angesichts der seit der Entscheidung erheblich gewandelten sozialen Begebenheiten als äußerst problematisch heraus. Dies betraf den großen Zuzug männlicher Migranten aus Pakistan und Bangladesch. Für diese war es traditionell üblich zum Heiraten in ihre Heimatstaaten zurückzukehren und eine Frau gleicher Herkunft zu ehelichen. Da das pakistanische und bangladeschische Recht Mehrehen gestattete, erfolgten die Eheschließungen unter Geltung einer polygamen lex loci. Dies hatte zur Konsequenz, dass die Paare sich dann, wenn der Ehemann bereits ein englisches domicile erworben hatte, bei der Rückkehr nach England aufgrund von Sec. 11 (d) mit der Unwirksamkeit ihrer Ehe konfrontiert sahen.310 k) Radwan v. Radwan (No. 2), 17. Juli 1972 Um der soeben beschriebenen Wirkung von Sec. 11 (d) zu entgehen, löste sich der High Court in Radwan v. Radwan von der klassischen Anknüpfung im englischen IPR und kam damit zu einer „sehr überraschenden“ Entscheidung.311 Der Fall basierte auf der Ehe einer Engländerin und eines Ägypters. Die Eheschließung war 1951 unter Anwendung muslimischen Rechts im ägyptischen Konsulat in Paris erfolgt. Da das Paar im Anschluss an die Heirat gemeinsam in Ägypten lebte, erwarb die Engländerin ein ägyptisches domicile. Später zog das Paar nach England, wo der Ehemann ein englisches domicile of choice erwarb. Im Jahr 1970 beantragte die Ehefrau die Auflösung der Ehe.312 Hiermit befasst, stellte der High Court zunächst fest, dass das Paar offenkundig beabsichtigt habe eine potentiell polygame Ehe einzugehen. Dies werde aus Dokumenten erkennbar, die bei der Eheschließung unterzeichnet worden waren.313 Anschließend prüfte das Gericht, ob wegen des englischen domicile der Ehefrau im Zeitpunkt der Eheschließung, Sec. 11 (d) zur 308

Lasok, Quis Custodiet 37 (1972), 123, 124. Schuz, Mod. L. Rev. 46 (1983), 653, 655. 310 James, Mod. L. Rev. 42 (1979), 533; Shah, I.C.L.Q. 52 (2003), 369, 377. 311 Davis, Fed. L. Rev. 5 (1973), 294, 300; Radwan v. Radwan (No. 2), [1973] Fam. 35 ff., abrufbar unter: https://www.westlaw.com/Document/I8012A020E42811DA8FC2A0F035533 7E9/View/FullText.html?transitionType=Default&contextData=(sc.Default)&VR=3.0&RS= cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.39 Uhr). 312 Ebenda, 40 f. 313 Ebenda, 41. 309

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

Anwendung komme und die Ehe daher nichtig sei. Dies wurde – überraschenderweise – verneint.314 Das Gericht stellte zwar fest, dass die Befähigung zur Mehrehe als Frage der materiellen Ehefähigkeit zu qualifizieren sei. Entgegen der herrschenden Auffassung brachte es dabei jedoch nicht die dual domicile-Theorie zur Anwendung. Stattdessen berief der Richter sich auf den intended matrimonial home-Test.315 Das somit anwendbare ägyptische Recht erachtete polygame Eheschließung für zulässig, weshalb das Gericht die Wirksamkeit der Ehe bestätigte.316 In der Literatur wurde das Ergebnis der Entscheidung begrüßt und als überaus vernünftig erachtet.317 Zugleich wurde das Urteil jedoch als Einzelfallentscheidung klassifiziert, da es wegen der Anwendung der intended matrimonial home-Theorie nicht mit der bisherigen Rechtsprechung zu vereinbaren sei.318 l) Hussain v. Hussain, 24. Juni 1982 Mit den problematischen Konsequenzen der Sec. 11 (d) Matrimonial Proceedings Act 1973 sah sich der High Court erneut in der Entscheidung Hussain v. Hussain konfrontiert.319 Der Fall betraf eine in Pakistan zwischen einem Domizilengländer und einer Pakistani nach muslimischem Ritus geschlossene Ehe. Nach der Hochzeit lebte das Paar kurzzeitig gemeinsam in England, bevor die Ehefrau die Auflösung der Ehe beantragte. Der Ehemann verwies darauf, dass die Ehe potentiell polygam und somit wegen Sec. 11 (d) Matrimonial Proceedings Act 1973 nichtig sei.320 Das Gericht folgte diese Auffassung nicht. Zur Begründung verwies der Richter darauf, dass die Entscheidung davon abhänge, wie der Begriff der „polygamen Ehe“ in Sec. 11 (d) zu verstehen sei.321 Vor der Gesetzgebung im Jahr 1972 sei offenkundig gewesen, dass nur solche Verbindungen als Ehen hätten angesehen werden können, die christliche – sprich monogame – Ehen darstellten. Dies sei nach allgemeiner Auffassung anhand der lex loci zu beurteilen gewesen.322 Diese Situation habe sich jedoch durch die neue Rechtslage, insbesondere durch die Abschaffung der HydeRegel, geändert.323 Dass nun auch Mehrehen in England aufgelöst werden könnten, habe die Notwendigkeit den Charakter der Ehe anhand der Eheschließungszere314

Ebenda, 54. Ebenda, 52 f. 316 Ebenda, 54. 317 Jaffey, Mod. L. Rev. 41 (1978), 38, 39. 318 Pearl, Cambridge L. J. 32 (1973), 43, 44 f. 319 Hussain v. Hussain, [1983] Fam. 26 ff., abrufbar unter: https://www.westlaw.com/Docu ment/IC5677481E42711DA8FC2A0F0355337E9/View/FullText.html?transitionType=De fault&contextData=(sc.Default)&VR=3.0&RS=cblt1.0 (zuletzt abgerufen am 1. 6. 2021, 11.43 Uhr). 320 Ebenda, 26 f. 321 Ebenda, 30 f. 322 Ebenda, 30 f. 323 Ebenda, 31 f. 315

IV. Polygamie im englischen Recht

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monie zu bestimmen, entfallen lassen.324 Vielmehr sei nun allein die Frage zu klären, ob die vor Gericht stehende Ehe wirksam sei. Dies müsse als Frage der materiellen Ehefähigkeit anhand der lex domicilii beurteilt werden. Das Gericht fühlte sich in dieser Auffassung durch den abweichenden Wortlaut von Sec. 11 (d) und Sec. 47 bestätigt.325 Während letztere ausdrücklich von einer „marriage […] entered into under a law which permits polygamy“ spreche und sich daher klar auf die lex loci beziehe, spreche Sec. 11 (d) allein von „polygamous marriage“.326 Dies sowie die weitreichenden Folgen die entstünden, wenn auch im Rahmen von Sec. 11 (d) die lex loci maßgeblich sei, sprächen dafür, hier ein engeres Verständnis und somit die lex domicilii heranzuziehen.327 Unter Anwendung dieses Normverständnisses gelangte der Richter somit zu dem Ergebnis, dass die streitgegenständliche Ehe monogam sei. Dies folge aus dem Umstand, dass es beiden Parteien nach ihrem jeweiligen domicile-Recht nicht möglich sei einen weiteren Ehepartner zu heiraten. Die Hussain-Entscheidung rief unterschiedlichste Reaktionen hervor.328 Positiv wurde vor allem das durch die Entscheidung erzielte Ergebnis aufgenommen. Dieses habe Zweifel über die Wirksamkeit von Migranten-Ehen ausgeräumt, Ungereimtheiten beseitigt und zugleich der stetig zunehmenden Multikulturalität Englands Rechnung getragen.329 Auch die vorgeschlagene Auslegung von Sec. 11 (d) wurde begrüßt. Dies beruhte vor allem auf dem Umstand, dass das bislang vorherrschende Verständnis die Wirksamkeit vieler Einwandererehen in Frage gestellt habe.330 Dies habe sich vor allem in sozialer Hinsicht schwerwiegend ausgewirkt.331 Der Entscheidung wurde daher für die muslimische Bevölkerung große Bedeutung zugesprochen.332 Ebenso wurde die Auffassung des Gerichts, wonach eine Ehe nur dann polygam sein könne, wenn wenigstens eine der beteiligten Parteien in der Lage sei einen weiteren Ehepartner zu heiraten, für sinnvoll erachtet.333 Zugleich erfuhr jedoch insbesondere der an der lex domicilii orientierte Lösungsweg erhebliche Kritik. So sei die Mutmaßung, dass der Gesetzgeber mit dem abweichenden Wortlaut von Sec. 11 (d) und Sec. 47 ein unterschiedliches Verständnis des Ehebegriffs implizieren wolle, unzutreffend.334 In beiden Fällen müsse an der bisher bewährten Regel festgehalten und der Charakter der Ehe anhand der lex loci bestimmt werden. Die Annahme, dieser Test sei nur für nun nicht mehr zu er324 325 326 327 328 329 330 331 332 333 334

Ebenda, 31. Ebenda, 31. Ebenda, 31. Ebenda, 32 f. Shah, I.C.L.Q. 52 (2003), 369, 377. Shah, I.C.L.Q. 52 (2003), 369, 377 ff. Schuz, Mod. L. Rev. 46 (1983), 653, 657. Pearl, Cambridge L. J. 42 (1983), 26, 27. Schuz, Mod. L. Rev. 46 (1983), 653, 655. Briggs, I.C.L.Q. 32 (1983), 737, 739. Schuz, Mod. L. Rev. 46 (1983), 653, 656 f.

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

örternde Zuständigkeitsfragen anwendbar, treffe nicht zu.335 Auch habe das Urteil diskriminierende Wirkung gegenüber Frauen, da es zur Folge habe, dass Domizilengländerinnen wegen des potentiell polygamen Charakters der Ehe nicht in der Lage seien einen Mann mit einem die Polygamie gestattenden Personalstatut zu heiraten, während dies englischen Männern in der umgekehrten Konstellation möglich sei.336 m) Private International Law (Miscellaneous Provisions) Act 1995 Die kritischen Reaktionen auf die Hussain-Entscheidung verhinderten, dass diese sich in der englischen Rechtsordnung etablierte. Die Rechtslage betreffend im Ausland unter Beteiligung von Engländern geschlossenen potentiell polygamen Ehen blieb daher weiterhin unklar. Erst mit Inkrafttreten des Private International Law (Miscellaneous Provisions) Act im Jahr 1995337 sowie der zeitgleich erfolgten Überarbeitung des Matrimonial Causes Act wurde diese Konfliktlage gelöst und die Wirksamkeit potentiell polygamer Ehen besiegelt. Das Gesetz sieht nun vor: Private International Law (Miscellaneous Provisions) Act 1995 Sec. 5 Validity in English law of potentially polygamous marriages (1) A marriage entered into outside England and Wales between parties neither of whom is already married is not void under the law of England and Wales on the ground that it is entered into under a law which permits polygamy and that either party is domiciled in England and Wales. (2) This section does not affect the determination of the validity of a marriage by reference to the law of another country to the extent that it falls to be so determined in accordance with the rules of private international law. Matrimonial Cause Act 1973 Sec. 11 Ground on which a marriage is void A marriage celebrated after 31st July 1971 shall be void on the following grounds only, that is to say […] 5. in the case of a polygamous marriage entered into outside England and Wales, that either party was at the time of the marriage domiciled in England and Wales. For the purposes of paragraph (d) of this subsection a marriage is not polygamous if at its inception neither party has any spouse additional to the other.

335

Briggs, I.C.L.Q. 32 (1983), 737, 738. Schuz, Mod. L. Rev. 46 (1983), 653, 657 ff.; Pearl, Cambridge L. J. 42 (1983), 26, 30. 337 Der Gesetzestext des Private International Law (Miscellaneous Provisions) Act 1995 ist abrufbar unter: https://www.legislation.gov.uk/ukpga/1995/42/contents (zuletzt abgerufen am 24. 6. 2021, 19.20 Uhr). 336

IV. Polygamie im englischen Recht

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Diese Rechtsänderungen beseitigten letzte offene Streitstände und bilden damit den (bisherigen) Abschluss der Entwicklung des englischen Mehrehen-Rechts. 3. Résumé der aktuellen Rechtslage Nach dieser Darstellung kann nun die aktuelle englische Rechtslage zu polygamen Ehen wie folgt zusammengefasst werden: a) Lex loci als maßgebliches Recht zur Bestimmung polygamer Ehen Den mono- oder polygamen Charakter einer Ehe knüpft das englische IPR an das Recht des Eheschließungsortes (lex loci) an.338 Eine Ehe, die unter Geltung einer monogamen lex loci geschlossen wird, ist stets monogam.339 Dies gilt auch dann, wenn das Personalstatut der Parteien Mehrehen gestattet und wenn die Parteien beabsichtigen, eine solche zu schließen.340 Umgekehrt führt eine polygame lex loci dazu, dass die Ehe als Mehrehe angesehen wird. Eine Abweichung hiervon folgt aus der Hussain-Rechtsprechung. Demnach ist eine Ehe, auch wenn sie unter Geltung einer die Polygamie gestattenden lex loci geschlossen wurde, nicht polygam, wenn das Personalstatut beider Parteien weiteren parallelen Ehen entgegensteht.341 Für die gerichtliche Beurteilung maßgeblich ist der mono- beziehungsweise polygame Charakter der Ehe zum Zeitpunkt des Verfahrens.342 Dadurch wird es möglich, auch nach der Eheschließung eingetretene Ereignisse zu berücksichtigen. Diese können zu einer Umwandlung von Mehrehen in monogame Ehen führen. Diese Konversionsmöglichkeit greift nach allgemeiner Auffassung nur zugunsten der Wirksamkeit der Ehe aus Sicht des englischen Rechts.343 Ein umgekehrter Umwandlungsmechanismus wird demgegenüber abgelehnt. Die Konversionsmöglichkeit hat für potentiell polygame Ehen jedoch an Bedeutung verloren. Dies liegt an der Toleranz gegenüber dieser Eheform, die durch Sec. 11 (d) Matrimonial Causes Act 1973 und Sec. 5 (1) Private International Law (Miscellaneous Provisions) Act 1995 bewirkt wurde.

338 Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 2, Rn. 17-144; vgl. dazu im Übrigen unter D.IV.1. 339 Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 2, Rn. 17-144. 340 Siehe dazu unter D.IV.1. 341 Vgl. dazu unter D.IV.2.l); im Übrigen auch Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 2, Rn. 17E-147 ff. 342 Vgl. dazu unter D.IV.2.i); im Übrigen auch Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 2, Rn. 17R-152 ff. 343 Vgl. dazu unter D.IV.2.i).

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

b) Keine polygamen Eheschließungen in England In England ist es nicht möglich eine Mehrehe einzugehen.344 Dies gilt unabhängig vom Personalstatut der Beteiligten. Bei jeder in England zwischen einem unverheirateten Mann und einer unverheirateten Frau geschlossenen Ehe handelt es sich somit um eine monogame Ehe.345 Dies ist mit der Polygamie-feindlichen Haltung des englischen Rechts zu begründen. Es handelt sich um eine monogame lex loci.346 Nicht selten wird das englische Polygamie-Verbot durch rein religiöse, nicht registrierte Eheschließungen umgangen.347 Derartige Ehen sind unwirksam. Dies ist bereits damit zu erklären, dass sie nicht den englischen Formerfordernissen gerecht werden. Sofern auf eine englische standesamtliche Trauung eine weitere religiöse Eheschließungszeremonie folgt, hat diese keinen Einfluss auf den monogamen Charakter der Ehe. Von einigen Stimmen wird vorgeschlagen, durch die analoge Anwendung der Catterall-Rechtsprechung eine Ausnahme von diesem System zu bewirken.348 Diese Rechtsprechung stellte die Regel auf, dass zwei Personen mit monogamen Personalstatut, die in einem Land heiraten, welches nur eine polygame Eheschließungsform bietet, dies nach Common law und somit in monogamer Form tun können. Entsprechend müsse man für Personen mit polygamem Personalstatut in England die Möglichkeit zur Schließung von Mehrehen schaffen.349 Dabei ist anzumerken, dass sich die vorgeschlagene Fallkonstellation von der Catterall-Rechtsprechung dadurch unterscheidet, dass bei letzterer die lex fori und die lex loci gerade nicht zusammenfielen.350 Es stößt zudem auf Bedenken, wenn die englischen Gerichte die Wirksamkeit von in England geschlossenen Ehen anerkennen müssten, obwohl diese nicht mit den formellen Anforderungen des englischen Rechts übereinstimmen.351 Dieser Vorschlag ist daher abzulehnen.

344

Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 2, Rn. 17-144. Vgl. dazu unter D.IV.1. 346 Darauf verweist Jaffey, Oxford J. Legal Stud. 2 (1982), 368, 369, der davon ausgeht, dass der Monogamie-Grundsatz im englischen Recht dem Schutz entsprechender staatlicher Interessen dient. 347 Briefing Paper No. 05051 des House of Commons zur Polygamie (20. 11. 2018), abrufbar unter: https://researchbriefings.files.parliament.uk/documents/SN05051/SN05051.pdf (zuletzt abgerufen am 1. 7. 2021, 17.44 Uhr). 348 Beckett, L.Q.R. 48 (1932), 341, 466; darauf verweist auch Morris, Harvard L. Rev. 66 (1953), 961, 981 f. 349 Beckett, L.Q.R. 48 (1932), 341, 466. 350 Morris, Harvard L. Rev. 66 (1953), 961, 982. 351 Morris, Harvard L. Rev. 66 (1953), 961, 982. 345

IV. Polygamie im englischen Recht

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c) Partielle Anerkennung von ausländischen polygamen Ehen Hinsichtlich der Anerkennung von im Ausland geschlossenen Mehrehen wird danach differenziert, ob an der Eheschließung Domizilengländer beteiligt waren. Ist dies der Fall, muss wiederum zwischen der Anerkennung potentiell und aktuell polygamer Ehen unterschieden werden. Allein potentiell polygame Ehen – in aller Regel also die im Ausland geschlossene Ehen von Domizilengländerinnen unter Geltung einer Polygamie-freundlichen lex loci mit einem Mann mit polygamen Personalstatut – werden in England als wirksame Ehen anerkannt.352 Dies wurde durch die Neufassung von Sec. 11 (d) Matrimonial Cause Act 1973 sowie Sec. 5 Private International Law (Miscellaneous Provisions) Act 1995 bestätigt. In umgekehrter Hinsicht folgt aus Sec. 11 (d), dass einer im Ausland geschlossenen Ehe, bei der eine Domizilengländerin Zweitfrau wird in England keine Wirkung zukommt. Demgegenüber gilt, dass Mehrehen, die unter Geltung einer polygamen lex loci geschlossen wurden und an denen kein englisches Personalstatut beteiligt ist, in England grundsätzlich anerkannt werden.353 In welchem Umfang sie dabei im Inland Wirkung entfalten können, lässt sich nicht pauschal beantworten. Dies bedarf vielmehr einer an der konkreten Rechtsfrage orientierten Einzelfallentscheidung. An dieser Stelle können daher nur beispielhaft einige Fallgruppen benannt werden: So werden polygame Ehe etwa in Fragen des Erbrechts von Ehegatten und Kindern anerkannt. Ebenso wird die Ehelichkeit von aus polygamen Ehen hervorgegangenen Kindern bejaht. Mehrehen entfalten auch insoweit in England Wirkung, als sie einer weiteren Eheschließung entgegenstehen. Demgegenüber stehen Zweitfrauen keine eigenen Ansprüche auf staatliche Fürsorge zu. Ebenso wird diesen durch Sec. 2 Immigration Act 1988 der Ehegattennachzug versagt. Überdies wird eine polygame Ehe in England insofern nicht anerkannt, als sich die Ehepartner bei einer weiteren Heirat nicht wegen Bigamie strafbar machen. Diese letzte Regelung wird insbesondere angesichts des Umstands, dass eine polygame Ehe als Hindernis für eine spätere weitere Eheschließung in England anerkannt ist, kritisiert.354 4. Vergleich mit der deutschen Rechtslage und Fazit Nach dieser Darstellung der englischen rechtlichen Situation zu Mehrehen ist nun ein Vergleich mit der aktuellen deutschen Rechtslage sowie mit dem avisierten Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E möglich. Dabei fallen zunächst die Gemeinsamkeiten auf. Dies gilt jedenfalls, soweit man allein die Ergebnisse der Rechtsanwendung ins Auge fasst: In beiden Ländern ist die Schließung (aktuell) polygamer Ehen – unabhängig davon, ob ein inländisches 352

Vgl. dazu unter D.IV.2.j). Siehe dazu unter D.IV.2.j). 354 Siehe dazu insgesamt Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, 932 f.; sowie die Rechtsprechung R v. Sarwan Singh, [1962] 3 All ER 612; R v. Sagoo, [1975] QB 885. 353

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

Eheschließungsstatut hieran beteiligt ist – nicht möglich. Zudem wird im Ausland geschlossenen Mehrehen keine Wirkung zugesprochen, sofern Inländer daran beteiligt sind. Dabei unterscheiden sich jedoch die Rechtsfolgen, sofern es Inländern dennoch gelingt eine entsprechende Ehe einzugehen: Während eine solche Ehe in Deutschland gem. §§ 1314 Abs. 1 Nr. 2, 1306 BGB aufhebbar ist, sind polygame Ehen in England gem. Sec. 11 (d) Matrimonial Causes Act 1973 nichtig.355 Die Anerkennung von im Ausland geschlossenen Mehrehen wird demgegenüber in beiden Ländern grundsätzlich für möglich gehalten. Voraussetzung dafür ist, dass hieran allein ausländische Eheschließungsstatuten beteiligt waren und die Ehe aus Sicht des maßgeblichen ausländischen Rechts wirksam ist. Welche Wirkung diese Ehen im Inland entfalten, hängt von der Rechtsfrage des jeweiligen Einzelfalls ab. Dabei werden polygamen Ehen sowohl in England als auch in Deutschland eher dann Wirkungen zugesprochen, wenn dies überwiegend oder ausschließlich privaten Interessen dient und ein geringer sachlicher Bezug zur inländischen Rechtsordnung besteht. Als Beispiel sind hier unterhalts- oder erbrechtlichen Fallgestaltungen zu nennen, bei denen der Bestand der polygamen Ehe lediglich eine Vorfrage darstellt. Andererseits wird die Anerkennung zumeist dort versagt, wo dies eine Belastung staatlicher Interessen darstellen würde, wie etwa im Rahmen des Ehegattennachzugs oder des Sozialrechts. Während also die Ergebnisse der Rechtsanwendung ein homogenes Bild entstehen lassen, divergieren die dogmatischen Grundlagen erheblich: In Deutschland folgt die Unwirksamkeit von polygamen Ehen, die unter Beteiligung von Deutschen im Inland geschlossen wurden, aus dem zweiseitigem Ehehindernis des § 1306 BGB. Die Norm ist Ausdruck des monogamen Eheverständnisses der deutschen Rechtsordnung.356 Letzteres wird bei (versuchten) polygamen Eheschließungen von Ausländern im Inland durch den allgemeinen ordre public-Vorbehalt durchgesetzt. Demgegenüber ist in England die lex loci-Theorie verantwortlich für den Umgang mit polygamen Eheschließungen im Inland. Da die englische Rechtsordnung keine Eheschließungsmöglichkeit für Mehrehen vorsieht, ist dies in England stets ausgeschlossen. Eines Rückgriffs auf die Dogmatik des ordre public bedarf es daher nicht mehr. Weniger klar sind demgegenüber die dogmatischen Gründe für die in Sec. 11 (d) Matrimonial Causes Act 1973 kodifizierte Regelung, welche Domizilengländern die Eingehung einer Mehrehe im Ausland untersagt. Gleiches gilt für das Gebot der Anerkennung von im Ausland geschlossenen polygamen Ehen (Sec. 47). Die englische Literatur beinhaltet jedoch einige Hinweise für die hinter der Gesetzgebung stehenden Erwägungen: So wurde zugunsten der Anerkennung polygamer Ehen zur Frage des matrimonial relief vorgebracht, dass Statusverhältnisse, 355

Wobei zu beachten ist, dass hier nach englischem Recht ein Nichtigkeits-Urteil ergeht, in dessen Rahmen ebenfalls Rechtsfolgenregelungen getroffen werden können, vgl. dazu D.V.2.d) bb). 356 Wellenhofer, in: MüKo BGB, § 1306 BGB, Rn. 3.

IV. Polygamie im englischen Recht

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die unter Geltung eines ausländischen Rechts geschlossen wurden, grundsätzlich anzuerkennen seien.357 Dies entspricht der im Rahmen des deutschen Rechts vorgebrachten Argumentation des Gebots der Achtung fremder Rechtsordnungen.358 Zudem wurde darauf verwiesen, dass es wenig wünschenswert sei, wenn Ehen in einem Rechtsbereich wirksam seien, in anderen Fragen jedoch keine Wirkung entfalteten.359 Auch insoweit ist eine Vergleichbarkeit mit der aus dem deutschen Recht bekannten Argumentation zur Statuskontinuität festzustellen.360 Dass polygame Ehen auch in Fragen des matrimonial relief anerkannt werden müssten, folge zudem daraus, dass der englische ordre public es gebiete, Frauen und Kinder aus diesen Ehen zu schützen.361 Diese stünden bei einer Versagung von Unterhaltsansprüchen mittellos da. Auch wird darauf verwiesen, dass durch eine weitergehende Anknüpfung das englische System der staatlichen Fürsorge entlastet werde.362 Insbesondere die beiden erstgenannten Gründe stellen grundlegende Erwägungen des Internationalen Privatrechts dar. Es lässt sich somit mutmaßen, dass der englische Gesetzgeber die Hyde-Regel neben sozialen Gründen auch deshalb abschaffte, um diesen kollisionsrechtlichen Prinzipien Rechnung zu tragen. Insoweit ist festzustellen, dass die deutsche und die englische Rechtsordnung mit der Anerkennung von im Ausland geschlossenen polygamen Ehen ähnliche Motive verfolgen.363 Das in Sec. 11 (d) Matrimonial Causes Act kodifizierte Eheschließungsverbot für Inländer wurde in der Literatur in dogmatischer Hinsicht nur wenig diskutiert. Es findet sich lediglich der Hinweis, dass die Norm eine bereits bestehende kollisionsrechtliche Regelung kodifiziere.364 Es ließe sich mutmaßen, dass Sec. 11 (d) ähnlich wie § 1306 BGB als Ausdruck der monogamen Prägung der inländischen Rechtsordnung zu verstehen ist. Diese „haftet“ den inländischen Bürgern beziehungsweise Domizilinhabern auch insoweit an, als dass ihnen die Eingehung einer Mehrehe nicht nur im In-, sondern auch im Ausland untersagt ist. Es ist somit festzuhalten, dass – wenn man den hier angenommenen dogmatischen Gründen für die Anerkennung von ausländischen Ehen beziehungsweise dem Verbot der Mehrehen für Inländer folgt – auch in dogmatischer Hinsicht die englische und 357 Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 784; Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 1, Rn. 5-012; zu diesem Grundsatz im Zusammenhang mit dem ordre public auch Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, 149. 358 Dazu Coester/Coester-Waltjen, FamRZ 2016, 1618, 1625. 359 Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 785. 360 Vgl. dazu unter C.III.1.b)bb)(1). 361 Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 785; dass es sich hierbei grundsätzlich um eine Frage des ordre public handelt, nimmt auch Kahn-Freund, Selected Writings, 233, 248, an. 362 Saunders/Walter, I.C.L.Q. 21 (1972), 781, 783. 363 Dafür, dass die Anerkennung von im Ausland geschlossenen polygamen Ehen in England wegen des nicht hinreichend starken Inlandsbezugs aus ordre public-Sicht möglich ist, Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 1, Rn. 5-006; Holder, I.C.L.Q. 17 (1968), 926, 941 ff. 364 Shah, I.C.L.Q. 52 (2003), 369, 376; Schuz, Mod. L. Rev. 46 (1983), 653, 654.

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

die deutsche Rechtsordnung einige Ähnlichkeiten bei ihrem Umgang mit Mehrehen aufweisen. Diese weitestgehend homogene Rechtslage würde durch das Inkrafttreten des Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E gestört, da dies zu einer uneinheitlichen rechtlichen Situation bei der Anerkennung von ihm Ausland geschlossenen polygamen Ehen führen würde. Da es sich bei der Anerkennung ausländischer Ehen – insbesondere im Lichte der so genannten „Flüchtlingskrise“ – um einen besonders relevanten Aspekt dieses Themengebiets handelt, ist zu vermuten, dass die Auswirkungen durchaus spürbar wären.

V. Formelle Aspekte der Eheschließung im englischen Recht Zuletzt soll das englische Kollisionsrecht zu formellen Aspekten der Eheschließung untersucht werden. Die hierzu bestehende Regel wurde im Urteil Berthiaume v. Dastous besonders einprägsam beschrieben:365 „If a marriage is good by the laws of the country where it is effected, it is good all the world over, no matter whether the proceedings or ceremony which constituted marriage according to the law of the place would not constitute marriage in the country of the domicile of one or other of the spouses. If the so-called marriage is no marriage in the place where it is celebrated, there is no marriage anywhere, although the ceremony or proceeding if conducted in the place of the parties’ domicile would be considered a good marriage.“

Das englische Ehekollisionsrecht folgt also dem locus regit actum-Grundsatz.366 Danach ist stets das Ortsrecht für die Formfragen der Eheschließung maßgeblich. Folglich findet auf alle Eheschließungen in England – unabhängig vom domicile oder der Staatsangehörigkeit der Heiratswilligen – hinsichtlich der formellen Aspekte der Trauung stets englisches Sachrecht Anwendung.367 Die Qualifikation der hiervon betroffenen Sachverhaltsfragen erfolgt ebenfalls anhand des englischen Rechts.368 Da das englische Sachrecht somit auch für internationale Sachverhalte relevant wird, werden dessen historische Entwicklung und aktuellen Anforderungen an Eheschließungen im Folgenden dargestellt. Dabei wird insbesondere auf die – auch für das Kollisionsrecht bedeutsame – Frage nach den Rechtsfolgen bei Nichterfüllung der Formanforderungen eingegangen. Ebenfalls werden aktuellere Reformbemühungen beleuchtet, bevor abschließend ein Vergleich mit der deutschen Kollisionsrechtslage vorgenommen wird. 365

Berthiaume v. Dastous, [1930] A.C. 79 83 (PC). Thomas, Formlose Ehen, 98. 367 Hartley, Mod. L. Rev. 35 (1972), 571, 574; Tötterman, I.C.L.Q. 2 (1953), 27, 28; Sykes, I.C.L.Q. 2 (1953), 78; Hodson, I.C.L.Q. 7 (1958), 205, 211; Working Paper der Law Commission (Law Com. No. 89) [1984], 7; Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Vol. 2, Rn. 17-002. 368 Tötterman, I.C.L.Q. 2 (1953), 27, 28 f.; Sykes, I.C.L.Q. 2 (1953), 78, 79; Dicey/Morris/ Collins, The Conflict of Laws, Vol. 2, Rn. 17-007. 366

V. Formelle Aspekte der Eheschließung im englischen Recht

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1. Entwicklung des formellen englischen Eheschließungsrechts Bis ins Jahr 1753 fiel das Eherecht in die ausschließliche Zuständigkeit der englischen Kirche.369 Dies erfasste zunächst die Eheschließungen, welche nur wirksam nach dem Ritus der Church of England erfolgen konnten. Dieser sah die Beachtung bestimmter Formalitäten vor, so etwa, dass vor der Eheschließung das Aufgebot öffentlich zu verkünden sei, die Paare eine Lizenz (common licence) beibringen müssten sowie die Registrierung der Eheschließung. Die Nichteinhaltung dieser Vorschriften hatte jedoch keinerlei Einfluss auf die Wirksamkeit der Heirat.370 Hierfür war es allein erforderlich, dass die Trauung in Anwesenheit eines Geistlichen der Church of England vollzogen wurde.371 Sonstige Ehen, die nicht nach dem Ritus der Kirche von England geschlossen wurden, entfalteten – mit Ausnahme der Ehen von Juden oder Quäkern – keinerlei rechtliche Wirkungen.372 Neben der Eheschließung lag auch die Zuständigkeit für eheliche Streitigkeiten und Scheidungsurteile bei den kirchlichen Gerichten. Das weitestgehende Fehlen von Mindeststandards für die Eingehung einer Ehe hatte erhebliche Missstände zur Folge. So kam es nicht selten dazu, dass Volljährige (häufig nicht freiwillige) Ehen mit Kindern aus wohlhabenden Familien eingingen, um so Zugang zu deren Vermögen zu erlangen.373 Ein weiteres Phänomen waren so genannte heimliche Hochzeiten (clandestine marriages), bei denen jegliche soziale Kontrolle zum Schutz vor Übereilung und Überrumplung fehlte.374 Diese Praktiken erreichten ihren Höhepunkt in Form der sogenannten Fleet Marriages. Dies waren Eheschließungen, die von Geistlichen (oder solchen, die vorgaben, es zu sein) im berüchtigten Fleet-Gefängnis in London vollzogen wurden.375 Diese unliebsame Situation beendete der englische Gesetzgeber durch den Clandestine Marriages Act 1753. Die Gesetzgebung, die auch unter der Bezeichnung Lord Hardwicke’s Act firmiert,376 legte ein Ehemindestalter von 21 Jahren fest. Personen, die in einem jüngeren Alter heiraten wollten, benötigten hierfür die elterliche Zustimmung.377 Der Act ergriff zudem Maßnahmen gegen das Phänomen der heimlichen Eheschließungen. Dabei wurden zwar die Formerfordernisse des Kirchenrechts beibehalten, an deren Nichtbefolgung wurde jedoch die Rechtsfolge der 369

Probert, Cohabitation and Religious Marriage, 16; Cretney, in: English Private Law, Rn. 2.33. 370 Probert, Legal Stud. 22 (2002), 398, 405. 371 Probert, Cohabitation and Religious Marriage, 16. 372 Probert, Cohabitation and Religious Marriage, 16 f. 373 Tötterman, I.C.L.Q. 2 (1953), 27, 29 f. 374 Boulton, Urban History 20 (1993), 191 ff.; Hanna/Lowes, P.C.B. 2018, 133, 134; Tötterman, I.C.L.Q. 2 (1953), 27, 30. 375 Probert, Cambridge L. J. 77 (2018), 375, 378; Thomas, Formlose Ehen, 44. 376 Tötterman, I.C.L.Q. 2 (1953), 27, 29; vgl. zu dieser Gesetzgebung auch Thomas, Formlose Ehen, 44 f. 377 Probert, Cohabitation and Religious Marriage, 16 f.

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

Ehenichtigkeit geknüpft.378 Dies betraf insbesondere auch die fehlende Registrierung von Ehen.379 Aus der Praxis nach Inkrafttreten der neuen Gesetzgebung wurde deutlich, dass diese die gesetzgeberischen Ziele, insbesondere die Vermeidung von heimlichen Trauungen und Frühehen, umzusetzen geeignet war. Zugleich schaffte das implementierte Nichtigkeitsverdikt jedoch neue Probleme: So kam es ab Ende des 18. Jahrhunderts vermehrt zu Fällen, in denen Partner sich nach langjährigem, scheinbar ehelichen Zusammenleben ihren durch die Heirat begründeten Pflichten zu entziehen versuchten, indem sie auf marginale technische Fehler bei der Eheschließung verwiesen.380 Der Gesetzgeber ging dagegen vor, indem er durch den Marriage Act 1823 die Nichtigkeit der Ehe von einem wissentlichen und willentlichen Verstoß beider Partner gegen die Formvorschriften abhängig machte. Eine weitere Neuerung des Eheschließungsrechts erfolgte durch den Marriage Act 1836, der die Möglichkeit einer nicht-konfessionellen zivilen Eheschließung vor einem Standesbeamten einführte.381 Neben dieser Innovation im Bereich der staatlichen Eheschließung erneuerte die Gesetzgebung auch die Voraussetzungen für religiöse Trauungen. So wurde es Angehörigen anderer Konfessionen als der englischen Kirche ermöglicht nach dem Ritus ihrer Religion rechtlich wirksam zu heiraten. Dies stand jedoch unter der Bedingung, dass die maßgeblichen Formalitäten gewahrt wurden, insbesondere, dass die Zeremonie in einem für Eheschließungen registrierten Gotteshaus und in Anwesenheit eines staatlichen Registerführers vollzogen wurde.382 Zugleich führte der Births and Deaths Registrations Act ein allgemeines Bevölkerungsregister (General Register Office for England and Wales) ein. Ehen konnten somit erstmalig zentral registriert werden. Die mit der Einführung der Zivilehe begründete Ablösung der Eheschließungen aus der alleinigen Zuständigkeit der Kirche setzte sich im Matrimonial Causes Act 1857 fort. Hierdurch übertrug der Gesetzgeber die Kompetenz für Ehe- und Scheidungsfragen auf die weltlichen Gerichtsbarkeiten.383 Weitere Gesetzgebungen, die die Voraussetzungen für die Eheschließung bruchstückhaft umgestalteten, folgten in den Jahren 1866 bis 1934.384 Dieser als unbefriedigend empfundene 378

Tötterman, I.C.L.Q. 2 (1953), 27, 30. Probert, Eighteenth-Century Studies 38 (2005), 247, 248. 380 Probert, Child & Fam. L. Q. 25 (2013), 314, 316. 381 Cretney, in: English Private Law, Rn. 234; Probert, Cohabitation and Religious Marriage, 17. 382 Probert, Child & Fam. L. Q. 25 (2013), 314, 325; dies./Saleem, Oxford Journal of Law and Religion 7 (2018), 376, 378. 383 Probert, Cohabitation and Religious Marriage, 19; Pearl, Cambridge L. J. 30 (1972), 120, 124. 384 Eine Auflistung der für die Eheschließung relevanten Gesetzgebung findet sich in dem Scoping Paper der Law Commission (2015), 36 f., abrufbar unter: https://www.lawcom.gov.uk/ app/uploads/2015/12/Getting_Married_scoping_paper.pdf (zuletzt abgerufen am 26. 11. 2020, 16.39 Uhr). 379

V. Formelle Aspekte der Eheschließung im englischen Recht

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mosaikartige Zustand wurde durch den Marriage Act 1949 beendet, welcher die bislang bestehenden Regelungen in einem einheitlichen Gesetzesakt zusammenfasste. Die seither ergangene Gesetzgebung modifiziert die Bestimmungen des Acts lediglich partiell, er ist weiterhin als maßgebliches Instrumentarium des formellen englischen Eheschließungsrechts anzusehen. 2. Formelle Anforderungen des englischen Eheschließungsrechts Sec. 5 ff. Marriage Act 1949 beinhalten die Voraussetzungen für die formelle Wirksamkeit einer Eheschließung. Die Vorschriften weisen dabei mehrere Möglichkeiten aus, durch die eine wirksame Ehe geschlossen werden kann. Allen Eheschließungsformen ist dabei gemein, dass ihnen spezielle Vorbereitungshandlungen (preliminaries) vorauszugehen haben. Zudem müssen die Parteien in jedem Fall während der Zeremonie ihren übereinstimmenden Willen zur Schließung der Ehe erklären und die Ehe in Anschluss in einem staatlichen Register eingetragen lassen. a) Eheschließung nach dem Ritus der Kirche von England Eine rechtlich wirksame Eheschließung ist zunächst nach dem Ritus der Kirche von England möglich. Die Parteien können hier im Vorfeld der Eheschließung dem Publikationsinteresse entweder durch die öffentliche Verkündung des Aufgebots (publication of banns), durch den Erwerb einer Bewilligung (common licence) oder durch eine Bescheinigung des örtlich zuständigen Standesamtes gerecht werden. Die Eheschließung kann dabei nur in Gotteshäusern der Kirche von England stattfinden und muss von einem geweihten Geistlichen (clerk in holy orders) vollzogen werden. b) Andere religiöse Eheschließungen Auch Zugehörigen anderer Konfessionen ist eine am Ritus ihres Glaubens orientierte Eheschließung möglich. Neben der standesamtlichen Eheschließungslizenz ist es dafür erforderlich, dass sie während der Trauung ihren Willen zur Eheschließung in der gesetzlich vorformulierten Form zum Ausdruck bringen. Im Übrigen steht es ihnen jedoch frei, die Trauung in „such form and such ceremony as the persons to be married see fit to adopt“ zu gestalten.385 Die Anwesenheit eines Registerbeamten bei der Trauung ist zwar erforderlich, aber auch ausreichend. Dieser muss die Trauung nicht vollziehen. Die Paare können dabei sowohl in Standesämtern als auch in für die Eheschließungen registrierten Andachtsstätten heiraten.

385

Sec. 26 (1) (a) Marriage Act 1949.

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

c) Staatliche Eheschließungen in einem Standesamt oder registriertem Gebäude Weiter besteht die Möglichkeit einer standesamtlichen Eheschließung. Hierfür ist der Erwerb einer Eheschließungslizenz erforderlich. Nach Ablauf einer 28-tägigen Wartefrist, gestattet diese es den Paaren, innerhalb der nächsten zwölf Monate zu heiraten. Die Trauung kann dabei entweder in einem Standesamt oder an einem für die Eheschließung anerkannten Ort stattfinden (approved premises). Erforderlich ist die Anwesenheit zweier Zeugen, eines Registerbeamten sowie eines Standesbeamten. Letzterer muss jedoch nicht zwingend die Zeremonie anleiten. Bei der Trauung müssen die Paare ihren Willen zur Eingehung der Ehe durch eine vorformulierte Erklärung zum Ausdruck bringen. Religiöse Bekenntnisse sind während der Zeremonie untersagt. d) Rechtsfolgen bei Nicht-Beachtung der formellen Eheschließungsanforderungen Sofern die benannten Voraussetzungen erfüllt sind, ist die Eheschließung – jedenfalls in formeller Hinsicht – in England wirksam. Dies gilt unabhängig davon, über welche Staatsangehörigkeit oder domicile die an der Heirat beteiligten Partner verfügen. Weiter ist jedoch zu untersuchen wie zu verfahren ist, wenn eine oder mehrere der gesetzlichen Formanforderungen nicht eingehalten worden sind. Das Gesetz selbst sieht dabei nur Bestimmungen zu der Frage vor, wann eine Ehe nichtig ist (Sec. 25, 49 Marriage Act 1949). Weitere Ausführungen, etwa welche formellen Fehler absolute Wirkung haben und damit zur Unwirksamkeit der Ehe führen, fehlen, so dass die Wirksamkeitsvoraussetzungen näher zu untersuchen sind.386 aa) Wirksame Eheschließungen Es ist zunächst möglich, dass Ehen, obwohl unklar ist, ob bei ihrer Eingehung alle formellen Anforderungen beachtet wurden oder bei denen sogar in Frage steht, ob es überhaupt zu einer Trauung gekommen ist, vom englischen Recht als wirksam erachtet werden. Grund dafür ist die im englischen Beweisrecht bestehende Vermutung zugunsten der Wirksamkeit der Ehe (presumption in favour of marriage).387 Diese (widerlegliche) Vermutungsregel, die als „strongest [presumption] known in the law“ beschrieben wird,388 stützt sich dabei auf zwei Vertrauensschutzelemente: Das Zusammenleben des Paares (cohabitation) und dessen soziale Anerkennung als Ehepaar (reputation).389 Dabei erstreckt sich die Vermutungswirkung dieser Kriterien auf 386

Probert, Child & Fam. L. Q. 25 (2013), 314, 315. Siehe umfassend dazu Probert, Legal Stud. 22 (2002), 398, 409 ff.; dies., Cambridge L. J. 77 (2018), 375 ff. 388 Probert, Cambridge L. J. 77 (2018), 375, 386. 389 Probert, Legal Stud. 22 (2002), 398, 409 f. 387

V. Formelle Aspekte der Eheschließung im englischen Recht

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zwei verschiedene Fallkonstellationen:390 Die erste Funktionsweise betrifft Fälle, in denen es keinen Beweis für die Eheschließungszeremonie gibt. Die Vermutung führt dazu, dass angenommen wird, dass dann, wenn das Paar bereits seit längerem zusammenlebt und von der Gemeinschaft in der sie leben als Ehepaar anerkannt ist, eine rechtlich bindende Eheschließung stattgefunden hat. Daneben führt die Vermutung in Fällen, in denen Hinweise auf eine Zeremonie vorliegen, das Paar seit längerem zusammenlebt und als verheiratet anerkannt ist, zu einer Beweislastumkehr. Hier muss somit derjenige, der sich auf die Unwirksamkeit der Ehe beruft, Nachweise für Fehler der Eheschließungszeremonie erbringen. Einschränkend ist dabei festzuhalten, dass die Vermutung nur auf Ehen Anwendung findet, die vom Anwendungsbereich des Marriage Act 1949 erfasst werden. Sofern eindeutig ist, dass bei einer Zeremonie die gesetzlichen Voraussetzungen gänzlich missachtet wurden, kann dies nicht durch die Anwendung der Vermutung geheilt werden.391 Um die beschriebenen Funktionsweisen der Vermutung verständlich zu machen, ist es unumgänglich, die Entstehungsgeschichte der Regel nachzuvollziehen:392 Wie oben bereits dargestellt, bestand bis Mitte des 18. Jahrhunderts keine einheitliche Registrierungspflicht für Ehen. Dies hatte zur Folge, dass es nicht selten zu Beweisschwierigkeiten kam, wenn nachträglich über den Bestand der Ehe gestritten wurde. Betroffen waren davon vor allem die Fälle, bei denen seit der Eheschließung bereits geraume Zeit vergangen war und es daher an unmittelbaren Zeugen fehlte. Um dieser Problematik entgegenzuwirken, entwickelten die englischen Gerichte eine Regel zur Beweiserleichterung. Dabei schlossen sie von dem langfristigen Zusammenleben eines Paares als Ehepaar sowie von der sozialen Akzeptanz dieses Umstandes darauf, dass eine wirksame Eheschließung stattgefunden haben müsse. Dieser Rückschluss war angesichts der sozialen Strukturen des 18. Jahrhundert durchaus angemessen. Aufgrund der an ein uneheliches Zusammenleben geknüpften sozialen Missachtung war es sehr unwahrscheinlich, dass ein Paar tatsächlich über einen längeren Zeitraum in „wilder Ehe“ lebte. Die Vermutung büßte mit Einführung der Registrierungspflicht für Ehen sowie des zentralen Eheregisters an Bedeutung ein. Da die Registrierung bislang jedoch kein absolutes Kriterium für die Wirksamkeit von Ehen darstellte, blieb weiterhin Raum für die Anwendung der Vermutungsregel. Deren Reichweite sowie die Anforderungen an die Gegenbeweise waren dabei nicht starr, sondern wurden von den Gerichten jeweils anhand des konkreten Falls bestimmt. Dabei spielte etwa eine Rolle, wer gegen den Bestand der Ehe vorging, ob dies zu Lebzeiten der Ehepartner erfolgte und wie lange die (vermeintliche) Ehe bestanden hatte.393 Die dargestellte Rechtslage betraf dabei zunächst nur die erste Funktionsweise der Vermutungsregel. Der zweite Anwendungsfall erlangte erstmalig in der Piers-Ent390 391 392 393

Miles/George/Harris-Short, Family Law, 80 f. Probert, Cambridge L. J. 77 (2018), 375, 396. Hierzu wird umfassend verwiesen auf Probert, Cambridge L. J. 77 (2018), 375 ff. Siehe dazu im Detail Probert, Cambridge L. J. 77 (2018), 375, 379 ff.

