Bund und Versöhnung: Zur Begründung der Dogmatik bei Johann Franz Buddeus 9783666562846, 3525562845, 9783525562840


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German Pages [364] Year 1996

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Bund und Versöhnung: Zur Begründung der Dogmatik bei Johann Franz Buddeus
 9783666562846, 3525562845, 9783525562840

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V&R

FRIEDERIKE NÜSSEL

Bund und Versöhnung Zur Begründung der Dogmatik bei Johann Franz Buddeus

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von W o l f h a r t Pannenberg u n d Reinhard Slenczka Band 7 7

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufhahme

Nüssei, Friederike: Bund und Versöhnung: zur Begründung der Dogmatik bei Johann Franz Buddeus / Friederike Nüssei. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1996 (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 77) ISBN 3-525-56284-5 NE: GT

© 1996 Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen.

Vorwort Die vorliegende Untersuchung zur dogmatischen Theologie von Johann Franz Buddeus wurde im Wintersemester 1993/94 von der EvangelischTheologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München als Dissertation angenommen und erscheint hier in leicht überarbeiteter Form. Meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Wolfhart Pannenberg, D.D. mult. F.B.Α., verdanke ich nicht nur die Anregung zur Beschäftigung mit der Theologie von J.F. Buddeus, er hat die Arbeit auch begleitet, das Erstgutachten erstellt und mir mit einer Assistentenstelle die Möglichkeit gegeben, über der Forschung in den lateinischen Texten den Kontakt zu den Studierenden und zu anderen systematisch-theologischen Fragestellungen nicht zu verlieren. Für seine umfassende Förderung bin ich von Herzen dankbar. Im Rahmen des Promotionsverfahrens danke ich ferner Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Trutz Rendtorff für sein Korreferat und Herrn Professor Dr. Walter Sparn für seine auswärtige Stellungnahme. Den Herausgebern der 'Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie', Herrn Professor Dr. Reinhard Slenczka und Herrn Professor Dr. Wolfhart Pannenberg, sei für die Aufnahme der Arbeit in ihre Reihe, Herrn Dr. Arndt Ruprecht und Frau Renate Hartog für die freundliche verlegerische Betreuung der Veröffentlichung gedankt. Neben der Förderung durch meinen Doktorvater erfuhr ich während meiner Münchener Studien- und Assistentenzeit immer wieder entscheidenden fachlichen und freundschaftlichen Anstoß von Frau Professor Dr. Christine Axt-Piscalar. An die gemeinsame Zeit denke ich gerne zurück. Zur Fertigstellung des Manuskripts haben Herr wiss. Ass. Markus Buntfuß und Herr Dr. Martin Laube mit kritischen Rückfragen und Korrekturen beigetragen. Markus Buntfuß hat mir darüberhinaus dabei geholfen, die Vorlage für den Druck selbst zu erstellen. Einen Großteil des Korrekturlesens übernahm mit unermüdlichem Einsatz Frau stud, theol. Ricarda Henke. Vielfältige freundschaftliche Unterstützung verdanke ich außerdem Frau Vikarin Silvia Laube. Ganz besonders aber danke ich meinem Mann Matthias, der mich stets ermutigt und für immer neuen Elan gesorgt hat. Gewidmet ist dieses Buch meinen Eltern, die meinen Werdegang ermöglicht und mit viel Anteilnahme und Verständnis begleitet haben. München, den 29.2.1996

Friederike Nüssel

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Inhalt Vorwort Inhalt Einleitung Kapitel I: Die Autorität

der Schrift

1. Die Bedeutung der Verbalinspiration im Zusammenhang der Begründung der Autorität der Schrift 2. Die Affektionen der Schrift als Grund ihrer Autorität 3. Die Funktion der Schriftlehre im Kontext des theologischen Systems

Kapitel II: Begriff und Aufgabe der Dogmatik 1. Die Dogmatik im Kontext der theologischen Disziplinen a) Die systematische Theologie und ihre dogmengeschichtlichen "Hilfswissenschaften" b) Die kirchenpraktischen Einzelwissenschaften c) Die Selbständigkeit der Exegese gegenüber der Dogmatik .. d) Zur theologiegeschichtlichen Bedeutung der Isagoge e) Das Ziel der Theologie 2. Der Begriff der dogmatischen Theologie a) Dogmatik als positive Theologie b) Das katechetische Interesse der Dogmatik c) Die systematische Methode der Dogmatik 3. Die Aufgabe der dogmatischen Theologie a) Der Wahrheitsbegriff der theologischen Wissenschaft b) Das Analogieprinzip als Kriterium dogmatischer Aussagen c) Notwendigkeit und Objektivität der Dogmatik 4. Die Ablösung der analytischen Methode der Dogmatik 5. Zusammenfassung

Kapitel III: Die Versöhnung des Menschen mit Gott

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A. Die Mittlertätigkeit Christi als Grund des Glaubens

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1. Zur Thematik der Christologie 2. Das satisfaktorische Amt Christi als Grund der Versöhnung a) Die Konstitution der Person des Mittlers b) Das Verständnis der Erniedrigung des Mittlers c) Die Vollendung des Werkes Christi in und durch die Erhöhung d) Der Vollzug der Versöhnung durch den aktiven und passiven Gehorsam der Erniedrigung 3. Die Ermöglichung der Heilszueignung durch die Mittlerschaft Christi 4. Zusammenfassung

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B. Die Vermittlung des Heils im Glauben

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Der in der Wiedergeburt hervorgebrachte Akt des Glaubens Die Bekehrung durch das Wort Gottes Die Rechtfertigung des Wiedergeborenen Die Erneuerung des Menschen in der Heiligung Zusammenfassung

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Kapitel IV: Der Bund als Themader Versöhnung

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1. Die Notwendigkeit des Gnadenbundes a) Die Sünde Adams als kontingente Folge seiner begrenzten Urstandsvollkommenheit b) Das Theodizeeproblem 2. Der Gnadenbund als Aufhebung des Werkbundes a) Der Satisfaktionstod Christi als stellvertretender Sühnetod b) Die Notwendigkeit des Todes Christi c) Der universale Heilswille Gottes 3. Die universale Geltung des Gnadenbundes a) Interesse und Problem der Prädestinationslehre b) Der föderaltheologische Gedanke c) Die Konstitution der Erwählungsgewißheit durch die Sakramente d) Konsequenzen für den Begriff der Kirche 4. Zusammenfassung

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Kapitel V: Religion und Offenbarung

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1. Die Entwicklung des Religionsbegriffs a) Zum theologiegeschichtlichen Ursprung des Begriffs der natürlichen Religion b) Die Begründung des Begriffs der natürlichen Religion aus dem Bewußtsein "schlechthinniger" Abhängigkeit c) Die Unmittelbarkeit des natürlich religiösen Wissens d) Der allgemeine Religionsbegriff als Bestimmung der Religiosität des Menschen e) Die Insuffizienz der natürlichen Religion f) Zur Funktion des Begriffs der natürlichen Religion im theologischen System 2. Die offenbarte Religion a) Die Eigentümlichkeit der offenbarten Religion gegenüber der natürlichen Religion b) Der Ansatz zur religionsgeschichtlichen Betrachtung c) Die christliche Religion als Offenbarung Gottes d) Vernunft und Offenbarung

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Kapitel VI: Gott als das höchste Gut des Menschen

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1. Die Erkenntnis der Güte Gottes als Aufgabe der Theologie a) Das praktische Ziel der Gotteslehre b) Zum Schriftgrund der Lehre von Gott als dem höchsten Gut des Menschen c) Zur Funktion der Onomatologie 2. Die Gewißheit der Existenz Gottes a) Die Kritik an Descartes' Konzept der eingeborenen Idee Gottes b) Die Widerlegung des ontologischen Arguments c) Kosmologische Vergewisserung der natürlichen Gotteserkenntnis 3. Die Abhängigkeit der Gottesgewißheit von der Erfahrung der Providenz a) Die Schöpfung aus dem Nichts als Voraussetzung der Rede von Gottes freiem Handeln in der Welt b) Providenz als Handeln Gottes c) Die Erkenntnis der Providenz Gottes

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4. Gott als unabhängiger Geist a) Zum Verfahren der Eigenschaftslehre b) Die Eigenschaftslehre als Erhebung zum Gottesgedanken c) Zur Kritik an Spinozas Verständnis der Freiheit Gottes d) Das Theodizeeproblem als Folge des theistischen Gottesbegriffs? 5. Gott in seiner Offenbarung 6. Zusammenfassung

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Rückblick

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Literaturverzeichnis

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Personenregister

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Sachregister

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Einleitung Die im Bund Gottes mit dem Menschen begründete Versöhnung bildet die Mitte der Dogmatik, wie sie von Johann Franz Buddeus (1667-1729) als theologische Disziplin zur Darstellung und Verteidigung des christlichen Glaubens etabliert worden ist. Die vorliegende Arbeit unternimmt eine Rekonstruktion der dogmatischen Theologie von Buddeus unter der Frage, in welcher Weise Buddeus die Dogmatik konzipiert und durchgefühlt hat und inwiefern sich von daher der Ubergang von der altprotestantischen Theologie zur Aufklärungszeit und zum Neuprotestantismus 1 erhellen läßt. 2 Mit einer solchen Besinnung auf die theologiegeschichtliche Bedeutung der Konzeption von Buddeus wird eine Aufgabe wahrgenommen, die nicht erst Johann Salomo Semler, sondern bereits Buddeus selbst in seiner theologischen Enzyklopädie als notwendiges Moment theologischer Selbstaufklärung angesehen hat. 3 1

Die von Ernst Troeltsch eingeführte Unterscheidung zwischen Alt- und Neuprotestantismus (vgl. z.B. derselbe, Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, München/Berlin 1911, 26) sowie der Ausdruck 'altprotestantische Orthodoxie', der sich zur Bezeichnung der evangelischen Universitätstheologie in der Zeit seit der Konkordienformel bis in das frühe 18. Jahrhundert eingebürgert hat, werden neuerdings mit Recht kritisiert (vgl. dazu den Artikel 'Lutherische Orthodoxie' von Jörg Baur und Walter Sparn in: EKL 3, 1992, 953-959, bes. 954). Da jedoch eine Revision dieser Begrifflichkeit im Rahmen dieser Untersuchung nicht möglich ist und sie außerdem den Rahmen abgibt, in dem auch die Rede von der 'Ubergangstheologie' ihren Ort hat, kann auf genannte Ausdrücke in dieser Arbeit noch nicht verzichtet werden. Wenn im folgenden von altprotestantischer oder altlutherischer Theologie bzw. Tradition oder auch gelegentlich von altprotestantischer Orthodoxie gesprochen wird, so geschieht dies allerdings nicht in dem Sinne, als sei das Denken dieser Epoche schlechterdings veraltet, überkommen oder einfach vormodern. Im Gegenteil: die Leistung der evangelischen Theologen des späten 16., des 17. und des frühen 18. Jahrhunderts ist darin zu sehen und neu zu würdigen, daß sie der evangelischen Theologie durch nachhaltige Reflexion auf die ihr eigentümliche Lehre Bestand verliehen hat. Das wird nicht zuletzt darin erkennbar, daß das ihren Lehrstücken spezifische Profil noch heute den ausdrücklichen oder unausdrücklichen Hintergrund aller dogmatischen Überlegungen bildet und die Diskussion keineswegs nur restriktiv, sondern konstruktiv mitgestaltet.

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Die Frage nach der Entstehung des mit dem theologischen Neuansatz von Friedrich Schleiermacher endgültig manifesten Neuprotestantismus hat die Theologie spätestens seit Ernst Troeltsch bewegt. Die damit verbundene "Forschungsaufgabe" ist in jüngerer Zeit u.a. in der Arbeit von Martin Schloemann, Siegmund Jacob Baumgarten. System und Geschichte in der Theologie des Überganges zum Neuprotestantismus, Göttingen 1974 aufgenommen worden, siehe bes. 12ff. Buddeus nimmt diese Aufgabe in seiner 'Isagoge historico-theologica ad theologiam universam singulasque eius partes' von 1727 wahr, indem er die geschichtliche Entwicklung jeder einzelnen theologischen Disziplin rekonstruiert und dieses Wissen als Voraussetzung für das theologische Studium empfiehlt. Ebenso wird dann auch bei Johann Salomo Semler die Theologie nicht mehr nur als die Fertigkeit verstanden, die christliche Wahrheit umfassend

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Daß der Theologie von Buddeus bisher keine eigene Monographie gewidmet worden ist, mag mit deren Zuordnung zur sogenannten Übergangstheologie4 und der schon aus dieser Bezeichnung assoziierbaren Charakterisierung der Ubergangstheologie als einer Durchgangsstufe zum Neuprotestantismus ohne eigenes theologisches Profil zusammenhängen. Sie ist insbesondere durch die von Arnold F. Stolzenburg 1926 vorgelegte Untersuchung 'Die Theologie des Jo. Franc. Buddeus und des Chr. Matth. Pfaff geprägt worden. Diese ihrem Untertitel zufolge als Beitrag zur Geschichte der Aufklärung in Deutschland gedachte Arbeit von Stolzenburg gibt einen umfassenden Überblick über die "Anschauungen und Leistungen von Buddeus und Pfaff" 5 im Kontext der zentralen geistigen Strömungen der damaligen Zeit 6 sowie über ihre Bedeutung "für die Mit- und Nachwelt" 7 . Sie berücksichtigt dabei sowohl die Auseinandersetzung mit dem philosophischen Rationalismus, dem englischen Deismus und dem Spinozismus als auch die theologischen Einflüsse des Pietismus und besonders des reformierten Föderalismus, den Stolzenburg für die "Überleitung von der Frömmigkeit zur Aufklärung" verantwortlich macht. 8 Durch seine detaillierte Untersuchung hat Stolzenburg der neueren Theologiegeschichtsschreibung die Überzeugung vermittelt 9 , daß die für den weiteren Verlauf der Theologiegeschichte entscheidenden Umwälzungen nicht erst in der Generation des

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darzustellen; sie soll vielmehr zugleich ein Bewußtsein für die geschichtliche Entwicklung der Theologie vermitteln, wobei "die faktisch historische Veränderung der darin inbegriffenen Theologie den eigenen Begriff derselben" legitimieren kann. So Botho Ahlers, Die Unterscheidung von Theologie und Religion, Gütersloh 1980, 105 und zum wissenschaftlichen Charakter der Theologie bei Semler 103-108. Der Ausdruck 'Übergangstheologie' ist von Johann Gottfried Eichhorn 1793 in seinem Artikel 'Johann Salomo Semler' in der Allgemeinen Bibliothek der biblischen Literatur Bd.V/1 eingeführt worden. So W . Sparn, Auf dem Wege zur theologischen Aufklärung in Halle, 72 und 85 A.3. Siehe A.F. Stolzenburg, 1-233. Die Bedeutung der Theologie von Buddeus im Kontext der "Ubergangszeit" ist im 19. Jahrhundert vor allem von W . Gaß im dritten Band seiner Geschichte der protestantischen Dogmatik hervorgehoben worden. Vgl. dort 146-159. Stolzenburg, 234-378 bestimmt als "geschichtliche Grundlage für die Theologie von Buddeus und Pfaff" zum einen die "Linie der Frömmigkeit" (236ff.), zum anderen die "Linie der Vernunft" (273ff.). Die Entstehung der von der altprotestantischen Orthodoxie sich abhebenden theologischen und philosophischen Strömungen hat schon Fr.H.R. von Frank in seiner Theologiegeschichte auf die "starre Objectivität" zurückgeführt, "welcher allmählich die kirchliche Entwickelung und insbesondere jene der Theologie sich zuneigte". Diese starre Objektivität mache "es begreiflich, dass nach zwei Seiten hin das zurückgedrängte Subject seine Rechte wieder geltend zu machen suchte, nach der allgemein-menschlichen und philosophischen, und nach der specifisch-christlichen und evangelischen. Dort war es die Philosophie des Cartesius, ... hier war es der Pietismus Speners und A.H. Franckes ..." (Vgl. von Frank, Geschichte § 4, 26) Siehe dazu Stolzenburg, 379-450. Stolzenburg, 321ff. Sowohl Emanuel Hirsch als auch Karl Barth rekurrieren auf diese Arbeit; vgl. Hirsch, Theologiegeschichte Bd. 2, 338 und Barth, Protestantische Theologie, 122f.

Lorenz von Mosheim bzw. nach 1750 10 einsetzen, sondern daß "im eigentlichen Sinne" Buddeus und Pfaff "das Prädikat der 'Ubergangstheologen' verdienen" 1 1 . Im Rahmen seines historischen Zugangs kann Stolzenburg aber die Bedeutung der Theologie von Buddeus und Pfaff nur anhand mannigfaltiger "Einzelveränderungen" beschreiben, die er auf ihre "individualistischkritische Einstellung" 1 2 zurückführt. Wenngleich er die von Buddeus und Pfaff geleistete "Sicherung der Wissenschaftlichkeit der Theologie" 1 3 als ihr besonderes Verdienst hervorhebt, meint er doch, bei ihnen "ein adäquat und allseitig durchgeführtes Verständnis dessen, was Christentum eigentlich ist" 1 4 , vermissen zu müssen. Außerdem kritisiert Stolzenburg die durch "Konservatismus und Halbheit" geleitete Grundhaltung der Ubergangstheologen, wodurch diese eine "Entwickelung auf der schiefen Ebene" begünstigt und eine "letztlich destruktive Wirkung" erzielt hätten 15 . Eine andere Perspektive eröffnet Emanuel Hirsch in seiner 'Geschichte der neuern evangelischen Theologie'. Er würdigt die Ubergangstheologie als diejenige "weiterführende Bewegung" 16 innerhalb der evangelischen Theologie, die nach den orthodox-pietistischen Auseinandersetzungen und unter dem Eindruck der Wölfischen Philosophie "die eigentliche Trägerin der theologischen Entwicklung" wird, indem sie "trotz der Vorsicht, mit der sie einen Bruch mit der Orthodoxie und eine Abschnürung vom Pietismus vermeidet, doch die Aufklärung vorbereitet." 1 7 Die Eigenart der Ubergangstheologie sieht Hirsch dabei im Dringen auf eine "Vereinfachung und Verbesserung des orthodoxen Lehrsystems", welches verbunden mit ihrem "Sinn für die neue Philosophie" dazu führt, "in der systematischen Theologie eklektisch" 1 8 zu verfahren. Indem Hirsch im Anschluß an diese allgemeine Charakterisierung Johann Franz Buddeus als den ersten Ubergangstheologen vorstellt, wird dessen Theologie eine konstitutive Funktion für die neuere Theologiegeschichte zugeschrieben. 19 Der von Buddeus erreichte Fortschritt liegt nach Hirsch nicht primär in dem Verständnis der natürlichen Religion und in der Rezeption der Bundestheologie, sondern vor allem in der Kirchenlehre. In ihr erblickt Hirsch "die Stelle, an der die Orthodoxie sich zuerst den neuen Gesichtspunkten des Zeitalters öffnete und unter

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So F . A . G . T h o l u c k , Abriß und Geschichte der Umwälzungen, welche seit 1750 auf dem Gebiet der Theologie in Deutschland stattgefunden, in: Vermischte Schriften Bd. 2, 2. Aufl. 1867, 1-147. Siehe das V o r w o r t der Arbeit von Stolzenburg, VI. Stolzenburg, 438. Stolzenburg, 432-435, Seitenüberschrift. Stolzenburg, 438. Stolzenburg, 437. Hirsch, Theologiegeschichte Bd. 2, 318. Hirsch, aaO., 319. Hirsch, aaO., 318. Hirsch, aaO., 319-335.

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Vermittlung des Pietismus den Übergang zu aufgeklärten Gedankenbildungen einleitete". 2 0 A m Rande weist er außerdem darauf hin, daß die weite Verbreitung der 'Institutiones theologiae dogmaticae' von Buddeus entscheidend zur Einbürgerung des Begriffs der Dogmatik beigetragen habe. 21 Aber die in seinem theologischen System gegenüber der altprotestantischen Orthodoxie erkennbaren Veränderungen werden ebensowenig wie bei Stolzenburg mit dem von Buddeus angegebenen Programm der Dogmatik in Verbindung gebracht. Dagegen vertritt die vorliegende Arbeit die These, daß die einzelnen Lehrverschiebungen in der Dogmatik von Buddeus in einem inneren Zusammenhang mit dem von Buddeus entwickelten Begriff der Dogmatik stehen und gerade dadurch seine theologiegeschichtliche Bedeutung als Ubergangstheologe ausmachen. Das Neue liegt nicht einseitig in der Ekklesiologie oder in der Rezeption der reformierten Bundestheologie. Denn auch die Christologie, die Lehre von der Heilsvermittlung durch den Heiligen Geist und die Gottes- und Trinitätslehre erfahren in der Dogmatik von Buddeus eine wesentliche Weiterentwicklung gegenüber der altlutherischen Lehrtradition, die inhaltlich in der Integration des - bereits in seinen Atheismusthesen vorbereiteten - Begriffs der natürlichen Religion gipfelt und formal durch das Programm der Dogmatik gesteuert wird. Daß die Dogmatik von Buddeus als sein eigentliches Hauptwerk anzusehen ist und daher für die Frage nach seiner theologiegeschichtlichen Bedeutung von zentralem Interesse sein muß, ergibt sich dabei nicht nur aus ihrem spezifischen Programm. Auch biographisch markiert sie den Zielpunkt der theologischen Entwicklung von Buddeus. In der ersten Phase seiner akademischen Laufbahn hatte Buddeus in Halle Moralphilosophie gelehrt und dort nicht nur seine praktische Philosophie, sondern auch die Instrumentalphilosophie und die theoretische Philosophie veröffentlicht. Aber schon in Halle strebte er die theologische Lehrtätigkeit an. Da sich dort für ihn jedoch keine theologische Professur auftun wollte, folgte er 1705 einem Ruf nach Jena. Die 1723 erschienene Dogmatik basiert auf den oft wiederholten dogmatischen Vorlesungen sowie auf den genannten anderen Schriften. Ihr folgt 1727 als das letzte große Werk die Einführung in die theologischen Wissenschaften, in der die zentrale Bedeutung der Dogmatik für die Theologie auch enzyklopädisch festgeschrieben wird. Daher erscheint es für die Darstellung und Würdigung des theologischen Denkens von Buddeus angebracht, die Dogmatik in den Mittelpunkt zu rücken und die anderen Werke unter den entsprechenden thematischen Gesichtspunkten einzubeziehen.

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Hirsch, aaO., 333f. Ebenso beginnt auch nach Karl Barth die Vorgeschichte der Theologie im 19. Jahrhundert mit der Ubergangstheologie von Buddeus und Pfaff, vgl. Protestantische Theologie 16ff.; 115ff. und zur Theologie von Buddeus 120-122. Vgl. Hirsch, aaO., 325f.

Die in dieser Arbeit unternommene Rekonstruktion der Dogmatik von Buddeus setzt ein mit einem Kapitel über die Schriftlehre, in der Buddeus die Schrift als das autoritative Erkenntnisprinzip der Theologie beschreibt. Hier liegt der Problemhorizont, auf den Buddeus mit der Definition und Durchführung der Dogmatik als theologischer Disziplin reagiert. Soll nämlich die mit der Verbalinspirationslehre beanspruchte und auf ihren spezifischen Affektionen bzw. Eigenschaften beruhende Autorität der Schrift argumentativ erschlossen und verteidigt werden, so bedarf es der Demonstration der Wahrheit und Suffizienz ihrer Lehre. Eben diese Aufgabe schreibt Buddeus der Dogmatik zu, mit der sich daher das zweite Kapitel dieser Arbeit beschäftigt. Anhand der Enzyklopädie von Buddeus wird hier zum einen die Verortung der Dogmatik im Kontext der theologischen Disziplinen und ihre Bedeutung für die Aufgabe der Theologie insgesamt zu untersuchen sein. Zum anderen soll begriffsgeschichtlich gezeigt werden, daß in der Bestimmung der Dogmatik als theologischer Disziplin verschiedene Ansätze und Interessen der altprotestantischen Theologie zusammengeführt und auf den Begriff gebracht werden. Darin findet eine Weiterentwicklung des Theologieverständnisses statt, die auch methodische Konsequenzen nach sich zieht, wie zum Schluß des zweiten Kapitels zu zeigen sein wird. D a die Dogmatik nach Buddeus inhaltlich darauf zielen muß, die durch Christus als den Mittler begründete Versöhnung des Menschen mit Gott als den Grund des Glaubens darzustellen und ihre Wahrheit zu demonstrieren, wird im dritten Kapitel dieser Arbeit die Versöhnung als das primäre Thema der Dogmatik von Buddeus behandelt. Zuerst geht es dabei um die Christologie, weil diese den Erkenntnisgrund der Versöhnung thematisiert. Es wird zu zeigen sein, daß Buddeus die Lehre von Person und Werk des Erlösers einheitlich als Mittlerchristologie entwickelt und darin die traditionelle lutherische Lehre von der Person des Erlösers in origineller Weise reformuliert, obwohl er sich dabei noch nicht von der substanzontologischen Terminologie der altlutherischen Christologie löst. Im Anschluß an die Christologie wird dann der Vollzug der individuellen Aneignung der Versöhnung im Glauben erörtert, den Buddeus - die Vorgaben der Jenaer Theologen Johannes Musäus und Johann Wilhelm Baier weiterführend - als Wiedergeburt, Rechtfertigung und Heiligung entwickelt. Damit erreicht er in der Lehre von der individuellen Heilsvermittlung einen entscheidenden Fortschritt gegenüber der älteren lutherischen Tradition, der sich noch bei Friedrich Schleiermacher und Albrecht Ritsehl auswirkt. Unter der Frage nach dem Grund der Versöhnung widmet sich das vierte Kapitel dieser Arbeit der Rezeption der Bundestheologie bei Buddeus. Durch Rekurs auf den im Gnadenbund ausgedrückten Bundeswillen Gottes eröffnet Buddeus hier nicht nur ein Verständnis der Versöhnung, welches sich der Kritik an der Satisfaktionsvorstellung entzieht; durch die Rede vom Werk15

bund erfährt auch die Urstandslehre eine Interpretation, die die herkömmliche Auffassung des Urstandes als eines einstigen Zustandes sittlicher Vollkommenheit relativiert. Obwohl sich mit seiner Lehre vom Werkbund das von Gottfried Wilhelm Leibniz formulierte Theodizeeproblem in gewisser Weise verschärft, ist zu zeigen, daß die bundestheologische Konzeption von Buddeus insgesamt darauf angelegt ist, das Theodizeeproblem anders als Leibniz vom zentralen Inhalt des Glaubens her anzugehen. Denn Buddeus übernimmt weder Leibniz' Einschätzung und Erklärung des Übels noch sein Konzept von der besten aller möglichen Welten, sondern versucht stattdessen, aus dem Verhältnis und der unterschiedlichen Bestimmung von Werkbund und Gnadenbund die Notwendigkeit und die Universalität der Versöhnung des Menschen zu erklären. Entsprechend läßt sich in seiner Reformulierung der Prädestinationslehre ebenso wie in der Ekklesiologie das Bemühen erkennen, die Universalität der Versöhnung dogmatisch zu bewähren. Indem die Geschichte nunmehr als Ort der Realisierung der in den Sakramenten sichtbar vermittelten Erwählung thematisch wird, überwindet Buddeus faktisch bereits die abstrakte Prädestinationsvorstellung. Aus dem bei Buddeus durchgängig erkennbaren Interesse, die universale Geltung der Versöhnung zu betonen, ergeben sich schließlich auch die Veränderungen in der Lehre von der Kirche, denen Emanuel Hirsch so große Bedeutung zugemessen hat. D a das mit der Bundestheologie erreichte Verständnis der Versöhnung die Voraussetzung ist, unter der Buddeus den Religionsbegriff entfaltet, kann dieser erst im fünften Kapitel dieser Arbeit zur Darstellung kommen. Buddeus richtet den Religionsbegriff gegen die Bestreitung der Angewiesenheit des Menschen auf die offenbarte Religion, die er im damaligen Atheismus und Deismus vor sich sah. Indem er zur Begründung der Notwendigkeit der Religion auf das Abhängigkeitsbewußtsein des Menschen verweist, bereitet er die später von Friedrich Schleiermacher subjektivitätstheoretisch weiterverfolgte Argumentation für die konstitutive Bedeutung des religiösen Bewußtseins vor. So sehr jedoch das Verständnis der natürlichen Religion und seine Begründung als die für den Übergang zur Aufklärung maßgebliche Reaktion auf die veränderte theologische Problemlage zu beurteilen ist 22 , so wenig kann die theologische Funktion dieses Religionsbegriffs unabhängig vom gesamten System richtig eingeschätzt werden. Nicht umsonst hat Buddeus die Lehre vom Begriff der Religion und der Theologie sowie die Schriftlehre als Teil der Dogmatik und nicht wie die meisten anderen altprotestantischen Theologen als Prolegomena abgehandelt. Angesichts der Einbindung der "Prinzipienlehre" in das dogmatische System ist daher zu untersuchen, ob Karl Barth in seiner Behandlung der 22

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Siehe dazu die Dissertation von Johannes Reinhard, Die Prinzipienlehre der lutherischen Dogmatik von 1700 bis 1750 (Hollatz, Buddeus, Mosheim), Leipzig 1906.

Vorbedingungen der protestantischen Theologie Buddeus gerecht wird, wenn er hier der menschlichen Vernunft eine die Offenbarung kontrollierende Funktion zugeschrieben sieht und dementsprechend vermutet, Buddeus hätte von seinem Ansatz her den Rationalismus der Philosophie Christian Wolffs nicht bekämpfen müssen, sondern gehöre eher zur Vorhut der Theologen, die sich dieser Richtung später angeschlossen haben. 23 Tatsächlich hat sich Buddeus durchaus kritisch mit den rationalistischen Bestrebungen der Philosophie auseinandergesetzt. Er ist darin dem Jenaer Theologen Johannes Musäus gefolgt, der im Cartesianismus und in der naturalistischen Position Herberts von Cherbury frühzeitig eine Herausforderung für die lutherische Theologie erkannt und dagegen die Notwendigkeit der Offenbarung für die Konstitution menschlichen Heils zu demonstrieren versucht hatte. Indem auf diese Weise die Erkenntnisfrage stärker in den Horizont theologischer Reflexion trat, wurde auch die Frage nach der Selbständigkeit der menschlichen Vernunft virulent, mit der sich Musäus in seiner Gegenüberstellung der natürlichen und offenbarten Theologie beschäftigte. Diese bei Musäus eingeschlagene Richtung der Jenaer Theologie, die sich merklich von der hochorthodoxen Wittenberger Tradition unterscheidet und darin auf ihre Weise das lutherische Erbe anzutreten versucht, bildet den wichtigsten Hintergrund für das Verständnis der Konzeption von Buddeus überhaupt und seiner Abwehr des Rationalismus. Durch den Begriff der Religion wird nun zwar für die Notwendigkeit von Religion und Offenbarung argumentiert, doch die Demonstration der Wahrheit der durch Christus vermittelten und im Gnadenbund begründeten Versöhnung findet für Buddeus erst in der Reflexion auf den Gottesgedanken ihren Abschluß. Darum ist die Gottes- und Trinitätslehre, die Buddeus ebenso wie die altprotestantische Tradition als das letzte Erkenntnisziel der Theologie gilt, im Schlußkapitel dieser Arbeit zu behandeln. Buddeus' Konzeption der Gotteslehre läßt sich dabei insgesamt als kritische Auseinandersetzung mit der rein rationalistischen Gotteslehre verstehen, wie sie von Descartes entwickelt worden ist. Das Motiv seiner Kritik an Descartes soll anhand der konkreten Durchführung der Gotteslehre untersucht werden. Entscheidend ist hierfür zunächst, daß Buddeus der Gotteslehre die Aufgabe zuschreibt, Gott als das höchste Gut des Menschen zu denken. Im Anschluß an die Einordnung dieser Aufgabenbestimmung ist zu zeigen, wie Buddeus im Einklang mit Johannes Musäus den cartesischen Beweis der Existenz Gottes aus der eingeborenen Idee Gottes ablehnt. Daß sich seine Kritik am ontologischen Argument faktisch weniger auf das Argument selbst als vielmehr auf den darin vorausgesetzten Gottesgedanken richtet, wird sich schließlich in der Darstellung der Schöpfungslehre und der Lehre von Gottes Wesen und Eigenschaften bestätigen. Denn im Unterschied zu Descartes 23

Vgl. Barth, Protestantische Theologie, 121f. 17

hebt Buddeus wesentlich darauf ab, Gott als den Grund seiner Providenz in der Welt und in diesem Sinne als das höchste Gut auffassen zu können. So wird in der Schöpfungslehre der Begriff einer permanenten Mitwirkung Gottes in der Welt entwickelt und in der Eigenschaftslehre Gott als der unabhängige Geist bestimmt, der in seiner unendlichen Überbietung aller kreatürlichen Vollkommenheiten als der Grund dieser Vollkommenheiten und ihrer Vollendung zu denken ist. Auf diese Weise bemüht sich die Eigenschaftslehre um eine Rekonstruktion des Gottesbegriffs, der in den Gottesnamen der Schrift zum Ausdruck kommt. Mit der Eigenschaftslehre wird jedoch keine adäquate Erkenntnis des göttlichen Wesens erreicht. Diese ist vielmehr abhängig von der Offenbarung Gottes als Vater, Sohn und Geist in seinem Gnadenbund. Erst in der Dreieinigkeit Gottes kann daher nach Buddeus das Wesen Gottes als des höchsten Gutes des Menschen erkannt werden. Doch während Buddeus in der Lehre von der Person des Erlösers die lutherische Lehrbildung aufnimmt und weiterführt, verhält er sich gegenüber den trinitarischen Bestimmungen eher distanziert und weist damit voraus auf die weitere Entwicklung der Trinitätslehre bis hin zu Friedrich Schleiermacher. Die Gliederung des hiermit einleitend vorgestellten Rekonstruktionsversuchs bringt den Stellenwert der einzelnen Lehrstücke innerhalb der Dogmatik von Buddeus auch formal zum Ausdruck. Während die Versöhnung und ihre Begründung im Bund Gottes den zentralen Teil der Dogmatik von Buddeus ausmachen (Kapitel III und IV), ergibt sich der dogmatische Zugang aus dem Bemühen um die Begründung der Autorität der Schrift als des Erkenntnisgrundes der Offenbarung (Kapitel I und II). Das Religionskapitel und das Kapitel über die Gotteslehre (Kapitel V und VI) erarbeiten dagegen die von Buddeus im Kontext der religionskritischen und rationalistischen Positionen angestrebte Verteidigung der Versöhnungslehre. Unter Rekurs auf den Religionsbegriff wird dabei zunächst die Notwendigkeit der Offenbarung für den Menschen demonstriert, um dann in der Gotteslehre Gott als den Grund der im Bund beschlossenen Versöhnung zu denken.

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Kapitel I:

Die Autorität der Schrift "Es ist nichts Helleres als die Sonne, das ist die Schrift. Ist aber eine Wolke davor getreten, so ist doch nichts anderes dahinter als dieselbe helle Sonne. Also, ist ein dunkler Spruch in der Schrift, so zweifelt nur nicht, es ist gewiß dieselbe Wahrheit dahinter, die am andern Ort klar ist, und wer das Dunkle nicht verstehen kann, der bleibe bei dem Lichten." So schreibt Martin Luther 1521 in seiner Auslegung des 36. Psalmes 1 und bringt damit bereits dasjenige Verständnis der Klarheit der Heiligen Schrift zum Ausdruck, welches er ausführlicher einige Jahre später in seiner Streitschrift vom unfreien Willen 2 gegen Erasmus geltend machen wird. 3 Luthers These von der Klarheit bzw. Selbstauslegungskraft der Schrift ist dabei nicht nur Ausdruck eines vertieften Verständnisses von der Autorität der Schrift, sie bedeutet auch, daß die Schrift unter Berufung auf ihre Klarheit als ausschließliches Erkenntnisprinzip der Theologie behauptet werden muß. In der damaligen Diskussion war nur die von Luther behauptete Exklusivität der Schrift als Erkenntnisgrund für den Glauben, nicht aber die Schriftautorität als solche strittig. 4 Denn von der in der Inspiration gründenden Autorität der Schrift ging man einhellig aus. Als die spätere altprotestantische Tradition versuchte, die Autorität der Schrift durch die Einführung der Lehre von der Verbalinspiration zu sichern, diente auch dies lediglich der Verteidigung des mit der Klarheit der Schrift verbundenen Exklusivitätsanspruchs der Schrift. 5 So stand für Johann Gerhard, der bekanntlich die Schriftlehre einschließlich der Verbalinspiration zum festen Bestandteil des altprotestantischen Lehrsystems erhob 6 , die Demonstration der Suf1 2 3

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WA 8, 239, 16-21. Übertragung des frühneuhochdeutschen Zitats von Vf. W A 18, 600ff., bes. 606. Siehe zur reformatorischen Schriftlehre Heinrich Karpp, Artikel 'Bibel IV', in: T R E 6, 70f. Zu Luthers Schriftverständnis siehe Paul Althaus, Luther, 75f.; Gerhard Ebeling, Luther und die Bibel, in: Lutherstudien I, 286-301 und Jörg Baur, Sola Scriptura - historisches Erbe und bleibende Bedeutung, in: Luther und seine klassischen Erben, 46-113, bes. 60-96. Vgl. dazu Karpp, aaO., 74. Siehe Hornig, Lehre, 78: "Es sind primär konstroverstheologische Gründe gewesen, welche die altprotestantische Orthodoxie veranlaßt haben, das Schriftwort unmittelbar auf Gott zurückzuführen." Denn auf dem Trienter Konzil "hatte man die inhaltliche Insuffizienz der Heiligen Schrift und die Notwendigkeit ihrer Ergänzung durch die in der Kirche bewahrte mündliche Uberlieferung gelehrt." Siehe Bengt Hägglund, Schrift, 64 und dort bes. A.3. Zur altprotestantischen Schriftlehre vgl. Schmid, §§ 6-12, 40-73; Ratschow, Dogmatik 1, §§ 5-11, 71ff.; Heppe/Bizer, 10-37; Karpp, aaO., 77f.

19

fizienz und Klarheit der Schrift als des lebendigen Gotteswortes ganz im Vordergrund des Interesses/ Mit der Rede von der Verbalinspiration hatte die altprotestantische Theologie allerdings einen Gedanken in die Schriftlehre eingeführt, der zwar nicht der römisch-katholischen Position, dafür aber der aufklärerischen Kritik eine breite Angriffsfläche bot. Um den Anfragen eines Baruch de Spinoza 8 und eines Thomas Hobbes 9 an die Begründung der Autorität der Schrift aus der Verbalinspiration 10 begegnen zu können, mußte nun nicht mehr nur die Exklusivität der Schrift als Erkenntnisprinzip für den Glauben und die Theologie, sondern auch ihre göttliche Autorität verteidigt werden. 11 Da man im Zuge dessen die These von der Verbalinspiration nicht preisgeben wollte, wurde diese in der Neologie um die sogenannte Akkommodationstheorie 12 erweitert. Doch damit hatte man eine nicht minder fragwürdige These aufgestellt. Da nämlich in der Akkommodationstheorie behauptet wurde, die unverständlichen Schriftstellen seien auf die Anpassung des Geistes an den Verstehenshorizont der Hörer zurückzuführen, verfehlte man exakt das mit der Verbalinspirationslehre ursprünglich verbundene Interesse an der Betonung der Eindeutigkeit und Klarheit der Schrift. 7

Obwohl nach Hägglund, Schrift, 67 der "Gegensatz gegen die römische Theologie in der Lehre von der heiligen Schrift als dem Wort Gottes ... schon in der reformatorischen Entdeckung der heiligen Schrift als des von Gott sebst gesprochenen, lebendigen und kräftigen Wortes, im Gegensatz zu toten, erst von der kirchlichen Auslegung zu belebenden Buchstaben" lag, wird doch bei Gerhard "der konfessionelle Unterschied nur gelegentlich auf diese grundlegende Auffassung des Wortes selbst zurückgeführt". 8 Vgl. Spinoza, Theologisch-politischer Traktat, bes. Kap. 11 und 12. Zur Würdigung der Einsichten von Spinoza vgl. Karpp, aaO., 79f. 9 Buddeus bezieht sich ID 1,2,12, 136 auf Hobbes' Lehre vom natürlichen Reiche Gottes. Vgl. Hobbes, Leviathan, 11,31, 271. 10 Vgl. Schmid, $ 6, 40ff.; siehe zur Verbalinspiration in der reformierten Tradition Heppe/Bizer, 10. Vgl. auch Karpp, aaO., 77 sowie Hornig, Anfänge, 40ff. und ders., Lehre, 78f. Hornig beurteilt die "Diktattheorie" bzw. Verbalinspirationslehre als "charakteristische Abweichung von dem reformatorischen Schriftverständnis Luthers". 11 Während nach Hägglund, Schrift, 118ff. bei Johann Gerhard die Inspiration der Schrift noch ein Seitenthema der Schriftlehre war, rückt sie später in das Zentrum der theologischen Auseinandersetzung. Das belegt auch die ausländische Debatte. Vgl. dazu zum Beispiel die vor allem gegen einen Spinoza-Nachfolger gerichtete Schrift von Lamothe, The Inspiration of the New Testament, London 1694. Buddeus zitiert eine lateinische Ausgabe dieses Werkes. 12 Die Akkommodationstheorie hat ihren Ursprung bereits im 17. Jahrhundert. Buddeus geht darauf ID 1,2,25, 159ff. im Zusammenhang der Lehre vom Schriftsinn ein. Vgl. zur Akkommodationstheorie allgemein den Artikel 'Accommodation' von Rudolf Hofmann in RE 3 1, 127ff. sowie den entsprechenden Artikel von Paul Althaus in RGG 3 I, 209f.; ferner Hornig, Anfänge, 212ff. zu den Akkommodationstheorien des 17. Jahrhunderts und ihrem systematischen Ort in der hoch- und spätorthodoxen Schriftlehre. In ihrer orthodoxen Gestalt hatte die Akkommmodationstheorie nach Hornig die Funktion, "die für die gesamte Dogmatik grundlegende Verbalinspirationslehre gegen philologische Einwände zu sichern", indem "behauptet wurde, daß sich der Heilige Geist bei dem Diktat dem Stil und der Ausdrucksweise der verschiedenen biblischen Verfasser akkommodiert habe." (AaO., 214) Zur Ausformung der Lehre bei Johann Salomo Semler siehe ebd. 219ff., ferner Hirsch, Theologiegeschichte Bd. 4, 66.

20

So

trug

die

Akkommodationstheorie

langfristig

nur

zur

Auflösung

der

Schriftlehre insgesamt bei.13 Zuvor

b e m ü h t e s i c h a l l e r d i n g s i n s b e s o n d e r e die J e n a e r T h e o l o g i e

ausgehenden

17.

und frühen

18. J a h r h u n d e r t s

darum,

die A u t o r i t ä t

des der

S c h r i f t als W o r t G o t t e s d u r c h e i n e a d ä q u a t e A u s l e g u n g u n d B e g r ü n d u n g d e r V e r b a l i n s p i r a t i o n s l e h r e z u v e r t e i d i g e n . D i e s e s B e m ü h e n w i r d b e r e i t s in d e r 1679 erschienenen

E i n l e i t u n g i n die T h e o l o g i e v o n J o h a n n e s M u s ä u s

er-

k e n n b a r , d e r d a m i t z u g l e i c h das P r o f i l d e r J e n a e r T h e o l o g i e p r ä g t e . 1 4 S e i n e m A n s a t z ist B u d d e u s n i c h t n u r i n w e s e n t l i c h e n Z ü g e n gefolgt, s o n d e r n h a t i h n über Musäus hinausgehend auch im Kontext der systematischen

Theologie

d u r c h g e f ü h r t . I n d e r f o l g e n d e n D a r s t e l l u n g d e r S c h r i f t l e h r e v o n B u d d e u s ist z u zeigen, d a ß er die m i t der Verbalinspiration

behauptete Autorität

der

S c h r i f t d u r c h d i e A f f e k t i o n e n b e g r ü n d e t , die i h r e r z e n t r a l e n L e h r e w e s e n t lich z u k o m m e n .

1. Die Bedeutung

der Verbalinspiration

der Begründung

der Autorität

im der

Zusammenhang Schrift

I n d e r D e f i n i t i o n des T h e o l o g i e b e g r i f f s u n t e r s c h e i d e t B u d d e u s i n A n l e h n u n g an seinen Jenaer L e h r e r J o h a n n W i l h e l m Baier15 zwischen d e m

materialen

13

Mit der Auflösung der Inspirationslehre beginnt die Krise des Schriftprinzips als "Grundlagenkrise der modernen evangelischen Theologie", vgl. Wolfhart Pannenberg, Grundfragen systematischer Theologie, 13. 14 Vgl. Musäus, Introductio in theologiam qua de natura theologiae naturalis, et revelatae, itemque de theologiae revelatae principio cognoscendi primo, scriptura sacra, agitur, Jena 1679. Diese Einleitung in die Theologie ist in zwei Teile gegliedert. Der erste behandelt natürliche und offenbarte Theologie als methodisch getrennte Wissenschaften mit dem Ziel, die Notwendigkeit der Offenbarung als Konstitutionsbedingung des Heils zu demonstrieren. Im zweiten, umfangreicheren Teil geht es Musäus um die Begründung der Autorität der Schrift als Erkenntnisprinzip der Theologie. Den Argumentationsgang zeigen die Kapitelüberschriften an: "De objecto formali sive principio cognoscendi primo Theologiae Revelatae in genere" (1, 221-242), "De Natura & Quidditate Scripturae sacrae" (2, 242-282), "De Auctoritate Scripturae sacrae" (3, 282-296), "De Auctoritate Scripturae sacrae, in ordine ad causandum assensum fidei spectata" (4, 296-303), "Unde nobis innotescat notitia fidei humanae & opinativa, Scripturam sacram dependere a Deo inspirante efficienter" (5, 303-457), "De Auctoritate Scripturae sacrae, in ordine ad causandum assensum fidei spectata. Quaestio posterior, unde nobis innotescat notitia fidei divinae..." (6, 458-537), "De Auctoritate Scripturae sacrae in ordine ad normandam doctrinam fidei" (7, 537-558), "De Efficacia Scripturae sacrae" (8, 558-600). 15

Vgl. Baier, Compendium Ρ,1,25, 27: "Objectum theologiae revelatae duplex est: Materiale et formale. Materiale sunt res revelatae, quae in theologiae revelata cognoscuntur. Atque hue pertinent non tantum subjectum operationis, et causae ac media consequendi finis; sed et finis ipse, quatenus habitu theologiae cognoscitur. Formale, seu prineipium et ratio cognoscendi, unde pendet cognitio rerum, quae in theologia revelata proponuntur, est revelatio divina." Vgl. zum Formalobjekt P,l,35, 39f.: "Objectum formale theologiae, quod est 21

und dem formalen Objekt der Theologie. Als materiales Objekt bzw. als das Thema der Theologie wird die Erkenntnis des göttlichen Wesens, seiner Eigenschaften und Werke bestimmt. Das formale Objekt ist hingegen die Offenbarung Gottes, wie sie in der Heiligen Schrift zur Darstellung kommt. 1 6 Als das Erkenntnisprinzip der Theologie wird mithin nicht unmittelbar die Schrift, sondern die Offenbarung als der wesentliche Inhalt der Schrift veranschlagt. Die im Anschluß an den Theologiebegriff vorgetragene Schriftlehre hat sonach die Aufgabe, die besondere Qualifikation der Schrift als "Offenbarungsbuch" und darin als verbindliches und ausschließliches Erkenntnisprinzip der Theologie zu demonstrieren. Wenn daher innerhalb der Schriftlehre danach gefragt wird, was die Autorität der Schrift ausmache und wie sich diese begründen lasse, so kann diese Frage zwar unter Hinweis auf die Verbalinspiration, aber doch keineswegs ausschließlich durch dieselbe beantwortet werden. Musäus und Buddeus thematisieren die Autorität der Schrift darum zwar im Anschluß und unter Voraussetzung der These der Verbalinspiration. 17 Doch der Grund der einzigartigen Autorität der Schrift, durch den diese als genuines Erkenntnisprinzip des Glaubens und des gesamten Lebensvollzuges zu gelten hat, wird darin festgemacht, daß sie den menschlichen Intellekt und Willen zur Zustimmung zu ihrer Botschaft und so zum Glauben an Christus bewegt 18 und darin die Realisierung ihres Zieles, nämlich die Vermittlung des ewigen Heils ermöglicht 19 . In dieser autoritativen Funktion demonstriert sie selbst die höchste Wahrhaftigkeit und die unendliche Macht ihres Urhebers 2 0 und qualifiziert sich so als das einzige

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revelatio divina, per hoc exercet munus suum, quod voluntatem humanam afficit, pulsat et flectit, ut intellectui imperet assensum." ID 1,1,45, 79: "Versatur theologia circa res divinas, prout ex revelatione, seu scriptura sacra nobis constant. Et ipsae quidem res divinae, seu quaecumque nobis de Dei essentia & attributis, operibus ac voluntate divina constant, obiectum theologiae materiale vocari solent, quemadmodum formale contra in ipsa revelatione divina quaerendum." Vgl. zur Verbalinspiration ID 1,2,10.11, 121. Darauf aufbauend heißt es ID 1,2,13, 136: "A Deo itaque ipso cum scriptura sacra sit profecta, divina quoque eius inde sequitur auctoritas". ID 1,2,12, 136 A . l : "Divina haecce scripturae auctoritas, ...in eo consistit, quod intellectum humanuni ad adsensum dictis eius, voluntatem autem ad obsequium, mandatis eius praebendum, moveat." Vgl. Hollaz, Examen P,3,24, 151f. Siehe außerdem Musäus, Introductio, 11,3,2, 283: "Quae Auetori alieujus effectus tribuitur auctoritas, generatim loquendo, est αξία sive digmtas quaedam Auctoris, aliciens trahensq, aliorum animos in ejus venerationem, aut in assensum ipsius dicitis; vel in obsequium, illius legibus aut mandatis praebendum, resultans ex ejus perfectione non latente, sed nota." Siehe dazu ID 1,2,38, 213. Vgl. ID 1,2,10, A . l , 122: "Enimvero, divinam inspirationem ita sese habuisse, ut scriptoribus sacris tum rerum ipsarum, tum & verborum conceptus suppeditarentur, (I) ex fine scripturae sacrae quam rectissime demonstratur; qui in eo consistit, ut omnes homines ad salutem per fidem in Christum obtindendam, erudiantur, adeoque certissimam, quaeve nulla ratione fallere possit, fidei atque vitae regulam habeant, Ioan.XX,31. II.Tim. 111,15,16" Vgl. auch Quenstedt, Systema 1,4/1,7,82. Darum werden der Schrift αυτεντια, αξιοπιστία, undαυτοπιστια bezeugt, vgl. Buddeus ID 1,2,12, A . l , 136. ID 1,2,12, 136: "A Deo itaque ipso cum scriptura sacra sit profecta, divina quoque eius sequitur auctoritas, quae si, absolute consideratur, si summa eius veracitate, & potestate infinita

E r k e n n t n i s p r i n z i p d e r T h e o l o g i e . 2 1 D a d i e aus d e r g ö t t l i c h e n W i r k s a m k e i t e r h e l l e n d e A u t o r i t ä t d e r S c h r i f t 2 2 i n d i e s e r selbst a u f i h r e g ö t t l i c h e I n s p i r a t i o n z u r ü c k g e f ü h r t w i r d 2 3 , m u ß d i e I n s p i r a t i o n z u n ä c h s t als M o m e n t

ihrer

A u t o r i t ä t gewürdigt werden. D e n Vorgang der Inspiration deutet Buddeus i m A n s c h l u ß a n M u s ä u s i m s t r e n g e n S i n n e als S u g g e s t i o n aller b i b l i s c h e n I n h a l t e , W o r t e u n d B e g r i f f e , s o d a ß die b i b l i s c h e n S c h r i f t s t e l l e r n u r als d i e Instrumentalursache der göttlichen Inspiration erscheinen.24 Das entschiedene Festhalten an der Verbalinspirationslehre25 bei

Buddeus

im

Einklang

mit

der

altprotestantischen

geschieht

Tradition

Interesse26, die K l a r h e i t u n d E i n d e u t i g k e i t der Schrift z u b e t o n e n .

in

dem

Gingen

n ä m l i c h e i n z e l n e A u s s a g e n d e r S c h r i f t n i c h t a u f G o t t , s o n d e r n allein a u f die biblischen Schriftsteller zurück, d a n n w ä r e prinzipiell unsicher, o b u n d welc h e S ä t z e d e r S c h r i f t als A u s d r u c k des g ö t t l i c h e n W i l l e n s u n d m i t h i n

als

k l a r e u n d e i n d e u t i g e A u s s a g e n z u w e r t e n s i n d . 2 7 D a g e g e n w i l l die V e r b a l -

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dependet; sin relative & quoad nos, partim a notitia divinorum attributorum, praesertim antea memoratorum, partim a notitia 9εοπνευστια." ID 1,2,33, 199f.: "Ex eadem etiam auctoritate sripturae sacrae divina, ceterisque adfectionibus, antea commemoratis, sequitur, scripturam sacram genuinum in theologia esse principium cognoscendi; simulque unicam fidei & vitae nostrae regulam atque normam. Si quid enim omnibus hisce requisitis non gaudet, id nec pro cognoscendi principio, nec pro genuina fidei & vitae regulae haberi potest." In der älteren protestantischen Schriftlehre wurde die Autorität der Schrift noch nicht so entschieden unter dem Gesichtspunkt ihrer Wirksamkeit ausgelegt. So bestimmt Johann Gerhard die Autorität noch einseitiger aus der Inspiration, vgl. dazu Hägglund, Schrift, 82f. Zwar ist auch bei Hollaz noch im Anschluß an die Inspirationslehre von der göttlichen Autorität die Rede, doch wird sie wie bei Musäus und Buddeus in Rücksicht auf ihre Wirkung behauptet, vgl. Hollaz, Examen P,3,23ff., 151ff. Vgl. dazu ID 1,2,10, A . l , 122-124. ID 1,2,10, 121: "Nimirum, etsi scriptores sacri non tantum quae ex revelatione, sed Sc ex sensuum testimonio, aut aliunde iis constabant, litteris consignabant, nihil tarnen sine divina scripserunt inspiratione, itque, sive res ipsas, sive verba & formulas loquendi, quibus usi sunt, spectes. Unde, qua ratione Deus caussa efficiens principalis, scriptores autem sacri Instrumentalis dicantur, intelligitur." Damit richtet sich Buddeus sowohl gegen die Auffassung derer, die "scripturam sacram quoad res, quae in ea continentur, non autem quoad verba, divinitus inspiratam esse contendunt", als auch gegen die noch engere Begrenzung auf das, "quae non aliter, quam per revelationem hominibus innotescant" (ID 1,2,10, 122, A.l). Ebenso lehnt er die Positionen ab, in denen die Theopneustie in einer gewissen Leitung der Gedanken oder in einer frommen Erregung der Seele gesehen wird. Im Unterschied zu Baier bestimmt Buddeus die Verbalinspiration nicht mehr ausdrücklich als übernatürlichen Akt Gottes. Vgl. Baier, Compendium Ρ,2,4, 45: "Causalitas causae efficientis principalis est ipsa 9εοπνευστια, seu divina inspiratio, id est actio ejusmodi, qua Deus non solum conceptus rerum scribendarum omnium, objectis conformes; sed et conceptus verborum ipsorum atque omnium, quibus illi exprimendi essent, supematuraliter communicavit intellectui scribentium, ac voluntatem eorum ad actum scribendi excitavit." Siehe dagegen Buddeus ID 1,2,10, 121. ID 1,2,10, A . l , 122: "Si enim verba ab ipsis scriptoribus sacris tantum profecta essent, dubitari semper posset, an recte divini Numinis sententiam expresserint, numve Deus id ipsum etiam velit, quod verba illorum insinuant?" Vgl. auch ebd. 124: "Inspiratione tarnen opus erat, ne ulla in re aut fallerentur, aut aberrarent."

23

inspirationstheorie sicherstellen, daß insbesondere diejenigen Aussagen, in denen es u m die K o n s t i t u t i o n des Heils und m i t h i n um das Ziel der Schrift geht, als eindeutig verstehbarer A u s d r u c k des göttlichen Heilswillens anzun e h m e n sind. D i e Verbalinspiration fungiert also faktisch als Voraussetzung der mit der These v o n der K l a r h e i t der Schrift postulierten Verstehbarkeit der Schrift. D o c h gerade in dieser F u n k t i o n scheint die These v o n der Verbalinspiration in einer Spannung zu der Rede v o n den sogenannten dunklen oder unverständlichen Stellen der Schrift zu stehen. Dieser Schwierigkeit begegnet Buddeus zunächst mit dem bekanntlich auf M a r t i n L u t h e r zurückgehenden Grundsatz, w o n a c h die dunklen oder unverständlichen Stellen der Schrift durch die hellen Stellen auszulegen sind. 2 8 D i e d u n k l e n Stellen sind darum kein A n l a ß , die Klarheit der Schrift in Frage zu stellen. F ü r diejenigen dunklen Stellen der Schrift, die einen Bezug auf das Heil n e h m e n oder zumindest nicht eindeutig als nicht heilsnotwendig gelten 2 9 , sieht Buddeus sodann hermeneutische Regeln v o r , die eine Erforschung des genuinen und w a h r e n Schriftsinns ermöglichen sollen 3 0 . In der - innerhalb der Schriftlehre nach der analytischen M e t h o d e konzipierten 3 1 - H e r m e n e u t i k 3 2 behandelt er dabei besonders ausführlich die Frage nach d e m genuinen Sinn des auszulegenden Textes und setzt dabei im Einklang mit der reformatorischen Tradition voraus, daß die Schriftaussagen

28 Zur Interpretation der unklaren Stellen aus klareren Aussagen vgl. ID 1,2,20, 154f.: "Etenim, si vel maxime in uno loco paullo obscurius proposita nobis videantur, sunt tarnen & alia, in quibus idem dogma perspicue & sine omni obscuritate explicatur: unde recte moneri solet, loca obscuriora ex minus obscuris interpretanda esse". Zu Luther vgl. ders., De servo arbitrio, WA 18, 606. 29 Vgl. ID 1,2,20, 154f. 30 ID 1,2,21, 156: "Iis autem scripturae locis, quae aut obscuriora sunt, aut talia nobis videntur, lux adfundi potest per interpretationem, si rite, & secundum regulas hermeneuticas instituatur. Haec enim eo comparata est, ut verus & genuinus ubique, praecipue tarnen in locis difficilioribus, eraatur sensus." Die Interpretation der Schrift muß "primo quidem ad fmem, tum ad conditionem eius, qui earn interpretari cupit, denique ad media hermmeutica" Bezug nehmen. Das erste und unmittelbare Ziel der Auslegung kann nur darin bestehen, "ut verum & genuinum sensum, in locis praesertim obscurioribus, adsequamur." (ID 1,2,23, 156) 31 Vgl. zur analytischen Methode Kapitel 11,4 dieser Arbeit. 32 Die Hermeneutik der Schriftauslegung wird im Rahmen der dogmatischen Schriftlehre ID 1,2,22-30, 156-181 entfaltet. Als hermeneutische Hilfsmittel der Textinterpretation nennt Buddeus Grammatik, Etymologie, Rhetorik, Geschichtskunde und Logik vgl. ID 1,2,30, 176; Α.2, 180; Α.3, 181. Als vom Interpreten für die Schriftauslegung mitzubringende Voraussetzung werden ID 1,2,29, 175 die Sprachkenntnisse namhaft gemacht. Vgl. ID 1,2,20, 154: "Quodsi etiam omnino scripturam sacram aliquis interpretari velit, eum & linguarum originalium, quibus litteris consignata est, & historiae, aliarumque artium & scientiarum peritum, & reliquis mediis hermeneuticis rite instructum esse oportet." Zur Erörterung des genuinen und wahren Sinns empfiehlt Buddeus zuerst die Bestimmung des Autors (ID 1,2,26, 165), dann die textkritische (ID 1,2,27, 165-173) und traditionsgeschichtliche Untersuchung der Wortbedeutungen sowie die Berücksichtigung der Situation des Verfassers oder des Redenden (ID 1,2,28, 173 f.). 24

immer nur einen Sinn haben. 3 3 Zwar wird - wie schon bei Johann Gerhard 3 4 - neben dem Literalsinn dort, w o die sprachlichen Zeichen zum Beispiel symbolischen Charakter 3 5 haben, ein sogenannter mystischer Schriftsinn angenommen 3 6 . D o c h soll damit die These von der Einfachheit des Schriftsinns nicht beeinträchtigt werden. D e r mystische Sinn gilt vielmehr als eine Sonderform des Literalsinns, die insbesondere bei Typologien oder Allegoresen gegeben ist. Durch die Aufrechterhaltung der Lehre von der Verbalinspiration soll nun aber nicht nur die Eindeutigkeit und der davon abhängige Exklusivitätsanspruch der Schrift als Erkenntnisprinzip der Theologie geltend gemacht werden können. Es soll damit auch verhindert werden, daß die der Vernunft unverständlichen Stellen der Schrift willkürlich als dunkle Stellen bestimmt und infolgedessen ignoriert werden können. Diese Gefahr erblickt Buddeus in der damals bereits von Sozinianern und Arminianern vertretenen Akkommodationsthese. Mit der Behauptung einer außerhalb der Intention des Heiligen Geistes geschehenen A k k o m m o d a t i o n hätten diese Parteien ihnen ungelegene Aussagen wie zum Beispiel die Rede von der Gottheit des Sohnes und der Satisfaktion als unverbindlich zu erklären versucht. 3 7 Trotz dieser Kritik lehnt Buddeus den Akkommodationsgedanken nicht grundsätzlich ab. Sofern unter dem Stichwort der A k k o m m o d a t i o n nur nach der Intention des Autors gefragt werde, ohne daß damit schon ein Gegensatz zur

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Siehe ID 1,2,24, 157: "Si alterius sensum adsequi cupimus, necesse est, ut in signis, seu vocum ac phrasium significatione, conveniamus, utque certo constet, signa, quibus loquens aut scribens utitur, hoc, nec aliud quid significare. Unde sua sporne sequitur, unius sermonis unicum tantum posse sensum esse. Certe, qui ita loquitur, & scribit, ut intelligi velit, unicum tantum sensum intendat, necesse est: quem si adsequamur, tum verum & genuinum sensum tenemus." Siehe dazu Hägglund, Schrift, 223ff. zum sensus literalis, 229ff. zum sensus spiritualis. ID 1,2,25, 157: "Solet equidem subinde contingere, ut non tantum verba, sed & res ipsae, verbis expressae, aliarum rerum signa seu symbola sint. Unde & sensus scripturae in litteralem, Sc allegoricum seu mysticum dividi solet. Q u o d & , si recte intelhgatur, admitti potest: quamquam non desint, qui litteralem tantum pro sensu proprie & stricte sie dicto, habeant." ID 1,2,25, 157f. und bes. die Beispiele ebd., 161. Uber die Frage, ob man angesichts der symbolischen Wendungen neben dem Literalsinn einen mystischen Sinn benennen dürfe, bestand damals Uneinigkeit, vgl. dazu Buddeus, ID 1,2,25, 161f. Mit Glassius, Bechmann, Baier und Carpzov votiert Buddeus für die Unterscheidung zwischen Literalsinn und mystischem Sinn, weil er darin nur eine nomenklatorische Differenzierung und keinen Widerspruch zur Eindeutigkeit der Schrift sieht. Gegen die römisch-katholische Aufteilung des mystischen Schriftsinns in allegorischen, tropologischen und anagogischen gibt Buddeus jedoch ID 1,2,25, 158 zu bedenken: " C u m vero naturae indolique sermonis longe sit convenientius, ut unicus tantum eius sensus, proprie sie dictus, admittatur, ldque praeterea evidentia & perspieuitas scripturae sacrae requirat, immo, finis eius postulet, non sine ratione haecce Romanensium sententia reiieitur." Vgl. ID 1,2,25, 159.

25

Intention des Geistes unterstellt sei, könne man die Rede von der Akkommodation vielmehr durchaus zulassen.38 Mit der Lehre von der Verbalinspiration wird bei Buddeus der göttliche Ursprung der Schrift zwar behauptet und als Voraussetzung der weiteren Entfaltung der Schriftlehre in Anspruch genommen. Ihre Autorität als das ausschließliche Erkenntnisprinzip des Glaubens und der Theologie ist für Buddeus damit aber noch nicht hinreichend begründet.39 Darin unterscheidet er sich wie schon Musäus von der Wittenberger Tradition, die den durch das Wort Gottes selbst hervorgebrachten Glauben an die Inspiration der Schrift zum entscheidenden Bestimmungsgrund der Autorität der Schrift erklärte. 40 Buddeus versteht die Inspirationsaussage zwar ebenfalls als eine von der Schrift selbst geweckte Überzeugung. Doch zielt seine Schriftlehre darauf, diese Uberzeugung durch Demonstration dessen, wodurch sie bewirkt worden ist, zu vergewissern.

2. Die Affektionen der Schrift als Grund ihrer Autorität

Als Antwort auf die Frage, wodurch sich die Schrift als Erkenntnisgrund des Glaubens ausweist, benennt Buddeus zunächst in einer äußerlichen Betrachtung das Alter der Schrift41 sowie den schlichten Ernst ihres Stiles.42 Es handelt sich dabei um formale Kriterien, die auf den göttlichen Ursprung und 38

Siehe die zusammenfassenden Bemerkungen zur Kontroverse über Schriftsinn und Akkommodation ID 1,2,25, 162f.: "Totam non de re ipsa, sed de modo loquendi saltern esse controversiam, facile quilibet ... intelligit. In latiori enim significatione si vox sensus accipitur, ut non tantum id, quod per verba significatur, sed & per res verbis expressas, ex intentione loquentis aut scribentis, indicatur, denotet, nihil obstat, quo minus in quibusdam locis duplex sensus, litteralis & mysticus, admittatur. Pari ratione, si adcommodationis vox ita accipiatur, ut intentionem loquentis seu scribentis connotet, Sc haec adhiberi potest." 39 Siehe ähnlich Ratschow, Dogmatik 1, 103. 40 Vgl. König, Theologia positiva acroamatica §§ 109-115, bes. § 113: "Infallibilia, quibus auctoritas scripturae infallibiliter persuadetur, ita ut divina fide suscipiatur, sunt (1) testimonium, quod scriptura de ipsa et θεοπνευστια ac divina sua auctoritate perhibet ... (2) ipsa spiritus sancti operatio, qua ille per scripturam in nobis efficax est, ad producandam in nobis fidem divinam, eandemque obsignandam ..." Siehe dazu die Interpretation von Ratschow, Dogmatik 1, 99, wonach die - nach den allgemeinen Aussagen über die Schrift - "erneute Aufnahme des Inspirations-Themas allen Schrift-'Mechanismus' ausräumt, wie ihn zumal moderne Autoren an der Inspirationslehre immer wieder monieren. Dies geschieht zumal dadurch, daß klargemacht wird, daß diese Inspiration die Schrift nicht zum Worte 'macht', sondern daß eine ganz eigene operatio des Geistes im Hören den Glauben - als den Grund der Einsicht in das Wort Gottes bzw. in die Schriftautorität - hervorbringt." 41 42

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ID 1,2,16, 144. ID 1,2,14, 138f. Der Stil der Schrift wird von Buddeus zwar als internes Argument angeführt, ist dabei aber als formales Argument von den materialen internen Argumenten unterschieden. Insofern kann auch der Stil der Schrift als Kriterium gelten, welches sich in der äußeren Betrachtung erschließt.

die göttliche Majestät der Schrift hindeuten. Ferner seien auch die in ihr berichteten W u n d e r sowie die Zeugnisse der Märtyrer und schließlich vor allem die fortgesetzte Wirksamkeit der Schrift in der Geschichte ein Indiz ihrer Besonderheit und Autorität. 4 3 Damit werden faktisch die in der Schriftlehre bei Johann Friedrich König als Probabilia und äußere Zeugnisse 44 benannten Merkmale der Schrift rekapituliert. Entscheidend für die Konstitution der gewissen Uberzeugung von der göttlichen Autorität sind jedoch nicht diese formalen und externen Eigentümlichkeiten der Schrift, sondern ihre Eigenschaften bzw. Affektionen. Die Rede von den Affektionen der Schrift findet sich noch nicht bei Johann Gerhard, der die Eigenschaften der Schrift noch als Perfektionen benannte, sondern erst in der Wittenberger Theologie bei König 4 5 und Johann Andreas Quenstedt 4 6 sowie in der späteren Jenaer Theologie bei Johannes Musäus 47 . Mit dem - in der Schulmetaphysik ursprünglich zur Bezeichnung der transzendentalen Grundbestimmungen des Seienden durch Einheit, Wahrheit und Güte eingesetzten - Begriff der Affektion 4 8 soll dabei zum Ausdruck gebracht werden, daß die Schrift das Bewußtsein in einer bestimmten Weise affiziert und auf es einwirkt. Denn die Affektionen "geben Auskunft über die reale Existenz oder Wirksamkeit dessen, von dem sie ausgesagt werden." 4 9 Während die altprotestantische Tradition gewöhnlich Autorität, Wahrheit, Heiligkeit, Suffizienz, Klarheit und Effizienz als Affektionen der

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ID 1,2,16, 144ff.; I D 1,2,14, 138 und A . l . König, Theologia SS 114.115. Siehe die bei Ratschow, Dogmatik 1, 98f. zitierten SS 108-117 aus dem Kompendium von König. Zur reformierten Tradition vgl. Heppe/Bizer, 21. Quenstedt, Systema 1,4/1,8, 86. Introductio 11,3, 282. Der Begriff der affectio zur Kennzeichnung der Eigenschaften der Schrift erscheint dann auch bei Baier, Compendium Ρ,2,12, 55, Hollaz, Examen P,3,23, 151ff. und Pfaff, Institutiones P,3,7, 85. Siehe dazu Scheibler, Metaphysica, 58ff. Die allgemeinen Affektionen des Seienden, nämlich Einheit, Wahrheit und Güte heißen Transzendentalien, so Scheibler, aaO., 1,3, 56ff. Demgegenüber gelten als positive und reale Affektionen des Seienden Existenz und Dauer, aaO., 5965. Vgl. ähnlich die 'Notitia terminorum' von Buddeus in EPI IV,1,9.10, 274: "Attributa entis sunt conceptus entis secundi, quae ex primo eius conceptu fluentes, ispi revera et adaequate conveniunt, deque eodem in concreto et convertibiliter enunciantur. Vocantur et affectiones, proprietates, passiones, modi, adiuncta entis. ... Ea sunt vel simplicia, vel disiuncta; ilia sunt, quae ens simpliciter exhauriunt, adeoque, de eo solitarie, et citra coniunctionem membri oppositi, enunciantur, ut: unitas, Veritas, bonitas; quibus nonnulli addunt ubietatem, perfectionem, et durationem." Siehe auch Wundt, Schulmetaphysik, 207; Ratschow, Dogmatik 1, 98. Nach der Auskunft von Herring in seinem Artikel 'Affektion, affizieren', in: H W P 1, lOOf. wurde der in der Scholastik eingeführte Begriff der Affektion bei Descartes "gelegentlich zur Erklärung der Einwirkung des Gegenstandes auf die Sinne verwendet". U m diese Fähigkeit der Einwirkung geht es, wenn die Eigenschaften der Schrift oder auch der wahren Religion in der Hochorthodoxie nicht mehr als Proprietäten oder Perfektionen, sondern als Affektionen bestimmt werden. Ratschow, Dogmatik 1, 98.

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Schrift nannte 50 , reserviert Buddeus den Begriff der Affektion in seiner Schriftlehre zur Bezeichnung der Eigentümlichkeit der in der Schrift enthaltenen Lehre und behandelt diese vor den zentralen Schrifteigenschaften der Autorität, Wirksamkeit, Vollkommenheit und Klarheit. Insofern die Lehre der Schrift sich durch die Affektionen der Wahrheit, Heiligkeit und Suffizienz auszeichnet51, kann sie nach Buddeus als Basis für die Verteidigung der Autorität der Schrift fungieren. 52 Aufgrund der besonderen Affektionen ihrer Lehre überzeuge die Schrift nämlich den menschlichen Ver-

50 Siehe dazu Ratschow, Dogmatik 1, 98-105. Wie schon Schmid, § 8, 49 A . l vermerkt hat, zählen die altlutherischen Dogmatiker nicht alle die gleichen Eigenschaften oder Affektionen der Schrift auf. Gerhard, Loci 1,12.18.20, 132ff.l57ff.l83ff. nennt auctoritas, perfectio und perspicuitas. Quenstedt, Systema 1,4/1,8, 86 unterscheidet beispielsweise primäre und sekundäre Affektionen der Schrift und nennt insgesamt zwölf Affektionen: "Affectiones Scripturae aliae sunt primariae, aliae secundariae·. Primariae sunt, quae Scripturae X. formaliter spectatae conveniunt, ut sunt divina auctoritas, infallibilis Veritas, omnimoda perfectio seu sufficientia, luculenta perspicuitas, seipsam interpretandi facultas, normativa & iudicaria potestas, & denique divina efficacia: Secundariae sunt, quae competunt eidem, quatenus materialiter consideratur, suntque ejusdem necessitas, integritas, fontium puritas, authentia, & legendi omnibus concessa licentia". (Zur Schriftlehre Quenstedts vgl. Jörg Baur, Vernunft, 119-122.) Siehe ähnlich schon König, Theologia $ 116. Hollaz dagegen konzentriert sich auf Autorität, Perspikuität, Vollkommenheit und Wirksamkeit, vgl. Examen P,3,23-44, 151-229; 45-47, 229-264; 49-50, 270-283; 51, 283ff. 51 ID 1,2,15, 139: "Adfectiones doctrinae, in scriptura sacra exhibitae, quae divinam eius arguunt originem, sunt, Veritas, sanctitas, & sufficientia." 52 Dies wird aus dem Argumentationsgang der Schriftlehre ersichtlich. Nachdem Buddeus in ID 1,2,1-3, 106-108 die Notwendigkeit der Schrift als Offenbarungsbuch erläutert hat, diskutiert er ab ID 1,2,4, 108ff. ihren Offenbarungscharakter und stellt ID 1,2,10 und 11, 121ff. die These der Verbalinspiration bzw. Theopneustie auf, aus der nach ID 1,2,12, 136 die Autorität der Schrift gefolgert werden muß. Die weiteren Ausführungen dienen als Argument für die mit der Theopneustie behauptete Schriftautorität. Buddeus unterscheidet dabei ID 1,2,13, 137 zunächst zwischen Argumenten, die eine fides humana bzgl. der Theopneustie der Schrift hervorbringen (ID 1,2,14-16, 138-144) und dem testimonium spiritus sancti internum, welches die fides divina begründet (ID 1,2,17, 144). Als sogenannte interne Argumente der fides humana werden ID 1,2,15, 139ff. die o.g. Affektionen der heiligen Lehre genannt. Im Anschluß an die solchermaßen im Rekurs auf die Lehre der Schrift begründete Autorität der Schrift behandelt Buddeus als Eigenschaften der Schrift ID 1,2,18, 148ff. ihre Heilswirksamkeit, ID 1,2,19, 151 ff. ihre Suffizienz und ID 1,2,20, 154ff. schließlich ihre Perspikuität bzw. Klarheit. Die These von der Klarheit der Schrift wird ID 1,2,21-30, 156-181 durch die Ausführungen zur Hermeneutik, die auch die Lehre vom Schriftsinn umfassen, ausgelegt und verteidigt. Anhand der vorangegangenen Erörterungen kann dann ID 1,2,31.32, 181-199 die Kanonfrage behandelt und die Schrift als Erkenntnisprinzip (ID 1,2,33, 199f.) und Richtschnur in Glaubenskontroversen (ID 1,2,34, 205f.) bestimmt werden. Damit ist das eigentliche Argumentationsziel der Schriftlehre erreicht, aus dem in den weiteren Paragraphen nur noch Konsequenzen im Blick auf die Bedeutung der Schrift gezogen werden. ID 1,2,35.36, 209ff. betont Buddeus die universale Geltung und Zugänglichkeit der Schrift für alle Menschen. ID 1,2,37, 212 unterscheidet er die heilsnotwendigen Inhalte der Schrift von denen, die erst in zweiter Linie zur Kenntnis zu nehmen sind. Schließlich wird ID 1,2,38, 213 das Ziel der Schrift erklärt. Die letzten Paragraphen beschäftigen sich nach dem von Buddeus in allen Lehrstücken angewendeten Muster mit den Ursachen für Irrlehren (ID 1,2,39, 214-221), der Bewahrung des Lehrstücks in der zurückliegenden Geschichte (ID 1,2,40.41, 221-244) und den mit der Erkenntnis der Autorität der Schrift verbundenen Pflichten (ID 1,2,42, 244).

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stand von ihrer göttlichen Inspiriertheit und Autorität. 53 Diese rein menschliche oder verstandesmäßige Uberzeugung von der Autorität der Schrift unterscheidet Buddeus dann aber von dem durch das innere Zeugnis des Heiligen Geistes bewirkten Rechtfertigungsglauben54, für den die Inspiration der Schrift nicht mehr nur wahrscheinlich, sondern in höchstem Maße gewiß ist. 55 Darin macht sich die glaubenwirkende Kraft des in der Schrift enthaltenen Wortes Gottes bzw. die supernaturale Effizienz der Schrift geltend.56 53

Unter der von der Schrift bewirkten fides humana versteht Buddeus I D 1,2,13, 137 Α.2 die "cognitio, quae aut testimonio mere humano, aut alia quadam ratione probabili nititur: adeoque non simpliciter certa, sed verosimilis est." Sie wird nicht nur durch die Affektionen der Lehre, sondern auch durch die oben bereits erwähnten externen Argumente wie Alter, Wunderberichte und Märtyrerzeugnis (ID 1,2,16, 144) gestützt.

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Buddeus nennt solchen Glauben fides divina, weil es sich dabei nach ID 1,2,13, A . l , 137 um eine "cognitionem ... simpliciter certam, & omnem oppositi formidinem excludentem, quae per internum spiritus sancti testimonium, quod in legitima verbi divini tractatione sese exserit, producitur", handelt. So schon Musäus, Introductio 11,4,5, 298: "Duplex enim datur notitia, qua Scripturam sacram Deo inspirante conscriptam esse nobis innotescit: Fides humana scilicet vel opinionis-, & fidei divinae." Das Kriterium dieser Unterscheidung zwischen fides humana und fides divina ist der unterschiedliche Gewißheitsgrad, der wiederum aus der Art der Erkenntnisquelle resultiert. Die Vermittlung der Glaubenserkenntnis vollzieht sich, wie später darzustellen sein wird, als Erleuchtung und Bekehrung und wird umfassend durch den Begriff der Wiedergeburt bezeichnet, so schon I D 1,2,18, 148; vgl. die Lehre von der Wiedergeburt I D IV,3, 1178ff. Daß die Autorität der Schrift also in der Hervorbringung der fides divina gipfelt, war auch die Auffassung der übrigen lutherischen Tradition (vgl. Schmid, § 8, 49) und der reformierten Tradition (vgl. Heppe/Bizer, 21 A.10).

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ID 1,2,17, 144: "Quantumvis autem haec argumenta magni ponderis sint, atque eiusmodi probationem suppeditent, quae a demonstratione prope absit: longe tarnen certior adhuc est fides divina, quae ex interno spiritus sancti testimonio, in legitimo verbi divini usu sese exserente, nec ab illo ulla ratione seiungendo, oritur." Vgl. ebd. A.2: "Producitur autem ea per spiritus sancti operationem, qua intellectum lumine divino perfundit, ut de veritate rerum, quae in scriptura sacra proponuntur, intime convincatur, simulque voluntas valide ad obsequium flectetur." Diese Inspirationsgewißheit kann nicht aus der bloßen Vernunft und ohne Rekurs auf das Wort Gottes begründet werden. Daher kritisiert Buddeus die, "qui ex sola ratione divinam scripturae auctoritatem adstrui posse contendunt", zu denen z.B. der Duisburger Theologe Heinrich Hulsius zähle, siehe I D 1,2,17, 145.

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I D 1,2,18, 148: "Ex eo nimirum, quod scriptura sacra a Deo ipso est profecta, praeter auctoritatem, qua pollet, efficacia quoque eius singularis, non naturalis, sed supernaturalis, planeque divina, fluit; quae in hominum illuminatione, conversione, regeneratione, aliisque effectibus spiritualibus producendis, quam luculentissime sese exserit. Ephes.1,17. Rom.1,16, XJ7. conf. & psalm.XXIX,3.seq." Die Frage, "an verbum divinum vim hanc & efficaciam, de qua hactenus verba faciemus, etiam extra usum habeat", wird ID 1,2,18, 149f. durch die Anwendung der Unterscheidung einer actu primo dem Wesen der Schrift unter Absehung "ab actuali operatione" zuzuschreibenden und der actu secundo vollzogenen Wirksamkeit (vgl. zu dieser Unterscheidung zwischen actus primus und actus secundus EPI IV,4,1, 286) dahingehend beantwortet, daß die Schrift zwar ihrem Wesen nach als extra usum efficax zu bestimmen sei, daß sich diese Wirksamkeit aber nur actu secundo im legitimen Gebrauch der Schrift realisiere. Der legitime Gebrauch finde statt, "si nulla adferantur impedimenta". Die entsprechende Disposition des Rezipienten werde dabei durch den Heiligen Geist und also durch Gott selbst vermittelt: "ita, ut impedimenta ista removeantur, & corda mortalium ad vim hancce percipiendam & admittendam rite disponantur, & velut praeparentur, in eorum neutiquam positum est viribus, ut Pelagiani perperam censebant, sed divini spiritus hoc quoque opus est. Hinc Deus ipse cor Lydiae aperuisse dicitur, ut ad Pauli orationem attenderet·, actor.

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Da die Schrift nicht nur material im Blick auf die in ihr enthaltene suffiziente Lehre, sondern unter dem Eindruck ihrer in der Wirksamkeit erfahrenen Autorität 5 7 auch in formaler Hinsicht als vollkommen anzusehen ist, kann ihr in der Konzeption von Buddeus dann auch das Prädikat der Vollkommenheit zugeschrieben werden. 5 8 Der solchermaßen auf ihrer Lehre und ihrer Wirksamkeit basierenden Vollkommenheit der Schrift läßt Buddeus als letzte Eigenschaft der Schrift die Klarheit oder Evidenz der Schrift folgen. 5 9 Auch wenn die Klarheit der Schrift nur im Zuge der formalen und inhaltlichen Vollkommenheit der Schrift sinnvoll behauptet werden kann 60 , ist doch die Klarheit selbst wieder Bedingung für die Geltung aller anderen bisher genannten Eigenschaften. Denn nur unter Voraussetzung der Klarheit der Schrift kann sich die Einsicht in die Wirksamkeit und damit indirekt auch in die Vollkommenheit der Schrift einstellen. Bei der Bestimmung der Klarheit der Schrift geht es Buddeus zuerst darum, das Schriftzeugnis insbesondere hinsichtlich seines heilsnotwendigen Inhalts als die verstehbare, weil eindeutige Vorgabe der Schriftauslegung hervorzuheben. 6 1 Zur Begründung dieser These differenziert er zwischen der Klarheit bzw. Evidenz der Inhalte und der Evidenz der einzelnen Worte. 6 2 Die Inhalte, die die Vernunft nicht zu fassen vermag, stehen nach Buddeus

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XVI, 14." (ID 1,2,18, 149f.) Die Wirksamkeit des Geistes wiederum ist nicht zu trennen vom Wort. Und so gilt ID 1,2,17, 145: "Nec tarnen hoc ita intelligendum, ac si spiritus sanctus immediate istud in nobis efficiat. Quinimmo per ipsum verbum, si rite tractetur, nec homines ispi repugnent, talia in nobis operatur, ut adeo coniungendum sit cum ipsa operatione spiritus sancti verbum divinum, minime separandum." Siehe dazu ID 1,2,19, A . l , 151: "Hoc [sc. perfectio intuitu partium; Vf.] ita intelligendum, quod ex libris canonicis, seu divinitus inspiratis, nullus, immo ne minima quidem pars eiusmodi libri interciderit." Vgl. auch ID 1,2,31, 181: "Ex auctoritate, qua scriptura sacra pollet, divina, fluit etiam auctoritas canonica, seu normalis: quae itidem in se spectata, partim a veracitate divina, partim ab ipsa rerum atque vocum inspiratione; relative autem, & quoad nos considerata, ab interno spiritus sancti testimonio, per ipsam scripturam sacram in nobis producto, accedente primitivae ecclesiae testimonio, dependet." Indem die Einsicht in die kanonische Autorität vom inneren Zeugnis des Geistes abhängt, ist die Anerkennung der absoluten göttlichen Autorität bzw. der Inspiration nicht ohne die Wirksamkeit der Schrift zu denken, die sich im Zeugnis des Geistes manifestiert. ID 1,2,19, 151: "Praeterea perfectione etiam, seu sufficientia, scriptura sacra gaudet; & quidem tum intuitu partium, quia nulla, ne minima quidem eius pars, temporum iniuria, aut alia ratione intercedit; tum intuitu doctrinae, quia plene ea omnia exhibet, quae homini scitu credituque ad salutem consequendam sunt necessaria, Ioan.XX,31. II.Tim.III,16,17." König nennt dagegen die efficacia divina als letzte der primären Affektionen der Schrift, vgl. Theologia, § 116. ID 1,2,20, 154: "Perspicuitate denique scriptura sacra se commendat, ea quidem ratione, ut quilibet, modo rationis usu polleat, debitamque secum adferat attentionem, ea inde haurire queat, quae ut salutis aeternae compos fiat, eum scire oportet". ID 1,2,20, 154f. A . l : "Obiecti, quod vocant, ita habenda est ratio, ut discrimen inter ea, quae ad fidem, adeoque ad salutem sunt necessaria, aut minus necessaria, probe observetur. Perspicuam evidentemque dum scripturam sacram adserimus, de iis hoc intelligimus doctrinae capitibus, quae scitu credituque ad salutem sunt necessaria". ID 1,2,20, 154 A . l : "Ut & et hoc rectius intelligatur, observare iuvat, aliam esse perspicuitatem seu evidentiam rerum, aliam verborum."

nicht in Widerspruch zur Behauptung der Klarheit der Schrift, da sie sich hinsichtlich ihres Wortsinns als eindeutige und insofern klare Zeugnisse ausweisen lassen.63 Die damit behauptete Klarheit der Sprache der Schrift ist dabei gleichermaßen die Voraussetzung für die oben bereits angesprochene Auslegung der dunklen Stellen der Schrift nach den hermeneutischen Regeln. Die von Buddeus in der Schriftlehre entwickelte Wesensbeschreibung der Schrift setzt also mit der Erklärung der Inspiration durch die Affektionen ihrer Lehre ein und entfaltet die damit verbundene Einsicht in die Autorität der Schrift dann unter Berücksichtigung der mit dem inneren Zeugnis des Geistes verbundenen Wirksamkeit, Vollkommenheit und Klarheit der Schrift. Dieser gesamte Gedankengang dient Buddeus als Argument für die Anerkennung der Autorität des Kanons 64 , welche mit der Inspirationsaussage bereits vorab behauptet worden war, und führt darin den Nachweis, daß die Schrift als das ausschließliche Erkenntnisprinzip der Theologie zu gelten hat. Denn da von einem Erkenntnisprinzip grundsätzlich zu fordern sei, daß es sicher, evident, durch sich selbst bekannt und hinsichtlich des aus ihm zu erkennenden Inhaltes suffizient zu sein habe65, könne die Schrift anhand der vorgetragenen Beschreibung als das genuine und exklusive Erkenntnisprinzip der Theologie bestimmt werden. 66 Wenn Buddeus die Überzeugung von der Autorität der Schrift in dieser Weise "mit einem durchrationalisierten Begründungszusammenhange unterbaut", indem er "die Affektionen zur Beweiskette für die Schrift als principium cognoscendi" einsetzt, so geschieht dies nicht in dem Interesse, das, was "ehemals aus dem verkündigten Worte als Ereignis der Glaubensbegründung empfangen und als solches ausgesagt wurde" 67 , auf vernünftige Reflexion zurückzuführen.

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I D 1,2,20, 154 A . l : "Licet autem in iis, quae ratio capere nequit, desit evidentia, quam vocant, obiecti, sufficit tarnen evidentia testimonii, sive, quod clare & evidenter in scriptura sacra contineantur. H i c autem de evidentia, seu perspicuitate verborum praecipue nobis sermo est: quae ut recte scripturae sacrae adseratur, & ad subiectum, & ad obiectum, & denique ad modum, ut in scholis loqui amant, attendendum est." Siehe ID 1,2,31, 181: "Ex auctoritate, qua scriptura sacra pollet, divina, fluit etiam auctoritas eius canonica, seu normalis: quae itidem in se spectata, partim a veracitate divina, partim ab ipsa rerum atque v o c u m inspiratione; relative autem, & quoad nos considerata, ab interno spiritus sancti testimonio, per ipsam scripturam sacram in nobis producto, accedente primitivae ecclesiae testimonio, dependet." Die relative Bedeutung der Schrift ist, wie sich aus dem Argumentationsgang der Schriftlehre zeigen ließ, die Voraussetzung der absoluten Bestimm u n g der Schrift als das wahre u n d inspirierte W o r t Gottes. ID 1,2,33, 200 A . l : " Q u o d per cognoscendi principium nihil aliud, quam ultimam cognitionis nostrae, in rebus ad salutem spectantibus, intelligamus caussam, nemimi obscurum esse potest. Manifestum quoque est, quod eiusmodi principium debeat esse certum, evidens, per se n o t u m , atque sufficiens ad ea omnia demonstranda, quae inde deduci debent." I D 1,2,33, 199f. So Ratschow, D o g m a t i k 1, 103. E r verbindet zwar mit diesen Äußerungen keine ausdrückliche Wertung. D o c h klingt in ihnen die gleiche W e h m u t über den vermeintlichen Verlust der ursprünglichen Lebendigkeit der Glaubenseinsicht an, die auch bei Hans Emil Weber in sei-

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Buddeus geht vielmehr wie die altprotestantische Theologie davon aus, daß die Schrift die Gewißheit hinsichtlich ihres göttlichen Ursprungs als unmittelbare Gewißheit selbst begründet. Dies geschieht jedoch durch die in der zentralen Lehre der Schrift bezeugte Offenbarung Gottes. Buddeus bringt diese Einsicht im Argumentationsgang seiner Schriftlehre darin zur Geltung, daß er den typischen Eigenschaften der heiligen Schrift, also der Wirksamkeit, Vollkommenheit und Klarheit, die Affektionen ihres zentralen Inhalts voranstellt. Diese auf das Heil des Menschen ausgerichtete Lehre der Schrift erschließt sich selbst in ihrer Wahrheit, Heiligkeit und Suffizienz.

3. Die Funktion der Schriftlehre im Kontext des theologischen Systems

Die in der Schriftlehre explizierte Einsicht, daß die gewisse Uberzeugung von der Autorität der Schrift niemals unabhängig von der Glaubensüberzeugung gegeben sein kann, führt Buddeus dazu, die Schriftlehre nicht als ein Prolegomenon der Dogmatik zu kennzeichnen. Darin unterscheidet er sich markant von Baier, Hollaz und Pfaff 68 . Die Schriftlehre ist für Buddeus aus den genannten Gründen kein Vorspann, sondern ein Teil des theologischen Systems. 69 Dennoch behält sie im Aufbau desselben ihren traditionellen Ort nach der Bestimmung des Theologiebegriffs und vor der Gotteslehre. Dies wird aus der besonderen Funktion verständlich, die der Schriftlehre in der Konzeption von Buddeus zukommt. Die Schriftlehre soll zwar die Schrift als Erkenntnisprinzip der Theologie bestimmen. Aber sie will mit der Behauptung der Autorität der Schrift nicht vorab die Wahrheit der christlichen Lehre garantieren, wie dies in der altprotestantischen Fassung zumindest den Anschein haben konnte. Vielmehr gründet sich die mit dem göttlichen Ursprung der Schrift beanspruchte Autorität auf die Affektionen ihrer zentralen Lehre. 7 0 Daher bedarf es zur vollständigen Erhellung der Autorität der

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ner Darstellung der Entwicklung altprotestantischer Dogmatik zu spüren ist, vgl. insbesondere ders., Reformation, Orthodoxie und Rationalismus Bd. II. Siehe Hollaz, Examen P,3, 84ff.; Baier, Compendium Ρ,2, 43ff.; Pfaff, I n s t i t u t i o n s , Ρ,3, 43 ff. Darin entspricht Buddeus der Auffassung von Johann Gerhard. Denn in den Loci ist die Schriftlehre, wie Hägglund, Schrift, 64f. herausgestellt hat, "nicht als eine hinzugefügte Einleitung zu der eigentlichen, mit dem Locus de Deo beginnenden, theologischen Darstellung aufgefasst." Siehe I D 1,2,15, 139: "Adfectiones doctrinae, in sripturae sacrae exhibitae, quae divinam eius arguunt originem, sunt Veritas, sanctitas, & sufficientia." Zur Identität der doctrina mit dem zentralen Glaubensinhalt vgl. I D 1,1,35, 64 A . l . Entsprechend unterscheidet Buddeus I D 1,2,37, 212 zwischen primären und sekundären Wissensbeständen der Schrift: "Si, quae in scriptura sacra quaerenda sint, scire cupias, primo quidem ponenda loco erunt omnia ea, quae scitu credituque ad salutem sunt necessaria, tum vero Sc reliqua omnia, in quorum commemoratione scriptura sacra versatur. Atque hinc quidem, quodnam obiectum scriptu-

Schrift der Demonstration der Wahrheit, Heiligkeit und Suffizienz ihrer Lehre. Diese Aufgabe ist jedoch nicht mehr in der Schriftlehre zu leisten. Die Schriftlehre beschreibt vielmehr die Möglichkeit, sich des durch die A f fektion des Schriftinhalts vermittelten Eindrucks von der göttlichen Autorität der Schrift im Rekurs auf ihre zentrale Lehre zu vergewissern. In dieser Vergewisserung läßt sich gleichzeitig die exklusive Bedeutung der Schrift für die Konstitution des Heils einsehen. U m die Verteidigung dieser Einsicht hatte sich bereits Musäus bemüht. Anlaß war ihm dabei vor allem die von ihm als naturalistisch qualifizierte Position Herberts von Cherbury. Darüberhinaus stehen Buddeus jedoch mit dem Spinozismus, dem leibnizwolffschen Rationalismus und nicht zuletzt mit dem englischen Deismus Positionen vor Augen, in denen er nicht nur die Notwendigkeit der Offenbarung, sondern auch die Notwendigkeit der Religion bestritten sieht. Gegen diese systematischen Konzeptionen kann nicht mehr nur mit einer Verteidigung der Autorität der Schrift als des exklusiven Erkenntnisgrundes der Theologie angetreten werden. Es bedarf vielmehr einer theologischen Disziplin, die den zentralen Inhalt des christlichen Glaubens als den wahren und unverzichtbaren Grund des menschlichen Heils auslegt. Indem Buddeus diese Aufgabe der Dogmatik zuweist, begründet er diese als eigenständige Disziplin innerhalb der theologischen Wissenschaft.

rae tum primarium, tum secundarium sit, intelligere licet." Das primäre Objekt sind nach A . l "omnia, quae ad fidem ac vitam recte instituendam, adeoque ad aeternam salutem consequendam, scitu credituque sunt necessaria. Perinde est, quod alii dicunt, obiectum primarium esse credenda & agenda".

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Kapitel II:

Begriff und Aufgabe der Dogmatik Die Entstehung der Dogmatik als einer Disziplin innerhalb der evangelischen Theologie ist bis heute weder hinsichtlich ihres historischen Ursprungs, noch im Blick auf die damit verbundene theologische Intention völlig geklärt. Zwar ist bekannt, daß das Adjektiv 'dogmatisch' in der Zeit der altprotestantischen und nachtridentinischen Theologie immer häufiger verwendet wurde und daß schließlich in der Ubergangstheologie in begrifflich bestimmtem Sinne von dogmatischer Theologie gesprochen wurde. Aber welche Überlegungen zu der Begriffsprägung geführt haben und welche Veränderungen des theologischen Selbstverständnisses sich darin ausdrücken, ist nicht hinreichend untersucht. Es besteht allerdings Einigkeit darüber, daß die 1723 veröffentlichten 'Institutiones theologiae dogmaticae' von Buddeus wesentlich zur Einbürgerung des Begriffs der dogmatischen Theologie bzw. der Dogmatik beigetragen haben. 1 Dem dort vorgetragenen und durchgeführten Verständnis der Dogmatik verlieh Buddeus selbst besonderen Nachdruck durch seine enzyklopädische Darstellung der theologischen Wissenschaften von 1727, "die erste Gesamtübersicht über die Theologie als einen geschlossenen Kreis wissenschaftlicher Disziplinen" 2 . U m die Begriffs- und Aufgabenbestimmung der Dogmatik bei Buddeus zu klären, wird in diesem Kapitel zuerst nach der Verortung und der eigentümlichen Bestimmung der Dogmatik im Kontext der anderen theologischen Disziplinen zu fragen sein. Zu diesem Zweck muß das der Isagoge zugrundeliegende und bisher durch die Sekundärliteratur noch nicht angemessen erschlossene Organisationsschema der theologischen Disziplinen rekonstruiert werden. Die Besonderheiten, auf die man hier stößt, führen zu der im zweiten Abschnitt des Kapitels begriffsgeschichtlich zu erörternden 1

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Vgl. hierzu den Artikel 'Dogmatik' von Gerhard Sauter in T R E 9, 43. Sauter ist zwar der Auffassung, daß vornehmlich das 1731 von J.G. Walch aus den 'Institutiones theologiae dogmaticae' erstellte 'Compendium Institutionum Theologiae Dogmaticae brevioribus observationibus illustratum' zur Verbreitung der Bezeichnung 'theologia dogmatica' beigetragen habe. Voraussetzung dafür ist jedoch das Verständnis der Dogmatik, wie Buddeus es in seinen Institutiones und in der Isagoge zur Darstellung gebracht hat. Vgl. dazu Hirsch, Theologiegeschichte Bd. 2, 318ff., bes. 325f. Zur Vorgeschichte der Bezeichnung 'theologia dogmatica' bzw. des Wortes 'dogmaticus' vgl. Otto Ritsehl, Das Wort dogmaticus in der Geschichte des Sprachgebrauchs bis zum Aufkommen des Ausdrucks theologia dogmatica, in: Festgabe für D. Dr. Julius Kaftan, Tübingen 1920, 260-273. Vgl. auch W. Pannenberg, Wissenschaftstheorie, 407. Hirsch, Theologiegeschichte Bd. 2, 320.

Frage, in welcher Weise die bis dahin in der altprotestantischen Tradition üblichen Aufgabenbestimmungen der Theologie durch die Aufnahme des damals noch unbesetzten Begriffs der Dogmatik konturiert werden. Wie die Dogmatik nach Buddeus ihrer spezifischen Aufgabe gerecht werden kann, wie also anhand der Maxime des sola scriptum dogmatische Aussagen zu gewinnen sind, erörtert der dritte Abschnitt dieses Kapitels. Da das von Buddeus in diesem Zusammenhang entwickelte dogmatische Prinzip seine Kritik an der altlutherischen Organisation der Dogmatik durch die analytische Methode impliziert, muß im letzten Abschnitt die Ablösung der analytischen Methode durch die von Buddeus mit dem Begriff der Dogmatik verbundene systematische Verfahrensweise dargestellt werden. Insgesamt werden die Ausführungen dieses Kapitels zeigen, daß die Präzision, in der Buddeus die Dogmatik als theologische Disziplin definiert, vor ihm - so weit bekannt - nicht erreicht worden ist. Dennoch erheben die hier vorzutragenden Überlegungen nicht den Anspruch, historisch die letzte Lücke in der Entstehungsgeschichte der Dogmatik zu schließen. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, die mit der Definition der Dogmatik verbundene theologische Intention von Buddeus herauszuarbeiten. Diese interessiert nicht nur im Kontext der Frage nach der Entstehung der Dogmatik, sondern vor allem deshalb, weil sich gerade aus dem Dogmatikbegriff verstehen läßt, in welchem Sinne Buddeus als Ubergangstheologe zu gelten hat.

1. Die Dogmatik im Kontext der theologischen Disziplinen Zwischen dem Entstehen reformatorischer Theologie und der einheitlichen Rekonstruktion ihrer Aufgabenbereiche in Friedrich Schleiermachers 'Kurzer Darstellung des theologischen Studiums'3 hat es immer neue Versuche gegeben, die Disziplinen der Theologie zu definieren und einen Plan für das Studium der Theologie zu entwerfen. Eine der ältesten Darstellungen des theologischen Studiums bietet Andreas Hyperius in 'De recte formando theologiae studio' von 1556. Nach der Behandlung propädeutischer Fragen im ersten Buch zeigt Hyperius im zweiten Buch den Zugang zur Lektüre der biblischen Bücher, um dann im dritten Buch als Summe der Lehre der Religion die theologischen Loci nennen zu können. Daß sich die Schriftauslegung selbst in verschiedenen Schritten vollzieht, wird zwar im zweiten Buch deutlich, ohne daß jedoch auf das Verhältnis dieser Schritte zueinander reflektiert würde. Eine begriffliche Unterscheidung zwischen Dogmatik und Exegese ist hier noch nicht im Blick. Die theologischen Loci erscheinen zwar im Anschluß an die Schriftauslegung, werden jedoch nicht als deren 3

Vgl. dazu Pannenberg, Wissenschaftstheorie, 19.

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Ergebnis deklariert, sondern gelten als ein getrennter Bereich, von dem aus dann zu den historischen und praktischen Sachverhalten der Theologie übergegangen wird. 4 In ähnlicher Weise sieht Johann Gerhard in seiner Darstellung des theologischen Studiengangs im 'Methodus studii theologici' von 16225, die er mit einem Zeitplan verbindet, für das erste Studienjahr zuerst die Einübung in die Schriftlektüre, für das zweite Jahr die akkurate Beschäftigung mit den theologischen Loci vor. Erst in der Phase der lutherischen Hochorthodoxie kommt es zu einer genaueren Unterscheidung der verschiedenen theologischen Aufgabenbereiche. Abraham Calov erörtert in seiner 'Isagoges ad SS. Theologiam 1 von 1652 die verschiedenen theologischen Verfahrensweisen zwar anders als Johann Gerhard nur am Rande im letzten Kapitel. Doch unterscheidet er die wissenschaftliche oder akroamatische Theologie dabei nicht nur in Schriftauslegung und Loci, sondern in exegetische, didaktische, polemische, asketische, kirchliche und kasuistische Theologie. 6 Ebenso bestimmt dann auch Johann Friedrich König in seiner 'Theologia positiva acroamatica' von 1664 als Verfahrensweisen der Theologie exegetische, didaktische, homiletische, kasuale und kirchenrechtliche Theologie. Es fehlt bei ihm nur die Moraltheologie. 7 Darüber hinausgehend versucht David Hollaz in seinem 'Examen theologicum acroamaticum' von 1707 bereits eine Zuordnung der verschiedenen theologischen Wissensgebiete zu den methodischen Arbeitsweisen der exegetischen, der positiven und der historischen Theologie. Der historischen Theologie wird das Gebiet der Polemik, der positiven Theologie die Bereiche der didaktischen und der moralischen Theologie zugeordnet. 8 Diese Einteilung weiterführend benennt schließlich Christoph Matthias Pfaff in seiner 'Introductio in historiam theologiae litterariam' (1724-1726) Exegese, theoretische und moralische Dogmatik, Polemik, Kirchengeschichte und Pastoraltheologie als theologische Disziplinen. In Entsprechung zum lutherischen bzw. reformatorischen Theologieverständnis wird in all diesen Konzepten die Schriftauslegung oder Exegese als erstes Arbeitsgebiet der Theologie bestimmt. Eine Ausnahme hiervon macht allerdings bereits recht früh der Helmstedter Theologe Georg Calixt in seinem - von ihm selbst zwischen 1628 und 1656 immer wieder neu bearbeiteten - 'Apparatus sive introductio in Studium et disciplinam Sanctae Theologiae'. Denn im Anschluß an eine enzyklopädische Einführung empfiehlt Calixt als erste Station des Theologiestudiums die Disziplin der positiven 4 5 6 7 8

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Vgl. Hummel, T R E 9, 729. Einen kurzen Uberblick über Johann Gerhards 'Methodus' gibt Preus, Theology 1, 140-142. Calov, Isagoges, C. 14, 330f. Zu dieser Reihe ließen sich nach Calov auch noch patristische und scholastische Theologie hinzufügen. König, Theologia positiva acroamatica, § 24, 3f. Hollaz, Examen P,1,21, 25.

Theologie oder der Epitome, die die heilsnotwendigen Kapitel der christlichen Religion darstellen und erklären soll. 9 Erst unter dieser Voraussetzung will er Exegese und Kirchengeschichte betrieben sehen. Dieser Entscheidung schließt sich Buddeus in seiner 'Isagoge historicotheologica ad theologiam universam singulasque eius partes' von 1727 1 0 an, indem auch er dort die bereits in den 'Institutiones' von 1723 programmatisch bestimmte dogmatische Theologie 1 1 als erste Disziplin der theologischen Wissenschaft vorstellt. Der Unterschied zur altprotestantischen Tradition k o m m t jedoch in vollem Maße darin zum Ausdruck, daß Buddeus die exegetische Theologie - darin auch Calixt hinter sich lassend - an das Ende des gesamten Disziplinenkanons setzt. Neben dieser bemerkenswerten Tatsache bedarf die Wahl und die Reihenfolge der im Anschluß an die Dogmatik genannten Disziplinen einer Erklärung. D e r Dogmatik folgen in einer ersten Sektion Symbolik, Patristik und Moraltheologie, in einer zweiten Sektion kirchliche Jurisprudenz, Kirchengeschichte, Polemik und Exegese. Für jede dieser theologischen Einzelwissenschaften bestimmt Buddeus die spezielle Aufgabe und die methodische Vorgehensweise, um dann über den Fortschritt und den wissenschaftlichen Forschungsstand innerhalb der jeweiligen Gebiete zu informieren. Durch diese literarhistorische Ausrichtung 1 2 unterscheidet sich die Isagoge

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Siehe G. Calixt, Apparatus, 163-167. Nach E . W o l f , R G G ' 3, 1749 bezeichnete das W o r t 'Isagogik' in der evangelischen Theologie ursprünglich die Einleitung in die lutherischen Bekenntnisschriften. Buddeus versteht demgegenüber seine Isagoge als eine Einleitung in die gesamte Theologie. Vgl. zur Entwicklungsgeschichte der theologischen Enzyklopädie den Artikel 'Enzyklopädie' von G . Hummel in T R E 9, 716-742, bes. 726ff., zu Buddeus 730; außerdem: O t t o Zöckler (Hg.), Handbuch der theologischen Wissenschaften in encyklopädischer Darstellung mit besonderer Rücksicht auf die Entwicklungsgeschichte der einzelnen Disziplinen Bd. 1, 1. Abteilung: Grundlegung und der Schrifttheologie erste Hälfte, Nördlingen 1889, 91-97, bes. 95f.

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Vgl. z.B. I D 1,1,52, 89 mit dem Vorwort zu I D (die Seiten des Vorworts sind nicht numeriert). Wie Zöckler, aaO., 95 vermerkt, zeichnen sich die Werke von Pfaff und Buddeus durch "ein starkes Vorwalten eines bibliographisch-literarhistorischen Interesses" aus, wobei "dieses genauere Eingehen in die literaturgeschichtliche Entwicklung der Theologie als etwas für die damalige Zeit Verdienstliches" anzusehen ist, "und wenigstens Pfaff und Buddeus ... damit beachtenswerte methodologische Bemerkungen im Sinne einer pietistisch temperierten Rechtgläubigkeit" verbinden. Auch H u m m e l , T R E 9, 730 bescheinigt der Ubergangstheologie und insbesondere Buddeus und Johann Georg Walchs Einleitung in die theologischen Wissenschaften, Jena 1737 "einen literar-historischen Ansatz", der im Interesse eines durch frühaufklärerische Gedanken bewirkten "Realiendenkens" stehe. Hümmels Behauptung, die Werke von Buddeus und besonders von Walch seien "nur an Fakten orientiert" (ebd.), trifft allerdings die Isagoge von Buddeus nicht. Denn Buddeus geht es nicht einfach um eine möglichst lückenlose Auflistung der Literatur, sondern um die theologische Bewertung der wichtigen W e r k e im Interesse der adäquaten Darstellung und Verteidigung der jeweiligen theologischen Disziplin. Buddeus selbst schreibt hierzu im Vorwort zur Isagoge (die Seiten sind nicht numeriert): "Ita vero in ista versatus sum commentatione, ut non tantum eundo per omnia saecula ad nostra usque tempora, quae in hocce doctrinae genere, singulisque eius capitibus, conigerunt mutationes, enarrarem, praecipuosque simul auctores, eorumque

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ebenso wie auch das enzyklopädische W e r k des Tübinger Kollegen Christoph Matthias Pfaff 1 3 grundlegend von den älteren Einführungen in das Theologiestudium. Denn die Isagoge will dem Studienanfänger einen Überblick über das Ganze der theologischen Forschung geben, ohne dabei - wie noch bei Johann Gerhard - den Verlauf des Theologiestudiums selbst vorzuschreiben. Gerade angesichts dieses enzyklopädischen Anliegens ist schließlich auch die Aufteilung der acht Disziplinen in zwei Sektionen auffallend. 14 Die hier skizzierte Gliederung der theologischen Disziplinen in der Isagoge von Buddeus wird in der Sekundärliteratur recht unterschiedlich beurteilt. Otto Zöckler hält die Gruppierung bei Buddeus für weit "weniger gut" gegenüber der Unterscheidung in fünf "Hauptfächer" bei Pfaff. 1 5 Da Buddeus die Arbeit seines Tübinger Kollegen kannte 16 , ist allerdings zu vermuten, daß er seine Einteilung ganz bewußt anders konzipiert hat, so daß sich die Frage nach deren Sinn nur noch einmal wiederholen läßt. Schärfer kritisiert Gert Hummel: Buddeus versuche "keine sinnhafte Abfolge dieser

scripta commemorarem; sed & quae aut laudanda, aut vituperanda sint, indicarem, inde ut, quae imitanda, quaeve rursus evitanda sint, quilibet condiscere possit." Unmittelbarer Vorgänger des Buddeus in der literarhistorischen Ausrichtung ist neben Pfaff auch Joachim Lange mit seinen 'Insitutiones studii theologici literariae', Halle 1723. Lange ist allerdings stark vom Pietismus beeinflußt, während "Pfaff und Buddeus als die nur pietistisch angewehten" gelten mögen, so Zöckler, aaO., 95. Wichtig für "den Ubergang zu der charakteristischen Art des encyklopädischen Lehrens" der pietistischen Kreise sind nach Zöckler Spener, Breithaupt und Franke, aaO., 94. 13 Chr. M. Pfaff definiert die historia literaria in seiner 'Introductio in historiam theologiae literariam' von 1724-26 als eine scientia, die über den Ursprung und die Entwicklung der scientiae, artes und linguae informiere und zugleich Verbesserungsmöglichkeiten aufzeige; sie solle dabei die Geschichte der Werke, die sich auf die jeweilige Wissenschaft oder Sprache bezögen, ihre Inhalte, Ausgaben, Vorzüge und Fehler erfassen; dabei seien die Autoren durch alle Jahrhunderte hindurch und aus allen Nationen, ihre Bildung und ihr jeweiliges Temperament sowie die gedanklichen Voraussetzungen, unter denen sie gearbeitet haben, zu berücksichtigen, so Pfaff, Introductionis in historiam theologiae literariam Prolegomena, § 2, 2: "Quid historia-literaria sit, facile liquet. Est ea scientia, quae nobis scientiarum artiumque & linguarum fata, origenes, progressum, defectus, desiderata statumque & veterem & medium & modernum viamque, qua adaugeri eae exornarique plurimum possint, quae denique autorum per omnia secula, per omnes sectas & nationes vitas, eruditionem, temperamentum, merita Sc demerita atque praejudicia nobis pandit & sistit." 14 Da Buddeus keine Erklärung für diese Aufteilung gibt, und die Sektionen auch keine eigenen Uberschriften tragen, läßt sich nicht mit letzter Sicherheit feststellen, ob diese Einteilung in zwei Sektionen von Buddeus selbst oder von seinem Verleger aus technischen Gründen vorgenommen worden ist. Für Letzteres spräche möglicherweise die Tatsache, daß die beiden Sektionen nicht mit Uberschriften versehen sind und daß mit der zweiten Sektion zugleich ein zweiter Band der Isagoge beginnt. Allerdings sind die beiden Bände der Isagoge schon in der ersten Ausgabe von 1727 in einem einzigen Buch zusammengebunden. Die Trennung in zwei Bände dürfte daher wohl nicht aus buchbinderischen Gründen notwendig geworden sein. So ist es wahrscheinlicher, daß die Abtrennung der Disziplinen der zweiten Sektion und deren Verortung in einem eigenen Band sachlich motiviert oder doch zumindest sachlich gerechtfertigt gewesen ist. 15 Zöckler, aaO., 96. 16 Siehe z.B. Is 1,1,12. 38

Gebiete" zu geben. 17 Und nach Willibald Grimm ging den älteren Theologen wie Buddeus und Walch überhaupt "jede Einsicht in die Verbindung der einzelnen theologischen Wissenschaften zu einem einheitlichen und organischen Ganzen ab. Ihre Einteilungen waren principlos und confus" 18 . Dagegen lobt Stolzenburg nicht nur die "Zuverlässigkeit der Angaben" in der Isagoge, sondern auch die "Zweckmäßigkeit der Anordnung". "Diese Einleitung in die gesamte Theologie und ihre einzelnen Teile, die reife Frucht einer zwanzigjährigen Vorlesungstätigkeit über Einleitungsfragen", sei "ein über seine Zeit weit hervorragendes Werk, in dem wieder die Geschichte der einzelnen Disziplinen den wesentlichsten Bestandteil ausmacht". 19 Diese sehr divergierenden und im übrigen allesamt nicht begründeten Urteile verdanken sich der Tatsache, daß Buddeus das Organisationsprinzip der theologischen Disziplinen an keiner Stelle erklärt und im Vorwort zur Isagoge die Diskussion über die von ihm vorgeschlagene Zuordnung sogar ausdrücklich ablehnt. 2 0 Obwohl darin in der Tat eine entscheidende Schwäche seiner enzyklopädischen Darstellung liegt, ist doch der Schluß, der Gliederung der Isagoge läge kein bewußt gewähltes Organisationsprinzip zugrunde, sicher falsch. Denn immerhin grenzt sich Buddeus mit seinem Entwurf von allen bis dahin vorliegenden und ihm durchaus bekannten Konzeptionen ab. U m den Grundgedanken herauszufinden, der Buddeus zu seiner Gliederung veranlaßt hat, soll im folgenden versucht werden, aus seiner Darstellung der Teilbereiche der Theologie ihren inneren Zusammenhang zu rekonstruieren. Zwei Fragen müssen dabei leitend sein: zum einen ist zu klären, weshalb die Dogmatik an erster Stelle der theologischen Disziplinen genannt wird und nicht die Exegese. Die zweite Frage richtet sich auf den Sinn der Aufteilung der acht Disziplinen in zwei Sektionen. a) Die systematische Theologie und ihre dogmengeschichtlichen "Hilfswissenschaften" An den Eckpunkten der ersten Sektion der in der Isagoge dargestellten theologischen Einzelwissenschaften stehen mit Dogmatik und Moraltheologie 21 17 18 19 20

H u m m e l , T R E 9, 730. Willibald G r i m m , Z u r theologischen Encyklopädie, in: Z W T h 1882, 1. Stolzenburg, 66, vgl. A.13. Im Kontext geht es dabei speziell um die Stellung der Kirchengeschichte: "Nec tarnen, si quis existimaverit, alium eidem locum adsignandum fuisse, cum eo disceptavero". Dies gilt, "cum in cuiusuis arbitrio positum sit, quam singulis theologiae partibus tribuere sedem velit." Dementsprechend referiert Buddeus in Is 11,1,1, 336a die ihm bekannte, sonst übliche Aufteilung der Theologie in Exegese, Dogmatik, Moraltheologie und Polemik (vgl. z.B. Pfaff) ohne Bewertung.

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Die Unterscheidung zwischen Dogmatik und Ethik in der lutherischen Theologie geht auf Georg Calixt zurück. Nach Wallmann, Theologiebegriff, 153 besteht das Neue bei Calixt allerdings "nicht darin, daß er neben die 'credenda' den ethischen Bereich der 'agenda' gestellt und selbständiger Darstellung unterzogen" hat, sondern "darin, daß er den ethischen Bereich

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die beiden Themenbereiche, die das Zentrum der theologischen Arbeit von Buddeus bildeten. Obwohl ihn die Moraltheologie, deren Entwurf er 1711 vorgelegt hatte, bekannter gemacht hat als seine Dogmatik, richtete sich sein eigenes wissenschaftliches Interesse immer stärker auf die Dogmatik. Daß er sich zuerst der Moraltheologie zuwandte, erklärt sich aus dem Verlauf seiner akademischen Laufbahn. Bevor er 1705 in Jena eine Professur für Theologie übernahm, war er lange Zeit als Professor für Moralphilosophie im pietistisch bestimmten Halle tätig gewesen, wo man ihm wohl aus begründetem Zweifel an seiner Bereitschaft zu pietistischer Linientreue keine theologischen Vorlesungen halten lassen wollte. 22 Als Ergebnis seiner moralphilosophischen Beschäftigung hatte er bereits 1695 die 'Elementa Philosophiae Practicae' veröffentlicht. So war es für ihn naheliegend, nach Antritt seiner theologischen Professur in Jena auch dort zuerst Moraltheologie zu lesen und sich dann dem von ihm noch weniger erschlossenen Gebiet der Dogmatik zuzuwenden. 23 Denn obwohl er nach der Moralphilosophie auch eine Instrumentalphilosophie und eine theoretische Philosophie geschrieben hatte, konnte ihm die theoretische Philosophie doch nicht in gleichem Maße als Vorarbeit für die Dogmatik dienen wie die Moralphilosophie für die Moraltheologie. Nach Fertigstellung der theologischen Ethik rückte dann aber die Dogmatik ganz in den Mittelpunkt seines Schaffens. Vor der Veröffentlichung 1723 hatte er sie jahrelang in Vorlesungen vorgetragen und damit viele Studenten nach Jena gezogen. Wie sehr das studentische Interesse sich auf Dogmatik und Moraltheologie konzentrierte, läßt sich daran ablesen, daß der Frankfurter Verleger Theophil Alethaeus gegen den Willen von Buddeus 1724 die aus Vorlesungsnachschriften zusammengestellte 'Historia Critica Theologiae Dogmaticae et Moralis' als Ausschnitt aus der Isagoge herausgab. Dem Verleger erschien die unvollständige Ausgabe sinnvoll, "(w)eil dieser Tractat die beyden Haupt = partes der Theologie in sich begreifft, damit Studiosi und Cand.ida.ti vors erste schon zufrieden seyn können, biß sie zu denen übrigen Theilen der Theologie schreiten. Ja viele fragen nicht einmal nach der Symholica, patristica, polemica, iurisprudentia ecclesiastica & c." 24 Das gesteigerte Interesse an der

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zum theologischen Thema und durch die Namengebung ... in den Begriff der Theologie aufgenommen hat." Dies hat sich in der Theologie schnell eingebürgert. Siehe RE3 3, 518. Vgl. Hirsch, Theologiegeschichte Bd. 2, 319, E. Wolf, RGG3 1, 1469 und Stolzenburg, aaO., 221. Vgl. den Anhang des Verlegers zu der Historia critica, § 5. Das Erscheinen der 'Historia Critica Theologiae Dogmaticae et Moralis' verdankt sich offenbar der besonderen Geschäftstüchtigkeit des Frankfurter Verlegers. Obwohl Buddeus vor Fertigstellung des gesamten Manuskripts keine Teilveröffentlichung seiner Einleitungsvorlesungen wünschte, rekonstruierte der Verleger unter Berufung auf das besondere Interesse der Studenten an Buddes Vorlesung aus vermutlich drei Vorlesungsmitschriften genanntes Werk, dem er dann eine Deklaration anhängte, in der er sein Vorgehen durch das lange Warten auf die verspro-

Darstellung von Buddeus ist wohl damit zu erklären, daß die Dogmatik hier erstmalig definiert und mit einer Methode verbunden wird, durch die sie klar von den anderen Disziplinen unterschieden ist. Die dogmatische Theologie wird nämlich bestimmt als der Teil der Theologie, der die der Schrift zu entnehmenden und für den Glauben heilsnotwendigen Dogmen sinnvoll verknüpft, erklärt und solide demonstriert. 2 5 Die Dogmatik steht für Buddeus dabei durch ihren Gegenstand und ihre Methode in unauflöslichem Zusammenhang zur Moraltheologie. Denn die Glaubensartikel, auf die sich die Dogmatik bezieht, können nicht getrennt werden von den agenda2b, mit denen sich die Moraltheologie befaßt 27 . Dogmatik und Ethik konstituieren mithin ein einheitliches, credenda und agenda umfassendes theologisches Lehrgefüge 28 und verfahren beide systematisch 29 . Der Begriff der Moraltheologie bezeichnet nach Buddeus im weiteren Sinne den Teil der Theologie, der sich mit den allgemeinen Pflichten aller menschlichen Individuen befaßt. 30 Diese noch auf der Annahme eines theologisch begründeten Naturrechts basierende allgemeine Pflichtenlehre nennt Buddeus die göttliche Jurisprudenz 31 und unterscheidet davon die christliche

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chene Veröffentlichung der Isagoge rechtfertigte und Autentizität und besonderen Nutzen seiner Ausgabe hervorhob (vgl. § 6). Is 11,1,1, 336: "Theologiae theticae seu dogmaticae nomine earn intelligimus theologiae partem, quae dogmata, ex scriptura sacra hausta, eaque creditu ad salutem necessaria, apteque inter se connexa, perspicue explicat, & solide demonstrat." Μ 1,1, 4: "Etsi ea, circa quae theologia occupatur, in credenda & agenda, dispesci soleant, arctissimo tarnen vinculo haec inter se coniuncta sunt, nec divelli ulla ratione debent." Vgl. auch Μ I,P,2, 5: "Ad praxin vero vitae cum credenda comparata sint, haec, quae coniunctissima esse debent, separare, nefas fuerit." Vgl. z.B. Is 11,1,1, 337a: "Per dogmata vero intelligimus, quae in scriptura sacra ut credenda proponuntur; quaeve in strictiori sensu ab agendis distinguuntur, quippe quae theologia moralis sibi vindicat." Vgl. zur Unterscheidung zwischen Dogmatik und Ethik Is 11,4,1, 610 mit I D 1,43, 76 A.3: "Qua finem enim tota theologia practica est. ... Obiectum autem cum in credenda & agenda dispescatur, quae ilia speciatim considerat theologiae pars, theoreticae seu dogmaticae, quae haec edisserit, practica vocari potest & solet." Ebenso unterscheidet Pfaff in seinen Institutiones, P,2,2, 21 zwei Teile an der christlichen Religion, "quarum una credenda, altera agenda sistit". Für die Theologie bedeutet dies, daß "de credendis primum nobis, postea & de agendis tractationem instituendam esse, ita ut tota Theologiae Christianae ejusque dogmaticae massa vel theoretica vel practica Sc moralis sit." Die Moraltheologie ist dabei praktische Theologie im spezifischen Sinne, weil sie nicht nur wie die Dogmatik und die Theologie insgesamt wegen ihres Zieles, sondern auch durch ihren besonderen Gegenstand der agenda praktisch zu nennen ist. Is 11,1,1, 336a: "si, quae ad fidem spectant, inde colligamus, & in unum velut coire iubeamus corpus, theologia vocatur thetica seu dogmatica; si eadem ratione inde eruamus, quae vitam moresque formare apta sunt, moralis appelitatur". Vgl. auch Μ I,Ρ,21.22, 14f. Is 11,4,1, 610. Is 11,4,10, 700. Die Darstellung der göttlichen Jurisprudenz ist das Thema des zweiten Teils der Moraltheologie. Siehe die Definition derselben Μ ΙΙ,Ρ,Ι, 408: "Iurisprudentia divina nobis est scientia practica, ad divinarum litterarum ductum docens, quo pacto homines regeniti actiones suas ad leges divinas componere debeant, ut gratum ita erga Deum animum obsequiumque promptum testentur." Sie basiert auf der im ersten und umfangreichsten Teil

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Klugheitslehre 32 . Sie gilt als Moraltheologie im engerem Sinne, die unter der Voraussetzung der im Glauben begründeten Einheit 33 des Christen mit Gott das Ideal des christlichen Lebensvollzuges vorstellt, um daraus die Pastoraltheologie zu entwickeln. 34 Diese hat zunächst allgemein die Bedingungen des Gemeindeaufbaus 35 zu klären, während die Pastoraltheologie im engeren Sinne unter dem Stichwort der Berufung die subjektiven Voraussetzungen der Übernahme eines kirchlichen Amtes 36 entfalten soll. Aus heutiger Sicht wird man wie schon Luthardt und Stolzenburg 37 diese Einbeziehung der Pastoraltheologie in die theologische Ethik kritisieren und sich an Schleiermacher halten, der die Pastoraltheologie zur selbständigen Disziplin erhoben und so die praktische Theologie begründet hat. Die Einbindung der Pastoraltheologie in die theologische Ethik ist bei Buddeus jedoch als Folge der Besinnung auf den genuin protestantischen Kirchenbegriff 38 zu verstehen und zu würdigen. Denn hier macht sich die - unter altprotestantischen Bedingungen noch nicht selbstverständliche - Einsicht geltend, daß die Bestimmung und die Tätigkeit einer Kirchenleitung sich dem Interesse der Gemeinschaft der Glaubenden verdankt, die ihren Fortbestand als ihre Aufgabe erkennt. Diese Aufgabe wird in der Pastoraltheologie von

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vorausgeschickten Begründung theologischer Ethik aus der anthropologischen Bedeutung der Wiedergeburt. Vgl. dazu auch Stolzenburg, 233. Is 11,4,10, 700. In der Klugheitslehre geht es um die Realisierung der Einheit des Christen mit Gott. Sie ist das Thema des dritten Teils der Moraltheologie. Sie wird darum von Buddeus auch mystische Theologie genannt, siehe Is 11,4,8, 672.672a. Dies geschieht mit dem Hinweis, daß im Mittelalter unter Mystik etwas anderes verstanden wurde als in der reformatorischen Tradition (vgl. Is 11,4,9, 687a). Zur Bedeutung der Einheit mit Gott für die Konzeption von Buddeus vgl. Werner Kümmel, Die unio cum Deo als ethisches Zentralprinzip im Luthertum, besonders bei Baier und Buddeus, Greifswald 1927. Is 11,4,11, 721. Im dritten Teil der Moraltheologie behandelt Buddeus daher zuerst allgemein die pmdentia christiana, die den Christen und speziell den Kirchenlehrer darüber unterrichten soll, wie er "actiones suas, ad commodum & salutem animae suae, & aliorum, inprimis fidei suae commissorum, promovendam, rite instituere debeat, ut, remotis impedimentis, ubique finem optimum eo certius obtineat." (Μ ΙΙΙ,Ρ,Ι, 732) Unter 'prudentia' versteht Buddeus dabei einen "habitum practicum, actiones suas, habita singularum circumstantiarum ratione, ita dirigendi, ut consequamur ubique quod optimum, seu revera utile est" (M III,P,2, 732). Nach der Definition der allgemeinen Pastoraltheologie Μ 11,2,1, 750 geht es dieser um die "aedificatio ecclesiae. Hue itaque omnis pastorum doctorumque ecclesiae cura tendere debet, ut nondum conversi convertantur, & ita per Christum Deo reconcilientur, II.Cor.V,20. quo ipso praeparantur, ut lapides fiant aedificio spirituali ecclesiae accommodatur, I.Petr.II,5. tum vero, ut qui conversi sunt, in fide conservuntur, augeantur, & crescant. Ephes.III, 16.17. IV, 12.13." Vgl. Μ 111,3,1.2, 774f. Hollaz, Examen P,l,21, 26 ordnet zwar in ähnlicher Weise der Moraltheologie die Kasualtheologie und die Kirchenpolitik bzw. Kirchenleitung zu. Es geht ihm dabei aber nicht wie Buddeus darum, den Zusammenhang zwischen der subjektiven Verfaßtheit des Kirchenlehrers und der objektiven Aufgabe der Kirchenleitung herauszuarbeiten. In diesem Bemühen weist Buddeus bereits auf das von Schleiermacher in der Kurzen Darstellung explizierte Verständnis der Kirchenleitung hin. Vgl. Chr.E. Luthardt, Geschichte der christlichen Ethik Bd. 2, 206 und Stolzenburg, 230f. Siehe dazu die Rekonstruktion des Kirchenbegriffs von Buddeus Kap. IV,3,d dieser Arbeit.

