Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten [1 ed.] 9783428487905, 9783428087907

Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten ist bereits seit einigen Jahren Gegenstand einer lebhaften verfassung

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German Pages 103 Year 1996

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Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten [1 ed.]
 9783428487905, 9783428087907

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PETER UNRUH

Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 709

Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten

Von

Peter Unruh

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Unruh, Peter: Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten / von Peter Unruh. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum öffentlichen Recht; Bd. 709) ISBN 3-428-08790-9 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-08790-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ®

Für Anke

Vorwort Die Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten ist gegenwärtig ein herausragendes Thema der Staatsrechtslehre. Wichtige Impulse erhält sie nicht zuletzt von der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts; die beiden Abtreibungsurteile liefern hierfür prominente Beispiele. Die vorliegende Untersuchung entspringt dem Interesse an einer verfassungsdogmatischen Durchdringung und Systematisierung dieser Diskussion. Jeder Text kann durch konstruktive Kritik nur gewinnen; daher danke ich Prof. Dr. Franz-Joseph Peine und Dr. Karl-Eberhard Hain für ihr Engagement. Für Fehler und Unzulänglichkeiten bin ich jedoch allein verantwortlich. Schließlich danke ich Prof. Dr. Norbert Simon für die Aufnahme der Untersuchimg in die „Schriften zum öffentlichen Recht". Göttingen, im März 1996

Peter Unruh

Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung I.

Problemstellung

H. Der Gang der Untersuchung B. Der Begriff der grundrechtlichen Schutzpflicht

17 17 19 20

I. Allgemeine Begriffsbestimmung

20

H. Schutzrichtung

21

EI. Umsetzung von Schutzpflichten

23

1. Umsetzung durch Gesetz

23

2. Nachbesserung und Erprobung

24

C. Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten I. Ausdrückliche Schutzpflichten im Grundgesetz

26 26

1. Textanalyse

26

2. "Gewährleistung" und "Unverletzlichkeit"

28

3. Ergebnis

28

II. Die Judikatur des BVerfG's

29

1. Die Entwicklung der Schutzpflichtenlehre

29

2. Die Begründung der Schutzpflichten

31

3. Die Kritik an der Rechtsprechung des B VerfG's

33

a) Kernpunkte der Kritik

33

b) Das Verhältnis zwischen Menschenwürde und Grundrechten

34

IE. Die dogmatische Herleitung der Schutzpflichten in der Literatur

37

1. Die ideengeschichtliche Herleitung

37

2. Die Wortlaut-These

41

nsverzeichnis

10

3. Die Theorie vom Kern der Menschenwürde

42

4. Die "abwehrrechtliche" Lösung

44

5. Grundrechtsschranken und Sozialstaatsprinzip

48

IV. Die Kritik an der Wertordnungsrechtsprechung des BVerfG's 1. Die Kritik am vermeintlichen Rekurs auf Werte

50

2. Das Gewaltenteilungsargument

53

3. Ergebnis

56

D. Schutzpflichten als subjektive Rechte I.

50

Die Judikatur des BVerfG's

58 58

II. Argumente gegen die Subjektivierung

59

1. Der methodologische Einwand

60

2. Das Inversionsargument

60

3. Das Gewaltenteilungsargument

61

m. Argumente für die Subjektivierung

62

1. Das prinzipientheoretische Argument

62

2. Der Grundrechtsindividualismus

64

IV. Folgerungen aus der Subjektivierungsdiskussion £. Exkurs: Anmerkungen zum Problem der Drittwirkung der Grundrechte I.

66

Der Streitstand

66

1. Die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung

66

2. Die mittelbare Drittwirkung

69

H. Schutzpflichten und mittelbare Drittwirkung F. Normstruktur und tatbestandliche Elemente grand rechtlicher Schutzpflichten I.

64

Die Normstruktur

EL Tatbestandliche Elemente

71 74 74 75

1. Grundrechte als Ausgangspunkt

75

2. Die Gefahrenquelle

75

3. Die Gefahrenschwelle

76

4. Der Kreis der Geschützten

78

nsverzeichnis G. Die Reichweite der Schutzpflicht und das Untermaßverbot I.

11 79

Schutz durch Eingriff

80

1. Die Rechtsprechung des BVerfG' s

80

2. Die Kontroverse um das Untermaßverbot

83

II. Schutz ohne Eingriff.

88

H. Zusammenfassung

89

Literaturverzeichnis

91

Sachverzeichnis

99

Abkürzungsverzeichnis

abgedr.

abgedruckt

Abs.

Absatz

AcP

Archiv für civilistische Praxis

AöR

Archiv für öffentliches Recht

ARSP

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

BAG

Bundesarbeitsgericht

BAGE

Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts

Bd.

Band

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

BImschG

Bundes-Immissionsschutzgesetz

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGG

Bundesverfassungsgerichtsgesetz

bzw.

beziehungsweise

ders.

derselbe

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

Abküizungsverzeichnis

14 DVB1.

Deutsches Verwaltungsblatt

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

ff.

fortfolgende

Fn.

Fußnote

GG

Grundgesetz

ggf-

gegebenenfalls

HdBStR

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland

HdBVerfR

Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland

hrsg.

herausgegeben

Hrsg.

Herausgeber

i.S.

im Sinne

i.w.S.

im weiteren Sinne

JöR

Jahrbuch für öffentliches Recht.

Jus

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

Ndr.

Nachdruck

n.F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

Parl.Rat

Parlamentarischer Rat

Rdnr.

Randnummer

S.

Seite

s.u.

siehe unten

Abkürzungsverzeichnis

15

Verf.

Verfasser

VerwArch.

Verwaltungsarchiv

VGH

Verwaltungsgerichtshof

vgl.

vergleiche

Vorb.

Vorbemerkung

WDStRl

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

WiVerw

Wirtschaft und Verwaltung

z.B.

zum Beispiel

ZG

Zeitschrift für Gesetzgebung

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

z.T.

zum Teil

A. Einleitung L Problemstellung Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten erfreut sich seit einigen Jahren einer gesteigerten Aufmerksamkeit. Ihre Bedeutung reicht vom Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens bis hin zur Verantwortung für künftige Generationen. 1 Auch der Umweltschutz wird zunehmend i n die Diskussion um die Schutzpflichten eingeführt. 2 Angesichts dieser weitverzweigten thematischen Relevanz und des zukunftsträchtigen Potentials kann diese Lehre in ihrer verfassungsrechtlichen Bedeutsamkeit nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das steigende Interessse an der Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten ist daher wohlbegründet. Die Bandbreite der gewichtigen Äußerungen i n der Literatur reicht inzwischen von kleineren Beiträgen 3 über umfangreichere Abhandlungen 4 bis hin

1

Vgl. Pietrzak: Die Schutzpflicht im verfassungsrechtlichen Kontext - Überblick und neue Aspekte, JuS 1994, S.753: „Umweltbelastung, Ressourcenknappheit und Entsorgungsprobleme sind brennende Fragen der heutigen Zeit. ...Blickt man auf die ganze Spannweite der möglichen Auswirkungen, stellt sich die Frage nach einer Schutzverpflichtung des Staates für zukünftige Generationen, nach einer Schutzverantwortung gegenüber der Nachwelt." Ebenso Henseler. Verfassungsrechtliche Aspekte zukunftsbelastender Parlamentsentscheidungen, AöR 108 (1983), S.489 ff. Zur ethischen Dimension der Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen siehe Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt/M. 1984. 2

Vgl. Lawrence: Grundrechtsschutz, technischer Wandel und Generationenverantworung: verfassungsrechtliche Determinanten des „Restrisikos" der Atomkraft, Berlin 1989; Hofmann: Nachweltschutz als Verfassungsfrage, ZRP 1986, S.87 fT; Schiene: Verfassungswidrigkeit des neuen Ozon-Gesetzes?, JZ 1996 (zur Zeit der Abfassung der Untersuchung lag dem Verf. nur das Manuskript vor). 3 Etwa E. Klein: Grundrechtliche Schutzpflichten des Staates, NJW 1989, S. 1633 ff; H.H. Klein: Die grundrechtliche Schutzpflicht, DVB1. 1994, S.489 ff. 4

Vor allem Isensee: Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: Isensee, Josef / Kirchhof, Paul (Hrsg.), HdBStR Bd.V, Heidelberg 1992, 2 Unruh

A. Einleitung

18

zur monographischen Darstellung 5. Der Motor von Genese und Entwicklung dieser Grundrechtsfunktion war jedoch von Anfang an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die zustimmende Aufnahme in der Literatur erfolgte zunächst zögerlich.6 Wie die folgende Untersuchung zeigen werden, ist hier im einzelnen immer noch vieles umstritten; es herrscht aber insoweit ein übergreifender Konsens in Literatur und Rechtsprechung, daß es (grundrechtliche) Schutzpflichten gibt. Im Hinblick auf ein einzelnes Element der Schutzpflichtenlehre hat sich die Struktur dieser Dynamik umgekehrt. Im zweiten Abtreibungsurteil vom 28.05.19937 und - daran anknüpfend - in einem Kammerbeschluß des ersten Senates vom 27.04.19958 hat das Bundesverfassungsgericht zur Bestimmung des Umfanges der grundrechtlichen Schutzpflichten auf eine in der Literatur entwickelte Rechtsfigur zurückgegriffen: das Untermaßverbot.9 Die Reaktion in der kommentierenden Literatur auf diese neue Wendung ist verhalten. Auch mehrere Jahre nach der grundlegenden Entscheidung des BVerfG's im zweiten Abtreibungsurteil gehen einige Lehrbücher darauf überhaupt nicht ein, andere beschränken sich auf eine bloße Erwähnung. 10 Ergiebiger sind die einschlägigen Rezensionen11 des Urteils sowie vereinzelte Stimmen in der § 111 und Starck. Grundrechtliche Schutzpflichten (1993), in: ders., Praxis der Verfassungsauslegung, Baden-Baden 1994, S.46 ff. 5

Etwa Dietlein: Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, Ber-

linl992. 6

Vgl. E. Klein, Fn.3, S.1634: "Die Akzentuierung dieses grundrechtlichen Aspekts ist - wie so manches in diesem Bereich - dem BVerfG zu danken. Die Lehre hat sich der Sache nur langsam genähert, die Lehrbuchliteratur verhielt sich lange Zeit ausgesprochen spröde. Heute hat die grundrechtliche Schutzpflicht Konjunktur." 7

BVerfGE 88,203 ff.

8

BVerfG NJW 1995, S.2343. Hier ging es um das Unterlassen des Gesetzgebers, den im Strassenverkehr zulässigen Alkoholgrenzwert wegen der Schutzpflicht des Staates für das Leben und die körperliche Unversehrtheit anderer Verkehrsteilnehmer auf 0,5 Promille zu senken. Die auf ein dahingehendes Handeln des Staates gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen. 9

Zu den Einzelheiten der Entwicklung s.u.G.

10

Beispielhaft für ersteres ist das Buch von Pieroth/Schlink: Grundrechte. Staatsrecht II, 11. Aufl., Heidelberg 1995. Das Untermaßverbot wird in einer Anmerkung erwähnt bei Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1995, S.156, Anm. 8. 11

Etwa Starck: Der verfassungsrechtliche Schutz des ungeborenen Lebens, JZ 1993, S. 816 ff, nunmehr auch in: ders., Praxis der Verfassungsauslegung, 1994, S. 85 ff; Hermes / Walther. Schwangerschaftsabbruch zwischen Recht und Unrecht. Das

II. Der Gang der Untersuchung

19

Literatur, die sich auf die Erörterung des Untermaßverbotes beschränken12. Insgesamt kann aber festgehalten werden, daß die in der Judikatur des BVerfG's neue Rechtsfigur des Untermaßverbotes von einer hinreichenden Klärung noch weit entfernt ist. Sie erarbeitet sich erst langsam einen adäquaten Platz im verfassungsdogmatischen Diskurs. Dieser Befund wird zum Anlaß genommen, eine detaillierte Erörterung der Schutzpflichtenlehre zu versuchen, in der auch das Untermaßtheorem seinen Platz haben könnte. IL Der Gang der Untersuchung Die folgende Untersuchung will zum einen die umfangreiche Diskussion um die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten systematisieren und die vorgebrachten Argumente thematisch geordnet vorstellen. Zum zweiten soll auch ein darüber hinausgehender, eigenständiger Beitrag zur dogmatischen Systematisierung und Vereinheitlichung der Schutzpflichtenlehre geleistet werden. Diese Zielsetzung bedingt den Aufbau der Untersuchung: Erst auf der Basis einer einheitlichen Systematik von dogmatischer Herleitung (C.), Anspruchscharakter (D.) und Struktur grundrechtlicher Schutzpflichten (F.) lassen sich zufriedenstellende Antworten auf die Frage nach dem (justitiablen) Umfang der Erfüllung dieser Pflichten, für die das Untermaßverbot als Kriterium dienen soll, gewinnen (G.). Zwischengeschaltet ist ein Exkurs über die Konsequenzen der Schutzpflichtenlehre für die Frage nach der Drittwirkung der Grundrechte (E.). Den Abschluß bildet eine kurze Zusammenfassung der gewonnenen Ergebnisse (H.). Jede Erörterung des Themas hat jedoch mit einigen Bemerkungen zum Begriff der grundrechtlichen Schutzpflicht zu beginnen (B.).

zweite Abtreibungsurteil und seine Folgen, NJW 1993, S.2337 ff und Dreier. Menschenwürde und Schwangerschaftsabbruch, DÖV 1995, S.1036 ff. 12

Grundlegend Hain: Der Gesetzgeber in der Klemme zwischen Übermaß- und Untermaßverbot?, DVB1. 1993, S.982 ff; Dietlein: Das Untermaßverbot, ZG 1995, S. 131 ff. Auf Dietlein antwortete wiederum Hain: Das Untermaßverbot in der Kontroverse, ZG 1996 (zur Zeit der Abfassung dieses Beitrages lag dem Verf. nur das Manuskript vor). 2*

B. Der Begriff der grundrechtlichen Schutzpflicht L Allgemeine Begriffsbestimmung Grundrechtliche Schutzpflichten sind Pflichten des Staates, grundrechtsbewehrte Rechtsgüter seiner Bürger zu schützen. Als solche enthalten sie vor allem Verpflichtungen des parlamentarischen Gesetzgebers zu aktivem Handeln. Sie richten sich aber auch an die Exekutive, die die Schutzgesetze zu vollziehen hat. 13 Schließlich liefern sie Kriterien für eine (verfassungs-) gerichtliche Kontrolle der Handlungen und Unterlassungen von Legislative und Exekutive sowie für Entscheidungen anderer Gerichte. 14 Insoweit wird von der gesamten Staatsgewalt eine "vorbeugende Verhinderung von Grundrechtsverletzungen" 15 verlangt.

Diese Begriffsbestimmung wird auch anhand der Rechtsprechung des BVerfG's deutlich. So hat das Gericht den Begriff der Schutzpflicht für das menschliche Leben in seinem für die Schutzpflichtenlehre grundlegenden ersten Abtreibungsurteil wie folgt beschrieben: "Die Schutzpflicht des Staates ist umfassend. Sie veibietet nicht nur - selbstverständlich - unmittelbar staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahre 13 Daß die Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit der Schutzpflichten über den Weg der Gesetzgebung zu verlaufen hat, wird hier vorausgesetzt. Dies entspricht der ganz herrschenden Meinung. Auf die Frage, ob es u.U. direkte Ansprüche aus Schutzpflichten gibt, die ohne eine gesetzgeberische Umsetzung durchgesetzt werden können, wird hier nicht eingegangen. 14

Siehe dazu Alexy: Theorie der Grundrechte, Frankfurt/M. 1985, S.410; StarcJc, Fn.4, S.46; Hesse, Fn.10 Rdnr. 350, Dietlein, Fn.5, S.70 ff und E. Klein,. Fn.3, der auf S.1633 ausführt: "Dabei geht es um das rechtlich gebotene Verhalten des Staates angesichts von Verletzungen und Gefährdungen grundrechtlich geschützter Güter (z.B. Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre Eigentum etc.) durch Dritte, vor allem durch Private, aber auch durch andere Staaten, also durch "Personen" oder "Mächte", die selbst nicht Adressaten der Grundrechte des Grundgesetzes sind." 15

Pieroth/Schlink,

Fn. 10, S.26.

II. Schutzrichtung

21

An diesem Gebot haben sich die einzelnen Bereiche der Rechtsordnung, je nach ihrer besonderen Aufgabenstellung, auszurichten."16 Die Bezeichnung der Schutzpflichten als "grundrechtliche" rechtfertigt sich aus dem Umstand, daß - bei allen Unterschieden in der dogmatischen Herleitung dieser Pflichten - übereinstimmend die Grundrechte als Anknüpfungspunkt der Schutzpflichtenlehre angesehen werden. 17 IL Schutzrichtung Aus dieser allgemeinen Begrifilichkeit der Schutzpflichten folgt unmittelbar, daß der Staat der Adressat dieser Pflichten ist. Hingegen besteht Streit über den Umfang des Gefährdungspotentials, d.h. über die Art von Gefahren, die Gegenstand von Schutzpflichten sein können. Kern der Kontroverse ist die Frage, ob der Staat nur vor Grundrechtseingriffen anderer Personen schützen muß, oder ob auch natürliche Gefahren grundrechtliche Schutzpflichten auslösen können. Diese Kontroverse betrifft den Begriff der Schutzpflichten, weil die gegenläufigen Positionen ihre Ansicht jeweils aus eben diesem Begriff abzuleiten versuchen. Der Begriff der grundrechtlichen Schutzpflicht mit seinem ausdrücklichen Bezug auf die Grundrechte legt es nahe, nur solche Gefahren als Gegenstand dieser Pflichten zu betrachten, die von anderen Grundrechtsträgern ausgehen. Denn der Grundrechtsbezug verweist auf die Aufgabe des Staates, eine Kompatibilität der einzelnen Grundrechtssphären herzustellen.18 Die Erfüllung einer Schutzpflicht bedeutet nach dieser Auffassung stets einen Eingriff in die grundrechtsbewehrten Positionen anderer. Insoweit wird von einem "Grundrechtsdreieck Staat - Opfer - Störer" gesprochen.19 So wird vertreten, daß "Rechte auf Schutz subjektive verfassungsmäßige Rechte gegenüber dem Staat auf positive faktische oder normative Handlungen sind, die die Abgrenzung der Sphären gleichgeordneter Rechtssubjekte sowie die Durchsetzbarkeit und die Durchsetzung dieser Abgrenzung zum Gegenstand haben. ...Rechte auf 16

BVerfGE 39,1 (42), Hervorhebungen vom Verf.

17

Vgl. Starck, Fn.4, S.46 f. Starck spricht in diesem Zusammenhang von einer einzigartigen "Grundrechtszentriertheit der deutschen Rechtslehre und Rechtspraxis". 18 In diesem Sinn führt Alexy, Fn.14, S. 410 aus: "Unter Rechten auf Schutz sollen hier Rechte des Gnindrechtsträgers gegenüber dem Staat darauf, daß dieser ihn vor Eingriffen Dritter schützt, verstanden werden." 19

Isensee, Fn.4, S. 147.

. De

22

eri

der grundrechtlichen Schutzpflicht

Schutz sind also verfassungsmäßige Rechte darauf, daß der Staat die Rechtsordnimg in bezug auf das Verhältnis gleichgeordneter Rechtssubjekte untereinander auf eine bestimmte Weise ausgestaltet und handhabt."20 Gefahren aus der Natur, Seuchen, Sturmfluten oder Waldbrände lägen schon begriffsanalytisch außerhalb des Geltungsbereiches von Schutzpflichten. Es fehle an einem zurechenbaren Eingriff. Zwar müsse der Staat auch hier tätig werden. Eine spezielle grundrechtliche Schutzpflicht sei aber nicht gegeben, weil der Staat nicht in seiner Funktion als "Koordinator der Freiheitssphären", sondern nur als Träger der "faktisch-technischen Abwehrmacht" gefordert sei. 21 Dagegen ist mit beachtlichen Argumenten eingewandt worden, daß diese begriffliche Einschränkung des Gegenstandsbereiches der Schutzpflichten zu weit gehe. Der Schutz würde auf diese Weise unzulässig verkürzt: "Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzpflichten drohen nicht bloß durch Tätigwerden anderer Menschen. Auch die Natur verursacht derartige Beeinträchtigungen und Gefährdungen." 22 Sofern überhaupt grundrechtliche Schutzpflichten anerkannt würden, sei kein Grund ersichtlich, natürliche Gefahren - wie etwa die genannten Naturkatastrophen - auszuklammern. Nicht zuletzt sei hier eine Nähe zum Gefahrenbegriff des Polizei- und Ordnungsrechts zu konstatieren.23 An der Theorie des Grundrechtsdreiecks ist richtig, daß sich die Erfüllung von Schutzpflichten des Staates gegenüber dem einen Grundrechtsträger in der weit überwiegenden Zahl der Anwendungsfälle nur auf Kosten eines Eingriffs in grundrechtsbewehrte Positionen anderer bewerkstelligen läßt. So läßt sich der gebotene Schutz des ungeborenen Lebens nur durch einen Eingriff in 20

Alexy, Fn.14, S. 410 f.

21

Isensee, Fn.4, S.202 f. Auch Grawert: Technischer Fortschritt in staatlicher Verantwortung, in: Listl, Joseph / Schambeck, Herbert (Hrsg.), Demokratie in Anfechtung und Bewährung. Festschrift für Johannes Broermann, Berlin 1982, S.475 stützt die Schutzpflichten auf die staatliche Verantwortung für die Koordinierung der Freiheitssphären seiner Bürger. Gegen eine Integration von Gefahren aus der Natur in die Schutzpflichtenlehre auch Stern: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. m/1, München 1990, S.945 f. 22 Robbers: Sicherheit als Menschenrecht. Aspekte der Geschichte, Begründung und Wirkung einer Grundrechtsfunktion, Baden-Baden 1987, S.124; ähnlich Sass: Art. 14 GG und das Entschädigungserfordernis, Heidelberg 1992, S.403 ff. 23

Robbers, Fn.22, S. 124. In die gleiche Richtung weisen die Ausührungen von Stern, Fn.21, S. 260 ff.

IE. Umsetzung von Schutzpflichten

23

die Grundrechte der Mutter erreichen. Auch der Hinweis auf die primäre Aufgabe des Staates, die einzelnen Freiheitssphären seiner Bürger mit Hilfe der Rechtsordnung in ein Verhältnis der Kompatibilität zu bringen, trägt. Dennoch fällt es schwer, sich den Argumenten der Gegenansicht zu verschließen. Sollen grundrechtliche Schutzpflichten bestehende Grundrechtspositionen schützen, so ist nicht einsichtig, warum eine bestimmte Gefahrenquelle unbeachtlich sein soll. Die Effektivität des Grundrechtsschutzes sowie sein nach Art. 1 Abs. 3 GG umfassender Charakter sprechen für die Aufnahme auch der Naturgewalten in das Arsenal der Grundrechtsgefährdungen, denen die Schutzpflichten wehren sollen. Die Theorie des Grundrechtsdreiecks wird damit nicht widerlegt, sondern lediglich ergänzt um jene Fälle, in denen anderweitige Gefahren grundrechtliche Schutzpflichten auslösen. IDL Umsetzung von Schutzpflichten 1. Umsetzung durch Gesetz Es besteht ein weitgehender Konsens darüber, daß die Erfüllung von Schutzpflichten primär durch entsprechende Gesetze erfolgen muß. 24 Dies folgt auf dem Boden der Theorie des Grundrechtsdreiecks bereits aus der Annahme, daß der grundrechtliche Schutz des einen Rechtssubjekts notwendig mit einem Eingriff in die Grundrechtspositionen mindestens eines weiteren Rechtssubjekts verbunden ist. Derartige Eingriffe in Grundrechtspositionen sind nach rechtsstaatlichen Maßstäben jedoch nur dann zulässig, wenn sie sich auf ein Gesetz stützen können.25

24

Etwa Stern, Fn.21, S.951 f, Isensee. Das Grundrecht auf Sicherheit, Berlin 1983, S.44; Jarass: Grundrechte als Wertentscheidungen bzw. objektivrechtliche Prinzipien in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 110 (1985), S.395. Zu eng insoweit Steinberg: Grundfragen des öffentlichen Nachbarrechts, NJW 1984, S.459 und Hermes: Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit. Schutzpflicht und Schutzanspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, Berlin 1987, S.119; Enders: Neubegründung des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechts aus der grundrechtlichen Schutzpflicht? Konsequenzen aus dem Gentechnikbeschluß des VGH Kassel vom 6.11.1989, AöR 115 (1990), S.610 ff. 25

Auf die Einzelheiten dieser Lehre kann hier nicht eingegangen werden. Sie ist jedoch unumstriten geltendes Verfassungsrecht, vgl. Pieroth / Sehl ink, Fn.10, Rdnr. 273 ff; siehe auch Wahl/Masing: Schutz durch Eingriff, JZ 1990, S.557 f, H.H. Klein, Fn.3, S.491.

2

4

.

De

eri

der grundrechtlichen Schutzpflicht

Aber auch unabhängig von der Eingriffsproblematik ist die Form des Gesetzes notwendig, weil sich erst so die abstrakte und hinsichtlich der Mittel des Schutzes offene verfassungsrechtliche Schutzpflicht adäquat konkretisieren läßt. 26 Die "Gesetzesmediatisierung"27 der Schutzpflichten ergibt sich insofern schon aus ihrer allgemeinen Begriffsbestimmung. Die umfassende Verpflichtung der Staatsgewalt in allen ihren funktionellen Teilbereichen zur Wahrung und Durchsetzung der grundrechtlichen Schutzpflichten wird dadurch nicht unzulässig auf einen Regelungsauftrag an den parlamentarischen Gesetzgeber reduziert. 28 Auch Exekutive und Judikative bleiben daran gebunden. Beide müssen aber wissen, woran sie konkret gebunden sind, und diese Konkretisierung im Bereich der Schutzpflichten kann nur über den parlamentarischen Gesetzgeber erfolgen. 29 2. Nachbesserung und Erprobung Die Schutzpflicht ist mit dem Erlaß eines entsprechenden Gesetzes nicht notwendig auch für die Zukunft hinreichend und abschließend erfüllt. Die für die Entscheidung des Gesetzgebers maßgeblichen Umstände - etwa der Stand der technisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisse - können sich in dem Maße ändern, daß der Schutzpflicht nicht mehr genügt ist, bzw. ein adäquater Schutzstandard auf einem höheren Niveau erforderlich wird. Die Folge können gesetzgeberische Nachbesserungs- oder Erprobungspflichten sein.30

26

Dieser Gedanke findet sich auch bei Isensee, Fn.4, S. 148.