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

scheidung von 1849 Bedeutung. In dem zu beurteilenden Fall war der Umstand unstreitig, dass eine Eheschließungszeremonie stattgefunden hatte. Unklarheit herrschte jedoch hinsichtlich der Frage, ob bei dieser die erforderlichen Formalitäten beachtet worden waren.394 Das Gericht stützte sich dabei in der Weise auf die presumption in favour of marriage, dass diese zu der Vermutung führte, dass sämtliche für die Eheschließung erforderlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Tatsächliche Beachtung erlangte diese Spielart der Vermutungsregel jedoch erst durch die Entscheidung Chief Adjudication Officer v. Bath (1999).395 Der Fall beruhte auf den nach dem Tod des vermeintlichen Ehemannes geltend gemachten Pensionsanspruch seiner Ehefrau. Beide hatten 37 Jahre als Ehepaar zusammengelebt und gemeinsam zwei Kinder bekommen. Der Ehemann hatte Steuern und Sozialversicherungsbeiträge auf Grundlage seines vermeintlich verheirateten Status gezahlt. Der Pensionsanspruch der Witwe war dabei zunächst abgewiesen worden. Dabei stützte man sich auf die behauptete Unwirksamkeit der Ehe, die sich daraus ergebe, dass die Zeremonie durch eine hierfür nicht autorisierte Person in einem nicht registrierten Tempel vollzogen worden sei. In seiner Entscheidung wies der Court of Appeal diese Auffassung zurück und sprach der Witwe die Rentenansprüche zu. Die Richter stützten sich dabei auf die presumption in favour of marriage. Sie verwiesen darauf, dass das Paar lange Zeit als Ehepaar zusammengelebt habe und dieser Status auch von der Gemeinschaft in der sie lebten anerkannt worden sei. Es gebe außerdem keine hinreichenden Beweise, um die Vermutung einer ordnungsgemäßen Registrierung des Tempels beziehungsweise der Autorisierung des Geistlichen zu widerlegen. Dabei müsse auch beachtet werden, dass die Parteien zum Zeitpunkt der Trauung der englischen Sprache kaum mächtig waren, so dass sie zwar unter Umständen die gesetzlichen Anforderungen nicht verstanden, diese aber keineswegs vorsätzlich umgangen hätten. Die Entscheidung wurde als neue Dimension der Vermutungsregel verstanden. Dies folgte daraus, dass die presumption hier nicht wie bislang dazu führte, dass auf das Vorliegen bestimmter Trauungshandlungen geschlossen wurde, obwohl deren Existenz zweifelhaft war. Vielmehr setzte sich die Vermutung hier über bekannte Mängel des Eheschließungsakts hinweg und räumte den Vertrauensschutz damit eine außerordentliche Stellung ein. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts wird die Berechtigung der Vermutungsregel immer wieder kritisch hinterfragt.396 Dabei wird angezweifelt, ob weiterhin aus einem Zusammenleben in der Art von Ehepaaren auf ein tatsächlich Verheiratetsein geschlossen werden könne. Vor dem Hintergrund der sozialen Akzeptanz außer-

394

Probert, Cambridge L. J. 77 (2018), 375, 384 ff. Chief Adjudication Officer v. Bath, [1999] WL 819134; Probert, Legal Stud. 22 (2002), 398, 399; dies., Child & Fam. L. Q. 25 (2013), 314, 333; dies./Saleem, Oxford Journal of Law and Religion 7 (2018), 376, 386 f.; Miles/George/Harris-Short, Family Law, 80 f. 396 Probert, Legal Stud. 22 (2002), 398, 416 f.; dies., Cambridge L. J. 77 (2018), 375, 394 ff. 395

V. Formelle Aspekte der Eheschließung im englischen Recht

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ehelichen Zusammenlebens scheint diese Anregung durchaus berechtigt.397 In umgekehrter Hinsicht ist dabei jedoch auch zu beachten, dass die Ehe zulässigerweise weiterhin als die vom Staat präferierte Form des Zusammenlebens erachtet wird, so dass eine Förderung vertretbar erscheint.398 bb) Nichtige Ehen Eine weitere mögliche Rechtsfolge bei Nicht-Beachtung der gesetzlichen Formvorschriften ist die Nichtigkeit der Ehe. Maßgebliches Element hierfür ist, dass beide Partner wissentlich und willentlich (knowingly and wilfully) die gesetzlichen Anforderungen an den Eheschließungsakt missachtet haben. Diese Rechtsfolge erstreckt sich sowohl auf Zeremonien nach dem Ritus der Kirche von England als auch auf zivile Trauungen und solche anderer Religionsgemeinschaften. Wie bereits dargelegt, soll durch das voluntative Kriterium vermieden werden, dass ein Partner sich einseitig von seinen ehelichen Verpflichtungen befreien kann, indem er auf einen (zufälligen oder absichtlichen) Fehler bei der Eheschließung verweist. Zu beachten ist, dass entgegen dem Wortlautverständnis die Nichtigkeit nicht dazu führt, dass die Ehe gänzlich ohne rechtliche Wirkungen bleibt. Die entsprechende Ehe wird zwar als ex tunc nichtig angesehen. Den Gerichten steht es jedoch frei ein Nichtigkeitsurteil auszusprechen und darin Maßnahmen zur finanziellen Absicherung der Partner zu bestimmen.399 Die Wirkungen der Ehenichtigkeit ähneln insofern denen einer Scheidung.400 cc) Nichtehen Das Erfordernis des wissentlichen und willentlichen Verstoßes im Ehenichtigkeitsrecht hat dabei zu Schwierigkeiten bei der systematischen Einordnung solcher Ehen geführt, bei denen eine unvorsätzliche Missachtung der Formerfordernisse vorliegt.401 Hier stellte sich die Frage, ob aus der Existenz des voluntativen Kriteriums gefolgert werden sollte, dass bei unvorsätzlichen Verletzungen der gesetzlichen Formvorschriften die Ehen stets als wirksam zu behandeln seien. Dies scheint jedenfalls dann zweifelhaft, wenn die Eheschließung keine der gesetzlichen formellen Anforderungen erfüllt. Hier müssten dann alle Zeremonien, von denen die Paare in gutem Glauben annehmen, dass sie eine Ehe begründen, als wirksam erachtet werden, unabhängig davon, wie widersprüchlich sie zu den gesetzlichen Vorgaben sind. Dies würde jedoch auf eine Aushöhlung des englischen Eherechts hinauslau397 398 399 400 401

Probert, Cambridge L. J. 77 (2018), 375, 394. So Probert, Legal Stud. 22 (2002), 398, 417. Siehe dazu Sec. 21 ff. Matrimonial Causes Act 1973. Vergleiche dazu etwa Standley, Family Law, 27 f. Probert, Child & Fam. L. Q. 25 (2013), 314, 316.

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

fen.402 Umgekehrt scheidet eine Qualifikation dieser Ehen als nichtig wegen des eindeutigen Wortlauts des Marriage Act 1949 aus. In Reaktion auf diese Problematik entwickelten die englischen Gerichte die so genannten Nichtehen.403 Erwähnt wurden diese erstmalig in der Entscheidung R v. Bham aus dem Jahr 1965.404 Das Konzept der Nichtehen sollte dabei solche Verbindungen erfassen, die außerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen geschlossen wurden und daher nicht als Ehe im Sinne des englischen Rechts angesehen werden konnten.405 Es wird angenommen, dass diesen keinerlei rechtliche Wirkung zukommt.406 Für die Betroffenen kann dies erhebliche nachteilige Konsequenzen haben, etwa dann, wenn die Beziehung beendet wird und die Parteien ohne jegliche rechtlichen Ansprüche zurückbleiben. Um diese schwerwiegenden Folgen auf tatsächlich erhebliche Fälle zu beschränken, wurde es als erforderlich erachtet, klare Kriterien für die Abgrenzung von wirksamen, nichtigen und Nichtehen zu erarbeiten. Während das Vorsatzerfordernis der Sec. 25, 49 Marriage Act 1949 die Abgrenzung zu den nichtigen Ehen unkompliziert ermöglicht, ist die Unterscheidung zwischen wirksamen und Nichtehen komplexer.407 Grund dafür ist, dass der Gesetzgeber keine Mindestanforderungen für das Vorliegen einer Ehe aus Sicht des englischen Rechts getroffen hat.408 Erschwerend kommt hinzu, dass die formellen Anforderungen des Marriage Act 1949 eher als richtungsweisend denn als obligatorisch verstanden werden.409 Auf Seiten der Gerichte zeigt man sich grundsätzlich zurückhaltend bei der Annahme von Nichtehen. Diese seien nur bei solchen Eheschließungen gegeben, bei denen die an der Zeremonie Beteiligten noch nicht einmal versucht haben, eine Trauung im Sinne des englischen Rechts zu vollziehen.410 Als Beispiel wird hier auf Eheschließungen in Theaterstücken oder von spielenden Kindern verwiesen.411 Die Literatur spricht sich für einen strengeren Maßstab aus, ohne jedoch konkret zu erfüllende Tatbestandsvoraussetzungen zu benennen.412 Einigkeit herrscht dahingehend, dass allein das objektive Vorliegen der Anforderungen maßgeblich sein 402

Darauf verweist Probert, Legal Stud. 22 (2002), 398, 401. Vgl. dazu die Darstellung von Sir Terence Etherton im Urteil Akhter v. Khan, [2020] 2 WLR, Rn. 52 ff.; aktuell wird sich für die Begrifflichkeit der „nicht qualifizierenden Zeremonie“ (non-qualifying ceremony) ausgesprochen. 404 R v. Bham, [1966] 1 QB 159 ff. 405 Miles/George/Harris-Short, Family Law, 62, 74; Probert, Legal Stud. 22 (2002), 398, 402. 406 Burton, Family Law, 25. 407 Auf die Schwierigkeiten damit verweisen auch Miles/George/Harris-Short, Family Law, 78. 408 Probert, Child & Fam. L. Q. 25 (2013), 314, 315. 409 Probert/Saleem, Oxford Journal of Law and Religion 7 (2018), 376, 387 f. 410 Dukali v. Lamrani, [2012] EWHC 1748 (Fam.), Rn. 36. 411 A-M v. A-M, [2001] 2 FLR 6. 412 Leong, Singapore J. L. Stud. 1997, 580, 584; Miles/George/Harris-Short, Family Law, 79; Probert/Saleem, Oxford Journal of Law and Religion 7 (2018), 376, 388. 403

V. Formelle Aspekte der Eheschließung im englischen Recht

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könne. Dem Wunsch der Parteien eine wirksame Ehe schließen zu wollen, komme demgegenüber keine Bedeutung zu.413 Den praktischen Umgang mit der Figur der Nichtehe zeigt die aktuelle Entscheidung Akhter v. Khan vom 14. Februar 2020.414 Wesentliches Element des Falles war eine in England nach muslimischem Brauch geschlossene Nikah-Ehe.415 Die Eheschließung war allein nach religiösem Ritus erfolgt, eine Registrierung hatte nicht stattgefunden. Zunächst war zwar geplant gewesen, dass das Paar nach der religiösen Zeremonie eine weitere standesamtliche Trauung vornehmen sollte. Hierzu kam es jedoch nie, da der Ehemann diese verweigerte. Das Paar trennte sich im Jahr 2016, nachdem es 18 Jahre zusammengelebt und vier gemeinsame Kinder bekommen hatte. Die vermeintliche Ehefrau verlangte die Scheidung. Dies verweigerte ihr der Ehemann unter Hinweis darauf, dass die Ehe rechtlich nicht bindend sei. Daraufhin berief sich die Ehefrau auf die Vermutung zugunsten der Wirksamkeit der Ehe. Alternativ machte sie die Nichtigkeit der Ehe auf Grundlage der Sec. 11 (a) (iii) Matrimonial Causes Act 1973 geltend.416 In der ersten Instanz wurde der Vortrag hinsichtlich der Vermutung zugunsten der Wirksamkeit der Ehe zurückgewiesen.417 Der Richter verwies darauf, dass es eindeutige Beweise dafür gebe, dass keine standesamtliche Eheschließung stattgefunden habe. Die Vermutung sei daher erfolgreich widerlegt worden.418 Er stimmte jedoch mit der Klägerin darin überein, dass die Ehe als nichtig anzusehen sei. Zwar seien die Voraussetzungen von Sec. 11 (a) (iii) nicht unmittelbar erfüllt. Das Nichtigkeitsrecht müsse hier jedoch 413

Miles/George/Harris-Short, Family Law, 78 f.; Probert, Legal Stud. 22 (2002), 398, 404. Akther v. Khan, [2020] 2 W.L.R. 1183 ff., abrufbar unter: https://1.next.westlaw.com/ Document/ID2DB8A00A4F411EA80FEBE3C2661C7A5/View/FullText.html?navigation Path=Search%2Fv1%2Fresults%2Fnavigation%2Fi0ad7403500000179c1b3000908d662ec%3 Fppcid%3Dea7b2f28e07740f0bcb98b620d08afc2%26Nav%3DINTERNATIONAL-CA SES%26navQualifier%3DI1dec5f10a08911e28578f7ccc38dcbee%26listQualifier%3DI1 dec5f10a08911e28578f7ccc38dcbee%26fragmentIdentifier%3DID2DB8A00A4F411EA80 FEBE3C2661C7A5%26parentRank%3D0%26startIndex%3D1%26contextData%3D%2528sc. Search%2529%26transitionType%3DSearchItem&listSource=Search&listPageSource=832 fb3d614195b43fbcedc1bd9f7d8a8&list=INTERNATIONAL-CASES&rank=6&sessionScop eId=13c4d1ead6e452631e4faba6bbfa2497b5e98800025eba2fc0af24fd82157e3a&ppcid= ea7b2f28e07740f0bcb98b620d08afc2&originationContext=Search%20Result&transition Type=SearchItem&contextData=%28sc.Search%29 (zuletzt abgerufen am 31. 5. 2021, 11.15 Uhr); siehe dazu auch die Besprechung von Sandberg, Cambridge L. J. 79 (2020), 237 ff. 415 Nikah-Ehen sind Eheschließungen, die nach Maßgabe der Scharia vorgenommen werden, vgl. dazu Hanna/Lowes, P.C.B. 2018, 133 ff. 416 Siehe Fn. 414, 1183. 417 Akther v. Khan, Family Court, 31. 7. 2018 [2019] Fam. 247 ff., abrufbar unter: https://1. next.westlaw.com/Link/Document/FullText?findType=g&serNum=2045159092&pubNum=4 729&originatingDoc=I6DB5E9E0957911E8BB18D762CB96881E&refType=UD&originati onContext=document&transitionType=DocumentItem&contextData=(sc.UserEnteredCitati on) (zuletzt abgerufen am 31. 5. 2021, 11.25 Uhr). 418 Ebenda, 247. 414

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D. Rechtsvergleichende Untersuchung

flexibel angewendet werden und somit den gesamten Vorgang und nicht allein die Eheschließungszeremonie berücksichtigen. Dabei sei etwa dem Umstand Rechnung zu tragen, dass das Paar ursprünglich vorgehabt hatte standesamtlich zu heiraten.419 Ebenso müsse der völkerrechtliche Einfluss von Art. 8 EMRK beachtet werden.420 Die Gesamtschau der Umstände ergebe, dass im vorliegenden Fall nicht von einer Nichtehe ausgegangen werden könne. Dieses Konzept solle Situationen vorbehalten bleiben „such as acting or children playing where there has never been an intention to genuinely create a marriage“.421 Der Court of Appeal hob die Entscheidung auf und bekräftige seine Auffassung, wonach es sich vorliegend um eine Nichtehe handele. Dabei sprachen die Richter zunächst grundsätzlich dem Konzept der Nichtehe ihre Anerkennung aus und stellten anschließend fest, dass die Grenzen zwischen wirksamen Ehen und Nichtehen nicht starr bestimmt werden können.422 Dies sei vielmehr als Wertungsfrage anhand des Einzelfalls zu ermitteln. Ein Festlegen konkreter Grenzen wurde auch als wenig erstrebenswert erachtet, da dies Paare dazu anstacheln könnte die Grenzen des Zulässigen auszureizen. Weiter äußerte das Gericht seine Auffassung, wonach weder Art. 8 noch Art. 12 EMRK dazu führten, dass hier von einer wirksamen Ehe ausgegangen werden müsse.423 Art. 12 EMRK sei bereits nicht einschlägig, da dieser allein ein Recht auf Schließung von Ehen enthalte, vorliegend jedoch die Umstände einer Scheidung beziehungsweise Ehenichtigkeit streitig seien.424 Aber auch Art. 8 EMRK sei hier nicht verletzt. Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens würde nicht beeinträchtigt, da das Paar und seine Kinder über viele Jahre ungestört gemeinsam gelebt hätten. Der Umstand, dass der englische Gesetzgeber keine Regelungen für die Rechtsfolgen rein religiöser Eheschließungen bereithalte, begründe keine Verletzung der aus Art. 8 EMRK folgenden Rechtsposition.425 Auch der erstinstanzlichen Argumentation hinsichtlich der lobenswerten Absichten des Paares erteilten die Richter eine Absage. Dabei verwiesen sie darauf, dass die Wirksamkeit einer Ehe aus Gründen der Rechtssicherheit im Zeitpunkt ihrer Eingehung beurteilt werden müsse.426 Es könne nicht von zukünftigen, unter Umständen niemals eintretenden Ereignissen abhängen, ob eine Ehe als wirksam, nichtig oder als Nichtehe anzusehen sei. Die Richter kamen daher zu dem Ergebnis, dass die Ehe, da sie keine der gesetzlichen Anforderungen erfülle, als Nicht-Ehe qualifiziert werden müsse.427 419 420 421 422 423 424 425 426 427

Ebenda, 271 ff. Ebenda, 280 ff. Ebenda, 288. Siehe Fn. 417, Rn. 52 ff. Siehe Fn. 417, Rn. 67 ff. Siehe Fn. 417, Rn. 74 ff. Siehe Fn. 417, Rn. 90 ff. Siehe Fn. 417, Rn. 125. Siehe Fn. 417, Rn. 128.

V. Formelle Aspekte der Eheschließung im englischen Recht

227

Das Urteil, insbesondere die abweichenden Entscheidungen in erster und zweiter Instanz, verdeutlicht die Diskrepanz, der die Richter bei der Beurteilung von Nichtehen ausgesetzt sind. Diese macht eine Abwägung zwischen dem Schutz der Parteien vor einer gänzlich rechtlosen Stellung und den staatlichen Ordnungsinteressen erforderlich. 3. Reformbemühungen Auch aufgrund dieser unbefriedigenden Dreiteilung zwischen wirksamen, nichtigen und Nichtehen wurden immer wieder Forderungen nach einer Reform des englischen formellen Eheschließungsrechts laut. Dies betraf insbesondere das Konzept der Nichtehen.428 Hierzu verwies man darauf, dass dies in der Praxis vor allem die Popularität von Scharia-Gerichten fördere.429 Die Entscheidungen dieser Gerichte werden von staatlicher Seite kritisch beurteilt, da sie häufig zum Nachteil der (finanziell) schwächeren Partei ausfallen.430 Die Reformbemühungen beschränkten sich dabei jedoch ausschließlich auf das englische Sachrecht. Hinsichtlich des kollisionsrechtlichen lex loci-Grundsatzes sprach sich zuletzt die Law Commission in ihrem Working Paper von 1985 ausdrücklich für ein Festhalten hieran aus.431 Die Experten begründeten dies damit, dass der Grundsatz die Rechtssicherheit und die Vorhersehbarkeit von Entscheidungen fördere. Zudem begünstige er den internationalen Entscheidungseinklang. Daneben sei es für die Paare auch bequem, wenn auf die lokalen Formalia abgestellt würde, da diese in der Regel einfacher zu ermitteln seien als ausländisches Recht.432 Während also die Anknüpfung der formellen Aspekte der Eheschließung im IPR wenig Kritik erfahren hat, gilt dies nicht für das Sachrecht in diesem Bereich. So hat die Law Commission bereits 1970 einen ausführlichen Bericht zu Reformfragen im formellen Eheschließungsrecht veröffentlicht.433 Ebenso legte die Regierung im Jahr 2002 ein White Paper zur Novellierung des formellen Eheschließungsrechts vor.434 Darin wurde insbesondere angeregt, weitere Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des Orts und der Zeit der Eheschließung zu schaffen. Im Jahr 2015 veröffentlichte die 428 Mit Reformvorschlägen insbesondere für religiöse Eheschließungen Probert/Saleem, Oxford Journal of Law and Religion 7 (2018), 376, 395. 429 Hanna/Lowes, P.C.B. 2018, 133, 135 f. 430 Probert/Saleem, Oxford Journal of Law and Religion 7 (2018), 376, 400. 431 Working Paper der Law Commission (Law Com. No. 89) [1984], 31. 432 Working Paper der Law Commission (Law Com. No. 89) [1984], 31. 433 Bericht der Law Commission (Law Com No. 33) [1970], abrufbar unter: https://s3-euwest-2.amazonaws.com/lawcom-prod-storage-11jsxou24uy7q/uploads/2016/07/LC.-033-FA MILY-LAW-REPORT-ON-NULLITY-OF-MARRIAGE.pdf (zuletzt abgerufen am 23. 9. 2020, 12.13 Uhr). 434 „Civil Registration: Vital Change“ (2002), 20 f., abrufbar unter: https://assets.publishing. service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/250928/5355.pdf (zuletzt abgerufen am 23. 9. 2020, 12.11 Uhr).

228

D. Rechtsvergleichende Untersuchung

Law Commission erneut ein Scoping Paper, in dem – neben einer ausführlichen Darlegung der aktuellen Rechtslage – auch Kriterien und Maßnahmen benannt wurden, die bei einer Reform des aktuellen Eherechts zu beachten seien.435 4. Vergleich mit der deutschen Rechtslage und Fazit Die lex loci-Anknüpfung für die formellen Aspekte der Eheschließung stellt eine fest etablierte Regel des englischen Kollisionsrechts dar. Da auch das deutsche internationale Eherecht dem locus regit actum-Grundsatz folgt – jedenfalls soweit es Eheschließungen im Inland betrifft –, bietet sich hier in besonderem Maße ein Vergleich beider Kollisionsrechtssysteme an. Dabei fallen neben der augenscheinlichen ersten Gemeinsamkeit durch das Anknüpfungsmoment, bei genauerem Hinsehen vor allem die Unterschiede ins Auge. Vorweggenommen ist dabei selbstverständlich zunächst festzustellen, dass das englische und das deutsche Sachrecht sowohl hinsichtlich ihrer Anforderungen an eine wirksame Eheschließung als auch in Hinblick auf die Rechtsfolgen bei Verletzung der nationalen Vorschriften auseinanderfallen. Unterschiede im Kollisionsrecht beider Länder zeigen sich ferner hinsichtlich der Absolutheit des lex loci-Grundsatzes. Während das deutsche Kollisionsrecht durch Art. 11 Abs. 1 Alt. 1 EGBGB bei Auslandstrauungen eine alternative Anknüpfungsmöglichkeit bietet, hält das englische Recht an der Maßgeblichkeit des Ortsrechts grundsätzlich gleichermaßen bei Eheschließungen im In- wie im Ausland fest.436 Des weiteren wird die Anknüpfung des Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB in Deutschland durch die Ausweichmöglichkeit in Satz 2 durchbrochen. Das englische Kollisionsrecht sieht eine solche Wahlmöglichkeit für ausländische Staatsangehörige nicht vor. Hier sollte jedoch das materielle englische Recht nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Dieses bietet – insbesondere für die Angehörigen von Minderheiten – ein breites Spektrum an möglichen Zeremonien, durch die eine rechtlich wirksame Ehe begründet werden kann. Insbesondere ist es Gläubigen, die nicht der anglikanischen Kirche angehören, gestattet, die Zeremonie nach ihren Vorstellungen und Ermessen zu gestalten, sofern dabei gewisse Formalitäten gewahrt werden.437 Diese Flexibilität des Sachrechts sorgt dafür, dass eine Ergänzung der lex loci-Regel entsprechend Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB nicht zwingend erforderlich erscheint. Weiter unterscheiden sich die beiden Kollisionsrechtsordnungen bei der Qualifikation der formellen Aspekte der Eheschließung. Während das deutsche Recht hier 435

Scoping Paper der Law Commission (2015), dort insb. 68 ff. Zu beachten ist jedoch, dass es im englischen Recht einige Ausnahmeregelungen für Auslandstrauungen gibt, vgl. dazu Dicey/Morris/Collins, Conflict of Laws, Vol. 2, Rn. 17022 ff. 437 So etwa das Ablegen der Eheschwüre oder die Registrierung der Ehe. 436

V. Formelle Aspekte der Eheschließung im englischen Recht

229

eine funktionale Vorgehensweise anstrebt, stellt sich in England die Frage, ob der betreffende Gesichtspunkt aus Sicht des englischen Rechts dem formellen Eheschließungsrecht angehört. Diese Unterschiede hinsichtlich einzelner Fragen täuschen dabei jedoch nicht darüber hinweg, dass beide Rechtsordnungen auch erhebliche Ähnlichkeiten erkennen lassen. So ist auf sachrechtlicher Ebene darauf hinzuweisen, dass sowohl das deutsche als auch das englische Eherecht ein differenziertes Rechtsfolgensystem bei Verstößen gegen die formellen und materiellen Voraussetzungen der Eheschließung aufweisen. Auffällig ist hier auch die Ähnlichkeit der Witwenrenten-Rechtsprechung des BVerfG und des englischen Urteils zu Chief Adjudication Officer v. Bath. Den Entscheidungen ist zu entnehmen, dass es sowohl das englische als auch das deutsche Recht in Einzelfällen für erforderlich erachten von dem obligatorischen Charakter der Formerfordernisse zugunsten des Vertrauensschutzes und der individuellen Gerechtigkeit abzuweichen. Auch im kollisionsrechtlichen Kontext ist festzustellen, dass beide Rechtsordnungen aus ähnlichen Gründen am locus regit actum-Grundsatz festhalten. Beide Länder versprechen sich hiervon Rechtssicherheit sowie Rechtsklarheit zugunsten der Parteien. Ebenso wird sowohl in England als auch in Deutschland davon ausgegangen, dass, aufgrund der universellen Anerkennung der lex loci-Anknüpfung, diese zur Förderung des internationalen Entscheidungseinklangs beiträgt. Daneben wird für das deutsche Recht betont, dass Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB der Aufrechterhaltung staatlicher Ordnungsinteressen sowie der Durchsetzung der Trennung von Staat und Kirche dient. Aufgrund dessen wird die Norm als besonderer ordre public-Vorbehalt qualifiziert. Eine solche ausdrückliche systematische Einordnung der lex loci-Regel ist für das englische Recht zwar bislang nicht erfolgt. Die Law Commission betonte in ihrem Workingpaper von 1985 jedoch, dass „the rule protects the public interests of the country most significantly connected with the question of formalities – the country of celebration – […]“. Der Schutz hoheitlicher Interessen sowie die „most significantly connect[ion]“ stellen aus Sicht der deutschen Systematik ordre public-Charakteristika dar. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass der lex loci-Grundsatz im englischen Recht jedenfalls auch der Durchsetzung inländischer wesentlicher Rechtsgrundsätze dient.

E. Auswertung der Untersuchung Der deutsche Gesetzgeber hat sich im Internationalen Eheschließungsrecht dazu entschieden, drei Fallgruppen als besondere ordre public-Vorbehalte auszugestalten. Die Entstehung einer vierten Vorbehaltsklausel wird mit Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E angestrebt. Wie anfangs bereits dargelegt,1 ist besonderen ordre public-Vorbehalten stets eine politische Wertentscheidung immanent. Die Normen bringen zum Ausdruck, dass die nationalen Belange gegenüber denen der ursprünglich berufenen Rechtsordnung, der beteiligten Privaten sowie des Kollisionsrechts als vorrangig erachtet werden. Nicht zuletzt wegen dieser Abwertung internationaler, nationaler sowie privater Interessen wurde die Rechtsfigur der besonderen ordre public-Vorbehalte bereits mehrfach grundsätzlich in Frage gestellt. Dies betraf insbesondere das Internationale Eheschließungsrecht. Wegen der besonderen sozialen und kulturellen Sensibilität dieses Rechtsgebietes wird die Berechtigung pauschaler Regelungen hier in besonderem Maße angezweifelt.2 Zugleich ist jedoch auch der Wunsch nach der Durchsetzung staatlicher Schutz- und Regelungsinteressen in diesem Bereich besonders groß. Dies erfolgt nicht allein zugunsten des hoheitlichen Regelungsbedürfnisses, sondern stellt daneben auch den Grundrechtsschutz der Bürger sicher. Es wird also deutlich, dass es im Internationalen Eheschließungsrecht zu einer Interessenkollision kommt. In dem letzten Abschnitt dieser Untersuchung soll versucht werden, diese Konfliktlage auf ein nötiges Mindestmaß zu reduzieren. Dies erfolgt, indem die einzelnen besonderen Vorbehaltsklauseln auf ihre Berechtigung im deutschen IPR überprüft werden. Da es bei der Durchsetzung staatlicher Interessen durch besondere ordre publicVorbehalte regelmäßig zu Grundrechtseingriffen kommt, sind diese rechtfertigungsbedürftig. Es ist somit in einem ersten Schritt für jede Vorbehaltsklausel zu untersuchen, ob diese durch hinreichend gewichtige nationale Belange legitimiert wird. Dabei soll sich hier nicht allein auf eine Grundrechtsprüfung beschränkt werden. Vielmehr ist auch die Vereinbarkeit mit Normen des Völker- und Unionsrechts zu untersuchen. Wegen der besonderen kulturellen Relevanz des Eherechts soll zudem überprüft werden, inwiefern die Vorbehaltsklauseln Raum für die Beachtung individueller kultureller Belange lassen.3 1

Vgl. dazu unter B.I.2.b). Vgl. dazu unter C. 3 Auf diese Relevanz verweist auch von Hein, in: Juristische Studiengesellschaft Jahresband 2018, 29, 33. 2

I. Art. 13 Abs. 2 EGBGB

231

Weiter sind auch die widerstreitenden kollisionsrechtlichen Interessen zu beachten. Die jeweilige Vorbehaltsklausel soll daher in einem zweiten Schritt an den wesentlichen Grundsätzen des IPR gemessen werden. Dabei ergibt sich schon denklogisch, dass nicht jedes der hier benannten Kriterien gleichermaßen Einfluss auf die abschließende Beurteilung der Norm haben kann. Während ein Verstoß gegen höherrangiges Recht zwingend zur Rechtswidrigkeit der Vorbehaltsklausel führt, gilt dies nicht gleichermaßen für einen Verstoß gegen kollisionsrechtliche Prinzipien. Letzterer kann durch gegenläufige staatliche Interessen gerechtfertigt sein, sofern diese hinreichend stark sind. Da es sich bei der Intensität staatlicher Interessen um ein abstraktes, nur schwer messbares Kriterium handelt, bietet es sich an, eine weitere Rechtsordnung als Vergleichsmaßstab heranzuziehen. Sollte ein ausländischer Gesetzgeber gleichermaßen in der jeweiligen Fallgruppe seine nationalen Interessen vorrangig durchsetzen, spricht dies für eine besondere Relevanz der Fälle für das nationale Recht. Hierzu werden im dritten und letzten Schritt die Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung nutzbar gemacht.

I. Art. 13 Abs. 2 EGBGB Zunächst soll, entsprechend der Reihenfolge der vorherigen Prüfung, Art. 13 Abs. 2 EGBGB auf seine Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht sowie auf die Beachtung kultureller Interessen überprüft werden. 1. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht a) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht Art. 13 Abs. 2 EGBGB erscheint auf den ersten Blick als Norm, die Grundrechte nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern diese sogar fördert. So ermöglicht die Klausel in einigen Fällen Eheschließungen, die eigentlich nach dem nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufenen Recht nicht zustande kommen könnten. Der Eindruck der Grundrechtsfreundlichkeit verschwimmt jedoch, setzt man sich mit dem Tatbestandsmerkmal der „Unvereinbarkeit mit der Eheschließungsfreiheit“ (Art. 13 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB) auseinander. Hier kann man sogar an der Verfassungsmäßigkeit der Klausel zweifeln. Maßgeblich ist dabei die Lesart dieses Tatbestandsmerkmals: Ein konkret-einzelfallbezogenes Verständnis dessen würde bedeuten, dass abhängig von den Umständen des Einzelfalls zu ermitteln ist, ob eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG vorliegt. Es wäre also der Schutzbereich des Ehegrundrechts unter Berücksichtigung des Auslandsbezugs festzustellen. Sofern das ausländische Eheschließungsverbot einen Eingriff darstellt, wäre eine Rechtfertigung dessen zu prüfen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle wäre auch zu berücksichtigen,

232

E. Auswertung der Untersuchung

ob das Ehehindernis im Heimatstaat hätte beseitigt werden können. Im Anschluss stünde also fest, ob die Verlobten in dem streitgegenständlichen Fall durch die Anwendung des konkreten ausländischen Ehehindernisses in ihrer verfassungsrechtlich geschützten Eheschließungsfreiheit verletzt wären. Dieses Verständnis der Norm würde, wollte man neben der Voraussetzung des Art. 13 Abs. 2 Nr. 3 noch die Tatbestandsmerkmale der Nr. 1 und Nr. 2 berücksichtigen, zur Verfassungswidrigkeit der Norm führen. Das ergibt sich daraus, dass es nach dieser Lesart dazu kommen könnte, dass ein deutsches Gericht feststellt, dass in der konkreten Fallgestaltung die Eheschließungsfreiheit der Verlobten durch die Anwendung des ausländischen Rechts verletzt wird. Wenn zugleich jedoch das erste oder zweite Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt wäre, käme Art. 13 Abs. 2 EGBGB nicht zur Anwendung. Das Gericht müsste dann solches ausländisches Recht anwenden, dessen Grundrechtswidrigkeit es zuvor festgestellt hat. Dies würde eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Bindung aller Staatsgewalten an das Grundgesetz darstellen (Art. 1 Abs. 3 GG). Zwar ließe sich mit dem in diesen Fällen offenkundig – wegen der Nichterfüllung der Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB – geringen Inlandsbezug argumentieren. Ebenso könnte auf das Beseitigungserfordernis der Nr. 2 verwiesen werden. Dies wäre hier jedoch redundant, da diese Aspekte schon bei der Ermittlung der Grundrechtsverletzung im Rahmen der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Nr. 3 Berücksichtigung gefunden hätten. Zusätzlich ist dieses Verständnis deshalb problematisch, da hier einfaches Recht die Anwendbarkeit von Verfassungsrecht einschränken würde. Der Wortlaut von Art. 13 Abs. 2 EGBGB lässt jedoch noch ein weiteres Verständnis des dritten Tatbestandsmerkmals zu. So könnte der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG abstrakt – unter Berücksichtigung der grenzüberschreitenden Fallgestaltungen – zu bestimmen sein. Es wäre also zu fragen, ob das in Rede stehende Ehehindernis generell mit der Eheschließungsfreiheit vereinbar ist. Sollte dies grundsätzlich nicht der Fall sein, wäre zu prüfen, ob der von Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Schutz im konkret zu prüfenden Fall Wirkung entfaltet. Dabei wären die Tatbestandsmerkmale der Nr. 1 und Nr. 2 mit einzubeziehen. Bei diesem Verständnis stünde nicht das Verdikt der Verfassungswidrigkeit im Raum, da grundsätzlich auch für ordre public-Verstöße aufgrund von Grundrechtsverletzungen das Erfordernis des hinreichenden Inlandsbezugs anerkannt ist. Die Gesetzesmaterialien enthalten keine Hinweise darauf, welches Verständnis des Art. 13 Abs. 2 EGBGB maßgeblich sein soll. Ein Anhaltspunkt folgt jedoch daraus, dass der Gesetzgeber sich bei der Normierung ausdrücklich an der Rechtsprechung des BVerfG zum Spanier-Beschluss orientiert hat. Folglich sollte auch das überkommene Verhältnis von Verfassungsund Kollisionsrecht übernommen werden. Zusätzlich kann der zu Art. 13 Abs. 2 EGBGB ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Tendenz hinsichtlich der abstrakten Verständnisweise der Norm entnommen werden. So führt das BVerwG zum Ehehindernis der Schwägerschaft eher allgemein gehalten aus, dass dieses Art. 6 Abs. 1 GG nicht verletze, da „die mit dem Ehehindernis der direkten Schwägerschaft verbundene Einschränkung der Eheschließungsfreiheit nach wie vor

I. Art. 13 Abs. 2 EGBGB

233

im Hinblick auf ihren Normzweck, Streitigkeiten in Familien zu verhindern, die durch konsekutive Eheschließungen Verschwägerter innerhalb der (Kern-)Familie entstehen können, als verhältnismäßig anzusehen“ ist.4 Die Begründung nimmt mithin keinen Bezug auf die konkreten Umstände des Einzelfalls. Vielmehr werden abstrakt-generell Erwägungen zu der Vereinbarkeit dieses Ehehindernisses mit Art. 6 Abs. 1 GG angestellt. Diese Umstände sprechen dafür, dass der Gesetzgeber Art. 13 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB abstrakt verstanden wissen wollte. Die Norm kann daher insgesamt als verfassungsmäßig beurteilt werden. b) Vereinbarkeit mit Völker- und Unionsrecht In völker- und unionsrechtlicher Hinsicht bestehen keine Bedenken gegen Art. 13 Abs. 2 EGBGB. Dies beruht auf der Überlegung, dass die Vorbehaltsklausel zu einer Erweiterung und nicht zu einer Einschränkung des Rechtskreises der Normadressaten führt. c) Kulturelle Identität Bei der Untersuchung der Normen auf ihre Verträglichkeit mit dem Konzept der individuellen kulturellen Identität ist sich zunächst darüber klar zu werden, wie sich dieses Rechtsinstitut auf gesetzgeberische Entscheidungen auswirkt. Hierzu werden verschiedene Ansichten vertreten:5 Folgt man Jaymes Auffassung, wonach ein subjektives Recht auf Achtung und Wahrung der eigenen kulturellen Identität existiert, wäre dies bereits bei der Prüfung auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu berücksichtigen. Ein Verstoß gegen dieses Recht würde zwingend zur Rechtswidrigkeit des ordre public-Vorbehalts führen. Zu einem anderen Ergebnis käme man dann, wenn man Mansels Verständnis für richtig erachtet. Dieser beschreibt die kulturelle Identität als „Abwägungstopos“. Für diese Auffassung spricht, dass die von Jayme bemühten Rechtsgrundlagen (Art. 8 EMRK, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 4 GG, UN-KRK, Art. 5 Abs. 1 Framework Convention of the Council of Europe for the Protection of National Minorities) bislang allein als Rechte zum Schutz kultureller Minderheiten und gesellschaftlicher Randgruppen anerkannt sind.6 Ein allgemeines Recht auf Achtung der individuellen kulturellen Identität konnte daraus bislang aber noch nicht abgeleitet werden. Auch wären die Anforderungen und Grenzen eines solches individuellen Rechts gänzlich unklar. Aus diesen Gründen wird die kulturelle Identität hier in Anschluss an Mansel als Abwägungstopos behandelt. Mansel versteht diesen im Kontext mit der Gesetzgebung derart, als dass der Gesetzgeber dadurch zur Achtung und Wahrung der kulturellen Identität von Individuen bei der Rechtsetzung verpflichtet wird. 4 5 6

BVerwG, Urt. v. 19. 7. 2012 – 10 C 2/12 = FamRZ 2012, 1802. Siehe dazu unter B.III.1.b). Vgl. dazu auch von Hein, in: Juristische Studiengesellschaft Jahresband 2018, 29, 43 ff.

234

E. Auswertung der Untersuchung

Bei Art. 13 Abs. 2 EGBGB bestehen allenfalls geringe Bedenken zur Frage der individuellen kulturellen Identität. Dies ist damit zu begründen, dass die Norm sich grundsätzlich begünstigend für die Verlobten auswirkt. Höchstens das Erfordernis der „zumutbaren Schritte“ ist geeignet, kulturelle Bedürfnisse zu beeinträchtigen. Dies gilt etwa für den Fall, dass das ausländische Recht bestimmte Handlungen für die Eheschließung voraussetzt, die vom deutschen Recht als zumutbar erachtet, von den Parteien jedoch als entgegen ihrer kulturellen Bedürfnisse stehend beurteilt werden. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Prüfung der Zumutbarkeit eine Wertungsentscheidung darstellt. Diese bietet daher Raum für die Achtung kultureller Bedürfnisse. Art. 13 Abs. 2 EGBGB bietet somit unter dem Aspekt der kulturellen Identität keinen Anlass zur Kritik. 2. Vereinbarkeit mit Grundsätzen des Kollisionsrechts Weiter ist Art. 13 Abs. 2 EGBGB auf seine Vereinbarkeit mit allgemeinen international-privatrechtlichen Grundsätzen zu überprüfen. Dabei ist festzustellen, dass Art. 13 Abs. 2 EGBGB den internationalen Entscheidungseinklang beeinträchtigt. Dies folgt daraus, dass die Norm den originären Rechtsanwendungsbefehl des Art. 13 Abs. 1 EGBGB durchbricht und bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen deutsches Recht zur Anwendung bringt. Hierdurch wird zugleich der Grundsatz der Achtung fremder Rechtsordnungen beeinträchtigt. Daneben ist die mit Art. 13 Abs. 2 EGBGB getroffene Regelung auch geeignet hinkende Statusverhältnisse zu schaffen. 3. Auswertung der rechtsvergleichenden Untersuchung Der Vergleich von Art. 13 Abs. 2 EGBGB mit dem englischen Recht zeigt zunächst, dass letztere keine einheitliche Regelung hinsichtlich aller ausländischen Ehehindernisse vorsieht. Die Scheidungsfeindlichkeit ausländischen Rechts und sonstige Ehehindernisse werden daher getrennt dargestellt. a) Scheidungsfeindliches ausländisches Recht Den Umgang mit scheidungsfeindlichem ausländischem Recht regelt Sec. 50 Family Law Act 1986. Die Nicht-Anerkennung einer Scheidung durch die zur Anwendung berufene ausländische Rechtsordnung steht danach der Eingehung einer Ehe im Vereinigten Königreich nicht entgegen, wenn das Scheidungsurteil im Inland ausgesprochen oder anerkannt wurde. Sec. 50 weist dabei inhaltlich nur geringe Ähnlichkeiten mit Art. 13 Abs. 2 EGBGB auf, indem weder das Ergreifen zumutbarer Schritte noch eine weitergehende Inlandsbeziehung verlangt werden. Auch in dogmatischer Hinsicht weicht das englische Recht vom deutschen Lösungsansatz ab, indem es die Vorfrage der Scheidung selbstständig anknüpft. Da das BVerfG auf

I. Art. 13 Abs. 2 EGBGB

235

diese Möglichkeit jedoch ebenfalls hingewiesen hatte,7 indizieren diese dogmatischen Abweichungen nicht zwingend Unterschiede für die hinter den Normen stehenden staatlichen Interessen. Relevanter ist in dieser Hinsicht, dass die Schaffung von Sec. 50 Family Law Act vor allem der nationalen Umsetzung des Haager Übereinkommens dient. Der Wunsch dieser Pflicht gerecht zu werden, stellt zwar eine intrinsische nationale Motivation dar. Diese ist jedoch von der Motivation zur Durchsetzung eigener staatlicher Rechts- und Gerechtigkeitsauffassungen zu unterscheiden. Dass vor der Unterzeichnung des Haager Übereinkommens die Scheidungsfeindlichkeit ausländischer Rechtsordnungen hingenommen wurde, spricht eher dagegen, dass der englische Gesetzgeber durch Sec. 50 eigene, vom internationalen Abkommen losgelöste Interessen durchzusetzen anstrebte. Somit gelangt man zu dem Ergebnis, dass, obwohl Art. 13 Abs. 2 EGBGB und Sec. 50 Family Law Act 1986 sich äußerlich jedenfalls partiell ähneln, die dahinterstehenden gesetzgeberischen Interessen erheblich divergieren. Sec. 50 indiziert somit keine besondere Schutzwürdigkeit staatlicher Interessen. b) Sonstige ausländische Ehehindernisse Der Durchsetzung sonstiger ausländischer Ehehindernisse kann im englischen Recht die Sottomayor v. de Barros (No. 2)-Regel entgegentreten.8 Diese greift ein, wenn (1.) die Ehe in England geschlossen werden soll, (2.) einer der Eheschließenden ein englisches domicile hat und (3.) das englische Recht selbst kein entsprechendes Ehehindernis beinhaltet. Dabei zeigen sich bereits im Tatbestand wesentliche Ähnlichkeiten zu Art. 13 Abs. 2 EGBGB.9 Hinzu kommt, dass vielfach vertreten wird, dass es sich bei Sottomayor v. de Barros (No. 2) um eine besondere Ausprägung des ordre public handele.10 Zur Begründung wird vor allem die in der Entscheidung zitierte Rechtsprechung herangeführt. Ausdrücklichen Anklang fand dies im Urteil zwar nicht. Hierzu muss jedoch berücksichtigt werden, dass ausdrückliche Urteilsbegründungen unter Verweis auf die public policy im englischen Recht generell eher selten sind.11 Unabhängig von der Qualifikation als public policy-Regel, indiziert bereits das Bestehen konkreter Regeln zu unbekannten ausländischen Ehehindernissen die besondere Schutzwürdigkeit staatlicher Interessen in diesen Fällen. Dieser Indizcharakter wird durch die Parallelen bei der tatbestandlichen Ausgestaltung noch verstärkt.