Buddeus so bestimmt, daß das Handeln der Kirchenleitung auf die Bewahrung der die Gemeinde konstituierenden christlichen Lehre 39 zielen muß. Da außerdem die Erkenntnis der credenda die Bedingung der Möglichkeit christlichen Lebensvollzuges ist 40 , ist die Kirchenleitung in ihrem Bemühen um den Erhalt des Glaubens an die wahre christliche Lehre auch selbst eine Funktion der Moraltheologie. Angesichts der von Buddeus vorgenommenen Verhältnisbestimmung von Dogmatik und Ethik ist nun allerdings zu fragen, weshalb in der Darstellung der theologischen Disziplinen in der Isagoge der enge Zusammenhang äußerlich unterbrochen wird, indem direkt im Anschluß an die Dogmatik nicht die Moraltheologie, sondern erst Symbolik und Patristik behandelt werden. Diese Frage läßt sich anhand der Einzelbeschreibung der in der ersten Sektion vorgestellten Disziplinen klären. Die Symbolik 4 1 hat es nach der Konzeption von Buddeus zwar wie die Dogmatik mit Glaubensartikeln zu tun. Doch im Unterschied zur Dogmatik behandelt sie die ihr vorgegebenen verschiedenen Symbole und Bekenntnisse exegetisch 42 , indem sie wie die Schriftauslegung mit hermeneutischen Mitteln 4 3 den wahren und genuinen Sinn derselben zu bestimmen sucht. Auf diese Weise soll sie den ursprünglichen Kontext und Sinn theologischer Streitfragen sowohl innerhalb der eigenen Konfession als auch interkonfessionell zwischen den Kirchen klären. Faktisch übernimmt die Symbolik damit eine ökumenische Funktion. Als Ausgangspunkt für die angemessene Beurteilung der konfessionellen und interkonfessionellen Streitigkeiten empfiehlt Buddeus dabei die Orientierung an den altkirchlichen Symbolen. 4 4

39 Μ 111,2,2, 751: "Ut hicce finis, aedificatio scilicet, & conservatio ecclesiae, rite obtineatur, necesse est, ut doctrinae puritas conservetur; adeoque haeretici, qui earn corrumpere audent, repellantur, quive latent, in apricum producantur; ut schismata, quibus vel maxime aedificatio ecclesiae impeditur, evitentur, consopiantur, tollantur; & denique, ut vitae sanctae Studium excitetur, foveatur, promoveatur. Et hi velut fines speciales sunt prudentia pastoralis & ecclesiasticae." 40 Μ Ρ,1,1, 4: "Credenda namque praecedere debent, nisi quis existimaverit, ambulare homines commode in tenebns posse, aut fructum dari sine arbore." Daraus ergibt sich, daß credenda und agenda nicht hinsichtlich des finis unterschieden werden dürfen; die Differenz bezieht sich nur auf die formale Bedeutung der beiden Bezeichnungen (vgl. ID 1,1,29, 52). 41 Die Bezeichnung 'theologia symbolica' hat nach Dionysius Areopagita erstmals wieder B. v. Sanden in seiner 'Theologia Symbolica Lutherana' 1688 verwendet, so E. Wolf, RGG3 3, 1749. 42 Is 11,2,1, 439. 43 Is 11,2,12, 526.526a.b: "Verum itaque & genuinem ut adsequamur, vel, eum nos adsequutos, aliis demonstrare queamus, sensum; de genuina illorum nos sollicitos esse oportet interpretatione; regulasque adeo hermeneuticas in subsidium vocare & rite adplicare." (Is 526b) Vgl. zu den hermeneutischen Regeln die Ausführungen oben in Kapitel 1,1 dieser Arbeit. 44 In seiner kurzen Einführung in die theologischen Disziplinen auf den letzten drei Seiten des Vorworts zur Isagoge schreibt Buddeus zur Symbolik: "Ex symbolis enim atque confessionibus publicis cum genuina Sc nostrae & dissentientium ecclesiarum depromenda sit sententia; quin earum notitia maxime necessaria sit, nemo, puto, temere dubitaverit. Cumque

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Dafür sei jedoch eine richtige Einschätzung der Symbole selbst vorauszusetzen. Ihre Autorität wäre überbewertet, wollte man sie in der gleichen Weise wie die Schrift für inspiriert halten. 45 Doch sofern die Symbole schriftgemäß sind und die wahre, heilsnotwendige Lehre enthalten, sie also nicht ohne göttliches Geleit geschrieben sein können und darum eine gewisse öffentliche Autorität gefunden haben, gebührt ihnen nach Buddeus ein höheres Maß an Autorität als anderen Schriften 46 , so daß er die Ablehnung der Verbindlichkeit der Bekenntnisse bei Sozinianern und Arminianern 47 für nicht gerechtfertigt hält. Anhand der Ubereinstimmung mit den genannten Kriterien können die Glaubenssymbole nach Buddeus also für verbindlich erklärt werden. Dies setzt allerdings voraus, daß ihre Schriftgemäßheit und ihre Notwendigkeit für den christlichen Glauben überprüft werden kann. An diesem Punkt zeigt sich der Zusammenhang zwischen Dogmatik und Symbolik. Zwar ist die Eigenständigkeit der Symbolik gegenüber der Dogmatik mit der Aufgabe der Bekenntnisexegese markiert, durch die die Symbolik unnötige Streitpunkte auszuräumen und darin die Voraussetzungen der Kirchenunion zu klären hilft. Doch ist die Symbolik von der Dogmatik insofern abhängig, als diese die exegetisch analysierten Bekenntnisaussagen auf ihre Ubereinstimmung mit dem heilsnotwendigen Glaubensinhalt der Schrift hin zu befragen hat. Wie die Dogmatik in ihrer Urteilsbildung auf die Ergebnisse der Symbolik zurückgreift, so ist die Symbolik für die Interpretation der Bekenntnisse auf die Patristik 48 angewiesen. In der Patristik geht es nach Buddeus jedoch nicht einfach um die fachgerechte Interpretation des Gedankengutes der Kirchenväter, sondern darin zugleich um die Rekonstruktion der dogmengeschichtlichen Entwicklung als ganzer. Dabei kann er die Dogmengeschichte ganz unbefangen als einen Prozeß begreifen, in welchem durch die Auseinandersetzung mit häretischen Positionen das Verständnis des christlichen Glaubens geschärft und eine größere Klarheit der Darstellung erreicht worden sei. Entsprechend schreibt er der Patristik die Aufgabe zu, die durch die christliche Lehre in Auseindersetzung mit immer gravierenderen Fehlmeinungen 49 erreichte Bewahrung der Wahrheit der christlichen Religion zu demonstrieren und darin den Glauben an die Providenz Gottes zu stärken. 50

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etiam nec veteris ecclesiae nos ignorare deceat s y m b o l a , ut de eius eo rectius statui queat doctrina, de qua & hodie subinde disputatur". Is 11,2,12, 526 mit Blick auf das katholische Verständnis der Bekenntnistradition. Is 11,2,12, 531a. Is 11,2,12, 529a. Is 11,3,1, 535. Is 11,3,7, 564. Vgl. aus dem V o r w o r t der Is: " U t enim ad verae doctrinae in ecclesia christiana c o n s e r v a t i o n e m & p r o p a g a t i o n e m d e m o n s t r a n d a m , m o n u m e n t o r u m , quae veteris ecclesiae doctores, q u o s patres v o c a m u s , reliquerunt, usus est prorsus egregius". D e r Sinn der Lektüre und Interpretation der Kirchenväterschriften könne hingegen nicht wie in der katholischen

Obwohl Symbolik und Patristik jeweils eine selbständige Funktion im Ganzen der Theologie einnehmen, sind sie doch der systematischen Theologie in besonderer Weise zugeordnet. Denn sie unterstützen auf unterschiedliche Weise das Anliegen nicht nur der Dogmatik, sondern ebenso der Moraltheologie, nämlich die Wahrheit der christlichen Lehre im Blick auf ihre credenda und agenda zu demonstrieren. In der ersten Sektion der Isagoge finden sich sonach die Disziplinen dargestellt, die es mit der Bestimmung der christlichen Lehre unter Berücksichtigung des Kontextes ihrer geschichtlichen Entwicklung zu tun haben und die darin der Vermittlung des Glaubens als dem Ziel der Theologie dienen. Angesichts der hier ausgelegten Abfolge von Dogmatik, Symbolik, Patristik und Moraltheologie stellt sich jedoch verschärft die Frage, weshalb Buddeus die Exegese nicht in diesem Zusammenhang behandelt und welche Funktion ihr in der zweiten Reihe theologischer Disziplinen zukommt. b) Die kirchenpraktischen Einzelwissenschaften Die kirchliche Jurisprudenz 51 ist wie die Moraltheologie eine praktische Wissenschaft im spezifischen Sinne und wird daher von Buddeus im Anschluß an diese als erste Disziplin innerhalb der zweiten Sektion der Isagoge dargestellt. Da die kirchliche Jurisprudenz unter den Bedingungen des landesherrlichen Kirchenregiments Sache der Rechtsgelehrten war 52 , und die theologische Lehrbildung nur geringen Einfluß auf sie nehmen konnte und wollte, ist es kaum verwunderlich, daß die kirchliche Jurisprudenz zumeist gar nicht als theologische Disziplin erwähnt und gelehrt worden ist. 53 Dennoch will Buddeus sie als Aufgabenbereich der Theologie benannt und in die theologische Ausbildung integriert wissen. Denn da die Kirchengesetze die in der Kirche beauftragten Pfarrer selbst angingen, sei eine sinnvolle Wahrnehmung der Kirchenleitung nur unter der Voraussetzung möglich, daß wenigstens Grundkenntnisse im Kirchenrecht vorhanden seien. 54 Außerdem könne die Theologie aufgrund ihrer Erfahrung in der Schriftinterpretation und ihrer kirchengeschichtlichen Kenntnisse eine wichtige Hilfestellung bei Theologie darin bestehen, aus der Tradition unmittelbar Regeln für Glaube und Leben abzuleiten, siehe Is 11,3,14, 608, bes. 608a. 50 Is 11,3,1,535. Die Aufgabenbestimmung der Kirchengeschichte in der zweiten Sektion stimmt strukturell mit der der Patristik überein. 51 Zum Kirchenrecht und dessen Entwicklung in den evangelischen Kirchen vgl. aus dem Artikel 'Kirchenrecht' von Martin Honecker den Abschnitt 'II. Evangelische Kirchen' in: T R E 18, 724-749. 52 Is 11,5,1, 735a.b. Vgl. zum landesherrlichen Kirchenregiment Honecker, T R E 18, 727-729. 53 Vgl. z.B. Johann Gerhards 'Methodus', Königs 'Theologia positiva acroamatica'. 54 Vgl. Is 11,5,1, 735b. Siehe auch das Vorwort, wonach die iurisprudentia ecclesiastica in den Kanon der theologischen Disziplinen deshalb aufgenommen wird, "ut theologiae cultores saltem primis eius principiis imbuantur."

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der Auslegung des kanonischen und kirchlichen Rechts leisten. 55 Indem die kirchliche Jurisprudenz jedoch auf das Wohl der Kirche und des Staates ausgerichtet ist, mithin ein gesellschaftspolitisches Ziel verfolgt und es nicht wie die Dogmatik und Moraltheologie mit der Bestimmung der christlichen Lehre zu tun hat, trägt sie zum theologischen Ziel der Vermittlung des Glaubens nur indirekt bei. Die geschichtliche Dimension des Kirchenrechts ist für Buddeus Anlaß, der kirchlichen Jurisprudenz die Kirchengeschichte anzuschließen. Dabei wird Karl Barths Charakterisierung der Kirchengeschichte als Hilfswissenschaft von Buddeus der Sache nach insofern vorweggenommen, als ihr in seiner Konzeption als einziger ein Nutzen für alle anderen Disziplinen zugeschrieben wird. 5 6 Die Kirchengeschichte gilt Buddeus dabei als ein Teil der allgemeinen Geschichtswissenschaft 57 , die insgesamt das religiöse Interesse verfolgt, die Providenz Gottes in der Geschichte zu demonstrieren. Weltliche Geschichte und Kirchengeschichte unterscheiden sich daher nur darin, daß diese das Reich der Gnade bzw. das Reich Gottes, jene hingegen das Reich der Natur zum Gegenstand nimmt. 5 8 Außerdem ist die Kirchengeschichte für Buddeus aus Gründen, die mit seiner bundestheologischen Konzeption zusammenhängen, notwendig Universalgeschichte. Sie beginnt für ihn selbstverständlich mit der in der Schrift berichteten Entstehung der Menschheit. Indem in der Kirchengeschichte daher zuerst die alttestamentlichen und neutestamentlichen Geschichtsereignisse zu untersuchen sind, erscheint sie Buddeus als unterläßliche Voraussetzung der exegetischen Theologie. 59 Das spezifische Interesse der Kirchengeschichtsschreibung muß sich nach Buddeus darauf richten, die Realisierung des in der Schrift verheißenen Reiches der Gnade aus der geschichtlichen Erfahrung zu bestätigen 60 , um so die Einsicht in die providentielle Bewahrung der wahren Religion zu vermitteln. 61 Sie hat für ihn darin die gleiche Funktion wie die Patristik im Blick auf die christliche Lehre. Darüberhinaus nützt sie nach seinem Verständnis 55 56

Ebd. Vgl. V o r w o r t : " E x istarum autem, quas hucusque enarravimus, theologiae partium, praesertim iurisprudentiae ecclesiasticae consideratione, c u m abunde pateret, q u a m eximius in his o m n i b u s , ad fata c u m p r i m i s illarum recte cognoscenda, sit ipsius historiae ecclesiasticae usus". Siehe auch Is 864a. Bei Karl Barth heißt es K D 1/1, 3, daß die Kirchengeschichte "die unentbehrliche Hilfswissenschaft der exegetischen, der dogmatischen und der praktischen Theologie" sei. Die E i n s t u f u n g als Hilfs-Wissenschaft begründet Barth jedoch im Unterschied zu Buddeus damit, daß sie "auf keine selbständig zu stellende Frage hinsichtlich der christlichen Rede v o n G o t t " antwortet "und d a r u m nicht als selbständige theologische Disziplin" aufgefaßt werden k ö n n e (ebd.).

57 58 59 60 61

Vgl. Is 11,6,1, 864: die historia ecclesiastica ist "pars historiae". Is 11,6,1, 864a. Is 11,6,1 und 3, 864 u n d 867. Is 11,6,3, 867. Is 11,6,1, 864b.865a.

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aber auch in speziellen Fragen der Kirchenleitung. Denn aus den in der Kirchengeschichte erörterten Beispielen für die Bewahrung der Religion lasse sich erkennen, was den Bestand der Kirche fördere und was ihm schade. 62 So ist die Kirchengeschichte im Entwurf von Buddeus ähnlich wie die kirchliche Jurisprudenz eine Disziplin, die auf das Leben der Kirche ausgerichtet und auf die Kirchenleitung bezogen ist. Darum hat sie nicht einfach als Hilfswissenschaft, sondern als eine durch ihre Methode und durch ihren besonderen Zweck den anderen Disziplinen gleichgestellte theologische Disziplin zu gelten. Indem die Kirchengeschichte darüberhinaus zeigen soll, wie die Verheißungen des alten und des neuen Bundes in der Geschichte wahr geworden sind oder noch wahr werden, dient sie der Verifikation der biblischen Verheißungen aus den geschichtlichen Ereignissen. In dieser Funktion steht sie in enger Verbindung zur polemischen Theologie. Denn sie unterstützt die Argumentationsbasis gegen Atheisten und andere Vertreter kirchenfeindlicher Auffassungen. 63 Die Polemik zielt zwar auf die Verteidigung der Wahrheit der Lehre gegen alle abweichenden Auffassungen. 64 D a jedoch alle unnötigen Streitigkeiten in und zwischen den Kirchen nach Uberzeugung von Buddeus nur die areligiösen Bestrebungen des Atheismus bestärken, denen er bereits in seinen 'Theses theologicae de atheismo et superstitione' von 1716 argumentativ zu begegnen versuchte 65 , ist die Polemik nicht als absolut notwendige, sondern nur als unter der Bedingung aktuell gegebener Auseinandersetzungen notwendige Disziplin zu bestimmen. Wegen ihrer hypothetischen Notwendigkeit 6 6 ist damit also auch die Polemik eine theologische Disziplin, die nur indirekt Bezug auf das Ziel der Theologie nimmt. Der Kanon der theologischen Disziplinen wird von Buddeus beschlossen mit der Behandlung der exegetischen Theologie, die er schon in den 'Institutiones theologiae dogmaticae' - zusammen mit der Homiletik - aufgrund ihrer Vorgehensweise deutlich von der systematischen Theologie un-

62 63 64

Is 11,6,1, 865a. Is 11,6,1, 865a. Is 11,7,1, 963. Vgl. zur polemischen Methode auch den Artikel von A. Winter in H W P 5, 1365-1369. 65 In diesen Thesen unterscheidet Buddeus zwischen Ursachen und Anlässen für die Entstehung des Atheismus. Zu letzteren zählen, daß die "vita cumprimis virorum sacri ordinis, doctrinae illorum non respondens; sectarum, in quas orbis Christianus scinditur, multitudo; acerbaeque nimis & modum excedentes, de rebus theologicis disceptationes, & quae alia sunt eiusdem generis" (ΤAS 4,3, 324). 66 Vgl. Is 964b. Von den älteren Theologen wie Quenstedt oder Hollaz wird die Aufgabe der Polemik nicht so entschieden eingegrenzt, obwohl sie nicht bestritten hätten, daß sie nur unter der Voraussetzung tatsächlich gegebener Streitigkeiten sinnvoll ist. Wenn Buddeus dagegen die Aufgabe der Polemik ausdrücklich begrenzt, so hat er bereits die für das religiöse Bewußtsein verheerenden Folgen der interkonfessionellen Streitigkeiten vor Augen. Diese haben nach seinem Urteil erheblich zum Aufkommen des Atheismus beigetragen.

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terschieden hatte. 67 Als Voraussetzungen der exegetischen Arbeit bestimmt Buddeus zum einen die hermeneutische Fertigkeit des Exegeten68, zum anderen die Klarheit der Schrift, wie sie in der Schriftlehre bereits behauptet worden ist. Die Notwendigkeit der Exegese ergibt sich dabei für ihn daraus, daß trotz der Perspikuität der Schrift bestimmte Stellen zumindest auf Anhieb dunkel bzw. unverständlich erscheinen. 69 Vornehmlich an diesen Stellen muß daher die exegetische Theologie den genuinen und wahren Sinn ermitteln, um so die für Glauben und Leben überlieferten Lehrmeinungen aufzeigen 70 und zur Erkenntnis und Bekräftigung der göttlichen Wahrheit beitragen zu können. c) Die Selbständigkeit der Exegese gegenüber der Dogmatik Geht es bei den Disziplinen der ersten Sektion um die Konstitution der theologischen Lehre, so besteht die Gemeinsamkeit der Disziplinen der zweiten Sektion negativ in ihrem nur indirekten Bezug auf das Ziel der Theologie. Positiv hingegen kann ihre Gemeinsamkeit in der Ausrichtung auf Aufgaben der Kirchenleitung gesehen werden. In diesen Bereich gehört nach Buddeus' Uberzeugung die Exegese deswegen, weil sie aufgrund der generellen Klarheit der Schrift nur bei aktuellen Verstehensschwierigkeiten einzusetzen ist und daher wie die Polemik als hypothetisch notwendige Einzelwissenschaft gelten kann. 71 Aus der Funktionsbestimmung der Exegese ergibt sich also eine plausible Erklärung dafür, daß Buddeus sie nicht - wie damals und heute üblich - als erste Disziplin vor der Dogmatik, sondern stattdessen in der zweiten Sektion theologischer Disziplinen verortet.

67 ID 1,1,52, 89, vgl. auch ebd. A.l. 68 Zu den Voraussetzungen der Schriftauslegung vgl. übergreifend ID 1,2,20, 154. Zur Kenntnis des Hebräischen und Griechischen als Voraussetzung für die Feststellung der Integrität des Textes siehe Is 11,8,3, 1442 und 11,8,4, 1480. Interessanterweise wird in diesem Zusammenhang auch die Kanonfrage thematisiert. Außderdem empfiehlt Buddeus dem Exegeten die Berücksichtigung aller wichtigen Ubersetzungen (Is 11,8,5-6, 1509.1531; zur Lutherübersetzung bes. Is 11,8,7, 1543) sowie einen Uberblick über die Geschichte der Schriftauslegung (Is 11,8,2, 1428f). 69 ID 1,2,20, 154: "Perspicuam evidentemque dum scripturam sacram adserimus, de iis hoc intelligimus doctrinae capitibus, quae scitu credituque ad salutem sunt necessaria; quaeve ita in ea proponuntur, ut a quolibet homine, rationis usu non destituto, & debitam secum adferente attentionem, facili intelligi queant negotio. Etenim, si vel maxime in uno loco paullo obscurius proposita nobis videantur, sunt tarnen & alia, in quibus idem dogma perspicue & sine omni obscuritate explicatur: unde recte moneri solet, loca obscuriora ex minus obscuris interpretanda esse". 70 ID 1,1,52, 89 A . l : "Interdum enim ipsius scripturae sacrae aut integri libri eo, quo scripti sunt, ordine, aut dicta quaedam, vel particulae ex illis excerptae, explicantur, simulque, quae in iis continentur dogmata, evoluuntur, aliquando etiam ad fidei atque vitae praxin traducuntur, unde theologia tum exegetica, tum homiletica". Den engen Zusammenhang zwischen exegetischer und homiletischer Theologie thematisiert schon Hollaz, Examen P,l,21, 25. 71 Wo Klarheit herrscht, ist die Exegese dagegen überflüssig, so ausdrücklich Is 11,8,1, 1427a.b.

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Auf den ersten Blick scheint mit der Vorordnung der Dogmatik vor die Exegese das Interesse reformatorischer Theologie an ihrer Begründung allein aus der Schrift untergraben zu sein. Denn die Abhängigkeit der christlichen Lehre von der Schrift wird jedenfalls formal gesehen in einer solchen Konzeption nicht hinreichend betont. Buddeus hat allerdings das reformatorische Interesse an der Begründung der christlichen Lehre aus der Schrift nicht nur vehement unterstützt und zur Verbesserung der objektiven Schriftauslegung hermeneutische Regeln bestimmt, sondern die Rückbindung der systematischen Theologie sowie auch der anderen Disziplinen an die Exegese durch die Schlußstellung der Exegese markieren wollen. In diesem Sinne gesteht Buddeus im Vorwort der Isagoge ausdrücklich zu, daß die Exegese hinsichtlich ihrer konstitutiven Bedeutung für die Theologie als erste Disziplin hätte benannt werden müssen. 72 Da ihre spezifische Aufgabe aber darin bestehe, den ursprünglich intendierten Sinn der Schrift zu ermitteln, die Frage nach der Heilsnotwendigkeit der Glaubensaussagen der Schrift hingegen in den Aufgabenbereich der Dogmatik gehöre, die die Grundlagen der christlichen Religion expliziere, habe die Dogmatik als erste Disziplin innerhalb der Theologie zu gelten. 73 In der Konzeption der Isagoge sind mithin Exegese und Dogmatik durch ihre jeweilige Funktion klar unterschieden und definiert. Die bewußte Scheidung der beiden Disziplinen ist das Ergebnis reformatorisch orientierter Reflexion 7 4 auf die mit der Bestimmung des Schriftprinzips gestellte Aufgabe. Das von Buddeus und seinen Zeitgenossen anvisierte Konzept der Exegese ermöglicht dabei deren methodische Weiterentwicklung bis hin zur historisch-kritischen Verfahrensweise. Denn obwohl von historisch-kritischer Exegese hier noch nicht die Rede ist, müssen doch die im Kontext der 72

Vgl. zur Begründung der Stellung der Exegese in der Isagoge aus dem Vorwort zur Is: "Superest theologia exegetica, in qua rite exornanda cum reliquae divinioris huius scientiae partes conspirent; ultimo earn pertractare visum est loco: quamvis si & utilitatem, & dignitatem spectes, primum promereatur." 73 Vorwort Is: "primo, ut par erat, posui loco. C u m enim fundamenta, seu elementa theologiae exhibeat; non sine ratione ab illa studii theologici tractatio inchoari solet." 74 Bei Luther erscheint die Theologie durchgängig als Schriftauslegung (vgl. dazu Althaus, Luther, 17ff.). Obwohl demgegenüber Melanchthon frühzeitig die Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts der Schrift in theologischen Loci für nötig erkannte und darin den Grundstein systematischer Theologie legte, hat auch er keinen Theologiebegriff entwickelt und das Verhältnis zwischen Auslegung und Rekonstruktion des Glaubensinhalts nicht bestimmt. Ebensowenig findet sich bei Andreas Hyperius und Martin Chemnitz eine klare Trennung zwischen Exegese und Dogmatik. Erst in den 'Loci theologici' von Johann Gerhard wird eine stärkere Reflexion auf die Natur der Theologie selbst erkennbar (vgl. dazu Preus, Theology 1, 87f.98.107.109). Doch auch Gerhard vollzieht keine begrifflich bestimmte Unterscheidung zwischen den beiden Aufgaben. Seine Loci sind vielmehr darum so überaus umfangreich, weil sie die exegetische Begründung und Herleitung der einzelnen Glaubensaussagen darstellen wollen. Das wird zwar anders mit den analytischen Systemen der Hochorthodoxie. Doch kommt hier dafür die methodische Selbständigkeit exegetischer Textforschung gegenüber der Erfassung des Glaubensinhalts durch die analytische und kausale Methode weniger zum Tragen.

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Unterscheidung von Exegese und Dogmatik für die Exegese geforderte Konzentration der Textauslegung auf den ursprünglich vom Verfasser intendierten Sinn sowie die Bestimmung textkritischer und hermeneutischer Mittel für die exegetische Arbeit als Voraussetzung bzw. Vertiefung der historischen Fragestellung angesehen werden. d) Zur theologiegeschichtlichen Bedeutung der Isagoge Die Interpretation der von Buddeus vorgelegten Einleitung in die theologischen Wissenschaften hat gezeigt, daß sein Entwurf von dem Gedanken geleitet ist, die Theologie im Blick auf ihre Funktion für die theologische Ausbildung und die kirchlichen Aufgaben zu behandeln. Sicher sind im Zuge moderner Erwartungen an eine Einleitung in die Theologie einige Kritikpunkte an die Konzeption von Buddeus anzumelden. Buddeus bietet zwar einen Uberblick über das theologische Wissen, ohne jedoch darin zugleich den Gang des Studiums selbst abzubilden. Und auch wenn die Stellung der Exegese sich aus dem in den letzten Abschnitten ermittelten Konstruktionsprinzip verstehen läßt, kann diese doch unter historisch-kritischen Gesichtspunkten nicht befürwortet werden. Es ist vielmehr irreführend, diese grundlegende Funktion innerhalb der theologischen Ausbildung nicht auch in der enzyklopädischen Reihenfolge der Disziplinen darzustellen. Ferner erscheinen Patristik und Kirchengeschichte für das theologische Interesse funktionalisiert. Sie entsprechen in der Darstellung von Buddeus weder den Voraussetzungen eines modernen Geschichtsverständnisses, noch dessen methodischen Anforderungen. Trotz dieser Mängel ist aber die Isagoge auch gerade im Vergleich mit der Einleitung Pfaffs als ein bedeutender Fortschritt in der Entwicklung theologischer Enzyklopädik zu würdigen. Pfaffs Konzeption stimmt zwar mit der modernen Disziplinenabfolge besser überein. Doch Buddeus hat dafür nicht nur die Funktion und Methode der einzelnen Disziplinen präziser bestimmt als Pfaff 7 5 , sondern außerdem durch die kategorische Unterscheidung der Disziplinen in zwei Sektionen die spätere einheitliche Rekonstruktion der theologischen Disziplinen in ihrer Beziehung auf die Kirchenleitung bei Schleiermacher vorbereitet. Denn durch seine Einteilung der Disziplinen wird ausdrücklich betont, daß im Interesse des Ziels der Theologie neben der systematischen Rekonstruktion der theologischen Lehre auch solche Aufgaben wahrgenommen werden müssen, die das kirchliche Leben, seinen Bestand und seine Ordnung unterstützen. Indem in seiner Konzeption kirchliche Jurisprudenz, Kirchengeschichte, Polemik und Exegese auf zeitbedingte Probleme der Glaubensgemeinschaft eingehen und mithin ihren besonderen

75

50

Bei Pfaff liegt das Interesse ganz einseitig auf der Literarhistorie.

S i n n i m B l i c k a u f d i e L e i t u n g d e r K i r c h e h a b e n , w i r k e n sie a n d e m v o n d e r theologischen L e h r e verfolgten Ziel indirekt mit. Während

knapp

hundert

Jahre

nach

dem

Erscheinen

der

Isagoge

F r i e d r i c h S c h l e i e r m a c h e r i n s e i n e r K u r z e n D a r s t e l l u n g die T h e o l o g i e

ein-

h e i t l i c h i n a l l e n D i s z i p l i n e n als F u n k t i o n d e r K i r c h e n l e i t u n g b e s t i m m e n u n d d a m i t das a l t p r o t e s t a n t i s c h e K o n z e p t d e r T h e o l o g i e als p r a k t i s c h e r W i s s e n s c h a f t e n d g ü l t i g e i n l ö s e n w i r d , ist in d e r I s a g o g e v o n B u d d e u s die s y s t e m a t i sche T h e o l o g i e einschließlich der S y m b o l i k und Patristik n o c h einer ander e n Z i e l b e s t i m m u n g u n t e r s t e l l t . D a r a u f soll z u m S c h l u ß dieses A b s c h n i t t e s eingegangen w e r d e n .

e) D a s Z i e l d e r T h e o l o g i e Der

enzyklopädischen

Buddeus

im

ersten

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Buch

der

der theologischen

Isagoge

einen

Disziplinen

allgemeinen

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M e t h o d e des T h e o l o g i e s t u d i u m s v o r a u s 7 6 , in d e m e r in a n a l y t i s c h e r W e i s e 7 7 das Z i e l 7 8 , das S u b j e k t 7 9 u n d d i e M i t t e l des S t u d i u m s 8 0 v o r s t e l l t u n d d u r c h

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Siehe zur Aufteilung der Isagoge in zwei Bücher Is 1,1,1, 3: "Duobus introductionem ad theologiam universam, singulasque eius partes, complecti animus est libris; quorum prior generatim de methodo studii theologici praecipiet; posterior ad specialia descendet, & , quid in hisce omnibus observatu dignum sit, tradet." 77 Vgl. Is 1,1,2, 4: "In qualibet autem artium omnium atque scientiarum methodo cum & ad finem, & ad eius, qui finem consequi cupit, indolem, viresque, quibus praeditus est, denique & ad media, sine quibus finis obtineri nequit, respiciendum sit; haec quoque in methodo, addiscendi theologiam, in censum venire, nemo non intelligit." 78 Is 1,1,1-14, 3-32. 79 Is 1,2,1-16, 33-52. Es geht hier darum, "ut quis dispiciat, an iis animi corporisque dotibus viribusque praeditus sit, ut finem istem consequi queat." Zu den natürlichen Befähigungen des Intellekts, die für das Studium vorauszusetzen und durch dasselbe zu verbessern sind, gehören nach Buddeus schnelle und genaue Urteilskraft (Is 1,2,3.4, 34f.), die "facultas, ideas imaginesque rerum apte & concinne componendi, easdemque non minus eleganti ordine proponendi, ab aliis autem propositas facili negotio percipiendi, quae ingenii ... nomine venit" (Is 1,2,3.5, 34.37), und schließlich ein gutes Gedächtnis (Is 1,2,3.6, 34.38). Die solchermaßen beschriebene intellektuelle Begabung muß nach Buddeus außerdem einhergehen mit der entsprechenden Bestimmtheit des Willens. Denn ohne Beständigkeit, Geduld und Zähigkeit lasse sich das Studium nicht bewältigen (Is 1,2,11, 44). Dabei sei aber vor allem maßgeblich ein "instinctum quemdam, seu impulsum singularem, ad certum Studiorum genus; in quo provida Numinis cura, res mortalium sapientissime dispensans, vel maxime sese exserere solet." Der Providenz verdanke sich auch die geistliche Disposition, durch die der Intellekt "ita comparatus est, ut in vera Dei, rerumque divinarum, cognitione, sapientiaque divina, proficere indies possit", und der Wille "in sanctitatis omniumque virtutum, earum maxime, quae iuvenes decent, simulque progressus eorum, in rerum sacrarum genuina & salutari tractatione promovent, studio, theologiae cultor crescere adnititur, summa contra diligentia fugit, quae incrementum istud impediunt, aut a fine studii theologici eum longius removent" (Is 1,2,15, 50). 80

Vgl. Is 1,3,1-31, 53-103. Buddeus nennt hier in klassischer Weise oratio, meditatio, tentatio. Im Zusammenhang der Darstellung der meditatio fordert er als besondere Fähigkeiten der akademischen Lehrer "soliditas, in fundamentis principiisque, rite consti'tuendis, praecipue se exserens ...; perspicuitas, ut clare Sc distincte animi sui conceptus proponere queat; & deni51

eine theologische Propädeutik 81 ergänzt. Als das unmittelbare Ziel des Theologiestudiums bestimmt er die Ausbildung zum Amt des Lehrers in der Kirche.82 Das mittelbare und äußere Ziel, welches mit dem Ziel der Theologie selbst identisch ist, besteht in der Hervorbringung des Glaubens als der notwendigen Bedingung des ewigen Heils 83 . In dieser Ausrichtung auf ein äußeres Ziel ist die Theologie in der altprotestantischen Dogmatik als praktische Wissenschaft bestimmt worden. Da in Buddeus1 enzyklopädischem Entwurf alle besprochenen Disziplinen der Theologie direkt oder indirekt auf dieses Ziel erkennbar und sinnvoll Bezug nehmen, läßt sich die Konzeption der Isagoge gegen den oben erwähnten Einwand, sie erlaube es nicht, die Einheit der Theologie in der Vielheit ihrer Disziplinen zu denken, immerhin weitaus besser verteidigen als ältere Darstellungen der theologischen Wissenschaft. Denn dem Komplex der systematischen Theologie, welcher in der Bestimmung des zentralen christlichen Glaubensinhaltes bzw. der christlichen Lehre direkt auf die Vermittlung des Glaubens zielt, sind die anderen Disziplinen funktional zugeordnet. Eine Schwierigkeit liegt vielmehr in der Definition der Funktion der Theologie insgesamt. Denn einerseits soll die Theologie in der Hervorbringung des Glaubens ihr einheitliches Ziel haben. Andererseits darf die Hervorbringung des Glaubens nicht als Wirkung der Theologie, sondern muß als Werk des Heiligen Geistes verstanden werden. Die Theologie kann daher nicht selbst als ein Mittel zur Hervorbringung ihres Zieles gelten. Den Widerspruch im Selbstverständnis der Theologie, die sich als praktische Wissenschaft zur Hervorbringung des Glaubens bestimmt, den Glauben aber que fidelitas, ut serio, non sua commoda suamque gloriam, sed auditorum salutem, 8t in veritatis cognitione, veraque sapientia incrementa, quaerat." 81 Die theologische Propädeutik (Is 1,4,1-34, 104-332) bestimmt als außertheologische Voraussetzungen der Theologie die alten Sprachen, Geschichte, Instrumentalphilosophie, Hermeneutik sowie theoretische und praktische Philosophie. 82 Is 1,1,3, 16: "Finis, & quidem proximus, studii theologici est, ut quis ea, quae requiruntur, ut doctoris munere in ecclesia fungi queat, aptus reddatur". Das unmittelbare Ziel ist identisch mit dem üblicherweise als finis internus bezeichneten Ziel der Theologie, Is 1,1,3, 16a: "Loquimur de fine studii theologici, & quidem proximo, qui cum fine, quem vocant, interno theologiae convenit." Vgl. zur Anforderung an den Kirchenlehrer Is 1,1,4, 17: "Docentis autem munere in ecclesia is demum recte fungeretur, qui & sufficienti veritatis cognitione, seu eruditione solida, instructus, & sapientia, prudentiaque divina, praeditus est, ut alios erudire ad salutem queat, & ea denique vitae integritate eminet, ut, quae alios docet, suomet ipse exemplo comprobet. Quare paullo distinctius dici potest, finem proximum studii theologici esse cognitionem, seu eruditionem solidam, sapientiam, prudentiamque divinum, Sc earn vitae integritatem, qua ecclesiae doctorem ornatum esse decet." Siehe auch Baier, Compendium Ρ,1,16, 21f. 83 Is 1,1,3, 16a.b: "Remotior enim est fidei productio, salusque aeterna, tum intuitu eius, qui theologiae operam navat, tum intuitu aliorum hominum; I. Tim. IV, 16. Et hicce cum fine externo ipsius theologiae conspirat. Quo pacto recte etiam dicitur, theologiae, & studii theologici, unum eumdemque finem esse." Vgl. ID 1,1,47, 8If. A.l und Baier, Compendium Ρ,1,19, 23: "Finis formalis intermedius est fides in Christum, tanquam causam impetrandae gratiae apud Deum."

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als Wirkung des Heiligen Geistes versteht, hebt erst Schleiermacher auf, indem er die Theologie als "Inbegriff derjenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln, ohne deren Besitz und Gebrauch eine zusammenstimmende Leitung der christlichen Kirche, d.h. ein christliches Kirchenregiment, nicht möglich ist" 84 , erklärt. In seiner Konzeption ist eindeutig, daß die Theologie nicht selbst den Glauben hervorbringt, sondern ihn voraussetzt. Insofern ist sie eine "positive Wissenschaft, deren Teile zu einem Ganzen nur verbunden sind durch gemeinsame Beziehung auf eine bestimmte Glaubensweise, d.h. eine bestimmte Gestaltung des Gottesbewußtseins; die der christlichen also durch die Beziehung auf das Christentum." 85 Trotz der Tatsache, daß Buddeus die Zielbestimmung der Theologie noch anders formuliert, wird sich doch im weiteren Fortgang dieses Kapitels zeigen, daß die Funktion, die er mit der Dogmatik als systematischer Theologie verbindet, der Ausrichtung auf die Kirchenleitung faktisch gleichkommt. Während allerdings Schleiermacher die Dogmatik als die Disziplin, die sich auf die "jetzt in der evangelischen Kirche geltende(n) Lehre" 86 bezieht und das "Prinzip der laufenden Periode" 87 darstellt, mit der Exegese und Kirchengeschichte zum historischen Teil der Theologie rechnet, betont Buddeus die funktionale und methodische Differenz der Dogmatik gegenüber den historischen Disziplinen, indem er der Dogmatik die systematische Verfahrensweise zuordnet, um ihr damit die objektive Darstellung und Verteidigung des Glaubens aufgeben zu können.

2. Der Begriff der dogmatischen

Theologie

Nicht nur in der Stellung der Dogmatik im Kontext der theologischen Disziplinen zeichnet sich die Eigenständigkeit der Konzeption von Buddeus ab. Auffallend ist auch die Wahl der in der Spätorthodoxie und frühen Ubergangstheologie noch wenig verbreiteten Bezeichnung theologia dogmatica selbst. Buddeus verwendet den Ausdruck 'Dogmatik' für die nach seinem Verständnis in der mittelalterlichen Theologie erstmalig erreichte Form der systematischen Darstellung des Glaubensinhaltes88, wie sie unter 84

85 86 87 88

Kurze Darstellung, § 5, 2. Vgl. bes. die negative Folgerung § 6, 3: "Dieselben Kenntnisse, wenn sie ohne Beziehung auf das Kirchenregiment erworben und besessen werden, hören auf, theologische zu sein, und fallen jede der Wissenschaft anheim, der sie ihrem Inhalte nach gehören." Durch diesen Satz wird die Exklusivität des Bezuges der Theologie auf die Kirchenleitung sichergestellt. Kurze Darstellung, $ 1 , 1 . A a O . , § 195, 73. A a O . , § 198, 76. Siehe Is 11,1,9, 357: "In occidentali rursus ecclesiae, septimo, sequentibusque saeculis exstitere, qui sententias patrum colligerent, quod primum systematicae theologiae initium fuit. Pleniori tarnen tandem habitu, cum ipsa theologia scholastica, haecce tractandi theo-

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Berücksichtigung der reformatorischen Kritik Luthers 89 von Melanchthon zum Zweck der Lehre in seinen theologischen Loci ab 1521 auf neue Weise angestrebt wurde 90 . Angesichts der damit eingeleiteten Wiederkehr scholastischer Subtilität in der evangelischen Theologie 91 hält Buddeus eine erneute Besinnung auf die Funktion systematischer Theologie und eine entsprechende begriffliche Bestimmung derselben für unerläßlich, zumal ihm auch die aristotelisch-scholastische Denkart unter den Bedingungen der cartesischen Philosophie und der Pufendorfschen Ethik nicht mehr haltbar erscheint. 92

a) Dogmatik als positive Theologie Die Bezeichnung 'Dogmatik' bzw. theologia dogmatica tritt bei Buddeus an die Stelle der bis dahin weithin gebräuchlichen Bezeichnungen theologia positiva9i, theologia thetica oder theologia didactica94. Buddeus erläutert und rechtfertigt seine Wahl des neuen Begriffs auf der Basis einer traditionsgeschichtlichen Untersuchung, in der er den jeweiligen Sinn der alten Bezeichnungen herausarbeitet, um sie durch den zusammenfassenden Ausdruck 'Dogmatik' abzulösen. Positive und thetische Theologie werden dabei zunächst als gleichbedeutend behandelt. 95 Die Entstehung derselben findet er richtig beschrieben bei Francis Bacon, der in seiner Schrift 'De dignitate et augmentis scientiarum' die scholastische Theologie auf die methodische Form der

logiam ratio prodiit". Die W u r z e l n der Dogmatik könne m a n - so die Überzeugung von Buddeus - allerdings bereits im Alten Testament entdecken (Is 11,1,3, 338). 89 Is 11,1,12, 371: "Inter beneficia itaque, quae benignissimum N u m e n , per ecclesiae emendationem, opera beati MARTINI LuTHERI susceptam, in nos contulit, haud ultimum locum tenet, sed celebranda potius maximopere, catecheseos restitutio". 90 Is 11,1,13, 381: "Nec systematica theologiam tractandi ratio reiecta plane fuit, sed a quisquiliis & ineptiis scholasticorum tantum repurgata, auctore cumprimis PHILIPPO MELANCHTHONE, qui, ad erudiendam in scholis & academiis iuventum, eam n o n m o d o aptam, sed & necessariam esse, iudicavit." 91 Vgl. Is 11,1,14, 387f.: "Imitati hocce PHILIPPI MELANCHTHONIS exemplum sunt alii quamplurimi; unde ingens c o m p e n d i o r u m ac systematum theologicorum exstitit numerus. N e c tarnen una omnes eademque ratione, in hacce theologiae parte tradenda, versati sunt. In prima post ecclesiae repurgationem aetate, cum doctrinae puritate simplicitas ad veteris ecclesiae exemplum proxime accedens, adhuc utcumque regnabat; quam deinceps revocata postliminio scholasticorum obscurare coepit subtilitas, cum vocum ex metaphysica dep r o m t a r u m abusu coniuncta; donee nostra aetate pristinam q u o d a m m o d o systematica theologia recuperare faciem coepit." 92 Siehe dazu bes. Is 11,1,14, 388b. 93 Vgl. Is 11,1,2, 338b u n d Is 11,1,1, 336a. Die o.g. Begriffe finden sich u.a. bei König, Theologia positiva acroamatica, § 24, 3f. und Quenstedt, Systema, 1,1/1,21, 13. 94 Vgl. zur theologia didactica in der altlutherischen Theologie Preus, Theology 1, 224f. 95 Is 11,1,1, 336f. Siehe auch I D 1,1,52, 90: "theologia thetica, itemque positiva". Ebenso Quenstedt, Systema 1,1/1,21, 13: die theologia didactica kann hier auch "Systematica ac Thetica seu Positiva" genannt werden.

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Schriftinterpretation zurückgeführt hatte. 96 In der katholischen Theologie sei dann zwar die Differenzierung zwischen scholastischer und positiver Theologie vorgenommen worden. Doch habe man damit nicht zwei Bereiche der Theologie, sondern zwei hinsichtlich der Erkenntnisquellen unterschiedene Verfahrensweisen bezeichnen wollen. 97 Bei Ludovicus Ellies Du Pin sei die Differenzierung schließlich nur noch auf die unterschiedliche Ordnung der Reproduktion des theologischen Stoffes bezogen worden. 98 Daher stehe der Begriff der positiven oder thetischen Theologie nicht im Gegensatz zur scholastischen Theologie. Da die positive oder thetische Theologie im Sprachgebrauch der Altprotestanten durch ihren Bezug auf die Dogmen oder Lehrsätze des Glaubens gekennzeichnet war und Du Pin nun als Eigenart der positiven Theologie die dogmatische Behandlung der Mysterien oder Hauptpunkte der christlichen Religion angegeben hatte 99 , schlägt Buddeus zur präziseren Benennung dieses theologischen Bereiches die Bezeichnung der dogmatischen Theologie vor. 1 0 0 Der Ausdruck war ihm nicht nur aus der katholischen Theologie 101 , 96

Vgl. Francis Bacon, De dignitate et augmentis scientiarum, Buch 9, Kap.l, aus dem Buddeus Is 11,1,1, 336a zitiert (siehe dazu 'The works of Francis Bacon' Bd. 5, 116). Zur Beschreibung der positiven Theologie verwendet Bacon das Bild einer Zisterne, in welcher die mit der methodischen Schriftinterpretation gefundenen Glaubensaussagen gesammelt würden. Aus dieser Verfahrensweise sei die scholastische Theologie entstanden, welche die - wie das Wasser in einer Zisterne - in einer ars gesammelte theologische Lehre in Bachen überall hinlenke. Bacon kritisiert allerdings die ihm bekannte positive Theologie (siehe die englische Version, aaO., 118): "There are found indeed among theological writings too many books of controversies, a great mass of that theology which I have termed Positive, common places, special tracts, cases of conscience, sermons and homilies, and many prolix commentaries upon the Scriptures. But what we want is a concise, sound, and judicious collection of annotations and observations on particular texts of Scripture".

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Buddeus beruft sich dafür in Is 11,1,1, 336b.337a auf Petrus Annatus und Honorius de Sancta Maria. Honorius habe in seinen 'considerationibus super regulis & usu artis criticae' positive, scholastische und mystische Theologie darin unterschieden, daß sich die positive Theologie allein auf die Schrift stütze, die scholastische dagegen "ratiocinia, & quae philosophia, aliaque scientiae suppeditant", einbeziehe und die mystische Theologie speziell die vita spiritualis behandele. Vgl. zum Begriff der positiven Theologie auch Pannenberg, Wissenschaftstheorie, 241 und zu dem hier interessierenden theologiegeschichtlichen Zusammenhang 240244. 98 Der Unterschied zwischen scholastischer und positiver Theologie bestehe bei Du Pin nämlich weder im Blick auf den Gegenstand, noch hinsichtlich der Prinzipien oder des Ziels, sondern nur methodisch, insofern die scholastischen Theologen die theologischen Fragen durch eine bestimmte Ordnung zu einem einzigen Korpus gestaltet haben, so Buddeus in Is 11,1,1, 337a. Vgl. hierzu Du Pin, Methode, 32: "La seule difference [zwischen positiver und scholastischer Theologie; Vf.] que l'ont peut mettre entre l'une & l'autre, est en ce que les Theologiens Scholastiques ont renferme dans un seul corps, & mis dans un certain ordre toutes les questions qui regardent la doctrine". 99 Siehe L.E. Du Pin, Methode, 31: "la partie de la Theologie Positive, qui traite dogmatiquement des mysteres & des points de notre Religion". Pannenberg vermutet, daß diese Bestimmung Buddeus Anlaß gegeben habe zur Indentifikation von positiver und dogmatischer Theologie, vgl. Wissenschaftstheorie, 241 A.489. 100 Is 11,1,1, 337a: "Cum porro theologia thetica circa dogmata versetur, haud insolens est, ut etiam dogmatica adpellitetur."

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sondern vor allem auch aus zeitgenössischen evangelischen Kompendien wie J.A. Schmids 'Compendium theologiae dogmaticae 1 von 1704 102 , W. Jägers 'Systema theologicum dogmatico-polemicum' von 1715 und besonders durch Pfaffs 'Institutiones theologiae dogmaticae' von 1720 bekannt. Im Unterschied zur Rede von der positiven oder thetischen Theologie hat die Bezeichnung 'Dogmatik' nicht nur den Vorzug, schon durch sich selbst auf den besonderen Gegenstandsbereich der damit bezeichneten Disziplin hinzuweisen. Unter der Voraussetzung der Verwendung des Adjektivs 'dogmatisch' bei D u Pin kann der Begriff der Dogmatik für Buddeus zugleich auch die Methode des Umgangs mit dem Inhalt der positiven oder thetischen Theologie andeuten, die in diesen Bezeichnungen unterbestimmt war. Diese mit dem Begriff der Dogmatik verbundenen Vorzüge sind dennoch nicht als der ausschlaggebende Grund für Buddeus' Umbenennung der thetischen oder positiven Theologie zu verstehen. Dieser wird viemehr erst deutlich, wenn man den Begriff der positiven Theologie in seiner Beziehung zu der Unterscheidung zwischen katechetischer und akroamatischer Theologie untersucht. b) Das katechetische Interesse der Dogmatik In seiner Aufgabenbestimmung der dogmatischen Theologie geht es Buddeus darum, die zuvor übliche Unterscheidung zwischen katechetischer bzw. exoterischer Theologie einerseits und systematischer bzw. akroamatischer Theologie andererseits aufzuheben. 103 Während die katechetische Theologie 104 exoterisch die grundlegenden Elemente der christlichen Religion 105 lehre, gehe es der in den theologischen Kompendien durchgeführten akroamatischen bzw. systematischen Theologie darum, das Wort Gottes systematisch

101 Vgl. hierzu die Verweise von Pfaff, Introductio, 11,4, 209ff. auf Liberius a Jesu, Controversiae dogmaticae adversus haereses utriusque orbis, R o m 1710 sowie Franc. Perrin, Manuale Theologicum sive Theologiam dogmaticam & historicam, Tholosae 1710. Besonders interessant ist Pfaffs Hinweis auf Is. Habertus, Compendium Theologiae dogmaticae & moralis, Paris 1714 und ders., Theologia dogmatica & moralis, ad usum Seminarii Catalaunensis, Paris 1712, 317. Nach Habertus ist die theologia "dogmatica occupatur ad probanda, illustranda, & vindicanda fidei dogmata: moralis vero tota est ad dirigendos mores iuxta regulam fidei, & Dei legem." 102 Buddeus erwähnt J.A. Schmids Compendium theologiae dogmaticae, Helmstedt 1704 in seinem Uberblick über die Geschichte der systematischen Theologie im Luthertum Is 11,1,14, 400b. 103 Vgl. Is 11,1,2, 337: "Solet alias, si modum methodumque tractandi spectes, theologia in exotericam & acroamaticam dispesci; quemadmodum quoque haec systematica, ilia autem catechetica adpellitatur. Cumque haec non minus necessaria sit, quam ilia, utriusque merito a nobis habebitur ratio." 104 Vgl. zur Entwicklung der katechetischen Theologie den Artikel 'Katechetik' von Christoph Bizer in T R E 17, 686-710. 105 Is 11,1,2, 337b.338a.

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darzustellen und zu verteidigen. 106 Da Buddeus allerdings die Verwendung und Bedeutung der Unterscheidung zwischen katechetischer und akroamatischer Theologie in der theologischen Tradition nicht genauer beschreibt, muß zum besseren Verständnis und zur Würdigung der Intergrationsleistung des von ihm konzipierten Begriffs der Dogmatik kurz auf den Hintergrund der genannten Unterscheidung zwischen exoterisch katechetischer und akroamatisch systematischer Theologie eingegangen werden. Erst so wird nämlich deutlich, daß mit der Wahl und der Bestimmung des Begriffs der Dogmatik die bei Melanchthon einsetzende und in den genannten Distinktionen sich manifestierende Reflexion auf die Aufgabe und das Verfahren systematisch-theologischer Schriftinterpretation zu einem vorläufigen Abschluß kommt. Georg Calixt, der mit seinem 'Apparatus sive introductio in Studium et disciplinam Sanctae Theologiae' von 1628 wesentlich zur Ausprägung des protestantischen Theologieverständnisses beigetragen hat, unterschied dort die allgemeine Theologie der Gläubigen von der Theologie der Gelehrten als der Theologie im eigentlichen Sinne 107 . Für diese zweite Form der Theologie bestimmte er zwei unterschiedliche Verfahrensweisen. Zum einen müsse es eine kirchliche oder positive Theologie geben, die sich auf die didaktische Darstellung dessen beschränke, was der auszubildende Pfarrer für seinen späteren Dienst notwendig wissen müsse. 108 Daneben sei aber auch eine akademische Theologie notwendig, die den theologischen Gegenstand vollständig und exakt zur Darstellung bringe, ihn erkläre, beweise und verteidige. 109 106 Is 11,1,2, 337a.b.338a. 107 Siehe Calixt, App., Werke 1, [6] 66, Z.14ff.: "Stricte itaque et proprie dicta Theologiae nomine venit ilia tantum doctrina, quae explicat, probat et defendit. Haec cuiusvis fidelis non est neque vero cuivis necessaria est." Er trennt dabei zwar deutlich zwischen Theologen und Laien, doch so, daß dem Laien die theologische Urteilsfähigkeit zuerkannt wird. Darin sucht Calixt wohl Luthers Gedanken des allgemeinen Priestertums zu entsprechen. Siehe aaO., 66, Z.2ff.: "Sicut quilibet homo, qui ad usum rationis pervenit, praesertim si ingenio valeat, principia quaedam intelligit et initia habet, quibus philosophiam possit superstruere, si velit et operae non parcat, actu tarnen philosophus nec est nec dicitur, ita quoque quicumque hactenus edoctus et illuminatus est, ut cognitionem articulorum fidei sit assecutus, semina et initia quaedam habet Theologiae, et porro ad Theologiam poterit, actu tarnen non magis Theologus est quam solers mercator aut agricola Philosophus." Die hier genannten Aufgaben des Theologen sind identisch mit den sonst der akademisch akroamatischen Theologie zugeschriebenen. 108 Calixt, App., Werke 1, 260f., Z.35ff. [174]: "Haec nobis videtur commode vocari posse Theologia ECCLESIASTICA, nempe quod pleraque, quae Ecclesiastis qua talibus scitu sunt necessaria vel certe quae ab illis coram populo tractari oportet, comprehendat. Dici quoque potest Didactica vel Positiva, quod quae necessaria et certa sunt, doceat ac ponat nec ad quaestiones opinionesque minus aut necessarias aut certas dilabatur. Nos, ut distinguatur ab Academica, Ecclesiasticam appellabimus. Et ilia quidem omnia huius includit et continet, etsi non tantum ea, sed plura alia, haec vero praecipua quaeque illius, non tarnen omnia complectitur." 109 Vgl. zur theologia academica Calixt, App., Werke 1, 254f., Z.33 [167]: "Id ut commode praestem, dico Theologiam vel posse tractari ita plene et exacte quam potest aut debet fieri, nempe ut nihil omittatur eorum, quae de quavis re Theologica cognovisse aut necessitatis sit

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Diese Unterscheidung zwischen kirchlicher bzw. positiver oder didaktischer Theologie einerseits und der akademischen Theologie andererseits findet sich in differenzierterer Weise wieder in Calovs 'Theologia positiva seu Compendium Systematis theologici1 von 1652. 110 Denn Calov nennt innerhalb der eigentlichen oder akademischen Theologie nicht nur die Bereiche der kirchlichen und scholastischen Theologie, sondern auch die katechetische Theologie, die exoterisch verfahre und daher auch 'positiv' heißen könne, während kirchliche und scholastische Theologie durch ihr akroamatisches Vorgehen als akkurate Wissenschaften zu gelten hätten. 111 Dieses Konzept modifiziert König in seiner 'Theologia positiva acroamatica 1 , indem er die katechetische oder einfache Theologie aller Christen von der akroamatischen und akkuraten Theologie der Gelehrten und der kirchlichen Amtsträger unterscheidet. 112 Die katechetische Theologie wird hier also nicht zur eigentlichen akademischen Theologie gerechnet. 113 Der Titel des Werkes zeigt außerdem an, daß König keinen Gegensatz zwischen positiver und akroamatischer Theologie sieht. Die positive Theologie gibt eine kurze Zusammenfassung der theologischen Lehre, aber sie ist dabei durch die akroamatische und akkurate Verfahrensweise grundsätzlich von der für alle Gläubigen gedachten katechetischen Theologie unterschieden. Anders als bei Calixt und Calov markiert König innerhalb der akademischen Theologie keinen Unterschied mehr zwischen der Gelehrtentheologie und der kirchlich orientierten Pfarrerausbildung. Seine positive akroamatische Theologie aut alicuius utilitatis, vel non ita plene et exacte, sed contracte potius nec complete, sed per partes, aliqua selecta et reliquis sepositis alterique tractationi reservatis. ...Theologia plene et exacte tractata scholarum propria est ..., atque inde appellatio Scholasticae Theologiae, quod nomen, quia apud nonnullos in odio est, nos vocabulo minus inviso nostrisque moribus et temporibus magis congrio Α CADEMICAM indigetemus, cuius capita, ut cum de ipsa tum de reliquis Theologici studii partibus rectius iudicari possit, subiciemus." Es folgt eine Beschreibung der Aufgabe der akademischen Theologie in fünf Schritten. Siehe hierzu näher Wallmann, Theologiebegriff, 154-156. 110 Vgl. Calov, Theologia positiva, Ρ 1, § 4, 3. 111 Calov, Theologia positiva, Ρ 1, § 4, 3: "Non de communi, quae omnium fidelium est, sed de propria, quae est Doctorum Verbi; Quae rursus vel Catechetica est, quam nunc barbare Positivam vocant, vel Ecclesiastica & homiletica, vel Scholastica, & Academica pro diversitate subjectorum, aut modi tradendi: vel rudior & exoterica: vel accuratior Sc acroamatica; Et tum habitualiter spectatur, prout habitus est in intellectu viri Dei vel Theologi ... Tum Systemtice in libro consignata, aut per discursum methodice tradita." Wie sich die zwei modi tradendi auf die drei Bereiche der Theologie verteilen, erfährt man aus Calovs 'Isagoges ad SS. Theologiam1 von 1655, 4, § 1, 330f.: "Theologia, quod ad varium tradendi modum, distribuitur in Catecheticam, seu rudiorem & acroamaticam, vel accuratiorem; & haec vel Exegetica est, vel Didactica, vel Polemica, vel Ascetica, vel Ecclesiastica, vel Casuistica; quibus addi potest Patristica, & Scholastica Theologia. ... quia partitio instituenda est juxta Theologiae partes-, ibi vero pro diverso tradendi modo sive juniorem Sc tyronum, sive perfectiorum captui accommodate, & hoc iterum sive Scholastico, sive Ecclesiastico". Die Bezeichnung 'scholastisch' scheint hier in doppeltem Sinne verwendet zu sein. 112 König, Theologia positiva acroamatica, § 23, 3. 113 Vgl. auch Christoph Bizer, T R E 17, 689: "König faßt seine Aufgabe so, daß er die katechetische Theologie auf sich beruhen lassen kann." 58

nimmt zugleich die Aufgabe der didaktischen Theologie wahr, insofern sie die theologischen Loci systematisch zu entwickeln versucht. 114 In seiner Ausarbeitung dieses klassischen Kompendiums setzt Johann Andreas Quenstedt zwar wie König den Begriff der positiven Theologie mit dem der akroamatisch verfahrenden didaktischen Theologie gleich 115 , verbindet jedoch damit eine breit angelegte Verteidigung der Lehre. Auf diese Weise wird der ursprüngliche Bereich der positiven Theologie verlassen. Die akroamatisch verfahrende didaktische Theologie Quenstedts lehrt und bekräftigt den zukünftigen Doktoren die mysteria fidei, während es der katechetischen Theologie überlassen bleibt, die wichtigsten Punkte der christlichen Religion dem einfachen Volk zu erklären. 116 In den genannten Entwürfen hat die positive Theologie zwar durchweg die Aufgabe, die zentralen Sätze des christlichen Glaubens zusammenzustellen und zu explizieren. Aber in der Hochorthodoxie wird die Unterscheidung zwischen gelehrter und kirchlicher Theologie zurückgedrängt. Denn die positive Theologie kann nicht mehr katechetisch, sondern muß akroamatisch zur Darstellung kommen. Quenstedt kennt zwar durchaus eine katechetische oder einfache Theologie, aber diese wird nicht als 'positiv' charakterisiert wie bei Calixt und auch nicht in dessen Sinne durchgeführt. Die Verbindung der positiven Theologie mit der akroamatischen Verfahrensweise verleitet schließlich dazu, die kirchliche "Basistheologie", die Calixt empfohlen hatte 117 , außer acht zu lassen. Dagegen bringt David Hollaz, der sein akroamatisch theologisches Examen im Pfarramt verfaßt hat, die Unterscheidung zwischen einer einfach lehrenden und einer gelehrten Theologie in anderer Weise wieder ins Spiel. 118 Bei ihm hat die positive Theologie im Unterschied zur exegetischen und zur historischen Theologie die Aufgabe, den Studenten sichere, aus der Schrift gewonnene Thesen vorzustellen, und gliedert sich in Rücksicht des Unterschiedes zwischen Glaubensartikeln und sittlichen Geboten in didaktische Theologie und Moraltheologie. 119 Dabei steht für Hollaz - anders als bei den bislang genannten Konzepten - die didaktische Theologie in enger Verbindung zur katechetischen Theologie. Denn schon ein Katechismus gilt 114 König, Theologia positiva acroamatica, § 24, 3. 115 J . A . Q u e n s t e d t , Systema 1,1,16, 12: "Theologia mediate revelationis, seu institutionis est vel Catechetica, initialis seu rudior, quae & ... tyronum Sc initiatorum dicitur; vel Acroamatica, provecta seu accuratior, quae & ... confirmatorum appellatur." 116 Vgl. Q u e n s t e d t , aaO., 1,1,17 und 18, 12f. Siehe dazu auch Baur, Vernunft, 97. 117 Die Vernachlässigung einer in diesem Sinne katechetischen Theologie beklagte offenbar schon damals J o h a n n Gerhard Meuschen, den Christoph Bizer, T R E 17, 689 zitiert. 118 Hollaz, E x a m e n P, 1,21.22, 25ff. 119 Hollaz, E x a m e n P , l , 2 1 , 25: "Theologia revelata qua m o d u m tractandi considerata est vel exegetica ... vel positiva, quae discentium coetui certas theses e Sacra Scriptura sumptas proponit, estque t u m didactica, quae articulos fidei decenti ordine propositos enucleat & confirmat, t u m moralis, quae praecepta m o r u m tradit, vel historica ..."

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ihm als theologisches System, das in folgerichtiger Ordnung und klarer Terminologie credenda und agenda darstelle - eine Auffassung, die Buddeus nicht teilen wird. Die Aufgabe der Explikation und Diskussion der in den Bekenntnissen formulierten Glaubensartikel ordnet Hollaz hingegen der scholastischen bzw. systematischen Theologie zu. 120 Der Unterschied zwischen positiv didaktischer und systematisch scholastischer Theologie liegt mithin in der unterschiedlichen Funktion. Die positive Theologie übernimmt die Vermittlung der Lehre, die scholastische Theologie ist dagegen die Instanz, die durch systematische Rekonstruktion des in den Bekenntnissen artikulierten Glaubens den Inhalt der Lehre bestimmt. Mit dem Hollazschen Verständnis der positiven und scholastischen Theologie einerseits und seiner Einebnung des Unterschieds zwischen didaktischer und katechetischer Theologie andererseits sind entscheidende Voraussetzungen geleistet, an die Buddeus der Sache nach anknüpft. Denn nach seinem Verständnis sind katechetische und systematische Theologie nicht material 121 , sondern nur hinsichtlich ihrer Funktion unterschieden 122 . Im Gegensatz zu den verschiedenen Positionen seiner Vorgänger bestimmt Buddeus diese nun jedoch als notwendige Elemente einer einzigen theologischen Disziplin, nämlich der Dogmatik. 1 2 3 In ihrer katechetischen Funktion hat die Dogmatik in Entsprechung zu Act 18,25 die grundlegenden Elemente der christlichen Lehre in lebendiger Sprache zu überliefern 124 und erfüllt auf diese Weise die Aufgabe der positiven Theologie, wie sie bei Calixt, Calov und König gesehen wurde. Damit wird die bei Hollaz angebahnte Verbin120 Hollaz, Examen P,l)22, 26: "Per Theologiam Scholasticam intelligitur vel sensu generali TKeologia Systematica e verbo DEI revelato hausta, & in Schölls Christianorum tradi sueta, in qua tum dogmata fidei cum praeceptis morum methodice digesta explicantur, tum exortae controversiae ventilantur, & deciduntur, quam in Schölls superioribus & inferioribus sedulo docendam esse statuo". Die scholastische Theologie wird jedoch nicht ausdrücklich ins Verhältnis gesetzt zu den P,l,21, 25 bestimmten Verfahrensweisen der Theologie. 121 Is 11,1,1, 337a: "... non ita hoc capiendum, ac si, qua rem ipsam, discrimen aliquod intercedat". 122 " Q u a e simpliciorum, rudiorumque hominum captui est adcommodata, exoterica etiam, quae autem exquisitiori cura, methodoque scholae attemperata traditur ut ad sublimiora tendentibus inserviat, acroamatica, vocibus ex philosophia Aristotelica repetitis, vocari solet." Soweit das Referat der herkömmlichen Unterscheidung nach ID 1,1,52, 89. Die Unterscheidung sei aber nicht so zu verstehen, "ac si quoad rem ipsam discrimen intercedat, aut illa dignitate vel utilitate huic cedat. Q u i n immo utraque, si recte se habeat, verbum divinum, licet diversa methodo, proponit, illaque non minus necessaria, quam haec est, quandoque etiam plus utilitatis atque commodi adfert ..." (Ebd.) Es folgt eine kurze Skizze des geschichtlichen Ursprungs der katechetischen Theologie, ausgehend von Acta 18,25 über Clemens Alexandrinus bis zu Kyrill von Jerusalem, vgl. aaO., 90. 123 Is 11,1,2, 338b: "Acroamatica haecce atque systematica theologia etiam thetica vocari solet; nec tarnen quidquam obstat, quo minus hocce, uti & dogmaticae theologiae nomine, tum catecheticam, tum systematicam, complectamur." 124 Siehe Is 11,1,1, 337b: "Exotericam etiam recte catecheticam, voce iam in veteri ecclesia recepta, posse adpelletari, nemo dubitaverit. Videturque verbum ..., act. XVIII,25. ita accipi, ut, prima religionis christianae elementa seu rudimenta viva voce tradere, significet."

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dung zwischen didaktischer und katechetischer Theologie vertieft. Zugleich sieht Buddeus jedoch die katechetische Aufgabe im Rahmen der Dogmatik an das systematische Verfahren gebunden. Das entspricht zwar einerseits der akroamatischen Durchführung der positiven Theologie bei König und Quenstedt. Doch erlangt andererseits die Dogmatik als akademisch-theologische Disziplin durch die Integration der katechetischen Aufgabe einen praktisch-kirchlichen Bezug, der in der hochorthodoxen Version der thetischen Theologie aus dem Blick geraten war. 125 Die hier aufgezeigten Verschiebungen in der Verwendung der Begriffe der katechetischen, positiven und akroamatischen Theologie verdanken sich bestimmten geschichtlich bedingten Interessen. Zur Zeit von Calixt und Johann Gerhard wurde der Gemeindepfarrer im Unterschied zu den akademischen Lehrern nur zwei Jahre an der Universität ausgebildet und konnte in dieser Zeit nur die für die kirchliche Praxis unbedingt erforderlichen Grundkenntnisse erwerben. Calixt hielt diese Beschränkung u.a. auch deshalb für sinnvoll, weil nach seiner Uberzeugung die akroamatische Entfaltung der theologischen Inhalte allzu leicht theologische Auseinandersetzungen und Spaltungen provozierte. 1 2 6 Um dieser Entwicklung vorzubeugen, betonte er den praktischen Charakter der Theologie und übernahm die analytische Methode der praktischen Wissenschaften für die Darstellung der theologischen Lehre. Das daraufhin einsetzende zunehmende Interesse an der analytischen Durchkonstruktion des Lehrgebäudes führte jedoch zu einer von Calixt gerade nicht intendierten Verselbständigung der theologischen Lehre gegenüber den Anforderungen der kirchlichen Ausbildung. Denn König und vor allem Quenstedt gestalteten in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts das analytische System in so hochdifferenzierter Form, daß der praktische Sinn der Lehre darüber verloren zu gehen drohte. Dennoch ist das dort erreichte Maß an systematischer Durchdringung des theologischen Stoffs, obgleich an eine überaus komplexe und von Buddeus als nicht mehr sachdienlich beurteilte Terminologie 1 2 7 gebunden, nicht nur 125 In diesem Sinne kritisiert Buddeus auch die Theologie der Scholastiker, weil es dort kaum eine Verbindung zur katechetischen Theologie gegeben habe, Is 11,1,11, 369: " Catecheticae theologiae, eo tempore, quo scholasticum, illud regnum floruit, nulla fere habita fuit ratio; ideoque hinc inde quaedam solum eius vestigia deprehendere licet. Id quod corruptae admodum ac depravatae hisce saeculis ecclesiae documentum praebet luculentissimum." 126 Vgl. hierzu Pannenberg, Wissenschaftstheorie, 244. 127 Vgl. Buddeus' Darstellung der Entwicklung und Geschichte der systematischen Theologie seit der Reformation in Is 11,1,14, 387ff. und bes. sein Urteil über König und Quenstedt Is 11,1,14, 399: "Terminos, quos vocant, metaphysicos, sine necessitate cumulat, interdum nec recte adplicat, hinc litibus ac quaestionibus, nihil commodi adferentibus, occasionem praebet, in probationibus subinde deficit, dum dicta scripturae, quae nihil ad rem faciunt. Celebritatem itaque quod olim hicce compendium nactum sit, non aliunde factum, quam quod eo tempore theologia scholastica hinc inde regnaret." Dementsprechend wird Baier gegen den Vorwurf mangelnder Genauigkeit in Schutz genommen, aaO., 400a.b: "Excusandus tarnen merito uterque, & MUSAEUS & BAIERUS est; cum eo, quo vixerunt, tempore, haec

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zu bewundern, sondern auch als wegweisende Voraussetzung der weiteren Entwicklung anzusehen. Wenn Hollaz das Augenmerk wieder stärker auf die katechetischen und didaktischen Funktionen der Theologie zurücklenkte und sie damit an der kirchlichen Aufgabe orientierte, so blieb doch das Interesse an gedanklicher Durchdringung der Inhalte unvermindert. Auf dieser Basis ließ sich auch den praktisch kirchlichen Anforderungen, wie sie sich zum Beispiel aus der Ablösung des Katechismusverhörs durch ein den Befragten zum Mitdenken anregendes Verfahren ergaben 128 , besser entsprechen. Buddeus hält in seiner Konzeption allerdings die Verbindung der katechetischen Aufgabe mit der systematischen Verfahrensweise nicht primär aus praktischen Gesichtspunkten, sondern aus erkenntniskritischen Gründen für unabdingbar. Besteht die Aufgabe der Dogmatik als einer Disziplin der offenbarten Theologie 1 2 9 grundlegend darin, die heilsnotwendigen Glaubenssätze der Schrift 1 3 0 zu bestimmen, so bedarf es, da nicht von vornherein feststeht, welche Aussagen der Schrift als notwendiger Bestandteil des Glaubens zu explizieren sind, eines Kriteriums, durch das heilsnotwendige Aussagen von nicht heilsnotwendigen unterschieden werden können. Ohne die Angabe und konsequente Anwendung eines solchen Prinzips kann die Dogmatik keine objektive Gültigkeit ihrer Aussagen beanspruchen. Buddeus findet dieses Prinzip in der systematischen Verfahrensweise der Dogmatik. c) Die systematische Methode der Dogmatik Die systematische oder akroamatische Vorgehensweise 131 erfordert nach Buddeus zweierlei: sie muß erstens vollständig alles erfassen, was zum Heil

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tractandi theologiam ratio ubique fere recepta esset. Qui hinc inde ακριβειαν in compendio Baieriano desiderant, & minutias quasdam carpunt, nihil a]iud agunt, quam ut nodum in scirpo quaerant, & litigandi pruritum, animumque ad contentiones pronum, prodant." Vgl. Christoph Bizer, T R E 17, 686-710, bes. 688. Durch den strengen Bezug auf die Schrift ist die Dogmatik bei Buddeus wie in den älteren Konzeptionen von Calov, König, Baier und Hollaz dem Bereich der offenbarten Theologie zugeordnet, siehe Is 11,1,1, 337b: "Dogmata vero intelligimus ex scriptura sacra hausta. Non enim de naturali theologia nobis sermo est, sed de revelata; licet interdum utraque in com· pendiis ac systematibus theologicis tractari soleat." Die Dogmatik bezieht sich nach Is 11,1,1, 336 auf die "dogmata, ex scriptura sacra hausta, eaque creditu at salutem necessaria". Unter Berufung auf Gerhard von Maastricht (Historia iuris ecclesiastici) bestimmt Buddeus den Begriff des Dogmas Is 11,1,1, 337a als das, "quae in scriptura sacra ut credenda proponuntur; quaeve in strictiori sensu ab agendis distinguuntur, quippe quae theologia moralis sibi vindicat." Zum heutigen Forschungsstand vgl. Martin Elze, Der Begriff des Dogmas in der Alten Kirche, in: ZThK 61/1964, 421-438, bes. 430f. Buddeus folgt in der Bestimmung der dogmata als credenda dem Beispiel der alten Kirche, ohne allerdings als Quelle der in der thetischen Theologie thematisierten Dogmen auch Konzilsbeschlüsse gelten zu lassen. ID 1,1,52, 90 wird die methodus acroamatica ausdrücklich als Methode der thetischen oder positiven Theologie bestimmt und, aaO., 91 mit der theologiam tractandi ratio systematica identifiziert.

notwendig zu wissen ist, und dies zweitens in sinnvoller Ordnung und Verknüpfung präsentieren. 132 Diese beiden Kriterien können nur gemeinsam eingehalten werden. Denn der Forderung der sinnvollen Anordnung und Verknüpfung der Glaubenssätze kann nur unter der Bedingung der Vollständigkeit entsprochen werden. Und umgekehrt läßt sich aus der Verknüpfbarkeit der Glaubenssätze zu einer schlüssigen Darstellung die Vollständigkeit beurteilen. Auf diese Weise leitet das Kriterium des kohärenten Zusammenhangs der Glaubensaussagen zur konsequenten Schriftauslegung an. Bereits in der - auf Luthers Begriff der heilsnotwendigen Mysterien des Glaubens zurückgehenden 133 - altprotestantischen Lehre von den Fundamentalartikeln 134 fungierten die Kriterien der Vollständigkeit und Kohärenz implizit als Erkenntniskriterien der Fundamentalartikel. Sie wurden aber nicht als methodische oder didaktische Mittel für eine systematische Entfaltung der thetischen oder positiven Theologie bestimmt. Exemplarisch sei dies an J.W. Baiers Konzeption der Lehre von den Fundamentalartikeln 135 gezeigt, die ihrerseits auf J. Musäus 136 zurückgeht. Die Lehre der Fundamentalartikel wird hier zur Näherbestimmung des Materialobjektes137 der offenbarten Theologie eingeführt. Dieses besteht nach Baier zunächst in den in der Schrift offenbarten credenda und agenda™. In weiterem Sinne gelten zwar alle credenda als Glaubensartikel, doch lassen sie sich in fundamentale und nicht fundamentale unterscheiden. Fundamental sind nur die, die sich auf das Fundament des Glaubens und des Heils so beziehen, daß sie weder 132 "Duo autem cumprimis requiruntur, ut tractatio quaedam systematicae theologiae nomen promereatur, primo, ut omnia cognitu ad salutem necessaria plene; deinde & iusto ordine, & apta quadam connexione, exhibeat" (Is 11,1,2, 338b). Die connexio ist das Proprium systematischer Theologie: "Partium ista, quam commemoravimus, connexio, systematicae speciatim theologiae ita propria est, ut ab ea separari nequeat" (Is 11,1,1, 337b). Man findet diese Kriterien noch bei Schleiermachers Bestimmung der Dogmatik, vgl. seine Kurze Darstellung §§ 200.201, 76. 133 Baier erinnert daran, daß schon bei Luther die articuli fidei in strengem Sinne die "mysteria fidei ad salutem creditu necessaria" bezeichneten, siehe Compendium, Ρ, 1,27, 29 b. 134 Vgl. zur Entstehung dieser Lehre Max Keller-Hüschemenger, Das Problem der Fundamentalartikel bei Johannes Hülsemann in seinem theologischen Zusammenhang, 37ff. O. Ritsehl, Dogmengeschichte Bd. 4, 308 erklärte die Lehre von den Fundamentalartikeln für die originellste Leistung der orthodoxen Theologen. Vgl. ähnlich auch Baur, Vernunft, 17. 135 Vgl. zur Lehre von den Fundamentalartikeln Baier, Compendium Ρ,1,27-34, 28-39. 136 Baier bezieht sich auf Musäus, Introductio 1,3,30, 162ff. 137 Siehe zur Unterscheidung zwischen Materialobjekt und Formalobjekt der Theologie Baier, Compendium Ρ, 1,25, 27. Das Materialobjekt sind die res revelatae, das Formalobjekt dagegen das Erkenntnisprinzip, nämlich die Offenbarung. 138 Vgl. Baier, Compendium, Ρ,1,25, 27 und Ρ,1,26, 28: "Materiale objectum distinguitur in credenda et agenda. Credenda dicuntur quae ita subsunt fidei, ut formaliter non sint operationes, praeviis actibus practicis directae; sint autem credenda ab iis, qui perventuri sunt ad salutem v.g. Deum diligere genus humanum, Christum esse filium Dei et filium hominis, etc. Agendorum nomine intelliguntur ipsae operationes theologiae actibus practicis praescriptis, ... si non consequendae salutis causa, tarnen, ne salute excidamus. e.g. apprehensio actualis aut habitualis meriti Christi, quam vocamus fidem ..."

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ignoriert noch bestritten werden dürfen. 1 3 9 Ihr kohärentes 1 4 0 und mithin vollständiges Gefüge macht den Glauben aus 1 4 1 , den die Theologie als Materialobjekt zu rekonstruieren hat 1 4 2 . D o c h trotz der Einsicht, daß das Fundament des Glaubens selbst kohärent strukturiert ist, wird bei Baier nicht diese Struktur, sondern stattdessen die analytische Methode 1 4 3 als Rekonstruktionsprinzip bestimmt. Auch im Zusammenhang der Reflexion auf die Funktion und Methode der theologischen Disziplinen bieten die altprotestantischen Theologen keine konkrete Bestimmung der systematischen Verfahrensweise. Calixt hatte in seinem Apparatus zwar bereits der akademischen oder scholastischen Theologie die Aufgabe der vollständigen und exakten Darstellung des theologischen Stoffs erteilt, aber weder von der systematischen Verfahrensweise noch v o m Kriterium der Kohärenz gesprochen. Demgegenüber ist bei Quenstedt ein wichtiger Fortschritt darin zu sehen, daß die thetische Theologie ausdrücklich als systematische bezeichnet wird, die die Loci in geordneter Weise darstellen soll. 1 4 4 D o c h auch Quenstedt definiert das systematische Verfahren nicht als die Methode der thetischen Theologie. Dieser Schritt wurde gerade darum nicht als nötig erkannt, weil man durch die analytische Methode die Frage nach der Ordnung der Glaubensartikel beantwortet fand.

139 Baier, C o m p e n d i u m , P , l , 2 9 , 30: "Articuli fidei fundamentales sunt, qui talem habitudinem ad f u n d a m e n t u m fidei et salutis i m p o r t a n t , ut eo salvo ignorari aut saltem negari n o n possint." 140 Vgl. z.B. K ö n i g , T h e o l o g i a positiva-acroamatica, § 143: " F o r m a est arctissima ac necessaria h o r u m a r t i c u l o r u m , t u m inter sese, t u m c u m f u n d a m e n t o fidei, cohaesio." (Zitiert nach R a t s c h o w , D o g m a t i k 1, 142, vgl. auch 144.) Siehe dazu Preus, T h e o l o g y 1, 146. 141 Baier, C o m p e n d i u m Ρ,1,27, 29a: "Articuli fidei dicuntur, quia ex illis, t a n q u a m partibus, arcto nexu cohaerentibus, constat fides, seu doctrina fidei, quae credenda est". D e r G l a u b e w i r d in diesem Z u s a m m e n h a n g allerdings nur als fides qme betrachtet. D a h e r trifft die K r i t i k v o n Keller-Hüschemenger, a a O . , 165 an H ü l s e m a n n s K o n z e p t i o n dieses Lehrstücks, der "in den Glaubensartikeln Gegenstände des Glaubens sieht und nicht Zeugnisse des G l a u b e n s " , auch Baier. 142 Vgl. Baier, C o m p e n d i u m Ρ,1,25.26.29, 27-30 und z u m Theologiebegriff P , l , 3 8 , 41f.: "Definiri potest theologia, q u o d sit scientia practica, docens, confirmans ac defendens ex divina revelatione ea o m n i a , quae h o m i n i peccatori, c u m ad fidem in C h r i s t u m cognitu, t u m ad vitae s a n c t i m o n i a m factu sunt necessaria, consequendae a DEO et in DEO beatitudinis aeternae causa." 143 Siehe Baier, C o m p e n d i u m Ρ,1,39, 42: "Partes theologiae revelatae juxta o r d i n e m analyticum collocandae sunt, ut p r i m o tractentur, quae ad fidem, deinde quae ad subjectum operationis, denique quae ad causas et m e d i a pertinent." 144 Q u e n s t e d t , S y s t e m a 1,1/1,21, 13f.: die didaktische T h e o l o g i e i m strengen Sinne, "quae & Systematica ac Thetica seu Positiva appellatur, est, quae locos c o m m u n e s T h e o l o g i c o s ordine p r o p o n i t , & perspicue exponit, d o g m a t a fidei exacte definit & dividit, eaque ex sede fundamental!, q u a m in S. Scriptura habent, deducit Sc demonstrat." Vgl. zu den älteren Definitionen der A u f g a b e der thetischen T h e o l o g i e in der altlutherischen T h e o l o g i e Preus, T h e o l o g y 1, 146.224f.

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A m nächsten k o m m t der Bestimmung der D o g m a t i k als systematischer Theologie Pfaff in seinen 'Institutiones theologiae dogmaticae & moralis'. 1 4 5 D e n n er bestimmt wie Buddeus das dogmatische System als Darstellung aller für den Glauben notwendigen Inhalte in einer ihnen angemessenen Ordnung. Allerdings versteht Pfaff im Unterschied zu Buddeus unter der dogmatischen Theologie sowohl den theoretischen Teil als auch den praktischen, der sich mit den agenda befaßt. 1 4 6 Außerdem fehlt ausgerechnet in seiner Einleitung in die Theologie und ihre Disziplinen eine präzise Angabe der Bedingungen, unter denen die dogmatische Theologie ihre systematische Funktion wahrnehmen kann. Demenstprechend findet man auch bei Pfaff noch keine Kritik an der analytischen Methode. Es ist daher fraglich, ob Pfaff in der gleichen Schärfe wie Buddeus die Notwendigkeit der D o g m a t i k als theologischer Disziplin erkannt hat, oder ob er nicht vielleicht eher Buddeus' Bestimmung der D o g m a t i k , die aus dessen Vorlesungen bekannt war, für seine Einleitung übernommen hat. Im Unterschied zu Pfaff erkennt Buddeus, daß die Definition der Dogmatik durch die Kriterien der systematischen Verfahrensweise eine Konkurrenz für die analytische Methode bedeuten muß. Soll die D o g m a t i k die christliche Lehre systematisch, also vollständig und kohärent zur Darstellung bringen, so kann sie den Glaubenssätzen der Schrift nicht einfach einen Ort im analytischen Schema anweisen, sondern muß vielmehr umgekehrt die Verknüpfung und Verortung der einzelnen Glaubensaussagen durch deren systematische Rekonstruktion selbst finden. D a s bedeutet, daß die dogmatische Lehre als Disziplin innerhalb der theologischen Ausbildung nicht von der systematischen Forschung abgekoppelt werden kann, wie Calixt das einst angestrebt hatte, sondern daß die Forschung in und durch die Rekonstruktion der theologischen Lehre stattfinden muß. Mit diesem Verständnis der akademischen Aufgabe ist bei Buddeus die alte katechetische Theologie jedoch nicht etwa verabschiedet. Buddeus hat vielmehr selbst eine - von seinem Schwiegersohn Johann Georg Walch mit Ergänzungen herausgegebene - umfangreiche katechetische Theologie konzipiert, die gewissermaßen als Ergebnis seiner dogmatischen Arbeit gelten kann. Sie ist allerdings nicht als Teil der theologischen Ausbildung, sondern als Erklärung der zentralen Inhalte der christlichen Religion für gebildete Laien gedacht, die sich demenstprechend auf die Auslegung der von Luther in den Kleinen Ka-

145 Vgl. z.B. Pfaff, Institutiones P,2,4, 23f: "Häc vero ratione si omnem Theologiam peragraverimus, nullus erit articulus scitu necessarius, qui nos fugiat vel in systemate hoc nostro deficiat rerumque ea, uti speramus, dabitur catena, quae continuo aptoque nexu ubique cohaereat & coadunata sit. Q u o d dum ponimus, de articulis fidei hujusque analogia, argumento uti nobilissimo, ita plane difficili atque arduo pauca quaedam hie nobis monenda veniunt." 146 Siehe hierzu in der Introductio die Uberschrift zum zweiten Buch: "de theologia dogmatica tarn theoretica quam morali" (189).

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techismus aufgenommenen Kernbestände des christlichen Glaubens konzentriert. Bevor im folgenden den theologischen Grundlagen des Dogmatikverständnisses bei Buddeus nachgegangen wird, ist die hier rekonstruierte Ausbildung des Dogmatikbegriffs in vier Punkten zusammenzufassen: 1. Der Begriff der Dogmatik ersetzt bei Buddeus die Bezeichnungen der positiven, thetischen und didaktischen Theologie und wird mit der systematischen Methode verbunden. 2. Da auf diese Weise die bislang durch die positive oder katechetische Theologie wahrgenommene Aufgabe, die zentralen Glaubenssätze zu entwickeln, an die systematische Methode gebunden wird, kann im Begriff der Dogmatik nunmehr der Unterschied zwischen katechetisch exoterischer und systematisch-akroamatischer Theologie aufgehoben werden. 3. Durch die Integration der katechetischen Aufgabe in die akroamatische Theologie wird die systematisch-akroamatisch verfahrende Dogmatik ihrerseits wieder stärker auf das praktische Ziel der Theologie bezogen. 4. Indem der Dogmatik die systematische Verfahrensweise zugeordnet wird, kann sie schließlich auch das apologetische Interesse der Theologie wahrnehmen. In welcher Weise das der Fall ist, wird der nächste Abschnitt zeigen.

3. Die Aufgabe der dogmatischen Theologie Der Sinn der Bestimmung der Dogmatik als systematische Theologie wird erst deutlich, wenn man sie im Zusammenhang der spezifischen Aufgabe der Dogmatik betrachtet. Die Dogmatik soll nach Buddeus zwar das katechetische Moment integrieren, doch sie unterscheidet sich von der katechetischen Theologie prägnant durch das Ziel der Verteidigung und darin zu erreichenden Vergewisserung des christlichen Glaubens. 147 Denn sie hat nach Buddeus im Unterschied zur Katechetik die Glaubensartikel nicht nur zu bestimmen, sondern zu erklären und zu beweisen. 148 Darin geht es ihr nicht wie der Polemik um die Auseinandersetzung mit einzelnen aktuellen Streitfragen 149 ,

147 Daher gelten Buddeus insbesondere die Kompendien als systematisch-theologische Werke, in denen "non tantum doctrinae sacrae Veritas adstruitur, sed & dissentium errores refutantur" (Is 11,1,2, 338b). 148 Is 11,1,1, 336: "... perspicue explicat, & solide demonstrat." In Bezug auf die systematische Theologie heißt es Is 11,1,2, 338b: "neque exhibeat modo, sed & explicet, probet atque confirmet". 149 Die Dogmatik ist jedoch insofern die notwendige Voraussetzung der Polemik, als sie die möglichen Extrempositionen abstrakt bestimmt, in die die Theologie nicht verfallen darf. In den 'Institutiones theologiae dogmaticae' widmet Buddeus jeweils den vorletzten Paragraphen eines Kapitels diesen Extremen.

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sondern um die Demonstration der Wahrheit der christlichen Religion als solcher. a) Der Wahrheitsbegriff der theologischen Wissenschaft Für das Verständnis der Aufgabe und Bedeutung der systematischen Theologie bei Buddeus ist ihre Bestimmung als Wissenschaft entscheidend. In der altprotestantischen Orthodoxie war dies keine Selbstverständlichkeit.150 So kennzeichnete der Begründer der Jenaer Schule Johann Gerhard die Theologie noch als Weisheit. Gleichzeitig bahnte er aber den Weg für die Deutung der Theologie als praktischer Wissenschaft im aristotelischen Sinne, indem er verstärkt auf den praktischen Charakter der Theologie hinwies. 151 Mit Gerhard verzichteten auch die Vertreter der wittenbergischen Hochorthodoxie König 152 und Quenstedt 153 auf die Kennzeichnung der Theologie als Wissenschaft, obwohl sie im Gefolge von Georg Calixt die Theologie durch die analytische Methode der praktischen Wissenschaften zur Darstellung brachten. Dagegen wurde gerade in der an Johann Gerhard sonst stark anschließenden Jenaer Schule bei Musäus 154 und Baier 155 die Wissenschaftlichkeit der Theologie besonders hervorgehoben. Musäus zog damit die Konsequenz aus der Anwendung der analytischen Methode, die ja die Charakterisierung der Theologie als einer praktischen Wissenschaft erlaubte und nahelegte. Bei der Anwendung der analytischen Methode ging es ihm allerdings nicht primär um die Etikette der Wissenschaftlichkeit, sondern darum, die im jeweiligen Erkenntnisprinzip der Theologie begründete relative Selbstän150 Das geht u.a. hervor aus der Darstellung von Ratschow, Dogmatik 1, 34-37.42. Zum Ursprung des Wissenschaftsanspruchs der Theologie vgl. Pannenberg, Wissenschaftstheorie, 1118, bes. A.19. 151 Siehe Ratschow, aaO., 35 und Pannenberg, Wissenschaftstheorie, 230-240; ferner Hornig, Lehre, 82f. 152 Vgl. Ratschow, aaO., 42. 153 Quenstedt, Systema, 1,1/1,28-30, 16 unterscheidet zwei Aspekte des Verständnisses der 'vox theologiae'. Essentialiter, absolute und habitualiter handele es sich bei der Theologie um die notitia als einem von Gott gegebenen Habitus der Seele bzw. des Intellekts, der durch das göttliche Wort konstituiert werde und vermittels der wahren Religion den Sünder zum Heil führe (aaO., 1,1/1,28.30, 16). Verstehe man dagegen die Theologie acciäentaliter, relate und systematice bzw. abstractive, dann bezeichne das Wort die durch Offenbarung vermittelte doctrina (aaO., 1,1/1,29, 16). 154 Musäus, Introductio, 1,1,1, 1: "Theologia ... ex usu loquendi autem est quaedam de Deo divinisque rebus scientia, vel certe habitus, scientiae analogus." Die oben genannte Unterscheidung Quenstedts zwischen der Theologie als habitus und als scientia wird dabei so integriert, daß die Theologie aufgrund ihres habitus als Wissenschaft zu bezeichnen ist. Aufgrund ihres offenbarten Inhalts verdient sie allerdings diese Bezeichnung nicht "proprie & in rigore", sondern nur in analogem Sinne, d.h. ihr habitus ist dem der Wissenschaft analog (1,1, 2). Vgl. auch Ratschow, aaO., 42. 155 Baier, Compendium, Ρ,1,15, 19f.: "Est autem habitus ... theologiae revelatae scientia ..., si non ... in rigore sic dicta, saltem in significatu laxiore ...: et quidem scientia practica." Die Erläuterungen Baiers zeigen deutlich die Abhängigkeit von Musäus.

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digkeit der natürlichen und der offenbarten Theologie analytisch zu demonstrieren. Den Ansatz von Musäus weiterführend bestimmt Buddeus die Theologie nicht nur in analogem Sinne, sondern als solche als Wissenschaft von den göttlichen Dingen. 1 5 6 Doch in der Einsicht, daß man nicht einerseits die Selbstevidenz der Offenbarung behaupten und sie doch andererseits nach ihr fremden Kriterien als Wissenschaft ausweisen könne, interpretiert er den wissenschaftlichen Charakter der Theologie nicht mehr wie Musäus in dem von ihm als problematisch empfundenen aristotelischen Sinne 157 , sondern begründet die Wissenschaftlichkeit der Theologie aus den durch ihr Erkenntnisprinzip selbst gesetzten Kriterien: der Theologie gebührt die Bezeichnung als Wissenschaft dann und insofern, als sie der Eigentümlichkeit der in der Schrift enthaltenen Heilsoffenbarung entspricht und sie ihre Erkenntnis daraufhin als wahr, gewiß, lebendig und wirksam darzustellen vermag. 158 Dieses Verständnis des wissenschaftlichen Charakters der Theologie hat gegenüber der älteren Jenaer Tradition den theologischen Vorzug, daß dem Gedanken der Abhängigkeit der Theologie von der Offenbarung Gottes als ihrem Erkenntnisgrund 1 5 9 entsprochen und die Wissenschaftlichkeit der Theologie aus den ihrer Sache selbst eigentümlichen Kriterien bemessen wird. Auf diese Weise läßt sich auch der systematische Charakter der theologischen Lehre besser wahren. Mit Buddeus' Deutung der Wissenschaftlichkeit der Theologie ist daher nicht einfach, wie Ratschow urteilt, "das Ende der Fragestellung" 160 markiert. Denn dabei wird verkannt, daß Buddeus ein damals neues Verständnis der Theologie als Wissenschaft zur Diskussion gestellt hat. Wenn dieses in der Aufklärungstheologie dennoch nicht weiter verfolgt worden ist, so darum, weil sich diese vor die brennendere Frage nach der Bedeutung der traditionellen Dogmenbestände gestellt sah.

156 ID 1,1,38, 68: "Est itaque theologia, si non tarn vocem, quam rem ipsam spectes, scientia rerum divinarum, homini peccatori ad salutem consequendam congnitu necessariarum, prout ex scriptura sacra nobis constant, cum facultate eas iterum alios docendi, confirmandi, atque defendendi coniuncta." Vgl. ID 1,1,40, 71. 157 ID 1,1,40, 71: "Qui enim ex philosophia, praesertim Aristotelica, vocis huius significationem hauriunt, flexus & anfractus sibi ipsis disponunt, ex quibus non sine difficultate quadam se expediant. Omnes facile evitamus ambages, si scripturae sacrae insistamus vestigiis." 158 ID 1,1,40, 71: "Scientiam dum eam vocamus, vocem ita accipimus, prout in scriptura sacra accipi solet, ut cognitionem denotet verum, certam Si vivam, seu efficacem." 159 Da das Erkenntnisprinzip der Theologie die in der Schrift enthaltene Offenbarung Gottes ist, und dort "clare enim & perspicue Deus, quae ad salutem sunt necessaria, revelavit", muß doch letztlich Gott selbst als Urheber der wahren theologischen Erkenntnis gelten, vgl. ID 1,1,41, 71 A . l . 160 Ratschow, aaO., 42 A.6.

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U n t e r den von Buddeus angegebenen Kriterien für die Wissenschaftlichkeit der Theologie ist das Kriterium der Wahrheit das grundlegendste. 161 Denn erst unter der Voraussetzung der Wahrheit der theologischen Lehre kann die Theologie auch den anderen, von Buddeus genannten Kriterien der Wissenschaftlichkeit, nämlich der Gewißheit, Lebendigkeit und Wirksamkeit ihres Stoffes entsprechen. Anders als in der Instrumentalphilosophie, w o Buddeus nach der Bedingung der Möglichkeit wahrer Erkenntnis gefragt hatte 1 6 2 , klärt er das Wahrheitsverständnis im Zusammenhang der Bestimmung der Theologie als Wissenschaft durch die Benennung der objektiven Wahrheitsbedingungen der theologischen Lehre. 1 6 3 Die objektive Wahrheit der theologischen Lehre sieht er im Falle der Ubereinstimmung der in der Lehre begrifflich rekonstruierten Heilsordnung mit den in der Schrift offenbarten Inhalten gegeben. 1 6 4 Als Wahrheitskriterium gilt mithin nicht einfach die Schrift als Schrift, sondern die Schrift, insofern sie die Offenbarungstatsachen der christlichen Religion enthält. Indem die Schrift selbst durch ihren spezifischen Inhalt die Uberzeugung von ihrer Wahrheit konstituiert - wie Buddeus im Einvernehmen mit der reformatorischen Tradition annimmt -, ist sie durch sich selbst evident. 1 6 5 Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Schrift die entsprechende Erkenntnis durch ihren offenbaren Inhalt setzt, kann der Vollzug theologischen Erkennens nicht als voraussetzungslose oder rein natürliche Erkenntnistätigkeit 1 6 6 gelten, sondern impliziert, daß das Subjekt des Theologen durch die Schrift so affiziert ist, daß er der Wahrheit der christlichen Lehre zustimmt.

161 Vgl. ID 1,1,40.41, 71. Der in der Theologie maßgebliche Wahrheitsbegriff wird direkt im Anschluß an die Bestimmung der Theologie als Wissenschaft erörtert. 162 In der Instrumentalphilosophie behandelt Buddeus das Wahrheitsverständnis nur in formaler Hinsicht unter dem Thema "De ratione inveniendi verum", vgl. E P I I , lOlff. 163 Buddeus unterscheidet zwar zwischen objektiver und subjektiver Wahrheit und erblickt ID 1,1,41, 72 in der 'Veritas subiective spectata, seu sincerum virtutis Studium, quod in illis, qui fide vera cum Christo coniuncti sunt", ein von der objektiv betrachteten Wahrheit nicht gänzlich zu trennendes Moment. Sie ist jedoch als eine Folge der objektiven Wahrheit zu betrachten, die zum Heil nichts beiträgt: "Etenim, nisi Veritas hoc modo accepta, ad priorem, seu cognitionem veram accedat, haec parum prodest, nec salutaris, adeoque secundum loquendi rationem scnpturae sacrae propriam, minus genuina censetur". (Ebd.) 164 ID 1,1,41, Α.2, 71f.: "Sermo ... hie nobis est de veritate objective, ut loqui solent, spectata: quae in adcurata & plena, qua omnes fidei articulos, totumque salutis ordinem, nostrorum conceptuum, dum rebus in scriptura sacra revelatis, iuxta genuinam spiritus sancti mentem, convenientia ..." 165 Vgl. ID 1,1,41, Α.2, 72: "... atque adsensu, ex scripturae sacrae, dogmata haecce proponentis, evidentia orto, consistit." 166 Damit eine solche Erkenntnis und die dazugehörige Uberzeugung von dieser Erkenntnis zustande kommt, bedarf es nach Buddeus ausdrücklich der Tätigkeit des Heiligen Geistes, die jedoch vom göttlichen Wort und seinem legitimen Gebrauch nicht zu trennen ist, so ID 1,1,41, A.2, 72: "Ad hanc autem spiritus sancti operatio quaedam, a verbo divino tarnen, eiusque legitimo usu neutiquam separanda, accedat necesse est, ut non tantum eam recte & plene cognoscamus, sed rite etiam de ea convincamur."

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Dementsprechend wird in Buddeus' Beschreibung der Theologie dem Subjekt der Theologie eindeutig mehr Aufmerksamkeit zuteil 1 6 7 als in der altprotestantischen Orthodoxie. E r macht nämlich die Uberzeugung geltend, daß der Theologe ohne den Glauben seine Aufgabe der adäquaten Erklärung und soliden Verteidigung der Offenbarung 1 6 8 nicht wahrzunehmen vermag. 1 6 9 T r o t z der äußerlichen Ähnlichkeit zu pietistischen Positionen ist aber das Interesse, in dem diese Forderung nach subjektiver Überzeugung des Theologen v o n der durch ihn zu vertretenden Sache von Buddeus erhoben wird, ein anderes als im Pietismus. Denn Buddeus geht es nicht darum, den Theologen als Vorbild der Frömmigkeit darzustellen. 1 7 0 Da er sich durch gegen den zeitgenössischen Atheismus und Naturalismus bzw. Deismus mit der Notwendigkeit der Verteidigung der christlichen Religion konfrontiert sieht, liegt ihm nichts ferner als eine Begründung dieser Wahrheit unter Hinweis auf die subjektive Überzeugung des Theologen. Dies ist sicherlich ein entscheidender Grund dafür, daß er sich, obwohl ihm der Pietismus als Gegenpol gegen die religionskritischen Einflüsse sympathisch ist, nicht dort eingereiht wissen will. 1 7 1 Seine Betonung der Notwendigkeit des Glaubens für den Theologen gründet vielmehr in der Überlegung, daß die theologische Aufgabe der Explikation und Verteidigung der christlichen Lehre gar nicht anders als unter der Bedingung der im Glauben gegebenen Einsicht in die Notwendigkeit und Wahrheit der christlichen Religion angemessen wahrgenommen werden kann. Man wird daher die A n t w o r t auf die Frage, ob Buddeus den Glauben zurecht als Voraussetzung der Theologie 167 Vgl. zur "Einführung des Theologen als Subjekt der Theologie in den Theologiebegriff" Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 46f. und Ratschow, Dogmatik 1, 37.56f. 168 I D 1,1,48, 83: "Nec tarnen quaelibet rerum divinarum cognitio statim theologum efficit. Quin immo talis requiritur, quae cum facultate, res divinas iterum alios docendi, atque eas confirmandi, ac contra dissentientium insultus defendendi, sit coniuncta." 169 ID 1,1,48, 83 A . l : "Fides sine ista facultate docendi, aliosque erudiendi, quae ad theologiam requiritur, esse potest; sed habitus ille docendi, & alios in rebus divinis erudiendi, absque fide spectatus, si adcurate, &L ad ductum sacrarum litterarum loqui velis, non nisi improprie theologia vocatur. Theologia enim fidem includit, adeoque äi eiusmodi cognitionem, quae fidei est, & qualem hactenus descripsimus, connotat". Vgl. hingegen die zurückhaltendere Formulierung bei Quenstedt, Systema 1,1/2,3, 22f., für den aber die theologische Lehre auch auf einem gottgegebenen Habitus beruht. Buddeus identifiziert diesen Wahrheitsbegriff im folgenden mit dem griechischen Begriff der orthodoxia und verfolgt dessen Geschichte in der Alten Kirche bei lustin, Theodoret und Johannes Damascenus. Orthodoxie im wahren Sinne sei nichts anderes als die von Gott geoffenbarte doctrina selbst, wie sie in der Schrift überliefert ist. Dabei sei die orthodoxia nicht dem Bemühen um ein geheiligtes Leben entgegengesetzt, weil die Erkenntnis der Wahrheit zu diesem Bemühen führe. Es sei aber auch offenkundig, daß die orthodoxia, sofern sie als habitus oder facultas zur Erkenntnis, Explikation und Verteidigung der Offenbarungstatsachen der Schrift verstanden wird, mit der Theologie selbst übereinstimmt, siehe I D 1,1,41, Α.2, 73. 170 So auch Ritsehl, Geschichte des Pietismus 2, 390: "Er denkt den Theologen nicht als Musterchristen, sondern als den, welcher mit der Erkenntnis der Offenbarung aus dem Glauben die Fertigkeit ihrer Darstellung und Begründung verbindet." 171 Vgl. dazu Stolzenburg, 245ff., bes. 254.257: "Sich selbst als Pietisten zu bezeichnen, hat Buddeus stets abgelehnt."

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bestimmt, davon abhängig machen, was in diesem Kontext unter Glaube zu verstehen ist. In seiner Behandlung des Glaubensbegriffs unterscheidet Buddeus als Momente des Glaubens die Erkenntnis der heilsnotwendigen Inhalte, die allgemeine Zustimmung und die individuelle Aneignung derselben und schließlich als Kennzeichen des wahren Glaubens das Vertrauen. 172 In dieser Differenzierung liegt die Möglichkeit, die subjektive Konstitutionsbedingung der Theologie nicht durch den Glauben im Vollsinn denken zu müssen. Man wird hingegen nicht bestreiten können, daß die beiden zuerst genannten Momente in der Tat Bedingung der Möglichkeit für die Explikation der theologischen Lehre sind. Denn die Erkenntnis des zentralen Schriftinhalts ermöglicht die Darstellung der Lehre, zu der die allgemeine Zustimmung insofern hinzutreten muß, als eine Erkenntnis, die nicht bejaht wird, nicht zu verteidigen ist. Die individuelle Aneignung und das Vertrauen sind hingegen schon wegen der immer möglichen Anfechtung nicht als permanente Konstitutionsbedingung theologischen Lehrens anzusetzen. 173 Soll nun allerdings der zentrale Schriftinhalt als der notwendige Inhalt des Glaubens objektiv bestimmt werden können, so bedarf es, da Schrift und Offenbarung nicht identisch sind, eines Kriteriums, das besagt, mit welchem zentralen Inhalt die Lehre konform gehen soll. Buddeus entwickelt dieses im Rückgang auf das exegetische Auslegungsprinzip der Glaubensanalogie. b) Das Analogieprinzip als Kriterium dogmatischer Aussagen Für die Entfaltung der theologischen Lehre erklärt Buddeus ein solches Verständnis der Schrift als Voraussetzung, das sich unter Einsatz hermeneutischer Mittel auch die sogenannten dunklen Stellen 174 zu erschließen vermag. Zur näheren Bestimmung dieser Mittel unterscheidet er zwischen allgemein philosophischen hermeneutischen Regeln und solchen, die speziell der Theo172 Siehe zum Glaubensbegriff ID IV,3,7, 1186 sowie Kap. 111,1 dieser Arbeit. 173 Baur, Salus, 111 hält die Differenzierung zwischen einem assensus generalis und einem assensus specialis zwar für eine "unnötige Aussage". Im Zusammenhang der hier diskutierten Frage, in welcher Weise der Glaube als subjektive Bedingung der Theologie zu gelten hat, läßt sie es jedoch zu, den Glauben nur im Sinne der generellen Zustimmung zur Erkenntnis der heilsnotwendigen Lehre als subjektive Bedingung der Theologie anzunehmen. Dafür, daß Buddeus den Glauben tatsächlich nur im Sinne des assensus generalis als Voraussetzung theologischer Lehre verstanden hat, spricht seine Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Erkenntnis der Wahrheit ID 1,1,41, Α.2, 71f. Für die objektive Erkenntnis der Wahrheit der theologischen Lehre setzt Buddeus die "nostrorum conceptuum, cum rebus in scriptura sacra revelatis ... convenentia" und den durch die Evidenz der Schrift begründeten assensus voraus. Im Unterschied dazu gilt die vera fides als Voraussetzung dafür, daß die objektive Erkenntnis auch heilsam ist. Denn erst die individuelle Zustimmung und das Vertrauen des Glaubens ermöglichen die sittliche Entsprechung des Subjekts zu der erkannten Wahrheit. 174 Vgl. zur Schriftauslegung ID 1,2,20, 154ff.; ID 1,2,23, 156; ID 1,2,21, 156.

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logie eignen175, und benennt wie die altprotestantische Tradition 176 unter Berufung auf Rom 12,6 als das theologische Verstehensprinzip die analogia fidei177. Man interpretierte Rom 12,6 im Sinne der von Luther in 'De servo arbitrio' geltend gemachten Uberzeugung, daß die dunklen Stellen der Schrift nach der Mitte der Schrift, also der in ihr zentral enthaltenen res178 hin auszulegen seien 179 . Als Bedingung der Möglichkeit solcher Schriftauslegung ist bereits die Annahme der Selbstevidenz der Schrift 180 , wonach die Schrift sich selbst auslegt, namhaft gemacht worden. 181 Soll die analogia fidei als durch die Schrift selbst bestimmtes Auslegungsprinzip gelten können, so muß exegetisch sichergestellt werden, daß sie in Rom 12,6 als solches verstanden ist. Daraus, daß eine auf unmittelbarer Offenbarung beruhende prophetische Verkündigung keiner Regeln bedürfe, Paulus jedoch in Rom 12,6 die prophetische Rede ausdrücklich unter die Regel der Ubereinstimmung 182 mit dem Glauben gestellt hat, schließt Buddeus, daß in Rom 12,6 die Gabe der Prophetie mit der Gabe der Schriftauslegung183 identisch ist. Dabei könne der Glaube nicht in subjektivem Sinne als

175 I D 1,2,21, 156 A.2. 176 Vgl. z u m Prinzip der analogia fidei bei C h e m n i t z u n d Johann Gerhard Preus, Theology 1, 97.141 und Ratschow, Dogmatik 1, 123-132. Nach Ratschow, aaO., 131 A.5 ändert sich die Situation nach J o h a n n Gerhard "insofern, als die Grundposition noch klarer auf die facultas scripturae se ipsam interpretandi bezogen wird, die analogia fidei aber m e h r in die Rolle der adminicula zurücktritt." Bei Buddeus I D 1,1,35, 64 und 1,2,30, 176, bes. 178 gewinnt die analogia fidei dagegen wieder grundlegendere Bedeutung. 177 I D 1,2,30, A . l , 178: "Atque haec cum ita sese habeant, non aliud interpretandi scripturam sacram principium constitui posse, facile intelligitur, quam quod ipse Paulus apostolus nobis commendat, analogiam scilicet fidei, Rom.XlIJ. Hocce vero nomine consensum quemdam atque harmoniam dogmatum, scitu credituque ad salutem necessanorum, quibus vera religio absolvitur ... Ipsa n i m i r u m ratio omnes condocet, non temere praesumendum esse, scriptorem aliquem contra doctrinae istius systema, quod amplexus est, aliquid proferre". Vgl. ID 1,1,35, 64. 178 Siehe Luther, De servo arbitrio, BoA III, 101,25ff. 179 Vgl. Luther, aaO., 100,34ff.: "Si u n o loco obscura sunt verba, at alio sunt clara. Eadem vero res, manifestissime toti m u n d o declarata, dicitur in scripturis t u m verbis claris, t u m adhuc latet verbis obscuris." 180 Siehe Luther, aaO., 142, llff.: "Nam id oportet apud Christianos esse imprimis ratum atque firmissimum, Scripturas sanctas esse lucem spiritualem, ipso sole longe clariorem, praesertim in iis quae pertinent ad salutem vel necessitatem." 181 Siehe zur genaueren Entwicklung des Gedankens in der altprotestantischen Theologie Ratschow, D o g m a t i k 1, 123.129-132 A.5. 182 Buddeus erläutert den Analogiebegriff in R o m 12,6 durch die Begriffe der Ubereinstimmung und der H a r m o n i e , I D 1,1,35, 64: "Analogiae vox, ut in mathematicorum scholis frequens est, ibique similitudinem rationum, qua numeri, ipsaeque magnitudines inter se comparantur, significat: ita ad doctrinam sacram adplicata, capitum atque articulorum, quibus religio christiana absolvitur, praesertim fundamentalium, consensum atque harmoniam denotat." Vgl. auch aaO., 65. Z u r Geschichte des Analogiebegriffs siehe den Artikel 'Analogie' von H . Schwarz in: H W P 1, 214-228. 183 ID 1,1,35, 64 A . l : "Per prophetiam nimirum non χ α ρ ι σ μ α vaticinandi, aut divinarum rerum revelationem, quae immediate a Deo proficiscitur, intelligit, sed d o n u m interpretandi sripturam: q u o pacto itidem ea vox I.Cor. XIV,6.1. Thessal. V,20;I.Tim. IV,14. alibique sumi-

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Akt gemeint sein, sondern in objektivem Sinne als Lehre, weil der Akt des Glaubens allererst durch die Lehre konstituiert werden müsse und mithin nicht zugleich als Norm der Lehre fungiere. 184 Für die Anwendung des Prinzips der Glaubensanalogie ist dann allerdings bereits ein Wissen über den normativen Inhalt des Glaubens vorauszusetzen. Dieses Wissen entsteht nach Buddeus aus der Verbindung der fundamentalen Glaubensartikel. 185 Das Kriterium der Glaubensanalogie wird mithin durch die Fundamentalartikel inhaltlich bestimmt. 186 Es stellt sich daher die Frage, wie die fundamentalen Glaubensartikel erkannt werden können bzw. wie sie von den nicht fundamentalen Glaubensaussagen zu unterscheiden sind. Der Beantwortung dieser Frage widmet Buddeus die Lehre von den Fundamentalartikeln. Es geht ihm somit nicht wie älteren Entwürfen dieses Lehrstücks darum, inhaltlich festzulegen, was fundamental zum Glauben gehört und was nicht, sondern darum, das Kriterium dieser Unterscheidung anzugeben und zu rechtfertigen. Denn da sich das wahre religiöse Verhältnis, auf das die offenbarte Religion zielt, nach Buddeus nur in der Erkenntnis des heilsnotwendigen Glaubensinhalts zu realisieren vermag, muß mit Bestimmtheit entschieden werden können, welche Glaubensartikel das religiöse Bewußtsein konstituieren und welche nicht. 187 Aus diesem Grund behandelt Buddeus die Lehre von den Fundamentalartikeln im Anschluß an die religionsgeschichtliche Betrachtung der offenbarten Religion, die in der christlichen Religion gipfelt 188 , weil durch Christus als den Mittler zwischen

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tur. Etenim in priori sensu earn vocem hie accipi n o n posse, vel inde patet, quod prophetis, ex instinctu & adfectu divino loquentibus, regulas praescribere necesse non sit." ID 1,1,35, 64f.: "Vocem ..., fides, non subiective, uti loqui solent, pro fide iustificante, sed obiective, pro doctrina fidei, hic ab apostolo sumi, vel inde intelligitur, quod fides priori m o d o spectata, per doctrinam fidei producatur, aut confirmetur, adeoque ipsius doctrinae n o r m a esse nequeat. Est enim doctrina posterior, ceu effectus eius; cum norma prior & notior eo esse debeat, quod ad eam exigitur." ID 1,1,35, 64: "Ex fundamentalium articulorum connexione analogia illa fidei oritur, quae in ipsa quoque scripturae interpretatione, iuxta apostoli effatum Rom. XII,6. utramque facit paginam". I D 1,1,35, 65: "Atque hinc, quid apostolus per α ν α λ ο γ ι α ν τ η σ π ί σ τ ε ω ς indicet, facile intelligitur. Nihil aliud scilicet, quam nexum, concentum & s u m m a m praecipuorum doctrinae sacrae capitum, seu articulorum fundamentalium, qui arctissimo inter se vinculo connexi, n o r m a m velut ac regulam constituant, ad quam cuncta exploranda sunt, atque exigenda." Siehe zur Einführung der Fundamentalartikel unter Bezug auf die christliche Religion ID 1,1,30, 53: " N o n etiam eiusdem, quibus religio christiana absolvitur, capita, ad salutem consequendam sunt necessitatis: quo intuitu articuli fidei fundamentales alii sunt, alii non fundamentales." Siehe dazu ebd. A . l : " N o n ergo de iis loquimur, quae ideo credenda sunt, quia divinitus sunt revelata, sed de iis, quae ad obtinendam salutem creditu sunt necessaria." Z u r Bestimmung u n d Unterscheidung der fundamentalen und nicht fundamentalen Glaubensartikel siehe ID 1,1,33.34, 60ff. Z u r Tradition vgl. Baier, C o m p e n d i u m P,l,29ff„ 30ff. Z u r besseren Übersicht sei hier kurz der Gedankengang des Kapitels über Religion und Theologie zusammengefaßt. A m Begriff der natürlichen Religion (§§ 1-14; vgl. zu dieser Untergliederung Reinhard, Prinzipienlehre, 40) demonstriert Buddeus die Notwendigkeit des durch die Mittlertätigkeit Christi offenbarten Heils und die Notwendigkeit der offenbarten Religion (§§ 15-18) als Bedingung der Möglichkeit des religiösen Vollzuges überhaupt (§§

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Gott und Mensch das wahre Verhältnis des Menschen zu Gott begründet und offenbart worden ist. Buddeus bestimmt daher die Versöhnung durch Christus als reales Fundament des Glaubens. Dieses ist in den fundamentalen Glaubensartikeln der Schrift zur Sprache gebracht, die darum als das dogmatische Fundament des Glaubens zu gelten haben. 189 Reales und dogmatisches Fundament des Glaubens lassen sich im Blick auf die jeweilige Zielbestimmung unterscheiden 190 : während das reale Fundament auf die Versöhnung des Menschen mit Gott zielt191, geht es im dogmatischen Fundament darum, Christus als den Retter der Menschen den Sterblichen so vorzustellen, daß sie ihn im Glauben ergreifen und darin das Heil erlangen können. 192 In dieser unterschiedlichen Zielbestimmung sind beide Fundamente des Glaubens wechselseitig aufeinander bezogen. Denn da das wahre religiöse Verhältnis nur unter der Bedingung individueller Aneignung des Heils im Glauben möglich ist, bedarf die Realisierung des Ziels des realen Fundaments der Vermittlung durch das dogmatische Fundament. Indem allerdings das reale Fundament durch die Mittlertätigkeit so begründet ist, daß es nicht nur den Glauben, sondern auch die Bedingung für die Hervorbrin-

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19-22). Zum Erweis der Universalität der göttlichen Offenbarung (§ 22) wird anschließend die Religionsgeschichte als Offenbarungsgeschichte rekonstruiert (§§ 22-28), die in Christus als dem Mittler ihre höchste Stufe erreicht, weil in ihm das Zentrum der offenbarten Religion, die Erlösung der Welt, Wirklichkeit geworden ist. Dieses Zentrum der offenbarten Religion bringen sodann die Glaubensartikel zur Sprache (§ 29), deren unterschiedlichen Charakter die Lehre von den Fundamentalartikeln würdigt (§§ 30-35). $ 36 wirft dabei einen kurzen Blick auf die von den Glaubensartikeln zu unterscheidenden agenda. Ab § 37 geht es um die Aufgabe des Theologen und den Begriff der Theologie (§§ 38-52), wobei die Aufteilung der Theologie in verschiedene Arbeitsbereiche und damit die Bestimmung der besonderen Aufgabe der systematischen Theologie erst ganz zuletzt (§ 52) vorgenommen wird. Die Unterscheidung und Zuordnung der beiden Fundamente des Glaubens zielt dabei auf die Ermöglichung der Unterscheidung zwischen fundamentalen und nicht fundamentalen Glaubensaussagen, vgl. ID 1,1,30, 53: "Quod ut eo rectius intelligatur [die Unterscheidung der Glaubensartikel; Vf.], haud perfunctorie observandum, fundamentum fidei vel reale esse, quod alii etiam substantiate vocant, vel dogmaticum. Illud aliud esse nequit, quam Iesus Christus, unicus ille Dei hominumque μεσίτης, I.Cor.III,Ii. Domgaticum autem est com· plexus eorum, quae de Christo, seu fundamento reali, scitu credituque necessaria, sacra scriptura tradit; Ephes.11,20." Vgl. ID 1,1,31, 55. ID 1,1,31, 55: "In utroque, tum reali, tum dogmatico fundamento ad finem praecipue respiciendum, inde ut diiudicari queat, quaenam ad illud, & qua ratione quodlibet, spectent." ID 1,1,31, 55: "Realis fundamenti finis proximus est reconciliatio hominum cum Deo, II.Cor.V,19. quod & vel ipsum nomen Iesus, servatorem redemtoremque significans, indicat, quod a peccatis homines esset liberaturus, Matth.1,21." ID 1,1,32, 56: "Dogmatici fundamenti finis praecipuus itidem eo tendit, ut Christus, hominum redemtor, mortalibus ita sistatur, ut ad eum vera fide amplectendum, & salutem veram aeternamque hac ratione consequendam adducantur, propositis simul omnibus iis, quae ad ordinem huncce salutis, cumprimis naturam, indolem, fructusque, ex quibus vera & genuina fides dignoscitur, pertinent".

gung des Glaubens erschließt 193 , ermöglicht es allererst die Realisierung des Zieles des dogmatischen Fundaments. U m nun das dogmatische Fundament der notwendigen Glaubensaussagen als Explikation des realen Fundaments bestimmen zu können, wird von Buddeus erneut das Analogieprinzip 194 zum Zuge gebracht. Denn aus der Analogie oder Ubereinstimmung des dogmatischen Fundaments mit dem realen lassen sich nach seinem Urteil die fundamentalen Glaubensartikel als Konstituenten des dogmatischen Fundaments erkennen. 195 Als Glaubensnorm der Schriftauslegung läßt Buddeus also nicht einfach das Glaubensbekenntnis gelten. Denn dieses sei nicht einmal mit dem Ziel, den gesamten heilsnotwendigen Glaubensinhalt zusammenzufassen, verfaßt worden. 196 Und außerdem zeige die Uneinigkeit in der Auslegung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, daß dieses nicht letzte Instanz der Schriftauslegung sein könne. Vielmehr müsse man nach dem benannten Kriterium der Analogie die Versöhnung durch Jesus Christus als Realfundament durch diejenigen Glaubensaussagen explizieren, die diesem Ziel entsprechen. Nur die Glaubenssätze, die zur Entfaltung dieses Ziels notwendig herangezogen werden müßten, gehören nach Buddeus zum dogmatischen Fundament. 1 9 7 Auf diese Weise wird nicht nur eine konfessionalistische, sondern vor allem auch eine biblizistische Form der Schriftauslegung unterbunden. Denn Buddeus hält es für unmöglich, nur das als fundamental anzuerkennen, was wörtlich in der Schrift nachzulesen bzw. dort ausdrücklich als heilsnotwendig markiert ist. 198 Statt der herkömmlichen Kriterien zur Bestimmung der Fundamentalartikel des Glaubens 1 9 9 schlägt Buddeus die Analogie zwischen dogmatischem 193 ID 1,1,31, 55: "Ad fundamentum itaque reale non tantum ipsa reconciliatio cum Deo, seu, quod perinde est, satisfactio Christi, eiusque meritum, sed ea quoque, quae ex parte hominum, ut divini istius beneficii participes fieri queant, necessario requiruntur, pertinent." 194 Siehe zum Analogiebegriff ID 1,1,30, 53 A.2 und ID 1,1,32, 56.58.59. 195 ID 1,1,30, 53 A.2: "Ex utroque itaque hocce fundamento, tum reali, tum dogmatico, simulque ex utriusque analogia, evidenter constat, discrimen aliquod inter credenda intercedere, ut quaedam fundamentalia sint, quaedam non fundamentalia." Den Analogiebegriff kann Buddeus in diesem Kontext mit dem griechischen Begriff σχεσις parallelisieren, siehe ID 1,1,32, 56: "Dogmaticum enim fundamentum, seu doctrina evangelii in scriptura sacra comprehensa, delineatio velut quaedam, atque adumbratio est fundamenti realis. Hinc ut utriusque semper observanda est analogia, ita, si de necessitate credendi ea, quae scriptura sacra proponit, quaeretur, semper ad σχεσιν, quam quodlibet dogma ad fundamentum reale habet, respiciendum est." 196 Vgl. die Anmerkung zu ID 1,1,32, 57f. 197 "Fundamentum nimirum reale, quod est Iesus Christus, eiusque finis proximus, seu reconciliatio hominum cum Deo, adcurate expendendus: & hinc porro, quae, ut finis hicce obtineri queat, necessaria sunt, diligenter considerandum, eaque demum ratione, iuxta analogiam fundamenti dogmatici & realis, de singulorum fidei capitum ad hocce fundamentum relatione, adeoque & ad salutem necessitate, pronuntiandum." (ID 1,1,32, 58) 198 ID 1,1,32, 56f. 199 Zu den Kriterien für die Bestimmung der Glaubensartikel bei Nikolaus Hunnius und den späteren Dogmatikern siehe Preus, aaO., 145. Keller-Hüschemenger, 163ff. zeigt, daß Hül-

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und realem Fundament des Glaubens vor. Diese ist bei ihm deutlich unterschieden von der analogia fidei, von der zu Beginn dieses Abschnitts die Rede war. 2 0 0 Denn während das Prinzip der analogia fidei die Auslegung der dunklen Stellen der Schrift nach ihrem zentralen Inhalt fordert, ermöglicht die Betrachtung der Schrift iuxta analogiam fundamenti realis ac dogmatici die Erkenntnis des heilsnotwendigen Glaubensinhalts und damit die Erhellung der auslegungsbedürftigen Stellen der Schrift. Soll darüber hinaus dem Ziel des dogmatischen Fundaments, also der Begründung der Glaubenseinsicht, entsprochen werden können, so ist nicht nur eine partielle, sondern eine vollständige Bestimmung der fundamentalen Glaubensartikel erforderlich. U m daher Einsicht in das dogmatische Fundament des Glaubens als Ganzes nehmen zu können, bedarf es der Rekonstruktion der glaubensnotwendigen Aussagen im dogmatischen System. Denn erst der Versuch, die Glaubensartikel in sinnvoller Verknüpfung zur Darstellung zu bringen, zeigt, welche Aussagen im Blick auf das Ziel des dogmatischen Fundaments notwendig sind. Dabei ist die Analogie zwischen realem und dogmatischem Fundament insofern Voraussetzung der systematischen Verfahrensweise 201 der Dogmasemann "die Bekenntnisse als 'Extrakte' aus den biblischen Büchern begreiflich machen will". 200 ID 1,1,32, 59: "Methodus nostra, qua utimur, ut definiamus, quinam articuli fundamentales aut non fundamentales sint, non ab analogia fidei, sed ab analogia seu comparatione fundamenti realis ac dogmatici, pendet." 201 Reinhard, aaO., 87 stellt dies erst bei Mosheim fest. Nach Reinhard "tut Mosheim" mit seinem Verständnis der Glaubensanalogie "einen Schritt ins Objektive über die früheren Dogmatiker hinaus. Ist uns bei diesen unter dem Namen der analogia fidei teils die Harmonie der Hauptgedanken der Schrift, teils das apostolische Symbol begegnet, so definiert sie Mosheim als den complexus arificialis articulorum fidei fundamentalium. In kunstloser Weise sind die Fundamentalsätze auch zum Apostolikum verbunden, das doch durch den Mangel an Ordnung und Zusammenhang ungeeignet ist, als N o r m zu dienen. Erst der systematische Charakter gibt der Glaubensanalogie ihren Wert; sie ist ein theologisches Gebilde, ein Auszug aus der Dogmatik und von dieser wohl dem Umfang, aber nicht der F o r m nach verschieden ... Gegenüber den Zweifeln an der Existenz dieses Gebildes sucht Mosheim sie nachzuweisen: es gibt Fundamentalartikel und die können verbunden werden, eine Argumentation, die freilich nur bis zur Möglichkeit, aber nicht zur Wirklichkeit der so verstandenen Glaubensanalogie heranreicht." Buddeus nennt zwar den dogmatischen Komplex der Glaubensartikel nicht artifiziell, aber daß die apta connexio allererst durch die systematische Darstellung der Glaubensartikel aufgezeigt werden kann, ist für ihn selbstverständlich (vgl. z.B. ID 1,1,52, 91). Wenn Reinhard bei Mosheim den Nachweis der Glaubensanalogie als theologisches Gebilde vermißt, so kann dies gegen Buddeus nicht eingewendet werden, weil die Glaubensanalogie als Kriterium seines in der Dogmatik vorgetragenen Systems fungiert. Reinhard schreibt weiter zu Mosheim, die Aufgabe der Glaubensanalogie sei es, " N o r m zu sein, ebensowohl der Schriftauslegung wie der methodischen Behandlung der theologischen Lehrsätze. Daraus ergibt sich diese Rangordnung der Prinzipien: die oberste Instanz und der Quell, aus dem der dogmatische Stoff zu schöpfen, ist die Schrift. Ihre Hauptsätze gestaltet der Theolog durch den technischen Gebrauch der Vernunft zweite, formale N o r m - zu einer Quintessenz der Lehre, zur Glaubensanalogie. Unter ihrer, der dritten N o r m , Leitung und Überwachung vollzieht sich die Exegese und der weitere Ausbau der Lehre zu einem System." Diese Sätze lesen sich wie eine Zusammenfassung der Auffassung von Buddeus. Auch wenn die oben dargestellten Überlegungen bei Mosheim programmatischer und nicht - wie bei Buddeus sehr häufig - in Anmerkungen vorgetragen

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tik, als anhand der Entsprechung der einzelnen Glaubensaussagen zum Ziel des realen Fundaments zu erkennen ist, was zum dogmatischen Fundament gehören kann. Buddeus gewinnt also innerhalb der Lehre von den Fundamentalartikeln nicht nur das Unterscheidungsprinzip der fundamentalen und nicht fundamentalen Glaubensartikel, sondern darin zugleich das Rekonstruktionsprinzip der Dogmatik. Mit der systematischen Darstellung der Glaubensartikel wird dabei selbst noch einmal der Struktur der in der Schrift enthaltenen göttlichen Wahrheit entsprochen. 202 Mit der Differenzierung des Glaubensfundamentes in reales und dogmatisches weichen Baier und Buddeus von der ursprünglichen Fassung der Fundamentalartikellehre ab, wie sie von Nikolaus Hunn begründet worden ist 2 0 3 . Dieser hatte neben realem und dogmatischem Fundament die Schrift als das organische Fundament des Glaubens bestimmt. 2 0 4 Im Verzicht auf die Benennung der Schrift als organisches Fundament spiegelt sich ein doppeltes. Zum einen ist das Interesse, die formale Autorität der Schrift als Schrift zu betonen, zurückgetreten. Zum anderen wird als Organ des Glaubens bei Buddeus die Vernunft angesehen. Da die Vernunft dennoch in keiner Weise als Auslegungsprinzip anzusehen ist, wie Buddeus gegen Sozinianer und Arminianer 2 0 5 betont, fällt die Bestimmung eines organischen Glaubensfundamentes aus. c) Notwendigkeit und Objektivität der Dogmatik Aus dem Prinzip der Analogie zwischen realem und dogmatischem Fundament folgt die Notwendigkeit der Dogmatik, weil über die Heilsnotwendigsind, gibt es doch inhaltlich zu dem von Reinhard im Blick auf Mosheim Gesagten höchstens insofern eine Differenz, als Buddeus - wie es scheint - sogar entschiedener als Mosheim den Begriff der Analogie einsetzt, um ein formales Kriterium für die Ausbildung des dogmatischen Systems zu benennen. 202 I D 1,2,30, 178: "Ipsa nimirum ratio omnes condocet, non temere praesumendum esse, scriptorem aliquem contra doctrinae istius systema, quod amplexus est, aliquid proferre: siquidem hoc fieri nequit, nisi aut secum ipse pugnet, aut nesciat plane, quid loquatur, quidve scribat, aut data opera veritatem supprimere velit." Schon bei der Interpretation platonisch gesinnter Schriftsteller habe man davon auszugehen, daß sie nicht ihren eigenen Grundsätzen widersprechen. U m s o mehr gelte dies für die biblischen Schriftsteller. O b w o h l sie als Menschen gegen Selbstwidersprüche nicht gewesen immun seien, müsse man doch wegen der Inspiration davon ausgehen, daß sie nichts schreiben konnten, "quod harmoniae & consensu! divinarum veritatum repugnaret. Quodsi quis dubitet, an eiusmodi harmonia atque systema divinarum veritatum detur, illi cogitandum, uno eodemque spiritu concitatos scriptores sacros ad scribendum accessisse; unum praeterea eumdemque omni tempore fuisse modum perveniendi ad salutem ... adeoque & unam veritatis doctrinam: sed omnia etiam doctrinae huius capita tarn indissolubili vinculo inter se coniuncta esse, ut, qui unum repudiat, non possit non & reliqua repudiare." 203 Vgl. Keller-Hüschemenger, lOOff.; Joest, Art. 'Fundamentalartikel' in: T R E 11, 727-732, bes. 729. 204 Keller-Hüschemenger, 101. 205 I D 1,2,30, A . l , 177.

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keit einer Glaubensaussage verbindlich nur im Entwurf des dogmatischen Systems geurteilt werden kann. Hierin scheint eine Differenz zum Theologieverständnis der Reformatoren zu liegen. Luther und Melanchthon sahen die Aufgabe des Theologen in der Schriftauslegung. Während Luther selbst gar keinen Ansatz zu einer systematischen Rekonstruktion des zentralen Schriftinhalts unternahm, leisteten zwar Melanchthons Loci eine Zusammenfassung der wesentlichen Glaubensaussagen. Doch gründete auch dieses Unternehmen nicht in einer ausdrücklichen Besinnung auf die Notwendigkeit solcher Lehre. Symptomatisch dafür ist, daß Melanchthon den Begriff der Theologie nicht verwendet hat. Dennoch muß die Bestimmung der Dogmatik als theologischer Disziplin bei Buddeus als Enstprechung zu dem von Luther in 'De servo arbitrio' vertretenen Anliegen verstanden werden. Indem Luther nämlich im Zuge der Verteidigung des Schriftprinzips gegen Erasmus die These der Klarheit der Schrift verfocht, propagierte er die Möglichkeit objektiver Erkenntnis des Schriftsinns. Damit ist jedoch nicht nur die Bedingung für die Verteidigung der Schrift gegen Fehldeutungen benannt. Aus Luthers These folgt auch, daß zur Verteidigung der Klarheit der Schrift theologische Schriftauslegung notwendig ist. Im Blick auf Luthers Konzeption stellt sich allerdings die Frage, ob mit dem Programm der Auslegung der dunklen Stellen der Schrift auf die Mitte der Schrift hin die Klarheit der Schrift wirklich objektiv erwiesen werden kann. Ist nicht die Bestimmung des zentralen Inhalts der Schrift, nach dem diese auszulegen ist, abhängig von der subjektiven Glaubensüberzeugung des Auslegers? Eben diese Frage stellt sich Buddeus im Zusammenhang seiner Bestimmung der Perspikuität der Schrift. 2 0 6 Den hier möglichen Einwand, das Interpretationsprinzip der Glaubensanalogie erlaube dem Exegeten faktisch die Auslegung gemäß subjektiver Vorurteile, lehnt er ab. 2 0 7 Denn wiewohl das, was der Glaubensanalogie nicht entspreche, auf keinen Fall wahr sein könne, sei doch das, was ihr entspreche, nicht allein wegen dieser vom Interpreten wahrgenommenen Ubereinstimmung wahr, sondern könne durch die hermeneutischen Regeln überprüft werden. 208 206 Dies ergibt sich daraus, daß Buddeus die These, daß das Prinzip der Schriftauslegung, nämlich die analogia fidei aus der Schrift selbst zu entnehmen sei, gegen den Einwand zirkulärer Argumentation verteidigt, siehe I D 1,2,30, 179: "Consensus autem iste, atque harmonia divinarum veritatum, quam analogiam fidei vocamus, non aliunde, quam ex scriptura est hauriendus. Quod ut rite fiat, in scripturae sacrae lectione diligenter ad ea attendendum, quae ad fidem, viamqüe adeo ad salutem perveniendi, pertinet. ... N o n itaque est, ut in circulum rem omnem abire quis existimet, quando scripturam secundum analogiam fidei interpretandum censemus, & analogiam fidei rursus ex scriptura hauriendam contendimus." 207 ID 1,2,30, A . l , 180: "Si quis autem opiniones, quas animo concepit, praeiudicatas analogiae fidei nomine designet, & tum iuxta eam, scripturam sacram interpretari, velit, eum in errore versari gravissimo, turpiterque falli, lubentes fatemur." 208 I D 1,2,30, A . l , 179f.: "... circa adplicationem huius principii observandum, per remotionem quidem rem recte procedere, si ita inferamus: hicce sensus analogiae fidei repugnat, ergo verus non est. At per adfirmationem non aeque procedit: non enim statim concludere licet:

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Zwar ist auch für Buddeus das entscheidende Prinzip der Schriftauslegung die Glaubensanalogie. Doch im Unterschied zu Luther bestimmt er die objektive Demonstration derselben als die Aufgabe der Dogmatik. Denn die Dogmatik rekonstruiert das dogmatische Fundament des Glaubens durch die systematische Verfahrensweise, indem sie nach der Analogie der Fundamente das, was zur Explikation des realen Fundaments der Versöhnung in Christus notwendig ist, vollständig und kohärent zur Darstellung bringt. Auf diese Weise kann das in der analogia fidei als Kriterium der Schriftauslegung beanspruchte Wissen um das Fundament des Glaubens konkret bestimmt und als objektives ausgewiesen werden. Die Objektivität des durch die Dogmatik rekonstruierten dogmatischen Fundaments liegt dabei in der systematischen Darstellung selbst. Denn nur unter der Bedingung der Vollständigkeit und Kohärenz ist die Korrespondenz des dogmatischen Fundaments mit dem in der Schrift thematischen realen Fundament des Glaubens möglich. Der Versuch der objektiven Bestimmung des dogmatischen Fundaments vollzieht sich dabei nach Kriterien, die ihrerseits durch das reale Fundament vermittelt sind. In der Schriftlehre sind die Affektionen der Suffizienz und Perspikuität als Affektionen des zentralen Schriftinhalts, der mit dem realen Fundament des Glaubens identisch ist, behauptet worden. Da sich in der Schrift die Konstitution des Heils vollständig und klar bestimmt findet, begründet sie die Affektion ihrer Suffizienz und Klarheit, die die Dogmatik in der systematischen Rekonstruktion des realen Fundaments durch das dogmatische Fundament zu verifizieren unternimmt. So kann die Entstehung der Dogmatik als die konsequente Folge der reformatorischen These der Selbstevidenz der Schrift begriffen werden. Damit stellt sich allerdings die Frage, ob in der Konzeption von Buddeus nicht eine gegenüber der altprotestantischen Orthodoxie sogar noch verschärfte Uberbietung des einfachen Glaubens durch die akkurate Erkenntnis der theologischen Lehre propagiert wird. Diesem Einwand begegnet der dogmatische Entwurf von Buddeus jedoch darin, daß das Subjekt des Theologen gerade durch seinen Glauben als vom Erkenntnisgrund abhängig bestimmt wird. In der Einsicht in die Abhängigkeit der theologischen Erkenntnis von der in der Schrift enthaltenen Offenbarung kann der Theologe das reale Fundament des Glaubens zwar dogmatisch, also vollständig und kohärent erschließen, aber nicht überbieten wollen.

hicce sensus analogiae fidei est conformis, ergo verus est; potest enim & alius sensus analogue fidei conformis esse. Adhibenda itaque & reliqua veri sensus criteria sunt, antea exposita; Si tum demum tuto inferre licet, huncce sensum, qui ex mediis hermeneuticis rite adhibitis resultat, & fidei insuper analogiae conformis est, verum & genuinum sensum esse."