27

Der Begriff stammt von Isensee, Fn.24, S.44.

28

Kritisch Robbers, Fn.22, S.125: "Die Auffassung, grundrechtliche Schutzpflichten träfen nur den Gesetzgeber und richteten sich mindestens in erster Linie nur auf ordnende und einrichtende Regelungen, trägt demgegenüber auf verfassungsrechtsdogmatischer Ebene eine begründungsbedürflige Differenzierung in Art. 1 Abs. 3 GG, die dem umfassenden Geltungsanspruch dieser Norm kaum gerecht werden kann. Schutz wird zudem nicht gewährleistet durch bloß regelnde Normen; die erforderlichen Regelungen müssen vielmehr durchgesetzt werden, und wo sie fehlen, müssen Behörden und Gerichte mindestens lückenfullende Kompetenz aufweisen." Bei genauerem Hinsehen deckt sich diese Auffassung mit der hier vertretenen, da auch sie zu dem Ergebnis kommt, daß die Existenz regelnder Normen zwar eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung eines effektiven Schutzes sind. 29

Zum Verhältnis der Legislative zu den Kompetenzen des BVerfG's s.u. G.

30

Zum Folgenden siehe auch Pietrzak, Fn. 1, S.752.

DL Umsetzung von Schutzpflichten

25

Eine Nachbesserungspflicht kommt in den Fällen in Betracht, in denen sich bei Anwendung der entsprechenden Regelungen Schutzlücken zeigen. Hier obliegt dem Gesetzgeber eine Neuregelungspflicht, deren Gegenstand die Neufassung der gesetzlichen Schutzmaßnahmen im Lichte der hinzugewonnenen Erkenntnisse ist. 31 Insbesondere in technisch-naturwissenschaftlich erst rudimentär erschlossenen Bereichen kann eine gesetzgeberische Tätigkeit zur Erfüllung von Schutzpflichten nur provisorischen Charakter haben. Sofern Gefahren und Risiken der geregelten Gegenstände zum Zeitpunkt der Gesetzgebung nicht annäherungsweise übersehbar sind, sollte dem Gesetzgeber eine Pflicht zur Erprobung und ggf. Weiterentwicklung der entsprechenden Regelwerke zur Pflicht gemacht werden. 32 Ein Beispiel für eine solche Entwicklung liefert die rechtliche Erfassung der Gentechnik.33

31

Vgl. BVerfGE 56, 54 (78 ff); siehe dazu ausführlich Bernd : Legislative Prognosen und Nachbesserungspflichten, Mainz 1989. 32

Wie hier Horn: Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, Berlin 1989; Kloepfer. Gesetzgebung im Rechtsstaat, WDStRL 40 (1982), S.91 ff. 33

Vgl. Pietrzak, Fn.l, S.752.

C. Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten Die dogmatische Herleitung grundrechtlicher Schutzpflichten ist das umstrittenste Thema der Schutzpflichtenlehre. Nirgendwo sonst ist die Bandbreite der unterschiedlichen Auflassungen derart weit gefächert wie hier. Dieser Befund überrascht vor dem Hintergrund, daß übereinstimmend die Grundrechte als immittelbarer Anknüpfungspunkt der Rechte auf Schutz angesehen werden. Hier geht es primär um eine Erweiterung der Grundrechtsfunktion als Abwehrrechte. 34 Der Weg zu diesem Ergebnis muß jedoch nicht einheitlich sein. Zudem führen die verschiedenen Ansätze zu unterschiedlichen Konsequenzen, die sich erst bei der Reichweite der Grundrechtsgeltung im Schutzpflichtenbereich und bei der Frage nach dem subjektiven Anspruchscharakter der Schutzpflichten voll auswirken. Eine Herleitung ist jedoch nur dann notwendig, wenn sich nicht schon aus dem Grundgesetz selbst ausdrückliche Schutzpflichten ergeben. Bevor im Wege der Verfassungsinterpretation einzelne Schutzpflichten entwickelt werden, ist daher das Grundgesetz in seinem Wortlaut auf die Normierung von Schutzpflichten zu untersuchen. L Ausdrückliche Schutzpflichten im Grundgesetz 1. Textanalyse Ein Blick in das Grundgesetz zeigt, daß dem Verfassungstext selbst schon konkrete Schutzpflichten zu entnehmen sind.35

34

Auf die Ausnahme des "abwehrrechtlichen" Ansatzes zur Begründung der Schutzpflichten wird weiter unten eingegangen. 35

Siehe dazu etwa Stern 9 Fn.21, S. 933 ff; im folgenden wird vor allem Bezug genommen auf die umfassende Auflistung der ausdrücklich normierten Schutzpflichten bei Starcky Fn.4, S.56.

I. Ausdrückliche Schutzpflichten im Grundgesetz

27

Besonders deutlich wird der Schutzauftrag des Staates in Art. 1 GG, der die Menschenwürde zum obersten Prinzip der (Verfassungs-) Rechtsordnung erklärt. 36 Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG erklärt: "Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."37 An mehreren Stellen wird eine Verpflichtung zum Schutz der Jugend ausgesprochen. Sie erscheint als Schranke der Meinungsfreiheit in Art. 5 Abs. 2 GG, als Schranke der Freizügigkeit in Art. 11 Abs. 2 GG sowie als Legitimation für Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Wohnung in Art. 13 Abs. 3 GG. In Art. 5 Abs. 2 GG ist der Ehrenschutz als Schutzpflicht des Staates erwähnt. Aus der Schutzbereichsbegrenzung des Art. 8 Abs. 1 GG auf friedliche und waffenlose Versammlungen, aus Art 18 und 21 Abs. 2 GG sowie aus den Schrankenbestimmungen der Art. 9 Abs. 2, 11 Abs. 2 und 13 Abs. 3 GG wird zuweilen eine Schutzpflicht für die innere Sicherheit abgeleitet.38 Hier handelt es sich um einen Grenzfall einer direkten Schutzpflicht, da dieser Schutz sich jedenfalls nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut des Grundgesetzes ergibt, sondern erst im Wege der interpretierenden Gesamtschau des Verfassungstextes erschlosssen werden muß. Ebenso deutlich wie Art. 1 GG steht Art. 6 GG für die Möglichkeit einer rein textexegetischen Benennung konkreter Schutzpflichten. 39 Art. 6 Abs. 1 GG stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ord-

36 Die zentrale Bedeutung der Menschenwürde im System der verfassungsrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes ist unbestritten, vgl.: BVerfGE 6, 32 (36, 41); 72, 105 (115); grundlegend Dürig: in: Maunz, Theodor / Dürig, Günter / Herzog, Roman / Scholz, Rupert, Grundgesetz, München, Stand: Mai 1994, Bd.l, Art. 1 Abs.2, Rdnr.14, aus neuerer Zeit etwa Benda: Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht, in: Benda, Ernst / Maihofer, Werner / Vogel, Hans-Jochen (Hrsg.), HdBVerfR, 2. Aufl., Berlin / New York 1994, S.162 mwN. 37

Hervorhebung vom Verf.

38

Für Art. 8, 9, 11, 13 siehe Starck, Fn.4, S.56; für Art. Art. 18 und 21 II siehe Götz: Innere Sicherheit, in: Isensee, Josef / Kirchhof, Paul (Hrsg.), HdBStR, Bd. m, Heidelberg 1988, S.1019. 39

Siehe dazu auch Dietlein, Fn.5, S.30 f. Die Ableitung einer Schutzpflicht aus Art. 16 GG, die Dietlein, Fn.5, S.31 vornimmt, erscheint nicht nachvollziehbar und wird von ihm selbst relativiert.

28

C. Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht

nung. Nach Art. 6 Abs. 2 GG wacht der Staat über die Pflege und die Erziehung der Kinder durch ihre Eltern. Schließlich hat gemäß Art. 6 Abs. 4 GG jede Mutter "Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft." 2. "Gewährleistung"

und "Unverletzlichkeit"

Diese ausdrücklichen Normierungen von Schutzpflichten sind abzugrenzen von solchen Grundrechtspositionen, die im Grundgesetz "gewährleistet" oder für "unverletzlich" erklärt werden. So wird in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG die Pressefreiheit gewährleistet. Die Ableitung einer entsprechenden Schutzpflicht aus dem Terminus der Gewährleistung würde den Bedeutungsgehalt des Verfassungstextes jedoch überdehnen. Vielmehr ist "Gewährleistung ...ein allgemein verwendeter Ausdruck für Grundrechtsgarantien und besagt noch nichts über immanente Schutzpflichten." 40 Dasselbe gilt für die Unverletzlichkeit grundrechtlicher Positionen. So wird in Art. 4 Abs. 1 GG die Glaubens- und Gewissensfreiheit für unverletzlich erklärt. Eine Verpflichtung des Staates, aktiv den Schutz der Religionsfreiheit zu erwirken, läßt sich aus dieser Formulierung allein (!) nicht ableiten.41 3. Ergebnis Die Analyse des Grundgesetzes ergibt, daß grundrechtliche Schutzpflichten dem Verfassungstext nicht fremd sind. Sie werden vom Grundgesetz in ausdrücklicher Form jedoch nur partiell, d.h. auf einzelne Grundrechte beschränkt, normiert. Eine umfassende grundrechtliche Schutzpflicht des Staates, die nicht in diesem Sinne eingeschränkt ist, läßt sich der reinen Textanalyse nicht entnehmen. Der Nachweis einer über den Wortlaut der Verfassung hinausgehenden Schutzpflichtenkonzeption des Grundgesetzes ist Gegenstand zahlreicher Überlegungen in der Judikatur des BVerfG's und der verfassungsdogmatischen Literatur.

4 0

41

Starcky Fn.4, S.56 f.

Vgl. Starcky Fn.4, S.57; ebenso Kunig, in v. Münch, Ingo / Kunig, Philip (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, Bd. 1,4. Aufl., München 1992, Art. 1 Rdnr. 25 ff.

. Die Judikatur des BVerfG's

29

IL Die Judikatur des BVerfG's I. Die Entwicklung der Schutzpflichtenlehre Wie eingangs erwähnt, war und ist vor allem das BVerfG der Motor der Schutzpflichtenlehre. Es läßt sich nachweisen, daß die Entwicklung dieser Lehre schon in sehr frühen Entscheidungen angelegt war. 42 Insoweit läßt sich die These vom juristischen "Paukenschlag"43 des ersten Abtreibungsurteils nicht ohne Einschränkung halten. So hat das Gericht in der Fürsorge-Entscheidung eine Verpflichtung des Staates zu schützendem Tun ausgesprochen. Gefordert sei zwar nicht "Schutz vor materieller Not, sondern Schutz gegen Angriffe auf die Menschenwürde durch andere, wie Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung usw." 44 Auch im Hebammen-Beschluß wird dem Staat eine Verpflichtung auferlegt, u.zw. hier "eine gewisse Pflicht des Gesetzgebers, umfassende und wirksame Vorsorge gegen Gefahren zu treffen, die aus dem Fortfall der beruflichen Leistungsfähigkeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entstehen können."45 Die Argumentation des Gerichts ist hier zwar primär auf die Auslegung von Art. 12 GG ausgerichtet, enthält jedoch Ansätze zu einer Begründung einer entsprechenden Schutzpflicht. Eine Fortführung dieser Andeutungen einer Schutzpflichtenlehre findet sich dann u.a. im Hochschul-Urteil. Danach bedeutet die "Wertentscheidung" des Art. 5 Abs.3 GG "nicht nur die Absage an staatliche Eingriffe in den zuvor gekennzeichneten Eigenbereich der Wissenschaft; sie schließt vielmehr das Einstehen des Staates, der sich als Kulturstaat versteht, für die Idee einer freien Wissenschaft und seine Mitwirkung an ihrer Verwirklichung ein und verpflichtet ihn, sein Handeln positiv danach einzurichten, d.h. schützend und fördernd einer Aushöhlung dieser Freiheitsgarantie vorzubeugen."46 In diesem Urteil werden bis in den Wortlaut einzelner Formulierungen hinein die 42

Siehe dazu Robbers, Fn.22, S.130 fT, Stern, Fn.21, S.937 ff, Isensee, Fn.4, S.181 ff. 43

So Isensee, Fn.42, S.27. Isensee selbst hat seine These in seinem Beitrag im HbdStR relativiert; dort spricht er auf S. 182 nur noch vom "bahnbrechenden" Charakter des ersten Abtreibungsurteils. Auch E. Klein, Fn.3, S.1634 setzt dieses Urteil an die "erste(.) Stelle" der Rechtsprechung zur Schutzpflichtenlehre. 44

BVerfGE 1,97 (104).

45

BVerfGE 9, 338 (347).

46

BVerfGE 35, 79 (114); Hervorhebungen vom Verf.

30

C. Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht

Wertungen des ersten Abtreibungsurteils vorweggenommen. Ferner zeigt es, daß eine Schutzpflicht auch durch indirekte staatliche Maßnahmen, etwa im Bereich der Finanzgesetzgebung, erfüllt werden kann und nicht nur durch gezielte Regelungen in einzelnen Grundrechtsbereichen. Diese und weitere Prolegomena zu einer allgemeinen Schutzpflichtenlehre verdichten sich im ersten Abtreibungsurteil. Hier wird besonders deutlich die umfassende Verpflichtung aller Staatsgewalt zum Schutz des menschlichen auch des ungeborenen - Lebens ausgesprochen. In bezug auf dieses Schutzgut führt das BVerfG aus: "Die Schutzverpflichtung des Staates muß um so ernster genommen werden, je höher der Rang des in Frage stehenden Rechtsgutes innerhalb der Wertordnung des Grundgesetzes anzusetzen ist. Das menschliche Leben stellt, wie nicht näher begründet werden muß, innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung den Höchstwert dar; es ist die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte." 47 Allenfalls die Klarheit, mit der das BVerfG hier die Existenz grundrechtlicher Schutzpflichten über den Wortlaut der Verfassung hinaus prononciert, nicht aber die vermeintliche Neuheit in der Sache begründet die herausragende Stellung dieses Urteils in der Entwicklung der Schutzpflichtenlehre. In einer Reihe weiterer Entscheidungen wurde diese Lehre bekräftigt. 48 Im Schleyer-Urteil wiederholt das Gericht seine Ausführungen zur Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben.49 Im Ergebnis weist es die Klage auf Erfüllung der Forderungen der Entführer des damaligen Arbeitgeberpräsidenten trotz einer konkreten Lebensbedrohung zurück. Zur Begründung wird u.a. angeführt, daß dem Staat auch gegenüber der Gesamtheit der Bürger eine Schutzpflicht zukomme, die durch die erpresste Freilassung von Terroristen unter Umständen verletzt werden könnte. Im Kalkar-Beschluß50 und im Mülheim-Kärlich-Beschluß51 hat das BVerfG staatliche Schutzpflichten im Zusammenhang mit potentiell gefährlichen Anlagen zur Nutzung der Kernergie anerkannt. Im ersteren hat das Gericht ausgeführt, es könne "verfassungsrechtliche Schutzpflichten" geben, "die

47

BVerfGE 39, 1 (42).

48

Siehe dazu auch Alexy, Fn. 14, S.411 ff

49

BVerfGE 46, 160(164).

50

BVerfGE 49, 89 ff.

51

BVerfGE 53, 30 ff.

II. Die Judikatur des BVerfG's

31

es gebieten, rechtliche Regelungen so auszugestalten, daß auch die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt bleibt. Ob, wann und mit welchem Inhalt sich eine solche Ausgestaltung von Verfassungs wegen gebietet, hängt von der Art, der Nähe und dem Ausmaß möglicher Gefahren, der Art und dem Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgutes sowie von den schon vorhandenen Regelungen ab." 5 2 Der vorläufige Endpunkt der Bekräftigung der Schutzpflichtenlehre findet sich im zweiten Abtreibungsurteil, das in ausdrücklicher Bezugnahme auf das erste Abtreibungsurteil bestimmt: "Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben zu schützen. Zum menschlichen Leben gehört auch das ungeborene. Auch ihm gebührt der Schutz des Staates. Die Verfassung untersagt nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das ungeborene Leben, sie gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, d.h. vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren..." 53 2. Die Begründung der Schutzpflichten Die dogmatische Herleitung der Schutzpflichten durch das BVerfG ist nicht einheitlich. Vielmehr lassen sich zwei vermeintlich divergierende Begründungsmuster aufzeigen, die miteinander verwoben werden: die objektivrechtliche Dimension der Grundrechte und die Menschenwürde. Beide Wege werden schon im ersten Abtreibungsurteil beschritten: "Die Pflicht des Staates, jedes menschliche Leben zu schützen, läßt sich ...bereits unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableiten. Sie ergibt sich darüber hinaus auch aus der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG; denn das sich entwickelnde Leben nimmt auch an dem Schutz teil, den Art. 1 Abs. 1 GG der Menschenwürde gewährt. Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu ..." 5 4 Die Verknüpfung der Ableitung der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mit der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte wird wenig später deutlich: "Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthalten die Grundrechtsnormen nicht

52

BVerfGE 49, 89(142).

53

BVerfGE 88, 203 (251); ebenso für die Rechtsgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit: BVerfG, NJW 1995, S.2343. 54

BVerfGE 39, 1 (41); Hervorhebungen vom Verf.

32

C. Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht

nur subjektive Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat, sondern sie verkörpern zugleich eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und Richtlinien und Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gibt... Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Staat zu rechtlichem Schutz des werdenden Lebens von Verfassungs wegen verpflichtet ist, kann deshalb schon aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der grundrechtlichen Normen erschlossen werden." 55 In weiteren Entscheidungen des BVerfG's wird die Bezugnahme auf die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte wiederholt. 56 Aus dem ersten Abtreibungsurteil scheint sich demnach ein Primat der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte bei der Herleitung der Schutzpflicht zu ergeben. Bei der Lektüre des zweiten Abtreibungsurteils drängt sich der Eindruck auf, daß sich dieses Verhältnis umgekehrt habe.57 Dort heißt es: "Ihren Grund hat diese Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 GG, der den Staat ausdrücklich zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet; ihr Gegenstand und - von ihm her - ihr Maß werden durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt. ...Diese Würde des Menschseins liegt auch für das ungeborene Leben im Dasein um seiner selbst willen. Es zu achten und zu schützen bedingt, daß die Rechtsordnung die rechtlichen Voraussetzungen seiner Entfaltung im Sinne eines eigenen Lebensrechtes des Ungeborenen gewährlei-

55

BVerfGE 39,1 (41 f).

56

Vgl. etwa die Fluglärm-Entscheidung, BVerGE 56, 54 ff und die C-WaffenEntscheidung, BVerfGE 77,170 (214), in der festgestellt wird, daß "Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht lediglich ein subjektives Abwehrrecht verbürgt, sondern zugleich eine objektiv-rechtliche Wertentscheidung der Verfassung darstellt, die für alle Bereiche der Rechtsordnung gilt und verfassungsrechtliche Schutzpflichten begründet..." Weitere Nachweise bei Stern, Fn.21, S.942 f. 57

Dieser Eindruck wird geteilt von Hesse: Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Wahrnehmung grundrechtlicher Schutzpflichten des Gesetzgebers, in: DäublerGmelin, Herta / Kinkel, Klaus / Meyer, Hans / Simon, Helmut (Hrsg.), Gegenrede. Aufklärung - Kritik - Öffentlichkeit - Festschrift für Ernst Gottfried Mahrenholz, Baden-Baden 1994, S.551. Nicht mehr haltbar ist insoweit die Ansicht von Isensee, Fn.3, S.185: "Das Argument aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG leistete zunächst Geburtshelferdienste, hat aber jetzt seine Schuldigkeit getan." Ebensowenig kann den Ausführungen Isensees, aaO. zugestimmt werden, wenn er fortfährt: "Das Bundesverfassungsgericht erspart sich angesichts seiner nunmehr gefestigten Schutzpflichtjudikatur auch den Rekurs auf die "objektive Wertordnung", erwähnt aber den "objektiv-rechtlichen Gehalt" der Schutzpflicht", sofern damit gemeint sein sollte, daß das BVerfG auf die Begründung der Schutzpflichten aus der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte verzichtet.

. Die Judikatur des BVerfG's

33

stet (...). Dieses Lebensrecht, das nicht erst durch die Annahme seitens der Mutter begründet wird, sondern dem Ungeborenen schon aufgrund seiner Existenz zusteht, ist das elementare und unveräußerliche Recht, das von der Würde des Menschen ausgeht; es gilt unabhängig von bestimmten religiösen oder philosophischen Überzeugungen, über die der Rechtsordnung eines religiös-weltanschaulich neutralen Staates kein Urteil zusteht."58 Von der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte - einschlägig wäre hier Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG - ist nicht die Rede. Damit ist aber die Ableitung anderweitiger Schutzpflichten des Staates, etwa der Schutz des Eigentums oder der Meinungsfreiheit, aus der objektiv-rechtlichen Seite der Grundrechte nicht aufgegeben. 3. Die Kritik an der Rechtsprechung des BVerJG 's a) Kernpunkte der Kritik Die Begründungsstrategie des BVerfG's ist nicht unwidersprochen geblieben. Es lassen sich insgesamt drei Kernpunkte der Kritik herausarbeiten. Zum einen wird der Bezug auf die Wertordnungsrechtsprechung mit der generellen Kritik an dieser Rechtsfigur verknüpft. 59 Zum anderen wird moniert, daß das BVerfG nicht hinreichend verdeutlicht habe, wie aus dem objektiv-rechtlichen Charakter der Grundrechte wiederum subjektiv ausgerichtete Schutzpflichten folgen sollen 60 ; in diesem Zusammenhang ist sogar von einer "Mutation" gesprochen worden. 61 Die Auseinandersetzung mit diesen beiden Kritikpunkten wird aus thematischen Gründen auf die folgenden Abschnitte verschoben. An dieser Stelle soll aber der dritte Einwand eingehender untersucht werden. Dieser Einwand behauptet, daß der Rekurs des BVerfG's auf die objektivrechtliche Dimension einerseits und die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG andererseits inkonsistent, die gesamte Ableitung der

58

BVerfGE 88, 203 (251 f); Hervorhebungen im Original.

59

So im Ergebnis Isensee, Fn.3, S. 185.

60

So schon das Sondervotum zu BVerfGE 39, 1 (68, 73 ff); E. Klein, Fn.3, S.1635; Stern, Fn.21, S.945. 61

Starck, Fn.4, S.72: "Es findet also eine nicht näher begründete Mutation der objektiv-rechtlichen Wertentscheidung in einen subjektiv-rechtlichen Anspruch statt." Hervorhebungen in Original. 3 Unruh

34

C. Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht

Schutzpflichten daher in höchstem Maße unklar sei. 62 Kern der Kritik ist die These, daß hier zwei unterschiedliche Begründungsstränge miteinander verwoben werden, ohne daß ihr Verhältnis präzisiert würde. b) Das Verhältnis zwischen Menschenwürde und Grundrechten Dieser Einwand kann durch einen genaueren Blick auf den Gehalt der Rechtsprechung von der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte entkräftet werden. Es kann gezeigt werden, daß die Wertordnungstheorie von der Menschenwürdegarantie verfassungsdogmatisch nicht getrennt werden kann, und daß das BVerfG dies auch nicht tut. Vielmehr handelt es sich auch in der Argumentation des BVerfG's zu den Schutzpflichten um eine einheitliche und konsistente Argumentation, die durch einzelne Formulierungen eher verdeckt wird. Ausgangspunkt dieser Überlegung ist die Annahme eines legitimationstheoretischen Zusammenhanges zwischen der Menschenwürdegarantie und der Wertordnungstheorie. Auch die Rechtsprechung des BVerfG's zur objektiven Wertordnung des Grundgesetzes geht davon aus, daß die verfassungsmäßigen Grundrechte primär Abwehrrechte gegen Eingriffe des Staates sind. So führt das Gericht in seinem für die Wertordnungstheorie bahnbrechenden LüthUrteil aus: "Ohne Zweifel sind die Grundrechte in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; sie sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Das ergibt sich aus der geistesgeschichtlichen Entwicklung der Grundrechtsidee wie aus den geschichtlichen Vorgängen, die zur Aufnahme von Grundrechten in die Verfassungen der einzelnen Staaten geführt haben. Diesen Sinn haben auch die Grundrechte des Grundgesetzes, das mit der Voranstellung des Grundrechtsabschnittes den Vorrang des Menschen und seiner Würde gegenüber der Macht des Staates betonen wollte." 63 Im folgenden wird das Gericht noch deutlicher. In bereits klassisch zu nennenden Formulierungen entwickelt es seine Lehre von der Wertordnung des Grundgesetzes: "Ebenso richtig ist aber, daß das Grundgesetz, das keine wertneutrale Ordnung sein will (...), in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet hat und

62

So z.B. E. Klein, Fn.3, S.1635 und Starck, Fn.4, S.63, der das Begründungselement der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte einer "großzügigeren" und die Ausrichtung auf die Menschenwürde einer "strengeren" Auffassung innerhalb des BVerfG's zuordnet. 63

BVerfGE 7, 198 (204 f).