7

Vgl. dazu unter C.I.1.b). Vgl. dazu unter D.II.2. 9 Vgl. dazu unter D.II.2.d). 10 Vgl. dazu unter D.II.2.b). 11 Kahn-Freund, Selected Writings, 239 f. 8

236

E. Auswertung der Untersuchung

4. Abschließende Bewertung und Änderungsvorschlag Art. 13 Abs. 2 EGBGB erscheint, obwohl die Norm noch keine vierzig Jahre alt ist, wie ein Relikt aus früherer Zeit. Durch den Wegfall ihres Hauptanwendungsfalls hat die Bestimmung in der Praxis beinah jegliche Bedeutung eingebüßt und dient somit eher als Mahnmal für die Grundsätze des Spanier-Beschlusses, denn als Regelungsinstrument im aktuellen Rechtsverkehr. Positiv ist hervorzuheben, dass die Vorbehaltsklausel sich, obgleich ihrer nationalen Ausrichtung, wenig störend auf das Kollisionsrecht auswirkt. Dies liegt einerseits an ihrer geringen praktischen Relevanz, andererseits aber auch an ihrer restriktiven Ausgestaltung. Durch das Erfordernis der zumutbaren Schritte, des Inlandsbezugs in Form des gewöhnlichen Aufenthalts, des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 GG sowie dadurch, dass deutsches Recht nur insoweit zur Anwendung berufen wird, beeinträchtigt Art. 13 Abs. 2 EGBGB auch bei tatbestandlicher Einschlägigkeit nur in engen Grenzen den ursprünglichen Rechtsanwendungsbefehl. Auch schränkt die Norm die kulturelle Identität der Normadressaten kaum ein. Ob sie diese, indem sie die Eheschließung ermöglicht, sogar fördert, soll hier offengelassen werden. Entgegenhalten lässt sich Art. 13 Abs. 2 EGBGB sicherlich, dass dessen Schaffung nicht zwingend erforderlich war. Mit der Aufhebung des spanischen und des italienischen Scheidungsverbots ist eine bis dato relevante Fallgruppe bereits vor Inkrafttreten der Norm entfallen. Zudem schienen jedenfalls die Gerichte sich zum Zeitpunkt der Schaffung der Vorbehaltsklausel bereits einheitlich auf eine Lösung der Fälle anhand von Art. 6 EGBGB beziehungsweise Art. 30 EGBGB a. F. verständigt zu haben. Die Beachtung der Grundrechte im IPR wurde zudem durch die ausdrückliche Erwähnung im neu eingeführten Art. 6 S. 2 EGBGB sichergestellt. Störend wirkt sich zudem – wenn auch mittlerweile beinah ausschließlich auf akademischer Ebene – das ungeklärte Verhältnis zwischen der besonderen und der allgemeinen Vorbehaltsklausel aus. Abschließend soll hier auf zwei Aspekte hingewiesen werden, die für die Aufrechterhaltung von Art. 13 Abs. 2 EGBGB sprechen: Zunächst betrifft dies die Ähnlichkeit mit der Sottomayor v. de Barros (No. 2)-Regel im englischen Recht. Diese liefert ein starkes Indiz dafür, dass das gesetzgeberische Interesse, inländische Bürger vor den Auswirkungen unbekannter ausländischer Ehehindernisse zu schützen, von besonderem Gewicht ist. Des weiteren wurde bereits festgestellt, dass sich die Norm kaum störend auswirkt, da der deutsche Gesetzgeber bei ihrer Ausgestaltung erhebliche Zurückhaltung gezeigt hat. Da die Norm andererseits für die Betroffenen erhebliche individuelle Auswirkungen haben kann, indem sie ihnen eine zuvor rechtlich nicht zulässige Eheschließung ermöglicht, überwiegen hier, auch in Anbetracht der Bedeutung des Art. 6 Abs. 1 GG, die Vorteile für die Aufrechterhaltung der Norm. Wie an anderer Stelle bereits erwähnt,12 wird jedoch vorgeschlagen, die Norm in Hinblick auf das Verhältnis zur allgemeinen Vorbehaltsklausel zu überarbeiten. Der 12

Vgl. dazu unter C.I.3.

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

237

novellierte Gesetzeswortlaut sollte klarstellen, dass Art. 6 EGBGB auch bei den von Art. 13 Abs. 2 EGBGB erfassten Sachverhalten vollumfänglich zur Anwendung gelangt. Dies gilt dann, wenn die Anwendung der allgemeinen Vorbehaltsklausel aufgrund der Intensität der Rechtsverletzung oder zum Schutz der Eheschließungsfreiheit der Betroffenen erforderlich ist. Es wird daher vorgeschlagen, Art. 13 Abs. 2 EGBGB um einen zweiten Satz zu ergänzen. Dieser sollte lauten: „Art. 6 EGBGB bleibt davon unberührt.“

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB Bei der abschließenden Untersuchung von Art. 13 Abs. 3 EGBGB werden wegen der verschiedenen tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgenanordnungen die Unwirksamkeits- und die Aufhebungslösung getrennt beurteilt. 1. Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB a) Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht aa) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht (1) Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 GG Art. 6 Abs. 1 GG stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Der verfassungsrechtliche Ehebegriff kann dabei nicht ohne weiteres mit dem einfachgesetzlichen Begriffsverständnis gleichgesetzt werden. Zwar handelt es sich bei Art. 6 Abs. 1 GG um ein ausgestaltungsbedürftiges Grundrecht, so dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, durch einfachgesetzliche Regelungen den Schutzbereich der Norm auszugestalten.13 Wegen des Vorrangs des Gesetzes ist es der entsprechenden einfachgesetzlichen Ausprägungen jedoch nicht möglich, den Schutzbereich der Verfassungsnorm zu begrenzen.14 Die Klärung des grundrechtlichen Ehebegriffs obliegt damit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Diese knüpft an die Erfüllung so genannter Strukturprinzipien an und beschreibt die Ehe als „das auf Dauer angelegte Zusammensein eines Mannes und einer Frau in einer umfassenden grundsätzlich unauflösbaren Lebensgemeinschaft mit einer formalisierten, auf gegenseitigem Konsens beruhenden Eheschließung“.15 Hinsichtlich des persönlichen Schutzbereichs von Art. 6 Abs. 1 GG gilt somit, dass sich jeder auf das Grundrecht berufen kann, der eine Ehe entsprechend der eben genannten Definition führt oder zu führen beabsichtigt. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Ehe 13

Brosius-Gersdorf, in: Dreier Kommentar zum Grundgesetz, Band I, Art. 6 GG, Rn. 49. Henrich, FS Lerche, 239, 245. 15 BVerfG, Beschl. v. 14. 11. 1973 – 1 BvR 719/69 = BVerfGE 36, 146, 165; BVerfG, Urt. v. 28. 2. 1980 – 1 BvL 136/78 = BVerfGE 53, 224, 245; BVerfG, Beschl. v. 2. 2. 1993 – 2 BvR 1491/ 91 = NJW 1993, 3316, 3317. 14

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E. Auswertung der Untersuchung

in Deutschland oder zwischen Deutschen geschlossen wird. Der Charakter des Art. 6 Abs. 1 GG als Jedermann-Grundrecht verdeutlicht, dass auch ausländische Partnerschaften in dessen Anwendungsbereich fallen, sofern diese mit den oben genannten Ehebegriff übereinstimmen.16 In sachlicher Hinsicht erstreckt sich der Schutz des Ehegrundrechts auf drei verschiedene Funktionen: Zunächst ist Art. 6 Abs. 1 GG eine wertentscheidende Grundsatznorm zugunsten des Schutzes von Ehe und Familie im deutschen Recht. Zudem sichert die Norm als Institutsgarantie den Bestand der Ehe. Zuletzt gewährleistet sie Ehepaaren als klassisches Abwehrrecht Schutz gegenüber staatlichen Eingriffen. In Hinblick auf den hier zu untersuchenden ordre public-Vorbehalt des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB erscheint vor allem die Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 GG in seiner Funktion als Institutsgarantie und als Abwehrrecht fraglich. Eine Beeinträchtigung der wertentscheidenden Grundsatznorm ist demgegenüber fernliegend. Dies ist damit zu begründen, dass das Grundrecht in dieser Funktion sowohl ein Benachteiligungsverbot als auch ein Förderungsgebot für den Staat hinsichtlich Ehe und Familie enthält. Zudem verpflichtet es staatliche Hoheitsträger zum Schutz dieser Rechtsgüter vor Eingriffen Dritter.17 Die Norm fungiert dabei jedoch in praktischer Hinsicht hauptsächlich als Untermaßverbot.18 Zudem gewährt sie dem Gesetzgeber einen erheblichen Gestaltungsspielraum bei der Erfüllung dieser Schutzpflicht.19 Im Rahmen dessen ist es ihm gestattet, bestimmte Formen der Ehe in Deutschland anzuerkennen, solange damit keine generelle Schlechterstellung der Ehe gegenüber anderen Lebensgemeinschaften einhergeht. Die aus Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB folgende Nicht-Anerkennung ausländischer Kinderehen kann daher als zulässiges gesetzgeberisches Handeln im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums angesehen werden. Die aus Art. 6 Abs. 1 GG hervorgehende Institutsgarantie dient dazu, den Bestand und die wesentlichen Strukturen der Ehe in der deutschen Rechtsordnung zu sichern. Dem einfachen Gesetzgeber wird es durch die Institutsgarantie untersagt, das Institut der Ehe gänzlich abzuschaffen oder wesensmäßig zu verändern.20 Zugleich bindet ihn die Institutsgarantie bei der einfachrechtlichen Ausgestaltung an die verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien. Im Umkehrschluss folgt daraus jedoch gleichermaßen, dass der Gesetzgeber, solange er im Einklang mit diesen Prinzipien handelt, frei bei der Ausgestaltung des materiellen Eherechts ist. Er ist mithin nicht verpflichtet, bestimmte über die verfassungskonformen Regelungen des BGB hinausgehende Formen der Ehe zu ermöglichen.21 In Anbetracht dessen kann festgestellt 16 17 18 19 20 21

Umbach, in: Umbach/Clemens, Art. 6 GG, Rn. 39. Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6 GG, Rn. 67. Uhle, in: BeckOK GG, Art. 6, Rn. 35. Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6 GG, Rn. 35. Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6 GG, Rn. 69. Coester-Waltjen, FS Henrich, 91, 95; dies., von Münch/Kunig, Art. 6 GG, Rn. 12.

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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werden, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB keine Verletzung der Institutsgarantie darstellt.22 Dem Gesetzgeber steht es frei, sich im Rahmen seines Gestaltungsspielraums gegen die Anerkennung bestimmter Eheformen auszusprechen und das einfache Recht dementsprechend zu gestalten. Ein Abwehrrecht ausländischer Paare gegen solche Reformen besteht jedenfalls dann nicht, wenn der Gesetzgeber das Institut der Ehe in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien prinzipiell weiter aufrechterhält.23 Weiter ist eine Verletzung der abwehrrechtlichen Funktion von Art. 6 Abs. 1 GG zu überprüfen. Der BGH ging in seinem Vorlagebeschluss von einer Beeinträchtigung dieser aus. Dies begründete das Gericht damit, dass die Unwirksamkeitsregelung ohne sachlichen Grund in den Kernbereich des Ehegrundrechts eingreife, indem „den Ehegatten die Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse nach ihren Vorstellungen verweigert“ werde.24 Diese Annahme soll hier überprüft werden. (a) Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG (aa) Persönlicher Schutzbereich Der persönliche Schutzbereich des Ehegrundrechts erstreckt sich auf alle Mitglieder einer ehelichen Gemeinschaft beziehungsweise Personen, die diese einzugehen beabsichtigen.25 Dabei stellt sich die vom BGH übersehene Frage,26 ob die von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB erfassten Kinderehen überhaupt vom Schutzbereich des Grundrechts erfasst werden. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie die verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien erfüllen. Dies scheint insbesondere bezüglich des Strukturprinzips des gemeinsamen Konsenses bei der Eheschließung fraglich. Dieses setzt einen „freien und übereinstimmenden Entschluss zur Eingehung der Ehe auf Basis gleichberechtigter Entscheidungsteilhabe“ voraus.27 Wegen der gegenüber Volljährigen eingeschränkten Einsichts- und Reflexionsfähigkeit Minderjähriger ist jedenfalls anzuzweifeln, ob diese die Entscheidung für die Eingehung einer Ehe tatsächlich frei und gegenüber einem – unter Umständen volljährigen – Ehepartner gleichberechtigt treffen können. Dabei ist vorab festzustellen, dass sich die Frage nach dem verfassungsrechtlichen Schutz grundsätzlich dann nicht stellt, wenn Minderjährige durch ihre Eltern, Verwandtschaft oder den künftigen Ehepartner zur Eheschließung gezwungen wurden. Diese Fälle der Zwangsehen verletzen die Rechte der Minderjährigen und sind daher

22

So auch Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 46. Kloepfer, Verfassungsrecht, Band II, § 67, Rn. 40 ff. 24 BGH, Beschl. v. 14. 11. 2018 – XII ZB 292/16, Rn. 70; vgl. auch Siede, in: Palandt, Einf. v. § 1313 BGB, Rn. 2, der von einer „Sanktionskeule“ des Gesetzgebers spricht. 25 Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6 GG, Rn. 74. 26 Dazu auch Rixen, JZ 2019, 628, 629. 27 Zu dieser Fragestellung auch eingehend Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 45 ff. 23

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E. Auswertung der Untersuchung

per se nicht schützenswert.28 An dieser Stelle ist es daher erforderlich, sich mit der Frage zu befassen, ab wann Minderjährige, die sich ohne äußeren Zwang zur Eingehung einer Ehe entscheiden, die sich hieraus ergebenden Folgen überblicken können, so dass ihre Entscheidung als „frei und gleichberechtigt“ angesehen werden kann. Diese Aspekte werden allgemein unter den Begriff der Grundrechtsmündigkeit subsumiert. Diese gilt es mithin für Art. 6 Abs. 1 GG festzustellen.29 Hierzu muss zunächst wieder auf die Struktur von Art. 6 Abs. 1 GG als ausgestaltungsbedürftiges Grundrecht verwiesen werden. Das Erfordernis der einfachrechtlichen Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Schutzbereichs erfasst dabei auch Regelungen zum Ehemindestalter. Solche dienen dazu, das Vorliegen eines Ehekonsenses sicherzustellen. Folglich bedarf die Frage nach einem zulässigen Ehemindestalter dann keiner weiteren Diskussion, wenn deutsches Sachrecht zur Anwendung kommt. Der Gesetzgeber hat die Ehemündigkeit hier durch § 1303 BGB einfachrechtlich konkretisiert.30 Ähnlich ist die Frage nach dem verfassungsrechtlichen Schutz zu behandeln, wenn zwei Personen mit ausländischem Eheschließungsstatut im Inland heiraten wollen. Durch § 1310 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 BGB i. V. m. Art. 13 Abs. 3 EGBGB hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass in Deutschland gelebten Beziehungen nur dann die Eheschließung eröffnet ist, wenn beide Partner mindestens 18 Jahre alt sind. Auch dies kann als Ausdruck des staatlichen Ausgestaltungsauftrags angesehen werden. Zwar ließe sich kritisieren, dass der Gesetzgeber durch die pauschale Anpassung der kollisionsrechtlichen an die nationale Rechtslage den Auslandsbezug der Fragestellung vernachlässigt habe. In diesem Zusammenhang muss aber auf den Gestaltungsspielraum hingewiesen werden, der dem Gesetzgeber bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung von Grundrechten zusteht. Weiter offen ist jedoch die Frage nach der Ehemündigkeit bei der Anerkennung von im Ausland geschlossenen Kinderehen. Diesbezüglich ist zunächst festzustellen, dass nicht zwingend von dem Erreichen der Ehemündigkeit nach dem Heimatrecht auf die Erfüllung des verfassungsrechtlichen Konsensprinzips geschlossen werden kann. Dies ergibt sich daraus, dass allein der deutsche Gesetzgeber zur Ausgestaltung von Grundrechten berufen ist. Da dieser jedoch keine ausdrückliche Regelung zu der Frage getroffen hat, ist die Ehemündigkeit ausländischer Staatsangehöriger unmittelbar aus dem Grundgesetz zu ermitteln. Dabei sind die körperliche und geistige Reife maßgeblich. Dabei wäre zunächst denkbar, auch bei ausländischen Staatsangehörigen erst ab Vollendung des 18. Lebensjahrs von der Erfüllung des Konsensprinzips auszugehen. Gegen diese Ansicht spricht jedoch der Vergleich zur Grundrechtsmündigkeit bei anderen Grundrechten. So gelten etwa im Rahmen der Berufsfreiheit die zivil28

So auch BT-Drucks. 18/12086, 14. Dazu auch Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 91. 30 So zur alten Rechtslage auch Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 91; zum Kinderehen-Gesetz Gössl, BRJ 2019, 6, 7. 29

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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rechtlichen Vorschriften. Diese lassen wegen §§ 112, 113 BGB grundsätzlich auch die Grundrechtsmündigkeit vor Erreichen der Volljährigkeit zu.31 Art. 6 und Art. 12 GG sind sich dabei insofern ähnlich, als dass das BVerfG der Berufswahl eine „lebensgestaltende Bedeutung“ zuspricht. Insofern betreffen die Berufs- wie die Partnerwahl in nicht unähnlicher Weise die weitere Lebensführung des Grundrechtsträgers. Weiter lässt auch die bis zum Juli 2017 in Deutschland geltende Rechtslage Zweifel an der 18 Jahre-Altersgrenze aufkommen. Zwar führt allein der Umstand, dass bis dato Eheschließungen bereits mit 16 Jahren bedingt möglich waren, nicht zwingend zu einem entsprechenden Umfang des verfassungsrechtlichen Schutzbereichs. Das langjährige Bestehen dieser Regelung sowie der Umstand, dass diese weniger aus verfassungsrechtlichen denn aus praktischen Erwägungen aufgehoben wurde, sprechen jedoch für eine mögliche Ehemündigkeit ab 16 Jahren. Die gleichen Erwägungen gelten für die von § 182 StGB gezogene Altersgrenze32 sowie für die im Rahmen der ordre public-Prüfung geltende Übung, Ehen von mindestens 16-Jährigen im Inland anzuerkennen. Für eine Ehemündigkeit bereits ab Vollendung des 14. Lebensjahrs spricht die Parallele zur Grundrechtsmündigkeit im Rahmen der Religionsfreiheit. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Eingehung einer Ehe in vielen Kulturkreisen (auch) eine religiöse Komponente beinhaltet. Zudem begründet das Bekenntnis zu einer Glaubensrichtung eine emotionale und auf dem Gewissen basierende, wenn auch nicht unmittelbar rechtliche, Verpflichtung und ist insofern jedenfalls partiell vergleichbar zur Ehe.33 Entsprechend dem oben Gesagten kann auch auf die langjährige Geltung der §§ 176 ff. StGB sowie das Widerspruchsrecht in sorgerechtlichen Angelegenheiten (§ 1671 BGB) hingewiesen werden. Insbesondere die letztgenannte Norm spricht dafür, dass die Rechtsordnung Minderjährigen ab Vollendung des 14. Lebensjahrs ein zunehmendes Maß an Eigenverantwortlichkeit zubilligt. Diese Überlegungen machen deutlich, dass die Frage nach der Ehemündigkeit ausländischer Staatsangehöriger nicht zweifelsfrei beantwortet werden kann. Dies ist für den weiteren Gang der Untersuchung auch nicht zwingend erforderlich. Festgehalten werden soll lediglich, dass aus den genannten Gründen nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle Ehen von unter 18-Jährigen per se dem verfassungsrechtlichen Schutz entzogen sind. Es bleibt dennoch zu überlegen, wie aus verfassungsrechtlicher Sicht damit umzugehen ist, wenn eine Ehe doch unter Verstoß gegen das Konsensprinzip geschlossen wurde. Praktisch wird das vor allem im Ausland geschlossene Ehen betreffen. Zwar ist es trotz der Grundrechtsbindung deutscher Hoheitsträger theoretisch denkbar, dass auch im Inland Ehen geschlossen werden, die den verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien widersprechen. Wegen der aus § 1310 BGB folgenden Prüfpflicht der Standesbeamten wird dies in der 31

Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 GG, Rn. 117. von Hein, in: MüKoBGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 275, m. w. N.; Rixen, JZ 2019, 628, 631. 33 Die mittelbare rechtliche Verpflichtung durch die Zahlung von Kirchensteuern außen vorgelassen. 32

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E. Auswertung der Untersuchung

Praxis aber nur äußerst selten vorkommen.34 Folglich stellt sich die Frage nach dem verfassungsrechtlichen Schutz von aus inländischer Sicht „hinkenden“ Ehen.35 Dieser Thematik widmete sich das BVerfG in seiner Witwenrenten-Entscheidung.36 Wie der Name bereits erkennen lässt, hatte das Gericht dabei über die Ansprüche aus einer Witwenrente zu entscheiden. Die konstituierende Ehe war 1947 in Deutschland durch einen englischen Geistlichen geschlossenen worden. Die Eheleute hatten den größten Teil ihres Ehelebens in Deutschland verbracht, wo der Ehemann schließlich 1975 verstarb. Erst bei der Prüfung des Rentenanspruchs der vermeintlichen Witwe stellte sich heraus, dass die Ehe mangels Eheschließung vor einem deutschen Hoheitsträger von Beginn an unwirksam gewesen war.37 Das BVerfG bejahte trotz dieses Verstoßes gegen das Offizialprinzip den verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe.38 Dabei bestätigten die Richter zwar grundsätzlich, dass der Mitwirkung des Standesbeamten als Ordnungselement „wesentliche Bedeutung“ zukomme.39 Gleichermaßen wichtig sei jedoch der übereinstimmend erklärte Wille der Verlobten, die Ehe miteinander eingehen zu wollen. Daraus folgerte das Gericht, dass „Partner, die bei Abschluss einer ,hinkenden Ehe‘ ihre Verbindung als dauernde Lebensgemeinschaft beabsichtigen und versprechen, […] insoweit die Voraussetzung für eine Ehe erfüllt [haben]“.40 Dies gelte jedenfalls, soweit Ansprüche auf Versorgung nach dem Tod eines Partners betroffen seien und wenn jedenfalls das Eheschließungsstatut eines der beiden Partner die Ehe als wirksam erachte. Es schließt sich nun also die Frage an, ob der Entscheidung entnommen werden kann, dass ein verfassungsrechtlicher Eheschutz auch außerhalb eines oder sogar aller Strukturprinzipien möglich ist. Von der Literatur wird eine dementsprechende Interpretation des Urteils ganz überwiegend abgelehnt. Hier wird vertreten, dass es sich bei der Witwenrenten-Entscheidung um einen Einzelfall gehandelt habe, der folglich nicht zur Verallgemeinerung fähig sei.41 Dies überzeugt. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass das Urteil nicht die Frage nach der originären Anerkennung einer im Inland hinkenden Ehe zum Gegenstand hatte. Vielmehr war allein fraglich, ob eine solche Ehe vermögensrechtliche Wirkungen entfalten kann. Somit unterscheiden sich die Fälle der Eheanerkennung nach Art. 13 Abs. 3 EGBGB von dem 34

Zwar ist trotz der Grundrechtsbindung deutscher Hoheitsträger gem. Art. 1 Abs. 3 GG grundsätzlich der Fall denkbar, dass auch nach deutschem Recht eine Ehe beispielsweise unter Verletzung des Formgebotes geschlossen wird, dabei wird es sich aber um seltene Ausnahmefälle handeln. 35 In Zusammenhang mit den Kinderehen dazu Gössl, Migration, 19, 37 ff. 36 BVerfG, Beschl. v. 30. 11. 1982 – 1 BvR 818/81 = BVerfGE 62, 323 ff. 37 BVerfGE 62, 323, 326. 38 BVerfGE 62, 323, 331. 39 BVerfGE 62, 323, 331. 40 BVerfGE 62, 323, 331. 41 Uhle, in: BeckOK GG, Art. 6, Rn. 11; Stern, StaatsR IV/1, 388; so wohl auch Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6, Rn. 49 (indem er nur auf formale Mängel abstellt für den Begriff der hinkenden Ehen).

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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für die Witwenrenten-Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Umstand, dass bei der Witwenrenten-Entscheidung „nur“ gegen formelle Anforderungen verstoßen wurde, während die materiellen Voraussetzungen des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs erfüllt worden waren. Gegen die Übertragbarkeit der Rechtsprechung spricht noch eine weitere Überlegung: Das BVerfG stützte sich bei seiner Entscheidung maßgeblich auf den Aspekt des Vertrauensschutzes. Sofern die Ehepartner die Ehe im Glauben an deren Wirksamkeit geschlossen und über Jahre gelebt hätten, sei das verfassungsrechtliche Ehebild trotz Verstoßes gegen das Offizialprinzip erfüllt. Es ist jedoch zumindest anzuzweifeln, ob ein entsprechender Vertrauensschutztatbestand auch bei Verletzung des Konsensprinzips entstehen kann.42 Der verfassungsrechtliche Schutz ausländischer Kinderehen scheidet mithin aus, wenn die in der Vergangenheit erfolgte Eheschließung wegen der fehlenden Reife des Minderjährigen dem verfassungsrechtlichen Konsensprinzip widersprach und es auch im weiteren Verlauf der Ehe an einer gleichberechtigten und freien Willensübereinstimmung der Ehepartner fehlt. Fraglich ist aber, ob diese Schutzlosigkeit auch solche Partnerschaften treffen soll, die zwar bei der Eingehung das Konsensprinzip nicht erfüllen, bei denen der minderjährige Ehepartner aber im Verlauf der Beziehung die Konsensfähigkeit erlangt und sich für den Verbleib in der Ehe entscheidet. Es geht somit um die Möglichkeit der „Heilung“ von verfassungsrechtlich zunächst nicht geschützten Ehen.43 Diese Lösung wird von einigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur unter Verweis auf die Witwenrenten-Entscheidung befürwortet.44 Zur Begründung wird auf die materielle Ausrichtung der Verfassung verwiesen: Sofern eine Ehe aktuell im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien stehe, so dass deren Anliegen erfüllt seien, müsse sie von Art. 6 Abs. 1 GG geschützt werden. Dies gelte auch dann, wenn die diesen Schutz begründenden Umstände erst nachträglich eingetreten seien.45 Eine unzulässige Inhaltsänderung des Konsensprinzips sei darin nicht zu sehen. Zwar reiche es grundsätzlich aus, wenn dessen Voraussetzungen nur zum Zeitpunkt der Eheschließung erfüllt seien.46 Dieser Erwägung solle aus Gründen des Vertrauensschutzes hier jedoch keine besondere Bedeutung zukommen. Anderenfalls wäre es eine reine Förmelei, eine nun konsensuale Ehe allein deshalb nicht anzuerkennen, weil diese Voraussetzung zum Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht vorgelegen 42

In diese Richtung geht auch Opris, ZErb 2017, 158, 164. Zur Frage der Heilung von Kinderehen nach den Grundsätzen der Witwenrenten-Entscheidung Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 595; Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 49 f.; hierzu im kollisionsrechtlichen Kontext insb. von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 222; Frank, FS Vrellis, 287, 289 ff. 44 AG Frankfurt, Urt. v. 21. 11. 1975 – 2/12 R 406/75 = NJW 1976, 1096; OLG Nürnberg, Urt. v. 30. 6. 1997 – 7 UF 1117 – 97 = NJW-RR 1998, 2 ff.; AG Hannover, Urt. v. 07. 01. 2002 – 616 F 7355/0 S,616 F 7355/0 = FamRZ 2002, 1116 ff.; Henrich, FS Lerche, 239, 248; CoesterWaltjen, FS Henrich, 91, 96; Coester, FS Heldrich, 537, 544 f. 45 Coester-Waltjen, FS Henrich, 91, 96. 46 Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 49. 43

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E. Auswertung der Untersuchung

habe. Zuletzt wurde angemerkt, dass es den Paaren im Übrigen auch freistehe, jederzeit erneut zu heiraten, wobei ihnen dann der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG zukäme.47 Insbesondere dieses letzte Argument überzeugt. Eine erneute Eheschließung zur Erlangung des verfassungsrechtlichen Schutzes scheint tatsächlich dort überflüssig und der materiell-rechtlichen Struktur des Verfassungsrechts zu widersprechen, wo bereits faktisch eine Ehe im Sinne des Grundgesetzes gegeben ist. Nach dieser grundsätzlichen Bejahung der Heilungsmöglichkeit ist nun die Frage zu erörtern, zu welchem Zeitpunkt eines Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens das Vorliegen einer solchen Heilung geprüft werden sollte. Der bei der WitwenrentenEntscheidung herangezogene Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kann dabei hier nicht ohne Begründungsaufwand übernommen werden. Dies folgt aus dem Umstand, dass die Unwirksamkeit der Ehen gem. Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB mit der Einreise nach Deutschland eintritt, und somit nicht zwingend ein gerichtliches Verfahren stattfindet. Eine Heilung der Ehen wäre somit wegen des fehlenden Verfahrens nie möglich. Trotzdem sprechen sich Gausing und Wittebol dafür aus, bei der Beurteilung der Heilung nicht auf die Einreise, sondern auf die erste staatliche Entscheidung über die Wirksamkeit der Ehe abzustellen.48 Diesen nach hinten verlagerten Prüfungszeitpunkt begründen sie mit dem Vertrauensschutz der Paare. Dieser werde regelmäßig erst dann erschüttert, „wenn eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung die rechtliche Wirksamkeit der Ehe erstmals infrage stellt“.49 Dem ist zuzustimmen. Dieser Überlegung lässt sich insbesondere die dadurch erzielte Gleichbehandlung aller Formen der Kinderehen zugutehalten. Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass nur von Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützte Kinderehen durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in ihrer Ehegestaltungsfreiheit beeinträchtigt werden. Dabei ist es insbesondere erforderlich, dass die Ehe auf einem gegenseitigen Konsens beruht. Das Vorliegen einer solchen Willensübereinstimmung hängt dabei nicht vom Erreichen des deutschen Volljährigkeitsalters ab. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass auch Ehen von unter 16Jährigen im Einzelfall dem Konsensprinzip genügen. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung dessen ist das erste gerichtliche Verfahren, welches die Wirksamkeit der Ehe in Frage stellt. (bb) Sachlicher Schutzbereich Der sachliche Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG ist mehrdimensional ausgestaltet. Zunächst schützt Art. 6 Abs. 1 GG die Eheschließungsfreiheit, mithin das Recht mit einem selbst gewählten Partner die Ehe frei von staatlichen Beeinträchtigungen einzugehen.50 Daneben gewährleistet das Ehegrundrecht auch einen um47 48 49 50

So u. a. die Argumentation des OLG Nürnberg, NJW-RR 1998, 2, 4. Beispielsweise das Verfahren des Ehegattennachzugs gem. § 30 AufenthaltsG. Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 49. BVerfGE 31, 58, 67; Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6 GG, Rn. 47.

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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fassenden Schutz der spezifischen Privatsphäre der Ehe.51 Dies meint insbesondere den Schutz der so genannten Ehegestaltungsfreiheit. Der Staat ist verpflichtet, die individuelle Ausgestaltung der Ehe durch die Partner zu achten.52 Daraus folgt, dass das Festlegen spezifischer Leitbilder für die Ehe ebenso verfassungswidrig ist,53 wie die Ausübung staatlichen Drucks in Richtung der Auflösung einer Ehe.54 (b) Eingriff Aufgrund der Eigenschaft von Art. 6 Abs. 1 GG als ausgestaltungsbedürftiges Grundrecht ist es erforderlich, rechtfertigungsbedürftige Eingriffe von einfachgesetzlichen Ausgestaltungen abzugrenzen. Die dafür maßgebliche Überlegung ist, ob die betreffende Regelung dazu dient, „die Freiheiten ihrer Natur und Funktion nach zu sichern und zu ermöglichen“.55 Hinsichtlich des Kinderehen-Gesetzes kann dabei auf das oben Gesagte verwiesen werden: Soweit der Gesetzgeber durch § 1310 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 BGB, Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB eine Regelung zum Ehekonsens beziehungsweise zur Ehemündigkeit bei einer Eheschließung in Deutschland trifft, bewegt sich dies im Rahmen der zulässigen (und erforderlichen) Grundrechtsausgestaltung. Die Festlegung der Altersgrenze für noch zu schließende Ehen stellt somit keinen Grundrechtseingriff dar.56 Einer genaueren Betrachtung bedarf Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB dagegen dann, wenn dieser dazu führt, dass im Ausland geschlossenen Ehen die Anerkennung versagt wird. Auch dies könnte als ausgestaltende Regelung verstanden werden, durch welche der Gesetzgeber klarstellt, welche im Ausland begründeten Paarbeziehungen in Deutschland als Ehe anerkannt werden. Andererseits könnte Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB auch als Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG qualifiziert werden. Dies ließe sich damit begründen, dass der Schutz des Ehegrundrechts grundsätzlich auch ausländische Ehen erfasst, wenn sie die Strukturprinzipien erfüllen. Die von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB angeordnete ex tuncUnwirksamkeit wäre diesem Verständnis nach ein besonders schwerwiegender Eingriff in das Ehegrundrecht. Für eine abschließende Beurteilung dieser Thematik stellt sich daher die Frage, ob es sich bei dem Ehegrundrecht um eine „natürliche Freiheit“ handelt,57 so dass jedes gesetzgeberische Tätigwerden sich als rechtfertigungsbedürftiger Eingriff darstellt, oder ob das Grundrecht nur in den Schranken des einfachen Rechts den Bürgern zusteht. Eine Klärung dessen kann vorliegend mangels Relevanz für die weitere Untersuchung offengelassen werden. Dies ist damit zu begründen, dass sowohl im Falle eines eingreifenden als auch eines ausgestaltenden 51

BVerfG, Beschl. v. 11. 4. 1967 – 2 BvL 3/62 = BVerfGE 21, 329, 353. BVerfG, Beschl. v. 14. 11. 1984 – 1 BvR 14/82 = BVerfGE 68, 256, 268; BVerfG, Beschl. v. 5. 2. 2002 – 1 BvR 105/95 = BVerfGE 105, 1, 10 f.; Uhle, in: BeckOK GG, Art. 6 GG, Rn. 25. 53 BVerfGE 21, 329, 353. 54 Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6 GG, Rn. 27. 55 Herzmann, Jura 2015, 248, 252 f. 56 So auch Gusy, JA 1986, 183, 187; Heiderhoff, NZFam 2020, 320, 322. 57 So etwa Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 393 f. 52

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E. Auswertung der Untersuchung

Tätigwerdens eine entsprechende Maßnahme nur dann rechtmäßig wäre, wenn sie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahrt.58 Dies ist daher hier zu prüfen. (c) Rechtfertigung Der Gesetzgeber begründet die Schaffung des Kinderehen-Gesetzes einerseits mit dem erforderlichen Schutz Minderjähriger, andererseits damit, dass die unklare Rechtslage zur Anerkennung von Kinderehen beendet werden müsse.59 Dabei wird nicht immer trennscharf zwischen beiden Aspekten unterschieden, da auch der Zugewinn an Rechtssicherheit einen das Kindeswohl begünstigenden Faktor darstellt.60 Zu prüfen ist somit, ob diese Aspekte das Tätigwerden des Gesetzgebers zu rechtfertigen geeignet sind. Die Argumentation des Gesetzgebers mit dem Streben nach Rechtssicherheit sowie mit dem Kindeswohl überschneiden teilweise. Zur Klarheit werden diese Aspekte im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung jedoch stets getrennt beleuchtet. (aa) Grundsatz der Rechtssicherheit Der Gesetzgeber verwies bei der Kinderehen-Gesetzgebung zunächst darauf, dass das uneinheitliche Meinungsbild zum Mindestalter bei der Eheanerkennung zu Rechtsunsicherheiten führe. Dies wurde insbesondere im Zusammenhang mit Minderjährigen als unbefriedigend empfunden. Dieses Streben des Gesetzgebers nach Rechtssicherheit ist in einem so sensiblen Bereich wie dem Eheschließungsrecht grundsätzlich zu begrüßen. Zu begründen ist dies damit, dass die bestehenden rechtlichen Unklarheiten bisher häufig dazu führten, dass die Paare auf die Durchsetzung ihrer Rechte verzichteten.61 Daneben ist auf den Grundsatz der Statuskontinuität, dem gerade im Internationalen Eherecht eine besondere Bedeutung zukommt, zu verweisen. Dennoch sind diese Erwägungen in ihrer konkreten Ausgestaltung durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB nicht geeignet, Eingriffe in beziehungsweise Ausgestaltungen von Art. 6 Abs. 1 GG zu rechtfertigen. Dabei kann an dieser Stelle die Frage offengelassen werden, ob verfassungsrechtliche Prinzipien generell zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen geeignet sind.62 Denn auch wenn man dies bejahen wollte, scheitert eine Rechtfertigung an der fehlenden Geeignetheit von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zur Förderung der Rechtssicherheit. Dies ist damit zu begründen, dass die im Ausland verheirateten Ehepartner zwar durch die Festlegung der starren Altersgrenze eindeutig erkennen, ob ihre Ehe in Deutschland 58 Für die Ausgestaltung von Grundrechten ist dies nicht völlig klar, wird aber überwiegend bejaht, vgl. Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichen Gewande, 331 ff.; Kingreen, Nicht-eheliche Lebensgemeinschaft, 240. 59 BT-Drucks. 18/12086, 1. 60 So etwa bei BT-Drucks. 18/12086, 1, 14 f. 61 Gössl, BRJ 2019, 7, 9. 62 Dafür Jakab, Rechtstheorie 37 (2006), 49, 52; dagegen Habermas, Die Einbeziehung des Anderen, 368; von einem Vorrang der Grundrechte gegenüber allgemeinen Prinzipien geht auch Kunig, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band III, § 69 Rn. 9, aus.