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Überdies kann das dogmatische System selbst niemals als absolut und zeitlos gültig behauptet werden. 209 Von dem Absolutheitsanspruch, mit dem die altprotestantischen Systeme aufgetreten sind, läßt Buddeus nichts mehr spüren. Denn wiewohl die Wahrheit der in Christus offenbarten Versöhnung als Grund des Heils und mithin auch der Glaube als der Weg zum Heil unverändert gültig bleibt 210 , verändert sich doch die Situation der Kirche durch die sich ihr entgegenstellenden Auffassungen so, daß dies durch immer neue Vergewisserung des dogmatischen Fundaments zu verarbeiten ist. 211

4. Die Ablösung der analytischen Methode der Dogmatik Aus der Darstellung der Aufgabe und Methode der Dogmatik zeigte sich bereits, daß bei Buddeus an die Stelle der analytischen Methode die systematische Verfahrensweise tritt. 212 Die vermutlich von Bartholomäus Keckermann erstmalig in der Theologie angewendete analytische Methode 213 war durch Balthasar Mentzer und Georg Calixt in die lutherische Theologie eingeführt worden 2 1 4 , w o man in ihr, anders als in der reformierten Theologie 215 , einhellig 216 ein vorzügliches Instrument zur Gestaltung der Theologie als praktischer Wissenschaft 217 erblickte. Gemäß der analytischen Methode 209 Vgl. ID 1,1,32, 59: "Primo namque certum, non omnia omnibus esse f u n d a m e n t a l . Quod non ita capiendum, ac si fundamentum ipsum varium ac diversum sit; absit! sed quod pro diversa revelationis divinae mensura, quaedam certo tempore cognitu ad salutem necessaria sint, quae alio tempore non aeque necessaria fuere." 210 Siehe das Vorwort zu ID: "Una, sane, eademque semper est Veritas, uti unicus est modus, unicaque ratio, salutem consequendi." Vgl. auch ID 1,2,30, 178. 211 Vgl. Vorwort zu ID: "Sed ecclesiae diversa est facies, hostiumque, qui earn impugnant, doctrinamque caelestem aut corrumpere & depravare, aut obscurare, aut omnino opprimere conantur, magna varietas. Hisce ergo ut obviam eamus, ea subinde sequenda est dogmaticam quoque theologiam tractandi via, qua animi illorum, qui in hoc se dant studiorum genus, praemuniantur, ne hominum, prava quaevis & erronea consectantium, commentis abripiantur, aganturue in transvorsum." 212 Gegen Gaß, Geschichte der protestantischen Dogmatik Bd. 3, 152, der entgegen der kritischen Aussagen von Buddeus über die analytische Methode in der Isagoge behauptet, Buddeus habe "seinem Standpunkte gemäß ... der analytischen Methode folgen" müssen. 213 Vgl. Weber, Einfluß, 21. 214 So Weber, aaO., 26. Vgl. zur Geschichte der analytischen Methode dort 20-36. Siehe außerdem zu Calixt auch die Einleitung zur Epitome von 1619 von Inge Mager in Georg Calixt, Werke in Auswahl Bd. 2: Dogmatische Schriften, 42-49. 215 Weber, aaO., 41. 216 Vgl. Weber, Einfluß, 28: "Die analytische Methode ist die Methode der ausgebildeten lutherischen Orthodoxie. Hier herrscht bei allen sonstigen Differenzen in der Grundthese Ubereinstimmung zwischen den Führern der Wittenberger, der Jenaer und Helmstedter Richtung." 217 Vgl. zur analytischen Methode allgemein den Artikel 'Methode' in: H W P 5, 1304ff, bes. den Abschnitt von M. Lemoine zum Mittelalter, 1307-1309, von L. Oeing-Hanhoff zu Thomas von Aquin, 1309-1311, und von H . W . Arndt zu Renaissance und Neuzeit, 1311-1323; ferner

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hat die Theologie die Mittel 218 darzustellen, durch die der sündige Mensch als das Subjekt der Theologie das ihm bestimmte Ziel 219 des ewigen Lebens in der Gemeinschaft mit Gott erreichen kann. 220 Mit der Rekonstruktion der Theologie nach dieser der aristotelischen Philosophie entstammenden Methode wurde mithin der praktische Charakter der Theologie als Glaubenswissenschaft durch ein nicht schriftimmanentes Prinzip zur Geltung gebracht. Denn auch wenn, wie Dannhauer betont hatte, bei Paulus vom Heil als dem Ziel des Menschen und von der Rechtfertigung als Mittel desselben die Rede ist 221 , kann nach Buddeus die analytische Methode nicht einmal ihrem Grundgedanken nach auf Paulus oder die Verkündigung Jesu zurückgeführt werden. 222 Die von Buddeus formulierten Bedingungen der Wissenschaftlichkeit der Theologie implizieren vielmehr, daß die Methode der Dogmatik ihrem Inhalt entsprechen und die Reihenfolge der dogmatischen Darstellung daher aus der ihr eigenen Sache selbst resultieren muß. 223 Unter diesem Gesichtspunkt begrüßt Buddeus zwar die von Johannes Coccejus eingeführte Föderalmethode 224 , die die theologische Thematik durch die Unterscheidung des Werkbundes und des Gnadenbundes gewinnt und Alten und Neuen Bund als Abrogationen des Werkbundes 225 bestimmt. Doch könne diese Methode nicht zum alleinigen Schema der Dogmatik erhoben werden, weil sie zentrale Themen wie zum Beispiel die Dreieinigkeit Gottes nicht zu integrieren vermöge. In dieser Hinsicht sei die analytische

den Artikel 'Analyse/Synthese' in: HWP 1, 232-248, bes. 238-244 von L. Oeing-Hanhoff. Buddeus referiert das Vorgehen der analytischen Methode in Is 11,1,17, 427a so: "Praecipuum in ea est, quod ad modum disciplinarum practicarum theologia ita tractatur, ut primum de fine, tum obiectivo, tum formally praecipiatur, hmc de subiecto, & tandem de mediis, quibus finis obtineri possit." 218 In Entsprechung zu der Tatsache, daß die analytische Methode auf die Darstellung der Erreichung des gesetzten Zieles aus ist, fällt das Schwergewicht auf die Beschreibung der Mittel, siehe dazu Weber, Einfluß, 29.70. 219 Zu den Schwankungen vor allem in der Bestimmung des Ziels der Theologie siehe Weber, Einfluß, 28. 220 Nach Weber, Einfluß, 28 muß die Theologie zeigen, "wie das (ewige) Lebensziel (I) vom homo peccator, sed salvandus et beandus (II) durch die media salutis (III) erreicht werde." Vgl. Baier, Compendium, Ρ,1,39, 42, zur Zielbestimmung P,1,16-19, 21-23, zum Subjekt P,l,20, 24 und zu den Prinzipien und Mitteln des Heils P,1,21-24, 25ff. 221 Is 11,1,17, 427b. 222 Is 11,1,17, 427f.: "Nescio an omnes in hisce locis methodum analyticam sint deprehensuri; id certum, servatorem nostrum, pariter ac Paulum, de hacce methodo non cogitasse, multo minus regulas ab Aristotele praescriptas, sed ordinem, quem ipsa rerum consideratio suppeditabat, in loquendo atque scribendo sequutos esse." 223 Is 11,1,18, 435a: "Nexus ille partium, omniumque sacrae doctrinae capitum, quae scitu credituque ad salutem sunt necessaria, tum ex methodo, tum ex re ipsa oritur. Inter bonae namque methodi characteres haud ultimus est, si per earn cuncta rite, ordineque, quantum fieri potest, naturali inter se connectantur. Nobis vero de isto nexu, qui ex re ipsa oritur, praecipue sermo est." 224 Siehe Vorwort der ID und Is 11,1,17, 428ff„ bes. 430b. 225 Siehe dazu Schrenk, Gottesreich und Bund, 82ff. 81

Methode, obwohl auch sie bestimmte Fragen vernachlässige 226 , der Föderalmethode überlegen und müsse überhaupt unter den bekannten Methoden noch als die funktionstüchtigste gelten. Als Konstruktionsprinzip der Dogmatik könne sie jedoch nicht eingesetzt werden, weil sich durch die analytische Methode keine dem Inhalt vollkommen adäquate systematische Disposition des theologischen Stoffs erzielen lasse 227 , wie dies in besonders prägnanter Weise an der Prädestinationslehre deutlich werde. Denn obwohl die Prädestinationslehre der Sache nach am Ende des ordo salutis zu behandeln sei, verlange die analytische Methode ihre Verortung in der Darstellung der Prinzipien des Heils. 228 Noch schärfer richtet sich Buddeus' Kritik an der analytischen Methode auf die Verbindung mit der Kausalmethode, die innerhalb der einzelnen Lehrstücke des analytischen Systems angewendet wurde. Aufgrund dieser Verbindung der analytischen Methode und der Kausalmethode kennzeichnet er die analytische Methode als aristotelisch-scholastisch. 229 Zwar habe die Einführung der aristotelischen Philosophie zur Ausbildung der systematischen Theologie in der Scholastik entscheidend beigetragen 230 , doch sei 226 Is 11,1,17, 427b: "Sed sunt & alia sacrae doctrinae capita, quorum tractatio in theologia dogmatica est necessaria, de quibus, si tantum methodo analyticae insistere vellemus, nihil dicendum esset." Buddeus nennt zwar nicht die fehlenden Teile. Er meint aber wohl die Themen, die traditionell in den Prolegomena abgehandelt werden mußten, weil sie im analytischen Schema keinen Ort hatten, und die in seiner Dogmatik Bestandteil des Systems sind. 227 Is 11,1,17, 427a: "non omnia tarnen, quae in theologia dogmatica tradenda sunt, secundum hanc methodum rite disponi posse, res, puto, ipsa docet." 228 Vgl. zum sachlichen Grund einer von der analytischen Methode abweichenden Verortung Is 11,1,17, 427b: "Hinc rursus alii ad hocce incommodum evitandum, postquam omnia, quae ad universum ordinem salutis spectant, exposuerunt, tandem de praedestinatione praecipuunt, ex exsequutione concludentes, cuiusmodi sit divina praedestinatio. Recte quidem, si rem ipsam spectes; sed parum commode, si methodi analyticae habeas rationem." Siehe ausführlicher zur Prädestinationslehre von Buddeus unten Kap. IV,3,a-c. 229 Is 11,1,17, 427a. Da Buddeus keinen Unterschied zwischen der aristotelisch-scholastischen Methode, wie sie s.E. schon Thomas von Aquin und selbst Petrus Lombardus verwendet haben, und der analytischen Methode der altprotestantischen Theologie markiert, tadelt Weber, aaO., 70: "Es verrät eine ziemlich äußerliche Betrachtung, wenn Buddeus in der Methode wesentliche Ubereinstimmung zwischen den Führern der katholisch-mittelalterlichen und der neuen lutherischen Scholastik findet." Denn soweit tatsächlich im Gesamtaufriß eine Ubereinstimmung vorläge, sei dies nur darauf zurückzuführen, "daß die Wahrheit der analytischen Methode sich irgendwie auch bei synthetischem Verfahren geltend machen muß." (vgl. auch 52) Bei diesem Einwand wird jedoch die Ubereinstimmung im Kausalschema übersehen, auf das sich die Kritik von Buddeus in besonderem Maße richtet. 230 Is 11,1,9, 358a. Die Entstehung der systematischen Theologie steht nach Buddeus in engem Zusammenhang mit der Sammlung der Kirchenvätersentenzen. "Licet autem ab hisce sententiarum ex patrum scriptis collectionibus, non neglectis tarnen reliquis, quas antea indicavimus, caussis, prima theologiae systematicae, proprie sic dictae, repetenda sit origo, aut, si mavis, proxima occasio; pleniori tarnen facie in lucem prodiit simul cum theologia scholastica. Ab hac enim ilia quod praeeipuum est, & velut caput rei constituit, aeeepit." Gegen Jakobus und Christian Thomasius meint Buddeus allerdings weiter: "Recte quidem, sed adeuratius tarnen, ni fallor, secundem hactenus adlata, dici potest, ex sententiarum istis collectionibus, accedente philosophiae Aristotelicae usu, aut abusu potius, theologiam tum scholasticam, tum systematicam, proprie sic dictam, exortam esse." Wer der erste Autor der

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damit zugleich die Möglichkeit des Mißbrauchs der metaphysischen Terminologie eröffnet worden, die mehr zur Verdunkelung als zur klaren Bestimmung der theologischen Inhalte verholfen habe. Sie behindere außerdem durch unnötige Wiederholungen einzelner Lehrsätze die Systematizität der Lehre. Aufgrund dieser Mängel schade sie nicht nur dem Ansehen der Lehre, sondern sei auch nicht geeignet, die Funktion, welche der theologischen Lehre für die Bewahrung der Kirche zukomme, sinnvoll zu unterstützen. 231 Die Kritik an der analytischen Methode der Theologie wird bei Buddeus untermauert durch ein gegenüber der Schulphilosophie verändertes Methodenkonzept. In seiner Instrumentalphilosophie bestimmt er nämlich analytische und synthetische Methode als Modi wissenschaftlicher Wahrheitsfindung 232 : die analytische Methode habe dabei die Funktion, aus einer bestimmten bekannten Wahrheit Bestimmungen einzelner Dinge 233 zu analysieren, während die synthetische Methode vom Allgemeinen auf das besondere Einzelne schließe. 234 Die in der Schulphilosophie übliche Zuordnung der analytischen Methode zur praktischen Wissenschaft fällt hier aus. Ebenso wird die Beschränkung der synthetischen Methode auf die Lehre und der analytischen auf die Forschung abgelehnt. 235 Buddeus sieht also keinen strikten Gegensatz im Blick auf den Anwendungsbereich der beiden Methoden. 236 Wahrscheinlich ist sein Methodenverständnis geprägt durch die Position des Altdorfer Logikers Johann Christoph Sturm und des Jenaer Mathematikers und Philosophen Erhard Weigel, die auch auf Leibniz und Wolff starken Einfluß ausgeübt haben. 237 Ferner dürften Descartes und be-

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scholastischen Theologie ist, will Buddeus nicht entscheiden. Sicher ist ihm nur, daß man Mitte des ll.Jh.s begonnen hat, die aristotelische Philosophie nach der arabischen Methode an den Schulen zu lehren, Is 11,1,9, 358f. In der scholastischen Terminologie mache sich die Theologie lächerlich und gefährde außerdem den kirchlichen Frieden, siehe Is 11,1,17, 428a. Mit diesen Argumenten war Is 11,1,9, 357 schon die mittelalterliche Theologie kritisiert worden. EPI, 1,4,20, 165: "Accedat denique ad haec omnia, quae hactenus proposuimus ad errores evitandos, remedia, methodus certa, si quibusdam credimus, necesse est, in veritatis inquisitione adhibenda. Methodum autem dum commendamus, nec de methodo docendi, nec de methodo Studiorum universale, sed de methodo particulari inquirendi in certam, veritatem, hie sermonem esse, quilibet per se facile intelligit." Vgl. die Bestimmung der analytischen und synthetischen Methode EPI 1,4,21, 165. EPI 1,4,21, 165: "Analyticam vocant, qua ex veritate particulari nota ad alias ventates, quae pertinent ad rem aliquam singularem, progredimur. Ut cum ex proprietatibus auri, naturam ejus, causasque, investigamus." EPI 1,4,22, 165: "In synthetica autem methodo generates quasdam veritates proponimus, ex quibus veritates singulares deducamus." EPI 1,4,32, 169. Vgl. hierzu auch C.F. Gethmann, Artikel 'Methode, analytische/synthetische', in: H W P 5, 1334. Zu Sturms und Weigels Methodenverständnis und deren Einfluß auf Leibniz und Wolff siehe die Einführung in Christian Wolffs Gesammelte Werke, 1. Abteilung, Deutsche Schriften Bd. 1 von Hans Werner Arndt, 46f.

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sonders Hobbes im Hintergrund gestanden haben. Denn hier ist bei der Methodenfrage weder die Trennung der Methoden für Darstellung und Erforschung, noch die Unterscheidung der Methoden für theoretische und praktische Wissenschaften im Blick. 238 Insgesamt mißt Buddeus jedoch auch innerhalb der Philosophie - den genannten Erkenntnismethoden keine große Bedeutung bei. Denn man sei für die Einsicht in die Wahrheit oder die Erforschung derselben auf keine der beiden Methoden notwendig angewiesen, sofern die Gesetze logischer Schlußfolgerungen genau beachtet würden. 239 Nicht zuletzt unter Berücksichtigung dieses philosophischen Hintergrundes kann man die theologische Kritik an der analytischen Methode nicht wie Hans Emil Weber einfach mit der Bemerkung ablehnen, Buddeus habe "für die analytische Methode, in der die Orthodoxie mit Bewußtsein ihr Verständnis der Glaubenswissenschaft zum Ausdruck gebracht hat, kein Verständnis" mehr gehabt. 240 Denn gerade weil Buddeus wie die reformatorische und altprotestantische Tradition die Theologie als praktische Wissenschaft 241 realisiert wissen wollte, konnte er die aristotelisch-scholastische Methode nicht mehr als geeignetes Instrument der Gestaltung befürworten. Dementsprechend hat er auf die Kausalmethode in seiner Dogmatik ganz verzichtet und die traditionelle Distinktion der Ursachen nur noch anmerkungsweise referiert. Dem analytischen Darstellungsschema hingegen wird trotz der oben genannten Kritik faktisch insoweit entsprochen 242 , als dies durch das Ziel des dogmatischen Fundaments gerechtfertigt erscheint. Eben weil Buddeus im Einklang mit der von Weber so favorisierten altprotestantischen Glaubenswissenschaft das Ziel des von der Dogmatik zu rekonstruierenden dogmatischen Fundaments des Glaubens ebenfalls in der Hervorbringung des Glaubens sieht, bringt er die Zielbestimmtheit des Glaubensfundamentes in seiner Dogmatik systematisch zur Darstellung, indem er zuerst das Ziel des Glaubens, nämlich die Erkenntnis und eschatologische 238 V g l . die D a r s t e l l u n g des M e t h o d e n v e r s t ä n d n i s s e s bei D e s c a r t e s u n d H o b b e s v o n G e t h m a n n in H W P 5, 1334f. D i e A u f f a s s u n g v o n B u d d e u s k o m m t der v o n H o b b e s b e s o n d e r s nahe, i n s o f e r n f ü r H o b b e s die M e t h o d e " v o n P h i l o s o p h i e u n d W i s s e n s c h a f t e n i m m e r teils analytisch u n d teils s y n t h e t i s c h " ist. D i e F o r m e n der M e t h o d e n k ö n n e n s o m i t nicht b e s t i m m t e n W i s s e n s c h a f t s t y p e n z u g e o r d n e t w e r d e n . " D i e A r t des V e r f a h r e n s hängt n ä m l i c h g a n z v o n d e r A r t d e r F r a g e s t e l l u n g ab, die f ü r die E n t d e c k u n g leitend ist". V g l . ähnlich i m B l i c k auf die a n a l y t i s c h e M e t h o d e B u d d e u s , E P I 1,4, 24.25, 166. 239 E P I 1,4,32, 169f.: " I n t e r i m n o n ita m e d i t a t i o n e s n o s t r a e , m e t h o d o a d s t r i n g e n d a e sunt, u t s e m p e r , s u p e r s t i t i o s e eius legibus & o r d i n i i n h a e r e a m u s . N a m q u e si in iudiciis n o s t r i s evid e n t i a m s e c t e m u r , et u b i q u e ratiocinandi leges accurate o b s e r v e m u s , Veritas intelligi h a u d r a r o a t q u e investigari p o t e s t , licet de m e t h o d o aut synthetica, aut analytica, n u n q u a m cogit a v e r i m u s : h o c c e r t u m , hisce m e t h o d i s v u l g o p l u s t r i b u i q u a m d e b e b a t . " 240 W e b e r , E i n f l u ß , 51. 241 I D 1,1,43, 7 4 . 7 6 : " Q u a f i n e m e n i m t o t a t h e o l o g i a practica est. Q u a in re o m n e s c o n s e n t i u n t . " 242 V g l . die A u s f ü h r u n g e n z u r M e t h o d e d e r D o g m a t i k in Is 11,1,17, 426-434. Siehe a u ß e r d e m die letzte Seite des V o r w o r t s z u I D : " A d m e t h o d u m , o r d i n e m q u e tractationis, q u o d attinet, c u r ab ea, q u a e in s c h o l i s t h e o l o g o r u m u s i t a t a est, d i s c e d e r e m , n u l l a m habui c a u s a m . "

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Einheit mit Gott, dann den Menschen unter den Bedingungen des Werkbundes und schließlich die Versöhnung des Menschen durch den in Christus aufgerichteten Gnadenbund Gottes beschreibt. Auch wenn dabei der Unterschied zwischen dem Ziel der Dogmatik und dem Ziel des dogmatischen Fundaments nicht ständig in Erinnerung gebracht wird, zeigt doch die von Buddeus vorgetragene Aufgabenbestimmung der Dogmatik deutlich, daß er sich der Differenz zwischen dem dogmatischen Glaubensfundament als dem notwendig expliziten Glaubenswissen und der Explikation der Implikationen dieses Wissens durch die Dogmatik bewußt ist, indem er nicht der Dogmatik, sondern dem von der Dogmatik zu rekonstruierenden heilsnotwendigen Glaubensinhalt die Aufgabe zuordnet, den Glauben hervorzubringen. Unter dem Gesichtspunkt der Rekonstruktion und Vergewisserung des dogmatischen Glaubensfundamentes bleibt bei Buddeus die klassische Distinktion der Fundamentalartikel in solche, die weder ignoriert, noch negiert werden dürfen, und solche, die zwar nicht zu bestreiten sind, aber doch ignoriert werden können, weiterhin in Geltung 243 : Während nämlich der Glaube um die Gottmenschheit des Erlösers, die Dreieinigkeit Gottes sowie die Universalität der Gnade 2 4 4 und der Sünde 245 und also um die Fundamentalartikel erster Ordnung explizit wissen muß, sind die Bestimmung der Personeinheit des Erlösers durch die Idiomenkommunikation oder die Unterscheidung der Proprietäten der trinitarischen Personen Ausdruck der gedanklichen Durchdringung und Vergewisserung des Glaubens und als solche sekundäres Wissen des Glaubens 246 . Die Fundamentalartikellehre hat bei Buddeus somit einen Funktionswandel erfahren. Sie dient nicht mehr primär der interkonfessionellen Auseinandersetzung, sondern ergibt sich aus der in der Dogmatik zu vollziehenden systematischen Selbstexplikation des Glaubensbewußtseins, welches sich der in Christus begründeten Versöhnung verdankt.

243 I D 1,1,33,60. 244 Buddeus differenziert I D 1,1,33, 60 die primären Fundamentalartikel ferner danach, "ut q u o r u m d a m res significata ad ipsam fundamentali realis constitutionem pertineat; alii autem tarn arcte cum f u n d a m e n t o connexi sint, ut ab eo separari nequeant." Zur ersten Kategorie gehört allein die Christologie, siehe aaO. A . l . Denn sie begründet nicht n u r die Einsicht in die Universalität der Gnade Gottes und in die Konstitution der Versöhnung, aus ihr ergibt sich auch die Notwendigkeit der Trinitätslehre, vgl. aaO., A.2, 61f. 245 Während die Erkenntnis der Erbsünde zuweilen als Fundamentalartikel zweiter O r d n u n g behandelt worden ist, gehört sie nach Buddeus unabdingbar zum Glaubensbewußtsein, so ID 1,1,33, Α.3, 63: "de peccato originali, quae scriptura duce cognoscimus, hue [nämlich zu den sekundären Fundamentalartikeln; Vf.] referri solent: de quo tarnen articulo dubitari posset, annon rectius inter fundamentales prioris ordinis referatur. Certe, sine intima corrupt i o n s nostrae naturalis notitia, poenitentia vix seria & genuina esse potest ... Sine poenitentia autem nec fides sibi constat". 246 ID 1,1,33, Α.3, 62f. Es handelt sich dabei u m Lehrstücke, die auch nicht direkt in der Schrift zu finden sind. 85

5.

Zusammenfassung

Nach der von Buddeus gegebenen Definition der Dogmatik hat diese die Aufgabe, die wesentlichen Inhalte der christlichen Religion durch die systematische Rekonstruktion zu bestimmen. Sie unterscheidet sich dabei vom Glauben, der um diese Inhalte explizit weiß und ihrer gewiß ist, indem sie sich im systematischen Entwurf der Notwendigkeit der Inhalte ausdrücklich vergewissert. Zur Vergewisserung der heilsnotwendigen Glaubensaussagen bedarf es der konsequenten Frage nach dem Grund der Notwendigkeit. Dazu gehört für Buddeus auch der Versuch, die sogenannten Mysterien des Glaubens, also die Gottmenschheit Christi und die Dreieinigkeit Gottes widerspruchsfrei zur Darstellung zu bringen. Die Objektivität dogmatischer Aussagen ist daher von der systematischen Darstellung selbst abhängig, die in den folgenden Kapiteln dieser Arbeit zu rekonstruieren ist. Indem die Dogmatik in der beschriebenen Weise das dogmatische Fundament des Glaubens, welches als Kriterium der Schriftauslegung zu gelten hat, bestimmt und erklärt, ermöglicht sie nicht nur eine objektive Begründung für die Auslegung der sogenannten dunklen Stellen der Schrift, sondern erschließt auch den Grund für die Anerkennung der Autorität der Schrift als exklusives Erkenntnisprinzip der Theologie. Daraus läßt sich verstehen, weshalb Buddeus die Dogmatik an den Anfang des theologischen Disziplinenkanons gesetzt hat.

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K a p i t e l III:

Die Versöhnung des Menschen mit Gott N a c h der i m letzten Kapitel dargestellten Aufgabenbestimmung der D o g m a t i k soll d i e s e das d o g m a t i s c h e F u n d a m e n t des G l a u b e n s , a l s o das E v a n g e l i u m v o n J e s u s C h r i s t u s 1 , s y s t e m a t i s c h e n t f a l t e n , i n d e m sie es aus d e r A n a l o g i e z u m r e a l e n G r u n d des G l a u b e n s , n ä m l i c h d e r i n C h r i s t u s g e s t i f t e t e n V e r s ö h n u n g 2 , h e r a u s z u b e s t i m m e n v e r s u c h t . A u f diese W e i s e , l ä ß t s i c h G e w i ß heit d a r ü b e r erzielen, was konstitutiv z u m G l a u b e n s b e w u ß t s e i n gehört. D a s reale F u n d a m e n t durch

die

Menschen,

des G l a u b e n s u m f a ß t

Satisfaktion sondern

Christi

nach Buddeus nun nicht nur

geleistete

Versöhnung

Gottes

mit

b e g r ü n d e t u n d e r s c h l i e ß t z u g l e i c h a u c h die A r t

die dem und

W e i s e d e r A n e i g n u n g d e r V e r s ö h n u n g 3 . S o w i r d die G r u n d e i n s i c h t r e f o r m a t o r i s c h e r T h e o l o g i e , d a ß d i e V e r s ö h n u n g des M e n s c h e n m i t G o t t 4 allein i m G l a u b e n a n J e s u s C h r i s t u s 5 s t a t t h a t , als d e r r e a l e G r u n d des G l a u b e n s t h e matisiert.

Entsprechend

Glaubensbegriff

als

bestimmt

Buddeus

heilsnotwendigen

in

seinem

Glaubensinhalt

über

den

die A u f h e b u n g

Kapitel

der

d u r c h d i e S ü n d e b e d i n g t e n E n t f r e m d u n g des M e n s c h e n v o m L e b e n G o t t e s d u r c h d i e S e l b s t h i n g a b e C h r i s t i als des M i t t l e r s z w i s c h e n G o t t u n d M e n s c h , die a l l e i n i m u n d d u r c h d e n G l a u b e n a n z u e i g n e n i s t . 6

1 2 3

4 5

6

Zur Identifikation des dogmatischen Fundaments mit der doctrina evangelii vgl. ID 1,1,32, 56 A.l. Vgl. ID 1,1,31, 55 und ID 1,1,30, 53. "Ad fundamentum itaque reale non tantum ipsa reconciliatio cum Deo, seu, quod perinde est, satisfactio Christi, eiusque meritum, sed ea quoque, quae ex parte hominum, ut divini istius beneficii participes fieri queant, necessario requiruntur, pertinent" (ID 1,1,31, 55 A.l). Die Glückseligkeit des Menschen wird dabei als formales Ziel von Gott als dem objektiven Ziel der Theologie und des Glaubens unterschieden, siehe ID 1,1,47, 81. "Nulla enim alia ad salutem via est, quam per Christum, quem Deus nobis ιλαστηριον proposuit" (ID 1,1,47, 81f. A.3). Die Konzentration auf die Christologie als Ausgangspunkt der dogmatischen Aussagen entspricht dem reformatorischen Anliegen Luthers, Christus als die res der Schrift zu bestimmen, die die Klarheit und Eindeutigkeit der Schriftaussagen ausmacht. Die Rechtfertigung allein aus Glauben wird nach Luther aus der Verkündigung des stellvertretenden Todes Christi für die Sünden der Menschen und aus seiner Auferstehung erkannt und ist durch dieses Geschehen konstituiert. Wenz, V L 1, 67 hält es daher mit Recht für ein Mißverständnis der Bedeutung des Rechtfertigungsartikels in der Theologie Martin Luthers, "wollte man ihn zu einem spezifischen Lehrstück neben anderen oder selbst zum Gegenstand des Glaubens bzw. zu einem axiomatischen Prinzip erklären, aus dem sich alle Wahrheit des Glaubens deduktiv entfalten ließe. Vielmehr ist der Rechtfertigungsartikel stets hingeordnet auf den konkreten Vollzug der Zusage des Versöhnungsevangeliums Jesu Christi durch Wort und Sakrament." ID IV,3,5, 1183: "Summa autem eorum, sine quorum cognitione fides sibi non constat, haec est, ut cognoscamus, nos per peccatum a vita Dei esse abalienatos, Ephes. IV,18. gloria, quam 87

D a das V e r s ö h n u n g s w e r k C h r i s t i u n d s e i n e A n e i g n u n g v o n B u d d e u s als das z e n t r a l e T h e m a d e r D o g m a t i k a n g e g e b e n w e r d e n , m u ß d i e R e k o n s t r u k t i o n a n d i e s e r S t e l l e e i n s e t z e n . I n d i e s e m K a p i t e l ist d a h e r z u e r s t d i e in d e r Christologie entfaltete Begründung der Versöhnung, welche Buddeus durch d e n M i t t l e r b e g r i f f t h e m a t i s i e r t , z u b e h a n d e l n . D a die M i t t l e r s c h a f t

Christi

a u f das p r i e s t e r l i c h e W e r k d e r S a t i s f a k t i o n z u r ü c k g e f ü h r t w i r d , ist i n e i n e m z w e i t e n A b s c h n i t t das p r i e s t e r l i c h e M i t t l e r w e r k i m B l i c k a u f s e i n e V o r a u s setzung, seinen V o l l z u g u n d die darin gelegene W i r k u n g darzustellen.

Es

w i r d s i c h z e i g e n , d a ß B u d d e u s s i c h s t ä r k e r als die a l t l u t h e r i s c h e C h r i s t o l o g i e m i t d e r F r a g e n a c h d e n E r k e n n t n i s b e d i n g u n g e n d e r I n k a r n a t i o n des M i t t l e r s auseinandersetzt

und

dabei

außerdem

die

innerhalb

des

Luthertums

a u f g e t r e t e n e n P o l a r i s i e r u n g e n in s e i n e m E n t w u r f d e r P e r s o n - u n d lehre

aufzuheben

versucht.

Wird

aus d e r

satisfaktorischen

Stände-

Tätigkeit

des

M i t t l e r s d i e V e r s ö h n u n g allein i m G l a u b e n e r m ö g l i c h t , s o p r ä s e n t i e r t

die

L e h r e v o m d r e i f a c h e n A m t C h r i s t u s als d e n u n i v e r s a l e n u n d w a h r e n M i t t ler. D i e s ist i m d r i t t e n A b s c h n i t t z u z e i g e n . I n e i n e m z w e i t e n T e i l dieses K a p i t e l s g e h t es d a n n u m das n ä h e r e V e r s t ä n d n i s d e r i n d i v i d u e l l e n A n e i g n u n g d e r V e r s ö h n u n g i m G l a u b e n . H i e r ist zuerst der Glaubensakt Hervorbringung

des

schließlich

durch

das

als s o l c h e r z u b e s t i m m e n ,

Glaubens das

durch

dann der Vollzug

Wiedergeburt

Rechtfertigungsurteil

und

Bekehrung

begründete

der und

christliche

habere coram Deo debebamus, destitutos, Rom. 111,23. & natura irae filios, Ephes. 11,3. Christum autem solum esse μεσιτην inter Deum & hominem, 1 Tim. 11,5. qui se ipsum dederit αντιλυτρον pro omnibus, ib. v. 6. per quem solum etiam salus hominibus obtingat, actor. IV, 12. lllis scilicet, qui in nomen eius credunt, loan. 111,16." In der katechetischen Theologie begegnet in diesem Zusammenhang die Differenzierung des Glaubens in die fides generalis als "die Annehmung der gantzen heiligen Schrift, oder, der Ordnung des Heils, die in der Schrift enthalten ist", und in die fides specialis, die "ein besonderes Stück von dem allgemeinen (Glauben) ausmachet, als der sein wesentliches Gantze ist, in welchem er nothwendig seyn muß, weil er sonst gantz anders seyn müßte", und "in der Annehmung der göttlichen Verheissung von der Gnade Gottes in Christo besteht" (siehe K T 11,1/2,5, 68f.). Dagegen ist diese Unterscheidung in den 'Institutiones' auf den assensus als ein von cognitio und fiducia unterschiedenes Moment der fides bezogen, wenn es dort heißt: "Nec sufficit adsensus generalis, quo quis de veritate dogmatum, quorum cognitio ad salutem est necessaria, convictus est; sed specialis insuper requiritur, quo quis firmiter, quae generatim de gratia Dei, deque remissione peccatorum per meritum Christi, vera fide adprehensum, impetranda, scriptura sacra tradit, ita ad se quoque pertinere credit, ut longe sit certissimus, Deum ipsius quoque salutem serio velle, eumque sibi peccata omnia remissurum, aeternamque collaturum beatitudinem, eo quod sanguinem, meritumque Christi vera fide adprehendat." (ID IV,3,7, 1186) Das primäre Ziel dieser Sätze ist die Bestimmung des assensus specialis als Voraussetzung der fiducia, sofern das durch Christus gewirkte Vertrauen nicht ohne die Erkenntnis gedacht werden kann, in der das Individuum die in Christus offenbare Gnade Gottes als es selbst betreffend versteht. Nebenbei wird aber eben auch der Inhalt dieser speziellen Überzeugung genannt - und das ist das, was die katechetische Theologie als die fides specialis namhaft macht -, nämlich die in der Sündenvergebung durch das Verdienst Christi offenbare Gnade Gottes. 88

Selbstverständnis und die darin ermöglichte Erneuerung zur Gottebenbildlichkeit.

A. Die Mittlertätigkeit Christi als Grund des Glaubens 1. Zur Thematik der Christologie Unter dem Einfluß der reformierten Föderaltheologie, die Buddeus durch den zeitgenössischen Vertreter Hermann Witsius und durch die Aufnahme in das lutherische Denken bei Samuel Pufendorf und Johann Wolfgang Jäger vertraut war, entwickelt Buddeus die Lehre von Christi Person und Werk ausgehend von der Bestimmung Christi als Mittler des Gnadenbundes zwischen Gott und den Menschen. 7 In der traditionellen altlutherischen Dogmatik spielte der Mittlerbegriff 8 hingegen erst in der Amterlehre eine Rolle. D i e Lehre von der Person des Erlösers wurde dort direkt mit Ausführungen zum N a m e n Jesu Christi begonnen 9 und mit der Zwei-Naturen-Lehre fortgesetzt. D e r adäquaten Formulierung der Lehre von der Person Christi galt lange das Hauptinteresse der lutherischen Christologie. 1 0 Obwohl Buddeus im Unterschied zu späteren Entwürfen der Neologen nach den zwei einleitenden Paragraphen über den Mittler des Gnadenbundes die klassischen Themenbestände der lutherischen Christologie rekapituliert, signalisiert die thematische Voranstellung des Mittlerbegriffs 1 1 eine Verschiebung des 7

Siehe ID IV,2,26, 1095; zur Folge des Gnadenbundes auf den Werkbund ID IV,1,4, 913. Obwohl Buddeus den Mittlerbegriff ins Zentrum der Christologie stellt, überschreibt er doch das Lehrstück wie in der lutherischen Tradition üblich mit "De Christo redemtore hominum", vgl. ID IV,2, 1006. Bei Mosheim, Elementa Vol. II, 111,1, 42 ist dagegen das gesamte christologische Lehrstück mit "de Iesu Christo mediatore pacis inter Deum et hominem" betitelt. Zur Bedeutung des Mittlerbegriffs in der reformierten Tradition vgl. Sparn, T R E 17, 2ff. Siehe auch Heppe/Bizer, 323ff. Zu Coccejus vgl. Schrenk, Gottesreich, 82ff. 8 Die Unterscheidung der Lehre vom Heilswerk Christi als Mittler und der Lehre von der Person Christi ist erst in der lateinischen Theologie des Mittelalters aufgekommen, so Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 2, 490f. 9 Vgl. z.B. Quenstedt, Systems 111,3.1/1,1, 108; 5, 109. 10 Ein spätes Beispiel liefert die hochgradig ausdifferenzierte Christologie Quenstedts. Sie folgt hier wie auch sonst in der lutherischen Dogmatik auf die Lehre vom allgemeinen und speziellen Heilswillen Gottes (111,1.2) und ist mit den drei auf über fünfhundert Seiten entfalteten Unterteilen das umfangreichste Lehrstück innerhalb des Systems (vgl. 111,3.1-3, 107646). Davon entfällt allein 111,3.1, 108-304 auf die Darstellung der Lehre von den Namen, der Person und den Naturen Christi. Vgl. zur Entwicklung der lutherischen Christologie Walter Sparn, Die Wiederkehr der Metaphysik, Stuttgart 1976, wo sich zuerst die logischen Probleme, dann die ausgebildete Metaphysik der Christologie dargestellt finden, 21 ff.93ff. Vgl. auch ders. T R E 17, 4-7. 11 Vgl. ID IV,2,1, 1008. Auf diese Besonderheit ist schon von Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 2, 317 aufmerksam gemacht worden. Vor Buddeus hat bereits J.W. Baier in seinem

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Argumentationsinteresses der Christologie. Das übergreifende Anliegen seiner Christologie ist es zu zeigen, daß die Person des Erlösers in ihrem Personsein ganz durch das in der Mittlertätigkeit offenbarte Amt des Mittlers bestimmt ist. 12 Von diesem Interesse an der Beschreibung der Person des Mittlers 13 geleitet, übernimmt er die klassischen Aussagen der Lehre von der Person bis hin zur Idiomenkommunikation entschiedener als der Tübinger Kollege Pfaff, der sie wegen seiner scharfen Ablehnung spekulativer Metaphysik beinahe entschuldigend einführen mußte 14 . Die Notwendigkeit des Ansatzes beim Mittlerbegriff ergibt sich für Buddeus aus dem Namen Jesu in seiner Verbindung mit dem Christustitel. Durch den Christustitel sei das Amt des von Gott gesandten Messias als des Mittlers zwischen Gott und Menschen bezeichnet. 15 Dieses Amt lasse sich bereits aus dem Jesusnamen ableiten 16 , durch den die Person als Erlöser und

Compendium 111,2,1.2, 342 den Mittlerbegriff an den Anfang der Christologie gestellt, allerdings ohne damit eine bundestheologische Ausgestaltung der Gnadenlehre zu verbinden. Eine ähnlich starke Ausformung der Mittlerchristologie wie bei Buddeus findet sich bei seinem Tübinger Kollegen Pfaff. Die Unterschiede zu Pfaff sind bei den Einzelthemen der Christologie zu beachten. 12 Nach Sparn, T R E 17, 8 lassen sich die Veränderungen in der Christologie von Buddeus dadurch verstehen, daß sich bei ihm "das Interesse von der Person auf das Werk Christi, von der Präsenz auf die Aktion" verlagert hat. 13 Die ältere lutherische Christologie hat die Lehre von der Person Christi zwar auch als Voraussetzung der besonderen Funktion Christi als des Mittlers verstanden, indem sie die Personeinheit als Bedingung der Erlösung bestimmte. So ist nach Quenstedt, Systema 111,3.1/1,24, 126 das Ziel der uniopersonalis, "ut in utraque natura opus redemtionis Christus perficere posset, sive ut αποτελέσματα officiorum Christi in utraque & per utramque naturam Christi perficerentur." Vgl. dazu auch Mahlmann, Das neue Dogma der lutherischen Christologie, Gütersloh 1969, 235. Dennoch hat man die Verbindung zwischen der Lehre von der Person, den Ständen und den Amtern nicht durch die einheitliche Thematik der Mittlerschaft Christi markiert. 14

Siehe Pfaff, Institutiones 11,4,3, 353: "Eja, in scholasticum, in philosophicum, in metaphysicum, si placet, campum paulisper hie descendamus atque varia communicationis genera evolvamus. Neque est, quod lector haec nostra levi pede jam transsiliat. Quantam enim utilitatem praesenti instituto ea affusura sint, postmodum patebit." 15 ID IV,2,2, 1008: "Is vero Iesus est, ab educationis loco Nazarenus, ab officio, ut deinceps dicemus, Christus adpellatus." Vgl. auch ID IV,2,26, 1095. 16 ID IV,2,26, 1095 Α.3: "Potest equidem etiam ex nomine lesu, eiusque significatione, qua salvatorem, seu eum, qui homines a peccatis liberat, denotat, officium servatoris hominum derivari: cum vero istud iussu angeli in circumcisione illi impositum sit, nec alias ceu adpellativum usurpetur, non sine ratione pro proprio, nomen autem Christus, pro nomine officii habetur." Auch Quenstedt unterscheidet in seiner ersten These zur Christologie die Namen des Erlösers in solche, die die Person nach einer oder nach beiden Naturen bezeichnen, und in solche, die ihm aufgrund seines Amtes zukommen. Die Bedeutung Christi als des Erlösers, Befreiers und Retters leitet er jedoch nicht aus dem Jesusnamen ab, sondern aus den biblischen Aussagen über die Sendung des Sohnes durch den Vater, vgl. 111,3.1/1,1, 108: "Dicitur autem Redemtor ratione Patris, cui pro nobis solvit λυτρον, Liberator, respectu Diaboli, e cujus potestate nos eripuit, itemque respectu mortis & inferni, a quibus nos potenter liberat, Salvator respectu peccati, quia salvat populum suum a peccatis suis, Matth. 1,21".

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Retter der Menschheit benannt sei.17 Die sozinianische Behauptung, wonach Jesus nicht ursprünglich zur satisfaktorischen Rettung der Menschheit bestimmt gewesen sei, könne daher bereits unter Verweis auf die Bedeutung des Namens Jesu widerlegt werden. 18 Diese durch die sozinianische Kritik provozierte Berufung auf den Namen Jesu Christi hat dabei für die Verfahrensweise der Christologie zur Folge, daß die Lehre von der Person und dem Amt des Erlösers nunmehr von dem biblischen Zeugnis des Namens ausgehend entwickelt wird. Die besondere Bedeutung der Person des Erlösers wird daher nicht einfach mit der Aussage der Sendung des präexistenten Gottessohnes vorausgesetzt, sondern aus dem seiner Person wesentlichen A m t begründet.

2. Das satisfaktorische

Amt Christi als Grund der

Versöhnung

Die auf Calvin zurückgehende 19 und in der lutherischen Theologie 20 rezipierte Lehre vom Mittleramt Jesu Christi beschreibt Christi Bedeutung für die Menschen durch die in der Schrift genannten Amtsbezeichnungen 21 als Prophet, Priester und König. Dabei war Christi Priestertum als Grund der anderen Funktionen seines Mittleramtes gedacht. 22 In entsprechender Weise nennt auch Buddeus in seiner Einführung in die Amterlehre an erster Stelle das priesterliche Amt, weil die Versöhnung des Menschen mit Gott, um die es speziell in der priesterlichen Mittlertätigkeit Christi geht 23 , die Vergebung 17 Siehe I D IV,2,2, 1009 A . l ; ID IV,2,37, 1119 A . l ; ID 1,1,31, 55. Vgl. ähnlich Hollaz, Examen 111/1,3,3, llOf. 18 "Qui ergo alium in finem, quam ut peccata nostra suo sanguine expiaret, Christum natum esse, existimant, ut Socinianae scholae alumni, aut per aliud quid, quam per solum meritum Christi, nos salvari putant, ut Uli, qui hominem suis operibus aliquid promereri posse censent, vim Sc efficaciam huius nominis non adsequuntur." (ID IV,2,2, 1009 A.l) Vgl. auch aus der Trinitätslehre I D 11,1,49, 372. 19 Siehe Calvin, Institutio II,12ff. Vgl. dazu Wenz, VL 1, 74, der hier Albrecht Ritschis Ausführungen aus R u V I, 224f. ü b e r n i m m t . 20 Siehe Hirsch, Hilfsbuch, 336-340. Schmid, § 34, 225 vermerkt zum officium Christi triplex, daß diese ganze Lehre "sich erst von Gerhard an in einem eigenen locus abgehandelt" findet, "während sie bis dahin nur bei Gelegenheit anderer Lehren, meist in dem 1. de justificatione zertrennt behandelt wurde". Auch die F o r m der Darstellung finde sich zuerst bei Gerhard. Man könne "nicht verkennen, daß dieser locus lange keine so gründliche Durchbildung erlitten hat, als viele andere." Die Weiterentwicklung der Christologie bis zu Pfaff und Buddeus zeigt, daß dem Mittleramt i m m e r m e h r Beachtung geschenkt wird. Die zunehmende Konzentration der Christologie auf die Mittlertätigkeit erreicht aber erst in den Entwürfen Schleiermachers und Ritschis ihren Endpunkt. 21 Quenstedt versteht die Bezeichnungen Priester, Prophet und König als "Nomina ratione Officii Christo tributa" (Systema 111,3.1/1,1, 108). 22 Vgl. dazu Wenz, VL 1, 75. 23 So zum Beispiel I D IV,2,28, 1104f: "Cuiusmodi autem hocce ... officium sit, ... ex ipsa tarnen h o m i n u m conditione intelligitur. U t enim ex s u m m a ista, qua circumsepti sunt, miseria eripiantur, p r i m u m quidem, praecipuumque est, ut cum Deo, quem ob peccata sua sibi

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der Sünde durch die Satisfaktion und Fürbitte zur Voraussetzung habe, während prophetisches und königliches A m t der Vermittlung und Durchsetzung der Versöhnung durch Christus dienten. 24 Da die Versöhnung Christi durch die im Alten Testament bezeugten priesterlichen Funktionen der Satisfaktionsleistung und Fürbitte 25 vermittelt sei, weise sich Christus in der jede menschliche Priesterschaft in uneinholbarer Weise überbietenden Durchführung derselben als der messianische Mittler zwischen Gott und Mensch aus.26 Weil das im Tod gipfelnde Leiden Christi und die damit verbundene Gesetzeserfüllung als das Ziel der Erniedrigung 27 des Gottessohnes bestimmt sind, muß der in der Ständelehre dargestellte Vollzug der Erniedrigung 28 als Explikation des priesterlichen Amtes der Satisfaktion gelesen werden. Die von der Ständelehre abgekoppelte Rede vom aktiven und passiven Gehorsam in der Amterlehre erweckt zwar den nicht intendierten Eindruck, als sei die satisfaktorische Mittlertätigkeit eine von dem Vollzug der Erniedrigung und Erhöhung zu unterscheidende Handlung des Erlösers. Die Darstellung des Vollzuges des satisfaktorischen Amtes beginnt jedoch faktisch in der

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iratum habent, reconcilientur; tum vero, ut 11s rite innotescant, quae requiruntur, ut gratiae divinae, ipsis oblatae, participes fiant: cumque illi, qui hac ratione Christo sevatori se addicunt, ... capite quodam atque rege illis opus est, qui eos gubernet, dirigat, defendat, ac tueatur, ne sperato sine excidant." Die Versöhnung des Menschen mit Gott durch die in Christi Priesteratnt begründete Sündenvergebung erscheint hier als erste Voraussetzung der Befreiung des Menschen aus seiner durch die Sünde bestimmten Verfaßtheit. Vgl. auch König: "Finis officii sacerdotalis est hominum cum Deo reconciliatio" (zitiert nach Schmid, § 34, 230). "Praecipuum equidem ex hisce officiis est sacerdotale; quippe quod reliquorum velut fundamentum est. Si enim Christus homines suo sanguine non redemisset, misere omnibus pereundum esset; adeoque nec propheticum, nec regium officium illis quidquam prodesset. Rursus tarnen, ne redemtionis beneficium fructu effectu careret, propheticum & regium accedere oportebat. Si enim maneant in tenebris homines, meritumque adeo Christi nec agnoscant, nec vera fide amplectantur, nihil iterum illis redemtio prodest ... Intuitu triplicis huius officii, praecipue tarnen sacerdotalis, Christus etiam ... mediator, inter Deum, hominesque vocatur" (ID IV,2,29, 1106 A.2; vgl. auch ID IV,2,35, 1114). Siehe außerdem die Einführung in die Lehre vom dreifachen Amt ID IV,2,28 und 29, 1104f. Vgl. ID IV,2,35, 1114ff. Die priesterliche Fürbitte Christi behandelt Buddeus ID IV,2,40, 1133 in nur einem Paragraphen. Vgl. zur traditionellen protestantischen Unterscheidung des priesterlichen Amtes in satisfactio und intercessio Hollaz, Examen 111/1,3,74, 238. Vgl. ID IV,2,36, 1115. Die Besonderheit des priesterlichen Opfers Christi besteht in der Sühne durch sein eigenes Blut und in der damit verbundenen ewigen Wirkung seines Sühnetodes. Vgl. ID IV,2,23, 1079: "Necessitatem mortis Christi, omniumque eorum, quae in statu exinanitionis passus est, ex fine status istius colligere licet. Finis autem non alius fuit, quam ut hac ratione omnium hominum expiaret peccata, & dona ad salutem consequendam necessaria illis promereretur." Daß die Sündenvergebung nur durch den satisfaktorischen Tod Christi geschehen konnte, wird eingangs der Amterlehre (ID IV,2,35, 1114; 37, 1117) ausgesagt und begründet (ID IV,2,38, 112Iff.). Doch darauf ist später einzugehen. Nach der reformierten Position von Wilhelm Amesius in seiner 'Medulla theologica' von 1627/59 ist die Erhöhung zwar ein wesenhafter Teil des Mittlerwerks Christi, gehört aber nicht zur Satisfaktion durch sein Verdienst (vgl. Hirsch, Hilfsbuch, 410).

S t ä n d e l e h r e , i n d e m d i e s e d e n L e b e n s v o l l z u g J e s u als E r n i e d r i g u n g u n d d e r e n A u f h e b u n g als E r h ö h u n g des G o t t m e n s c h e n v o r s t e l l t u n d d a r i n d e n satisfakt o r i s c h e n W e r t dieses L e b e n s a u f z e i g t . 2 9 I m G e f o l g e v o n J o h a n n G e r h a r d b r i n g e n B a i e r u n d B u d d e u s die k o n s t i t u t i v e B e d e u t u n g d e r S t ä n d e l e h r e f ü r die A m t e r l e h r e k o n s e q u e n t d a r i n z u m A u s d r u c k , d a ß sie d i e S t ä n d e l e h r e n i c h t , w i e es in d e r

Konkordienformel

u n d in der W i t t e n b e r g e r T h e o l o g i e geschah, nach, s o n d e r n v o r der A m t e r lehre b e h a n d e l n . 3 0 D i e s e Stellung entspricht a u c h besser der B e z i e h u n g der Ständelehre zu der Lehre v o n der Person. D e n n

die S t ä n d e l e h r e h a t

die

L e h r e v o n d e r P e r s o n z u r V o r a u s s e t z u n g , w e i l in d e r d o r t e n t w i c k e l t e n B e deutung der I n k a r n a t i o n der unendliche W e r t der i m T o d gipfelnden

Er-

niedrigung Christi begründet ist.31 Sonach w e r d e n m i t der L e h r e v o n

der

P e r s o n des E r l ö s e r s ,

mit der Ständelehre und der Lehre v o m

dreifachen

M i t t l e r a m t die V o r a u s s e t z u n g , d e r V o l l z u g u n d die W i r k u n g d e r M i t t l e r -

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Man kann die Ständelehre bei Buddeus in Entsprechung zu den genannten Aufgaben, die sie übernimmt, folgendermaßen gliedern: § 19 leitet vom Personbegriff über zur Entäußerung, die für die Explikation des Amtes notwendig ist. § 20 beschreibt die Entäußerung unter Voraussetzung der communicatio idiomatum und speziell des genus maiestaticum. Damit sind die Voraussetzungen des Vollzuges der Erniedrigung, durch die die Satisfaktion nach § 23 erreicht wird, entwickelt. Die §§ 21 und 22 bestimmen den Anfang und Verlauf der Erniedrigung bis hin zur äußersten Spitze des Todes. § 24 klärt das Verständnis der Erhöhung, deren Vollzugsmomente § 25 entfaltet. 30 Die Abfolge von Person-, Stände- und Amterlehre findet sich schon bei Johann Gerhard, Loci 4,14.15, 592ff. Vgl. auch Baier, Compendium 111,2/2.3, 365-370.370-382 und Buddeus, ID IV,2,19-25, 1065-1095. Man kann wohl diese Gliederung als Eigenart der Jenaer Theologie bezeichnen, während andere lutherische Dogmatiker die Ständelehre als dritten Abschnitt nach der Lehre von der Person und vom Amt verhandelt haben, so zum Beispiel noch Hollaz und Pfaff. 31 ID IV,2,9, 1031: "Ut haec omnia enim eiusmodi haberent valorem, quem hominum redemtio requirebat, hoc est, infinitum, necesse erat, ut omnes & praestationes & passiones eius essent, qui verus simul esset Deus, ut sanguis, qui pro nobis effundendus erat, non nudi hominis, sed eiusmodi hominis sanguis esset, qui simul verus Deus esset". Christi Gottmenschheit gilt mithin als Fundamentalartikel erster Ordnung, der nicht nur nicht bestritten, sondern auch nicht ignoriert werden dürfe, vgl. ID 1,1,33, 60. Dabei ist die ZweiNaturen-Lehre von der Trinitätslehre, die ebenfalls als Fundamentalartikel erster Ordnung rangiert, dadurch unterschieden, daß die Gottmenschheit Jesu Christi das reale Fundament konstituiert, während die Dreieinigkeit Gottes daraus unabdingbar folgt. Siehe ID 1,1,33, 61: "Cum enim ad ea doctrinae capita, quae ipsum fundamentum constituunt, pertineat articulus de Christo, quodve is non tantum verus homo, sed & verus Deus sit, ut antea demonstratum, non potest non inde sequi, plures in una eademque essentia esse υποστάσεις." Die wahre Gottheit Jesu Christi wird dabei aus seiner in der Schrift bezeugten Gottessohnschaft erkannt, seine wahre Menschheit daraus, daß er aus der Jungfrau Maria geboren ist und daß die Schrift Jesus alles zuschreibt, was dem Menschen eigentümlich ist, vgl. ID IV,2,4, 1012 und IV,2,5, 1014. Bei der Erörterung der wahren Gottheit Christi durch die göttliche Zeugung des Vaters verweist Buddeus zwar auf seine Ausführungen in der Trinitätslehre zurück (ID IV,2,5, 1015 A.l). Dennoch fällt auf, daß er die Rede von den zwei Naturen Christi direkt aus Schriftaussagen abnimmt, während Baier besonders bei der Beschreibung der Annahme der menschlichen Natur noch stärker dem aristotelisch-schulphilosophischen Darstellungsschema nach causa efficiens und materia ex qua anhängt, vgl. Compendium 111,2,5-8, 345-347. 93

schaft des Erlösers beschrieben. Die Einheit des gedanklichen Zusammenhangs wird in der Darstellung von Buddeus durch die Aufhebung der sonst üblichen Kapiteleinteilungen auch formal zur Geltung gebracht. Wiewohl erst mit der Ständelehre der unmittelbare Gegenstand des Glaubens thematisiert wird, hat diese die Bestimmung der Person des Mittlers durch die Explikation der Inkarnation des Logos zur notwendigen Voraussetzung. a) Die Konstitution der Person des Mittlers Die Annahme der menschlichen Natur durch den Logos vollzieht sich nach der lutherischen Lehrbildung zwar in der Geburt Christi durch die Jungfrau Maria als dem ersten Moment der Erniedrigung. 32 Dennoch muß der Akt der Inkarnation - wie Buddeus gegen die reformierte Position betont - streng von dem der Erniedrigung unterschieden werden. 33 Denn die Inkarnation bedeute im Unterschied zur Erniedrigung die unauflösliche Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur 34 in der personalen Union 35 , durch die der Gottmensch in seinem Personsein als Mittler zwischen Gott und Mensch konstituiert 36 und befähigt sei37. 32

ID IV,2,21, 1070. D e r Vollzug der Menschwerdung im Mutterleib und durch die Geburt gilt als Beginn der Erniedrigung, weil diese Vorgänge durch die das Menschsein begleitenden Schwächen bestimmt seien. Vgl. I D IV,2,21, 1071: "filius Dei, ut e m b r y o in utero materno constitutus, iisdem infirmitatibus obnoxius fuerit, quibus alii infantes obnoxii esse solent." Vollzöge sich die Menschwerdung nicht in der Geburt, so wäre die Rede von der wahren Menschheit des Erlösers problematisch. Gegen die Behauptung derer, "qui C h r i s t u m carnem suam ex caelo secum detulisse existimant", wehrt sich Buddeus, weil dann "aut eum per nativitatem ex Maria neutiquam verum hominem factum, sequetur, quod & illi indicarunt, qui C h r i s t u m per u t e r u m Mariae, tamquam per canalem transiisse autumarunt; aut duplex h u m a n a natura ei tribuenda erit, q u a r u m alteram ex caelo secum detulerit, alteram ex Maria acceperit" (ID IV,2,6, 1016 A.2).

33

ID IV,2,21, 1071 A . l : " N o n ita hoc capiendum, ac si ipsa conceptio, adeoque & incarnatio Christi, ad statum exinanitionis pertineat". Vgl. dazu Schmid, § 38, 244. 34 Die unitio naturarum zielt auf die Konstitution der einen Person in der unio personalis, so I D IV,2,8, 1023; vgl. ID IV,2,7, 1022. 35 ID IV,2,8, 1023: "Status, qui ex unitione ista resultavit, unionis nomine venit, & quidem personalis, quia unitio ista, uti dictum, ad unam personam constituendam tendit." Die unio personalis ist weder eine natürliche oder essentielle, noch ist sie gleichzusetzen mit der unio mystica fldelium cum Deo (1025f.). Die unio mystica m u ß vielmehr von der hypostatischen Einheit der N a t u r e n in Christus unterschieden werden, weil die Glaubenden in der mystischen Einheit mit G o t t ihre Hypostase behalten und nicht "unam c u m Deo personam constituant, quod tarnen de humana Christi natura recte adseritur." (1026) 36

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D e n n die Mittlertätigkeit Christi ist nach Baier und Buddeus nicht zu denken, ohne daß Christus als der verheißene Messias wahrer Mensch und wahrer G o t t zugleich in einer Person ist, I D IV,2,9, 1029: "Unam vero in Christo saltern esse personam, adeoque humanam naturam c u m divina, indissolubili vinculo coniunctam, n o n propria, sed τ ο υ λ ο γ ο ύ hypostasi subsistere, diserte subinde scriptura sacra testatur ... Accedit, remque planissime evincit, quod & finis incarnationis Christi hoc postulaverit". Siehe auch I D IV,2,4, 1012: "Id saltern hoc loco adhuc m o n e n d u m , ipsam officii, quo Messias functurus erat, rationem postulasse, ut n o n t a n t u m verus h o m o , sed & verus Deus esset. Pretium enim redemtionis p r o nostris peccatis patri per sanguinis effusionem offerre non potuisset, nisi fuisset verus

Die gesamte Lehre von der Person hebt darauf ab, die Person des Erlösers als durch die Gemeinschaft der Naturen 3 8 konstituiert zu denken. Dieses Unternehmen der Rekonstruktion der Personeinheit ist notwendig, weil zum einen angesichts der Unterschiedenheit der Naturen die Person nicht als ein Drittes neben den Naturen erscheinen soll und zum anderen trotz der in der Vereinigung des Logos mit der menschlichen Natur implizierten Anhypostasie der menschlichen N a t u r 3 9 die Person des Erlösers nicht als einseitig durch die göttliche N a t u r bestimmt gelten darf. Im Einklang mit der lutherischen Tradition 4 0 beschreibt Buddeus daher die Gemeinschaft der Naturen in der einen Person zunächst als wechelseitige Perichorese. 4 1 Sie finde sich in denjenigen Schriftaussagen zur Sprache gebracht, in denen das Konkrete der einen Natur 4 2 v o m Konkreten der anderen Natur prädiziert werde. D a diese Propositionen die personale Einheit in der Kommunikation der Naturen beschreiben, würden sie personale Propositionen genannt. 4 3 Angesichts der Tatsache, daß die göttliche Natur wegen ihrer Unveränderlichkeit keine Vollkommenheiten der menschlichen N a t u r in sich aufnehmen könne, denkt Buddeus die Gemeinschaft der Naturen in der Einheit

homo; idem vero pretium cum infiniti valoris esse deberet, eum quoque verum oportebat esse Deum. Certe, nudum hominem alium redimere non posse". Vgl. ID IV,2,1, 1008; IV,2,3, 1011. 37 Vgl. ID IV,2,9, 1031: " N o t u m est ... officium, quo Messias, seu humani generis redemtor fungi debebat, postulasse, ut idem & verus Deus, & verus homo esset. Et sane, si homo non fuisset, non potuisset passione sua, Sc morte, & sanguinis effusione, hominum expiare peccata; si Deus non fuisset, non potuissent ea, quae passus est, id efficere, quod efficere debebant; siquidem pretium infiniti valoris ad hominum redemtionem requirebatur". 38 Die communio naturarum folgt notwendig aus der unio personalis, so ID IV,2,10, 1031; vgl. auch Quenstedt, Systema 111,3.1/1,35, 126. 39 ID IV,2,7, 1022. 40 Zur Entstehung und Entwicklung der protestantischen Christologie vgl. Karl-Heinz zur Mühlen, Art. 'Jesus Christus IV', in: T R E 16, 759-772, und die Fortsetzung desselben Artikels von Walter S p a m in: T R E 17, 1-16. Siehe außerdem Theodor Mahlmann, Das neue Dogma der lutherischen Christologie, Gütersloh 1969. 41 Vgl. ID IV,2,10, 103 Iff.; siehe auch Baier, Compendium 111,2/1, 13, 350 sowie Pfaff, Institutiones 11,4,2, 346. 42 Das concretum naturae bestimmt die Natur nach ihrem konkreten Träger, ID IV,2,11, A . l , 1035: "Nimirum vox, quae suppositum, a natura, quae per se ei convenit, denominatum in casu recto, & naturam ipsam in casu obliquo denotat, concretum naturae adpellatur. Sic Deus est concretum naturae, quia suppositum significet, habens humanam naturam. Hinc deitatem, humanitatem, abstracta natura esse". Man hat das concretum naturae dabei zu unterscheiden von dem concretum personae, da durch das "concretum personae ... vox indicatur, quae personam, utraque natura constantem, in formali, quem denotat, conceptu exprimit, seu in casu recto suppositum, in obliquo utramque naturam." Konkreta der Person sind Christus', 'Messias', 'Jesus', 'Immanuel', siehe ID IV,2,11, 1035. Vgl. zur Umdeutung der Ausdrücke 'konkret' und 'abstrakt' "im Bereich mystischer Prädikationen'' durch die lutherische Christologie Sparn, Wiederkehr, 72. 43

ID IV,3,11, 1035: "Atque hinc propositiones illas, quas personales vocant, intelligere licet, in quibus concretum unius naturae de concreto alterius naturae adfirmatur." Als Beispiele nennt Buddeus Sätze wie 'Gott ist Mensch' oder Mt 16,16: "Du [nämlich der Menschensohn; Vf.] bist der Sohn des lebendigen Gottes."

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der Person als wechselseitige, aber nicht reziproke Perichorese der beiden Naturen. 4 4 Die göttliche Natur durchdringt demnach die menschliche Natur nicht in der gleichen Weise wie die menschliche die göttliche. Vielmehr bedeutet die Inkarnation als Vereinigung der Naturen die Einwohnung der göttlichen N a t u r in der menschlichen, so daß die göttliche Natur in die menschliche eingeht und die menschliche Natur als der O r t der Einwohnung somatisch (Kol 2,9) von ihr durchdrungen wird. 4 5 Die menschliche Natur erscheint mithin in Entsprechung zur Bestimmung der Anhypostasie zunächst als passives Organ oder Instrument für die Aktivität der göttlichen Natur des Logos. 4 6 Mit dieser Deutung der perichoretischen Gemeinschaft der Naturen im Sinne der realen und vollständigen Einwohnung der göttlichen Natur in der menschlichen Natur 4 7 ist der reformierten Position widersprochen, die den Logos nach der Inkarnation auch noch außerhalb des Fleisches wissen möchte. Eine solche Konzeption erschwert die intendierte Bestimmung der Personeinheit erheblich, weil sie die Einheit der Person nicht mehr als durch die Gemeinschaft der Naturen konstituierte zu denken erlaubt. U m nun allerdings dem lutherischen Interesse folgend die unauflösliche und dauerhafte Vereinigung der Naturen zur Person des Erlösers als reale verstehen zu können, expliziert Buddeus die in der Kommunikation der 44

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46 47

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I D IV,2,10, 1033: D e r Damaszener lehre richtig, "de divina tantum natura dici posse, quod permeet humanam. Id namque est, quod & nostrates theologi dudum monuerunt, π ε ρ ι χ ω ρ η σ ι ν istam neutiquam esse reciprocam, ut, sicut divina natura humanam pervadit, ita humana quoque permeet divinam. Neque enim divina natura ab humana quidquam perfectionis accipere potest." Vgl. I D IV,2,3, 1011; IV,2,9, 1029.1031. Vgl. I D IV,2,10, 1031.1033; siehe auch Quenstedt, Systema 111,3.1/1,27, 121; Hollaz, Examen 111/1,3,30, 152. Den Gedanken der Einwohnung gewinnt Buddeus aus Kol 2,9: "in illo [Christo; Vf.] habitat omnis plenitudo deitatis corporaliter". Vgl. auch Quenstedt, Systema 111,3.1/1,27, 121: die Perichorese ist zwar wechselseitig, aber so, daß sich die göttliche Natur dabei aktiv, die menschliche passiv verhält. I D IV,2,10, 1034: Die Einwohnung der Gottheit in Christus bedeutet, daß "non saltern dona quaedam divina in Christum collata, sed ipsam essentiam, seu naturam divinam, prouti hypostasi filii Dei est determinata, in Christo esse, per arctissimam scilicet cum natura humana unionem. ... Inhabitatio enim perpetuam quamdam, semperque duraturam praesentiam denotat, eamque minime otiosam, sed cum ενεργεία quadam coniunctam; siquidem domus cuiusdam possessor non tantum indomo ista commoratur, sed eam totam, ceu propriam sibi vindicat, idque variis actibus, quos quotidie in ea exercet, demonstrat". Dabei geht nach Uberzeugung der Lutheraner die Eigentümlichkeit der göttlichen Natur in der Inkarnation des Logos nicht verloren, sondern bleibt durch ihr Handeln gewahrt. Buddeus erläutert dies an dem oben zitierten Beispiel des Hausbesitzers. Die Verwendung dieses Beispiels zeigt aber zugleich die Verschiebung von der substanzmetaphysischen Betrachtungsweise hin zu einer Bestimmung der Natur durch das Handeln, wie sie nach den Studien von Sparn insgesamt durch die lutherische Christologie indiziert und von Buddeus und seinen Zeitgenossen weiter vorangetrieben worden ist. D a ß die göttliche Natur sich in der menschlichen nicht verliert, wird jedoch ausdrücklich erst durch das zweite genus der Idiomenkommunikation sichergestellt. Siehe dazu I D IV,2,16, 1046ff., bes. 1047: "Qua quidem ratione, cum humana natura omnia acceperit a divina, haec autem nihil ab humana, manifestum est, de sola humana etiam dici posse, quod ei aliquid communicatum sit, non de divina."

N a t u r e n s t a t t h a b e n d e innigste G e m e i n s c h a f t der N a t u r e n 4 8 d u r c h die L e h r e v o n d e r I d i o m e n k o m m u n i k a t i o n als d e r M i t t e i l u n g i h r e r j e w e i l i g e n E i g e n t ü m l i c h k e i t e n . 4 9 D i e L e h r e d e r I d i o m e n k o m m u n i k a t i o n f u n g i e r t m i t h i n als Näherbestimmung Buddeus

betont,

der

Gemeinschaft

zwischen

Idiomenkommunikation

der

kein

der N a t u r e n . 5 0

Kommunikation

realer,

sondern

der

Daher

besteht,

Naturen

und

ein k o n z e p t i o n e l l e r

wie der

Unter-

s c h i e d . 5 1 Sie w i r d w i e s c h o n die K o m m u n i k a t i o n d e r N a t u r e n in d e n p e r s o n a l e n P r o p o s i t i o n e n d e r S c h r i f t g e f u n d e n . O b w o h l die b e g r i f f l i c h e A n s t r e n g u n g , d i e in d e r a l t l u t h e r i s c h e n T h e o l o g i e m i t d e r L e h r e d e r

Idiomenkom-

m u n i k a t i o n u n t e r n o m m e n w o r d e n ist, g e g e n das e i g e n t l i c h e I n t e r e s s e e i n e n s c h r i f t f e r n e n u n d s p e k u l a t i v e n E i n d r u c k e r w e c k t , w i l l sie g r u n d s ä t z l i c h als R e k o n s t r u k t i o n d e r B e s t i m m u n g d e r P e r s o n des E r l ö s e r s aus d e n e n s t p r e chenden Aussagen

der Schrift v e r s t a n d e n sein. Buddeus unterscheidet

in

Entsprechung zur Konkordienformel und zur überwiegenden Mehrheit der

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ID IV,2,10, 1031: "Ex unione ista personali non potest non fluere naturarum communicatio, seu intima illarum communio, per quam divina natura, hominis est, seu filii hominis, humana autem, Dei esse censetur". 49 ID IV,2,13, 1039: "Quemadmodum autem vera, realisque, omni αλλοιώσει prorsus proscripta, communicatio intelligitur, ita simul probe observandum, earn neutiquam κατα μετεξιν vel μετεκβασιν, aut simili ratione, sed κατα συνδυασιν, per unionem & coniunctionem factam, recte existimari. Duo namque sedulo hic evitenda extrema sunt; alterum eorum, qui communicationem hanc veram, realemque esse negant, alterum vero illorum, qui attributa divina humanae naturae ita communicata censent, ut in eamdem transierint, & veluti transfusa sint."

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Die Idiomenkommunikation ist Voraussetzung der durch die communicatio naturarum konstituierten (ID IV,2,10, 1031) communio naturarum (ID IV,2,12, 1037), weil nach lutherischer Uberzeugung die perichoretische Gemeinschaft der Naturen nur in der Kommunikation statthat (vgl. ID IV,2,10, 1031) und diese wiederum nur aufgrund der Mitteilung der Eigenschaften als reale gelten kann. Da die proprietates der Natur jedoch nicht von derselben getrennt werden können (ebd. und 1038f.), läßt sich die Mitteilung der Naturen in der communicatio naturarum nur so denken, daß "idiomata etiam & operationes communicatae censeantur" (ID IV,2,12, 1037). Ein idioma ist im Unterschied zur proprietas das, "quod alterutri naturae per se competit, nec tarnen primum eius conceptum ingreditur" (ID IV,2,12, 1037). Vgl. zur Entstehung der Lehre von der communicatio idiomatum Theodor Mahlmann, Das neue Dogma der lutherischen Christologie. Problem und Geschichte seiner Begründung, Gütersloh 1969; sowie Walter Spam, Die Wiederkehr der Metaphysik, Stuttgart 1976. Zum Unterschied zwischen dem altkirchlichen und dem altprotestantischen Verständnis der communicatio idiomatum vgl. Pannenberg, Grundzüge der Christologie, 307f. Zu Luthers Verständnis der Idiomenkommunikation als Bestimmung der Person Christi und seiner Abgrenzung gegen das scholastische Verständnis der Personeinheit insbesondere bei Ockham vgl. die eingehende Untersuchung von Reinhard Schwarz in dem Aufsatz 'Gott ist Mensch. Zur Lehre von der Person Christi bei den Ockhamisten und bei Luther', in: ZThK 63/1966, 289-351.

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ID IV,2,12, 1038f.: "Cum enim communicatio naturarum a communicatione idiomatum, non tam re ipsa, quam nostro concipiendi modo, differat; & vero ex unione hypostatica non possit non naturarum communicatio fluere, manifestum est, neminem idiomatum communicationem negare, aut in dubium vocare posse, nisi simul naturarum communionem, ipsamque adeo unionem hypostaticam, labefactare velit." Vgl. auch Pfaff, Institutiones 11,4,2, 347: die praedicationes personales bestimmen die unio personalis.

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lutherischen Theologen drei Genera personaler Propositionen, die die Idiomenkommunikation thematisieren. Das damit zu erreichende exakte Verständnis der Einheit der Person in der Kommunikation der Naturen gehört jedoch, wie Buddeus ausdrücklich im Zusammenhang der Lehre von den Fundamentalartikeln vermerkt, nicht mehr zum primären, sondern zum sekundären Glaubenswissen, das zwar nicht bestritten werden kann, aber auch nicht ausdrücklich gewußt werden muß. Wenn Lorenz von Mosheim dagegen wenig später die Idiomenkommunikation nicht mehr als einen fundamentalen Bestandteil des Glaubens erklären kann, so zeigt sich darin weniger eine Ablehnung des mit der Idiomenkommunikation verbundenen Aussageinteresses als vielmehr die Einsicht, daß sich unter den Bedingungen der fortschreitenden philosophischen Entwicklung mit der alten Terminologie der Schulmetaphysik dieses Interesse nicht mehr gezielt wahrnehmen läßt. Dieses Interesse an einer vollständigen Bestimmung der Personeinheit des Erlösers muß hier herausgearbeitet werden, weil es für ein angemessenes Verständnis der in der altprotestantischen Theologie noch unter dem Stichwort der Satisfaktion entfalteten Konstitution der Versöhnung entscheidend ist. Vorab ist dabei auf die für die Lehre von der Idiomenkommunikation vorausgesetzte Differenzierung innerhalb des Begriffs der Natur aufmerksam zu machen. Den ursprünglich abstrakten Naturbegriff 52 , der beispielsweise die Gottheit Gottes oder die Menschheit des Menschen bezeichnet, sieht die lutherische Christologie nämlich in den sogenannten mystischen Prädikationen über die existentielle Einheit der Naturen 5 3 , in denen Aussagen von Gott bzw. vom Gottessohn oder vom Menschen bzw. vom Menschensohn gemacht werden 5 4 , konkret gebraucht und stellt damit "die logische Differenz zwischen Abstraktem und Konkretem ... tiefgreifend in Frage." 5 5 Erst auf dieser Basis kann die Einheit der Person des Erlösers durch die drei Genera der Idiomenkommunikation expliziert werden. Im Unterschied zur weithin gängigen lutherischen Bestimmung des ersten Genus der Idiomenkommunikation, wonach die Eigenschaften der Naturen als an die Person oder die konkrete Natur mitgeteilt gelten 56 , rech52 53 54

Vgl. dazu Spam, Wiederkehr, 95. Siehe dazu Sparn, Wiederkehr, 8 Iff. Vgl. zur Unterscheidung zwischen dem concretum naturae und dem concretum personae ID IV,2,11, 1035 A . l , zur Unterscheidung zwischen konkreter und abstrakter Natur ID IV,2,14 A . l , 1042; IV,2,15, 1043f.; IV,2,16, 1046. 55 Sparn, Wiederkehr, 95. 56 Vgl. z.B. Hollaz, Examen 111/1,3,39, 174: "Primum genus communicationis idiomatum est, quando propria divinae, vel humanae naturae vere & realiter tribuuntur toti personae CHRISTI ab alteruträ vel utraq; natura denominatae". Hollaz unterscheidet drei species des ersten genus. Die erste besteht darin, daß ein Idiom der menschlichen Natur vom Konkreten der göttlichen Natur ausgesagt wird. Die zweite besteht in der Mitteilung der göttlichen Idiome an die menschliche Natur in der Weise, daß diese von der menschlichen wegen der unio personalis ausgesagt werden können. Die dritte species besteht schließlich darin, daß

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nen Baier und ihm folgend Buddeus nur diejenigen Aussagen zum ersten Genus der Idiomenkommunikation, in denen eine Eigenschaft der einen Natur v o m K o n k r e t u m der anderen Natur prädiziert wird. 5 7 Denn Aussagen über die Person als Ganze dienten nicht der Explikation der Kommunikation der Naturen und seien daher keine personalen Propositionen im eigentlichen Sinne. 5 8 Als Beispiele führt Buddeus Aussagen der Schrift an, in denen entweder der Sohn Gottes oder der Sohn des Menschen das Subjekt und eine Bestimmung der jeweils anderen Natur das Prädikat ist. 5 9 Die in solcher Mitteilung der Eigenschaften statthabende Gemeinschaft der konkreten Naturen gilt im Unterschied zur Perichorese der Naturen als reziprok 6 0 , weil beide Naturen in ihrer konkreten Bestimmtheit als Gott oder Mensch die Eigenschaften der jeweils anderen N a t u r von sich aussagen lassen. Wiewohl die Gemeinschaft der Naturen nunmehr als wechselseitige und reziproke Mitteilung gelten kann, bleibt doch anhand einer zweiten Reihe von Aussagen festzustellen, inwiefern diese Vereinigung als eine reale und unlösliche Gemeinschaft der Naturen untereinander zu begreifen ist. Das zweite 6 1 Genus der Idiomenkommunikation bezieht sich daher auf Aussagen über die Mitteilung der Eigenschaften an die abstrakte 6 2 Natur. 6 3 sowohl die göttlichen also auch die menschlichen Idiome von der konkreten Person, also von Christus nach beiden Naturen prädiziert werden können, vgl. aaO., 41, 175. 57 ID IV,2,15: "Primum nimirum genus comminicationis est, quando ea, quae Deo propria sunt, homini, & quae homini propria sunt, Deo, propter unionem personalem tribuuntur. Pertinentque adeo ad primum hocce genus eiusmodi praedicationes, in quibus de concreto naturae divinae, idioma humanum, & vicissim, de concreto naturae humanae, idioma divinum adfirmatur." Durch diese Deutung der communicatio naturarum bleibt die Eigentümlichkeit der jeweiligen Natur unangetastet. Dennoch ist das Verständnis der bisher durch die personalen Propositionen ausgesagten communicatio naturarum vertieft. Denn mit der Idiomenkommunikation im ersten genus können nun auch die biblischen Sätze gewürdigt werden, die von dem Konkreten der einen Natur ein Idiom oder eine Tätigkeit der anderen Natur prädizieren. Buddeus nennt als Beispiele Rom 1,3; Rom 8,32 und J o h 3,13. 58 Vgl. Baier, Compendium 111,2/1,18, 354 und bes. 19, 355. Baier lehnt sich an die Beobachtungen von Hutter und Scherzer an. Er unterscheidet "praedicationes, in quibus vel subjectum est concretum ejus naturae, ad quam praedicatum formaliter pertinet; vel subjectum est concretum personae, et praedicatum est idioma alterius naturae" von denen, "quae proprie ad hoc genus communicationis idiomatum pertinent". Allerdings ist er der Meinung, daß die ersten beiden Arten von Prädikationen weiterhin innerhalb des ersten Genus aufgeführt werden können (357). Zu dem gleichen Urteil kommt Buddeus ID IV,2,15, 1045: "hasce propositiones, adcurate loquendo, personales non esse, etsi ad eas, & quidem ad primum genus communicationis idiomatum, revocari quodammodo possint." 59 Vgl. ID IV,2,15, 1044, A.2. 60 ID IV,2,15, 1044: "Fundamentum vero huius communicationis esse communicationem naturarum, prouti haec ex unione hypostatica fluit, nemo non intelligit. Hinc vero patet, quod communicatio ista sit reciproca." 61 In F C VIII war das Majestätsgenus als drittes Genus nach dem apotelesmatischen benannt worden. Diese Reihenfolge wurde von den späteren Theologen geändert. Baier erklärt in Compendium 111,2/1,20, 358 diese Änderung damit, daß die Mitteilung der Majestät eine "declaratio primi generis" sei. Buddeus begründet ID IV,2,14, 1043 die Reihenfolge damit, daß aus den Idiomen die Tätigkeiten folgen, "prout ad officium Christi mediatorium concurrunt", diese also die Idiome zur Voraussetzung haben. Daraus ergibt sich für ihn als

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D a die Gottheit in ihrer Unveränderlichkeit keine Idiome der Menschheit empfangen kann, ist die Mitteilung einseitig als Mitteilung aller göttlichen Eigenschaften an die menschliche N a t u r bestimmt. Das Majestätsgenus formuliert im Unterschied zum ersten Genus also keine reziproke Mitteilung. 6 4 Es spezifiziert vielmehr die durch die Eigentümlichkeit der Naturen bedingte Unterschiedenheit der wechselseitigen, aber nicht reziproken Perichorese der Naturen dahingehend, daß die göttliche Natur des Logos ganz in die menschliche N a t u r eingeht, indem sie sich ihr in allen Eigentümlichkeiten mitteilt, und die menschliche Natur die göttliche zu ihrer Vervollk o m m n u n g empfängt, ohne ihrerseits Eigentümlichkeiten an die göttliche N a t u r mitzuteilen. 6 5 Obwohl also die Perichorese der konkreten Naturen im Blick auf die Eigenschaften als reziproke zu bestimmen ist, gilt dies aufgrund der Eigentümlichkeit der Naturen nicht für die Mitteilung der Eigenschaften an die abstrakten Naturen. Dabei muß nun allerdings die Empfänglichkeit der menschlichen N a t u r für die göttliche genauer qualifiziert werden. Denn soll in der Gemeinschaft der menschlichen und der göttlichen N a t u r die menschliche N a t u r in ihrer Menschlichkeit und relativen Selbständigkeit gedacht werden können 6 6 , so lassen sich die anenergetischen Eigenschaften der Gottheit, durch die das göttliche Wesen an sich selbst

natürliche Anordnung, daß die Mitteilung der Idiome an beide konkrete Naturen und an die abstrakte menschliche Natur der Mitteilung der Tätigkeiten vorangehen muß. 62 ID IV,2,16, 1046: "In secundo enim hocce genere humana Christi natura in abstracto consideratur, in primo autem in concreto; adeo, ut non tantum quae Christo homini, sed ipsi humanae eius naturae conveniunt, in censum veniant." 63 ID IV,2,16, 1046: "Alterum genus communicationis in eo consistit, quod humana Christi natura, in se quidem, seu abstracte, sed intra unionem tarnen personalem spectata, omnium perfectionum divinarum, auctoritatisque adeo, honoris, & potestatis hinc resultantis, particeps facta est. Referendum itaque ad hocce genus omnes illae praedicationes, in quibus divinum aliquod idioma de humana Christi natura, abstracte spectata, adfirmatur." Da die Mitteilung der energetischen göttlichen Majestätseigenschaften an die menschliche Natur als reale verstanden ist, gilt die religiöse Verehrung Christus nicht nur nach seiner göttlichen, sondern auch nach seiner menschlichen Natur, vgl. ID IV,2,17, A.3, 1058-1061. 64 65

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ID IV,2,16, 1046: "Accedit, quod in secundo hocce genere nulla sit reciprocatio, ut in primo." Vgl. Baier, Compendium 111,2/1,20, 358 (a): "Est [maiestatis communicatio; Vf.] autem declaratio primi generis; et hue redit, quod quemadmodum ex parte naturarum, etsi divina humanae, et humana divinae personaliter uniatur, hoc tarnen intercedit discrimen, quod divina natura humanam intime penetrat et perficit; humana vero non vicissim penetrat ac perficit divinam, sed ab hac penetratur et perficitur: ita in communicatione idiomatum hoc ex parte naturarum intercedat discrimen, quod divina natura humanam penetrans, eandem etiam abstractive conceptam perfectionem suarum divinarum suo modo partieipem facit: non autem vicissim humana natura, quae nec permeat aut perficit divinam naturam, hanc abstractive conceptam suarum proprietatum partieipem aeque facere possit, aut faciat." Unter Berufung auf die F C betont Buddeus ID IV,2,13, 1039f., es sei in der Entfaltung der wahren Gemeinschaft der Naturen das Extrem derer zu vermeiden, "qui attributa divina humanae naturae ita communicata censent, ut in eamdem transierint, & veluti transfusa sint."

unabhängig von seiner Tätigkeit bestimmt wird 67 , nicht als unmittelbar mitgeteilte verstehen, weil die direkte Mitteilung der Unendlichkeit, Unermeßlichkeit oder der absoluten Einfachheit die Auflösung der menschlichen Natur bedeuten würde. 68 Die Mitteilung der anenergetischen Eigenschaften hat nach Buddeus vielmehr nur als indirekte statt, indem ein anenergetisches Idiom auf ein solches Attribut bezogen wird, das der menschlichen Natur unmittelbar zugeschrieben werden kann. 69 Bei den der menschlichen Natur unmittelbar zuschreibbaren Idiomen handelt es sich um die energetischen, eine Tätigkeit bezeichnenden Eigenschaften der göttlichen Natur. 70 Baier und Buddeus nennen hier in Ubereinstimmung mit der kenotisch denkenden Tradition der Gießener Theologen Allwissenheit 71 , Allmacht und Allgegenwart 72 , während Pfaff, der kryptischen Tradition der Tübinger folgend, die Allgegenwart nicht als energetische Eigenschaft 73 auffaßt und mithin nur Allwissenheit und Allmacht als der menschlichen Natur kommunizierte

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ID IV,2,16, 1049 Α.2: die anenergetischen Attribute, die "sine manifests contradictione de humana Christi natura adfirmari nequeant", sind "quiezcentia, seu quae operationem divinam n o n denotant, qualia sunt, infinitas, immensitas, aeternitas, simplicitas". ID IV,2,16, 1047 u n t e r Berufung auf F C VIII: "humanae in Christo naturae nihil e o r u m tribui vel debere, vel posse, quod sit supra, vel contra naturales ipsius proprietates, etiamsi scripturae testimonia humanae Christi naturae talia tribuant". Vgl. Baier, C o m p e n d i u m 111,2/1,21, 361: "Pertinent ... ad hoc genus communicationis idiomatum praedicationes... illae quidem, quae in formali conceptu suo operationem aliquam respiciunt; non autem aliquid, quod veritati humanae naturae prorsus repugnat".

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Vgl. die Bestimmung des genus maiestaticum ID IV,2,16, 1046: "Alteram genus communicationis idiomatum in eo consistit, quod humana Christi natura, in se quidem, seu abstracte, sed intra unionem tarnen personalem spectata, o m n i u m perfectionum divinarum, auctoritatisque adeo, honoris, & potestatis hinc resultantis, particeps facta est. Referendae itaque ad hocce genus omnes illae praedicationes, in quibus divinum aliquod idioma de humana Christi natura, abstracte spectata, adfirmatur. Id vero de ε ν ε ρ γ η τ ι κ ο ι ς perfectionibus, iisque, quae nihil, quod humanae naturae repugnet, involuunt, intelligendum esse, res ipsa docet. Reliquae enim, etsi non immediate, intercedente tamen alio quodam attributo, de Christo, secundum h u m a n a m naturam spectato, adfirmari possunt." So läßt sich z u m Beispiel sagen, Christi Allwissenheit sei unendlich, siehe I D IV,2,16, Α.2, 1049f.: "Etsi enim dicere nequeam, h u m a n a m Christi naturam esse infinitam, recte tamen adseritur, eam omnisciam esse omniscientia infinita".

70 71

ID IV,2,17, 1050; ID IV,2,16, A.2, 1049. Als Zeugnisse der Allwissenheit Christi nennt Buddeus I D IV,2,17, 1051f. Kol 2,3; J o h 1,48; 2,24.25; 21,17; A p k 2,23. Teilweise sind dies Stellen, w o ausdrücklich v o m Irdischen die Rede ist. Davon unterschieden werden die anenergetischen Eigenschaften, "quae operationem divinam non denotant", wie Unendlichkeit, Unermeßlichkeit, Ewigkeit, Einfachheit. Vgl. Pfaff, Institutiones 11,4,3, 357. Pfaff unterscheidet zwischen einer vermittelten und einer unmittelbaren Mitteilung der göttlichen Eigenschaften an die menschliche Natur. Die anenergetischen Eigenschaften sind nicht "ad denominationem & usurpationem immediateque sed mediate saltern & ad possessionem" mitgeteilt. Pfaff referiert die Position T h u m m s Institutiones II,4,3,353ff. Vgl. zur Bestimmung der energetischen Eigenschaften ebd. 357. Nach dem Urteil Walchs ist T h e o d o r T h u m m der, der in dieser Sache das meiste geschrieben habe, vgl. Religionsstreitigkeiten, aaO., 211. Vgl. außerdem Jörg Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 272f.

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Eigenschaften bestimmt. Auf die Bedeutung dieses Sachverhalts ist später im Zusammenhang der Erniedrigung zurückzukommen. Mit der im zweiten Genus der Idiomenkommunikation formulierten Mitteilung der energetischen Eigenschaften an die menschliche Natur ist nunmehr die tiefste Explikation der Inkarnationsaussage erreicht. Während Pfaff dabei wohl vor allem die Vorstellung der Vergöttlichung der menschlichen Natur durch Gottes Allwissenheit und Allmacht erbaute, ist Buddeus stärker an der relativen Selbständigkeit der menschlichen Natur als Bedingung der Gemeinschaft der Naturen interessiert. Der soteriologische Wert dieser durch die Differenzierung der personalen Propositionen gewonnenen Anschauung der Inkarnation besteht für ihn darin, daß die menschliche Natur durch die Inkarnation nicht vereinnahmt, sondern in ihrer Unterschiedenheit und relativen Selbständigkeit vollendet wird. U m schließlich den die Versöhnung des Menschen mit Gott begründenden Vollzug des Mittleramtes als Tätigkeit der in der Gemeinschaft der Naturen existierenden Person auffassen zu können, sind diejenigen Propositionen der Schrift in Betracht zu ziehen, in denen eine zur Ausübung des Mittleramtes wesentliche Tätigkeit entweder der Person Jesu Christi oder dem Konkretum einer der beiden Naturen zugeschrieben wird. 74 Dies geschieht durch das dritte Genus der Idiomenkommunikation. 7 5 Es ist nach Buddeus im Unterschied zu der in der Konkordienformel entwickelten Reihenfolge den anderen Genera darum nachzuordnen, weil die den Naturen eigentümlichen Tätigkeiten als Folge der unterschiedlichen Idiome der beiden Naturen aufzufassen sind. 76 In Entsprechung zur Perichorese der Naturen läßt sich zwar das gemeinschaftliche Tätigsein nicht als reziproke, aber doch als wechselseitige Beteiligung der Naturen an der der jeweils anderen Natur wesentlichen Tätigkeit denken. Gemeinhin wurde daher die göttliche Natur als in der menschlichen Natur tätige vorgestellt, so daß die menschliche Natur als Instrument der göttlichen erscheinen mußte. 7 7 Diese bereits im zweiten Genus hinsichtlich der Eigenschaften und nun auch im dritten Genus hinsichtlich der Tätigkei74

ID IV,2,18, 1062: "Unde & sporne sua sequitur, eas ad tertium hocce genus referendas esse propositiones, in quibus nomina aut opera officii mediatorii personae Christi, ab una, aut utraque natura denominatae, tribuuntur." Vgl. ID IV,2,18, 1064f. A.2: "Praedicatum est apotelesma aliquod, sive operatio, ad officium Christi praesertim sacerdotale pertinens; ut cum dico, Christum esse mortuum pro peccatis nostris. ... Ad subiectum quod attinet, illud aut concretum personae, aut concretum alterutrius naturae esse potest."

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ID IV,2,12, 1037f.: "in tertio autem genere, operationum, quae cuique naturae propriae sunt, quemdam veluti concursum, ut Christus officio mediatorio recte fungi posset, denotet." Vgl. ID IV,2,18, 1062. "Nimirum ex attributis, seu idiomatibus divinis non possunt non operationes divinae fluere" (ID IV,2,17, 1061). Die menschliche Natur verhält sich dabei als "instrumentum divinae, quod cum ea unam hypostasin, seu personam constituat" (ID IV,2,17, 1062). Zu den göttlichen Tätigkeiten, die die menschliche Natur ausfuhrt, gehören insbesondere die Wunder.

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ten festgeschriebene Einseitigkeit der Perichorese ist innerhalb der lutherischen Theologie zwar im Blick auf die Unveränderlichkeit und Leidenslosigkeit Gottes als notwendig angesehen, aber doch angesichts des soteriologischen Interesses an der möglichst vollkommen zu denkenden Wechselseitigkeit der Gemeinschaft der göttlichen und menschlichen Natur als problematisch empfunden worden. 78 Auch Buddeus erscheint die perichoretische Deutung der Gemeinschaft der Naturen, in der die menschliche Natur als rein passives Instrument der göttlichen Natur vorgestellt wird, als schwierig. Denn wo die menschliche Natur rein passiv gedacht wird, ist nicht nur die unter philosophischen Gesichtspunkten in den Vordergrund getretene und in der Jenaer Theologie aufgenommene - Bestimmung ihrer relativen Selbständigkeit, sondern damit auch ihre für die Naturengemeinschaft konstitutive Unterschiedenheit von der Gottheit gefährdet. U m daher die menschliche Natur nicht als das rein passive Instrument des Handelns der göttlichen Natur auffassen zu müssen 79 , bestimmt Buddeus das gemeinschaftliche Tätigsein der Naturen, wonach keine der beiden die Person konstituierenden Naturen ohne die andere tätig sein könne, als wechselseitigen Konkurs. 80 Die Bedeutung dieses von Buddeus in der Christologie nicht näher erklärten Terminus des Konkurses bzw. der Mitwirkung läßt sich aus der Schöpfungslehre genauer verstehen. Denn dort hat dieser Terminus die Funktion, Gottes providente Präsenz in der Welt so zu beschreiben, daß die Selbständigkeit der Geschöpfe in ihren Bewegungen nicht aufgehoben erscheint. 81 Für die providentielle Teilnahme Gottes an den Veränderungen seiner Schöpfung 8 2 setzt Buddeus innerhalb der Schöpfungslehre ausdrücklich voraus, daß den Geschöpfen, auf die sich die Mitwirkung Gottes erstreckt, durch ihre geschöpfliche Verfaßtheit die Fähigkeit der Selbstbewegung eignet. 83 Bei der Natur des Menschen ist das sogar in doppelter, nämlich in seelischer und physischer Hinsicht der Fall. Man wird daher die Aktivität der menschlichen Natur in der Mitwirkung beim Tätigsein der 78 79

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Vgl. dazu Spam, T R E 17, 5,34ff. ID IV,2,17, 1061: "Recte ... dicitur, quod divina Christi naturae, humana, seu instrumento, utatur, non eo quidem separato, sed longe coniunctissimo, non mere passivo, sed activo, & virtute cooperandi praedito." ID IV,2,18, 1062: "Tertium genus communicationis idiomatum in eo consistit, quod in iis, quae ad officium Christi mediatorium spectant, utraque natura, tum divina, tum humana concurrat, utraque etiam, quod sibi proprium est, conferat, nec una sine altera agat, idque ideo, ut effectus istius officii obtineri queat." Vgl. ID 11,2,46, 561; 48, 563-571. So geht es auch ID IV,2,17, 1061 und ID IV,2,12, 1037f. um die relative Selbständigkeit des Handelns der menschlichen Natur und also um die unvermischte Gemeinschaft der Naturen in ihrem Handeln. Dazu gehören "omnes rerum creatarum motus, atque actiones" (ID 11,2,48, 563). ID 11,2,48, 563: "Concursus Dei in iis rebus creatis adseritur, quae & ipsae facultate se movendi gaudent. Q u e m , qui ita explicant, quod Deus in prima creatione rebus eiusmodi vim operandi concesserit, revera eum negant."

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göttlichen Natur darin zu sehen haben, daß die menschliche Natur durch ihre geistige und körperliche Struktur das Tätigsein der göttlichen Natur mitbestimmt. Mit diesem Konzept der wechselseitigen Mitwirkung der Naturen bei dem ihnen jeweils eigentümlichen Tätigsein thematisiert Buddeus die relative Selbständigkeit der menschlichen Natur, die im zweiten Genus darin zur Geltung gebracht worden war, daß die menschliche Natur nur die energetischen Eigenschaften der göttlichen Natur unmittelbar zu empfangen bereit ist, auch im dritten Genus. Damit soll jedoch in keiner Weise einem Synergismus das Wort geredet sein. Die Teilnahme der menschlichen Natur an der Tätigkeit der göttlichen muß allein darum betont werden, weil anders die Gemeinschaft der Naturen gefährdet wäre und der Mittlertätigkeit keine stellvertretende Bedeutung zukommen könnte. Entsprechend ist das dritte Genus der Idiomenkommunikation bei Buddeus das einzige, dessen Propositionen als Subjekt die konkrete Person führen können. Denn da zum zweiten Genus auch bereits die Aussagen gehören, die eine Tätigkeit der göttlichen Natur der menschlichen Natur zuschreiben 84 , ist die Kommunikation der Naturen als Entfaltung der Inkarnationsaussage und als Bestimmung der Person des Erlösers bereits durch die ersten beiden Genera der Idiomenkommunikation hinreichend entwickelt. Im dritten Genus geht es mithin nicht mehr um die Konstitution der Person des Mittlers in der Inkarnation, sondern darum, das Handeln der Person des Mittlers als ein solches zu denken, an dem aufgrund der Gemeinschaft der Naturen in ihren Eigenschaften durchweg beide Naturen in ihrer Unterschiedenheit beteiligt sind. Ohne diese Voraussetzung wäre der Vollzug der Versöhnung durch die Erniedrigung und deren Offenbarung in der Erhöhung nicht als das Werk des Mittlers zu verstehen. Das Konzept des Konkurses soll dabei die relative Selbständigkeit der Naturen als Bedingung der wechselseitigen Teilnahme an der Tätigkeit der jeweils anderen Natur festschreiben. Wiewohl also die göttliche Natur abstrakt betrachtet nicht leiden und sterben kann, ist sie doch als konkrete an dem Leiden und Sterben der menschlichen Natur nicht unbeteiligt. 85 So läßt sich nach Buddeus zum Beispiel Act 20,28 verstehen. Umgekehrt gilt nach Lk 9,56,

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ID IV,2,12, 1038: daraus, daß im dritten Genus nur die Tätigkeiten als Prädikate gelten, die zur Mittlertätigkeit gehören, folge, "quando operationes divinae naturae, humanae tribuuntur, hoc non ad tertiura, sed ad secundum genus communicationis idiomatum pertinere". 85 ID IV,2,18, 1064: "lam ad rem ipsam quod attinet, cura ad αποτελέσματα ista, utraque natura, quod sibi proprium est, conferre dicitur, rationem eius rei facile perspiciet, qui consideraverit, opera officii mediatorii, quo servator functus est, ita comparata esse, ut nec sola humana, nec sola divina natura ea praestare potuerit. Secundum humanam enim naturam Christus poterat gravissima quaeque pati, mori, sanguinem effundere; quae de divina dici nequeunt. Haec omnia rursus effectu caruissent, nisi pretium infiniti valoris divina addidisset natura. ... Utramque autem Christi naturam, eo quo dicimus modo, ad istas operationes concurrere, tum ex natura & indole istorum officiorum, tum ex ratione unionis hypostaticae intelligitur". Vgl. auch Quenstedt, Systema 111,3.1/1,99, 155.

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daß die konkrete menschliche Natur, nämlich der Menschensohn zur Rettung der Menschheit gekommen ist. 86 Durch das dritte Genus werden dabei nicht nur die Satisfaktion, sondern auch die weiteren zum Mittleramt gehörigen Mittlertätigkeiten der priesterlichen Fürbitte, der prophetischen Verkündigung und der königlichen Weltregierung als gemeinsame Tätigkeiten beider Naturen festgeschrieben. Seine zentrale Bedeutung ist aber vor allem darin zu erblicken, daß es die Voraussetzung für den stellvertretenden Charakter des durch den Mittler vollbrachten Verdienstes formuliert. b) Das Verständnis der Erniedrigung des Mittlers Die Mittlertätigkeit des Erlösers, durch welche der Grund der Versöhnung gelegt wird, vollzieht sich nach lutherischem Verständnis durch die Erniedrigung als der Annahme aller menschlichen Schwächen und Leiden. 87 Nicht erst die Passionsgeschichte, sondern bereits die Geburt, die Beschneidung und die weiteren Momente des Lebensvollzuges Jesu werden als Darstellung der Übernahme der menschlichen Misere angesehen. Der höchste Grad der Erniedrigung des Mittlers läßt sich jedoch erst im Leiden und im Tod Christi anschauen. 88 Dabei kommt nach Buddeus dem seelischen Leiden Christi, welches in der Agonie zwischen der Angst vor der Größe des göttlichen Zorns über die Sünder und dem Willen, der Sendung des Vaters zu entsprechen 89 , bestehe, besondere soteriologische Bedeutung zu, weil das Individuum sich durch die Anschauung dieser seelischen Qualen des Erlösers auch und gerade in seiner eigenen Anfechtung durch die Angst vor dem Urteil Gottes vertreten wissen könne. Der höchsten Form der Todesangst und des seelischen Konfliktes entspreche die Grausamkeit des Todes selbst. Denn der Kreuzestod 9 0 übersteige nicht nur alle Leiden, er sei zugleich auch die unwürdigste Art der Hinrichtung. Erst in dieser äußersten Erniedrigung werde ihr Ziel, nämiich die Genugtuung für die Sünden erreicht. 91 In der 86 87 88 89

Siehe zu beiden A u s s a g e n I D IV,2,18, A.2, 1065. I D IV,2,20, 1066; I D IV,2,21, 1070ff. I D IV,2,22, 1073. I D IV,2,22, 1074, bes. 1075, w o es heißt, Christus sei "non tantum o b mortis temporalis m e t u m , sed simul o b irae divinae magnitudinem, q u a m nostri caussa sentire debebat, m a x i m e a n x i u m fuisse". D a s stellvertretende Fühlen des göttlichen Zornes versteht Buddeus ausdrücklich nicht so, als habe C h r i s t u s die endzeitlichen Q u a l e n der V e r d a m m t e n erlitten. D a s Erleiden des göttlichen Z o r n e s sei vielmehr so zu verstehen, "(q)uod dolores adeo graves, ut c u m infernalibus c o m p a r a r i possint, revera in anima sua senserit." Vgl. ähnlich Q u e n s t e d t , S y s t e m a 111,3.3/1,35.36, 498.499.

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D e n Sinn des Kreuzestodes erblickt Buddeus im Anschluß an Gal 3,13 darin, die E r l ö s u n g der Menschen v o m F l u c h des Gesetzes dadurch bewirkt habe, z u m F l u c h w u r d e , siehe I D IV,2,22, 1076. In der A m t e r l e h r e wendet sich Buddeus mit H e r m a n n Witsius gegen die v o n vertretene A u f f a s s u n g , derzufolge "nullas p a s s i o n u m Christi p r o p r i e esse

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daß C h r i s t u s daß er selbst J a k o b Alting satisfactorias,

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Art des Todes offenbare sich dabei das ganze Ausmaß der durch die Sünde entstandenen Schuld. 9 2 Darin, daß sich Christus als der Mittler in diese äußerste F o r m der Erniedrigung freiwillig hineinbegeben habe, werde jedoch gleichzeitig seine einzigartige Liebe offenbar. O b w o h l sich nach lutherischer Uberzeugung der unendliche Wert dieser Erniedrigung bis in den T o d nur unter der Voraussetzung der Inkarnation ermessen läßt, bereitet doch gerade die in der Lehre von der Person erreichte Bestimmung der Personeinheit durch die Idiomenkommunikation Schwierigkeiten für die Aussage der Erniedrigung. Denn wie soll die Erniedrigung statthaben, wenn doch nach dem zweiten Genus der Idiomenkommunikation der menschlichen N a t u r des Erlösers die energetischen Majestätseigenschaften mitgeteilt sind und sie mithin als allwissend, allmächtig und allgegenwärtig zu gelten hat? D i e Frage nach einem angemessenen Verständnis der Erniedrigung war T h e m a des A n f a n g des 17. Jahrhunderts in der lutherischen Theologie zwischen Gießener und Tübinger Theologen geführten Kenosis-KrypsisStreites 9 3 , der sich an der im Kontext der Abendmahlsthematik aufgekommenen Frage nach der Bestimmung der Allgegenwart Christi 9 4 entzündet hatte. Ohne auf die Argumente und besonders die verschiedenen Interessen-

praeter eas, quas per trihorium obscurationis solaris sustinuit, dum esset in cruce, & antequam exspiraret, adeoque & anxietates illas Christi, quas perpessus est in horto oliveti, ea nocte, qua captus est, & sanguinem, quem fudit, antequam cruci adfigeretur, & cum illud fieret, & postquam obiit in cruce" (ID IV,2,37, 1121). Die Seelenqualen allein vermögen die Wirkung der Sündenvergebung nicht zu begründen, weil ohne das stellvertretende Erleiden der Strafe des Todes die Sünden nicht vergeben werden können. 92 Unter Rekurs auf Ausführungen von Laktanz begreift Buddeus das Kreuzesgeschehen so, "ut abiecto hocce mortis genere & suam ipse humilitatem ostenderet, & infimae etiam condition s hominibus passionem suam profuturam doceret" (ID IV,2,22, 1076). 93 Vgl. zum Kenosis-Krypsis-Streit J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 204-289. Der Streit zwischen den Tübinger und Gießener Theologen wurde 1624 durch das in der 'Decisio Saxonica' bekanntgemachte Urteil der sächsischen Gutachter zugunsten der Gießener Position geschlichtet. Unter den hochorthodoxen Theologen faßt z.B. Quenstedt, Systema 111,3.3/2,1, 557-570, den Streit zusammen. Vgl. auch Jäger, Historia Ecclesiastica I, 329-339, Walch, Religionsstreitigkeiten 1,4,4, 206ff. (zur Gießener Position bes. 208f.) sowie Baumgarten, Geschichte, § 205, 1220ff. Die Grundüberlegungen, welche bei dem Streit ausschlaggebend wurden, beschreibt prägnant F.Chr. Baur in 'Dreieinigkeit und Menschwerdung Gottes' III.Theil, I. Abschn., 8. Kap., 450-457, bes. 450: "An der Distinction zwischen Besitz und Gebrauch hing die subtile Lehre, welche einerseits den Doketismus abwehren, andererseits die ganze Fülle der göttlichen Maiestät auf den Boden eines menschlichen Daseiyns versezen wollte". Siehe dazu ferner auch Thomasius, Person 2, 391-484. 94 Nach Jäger, Historia Ecclesiastica I, 330 ist der Streit 1616 durch Balthasar Mentzers Behauptung aufgekommen, "(o)mnipraesentiam definiendam esse per Operationem; id quod negarat Winckelmannus, asserens, aliud esse adesse; aliud operari seu agere". Vgl. zur Vorgeschichte der Auseinandersetzung in der lutherischen Theologie Otto Ritsehl, Dogmengeschichte IV, Kap. 58, 70ff.

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lagen des Streites im Einzelnen eingehen zu können 9 5 , sind doch die Grundgedanken als Voraussetzung für das Verständnis der Erniedrigung Christi in Buddeus' Konzeption kurz vorzustellen. Im Sinne der Betonung der Realität des Leidens an der Stelle der wahren menschlichen Natur unterschieden die Gießener Theologen zwischen Besitz und Gebrauch der energetischen Majestätseigenschaften, bestimmten die Erniedrigung als Verzicht auf den Gebrauch, nicht aber auf den Besitz der göttlichen Majestätseigenschaften 96 und hielten darin das zweite Genus der Idiomenkommunikation für gewahrt. Als Vertreter der Tübinger Position kann hier auf Buddeus 1 Tübinger Kollegen Pfaff rekurriert werden, der die Tübinger Christologie in der Gestalt bei Theodor T h u m m 9 7 aufgenommen hat. Pfaff vertritt somit die von den Tübinger Theologen gegen die Gießener aufgestellte Lehre eines verborgenen Gebrauchs 9 8 der göttlichen Majestätseigenschaften durch die menschliche N a t u r im Stand der Erniedrigung. 9 9 E r hält diese Aussage für notwendig, weil die Erniedrigung auf keinen Fall als Suspendierung der durch die Idiomenkommunikation konstituierten Einheit der Person verstanden werden dürfe. W o aber der Verzicht auf den Gebrauch auf eine Restriktion der Mitteilung der Eigenschaften zurückgeführt werde, sei der Gedanke der in der Gemeinschaft der Naturen konstituierten Personeinheit gefährdet. Gegen einen solchen Einwand hielten die Kenotiker zwar, der Verzicht gefährde die Personeinheit nicht, weil dieser vom Willen des Erlö-

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Die Interessenlage der Tübinger hat Jörg Baur in verschiedenen Aufsätzen herausgearbeitet, vgl. bes. ders., Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie. Einführende Überlegungen zum sogenannten Kenosis-Krypsis-Streit, 204-289.

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Vgl. Spam, T R E 17, 6. Auch Buddeus bestimmt I D IV,2,20, 1066 die Erniedrigung als "abdicatio usus plenarii" bestimmter göttlicher Majestätseigenschaften. 97 Siehe die Auflistung der Beiträge, die im Zusammenhang der "Nachhutgefechte" stehen, bei Baur, aaO., 288f. 98 Vgl. Pfaff, Institutiones 11,6,1, 447f.: "Jam enim humanam naturam possedisse in statu exinanitionis idiomata divina ajunt omnes, qui in castris Augustanae confessionis militant. Sed usurpasse eandem quoque Tubingenses addunt & ex vero addunt. ... Evacuationem usus majestatis divinae quoad actum reflexum non fuisse plenariam & universalem, id quod ex transformatione Christi ... prostratione adversariorum ... itemque ex adoratione ejusdem in statu exinanitionis ... enituit. ... Si clare res enarranda sit, Christum in statu exinanitionis, etsi cum Patre & Filio etiam quoad humanam naturam mediante persona Ecclesiam totumque mundum gubernaverit, omnia sciverit & ubique praesens adfuerit, ea omnipotentia, ea omniscientiä, eä omnipotentia, quae ipsa divina natura est, cum qua humana natura intime Sc περιχωρισου unita fuit, tarnen häc omnipotentia hactenus eousque non usum esse, ut opus redemtionis impediret, neque etiam gubernationem Ecclesiae & mundi ad oculos hominum manifeste exeruisse, sed, licet esset re vera summus, ditissimus totiusque mundi Rex, tarnen sub forma servili formam DEI, quam semper retinuit, id quod es participio υπάρχων Phil. 11,6. constat, occultässe, acsi esset servus, puperrimus, ... mortalis". Nach Pfaff war Christus also während seines irdischen Daseins in verborgener Weise allwissend, allmächtig und allgegenwärtig und offenbarte den permanenten Gebrauch dieser Eigenschaften nur gelegentlich in seiner Verkündigung oder in den Wundern, siehe Pfaff, aaO., 449 unter Bezug auf J o h 3,13; 4,50; M k 14,13ff.; Jes 11,Iff.; Joh 2,24.25; vgl. auch Institutiones 11,4,4, 366. 99

Vgl. Walch, Religionsstreitigkeiten 1,4, 210f.

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sers und nicht von der personalen Vereinigung abhinge. 100 Doch Pfaff erscheint bereits die von den Kenotikern vorausgesetzte Distinktion der Mitteilung der Eigenschaften in eine Mitteilung zum Besitz und zum Gebrauch, die einen willentlichen Verzicht denkbar machen sollte, problematisch. Im Blick auf die Allwissenheit sei sie unvertretbar, weil sich die Allwissenheit nur als Akt auffassen lasse. 101 Und auch die Allmacht könne nicht als nur besessene, aber nicht betätigte Eigenschaft gedacht werden. Daher erklärt er die Aussage eines kompletten Verzichts auf die Betätigung der Allmacht an der Stelle der menschlichen Natur im Stande der Erniedrigung für unmöglich. U m nun allerdings das Leiden Christi nicht unter Doketismusverdacht gestellt zu sehen, sondern dessen Realität betonen zu können, lehrt er im Einklang mit der Tübinger Tradition die Sistierung des reflexiven Gebrauchs der Allmacht. 1 0 2 So kann er - wie auch Buddeus ihm attestiert 103 - den Vorwurf, es handele sich bei der Erniedrigung um reine Krypsis, begründet ablehnen 104 , obwohl er einen auf das Universum gerichteten verborgenen Gebrauch der Allmacht durch die menschliche Natur in der Erniedrigung behauptet. 105 Zwischen diesen beiden in der lutherischen Christologie eingeschlagenen Wegen zum Verständnis der Erniedrigung versucht Buddeus zu vermitteln. Das Interesse Pfaffs an der durchgängigen Einhaltung der Idiomenkommunikation teilt er entschieden. Denn ist die Person des Mittlers wesentlich durch die unlösliche Gemeinschaft der Naturen gekennzeichnet, und gilt dieses besondere Personsein als Voraussetzung der Versöhnung durch den aktiven und passiven Gehorsam der Erniedrigung, so darf die Erniedrigung auf keinen Fall auf eine Einschränkung der Naturengemeinschaft zurückgeführt werden, weil sie dann nicht mehr die Erniedrigung der durch die Gemeinschaft der Naturen bestimmten Person des Mittlers wäre. Aber muß darum die Erniedrigung als kryptischer Gebrauch der energetischen Majestätseigenschaften gedacht werden? Diese Aussage der Tübinger Christologie kann Buddeus nicht nachvollziehen. Denn ihm geht es darum, das ganze Leben Jesu in seinen einzelnen Vollzugsmomenten 106 als reale Übernahme 100 D i e s gibt W a l c h , R e l i g i o n s s t r e i t i g k e i t e n 1,4, 209f. in s e i n e m R e f e r a t d e r k e n o t i s c h e n P o s i t i o n z u b e d e n k e n . A u c h B u d d e u s b e t o n t I D I V , 2 , 2 0 , 1070 i m B l i c k auf d e n V e r z i c h t : " n o n invitus, aut c o a c t u s , s e d s p o n t e s u a h o c fecerit". 101 V g l . P f a f f , I n s t i t u t i o n e s , 11,4,4, 368: " C a e t e r u m q u o a d o m n i s c i e n t i a m n o n p o t e s t distingui inter κ τ η σ ι ν Sc χ ρ η σ ι ν , c u m o m n i s c i e n t i a n o n n i s i p u r u s actus sit, c u j u s o p e r a t i o RETRAHI NUNQUAM POTEST." 102 P f a f f , I n s t i t u t i o n e s 11,4,4, 368. 103 I D I V , 2 , 2 0 , A . l , 1067. 104 P f a f f , I n s t i t u t i o n e s , 11,6,1, 447. 105 I n s t i t u t i o n e s 11,4,4, 3 6 6 ; vgl. 11,4,3, 357. 106 V g l die B e s c h r e i b u n g d e r L e b e n s g e s c h i c h t e des E r l ö s e r s als G e s c h i c h t e seiner E r n i e d r i g u n g I D I V , 2 , 2 1 , 1070f.: " U t a u t e m status ille exinanitionis ad t o t u m illud t e m p u s , q u o C h r i s t u s inter m o r t a l e s v e r s a t u s est, p e r t i n e t , ita a p r i m o s t a t u m c o n c e p t i o n i s m o m e n t o i n i t i u m s u m s i t , c o n t i n u a t u s q u e est in nativitate, c i r c u m c i s i o n e , p u r i f i c a t i o n e , educatione, o m n i q u e

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der menschlichen Erniedrigung zu verstehen 107 . Die Mittlertätigkeit beschränkt sich nicht auf das Erleiden des Todes, sondern ereignet sich im Ganzen des Lebens Jesu. Die Lehre vom verborgenen Gebrauch der göttlichen Majestätseigenschaften an der Stelle der menschlichen Natur widersteht jedoch dieser Einsicht, daß das ganze Leben Jesu der Ausübung des selbstgewählten Amtes gewidmet ist, indem sie die Bedingungen, unter denen der Mittler in der Schrift als wahrer Mensch erkannt werden kann, untergräbt. 1 0 8 Buddeus bestimmt daher die Erniedrigung als spontane, freiwillige Absage der in der Gemeinschaft der Naturen geeinten Person an den Gebrauch der energetischen Majestätseigenschaften. 109 Das Majestätsgenus bleibt jedoch darin gewahrt, daß die Absage nicht als Aufgabe der energetischen Majestätseigenschaften 110 , sondern nur als Absage des vollständigen Gebrauchs derselben verstanden wird. 111 Daß die Eigenschaften der Allwissenheit, Allmacht und Allgegenwart der menschlichen N a t u r Christi auch während der Erniedrigung eignen, wird von Buddeus aus zahlreichen Schriftstellen belegt. So sei ihre Allwissenheit darin bezeugt, daß Jesus um sein Schicksal gewußt habe und ihm außerdem die Erkenntnis dessen, was die Menschen im Innern bewegt, zugeschrieben wurde. 112 Für einen Verzicht auf den vollständigen Gebrauch der Allwissenheit des Irdischen gibt Buddeus keine Beispiele. Er dürfte ebenso wie Pfaff einen solchen Verzicht

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vitae, quam in hacce terra degit, actu. N e c enim in hisce omnibus aliud quid, quam humile & ab omni splendore alienum, & longe infra humanam, multo magis divinam maiestatem positum, deprehenditur." ID IV,2,20, 1066: "infirmitates naturales, quibus alii homines obnoxii sunt, expertus est; & in ea forma, quae servum, seu infimae conditionis h o m i n u m , cum varus vitae huius lncommodis colluctantem, refert, adparuit." I D IV,2,25, Α.2, 1093: "usu tarnen eius se abdicavit, donee omnia peregisset, quae h o m i n u m caussa ei peragenda fuerunt." Vgl. ID IV,2,20, 1066: " N o n ergo in occulatatione saltem quadam, sed in vera usus plenarii abdicatione, exinanitio ista consistit." Siehe auch ID IV,2,19, 1065: "ipse tarnen sponte sua usu istius maiestatis, ut officio, quod in se susceperat, fungi posset, se ad certum tempus abdicavit, quem deinceps iterum sibi adservit. Unde duplex eius status, exinanittonis alter, alter exaltationis observari solet." Vgl. ID IV,2,20, 1066 A . l : "Ut autem liberrime, nulla coactus necessitate, quinimmo solo ductus h o m i n u m amore, iste divinorum attributorum usu sese abdicavit". ID IV,2,20, 1066 A . l : "Porro, d u m usu saltem istorum attributorum se abdicasse dicitur, de ipsis attributis hoc neutiquam intelligendum, nemo non videt. A t t r i b u t u m enim aliquod divinum deponere n o n potuit, ut non simul ipsam naturam divinam deponeret; quod sine unionis personalis dissolutione fieri n o n potuit. U m o n e m autem personalem dissolutam fuisse, quis diceret? Sed & ad usum quoque istorum attributorum ε ν ε ρ γ η τ ι κ ώ ν quod attinet, n o n o m n i prorsus, sed plenano saltem se Christum abdicasse contendimus". I D IV,2,20, 1066: "Status itaque exinanitionis in eo consistit, quod Christus attributorum divinorum ε ν ε ρ γ η τ ι κ ώ ν usu plenario, non tantum intuitu humanae suae naturae, sed & huius universi, ad certum tempus sese abdicavit". Vgl. ID IV,2,16, 1049. Siehe zur Allwissenheit I D IV,2,17, Α.2, 1051 f. Hier demonstriert Buddeus die Mitteilung der Allwissenheit an die menschliche N a t u r aus Schriftaussagen: "Ab omniscientia ut initium faciamus, luculentissima sane exstant scripturae effata, quae, eam Christo secundum humanam naturam recte tribui, comprobant."

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für unmöglich gehalten haben. Einen kryptischen Vollzug derselben zu lehren, ist in jedem Fall überflüssig. Anders als bei der Allwissenheit läßt sich im Leben Jesu aber ein nur partieller Gebrauch der Allmacht erkennen, zum Beispiel in den Wundern und insbesondere in den Auferweckungen. 1 1 3 Im Unterschied zu Pfaff führt Buddeus dies auf eine reale Absage an den vollständigen Gebrauch derselben nicht nur im Blick auf die eigene Person, sondern auch hinsichtlich des Universums 1 1 4 zurück. Dennoch betont Buddeus entschieden, daß Christus, obwohl er den vollständigen Gebrauch der Macht zur Regentschaft erst nach seinem Aufstieg in den H i m m e l wahrgenommen habe 1 1 5 , auch nach seiner menschlichen N a t u r v o m ersten M o m e n t der Erniedrigung und also von Geburt an K ö n i g gewesen sei. 1 1 6 Denn obwohl Christus erst mit seiner Erhöhung die volle Ausübung der Königsherrschaft angetreten habe, sei daraus nicht zu folgern, daß Christus als der Irdische nur der Bezeichnung oder dem Besitz nach allmächtiger König gewesen sei. Seine Königsherrschaft finde vielmehr darin ihren Ausdruck, daß er sich auch noch in der Ohnmacht der Erniedrigung und im Wissen um das bevorstehende Leiden als König habe bezeugen können. 1 1 7 Die Behauptung der Tübinger Christologie, Christus habe auch während seines irdischen Daseins seiner menschlichen N a t u r nach die Allmacht in vollem U m f a n g , aber verborgen zur Weltregierung gebraucht, wird also von Buddeus nicht bestritten, sondern erfährt eine neue, geradezu dialektische Interpretation, die auch das kenotische Interesse zu integrieren vermag, indem der passive Gehorsam der Erniedri-

113 Zur Demonstration der Mitteilung der Allmacht an die menschliche Natur vgl. ID IV,2,17, A.2, 1052-1054. Da Christus nach Mt 28,18 die ganze Macht im Himmel und auf Erden gegeben sei, müsse ihm diese auch nach seiner menschlichen Natur mitgeteilt sein. Siehe dazu ferner Phil 3,21; Apk 5,12; Joh 17,2. Dabei könnten Macht und Machtausübung nicht voneinander getrennt werden, wie aus N u m 16,22; 27,16; Jer 32,27 hervorgehe. Die in Gen 18,25 als Moment der göttlichen Allmacht bestimmte "potestas iudicium faciendi" demonstriere sich nach Joh 5,27 in der Menschheit Christi. Ebenso zeige sie sich in der von Christus als Mensch geübten Macht, Tote lebendig zu machen. 114 ID IV,2,20, 1066: "... non tantum intuitu humanae suae naturae, sed Sc huius universi". 115 ID IV,2,42, 1134f.: "Christus, qua Deus spectatus, una cum patre, & spiritu sancto semper rex fuit; secundum humanam autem naturam considertus, statim ab ipsa, ex Maria virgine, nativitate, qua ipsam maiestatem & potestatem regiam, rex fuit; plenarium tamem regiae istius potestatis usum, & exercitium, post suam demum in caelum adscensionem sibi adseruit." 116 Vgl. ID IV,2,42, 1134f.: "In statu itaque exinanitionis itidem iam rex fuit servator noster, prouti regis nomine is venit, qui ius regnandi habet, ipsamque maiestatem possidet, etsi ab eius usu se abstineat. ... Et sane, cum regia potestas a divina natura separari nequeat; in Christo vero a primo conceptionis momento παν το πλήρωμα της 9εοτητος habitet σωματικως, Coloss.II,9. dubitandum non est, eum etiam in statu exinanitionis regem fuisse." Ein Gedanke, der der modernen Dogmatik Schwierigkeiten bereitet, vgl. Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 2, 492. 117 Diesen Gedanken entnimmt Buddeus den Aussagen Christi im Verhör durch Pilatus Mk 14,61 und Joh 18,36, vgl. ID IV,2,42, 1135: "Immo, in ipsa passione, summoque adeo exinanitionis gradu, servator, se regem esse, aperte testatus est; Marc.XIV,61. Ioan.XVIIl,36."

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gung nicht als Gegensatz zur Allmacht, sondern als Moment der Demonstration der Allmacht gedacht wird. In ähnlicher Weise wird auch die Allgegenwart des Erniedrigten ausgelegt. D o c h war hier die Problemlage eine andere. Während die Allgegenwart bei den Gießenern als energetische, dem Willen unterstehende und von der Anwesenheit Gottes bei allen Kreaturen zu unterscheidende Eigenschaft aufgefaßt worden war 1 1 8 , denkt Pfaff die Allgegenwart der menschlichen Natur in der Erniedrigung im Sinne der Tübinger als eine in der Vereinigung der Naturen der menschlichen Natur absolut, nicht respektiv kommunizierte Eigenschaft. Aufgrund der Mitteilung dieser Eigenschaft könne Christus seiner menschlichen Natur nach daher nicht nicht allgegenwärtig sein. Die Allgegenwart sei weder identisch mit der Allwirksamkeit, noch stehe sie zur Disposition des Gebrauchs. 1 1 9 So ist für Pfaff die Rede von einem Verzicht auf dieselbe zum Zeitpunkt der Erniedrigung nicht möglich. Die Behauptung eines verborgenen Gebrauchs wird damit unnötig. Buddeus stimmt mit Pfaff insoweit überein, als auch er die durch die Vereinigung des Logos mit der menschlichen Natur vermittelte Allgegenwart Christi nach seiner menschlichen N a t u r 1 2 0 im Stande der Erniedrigung 1 2 1 lehrt. E r setzt jedoch dabei ein modifiziertes Verständnis der Allge118 Die Streitfragen hinsichtlich der Allgegenwart sind zusammengefaßt bei Jäger, Historia Ecclesiastica I, 329: "Quaestio itaque est primo de fundamento adaequato & formali Omnipraesentiae: A n illud quaerendum sit in sola unione υποστατική, an vero in Divina voluntate sit collocandum. Secundo, utrum hominis Christi realis aliqua fuerit in Statu Exinanitionis indistans praesentia seu propinquitas substantialis. Tertio, utrum Christo homini in Exinanitionis Statu Divina quoque apud Creaturas operatio universalis tribuatur. Quarto, utrum Exinanitio Majestatis in unione acceptae depositione, abdicatione, & omnimoda non usurpatione, an vero per formam sevi assumptam facta vero per formam servi assumptam facta occultatione, hoc est, per retractionem usus Majestatis in officio Sacerdotali; per exertionem vero in officio Regio (latenter licet) describenda sit. Tubingenses in omnibus affirmativam tenent, Giessenses negativam. Saxonici primo statuerunt, Tubingenses EXCESSU laborare, Giessenses vero DEFECTU. Concesserunt enim, Christum etiam in Statu Exinanitionis ratione humanae naturae omnibus creaturis praesentem adfuisse, sed non Universaliter operatum fuisse. U t videre est ex literis. Postmodum vero Giessensium sententiam adoptarunt, ut in sequentibus dicemus; quanquam B. Scherzerus Majorum suorum iterum vestigia legerit, & , quod attinet praesentiam partialem, ut loquuntur, cum Tubingesibus senserit, ut audiamus infra." 119 Siehe Institutiones 11,4,4, 369f.: "Neque etiam admittenda hic est omnipraesentia respectiva, quae potius est multipraesentia & donum habituale, ut Christus juxta humanam natu ram possit esse, ubi velit, ... sed absoluta statuenda venit, qua posita caro Christi VI UNIONIS PERSONALIS non ubique esse non potest. ... non posse distingui inter κ τ η σ ι ν & χρησιν; cum omnipraesentem haud esse κατα χ ρ η σ ι ν & tarnen onmipraesentem esse idem sit, ac simul omnipraesentem & non omnipraesentem esse." 120 I D IV,2,17, 1054: "hacce quidem omnipraesentia non per se, sed per unionem personalem humana Christi natura gaudet". 121 Vgl. zur Bestimmung der Allgegenwart der menschlichen Natur Christi I D IV,2,17, A.2, 1054-1058. Als Schriftzeugnisse für die Mitteilung der Allgegenwart an die menschliche Natur führt Buddeus Mt 18,20 an. N u r unter Voraussetzung der Allgegenwart könne Christus in der Mitte derer sein, die zu zweit oder zu dritt beisammen sind. Zugleich sei darin deutlich, daß die Allgegenwart nicht als "nuda operatio", sondern als "ipsa substantiae

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genwart als einer mit Tätigkeit verbundenen Präsenz 122 voraus und nennt diese darum eine energetische Eigenschaft 123 . Dennoch gilt sie ihm nicht als reine Tätigkeit 124 , sondern als die mit der Allgegenwart Gottes identische substantielle und aktuelle Anwesenheit bei allen Kreaturen. Da nämlich in der Gotteslehre die als Folge seiner Unermeßlichkeit gedachte Omnipräsenz Gottes bei allen Kreaturen 125 so bestimmt worden ist, daß durch sie auch die Kreaturen erhalten werden, die sich nicht bewegen, kann die Allgegenwart nicht als reine Tätigkeit gefaßt werden. Aufgrund dieser modifiziert energetischen Einstufung der Allgegenwart muß Buddeus nun allerdings im Unterschied zu Pfaff 126 betonen, daß Christus erst durch die Erhöhung auch seiner menschlichen Natur nach überall allen Kreaturen wirksam präsent zu sein vermag, während er in der Erniedridung nur begrenzt und nicht in der

adessentia" zu verstehen sei. Diese substantielle Anwesenheit Christi gelte für alle Kreaturen, nicht nur für die Glaubenden, obwohl Christus diesen auf besondere Weise, nämlich durch "concursus ad media gratiae" präsent sei (vgl. aaO., 1056). Auch aus dem Wort des Irdischen zu Nikodemus Joh 3,13 schließt Buddeus aaO., 1075: "si villus hominis eo ipso tempore, quo in terra cum Nicodemo loquutus est, etiam vere in caelis fuit, eum omnipraesentem esse, necesse est. Uno enim, eodemque temporis momento & in caelo, & in terra adesse, omnipraesentiae argumentum est certissimum." 122 ID IV,2,17, Α.2, 1054: die Omnispräsenz der menschlichen Natur Christi sei nicht im Sinne der absoluten Omnipräsenz als bloße Anwesenheit bei allen Kreaturen zu verstehen, sondern als "modificata, hoc est, cum ενεργεία & operatione divina, coniuncta". In der solchermaßen mit Tätigkeit verbundenen Allgegenwart bestehe "omnipraesentia ista, quam humanae Christi naturae vindicamus". Da nach ID IV,2,17, 1054 "(c)umprimis vero de omnipraesentia adhuc observandum, quod ea itidem humanae Christi naturae conveniat, recteque tribuatur", wird hier auch die Frage behandelt, "an adessentia ista humanae Christi naturae, cum divinae essentiae adessentia numero eadem sit?" Mit der Annahme, die Allgegenwart der menschlichen Natur sei im Unterschied zu allen anderen der menschlichen Natur in der Vereinigung der Naturen zukommenden Eigenschaften nicht numerisch identisch mit der Allgegenwart Gottes, könne zwar der Fehler des Eutychianismus vermieden werden, weil "si dicamus, humanae divinaeque naturae unam numero esse adessentiam, unam quoque numero utriusque esse essentiam". "Quodsi vero non una numero humanae, divinaeque naturae omnipraesentia statuatur, sequetur, duplicem in Christo omnipraesentiam esse, aliam divinae, aliam autem humane naturae; quod non temere admittendum." Daher muß betont werden, daß die Allgegenwart der menschlichen Natur mit der Allgegenwart der göttlichen Natur der Bestimmung nach identisch ist: "unde, uti ipsius Dei est haec omnipraesentia, ita & sine omni extensione, expansione, & diffusione earn intelligendam esse." 123 ID IV,2,17, 1050. 124 ID IV,2,17, Α.2, 1054: "Multo minus dixerim, humanam Christi naturam per solam operationem, seu per scientiam & potentiam, hoc est, prouti omnia cognoscit, & omnia ubique operatur, esse praesentem; improprie enim praesens est, qui ita saltem praesens est, nec cum communicatione naturarum, quam supra adstruximus, hoc conciliari poterit. Quin potius, Christum secundum humanam naturam, in se, & qua ipsam substantiam spectatam, omnibus rebus creatis actu praesentem esse, omnesque res creatas, modo tarnen divino, nobisque in hac vita minime perspecto, sibi praesentes habere, ... ut praesens omnia conservet, dirigat, gubernet, praesertim tarnen, ubi se praesentem futurum promisit, in ecclesia atque sacra caena." 125 Vgl. ID 11,1,41, 335. 126 Vgl. Pfaff, Institutiones 11,4,4, 369f., bes. 371.