IL Die Judikatur des BVerfG's

35

daß gerade hierin eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt (...). Dieses Wertsystem, das seinen Mittelpunkt in der innerhalb der sozialen Gemeinschaft sich frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde findet, muß als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten; Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung erhalten von ihm Richtlinien und Impulse.1,64 Diese Sätze aus dem Lüth-Urteil belegen, daß die Menschenwürde in der Sichtweise des BVerfG's den obersten Wert der geltenden Verfassung darstellt. Auf dieser Grundlage läßt sich aber auch der Schluß begründen, die Menschenwürde sei der übergeordnete Geltungsgrund der Grundrechte. „Wenn die Verfassungsgarantie der Menschenwürde ein höchstes wertsetzendes Verfassungs- und oberstes Konstitutionsprinzip des Grundgesetzes darstellt, dann ist ihre Bedeutung für die dem Art. 1 Abs. 1 GG nachfolgenden Bestimmungen des Bekenntnisses zu den Menschenrechten und der Positivierung der Grundrechte offenkundig." 65 Mit anderen Worten: Art. 1 Abs. 1 GG mit seiner Garantie der menschlichen Autonomie und Selbstwerthafiigkeit bildet die Spitze der verfassungsrechtlichen Wertungen des Grundgesetzes. Damit sind zwar die einzelnen Grundrechte ihrerseits nicht (nur) partielle Ausformungen der Menschenwürdegarantie.66 Soll der Grundrechtsabschnitt

64

BVerfGE 7,198 (205). Eindrucksvoll bestätigt wurde diese Rechtsprechung im Hochschul-Urteil, BVerfGE 35, 79 (114). Die Wertordnungstheorie ist Bestandteil der ständigen Rechtsprechung des BVerfG's. 65

Stern, Fn.21, S.33. Stern weist im folgenden daraufhin, daß sich diese Ansicht auch auf die Auffassung des Parlamentarischen Rates stützen kann. Die Mitglieder des Rates stellten eine Begründungskette von der Menschenwürde über die Menschenrechte bis zu den Grundrechten her, die insofern eine geltungstheoretische Abhängigkeit der Grundrechte von der Menschenwürde postulierte, vgl. JöR n.F.l (1951), S.50 und ParlRat-Drucks Nr. 543, 591. 66

Vgl. Hain.: Rundfunkfreiheit und Rundfunkordnung, Baden-Baden 1993, S.58 ff. Dieser Gedanke findet sich aber u.a. schon bei Diirig: Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, AöR 81 (1956), S.121 ff; Stern: Menschenwürde als Wurzel der Menschen- und der Grundrechte, in: Achterberg, Norbert / Krawietz, Werner / Wydukkel, Peter (Hrsg), Festschrift für Hans Ulrich Scupin, Berlin 1983, S.632, Alexy, Fn. 14, S.323; Verdross : Die Würde des Menschen als Grundlage der Menschenrechte, EuGRZ 1977, S.207 ff. Dieser Zusammenhang wird jedoch überdehnt von Bleckmann: Neue Aspekte der Drittwirkung der Grundrechte, DVB1. 1988, S.942, der die Grundrechte als "Ausfluß der Menschenwürde" bezeichnet. Gegen diese These auch Stern, Fn.21, S.44 und vMangoldt / Klein /Starck: Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, 3.Aufl., München 1985, Art.l Abs. 3, Rdnr. 107. 3*

3 6 C .

Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht

aber eine objektive Wertordnung bilden, so kann diese Ordnung als obersten Wert - in der Diktion des BVerfG's ihren "Mittelpunkt" - nur in der Menschenwürde haben. Insoweit handelt es sich bei den Grundrechten nicht um stringente deduktive Ableitungen aus der Menschenwürde; anderenfalls wären sie als eigenständige Rechtspositionen obsolet. Dennoch sind sie als ein Entwurf der Ausgestaltung des Menschenwürdegehaltes zu begreifen. 67 Daher muß sich das BVerfG gleichzeitig auf die Menschenwürde berufen, wenn es die Schutzpflichten dogmatisch aus der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte herleiten will. Eine Inkonsistenz zweier vermeintlich divergierender Begründungen zur Ableitung grundrechtlicher Schutzpflichten kann dem BVerfG demnach nicht vorgeworfen werden. Die allgemeine Kritik an der Wertordnungsrechtsprechung des BVerfG's wird im folgenden noch zur Sprache kommen. Es kann aber schon jetzt festgehalten werden, daß die Argumentation des BVerfG's ergänzt durch die klarstellende These über das Verhältnis von Menschenwürde und Grundrechten - ein hohes Maß an Plausibilität aufweist.

67

So auch Benda, Fn.36, S.166: "Den Grundrechten ist gemeinsam, daß sie um der Menschenwürde willen erforderlich erscheinen, sich also dem Grundgedanken nach bereits aus Art. 1 Abs. 1 GG ergeben. Sie sind "partiell verselbständigte Ausschnitte aus der Menschenwürde". Freilich verdanken die Grundrechte ihre Entstehung unterschiedlichen politischen und sozialen Ideen, und sie stellen jeweils eine Antwort auf die besonderen Herausforderungen der Zeit dar." Hervorhebungen im Original. Ähnlich Höfling: Die Unantastbarkeit der Menschenwürde - Annäherungen an einen schwierigen Verfassungsrechtssatz, JuS 1995, S.857 ff. Zur Genese und zu den Inhalten der Menschenwürdegarantie siehe auch grundlegend Starck: Menschenwürde als Verfassungsgarantie im modernen Staat (1981), in: ders.: Der demokratische Verfassungsstaat. Gestalt, Grundlagen, Gefährdungen, Tübingen 1995, S.186 ff. Siehe dazu auch Bayertz: Die Idee der Menschenwürde: Probleme und Paradoxien, ARSP 1995, S.465 ff; Häberle: Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: Isensee, Josef / Kirchhof, Paul (Hrsg.), HdBStR Bd., Heidelberg 1992, § 20; Geddert-Steinacher. Menschenwürde als Verfassungsbegriff, Berlin 1990; Spaemann: Über den Begriff der Menschenwürde, in Böckenförde, : Ernst-Wolfgang / Spaemann, Robert (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, Frankfurt/M. 1987, S.295 ff.; Graf Vitzthum: Die Menschenwürde als Verfassungsbegriff, JZ 1985, S.201 ff.; Hoerster. Zur Bedeutung des Prinzips der Menschenwürde, JuS 1983, S.93 ff.

I . Die dogmatische Herleitung der Schutzpflichten in der Literatur

37

DL Die dogmatische Herleitung der Schutzpflichten in der Literatur Das Meinungsspektrum in der Literatur zur Begründung der grundrechtlichen Schutzpflichten ist weit gefächert. In dem Arsenal der Legitimationsstrategien bildet die Auffassung, das BVerfG habe die richtige getroffen, nur eine Waffe unter vielen.68 Eine Erörterung dieser Ansicht erübrigt sich unter Hinweis auf die Sichtweise des BVerfG's. Soweit ersichtlich, lassen sich die übrigen Ansätze in insgesamt fünf Gruppen zusammenfassen: die ideengeschichtliche Herleitung (1.), die WortlautThese (2.), die Ableitung allein aus der Menschenwürde (3.), der abwehrrechtliche Ansatz (4.) und die Herleitung aus den Grundrechtsschranken und dem Sozialstaatsprinzip (5.). 1. Die ideengeschichtliche Herleitung Ausgangspunkt der ideengeschichtlichen Herleitung der Schutzpflichten ist die Feststellung, daß der moderne, neuzeitliche Staat sich u. a. durch seine Sicherungsfunktion legitimiere. 69 Der Staatszweck der Sicherheit, der zugleich das Gewaltmonopol und die Friedenspflicht der Bürger begründe, verpflichte die Staatsgewalt, die Rechte der ihr Unterworfenen gegeneinander aktiv zu schützen.70 Diese Überlegungen knüpfen an den Verlauf und die Ergebnisse der neuzeitlichen staatstheoretischen Diskussion an. Geprägt durch die Erfahrung der konfessionellen Bürgerkriege mit ihren verheerenden Folgen in ganz Europa, speziell durch den Konflikt zwischen den protestantischen Hugenotten und den Katholiken in Frankreich, hat zunächst Jean Bodin die Legitimation des Staates mit dessen Befähigung zur Sicherung des (zunächst inneren) Friedens erklärt. 71 Ähnliche Erfahrungen, jedoch auf den englischen Bürgerkrieg be-

68

Dem BVerfG folgt u.a. Dietlein, Fn.5, S.64 ff.

69

Allgemein zum Staatszweck der Sicherheit Jellinek: Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl (1914), Ndr. Berlin 1960, S.246; Krüger Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart 1966. 70

Diese Begründung der Schutzpflichten nahm ihren Ausgang von Isensee, Fn.24, und ist mittlerweile in der Literatur weit verbreitet. Vgl. etwa Stern, Fn.21, S.932 ff; E. Klein, Fn.3, S.1635 f; Bleckmann, Fn.66, S.941 f; H.H. Klein, Fn.3, S.492 f. 71

Bodin: Les six livres de la République (1583), Paris 1993; zu Bodin siehe Quaritsch : Staat und Souveränität, Frankfurt/M. 1970, S.279 ff, Kriele: Einführung in

38

C. Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht

zogen, haben Thomas Hobbes etwa ein Jahrhundert später zu vergleichbaren Einsichten gebracht.72 Auch seiner politischen Theorie liegt die Sorge um die Sicherheit der Staatsbürger zugrunde.73 Dieser Staatszweck findet sich ebenfalls bei dem führenden Staatstheoretiker der Französischen Revolution Abbé Sieyès. 74 Auch die bahnbrechenden Kodifikationen der Menschenrechte gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Amerika und Frankreich sind ergiebig. Schon die Virginia Bill of Rights vom 12.06.1776 bestimmt in ihrer Section 3, daß diejenige Regierung die beste sei, die ein Höchstmaß an Glück und Sicherheit gewährleisten könne. Deutlicher noch wird die maßgeblich von Thomas Jefferson ausgearbeitete Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten vom 04. 07.1776 in ihren berühmten Sätzen: "We hold these truths to be selfevident, that all men are created equal, that they are endowed by their creator with certain unalienable rights, that among these are life, liberty and the pursuit of happiness. - That to secure these rights, governments are instituted among men, deriving their just powers from the consent of the governed."75 Anknüfend an Sieyès enthält die Déclaration des droits de l'homme et du citoyen vom 26. August 1789 in Art. 2 die Bestimmung: "Le but de toute association politique est la conservation des droits naturels et imprescriptibles de l'homme. Ces droits sont la liberté, la propriété, la sûreté et la résistance à l'oppression."76 Und die Déclaration des droits de l'homme et du citoyen in der Verfassung vom 24.06.1793, die nie in Kraft trat, normiert in Art. 8: "La sûreté consiste dans la protection accordée par la société â chacun de ses mem-

die Staatslehre. Die geschichtlichen Legitimitätsgrundlagen des demokratischen Verfassungstaates, 5. Aufl., Opladen 1994, S.50 ff. 72 Hobbes: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates (1651), hrsg. von Iring Fetscher, Frankfurt/M. 1984, S. 131 ff. 73

Vgl. Robbers, Fn.22, S.40.

74

Vgl. Sieyes: Einleitung zur Verfassung. Anerkennung und erklärende Darstellung der Menschen- und Bürgerrrechte. Am 20. und 21. Juli 1789 im Verfassungsausschuß verlesen, in: ders., Politische Schriften 1788-1798, hrsg. von Eberhard Schmitt und Rolf Reichard, 2. Aufl., München - Wien 1981; S.247: "Die Sicherung der Freiheit wird nur dann gut sein, wenn sie hinreichend ist, und sie ist nur hinreichend, wenn die Schläge, die man ihr versetzen kann, nichts ausrichten gegenüber der Gewalt, die zur Verteidigung der Freiheit bestimmt ist. Kein Recht ist vollkommen gesichert, wenn es nicht von einer verhältnismäßig unwiderstehlichen Gewalt gerschützt wird." 75 76

Hervorhebungen vom Verf.

Zitiert nach Godechot (Hrsg.): Les Constitutions de la France depuis 1789, Paris 1979, S.33. Hervorhebungen vom Verf.

III. Die dogmatische Herleitung der Schutzpflichten in der Literatur

39

bres pour la conservation de sa personne, de ses droits et de ses propriétés. 1,77 Schließlich bestimmt das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 in § 2 Abs. 2 Ziff. 13: "Die vorzüglichste Pflicht des Oberhauptes im Staate ist, sowohl die äußere als innere Ruhe und Sicherheit zu erhalten, und einen Jeden bei dem Seinigen gegen Gewalt und Störungen zu schützen."78 Aus diesen und weiteren Zeugnissen der verfassungstheoretischen Ideengeschichte folgert ein großer Teil der gegenwärtigen Staatslehre das Postulat staatlicher Schutzpflichten. Soll der Staat die Sicherung des inneren und äußeren Friedens gewährleisten, soll er sich also als Friedensordnung ausgestalten, so müsse er zwangsläufig auch aktiven Schutz gewähren. Täte er dies nicht, so sei der Bürger wieder darauf angewiesen, sich selbst Schutz zu besorgen, und diese Folge würde wiederum die Befriedungsfunktion des Staates untergraben. 79 Diese grundlegende Staatsfunktion sei im Verlaufe der verfassungspolitischen Kämpfe des 19. Jahrhunderts in Vergessenheit geraten.80 Die Weiterentwicklung der Staatstheorie zur Konzeption des demokratischen Verfassungsstaates habe andere Probleme in den Vordergrund gerückt, baue aber nach wie vor auf der Grundfunktion der Sicherung auf. 81 Daher müsse sie zumal für die Herleitung staatlicher Schutzpflichten - für die Verfassungsdogmatik erst "wiedergewonnen" werden.82 "Die Sicherheit des Menschen und Bürgers als solche ist also, obschon nicht ausdrücklich im Verfassungstext erwähnt, in der Art des vom Grundgesetz konstituierten Staates mitgeschrieben." 83 Der konkrete dogmatische Anknüpfungspunkt im Grundgesetz für die Umsetzung dieser Grundintention des Staates sollen die Grundrechte sein. Diese 77

Zitiert nach Godechot, Fn.76, S.80.

78

Hervorhebungen vom Verf.

79

Vgl. E. Klein, Fn.3, S.1636.

80

Vgl. Grimm: Die Entwicklung der Gnindrechtstheorie in der deutschen Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts, in: dersRecht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt/M. 1987, S.308. 81 So Isensee, Fn.4, S.162. Schon Kant hatte in seiner Staatsphilosophie nur sehr bedingt auf den Sicherungsaspekt rekurriert, vgl. Unruh: Die Herrschaft der Vernunft. Zur Staatsphilosophie Immanuel Kants, Baden-Baden 1993, S.101 ff. 82

Robbers,¥n.22,S.\22.

83

Stern, Fn.21, S.933.

40

C. Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht

werden in ihrer Eigenschaft als Konstitutionsprinzipien einer objektivrechtlichen Wertordnung herangezogen. Mit anderen Worten: Die einzelnen Grundrechte in ihrer objektiv-rechtlichen Dimension konkretisieren die einzelnen Schutzpflichten des Staates unter dem Grundgesetz.84 Es ist diese Konsequenz der ideengeschichtlichen Begründung, die Zweifel an ihrer Tragfähigkeit hervorruft. Wenn die Grundrechte letztlich doch als Wertordnung begriffen werden, so ist nicht einsichtig, warum das ideengeschichtliche Argument für die Begründung der Schutzpflichtenlehre das ausschlaggebende sein soll. Es ist gerade nicht so, daß mit der Normierung der Grundrechte der ihnen vorhergehende Staatszweck der Sicherheit nur noch "deklaratorischen" Charakter hat. Ebensowenig ist das grundsätzlich Neue an dieser Normierung lediglich darin zu erblicken, daß dieser Staatszweck nunmehr "förmlich sanktioniert" sei.85 Vielmehr ist es Aufgabe der Verfassungsdogmatik, anhand des Verfassungstextes den Regelungsgehalt der Verfassung zu ermitteln. Erforderlich sind demnach konkrete Anhaltspunkte im Grundgesetz selbst, die eine Erweiterung der Grundrechtsfunktionen um die Konstituierung von Schutzpflichten tragen. Der Vorwurf an die ideengeschichtliche Ableitung lautet also, daß ein Rekurs auf die Staatszwecklehre der neuzeitlichen Staatstheorie dann nicht von alleiniger Bedeutung sein kann, wenn es in der geltenden positiven Verfassung konkrete Anhaltspunkte für die Existenz von Schutzpflichten gibt. Vor allem der Hinweis auf die Rolle der Grundrechte in der Französischen Revolution verdeutlicht aber, daß die Bezeichnunng ihrer Abwehrfunktion als "klassisch" zumindest mißverständlich ist. Denn hier dienten sie - im Gegensatz zu der Entwicklung im revolutionären Amerika - ursprünglich als Konstitutionsprinzipien für die erforderliche Gesamtrevision der staatlichen Ordnung. Sie waren hier eindeutig als Programm gemeint, das der erst zu konsti-

84

So E. Klein, Fn.3, S.1636; ebenso Stern: Fn.21, S.937. Zusammenfassend Isensee, Fn.4, S.162: "Gleichwohl liegt das eigentlich Revolutionäre der Menschenrechte in ihrer Abwehrfunktion, daß sie dem Individuum einen Freiraum sichern und den Zugriff der Staatsgewalt begrenzen. Die Schutzpflichten, die sie enthalten, haben nunmehr deklaratorischen Charakter. Sie umschreiben einen ohnehin etablierten Staatszweck, seine Voraussetzungen und seine Konsequenzen. Neu ist freilich auch hier, daß dieser Zweck durch Verfassungsgesetz förmlich sanktioniert, die Staatsgewalt normativ eingebunden, der Bürger über seinen Status belehrt wird." 85

Beides wird aber vertreten von Isensee, Fn.4, S. 162.

Die dogmatische Herleitung der Schutzpflichten in der Literatur

41

tuierende Gesetzgeber umzusetzen hatte.86 Insofern ist der Duktus von einer Wiederentdeckung der über die Eingriffsabwehr hinausgehenden Grundrechtsfunktionen berechtigt. In diesem Zusammenhang ist aber anzumerken, daß diese Grundrechte als Programmsätze und nicht als einklagbare Rechte gedacht waren. So wird der Grundrechtskatalog in Frankreich erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert als justitiabel betrachtet. Dies läßt die These von der "Wiederentdeckung" zumindest fragwürdig werden. Andererseits waren auch die als klassisch bezeichneten Grundrechte als Abwehrrechte nicht immer als einklagbare Rechte konzipiert. Zu dieser Erkenntnis führt bereits ein Blick auf die deutsche Staatsrechtstheorie des 19. Jahrhunderts. 87 Hier besteht also für die gegenwärtige Grundrechtsdiskussion immer noch verfassungstheoretischer und -historischer Klärungsbedarf. Insgesamt wird damit das historische Argument aber nicht wertlos. Es wird zu einem unterstützenden Element der Grundrechtsauslegung. Entgegen zum Teil anders lautenden Bemerkungen des BVerfG's haben historische Argumente innerhalb der Verfassungsauslegung auch ein bedeutendes Gewicht. Für die dogmatische Herleitung der Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten bedeutet dies, daß die ideengeschichtlichen These zwar nicht die tragende Säule der Begründung sein kann, wohl aber ein wichtiger Baustein dieser Säule. 2. Die Wortlaut-These Die Bedeutung der historischen Auslegung wird auch von anderen Auffassungen nicht verkannt. 88 Sie müsse aber zurücktreten, wenn sich schon aus dem Worlaut der Verfassungsvorschriften die über die klassische Grundrechtsfunktion hinausweisende Schutzpflichtendimension ergebe. So wird vertreten, daß sich schon aus dem Wortlaut der einzelnen Grundrechtsbestimmungen ihre Funktion als Konstitutiva staatlicher Schutzpflichten herleiten lasse, und daß diese Funktion gegenüber der abwehrrechtlichen Dimension sogar den Vorrang beanspruchen dürfe. Begründet wird diese Ansicht vor allem mit den 86

Siehe dazu Grimm: Rückkehr zum liberalen Grundrechtsverständnis? (1988), in: ders. \ Die Zukunft der Verfassung, Frankfurt/M. 1991, S.224 ff. 87

Insgesamt zur Grundrechtstheorie im 19. Jahrhundert vgl. Grimm: Deutsche Verfassungsgeschichte 1776-1866. Vom Beginn des modernen Vergfassungsstaates bis zur Auflösung des Deutschen Bundes, Frankfurt/M. 1988, S.132 ff; Willoweit. Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Teilung Deutschlands, München 1990, S.213 ff. 88

Bleckmann, Fn.66, S.941.

42

C. Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht

Ausdrücken "unantastbar" in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG und "unverletzbar" in weiteren Grundrechten: "Alle diese Vorschriften lassen nur den Schluß zu, daß die Grundrechte Werte darstellen, die gegen alle denkbaren Eingriffe ganz gleich aus welcher Richtung - umfasssend geschützt sind. ...Mit anderen Worten begründen die Grundrechte ihrem klaren Wortlaut nach primär eben nicht Abwehrrechte gegen den Staat. Sie schützen vielmehr einen gewissen Spielraum einer bestimmten Freiheit. Der Staat wird damit (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG) aufgerufen, dafür Sorge zu tragen, daß diese Freiheiten sich in der Verfassungswirklichkeit umfassend durchsetzen."89 Die Kritik an diesen Aussagen führt zurück zu den Bemerkungen zur Textanalyse des Grundgesetzes. Dort wurden diejenigen Grundrechtsbestimmungen aufgezählt, die schon von ihrem Wortlaut her einen klaren Schutzauftrag des Staates enthalten. Es wurde auch gezeigt, daß und warum aus den Bezeichnungen einzelner Grundrechte als "unverletzlich" oder "gewährleistet" nicht ohne weiteres ihr Schutzpflichtcharakter folgt. Daraus geht jedenfalls hervor, daß aus dem bloßen Wortlaut der Grundrechte - ohne Hinzunahme weiterer Auslegungsinstrumente - die Schutzpflichtendimension aller Grundrechte nicht hergeleitet werden kann. 90 Dem ist an dieser Stelle nichts hinzuzufügen. 3. Die Theorie vom Kern der Menschenwürde In kritischer Auseinandersetzung mit der vermeintlich dualistischen Begründungsstrategie des BVerfG's entwickelte sich eine weitere Ansicht zur Ableitung der grundrechtlichen Schutzpflichten. 91 Soll diesen Pflichten des Staates überhaupt der Status subjektiver Rechte zukommen, so könnten sie sich nicht auf die Grundrechte im allgemeinen beziehen. Subjektiv-rechtlich wirkende Schutzpflichten könnten auf "rechtsdogmatisch glatte(m) Wege" nur aus Art. 1 Abs. 2 Satz 2 GG hergeleitet werden. Nur hier spreche das Grundgesetz ausdrücklich von "schützen". Diese Herleitung verbiete zwar nicht die Annahme grundrechtlicher Schutzpflichten für alle Grundrechte. Der Schutzauftrag der einzelnen Grundrechte sei aber auf den "Würdeschutz

89

Bleckmann, Fn.66, S.941 f; Hervorhebungen vom Verf.

90

Dieser Zusammenhang wird auch von Isensee, Fn.4, S.150 erkannt: "Die Schutzpflicht ist gleichsam verschlüsselt. Nur wer den grundrechtsdogmatischen Code kennt, vermag die Entsprechungen im Grundrechtskatalog zu identifizieren und die Implikationen aufzulösen." 91

Starck, Fn.4, S.70 ff.

I. Die dogmatische Herleitung der Schutzpflichten in der Literatur

43

i.e.S." beschränkt.92 Insofern müsse Hder Würdekern dieser anderen Grundrechte herausisoliert werden... Es handelt sich dabei um eine Aufgabe, der das Bundesverfassungsgericht schon deshalb gewachsen sein muß, weil es Verfassungsänderungen im Grundrechtsbereich darauf zu überprüfen berufen ist, ob sie mit den Grundsätzen des Art. 1, also z.B. mit der Menschenwürdegarantie vereinbar sind (vgl. Art. 79 Abs. 3 GG)." 93 Die abweichende Sicht des BVerfG's und seiner Anhänger mißbrauche die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG als "Vehikel für den Schutz auch anderer grundrechtlich garantierter Rechtsgüter..."94 Dieser gewichtigen Position kann nicht entgegengehalten werden, daß sie selbst noch kein Differenzkriterium für die Unterscheidung zwischen dem Würdekern und dem weitergehenden Gehalt der einzelnen Grundrechte enthält. Die Lösung dieses Problems wird weder angestrebt noch behauptet. Zwar hätte die verfassungsdogmatische Literatur auch hier die Aufgabe, Vorarbeiten zu leisten; im Grunde obläge es aber dem BVerfG, entsprechende Kriterien zu entwickeln. Diese Theorie vom Würdekern der Grundrechte muß sich aber zumindest zwei Problemen stellen. Das erste liegt in der präzisen und konsensfahigen Konkretisierung dessen, was als Menschenwürdekern der einzelnen Grundrechte aufgefaßt werden kann. Auch wenn dieser Anspruch nicht erhoben wird, ist er an die Theorie vom Menschenwürdekern zu richten. Es darf prognostiziert werden, daß er nicht leicht einzulösen ist. Zum anderen ist zu klären, welchen eigenständigen Gehalt dieser Würdekern gegenüber der gesamten Menschenwürdekonzeption haben soll. Hier wäre zu klären, ob nicht der Würdekern mit der Menschenwürde insgesamt identisch ist. Sollte dies der Fall sein, würde auch diese Ansicht dazu führen, daß eine Ausgestaltung der Menschenwürde in Einzelgrundrechte überflüssig wäre. Der Theorie vom Würdekern als Quelle und Grenze der grundrechtlichen Schutzpflichten kann aber auch auf dem Boden der hier vertretenen Sichtweise der Grundrechte entgegengetreten werden. Diese Sichtweise muß aber in Auseinandersetzung mit dieser Theorie präzisiert werden. Wie bereits ausgeführt, kann die Menschenwürdegarantie - als oberster Rechtswert der geltenden Verfassung - zugleich als Bezugspunkt der Einzelgrundrechte angesehen 92

Starck, Fn.4, S.71.

93

Starck, Fn.4, S.71.

94

Starck, Fn.4, S.71. Hervorhebungen im Original.

4 4 C .

Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht

werden. Bilden die einzelnen Grundrechte demnach einen Entwurf zur Ausgestaltung der Menschenwürdegarantie, die ihrerseits die autonome Selbstbestimmung und Selbstwerthaftigkeit des Menschen zum Gegenstand hat, so kann es für die Bestimmung ihrer Schutzdimension nicht nur auf ihren Würdekern ankommen. Vielmehr ist gerade umgekehrt der Regelungsgehalt der einzelnen Grundrechtsnormierungen für die Reichweite der Schutzfunktion entscheidend. Sollten sich daneben Schutzlücken ergeben, ist auf die Menschenwürde zurückzugreifen. Unabhängig davon, ob sich dieser Ansatz in der verfassungsdogmatischen Diskussion wird bewähren können, läßt sich aus rein pragmatischer Sicht schon jetzt sagen, daß damit das Problem einer exakten Bestimmung des "Würdekerns" jedes einzelnen Grundrechts - zumindest im Bereich der Schutzpflichten - obsolet wird. 4. Die "abwehrrechtliche"Lösung Alle bisher erörterten Versuche der dogmatischen Herleitung grundrechtlicher Schutzpflichten waren sich in dem Punkte einig, daß sich diese Pflichten jedenfalls grundsätzlich von der abwehrrechtlichen, sog. klassischen Funktion der Grundrechte unterscheiden lassen. Dabei wurde teils den ersteren, teils den letzteren der geltungstheoretische Primat zugesprochen. Mit diesem Konsens des kleinsten gemeinsamen Nenners bricht die abwehrrechtliche Begründungsstrategie, die vor allem im Zusammenhang mit Problemen des Umweltschutzes und den Gefahren der modernen Technik entwickelt worden ist. 95 Die zugrundeliegende These lautet, daß es einer gesonderten Begründung staatlicher Schutzpflichten nicht bedürfe, da sich die entsprechenden Probleme dogmatisch bereits durch einen Rekurs auf die Abwehrfunktion der Grundrechte lösen ließen. 95

Soweit ersichtlich ist dieser Ansatz zunächst von Schwabe: Die sogenannte Drittwirkung von Grundrechten. Zur Einwirkung der Grundrechte auf den Privatrechtsverkehr, München 1971, ders.: Bundesverfassungsgericht und "Drittwirkung" der Grundrechte, AöR 100 (1975), S.442 ff und dann vor allem in ders.: Probleme der Grundrechtsdogmatik, Darmstadt 1977, S.213 ff entwickelt worden. Bedeutsam wurden im folgenden die Beiträge von Murswiek: Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik. Verfassungsrechtliche Grundlagen und immissionsschutzrechtliche Ausformung, Berlin 1985, sowie ders.: Entschädigung für immissionsbedingte Waldschäden, NVwZ 1986, S.611 ff und ders.: Zur Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflichten für den Umweltschutz, WiVerw 1986, S. 179 ff; Lübbe-Wolf: Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte. Struktur und Reichweite der Eingriffsdogmatik im Bereich staatlicher Leistungen, Baden-Baden 1988, S.69 ff. Ähnlich auch Suhr. Rechtsgutachten zum Waldsterben, in: ders.: Immissionsschaden vor Gericht - Dokumente zum Augsburger Waldschadensprozeß, Berlin 1986; in Betracht gezogen wird die abwehrrechtliche Lösung auch von v. Münch, Fn.41, Vorb. zu Art. 1-19, Rdnr. 22.

I. Die dogmatische Herleitung der Schutzpflichten in der Literatur

45

Ausgangspunkt des Argumtentes ist, daß der Staat eine Friedensordnung konstituiere und ihm daher das Gewaltmonopol zukomme. Darin sei impliziert, daß sich der einzelne Bürger nicht mehr selbst zu seinem Recht verhelfen dürfe, sondern auf staatliches Handeln zu seinem Schutz verwiesen sei. Daraus wird gefolgert, daß beeinträchtigende Handlungen von nichtstaatlicher Seite dann ohne Gegenwehr hinzunehmen seien, wenn sie nicht rechtlich verboten seien. Aus der Sicht des Betroffenen stelle sich das fehlende Verbot solcher Handlungen als Duldungspflicht dar. Diese Annahme setzt voraus, daß dem Staat faktische Grundrechtseingriffe von Dritten zugerechnet werden, wenn er sie nicht ausdrücklich untersagt hat: "Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter, die der Staat nicht verbietet, hat er bereits erlaubt. Und er hat den Betroffenen die Pflicht auferlegt, diese Beeinträchtigungen zu dulden."96 Wird den Grundrechtsträgern in diesem Sinne eine staatlich sanktionierte Duldungspflicht auferlegt, so bedarf es nur noch eines weiteren Schrittes, um aus dieser Duldungspflicht einen staatlichen Eingriff zu konstruieren: "Die staatliche Grundrechtseinschränkung liegt genau genommen nicht in der Genehmigung privater Eingriffe. Sie liegt in der Verpflichtung, solche Eingriffe zu dulden."97 Mit anderen Worten: der Staat, der Grundrechtseingriffe nicht verhindere, greife selbst ein. Dies werde z.B. an der Funktion des BImSchG deutlich. Wenn der Gesetzgeber darin etwa die Überschreitung bestimmter Immissionswerte verbietet, erlaube er damit zugleich eine Beeinträchtigung grundrechtsbewehrter Positionen mittels Handlungen, die unterhalb dieser Schwelle liegen. "Das Bundes-Immissionsschutzgesetz hat demnach nicht nur den in § 1 formulierten Zweck, vor Beeinträchtigungen zu schützen, sondern auch den Zweck, den Betrieb von Industrieanlagen, die Dritte beeinträchtigen, zu ermöglichen; es ist nicht nur Umweltschutzgesetz, sondern auch Umweltnutzungsgesetz ,.." 98 Wenn der Staat aber durch die Auferlegung einer Duldungspflicht zugleich in die Grundrechte der Betroffenen eingreife, so stelle sich das Schutzpflichtenproblem nur auf der abwehrrechtlichen Ebene. Denn staatliche Eingriffe seien ausschließlich an der klassischen abwehrrechtlichen Funktion der 96

Murswiek'. Zur Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflichten für den Umweltschutz, Fn.95 S.182. 97

Murswiek:. Die staatliche Verantworung, Fn. 87, S.91, ebenso Schwabe'. Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, Fn.95, S.149, ders.\ Probleme der Grundrechtsdogmatik, Fn.95, S.213. 98

Murswiek'.

Die staatliche Verantwortung, Fn.95, S.309.

4 6 C .

Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht

Grundrechte zu messen; eine weitergehende dogmatische Fundierung der Schutzpflichtenlehre sei insoweit überflüssig." Zur Unterstützung dieser Thesen wird sogar die Rechtsprechung des BVerfG's zur friedlichen Nutzung der Kernenergie in Anspruch genommen. 100 Eine genauerer Blick auf die einschlägigen Textpassagen erhellt jedoch die Fragwürdigkeit dieser Indienstnahme des BVerfG's. So hatte das Gericht zwar im Kalkar-Beschluß festgestellt, daß aufgrund der M Art und Schwere" der Gefahren dieser Technologie "bereits eine entfernte Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts genügen (müsse), um die Schutzpflicht des Gesetzgebers konkret auszulösen."101 Die Mülheim-Kärlich-Entscheidung hatte sodann aus diesen potentiellen Gefahren gefolgert, "daß die körperliche Integrität Dritter Gefährdungen ausgesetzt werden kann, die diese nicht beeinflussen und denen sie kaum ausweichen können. Damit übernehme der Staat seinerseits eigene Mitverantwortung für diese Gefährdungen." 102 Mehr als das Postulat einer gesteigerten Schutzpflicht des Staates in besonders gefährdeten Grundrechtsbereichen kann aus diesen Sätzen jedoch nicht entnommen werden. Zumal angesichts der übrigen, z.T. bereits geschilderten Rechtsprechung des BVerfG's zu den Schutzpflichten würde es eine wenig fundierte Überdehnung des Gehalts der beiden genannten Entscheidungen bedeuten, wollte man daraus herleiten, daß auch das BVerfG der abwehrrechtlichen Position zuneige. Im übrigen hat die abwehrrechtliche Theorie in der Literatur schon früh Kritik erfahren. 103 Vor allem drei zentrale Einwände sind geltend gemacht worden. Der abwehrrechtlichen Lösung ist vorgehalten worden, daß sie den strukturellen Unterschied zwischen Schutzpflichterfüllung und Verpflichtung zum Nicht-Eingriff verwische. Eine dogmatische Gleichbehandlung beider staatli-

99

Vgl. Murswiek: Die staatliche Verantwortung, Fn.95, S.107 f: "Dieselben Güter, welche die negatorischen Grundrechte gegen staatliche Eingriffe schützen, hat der Staat auch gegenüber Dritten zu gewährleisten." 100 Etwa Murswiek: Die staatliche Verantwortung, Fn.95, S.101 ff. 101

BVerfGE 49, 89 (142).

102

BVerfGE 53, 30 (58).

103

Einen guten Überblick geben Starck, Fn.4, S.73 f, und Dietlein, Fn.5, S.38 ff.

. Die dogmatische Herleitung der Schutzpflichten in der Literatur

47

eher Verpflichtungen nehme dem Begriff des staatlichen Eingriffs jegliche Kontur. 104 Der zweite Einwand ist wie folgt formuliert worden: "Die bloße Tatsache, daß eine Handlung nicht verboten und deshalb erlaubt ist, begründet weder eine Beteiligung des Staates an ihrem Vollzug noch eine Zurechnung ihres Vollzuges zum Staate."105 Quelle des Eingriffs sei und bleibe der handelnde Dritte. Eine staatliche Verantwortung für solche Eingriffe liege nur dann vor, wenn dem Staat eine Pflicht obliegt, sie zu unterbinden. "Damit ist aber die Pflicht , die Eingriffe zu unterbinden, der konstruktive Angelpunkt" 106 , und nicht eine vermeintliche Zurechnung der Handlungen Privater. Besonders schwer wiegt der dritte Einwand, der den Vorwurf der methodischen Inkonsistenz erhebt. Wenn dem Staat die schädigende Handlung eines Privaten als eigener Eingriff zugerechnet werden soll, so wird damit schon die Existenz einer entsprechenden Schutzpflicht logisch vorausgesetzt, die doch erst noch nachgewiesen werden sollte. Anders gewendet: die Pflicht zu einem aktiven Handeln des Staates ist eine logische Prämisse dafür, daß der Staat sich die Nicht-Abwehr privater Eingriffe zurechnen lassen muß. 107 Die Überzeugungskraft dieser Kritik ist offensichtlich und von den Vertretern der abwehrrechtlichen Theorie nicht einmal im Ansatz zurückgewiesen worden. Auch dieser Ansicht ist es daher nicht gelungen ist, die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten auf ein dogmatisch gesichertes Fundament zu stellen.

104

In diesem Sinne Schmidt-Aßmann : Anwendungsprobleme des Art. 2 Abs. 2 GG im Immissionsschutzrecht, AöR 106 (1981), S.215; Hermes , Fn.24, S.95. 105

Alexy: Fn.14, S.417.

106

Alexy , Fn.14, S. 417, Hervorhebungen im Original. Ebenso Stern , Fn.21, S.730; Hermes , Fn.24, S.76 f; Robbers , Fn.22, S.128 ff und H.H. Klein , Fn.3, S.1639. 107 Mit bemerkenswerter Klarheit hat Starck , Fn.4, S.74 diesen Einwand formuliert: "Die Gleichsetzung von Gestattung bzw. Nichtabwehr privater Eingriffe und staatlichem Eingriff setzt das Zubeweisende voraus. Die Antwort auf die Frage, ob sich der Staat das Verhalten des Privaten als eigenen, grundrechtlich abwehrbaren Eingriff zurechnen lassen muß, setzt logisch nicht nur eine Pflicht des Staates zu aktivem Handeln voraus, sondern auch ein dieser Pflicht entsprechendes Recht des durch das Verhalten des Privaten Greschädigten gegenüber dem Staat." Bezüglich der logischen Inkonsistenz ebenso Alexy , Fn.14, S.417; Robbers , Fn.22, S.125 f; Hermes , Fn.24, S.97; Stern , Fn.21, S.947; Dietlein, Fn.5, S.39 ff.

4 8 C .

Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht

5. Grundrechtsschranken

und Sozialstaatsprinzip

Eine ganz andere These der dogmatischen Herleitung von Schutzpflichten bedarf noch der Erwähnimg. 108 Sie besagt, daß sich staatliche Verpflichtungen zum Tätigwerden bereits aus den Schrankenbestimmungen der Grundrechte begründen ließen. Es sei "nicht zu übersehen, daß auch die Beschränkung von Grundrechten unmittelbar durch die Verfassung oder aufgrund verfassungsrechtlicher Ermächtigung an den Gesetzgeber nicht nur "negativ" rechtsbegrenzende Wirkung, sondern - "auf der anderen Seite" - "positive", begünstigende Rechtswirkungen hat, nämlich zugunsten der Rechtsgüter, die die Schrankenregelungen tatbestandsmäßig ausfüllen." 109 Diese begünstigende Funktion sei gleichsam "reflexartig" 110 in den Grundrechtsschranken angelegt, zugleich aber auf "qualifizierte" Grundrechtsschranken - wie etwa Art. 13 Abs. 1 und 3 GG - beschränkt. 111 Flankiert wird diese Ansicht mit dem Hinweis auf das Sozialstaatsprinzip. "Selbst wenn man der Ansicht ist, daß mit der Zuweisung von Aufgaben noch keine Pflicht zum Handeln verbunden ist, so ergibt sich diese Verpflichtung nach dem Grundgesetz aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG); denn das ist das Minimum, das man dem Sozialstaatsprinzip entnehmen kann: das Gebot an alle staatlichen Gewalten, zu handeln - der Inhalt dieser Verpflichtung ergibt sich aus anderen Verfassungsbestimmungen." 112 Die Ableitung von Schutzpflichten folge also aus einer Kombination des Gehaltes der Grundrechtsschranken mit der sozialstaatlichen Verpflichtung zu staatlichem Tun. Vereinzelt erfolgt eine Begründung der grundrechtlichen Schutzpflichten auch ohne Rekurs auf die Theorie der Grundrechtsschranken aus dem Sozialstaatsprinzip. Die Forderung nach staatlichen Schutzmaßnahmen stellt sich nach dieser Ansicht als Verlangen nach einer staatlichen Leistung dar, die im Sinne des Sozialstaatsprinzips eine Umgestaltung der „soziale(n) Ordnung als System innergesellschaftlicher (zwischenbürgerlicher) Beziehungen zugunsten

108

Seewald: Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, Königstein/Ts. 1981, S.79 ff,

141 ff. 109

Seewald, Fn.108, S.80.

110

Seewald, Fn.108, S.80.

111

Seewald, Fn.108, S.81.

112

Seewald, Fn.108, S.81 f; ebenso S.145.

I. Die dogmatische Herleitung der Schutzpflichten in der Literatur

49

einzelner anspruchsberechtigter Bürger und zu Lasten dritter Bürger" bewirke. 1 1 3 Diese Argumentationen sind in der anderweitigen Literatur bisher wenig beachtet worden. Dies mag auch an den beiden zentralen Einwänden liegen, die gegen sie vorgebracht werden können. Zum einen ist in methodischer Hinsicht nicht einzusehen, warum aus den Schrankenbestimmungen der Grundrechte das Postulat staatlicher Aktivität folgen soll. Nach allgemeinem Verständnis enthalten diese Bestimmungen Befugnisse zu Eingriffen in den Schutzbereich der jeweiligen Grundrechte. Der Gesetzgeber wird ermächtigt, in bestimmte grundrechtsbewehrte Rechtspositionen - ggf. zu bestimmten Zwecken - einzugreifen. Der Umkehrschluß von einer solchen Befugnis auf eine korrespondierende Verpflichtung, die Rechtsgüter "qualifizierter" Grundrechtsschranken zu schützen, ist von diesem Standpunkt aus unzulässig. Insoweit handelt es sich bei den Schrankenbestimmungen auch nicht um "Aufgaben" des Staates. Zum anderen vermag auch der Versuch, diese Theorie unter Hinweis auf das Sozialstaatsprinzip zu bekräftigen, nicht zu überzeugen. Dieses Prinzip ist zwar auf staatliches Handeln ausgerichtet. Sofern aber überhaupt von konkreten Gehalten gesprochen werden kann, so verpflichtet das Sozialstaatsprinzip die Staatsgewalt, primär den Gesetzgeber, soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit im Wege materieller Umverteilung herzustellen. Das Anliegen der Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten besteht im Gegensatz dazu in der Gewährleistung, bzw. Konservierung bestehender Rechtsgüter und nicht in einer Verbesserung der materiellen Lebensumstände im Sinne der Leistungsrechte. 114 Zwar kann es in Ausnahmefällen innerhalb des Schutzbereiches einzelner Grundrechte oder in Verbindung mit Grundrechten als Grundlage für Ansprüche auf staatliche Leistungen fungieren; somit ist es durchaus in der Lage, die Auslegung von Grundrechten zu beeinflussen. 115 Insgesamt ist die Kontur des Sozialstaatsprinzips aber ähnlich unklar wie die Theorie vom Kerngehalt der Menschenwürde. Insofern sprechen zumindest pragmatische

113

Roßnagel: Grundrechte und Kernkraftwerke, Berlin 1979, S.51 f.

114

Vgl. Pietrzak, Fn.l, S.749: „Ziel ( der Schutzpflichten) ist die Abwehr von Beeinträchtigungen, nicht die faktische Ermöglichung rechtlich garantierter Ausübung von Grundrechten." 115

Vgl. v. Münch, Fn.41, Vorb., Rdnr. 21. Als Beispiel kann das Numerusclausus-Urteil = BVerfGE 33, 303 ff dienen. 4 Unruh

50

C. Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht

Gründe dafür, die dogmatische Herleitung der Schutzpflichten nicht auf dieses Prinzip zu stützen. IV. Die Kritik an der Wertordnungsrechtsprechung des BVerfG's Der Überblick über die in der Literatur vertretenen Ansichten zur Begründung grundrechtlicher Schutzpflichten konnte keine grundsätzlichen Zweifel an der Auffassung des BVerfG's hervorrufen. Nach wie vor scheint die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte die sedes materiae der dogmatischen Herleitung der Schutzpflichten zu sein. Eine Wendung könnte indes dann eintreten, wenn es gelänge, die Berechtigung dieser Grundrechtsfunktion generell in Frage zu stellen. Entsprechende Versuche sind in der Literatur schon früh unternommen worden. Die Kritik reicht vom Vorwurf der fehlenden dogmatischen Stringenz 116 über die Befürchtung, daß Grundrechte mit dieser Interpretation in Eingriffskompetenzen verkehrt würden 117 , bis hin zu der Annahme, daß aufgrund der inhaltlichen Unbestimmtheit der Wertordnung ein reiner Wertungssubjektivismus die juristische Argumentation überlagern werde. 118 Die entsprechende Diskussion kann hier nicht in allen ihren Facetten nachgezeichnet werden. Dennoch sollen die beiden zentralen Kritikpunkte erörtert werden: der Rekurs auf ein Wertesystem und der Vorwurf der Tendenz zum Jurisdiktionsstaat. 1. Die Kritik am vermeintlichen Rekurs aufwerte Im bereits mehrfach erwähnten Lüth-Urteil hat das B VerfG festgestellt, daß das Grundgesetz keine "wertneutrale Ordnung sein will" und "in seinem Grundrechtsabschnitt eine objektive Wertordnung aufgerichtet" habe; insofern werde ein "Weitsystem" konstituiert. 119 Im weiteren Fortgang der Entscheidung wird diese Wertordnung als "Weitrangordnung" charakterisiert, die

116

Witte: 1989, S.40.

Staatshaftung bei gentechnisch veränderten Mikroorganismen, Köln

117

Goerlich: Nachbarschutz durch Verfahrensrechte - Zur Entwicklung formeller Rechte gegen Verfahrensfehler zu Lasten Dritter, DÖV 1982, S.633. 118

Schlink: Freiheit durch Eingriffsabwehr - Rekonstruktion der klassischen Gnindrechtsfunktion., EuGRZ 1984, S.463. 119

BVerfGE 7,198(205).

IV. Die Kritik an der Wertordnungsrechtsprechung des B VerfG's

51

gegebenenfalls eine "Abwägung" erforderlich mache.120 Die Motive des Gerichts für diese Erweiterung der abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte und deren Benennung als Wertordnung können dahinstehen.121 An dem Terminus des "Wertes" hat sich jedenfalls eine lebhafte Kritik entzündet.122 Neben Einwänden gegen die philosophische Begründbarkeit objektiver Werte ist vor allem der Vorwurf des Rationalitätsverlustes bedeutsam. Die Bezugnahme auf Werte mache eine rationale (juristische) Begründung von Entscheidungen unmöglich, da so letztlich jedes Ergebnis gerechtfertigt werden könne. 123 Insoweit ist von einer "Tyrannei der Werte" 124 und einer "Auflösung des Verfassungsgesetzes" 125 die Rede. Im übrigen wird die Annahme einer "Wertrangordnung" kritisiert. Es sei nicht ersichtlich, wie sich eine solche Rangordnung aus den Normierungen des Grundrechtsabschnittes mit hinreichender Sicherheit herausarbeiten ließe. 126 Alle drei genannten Einwände können die Auffassung des BVerfG's nicht im Grundsatz erschüttern. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, daß das Gericht die Terminologie bei der Fortentwicklung seiner einschlägigen

120

BVerfGE 7,198(215).

121

Siehe dazu Jarass, Fn.24, S.365.

122

Einen guten Überblick über die diesbezüglichen Einwände gibt Alexy, Fn.14, S. 134 ff. 123

So Goerlich: Wertordnung und Grundgesetz, Baden-Baden 1973, S.64, 133, 189; ebenso Forsthoff'. Der Staat der Industriegesellschaft. Dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., München 1971, S.69 und ders.: Zur heutigen Situation der Verfassungslehre, in: Barion, Hans / Böckenförde, Ernst-Wolfgang / Forsthoff, Ernst / Weber, Werner (Hrsg.), Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt, Berlin 1968, S.209. Kritisch gegenüber dem Rekurs aufwerte auch Preuß: Die Internalisierung des Subjekts. Zur Kritik der Funktionsweise des subjektiven Rechts, Frankfurt/M. 1979, S.151 ff und Schlink: Abwägung im Verfassungsrecht, Berlin 1976, S. 127 ff. 124

So der Titel des Beitrags von C. Schmitt: Die Tyrannei der Werte, in: Doehring, Karl (Hrsg.), Säkularisation und Utopie. Festschrift für E. Forsthoff, München 1967. 125

So Forsthojf. Die Umbildung des Verfassungsgesetzes (1959), abgedr. in: Dreier/Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation. Dokumentation einer Kontroverse, Baden-Baden 1976, S.65. 126

4*

Schlink, Fn.123, S.134 f. Siehe ànxzuAlexy, Fn.14, S.138 mwN.

52

C. Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht

Rechtsprechung wiederholt gewechselt hat und in diesem Zusammenhang auch von ''Grundprinzipien", "objektiven Prinzipien" u.a gesprochen h a t . 1 2 7 Dem BVerfG kann auch kein Rückgriff auf eine bestimmte materiale Werttheorie - etwa i m Scheler'schen Sinne - unterstellt werden. 1 2 8 Vielmehr hat sich das Gericht selbst i n seiner Rechtsprechung der letzten Jahrzehnte um eine juristische Operationalisieibarkeit des Wertbezuges bemüht. 1 2 9 I n grundrechtsdogmatischer Hinsicht konnte zudem überzeugend nachgewiesen werden, daß sich das Konzept der Werttheorie des BVerfGs substantiell von diesen Einwänden abheben kann, wenn sie als Prinzipientheorie formuliert wird. Danach gelten Grundrechte vor allem als Optimierungsgebot e . 1 3 0 Dieser Prinzipiencharakter, der nur ein Teil des "Doppelcharakters" 131 der Grundrechte sein soll, bezieht sich allerdings nur auf die Fälle, i n denen Grundrechtskollisionen, also die sogenannten "Dreiecksfalle" im obigen Sinne

127 Vgl die Nachweise bei Jarass, Fn.24, S.367 und Alexy: Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen (1990), abgedr. in: ders.: Recht, Vernunft, Diskurs. Studien zur Rechtsphilosophie, Frankfurt/M. 1995, S.265. 128

Die Unvermeidbarkeit von Werten im Recht hat u.a. Starck. Zur Notwendigkeit einer Wertbegründung des Rechts, in: R. Dreier (Hrsg.), Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts. Vorträge der Tagung der deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1990, S.47 ff überzeugend vorgetragen. 129 Vgl dazu Hesse: Die Bedeutung der Grundrechte, in: Benda, Ernst / Maihofer, Werner / Vogel, Hans-Jochen (Hrsg.), HdBVerfR, 2. Aufl., Berlin / New York 1994, S.137 (Anm. 26): „Für die Interpretation einzelner Grundrechte war der Gedanke des 'Wertsystems' ein (in gewisser Weise heuristischer) Ansatz angesichts einer Lage, in der es noch weitgehend an einer Erarbeitung des konkreten normativen Inhalts und der Tragweite der Einzelgrundrechte, ihres Verhältnisses zueinander und der Voraussetzungen ihrer Begrenzung fehlte. Diese Erarbeitung ist das Werk der seitherigen, im ganzen kontinuierlichen Rechtsprechung gewesen; sie hat einen festen Bestand von Gesichtspunkten und Regeln entwickelt, der es ermöglicht, einzelne Grundrechtsfragen mit Hilfe eines angemessenen juristischen Instrumentariums zu entscheiden und den unvermittelten Rückgriff auf 'Werte' weitgehend zu vermeiden." 130

Alexy, Fn.14, S.122 ff; trotz vermeintlicher Kritik im Ergebnis ebenso Sieckmann: Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, Baden-Baden 1990. 131

Siehe dazu Alexy, Fn.14, S.122 ff. Hier zeigt Alexy, daß Grundrechte auch Regelcharakter haben können.

IV. Die Kritik an der Wertordnungsrechtsprechung des BVerfG's

53

vorliegen. 132 Optimierungsgebote werden ihrerseits dadurch definiert, "daß sie in unterschiedlichen Graden erfüllt werden können und daß das gebotene Maß ihrer Erfüllung nicht nur von den tatsächlichen, sondern auch von den rechtlichen Möglichkeiten abhängt."133 Die entsprechende Begründung kann hier nicht in allen Einzelheiten rekonstruiert werden; im Zweifel dürfte sie hinlänglich bekannt sein. 134 Mit der Unterscheidung des Aussagewertes von Prinzipien und Werten ("Prinzipien sagen, was prima facie gesollt, Werte, was prima facie gut ist." 1 3 5 ) und dem Nachweis, daß das vom BVerfG Gemeinte jenseits aller terminologischer Unklarheiten - mit der Prinzipientheorie im Kern übereinstimmt, läßt sie zumindest die auf die Werthaftigkeit bezogene Kritik an der "Werttheorie" ins Leere laufen. 2. Das Gewaltenteilungsargument Das bedeutendste Argument gegen die Erweiterung der "klassischen" Grundrechtsfunktion um die objektiv-rechtliche liegt in dem Bedenken, daß sich das Verfassungsgefüge durch die Fortentwicklung der Grundrechtstheorie grundlegend verändern könnte, und daß diese Veränderung der Normativität und den inhaltlichen Grundintentionen des Grundgesetzes zuwiderlaufe. Dieser Vorwurf enthält drei Teilargumente: ein rechtsdogmatisches, ein staatstheoretisches und ein verfassungstheoretisches. Das erste wendet sich gegen den Prinzipiencharakter der Grundsatznormen. Mit dem implizierten Optimierungsgebot würden "Unbestimmtheit, Beweglichkeit und Dynamik" in die Verfassungsinterpretation gebracht. Die Grund-

132

Diese Einschränkung wird im Fortgang der Untersuchung noch bedeutsam werden. Denn es ist keineswegs ausgemacht, daß auch die Schutzpflichten als Prinzipien in diesem Sinne mit der ihnen innewohnenden Verwirklichungstendenz anzusehen sind. 133

Alexy, Fn.14, S.76.