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wirksam ist. Insofern entsteht tatsächlich ein Zugewinn an Rechtssicherheit. Es muss daneben jedoch auch berücksichtigt werden, dass die Vorbehaltsklausel das Entstehen hinkender Ehen fördert. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass dies gegenüber der alten Rechtslage wegen des Verzichts auf die Einzelfallprüfung vermehrt der Fall ist.63 Die damit einhergehenden Rechtsunsicherheiten, insbesondere die Problematik der Doppelehen sowie der Durchsetzung eherechtlicher Ansprüche, stellen eine jedenfalls vergleichbare Belastung der Paare gegenüber dem Zustand vor der Gesetzesänderung dar. Mithin ist Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB nicht geeignet, den Paaren einen tatsächlichen Gewinn an Rechtssicherheit zu verschaffen. Eine Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 6 Abs. 1 GG unter Verweis auf den Grundsatz der Rechtssicherheit ist somit nicht möglich. (bb) Kindeswohl und Entwicklungschancen des Kindes Der Gesetzgeber verwies bei der Schaffung des Kinderehen-Gesetzes zudem darauf, dass die Neuregelungen dem Schutz des Wohles und der Entwicklung des Kindes dienen. Hinsichtlich dieser Argumentation ist zunächst zu wiederholen, dass eine Gefährdung des Kindeswohls, etwa durch die mit der Eheschließung einhergehende erhöhte Gefahr sexueller Übergriffe oder sozialer Vereinsamung, nicht von der Hand zu weisen ist.64 Zudem ist der Staat grundsätzlich auch dazu berufen, Minderjährige vor den Folgen von Willenserklärungen zu schützen, wenn anzunehmen ist, dass sie diese zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht vollständig überblicken können. Die Reichweite dieses Schutzauftrags ermittelt sich dabei anhand des individuellen Entwicklungsstands des Kindes. Der zunehmenden Autonomie von Kindern und Jugendlichen ist Rechnung zu tragen.65 Im hier zu behandelnden Kontext von Kinderehen, die den verfassungsrechtlichen Ehebegriff erfüllen, muss jedoch darauf verwiesen werden, dass der Schutz vor Bindungen durch eine unfreiwillige beziehungsweise nicht überschaubare Willenserklärung bereits durch das Strukturprinzip des Ehekonsenses gewährleistet wird. Konkret bedeutet das: Das Konsensprinzip ist nur dann erfüllt, wenn der Ehepartner seine Entscheidung zur Eingehung der Ehe freiwillig und selbstbestimmt treffen kann. Es schützt also gerade denjenigen Verlobten, der trotz Zwang oder fehlender Einsichtsfähigkeit die Ehe einzugehen beabsichtigt. Ein darüber hinausgehender staatlicher Schutz vor den Folgen von Willenserklärungen unter Verweis auf das Kindeswohlprinzip ist also nicht nur nicht mehr erforderlich, sondern würde vielmehr die verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien unterlaufen. Eine Rechtfertigung des Eingriffs in das Ehegrundrecht aus Gründen des Kindeswohls kommt somit nicht in Betracht.66

63

So auch Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 46. Vgl. dazu unter C.II.2. 65 Dazu Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 102 f.; BVerfG, Urt. v. 9. 2. 1982 – 1 BvR 845/79 = BVerfGE 59, 360, 382. 66 Dies bestätigt auch im Ergebnis Heiderhoff, NZFam 2020, 320, 322. 64

248

E. Auswertung der Untersuchung

(d) Ergebnis zu Art. 6 Abs. 1 GG Im Anschluss an diese Prüfung lässt sich nun zusammenfassend feststellen: 1. Auch Ehen von Minderjährigen, die im Ausland wirksam geschlossen wurden, können in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG fallen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sie bereits bei der Eingehung die verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien erfüllen. Daneben können auch solche Ehen vom Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG erfasst sein, die zwar nicht bei ihrer Begründung, jedoch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Ehewirksamkeit dem verfassungsrechtlichen Ehebegriff entsprechen. Eine Aberkennung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Beziehung würde in diesen Fällen eine reine Förmelei darstellen. 2. Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB greift in unverhältnismäßiger Weise in das Ehegrundrecht ein. Dies ist weder durch den Grundsatz der Rechtssicherheit noch durch den Aspekt des Wohls und der Entwicklungschancen des Kindes gerechtfertigt. Soweit eine verfassungsrechtlich geschützte Ehe vorliegt, ist Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB mithin verfassungswidrig. (2) Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG Weiter ist die Vereinbarkeit des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB mit dem aus Art. 6 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Vertrauensschutzgrundsatz zu überprüfen.67 Dafür ist zunächst kurz die Struktur dieses Grundrechts darzustellen. (a) Schutzbereich Der Vertrauensschutzgrundsatz ist eine Ausprägung des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips.68 Ausdrücklich erwähnt wird dieser in Art. 103 Abs. 2 GG. Der Vertrauensschutz wird als wesentliche Voraussetzung für die Verwirklichung von Freiheitsgrundrechten angesehen. Diese können nur dann vollumfänglich realisiert werden, wenn die damit einhergehenden Rechtsfolgen von vornherein eindeutig sind. Dies erfordert ein hohes Maß an Kontinuität.69 Diesem Bestandsinteresse steht die Notwendigkeit gegenüber, das Recht an äußere Veränderungen anzupassen. Nur wenn die Rechtsordnung flexibel gegenüber sozialen und gesellschaftlichen Dynamiken bleibt, ist sie ein realistisches Abbild der Gegenwart und erfährt daraus ihre Legitimation.70 Dies kann neben Änderungen zu künftigen Rechtsverhältnissen auch die rechtliche Neubewertung von in der Vergangenheit liegenden Umständen erforderlich machen. Gerade in letzterem Fall wiegt das 67

BGH, Beschl. v. 14. 11. 2018 – XII ZB 292/16, Rn. 71 ff. Schulze-Fielitz, in: Dreier Kommentar zum Grundgesetz, Band II, Art. 20 GG, Rn. 134; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 GG, Rn. 292. 69 Vgl. dazu Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 GG, Rn. 69. 70 Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 184; Schulze-Fielitz, in: Dreier Kommentar zum Grundgesetz, Band II, Art. 20 GG, Rn. 136. 68

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

249

Kontinuitätsinteresse der Bürger jedoch besonders schwer: Während sie bei Änderungen der künftigen Rechtslage die Rechtsfolgen absehen und ihr Handeln daran ausrichten können, ist dies dann nicht mehr möglich, wenn die an einen Tatbestand geknüpften Rechtsfolgen nachträglich geändert werden.71 Diese Fälle werden als Rückwirkung bezeichnet. Um das Spannungsverhältnis zwischen erforderlichen Rechtsänderungen einerseits und dem Vertrauensschutz der Bürger andererseits zu lösen, hat das BVerfG Maßstäbe für die Zulässigkeit rückwirkender Gesetzgebung entwickelt: Zunächst ist der Vertrauensschutzgrundsatz grundsätzlich nur auf solche Normen anwendbar, die zur Begründung eines Vertrauenstatbestandes geeignet sind.72 Außerdem können sich die Normadressaten nur bei einer Verschlechterung ihrer Rechtsposition auf dieses Prinzip berufen. Die nachträgliche Verbesserung der Rechtslage begründet demgegenüber keine Schutzwürdigkeit.73 (b) Eingriff In den Fällen der nachträglichen Verschlechterung schutzwürdiger Rechtspositionen differenziert das BVerfG zwischen zwei Arten der Rückwirkung. Die beiden Senate verwenden dabei unterschiedliche Begrifflichkeiten, ohne dass damit eine inhaltliche Differenzierung verbunden ist.74 Zunächst existiert die so genannte „unechte Rückwirkung“ (1. Senat) beziehungsweise „tatbestandliche Rückanknüpfung“ (2. Senat). Eine solche ist gegeben, wenn eine Norm an einen in der Vergangenheit begonnenen, jedoch noch nicht vollendeten Tatbestand anknüpft und auf diesen für die Zukunft einwirkt.75 Derartige Regelungen erachtet das BVerfG grundsätzlich für zulässig. Dies wird damit begründet, dass „die Anknüpfung an bereits ins Werk gesetzte Tatbestände […] typisch für die Reaktion des Gesetzgebers auf Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse und also kennzeichnend für eine seiner Kernaufgaben [ist]“.76 Da aber auch in diesen Fällen Vertrauensschutzaspekte relevant werden können, sind bei einer unechten Rückwirkung stets die Interessen des Staates gegen die der Bürger abzuwägen.77 Demgegenüber liegt eine „echte Rückwirkung“ beziehungsweise eine „Rückbewirkung von Rechtsfolgen“ dann vor, wenn ein Gesetz Sachverhalte, die bereits in der Vergangenheit vollständig abgewickelt wurden, mit ex tunc-Wirkung neu re-

71

Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 GG, Rn. 292 f. BVerfG, Beschl. v. 30. 9. 1987 – 2 BvR 93382 = BVerfGE 76, 256, 349 f. 73 BVerfG, Beschl. v. 22. 3. 1983 – 2 BvR 475/78 = BVerfGE 63, 343, 356 f.; BVerfG, Beschl. v. 10. 4. 1984 – 2 BvL 19/82 = BVerfGE 67, 1, 15 f.; BVerfG, Beschl. v. 23. 3. 1971 – 2 BvL 2/66 = BVerfGE 30, 367, 386. 74 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 GG, Rn. 79. 75 Brüning, NJW 1998, 1525, 1526. 76 Voßkuhle/Kaufhold, JuS 2011, 794. 795. 77 Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 GG, Rn. 187. 72

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E. Auswertung der Untersuchung

gelt.78 Derartige Regelungen beeinträchtigen in erheblicher Weise die Vertrauensinteressen der Bürger. Sie werden daher grundsätzlich als unzulässig angesehen. Eine Ausnahme hiervon gilt dann, wenn das Vertrauen der Normadressaten als nicht schutzwürdig angesehen wird. Das BVerfG hat zur Beurteilung dieser Frage mehrere Fallgruppen herausgearbeitet:79 So wird eine echte Rückwirkung dann für zulässig erachtet, wenn die Neuregelung für die Normadressaten absehbar war.80 Gleiches gilt, wenn aufgrund der Unklarheit der vorherigen Rechtslage gar kein Vertrauen entstehen konnte.81 Zudem wird das Vertrauen in die geltende Rechtslage dann als nicht hinreichend schutzwürdig angesehen, wenn die rückwirkende Regelung nur geringe Auswirkungen auf die Normadressaten hat82 oder wenn zwingende Gründe des Allgemeinwohls die Regelung erforderlich machen.83 Der BGH ging in seinem Vorlagebeschluss davon aus, dass es sich bei Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB um eine unechte Rückwirkung handele. Das wurde damit begründet, dass „die belastende Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Ehe nach deutschem Recht erst nach der Verkündung des Gesetzes eingreift“.84 Trotz der grundsätzlichen Zulässigkeit solcher Regeln erachtete der BGH den Vertrauensschutzgrundsatz als verletzt. Dabei verwies das Gericht darauf, dass keine hinreichenden öffentlichen Belange zur Rechtfertigung der Rückwirkung vorlägen. Der Auffassung des BGH, wonach es sich bei Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB um einen Fall der unechten Rückwirkung handelt, kann nicht gefolgt werden.85 Vielmehr begründet die besondere Vorbehaltsklausel eine echte Rückwirkung. Dies liegt daran, dass die Regelung an das Merkmal der Eheschließung anknüpft. Hierbei handelt es sich um einen abgeschlossenen, in der Vergangenheit liegenden Tatbestand. Dieses Verständnis lässt sich anhand der Differenzierung zwischen dem Tatbestandsmerkmal der Ehe und dem der Eheschließung verdeutlichen: Während die geschlossene Ehe bis zur Scheidung oder dem Tod eines Ehegatten als andauernder Sachverhalt fortbesteht, handelt es sich bei der Eheschließung um ein punktuelles Ereignis. Die Umstände hierbei – wie zum Beispiel das Alter der 78

Vgl. Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 GG, Rn. 295; Schulze-Fielitz, in: Dreier Kommentar zum Grundgesetz, Band II, Art. 20 GG, Rn. 156. 79 Vgl. für eine zusammenfassende Darstellung Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 GG, Rn. 186.1. 80 Etwa BVerfG, Beschl. v. 8. 6. 1977 – 2 BvR 499/74 = BVerfGE 45, 142, 173 ff.; BVerfG, Beschl. v. 25. 3. 2021 – 2 BvL 1/11 = BVerfGE 126, 369, 393 f. 81 Siehe etwa BVerfG, Beschl. v. 4. 5. 1960 – 1 BvL 17/57 = BVerfGE 11, 64, 72 ff.; BVerfGE 30, 367, 388; BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 13. 3. 2001 – 1 BvR 1974/98 = BVerfGE 98, 17, 39. 82 BVerfG, Urt. v. 19. 12. 1961 – 2 BvL 6/59 = BVerfGE 13, 261, 272; BVerfG, Beschl. 25. 5. 1993 – 1 BvR 1509/91 = BVerfGE 88, 384, 404. 83 BVerfG, Beschl. v. 14. 5. 1986 – 2 BvL 2/83 = BVerfGE 72, 200, 260. 84 BGH, Beschl. v. 14. 11. 2018 – XII ZB 292/16, Rn. 75. 85 So auch Frank, StAZ 2019, 129, 132; Zweifel an dem Verständnis des BGH äußert auch Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 129; auch Andrae, IPRax 2021, 522, 523, geht davon aus, dass es sich bei der Eheschließung um einen abgeschlossenen Tatbestand handelt.

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

251

Ehegatten – stehen ab der Eingehung der Ehe unveränderlich fest. In Hinblick auf Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB bedeutet dies, dass sich die Paare ab dem Zeitpunkt der Eheschließung auf den Vertrauensschutzgrundsatz berufen können. Wenn ein Paar somit vor dem 22. Juli 2017 in Deutschland eine Kinderehe eingegangen ist oder eine solche Ehe in Deutschland anerkannt wurde, dürfen sie auf die Wirksamkeit der Heirat vertrauen. Dieses Vertrauen wird durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB verletzt. Diese Beurteilung bedarf zweier Einschränkungen. Zunächst ist eine abweichende rechtliche Bewertung in den bereits angesprochenen Fällen der Heilung von zunächst nicht verfassungsrechtlich geschützten Ehen geboten.86 Wenn die Erfüllung des Konsensprinzips altersbedingt noch aussteht – und es sich somit bei der Eheschließung um einen bislang unvollendeten Tatbestand handelt – greift Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in einen noch nicht vollständig abgewickelten Sachverhalt ein. Dazu ist jedoch anzumerken, dass die Anzahl dieser Fälle aufgrund der geringen Zeitspanne bis zur sicheren Erreichung der Konsensfähigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahrs eher gering sein wird. Weiter liegt auch dann kein Fall der echten Rückwirkung vor, wenn Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB auf die betreffenden Ehen anwendbar ist. Die Überleitungsvorschrift bewirkt dann, dass der in der Vergangenheit bereits abgeschlossene Tatbestand der Eheschließung unberührt bleibt. (c) Rechtfertigung Für den grundsätzlich angenommenen Fall der echten Rückwirkung ist nun zu prüfen, ob eine der Fallgruppen einschlägig ist, bei deren Erfüllung die Rückbewirkung von Rechtsfolgen für zulässig erachtet wird: Ein Wissen über die Änderung der deutschen Rechtslage kann dabei angesichts des schnellen Gesetzgebungsverfahrens wohl kaum unterstellt werden. Zum Zeitpunkt der Eheschließung konnten die Beteiligten der ausländischen Kinderehen in aller Regel keine Kenntnis davon haben, dass der deutsche Gesetzgeber eine Änderung des deutschen Regelungsregimes vorsah. Auch kann nicht angenommen werden, dass die bislang bestehende Rechtslage derart unklar war, dass diese keinen Vertrauensschutz begründen konnte. Dabei ist anzumerken, dass die Betroffenen bei Anwendbarkeit deutschen Sachrechts allenfalls mit der Aufhebbarkeit der Ehe zu rechnen hatten, so dass die Neuregelung nicht eine bereits verworrene Rechtslage klärte, sondern eine gänzlich neue schuf. Eine Bagatellwirkung kann angesichts der oben bereits dargestellten erheblichen Auswirkungen der Eheunwirksamkeit nicht angenommen werden. Allenfalls käme hier ein Fall der überragend wichtigen, zwingenden Allgemeinwohlbelange zur Rechtfertigung der echten Rückwirkung in Betracht. Dies ist angesichts der möglichen Verletzung des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG fraglich. Auch zeigt die hitzige öffentliche Debatte hinsichtlich der Zuträglichkeit der Regelung für das Kindeswohl, dass es jedenfalls keine allgemeine Übereinkunft hinsichtlich eines zwingenden Schutzerfordernisses gibt.

86

Vgl. dazu unter E.II.1.a)aa)(1)(a)(aa).

252

E. Auswertung der Untersuchung

(3) Vereinbarkeit mit Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG Der BGH ging in seinem Vorlagebeschluss des weiteren davon aus, dass die durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB vorgenommene Typisierung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Minderjährigen beeinträchtige.87 Die Richter verwiesen darauf, dass „der Schutz des Kindeswohls […] eine konkrete Prüfung des Wohls des betroffenen Kindes [gebiete]. Denn jeder Minderjährige ist ein Wesen mit eigener Menschenwürde und eigenem Recht auf Entfaltung und Entwicklung seiner Persönlichkeit. Dies steht mit einem generellen Mindestalter für die Eheschließung, das keinerlei Ausnahmen im Einzelfall zulässt, nicht in Einklang“.88 In diesem Zusammenhang machte das Gericht darauf aufmerksam, dass auch die UN-Kinderrechtekonvention verlange,89 bei Entscheidungen die Reife und Autonomie des Kindes sowie dessen individuelles Wohl zu berücksichtigen. (a) Schutzbereich Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet Minderjährigen das Recht „auf den Schutz [ihrer] Entwicklung zu einer selbstbestimmten Person im Sinne einer dynamischen Aneignung von Handlungsspielräumen“.90 Zusammengefasst wird dies als Grundrecht auf „Person-Werdung“ bezeichnet.91 Die Bezugnahme auf die Menschenwürdegarantie verdeutlicht, dass jeder Minderjährige in seiner spezifischen Individualität geschützt wird.92 Dessen Persönlichkeit in Form von Charakter, Vernunft, Vorlieben, Neigungen sowie dem Zusammenspiel dieser Faktoren sollen sich frei von staatlichen Beeinflussungen und zugleich unter dem Schutz des Staates entwickeln können. (b) Eingriff Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB greift in dieses Grundrecht Minderjähriger ein. Indem die Norm für alle nach ausländischem Recht geschlossenen oder zu schließenden Ehen gleichermaßen die Unwirksamkeit statuiert, steht sie einer kindeswohlbezogenen Einzelfallprüfung entgegen. Die individuelle Entwicklung der Kinder sowie die äußeren Umstände der Ehe beziehungsweise der Eheschließung bleiben unbeachtet.93 87 Vgl. zu diesem Aspekt des Vorlagebeschlusses auch Schoppe, in: Die Frühehe im Recht, 191, 198 ff. 88 Vgl. zum Begriff der Typisierung eingehend Spitzlei, Die Gesetzgebungstechnik der Pauschalierung und ihre verfassungsrechtliche Bewertung, 35 ff.; Britz, Einzelfallgerechtigkeit versus Generalisierung, 36 ff. 89 BGH, Vorlagebeschl. v. 14. 11. 2018 – XII ZB 292/16, Rn. 84. 90 Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 101; BGH, Beschl. v. 14. 10. 1992 – XII ZB 18/ 92 = NJW 1993, 848, 849. 91 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 GG, Rn. 208. 92 So auch Schoppe, in: Die Frühehe im Recht, 191, 203. 93 Vgl. dazu auch Heiderhoff, Flüchtlinge und IPR – eine Einführung, 21 f.

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

253

(c) Rechtfertigung Bei der Eingriffsrechtfertigung ist zu beachten, dass das BVerfG für Typisierungen einen gesonderten Prüfungsmaßstab entwickelt hat:94 Danach wird es grundsätzlich als zulässig angesehen, wenn der Gesetzgeber aus Praktikabilitätsgründen ein Typisierungsmerkmal auf mehrere Tatbestände anwendet und diese somit – trotz erkennbarer, bestehender Unterschiedlichkeiten – einheitlich behandelt. Die Berechtigung hierzu folgt aus der gesetzgeberischen Kompetenz zur Festlegung abstrakt-genereller Regelungen. Da mit dieser Regelungstechnik jedoch stets Verstöße gegen den Gleichheitssatz einhergehen, ist diese nur zulässig, wenn die Ungleichbehandlung lediglich eine kleine Anzahl von Personen betrifft und diese dadurch keine wesentlichen Nachteile erleiden. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass dieser Maßstab zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen im Rahmen des Art. 3 GG entwickelt wurde. Bislang hat sich das Gericht nicht dazu geäußert, ob dieser auch auf Freiheitsrechte übertragbar ist. Im Zusammenhang mit Art. 3 GG geht das Gericht jedoch davon aus, dass die Anforderungen an die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung steigen, wenn die Typisierung zugleich Freiheitsgrundrechte verletzt. Diese Prämisse spricht gegen die Übertragbarkeit des Maßstabs auf Freiheitsgrundrechte. Es würde zu einem Zirkelschluss kommen, wenn der Maßstab zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung an einer Verletzung des Freiheitsrechts auszurichten wäre, letztere aber nach dem gleichen Prüfungsmaßstab beurteilt werden müsste.95 Daher sind hier zur Rechtfertigung von Eingriffen die Schrankenregelungen von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, heranzuziehen. Dabei wurde bereits festgestellt, dass die mit dem Kinderehen-Gesetz verfolgten Zwecke als verfassungsrechtlich legitim anzusehen sind.96 Daneben kann auch die Geeignetheit von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zur Förderung der Rechtssicherheit bejaht werden. Hier führt die durch die Typisierung bewirkte Abkehr von einer Einzelfallentscheidung dazu, dass sich das Rechtsanwendungsergebnis unmittelbar aus dem Gesetzestext ergibt. Zudem vermeidet die Typisierung auch kindeswohlgefährdende Fehlentscheidungen, so dass sie auch zur Förderung der Entwicklung Minderjähriger geeignet erscheint. Zur Erforderlichkeit ist festzustellen, dass der Gesetzgeber als mildere Maßnahme etwa eine Verschärfung der Anforderungen an das familiengerichtliche Beweisverfahren hätte anstreben können. Dies würde wegen der fortbestehenden Möglichkeit der Einzelfallentscheidung weniger intensiv in die Grundrechte Minderjähriger eingreifen. Wegen der bereits bestehenden Prüfungspflicht gem. § 26 FamFG sowie aufgrund der erheblichen faktischen Schwierigkeiten, die sich angesichts ausländischer Familienstrukturen zum Teil stellen, käme einer solchen Maßnahme aber keine dem Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB 94 BVerfG, Beschl. v. 15. 7. 1998 – 1 BvR 1554/89 = BVerfGE 98, 365, 385; BVerfG, Urt. v. 28. 4. 1999 – 1 BvL 11/94 = BVerfGE 100, 138, 174. 95 So auch Boysen, in: von Münch/Kunig, Art. 3 GG, Rn. 108. 96 Vgl. dazu unter E.II.1.a)aa)(1)(c)(aa).

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E. Auswertung der Untersuchung

vergleichbare Effektivität zu. Gleiches gilt hinsichtlich alternativer Maßnahmen zur Gewährleistung von Rechtssicherheit. Zu nennen wäre hier etwa die Kodifikation von Soll-Vorschriften oder eine dem Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB entsprechende Regelung zur Eheaufhebung. Beide Maßnahmen würden zwar eine gänzliche Abkehr von der Einzelfallentscheidung vermeiden, zugleich ginge damit jedoch auch eine Einbuße an Rechtssicherheit einher. Maßgeblich ist somit, ob die mit der Typisierung verfolgten Zwecke das Recht Minderjähriger auf Entwicklung ihrer Persönlichkeit überwiegen. Bei dieser Abwägung ist zugunsten der typisierenden Regelung die besondere Bedeutung des ehelichen Statusverhältnisses hervorzuheben. Wegen der daraus resultierenden aufenthalts-, vermögens- und familienrechtlichen Rechte und Pflichten besteht ein besonderes Interesse an dem sicheren Wissen über den Bestand von Ehen. Zudem vermeidet die typisierende Regelung Fehler bei der Einzelfallentscheidung, die sich zulasten der Minderjährigen auswirken können. Diesen Überlegungen stehen erhebliche Bedenken hinsichtlich dieser Typisierung gegenüber. Dies betrifft die Einheitlichkeit der von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB angeordneten Rechtsfolgen. Die Eheunwirksamkeit mag dabei zwar in einigen Fällen interessengerecht sein. Häufig aber wird diese pauschale Rechtsfolgenanordnung den Umständen des Einzelfalls nicht gerecht werden. So bleiben auf der Rechtsfolgenseite etwa die Dauer der Ehe, eventuell daraus hervorgegangene Kinder und die individuellen Wünsche der an der Ehe beteiligten Parteien außer Acht. Es stellt sich daher die Frage, ob nicht durch eine abgestufte Beurteilung der Wirksamkeit – etwa durch Aufrechterhaltung der vermögensrechtlichen Folgen aus der Ehe – die hinter dem Gesetz stehenden Interessen in angemessenerer Weise durchgesetzt werden könnten. Dies gilt insbesondere, soweit die Unwirksamkeitsregelung auch von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Ehen erfasst. Bei dieser Interessenabwägung kommt dem Bezug des Persönlichkeitsentwicklungsrechts zur Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG eine besondere Bedeutung zu. Diese gewährleistet die Beachtung und den Schutz des Menschen als „geistig-sittliche[s] Wesen […], das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten“.97 Folglich sind solche Handlungen untersagt, die dem Grundrechtsträger seine spezifische Subjektqualität absprechen und zum bloßen Objekt staatlichen Handelns machen.98 Gerade diesem Aspekt des „Menschwerdungs-Rechts“ aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG wird die typisierende Regelung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB nicht gerecht. Indem die Vorschrift keine Beachtung individueller Besonderheiten gestattet, wird den betroffenen Minderjährigen jegliche Berücksichtigung ihrer persönlichen Entwicklung und ihres individuellen Reifegrades abgesprochen. Aufgrund der überragenden Bedeutung, die der 97 BVerfG, Urt. v. 19. 3. 2013 – 2 BvR 2628/10 = BVerfGE 133, 168, 197; BVerfG, Beschl. v. 6. 7. 2010 – 2 BvR 2661/06 = BVerfGE 123, 267, 413; BVerfG, Beschl. v. 21. 6. 1977 – 1 BvL 14/ 76 = BVerfGE 45, 187, 227. 98 BVerfG, Beschl. v. 12. 11. 1997 – 1 BvR 479/92 = BVerfGE 96, 375, 399; BVerfG, Urt. v. 4. 5. 2011 – 2 BvR 2333/08 = BVerfGE 109, 133, 150.

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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Menschenwürdegarantie in der deutschen Rechtsordnung zukommt, überwiegt das Recht auf Achtung des individuellen Entwicklungsstandes die staatlichen Regelungsinteressen. Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB ist somit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht unvereinbar. (4) Vereinbarkeit mit Art. 3 GG Zu erörtern sind zudem mögliche Verletzungen des Gleichheitsgrundsatzes. Dieses in Art. 3 GG verankerte verfassungsrechtliche Gebot untersagt es, wesentlich gleiche Sachverhalte unterschiedlich oder wesentlich unterschiedliche Sachverhalte gleich zu behandeln, sofern kein hinreichender sachlicher Grund für ein solches Vorgehen vorliegt.99 (a) Ungleichbehandlung gegenüber Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB Zu erörtern ist zunächst eine Ungleichbehandlung gegenüber den von der Aufhebungslösung erfassten Minderjährigen. Hier erfolgt eine Unterscheidung anhand des Alters. Fraglich ist, ob die Sachverhalte vergleichbar sind, so dass diese Differenzierung der Rechtfertigung bedarf. Dabei ist einerseits der in der Entwicklung von Kindern zunehmende Reifegrad zu beachten. So ist anzunehmen, dass Jugendliche mit steigendem Alter zunehmend in der Lage sind, Situationen zu überblicken und autonome Entscheidungen zu treffen. In dieser konkreten Fallgestaltung muss jedoch beachtet werden, dass die Differenzierung in einem sehr engen Altersspektrum erfolgen kann. So erfassen die Normen im Extremfall einerseits Kinder von unter 10 Jahren, andererseits Personen an der Grenze zur Volljährigkeit. In diesen Fällen ist zweifelhaft, ob ein vergleichbarer Sachverhalt gegeben ist. Auf der anderen Seite können jedoch auch altersmäßig sehr nahe beieinander stehende Personen betroffen sein. So wäre der Extremfall denkbar, dass die Ehe einer gerade noch 15-jährigen Person für unwirksam erachtet wird, während die Ehe einer nur einen Tag älteren Person aufgrund des Eingreifens der Härtefallklausel bestehen bleibt. Ein solcher Fall wird sich nur schwerlich mit dem abweichenden Alter der Beteiligten begründen lassen. Es wird also deutlich, dass die Norm jedenfalls auch vergleichbare Sachverhalte erfasst. Eine Rechtfertigung ist daher zu prüfen. Dabei ist zunächst anhand der Rechtsprechung des BVerfG der dabei anwendbare Prüfungsmaßstab zu ermitteln. Das Gericht geht bei der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen mittlerweile von einem fließenden Prüfungsmaßstab aus.100 Dieser sieht eine den Freiheitsgrundrechten vergleichbare Verhältnismäßigkeitsprüfung vor. Die dabei zu stellenden Anforderungen sind anhand des betroffenen Sach- und Regelungsbereiches zu ermitteln.101 Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, inwiefern es sich bei 99

Kischel, in: BeckOK GG, Art. 3 GG, Rn. 24 ff. BVerfG, Beschl. v. 21. 6. 2011 – 1 BvR 2035/07 = BVerfGE 129, 49, 68; BVerfG, Beschl. v. 10. 6. 2012 – 1 BvL 210 = BVerfGE 132, 72, 81; BVerfG, Beschl. v. 23. 6. 2015 – 1 BvL 13/ 11 = BVerfGE 139, 285, 309; ferner Epping, Grundrechte, 397 f. 101 Epping, Grundrechte, 397 f. 100

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E. Auswertung der Untersuchung

dem im Rahmen der Ungleichbehandlung angewendeten Differenzierungskriterium um ein unabänderliches, in der Person des Grundrechtsträgers begründetes Merkmal handelt. Weiter wird etwa relevant, ob die Ungleichbehandlung die Ausübung von Freiheitsgrundrechten erschwert, oder ob das Kriterium sich den Anknüpfungsverboten des Art. 3 Abs. 3 GG annähert.102 Art. 13 Abs. 3 EGBGB nimmt eine Differenzierung anhand des Alters vor. Hierbei handelt es sich um ein unbeeinflussbares, personenbezogenes Merkmal. Zudem kann die Regelung die Ausübung des Ehegrundrechts beeinträchtigen. Dies spricht dafür, bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung einen strengeren Maßstab anzulegen. Der Gesetzgeber begründet die differenzierenden Regelungen mit der besonderen Schutzwürdigkeit von Personen unter 16 Jahren. Dabei verweist er darauf, dass gerade jüngere Betroffene vor nachteiligen vermögensrechtlichen Folgen aus Ehen geschützt werden müssten.103 Zudem erspare die Unwirksamkeitslösung ihnen ein möglicherweise langwieriges und belastendes gerichtliches Aufhebungsverfahren. Auch stünden die Minderjährigen durch die Unwirksamkeitslösung unmittelbar wieder unter der Vormundschaft ihrer Eltern.104 Die gesetzgeberische Differenzierung soll also dem mit voranschreitendem Alter wachsenden Autonomie- und Reifegrad Minderjähriger Rechnung tragen. Damit einher geht der Gedanke der mit sinkendem Alter steigenden Schutzwürdigkeit von Personen. Diese Beweggründe sind Ausdruck des verfassungsrechtlichen Kindeswohlprinzips und stellen somit grundsätzlich eine legitime gesetzgeberische Zwecksetzung dar.105 Es bestehen jedoch Zweifel an der Geeignetheit der Maßnahme. Wie bereits dargestellt, hat die Unwirksamkeit erhebliche negative Auswirkungen zur Folge.106 Hier ist etwa auf den Wegfall vermögensrechtlicher Ansprüche, die Gefahr von Doppelehen, und die Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Bestands der Ehe zu verweisen. Entsprechende Probleme stellen sich bei dem Aufhebungsverfahren wegen des Verweises auf § 1318 BGB nicht. Es entsteht daher der Eindruck, die Unwirksamkeitsregelung führe eher zu einer Benachteiligung jüngerer Minderjähriger.107 Diese werden zwar vor einem gerichtlichen Verfahren bewahrt. Damit wird ihnen jedoch zugleich die Möglichkeit der Stellungnahme genommen. Auch der Aspekt des Schutzes vor vermögensrechtlichen Ehefolgen sowie der Vormundschafts-Regelung vermag den hier gewonnenen Eindruck nicht abzumildern. Die entsprechenden Punkte könnten gleichermaßen, unter Beachtung der Schutzwürdigkeit von Minderjährigen, in einem Aufhebungsverfahren berücksichtigt werden. Die von

102

Kingreen/Poscher, Staatsrecht II, Rn. 530; Kischel, in: BeckOK GG, Art. 3 GG, Rn. 45. BT-Drucks. 18/12086, 15 f. 104 BT-Drucks. 18/12086, 17. 105 Dazu auch Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 101 f. 106 Vgl. dazu unter C.II.4.a)aa). 107 Zu diesem Ergebnis kommt auch Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 75. 103

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

257

Art. 13 Abs. 3 EGBGB vorgenommene Differenzierung ist daher nicht zur Förderung und zum Schutz jüngerer Minderjähriger geeignet.108 (b) Ungleichbehandlung durch Typisierung Auch unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes wird noch einmal relevant, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB für alle tatbestandlich erfassten Ehen gleichermaßen die Unwirksamkeit anordnet. Es handelt sich dabei um eine gesetzliche Typisierung. Der Gesetzgeber fasst dabei bestimmte, in wesentlichen Elementen gleich geartete Sachverhalte normativ zusammen. Tatsächlich bekannte Besonderheiten lässt er dabei bewusst außer Acht.109 Ein solches Vorgehen beeinträchtigt den Gleichheitsgrundsatz immer dann, wenn die von der Norm erfassten Fälle nicht mit dem für die Typisierung gewählten Leitbild übereinstimmen. Mit Blick auf Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB ist davon stets dann auszugehen, wenn die Norm grundrechtlich geschützte Ehen und solche, die nicht unter Art. 6 GG fallen, einheitlich behandelt. Die unterschiedliche verfassungsrechtliche Bewertung indiziert hier die Verschiedenheit der Sachverhalte. Die Rechtfertigung von aus Typisierungen resultierenden Ungleichbehandlungen erfolgt anhand der vom BVerfG hierzu entwickelten Grundsätze.110 Danach sind Typisierungen grundsätzlich eher dort zulässig, wo sich der Gesetzgeber der Regelung von Massenvorgängen gegenüberstehen sieht. Die Vielzahl der Fälle kann ein standardisiertes Verwaltungsverfahren erforderlich machen.111 Auch hier ist ein typisierendes Vorgehen jedoch nur dann zulässig, wenn ausschließlich eine kleine Gruppe von Menschen von der Ungleichbehandlung betroffen ist und die damit einhergehenden Nachteile nicht zu schwer wiegen.112 Bei der Ermittlung der Verletzungsintensität ist insbesondere zu beachten, ob die Ungleichbehandlung zugleich Freiheitsrechte beeinträchtigt.113 Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB ist zunächst festzuhalten, dass Kinderehen in Deutschland kein Massenphänomen darstellen. Es konnte zwar festgestellt werden, dass sich aufgrund des vermehrten Zustroms Geflüchteter die Anzahl entsprechender Sachverhalte in Deutschland in 108 Für eine Ungleichbehandlung jüngerer gegenüber älterer Jugendlicher spricht sich auch Heiderhoff aus, s. dies., NZFam 2020, 320, 322; ähnlich auch Toman/Olbing, in: Die Frühehe im Recht, 217, 229. 109 BVerfG, Beschl. v. 23. 6. 2004 – 1 BvL 3/98 = BVerfGE 111, 115, 137 sowie Spitzlei, Die Gesetzgebungstechnik der Pauschalierung und ihre verfassungsrechtliche Bewertung, 35 f. 110 Britz, Einzelfallgerechtigkeit versus Generalisierung, 40 ff. 111 BVerfG, Beschl. v. 9. 5. 1972 – 1 BvR 518/62 = BVerfGE 33, 171, 189; BVerfG, Beschl. v. 29. 5. 1990 – BvL 0/84 = BVerfGE 82, 60, 101 f.; Heun, in: Dreier Kommentar zum Grundgesetz, Band I, Art. 3 GG, Rn. 31. 112 BVerfG, Beschl. v. 8. 2. 1983 – 1 BvL 28/79 = BVerfGE 63, 119, 128. 113 Heun, in: Dreier Kommentar zum Grundgesetz, Band I, Art. 3 GG, Rn. 31; Boysen, in: von Münch/Kunig, Art. 3 GG, Rn. 112.

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E. Auswertung der Untersuchung

den letzten Jahren erhöht hat.114 Beschwerden, dass die deutsche Gerichtsbarkeit mit diesen zahlenmäßig überfordert war, wurden jedoch nicht laut. Eine typisierende Regelung ist daher nicht bereits wegen der schieren Anzahl der Fälle zwingend erforderlich.115 Entsprechend steigen die Anforderungen an die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung. Hinsichtlich der Legitimität der hinter der Typisierung stehenden Zwecke sowie der Geeignetheit und Erforderlichkeit des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zu deren Erreichung kann auf die Ausführungen zu Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verwiesen werden. Die nun erforderliche Angemessenheitsprüfung muss insbesondere die Anzahl der durch die Ungleichbehandlung Beeinträchtigten sowie die Intensität der erfolgten Rechtsverletzungen berücksichtigen. Dabei ist davon auszugehen, dass wegen des altersbedingten Entwicklungsstandes Jugendlicher nur eine geringe Anzahl verfassungsrechtlich geschützter Ehen von der Typisierung erfasst wird. Zugleich ist von einer erheblichen Intensität der aus der Ungleichbehandlung resultierenden Rechtsverletzung auszugehen. Dies folgt aus den bereits festgestellten Verletzungen des Ehegrundrechts sowie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Daneben ist auch zu beachten, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB keine Heilungsregelung vorsieht. Die Paare haben somit keine Möglichkeit ihre Ehe – und die daraus hervorgehenden Rechte und Pflichten – wiederzubeleben. Ihnen bleibt allein die Möglichkeit einer neuerlichen Eheschließung. Die von ihnen bis dato geführte Ehe ist endgültig unwirksam.116 Diesen Aspekten stehen die hinter der Typisierung stehenden Erwägungen gegenüber. Hier ist zunächst auf die Schwierigkeiten bei der Feststellung der Ehekonsensfähigkeit hinzuweisen. Vor allem bei geschlossenen familiären Strukturen wird es sich häufig als Problem darstellen, den originären Willen der Minderjährigen zu ermitteln. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es wegen der oben angesprochenen Heilungsmöglichkeit allein auf den Ehekonsens zum Zeitpunkt des gerichtlichen Verfahrens ankommen kann. In die Vergangenheit reichende Nachforschungen sind daher nicht erforderlich. Hinsichtlich der für die Typisierung sprechenden Argumente des Zugewinns an Rechtssicherheit, sowie des Schutzes vor fehlerhaften Bewertungen von Kinderehen kann erneut auf die hiergegen im Rahmen der Prüfung von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG vorgebrachten Argumente verwiesen werden. Dabei vermögen diese Aspekte jedoch mit Blick auf die erheblichen Beeinträchtigungen der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu überzeugen. Die geringe Anzahl der betroffenen Paare gleicht die Intensität der individuellen Rechtsverletzung nicht aus.117 Die durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB vorgenommene Typisierung stellt daher eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes dar.

114 115 116 117

Vgl. BT-Drucks. 18/12086, 14. So auch Basedow, FamRZ 2019, 1833, 1837. So auch Schoppe, in: Die Frühehe im Recht, 191, 209. Ähnlich auch Schoppe, in: Die Frühehe im Recht, 191, 208.

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

259

(c) Ungleichbehandlung durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB Eine weitere Ungleichbehandlung ist im Zusammenhang mit der Überleitungsregel aus Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB zu prüfen. Diese nimmt solche Ehen vom Anwendungsbereich des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB aus, die bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten im Ausland gelebt wurden. Demgegenüber besteht die Unwirksamkeitslösung für solche Ehen fort, bei denen mindestens einer der Ehegatten vor Eintritt der Volljährigkeit seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte.118 Eine Begründung für diese Differenzierung anhand des Inlandsbezugs gibt der Gesetzgeber nicht.119 Es ließe sich mutmaßen, dass hier von einem besonderen Vertrauensschutztatbestand ausgegangen werden kann, sofern Paare im Ausland – in Übereinstimmung mit der dortigen Rechtslage – eine Ehe tatsächlich geführt haben.120 Dieser könnte im Inland jedenfalls dann als schützenswert angesehen werden, wenn beide Ehepartner mittlerweile volljährig sind und die Ehe als Kinderehe nie in Deutschland stattgefunden hat. In diesem Fall hätten sich die Paare zunächst keine Gedanken über das deutsche Ehemündigkeitsalter machen müssen. Diesen Überlegungen begegnen jedoch Bedenken: Zunächst ist fraglich, ob bereits der zeitweilige gewöhnliche Aufenthalt eines Ehepartners geeignet ist, einen möglichen Vertrauenstatbestand beider Partner zu zerstören. Auch scheint hier denkbar, dass sich die Paare wegen des weiterhin eher geringen Inlandsbezugs keine Gedanken über das deutsche Ehemündigkeitsalter gemacht haben. Daher ließe sich die Frage aufwerfen, ob tatsächlich in jedem anderen Land die Entstehung eines solchen Vertrauensschutztatbestands möglich ist. Weiter ließe sich mutmaßen, dass die verschiedentliche Behandlung auf dem geringeren Inlandsbezug der von Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB erfassten Fälle beruht. Das deutsche Recht sieht sich dann nicht zum Schutz Minderjähriger zum Eingreifen verpflichtet, wenn der verfängliche Tatbestand bereits im Ausland abgeschlossen wurde. Hier darf zwar angezweifelt werden, ob dieser Schutzauftrag bereits durch einen, möglicherweise in der Vergangenheit liegenden, gewöhnlichen Aufenthalt etwa des volljährigen Ehepartners tatsächlich aufgelöst werden kann. Dabei ist jedoch die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu achten und dies mithin zu bejahen. Bei einer Gesamtschau der Umstände erscheint es jedoch insgesamt sehr zweifelhaft, ob der gewöhnliche Aufenthalt im Inland tatsächlich das geeignete Differenzierungskriterium ist, um über das Eingreifen des Unwirksamkeitsverdikts zu entscheiden. Weder das Entstehen eines Vertrauenstatbestands noch das Eingreifen des deutschen Schutzauftrags stehen und fallen mit dem Aufenthalt in Deutschland. In der Gesamtschau dieser Umstände überzeugt daher die von Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB vorgenommene Differenzierung nicht. Die Sachverhalte sind nicht wesentlich ungleich. Eine Verletzung von Art. 3 GG ist somit gegeben. 118

Vgl. dazu auch Wellernhofer, in: MüKo BGB, Art. 229 § 44 EGBGB, Rn. 10 ff. Kritisch dazu auch Rauscher, FS Kren Kostkiewicz, 245, 258; Toman/Olbing, in: Die Frühehe im Recht, 217, 227. 120 Ähnlich Toman/Olbing, in: Die Frühehe im Recht, 217, 227. 119

260

E. Auswertung der Untersuchung

bb) Vereinbarkeit mit Völker- und Unionsrecht Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB ist zudem auf seine Vereinbarkeit mit einschlägigen Normen des Völker- und Unionsrechts zu prüfen. (1) Vereinbarkeit mit Art. 12 UN-KRK Bei der UN-Kinderrechtekonvention (UN-KRK) handelt es sich um ein bindendes völkerrechtliches Abkommen. Die am 20. November 1989 beschlossene Konvention schreibt erstmalig Kinderrechte verbindlich fest. Die Bundesrepublik Deutschland trat dem Abkommen – zunächst noch unter Vorbehalt – am 5. April 1992 bei, seit dem 3. Mai 2010 gilt es vorbehaltslos.121 Art. 12 Abs. 1 Hs. 1 UN-KRK sichert jedem Kind, welches in der Lage ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese in allen es betreffenden Angelegenheiten äußern zu können und damit gehört zu werden.122 Zugleich verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten durch den zweiten Halbsatz dazu, die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife bei ihren kindsbezogenen Entscheidungen zu berücksichtigen. Im zweiten Absatz wird dieser Grundsatz verfahrensrechtlich abgesichert, indem er zugunsten des Kindes das Recht manifestiert, in allen es berührenden Gerichts- und Verwaltungsverfahren mit seiner Meinung gehört zu werden. Dies gebietet es den Konventionsstaaten zugleich, geeignete Maßnahmen vorzuhalten, um das von Art. 12 UN-KRK gewährleistete Mitspracherecht des Kindes vollständig zu ermöglichen.123 Ein Ermessensspielraum besteht dabei nicht.124 Bei der Prüfung von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB auf seine Vereinbarkeit mit Art. 12 UN-KRK ist zunächst festzustellen, dass es sich bei der Eheschließung Minderjähriger um eine kindesbezogene Angelegenheit i. S. d. Art. 12 Abs. 1 UNKRK handelt. Dies wird aus der ursprünglichen Fassung der Norm deutlich, die noch ausdrücklich die Ehe als Kindeswohlbelang benannte. Diese Gesetzesfassung wurde jedoch als zu eng angesehen und daher abgelehnt.125 Weiter ist festzustellen, dass die kraft Gesetzes eintretende Rechtsfolge von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB nicht die von Art. 12 Abs. 1 Hs. 1 UN-KRK geforderte Möglichkeit zur Stellungnahme bietet.126 Damit geht zugleich eine Verletzung der sich aus dem zweiten Halbsatz ergebenden Pflicht zur angemessenen Berücksichtigung der Kindesmeinung bei gerichtlichen Entscheidungen einher. Eine Rechtfertigung dieser Rechtsverletzung durch das konventionsinterne Kindeswohlprinzip (Art. 3 UN-KRK) scheidet aus. Dies ist, neben den im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung bereits ge121 Bender, in: Hofmann, Ausländerrecht, Vorb. zu § 1 AufenthG, Rn. 18; Schmahl, in: Schmahl, UN-Kinderrechtskonvention, Einleitung, Rn. 2 f. 122 Zu Art. 12 UN-KRK auch Schoppe, in: Die Frühehe im Recht, 191, 205. 123 Schmahl, in: Schmahl, UN-Kinderrechtskonvention, Art. 12 UN-KRK, Rn. 4. 124 Schmahl, in: Schmahl, UN-Kinderrechtskonvention, Art. 12 UN-KRK, Rn. 4. 125 LeBlanc, The Convention on the Rights of the Children, 159 f. 126 Gem. Art. 2 UN-KRK gelten Personen unter 18 Jahren als „Kind“.