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gleichen Weise wirksam gegenwärtig sein konnte 127 . Denn ein voller Gebrauch der Allgegenwart in der Erniedrigung würde die Erkenntnis der wahren Menschheit Christi und damit dann auch die Aussage über die Erhöhung des Inkarnierten behindern. So trägt Buddeus mit seiner Konzeption nicht nur der Tatsache Rechnung, daß die Allgegenwart Gottes in der menschlichen Natur Christi im Unterschied zur Allwissenheit und Allmacht erst durch die Erhöhung offenbar geworden ist. Er eröffnet auch den Gedanken, daß die Einschränkung des vollen Gebrauchs der göttlichen Allmacht an der Stelle der menschlichen Natur Christi während der Erniedrigung die Voraussetzung dafür ist, daß der inkarnierte Gottessohn nach Aufhebung der Erniedrigung allen Menschen als der Christus und also auch nach seiner menschlichen Natur wirksam präsent zu werden vermag. Denn der partielle Verzicht auf den Gebrauch der Allmacht ermöglicht die volle Annahme des menschlichen Geschicks und damit die volle Gemeinschaft der Naturen, ohne die wiederum Christus nicht als der Mittler allgegenwärtig sein würde. Die Erniedrigung vollzieht sich also nach der Interpretation von Buddeus weder im Verzicht auf den Gebrauch der energetischen Majestätseigenschaften, noch allein im Verzicht auf den reflexiven Gebrauch der Allmacht, sondern in der Absage der Person des Erlösers an den vollständigen Einsatz der Allmacht und Allgegenwart um der Ausübung seines Amtes willen. Dies ermöglicht ein reales Verständnis der Erniedrigung. Denn nur unter der Voraussetzung des durchgängigen Verzichtes auf den reflexiven Gebrauch der Allmacht kann die Übernahme aller menschlichen Schwierigkeiten 128 sowie der physischen Schmerzen und seelischen Leiden als reale Erniedrigung gelten 129 und der Lebensvollzug insgesamt als Ausdruck des aktiven und passiven Gehorsams gewürdigt werden. 127 ID IV,2,17, 1058: " Q u o d si in statu exinanitionis servator consideretur, dubium itidem nullum est, quin & tum omnipraesentia, cum tota plenitudine της 9εοτητος, qua humanam etiam naturam, gavisus fuerit; etsi non ea ratione, ac in statu exaltationis, ea usus sit. Haud dubio enim in statu exinanitionis omnipraesens esse potuit, quando, ubi, quoties, & quomodo voluit; sicuti in statu exaltationis ubique praesens est, & operatur." Daß mit der Behauptung, Christus habe sich als Mensch aufhalten können, wo und wann er wollte, nicht der Vollsinn der Allgegenwartsaussage während der Erniedrigung erfaßt wird, macht Buddeus ID IV,2,17, 1054 deutlich: "Nec dixerim, Christum secundum humanam naturam sibi saltern praesentem esse, ubi praesens esse velit, ut veluti de uno loco in alium se conferat; cum hoc nudo etiam homini, corpore glorificato praedito, Deus concedere queat, non autem eius sit, in quo παν το πλήρωμα της 3εοτητος habitat σωματικως." 128 ID IV,2,21, 1070ff. Vgl. auch die Ausführungen zur Armut Christi, die nachweisen wollen, daß Christus alles, was er zum Leben brauchte, von anderen erhielt, so daß er in seinem Leben nur als "ab omni splendore alienum, & longe infra humanam, multo magis divinam maiestatem positum, deprehenditur." (ID IV,2,21, 1071) Gerade in der Glanzlosigkeit und Besitzlosigkeit dieses irdischen Lebens manifestiert sich die göttliche Majestät als diejenige, die dies erträgt. 129 Vgl. ID IV,2,20, 1066. Zu diesen Schwächen zählen zum Beispiel die seelischen und physischen Schmerzen des Erlösers. Von der Annahme dieser Erniedrigungen ist die Annahme

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Mit der Bestimmung der Erniedrigung als Absage an den vollständigen Gebrauch der energetischen Majestätseigenschaften soll außerdem der Gedanke der in der Gemeinschaft der Naturen gegebenen Personeinheit gewahrt werden. Das ist die Voraussetzung dafür, daß die Erniedrigung bis in den Tod als Erniedrigung der in der Gemeinschaft der Naturen konstituierten Person des Mittlers aufgefaßt werden kann. 130 In diesem Interesse hatte man in Tübingen den kryptischen Gebrauch der Allmacht zur Regierung der Welt behauptet und nur einen Verzicht auf den reflexiven Gebrauch gelehrt. Buddeus hingegen löst sich an dieser Stelle von dem Verständnis der Konstitution der Person durch eine statisch gedachte Mitteilung der Eigenschaften. Seine Interpretation der Erniedrigung läuft darauf hinaus, daß der Erlöser in seiner Allwissenheit um des Vollzuges der Erniedrigung willen seine Allmacht nur partiell betätigt, um so in der Erhöhung auch seiner menschlichen Natur nach allen Kreaturen gegenwärtig zu werden. Das bedeutet jedoch, daß sich die Inkarnation in der Weise, wie sie durch das zweite Genus der Idiomenkommunikation postuliert wird, erst im Prozeß der Erniedrigung vollzieht. c) Die Vollendung des Werkes Christi in und durch die Erhöhung Die Einsicht in das Geheimnis des Kreuzes ist nicht allein aus der Bestimmung der Erniedrigung zu gewinnen, sondern hängt, wie Buddeus ausdrückder Eigentümlichkeiten der menschlichen Natur zu unterscheiden, die Buddeus ID IV,2,6, 1020f. beschreibt: "servator optimus cum hominibus onmia, quae iis, prout homines sunt, conveniunt, communia habuit". Dazu gehören "omnes animae facultates, intellectus cumprimis & voluntas, earumque operationes, omnes itidem adfectus, qui nullum vitium involuunt, gaudium, tristitia, ira misericordia, & quae reliqua sunt eiusdem generis, pertinent. Nec excludendae sunt infirmitates naturales, ut esurire, sitire, fatigari, & reliquae, quibus homines etiain absque peccato obnoxii esse possunt. Q u a e vero ex peccato fluunt, seu, in homine non essent, nisi peccato originali esset infectus, ea Christo minime tribuenda." Christus hätte auch ohne die Erniedrigungen menschlichen Daseins wahrer Mensch sein können (ID IV,2,20, 1068). Vgl. zum Thema auch Quenstedt, Systema 111,3.1/1,11, 111. 130 Im Anschluß an das Zitat von Phil 2,6-8 interpretiert Buddeus ID IV,2,20, 1068: " Q u a e quidem apostolum de Christo, ut homine spectato, seu humana Christi natura effari, nemo dubitabit, qui paullo adcuratius cuncta consideraverit. Secundum earn enim haec naturam intelligenda sunt, secundum quam obediens factus est ad mortem, seu mori potuit, atque revera mortuus est, itemque, secundum quam exaltatus est. Neutrum autem horum de divina eius natura dici potest. Unde & sequitur, exinanitionem hanc non de ipsa incarnatione accipiendam esse, sed de statu humili eius, qui homo verus, simulque verus Deus erat. Q u o d enim is ipse, qui exinanitus est, non tantum homo, sed simul verus Deus fuerit, indicat, dum dicit: ... qui in forma Dei exsistens. Ubi quidem per μορφην 9εου, non ipsam essentiam, sed maiestatem potius, gloriamque divinam ..., quam Christus se apud patrem habuisse dicit ..." Dabei nimmt Buddeus die von Pfaff (Institutiones 11,6,1, 449) in gleicher Weise verwendete Unterscheidung zwischen subiectum quod und subiectum quo auf: "subiectum quod (ita enim loqui amant) est filius Dei, prouti humanam naturam adsumsit; subiectum autem quo, ipsa humana natura." Sie dient lediglich dazu, die menschliche Natur als den Ort des Vollzuges des Leidens zu denken, an dem die göttliche Natur qua Personeinheit, aber nicht an sich selbst teilnimmt.

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lieh betont, vom richtigen Verständnis beider Stände des Erlösers ab. 1 3 1 Wiewohl nämlich durch den Stand der Erniedrigung der Vollzug des satisfaktorischen Amtes beschrieben wird, thematisiert doch erst die Darstellung des Standes der Erhöhung die Bedingungen, unter denen der Wert der Erniedrigung erkannt zu werden vermag. Die Erhöhung ist bestimmt als die sichtbare Ablegung der Knechtsgestalt 132 und damit als die Aufhebung der in der Erniedrigung angenommenen Schwachheit und des Leidens. Wie die Erniedrigung, so vollzieht sich auch die Erhöhung des Mittlers in spezifischer Weise an der Stelle der menschlichen Natur. 1 3 3 Die soteriologische Bedeutung der Erhöhung besteht dabei darin, daß in der Uberwindung menschlichen Elends und menschlicher Schwachheit durch Christus die Hoffnung auf ein von aller Unvollkommenheit und allem Leiden befreites wahres Menschsein des Menschen nach dem Tod eröffnet wird. In Ubereinstimmung mit der lutherischen Lehrtradition denkt Buddeus den Abstieg des Erlösers in das Reich des Todes als Beginn der Erhöhung. Denn da Jesus selbst am Kreuz sein Werk für vollbracht erklärt habe, dieses aber in der Erniedrigung bestehe, müsse die Höllenfahrt bereits dem Stand der Erhöhung zugerechnet werden. 134 Um die in diesem Zusammenhang debattierte Frage nach der konkreten Vorstellung der Höllenfahrt zu vermeiden, weist Buddeus darauf hin, daß die entscheidende Schriftstelle 1. Petr 3,18ff. nur eine Aussage über das Ziel der Höllenfahrt erlaube 135 . Dieses bestehe in der Offenbarung und Predigt Christi zu den in der Hölle gefangenen bösen Geistern und den Seelen der Verdammten. 1 3 6 Der Sinn dieser Predigt könne jedoch weder in der Rettung aller dort gefangenen Seelen gesehen 131 Siehe I D IV,2,47, 1177: "Ex statu autem Christi duplici, exinanitionis, & exaltationis, mysterium crucis recte intelligemus, ut ita ad veram sapientiam erudiamur". 132 I D IV,2,24, 1080f. A . l : "De humana equidem natura Christi dici potest, earn exaltatam esse, quando in hypostasin divinae naturae adsumta, maiestatisque adeo & gloriae divinae, qua possessionem, facta est partieeps. ... Sed ista hie in censum non venit exaltatio, quippe quae ad ipsam incarnationem spectat. ... Christum porro non secundum divinam, sed secundum humanam naturam exaltari potuisse, nemo dubitaverit. Secundum quam enim naturam iam summus est, secundum eam exaltari nequit." 133 Vgl. I D IV,2,17, 1059 in Auslegung von Phil 2,8-11: "Secundum eamdem nimirum naturam, secundum quam Christus exaltatus fuit, ... secundum quam etiam exinanitus fuerat, ... immo secundum quam Deus illi ... largitus est nomen supra omne nomen, secundum eam, inquam, naturam, hoc est, secundum humanam, ita honorandus est, ut in eius nomine omne se flectat genu." 134 I D IV,2,25, 1087. Vgl. die Ausbildung des Lehrstucks in C A III, B S L K 54. Buddeus verteidigt diesen Gedanken I D IV,2,25, 1083ff. gegenüber dem Einwand von Rufin, der bestritt, daß man ihn auf das Apostolikum zurückführen könne. 135 I D IV,2,25, 1082 A.2. 136 I D IV,2,25, 1083: "Superest itaque, ut concludamus, descensum Christi ad inferos proprie esse intelligendum, eo quidem modo, quod Christus, postquam resurrexerat, sed antequam resurrectionem suam manifestaret, qua corpus pariter ac animam, in locum, ubi spiritus maligni, animaeque damnatorum captivae detinentur, revera se contulerit, atque ibi praedicaverit."

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werden, weil damit der Allversöhnung das Wort geredet wäre. Noch habe Christus in der Höllenfahrt einzelne fromme Seelen befreien wollen, da die frommen Seelen in ihrem Glauben bereits gerettet seien. Christus sei vielmehr lediglich darum in das Reich des Todes hinabgestiegen, um den Verdammten ihren Unglauben als Grund ihrer Verdammnis darzutun und darin ihre Klage über Gottes Ungerechtigkeit und Unbarmherzigkeit zu widerlegen. 137 Da für dieses Geschehen die Wiederbelebung bzw. Auferweckung Christi durch Gott den Vater, die sich als Aufhebung der den Tod ausmachenden Trennung von Leib und Seele vollzieht, bereits vorausgesetzt ist 138 , bestimmt Buddeus die Wiederbelebung Christi als das erste Moment der Erhöhung. 139 In Entsprechung zu der in der Idiomenkommunikation ausgesagten Gemeinschaft der Naturen muß er dabei jedoch sogleich hinzufügen, daß Christus durch die personale Vereinigung nach seiner menschlichen Natur die Fähigkeit des Lebendigmachens schon als der Irdische besessen habe und daher selbst auferstanden sei. 140 Damit wird nun in der Tat die Grenze der Lehre von der Idiomenkommunikation erkennbar. Indem sie die Auferstehung als Tat des Sohnes behaupten will, verstellt sie den Weg für eine trinitarische Bestimmung des Versöhnungswerkes, wonach der Geist durch die Auferweckung Jesu an dem Werk des Sohnes beteiligt ist wie der Vater durch die Sendung des Sohnes. Stattdessen muß im Sinne der Unauflöslichkeit der Gemeinschaft der Naturen gesagt werden, der Sohn verfüge nach seiner menschlichen Natur stets über die Fähigkeit, Tote lebendig zu machen. Dies kollidiert jedoch wiederum mit dem Bestreben, die Realität des Todes zu unterstreichen. Denn einerseits wird der Tod gegen den Doketismusverdacht als reale Auflösung der leibseelischen Einheit der menschlichen Natur behauptet 141 , andererseits soll der gestorbenen menschlichen

137 ID IV,2,25, 1088: "Quae cum ita sint, qui Christum ideo descendisse ad inferos contendunt, ut se diabolo, omnibusque spiritibus malignis, seu victorem demonstrat, atque tamquam praeco aliquis regnum illorum iam destructum, caputve serpentis antiqui contritum denuntiaret, simulque animabus damnatorum, earum incredulitatem exprobraret, &, quod sua culpa miserae essent, nec ullam de iniustitia aut immisericordia divina conquerendi caussam haberent, significaret." 138 ID IV,2,25, 1088f. 139 Dies macht Buddeus ID IV,2,25, 1082 A.l gegen Rufin geltend. 140 ID IV,2,25, 1088: "A patre autem ita resuscitatus est Christus, ut simul & se ipsum resuscitaverit, siquidem ipsemet testatur, se potestatem habere libere vitam dimittendi, eamque iterum sumendi; Ioan.X, 17,18. Quod & de humana Christi natura est intelligendum. Cum emm omms maiestas divina per unionem personalem illi communicata sit, hancce quoque potestatem, corpus suum resuscitandi, illi denegare nefas est." 141 ID IV,2,22, 1078: "Iam, ut de ipsa servatoris morte etiam aliquid dicamus, eam non imaginariam, aut simulatam, sed veram omnino fuisse, & tot alia scripturae testimonia, neutiquam nos dubitare sinunt." In Mt 27,50; Mk 15,37; Lk 23,46; Joh 19,30 werde der Tod als wahrer Tod beschrieben, da "(n)on tantum itaque vinculum illud naturale inter corpus & animam solutem est, sed anima etiam revera a corpore discessit." Der Tod Christi gilt darum als

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N a t u r die Kraft des Auferstehens zukommen. Auch wenn man zugesteht, daß die Gemeinschaft der Naturen durch den T o d nicht als aufgehoben zu gelten habe, weil die menschliche Natur in der unlöslichen Gemeinschaft mit der göttlichen N a t u r auch noch als gestorbene bewahrt bleibe - wobei die Realität des Todes nur durch die Leib-Seele-Unterscheidung so gedacht werden kann, daß die Naturengemeinschaft nicht aufgelöst erscheint 1 4 2 -, ist doch unter dieser Voraussetzung die Fähigkeit der gestorbenen menschlichen N a t u r zur Auferstehung schwer zu denken, soll nicht die Realität des Todes in Frage gestellt werden. A n dieser Stelle wird also die Lehre von der Idiomenkommunikation unnötig strapaziert. N e b e n der Realität des Todes muß Buddeus angesichts der elementaren Bedeutung der Auferstehung für die Wahrheit der Erhöhungsaussage und damit für die Wahrheit der christlichen Religion 1 4 3 insgesamt Spinozas Deutung der Auferstehung diskutieren und widerlegen. Denn darin, daß Spinoza die Auferstehung als spirituelles Ereignis, in welchem sich Christus allein den Gläubigen als ihr Haupt offenbart, aufgefaßt und mithin die entsprechenden Schriftaussagen im Unterschied zu den Passionsberichten allegorisch gedeutet hatte 1 4 4 , erblickt Buddeus eine elementare Fehldeutung der Auferstehungsaussage. Während Spinoza im Zuge seiner allegorischen Auslegung der Auferstehung bestritten hatte, die Auferstehung, derer die Evangelisten und Apostel gewiß waren, hätte auch von Ungläubigen gesehen werden können, versucht Buddeus, den Glaubensartikel von der Auferstehung als einen nicht nur für den Gläubigen wahren Satz zu demonstrieren. Zu diesem Zweck weist er darauf hin, daß nach 1. Kor 15,6 die Erscheinung des Auferstandenen nicht nur den bereits gläubigen Anhängern widerfahren sei und außerdem in J o h 21,10.20.27 als sinnlich wahrnehmbare bezeugt werde. Auch wenn die Auferstehung nicht wie Jesu Lehre oder Verurteilung zu den allgemein anerkannten Fakten gehöre 1 4 5 , sei daraus weder ein Zwei-

wahrer T o d , weil er " n o n tantum in solutione, sed &C separatione animae corporisque constitisse" (vgl. I D IV,2,22, 1073.1078). 142 I D IV,2,22, 1078: " V e r u m etsi C h r i s t u s , dissolutione ista animae & corporis facta, formaliter h o m o dici nequeat, idem tarnen materialiter ita vocari potest, siquidem in triduo m o r t i s h u m a n a natura, qua partes, a n i m a m & corpus, & remanserit, & umta fuerit c u m divina natura. N e c enim q u i d q u a m obstat, q u o minus divina natura c u m c o r p o r e pariter ac anima unita esse potuerit, etsi haec ab lllo per m o r t e m fuerit separata." 143 D a h e r findet sich die D e m o n s t r a t i o n der Wahrheit der Auferstehung bereits in I D 1,1,28, 44ff. im K o n t e x t der Darstellung der Wahrheit der christlichen Religion. Vgl. I D IV,2,25, 1089: "... inter praecipua christianae religionis capita, i m m o fulcra, veritatem resurrectionis Christi eminere, ad earn i m p u g n a n d a m , d u b i a m q u e reddendam, o m n e s ingenii vires conferre solent, ut reliqua o m n i a , quae huic f u n d a m e n t o superstructa sunt, eadem ruina involuant." 144 Buddeus zitiert Spinozas Äußerungen in dessen Brief 23 und 25, 454.458; siehe I D IV,2,25, 1089. 145 Vgl. dazu I D 1,1,28, 46f. Α . 3 : "Facta, quibus religionis christianae Veritas, simulque divina innititur origo, duplicis sunt generis. Q u a e d a m enim ita c o m p a r a t a sunt, ut ab iis etiam, apud q u o s nulla c e t e r o q u m s c r i p t o r u m novi testamenti est auctoritas, admittant; ... Alia

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fei an der Vertrauenswürdigkeit der Zeugen noch eine allegorische Deutung der Auferstehung zu rechtfertigen. Denn die Vertrauenswürdigkeit der Zeugen beruhe auf der ihren eigenen Glauben begründenden genauesten Kenntnis der Heilstatsachen 146 und habe sich entsprechend in der Beständigkeit ihrer Verkündigung bestätigt 147 . Angesichts dessen könne den Zeugen Jesu nicht unterstellt werden, sie hätten andere täuschen wollen. 148 Ebensowenig sei in ihrer Berichterstattung von der Auferstehung ein allegorischer Sinn intendiert. Eine solche Annahme käme vielmehr einer Negation der mit der Auferstehung Christi verbundenen Hoffnung gleich. 149 Nach einer exegetischen Untersuchung des Aussagegehaltes und der Aussageintention des Schriftzeugnisses könne die Auferstehung also nicht als ein spirituelles Ereignis gedeutet werden. Spinozas Verständnis müsse mithin als nicht schriftgemäß abgelehnt werden. Denn die Auferstehungsaussage sei in der gleichen Weise wie die Passionsberichte eine unabhängig von der individuellen Frömmigkeit als wahr zu bestimmende Aussage der Schrift. Als Wiederbelebung der menschlichen Natur Christi ist die Auferweckung für Buddeus und die lutherische Tradition nicht nur Voraussetzung der Höllenfahrt und der Auferstehung am dritten Tage, sondern imgleichen die Bedingung der in der Himmelfahrt universal offenbarten Verherrlichung des Leibes Christi zur Unsterblichkeit. 150 Indem sich durch die endgültige Uberwindung der Erniedrigung die mit Christus verbundenen Verheißungen erfüllt haben, erscheint der Sieg Christi über seine Feinde besiegelt. 151 Mit der Verherrlichung des Leibes ist nunmehr die höchste Stufe der Erhöhung erreicht, welche die Schrift als das Sitzen zur Rechten Gottes beschreibt. 152

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autem facta ita sunt com parata, ut non admittantur ab omnibus, immo a quibusdam, Iudaeis scilicet, ethnicis, & quibusvis hominibus incredulis, negentur strenui, & prorsus reiiciantur." Die genaue Kenntnis der Zeugen schließt Buddeus ID 1,1,28, 48 A.l daraus, "quod perpetui sevatoris fuerint convictores, omniumque eorum, quae publice pariter & privatim gessit, inspectores continui. Ubicumque etiam locorum erat servator, apostolos comites, vitaeque suae & actionum testes secum habere voluit. Hinc & ipsi subinde de rebus, de quibus testimonium perhibent, seu longe sibi exploratissimis, summa cum animi fiducia loquuntur." ID 1,1,28, 48f. ID IV,2,25, 1090 mit Verweis auf die Begründung, die bereits ID 1,1,28, 44ff. in den fundamentaltheologischen Überlegungen zum Religionsbegriff gegeben worden ist. ID IV,2,25, 1089: "Dum allegorice exponendam dicit resurrectionem Christi, perinde hoc est, ac si eam diserte negasset." Vgl. ID 1,2,24, 157. Die Aussage von der Himmelfahrt bezieht sich in besonderer Weise auf die menschliche Natur, ID IV,2,25, 1091: "De divina enim eius natura hoc intelligi non posse, res ipsa docet." ID IV,2,25, 1092: "Necessaria autem fuit ista visibilis adscensio, ut omnes intelligerent, cuncta, quae vates de Christo cecinerant, adimpleta esse, simulque palam fieret, eum devictis hostibus per sollemnem triumphum ad dextram patris consedisse, hoc est, divmae maiestatis usum plenarium sibi vindicasse." Vgl. zur Auslegung der entsprechenden Aussagen des Apostolikums ID IV,2,25, 1094: "Nostrae huic, quam de sessione Christi ad dextram Dei exposuimus, sententiae, etiam favet symbolum apostolicum, in quo post adscensionem Christi in caelum commemoratur sessio eius ad dextram patris omnipotentis. Ubi quidem vox omnipotens, ... ut graeca symbols

Da das Sitzen zur Rechten Gottes als Aufnahme der vollständigen Betätigung der energetischen Majestätseigenschaften durch die menschliche N a t u r interpretiert wird 1 5 3 , bedeutet die Erhöhung nicht nur die endgültige Uberwindung des Todes und der menschlichen Schwächen, sondern die endgültige Unauflöslichkeit der Gemeinschaft der Naturen. Denn als der Erhöhte n i m m t Christus seine Allmacht zur Weltregierung durch die menschliche N a t u r in vollkommener Weise wahr 154 , indem er allen Kreaturen, insbesondere aber den Glaubenden als der inkarnierte Gottessohn gegenwärtig ist. 155 So wird mit der Erhöhung die Inkarnation als Vereinigung des Logos mit der menschlichen N a t u r nicht nur für alle Menschen erkennbar 1 5 6 , sondern auch erst in vollem Sinne realisiert. Denn erst in der Erhöhung ist die im zweiten Genus der Idiomenkommunikation bestimmte Mitteilung der energetischen Eigenschaften in der Weise abgeschlossen, daß nicht nur die Allwissenheit und die Allmacht, sondern auch die Allgegenwart Christi nach seiner menschlichen N a t u r gegeben ist. Da die Erhöhung die Verherrlichung der menschlichen N a t u r des Erniedrigten bedeutet, muß die Erhöhung dabei in Entsprechung zur Erniedrigung als die äußerste und höchste Form jeder habent, non sine ratione addita videtur. Licet enim hoc ita intelligi queat, quod Deus secund u m s u m m a m suam potentiam effecerit, ut Christus qua humanam naturam, eiusdem regni, eiusdemque maiestatis fit particeps, nihil tarnen etiam obstat, i m m o planior adhuc sensus est, si ita hoc capiamus, C h r i s t u m sedisse ad dextram Dei patris ... omnipotentis, ut in eiusdem omnipotentiae, qua solo nutu atque iussu cuncta efficere potest, ut nemo ei resistere queat, c o m m u n i o n e m venerit." 153 ID IV,2,25, 1093 mit Bezug auf Eph l,20f.: "Hinc vero simul patet, non qualecumque regnum, sed regnum vere divinum, cum maiestate, soli Deo propria, designari, in cuius c o m m u n i o n e m , qua usum plenarium, seu ipsum exercitium, Christus venit, quando ad dextram patris consedisse dicitur. Atque hoc speciatim de humana eius natura intelligendum esse, n e m o non videt. Secundum quam, licet ab ipso conceptionis m o m e n t o , per unionem hypostaticam hancce dignitatem ... adeptus sit, usu tamen ius plenario se abdicavit, donee omnia peregisset, quae h o m i n u m caussa ei peragenda fuerunt. Q u a utique ratione sessio ilia ad dextram Dei recte ad statum exaltationis refertur, aut potius ultimum velut eius complem e n t u m denotat." Vgl. ID IV,2,25, 1094: " Q u e m a d m o d u m autem ... per sessionem ad dextram Dei, ipsam regni divini c o m m u n i o n e m indicari, cuius usu plenario, & exercitio, Christus exaltatus etiam qua humanam naturam gaudet; ita formam, seu m o d u m istius sessionis, in ipso summae istius, vereque divinae potentiae usu, omnibusque adeo, ac singulis actibus, ad regnum potentiae, gratiae, & gloriae spectantibus, consistere, facile deprehendet, qui cuncta paullo adcuratius consideraverit." 154 D a ß der Verzicht auf den Gebrauch tatsächlich n u r die Allmacht betrifft, während die Allwissenheit nicht sistiert worden ist und die Allgegenwart erst mit der Erhöhung gegeben sein kann, wird in den Paragraphen über die Erhöhung ID IV,2,24.25, 1080-1095 insofern belegt, als hier n u r v o n dem vollständigen Gebrauch der Allmacht durch den Erhöhten die Rede ist. 155 Daher kann die Himmelfahrt gerade nicht so verstanden werden, "ac si hac ratione praesentia corporis Christi prorsus orbi huic subdueta sit. H o c enim fieri non potuit, cum omipraesentia humanae Christi naturae non magis, quam reliqua attributa divina ε ν ε ρ γ η τ ι κ ά , quae per unionem personalem i 11 i communicata sunt, denegari queat." (ID IV,2,25, 1091) 156 ID IV,2,24, 1080: "Exaltatus namque Christus dicitur, quando usum plenarium attribut o r u m divinorum, quo tantisper se abdieaverat, suseepit, simulque, quidquid in humana natura debile, aut infirmum erat, deposuit, formamque servi exuit, ut omnes verum hominem, qui simul verus Deus esset, maiestatisque divinae splendore coruscat, agnoscere possent."

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denkbaren Erhöhung gelten. 157 So zeugt auch die Einzigartigkeit des Vollzuges der Erhöhung von der Gottheit des Mittlers. Wegen der Manifestation der göttlichen Majestät in der Person Jesu gilt darum sein Name als der Name, der über allen Namen steht. Denn die Herrlichkeit Gottes, die sich in der Erhöhung und Verherrlichung der menschlichen Natur des Erlösers offenbart, ist nach der Interpretation von Buddeus derart, daß über sie hinaus keine größere gedacht werden kann. 158 Die Verstehensbedingung für die Erhöhung, in der sich die Gottheit des Erlösers offenbart, ist nach Buddeus die Messiashoffnung des Alten Bundes. Den einschlägigen Aussagen des Alten Testaments zufolge sei der Messias nicht nur als Retter, sondern darin zugleich als wahrer Gott erwartet worden. 159 Da die Erhöhung jedoch nur unter Voraussetzung des realen Unterschieds zwischen Erniedrigung und Erhöhung sinnvoll behauptet werden kann, bringt Buddeus anders als die Tübinger Christologie Pfaffs den realen Unterschied zwischen Erniedrigung und Erhöhung auch hinsichtlich des Gebrauchs der göttlichen Majestätseigenschaften zur Geltung. Die Absage an den vollständigen Gebrauch der energetischen Majestätseigen-

157 In der Auslegung der Erhöhungsaussage des Philipperhymnus ID IV,2,24, 1081 heißt es: " C u m autem apostolus dicit, quod Deus eum ... exaltaverit, Christum intelligit, secundum h u m a n a m naturam spectatum. Si quaeras, qualis ilia exaltatio fuerit? vox ipsa υ π ε ρ υ π σ ω σ ε talem fuisse indicat, quae s u m m a sit, & qua maior, sublimiorque n o n detur." 158 ID IV,2,24, 1081: "Neve hac de re [die Erhöhung, Vf.] dubium superesset, ulterius hoc declarat, D e u m ei n o m e n dedisse, adserens ... quod super omne nomen, hoc est, s u m m u m , o m n i u m n o m i n u m excellentissimum. N o m i n e JESU hoc intelligendum non esse, vel inde liquet, quod illud ex mandato divino in ipsa circumcisione ei impositum sit. Superest itaque, ut de ipsa maiestatis divinae manifestatione hoc accipiamus, siquidem & n o m e n inter indicia, ex quibus h o m i n e m cognoscimus, locum obtinet. Tantam nimirum δ ο ξ α ν seu claritatem, & ε ξ ο χ ή ν ei obtigisse, significat, qua nulla maior cogitari potest, quippe quae soli Deo sit propria. Ista autem claritate, έ ξ ο χ η & maiestate divina qui pollet, illi etiam, seu vero Deo, cultus religiosus debetur. ... N o n enim ab homimbus solum, sed & spintibus omnibus, adeoque omnibus creaturis, ratione praeditis, adorandum atque colendum esse servatorem, significat: quo ipso cultus universalis, adeoque soli Deo conveniens, indicatur". Vgl. auch die Ausführungen zur Verehrung Christi nach seiner menschlichen N a t u r in dem Paragraphen z u m genus maiestaticum ID IV,2,17, 1058. Da der menschlichen N a t u r Christi die göttlichen Eigenschaften der Allwissenheit, Allmacht und Allgegenwart im Sinne des zweiten Genus der I d i o m e n k o m m u n i k a t i o n z u k o m m e n , werde er zurecht für Gott selbst gehalten u n d sei in entsprechender Weise zu verehren: "Fundamentum itaque ipsum adorationis, seu cultus religiosi, cum in h u m a n a Christi natura conspiciatur, de actu etiam nullum p o t e n t esse d u b i u m . ... Sane t o t u m Christum adorandum, & nos fatemur; verum n o n t a n t u m ratione divinae naturae, quod illi cupiunt, qui hoc obtendunt, sed & ratione humanae naturae." 159 ID IV,2,27, 1098 A . l : "Primus equidem praecipuusque Messiae character est, quod verus Deus, simulque verus h o m o esse debeat." Vgl. I D IV,2,4, 1013: "Atque hinc etiam in veteri testamento subinde indicatur, Messiam, seu humani generis redemtorem, non h o m i n e m tant u m , sed D e u m quoque fore. ... sed iuvat tarnen, quaedam adhuc addere, cum id vel maxime huius loci sit, ut constet, Messiam n o n hominem tantum, sed verum etiam debere esse D e u m . Id sane mater totius generis humani credidit ... Gen.IV,l. ... Sic ... angelus ille redemtor, quem Iacobus praedicat, Gen. XL VIII, 16. non alius esse potest, quam angelus ille increatus, qui simul redemtor humani generis, seu Messias esse debeat." Ferner werden Ex 23,20f.; 2. Sam 7,19; Ps 2 angegeben. Vgl. auch I D 11,1,49, A.2 und 3, 367-369.

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Schäften wird nämlich nicht abstrakt, sondern unter Berücksichtigung des konkreten Vollzuges der Erniedrigung und Erhöhung, durch den der Mittler allererst allgegenwärtig wird, bestimmt. Da auf diese Weise ein statisches Verständnis der Idiomenkommunikation, wonach die Naturengemeinschaft als dem Lebensvollzug vorgängige Konstitution der Person bestimmt ist, faktisch aufgegeben wird, meldet sich das Ende der an die schulphilosophische Terminologie gebundenen altlutherischen Formulierung des christologischen Themas an. Zugleich ist der Weg für die sogenannte Christologie von unten gebahnt. Denn wird die Person Jesu Christi erst im Prozeß der Erniedrigung und Erhöhung als die Person des Mittlers erkennbar, dann ist die Entfaltung der Christologie aus der Betrachtung dieses Vollzuges nicht nur möglich, sondern notwendig. Das hier rekonstruierte Verständnis der Idiomenkommunikation bei Buddeus, wonach die Allwissenheit faktisch als die einzige Eigenschaft erscheint, auf deren Gebrauch der Erlöser für den Vollzug der Erniedrigung nicht verzichten muß, enthält schließlich bereits einen Gedanken, der in der späteren Entwicklung der Christologie in der Bestimmung des Mittlers durch das vorzügliche Gottesbewußtsein Jesu zum Tragen kommen wird. Bei Buddeus gilt die sich in der prophetischen Verkündigung Jesu demonstrierende Allwissenheit jedoch nur als konstitutives Moment der aus dem Gesamtvollzug der Erniedrigung und Erhöhung zu erkennenden und in der Erniedrigung bis in den Tod spezifisch begründeten Mittlerschaft. Daher ist nun zu zeigen, inwiefern durch die priesterliche Mittlertätigkeit die Versöhnung des Menschen mit Gott konstituiert ist. d) Der Vollzug der Versöhnung durch den aktiven und passiven Gehorsam der Erniedrigung Indem die altprotestantische Theologie die in Christi priesterlichem Amt vollzogene Satisfaktion als Bedingung der Versöhnung zwischen Gott und Mensch bestimmte, folgte sie der von Anselm von Canterbury begründeten Tradition der Versöhnungslehre 160 . Das zur Satisfaktion erbrachte Verdienst Christi differenzierten die Altprotestanten allerdings in den aktiven Gehorsam der Gesetzeserfüllung und den passiven Gehorsam des Leidens und Sterbens. 161 Während in dem stellvertretenden Strafleiden des passiven 160 Vgl. zum Satisfaktionsbegriff bei Anselm von Canterbury, C u r Deus homo?, 68.88. Es ist bemerkenswert, daß in dieser Schrift der Satisfaktionsbegriff eine sehr viel geringere Rolle spielt als in der altprotestantischen Versöhnungslehre zum Beispiel bei Hollaz, Examen III/l,3,74ff., 238. 161 Siehe zum Beispiel Hollaz, Examen 111/1,3,78, 240: " C H R I S T U S satisfecit obedientia activa & passiva. Obedientia activa C H R I S T U S legem divinam nostri vice exactissime implevit, ut hanc impletionem legis vicariam peccatores poenitentes vera sibi fide applicantes coram judice D E O justi reputentur. Obedientia passiva C H R I S T U S totius mundi peccata in se transtulit, & poenas iis debitas ultro luit, sanguinem suum pretiosissimum fundendo, & mortem ingno-

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Gehorsams die Bedingung der Versöhnung Gottes und des Menschen gesehen wurde, galt der aktive Gehorsam als Voraussetzung des verdienstlichen Charakters des passiven Gehorsams und mithin als indirekte Voraussetzung der Versöhnung durch die Satisfaktion. In der Darstellung der Satisfaktionsleistung Christi bei Baier und Buddeus fällt dagegen auf, daß sie die Unterscheidung des passiven und aktiven Gehorsams beinahe völlig vermeiden 1 6 2 , obwohl sie ganz im Sinne der altprotestantischen Lehre das Erleiden der Strafe und die vollkommene Gesetzeserfüllung als die die Satisfaktion konstituierenden Vollzüge begreifen. 1 6 3 D i e herkömmliche Distinktion des aktiven und passiven Gehorsams erscheint Buddeus darum nicht mehr sinnvoll, weil er den gesamten Verlauf der Erniedrigung bis in den T o d , in der sich die gehorsame Annahme der Sendung vollzieht, als den stellvertretenden aktiven Gehorsam des Erlösers verstanden wissen möchte. 1 6 4 D a im Leiden selbst die Annahme der Erniedrigung in ihrer äußersten F o r m zu erkennen ist, muß es als Moment der Gesetzeserfüllung des aktiven Gehorsams verstanden werden. So gilt also hier nicht einfach die Erfüllung der zehn Gebote, sondern die Erniedrigung des Inkarnierten als Bedingung der satisfaktorischen Bedeutung des Kreuzestodes. Das Ziel des gesamten zur Satisfaktion erbrachten Verdienstes der gehorsamen Erniedrigung ist die Vergebung der Sünde. 1 6 5 Sie vollzieht sich durch den Kreuzestod, in dem der Mittler die Strafe für die Sünde der Menschen stellvertretend auf sich nimmt und erleidet. Die stellvertretende Übernahme

miniosissimam pro omnibus peccatoribus obeundo, ut credentibus in Redemptorem CHRISTUM peccata ad aeternam poenam non imputentur." Vgl. zur lutherischen Tradition insgesamt Schmid, § 36, 229 und zur reformierten Tradition Heppe/Bizer, 355. 162 Vgl. Baier, Compendium 111,2/3,9 (c), 376. Ebenso erklärt auch Buddeus die Unterscheidung nur in einer Anmerkung, ID IV,2,37, A . l , 1120: "Ipsa satisfactionis praestatio partim in eo consistit, quod dolores, cruciatusve longe gravissimos ... immo ipsam mortem pro nobis sustinuit; partim, quod etiam legem divinam pro nobis adcuratissime implevit. Hinc obedientia Christi, tum passiva, tum activa hue referri solet." Siehe auch ID 11,2,37, 1117. Vgl. dagegen zum Beispiel die Einbindung der Distinktion in die Definition der Satisfaktion bei Hollaz, Examen 111/1,3,75, 238: "Satisfactio est actus officii Sacerdotalis, quo CHRISTUS ex decreto divino consummatissima obedientia activa & passiva justitiae divinae peccatis hominum laesae satisfecit". 163 Siehe ID IV,2,37, 1117: " N o n tantum Christus passione & morte sua nostra peccata expiavit, sed per totam vitam suam, legem divinam pro nobis adcuratissime implevit; & ita pro nobis satisfecit, dum non tantum sacrificio infiniti valoris iratum Deum placavit, sed & ea omnia adeurate omnia praestitit, quae iustitia divina, hominum peccatis infinitum in modum laesa, exigere poterat". 164 Siehe ebd.: "per totam vitam suam, legem divinam pro nobis adcuratissime implevit". 165 ID IV,2,23, 1079: "Necessitatem mortis Christi, omniumque eorum, quae in statu exinanitionis passus est, ex fine status istius colligere licet. Finis autem non alius fuit, quam ut hac ratione omnium hominum expiaret peccata, & dona ad salutem consequendam necessaria lllis promereretur."

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des L e i d e n s z u r V e r g e b u n g d e r S ü n d e 1 6 6 h a t d a b e i u n i v e r s a l e B e d e u t u n g 1 6 7 . In

der

freiwilligen

Annahme168

der

Sendung

offenbart

der

Mittler

die

h ö c h s t e F o r m der L i e b e u n d darin zugleich die h ö c h s t e F o r m der H u m a n i tät.169 D e r unendliche W e r t dieser satisfaktorischen Mittlertätigkeit w i r d darin e r k e n n b a r , d a ß d e r G o t t e s s o h n selbst M e n s c h g e w o r d e n ist, u m d u r c h s e i n e E r n i e d r i g u n g bis i n d e n T o d d i e V e r s ö h n u n g des M e n s c h e n m i t G o t t z u stift e n . F ü r das V e r s t ä n d n i s des K r e u z e s t o d e s ist d a h e r v o r a l l e m das

dritte

G e n u s d e r I d i o m e n k o m m u n i k a t i o n v o n B e d e u t u n g , w e l c h e s das u n t e r s c h i e dene und d o c h gemeinschaftliche Tätigsein der N a t u r e n beschreibt.170 Z w a r ist es d i e m e n s c h l i c h e N a t u r C h r i s t i , d i e s t i r b t , a b e r a n g e s i c h t s d e r in d e r I d i o m e n k o m m u n i k a t i o n ausgesagten unlöslichen Vereinigung der göttlichen N a t u r mit der menschlichen betont Buddeus im Einklang mit Luther171, daß 166 Im Tod Christi wird die objektive Aufhebung der Sündenschuld offenbart. Er begründet so die Sündenvergebung. "Vergebung der Sünden bedeutet vornehmlich die NichtZurechnung derselben, oder die Aufhebung, und Wegschaffung, solcher Verbindlichkeit, zur Schuld und Strafe, von der sündigen Person" (KT 11,1/1,3/3, 283). 167 ID IV,2,39, 1129: "Praestantia satisfactionis huius etiam ex universalitate eius intelligitur, siquidem Christus pro omnibus omnium & singulorum hominum, cuiusque status aut conditionis fuerint, quocumque tempore & loco vixerint, peccatis, quantumvis numero multa, & gravitate atrocia sint, plenissime satisfecit". 168 Die freiwillige Annahme ist die Voraussetzung der Zurechenbarkeit und damit der stellvertretenden Kraft des Todes. Vgl. die Bestimmung des Verdienstes in der praktischen Philosophie EPP 11,2,32, 218f.: "Requiritur ergo ad meritum, ... ut actio non sit debita, qua perfectam, qua imperfectam obligationem: saltem ut applicatio ad certos homines in nostro posita sit arbitrio". Verdienstvoll ist eine Handlung durch die "relatio actionis, quam in gratiam alterius suscepimus, ad rem, quam sive ex conventione, sive ex lege aequitatis, ab altero expectamus." Für die Anrechnung eines Verdienstes ist außerdem erforderlich, daß beim Handelnden die Absicht besteht, durch seine Handlung einem anderen etwas Gutes zukommen zu lassen, und daß beim Rezipienten die Bereitschaft der Anerkennung der Handlung als Verdienst vorausgesetzt werden kann, so EPP 11,2,31, 218. 169 ID IV,2,32, 1111 A . l : "Amore erga omnes homines summo & ineffabili, immo tanto, ut sanguinem etiam suum pro illis effunderet, mortemque subiret acerbissimam. Atque huncce summum esse amoris gradum, ipsemet servator rectissime pronuntiat; loan.XV, 13 conf. I.Ioan.III,16. Quam suam φιλανθρωπιαν in eo etiam demonstravit, quod homines miseros, quosve peccatorum suorum serio poenitebat, summa humanitate exceperit". 170 Siehe die gegen Stancarus gerichtete Bestimmung der Notwendigkeit des dritten Genus der Idiomenkommunikation ID IV,2,14, 1041: "Sic cum dicebatur, filium Dei pro nobis passum, mortuumque esse, sensum esse putabat [seil. Stancarus; Vf.], filium Dei secundum humanam naturam pro nobis passum atque mortuum esse. Cui errori ut obviam irent nostrates, ostenderunt, propositiones istas ita explicandas esse, ut utramque naturam ad ista opera officii mediatorii concurrere, atque, quod suum erat, conferre intelligeretur. Atque hoc ad tertium genus, seu communicationem αποτελεσμάτων pertinet." Vgl. auch die Erläuterung zum dritten Genus ID IV,2,18, 1062ff., bes. 1064: "opera officii mediatorii, quo servator functus est, ita comparata esse, ut nec sola humana, nec sola divina natura ea praestare potuerit. Secundum humanam enim naturam Christus poterat gravissima quaeque pati, mori, sanguinem effundere; quae de divina dici nequeunt. Haec omnia rursus effectu caruissent, nisi pretium infiniti valoris divina addidisset natura." 171 Buddeus trägt die gesamte Lehre der Idiomenkommunikation in dem Ansinnen vor, Luthers gegen Zwingli geltend gemachte Auffassung von der Personeinheit zu verteidigen. Vgl. dazu ID IV,2,13, 1039 A . l . Wenn Christus nicht im Sinne der wahrhaften und unlöslichen Ge123

der Gottessohn, der wahrer Gott ist, das Leiden und den Tod in seinem Gehorsam auf sich genommen hat und daß durch die Personeinheit die göttliche Natur der menschlichen Natur auch noch im Tod präsent zu sein vermag. 172 Denn nach Phil 2,6-8 werde die göttliche Majestät gerade in der äußersten Erniedrigung als dem ihr Entgegengesetzten offenbar. 173 Die im dritten Genus der Idiomenkommunikation als wechselseitiger Konkurs der Naturen in dem ihnen jeweils eigentümlichen Handeln bestimmte Naturengemeinschaft gilt nicht erst für die Erhöhung, sondern durchgängig für die gesamte Erniedrigung. Andernfalls könnte Christus nicht durch seine Person als Mittler die Versöhnung stiften. Wenn Buddeus trotz der mit dem dritten Genus der Idiomenkommunikation geregelten Aussagemöglichkeit es selbst nicht zu der insbesondere in der Tübinger Tradition des Luthertums hervorgehobenen Aussage kommen läßt, Gott habe gelitten und sei gestorben, so darum, weil diese Aussage einzig und allein unter der exakten Differenzierung zwischen konkreter und abstrakter Natur, welche in der Entfaltung der Gemeinschaft der Naturen durch die Idiomenkommunikation expliziert wird, möglich ist und richtig verstanden werden kann. Denn die theologisch unvertretbare Rede vom Tod der abstrakten göttlichen Natur, sprich der Gottheit Gottes war mit der Unterscheidung zwischen abstrakter und konkreter Natur und der einseitigen Formulierung des zweiten Genus der Idiomenkommunikation ausdrücklich ausgeschlossen worden. Die von Buddeus vorgetragene Mittlerchristologie erschließt in Fortführung des theologischen Anliegens, welches sich mit dem Satz 'Deus est passus' verband, die Einsicht, daß Gott in der Mittlertätigkeit des Erlösers sich selbst offenbart, indem er in der Inkarnation der menschlichen Natur seine Allwissenheit, Allmacht und Allgegenwart mitteilt und so im Leiden seine Allmacht und in der Erhöhung seine Allgegenwart definiert. So läßt sich bereits an dieser Stelle erahnen, daß die Kennzeichnung der in der Erniedrigung vollzogenen Mittlertätigkeit als satisfaktorisches Verdienst hinter der mit diesem Entwurf verbundenen Aussageintention zurückbleibt. Denn sie verdeckt die in der Mittlerchristologie angestrebte Aussage, daß Gott selbst die Versöhnung stiftet, indem er seiner meinschaft der Naturen als wahrer Gott und wahrer Mensch aufgefaßt werde, dann sei der Tod Christi nichts weiter als der Tod eines Heiligen ohne erlösende Kraft. 172 Vgl. die Ausführungen zur unio personalis während des Todes der menschlichen Natur in Abschnitt 2.c) dieses Kapitels. 173 Siehe die Auslegung von Phil 2,6-8 ID IV,2,20, 1068: "Secundum earn enim haec naturam intelligenda sunt, secundum quam obediens factus est ad mortem, seu mori potuit, atque revera mortuus est, itemque, secundum quam exaltatus est. Neutrum autem horum de divina eius natura dici potest. Unde & sequitur, exinanitionem eius, qui homo verus, simulque verus Deus erat. Quod enim is ipse qui exinanitus est, non tantum homo, sed simul verus Deus fuerit, indicat, dum dicit ... qui in forma Dei exsistens. Ubi quidem per μορφή ν 9εου, non ipsam essentiam, sed maiestatem potius, gloriamque divinam, seu την δοξαν, quam Christus se apud patrem habuisse dicit, ... antequam mundus esset, Ioan.XVII,5. intelligendam, ex opposito, quod est μορφην δουλου elucescit."

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Gottheit nicht erst in der Erhöhung, sondern bereits in der Erniedrigung des Mittlers Ausdruck verleiht. Darauf ist jedoch im nächsten Kapitel ausführlicher einzugehen. Das im Gesamtvollzug der Erniedrigung erbrachte Verdienst Christi gewinnt stellvertretenden Charakter durch die Erhöhung. Denn durch die Erhöhung erscheint das Leiden als priesterliches Werk des Mittlers, welches die Situation des Menschen offenbart und zugleich aufhebt. Während im Kreuzestod als dem stellvertretenden Erleiden der Folge der Sündenschuld die existenzbedrohende Bedeutung der Sünde manifestiert wird, demonstriert der sündlose Lebensvollzug des Erlösers 174 die Vollkommenheit menschlichen Daseins 1 7 5 in der Unversehrtheit 176 der Gottebenbildlichkeit und dadurch indirekt die Sünde des Menschen. Daraus, daß Christus in seinem Tod die universale Vergebung der Sündenschuld offenbart, nachdem er zuvor seine Gottebenbildlichkeit gerade durch die Annahme und den Vollzug seiner Sendung demonstriert hat, wird der Glaube als die Form der Teilnahme an der durch ihn konstituierten Versöhnung bestimmt. 177 Durch Handlungen des Menschen kann die Gottebenbildlichkeit demnach nicht realisiert werden. Denn die universale Bedeutung des Kreuzes schließt nicht nur den selbsttätigen Versuch, sich mit Gott zu versöhnen, sondern auch das Bestreben der Mitwirkung aus. Dies findet im aktiven Gehorsam des Mittlers, durch den dieser sich zur Passivität bestimmt, seine Bestätigung. Während also durch die Erhöhung Christi die göttliche Majestät der Menschheit Jesu als Bedingung des unendlichen Wertes der Erniedrigung offenbar wird und die Anschauung der Erhöhung so die Glaubenserkenntnis begründet, konstituiert die Betrachtung der zur Versöhnung angenommenen Erniedrigung Christi das Vertrauen des Glaubens als die Aneignung des in der Mittlertätigkeit Christi vollbrachten Verdienstes. Daher kann Buddeus sagen, in der Abfolge von Erniedrigung und Erhöhung drücke sich die Ordnung Gottes aus. 178 Daß für Buddeus die priesterliche Satisfaktion Christi 174 D i e Sündlosigkeit ist nach I D IV,2,6, 1020.1021 Α . 2 die erste Eigentümlichkeit des Menschseins C h r i i t i : "Inter ea, quae C h r i s t o , ut homini, p r o p r i a sunt, p r i m u m est, q u o d o m n i s peccati, o m n i s q u e labis expers fuit." Wegen der Sündlosigkeit Christi kann der K r e u z e s t o d nicht als verdiente Strafe, sondern als Verdienst aufgefaßt werden. 175 D i e Sündlosigkeit der in der Inkarnation a n g e n o m m e n e n menschlichen N a t u r erscheint dadurch sichergestellt, daß die in der Inkarnation a n g e n o m m e n e menschliche N a t u r durch die Übernatürlichkeit des Zeugungsaktes sowie die Reinigung der J u n g f r a u durch den Heiligen Geist aus d e m E r b s ü n d e n z u s a m m e n h a n g h e r a u s g e n o m m e n ist, vgl. I D IV,2,5, 1014ff. bes. 1019. 176 D i e Unversehrtheit bezieht sich auf die intellektuellen und physischen Fähigkeiten der menschlichen N a t u r , siehe I D IV,2,6, 1020f.: " I m m o & dotes istae hue pertinent, quibus qua mentis, qua c o r p o r i s facultates, C h r i s t u s reliquos homines omnes longissimo intervallo post se reliquit." 177 Vgl. I D IV,2,28, 1105f. und I D IV,2,37, 1117. 178 I D IV,2,23, 1080: " Q u i vero, C h r i s t u m exinanitione ista exaltationem sibi promeruisse, dicunt, non cogitant, q u o d C h r i s t u s per unionem personalem o m n e m maiestatem divinam iam habuerit, eiusque saltem u s u plenario ad certum t e m p u s sese abdieaverit, adeoque nihil

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nicht einfach die Aufhebung des göttlichen Zorns und die Wiederherstellung der Ehre Gottes zum Ziel hat, wird im nächsten Kapitel zu zeigen sein.

3. Die Ermöglichung der Heilszueignung durch die Mittlerschaft Christi Die Mittlertätigkeit Christi beschränkt sich nach altprotestantischer Uberzeugung nicht auf die Konstitution der Versöhnung durch die Sündenvergebung, sondern sie begründet darüber hinaus auch die Möglichkeit der Aneignung derselben im Glauben. Dazu dient an erster Stelle die Fürbitte Christi als des Mittlers um die universale Ermöglichung der Aneignung des in der Erniedrigung vollbrachten Verdienstes im Glauben als Voraussetzung des ewigen Heils. 1 7 9 Indem zur Satisfaktion die Fürbitte hinzutritt und erst beides in seinem Zusammenhang die Versöhnung objektiv konstituiert, kann das Werk insgesamt als priesterliches Werk gedeutet werden. Die Aufnahme der traditionellen Rede von der priesterlichen Fürbitte geschieht bei Buddeus dabei nicht in der Intention, die Passivität des Vaters in der Versöhnung zu betonen. Die Fürbitte wird auch nicht als Bitte um die Anerkennung des Verdienstes zur Versöhnung des göttlichen Zornes beschrieben. In der Fürbitte erblickt Buddeus vielmehr einen wichtigen Hinweis darauf, daß die Versöhnung zwar durch das priesterliche Werk des Sohnes konstituiert, aber in ihrer vollen Realisierung doch als das Werk des dreieinigen Gottes zu gelten hat. 1 8 0 Das Amt des Mittlers ist dennoch in spezifischer Weise als das Werk des Sohnes aufzufassen, weil dieser als das Ebenbild des Vaters der Schöpfungsmittler ist 181 . Denn in seiner eigenen Gottebenbildlichkeit ist der Sohn als Mittler dazu bestimmt, die dem Menschen in seiner Geschöpflichkeit ursprünglich vermittelte Gottebenbildlichkeit durch den

ipsi promereri potuerit. ... Ex eo enim, quod apostolus, cum de statu exaltationis loqui incipit, dicit: dio quapropter etiam Deus ipsum in summam extulit sublimitatem, nihil, quod nobis adversetur, colligi potest. Uti enim particula dio non semper caussam, sed consequens etiam, atque ordinem denotat, ita, quod hic caussam meritoriam non significet, ex verbo εχαριστο perspicitur. Ubi enim χαρισμα, ibi non est meritum." 179 ID IV,2,40, 1133: "Altera pars officii sacerdotalis Christi in eius intercessione consistit, qua pro omnibus hominibus, maxime fidelibus, ut omnia, quae ad fidem, vitamque spiritualem, tandemque & aeternam consequendam iis necessaria sunt, impetrent, vi meriti sui apud patrem, & in statu exinanitionis intercessit, & in statu exaltationis adhuc intercedit, modo tarnen utrique statui convenient!." 180 Vgl. ID IV,2,37, 1120. 181 ID IV,2,3, 1011: "Si quis autem quaerat, cur non pater, nec spiritus sanctus, sed filius, homo factus sit? responderi potest, hoc ita visum fuisse sapientiae divinae. Simul tarnen id convenientissimum fuisse virtutibus divinis, scriptura sacra nos ignorare non sinit. Quia enim per filium homo conditus fuit, loan. 1,3. Coloss. 1,16. conveniens etiam erat, ut per eum in pristinum statum, quem per peccatum amiserat, restitueretur, & denuo velut crearetur; Ephes. 11,10. ... Ipseque cum esset imago patris, Coloss. 1,15. ... eum etiam vel maxime decebat, amissam per lapsum Dei imaginem in hominibus instaurare."

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Vollzug der Erniedrigung hindurch zu offenbaren 1 8 2 und dadurch für die Restitution der Gottebenbildlichkeit des Menschen zu sorgen. Die Erkenntnis der priesterlichen Tätigkeit der Interzessio verdankt sich sonach der bereits in der D e m u t 1 8 3 der Erniedrigung vorgebrachten Fürbitte für die, die ihn zu kreuzigen beabsichtigten (Lk 23,34). 1 8 4 N a c h der altprotestantischen Amterlehre besteht die Mittlertätigkeit des Erlösers nicht nur in seiner priesterlichen, sondern ebenso in seiner prophetischen und königlichen Funktion. Mit dieser Bestimmung des dreifachen Amtes Christi soll zum Ausdruck gebracht werden, daß Christus nicht nur als Erlöser, sondern darin, daß er in seiner prophetischen Mittlertätigkeit die Verkündigung der Versöhnung ins A m t gesetzt hat und in seiner königlichen Funktion selbst die Realisierung der Versöhnung der Welt vermittelt, als der wahre Mittler zwischen Gott und Mensch zu erkennen ist. Dabei wurde in der lutherischen Ämterlehre das prophetische A m t in aller Regel 1 8 5 als die erste Funktion der Mittlertätigkeit Christi dargestellt. 1 8 6 Der Sinn der von Buddeus bewußt eingehaltenen Abfolge in der Beschreibung der Funktionen des Mittleramtes 1 8 7 ist jedoch nicht einfach auf die chronologische Abfolge der Ausübung der Ämter 1 8 8 , sondern auf den darin erkennbaren notwendigen Verlauf der Heilsvermittlung zurückzuführen. Die prophetische Verkündigung Christi im Stand der Erniedrigung wird bei 182 Daher stellt Buddeus zu Beginn der Urstandslehre fest, die Bestimmtheit der Gottebenbildlichkeit des Menschen werde in Christus sowie in den wiedergeborenen Glaubenden erkannt, ID 111,1,2, 695: "Et hominem quidem ad imaginem Dei conditum esse, constat; ... Id quod tum ex ipsa Dei, seu exempli, quod imago haec exprimebat, speciatim Christi servatoris, qui est splendor gloriaepatris, & character substantiae eius; Ebr.1,3, consideratione ... intelligitur." Obzwar Buddeus als erste Möglichkeit der Erkenntnis der Gottebenbildlichkeit die Betrachtung Gottes selbst nennt (vgl. ID 111,1,2, Α.3, 698: "Si enim cognoscere velimus, in quo imago Dei ante lapsum constiterit, primo quidem Deum ipsum, eiusque perfectiones, eas nimirum, quarum suo modo homo etiam particeps fieri potest, diligenter considerare iuvabit."), gilt dies doch nur unter der Bedingung der Offenbarung Gottes im Sohn. Denn an sich ist Gott in seiner Unsichtbarkeit für den Menschen unerkennbar, so daß ohne die Mittlertätigkeit Christi die Gottebenbildlichkeit nicht erkannt werden könnte. 183 "Alio autem m o d o in statu exaltationis eum pro nobis intercedere, quam in statu exinanitionis, utriusque status discrimen quemvis facile condocebit. Humilitas enim, quae statui exinanitionis propria fuit, iam eum, qui maiestate divina ipsemet coruscat, non decet" (ID IV,2,40, 1133 A . l ) . 184 ID IV,2,40, 1133. 185 Eine Ausnahme macht hier allerdings Hollaz. Da nach 1. Tim 2,5.6 das Mittleramt Christi im engeren Sinne mit seiner priesterlichen Tätigkeit koinzidiert, hat Hollaz das priesterliche Amt als Grundlage der anderen Amter vor prophetischem und königlichem Amt behandelt, Vgl. Examen 111,1/3,71-97, 232-270, bes. 232f. obs.2. 186 Vgl. zur lutherischen Darstellung Schmid, § 25, 224ff., zur reformierten Heppe/Bizer, 356f. Siehe auch Baier, Compendium 111,2/3, 2, 370. 187 Siehe die Darstellung des prophetischen Amtes ID IV,2,30-34, 1106-1114. Eine bewußte Entscheidung für die traditionelle Reihenfolge in der Darstellung der Funktionen Christi ist darum anzunehmen, weil Buddeus mit der Abweichung bei Hollaz, der zuerst das priesterliche Amt Christi gelehrt hat, eine andere Möglichkeit vorlag. 188 ID IV,2,30, 1106: "Et ad propheticum quidem quod attinet, quo primum servator ipse, dum inter mortales versabatur, functus est..."

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Buddeus als Ankündigung des in der priesterlichen Mittlertätigkeit zu vollziehenden Heilsplanes aufgefaßt. 189 In der prophetischen Verkündigung Jesu erscheinen sonach die Verstehensbedingungen des weiteren Verlaufs der Erniedrigung bis in den Tod als durch den Mittler selbst vermittelt. Die Verstehensbedingungen sind dabei nicht allein in der Ankündigung des Leidens zu sehen, sondern in der Einzigartigkeit der prophetischen Verkündigung Jesu begründet. Als Voraussetzung für die Erkenntnis der einzigartigen prophetischen Verkündigung Jesu nennt Buddeus dabei nicht primär die Bestätigung der Verkündigung durch die Wunder und ihre spätere Erfüllung. Denn beide Merkmale sind grundsätzlich Zeichen wahrer Prophetie. Entscheidend an der Verkündigung Jesu ist vielmehr das besondere Gottesverhältnis Jesu, welches sich in seiner eigentümlichen Rede von Gott widerspiegelt. 190 In ihr manifestiert sich ein besonderes Vertrauen Jesu zu Gott, welches auf das Reden Gottes mit ihm gegründet ist. Angesichts dieser auf dem unmittelbaren Gottesverhältnis beruhenden Einzigartigkeit der Prophetie habe Jesus als der höchste und also in keiner Weise überbietbare Prophet zu gelten. Nach der Erhöhung des Mittlers vollzieht sich die prophetische Mittlertätigkeit indirekt durch die Verkündigung der Apostel bzw. der Kirche. 191 Die Fortsetzung der prophetischen Verkündigung in der Kirche kann dabei auf die prophetische Mittlertätigkeit des Irdischen zurückgeführt werden. Denn die Bedingung der Möglichkeit der kirchlichen Verkündigung ist die Selbstverkündigung des Erniedrigten, weil dieser in seiner prophetischen 189 Vgl. Buddeus ID IV,2,30, 1107: Christus hat in seiner prophetischen Funktion "omnia, quae scitu hominibus erant ad salutem necessaria, Ulis adnuntiavit." Vgl. ID IV,2,31.32.34, 11091114. Siehe ähnlich Baier, Compendium 111,2/3,4, 372. Er faßt Compendium 111,2/3,2, 370f. die Lehre vom dreifachen Amt Christi so zusammen: "1. ut ostenderet hominibus peccatoribus viam elabendi e statu peccati et consequendi salutem: quod vocatur officium propheticum. 2. ut pretium redemtionis pro genere humano lapso ipse solveret Deo, eiumque reconciliaret: quod est officium sacerdotale, seu mediatorium stricte sie dictum. 3. ut homines sibi adhaerentes gubernaret, defender«, denique beatos efficeret: quod officium regium vocari consuevit." Vgl. schon Johann Gerhards Kapitel 'De Christi officio1, Loci 4,15, 601ff. 190 ID IV,2,30, 1106f.: "Et ad propheticum quidem quod attinet, quo primum servator ipse, dum inter mortales versabatur, functus est, in eo ita se gessit, ut se verum prophetam, hoc est, Dei amicum demonstraret; dum saepe cum Deo, & Deus cum ipso, & ipse de Deo, loquutus est". Buddeus legt im Vergleich zu Baier merklich größeren Wert darauf, die Einzigartigkeit der prophetischen Tätigkeit Christi biblisch zu belegen. Aus diesem Interesse heraus verweist er auf die Wunder Jesu, welche den göttlichen Ursprung seiner Lehre und seine wahre Gottheit bekräftigen (ID IV,2,33.34, 1111.1114). Vgl. dazu auch Schmid, § 25, 226.

191 ID IV,2,31, 1109: "Speciatim munere prophetae, seu doctoris functus est, instituendo homines rüdes, viamque salutis illis monstrando". Vgl. ID IV,2,34, 1114 A.l: "Neque tantum apostolos, prophetas, & evangelistas, qui praeter ordinem in initio novi testamenti mittebantur, sed pastores etiam atque doctores constituit". Nach Quenstedt besteht die Form des prophetischen Amtes "generatim in sufficientissima voluntatis divinae annunciatione, speciatim vero in Evangelii praedicatione ... & vera legis interpretatione" (Systema 111,3/2.1,11, 312f.). 128

W i r k s a m k e i t das Verständnis der Bedeutung seines Lebens selbst erschlossen und darin die Möglichkeit kirchlicher Verkündigung konstituiert hat. D i e prophetische Mittlertätigkeit Christi steht in engem Zusammenhang z u m königlichen M i t t l e r a m t . D e n n sie ist die Voraussetzung f ü r die spezielle A u s ü b u n g der königlichen Herrschaft des Mittlers in dem nicht mit der sichtbaren K i r c h e identischen, aber doch in der Kirche anzuschauenden Reich der G n a d e 1 9 2 . Darin, daß die königliche Mittlertätigkeit Christi in der K i r c h e als dem Reich C h r i s t i 1 9 3 sich als geistliche Herrschaft realisiert, ist der Unterschied zu der v o n Israel als weltliche Herrschaft erwarteten messianischen Königsherrschaft zu sehen und in seinen ekklesiologischen Konsequenzen zu w a h r e n . 1 9 4 Nicht die W e l t als solche, sondern die K i r c h e gilt als das Reich Christi, in w e l c h e m Christus seine königliche Mittlertätigkeit bei den Glaubenden ausübt. Die K i r c h e erscheint so als Mittel zur V o l l endung der W e l t 1 9 5 . Indem jedoch Christus als der königliche Mittler nicht n u r den Glaubenden, sondern allen Kreaturen providentiell gegenwärtig 1 9 6 ist, kann er in universalem Sinne als der König über die W e l t gelten. Seine Königsherrschaft als der Erhöhte hebt sich dabei darin v o n aller irdischen

192 ID IV,2,41, 1134 Α.2: "Nimirum regnum gratiae, quod in ecclesia conspicitur, est equidem in mundo, sed non de mundo." 193 Vgl. dazu ID IV,2,27, 1099; IV,2,41, 1134. 194 Unter Berufung darauf, daß die Kirche nicht als ein Reich "von dieser Welt" zu gelten habe, wendet sich Buddeus gegen den s.E. im Judentum und in der römisch-katholischen Kirche anzutreffenden Mißbrauch der Kirche als Ort für die Ausübung menschlicher Herrschaftsvorstellungen ID IV,2,41, 1134: "Non Iudaei modo hie peccant, somniis suavissimis se pascentes, sed & Romanenses, ecclesiam imperio, potentia, opibus, divitiisque florentem, cuius praefecti principes sint, rerumque domini, animo concipientes, eamque pro regno Christi venditantes." 195 Siehe hierzu die Unterscheidung zwischen regnum potentiae, regnum gratiae und regnum gloriae ID IV,2,43, 1136, A.l: "Ad regnum gratiae pertinet ecclesia, eaque adhuc militans, quae ideo specialiori quadam ratione seu regnum Messiae describitu, lerem. XXIII, 5. XXXIII,Ii,16. Xach.IX,9. ... Et in hocce quidem regno gratiae Christus se regem demonstrat, dum per verbum & sacramenta, ecclesiam, seu coetum vere credentium, sibi colligat atque conservat, vires gratiae producendam, augendam, corroborandum fidem, singulis membris seu caput ecclesiae, suppeditat, Ephes.IV,15,16. Coloss. 11,19. ministerium ecclesiasticum a se institutum, fovet, atque tuetur; ... immo credentes omnes viribus gratiae instruit, ut hostibus suis spiritualibus fortiter resistere, eosque superare queant; Ephes. VI,10. Regnum denique gloriae pertinet ad ecclesiam triumphantem, qua homines electos, atque ad beatorum sedes translatos, magno cum maiestatis splendore regit, suaeque eos beatitudinis participes facit, ut omnia patris laudibus in perpetuumque personent; apoc. 111,21. V,ll,12. seq. XXI,2. seq." 196 ID IV,2,43, 1136 A.l: "Regnum itaque potentiae ... ad totum hocce universum, caelum & terram, omnesque quae in iis sunt, res creatas, sese extendat. Idque ob habitantem in Christo omnem plenitudinem deitatis, ei etiam qua humanam naturam non tribui nequit. ... Referre ad regnum hocce potentiae licet omnia ea, quae supra de Providentia diviruz disputavimus; cum ea, quae Deo ibi adseruimus, etiam Christo, qua humanam naturam spectato, conveniant. Hinc & res creatas omnes conservat, ad earum motus concurrit, cunctaque sapienter dirigit ac gubernat". Vgl. auch ID 11,1,49. 371 Α.2. Christus weist sich sowohl im Reich der Natur, nämlich durch seine Schöpfungsmittlerschaft, als auch im Reich der Gnade durch die Erlösung der Menschen und der Versöhnung mit Gott als wahrer Gott aus. 129

Herrschaft ab, daß sie durch den im Stande der Erniedrigung geleisteten Verzicht auf die volle Betätigung der königlichen Allmacht begründet worden ist.

4.

Zusammenfassung

Mit der Lehre vom dreifachen Amt hat Buddeus die durch die Mittlertätigkeit des Inkarnierten gestiftete Versöhnung und ihre Vermittlung in der Welt entfaltet. Er geht dabei davon aus, daß das priesterliche, prophetische und königliche Mittleramt bereits während der Erniedrigung ausgeübt worden sind. Daraus folgt wiederum, daß nicht nur die Erkenntnis der Person des Mittlers, sondern auch die Erkenntnis seiner wahrhaften Mittlerschaft von der konkreten Betrachtung des Lebensvollzuges der Erniedrigung abhängig ist. Für die Bestimmung der Mittlertätigkeit Christi und die Bedeutung seiner Person sind ebenso die Aussagen des Alten Bundes vorausgesetzt. Denn Jesu Selbsthingabe in den Tod kann nur vor dem Hintergrund der im Alten Testament beschriebenen Priestertätigkeit und als endgültige, unüberbietbare Erfüllung derselben verstanden werden 197 , und zwar sowohl im Blick auf den Vollzug durch den Kreuzestod als auch hinsichtlich der darin erschlossenen universalen Geltung. 198 Ebenso ist auch die Erkenntnis der durch das Gottesverhältnis Jesu einzigartigen Prophetie des Mittlers 199 und der Absolutheit des weltweit und spirituell wahrgenommenen Königtums Christi 2 0 0 an den Verstehenshorizont des Alten Bundes gebunden. Indem der Mittler sich durch seine umfassende Mittlertätigkeit als der wahre Mittler 2 0 1 erweist, hebt er den Alten Bund in sich auf. Zum näheren Verständnis des in der Person des Erlösers gegebenen Grundes seiner Mittlerschaft galt es, die Inkarnationsaussage zu entfalten. Zu diesem Zweck wurde die in der Inkarnation konstituierte Person des Erlösers mit Hilfe der als Naturen- und Idiomenkommunikation rekonstruierten Schriftaussagen bestimmt. Darin erblickt Buddeus die Möglichkeit der 197 Vgl. ID IV,2,36, 1115. 198 ID IV,2,39, 1129. 199 Vgl. ID IV,2,33, 1 1 1 1 : "Miraculis insuper doctrinam suam confirmavit; quae cum propria virtute ederet, iis non tantum pondus doctrinae suae addidit, eamque ita comparatam esse ostendit, ut de divina eius origine, hinc & veritate, nemini dubitare fas sit; sed Sc prophetam ilium summum, Israelites a Deo promissum, cui omnes obedire debeant, se esse, demonstravit". Siehe außerdem ID IV,2,30, 1107: "Immo etiam, quod ceteroquin specialiori quadam ratione prophetis tribui solet, futura praedixit, quae eventu adcurate fuere comprobata". 200 ID IV,2,41, 1134. 201 ID IV,2,27, 1098-1100 interpretiert Buddeus die Messiashoffnung als Erwartung des Königs, Propheten und Priesters, siehe 1098: "Eum vero non alium, quam Jesum Nazarenum, esse, invicto argumentandi genere inde evincitur, quod omnes Messiae characteres, quos Mosis & prophetarum scripta suppeditant, ne unico quidem excepto, in illum quadrent."

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tiefsten Einsicht in den unendlichen Wert der Erniedrigung des Mittlers bis in den Tod. Denn die Besinnung auf die Bedeutung der Inkarnationsaussage, welche in der Idiomenkommunikation ihre höchste Stufe, aber damit auch die durch die Schrift gesetzte äußerste Grenze erreicht, erlaubt die Aussage, daß auch in der gestorbenen menschlichen Natur die Fülle der Gottheit zu wohnen vermag, um sich dieser zu ihrer Verherrlichung mitzuteilen. So wird mit der Inkarnation zwar nicht die Unveränderlichkeit Gottes, wohl aber das natürliche Verständnis der Allmacht und Allgegenwart Gottes aufgehoben. Die entsprechende christologische Konzeption von Buddeus läßt sich dabei insgesamt als Auslegung des christologischen Bekenntnisses der Konkordienformel verstehen. Denn schon die Aussagen von F C VIII wollen nach Jörg Baur die Einsicht übermitteln, daß Gott "durch die mitteilende Hingabe der Majestät an Jesu Menschheit" sich "gegen uns so bestimmt" hat, "daß er mit uns zum Heil nicht an sich, sondern durch Christus, die Gemeinschaft von Gottheit und Menschheit, umgeht. Diesem ganzen Christus bleibt nichts fremd und unerreichbar fern." 2 0 2 Obwohl auf diese Weise die Präexistenz und Inkarnation 203 des Gottessohnes als Voraussetzung der Einsicht in den unendlichen Wert der Erniedrigung erscheinen, bleibt es in der christologischen Konzeption von Buddeus nicht einfach bei dieser die Gottheit Jesu voraussetzenden "Christologie von oben". Vielmehr wird die Bestimmung Christi als des gottgesandten Mittlers aus der den Lebensvollzug kennzeichnenden Tätigkeit der prophetischen Verkündigung, der partikularen Betätigung der Allmacht insbesondere in den Totenauferweckungen, der Fürbitte für die Feinde und schließlich vor allem aus dem Vollzug des Leidens Jesu heraus entwickelt. Zwar erschließt erst die Erhöhung die Erkenntnis Christi als des Mittlers, weil in ihr die Gottheit Christi endgültig offenbar wird, aber sie hat in der Erniedrigung ihre notwendige Voraussetzung. Nur durch den konkreten Vollzug der Erniedrigung läßt sich die Erhöhung des bereits durch seinen Namen als Erlöser bestimmten Erniedrigten als Erhöhung des Mittlers 204 begreifen. Die Realität der Erniedrigung wird dabei durch die der Ständelehre zugrundegelegte Erklärung der Erniedrigung als Absage an den vollständigen Gebrauch 202 Jörg Baur, Abendmahlslehre und Christologie der Konkordienformel als Bekenntnis zum menschlichen Gott, 117-144, Zitat auf 142. 203 ID IV,2,3, 1011; IV,2,4, 1012: "Atque verum eum quidem esse Deum, eo minus dubitari potest, quod is ipse, qui naturam humanam adsumsisse, & ad hominum genus redimendum comparuisse dicitur, subinde seu verus Deus, Deique filius, ab illo genitus, describatur." Vgl. zur ewigen Zeugung des Sohnes durch den Vater auch die Trinitätslehre ID 11,1,49, 366 und A.3, 369. 204 ID IV,2,27, 1098: "Ex eodem etiam foedere gratiae intelligitur, promissum hominibus, qui hocce officio functurus esset; quod loca insuper, & testimomia quamplurima, quae in libris veteris testamenti exstant, confirmant. Eum vero non alium, quam Iesum Nazarenum esse, invicto argumentandi genere inde evincitur, quod omnes Messiae characteres, quos Mosis Sc prophetarum scripta suppeditant, ne unico quidem excepto, in illum quadrent." Darin, daß sich Christus als König, Prophet und Priester erweist, erweist er sich als der Messias.

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der der menschlichen Natur mitgeteilten göttlichen Majestät festgeschrieben. Darin ist gleichzeitig der Grund bestimmt, weshalb die Person des Erlösers erst angesichts der Erhöhung als der Mittler erkannt zu werden vermag. Die Erkenntnis des Mittlers verdankt sich also der Reflexion auf Bedeutung und Zusammenhang der Erniedrigung und Erhöhung und wird expliziert durch die Inkarnationsaussage und die Zwei-Naturen-Lehre. Man kann die Christologie von Buddeus mithin als Versuch verstehen, die Voraussetzungen, die mit der Lehre von der Person zu Beginn der Christologie gemacht werden, aus der Ständelehre und der Amterlehre heraus zu begründen. So wird der Weg frei für die Demonstration des christologischen Dogmas durch eine "Christologie von unten" 205 . Selbst wenn Buddeus dabei noch nicht historisch-kritisch, sondern nur auf der Basis synchroner Schriftexegese argumentiert, ist doch seine Christologie durch ihr Begründungsgefälle für eine historisch-kritische Betrachtung der christologischen Aussagen offen. In der damals gegebenen Diskussionslage der Theologie ließ sich mit dieser als Ausweis der Mittlerschaft Jesu Christi konzipierten Christologie nicht nur der älteren Kritik der Sozinianer an der traditionellen Bestimmung der Gottheit Jesu, sondern auch den naturalistischen Tendenzen des Deismus entgegentreten. Denn durch seine - die kenotische und kryptische Position vermittelnde - Rekonstruktion der Erniedrigung demonstriert Buddeus die Notwendigkeit der Offenbarung des Mittlers als Bedingung der Versöhnung des Menschen mit Gott. Ist die Erniedrigung als reale Selbstbeschränkung der Allmacht Gottes an der Stelle des Mittlers zu denken, durch die die Fülle der Gottheit in der Menschheit Christi so präsent wird, daß Christus in seinem königlichen Mittleramt allen Menschen wirksam gegenwärtig zu sein vermag, und haben sich in diesem Geschehen die wahre Allmacht und Allgegenwart Gottes in Christus offenbart, so kann die Gottheit Gottes adäquat nur in Christus erkannt werden. Dies ist der Grundgedanke, von dem Buddeus' Versöhnungslehre getragen ist.

205 Vgl. z u r K r i t i k a m A n s a t z der altprotestantischen Christologie Pannenberg, G r u n d z ü g e der Christologie, 3 lOf. Siehe zur m o d e r n e n Verhältnisbestimmung der Christologie v o n unten und v o n o b e n ders., Systematische T h e o l o g i e Bd. 2, 316ff. sowie ders., Christologie und T h e o l o g i e , in: G r u n d f r a g e n 2, 129-145.

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Β. Die Vermittlung des Heils im Glauben Während im ersten Teil dieses Kapitels die Mittlertätigkeit Christi als Grund der Versöhnung dargestellt worden ist, muß nun im zweiten Teil die individuelle Vermittlung der Versöhnung des Menschen mit Gott im Glauben behandelt werden. Dabei ist zu zeigen, daß die Konstitution des individuellen Versöhnungsbewußtseins durch die in der satisfaktorischen Mittlertätigkeit offenbarte und im Evangelium verkündigte Gnade Gottes das Ziel der satisfaktorischen Mittlertätigkeit ist. Zwar impliziert die Rede von der Satisfaktion Gottes durch die priesterliche Mittlertätigkeit Christi, daß die Versöhnung zuerst Gott selbst gilt. Doch indem Buddeus die priesterliche Interzession nicht mehr als Bitte um die Anerkennung des Verdienstes, sondern um die Gewährung des Glaubens bestimmt und außerdem durch die Amterlehre die Ausrichtung der Mittlertätigkeit Christi auf die individuelle Versöhnung des Menschen mit Gott betont, verliert die satisfaktorische Erniedrigung Christi den Charakter einer einklagbaren Leistung des Gottessohnes. Stattdessen wird deutlich, daß die objektiv durch die priesterliche Mittlertätigkeit begründete Versöhnung subjektiv realisiert werden soll. Daß dies gar nicht anders als im Glauben geschehen kann, ist die These, die Buddeus zur Vertiefung des reformatorischen Rechtfertigungsverständnisses zu begründen versucht. Die in der altlutherischen Theologie üblich gewordene Darstellung der individuellen Aneignung der Gnade durch den Heiligen Geist 1 wird dabei in zwei entscheidenden Punkten verändert. Zum einen konzentriert Buddeus dieses Lehrstück ganz auf den Glauben als die individuelle Form der Aneignung der Gnade an der Stelle des Menschen. 2 Dieses Interesse überlagert das ältere Interesse an der trinitarischen Rekonstruktion der Heilsordnung 3 . Denn obwohl innerhalb der Darstellung selbst die Vermittlung des Glaubens im Unterschied zur Sendung des Sohnes durch den Vater und zur Erlösung durch den Sohn als das besondere Werk des Geistes hervorgehoben wird 4 , 1 2 3 4

Vgl. Hollaz, Examen 111/1,4, 318: "De gratia spiritus s. applicatrice, ut tertio salutis principio." Buddeus überschreibt dagegen das vierte Buch seiner Dogmatik mit "De caussis atque mediis salutis". Das zeigt bereits die Überschrift des Kapitels ID IV,3, 1178: "De fide in Christum, itemque de regeneratione et conversione". So bei Quenstedt, Hollaz u.a., vgl. Schmid, § 39, 261ff. Vgl. bereits ID IV,3,6, A.l, 1184f. Siehe zur Wiedergeburt ID IV,3,25, 1221: "Nec in hominis positum est viribus, ut se ipsum regenerare queat, quemadmodum nemo seipsum natural! generatione producere potest. Deus namque triunus, speciatim spiritus sanctus est, qui nos regenerat, Ioan.1,13. I.Ioan. IV,7. 1,4. I. Petr. 1,3. Tit.IIl,5. Sc quidem non per lumen aliquod internum, sive connatum, sive immediate a Deo profectum, sed per verbum divinum, 133

erscheint bei Buddeus die appropriatorische Zuordnung der einzelnen Momente zu den trinitarischen Personen nicht mehr in der Gliederung. 5 Die zweite einschneidende Veränderung, die Buddeus am traditionellen Aufriß der lutherischen Heilslehre vorgenommen hat, liegt in der Abfolge der Momente der Heilsvermittlung. 6 Noch Hollaz hatte die Heilsvermittlung durch den Heiligen Geist als Berufung, Erleuchtung, Bekehrung, Wiedergeburt, Rechtfertigung, Einwohnung, Erneuerung, Bewahrung, Verherrlichung bzw. Verdammnis beschrieben. 7 Buddeus dagegen unterscheidet die Darstellung der Heilsaneignung in die Momente der Wiedergeburt, Rechtfertigung und Heiligung und erreicht damit eine bessere Systematizität für den gesamten Topos. 8 Diese Errungenschaft geht zwar nicht auf ihn selbst zurück, sondern findet sich bereits in dem theologischen Kompendium von Johann Wilhelm Baier, der sich wiederum auf eine Dissertation über die Bekehrung von Johann Musäus beruft. Doch indem Buddeus im Unterschied zu Baier auf die Kausalmethode verzichtet, kommt der zugrundeliegende Gedanke hier besser zum Vorschein. Die Jenaer Konzeption der Heilsaneignung wird bei Schleiermacher weitergeführt, indem er die "Art, wie sich die Gemeinschaft mit der Vollkommenheit und Seligkeit des Erlösers in der einzelnen Seele ausdrückt", in die Lehrstücke der Wiedergeburt und der Heiligung einteilt 9 und die Rechtfertigung dem Lehrstück von der Wiedergeburt einordnet. Der Vollzug der Vermittlung des Glaubens wird wird bei Buddeus entfaltet unter dem Begriff der Wiedergeburt und ihrer Näherbestimmung als

5

6 7

8 9 134

seu semen illud incorruptibile, I. Petr.1,23. & ad infantes quod attinet, per baptismum; Tit.HI, J." Buddeus betont stattdessen entschiedener das gemeinsame Handeln von Vater, Sohn und Geist in der Versöhnung, vgl. zum Beispiel die Rechtfertigungslehre ID IV,4,6, 1313 A.3: "Ad omnes tres personas divinitatis iudicium hoc spectare, vel inde intelligitur, quod facultas & legislatoria, & iudiciaria, neutiquam eiusmodi quid sit, quod uni personae sit proprium." Man könne zwar sagen, daß sich Christus in spezifischer Weise durch sein Mittlerwerk, der Geist hingegen durch die Hervorbringung des Glaubens und der Vater durch seine richterliche Funktion auszeichneten, aber diese Tätigkeiten seien in der Schrift nicht immer der gleichen Person zugeordnet. Vgl. zur Heiligung als Werk des dreieinigen Gottes ID IV,5,14, 1390. Nach Schmid, § 39, 261 geht die Zusammenstellung der Momente der Heilsvermittlung durch den Heiligen Geist auf Calov zurück, während Quenstedt diesen Teil der Lehre von den Heilsprinzipien dann unter "De gratia spiritus s. applicatrice" zusammengefaßt habe. Vgl. Hollaz, Examen 111/1,4-12, 318-564. Bei Quenstedt wird dagegen der Christologietraktat durch ein Kapitel über die Erlösung mit der Lehre von der Heilsvermittlung verbunden, vgl. Systema 111,4, 646ff. Es folgen in 111,5 die Berufung, in 111,6 die Wiedergeburt, in 111,7 die Bekehrung, in 111,8 die Rechtfertigung des sündigen Menschen vor Gott, in 111,9 Buße und Beichte, in 111,10 die unio mystica und in 111,11 die Erneuerung. Daß Buddeus den "Heilsstand des Christen" gegenüber "der spätorthodoxen Lehre 'vereinfacht' dargestellt" hat, wie Baur, Salus, 112, bemerkt, ist ein Grund zur Würdigung. Siehe F. Schleiermacher, GL II, §§ 106-112, 147ff.

Bekehrung. 1 0 Während die Lehre von der Wiedergeburt den das ganze Leben einnehmenden Prozeß der Uberwindung der in der Sünde begründeten Trennung von G o t t und den sich darin vollziehenden Beginn der Restitution der Gottebenbildlichkeit des Menschen beschreibt 1 1 , geht es unter dem Stichwort der Bekehrung u m den Vorgang der Konstitution des ausdrücklichen Glaubensbewußtseins durch das Wort 1 2 . Mit der Unterscheidung zwischen Wiedergeburt und Bekehrung soll zur Geltung gebracht werden, daß die durch Gott selbst vermittelte Aufhebung des geistlichen Todes nicht erst in der Vermittlung des ausdrücklichen Glaubensbewußtseins stattfindet, sondern schon im Prozeß der in der Kindertaufe zu vollziehenden 1 3 Einbindung in die christliche Gemeinde 1 4 . Entsprechend wird in der Schöpfungslehre insbesondere der Beginn des christlichen Lebensvollzuges auf die spezielle providentielle Mitwirkung Gottes zurückgeführt. 1 5

10

11

12 13

14

15

Q u e n s t e d t und H o l l a z behandeln dagegen Wiedergeburt und Bekehrung noch in zwei aufeinanderfolgenden Kapiteln. Siehe zur Wiedergeburt bei Quenstedt, Systema 111,6, 684ff., zur Bekehrung 111,7, 699ff. Vgl. zur Wiedergeburt I D IV,3,16-27, 1204-1228. Siehe bes. die Definition der Wiedergeburt I D IV,3,16, 1204: "Producitur fides per regenerationem. Per hancce enim vocem, proprie acceptam, eiusmodi actio indicatur, qua Deus hominem ex statu mortis spiritualis, ad vitam spiritualem perducit". Vgl. die Bestimmung der Wiedergeburt bei Quenstedt, Systema 111,6,3, 685. Q u e n s t e d t unterscheidet 111,6,4.5, 685f. den Terminus 'Wiedergeburt' nach seiner weiten Bedeutung, wonach Wiedergeburt wie bei Buddeus die Restitution der vita spiritualis meint, und nach seinem strikten Sinn: "Stricte accipitur vel p r o remissione peccatorum, seu justificatione: ... Vel pro collatione virium credendi, quae significatio magis propria & huius loci est." Die Konstitution der Glaubenskräfte durch die Wiedergeburt lasse sich sowohl als aktive und transitive Operation Gottes als auch als passive geistliche Veränderung im Menschen beschreiben. All diese Bestimmungen der Wiedergeburt sind bei Buddeus aufgenommen. Vgl. I D IV,3,29, 1229ff. Vgl. zur Bekehrung I D IV,3,28, 1228: " C u m regeneratione, si rem ipsam spectes, convenit conversio, voce ilia intuitu ipsius hominis, in patiendi significatione accepta: interim tarnen & discrimen aliquod intercedit, quod regeneratio, d u m infantibus quoque tribuitur, latius pateat, quam conversio, quae tantum de adultis dicitur". Im Einklang mit Luther sieht Buddeus in der Kindertaufe bereits ein wenn auch noch s o unausdrückliches Wissen um die Versöhnung gesetzt, vgl. I D IV,3,12, A.2, 1197f.: "Iam vero, cum dicere nequeamus, q u o d baptismus nihil operetur, quippe quod naturae indolique sacramentorum ... repugnat, sequitur, quod per eum etiam in infantibus effectus aliquis producatur, & eiusmodi quidem effectus, per quem aditus ad salutem iis redudatur. H i e ipse vero effectus non alio c o m m o d i u s , quam fidei nomine exprimi potest, ut adeo dispositio illa in animis infantum, aliqua ratione illi, quae in adultis est, quave ad salutem consequendam apti redduntur, respondeat." Vgl. I D IV,3,12, 1195 A.3: "Per baptismum fides in infantibus excitatur, in adultis, qui earn antea ex verbo evangelii, conceperunt, confirmatur". Vgl. auch I D IV,3,28, 1228: " C u m regeneratione, si rem ipsam spectes, convenit conversio, voce illa intuitu ipsius hominis, in patiendi significatione accepta: interim tarnen & discrimen aliquod intercedit, q u o d regeneratio, d u m infantibus quoque tribuitur, latius pateat, quam conversio, quae tantum de adultis dicitur." Vgl. I D 11,2,50.51.52, 573-582; bes. 11,2,50, 573: " Q u a e speciatim circa homines, praesertim fideles se exserit, N u m i n i s Providentia, t u m in ingressu in vitam humanam, tum in eius progressu, & denique in egressu ex eadem, vel maxime conspicitur. Et in ingressu quidem t u m concursum, t u m gubernationem q u a m d a m specialem, facili negotio deprehendere licet."

135

1. Der in der Wiedergeburt hervorgebrachte Akt des Glaubens I n d e m B u d d e u s d i e A u s f ü h r u n g e n z u r W i e d e r g e b u r t m i t d e r E n t f a l t u n g des Glaubensbegriffs einleitet, vollzieht er eine b e m e r k e n s w e r t e

"Aufwertung

des G l a u b e n s " 1 6 . D e r G l a u b e e r s c h e i n t in s e i n e r D o g m a t i k n i c h t m e h r w i e bei H o l l a z g e m e i n s a m m i t W o r t u n d S a k r a m e n t , B u ß e u n d R e u e u n t e r d e n H e i l s m i t t e l n 1 7 , s o n d e r n als d i e d i r e k t i m A n s c h l u ß a n d i e C h r i s t o l o g i e darg e s t e l l t e W i r k u n g d e r M i t t l e r t ä t i g k e i t C h r i s t i . D i e A n a l y s e des G l a u b e n s b e griffs w i r d d e r D a r s t e l l u n g d e r W i e d e r g e b u r t , R e c h t f e r t i g u n g u n d H e i l i g u n g d a r u m v o r a n g e s t e l l t , w e i l d u r c h d e n G l a u b e n s b e g r i f f das G e m e i n s a m e dess e n , w a s s i c h in d i e s e n d r e i M o m e n t e n d e r H e i l s v e r m i t t l u n g v o l l z i e h t , als Neukonstitution Christus

wie

der

Seele

bei H o l l a z

beschrieben

formal

wird.

Zwar

als das O r g a n '

gilt

der

Glaube

der A n n a h m e

d i e n s t e s C h r i s t i 1 8 . D o c h d a r i n ist die E i g e n a r t dieses s e e l i s c h e n

des

an Ver-

Vollzuges

n o c h n i c h t i m B l i c k . D e r G l a u b e l ä ß t s i c h v i e l m e h r als d e r j e n i g e A k t 1 9 d e r Seele b e g r e i f e n , in d e m alle S e e l e n v e r m ö g e n i n t e g r i e r t s i n d . 2 0 D e n n die T ä t i g k e i t d e r E r k e n n t n i s u n d der Z u s t i m m u n g 2 1 z u m

durch

Glaubensinhalt

s i n d n i c h t n u r d i e e r k e n n e n d e u n d u r t e i l e n d e F ä h i g k e i t des I n t e l l e k t s beans p r u c h t , s o n d e r n d a r i n , d a ß diese E r k e n n t n i s das V e r t r a u e n a u f das E r k a n n t e u n d Bejahte h e r v o r r u f t , m u ß in E n t s p r e c h u n g z u r klassisch r e f o r m a t o r i s c h e n 16

So Baur, Salus, 113, dort allerdings in kritischem Zusammenhang. Darin, daß Petrus van Maastricht in seiner theoretisch-praktischen Theologie die fides salvifica als "actus totius animae rationales, quo Deum accipit, qua summum fidem, & Christum, qua unicum Mediatorem, ad hoc, ut cum eo uniamur, & uniti, communionem consequamur, omnium ejus beneficiorum" (11,1,3, 51) vor der Gotteserkenntnis behandelt hat, zeigt sich bereits ein verstärktes Interesse am Glaubensakt als dem Vollzug der Seele, durch den das Heil angeeignet wird, vgl. Petrus van Maastricht, Theoretico-practica Theologia, Buch II, 1.2, 50.65. 17 Vgl. Hollaz, Examen 111/2,7, 279ff. 18 Buddeus nennt den Glauben auch das "organum, quo meritum Christi adprehendimus, & nobis adplicamus" (ID IV,3,13, 1199 A.2). 19 ID IV,3,2, 1180f.: "De fide autem dum loquimur, non doctrinam fidei, quae itidem hoc nomine nonnumquam venit, sed ipsum animi actum, quo obiectum rite cognitum adsensu suo comprobat, hinc & fiducia filiali recipit, intelligimus. Solet alia fides qua credimus vocari; ut doctrina contra, seu obiectum fidei, fides quae creditur, adpellatur." 20 ID IV,3,3, 1181. 21 Vgl. ID IV,3,5, 1183 zur cognitio; IV.3,6-7, 1184-86 zum assensus. Die Verfaßtheit des menschlichen Intellekts stellt Buddeus in EPI 1,1, lOlff. dar. Hier werden das Erkenntnisvermögen als das Vermögen der Ideen (EPI 1,1,1-17), das Urteilsvermögen (18-27) und die Vernunftschlüsse behandelt (28-41). Siehe auch EPI 1,1,6, 103f.: "Istam cognitionem [welche durch die vis cognoscendi des Intellekts hervorgebracht wird; Vf.] generatim cogitationis voce exprimere nonnulli solent, cuius, ut, dixi, non una est ratio, unusque modus. Interdum enim simpliciter rem apprehendimus, imagine quadam menti nostrae obversante, quam ideam dicere moris est: quandoque duas ideas inter se comparamus, componentes eas aut seiungentes, quod & iudicare dicimus: interdum & tertiam assumimus, ut priorum evidentior evadat commimus, ut priorum evidentior evadat comparatio, id quod ratiocinationem appellamus." In der theoretischen Philosophie werden die intellektuellen Fähigkeiten der Seele als dem Sitz des menschlichen Geistes zugeordnet. Dabei betont Buddeus, daß von der Seele nur aufgrund ihrer Wirkungen bzw. Tätigkeiten gesprochen werden könne, siehe E P T 1,5,1, 103. 136

Zuordnung des Vertrauens zum Willen 2 2 auch der Wille als beteiligt gelten 2 3 . In diesen drei M o m e n t e n der Erkenntnis, der Zustimmung und des Vertrauens, die den klassisch lutherischen Glaubensbegriff ausmachen 2 4 , erklärt Buddeus den Glaubensakt gegen Witsius, der darüberhinaus auch die Liebe zu der erkannten und bejahten Wahrheit und das Bedürfnis nach Gerechtigkeit als Momente des Glaubensaktes verstanden wissen wollte, als vollständig bestimmt. 2 5 D i e im Glaubensakt konstituierte Einheit der Betätigung von Intellekt und Wille erhellt dabei aus der näheren Bestimmung der einzelnen M o m e n t e des Glaubensaktes. Im Sinne der reformatorischen Tradition bestimmt Buddeus zwar das Vertrauen auf G o t t als den vornehmlichen Akt des Glaubens 2 6 . Die individuelle Aneignung des Glaubensinhalts im Vertrauen ist jedoch notwendig vermittelt durch die Erkenntnis 2 7 und die Zustimmung 2 8 zum Glaubensinhalt. U m den durch die Heilsgewißheit gekennzeichneten Glauben von dem 22 23

Siehe Melanchthon, Loci 1521, StA 11,1, 106ff. ID IV,3,8, 1186-1188, bes. 1187f.: "Et sane, qui consideraverit, quid hic agatur, spectari hominem ut peccatorem, ob peccata anxium, ob iram divinam trementem & trepidantem, Christum hic proponi ut mediatorem, hominem ipsum cum Deo reconciliari, & quae reliqua sunt, facile videt, haec talia non esse, quae in solo intellectu peragi queant, ut voluntas nihil inde sentiat. ... Q u o d s i autem voluntatis motus hic in censum veniunt, non potest non ea tandem inde oriri adfectio voluntatis, quam fiduciam vocamus. ... Hicce autem fidei ad Christum, eiusque sanguinem respectus, non potest in nuda cognitione Sc adsensu consistere; sed ex parte voluntatis aliquid accedat necesse est, quo Christum, hac ratione spectatum, recipiamus, quod iterum nihil aliud, quam fiducia." Vgl. Hollaz, Examen 111/2,7,6, 283: "Fides est in intellectu ratione notitiae & assensus, in voluntate ratione fiduciae." 24 Siehe dazu Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 3, 159-165. Vgl. zur altprotestantischen Lehre Hollaz, Examen 111/2,7, 279ff. In dieser Distinktion wird Luthers Forderung nach der fides explicita aufgenommen. Bei Luther geht diese einher mit der Ablehnung der katholischen Lehre von der fides implicita, die er als Köhlerglaube bezeichnet. Zur Entwicklung der Lehre von der fides implicita in der scholastischen und antireformatorischen Theologie vgl. A. Ritsehl, Fides implicita, Iff. 25 26 27

28

Vgl. ID IV,3,9, 11395. ID IV,3,8, 1186: "Denique & fiducia illa accedat necesse est, quippe quae praeeipuam fidei, qua iustificamur, partem constituit." Vgl. ID IV,3,9, 1189. Zur Bedeutung der Erkenntnis als notwendiges Moment des Glaubens siehe ID IV,3,20, 1210; IV,3,4, 1182 Α.3: "fidem veram, eamque iusficantem, sine congitione esse non posse, primo ex iis scripturae effatis luculenter patet ..." Die Ausdrücklichkeit der Erkenntnis kann jedoch unterschiedliche Grade haben, vgl. ID IV,3,5, 1184: "Habet equidem haecce rerum istarum cognitio suos gradus, ut in quibusdam maior sit, excellentiorque, in aliis minor, atque tenuior; semper tarnen sufficiens & tanta esse debet, ut accedente adsensu, in voluntate fiducia produci queat." Im Unterschied zu Buddeus bestimmt Baier (Compendium 111,3,2, 383) im Einklang mit Melanchthon (vgl. Ap. conf. IV, 48, BSLK 169) das erste Moment des Glaubensbegriff nicht als cognitio, sondern als notitia explicita. Vgl. ID IV,3,6, 1184: "Ad cognitionem istam adsensus accedat necesse est, quo quis ea, quae cognoscit, ut vera amplectitur, reeipiens testimonium Dei, atque ita obsignans, Deum esse veracem, loan.111,33. C u m enim animus de divina scripturae sacrae, seu verbi divini auetoritate, convictus est; & adeo de veritate eorum, quae scriptura sacra, de Christo mediatore unico, deque peccatorum remissione, &. reliquis hue spectantibus, aperte & luculenter tradit, intime persuasus; non potest non adsensus ille inde oriri, qui alteram fidei actum, aut gradum constituit."

137

historischen und dem sogenannten toten Glauben unterscheiden zu können, differenziert

Buddeus

darüberhinaus

zwischen

einer

allgemeinen

Zustim-

m u n g , in der die A u t o r i t ä t d e r Schrift u n d ihr w e s e n t l i c h e r I n h a l t 2 9 bejaht w e r d e n , u n d d e r speziellen Z u s t i m m u n g , in d e r die individuelle G e l t u n g der Offenbarung anerkannt wird.30 W o

der Glaubensinhalt n u r eine generelle

Z u s t i m m u n g f i n d e t , ist d e r G l a u b e n u r h i s t o r i s c h e r G l a u b e . D e n n e r u n t e r scheidet sich nicht v o n der generellen A n e r k e n n u n g anderer Schriften und d e n d a r i n d a r g e l e g t e n U b e r z e u g u n g e n . 3 1 D i e g e n e r e l l e Z u s t i m m u n g ist z w a r ein I m p l i k a t des w a h r e n G l a u b e n s . D o c h d i e s e r selbst ist b e g r ü n d e t i n d e r s p e z i e l l e n Z u s t i m m u n g als d e r u n m i t t e l b a r e n V o r a u s s e t z u n g des V e r t r a u e n s , d i e B u d d e u s a u c h als g ö t t l i c h e n A s s e n s b e z e i c h n e t , u m d a r i n z u m A u s d r u c k z u b r i n g e n , d a ß s i c h d i e i n d i v i d u e l l e A n e r k e n n u n g d e m W i r k e n des G e i s t e s verdankt.

Z w i s c h e n d e r s p e z i e l l e n Z u s t i m m u n g als d e r A n e r k e n n u n g

der

i n d i v i d u e l l e n G e l t u n g des V e r d i e n s t e s C h r i s t i u n d d e m V e r t r a u e n w i r d i n s o f e r n d i f f e r e n z i e r t 3 2 , als d i e A n e r k e n n u n g n o c h e i n i n t e l l e k t u e l l e r V o l l z u g ist, w ä h r e n d das V e r t r a u e n als die d u r c h das i n n e r e Z e u g n i s des G e i s t e s v e r m i t t e l t e G e w i ß h e i t d e n W i l l e n a f f i z i e r t 3 3 u n d n e u b e s t i m m t 3 4 . D a r i n , d a ß das i n 29

ID IV,3,6, 1184: "Cum enim animus de divina scripturae sacrae seu verbi divini auctoritate, convictus est; & adeo de veritate eorum, quae scriptura sacra, de Christo mediatore unico, deque peccatorum remissione, & reliquis hue spectantibus, aperte & luculenter tradit, intime persuasus; non potest non adsensus ille inde oriri, qui alterum fidei actum, aut gradum constituit." Daß die Anerkennung der Autorität der heiligen Schrift nicht unabhängig von der Anerkennung der Wahrheit des durch das Verdienst begründeten Heils möglich ist, legt die Erläuterung ebd. A.l nahe: "Per adsensum itaque certam firmamque animi persuasionem, de veritate indubitata eorum, quae scriptura sacra de salute per meritum Christi impetranda, ceterisque hue spectantibus, tradit, intelligimus."

30

Vgl. zur Unterscheidung zwischen allgemeiner und spezieller Zustimmung ID IV,3,7, 1186: "Nec sufficit adsensus generalis, quo quis de veritate dogmatum, quorum cognitio ad salutem est necessaria, convictus est; sed specialis insuper requiritur, quo quis firmiter, quae generatim de gratia Dei, deque remissione peccatorum per meritum Christi, vera fide adprehensum, impetranda, scriptura sacra tradit, ita ad se quoque pertinere credit". ID IV,3,15, 1204 A . l : "Historicam eam vocamus fidem, qua quis ea, quae scriptura sacra de credendis, speciatim de gratia Dei, deque Christo servatore, eiusque merito, & remissione peccatorum per illud impetranda, tradit, vera esse credit; adsensu tarnen mere humano. ... fides ilia, quam historicam vocamus, non eo sensu, ac si tantum circa facta versetur, cum res ipsa ostendat, quod etiam circa dogmata occupetur, atque praeeepta, immo circa credenda quaevis; sed quod adsensus ille non alius sit, quam, quem in rebus historicis testimoniis fide dignis praebere solemus. Quo ipso simul patet, fidem hanece historicam verae fidei nomen non promereri, cum & adsensus divinus, & fiducia ei desit." ID IV,3,15, 1203. Zur begrifflichen Unterscheidung zwischen assensus specialis und fiducia siehe ID IV,3,9, 1189: "Per eos etiam, quos commemoravimus, actus, speciatim autem per adsensum specialem, atque fiduciam, fides Christum, vel meritum eius adprehendere, itemque adplicare ad hominem credentem, recte dicitur". Beide Begriffe beschreiben ein und denselben Vollzug. Während jedoch die Rede von der speziellen Zustimmung auf das Zustandekommen des Vertrauens abhebt, geht es beim Vertrauen selbst um das subjektive Erleben dieser Zustimmung zum Glaubensinhalt.

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138

Vgl. ID IV,3,8, 1186: "Denique & fiducia illa accedat necesse est ... Per eam vero eiusmodi actus significatur, quo Christum cum ipsius merito, omnibusque bonis, per illud nobis partis, velut totum nostrum faeimus, atque in eo, tamquam remissionis peccatorum, riostraeque cum Deo reconciliationis caussa, adquieseimus. Idque ad fidem, qua iustificamur,

der Mittlertätigkeit Christi erschlossene Verdienst Christi nicht nur den Intellekt, sondern auch den Willen und mithin die Seele als ganze zu bewegen vermag, konstituiert es den wahren und lebendigen Glauben 3 5 als subjektive Aneignung der Versöhnung und als prinzipielle Ermöglichung der sittlichen Realisierung derselben. D i e Differenzierung der Glaubensmomente zielt somit darauf, die Kenntnisnahme, die generelle und spezielle Zustimmung und das Vertrauen als notwendige M o m e n t e des wahren Glaubens zu bestimmen. Denn das Vertrauen des Glaubens, welches das Wesen des wahren Glaubens ausmacht, ist nicht ohne Kenntnis und generelle Bejahung des ihm vorstelligen Inhalts. Ferner erlaubt die Differenzierung aber auch, die Anfechtung als die Situation, in welcher kein ungeteiltes Vertrauen gegeben ist, nicht als Gegensatz zum Glauben bestimmen zu müssen, indem auch da noch von Glaube geredet wird, wo der Inhalt nur historisch zur Kenntnis genommen wird. Darüberhinaus kann Buddeus mit der Differenzierung zwischen genereller und spezieller Zustimmung den Unterschied zwischen menschlichem und göttlichem Assens angeben und so den Akt des Glaubens als Wirkung des Geistes an der Stelle des endlichen Intellekts hervorheben. O b w o h l der wahre Glaube seine Zustimmung dem Wirken des Geistes verdankt, vollzieht sich diese spezielle Zustimmung doch nach Buddeus nicht außerhalb der menschlichen Zustimmung, sondern in und mit dieser. Indem der Intellekt den Inhalt des Glaubens generell und in historischer Weise anerkennt und in seiner speziellen Gültigkeit bejaht, ist er vom Vertrauen als der wahren F o r m des Glaubens nicht ausgeschlossen. Anders ließe sich die Hervorbringung des Glaubens in der Wiedergeburt nicht als Erleuchtung 3 6 der menschlichen Vernunft 3 7 verstehen. 3 8 D a ß die menschli-

requiri, vel ex obiecto eius, totaque iustificationis indole, intelligitur, ac comprobatur; Rom. III,24. Eph. 111,12." Das Vertrauen, welches die Christusbotschaft bewirkt, gilt dabei als Affekt, siehe ID IV,3,8, A . l , 1187: "Cum ... alias fiduciae nomine adfectus aliquis seu animi actus veniat, qui existit, cum de boni cuiusdam possessione certi reddimur, hic speciatim eiusmodi animi, sive motus, sive adfectus intelligitur, cum homo peccator per meritum Christi, seu bonum aliquod, omnium sibi iucundissimum, de gratia Dei, eiusque reconciliatione, & remissione peccatorum, longe redditur certissimus." Darin wird das Begehrungsvermögen insgesamt saniert. Vgl. ID IV,5,12, 1387ff. Denn der Glaube konstituiert die spirituellen Affekte des "amor Dei, odium peccati, tristitia & dolor ob peccata, gaudium spirituale, spes divina, zelus, 8ί alii" sowie die natürlichen Affekte, die sich natürlicher Ursachen verdanken, wie der "amor parentum, liberorum, cognatorum, amicorum, tristitia, commiseratio, & alii." 34 35 36 37

Vgl. dazu die Lehre von der Erneuerung ID IV,5,11, 1385. Im Gegensatz zum toten Glauben, der die Schrift nur historisch zur Kenntnis nimmt, vgl. ID IV,3,15, 1204 A.2. Die Erleuchtung gilt als die erste Näherbestimmung des Aktes der Wiedergeburt, vgl. ID IV,3,20, 1209: "Nimirum, si intellectum hominis spectes, expulsis tenebris luce spirituali is perfunditur; quam ob rem Sc regeniti, illuminati dicuntur, Ebr.VI,4..." In der Erleuchtung geht es um die Vervollkommnung der menschlichen Vernunft ID IV,3,20, 1209.1211: "soli Deo illuminatio activa tribuitur, non eo saltem modo, quo omnia

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che Vernunft auf Erleuchtung angewiesen ist, demonstriert Buddeus in seiner theoretischen und praktischen Philosophie, indem er dort die Ausbildung der intellektuellen und sittlichen Fähigkeiten des Individuums ebenfalls nach dem Restaurationsschema zuerst in ihrer Ursprünglichkeit, dann in ihrer Verfehlung und schließlich in ihrer noch zu erreichenden Vollkommenheit darstellt. 39 Da in dieser Konzeption die klare und distinkte bzw. adäquate und wahre Erkenntnis der Dinge erst dem von der Ignoranz 40 zu seiner ursprünglichen Vollkommenheit 41 sanierten Intellekt möglich wird 42 , dies aber nicht vollständig von der Philosophie geleistet werden kann, wird der Religion faktisch ein Platz im philosophischen System angewiesen. Im dogmatischen System führt Buddeus die Wiedergeburt des Menschen im Glauben ausdrücklich auf die Alleinwirksamkeit Gottes zurück, weil in ihr Gott alles und der Mensch nichts wirke. Die Wiedergeburt vollziehe sich in der durch Wort und Sakrament bewirkten 43 Erleuchtung des Intellekts

dona ipsaque naturalia ab illo sunt ... sed ita, ut αδυναμία simul hominum, naturae viribus hue aliquid conferendi, & qualis ilia sit illuminatio, indicetur." 38 Baur, Salus, 111 meint, "der von der Orthodoxie behauptete Vorrang des Intellekts gegenüber dem Willen" werde bei Buddeus "im Geschehen der Wiedergeburt abgewiesen". Diese These läßt sich jedoch weder in Rücksicht auf die Verhältnisbestimmung von notitia, assensus und fiducia, noch im Blick auf das Verständnis der Wiedergeburt selbst halten, vgl. vor allem ID IV,3,20, 1212 A . l : "Cum namque regeneratio in fidei consistat produetione, illuminatio autem, uti dictum, sit pars fidei, fieri aliter nequit, quam ut quis, dum regeneratur, etiam illuminetur. Nec obstat rursus, quod vulgo dici solet, actus intellectus saltem ordine naturae esse priores actibus voluntatis. ... initium emendationis spiritualis, seu regenerationis, fieri ab intellectu." 39 40 41

Vgl. EPP 1,2-4, 14-157 und E P T 11,1-3, 101-156. EPI 1,2,2, 121; 1,3,6, 138. Buddeus entwickelt sein Konzept "de ratione inveniendi verum" im zweiten Teil der Instrumentalphilosophie, indem er zuerst vom Intellekt, seinen operationes und facilitates, dann von seinen vitia und imbecillitates und erst im dritten Schritt "de intellectus humani sanitate virtutibusque" spricht. Das Schlußkapitel dieses Teils handelt "de mediis emendandi intellectum, sanitatique restituendi". Die Frage nach der Art und Weise der Wahrheitsfindung wird also unter modifizierter Verwendung der analytischen Methode behandelt. Die Modifikation besteht darin, daß das Ziel der Ausbildung des Intellekts nicht an erster Stelle, sondern im Anschluß und daher unter der Voraussetzung seiner ursprünglichen Fähigkeiten und seiner Unvollkommenheit bestimmt wird. Der Gedankengang entspricht so strukturell dem Konzept der Erlösung. Das gleiche Argumentationsgeriist wird auch in allen anderen Teilen der Instrumentalphilosophie durchgeführt, also für die hermeneutischen Themen "de ratione veritatem ex aliorum scriptis" und "de ratione veritatem cum aliis communicandi". Nur die Philosophiegeschichte und der Schlußteil "de notitia terminorum philosophicorum", in welchem im Ubergang zur theoretischen Philosophie die philosophische Terminologie erklärt wird, sind, da sie nicht zur materialen Hermeneutik gehören, anders strukturiert.

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EPI 1,3,1.2, 136. Vgl. ID IV,3,12, 1194 und IV,3,25, A.2, 1223. Das Wort wird hier als Instrument der Wirksamkeit des Geistes bestimmt.

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und der daraus resultierenden Neubestimmung des Willens 44 , indem sie den Intellekt zum Vertrauen auf das Verdienst Christi bestimme 45 und damit die Weisheit als die Fähigkeit der Unterscheidung zwischen Gut und Böse vermittele. 46 In der Moraltheologie, die im ersten Teil als ihren anthropologischen Ausgangspunkt das wiedergeborene Bewußtsein beschreibt 47 , wird darüberhinausgehend die durch die Erleuchtung der Vernunft begründete Neukonstitution des Bewußtseins auch im Blick auf die den Vermögen des Intellekts und des Willens zugeordneten, aber mit dem Körper verbundenen 48 Seelentätigkeiten der Vorstellungskraft bzw. Phantasie 49 und des sinnlichen Strebens 50 ausgesagt. Die Wiedergeburt als Hervorbringung des Glaubens wird sonach als diejenige Neukonstitution der Vernunft behauptet, welche die entsprechende sittliche Umbildung ermöglicht. Obwohl die durch die Erleuchtung vermittelte Umbildung für jedes Vermögen separat dargestellt werden kann, vollzieht sie sich doch in dem einen Akt des Glaubens 51 , in dem die verschiedenen Seelenvermögen in einer einheitlichen Bewegung tätig sind. So wird im Glauben faktisch die Einheit des Bewußtseins begründet.

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ID IV,3,21, 1214ff. Vgl. ID IV,3,20, 1209.1211: "Inde ... patet, illuminationem pertinere equidem ad intellectum, sed ut vitae spiritualis productio, intuitu voluntatis, arctissimo vinculo cum ea sit coniuncta." 45 ID IV,3,21, 1214. 46 ID IV,3,20, 1214 A.3. 47 Siehe Μ I,Ρ,5, 6 sowie Μ 1,1/1-6, wo der Unterschied zwischen Natur und Gnade im Blick auf die intellektuellen Fähigkeiten, das Gewissen, den Willen, die Vorstellungskraft und den appetitus sensitivus bzw. die Affekte erörtert wird. Denn nach Μ 1,1/1,2, 32 gehören zur geistigen Natur des Menschen "ipsum intellectum & voluntatem, cum omnibus suis operationibus, actibus, motibusque, phantasiam quoque & appetitum sensitivum". 48 Wie der Intellekt den Willen bestimmt, so bestimmt die Vorstellungskraft (imaginatio) das sinnliche Streben (appetitus sensitivus). Vorstellungskraft und Begehren gelten dabei als Seelenvermögen, "quae sine corporis quodam commercio sibi non constant", vgl. ID 111,1,6, 709. 49 Μ 1,1/5,1, 196: "PEr imaginativam facultatem intelligimus facultatem mentis, imagines per sensus ope spirituum animalium impressas, percipiendi, considerandi, separandi, componendi, dirigendi, aliaque ratione circa eas versandi. Unde quidem patet, ad facultates, quas mixtas philosophi vocant, & in quibus mentis cum corpore concursus conspicitur, hanc referendam esse." 50 Nach Μ 1,1/62, 229 ist der appetitus sensitivus "(n)ihil ... aliud, quam voluntatis inclinatio ad ea, quae corpori grata sunt, & ita per sensus aut imaginationem repraesentantur. Simul vero aversationem connotat eorum, quae ingrata corpori sunt, & ut talia per sensus aut imaginationem repraesentantur." Mit dieser Definition meint Buddeus die traditionellen Bestimmungen angemessen aufgenommen zu haben. In Μ 1,1/6,3, 230 wird der appetitus sensitivus als eine dem Willen zugehörige facultas bestimmt. 51 Daß der nach ID IV,3,3, 1181 aus verschiedenen Akten zusammengesetzte Akt des Glaubens doch nur cm Akt der Seele ist, schickt Buddeus ID IV,3,2, 1181 den weiteren Ausführungen über die fides qua voraus.

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D i e Vermittlung des Glaubens in der Wiedergeburt bedeutet so nicht nur die Aufhebung des geistlichen Todes 5 2 , sondern positiv die Wiederbelebung als Beginn der Restitution der dem Menschen geschöpflich bestimmten Gottebenbildlichkeit. D i e Gottebenbildlichkeit, auf deren Restitution die in der Wiedergeburt erschlossene Neukonstitution 5 3 des Menschen zielt, behandelt Buddeus in der Urstandslehre. Diese ist zugleich die Voraussetzung für die Sündenlehre, indem sie das Wesen der Sünde konkret als Verlust der Gottebenbildlichkeit zu beschreiben erlaubt. 5 4 Im Einklang mit der altprotestantischen Tradition erblickt Buddeus den primären Sitz der Gottebenbildlichkeit in der Vernunftnatur 5 5 des Menschen. Sie ist definiert durch den Vollbesitz der ursprünglichen Tugenden der menschlichen Seele 5 6 und wird zurückgeführt auf die natürlichen Gaben 5 7 , die eine der geschöpflichen Bestimmung der menschlichen N a t u r enstprechende Tätigkeit des Geistes ermöglichen 5 8 . Die Vollkommenheit der Gottebenbildlichkeit ist gegeben, wenn der Intellekt des Menschen dem göttlichen Intellekt so entspricht, daß er nicht nur die geschöpflichen Dinge und die Gesetze Gottes, sondern G o t t selbst nach seinem Wesen und seinem Willen 5 9 , aber in der durch seine Unterschiedenheit von Gott bedingten Begrenztheit angemessen 52 53 54

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Vgl. ID IV,3,17.18, 1207 und ID IV,3,19, 1208: "Vita spiritualis praecipue in fide consistit, quippe quae omnium virium spiritualium, quae in homine regenito conspiciuntur, principium atque radix est." Siehe zur Bestimmung der Wiedergeburt als Hervorbringung des neuen Menschen ID IV,3,48, 1301. Die zentralen Aussagen über Gottebenbildlichkeit und Sünde werden von Buddeus in den Anmerkungen zum Verständnis des geistlichen Todes innerhalb der Lehre von der Wiedergeburt noch einmal kurz referiert, vgl. zur Sünde ID IV,3,18, 1208: "Omnes itaque homines, quia cum peccato originali nascuntur, cum vita naturali mortem spiritualem secum adferunt; quae adeo tum in absentia imaginis divinae, tum in propensione summa ad mala quaevis consistit". Vgl. zur Gottebenbildlichkeit ID rV,3,18, 1207. ID 111,2,26, 814. Vgl. zum Verständnis der "Vernunft als Ort der imago" bei Quenstedt den entsprechenden Abschnitt bei J. Baur, Vernunft, 55-58. ID 111,1,2, 695. ID 111,1,7, 710. Damit soll eine supernaturale Einstufung der Gabe der Gottebenbildlichkeit ausgeschlossen werden. Die dona naturalia der Gottebenbildlichkeit werden ID 111,1,7, 710 natürlich genannt, "quod ipsi naturae humanae inhaeserit, eamque perfecerit, Sc adeo hominem ad ea omnia, quae naturae humanae conveniunt, agenda, aptum reddiderit". Die geistige Vervollkommnung des Menschen ist als Voraussetzung des Schöpfungszieles der äußeren Gottesverehrung dabei Teil der Schöpfungsabsicht ID 111,1,7, 711: "Atque naturae ita comparatae Deus imaginem divinam, seu eas intellectus & voluntatis perfectiones, quae hoc nomine veniunt, concreavit, ut eidem semper inessent, & ad finem propositum consequendum aptam redderent, ac per naturalem generationem cum ea propagarentur. Q u o pacto utique perfectiones istae fuerunt naturales, nec pro supernaturalibus haberi debent." ID 111,1,4, 702f.: "Si speciatim intellectum consideremus, imaginem Dei in luce, seu cognitione, Si sapientia consistere deprehendimus. Luce namque divina ita perfusus erat, ut & Deum, resque divinas, pro modo equidem intellectus humani, suisque adeo limitibus circumscripti, prout tarnen hoc sufficeret, recte cognosceret; & rerum quoque creatarum, quas nosse hominis intererat, naturam, indolemque cognitam, atque perspectam haberet." Vgl. auch Quenstedt, Systema 11,1/1,15, 841f. und dazu Baur, Vernunft, 56.

zu erkennen vermag. Da die Fähigkeit klarer und distinkter Erkenntnis der Dinge die Voraussetzung eines intakten Urteilsvermögens ist, wäre unter der Voraussetzung der Vollkommenheit der Erkenntnis des endlichen Geistes auch die vollkommene Erkenntnis des Guten und Bösen60 und damit diejenige Weisheit gegeben, die die Heiligkeit des Willens, in der das Gute gewollt und das Schlechte abgelehnt 61 wird, ermöglicht. Daher würde die vollkommene Gotteserkenntnis in der Liebe zu Gott als dem höchsten Gut und in der vollkommenen Gerechtigkeit des Menschen in seinem Verhältnis zum Mitmenschen 62 gipfeln 63 . Die vollkommene Restitution der Gottebenbildlichkeit ist jedoch unter irdischen Bedingungen schon darum nicht möglich, weil das im Unterschied zur intuitiven Erkenntnis des Schauens in der Ausbildung endlicher Ideen sich vollziehende Erkennen des Glaubenden keine vollkommene Erkenntnis des göttlichen Wesens erreichen kann. 64 Die durch die Wiedergeburt konstituierte Glaubenserkenntnis eröffnet jedoch eine zumindest partielle Restitution der Gottebenbildlichkeit, die Buddeus unter dem Stichwort der Regeneration oder Heiligung im Anschluß an die Rechtfertigungslehre zur Darstellung bringt. Obwohl die Wiedergeburt die Konstitution des neuen Menschen bedeutet, kann die Veränderung, die damit für das Menschsein des Menschen entsteht, wie Buddeus im Einvernehmen mit der altprotestantischen Tradition eindringlich betont, nicht als substantielle Veränderung aufgefaßt werden. 65 Vielmehr müsse die Gottebenbildlichkeit, auf deren endgültige Restauration die Wiedergeburt ziele, als akzidentielle Bestimmung des Menschen in seiner urständlichen Verfaßtheit 66 gedacht werden. Zwar hat nach Quenstedt die Gottebenbildlichkeit, indem sie die Entsprechung zur Wesenseinheit des 60

I D III, 1,4, 704 A.2: "Sapientia enim esteiusmodi perfectio mentis, qua quis mala a bonis rite discernit, ut illa evitet, haec consectetur." 61 Vgl. ID 111,1,4, 702.704: "Excellens enim rerum divinarum humanarumque notitia cum voluntatis integritate, sanctitateque, non poterat non hominem, in statu integritatis constitut u m , ad eligenda semper, atque consectanda optima quaevis, aptum reddere. Id vero sapientiae opus est." 62 Buddeus versteht die Urstandsgerechtigkeit I D 111,1,5, 705f. als das aus der vollkommenen Gotteserkenntnis folgende gerechte Verhalten des Menschen gegenüber dem Mitmenschen. Damit bezieht er diesen Begriff also nicht m e h r wie die lutherische Tradition direkt und ausschließlich auf das Urteil Gottes über den Menschen. Man mißversteht diese begriffliche Verschiebung jedoch, wenn m a n hier voreilig einen Synergismus vermutet. 63 I D 111,1,5, 705. 64 Vgl. dazu die Bestimmung der eschatologischen Gotteserkenntnis I D 111,3,4, 614ff. 65 I D IV,3,17, 1207; IV,3,24, 1218: "non tarnen eo usque hoc extendendum, ac si ipsa hominis substantia i m m u t e t u r , vel priori destructa nova procreetur." 66 Nach Quenstedt bezeichnet die Gottebenbildlichkeit "quatenus similitudinem & convenientiam unius ad aliud infert", eine "convenientiam vel essentialem", insofern durch sie die strukturelle Ubereinstimmung zwischen G o t t und Mensch ausgesagt wird, die in der Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater besteht: "Vel accidentialem, cum imago, quoad accidentia refert id, cujus est imago", vgl. Systema 11,1/1,5, 836. Sie ist, wie Buddeus I D 111,1,7, 710f. erörtert, als natürliche Gabe aufzufassen, durch die die von der Gottebenbildlichkeit zu unterscheidende Wesensnatur des Menschen vervollkommnet wird.

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Sohnes mit dem Vater meint, an sich selbst eine essentielle Bedeutung. Doch die Realisierung dieser Wesensentsprechung kann der Substanz des Menschen nicht essentiell, sondern nur akzidentiell zukommen 67 . Gehörte die Realisierung der Gottebenbildlichkeit zur Natur des Menschen, so hätte der Sündenfall die Auflösung des Menschseins bedeuten müssen68. Die Einstufung der Gottebenbildlichkeit als akzidentielle Bestimmung des Menschen hat zwar zur Folge, daß das in der Realisierung der Gottebenbildlichkeit implizierte rechte Gottesverhältnis nicht als dasjenige gelten kann, was den Menschen zum Menschen macht. Doch da sowohl die Rede vom Sündenfall als auch die Rede von der Erlösung die Kontinuität zwischen gottebenbildlichem und gefallenem bzw. erlösungsbedürftigem und erlöstem Subjekt implizieren und diese unter den Bedingungen der Substanzmetaphysik nur substantiell bestimmt werden konnte, ließ sich hier keine andere Aussage treffen, zumal dies Konsequenzen für die Sündenlehre gehabt hätte, die bereits bei Matthias Illyricus Flacius 69 erkannt und abgewiesen worden waren.

2. Die Bekehrung durch das Wort Gottes Der konkrete Vollzug der Wiedergeburt wird als Bekehrung beschrieben. 70 Buddeus unterscheidet wie Hollaz 71 zwischen der transitiven und der intransitiven Bekehrung. 72 Transitiv gesehen ist die Bekehrung nicht anders als die Wiedergeburt der A k t Gottes 73 , durch den dieser den Menschen zu 67 Quenstedt, Systema 11,1/1,6, 837: "Hoc loco imago non sumitur ... essentialiter, sed ... aecidentialiter, & denotat non ipsam hominis substantiam seu naturam, sed ejus qualitates & perfectiones mutabiles & amissibiles." 68 Die in der Vollkommenheit der dona naturalia gegebene Gottebenbildlichkeit ist nach ID 11,1,7, 710 A.l nicht eine natürliche in dem Sinne, "ut ipsam hominis naturam, seu essentiam constituerit, vel etiam, tamquam consequens necessarium ex natura hominis fluxerit; ita enim sequeretur, ipsam quoque essentiam hominis, amissa imagine divina, destructam ac immutatam esse; quod perinde est, ac si dicas, eos, qui olim homines fuere, non amplius esse homines". 69 Vgl. dazu Buddeus' Auseinandersetzung mit dieser Position ID 111,2,35, 878ff., bes. die Zusammenfassung 880. 70 ID IV,3,28, 1228: "Cum regeneratione, si rem ipsam spectes, convenit conversio, voce illa intuitu ipsius hominis, in patiendi significatione accepta: interim tarnen & discrimen aliquod intercedit, quod regeneratio, dum infantibus quoque tribuitur, latius pateat, quam conversio, quae tantum de adultis dicitur". 71 Hollaz, Examen 111/1,6,1-3, 371f. 72 ID IV,3,29, 1229. 73 Auch Musäus identifizierte in seinem Traktat über die Bekehrung § 8 die Bekehrung im transitiven Sinn mit dem Begriff der Wiedergeburt. Denn im transitiven Sinn sei die Bekehrung die "actio Spiritus S. qua, mediante Verbo, hominis in peccatis mortui intellectum illuminat, ejusq; voluntatem, ad quaevis mala propendentem, accenso in ipsa pio desiderio, movet flectit, atq; sie viribus novis donat: quo Christum Salvatorem suum agnoscere, eiusq; merito justificatus, ut nova creatura in novitate vitae ambulare possit." (§ 6) Vgl. § 22.1:

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sich w e n d e t 7 4 . I n d e r L e h r e v o n d e r B e k e h r u n g w i r d die A l l e i n w i r k s a m k e i t G o t t e s 7 5 in d e r H e r v o r b r i n g u n g des G l a u b e n s 7 6 als d e r B e f r e i u n g des M e n s c h e n aus d e m g e i s t l i c h e n T o d d a r i n b e g r ü n d e t , d a ß die B e k e h r u n g g a n z u n d gar v o n d e r V e r m i t t l u n g des W o r t e s G o t t e s abhängig ist. 7 7 I n t r a n s i t i v betrachtet vollzieht

s i c h die B e k e h r u n g in d e r B u ß e 7 8 als A b k e h r v o n

der

S ü n d e 7 9 u n d in d e r H i n w e n d u n g z u G o t t i m G l a u b e n 8 0 . B u d d e u s differenz i e r t n u n z w a r das W o r t G o t t e s als den G r u n d d e r B e k e h r u n g in klassischer W e i s e in G e s e t z u n d E v a n g e l i u m . D o c h w i d m e t er i m U n t e r s c h i e d z u d e n klassischen E n t w ü r f e n d e r l u t h e r i s c h e n O r t h o d o x i e d e r U n t e r s c h e i d u n g u n d B e s t i m m u n g v o n G e s e t z u n d E v a n g e l i u m kein eigenes K a p i t e l 8 1 u n d rekur"Regeneratio formaliter est actio DEI, SC quidem actio transiens a DEO tanquam ab agente in aliud subjectum, nempe in hominem convertendum, seu renascendum." Diesem Akt folge zeitlich (§ 22.11) die Sündenerkenntnis und Reue. 74 Vgl. hierzu ID IV,3,29, 1229: "Conversio porro in scriptura sacra vel ad Deum refertur, quod hominem convertat, vel ad hominem, quod se ipsum convertat, aut convertere debeat: unde conversio alia transitiva, alia intransitiva, vocatur. Quod tarnen ita intelligendum, ne hominum viribus aliquid tribuamus, quod illis tribuendum non est." 75 ID IV,3,41, 1259: "Deum quidem in ipso opere conversionis, speciatim eius initio, omnia, hominem autem nihil agere, mirum non est, cum homo, qui convertitur, mortuus sit in peccatis, ... adeoque ad res spirituales etiam recte congnoscendas, multo magis perficiendas, nulla ratione idoneus, ... hinc & sub peccati Servitute constitutus, libero in spiritualis arbitrio prorsus destituatur". 76 Baier bestimmt die Ursache der Hervorbringung des Glaubens, der Wiedergeburt und der Rechtfertigung jeweils getrennt durch Unterscheidung der verschiedenen causae, vgl. Compendium 111,3,9-11, 391-392; 111,4,6-9, 404-406; 111,5,6-9, 451-455; 111,6,8-10. Wirkursache ist immer der dreieinige Gott. Als causa impulsiva interna der Wiedergeburt und Rechtfertigung werden die Barmherzigkeit und Gnade Gottes angegeben. Die causa impulsiva externa principalis der Bekehrung ist Christus als Mittler, die der Rechtfertigung hingegen das Verdienst Christi. Als causa minus principalis der Bekehrung werden Wort, Taufe und Amt genannt. Dagegen ist die causa minus principalis der Rechtfertigung der Glaube an Christus. Bei der Heiligung nennt Baier anstelle der Impulsivursachen nur Instrumentalursachen. Gesetz, Evangelium und Sakramente gelten als causa intrumentalis ex parte Dei, die mit der conversio empfangenen geistigen Kräfte dagegen als causa Instrumentalis ex parte hominis.