134 Ygi xiexyy Fn.14, S.71 ff. Zur Kritik an der Prinzipientheorie Alexys siehe u.a. Habermas: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt/M. 1992, S.254 ff. 135 Alexy, Fn.127, S.270; sein Resümee, ebd., lautet daher zurecht: "Die Prinzipientheorie kann deshalb als von unhaltbaren Annahmen gereinigte Werttheorie angesehen werden".

5 4 C .

Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht

rechtsanwendung würde zur "Konkretisierung" und damit die Verfassungsrechtsprechung im Ergebnis zu Verfassunggebung. 136 Das staatstheoretische Teilargument beklagt, daß die Grundrechte im Gefolge der "Wertordnungsrechtsprechung" zu obersten Prinzipien der Rechtsordnung würden. Damit erhielten sie den Status von Staatsaufgaben, und die Verfassung würde so von einer Rahmenordnung des Staates zur "rechtlichen Grundordnung des Gemeinwesens."137 Aus verfassungstheoretischer Sicht stehe zu befürchten, daß das vom Gewaltenteilungskonzept des Grundgesetzes gewollte Verhältnis zwischen Legislative und (Verfassungs-) Gerichtsbarkeit wesentlich verändert werde. "Wer die maßgebliche Funktion des vom Volk gewählten Parlaments für die Rechtsbildung festhalten, einen fortschreitenden Umbau des Verfassungsgefüges zugunsten eines verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaates vermeiden will, muß daran festhalten, daß die - gerichtlich einforderbaren - Grundrechte "nur" subjektive Freiheitsrechte gegenüber staatlicher Gewalt und nicht zugleich (verbindliche) objektive Grundsatznormen für alle Bereiche des Rechts sind." 138 Der Kern dieses Argumentes liegt in der Annahme, daß sich die Gewichte zwischen der politischen Gestaltungsfreiheit des parlamentarischen Gesetzgebers und der (Verfassungs-) Rechtsprechung durch die Entwicklung der Grundrechte von Abwehrrechten zu Grundsatznormen einseitig zugunsten der Judikative verlagern. 139 Diese Argumente wiegen schwer; sie sind aber im Ergebnis nicht durchschlagend. So kann dem rechtsdogmatischen Argument entgegengehalten werden, daß jede Auslegung - und dies gilt für die Verfassungsinterpretation in besonderem Maße - von Argumentationen abhängig ist. In diesem Zusammenhang kann auf argumentations-, bzw. diskurstheoretische Konzeptionen verwiesen werden. Ihnen ist es gelungen, geeignete Rationalitätsstandards zu

136

Böckenförde: Grundrechte als Grundsatznormen. Zur gegenwärtigen Lage der Grundrechtsdogmatik (1990), in: ders.: Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt/M. 1991, S. 184 ff. 137

Böckenförde, Fn.136, S. 187 ff.

138

Böckenförde, Fn.136, S.194. Hervorhebungen vom Verf.

139 Ygi Böckenförde, Fn.136, S. 190: "In diesem Konkuurenzverhältnis hat der Gesetzgeber die Vorhand, das Verfassungsgericht aber den Vorrang." Unabhängig von der abschließenden Bewertung dieses Argumentes läßt sich sagen, daß Böckenförde hier ein Grundproblem der gesamten Schutzpflichtenlehre offenlegt.

IV. Die Kritik an der Wertordnungsrechtsprechung des BVerfG's

55

entwickeln, die es auch erlauben, die Realisierung von Grundrechten als Optimierungsgeboten zu operationalisieren. 140 Gegen die Gleichsetzung von Verfassungsinterpretation und Verfassunggebung läßt sich einwenden, daß das BVerfG in seiner Tätigkeit ausschließlich an die Verfassung gebunden ist. Es erfolgt also nicht etwa eine Bindung an seine eigene Rechtsprechung, die zwar gem. § 31 BVerfGG Bindungs- und Gesetzeskraft, nicht aber Verfassungsrang erlangen kann. 141 Dem staatstheoretischen Argument, das sich bei genauer Betrachtung als ein verstecktes Totalitarismus-Argument 142 im Sinne der erwähnten Kritik von der "Tyrannei der Werte" erweist, ist in erster Linie mit dem Hinweis zu begegnen, daß eine auf der Garantie von Menschenwürde basierende und im übrigen auf Freiheit und Gleichheit angelegte Verfassungsordnung diesem Vorwurf keine Nahrung gibt. Der Status der Grundreche als oberster Prinzipien - neben und aus der Menschenwürde - ergibt sich bereits aus Art. 1 Abs. 3 GG. Im übrigen kann hier auch die Geltungskraft des oben erörterten ideengeschichtlichen Argumentes herangezogen werden, das zurecht in Frage stellt, ob die rein abwehrrechtliche Dimension stets die einzig gültige Funktion der Grundrechte im demokratischen Verfassungsstaat war. 143 Die Abgrenzung der Kompetenzbereiche von Gesetzgeber und BVerfG ist seit einiger Zeit Gegenstand einer lebhaften Diskussion, die sich u.a. am Stichwort "Kontrolldichte" festmachen läßt. Diese Diskussion ist nicht abgeschlossen. Im Hinblick auf die hier behandelte Problematik lassen sich zumindest zwei Aspekte gegen das verfassungstheoretische Argument vorbringen. Zum einen gelingt es der Literatur zunehmend, ein Konzept für die sogenannte funktionell-rechtliche Begrenzung der Verfassungsgerichtsbarkeit zu ent-

140 Siehe etwa Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, Frankfurt/M. 1978; ders., Fn.14, S.79 ff ; Buchwald: Der Begriff der rationalen juristischen Begründung. Zur Theorie der juridischen Vernunft, Baden-Baden 1990. 141

Diese und weitere Gründe gegen die von Böckenförde befürchtete Gleichsetzung finden sich bei Heun: Funktionell-rechtliche Schranken der Verfassungsgerichtsbarkeit. Reichweite und Grenzen einer dogmatischen Argumentationsfigur, BadenBaden 1992, S.58 ff. 142

In diese Richtung weisen auch die Bedenken von Denninger, in: Wassermann, Rudolf (Hrsg.), Alternativkommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 2.Aufl., Darmstadt 1989, vor Art. l,Rdnr. 29. 143

Siehe dazu oben II., 3. a).

5 6 C .

Die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht

wickeln. 144 Zum anderen bestimmt sich die Kompetenz des BVerfG's nicht nur nach materiellen, sondern auch nach formellen, gegenläufigen Prinzipien. "Zu letzteren zählt vor allem das der Entscheidungskompetenz des demokratisch legitimierten Gesetzgebers."145 Nach Maßgabe dieser Einschränkungen verliert der Gewaltenteilungseinwand weitgehend seine Bedeutung. 3. Ergebnis Diese kursorische Auseinandersetzung mit dem Streitstand zur "Wertordnungstheorie" führt nicht zu einer Abkehr von der Rechtsprechung des BVerfG's. Unabhängig von seinen dogmatischen und verfassungstheoretischen Implikationen ist dieses Ergebnis auch aus verfassungspolitischer Sicht zu begrüßen. Die Entwicklung der Wirklichkeit des demokratischen Verfassungsstaates hat gezeigt, daß seine Bürger in weiten Bereichen ihres Lebens auf solche Grundrechtsfunktionen elementar angewiesen sind, die die reine Abwehrdimension übersteigen.146 Gerade die Verweigerung der in der objekiven Dimension angelegten Schutzfunktion der Grundrechte könnte jene Gefahren für den Verfassungsstaat heraufbeschwören, vor denen die Verfechter einer rein liberalen Grundrechtstheorie warnen. Im übrigen muß (nochmals) darauf hingewiesen werden, daß die objektivrechtliche und damit auch die Schutzfunktion der Grundrechte als "Verstärkung der Geltungskraft" der abwehrrechtlichen Dimension der Grundrechte verstanden werden muß. Denn auch nach der Rechtsprechung des 144 Siehe dazu etwa Schuppen: Funktionell-rechtliche Grenzen der Verfassungsinterpretation, Königstein/Ts. 1980, Hesse: Funktionelle Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit (1981), in: ders., Ausgewählte Schriften, Berlin 1984, S.311 ff; Heun, Fn.141; Bryde: Verfassungsentwicklung. Stabilität und Dynamik im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 1982, S.325 ff. 145 146

Alexy, Fn.127, S.280.

So auch Grimm, Fn.80, S.230: "Nimmt man ...die Grundrechte als ranghöchste Inhaltsnormen der Rechtsordnung ernst, dann können sie sich nach dem Auftreten der Sozialen Frage nicht mehr darin erschöpfen, den Staat auf Distanz zu halten, sondern müssen ihren Schutz auch auf die materiellen Voraussetzungen des Freiheitsgebrauchs und die von der Gesellschaft selbst drohenden Freiheitsgefahren erstrecken." Diese Folgerung zieht Grimm im Fortgang seiner Ausführungen, S.231 ff auch aus der zunehmenden Komplexität der gesellschaftlichen Strukturen und Funktionen; ähnlich Hesse, Fn.129, S.127f. Gegen Böckenförde auch Jeand'Heur. Grundrechte im Spannungsverhältnis zwischen subjektiven Freiheitsgarantien und objektiven Grundsatznormen, JZ 1995, S.161 ff.

IV. Die Kritik an der Wertordnungsrechtsprechung des BVerfG's

57

BVerfG's "sind die Grundrechte in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; sie sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat." 1 4 7 Der abwehrrechtliche Primat der Grundrechte wird durch die Erweiterung der Grundrechtsfunktionen nicht angetastet. 148 Insgesamt kann festgehalten werden, daß die Ableitung grundrechtlicher Schutzpflichten aus der objektiv-rechtlichen Dimension zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Diskussion als plausibel zu gelten h a t . 1 4 9 Die Fragen nach dem Anspruchscharakter und des (justitiablen) Umfangs der Schutzpflichten sind damit jedoch noch nicht gelöst.

147

BVerfGE 7,198 (204). In diesem Sinn führt Hesse, Fn.129, S.138 (Anm.27) aus: „ (Es) dürfen gewisse Gefahren dieser (Wertordnungs-) Rechtsprechimg nicht verkannt werden. Diese müssen entstehen, wenn die Grundrechte, einer verbreiteten Tendenz entsprechend, als Kern der gesamten Rechtsordnung verstanden werden, mit der Konsequenz, daß jede Rechtsfrage im Prinzip zu einer Grundrechtsfrage werden kann, über die letztlich das Verfassungsgericht zu entscheiden. Hier kommt es darauf an, sozusagen die Kirche im Dorf zu lassen und festzuhalten, daß die Grundrechte geschichtlich wie auch heute nicht etwa den Inhalt der allgemeinen Rechtsordnung in Grundlinien vorzeichnen; sie enthalten vielmehr nach wie vor einzelne punktuelle Gewährleistungen, welche dem Schutz elementarer, besonders gefährdeter Voraussetzungen eines Lebens in Freiheit und menschlicher Würde gelten. Darauf beschränkt sich ihre - vor allem für den Gesetzgeber maßgebende - rechtliche Leitfunktion." Zur abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte siehe auch Jarass: Bausteine einer umfassenden Grundrechtsdogmatik, AöR 120 (1995), S.347 ff. 148

149

Ebenso Pietrzak, Fn.l, S.749: „Die Schutzpflicht als Handlungsmaxime läßt sich ...schlüssig aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte, aus den Prinzipiennormen mit Verwirklichungstendenz erklären."

D. Schutzpflichten als subjektive Rechte Der Status grundrechtlicher Abwehrrechte als subjektive, vor dem BVerfG einklagbare Rechte steht außer Frage. Dies ist bei den grundrechtlichen Schutzpflichten nicht so. Überlegenswert ist eine Differenzierung deshalb, weil es bei den beiden Grundrechtsfunktionen jeweils um unterschiedliche Folgewirkungen geht. Wird ein Abwehrrecht verletzt, so läßt sich durch das BVerfG relativ klar feststellen, daß sich die handelnde Staatsgewalt des Eingriffs zu enthalten habe. Die Verletzung der Schutzpflichten kommt hingegen erst durch ein staatliches Unterlassen zustande und kann demzufolge nur durch ein Tätigwerden des Staates behoben werden. 150 Die Subjektivierung staatlicher Handlungspflichten ist bestritten worden. Die erforderliche Diskussion der beteiligten Positionen wird durch den Umstand entlastet, daß nach den bisher gewonnenen Ergebnissen von der dogmatischen Herleitung der Schutzpflichten aus der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte ausgegangen werden kann. L Die Judikatur des BVerfG's Das BVerfG hat zum Status der Schutzpflichten als subjektiver Rechte noch nicht eindeutig Stellung bezogen. Er wurde vielmehr in mehreren Entscheidungen ausdrücklich offengelassen. 151 Die Subjektivierung der Schutzpflichten ist aber in der Judikatur des Gerichts angelegt. Eine Reihe von Entscheidungen wäre ohne eine entsprechende Prämisse anders ausgefallen. Die Tendenz des Gerichts, ein subjektives Recht auf die Erfüllung von Schutzpflichten anzuerkennen, läßt sich an seiner Haltung zu entsprechenden Verfassungsbeschwerden verfolgen. So wurden auf die Verletzung solcher 150

Zu dieser Lokalisierung der Rechtsschutzproblematik siehe auch Hesse, Fn.57,

S.543 f. 151

Etwa in BVerfGE 39, 316 (326). Auch in den beiden Abtreibungsurteilen (BVerfGE 39, 1 ff; 88, 203 ff) wurde diese Frage nicht erörtert da es sich jeweils um abstrakte Normenkontrollverfahren handelte.

II. Argumente gegen die Subjektivierung

59

Pflichten gestützte Verfassungsbeschwerden im Mülheim-Kärlich-Beschluß 152 und in der Fluglärm-Entscheidung153 zugelassen. Besonders deutlich wird die Zulässigkeit in der C-Waffen-Entscheidung ausgesprochen.154 Ein Teil der verhandelten Verfassungsbeschwerden wurde hier nur deshalb für unzulässig erklärt, weil sie die Anforderungen an eine schlüssige Begründung einer Schutzpflichtverletzung nicht erfüllten. Diese Erfordernisse hat das Gericht u.a. wie folgt umschrieben: "Um den Anforderungen an die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde zu entsprechen, die auf eine Verletzung der sich aus dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebenden Schutzpflicht gestützt wird, muß der Beschwerdeführer schlüssig dartun, daß die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen hat oder daß offensichtlich die getroffenen Regelungen und Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzureichend sind, das Schutzziel zu erreichen." 155 Die anderen in diesem Verfahren anhängigen Verfassungsbeschwerden hatten diese Bedingungen erfüllt und waren folgerichtig für zulässig erklärt worden. IL Argumente gegen die Subjektivierung Einige Stimmen in der Literatur wenden sich gegen eine Subjektivierung der Schutzpflichten. 156 Soweit sie nicht von dem hier vertretenen Ableitungszusammenhang zwischen diesen Pflichten und der objektiv-rechtlichen Di-

152

BVerfGE 53, 30 ff. E. Klein, Fn.3, S.1636 f hat daraufhingewiesen, daß sich diese Entscheidung jedenfalls nicht ohne weiteres als Anerkennung eines subjektiven Rechts deuten läßt. Da dem Staat nämlich für das Gefahrdungspotential der friedlichen Nutzung der Kernergie eine gewisse "Mitverantwortung" zugesprochen wurde, könnte es sich hier auch um einen Abwehranspruch handeln. Diese Bedenken können aber unter Hinweis darauf zerstreut werden, daß das Gericht in seiner Entscheidung zur Sache ausschließlich die Verletzung einer staatlichen Schutzpflicht prüft, vgl. BVerfGE 53, 30 (57 ff). 153

BVerfGE 56, 54 ff.

154 BVerfGE 77, 170 ff. Zu der Entwicklung dieser Rechtsprechung siehe Jarass, Fn.24, S.379 ff;£. Klein, Fn.3, S.1636 f; Isensee, Fn.4, S.238 f. 155 156

BVerfGE 77, 170(215).

Soweit bei dieser Frage überhaupt von einer herrschenden Meinung gesprochen werden kann, so neigt sie sich eher der Subjektivierungsthese zu, vgl. die Nachweise bei Robbers, Fn.22, S.122 und Isensee, Fn.4, S.239. Eine vermittelnde Meinung vertritt Badura: Staatsrecht, München 1986, S.79.

60

D. Schutzpflichten als subjektive Rechte

mension der Grundrechte ausgehen, bleiben sie außer Betracht. Von Bedeutung sind dann vor allem zwei Argumente. 1. Der methodologische Einwand Unter Hinweis auf die genannte C-Waffen-Entscheidung des BVerfG's wurde moniert, es sei nicht ersichtlich, wie die objektiv-rechtlich Dimension der Grundrechte mit der Versubjektivierung der entsprechenden objektiven Grundrechtsgehalte vereinbart werden könne. 157 Diese "Mutation" werde auch vom BVerfG nicht begründet, sondern schlicht vorausgesetzt: "(D)as Mutations-Konzept bleibt jeden Beweis dafür schuldig, warum aus der objektiv-rechtlichen Seite der Grundrechte, die neben deren primärer Bedeutung als subjektiver Rechte besteht, nun nochmals wiederum subjektive Rechte folgen sollen." 158 2. Das Inversionsargument Im Sondervotum zum ersten Abtreibungsurteil, verfaßt von der Richterin am BVerfG Rupp-v.Brünneck und dem Richter am BVerfG Simon, wird die Meinung vertreten, daß die Subjektivierung der Schutzpflichten geradezu eine Umkehrung der eigentlichen Grundrechtsfunktion bedeute. Die Bedenken richten sich vor allem dagegen, "daß erstmals in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung eine objektive Wertentscheidung dazu dienen soll, eine Pflicht des Gesetzgebers zum Erlaß von Strafnormen, also zum stärksten denkbaren Eingriff in den Freiheitsbereich des Bürgers zu postulieren. Dies verkehrt die Funktion der Grundrechte in ihr Gegenteil. Wenn die in einer Grundrechtsnorm enthaltene objektive Wertentscheidung zum Schutz eines bestimmten Rechtsgutes genügen soll, um daraus eine Pflicht zum Strafen herzuleiten, so könnten die Grundrechte unter der Hand aus einem Hort der Freiheitssicherung zur Grundlage einer Fülle von freiheitsbeschränkenden Reglementierungen werden." 159 Die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte wird nicht in Zweifel gezogen. Dies wird an mehreren Stellen des Sondervotums deutlich. Gerügt wird ausdrücklich nur, daß die Senatsmehrheit "die für die verfassungsge-

157

StarcK Fn.4, S.72 f.

158

Starck, Fn.4, S.73.

159

BVerfGE 39, 1 (73); Hervorhebungen im Original.

I Argumente gegen die Subjektivierung

61

richtliche Kontrolle wesentlichen Unterschiede der beiden Grundrechtsaspekte nicht hinreichend" berücksichtigt habe. 160 Neben der Frage nach der Reichweite von Schutzpflichten ist mit diesen Äußerungen aber auch der Status der Schutzpflichten als subjektives Recht in Frage gestellt. Denn die Notwendigkeit, zur Erfüllung von Schutzpflichten gleichzeitig in Grundrechtspositionen Dritter eingreifen zu müssen, ist gerade die Konsequenz aus der Subjektivierung. Insofern läßt sich das Argument aus dem Zusammenhang mit dem Erlaß von Strafrechtsnormen zum Schutz des ungeborenen Lebens herauslösen und als genereller Einwand gegen die Subjektivierung von Schutzpflichten formulieren. Es müßte dann lauten: Die Anerkennung des subjektiv-rechtlichen Status grundrechtlicher Schutzpflichten führe notwendigerweise zu einer Verminderung anderer Grundrechtsbereiche, und dies könne nicht Sinn der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte sein. 3. Das Gewaltenteilungsargument Gegen die Subjektivierung werden zudem Bedenken vorgebracht, die sich auf die bereits erörterte Befürchtung beziehen, der parlamentarische Gesetzgeber könne in seiner Gestaltungsfreiheit übermäßig eingeschränkt werden. 161 Das Sondervotum zum ersten Abtreibungsurteil führt dazu aus: "Der Gedanke der objektiven Wertentscheidung darf ...nicht zum Vehikel werden, um spezifisch gesetzgeberische Funktionen in der Gestaltung der Sozialordnung auf das Bundesverfassungsgericht zu verlagern. So würde das Gericht in eine Rolle gedrängt, für die es weder kompetent noch gerüstet ist." 1 6 2 Die Anerkennung der Einklagbarkeit der Schutzpflichtenerfüllung vor dem BVerfG und deren eventuelle Durchsetzung mit den Instrumentarien, die dem Gericht nach dem BVerfGG zur Verfügung stehen, ließe den Spielraum der Politik auf ein Minimum zusammenschrumpfen. Im schlimmsten Fall würde sich die Tätigkeit des Parlaments in der Umsetzung grundrechtlicher Schutzpflichten, die ihm vom BVerfG verbindlich vorgeschrieben würden, erschöpfen. Auf dieser Ebene kehrt das Argument vom Weg in den "Jurisdiktionsstaat" wieder. 163

160

BVerfGE 39,1 (71).

161

So etwa Steinberg, Fn.24, S.461.

162

BVerfGE 39,1 (72).

163

Diese Bedenken teilen Wahl/Masing,

Fn.25, S.557.

D. Schutzpflichten als subjektive Rechte

62

Dieses dritte Argument kann sinnvoll erst im Zusammenhang mit der Klärung des Umfangs der Schutzpflichten behandelt werden. Das methodologische und das Inversions-Argument hingegen verlieren schon durch die Darstellung der Argumente für die Subjektivierung an Durchschlagskraft. DL Argumente für die Subjektivierung Auch hier sollen solche Positionen nicht erörtert werden, die ein subjektives Recht auf die Erfüllung von Schutzpflichten nicht auf der Basis ihrer Ableitung aus der objektiven Seite der Grundrechte zu begründen versuchen. 164 So bleiben hier insbesondere die Ableitungen eines grundrechtlichen Anspruchs direkt aus dem Schutzauftrag für die Menschenwürde165 und aus der (auschließlich) ideengeschichtlichen Perspektive 166 außer Betracht. Auch auf diejenigen Auffassungen, die solche Ansprüche aus normtheoretischen Erwägungen 167 oder einer sozialstaatlichen Interpretation der Grundrechte 168 gewinnen wollen, kann hier nur verwiesen werden. 169 I. Das prinzipientheoretische

Argument

Folgt man - wie hier - der Auffassung, daß sich die Wertordnungsrechtsprechung des BVerfGs im Sinne einer Prinzipientheorie umformulieren und so von werttheoretischen Vorwürfen reinigen läßt, so liegt das prinzipientheoretische Argument zugunsten der Subjektivierung von Schutzpflichten scheinbar auf der Hand: Folgt aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte ihr Prinzipiencharakter, so ist damit zugleich das Gebot ausgesprochen, ihre Geltungskraft zu optimieren. Ein durchschlagendes Mittel der Geltungsoptimierung ist aber die Subjektivierung. Dieser Zusammenhang wird anhand des 164

Zu solchen Argumenten siehe Dietlein, Fn.5, S. 145 ff.

165

So Bleckmann, Fn.66, S.942, ebenso Ossenbühl: Kernenergie im Spiegel des Verfassungsrechts, DÖV 1981, S.4. 166

Etwa Isensee, Fn.24, S.27 ff; siehe dam Dietlein, Fn.5, S.161 ff.

167

Scherzberg: Grundrechtsschutz und "Eingriffsintensität". Das Ausmaß individueller Grundrechtsbetroffenheit als materiellrechtliche und kompetenzielle Determinante der verfassungsgerichtlichen Kontrolle der Fachgerichtsbarkeit im Rahmen der Urteilsverfassungsbeschwerde, Berlin 1989, ders.: "Objektiver" Grundrechtsschutz und subjektives Recht. Überlegungen zur Neukonzeption des grundrechtlichen Abwehrrechts, DVB1. 1989, S. 1128 ff. 168 £ t w a xioepfer. München 1970. 169

Grundrechte als Entstehungssicherung und Bestandsschutz,

Siehe den Überblick bei Dietlein, Fn.5, S.156 ff.

I. Argumente

die Subjektivierung

63

Beispiels des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, der das Prinzip des Lebensschutzes normiert, deutlich: "Dies Prinzip verlangt wie jedes Prinzip, daß es relativ auf die tatsächlichen und die rechtlichen Möglichkeiten in möglichst hohem Maße realisiert wird. Es ist ganz allgemein, daß die Zuerkennung subjektiver Rechte ein höheres Maß an Realisierung bedeutet als die Statuierung bloß objektiver Gebote." 110 So klar diese Argumentation aus dem prinzipientheoretischen Ansatz zu folgen scheint, so problematisch ist sie bei näherem Hinsehen. So läßt sich entgegnen, daß nur optimiert werden kann, was in den Grundrechten bereits angelegt ist. Es ist aber gerade die Frage, ob die Subjektivierung in den Grundrechten angelegt ist. Selbst wenn dies unterstellt wird, folgt aus dem materialen Gebot der Optimierung logisch nicht zwingend die prozessuale Konsequenz der Subjektivierung. Hier bedürfte es einer eingehenderen Begründung. Schließlich kann kritisiert werden, daß allein aus dem Prinzipiencharakter eines Verfassungswertes nicht ohne weiteres die Subjektivierung der darin angelegten Rechtspositionen abgeleitet werden könne. So ließe sich nur unter erheblichen Schwierigkeiten erklären, daß etwa aus dem Sozialstaatsprinzip qua Optimierungsgebot die Subjektivierung seiner Gehalte folgen solle. Die prima facie einleuchtende prinzipientheoretische Subjektivierungsthese ist also problematisch. Im Ergebnis läßt sie sich trotzdem halten. 171 Werden die Schutzpflichten in den Grundrechten verankert, so teilen sie deren Optimierungscharakter. Insoweit hat die Prinzipientheorie konsistent den Prinzipiencharakter als in den Grundrechten angelegt beschrieben, u.zw. unabhängig von der jeweiligen Grundrechtsfunktion. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund hier in theoretischer Hinsicht eine Differenzierung geboten sein sollte. Dieser Gesichtspunkt kann auch den Logik-Einwand entkräften. Schließlich kann der Sozialstaatseinwand mit der Differenzierung zwischen fomalen und materialen, d.h. reinen Grundrechtsprinzipien, entkräftet werden, indem nur den letzteren auch das Subjektivierungsgebot zugesprochen wird. Selbst wenn dieser Modifikation der prinzipientheoretischen Überlegungen nicht gefolgt werden sollte, so dürfte jedenfalls das Argument aus dem Grundrechtsindividualismus die Subjektivierungsthese tragen.