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

261

wonnenen Ergebnissen, mit dem Verhältnis des Kindeswohlprinzips zu Art. 12 UNKRK zu begründen. Richtigerweise ist dabei zwar festzustellen, dass das objektiv zu bestimmende Kindeswohl sich nicht immer deckungsgleich mit der subjektiven Meinung des Kindes verhält. Diese Konfliktlage wird konventionsintern gelöst, indem die Meinung des Kindes als wesentlicher Faktor bei der Feststellung des Kindeswohls herangezogen wird.127 Das Kindeswohlprinzip und das Anhörungsrecht kollidieren daher weniger miteinander, als dass sie einander ergänzen.128 In Anbetracht dessen kann Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB schon deshalb nicht als angemessener Ausdruck des Kindeswohls gewertet werden, da die Regelung keine Möglichkeit zur Berücksichtigung der Kindesmeinung vorsieht. Gerade diese ist für die Ermittlung des bestmöglichen Ergebnisses für das individuelle Kind jedoch entscheidend. Da eine Rechtfertigung aus den genannten Gründen somit nicht in Betracht kommt, ist festzustellen, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB das aus Art. 12 UN-KRK folgende Recht des Kindes auf Gehörtwerden verletzt. (2) Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 2 GFK Art. 12 Abs. 2 S. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) verpflichtet die Vertragsstaaten „die von einem Flüchtling vorher erworbenen und sich aus seiner personenrechtlichen Stellung ergebenden Rechte, insbesondere die aus der Eheschließung folgenden“, zu achten, „gegebenenfalls vorbehaltlich der Formalitäten, die nach dem in diesem Staat geltenden Recht vorgesehen sind“. Diese völkerrechtliche Verpflichtung scheint auf den ersten Blick unvereinbar mit der Unwirksamkeitsregelung, da letztere zum Verlust sämtlicher aus der Ehe folgender Rechtspositionen führt. Die Anerkennungspflicht besteht jedoch gem. Art. 12 Abs. 2 S. 2 GFK nur vorbehaltlich einer Verletzung des nationalen ordre public.129 Da Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB die Anerkennung von Ehen und daraus erworbener Rechtspositionen gerade aus Gründen des ordre public versagt, greift die Vorbehaltsklausel.130 Eine Verletzung der Genfer Flüchtlingskonvention ist folglich nicht gegeben. (3) Vereinbarkeit mit Artt. 8, 12 EMRK Weiter ist auch die Vereinbarkeit des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB mit den die Ehe schützenden Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu prüfen. Konkret einschlägig sind dabei die Bestimmung zum Schutz des Fami127

Kirchhof, Die UN-Konvention über die Rechte des Kindes, 396. Schmahl, in: Schmahl, UN-Kinderrechtskonvention, Art. 12 UN-KRK, Rn. 27; Schoppe, in: Die Frühehe im Recht, 191, 205. 129 Metzger, in: Zimmermann/Dörschner, The 1951 Convention relating to the Status of Refugees and its 1967 Protocol, Art. 12, Rn. 51; im Zusammenhang mit dem Thema der Kinderehen dazu auch Yassari/Möller, KJ 50 (2017), 269, 276 f. 130 Auf diese Möglichkeit verweist auch von Hein, in: Juristische Studiengesellschaft Jahresband 2018, 29, 40; ders., in: MüKo BGB, Art. 5 EGBGB, Anhang II, Rn. 71. 128

262

E. Auswertung der Untersuchung

lienlebens aus Art. 8 und das Recht auf Eheschließung gem. Art. 12. Bei der Prüfung dieser Völkerrechtsverletzung muss zwischen Eheschließungen nach ausländischem Recht im Inland und der Anerkennung von im Ausland wirksam geschlossenen Ehen unterschieden werden. Bei den Eheschließungen im Inland ist zu beachten, dass die EMRK selbst kein Mindestheiratsalter festlegt. Stattdessen folgt aus Art. 12 EMRK das Recht und die Pflicht der Konventionsstaaten, eine entsprechende Altersgrenze für ihr nationales Recht zu bestimmen.131 Art. 12 EMRK unterscheidet bei diesem Rechtsetzungsauftrag nicht danach, nach welchem Recht die Eheschließung im Konventionsstaat erfolgt. Daher ist Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB, soweit er die Eingehung der Ehe in Deutschland betrifft, als Umsetzung des aus Art. 12 EMRK folgenden Rechtsetzungsauftrags zu verstehen.132 Eine andere Beurteilung der Norm ist geboten, soweit diese der Anerkennung ausländischer Ehen entgegensteht. Dabei muss zunächst Klarheit darüber gewonnen werden, welches Konventionsgrundrecht durch diese Fälle berührt wird. Die Literatur vertritt hierzu keine einheitliche Meinung. Während einige Stimmen den Schutz des Familienlebens und somit Art. 8 EMRK als beeinträchtigt ansehen,133 sprechen sich andere für das Ehegrundrecht aus Art. 12 EMRK als maßgebliche Rechtsposition aus.134 Letztere Ansicht wird damit begründet, dass der Schutzbereich des Konventionsgrundrechts nicht allein auf die Eingehung von Ehen beschränkt werden könne. Aus dem Recht auf Eheschließung folge zugleich, dass der Staat eine zulässigerweise begründete Ehe nicht zwangsweise beenden dürfe.135 Bei der Klärung der Frage nach dem einschlägigen Konventionsgrundrecht ist zudem die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu beachten. Der EGMR hat in Z.H. u. a. v. Switzerland zur Beurteilung der NichtAnerkennung einer im Ausland geschlossenen Kinderehe sowohl Art. 8 EMRK als auch Art. 12 EMRK als potentiell einschlägige Grundrechte herangezogen.136 Der Gerichtshof kam dabei zu dem Ergebnis, dass sich aus keiner der beiden Normen eine Verpflichtung ergebe, Ehen unter Beteiligung Minderjähriger – hier einer 14-Jährigen – in den Konventionsstaaten anzuerkennen.137 Diesem Urteilsspruch kann mithin für die Überprüfung von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB entnommen werden, dass die Norm jedenfalls nicht deshalb konventionswidrig ist, weil sie im Ergebnis zu

131

Pätzold, in: Karpenstein/Mayer, Art. 12 EMRK, Rn. 3. Vgl. dazu auch Decaux/Imbert, La Convention européenne des droits de l’homme, 448. 133 Coester, FamRZ 2017, 77, 79; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1377; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 431. 134 Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 43; Wolff, EuR 2005, 721, 729. 135 Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 43. 136 EGMR, Urt. v. 8. 12. 2017 – 60119/12 (Z.H. und R.H. / Switzerland). In diesem Zusammenhang ging es zwar um eine rein religiöse Eheschließung, der EGMR in seiner Urteilsbegründung jedoch ausdrücklich auch andere Formen der Eheschließung einbezogen hat („religious or otherwise“) (Rn. 44). 137 Ebenda, Rn. 44. 132

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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der Nicht-Anerkennung einer ausländischen Kinderehe führt. Der Gerichtshof hat die Zulässigkeit entsprechender Regelungen bestätigt.138 In Betracht kommt jedoch eine Verletzung von Konventionsgrundrechten durch die von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB vorgenommene Typisierung.139 Die EMRK enthält zur Frage der Zulässigkeit derartiger Regelungen keine ausdrückliche Bestimmung. Auch die Rechtsprechung des EGMR hilft hier nur wenig weiter. In Z.H. u. a. v. Switzerland gingen die Richter davon aus, dass „this court must not rush to substitute its own judgment in place of the authorities who are best placed to assess and respond to the needs of society“.140 Dies lässt sich als Zugeständnis eines umfassenden Gestaltungsspielraums der nationalen Gesetzgeber verstehen. Unklar bleibt aber weiterhin, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang hiervon auch typisierende Regelungen erfasst sind. Zur Beantwortung dieser Frage kann die Rechtsprechung zum Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK nutzbar gemacht werden. Dies erscheint deshalb praktikabel, da sich gezeigt hat, dass mit Typisierungen stets eine Verletzung von Gleichheitsrechten einhergeht. Folglich ist anzunehmen, dass eine Typisierung im Rahmen von Art. 12 EMRK jedenfalls dann unzulässig ist, wenn diese in nicht gerechtfertigter Weise zugleich das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK verletzt. Der EGMR sieht in seiner Rechtsprechung bislang die Grenze zur Diskriminierung bei verallgemeinernden Regelungen als überschritten an, wenn „a general and automatic restriction applied to a group of people [on the basis of their sex] must be seen as falling outside any acceptable margin of appreciation, however wide the margin might be, and as being incompatible with Article 14“.141 Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB ist zu beachten, dass die EMRK den Konventionsstaaten bei der Beurteilung der Gleich- beziehungsweise Ungleichheit eines Tatbestandes einen Ermessensspielraum zugesteht. Dieser ist dann besonders weit gefasst, wenn es um Fragen von moralischer oder ethischer Bedeutung geht, hinsichtlich derer in den Mitgliedsstaaten kein Konsens besteht.142 Bei den zulässigen Altersgrenzen für die Anerkennung von Kinderehen handelt es sich um eine derartige kontroverse Frage. Dies hat die vorangegangene rechtsvergleichende Untersuchung gezeigt. Folglich steht dem deutschen Gesetzgeber hier ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Angesichts dieser restriktiven Haltung der EMRK gegenüber der nationalen Gesetzgebung bei Fragen von moralischer Bedeutsamkeit kann hier nicht von einer unzulässigen Diskriminierung i. S. d. Art. 14 EMRK ausgegangen werden. Mangels anderweitiger ersichtlicher Rechtsverstöße ist daher 138

EGMR, Urt. v. 18. 12. 1986 – 9697/82 (Johnston u. a. / Irland). Dies ist auch maßgeblicher Gegenstand der von der Literatur geäußerten Kritik, dazu Coester, FamRZ 2017, 77, 79; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1377; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 431. 140 Siehe Fn. 136, Rn. 44. 141 EGMR, Urt. v. 22. 3. 2012 – 30078/06 (Markin / Russia) (Rn. 148). 142 Meyer-Ladewig/Lehner, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK Handkommentar, Art. 14, Rn. 12. 139

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E. Auswertung der Untersuchung

festzustellen, dass sich die Regelung im Rahmen des Gestaltungsspielraums befindet, den die EMRK den Konventionsstaaten bei der Anerkennung von ausländischen Ehen einräumt. Eine Verletzung von Konventionsgrundrechen ist somit nicht gegeben. (4) Vereinbarkeit mit Art. 21 AEUV Zuletzt ist eine Verletzung der unionsrechtlichen Freizügigkeit zu prüfen. Dieses Recht wird durch Art. 21 AEUV ermöglicht, welcher den Unionsbürgern das Recht der freien Ein- und Ausreise in alle Mitgliedsstaaten gewährleistet.143 Eine Verletzung des Freizügigkeitsrechts liegt dabei nicht erst dann vor, wenn nationales Recht die Reisefreiheit ausdrücklich einschränkt. Vielmehr werden schon solche inländischen Regelungen als Beeinträchtigung angesehen, die die Ausübung der Freizügigkeit schwieriger machen als den Verbleib im Heimatstaat.144 Bei der diesbezüglichen Prüfung von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB ist zunächst festzustellen, dass hieraus eine Erschwerung des Freizügigkeitsrechtes folgt. Dabei ist auf die NichtAnerkennung der Ehe in Deutschland und die daraus resultierenden negativen Konsequenzen für die Ehegatten zu verweisen.145 Dieses Ergebnis wird durch die einschlägige deutsche Rechtsprechung zu den milderen Fällen der Eheaufhebung nach Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB bestätigt.146 Es muss jedoch auch berücksichtigt werden, dass bislang kein Art. 21 AEUV berührender, in den Anwendungsbereich des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB fallender Sachverhalt bekannt geworden ist. Auch in Zukunft wird dies wohl praktisch nur selten vorkommen. Dies ist mit der in den Mitgliedsstaaten zu verzeichnenden Tendenz zur Anhebung des Ehemündigkeitsalters zu begründen.147 So sehen viele nationale Rechtsordnungen mittlerweile die Vollendung des 18. Lebensjahrs, teilweise mit Dispensmöglichkeit ab 16 Jahren, als Voraussetzung für die Eheschließung vor.148 Es gibt jedoch auch Abweichungen hiervon: Das estnische Familiengesetz gestattet es zwar gem. § 1 Abs. 2 nur volljährigen Personen, die Ehe einzugehen.149 § 1 Abs. 3 sieht hiervon jedoch eine Ausnahme vor. Demnach kann das Gericht Personen, die mindestens das 15. Lebensjahr vollendet haben, zur Vornahme derjenigen Handlungen ermächtigen, die zur Eheschließung erforderlich sind.150 Estland ist seit dem 1. Mai 2004 Mitglied der EU, so dass Art. 21 AEUV Anwendung findet. Es besteht mithin theoretisch die 143

Rossi, in: BeckOK Ausländerrecht, Art. 21 AEUV, Rn. 12. Haltern, Europarecht, Band II, Rn. 2032. 145 Beispielsweise der Gefahr der – in Deutschland zulässigen – erneuten Heirat eines Ehepartners. 146 Vgl. dazu etwa OLG Oldenburg, Hinweisbeschl. v. 18. 04. 2018 – 13 UF 23/18 = FamRZ 2018, 1152, 1153; AG Frankenthal, Beschl. v. 15. 02. 2018 – 71 F 268/17 = FamRZ 2018, 749 f. 147 Coester, StAZ 2016, 257, 258; Rohe, StAZ 2018, 73, 74. 148 Vgl. dazu Reuß, FamRZ 2019, 1, 6 ff. 149 Familiengesetz vom 18. 11. 2009, in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Eheund Kindschaftsrecht, Estland. 150 Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Estland. 144

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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Möglichkeit, dass in einem Mitgliedsstaat Ehen unter Beteiligung von unter 16-Jährigen rechtmäßig geschlossen werden. Entsprechende Ehepaare werden durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in ihrer unionsrechtlich garantierten Freizügigkeit beeinträchtigt. Bei der Prüfung der Rechtfertigung dieses Eingriffs ist die Coman-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu beachten.151 Diese befasste sich – eingekleidet in einen aufenthaltsrechtlichen Sachverhalt – mit der Anerkennung einer gleichgeschlechtlichen Ehe in Rumänien. Das materielle rumänische Recht sieht die Möglichkeit zur Schließung gleichgeschlechtlicher Ehen nicht vor. Zudem enthält es einen besonderen ordre public-Vorbehalt, der der Anerkennung von im Ausland geschlossenen, gleichgeschlechtlichen Ehen entgegensteht. Der EuGH wies bei seiner Entscheidung zunächst auf den Umstand hin, dass die personenstandsrechtliche Gesetzgebung in den alleinigen Kompetenzbereich der Mitgliedsstaaten falle. Die Ausgestaltung des nationalen Rechts müsse jedoch unter Achtung des Unionsrechts erfolgen.152 Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Fall gingen die Richter davon aus, dass aus der Weigerung, die gleichgeschlechtliche Ehe anzuerkennen, eine Beeinträchtigung von Art. 21 AEUV resultiere. Dies begründeten sie damit, dass durch diese Regelung das Freizügigkeitsrecht in Abhängigkeit von nationalen Bestimmungen unterschiedlich ausgestaltet werde.153 Eine Rechtfertigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung lehnte der Gerichtshof ab. Dabei verwiesen die Richter auf das zunächst für das Namensrecht entwickelte unionsrechtliche Anerkennungsprinzip. Dieses übertrugen sie auf Eheschließungen und stellten fest, dass sich hieraus die mitgliedsstaatliche Pflicht zur Anerkennung von in anderen Unionsstaaten geschlossenen Ehen ergebe. Dabei sei unbeachtlich, ob das nationale Recht die konkrete Form der Ehe vorsehe. Der Gerichtshof sah eine Verletzung der nationalen öffentlichen Ordnung oder der mitgliedsstaatlichen Identität (Art. 4 Abs. 2 EUV) dadurch als nicht gegeben an. Dies sei deshalb ausgeschlossen, da die Mitgliedsstaaten lediglich zur Anerkennung der ausländischen Ehen, nicht aber zur Bereitstellung dieser Eheform im nationalen Recht verpflichtet würden. Durch die Coman-Rechtsprechung wurde somit der Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Anerkennungsrechts ausgeweitet und präzisiert: Zunächst erweitert die Rechtsprechung das aus dem Namensrecht bekannte Anerkennungsprinzip erstmalig auf ein sonstiges Statusverhältnis.154 Zusätzlich konkretisiert es dessen Gehalt dahingehend, dass die Mitgliedsstaaten untereinander auch zur Anerkennung solcher Ehen verpflichtet seien, die dem nationalen Recht fremd sind. Hieraus ergeben sich auch für die Prüfung von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB Folgen: Die dabei vorgefundene Situation zeigt Parallelen zur Coman-Rechtsprechung. Sofern Kinderehen in zulässiger Weise in einem Mitgliedsstaat geschlossen werden, 151 152 153 154

EUGH, Rs. C-673/16 (Coman u. a.), ECLI:EU:C:2018:385. Ebenda, Rn. 37 f. Ebenda, Rn. 39. Vgl. hierzu ausführlich Mankowski, IPRax 2020, 323 ff.

266

E. Auswertung der Untersuchung

sind die übrigen Mitgliedsstaaten aufgrund des unionsrechtlichen Anerkennungsprinzips dazu verpflichtet diese anzuerkennen. Dabei kann weder geltend gemacht werden, dass derartige Ehen im nationalen Recht nicht vorgesehen seien, noch, dass die Anerkennung aus Gründen des ordre public nicht möglich sei. Soweit Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB somit der Anerkennung von in einem anderen Mitgliedsstaat wirksam begründeten Ehen von unter 16-Jährigen entgegensteht, kommt er wegen des Vorrangs des Unionsrechts nicht zur Anwendung. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass es auch ohne die Coman-Rechtsprechung – und den daraus folgenden anerkennungsrechtlichen Geboten – zweifelhaft erscheint, ob der Eingriff in Art. 21 AEUV als verhältnismäßig und somit gerechtfertigt angesehen werden würde. Das OLG Oldenburg erachtete es für eine solche Rechtfertigung – dort unter Anwendung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB – für erforderlich, dass die konkret-individuelle Schutzwürdigkeit des jeweils betroffenen minderjährigen Ehepartners feststehe.155 Nur wenn tragfähige Anhaltspunkte hierfür vorlägen, sei der Gesetzeszweck erfüllt und der Eingriff in Art. 21 AEUV durch hinreichend gewichtige Interessen gerechtfertigt.156 Es müsse somit für jeden Sachverhalt die Schutzbedürftigkeit des Minderjährigen ermittelt werden, wobei bereits im Rahmen der Prüfung von Art. 6 Abs. 1 GG festgestellt wurde, dass diese jedenfalls dann entfällt, wenn der Minderjährige der Eheschließung wirksam zustimmen konnte.157 cc) Kulturelle Identität Weiter soll überprüft werden, inwiefern der Gesetzgeber bei der Schaffung von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB Raum für die Berücksichtigung individueller kultureller Bedürfnisse gelassen hat. Dabei kann ein allgemeiner Gedanke zur kulturellen Identität im IPR aufgegriffen werden: Wie bereits dargelegt, spielt die kulturelle Identität vor allem bei der Kodifikation des Personalstatuts eine besondere Rolle.158 Dies beruht auf der Relevanz, die die Verknüpfung einer Person mit einer Rechtsordnung für dessen individuelle Lebensführung hat. Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB regelt zwar nicht das Personalstatut der Verlobten. Die Regel tritt jedoch an dessen Stelle, indem die Vorbehaltsklausel die Regelanknüpfung des Art. 13 Abs. 1 EGBGB verdrängt. Das deutsche Recht schiebt damit eine Anknüpfung beiseite, die als in kultureller Hinsicht besonders sensibel anerkannt ist. Allein dieser Umstand führt zwar noch nicht dazu, dass sich hier schlichtweg jede Hinwegsetzung über kulturelle Interessen verbietet. Er scheint aber dafür zu sprechen, mit besonderer Rücksicht vorzugehen, um so Spielraum für die 155

1153. 156 157 158

OLG Oldenburg, Hinweisbeschl. v. 18. 04. 2018 – 13 UF 23/18 = FamRZ 2018, 1152, OLG Oldenburg, FamRZ 2018, 1152, 1153. Vgl. dazu E.II.1.a)aa)(1)(c). Siehe dazu auch Rauscher, FS Jayme, Band I, 719, 730.

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

267

kulturellen Besonderheiten des Einzelfalls zu schaffen. Gerade dies setzt Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB wegen der generalisierenden Unwirksamkeitsregel jedoch nicht um. Indem die Norm keinerlei Spielraum für die Besonderheiten des Einzelfalles lässt, missachtet sie die hier indizierte gebotene Sensibilität. b) Vereinbarkeit mit Grundsätzen des Kollisionsrechts Zur Vereinbarkeit von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB mit den Grundsätzen des Kollisionsrechts ist festzustellen, dass die Norm diese in besonderem Maße außer Acht lässt. Dies betrifft zunächst den Gedanken der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen. Indem die Vorbehaltsklausel darauf verzichtet, das konkrete Rechtsanwendungsergebnis zu überprüfen und allein auf das nationale Ehemündigkeitsalter abstellt, werden deutsche rechtliche Wertungen gegenüber ausländischen als generell vorrangig erklärt. Die Besonderheiten des ausländischen Rechts bleiben außer Acht. Auch dem Ziel der kontinuierlichen Statusverhältnisse zollt die Regelung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB keine Beachtung. Die vollständige Nicht-Anerkennung von Kinderehen führt zu einem Bruch gegenüber der rechtlichen Bewertung dieser durch andere Staaten. Die Regelung führt damit zur Entstehung hinkender Ehen und schadet so neben den individuellen Interessen auch dem internationalen Entscheidungseinklang. Die Norm ist daher aus kollisionsrechtlicher Sicht als wenig wünschenswert zu beurteilen. c) Auswertung der rechtsvergleichenden Untersuchung Der Vergleich mit der englischen Rechtslage führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Das englische Recht selbst verhält sich zur Thematik der Kinderehen zwiespältig. Hinsichtlich der Eheschließung von Domizilengländern gilt bislang die Altersgrenze von 18 Jahren. Hiervon ist ein Dispens ab Vollendung des 16. Lebensjahrs möglich. Diese Altersgrenze ist im englischen Recht als zweiseitiges Ehehindernis ausgestaltet. Es untersagt mithin auch volljährigen Inländern die Ehe mit einem, aus Sicht des englischen Rechts unmündigen, Minderjährigen einzugehen. Die von der Literatur vertretene dogmatische Einordnung des Verbots von Kinderehen als Teil des nationalen ordre public wird von der höchstrichterlichen englischen Rechtsprechung bislang nicht bestätigt. Im Urteil Pugh v. Pugh,159 welches sich erstmalig mit dem Ehemündigkeitsalter befasste, wurde die Unwirksamkeit der Ehe jedoch mit moralischen sowie sozialen Aspekten begründet. Dies spricht dafür, dass die nationale Ehemündigkeitsregel sowie deren unbedingte Durchsetzung bei Eheschließungen im Ausland jedenfalls auch der Durchsetzung englischer Wertvorstellungen dienen. Dies gilt sinngemäß auch für solche Eheschließungen in England, an denen kein englisches Eheschließungsstatut beteiligt ist. Zwar existiert zu dieser Frage noch keine gerichtliche Leitentscheidung. Es scheint jedoch die 159

Vgl. dazu unter D.III.1.b).

268

E. Auswertung der Untersuchung

Regel allgemein akzeptiert, wonach die Voraussetzungen des nationalen Eheschließungsrechts auch auf Ausländer Anwendung finden, wenn diese in England heiraten. Unklar ist, inwiefern die vorgeschlagene Anhebung des nationalen Ehemündigkeitsalters Einfluss auf diese aktuelle Rechtslage haben wird. Es ist jedoch zu vermuten, dass diese neue Altersgrenze jedenfalls auch auf die Eheschließung von Ausländern im Inland Anwendung finden wird. Daher kann hier bei Bestehen eines gewissen Inlandsbezugs von einem starken Interesse des englischen Gesetzgebers an der Durchsetzung seiner nationalen Wertvorstellung ausgegangen werden. Die Verbindung zum englischen Recht kann sich dabei entweder aus der Beteiligung englischer domicile-Inhaber an der Eheschließung ergeben, oder daraus, dass die Trauung in England stattfindet. Demgegenüber ist dieses gesetzgeberische Interesse dann geringer, wenn es um die Anerkennung von im Ausland geschlossenen Kinderehen geht. Hier bringt das englische Recht mit der bis heute aktuellen Leitentscheidung Mohamed v. Knott zum Ausdruck,160 die im fremden Recht geltende Altersgrenze grundsätzlich zu akzeptieren. Anzumerken ist hier zwar, dass seit der Mohamed-Entscheidung bereits über 50 Jahre vergangen sind. Im gleichen Atemzug ist jedoch festzuhalten, dass diese weiterhin von der Literatur als maßgebliche Referenz herangezogen wird. Unklar ist, ob und inwiefern sich die geplante Anhebung des nationalen Ehemündigkeitsalters auch auf die Anerkennung von ausländischen Ehen auswirken wird. d) Abschließende Bewertung und Änderungsvorschlag Die Prüfung hat gezeigt, dass die an der Norm geübte Kritik berechtigt ist. Die Regelung widerspricht bedeutenden Prinzipien des nationalen und internationalen Rechts und sollte daher aus dem deutschen Kollisionsrecht entfernt werden. Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus der Verfassungs- und Völkerrechtswidrigkeit der Norm. Weiter missachtet Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB auch wesentliche Grundsätze des IPR, indem die Klausel ohne Berücksichtigung des Einzelfalls die Anwendung der berufenen ausländischen Rechtsordnung ausschließt. Zugleich resultiert daraus die fehlende Berücksichtigung kultureller Interessen der von der Norm betroffenen Individuen. Auch das englische Recht bietet für diese extrem restriktive Haltung des deutschen Gesetzgebers keinen Rückhalt. Zwar wird es auch hier in einigen Fällen für erforderlich gehalten, die nationale Ehemündigkeitsgrenze durchzusetzen. Hierfür wird jedoch stets ein erhöhter Inlandsbezug verlangt. Bei der Anerkennung ausländischer Statusverhältnisse zeigt sich das englische Recht demgegenüber jedoch liberal und eher zurückhaltend hinsichtlich der Durchsetzung eigener Wertvorstellungen. In positiver Hinsicht bleibt anzumerken, dass der Gesetzgeber mit Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB einen „wunden Punkt“ getroffen hat, was die Fallzahlen zu Kinderehen belegen. Es kann nur gemutmaßt werden, ob diesen Fällen unter Anwendung der allgemeinen Vorbehaltsklausel hinreichend gerecht geworden wäre. 160

Vgl. dazu unter D.III.1.c).

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

269

Dabei wäre auch zu berücksichtigen, welche Auswirkungen die Anhebung des nationalen Ehemündigkeitsalters des § 1303 BGB auf die im Rahmen von Art. 6 EGBGB zulässigen Altersgrenzen gehabt hätte. Abschließend bleibt zu überlegen, ob der hier geäußerten Kritik an der Norm begegnet werden könnte, indem die Aufhebungslösung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB auch auf die Ehen der unter 16-Jährigen angewendet wird.161 Dies böte den Vorteil, dass sowohl im Rahmen des Ermessens bei § 1314 Abs. 1 BGB als auch bei der Abwägung im Rahmen der Härtefallklausel individuelle Besonderheiten des Falls Berücksichtigung finden könnten.162 Diese Lösung erscheint als Kompromiss zwischen dem gesetzgeberischen Bedürfnis nach Rechtsklarheit und den individuellen Interessen der von der Norm Betroffenen. Dabei sollte aber kritisch hinterfragt werden, inwiefern sich aus dieser Änderung eine tatsächliche Verbesserung gegenüber der bis 2017 geltenden Rechtslage ergeben würde. Als einziger Unterschied wäre hier zu benennen, dass die Gerichte nach der Aufhebungslösung grundsätzlich zur Aufhebung der ausländischen Ehen gehalten sind, sofern nicht die Einzelfallumstände ausnahmsweise für deren Aufrechterhaltung sprechen. Dies entspricht jedoch faktisch dem Ergebnis für ausländische Ehen von unter 16-Jährigen unter der bis 2017 geltenden Rechtslage. Dennoch wäre die Anwendung der Aufhebungslösung insbesondere auch deshalb, weil eine Rückkehr zur alten Rechtslage eher unwahrscheinlich erscheint, als Schritt in die richtige Richtung zu bewerten. 2. Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB Wie oben bereits angekündigt folgt auf diese Überprüfung der Unwirksamkeitsregelung nun ein entsprechendes Vorgehen für die Aufhebungslösung. a) Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht aa) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht (1) Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 GG Hier ist zunächst zu fragen, ob und inwiefern die Aufhebung von Ehen, bei denen wenigstens ein Partner unter 18, aber über 16 Jahre alt ist, mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist. Lediglich zur besseren Lesbarkeit werden solche Ehen nachfolgend als Ehen von unter 18-Jährigen bezeichnet.163 Eine Verletzung des Ehegrundrechts in seiner Funktion als wertentscheidende Grundsatznorm sowie als Institutsgarantie kommt hier aus den zu Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB erläuterten Gründen nicht in 161

Hierauf verweist die Evaluierung zum Kinderehen-Gesetz, 15. Dazu auch schon BGH, FamRZ 2019, 181, 185 [Rn. 60 ff.]; im Übrigen dazu auch Weller/Thomale/Hategan/Werner, FamRZ 2018, 1289, 1295 f. 163 In Abgrenzung zu den unter Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB fallenden Ehen von unter 16-Jährigen. 162

270

E. Auswertung der Untersuchung

Betracht.164 Daher ist Art. 6 Abs. 1 GG nur in seiner Funktion als Freiheitsgrundrecht zu prüfen. (a) Schutzbereich In diesem Rahmen ist zunächst die Frage aufzuwerfen, ob Ehen von unter 18Jährigen vom verfassungsrechtlichen Ehebegriff erfasst sind. Bei der Beantwortung dessen steht erneut die Erfüllung des Konsensprinzips im Mittelpunkt. Hierzu kann mit Rücksicht auf das zu Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB Gesagte im Sinne eines ErstRecht-Schlusses davon ausgegangen werden, dass wenigstens in einzelnen Fällen Jugendliche im Alter zwischen 16 und 18 Jahren die für den Ehekonsens erforderliche geistige Reife und Entscheidungsfähigkeit aufweisen.165 Die Zahl der Ehen, die die verfassungsrechtlichen Anforderungen erfüllen, wird dabei wegen des steigenden Alters erheblich höher sein als dies bei der von der Unwirksamkeitslösung erfassten Konstellation der Fall ist. Der persönliche Schutzbereich wird daher in einer Vielzahl der von Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB erfassten Fälle eröffnet sein. Hinsichtlich des sachlichen Schutzbereichs kann auf das hierzu bei der Prüfung von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB Gesagte verwiesen werden.166 (b) Eingriff und Rechtfertigung Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB führt zur Anwendbarkeit der Eheaufhebungsvorschriften des BGB.167 Diese sind in §§ 1313 ff. BGB verankert. Danach ist zunächst eine Pflicht der zuständigen Behörde zur Antragsstellung vorgesehen (§ 1316 Abs. 3 S. 2 BGB).168 Die Antragspflicht entfällt nur dann, wenn der vormals minderjährige Ehegatte mittlerweile volljährig ist und die Ehe bestätigt hat. Im Rahmen des sich daran anschließenden gerichtlichen Aufhebungsverfahrens kommt den Richtern nach neuer BGH-Rechtsprechung ein Ermessen zu. § 1314 BGB wird als echte „Kann“-Vorschrift verstanden.169 Damit die mit der Kinderehen-Gesetzgebung verfolgten gesetzgeberischen Ziele jedoch nicht gänzlich aus dem Blickfeld geraten, sind die Gerichte in ihrem Ermessen eingeschränkt.170 Dabei gilt, dass grundsätzlich zugunsten der Aufhebung zu entscheiden ist, außer es liegen erhebliche, dem widersprechende Gründe vor.171 Sofern eine von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Ehe 164

Vgl. dazu unter E.II.1.a)aa)(1). Dazu insgesamt auch Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 47. 166 Vgl. dazu unter E.II.1.a)aa)(1)(c)(bb). 167 Wellenhofer, in: MüKo BGB, § 1314 BGB, Rn. 5. 168 Otto, in: BeckOGK BGB, § 1314 BGB, Rn. 3. 169 BGH, Beschl. v. 22. 7. 2020 – XII ZB 131/20, siehe dazu unter C.II.4.c); Hahn, in: BeckOK BGB, § 1314 BGB, Rn. 1; Antomo, in: NomosKommentar BGB, § 1314 BGB, Rn. 4. 170 BGH, Beschl. v. 22. 7. 2020 – XII ZB 131/20, siehe dazu unter C.II.4.c). 171 BGH, Beschl. v. 22. 7. 2020 – XII ZB 131/20, siehe dazu unter C.II.4.c); kritisch, da der BGH keine konkreten Kriterien für die Ausübung des Ermessens genannt hat, Antomo, FamRZ 2020, 1538, 1539. 165

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

271

gegeben ist, wird diese also – vorbehaltlich der Ausnahmefälle – durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB gegen den Willen der Ehegatten beendet. Dies stellt einen Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Eheleben dar. Zur Rechtfertigung dessen verweist der Gesetzgeber auf die kollidierenden Verfassungsgüter des Kindeswohls sowie der Rechtssicherheit. Dabei ist in Anschluss an das oben Gesagte bezüglich des erstgenannten Arguments erneut darauf hinzuweisen, dass es keines weiteren Schutzes des Kindeswohls bedarf, wenn eine von Art. 6 Abs. 1 GG erfasste Ehe vorliegt.172 Hier stellt bereits das verfassungsrechtliche Konsensprinzip sicher, dass eine selbstbestimmte Handlung des Minderjährigen vorliegt.173 Eine Rechtfertigung der Aufhebungslösung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB kommt mithin nur noch aus Gründen der Rechtssicherheit in Betracht. Diese ist am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen. Wegen des Verständnisses des § 1314 BGB als Ermessensnorm ist zweifelhaft, ob Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB tatsächlich geeignet ist, Rechtssicherheit zu schaffen. Dies beruht auf dem Umstand, dass im Rahmen der Ermessensausübung stets eine Güterabwägung durch die Gerichte erfolgt. Deren Ergebnis hängt von der Bewertung einzelner Faktoren ab und ist daher nicht mit Sicherheit im Voraus zu bestimmen. Beachtlich ist hier jedoch die vom BGH vorgeschriebene Tendenz zur Eheaufhebung, von der nur bei Vorliegen gewichtiger Gründe abgewichen werden kann. Weitere Zweifel an der Geeignetheit der Regelung ergeben sich aus der Härtefallklausel. Deren unklare Formulierung und die von der Gesetzbegründung vorgegebenen, uneinheitlichen Beispiele für ihr Eingreifen lassen Unklarheiten entstehen. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass bei Härtefallklauseln regelmäßig eine offene Formulierung erforderlich ist, um die Vielzahl der möglichen Fallgestaltungen zu erfassen. Daher kann der Regelungskomplex insgesamt noch als geeignet angesehen werden. Unter dem Aspekt der Erforderlichkeit ist auf die Möglichkeit einer Einzelfallprüfung als milderes Mittel hinzuweisen.174 Diese steht jedoch der Schaffung von Rechtssicherheit entgegen und ist damit gerade nicht gleichermaßen geeignet. Zudem ist hier darauf hinzuweisen, dass wegen der Ausgestaltung des § 1314 BGB als Ermessensnorm und aufgrund der Härtefallklausel eine Berücksichtigung der Einzelfallumstände im Rahmen des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB jedenfalls teilweise möglich ist. Hinsichtlich der Angemessenheit der Regelung ist zugunsten von Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB auf die besondere Relevanz des Statusverhältnisses der Ehe und das damit verknüpfte Rechtssicherheitsinteresse hinzuweisen. Die aus der Ehe resultierenden Rechtsfolgen sind für die Paare von erheblichem Gewicht, weshalb sie möglichst frühzeitig den (Fort-)Bestand ihrer Ehe in Deutschland beurteilen können sollten. Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass die Aufhebung von verfassungsrechtlich geschützten Ehen einen besonders schweren Grundrechtseingriff 172 173 174

Siehe dazu unter E.II.1.a)aa)(1)(c)(bb). Vgl. Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 47. So auch Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465, 469.

272

E. Auswertung der Untersuchung

darstellt. Hierdurch wird den Verbindungen nahezu jegliche Wirkung versagt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es keine Möglichkeit gibt, einmal aufgehobenen Ehen wieder zur Wirksamkeit zu verhelfen. Diese Wirkungen werden zwar durch das bei § 1314 BGB eingeräumte Ermessen abgemildert, indem nun nicht mehr sämtliche Ehen von der Aufhebungslösung erfasst sind. Aus der engen Beschränkung dieser Ausnahmemöglichkeit folgt jedoch, dass diese nicht bei allen verfassungsrechtlich geschützten Ehen eingreifen wird. Das Ermessen mindert mithin die Quantität der erzeugten Grundrechtseingriffe, nicht jedoch die Qualität der jeweiligen Rechtsverletzung. Angesichts des hohen rechtlichen Werts des Instituts der Ehe sowie in Anbetracht dessen, dass die Regelung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB eine große Anzahl verfassungsrechtlich geschützter Ehen betrifft, kann das Streben nach Rechtssicherheit diesen Eingriff nicht rechtfertigen. Soweit Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB somit Ehen i. S. d. Art. 6 Abs. 1 GG aufhebt, greift dieser in ungerechtfertigter Weise in den durch das Ehegrundrecht gewährleisteten Schutzbereich ein. (2) Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG Bei der Überprüfung von Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB auf seine Vereinbarkeit mit dem Vertrauensschutzgrundsatz ist zunächst die von der Norm bewirkte Art der Rückwirkung zu bestimmen. Anders als Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB knüpft die Aufhebungslösung zwar tatbestandlich an die Eheschließung an, lässt diese jedoch als abgeschlossenen Tatbestand unberührt. Vielmehr modifiziert die Norm die sich aus diesem Tatbestand ergebenden Rechtsfolgen, indem sie die Ehen ab Inkrafttreten des Gesetzes rechtlich neu bewertet. Daher ist Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB, soweit die Norm Ehen betrifft, die vor Inkrafttreten des Kinderehen-Gesetzes geschlossen wurden, als Fall der unechten Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) zu qualifizieren.175 Derartige Regelungen sind aus verfassungsrechtlicher Perspektive grundsätzlich zulässig, sofern der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt wird. Dabei bestehen bei Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB vor allem Zweifel an dessen Geeignetheit zur Förderung des Kindeswohls. Sofern die Norm zur Aufhebung von Ehen führt, die unter dem Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG stehen, ist eher von einer gegenteiligen Wirkung auszugehen. Demgegenüber trägt die Regelung dann zum Schutz des Kindeswohls bei, wenn sie zur Aufhebung solcher Ehen führt, die nicht auf einem gemeinsamen Konsens beruhen. Da für die Geeignetheit einer Regelung nicht erforderlich ist, dass sie den verfolgten Zweck bestmöglich fördert,176 kann die Geeignetheit von Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB zur Förderung des Kindeswohls angenommen werden. Bezüglich des Aspekts der Rechtssicherheit kann auf das im Rahmen der Prüfung von Art. 6 Abs. 1 GG Gesagte verwiesen werden.177 Hinsichtlich der Erforderlichkeit von Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB ist wiederum auf die 175 Diese Auffassung vertritt auch der BGH in seinem Beschluss vom 22. 7. 2020 – XII ZB 131/20, Rn. 48. 176 BVerfG, Beschl. v. 16. 3. 1971 – 1 BvR 52/66 = BVerfGE 30, 292, 316. 177 Vgl. dazu unter E.II.1.a)aa)(1)(c)(aa).

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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Einzelfallprüfung als milderes Mittel zu verweisen. Ein entsprechendes Vorgehen würde vermeiden, dass verfassungsrechtlich geschützte Ehen aufgehoben werden. Dem ließen sich insofern Effektivitätserwägungen entgegenhalten, als eine Einzelfalllösung grundsätzlich fehleranfälliger ist. So könnten in kindeswohlgefährdender Weise Ehen aufrechterhalten werden, die dem Konsensprinzip nicht gerecht werden. Zudem muss hier auch die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers Beachtung finden. Bei der Prüfung der Angemessenheit einer unechten Rückwirkung sind die Bestandsinteressen der Betroffenen gegen die Veränderungsbelange des Gesetzgebers abzuwiegen. Dabei sind auf Seiten der Betroffenen insbesondere die beeinträchtigten Rechtspositionen sowie die Intensität der durch die Rückwirkung erfolgenden Benachteiligung zu berücksichtigen.178 Zugunsten der Regelung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB ist zunächst auf die erheblichen nachteiligen Folgen hinzuweisen, die sich aus einer nicht-konsensualen Ehe für Minderjährige ergeben können. Zudem bietet die Aufhebungslösung die Möglichkeit, die aus der Ehe hervorgegangenen Rechte und Pflichten angemessen zu regeln, indem § 1318 BGB auf die Scheidungsvorschriften verweist. Auch führt das im Rahmen des § 1314 BGB eingeführte Ermessen dazu, dass besonders unangemessene Härten vermieden werden können. Dies kann etwa Fälle betreffen, in denen das Paar auch nach Erreichen der Volljährigkeit die Ehe noch über einen langen Zeitraum freiwillig fortsetzt, oder die Eingehung einer Ehe unmittelbar vor Vollendung des 18. Lebensjahrs. Dem steht die überragende Bedeutung der Ehe als Statusverhältnis gegenüber. Bereits hieraus resultiert ein hohes Interesse am Fortbestand dieser Verbindung. Zwar gehen die aus der Ehe erworbenen Rechte wegen der Anordnung der Scheidungsfolgen nicht verloren; dennoch besteht im Rahmen des Ermessens nur in sehr engen Grenzen die Möglichkeit eines Aufrechterhaltens der Ehe. Auch eine Heilung beziehungsweise Bestätigung der Ehe bei Erreichen der Volljährigkeit ist nicht möglich. Den von der Aufhebung betroffenen Paaren bleibt nur die Möglichkeit einer erneuten Eheschließung im Inland, sobald beide Partner das 18. Lebensjahr vollendet haben. Zusätzlich ist bei der Abwägung der widerstreitenden verfassungsrechtlichen Erwägungen zu beachten, dass nach alter Rechtslage keine erheblichen Unsicherheiten zur Frage der Anerkennung der Ehen von unter 18-Jährigen bestanden. Diese wurden unter Anwendung von Art. 6 EGBGB stets als im Inland wirksam erachtet. Anders als nach aktuellem Recht ließ sich dies zwar nicht unmittelbar dem Gesetz entnehmen. Die Rechtsprechung der Gerichte war insofern jedoch stringent,179 so dass sich Unsicherheiten hier ohne erheblichen Aufwand beseitigen ließen. Hinzu kommt die eher als gering einzustufende Zahl der Fälle von nicht-konsensualen Ehen unter 18-Jähriger. Dieser steht eine hohe Quantität an Eingriffen in verfassungsrechtlich geschützte Verbindungen gegenüber. Wegen des streng limitierten Anwendungsbereichs des gerichtlichen Ermessens und der Härtefallklausel ist von einem unverhältnismäßigen Eingriff in den verfassungsrechtlich 178 179

Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 GG, Rn. 89 f. Vgl. dazu unter C.II.3.a).

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E. Auswertung der Untersuchung

gewährleisteten Vertrauensschutz und somit von einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG auszugehen. (3) Vereinbarkeit mit Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB scheint zudem unter dem Aspekt des Rechts auf Achtung und Schutz der individuellen Persönlichkeitsentwicklung problematisch. Das ergibt sich daraus, dass die Norm grundsätzlich die Aufhebung aller Ehen unter 18-Jähriger anordnet und hiervon nur in eng begrenzten Ausnahmefällen eine Abweichung zulässt. Die Norm ist daher als Eingriff in das aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG resultierende Recht Minderjähriger auf individuelle Entwicklung zu qualifizieren. Zu prüfen ist, ob dieser Eingriff durch andere Werte von Verfassungsrang gerechtfertigt wird. Dabei ist unter Berücksichtigung der vorherigen Erörterungen lediglich die Angemessenheit der Regelung fraglich. Neben den oben bereits genannten Aspekten des erheblichen Rechtssicherheitsinteresses sowie der Rechtsfolgenregelung durch Verweis auf das Scheidungsrecht, ist zugunsten von Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB vor allem das durch die Rechtsprechung des BGH eingeräumte Ermessen zu benennen. Im Rahmen dessen werden die Einzelfallumstände berücksichtigt und können – sofern ihnen hinreichendes Gewicht zukommt – Einfluss auf die gerichtliche Entscheidung nehmen. Zusätzlich sorgt auch die Härtefallklausel dafür, dass sich die Gerichte mit den Umständen des Einzelfalls befassen müssen. Nur so kann die Frage nach dem Vorliegen einer schweren Härte i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1b BGB beantwortet werden. Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB steht folglich einer Berücksichtigung der Einzelfallumstände nicht entgegen. Die Norm errichtet jedoch hohe Hürden für deren Einflussmöglichkeit auf die endgültige gerichtliche Entscheidung. Diesen Überlegungen steht die mit dem Alter zunehmende Entscheidungsfähigkeit und Autonomie Minderjähriger gegenüber. Der Staat ist zur Berücksichtigung dieser Umstände durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet.180 Dabei muss bei der Beurteilung von Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB beachtet werden, dass die Norm Jugendliche an der Grenze zur Volljährigkeit betrifft. Die Regelung muss daher dieser Nähe zu der mit Vollendung des 18. Lebensjahrs eintretenden vollständigen rechtlichen Autonomie Rechnung tragen. Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB ermöglicht dies im Rahmen des Ermessens sowie der Härtefallklausel. Unklar ist, inwiefern die bevorstehende Volljährigkeit bei der gerichtlichen Ermessensausübung einen berücksichtigenswerten Faktor darstellt. Die Gesetzesmaterialien enthalten keinen entsprechenden Hinweis. Deutlich wird somit, dass durch die BGH-Rechtsprechung zu § 1314 BGB ein gewisser Spielraum für die Berücksichtigung individueller Besonderheiten geschaffen wurde. Es ist jedoch zweifelhaft, ob dies ausreichend ist, um zur Verfassungsmäßigkeit der Norm zu gelangen. Hier muss erneut auf die Verknüpfung des „Rechts auf Menschwerdung“ mit der Menschenwürde-

180

Vgl. Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 102.