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Obwohl Buddeus diesen Zusammenhang der Heilsursachen ID IV,4,9, 1320 A.2 referiert und in ähnlicher Weise versteht, verzichtet er in seiner eigenen Behandlung des Themas auf die Differenzierung der causae. Vgl. ID IV,3,12, 1194. ID IV,3,30, 1230: "Conversio intransitiva alias etiam poenitentia dicitur, voce ista non pro sola contritione, ut a quibusdam fieri solet, sed pro tota hominis conversione, accepta." Vgl. ID IV,3,33, 1234. ID IV,3,32, 1233: "Cum ergo per conversionem aeque ac regenerationem mutatio quaedam in homine contingat, hinc itidem duplex eius status considerari potest; is, quem homo deserit, & is, ad quem transit: quorum priorum terminum a quo, posteriorem, terminum ad quem, vocare solent. Status, quem deserti, est status mortis spiritualis, peccati, immo servitutis sub peccato, tenebrarum, irae denique divinae, atque damnationis. Is contra, ad quem transit, est status fidei atque vitae spiritualis, lucis, libertatis, gratiae, atque salutis; Ioan.HI,18. XI,25,26. actor. XXVI,18. Rom. VI,16,17. Ephes.11,1. IV,18. V,8." Vgl. J. Gerhard, Loci 12-14, Iff.; Quenstedt, Systema IV,1.2, 925ff.; Hollaz, Examen 111/2,1, Iff. Quenstedt und Hollaz behandeln die Lehre vom Wort Gottes im Zusammenhang der Darstellung der media salutis vor der Sakramentenlehre und vor dem Abschnitt über den Glauben. Auch Baier stellt noch Gesetz und Evangelium als die zwei Teile des einen Wortes Gottes (Compendium 111,7,2, 479) im Anschluß an Wiedergeburt, Rechtfertigung und Heili-

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riert auf sie auch nur am Rande. Der Grund dafür ist darin zu sehen, daß das Gesetz, obwohl ihm die Funktion zugeschrieben wird, die Erkenntnis der im Evangelium verkündigten Gnade zu disponieren82, als solches doch nicht die wahre Reue zu begründen vermag, die Buddeus als notwendiges Moment der Bekehrung bestimmt.83 Diese für die Bekehrung erforderte vollständige Erkenntnis der Sünde84 erschließt sich vielmehr erst durch die Verkündigung der Gnade Gottes im Evangelium85. Denn erst aus der universalen Bedeutung des Kreuzestodes als der allen Menschen geltenden Vergebung der Sünde86 läßt sich die Universalität der Sünde erkennen. Indem sich zugleich im Lebensvollzug des Mittlers die der menschlichen Natur bestimmte Gottebenbildlichkeit offenbart87, muß als Ursache der Sünde, für

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gung in einem eigenen Kapitel dar, vgl. Compendium 111,7,Iff., 479ff. Obwohl er die Lehre vom Glauben an den Anfang des Lehrstücks von der Heilsvermittlung gesetzt hat, bleibt das Kapitel von Gesetz und Evangelium an der traditionellen Stelle vor der Sakramentenlehre, siehe Compendium 111,7, 479ff. Die bei Quenstedt und Hollaz die Gliederung bestimmende Unterscheidung zwischen Heilsprinzipien und Heilsmitteln übernimmt Baier nicht mehr, worin ihm Buddeus und Pfaff folgen. Pfaff integriert die Lehre vom Gesetz in die Lehre vom Werkbund und Gnadenbund (Institutiones 11,3, 306ff.), die des Evangeliums in die Lehre von der Berufung (Institutiones 11,7,4, 477-483). Darin macht er deutlich, daß die Glaubenseinsicht durch das Evangelium konstituiert wird. ID IV,3,12, 1195 Α.2: "Verbum autem legis, dum homines ad peccatorum agnitionem, & contritionem perducit, animos eorum praeparat quodammodo, atque disponit, ut per evangelium fides in illis generari queat, atque produci". Vgl. ID IV;3,12, 1195 und IV,1,9, 921 A.l: "Lex enim, cuius obligatio per hocce foedus non est sublata, iubet, ut media salutis ambabus amplectamur manibus; cum vel ipsa ratio omnes condoceat, nullam occasionem, felicitatem summa promovendi, alicui esse negligendam." ID IV,3,30, A . l , 1231: "Cum enim ex aliis locis pateat, sine fide neminem ad salutem pervenire posse, nisi committere ista inter se invicem velimus, necesse est, ut dicamus, poenitentiam, ubi sola memoratur, fidem quandoque includere." Vielmehr sind sowohl der erste Moment der Umkehr vom geistlichen Tod zum geistlichen Leben wie auch die tägliche Erneuerung im Bemühen um einen durch den Glauben bestimmten und in diesem geheiligten Lebensvollzug immer durch die Hervorbringung des Glaubens im göttlichen Akt der Wiedergeburt des Sünders konstituiert. Zur Deutung der poenitentia als dem ersten Moment der Bekehrung und als tägliche Erneuerung vgl. ID IV,3,31, 1233. Vgl. hierzu ID IV,3,35, A.l, 1240: "Cum autem nemo peccata sua retractere, aut detestari queat, nisi qui se peccasse credit; agnitionem peccatorum ad hoc requiri, nemo non intelligi. Nec qualiscumque agnitio ad hoc sufficit, sed talis adesse debet, ex qua detestatio ista exsistere queat. Quod tum demum fiet, si agnitio vera sit, & ad omnia peccata sese extendat, ut non tantum dicta & facta, sed Sc cogitata, omnesque animi motus, ad legem, seu normam perfectissimam exigantur." Vgl. ID IV,3,12, 1195 Α.2: "Quod & ideo semen illud incorruptibile vocatur, ex quo regeneramur, scilicet per fidei productionem, I. Petr.1,23. Quod speciatim de verbo evangelii intelligendum, quippe quod promissiones de gratia Dei, deque remissione peccatorum per meritum Christi impetranda, nobis exhibet, unde & Paulo potentia Dei ad salutem omni credenti dicitur, Rom.1,16. hoc est, medium efficax, quo Deus fidem & salutem omnibus confert." Vgl. ID IV,3,35, 1240f. A.l. Nach ID 111,1,2, 695 kann die Tatsache, daß der Mensch "ad imaginem Dei conditum esse", sowohl "ex ipsa Dei, seu exempli, quod imago haec exprimebat, speciatim Christi servatoris, qui est splendor glortae patris, & character substantiae eius; Ebr. 1,3, consideratione", als auch "ex imaginis istius in credentibus restauratione" erkannt werden, vgl. auch ebd. 698. Hier wird dann zwar auch die Möglichkeit der Erkenntnis der Gottebenbildlichkeit aus der lex

die Christus sterben mußte, das Fehlen der Gottebenbildlichkeit benannt werden 8 8 . Auf diese Weise begründet das Evangelium die Erkenntnis der Radikalität der Sünde, die zur Bekehrung notwendig ist 89 . Da dieses Geschehen als Offenbarung des Gnadenbundes zu verstehen ist 90 und Gott also darin als das höchste Gut des Menschen erkannt zu werden vermag 9 1 , vermittelt das Evangelium zugleich die Aufhebung der nunmehr als Folge des Fehlens der Gottebenbildlichkeit erkannten Trennung von Gott 9 2 im Glauben 93 und ermöglicht so 9 4 die Restitution der geschöpflichen Bestimmung

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divina als eines "sanctitatis, iustitiae, ceterarumque Dei virtutum nitidissimum speculum" behauptet; doch handelt es sich dabei um das von Christus nach Mt 22,37.39 als das Gesetz der Liebe und mithin geistlich gedeutete Gesetz. Vgl. ID IV,1,4, 914: "Filius namque in se recepit, quod natura humana indutus, pro hominum satisfacere peccatis, & omnia ea, quae iis ad salutem adipiscendam necessaria essent, suo sanguine illis promereri vellet". Siehe auch die im vorangehenden Abschnitt über die Mittlertätigkeit Christi angegebenen Stellen. ID IV,3,33, A . l , 1235: "Et connatum illud, seu originale, vel ideo hic in censum venit, quod conversio non rite procedat, nisi fontem & scaturaginem omnis mali probe introspiciamus: cuius rei praeclarum exemplum ipse rex sanctissimus David nobis reliquit, psalm.LI, 7. Et licet peccatum illud originale penitus tolli nequeat, vim tarnen eius, & efficaciam infringi, necesse est, atque imminui, ne amplius nobis dominetur." Das Evangelium ist nach ID IV,1,11, 923 die doctrina des Gnadenbundes bzw. die "doctrina de gratia Dei, gratuitaque remissione peccatorum, illis conferenda, qui meritum Christi vera fide adprehenderint." Vgl. zum Gnadenbund das nächste Kapitel dieser Arbeit. ID IV,1,1, 904 und IV,1,3, 912: "Serio itaque Deus, ut omnes homines ex ista miseria eriperentur, voluit; eademque benignitate ac propitio favore inductus, de mediis quoque, quibus liberari ab ista miseria possent, sollicitus fuit; idque ea ratione, ut iustitiae simul divinae satisfieret; quem in finem filium suum unigenitum, qui hominum expiaret peccata, mittere, secum constituit, & suo tempore etiam misit; neve quidquam intermitteret, ea omnia conferre hominibus voluit, quae ab eo, ut fide vera meritum servatoris apprehenderent, & ita salutem aeternam consequerentur, exspectare poterant." Buddeus unterscheidet als actus formales gratiae divinae den Heils willen Gottes, durch den dieser das Heil aller Menschen will, die Bestimmung des Mittels, durch das er die Menschen zum ewigen Heil führt und durch das gleichzeitig der göttlichen Gerechtigkeit genüge getan wird, nämlich die Hingabe des Sohnes zur stellvertretenden Gesetzeserfüllung und Sündenvergebung, und schließlich die Hervorbringung des Glaubens als der Annahme des Verdienstes Christi, siehe ID IV,1,3, 912f. A.l und bes. ID IV,1,4, 914: "Etsi enim in utroque eadem sit vitae aeternae promissio, eadem conditio, exacta scilicet legis impletio, atque obedientia perfectissima, idem quoque finis, bonitatis gloriaeque divinae manifestatio; discrimen tarnen in eo intercede, quod in foedere gratiae Deus non tarn ut legislator, aut remuneraturus opera, aut puniturus, quam ut pater benignus, misericordia & gratia sua miseris succurrens, spectetur". ID IV,3,34, 1238: "Ab isto miseriae mortisque spiritualis statu homo, dum convertitur, ad Deum ipsum, seu summum suum bonum, transit, ut cum eo iterum, reconciliatus quippe per meritum Christi uniatur; unde status gratiae, vitaeque spiritualis, oritur, quacum & remissio peccatorum, & alia bona spiritualia, quae beatum hominem reddunt, sunt coniuncta." ID IV,1,4, 914 A . l : "Cum enim homo per peccatum intime corruptus, viribus implendi legem prorsus destitueretur, pereundum illi fuisset, nisi misericordia divina aliam rationem, per fidem scilicet in Messiam, salutem consequendi, proposuisset". ID IV,1,8, 920: "De conditione huius foederis si quaeras, talem, qua quis praestita, ius ad praemium postulandum, adipiscitur, non agnoscimus. Nihil namque aliud, quam meram gratiam hic conspicere licet, Rom. IV, 4,5. Quidquid autem rationem conditionis utcumque habere videtur, ut fides, & hinc fluens vita sanctimonia, uti ad ordinem salutis spectat, ita inter beneficia divina potiori iure referendum."

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des Menschen zur Verehrung Gottes 9 5 als des höchsten Gutes. Indem im Vergleich zu der in der Mittlertätigkeit erschienenen unendlichen Güte Gottes 9 6 die Endlichkeit aller sonst erstrebenswert erscheinenden Güter manifest wird, ist zugleich der Grund der Erneuerung des Menschen in seinem Handeln gesetzt. D a dieser Deutung des Evangeliums zufolge das Gesetz kein unverzichtbares Moment bei der Konstitution des ausdrücklichen Glaubensbewußtseins ist, erscheint das für das lutherische Verständnis konstitutive Nacheinander von Gesetz und Evangelium 97 aufgelöst. Der sogenannte zweite Gebrauch des Gesetzes fällt nunmehr dem Evangelium als dem geistlichen Gesetz 98 zu. Dagegen wird die Bedeutung des Gesetzes für den christlichen Lebensvollzug stark unterstrichen. 99 Albrecht Ritschis Kritik, das "ganze Gefüge" der altprotestantischen Dogmatik werde "nicht an Christus als dem Träger der Offenbarung orientirt, sondern an der Vollkommenheit Adams" 1 0 0 , mag für die ältere lutherische Dogmatik zutreffen. Buddeus trifft dieses Urteil jedoch nicht mehr in vollem Maße, da er die Bestimmung der Gottebenbildlichkeit in der Urstandslehre auf die Erkenntnis des Mittlers 101 zurückführt. Erst durch die Bestimmung der Gottebenbildlichkeit läßt sich die Sünde nicht nur als Übertretung des göttlichen Gesetzes, sondern als Verstoß des Menschen gegen sein ihm von Gott bestimmtes Gottes- und Selbstverhältnis begreifen. 102 In entsprechender Weise ist auch die mit der Erbsünde in der Sündenlehre behauptete Universalität der Sünde abhängig von der Erkenntnis der 95

ID 111,1,7, 711: " C u m enim homo a Deo eum in finem conditus esset, ut creatorem supra omnia amaret, eumque adeo rite coleret; manifestum est, naturae humanae prorsus conveniens fuisse, ut, dum homo creabatur, is simul ad imaginem divinam crearetur." 96 Vgl. die stark an Augustin angelehnte Darstellung ID IV,3,33, A.2, 1237: "At, cum per lapsum homo a Deo plane aversus esset, alia obiecta quaesivit, quibuscum se uniret, ut in iis quietem suam inveniret." 97 Vgl. Schmid, $ 52, 324ff. 98 ID 111,2,29, 828f. unter Berufung auf R o m 7,14. 99 In der katechetischen Theologie bezieht Buddeus den dreifachen Gebrauch des Gesetzes auf den Lebensvollzug des Christen, vgl. K T 11,2/1, 11,1,2, 36: "Denn drey Dinge sind noth einem Menschen zu wissen, daß er seelig werden möge. Das erste, daß er wisse, was er thun und lassen soll. Zum andern, wenn er nun siehet, daß er es nicht thun, noch lassen kan, aus eignen Kräften, daß er wisse, wo er nehmen, suchen und finden soll, damit er dasselbige thun und lassen möge. Zum dritten, daß er wisse, wie er es suchen und haben soll." Den Nutzen des lutherischen Katechismus erblickt Buddeus darin, daß in ihm "fürwahr alles, was in der Schrift stehet, und immer geprediget werden mag, auch alles, was einem Christen noth zu wissen, gründlich und überlüßig begriffen ist, und mit solcher Kürtze und Leichte verfasset, daß niemand klagen, noch sich entschuldigen kan, es sey zu viel oder zu schwer zu halten, was ihm noth ist zur Seeligkeit." 100 Vgl. A. Ritsehl, Theologie und Metaphysik, 41. 101 Siehe Buddeus' Exegese von R o m 3,23, ID 111,3,14, 783. 102 ID 111,2,11, 771: "Ut enim naturae & dignitati hominis est conveniens, ut in omnibus ad voluntatem creatoris sui se componat; ita quamprimum secus se gerit, non potest non naturalis istius dignitatis atque praestantiae imminutio, seu deformitas, atque pollutio inde consequi."

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O f f e n b a r u n g d e r u n i v e r s a l e n G e l t u n g des T o d e s C h r i s t i . D e n n w e d e r aus d e r A l l g e m e i n h e i t des n a t ü r l i c h e n T o d e s 1 0 3 n o c h aus d e r U n i v e r s a l i t ä t d e r U b e r t r e t u n g des G e s e t z e s 1 0 4 d u r c h d i e A k t u a l s ü n d e n u n d d i e h a b i t u e l l e

Sünde

k a n n a u f d e n in d e r E r b s ü n d e b e h a u p t e t e n r a d i k a l e n u n d u n i v e r s a l e n H a n g zur Sünde geschlossen w e r d e n . 1 0 5 D i e Vernunft v e r m a g den U r s p r u n g

der

w a h r n e h m b a r e n Korrumpiertheit der menschlichen N a t u r 1 0 6 somit nicht zu b e n e n n e n u n d k a n n daher die Tiefe u n d U n i v e r s a l i t ä t dieser K o r r u m p i e r t heit nicht b e s t i m m e n . 1 0 7 W ä h r e n d d i e S ü n d e konkret

hinsichtlich ihrer U r s a c h e im Subjekt n u r

u n t e r d e m E i n d r u c k des E v a n g e l i u m s e r k a n n t z u w e r d e n v e r m a g , ist das G e s e t z für Buddeus n o t w e n d i g e

Bedingung der Erkenntnis der

einzelnen

A k t u a l s ü n d e n s o w i e der habituellen Sünden. E n t s p r e c h e n d k a n n er in der S ü n d e n l e h r e d i e S ü n d e abstrakt

als Ü b e r t r e t u n g des G e s e t z e s 1 0 8

definieren.

103 Aus der Erfahrung läßt sich nach Buddeus zwar feststellen, daß alle Menschen sterben müssen, daß aber die Allgemeinheit des Todesgeschicks die Konsequenz der Sünde ist, das wisse man nur durch die in der Schrift festgehaltene Offenbarung, ID 111,2,13, 779f. 104 Buddeus unterscheidet ID 111,2,2, 749 zwischen einer abstrakten und einer konkreten Betrachtungsweise der Sünde. Abstrakt betrachtet ist sie ein defectus conformitatis cum lege divina, konkret, also in Hinsicht auf das Subjekt der Sünde, bezeichnet sie eine "propensionem quandam, sive actionem, voce in sensu latissimo, quo omnes motus, qui in genere morum in censum veniunt, adeoque & cogitationes, dicta, facta, significat, accepta, connotat." Die konkrete Erkenntnis der Sünde ist nur unter dem Evangelium möglich, weil dieses die Wurzel der Sünde aufdeckt. Entsprechend kann der Begriff der Erbsünde nur unter Voraussetzung der in der Urstandslehre entfalteten Gottebenbildlichkeit als allgemeine Verkehrung oder αταξία, die sowohl den Neigungen oder Anlagen des Menschen als auch den einzelnen Taten inhäriert, bestimmt werden, ID 111,2,12, 774. Vgl. ID 111,2,14, 781: "Denotat autem peccatum illud originale tum defectum, seu absentiam imaginis divinae, sive iustitiae originalis ... tum totius naturae humanae intimam corruptionem, & ad prava quaevis inclinationem ... per motus concupiscentiae pravae, Sc varia peccata actualia sese exserentem". Weil die Gottebenbildlichkeit des Menschen im Urständ als natürliche gegeben war, bedeutet der Verlust derselben, daß auch die Natur des Menschen korrumpiert ist, wie Buddeus ID 111,2,14, 784 ausführt. 105 Die Aktualsünden folgen aus der Erbsünde, ID 111,2,29, 828: "Ex peccato originali, ut antea diximus, fluunt peccata actualia; quo nomine omnes actiones internae & externae, omnesque omissiones vemunt, quae cum lege divina pugnant." Sie werden unterschieden in Begehensund Unterlassungssünden, die willentlich oder unwillentlich geschehen und sich gegen Gott, gegen die Person des Sünders selbst und gegen den Nächsten richten können, siehe ID 111,2,33, 837. 106 Alle Manifestationen der Sünde gehen zurück auf die angeborene Korruption der menschlichen Natur, ID 111,2,13, 775. Je nach dem Objekt, auf das sich der Wille des Menschen richtet, manifestiert sich die Erbsünde in den Kardinallastern des Ehrgeizes, des Geizes und der Begierde. 107 ID 111,2,13, 775: "corruptionem ... quamdam naturae humanae, ab ipsa statim nativitate adesse, & experientia docet, hinc & ratio intelligit, & gentilium quoque philosophi agnoverunt. Inde autem colligere nondum licet, quod ratio peccatum originale, ita ut decet, cognoscat; quippe quae & originem veram istius corruptionis, & eius quoque profunditatem, prorsus ignorat. Scriptura vero sacra tarn luculenter hac de re testatur, ut nemo, nisi qui verbis evidentissimis vim inferre, religioni sibi non ducit, de ea dubitare queat." 108 ID 111,2,2, 749.750; vgl. ID 111,2,2, 749 A.2. Zur altprotestantischen Tradition siehe Schmid, § 25, 158. Daher erscheint es schwierig, wenn H.E. Weber, Reformation II, 5 schreibt: "Mit dem Gesetz klärt sich das Verständnis der Sünde." 149

F ü r die Q u a l i f i k a t i o n der Ü b e r t r e t u n g des Gesetzes als Sünde ist j e d o c h vorausgesetzt, daß das G e s e t z als der bleibend gültige A u s d r u c k des göttlichen W i l l e n s u n d m i t h i n als K r i t e r i u m z u r B e s t i m m u n g der A k t u a l - u n d Habitualsünde zu gelten h a t . 1 0 9 D i e A n e r k e n n u n g des göttlichen Gesetzes resultiert nach d e r U b e r z e u g u n g v o n Buddeus aus d e m der V e r n u n f t n a t u r des M e n s c h e n n a t ü r l i c h angeborenen praktischen W i s s e n . Dieses b e s t i m m t er j e d o c h nicht als ausdrückliches Wissen, sondern i m A n s c h l u ß an Musäus als eine n a t ü r l i c h e Neigung b z w . als die n u r potentiell i m Intellekt gesetzte F ä h i g k e i t 1 1 0 , die V e r b i n d l i c h k e i t praktischer Gesetze und insonders die V e r b i n d l i c h k e i t des göttlichen Gesetzes anzuerkennen. Diese d e m Intellekt i n h ä r e n t e Neigung ist zugleich die Voraussetzung der A u s b i l d u n g des Gewissens als des p r a k t i s c h e n Selbstbewußtseins, in w e l c h e m das I n d i v i d u u m

109 Buddeus bestimmt in Anlehnung an Rom 3,20 und 7,7 das universale Gesetz Gottes als dasjenige Dekret Gottes, durch das dort, wo um die Bestimmung zur Gottebenbildlichkeit gewußt wird, die Sündenerkenntnis entsteht, vgl. ID 111,2,3, 751: "Ut ergo, quid peccatum sit, eo rectius intelligamus, legis, & quidem divinae, non praetermittenda est consideratio: ex lege enim oritur cognitio peccati, ... Per legem autem divinum, & quidem universalem, quippe quae nunc in censum venit, decretum Dei intelligi constat, per ipsam creationem ad imaginem eius, homini olim manifestatum, obligans omnes homines, ad ea omnia, quae naturae illorum, ad imaginem divinam restaurandae, & magis magisque componendae, conveniunt, agenda, & omittenda, quae eidem repugnant; idque ad summam, aeternamque eorum felicitatem promovendam." Vgl. ID IV,3,40, 1256f. Innerhalb der Sündenlehre wird daher vor der Bestimmung der Sünde als Erbsünde die Lehre vom Gesetz entfaltet ID 111,3,38, 751-767. Siehe auch den Aufbau des Sündentraktats bei Hollaz. In Examen 11,2, 57-90 handelt er zuerst "De peccato in genere" und bestimmt die Sünde als "aberratio a lege divina"; um die lex geht es besonders in qllf., 76ff. Es folgt 11,3, 91-151 "De peccato hominum primo et originali". Im Anschluß daran kann 11,4, 151-202 "De peccatis actualibus" gesprochen werden. Die Sündenlehre schließt 11,5, 203-207 mit der Erörterung "De defectu liberi arbitrii in rebus spiritualibus, & ejus infirmitate in naturalibus". 110 Vgl. ID 111,2,4, 756 A.2: "Cum disputatur, an in homine post lapsum detur notitia quaedam insita, seu connata? cumprimis notandum, non de actu, sed potentia, & quidem propinqua, quaestionem esse. In actu enim si ista notitia consisteret, nemo mortalium reperiretur, qui ilia principia ignoraret; quod experientiae repugnat. Neque tantum potentia, & quidem propinqua, in homine est, ista principia cognoscendi, sed, quod amplius quid est, propensio quaedam, atque inclinatio, iis adsentiendi, accedit; ita quidem, ut si usu rationis polleat, & verba quibus ista principia proponuntur, intelligat, non possit non statim illis adsensum praebere, atque intime de illarum veritate convinci." In der Integrität des Urstandes hingegen war nach Buddeus dem Menschen das Naturgesetz, der ewige und unveränderliche Wille Gottes, als Naturrecht bekannt, vgl. ID 111,1,12, 723 A.l. So schon Baier, Compendium 111,7,5, 480, der das Naturgesetz mit der lex moralis identifiziert, "qua, quae creaturis rationalibus per se conveniunt, praecipiuntur, et quae disconveniunt, prohibentur: quae proinde omnes homines obligat", vgl. auch 11,1,3, 286f. Die Gotteserkenntnis im Urständ ermöglichte dem Menschen die in der Ubereinstimmung mit dem göttlichen Willen gegebene Heiligkeit seines Willens, siehe ID 111,1,4, 702. Die natürliche Neigung zur Anerkennung des göttlichen Gesetzes erscheint als Rest des vollkommenen Wissens um das Naturgesetz, vgl. ID 111,2,4, 755f.: "Per lapsum autem primorum parentum imagine ista divina amissa, remansit tarnen naturalis quaedam principiorum practicorum notitia; ea quidem ratione, ut non tantum homo maturae aetatis & sanae mentis, ex humanae naturae consideratione, facile generalia iusti & honesti principia, elicere queat, sed inclinatione, & propensione quadam singulari, ad adsensum veritatibus hisce, statim ac cognitae sint, praebendum, impellatur". In KT 11,2.2,1/2, 19 heißt dieses angeborene Vermögen "Gewissenstrieb". 150

sein H a n d e l n nach den i h m selbstverständlichen praktischen G r u n d s ä t z e n b e u r t e i l t 1 1 1 . D a das praktische W i s s e n nicht als ausdrückliches W i s s e n angeb o r e n ist, ist die k o n k r e t e A u s p r ä g u n g des G e w i s s e n s 1 1 2 nicht n u r abhängig v o n der A u s b i l d u n g des intellektuellen U r t e i l s v e r m ö g e n s , s o n d e r n v o r allem auch v o n d e r ausdrücklichen I n f o r m a t i o n , die dem I n d i v i d u u m zuteil w i r d . Das G e w i s s e n ist in der A n s c h a u u n g v o n Buddeus also keine bei allen M e n schen in gleicher W e i s e vorauszusetzende und in diesem Sinne angeborene Instanz. 1 1 3 A l s die spezifische Voraussetzung f ü r die A n e r k e n n u n g der absoluten V e r b i n d l i c h k e i t des göttlichen G e s e t z e s 1 1 4 macht Buddeus die in der Seele gesetzte Fähigkeit z u r A u s b i l d u n g des Gottesgedankens n a m h a f t . Diese Fähigkeit i m p l i z i e r t , daß G o t t als das in höchstem M a ß e v e r n u n f t b e g a b t e W e s e n e r k a n n t w e r d e n kann, dessen W i l l e absolute G e l t u n g hat 1 1 5 , und soll 111 Vgl. EPP 1,2,12, 19: "Argumentatio de actionibus, praesertim iam perpetratis, prout legem respicit, & hunc earum aut bonitatem aut pravitatem colligit, peculiar! nomine conscientia vocatur." Vgl. auch EPP 11,2,18, 214: "Praecipua eius actiones ad legem componendas operatic, ut in parte prima docuimus, vocatur conscientia. Haec cum diversa sit, legis quoque naturalis obligatio, diversimode sese exerit." 112 Siehe Μ 1,1/1,2, 90f.: "Sitne conscientia actus, an habitus, an potentia, frustra disputatur. Manifestum namque, in homine semper quidem esse potentiam de actionibus suis ratiocinandi, sed earn non semper in actum erumpere. Quod si fiat, recepto loquendi more, argumentatio haec conscientia dicitur. Idem sibi volunt, quando dicunt: conscientiam expergiscere, excitari: uti contra dormire dicitur, quando potentia ista in actum non deducitur." 113 Siehe EPP 11,2,20, 214f. Vgl. Μ 1,1/1,6, 93: "Cum ratiocinationes etiam diversae sint affectiones, conscientiae quoque quandam diversitatem inde oriri, necesse est. Constat namque, ratiocinationes nostras vel veras esse, vel falsas; illas iterum vel certas, vel probabiles, uti haec itidem vel sub certitudinis, vel sub probabilitatis specie fallunt: quemadmodum dubiae medium velut inter veras & falsas locum tenent. Hinc igitur & conscientia alia vera seu recta, alia erronea, alia dubia-, 8t vera iterum vel certa vel probabilis, uti & erronea vel sub certitudinis vel probabilitatis specie fallitur." 114 ID 111,2,3, 752-755 erörtert Buddeus die Frage, ob die Moralität "ab ipsis actionibus, an a lege quadam" abzuleiten sei. Die seinerzeit am häufigsten vertretene Auffassung, Handlungen könnten an sich selbst als moralisch gut oder schlecht beurteilt werden, lehnt er ab, weil sich auf diese Weise keine moralische Notwendigkeit behaupten lasse. Diese ergebe sich vielmehr aus der Autorität des Gesetzgebers, siehe ebd. 754f.: "Constitit enim necessitas illa moralis in obligatione ad faciendum bonum, & evitandum malum. Haec autem obligatio aliunde, quam a lege esse nequit; quemadmodum lex concipi nequit sine legislatore." Ist aber die moralische Verbindlichkeit des Gesetzes von der Autorität des Gesetzgebers abhängig, so müsse das Gesetz Gottes in höchstem Maße verbindlich sein (755). Damit sei die Auffassung von Hobbes hinfällig, der menschliche Gesetze als Ursprung und Maßstab der Moralität bestimmt habe. In diesem Verständnis der Moralität weiß sich Buddeus mit Pufendorf einig (754). Dieser unterscheide sich dabei von den Scholastikern durch die Behauptung, daß "Deum salva sua iustitia atque bonitate, non potuisse alias leges hominibus dare, quam iis dedit". Buddeus stimmt dem zu, indem er betont, daß Gott "nihil, quod sapientiae, sanctitati, ac bonitati ipsius repugnat, agere potest". Damit ist die Bestimmung der Moralität abhängig von der Erkenntnis der Güte Gottes. 115 In KT 11,2.2,1/2, 18f. werden "Vernunft und Gewissen" als von Gott der menschlichen Natur eingepflanzt bestimmt, "da sie bey achtsamer Ueberlegung, und rechtem Gebrauche der Vernunft, dahin gebracht werden, daß sie erkennen, daß ein Gott sey, und daß er der allervollkommenste Geist seyn müsse. Denn der Begrief und die Gedancke von Gott ist dem

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die allgemeine Annahme des Gesetzes erklären. Auf die genaue Bestimmung dieser Fähigkeit ist jedoch erst im Zusammenhang der Frage nach dem Begriff der natürlichen Religion im übernächsten Kapitel einzugehen. Da es sich jedenfalls nur um eine potentielle Fähigkeit handelt, bedarf es zur Konstitution der ausdrücklichen Anerkennung des göttlichen Gesetzes der Bekanntmachung desselben im Dekalog. 116 Der Dekalog 117 gilt bei Buddeus wie im älteren Luthertum 118 als das universale 119 Naturgesetz 120 .

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Menschen angebohren, und aus seinem Gewissenstriebe weiß er, daß er ein solcher Gott sey, der das Böse bestrafe, und dem man zu gehorchen schuldig sey". Vgl. zur heilsgeschichtlichen Bedeutung ID 111,2,5, 757: "Cum autem notitia ista naturalis & infirma sit, & varias ob caussas obscurari facile queat, non sine Numinis Providentia singulari contingit, ut subinde leges istae universales solemni quadam ratione repeterentur, & denuo velut inculcarentur, ut a quoquam ignorari nequirent. Ista autem repetitio, aut repetita promulgatio, facta est cumprimis genti Israeliticae, per decalogum; idque ea ratione, ut ad alias simul gentes notitia eius dimanare posset; tum & per apostolos, evangelium omnibus adnuntiames, quod sine legis divinae notitia fieri non potuit." Zur Identität des Reliktes praktischen Wissens nach dem Fall mit dem im Dekalog enthaltenen Moralgesetz vgl. auch Baier, Compendium 111,7,6, 481. Vgl. zur Interpretation des Dekaloges ID 111,2,5, 757-764. Siehe hierzu F.W. Graf, Artikel 'Gesetz VI' in: T R E 13, 92f. In seiner Gesetzeslehre unterscheidet Buddeus menschliche und göttliche Gesetze, letztere dann in natürliche und positive, wobei die positiven wiederum entweder universal oder nur partikular verbindlich sein können, vgl. Μ 11,1,1-20, 429ff.; Μ 11,1,9, 434; ID 111,2,3-8, 751767; ID 111,1,12, 723. Die universalen Gesetze, die schon vor dem Fall gelten, sind nach dem Fall teils durch die Vernunft, teils durch Offenbarung bekannt, ID 111,1,12, 723: "Leges illae, quarum observatione homo ante lapsum obsequium suum erga Deum demonstrare debebat, eadem erant, quae & hodie, tum ex lumine rationis, tum ex revelatione divina nobis notae sunt, & quarum summa in dilectione Dei & aliorum hominum consistit ... Hisce autem legibus, quae naturales, & quidem absolutae dici possunt, alias adhuc Deus addidit, quae positivas, aut hypotheticas vocare licet". Die natürliche Erkenntnis des göttlichen Willens ist jedoch durch den Fall so verunsichert worden, daß die erneute Bekräftigung durch die Offenbarung des Dekaloges notwendig war, vgl. ID 111,2,5, 757: "Cum autem notitia ista naturalis & infirma sit, & varias ob caussas obscurari facile queat, non sine Numinis Providentia singulari contigit, ut subinde leges istae universales solemni quadam repeterentur, & denuo velut inculcarentur, ut a quoquam ignorari nequirent." Vgl. ID 111,2,5, 757.764. Eine Selbstvergewisserung der natürlichen Gesetze ist dem gefallenen Intellekt unmöglich. Daher bedarf es zur Einsicht in das universale absolute göttliche Gesetz der Schrift, welche deutliche und vollkommene Erkenntnis in dasselbe gewährt, siehe ID 111,2,6, 765.

120 Die natürlichen und die positiven Gesetze Gottes werden bei Buddeus nicht aufgrund der unterschiedlichen Art der Bekanntmachung derselben unterschieden, sondern anhand der Beziehung derselben zur menschlichen Natur. Die positiven Gesetze haben keinen notwendigen Bezug zur Natur des Menschen und sind daher nur unter der Voraussetzung der Urheberschaft Gottes, deren Autorität vom Menschen durch seine innere Neigung unmittelbar anerkannt wird, hypothetisch universal gültig, vgl. ID 111,2,7, 765: "Praeter has [leges universales absolutas; Vf.] enim nonnulli & alias itidem universales statuunt, quas positivus vocare solent; eo quod necessarium cum hominis natura nexum non habeant, etsi omnes itidem homines, aeque ac naturales, obligent. Sed, cum istae leges ex instituto aliquo divino fluant, ad cuius observationem ipsa lex naturalis nos obligat, ad naturales itidem, sed hypotheticas, referri possunt." Dagegen sind die absolut universalen göttlichen Gesetze notwendig mit der Vernunftnatur des Menschen verbundene und insofern natürliche Gesetze. Der Dekalog ist, wiewohl von Gott offenbart, nicht als positives, sondern als absolutes Sittengesetz gültig.

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Indem das Gesetz in der Ermöglichung der Erkenntnis der Aktual- und Habitualsünde 1 2 1 das Gewissen des Glaubenden tätig werden läßt, begründet es im Falle der Übertretung des Gesetzes das durch verschiedene Affekte 1 2 2 sich geltend machende Schuldbewußtsein 1 2 3 , als dessen Voraussetzung Buddeus ausdrücklich die Zurechenbarkeit der Schuld bestimmt. Diese ist gegeben, wofern das Subjekt der Tat sich als physische oder moralische Ursache der Gesetzesüberschreitung benennen läßt. 1 2 4 Da durch das Gesetz die Sünden nicht nur erkannt und bereut, sondern daraufhin auch eingeschränkt werden können, hat es eine wesentliche Funktion im Kontext der Erneuerung des Menschen. 1 2 5 121 Siehe die Funktion der Sündenlehre ID 111,2,37, 900: "Usus doctrinae huius de peccato, per omnes vitae christianae actus, latissime se diffundit. Cum enim agnitio peccatorum poenitentiae ac conversionis sit initium, opera omnino danda, ut, quid peccatum sit, & quaenam eius sit gravitas, secundum verum & genuinum legis sensum, recte intelligamus; ... Necesse vero etiam est, ut intimam naturae nostrae corruptionem, si poenitentia recte procedere debet, exploratam, perspectamque habeamus". Vgl. auch ID IV,3,38, 1245, wo die durch die Sündenerkenntnis bewirkte contritio neben dem Glauben als konstitutiv für den Vollzug der Bekehrung im transitiven Sinne bestimmt ist. Die contritio äußert sich in verschiedenen Affekten, insbesondere in der Scham, der Trauer und der Furcht, vgl. ID IV,3,35, 1240 und ID IV,3,38, 1245. 122 Siehe zum Begriff des Affektes Günther Metzger, Gelebter Glaube, 36-38. Buddeus bestimmt den Affektbegriff augustinisch als "Willensrichtung" auf das Gute, siehe Μ 1,1/4,29, 121: "Actus, in quos propensiones istae tum naturales, tum habituales erumpunt, in bono aliquo appetendo, aut malo aversando, affectuum nomine veniunt, & quidem, cum voluntatem puram hie consideremus, mentalium. A quibus quo pacto mere corporei, & mixti, seu sensuales, differant, aliunde constat." Vgl. zum augustinischen Affektbegriff Metzger, aaO., 2Iff. 123 Vgl. ID 111,2,11, 771. Während die Aktualsünde den Affekt der Scham erzeugt, bewirkt die Erkenntnis der habituellen Sünde Trauer, vgl. ID 111,2,11, 772. Obwohl das Gesetz die Erkenntnis der Sünde als Sünde nicht begründet, legt es doch durch das von diesen Affekten begleitete Schuldbewußtsein die Annahme der Gnade nahe ID IV,1,11, 928: "Fieri enim posse, ut ahquis per accidens ex evangelii adnuntione, ad miseriae suae agnitionem perducatur, eoque perveniat, ut ea sentiat, quae per se & directe ex lege fluunt, negari nequit". 124 ID 111,2,11, 771f.: "Culpae autem vox, cum diversimode in iure consultorum maxime scholis accipiatur, hic tarnen ea significatio in censum venit, qua tum maculam quamdam, seu labem, quae per peccatum alicui adspergitur, tum imputabilitatem peccati, denotat. Et per maculam quidem, moralis quaedam foeditas, & turpitudo intelligitur, quam ille, qui peccat, seu legem transgreditur, statim contrahit. ... Ut autem peccatum alicui imputari queat, requiritur, ut actionis istius, cui αταξία inhaeret, caussa sit, sive physica, sive moralis." 125 Die Moraltheologie von Buddeus zeigt deutlich, daß er nur am tertius usus legis interessiert ist. Unter den Bedingungen der mit dem landesherrlichen Kirchenregiment gewährleisteten christlichen Gesellschaft erschien es noch unnötig, den usus civilis eigens zu bedenken. Graf, T R E 13, 94 betont allerdings, die lutherische Ethik habe zu Beginn des 18. Jh.s der damals einsetzenden "Ausdifferenzierung von Staat und Gesellschaft gerecht werden" müssen, wobei die "zahlreichen ethischen Publikationen" von Buddeus "die wachsenden Schwierigkeiten solcher Integration erkennen" ließen. Unter Berufung auf Stolzenburg, 228 stellt Graf fest, das theologische Naturrechtsdenken von Buddeus leiste keine Ethisierung, sondern "nur eine Ordnung der in erster Linie nach einer gewissen Eigengesetzlichkeit natürlicher Art verlaufenden Prozesse des sozialen Lebens", so daß "die altlutherische Ethik in der Aporie zu enden" scheint, "jene gesteigerte gesellschaftliche Komplexität nicht mehr in der Einheit ihres zentralen Integrationsbegriffs, im Gesetz, vermitteln zu können, deren Erzeugung sie selbst durch eine die Herausbildung des frühabsolutistischen Territorialstaates begünstigende Sozialethik gefördert hat."

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Die in der Bekehrung durch das Wort Gottes vermittelte Neukonstitution des Individuums im Glauben macht sich schließlich geltend in der Heilsgewißheit. Diese Veränderung des glaubenden Individuums thematisiert Buddeus im Anschluß an die Lehre von der Wiedergeburt und Bekehrung in der Lehre von der Rechtfertigung und leitet damit eine entscheidende Weiterentwicklung der protestantischen Rechtfertigungslehre ein, die es im nächsten Abschnitt näher zu untersuchen und zu beurteilen gilt. In der durch die Rechtfertigung vermittelten Heilsgewißheit ist zugleich die sittliche Regeneration des Glaubenden konstituiert. Da die konkrete Bestimmung des Glaubenslebens jedoch das Thema der Moraltheologie von Buddeus ist, soll hier die Bedeutung der Heiligung als Moment der Wiedergeburt nur in Rücksicht auf die für die Frage nach der Bedingung der Sittlichkeit wesentliche Freiheitsthematik beleuchtet werden. Für ein angemessenes Verständnis der Verhältnisbestimmung von Wiedergeburt, Bekehrung, Rechtfertigung ist es dabei vorab entscheidend zu notieren, daß der konkrete Vollzug der Wiedergeburt in der Bekehrung bei Buddeus nicht in einem zeitlichen Nacheinander zur Rechtfertigung gedacht ist. 126 Das in der Bekehrung vermittelte ausdrückliche Glaubensbewußtsein ist vielmehr immer ein Wissen um die Rechtfertigung. Für die Unterscheidung von Wiedergeburt und Heiligung ist die zeitliche Differenz zwischen Vorher und Nachher dagegen konstitutiv.

3. Die Rechtfertigung des Wiedergeborenen Indem Baier und Buddeus die Rechtfertigung als Folge der Wiedergeburt bestimmen, bleiben sie zwar im Unterschied zum pietistischen Verständnis der Rechtfertigung als eines Durchgangsmomentes zur Wiedergeburt 127 bei der von der lutherischen Tradition gelehrten Reihenfolge der Momente der Heilsvermittlung. Aber sie verbinden mit derselben in verschärfter Weise 126 Siehe ID IV,3,26, 1224: "Qui regeneratur, statim quoque iustificatur, & hac ratione in n u m e r u m filiorum Dei recipitur". Schon die ältere Darstellungsweise der Heilsordnung etwa bei Quenstedt und Hollaz, die die verschiedenen Aspekte der Neukonstitution des Menschen im Glauben an Christus als Berufung, Wiedergeburt, Rechtfertigung, Heiligung, Vereinigung mit Christus darstellte, ist nicht einfach als Verlaufsbeschreibung zu lesen. Die Einsicht, daß das im ordo salutis beschriebene Ereignis, welches sich f ü r den Menschen als Wiedergeburt vollzieht, nicht in zeitlich unterschiedene Momente zerfällt, hat aber w o h l erst Musäus in seiner Abhandlung über die Bekehrung zum Ausdruck gebracht. Siehe das entsprechende Zitat dazu unten A . 1 3 0 . Entsprechend erscheint Buddeus die Unterscheidung verschiedener Glaubensakte bzw. Teile des Glaubens überflüssig. Vgl. ID IV,3,9, 1189: "Cum ea, quae hactenus attulimus [seil, die Darstellung der verschiedenen Momente des Glaubensaktes; V f . ] ut iustificatio hominis coram Deo rite procedat, sufficiant, supervacaneum foret, plures adhuc, aut actus, aut partes fidei constituere." 127 Vgl. dazu J. Baur, Salus, 88-95, bes. 92f.

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das Ansinnen, die lutherische Einsicht in den forensischen Sinn der Rechtfertigung 128 , wonach die Gerechtigkeit, die dem Menschen im Rechtfertigungsurteil Gottes zuerkannt wird, nicht als eine dem Menschen inhärierende Qualität, sondern als eine außerhalb in Christus gültige Bestimmung des Menschen zu gelten hat 129 , konsequent zuende zu denken. In diesem Interesse deuten die Jenaer Theologen, denen Johannes Musäus mit seiner Abhandlung über die Bekehrung den entscheidenden Impuls gegeben hatte 130 , das Rechtfertigungsurteil unter Berufung auf Rom 3 als rein deklaratorisches Urteil 1 3 1 und bestimmen entsprechend die Rechtfertigung als Gerechterklärung des wiedergeborenen Glaubenden 132 . In dieser Deutung der Rechtfertigung als Gerechterklärung des Glaubenden liegt eine Verschiebung gegenüber der älteren lutherischen Tradition vor, die bereits Jörg Baur notiert und im Blick auf die Wahrung der reforma-

128 ID IV,4,2, 1303: "[vox iustificare; Vf.] non aliter, quam in forensi significatione adhibetur, atque eiusmodi actum denotat, quo Deus hominem peccatorem, sed regenitum, adeoque vera fide meritum Christi adprehendentem, innocentem, & ab omni reatu peccatorem liberum, hinc & filium Dei, atque heredem vitae aeternae, pronuntiat." 129 So Buddeus gegen die katholische Position ID Γν,4,11, 1337. 130 Die für die weitere Entwicklung maßgebliche Erkenntnis von Musäus findet sich in 'De conversione', § 9: "Dico: Si regenerationis vox striae sumatur & c. Nam quia justificatio Sc renovatio cum regeneratione intime cohaerent, & individuo nexu copulantur, ita ut eo statim momento, quo quis renascitur, etiam peccata ei per fidem in Christum remittantur, & fides per charitatem efficax esse, ac renovari homo incipiat; usus loquendi obtinuit, ut propter rerum connexionem etiam voces permutentur, & regeneratio nonnunquam pro justificatione, interdum pro renovatione; quandoque etiam latius prout utramque comprehendit, a Scriptoribus Ecclesiasticis usurpetur." Musäus diagnostiziert im Sprachgebrauch ein engeres und weiteres Verständnis des Wortes Wiedergeburt. Im weiteren Sinne meine sie nicht nur die Gerechtsprechung des Sünders, sondern die in demselben Augenblick begründete Heiligung. Indem Musäus die Rechtfertigung zusammen mit der Heiligung als Momente der Wiedergeburt begreift, legt er die Voraussetzungen für ein rein forensisch-deklaratorisches Verständnis der Rechtfertigung, wie es Baier und Buddeus dann vertreten. 131 Dies betont Buddeus ID IV,4,11, 1338: "interdum vero iustificari idem sit, ac iustum pronuntiari, vel declarari (qua ratione vox haec in scriptura sacra accipitur) tum sane iustificationem per remissionem, seu non imputationem peccatorum fieri, manifestum est". Vgl. ebenso schon Baier, Compendium 111,5,1, 445: "Justificatio, quae conversionem proxime sequitur, forensem significationem habet, et actum illum denotat, quo Deus judex hominem peccatorem, adeoque reum culpae et poenae, sed in Christum credentem justum pronuntiat: de quo non ex ratione, sed Scriptura evangelica constat." 132 Daher behandelt Buddeus die Rechtfertigungslehre im Anschluß an die Lehre von Glaube und Wiedergeburt ID IV,4,1, 1303: "Fides, quae per regenerationem, conversionemque producitur, eo proxime tendit, ut homo per meritum Christi remissionem peccatorum impetret, adeoque coram Deo iustificetur, & ita in numerum filiorum Dei recipiatur. Hoc ergo quo pacto fiat, postquam de fide, deque regeneratione ac conversione diximus, nobis nunc edisserendum est." Vgl. ID IV,4,3, 1309 A.2. Die Beziehung der Rechtfertigungsaussage auf den wiedergeborenen Sünder findet sich auch bei Hollaz, Examen 111/1,8,6, 453: "DEUS justificat hominem peccatorem coram judicio divino reum culpae & poenae sed conversum & renatum." Entsprechend hat sich Heinrich Schmid in seiner zusammenfassenden Darstellung der lutherischen Dogmatik dafür entschieden, den Glauben vor der Rechtfertigungslehre zu behandeln, um damit deutlich zu machen, daß das Rechtfertigungsurteil ein den Glaubenden betreffendes Urteil ist.

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torischen Rechtfertigungsauffassung f ü r bedenklich gehalten hat. 1 3 3 Z w a r hatte auch Q u e n s t e d t gelehrt, d e r Stand der Rechtfertigung sei d u r c h den G l a u b e n des G e r e c h t f e r t i g t e n g e k e n n z e i c h n e t . 1 3 4 D e n V o r g a n g der Rechtfertigung hatte e r j e d o c h als den A k t G o t t e s bestimmt, d u r c h den der sündige M e n s c h d u r c h die A n r e c h n u n g der Gerechtigkeit C h r i s t i gerecht gesprochen u n d d a d u r c h allererst z u m G l a u b e n gebracht w e r d e . D i e Rechtfertigung galt i h m als die i m U r t e i l G o t t e s erfolgende I m p u t a t i o n der G e r e c h t i g k e i t C h r i s t i und des G l a u b e n s . 1 3 5 Diese i m p u t a t i v e D e u t u n g des Rechtfertigungsurteils G o t t e s schließt Buddeus i m G e f o l g e v o n Musäus und Baier, der den d e k l a r a t o r i s c h e n C h a r a k t e r der Rechtfertigung entschieden b e t o n t hatte, aus seiner B e s t i m m u n g d e r Rechtfertigung aus. Gegen ein V e r s t ä n d n i s der Rechtfertigung als einer inneren V e r ä n d e r u n g deutet Baier die R e c h t f e r t i g u n g z w a r als Statusänderung des M e n s c h e n i m U r t e i l G o t t e s . 1 3 6 D i e Rechtfertigung erscheint aber bei i h m als der intellek-

133 Siehe Baur, Salus, 112. 134 Vgl. Quenstedt, Systema 111,8/1,3, 737: "Verba haec nunquam & nusquam in universa Scriptura S. etiam extra negotium justificationis hominis peccatoris coram Deo, justificationem per infusionem novarum qualitatum significant, sed quotiescunque de Deo justificante impium coram tribunali suo usurpantur, significationem forensem habent." Hier wird der Unterschied zwischen Buddeus und Quenstedt deutlich: während Buddeus den forensischen Akt der Rechtfertigung auf den "hominem peccatorem, sed regenitum, adeoque vera fide meritum Christi adprehendentem, innocentem" bezieht, versteht Quenstedt die Rechtfertigung als iustificatio impii. Objekt und Ziel des Aktes der Rechtfertigung ist demnach der Sünder, siehe bes. Systema 111,8/1,4, 739. Allerdings gilt dabei für Quenstedt: "Non autem ideo justificatur homo peccator, quatenus in statu peccati est, & gloria Dei destituitur, sed quatenus renatus est, & et in Christum credit, hinc addimus in thesi, quod ratione actus & status praesentis subjectum iustificandum sit homo credens seil, in Christum; hie enim solus actu justificatur." Wenn der Apostel in Rom 3,22 die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes in den Glaubenden lehre, so sei damit die von Gott den Glaubenden geschenkte Gerechtigkeit Christi gemeint: "dicitur enim haec iustitia venire in credentes, h.e. credentium fieri per imputationem seil, uti docet Apostolus Rom.IV,3.4.5.seq. intelligitur ergo nomine iustitia perfectissima Christi oboedientia agendo Sc patiendo legi praestita, haec venit perßdem Iesu Christi ... in omnes Si super omnes credentes." Daher gilt für Quenstedt: "per impium, non intelligitur impius in sua impietate sine poenitentia persistens, sed impietatem agnoscens, ab ea liberari desiderans, atque ad Christum, thronum gratiae, vera fide confugiens." 135 Vgl. Quenstedt, Systema 111,8/1,13, Nota II A, 749: "Imputatio itaque justitiae Christi, & imputatio fidei in justitiam est unum & idem." Ein Satz, der "dem Kern von Luthers Verständnis" besonders nahe kommt, wie Baur, Salus, 80 betont. 136 Siehe Baier, Compendium 111,5,2, 447: "Licet autem justificatio non importet realem et intrinsecam hominis mutationem: quia tarnen per earn homo ex injusto fit justus judicialiter, atque ita status hominis revera mutatur, ideo non abs re notandi sunt termini a quo et ad quem." Vgl. ebd. Anm. a. In demselbem Sinne betont Buddeus gegen die katholischen Theologen, die "physicam significationem voci huic tribuunt, qua mentis eiusmodi mutationem, per quam in locum vitiorum, pravarumque propensioneum, virtutes, bonaeque propensiones succedant, denotet" (ID IV,4,2, 1303 A.l), sie verwechselten Wiedergeburt und Rechtfertigung. Denn die Rechtfertigung bedeute keine natürliche Veränderung der geistigen Fähigkeiten des Menschen. Diese sei vielmehr durch den Glauben an Christus vermittelt. Außerdem sei die in der Wiedergeburt gesetzte Neukonstitution des Geistes nicht als physische Qualität des Menschen zu verstehen.

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tuelle Vorgang 1 3 7 , in welchem G o t t den Glauben, in dem der Sünder das Verdienst Christi ergreift, zur Gerechtigkeit anrechnet und ihn so von der Anklage der Sünde freispricht. 1 3 8 O b w o h l Buddeus die Rechtfertigung ebenfalls nicht als reale innere Veränderung der Seele 1 3 9 verstanden wissen will, hebt er im Unterschied zu Baier die Rechtfertigung nicht als intellektuellen A k t des göttlichen Urteils hervor 1 4 0 , sondern versteht sie in erster Linie als das Ziel des im menschlichen Bewußtsein sich äußernden göttlichen Aktes der Bekehrung 1 4 1 . Er folgt damit konsequent der Linie von Musäus, der die Rechtfertigung als M o m e n t der Wiedergeburt betrachtet hatte. Angesichts dieser Veränderungen, die Buddeus im Gefolge der Jenaer Tradition an der älteren lutherischen Bestimmung der Rechtfertigung vorgenommen hat, muß sich die bereits von Jörg Baur erhobene Frage stellen, ob sein Verständnis der Rechtfertigung nicht die Intention der reformatorischen Rechtfertigungslehre, die Gerechtigkeit des Christen als außerhalb seiner selbst in Christus begründete zu bestimmen und darin die reine Gnade dieses Urteils festzuhalten, verfehlt, wenn die Rechtfertigungsaussage auf das im Glauben wiedergeborene Individuum bezogen wird und mithin "von einer justificatio impii nicht mehr zu sprechen" 1 4 2 ist. Gegen diesen Einwand spricht jedoch, daß Baier und Buddeus durchweg betonen, die Gerechtigkeit, die dem Menschen durch das Urteil zugeschrieben werde, sei keine dem Menschen eigene oder inhärierende Gerechtigkeit, sondern die fremde Gerechtigkeit, nämlich die Gerechtigkeit Christi 1 4 3 . Daher bedeute 137 Im Anschluß an R o m 8,33f. b e s t i m m t Baier, C o m p e n d i u m 111,5,1, 446f. A n m . g die Rechtfertigung als "ista absolutio hominis, aut reputatio justi, intra m e n t e m divinam". Vgl. 111,5,5, 451 A n m . e: " D i c i t u r imputatio, non quasi sit otiosa vel imaginaria, aut f u n d a m e n t o et fructu carens relatio meriti alieni ad alium; sed q u o d sit actus intellectus (velut practici) et voluntatis, ejus, qui judicium exercet". 138 Baier, C o m p e n d i u m 111,5,5, 450: "Itaque ad ipsum processum justificationis pertinet, q u o d D e u s , t a n q u a m judex hominis, a lege accusati, et peccatorum convicti, simul tarnen in C h r i s t u m credentis causam sic cognoscit, ut ilium quidem propria justitia destitui et m o r t i s ac damnationis aeternae reum esse deprehendat; Christi m e r i t u m autem fide a p p r e h e n s u m , ita ad e u m pertinere judicet, seu ei imputet, ut propterea non amplius p r o peccatore habeat, sed ab accusatione et obligatione ad p o e n a m absolvat". 139 Dies macht er I D IV,4,2, 1308 gegen das katholische Verständnis der Rechtfertigung geltend, w o n a c h diese als erstes M o m e n t die innere Veränderung des Menschen v o n einem Ungerechten zu einem Gerechten und als zweites das Wachsen der dem Menschen durch die Veränderung inhärierenden Gerechtigkeit enthält. 140 Vgl. die einschlägigen Stellen z u m Begriff der Rechtfertigung I D IV,3,9, 1189. 141 I D IV,3,40, A . l , 1257: "... de fine conversionis, qui est remissio p e c c a t o r u m , seu iustificatio". 142 S o Baur, Salus, 113. Diese A u f f a s s u n g der Rechtfertigung und die darin sich ausdrückende " A u f w e r t u n g des G l a u b e n s " (113) ist allerdings nicht auf einen "pietistische(n) Einschlag" (111), s o n d e r n auf die J e n a e r Schule v o n M u s ä u s und Baier zurückzuführen. 143 I D IV,4,5, 1311: " A t per iustificationem idem innocens declaratur c o r a m tribunali divino, scelerumque p u r u s , adeoque & iustus, non quidem o b p r o p r i a m , seu inhaerentem iustitiam, sed alienam, seu s p o n s o r i s Christi: qui, ut o m n i a fecit, quae ad iustificandos homines, in eum credentes, pertinent, ita & haecce eius iustitia homini recte imputatur, ut per eam iustus innocensque reputetur c o r a m D e o . " Vgl. I D IV,4,7, 1314.

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auch die Rechtfertigung keine qualitative Veränderung am Individuum selbst. 1 4 4 In der Rechtfertigung werde vielmehr die im aktiven und passiven G e h o r s a m Christi begründete Gerechtigkeit Christi angeeignet 1 4 5 , in der Christus sich die Sünde und Ungerechtigkeit der Menschen zu eigen gemacht habe 1 4 6 und dafür gestorben sei. In diesem Geschehen könne der Glaubende seine Ungerechtigkeit überwunden und sich selbst in der Zugehörigkeit zu Christus gerecht wissen. Buddeus denkt also die Rechtfertigung ähnlich wie Luther begründet durch den in der Erniedrigung Christi konstituierten "fröhlichen Wechsel" 1 4 7 und bestimmt daher bereits Satisfaktion und Interzession als forensische Akte 1 4 8 . Darin, daß Christus sich im Gehorsam gegen seine Sendung stellvertretend zum Schuldigen gemacht hat und in seiner Fürbitte u m die Gewährung des Glaubens bittet, ist die Rechtfertigung als Nichtanrechnung der Sünde 1 4 9 begründet. Im Unterschied zu Q u e n s t e d t 1 5 0 und Hollaz 1 5 1 ist die Sündenvergebung für Buddeus nicht identisch mit der Anrechnung der Gerechtigkeit Christi. Denn die Sündenverge144 ID IV,4,4, A . l , 1309f.: "Certum enim est, in homine, qui iustificatur, mutationem quamdam contingere, non quidem talera, qua nova qualitas, ipsi homini inhaerens, producatur, sed qua homo ex statu irae & condemnationis, in statum gratiae &L absolutionis transfertur, quam forte forensem dicere posses." 145 ID IV,4,7, 1314: "Hanc vero Christi iustitiam, seu obedientiam, tum activam, tum passivam, credentibus Deus imputat, quemadmodum Christi hominum peccato imputavit. Q u a quidem ratione iustitia Christi recte nostra iustitia dicitur, seu Christus nobis a Deo factus iustitia, I. Cor.1,30. Ierem.XXIII,6". 146 Vgl. Buddeus' Auslegung von 2. K o r 5,21 in ID IV,4,11, 1338: "Nimirum, ut Christus pro nobis factus est peccatum, dum Deus nostra peccata illi imputavit, ita etiam per illum nos efficimur iustitia Dei, dum Deus nobis eius iustitiam & obediantiam imputat." In seinen Anmerkungen zu ID IV,4,7, 1314ff. greift Buddeus die Erklärung der Rechtfertigung durch die Benennung der Güte Gottes als causa impulsiva interna und des Verdienstes Christi als causa impulsiva externa auf und zeigt, daß der innere Impuls den äußeren bestimmt: "Gratiae enim, propitiique favoris opus fuit, quod Deus nobis huncce redemtorem miserit, hancque rationem, homines lapsos restituendi, invenerit, & satisfactionem istam acceptaverit." 147 Vgl. Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, B o A II, 15: "Nit allein gibt der glaub ßovil/ das die seel/ dem gottlichen wort gleych wirt aller gnaden voll/ frey/ vn selig/ sondernn voreynigt auch die seele mit Christo/ als eyne brawt mit yhrem breudgam. ... So hatt Christus alle guetter und Seligkeit/ die ' seyn der seelen eygen. So hatt die seel alle untugend und sund' auff yhr/ die werden Christi eygen. Hie hebt sich nu der froelich wechßel und streytt/ Die weyl Christus ist gott und mensch/ wilcher noch nie ' gesundigt hatt/ und seyne frumkeyt unubirwindlich/ ewig/ und allmechtig ist / ßo er denn der glaubigen seelen sund/ durch yhren braudtring/ das ist/ d' glaub/ y m selbs eygen macht und nit anders thut/ den als hett er sie getha/ ßo müssen die sund ynn yhm vorschlunden vn erseufft werden". Vgl. Buddeus ID IV,4,11, A . l , 1338: "iustitia Christi nostra est iustitia". 148 ID IV,4,2, 1307. 149 ID IV,4,11, 1336: "Iustificatur itaque homo, quando illi propter meritum, seu iustitiam Christi adprehensam, peccata omnia remittuntur; psalm. XXXII,1. Rom. IV,7. Hinc & forma iustificationis in remissione, seu non imputatione peccatorum constitui solet. Addunt nonnulli imputationem iustitiae Christi; quae tarnen, ut remissionem, seu non imputationem peccatorum praecedit, ita rectius pro fundamento iustificationis hominis peccatoris coram Deo habetur." Vgl. ebd. A . l , 1337. 150 Vgl. Quenstedt, Systema 111,8/1,14, 753. 151 Hollaz, Examen 111/1,8,12, 466f.

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bung als Nichtanrechnung der Sünde, welche sich aktuell und individuell in der Rechtfertigung vollzieht, setzt nach Buddeus die im Tod Christi begründete Anrechnung der allen Menschen geltenden Gerechtigkeit Christi bereits voraus. Diese Unterscheidung zwischen der Anrechnung der Gerechtigkeit Christi und dem individuellen Vorgang der Rechtfertigung hat den Sinn, die von der individuellen Aneignung unabhängige universale Bedeutung des Kreuzestodes Christi angemessen zur Geltung bringen zu können. 152 Gerade die in der Erniedrigung bis in den Tod offenbarte stellvertretende Gerechtigkeit Christi 1 5 3 , durch die das Gesetz in vollkommener und absoluter Weise erfüllt worden ist, zeigt dabei, daß der Mensch zur Konstitution seiner Gerechtigkeit nichts beitragen kann. Jede Mitwirkung des Menschen an seiner Rechtfertigung ist ausgeschlossen. Rechtfertigung bedeutet vielmehr die Nichtanrechnung der Sünde aufgrund der in Christi Tod erschlossenen Zurechnung der Gerechtigkeit Christi. Der Glaube des Christen gilt darum nicht als Leistung des Menschen, welche die Rechtfertigung bewirkt, sondern als die Art und Weise, in der das Individuum seine Sünde vergeben und sich in Christus gerecht weiß. In dieser Konzeption von Buddeus hat Jörg Baur mit Recht eine "Aufwertung des Glaubens" 1 5 4 festgestellt. Aber man sollte daraus nicht auf eine veränderte Funktion des Glaubens im Kontext der Rechtfertigung schließen. 155 Denn wenn Buddeus von der Rechtfertigung des Wiedergeborenen spricht, so soll das nicht heißen, der "zu Rechtfertigende" müsse "schon wiedergeboren sein" 156 . "Die im Sinne von Quenstedt als Bewegung auf Christus hin zu fassende Wiedergeburt" wird bei Buddeus zwar nicht mehr begrifflich "in den Akt der Rechtfertigung hineingenommen". Doch das bedeutet nicht, daß die Wiedergeburt der Rechtfertigung "als Qualitätsmitteilung an das Subjekt vorangestellt" wäre. 157 Baur gelangt zu seinem kritischen Urteil über die Rechtfertigungslehre von Buddeus, weil er die Veränderung der Wiedergeburt gegen die Aussagen von Buddeus als qualitative Veränderung unterstellt und in der Vorordnung der solchermaßen verstan152 Daher sind zwar alle Menschen in sich betrachtet Sünder, aber sie sind zugleich die, für die Christus gestorben ist und die daher als "in hocce foedus gratiae recipiendi" zu gelten haben, vgl. ID IV,1,6, 918. O b man angesichts des mit dieser Unterscheidung verbundenen Interesses an der Universalität des Heils, welches immerhin doch auf das Theodizeeproblem bereits reagiert, mit Baur, Salus, 114 befürchten muß, daß hier "das Heil in Christus in eine immer fernere Objektivität abgeschoben" wird? 153 Siehe ID IV,4,8, A . l , 1317f.: "Iustitiam Christi perfectissimam, omnibusque numeris absolutem fuisse, nemo dubitaverit, cum omnium & innocentissimus, & sanctissimus fuerit ... Idem vero cum & verus Deus pariter ac verus homo sit, infiniti valoris pretium inde iustitiae & obedientiae eius accessit." 154 So Baur, Salus, 113, allerdings in kritischer Fortführung. 155 So Baur, Salus, 113. 156 Vgl. Baur, ebd. Siehe dagegen Buddeus ID IV,3,26, 1224: " Q u i regeneratur, statim quoque iustificatur". 157 Baur, Salus, 113.

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d e n e n W i e d e r g e b u r t v o r die R e c h t f e r t i g u n g eine d e r

Rechtfertigungslehre

e n t g e g e n g e s e t z t e B e t o n u n g d e r A k t i v i t ä t des M e n s c h e n e r b l i c k t . U m

eine

B e t o n u n g d e r s e l b e n geht es B u d d e u s j e d o c h n i c h t . D u r c h die spezielle Z u s t i m m u n g als M o m e n t des G l a u b e n s b e z i e h t das I n d i v i d u u m z w a r die G e r e c h t i g k e i t C h r i s t i a u f s i c h 1 5 8 u n d ist i n s o f e r n a k t i v 1 5 9 , d o c h diese A n n a h m e d e r G e r e c h t i g k e i t C h r i s t i i m G l a u b e n v e r s t e h t B u d d e u s n i c h t als ein die R e c h t f e r t i g u n g h e r v o r r u f e n d e s W e r k des M e n s c h e n u n d d a m i t a u c h n i c h t w i e z u m Beispiel die S o z i n i a n e r 1 6 0 als V e r d i e n s t . 1 6 1 D e r G l a u b e b e g r ü n d e t die R e c h t f e r t i g u n g

n i c h t . 1 6 2 V i e l m e h r zeigt sich d a r i n ,

daß Buddeus

die

ä l t e r e B e s t i m m u n g des G l a u b e n s als I n s t r u m e n t a l u r s a c h e d e r R e c h t f e r t i g u n g e b e n s o w i e die E i n s t u f u n g als u n t e r g e o r d n e t e I m p u l s u r s a c h e , die seine J e n a e r L e h r e r B a i e r u n d M u s ä u s 1 6 3 v e r t r e t e n h a b e n , u n t e r H i n w e i s auf die u n n ö t i g e m e t a p h y s i s c h e T e r m i n o l o g i e 1 6 4 n u r in e i n e r A n m e r k u n g zitiert, d a ß e r k e i n e 158 ID IV,4,9, 1319: "Ut iustitia & obedientia Christi nobis imputari queat, ex parte nostra fides adsit, necesse est, qua earn adprehendimus, ac velut nostram facimus." 159 Die Frage, ob sich der Glaube "in negotio iustificationis" aktiv oder passiv verhalte, muß so die Auskunft ID IV,4,10, 1335 - "intuitu meriti Christi, & intuitu iustificationis" unterschiedlich beantwortet werden. Hinsichtlich des Verdienstes Christi kann der Glaube, welcher das Verdienst ergreift, als Tat beschrieben werden. "Intuitu autem ipsius iustificationis si fides spectetur, si adcurate loqui velimus, nec active, nec passive sese habebit, cum non fides, sed homo sit, qui iustificatur, quemadmodum nec fides, sed homo, salvatur." 160 Vgl. ID IV,4,9, 1322. Außerdem grenzt sich Buddeus ebd. auch gegen die römisch-katholische Position ab, "cum per iustificationem iustitiae inhaerentis productionem, vel infusionem intelligant, eamque ... in primam & secundam dispescant, per secundam, iustitiae inhaerentis incrementum significantes, quaedam quidem opera bona, quibus homo ad iustificationem disponatur, ad eamdem aliquid cooperari, seu etiam, eam de congruo, ut loquuntur, promereri, contendunt, inter quae δί fides, seu adsensus, praecipuum locum teneat; quae autem ex iustitia inhaerente fluunt bona opera, iustificationem secundum omnino de condigno promereri." Allerdings gäbe es "recentiores ex Romanensibus", die "a iustificatione ea opera excludi, contendunt, quae conversionem &C fidem antecedunt", was aber ebenfalls der Aussageintention bei Paulus widerspreche. Zur Verdeutlichung der Auffassung des Paulus entfaltet Buddeus ID IV,4,9, 1325 als Gegensatz die jüdische Auffassung der Rechtfertigung: "In eam namque ingressi erant sententiam, Deum in foedere Sinaitico perfectam atque exactam praeceptorum suorum ideo postulasse observantiam, quod unica haecce via esset, absque omni respectu ad aliud quid, iustitiam, vitamque aeternam consequendi; atque hinc porro concludebant, hominem natura neutiquam ita depravatum esse, ut ad hancce foederis Sinaitici conditionem implendam ineptus sit." 161 ID IV,4,9, 1320: "Cum sola fide hominem iustificari, adserimus, mens nostra est, ex parte hominis ad iustificationem nihil aliud requiri, praeter fidem. ... Praeterea fides hic minime, ut virtus, vel bonum opus, vel simili ratione spectatur, sed tantum, prouti meritum Christi adprehendit." Buddeus beruft sich in der Ablehnung des verdienstvollen Charakters des Glaubens auf Rom 3,24. 162 ID IV,4,10, 1335: "Intuitu autem ipsius iustificationis si fides spectetur, si adcurate loqui velimus, nec active, nec passive sese habebit, cum non fides, sed homo sit, qui iustificatur, quemadmodum nec fides, sed homo, salvatur." 163 Weber, Reformation II, 27 beurteilt die Bestimmung des Glaubens als causa impulsiva minus principalis als Tat der "Jenaer Verständigkeit", weil damit die ungeschickte Einordnung desselben als causa Instrumentalis abgewendet werden konnte, sieht aber darin zugleich die Gefahr durchbrechen, "daß der 'immanente' gottheitliche Akt, in dem seine Majestät erstrahlen soll, abhängig wird von dem menschlichen Verhalten." 164 ID IV,4,9, 1320 A.2.

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"Aufwertung des Glaubens als der Rechtfertigung vorangehender Qualität" 1 6 5 anstrebt. Sowenig Quenstedt seine Rede von der Rechtfertigung des Gottlosen im Sinne einer Gerechterklärung des Unglaubens verstanden wissen wollte 1 6 6 , sowenig richtet sich das Interesse von Buddeus darauf, die Rechtfertigung als Gerechterklärung des bereits durch seinen Glauben an sich selbst Gerechten auszulegen. Denn an sich selbst betrachtet ist auch derjenige, der sich im Glauben durch Christi Gerechtigkeit gerechtgesprochen und so zu Christus gehörig versteht, Sünder. Darum kann auch für Buddeus die einst von Luther in seinen fünfundneunzig Thesen hervorgehobene tägliche Buße des Christen und die darin immer neu sich vollziehende Bekehrung dem Wiedergeborenen nicht erspart bleiben. 167 Daß die Rechtfertigung nicht einfach die Faktizität des Glaubens voraussetzt, wird schließlich auch daran deutlich, daß Buddeus als Ausgangspunkt der Rechtfertigung nicht den vertrauenden Glauben, sondern die Erkenntnis der Sünde und ihrer Bedeutung angibt 168 . Die Rechtfertigung konstituiert sonach Heilsgewißheit angesichts des in der Bekehrung allererst erkannten Wesens der Sünde und ihrer Beherrschung des Lebensvollzuges. Daher soll die Rechtfertigungslehre die Vertiefung des in der Wiedergeburt und Bekehrung konstituierten expliziten Glaubens darstellen. 169 Denn aus der Rechtfertigung erschließt sich die Erkenntnis, daß Gott als Richter nicht nur Strafen erlassen oder verhängen kann 1 7 0 , sondern daß er in seiner Dreieinig165 So Baur, Salus, 113. Anders als Weber kritisiert Baur, daß Buddeus den Glauben nicht als Instrumentalursache, sondern als dem Verdienst Christi untergeordnete äußere Impulsursache bestimmt. Dabei wird jedoch nicht in Rechnung gestellt, daß Buddeus im Text des Paragraphen auf die Näherbestimmung des Glaubens als causa iustificationis gänzlich verzichtet und erst in der dazu gehörigen Anmerkung im Anschluß an Baier (Compendium 111,5,9, 453) die entsprechende Einstufung als causa impulsiva externa minus principalis vornimmt, vgl. ID IV,4,9, 1319. 1320 A.2. 166 Vgl. Baur, Salus, 112: "Quenstedt ... will den Glauben im Akt der Rechtfertigung als Bewegung angesehen haben: der Gottlose, der gerechtfertigt wird, ist gewiß nicht der impius in sua impietate sine poenitentia persistens, vielmehr gilt von ihm: impietatem agnoscens ab eo liberari desiderans, atque ad Christum, thronum gratiae, vera fide confugiens." 167 ID IV,4,3, 1308. 168 ID IV,4,4, 1309: "Hoc vero ut eo rectius intelligatur, hominem, primum ante iustificationem considerare iuvat. Atque tum quidem ut maleficorum pessimum, se nobis sistet, qui se irae ac malediction! divinae obnoxium, non tantum temporales poenas quasvis, quantumvis asperas, sed mortem etiam, aeternosque cruciatus omnes, promeruisse, agnoscit. Nec aliter, si legem, quae obedientiam exactissimam requirit, sique iustitiam divinum spectes, esse potest." 169 Vgl. ID IV,4,4, 1310: "Atque hinc quidem, quis terminus, quem vocant, a quo iustificationis sit, intelligitur. Cum homo ante regenerationem consideratur, ita spectatur, prout mortuus est in peccatis, & omni vita ac viribus in spiritualibus destitutus. Ante iustificationem autem consideratus, relatio ilia, quam peccatum ad iudicium divinum praecipue habet, in censum venit." 170 ID IV,4,6, 1312: "lam, si ipsum processum in hocce ludicio spectemus, primum quidem iudex sese nobis offert, qui Deus est ... Hie enim cum solus ius habeat, potestatemque, peccatores puniendi, solus etiam ius habet, poenas promeritas illis remittendi, siquidem iudex est totius universi".

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keit 171 diese Macht gemäß seiner Güte gebraucht, indem er die Gerechtigkeit Christi den Sündern im Glauben 172 zurechnet und so den Menschen von seiner Schuld und Strafe befreit 173 . Indem Buddeus als das Ziel der Wiedergeburt und Rechtfertigung nicht nur die Vergebung der Sünde, sondern - in Anlehnung an die biblischen Aussagen über die Gotteskindschaft der Glaubenden - auch die Adoption der Glaubenden in die Gotteskindschaft bestimmt 174 , vollzieht er eine weitere wichtige Veränderung des Rechtfertigungstraktats. Denn durch die Adoption wird nunmehr für Buddeus die positive Bedeutung der Sündenvergebung 175 dahingehend bestimmbar, daß sie die Einsicht in das Wesen Gottes als Vater erschließt, der die, für die Christus gestorben ist, zu Erben seiner Gnade macht 176 . So bedeutet die in der priesterlichen Mittlerschaft Christi begründete Aufnahme des Glaubenden in die Gotteskindschaft 177 die Konstitution der Einheit mit Gott als Vater 178 und die Aufhebung der in der Erkenntnis Gottes als des strafenden Richters begründeten Trennung von Gott. Da im Anschluß an Rom 8,16 dieses in der Rechtfertigung vermittelte 171 ID IV,4,6, 1312: "De Deo autem triuno, adeoque omnibus & singulis divinitatis personis, quod diximus, est intelligendum, patre, filio, atque spiritu sancto". 172 ID IV,4,6, Α.2, 1313: "Iustificatio enira, intuitu Dei, a nobis ut actio quaedam mentis divinae, intellectus & voluntatis concipitur, qua homini peccatori, sed credenti, iustitiam Christi imputat, eumque ideo pro iusto & innocente habet." 173 Terminus ad quem der Rechtfertigung ist daher die "immunitas a reatu culpae & poenae. A culpa nimirum dum homo liberatur, foeditas illa moralis cessat, ut non amplius abominabilis sit in oculis Dei" (ID IV,4,5, 1311 A . l ) . Vgl. zum Zusammenhang zwischen Sünde, Schuld und Strafe ID 111,2,11, 771. Grundlegend für den Zusammenhang von Sünde und Schuld ist nach Buddeus, daß der Sünder in seinem Gewissen die Schuld der Sünde spürt: "Qui peccavit, non potest non conscientiae morsus persentiscere, ut vel Caini exemplo patet". 174 Vgl. hierzu ID IV,4,14, 1344f. Hollaz, Examen 111/1,7,21, 435 bestimmt zwar ebenfalls als Ziel der Wiedergeburt die Rechtfertigung und Adoption in die Gotteskindschaft, macht diese dann aber im Kapitel über die Rechtfertigung 111/1,8,20, 480 - gemeinsam mit der unio mystica, dem Frieden des Gewissens, der Erneuerung und Heiligung - als Effekt und nicht als Ziel der Rechtfertigung geltend. 175 Vgl. zu der mit der Sündenvergebung und Adoption verbundenen Geistteilhabe ID IV,4,15, 1347: "Denique ne quid beatitudini iustificatorum desit, Deus spiritum sanctum, spiritum illum adoptionis, Rom. VIIIJ5. spiritum Christi, Gal.IV,16. seu pignus & firmamentum amoris sui, II. Cor.1,21,22. eis concessit, qui in illis habitet, & non tantum de gratia Numinis certiores reddat, eosque hac ratione consoletur; Rom.VIII,6." 176 Vgl. ID IV,4,15, 1348 als Auslegung von Rom 8,15: "Opponitur namque ibidem spiritus adoptionis ... spiritui servitutis, qui Deum ut severum dominum, & terribilem iudicem repraesentat, ...; cum contra spiritus adoptionis Deum nobis ut blandum, & indulgentem ostendat patrem, nosque de gratia eius certiores reddens, & spem futurae hereditatis fovens, efficiat, ut cum animo prorsus filiali patris nostri benignissimi voluntati morem geramus." 177 ID IV,4,14, 1346: "Fundamentum nimirum ex parte hominis est regeneratio, ex parte Dei iustificatio, qua obstaculum etiam, seu impedimentum, quod ista dignitate nos privat, removetur; ipsa vero receptio in numerum filiorum Dei fit per adoptionem." Glaube und Sündenvergebung gehen der Aufnahme in die Gotteskindschaft nicht in zeitlichem Sinne voraus, sondern sind logisch der Adoption vorgeordnet, weil die Adoption in die Gemeinschaft mit Gott ohne Glaube und Sündenvergebung nicht gedacht werden kann. 178 ID IV,4,14, 1344f.: "Quam quidem summam & dignitatem, & beatitudinem esse, is demum recte intelliget, qui cuncta spirituali aestimare iudicio didicerit."

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Wissen u m die Gotteskindschaft als das innere Zeugnis des Geistes 1 7 9 und als Zeichen der Einwohnung des Geistes in den Glaubenden 1 8 0 zu gelten hat, vermag der gerechtfertigte Glaubende sich in diesem Wissen u m die Adoption in die Gotteskindschaft seines Heils gewiß 1 8 1 zu sein und kann sich dessen in der Anfechtung vergewissern. Die durch das innere Zeugnis des Geistes konstituierte Gewißheit ist mithin nicht nur als unmittelbare Heilsgewißheit zu verstehen, sondern enthält die Möglichkeit reflexiver Vergewisserung des Heils. 1 8 2 D i e hier von Buddeus benannte F o r m der Selbstvergewisserung des Glaubens 1 8 3 zielt nicht auf die Realisierung eines pietistischen Interesses. 1 8 4 179 ID IV,4,15, 1348: "Idque spiritus sanctus ea ratione praestat, ut nostro spiritui una testimonium praebeat, nos Dei filios esse ... apostolos docet, quod ipse cuiusque hominis animus, illi testimonium det, & quod ad hocce accedat testimonium spiritus sancti." 180 ID IV,4,15, 1347: "Inhabitatio itaque spiritus sancti in cordibus credentium innuitur, quae itidem iustificationem consequitur. ... Negari equidem nequit, regenerationem ipsam, atque conversionem, opus esse spiritus sancti, immo ei soli recte hoc tribui; sed inhabitatio spiritus sancti, in cordibus hominum, seu in templo quodam, iis demum adscribitur, qui iam regeniti atque iustificati sunt; quemadmodum & alia operatio est spiritus sancti in hominibus convertendis, & iustificandis; alia in conversis & iustificatis." 181 ID IV,3,14, 1200: "Proprium fidei verae est, quod & res ipsa, quae creditur, longe certissima, & ille ipse, qui credit, non minus certus sit, vera esse, quae credit, quemadmodum & quilibet, qui credit, quod veram fidem habeat, longe certissimus esse potest." Vgl. ID IV,3,7, 1187 A . l : "si ex verbo divino eiusmodi homo certus fiat, salutem sibi, peccatorumque omnium remissionem, per meritum Christi offerri, isque avidissime hoc arripiat, amplectatur, sibi vindicet, suum veluti faciat, & in eo recumbat, recte is fiduciam suam in eo ponere dicetur." 182 ID IV,4,15, 1348f.: "Cuiusque namque hominis credentis Si. iustificati animus, de adoptione sua certus esse potest, & debet, si quis se ipsum rite, & serio exploret, secundum monitum apostoli Il.Cor.XIIIJ. & , num characteres & signa fidei & regeneration's ... in se deprehendat, dispiciat. ... A d quod animi nostri testimonium cum accedat testimonium spiritus sancti, illud quod animi nostri est, confirmans, & obsignans, ut hoc veluti pignore de gratia & favore Numinis certi reddamur". Vgl. auch ID IV,3,14, 1201. Die "characteres verae fidei" sind derart, "quod corda purificet, actor. XV,9. sordesque vitiorum ex animo expellat, Il.Cor.VII,!. ... quod per caritatem sit efficax ... ad obedientiam Deo in omnibus praestandam hominem incitet ... eum denique aptum reddat, ut mundum vincat" (ID IV,3,47, 1300). Die von Buddeus vorgenommene Unterscheidung zwischen den Eigentümlichkeiten des Glaubens und ihren Wirkungen entspricht dabei seiner Auffassung, daß der Glaube nicht mit seinen Wirkungen identifiziert werden dürfe. Zum Glaubensakt im eigentlichen Sinne gehöre nur die Reinigung des Herzens durch Austreibung der Ursache der Laster. Liebe und Gehorsam seien dagegen Wirkungen des Glaubens, auf die sich der Glaubende gerade nicht verlassen solle. 183 Zu beachten ist nochmals der zweite Teil des oben zitierten Satzes aus ID IV,3,14, 1200: "quemadmodum & quilibet, qui credit, quod veram fidem habeat, longe certissimus esse potest." 184 Gegen Baur, Salus, 111, der in der "Direktheit der Gottesrelation", welche bei Buddeus "mit dem erfahrbaren Selbstbezug des Christen indentifiziert" werde, den pietistischen Einfluß erblickt. Der Unterschied zwischen Buddeus' Bestimmung der Selbstvergewisserung des Glaubens und der Überwindung der atheistischen Anfechtung als einem Element im pietistischen Bekehrungsprozeß wird aus der Darstellung deutlich, die Helmut Obst in seinem Aufsatz 'Elemente atheistischer Anfechtung im pietistischen Bekehrungsprozeß' (JGP 2, 33-42) gegeben hat. Während Buddeus die Selbstvergewisserung des Glaubens durch den Rekurs auf das Schriftzeugnis in R o m 8 vermittelt sieht, stand nach Obst, 42 im spener-halleschen

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D e n n m i t der M ö g l i c h k e i t der Selbstvergewisserung d u r c h das i n n e r e Zeugnis des Geistes ist nicht ein H o r c h e n auf die D e u t l i c h k e i t und Heftigkeit der i n n e r l i c h e n B e k e h r u n g s e r f a h r u n g gemeint. Buddeus geht es bei seiner Betonung der Selbstvergewisserung des Glaubens v i e l m e h r d a r u m , durch den V e r w e i s auf die d e m G l a u b e n mögliche Besinnung auf den G r u n d seiner W a h r h a f t i g k e i t d e m E i n w a n d zu begegnen, die Heilsgewißheit des C h r i s t e n sei eine Illusion. 1 8 5 Besteht d e r o b j e k t i v e G r u n d der G e w i ß h e i t des G l a u b e n s n ä m l i c h in d e r d u r c h die i m W o r t G o t t e s v e r m i t t e l t e n G n a d e G o t t e s 1 8 6 , in der die V o r s t e l l u n g v o m strafenden R i c h t e r aufgehoben und G o t t als V a t e r e r k a n n t w i r d , u n d hat dieses W i s s e n u m das W e s e n G o t t e s nach R o m 8 als das Zeugnis des Geistes zu gelten, so k a n n die daraus resultierende G e w i ß heit nicht als eine v o m Intellekt h e r v o r g e b r a c h t e Einbildung angesehen werden. D i e v o n Buddeus beschriebene Vergewisserung des Glaubens, der sein W i s s e n nicht als d u r c h i h n selbst, s o n d e r n durch den Geist b e w i r k t e s verstehen m u ß , v o l l z i e h t sich dabei - in s t r u k t u r e l l e r A n a l o g i e z u r Vergewisserung der O b j e k t i v i t ä t der G o t t e s i d e e bei Descartes - i m M e d i u m der Selbstbeobachtung. D i e auch bei d e m Zeitgenossen Leibniz a n z u t r e f f e n d e R e d e v o n der Selbstbeobachtung 1 8 7 , in der Leibniz die M ö g l i c h k e i t z u r V e r i f i k a Pietismus das Bemühen im Vordergrund, "angesichts einer weithin veräußerlichten Christlichkeit und vielfältiger aufklärerischer Einflüsse ein Abgleiten größerer Bevölkerungskreise in den praktischen oder philosophischen Atheismus zu verhindern", und zwar durch "Uberführung der Heilstatsachen in die individuelle Erfahrung des einzelnen." So erblickte der Pietismus "in der persönlichen Erfahrung der Gotteswirklichkeit die einzig wirksame Barriere gegen den Atheismus." 185 ID IV,3,8, A.l, 1187: "Cum ergo alias fiduciae nomine adfectus aliquis seu animi actus veniat, qui existit, cum de boni cuiusdam possessione certi reddimur, hic speciatim eiusmodi animi, sive motus, sive adfectus intelligitur, cum homo peccator per meritum Christi, ceu bonum aliquod, omnium sibi iucundissimum, de gratia Dei, eiusque reconciliatione, & remissione peccatorum, longe redditur certissimus. Non itaque fiducia ista res quaedam imaginaria est, multo minus securitas quaedam carnalis, qua de salute per Christum impenetranda minime sibi dubitandum, nonnulli existimant ...; sed vera, maximeque realis est animi adfectio, quam illi omnium optime senserunt, qui, peccatorum gravitatem agnoscentes, de eorum remissione impetranda serio solliciti fuerunt." 186 Entscheidend für die rechte Beurteilung der von Buddeus beschriebenen Möglichkeit der Selbstvergewisserung des Glaubens ist folgende Passage ID IV,3,14, 1200: "Certitudo nimirum fidei, quae primum inter eius adfectiones locum tenet, diversa ratione spectari potest. Primo namque res ipsa, quae creditur, seu obiectum, ... hic in censum venit; quo nomine ea intelliguntur, quae scriptura sacra de gratia Dei, deque merito Christi, & remissione peccatorum tradit. Quae cum revelatione divina, Sc hinc porro ipsa veracitate summa Numinis nitantur, firmissima quoque, certissimaque esse, nemo non perspicit." 187 ID IV,3,14, 1200f. erklärt Buddeus die Frage, "unde quis, quod fidem habeat, certus esse possit?" für gleichbedeutend mit der Frage "unde quis certus esse possit, an intelligat, aut aliquid velit?". Seine Antwort lautet: "Eorum namque, quae in ipsa mente nostra peraguntur, ita nobis conscii sumus, ut, nemo, nisi qui scepticorum, hoc est, hominum cum ratione insanientium numero adiungi velit, de iis dubitare queat. Ita vero hoc est intelligendum, ut veram plenamque fidei notionem, ex scriptura sacra haustam, animo primum concipiat, & tum sero ad ea, quae intra se ipsum sentit, percipitque, attendat." Vgl. zur Selbstbeobachtung auch die Seelenlehre in der theoretischen Philosophie EPT 1,5,3, 103; 1,5,5, 104f. In 164

tion der Aussagen über die geistige Verfaßtheit des erkennenden Subjekts 188 sah, wird bei Buddeus aber keineswegs in pietistischem Sinne auf das subjektive Erleben der Frömmigkeit bezogen, sondern auf das Wissen derselben. Entsprechend ist die in der Rechtfertigungslehre angestrebte Reflexion auf die Bedingung der Möglichkeit, sich der Realität des Heils im Glauben zu vergewissern, nicht primär als Ratschlag zur Uberwindung individuell erlebter Anfechtung zu lesen, sondern als dogmatisches Argumentationsverfahren zur Vergewisserung der Wahrheit des Versöhnungsbewußtseins. Es geht Buddeus dabei darum zu zeigen, daß das Vertrauen auf die Gerechtigkeit im Glauben, in dem die Versöhnung sich individuell realisiert 189 , deshalb nicht als Täuschung oder Illusion gelten kann, weil der Glaubende an sich selbst beobachten kann, daß das Bewußtsein der Aufnahme in die Gottesgemeinschaft nicht durch ihn selbst konstituiert worden ist. Der reformatorischen Betonung des extra se der Gerechtigkeit ist dabei gerade darin entsprochen, daß die Vergewisserung keine Vergewisserung einer Qualität des Subjekts, sondern die Vergewisserung eines nicht durch das Subjekt konstituierten Wissens ist. Schon Luther hatte als Möglichkeit zur Uberwindung der Anfechtung durch die eigene Unwürdigkeit und durch die Prädestinationsangst 190 nur wieder auf den Glaubensinhalt selbst hinweisen können 191 . Wäre dagegen der Angefochtene zur Überwindung der Anfechtung auf die Uberprüfung seiner Frömmigkeit oder seines subjektiven Wissens angewiesen, so könnte die Anfechtung 192 als die Unsicherheit hinsichtlich des individuell gültigen Heils gerade nicht aufgehoben werden. Daß dem nicht so ist, darauf hat Buddeus hinweisen wollen.

E P T 1,5,26, 115 wird die Erkenntnis der intellektuellen Fähigkeiten dem actus refloats zugeschrieben, durch den sich der Mensch von den einfacheren Seelen unterscheidet ( E P T 1,5,23, 113 f.). 188 Siehe Leibniz, Monadologie These 20, 17; vgl. N o u v e a u x Essais V o r w o r t X V I I . 189 I D IV,3,8, 1186: "... fiducia ... praecipuam fidei, qua lustificamur, partem constituit. Per earn vero eiusmodi actus significatur, quo Christum cum ispius merito, omnibusque bonis, per lllud nobis partis, velut totum nostrum facimus, atque in eo, tamquam remissionem peccat o r u m , nostraeque c u m D e o reconciliationis caussa, adquiescimus. Idque ad fidem, qua iustificamur, requiri, vel ex obiecto eius, totaque iustificationis indole, intelligitur, ac comprobatur; Rom. 111,24; Eph. 111,21." 190 Vgl. zu Luthers Auffassung der Prädestinationsangst und der daraus folgenden U m d e u t u n g der Prädestinationslehre Pannenberg, Anfechtung, 109-139; zur Anfechtung de indignitate aaO., llOf. und zur Prädestinationsanfechtung 119.125. Vgl. außerdem den aaO., 127 zitierten Satz von Luther: " H i s fulminibus sic concutitur anima, ut dubitet, an fides sua sit ex D e o plantata vel ex naturalibus simulata", der das Problem enthält, welches Buddeus im Zuge der Bestimmung der Heilsgewißheit formuliert. 191 Luther, W A 21, 514, 31-34. Vgl. zur Anfechtung als M o m e n t des Glaubens W A 6, 223, 3136 und 16, 234, 30f. Siehe auch Pannenberg, Anfechtung, 126.128. 192 Z u m Begriff der Anfechtung vgl. H . Beintker, R G G 3 1, 370. Beintker bestimmt die Anfechtung als " G l a u b e n s p r o b e " und darin als "Angriff auf den ganzen Menschen", wobei der Gegensatz z u m Glauben nicht die Anfechtung sei, sondern die Verzweiflung als "der negative Ausgang" der Anfechtung.

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Der Gewinn der Weiterentwicklung der Rechtfertigungslehre, wie sie Buddeus im Anschluß an Musäus und Baier vornimmt, ist darin zu sehen, daß er den forensischen Sinn der Rechtfertigungsaussage durch die Betonung des deklaratorischen Charakters des Rechtfertigungsurteils hervorheben kann, ohne doch die Rechtfertigung auf eine Qualität zurückführen zu müssen. Die Rechtfertigungsaussage der Schrift wird zwar auf den Glauben bezogen, in welchem um die Sündenvergebung und die Adoption in die Gemeinschaft mit Gott gewußt wird, aber so, daß der Glaube nicht als die Leistung des Menschen erscheint, aufgrund derer dieser gerecht genannt zu werden verdient, sondern als die durch das Wort Gottes in der Bekehrung vermittelte Wirkung des Geistes, der sich im Bewußtsein der Gotteskindschaft selbst bezeugt. Indem ferner die Rechtfertigung nicht allein durch die Sündenvergebung als die Nichtanrechnung der Sünde, sondern durch die darin vermittelte Aufnahme in die Gotteskindschaft bestimmt wird, kann Buddeus den positiven Charakter der Rechtfertigung zur Geltung bringen. Die Rechtfertigung wird so in spezifischer Weise als Grund der Heilsgewißheit thematisch. In diesem Sinne kann und muß sie als das Ziel der Wiedergeburt und Bekehrung gelten und ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit für die Heiligung.

4. Die Erneuerung des Menschen in der Heiligung Im Anschluß an die Lehre von der Wiedergeburt und von der Rechtfertigung behandelt Buddeus in einem dritten Kapitel die individuelle Heilsaneignung unter dem Gesichtspunkt der Erneuerung des Menschen durch den Glauben. 1 9 3 Für die Lehre von der Heiligung wird dabei grundsätzlich vorausgesetzt, daß der Glaube, der in der Mittlertätigkeit Christi die eigene Bestimmung zur Gottebenbildlichkeit erkannt hat 194 , nicht ohne die äußere Manifestation des in Wiedergeburt und Rechtfertigung konstituierten neuen Seins 195 bleiben kann und will 1 9 6 , sondern die Sünde allmählich zurück-

193 ID IV,5,1-26, 1373ff. 194 ID IV,5,10, A . l , 1385: "Summa autem eorum, ad quae hominis regeniti cognitio tendit, &C in qua nunquam non proficere cupit, est ... gloria Christi, quae in evangelio exhibetur; cuius ... illuminationem homines increduli conspicere nequeunt ... Neque tarnen otiosa quaedam hic rerum spiritualium, & mere theoretica intelligitur contemplatio: sed cognitio viva, efficax & practica, qua gloriam domini in evangelio ita cognoscimus, ut ipsimet transformemur ..., ut Paulus iterum nos condocet; II. Cor.III, 18." 195 ID IV,5,2, 1375: "Vita nimirum illa spiritualis, quam per fidem homines regeniti acceperunt, & conservari, & novis augeri incrementis, debet; idque ut fiat, subinde opus est, ut, quae iis adhaerent imperfectiones exuant; & quae adhuc desunt, adquirant, ut ita novus homo corroboretur, atque crescat... & imago Dei magis magisque in nobis perficiatur; Ephes.IV,24. Atque hoc est, quod sanctificationem, itemque renovationem vocare solent."

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drängt 197 . Diese Erneuerung zur Gottebenbildlichkeit vollzieht sich nach Buddeus umfassend in den guten Werken 198 des inneren und äußeren Kultus 199 . Der innere Kultus erstreckt sich dabei auf alle Gemütsbewegungen, die zu der mit der Bekehrung einsetzenden geistlichen Erneuerung 200 gehören 201 . Der äußere Kultus findet hingegen in den Pflichten und Tugenden statt, welche dem Wiedergeborenen unter der providentiellen Mitwirkung Gottes 202 möglich werden und die wie bei Luther nur durch den Glauben als gut gelten können 203 . Die detaillierte Darstellung der durch die Wiedergeburt ermöglichten Heiligung ist allerdings das Thema der Moraltheologie und muß hier nicht näher entfaltet werden. Stattdessen ist abschließend nach der spezifischen Voraussetzung der Erneuerung zu fragen. Während die Wiedergeburt im Glauben durch die in der Sündenvergebung und Adoption in die Gotteskindschaft vermittelte Rechtfertigung auf

196 ID IV,4,10, 1332: "Atque hancce quidem fidei vitam, prouti adprehensione meriti Christi sese exserit, hinc abesse n o n posse, manifestum est, cum ista adprehensione iustitiam Christi nostram faciamus. Prouti autem per bona opera se demonstrat, hic in censum non venit, nec ulla ratione ad iustificationem concurrit, cum ceteroquin dici non posset, quod sola fides iustificet." 197 Siehe ID IV,5,12, 1387f. für Vorstellungskraft und Begehrungsvermögen, in denen die Ataxie "magis magisque imminuitur, ut contra rationis divinitus collustratae imperio, perfection obedientia omnes istarum facultatum motus subiiciuntur". So werden Geisteskraft, Urteilsvermögen, Gedächtnis und Eifer des Menschen auf das gerichtet, "quae bona sunt, hominique salutaria". 198 Es wird hier unterschieden zwischen den guten Werken im engeren und im weiteren Sinne. Im weiteren Sinne zählen zu den guten Werken alle Gemütsbewegungen der Bekehrung, also die Reue und Zerknirschung, die dem eigentlichen Glaubensakt vorangehen, dann die inneren Bewegungen der Liebe und Hoffnung, welche den Glaubensakt begleiten, und schließlich die äußeren Werke, die aus dem Glaubensakt folgen, vgl. ID IV,4,10, 1333. 199 Bei Hollaz wird die Heiligung hingegen in engerem Sinne als Heiligung durch gute Werke verstanden, siehe Examen 111/2,8, 323ff. Die innere Umbildung'des Menschen im Glauben hat er im vorangehenden Kapitel dargestellt. Insgesamt gehören Glaube und gute Werke für ihn zu den Heilsmitteln. 200 Vgl. zur geistigen Erneuerung ID IV,5,10, 1384: "sanctificationem ad omnes mentis facultates pertinere ... in sanctificatione seu renovatione id h o m o regenitus agit, ut defectus istos, q u a n t u m fieri potest, emendet, & n o v u m indies lucis & sapientiae incrementum capiat, & ita hac quoque ratione magis magisque conformetur, ad imaginem eius, qui creavit, & regeneravit eum, hoc est, Dei, Coloss.111,10." 201 ID IV,4,10, 1333: "Per bona opera, si vox ista in latiori significatione accipiatur, intelligi p r i m u m possunt, b o m llh motus, actusque, qui ad contritionem spectant, seu alteram poenitentiae partem, adeoque fidem praecedunt". 202 ID IV,5,3, 1377: "Solet vero interdum sanctificatio ut opus aliquod atque beneficium Dei in h o m i n e m describi; ... Deus namque est, qui omnia bona in nobis operatur, quive bonum illud opus, quod in nobis incepit, etiam perficit; Philipp.1,6". 203 Siehe Luther, Sermon von den guten Werken von 1520, BoA 1,230: "Sih d a / alle die selben w e r c k / gahn ausserhalb dem glauben/ d a r u m b sein sie nichts und gantz todt. dan wie y h r gewissen gegen got stehet und glaubet/ ßo sein die werck auch/ die darauß geschehn. N u ist da kein glaub/ kein gut gewissen zu got. d a r u m b ßo ist den wercken der kopff a b / und all yr leben u n n d gute nichts." Vgl. damit ID IV,3,23, A.2, 1217: "Quantumvis autem splendidi sint eiusmodi actus coram hominibus, Deo tarnen non placent, quippe cui nihil placere potest, quod n o n ex fide procedit".

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die Alleinwirksamkeit Gottes in seinem Wort zurückzuführen ist204, sieht Buddeus im Einklang mit der altprotestantischen Tradition die Eigenart der Heiligung darin, daß der Glaubende unter dem Einfluß der kooperierenden Gnade 205 Gottes nunmehr selbst gute Werke zu tun vermag. Die Erneuerung findet sonach als Zusammenwirken Gottes und des im Glauben wiedergeborenen Individuums statt. Dabei ist der Glaube selbst, durch den sich der Christ von der Sünde befreit und in die Gemeinschaft mit Gott aufgenommen weiß, als die notwendige Bedingung der Erneuerung bestimmt. So hat schon Luther in seiner Freiheitsschrift die im Glauben vermittelte Freiheit von der Sünde206 als Freiheit zu guten Werken gedeutet207. Doch gerade im Vergleich mit Luthers Deutung des neuen Seins im Glauben fällt auf, daß die altprotestantische Dogmatik den Glauben selbst und die darin erschlossene Möglichkeit der sittlichen Erneuerung nicht durch den Begriff der Freiheit kennzeichnet. Buddeus bestimmt zwar die Befreiung von der Knechtschaft der Sünde als Bedingung für die Möglichkeit der Erneuerung. 208 Aber auch er gelangt nicht dazu, diese Befreiung positiv als die Freiheit des Glaubens zur Geltung zu bringen. 209 Dabei enthält sein Verständnis des in der Wiedergeburt konstituierten Glaubensaktes, in welchem die Seelentätigkeiten des Intellekts und des Willens, sowie der Vorstellungskraft und des Begehrungsvermögens geeint werden, starke Parallelen zu der geistigen Struktur des Individuums, welche bei Leibniz als Freiheit 210 bestimmt wird. Denn 204 Vgl. z u m Beispiel I D IV,4,10, 1332f. 205 ID IV,5,14, 1390: " C u m autem h o m o , per vires in regeneratione collatas, itidem aliquid conferat, hinc gratiae cooperanti sanctificatio tribui solet." Vgl. ID IV,3,13, 1199. 206 Vgl. zum Verständnis der durch das W o r t Gottes vermittelten Freiheit des inneren Menschen W A 7, 24,22ff.: "... U n d alßo durch den glauben die seele von dem gottis w o r t heylig, gerecht wahrhafftig, fridsam, frey, und aller guette voll, eyn wahrhafftig kind gottis wirt ... Alß sehen wir, das an dem glaubenn eyn Christen mensch gnug hatt, darff keynis wercks, das er f r u m sey: darff er den keynis wercks ßo ist er gewißlich empunden von allen gepotten u n d gesetzen: ist er empunden, ßo ist er gewißlich frey. Das ist die Christlich freiheit, der eynige glaub, der do macht, nit das wir mueßsig gahn oder uebell t h u n mugen, sondern das wir keynis wercks bedurffen zur f r u m k e y t und seligkeyt zu erlangen". 207 W A 7, 29ff., bes. 30, 15£f.: "Da heben sich nu die werck an, hie m u ß er nit mueßig gehn, ... das er dem ynnerlichen menschen und dem glauben gehorsam und gleychformig werde ... wo er nit getzwungen wirt, denn der ynnerliche mensch ist mit gott eyniß, froelich und lustig, u m b Christus willen, der y h m ßovil than hat, u n d stett alle seyn lußt darynn, das er widderumb m o c h t gott auch umbsonst dienen y n n freyer lieb ... D e n n die weyl die seel durch den glauben reyn ist und gott liebet, wolt sie gern, das auch alos alle ding reyn weren". Siehe dazu die Auslegung von Jüngel, Z u r Freiheit eines Christenmenschen, 89f. lOOff. 208 Siehe hierzu I D IV,5,23, 1411: " C u m homines regeniti, quidquid agunt, non ex spiritu servitutis, sed filialis agant, Rom. VIII, 15. certe agere debeant; bona quoque opera, si m o d o vere talia sint, hoc maxime nomine se commendant, quod sponte & absque omni coactione ab illis fiant". 209 Siehe die Darstellung der Erneuerung des Willens I D IV,5,11, 1385. 210 In Μ 1,1,4,11, 110f. unterscheidet Buddeus zwischen spontanem und freiem Handeln, u m zu zeigen, daß eine durch Abwesenheit von Hindernissen gekennzeichnete Spontaneität noch keine Freiheit bedeutet. Hinsichtlich der wahren Freiheit gilt vielmehr: "Liber enim is est, 168

wie Leibniz gilt Buddeus als Bedingung für die Neubestimmung bzw. für die Freiheit des Willens die durch die Erkenntnis des Guten erschlossene Weisheit des Intellekts. Für Buddeus ist allerdings in Entsprechung zur reformatorischen Tradition diese Konstitution des Willens von der Eigenart der Glaubenserkenntnis abhängig, insofern diese, indem sie das Vertrauen weckt, den Willen affiziert. Dadurch wird der Wille fähig, sich in seiner Spontaneität zum Wollen des Guten und zum Zurückdrängen der Sünde zu bestimmen. 2 1 1 D o c h im Unterschied zu Leibniz beschreibt Buddeus dieses durch die Glaubenserkenntnis vermittelte innere Verhältnis zwischen Intellekt und Wille bzw. die Neukonstitution des Willens nicht einmal in der Moraltheologie 2 1 2 als Freiheit. Stattdessen spielt bei Buddeus wie in der altprotestantischen Tradition der Freiheitsbegriff nur in der Urstandslehre und in der Sündenlehre eine Rolle. 2 1 3 In der Urstandslehre wird die Willensfreiheit als Moment der Gottebenbildlichkeit und zugleich als Bedingung der Möglichkeit des Sün-

qui rectum intellectum sequi, & pro eius iudicio se determinare potest, non vero über est, qui ilium vel non habet, vel sequi nequit." Vgl. dazu die ganz ähnliche Bestimmung der Freiheit von Leibniz in seinen Nouveaux Essais 11,21, 241 ff. Siehe bes. 11,21,8, 253ff.: "Soweit ein Mensch die Möglichkeit hat, in Ubereinstimmung mit einer Entscheidung oder Wahl seines eigenen Geistes zu denken oder nicht zu denken, sich zu bewegen oder nicht zu bewegen, insoweit ist er frei." Vgl. 11,21,15, 267, zur Bestimmung des Willens durch den Verstand ebd. 257, zur Entgegensetzung zwischen Freiheit und Notwendigkeit 11,21,13, 263, und gegen die Einschränkung des Freiheitsbegriffs auf die Willensfreiheit 11,21, 269f. Zum Freiheitsbegriff von Leibniz insgesamt siehe Spaemann, H W P 2, 1090. 211 Vgl. zur Erneuerung des Intellekts ID IV,5,10, 1384, zur Erneuerung des Willens IV,5,11, 1385. Siehe auch ID IV,3,37, 1243. Die Veränderung, die die Wiedergeburt bewirkt, betrifft sonach die actus animates, "qui non aliud, quam ipsam naturam, hoc est, naturales mentis corporisque facultates" sind. Die natürlichen Vollzüge der Seele werden durch die "directio legitima" so bestimmt, daß sie "naturaliter & in foro humano boni esse possunt; mali contra fiunt, si directio legitraa non accedat." 212 Siehe die Definition der Freiheit als vornehmlicher Eigenschaft des Willens Μ 1,1,4,11, llOff.: "Praecipua voluntas proprietas, qua si non actu semper gaudet, saltern gaudere debebat, hbertas constitui solet, adeo ut iuxta quosdam ispa essentia voluntatis in libertate consistat. Liberias autem nomine eiusmodi intelligimus indifferentiam ad opposita, qua omnibus ad agendum positis requisitis, agere aliquis potest, vel non agere, hoc item vel alio modo agere. Q u i vero libertatem per absentiam impedimentorum externorum definiunt, discrimen quod inter sporne agere, Sc libere agere, intercedit, non attendunt." (Buddeus gewinnt diesen Begriff, wie die Anmerkung zu diesem Paragraphen zeigt, in Auseinandersetzung mit Pufendorf, Wilhelm King und Johann Christoph Wolf.) Auch in seiner praktischen Philosohie erscheint die Freiheit nur am Rande. Siehe zur Bestimmung der Freiheit als "qualitas moralis activa" EPP 11,2,7, 211. Sie muß dem Menschen insofern grundsätzlich zugeschrieben werden, als nach EPP 1,2/1,33, 24, "in hominis arbitrio quodammodo positum Sit, si forte voluntas in unam partem nimis propendet, obiectorum, quae in contrariam eam flectant, repraesentatione, illam utcunque retrahere Sc ad aequilibrium reducere, hactenus libertas quaedam homini tribui potest." 213 Im Zusammenhang der Wiedergeburt und Erneuerung und auch in der Eschatologie ist dagegen von der Freiheit nicht mehr die Rede. Davon kann man sich bei Buddeus und auch schon bei Quenstedt z.B. durch einen Blick in das Sachregister überzeugen.

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denfalls dargestellt. 2 1 4 In der Sündenlehre erscheint der Freiheitsbegriff noch einmal, weil nun die spirituelle Unfreiheit des Willens als Folge der Sünde festgeschrieben werden muß, u m jede Mitwirkung des Menschen an seiner Erlösung auszuschließen. 2 1 5 Bei Buddeus tritt allerdings die Betonung der spirituellen Unfreiheit gegenüber der altprotestantischen Tradition etwas zurück, weil er die geistliche Unfähigkeit des Menschen zur Restitution des gottebenbildlichen Gottesverhältnisses in grundlegenderer Weise durch die Verhältnisbestimmung zwischen natürlicher und offenbarter Religion darlegen kann. 2 1 6 D a f ü r betont Buddeus stärker die Wahlfreiheit des Menschen. D e n n da er die Verteidigung der universalen Geltung der Gnade für die angemessenste Reaktion auf das Theodizeeproblem hält, ist ihm darum zu tun, den Unglauben ganz auf die Ablehnung des Willens zurückzuführen, u m ihn nicht als Signal für eine Einschränkung der Gnade ansehen zu müssen 2 1 7 . D a r u m definiert er die Freiheit des Willens nicht nur wie der Zeitgenosse Leibniz als Abwesenheit von Zwang 2 1 8 und innerer und äußerer Notwendigkeit 2 1 9 , sondern von Leibniz abweichend 2 2 0 als Indifferenz gegenüber den entgegengesetzten Wahlmöglichkeiten 2 2 1 . Obwohl Buddeus die Indiffe214 ID 111,1,5, 707: " C u m ergo ne beatis in aeterna vita quidem, nec angelis in bono confirmatis libenas deneganda sit, multo minus earn homini ante lapsum abiudicare licet. Libertatem intelligo, non tantum a coactione, quia voluntas hominis numquam cogi potest, sed etiam a necessitate, siquidem nec per internum, nec per externum principium, sive ad bonum solum, sive ad malum adstringeretur ... Poterat itaque homo peccare, & non peccare, adeoque hactenus libertas ilia non in nuda spontaneitate, sed indifferentia ad utrumque oppositorum, cum inclinatione tarnen quadam ad bonum, consistebat. Ea enim indifferentia, quae aequilibrii vocatur, hic removenda est; quam & alias locum non invenire, viri docti demonstrarunt." Es folgt ein Verweis auf Leibniz' Theodizee. 215 Vgl. zum Beispiel Hollaz, Examen 11,5, 203-227. 216 Siehe dazu das fünfte Kapitel dieser Arbeit über den Religionsbegriff. 217 IV,3,12, 1194: "producit autem Deus fidem in omnibus, qui spiritus sancti operationi non resistunt". Vgl. ebd. A . l , 1197. Die daran entstehende Frage nach der Wirksamkeit der Gnade wird mit der heilsgeschichtlich konzipierten Erwählungslehre wieder abgefangen, siehe dazu unten Kap. IV,3 dieser Arbeit. 218 Die Bestimmung der Freiheit als Abwesenheit von Zwang sei überflüssig, da der Wille als solcher nicht gezwungen werden könne. 219 ID 111,2,26, 817. Vgl. zu Leibniz' Begriff der Freiheit Theodizee 1,34, 261. In 1,75, 315 nennt er "die Freiheit, die nur vom Zwang frei ist", unvollkommene Freiheit. Vgl. den Willensbegriff bei Leibniz: "Im gewöhnlichen Sinne genommen, darf man sagen, der Wille bestehe in der Neigung, etwas im Verhältnis zu dem darin enthaltenen Guten zu tun" (Theodizee 1,22, 243; Vgl. 1,33, 259). Vgl. zur Willensfreiheit als Moment der Gottebenbildlichkeit auch Hollaz, Examen 11,1,15, 19: "Perfectiones principales imaginem DEI constituentes, fuerunt: excellens scientia intellectus, perfecta sanctitas & libertas voluntatis, sincera puritas appetitus sensitivi & suavissimus quasi concentus affectuum, cum dictamine intellectus & regimine voluntatis, sapientiae, sancitati & puritati DEI pro captu hominis primi conformes." 220 Siehe zur Ablehnung der Indifferenzfreiheit bei Leibniz die Geschichte von Buridans Esel, Theodizee 1,49, 279ff. 221 Vgl. dazu Μ 1,1/4,11, 110f. Siehe auch Hollaz, Examen 11,5,7, 212: "Forma liberi arbitrii in actu primo spectati est indifferentia voluntatis, ad utrumque oppositorum quatenus illa opponitur determination! ad unum, & notat facultatem eligendi & non eligendi, vel eligendi unum prae altero, atque seipsam ad alterutrum determinandi."

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r e n z f r e i h e i t n i c h t als G l e i c h g ü l t i g k e i t auslegt, s o n d e r n d e m W i l l e n e i n e i m U r s t ä n d u r s p r ü n g l i c h gegebene N e i g u n g z u m G u t e n zuschreibt, die

dann

m i t d e m F a l l in e i n e n H a n g z u m B ö s e n u m s c h l ä g t , b e t o n t e r d o c h e n t s c h i e d e n d i e I n d i f f e r e n z des W i l l e n s , w e i l a n d e r s d e r U n g l a u b e n i c h t als S c h u l d des M e n s c h e n g e l t e n k a n n . D i e d a r a u s r e s u l t i e r e n d e D e f i n i t i o n d e r F r e i h e i t als I n d i f f e r e n z f r e i h e i t ist n u n allerdings m i t d e r B e s c h r e i b u n g der E r n e u e r u n g d u r c h die W i e d e r g e b u r t n u r s c h w e r z u v e r m i t t e l n , m u ß d o c h die I n d i f f e r e n z f r e i h e i t , i n s o f e r n sie B e d i n g u n g d e r M ö g l i c h k e i t für d e n W i d e r s p r u c h z w i s c h e n I n t e l l e k t u n d W i l l e o d e r G e i s t u n d F l e i s c h 2 2 2 ist, als i n d e r m y s t i s c h e n E i n h e i t m i t G o t t aufgeh o b e n g e d a c h t w e r d e n . D a n u n a b e r in d e r U r s t a n d s l e h r e die I n d i f f e r e n z f r e i h e i t als M o m e n t d e r G o t t e b e n b i l d l i c h k e i t h a t t e b e s t i m m t w e r d e n m ü s sen, u m die S c h u l d der Sünde d e m M e n s c h e n zuschreiben zu k ö n n e n , k a n n d i e i m G l a u b e n s a k t e r m ö g l i c h t e A u f h e b u n g d e r I n d i f f e r e n z n i c h t ebenfalls als F r e i h e i t z u r G e l t u n g g e b r a c h t w e r d e n . S o v e r s t e l l t das m i t d e r U r s t a n d s l e h r e v e r b u n d e n e e i n s e i t i g e I n t e r e s s e a n d e r B e t o n u n g d e r I n d i f f e r e n z des m e n s c h l i c h e n W i l l e n s e i n e n ' p o s i t i v e n ' B e g r i f f d e r F r e i h e i t , m i t d e m s i c h die im Glaubensakt

g e s t i f t e t e E i n h e i t des B e w u ß t s e i n s als B e d i n g u n g d e r

Er-

n e u e r u n g b e s c h r e i b e n l i e ß e , d i e in d e r m y s t i s c h e n E i n h e i t des M e n s c h e n m i t G o t t und der Individuen untereinander z u m Ziel k o m m t . 2 2 3

222 In der Integrität des Urstandes ist zwar angesichts des Leib-Seele-Zusammenhangs und der Verschiedenheit der Seelenvermögen ein Widerspruch zwischen Intellekt und Wille prinzipiell möglich, er gehört aber nicht zur ursprünglichen Verfassung des Menschen. Siehe ID 111,1,6, 709: "Quin ... harmonia, atque pulcherrimus motuum corporis, cum mentis imperio concentus, tranquillitatem summam felicitati eius adidisset." Vgl. auch Hollaz, Examen 11,1,18, 25f.: "Puritas appetitus sensitivi erat concreata primo homini perfectio, qua ipsius appetitus prompte, & sine lucta, recto intellectus judicio & sancto voluntatis imperio se subjiciebat, neque affectibus inordinatis locum dabat." 223 Vgl. ID IV,5,15, 1392f.: "Eo minus dubitandum, sanctificationem esse opus aliquod ipsius Dei, quoniam hie in cordibus fidelium habitat, loan. XVI,25. tamquam in templo suo, I.Cor.lII,16. Sc quidem per unionem, quam mysticam vocare Solent. Quae quidem unio, qua ex una parte Deus triunus ... speciatim Christus, secundum utramque naturam, divinam & humanam; ... ex altera parte homines credentes, ... inter se coniuguntur, uti in ipsa regeneratione, & conversione per fidem incipit, ita in sanctificatione continuatur." Die unio mystica dürfe nicht als Vergottung des Wiedergeborenen, vorgestellt werden wie bei den Weigelianern, vgl. ID IV,5,15, 1394 Α.3. Denn wiewohl durch den Akt der Wiedergeburt die Restitution des in der Schöpfung des Menschen zur Gottebenbildlichkeit intendierten Gottesverhältnisses beginne, werde doch die Erbsünde durch Wiedergeburt und Erneuerung nicht aufgehoben, ID 111,2,28, 827: "Ea denique peccati istius originalis est indoles, ut per omnem vitam hominibus, etiam piis atque sanctis, inhaereat. Etsi enim hi omnem quotidie navent operam, ut vim eius per vires gratiae supprimant, adeoque efficiant, ne in iis regnet; eradicare tarnen illud penitus, aut evellere nequeunt". Vgl. zu den Habitualsünden ID IV,3,36, 1242: "peccata habitualia ... physice etiam considerata, per conversionem transitivam, accedente deinceps renovatione, non equidem plane tolluntur, magis tarnen magisque imminuuntur, ne illorum dominio homo regenitus sit obnoxius".

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5.

Zusammenfassung

An der Entwicklung der Rechtfertigungslehre in der altprotestantischen Orthodoxie bis hin zu ihrer Gestalt bei Buddeus ist vielfach Kritik geübt worden. 224 So sieht beispielsweise Hans Emil Weber darin, daß "der Prozeß der Bekehrung zum Thema der Heilslehre zu werden droht", einen der Gründe dafür, "daß die evangelische Einsicht von dem im Gnadenwort eröffneten Gottesverhältnis in der Rechtfertigungstheorie selber so gebunden, auch in ihrer Durchschlagskraft im Ganzen des Systems gehemmt bleibt." In der gesamten Darstellung der Heilsordnung sei "eine erstaunliche Annäherung an das katholisch-scholastische System" zu erblicken, und darin räche sich insgesamt, "daß das Durchdenken der reformatorischen Einsicht so belastet ist durch - den orthodoxen Rechtfertigungsbegriff". 225 "Man denkt die Objektivität des Gotteswillens durch, den Spruch, die Erlösungstat, das Gnadenwirken. Man breitet die lebendige Subjektivität aus, den Glauben und seine Früchte. ... in der vollendeten Systematisierung treten die objektive Reihe der Gottestaten und die subjektive des Glaubenslebens nebeneinander." 226 Dieses Nebeneinander ist bereits in der älteren Jenaer Theologie als problematisch empfunden worden und hat zur veränderten Darstellung der Heilsvermittlung geführt, die Buddeus als Grundlage seiner Rekonstruktion der Heilsaneignung übernimmt. Indem er darüber hinausgehend die Christologie als Christologie des Mittlers entwirft und diese als den Grund der Versöhnung, welche durch das Wort vermittelt wird, zu denken bestrebt ist, zeigt er einen Weg zur Aufhebung des Nebeneinanders innerhalb der theologischen Konzeption. Die in der Christologie entfaltete und interpretierte Versöhnungstätigkeit des Mittlers wird bei Buddeus dabei als der Grund der Hervorbringung des Glaubens entwickelt, welche direkt im Anschluß an die Christologie durch die individuelle Heilsaneignung als das Werk des Geistes beschrieben wird. Dagegen war in den älteren Systemen zwischen dem Werk des Geistes, nämlich der Berufung, Wiedergeburt, Rechtfertigung etc. als Prinzip des Heils und dem Glauben als dem Mittel des Heils nicht nur durch die terminologische Einordnung, sondern auch durch die Reihenfolge der Darstellung viel zu scharf unterschieden worden. Mit der Aufhebung dieser Trennung und der Demonstration des Zusammenhangs zwischen der Mittlertätigkeit des Erlösers und der Konstitution des expliziten Glaubensbewußtseins gelingt es Buddeus, den "orthodoxe(n) Objektivismus" zu vermeiden, ohne in den "Subjektivismus" abzugleiten. 227 In seiner Darstellung erscheint die An224 Einen kritischen und sehr hilfreichen Uberblick über die Forschung gibt Baur, Vernunft, 716. 225 Weber, Reformation II, 73. 226 Weber, Reformation II, 65. Mit Bezug auf König, Quenstedt und Hollaz. 227 Diese Gefahr des orthodoxen Objektivismus benennt Weber, aaO., 69.

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schauung der in der Ständelehre beschriebenen Erniedrigung und Erhöhung des Mittlers als das im Evangelium verkündigte reale Fundament des Glaubens, welches die Erkenntnis der Sünde und Gnade erschließt. Dabei erhellt der unendliche Wert dieses Geschehens aus der in Erniedrigung und Erhöhung offenbar gewordenen Person des Mittlers. So dürften Baurs an die Adresse der hochorthodoxen Lehrform gerichtete "Bedenken gegen die Trennung des Verdienstes Christi vom Ganzen der Person und ihres Weges und, damit verknüpft, die Vorschaltung dieses Meritums vor seine Präsenz im Glauben" 228 hier weniger Anhalt finden. Gerade im Interesse der konkreten Bestimmung der Präsenz des Meritums im Glauben kommt nun allerdings bei Buddeus dem Glaubensbegriff eine größere Bedeutung zu. Denn soll das Verdienst Christi das neue Sein des Menschen begründen, so muß der Glaube, in dem das Verdienst dem Menschen gegenwärtig ist, als Neukonstitution geltend gemacht werden und kann nicht einfach als eines unter mehreren Heilsmitteln vorgestellt werden. Der Glaube ist das, was in umfassendem Sinne das neue Sein des Christen ausmacht. Die Wiedergeburt und Bekehrung werden darum als die Akte des Geistes ausgelegt, welche den Glauben begründen und auf die Konstitution der Heilsgewißheit in der Rechtfertigung und auf die Erneuerung in der Heiligung zielen. Die Wiedergeburt vollzieht sich mithin so, daß der Einzelne im Anschluß an die in der Taufe individuell zugeeignete Bedeutung des Kreuzestodes Christi seine Sünde erkennt, diese zugleich vergeben weiß und sich darin der Aufnahme in die Gotteskindschaft gewiß sein darf. In der Erkenntnis, der Zustimmung und dem Vertrauen des Glaubens liegt die Möglichkeit der Heiligung begründet. Wiedergeburt, Rechtfertigung und Heiligung sind so als die Vollzugsmomente der individuellen Heilsvermittlung im Glauben gedacht. In Entsprechung dazu wird in der Rechtfertigungslehre und in der Lehre von der Heiligung die Wiedergeburt nicht als abgeschlossener Akt vorausgesetzt. Vielmehr kommt die Wiedergeburt in der Rechtfertigung als der Konstitution der Heilsgewißheit durch das innere Zeugnis des Geistes, welches die Erkenntnis der in der Sündenvergebung erschlossenen Gotteskindschaft vermittelt, zum Ziel. Darin ist nicht nur die Möglichkeit der Heiligung, sondern auch die Möglichkeit der Vergewisserung des Glaubens und der Uberwindung der Anfechtung gesetzt, jedoch nicht so, daß der Glaube sich seiner Qualität als Vertrauen vergewissert. Man mag in dieser Auslegung der Rechtfertigungsgewißheit eine "Tendenz auf verstärkte Selbsttätigkeit" 229 erblicken. Doch geht es Buddeus darin gerade um die Uberwindung der Subjektivität des Glaubensbewußtseins. Die 228 Vgl. Baur, Salus, 79 und 75. Den "spürbaren Zug zur Verengung, nämlich zur Beschränkung auf das Verdienst Christi" in der Theologie der Rechtfertigung hat bereits Weber, Reformation II, 21 kritisch diagnostiziert. 229 So Baur, Salus, 113f., der allerdings mit seiner Kritik nicht nur Buddeus angeht, sondern vor allem Pfaff, weil dieser "dem Sünder die Fähigkeit zur Annahme der Gnade" zuschreibe.

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"Selbsttätigkeit" des Glaubens steht für ihn nicht in Konkurrenz zum Gedanken der Alleinwirksamkeit Gottes, weil er sie als in keiner Weise durch das Subjekt selbst hervorgebrachte Selbsttätigkeit versteht. Der Glaube ist und bleibt vielmehr permanent abhängig von dem im Evangelium verkündigten Grund seiner selbst. In die Aussage von Leibniz, daß der Glaube "nicht weiter von den Umständen und Beweggründen" abhänge, "die ihn erweckt haben", hätte Buddeus darum nicht einstimmen können, gerade weil er mit Leibniz darin einig war, daß "der göttliche Glaube selbst, wenn er einmal in der Seele entzündet worden, etwas mehr als eine Meinung" ist. Denn der Glaube übersteigt "den Verstand und bemächtigt sich des Willens und des Herzens, um uns mit Eifer und Freude tun zu lassen, was das Gesetz Gottes befiehlt", aber eben nicht "ohne daß man weiter nötig hat, über die Gründe nachzudenken und sich durch die theoretischen Schwierigkeiten aufhalten zu lassen, denen sich der Geist gegenübersieht." 230 Das Vertrauen des Glaubens kann sich nicht auf Dauer stellen, sondern ist stets abhängig von der Kenntnisnahme seines Inhalts. Indem Buddeus die Adoption in die Gotteskindschaft in die Rechtfertigungsaussage einbezogen und dieses Wissen als das innere Zeugnis des Geistes ausgelegt hat, hat er das Wissen um die Abhängigkeit der in der Wiedergeburt gewonnen subjektiven Heilsgewißheit von ihrem objektiven Grund als einen wichtigen Gesichtspunkt für die Behandlung der Rechtfertigungslehre zu Bewußtsein gebracht. Dies muß als das bleibende Verdienst seiner Rechtfertigungslehre gewürdigt werden.

230 Leibniz, Abhandlung 29, 119.

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Kapitel IV:

Der Bund als Thema der Versöhnung Mit der Darstellung der Mittlertätigkeit Christi und der Aneignung derselben im Glauben ist für Buddeus noch keine hinreichende dogmatische Durchdringung des Glaubens an die Versöhnung Gottes und des Menschen durch Christus erreicht. Denn angesichts der Demonstration des Versöhnungsgeschehens selbst entsteht die Frage nach der Notwendigkeit der Sendung Christi als des Mittlers und nach der Notwendigkeit des eigentümlichen Vollzuges der Mittlertätigkeit durch den Kreuzestod. Dem tieferen Verständnis der Versöhnung dient in Buddeus' dogmatischer Konzeption die Aufnahme der Bundestheologie, in der das gesamte Versöhnungsgeschehen als durch den ewigen Gandenbund zwischen Vater und Sohn konstituiert gedacht und darin als Abrogation des Werkbundes bestimmt wird. 1 Buddeus führt das föderaltheologische Konzept allerdings in modifizierter Weise2 in sein System ein, indem er durch den Bundesgedanken nicht die gesamte Dogmatik bestimmt sein läßt, sondern nur die Lehre vom Menschen als dem Subjekt der Theologie 3 und die Darstellung des in der Mittlertätigkeit Christi fundierten Versöhnungsgeschehens. 4 Da die fundamentaltheologischen Themen sowie die Gottes- und Trinitätslehre im Föderalschema nicht vorgesehen sind, wird dieses von Buddeus in der Isagoge als unzureichend beurteilt. Die Explikation der Versöhnung erfährt durch den Bundesgedanken eine Vertiefung, in der die Schwierigkeiten, die mit der Satisfaktionstheorie ver1

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Nach Coccejus wurde der Werkbund zuerst durch die Sünde, dann erst durch den Gnadenbund abrogiert, vgl. Schrenk, 85-93; zum vorzeitlichen Vertrag zwischen Vater und Sohn siehe ebd., 91ff. Hermann Witsius stellt in den vier Büchern 'De oeconomia' zuerst den Werkbund, dann den Beschluß und die Begründung des Gnadenbundes durch den Mittler dar. Es folgt im dritten Buch die Beschreibung der individuellen Heilsaneignung des Bundes, die auf die Erwählung zurückgeführt wird. Schließlich zeigt das vierte Buch die Geschichte des Gnadenbundes auf. Die Bundestheologie tritt hier also ganz an die Stelle des analytischen Systems. Dagegen ist die Darstellung von Jäger in seinem 'Systema theologicum', Tübingen 1715 der von Buddeus bereits sehr ähnlich. Nur der zweite Teil ist bundestheologisch konzipiert, indem dort zuerst "De pacto sive foedere dum primo homine inito" (Bd. 1, 273ff.), dann "De foedere gratiae seu evangelico" (Bd. 1, 442ff.) gehandelt wird. Vgl. die Uberschrift zum dritten Buch der Institutiones ID ΓΠ, 693: "De statu integritatis ubi de imagine, itemque de foedere operum" und die Uberschrift zum vierten Buch ID IV, 903: "De caussis atque mediis salutis caput primum de gratia Dei, simulque de foedere gratiae eiusdemque diversis oeconomiis". Vgl. die Uberschrift zum ersten Kapitel des vierten Buches ID IV,1, 903: "De gratia Dei, simulque de foedere gratiae, eiusdemque diverisis oeconomiis".