170 171

Alexy, Fn.14, S.414; Hervorhebungen vom Verf. Ebenso Alexy, Fn.127, S.278.

Bei Alexy selbst finden sich zu diesen Problemen keine Ausführungen. In diesem Zusammenhang muß zumindest ein gewisses Begründungsdefizit verzeichnet werden.

D. Schutzpflichten als subjektive Rechte

64

2. Der Grundrechtsindividualismus Dieses zweite Argument stellt auf den Telos der Grundrechte überhaupt ab. "Es sagt, daß der Zweck und damit der Grund für die Grundrechte der Schutz des einzelnen ist und nicht die Garantie objektiver Ordnungen." 172 Sofern die Grundrechte Anknüpfungspunkte für bestimmte Rechtspositionen sind, müssen sie auch einen Anspruch auf deren Durchsetzung enthalten. Grundsätzlich spricht schon eine "Vermutung" für die Subjektivierung grundrechtsbewehrter Positionen, unabhängig von der jeweiligen Grundrechtsfunktion. 173 Die Gegenbehauptung trägt die Argumentationslast. Diese Deutung steht im Einklang mit der im Grundgesetz - vor allem in der Menschenwürdegarantie - vorausgesetzten Autonomie und Selbstwerthaftigkeit des Menschen.174 Diese kann nur dann effektiv und damit sinnvoll zur Geltung gebracht werden, wenn den Schutzpflichten des Staates entsprechende subjektive Rechte korrespondieren. 175 IV. Folgerungen aus der Subjektivierungsdiskussion Im Hinblick auf die prinzipientheoretischen Aspekte der Grundrechtsdogmatik und den auch vom Grundgesetz gewollten Grundrechtsindividualismus können die Bedenken gegen eine Subjektivierung der Schutzpflichten zerstreut werden. Insbesondere enthält die Subjektivierungsthese gerade keine Verkehrung der eigentlichen Grundrechtsfunktion, wie das Sondervotum zum ersten Abtreibungsurteil suggerieren möchte. Dies wird noch deutlicher werden, wenn es um den (justitiablen) Umfang dieser Pflichten geht. Das entscheidende Argument für die Subjektivierungsthese lautet: Wenn die Grundrechte als Anknüpfungspunkt der Schutzpflichtenlehre angesehen werden, so muß diesen Pflichten auch der allen Grundrechten eigene Status des subjektiven Rechts zukommen. Auch vor dem Hintergrund einer noch zu erörternden, eventuell geringeren Justitiabilität ist nicht einzusehen, warum 172

Alexy, Fn.127, S.277.

173

Vgl. Robbers, Fn.22, S.135 ff; Alexy, Fn.127, S.277 f.; ihm folgend E. Klein, Fn.3, S.1637. Diese Subjektivierung wird vom BVerfG im Grundsatz sogar für die im Vergleich zu den Schutzpflichten anders gelagerten Leistungsrechte anerkannt, wenn sie auch dem Vorbehalt des faktisch Möglichen unterstellt wird, vgl. BVerfGE 33, 303 ff. 174

Vgl. Benda, Fn.36, S.168 ff.

175

Ebenso E. Klein, Fn.3, S.1637.

IV. Folgerungen aus der Subjektivierungsdiskussion

65

dieser Status den Schutzpflichten vorenthalten werden soll. Allein die unterschiedlichen Konsequenzen - hier: Abwehr; dort: Tätigkeit - können diese grundsätzliche Ungleichbehandlung im Anspruchscharakter zwischen Abwehr- und objektiv-rechtlicher Dimension nicht tragen. Da die Schutzpflichten überwiegend durch die Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden, liegt in verfassungsprozessualer Hinsicht die Vermutung nahe, daß die Zahl der Verfassungsbeschwerdeverfahren mit der Subjektivierung der Schutzpflichten steigen müßte. 176 Rein empirisch läßt sich aber feststellen, daß es auch nach den genannten Entscheidungen des BVerfG's zur Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden bei Schutzpflichtverletzungen keine Explosion der Verfahrenszahl gegeben hat. 177 Im übrigen kann es auch aus der Sicht des BVerfG's keinen Unterschied machen, ob staatliche Versäumnisse im Wege der Normenkontrolle oder der Verfassungsbeschwerde korrigiert werden müssen.178 Eingedenk des methodologisch beschränkten Aussagewertes kann zudem darauf hingewiesen werden, daß auch die (mittlerweile) herrschende Meinung in der verfassungsdogmatischen Literatur der Subjektivierungsthese zuneigt. 179

176 So Alexy, Fn.127, S.285 f, der diese Entwicklung aus grundrechtstheoretischer Sicht auch wünscht. 177

Zur Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde in Fällen des gesetzgeberischen Unterlassens siehe Detterbeck:. Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG auch bei normativem Unterlassen?, DÖV 1990, S.863. 178

So auch H.H. Klein, Fn.3, S.493; zu den verfassungsprozessualen Implikationen siehe Schenke: Rechtssschutz gegen das Unterlassen von Rechtsnormen, VerwArch 1991, S.333 ff. 179

5 Unruh

Siehe die Nachweise bei H.H. Klein, Fn.3, S.493.

E. Exkurs: Anmerkungen zum Problem der Drittwirkung der Grundrechte „Die Grundrechte beeinflussen das gesamte Recht, einschließlich des Organisations- und Verfahrensrechts, nicht nur, soweit es die Rechtsbeziehungen des Bürgers zu den öffentlichen Gewalten zum Gegenstand hat, sondern auch, soweit es Rechtsbeziehungen von Privatpersonen untereinander regelt." 180 Neben ihrer überwiegenden Staatsgerichtetheit entfalten die Grundrechte Rechtswirkungen auch innerhalb von Rechtsverhältnissen, an denen der Staat nicht direkt beteiligt ist. In diesem Fall wird von einer Drittwirkung der Grundrechte gesprochen.181 Über das Ausmaß dieser Wirkung herrscht Streit. 182 L Der Streitstand 1. Die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung Eine unmittelbare Einwirkung der Grundrechte auf Rechtsverhältnisse zwischen Privaten ist dem Grundgesetz nicht fremd. So enthält Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG die Regelung, daß auch eine (privatautonome) Einschränkung der Ko-

180

Hesse, Fn. 128, S.138.

181

Vgl. Pieroth / Schlink, Fn.10 , S.49: „Hierunter versteht man die Geltung der Grundrechte über das klassische Zweierverhältnis zwischen einzelnen und Staat hinaus auch im Verhältnis des einen zum anderen einzelnen (als zum Dritten)." 182 Zum Streitstand siehe insbesondere Diirig : Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: Maunz, Theodor (Hrsg.), Festschrift für Hans Nawiasky, München 1956, S. 157 ff; Leisner. Grundrechte und Privatrecht, München 1960, S.306 ff; Rüfner. Drittwirkung der Grundrechte. Versuch einer Bilanz, in: Selmer, Peter / v. Münch, Ingo (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, Berlin / New York 1987, S.215 ff; ders,: Grundrechtsadressaten, in: Isensee; Josef / Kirchhof, Paul (Hrsg.), HdBStR Bd.V, 1992, § 117; Stern , Fn. 19, S.1511 ff; Canaris: Grundrechte und Privatrecht, AcP 184 (1984), S.202 ff mwN. zum Streitstand; zur Konstruktion der Drittwirkung mch Alexy, Fn.14, S.480 ff.

I. Der Streitstand

67

alitionsfreiheit durch Abreden gegen das Grundgesetz verstößt. Für diesen Fall ist eine unmittelbare Drittwirkung allgemein anerkannt. 183 Darüber hinaus hat vor allem das BAG eine unmittelbare Drittwirkung grundsätzlich auch für andere Grundrechte angenommen. Begründet wurde diese Ansicht mit einem „Bedeutungswandel der Grundrechte", der zur Folge habe, daß „zwar nicht alle, aber doch eine Reihe bedeutsamer Grundrechte der Verfassimg nicht nur Freiheitsrechte gegenüber der Staatsgewalt garantieren, ...vielmehr Ordnungsgrundsätze für das soziale Leben (sind), die in einem aus dem Grundrecht näher zu entwickelnden Umfang unmittelbare Bedeutung auch für den privaten Rechtsverkehr der Bürger untereinander haben ...Auch das normative Bekenntnis des Grundgesetzes zum sozialen Rechtsstaat (Art. 20, 28), das für die Auslegung des Grundgesetzes und anderer Gesetze von grundlegender Bedeutung ist, spricht für die unmittelbare privatrechtliche Wirkung der Grundrechtsbestimmungen, die für den Verkehr der Rechtsgenossen untereinander in einer freiheitlichen und sozialen Gemeinschaft unentbehrlich sind." 184 Auch der BGH hat gelegentlich eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte angenommen, bevor er sich von der Ansicht des BAG's abkehrte. 185 Diese Lehre begegnet schwerwiegenden Bedenken.186 In der Literatur findet sie kaum Anhänger. 187

183

Vgl .Hesse, Fn. 10, S.157; Pieroth / Schlink, Fn.10, S.49 verweisen darauf, daß auch die Art. 20 Abs. 4 und 38 Abs. 1 i.V.m. 48 Abs. 2 GG ausdrücklich grundrechtliche Einwirkungen auf private Rechtsverhältnisse festschreiben. 184

BAGE 1, 185 (193 f). Das BAG hat diese Ansicht in BAGE 48, 122 (138 f) relativiert. 185

Etwa BGHZ 33,145 (149 f.); 38, 317 (319 f).

186

Siehe dazu Conans, Fn.163, S.203 ff.

187

Siehe aber Nipperdey: Grundrechte und Privatrecht, Krefeld 1961, S.13 ff, der diese Lehre mitbegründet hat. Zur Auffassung Nipperdeys siehe Rüfner, Fn.181, S.215 und v. Mangoldt /Klein /Starck, Fn.69, Art. 1 Abs. 3, Rnr. 192 ff. Eine abweichende Variante der Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung vertritt Schwabe: Die sogenannte Drittwirkung von Grundrechten, Fn.95, S.166 ff, 67 ff. Danach liegt schon deshalb eine unmittelbare Drittwirkung vor, da die öffentliche Gewalt in Gestalt der Zivilrechtsprechung ggf. privatrechtliche Streitfälle hoheitlich zu entscheiden und diese Entscheidungen durchzusetzen hat. Dazu siehe v. Mangold / Klein / Starck, Fn.69, Rdnr. 192. 5*

68

E. Exkurs: Anmerkungen zum Problem der Drittwirkung der Grundrechte

Gegen eine unmittelbare Drittwirkung spricht zunächst der Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG. Danach binden die „nachfolgenden" Grundrechte (nur) „Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht". Eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht danach also nur für die öffentliche Gewalt. 188 Dem läßt sich auch nicht die bereits erwähnte Regelung des Art. 9 Abs. 3 GG entgegenhalten, denn diese Norm enthält eine Ausnahme zu dem in Art. 1 Abs. 3 GG ausgesprochenen Grundsatz. 189 Die ausschließliche Staatsgerichtetheit der Grundrechte wird zudem mit dem Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes, speziell mit dem Abwehrcharakter der Grundrechte begründet. 190 Dieser Abwehrcharakter bildet - wie gesehen - zwar nicht die einzige Funktion der Grundrechte unter dem Grundgesetz. Auch auf der Grundlage des hier vertretenen Standpunktes würde aber eine Ausweitung der Grundrechtswirkungen über das Staat/Bürger-Verhältnis hinaus eine Überdehnung möglicher und erforderlicher Grundrechtsfunktionen im demokratischen Verfassungsstaat bedeuten. Sie müssen im Rahmen dieses Verhältnisses, also staatsgerichtet bleiben, wenn sie nicht jegliche freiheitssichernde Bedeutung verlieren sollen. Da sich nämlich in einem Streitfall zwischen Privaten beide Parteien auf Grundrechtspositionen berufen können, erweist sich die Aufgabe des Staates, die betroffenen Freiheitssphären zuzuordnen und abzugrenzen, durch einen unmittelbaren Rekurs auf die Grundrechte als unlösbar. 191 In eine ähnliche Richtung weist das teleologische Argument. Es besagt, daß mit der Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung Sinn und Zweck der Grundrechte in ihr Gegenteil verkehrt würden. Sie würden auf diese Weise von Rechten „gegenüber der öffentlichen Gewalt zu Pflichten gegenüber allen Mitbürgern; eine weitgehende Freiheitsbeschränkung wäre das unvermeidliche Resultat."192

188

Zur öffentlichen Gewalt gehören auch diejenigen Aktivitäten, die der Staat etwa qua Beleihung durch Private ausführen läßt, vgl. Hesse, Fn. 129, S. 152. 189

Diese Argument bezeichnen Pieroth/Schlink,

Fn.10, S.49 als systematisches.

190

Vgl. Hesse, Fn.10, S.157; Pieroth/ Schlink, Fn.10, S.49 verweisen dazu auf die Ausführungen von v. Mangoldt im Parlamentarischen Rat. 191

Ebenso Hermes: Grundrechtsschutz drurch Privatrecht auf neuer Grundlage? Das BVerfG zu Schutzpflicht und mittelbarer Drittwirkung der Berufsfreiheit, NJW 1990, S.1764. 192

Pieroth/Schlink,

Fn.10, S.49.

I. Der Streitstand

69

Im Ergebnis läßt sich die Lehre von der unittelbaren Drittwirkung nicht aufrechterhalten. Damit ist aber noch nicht jede Art von Drittwirkung ausgeschlossen. 2. Die mittelbare Drittwirkung Trotz der beinahe einhelligen Ablehnung einer unmittelbaren Drittwirkung besteht ein Konsens darüber, daß sich Grundrechte und Privatrechtsordnung nicht völlig beziehungslos gegenüberstehen. Eine - wenn auch begrenzte Einwirkung der Grundrechte wird zu Recht schon aus den Gehalten der Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 GG gefolgert, die dem Staat den Schutz der Menschenwürde aufgeben und die Menschenrechte zur Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft erklären. 193 Auch die potentielle Freiheitsbedrohung durch privatrechtlich ausgeübte gesellschaftliche oder soziale Macht im Sozialstaat der Gegenwart spricht für eine gewisse Verbindung zwischen Grundrechten und Privatrecht. 194 Diese muß jedoch die Schwächen der Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung vermeiden; daraus hat sich die Ansicht entwickelt, daß die Grundrechte nur mittelbar auf Rechtsverhältnisse zwischen Privaten einwirkt. Die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung entspricht der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung195 und Literatur 196 und kann sich auf einige Kernaussagen des Lüth-Urteils des BVerfG's stützen: "Der Richter hat kraft Verfassungsgebots zu prüfen, ob die von ihm anzuwendenden materiellen zivilrechtlichen Vorschriften ...grundrechtlich beeinflußt sind; trifft dies zu, dann hat er bei Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften die sich hieraus ergebende Modifikation des Privatrechts zu beachten. Dies ist der Sinn der Bindung auch des Zivilrichters an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG). Verfehlt er diese Maßstäbe und beruht sein Urteil auf der Außerachtlassung dieses verfassungsrechtlichen Einflusses auf die zivilrechtlichen Normen, so verstößt er nicht nur gegen objektives Verfassungsrecht, indem er den Gehalt der Grundrechtsnorm (als objektiver Norm) verkennt, er verletzt vielmehr als Träger öffentlicher Gewalt durch sein Urteil das Grundrecht, auf dessen Be193

Vgl. v. Mangoldt / Klein / Starck, Fn.69, Rdnr. 199; Pieroth / Schlink, Fn.10, S.50. Zu diesem Themenbereich siehe auch Häberle: Das Menschenbild im Verfassungsstaat, Berlin 1988. 194 Vgl Böckenförde: Beitrag, in: Posser, Dieter / Wassermann, Rudolf (Hrsg.), Freiheit in der sozialen Demokratie, Karlsruhe 1975, S.69 ff. 195

Eine Ausnahme bildet immer noch das BAG. Der BGH hat sich der Rechtsprechung des BVerfG's angeschlossen. 4196

Sie ist maßgeblich von Dürig, Fn. 182 entwickelt worden

70

E. Exkurs: Anmerkungen zum Problem der Drittwirkung der Grundrechte

achtung auch durch die rechtsprechende Gewalt der Bürger einen verfassungsrechtlichen Anspruch hat. Gegen ein solches Urteil kann - unbeschadet der Bekämpfung des Rechtsfehlers im bürgerlich-rechtlichen Instanzenzug - das Bundesverfassungsgericht angerufen werden." 197 Den Ansatzpunkt der mittelbaren Drittwirkung bildet demnach die Entscheidung von Streitfallen zwischen Privaten durch die Zivilrechtsprechung. In diesen Fällen muß ein staatliches Gericht über die Grundrechtsbindung privater Rechtsverhältnisse entscheiden. Den Ausführungen des BVerfG's ist zu entnehmen, daß die mit der Drittwirkung der Grundrechte verbundene Einschränkung der Privatautonomie primär in den Händen des Gesetzgebers liegt, denn der Richter darf nur bei einer grundrechtlichen Beeinflussung der anzuwendenden zivilrechtlichen Vorschriften zur „Modifikation des Privatrechts" schreiten. Eine solche Ausstrahlung der Grundrechte auf das Privatrecht im Wege der Rechtsprechung kann sich nur über das Medium der bürgerlich-rechtlichen Generalklauseln ergeben: „Verwendet der Gesetzgeber bei seinen Regelungen ...unbestimmte Begriffe oder Generalklauseln, so können Grundrechte für deren Interpretation im Einzelfalle bedeutsam werden (mittelbare 'Drittwirkung'); insoweit fehlt es an einer gesetzlichen Konkretisierung, und es ist Aufgabe des Richters, dem Einfluß der Grundrechte in der notwendigen Differenzierung gerecht zu werden..." 198 Die Generalklauseln erweisen sich so als Einbruchstellen des materialen Gehaltes der Grundrechte in die Privatrechtsordnung. 199 Während die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte eine direkte Bindung Privater an Normierungen des Grundrechtskataloges befürwortet, beschränken sich die Verfechter einer (bloß) mittelbaren Drittwirkung also auf die These, daß grundrechtliche Wertungen lediglich bei der Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln einfließen können und müssen. Diese Wertungen werden durch den Richter bei der Rechtsanwendung zur Geltung gebracht.

197 BVerfGE 7, 198, (207 f). Siehe auch die Handelsvertreter-Entscheidung = BVerfGE 81, 242 (256). Gegen die subjektiv-rechtlichen Wirkungen dieser Entscheidungen siehe Merten: Anmerkung zu BGH Urteil vom 26.04.1972, NJW 1972, S.1799 und Schwabe: Bundesverfassungsgericht und Drittwirkung, Fn.95, S.448 ff. 198

Hesse, Fn.10, S. 159.

199

Vgl. v. Münch, Fn.41, Vorb. Art. 1-19, Rdnr. 31.

H. Schutzpflichten und mittelbare Drittwirkung

71

Es sprechen gute Gründe dafür, der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung zu folgen. Art. 1 GG und die Gefährdung durch gesellschaftliche und soziale Macht sind bereits genannt worden. Diese Gründe lassen sich ergänzen durch den Hinweis darauf, daß sich die so verstandene Drittwirkung auf den objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte stützen läßt. 2 0 0 Es bleibt zu prüfen, ob sich verbleibende Zweifel mit Hilfe der Theorie von den grundrechtlichen Schutzpflichten zerstreuen lassen. I L Schutzpflichten und mittelbare Drittwirkung A n dieser Stelle kann keine eingehende Auseinandersetzung mit den Implikationen des andauernden Streits um die Drittwirkung der Grundrechte erfolg e n . 2 0 1 Auf der Grundlage der bisher gewonnenen Erkenntnisse über die dogmatische Herleitung und die Subjektivierung grundrechtlicher Schutzpflichten läßt sich jedoch eine Lösung des Drittwirkungsproblems in Umrissen andeuten. 2 0 2 . Die Rechtsprechung hat bisher noch keine konkreten Vorstellungen über einen Zusammenhang zwischen mittelbarer Drittwirkung und den grundrechtlichen Schutzpflichten entwickelt. 2 0 3 Die These von der Wirksamkeit 200 V g l piero th / Schlink, Fn.10, S.26. Ebenso beschreibt Hermes, Fn. 191, S.1765 das Verhältnis von mittelbarer Drittwirkung und dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte: „Neben der Gewährleistung der Grundrechte als Abwehrrechte gegen Eingriffe der öffentlichen Gewalt enthält das Grundgesetz in seinem Grundrechtsabschnitt Elemente objektiver Ordnung, die für alle Bereiche des Rechts einschließlich der Privatrechtsordnung Geltung haben. Ihr Gehalt entfaltet sich im Privatrecht durch das Medium der Interpretation von Generalklauseln sowie auslegungsfähiger und -bedürftiger Begriffe 'im Lichte' der Grundrechte." 201

Siehe dazu die in Fn.182 genannten Hinweise. Zu den offenen Fragen auch Hermes, Fn.191, S.1765 f. 202

Der Zusammenhang zwischen Drittwirkungs- und Schutzpflichtenlehre wird u.a. hervorgehoben bei Oeter. "Drittwirkung" der Grundrechte und die Autonomie des Privatrechts, AöR 119 (1994), S.549 ff; Hermes, Fn.191, S.1765 ff; Herdegen: Objektives Recht und subjektive Rechte. Bemerkungen zu verfassungsrechtlichen Wechselbeziehungen, in: Heckmann, Dirk / Messerschmidt, Klaus (Hrsg.), Gegenwartsfragen des öffentlichen Rechts - Bundesstaatliche Ordnung und europäische Integration. Objektives Recht und subjektive Rechte. Information und Staatsfunktion, Berlin 1988, S. 176 ff. 203 Ygi ßadura: Persönlichkeitsrechtliche Schutzpflichten des Staates im Arbeitsrecht, in: Gamillscheg, Franz / Rüthers, Bernd / Stahlhacke, Eugen (Hrsg.), Festschrift für Karl Molitor zum 60. Geburtstag, München 1988, S.9: „Das Bundesverfassungsge-

72

E. Exkurs: Anmerkungen zum Problem der Drittwirkung der Grundrechte

grundrechtlicher Wertungen zwischen Privaten legt aber die Annahme einer lf unterirdische(n) Verbindung" 204 zwischen Drittwirkungs- und Schutzpflichtenlehre nahe 2 0 5 , nicht zuletzt weil das BVerfG die (mittelbare) Drittwirkung ebenso wie die Schutzpflichten auf die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte stützt: „Die aus dem Charakter der Grundrechte als Grundsatznormen ableitbare Funktion der Grundrechte als Schutzgebote, die der Staat zu beachten hat, findet im Privatrecht ebenso wie in anderen Rechtsgebieten ihren Niederschlag und bildet die Grundlage für die Einwirkung der Grundrechte auf das Verhalten der Privatrechtssubjekte. Die Frage, ob ein Grundrecht im Einzelfall in Ermangelung einer ausreichenden Schutznorm des bürgerlichen Rechts unmittelbar Rechte und Pflichten einzelner im Privatrechtsverkehr hervorbringt, kann demnach nach denselben Grundsätzen beantwortet werden wie die Frage, ob eine grundrechtlich bestehende objektive Schutzpflicht im Einzelfall dem Geschützten ein subjektives Recht unmittelbar aufgrund der Verfassung zuweist." 206 Diese Verbindungsthese läßt sich noch weitergehend erhärten, denn die Drittwirkungsproblematik kann anhand der Schutzpflichtenlehre auf eine konsistente dogmatische Grundlage gestellt werden, die auch die Reichweite der (mittelbaren) Drittwirkung umfaßt. 207 Diese Grundlage besteht darin, daß die Drittwirkung als ein Anwendungsfall der Schutzpflichtenlehre gelten kann. 208 Die Verpflichtung der Gerichte, die grundrechtlichen Wertungen zu beachten folgt nämlich aus der Verpflichtung der gesamten Staatsgewalt, grundrechtliche Schutzpflichten zu erfüllen. Im Zusammenhang mit der rieht hat bisher die Doktrin der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte im Privatrecht und die neuere Lehre von den Schutzpflichten des Staates nicht explizit in einen Zusammenhang gebracht. Dennoch ist dieser Zusammenhang zwingend." 204 Starck, Fn.4, S.66; ebenso Jarass, Fn.24, S.379, E. Klein, Fn.3, S.1640. Eine derartige Verbindung wird geleugnet von Isensee, Fn.4, S.216 f. 205

So auch Hermes, Fn.191, S.1765f: Der „Zusammenhang zwischen grundrechtlicher Schutzpflicht einerseits und dem Einfluß der Grundrechte auf das Zivilrecht andererseits (ist) vom BVerfG nur vereinzelt gesehen worden. Das überrascht um so mehr, als eine Zusammenführung beider Grundrechtsfunktionen ...geeignet ist, die Schwächen der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung zu beseitigen und gleichzeitig Inhalt und Umfang der grundrechtlichen Schutzpflicht zu präzisieren." 206

Badura, Fn.203, S.9.

207

Dieser Aspekt wird auch von Robbers, Fn.22, S.201 ff und E. Klein, Fn.3, S.1640 betont. 208 So übereinstimmend Starck, Fn.4, S.67 und Stern, Fn.21, S.1560: „Das Drittwirkungsproblem wird ...zum Unterfall der allgemeinen Grundrechtsfunktion staatlicher Schutzpflichten"; ebenso S.1572 ff.

H. Schutzpflichten und mittelbare Drittwirkung

73

Drittwirkung trifft diese Verpflichtung nicht den Gesetzgeber, sondern die Gerichte bei der Auslegung des Privatrechts. "Von mittelbarer Drittwirkung der Grundrechte spricht man also, wenn der Gesetzgeber durch Erlaß einer allgemeinen Zivilrechtsnorm die Schutzpflicht ermöglicht und es nun Aufgabe des Richters ist, das betreffende Gesetz mit Rücksicht auf die dem Staat obliegende Schutzpflicht anzuwenden."209 Das umstrittene Problem der Drittwirkung wird also durch ihre dogmatische Einordnung in die Schutzpflichtenlehre entschärft. Angesichts des vehementen Eintretens der Literatur für eine Verbindung beider Grundrechtsfunktionen in diesem Sinne steht zu erwarten, daß sich auch das BVerfG an geeigneter Stelle und in absehbarer Zukunft dazu äußern wird. Auf dem Boden seiner eigenen Anschauungen sowohl zur Lehre von der mittelbaren Drittwirkung als auch zu den grundrechtlichen Schutzpflichten wird es sich der Stringenz der in der Literatur vorgebrachten Argumente nur schwer entziehen können.