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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garantie aus Art. 1 Abs. 1 GG hingewiesen werden.181 Minderjährige und ihre Beziehungen dürfen nicht zum Objekt staatlichen Handelns gemacht werden. Dies stünde jedoch zu befürchten, wenn der Gesetzgeber in einem so sensiblen Bereich wie dem Eherecht nur in sehr geringem Maße eine Berücksichtigung individueller Interessen zuließe, ohne dass dieses Vorgehen durch hinreichend gewichtige Interessen gerechtfertigt würde. Der intendierte Schutz des Kindeswohls sowie das Streben nach Rechtssicherheit scheinen hierfür nicht geeignet. Die durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB getroffene Regelung ist daher unvereinbar mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Minderjähriger.182 (4) Vereinbarkeit mit Art. 3 GG (a) Ungleichbehandlung durch Typisierung Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB beinhaltet ebenfalls eine Typisierung, indem die Regelung Eheschließungen von unter 18-Jährigen unter Anwendung ausländischen Rechts zusammenfasst und diese – vorbehaltlich der Härtefallklausel sowie im Rahmen des Ermessens – für aufhebbar erklärt. Damit behandelt sie „echte“, auf einem Konsens beider Ehepartner beruhende Ehen und solche Partnerschaften, denen eine Willensübereinstimmung aufgrund der Reife eines Ehepartners fehlt, gleich. Die daraus resultierende Ungleichbehandlung ist anhand des von der Rechtsprechung für Typisierungen entwickelten Maßstabs zu beurteilen. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Gesetzgeber ein zulässiges Leitbild für die Typisierung gewählt hat. Dies ist gegeben, wenn die Norm die mit einer Situation in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen anhand eines realitätsgerechten Maßstabs wiedergibt.183 Daraus folgt zugleich, dass Typisierungen unzulässig sind, die sich an einer Ausnahmesituation orientieren. Angesichts der bis 2017 bestehenden Eheschließungsmöglichkeit ab 16 Jahren im materiellen deutschen Eherecht, der Akzeptanz von Ehen unter 18-Jähriger bei der ordre public-Kontrolle sowie der Beweggründe für die Abschaffung der Befreiungsmöglichkeit ließe sich jedenfalls anzweifeln, ob das Gros der Ehen von unter 18-Jährigen tatsächlich das Kindeswohl gefährdet und deshalb als Regelfall für die Typisierung herangezogen werden kann. Doch auch wenn man dies unter Beachtung der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers grundsätzlich annehmen wollen würde,184 scheitert die Rechtfertigung der durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB erfolgten Typisierung an anderer Stelle. Zur Erinnerung sei hier noch einmal darauf hingewiesen, dass derartige Regelungen nur dann zulässig sind, wenn die damit einhergehende Ungleichbehandlung nur eine 181

Siehe dazu unter E.II.1.a)aa)(3). So auch Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465, 469. 183 BVerfG, Beschl. v. 21. 6. 2006 – 2 BvL 2/99 = BVerfGE 116, 164, 182 f.; BVerfG, Beschl. v. 25. 11. 2008 – 1 BvR 848/07 = BVerfGE 122, 201, 233; BVerfG, Beschl. v. 6. 7. 2010 – 2 BvL 3/09 = BVerfGE 126, 268, 278; Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 3 GG, Rn. 46. 184 Zur Argumentation des Gesetzgebers vgl. BT-Drucks. 18/12086, 14 f. 182

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E. Auswertung der Untersuchung

relativ kleine Gruppe von Personen betrifft und sich daraus keine erheblichen Einschränkungen ihrer Rechte, insbesondere ihrer Freiheitsgrundrechte, ergeben. Diesen Anforderungen wird Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB nicht gerecht. Das folgt in quantitativer Hinsicht daraus, dass die Anzahl der von der Ungleichbehandlung betroffenen Fälle verfassungsrechtlich geschützter Ehen wegen der Nähe der minderjährigen Partner zur Volljährigkeit besonders hoch sein wird. Zugleich geht qualitativ mit dieser Ungleichbehandlung stets eine Verletzung des Ehegrundrechts einher. Auch das gerichtliche Ermessen sowie die Härtefallklausel führen zu keiner anderen Bewertung. Dies beruht auf dem vom BGH für § 1314 BGB vorgegebenen engen Regel-Ausnahme-Prinzip sowie auf dem engen Verständnis der Härtefallklausel.185 Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB stellt daher eine den Gleichheitsgrundsatz verletzende Typisierung dar. (b) Ungleichbehandlung gegenüber nach § 1303 Abs. 2 BGB a. F. geschlossenen Ehen Eine weitere Ungleichbehandlung im Zusammenhang mit der Eheaufhebung ergibt sich aus der Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB. Danach ist die Aufhebung solcher Kinderehen, denen vor Inkrafttreten des KinderehenGesetzes ein Dispens i. S. d. § 1303 Abs. 2 BGB a. F. erteilt wurde, ausgeschlossen. Eine parallele Regelung für nach ausländischem Recht erteilte Befreiungen ist nicht vorgesehen.186 Eine gesetzgeberische Begründung hierfür fehlt. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass der Minderjährigenschutz keine geeignete Rechtfertigung für diese Differenzierung darstellt. Dies folgt aus dem Umstand, dass inländische wie ausländische Jugendliche gleichermaßen schutzwürdig sind.187 Eine mögliche Rechtfertigung könnte sich jedoch aus der Qualität des Dispensverfahrens ergeben.188 So ließe sich anführen, dass der Gesetzgeber, sofern ein Verfahren nach § 1303 Abs. 2 BGB a. F. durchgeführt wurde, von einer nach seinen Maßstäben hinreichenden Überprüfung des Kindeswohls ausgehen durfte. Dies kann in dieser Allgemeinheit nicht gleichermaßen für ausländische Dispensverfahren bestätigt werden. Es ist jedoch fraglich, ob ein solch generelles Misstrauen gegen die ausländische Vorgehensweise tatsächlich berechtigt ist. Dabei ist zu beachten, dass diese Verfahrensart bei Eheschließungen Minderjähriger eine weltweit übliche Praxis darstellt.189 So mag man unter Umständen mit guten Gründen davon ausgehen, dass die Standards muslimischer Rechtsordnungen für den Ausspruch einer solchen Befreiung von denen des § 1303 Abs. 2 BGB a. F. abweichen. Ob ein derart gene185 Zwar bestünde auch hinsichtlich der Härtefallklausel die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung. Diese widerspräche jedoch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, vgl. BT-Drucks. 18/12377, 10 f. 186 Zu dieser Fragestellung auch Toman/Olbing, in: Die Frühehe im Recht, 217, 236 ff. 187 Vgl. dazu auch Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465, 469; Frank, StAZ 2019, 129, 134 f.; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 433. 188 Toman/Olbing, in: Die Frühehe im Recht, 217, 237. 189 Toman/Olbing, in: Die Frühehe im Recht, 217, 237 f.

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

277

relles Misstrauen aber etwa auch gegen das Dispensverfahren anderer europäischer Länder angebracht ist, darf stark bezweifelt werden. Die vorangegangene rechtsvergleichende Untersuchung hat vielmehr gezeigt,190 dass sich etwa das englische Recht hinsichtlich der zulässigen Altersgrenzen für die Dispenserteilung entsprechend der deutschen Rechtslage bis 2017 verhält. Ein generelles Misstrauen des deutschen Gesetzgebers scheint daher nicht geboten und somit auch nicht geeignet, die Ungleichbehandlung hinsichtlich der Überleitungsregeln zu rechtfertigen. (c) Ungleichbehandlung gegenüber Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB durch fehlende Überleitungsregel Eine weitere Ungleichbehandlung ergibt sich aus dem Fehlen von Überleitungsregelungen für die von Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB geregelten Fälle. Während Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB entsprechende Vorschriften für die von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB erfassten Konstellationen beinhaltet, hat der Gesetzgeber dies für die Ehen älterer Minderjähriger nicht vorgesehen. Daraus resultiert eine Schlechterstellung dieser Ehen, etwa dadurch, dass eine gesetzliche Heilungsmöglichkeit i. S. d. Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB fehlt. Der Verzicht auf entsprechende Vorschriften wurde nicht begründet. Denkbar wäre, dass der Gesetzgeber die Überleitungsregelungen deshalb auf die Fälle des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB beschränkt hat, da die Eheunwirksamkeit die Paare in besonders erheblicher Weise belastet und daher einer Milderung bedurfte. Dies trifft dem Grunde nach zwar zu, ist aber nicht geeignet, die Reichweite der Heilungsvorschriften zu rechtfertigen. Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB erklärt Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in den dort beschriebenen Konstellationen für nicht anwendbar. Mangels anderweitiger Hinweise ist davon auszugehen, dass dies als Bestätigung der vollumfänglichen Wirksamkeit der Ehen im Inland verstanden werden kann.191 Das hat das unbillige Ergebnis zur Konsequenz, dass die „ärgeren“ Fälle der Eheschließung von unter 16-Jährigen besser gestellt werden als die weniger gravierenden Fälle der Eheschließung von unter 18-Jährigen. Praktisch ließe sich auch argumentieren, dass die Bestätigungsmöglichkeit des § 1315 Abs. 1 Nr. 1a BGB an die Stelle der Heilungsregelung des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB tritt und eine entsprechende Regelung für die aufhebbaren Ehen damit entbehrlich macht. Dieser Überlegung muss jedoch entgegengehalten werden, dass hier dennoch ein behördliches Verfahren – und sei es nur um den Willen des Minderjährigen i. R. d. § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB zu ermitteln – durchzuführen ist. Eine Argumentation unter Verweis auf die Härtefallklausel scheitert an dem gleichen Argument. Zu überlegen ist schließlich, ob das Fehlen von Heilungs- und Überleitungsvorschriften der Autonomie der älteren Paare Rechnung tragen soll. Diesen wird so eine Wahlmöglichkeit hinsichtlich des Fortbestands ihrer Ehe gelassen. Diese Argumentation ließe sich jedoch gleichermaßen ins Gegenteil verkehren: 190

Siehe unter D.III. Zu den Zweifeln an einer derartigen Auslegung und der Heranziehung der Aufhebungsvorschriften vgl. Wall, StAZ 2018, 96, 97 ff. 191

278

E. Auswertung der Untersuchung

Insbesondere den Parteien, die bei der Eheschließung besonders jung und daher nur bedingt einsichtsfähig waren, sollte eine früh eingegangene Ehe im Nachhinein nicht ohne eigene Entscheidung auferlegt werden. Dies ist jedoch das Ergebnis der Anwendung der Überleitungsvorschriften. Auch die Überlegung, wonach besonders jungen Paaren ein gerichtliches Aufhebungsverfahren nicht zugemutet werden kann, so dass eine Heilung der Ehe kraft Gesetzes erforderlich ist, überzeugt nicht. Zur Begründung ist darauf zu verweisen, dass die Regelungen jeweils an die Volljährigkeit der Ehepartner anknüpfen, aus Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB aber zugleich die Wertung hervorgeht, dass entsprechende Verfahren für die Betroffenen jedenfalls ab Beendigung des 16. Lebensjahrs als zumutbar erachtet werden. Es sind somit keine Gründe für das Fehlen von Überleitungsvorschriften für die Fallgruppe des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB ersichtlich. Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ist somit gegeben. bb) Vereinbarkeit mit Völker- und Unionsrecht Auch Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB ist auf seine Vereinbarkeit mit einschlägigen Normen des Völker- und Unionsrechts zu überprüfen. (1) Vereinbarkeit mit Art. 12 UN-KRK Hinsichtlich des Mitspracherechts des Kindes aus Art. 12 UN-KRK ist zunächst festzustellen, dass durch das gerichtliche Aufhebungsverfahren eine Maßnahme gewählt wurde, die eine Stellungnahme der Minderjährigen zulässt. Insofern entspricht Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB der aus dem zweiten Absatz resultierenden Verpflichtung der Konventionsstaaten. Problematisch ist aber die Erfüllung des weiteren von Art. 12 UN-KRK geforderten Aspekts: die angemessene Berücksichtigung der Meinung des Kindes bei der staatlichen Entscheidung. Das Aufhebungsverfahren lässt eine Berücksichtigung der Meinung der Minderjährigen im Rahmen des Ermessens sowie bei der Härtefallklausel zu. In Fällen, in denen kein Hinweis auf eine besondere Schwere gegeben ist, ist eine Stellungnahme demgegenüber nicht möglich. Zudem setzt das Regel-Ausnahme-Prinzip der Ermessensentscheidung enge Grenzen. Doch auch bei Anwendung der Härtefallklausel ist wegen der engen Auslegung der Norm die angemessene Berücksichtigung bei der Entscheidungsfindung anzuzweifeln.192 Es wird somit deutlich, dass die Schwelle, ab der die Meinung der Minderjährigen im Rahmen von Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB tatsächlich Einfluss auf die gerichtliche Entscheidung nehmen kann, sehr hoch ist. Dies steht im Widerspruch zu der Vorgabe des Art. 12 Abs. 1 UN-KRK a. E., wonach die „Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife“ berücksichtigt werden muss. In die Überlegung muss dabei einbezogen werden, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB Fallkonstellationen zum Gegenstand hat, die Jugendliche an der Grenze zur Volljährigkeit betreffen. Deren zunehmende 192

So auch Antomo, NomosKommentar BGB, § 1315 BGB, Rn. 7.

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

279

Entscheidungsautonomie muss bei der Ausgestaltung der Regelung beachtet werden. Davon ist bei Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB nicht auszugehen, da hier die Berücksichtigung der Kindesmeinung überhaupt erst in Ausnahmesituationen ermöglicht wird. Die Norm wird den Anforderungen von Art. 12 UN-KRK daher nicht gerecht. (2) Vereinbarkeit mit Artt. 8, 12 EMRK Hinsichtlich einer Verletzung von Artt. 8, 12 EMRK durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB ist erneut das Urteil Z.H. u. a. v. Switzerland heranzuziehen.193 Danach steht die Anerkennung von Kinderehen grundsätzlich im Ermessen der Mitgliedsstaaten. Auch hier ist wiederum fraglich, ob dies auch die von Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB vorgenommene Typisierung erfasst. Dabei ist Art. 14 EMRK heranzuziehen. Dieser räumt den Konventionsstaaten einen weiten Ermessensspielraum bei der Behandlung von moralisch diffizilen, uneinheitlich gehandhabten Fragen ein. Bei Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB ist dabei zwar von geringeren moralischen Schwierigkeiten als bei der von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB behandelten Fallgruppe auszugehen. Dennoch ist festzustellen, dass die Anerkennung auch dieser Kinderehen zwischen den Vertragsstaaten generell uneinheitlich behandelt wird. Im Rahmen des deshalb bestehenden, weiten Beurteilungsspielraums des deutschen Gesetzgebers ist folglich auch die in Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB kodifizierte Typisierung gestattet. Eine Verletzung von Artt. 8, 12 EMRK scheidet daher aus. (3) Vereinbarkeit mit Art. 21 AEUV Mehrfach wurde kritisiert, Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB verletze das unionsrechtlich gewährleistete Recht auf Freizügigkeit.194 Zur Beurteilung dieser Frage kann dabei auf das bei der Prüfung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB Gesagte verwiesen werden:195 Die Aufhebung einer in einem anderen Mitgliedsstaat wirksam geschlossenen Ehe verstößt gegen das unionsrechtliche Anerkennungsprinzip und stellt damit eine Beeinträchtigung des Freizügigkeitsrechts dar. Zwar ist hier zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber diese Fälle als im Rahmen des § 1315 Abs. 1 Nr. 1b BGB relevante Härtefalle angesehen hat.196 Die Klausel verhindert also die Aufhebung von Ehen, wenn dies zu einer Verletzung des Freizügigkeitsrechts führen würde. Auch hat die bereits zu Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB ergangene Rechtsprechung die praktische Umsetzung dieser Vorgehensweise bestätigt.197 Zu beachten ist

193

Vgl. E.II.1.a)bb)(3). So etwa Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 129; Otto, in: BeckOGK, § 1314 BGB, Rn. 5; Antomo, in: NomosKommentar BGB, § 1314 BGB, Rn. 4. 195 Siehe dazu unter E.II.1.a)bb)(4). 196 BT-Drucks. 18/12086, 17; dazu auch Henjes, in: Prütting/Wegen/Weinreich, § 1314 BGB, Rn. 5. 197 So etwa OLG Frankfurt, Beschl. v. 28. 8. 2019 – 5 UF 97/19; OLG Oldenburg, Hinweisbeschl. v. 18. 4. 2018 – 13 UF 23/18 (zur Arbeitnehmerfreizügigkeit). 194

280

E. Auswertung der Untersuchung

aber die bereits vorab angesprochene Überlegung,198 wonach es sich schon bei der zwingenden Einleitung des Eheaufhebungsverfahrens um einen unionsrechtlich relevanten Aspekt handelt.199 § 1316 Abs. 3 BGB sieht insoweit keine Möglichkeit vor, von der Antragspflicht der deutschen Behörden aus Gründen des Freizügigkeitsrechts abzuweichen. Die Paare sehen sich somit bei ihrer Einreise nach Deutschland stets der Belastung eines gerichtlichen Aufhebungsverfahrens ausgesetzt, sofern sie nicht zwischenzeitlich volljährig geworden sind und – auch wiederum gegenüber einer staatlichen Stelle – den Willen zur Fortsetzung ihrer Ehe zu erkennen gegeben haben. Zwar können die Parteien hier wegen des eindeutigen gesetzgeberischen Willens und aufgrund der mittlerweile als gefestigt zu beurteilenden Rechtsprechung zu § 1315 Abs. 1 Nr. 1b BGB davon ausgehen, dass die Aufrechterhaltung ihrer Ehe gewährleistet wird. Zudem wird ihre Ehe auch während eines laufenden Aufhebungsverfahrens als wirksam behandelt, so dass sie keinen temporären Rechtsverlust erleiden. Dennoch sehen sich die Paare unausweichlich mit der Belastung eines gerichtlichen Aufhebungsverfahrens konfrontiert. Diese Perspektive stellt eine nicht gerechtfertigte Einschränkung des Freizügigkeitsrechts dar. Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB ist daher als Verletzung von Art. 21 AEUV zu bewerten. (4) Vereinbarkeit mit Art. 18 AEUV Die Überleitungsregelung des Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB stellt zudem einen Verstoß gegen das aus Art. 18 AEUV folgende unionsrechtliche Diskriminierungsverbot dar. Dessen Anwendungsbereich ist eröffnet, sobald Ehepaare aus anderen Mitgliedsstaaten ihr Recht auf Freizügigkeit ausüben und nach Deutschland kommen.200 Dabei werden wegen Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB ausländische Paare, denen nach ihrem Heimatrecht eine Befreiung vom Ehefähigkeitserfordernis erteilt wurde, schlechter behandelt als entsprechende inländische Paare. Deren nach § 1303 Abs. 2 BGB a. F. erteilter Dispens wird in Deutschland auch nach Inkrafttreten des Kinderehen-Gesetzes anerkannt, während dies für ausländische Paare nicht gilt. Hierbei handelt es sich wegen der nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB maßgeblichen Anknüpfung um eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Ein sachlicher Grund für diese Differenzierung ist nicht ersichtlich: Sofern auf den Aspekt des Vertrauensschutzes abgestellt würde, könnten auch ausländische Paare wegen des unionsrechtlichen Anerkennungsprinzips auf die Wirksamkeit ihrer Beziehung in einem anderen Mitgliedsstaat vertrauen. In Hinblick auf den Schutz des Kindeswohls ist wiederum anzumerken, dass in- wie ausländische Minderjährige gleichermaßen schutzwürdig sind. 198

Siehe dazu unter C.II.5.a). So auch Antomo, in: NomosKommentar BGB, § 1314 BGB, Rn. 4; Bongartz, NZFam 2017, 541, 544; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 434; dies., IPRax 2019, 127, 130; Löhnig, FamRZ 2018, 749, 750. 200 Vgl. Rossi, in: BeckOK Ausländerrecht, Art. 18 AEUV, Rn. 16. 199

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

281

cc) Kulturelle Identität Auch für Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB ist zu untersuchen, inwiefern der Gesetzgeber bei der Schaffung der Norm kulturellen Belangen Rechnung getragen hat. Für die Bestimmung des dabei anzulegenden Maßstabes ist festzuhalten, dass die Aufhebungslösung den kulturell sensiblen Bereich des Personalstatuts unberührt lässt. Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB erkennt das ursprünglich anwendbare Personalstatut vielmehr an, indem nur ex nunc die Aufhebbarkeit der Ehe angeordnet wird. Daher kann von einem gegenüber Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB milderen Prüfungsmaßstab ausgegangen werden. Eine Untersuchung von Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB macht dabei deutlich, dass die Norm nur wenig Raum für die Beachtung kultureller Interessen lässt. Das nahezu zwingende Antragserfordernis und die in der Regel vorzunehmende Aufhebung tragen der individuellen Lebensweise und den konkreten Beweggründen für die Eingehung der Kinderehe nur in geringem Maße Rechnung. Dem wird durch die Härtefallklausel und das Ermessen des § 1314 BGB nur wenig entgegengesetzt. Dies ist einerseits mit dem engen Verständnis beider Regelungen zu begründen. Weiter ist zu beachten, dass hier auch stets nur solche kulturellen Bedürfnisse Berücksichtigung finden, die vom deutschen Recht als gewichtig erachtet werden. Aus inländischer Sicht nicht nachzuvollziehende Interessen oder solche von nicht überragender Wichtigkeit bleiben demgegenüber außer Acht. b) Vereinbarkeit mit Grundsätzen des Kollisionsrechts Bei der Überprüfung von Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB auf seine Vereinbarkeit mit Grundsätzen des Kollisionsrechts sind die Ausnahmekonstellationen, in denen die Ehen aufrechterhalten werden, von dem Regelfall der Eheaufhebung zu unterscheiden. Soweit es im Verfahren nach §§ 1313 ff. BGB zu einer Anerkennung ausländischer Ehen kommt, ist dies aus kollisionsrechtlicher Sicht weitestgehend unbedenklich. Allenfalls kommt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen in Betracht. Dieser kann daraus folgen, dass die nach ausländischem Recht geschlossenen Ehen in nahezu allen Fällen einer Überprüfung durch die deutschen Gerichte unterzogen werden. Das Regel-Ausnahme-Prinzip, wonach ausländisches Recht grundsätzlich anzuwenden beziehungsweise anzuerkennen ist, außer das Rechtsanwendungsergebnis verstößt im Einzelfall gegen den nationalen ordre public, wird dadurch ins Gegenteil verkehrt. Dies gilt auch dann, wenn die Ehen im Ergebnis, etwa durch die Anwendung der Härtefallklausel oder wegen zwingender, gegen die Aufhebung sprechender Gründe, aufrechterhalten werden. Eine Verletzung dieses Grundsatzes liegt zudem jedenfalls immer dann vor, wenn die im Ausland geschlossenen Kinderehen aufgehoben werden. Daneben beeinträchtigt Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB auch den internationalen Entscheidungseinklang und führt zu hinkenden Rechtsverhältnissen. Dabei ist jedoch festzuhalten,

282

E. Auswertung der Untersuchung

dass letzteres in wesentlich geringerem Umfang der Fall ist als im Rahmen der Unwirksamkeitslösung. Dies folgt aus dem Umstand, dass die Eheaufhebung durch eine gerichtliche Entscheidung erfolgt. Diese kann im Ausland anerkannt werden, wodurch eine unterschiedliche Bewertung der Wirksamkeit der Ehe verhindert wird. c) Auswertung der rechtsvergleichenden Untersuchung Der Blick auf die englische Rechtsordnung zeigt eine wesentlich liberalere Haltung gegenüber Kinderehen. Zwar sieht auch das englische Eherecht ein Heiratsmindestalter von 18 Jahren vor. Eine Ausnahme hiervon ist jedoch bei Vorliegen einer gerichtlichen oder elterlichen Zustimmung möglich. Dies entspricht der bis Juli 2017 geltenden Situation im deutschen materiellen Eherecht. Nicht ausdrücklich geklärt ist, ob die Befreiungsmöglichkeit auch minderjährigen Ausländern, die im Inland heiraten wollen und eine Genehmigung nach Maßgabe ihres domicile-Rechts beibringen, offensteht. Es ist jedoch zu vermuten, dass dies grundsätzlich zu bejahen sein wird. Hierfür spricht, dass das englische Recht lediglich verhindern will, dass im Inland Ehen geschlossen werden, deren Eingehung nach englischem Recht nicht möglich wäre. Ziel dieser Regel ist es also nicht, Eheschließungen von Ausländern im Inland zu erschweren. Zudem zeigt sich das englische Recht grundsätzlich „heimwärts gerichtet“. Sofern alle Voraussetzungen des englischen Rechts für eine wirksame Eheschließung erfüllt sind, ist anzunehmen, dass eine Eheschließung auch für Ausländer möglich wäre. Besonders offenkundig werden die verschiedenen Ansichten beider Rechtsordnungen bei der Anerkennung von ausländischen Kinderehen. Das englische Recht verhält sich hier aufgeschlossen. Wegen der (noch) im englischen Sachrecht bestehenden Dispensmöglichkeit ab Vollendung des 16. Lebensjahrs ist zu vermuten, dass ausländische Ehen jedenfalls ab dieser Altersgrenze anerkannt werden. Ob und inwiefern sich diese Rechtslage infolge der vorgeschlagenen Anhebung des nationalen Ehemündigkeitsalters ändern würde, lässt sich nur vermuten. Die bislang liberale Haltung der englischen Gerichte zur Anerkennung ausländischer Ehen spricht jedoch eher dafür, dass diese jedenfalls dann, wenn beide Parteien mindestens 16 Jahre alt sind, weiterhin anerkannt würden. d) Abschließende Bewertung und Änderungsvorschlag Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB ist nun abschließend zu bewerten. Bereits aus dem Umstand, dass die Norm nach hier vertretener Auffassung in nicht gerechtfertigter Weise in Grundrechte eingreift, folgt, dass diese nicht im deutschen Recht beibehalten werden sollte. Dies gilt trotz der vermeintlich verfassungskonformen Auslegung durch den Beschluss des BGH vom 22. Juli 2020.201 Der hierbei eingeräumte Ermessenskorridor ist zu eng, um den grundrechtsrelevanten Fragen hinreichend 201

Siehe dazu unter C.II.4.c).

II. Art. 13 Abs. 3 EGBGB

283

Rechnung zu tragen. Auch nach diesem revidierten Verständnis der Norm wird es weiterhin bei einer nicht unerheblichen Anzahl von Fällen zu Eingriffen in verfassungsrechtlich geschützte Ehen kommen. Hinreichend gewichtige staatliche Interessen, die dies rechtfertigen, sind nicht ersichtlich. Aus völkerrechtlicher Perspektive spricht die Verletzung von Art. 12 UN-KRK gegen den Beibehalt der Norm. Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB bietet zudem keinen Raum für eine hinreichende Beachtung der kulturellen Identität der Normadressaten. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass sowohl beim Ermessen als auch bei der Härtefallklausel stets nur die vom deutschen Recht als maßgeblich erachteten Faktoren Berücksichtigung finden. Weiter trägt die Aufhebungsregelung den Grundsätzen des Kollisionsrechts nicht hinreichend Rechnung. Zwar hat sie deshalb, da die Norm zu einem im Ausland anerkennungsfähigen Urteil führt, eine geringere Anzahl hinkender Ehen zur Folge. Dennoch missachtet sie das gemeinsame Ziel eines internationalen Entscheidungseinklangs. Zudem wird auch der Grundsatz der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen beeinträchtigt, indem das Ergebnis der ausländischen Rechtsanwendung generell einer Prüfung unterzogen wird und nur in Ausnahmefällen (Ermessen, Härtefallklausel) im Inland anerkannt wird. Die vom deutschen Gesetzgeber angeordnete Aufhebung findet auch im englischen Recht keine Stütze. Soweit es die Schließung von Ehen unter 18-Jähriger im Inland betrifft, ist diese in England möglich. Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine nach dem maßgeblichen ausländischen Recht vergleichbare Befreiung durch die Eltern oder das Gericht vorliegt. Bei der Anerkennung von im Ausland geschlossenen Kinderehen zeigt sich das englische Recht liberal. Nur im Einzelfall wird dieser aus Gründen des ordre public die Wirksamkeit im Inland versagt. Starre Altersgrenzen existieren dabei nicht. Die Anerkennung der Ehen von unter 18-Jährigen ist wegen der Parallele zum nationalen Ehemündigkeitsalter zu vermuten. Festzuhalten ist somit, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB Bestimmungen des Völker- und Verfassungsrechts verletzt und aus diesem Grund keinen Platz in der deutschen Rechtsordnung hat. Zudem ist die Frage zu gestatten, ob es der Schaffung der Norm tatsächlich bedurft hätte. Die bis zum Juli 2017 bestehende Rechtslage zu ausländischen Ehen unter 18-Jähriger konnte als gefestigt angesehen werden. Soweit der Gesetzgeber die Altersgrenze für die Eheanerkennung anheben wollte, ist zu vermuten, dass dies bereits mittelbar durch die Anhebung des nationalen Ehemündigkeitsalters hätte erfolgen können. Die Wirksamkeit der Ehe hätte dann weiterhin im Rahmen der allgemeinen ordre public-Klausel geprüft werden können. Dadurch hätten verfassungswidrige Ergebnisse durch die Aufhebung von grundrechtlich geschützten Ehen vermieden werden können.

284

E. Auswertung der Untersuchung

III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E Weiter soll der vorgeschlagene Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E abschließend untersucht werden. Da es sich dabei bislang nur um einen Gesetzesvorschlag handelt, stellt sich hier nicht die Frage nach dem Beibehalten der Norm, sondern vielmehr, ob diese in das deutsche Recht aufgenommen werden sollte. 1. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht a) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht aa) Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 GG Zunächst soll an dieser Stelle die Vereinbarkeit der Norm mit dem Ehegrundrecht erörtert werden.202 (1) Schutzbereich Unerlässliche Voraussetzung für eine Grundrechtsbeeinträchtigung ist, dass der von Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 GG gewährleistete Schutz auch polygame Verbindungen erfasst.203 Über diese Einordnung besteht Uneinigkeit: Die Rechtsprechung hat die Frage bislang offengelassen und sich in den einschlägigen Fallgestaltungen stets auf das Familiengrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 Alt. 2 GG berufen.204 Die daher unklare Rechtslage führt zu einer Vielzahl von verschiedenen, teils erheblich divergierenden Ansichten in der Literatur. So wird einerseits häufig vertreten, Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 GG schütze nur die Einehe.205 Ein verfassungsrechtlicher Schutz von Mehrehen scheide a priori aus.206 Diese Ansicht stützt sich dabei auf den historisch überkommenen, christlich-abendländischen Ehebegriff, der dem Grundgesetz zugrunde liegt.207 Besonders weit gehen in diesem Lager diejenigen Stimmen, die polygame Ehen nicht nur als nicht vom Schutzbereich erfasst ansehen, sondern die Mehrehe darüber hinaus als Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 GG begreifen.208

202

Vgl. dazu auch von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 78 m. w. N. Vgl. zu dieser Thematik auch Mankowski, FamRZ 2018, 1134 ff. 204 BVerwG, Urt. v. 30. 4. 1985 – 1 C 33.81 = NJW 1985, 2097 ff.; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12.3. 2004 – 10 A 11717/03 = InfAuslR 2004, 294; OVG Niedersachsen, Urt. v. 29. 11. 2005 – 10 LB 84/05 = BeckRS 2006, 20697. 205 von Coelln, in: Sachs, Art. 6 GG, Rn. 7; Uhle, in: BeckOK GG, Art. 6 GG, Rn. 3; Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6 GG, Rn. 43; Coester-Waltjen, BerDGesVR 38 (1998), 9, 26; Majer, NZFam 2019, 242. 206 Uhle, in: BeckOK GG, Art. 6 GG, Rn. 3. 207 Umbach, in: Umbach/Clemens, Art. 6 GG, Rn. 23; Mankowski, FamRZ 2018, 1134, 1135. 208 So Muckel, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band IV, § 96, Rn. 93. 203

III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E

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Diametral steht dem die Auffassung gegenüber, nach der polygame Ehen vollumfänglich als Bestandteil des Ehegrundrechts zu verstehen seien.209 Die Vertreter dieser Ansicht leugnen zwar nicht die grundsätzlich christlich-abendländische Prägung des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs.210 Dies sehen sie jedoch nicht als Hindernis dafür an, dass im Ausland wirksam geschlossene Mehrehen vom verfassungsrechtlichen Schutz erfasst sein können. Dabei verweisen sie auf die aus der Globalisierung folgende „Annäherung der Lebensverhältnisse“ und die „zunehmende Mobilität der Weltbevölkerung“.211 Diese machten ein weites Verständnis des Ehebegriffs erforderlich. Neben diesen beiden Extremen sind jedoch auch Stimmen in der Literatur zu finden, die sich für eine vermittelnde Lösung aussprechen.212 So schlägt beispielsweise Stern vor, polygamen Ehen den Schutz des Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 GG zukommen zu lassen, wenn diese funktional vergleichbar zur Einehe seien. Dabei verweist er darauf, dass „Art. 6 Abs. 1 GG […] zu den Grundrechten [gehört], die auch kulturelle Identitätsmerkmale enthalten. Das muss bei seiner Interpretation berücksichtigt werden“.213 Eine umfassende Behandlung dieser Schutzbereich-Thematik würde den Umfang dieser Untersuchung übersteigen. Daher sollen an dieser Stelle nur einige wenige Überlegungen eingebracht werden: Unstreitig haben die Verfasser des Grundgesetzes bei der Schaffung des Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 GG das Bild der Einehe vor Augen gehabt. Eine daraus resultierende Pflicht zur Abwehr anderer Eheformen widerspräche jedoch der positivistischen Konzeption des Grundgesetzes und ist mithin abzulehnen.214 Ob von der Begrenzung der Ehe auf zwei Personen als Strukturprinzip auch bei einem entsprechenden sozialen und gesellschaftlichen Wandel nicht abgewichen werden kann, erscheint fraglich. Dies gilt insbesondere im Lichte der einfach-rechtlichen Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Doch auch wenn man davon ausgehen möchte, dass polygame Ehen a priori nicht dem Schutz von Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 GG unterfallen, ließe sich fragen, ob ihnen unter Anwendung der aus der Witwenrenten-Entscheidung folgenden Grundsätze dennoch ein gewisser Schutz zukommen könnte. Dies ist jedoch abzulehnen. Zu begründen ist das insbesondere damit, dass es kaum vorstellbar ist, dass polygame Ehen über einen langen Zeitraum im Inland gelebt und akzeptiert werden, so dass daraus ein entsprechender Vertrauensschutztatbestand entstehen kann. 209 Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6 GG, Rn. 42; auf die Relevanz dieses Eheverständnisses verweist etwa auch von Hein, MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 78. 210 Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6 GG, Rn. 42. 211 Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6 GG, Rn. 42; ähnlich auch Zuleeg, NVwZ 1986, 800, 802. 212 Kotzur, in: Stern/Becker, Art. 6 GG, Rn. 33 f.; Scholz, StAZ 2002, 321, 333; Mankowksi, FamRZ 2018, 1134, 1136; etwas unklar in diesem Zusammenhang Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 768, die polygamen Ehen dann den Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG zukommen lassen wollen, wenn diese im konkreten Fall nicht ordre public-widrig sind. 213 Stern, StaatsR IV/1, 389 f. 214 Ähnlich auch Mankowski, FamRZ 2018, 1134, 1136, der davon ausgeht, dass eine entsprechende Abwehrpflicht jedenfalls sehr weit ginge.

286

E. Auswertung der Untersuchung

(2) Eingriff und Rechtfertigung Sollte man in Anschluss an einige Stimmen in der Literatur annehmen, dass Mehrehen von Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 GG geschützt werden, würde die von Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E angeordnete Aufhebung einen Eingriff in diese Rechtsposition darstellen. Zu prüfen ist demnach, ob dieser – entsprechend dem Charakter des Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 GG als schrankenloses Grundrecht – durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt ist. Hierzu ist die hinter dem Gesetzesvorschlag stehende Zielsetzung zu beachten. (a) Rechtssicherheit Die Gesetzesmaterialien begründen die Erforderlichkeit der Reform zunächst mit der gesellschaftlichen Ablehnung polygamer Ehen. Weiter verweisen sie darauf, dass es notwendig sei, mehr Rechtssicherheit im Umgang mit Mehrehen zu schaffen. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass gesellschaftliche Ressentiments zwar politisch relevante Faktoren darstellen mögen, jedoch nicht geeignet sind, Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen. Mithin wird hier für eine etwaige Rechtfertigung zunächst nur der Grundsatz der Rechtssicherheit relevant. Dieser wäre nur dann zur Eingriffsrechtfertigung geeignet, wenn dabei im Sinne der Schranken-Schranken-Dogmatik der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt bliebe. Dabei ist zunächst festzustellen, dass es sich bei den Bestrebungen nach gesteigerter Rechtssicherheit um ein verfassungslegitimes Ziel handelt. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E scheint zudem auch geeignet dieses zu fördern. Dies folgt daraus, dass sich die Wirksamkeit der Ehe unmittelbar anhand des Gesetzestextes bestimmen lässt. Auch die Erforderlichkeit der Regelung ist nicht anzuzweifeln. Zwar kann hier wieder auf die Einzelfallprüfung als generell milderes Mittel verwiesen werden. Wegen der damit stets einhergehenden Fehleranfälligkeit ist diese jedoch nicht im gleichen Maße effektiv. Es bleibt daher die Angemessenheit von Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E zu prüfen. Zugunsten der Regelung ist dabei insbesondere auf das im Eherecht besonders hervorgehobene Bedürfnis nach Rechtssicherheit hinzuweisen. Dem steht die Eheaufhebung als Eingriff von erheblicher Intensität gegenüber. Eine Heilungsmöglichkeit zur Abmilderung der sich daraus ergebenden Folgen sieht der Gesetzesentwurf nicht vor. Auch ein Wiederaufleben der Ehe – etwa bei Beendigung der ersten Ehe durch Tod oder Scheidung während des laufenden Aufhebungsverfahrens – ist nicht möglich. Die Ehe wird durch die Aufhebung somit unwiderruflich beendet. Insbesondere mit Blick darauf, dass die bisherige Rechtsprechung zu polygamen Ehen als gefestigt angesehen werden kann, scheint der Grundsatz der Rechtssicherheit nicht geeignet, den aus Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E folgenden Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG zu rechtfertigen. (b) Gleichberechtigung von Mann und Frau, Art. 3 Abs. 2 GG Weiter ist zu prüfen, ob der aus Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E folgende Eingriff durch den besonderen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt sein

III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E

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könnte. Die Begründung des bayrischen Gesetzesvorschlags erwähnt dies zwar nicht.215 Da Art. 3 Abs. 2 GG sich hier aber wegen der polygame Ehen kennzeichnenden Asymmetrie der partnerschaftlichen Rollenverteilung nahezu aufdrängt, ist trotzdem eine mögliche Rechtfertigung auf Grundlage dieses besonderen Gleichheitssatzes zu prüfen. Art. 3 Abs. 2 GG gebietet dem Staat, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Mann und Frau zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Somit statuiert die Norm zugleich eine Staatszielbestimmung und ein ausdrückliches Förderungsgebot zugunsten von Frauen gegenüber allen drei Staatsgewalten.216 Diese werden ermächtigt und verpflichtet, bestehende Benachteiligungen zu beseitigen und auf eine Veränderung traditioneller Geschlechterrollen hinzuwirken.217 Hinsichtlich der Praktik der Polygamie ist dabei festzuhalten, dass diese den Anforderungen der Staatszielbestimmung nicht gerecht wird.218 Dies beruht auf der Ungleichheit, die daraus folgt, dass es einem Mann gestattet ist, mehrere Ehefrauen zu haben, während eine Frau stets nur einen Ehemann wählen kann. Hierin ist eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu sehen. Daneben ist auch darauf hinzuweisen, dass polygame Ehestrukturen zur Aufrechterhaltung und Verfestigung tradierter patriarchischer Rollenbilder beitragen.219 Auch Art. 3 Abs. 2 GG wäre jedoch nur dann zur Eingriffsrechtfertigung geeignet, wenn dessen Anwendung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahrt. Dabei ist zunächst festzustellen, dass die Gleichstellung von Mann und Frau als verfassungsimmanentes Ziel einen legitimen Zweck für den Grundrechtseingriff darstellt. Die Aufhebung der Zweitehe ist auch geeignet, die Ungleichbehandlung zu beseitigen, da damit jedenfalls faktisch der Erstfrau wieder der Status der einzigen Ehefrau zukommt.220 Fraglich ist jedoch, ob die Aufhebung der Zweitehen tatsächlich das mildeste Mittel darstellt, um der aus der Polygynie folgenden, untergeordneten Rolle der Frau zu begegnen. Alternativ könnte Gleichheit zwischen den Geschlechtern geschaffen werden, indem im Inland neben 215 Hierauf verweist auch die Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds (vgl. C. Fn. 460) (unter 2.). 216 Baer/Markard, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 GG, Rn. 364; Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 3 GG, Rn. 75. 217 BVerfG, Beschl. v. 9. 11. 2011 – 1 BvR 1853/11 = FamRZ 2012, 91, 92 f.; Kischel, in: Epping/Hillgruber, Art. 3 GG, Rn. 198. 218 So auch Dethloff, FS Schwenzer, 409, 420 f.; dies., NJW 2018, 23, 26; Coester-Waltjen/ Coester, FS Hahne, 21, 24; Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 766; Eicherhofer, SGb 1986, 136, 140; Frick, Ordre public und Parteiautonomie, 103 f.; Scholz, StAZ 2002, 321, 333; Majer, NZFam 2019, 242; mit Hinweis darauf auch Martens, ZRP 2018, 242, 243; OVG Niedersachsen, Urt. v. 29. 11. 2005 – 10 LB 84/05 = BeckRS 2006, 20697; VG Berlin, Beschl. v. 11. 5. 2015 – 28 K 93.14 V = BeckRS 2015, 45893. 219 Dethloff, FS Schwenzer, 409, 420; dazu auch Büchler, Das islamische Familienrecht: Eine Annäherung, 65 ff. 220 Coester-Waltjen/Heiderhoff weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es tatsächlich der Erstfrau wohl nur sehr schwer gelingen wird, ihren Status als einzige Ehefrau wiederzuerlangen, s. JZ 2018, 762, 766.

288

E. Auswertung der Untersuchung

der Polygamie in Form der Polygynie auch die Polyandrie gestattet würde.221 Dieser Lösungsansatz greift jedoch zu kurz. Dazu ist zunächst zu berücksichtigen, dass es jedenfalls sehr zweifelhaft ist, ob die Einführung der Polyandrie tatsächlich eine verbesserte Stellung der Frauen zur Folge hätte. In der Praxis hat sich gezeigt, dass aus der Gestattung der Polyandrie keineswegs das Matriarchat folgt. Im Gegenteil, in den wenigen Fällen polyandrisch geprägter Gesellschaften wurden Frauen häufig in besonderem Maße auf eine Gebär- und häusliche Funktion beschränkt.222 Neben diesen praktischen Argumenten sprechen jedoch auch grundrechtstheoretische Überlegungen gegen diesen Lösungsansatz. Dabei kann insbesondere auf die Ausführungen Dethloffs zu dieser Thematik verwiesen werden.223 Sie geht davon aus, dass es immer dann zu einer Ungleichberechtigung kommt, wenn es dem Ehegatten eines Geschlechts gestattet ist, zeitgleich mehrere Ehegatten des anderen Geschlechts zu haben, während dies andersrum untersagt ist. Die hieraus folgende Schieflage schließe die Ebenbürtigkeit der Partner aus.224 Dieser Ansicht Dethloffs ist zuzustimmen. Richtigerweise ergibt sich in der individuellen Ehe stets dann eine Ungleichheit, wenn einer der Partner für den anderen die Position des einzigen Ehepartners einnimmt, während umgekehrt dieses Exklusivitätsverhältnis nicht gilt. Die Legalisierung der Polyandrie ist daher kein geeignetes, milderes Mittel gegenüber der Eheaufhebung zur Durchsetzung der Gleichberechtigung. Zu prüfen bleibt daher, ob die Eheaufhebung ein angemessenes Mittel zur Durchsetzung der Gleichberechtigung darstellt. Zudem handelt es sich bei der Eheaufhebung um einen als intensiv einzustufenden Eingriff in das Ehegrundrecht. Dies gilt insbesondere angesichts der fehlenden Heilungsmöglichkeit. Des weiteren ist zu beachten, dass es sich bei der Eheschließung um eine privatautonome Entscheidung voll geschäftsfähiger Personen und damit letztlich um eine freie Willensentscheidung handelt. Der Aufhebung der Zweitehe kommt damit eine entmündigende Wirkung zu. Demgegenüber steht die besondere Gewichtung des Gleichstellungsauftrags in der deutschen Rechts- und Werteordnung. Diese wird aus dessen ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Verankerung deutlich. Weiter ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Polygamie um einen besonders intensiven Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz handelt. Dies folgt zunächst aus der unmittelbaren Diskriminierung, die entsteht, wenn es allein Männern gestattet ist, gleichzeitig mehrere Ehefrauen zu haben. Zudem resultiert dies auch aus der mit der Polygamie einhergehenden Verfestigung antiquierter Rollenbilder. In Anbetracht dieser Umstände, insbesondere des ausdrücklichen Verfassungsauftrags zur Gleichstellung der Geschlechter, ist die Eheaufhebung ein angemessenes Mittel zur Verfolgung dieser Zielsetzung. Der Eingriff in Art. 6 Abs. 1 S. 1 GG ist daher als gerechtfertigt anzusehen. 221

Für diesen Lösungsansatz Majer, NZFam 2019, 242; darauf verweist auch Mai, Möglichkeiten der Integration islamischen Rechts in das deutsche Rechtssystem, 339. 222 Coester-Waltjen/Coester, FS Hahne, 21, 24. 223 Dethloff, NJW 2018, 23, 26; dies., FS Schwenzer, 409, 420. 224 Ähnliche Überlegungen finden sich auch bei Mai, Möglichkeiten der Integration islamischen Rechts in das deutsche Rechtssystem, 340 f.

III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E

289

bb) Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 Alt. 2 GG Wie vorab bereits erwähnt, können polygame Ehen, sofern hieraus Kinder hervorgegangen sind, vom Schutz des Grundrechts auf Familie aus Art. 6 Abs. 1 Alt. 2 GG erfasst sein.225 Es ist daher zu prüfen, ob die Eheaufhebung diese Rechtsposition verletzen würde und ob ein solcher Eingriff möglicherweise gerechtfertigt sein könnte. (1) Schutzbereich Art. 6 Abs. 1 Alt. 2 GG schützt die Familie als umfassende Gemeinschaft von Eltern und Kindern, aus der den Eltern vor allem Rechte und Pflichten zur Pflege und Erziehung der Kinder erwachsen.226 Das verfassungsrechtliche Familienverständnis ist dabei faktisch geprägt:227 Familie wird durch Zeugung und Geburt sowie Pflege und Erziehung vermittelt.228 Eine etwaige Verrechtlichung ist für den verfassungsrechtlichen Schutz als Familie nicht erforderlich. Insbesondere bedarf es nicht zwingend einer (nach deutschem Zivilrecht wirksamen) Ehe zwischen den Kindseltern.229 Mithin können auch nach dem zuständigen Recht wirksam geschlossene Zweitehen unter den Schutz des Familiengrundrechts fallen.230 (2) Eingriff und Rechtfertigung Erörterungswürdig ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob die von Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E angeordnete Eheaufhebung einen Eingriff in das Familiengrundrecht darstellt. Dabei ließe sich argumentieren, dass es den Paaren freisteht, trotz Aufhebung ihrer Ehe weiter gemeinsam im Familienverband zu leben, so dass das familiäre Zusammenleben nicht beeinträchtigt würde.231 Diese Sichtweise wird jedoch den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht. Zunächst lässt dies diejenigen Fälle außer Acht, in denen die Paare – wie wohl von den Entwurfsverfassern intendiert – in Folge der Eheaufhebung auch faktisch ihre Ehe beenden. In diesen Fällen würden sich sorge- und unterhaltsrechtliche Fragen stellen, die geeignet 225 Uhle, in: BeckOK GG, Art. 6 GG, Rn. 3; Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 768; von Coelln, in: Sachs, Art. 6 GG, Rn. 7; Mankowski, FamRZ 2018, 1134, 1136 f. 226 Ständige Rechtsprechung des BVerfG, siehe BVerfG, Beschl. v. 29. 7. 1959 – 1 BvR 205/ 58 = BVerfGE 10, 59, 66; BVerfG, Beschl. v. 31. 5. 1987 – 1 BvR 683/77 = BVerfGE 48, 327, 339; BVerfG, Beschl. v. 9. 4. 2003 – 1 BvR 1493/96 = BVerfGE 108, 82, 112; BVerfG, Beschl. v. 12. 10. 2010 – 1 BvL 14/09 = BVerfGE 127, 263, 287 ff. 227 So Mankowski, FamRZ 2018, 1134, 1136 f. im Zusammenhang mit polygamen Ehen. 228 Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band I, Art. 6 GG, Rn. 100. 229 Uhle, in: BeckOK GG, Art. 6 GG, Rn. 16; Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6 GG, Rn. 61; Brosius-Gersdorf, in: Dreier Kommentar zum Grundgesetz, Band I, Art. 6 GG, Rn. 105. 230 Dies bestätigte zuletzt auch eine neuere Entscheidung des VG Berlin zum Familienasyl, VG Berlin, Urt. v. 6. 7. 2020 – 4 K769.16 A (Rn. 30). 231 Zu dieser Fragestellung auch umfassend Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 765 f.