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bunden sind, der Sache nach aufgehoben werden. Denn der Tod Christi wird auf den Gnadenbund Gottes zurückgeführt, der die Aufhebung des Werkbundes bedeutet. Da der Gnadenbund als die notwendige Ablösung des gescheiterten Werkbundes gilt, ist im Zuge der Frage nach der Notwendigkeit der Versöhnung zuerst das in der Urstandslehre und in der Lehre von der Erbsünde entfaltete Verständnis des Scheiterns des Werkbundes zu rekonstruieren. Dabei wird sich zeigen, daß Buddeus die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen nicht nur positiv, sondern betont auch in Rücksicht auf ihre Grenzen betrachtet. Damit steht er zwar faktisch vor der Auflösung der Urstandslehre, muß diese aber gerade im Blick auf das Theodizeeproblem entschieden festhalten. Der unter dem Scheitern des Werkbundes notwendige Gnadenbund ist zum einen hinsichtlich seines Vollzuges zu betrachten. Da die satisfaktorische Mittlertätigkeit der Versöhnung des Menschen mit Gott und darin der Wiederherstellung des Menschen dient, ist zu fragen, inwiefern trotzdem die Gerechtigkeit und Ehre Gottes als Grund für die Notwendigkeit der Satisfaktion angegeben werden können. Zum zweiten sind die dogmatischen Bemühungen um die Demonstration der Universalität der Gnade zu würdigen, in denen Buddeus das Theodizeeproblem theologisch verarbeitet. Sie manifestieren sich nicht allein in der bundestheologischen Rekonstruktion der Geschichte als Offenbarungsgeschichte, sondern werden umgesetzt in der Prädestinationslehre und in der Ekklesiologie.

1. Die Notwendigkeit des Gnadenbundes Im Einklang mit der traditionellen Satisfaktionstheorie Anselms von Canterbury und ihrer Aufnahme bei Melanchthon 5 und in der altprotestantischen Theologie sieht Buddeus die Notwendigkeit der satisfaktorischen Mittlertätigkeit Christi in der Sünde des Menschen begründet. Wäre der Mensch nicht nach dem Fall Adams bleibend als Sünder bestimmt, so könnte er selbst die Trennung von Gott aufheben und sich mit Gott versöhnen. Die Sündenlehre thematisiert eben diese Unfähigkeit des Menschen zur 5

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Vgl. Wenz, V L 1, 75, der als Gesamtcharakteristik der altprotestantischen Orthoxie eine "bereits bei Melanchthon zu konstatierende Rückwendung zum Anselmismus" feststellt. Siehe bei Melanchthon selbst z.B. C A III, BSLK 54: "ut reconciliaret nobis patrem et hostia esset non tantum pro culpa originis, sed etiam pro omnibus actualibus hominum peccatis." In den Loci von 1559 erklärt Melanchthon den Grund der Versöhnung allerdings in größerer Nähe zur bundestheologischen Sicht: "Lex ... non docet gratis remitti peccata. Seimus autem nos non sine peccato esse. Idque maxime cernimus, cum iudicio Dei vere perterrefiunt mentes. Est igitur opus gratuita remissione. Ideo Deus per misericordiam revelavit se velle nobis ignoscere ac restituere vitam aeternam. Et addidit victimam pro nobis, scilicet Filium suum, ut sciremus haec nobis propter Filium donari, non propter dignitatem nostram aut merita nostra." (StA II/1, 382)

Überwindung der Trennung von Gott. Daß die Auswirkung der Sünde nicht nur der Schöpfungsabsicht zuwiderläuft, nach welcher der Schöpfer von seinem Geschöpf verehrt werden will 6 , sondern daß sich der Mensch darin selbst verfehlt, ist hingegen das Thema der Urstandslehre. Sie demonstriert die Gottebenbildlichkeit als die usprüngliche Bestimmung des Menschen zur freien Anerkennung und Verehrung Gottes und versteht darin den Menschen als vernunftbegabtes Wesen 7 . Die Schöpfungsabsicht Gottes wird nach der föderaltheologischen Deutung von Buddeus jedoch für das Geschöpf erst darin manifest, daß Gott den mit der Gottebenbildlichkeit ausgestatteten Menschen durch den Werkbund 8 zu seinem Bundespartner ausersieht. a) Die Sünde Adams als kontingente Folge seiner begrenzten Urstandsvollkommenheit Als Kondition des Werkbundes bestimmt Buddeus im Einklang mit der reformierten Föderaltheologie die Einhaltung aller göttlichen Gebote. Da jedoch im Urständ die innere Verehrung Gottes und die Einhaltung der dem Menschen durch seine Natur gegebenen und bekannten Gesetze schon durch die Gottebenbildlichkeit begründet ist 9 , bedarf es zur Realisierung des Werkbundes zusätzlich eines positiven Gesetzes 10 , welches Buddeus in dem Gebot, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen, symbolisch 11 zusammen· gefaßt sieht. Erst dieses positive Gebot Gottes, das der Mensch nicht schon durch seine Vernunft erkennen kann, eröffnet dem Menschen die Möglichkeit, sich ausdrücklich an Gott zu halten, indem es ihm die andere Möglichkeit der Abkehr im Ungehorsam als verbotene darstellt. Schon aus den von Buddeus angegebenen Folgen der Einhaltung bzw. Nichteinhaltung dieses positiven Gesetzes werden die Grenzen der urständlichen Vollkommenheit der Gottebenbildlichkeit deutlich. Denn indem er 6 7 8

ID 111,1,7.11, 711.721. Vgl. ID 111,1,5, 708. ID 111,1,13, 724: "Earn Numinis agendi cum hominibus rationem, qua inducere eos voluit, ut aeternam salutem consequerentur, & hoc pacto benignissimum ipsius experirentur favorem, sub schemate foederis cuiusdam subinde exhiberi, nemini, nisi qui hospitem plane ex sacrarum litterarum lectione animum retulit, ignotum esse potest." 9 ID 111,1,11, 721: Die innere Gottes Verehrung des Menschen im Urständ bestand "in summo Numinis amore, unde timor filialis, seu veneratio, & reliquae eius partes sua sponte fluunt, vel ex summa ista legis divinae, Matth. XXII, 37. manifestum est." 10 ID 111,1,11, 722: "Quod quidem obsequium, ut externo quodam documento omnibus constaret, Deus arborem scientiae boni &C mali in paradiso constituit, addita severissima prohibitione, ne eius fructibus homo vesceretur, nisi sibi suisque posteris, cum morte temporali & aeterna, mala quaevis attrahere vellet. Cultus vero Dei externus non aliter concipiendus, quam prout statui integritatis is est conveniens; cavendumque sedulo, ne eum ex nostri saeculi moribus aestimemus." 11 ID ΙΠ,1,17, 732.

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betont, daß die Einhaltung des Werkbundes mit der Verheißung einer höheren F o r m der Glückseligkeit 1 2 verbunden war, erscheint die Glückseligkeit des Urstandes und mithin die Einheit mit Gott 1 3 als überbietbar. Infolgedessen ist auch der Bundesschluß Gottes mit dem Menschen nicht nur notwendige Bedingung für die Realisierung der Schöpfungsabsicht, sondern zugleich Bedingung der Möglichkeit für die höchste Glückseligkeit des Menschen. D i e Begrenztheit der urständlichen Vollkommenheit wird in der Konzeption von Buddeus ferner an der Bestimmung des natürlichen und geistlichen Todes als der Folge der Nichteinhaltung des Gebotes sichtbar. 1 4 In traditioneller Weise deutet er den geistlichen T o d 1 5 als die Trennung der Seele von Gott, den natürlichen T o d hingegen als die Trennung von Leib und Seele 1 6 . Während der natürliche T o d die zeitlich begrenzte 1 7 Aufhebung des Menschseins zur Folge habe 1 8 , bedeute der geistliche T o d ewige Verdammnis. In Abweichung von der Tradition 1 9 lehrt Buddeus nun allerdings, daß der Mensch auch im Urständ keine natürliche Unsterblichkeit besessen 12

Als Erkenntnisgrund der Verheißung gilt nach ID 111,1,18, 733f. der status restitutionis: " C u m enim in foedere gratiae credentibus in Christum vita aeterna, seu supremus beatitudinis gradus, seu praemium fidei promittatur; ... homines in statu integritatis deterioris fuisse conditionis, credibile non est." Der status restitutionis darf dabei nicht mit dem status gloriae verwechselt oder in eins gesetzt werden, wie Buddeus ID 01,1,8, 712 zeigt. Denn zwischen dem Stand der Restitution der Gottebenbildlichkeit im Glaubenden und dem Stand der Herrlichkeit und nicht zwischen Urständ und Wiedergeburt besteht der kategoriale Unterschied.

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Vgl. die Bestimmung der Glückseligkeit in der Eschatologie ID 0,3,1, 610: "UTi Deus ... summum hominum bonum est; ita summa illorum felicitas, seu beatitudo, in communione cum Deo, quam & fruitionem vocant, consistit." ID 10,1,19, 735: "Comminatio denique, seu sanctio poenalis, hisce verbis: mortis morieris, Gen.II,17. exprimitur. Q u a quidem loquendi formula non tantum naturalem, sed spiritualem etiam atque aeternam mortem, immo, quidquid malorum, aut calamitatum cogitari potest, significari constat, & alias quoque observatum est." Siehe zur Differenzierung zwischen dem Vorgang des Sterbens und dem T o d ID 11,3,19, 644f. A . l . Vgl. ID 10,1,8.19, 714.735. Siehe hierzu die Vorstellung der Auferstehung zum Gericht in der Eschatologie ID 11,3,1922, 644ff. Der zeitliche T o d als der natürliche ist Folge der Erbsünde. ID ΙΠ.2,27, 826 A . l : "Mortem temporalem peccati originalis effectum esse, & ex comminatione divina, Gen 11,17. constat." Da die Erbsünde die radikale Verderbnis der menschlichen Natur bedeutet, kann der natürliche T o d als Folge der Sünde nicht einfach durch die Wiedergeburt beseitigt werden. Aber indem die Wiedergeburt den geistlichen T o d aufhebt, ermöglicht sie die Restitution der Gottebenbildlichkeit und mithin die endgültige Befreiung von der Erbsünde im Eschaton. Daher widerspricht es der Wiedergeburt als der Befreiung vom geistlichen T o d nicht, "quod hominibus per Christum corporis immortalitas in hac vita non reddatur; ad redemtionem enim hominum hoc non est necessarium, nec humanae naturae hoc patiebatur conditio, quippe quae ab inhaerente peccato originali non nisi per mortem penitus liberari potest. Sufficit, quod Christus ab ira Dei, maledictione legis, imputatione Sc dominio peccati nos liberaverit ... quod mors naturalis iis, qui in Christum credunt, saltern transitus sit ad vitam meliorem, adque minime metuenda" (ID 01,1,8, 716).

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ID 01,2,27, 818f. Hollaz, Examen 0,1,19, 28f. zählt die immortalitas zu den perfectiones minus principales und also zu den Vollkommenheiten des menschlichen Körpers im Urständ.

habe. 2 0 Denn wäre die Unsterblichkeit eine Wesenseigenschaft des Menschen, so hätte sie durch den Sündenfall nicht verloren gehen können. Mit Blick auf die Rede von der leiblichen Auferstehung kann er allerdings auch nicht Pufendorfs Argument gegen die natürliche Unsterblichkeit des Menschen teilen, wonach der menschliche Körper als eine hochempfindliche und fragile Maschine, deren Teile durch die permanente Bewegung abgenützt würden, irgendwann zerfallen müßte. Diese Vorstellung lehnt er mit dem Hinweis ab, man dürfe aus der Beobachtung der vorfindlichen Verfassung des menschlichen Körpers nach dem Fall nicht auf seinen vollkommenen Zustand vor dem Fall zurückschließen. Vielmehr könne man sich, ohne den Naturgesetzen zu widersprechen, einen ewig bestehenden und nicht alternden Körper vorstellen. 2 1 Obwohl die Unsterblichkeit nicht zur Wesensnatur des Menschen gehöre, sei sie unter paradiesischen Bedingungen faktisch durch den Ausfall aller natürlichen Ursachen des Todes möglich gewesen. D e n n aufgrund der Vollkommenheit des menschlichen Körpers konnte der Mensch nicht erkranken 2 2 . U n d durch seine ursprünglich vollk o m m e n e Erkenntnisfähigkeit vermochte er jeder äußeren Gefahr für sein Leben zu entgehen. 2 3 Durch die Gottebenbildlichkeit des Urstandes konnte nach Buddeus zwar das Eintreten des natürlichen Todes ausgeschlossen werden, nicht aber die Möglichkeit des geistlichen Todes als der Trennung von Gott. Denn für die Realisierung des im Werkbund angestrebten Zieles der äußeren Verehrung des Schöpfers durch die Einhaltung seines positiven Gesetzes mußte die 20

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Diese Auffassung richtet sich jedoch speziell gegen Poiret und gegen die, " & qui cum eo sentiunt, praestantiam humani corporis ante lapsum plus quam decet extulerunt" (ID 111,1,8, 713). Man könne nicht behaupten, "hominem ita comparatum fuisse, ut plane mori non posset". ID 111,1,8, 715: "Nec quidquam obstat, quo minus corpus aliquod ita comparatum esse queat, ut aequabili sanguinis motu numquam turbato, particulisque abeuntibus, aliis iusta proportione substitutis, ceterisque caussis, quae mutationem quamdam adferre poterant, cessantibus, semper perduret. Q u o d ut fiat, ipsa natura, seu motus leges, quas Deus semel constituit, mutandae non sunt; quippe quae eaedem esse possunt, ut tarnen pro diversa ipsius corporis dispositione aut constitutione, effectus diversos edant." Bei Hollaz wird zur Explikation dieses Gedankens noch der Baum des Lebens als "(e)fficacissimum perennis vitae medium conservativum" benannt, vgl. Examen 11,1,19, 29 Prob.b. Die Krankheit sei eine Folge der Korruption des Menschen in der Trennung von Gott, siehe ID 111,2,27, 825 Α.3. Entsprechend habe die Wiedergeburt als Neukonstitution der Seele zur Folge, daß die Seele besser zur Erhaltung des Körpers beitragen kann, vgl. ID IV,5,13, 1389. Zu den die Gottebenbildlichkeit des Menschen konstituierenden natürlichen Gaben gehören nach ID 111,1,8, 712 nicht nur solche, die die Vervollkommnung der Seele bewirken, sondern auch "corporis dona", durch die die Menschen im Urständ "qua corpus etiam, omnis vitii atque labis expertes fuisse, hinc & nec morbis, nec morti, aut aliis calamitatibus obnoxios". Diese urpsrüngliche Vollkommenheit des Körpers bedeutet dagegen nicht Bedürfnislosigkeit, da diese zum Körper und damit zum Menschsein des Menschen gehört (vgl. ebd. A . l ) . Gegen diejenigen, die die Bedürfnislosigkeit für den Urständ behaupten, wendet Buddeus ein: "Nec enim ex statu gloriae, qui post hanc vitam futurus est, statum integritatis in omnibus aestimare licet."

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als Indifferenzfreiheit bestimmte Willensfreiheit des Geschöpfes vorausgesetzt werden. Diese war zwar nach Buddeus mit einer Neigung zum Guten verbunden 24 , doch konnte die Neigung zum Guten die Übertretung des Gebotes nicht verhindern, weil die Weisheit des ersten Menschen begrenzt 25 war. Dies sei in der Übertretung des Gebotes manifest geworden. So erscheinen nicht nur die Glückseligkeit des Menschen und sein Gottesverhältnis, sondern auch die urständliche Gottebenbildlichkeit des Intellekts iiberbietbar. Buddeus bestätigt dies in seiner Exegese der Begriffe imago und similitudo in Gen l,26f. Da nach Gen 1,27 der Mensch zum Bilde Gottes geschaffen worden sei 26 und der Begriff der imago schon an sich selbst eine Relation zum Urbild bezeichne, sei schon im Urständ eine Vervollkommnung des Menschen durch den Werkbund anvisiert gewesen, durch die der kreatürliche Mensch Gott als dem Urbild seiner Ebenbildlichkeit ähnlicher werden sollte. Der doppelte Ausdruck der geschöpflichen Bestimmung des Menschen durch imago und similitudo sei daraus zu erklären, daß - wie Buddeus im Interesse der Verteidigung der reformatorischen Gleichsetzung von imago und similitudo geltend macht 27 - die als similitudo bezeichnetete Ähnlichkeit zwischen zwei Dingen nicht notwendig bedeute, daß eines das andere abbilde. 28 Da die Ähnlichkeit des Abbildes mit dem Urbild nur als konkrete Eigentümlichkeit des Individuums bestimmt werden und die in der imago gegebene Ähnlichkeit mit dem Prototyp unterschiedlich vollkommen sein könne 29 , habe man verschiedene Realisierungsgrade der 24 ID 111,1,5, 707: "Poterat itaque homo peccare, & non peccare, adeoque hactenus libertas illa non in nuda spontaneitate, sed indifferentia ad utrumque oppositorum, cum inclinatione tarnen quadam ad bonum, consistebat." Dabei beruft sich Buddeus auf Leibniz, der in Theodizee 1,35, 260 eine Willensfreiheit im Sinne von Unschlüssigkeit oder sich im Gleichgewicht haltender Gleichgültigkeit für unmöglich erklärt: "denn neigten wir gleich stark zu den Entschlüssen Α, Β und C, so könnten wir nicht gleich stark zu Α und zu Nicht-A neigen." 25 Buddeus warnt davor, die urständliche Vollkommenheit der menschlichen Tugenden und insbesondere der Weisheit zu hoch anzusetzen, wie das seines Erachtens Pelagianer und Sozinianer taten, indem sie die Bestimmung der Erbsünde verkürzten, vgl. ID 111,1,4, 705. 26 ID 111,1,2, 696 A . l . Buddeus weist darauf hin, daß die Interpreten der Septuaginta durch die Wiedergabe des b'zelem in Gen 1,26 zum Ausdruck bringen wollten, "quod Deus in homine exstare suam imaginem voluerit." Das Wort zelem bezeichne außerdem an sich selbst immer eine "relationem quamdam unius rei ad alteram, cui similis est". 27 Die katholische Unterscheidung zwischen der imago als "convenentia hominum cum Deo, qua naturalia quaedam" und der similitudo als der Entsprechung des Menschen mit Gott durch Heiligkeit und Gerechtigkeit ziele darauf zu sagen, "Adamum per peccatum similitudinem cum Deo, non autem imaginem Dei amisisse: adeoque vires hominis post lapsum adhuc integras, nec prorsus imminutas esse", so ID 111,1,2, 696. Buddeus denkt dagegen das Verhältnis zwischen imago und similitudo nicht als additives, wonach die similitudo die imago ergänzen soll, sondern geht mit der reformatorischen Tradition davon aus, daß die imago durch den Fall verloren ist, vgl. ID 111,1,2, 697 Α.2. 28 "Licet autem hac ratione discrimen aliquod inter imaginem &L similitudinem intercedat, cum una res alteri similis esse queat, etiamsi non statim eius imago dici possit" (ID 111,1,2, 696). 29 Siehe ID 111,1,2, 696 A . l . Zum Verhältnis von imago und similitudo sei dreierlei festzuhalten: erstens bedeute similitudo die Ähnlichkeit mit einem Urbild; zweitens sei die Ähnlichkeit nicht nur auf die "essentiam generatim spectatam, sed & qua notionem propriam" bezo-

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Gottebenbildlichkeit anzunehmen. So erschließt Buddeus in seiner Interpretation der Gottebenbildlichkeit einen Raum für die in der Rede vom Werkbund vorausgesetzte Vorstellung von der Vervollkommnung der Gottebenbildlichkeit im Paradies. Nicht nur das Gottesverhältnis des Menschen, sondern auch die demselben jeweils entsprechende subjektive Verfaßtheit sind somit ursprünglich entwicklungsfähig gedacht. Hatte die Urstandslehre traditionell die Aufgabe, die ursprüngliche Vollkommenheit des gottebenbildlich geschaffenen Menschen als sein Restaurationsziel 30 zur Darstellung zu bringen, so geht es bei Buddeus nunmehr darum, die Gottebenbildlichkeit als Entwicklungsfähigkeit des Menschen im Verhältnis zu seiner ursprünglichen Bestimmung zu interpretieren. Darin ist nicht nur die Notwendigkeit der Offenbarung der Gottebenbildlichkeit impliziert, sondern auch ein engerer Zusammenhang zwischen Urstandslehre und Sündenlehre hergestellt. Denn indem die Urstandslehre die Gottebenbildlichkeit als entwicklungsfähige geschöpfliche Bestimmung vorträgt, muß der Sündenfall nicht allein auf einen Willkürakt des menschlichen Willens geschoben werden. Die Möglichkeit der Sünde kann vielmehr aus der noch nicht zur Vollkommenheit gelangten Geistigkeit erschlossen werden, wie sie sich in der Begrenztheit der Weisheit manifestiert. Angesichts des von Buddeus an anderer Stelle gelehrten notwendigen Zusammenhangs zwischen Erkenntnisfähigkeit und Weisheit, wonach beide nur als hinsichtlich ihres Beitrages zur Willensbestimmung unterscheidbare Fähigkeiten des intellektuellen Vermögens gelten, möchte man an dieser Stelle wissen, ob die Begrenztheit der Weisheit etwa auf eine Begrenztheit der ursprünglichen Gotteserkenntnis des Urstandes zurückgeführt wird. Das ist jedoch nicht der Fall. Denn Buddeus sieht die Gotteserkenntnis des Urstandes, die wie diejenige nach dem Fall durch Intuition und Offenbarung vermittelt ist, nicht nur in der Offenbarung des positiven Gesetzes, sondern in der Offenbarung der Dreieinigkeit als der Wesensoffenbarung Gottes begründet. 31 Hätte also Adam Gott nicht als das höchste Gut erkennen können und wählen müssen 32 ? gen und drittens folge daraus, "quod imago quodammodo prototypo, seu, cuius est imago, dependeat, immo, tanto perfectior censeatur, quanto propius ad prototypum accedit." 30 Prägnant heißt es im Schlußparagraphen der Urstandslehre ID 11,1,24, 746f.: "Haec, quae de integritatis statu, speciatim de imagine Dei diximus, diligenter & sedulo expendere iuvat, ut, quae nostrae vocationis sit ratio, intelligamus. Quod enim in Adamo amisimus, id per Christum possumus recuperare. Omnia eo tendunt, ut imago divina in nobis restauretur; quae quidem restauratio in regeneratione inchoatur, loan. 111.3,5. in renovatione quotidiana continuatur, Ephes. IV,24. ... Sc post hancce demum vitam, in statu gloriae perficitur, & consummatur; ... . Neque hie a scopo aberremus, Christum servatorem nostrum nunquam non intueri nos oportet". 31 ID 111,1,4, 703: "Ad cognitionem ... quod attinet, & primo quidem rerum divinarum, dubium prorsus nullum est, quin Deum, qua essentiam, qua voluntatem spectatum, in tantum primi parentes cognoverint, in quantum, ut recte eum colerent, hoc necessarium erat. Nec tarnen ita solius naturae viribus omnia tribuenda, ut non quaedam ex speciali

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Liest man die Urstandslehre unter der Frage, ob der erste Mensch Gott in vollkommener Weise als sein höchstes Gutes erkannt hat, so fällt auf, daß Buddeus im Unterschied zu Quenstedt 33 betont offen läßt, ob der Mensch im Urständ von Gottes Inkarnationsdekret wußte. 3 4 Das Schweigen zu dieser Frage läßt sich vordergründig mit der auch sonst von Buddeus eingenommenen Abwehrhaltung gegen spekulative Überlegungen erklären. Aber diese Haltung hat einen Grund, der ersichtlich wird, wenn man die möglichen und eben nicht gegebenen Antworten bedenkt. Buddeus hätte wie Quenstedt ein Wissen um die Inkarnation im Urständ ausschließen können. Doch da für Buddeus die Erkenntnis der Güte Gottes von der in der Mittlertätigkeit Christi offenbarten Inkarnation abhängig ist, hätte er mit der ausdrücklichen Bestreitung eines Wissens um die Inkarnation im Urständ auch eine adäquate Gotteserkenntnis im Urständ ausgeschlossen und so das Theodizeeproblem radikal verschärft. Noch weniger aber konnte er eine ausdrückliche Inkarnationserkenntnis im Urständ behaupten, implizierte dies doch einen Supralapsarismus, unter dem dann die Sünde in der Tat die unmögliche Möglichkeit gewesen wäre. Denkt man hingegen im Urständ eine Offenbarung des Inkarnationsdekretes mit dem Ziel der Erlösung, so ist die Urstandslehre aufgrund der damit implizierten Erlösungsbedürftigkeit Adams aufgelöst. Keinen dieser Wege konnte Buddeus also gehen, wobei besonders bemerkenswert eben der Verzicht auf den Weg Quenstedts ist, weil darin sichtbar wird, welche grundlegende Funktion der Inkarnation für die Gotteserkenntnis zukommt. Obwohl Buddeus die Gottebenbildlichkeit bereits als entwicklungsfähig denkt, ist er in seiner barocken Geschichtssicht noch weit von der aufgeklärten Kritik an der Vorstellung des paradiesischen Zustandes vor dem Sündenfall entfernt. Außerdem ist die Substanzmetaphysik und ihre Terminologie noch zu dominant. Die akzidentielle Bestimmung der Gottebenbildlichkeit

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etiam revelatione illis innotuerint. Q u o d quidem de lege ista positiva, de non comedendo fructu arboris cognitionis boni & mali, satis constat. Sacrosanctae itidem trinitatis mysterium illis cognitum fuisse, dubitari nequit. Qui enim Deura, uti est, hoc est, unum in essentia, & trinum in personis, non cognoscit, eum non recte cognoscit." Buddeus behauptet zwar, die Urstandserkenntnis habe wirksam dazu stimuliert, G o t t , "quem ut summum bonum cognoscebant", in höchstem Maße zu lieben und ihm höchsten Gehorsam zu leisten, I D 111,1,4, 703. Und in diesem Sinne stellt er auch die rhetorische Frage: "Homines autem in statu integritatis, & ad imaginem Dei conditos, Deum non recte cognovisse, quis dixerit?" Aber seine Überlegungen zur Erklärung der Entstehung der Sünde führen zu der eben nicht ausdrücklich ausgeschlossenen Annahme, daß die Urstandserkenntnis Gottes als des höchsten Gutes nicht von letzter Gewißheit getragen gewesen sein kann. Wie Baur, Vernunft, 56 feststellt, dachte auch Quenstedt die supralapsarische Erkenntnis Gottes nicht ohne Begrenzung, sondern Schloß die "in Gottes Freiheit ruhende" Inkarnation sowie die "arcana Dei decreta" davon aus. I D 111,1,4, 703: " N u m autem mysterium incarnationis Christi cognoverint? & quae alia sunt eiusdem generis, inter otiosas, 8C ineptissimas scholasticorum merito referuntur quaestiones."

muß zumindest im ersten M o m e n t der Schöpfung realisiert gewesen sein, soll die Schöpfung gut genannt werden können. Dennoch wird Buddeus' Konzeption der Urstandslehre faktisch stärker mit dem Theodizeeproblem konfrontiert, weil angesichts der Begrenztheit der menschlichen Weisheit im Urständ die Frage a u f k o m m e n muß, welche Rolle der Werkbund für den Eintritt der Sünde spielt. b) Das Theodizeeproblem D a ß G o t t in keiner Weise Ursache der Sünde sei 35 , wird von Buddeus entschieden und wiederholt betont. Dies ist besonders verständlich angesichts der Tatsache, daß erst zwölf Jahre vor der Veröffentlichung der D o g m a t i k von Buddeus Leibniz' Essay über die Theodizee erschienen war, in welchem Leibniz die Gedanken der Güte Gottes und der Freiheit des Menschen im Blick auf den Ursprung des Bösen vernünftig 3 6 zu versöhnen suchte. Ahnlich wie Buddeus sah Leibniz die Möglichkeit der Sünde als des moralischen Übels 3 7 in der Begrenztheit oder Unvollkommenheit des menschlichen Verstandes. Denn wäre die Erkenntnisfähigkeit des endlichen Geistes nicht begrenzt, so könnte dieser die Folgen seiner Entscheidungen übersehen und daraufhin frei und vernünftig wählen. Dieser Überlegung entspricht Buddeus' Bestimmung der urständlichen Weisheit des Menschen als einer endlichen und insofern begrenzten Vollkommenheit, die darum die Möglichkeit der Sünde nicht ausschließt.

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Siehe z.B. ID 111,2,10, 768: "Deus autem inter caussas peccati, nec physice, nec moraliter tales, ulla ratione referri potest." Vgl. auch ID 111,2,31, 835: Gott lasse zwar den Kausalnexus der natürlichen und moralischen Ursachen zu, wodurch aus einer Sünde weitere folgen können. Daraus sei aber nicht auf ihn als direkten oder indirekten Urheber der Aktualsünden zu schließen. 36 Das bedeutet für Leibniz, daß die Vernunftprinzipien der Widerspruchsfreiheit und des letzten Grundes eingehalten werden müssen, vgl. dazu die 'Abhandlung über die Ubereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft' innerhalb der Theodizee, in: Philosophische Schriften I I / l , 68-71. Leibniz unterscheidet hier zwischen den ewigen Wahrheiten, "die absolut notwendig sind, so daß das Gegenteil einen Widerspruch enthalt, und dazu gehören die Wahrheiten, deren Notwendigkeit eine logische, metaphysische oder geometrische ist, die man nicht bestreiten kann", und den positiven Wahrheiten, die "Gesetze sind, die Gott nach seinem Gutdünken der Natur vorgeschrieben hat oder aber von dieser abhängen". Die positiven Gesetze genügen dem Prinzip der Angemessenheit, wobei das Angemessene "von Gott aus freier Wahl und nicht aus geometrischer Notwendigkeit vorgezogen und ins Werk gesetzt" wird. Die Notwendigkeit des Angemessenen kann physisch oder moralisch sein, wobei die physische Notwendigkeit auf der moralischen, "d.h. auf der seiner Weisheit würdigen Wahl des Weisen beruht". Vgl. Leibniz, Monadologie, These 31 und These 32, 20. Die Bedeutung der Erkenntnis der notwendigen und ewigen Vernunftwahrheiten besteht nach Leibniz darin, daß sie den Menschen "von den bloßen Tieren unterscheidet und in den Besitz der Vernunft und der Wissenschaft setzt, indem sie uns zur Erkenntnis unserer selbst und Gottes erhebt" (Monadologie These 29, 19). Siehe auch Theodizee 1,44, 273. 37

Vgl. zur Differenzierung des Übels in metaphysisches, moralisches und physisches Theodizee 1,21,241.

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Nun gilt Leibniz allerdings die Begrenztheit der Weisheit als "Folge einer unerläßlichen Pflicht" 38 Gottes, dem Geschöpf seine Unterschiedenheit zu lassen. Die Ursache für das Übel ist mithin "in der idealen Natur des Geschöpfes zu suchen, soweit diese Natur in den ewigen Wahrheiten enthalten ist, die, unabhängig von seinem Willen, im Verstand Gottes sind. Denn man muß beachten, daß es schon vor der Sünde eine ursprüngliche Unvoll· kommenheit im Geschöpf gibt, weil das Geschöpf seinem Wesen nach beschränkt ist und auch nicht alles wissen, sich vielmehr täuschen kann und andere Fehler begehen kann." 39 Die Frage, weshalb Gott die Endlichkeit der Verstandeskapazität beim Geschöpf und damit die Möglichkeit des physischen und moralischen Übels zugelassen habe, beantwortet Leibniz also damit, daß Gottes Geschöpf nach dem Prinzip der Angemessenheit nur als von Gott unterschiedenes und daher notwendig als endliches bestimmt sein kann. Die "Unvollkommenheiten und Mängel der Handlungen" kommen darum für Leibniz aus "der ursprünglichen Beschränktheit ..., die das Geschöpf notwendigerweise mit dem ersten Beginn seines Seins durch die idealen Gründe erhalten mußte, die es beschränken. Denn Gott konnte ihm nicht alles verleihen, ohne es selbst zu einem Gott zu machen; es mußte also verschiedene Stufen in der Vollkommenheit der Dinge und ebenso Beschränkungen jeder Art geben."40 Die Sünde erscheint somit als mögliche Folge des metaphysischen Übels, welches der Schöpfer aufgrund der moralischen Notwendigkeit des Prinzips der Angemessenheit zulassen mußte. 41 Diese Erklärung für die Möglichkeit der Sünde aus dem metaphysischen Übel und dessen moralischer Notwendigkeit rezipiert Buddeus nicht, obwohl er die Möglichkeit der Sünde ähnlich wie Leibniz auf die Begrenztheit der menschlichen Weisheit im Urständ zurückführen kann. Aber diese Begrenztheit wird bei Buddeus anders begründet als bei Leibniz. Leibniz sieht in der Begrenztheit der menschlichen Vollkommenheiten gewissermaßen die Bedingung für die Unterschiedenheit des Menschen von Gott. Als Voraussetzung dafür, daß die Unterschiedenheit der einzelnen Monade 42 erkannt werden kann, wird dabei in der Monadologie die Veränderung der Monade geltend gemacht, die sie durch die inneren Vermögen der Perzep-

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Theodizee 1,24, 245. Theodizee 1,20, 240. Theodizee 1,31, 257. Theodizee 1,21, 241. Nach Leibniz ist Gott "durch eine moralische Notwendigkeit, die in ihm selbst liegt, verpflichtet, das moralische Übel bei den Geschöpfen zuzulassen." Siehe Theodizee 11,158, 477. 42 Nach These 8 der Monadologie können die Monaden nicht quantitativ, sondern nur qualitativ unterschieden werden. Dabei ist es nach These 9 notwendig, "daß jede einzelne Monade von jeder anderen verschieden ist. Denn es gibt in der Natur niemals zwei Wesen, von welchen das eine vollkommen so ist wie das andere, und wo es nicht möglich wäre, einen inneren oder einen auf eine innere Bestimmung gegründeten Unterschied aufzufinden."

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tion und des auf die Perzeption gerichteten Begehrens 43 tätigt 4 4 . Diese Veränderungen und damit die Unterschiede der Monaden manifestieren sich nach Leibniz in der unterschiedlichen Deutlichkeit ihrer Perzeptionen. 4 5 Die menschliche Seele unterscheide sich nicht nur durch bewußtere und deutlichere Vorstellungen von den einfachen Substanzen 46 ; durch die "Erkenntnis der notwendigen und ewigen Wahrheiten" unterscheide sich der Mensch auch "von den bloßen Tieren". Denn der in der Erkenntnis der notwendigen und ewigen Wahrheiten gesetzte "Besitz der Vernunft und der Wissenschaft" sei darin vermittelt, daß "sie uns zur Erkenntnis unserer selbst und Gottes erhebt." 4 7 Die geschaffene, vernunftbegabte Monade zeichnet sich nach Leibniz also vor allen anderen einfacheren Substanzen bzw. Monaden durch Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis aus. "Durch die Erkenntnis der notwendigen Wahrheiten und durch ihre Abstraktionen werden wir ... zu den reflexiven Akten erhoben, die uns den Gedanken 'Ich' fassen und Betrachtungen darüber anstellen lassen, daß dieses oder jenes 'in uns' ist. Indem wir unsere Gedanken auf uns selbst richten, richten wir sie auch auf das 'Sein', auf die 'Substanz 1 , auf 'Einfaches' und 'Zusammengesetztes' und selbst auf 'Gott', insofern wir das, was in uns beschränkt ist, in ihm als unbeschränkt begreifen." 4 8 Die Erhebung der vernunftbegabten Monade zum Gottesgedanken als dem letzten Grund der zufälligen Tatsachenwahrheiten 4 9 und der Schluß auf die notwendige Existenz Gottes aus der Widerspruchsfreiheit der Möglichkeit und Schrankenlosigkeit seines Begriffs 50 , in der sich die Vernunftprinzi43

Monadologie, These 15: "Die Tätigkeit des inneren Prinzips, welches den Wechsel oder den Ubergang von einer Perzeption zur anderen bewirkt, kann als Begehren bezeichnet werden. Allerdings vermag das Begehren nicht immer vollständig zu der ganzen Vorstellung zu gelangen, nach der es strebt; aber es erreicht doch allezeit etwas davon und k o m m t zu neuen Vorstellungen." Vgl. auch die Thesen 10 und 11.

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Alle "einfachen Substanzen oder geschaffenen Monaden" sind nach Leibniz als 'Entelechien' zu bezeichnen. Denn "sie haben eine gewisse Vollendung in sich ... Es gibt in ihnen eine Selbstgenügsamkeit (αυταρκεια), welche sie zu Quellen ihrer inneren Tätigkeiten und sozusagen zu unkörperlichen Automaten macht" (Monadologie, These 18). Monadologie, These 17 und bes. 19. Siehe Monadologie, These 19. Monadologie, These 29. Monadologie, These 30. Monadologie, These 37f. Der zureichende Grund der Bedingung der Möglichkeit für die Tatsachenwahrheiten, deren Wahrheit Leibniz durch diese Argumentation aufzuzeigen beabsichtigt, m u ß "außerhalb der Folge oder der Folge-Reihen von mannigfaltigen Zufälligkeiten liegen, so unbegrenzt jener Zusammenhang auch sein mag." (These 38) Vgl. Monadologie, These 40.44.45. Siehe auch Theodizee 1,7, 217f. Leibniz hat das ontologische Argument offenbar nicht "auf das Ergebnis des zuvor behandelten kosmologischen Arguments begründen", sondern "beide auf verschiedenen Wegen zu dem Begriff eines notwendig existierenden Wesens hinführen" wollen, so Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 95-98. Vgl. auch Dieter Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, 10-22. So gelangt Leibniz einerseits in den Thesen 37-39 dazu, daß Gott als notwendige Substanz der eine letzte und zureichende "Grund des ganzen Mannigfaltigen ist", andererseits schließt er mit These 40 daran einen - wie das einleitende "ferner" markiert - eigenständigen Argumentati-

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pien der menschlichen Seele bewahrheiten, führt bei Leibniz dazu, die UrMonade als die "Ur-Einheit" zu denken, als dessen "beständige Ausblitzungen" und "Erzeugungen" sich alle "geschaffenen oder abgeleiteten Monaden" je nach Beschränktheit ihrer "Aufnahmefähigkeit" erkennen können. 51 So kann sich die menschliche Seele gerade in ihrer Unterschiedenheit von der Ur-Monade selbst zu dieser ins Verhältnis setzen und darin ihre Begrenzheit erkennen. Eben diesen Gedanken schließt Buddeus mit der Lehre vom Werkbund aus. Denn bereits die Ermöglichung der Betätigung der Vernunft zur Ehre Gottes ist für ihn durch das positive Gesetz Gottes vermittelt, in welchem sich der Bundeswille artikuliert. Unter dieser Voraussetzung kann Buddeus nun allerdings gerade nicht mit Leibniz sagen, "daß das moralische Übel nur deshalb ein so großes Übel ist, weil es die Quelle physischer Übel ist, die sich in einem Geschöpf befindet, das am meisten Macht und Fähigkeit hat, Böses zu tun." 52 Denn die Sünde bedeutet nicht nur den natürlichen Tod, sondern auch und vor allem die Verfehlung der geschöpflichen Bestimmung und die Trennung von Gott. 53 Daher stellt sich für Buddeus noch schärfer onsgang an. In diesem wird aus dem Begriff der höchsten Substanz, "welche einzig, allgemein und notwendig ist", auf die Unabhängigkeit, Schrankenlosigkeit und Vollkommenheit derselben geschlossen. "Da nun nichts die Möglichkeit dessen hindern kann, was keine Schranken, keine Verneinung und folglich auch keinen Widerspruch in sich schließt, so ist dies allein schon hinreichend, um die Existenz Gottes a priori zu erkennen." (These 45) Allerdings ist eine Verbindung des apriorischen und aposteriorischen Arguments bei Leibniz doch insofern angelegt, als der Begriff Gottes als des absolut vollkommenen Wesens in These 41 nicht nur aus der Überlegung bezogen wird, daß die höchste Substanz "nichts außer sich hat, was von ihr unabhängig wäre", sondern auch daraus, daß die höchste Substanz in den kosmologischen Thesen 37-39 bereits als "einfache Folge des möglichen Seins" gedacht worden ist, die "der Schranken unfähig sein und so viel Realität wie möglich enthalten muß" (These 40). Beide Gesichtspunkte, die Unabhängigkeit und die höchstmögliche Realität, werden in dem Begriff der Vollkommenheit zusammengefaßt (siehe These 40 und das "daraus folgt" der These 41). So geht der aposteriorische Schluß von den Tatsachenwahrheiten auf die notwendige Realität Gottes als Voraussetzung in das apriorische Argument ein. Während im aposteriorischen Teil des Arguments die Möglichkeit der Tatsachenwahrheiten durch das Prinzip der Vernunftwahrheit des zureichenden Grundes bewahrheitet und auf den Begriff Gottes als des letzten notwendigen Grundes gebracht wird (These 36-39), kann der in der Vernunftwahrheit gesetzte Begriff des letzten Grundes selbst nur durch das andere Prinzip der Vernunft, nämlich das des ausgeschlossenen Widerspruchs als wahr erwiesen werden (vgl. These 33-35.45). Da aber die Vernunft, müßte sie nicht einen notwendig existierenden Grund der Tatsachenwahrheiten annehmen, gar keinen Grund hätte, die Widerspruchslosigkeit einer notwendig existierenden Urmonade zu analysieren, gehört das kosmologische Argument in den Entdeckungszusammenhang des von Leibniz entwickelten Gedankengangs. Dieser reicht von der Unterscheidung der zwei Arten von Wahrheiten in These 33 bis zur Bestimmung Gottes als alleiniger "Ur-Einheit" oder "Ur-Monade" in These 47. Es geht Leibniz darum zu zeigen, daß die endlichen vernünftigen Monaden von der Urmonade abhängig sind, weil diese der Grund ihres Perzeptionsvermögens und damit der Grund ihrer relativen Selbständigkeit und Bestimmtheit ist. 51 Vgl. Monadologie, These 47. 52 Siehe Theodizee 1,26, 249. 53 Leibniz rezipiert in seiner Schrift 'Die Sache Gottes' (in: Phil. Schriften I, §§ 75-96, 349-359) die wesentlichen Aussagen der traditionellen Sündenlehre. Der Zusammenhang von Erb-

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die Frage, weshalb die Willensfreiheit notwendig zur Vernunftbegabung des Menschen gehört 54 und warum Gott den Menschen nicht vielmehr so geschaffen hat, daß er nicht sündigen konnte 5 5 .

2. Der Gnadenbund als Aufljebung des Werkbundes U n t e r der drängenden Frage, wie angesichts der Zulassung der Sünde von der Güte Gottes zu reden ist, sieht Buddeus in der föderaltheologischen Konzeption gerade darum einen Weg zur Verarbeitung des Theodizeeproblems, weil diese die ganze Menschheitsgeschichte als die unter dem Gnadenbund Gottes 5 6 stehende Heilsgeschichte zu begreifen erlaubt. Wiewohl nämlich die Aufhebung des Werkbundes durch den Gnadenbund erst durch die Mittlertätigkeit Christi offenbart worden ist, beginnt doch die Heilsgeschichte unmittelbar nach dem Fall in der Verheißung des Protevangeliums Gen 3,15. Das Protevangelium gilt mithin als die erste Kundgabe des infralapsarisch gedachten Beschlusses der Versöhnung des Menschen mit Gott. Der in der Geschichte Israels als der Geschichte des Alten Bundes immer deutlicher offenbarte Gnadenwille Gottes wird in Christus endgültig und unüberbietbar offenbart und realisiert. In Christus beginnt daher der Neue Bund. Auf die sonst in der Föderaltheologie übliche Benennung der Abrogationsstufen des Werkbundes verzichtet Buddeus. An diese Stelle tritt bei ihm die religionsgeschichtliche Betrachtung, die im nächsten Kapitel darzustellen sein wird. Die Lehre vom Gnadenbund ersetzt in der Dogmatik von Buddeus die sonst in der lutherischen Tradition vor der Christologie vorgetragene Lehre vom universalen und speziellen Heilswillen Gottes. Indem Buddeus den

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sünde und abgeleiteter, aktueller und habitueller Sünde, "in quibus consistit exercitium corruptionis" (§ 91, 356), wird dabei in der gleichen Weise wie hei Buddeus als Folgeverhältnis bestimmt. Entsprechend betont Leibniz die Macht der Erbsünde, "die Menschen im Natürlichen schwach u n d im Geistigen v o r der Wiedergeburt zu Toten zu machen" (§ 86, 355). Vgl. auch Theol. System, 8f. D a ß aber der Mensch durch die Erbsünde unfähig ist, sich zu der angemessenen F o r m der Gotteserkenntnis und Gottesverehrung zu erheben, das wird von Leibniz nicht hervorgehoben. I D 111,1,5, 708: "ut liber h o m o crearetur, t u m a coactione, t u m a necessitate, ipsa rationalis creaturae conditio postulavit. C u m enim Deo placuisset, hominem ratione praeditum creare, ne rationis usus frustra concessus esset, leges quoque ei praescribere voluit, ad quas se componeret." Vgl. z u m Problem der permissio peccatorum ID 111,2,10, 769f. und zur Frage, "cur Deus h o m i n e m ita n o n creaverit, aut eiusmodi donis instruxerit, ut plane peccare non posset?" ID III,1,5, 708. Die Eigenart des göttlichen Bundes gegenüber menschlichen Bundesschlüssen sieht Buddeus darin, daß G o t t den Bund durch freie Entscheidung zu setzen vermochte, während es dagegen nicht im Ermessen des Menschen liege, sich für oder gegen den Bund Gottes zu entscheiden, siehe I D 111,1,13, 726.

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universalen Heilswillen durch die Rede vom Gnadenbund interpretiert, bringt er zum Ausdruck, daß es in dem in der Christologie darzustellenden Heilswerk des Mittlers um die Konstitution eines bestimmten Gottesverhältnisses geht, welches im Werkbund nicht erreicht werden konnte. Welcher Art dieses als die Kondition des Gnadenbundes bestimmte Gottesverhältnis ist, das wird allererst in der Realisierung des Gnadenbundes durch den Mittler offenbar. Denn indem die priesterliche Mittlertätigkeit Christi die universale Vergebung der Sünde durch den Tod Christi erschließt, wird nicht mehr wie im Werkbund die Einhaltung eines positiven Gesetzes, sondern der Glaube an Christus als die Art und Weise der individuellen Aneignung der Versöhnung bestimmt. Bei dem Versuch zu zeigen, daß und inwiefern die Konstitution des Gnadenbundes nicht anders als durch die Erniedrigung des Mittlers im Leiden und Tod vollzogen werden konnte, hält Buddeus an dem schon damals umstrittenen Satisfaktionsbegriff fest. Das Verständnis der Notwendigkeit der Versöhnung und ihres konkreten Vollzuges, welches Buddeus darin offenlegt, zeigt, daß ihn die scharfe und berechtigte Kritik an der Satisfaktionstheorie, wie sie zuerst von den Sozinianern und später vor allem von Albrecht Ritsehl vorgetragen worden ist, nur sehr bedingt trifft. Die Erläuterungen, die Buddeus seiner dogmatischen Bestimmung der satisfaktorischen Mittlertätigkeit Christi in Anmerkungen anfügt, zeigen deutlich, daß er die von den Sozinianern und Arminianern vorgetragene Kritik an der Satisfaktionstheorie 57 , welche die Wahrheit und Notwendigkeit der Satisfaktion in Zweifel zog und außerdem im Vollzug derselben einen Widerspruch zur Gerechtigkeit Gottes erblickte, als zentrales dogmatisches Problem anerkennt. In die Abwehr sozinianischer Kritik hatten bereits große lutherische Theologen des 17. Jahrhunderts wie Abraham Calov 5 8 ihre Arbeitskraft investiert. Inzwischen waren der protestantischen Theologie durch den Atheismus, den Deismus und den Pietismus zwar neue und wichtigere Herausforderungen entstanden, wie man sich in den Zusammenstellungen der Religionsstreitigkeiten bei J . G . Walch und J.S. 57

Vgl. zur sozinianischen Lehre Wenz, V L 1, 100-148. bes. 119-127 und 128-136. W e n z stellt außerdem im Vorspann seiner Geschichte der Versöhnungslehre die Vorgeschichte der neuzeitlichen Versöhnungslehre - beginnend mit Anselm bis hin zur altprotestantischen Orthodoxie - dar und zeigt die Veränderungen, die die Anselmsche Theorie durch Reformation und altprotestantische Orthodoxie erfahren hat, vgl. dazu V L 1, 42-85. Entscheidend ist vor allem, daß im Anschluß an lutherische Überlegungen zur Bedeutung des Todes Christi die Satisfaktionsleistung Christi nicht mehr einfach als Übernahme einer ausstehenden Strafe gedacht wurde. Vielmehr versuchte man nun die Einbeziehung der sündigen Individuen, die die Strafe aufgrund ihrer Schuld eigentlich verdient haben, in Leiden und T o d auszusagen. Dieses Bestreben steht in engem Zusammenhang mit der Hervorhebung der Glaubensgerechtigkeit und einer veränderten Gottesvorstellung. Die hier genannten Punkte sind bei Buddeus, wie die folgende Untersuchung zeigen wird, aufgenommen und in mancher Hinsicht zugespitzt.

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Siehe die umfrangreichen 'Scripta Antisociniana' von Abraham Calov.

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Baumgarten vorführen lassen kann, w o die Sozinianer und Antitrinitarier nur noch als eine neben vielen anderen Positionen erscheinen. Da die Sozinianer jedoch die Versöhnungslehre als das Zentrum der christlichen Religion auf der Basis des Schriftprinzips angegriffen hatten, tritt Buddeus entschieden zur Verteidigung der traditionell durch die Satisfaktionsvorstellung interpretierten priesterlichen Mittlertätigkeit Christi an und widerlegt darin zugleich den von Hugo Grotius - im Interesse der Verteidigung des katholischen Glaubens an die Satisfaktion Christi - gegen Faustus Sozinus unternommenen Versuch, den Tod Christi als beliebige Ersatzleistung für die durch die Sünde entstandene Beleidigung Gottes zu verstehen. 5 9 Denn unter dieser Voraussetzung lasse sich weder die Notwendigkeit des Leidens und des Todes, noch auch die Sündenvergebung als Wirkung des Todes begreiflich machen. Die Sündenvergebung werde vielmehr erst dadurch möglich, daß Christus die gesamte Sündenschuld und die Sündenstrafe stellvertretend auf sich genommen und so die Satisfaktionspflicht vollständig erfüllt habe. 6 0 Buddeus' Argumentation richtet sich darum gezielt darauf, die Wahrheit der Rede von der Satisfaktion zu verteidigen und die Frage nach ihrer Notwendigkeit und das in ihr implizierte Verständnis der Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes zu klären. 6 1

a) Der Satisfaktionstod Christi als sellvertretender Sühnetod Wohl wissend, daß der Begriff der Satisfaktion in der Schrift nicht begegnet 6 2 , analysiert Buddeus in seiner Verteidigung der satisfaktorischen Bedeu59

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Buddeus setzt sich mit der Position von Hugo Grotius ID IV,2,37, 1118 auseinander. Grotius wird dafür getadelt, daß er, "etsi satisfactionis Christi defensionem contra Socinum susceperit, ea tarnen id fecit ratione, ut hostibus veritatis plus, quam decebat, concedendo, revera nihil egisse videatur." Siehe dazu ID IV,2,37, 1118f. Christus konnte nicht anders als dadurch Bürge und Mittler des Gnadenbundes sein, "ut debitum loco captivorum solveret, poenamque ab iis promeritam in se susceperit, opere ipso hoc in tempore praestitit, sicque nos cum Deo reconciliavit" (ID IV,2,37, 1119 A.2). Vgl. auch ID IV,2,37, 1117: "ita pro nobis satisfecit, dum non tantum sacrificio infiniti valoris iratum Deum placavit, sed 8c ea omnia adcurate praestitit, quae iustitia divina, hominum peccatis infinitum in modum laesa, exigere poterat; adeo, ut omnis obligatio ad poenam cesset, prorsusque sit sublata, Deus vero, utpote hac ratione reconciliatus, omnia peccata, quae admiserunt, modo vera fide meritum Christi adprehendant, illis remittere & condonare, eosque in numerum filiorum suorum recipere paratus sit." ID IV,2,38, 1121: "Hinc vero, ut Veritas satisfactionis istius intelligitur, ita necessitatem eius, iustitiamque, adcuratior sanctitatis, & hinc fluentis iustitiae divinae consideratio, quemvis facile condocebit." Vgl. auch die rückblickenden Bemerkungen ID IV,2,39, 1130 A . l : "Cum hactenus & veritatem, & necessitatem, &C iustitiam satisfactionis Christi contra Socinianos, & qui ex Arminii schola prodierunt, demonstraverimus, superest, ut universalitatem eius, contra reformatae, quam vocant, ecclesiae doctores, quibuscum & Jansenii discipuli, aliique gratiae particulans defensores, faciunt, evincamus." ID IV,2,37, 1117: "De satisfactione itaque Christi cum hie nobis dicendum sit, initio observamus, etsi vox satisfactio in scriptura non exstet, ideo de re ipsa, quae aliis etiam vocibus exprimi potest, non esse dubitandum." Dies sei auch die Auffassung Socini selbst. Dennoch

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tung des Kreuzestodes Christi zunächst das Schriftzeugnis auf die dort ausgesagte Bedeutung des Leidens und Sterbens Christi hin. 63 Da im Neuen Testament zum Beispiel in Mt 8,17; Apg 8,32 und 1. Petr 2,24 das Leiden Christi im Anschluß an das in Jes 53 angekündigte Leiden des Gottesknechts als Leiden Christi für die Sünde verstanden worden sei64, werde in der Schrift mithin eindeutig die Sündenschuld als die Ursache für das Leiden und Sterben Christi angegeben. Gegen die Sozinianer und Hugo Grotius betont Buddeus dabei energisch den stellvertretenden Charakter des Leidens und Sterbens Christi. Christus habe nicht nur vor seinem Tod Gottes Verurteilung und Fluch über die Sünde wahrhaft gespürt65 und sei unter großen Schmerzen gestorben 66 . Im Blick auf die in Lev 10,17 und 17,11 ersichtliche alttestamentliche Bedeutung des Blutes für die stellvertretende Sühne könne man die Aussage von Joh 1,29, wonach Christus als das Lamm Gottes die Sündenschuld der Welt getragen habe, nicht so interpretieren, als sei mit dem Tragen der Sünden nur ein Exempel zur Verbesserung der Seele statuiert worden. 67 Das Ziel des stellvertretenden Sühnetodes sei es vielmehr gewesen, die Befreiung von der Anrechnung der Schuld und der Knechtschaft der Sünde zu erwirken. 68

sei schon im Alten Testament durch chta im Piel (Gen 31,39; Lev 14,52 u.ö.) sowie durch kphr (Ex 30,10; Lev 16,16 u.ö.) die Reinigung und Befreiung von der Sünde ausgesagt. Im Neuen Testament stützt sich Buddeus auf 2. Petr 2,1; 1. Kor 6,20; Gal 3,13; Mt 20,28; 1. Tim 2,6; Lk 1,68; 1. Petr 1,18 u.a., vor allem aber auf die Aussage über die Lösung Rom 3,24; 1. Kor 1,30, über die Versöhnung Eph 2,16; Kol 1,20 und das ιλαστηριον Rom 3,25. 63 Vgl. ID IV,2,38, 1121-1126. 64 Siehe ID IV,2,38, A . l , 1122, vgl. bes. die traditionsgeschichtliche Auslegung, die zeigen will, daß Mt 8,17 die in Jes 53,3.4 berichtete Übernahme der Krankheit und Schwachheit als Übernahme der gesamten Sündenschuld interpretiert. "Quare licet Matthaeus hocce oraculum de morbis corporis citet, noluit tarnen illud hoc ipso plane exhaurire, sed potius ostendere, Messiam omne id tulisse, quod in nobis rationem poenae habeat; quorsum Sc morbi corporis pertinent." Dagegen hätten die Juden angenommen, "eum ob suam culpam eiusmodi cruciatus, mortemque ipsam sustinere, adeoque non negabant, eum ingens aliquod onus portare, sed caussam ignorabant." Dieser Unglaube sei in Dan 9,5 bereits indirekt prophezeit worden. 65

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ID IV,2,38, 1122: "Hosce autem morbos nostros, seu peccata Christus ... tulit, portavit, seu magnum aliquod onus in se suscepit, adeo, ut effectus acerbissimos, maledictionem & iram Dei, revera sentiret." Vgl. außerdem die Auseinandersetzung mit der Exegese von Hugo Grotius ID IV,2,38, 1123. Siehe ID IV,2,38, 1124. Wenn in Joh 1,29 gesagt sei, "agnum huncce tollere peccata mundi, non aliter quam de expiatione & satisfactione pro peccatis nostris hoc intelligi potest. Nulla enim alia ratio, quae Christo quidem conveniat, excogitari potest, qua peccata mundi tollere dici queat." Unter Berücksichtung des alttestamentlichen Verstehenshorizontes von Lev 10,17 und 17,11 "vana est Socinianorum, & HUGONIS quoque GROTII ad h.l. interpretatio, tollere peccata, idem significare, ac animarum emendationem, quam Christus exemplo suo praestet." Siehe die Auslegung von Prov 13,24 ID IV,2,38, A . l , 1123: "Sensus autem est, per ea, quae nostri caussa servator passus est, sanitatem mentis, hoc est, liberationem ab imputatione pariter ac Servitute peccati, nobis obtigisse."

Indem Buddeus den T o d Christi im K o n t e x t der alttestamentlichen Sühnevorstellung als stellvertretenden Sühnetod interpretiert 6 9 , in w e l c h e m Christus die Schuld und die Strafe f ü r die Sünde auf sich genommen habe, unterscheidet er sich nicht v o n modernen exegetischen Deutungen des Todes aus der V e r b i n d u n g der Sühneaussage in R o m 3,25 und der Versöhnungsbotschaft v o n 2. K o r 5,14-21. Gegen dieses Verständnis der Versöhnung richtete sich jedoch der Einwand der Sozinianer, der Mensch k ö n n e nicht durch einen anderen in seiner Schuld und Strafe sittlich vertreten und dadurch v o n dieser befreit w e r d e n 7 0 . Diesem Einwand begegnen heute einige Exegeten durch den Hinweis, daß die im Sühnetod Christi vollzogene Stellvertretung nicht als exklusive 7 1 , sondern als inklusive, den Sünder in seinem v o r f i n d l i c h e n Sein vertretende Existenzstellvertretung 7 2 auszulegen sei. Exegetisch k a n n dieser G e d a n k e hier nicht diskutiert werden. Richtig ist auf jeden Fall, daß die Stellvertretungsvorstellung selbst den Schlüssel zu einer K r i t i k an dem E i n w a n d der Sozinianer bietet. In seiner Darstellung der Mittlertätigkeit Christi betont Buddeus, daß nicht erst der passive G e h o r s a m des Leidens, sondern der gesamte Lebensvollzug Jesu, in w e l c h e m dieser alle menschlichen Erniedrigungen auf sich g e n o m m e n habe, als stellvertretender Gehorsam und als Erfüllung des Gesetzes zu deuten sei. Dabei erscheint die Erniedrigung, in der sich die 69 Vgl. die Auslegung von Rom 3,25 ID IV,2,38, 1124f. 70 Vgl. dazu Wenz, VL 1, 124. 71 So U. Wilckens, Der Brief an die Römer I, EKK VI/1, Neukirchen-Vluyn 1978, Exkurs: Zum Verständnis der Sühne-Vorstellung, 233-243, bes. 237. Eine nicht auf das alttestamentliche Sühnopfer, sondern auf die griechische Tradition rekurrierende Deutung der Versöhnung bei Paulus bietet Breytenbach, Versöhnung, bes. 220f. 72 Das Konzept der Existenzstellvertretung in der Sühnevorstellung des Alten Testaments ist von Hartmut Gese in seinem Aufsatz 'Die Sühne' in: Zur biblischen Theologie, 85-106 vertreten worden. Gese hat damit zwar "einen Gegensatz zwischen personaler und sachlicher Abgeltung einer Schuld unterstellt, von dem fraglich bleibt, ob er den alttestamentlichen Sühnevorstellungen entspricht." (So W. Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 2, 456) Es könnte aber dennoch sein, daß im Neuen Testament die Versöhnung so verstanden ist, wie es die von Otfried Hofius unter Berücksichtigung der inklusiv gedachten Stellvertretung entwickelte Interpretation vorschlägt. Vgl. seine Deutung der neutestamentlichen Rede vom Sühnetod in Rom 3,25 und 2.Kor 5,14f. in ders., "Gott hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung" (2 Kor 5 19), in: ZNW 71/1980, 9: "Weil der Sühnetod des Einen, der 'für alle gestorben und auferstanden' ist, im Sinne inklusiver Stellvertretung alle einschließt (2 Kor 5,14f.), deshalb ist die gottfeindliche Menschheit durch das an dem Gekreuzigten vollstreckte Todesgericht hindurch - von ihrer Sünde befreit - mit Gott verbunden und in die Gemeinschaft zurückgebracht worden. Von daher will es verstanden sein, wenn Paulus im Blick auf die Versöhnungstat Gottes von der 'Nichanrechnung' der Übertretungen redet." Vgl. auch ders., Erwägungen zur Gestalt und Herkunft des paulinischen Versöhnungsgedankens, in: ZThK 77/1980, 186ff., bes. 190: "Versöhnung und Sühne sind" nach Hofius "die zwei zusammengehörigen Seiten ein und derselben Sache - der Sache des Kreuzesgeschehens." Im Ereignis des am Kreuz stattfindenden Tausches "gehören die von Gott gewährte Sühne und die von ihm gewirkte Versöhnung untrennbar zusammen." (190) "Weil dem Menschen durch das gepredigte Wort zugeeignet wird, was ihm im Kreuzesgeschehen schon geschenkt ist, deshalb begreift Paulus die Heilszueignung als 'Offenbarung' des Heils und den Heilsempfang als 'Erkenntnis' des Heils." (193)

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wahre Menschheit des Erlösers manifestiert hat, als die Bedingung dafür, daß sich der Mensch in diesem Geschehen wiedererkennen kann. In diesem Sinne denkt auch Buddeus eine den Menschen in seiner vorfindlichen Existenz inkludierende Stellvertretung Christi. Zugleich qualifiziert jedoch der in der Einheit mit dem Willen Gottes vollzogene Lebensweg Jesu und seine freiwillige Annahme des Todes jeden menschlichen Ungehorsam gegen das Gesetz als Sünde gegen Gott. Die Universalität der Sünde resultiert dabei aus der universalen Geltung des Sühnetodes Christi. Daraus, daß die Überwindung der Schuld nur durch den Tod des Gottessohnes stattfinden konnte, wird ferner der Ungehorsam als Ausdruck des von Seiten des Menschen nicht mehr reparablen Gottesverhältnisses erkennbar. Entsprechend besteht die Sünde des Menschen, für die Christus stirbt, nicht einfach in der Übertretung einzelner Gebote, sondern in einer so grundlegenden Verfehlung des Gottesverhältnisses, daß diese nur noch den Tod zur Folge haben kann. 73 Die daraus resultierende Schuld des Menschen kann nur Gott selbst aufheben, indem er sie nicht dem Schuldigen, sondern Christus als dem freiwilligen Stellvertreter des Menschen 74 , der darin Mittler des Gnadenbundes ist, anrechnet. Der Mensch muß also in der Tat inklusiv in seiner Existenz vertreten werden, da ihm nur so seine Sünde, deren Schuld im exklusiv stellvertretenden Sühnetod aufgehoben ist 75 , vor Augen geführt werden kann. 73

Daher gilt ID 11,1,37, 330: "Per iustitiam debebat Deus omnes homines aeternis adiudicare cruciatibus". 74 Siehe ID IV,2,37, 1119: "Hic est ... sponsor ille Ehr. VII,22. qui misericordia commotus, se ad genus humanum, ex summa miseria, qua consepultum erat, eripiendum, & liberandum obtulit. Quod cum aliter fieri non posset, quam ut debitum loco captivorum solveret, poenamque ab iis promeritam in se susciperet, opere ipso hoc in tempore praestitit, sicque nos cum Deo reconciliavit." Die von Bernd Janowski (vgl. ders., "Er trug unsere Sünden", in: ZThK 90/1993, 1-24, bes. 17) aus dem "Schlüsselbegriff" asam in Jes 53,10a gewonnene Deutung der Stellvertretung als "Schuldtilgung", wonach "Israel, das zur Übernahme seiner Schuldverpflichtung nicht imstande ist", aus der Schuldverpflichtung durch Schuldtilgung gelöst werden muß, "um noch eine Zukunft zu haben", stimmt in erstaunlicher Weise mit dem Verständnis des stellvertretenden Satisfaktionstodes Christi bei Buddeus überein. Denn nach Janowskis Interpretation begründet die Schuldtilgung durch stellvertretende Bestrafung des Gerechten die Erkenntnis der Schuld (vgl. 19f.) und bringt so "ein durch Erkenntnis verwandeltes Israel mit sich" (20). Den von Janowski in Erinnerung gebrachten "neuzeitlichen Schwierigkeiten mit der Stellvertretung", welche "vom Axiom der Unvertretbarkeit des Subjekts herrühren" (21; vgl.2), wird entgegengehalten, "daß die biblische Uberlieferung andere Wege geht und ihr Problem anders gestellt ist". 75

Für die Aufhebung der Schuld ist die Anrechenbarkeit der Sünde als Schuld vorausgesetzt. Die Anrechenbartkeit der Sünde als Schuld des Menschen begründet Buddeus ID 111,2,11, 771f. wie folgt: "Culpae autem vox, cum diversimode in iure consultorum maxime scholis accipiatur, hic tarnen ea significatio in censum venit, qua tum maculam quamdam, seu labem, quae per peccatum alicui adspergitur, tum imputabilitatem peccati, denotat. ... Ad imputabilitatem autem peccati quod attinet, nihil usitatius est, quam ut in culpa esse dicatur, qui aliquid fecit, quod illi imputari potest: quemadmodum vice versa, qui nihil fecit, quod illi imputari queat, extra culpam, vel sine culpa esse dicitur. Ut autem peccatum alicui imputari queat, requiritur, ut actionis istius, cui αταξία inhaeret, caussa sit, sive physica, sive mora-

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Weil die sozinianische Kritik diese im Neuen Testament bezeugte stellvertretende Bedeutung des Todes Christi ignoriert, verkennt sie das Wesen der Sünde und damit auch die Eigenart der mit der Sünde verbundenen Schuld gegenüber Gott 7 6 . Wird hingegen diese im Neuen Testament ausgesagte Bedeutung des Todes Christi anerkannt, so stellt sich nicht das Problem der sittlichen Vertretbarkeit, sondern vielmehr die Frage, wie angesichts der in der Sünde A d a m s begründeten und im T o d Christi demonstrierten Universalität der Sünde noch angemessen von einer Schuld des Menschen 7 7 gesprochen werden kann. Buddeus versucht dieser Schwierigkeit zu entgehen, indem er unter der Voraussetzung der universalen Befreiung von der Schuld der Sünde A d a m s von der Anrechenbarkeit der Schuld nur im Blick auf die begangenen Aktual- und Habitualsünden spricht. 7 8 A n der ererbten Konkupiszenz ist der Mensch mithin insofern schuld, als er sie willentlich begeht. 7 9 Im Vertrauen auf den stellvertretenden T o d Christi kann er sich hingegen von der Schuld für die Verfehlung des Gottesverhältnisses freigesprochen wissen.

b) D i e Notwendigkeit des Todes Christi Ist dem Schriftzeugnis zufolge der T o d Christi als der stellvertretende Sühnetod für die Sünden der Welt zu deuten, so läßt sich auf dieser Basis ein tieferes Verständnis für die Notwendigkeit des Todes Christi gewinnen. 8 0 Die Behauptung der Notwendigkeit des Kreuzestodes ist dabei zunächst ein Implikat des Geschehens selbst. Denn hätte die Versöhnung auf andere Weise ermöglicht werden können und wäre also der T o d des Sohnes nicht lis. N a m q u e & aliorum actiones, quas quis dirigere tenebatur, & quarum adeo, si officio suo defuit, caussa moralis exstitit, alicui imputari posse, notum est." Vor dem "foro divino" gilt außerdem die habituelle Sünde, die einem Subjekt inhäriert, als Schuld. 76 Vgl. zur gravierenden Bedeutung der Sünde ID 10,2,11, 773: "Nullum enim peccatum, quantumvis leve nobis videatur, committitur, quo non sanctitas & iustitia Dei infinitum in modum laedatur." 77 So stellt E. Kinder im Blick auf die reformatorische Doppelbehauptung der Erbsünde und der Schuld des Menschen fest: "Voller Schuld- und unentrinnbarer Zwangscharakter des S.rseins werden zugleich behauptet", ohne daß ein "gedanklicher Ausgleich zwischen beidem gesucht" würde, siehe den Artikel 'Sünde und Schuld' in: R G G 3 6, 491. 78 Vgl. ID 111,2,11, 771ff. Im Zusammenhang der Erbsündenlehre spricht Buddeus die Schuldfrage nicht mehr an, siehe ID 111,2,13, 775ff. und ID 111,2,14, 781ff. 79 ID 111,2,14, 785: "Ut vero de concupiscentia, quae actu quodam voluntario sese exserit, hoc accipiamus, nulla nos cogit necessitas, nec genuina, propriaque vocis significatio permittit". 80 Vgl. zur Erörterung der Notwendigkeit der Satisfaktion Christi ID IV,2,38, A.2, 1126ff.: "Postquam veritatem satisfactionis Christi demonstravimus, supervacaneum fere videri poterat, de necessitate eius & iustitia aliquid addere." Doch obwohl aus dem Schriftzeugnis die Notwendigkeit und Gerechtigkeit der Satisfaktion bereits erkennbar seien, läßt sich nach Buddeus das Verständnis noch weiter systematisch vertiefen. "Hinc vero, ut Veritas satisfactionis istius intelligitur, ita necessitatem eius, iustitiamque, adcuratior sanctitatis, & hinc fluentis iustitiae divinae consideratio, quemvis facile condocebit."

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notwendig gewesen, so ließe sich nicht verstehen, daß Gott als der Vater dennoch seinen eigenen Sohn für das Heil der Menschen hat sterben lassen.81 Die Gottmenschheit des Erlösers spricht imgleichen gegen das Verständnis des Todes als Ersatzleistung. Denn wäre die Gestalt der Satisfaktion, also der im Leiden und Sterben Christi sich vollziehende passive Gehorsam, eine beliebige Ersatzleistung, so hätte diese auch von einem einfachen Menschen vollbracht werden können. Im Einklang mit der klassischen Satisfaktionstheorie Anselms 82 bestimmt Buddeus als Grund der Notwendigkeit der Satisfaktion Christi die Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes 83 . Die daneben von Anselm als Grund der Satisfaktion benannte Wiederherstellung der durch die Sünde84 verletzten 81

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Vgl. die Argumentation ID IV,2,38, 1126 A.2: "Cum enim constet, hancce viam homines in pristinum felicitatis statum restituendi Deum ingressum esse, ut pater filium suum unigenitum mitteret, qui suo sanguine & morte mortalium peccata expiaret, recte inde concludimus, unicam etiam hancce fuisse viam, qua hominum rebus consuli potuerit. Si enim alia excogitari ratio potuisset, homines, ex summa illa, qua circumsepti erant, miseria liberandi, quis existimet, Deum illam non potius electurum fuisse, quam ut filium suum, filium suum unigenitum, filium suum ίδιον, Rom. VIII, 32. mitteret, & cruciativus gravissimis, atrocissimisque doloribus exponeret? Haec Deum sine summa fecisse necessitate, si quis sibi persuaserit, nae! illum existimare oportet, Deum in re seria, omniumque gravissima, ludere voluisse. Quodsi autem alia via inveniri non potuit, homines ex miseria sua eripiendi, summa satisfactionis Christi necessitas sponte sua inde consequitur." In diesem Zusammenhang polemisiert Buddeus gegen die Behauptung, Christus sei deshalb von Gott gesandt worden, damit Gottes unendliches Recht in der geschöpflichen Welt durch die Bestrafung eines Unschuldigen zur Geltung gebracht würde. Ebensowenig konnte das Martyrium Christi allein der Bestätigung der Lehre Christi dienen oder gar einfach nur das Martyrium als Weg zur Glückseligkeit institutionalisieren. Siehe ID IV,2,38, 1126f. Alle diese Deutungen des Todes Christi vermögen nicht zu erklären, weshalb er diesen Weg auf sich nehmen mußte.

Anselm hat in seiner Schrift 'Cur Deus homo?' "die alte abendländische Anschauung, daß durch den Tod Christi Vergebung der Schuld erworben werde, zum erstenmal einer wissenschaftlichen Erörterung unterzogen" und damit die Versöhnungslehre begründet, so R. Seeberg, Dogmengeschichte III, 231. Dabei wollte Anselm sein in 'Cur Deus homo?' entfaltetes Verständnis der Versöhnung als Ausdruck der fides quaerens intellectum verstanden wissen, vgl. Cur Deus homo, 1,2, 14. 83 Auf die Frage, "ob quam caussam adeo necessaria fuerit ista servatoris satisfactio", antwortet Buddeus, "summam Numinis, & infinitam iustitiam, quae hominum peccatis infinitum in modum laeditur, earn necessario postulasse" (ID IV,2,38, 1127). Auch in einer Anmerkung in der Trinitätslehre heißt es programmatisch, daß eine "reconciliatio sine plenaria satisfactione esse nequit" (ID 11,1,49, 372). Nach Anselm ist die Gerechtigkeit Gottes nichts anderes als Gott selbst bzw. seine Ehre. Siehe Anselm, Cur Deus homo? 1,13, 46: "Si deo nihil maius aut melius, nihil iustius quam honorem illius servat in rerum dispositione summa iustitia, quae non est aliud quam ipse deus." Vgl. zu Anselms Begriff der Gerechtigkeit Gottes auch Seeberg, Dogmengeschichte III, 219ff. und zu Anselms Auffassung von "Gottes Verhältnis zur Welt" ebd., 224f. 84 Anselm bestimmt Sünde als "non reddere deo debitum", wobei das "debitum", durch das Gott enstprechend geehrt würde, in "iustitia sive rectitudo voluntatis, quae iustos facit sive rectos corde ... id est voluntate" zu bestehen hätte. Wer Gott dieses "debitum" schuldig bleibt, "aufert deo quod suum est, et deum exhonorat; et hoc est < p e c c a r e > . " (Cur Deus homo? 1,11,40) Somit ist "die Sünde nichts Positives", sondern ein Defekt (vgl. dazu Seeberg, aaO., 219).

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Ehre Gottes 8 5 spielt in den Darlegungen von Buddeus hingegen keine Rolle mehr 8 6 . Buddeus denkt nun allerdings die vindikative Gerechtigkeit Gottes nicht nur als eine Folge der Heiligkeit 8 7 des göttlichen Willens, sondern bestimmt in der Gotteslehre Heiligkeit und Gerechtigkeit zusammen mit der Wahrhaftigkeit als die sogenannten moralischen Eigenschaften Gottes, die als Modifikationen der Liebe Gottes 8 8 zu verstehen sind und so das Wesen der göttlichen Liebe explizieren. 8 9 D i e Liebe Gottes gilt abstrakt betrachtet als konstante Neigung Gottes zum Guten 9 0 , wobei die Beständigkeit dieser Geneigtheit zum Guten durch die Eigenschaft der Wahrhaftigkeit Gottes zur

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Wenz, V L 1, 42 macht darauf aufmerksam, daß bei Anselm durch die Sünde "zunächst die Ordnung des Universums" verletzt wird (vgl. Anselm, C u r Deus homo?, 1,12.13, 44ff.), da die Ehre Gottes "an sich unveränderlich vollkommen" ist, "so daß ihr grundsätzlich nichts genommen werden kann" (vgl. C u r Deus homo?, 1,15, 48: "Dei honori nequit aliquid, quantum ad illum pertinet, addi vel minui"). Die Ehre Gottes bleibe von der Durchbrechung der göttlichen Ordnung jedoch nicht völlig unberührt, weil wegen der theologischen Koinzidenz von Wesen und Wille (Wenz, VL 1, 48) Ehre und Ordnung Gottes zwar zu unterscheiden, nicht aber zu trennen seien. "Bezeichnet ... der Anselmsche Begriff der göttlichen Ehre primär die Majestätsehre des Schöpfergottes, so impliziert er zugleich die Notwendigkeit des göttlichen Eintretens für die gleichsam öffentlich-rechtliche Bestandserhaltung und Durchführung des rerum ordo. Die Rücksicht auf die Ordnung in seinem Reich kann mithin Gottes Gottheit nicht äußerlich sein." (aaO., 47) Vgl. zu Anselms Verständnis des Gott-Welt-Verhältnisses Seeberg, Dogmengeschichte III, 222ff. Gott ist bei Anselm nicht in einem privatrechtlichen Verhältnis zum Menschen vorgestellt, sondern als "der Herr und König der Welt, dessen Willen den gesamten Weltlauf bestimmt" und der die Welt wie "einen Staat regiert", so Seeberg, aaO., 223. Daher sei bei der Sünde auch nicht an eine "privatrechtliche Beleidigung Gottes" zu denken, "sondern an die in den Bereich des öffentlichen Rechtes fallende Unbotmäßigkeit wider den auf den Zweck des ganzen Staates gerichteten königlichen Willen" (aaO., 224).

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Schon Boso durfte allerdings auf die Frage, "utrum sola misericordia, sine omni solutione ablati sibi honoris deceat deum peccatum dimittere", unbefangen antworten: " N o n video cur non deceat" (vgl. Anselm, Cur Deus homo? 1,12, 41). 87 Dieses Verhältnis zwischen Heiligkeit und Gerechtigkeit wird ID IV,2,38, 1121 erwähnt. Siehe zur Gerechtigkeit Gottes ferner ID 11,1,37, 328: "Ex dictis itaque intelligitur, iustitiam divinam in eo consistere, quod Deus iure suo, speciatim imperio in res creatas ratione praeditas ita utatur, prout rerum istarum indoli atque naturae, divinaeque simul sanctitati & bonitati hoc est conveniens. Recte etiam haec iustitia Dei in remuneratoriam & punitativam seu vindicativam dispescitur." 88 ID 11,1,34, 323, A . l : "Omnium autem virtutum humanarum summam in amore consistere, facile ex inductione probari potest. Quaecumque enim nominetur virtus, nihil aliud, quam amoris est modificatio." Siehe auch ID 11,1,35, 324: "Reliquae, quae Deo tribuuntur, virtutes, si rem adcurate ponderes, nihil aliud sunt, quam amoris istius purissimi, sanctissimique velut quaedam modificationes, quae pro obiectorum diversitate diversas quoque sortiuntur denominationes." 89 Siehe ID 11,1,33-39. Zu der Bestimmung verschiedener Tugenden in Gott kommt es aufgrund der Unterschiedenheit der Objekte, auf die sich Gott in seiner vollkommenen Liebe und Heiligkeit bezieht, vgl. ID 11,1,35, 324. 90 Da die Liebe Gottes als konstante Neigung zum Guten aufzufassen sei, kann sie nach Buddeus nicht als Affekt, sondern muß vielmehr als moralische Eigenschaft oder Tugend qualifiziert werden. Vgl. ID, 11,1,34, 323 A . l : "Vox amoris non pro adfectu, sed pro constanti ad bonum propensione, seu virtute, sumitur".

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Geltung gebracht wird 9 1 , während die Heiligkeit die Vollkommenheit der göttlichen Liebe 92 und die Gerechtigkeit den in der Liebe implizierten Widerspruch Gottes gegen die der Liebe entgegengesetzte Sünde beschreibt. 93 Anhand dieser Näherbestimmung der göttlichen Liebe durch das Prädikat der Gerechtigkeit betont Buddeus, daß Gott durch die in seiner Liebe implizierte konstante Neigung zum Guten die Sünde verneinen muß. Insofern rufe nach Eph 2,3 die Sünde den Zorn Gottes hervor. 94 Doch gibt Buddeus als Ziel der Versöhnung nicht die Wiederherstellung der Gerechtigkeit Gottes und die Besänftigung des göttlichen Zornes an. Die Notwendigkeit des von Christus erlittenen Todes für die Sünde wird vielmehr darin gesehen, daß Gott in seiner Gerechtigkeit die Sünde nicht ignorieren kann. Den naturrechtlichen Einwand, die Bestrafung eines Unschuldigen widerspreche der Gerechtigkeit 95 , läßt Buddeus zwar gelten 96 , erblickt aber darin deshalb keinen Widerspruch zur Rede vom satisfaktorischen Sterben Christi, weil der Tod Christi gar nicht als der Tod eines Unschuldigen zu veranschlagen sei. Vielmehr habe Christus die fremde Schuld der Sünder als die seine in sich aufgenommen. 97 Der Tod erscheint mithin als das notwendige Vollzugsmoment der Versöhnung. 98 Entsprechend betont Buddeus, die vindikative Gerechtigkeit Gottes könne nur von der Versöhnungstat Christi her angemessen verstanden werden. 99 In dieser zeige Gott nicht seinen Zorn, sondern offenbare in der Liebe des Sohnes 100 sein unendliches Wohlwollen. 91 Zur göttlichen Wahrhaftigkeit vgl. ID 11,1,38, 330. 92 Die Vollkommenheit der göttlichen Liebe resultiert daraus, daß Gott als sich durch die reinste Liebe selbst liebend gedacht wird, so daß seine Liebe durch keine Unvollkommenheit getrübt ist. Das Verständnis der göttlichen Liebe als Heiligkeit gewinnt Buddeus aus Jes 6,3; Lev 19,2 und 1. Petr 1,15.16.17, vgl. ID 11,1,36, 325. 93 ID 11,1,37, 326: "Ex sanctitate fluit iustitia, quae, si Deo recte tribui debet, nihil aliud est, quam virtus divina, qua Deus, purissimo sui amore, studioque sanctitatis inductus, ut eo magis ab omni imperfectione 8c vitio alienus deprehendatur, hominum peccata quaevis graviter punit, bene autem facta largiter remuneratur". 94 Siehe ID IV,2,28, 1105. Vgl. ID IV,2,37, 1117: "... Christus ... satisfecit, dum non tantum sacrificio infiniti valoris iratum Deum placavit, sed & ea omnia adcurate praestitit, quae iustitia divina, hominum peccatis infinitum in modum laesa, exigere poterant". 95 Vgl. zur Behandlung der Frage, "an iustitiae fuerit conveniens, ut homo innocens pro nocente puniretur?" ID IV,2,38, 1129. 96 "Iustitiae enim & aequitati minime conveniens esse videtur, ut puniatur, qui non peccavit", ID IV.2,38, 1129. 97 ID IV,2,38, 1129: "si quis ita consideretur, prout alterius delicta in se recepit, non amplius ut innocens, sed ut nocens, non quidem ex facto proprio, attamen ex facto alieno, consideratur, & hactenus recte punitur. Ideoque & Christus ipse peccata nostra in se suscepisse dicitur, ut velute peccator omnium maximus iram Numinis persentisceret." 98 ID IV,1,10, 922: "Ut enim credentes in Christum bona a Deo promissa consequerentur, mors Christi, ceu sponsoris, seu testatoris, accedere debuit." Vgl. auch ID IV,1,3, 912. 99 ID 11,1,37, A . l , 329: "Punitiva autem, seu vindicativa iustitia in eo consistit, quod hominum delicta puniat, ea quidem ratione, ut omnem simul illis, de iniuria sibi illata, iure conquerendi adimat caussam. Etsi enim per primorum parentum culpam, in eum statum pervenerint homines, ut legem divinam servare nequeant, adeoque non possint non peccare; Deus tarnen ipse medium in de eluctandi iis exhibuit, quo si non utantur, non Deum, sed se ipsos 196

Indem Buddeus in seiner Lehre vom Gnadenbund die satisfaktorische Mittlertätigkeit Christi als Offenbarung des Gnadenbundes deutet, entzieht er sein Verständnis der Versöhnung dem Mißverständnis, als sei das Leiden und Sterben Christi ein Geschehen, durch welches Gott sich mit der Welt versöhnen lasse. Grund und Ausgangspunkt der Versöhnung ist vielmehr allein der gnädige Bundeswille Gottes. 101 Daß dabei der Zusammenhang zwischen Sendung und priesterlichem Gehorsam des Erlösers nur als "innergöttlicher Vertrag" oder Bund interpretiert werden könne 102 , erschließt Buddeus aus dem freien Verhältnis zwischen Jesus als dem zum Mittler bestimmten Sohn Gottes und dem Vater, welches sich in Jesu freiwilliger Annahme 103 der Sendung durch den Vater manifestiert habe. Zwar hatte auch schon Anselm die Freiheit der Satisfaktionstat des Mittlers herausgestellt 104 und die Menschwerdung des Sohnes auf den Beschluß des dreieinigen Gottes zurückgeführt 105 , aber er hatte noch nicht wie Buddeus

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accusare debent". Vgl. ID 11,1,37, 326: "Hoc si recte perpendamus, caussas gravissimas esse intelligemus, ut saluti nostrae μ ε τ α φ ο β ο υ κ α ι τ ρ ο μ ο υ studeamus; Philipp.11,12. Seimus enim, qualis ille sit, qui orbem universum iudicaturus est εν δ ι κ α ι ο σ ύ ν η , actor. XVII,31." I D 11,1,36, 323: "Hoc ipso vero, d u m s u m m a m quoque legis in amore consistere, ipse nos servator condocet, divinarum simul virtutum s u m m a m exhibet". Vgl. die Einleitung zur Lehre v o m Gnadenbund ID IV,1,1, 904: " C u m per p r i m o r u m parent u m lapsum in s u m m a m , quae cogitari potest, miseriam, genus h u m a n u n i universum coniectum esset, Deus, sola sua benignitate induetus, illud neutiquam perire voluit, sed liberare potius & per certa media, bonitati n o n minus, quam iustitiae ac sapientiae divinae convenientia, ad aeternam iterum perducere beatitudinem, secum constituit. Atque gratia ilia divina, seu propensissimus Numinis erga peccatores favor, inter caussas salutis nostrae, prineipem merito, praecipuumque obtinet locum." I D IV,1,4, 913: " O r t u m hinc est foedus illud gratiae, quod in locum foederis operum successit, & cuius f u n d a m e n t u m , pactum illud inter patrem & filium, de genere h o m i n u m redimendo, (si de rebus divinis m o r e h u m a n o loqui licet) recte statuitur." Vgl. die exegetische Fundierung ebd. A.2, 914-916. Z u m Verständnis des innergöttlichen Vertrages im System des Coccejus siehe Schrenk, Gottesreich und Bund, 91. Der freiwillige Gehorsam Christi ist bei Buddeus - wie schon bei Anselm - konstitutiv für die Deutung seiner Mittlerschaft als Verdienst. Denn nach EPP 11,2,32, 218 gilt: "Requiritur ergo ad meritum, p r i m o ut actio agenti imputari possit: hoc est, ut in agente adsit proposit u m alteri sua actione aliquid boni conferendi: ... p o r r o ut actio non sit debita, qua perfectam, qua imperfectam obligationem". Vgl. C u r Deus h o m o ? 11,16, 130. Anselm betont in 11,17, 136f. die "immutabilitas" des Willens Christi, "qua se sporne fecit ad hoc hominem, ut in eadem voluntate perseverans moreretur, et quia nulla res potuit illam voluntatem mutare. Plus enim esset impotentia quam potentia, si posset velle mentiri aut fallere aut mutare voluntatem, quam prius immutabilem esse voluit. Et si, q u e m a d m o d u m supra dixi, cum aliquis sponte se proponit facturum b o n u m aliquod et eadem voluntate postea perficit quod proposuit, quamvis cogi possit, si nolit promissum solvere, non tarnen est dicendus necessitate facere quod facit, sed ea qua proposuit libera voluntate". Dieses Zitat zeigt außerdem, daß Anselm die Freiheit des Willens Christi hier nicht als Gegensatz zur Notwendigkeit, sondern als Selbstbindung Christi an seinen freien Entschluß gedacht hat, so daß aus diesem die Notwendigkeit der Einhaltung des einmal gefaßten Beschlusses und also die Unveränderlichkeit desselben resultiert.

105 C u r Deus homo? 1,9, 30: "Potest etiam dici quia praeeipi illi pater mori, cum hoc praeeepit unde ineurrit m o r t e m . ... sed quoniam ipse cum patre sanetoque spiritu disposuerat se non aliter quam per m o r t e m celsitudinem omnipotentiae suae m u n d o ostensurum."

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das freie Verhältnis zwischen Vater und Sohn als den Grund der Versöhnung bestimmt. 106 Der Explikation des innergöttlichen Verhältnisses, das für die Lehre vom Gnadenbund Gottes vorausgesetzt ist, dient bei Buddeus die Trinitätslehre. Die Versöhnung durch das Werk des Mittlers wird dabei nicht nur im Blick auf ihren Beschluß 107 , sondern auch und gerade in ihrem Vollzug durch Erniedrigung und Erhöhung als das Werk des dreieinigen Gottes gedacht. 108 Erst im Lichte dieser Einsicht erschließt sich der unendliche Wert des Leidens und Sterbens Christi. U m diesen Wert näher zu verstehen, ist noch einmal an das von Buddeus entwickelte Verständnis der Inkarnation zu erinnern. Buddeus deutet abweichend von der Tübinger Christologie die Erniedrigung zwar als Absage an den vollständigen Gebrauch der energetischen Majestätseigenschaften, aber er sieht darin keine Einschränkung der Gemeinschaft der Naturen, weil er die Absage nicht wie später Gottfried Menken 109 als Ablegen der göttlichen Eigenschaften denkt. Im Blick auf die Konstitution der Personeinheit hält es Buddeus vielmehr mit der von Karl Barth im Unterschied zur Gießener Position als "unverkennbar tiefsinniger" gelobten 110 Tübinger Christologie. Nach der in der Idiomenkommunikation durchdachten Gemeinschaft der Naturen in der Person des Mittlers stellen sich die Erniedrigung und die Erhöhung des Mittlers nicht nur als das stellvertretende Erleiden der Strafe für die Sünde und die Uberwindung des 106 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 2, 477 stellt fest, der Satisfaktionslehre Anselms liege zwar das Moment der inklusiven Stellvertretung als Voraussetzung zugrunde, doch spiele "dieser Gesichtspunkt nur eine untergeordnete Rolle", weil Anselm "den Grund der Erlösung in einer Leistung des Gottmenschen an den Vater" gesucht habe, "während nach Paulus Christus gerade durch das stellvertretende Erleiden des Todes als Strafe der Sünde mit den übrigen Menschen zusammengeschlossen" sei. 107 ID IV,1,5, 917: "Sed & ipsae trinitatis sacrosanctae personae diversa ratione hic in censum veniunt: pater quidem, prout mundum in Christo sibi reconciliat; II. Cor. VJ9. filius, prout unicus ille μεσίτης est, inter Deum & homines; I. Tim. 11,5. & spiritus sanctus, prouti est αρραβων seu pignus illud, quo credentes de gratia atque favore Numinis certiores redduntur, II. Cor.1,22. Unde simul patet, foedus hocce sine notitia mysterii trinitatis, sibi non constare." 108 Buddeus bezieht die Aussage der Erhöhung Jesu in Phil 2,9 auf den dreieinigen Gott, weil das Fundament der beiden Stände der Erhöhung und der Erniedrigung der Bund zwischen Vater und Sohn sei ID IV,2,24, 1081: "Dum autem Deus eum summopere extulisse dicitur, hoc de tota equidem trinitate, speciatim tarnen de patre intelligendum est, cum fundamentum utriusque status, & exinanitionis, & exaltationis, in pacto filii cum patre". Entsprechend heißt es in der Trinitätslehre ID 11,1,45, 346: "Cumque mysterium hocce ad fundamentum religionis revelatae spectet, sine quo & foedus gratiae, per quod tantum hominibus post lapsum via ad salutem patet, sibi non constat." 109 Vgl. zu Gottfried Menkens "Deutung der Entäußerung Phil.2 als eines Ablegens göttlicher Eigenschaften durch den ewigen Gottessohn" Hirsch, Theologiegeschichte Bd. 5, 101. Auf diese Auffassung geht nach Hirsch die Kenosis-Lehre des 19. Jahrhunderts zurück. Siehe dazu auch Paul Althaus, Art. 'Kenosis' in R G G 3 3, 1244-1246. Eine solche Kenose des Besitzes der göttlichen Majestätseigenschaften wurde im Kenosis-Krypsis-Streit des 17. Jahrhunderts nicht erwogen, vgl. Barth K D IV/1, 199. 110 Vgl. K D IV/1, 198.

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natürlichen Todes dar. In der Besinnung auf die Person des Mittlers erschließt sich vielmehr als unendlicher Wert auch die Erkenntnis der wahren Allmacht und der Allgegenwart Gottes. Damit ergibt sich bei Buddeus eine andere als die von Leibniz für den Umgang mit dem Theodizeeproblem propagierte Perspektive. Zwar läßt sich nach Buddeus' Uberzeugung die Gerechtigkeit Gottes in der von Leibniz vorgetragenen Weise unter Hinweis auf das metaphysische Übel und das Prinzip der Angemessenheit vernünftig verteidigen. Aber darin ist für Buddeus nicht schon die wahre Güte Gottes thematisch. Die Güte Gottes wird vielmehr erst dadurch offenbar, daß Gott selbst durch den Gnadenbund die "ursprüngliche Unvollkommenheit" der natürlichen Gotteserkenntnis - wie Leibniz in seinem Verzicht auf die Urstandslehre formuliert - aufhebt, indem er sich im Gnadenbund nicht mehr wie unter den Bedingungen des Werkbundes als Gesetzgeber, sondern als Vater erkennen läßt 111 . Entsprechend benennt Buddeus als Grund dafür, daß der Gnadenbund dem Menschen endgültig erst durch die Menschwerdung des Gottessohnes offenbart werden konnte, nicht die Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, sondern die Unsichtbarkeit Gottes. 1 1 2 Nach alledem ist es bemerkenswert, daß Buddeus - obwohl der Begriff der Satisfaktion kein Begriff der Schrift ist und obwohl er nicht annähernd das zum Ausdruck zu bringen vermag, was Buddeus unter Versöhnung versteht - entschlossen an diesem Begriff festhält und ihn sogar als eine angemessene Bezeichnung des stellvertretenden Sühnetodes verteidigt, indem er zu den verschiedenen juristischen Möglichkeiten der Satisfaktion auch die durch einen Stellvertreter vollzogene Übernahme fremder Strafe rechnet 113 . Daran hatten die Sozinianer mit Recht Anstoß genommen. Buddeus erscheint der Satisfaktionsbegriff dagegen insofern unverzichtbar, als im stellvertretenden Sühnetod des Erlösers der Gerechtigkeit Gottes entsprochen worden ist. Indem er das Satisfaktionsgeschehen jedoch bundestheolo111 ID IV,1,4, 914: "Etsi enim in utroque [foedere; Vf.] eadem sit vitae aeternae promissio, eadem conditio, exacta scilicet legis impletio, atque obedientia perfectissima, idem quoque finis, bonitatis gloriaeque divinae manifestatio; discrimen tarnen in eo intercedit, quod in foedere gratiae Deus non tarn ut legislator, aut remuneraturus opera, aut puniturus, quam ut pater benignus, misericordia & gratia sua miseris succurrens, spectetur". 112 Siehe ID IV,2,5, 1015 Α.2: " C u m enim Deus, seu spiritus, invisibilis sit, nec ullis sensibus externis expositus, in carne manifestatus est, dum carnem, seu humanam naturam adsumsit, ut adeo hac ratione videri, audiri, manibusque palpari potuerit." 113 ID IV,2,37, 1118: "haec [satisfactio criminalis; Vf.] in poenis maxime conspicitur, & tum poenae persolutionem, tum eius ad delictum proportionem requirit. Criminalis porro haecce satisfactio vel propria est, vel vicaria: illa, quam ipse reus praestat, haec, quam alius, ipsius vice. D u m ergo nunc de satisfactione Christi agimus, non de civili, quod quidem Sociniani volunt, sed de criminali seu poenali, eaque vicaria, sermonem esse, res ipsa docet." Die Sozinianer verwendeten den Satisfaktionsbegriff allerdings selbst, indem sie den sittlichen Lebensvollzug Christi als zivile Satisfaktion bestimmten, vgl. ID IV,2,37, 1118 A . l . Zum Verständnis der Position der Sozinianer siehe außerdem Baumgarten, Geschichte, 929f. und Wenz, V L 1, 119ff.

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gisch deutet, gelangt er zu der Aussage, daß G o t t selbst in der Sendung des M i t t l e r s in die Erniedrigung seiner Gerechtigkeit genüge getan h a t 1 1 4 , u m sich darin als das höchste G u t des M e n s c h e n zu o f f e n b a r e n . D a m i t w i r d der Begriff d e r S a t i s f a k t i o n faktisch obsolet.

c) D e r universale H e i l s w i l l e G o t t e s D e r d u r c h den M i t t l e r endgültig o f f e n b a r t e G n a d e n b u n d 1 1 5 w i r d v o n Buddeus b e s t i m m t als T e s t a m e n t 1 1 6 des u n v e r ä n d e r l i c h e n gnädigen W i l l e n s , den zu seinem Ebenbilde geschaffenen M e n s c h e n gemäß der i m W e r k b u n d gegebenen V e r h e i ß u n g h ö h e r e r , e w i g e r G l ü c k s e l i g k e i t 1 1 7 m i t sich zu v e r e i n e n . W a r die V e r w i r k l i c h u n g der V e r h e i ß u n g der ewigen Glückseligkeit i m W e r k b u n d u n t e r die Bedingung des v o m M e n s c h e n zu leistenden v o l l k o m m e n e n G e h o r s a m s gestellt, so w i r d in der O f f e n b a r u n g des M i t t l e r s die V e r heißung des G n a d e n b u n d e s d a d u r c h als unbedingte und o h n e das Z u t u n des M e n s c h e n gültige m a n i f e s t 1 1 8 , daß C h r i s t u s den W e r k b u n d stellvertretend e r f ü l l t h a t 1 1 9 . D e n n o c h ist bereits der W e r k b u n d als A u s d r u c k der göttlichen G n a d e zu deuten, w e i l in i h m d e m M e n s c h e n eine h ö h e r e Glückseligkeit v e r h e i ß e n w o r d e n w a r . Z w a r galt als K o n d i t i o n des W e r k b u n d e s die Einhaltung des göttlichen Gesetzes. D a jedoch der M e n s c h in der ursprünglichen Integrität des U r s t a n d e s z u r Einhaltung des G e b o t e s sittlich fähig u n d d u r c h seine N a t u r v e r p f l i c h t e t 1 2 0 gewesen sei, hätte die Einhaltung des W e r k b u n 114 ID IV,1,3, 912: "Serio itaque Deus, ut omnes homines ex ista miseria eripentur, voluit; eademque benignitate ac propitio favore inductus, de mediis quoque, quibus liberari ab ista miseria possent, sollicitus fuit; idque ea ratione, ut iustitiae simul divinae satisfierit". 115 Vgl. zum Gnadenbund ID IV,1,1, 904; IV,1,4, 913f.; IV,1,5, 917. 116 Darin, daß der Gnadenbund durch die endgültige Besiegelung im Tod Christi testamentarischen Charakter hat, unterscheidet er sich von menschlichen Bündnissen, die nicht zugleich Testamente sein können, vgl. ID IV, 1,10, 922. Auf die Unterscheidung zwischen weltlichen Bundesschlüssen und dem Bund Gottes legt Buddeus besonderen Wert, vgl, ID 111,1,13, 724: "Nec enim omnia, quae in humanis foederibus observantur, in eo quoque, quod Deo cum hominibus intercedere dicitur, locum inveniunt." 117 ID IV,1,7, 919: "Promissa huius foederis sunt, salus aeterna, seu summa maximaque hominum beatitas, inchoanda quodammodo in hac vita, in altera autem ad fastigium perducenda." Vgl. dazu A . l : "Licet autem in foedere quoque operum, vita aeterna legem servantibus fuerit promissa". Entsprechend heißt es von den Konditionen des Werkbundes und des Gnadenbundes ID IV, 1,11, 930: "Finis ... utriusque, & legis & evangelii, quem Deus sibi constitutum habuit, unus idemque est, salus videlicet hominum. Et legem quidem eo comparatum fuisse, ut per earn homines ampliorem felicitatis gradum consequerentur, abunde patet ex promissionibus, foederi operum additis ... Cum vero post primorum parentum lapsum, homines istum finem hac ratione consequi non possent, evangelium in eius locum successit". 118 ID IV,1,8, 920: "Nihil ... aliud, quam meram gratiam hic conspicere licet, Rom. IV,4,5." 119 ID IV,1,3, 912: "Deus ... de mediis ..., quibus liberari ab ista miseria possent, sollicitus fuit; idque ea ratione, ut iustitiae simul divinae satisfieret; quem in finem filium suum unigenitum, qui hominum expiaret peccata, mittere, secum constituit, & suo tempore etiam misit". 120 Aufgrund der Entsprechung des Werkbundes zur Natur des Menschen haben die Föderaltheologen den Werkbund auch als Naturbund bezeichnet. Siehe Buddeus ID 111,1,14, 727: "Solet vero etiam naturale vocari, quia cum ipsa natura hominum initium habuit; itemque 200

des nach Buddeus nicht als Verdienst des Menschen vor Gott 1 2 1 belohnt werden müssen 122 . So haben Werkbund und Gnadenbund also gleichermaßen als Ausdruck des universalen Heilswillens Gottes zu gelten. 123 Angesichts der in Werk- und Gnadenbund bekundeten Benevolenz stellt sich dann allerdings die Frage nach der Notwendigkeit des Werkbundes für die Realisierung der universalen Gnade Gottes. Der Sinn der Lehre vom Werkbund besteht für Buddeus darin, die ursprünglich in der Gottebenbildlichkeit vermittelte Fähigkeit zur Verehrung Gottes als durch Gott selbst vermittels seines Gebotes ins Bewußtsein gerufene Pflicht zu denken. Das Nacheinander von Werkbund und Gnadenbund bzw. von Sünde und Erlösung muß demnach nicht nur wegen der biblischen Berichte festgehalten werden; es läßt sich aus der Perspektive des Entwicklungsdenkens, welches sich bei Buddeus bereits ansatzweise findet, auch verstehen. Denn das Verständnis der Gnade setzt ein Bewußtsein der Pflicht voraus, welches durch den Werkbund allererst als ausdrückliches vermittelt wird. U m nun allerdings nicht wie Leibniz von einer ursprünglichen Unvollkommenheit des Menschen sprechen zu müssen und damit die Rede von der guten Schöpfung Gottes zu gefährden, hält Buddeus die Urstandslehre zur Bestimmung der ursprünglichen Vollkommenheit der Gottebenbildlichkeit noch für unerläßlich. Eine abschließende Lösung der Frage, wie Gott die Sünde als die Nichteinhaltung seines Gebotes im Werkbund zulassen konnte, ist daraus freilich nicht zu gewinnen. Folgt man den Ausführungen von Buddeus, so kann der Versuch einer theologischen Verarbeitung des Theodizeeproblems jedenfalls nicht darauf zielen, über den ursprünglichen Sinn des Werkbundes zu spekulieren, sondern muß sich ganz auf die im Gnadenbund offenbarte Universalität der Gnade Gottes konzentrieren.

quia naturae humanae plane fuit conveniens; iis quoque viribus naturae Adamus fuerit instructus, ut conditionem foederis istius adimplere potuerit." 121 ID 111,1,14, 726: "Quod ergo in statu integritatis obtinuit, foedus operum vocari solet; non eo quidem sensu, ac si homo operibus suis, seu legum divinarum observantia aliquid promereri, hinc & mercedem, seu iure sibi debitam, postulare potuisset, quippe quod plane absonum; cum homo nihil prorsus agat, ad quod non iure sit obstrictus: sed, quod homo legem divinam recte & adcurate implere potuisset; idque si fecisset, Deus ex mera gratia praemium aliquod, seu majorem felicitatis gradum, in eum collaturus fuisset." Zum Wesen des Verdienstes hingegen gehört, daß es freiwillig geschieht und nicht eingeklagt werden kann, siehe ID 111,1,14, 727: "Ad meritum enim cumprimis requiritur, ut sit actio indebita". 122 Die in der Gottebenbildlichkeit vermittelte sittliche Konstitution des Menschen deutet Buddeus als solche schon als Werk der Gnade Gottes. Ebenso sei der Bundesschluß Gottes mit dem Menschen und die damit verbundene Verheißung des Werkbundes Ausdruck der Gnade, vgl. ID 111,1,14, 727. 123 Vgl. ID IV,1,2, 906, A . l : "Quo sensu itaque gratiae divinae universalitas a nobis adseratur, nemini obscurum esse potest. Deum namque secundum voluntatem antecedentem serio velle, ut omnes omnino homines, qui ut vixerunt umquam, aut vivunt, aut victuri sunt, a peccatorum sordibus purgati, aeternae participes fiant beatitudinis."

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3. Die universale Geltung des Gnadenbundes Mit Recht gibt Leibniz in seinem Essay über die Theodizee zu bedenken, es sei ein "fürchterliches Urteil, daß Gott, der seinen einzigen Sohn für das ganze Menschengeschlecht hingab, und der der einzige Urheber und Herr des Heils der Menschen ist, dennoch nur so wenige rettet und alle anderen seinem Feind, dem Teufel, preisgibt, ... obgleich doch alle geschaffen worden sind, seine Güte, seine Gerechtigkeit und seine übrigen Vollkommenheiten zu verbreiten und zu offenbaren." 1 2 4 Man habe daher "die Menschen von den falschen Vorstellungen zu befreien, die ihnen Gott als einen absoluten Herrscher darstellen, despotische Macht ausübend, wenig geeignet und wenig wert, geliebt zu werden." 1 2 5 U m der damit gestellten dogmatischen Aufgabe zu entsprechen, entwikkelt Buddeus nicht nur die Lehre vom Gnadenbund 1 2 6 und führt in diesem Zusammenhang die im Bund offenbar werdende Güte Gottes auf das innergöttliche Verhältnis zwischen Vater und Sohn zurück. Im Zuge der Einsicht, daß die universale Geltung des Kreuzestodes nur unter der Voraussetzung der Möglichkeit universaler Aneignung der Satisfaktionsleistung Christi behauptet werden kann 1 2 7 , versucht er außerdem, wie oben gezeigt, die in der Sendung Christi offenbarte Gnadenverheißung Gottes als Ausdruck des alle Menschen 1 2 8 realiter einbeziehenden Bundeswillens Gottes zu denken 129 . 124 Leibniz, Theodizee I, 5, 215. 125 Leibniz, Theodizee I, 6, 217. 126 Vgl. ID IV,1,2, 906: "Quemadmodum autem omnes omnino homines, nemine excepto, in Adamo lapsi, simulque hoc ipso mortis aeternae, atque damnationis rei facti erant: ita Deus quoque omnium illorum, nemine excepto, misertus est, Rom. XI,32. Quod cum & iustitiae & benignitati divinae sit conveniens, scriptura insuper sacra tarn luculenter testatur, ut hac de re nemini dubitare fas sit. Merito itaque gratia ista universalis esse dicitur." 127 Daher wendet sich Buddeus ID IV,2,39, 1130 gegen die, die sagen, "Christum pro omnibus satisfecisse sufficienter, non autem eßicaciter. Id itaque in quaestionem venit, an Christo constitutum fuerit, pro omnibus ac singulis hominibus, tam electis, quam reprobis, satisfacere, & an revera satisfecerit? Hoc vero est, quod citra omnem haesitationem adfirmamus. Primo namque sporne sua hoc ex gratia Dei universali erga homines lapsos fluit ... Si enim Deus serio omnes ac singulos homines vult salvos fieri, necesse quoque est, eum omnibus ac singulis medium aliquod suppeditare, per quod ad salutem pervenire queant. Hoc autem nullum aliud est, aut esse potest, quam satisfactio Christi." Entsprechend geschieht die priesterliche Fürbitte des Mittlers für alle Menschen: "Altera pars officii sacerdotalis Christi in eius intercessione consistit, qua pro omnibus hominibus, maxime fidelibus, ut omnia, quae ad fidem, vitamque spiritualem, tandemque & aeternam consequendam iis necessaria sunt, impetrent, vi meriti sui apud patrem, ... adhuc intercedit ... Interim pro credentibus & electis alio modo quam pro reliquis hominibus eum orare, facile concedimus, & ita verba loan. XVII,9. quibus pro mundo se orare negat, intelligenda esse, antea observavimus" (ID IV,2,40, 1133 und A· 1 )· 128 Als partes contrahentes des Bundes sind alle Menschen bestimmt, siehe ID IV,1,5, 917 und IV,1,6, 918. Entsprechend betont Buddeus immer wieder, daß die Satisfaktionsleistung allen Menschen gilt, vgl. ID IV,2,35, 1114 und ID IV,2,39, 1129f., aber auch schon die Aussagen zum in Christus gestifteten Gnadenbund, von dem niemand ausgeschlossen ist, ID IV,1,2.3, 906.912. 202

Dies manifestiert sich in besonderer Weise in der Stellung und Gestalt seiner Prädestinations- bzw. Erwählungslehre. a) Interesse und Problem der Prädestinationslehre Im Interesse der Verteidigung des im Gnadenbund konstituierten universalen Heilswillens hatte schon die ältere lutherische Tradition die Erlösung infralapsarisch und also unter der Voraussetzung der im Bruch des Werkbundes durch Adam manifesten Universalität der Erlösungsbedürftigkeit konzipiert. 130 Indem Quenstedt zum Beispiel den göttlichen Heilsratschluß als das erste Prinzip des Heils nach der Anthropologie behandelte, mußte sich der durch die universale göttliche Liebe vermittelte 131 Heilswille auf die Erlösung aller Sünder beziehen. 132 Die spezielle Durchsetzung desselben wurde im Anschluß daran im Artikel von der ausschließlich mit der Erwählung identifizierten Prädestination zum ewigen Leben gelehrt. 133 Dagegen verteidigten in der reformierten Tradition manche Theologen die Alleinwirksamkeit der göttlichen Gnade im Erlösungsgeschehen negativ durch den Ausschluß jedweder aus der Situation des Geschöpfes resultierenden Bedingtheit des göttlichen Erwählungsratschlusses, indem sie denselben als ewigen Beschluß vor dem Fall 1 3 4 bestimmten. Die Entscheidung zwischen supralapsarischer oder infralapsarischer Lehrweise erscheint Buddeus dabei nicht primär durch das unterschiedliche Interesse an der Betonung der Identität der Erwählung und des Erwählenden motiviert. 135 Der von ihm exemplarisch unter Bezug auf Petrus van Maastricht vorgestellte Dissens zwischen lutherischem und reformiertem Denken betraf vielmehr die Frage, ob man Christi Sendung und Verdienst 129 130 131 132

ID IV.3,40, 1258 A.2. Vgl. dazu ID IV,1,1, 904; IV,1,2, 906. Siehe Quenstedt, Systema 111,1/1,4.5, 2. Entsprechend ist auch das erste Kapitel in der Darstellung des ordo salutis bei Quenstedt mit "De benevolentia Dei universali" überschrieben, vgl. Systema 111,1/1,1, 1. 133 So Quenstedt, Systema 111,2/1,1.6, 21.23. Die Prädestinationslehre gilt hier als die Lehre v o m speziellen Heilswillen Gottes. 134 Vgl. dazu Heppe/Bizer, 13Iff. bes. 132 zu B. Braun. Braun begründet seine Verteidigung des Supralapsarismus damit, daß auf diese Weise nicht "partes et actus praedestinationis debere inchoari a creatione aut a lapsu hominis, sed potius a manifestatione gloriae Dei per exerdtium iustitiae et misericordiae suae." Siehe zur supralapsarischen Prädestination in der reformierten Tradition auch E. Kähler, RGG3 5, 487. 135 Obwohl Lutheraner und Reformierte gleichermaßen betonten, der Akt der Erwählung dürfe nicht real vom Wesen Gottes unterschieden werden, hielten die Lutheraner an der Möglichkeit eines konzeptionellen Unterschiedes zwischen dem Akt der Erwählung und dem Wesen des Erwählenden und damit an der infralapsarischen Lehrform fest. Vgl. dazu das Urteil von Buddeus über die Position von Petrus van Maastricht ID V,2,7, 1607: "Verum, cum primum dicit, quod electio sit ipse eligens; hoc, ni fallor, innuit, quod actus, seu decretum electionis, ab ipsa essentia divina realiter non differat. Q u o d equidem verum est; nec tarnen obstat, quin, nostro cogitandi modo, electio, ut distinctum quid ab eligente, concipiatur."

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als Ursache bzw. Voraussetzung der Erwählung denken müsse, oder ob die Erwählung, wie van Maastricht gegen die lutherische Position betonte, mit der Bestimmung Christi zum Mittler identisch sei.136 Dieses supralapsarische Verständnis der Erwählung kritisiert Buddeus mit dem Einwand, daß eine supralapsarisch angesetzte Erwählung unausweichlich den Gedanken der doppelten Prädestination und der Notwendigkeit der Sünde Adams nach sich ziehe 137 , den es aufgrund seines Widerspruchs zur im Tode Christi offenbarten Universalität des göttlichen Heilswillens unbedingt zu vermeiden gelte.138 Die gleiche Schwierigkeit sieht Buddeus auch noch bei den sogenannten Sublapsariern gegeben. Dort werde zwar die Prädestination hypothetisch von der Vorhersehung des Falls abhängig gedacht, man verstehe aber dennoch den Akt der Erwählung und den Akt der Verwerfung als Gottes ewigen, unter Absehung von der individuellen Lebensgeschichte des Menschen gefällten Ratschluß 139 , so daß auch hier die Universalität der Erwählung durch das abstrakte Prädestinationsdekret eingeschränkt erscheine, indem nicht alle zur Erlösung im Glauben bestimmt gedacht würden. 140 Die supralapsarischen und sublapsarischen Konzeptionen, die jedweden Pelagianismus ausschließend Gott allein die Entscheidung über Heil oder

136 Vgl. Buddeus' Zitat aus van Maastrichts 'Theologia theoretico-practica', ID V,2,7, 1607. Van Maastricht behauptete, Christus sei als Mittler nicht die causa meritoria electionts, sondern selbst durch die Erwählung zum Mittler bestimmt worden. Nach Heppe/Bizer, 133 suchte van Maastricht dabei allerdings "den Gegensatz zwischen der supralapsaristischen und der infralapsaristischen Anschauungsweise durch Unterscheidung eines vierfachen actus praedestinationis zu vermitteln". 137 ID V,2,5, 1601: "illi, qui supralapsarii dicuntur, ... enim decretum divinum, idque absolutum, seu nullius conditionis intuitu factum, de quibusdam hominibus salvandis, reliquis damnandis, ante lapsus hominum praevisionem collocant, adeo, ut vi huius decreti non potuerit non primus homo labi, & in suam, posterorumque suorum perniciem ruere." 138 Vgl. ID V,2,ll, 1617: "supra-lapsarii quidem, cum decretum Numinis, de quibusdam salvandis, damnandis autem reliquis, ante lapsus hominum praevisionem collocent; non possunt non, ut electionem, ita reprobationem plane absolutam statuere, quae adeo sine ullo peccatorum, aut incredulitatis intuitu, ex mero Numinis beneplacito fuerit profecta." 139 ID V,2,5, 1602: "Hi autem decretum equidem, de quibusdam salvandis, reliquis damnandis, praevisioni lapsus humani postponunt; sed praemittunt tarnen reliquis praedestinationis actibus, quos ex absoluto isto decreto derivant; saltem illi ex sub-lapsariis, qui categorici seu absoluti vocantur, ita sentiunt." Vgl. ID V,2,ll, 1617. 140 Buddeus unterscheidet dabei genauer zwischen einer absoluten und einer hypothetischen Form des Sublapsarismus. Während nach der absoluten Variante die Erwählung "post lapsum praevisum", aber vor der Sendung des Erlösers und der Bestimmung der anderen Gnadenmittel angesetzt sei, habe die hypothetische Form der Erwählung auch die "reliqua salutis media" zur Voraussetzung, jedoch "absque fidei", so ID V,2,8, 1612. Doch auch den hypothetischen Sublapsarismus - z.B. bei Bartold Holzfuss in seinem Traktat über die Prädestination, Erwählung und Verwerfung (siehe ID V,2,7, 1608) - kritisiert Buddeus ID V,2,5, 1602: "Ad hypotheticos namque quod attinet, etsi ulterius progrediantur, decretum nihilo secius istud ante donationem fidei ponunt, cum in reliquis universalitatem quamdam admittant, aut admittere videantur; si enim quaeretur, unde fiat, quod nonnulli credant, alii non credant? id ex decreto divino provenire, fatentur."

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Unheil zuschreibt 141 , steht - da die damals Samuel Huber unterstellte 142 Lehre von der Allversöhnung ausscheidet - unausweichlich vor der in der doppelten Prädestination implizierten Vorstellung von Gott als dem Urheber der Erwählung und Verwerfung. U m dieser Deutung zu entgehen, faßte man in der lutherischen Theologie die Prädestination nur in der positiven Bedeutung als Erwählung zum Heil und zum ewigen Leben auf.143 Zwar wurde auch hier das Lehrstück von der Prädestination bzw. der Erwählung mit einem Abschnitt über die Verwerfung beschlossen.144 Doch im Unterschied zu den supralapsarischen und sublapsarischen Positionen führte man die Verwerfungsaussage nicht wie die der Erwählung direkt auf einen ewigen Beschluß Gottes zurück, sondern auf den Unglauben des Menschen. 145 Dieser Grundentscheidung folgt auch Buddeus, indem er die Barmherzigkeit Gottes und das Verdienst Christi als interne und externe Ursache der Erwählung bzw. Prädestination zum ewigen Leben definiert146, das Verharren des Menschen im Unglauben hingegen als externe Ursache der Verwer-

141 Beide Extreme gilt es nach Buddeus zu vermeiden, so ID V,2,12, 1620. Als Ursache für die Entstehung dieser beiden Extrempositionen identifiziert Buddeus die falsche Auffassung "de absoluta quadam, quae omnibus incumbat, hominesque etiam ad mala quaevis impellat, necessitate". 142 Buddeus nimmt Huber allerdings in Schutz, da dieser keine Erwählung aller, sondern nur den universalen Erlösungswillen Gottes habe lehren wollen, vgl. ID V,2,10, 1615: "Quodsi tarnen cuncta paullo adcuratius considerentur, HUBERUM aut per electionem ipsam gratiam Dei, propitiumque erga omnes homines favorem, seu voluntatem antecedentem, intellexisse, qua quidem ratione res omnis in meram λογομαχιαν abibit; aut eum nescivisse, quid sibi ipse vellet, deprehendemus. Prius autem verosimilius; quod ex argumentis, quibus ad sententiam suam comprobandam usus est, colligitur. Provocavit equidem ad eiusmodi scripturae dicta, quae non de electione, sed gratia & benevolentia Dei universale erga omnes homines lapsos, loquuntur". Buddeus bezieht sich dabei auf die Dissertation des Helmstedter Theologen J.A. Schmid 'de Samuelis Huberi vita, fatis, & doctrina'. 143 Siehe Quenstedt, Systema ΠΙ,2/1,·4.6, 22f„ Hollaz, Examen, m/1,1,1.2, 31f. und Baier, Compendium 111,12,1, 559. Buddeus unterscheidet ID V,2,2, 1597 drei Dekrete Gottes, die Schöpfung, das Gericht über die gefallenen Engel und die Rettung der Menschen und definiert daraufhin die Prädestination ID V,2,3, 1598 wie folgt: "Ultimum illud decretum, quod circa hominum salutem versatur, etiam praedestinatio vocari solet; qua tarnen voce vel generatim omnia, quae Deus, ut homines ad salutem aeternam perduceret; vel speciatim ille actus, quo eos, quos credituros in Christum, & in fide ad finem usque perseveraturos praevidit, ad salutem aeternam perducere decrevit, denotatur." 144 Quenstedt, Systema 111,2/1,22-33, 32-36; Hollaz, Examen 111/1,2,1-12, 98-108; Baier, Compendium 111,12,21-27, 578-581. Buddeus verwendet im Unterschied zu seinen Vorgängern auf die Bestimmung der Verwerfung nur einen Paragraphen, ID V,2,ll,1616f. 145 Vgl. z.B. Quenstedt, Systema 111,2/1,26, 33. Als äußere Ursache der Verwerfung bestimmt Quenstedt hier die Ablehnung des Verdienstes Christi und also den Unglauben. So wie Gott in der Zeit niemanden verdamme, es sei denn wegen seines Unglaubens, so habe er auch von Ewigkeit her niemanden zu verdammen beschlossen, es sei denn aufgrund des vorhergesehenen Unglaubens. "Causa ergo reprobationis non est odium Dei absolutum & simplex; ... aut insufficientia meriti Christi ... aut difectus Evangelii ..., sed propria hominum culpa, impoenitentia & incredulitas finalis." 146 Siehe ID V,2,7, 1606f.; ID V,2,8, 1612.

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fung 147 ohne entsprechende interne Ursache benennt. Da nun die Verwerfung nicht auf eine von der Barmherzigkeit Gottes grundsätzlich unterschiedene interne Ursache zurückgeführt werden dürfe, sondern vielmehr mit dem universalen Heilswillen zusammenzudenken sei, weil sonst alle Probleme der doppelten Prädestination wieder auftauchten, bemüht Buddeus die in der lutherischen Tradition übliche Unterscheidung des universalen Heilswillens in einen vorhergehenden 148 und einen nachfolgenden Heilswillen. Die Verwerfung kann so als Folge der Vorhersehung des permanenten Unglaubens dem nachfolgenden, nicht aber dem vorhergehenden allgemeinen Erwählungswillen Gottes zugeschrieben werden. 149 Eine weitere Konsequenz aus diesem Versuch der konsistenten Verteidigung der Universalität der göttlichen Gnade ist die Behauptung, der zur Verwerfung führende Unglaube habe als Schuld des Menschen zu gelten. So erscheint schon bei Melanchthon die Wiedergeburt bzw. die Hervorbringung des Glaubens unter den Vorbehalt gestellt, daß der Mensch sich gegen das Wirken des Geistes resistent verhalten könne. 150 Obwohl diese Behauptung zur Verteidigung der universalen Gnade Gottes und der darin offenbaren Güte notwendig ist, kollidiert sie mit der in der Erlösungsbedürftigkeit implizierten Unfreiheit des Willens. Denn die Unfreiheit des Willens besteht eben darin, daß der Mensch von sich aus nur resistent im Unglauben verharren kann 151 , sofern er nicht durch den Geist des göttlichen Wortes wiedergeboren und erleuchtet wird. Die damit aufbrechende Aporie, wie die Resistenz gegen die Wirkung des Geistes angesichts der Wirksamkeit des

147 ID V , 2 , l l , 1616: "Iustitia enim sua, h o m i n u m q u e peccatis, accedente eorura incredulitate finali, qua aditum ad salutem sibi intercludunt, inductus Deus, homines impios, incredulosque, & in incredulitate ad vitae finem perseverantes, aeternis poenis, cruciatibusque addicere, ab aeterno decrevit; idque ad iustitiae suae demonstrationem, gloriaeque manifestationem." Vgl. ID V , 2 , l l , 1616f. A.I.: "Irae autem suae, sive iustitiae, Deus t u m d e m u m locum relinquit, c u m apud homines, consilium salutis suae proterve repudiantes, gratia & misericordia n o n amplius locum invenit. U n d e statim elucescit, ex parte h o m i n u m aliquid accedere, quod D e u m ad decretum reprobationis permoveat, adeoque ut caussa, quam vocant, impulsiva externa, spectari queat, peccata scilicet h o m i n u m , per veram poenitentiam non retractata, & c u m finali incredulitate coniuncta, ipsa cumprimis incredulitas finalis." 148 Siehe I D IV,1,2, 906 A . l : "Deum namque secundum voluntatem antecedentem serio velle, ut omnes o m n i n o homines, qui aut vixerunt u m q u a m , aut vivunt, aut victuri sunt, a peccat o r u m sordibus purgati, aeternae participes fiant beatitudinis." 149 Quenstedt, Systema 111,2/1,27, 33: da Gott den Unglauben als die externe Ursache der Verwerfung unmittelbar vorhersieht, beschließt er infolgedessen, daß "eos damnandi, qui in fide, Christi merito innixa, usque ad finem vitae non sunt perseveraturi". Die für das Verwerfungsurteil ausschlaggebende Ursache ist mithin der Unglaube, f ü r den der Mensch verantwortlich zu machen ist, Systema 111,2/1,26, 33. 150 Siehe Melanchthon, Loci 1521, StA I I / l , 130 u n d Loci 1559, StA II/2, 632. Vgl. ähnlich ID IV,3,12, 1194f.: "Producit autem Deus fidem in omnibus, qui spiritus sancti operationi non resistunt." Vgl. auch die dritten Disputation des Traktats 'De conversione' von Musäus über die Frage: "Qua diequiritur, u t r u m h o m o convertendus in conversione sui habeat aliquod liberum arbitrium, nec ne?". 151 Vgl. dazu oben Kapitel III B,4 dieser Arbeit.

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Wortes durch den Geist behauptet werden können soll, hat Buddeus zwar nicht abschließend gelöst. In der Uberzeugung, daß der Unglaube als das, was der angestrebten Bundesgemeinschaft Gottes mit dem Menschen erfahrbar entgegensteht, nicht für mächtiger gehalten werden kann als der Heilswille Gottes, hat er doch versucht, die Möglichkeit der Verwerfung nicht als Gegensatz zur Barmherzigkeit erscheinen zu lassen, sondern - im Zuge der Verteidigung der Universalität der Gnade - den Menschen für den Unglauben und die daraus resultierende Verwerfung verantwortlich zu erklären, aber so, daß sich dennoch die Rede von der Allmacht Gottes als der Durchsetzungskraft des göttlichen Heilswillens bewähren läßt. 1 5 2 b) Der föderaltheologische Gedanke Das Instrument zur Lösung der mit der abstrakten Prädestinationslehre verbundenen theologischen Probleme wurde erstaunlicherweise innerhalb der reformierten Tradition selbst hervorgebracht, nämlich durch die reformierte Föderaltheologie 1 5 3 . In dieser machte man sich nämlich nicht nur das infralapsarische Denken der Lutheraner 154 zueigen, sondern verband dieses mit einem durch die Bundesschlüsse strukturierten Verständnis der Geschichte als Offenbarungsgeschichte. Die systematische Entwicklung der Föderaltheologie als durch Werk- und Gnadenbund konstituierte Bundesgeschichte geht auf Johannes Coccejus zurück. Dieser hatte die Menschheitsgeschichte als die durch insgesamt fünf Schritte sich vollziehende Abrogationsgeschichte des Werkbundes vorgestellt. Auf die erste Abrogation des Werkbundes durch die Sünde sei als zweite die Stiftung des göttlichen Gnadenbundes im vorzeitlichen Vertrag zwischen Vater und Sohn gefolgt, welche zuerst im Alten Testament als Verheißung Christi bekannt gemacht worden sei. Diese Bekanntmachung des Bundes habe sich in den beiden Ökonomien des Alten und Neuen Testaments vollzogen. In diesen beiden Epochen der Erwartung Christi und des Glaubens an den offenbarten Christus 155 sei die dritte Abrogation des Werkbundes zu sehen. Coccejus versteht also - wie später Buddeus - die Zeit des Alten und des Neuen Testaments als einheitli152 Vgl. ID IV,2,39, 1128f. Daß es nicht nur um die Bestimmtheit des Heilswillens, sondern auch um die Allmacht Gottes geht, zeigt die Überlegung: "Si enim gratia divina, adeoque tc meritum Christi, non ad omnes homines pertinet, sequitur, vim peccati maiorem esse, quam vim gratiae divinae, meritique Christi" (ID IV,2,39, 1131). 153 Siehe zur Korrektur der aristotelischen Predestinations- und Perseveranzauffassung durch die Föderaltheologie Moltmann, Perseveranz 149-152. 154 Dieses wird bereits aus der Stellung der Prädestinationslehre innerhalb der altlutherischen Dogmatik erkennbar: die Lehre vom göttlichen Gnadenwillen und der Prädestination wird unter der Voraussetzung der Anthropologie als erstes Heilsprinzip des ordo salutis behandelt. Dagegen erörtert die reformierte Dogmatik die Lehre von den göttlichen Ratschlüssen und von der Prädestination in der Regel vor der Schöpfungslehre, siehe Heppe/Bizer, 107ff.; 120ff. 155 Vgl. Schrenk, aaO., 96.

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chen, durch den einen Gnadenbund Gottes konstituierten geschichtlichen Zusammenhang. Der Abrogationsprozeß werde - so Coccejus 156 - in seiner vierten Stufe durch den Tod des Menschen und in seiner fünften und letzten Stufe durch die Auferweckung des Leibes vollendet. Wiewohl die beiden Ökonomien des Gnadenbundes durch verschiedene Konditionen und verschiedene Bundeszeichen oder Sakramente gekennzeichnet seien und außerdem die Verheißung der Gerechtigkeit Christi im Neuen Testament die ersten Verheißungen des Alten Testaments durch ihre Geltung für die ganze Welt und ihre Klarheit übertreffe 157 , komme der einheitliche Gnadenwille in beiderlei Gestalt zum Zuge. In den späteren föderaltheologischen Entwürfen von Hermann Witsius 158 und Johann Wolfgang Jäger 159 tritt das von Coccejus vertretene fünfteilige Abrogationsschema zurück. Indem schließlich Buddeus auf das Abrogationsschema ganz verzichtet, erscheint die Menschheitsgeschichte 160 nicht mehr nur negativ als Geschichte der Aufhebung 161 des einstmals geschlossenen Werkbundes, sondern positiv als die Offenbarungsgeschichte des Gnadenbundes, der in Christus seinen vollkommenen Ausdruck findet, nun allerdings so, daß damit zugleich ein Verstehensprozeß anhebt, der in der Patristik geschichtlich und in der Dogmatik in seiner gegenwärtigen Verfaßtheit zu rekonstruieren ist. 162

156 Siehe dazu Schrenk, aaO., 109-111.111-113. 157 So Schrenk, aaO., lOOf. Der Gnadenbund ist nach Coccejus zwar durch ein Testament konstituiert, das im Alten Testament verheißen und im Neuen Testament vollstreckt und offenbart worden sei. Doch habe "das Testament der Gnade eine doppelte Ökonomie" (96), deren unterschiedliche Vollzüge hinsichtlich der Konditionen, Sakramente etc. als alter und neuer Bund beschrieben werden könnten. Auf diese Weise gelingt es Coccejus, die biblische Rede v o m alten und neuen Bund (z.B. in 2. Kor 3 und Hebr 8) auf den einen Gnadenbund zu beziehen. 158 Vgl. Witsius, De oeconomia foederum Dei cum hominibus, Buch IV, 553ff., w o die Geschichte des Gnadenbundes als auf die antiquatio des Werkbundes folgende Heilsgeschichte dargestellt wird. 159 Jäger, Systema Bd. 1, 450 spricht stattdessen von der dreifachen "oeconomia foederis gratiae". 160 Da nach Buddeus' biblisch orientiertem Geschichtsverständnis die Menscheitsgeschichte mit A d a m und Eva begonnen hat, ist für ihn die mit der Promulgation des Protevangeliums einsetzende Geschichte der Vermittlung des Gnadenbundes identisch mit der Geschichte der Menschheit, vgl. ID IV,1,13, 932. 161 Es empfiehlt sich, den Terminus der Abrogation bei Buddeus und wohl auch bei den Föderaltheologen nicht mit 'Abschaffung 1 , sondern mit 'Aufhebung' zu übersetzen. Denn nach Buddeus kann der absoluten Gehorsamsforderung des Werkbundes wegen der Sünde zwar nicht entsprochen werden, so das er "abrogatum, seu antiquatum" genannt werden müsse, doch nicht in dem Sinne, "ac si lex ipsa, & quidem naturalis, abrogata, vel sublata sit". Dies sei wegen der Heiligkeit Gottes unmöglich. Durch den besonders von Hegel geprägten T e r m i n u s der 'Aufhebung' läßt sich dieses Moment der Kontinuität zwischen W e r k b u n d und Gnadenbund besser berücksichtigen. 162 Vgl. hierzu die Ausführungen über die theologischen Disziplinen innerhalb des zweiten Kapitels dieser Arbeit.