209

Starck, Fn.4, S.67.

F. Normstruktur und tatbestandliche Elemente grundrechtlicher Schutzpflichten L Die Normstruktur Mit der dogmatischen Herleitung der Schutzpflichten aus dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte und der prinzipientheoretischen Rekonstruktion der zugrundeliegenden ''Wertordnungsrechtsprechung" des BVerfGs ist die Normstruktur grundrechtlicher Schutzpflichten vorgegeben. Diese Pflichten können nicht in der Weise eines "Alles-oder-Nichts" erfüllt werden, wie es dem Regelcharakter von Rechtsnormen entspricht. 210 Grundrechtliche Schutzpflichten sind vielmehr als Prinzipien anzusehen.211 Prinzipien sind im Gegensatz zu Regeln definiert als Normen, die gebieten, daß etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße realisiert wird. Prinzipien sind "Optimierungsgebote, die dadurch charakterisiert sind, daß sie in unterschiedlichen Graden erfüllt werden können und daß das gebotene Maß ihrer Erfüllung nicht nur von den tatsächlichen, sondern auch von den rechtlichen Möglichkeiten abhängt."212 Die methodologische Einordnung als Prinzipien vermag auch diejenigen Bedenken zu zerstreuen, die auf die Schwierigkeit hinweisen, einen konkreten Maßstab für die Erfüllung von Schutzpflichten zu entwickeln. Der bestmögliche Schutz in Relation auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten liefert für jeden Einzelfall zumindest einen operationalisierbaren Anhaltspunkt. 213 Ein Mehr an Konkretisierbarkeit läßt die Schutzpflichtenkonzeption nicht zu.

210

Zu dieser Charakterisierung siehe Alexy, Fn.14, S.71 ff.

211

So im übrigen auch Isensee, Fn.4, S.218; Wahl /Masing, Fn.25, S.556.

212

Alexy, Fn.14, S.75 f. In diesem Sinne auch H.H. Klein, Fn.3, S.495.

213

Isensee, Fn.4, S.218 formuliert im Hinblick auf die Erfüllung der Schutzpflicht durch den Staat: "Der Staat ist gehalten, die ihm rechtlich wie tatsächlich verfügbaren Mittel so effektiv wie möglich einzusetzen, um dieses Ziel zu erreichen."

H. Tatbestandliche Elemente

75

IL Tatbestandliche Elemente Wenn auch Schutzpflichten keine Regeln im obigen Sinne sind, so lassen sich doch die Konturen gewisser Tatbestandsmerkmale umreißen, die die staatliche Verpflichtung zum Tätigwerden auslösen. Auf der Rechtsfolgenseite steht das dem grundrechtlichen Schutzgut entsprechende Optimierungsgebot. I. Grundrechte als Ausgangspunkt Der Ableitungszusammenhang zwischen Schutzpflichten und objektiver Wertordnung der Grundrechte erfordert, daß keinem Grundrecht die Schutzfunktion vorenthalten wird. Eine Beschränkung auf den Menschenwürdekern der einzelnen Grundrechtsbestimmungen 214 verbietet sich ebenso wie andere Einschränkungen 2 1 5 Eine Verbannung einzelner Grundrechte oder Grundrechtsbereiche aus dem schutzwürdigen Kreis aller Grundrechte ist auf dem Boden der bisherigen Ergebnisse unzulässig. Im übrigen ist damit auch eine Beschränkung der Schutzfunktion auf die sogenannten Freiheitsrechte nicht gerechtfertigt. Auch Art. 3 GG enthält eine prinzipientaugliche "Wertentscheidung" des Grundgesetzes und ist damit ebenso von der staatlichen Gewalt zu schützen wie die anderen Grundrechte. 216 2. Die Gefahrenquelle Der Begriff der grundrechtlichen Schutzpflicht sowie die Erörterungen zur "abwehrrechtlichen" Lösung des Ableitungsproblems zeigen, daß der Staat selbst als Urheber von Eingriffen, deren Verhinderung ihm nach der Schutzpflichtenlehre obliegt, ausscheidet. Ein staatlicher Eingriff kann stets mit der abwehrrechtlichen Dimension der Grundrechte angefochten werden. Als Gefahrenquelle für den Grundrechtsschutz kommen also nur nicht-staatliche Eingriffe in grundrechtsbewehrte Positionen in Betracht. 217 Darunter fallen vor allem diejenigen Grundrechtsbeeinträchtigungen, die von (inländischen) 214

So Starck, Fn.4, S.

215

So bleibt letztlich unklar, welche Grundrechte etwa H.H. Klein, Fn.3, S.493 aus dem schutzwürdigen Kreis der Grundrechte verbannen will, wenn er meint, daß sich dieser Schutz eventuell nicht auf alle, sondern "die meisten" Grundrechte beziehen solle. 216

Siehe dazu Dietlein, Fn.5, S.84 ff.

217

Vgl. Isensee, Fn.4, S.194 ff.

76

F. Normstruktur und tatbestandliche Elemente

Privaten ausgehen; dies ist unstreitig. Probleme entstehen aber bei der Integration von Gefahren, die von ausländischen öffentlichen oder privaten Gewalten, von Umsetzungen staatlicher Genehmigungen oder Steuerungsmaßnahmen durch inländische Private oder von natürlichen Gefahren, die keinen personalen Eingriffsbezug haben, ausgehen.218 Hier sind im Ergebnis zwar unterschiedliche Reichweiten des effektiven Schutzes denkbar - so wird der Staat etwa zum Küstenschutz in höherem Maße in der Lage und damit verpflichtet sein als zu einer massiven Einwirkung auf fremde Staatsgewalten, die Grundrechte der eigenen Bürger bedrohen. Die Handlungsspielräume des Gesetzgebers können hier also variieren. Im Ergebnis müssen aber auch diese problematischen Gefahrenquellen in die Schutzpflichtenlehre integriert werden. Der Schlüssel zu dieser Lösung liegt wiederum in der prinzipientheoretischen Bedeutung der dogmatischen Ableitung der Schutzpflichten. Ausgangspunkt muß die Verwirklichungstendenz der Grundrechte sein. Daraus folgt, daß die Schutzpflicht grundrechts- und damit schutzgutorientiert ist. 2 1 9 Liegt eine Gefahr für eine grundrechtsbewehrte Position vor, so wird demnach grundsätzlich eine Schutzpflicht des Staates ausgelöst. Die Umsetzung dieser Pflicht im Einzelfall ist hingegen eine Frage ihrer Reichweite und der Justitiabilität. 3. Die Gefahrenschwelle Das BVerfG spricht z.B. im ersten Abtreibungsurteil (nur) davon, daß eine Schutzpflicht dem Staat gebiete, sich "schützend und fördernd" vor das entsprechende grundrechtliche Schutzgut zu stellen und es vor allem "vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren". 220 Damit ist aber noch keine Aussage darüber getroffen, wann das Gefahrenniveau erreicht oder überschritten ist, das die staatliche Handlungspflicht auslöst. Auch den weiteren einschlägigen Entscheidungen des BVerfG's läßt sich kein differenziertes Kriterium für diese Abgrenzung entnehmen. In der Literatur wird u.a. vertreten, daß diese vermeintliche Lücke der Schutzpflichtendogmatik durch den polizeirechtlichen Gefahrenbegriff ausge-

218 Zu diesen Problemen siehe Dietlein, Fn.5, S.87 ff und Isensee, Fn.4, S.202 ff, der die Beschränkungen aus der ideengeschichtlichen Ableitung der Schutzpflichten gewinnt. 219

Ebenso Dietlein, Fn.5, S.103.

220

BVerfGE 39,1 (42).

II. Tatbestandliche Elemente

77

füllt werden müsse.221 Vereinzelt wird auch versucht, diesen Gefahrenbegriff verfassungsrechtlich zu modifizieren, indem auf die Grundrechtsrelevanz dieser Art von Gefährdungen hingewiesen wird. 2 2 2 Entscheidend seien demnach die Gesichtspunkte der Eintrittswahrscheinlichkeit und des voraussichtlichen Schadensausmaßes.223 Beeinträchtigungen diesseits der Belästigungsgrenze, "sozialadäquate" Gefahrenlagen und das hinzunehmende "Restrisiko" blieben außer Betracht. 224 Gegen diese Übertragung polizeirechtlicher Maßstäbe auf die Schutzpflichtenlehre lassen sich mehrere Gründe anführen. So läßt sich der Gesetzgeber, der in erster Linie zur Erfüllung der Schutzpflichten aufgerufen ist, nur schwer als "Nothelfer" im Sinne des Polizeirechts begreifen. Die methodologischen und funktionellen Unterschiede zwischen Gesetzen und Handlungen zur Gefahrenabwehr sind offensichtlich und bedürfen keiner weiteren Erörterung. 225 Dazu sei lediglich bemerkt, daß die Legislative keine Einzel- oder Notfallentscheidungen trifft und dies im Zweifel wegen Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG auch nicht darf. Vielmehr handelt es sich bei Legislativakten um Entscheidungen mit weitreichender zeitlicher und abstrakt-genereller Wirkung. Ferner ist nicht einzusehen, warum über die Kriterien der Belästigungsgrenze, der Sozialadäquanz und des Restrisikos bestimmte Gefahrenlagen aus der Schutzpflichtenlehre ausgegrenzt werden müssen. "Ob und inwieweit der Gesetzgeber bei bestimmten Gefährdungsstufen zum Handeln verpflichtet ist, stellt eine ganz andere Frage dar, die mit der Frage, ob der Gesetzgeber die potentiellen Gefahrenlagen aufgrund der ihm obliegenden Schutzpflicht zu

221

So etwa Murswiek Die staatliche Verantwortung, Fn.95, S.80 ff; Hermes, Fn.24, S.236; Kloepfer. Umweltschutz und Verfassungsrecht - Zum Umweltschutz als Staatspflicht, DVB1. 1988, S.311. 222

So Stern, Fn.21, S.949.

223

Vgl. Murswiek

Die staatliche Verantwortung, Fn.95, S.85; Hermes, Fn.24,

S.236. 224

So Isensee, Fn.4, S. 199 ff. Zur "Sozialadäquanz" siehe Schmidt-Aßmann, Fn.104, S.214; ebenso E. Klein, Fn.3, S.1637; Richter. Gentechnologie als Regelungsgegenstand des technischen Sicherheitsrechts, Berlin 1989, S.137; Marburger. Rechtliche Grenzen technischer Sicherheitspflichten, WiVerw 1981, S.251. Zum "Restrisiko" siehe BVerfGE 49, 89(143). 225

Siehe dazu Dietlein, Fn.5, S. 107 f.

F. Normstruktur und tatbestandliche Elemente

78

überwachen bzw. ihnen nach seiner Einschätzungsprärogative zu begegnen hat, nicht verwechselt werden darf." 226 Die thematische Ausgrenzung muß von der konkreten Handlungsverpflichtung unterschieden werden; letztere ist (auch) ein Problem der (justitiablen) Reichweite der Schutzpflichten. Eine polizeirechtlich inspirierte Einschränkung der Schutzpflichten auf der Ebene des relevanten Gefahrenniveaus ist schließlich auch aus der Sicht der hier vertretenen Auffassung über die dogmatische Herleitung der Schutzpflichten abzulehnen. Bei grundrechtlichen Schutzpflichten handelt es sich um Prinzipien, die in ihrer Anwendung als Optimierungsgebote aufzufassen sind. Daraus folgt die Forderung nach größtmöglichem Schutz der entsprechenden grundrechtlichen Schutzgüter. 227 Dieser Schutz kann nur durch die Kriterien des tatsächlich und rechtlich Möglichen begrenzt werden, nicht jedoch durch die polizeirechtlichen Tatbestandsverengungen. 4. Der Kreis der Geschützten Aus der objektiv-rechtlichen Seite der Grundrechte folgt, daß grundsätzlich jedes Grundrecht auch eine Schutzkomponente aufweist. Insoweit ist eine thematische Differenzierung zwischen Abwehr- und Schutzrechten nicht zulässig. Die personale und die räumliche Reichweite der Grundrechte als Abwehrrechte entspricht ihrer Reichweite in der Schutzpflichtendimension 2 2 8

226

Dietlein

y

Fn.5, S.108; Hervorhebungen im Original.

227

So Alexy, Fn.14, S.414, Seewald, Fn.108, S.216. Zumindest eine Tendenz zu dieser Auffassung ist auch beim BVerfG nachweisbar. So hat das Gericht in einigen Entscheidungen zum Atomgesetz festgestellt: "Insbesondere mit der Anknüpfung an den jeweiligen Stand der Technik legt das Gesetz damit die Exekutive normativ auf den Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge fest." = BVerfGE 49, 89 (138 f.); gleichlautend E 53, 30 (58 f.); Hervorhebungen vom Verf. Aus dem Zusammenhang der Argumentation des Gerichts ergibt sich, daß der Gesetzgeber verfassungsrechtlich auch verpflichtet war, die Exekutive auf diesen Grundsatz festzulegen. 228

Isensee, Fn.4, S.192. Zu den einzelnen Implikationen dieser Gleichsetzung siehe Dietlein, Fn.5, S. 116 ff.

G. Die Reichweite der Schutzpflicht und das Untermaßverbot Die besonderen Probleme des (justitiablen) Umfangs grundrechtlicher Schutzpflichten ergeben sich im wesentlichen aus der Tatsache, daß diese anders als die Eingriffsabwehrrechte - nicht auf ein Unterlassen, sondern auf ein Handeln des Staates gerichtet sind. Wird von den Abwehrrechten ein stets konkretisierbares Unterlassen gefordert, können Schutzpflichten nicht nur durch eine bestimmte Handlung erfüllt werden. 229 Vielmehr stehen regelmäßig mehrere Möglichkeiten mit unterschiedlichen Folgewirkungen für den Grad der Pflichterfüllung zur Auswahl. 230 „Während es im Rahmen der Abwehrrechte um die Beurteilung eines staatlichen Eingriffs geht, muß bei der Schutzpflicht die zunächst vage und allgemeine Schutzpflicht konkretisiert werden, um das Substrat, d.h. eine Verpflichtung zu staatlichem Handeln zu ermitteln, denn erst ab diesem Stadium der Konkretisierung besteht die Forderung an den Staat, den Schutzanspruch umzusetzen."231 Die besondere Brisanz der Bestimmung des (justitiablen) Umfangs der Schutzpflichten liegt in ihren Konsequenzen für den Gesetzgeber. Sie ist potentiell geeignet, die Handlungsspielräume der Legislative zu beschränken, u.zw. indem sie dem BVerfG in weitem Maße die Kontrolle über die Pflichter229 Vgl. Hesse, Fn.129, S.150: „Doch läßt sich ihnen (den Schutzpflichten) nicht entnehmen, welche Vorkehrungen zu treffen sind, um der Schutzpflicht zu genügen. Bei der Entscheidung, wie die Schutzpflicht erfüllt werden soll, kommt mithin den zuständigen staatlichen Organen grundsätzlich eine weite Gestaltungsfreiheit zu, die auch Raum für die Berücksichtigung etwa konkurrierender öffentlicher oder privater Belage läßt." 230

Diese Differenz wird treffend beschrieben von Alexy, Fn.14, S.420: "Wenn es verboten ist, etwas zu zerstören oder zu beeinträchtigen, dann ist jede Handlung, die eine Zerstörung oder Beeinträchtigung darstellt oder bewirkt, verboten. Demgegenüber ist dann, wenn es geboten ist, etwas zu schützen oder zufördern, nicht jede Handlung, die einen Schutz oder eine Förderung darstellt oder bewirkt, geboten. ...Dies aber heißt, daß der Adressat des Rettungsgebotes, wenn nicht weitere Gründe einschränkend hinzutreten, einen Spielraum hat, innerhalb dessen er wählen kann, wie er das Gebot erfüllen will." Hervorhebungen im Original. 231

Pietrzak, Fn. 1, S.751.

80

G. Die Reichweite der Schutzpflicht und das Untermaßverbot

fiillung überträgt. Das Problem der Abgrenzung dieser Handlungsspielräume ist immer auch ein Problem der Kompetenzverteilung zwischen dem BVerfG und dem Gesetzgeber.232 Bei der Erörterung des Umfangs dieser Schutzpflichten und ihrer Justitiabilität muß zudem differenziert werden. Der einklagbare Schutz gegen Eingriffe von seiten Dritter ist notwendig anders zu beurteilen als ein Schutz gegen Gefährdungen, die einen Eingriff in fremde (Grund-) Rechtspositionen nicht erfordert. Dies liegt daran, daß für die Legitimation eines staatlichen Eingriffs andere Bedingungen erfüllt sein müssen. Sie bedürfen einer spezifischen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, die sich nicht mit einem Hinweis auf eine das Handeln fordernde Schutzpflicht begnügen kann 2 3 3 Die folgenden Ausführungen werden sich daher getrennt mit eingreifender und nicht-eingreifender Schutzpflichtenerfüllung befassen. L Schutz durch Eingriff 1. Die Rechtsprechung des BVerfG 's In der Rechtsprechung des BVerfG's lassen sich zwei Phasen der Beurteilung des Umfangs grundrechtlicher Schutzpflichten unterscheiden. Im ersten Abtreibungsurteil hat das BVerfG festgestellt: "Wie der Staat seine Verpflichtung zu einem effektiven Schutz des sich entwickelnden Lebens erfüllt, ist in erster Linie vom Gesetzgeber zu entscheiden. Er befindet darüber, welche Schutzmaßnahmen er für zweckdienlich und geboten hält, um einen wirksamen Lebensschutz zu gewährleisten." 234 Hier wird prima facie dem Gesetzgeber ein unbegrenzter Spielraum eingeräumt. Im Fortgang seiner Argumentation gelangt das BVerfG jedoch zu der Ansicht, daß die Legislative zum Schutz des ungeborenen Lebens das Mittel des Strafrechts einsetzen müsse. Damit wird in diesem speziellen Fall, der immerhin den Schutz des menschlichen Lebens zum Gegenstand hatte, dieser Anschein gesetzgeberischen Gestaltungsermessens auf ein Minimum reduziert. Begründet wird diese vermeintliche Wendung mit einer "Gesamtbetrachtung, die einerseits den Wert des verletzten Rechtsgutes und das Maß der Sozialschädlichkeit der Verletzungshandlung - auch im Vergleich mit anderen unter Strafe gestellten

232

Vgl. Alexy, Fn.14, S.426.

233

Siehe dazu Wahl/Masing,,

234

BVerfGE 39,1 (44).

Fn.25, S.557 f.

I. Schutz durch Eingriff

81

und sozialethisch etwa gleich bewerteten Handlungen - in den Blick nimmt, andererseits die traditionellen rechtlichen Regelungen dieses Lebensbereiches ebenso wie die Entwicklung der Vorstellungen über die Rolle des Strafrechts in der modernen Gesellschaft berücksichtigt und schließlich die praktische Wirksamkeit von Strafdrohungen und die Möglichkeit ihres Ersatzes durch andere rechtliche Sanktionen nicht außer acht läßt." 235 Auf die Kritik an dieser Verknüpfung von Schutzpflicht und notwendigem Einsatz des Strafrechts, die schon im Sondervotum zum ersten Abtreibungsurteil geübt wurde, ist bereits hingewiesen worden. Unabhängig davon kann festgehalten werden, daß die Argumentenkette des BVerfG's in diesem Fall zumindest von fragwürdiger Qualität ist; denn der Sprung vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zum Erfordernis strafrechtlicher Instrumentarien ist nicht derart stringent, wie es das Gericht suggeriert. 236 Im Schleyer-Urteil wird der Staatsgewalt wieder ein weiterer Spielraum eingeräumt, obwohl es auch hier um das Leben eines Menschen ging: "Wie die staatlichen Organe ihre Verpflichtung zu einem effektiven Schutz des Lebens erfüllen, ist von ihnen grundsätzlich in eigener Verantwortung zu entscheiden. Sie befinden darüber, welche Schutzmaßnahmen zweckdienlich und geboten sind, um einen wirksamen Lebensschutz zu gewährleisten." 237 Im Gegensatz zum ersten Abtreibungsurteil konnte sich das Gericht in diesem Fall daher nicht dazu entschließen, den zuständigen Staatsorganen eine bestimmte Handlung vorzuschreiben. Nicht viel klarer, in seinen Konsequenzen jedoch weniger einschneidend als das erste Abtreibungsurteil, gerät die Begründung des C-Waffen-Urteils. Hier führt das BVerfG aus, dem Gesetzgeber komme ein weiter "Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum (zu)..., der auch Raum läßt, etwa konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen." 238 Entscheidend sei, daß die getroffenen staatlichen Maßnahmen "nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind." 239 Diese Kriterien lassen sich rechtsprechungsintern nur mit dem Verweis auf die Ausführungen zur Prärogative des Gesetzgebers im Mitbestimmungsurteil 235

BVerfGE 39,1 (45).

236

Siehe dazu auch£. Klein, Fn.3, S.1637 f.

237

BVerfGE 46,160(164).

238

BVerfGE 77, 170 (214 f).

239

BVerfGE 77,170 (214f).

6 Unruh

82

G. Die Reichweite der Schutzpflicht und das Untermaßverbot

inhaltlich ausfüllen: "Im einzelnen hängt die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers von Faktoren verschiedener Art ab, im besonderen von der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der auf dem Spiele stehenden Rechtsgüter. Demgemäß hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wenn auch im Zusammenhang anderer Fragestellungen, bei der Beurteilung von Prognosen des Gesetzgebers differenzierte Maßstäbe zugrunde gelegt, die von einer Evidenzkontrolle ...über eine Vertretbarkeitskontrolle ...bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen." 240 Vor dem Hintergrund dieser AufFächerung verfassungsgerichtlicher Kontrolle wird auch die Forderung des Gerichts im ersten Abtreibungsurteil nach strafrechtlichen Sanktionen zum Schutz des (ungeborenen) menschlichen Lebens klarer. Es verbleibt auch in dieser Entscheidung im Grundsatz bei dem Gestaltungsermessen des Gesetzgebers, das sich hier aber aufgrund der überragenden Wichtigkeit des bedrohten Rechtsgutes eine "intensivierte inhaltliche Kontrolle" durch das BVerfG gefallen lassen muß. Der jüngste Versuch einer Präzisierung, der zugleich die zweite Phase der Entwicklung zur Bestimmung des Schutzumfangs durch das BVerfG einläutet, findet sich im zweiten Abtreibungsurteil: "Art und Umfang des Schutzes im einzelnen zu bestimmen, ist Aufgabe des Gesetzgebers."241 Auch nach dieser Entscheidung bleibt der Legislative ein Gestaltungsspielraum. Mit der Zielsetzung, eine verfassungsgerichtliche Kontrolle der Erfüllung staatlicher Schutzpflichten zu ermöglichen, rezipiert das BVerfG aber nunmehr einen Begriff aus der (Verfassungs-) Rechtslehre: "Die Verfassung gibt den Schutz als Ziel vor, nicht aber seine Ausgestaltung im einzelnen. Allerdings hat der Gesetzgeber das Untermaßverbot zu beachten ...; insofern unterliegt er der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Notwendig ist ein - unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter - angemessener Schutz; entscheidend ist, daß er als solcher wirksam ist. Die Vorkehrungen, die der Gesetzgeber trifft, müssen für einen angemessenen und wirksamen Schutz ausreichend sein und zudem auf sorgfaltigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen. ...Soll das Untermaßverbot nicht verletzt werden, muß die Ausgestaltung des Schutzes durch die Rechtsordnung Mindestanforderungen entsprechen." 242 Für die Ausfüllung der Kriterien der "sorgfaltigen Tatsachenermittlung" und der "vertretbaren Einschätzungen" greift das Gericht wie-

240

BVerfGE 50,290 (332 f); Hervorhebungen vomVerf.

241

BVerfGE 88, 203 (254).

242

BVerfGE 88, 203 (254f); Hervorhebungen im Original.

I. Schutz durch Eingriff

83

derum auf die Ausführungen aus dem Mitbestimmungsurteil zurück. 243 Es wendet sich aber gegen die eigenen Feststellungen aus dem C-Waffen-Urteil, wonach die Schutzpflichten des Staates schon dann erfüllt seien, wenn die getroffenen Maßnahmen nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind. Ob dem BVerfG mit der Übernahme des Untermaßverbotes nunmehr die Lösung des Kontrollproblems gelungen ist, ist in der Literatur bisher wenig thematisiert worden. 2. Die Kontroverse

um das Untermaßverbot

Die verfassungsdogmatische Literatur hat bisher zurückhaltend auf die verfassungsgerichtlichen Weihen des Untermaßverbotes reagiert. Im allgemeinen wird die Ansicht des Gerichts referiert, ohne daß in eine (kritische) Auseinandersetzung mit dem Untermaßtheorem eingetreten wird. 2 4 4 Dieser Befund könnte damit erklärt werden, daß es stets eines gewissen Zeitraums bedarf, neue Rechtsfiguren des BVerfG's dogmatisch einzuordnen. So liegt es hier indessen nicht, da das Gericht sich in dieser Frage ausdrücklich einer in der Literatur entwickelten Meinung angeschlossen hat. Das Untermaßverbot wurde im Zusammenhang mit der Frage entdeckt, wann der Staat durch das Unterlassen von Schutzanordnungen die Verfassung verletzt: "Verfassungswidrig ist das Fehlen von Schutzvorschriften dann, wenn das verfassungsrechtlich gebotene Schutzminimum unterschritten ist. Wann das der Fall ist, läßt sich generell nicht sagen, sondern hängt wesentlich von der Art des betroffenen Rechtsguts und der Möglichkeit zu privatautonomem Selbstschutz ab. Ein dem Übermaßverbot entsprechendes handliches Untermaßverbot ist bisher als generelles Instrument nicht entwickelt worden..." 245 Der Begriff des Untermaßverbotes ist im folgenden von einer Reihe von Autoren aufgegriffen worden. 246 Allen gemeinsam ist die Ansicht, daß die Schutzpflichten einen bestimmten verfassungsgebotenen Mindeststandard an Erfüllung gebieten, der nicht unterschritten werden dürfe. 247 Die

6*

243

BVerfGE 88,203 (262).

244

Statt vieler Hesse, Fn.57, S.550 ff.

245

Canaris, Fn.182, S.228. Hervorhebungen im Original.

246

Etwa Jarass, Fn.24, S.383 ff; Götz, Fn.38, S.1025 f; Isensee, Fn.4, S.232 f.

247

So Isensee, Fn.4, S.232.