290

E. Auswertung der Untersuchung

wären, das familiäre Zusammenleben zu beeinträchtigen.232 Doch auch dann, wenn die Partner der Zweitehe trotz Eheaufhebung mit ihren Kindern weiter zusammenlebten, würde die Beendigung der Ehe spätestens bei der Geburt eines weiteren Kindes, etwa wegen des Entfalls der Vermutungswirkung des § 1592 Nr. 1 BGB, relevant. Diese Beeinträchtigungen sind mit dem aus Art. 3 Abs. 2 GG folgenden Gleichstellungsauftrag in Einklang zu bringen. Dabei ist etwa zu beachten, dass die Beeinträchtigung der Familie lediglich mittelbare Folge der Eheaufhebung wäre. Zudem würde sie nicht zwingend alle von Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E erfassten Paare betreffen, sondern nur diejenigen, die bereits gemeinsame Kinder haben. Weiter ist zu berücksichtigen, dass dem verfassungsrechtlichen Gleichstellungsauftrag aufgrund seines Charakters als Staatszielbestimmung eine besonders hervorgehobene Bedeutung im Grundrechtsgefüge zukommt. Aus dieser besonderen Priorität des Art. 3 Abs. 2 GG folgt die Rechtmäßigkeit des Eingriffs in Art. 6 Abs. 1 Alt. 2 GG. cc) Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E scheint zudem geeignet, den von Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG gewährleisteten Vertrauensschutz zu verletzen. Dies folgt aus dem Umstand, dass die Regelung an den in der Vergangenheit erfolgten Tatbestand der polygamen Eheschließung neue Rechtsfolgen knüpfen würde. Dies könnte einen Fall der verfassungsrechtlich zu rechtfertigenden Rückwirkung darstellen. Hierzu ist vorab festzuhalten, dass die aktuelle Rechtslage geeignet ist, einen Vertrauensschutz der betroffenen Paare zu begründen. Insbesondere gilt dies für Paare, deren im Ausland begründete polygame Ehe bereits von einem deutschen Gericht nach Maßgabe von Art. 6 EGBGB anerkannt wurde. Aber auch in den sonstigen Fällen scheint die aktuelle Rechtslage geeignet, schutzwürdiges Vertrauen bei den Betroffenen entstehen zu lassen.233 Dies ist mit der hierzu insgesamt als gefestigt zu beurteilenden Rechtslage zu begründen. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E wird auch deshalb als Rückwirkung relevant, da die Regelung jedenfalls für einen Teil der betroffenen Paare zu einer Verschlechterung gegenüber der aktuellen Rechtslage führen würde. Dies gilt für diejenigen Betroffenen, die ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben: Während ihre Ehe bislang in Deutschland jedenfalls in einigen Rechtsbereichen anerkannt wird, würde diese durch die Gesetzesreform für aufhebbar erklärt werden. Eine jedenfalls partielle Wirksamkeit dieser Verbindung wäre de lege ferenda nicht mehr möglich. Demgegenüber würde die Norm die Rechtsposition solcher Mehrehen, bei denen mindestens ein Partner keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, verbessern. Die entsprechenden Fälle

232

So auch Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 766. Auf den Aspekt des Vertrauensschutzes verweist auch von Hein, MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 77. 233

III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E

291

sind mithin nicht von den nachfolgenden Erwägungen zum Vertrauensschutzgrundsatz erfasst. Da, wie soeben festgestellt, aus der aktuellen Rechtslage zur Polygamie schutzwürdiges Vertrauen entstehen kann, bedürfte ein Eingriff in die entsprechende Rechtsposition durch Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E einer Rechtfertigung. Um den dabei anwendbaren Maßstab zu bestimmen, ist zunächst festzustellen, welche Art der Rückwirkung Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E bewirkt. Dabei wird relevant, dass die Regelung polygame Ehen erst ab Inkrafttreten des Gesetzes für aufhebbar erklären würde. Die bisherige Wirksamkeit bliebe unangetastet. Mithin würden auch alle bislang aus der Ehe hervorgegangenen Rechtsfolgen bestehen bleiben. Das Dauerrechtsverhältnis der Ehe würde lediglich für die Zukunft beendet. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte ist daher davon auszugehen, dass es sich bei Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E um einen Fall der so genannten unechten Rückwirkung beziehungsweise tatbestandlichen Rückanknüpfung handelt. Wie bereits erörtert,234 geht das BVerfG grundsätzlich von der Zulässigkeit dieser Regelungen aus. Um dennoch die Kontinuitätsbelange der Bürger zu sichern, ist es erforderlich, diese mit den hinter der Rückwirkung stehenden staatlichen Interessen abzuwägen. Hierbei ist für Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E zunächst zu berücksichtigen, dass es die Aufgabe des Gesetzgebers ist, auf (neue) gesellschaftliche und politische Fragestellungen zu reagieren. Der öffentliche Diskurs zum Umgang mit polygamen Ehen erscheint daher als geeigneter Anlass für ein gesetzgeberisches Tätigwerden. Ebenso ist zu beachten, dass die bisherige Rechtsprechung zu polygamen Ehen zwar relativ konstant ist, bislang jedoch keine kodifizierten Regelungen, die ein besonderes Vertrauen begründen können, hierzu existieren. Zuletzt ist anzumerken, dass die Aufhebungslösung bereits erworbene Rechte aus der Ehe unberührt lässt. Auf Seiten der betroffenen Paare ist demgegenüber zu beachten, dass die vorgeschlagene Neuregelung keine Überleitungsvorschrift enthält. Durch eine solche hätte das Vertrauen der Paare in besonderem Maße geschützt werden können. Auch muss berücksichtigt werden, dass die Aufhebung der Ehe einen erheblichen Eingriff in den von Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 GG gewährleisteten Schutzbereich darstellt. Hierzu ist jedoch erneut darauf hinzuweisen, dass es unklar ist, ob polygame Ehen überhaupt dem Schutzbereich dieses Grundrechts unterfallen. In einer Gesamtschau scheint das Interesse des Gesetzgebers an der Flexibilität und Fortentwicklung der Rechtsordnung zu überwiegen. Das gilt insbesondere unter Beachtung dessen, dass unklar ist, ob sich polygame Ehen überhaupt auf einen aus Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG resultierenden Vertrauensschutz berufen können. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E greift mithin nicht in unverhältnismäßiger Weise in den Vertrauensschutzgrundsatz ein. Dennoch bleibt zu erwägen, ob nicht jedenfalls für die Fälle, in denen deutsche Gerichte die Wirksamkeit einer polygamen Ehe in der Vergangenheit bestätigt haben, eine Überleitungsregelung vorgesehen werden sollte.

234

Vgl. dazu unter E.II.1.a)aa)(2).

292

E. Auswertung der Untersuchung

dd) Vereinbarkeit mit Art. 4 Abs. 1 GG Aufgrund der vorab bereits erläuterten Verbindung zwischen der Praktik der Polygamie und den Schriften des Korans ist zu überlegen, ob Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E auch die verfassungsrechtlich gewährleistete Religionsfreiheit berührt. Dies ist unter Verweis auf den Schutzbereich des Grundrechts zu verneinen. Zur Begründung ist darauf zu verweisen, dass der maßgebliche Abschnitt des Korans (Sure 4, Vers 3) nicht gebietet, in Mehrehen zu leben. Vielmehr gestattet die Regelung lediglich die Begründung und das Leben in einer polygamen Ehe.235 Bei der Polygamie handelt es sich somit nicht um einen Teil der von Art. 4 GG geschützten Religionsausübungsfreiheit.236 Dies folgt im Übrigen auch daraus, dass das islamische Eherecht lediglich die weltlichen Beziehungen der Menschen untereinander zum Gegenstand hat.237 ee) Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG durch Typisierung Da Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E die Aufhebung aller polygamer Ehen anordnet, vorausgesetzt beide Partner der Zweitehen haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, stellt sich die Frage nach einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG unter dem Aspekt der Typisierung. Hierzu ist sich zunächst über die relevanten Begrifflichkeiten und die hinter dieser Art der Gesetzgebung stehende Intention klar zu werden. Von einer Typisierung spricht man, wenn der Gesetzgeber im Wesentlichen gleich geartete Sachverhalte zusammenfasst und dabei ganz bewusst bekannte Unterschiede nicht berücksichtigt.238 Diese Art des gesetzgeberischen Vorgehens beruht maßgeblich auf Praktikabilitätserwägungen: Durch das typisierende Vorgehen soll eine vertiefte Sachverhaltserforschung im jeweiligen Einzelfall umgangen werden.239 Dabei ist zunächst zu prüfen, ob es sich bei Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E tatsächlich um einen solchen Fall des verallgemeinernden gesetzgeberischen Tätigwerdens handelt. Hierzu ist ein Vergleich mit dem bereits als Typisierung bestätigten Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB hilfreich.240 Der Gesetzgeber hat mit der Kodifikation dieser Norm zum Ausdruck gebracht, sämtliche Kinderehen, bei denen einer der Partner unter 16 Jahren alt ist, als Verletzung des nationalen ordre public anzusehen. Sie sind daher als unwirksam zu erachten. Diese Regelung hat der Gesetzgeber in dem Wissen getroffen, dass einzelne Ehen tatsächlich aus gegenseitiger Verbundenheit eingegangen wurden und daher an sich keinen Verstoß gegen wesentliche deutsche Rechtsgrundsätze darstellen. Diese realen Gegebenheiten wurden bei der Kodifi235 236 237 238 239 240

Morlok, in: Dreier Kommentar zum Grundgesetz, Band I, Art. 4 GG, Rn. 120. Mankowski, FamRZ 2018, 1134, 1137. Scholz, StAZ 2002, 321, 332. BVerfGE 111, 115, 137. Dazu etwa Britz, Einzelfallgerechtigkeit versus Generalisierung, 46. Siehe E.II.1.a)aa)(4)(b).

III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E

293

kation des Art. 13 Abs. 3 EGBGB jedoch bewusst außenvorgelassen. Der Gesetzgeber ist mithin typisierend vorgegangen, indem er die Antwort auf die Wertungsfrage im Rahmen der ordre public-Prüfung ohne Ausnahmemöglichkeit vorgegeben hat. Diese genauere Betrachtung des Kinderehen-Gesetzes lässt es fraglich erscheinen, ob Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E tatsächlich als Typisierung qualifiziert werden kann. Dies folgt daraus, dass – anders als im Fall der Kinderehen – die ordre public-Widrigkeit polygamer Ehen zu keinem Zeitpunkt in Frage stand. Ein Eingreifen des ordre public-Vorbehalts kann bislang lediglich aufgrund eines nicht hinreichenden Inlandsbezugs entfallen. Eben dieses Tatbestandsmerkmal hat der Gesetzgeber nun durch die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland konkretisiert und kodifiziert. Hierin ist der wesentliche Unterschied der vorgeschlagenen Neuregelung gegenüber Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zu sehen: Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E beabsichtigt keine einheitliche Beantwortung einer Wertungsfrage, in dem Wissen, dass dies in Einzelfällen zu nicht sachgerechten Ergebnissen führt. Vielmehr definiert die Norm, wann das Tatbestandsmerkmal des hinreichenden Inlandsbezugs erfüllt ist. Eine Außerachtlassung bekannter Unterschiede kommt hierbei nicht in Betracht, da allen erfassten Sachverhalten gerade der gleiche Bezug zur deutschen Rechtsordnung immanent ist. Der Vergleich mit Art. 13 Abs. 3 EGBGB macht somit deutlich, dass es sich bei Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E nicht um einen Fall der gesetzgeberischen Typisierung handelt. Eine Überprüfung anhand der verfassungsrechtlichen Maßstäbe für eine Rechtfertigung derartiger Regelungen bedarf es daher nicht. b) Vereinbarkeit mit Völker- und Unionsrecht aa) Vereinbarkeit mit Art. 12 EMRK, Art. 9 GRC Nur am Rande ist in diesem Zusammenhang auf die in ihrem Schutzbereich identischen241 Bestimmungen des Art. 12 EMRK sowie Art. 9 GRC hinzuweisen. Beide Grundrechte garantieren, dass „Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter […] das Recht [haben], nach den innerstaatlichen Gesetzen, welche die Ausübung dieses Rechts regeln, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen“ (Art. 12 EMRK).242 Diese Gewährleistungen sind tatbestandlich in Hinblick auf Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E nicht einschlägig, da der Schutzbereich beider Grundrechte allein die Eingehung einer Ehe, nicht aber den Schutz bereits bestehender Ehen umfasst.243 Allenfalls wäre zu erwägen, die ebenfalls vorgeschlagene Änderung des § 1310 241 Meyer-Ladewig/Nettesheim, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, Art. 12 EMRK, Rn. 2; Jarass, in: Jarass, Charta der Grundrechte der EU, Art. 9, Rn. 1; Bernsdorff, in: Meyer/Hölscheidt, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 9, Rn. 18. 242 Art. 9 GRC: „Das Recht, eine Ehe einzugehen, und das Recht, eine Familie zu gründen, werden nach den einzelstaatlichen Gesetzen gewährleistet, welche die Ausübung dieser Rechte regeln.“ 243 Bernsdorff, in: Meyer/Hölscheidt, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 9, Rn. 13.

294

E. Auswertung der Untersuchung

Abs. 1 S. 3 Nr. 2 BGB-E am Maßstab dieser Grundrechte zu messen. Auch dabei ist jedoch nicht von einem Verstoß gegen Art. 12 EMRK, Art. 9 GRC auszugehen. Dazu ist darauf zu verweisen, dass die Konventionsgrundrechte unter dem Ausgestaltungsvorbehalt des nationalen Rechts stehen. Die Gesetzgeber der Mitgliedsstaaten sind mithin berechtigt, durch einfach-rechtliche Regelungen die Voraussetzungen der Eheschließung auszuformen, vorausgesetzt, der Kernbereich der Grundrechtsgarantie wird hierdurch nicht beeinträchtigt.244 Verbote der Bi- beziehungsweise Polygamie sind in diesem Zusammenhang bereits mehrfach als zulässige nationale Ausgestaltung anerkannt worden.245 bb) Vereinbarkeit mit Art. 8 EMRK, Art. 17 Abs. 1 IPbpR Daneben kommt eine Verletzung von Art. 8 Abs. 1 EMRK und des seinem Schutzbereich nach identischen Art. 17 Abs. 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) in Betracht.246 Diese Normen gewährleisten jeder Person „das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz“ (Art. 8 EMRK) beziehungsweise, dass niemand „willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt“ werden darf (Art. 17 IPbpR). Zugunsten der besseren Lesbarkeit erfolgt die Prüfung hier allein anhand von Art. 8 EMRK. Das dabei gewonnene Ergebnis kann entsprechend auf Art. 17 Abs. 1 IPbpR übertragen werden. Die von Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E angeordnete Eheaufhebung ist – wie vorab bereits erläutert – geeignet, das familiäre Zusammenleben zu beeinträchtigen. Dies gilt im Rahmen des Art. 8 EMRK auch dann, wenn die polygame Ehe (bislang) kinderlos ist. Der Schutzbereich des Konventionsgrundrechts ist gegenüber dem des Art. 6 Abs. 1 Alt. 2 GG weiter und erfasst unter dem Familienbegriff auch partnerschaftliche Beziehungen.247 Dies gilt unabhängig davon, ob diese durch einen Eheschließungsakt formalisiert wurden.248 Mithin sind ausländische polygame Ehen als Familien i. S. d. Art. 8 Abs. 1 EMRK anzusehen und somit vom persönlichen Schutzbereich der Norm erfasst. In sachlicher Hinsicht gewährleistet Art. 8 Abs. 1 244

Meyer-Ladewig/Nettesheim, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, Art. 12 EMRK, Rn. 6. 245 EGMR, Urt. v. 18. 12. 1986 – 9697/92 (Johnston u. a. / Irland) (Rn. 52); Mankowksi, FamRZ 2018, 1134, 1138; Jarass, in: Jarass, Charta der Grundrechte der EU, Art. 9, Rn. 5; Meyer-Ladewig/Nettesheim, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, Art. 12 EMRK, Rn. 7; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 22, Rn. 84.l. 246 Gerst, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, Art. 8 EMRK, Rn. 3. 247 Schubert, in: EuArbRK, Art. 8 EMRK, Rn. 14; Meyer-Ladewig/Nettesheim, in: MeyerLadewig/Nettesheim/von Raumer, Art. 8 EMRK, Rn. 56; Marauhn/Meljnik, in: Dörr/Grote/ Marauhn, Konkordanzkommentar EMRK/GG, Kap. 16, Rn. 40. 248 Hofmann, in: BeckOK Ausländerrecht, Art. 8 EMRK, Rn. 17.

III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E

295

EMRK das Recht, die familiäre Beziehung frei von Störungen durch staatliche Eingriffe ausleben zu dürfen.249 Da die von Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E angeordnete Eheaufhebung zur Beeinträchtigung des Familienlebens führt, ist eine mögliche Rechtfertigung zu prüfen. Die Voraussetzungen hierfür ergeben sich aus Art. 8 Abs. 2 EMRK. Demgemäß darf eine Behörde in die Ausübung des Familiengrundrechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Hierzu ist festzustellen, dass mit Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E eine gesetzliche Grundlage für die Eheaufhebung gegeben wäre. Weiter könnte als legitimes Ziel i. S. d. Art. 8 Abs. 2 EMRK auf den Aspekt der „Aufrechterhaltung der Ordnung“ verwiesen werden. Dieser wird als allgemeiner ordre public-Vorbehalt verstanden.250 Bezüglich der ordre public-Relevanz polygamer Ehen kann dabei auf das vorab Gesagte verwiesen werden. Zuletzt müsste die Eheaufhebung auch „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ sein. Dieses Erfordernis wird als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verstanden. Bei dessen Prüfung ist zu berücksichtigen, dass der EGMR den nationalen Behörden auch bei Eingriffen in das Familienleben einen weiten Beurteilungsspielraum zugesteht.251 Unter Berücksichtigung dessen, sowie mit Blick darauf, dass die Eheaufhebung grundsätzlich mit ex nunc-Wirkung eingreift und zugleich ein faktisches Zusammenleben der Familien weiterhin zulässt, ist nicht von der Unvereinbarkeit von Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E mit Art. 8 Abs. 1 EMRK auszugehen. cc) Vereinbarkeit mit dem Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E ist zudem auf seine Vereinbarkeit mit bilateralen völkerrechtlichen Abkommen zu prüfen. Dabei kommt zunächst das Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien (so genanntes Deutsch-iranisches Niederlassungsabkommen) in Betracht.252 Dieses gewährleistet in Art. 8 Abs. 3 S. 1: „In bezug [sic] auf das Personen-, Familien- und Erbrecht bleiben die Angehörigen jedes der vertragsschließenden Staaten im Gebiet des anderen Staates jedoch den Vorschriften ihrer heimischen Gesetze unterworfen.“

249

Mankowksi, FamRZ 2018, 1134. Marauhn/Meljnik, in: Dörr/Grote/Marauhn, Konkordanzkommentar EMRK/GG, Kap. 16, Rn. 87. 251 Marauhn/Meljnik, in: Dörr/Grote/Marauhn, Konkordanzkommentar EMRK/GG, Kap. 16, Rn. 93. 252 Abkommen vom 17. 2. 1929, RGBl. II 1930, 1002. 250

296

E. Auswertung der Untersuchung

Diese Regelung, die für das gesamte Familienrecht anwendbar ist,253 sorgt mithin dafür, dass zugunsten der Angehörigen des jeweiligen Staates ihr heimisches Sachrecht zur Anwendung kommt. Dies gilt jedoch nur unter der Prämisse, dass alle an dem streitigen Rechtsverhältnis Beteiligten ausschließlich die iranische beziehungsweise die deutsche Staatsangehörigkeit innehaben.254 Vor deutschen Gerichten wird das Abkommen mithin nur dann relevant, wenn alle Parteien ausschließlich iranische Staatsbürger sind.255 Es erscheint fraglich, ob Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E, der die Anwendbarkeit iranischen Rechts auf Zweitehen mit gemeinsamem gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland unterbrechen würde, mit Art. 8 Abs. 3 S. 1 des Abkommens zu vereinbaren ist. Dabei muss jedoch auch der zweite Satz der Regelung beachtet werden. Dieser sieht vor, dass die Anwendung der Gesetze des anderen Vertragsstaates ausnahmsweise ausgeschlossen werden kann. Dies gilt jedoch nur, wenn ein solcher Ausschluss auch gegenüber jedem anderen fremden Staat erfolgt. Von Rechtsprechung und Literatur wird Art. 8 Abs. 3 S. 2 des Abkommens als Öffnungsklausel gegenüber dem deutschen beziehungsweise iranischen nationalen ordre public verstanden.256 Diese erfasst unstreitig die allgemeine Vorbehaltsklausel des Art. 6 EGBGB. Daneben sollen auch besondere ordre public-Vorbehalte mit inbegriffen sein, soweit diese „inhaltlich auf Zielsetzungen beruhen, die nicht allein einen bloßen Inländerschutz, Praktikabilitätserwägungen oder dem Schutz individueller Erwartungen dienen, sondern echten ordre public-Gehalt haben“.257 Es ist daher zu prüfen, ob Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E vom Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 3 S. 2 erfasst ist. In der Literatur ist dazu kritisch angemerkt worden, dass die in Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E vorgesehene regelmäßige Aufhebung bei gemeinsamem gewöhnlichem Aufenthalt bereits deshalb nicht der Ausnahmebestimmung gerecht werde, da diese nur ein ausnahmsweises Abweichen im Einzelfall gestatte.258 Dem ist entgegenzuhalten, dass die Anwendung besonderer Vorbehaltsklauseln im Rahmen von Art. 8 Abs. 3 S. 2 des Abkommens anerkannt wird. Merkmal dieser 253

Hausmann, in: Hausmann/Odersky: Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 11, Rn. 14; ders., in: Hausmann: Internationales und Europäisches Familienrecht, Rn. 395. 254 BVerfG, Beschl. v. 4. 12. 2006 – 2 BvR 1216/06 = NJW-RR 2007, 577; OLG Frankfurt, Beschl. v. 5. 8. 2016 – 4 UF 288/15 = NJW 2017, 896 ff.; von Hein, in: MüKo BGB, Art. 5 EGBGB, Rn. 101. 255 Hausmann, in: Hausmann/Odersky: Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 11, Rn. 14. 256 Hausmann, in: Hausmann/Odersky: Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 11 Rn. 16; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.12.008 – 3 Wx 51/08 = NJW-RR 2009, 732, 733; BGH, Beschl. v. 14. 10. 1992 – XII ZB 18/92 = NJW 1993, 848, 849; AG Hamburg St. Georg, Beschl. v. 13. 4. 2016 – 970 VI 164512 = ZEV 2015, 580, 582. 257 von Hein, in: MüKo BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 39; dazu im Übrigen auch zu Art. 17 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB a. F.: OLG Frankfurt, Beschl. v. 29. 11. 2010 – 7 UF 100/09 = FamRZ 2011, 1065 f.; Stürner, in: BeckOKG, Art. 6 EGBGB, Rn. 116. 258 Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762, 767.

III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E

297

Klauseln ist es jedoch, dass sie auf eine Prüfung des konkreten Einzelfalls verzichten und zu einer einheitlichen Rechtsfolge führen. Sollte man sich für die zwingende Erforderlichkeit einer Einzelfallprüfung bei Anwendung des Art. 8 Abs. 3 S. 2 des Abkommens aussprechen, würde dies die gefestigte Meinung hinsichtlich besonderer Vorbehaltsklauseln in Literatur und Rechtsprechung unterlaufen. Insbesondere aber würde daraus folgen, dass alle durch besondere Vorbehaltsklauseln geregelten Fallgruppen vom Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 3 S. 2 des Abkommens ausgenommen würden. Dies beruht darauf, dass entsprechende Fälle wegen des lex specialis-Grundsatzes nicht unter Art. 6 EGBGB fallen. Daraus würden jedoch Schutzlücken zulasten der Betroffenen sowie des deutschen ordre public entstehen. Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen ist daher anzunehmen, dass Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E als besondere Ausprägung des deutschen ordre public von der Ausnahmeregelung des Art. 8 Abs. 3 S. 2 des Abkommens erfasst würde. Die Norm wäre somit mit dem Abkommen vereinbar. dd) Vereinbarkeit mit dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko über soziale Sicherheit Weiter ist auch Art. 25 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko über Soziale Sicherheit zu prüfen.259 Dieses hat die Überführung von in Marokko erworbenen Rentenansprüchen nach Deutschland zum Gegenstand. Die Regelung zu den Witwenrentenansprüchen bestimmt, dass „die Witwenrente […] gegebenenfalls zu gleichen Teilen und endgültig auf die Anspruchsberechtigten aufgeteilt [wird], die gleichzeitig Ehefrauen waren“,260 und setzt damit die Anerkennung der Mehrehe voraus. Eine Ausnahmemöglichkeit zugunsten des nationalen ordre public ist nicht vorgesehen. Daraus folgt, dass die von Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E angeordnete Eheaufhebung der staatsvertraglichen Regelung nicht gerecht würde. Dabei kann jedoch angemerkt werden, dass sich dies praktisch wegen der rückläufigen Zahl polygamer Eheschließungen in Marokko nur in wenigen Fällen auswirken würde.261 c) Kulturelle Identität Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E verweist auf die Eheaufhebungsvorschriften der §§ 1313 ff. BGB. Hierzu wurde schon bei der Prüfung von Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB festgestellt, dass diese nur wenig Raum für die Beachtung der individuellen kulturellen Bedürfnisse bieten. Konkret ist dies nur bei der Entscheidung über das Stellen des Aufhebungsantrags i. S. d. § 1316 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 BGB möglich. Hier sieht das Gesetz vor, dass der Antrag nicht zu stellen ist, wenn „[…] die Aufhebung 259 260 261

Abkommen vom 25. 3. 1981, BGBl. II, 550, 552. Art. 25 Nr. 6 des Abkommens. Mankowski, in: Staudinger, Art. 13 EGBGB, Rn. 238.

298

E. Auswertung der Untersuchung

der Ehe für einen Ehegatten oder für die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint“. In diese Beurteilung des Härtefalls können somit auch kulturelle Aspekte einbezogen werden. Die Prüfung des Härtefalls vor Antragsstellung bietet zudem den Vorteil, dass die Parteien nicht mit einem aussichtslosen Verfahren belastet werden. Zugleich ist zugunsten von Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E zu berücksichtigen, dass die Norm grundsätzlich nur solche Ehen erfasst, die einen erheblichen Inlandsbezug aufweisen. Dies ließe sich als Achtung divergierender kultureller Bedürfnisse verstehen. Sofern nicht durch einen dauerhaften Aufenthalt im Inland ein enger Bezug zur deutschen Rechts- und Werteordnung begründet wird, wird ein besonderer Schutz dieser Grundsätze nicht für erforderlich gehalten. Den individuellen, auch kulturellen, Bedürfnissen wird in diesen Fällen der Vorrang eingeräumt. 2. Vereinbarkeit mit Grundsätzen des Kollisionsrechts Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E führt in Hinblick auf die Prinzipien des Kollisionsrechts zu ähnlichen Ergebnissen wie Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB. Die Eheaufhebung würde die Gefahr hinkender Rechtsverhältnisse schaffen. Diese würde jedoch umgangen, wenn das zur Eheaufhebung ergangene Gerichtsurteil im Ausland anerkannt wird. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E widerspricht zudem dem Streben nach einem internationalen Entscheidungseinklang. Zusätzlich berücksichtigt die Norm nicht in hinreichendem Maße den Grundsatz der Achtung fremder Rechtsordnungen. Insgesamt würde die Verletzung der kollisionsrechtlichen Prinzipien durch Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E jedoch weniger schwer wiegen. Dies folgt daraus, dass die Eheaufhebung einen engen Inlandsbezug voraussetzt. In sämtlichen hiervon nicht erfassten Fällen wird das im Ausland begründete Statusverhältnis in Deutschland vollumfänglich anerkannt und die kollisionsrechtlichen Grundsätze werden damit gewahrt. 3. Auswertung der rechtsvergleichenden Untersuchung Weiter soll untersucht werden, ob die englische Rechtsordnung eine ähnliche Haltung gegenüber polygamen Ehen zeigt und die Interessen des bayrischen Gesetzgebers somit unterstützt. Die rechtsvergleichende Untersuchung hat zunächst große Ähnlichkeiten zwischen der englischen und der deutschen Rechtslage de lege lata gezeigt. Daneben können auch Übereinstimmungen mit der vorgeschlagenen Situation de lege ferenda festgestellt werden: Dies betrifft etwa die Schließung polygamer Ehen im Inland. Das deutsche Recht schließt diese, wenn wenigstens ein deutscher Staatsangehöriger beteiligt ist, wegen des zweiseitigen Ehehindernisses des § 1306 BGB aus und ließe sie im Übrigen an dem neu einzuführenden Trauungsverbot des § 1310 Abs. 1 S. 3

III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E

299

Nr. 2 BGB-E, Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E scheitern. Das englische Recht versagt diese Praktik ebenfalls und stützt sich dabei auf die monogame inländische Rechtsordnung als maßgebliche lex fori.262 Trotz dieser unterschiedlichen dogmatischen Herleitung verkörpern die Regelungen eine einheitliche Botschaft. Beide Länder bekennen sich zum christlich-abendländischen Ehebild, welches durch das Prinzip der Einehe geprägt ist. Folglich widerspricht es staatlichen Interessen, wenn im Inland durch inländische Hoheitsträger Ehen geschlossen werden, die diesem Ehebild nicht entsprechen. Dies kann nicht hingenommen werden. Der vorgeschlagene § 1310 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 EGBGB-E erfährt somit durch den – jedenfalls im Ergebnis erzielten – Gleichlauf mit dem englischen Recht Unterstützung. Etwas anderes gilt für die kollisionsrechtliche Neuregelung des Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E. Gegenüber dessen „Alles oder Nichts“-Lösung vertritt das englische Recht einen differenzierenden Ansatz. Ähnlich wie die deutsche Rechtslage de lege lata erkennt es im Ausland geschlossene Mehrehen generell an, lässt davon jedoch bereichsspezifische Ausnahmen zu. Letzteres betrifft vornehmlich Fälle, die in erheblichem Maße staatliche Interessen berühren. Die von der konkreten Rechtsfrage gelöste prinzipielle NichtBeachtung einer Zweitehe ist dem englischen Recht hingegen fremd. Auch die aus Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E resultierenden Rechtsfolgen finden keine Entsprechung im englischen Recht. Sofern es in einem bestimmten Bereich die polygamen Ehen nicht anerkennt, lässt dies im Übrigen deren Bestand unberührt. Die deutsche Rechtslage de lege ferenda würde demgegenüber die von Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E betroffenen Ehen final aufheben. Eine Heilung oder ein Wiederaufleben in anderen Rechtsbereichen kommt nicht in Betracht. Festzustellen ist daher, dass das bayrische Vorhaben – soweit es das IPR betrifft – nicht durch eine vergleichbare Rechtslage in England unterstützt wird. Im Gegenteil ließe sich sogar der Gleichlauf der deutschen rechtlichen Situation de lege lata mit der englischen Rechtsordnung als Argument für den Verbleib bei der aktuellen Rechtslage anführen. Dabei ist darauf zu verweisen, dass das englische Recht sich selbst aktiv von seiner zunächst vertretenen Haltung der kategorischen Nicht-Anerkennung gelöst und für einen flexiblen Umgang mit Mehrehen entschieden hat. Dies kann als historisches Lehrstück für das Scheitern einer strikten Ablehnung polygamer Ehen dienen. Insbesondere hat sich dies in Zeiten, in denen es zu einem vermehrten Aufkommen von Mehrehen im Inland kommt, als wenig erfolgreich herausgestellt. Insofern ist die bayrische Reaktion auf den Flüchtlingszuzug, nämlich das Streben nach strikteren Regelungen, jedenfalls aus Sicht der englischen Rechtshistorie gerade der verkehrte Reflex. 4. Abschließende Bewertung Die Auswertung anhand der hier verwendeten Kriterien führt zu einem positiven Ergebnis für Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E. Die besondere Bedeutung des Gleichbe262

Vgl. dazu unter D.IV.3.b).

300

E. Auswertung der Untersuchung

rechtigungsgrundsatzes führt zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Vorgehens gegen polygame Ehen. Zugleich bewirkt der von der Norm geforderte Inlandsbezug, dass die Durchsetzung der deutschen Rechts- und Werteordnung allein in solchen Fällen erfolgt, die eine tatsächliche dauerhafte Verbindung zu dieser aufweisen. Dadurch werden die Grundsätze des Kollisionsrechts sowie die individuelle kulturelle Identität geschont. Die konkrete Ausgestaltung des Gesetzesvorhabens ist aber jedenfalls hinsichtlich des Verhältnisses zur allgemeinen Vorbehaltsklausel anzuzweifeln. Die aktuell vorgeschlagene Fassung von Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E würde dazu führen, dass die nicht davon erfassten Mehrehen in Deutschland vollumfänglich und somit auch in Bereichen, in denen dies bislang nicht möglich ist, anerkannt werden müssten. Im Zusammenspiel mit § 1310 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 BGB-E würde dies sogar dazu führen, dass deutsche Standesbeamte zur Schließung polygamer Ehen verpflichtet wären. Wegen der herausragenden Stellung des Gleichberechtigungsgrundsatzes sowie aufgrund des Bekenntnisses der deutschen Rechtsordnung zum christlichen Bild der Einehe scheint dies nicht hinnehmbar. Dieser Aspekt führt jedoch nicht zwingend dazu, dass der Gesetzesvorschlag verworfen werden muss. Vielmehr ist allein eine Klarstellung des Verhältnisses zu Art. 6 EGBGB geboten. So würde es sich etwa anbieten, Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E um den Zusatz zu ergänzen: Art. 6 EGBGB bleibt unberührt. Ein weiterer kritikwürdiger Aspekt ist die Frage, ob eine Spezialnorm zur Klärung der Rechtslage tatsächlich erforderlich ist. Dies gilt mit Hinblick darauf, dass die kollisionsrechtliche Rechtslage zu Mehrehen de lege lata gefestigt scheint. Lediglich Einzelfragen sind hier bislang noch offen. Auch hat sich bislang nicht gezeigt, dass sich durch den vermehrten Zuzug Geflüchteter neue, bislang ungeklärte Fragestellungen ergeben, oder die aktuelle Rechtslage in dieser neuen Situation gänzlich unangemessen erscheint. Zudem würde durch die Reform auch der Gleichlauf mit dem englischen Recht aufgegeben werden. Neben diesen gerade erörterten Aspekten sprechen jedoch keine zwingenden Gesichtspunkte gegen die Aufnahme der Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E, § 1310 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 BGB-E in die deutsche Rechtsordnung. Dieser Umstand allein sollte jedoch noch keine hinreichende Rechtfertigung für eine geänderte Rechtslage sein. Dabei ist von Bedeutung, dass das Inkrafttreten von Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E die bisherige Haltung zur Anerkennung polygamer Ehen ins Gegenteil verkehren würde. Während man bislang von einem am Einzelfall orientierten Vorgehen ausging – wobei die Tendenz auf der Anerkennung der Ehe lag –, würde es nach der vorgeschlagenen Rechtslage zu einer „Alles oder Nichts“-Lösung kommen. Die umfassende Wirksamkeit der Ehen oder ihre Abwicklung würde allein davon abhängig gemacht, ob ein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland besteht. Wegen dieser vollständigen Änderung der geltenden Rechtslage scheint ein zweiter Blick auf diese Thematik geboten. Von Beachtung sollte dabei sein, dass die Rechtslage de lege lata bislang nicht zu Missständen gesellschaftlicher oder rechtlicher Art geführt hat. Dies gilt zunächst in

III. Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E

301

Hinblick darauf, dass auch bei Beibehalt der aktuellen kollisionsrechtlichen Lage zu polygamen Ehen keine Gefahr für das verfassungsrechtlich verankerte Prinzip der Einehe besteht. Insbesondere gilt dies seit der bereits angesprochenen Neufassung des § 10 StAG.263 Es ist nachvollziehbar, dass der deutsche Gesetzgeber sich bei einer häufiger werdenden Konfrontation mit polygamen Ehen des staatlichen monogamen Eheverständnisses vergewissern und die Aufrechterhaltung dieses Ideals im Inland sichern will. Das ist ihm gelungen, indem der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit seit dem Jahr 2019 das Nichtbestehen von mehr als einer Ehe voraussetzt. § 10 StAG n. F. bringt damit – in Einklang mit § 1306 BGB und § 172 StGB – die ablehnende Haltung des deutschen Gesetzgebers gegenüber Mehrehen zum Ausdruck, soweit diese im Inland unter Inländern stattfinden. Thematisch richtig wurde dies als Fragestellung des Staatsangehörigkeitsrechts beurteilt.264 Die vom bayrischen Gesetzgeber intendierte Verankerung im Kollisionsrecht geht demgegenüber zu weit und verkennt die Verschiedenheit der für das jeweilige Rechtsgebiet relevanten Interessen. Es werden keine Gesichtspunkte deutlich, die eine derart universale Abwehr von Mehrehen im Inland durch das IPR geboten erscheinen lassen. Daneben ist zu beachten, dass nach der Rechtslage de lege lata auch sonstige staatliche Interessen nicht berührt werden. Dies folgt aus dem Umstand, dass polygame Ehen in den entsprechenden durch staatliche Belange geprägten Bereichen – wie etwa dem Ehegattennachzug oder Rentenansprüchen – nicht anerkannt werden. Dieser Nicht-Belastung auf staatlicher Seite steht die erhebliche gesellschaftliche und individuelle Relevanz der Ehen für die Betroffenen gegenüber. Bereits diese Gegenüberstellung lässt es zweifelhaft erscheinen, ob die vorgeschlagene strengere Rechtslage zu polygamen Ehen tatsächlich erforderlich ist. Daneben ist auch fraglich, ob sich diese striktere Regelung auf lange Sicht nicht sogar nachteilig auf staatliche Interessen auswirkt. Dies lässt sich auf die bei der Rechtsvergleichung gewonnenen Erkenntnisse stützen. Aus Gründen der gesellschaftlichen Skepsis lehnte auch die englische Rechtsordnung zunächst die Anerkennung polygamer Ehen ab. In der Rechts- und Lebenswirklichkeit hat sich dieser Ansatz jedoch als unpraktikabel herausgestellt. Dies galt umso eher, je mehr polygame Ehen sich um eine Anerkennung in Inland bemühten. Zwar mag in der Theorie der Wunsch bestanden haben, die Einehe als einzige in England praktizierte Eheform anzusehen. Dies verhinderte jedoch nicht, dass es praktisch zu einem vermehrten Aufkommen von Mehrehen kam, welche einer sachgerechten Regelung bedurften. Dass England dabei zu einem ähnlich differenzierten Lösungsansatz gelangte wie die deutsche Rechtslage de lege lata, stärkt die Auffassung, dass es sich hierbei um die vorzugswürdige Herangehensweise handelt. Auch hat die Entwicklung in England bewiesen, dass sich die gesellschaftlichen Ressentiments gegenüber Mehrehen schneller abbauen als die Anzahl dieser Ehen im Inland.

263 264

Vgl. dazu unter C.III.3.b). So auch von Hein, in: Juristische Studiengesellschaft Jahresband 2018, 29, 72 f.

302

E. Auswertung der Untersuchung

Aufgrund der soeben dargelegten Umstände ist der bayrische „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Mehrehe“ abzulehnen. Obwohl dieser nach den hier zur Überprüfung angelegten Kriterien als vertretbar eingestuft werden muss, sprechen die Abwägung staatlicher und privater Interessen sowie die Erfahrungen mit dem englischen Recht für ein Festhalten an der Rechtslage de lege lata.

IV. Art. 13 Abs. 4 EGBGB Zuletzt ist die eheliche Formfragen behandelnde besondere Vorbehaltsklausel des Art. 13 Abs. 4 EGBGB zu untersuchen. 1. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht a) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht aa) Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 GG Da Art. 13 Abs. 4 EGBGB spezifische Anforderungen an die Form der Eheschließung stellt, scheint zunächst eine Verletzung der in Art. 6 Abs. 1 GG verbürgten Eheschließungsfreiheit möglich. Hier ist jedoch zu beachten, dass es sich bei Art. 6 Abs. 1 GG um ein ausgestaltungsbedürftiges Grundrecht handelt. Der Gesetzgeber ist mithin berechtigt und sogar verpflichtet, Voraussetzungen für die formelle Wirksamkeit der Eheschließung einfachrechtlich festzusetzen.265 Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu.266 Begrenzt wird dieser allein durch die Anforderungen der verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien.267 Der Gesetzgeber hat diese Verpflichtung durch §§ 1310 ff. BGB, Art. 13 Abs. 4 EGBGB umgesetzt. Dabei hat er sich für die obligatorische Zivilehe als einzig zulässige Form der Eheschließung im Inland entschieden. Ein Verstoß gegen (andere) verfassungsrechtliche Strukturprinzipien ist dabei nicht zu erkennen. Vielmehr bewegt sich die Norm in dem dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraum. Art. 13 Abs. 4 EGBGB stellt somit eine zulässige gesetzgeberische Ausgestaltung dar. bb) Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG Da Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB nur für Ausländer eine weitere Form der Eheschließung neben der Zivilehe bietet, kommt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass hier allein der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Abs. 1 zu prüfen ist. Die von Art. 3 Abs. 3 GG genannten „verbotenen“ Differenzierungskriterien sind nicht einschlägig. Zwar erscheint zunächst 265 266 267

Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6 GG, Rn. 33. Brosius-Gersdorf, in: Dreier Kommentar zum Grundgesetz, Band I, Art. 6 GG, Rn. 76. Uhle, in: BeckOK GG, Art. 6 GG, Rn. 29.

IV. Art. 13 Abs. 4 EGBGB

303

eine Anknüpfung an den Aspekt der „Heimat“ der Eheschließenden denkbar. Dies scheidet jedoch deshalb aus, da die Staatsangehörigkeit von diesem Kriterium nicht erfasst wird.268 (1) Ungleichbehandlung ausländisch-ausländischer Paare gegenüber deutsch-deutschen Paaren Zunächst ist eine Ungleichbehandlung ausländisch-ausländischer Paare (sprich: keiner der Verlobten besitzt jedenfalls auch die deutsche Staatsangehörigkeit) gegenüber deutsch-deutschen Paaren zu prüfen. Dazu muss der Regelungsgehalt der Ausnahmenorm genauer in Augenschein genommen werden: Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB gestattet ausländischen Staatsangehörigen nicht die vollwirksame kirchliche oder sonstige Eheschließung im Inland während dies inländischen Paaren verwehrt bleibt. Vielmehr ermöglicht die Ausnahmeregel, dass ausländische Paare Eheschließungen nach dem Ritus ihres Heimatrechts auch in Deutschland vornehmen können. Beachtlich ist dabei, dass es sich auch bei der Eheschließung nach ausländischem Recht um eine staatliche Trauung handeln muss. Dies verdeutlicht das Tatbestandsmerkmal der ordnungsgemäßen Ermächtigung. Der ausländische Staat soll sich durch die Beleihung dafür verbürgen, dass es sich aus seiner Sicht um eine wirksame Eheschließung handelt. Deutlich wird dies auch daraus, dass eine abstrakte Ermächtigung ausländischer Geistlicher als nicht für die Eheschließung in Deutschland ausreichend angesehen wird.269 Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB weicht mithin nicht von dem Erfordernis eines staatlichen Eheschließungsaktes zur Begründung einer wirksamen Ehe ab. Vielmehr lässt er ausländische staatliche Hoheitsakte im Inland zwecks Eheschließung zu. Dabei ergibt sich bereits aus der Natur der Sache, dass auch ein Einbeziehen von Inländern in den Regelungsbereich von Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB keine Erweiterung ihrer Trauungsmöglichkeiten bewirken würde. Da in Deutschland allein die Zivilehe als wirksame Form der Eheschließung zugelassen ist, würde diese Bestimmung auch dann gelten, wenn sie durch eine „ordnungsgemäß ermächtigte Person“ im In- oder Ausland durchgeführt würde. In letzterem Fall sind die Paare durch die aktuelle Anknüpfung an Art. 11 EGBGB bei Eheschließungen im Ausland sogar bessergestellt. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von deutschdeutschen und ausländisch-ausländischen Paaren durch Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB liegt mithin nicht vor. (2) Ungleichbehandlung ausländisch-ausländischer Paare gegenüber ausländisch-deutschen Paaren Eine Ungleichbehandlung könnte jedoch zwischen ausländisch-ausländischen und deutsch-ausländischen Paaren bestehen. Hier wird nur ersteren – entsprechend 268 BVerfG, Beschl. v. 9. 2. 1994 – 1 BvR 1687/92 = BVerfGE 90, 27, 37; Kischel, in: BeckOK GG, Art. 3, Rn. 226. 269 Siehe dazu unter C.IV.1.