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D u r c h d i e b u n d e s t h e o l o g i s c h e K o n z e p t i o n k a n n z u n ä c h s t die u n i v e r s a l geschichtliche Realisierung der e x t e r n e n Berufung d u r c h die V e r k ü n d i g u n g des E v a n g e l i u m s g e l t e n d g e m a c h t w e r d e n . 1 6 3 D a s e r s p a r t B u d d e u s i m U n t e r s c h i e d z u Q u e n s t e d t , H o l l a z u n d P f a f f ein s e p a r a t e s L e h r s t ü c k ü b e r die B e r u f u n g 1 6 4 , z u m a l d i e B e s c h r e i b u n g des Vollzuges

d e r B e r u f u n g d u r c h das W o r t

G o t t e s f ü r i h n i n d i e L e h r e v o n d e r W i e d e r g e b u r t g e h ö r t 1 6 5 . A u c h die ä l t e r e n Unterscheidungen

zwischen

ordentlicher und außerordentlicher

Berufung

und zwischen mittelbarer und unmittelbarer bzw. zwischen direkter

und

i n d i r e k t e r B e r u f u n g , m i t d e n e n das L e h r s t ü c k v o n d e r B e r u f u n g einst b e t r a u t w a r , w e r d e n für B u d d e u s überflüssig. D e n n d e r G e d a n k e einer a u ß e r o r d e n t l i c h e n o d e r u n m i t t e l b a r e n B e r u f u n g w i r d v o n i h m in d e n

Ausführungen

ü b e r d e n G n a d e n b u n d d a m i t a u s g e s c h l o s s e n , d a ß die W i e d e r g e b u r t als Z i e l des

Gnadenbundes

allein

durch

das

Evangelium

und

den

Glauben

C h r i s t u s g e s c h e h e n k a n n . U n d die Vorstellung einer indirekten

an

Berufung

d e r W e l t d u r c h d i e p r o v i d e n t i e l l e R e g i e r u n g G o t t e s u n d d u r c h die allgemeine, aber höchst undeutliche Kunde von der christlichen Kirche166, durch den die l u t h e r i s c h e T r a d i t i o n

die Universalität

der Berufung

sicherstellen

wollte167, n i m m t Buddeus ausschließlich168 durch seine geschichtliche Deu-

163 "Promulgatio ista evangelii, eiusque deinceps facta repetitio, cum simul cum vocatione quadam, ad foedus hocce gratiae acceptandum, fuerit coniuncta, & ita quoque comparata, ut summa eius ad omnes omnino homines pervenire potuerit, recte inde concluditur, vocationem istam ad omnes pertinere homines, adeoque universalem esse" (ID IV,1,13, 932). 164 Vgl. hingegen Quenstedt, Systema 111,5/1, 662ff. Hollaz, Examen 111/1,4, 323 bestimmt die Berufung zum Reiche Christi als den ersten Gnadenakt des Heiligen Geistes. Pfaff, Institutiones 11,7,1, 468 behandelt die Lehre "De vocatione et evangelio" direkt nach der Ständelehre. Siehe zu den verschiedenen Differenzierungen der Berufung auch Schmid, § 44, 282284. Obwohl Baier die Versöhnung nicht föderaltheologisch konzipiert, hat auch er auf ein eigenes Kapitel über die Berufung verzichtet. 165 ID IV,3,8, 1187. Siehe besonders ID IV,3,12, 1194f., wo das göttliche Wort, speziell das Evangelium "non excluso baptismo" als das Mittel bestimmt wird, durch das der Glaube gewirkt wird. Vgl. auch ID IV,3,25, 1221. 166 Siehe Quenstedt, Systema 111,4/1,3, 662. 167 Vgl. Quenstedt, Systema 111,5/1,12.13, 667f. und Hollaz, Examen 111/1,4,11-13, 333-345. Siehe auch Pfaff, Institutiones 11,7,2, 469 und 11,7,3, 473ff. Quenstedt weist - wie später Buddeus durch seine Bundestheologie - die Universalität der Berufung heilsgeschichtlich aus. Zur Zielbestimmung des Gnadenbundes auf die Einbeziehung aller durch den Glauben bei Buddeus vgl. ID IV,3,1, 1180. 168 Im Interesse der universalen Berufung in den Gnadenbund muß zwar gesagt werden, daß allen Menschen das Gesetz Gottes ins Herz geschrieben ist und sie dadurch geneigt sind, das Wort Gottes im positiven Gesetz und in der Offenbarung des Evangeliums anzuerkennen (vgl. ID IV,1,11, 929f.). Dennoch gilt das ins Herz geschriebene Gesetz oder die natürliche Gotteserkenntnis, welche Buddeus zu Beginn des Religionskapitels, innerhalb der Gotteslehre und in der Lehre von der Gotteserkenntnis des Menschen im Urständ entfaltet, nicht als solches als Instrument der Berufung. Denn die sogenannte fides naturalis als die das in allen Herzen bereitete göttliche Licht, "cuius beneficio ethnicis etiam via ad salutem aeternam pateat" (ID IV,3,12, 1196 Α.3), führt nicht zur fides explicita der Wiedergeborenen, "quia ... ad servatoris cognitionem non ducit, ad salutem consequendam non sufficit" (ID IV,1,14, 935). Vielmehr kann der ausdrückliche Glaube, zu dem alle Menschen berufen sind, nur durch die Wortverkündigung des Evangeliums hervorgebracht werden.

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tung des Gnadenbundes wahr, durch dessen Verkündigung seit Adam alle Menschen erreicht würden 1 6 9 . Die Universalität der externen Berufung durch das Wort wird bei Buddeus, wie oben schon angedeutet, durch die heilsgeschichtliche Betrachtung der Verkündigung des Gnadenbundes zur Geltung gebracht. Denn obwohl die Sendung des Sohnes als des Mittlers nach Buddeus erst zu einer im Heilsplan festgesetzten Zeit, nämlich "als die Zeit erfüllet war", offenbart werden sollte 170 , erfolgte doch die erste Bekanntmachung des Gnadenbundes unmittelbar nach dem Scheitern des Werkbundes im sogenannten Protevangelium (Gen 3,15) 171 , welches Buddeus auch als Beginn der Rechtfertigungslehre interpretieren kann. 172 Die Verheißung des Protevangeliums, welche die Patriarchenzeit 173 bestimmt habe, sei im zweiten Intervall der Heilsgeschichte 174 in der Offenbarung des Gesetzes an Mose und durch die Messiasverheißung präzisiert 175 und schließlich durch die Offenbarung Christi als des Mittlers im dritten und letzten Intervall der Heilsgeschichte 176 erfüllt 169 ID IV,1,13, 932: "Promulgatio ista evangelii, eiusque deinceps facta repetitio, cum simul cum vocatione quadam, ad foedus hocce gratiae acceptandum, fuerit coniuncta, & ita quoque comparat, ut summa eius ad omnes omnino homines pervenire potuerit, recte inde concluditur, vocationem istam ad omnes pertinere homines, adeoque universalem esse." Siehe auch die drei Epochen der durch den Gnadenbund bestimmten Heilsgeschichte ID IV,1,14, 937. 170 ID IV,2,1, 1008: "Sponsorem istius foederis ... inter Deum & homines innuo; quem cum, qui in prioribus duobus intervallis vixerunt, adhuc exspectabant, nobis nunc propius intueri licet, siquidem tempore a Deo definito, is, ut munere suo fungeretur, adparuit." Siehe auch ID IV,1,3, 912: "filium unigenitum ... secum constituit, & suo tempore etiam misit". 171 Vgl. ID IV,1,12, 930. Im sogenannten Protevangelium Gen 3,15 als der direkten Antwort auf die Verfehlung des Werkbundes besteht nach der föderaltheologischen Sicht von Coccejus die dritte Abrogation des Werkbundes. Vgl. dazu Schrenk, Gottesreich und Bund, 96-98. 172 ID IV,4,16, 1351. 173 Siehe ID IV,1,14, 937; IV,1,15, 940. Das Sakrament dieser ersten Epoche des Gnadenbundes war die Beschneidung als Zeichen des Bundes mit Abraham, vgl. dazu die Bestimmung des Sakramentsbegriffs ID IV,1,16, 950. 174 Siehe ID IV,1,14, 937. Buddeus bespricht auf den folgenden Seiten die verschiedenen Einteilungen der Heilsgeschichte in der Föderaltheologie; Coccejus und Johannes Braun nehmen wie er drei Intervalle bis zur Gegenwart an, Leidecker und Witsius deuten zwar ebenfalls A T und NT als einheitliche Geschichte des Gnadenbundes, unterscheiden die Heilsgeschichte aber nur nach diesen beiden Intervallen. 175 ID IV,1,17, 964: "In altera intervallo, quod Mosaicum recte vocatur, eadem non tantum doctrina, quae foederis gratiae summam constituit, eademque per fidem in Messiam, perveniendi ad salutem ratio, hinc & bona quaevis spiritualia, cum foedere hocce connexa". In den fundamentaltheologischen Ausführungen zum Religionsbegriff deutet Buddeus Mose als den "virum divinum, nihilque non ex instituto & voluntate divina agentem", durch den die "religio revelata" restituiert und zugleich erweitert worden sei, siehe ID 1,1,25, 34f. 176 "In ultimo autem intervallo, quod novi testamenti nomine venit, cum & schema status legalis cessaverit, & Christus ipse adparuit" (ID IV,1,18, 978). Die Rede von der 'Heilsgeschichte' ist zwar keine föderaltheologische und findet sich auch nicht bei Buddeus. Sie liegt jedoch, wie Paul Althaus (Prinzipien, 167) bemerkt, "in der Konsequenz der Bundeslehre". Denn diese bestimmt die Menschheitsgeschichte als den Ort der Promulgation und Offenbarung der Verheißung des Gnadenbundes. Sie sieht den Stoff der christlichen Lehre "perspektivisch an", während der Hauptstrom der altprotestantischen Orthodoxie die

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worden, indem hier - gemäß der Verheißung des Protevangeliums - das in der Schlange präsente Böse zertreten worden sei. 177 Zwar hatte auch Quenstedt in ähnlicher Weise eine alle Epochen der Geschichte erreichende universale Berufung gelehrt. 178 Im Unterschied dazu bringt aber Buddeus nun die Geschichtlichkeit des in der Berufung sich vollziehenden göttlichen Erwählungshandelns selbst in den Blick. Während die Föderaltheologen der Geschichtlichkeit der Offenbarung Gottes in seinem Bundeshandeln einen systematischen Stellenwert eingeräumt und unter dem Eindruck der Bundesgeschichte die Menschheitsgeschichte als Ort der Realisierung des Bundes gewürdigt hatten, geht Buddeus über diesen Ansatz hinaus, indem er das Offenbarungshandeln Gottes als Vollzugsmoment der Erwählung versteht. Dabei rückt nicht nur die Menschheitsgeschichte, sondern die individuelle Lebensgeschichte für die Frage nach dem Vollzug der Erwählung in den Blick. Schon in der Konzeption der Urstandslehre hat Buddeus - indem er den kurzen Augenblick des Paradieses 179 nicht als Moment der vollkommen realisierten Gottebenbildlichkeit, sondern als die noch nicht durch die Sünde gehemmte Ausgangsverfassung zur Realisierung der Gottebenbildlichkeit in der äußeren Verehrung Gottes bestimmt - implizit die Geschichtlichkeit des menschlichen Daseins als Voraussetzung seiner Entwicklungsfähigkeit zu würdigen gewußt. In der gleichen Weise denkt er auch die Wiedergeburt des Menschen im Glauben als einen Prozeß der allmählichen Erneuerung, der nicht erst in der ausdrücklichen Hervorbringung des Glaubens, sondern bereits durch die mit der Kindertaufe zu vollziehende Eingliederung in die christliche Gesellschaft beginnt. Im Zuge dieser Einsicht in den geschichtlichen Vorgang der Wiedergeburt versteht Buddeus auch die im ewigen Prädestinationsdekret begründete Erwählung des Menschen nicht abstrakt, sondern als einen Vorgang in der Lebensgeschichte des zu Erwählenden selbst. Während die Prädestination als Geschichte "als 'Lehre' auf eine Ebene aufgetragen" hat, so die treffende Beschreibung von Althaus, aaO., 166. Da bei Buddeus wie in der Föderaltheologie der Gnadenbund hinsichtlich seiner geschichtlichen Bekanntmachung thematisch ist, erscheint es erlaubt, die so bestimmte Geschichte kurz als Heilsgeschichte zu bezeichnen. 177 Siehe ID IV,1,18, 978ff. Durch den heilsgeschichtlichen Spannungsbogen zwischen Protevangelium und Christusoffenbarung sieht Buddeus die christologische Interpretation von Gen 3,15, wonach Christus als der Messias mit dem semen mulieris identifiziert wird, gerechtfertigt, vgl. ID IV,1,12, 930f. 178 Quenstedt, Systema 111,5/1,13, 667f. Die erste Berufung widerfuhr Adam, die zweite Noah, die dritte schließlich der ganzen Welt. 179 Vgl. ID 11,2,1, 749: "STatum integritatis, qui non diu admodum duravit, excepit per primorum parentum lapsum, longe funestissimum, status peccati". Die zeitgenössischen Versuche zur Bestimmung der Dauer des status integritatis hält Buddeus für äußerst gewagt, da in der Schrift keine Auskünfte darüber einzuholen seien. "Nihil aliud hac de re dici potest, quam hoc: statum felicissimum non diu admodum durasse" (ebd. A.l). Zur ausführlicheren Erklärung verweist er auf seine 'Historia ecclesiastica veteris testamenti' 1,1/1,22, 112.

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der ewige, unveränderliche Beschluß Gottes zu gelten hat, durch den Gott dem einzelnen Menschen das ewige Heil bestimmt und denjenigen, den er als im Glauben bleibend vorhersieht, nicht verwerfen kann 180 , gilt die Erwählung als der letzte Akt der Verwirklichung des Gnadenbundes, durch den Gott den Glaubenden wissentlich am Gnadenbund teilhaben läßt. 181 Die Erwählung geschieht mithin demjenigen, der sich der Wirkung des Heiligen Geistes in der Wiedergeburt nicht widersetzt und als Wiedergeborener im Glauben beständig bleibt. Wie schon bei der Verhältnisbestimmung von Wiedergeburt und Rechtfertigung ist der Glaube auch hier nicht als die vom Menschen zu erbringende Voraussetzung für die Erwählung verstanden, sondern als die Art und Weise, in der sich die Erwählung geschichtlich vollzieht. U m diesen Gedanken zum Zuge zu bringen und darin die universale Geltung der in der Mittlertätigkeit des Erlösers offenbarten Gnade konsequent auszulegen, nimmt Buddeus in Abgrenzung gegen verschiedene reformierte Positionen 182 und in Weiterführung der lutherischen Intention insbesondere der Jenaer Schule 183 eine neue Verortung und Ausführung der Prädestinationslehre vor.

c) Die Konstitution der Erwählungsgewißheit durch die Sakramente Indem Buddeus die Prädestinationslehre nicht wie Quenstedt und Hollaz vor der Christologie, sondern dem Entwurf Baiers 184 folgend erst im Anschluß an die Sakramentenlehre behandelt, läßt er bereits im Aufbau des ordo salutis die Einsicht erkennen, daß über Gottes ewige Dekrete 185 nur 180 ID V,2,10, 1614: "hocce praedestinationis decretum est aetemum ..., immutabile, ea quidem ratione, ut hominem, quem in fide perseveraturum videt, reprobare nequit". 181 Vgl. ID V,2,6, 1602: "Atque ultimus quidem iste actus, quo Deus ab aeterno, eos, qui in fide vera ad finem usque perseveraturi essent, aeternae vitae participes reddere decrevit, non tantum speciatim praedestinatio, sed & electio ad vitam aetemam, Rom. VIII,33. Ephes.1,4. itemque inscriptio in librum vitae, vocari solet, Exod. XXXII,32." 182 Gegen die reformierte Auslegung von 1. Tim 2,4, die verschiedene Bemühungen "ad vim apertam huius effati eludendam" unternommen habe, wendet sich Buddeus ID IV,1,2, 907. So beschränke Hermann Witsius die Universalität auf "genera singulorum, seu electos", und Petrus Juriaeus (1637-1713) unterscheide mit dem gleichen Interesse "inter voluntatem Dei legislatoriam & decretoriam, seu, quod perinde est, praecipientem & decementem" (908f.), wiewohl "non tarnen duae istae voluntates opponendae essent" (909). Buddeus stützt seine exegetische Argumentation für die Universalität des göttlichen Heilswillens auf 2. Petr 3,9 und Rom 11,32. Vgl. auch ID IV, 1,12, 931. 183 Siehe hierzu die 'Disputatio theologica de aeterno praedestinationis decreto, an absolutum sit, nec ne' von Musäus sowie die Behandlung der Prädestinationslehre bei Baier, Compendium 111,12, 559ff., der Buddeus weitgehend folgt. 184 Siehe Compendium 111,12, 559ff. 185 Den Begriff des Dekretes definiert Buddeus ID 11,1,31, 319 wie folgt: "Actus divinae voluntatis, quo, nostro considerandi modo, aliquid certo futurum secum constituit, dicitur decretum". Das Dekret gilt als absolut, wenn es ohne jede Impulsivursache außerhalb Gottes gedacht wird, als hypothetisch, wenn Gott zu seiner Durchsetzung eine äußere Impulsivursache einsetzt.

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unter dem Eindruck ihrer zeitlichen Verwirklichung angemessen zu urteilen ist. 1 8 6 Diese Überlegung entspricht dem empiristischen Zug in Buddeus' eklektischer Philosophie, wonach sichere Erkenntnis und Urteilsbildung grundsätzlich nur unter der Voraussetzung wahrnehmbarer Effekte möglich sind. Sowenig man die inneren Tätigkeiten der menschlichen Seele abgesehen von ihrer Äußerung in Fakten und Taten erkennen könne 1 8 7 , sowenig lasse sich auch über den Willen Gottes unabhängig von seinem providentiellen Wirken in der Welt eine sichere Aussage machen. In dieser Uberzeugung bestimmt Buddeus als Zeichen der Erwählung einerseits den in der Wiedergeburt und Rechtfertigung vermittelten wahren Glauben, andererseits die Sakramente als Manifestation der individuellen Aufnahme und Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Glaubenden. 1 8 8 Während in der Rechtfertigung dem Glaubenden dabei die A u f n a h m e in die Gotteskindschaft erschlossen wird, bekunden die Sakramente die Erwählung für die äußere Sinneswahrnehmung. D a nach Buddeus das Erkenntnisvermögen des Intellekts die Ideen meditativ oder durch äußere Sinneswahrnehmung 1 8 9 bildet, kann die durch das innere Zeugnis des Geistes vermittelte Rechtfertigungsbotschaft

186 ID V,2,l, 1596: "nunc demum superest, ut, quo pacto ab aeterno hoc ita facere decreverit, exponamus. Nec enim aliter, quam ex eventu, de decretis divinis nobis iudicare licet." Entsprechend heißt es bei der Frage nach der Möglichkeit von Aussagen über den göttlichen Willen in der Gotteslehre ID 11,1,31, 319: "Cum vero de decretis divinis non aliter, quam ex ipsis eius operibus, iudicare nobis liceat, modeste omnino, atque caute hac in re versandum; rectiusque faciunt, qui ab operibus ad decreta, quam qui a decretis ad opera quasi ilia sine his sibi iam satis cognita, intimeque perspecta essent, progredimur." 187 ID V,2,l, 1597 A . l : " C u m enim nec de hominum aliorum decretis & actibus internis aliter, quam ex factis, aut actibus externis iudicare liceat; multo minus decreta divina aliter, quam ex eventu, seu exsequutione nobis innotescere, existimandum." Entsprechend ist die Seelenlehre bei Buddeus auf die Selbstbeobachtung gestützt, E P T 1,5,3, 103f.: "Deinde et hoc quilibet in se ipso facile animadvertit, esse in se aliquid, quod motus ab obiectis externis in corpore excitatos percipiat. Sensibus suis et conscientiae repugnaret, qui hoc ire inficias auderet." Denn ohne diese Selbstwahrnehmung könnte die Behauptung, daß es etwas gibt, "quae praeter corpus ad hominis constitutionem pertinent" (EPT 1,5,1, 103), nicht als gesichert gelten. 188 Siehe ID V,2,10, 1614-16: "homines de electione sua certi esse possunt, modo credant, mediisque gratiae, quibus fides conservari potest, rite utantur, aut uti velint. ... Enimvero, si homo, revera credens, nec vana quadam illusione se ipsum decipiens, de salute sua certus esse potest, non minus de praedestinatione sua, seu electione ad salutem certus esse poterit. De salute autem sua tum certus esse potest, quando certo novit, se vera fide praeditum esse; ... Ad perseverationem enim in fide quod attinet, de ea itidem certus esse potest, ob promissiones divinas, m o d o ipse mediis gratiae, quibus fides ad finem vitae usque conservatur, recte utatur". Zum näheren Verständnis der Konstitution der Heilsgewißheit des Glaubens verweist Buddeus ID V,2,10, 1616 ausdrücklich auf die in der Lehre vom Glauben vorgetragenen Ausführungen ID IV,3,14, 1200ff. zurück. 189 EPI 1,1,7, 104: "Atque ut de simplici apprehensione primo dicamus, per ideam non modo perceptionem rerum extra nos positarum, sed etiam eorum omnium, quae in mente nostra peraguntur, intelligimus". Buddeus hält eine genaue Bestimmung des Ursprungs der Ideen für unmöglich. Es sei jedoch so viel sicher, daß "quicquid in menti nostrae obversatur, id ei se offerre post perceptionem sensuum, aut meditationem mentis, seu hae causae idearum, seu tantum occasiones sint" (EPI 1,1,8, 104).

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durch die Sakramente für die Sinne bekräftigt und insofern vervollständigt werden. Daß die Sakramente somit eine entscheidende Funktion für die Vermittlung der Glaubensgewißheit des Einzelnen haben, erhellt auch daraus, daß sie die gesamte Geschichte des Gnadenbundes begleiten. Zur Demonstration der Kontinuität des Gnadenbundes betont Buddeus darum, daß Taufe und Abendmahl als die Sakramente des Neuen Testaments ihre äquivalenten Vorstufen in der Beschneidung190 und dem Passahlamm 191 des Alten Testamentes hatten. Die in Gemeinschaft mit dem Wort Gottes wirksamen Sakramente der Taufe und des Abendmahls 192 interpretiert Buddeus dabei im Einvernehmen mit der lutherischen Tradition als Mittel zur Konstitution und Bewahrung des christlichen Glaubens. Während nämlich durch die Erinnerung des Todes Christi im Abendmahl das Rechtfertigungsbewußtsein und damit auch das Streben nach Erneuerung bekräftigt werde 193 , vermittele die Taufe die Wiedergeburt 194 und damit zugleich die Aufnahme in den Gnadenbund 195 . Angesichts dieser konstitutiven Bedeutung der Taufe für die Wiedergeburt, die damit verbundene Bekehrung und die Einbindung des Täuflings in die christliche Gemeinschaft tritt Buddeus entschieden für die Praxis der Kindertaufe ein. 196 Darüberhinaus erblickt er den soteriologischen Wert der Taufe darin, daß der Getaufte sich in der Erinnerung seiner Taufe der ihm zugesagten Verheißung versichern könne und dadurch Bekräftigung und 190 Siehe ID IV,1,15, 940ff.; vgl. ID V,l,8, 1465. 191 ID IV, 1,17, 964ff. 192 ID IV,1,16, 950: "Per sacramentum ... actio .. intelligitur, per quam, accedente verbo institutionis, gratia evangelii, de remissione peccatorum, ad vitam aeternam confertur, & obsignatur". Siehe auch ebd. A.l, 953: "In evangelio hominibus promittuntur beneficia quaevis spiritualia, inter quae primum, praecipuumque locum tenet remissio peccatorum, quacum adoptio in numerum filiorum Dei, inhabitatio spiritus sancti, & alia, indissolubili vinculo coniuncta sunt. Haec conferuntur, quando fides, quae, ut istorum beneficiorum participes reddamur, requiritur, per ista sacramenta aut excitatur, aut confirmatur etiam, obsignaturque. ... Denique, ut de fine etiam sacramentorum, qui Sc effectus rationem habet, aliquid adnectamus, ex antea dictis nemini obscurum esse potest, proximum esse, fidei tum productionem, tum eius confirmationem, diversimode tarnen, prouti, qui sacramentis utuntur, aut infantes, aut adulti, intelligendum. Eodem recidit, quod alii dicunt, finem proximum esse regenerationem & renovationem." 193 ID V , l , l , 1428. Vgl. ID V,l,20, 1535: "Effectus sive fructus sacrae coenae, qui & finis rationem habet, est recordatio & commemoratio mortis Christi, I. Cor.XI,26. Quae, si recte instituatur, non potest non fides inde confirmari, unde simul confirmatio & obsignatio promissionis evangelicae, de remissione peccatorum, tum & novum amoris, quo Deum pariter ac alios homines prosequimur, incrementum sequitur." 194 Vgl. ID V,l,7, 1459: "Effectus baptismi, qui & finis rationem habet, est intuitu infantum regeneratio ..." Darin, daß der Sündenvergebung in der Taufe "non potest non regenerationem consequi", stimmen nach Buddeus die Johannestaufe und die Taufe auf den Namen Christi im Unterschied zur jüdischen Proselytentaufe überein, vgl. ID V,l,2, 1437. 195 ID V,l,2, 1434. 196 Zur Kindertaufe siehe bes. ID V,l,6, 1453ff. ID V,l,7, 1459: "Effectus baptismi, qui & finis rationem habet, est intuitu infantum regeneratio, intuitu adultorum, fidei, qua iam praediti esse debent, cum ad baptismum admittuntur, confirmatio & obsignatio."

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Erneuerung des Glaubens f i n d e . 1 9 7 O b w o h l Buddeus mit diesen A u s f ü h r u n gen die altprotestantische Tauflehre inhaltlich nicht w e i t e r f ü h r t 1 9 8 , w i r d doch durch seine bundestheologische Deutung der Taufe als universales 1 9 9 Initiationssakrament 2 0 0 die zentrale Bedeutung der Taufe stärker betont. D i e Erkennbarkeit der durch die Sakramente individuell vermittelten Erwählung sieht Buddeus in der Eigenart des Sakraments begründet. 2 0 1 W ä h rend nämlich das Materiale des Sakraments in einer bestimmten Handlung mit dem Element bestehe und durch einen Allgemeinbegriff beschrieben w e r d e n könne, weil die sakramentale Handlung mit anderen Handlungen, die nicht als Sakramente zu verstehen seien, sichtbar übereinstimme, qualifiziere das Einsetzungswort als die F o r m des Sakraments dasselbe zu einer besonderen Handlung. 2 0 2 D e m n a c h gilt z u m Beispiel im Falle der Taufe

197 ID V,l,7, 1459: "Simul tarnen diligens baptismi collati recordatio, per omnem vitam, ad fidei confirmationem, renovationemque prodest." 198 Siehe zur altprotestantischen Tauflehre Quenstedt, Systema IV,5, 1079ff. und Hollaz, Examen 111/2,4, 134ff. Die konstitutive Bedeutung der Taufe für den Prozeß der Wiedergeburt wird hier noch nicht in der gleichen Deutlichkeit wie bei Buddeus geltend gemacht, vgl. die Zielbestimmung der Taufe bei Hollaz, Examen 111/2,4,15, 164. In inhaltlicher Ubereinstimmung zu Buddeus nennt Quenstedt, Systema IV,5/1,12, 1095 als finis intermedins Primarius der Taufe "in infantibus" die "fidei & gratiae foederalis collatio". Und auf die Frage IV,5/2,7, 1131, "(a)n baptismus sit medium efficax conferendi regenerationem, remissionem peccatorum, renovationem, remissionem peccatorum, renovationem & salutemf" antwortet Quenstedt: "Finis & effectus baptismi est, ut fides, regeneratio, renovatio, peccatorum remissio & salus homini baptizato conferatur, vel confirmetur & obsignetur." 199 ID V,l,6, 1452: "Baptizandi sunt omnes homines, qui ad aeternam salutem sunt perducendi. ... Infantes itaque non minus, quam adulti baptizandi sunt, cum & ill is aditus ad salutem, vitamque aeternam pateat." 200 Buddeus spricht vom "sacramentum initiationis, quo in novo testamento in foedus gratiae recipimur", ID V,l,6, 1452 A.l. Siehe zur Notwendigkeit der Taufe ID V,l,4,1440f. 201 Vgl. die Definition des Sakramentes ID V,l,l, 1428: "Cum per sacramentum proprie sie dictum, actionem quamdam divinitus mandatum, & circa elementum aliquod externum & adspectabile occupatum, intelligamus, per quam, accedente verbo institutionis, gratia evangelii, de remissione peccatorum, ad vitam aeternam, confertur & obsignatur; & hanc etiam veram ac genuinam sacramenti notionem esse, supra ... probatum sit". Buddeus definiert den Begriff des Sakramentes nicht erst in der Sakramentenlehre, sondern bereits in der Lehre vom Gnadenbund, siehe ID IV, 1,16, 950ff. Darin zeigt sich, daß die Sakramente, seien es nun die alttestamentliche Beschneidung, das Passahlamm oder die Sakramente des Neuen Testamentes, als notwendiges Moment zur Vermittlung des Gnadenbundes gedeutet werden. 202 Siehe dazu ID IV,1,16, 950 und bes. 956: "solent theologi in iis [sacramentis; Vf.] & materiam & formam observare. Et materiarn quidem, aut, si mavis, materiale, hoc est, conceptum illum communem, in quo sacramentum cum aliis actionibus, quae non sunt sacramenta, convenit, in elemento quodam visibili, & actione circa elementum illud occupata, constituunt; formam autem, seu formale, in verbo institutionis, prouti actioni circa elementum sensibile occupatae, additur." Vgl. zum Begriff der Materie des Sakraments auch Baier, Compendium 111,8,7, 504: "Materia sacramenti duo importat: primo elementum quoddam externum et visibile, deinde actionem quandam circa elementum occupatum." Baier kritisiert damit die Bestimmung des Sakraments als "materia gemina, sc. terrena et coelestis", wie sie strukturell zum Beispiel noch Hollaz lehrt, Examen 111/2,3,1.2, 93-95. Diese Kritik an der Unterscheidung einer doppelten Materie geht, wie Buddeus ID V,l,5, 1448 vermerkt, auf Musäus zurück, vgl. Musäus, Ausführliche Erklärung, quaestio 85. 215

nicht einfach das Taufwasser, s o n d e r n die damit v o l l z o g e n e H a n d l u n g des U n t e r t a u c h e n s u n d der Reinigung als das sichtbare Zeichen o d e r Element, w e l c h e s d u r c h die besondere F o r m der T a u f f o r m e l i m N a m e n des dreieinigen G o t t e s geschieht u n d die individuelle Zugehörigkeit des Täuflings zu G o t t u n d z u r G e m e i n s c h a f t des G n a d e n b u n d e s v e r h e i ß t . 2 0 3 Das Einsetz u n g s w o r t d e r T a u f e v e r l e i h t d e m V o r g a n g dabei seine besondere K r a f t u n d W i r k s a m k e i t 2 0 4 , die d u r c h die U r h e b e r s c h a f t G o t t e s v e r m i t t e l t 2 0 5 und verbürgt ist. I n d e m die hier k n a p p skizzierte Lehre v o n den S a k r a m e n t e n in der Darstellung der H e i l s o r d n u n g bei Buddeus die spezifische Voraussetzung f ü r die Entfaltung d e r Prädestinations- und E r w ä h l u n g s l e h r e bildet, w i r d die Frage nach der E r w ä h l u n g als T h e m a der Lebensgeschichte des Einzelnen und der G e m e i n s c h a f t deklariert und auf diese W e i s e endgültig A b s t a n d v o n einer abstrakten P r ä d e s t i n a t i o n s v o r s t e l l u n g g e n o m m e n . N o c h entschiedener als in der älteren l u t h e r i s c h e n T r a d i t i o n v e r m e i d e t Buddeus in der Prädestinationslehre dabei die R e d e v o n der V e r w e r f u n g . D e n n V e r w e r f u n g und ewige V e r d a m m n i s sind n u r u n t e r der Bedingung endgültigen Unglaubens m ö g l i c h u n d k ö n n e n d a h e r n u r i n n e r h a l b der Eschatologie behandelt w e r d e n . U n t e r geschichtlichen Bedingungen läßt sich hingegen über die V e r w e r f u n g keine Aussage m a c h e n . N u r die E r w ä h l u n g k a n n g e w i ß w e r d e n .

Nach Hollaz ist ein Sakrament eine "actio divinitus instituta, qua D E U S interveniente hominis ministerio per externum & visibile elementum cum verbo institutionis conjunctum rem coelestem singulis utentibus exhibet" (Examen 111/2,3,1, 93), wobei das "elementum externum & visibile cum re coelesti mediante verbo institutionis" vereint ist (aaO., 111/2,3,2, 94f.). Bei einer solchen Verhältnisbestimmung hält Baier den Begriff der Materie für unterbestimmt, weil die Materie mit dem Bezeichneten zusammenfalle, so Baier, Compendium 111,8,7, 506. Die Form des Sakraments ist nach Baier das "verbum institutionis, actioni circa elementum sensibile occupatae addendum" (aaO., 111,8,8, 507). 203 ID V,l,5, 1441: "Elementum adspectabile, quale in omnibus sacramentis adesse debet, est aqua vera & naturalis, ad quam actus aliquis vel adspersionis, vel immersionis accedat, necesse est, ut materiale, quod vocant, baptismi inde exsurgat. Forma enim ipsa, seu, ut alii loquuntur, formale, in eo consistit, quod immersio ista, seu adspersio fit, secundum modum a Deo praescriptum, in nomine Dei, patris, filii, Sc spiritus sancti, idque eum in finem, in quem baptismus est institutus." 204 ID V,l,5, 1449: "Hoc est, quod alii dicunt, ipsum verbum institutionis, quod simul cum actu ablutionis coniungitur, ita ut ablutio seu adspersio fiat in nomine patris, filii, & spiritus sancti, esse formam seu formale baptismi. Nimirum, cum per verbum institutionis, elementum adspectabile, cum actu, qui circa illud versatur, ita determinetur, ut vim & efficaciam sacramenti accipiat; recte forma sacramenti in eo constituitur." Daß die Taufe "ita administrandum esse, ut cum actu ablutionis, aut adspersionies, verbum hocce institutionis coniungatur, adeoque diserte, verbisque expressis, baptismus in nomine patris, filii, ac spiritus sancti peragetur", stehe aus Mt 28,29 fest. 205 ID IV,1,16, A.l, 953: "Accedit, quod solus Deus vim istam infinitam addere sacramentis potuerit, per quam id efficere queunt, quod in hominibus, rite iis utentibus, efficiunt, hoc est, fidem, per quam gratiae divinae participes fiunt, in iis producere, & obsignare. ... Beneficia spiritualia per ea conferuntur, non quia ab hoc aut alio dispensantur ministro, sed quia Deus ipse haecce media constituit, per quae homines istorum beneficiorum participes redderentur." 216

d) Konsequenzen für den Begriff der Kirche Nach dem Urteil von Emanuel Hirsch liegt die "eingreifendste Umschichtung", die Buddeus am lutherisch-orthodoxen Lehrsystem vorgenommen hat, in der Lehre von der Kirche. 2 0 6 In ihr zeichnet sich eine kritische Reflexion auf die ältere lutherische Ekklesiologie ab, die ansatzweise auch schon bei Hollaz zu erkennen ist. Die Entwicklung, die hier stattgefunden hat, kann man schon aus der jeweiligen Stellung der Ekklesiologie im Aufbau der Systeme ablesen. Während die altprotestantische Dogmatik das Lehrstück von der Kirche in der Regel innerhalb des Abschnittes über die Heilsmittel nach der Lehre vom Worte Gottes und von den Sakramenten abgehandelt hat 2 0 7 , schieben Hollaz und ihm folgend Pfaff die Ekklesiologie hinter die Eschatologie an das Ende der Dogmatik 2 0 8 und nehmen auf diese Weise die Ekklesiologie aus dem Teil der Dogmatik heraus, der die durch Wort und Sakrament konstituierte 2 0 9 individuelle Heilsvermittlung 210 und die endgültige eschatologische Heilszueignung zur Darstellung zu bringen hatte. Die Ausgrenzung der Kirchenlehre aus diesem Themenkomplex muß dabei als eine erste, durch den Pietismus 211 veranlaßte Reaktion auf die hochorthodoxe Uberbetonung der Kirche in ihrer repräsentativen, ministeriellen Funktion geweitet werden. Da Buddeus im Unterschied zur altprotestantischen Lehrweise die Eschatologie vollständig im Zusammenhang der Gotteslehre abhandelt, findet sich auch in seinem dogmatischen System die Ekklesiologie am Ende der Dogmatik. Aber der Kontext, in dem sie bei ihm nun zu stehen kommt, ist nicht nur ein anderer als bei Quenstedt. Seine Konzeption unterscheidet sich auch von derjenigen bei Hollaz und Pfaff. Denn als dogmatische Voraussetzung der Lehre von der Kirche fungiert bei Buddeus die Prädestinationslehre, die ihrerseits die Sakramentenlehre zur Grundlage hat. 206 Hirsch, Theologiegeschichte Bd. 2, 326. Hirsch arbeitet "das hier Geleistete" im folgenden durch einen Vergleich mit der Ekklesiologie von Hollaz heraus. 207 Vgl. die Gliederung bei Schmid, Teil IV, Kapitel 3. 208 Siehe Hollaz, Examen IV, 1, 417ff. und Pfaff, Institutiones 111,1, 616ff. Bei Quenstedt findet man noch den älteren Aufriß: in den Schlußkapiteln seines Systems (IV, 17-20) wird die Eschatologie behandelt. Davor entwickelt er in IV, 15 die Ekklesiologie. Die Ausführungen zum Antichristen IV,16 bilden die Uberleitung zur Eschatologie. Die Lehre von der Kirche in ihrer Unterschiedenheit in synthetische und repräsentative entfaltet Quenstedt nach der Darstellung des kirchlichen und politischen Amtes, vgl. Systema IV,12-15 X 1497ff. Die äußeren Konstitutionsbedingungen der Kirche erscheinen hier also vor der Bestimmung des Wesens der Kirche. 209 Vgl. Hollaz, Examen 111/2,1-5, Iff. 210 Zu diesen zählt Hollaz die Reue über die Sünden, den Glauben an Christus sowie die Wirkungen des Glaubens, nämlich die guten Werke und das Gebet, vgl. Hollaz, Examen 111/2,68, 245ff. 211 Vgl. zum Kirchenverständnis im Pietismus Ulrich Kühn, Artikel 'Kirche V I / 2 ' in: T R E 18, 267f.

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Im Rekurs auf die Sakramenten- und Prädestinationslehre bestimmt Buddeus die Kirche als die Gemeinschaft derer, die nach dem in den Sakramenten erkennbaren göttlichen Erwählungsratschluß zur Gemeinschaft mit Gott und z u m ewigen Heil zu führen sind. 2 1 2 In dieser Verortung und Bestimmung des Kirchenbegriffs wird der Leitgedanke der Kirchenlehre insgesamt erkennbar. Es handelt sich u m die Einsicht, daß in Entsprechung zu C A VIII 2 1 3 die Kirche zuerst als Gemeinschaft der wahrhaft Glaubenden zu bestimmen ist. 2 1 4 Hinter dieser Wesensbestimmung der Kirche als der Gemeinschaft der durch den wahren Glauben mit Christus Verbundenen tritt bei Buddeus - wie schon bei Baier 2 1 5 - die von Quenstedt und Hollaz als grundlegend erachtete Unterscheidung zwischen synthetischer und repräsentativer Kirche völlig zurück. 2 1 6 Mit dieser Differenzierung zwischen synthetischer und repräsentativer Bedeutung der Kirche brachte die ältere Dogmatik zum Ausdruck, daß die synthetische Kirche als die Gemeinschaft der extern zum Glauben Berufenen 2 1 7 der repräsentativen Leitung durch Dokto-

212 ID V,3,l, 1635f.: " Q u a n d o illi, qui, secundum praedestinationis divinae, generatim acceptae, decretum, ad aeternam salutem perducendi sunt, eumque in finem, per verbum & sacramenta, fidei, & gratiae divinae participes fiunt, iunctim spectantur, oritur inde ecclesia". Sein Interesse gilt von daher von vorneherein der irdischen, nicht der himmlischen Kirchengemeinschaft. ID V,3,2, 1636: "Nec de ea, quae iam in caelis est, hic loquimur, ecclesia; sed de ea, quae adhuc in terra sedem suam habet, quaeve militantis nomine venit". Die gleiche Akzentuierung findet sich bei Baier und bei dem Helmstedter Schmid. Dieser spricht ohne Umschweife sofort von der ecclesia militans und erwähnt die ecclesia triumphans nur in der nota b, vgl. Compendium 111,10,1, 252. 213 Vgl. B S L K 62. 214 Nach ID V,3,2, 1636 besteht die ecclesia militans aus denen, "qui fide vera cum Christo, seu capite suo, coniuncti sunt, nomenque adeo sanctorum promerentur; etsi interdum etiam coetus aliquis ex vere credentibus, & improbis hypocritis compositus, certoque modo inter se unitus, improprie licet, ecclesia vocari soleat." 215 Vgl. Baier, Compendium 111,3,18, 600: "Definiri potest ecclesia proprie dicta, quod sit coetus vere credentium et sanctorum, a Deo et Christo 9 ε α ν 3 ρ ο π ο υ ex gratuito erga homines favore propter meritum Christi collectorum, Christo domino ac redemtori suo per veram fidem unitorum, in quo Christus per Verbum et sacramenta subinde aliquos regenerat, eosque per fidem sibi insitos, una cum aliis jam ante regenitis, vivificat et sanctificat, ad corporis totius et membrorum singulorum aedificationem et salutem." 216 Sie wird erst in ID V,3,18, 1665 eingeführt. Im Unterschied dazu hat Quenstedt sein Kapitel 'De ecclesia' in die Abschnitte 'De ecclesia synthetica' (IV,15/1,5-22, 1618ff.) und 'De ecclesia repraesentativa' (IV,15/1,23-34, 1624ff.) eingeteilt und damit ein größeres Gewicht auf die repräsentative Funktion der Kirche gelegt. Vgl. ähnlich Hollaz, Examen IV, 1,2-39, 2ff. und 40-51, 63ff. Die Konzentration auf die Bestimmung der wahren Kirche ist schon bei Baier angebahnt; auch bei ihm spielt der Begriff der ecclesia repraesentativa keine zentrale Rolle mehr, vgl. Baier, Compendium 111,13,31, 612. 217 Vgl. zur Begriffsbestimmung der synthetischen Kirche Quenstedt, Systema IV,15/1,10, 1619: "Latius sumta Ecclesia Synthetica notat coetum vocatorum promiscuum externum, eumque vel publicum, constantem ex Pastoribus, & auditoribus omnium ordinum". Siehe auch ebd. IV,15/1,4, 1617 nota: "Syntheticam vocamus, quae constat ex tota fidelium universitate, tarn Doctorum, quam Auditorum, praesentis, praeteriti & futuri temporis, designatque internam & externam fidelium societatem in una Ecclesia".

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ren und Kirchenvorsteher 218 bedarf. Die repräsentative Kirche ist nach Quenstedt dabei eine als evangelisches Konzil verstandene Vertretungsinstanz 219 zur Klärung dogmatischer, ethischer und liturgischer Fragen nach Maßgabe der Schrift. 220 Aus der konstitutiven Funktion der im landesherrlichen Kirchenregiment 221 vereinigten kirchlichen, politischen und ökonomischen Ordnung für die synthetische Kirche 222 erklärt sich ferner, weshalb Quenstedt vor der Lehre von der Kirche im engeren Sinne das kirchliche und politische Amt sowie den Stand der Ehe darstellt. Dagegen erörtern Baier und Hollaz die genannten Ordnungsfunktionen bereits nach der Wesensbestimmung der Kirche. Buddeus folgt diesem Ansatz. Die Lehre vom dreifachen Stand erscheint bei ihm im Anschluß an die Kirchenlehre als Beschreibung der vorfindlichen, durch die Verschiedenheit der Talente bedingten Zusammensetzung der Kirche aus Lehrern und Hörern, Herrschenden und Untertanen, Eltern und Kindern 223 . Da nach föderaltheologischem Verständnis die Kirche aus dem durch den Mittler offenbarten Vertrag zwischen Gott und Mensch resultiert, kann Buddeus die partikulare Kirche im Sinne der naturrechtlichen Konzeption von Samuel PufendorP 24 strukturell mit der ebenfalls vertraglich begründeten staatlichen Gemeinschaft vergleichen. 225 Auf diese Weise wird das lan-

218 Siehe zum Begriff der repräsentativen Kirche Quenstedt, Systems IV,15/1,23, 1624f.: "Ecclesia Repraesentativa dicitur congregatio Doctorum, Sc Praepositorum Ecclesiarum, sive omnium, sive singularum, quae Ecclesiam Syntheticam repraesentat, Sc quamdam quasi ideam ejus exhibet, & compendium facit." 219 Vgl. Quenstedt, Systema IV,15/1,24.32, 1625.1628; bes. IV,15/1,33, 1629: "Definitio Concilii haec est: Concilium Ecclesiasticum est totius Ecclesiae, in membris suis praecipuis repraesentatae, coetus a Deo per eos, penes quos convocandi jus est, congregatus, ad tractandum decenter & juxta solius Verbi divini praescriptum de quaestionibus circa dogmata Sc mores, nec non Ecclesiasticas ceremonias, ad Dei gloriam Sc Ecclesiae aedificationem." 220 Vgl. Quenstedt, Systema IV,15/1,30.31, 1617f. 221 Siehe zum landesherrlichen Kirchenregiment den entsprechenden Artikel von Hans-Walter Krumwiede in T R E 19, 59-68, bes. 64f. 222 Quenstedt benennt die grundlegende Funktion der Stände in der irdischen Kirche zu Beginn der Lehre vom kirchlichen Amt, siehe Systema IV,12/1,1, 1497: "In Ecclesia in his terris militante tres Ordines seu status a Deo instituti sunt, videlicet Ecclesiasticus, Politicus, Sc Oeconomicus, quos etiam Hierarchias appellare consueverunt." 223 ID V,4,l, 1705: "Qui ecclesiam constituunt, vel ut docentes Sc auditores, vel ut imperantes Sc subiecti, vel denique ut coniuges, itemque parentes Sc liberi, domini Sc servi, considerari possunt. Ex hacce autem statuum diversitate cum diversa officia fluant, quae ut rite praestentur, ecclesiae etiam interest; res ipsa Sc instituti ratio, ut de hisce omnibus quaedam adducamus, postulat." 224 Buddeus beruft sich auf Pufendorfs Darstellung der internen Struktur des Staates in 'De iure naturae et gentium' VII,2, 127ff., bes. 193ff. 225 ID V,3,3, 1638: "Ceterum, licet ecclesia, proprie sic dicta, multum a re publica differat, in eo tarnen convenit, quod struetura eius itidem per unionem quamdam membrorum cum capite, unde & membrorum unio inter se fluit, explicari queat." Zur Konstitution der staatlichen Einheit durch Bundesschlüsse und der darin gegebenen strukturellen Ubereinstimmung mit der Glaubensgemeinschaft der Kirche vgl. ebd. A.I., 1638f.

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desherrliche Kirchenregiment naturrechtlich interpretiert. 226 Das damit verbundene "eigentlich Neue gegen Hollaz" erblickt Hirsch zuerst darin, daß bei Buddeus "die Bindung an den Rat der Theologen" dahinfällt. Da sich außerdem aus dem naturrechtlichen Vergleich der Kirche mit dem Staat ergebe, daß die partikulare Kirche als "Verein innerhalb des alles gesellschaftliche Leben seines Machtbereichs umgreifenden politischen Verbandes" zu gelten habe, komme "dessen Gliedern Annahme oder Verwerfung des kirchlichen Amtsträgers wesentlich" zu, während "die staatliche Kirchengewalt nur die Aufsicht und Leitung der Pfarrbestallung, aber nicht die Besetzung der Pfarrämter selbst" umfasse und auch keinen Zwang auf die Gewissen ausüben dürfe. 227 So denke Buddeus also im Blick auf die Kirche "nach der Weise des neuen Naturrechts territorialistisch" 228 . Während in den ekklesiologischen Konzeptionen der sogenannten Hochorthodoxie die sichtbare Kirche der Berufenen und der Leitenden ganz im Zentrum des Interesses stand 229 , ist für Buddeus die Wesensbestimmung der wahren und unsichtbaren Gemeinschaft der Glaubenden das vorrangige Thema der Ekklesiologie. Darin entspricht er nicht zuletzt seinem Anliegen, die universale Geltung der Gnade zu demonstrieren. Denn unter diesem Gesichtspunkt wäre die Hervorhebung insbesondere der sichtbaren repräsentativen Kirche zumindest unzuträglich, wenn nicht kontraproduktiv. Entscheidend für die Darstellung der durch die Kirche wahrzunehmenden Verkündigung des Heils ist nach Buddeus vielmehr die Ubereinstimmung der sichtbaren Kirche mit dem ihr bestimmten Wesensbegriff. Für das entsprechende Verständnis der Kirche im eigentlichen und genuinen Sinne stützt sich Buddeus zuerst auf die Schriftaussagen zur Kirche und gewinnt dort die Einsicht in die Struktur der Kirchengemeinschaft als einer mystischen Gemeinschaft der Glieder mit ihrem Haupt Christus. 230 Die angesichts der strukturellen Ubereinstimmung zwischen Kirche und Staat benennbare Eigentümlichkeit der Kirche besteht dabei zunächst darin, daß ihre Glieder durch den Glauben an Christus verbunden sind 231 und daß der Bund, durch den der gemeinschaftliche Glaube konstituiert ist, der von Gott gestiftete Gnadenbund ist. Die Unterschiedenheit der Kirche vom Staat 226 Hirsch, Theologiegeschichte Bd. 2, 333. 227 Siehe ID V,4,6, 1710: "Cum ecclesia ex plurimis membris componatur, res ipsa postulat, ut constitutio verbi divini ministrorum per electionem, ad quam omnia membra concurrent, fiat". 228 So Hirsch, aaO., 333. 229 Vgl. dazu Ulrich Kühn, Artikel 'Kirche VI/1' in: T R E 18, 265. Zum Kirchenbegriff der altprotestantischen Theologie gibt es bisher kaum Literatur, vgl. ebd. 267. 230 Zur Bestimmung der 'notio propria & genuina ecclesiae' stellt Buddeus ID V,3,2, A.3, 1637f. aus verschiedenen Schriftaussagen folgende Eigentümlichkeiten zusammen: die Kirche gilt als corpus Christi mysticum, als sponsa Christi, als regnum Christi, als "ecclesia sub imagine gregis, cuius pastor Christus ipse est", als domus spiritualis und templum domini und ist schließlich nach Eph 1,1; 2,19; Joh 1,12; Gal 3,26 die Gemeinschaft der "sancti, Sc fideles in Christo Jesu". 231 ID V,3,7, 1646.

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bezieht sich mithin auf die Materie und die F o r m 2 3 2 dieser gleichstrukturierten Gemeinschaften. 2 3 3 Als die F o r m der durch den Bund Gottes mit dem Menschen konstituierten Gemeinschaft bestimmt Buddeus das "Wort des Evangeliums 2 3 4 und die Sakramente 2 3 5 , so daß an der rechten Verkündigung und der wahren Sakramentsverwaltung die Ubereinstimmung der Kirche mit ihrer Wesensbestimmung als Gemeinschaft der durch wahren Glauben mit Christus Vereinigten erkennbar ist. 2 3 6 Dabei macht Buddeus geltend, daß die sichtbare Kirche, welche er als die durch Verkündigung und Sakra-

232 Auch in der Bestimmung der Materie und der F o r m der Struktur der Kirche läßt sich die durch die Zurückstellung der Unterscheidung von ecclesia syntheticα und repraesentativa eingeleitete "Umschichtung" feststellen. Denn Quenstedt bestimmte im Unterschied zu Buddeus als "Materia ex qua constat Ecclesia Synthetica" alle Berufenen, "sancti juxta ac hypocritae", wobei die "Forma Ecclesiae consistit in unitate externae professionis doctrinae verae, seu in publica societate professionis ejusdem fidei, ejusdemque publici exercitii", so Systema IV,15/1,17.18, 1621f. 233 Die "per unionem quamdam membrorum cum capite" gegebene Strukturgleichheit, aus der die "membrorum unio" folgt (ID V,3,3, 1638), wird ID V,3,7, 1646 durch die Differenzierung der F o r m und Materie im Blick auf die "structura ecclesiae" spezifiert: "Ex structura ecclesiae, quae in unione arctissima vere credentium, cum Christo, seu capite, consistit, facile intelligitur, materiam eius esse ipsos homines, vera fide praeditos; formam autem ipsa ista unione absolvi: architectum porro spiritualis huius civitatis Deum ipsum esse; qui ut sua bonitate immensa, Sc merito Christi ad hoc inductus est". Vgl. auch schon die Charakterisierung des Unterschiedes zwischen Kirche und Staat ID V,3,3, 1639: "Ecclesiae itaque, proprie sie dictae, structura, hactenus cum structura rei publicae convenit, quod itidem unione quadam absolvatur. Sed unio ista sit per fidem, qua credentes Christum eiusque meritum adprehendunt, ea quidem ratione, ut eum, velut vestimentum, induere videantur, Gal.III,27. ... Q u e m a d m o d u m autem unio ista credentium cum Christo, seu capite, quae fit per fidem, foedus gratiae, & eius promissiones ex parte D e i . . . supponit; ita, quae homines credentes, ad animum gratum & obsequium erga Christum, seu caput ac regem suum, demonstrandum, agere aut omittere tenentur, per modum pacti cuiusdam, aut stipulationis concipi possunt." 234 Gegenüber den älteren Systemen bringt Buddeus die Lehre vom göttlichen Wort nicht in einem eigenen Kapitel vor der Kirchenlehre zur Darstellung, da diese durch die Lehre vom Gnadenbund, durch die Christologie und die Lehre von der Bekehrung bereits expliziert ist. Dagegen wird der Sakramentenlehre ein eigenes Kapitel gewidmet. Der Grund dafür liegt in der besonderen Funktion der Sakramente gegenüber dem die Wiedergeburt begründenden Wort Gottes. Während das Wort Gottes die Glaubenserkenntnis konstituiert, sorgen die Sakramente für die individuelle Zueignung des im Glauben Erkannten. 235 ID V,3,7, 1646: "verbo evangelii & sacramentis ad strueturam hancce, tum inchoandam, tum conservandam, &C perficiendam utitur; idque eum in finem, ut credentium numerus augeatur, quive iam credunt, in vera fide conserventur, omnium denique saluti aeternae consulatur." Auffällig ist außerdem, daß hier nicht wie bei Quenstedt (vgl. Systema IV,15/1,19.21, 1622f.) pauschal vom Wort Gottes, sondern speziell vom Evangelium geredet wird. Dies entspricht der in der Analyse der Bekehrung gemachten Beobachtung, daß dem Evangelium als solchem die Funktion der Konstitution des zur Wiedergeburt gehörenden Sündenbewußtseins zugeschrieben wird. 236 Siehe hierzu ID V,3,13, 1655: "Ut ecclesia vera, & pura, a corrupta discerni queat, ad verbi divini cumprimis praedicationem, & sacramentorum administrationem, est respiciendum." Vgl. ID V , 3 , l l , 1654: "Atque eo modo si vox ecclesiae capiatur, iterum in veram seu puram, & corruptam, dividi potest. Si enim pars melior, tum ratione doctrinae & sacramentorum, tum ratione vitae, etiam potior est, seu dominatur; recte eiusmodi ecclesia vera, itemque pura, dicitur. Secus autem si res se habeat, corrupta merito vocatur, atque depravata." Zur entsprechenden Bestimmung des gradus corruptionis seu depravationis siehe ID V,3,12, 1654.

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m e n t s v e r w a l t u n g gekennzeichnete Z u s a m m e n k u n f t der C h r i s t e n m e n s c h e n d e f i n i e r t 2 3 7 , i m m e r n u r in e i n e m graduellen M e h r o d e r M i n d e r w a h r e K i r c h e zu sein v e r m a g 2 3 8 . A l s Bedingung dafür, daß in der sichtbaren K i r c h e überhaupt die w a h r e K i r c h e z u s a m m e n k o m m e n kann, w i r d die Ü b e r e i n s t i m m u n g der V e r k ü n d i g u n g u n d S a k r a m e n t s v e r w a l t u n g m i t der Schrift n a m h a f t gemacht.239 D i e U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n der w a h r e n und der k o r r u m p i e r t e n Gestalt der K i r c h e w i r d in der K o n z e p t i o n v o n Buddeus allerdings überlagert v o n der U n t e r s c h e i d u n g der sichtbaren u n d der unsichtbaren K i r c h e . 2 4 0 Letztere ist f ü r Buddeus identisch m i t der G e m e i n s c h a f t der w a h r h a f t Glaubenden, d e r e n quantitative B e s t i m m u n g aufgrund des nicht v o n außen zu e r k e n n e n d e n G l a u b e n s v o l l z u g e s u n m ö g l i c h ist. 2 4 1 D u r c h den Begriff der unsichtbaren K i r c h e w i l l Buddeus nicht n u r eingeräumt wissen, daß auch d o r t , w o die sichtbare K i r c h e den K r i t e r i e n ihrer W a h r h e i t entspricht, m i t U n g l ä u b i g e n zu r e c h n e n ist. Angesichts der Erfahrung der K i r c h e n s p a l t u n g dient i h m d e r Begriff der unsichtbaren K i r c h e auch dazu, die w a h r e K i r c h e als abhängig v o n W o r t und S a k r a m e n t , aber darin als unabhängig v o n einer d u r c h w e i t e r e U n t e r s c h e i d u n g s m e r k m a l e sich b e s t i m m e n d e n A m t s k i r c h e zu k o n z i p i e r e n . 2 4 2 Ist die w a h r e K i r c h e in j e d e m Fall die unsichtbare, so besteht

237 ID V,3,14, 1657: "Quodsi vero per ecclesiam generatim congregatio hominum christianorum, in qua verbum divinum docetur, & sacramenta administrantur; aut speciatim ecclesia pura, in qua verbum divinum recte praedicatur, & sacramenta secundum institutionem divinam administrantur, designetur; dubium non est, quin certo intellectus iudicio, cognosci, Sc ita visibilis adpellari queat." 238 ID V,3,ll, 1654: "Si enim pars melior, tum ratione doctrinae & sacramentorum, tum ratione vitae, etiam potior est, seu dominatur; recte eiusmodi ecclesia vera, itemque pura, dicitur." Vgl. dazu ID V,3,13, 1656: "Quo purior autem est ipsa doctrina, & quo adcuratius sacramenta secundum normam divinae institutionis administrantur; eo purior etiam ipsa merito censetur ecclesia." 239 Vgl. ID V,3,13, 1655f. 240 Die Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche ergibt sich für Buddeus, ID V,3,14, 1657 daraus, daß die "ecclesia, proprie sie nominata" als Gemeinschaft der "vere credentium" nicht als sichtbar gelten kann, weil wir "certo intellectus iudicio, & quidem distinete, quinam illi vere credentes sint? cognoscere nequeamus." Buddeus nimmt damit sachlich die Unterscheidung zwischen der Kirche im weiten und im speziellen Sinne auf, wie sie beipsielsweise Quenstedt, Systema IV,15/1,5, 1618 formuliert. 241 Auf die Tatsache, daß "nec ex characteribus atque indieiis externis semper ita cognosci queat, ut certo mentis iudicio, quinam in vere credentium numerum referendi sint, determinare queamus", legt Buddeus ID V,3,14, A.l, 1657 höchsten Wert. Damit ist das pietistische Konzept einer ecclesiola in ecclesia ausgeschlossen. 242 Siehe die Ausführungen ID V,3,14, 1658. Daraus, daß der Glaubensakt ein actus animi interni ist, folgert Buddeus: "Hoc vero si ita habet, veram quoque, proprieque sie dictam ecclesiam, invisibilem esse, necesse est." Der Satz "extra ecclesiam non detur salus" beziehe sich auf die wahre, unsichtbare Kirche. "Sed & de ecclesia, ratione ministerii spectata, hoc admittimus, prout in ea verbum divinum praedicatur, & sacramenta recte administrantur, quippe quibus mediis fides in nobis excitatur, & conservatur, sine qua nemini aditus ad salutem patet. Hoc sensu autem cum, ecclesiam visibilem esse, largiamur, nihil inde, quod nobis obstet, colligi potest." Es folgen einige scharfe Vorwürfe gegen die römisch-katholische 222

die F u n k t i o n der äußeren, sichtbaren Kirche nur darin, Wort und Sakrament als die Konstitutionsbedingungen der wahren Kirche richtig zu verwalten. Die nach dem Urteil Hirschs hier vorgeführte "theologische Kunst", "das verborgene geistliche Wesen der Kirche unter klarer Aussonderung aus allem n u r Äußerlichen an ihr herauszuarbeiten", führt dazu, daß das A m t "an den ihm allein gebührenden Platz einer rechten äußern O r d n u n g für Predigt und Sakramentsverwaltung" zurücktritt und "die reformatorische Einsicht von seiner rein dienenden Bedeutung, die eine Herrschaft ausschließt", wieder richtig betont wird. 2 4 3 Als zusammenfassende Definition der nunmehr dargestellten eigentümlichen Struktur der Kirche fungieren bei Buddeus schließlich die sogenannten notae ecclesiae der Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität. Die durch den wahren Glauben an Christus vereinte Gemeinschaft der Kirche ist heilig, da sie sich aufgrund der durch das Verdienst Christi vermittelten Vergebung der Sünde in der Einheit mit Christus um die Heiligkeit ihres Lebens bemüht. 2 4 4 Sie ist katholisch, insofern sie sich auf die weder zeitlich noch räumlich begrenzte, sondern vielmehr universal gültige christliche Lehre 2 4 5 bezieht. In seiner föderaltheologischen Sichtweise behauptet Buddeus dabei die geschichtliche Kontinuität der einen wahren Kirche in ihren, die ganze Menschheitsgeschichte zur Kirchengeschichte qualifizierenden sichtbaren Gestaltungen, und möchte mithin auch die Reformation nicht als Gründung einer neuen Kirche, sondern als eine die Fehler der Kirche korrigierende Renovation derselben gewertet wissen. 246 Das Kriterium für die Bestimmung der Kontinuität der kirchlichen Struktur in der Unterschiedenheit ihrer geschichtlichen Erscheinungen schließlich wird durch das Kennzeichen der Apostolizität benannt. Die Kirche ist apostolisch, sofern sich ihr Glaube auf das apostolische Zeugnis als das dogmatische Fundament des Glaubens gründet. 2 4 7 Diese Strukturbestimmung der Kirche, die von dem - an die Bedingung des landesherrlichen Kirchenregiments anknüpfenden - altprotestantischen Interesse an dem Verhältnis der synthetischen und der repräsentativen Kirche zurücklenkt auf die elementare Frage nach dem Wesen der Kirche als

243 244

245 246 247

Abneigung gegen den Begriff der unsichtbaren Kirche, die nur darauf ziele, "ad imperium papale stabiliendum". So Hirsch, Theologiegeschiche Bd. 2, 33 lf. Der Satz, daß "earn porro esse sancUtm, cum nemo cum Christo, seu capite, unitus esse queat, qui non, ob meritum Christi, peccatorum remissionem consequutus sit, & vitae sanctitati studeat" (ID V,3,8, 1647) muß streng in seinem beschreibenden Charakter interpretiert werden. Denn Buddeus denkt die Erneuerung des äußeren Lebensvollzugs als mit der Wiedergeburt gesetzte Umorientierung desselben, nicht als eine vom Menschen zur Verifikation des Glaubens hervorzubringende Selbstheiligung. ID V,3,8, 1647: "catholicam quoque, quod doctrinam omnibus vere credentibus communem teneat, & nulli loco aut tempori sit adstricta". ID V,3,16, 1661. Vgl. ID V,3,16, 1647.1651.

223

der Gemeinschaft der wahrhaft Glaubenden, verdankt sich ihrerseits der dogmatischen Aufgabenbestimmung, derzufolge strikte nach dem dogmatischen Fundament gefragt werden muß, und ist nur in diesem Kontext zu verstehen. Dies ist im Auge zu behalten, wenn man mit Hirsch Buddeus' "Verbesserungen der Lehre von der Kirche" als vergleichbar mit "Luthers reformatorischer Tat", durch die "das reformatorische Evangelium reiner" als in der altprotestantischen Lehre von der Kirche hervortrete, lobt248.

4.

Zusammenfassung

Im Anschluß an die Darstellung der Versöhnung durch Christus im vorangehenden Kapitel ist in diesem Kapitel über die Notwendigkeit der Versöhnung nachgedacht worden. Im Rahmen seiner bundestheologischen Konzeption erklärt Buddeus die Notwendigkeit des Gnadenbundes, in dem die Versöhnung beschlossen ist, zunächst aus dem Scheitern des im Paradies eröffneten Werkbundes, der die Überbietung der paradiesischen Glückseligkeit in Aussicht stellte. Obwohl Buddeus damit in der Urstandslehre die paradiesische Gottebenbildlichkeit des Menschen entwicklungsfähig denkt und - wie Leibniz - die Übertretung des göttlichen Gesetzes im Werkbund dementsprechend auf die begrenzte Weisheit des ersten Menschen zurückführen kann, hält er doch anders als Leibniz an der Rede von der ursprünglichen Vollkommenheit des Menschen und damit an der klassischen Urstandslehre fest. Damit bleibt es auch bei der Lehre von der durch den Sündenfall hervorgerufenen und allen Menschen vererbten Erbsünde, die nach Buddeus durch die Mißachtung des im Werkbund aufgegebenen positiven Gesetzes entstanden ist und die er als universale Verfehlung des Gottesverhältnisses auslegt. Die zentrale Funktion der Sündenlehre besteht für Buddeus allerdings nicht darin, den universalen Verlust der Gottebenbildlichkeit auf die natürliche Vererbung der Sünde Adams zurückzuführen. Es geht ihm vielmehr darum, das Wesen der Sünde aus dem Verlust der Gottebenbildlichkeit heraus zu thematisieren. Auf diese Weise kann er den anthropologischen Grund der Notwendigkeit der Versöhnung durch den Mittler geltend machen, ohne doch zu behaupten, daß das Wesen der Sünde auch unabhängig von der Mittlertätigkeit Christi erkannt werden könnte. Daß die Wesenserkenntnis der Sünde nach Buddeus vielmehr durch die im Evangelium verkündigte Mittlertätigkeit Christi erschlossen wird, ist schon im letzten Kapitel gezeigt worden. Die anthropologischen Kapitel von Urständ

248 Siehe Hirsch, aaO., 334.

224

und Erbsünde stehen mithin faktisch unter der Bedingung der Offenbarung des Gnadenbundes. Obwohl das Versöhnungsgeschehen, welches im Bund zwischen Vater und Sohn gründet, nach Buddeus die gesamte Menschheitsgeschichte bestimmt, ist der Gnadenbund in endgültiger und unüberbietbarer "Weise doch erst durch die Erniedrigung und die Erhöhung des Mittlers offenbar. Die Erniedrigung bis in den Tod am Kreuz beschreibt Buddeus zwar noch als Satisfaktion der Gerechtigkeit Gottes. Doch deutet er den Tod Christi nicht als satisfaktorisches Mittel zur Besänftigung des göttlichen Zorns durch Wiederherstellung der göttlichen Ehre, sondern als stellvertretenden Sühnetod, in dem sich die Vergebung der Sünde und die Güte Gottes als des Vaters manifestiert. Der Tod hat satisfaktorischen Charakter nur insofern, als er der Gerechtigkeit Gottes entspricht, in der Gott die Sünde verurteilen muß. Aber indem Buddeus in der Christologie deutlich macht, daß Gott selbst durch den als Mittler zwischen sich und der Menschheit gesandten Sohn an diesem Geschehen teilnimmt und darin der Erlösungstat den unendlichen Wert verleiht, kann er die Gerechtigkeit Gottes nur als Moment der Liebe Gottes deuten. Diese manifestiert sich im Beschluß des universal alle Menschen einschließenden Gnadenbundes als das grenzenlose Wohlwollen. Die in verschärfter Weise durch die Sozinianer aufgebrachte Frage nach der Notwendigkeit der Versöhnung durch den Tod des Erlösers findet ihre Klärung somit letztlich in der Besinnung auf die in der Erniedrigung und Erhöhung des Mittlers vollzogene Offenbarung Gottes, deren Vollzug und Voraussetzungen Buddeus in der Bundestheologie und in der damit verbundenen Mittlerchristologie zur Geltung bringt. Zwar geschieht die Erniedrigung bis in den Tod zur Manifestation und Vergebung der Sünde, doch ist die Vergebung der Sünde ihrerseits als Offenbarung des gütigen Wesens Gottes verstanden. Indem nämlich der Mittler in der Erfüllung des Werkbundes den unabänderlichen Bundeswillen Gottes offenbart, stiftet er die Versöhnung. U m die im Tode Christi erkennbare universale Geltung des Gnadenbundes auch im Blick auf die individuelle Aneignung konsequent aussagen zu können, lehnt Buddeus die abstrakte Prädestinationslehre ab zugunsten eines geschichtlichen Verständnisses der Erwählung. Im Rahmen eines solchen Veständnisses der Erwählung gewinnen die Sakramente in der Konzeption von Buddeus konstitutive Bedeutung für die Begründung der Erwählungsgewißheit, weil sie die Selbstwahrnehmung, welche die Rechtfertigung durch das innere Zeugnis des Geistes erschließt, auch sinnlich wahrnehmbar zur Darstellung bringen. Das hat aber nicht etwa eine Hervorhebung der sichtbaren Kirche zur Folge. Im Gegenteil: Buddeus konzentriert sich in der Ekklesiologie entschieden auf den Begriff der wahren unsichtbaren Kirche als Gemeinschaft der wahrhaft Glaubenden. Die Institution ist sekundär und 225

erscheint auf das Notwendigste beschränkt. So wird einerseits die Abhängigkeit der Kirchengewalt vom Staat betont, andererseits der Einzelgemeinde ein höheres Maß an Selbstbestimmung zugeschrieben. All dies steht bei Buddeus zwar unter naturrechtlichem Einfluß. Doch das am naturrechtlichen Verständnis des Staates orientierte Verständnis der Kirche ist verbunden mit seiner bundestheologischen Konzeption und theologisch motiviert. Denn es geht Buddeus darum zu zeigen, daß die Gnade des göttlichen Gnadenbundes in ihrer Universalität über die Grenzen der sichtbaren Kirche hinaus wirksam ist. Das nunmehr erreichte Verständnis der Versöhnung wird von Buddeus in zwei Hinsichten weiter vertieft. Zum einen versucht er in seiner Dogmatik die Angewiesenheit des Menschen auf die Offenbarung der Versöhnung darzutun, um so der atheistischen Bestreitung der Notwendigkeit der Religion entgegentreten zu können. Dies muß in der Darstellung des von Buddeus konzipierten Religionsbegriffs im nächsten Kapitel dieser Arbeit untersucht werden. Der Religionsbegriff bietet allerdings keine Antwort auf die im Kontext der Versöhnung abschließend zu stellende Frage nach dem Wesen Gottes, welches sich im Gnadenbund des Mittlers zu erkennen gibt. Dieser Frage wird sich das letzte Kapitel zuwenden.

226

Kapitel V:

Religion und Offenbarung Ist durch die von Buddeus entwickelte Bestimmung der Dogmatik als theologischer Disziplin die altprotestantische Dogmatik in formaler Hinsicht umgebildet worden, so vermittelt der von Buddeus konzipierte Begriff der natürlichen Religion und seine spezifische Begründung durch einen allgemeinen Religionsbegriff1 material den Ubergang in eine Theologie unter den Bedingungen der anbrechenden Aufklärung2. Während Buddeus seine Dogmatik unter Bezug auf die natürliche Religion eröffnet, mußte die vom Programm seiner Dogmatik ausgehende Rekonstruktion der dogmatischen Theologie bei der Versöhnungslehre als dem zentralen Thema der Dogmatik einsetzen. Denn nur von seiner spezifischen Funktion innerhalb dieses Programms her läßt sich der Religionsbegriff angemessen verstehen. Buddeus hat ihn zur Verteidigung der christlichen Versöhnungsbotschaft gegen die durch den spinozistischen Atheismus 3 und den Deismus4 in Frage gestellte Notwendigkeit von Religion und Offenbarung entwickelt. Die damit angestrebte Begründung der Wahrheit der christlichen Religion zielt weder auf die Feststellung einer dem Menschen aus sich heraus möglichen Vernunftreligion, noch auf den Einsatz einer solchermaßen verstandenen Vernunftreli1

D e m Religionsbegriff bei Buddeus ist in der Sekundärliteratur im Vergleich zu den anderen bemerkenswerten Veränderungen in seiner Dogmatik die meiste Beachtung geschenkt worden. Vgl. zunächst die neutral gehaltenen Darstellungen bei Hirsch, Theologiegeschichte Bd.2, 320f. und Ratschow, Dogmatik 1, 62. Während Jörg Baur, Salus, 114ff. die Entwicklung des Religionsbegriffs bei Buddeus im Kontext seiner Prinzipienlehre kritisch beleuchtet, weiß Dietrich Rössler, Vernunft, 90ff. die Weiterentwicklung der theologischen Prolegomena bei Buddeus zu würdigen. Vgl. auch Falk Wagner, Was ist Religion?, 34.483. Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 46-48 wertet die Tatsache, daß "neben der Schrift der Begriff der Religion in zunehmendem Maße fundamentale Bedeutung für das Verständnis der 'Theologie' gewann" (47), als die - nach "der Einführung des Theologen als Subjekt der Theologie in den Theologiebegriff" (46) - zweite wesentliche Veränderung in den Prolegomena der altprotestantischen Dogmatik, mit der auf die zunehmende Auflösung der Begründung der Schriftautorität durch die Verbalinspirationslehre reagiert worden sei.

2

In der Neologie haben vor allem J . F . W . Jerusalem (vgl. dazu Aner, Lessingzeit, 183-194) und J . J . Spalding (siehe dazu Hirsch, Theologiegeschichte Bd.4, 16-18) den Begriff der natürlichen Religion weiterverfolgt. Eine Darstellung der Entwicklung des Religionsbegriffs von der Übergangstheologie bis zu Friedrich Schleiermacher fehlt jedoch bislang. Siehe zum Spinozismus als der offenen F o r m des Atheismus die Atheismusthesen T A S 1,26, 163ff. Vgl. zu Buddeus' Beurteilung des ihm bekannten frühen Deismus T A S 1,26, 179ff. Z u m Deismus und seiner Entwicklung siehe den Artikel 'Deismus' von Christof Gestrich in T R E 8, 392-406, außerdem Hirsch, Theologiegeschichte B d . l , 292-344 und Dorner, Geschichte der protestantischen Theologie, 487-518.

3 4

227

gion zur Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Offenbarung. Vielmehr soll unter Rekurs auf die natürliche Religion die Wahrheit des in der Bundestheologie thematisierten Gnadenbundes durch Reflexion auf die Bedingung seiner Notwendigkeit für den Menschen demonstriert werden. Dies muß besonders in der Auseinandersetzung mit Karl Barths Kritik am Religionsbegriff von Buddeus betont werden. Zum näheren Verständnis der Bedeutung des Religionsbegriffs in der Dogmatik von Buddeus ist im ersten Teil dieses Kapitels zuerst die Entwicklung des Religionsbegriffs zu untersuchen. Die entscheidenden Vorgaben zur Konzentration auf den Begriff der natürlichen Religion finden sich zwar auch hier wieder bei Johannes Musäus. Im Unterschied zu Musäus begründet Buddeus die universale Geltung der Inhalte der natürlichen Religion jedoch unter Rekurs auf das Bewußtsein schlechthinniger Abhängigkeit und gewinnt damit ein entscheidendes Argument für die Notwendigkeit der Religion, das auf die spätere Konzeption Friedrich Schleiermachers vorausweist, wie in einem kurzen Vergleich gezeigt werden soll. Unter Berücksichtigung der von Buddeus betonten Insuffizienz der natürlichen Religion ist dann schließlich die Funktion des Begriffs der natürlichen Religion zu bestimmen. Im zweiten Teil des Kapitels soll die offenbarte Religion behandelt werden. Hier ist zunächst die Eigentümlichkeit der offenbarten Religion im Verhältnis zur natürlichen Religion anzugeben. Es geht dabei um die Kriterien der Heilssuffizienz und Universalität, durch die sich die offenbarte Religion gegenüber den Bestimmungen der natürlichen Religion auszeichnet. Die Universalität der christlichen Religion versucht Buddeus durch eine religionsgeschichtliche Betrachtung der Bundesgeschichte zu begründen, um schließlich den göttlichen Ursprung der christlichen Religion aus der Entsprechung zu bestimmten äußeren Kriterien zu erklären. Dabei liegt das für die weitere theologiegeschichtliche Entwicklung wesentliche Moment zwar nicht in der konkreten Vorstellung der Religionsgeschichte, wohl aber in dem Versuch einer religionsgeschichtlichen Argumentation als solchem. Abschließend muß in einem Abschnitt zum Verhältnis von Vernunft und Offenbarung über den Status der von Buddeus vorgetragenen Argumentation für die Wahrheit der christlichen Religion nachgedacht werden.

228

1. Die Entwicklung des Religionsbegriffs Die Entdeckung der theologischen Relevanz des Religionsbegriffs5 manifestiert sich in Buddeus' Dogmatik zunächst formal darin, daß er die Religion als das erste Thema der Domgatik noch vor dem Theologiebegriff behandelt und damit die ältere, noch von Hollaz eingehaltene Gliederung der lutherischen Prolegomena 6 umkehrt. Obwohl diese in Baiers Kompendium sich bereits anbahnende 7 Umgestaltung auch schon in der etwas früher erschienenen Dogmatik von Pfaff zu finden ist8, wird man keine Abhängigkeit von Pfaff anzunehmen haben, da der fundamentaltheologische Ausbau der Dogmatik von Buddeus in der Konsequenz seiner bereits 1716 veröffentlichten Thesen über Atheismus und Aberglaube liegt. Dort hat Buddeus die beiden Extreme, die es in bezug auf die Religion zu vermeiden gilt, nämlich einerseits die atheistische Kritik am Gottesgedanken und an der Notwendigkeit der Verehrung Gottes, andererseits die wahrer Religiosität zuwider laufende abergläubische Verehrung Gottes zu widerlegen versucht. 9 Es wäre daher 5

D a ß der G e b r a u c h v o n 'religio' v o n den R e f o r m a t o r e n selbst noch nicht " i m H i n b l i c k auf ihre reformatorische Intention ... gefördert worden ist", hat Ernst Feil, Religio, 235ff., bes. 271 gezeigt.

6

H o l l a z handelt im "prolegomenon generale" seines Examens zuerst von der Konstitution der Theologie. Vgl. ebenso das erste Kapitel "de natura et constitutione theologiae" der Prolegomena i m C o m p e n d i u m von Baier. Erst im zweiten Prolegomenon stellt Baier die christliche Religion als das O b j e k t der Theologie vor. Vgl. auch schon die Gliederung der Prolegomena bei Quenstedt, Systema 1,1: " D e Theologia in genere" und 1,2: " D e O b j e c t o T h e o l o giae generali, RELIGIONE". Z u r Gliederung der altlutherischen Prolegomena siehe ferner Schmid, §§ 1-13, 27-79, zum Religionsbegriff dort besonders § 3, 30ff. und zur Entwicklung der einzelnen Lehrbestände Ratschow, Dogmatik 1, 58ff.

7

Baier widmet der Religion als dem O b j e k t der Theologie zwar nicht m e h r wie Quenstedt und H o l l a z ein eigenes Kapitel, thematisiert jedoch stattdessen innerhalb des Theologiekapitels unter dem n o c h näher zu betrachtenden Einfluß von Musäus einen allgemeinen Religionsbegriff: "Media consequendae beatitudinis, in theologia naturali, sunt actus mentis et voluntatis circa D e u m occupati, quibus recte agnoscitur et colitur Deus. Dicuntur uno nomine religio." ( C o m p e n d i u m Ρ,1,7, 10) Die Auflösung der älteren Gliederung der Prolegomena wird also bereits hier greifbar. Indem Buddeus den Begriff der natürlichen Religion und das Verhältnis zur offenbarten dann zu Anfang der D o g m a t i k ausführlich behandelt, gibt er dem Ansatz v o n Musäus eine eigene Stoßrichtung, während bei Baier das Interesse an der natürlichen Religion n o c h nicht ausdrücklich markiert ist.

8

Vgl. Pfaffs 'theologiae dogmaticae prolegomena' zu seinen Institutiones, Artikel 1-3. Bei Pfaff tritt der Theologiebegriff gegenüber dem Religionsbegriff völlig in den Hintergrund. Siehe das V o r w o r t zu den Atheismusthesen und deren Aufbau. N a c h einer Zusammenfassung der historischen Positionen des Atheismus und der Bestimmung des Begriffs in den ersten beiden Kapiteln handelt Buddeus "de dogmatibus, quae cum atheismo coniuncta sunt, aut ad eum ducunt" ( T A S 3,1-7, 240-307) und "de atheismi causis, proprietatibus et effectibus" (4,1-5, 307-356), u m dagegen zu demonstrieren, daß G o t t ist (5,1-9, 356-456) und die atheistischen Argumente und die daraus folgenden Behauptungen zu widerlegen (6,1-9, 456-535; 7,1-7, 536-654). Die letzten drei Kapitel sind schließlich dem Aberglauben gewidmet, der als die perverse F o r m der Gottesverehrung das andere E x t r e m zum Atheismus darstellt, so T A S 8,1, 655f.: " U t raro admodum homines in regia veritatis via, quae inter duo extrema media est, consistunt, ita in Numinis praecipue cultu hoc contingit, dum plurimi atheismum evitaturi in contrarium currunt, D e u m q u e equidem & credunt & colunt, sed

9

229

eher umgekehrt denkbar, daß diese Thesen gegen den Atheismus, die damals starkes und anhaltendes Aufsehen erregten, in die gedankliche Entwicklung der Pfaffschen Dogmatik eingegangen sind. a) Zum theologiegeschichtlichen Ursprung des Begriffs der natürlichen Religion Zu Beginn der Erörterung des Religionsbegriffs bestimmt Buddeus als natürliche Religion den Inhalt der natürlichen Gotteserkenntnis und das Wissen um die Notwendigkeit der Verehrung Gottes. 10 In diesem Konzept der Religion erscheint die Erkenntnis Gottes als notwendige Voraussetzung der Gottesverehrung. 11 Da nämlich die jeweilige Ausprägung der Gotteserkenntnis über den religiösen Vollzug des Menschen entscheide, sei die Gott wahrhaft entsprechende Verehrung nur unter der Bedingung wahrer Erkenntnis Gottes möglich. 12 Diese Bestimmung des allgemeinen Wesens der Religion war in der damaligen lutherischen Theologie noch keineswegs eine Selbstverständlichkeit, wie ein Blick in das Hollazsche Examen lehrt. Denn bei Hollaz erscheint die als 'Objekt' der Theologie aufgefaßte und nur in diesem Sinne thematisierte Religion 13 noch als identisch mit dem christlichen Glauben und der christlichen Verehrung Gottes. Zwar wird innerhalb der Got-

10

perverse admodum, nec ea, qua hoc fieri debebat, ratione. Hinc superstitio; quo nomine nihil aliud, quam praepostera atque perversa colendi Deum ratio, intelligitur." I D 1,1,1, 5: "Quemadmodum Sc esse Deum, & rerum omnium huius universi, ipsorum praecipue hominum, eum primam esse caussam, ratio evidenter omnes condocet; ita eumdem omni honore, summaque adeo animi veneratione dignum, eamque ab hominibus iure meritoque exigere, sua sponte inde consequitur." Siehe zum Begriff der religio naturalis die thesenartige Zusammenfassung zu I D 1,1,16 im Vorspann des Kapitels I D 1,1, 4: "Verissima licet sit religio naturalis, non tarnen sufficiens est ad salutem". Vgl. ferner ID 1,1,19, 24; 1,1,21, 26; 1,1,24, 33.

11

Vgl. I D 1,1,4, 7 und I D 111,1,11, 722 A.2, wo dies für die Religion des Menschen im Urständ geltend gemacht wird. Buddeus beruft sich dabei auch auf das zeitgenössische Verständnis der Religion, siehe I D 1,1,4, 9: "Hodie autem vox religionis ita fere sumitur, ut & agnitionem, & cultum seu venerationem simul, complectatur: immo 8c subinde, priorem partem praecipua quadam ratione denotet."

12

ID 1,1,4, 7. "Licet autem, religio, voce speciatim accepta, Numinis cultum, ac venerationem significet; quia tarnen nemo Deum rite colere, aut venerari potest, qui non eo, quo par est, studio, quis, aut qualis sit, quove pacto coli debeat, inquisivit; recta eius omnino accedere debet agnitio. Unde duas solent religionis constituere partes, veram Dei agnitionem, cultumque ei debitum." Vgl. auch seine etymologische Deutung des Wortes religio, ebd. A . l , 7f.: "Vocem religionis non a religendo vel relegendo, nec a reeligendo aut relegando, ut quibusdam placet, sed a religando, quia hominem Deo obstringit, & velut cum eo colligat, dictam, dudum viris doctis observatum est."

13

Vgl. die Kapitelüberschrift zu Examen P,2: "De Objecto theologiae generali, credendis et agendis, religionis christianae nomine comprehensis". Hollaz' Definition der christlichen Religion lautet P , 2 , l , 37f.: "RELIGIO CHRISTIANA est ratio colendi DEUM vera in CHRISTUM Fide, Sc sincera in DEUM proximumque charitate, ut peccator a DEO avulsus cum DEO reconciliatus & redunitus renovetur & aeternum salvetur." Vgl. ebenso schon Quenstedt, Systema 1,2/1,1, 28.

230

teslehre die T h e s e der n a t ü r l i c h e n G o t t e s e r k e n n t n i s v e r t r e t e n , v o n natürlic h e r R e l i g i o n ist j e d o c h bei Q u e n s t e d t u n d H o l l a z n i c h t die R e d e . Dagegen war

b e r e i t s in d e m

E n t w u r f der natürlichen

Theologie

M u s ä u s ein allgemeiner Begriff d e r Religion implizit vorausgesetzt.14 nämlich

Musäus

aus w i s s e n s c h a f t s t h e o r e t i s c h e n

Gründen

natürliche

von Da und

o f f e n b a r t e T h e o l o g i e als z w e i e i g e n s t ä n d i g e , w e n n n i c h t s o g a r " f u n d a m e n t a l verschiedene,

absolut v o n einander getrennte Disziplinen"15 der theologi-

s c h e n "Wissenschaft e n t w a r f , m u ß t e e r in b e i d e n B e r e i c h e n a u f d e n U n t e r s c h i e d z w i s c h e n d e m w i s s e n s c h a f t l i c h t h e o l o g i s c h e n H a b i t u s u n d d e m relig i ö s e n V e r h ä l t n i s des M e n s c h e n z u G o t t h i n w e i s e n 1 6 u n d u n t e r s c h i e d e n t s p r e c h e n d d e n r e l i g i ö s e n H a b i t u s als B e z u g s p u n k t d e r n a t ü r l i c h e n T h e o l o g i e v o n d e m G l a u b e n a n C h r i s t u s als d e m Z i e l d e r o f f e n b a r t e n , Theologie.

Sein I n t e r e s s e galt d a b e i j e d o c h

noch nicht der

christlichen Ausarbeitung

e i n e s a l l g e m e i n e n R e l i g i o n s b e g r i f f s . D a h e r f i n d e t s i c h bei M u s ä u s a u c h n o c h n i c h t w i e bei B u d d e u s d i e b e g r i f f l i c h e U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n n a t ü r l i c h e r und offenbarter Religion. D i e K o n z e p t i o n d e r n a t ü r l i c h e n T h e o l o g i e 1 7 als e i g e n s t ä n d i g e r ,

prakti-

scher Wissenschaft18 v o r und neben der offenbarten Theologie verdankt sich

14

15 16

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Musäus unterscheidet in Introductio 11,2, 26 Religion und natürliche Theologie folgendermaßen: "Quemadmodum autem aliud est Deum recte agnoscere Sc colere; aliud quae ad Dei agnitionem cultumque pertinent, ex suis principiis deducere, explicare, & confirmare: ita & alius est habitus, quo ilia; alius quo haec praestamus. Hunc Theologiae; ill um religionis habitum rectius dixeris." Nach Ratschow, Dogmatik 1, 60f. wurde die ursprünglich nicht theologische, sondern staats- bzw. kirchenrechtliche Valenz des orthodoxen Religionsbegriffs durch diese vor allem bei Musäus dokumentierte andere "Bedeutungsprägung im Laufe des [17.; Vf.] Jahrhunderts geschnitten". Religion erscheint bei Musäus nunmehr als "ein formaler Oberbegriff für das 'natürliche' Gottesverhältnis des Menschen". So Carl Stange, Prinzipien, 24. Musäus, Introductio 1,2,2, 26f.: "In Theologia similiter non idem habitus est, quo docemus, quae ad Dei agnitionem & cultum pertinent; & quo Deum recte agnoscimus & colimus. Nam Deum agnoscere & colere cadit etiam in homines simplices & literarum rüdes, quos ut Theologos nemo dicit, ita nec habitum, quo Deum recte agnoscunt 81 colunt, Theologiam facile quis dixerit. Contra docere, quae ad Dei agnitionem & cultum pertinent, cadit etiam in homines improbos, qui, recto Dei cultu susque deque habito, impie & flagitiose vivunt. Alius ergo habitus est, quo Deum conveniente cultu prosequimur; alius, quo quae ad verum Dei cultum pertinent, docemus. Illum religionis; hunc Theologiae habitum rectius dixeris." Zum Verhältnis von offenbarter Theologie und Glaube siehe Introductio 1,3,6, 127 Α. 1; 1,3,45, 199. Musäus führt die Unterscheidung zwischen natürlicher und offenbarter Theologie im ersten Kapitel der Introductio im Anschluß an die Unterscheidung der ektypischen Theologie "in Theologiam Viae sive Viatorum, & Patriae sive Comprehensorum" (1,1,8, 13; vgl. 1,1,10, 14) ein. Er definiert die natürliche Theologie als "scientia de Deo, ut hominis fine & bono summo, deque beatitudine & ejus in Deo consequendae causis & mediis, lumini sive principiis naturae innixa" (1,1,11, 14), während die gleiche Thematik in der offenbarten Theologie unter der Voraussetzung der göttlichen Offenbarung zu erörtern sei (1,1,12, 15). Siehe Introductio 1,2,4, 28. Die Wissenschaftlichkeit der natürlichen Theologie begründet Musäus damit, daß sie ein "habitus evidens" sei, "circa objectum necessarium occupatus, deducens conclusiones suas ex principiis necessariis. Quae enim de Deo ejusque cultu conveniente Theologia Naturalis tradit, ea accersit ex suis genuinis, iisque evidentibus principiis, 231

bei Musäus v i e l m e h r d e m A n l i e g e n , die Eigenart der E r k e n n t n i s q u e l l e n der V e r n u n f t u n d d e r O f f e n b a r u n g in wissenschaftlicher W e i s e darzustellen. D i e E r k e n n t n i s q u e l l e der natürlichen Theologie ist nach Musäus die ursprünglich d u r c h die G o t t e b e n b i l d l i c h k e i t bedingte 1 9 , jedoch d u r c h die Sünde graduell b e s c h r ä n k t e 2 0 V e r n u n f t e r k e n n t n i s G o t t e s 2 1 , w e l c h e er in kritischer A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t H e r b e r t v o n C h e r b u r y ebenfalls in f ü n f Sätze z u s a m m e n f a ß t . M a n wisse i m Stande der Sünde erstens, daß es eine andere Z u k u n f t nach diesem Leben gebe, zweitens, daß G o t t Gutes b e l o h n e n u n d Schlechtes bestrafen w e r d e , drittens, daß die Seligkeit der unsterblichen Seelen i m k o n t e m p l a t i v e n Leben in der Gottesschau bestehe. Hingegen k ö n n e m a n v i e r t e n s nicht dessen g e w i ß sein, daß die gute Seele nach d e m T o d e G o t t i n t u i t i v e r k e n n e n w e r d e , und f ü n f t e n s k ö n n e m a n auch nicht v o n d e r leiblichen A u f e r w e c k u n g überzeugt sein. 2 2 Z w a r gibt Musäus als Ziel der n a t ü r l i c h e n T h e o l o g i e die A u f h e b u n g der in der Sünde begründeten Unsicherheit hinsichtlich der G ü t e G o t t e s an. 2 3 D o c h läuft seine w e i t e r e A r g u m e n t a t i o n darauf hinaus zu zeigen, daß diese G e w i ß h e i t unter den Bedingungen der S ü n d e gerade nicht in d e r b l o ß e n V e r n u n f t erreicht w e r d e n kann. D e n n das v o n Musäus in analytischer R e i h e n f o l g e 2 4 r e k o n s t r u i e r t e v e r n ü n f t i g e W i s s e n des M e n s c h e n v o n G o t t u n d v o n sich selbst erweist sich

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quaeque necessariae sunt veritatis." (1,2,3, 27 A.l) Sie bemühe beide Verfahren des wissenschaftlichen "habitus demonstrative", nämlich die Schlußfolgerung aus ersten, unmittelbaren Prinzipien und den nachträglichen Beweis der Sache "ex effectu" (1,2,3, 27 A.2). Vgl. Introductio 1,1,12, 16-18 A.3. So Introductio 1,2,6, 32 A.4. Introductio 1,1,12, 15: "Distinctio haec petita est ex diversa ratione cognoscendi. Cognoscuntur enim Deus & divina a nobis vel naturaliter, partim per notitias nobis natura insitas, partim per vestigia invisibilium Dei, rebus creatis impressa; vel supematuraliter, per divinam revelationem." Siehe Introductio 1,2,9, A.9, 38f.: "In statu peccati verö, Sc postquam mors per peccatum introiit in mundum, cognoscere potest homo ductu luminis naturae, (1) post hanc vitam futuram esse aliam: cum hominis animam immortalem esse, & post mortem superstitem manere, ex ejus operationibus pateat. (2) In ea bonis bene, malis male futurum, Deo bonorum remuneratore & scelerum vindice illorum benefacta vita beatä remunerante, horum malefacta autem poenis vindicante. ... (3) Beatitudinem animarum, post mortem superstitum, in cognitione Dei constituram, eundem in modum ostendi potest, quo Aristoteles lib.X. Nic.c.VIII. ostendit, beatitudinem Dei consistere in vita contemplativa; ... (4) Non tarnen ductu luminis naturae homo cognoscere potest, quod animae bonorum, post mortem superstites, Deum intuitive Sc clare, ut in se est, cogniturae sint ... (5) Neque quod corpora demortuorum aliquando resuscitanda & cum animabus redunienda sint, certo cognoscere potest. ..." Vgl. Introductio 1,2,7-9, 33ff. In 1,2,7, 33 wird die adeptio und fruitio des "hominis bonum perfectum & summum" als formales Ziel der theologia naturalis bestimmt, die sich nach 1,2,9, 34 als "operatio quaedam animae rationalis circa Deum, eaque perfecta, qua bonitatis ipsius ita reddimur participes, ut eä appetitus noster satietur", vollziehe. Introductio 1,2,40, 102: "Partes Theologiae Naturalis, perinde ut aliarum scientiarum practicarum, tres constitui possunt. Prima de fine hominis ultimo, cum objectivo, tum formali; altera de subjecto operationis, nempe de homine Viatore, in quantum beatitudinis particeps fieri potest, aut debet; tertia de beatitudinis causis & mediis aget."

in seiner Darstellung als insuffizient. 25 Der Intellekt vermag sich zum Gedanken Gottes als Grund der ersehnten Glückseligkeit 26 nicht von sich aus zu erheben. Und in seiner Suche nach dem Heil 27 ist sich der Mensch der Unfähigkeit zur wahren Verehrung Gottes nicht bewußt. Auf diese Insuffizienz der natürlichen Gotteserkenntnis ist an anderer Stelle näher einzugehen. Hier ist zunächst nur festzuhalten, daß Musäus in seinen fünf Sätzen des natürlich religiösen Wissens anders als Herbert von Cherbury nicht die Erkenntnis des Seins Gottes anführt und damit bereits die Unvollkommenheit der natürlichen Gotteserkenntnis signalisiert. In seiner Darstellung der natürlichen Theologie kommt es Musäus aber vor allem darauf an, die Insuffizienz der menschlichen Vernunft im Blick auf die Heilsmittel aufzuweisen, die zur ersehnten Einheit mit Gott führen. Zwar habe die natürliche Vernunft eine bestimmte Vorstellung von den Mitteln zur Glückseligkeit. Diese sei inhaltlich mit den in den beiden Tafeln der zehn Gebote vorstelligen praktischen Prinzipien identisch. 28 Doch dieses praktische Wissen begründe allererst die Ungewißheit hinsichtlich des Heils, 25

Vgl. zur Insuffizienz der natürlichen Gotteserkenntnis Introductio 1,2,13, A.5, 45ff.: "Qui autem nunc in statu corruptionis & peccati per Theologiam Naturalem praescribi potest, praescribiturque cultus divinus, ad impetrandam ä Deo beatitudinem sufficere minime potest." 26 Vgl. zur Bestimmung Gottes als des objectum formale der natürlichen Theologie Introductio 1,2,16-28, 49-86. Daß die Sehnsucht nach der Glückseligkeit sich nur auf Gott beziehen kann, begründet Musäus in 1,2,9, A.3, 35f. folgendermaßen: "Beatitudo hominis, omnium consensu, est b o n u m absolute perfectum & s u m m u m , quod tantüm propter se, non propter aliud expetitur, & quo abtento appetitus satiatur & quiescit. Ergo est operatic animae rationales circa rem absolute & perfecte bonam, cujus bonitas tantum propter se, non propter aliud expetitur: alias enim appetitum hominis satiare non posset. Hujusmodi autem bonum, praeter u n u m & solum Deum, nullum datur. Caetera enim bona omnia creata & finita sunt, & ut ab alio ente perfection & meliori, a Deo scilicet, suam bonitatem habent, ita ad Deum ordinantur, nec satiare possunt hominis appetitum, sed relinquunt semper desiderium illius Entis perfections & melioris, a quo in suo esse dependet, suamque bonitatem habent, Dei scilicet. Deus igitur sclus u l t i m u m illud & absolute s u m m u m bonum, quöd a se est, & a quo res aliae omnes suam bonitatem habent: qui etiam vulgo concipitur & definitur per hoc, quöd sit mens o m n i u m perfectissima & excellentissima, qua nihil melius & perfectius esse aut cogitari possit. Ergo in sola operatione animae rationalis, quae circa bonum illud absolute & perfecte s u m m u m , Deum, occupatur, consistit summi boni adeptio hominisque beatitudo." Musäus arbeitet hier mit dem Gottesbegriff Anselms von Canterbury, indem er an die Stelle des 'maius' des 'quo nihil maius cogitari potest' die Güte setzt und damit das Anselmsche Argument umfunktioniert. Während Anselm aus dem 'quo nihil maius cogitari potest' die notwendige Existenz Gottes ableitete, geht es Musäus darum, aus dem Streben nach Glückseligkeit die notwendige Beziehung des Menschen zu Gott aufzuweisen. 27 28

Introductio 1,2,30, 86. Die Mittel zur Erlangung der beatitudo bestehen nach Musäus formal "in acribus mentis & voluntatis circa Deum, quibus recte agnoscitur & colitur" (Introductio 1,2,33, 88). Die Akte der Gotteserkenntnis und der Verehrung werden dabei in Entsprechung zu den zwei Tafeln des Dekalogs in 1,2,35.36, 89 in zwei Klassen unterschieden: "Primae tabulae praeceptis continentur, qui hominem directe ad Deum ordinant, & sunt vel interni, iique vel mentis vel voluntatis; vel externi actus. ... Secundae tabulae praeceptis continentur actus, qui directe hominem ad seipsum vel ad p r o x i m u m , consequenter autem ad Deum ordinant: qui itidem vel interni vel externi sunt."

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indem es den Vergleich zwischen den moralischen Prinzipien und dem individuellen Handeln und damit die Feststellung des Fehlverhaltens ermögliche. D a s dem D e k a l o g entsprechende natürlich praktische Wissen erscheint also faktisch als nicht hinreichendes Mittel zur Erlangung der Glückseligkeit. D e r wesentliche Unterschied in der Funktion der natürlichen Theologie bei Musäus und Herbert von Cherbury 2 9 zeichnet sich sonach in der unterschiedlichen inhaltlichen Bestimmung des natürlich religiösen Wissens ab. Indem Musäus in seinen fünf Sätzen die Ungewißheit hinsichtlich der individuellen zukünftigen Seligkeit und der leiblichen Auferstehung als M o m e n t des natürlichen Wissens benennt, rückt er entschiedener als Herbert die Heilsfrage als das den Menschen grundsätzlich bewegende Thema in den Vordergrund. Dagegen nennt er das Sündenbewußtsein, das Herbert mit seinem vierten Satz thematisiert hatte 3 0 , nicht als Moment des natürlich religiösen Habitus. D e n n die Erkenntnis der Sünde wird dem Menschen nach Musäus - ähnlich wie später in der Darstellung der Bekehrung bei Buddeus durch das Evangelium vermittelt. Der natürliche Mensch weiß nach Musäus gerade nicht aus sich selbst, daß seine Unsicherheit im Blick auf das zukünftige Heil ein S y m p t o m des durch die Sünde immer schon pervertierten Gottesverhältnisses ist. D e r Sinn seiner Rekonstruktion des natürlichen Wissens von Gott in der Disziplin der natürlichen Theologie kann somit nicht wie bei Herbert v o n Cherbury darin gesehen werden, die in der christlichen Religion thematische Offenbarung des Heils positiv zu bestätigen. 3 1 Denn dafür wäre die konkrete Erkenntnis der Heilsbedürftigkeit vorausgesetzt. 29

Vgl. Herbert v o n C h e r b u r y , D e veritate, 208ff. Herbert bestimmt hier die notitiae communes circa religionem als "praecognita" der Offenbarung, durch die die notwendigen und nützlichen Lehrsätze der offenbarten Religion erkannt werden können (208). Die notitiae communes der Religion lauten nach Herbert von Cherbury: "Esse S u p r e m u m aliquod N u m e n " (210); " S u p r e m u m istud numen debere coli" (212); "Virtutem cum pietate conjunctam (quae sub p r o b ä Facultatum conformatione hoc in O p e r e describitur) praecipuam partem Cultus Divini habitam esse & semper fuisse" (215); " H o r r o r e m scelerum H o m i n u m animis semper insedisse; Adeoque illos non latuisse Vitia & scelera quaecunq; expiari debere ex poenitentia" (217); "Esse praemium, vel poenam post hanc vitam" (220). Vgl. auch die Zusammenfassung dieser fünf Sätze der natürlichen Religion bei Hirsch, Theologiegeschichte B d . l , 248.

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Vgl. D e veritate, 217. Herbert belegt die These, daß der Seele des Menschen immer ein 'horror scelerum' innewohne, durch die religions geschichtliche Demonstration der die Sünden sühnenden F u n k t i o n des Priestertums. D a s Ziel der Schrift 'De veritate', an deren Ende sich Herbert über die allgemeinen N o t i o nen der Religion äußert, ist die Bestimmung und der Nachweis dessen, daß es Wahrheit gibt. Vgl. dazu die Zusammenfassung der Argumentation aaO., 204. N a c h der Darstellung von David A. Pailin in: T R E 15, 63 definiert Herbert Wahrheit "als Ubereinstimmung (conformitas) zwischen einem Objekt und einem Vermögen (facultas)", die nur unter der Bedingung eines Individuationsprinzips auf Seiten der res und der intellektuellen Fähigkeit der Erfassung desselben möglich ist (vgl. D e veritate, 10f.). Die in der Ubereinstimmung erreichte Veritas intellectus impliziere, sofern der erkennende Intellekt sich selbst richtig erkannt hat, die Veritas rei, die Veritas apparentiae und die Veritas conceptus (11). Damit sind

31

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Obwohl mit dieser Demonstration der Unvollkommenheit des natürlich religiösen Wissens von Gott ein möglicher Anknüpfungspunkt zur offenbarten Theologie in den Blick kommt, thematisiert Musäus den Zusammenhang zwischen den beiden theologischen Wissenschaften nicht. Die Erkenntnis der Insuffizienz des natürlich religiösen Wissens, die die natürliche Theologie faktisch erbringt, wird also nicht einmal als negative Voraussetzung der Evidenz der offenbarten Theologie bestimmt, vermutlich um die Behauptung der durch die Unterschiedenheit der Erkenntnisquellen begründeten Selbständigkeit der natürlichen und der offenbarten Theologie und den daran geknüpften Anspruch auf Wissenschaftlichkeit der jeweiligen Erkenntnis nicht zu untergraben. Gerade diese scharfe Entgegensetzung der natürlichen und offenbarten Theologie verlieh dem von Musäus installierten Programm, durch das erstmalig in der lutherischen Theologie der Unterschied der Erkenntnisquellen an sich selbst thematisiert worden ist, besondere Wirkmächtigkeit. Wenn auch seine Jenaer Schüler die Konzeption zweier, durch die Ausgestaltung in der analytischen Methode formal selbständiger theologischer Wissenschaften nicht von ihrem Lehrer Musäus übernommen haben, so verdanken sie ihm doch die in seinem Entwurf angelegte Konzentration auf den Begriff der natürlichen Religion, die die weitere Theologiegeschichte bis zu Schleiermachers Kritik der natürlichen Religion in der fünften Rede über die Religion 3 2 bewegen sollte. Ohne die programmatische Darstellung der Selbständigkeit von natürlicher und offenbarter Theologie bei Musäus wäre diese Entwicklung nicht denkbar gewesen. Angesichts der darin ausgeführten strikten Unterscheidung zwischen Vernunft und Offenbarung müßte die von Karl Barth an das theologische Programm von Buddeus gerichtete Frage, ob "Vernunft und Offenbarung nicht ... als konkurrierende Erkenntnisquellen nebeneinander" zu stehen komeinschließlich der Veritas intellectus, die als "conformitas ilia debita inter conformitates praedictas" bestimmt ist, vier Momente der Wahrheit zu differenzieren (12f.), deren Bedingungen Herbert im Anschluß daran formuliert (13-30) und als "facultates, quot sunt rerum differentiae & vice versa" deutet (30ff.). Die Fähigkeit der die Erkenntnis ermöglichenden Differenzierung der Dinge verdankt sich nach Herbert dem instinctus naturalis, jenem sensus nämlich, "qui ex facultatibus communes notitias conformantibus oritur" (37). Die Erkenntnis der Wahrheit ist durch die allen Menschen eingeborenen allgemeinen Begriffe oder Ideen vermittelt. Sie begründen den consensus universalis aller Menschen, der nach Herbert hinsichtlich der Religion, des zivilen und des politischen Rechts gegeben ist (39). Die auf die Religion bezogenen notiones communes dienen Herbert dann als Bedingung der Möglichkeit für den Ausweis der Wahrheit der offenbarten Religion. Musäus hat hierbei mit Recht den Hinweis auf die Insuffizienz der allgemeinen Begriffe der Religion und auf die Notwendigkeit der Offenbarung vermißt. Herbert bestreitet zwar nicht die Möglichkeit, daß eine Offenbarung wahr sein kann, er benennt aber alle wesentlichen Inhalte der Offenbarung als Inhalte der notiones communes, so daß eine Offenbarung schlechterdings nichts kundtun kann, was der Mensch nicht auch durch Reflexion auf sich selbst wissen könnte (vgl. aaO., 226ff.). Der Schritt zur Funktionsbestimmung der Offenbarung bei Lessing in seiner 'Erziehung des Menschengeschlechts' ist damit nicht mehr groß. 32

Siehe Schleiermacher, Reden, 261-279.

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men 33 , bereits an Musäus als den Vater dieses Programms gestellt werden. Dabei ist zu bedenken, daß gerade der von Musäus durch die Scheidung von natürlicher und offenbarter Theologie geleistete Aufweis der Eigentümlichkeit und relativen Selbständigkeit von Vernunft und Offenbarung an die Theologie Luthers anschließt, in der die faktische Konkurrenz zwischen Vernunft und Offenbarung als fundamentaltheologisches Problem bestimmt und festgeschrieben worden ist. Ein eindrucksvolles Zeugnis dafür ist die 'Disputatio de homine' 34 , in der Luther die formale und inhaltliche Differenz des Vernunftwissens 35 und des Glaubenswissens behandelt. Musäus ging in seiner Einleitung in die Theologie allerdings insofern entscheidend über Luther hinaus, als er die relative Selbständigkeit der Erkenntnisquellen der Vernunft und Offenbarung analytisch zu explizieren suchte. Dieses von Musäus in seiner Einleitung in die Theologie vorgeschlagene Programm und das damit verbundene Konzept der natürlichen Theologie kann Buddeus im Rahmen seiner Dogmatik nicht weiterführen. Denn ihm erscheint die bei Musäus in seiner Darstellung der natürlichen Theologie noch selbstverständlich vorausgesetzte Notwendigkeit der religiösen Verehrung Gottes angesichts der rationalistischen, atheistischen und deistischen Positionen strittig. Um der damit verbundenen Kritik an der Notwendigkeit der christlichen Religion entgegentreten zu können, rekonstruiert Buddeus die Grundlagen des Begriffs der natürlichen Religion und entwirft einen allgemeinen ReligionsbegrifP 6 . b) Die Begründung des Begriffs der natürlichen Religion aus dem Bewußtsein "schlechthinniger" Abhängigkeit In der Entfaltung des allgemeinen oder natürlichen Religionsbegriffs37 versucht Buddeus, aus den von Musäus vorgestellten Inhalten der natürlichen Theologie den Begriff der natürlichen Religion zu entwickeln. Als Struk33 Barth, Protestantische Theologie, 121. 34 WA 39/1, 175-177. 35 Vgl. dazu die Untersuchungen von Gerhard Ebeling, Lutherstudien II/2, zur ratio und dem Aufweis ihrer Unfähigkeit bes. 43ff. 36 Daß Buddeus ausdrücklich zwischen religio in genere und religio naturalis unterscheidet, zeigt auf einen Blick das Sachregister (die Seitenzahlen des Index sind nicht numeriert). 37 Innerhalb des Kapitels über Religion und Theologie in den Institutiones beschäftigt sich Buddeus in ID 1,1,1-14 zuerst mit dem Begriff der natürlichen Religion. Nach den einleitenden Paragraphen über den allgemeinen Begriff der Religion (ID 1,1,1-4) geht es dabei zuerst um die natürliche Gotteserkenntnis (ID 1,1,5-8), dann um die Begründung der Notwendigkeit des Kultus (ID 1,1,9-14). Letztere wird ausführlicher besprochen als die natürliche Gotteserkenntnis, weil die natürliche Gotteserkenntnis im Rahmen der Gotteslehre näher entwickelt werden wird. ID 1,1,15-18 zeigt Buddeus aus der Insuffizienz der natürlichen Religion die Notwendigkeit der offenbarten Religion auf, die dann das Thema von ID 1,1,1928 bildet. Unter der Frage nach der Wahrheit der christlichen Religion (ID 1,1,28) wird schließlich durch die Bestimmung der Glaubensartikel mit ID 1,1,29 der Übergang zum Theologiebegriff vollzogen.

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turmoment seiner Darstellung der natürlichen Religion läßt er jedoch nicht wie Musäus das analytische Schema, sondern die im Religionsbegriff selbst thematische Differenzierung zwischen Gotteserkenntnis und Gottesverehrung fungieren und begründet daher zuerst die These eines natürlichen Wissens von Gott, dann die natürliche Einsicht in die Notwendigkeit der Verehrung Gottes. Die Unumkehrbarkeit des Verhältnisses zwischen Gotteserkenntnis und Kultus zeichnet sich dabei darin ab, daß die Notwendigkeit der Verehrung Gottes nur unter der Voraussetzung eines entsprechend bestimmten Gottesgedankens behauptet werden kann. Der lutherischen Tradition sowie insbesondere Musäus und Baier folgend geht Buddeus zunächst davon aus, daß der Mensch durch das mit dem Dekalog inhaltlich identische Naturgesetz oder Moralgesetz, wie Baier es nennt 38 , darum wisse, daß er Gott verehren soll. Wie bereits im Zusammenhang der Lehre von der Bekehrung angedeutet 39 , wird dieses Wissen durch ausdrückliche Mitteilung des Dekaloges aktuell erschlossen. Die Anerkennung desselben als des der eigenen Natur entsprechenden Gesetzes verdankt sich dagegen der inneren, natürlichen Neigung des Menschen, die Buddeus als Restbestand der Gottebenbildlichkeit erklärt. Im Kontext der Bestimmung des Religionsbegriffs begründet er diese natürliche Neigung, das Gesetz Gottes anzunehmen und Gott darin zu verehren 40 , aus dem natürlichen Streben des Menschen nach dem als Grund der Glückseligkeit bestimmten höchsten Gut. 4 1 D a nämlich die Vernunft Gott als das höchste Gut denken müsse, sei der Mensch unter Voraussetzung der im Gesetz Gottes vermittelten Bestimmung Gottes als Gesetzgeber dazu geneigt, sich am Willen Gottes zu orientieren. 42 Die Einsicht in die Notwendigkeit der Verehrung Gottes ist nach Buddeus also vermittelt durch das natürliche Streben nach Glückseligkeit sowie durch die Überlegung, daß das Gesetz Gottes als Manifestation seines Willens anzuerkennen ist. Der Ort, an dem sich diese Einsicht des Menschen artikuliert, ist das Gewissen. Dieses weiß nach Buddeus durch das 38 39 40

Vgl. Baier, Compendium 111,7,6.7, 481. Siehe dazu Kap III,B,2 und IV, 1 dieser Arbeit. Vgl. dazu ID 1,1,10-14, 12-20. Der gedankliche Ubergang von der Bestimmung der natürlichen Gotteserkenntnis zur Verehrung Gottes ist ID 1,1,9, 12 vermittelt durch die mit der Annahme der Weisheit und Gerechtigkeit Gottes notwendige Folgerung eines eschatologischen Ausgleichs der innerweltlichen Ungerechtigkeit. 41 Als Ausweis für die Behauptung, der Mensch strebe nach dem höchsten Gut, führt Buddeus die philosophische Diskussion zum höchsten Gut an, siehe ID 1,1,10, 13: "Natura onmes, ad bonum aliquod quaerendum, cuius possessio nos felices reddat, impelli, omnes novimus; ac tot philosophorum de summo bono disputationes testantur." 42 Vgl. ID 1,1,10, 13: "Omnia autem si animo perlustremus, quae in toto hocce universo occurrunt; nihil omnino, a solo Deo si discesseris, invenietur, quod beatos nos reddere queat." Siehe weiter ID 1,1,12, 14 und 1,1,13, 14: "Voluntatem vero Numinis, cum duce ratione utcumque explorare queamus, si, tum quid Deum deceat, tum quid nobis non minus, quam hominum generi universo conducat, recte expendamus".

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Gesetz Gottes 4 3 um die Pflicht zum inneren und äußeren Kultus 44 . Die äußere Verehrung Gottes geschieht dabei in der Befolgung der auf das Verhältnis zum Mitmenschen bezogenen Gebote Gottes und setzt die in der inneren Verehrung Gottes implizierte Anerkennung Gottes als Gesetzgeber voraus. Die innere Verehrung Gottes vollzieht sich hingegen in der Liebe zu Gott und ist begründet in der Erkenntnis Gottes als des höchsten Gutes. Für sie ist daher die ausdrückliche Erkenntnis der Güte Gottes vorausgesetzt. 45 Wie die Ausführungen zur Versöhnungslehre gezeigt haben, rechnet Buddeus mit der Verwirklichung innerer und äußerer Verehrung Gottes nur unter der Bedingung des durch die Wiedergeburt konstituierten Prozesses der Erneuerung des Menschen zur Gottebenbildlichkeit. Daher drängt sich bereits an dieser Stelle die Vermutung auf, daß der als Moment der natürlichen Religion konzipierbare natürliche Gottesgedanke nicht die hinreichende Bestimmung zur Konstitution der im Gesetz geforderten inneren Verehrung Gottes enthalten kann, da sonst im Widerspruch zur Sündenlehre eine angemessene Verehrung Gottes auch außerhalb des Glaubens möglich sein müßte. Da der Mensch durch seine Natur nur zu verehren bereit ist, wovon er sich Glückseligkeit zu erhoffen vermag, muß nach Buddeus der natürliche Begriff Gottes die Bestimmung Gottes als eines die Welt zu ihrem Besten dirigierenden Bewahrers einschließen. Ohne diese im Begriff der Providenz zusammengefaßte Annahme der Erhaltung und weisen Regierung der Welt durch Gott kann es nämlich keinen Vollzug der dem Menschen eigentümlichen Neigung zum Kultus geben. Die Erkenntnis der göttlichen Providenz gilt mithin als Bedingung der Möglichkeit der Verehrung Gottes 4 6 und wird 43

44 45 46

238

Vgl. zur Funktion des Gewissens ID 1,1,14, 15: "Atque haec quidem omnia, cum ratio omnes homines luculenter edoceat; eaque ita comparata sint, ut, si quis usu rationis polleat, sanaque mente sit praeditus, quam primum ista intelligit, statim praebere assensum teneatur, adeo ut cordibus etiam eorum inscripta esse, recte Paulus pronuntiet, Rom.II,15\ oritur inde naturali conscientiae dictamen: cuius ea vis, eaque efficacia est, ut, si qui scientes volentesque contra ista Numinis praecepta egerint, se peccasse, interno mentis testimonio statim convincantur: quemadmodum & per idem conscientiae dictamen, si modo eidem aurem praebere velint, ab eiusmodi peccatis perpetrandis numquarn non retrahuntur." Das durch die zwei Momente der notitia principiorum und der scientia facti konstituierte Gewissen wird auch hier eindeutig als Vermögen bestimmt: denn die notitia principiorum ist "omnium hominum cordibus" nicht aktuell, "sed potentia propinqua, cum inclinatione singulari, ad adsensum praebendum" eingeboren, so ebd. A . l . Zur Unterscheidung des cultus interni und externi siehe ID 1,1,12, 14 A.l. ID 111,1,5, 705: "Ad voluntatem quod attinet, non poterat non homo Deum, seu summum, quod intime cognitum habebat, bonum, summo amore complecti, & ita cum eo uniri." Siehe ID 1,1,6, 10 A.2: "Qui ergo providentiam divinam negat, Deum colere nequit. Posset equidem eum ob naturae praestantiam admirari; sed veneratio, quae cum amore & timore coniuncta est, locum non habet, ubi nulla prorsus obiecti ad nos est relatio." Vgl. zur Zweckbestimmung der Lehre von der Providenz ID 11,2,60, 608: "Quemadmodum denique divinae providentiae negatio pronissima ad pessima quaevis via est; sap.II,2.seq. ita sine vera eius, vivaque agnitione vera religio Numinisque cultus sibi non constat. Namque & fidem excitat, atque corroborat, &, ut in Deo solo fiduciam nostram collocemus, efficit;

d a h e r v o n B u d d e u s i n d e r S c h ö p f u n g s l e h r e 4 7 g e g e n die v o n D e s c a r t e s

und

a n d e r e n g e ü b t e K r i t i k als v o m S c h ö p f u n g s a k t k o n z e p t i o n e l l z u u n t e r s c h e i dendes

Handeln

Gottes verteidigt.

Denn

angesichts

der Unfähigkeit

G e s c h ö p f e z u r Selbsterhaltung u n d z u r Selbstbewegung k ö n n e die

der

Güte,

Weisheit und A l l m a c h t Gottes nur unter der Voraussetzung der erhaltenden und

lenkenden

Providenz

Gottes

behauptet

werden.48

Das

Attribut

der

W e i s h e i t , das i m K o n t e x t d e r P r o v i d e n z h o f f n u n g als d i e z e n t r a l e B e d i n g u n g der V e r e h r u n g s w ü r d i g k e i t G o t t e s erscheint, gehört dabei n o t w e n d i g zu d e m B e g r i f f v o n G o t t , d e n d i e V e r n u n f t des M e n s c h e n in d e r n a t ü r l i c h e n G o t t e s e r k e n n t n i s a u s b i l d e t . 4 9 E s h a n d e l t s i c h d a b e i u m d e n B e g r i f f G o t t e s als des ens supremum

u n d ens

In V o r w e g n a h m e

perfectissimum. d e r in d e r G o t t e s l e h r e a u s z u l e g e n d e n

Eigenschaften

G o t t e s b e s t i m m t B u d d e u s b e r e i t s in d e r R e l i g i o n s l e h r e das ens supremum das alles g e s c h ö p f l i c h e Sein d u r c h v o l l k o m m e n e

Heiligkeit

als

übertreffende

W e s e n . D i e H e i l i g k e i t g r ü n d e t d a b e i in d e r V o l l k o m m e n h e i t d e r V e r n u n f t b e g a b t h e i t , W e i s h e i t u n d W i l l e n s f r e i h e i t , in d e r E w i g k e i t ,

Unveränderlich-

k e i t u n d A l l m a c h t u n d s c h l i e ß l i c h v o r a l l e m in d e r h e r v o r r a g e n d e n

Güte,

G e r e c h t i g k e i t u n d W a h r h a f t i g k e i t . 5 0 A u s d i e s e r alles e n d l i c h e Sein ü b e r t r e f -

l.Petr.VJ." Siehe auch ID 11,2,43, A . l , 551. Die Aussage der Providenz wurde in der altprotestantischen Theologie zumeist in die der Erhaltung, der Mitwirkung und der Regierung der Welt, zuweilen aber auch nur in die zwei Momente der Mitwirkung und der Regierung differenziert, vgl. dazu Buddeus, ID 11,2,46, 561. Buddeus denkt die Providenz als conservatio und als durch den concursus vermittelte gubernatio, vgl. ID 11,2,47, 561 bis 11,2,49, 573. 47 Die Lehre von der Providenz entwickelt Buddeus ID 11,2,40-53, 548-583. 48 Vgl. die Verteidigung der Providenz gegen die Zweifel der Vernunft und die anschließende vollständige und evidente Darlegung derselben aus der göttlichen Offenbarung ID Π,2,43ί., 550-560. Die Notwendigkeit der Providenz wird ID 11,2,43, 550 "ex bonitate eius [Dei; Vf.] & sapientia, & potentia; non minus tarnen & ex rerum creatarum indigentia" geschlossen. Den Schluß aus der Unselbständigkeit der Geschöpfe führt Buddeus 11,2,43, A . l , 55lf. so aus: "Quod si dicas, Deum equidem & velle, & posse conservare mundum, sed hunc conservatione ac gubernatione non indigere, cum omnia in eo statu, in quo in creatione constituta erant, permaneant, & secundum ordinem semel a Deo sancitum, procedant; id quidem infirmitatem, indigentiamque rerum creatarum in memoriam nobis revocat, quae novum simul pro Numinis Providentia adserenda, argumentum suppeditat. Ut enim res creatae nihil, ut exsisterent, conferre potuerunt, ita non magis se ipsas conservare possunt. Non minoris utique potentiae est conservare, & continuare exsistentiam, quam eamdem producere atque largiri. Quodsi autem res creatae se ipsas conservare non possunt, neque ordinem, secundum quem omnia eveniunt, constituere; sequitur, a Deo ista omnia profluere, quippe cuius potentia tantum ad hoc sufficit." 49

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Die Notionen der natürlichen Gotteserkenntnis gelten daher insgesamt als Bedingung der Möglichkeit für die Verehrung Gottes, ID 1,1,5, A . l , 10: "Primum itaque hoc, praecipuumque religionis naturalis caput est. Has enim qui negat notiones, is Deum cultu religioso, quem ratio ipsa praescribit, prosequi nequit." ID 1,1,5, 9f.: "Quodsi ergo homo cuncta paullo adcuratius, diligentiusque, prouti res tanti momenti postulat, consideret, facili negotio deprehendet, dari ens aliquid supremum, intellectu perfectissimo, summaque adeo sapientia, pariter ac voluntate liberrima praeditum, aeternum idem, omnis mutationis ac imperfectionis, quocumque nomine veniat, expers, potentissimum porro, ut vel solo nutu omnia, quae velit, peragere aut efficere possit, non minus vero benignissimum, iustissimum tarnen simul, ac veracissimum, adeoque ab omni239

fenden Vollkommenheit des ens supremum folgert Buddeus als weitere Bestimmungen des vernünftigen Gottesbegriffs die Unendlichkeit im Sinne der Unbegrenztheit und - da es widersprüchlich wäre, mehrere infinite Wesen anzunehmen - die Einzigkeit Gottes. 51 Unter der Bedingung des Monotheismus ist es schließlich notwendig, Gott als die erste Ursache aller Dinge 52 zu denken, da im Falle einer vom ens supremum unterschiedenen ersten Ursache der Unendlichkeit widersprochen wäre. Ist aber Gott als das ens supremum die erste Ursache und mithin Ursache aller Dinge, so muß sich die Hoffnung auf Erhaltung und weise Regierung der Welt auf ihn richten. Die teleologische Einsicht, daß alles in der Welt zu einem bestimmten Zweck geschaffen ist und daß daher auch die in dieser Überlegung sich manifestierende Gabe der Vernunft als zweckvolle Ausstattung zur Erfüllung des göttlichen Willens erscheint 53 , wird bei Buddeus dabei nicht wie im teleologischen Argument aus der Betrachtung des Endlichen gewonnen. Er entwickelt sie vielmehr umgekehrt aus dem natürlich-religiösen Begriff Gottes als des ens supremum und als des Bewahrers der Welt. Aus dieser Bestimmung des natürlichen Gottesbegriffs ist allerdings noch nicht ersichtlich, weshalb der Mensch überhaupt diesen Gedanken eines höchsten vollkommenen und die Glückseligkeit garantierenden Seienden entwirft und nicht vielmehr den Grund seiner erstrebten Glückseligkeit bei sich selbst sucht. Das entscheidende Argument für die von Buddeus im Eingangsparagraphen aufgestellte These, der Mensch wisse von Natur aus um die Existenz Gottes und die Pflicht zum Kultus, gewinnt Buddeus im Rekurs auf die Selbstbeobachtung des Menschen 54 . In der Reflexion auf sich selbst erkenne nämlich jeder Mensch, daß er nicht die Ursache seiner selbst sei und nichts

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bus vitiis, naevisque mortalium remotissimum, hoc est, sanctissimum." Wer diese von der Vernunft nahegelegten Bestimmungen Gottes bestreitet, der kann Gott unmöglich verehren, so ebd. A . l , 10. Den so bestimmten Begriff des ens supremum identifiziert Buddeus im folgenden Paragraphen ID 1,1,6, 10 mit dem "ens hocce perfectissimum, quod Deum vocamus". Die Vollkommenheit Gottes wird also in der beschriebenen Überlegenheit dessen, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, gesehen. Vgl. ID 1,1,5.6, 9f. und ID 1,1,7, 10: "Cum etiam evidenter cognoscat, ens hocce, nullos aut essentiae, aut perfectionum suarum habere limites, seu infinitum esse; plura autem dari entia infinita, apertam contradictionem involuat; merito inde concludet, unicum saltern esse Deum; immo eos, qui plures uno deos summos statuunt, aliquid dicere, quod nihil significet, nullumque plane habeat sensum." Vgl. ID 1,1,6, A . l , 10: "Deprehendet porro, ens hocce perfectissimum, quod Deum vocamus, non tantum rerum omnium, quae aut sensibus percipi, aut mente cognosci possunt, esse caussam ... Hoc sua sponte ex ipsa Dei notione fluit. Si enim non esset caussa rerum omnium, sequeretur, dari res quasdam independentes a Deo: adeoque eum non esse infinitae perfectionis, hoc est, non Deum". ID 1,1,8, 11: "Sapientiae, quam in Deo admiramur, summae consideratio, eo nos statim ducet, ut intelligamus, cum nihil in orbe sit, quod non ad certum finem natura sua sit comparatum eum exigere, ut vitam rationis rectae dictamini conformem instituamus". Vgl. zur Selbstbeobachtung die Darstellung der Rechtfertigungslehre in Kap. III,B,3 dieser Arbeit.

aus sich selbst besitze, sondern vielmehr alles dem verdanke, dessen höchste Weisheit und Macht sich überall bezeuge.55 Dieses in der Selbstbetrachtung des Menschen zu gewinnende Wissen um die Abhängigkeit seiner selbst und alles Endlichen von einem anderen höchsten und vollkommenen Wesen, welches Gott genannt zu werden verdient56, bestimmt Buddeus noch vor der Fähigkeit, das ens supremum zu erkennen und dessen Willen zu entsprechen, als das erste und grundlegende Moment der Empfänglichkeit des Menschen für die Religion. Die vollständige Bestimmung dessen, was als Bedingung der Möglichkeit für die Verehrung Gottes in der Religion erforderlich ist, wird von Buddeus daher in drei Momenten zusammengefaßt: erstens müsse sich das Individuum von einem ens supremum bzw. perfectissimum ganz und gar abhängig wissen können; zweitens bedürfe es der Fähigkeit, dieses ens supremum ausdrücklich zu erkennen, und drittens der Fähigkeit, seinen Willen in Ubereinstimmung mit dem Willen dieses ens supremum zu bestimmen.57 55 ID 1,1,2, 6: "Idque [seil.: "esse Deum ... primam causam, ... veneratione dignum", 1,1,1, 5; Vf.] ex sui ipsius consideratione homo, si paullisper animum advertere velit, haud difficult«' intelligit. Se enim non sui ipsius esse caussam, nec, quidquid habet, a semet ipso, sed ab eo, cuius sapientiam, potentiamque summam, vestigiis luculentissimis ubique se prodere deprehendit, aeeepisse, statim perspicit." In den Atheismusthesen wird die Abhängigkeitserkenntnis des Menschen dagegen noch nicht aus der Selbstbeobachtung abgeleitet. Vgl. TAS 5,3, 376 A.l: "Certum est, nihil posse sui ipsius esse causam; unde simul patet, causas rerum adspectabilium ab aliis causis iterum dependere; adeoque, nisi processum in infinitum admittere velimus, in prima tandem aliqua causa subsistendum esse, quae non sit alia, quam ipse Deus." Im Zusammenhang dient diese Argumentation der Atheismusthesen aber auch nicht wie in der Dogmatik zum Erweis der Religiosität des Menschen, sondern zur Demonstration der Existenz Gottes. Denn Buddeus führt das Argument "a dependentia rerum a suis causis" neben dem "a motus origene" und dem "a rerum creatarum contingentia" als metaphysisches Argument für das "esse Deum" ein, siehe TAS 5,3, 373. Die Argumente werden dabei nicht verbindungslos nebeneinander gestellt, sondern als einheitlicher Gedankengang entwickelt. Aus dem Schluß auf einen ersten Beweger ergibt sich die Abhängigkeit aller Dinge von demselben, für deren kontingentes Dasein wiederum ein notwendiges Seiendes vorausgesetzt werden muß: "Hinc enim primum aliquem motorem, primamque causam, a qua reliqua omnia dependeant, & ens aliquod necessarium, (quae omnia in solum Deum quadrant,) dari, luculentissime evincitur." Vgl. ausführlicher die Erläuterung in der Anmerkung zu TAS 5,3, 373-379. 56 Das Abhängigkeitsbewußtsein von Gott impliziert nach Buddeus, daß sich der Mensch im Vergleich mit der Welt als das höchst komplexe Wesen wahrnimmt und darum die Ursache seiner selbst nicht mehr in der Welt suchen kann. Den entsprechenden Gedankengang führt Buddeus in der theoretischen Philosophie aus. Indem Gott nicht nur als Ursache der physischen, sondern auch der seelischen Verfaßtheit des Menschen bestimmt wird, in der sich der Mensch von allem ihm begegnenden Dasein und Leben unterschieden weiß, kommt dem Gottesgedanken in der theoretischen Philosophie die systematische Funktion zu, die Bedingung der Selbtswahrnehmung des Menschen anzugeben und so das theoretische System zu vervollständigen. Siehe zur Annahme der Existenz Gottes als causa suprema und fons "utriusque mundi, et visibilis, et invisibilis" den letzten Teil der theoretischen Philosophie EPT VI,3, 357ff. 57 ID 1,1,2, 6 A . l : "Nimirum, ut religionis aliquis capax censeatur, tria requiruntur, (1) ut ab ente aliquo supremo, eoque perfectissimo, se prorsus dependere sciat; (II) ut facultate, ens illud supremum cognoscendi; & (III) ad eius nutum voluntatem suam componendi, praeditus sit." Vgl. ID 1,1,6, 10 A.l: "Dependentiae autem nostrae agnitionem ad obligationem pariter ac religionem necessariam esse, ex antea dictis intelligitur." 241

Dietrich Rössler hat nun in einer Studie zur 'Vernunft in der Religion' die These vertreten, aus "dieser Beschreibung der natürlichen Religion" von Buddeus habe Schleiermacher "die Formulierung 'schlechthin abhängig' ... aufgenommen und bekanntgemacht". 58 In der Tat entspricht Schleiermachers berühmte Definition des Gemeinsamen "aller noch so verschiedenen Äußerungen der Frömmigkeit" als des sich selbst immer gleichen Wesens der Frömmigkeit, nämlich "daß wir uns unsrer selbst als schlechthin abhängig ... bewußt sind" 59 , der Wendung "ut ... se prorsus dependere sciat" bei Buddeus. Schleiermacher selbst läßt zwar nicht erkennen, ob ihm der Gedanke aus der Tradition bekannt ist. In der Einleitung der Glaubenslehre bedankt er sich lediglich bei Ferdinand Delbrück für das bei ihm "nicht selten vorkommende Wort schlechthinnig"60, welches als gleichbedeutend mit 'absolut' verwendet wird 61 . Da Schleiermacher aber die Dogmatik von Buddeus kannte 62 , ist es denkbar, daß er durch sie auch die Anregung zur Bestimmung des Wesens der Frömmigkeit empfing. Dagegen ist ein Rekurs auf die ältere lutherische Tradition auszuschließen, weil in dieser das Abhängigkeitsbewußtsein noch nicht als Moment der Religiosität des Menschen bestimmt worden ist. Daß Schleiermacher in seiner Wesensbestimmung der Frömmigkeit jedenfalls faktisch den Ansatz von Buddeus weiterverfolgt hat, signalisieren einige Parallelen, die trotz der Diskrepanz des philosophischen Problembewußtseins zwischen Buddeus und Schleiermacher bestehen. Die auffälligste Parallele liegt in der dogmatischen Verortung des durch die Dependenzerfahrung bzw. das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit bestimmten Religionsbegriffs innerhalb der Einleitung der Dogmatik bzw. Glaubenslehre. Zweitens ist auch das Interesse, aus dem heraus der Begriff der natürlichen Religion bzw. das Wesen der Frömmigkeit bestimmt wird, bei beiden ähnlich. Denn beiden geht es um die Demonstration der Notwendigkeit der Religion. Und drittens läßt sich auch im Blick auf die Bestimmung der Form des Abhängigkeitsbewußtseins eine gewisse Ubereinstimmung feststellen. Durch den Vergleich dieser zuletzt genannten Parallele in der formalen Bestimmung der Religiosität soll im folgenden die in der These Rösslers

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Rössler, Vernunft, 93. Zwar hat schon Reinhard, Prinzipienlehre, 40 das "scire se ab ente supremo prorsus dependere" bei Buddeus als "Abhängigkeitsgefühl" interpretiert, doch ohne auf die Parallele zu Schleiermacher hinzuweisen. G L I, § 4, 23. Schleiermacher fügt hinzu: "Ich wollte es nicht wagen, und habe keine Kunde, daß es schon anderwärts vorhanden gewesen. N u n er es aber gegeben, finde ich es sehr bequem, ihm im Gebrauch desselben zu folgen." (So die bei Redeker G L I, § 4, 23 a zitierte Anmerkung in der Ausgabe von Thönes.) G L I, § 4, 23 A n m . Dies zeigt Schleiermachers Verweis auf I D 11,1,36, 325 im Rahmen der Bestimmung der Heiligkeit Gottes G L I, § 84.3, 449.

implizierte theologiegeschichtliche Relevanz des Religionsbegriffs von Buddeus genauer in den Blick genommen werden. c) Die Unmittelbarkeit des natürlich religiösen Wissens Im Rückgriff auf Henrik Steffens Beschreibung des Gefühls als der "unmittelbare[n] Gegenwart des ganzen ungeteilten Daseins" 63 bestimmt Schleiermacher das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit als unmittelbares Selbstbewußtsein 64 und unterscheidet es damit von Wissen und Tun einerseits 65 , von einem als Ergebnis "einer analysierenden Betrachtung" konstituierten "gegenständlichen Bewußtsein von sich selbst" 66 andererseits. Bei Buddeus erscheint dagegen die Erkenntnis der Dependenz auf den ersten Blick - mit Schleiermacher geredet - wie "eine Vorstellung von sich selbst", die "durch die Betrachtung seiner selbst vermittelt" 6 7 ist. Sie würde demnach in den Bereich der Erkenntnistätigkeit des Intellekts gehören, so daß man zu dem Schluß k o m m e n könnte, Buddeus habe die theoretische Entfaltung des Begriffs der natürlichen Religion auf das "gegenständliche Bewußtsein von sich selbst" stützen wollen. Der Unterschied zu Schleiermacher wäre dann in der Bestimmung der Form des Abhängigkeitsbewußtseins zu sehen. Doch gegen diese Vermutung spricht, daß Buddeus die Gewißheit der Gotteserkenntnis auf eine unmittelbare innere Wahrnehmung zurückführt 6 8 und daß er die bereits genannten Momente der natürlichen Religion, also den natürlichen Begriff Gottes und die Pflicht zur Verehrung Gottes, nicht als ausdrückliche Erkenntnisse voraussetzt, sondern als religiöse Befähigung des

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Siehe Schleiermachers A n m e r k u n g G L I, § 3.2, 17. Vgl. G L I, § 4, 23 u n d I, § 3, 14. G L I, § 3, 14; I, § 3.3, 17-19. Siehe GL I, § 3.2, 16f. Vgl. dazu Konrad Cramer, Die subjektivitätstheoretischen Prämissen von Schleiermachers Bestimmung des religiösen Bewußtseins, 130. 67 Mit dieser Beschreibung des Gegensatzes z u m unmittelbaren Selbstbewußtseins versucht Schleiermacher, den Begriff des Gefühls zu bestimmen, siehe G L I, § 3.2, 16. Sie entspricht dem Satz, mit dem Buddeus das Argument aus der Dependenzerfahrung einführt, vgl. I D 1,1,2, 6: "Idque ex sui ipsius consideratione h o m o , si paullisper animum advertere velit, haud difficulter intelligit." 68 Siehe ID 11,1,5, Α.2, 266: "Evidentissima haecce est ratio, qua quisque de notitia Dei insita certus fieri potest. N e c amplius quid requiritur, quam ut aliquis sincere & serio ad se attendat, & quae in se ipso deprehendit, animadvertat. Quae enim t u m ipsemet in se sentit, & experitur, ita illum convincere possunt, ut nullus dubitationi amplius relinquatur locus." Vgl. außerdem E P T IV,3,2, 358: "Vix sine pudore hoc scribo, quaesitum esse, unde existentia huius Numinis demonstrari possit? cum tarnen statim aliquis convinci evidentissime possit, si m o d o attendat ad ea, quae in sua mente peraguntur, et q u o r u m non potest non intime esse conscius. H a n c itaque consulentes, deprehendimus, ita earn comparatam esse, ut quamp n m u m de supremo N u m i n e aliquid audimus, aut eius cogitatio mentem nostram subit, statim velut impetu abripiamur, et impellamur, huic asserto, quod o m n i n o existat, assensum praebendi."