84

G. Die Reichweite der Schutzpflicht und das Untermaßverbot

Konkretisierung dieses Untermaßverbotes hänge vom Einzelfall, insbesondere von den betroffenen Schutzgütern ab. 2 4 8 In den genannten Dreiecksfällen kann aber nicht nur dieser Mindeststandard von Bedeutung sein. Soll und muß zur Erfüllung von Schutzpflichten in die Grundrechtspositionen Dritter eingegriffen werden, so ist zugleich das Übermaßverbot, d.h. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.249 Nach der genannten Literaturansicht befindet sich der Schutzpflichtenadressat bei dieser Konstellation in doppelter Hinsicht unter Legitimationszwang: "Der Rechtsstaat steht hier von zwei Seiten unter grundrechtlichem Rechtfertigungszwang: vom Störer, wenn er in sein Grundrecht eingreift, oder vom Schutzbedürftigen, wenn er ihm den Schutz vorenthält." 250 Dieses Verhältnis von Über- und Untermaßverbot führe aber nicht dazu, daß jeweils nur eine verfassungsgebotene Ausgleichsmöglichkeit in Betracht käme. Vielmehr bestehe zwischen dem vom Untermaß geforderten Schutzminimum und dem Verbot unverhältnismäßigen Eingreifens in Grundrechtspositionen ein gesetzgeberischer Spielraum, der insoweit auch nicht justitiabel sei. 251 "Der Gesetzgeber muß zumindest soweit in das Grundrecht des Dritten eingreifen, als dies die dem geförderten Grundrecht entfließende Schutzpflicht gebietet. Darüber hinaus muß er nicht gehen, kann es aber, bis hin zur praktischen Konkordanz der beiden Grundrechte." 252 Die praktische Konkordanz soll die Grenze bestimmen, "wie weit der Gesetzgeber gehen darf, wenn er die Ausübung eines Grundrechts zu Lasten der Grundrechte anderer Personen fördert." 253 Der Gesetzgeber muß demnach einerseits bemüht sein, das Schutzminimum nicht zu unterschreiten, und andererseits das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachten, wenn er sich nicht der Kritik des BVerfG's aussetzen will. 248

Canaris: Grundrechtswirkungen und Verhältnismäßigkeit in der richterlichen Anwendung und Fortbildung des Privatrechts, JuS 1989, S.163. Für einen weiten Spielraum bei der Erfüllung von Schutzpflichten auch Kunig: Grundrechtlicher Schutz des Lebens, Jura 1991. S.415 ff. Der Aspekt des Mindeststandards wird betont bei Langer. Staatshaftung für Waldschäden wegen Verletzung grundrechtlicher Schutzpflicht, NVwZ 1987, S.195. 249 Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit siehe grundlegend Lerche: Übermaß und Verfassungsrecht, Köln / Berlin 1961; Hirschberg: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Berlin 1981; Stern: Zur Entstehung und Ableitung des Übermaßverbots, in: Badura, Peter (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens. Festschrift für Peter Lerche, München 1993, S.165 ff. 250

Isensee, Fn.4, S.233.

251

Conans, Fn.248, S.163 f.

252

Jarass, Fn.24, S.384; Hervorhebungen im Original.

253

Jarass, Fn.24, S.384; Hervorhebungen im Original.

I. Schutz durch Eingriff

85

Die Gegenposition hält das Untermaßverbot hingegen verfassungsrechtsdogmatisch für überflüssig. Aus dem Untermaßverbot folge nichts, was sich nicht schon aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit herleiten ließe. NEs besteht keine Spanne zwischen Mindest- und Höchstmaß, zwischen Unterund Obergrenze gesetzgeberischen Handelns. Beide Grenzen fallen vielmehr zusammen."254 Begründet wird diese Kongruenzthese mit einem Blick auf das Abwägungserfordernis in den Dreiecksfällen. Über- und Untermaßproblem erweisen sich dabei als eine Frage der jeweiligen Perspektive bei der Abwägung. Unterschiedliche Abwägungsergebnisse oder die behauptete Spanne ließen sich durch einen bloßen Perspektivenwechsel nicht begründen. "Was sich aus der Perspektive des Beeinträchtigten als Frage nach dem zulässigen Höchstmaß, aus dem Blickwinkel des Schutzsuchenden als Problem der Mindestschutzanforderungen darstellt, wird durch ein und dieselbe Lösung anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips i.w.S. beantwortet. Dabei indiziert schon die Bezeichnung der zweiten Stufe des Prinzips als "Erforderlichkeit", daß d Staat im Hinblick auf das tangierte Grundrecht gerade noch tun darf was er als "erforderlich "für das zu schützende Gut tun muß. Das "Erforderliche" i.S. des Verhältnismäßigkeitsprinzips i.w.S. dürfte sich kaum vom "notwendigen, als solchem wirksamen Schutz" i.S. des Bundesverfassungsgerichts ...unterscheiden."255 Damit ist nicht gesagt, daß der Gesetzgeber anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips in Fällen der Grundrechtskollision bei Erfüllung von Schutzpflichten stets nur eine verfassungskonforme Abwägungsentscheidung treffen könne. Vielmehr besteht auch im Rahmen des Übermaßverbotes ein gesetzgeberischer Spielraum, dessen Ausfüllung sich der Überprüfung durch das BVerfG entziehe. Es wird hier nur darauf hingewiesen, daß die Rechtsfigur des Untermaßverbotes in den Dreiecksfällen keine eigenständige Bedeutung besitzt. Sie wird deshalb aber nicht als neutral angesehen. Ihr wird entgegengetreten, weil ihr die "Tendenz zur Verselbständigung" innewohne. 2 5 6 Diese Tendenz sei eine Eigenschaft vieler neuartiger Rechtsfiguren, die nicht zuletzt auch an der Karriere des Übermaßverbotes studiert werden könne. Sie kann dazu führen, daß die Gestaltungsbefugnisse des Gesetzgebers in höherem Maße als ohnehin schon praktiziert zugunsten des BVerfG reduziert, 25 4

Hain, Der Gesetzgeber in der Klemme, Fn.12, S.983.

255

Hain , Der Gesetzgeber in der Klemme, Fn.12, S.983; Hervorhebungen im Original. Ausdrücklich zustimmend Starck , Fn.ll, S.88 f: "Der Staat darf im Hinblick auf das tangierte Grundrecht gerade noch tun, was er als notwendig für das zu schützende Schutzgut tun muß." Völlig verkannt wird der Gehalt und die Zielsetzung der Kongruenzthese bei Äussern: Die Aus-strahlungswirkung der Grundrechte auf das Arbeitsrecht, Köln 1994, S.60 ff. 256

Hain, Der Gesetzgeber in der Klemme, Fn. 12, S.984.

86

G. Die Reichweite der Schutzpflicht und das Untermaßverbot

bzw. durch das BVerfG überprüfbar und damit korrigierbar würden. 257 Die politische Gestaltung ist nach der grundgesetzlichen Ordnung aber grundsätzlich dem parlamentarischen Gesetzgeber zugewiesen; diesen Bereich darf das BVerfG nicht durch eine Ausweitung seiner eigenen Befugnisse okkupieren. Zwar ist eine trennscharfe Linie zwischen politischer Gestaltungsfreiheit und verfassungsgerichtlicher Kontrollbefugnis nicht immer klar zu ziehen. Klar sollte aber sein, daß im Bereich von Handlungsspielräumen innerhalb des Verfassungsrahmens der ersteren der Vorzug gebührt. 258 Der Kongruenzthese ist u.a. entgegengehalten worden, daß Über- und Untermaßverbot dogmatisch auf jeweils verschiedenen Ebenen angesiedelt seien. "Über- und Untermaßverbot rangieren von ihrem methodischen Ansatz her ...auf verschiedenen normativen Ebenen."259 So sei die Erforderlichkeit im Sinne des Übermaßverbotes eine auf ein konkretes Gesetz bezogene Größe, die Erforderlichkeit des Untermaßverbotes hingegen "eine das Gesetz transzendierende, von dessen Zielkonzeption grundsätzlich unbeeinflußte und unmittelbar auf das Verfassungsrecht bezogene Größe." 260 Diese Differenzierung entbehrt jedoch der dogmatischen Grundlage. Denn sowohl in den Anwendungsfällen des Übermaßverbotes als auch in den - hier als eigenständig unterstellten Anwendungsfallen des Untermaßverbotes geht es um Zwecksetzungen des Gesetzgebers, die in ihrer Durchsetzung an der Verfassung gemessen werden müssen. Der einzige Unterschied zwischen den Fallgruppen besteht darin, daß dem Staat bei Anerkennung grundrechtlicher Schutzpflichten bestimmte Zwecke verbindlich aufgegeben werden. Aber auch diese Zwecke müssen verfassungskonform durchgesetzt werden. Daher bildet allein die Schutzpflicht "als von der Verfassung vorgegebener Gesetzeszweck den Fixpunkt für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit." Unterschiedliche normative Ebenen sind nicht ersichtlich. Das Gewicht der Argumente zugunsten der Kongruenzthese wird verstärkt durch prinzipientheoretische Überlegungen. Sie bringen zudem Klarheit, war-

257

So auch Starck, Fn. 11, S.88.

258

Statt vieler Hesse, Fn.51, S.553 f.

259

Dietlein, Fn.12, S.137.

260

Dietlein, Fn.12, S.136.

261

Hain: Das Untermaß verbot in der Kontroverse, Fn. 12, S.5. Hervorhebungen im Original.

26

I. Schutz durch Eingriff

87

um die vorhandenen Prognosespielräume bei der Erfüllung von Schutzpflichten durch Eingriff nicht vollständig verfassungsgerichtlich justitiabel sind: Die entsprechende Kompetenzverteilung zwischen Gesetzgeber und BVerfG ist ihrerseits durch eine Abwägung bestimmbar. 262 "Das Prognoseproblem wird ...zu einem Problem der Abwägung zwischen dem jeweils betroffenen materiellen grundrechtlichen Prinzip und dem formellen Prinzip der demokratisch legitimierten Entscheidimgskompetenz des Gesetzgebers."263 Aus dieser Sicht können sich hinsichtlich der Justitiabilität der Schutzpflichten ebenfalls keine anderen Probleme ergeben als bei den Abwehrrechten. 264 Es spricht also viel dafür, die Rechtsfigur des Untermaßverbotes nicht überzubewerten. Eine eigenständige Relevanz bei der Entscheidung von Dreiecksfällen kommt ihr jedenfalls nicht zu. Das zeigen die bisher vorgetragenen verfassungsdogmatischer Argumente. Neben dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in den die Erfüllung der Schutzpflicht als Gesichtspunkt der Erforderlichkeit integriert werden kann, empfiehlt sich vor allem ein Rückgriff auf die im Mitbestimmungsurteil entwickelten Kriterien zur Justitiabilität von Prognosespielräumen. Auf die Konkretisierung dieser Eckdaten einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle des Gesetzgebers im Bereich der Schutzpflichtenproblematik sollten sich Judikatur und Literatur gemeinsam konzentrieren, statt mit dem Verweis auf eine fragwürdige Rechtskonstruktion einer weitergehenden Einschränkung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers Vorschub zu leisten. Es steht zwar nicht nicht zu erwarten, daß für jeden Einzelfall eine konkete Lösung vorgegeben werden kann. Dies ist aber auch nicht Aufgabe der Verfassungsdogmatik. Vielmehr muß sie sich darauf beschränken, dogmatisch fundierte und konsistente Orientierungspunkte für die Entscheidung von Einzelfällen zu geben.

262

Pietrzak , Fn.l, S.751 verweist auf Stimmen in der Literatur, die bei der Begrenzung von Schutzpflichten zwischen vorbehaltlos gewährleisteten und anderen Grundrechten differenzieren. Auch diese Ansichten gelangen jedoch zu dem Ergebnis, daß eine Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechtspositionen vorzunehmen ist; etwa Rabben: Rechtsprobleme der atomaren Entsorgung, Köln 1988, S.133. 263 26 4

Alexy, Fn.14, S.427; ders ., Fn.127, S.280.

Alexy, Fn.14, S.428. Hier ist anzumerken, daß die Abwägung zwischen materiellen Grundrechtsprinzipien und formellen Verfassungsprinzipien - etwa dem Prinzip der Gewaltenteilung - ein neuartiges Element der Theorie Alexys darstellt, das nicht ohne weiteres auf den bis dahin gegebenen Erläuterungen zu Grundrechtskollisionen aufbauen kann. Wird hier im Ergebnis der These Alexys zugestimmt, so kann doch ein gewisses Begründungsdefizit bei Alexy selbst nicht unerwähnt bleiben.

88

G. Die Reichweite der Schutzpflicht und das Untermaßverbot

IL Schutz ohne Eingriff Die Erörterungen zum Schutz ohne Eingriff können vergleichsweise kurz ausfallen. In den seltenen Fällen, in denen eine Schutzpflicht keiner Grundrechtsposition eines Dritten gegenübersteht, scheint das Untermaßveibot uneingeschränkte Anwendung zu finden. Hier kann es jedenfalls nicht durch einen Perspektivenwechsel für überflüssig erklärt werden. Doch erweist sich bei näherer Betrachtung, daß dieser Rechtsfigur auch hier eine eigenständige Bedeutung fehlt. Besteht eine grundrechtliche Schutzpflicht des Staates und wird deren Erfüllung nicht durch gegenläufige Rechtsgüter behindert, so muß diese Pflicht uneingeschränkt erfüllt werden. 265 Es muß das getan werden, was effektiven Schutz gewährleistet. Zusätzliche Kriterien für diese Erfüllung lassen sich auch aus dem Untermaßverbot nicht gewinnen. Dieser Eindruck wird wiederum durch einen Rekurs auf prinzipientheoretische Überlegungen bestärkt. Wenn Schutzpflichten als Optimierungsgebote begriffen werden, so gilt, daß sie relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten in möglichst hohem Maße realisiert werden müssen.266 Eine Optimierung ohne gegenläufige Abwägungspositionen bedeutet allerdings keine uneingeschränkte Maximierung, denn hier werden die Beschränkungen auf das rechtlich und tatsächlich Mögliche relevant. Als tatsächliche Beschränkung werden u.a. auch haushaltsrechtliche Erwägungen oder Zwänge bedeutsam.267 Die Justitiabilität kann sich auch hier an die im Einzelfall zu konkretisierenden Maßstäbe des Mitbestimmungsurteils orientieren. Beide Begründungsstränge verdeutlichen, daß auch bei Fehlen der Dreieckskonstellation zur Erfüllung von Schutzpflichten das Untermaßverbot als Kriterium nicht erforderlich ist. Eine eigenständige Bedeutung erlangt es auch hier nicht und sollte daher wegen der bereits geschilderten Gefahr der Dynamisierbarkeit neuer Rechtsfiguren nicht weiter verwendet werden.

265

Hain: Das Untermaßverbot in der Kontroverse, Fn.12, S.9.

266

Vgl. Alexy, Fn.14, S.75 ff.

267

Diese können es gebieten, etwa im Rahmen eines Küstenschutzprojektes nicht den denkbar besten, sondern im Vergleich zu diesem Maßstab auch einen bezahlbaren Deichbau zu favorisieren. Auf den Vorbehalt des Möglichen bei der Erfüllung von Schutzpflichten wird auch hingewiesen bei Isensee, Fn.4, S.221 f.

H. Zusammenfassung Grundrechtliche Schutzpflichten des Staates haben im modernen Staat der Gegenwart an Bedeutung gewonnen. Der Gefahrdung der Freiheit des Menschen durch den Menschen, durch menschliche Zusammenschlüsse in privaten, wirtschaftlichen oder sozialen Verbänden oder durch die (menschlich verschuldeten oder unverschuldeten) Havarien der Natur kann vielfach nur durch gezieltes Tätigwerden der staatlichen Gewalten abgewendet werden. Es darf prognostiziert werden, daß der Bedarf an solchen staatltichen Aktivitäten tendenziell zunehmen wird; erinnert sei nur an die anhaltende technische Revolution mit ihren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. 268 Die Diskussion um die verfassungsrechtliche Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten ist (auch mit der vorliegenden Untersuchung) noch nicht abgeschlossen. Eine Systematisierung und kritische Bewertung der bisher vorhandenen Ansätze erlaubt aber die Formulierung der folgenden Zwischenergebnisse: Grundrechtliche Schutzpflichten sind Handlungsaufträge an den Staat zum Schutz grundrechtsbewehrter Positionen. Als solche sind sie dem Grundgesetz nicht fremd; vielmehr lassen sich eine Reihe von Schutzpflichten direkt aus dem Verfassungstext herauslesen. Eine weitergehende dogmatische Herleitung solcher Verpflichtungen muß bei der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte ansetzen. Insoweit ist dem BVerfG im Grundsatz zu folgen; die abweichenden Literaturauflfassungen vermochten nicht zu überzeugen. Als hilfreich hat sich aber die prinzipientheoretische Umformulierung der "Wertordnungsrechtsprechung" erwiesen, weil sie die "Werttheorie" des BVerfGs von z.T. berechtigten Vorwürfen freistellt. Die grundrechtlichen Schutzpflichten sind in ihrer Normstruktur als Prinzipien und damit als Optimierungsgebote zu beschreiben, die im Hinblick auf die jeweils gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten in 268

Siehe dazu nochmals Henseler, Fn.l; S.489 ff; Lawrence, Fn.2; Schlette, Fn.2; Hofinann, Fn.2, S.87 ff und Pietrzak, Fn.l, S.753.

90

H. Zusammenfassung

möglichst hohem Maße zu verwirklichen sind. Sie haben den Status subjektiver Rechte, sind also im Wege der Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG einklagbar; auch dies entspricht der Ansicht des BVerfG's. Bei der Erörterung der Reichweite der Schutzpflichten und ihrer Justitiabilität konnte gezeigt werden, daß die dogmatische Stringenz und auch die praktische Erforderlichkeit des Untermaßverbotes fragwürdig sind. Es spricht viel dafür, diese Rechtsfigur nicht in ähnlicher Weise wie das für Grundrechtseingriffe unverzichtbare Übermaßverbot zum Standard der verfassungsgerichtlichen Judikatur werden zu lassen. Die bisher vom BVerfG verwendeten Maßstäbe zur Überprüfung gesetzgeberischer Spielräume, die auch bei der Erfüllung von Schutzpflichten vorhanden sind, reichen aus. Abschließend sei nochmals darauf hingewiesen, daß die hier erzielten Ergebnisse nicht dazu beitragen können, für jeden Einzelfall eine Formel anzugeben, die unweigerlich zur richtigen Lösung führt. Wie bereits erwähnt, kann dies auch nicht die Aufgabe der (Verfassungs-) Dogmatik sein, zumindest nicht in dem hier verhandelten Bereich. Insofern bescheidet sich die vorliegende Untersuchung in dem Bestreben, einige Orientierungspunkte zur Behandlung der Schutzpflichtenproblematik aufzuzeigen.

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Sachverzeichnis Abtreibungsurteil : - erstes Abtreibungsurteil: 20f, 29ff, 76, 80ff - Sondervotum zum ersten Abtreibungsurteil: 59ff, 64, 81 - zweites Abtreibungsurteil: 18, 31f, 82 Abwägung: 50, 85ff Alkoholgrenzwert: 18 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten: 39 Amerika: 38,40 - Unabhängigkeitserklärung: 38 Atomgesetz: 78 Atomkraft: 17, 30,46, 58 Autonomie: 35,43, 63 - Privatautonomie: 66, 70, 83 BAG: 67 Beleihung: 68 Berufsfreiheit: 29, 68 BGH: 67, 69 Bürgerkrieg, konfessioneller: 37f BImSchG: 45 BVerfGG: 54, 60 C-Waifen-Entscheidung: 58f, 81f Déclaration des droits de l'homme et du citoyen: 38

7'

Demokratie: 22, 87 Diskurstheorie: 54 Dogmatik: 17, 19, 21, 26ff, 34, 36ff, 54, 71 ff, 86ff Dreiecksfälle: 21 ff, 84ff Duldungspflicht: 45 Eigentumsfreiheit: 33 Ethik: 17, 80 Exekutive: 20, 24, 32, 35, 67, 78 Fluglärm-Entscheidung: 32, 58 Fortschritt, technischer: 22 Frankreich: 38,41 - Französische Revolution: 40 Freizügigkeit: 27 Frieden: - Friedenspflicht des Bürgers: 37 - Innerer Frieden: 37, 39,44 Fürsorge-Entscheidung: 29 Gefährdungspotential: 21, 58 Generalklauseln: 70f Generationen, künftige: 17 Gentechnik: 23, 25, 50 Gesetz: 23ff, 77 - Gesetzesmediatisierung: 24 - Nachbesserungspflicht: 24f

100

averzeichnis

Gesetzgeber, parlamentarischer: s.u. Legislative

Ideengeschichte: 37ff, 61

Gewaltenteilung: 53ff

Instanzenzug: 69

Immissionen: 45

Gewaltmonopol des Staates: 37 Grundrechte: - Abwehrrechte: 17,26, 32, 34, 40f, 44ff, 50ff, 64,68,71,75f, 79, 87 - Ausstrahlungswirkung: 70,72 - Drittwirkung: 19, 35,44f, 66ff - Grundrechtsdreieck: s.u. Dreiecksfälle - Grundrechtseingriff: 20f, 31, 45, 75f, 80, 90 - Grundrechtsfunktion: 18,40f, 55ff, 63f, 68, 72

Judikative: 20,24, 32, 35, 53ff, 67, 70, 72f, 79, 87 - Kontrolldichte: 55,83 Jurisdiktionsstaat: 50, 53,61 Justitiabilität: 19,41, 56,64,76,78ff, 90 Kalkar-Beschluß: 30,46 Kernenergie: s.u. Atomkraft Kindererziehung: 27 Koalitionsfreiheit: 66f

- Grundrechtsgefährdung: 23

Körperliche Unversehrtheit: 18

- Grundrechtsindividualismus: 63f

Konsens: 18,23,43f, 69

- Grundrechtstheorie: 40f, 53

Küstenschutz: 76, 88

- Grundrechtsträger: 21f

Kulturstaat: 29

- Grundrechtsverletzung: s.u. Grundrechtseingriff - Kompatibilität der Grundrechtssphären: 21ff, 68 - Objektiv-rechtliche Dimension: 23, 31ff, 39f, 53, 55ff,69,71f, 74, 78, 88 - Optimierungsgebote: 52ff, 62f, 74f, 78, 88ff

Legislative: 20,24f, 29, 32, 35, 53ff, 60,67,70, 72f, 76ff, 85, 87 Lehrbuchliteratur: 18 Leistungsrechte: 49, 63 Liberalismus: 40 Lüth-Urteil: 34f, 50f, 69f

- Programmsätze: 40

Meinungsfreiheit: 27, 33

- Schranken: 27, 37,47ff

Menschenrechte: 22, 35, 38,40, 69

- Schutzbereichsbegrenzung: 27

Menschenwürde: 27,29ff, 42ff, 54, 61,63,69, 75

- Wertentscheidungen: 23,29, 32ff, 59, 75

Mindeststandard: 83ff Mitbestimmungsurteil: 81f, 87f

Handelsvertreter-Entscheidung: 70 Hochschul-Urteil: 29, 35

Mühlheim-Kärlich-Beschluß: 30,46, 58 Nachbarrecht: 23

averzeichnis Natur: 21ff, 89

- der Mutter

Neuzeit: 37,40 Normenkontrolle: 64

- des ungeborenen Lebens: 17, 20ff, 30ff, 60, 80ff

Numerus-clausus-Urteil: 49

- Schutzlücken: 24,43, 77 - Schutzstandard: 24

Ozon-Gesetz: 17

Schutzpflichten: - Adressat: 21,79, 84, 88

Parlamentarischer Rat: 35,68

- Anspruchscharakter: 19,26,42

Persönlichkeitsrecht: 27, 34

- Konkretisierung: 24

Philosophie: 33, 50

- Schutzminimum: s.u. Mindeststandard

Politik: 60, 85 Polizei- und Ordnungsrecht: 22, 77ff Praktische Konkordanz: 84 Pressefreiheit: 28 Prinzipientheorie: 52, 62ff, 74,76,78, 86ff Privatrecht: 68ff Rationalitätsverlust: 50 Rechtslehre: 21, 82 Rechtspraxis: 21 Rechtsordnung: 21,23,27, 32, 53, 82 Rechtsprechung: s.u. Judikative Rechtsstaat: 23, 67 Regelungsauftrag: 24 Religionsfreiheit: 28 Ressourcenknappheit: 17 Risiko: 24,44 - Restrisiko: 17, 77 Rundfunkfreiheit: 35 Schleyer-Urteil: 30, 81 Schutz: - der Ehe und Familie - der Ehre - der Jugend: 27

- Subjektivierung: 57ff, 71 - Umsetzung: 20,23ff, 79ff Schwangerschaftsabbruch: s.u. Abtreibungsurteil Seuchen: 22 Sicherheit: 22f, 37ff Souveränität: 38 Sozialadäquanz: 77 Soziale Frage: 55 Soziale Macht: 69, 71 Sozialstaatsprinzip: 47ff, 61ff, 67,69 Staat/Bürger-Verhältnis: 68 Staatsgewalt: 20,24,27,29, 57,67, 72, 76, 89 Staatslehre: 37, 39f, 54 Staatstheorie: s.u. Staatslehre Staatszwecke: 37ff Strafrecht: 60, 80ff Sturmflut: 22 Technik: 24f, 44, 78, 89 Totalitarismus: 54 Übermaßverbot: 19, 84ff Umweltschutz: 17,44f, 89

102

Sachverzeichnis

Unbestimmte Rechtsbegriffe: 70f Untermaßverbot: 18f, 79£T Verfassunggebung: 53f Verfassungsänderung: 42 Verfassungsauslegung: s.u. Verfassungsinterpretation Verfassungsbeschwerde: 18, 57f, 64, 89 Verfassungsinterpretation: 17,26f, 50, 53f - Historische Auslegung: 41 Verfassungspolitik: 55 Verfassungsstaat, demokratischer: 36, 38f, 55f, 68 Verfassungstheorie: 53, 55

Verfassungswirklichkeit: 42 Verhältnismflßigkeitsprinzip: s.u. Übermaßverbot Versammlungsfreiheit: 27 Virginia Bill of Rights: 38 Waldbrände: 22,44 Weltanschauliche Neutralität des Staates: 33 Weitordnung: 30, 32ff, 39f, 49ff, 62, 74f, 88 Wissenschaft: 29 - Naturwissenschaft: 24f Wohnung, Unverletzlichkeit: 27 Zivilisation: 17