304

E. Auswertung der Untersuchung

des eindeutigen Wortlauts des Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB – die Möglichkeit einer Trauung nach ausländischer Form in Deutschland eröffnet. Diese Konstellation unterscheidet sich dabei von den zuvor geschilderten Fällen. Während bei den deutsch-deutschen Paaren keine anderweitige staatliche Eheschließungsform zur Verfügung steht, gilt dies nicht zwingend auch für die deutsch-ausländischen Paare. Hier besteht die Möglichkeit, dass der Heimatstaat des ausländischen Partners eine anderweitige Form der Eheschließung vorsieht. Die deutsch-ausländischen Paare werden somit durch die Regelung des Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB schlechter gestellt als die ausländisch-ausländischen Paare. Daher ist zu prüfen, ob diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist. Zur Bestimmung des dabei anzulegenden Maßstabs ist einerseits zu beachten, dass den deutsch-ausländischen Paaren zwar die Eheschließung nach dem Recht des Staates des ausländischen Partners im Inland verwehrt bleibt, ihnen jedoch weiterhin die Möglichkeit der Eheschließung nach Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB, § 1310 Abs. 1 S. 1 BGB offen steht. Das Freiheitsgrundrecht der Eheschließungsfreiheit wird somit nicht beeinträchtigt. Zugleich ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass die Ungleichbehandlung an die Staatsangehörigkeit und damit an ein von der Person jedenfalls nur schwer beeinflussbares Kriterium anknüpft. Für die Bewertung dieser Ungleichbehandlung ist das mit Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB vom Gesetzgeber vorgegebene Regel-Ausnahme-Prinzip maßgeblich. Die Norm verdeutlicht, dass grundsätzlich das Territorialitätsprinzip gelten soll, so dass eine Ehe in Deutschland nur nach deutscher Form geschlossen werden kann. Dies dient den bereits dargestellten staatlichen Ordnungsinteressen sowie dem Grundrechtsschutz der Verlobten. Der Gesetzgeber hat allein für solche Fälle eine Ausnahme vorgesehen, in denen der Sachverhalt einen besonders geringen Inlandsbezug aufweist. Auch dann sorgt das Erfordernis der „ordnungsgemäßen Ermächtigung“ jedoch – zumindest in gewissem Maße – für die Aufrechterhaltung staatlicher Regulierungs- und Ordnungsinteressen. Unter Beachtung des eben benannten Regel-Ausnahme-Grundsatzes erscheint es stringent, dass, wenn wegen der Beteiligung eines Deutschen an der Trauung ein engerer Inlandsbezug besteht, die Regelanknüpfung greift. Diese Erwägungen führen mithin zu dem Ergebnis, dass hier nicht von einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung durch Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB ausgegangen werden kann. b) Vereinbarkeit mit Völker- und Unionsrecht Bedenken hinsichtlich einer möglichen Völker- und Unionsrechtswidrigkeit bestehen bei Art. 13 Abs. 4 EGBGB nicht. Insbesondere ist er mit der Eheschließungsgarantie aus Art. 12 EMRK, welche den nationalen Gesetzgebern grundsätzlich auch bei Verfahrens- und Formfragen einen Gestaltungsspielraum einräumt, vereinbar.270 Begrenzt wird dieser allein durch die grundsätzliche Gewährleistung 270 Meyer-Ladewig/Nettesheim, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, Art. 12 EMRK, Rn. 7.

IV. Art. 13 Abs. 4 EGBGB

305

der Garantie. Da Art. 13 Abs. 4 EGBGB jedoch eine Eheschließung in Deutschland ermöglicht, bleibt diese unberührt. c) Kulturelle Identität Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB scheint in seiner Rigidität zunächst wenig offen gegenüber kulturellen Belangen. Eine Auflockerung erfährt dies durch die Ausweichmöglichkeit des Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB. Diese kann als Zugeständnis an die kulturelle Identität der Normadressaten verstanden werden. Die Regelung bringt zum Ausdruck, dass die deutschen Ordnungsinteressen nicht um jeden Preis durchgesetzt werden müssen. Vielmehr erkennt der Gesetzgeber an, dass bei einem geringen Inlandsbezug für die Paare ein erhebliches Interesse daran besteht, eine nach ihrem Heimatrecht wirksame Ehe einzugehen. Insofern bietet die Norm hier, wenn auch in eingeschränktem Rahmen, Raum für die kulturellen Bedürfnisse der Paare. 2. Vereinbarkeit mit Grundsätzen des Kollisionsrechts Zur Berücksichtigung kollisionsrechtlicher Interessen ist zunächst festzustellen, dass der lex loci-Grundsatz dem Prinzip der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen nicht gerecht wird. Dies ergibt sich daraus, dass der deutsche Gesetzgeber mit Art. 13 Abs. 4 EGBGB die Wertung zum Ausdruck bringt, nur durch die Anwendung deutschen Rechts den staatlichen Regelungsinteressen gerecht zu werden. Zudem kann, wie bereits dargestellt, die strikte Anwendung der Inlandsform die Entstehung hinkender Ehen zur Folge haben. Wegen der Ausweichklausel des Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB betrifft dies jedoch nur eine begrenzte Anzahl von Fällen. 3. Auswertung der rechtsvergleichenden Untersuchung Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers für die unbedingte Durchsetzung der Inlandsform bei Inlandsehen erfährt Unterstützung durch das englische Recht. Auch dieses erachtet die Einhaltung der englischen Formvorschriften als zwingend erforderlich, damit eine in England geschlossene Ehe als formell wirksam anerkannt wird. Diese Regelung dient dabei jedoch weniger zur Abgrenzung gegenüber der Regelungshoheit der Kirche. Vielmehr bezweckt der lex loci-Grundsatz in England die Durchsetzung staatlicher Regelungs- und Ordnungsinteressen. Dies wird vor allem vor dem historischen Hintergrund deutlich. Ob daneben durch den Grundsatz auch ein besonderer Schutz der subjektiven Rechte der Normadressaten intendiert ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Folglich sind hier überschneidende Interessen des englischen und des deutschen Rechts festzustellen: Die Regel „Inlandsehe – Inlandsform“ dient in beiden Fällen vor allem der Durchsetzung staat-

306

E. Auswertung der Untersuchung

licher Regelungs- und Ordnungsinteressen. Dies setzt sich auch bei Fallgestaltungen mit Auslandsbezug durch. 4. Abschließende Bewertung Bei der abschließenden Beurteilung von Art. 13 Abs. 4 EGBGB ist zunächst festzuhalten, dass dieser weder Verfassungs- noch Völker- oder Unionsrecht verletzt und somit keine zwingenden Aufhebungsgründe vorliegen. Weiter ist festzustellen, dass die hinter der Norm stehenden Regelungs-, Ordnungs- und Schutzinteressen des deutschen Gesetzgebers von erheblichem Gewicht sind. Dies zeigt der lange Fortbestand der Norm. Trotz der immer wieder daran geübten Kritik und den vermehrten Änderungsvorschlägen hat sich der Gesetzgeber stets für das Festhalten an diesem Grundsatz im deutschen IPR entschieden. Ebenso spricht für die Relevanz der hinter dem lex loci-Grundsatz stehenden staatlichen Interessen auch der Gleichlauf mit dem englischen Kollisionsrecht. Umso deutlicher wird diese Überlegung, wenn man berücksichtigt, dass das englische Recht keine dem deutschen Recht vergleichbare Ausweichmöglichkeit vorsieht. Dies wird zwar etwas dadurch relativiert, dass das englische Recht auf sachrechtlicher Ebene mehr Möglichkeiten zur Eingehung einer formell wirksamen Ehe bietet. Daraus, dass in jedem Fall bei der Eheschließung gesetzliche Mindeststandards einzuhalten sind, wird jedoch auch hier das staatliche Regelungsinteresse deutlich. Positiv hervorzuheben ist, dass der deutsche Gesetzgeber scheinbar erkannt hat, dass eine unbeschränkte Durchsetzung seiner Belange in diesem Bereich nicht angemessen ist. Die Ausweichanknüpfung des Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB spiegelt diese Einsicht wieder, indem bei geringem Inlandsbezug und Einhaltung der Registrierungspflicht die individuellen kulturellen Belange der Verlobten gegenüber den Regelungsinteressen des deutschen Staats den Vorrang haben. Insbesondere diese Einschränkung führt dazu, dass Art. 13 Abs. 4 EGBGB als legitimer Durchsetzungsmechanismus staatlicher Interessen zu bewerten und seinem Verbleib in der deutschen Rechtsordnung daher zuzustimmen ist.

V. Fazit und Ausblick 1. Ergebnisse der Untersuchung a) Ergebnisse hinsichtlich der bestehenden besonderen ordre public-Vorbehalte Die vorangegangene Untersuchung ermöglicht es nun, Antworten auf die zu Anfang der Untersuchung aufgeworfenen Fragen zu geben. Zugleich können daraus auch Erkenntnisse für die zukünftige Kodifikation besonderer Vorbehaltsklauseln im Bereich des Internationalen Eheschließungsrechts gewonnen werden.

V. Fazit und Ausblick

307

aa) Keine generelle Unzulässigkeit besonderer ordre public-Vorbehalte im Internationalen Eheschließungsrecht Es wurde zunächst die Frage aufgeworfen, ob die Rechtsfigur des besonderen ordre public-Vorbehalts im Internationalen Eheschließungsrecht wegen der Grundrechtssensibilität dieses Rechtsgebietes grundsätzlich rechtswidrig ist. Das ist nicht der Fall. Es hat sich gezeigt, dass die Verfassungswidrigkeit einzelner Vorbehaltsklauseln allein auf ihre konkrete Ausgestaltung zurückzuführen ist. Für andere Vorbehaltsklauseln konnte dagegen die Konformität mit Normen höherrangigen Rechts bestätigt werden. Eine generelle Verfassungs-, Völker- oder Unionsrechtswidrigkeit des Normentyps der besonderen ordre public-Vorbehalte konnte, soweit es den hier untersuchten Bereich des Eherechts betrifft, nicht festgestellt werden. Die Schaffung entsprechender Normen in diesem Bereich ist grundsätzlich zulässig. Die gegen diesen Normtypus vorgebrachte Kritik mahnt dabei zwar zur Zurückhaltung. Die vorgenommenen Abwägungen staatlicher gegenüber privaten Interessen haben jedoch ergeben, dass ein besonderes Schutzbedürfnis zugunsten staatlicher Regelungsinteressen bestehen kann. Daraus folgt zugleich, dass der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums handelt, wenn er sich für die Schaffung einer solchen Norm entscheidet. Es ist somit festzuhalten, dass besondere ordre public-Vorbehalte jedenfalls nicht grundsätzlich im Internationalen Eheschließungsrecht unzulässig sind. bb) Zulässigkeit und Unzulässigkeit einzelner besonderer ordre public-Vorbehalte Weiter war die Frage zu beantworten, welche besonderen Vorbehaltsklauseln des deutschen Internationalen Eheschließungsrechts beizubehalten sind und welche aufgehoben werden sollten. Dabei hat sich zunächst gezeigt, dass dies stets einer Abwägung zwischen den mit der Vorbehaltsklausel verfolgten staatlichen Interessen gegenüber den individuellen Rechten der Normadressaten sowie den Belangen des Kollisionsrechts bedarf. Hierzu waren zunächst die hinter der Entstehung der Norm befindlichen gesetzgeberischen Interessen herauszuarbeiten. Dabei war festzustellen, dass die hinter der jeweiligen Vorbehaltsklausel stehenden staatlichen Interessen häufig miteinander übereinstimmten. Es konnten drei maßgebliche gesetzgeberische Zielsetzungen herauskristallisiert werden: Vorrangig ist hier zunächst das Interesse nach der Förderung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu verzeichnen. Daneben dienen diese Normen jedenfalls vereinzelt auch dem Grundrechtsschutz der Bürger. Zuletzt nützt die Schaffung eines besonderen ordre public-Vorbehalts häufig auch politischen Interessen und setzt ein Signal zum Schutz bestimmter Wertungen gegenüber dem In- und Ausland.

308

E. Auswertung der Untersuchung

Bei der Abwägung dieser Belange gegenüber denen der Normadressaten sowie kollisionsrechtlicher Interessen hat sich der Inlandsbezug als maßgebliches Kriterium herausgestellt. Je enger das jeweilige Statusverhältnis mit der deutschen Rechts- und Werteordnung verbunden ist, desto berechtigter erscheint der Wunsch des Gesetzgebers regulierend einzugreifen und die Durchsetzung der Grundrechte zu fördern. Dies gilt vor allem dann, wenn das Statusverhältnis Ehe im Geltungsbereich der deutschen Rechts- und Werteordnung erstmalig entsteht. Daher konnten Art. 13 Abs. 2 EGBGB sowie Art. 13 Abs. 4 EGBGB positiv bewertet werden. Zudem hat sich anhand von Art. 13 Abs. 2 EGBGB gezeigt, dass grundsätzlich solche Normen zur Durchbrechung des internationalen Entscheidungseinklangs geeignet sind, bei denen die Durchsetzung nationaler Interessen der Erweiterung des Rechtskreises der Bürger dient. Umgekehrt sind die nationalen staatlichen Interessen dann weniger von Gewicht, wenn die Ehe bereits im Ausland begründet wurde. Hier sprechen kollisionsrechtliche Belange sowie die individuelle Betroffenheit für die Aufrechterhaltung der Ehen. Die Möglichkeit, dass sich die Interessen des Staates auch bei der Anerkennung von Statusverhältnissen durchsetzen, ist dabei zwar nicht ausgeschlossen. Diese verlangt jedoch, dass diesen Belangen gegenüber denen der Normadressaten und des Kollisionsrechts ein erhebliches Gewicht zukommt. Im Rahmen der Prüfung des Art. 13 Abs. 3 EGBGB konnten derart überragende staatliche Belange nicht festgestellt werden. Bei Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB hat sich sogar gezeigt, dass die zur Rechtssicherheit angeführte Argumentation leerläuft. Insbesondere war das Überwiegen der staatlichen Belange aber deshalb abzulehnen, da Art. 13 Abs. 3 EGBGB selbst wiederum zu einer Verletzung solcher führt. Dabei ist auf die aus der Norm resultierenden, nicht gerechtfertigten Grundrechtseingriffe zu verweisen. Art. 13 Abs. 3 EGBGB wurde daher negativ bewertet. Die Norm sollte aufgehoben werden. Auch der bayrische Gesetzgeber hat bei seinem Vorschlag des Art. 13 Abs. 4 EGBGB-E keine überzeugende Begründung für eine Abkehr von der aktuell geltenden Rechtslage geliefert. Die Förderung der Rechtsklarheit ist in diesem Fall obsolet, da der rechtliche Umgang mit polygamen Ehen weitestgehend gesichert ist. Weitere nationale Belange, die unter Geltung der aktuellen Rechtslage beeinträchtigt werden und somit eine Änderung dieser rechtfertigen, wurden nicht benannt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere wurde etwaigen Vorbehalten hinsichtlich des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit in diesem Zusammenhang durch die Änderung des StAG Rechnung getragen. Auch dieser Gesetzesvorschlag ist daher negativ zu bewerten. b) Hinweise für die Schaffung besonderer ordre public-Vorbehalte Die gewonnenen Ergebnisse sollen auch für die Schaffung künftiger ordre publicVorbehalte im Bereich des Internationalen Eheschließungsrechts nutzbar gemacht werden. Hierzu ist folgendes festzuhalten:

V. Fazit und Ausblick

309

Besondere Vorbehaltsklauseln sind in diesem Rechtsgebiet zulässig, wenn sie zur Durchsetzung hinreichend gewichtiger staatlicher Belange dienen. Häufig wird dies das Streben nach Rechtssicherheit sein. Soweit die Norm Rechte der Bürger verkürzt, muss der Wunsch nach Rechtsklarheit die entgegenstehenden Interessen der Normadressaten und des Kollisionsrechts überwiegen. Dies ist umso wahrscheinlicher, je enger der Inlandsbezug der jeweils zu regelnden Fälle ist. Bei besonderen ordre public-Vorbehalten, die eine Ausnahme vom Rechtsanwendungsbefehl zugunsten der Normadressaten bewirken und somit deren Rechtskreis erweitern, ist die Abwägung grundsätzlich weniger problematisch. In beiden Fällen sollten die Vorbehaltsklauseln jedoch so zurückhaltend wie möglich ausgestaltet werden, um die kollisionsrechtlichen Prinzipien weitestmöglich zu schonen. Dies kann etwa durch das Erfordernis eines hinreichenden Inlandsbezugs erfolgen. Wegen dieser restriktiven Ausgestaltung und der damit einhergehenden Regelungslücken wird regelmäßig eine Klarstellung des Verhältnisses zur allgemeinen Vorbehaltsklausel geboten sein. Dabei sollte grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Art. 6 EGBGB im Anwendungsbereich der besonderen Vorbehaltsklausel unberührt bleibt. Dadurch können unbillige Ergebnisse in Fällen, die unter Umständen bei der Schaffung der Norm noch nicht erkennbar waren oder nicht beachtet wurden, vermieden werden. Art. 6 EGBGB würde hier als Auffangklausel fungieren. 2. Ausblick und alternative Lösungsvorschläge Die vorliegende Untersuchung ist zu dem Ergebnis gekommen, dass besondere ordre public-Vorbehalte im Internationalen Eheschließungsrecht – vorbehaltlich der Einhaltung der zuvor benannten Kriterien – zulässig sind. Im Verlauf der Arbeit haben sich dennoch gewichtige Argumente gezeigt, die gegen ein solch typisierendes Vorgehen sprechen. Diese sollen hier nicht unberücksichtigt bleiben. Daher sind zum Abschluss noch einige Ansätze aufzuzeigen, durch die der zukünftige Bedarf nach besonderen Vorbehaltsklauseln reduziert werden könnte. a) Rechtsvereinheitlichung So ließe sich zunächst an eine Vereinheitlichung des Eherechts auf unionsrechtlicher Ebene denken. Hierbei handelt es sich keineswegs um eine neue Überlegung. Im deutschen Recht unternahm etwa Neuhaus 1970 im Auftrag des Europarats umfangreiche Studien zu einer möglichen unionsrechtlichen Lösung,271 die bis heute in der Rechtswissenschaft aufgegriffen und fortgeführt werden. Dabei stehen bisher zwei verschiedene Vorgehensweisen zur Auswahl. Einerseits werden, anknüpfend an die Rom-Verordnungen, Erwägungen hinsichtlich eines vereinheitlichten Ehekollisionsrechts angestellt. Daneben finden sich jedoch auch Stimmen, 271

Neuhaus, RabelsZ 34 (1970), 253 ff.

310

E. Auswertung der Untersuchung

die sich für ein gemeinschaftliches materielles Eherecht aussprechen. Beide Vorschläge sollen hier – in gebotener Kürze – beleuchtet werden. aa) Vereinheitlichtes Kollisionsrecht Ebenso wie für das Vertrags- oder das Deliktsrecht, wird auch für das Eherecht ein unionsrechtlich vereinheitlichtes Anknüpfungssystem erwogen. Die theoretische Möglichkeit eines solchen Vorgehens folgt aus dem in Art. 81 Abs. 3 AEUV kodifizierten Kompetenztitel. Vertreter dieses Vorschlags führen etwa an, dass dies die Gefahr des forum shopping beseitige.272 Die Verständigung auf einheitliche Anknüpfungskriterien in eherechtlichen Fragen führe zudem dazu, dass Unterschiede nationaler Rechtsordnungen abgemildert und hinkende Rechtsverhältnisse reduziert würden.273 Gleichzeitig schone die Vereinheitlichung auf kollisionsrechtlicher Ebene die kulturellen Besonderheiten der nationalen Rechtsordnungen, da diese durch die Angleichung der Rechtsanwendungsbefehle unberührt blieben.274 Eben dieser letzte Punkt wird der Idee eines vereinheitlichten Ehekollisionsrechts jedoch entgegengehalten. Es wird der Vorwurf erhoben, dass dieses praktisch keine spürbaren Auswirkungen zeitige, da die Unterschiede zwischen den einzelnen mitgliedsstaatlichen Familienrechtsordnungen bestehen blieben.275 Gerade diese seien es jedoch, die für die individuell Betroffenen zu erheblichen Einbußen führten.276 Zugleich wirke eine rein kollisionsrechtliche Vereinheitlichung auch nicht der Problematik der ausländischen Rechtsanwendung durch inländische Gerichte entgegen. Dies sei nicht nur wegen des damit verbundenen Zeitaufwands, sondern auch wegen der erheblichen Kostenbelastung nicht ohne weiteres zu akzeptieren.277 Der Blick auf die hier untersuchten Fallgruppen lässt es tatsächlich fraglich erscheinen, ob ein einheitliches Ehekollisionsrecht die Entstehung besonderer ordre public-Vorbehalte überflüssig machen könnte. Zu begründen ist dies damit, dass die Schaffung nationaler Vorbehaltsklauseln stets als Reaktion auf die Ausgestaltung ausländischen Sachrechts erfolgte. Vorbehalte gegen ausländische Kollisionsnormen haben demgegenüber bislang kaum eine Rolle gespielt. Gerade das ausländische Sachrecht würde jedoch auch bei einem vereinheitlichten Kollisionsrecht weiterhin zur Anwendung gelangen. Daneben stellt sich die Frage nach der tatsächlichen Erforderlichkeit einer solchen Vereinheitlichung. Die rechtsvergleichende Unter272

Dethloff, AcP 204 (2004), 544, 562; dies., StAZ 2006, 253, 254. Baarsma, The Europeanisation of International Family Law, 97; Martiny, in: Towards a European Civil Code (2011), 429, 431. 274 Martiny, in: Towards a European Civil Code (2011), 429, 431; ders., RabelsZ 59 (1995), 419, 423. 275 Boele-Woelki, RabelsZ 82 (2018), 1, 16. 276 Dethloff, StAZ 2006, 253, 254. 277 Martiny, in: Towards a European Civil Code (2011), 429, 431; ders., RabelsZ 59 (1995), 419, 423; Dethloff, StAZ 2006, 253, 255. 273

V. Fazit und Ausblick

311

suchung hat gezeigt, dass sogar in der entfernteren Common law-Rechtsordnung Englands bereits jetzt in Fragen der formellen und materiellen Ehefähigkeit vergleichbare Anknüpfungspunkte gewählt werden. Das grundsätzlich unterschiedliche Verständnis der christlich geprägten europäischen Rechts- und Werteordnung gegenüber der islamischen Welt legt die Vermutung nahe, dass eine kollisionsrechtliche Rechtsvereinheitlichung selbst einen oder mehrere besondere ordre public-Vorbehalte beinhalten würde. Dass dies auch auf europäischer Ebene möglich ist, beweist die Existenz von Art. 10 Rom III-VO. Gerade die Erfahrungen mit dieser Norm lassen aber an der Vorzugswürdigkeit solcher Normen erhebliche Zweifel aufkommen. Die Unstimmigkeit hinsichtlich der Rechtsnatur von Art. 10 Rom III-VO und die damit verbundene Frage nach der korrekten Anwendung der Norm verdeutlichen,278 dass es besonderer Sorgfalt bedarf, damit derartige internationale besondere Vorbehaltsklauseln nicht mehr Unsicherheiten schaffen als sie beseitigen. Insofern ist es zweifelhaft, ob es sich bei einem vereinheitlichten Ehekollisionsrecht tatsächlich um ein erstrebenswertes Ziel handelt. bb) Vereinheitlichtes Sachrecht Noch über den kollisionsrechtlichen Ansatz hinaus geht der Vorschlag eines vereinheitlichten Ehesachrechts. Diese Idee hat angesichts der zunehmenden Mobilität innerhalb Europas und der daraus resultierenden steigenden Zahl grenzüberschreitender familienrechtlicher Sachverhalte in den letzten Jahrzehnten erheblich an Beachtung gewonnen.279 An der aktuellen kollisionsrechtlichen Situation im Familienrecht wird kritisiert, dass diese den besonders bedeutsamen Bedürfnissen nach Rechtssicherheit und Statuskontinuität nicht hinreichend gerecht werde. Gerichtliche Entscheidungen würden durch die Anwendung fremden Rechts durch nationale Gerichte kaum voraussehbar und bereits erworbene Rechtspositionen könnten durch die unterschiedliche nationale Beurteilung verloren gehen. Zugleich werde der Zugang zum Recht erschwert und es entstehe ein hoher Zeit- und Kostenaufwand.280 Zum Teil wurde dabei einschränkend vorgeschlagen, den Anwendungsbereich der Sachrechtsvereinheitlichung auf Familienrechtsverhältnisse mit Auslandsbezug zu beschränken.281

278 Vgl. dazu statt vieler Winkler von Mohrenfels, in: MüKo BGB, Art. 10 Rom III-VO, Rn. 1 ff.; Gössl, BeckOGK, Art. 10 Rom III-VO, Rn. 3. 279 Neuhaus, RabelsZ 34 (1970), 253, 255; hierauf verweist auch Thurm, Der Ehebegriff des europäischen Kollisions- und Zivilverfahrensrecht, 227 ff. 280 Zu dieser Kritik insgesamt Dethloff, AcP 204 (2004), 544, 550 f. 281 So etwa Dethloff, die sich für die Schaffung einer „Europäischen Ehe“ ausspricht, StAZ 2006, 253, 255 ff.; dies., ZEuP 2007, 992, 1000.

312

E. Auswertung der Untersuchung

Kritiker dieses Vorschlags verweisen zunächst auf den zu diesem Vorgehen fehlenden Kompetenztitel auf EU-Ebene.282 Art. 81 AEUV ermächtige allein zu einem Vorgehen im Bereich des Kollisions- und Verfahrensrechts,283 nicht aber auf materiellrechtlicher Ebene.284 Jedenfalls aber führe das unionsrechtliche Subsidiaritätsprinzip dazu, dass eine solche sachrechtliche Lösung nur dann eingreifen könne, wenn die schonendere kollisionsrechtliche Herangehensweise sich als nicht ausreichend herausgestellt habe. Dies sei jedoch in der Praxis bislang noch nicht bewiesen.285 Vor allem wird einem vereinheitlichen Eherecht jedoch die seit jeher bestehende kulturelle, und somit nationale, Prägung dieses Rechtsgebiets entgegengehalten.286 Diese mache es nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich, zu einem gemeinsamen europäischen Konsens zu gelangen. Dass dieser Umstand auch dem europäischen Gesetzgeber bewusst sei, zeige gerade die gesonderte Regelung des Art. 81 Abs. 3 AEUV, die für Maßnahmen im Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug ein besonderes Gesetzgebungsverfahren anordnet. Zudem biete die aktuelle Vorgehensweise auch Vorteile: Die Vielzahl nebeneinander bestehender nationaler Familienrechtsordnungen schaffe die Möglichkeit zu Innovationen durch gegenseitiges Lernen.287 Ob die kulturellen Unterschiede der europäischen Familienrechtsordnungen tatsächlich von einem solchen Gewicht sind, dass sie einer Rechtsvereinheitlichung von vornherein entgegenstehen, ist mehrfach bezweifelt worden. So verwies etwa Neuhaus bereits im Jahr 1997 darauf, dass „die ,nationalen‘ Ehegesetze […] fast nirgendwo auf einer spezifischen Tradition [beruhen], sondern sie unterscheiden sich meistens nur durch das Mischungsverhältnis der gemeinsamen Elemente, das in den letzten hundert Jahren in fast jedem Lande Europas gewechselt hat“.288 Die vorgegangene Untersuchung hat den zutreffenden Charakter dieser Äußerung, jedenfalls soweit es die Länder Mitteleuropas betrifft, bezeugt. Dies zeigt etwa die kontinuierliche Einführung des Scheidungsrechts, die gemeinsame Tendenz zur Anhebung des Ehemündigkeitsalters, das Festhalten am Gebot der Einehe oder – losgelöst von dieser Untersuchung – die zunehmende Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Ehen.289 Es wurde deutlich, dass Anstößigkeiten mittlerweile vor allem aus Drittstaaten berührenden Fällen resultieren. Lediglich im Rahmen von Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB kommt es auch bei Anwendung einer europäischen Rechtsordnung zum Eingreifen der besonderen Vorbehaltsklausel. 282

Thurm, Der Ehebegriff des europäischen Kollisions- und Zivilverfahrensrecht, 227. Vgl. dazu von Hein, in: MüKo BGB, Art. 3 EGBGB, Rn. 39 ff. 284 So etwa Rauscher, FS Jayme, Band I, 719, 722. 285 Martiny, RabelsZ 59 (1995), 419, 436. 286 Auf diese Kritik verweist Neuhaus, Ehe und Kindschaft in rechtsvergleichender Sicht, 5; Rauscher, FS Jayme, Band I, 719, 723; Boele-Woelki, RabelsZ 82 (2018), 1. 287 Rauscher, FS Jayme, Band I, 719, 724. 288 Neuhaus, Ehe und Kindschaft in rechtsvergleichender Sicht, 5; ähnlich auch ders., RabelsZ 34 (1970), 253, 255. 289 In diese Richtung geht auch Dethloff, NJW 2018, 23, 24. 283

V. Fazit und Ausblick

313

b) Modifikation des Eheschließungsstatuts aa) Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt Ein weiterer, die nationalen Rechtsordnungen schonenderer Ansatz wäre eine Modifikation des Eheschließungsstatuts. Anstatt die Ehefähigkeit einer Person anhand ihres Heimatrechts zu beurteilen, ließe sich überlegen, das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts zur Anwendung zu bringen. Auch an dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass die Diskussion um den Wechsel vom Staatsangehörigkeits- zum Aufenthaltsprinzip keineswegs neu ist.290 Insbesondere im Anschluss an die europäischen Kodifikationen, die vornehmlich das Aufenthaltsrecht zur Anwendung bringen, wurde überlegt sich im nationalen Recht diesem Trend anzuschließen.291 Bei der Abwägung der Gesichtspunkte werden noch einmal die anfänglich angestellten Überlegungen zur kulturellen Identität relevant. Letztere wird häufig herangezogen, um ein Festhalten am Staatsangehörigkeitsprinzip zu begründen.292 Dabei wird argumentiert, dass dieses die beste Möglichkeit darstelle, um das bestehende Band zwischen einer Person und ihren kulturellen Wurzeln rechtlich widerzuspiegeln. Ebenso wird zugunsten der Staatsangehörigkeitsanknüpfung darauf verwiesen, dass diese schwer zu manipulieren sei und zugleich forum shopping vorbeuge.293 Umgekehrt wird zugunsten einer Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt vorgetragen, dass allein diese der zunehmenden Mobilität der Unionsbürger gerecht werde.294 Zudem wird angezweifelt, ob angesichts einer zunehmenden Globalisierung die Zuordnung eines Menschen zu einer spezifischen Rechtsordnung überhaupt noch möglich sei. Der freiwillig gewählte gewöhnliche Aufenthalt wird hier auch in kultureller Hinsicht als aussagekräftiger empfunden.295 Das Anknüpfen an den Aufenthalt würde zudem die Gerichte von der Ermittlung und Anwendung fremden Rechts entbinden und sei damit nicht zuletzt auch unter dem Aspekt der Verfahrenskosten vorzugswürdig.296 Das häufigere Zusammenfallen von Forum und anwendbarem Recht wirke sich damit auch positiv für die Beteiligten aus. Abschließend wird auf die vergleichbare Regelung für die Eingehung von Lebenspartner290 Dies wurde etwa schon im Rahmen der IPR-Reform 1986 diskutiert, vgl. dazu von Hein, MüKo BGB, Art. 5 EGBGB, Rn. 30; ders., in: Juristische Studiengesellschaft Jahresband 2018, 29, 33 ff. 291 Vgl. dazu Weller, BerGesIR 49 (2017), 247, 250 f.; Mankowski, IPRax 2017, 130. 292 Jayme, Kulturelle Identität, 10; ders., RabelsZ 67 (2003), 211, 224; Mansel, Kulturelle Identität, 130; Heiderhoff, IPRax 2017, 160; Majer, EuZW 2017, 401, 402. 293 Rauscher, FS Jayme, Band I, 719, 730; Mansel, Kulturelle Identität, 130; Mankowski, IPRax 2017, 130, 132 f. 294 Looschelders, in: Staudinger, Einleitung zum IPR, Rn. 230; Mansel, Kulturelle Identität, 133; Weller, BerGesIR 49 (2017), 247, 259. 295 Mankowski, IPRax 2017, 130, 134; Mansel, Kulturelle Identität, 133 ff. 296 Henrich, FS Spellenberg, 195, 197; von Hein, in: Juristische Studiengesellschaft Jahresband 2018, 29, 34 f.

314

E. Auswertung der Untersuchung

schaften (Art. 17 Abs. 1 S. 1 EGBGB),297 ebenso wie auf den Gedanken der „kollisionsrechtlichen Gerechtigkeit“ verwiesen. Diese sei erst dann erfüllt, wenn ein Rechtsverhältnis nach dem Recht desjenigen Staates behandelt werde, in dessen Hoheitsgebiet es auch tatsächlich gelebt werde.298 bb) Anknüpfung an die lex loci celebrationis Ein weiterer von der Literatur diskutierter Lösungsansatz sieht vor, auch die materiellen Voraussetzungen der Eheschließung an die lex loci celebrationis anzuknüpfen.299 Dies, so wird vorgetragen, würde bei Inlandseheschließungen zu einer erheblichen Vereinfachung bei der Rechtsanwendung und somit zu einer Entlastung der Gerichte und Standesämter führen.300 Zudem würde sich in diesen Fällen der Schutz der inländischen Werteordnung mittels der ordre public-Klausel erübrigen.301 Weiter böte die Anwendung der lex loci auch für die eheschließungswilligen Paare erhebliche Vorteile: Zunächst ergäbe sich hieraus ein Zugewinn an Rechtssicherheit. Dieser folge einerseits daraus, dass der Ort der Eheschließung ein einfach zu bestimmendes Anknüpfungsmoment darstellt, so dass auch bei einer nachträglichen Prüfung der Ehewirksamkeit nicht die Gefahr einer Unwirksamkeit bestünde.302 Andererseits sei es den Paaren so möglich, sich bereits vorab über das Ortsrecht zu informieren und sich nach diesem zu richten.303 Dies führt zu dem weiteren zugunsten der heiratswilligen Paare vorgebrachten Aspekt: Die Anknüpfung fördere die Parteiautonomie, da die Paare den Ort ihrer Eheschließung frei festlegen und somit auch bestimmen können, unter Geltung welcher Rechtsordnung sie die Ehe einzugehen beabsichtigen.304 Dieser Lösungsansatz entspreche zudem aktuellen Entwicklungstendenzen, was etwa die Kodifikation des Art. 17b Abs. 1 EGBGB verdeutliche.305 Zwar räumen auch die Vertreter diese Auffassung ein, dass es durch eine Anknüpfung an die lex loci bei Auslandseheschließungen zu für das deutsche Recht nicht hinnehmbaren Ergebnissen kommen könne, sowie, dass die Möglichkeit der Entwicklung eines „Heiratstourismus“ entstünde.306 Hinsichtlich des ersten Aspekts wird jedoch angemerkt, dass es einerseits möglich wäre, im Kollisions- oder Sachrecht Bestimmungen zum Schutz wesentlicher Wertvorstellungen zu treffen. 297 298 299 300 301 302 303 304 305 306

Henrich, FS Spellenberg, 195, 201. Henrich, FS Spellenberg, 195, 197. Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 34 ff.; Sonnenberger, FS Coester-Waltjen, 787, 798 ff. Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 34; Sonnenberger, FS Coester-Waltjen, 787, 799. Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 35. Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 34. Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 36; Sonnenberger, FS Coester-Waltjen, 787, 799. Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 34 f. Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 35. Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 35.

V. Fazit und Ausblick

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Dies sei aber nach Ansicht der Vertreter dieser Auffassung kaum erforderlich, da diese Funktion bereits durch die allgemeine ordre public-Klausel erfüllt werden könne.307 Auch die Gefahr eines Ansturms auf die deutschen Standesämter wird als gering eingestuft, da die deutsche Rechtsordnung sich nicht als wesentlich attraktiver als die anderer westeuropäischer Länder darstelle.308 Dem maßgeblich gegen diese Auffassung vorgebrachten Gesichtspunkt, wonach die Anknüpfung an die lex loci die Entstehung hinkender Ehen fördere,309 halten die Vertreter der Ortsrecht-Anknüpfung entgegen, dass es sich beim internationalen Entscheidungseinklang um ein unerfüllbares Ideal handele, welches nur durch ein universal vereinheitlichtes Kollisionsrecht zu erfüllen sei310 und zudem auch bei Beibehalt des Staatsangehörigkeitsprinzips oder Wechsel zur Aufenthaltsanknüpfung verletzt würde.311 Die Frage nach der richtigen Anknüpfung des Eheschließungsstatuts kann und soll an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Zur Thematik der besonderen ordre public-Vorbehalte ist jedoch festzuhalten, dass die vermehrte Anwendbarkeit des deutschen Rechts auf Fragen der Ehefähigkeit die kollisionsrechtliche Durchsetzung nationaler Wertungen zunehmend obsolet machen würde. Dies scheint angesichts der gegen die besonderen Vorbehaltsklauseln sprechenden Argumente ein wünschenswerter Gedanke.

307 Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 36 f.; dies., StAZ 2013, 10, 16; Sonnenberger, FS Coester-Waltjen, 787, 799. 308 Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 36. 309 Auf diese Kritik verweist Coester-Waltjen, IPRax 2021, 35. 310 Sonnenberger, FS Coester-Waltjen, 787, 795; Coester-Waltjen, StAZ 2013, 10, 13. 311 Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 35 f.

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Stichwortverzeichnis Abkommen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko über soziale Sicherheit 297 AEUV 264, 279, 280, 310 Agenda 2030 88 Akhter v. Khan 225 Ali v. Ali 203 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 96, 122, 252, 274 Anknüpfung – Deutsches Eherecht 24, 116, 148 – Englisches Eherecht 160, 162, 193, 228 – Reformvorschläge 78, 154, 313, 314 – Vorfragen 71, 76, 171, 177, 234 Approved premises 220 Baindail v. Baindail 198 Better law approach 48 Bigamie 127 – Begriff 127 – Verbot 130, 137, 138 Bismarck’scher Kulturkampf 150 Brentwood Superintendent Registrar of Marriages 166 Cheni v. Cheni 202 Chief Adjudication Officer v. Bath Church of England 217 Clandestine Marriages 217 Clandestine Marriages Act 217 Cohabitation 220 Coman 265 Common licence 219 Currie 48 Diskriminierungsverbot 263, 280 Dispens 100, 267 Doctrine of precedent 159 Domicile 160 – Antenuptiual 162 – Dual domicile-Theorie 162

222

– Of choice – Of origin

161 161

Eheaufhebung – Kinderehen 100, 107, 108, 120, 122, 124, 269, 273 – Mehrehen 132, 134, 138, 286 Ehefähigkeitszeugnis 63 Ehegattennachzug 133, 213 Ehegrundrecht 237, 269, 284, 302 – Institutsgarantie 94, 238 – Persönlicher Schutzbereich 239, 284 – Sachlicher Schutzbereich 244 – Strukturprinzipien 237, 239, 302 Ehehindernis 63, 67, 78, 81, 83, 235 – Doppelehe 63, 70 – Englisches Recht 163, 177, 181 – Zweiseitig 64, 129, 181 Ehekonsens siehe Ehemündigkeit Ehemündigkeit – Deutsches Recht 92, 101, 106 – Englisches Recht 181, 186, 189 – Verfassungsrecht 239, 241 Einbürgerung 133, 144 Eingriffsnorm 92 EU-Grundrechte-Charta 293 Europäische Menschenrechtskonvention 117, 226, 261, 279, 293, 294, 304 Exklusivnorm 36 FamFG 110, 123 Family Law Act 163, 176, 234 Fleet marriages 217 Genfer Flüchtlingskonvention 261 Gewöhnlicher Aufenthalt 62, 78, 116, 137, 138, 139, 259, 290, 313 Gleichberechtigungsgrundsatz 286, 288

Stichwortverzeichnis Gleichheitsgrundsatz 118, 255, 257, 275, 292, 302 Governmental Interest Analysis 48 Haager Kinderschutzübereinkommen 91 Haager Übereinkommen über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen 168 Härtefallklausel 108, 115, 121, 125, 271 Heilung – Kinderehen 114, 117, 244, 277 – Nicht verfassungskonformer Ehen 243, 244 Hinkende Rechtsverhältnisse 72, 85, 141 Hussain v. Hussain 208 Hyde v. Hyde 194 Imam-Ehen 128 Intended matrionial home-Theorie 162, 172, 208 Internationaler Entscheidungseinklang 28, 46, 70 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 294 IPR-Reform 73, 152 Kinderehen – Begriff 90 – Englisches Recht 181 – Ordre public-Relevanz 93 – Rechtslage bis zum 22. 7. 2017 99 Kinderehen-Gesetz 21, 88, 237 – Evaluierung 123 – Grundrechte 237, 248, 252, 255, 269, 272, 274, 275 – Internationales Privatrecht 108 – Kritik 110 – Kulturelle Identität 266, 281 – Nationales Eheaufhebungsverfahren 107 – Nationales Eheschließungsrecht 106 – Praktische Relevanz 123 – Überleitungsvorschriften 109 – Unionsrecht 261, 264, 279, 280 – Völkerrecht 260, 261, 278 Kindeswohl 247, 260 Konzil von Trient 150

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Kulturelle Identität 53, 233, 266, 281, 297 – Abwägungstopos 57 – Appellfunktion 56 – Begriffsbestimmung 53 – Rechtsnatur 54 – Verhältnis zum Recht 55 Law Commission 160, 162, 182, 205, 227, 229 Lawrence v. Lawrence 171 Leflar 48 Locus regit actum-Grundsatz 216, 229 Lord Hardwickes’s Act siehe Clandestine Marriages Act Marriage Act 1836 218 Marriage Act 1949 181, 182, 219, 221 Marriage and Civil Partnership (Minimum Age) Bill 2016 186 Marriage and Civil Partnership (Minimum Age) Bill 2019 189 Marriage and Civil Partnership (Minimum Age) Bill 2019 – 2021 189 Materialisierung 46, 50 Matrimonial Causes Act 1973 181, 206, 210, 214, 215, 223 Matrimonial Proceedings (Polygamous Marriages) Act 1972 194, 206, 208 Matrimonial relief 195, 206, 214 Max-Planck-Institut 79, 153 Mehrehen siehe Mehrehen-Gesetzesentwurf Mehrehen-Gesetzesentwurf 126, 135 – Grundrechte 284, 289, 290, 292, 292 – Unionsrecht 293, 294 – Völkerrecht 295, 297 Mohamed v. Knott 183 Nichtehen 148, 223, Nichtige Ehen 223 Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien 295 Ohochuku v. Ohochuku 200 Ordre public – allgemeiner 27 – besondere 35, 92, 308

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Stichwortverzeichnis

Padolecchia v. Padolecchia 164 Perrini v. Perrini 169 Politisierung 45, 51 Polyandrie 127 Polygamie – Begriff 127 – Christliche Ehen 193 – Englisches Recht 192 – Potentiell 129, 195, 200, 202, 203, 207, 208, 210, 212 Polygynie 127 Presumption in favor of marriage 173, 220, 222 Private International Law (Miscellaneous Provisions) Act 1995 210 Publication of banns 219 Public policy 160, 179, 235 Pugh v. Pugh 181

Savigny 46 Scheidungsfeindlichkeit 177, 234 – Brasilianisches Recht 171 – Italienisches Recht 63, 174 – Spanisches Recht 63 Sinha Peerage Claim 197 Sottomayor v. de Barros 178 Sowa v. Sowa 201 Spanier-Beschluss 68, 163 Srini Vasan v. Srini Vasan 198 Staatsangehörigkeitsgesetz 143

Radwan v. Radwan 207 Re Bethell 196 Rechtsvereinheitlichung 309 – Kollisionsrecht 310 – Sachrecht 311 Recognition of Divorces and Legal Separartions Act 168 Religionsfreiheit 292 Reputation 220 Risk v. Risk 199 Rückwirkung 118, 249, 290 – Echte 249, 250, 251 – Unechte 249, 272

Verfassungskonforme Auslegung 121 Vertrauensschutzgrundsatz 248, 272, 290 Voraustrauungsverbot 109 Vorlagebeschluss 117

Tondern-Ehen 68 Trauungsermächtigung 151, 154, 303 Typisierung 23, 38, 118, 252, 253, 257, 263, 275, 279, 292 UN-Kinderrechtekonvention

Witwenrente

148, 242

Z.H. u. a. v. Switzerland 262 Zivilehe 149 – IPR-Reform 152 – Kritik 155 Zwangsehen 92, 110, 239 Zwei-Stufen-Theorie 59

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