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Menschen 6 9 verstanden wissen will. Mit dem Begriff der natürlichen Religion ist daher kein religiöser Vollzug, sondern die Anlage zur Frömmigkeit gemeint. Entsprechend ist auch das Abhängigkeitsbewußtsein als dasjenige Moment, aus dem die Beziehung auf Gott als notwendige demonstriert werden kann, nicht als permanent bewußte oder aktuelle Erkenntnis gedacht. Zum näheren Verständnis dieser Bestimmung müssen ihre Voraussetzungen hier kurz dargestellt werden. Buddeus verdankt die Möglichkeit, die natürliche Religion als Anlage des Menschen zu denken, der von Musäus entwickelten Bestimmung der eingeborenen natürlichen Gotteserkenntnis als einer dem Intellekt naheliegenden Möglichkeit. Mit diesem Konzept suchte Musäus die noch von Quenstedt vertretene klassisch altprotestantische Definition der eingeborenen Gotteserkenntnis als einer dem Intellekt zwar nicht actu secundo im Sinne des aktuellen Gebrauchs, wohl aber actu primo als natürlicher Besitz zuzuschreibenden Fähigkeit außer Kraft zu setzen. 70 Musäus teilte dabei das von Quenstedt an diese Distinktion geknüpfte Interesse, die - nach Rom l,19f. allen Menschen ins Herz geschriebene - natürliche Gotteserkenntnis trotz der faktisch festzustellenden Ignoranz oder Bestreitung der Existenz Gottes behaupten zu können. 7 1 Unter seinen erkenntnistheoretischen Prämissen konnte er aber die Unterscheidung zwischen einer nur besessenen und einer auch gebrauchten Fähigkeit nicht akzeptieren. Denn da die zur Hervorbrin69

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Vgl. I D 1,1,1, A . l , 6: "nunc id saltern observo, quod natura proni simus ad id, quod praestantia ac dignitate sua nos movet, praesertim, si relatio quaedam eius ad nos accedat, cultu ac veneratione prosequendum." Für die Gotteserkenntnis wird dies in der Gotteslehre ausführlicher dargelegt werden. Im Blick auf das Wissen der praktischen Prinzipien und mithin der Notwendigkeit der Gottesverehrung argumentiert Buddeus in ID 1,1,14, A . l , 15, daß dieses "non de actu, sed potentia propinqua, cum inclinatione singulari, ad adsensum praebendum" allen vernunftbegabten Kreaturen ins Herz geschrieben sei. Quenstedt, Systema 1,6/1,11, 366: "Notitia Dei naturalis est duplex, una ... naturae & mentibus hominum in ipso ortu suo impressa, insita & implantata, qua homo ex principiis secum natis, tanquam imaginis divinae ruderibus quibusdam Sc reliquiis sine discursu & mentis operatione Deum cognoscit. ... Illa subjectiva dicitur ... notitia habitualis, quia inest nobis per modum habitus impressi, etiam ante rationis usum & exercitium." Siehe weiter aaO., 1,6/2,1, 374: "Disting. inter Notitiae Dei naturalis actum primum & secundum·, sive ktesin & chresin; Negatio actus secundi ..., non infert negationem actus primi ... Notitia Dei naturalis, quoad ktesin actu primo & per se competit omnibus, tum quia omnibus est insita, tum quia ex creaturarum contemplatione omnes eam colligere possunt, sed ratione chreseos & actus secundi in quibusdam lumen hujus notitiae opprimitur & Veritas in injustitia detinetur R o m . 1,28. adeoque non tam de actuali notitia, quam de potentia perveniendi in Dei notitiam disquiritur, non quid cognitum fuerit omnibus, sed quid cognosci potuerit ab omnibus." Mit dem gleichen Argument, das Musäus gegen das actu primo gegebene natürliche Wissen von Gott aufbietet, bestreitet er daher gemeinsam mit Quenstedt die eingeborene Erkenntnis Gottes actu secundo, vgl. Introductio 11,19,52: "notitiae in actu secundo semper important aliquem actum cognoscendi ab intellectu elicitum, atque adeo ab eo efficienter productum, qui hoc ipso, quod ab intellectu producitur, natura nobis insitus sive innatus non est." Vgl. dazu Quenstedt, Systema 1,6/1,3, 362f. und seine Antwort auf den entsprechenden Einwand von Socinus 1,6/2,1, 374 Nr.6.7.

gung einer Erkenntnis notwendige species impresso, nach seiner Überzeugung niemals eingeboren sei, sondern durch Sinneswahrnehmung vermittelt werden müsse, konnte ihm das Konzept einer aktuell als Besitz eingeborenen Erkenntnis Gottes nicht einleuchten. 72 Um dennoch selbst von einer eingeborenen Gotteserkenntnis sprechen zu können, bestimmte Musäus dieselbe als eine der menschlichen Vernunft naheliegende Möglichkeit und kennzeichnete dementsprechend die Form der eingeborenen Gotteserkenntnis nicht mehr als Habitus73, sondern als Disposition 74 . In materialer Hinsicht erklärte er diese Disposition als diejenige Fähigkeit75 des Intellekts, durch die dieser in einer Aussage die Identität des Prädikats mit dem Subjekt zu erkennen und sich daraufhin zur Hervorbringung des Aktes der Zustimmung zu bestimmen vermag 76 . Mit dieser Entdeckung des dispositionellen Charakters der eingeborenen Gotteserkenntnis, durch die zugleich die Art und Weise, in der dem Menschen die Erkenntnis Gottes "ins Herz geschrieben" ist, geklärt wird, konnte Musäus dem Anliegen Quenstedts, die eingeborene Gotteserkenntnis trotz der faktisch in der Welt anzutreffenden Ignoranz Gottes zu behaupten, besser Rechnung tragen als dieser selbst.77 72 Introductio 1,2,19, 52f. A.2: "notitia in actu primo dicitur proprie, quae intellectum in esse principii completi Sc in actu primo sufficientis constituit ad actum cognoscendi eliciendum. Quemadmodum autem absque speciebus impressis intellectus principium completum Sc in actu primo sufficiens non est ad actum cognoscendi eliciendum, ita nec notitiae in actu primo ei natura insitae sive innatae ullae dici possunt, nisi Sc species impressae natura ipsi insitae sive innatae sint. Sed species impressae, quas notitia in actu primo intrinsece includit, non nascuntur nobiscum, sed transmittuntur ab objectis per sensus Sc phantasmata, cum concursu intellectus agentis, ad intellectum, ut alibi docetur." 73 So dagegen noch Quenstedt, Systema 1,6.1,11, 366. 74 Vgl. Introductio 1,2,19, 54 A.5: "Neque diversum sentire videntur illi sive Philosophi sive Theologi, qui notitiam insitam dicunt notitiam habitualem, natura insitam sive innatam. Per habitualem enim notitiam non intelligunt species impressas, inter se bene coordinatas Sc dispositas, ut habitus intellectuales alias accipi solent: agnoscunt enim ultro, species impressas non esse nobis ingenitas; sed perfectionem quandam, ante species impressas ullas intellectui ingenitam ..., quam potius dispositionis quam habitus appellationem mereri volunt." Es handelt sich um eine "perfectio, intellectui innata, qua intellectus potens, vel in potentia propinqua constituitur ad actus agnoscendi per se immediate Sc citra ullam aliunde assumtam rationem cognoscendi eliciendos". Ahnlich bestimmt auch noch Hollaz, Examen 1,1,5, 292 das eingeborene Wissen von Gott: "Notitia DEI naturalis insita est, perfectio homini viatori congenita Sc habitui analogs, qua intellectus humanus adjutus veritatem evidentium de DEO propositionum, apprehensis earum terminis, citra discursum perspicit, iisdemque indubitatum assensum praebet." 75 Introductio 1,2,19, 53 A.4: "Addimentum: potentia propinqua; duo importat: Unum negationem actus cum primi, tum secundi. ... Alterum, innatam quandam perfectionem, qua intellectus potens constituitur ad actum cognoscendi, positis caeteris ad intelligendum requisitis, per se immediate eliciendum, quam communiter lucem intellectui ingenitam sive natura insitam appellant." 76 Introductio 1,2,19, 53 A.2: "Relinquitur ergo, quöd in sensu tertio notitiae quaedam dicantur natura insitae, nempe quod intellectui insitae sint potentia propinqua, ita ut simul ac termini apprehensi sunt, sua sola intrinseca sibique inde ab utero insita vi cognoscendi identitatem praedicati cum subjecto videat, Sc ad actum assentiendi eliciendum se determinet." 77 Uber die unterschiedlichen Konzepte der eingeborenen natürlichen Gotteserkenntnis in der evangelischen Theologie seiner Zeit berichtet Calov, Systema 11,1/2,3, 78ff. Entweder sei die

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Aus der dispositionellen Bestimmung der eingeborenen Gotteserkenntnis bei Musäus ergab sich außerdem notwendig eine in der älteren Darstellung der natürlichen Gotteserkenntnis nicht geleistete Klärung des Verhältnisses zwischen eingeborener und erworbener Gotteserkenntnis. Während bei Quenstedt eingeborene und erworbene natürliche Gotteserkenntnis als zwei durch Besitz und Gebrauch differente Akte der Erkenntnis benannt worden waren, machte nämlich Musäus - in Enstprechung zu der Tatsache, daß auch das erworbene Wissen von Gott nicht permanent aktuell ist - den potentiellen Charakter nicht nur für die eingeborene, sondern ebenso für die erworbene Gotteserkenntnis geltend 78 . Den wesentlichen Unterschied zwischen eingeborener und erworbener Gotteserkenntnis erblickte er stattdessen darin, daß die erworbene Gotteserkenntnis im Unterschied zur eingeborenen auf Schlußfolgerungen aus dem Intellekt fremden Prinzipien 79 , nämlich natürliche Gotteserkenntnis als Fähigkeit zum Erwerb der Gotteserkenntnis aufgefaßt und damit unterbestimmt worden. Oder man habe sie wie Scaliger und Aisted als ein durch die species impressa eingeborenes Wissen verstanden, ohne daß dafür jedoch hinreichende Gründe angegeben worden seien. Andere wie z.B. Suarez hätten von einem "per modum actus" eingeborenen Naturgesetz gesprochen, was aber nach Calov der Erfahrung nicht entspricht. Daher seien - so referiert Calov - manche dazu übergegangen, die natürlich eingeborene Gotteserkenntnis als Disposition des Habitus zu bestimmen. Dieser Auffassung schließt sich Calov an: "quae sententiae facile conveniunt: siquidem naturalis DEI notitia non proprie babitualis, aut habitus dicatur, ... imperfectus habitus, vel dispositio agnoscatur, quae via est ad habitum. Quanquam ergo non insit homini notitia de Deo, ante actionis usum & exercitium, quantum ad speciam expreßam, & ideam aliquam mente conceptam, non tarnen negandum arbitramur, in homine dari sive dispositionem aliquam, sive quoddam analogum habitui, aliquam nempe τελειωσιν potentia intellectualis in homine post lapsum reliquam, cujus beneficio homo DEum, quadantenus cognoscere possit sine Magistro." (aaO., 80f.) Calov vertritt damit zwar exakt die Auffassung von der natürlich eingeborenen Gotteserkenntnis, die später Musäus in seiner Introductio ausführt. Doch verbindet Calov mit seinem Konzept der eingeborenen Gotteserkenntnis noch eine andere Funktion als später Musäus, indem er in Systema 11,1/1, 40-47 der notitia Dei insita einen pädagogischen, einen didaktischen und einen pädeutischen Nutzen zuschreibt. Denn die eingeborene Gotteserkenntnis rege zur Frage nach dem wahren Gott an (40), lehre, "quod ad explicationem & illustrationem Scripturae faciat. ... Inservit quippe notitia Dei naturalis tum explicationi eorum, quae de Natura & Attributis atq; Actionibus Dei traduntur in Scripturis, quatenus ad ea penetrat ratio, tum illustrationi quoque mysteriorum, quae sola fide constant, qua eadem non probantur quidem, sed illustrantur aliqua ratione his, quae naturae lumine innotescunt."(41) Und schließlich habe das eingeborene Wissen von Gott die pädeutische Funktion "ad dirigendos mores Si externam disciplinam in, & extra Ecclesiam" (46) und könne daher als Naturgesetz gelten. Obwohl Musäus diese Zweckbestimmung der eingeborenen Disposition zur natürlichen Gotteserkenntnis in seiner Einleitung in die Theologie nicht ausdrücklich bestreitet, wird sie von ihm doch auch nicht mehr rekapituliert. Denn sein Hauptinteresse hinsichtlich der eingeborenen natürlichen Gotteserkenntnis richtet sich nicht auf die pädagogische Funktion, sondern darauf, die Insuffizienz der natürlichen Gotteserkenntnis und damit die Angewiesenheit des Intellekts auf die Offenbarung Gottes zu demonstrieren. 78 79

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Siehe Introductio 1,2,19, 53 A.3: "Notanter dico: potentia propinqua. Nam conclusionum etiam notitia acquisita inest intellectui potentia, sed remota." Introductio 1,2,19, 53 A.3. Nach Musäus ist die notitia insita dem Intellekt potentiapropinqua inne, während die notitia acquisita sich potentia remota dem Intellekt eröffnet. "Non enim apprehensis terminis statim intellectus ad illarum assensum se determinare potest, sed inter-

auf den dem Intellekt nicht immanenten species impressae beruhe. Sonach kann es den Akt der natürlichen Gotteserkenntnis nur als Betätigung der angeborenen Disposition im Kontext der Weltwahrnehmung geben. O b w o h l Musäus die Unterscheidung zwischen der eingeborenen und erworbenen natürlichen Gotteserkenntnis noch nicht aufgegeben hat 80 , erscheinen eingeborene und erworbene Gotteserkenntnis in seiner Auslegung nicht mehr wie bei Quenstedt als verschiedene Akte der Gotteserkenntnis 8 1 , sondern als Bestimmung der notwendigen Konstitutionsbedingungen des einen Aktes, in welchem der menschliche Intellekt Gott erkennt. Buddeus setzt diese Analyse der natürlichen Gotteserkenntnis und die darin implizierte erkenntnistheoretische Konzeption in seinen Ausführungen zur natürlichen Religion voraus 82 , die durch seine damals sehr gerühmten 8 3 Atheismusthesen gedanklich bereits vorbereitet waren. Die Disposition zur Gotteserkenntnis sieht Buddeus im Einklang mit Musäus in der intellektuellen Fähigkeit, den Begriff des ens supremum zu entwickeln und als Gottesgedanken zu identifizieren, während die Verehrung Gottes durch Willensentsprechung in der Anlage des Strebens nach Glückseligkeit disponiert sei. Uber Musäus hinausgehend bestimmt er aber nicht nur die natürliche Gotteserkenntnis, sondern auch die mit dem Abhängigkeitsbewußtsein gegebene Einsicht in die Notwendigkeit der Verehrung Gottes als eine der menschlichen N a t u r naheliegende Möglichkeit. Da Buddeus in der entsprechenden Beschreibung der Empfänglichkeit des Menschen für die Religion das Wissen um die Abhängigkeit als gleichrangiges Moment neben der Fähigkeit zur Gotteserkenntnis und zur Verehrung Gottes nennt 8 4 , m u ß das Abhängigkeitsbewußtsein - ebenso wie das theoretische und praktische Wissen von Gott - als ein in einer Disposition begründetes Moment der natürlichen Religion verstanden werden. In Entsprechung zu den dispositionellen Fähigkeiten der Gotteserkenntnis und der Verehrung Gottes, welche Buddeus für die Ausbildung des Gottesgedankens und die Verehrung Gottes voraussetzt, könnte die Disposiventu d e m u m alterius cognitionis, qua alia priora principia cognoscuntur. Ex praemissis cognitis enim determinantur intellectus ad assensum conclusionis, non per se immediate." (ebd.) 80 Siehe Introductio 1,2,19, 52: "Cognoscitur autem Deus, ductu luminis naturae, modis, duobus. U n o per notitiam natura insitam, altero per notitiam acquisitum." 81 Quenstedt, Systema 1,6/1,11, 366 deutet die notitia Dei insita als eine "per generationem" mitgeteilte Erkenntnis Gottes "sine discursu & mentis operatione", der kein Mensch, nicht einmal die Kinder entbehrten. Dagegen werde die notitia Dei aquisita nicht in allen Menschen gefunden, "quia per ratiocinationem & discursum sese exerit". 82 Pfaff (Inst. 1,1,4, 121) sieht in Buddeus' Verständnis der natürlichen Gotteserkenntnis zwar eine Übereinstimmung mit Locke. D o c h die Grundlagen gehen auf Musäus zurück, der sein Verständnis der eingeborenen Gotteserkenntnis deutlich vor dem Erscheinen des 'Essay concerning h u m a n understanding' 1690 entwickelt hat. 83 Pfaff beispielsweise spricht von-einem "elegantissimo libello", Inst. 1,1,4, 121. 84 Vgl. ID 1,1,2, 6 A . l .

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tion zur Erkenntnis der Abhängigkeit in der Fähigkeit der Selbstbeobachtung gesehen werden. Wenn Buddeus diese Fähigkeit des menschlichen Intellekts jedoch nicht ausdrücklich als die Bedingung der Möglichkeit für die Erkenntnis der Abhängigkeit benennt, so mag das daran liegen, daß dies im Zusammenhang seines argumentativen Interesses nicht notwendig ist. Denn im Rahmen seiner religionstheoretischen Überlegungen geht es Buddeus nur darum, den Grund dafür anzugeben, weshalb der Vernunft die Existenz eines höchsten Wesens und die Notwendigkeit seiner Verehrung plausibel erscheinen muß. Weil nämlich der Mensch seine physische und seelische Verfaßtheit nicht als durch ihn selbst verursachte und ausgebildete verstehen könne, sei ihm die Abhängigkeit von einer anderen Ursache außerhalb seiner selbst evident. Dabei ist wichtig zu sehen, daß Buddeus mit dem Abhängigkeitsbewußtsein nicht das Sein Gottes als ens supremum, sondern nur die religiöse Veranlagung des Menschen zur Gotteserkenntnis und Gottesverehrung nachzuweisen versucht. Obwohl er in diesem Kontext noch nicht die Ausbildung des Selbstbewußtseins als Voraussetzung des religiösen Vollzuges bestimmt, geht er doch einen entscheidenden Schritt über Musäus' Verständnis der natürlichen Gotteserkenntnis hinaus, indem er die Fähigkeit des Menschen zur Erkenntnis seiner Abhängigkeit als Grund der Evidenz des Gottesgedankens thematisiert. Daß der Mensch sich bei der Beobachtung seiner physischen und insbesondere seiner seelischen Bestimmtheit nicht als Ursache seiner selbst verstehen kann und darum zur Annahme der Existenz Gottes neigt, ist allerdings eine These, für die Buddeus innerhalb der Explikation der natürlichen Religion die Begründung schuldig bleibt. So kann er dem Atheisten, der die Notwendigkeit der Verehrung Gottes leugnet, nur unterstellen, er hindere oder hemme seine innere und ursprüngliche Überzeugung.85 Schleiermacher wird dagegen in seiner Glaubenslehre das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit durch den Nachweis der Unmöglichkeit eines Bewußtseins schlechthinniger Freiheit begründen.86 Für seine Konzeption ist jedoch die Einstufung des Bewußtseins schlechthinniger Abhängigkeit als unmittelbares Selbstbewußtsein vorausgesetzt. Denn auf der Ebene des gegenständlichen 85

I D 11,1,5, 266 Α.2: "Res autem ipsa docet, ... nos non de illis loqui, qui rationis usu destituuntur, sed de hominibus, qui eo pollent, & adeo ad hocce mentis suae examen rite instituendum idonei sunt: itemque de illis, qui veritati non resistunt, aut huncce naturae instinctum data opera non suffocant, aut supprimunt. Id enim aliquando contingere, atheorum exempla docent. Ad quos quidem compescendos ac coercendos tum aliis argumentis opus erit. Frustra quippe hominem ad notitiam Dei insitam ablegaveris, qui earn data opera supprimit, idque unice agit, ut eius vim impediat." Vgl. auch I D 11,1,5, 264 A . l : " N e quis autem potentiam illam propinquam nimis tenuiter interpretaretur, amplius aliquid addendum censui, coniunctam scilicet earn esse cum inclinatione quadam & propensione validissima, efficacissimaque, quae statim sese exserit, ac homines eiusmodi propositiones audiunt, intelligunt, & secum recte expendunt". Siehe dazu E P T IV,3,2, 358.

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Siehe G L I, § 4.3, 27f.

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und ausdrücklichen Bewußtseins von sich selbst kann es immer nur ein geteiltes Abhängigkeitsbewußtsein geben. Da Buddeus die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen dieser Überlegung 87 noch fehlen, kann er das Abhängigkeitsbewußtsein weder als unmittelbares Selbstbewußtsein bestimmen, noch durch die Negation des Bewußtseins schlechthinniger Freiheit begründen. Eine Parallele zu Schleiermachers Charakterisierung des Abhängigkeitsbewußtseins ist aber insofern gegeben, als Buddeus die Evidenz des Gottesgedankens im Rekurs auf das Bewußtsein der Abhängigkeit erklärt. Dabei sieht er das Wesen der Frömmigkeit ebensowenig wie Schleiermacher in der ausdrücklichen oder gegenständlichen Erkenntnis der Abhängigkeit. Zum frommen Vollzug, wie er im Zusammenhang der individuellen Heilsaneignung dargestellt worden ist, gehört für Buddeus vielmehr eine bestimmte Affektion des Willens, die sich in den entsprechenden Affekten des Glaubens erkennen läßt 88 und in der allererst die Einheit des Bewußtseins konstituiert wird.

d) Der allgemeine Religionsbegriff als Bestimmung der Religiosität des Menschen Betrachtet man noch einmal die argumentative Funktion, in der Buddeus das Bewußtsein der Abhängigkeit thematisiert, so zeigt sich, daß er die Erkenntnis der Abhängigkeit als Erklärung für die Evidenz des von der Vernunft entworfenen Gottesgedankens in Anspruch nimmt. 89 Die Annahme eines ens supremum, welches Ursache aller Dinge ist, erscheint nach Auffassung von Buddeus der Vernunft deshalb unmittelbar evident, weil diese sich nicht selbst für den Grund ihrer selbst halten kann, sondern sich als abhängig von

87 Vgl. dazu Cramers These, aaO., 134f., daß "Schleiermachers Bestimmung des religiösen Bewußtseins die Konsequenz einer von ihm ausgearbeiteten Theorie des nicht-religiösen Bewußtseins ist, die jenes systematisch an dieses anbindet." 88 In Μ 1,1/4,29, 121 definiert Buddeus Affekte als die Akte, "in quos propensiones istae tum naturales, tum habituales erumpunt, in bono aliquo appetendo, aut malo aversando". Sie sind dem seelischen Bereich des appetitus sensitivus zugeordnet, vgl. EPP 1,2/2,22, 38. Die Sündenerkenntnis im Gewissen bringt die Affekte der Trauer und Beschämung hervor, die durch den Glauben an Christus als den Mittler in die Affekte des Vertrauens und der Liebe zu Gott umgewandelt werden, vgl. ID IV,5,12, 1387f. Buddeus unterscheidet hier spirituelle und natürliche Affekte des Wiedergeborenen: "Spirituales sunt, qui ex caussis spiritualibus oriuntur, atque adeo a mente tantum originem habent, licet in corpore etiam effectus eorum quandoque sentiantur, ut amor Dei, odium peccati, tristitia Sc dolor ob peccata, gaudium spirituaie, spes divina, zelus, & alii. Naturales sunt, qui ex caussis naturalibus oriuntur, sed per fidem sanctificantur, & qua obiectum, modum, finem, rite diriguntur, ut amor parentum, liberorum, cognatorum, amicorum, tristitia, commiseratio, & alii." 89 Der Hinweis auf die agnitio dependentiae erscheint immer im Anschluß und unter Voraussetzung der Behauptung einer natürlichen Gotteserkenntnis, vgl. ID 1,1,1.2, 5f.; 1,1,6, 10 und bes. A.l.

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etwas außerhalb ihrer selbst verstehen muß. 90 So fungiert in der Analyse der natürlichen Religion der Hinweis auf die dem Menschen in der Selbstbeobachtung mögliche Erkenntnis seiner völligen Abhängigkeit als das entscheidende Argument zur Demonstration der Empfänglichkeit des Menschen für die Gotteserkenntnis und Gottesverehrung. Die Verifikation natürlicher Gotteserkenntnis aus der Selbstbeobachtung hatte Buddeus bereits in den Atheismusthesen 91 der kosmologischen Demonstration der Existenz Gottes an die Seite gestellt und damit die klassisch lutherische Verteidigung des natürlichen Wissens von Gott entscheidend vertieft. Während dort mit Hilfe der kosmologischen Schlüsse nur die objektive Vernünftigkeit der natürlichen Gotteserkenntnis gezeigt werden sollte, erlaubt es Buddeus' Bestimmung des subjektiven Grundes für die Annahme und den Vollzug dieser Schlüsse, die kosmologische Entfaltung der Existenz Gottes gegen den Atheismus als zur Vernunftnatur des Menschen gehörig zu behaupten. Der Rekurs auf die sich in den Gottesbeweisen artikulierende Erkenntnis der Abhängigkeit dient ihm jedoch ebensowenig wie später Schleiermacher 92 als Beweis der Existenz der darin als Bezugspunkt angenommenen Ursache,

90 Siehe ID 1,1,2, 6: "Idque ex sui ispius consideratione homo, si paullisper animum advertere velit, haud difficulter intelligit." Die Selbstbetrachtung ist kein notwendiger Vollzug der menschlichen Vernunft und stellt sich mithin nach Auffassung von Buddeus auch nicht automatisch ein. Wird sie jedoch vollzogen, so leuchtet dem Individuum auf Anhieb ("statim", wie Buddeus ebd. betont) ein, daß es "non sui ipsius esse caussam, nec, quidquid habet, a semet ipso". 91 In den Atheismusthesen wird die natürliche Gotteserkenntnis als seelische Neigung zur Zustimmung zum Gottesgedanken gegen den Atheismus aufgeboten, vgl. TAS 5,1, 358: "UT tandem atheismum profligemus convellamusque penitus, Deum esse, tam intime animis hominum insitum atque infixum est, ut quilibet, qui rationis usu pollet, & sanae mentis est, quamprimum hanc propositionem audit ac intelligit, non possit non ei assensum praebere, immo ad praebendum, instinctu quodam naturali trahatur, deque eius veritate, nisi per summam malitiam resistat, convincatur. Merito itaque atheos primum ad ea, quae ipsi in mentibus suis deprehendere consideranda, abnegamus." Unter diesem Vorzeichen und Interesse stellt Buddeus dann die Argumente vor, "quibus existentia Numinis probari potest", teilt diese TAS 5,2, 372 in drei Klassen, "quarum prima metaphysica, altera physica, tertia historica complectitur", und bestimmt in der Klasse der metaphysischen Argumente das Argument "a dependentia rerum a suis causis, itemque, a rerum creatarum contingentia" als zweites nach dem Argument "a motus origine", vgl. TAS 5,3, 373. 92 Wie Cramer, aaO., 136, gezeigt hat, ging es Schleiermacher in G L I, Η 3 und 4 nicht um den Nachweis dessen, "daß das Wesen der Frömmigkeit in dem Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit von Gott besteht. Was dasteht, ist vielmehr, daß sich die Frömmigkeit von allen anderen Gefühlen dadurch unterscheidet, daß wir uns in diesem Gefühl unserer selbst als schlechthin abhängig bewußt sind. Von was wir uns dabei abhängig fühlen, wird gerade nicht gesagt." Cramer erblickt die "systematische Pointe" der genannten Ausführungen Schleiermachers vielmehr darin, "daß es ein nicht dem Wissen, sondern ein dem Gefühl angehöriges Bewußtsein unserer selbst gibt, in welchem wir uns unserer selbst als schlechthin abhängig bewußt sind." Es sei gerade "die eigentümliche Bestimmtheit dieses Abhängigkeitsbewußtseins, ein schlechthinniges zu sein, die es ausschließt, etwas Bestimmtes zu identifizieren, von dem man sich da abhängig fühlt."

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sondern will gegen die damalige atheistische Bestreitung der Existenz Gottes 93 die Evidenz dieses Gedankens hervorheben. 94 Der von Buddeus gegen den Atheismus konzipierte Begriff der natürlichen Religion muß als Novum in der damaligen lutherischen Theologie gelten. Ohne die einschneidenden Erkenntnisse von Musäus wäre er nicht möglich gewesen, aber er geht über diesen Ansatz hinaus, indem er nicht nur die natürliche Gotteserkenntnis, sondern die Möglichkeit des religiösen Vollzuges insgesamt durch eine bestimmte intellektuelle Disposition des Menschen erklärt und darin zugleich die theologische Voraussetzung für die spätere Abschaffung der Urstandslehre bereitstellt. Im letzten Kapitel 95 ist gezeigt worden, daß die in diesem Lehrstück vorgenommene Interpretation der biblischen Paradiesesgeschichte die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen als die durch die Wiedergeburt zu restituierende Gottebenbildlichkeit und als Ausweis seiner guten Schöpfung zur Darstellung bringen sollte. Da Buddeus die Erkenntnis des Ziels der Erlösung aus der Mittlerchristologie bezieht, verbindet er mit der Urstandslehre vor allem die zweite Aufgabe und muß unter den Bedingungen der noch nicht völlig überwundenen Substanzmetaphysik an ihr festhalten. Mit der im Begriff der natürlichen Religion formulierten natürlichen Disposition des Menschen zur Religion ist jedoch bereits die Möglichkeit vorbereitet, die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen durch die religiöse Disposition zu interpretieren. Buddeus selbst kann allerdings in der Empfänglichkeit des Menschen für die Religion keine Manifestation der Bestimmung zur Gottebenbildlichkeit sehen, da er die Gottebenbildlichkeit als verlierbare und nicht zum Menschsein des Menschen gehörige akzidentielle Bestimmung auffaßt. Gegen eine unmittelbare Identifikation der Religionsfähigkeit mit der Bestimmung zur Gottebenbildlichkeit spricht außerdem, daß die Gottebenbildlichkeit nach

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Zur allgemeinen Bestimmung des Atheismus siehe T A S 1,1, 5 A.2: " C u m vox atheus diversimode sumatur, Sc diversa etiam dentur atheorum genera; hic tarnen eam proprie accipimus, prout primo eos, qui aperte & citra ambages Deum esse negant, deinde eos, qui talia docent, quibus directe natura & existentia Niminis evertitur, denotat. Illi primi ordinis atheos, hos secundi, dixeris." Siehe außerdem T A S 2,1, 207. Buddeus kennzeichnet sein Verständnis des Atheismus durch Abgrenzung von Naturalismus, Skeptizismus, Indifferentismus und Enthusiasmus. Als Naturalismus bezeichnet Buddeus die Auffassung derer, "qui per solam rationem, seposita revelatione, homines aeternam salutem consequi posse, contendunt" (TAS 2,2, 211). Dagegen sei der "Indifferentismus religionum si universalis sit, ita, ut quis omnes religiones uno eodemque loco habeat, hoc est, omnes aeque contemnat, reiiciatque", nicht vom Atheismus zu unterscheiden (TAS 2,3, 212). Siehe T A S 1,1, 4: "ETsi Deum esse tarn manifestum sit, ut nemo nisi reluctante animo hoc negare queat; fuisse tarnen subinde homines, qui sibi ipsis velut vim inferendo, eo usque progressi sunt, ut hoc diserte in dubium vocarent, idque aliquando aperte profiterentur, aut talia docuerunt, ex quibus Deum non esse directe sequitur, experentia docet, rerumque gestarum annales veteres ac recentiores, nos nulla ratione dubitare sinunt." Vgl. ID 0,1,5, 266.

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Siehe Kap. IV,1,a.

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neutestamentlichem Verständnis auf den Vollzug christlicher Gotteserkenntnis und Gottesverehrung zielt. Durch den Hinweis auf die in der religiösen Disposition eingeschlossene Erkenntnis schlechthinniger Abhängigkeit gewinnt Buddeus ein Argument gegen die atheistische Bestreitung der Existenz Gottes, welches die Faktizität dieses Phänomens ernst nimmt und es doch als Hemmung des Gottesbewußtseins zu deuten vermag. 96 Die in der Vernunftnatur des Menschen disponierte Erkenntnis Gottes ist dabei nicht so bestimmt, daß sie der Betätigung der Vernunft notwendig folgt. Gott kann zwar nur als ens supremum gedacht werden, aber die Einsicht in die Bezogenheit und Abhängigkeit von diesem ens supremum stellt sich nicht von selbst ein. Buddeus hat sicherlich mit Bedacht das Prinzip des zureichenden Grundes nicht wie Leibniz als notwendige Vernunftwahrheit bestimmt. 97 Denn vollzöge sich die Betätigung der Vernunft nicht nur durch das Prinzip des Widerspruchs, sondern immer auch durch das Prinzip des zureichenden Grundes, dann wäre in der Selbstreflexion die Erkenntnis der Abhängigkeit von einer alles bestimmenden Ursache bereits notwendig eingeschlossen. Angesichts der von Buddeus beschriebenen Verankerung der Religion in der Vernunftnatur des Menschen stellt sich jedoch die Frage, ob nicht durch die natürliche Gotteserkenntnis auch die adäquate Weise der Verehrung Gottes ohne Offenbarung erschlossen werden könne. Buddeus verneint diese Frage unmittelbar im Anschluß an seine grundlegende Bestimmung des Wesens der natürlichen Religion mit aller Entschiedenheit. 98 Religion sei generell und in sich betrachtet weder durch den Menschen selbst eingeführt, noch auch seinem Willen unterstellt und könne mithin keinesfalls als Erfindung des Menschen gelten. 99 Diese Aussage ist zwar das Implikat der 96

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TAS 5,1, 360f.: "Actu enim omnibus hominibus Dei notionem non inesse, facile concedimus; cum ceteroquin nemo unquam mortalium reperitur, qui, Deum esse, ignoraret; quod experientiae repugnat. Multo minus negamus, insitam hancce notitiam per institutionis defectum aut alias ob causas ita impediri posse, ne se exerat, aut, si etiam se exerat, per malitiam supprimi quodammodo Sc suffocari, renitente tarnen & reluctante animo, quod in atheis contingere, supra observavimus." Vgl. ebenso ID 1,1,3, 6. Vgl. dazu EPI I,3,14ff., 140ff. Buddeus bestimmt hier die principia cognoscendi als "propositiones universales, in quibus nexus ita necessarius & evidens deprehenditur, ut mens de illarum veritate dubitare nulla ratione queat." Er unterscheidet im folgenden die "principia orta seu secunda" von den "priora prima seu axiomata" (EPI 1,3,15, 140), unter denen das "principium universalissimum", von welchem alle anderen Prinzipien abgeleitet werden könnten und das daher selbst "indemonstrabile" sein müsse, durch den Satz bestimmt ist: "impossibile est, idem simul esse, & non esse" (EPI 1,3,17, 141). Das Prinzip des zureichenden Grundes wird hingegen nicht unter den principia cognoscendi erwähnt. Dies geschieht bereits im dritten Paragraphen des Kapitels über Religion und Theologie. Die ersten drei Paragraphen enthalten mithin die elementaren Aussagen zur natürlichen Religion· ID 1,1,3, 6: "Religio ergo, generatim &L in se spectata, non hominum voluntate introducta, aut in illorum arbitrio posita, multo minus ad alios decipiendos a callidis fraudum architectis inventa, & excogitata; sed cum ipsis hominibus orta, animique eorum, ipsa natura duce, insita; in omnium etiam animis, si modo non supina ignorantia aut malitia, naturae ipsi

Erkenntnis der schlechthinnigen Abhängigkeit, in der sich der Mensch als ganzer, also auch in seiner Vernunftbestimmtheit nicht als durch sich selbst konstituiert erkennt. Doch mit dem unter Hinweis auf die Abhängigkeitserkenntnis möglichen Ausschluß der Selbsterhebung des Menschen zu Gott kann die von Buddeus verfochtene These der Unverfügbarkeit der Religion noch nicht als begründet gelten. Es muß nun vielmehr auch die Insuffizienz des der Vernunft möglichen Wissens von Gott demonstriert werden. Auch an dieser Stelle hat Musäus entscheidende Vorarbeit geleistet. e) Die Insuffizienz der natürlichen Religion Die Neubestimmung der eingeborenen natürlichen Gotteserkenntnis von Musäus hat, wie oben gezeigt, nicht nur das Verdienst, die in der älteren Charakterisierung gelegenen Schwierigkeiten überwunden zu haben; sie konnte vor allem in scharfsinniger Weise eine in der altprotestantischen Lehre von der natürlichen Gotteserkenntnis gelegene, aber nicht intendierte Implikation ausräumen. Denn der Lockschen Kritik am Innatismus vorgreifend machte Musäus darauf aufmerksam, daß in der traditionellen Definition der eingeborenen Gotteserkenntnis der menschliche Intellekt als vollständiges Erkenntnisprinzip und daher implizit als durch sich selbst zur Erkenntnis Gottes fähiges Vermögen des Menschen behauptet worden war. 1 0 0 Tatsächlich legt sich mit der Anwendung der Distinktion zwischen Besitz und Gebrauch in Quenstedts Darstellung eine Verhältnisbestimmung von eingeborener und erworbener Gotteserkenntnis nahe, wonach die Vernunft im reinen Diskurs vom Besitz der eingeborenen Gotteserkenntnis Gebrauch machen kann. In der Einsicht, daß eine derartige Selbständigkeit der menschlichen Vernunft theologisch nicht vertretbar ist - und in der älteren lutherischen Dogmatik wohl auch gar nicht behauptet werden sollte -, führte Musäus die hier notwendige Auseinandersetzung mit Descartes' Versuch, die Erkenntnis der Existenz Gottes auf der Basis des methodischen Zweifels aus der eingeborenen Idee Gottes zu beweisen. Seine Kritik richtete sich dabei nicht erst gegen die Objektivität der aus dem Begriff Gottes erschlossenen Existenz Gottes, sondern schon gegen die Behauptung, der menschliche Intellekt könne ohne die Erfahrung von Endlichem die von velut vim inferens, hoc impediat, sese exserit." Diese These bezieht sich nicht auf die konkreten Inhalte der offenbarten Religionen, sondern auf das, was den religiösen Vollzug auf Seiten des Menschen ermöglicht. Siehe dazu ebd., Α. 1 deutlich: " N o n de commentis variis, quae subinde religionis nomine veniunt, aut de ritibus ac caerimoniis loquimur: talia enim ab hominibus excogitari, aut introduci potuisse, lubens fateor. Sed, de rehgione in se spectata, qua homines ens aliquod supremum, idque cultu religioso prosequendum, agnoscunt, sermo est." 100 Quenstedt hat zwar die eingeborene und erworbene natürliche Gotteserkenntnis als insuffizient zur Erlangung des Heils bestimmt (Systema 1,6/2,2, 376ff.). Aber einer Erkenntnis Gottes durch den reinen Diskurs steht in seiner Konzeption nichts entgegen.

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Descartes in Anspruch genommene Bestimmung Gottes als des ens perfectissimum erkennen. Im Unterschied zu den damit bestrittenen erkenntnistheoretischen Implikationen des cartesischen Arguments erklärte Musäus den Intellekt nicht als notwendig durch bestimmte Ideen besetzte res cogitans, sondern als facultas oder Vermögen, Ideen zu empfangen, wobei er das Moment der Selbsttätigkeit des Intellekts als Fähigkeit der Identifikation bestimmte. Auf dieser Basis konnte er zugleich die Konzeption von Herbert von Cherbury kritisieren, in der er die im lutherischen Schriftprinzip behauptete Notwendigkeit der Offenbarung für die Erkenntnis des Heils hintergangen sah. Im Unterschied zu Quenstedt erklärte Musäus den Akt der natürlichen Gotteserkenntnis aus dem Zusammenwirken der eingeborenen und erworbenen Gotteserkenntnis, indem er die erworbene Gotteserkenntnis als die durch das Zeugnis anderer oder die Intuition des Universums101 vermittelte Bedingung für die Aktualisierung der eingeborenen Gotteserkenntnis auffaßte. Den Erwerb der natürlichen Gotteserkenntnis sah er damit nicht wie Quenstedt an den akkuraten Diskurs gebunden, sondern erklärte die rudimentäre Form 1 0 2 für die ursprüngliche Weise der Gotteserkenntnis, die durch die Gottesbeweise akkurat expliziert werde. Als exakte Beschreibung der natürlichen Gotteserkenntnis 103 übernahm er wie Johann Gerhard die von Thomas von Aquin zusammengefaßten fünf Wege zur Demonstration der Existenz Gottes 104 , wobei jedoch der Fortschritt gegenüber Thomas darin zu sehen ist, daß Musäus mit den fünf Wegen nicht mehr die Bestimmung des Gottesnamens verband.105 Grundlegend für das Verständnis der natürlichen Gotteserkenntnis bei Musäus ist mithin, daß er die eingeborene Gotteserkenntnis auf einen nicht durch den Intellekt hervorgebrachten, sondern von ihm empfangenen Eindruck zurückführte, und daß er neben dem Zeugnis anderer, welches auch Quenstedt als Grund der erworbenen Gotteserkenntnis genannt hatte, vor allem die Intuition des Universums als Ausgangspunkt der natürlichen Gotteserkenntnis namhaft machte. Damit kam Musäus bereits dem später von Schleiermacher in der zweiten Rede über die Religion vorgetragenen 101 Vgl. dazu Introductio 1,2,23.24, 81f., bes. 1,2,24, 81: "Vulgaris & communis comparatur vel ex aliorum testificatione, vel ex intuitu hujus universi, per consequentiam quidem, sed facilem & cuivis, etiam literarum rudi, obviam." 102 Introductio 1,2,23, 81. So auch Buddeus I D 11,1,6, 269f. A . l . Vgl. dagegen Quenstedt, Systema 1,6/1,11, 366f. 103 Introductio 1,2,25, 82: "Exquisita & accurata [acquisita notitia Dei; Vf.] comparatur etiam ex consideratione hujus universi, sed exactiori." 104 Siehe Introductio 1,2,26, 82ff. Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae I, q2, a3. 105 Bei T h o m a s wird diese Funktion erkennbar aus der die fünf Wege jeweils abschließenden Wendung "dies nennen alle G o t t " . Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae I,q2, a3, resp.: "et hoc omnes intelligunt D e u m " nach der ersten via, "quam omnes Deum nominant" nach der zweiten via.

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Gedanken nahe, wonach die Religion durch die Anschauung des Universums vermittelt werde 1 0 6 . In der entsprechenden Deutung der natürlichen Gotteserkenntnis brachte Musäus seine Einsicht in die Insuffizienz des menschlichen Intellekts hinsichtlich der Erkenntnis Gottes dabei so zur Geltung, daß die Rede von der eingeborenen Gotteserkenntnis nicht aufgegeben werden mußte. Denn sie wurde nun als eingeborene Fähigkeit zur Gotteserkenntnis gedeutet, die sich in der Intuition des Universums individuell realisiert. Diese Auslegung der natürlichen Gotteserkenntnis bildete ein wesentliches Moment in Musäus' Argumentation für die Insuffizienz der natürlichen Gotteserkenntnis. Buddeus übernimmt die von Musäus vorgenommene Verhältnisbestimmung der eingeborenen und erworbenen Gotteserkenntnis 107 und teilt dessen zentrales Interesse, die Insuffizienz des menschlichen Intellekts als ausschließliches Prinzip der Erkenntnis Gottes herauszustellen, indem auch er dem Intellekt zwar die Fähigkeit zur Ausbildung des Gottesgedankens zuschreibt, aber die Betätigung derselben von der Voraussetzung einer entsprechenden Wahrnehmung abhängig erklärt. Allerdings betont Buddeus in der Erörterung der natürlichen Religion sofort auch die Insuffizienz des durch die Schöpfungserfahrung vermittelten Wissens von Gott. Denn dieses sei so unbestimmt, daß es keine adäquate Einsicht in die Verehrungswürdigkeit Gottes zu stiften vermöge. 1 0 8 Der von der Vernunft abstrakt bestimmbare Begriff Gottes als des höchsten, vollkommenen Seienden 109 , von wel106 Vgl. Schleiermacher, Reden, 50ff. 107 Vgl. ID 11,1,5, 263ff„ bes. 264 und ID 11,1,6, 269ff. 108 Der Argumentation für diese Unmöglichkeit dient u.a. ID 1,1,15, 15f. Buddeus widerlegt hier die These, daß es neben dem "dictamen conscientiae" noch ein "lumen aliquod, aut verhum internum, aut simile" gäbe. Zwar erkenne jeder "in se ipso omnino vim quamdam iudicantem, deque actionibus suis pronuntiantem sententiam, eamdemque mox absolventem, mox damnantem; mox impellentem, mox retrahentem, cum singulari quadam animi ad sententiam istam adprobandam, propensione; quam quidem conscientiae dictamen vocare solemus." Doch das Gewissen enthält nach Buddeus nicht das Wissen um die Gnade und Güte Gottes. "Omnino enim adserimus, quod homo, solius naturae viribus pollens, nec gratia divina adiutus, in rebus spiritualibus nihil boni cogitare, nedum perficere queat; idque praeeunte Paulo apostolo II. Cor. III,5. Si ergo nihil boni cogitare aut perficere potest, lumine quoque illo divino, quod in eo bonum istud efficiat, destituitur." (ID 1,1,15, 17f.) Das Wissen um die Güte Gottes verdanke sich vielmehr der Offenbarung des Wortes. "Sic & quando servator optimus dicit Petro: Caro & sanguis hoc non revelavit tibi, sedpater meus, qui in caelis est, Matth. XVI,16,17. recte quidem inde colligitur, carnem & sanguinem, hoc est, omnes facultates naturales, ut auctor loquitur, eiusmodi notitiam producere non posse: sed quod intus, seu absque verbi externi ministerio a Deo ista fuerit edoctus, inde minime consequitur. Ipsius servatoris sermonibus institutus erat, miracula eius viderat, vocem patris, caelitus delapsam, qua Iesum filium suum dilectissimum esse declaravit; indeque adeo notitiam, spiritu insuper sancto, cui non repugnabat, animum eius ad adsensum flectente, acceperat." (ID 1,1,15, 18f.) 109 Den Begriff des ens supremum konzipiert Buddeus ID 1,1,5, 9 als "intellectu perfectissimo, summaque adeo sapientia, pariter ac voluntate liberrima praeditum", welches ewig, unveränderlich und allmächtig gedacht werden müsse. Vgl. die im Vorspann zum Kapitel 1,1,5, 3 gegebene Paragraphenzusammenfassung und den Paragraphentext 1,1,5, 9: "Quodsi ergo

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chem Güte, Gerechtigkeit 1 1 0 und Providenz 1 1 1 zu erhoffen seien, bleibe als Ziel menschlichen Strebens nach Glückseligkeit ungewiß, solange Gott nicht als konkreter G r u n d des menschlichen Heils vorgestellt werde. 1 1 2 D i e Gotteserkenntnis der wahren Religion ist mithin gebunden an die Erkenntnis der Verehrungswürdigkeit Gottes und setzt daher eine Bestimmtheit der Beziehung Gottes zur Welt und zum Individuum voraus, die in der Intuition des Universums als solcher nicht thematisch ist. Hier liegt der G r u n d dafür, daß bei Buddeus die von Musäus so hervorgehobene Intuition des Universums wieder zurücktritt und stattdessen das äußere Wort 1 1 3 als Mittel zur Konstitution der Religion bestimmt wird. Mit dem Ausschluß rein kontemplativer Gotteserkenntnis ist jedoch in den Konzeptionen von Musäus und Buddeus nur der erste Schritt eines die Insuffizienz der natürlichen Gottesbeziehung bzw. der natürlichen Religion 1 1 4 demonstrierenden Gedankengangs getan. Die von Buddeus 1 1 5 geteilte homo cuncta paullo adcuratius, diligentiusque, prouti res tanti momenti postulat, considered facili negotio deprehendet, dari ens aliquod supremum, intellectu perfectissimo, summaque adeo sapientia, pariter ac voluntate liberrima praeditum, aeternura idem, omnis mutationis ac imperfectionis, quocumque nomine veniat, expers, potentissimum porro, ut vel solo nutu omnia, quae velit, peragere aut efficere possit, non minus vero benignissimum, iustissimum tarnen simul, ac veracissimum, adeoque ab omnibus vitiis, naevisque mortalium remotissimum, hoc est, sanctissimum." 110 Buddeus bezieht ID 1,1,5, 9f. Güte, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und Heiligkeit in den natürlichen Gottesbegriff ein, da Gott als summum bonum auch moralisch überlegen sein müsse. 111 ID 1,1,6, 10: "Deprehendet porro, ens hocce perfectissimum, quod Deum vocamus, non tantum rerum omnium, quae aut sensibus percipi, aut mente cognosci possunt, esse caussam, sed eumdem etiam provida sua cura rebus omnibus prospicere, omniaque sapientissime dirigere & moderari, ut sine eius nutu ac voluntate nihil omnino eveniat." 112 ID IV,4,9, 1327f.: " Q u o d autem ad ritus, caerimonias, lustrationes, sacrificia in se spectata, omnemque cultus externi adparatum, attinet, hisce nullam vim adesse expiandi peccata, ipsimet gentilium sapientissimi intelligebant". Dagegen habe der Apostel Paulus in R o m 12,1 einen "cultus rationalis" gefordert. "Cultum namque ... rationalem, qui christianos decet, opponit cultui ... irrationali ethnicorum, qui in ritibus ... absque fide in Christum oblatis, consistebat; quibus omnibus nullam vim placandi Numen aut peccata expiandi, inesse, vel ipsa quemlibet condocere poterat ratio: immo, cultum eiusmodi Deo indignum esse, non poterat non iudicare ipsa ratio, adeoque Sc merito plane αλογως censetur." 113 Siehe ID 1,1,15, 19: "Largimur facile, notitiam hanc esse donum Dei; concedimus, posse etiam internam vocari, subiective scilicet, ut in scholis loqui solent, quia cognitio menti inhaeret; minime efficienter, ac si solius mentis, vel luminis interni ope, sine verbo externo produci ac excitari queat." Im Blick auf die Gabe des Wissens der Geheimnisse des Himmelreiches in Mt 13,11 fragt Buddeus: " N u m enim sine verbi externi usu datum hoc illis est?" und antwortet: "Largimur facile, notitiam hanc esse donum Dei; concedimus, posse etiam internam vocari, subiective scilicet, ut in scholis loqui solent, quia cognitio menti inhaeret; minime efficienter, ac si solius mentis, vel luminis interni ope, sine verbo externo produci ac excitari queat. I m m o haec & similia scripturae sacrae effata, quibus rerum divinarum cognitio, & alia dona spiritualia hominibus data dicuntur, aperte docent, non in ipso homine lumen aliquod divinum naturaliter esse, sed aliunde demum, per Numinis divini gratiam, adeoque caussam aliquam externam iis advernire." 114 ID 1,1,20, 25 spricht Buddeus selbst von der "naturalis luminis ad salutem insufficientia". 115 So ID 1,1,17, A.3, 21f. und T A S 1,27, 180.182 in Anlehnung an Musäus.

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Stoßrichtung der natürlichen Theologie von Musäus zielte nämlich darüberhinaus gegen die vernünftige Begründung des Heilswissens bei Herbert von Cherbury. 1 1 6 D a Buddeus das eigentliche Interesse Herberts, nämlich die Verteidigung der Religion und des christlichen Glaubens, zu schätzen weiß, nimmt er ihn zwar gegen den Atheismus-Vorwurf in Schutz. Doch auch er vermißt bei Herbert die Betonung der Insuffizienz der menschlichen Vernunft zur Erkenntnis des Heils. Mit der vernünftigen Bestimmung des Gottesgedankens sei nämlich keine Aussage über die Konstitution menschlichen Heils zu erreichen. 117 Selbst der Gedanke Gottes als des höchsten Gutes könne nur das Ziel des Strebens nach Glückseligkeit angeben, ohne doch die Bedingung der Möglichkeit der Einheit mit Gott erkennen zu lassen. Buddeus bestimmt daher im Einklang mit Musäus als das Defizit aller natürlichen Gotteserkenntnis die Unkenntnis der Mittel, durch die die Einheit des nach Glückseligkeit strebenden Individuums mit Gott als seinem Ziel konstituiert zu werden vermag. 118 Aber wird durch die Feststellung dieses Defizits der natürlichen Religion nicht immerhin eine natürliche Erkenntnis der Heilsbedürftigkeit für das Individuum behauptet? Und wird damit nicht der - wenn auch nur als intellektuelle Disposition gedachten - natürlichen Religion konstitutive Bedeutung für die Erkenntnis der Offenbarung zugeschrieben? Diese Frage muß im Rückblick auf die Versöhnungslehre verneint werden. Dort hat sich nämlich gezeigt, daß die Erkenntnis der Heilsbedürftigkeit in der Bekehrung die Erkenntnis des Wesens der Sünde voraussetzt, die jedoch durch die natürliche Vernunft nicht getätigt werden kann. Anhand des Gesetzes ist ihr vielmehr nur eine partielle und unvollständige Sündenerkenntnis möglich. 119 Insofern braucht Buddeus die von Herbert von Cherbury behauptete Sündenerkenntnis im Gewissen nicht zu bestreiten. Die Erkenntnis der Heilsbedürftigkeit hingegen sieht er durch die im Evangelium bezeugte satisfaktorische Mittlertätigkeit Christi vermittelt. In 116 Siehe die 'Dissertatio de luminis naturalis, & ei innixae theologiae naturalis insufficienta ad salutem, Eduardo Herberto de Cherbury opposita', auf die Buddeus ID 1,1,17, 22 verweist. 117 ID 1,1,16, 20: "Etsi autem longe verissima sint, quae recta ratio de Deo, eiusque cultu tradit, ut a nemine in dubium vocari queant; ad salutem tarnen consequendam, pro isto, in quo hodie mortales versantur, rerum statu, non sufficiunt." 118 ID 1,1,16, 20: " N o n enim satis est, utcumque cognoscere, Deum summum illud bonum esse, cuius possessione omnis nostra absolvatur felicitas; nec sufficit nosse, quae idem ab homine exigit, ut suum illi probent obsequium: sed media etiam scire oportet, quae ad tanti boni nos perducant fruitionem". 119 Siehe ID 1,1,16, 20 A.2: "Praesertim cum & haec legum divinarum notitia, quae ductu rationis nobis obvenit, imperfecta itidem dici queat, si cum ea comparetur, quam revelationis lumen suppeditat. ... Hinc vero Sc sequitur, peccatorum plenam & debitam cognitionem in illis, qui solius rationis ductum sequuntur, esse non posse." Vgl. zum unvollkommenen natürlichen Wissen um die Sünde auch ID 1,1,17, 20f., bes. 22: "Quemadmodum vero ipsa peccatorum agnitio, quam sola ratio suppeditat, imperfecta est, ... seque etiam ad labem, omnibus per naturam inhaerentem, seu peccatum, quod vocant, originale, non extendit, ut suo loco ostendetur".

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der natürlichen Theologie von Musäus wurde die Insuffizienz des natürlichen Wissens von Gott zudem durch den für Luthers Kritik an der Werkgerechtigkeit zentralen Gedanken geltend gemacht, daß der Mensch in seinem Streben nach der Glückseligkeit Gottes 120 auf ihre Erlangung durch gesetzestreue Akte des Verstandes und des Willens zähle, in der Beschreitung dieses Weges jedoch seine eigene Unfähigkeit verkenne 121 . In ähnlicher Weise betont auch Buddeus, daß die Unfähigkeit zur Erlangung der Glückseligkeit durch den vom Gesetz geforderten inneren und äußeren Kultus erst aus der Erkenntnis der Sünde als des Mangels der Gottebenbildlichkeit und also unter der Bedingung der im Mittler offenbarten Restitution derselben begriffen werden kann. 122 In der durch die Erniedrigung und Erhöhung Christi begründeten Erlösung und der darin zugleich veranschaulichten Gottebenbildlichkeit des Mittlers läßt sich jedoch nicht nur die Heilsbedürftigkeit des Menschen, sondern ebenso auch die Verheißung des eschatologischen Heils erkennen. Weil die Vernunft um die darin offenbarte Versöhnung Gottes mit der Welt nicht durch sich selbst wissen kann 123 , gibt es nach Buddeus von Seiten des Menschen auch keine andere Art und Weise, das ewige Heil in der Gemeinschaft mit Gott zu erlangen, als durch den 120 Musäus führt die Analytik der natürlichen Theologie auf zwei Stufen durch: zuerst bestimmt er Gott als Ziel des menschlichen Strebens nach Glückseligkeit unter Absehung der Gesetzesforderung Gottes, so Introductio 1,2,6-9, 30-34; dann folgt die Konkretisierung der Erlangung des Ziels durch die Entsprechung zum Gesetz Gottes 1,2,32-37, 88ff. Die Mittel zur Erlangung der Glückseligkeit sieht Musäus "in actibus mentis Sc voluntatis circa Deum, quibus recte agnoscitur & colitur" (1,2,33, 88), deren zwei Klassen er mit den zwei Tafeln des Dekaloges identifiziert (1,2,34-37, 88f.). In 1,2,38, 90 werden diese praktischen Prinzipien auf ein eingeborenes praktisches Wissen zurückgeführt: "Utriusque ordinis actus praescribit Theologia Naturalis vel per principia prima practica, natura sibi insita, vel per conclusiones practicas, ex Dei essentia & perfectionibus essentialibus cognitis deductas per discursum, cujus altera praemissarum est principium quoddam practicum, natura notum; altera propositio quaedam, Dei essentiam, vel aliquam ejus perfectionem essentialem explicans, natura nota, vel certe ex naturae principiis demonstrata Sc cognita." 121 Innerhalb der natürlichen Theologie vermag der Mensch sich nicht als homo peccator, sondern nur als homo viator zu bestimmen, vgl. Introductio 1,2,10, 41f.; 1,2,13, 43-47 und bes. die zusammenfassende Stellungnahme A.6, 47: "Aberrant igitur a vero longissime Naturalistae hodierni, qui hominem nunc in statu naturae corruptae Theologiae Naturalis ductu ad beatitudinem aeternam pertingere posse, contendunt. Qua de re videri possunt, quae antehac in Disputatione peculiari contra Eduardo Herbert de Cher bury, Baronem Anglum, prolixe disseruimus." 122 Siehe I D 1,1,18, 23: "Atque hoc scriptura luculenter confirmat, non aliam viam, ad gratiam Numinis obtinendam, esse nos condocens, quam per eum, qui est μεσίτης ... & in quo solo Deus mundum sibi ipsi conciliavit ... Unde nec in alio quoquam, quam in servatore nostro, Iesu Christo, salutem esse, nec aliud quam eius, nomen sub caelo hominibus datum, in quo salutem consequi queant". Mit diesem Paragraphen werden die Ausführungen zur natürlichen Religion abgeschlossen. 123 ID 1,1,17, 21: "medium, eum [seil. Deum a nobis laesum ... plane iratum; Vf.] reconciliandi, ratio plane ignorat." I D 1,1,19, 25 A.2 wird das Argument unter der Voraussetzung der Versöhnungstat formuliert: "Si ergo non alia ex parte hominum est ratio salutem consequendi, quam fides in Christum, sequitur, a sola ratione earn frustra expectari, quippe quae Christum plane ignorat."

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Glauben an Christus als den Versöhner Gottes und des Menschen. 124 Mit diesem Gedanken wird das Ziel des von Buddeus entwickelten Verständnisses der natürlichen Religion erreicht, nämlich die Demonstration ihrer Insuffizienz. f) Zur Funktion des Begriffs der natürlichen Religion im theologischen System Als Schleiermacher über siebzig Jahre nach der Entstehung dieses von Buddeus entwickelten Begriffs der natürlichen Religion in seiner fünften Rede über die Religion die Existenz der natürlichen Religion bestreitet und die positive Religion für die wahre Religion erklärt 125 , hat er eine gegenüber den Intentionen von Musäus und Buddeus stark veränderte Auffassung von natürlicher Religion als Vernunftreligion vor Augen, wie sie besonders wirkungsvoll von Immanuel Kant in seiner Schrift über die 'Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft' propagiert wurde 126 . Buddeus konzipiert den Begriff der natürlichen Religion demgegenüber nur als Zusammenfassung der theoretischen und praktischen Bestimmungen dessen, was Grundlage der offenbarten Religion ist. 127 Er intendiert damit nicht die Beschreibung eines eigenständigen, von der Offenbarung unabhängigen religiösen Vollzuges, sondern die Demonstration der Wahrheit der christlichen Religion. 128 U m darüberhinaus die Notwendigkeit religiöser Gotteserkenntnis und Gottesverehrung für das Menschsein des Menschen zu verdeutlichen, rekurriert Buddeus, wie oben gezeigt wurde, auf das menschliche Streben nach Glückseligkeit und vor allem auf das Abhängigkeitsbewußtsein des Menschen. Die theoretischen Notionen der natürlichen Religion dienen Buddeus dabei nicht nur als Kriterium dafür, Gott in seiner Offenbarung als das wahre Ziel menschlicher Verehrung auszuweisen. Sie fungieren zugleich 124 ID 1,1,18, 23: "Ex quo & sequitur, ex parte hominum non aliam rationem ad salutem perveniendi aut esse, aut excogitare posse, quam fidem in huncce Dei hominumque conciliatorem". Vgl. auch ebd. A.3. 125 Vgl. Schleiermachers fünfte Rede über die Religion, in: Reden, 272, wo der natürlichen Religion bestritten wird, daß in ihr "persönliche Ausbildung und Individualisierung" statthaben könne. 126 Vgl. besonders Kants Vorreden zur ersten und zweiten Auflage der 'Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft' 1793/1794. 127 ID 1,1,19, 24: "Theoreticae namque, quae continet, notiones, bases sunt atque fundamenta omnis rehgionis". 128 So können anhand der Notionen der natürlichen Religion Aussagen, die der christlichen Religion widersprechen, abgewiesen werden. Vgl. zum Beispiel ID 1,1,19, 25 Α.2.: "Si quis enim talia doceret, quae aut iustitiam, aut sanctitatem, aut benignitatem Dei prorsus everterent, e.g. Deum esse auctorem peccati, aut eumdem vitiis hominum delectari, & quae his sunt similia, is frustra veram religionem, in hisce saltem capitibus, prae se ferret, immo frustra revelationem quamdam obtenderet. Falsissima enim ea esse, ex primis naturalis religionis notionibus nimis evidenter constat."

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auch als Argument gegen superstitiöse Formen des Kultus wie zum Beispiel den heidnischen Polytheismus. 1 2 9 Die praktischen Notionen sollen hingegen die Kriterien der Einsicht in die Notwendigkeit der Verehrung Gottes benennen und so die theoretische N o t i o n von Gottes Providenz als Bedingung der wahren Religion 1 3 0 konkretisieren. Auf der Basis der praktischen N o t i o n e n erklärt Buddeus zum Beispiel die im Heidentum praktizierten F o r m e n der natürlichen Gottesverehrung, wiewohl sie von der ins H e r z geschriebenen Gotteserkenntnis und dem Wissen u m die Verletzung der göttlichen Ehre durch das menschliche Ungenügen geleitet seien, für irrational, weil in ihnen kein G r u n d angegeben werden könne, der zur Erwartung der Sündenvergebung berechtige. In dieser Rekonstruktion der Wahrheitsbedingungen der Religion durch den Begriff der natürlichen Religion werden die negativen Kriterien 1 3 1 für die Erkenntnis der wahren offenbarten Religion formuliert, denen sie nicht widersprechen kann. 1 3 2 Ahnlich sieht auch Pfaff den Sinn der negativen Kri129 Vgl. die Funktionsbestimmung der theoretischen Notionen ID 1,1,19, 24: "ea quidem ratione, ut si quis unam ex iis neget, aut omnis religionis expers, aut pro religione, foedissimam turpissimamque superstitionem amplecti, merito censeatur. ... Q u i enim aliquid, hisce notionibus e diametro repugnans, adserunt, aut falluntur turpiter, revelationem pro divina habentes, quae divina non est; aut mentem sententiamque divinae revelationis non recte percipiunt." Zur Auseinandersetzung mit dem heidnischen Polytheismus siehe ID 1,1,19, 25 A . l : "Pari ratione, qui plures uno deos admittunt, ut plerique gentilium, pro religione foedam amplectuntur superstitionem. U n u m enim saltern esse Deum, ratio tarn evidenter docet, ut, si revelatio etiam quaedam plures nobis obtrudere vellet, earn spuriam fictamque esse, tuto inde colligeret." Denn nach ID 1,1,19, 25 A . l und ID 1,1,7, 10 gilt: "Cum etiam evidenter cognoscat, ens hocce [sc. ens perfectissium; Vf.], nullos aut essentiae, aut perfectionum suarum habere limites, seu infinitum esse; plura autem dari entia infinita, apertam contradictionem involuat; merito inde concludet, unicum saltern esse Deum; immo eos, qui plures uno deos summos statuunt, aliquid dicere, quod nihil significet, nullumque plane habeat sensum." 130 Vgl. zur Bedeutung der Providenz ID 1,1,6, 10 und ID 1,1,19, 25 A . l . 131 Vgl. dazu ID 1,1,19, 25 A.2. Die Kriterien der natürlichen Religion sind, wie Buddeus hier und ID 1,1,21, 26 betont, nicht identisch mit den "characteribus revelationis divinae". Denn aus den Merkmalen der natürlichen Religion kann nur "negative colligi ..., religionem, quam aliquis pro vera habet, non esse veram" (ID 1,1,19, 25 Α.2). Erst wenn "reliqui divinae originis characteres accedant, de eius [seil, religionis revelatae; Vf.] non amplius dubitandum veritate" (ID 1,1,21, 26). 132 ID 1,1,21, 26: "Verae enim & divinae revelationis nomen, quae tueri debet, non tantum nihil, quod evidentissimis religionis naturalis notionibus repugnet, contineat; sed plene etiam Sc adeurate suppleat, necesse est, quae in ea desunt, adeoque obstant, quo minus per eam homines aeternam salutem consequi queant." Vgl. ID 1,1,19, 24: "Nihilosecius usu suo & hodie quoque religio naturalis adeo non destituitur, ut longe potius praestantissimum praebeat." Vgl. bei Pfaff, Institutiones P,l,6, 6, die Forderung, die wahre offenbarte Religion dürfe nicht in Widerspruch zum lumen naturae stehen, sondern müsse dieses vielmehr ergänzen. Nach Pfaff können zwei Prinzipien vorausgesetzt werden, nämlich daß es ein "ens aeternum, independens, omnipotens, immensum, verax, justum sanetissimumque atque optimum, quod haec omnia condiderit, servet regatque, id quod Sc hominem creaverit suamque ipsi cognitionem juraque, ut felicem eum beatumque redderet, implantaverit", gibt, und daß der

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terien für die Wahrheit der Religion darin, die Grenzen der offenbarten Religion durch die Entsprechung zur Vernunft zu bestimmen. 133 Allerdings appliziert er die Kriterien von vorneherein auf die christliche Religion und zeigt darin, daß es ihm zwar um einen Ausweis der Wahrheit der christlichen Religion zu tun ist 134 , nicht aber um die Widerlegung des Atheismus. Aus diesem Grund kann er auch den allgemeinen Religionsbegriff anders als Buddeus in nur einem Paragraphen abhandeln. 135 Indem Buddeus hingegen grundsätzlich von jeder offenbarten Religion fordert, daß sie diesen negativen Kriterien der natürlichen Religion nicht widerspreche, schreibt er der menschlichen Vernunft faktisch die Fähigkeit zu, "mittels ihrer die wahre von der falschen Offenbarung" unterscheiden zu können, wie Karl Barth in seiner kritischen Anfrage an die Konzeption von Buddeus mutmaßt. Doch aus seinem übergeordneten Interesse heraus, die lutherische Dogmatik gegen atheistische, rationalistische und naturalistische Einwände zu verteidigen, ruft Buddeus nicht etwa "heimlich eine allgemeine, dem Menschen einsichtige religiöse Wahrheit" 1 3 6 auf den Plan. Im Gegenteil: er würdigt ausdrücklich die allgemeinen Bedingungen der Religion als eine Wahrheit, "in deren Besitz der Mensch über Offenbarung oder Nicht-Offenbarung zu richten vermag" 137 . Aber er verbindet damit keineswegs die These, daß dies unabhängig von der Kenntnis der Offenbarung des göttlichen Bundes und außerhalb der christlichen Religion möglich ist. Die AnaMensch "anima rationali atque immateriali ... immortalitatisque ... magno desiderio, conscientiä" dazu fähig und bestimmt ist, "ut Creatorem suum amet atque eo, qui placere ipsi possit, cultu prosequatur." (Institutiones P , l , 3 , 3f.) Pfaff bestimmt jedoch im Unterschied zu Buddeus dieses natürliche Wissen nicht als natürliche Religion. 133 Vgl. Pfaff, Institutiones 1,1,6, 6: "Habet autem vera religio criteria plane certissima, queis veritatem suam cuivis, qui saltern praejudicatis opinionibus voluptatemque amori tantisper valedixerit, palpandam dat. Et sunt quidem haec vel negativa vel positiva. Negativa sunt duo: primum, ut lumini naturae haud adversetur sed id potius suppleat, secundum ut cum anteriore revelatione haue pugnet sed sacro potius connubio cum eadem jungi velit atque expetat." Dieses zweite negative Kriterium findet sich bei Buddeus nicht; es ist aber in seiner bundestheologischen Konzeption impliziert. 134 Siehe besonders Institutiones 1,1,7, 6f.: "Criteria negativa ut hic luculentius diducamus, atque ad religionem Christianam adplicemus, prolixioris res instituti est, quam qua limitibus hisce circumscribi possit." 135 Pfaff, Institutiones 1,1,3, 3: "Ante omnia itaque duo haec nobis ponenda prineipia sunt: I. Esse ens aeternum, independens, omnipotens, immensum, verax, justum sanetissimumque atque optimum, quod haec omnia condiderit, servet regatque, id quod & hominem creaverit suamque ipsi cognitionem juraque, ut felicem eum beatumque redderet, implantaverit. II. Hominem anima rationali atque immateriali ... immortalitatisque ... magno desiderio, conscientia insuper, quae & , quid bonum & quid malum sit, ipsi dictitet ... denique iis praeditum esse facultatibus, quae alium in finem ipsi collatae esse nequeunt, quam in praeeipuum istum, ut Creatorem suum amet atque eo, qui placere ipsi possit, cultu prosequatur." Diese Ausführungen zum Religionsbegriff unterscheiden sich darin markant von Buddeus, daß hier gar nicht der Versuch unternommen wird, die Evidenz dieser für die Dogmatik vorauszusetzenden Prinzipien aufzuzeigen. 136 Vgl. dazu Barth, Protestantische Theologie, 120-122, hier: 121. Hervorhebung von Vf. 137 Ebd.

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lyse seines Religionsbegriffs hat vielmehr ergeben, daß Buddeus mit diesem Begriff kein suffizientes religiöses Wissen und damit auch keinen religiösen Vollzug, sondern nur die Fähigkeit bzw. die Voraussetzungen der Religiosität des Menschen beschreibt. Denn auch dort, wo ein den theoretischen und praktischen Notionen der Religion entsprechendes Wissen gegeben ist, kann es für Buddeus noch keinen adäquaten religiösen Vollzug geben, weil im natürlichen Gottesbegriff Gott nicht als Grund der Glückseligkeit zu erkennen und dieses Wissen mithin insuffizient und ungewiß ist.138 Da außerdem der Vernunftnatur des Menschen die Insuffizienz der natürlichen Religion erst durch die Offenbarung der Versöhnung bewußt wird, ist auch die vollständige Erkenntnis der Abhängigkeit, durch die die Notwendigkeit der Existenz Gottes evident wird, nicht unabhängig von der Offenbarung möglich. Mit den theoretischen und praktischen Notionen der natürlichen Religion gibt Buddeus zwar allgemein und unter Absehung von der Offenbarung des Gnadenbundes formulierbare negative Kriterien zur Erkenntnis der wahren offenbarten Religion an. Doch daß es sich dabei um adäquate Kriterien zur Bestimmung der wahren Religion handelt, das kann faktisch nur unter der Bedingung der Offenbarung erkannt werden. Die Bestimmung des Begriffs der natürlichen Religion ist mithin selbst abhängig von der Offenbarung der wahren Religion.

2. Die offenbarte Religion "Wenn eine bestimmte Religion nicht mit einem Faktum anfangen soll, kann sie gar nicht anfangen: denn ein Grund muß doch da sein ... und wenn eine Religion nicht eine bestimmte sein soll, so ist sie gar keine, sondern nur loser, unzusammenhängender Stoff". 139 Dieser gegen die natürliche Religion gerichtete Satz Schleiermachers beschreibt, was für Buddeus in seinem Ver138 Aus der Unsicherheit der natürlichen Gotteserkenntnis lasse sich sowohl die heidnische Superstition als auch die Ablehnung der Verehrung Gottes im Atheismus erklären, vgl. ID 1,1,16, 20 A.l: "Quam infirma, facileque mobilis sit, gentilium exemplo patet, qui aut in turpissimam superstitionem prolapsi sunt, ... aut, quod alteram extrem um est, in atheismum, quod plurimis philosophorum contigisse, alibi a me observatum est." Buddeus veranschaulicht ID 1,1,21, 26 die Unsicherheit der menschlichen Vernunft außerdem an der Frage nach der Entstehung der Menschheit: "Humani enim generis originem plane ignorat, quod & res ipsa, & diversae illae, maximam etiam partem ineptae & valde ridiculae philosophorum gentilium, de hominum ortu sententiae, testantur". 139 Siehe Schleiermacher, Reden, 278. Das Faktum, durch welches eine Religion als bestimmte gesetzt ist, hat nach Schleiermacher schon dadurch, daß es überhaupt religiöse Verehrung nach sich zieht und dem Menschen Anschauung und Gefühl des Universums vermittelt, eine notwendige Beziehung zur menschlichen Natur (vgl. die zweite Rede zur Religion über das Wesen der Religion, aaO., 50f.). Im Christentum ist dieser Bezug in der vollkommensten Weise vorstellig, weil das Positive dieser Religion identisch ist mit dem Wesen der Religion (vgl. die fünfte Rede über die Religion, aaO., 293ff.).

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ständnis der Religion noch eine Selbstverständlichkeit war. Soll die Religion nicht als Erfindung des Menschen abgetan werden können, so muß sie sich auf ein Faktum gründen. Dieses Faktum, durch welches die Religion begründet wird, ist für Buddeus Gottes Offenbarung in seinem Werk- und Gnadenbund. In der Bestimmung der offenbarten Religion geht es ihm dabei nicht primär um die Frage, welche der Offenbarungsreligionen wahr genannt zu werden verdient, sondern darum, die Wahrheit der Offenbarung des Gnadenbundes aus ihr selbst zu demonstrieren. Während als negatives Kriterium der Erkenntnis der wahren geoffenbarten Religion bereits der Begriff der natürlichen Religion geltend gemacht worden ist, bestimmt Buddeus in seiner Definition der offenbarten Religion außerdem positive Kriterien, die auf ihren göttlichen Ursprung hinweisen. 140 a) Die Eigentümlichkeit der offenbarten Religion gegenüber der natürlichen Religion Indem die offenbarte Religion in der Konzeption von Buddeus dem Begriff der natürlichen Religion entspricht, zeichnet sie sich zuerst durch die Ubereinstimmung mit den Notionen der natürlichen Religion aus und kann daher als vernünftig gelten. 141 Unter der Voraussetzung der aus der Offenbarung erkennbaren Insuffizienz der natürlichen Religion läßt sich zweitens der supplementäre Charakter der offenbarten Religion beschreiben. 142 Denn erst in der offenbarten Religion sind nach Buddeus die Mittel bekannt, durch die wahre Gottesverehrung bzw. wahre Religion möglich ist. Entsprechend hat auch Pfaff die Notwendigkeit der Offenbarung darauf zurückgeführt, daß die Vernunft zwar die Notwendigkeit der Verehrung Gottes erkenne, aber nicht wisse, wie er verehrt werden wolle und sich daher aus ihrer Dunkelheit nicht selbst befreien könne. 143 Während also mit dem Begriff der 140 Siehe ID 1,1,19, 25 A.2. Vgl. ID 1,1,21, 26. 141 ID 1,1,21, 26. Vgl. zur Zusammenfassung der Kriterien der wahren offenbarten Religion Reinhard, Prinzipienlehre, 42. 142 Daher gilt ID 1,1,21, 26: "Verae enim & divinae revelationis nomen, quae tueri debet, non tantum nihil, quod evidentissimis religionis naturalis notionibus repugnet, contineat; sed plene etiam & adcurate suppleat, necesse est, quae in ea desunt, adeoque obstant, quo minus per earn homines aeternam salutem consequi queant." Vgl. zur Angewiesenheit des Menschen auf die Offenbarung ID 1,1,21, 26 A . l : "Defectus ille rationis, quem revelatio supplere debet, in eo consistit, quod ratio nonnulla, quae scitu homini ad salutem necessaria sunt, plane non cognoscat; quaedam equidem utcumque cognoscat, sed imperfecte." Die Vernunft weiß zwar, "Deum esse, inque eo solo summam felicitatem quaerendam", sie kennt aber nicht die media, "quibus vera salus felicitasque obtineri potest". 143 Vgl. Pfaff, Institutiones 1,1,4, 4: "Jam si consideremus, mentem humanam pro eo, in quo nunc versatur, statu tantis involutam tenebris esse, ut his veritatibus, quas tarnen, si penitius ea rem inspexerit, vel longe certissimas esse vel ad summum saltem probabilitatis gradum ascendere nihilominus videt, plenissime demonstrandis vix par sit, modumque, quo DEUS coli velit debeatque, & rationem, quomodo eadem e tenebris suis perversoque, in quo ob affectus vitiaque & calamitates, queis circumsepta est, se jam sitam esse dolet, statu evadere

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natürlichen Religion die religiöse Disposition des Menschen, durch die dieser zur Gotteserkenntnis und zur Verehrung Gottes geneigt und fähig ist, als Ausweis seiner Heilsbedürftigkeit expliziert worden ist, geht es Buddeus im Begriff der offenbarten Religion u m die Bestimmung der wahren Mittel zur Konstitution des Heils. D i e in der Ubereinstimmung mit den vernünftigen N o t i o n e n der Religion mögliche Wahrheit der offenbarten Religion ist daher dann manifest, wenn sie das von der Vernunft nicht erkennbare Mittel des Heils offenbart. 1 4 4 Auf diese Weise wird die einst von Calov der natürlichen Gotteserkenntnis zugeschriebene pädagogische Funktion 1 4 5 nun dem Begriff der natürlichen Religion insgesamt zugeschrieben 1 4 6 . N e b e n der Vernunftgemäßheit und der supplementären Funktion der offenbarten Religion bestimmt Buddeus als drittes Kriterium derselben schließlich die Universalität: nur diejenige Offenbarung, die sich auf alle Menschen erstreckt, kann als wahre und göttliche Offenbarung gelten. 1 4 7 D e n n es lasse sich kein G r u n d denken, weshalb Gott als der weise, gütige und gerechte Regierer der Welt seine Wohltat von vorneherein bestimmten Menschen vorenthalten sollte. Für die Bestimmung der Universalität als eines positiven Kriteriums der wahren offenbarten Religion ist mithin die durch die Offenbarung des Gnadenbundes vermittelte Erkenntnis der providenten Güte Gottes vorausgesetzt. D a nach der Darstellung der Bundestheologie die Offenbarung des Gnadenbundes in der Geschichte des Alten und Neuen Testamentes stattgefunden hat, kann die Universalität der im Gnadenbund offenbarten Religion nur behauptet werden, wenn sich die Geschichte des Gnadenbundes als Geschichte der Offenbarung der wahren

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& ad beatam, quam anhelat, immortalitatem pervenire possit, nesciat, si porro perpendamus, requirere DEI & sapientiam & veritatem Sc sanctitatem & iustitiam bonitatemque, ut, qui coli ab homine vult atque eundem ob neglectum istum cultum puniturus est, e miseria, in qua iste jacet, eum extrahat, atque modum rationemque, qui colendus ipse sit, & qui acquiri aeterna felicitas possit, ostendat, nullum amplius credo dubium de revelationis necessitate nobis observabitur." ID 1,1,21, 27 A.2 wird daher außer der Ubereinstimmung mit den Notionen der natürlichen Religion für die Wahrheit der offenbarten Religion die Ergänzung des insuffizienten Wissens von Gott gefordert: "primo, ut revelatio nihil, quod evidentissimis theologiae naturalis notionibus repugnet, contineat: tum, ut ea, quae ratio suppeditare nequit, plene, evidenter, modoque, qui Deum deceat, suppeditet". Vgl. Calov, Systema 11,1/1, 30. Siehe zur Bedeutung der natürlichen Gotteserkenntnis in der altprotestantischen Dogmatik Ratschow, Dogmatik 2, 29-44, außerdem Heinrich Petri, Glaube und Gotteserkenntnis, in: H D G 1, Faszikel 2c, dort: $ 4, 61-68. Siehe auch Schmid, § 16, 84 A.9. Siehe ID 1,1,20, 25: "Paedagogiam praeterea pulcherrimam praebet, ad veram revelationem & inquirendam, & rite inveniendam. Praeterquam enim, quod ex naturalis luminis ad salutem insufficientia, cum summa Numinis benignitate comparata, necessitatem revelationis cuiusdam, quae genuinam ad salutem viam pandat, recte colligamus; characteres quoque certos hinc elicere licet, qui verae falsaeque revelationes discrimen ostendant." ID 1,1,22, 27: "Et eadem ratione intelligatur, veram & divinam revelationem debere esse universalem, quae & cum primo humani generis ortu, saltem quamdiu in hocce statu homines fuerunt, inceperit, & ad omnes omnino, nemine excepto, sese extendat."

Religion verstehen läßt. Zu diesem Zweck unternimmt Buddeus eine religionsgeschichtliche Betrachtung 1 4 8 , in der er die Kontinuität der im Gnadenbund konstituierten wahren Religion demonstriert und anhand der negativen Kriterien der natürlichen Religion die Abweichungen des Judentums und des Heidentums als Verkehrungen der wahren Religion beurteilt. In strukturell ähnlicher, aber sehr viel kürzerer F o r m findet sich dieser Versuch auch bei Pfaff 1 4 9 . b) D e r Ansatz zur religionsgeschichtlichen Betrachtung Im Unterschied zur föderaltheologischen Rekonstruktion der Geschichte des Gnadenbundes, die mit dem Protevangelium einsetzt, beginnt Buddeus die religionsgeschichtliche Betrachtung mit der Religion der Patriarchen. In dieser lasse sich die primordiale offenbarte Religion der Protoplasten erkennen, deren Offenbarung durch mündliche Uberlieferung von A d a m her den Patriarchen vermittelt worden sei. 1 5 0 Diese erste Religion habe durch ihren monotheistischen Gottesbegriff und den Schöpferglauben nicht nur den theoretischen N o t i o n e n der natürlichen Religion entprochen. 1 5 1 Durch das aus dem Protevangelium resultierende Wissen um die Versöhnung 1 5 2 und ihre individuelle Aneignung habe sie auch das in den praktischen Notionen 1 5 3 benannte Kriterium, wonach die wahre Religion die adäquate Verehrung Gottes ermöglichen muß, erfüllt. Das Wissen um den Modus der Aneignung der Versöhnung sei nämlich aus der Opferpraxis der Patriarchen abzulesen: in ihr manifestiere sich das Bewußtsein, daß Gott selbst die Art und Weise offenbart, in der er verehrt werden wolle. 1 5 4 Während dagegen 148 ID 1,1,23-28, 28-52. In ID 1,1,29, 52ff. wird vom Begriff der offenbarten Religion zum Theologiebegriff übergeleitet. 149 Siehe Pfaff, Institutiones 1,1,8, 8-10. 150 ID 1,1,23, 28: "Primr itaque verae, eiusdemque divinae religionis revelatae, primordia, in patriarchis deprehendere licet. ... Ea vero per primum hominem, Adamum, ad eos pervenerat revelatio, & orali traditione ad posteros ab iis propagatur." 151 ID 1,1,23, 28 A . l : "Primus hicce character est, ex quo veritatem, divinamque originem religionis patriarchalis colligere licet. U n u m enim Deum, eumdemque rerum omnium conditorem, pia veneratione prosequebantur: cumque scirent, eum, ut rerum omnium, ita speciatim hominum curam gerere, omnem in eo spem atque fiduciam collocabant". 152 Vgl. dazu ID 1,1,23, 28f. A.2 sowie die oben in der Beschreibung des Gnadenbundes genannten Stellen. 153 ID 1,1,23, 28: "Praecipuum caput est hominum cum Deo reconciliatio, in qua vera & unica ad salutem via consistit: quamque, quae recte docet religio, non potest non pro divinitus revelata haberi. In patriarchali autem primum velut, praecipuumque earn constituisse caput, tot, tamque luculenta Mosis effata nos dubitare non sinunt." 154 Siehe ID 1,1,23, 29 A.2: "Praeter haec Sc sacrificia patriarcharum luculentissime nos condocent, ex divina revelatione, de m o d o gratiam Numinis impetrandi, ea ill is innotuisse, quae ratio prorsus ignorat. Nisi enim concedas, illa ad sacrificium istud, quod pro hominum expiandis vitiis Christus servator obtulit, se retulisse; quid eos, ad Deum hac ratione colendum, induxerit, dici prorsus nequit. Id vero est, quod sola ratione revelatio, defectum rationis hoc pacto supplens, nobis ostendit."

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von der jüdischen Religion das Versöhnungswerk Christi nicht anerkannt werde, die römisch-katholische Kirche der Exklusivität des göttlichen Ursprungs der Versöhnung durch die Behauptung der Notwendigkeit der Wiederholung des Opfers zur Verehrung Gottes durch den Priester widerspreche 155 und die Sozinianer schließlich die Fähigkeit der Erlösung ganz der natürlichen Vernunft zuschrieben 156 , könne in der in Gen 4,3 tradierten Opferpraxis noch kein selbstmächtiger Versuch gesehen werden, Gott gnädig zu stimmen. 157 So entsprachen nach Buddeus' Analyse in der ersten Religion der Protoplasten und Patriarchen nicht nur die Gotteserkenntnis, sondern ebenso das Verständnis des Kultus dem Begriff der natürlichen Religion, weil der Kultus nicht der menschlichen Vernunft entsprang, sondern durch Gott selbst verordnet war. Das Kriterium der Universalität sieht Buddeus trotz der partikular an die Erzväter ergangenen Offenbarungen darin gewahrt, daß die Geltung der Verheißung nicht auf einzelne Erwählte restringiert gewesen sei. 158 Die auf diese Weise begründete These der Vollkommenheit der primordialen Religion steht dabei für Buddeus nicht im Widerspruch zur Uberzeugung der christlichen Religion, die die Versöhnung im Werk des Mittlers Jesus Christus begründet und erschlossen sieht. Er versteht die primordiale Religion vielmehr in struktureller Analogie zur Urstandslehre als die durch die Offenbarung Gottes in seinem Bund vermittelte ursprüngliche Verwirklichung der natürlichen Religion - ein Gedanke, den wenige Jahre später der Deist Matthew Tindal zu der These ausbauen wird, daß das Christentum so

155 ID 1,1)23, 30 Α.2: "Scio, esse quam plurimos, qui hic secus sentiunt, sacrificiorumque ex rationis lumine derivare originem adnituntur." Daß die Juden dies getan haben, sei nicht verwunderlich, "cum illorum superstitioni nihil magis, quam sacrificium propitiatorium, quod pro hominum peccatis servator obtulit, obstet. Romanensium vero plerique ideo in hanc ingressi sunt sententiam, ut necessitatem, quovis tempore per sacrificia Deum colendi, inde evincerent; praesidium inde ingens suo de missae sacrificio dogmati, conciliaturi." 156 ID 1,1,23, 30: "Nec aliter eos censere fas erat, qui Sc sine criminum expiatione se Deo placere posse existimantes, sacrificium Christi propitiatorium admittere nolunt: quod Socini asseclae facere contendunt; quibus & frigidam suffundunt, qui ex Iacobi Arminii schola prodierunt. Hi omnes, cum in eo consentiant, sacrificiorum originem ex divina institutione minime repetendam, ut ex rationis ipsius lumine earn derivent, omnem movent lapidem." 157 Vgl. ID 1,1,23, Α.2, 32: "Primos autem istos mortalium, sine voluntate & iussu Numinis, in re tanti momenti aliquid fecisse, quis sibi persuadeat?" Dies sei aus der Annahme des Opfers von Abel in Gen 4 ersichtlich. Man könne daraus folgern, daß Gott "rationem scilicet recte per sacrificia se colendi, primis parentibus revelaverit." 158 Nach ID 1,1,23, 32f. A.2 erhellt die Universalität der primordialen Religion daraus, "quod nihil prorsus in ista religione occurrat, quod non ad omnes homines pertineat", und daß trotz der Partikularität der Mitteilung des Bundes an Abraham "nullo tarnen modo ipsa salutem consequendi ratio eo via circumscripta fuit, ut non aliis, quam qui ex Abrahamo progeniti essent, via ad eamdem pateret." Einen Beweis für die Universalität sieht Buddeus außerdem darin, daß auch nicht beschnittene, aber mit der Religion der Patriarchen vertraute Heiden von Gott auf die Probe gestellt worden seien.

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alt sei wie die Schöpfung 159 . Buddeus ist jedoch die Behauptung der Vollkommenheit der primordialen neben und vor der christlichen Religion nur aufgrund seiner Uberzeugung von der Kontinuität des Gnadenbundes möglich, der im Protevangelium verheißen und in Christus erfüllt worden sei. Zwischen die ursprüngliche Realisierung der wahren Religion in der primordialen Religion und deren endgültiger Restitution im Christentum tritt in der religionsgeschichtlichen Rekonstruktion von Buddeus die Verfallsgeschichte der primordialen Religion im Heidentum. Denn die heidnischen Religionen gehen nach Buddeus' Verständnis zwar einerseits auf die Tradition der primordialen Religion, andererseits aber auch auf die natürliche Vernunft zurück. Dabei unterschieden sich die verschiedenen heidnischen Religionen nur dadurch voneinander, daß sie beide Elemente in unterschiedlicher Konstellation vereinigten. 160 Ihre Gemeinsamkeit bestehe hingegen in der Depravation der Inhalte der natürlichen Religion. 161 Die heidnischen Religionen verkörpern mithin den Antityp zur primordialen Religion. Aus der Depravation der Religion im Heidentum erklärt Buddeus die Notwendigkeit einer Restitution der offenbarten Religion durch Mose. Indem diese Restitution durch Mose als dem von Gott gesandten und in voller Ubereinstimmung mit dem Willen Gottes handelnden Mann Gottes stattgefunden habe, dessen Sendung durch seine Wunder bestätigt worden sei, könne in der Restitution der offenbarten Religion durch Mose zugleich eine auf die christliche Religion hinweisende Erweiterung und Verdeutlichung der Bestimmung der offenbarten Religion gesehen werden. 162 Indiz für die Wahrheit dieser Restitution ist nach Buddeus hier nicht nur die Ubereinstimmung der durch Mose offenbarten Religion mit der natürlichen Religion und der Nachweis des göttlichen Ursprungs der Mosereligion 163 , 159 Vgl. Matthew Tindal, Christianity as old as the creation, London 1730. Siehe zum Interesse der deistischen Entwürfe von Locke, Toland und Tindal, die Identität der übernatürlichen Theologie und Religion mit der natürlichen Religion zu betonen, H.-J. Birkner, Natürliche Theologie, 286. 160 I D 1,1,24, 33: "Traditione vero ista [seil, religione patriarchate; Vf.], aeque ac ratione naturalis religionis fonte, hmc inde corrupta, exorta est religio gentilium. In ea enim tum naturalis, tum revelatae religionis quaedam hinc inde, etsi luculentiora apud quasdam gentes, quam apud alias, deprehendere licebat vestigia: ita tarnen, ut gravissimi etiam, iique partim rationi rectae, partim genuinae traditioni repugnantes apud eas conspicerentur errores." 161 I D 1,1,24, 34. Die Tatsache, daß die antiken Philosophen immer wieder auf die Grundsätze der natürlichen Religion hingewiesen haben, deutet Buddeus als Hinweis auf die universale Faktizität der Disposition zur Gotteserkenntnis. 162 I D 1,1,25, 34: "Restituta deineeps, simulque amplificata fuit religio revelata per Mosen, virum divinum, nihilque non ex institute & voluntate divina agentem. Cuius quidem Mosaicae religionis Veritas, ut iisdem etiam argumentis, quibus patriarchalis, evincitur, ita propriis etiam atque particularibus nititur, quae inter miracula plurima & prorsus singularia, quibus se a Deo missum demonstravit, haud omnino ultimum tenent locum." 163 Auf die älteren Forschungen in seiner Kirchengeschichte des Alten und Neuen Testaments zurückgreifend versucht Buddeus in einer ausführlichen Anmerkung zu I D 1,1,25, 35-41 die Wahrheit und den göttlichen Ursprung der durch Mose vollbrachten Restitution der Offenbarung in drei Argumentationsschritten außer Zweifel zu setzen: "I) Mosen revera exstitisse,

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sondern auch die mit dem religionsgeschichtlichen Sinn verbundene Universalität der Mosereligion 164 . In zeitlichem Sinne wird die universale Geltung derselben aufgrund der erneuten geschichtlichen Bestätigung und Konkretion des im Protevangelium verheißenen Gnadenbundes behauptet und inhaltlich durch die allen Menschen geltende Verheißung der Erlösung durch den Messias dargelegt. 165 In ihrem durch die Messiasverheißung über sich hinaus weisenden Charakter erscheint die Mosereligion dabei als direkte Vorstufe der christlichen Religion. 166 Erst in der christlichen Religion sieht Buddeus die offenbarte Religion in vollkommener Weise restituiert. Denn in der Ankunft des Erlösers sei nicht nur die Verheißung seines Kommens erfüllt, sondern auch der Glaube als die angemessene Weise der Verehrung Gottes offenbar geworden. 167 Betrachtet man den Gedankengang der religionsgeschichtlichen Ausführungen insgesamt, so zeigt sich, daß die Religionsgeschichte bei Buddeus insgesamt als Geschichte der Verdeutlichung der bereits im Protevangelium der primordialen Religion präsenten Offenbarung gedeutet wird. In dieser Geschichte geht es um die Restitution der durch das Heidentum depravierten primordialen Religion, und zwar so, daß mit der Offenbarung Christi, der im Unterschied zu Mose als der Mittler zugleich der Erlöser ist, das ursprünglich unmittelbare Verhältnis des Menschen zu Gott in neuer Weise möglich wird. In der ersten auf Adam zurückgehenden Religion erscheint das Gottesverhältnis nämlich insofern noch als unmittelbares, als die Versöhnung des Menschen mit Gott weder von einer Erlösung, noch von der

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eaque aetate vixisse, qua vixisse perhibetur, mukisque & magnis inclaruisse miraculis, ut quae Dei nomine fecit, aut locutus est, eum a Deo accepisse, nulla ratione dubitari queat; II) eumdem pentateuchi, seu librorum, qui ei tribuuntur, auctorem esse; III) nihil denique in hisce libris occurrere, quod veritati non sit consentaneum." ID 1,1,26, 41: "Nonnulla autem licet haec religio contineret, quae speciatim populo Israelitico conveniebant, quae tamen ipsam revelatae religionis essentiam constituebant, & clarius saltern adcuratiusque a Mose erant proposita, ad omnes pertinebant homines. Eo maior autem inde tum ad gentem Israeliticam, tum ad reliquos homines omnes, poterat redundare utilitas, quod simul ex caussis longe gravissimis, revelatae religionis doctrina, litterarum monumentis consignata fuit." Vgl. die Begründung ebd. 42f. A . l . Die in der mosaischen Ausrichtung des Gnadenbundes auf Israel gelegene Partikularität erklärt Buddeus ID 1,1,26, 42f. damit, "quod hac ratione religionis revelatae doctrina, cuius praecipuum caput erat de Messia, quam commodissime & conservari, & propagari potuerit: non ac si haec doctrina ad solos Iudaeos spectaret, sed ut per eos subinde ad alias gentes, apud quas exstincta erat, propagari ac resuscitari posset." Vgl. ähnlich Hollaz, Examen P,2,9, 48: "Religio Israelitarum in Veteri, & Christianorum in Novo Testamento una est quoad substantiam." ID 1,1,27, 43: "Maximam denique lucem revelata divinitus religio accepit per ipsum mundi servatorem, cum ipsius in carnem adventu non tantum divinae promissiones de hominum redemtore, implerentur, sed simul, tum ab ipso servatore, tum eius discipulis, hominibus omnia, quae ad salutem consequendam scitu factuque necessaria essent, exponerentur." Siehe ferner ebd. A . l : "Omnia enim, quae Christus eiusque discipuli docebant, eo redibant, homines, quos admissorum criminum serio poeniteret, per fidem in huncce servatorem veniam peccatorum consequi posse."

Offenbarung durch einen Mittler abhängig gewußt wird. In der wegen der Depravation der ersten Religion notwendigen Restitution der Religion durch die Mosereligion wird dagegen zwar bereits um die Notwendigkeit der Erlösung und um die Abhängigkeit von der Vermittlung durch den Mann Gottes gewußt. Aber da auf der Stufe der mosaischen Religion die Erlösung noch nicht realisiert ist, können sich Gotteserkenntnis und Kultus nicht mehr in unmittelbarer Weise vollziehen. Daher muß schließlich auf der Stufe der christlichen Religion das unmittelbare Gottesverhältnis der ersten Religion restituiert werden. Die Aufhebung der Trennung des Menschen von Gott in der Erlösungstat Christi und die darin eingeschlossene Bestimmung des Glaubens als der adäquaten Weise der Gottesverehrung erschließt dem Einzelnen im Vertrauen auf Christus wieder ein unmittelbares, innerliches Gottesverhältnis. 168 Im Unterschied zur primordialen und zur mosaischen Religion wird dieses nun allerdings dadurch konstituiert, daß der Mittler selbst der Erlöser ist und die Vermittlung in der Person des Erlösers gründet. U m die in der Person Christi als des Mittlers gründende vollkommene Restitution der ersten Religion durch Christus hinreichend zu verdeutlichen, muß Buddeus - wie oben gezeigt worden ist - in der Christologie die Person des Erlösers in ihrer Bestimmtheit als Mittler denken, um dann in der Lehre von der Heilsaneignung zu zeigen, daß sich das Heil der Erlösung individuell nur im Glauben erschließt. Die religionsgeschichtliche Betrachtung, welche aus dem Zusammenhang von primordialer und christlicher Religion die universale Geltung der christlichen Religion darstellen soll, ist mithin kein von der materialen Dogmatik ablösbarer Vorspann zur Demonstration der Wahrheit der christlichen Religion, sondern behauptet, was in der Versöhnungslehre allererst dargetan wird. In Ergänzung dessen muß innerhalb der Darstellung der offenbarten Religion nun noch gezeigt werden, daß die christliche Religion die von Gott offenbarte wahre Religion ist. c) Die christliche Religion als Offenbarung Gottes Während in der zurückliegenden Argumentation die Wahrheit der offenbarten Religion gegen die atheistische Bestreitung der Notwendigkeit der Religion und gegen heidnische Formen des Aberglaubens demonstriert werden

168 Denn durch die in Christus geschehene Erlösung wird die Versöhnung mit G o t t "non amplius per vaticinia de rebus adhuc futuris, neque per typos & umbras, nobis proponit, ut patriarchalis & Mosaics, sed luculentam eorum, quae a Christo iam peracta sunt, commemorationem, adeoque clarissime evidentissimeque sine integumentis ac involucris" (ID 1,1,28, 45 A . l ) .

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sollte 169 , geht es Buddeus nunmehr darum, den Offenbarungscharakter der christlichen Religion positiv und das heißt auch im Vergleich mit dem Judentum und dem Islam aufzuweisen. Als das erste Indiz für den göttlichen Ursprung des Christentums nennt Buddeus die vollkommene Übereinstimmung der christlichen Religion mit der natürlichen Religion 170 , in der auch die mosaische Religion noch übertroffen werde. Denn in der Erlösertätigkeit Christi habe sich die Vorstellung der weisen und gütigen Providenz in vollkommener Weise konkretisiert. 171 Dem widerspreche es auch nicht, daß die zentralen Inhalte der christlichen Religion - nämlich insbesondere die Trinität und die Inkarnation 172 - als Mysterien 173 zu qualifizieren seien. Denn man habe diese nicht als widervernünftig, sondern allenfalls als übervernünftig anzusehen. Ein Widerspruch zwischen Vernunft und Offenbarung müsse dabei schon darum ausgeschlossen werden, weil menschliche Vernunft und Gottes Offenbarung ihren Ursprung gleichermaßen in Gott haben. 174 Als zweites Indiz für den göttlichen Ursprung der christlichen Religion hebt Buddeus die im Lebensvollzug Jesu erkennbare Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen 175 hervor. Daß in diesem Zusammenhang vor 169 Siehe die rückblickende Bemerkung I D 1,1,28, 51 Α.3: "Veritatem christianae religionis hactenus maximam partem intuitu illorum, qui nec vetus nec novum testamentum in codice sacro admittunt, quales sunt athei & ethici, demonstravimus ..." 170 I D 1,1,28, 44ff. 171 I D 1,1,18, 45: "Et primo quidem constat, nihil omnino christianam religionem tradere, quod theologiae naturalis evidentissimis principiis repugnet. Q u i n potius, quae recta ratio de Deo eiusque summa perfectione, itemque, quod & unus sit, & provida sua cura cuncta regat, res cumprimis mortalium sapientissime dispenset, porro, quae de Numinis cultu, virtutusque studio, & vitiorum fuga, de praemiis recte factorum scelerumque poenis, docet, mirifice confirmat, illustrat, & evidentissima quadam gravissimaque ratione omnibus hominibus inculcat." 172 I D 1,1,28, 46 A . l . Diese Mysterien werden schon bei Luther als zentraler Glaubensinhalt bestimmt, vgl. ders., De servo arbitrio W A 18, 606, 26-28. 173 I D 1,1,28, 45 A . l : "Sed cur eiusmodi dogmata, quae supra rationem sunt, quaeve mysteria vocantur, admittenda non sint, nullam prorsus caussam video: immo omnino admittenda esse, facili negotio comprobari potest. Enimvero, qui nulla in religione admittere mysteria volunt, earn humani intellectus vim atque perfectionem statuant necesse est, ut nihil plane in rebus divinis illis ignotum sit." Es könne nämlich nicht nur kein Grund dafür angegeben werden, weshalb die Religion ohne alle Mysterien sein müsse, sondern es könne gar nicht gedacht werden, "quod revelata religio mysteriorum esse expers" (ebd. 46). "Lumen enim rationis ad salutem consequendam non sufficere, supra luculenter, ni fallor, evicimus. Si ergo revelatio necessaria fuit, necessaria etiam fuerunt mysteria. Quae enim ex sola ratione nobis innotescunt, rationisque adeo captum superant, merito nobis hoc nomine veniunt." 174 Siehe I D 1,1,28, A . l , 45: "Utrumque enim & rationis & revelationis lumen cum a Deo ipso sit, fieri plane nequit, ut alteram cum altera pugnet." 175 I D 1,1,28, A.2, 46: "lam vero, si porro observetur, nihil omnino de servatoris nostri nativitate, vita, passione, morte, resurrectione, miraculis, doctrina, discipulis, novi testamenti scriptores commemorare, quod non adcuratissime dudum ante vates in veteri testamento praedixere, Veritas pariter, ac divina religionis christianae origo, non potest non inde dispalescere. Q u o d enim Deus, qui solus talia praevidere potest, eum in modum praedixit, id non potest non divinum, seu a Deo ipso profectum censeri. Eventus autem omnes hic vaticiniis adcuratissime respondere, nemini quidem, nisi qui sacrarum litterarum plane expers est, ignotum esse potest".

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allem die Auferstehungsbotschaft gegen die Kritik von Spinoza verteidigt werden mußte, ist bereits in der Darstellung der Christologie behandelt worden. 176 Als letztes Indiz des göttlichen Ursprungs der christlichen Offenbarung führt Buddeus die durch die Religionsgeschichte bereits demonstrierte geschichtliche Universalität der christlichen Religion an. Im Blick auf die Vergangenheit 177 sieht Buddeus diese durch die im Protevangelium- bereits an die Protoplasten ergangene Offenbarung des Gnadenbundes, die in Christus ihren vollkommenen Ausdruck erfahren hat, sichergestellt. Zur Verteidigung der Uberzeugung, daß sich die Universalität der christlichen Religion auch in der Zukunft bewähren werde, verweist er dagegen primär auf die aus der Geschichte ersichtliche Kontinuität der Propagation der christlichen Lehre. Diese zeuge insofern für ihren göttlichen Ursprung, als die mit der Botschaft des Evangeliums erforderte Einsicht in die Sünde sich zum natürlichen Selbstverständnis des Menschen feindlich verhalte und daher der Ursprung der Verkündigung und die Annahme dieser Botschaft nicht aus der natürlichen Vernunft erklärt werden könnten. 178 Wie sehr dennoch die Offenbarung den natürlichen Widerstand der menschlichen Vernunft aufzuheben vermöge, lehre in eindrücklicher Weise das Zeugnis der Märtyrer. 179 Die hier von Buddeus genannten Kriterien der natürlichen und offenbarten Religion sind auch schon von der älteren Dogmatik erwähnt worden. Quenstedt zum Beispiel zählt insgesamt dreizehn Affektionen der christlichen Religion. 180 Die Affektionen der Heiligkeit, Notwendigkeit und Nütz-

176 Siehe Kap. III,2,c dieser Arbeit. 177 Vgl. zum Alter als Kriterium der Wahrheit der christlichen Religion I D 1,1,28, 49 A.2: "Ad antiquitatem nimirum quod attinet, certum est, novam quamdam religionem non posse esse veram. Sequeretur enim, omnes homines, qui ante istam religionem vixerunt, medio perveniendi ad salutem fuisse destitutes; quod est plane absonum." Daraus ist dann auch zu schließen: "nova religio non potest non esse falsa; ea contra, quae cum ipsa hominum origine simul originem sumsit, praesertim, si cetera conspirent, non potest non pro vera atque divina haberi. Christianam vero religionem, in se spectatam, eamdam esse cum patriarchali, adeoque statim post hominum lapsum originem sumsisse, ex antea dictis luculenter constat." 178 I D 1,1,28, 50 A.2: "propagatio quoque mirabilis religionis christianae, eius & veritatem & divinam originem evidenter arguit. Haud perfunctorie namque observandum, doctrinam apostolicäm hominibus, pravas cupiditates consectantibus, quales natura omnes sumus, minime gratam fuisse. Adnuntiabant equidem omnibus propitium Numinis favorem, peccatorumque remissionem, per servatoris meritum vera fide impetrandam, sed poenitentiam simul veram, minimeque fucatam, eiusque fructus requirebant." Buddeus beruft sich ferner auf Ausführungen von Aegidius Hunnius in der Schrift 'De maiestate Sc auctoritate scripturae sacrae', 77. 179 Vgl. dazu I D 1,1,28, A.2, 50f. 180 Siehe Quenstedt, Systema 1,2/1,2, 29: "Affectiones

Religionis sunt 1. divina

sublimitas,

2. uni-

tes, 3. Veritas, 4. perfectionis singularitas, 5. sanctitas, 6. necessitas, 7. utilitas, 8. antiquitas, 9. invincibilitas, 10. perpetuitas, 11. spontaneitas, 12. sortis varietas, 13. ενεργεία & efficacitas." Vgl. auch Hollaz, Examen P,2,5.7, 39ff.

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lichkeit der Religion, die sich auf die Konstitution der Einheit mit Gott 1 8 1 beziehen, sind bei Buddeus in den Notionen der natürlichen Religion aufgenommen, die er für die christliche Religion geltend macht. Daneben nennt Quenstedt die ebenfalls bei Buddeus angeführten Kriterien des Alters, der Unbesiegbarkeit in der Geschichte und der Dauerhaftigkeit. 1 8 2 D e r Unterschied zwischen Quenstedt und Buddeus liegt jedoch in der Funktionsbestimmung und dem Status, der den Affektionen der offenbarten Religion jeweils zugewiesen wird. Quenstedt versteht diese Affektionen von vorneherein als Beschreibung der christlichen Religion. 1 8 3 Buddeus hingegen bestimmt sie als allgemeine Kriterien zur Erkenntnis und Beurteilung der offenbarten Religionen und verzichtet entsprechend auch darauf, diese Kriterien der Religion als Affektionen zu kennzeichnen. Indem er außerdem nicht wie Q u e n s t e d t 1 8 4 von den Affektionen der Spontaneität und einzigartigen Wirksamkeit der christlichen Religion spricht, bringt er die Einsicht zur Geltung, daß die christliche Religion nicht als Religion, sondern durch ihren göttlichen Ursprung in der Offenbarung des Bundes die spontane Zustimmung weckt und darin wirksam ist. D i e von Buddeus vorgetragene Argumentation für den göttlichen Ursprung der christlichen Religion unterscheidet sich dabei im Duktus deutlich von den entsprechenden Ausführungen bei Pfaff. Diesem gelten Judentum, Heidentum und Islam nicht als wahre Religionen, weil im Heidentum und Islam die Superstition dominiere und das Judentum selbst auf die N o t wendigkeit einer neuen Offenbarung hinweise. 1 8 5 Aufgrund dieses zügig 181 Vgl. Quenstedt, Systema 1,2/1,2, 29 Nota: "Sanctitate; Docet enim agnoscere sanctum Deum, colere sanctam vitam, sancta praecepta tradit, sancta mysteria patefacit; falsa, absurda, impia aut turpia nec docet, nec fieri jubet. VI. Necessitate; quae ex hypothesi salutem consequendi ultro liquet; si ad Deum perducendus est homo, rationem constare oportet, qua ad Deum, perducatur. VII. Utilitate; Ducit ad Deum; aperit coelum, solatur conscientiam & viam monstrat ad veram pietatem." 182 Vgl. Quenstedt, ebd. 183 Vgl. zu Systema 1,2/1,2, 29 den Kontext 1,2/1,1, 28: "Religio Christiana est ratio colendi verum Deo ...". 184 Quenstedt, ebd.: "XI. Spontaneitate; N o n cogi vult, sed doceri expetit, liberam exigens assensionem. ... XIII. Denique ... efficacitate singulare, in gloria Dei illustranda, conscientia tranquillanda, in hominibus convertendis, in pietatis studio excolendo, in eutanasia procuranda &c." 185 Pfaff, Institutiones 1,1,5, 4f.: "Posita vero revelationis necessitate omnes nobis jam revelationes examinandae veniunt, quae inde ab antiquissimis, quae cogitari possunt, temporibus, usque ad hoc, quod vivimus, aevum factae jactantur. At vero hae quatuor istae sunt: Judaica, prima illa atque antiquissima & Gentilium superstitio, varia ea atque pro populorum ratione diversa & Christiana religio & Mahumedana. Et quod primam quidem attinet, jam nullo negotio demonstrabimus, ubi de Christo Messia nobis agendum erit, Messiam a Prophetis praedictum jam venisse legemque Judaicam diruta jam dudum Republica Judaica antiquatam esse. Q u a ratione non potest non fieri, ut post Judaicam nova revelatione opus esse, quivis perspiciat. Paganorum deinde superstitio adeo omnibus se ridendam exsibilandamque praebet, ut cum injuria quadam discentium conjunctum sit, istis ineptis refellendis chartam operamque insumere. De Mahumedismo idem si dixerimus, haud profecto erravimus, etiamsi instituti ratio jam non ferat, rem heic data opera excutere. Aut ergo revelationis

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gefällten Urteils wird das Christentum als die allein wahre Religion bestimmt, welche sich selbst als wahr auszuweisen vermöge. Als negative Kriterien des Selbsterweises der christlichen Religion nennt Pfaff die Ubereinstimmung mit der Vernunft und die Entsprechung zu einer früheren Offenbarung. Als positive Merkmale hingegen gelten die Vermehrung der göttlichen Ehre und des menschlichen Glücks sowie der göttliche Ursprung. 1 8 6 Den äußeren Argumenten für den göttlichen Ursprung, insonders den Wundern, stellt Pfaff nun als inneres Argument das innere Zeugnis des Geistes an die Seite und erklärt dieses zum eigentlich entscheidenden, weil sich im Zeugnis des Geistes die christliche Offenbarung selbst bezeuge. 187 Bei Buddeus wird der gleiche Gedanke erst innerhalb der Rechtfertigungslehre entwickelt. Denn als Kriterium für den göttlichen Ursprung der christlichen Religion kann er das Zeugnis des Geistes nicht benennen, weil es sich auf die individuelle Adoption in die Gotteskindschaft bezieht und mithin nicht unmittelbar als objektives Kriterium zu behaupten ist. Ferner unterscheidet sich die Darstellung der wahren Religion bei Buddeus von der Argumentation bei Pfaff wesentlich darin, daß Buddeus nicht primär auf die Widerlegung der anderen Offenbarungsreligionen abhebt, sondern auf die in der Verwirklichung der natürlichen Religion und der geschichtlichen Universalität erkennbare Vollkommenheit der christlichen Religion. d) Vernunft und Offenbarung Daß die Wahrheit der christlichen Religion gegen Zweifel und Einwände verteidigt werden kann und muß, gehört zu den Einsichten, die Leibniz nicht nur in den Abhandlungen über den Verstand programmatisch vertreten, sondern in seinem Essay über die Theodizee auch durchgeführt hat. "Uns bleibt, nachdem wir den Mysterien aufgrund der Beweise für die Wahrheit der Religion" durch die Gründe für deren Glaubwürdigkeit "Glauben geschenkt haben, nur noch das eine, daß wir sie den Einwänden gegenüber behaupten können; denn wäre das nicht der Fall, so würden wir gar keinen Grund haben, sie zu glauben, da alles, was auf sichere und überzeugende Weise widerlegt werden kann, unfehlbar falsch sein muß." 188 Mit den Gründen für die Glaubwürdigkeit der Mysterien kann nach Leibniz "das Ansehen der Heiligen Schrift vor dem Tribunal der Vernunft" gerechtfertigt nulla plane est necessitas, quod tarnen aliter se habere jam demonstravimus, aut religio Christiana est vera, cum caeterae omnes, quae jactantur, revelationes marufestissimas falsitatis notas fronti inscriptas gerant. Et, si religio Christiana vera est, ea sola vera est, cum juxta eandem ad salutem nonnisi unica via detur, ea scilicet, quam Christus monstravit." 186 Institutiones 1,1,6, 6. Die positiven Kriterien werden 1,1,7, 6-8 und 1,1,8, 8-10 dargestellt. 187 Vgl. Institutiones 1,1,9, lOf. 188 So Leibniz, Theodizee I I / l , Abhandlung 5, 77.

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werden. 189 "Es verhält sich damit etwa so, wie wenn ein neuer, vom Fürsten bestellter Vorsitzender erst der Versammlung, in der er nachher den Vorsitz haben soll, seine Bestallungsurkunden vorlegen muß". 1 9 0 Denn "die christliche Religion muß allerdings Kennzeichen haben, die den falschen Religionen fehlen; sonst wären Zoroaster, Brahma, Somono-Khodom und Mohammed ebenso glaubwürdig wie Moses und Jesus Christus." 1 9 1 Obwohl Buddeus es nicht so sehr um den Vergleich der verschiedenen Religionen zu tun ist, stimmt er doch darin mit Leibniz überein, daß sich die christliche Religion in der Auseinandersetzung mit den an sie herangetragenen Einwänden ihrer Wahrheit vergewissern muß. Entsprechend hat er in der von seinem Schwiegersohn Johann Georg Walch nach seinem Tode veröffentlichten katechetischen Theologie betont, daß die christliche Religion "allein die wahre geoffenbarte Religion" sei, "welche aus sattsam bestätigten, und aus göttlich erwiesenen Büchern, die Mittel zur Erlangung des ewigen Heils, auf eine solche Art anweiset, daß sich der vernünftige Wille des Menschen darinnen beruhen, und sich zufrieden stellen kan." 1 9 2 Der von Buddeus in seiner Dogmatik entwickelte Religionsbegriff dient diesem Anliegen, die Wahrheit der christlichen Religion zu demonstrieren, in doppelter Weise. Zum einen wird durch die Konzeption des Begriffs der natürlichen Religion in ihrem Rückgang auf das Abhängigkeitsbewußtsein gegen den Naturalismus und Atheismus gezeigt, daß die Religion dem Menschen nichts Fremdes ist und daß er für die adäquate Realisierung der Religiosität der Offenbarung bedarf. Dabei ist der Begriff der natürlichen Religion von der Erkenntnis der wahren offenbarten Religion durch die Bestimmung der Insuffizienz abhängig. Wenn gesagt wird, die negativen Kriterien des Begriffs der natürlichen Religion seien die Kriterien jeder Religion, so steht doch fest, daß sie erst unter der Offenbarung des Bundes ausdrücklich bestimmbar geworden sind. Mit der religionsgeschichtlichen Betrachtung der offenbarten Religion zeigt Buddeus in einem zweiten Argumentationsschritt, daß die im Gnadenbund offenbarte christliche Religion als die suffiziente und der Vernunft entsprechende Religion auch die geschichtlich universale Religion ist, in der sich die Religion in vollkommener Entsprechung zum Begriff der natürlichen Religion präsentiert. An diesem Begriff müssen sich die monotheistischen Offenbarungsreligionen messen lassen. Dennoch ist durch den Begriff der natürlichen Religion keine der Offenbarung äußerliche Kontrollinstanz eingesetzt. Denn die Bestimmung des Begriffs der natürlichen Religion ist 189 190 191 192

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Vgl. Leibniz, aaO., 119. Ebd. Ebd. Siehe die Einleitung in die katechetische Theologie 111,4,3, 268. Der oben zitierte Satz steht hier im Zusammenhang der Feststellung der Vollständigkeit der Heiligen Schrift, die durch die Bestimmung der Schrift als Kanon zum Ausdruck gebracht wird.

von der Offenbarung des Gnadenbundes abhängig, weil erst durch diese die Insuffizienz der Notionen der natürlichen Religion einschließlich der gänzlichen Abhängigkeit des Menschen von Gott ausdrücklich erkannt zu werden vermag. Damit wird die Demonstration der Wahrheit der christlichen Religion auf ihren Erkenntnisgrund, die Offenbarung Gottes im Gnadenbund, verwiesen. Unter der durch den Gnadenbund vermittelten Einsicht in die Universalität der Versöhnung muß diese auch da geltend gemacht werden können, wo sie bestritten wird. Daher wird sich die christliche Religion die Bestimmung und Darstellung der aus der Offenbarung erkennbaren Kriterien ihrer Vollkommenheit nicht verbieten, sondern sich "eine Theologie anbilden" 193 , die als Offenbarungstheologie natürliche Theologie betreibt. Nichts anderes hat Buddeus versucht.

193 So formuliert Schleiermacher in der Einleitung zur Kurzen Darstellung § 2, 1.

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Kapitel VI:

Gott als das höchste Gut des Menschen Im letzten Kapitel ist gezeigt worden, weshalb nach Buddeus die offenbarte Religion z u m menschlichen Lebensvollzug und zur Realisierung der Bestimmung des Menschen gehört. D a ß aber der G r u n d wahrer Religion erst in der durch die Mittlertätigkeit Christi offenbarten Versöhnung zu erkennen ist, dafür sind innerhalb der Wesensbestimmung der offenbarten Religion nur äußere Kriterien angegeben worden. Dagegen geht es in der Gotteslehre, die Buddeus wie die analytischen Systeme als erstes materialdogmatisches T h e m a 1 behandelt, u m die konkrete Erkenntnis des Grundes der Wahrheit der christlichen Religion. Die Gottes- und Trinitätslehre von Buddeus will zeigen, daß G o t t selbst der in der Mittlertätigkeit Christi offenbare G r u n d der von ihm erhofften Glückseligkeit ist. Wenn letzteres dogmatisch einsichtig zu machen ist, kann es nicht nur für den Glauben, sondern ebenso 1

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In den analytisch konzipierten Systemen der altprotestantischen Dogmatik wurde die Gotteslehre, in der Gott als das Ziel der Versöhnung des Menschen mit Gott thematisch war, im Aufbau zwar deutlich von der Darstellung der Heilsordnung bzw. der Versöhnungslehre abgehoben; sie wurde aber doch nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit Schöpfungslehre und Eschatologie behandelt. Vgl. zur traditionellen Stellung der Gotteslehre Calov, Systema II. Siehe ferner die Anordnung bei Baier, Compendium, 1,1-10. (1,1: De Deo. 1,2: De creatione. 1,3: De angelis. 1,4: De imagine Dei in prima creatione homini collata. 1,5: De Providentia Dei. 1,6: De beatitudine aeterna. 1,7: De damnatione aeterna. 1,8: De morte temporali. 1,9: De resurrectione mortuorum. 1,10: De judicio extremo.) Ebenso gliedert Hollaz, Examen 1,1, 290ff.331ff. Die übliche Abfolge von Gotteslehre und Schöpfungslehre ist bei Buddeus eingehalten: zuerst behandelt er in ID 11,1, 247ff. unter der Uberschrift "De Deo tum qua essentiam et attributa tum qua personas spectato" die Lehre von Gottes Wesen und Eigenschaften und die Trinitätslehre; darauf folgt ID 11,2, 449ff. das Kapitel "De operibus quibus Deus in regno naturae sese manifestavit". Das zweite Buch endet ID 11,3, 609ff. mit dem Eschatologiekapitel "De beatitudine hominum, ceterisque, quae eo pertinent". Buddeus gibt jedoch dem gesamten Komplex eine straffere und damit auch systematischere Gestalt, indem er Doppelungen der älteren Systeme vermeidet. Während beispielsweise bei Quenstedt (Systema 1,12, 730ff.), Baier (Compendium 1,3.4, 167ff.201ff.) und noch bei Hollaz (Examen 1,5, 597ff.) die Gottebenbildlichkeit des Menschen einerseits ausführlich im Anschluß an die der Schöpfungslehre zugeordnete Engellehre, andererseits aber noch einmal kurz in der Urstandslehre verhandelt worden war, bestimmt Buddeus die Gottebenbildlichkeit als Thema der Anthropologie und rekurriert auf sie in der Schöpfungslehre nur noch anmerkungsweise. Dieser Straffung liegt die Einsicht zugrunde, daß für die Schöpfungslehre nur die in der Geistigkeit des Menschen gelegene und mit den Engeln geteilte Erhabenheit gegenüber den anderen Kreaturen von Interesse ist. Da die Bestimmung des endlichen Geistes durch die Engellehre hinreichend thematisiert wird, bedarf es innerhalb der Schöpfungslehre keiner weiteren anthropologischen Ausführungen zur Gottebenbildlichkeit. Vgl. zur Lehre von den reinen Geistern bzw. Engeln ID 11,2,19-39. In ähnlicher Weise hat schon J.A. Schmid in seinem 'Compendium theologiae dogmaticae', Helmstedt 1704 auf eine ausführliche Anthropologie innerhalb der Schöpfungslehre verzichtet.

auch unter theologischen Bedingungen als gewiß gelten, daß in der christlichen Religion die eschatologische Einheit des Menschen mit Gott vermittelt wird. So muß dem dogmatischen Argumentationsgefälle entsprechend die Gotteslehre hier zum Schluß dargestellt werden. Im folgenden ist zuerst zu zeigen, daß die Aufgabenbestimmung, die Buddeus mit der Gotteslehre verbindet, eine konsequente Weiterentwicklung der Auffassung der Theologie als praktischer Wissenschaft bedeutet. Da die Wesenserkenntnis Gottes als Thema der Gotteslehre für Buddeus die Gewißheit der Existenz Gottes voraussetzt, das ontologische Argument Descartes' von ihm im Einklang mit der Jenaer Theologie aber entschieden abgewiesen wird, ist im zweiten Abschnitt dieses Kapitels darzustellen, daß Buddeus stattdessen die Providenz Gottes als Voraussetzung für die Gewißheit der Existenz Gottes ansieht. Vor diesem Hintergrund kann er die Gottesbeweise, die vom Dasein der Welt und des Menschen auf die Existenz Gottes schließen, als akkurate Bestimmung der Abhängigkeits- und Providenzerfahrung deuten. Die Frage nach der konkreten Bestimmung des providentiellen Wirkens Gottes in der Welt gibt dann im dritten Abschnitt dieses Kapitels Gelegenheit, die zentralen Aussagen der Schöpfungslehre von Buddeus als Voraussetzung seines Providenzverständnisses zu entwickeln. Die Rede von der Providenz Gottes basiert dabei ihrerseits auf dem in der Eigenschaftslehre rekonstruierten natürlichen Gottesbegriff. Denn im Rahmen der Eigenschaftslehre bestimmt Buddeus Gott als den unabhängigen Geist, weil Gott - wie im vierten Abschnitt dieses Kapitels zu zeigen ist - in seiner unendlichen Vollkommenheit als der unabhängige Grund der geschöpflichen und insbesondere der geistigen Vollkommenheiten gedacht werden muß. Indem die Eigenschaftslehre den Begriff Gottes als des unabhängigen Geistes entfaltet, erschließt sie nicht nur den in den Gottesnamen der Schrift vorausgesetzten Gottesbegriff, sondern begründet darin zugleich den Sinn der in der Anbetung sich vollziehenden Verehrung Gottes. Da im Rahmen der natürlichen Gotteslehre jedoch nicht zu sagen ist, wodurch konkret Gott sich als das höchste Gut des Menschen erweist und wie er als Grund der Glückseligkeit erkannt werden kann, bleibt die Eigenschaftslehre, die wegen der Vielzahl der Eigenschaften schon in formaler Hinsicht inadäquat ist, auch inhaltlich insuffizient. Die adäquate Wesenserkenntnis Gottes ist nach Buddeus vielmehr erst unter der Bedingung der Offenbarung Gottes im Gnadenbund möglich, die im fünften Abschnitt dieses Kapitels zu behandeln sein wird. Bei der Betrachtung der Konstitution des Gnadenbundes aus den entsprechenden Schriftaussagen demonstriert Buddeus das dreieinige Wesen Gottes als Vater, Sohn und Geist. Das gemeinsame Wirken von Vater, Sohn und Geist in der Begründung und Vermittlung des Gnadenbundes gilt mithin als Erkenntnisgrund der Trinitätslehre, in der die Gotteslehre ihren Abschluß findet.

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1. Die Erkenntnis der Güte Gottes als Aufgabe der Theologie Geleitet von der Einsicht, daß wahre Religion nur möglich ist, wo Gott als Grund der Glückseligkeit erkannt wird, bestimmt Buddeus als Ziel der Gotteslehre die Erkenntnis Gottes als des höchsten Gutes des Menschen. 2 Dies war in der altprotestantischen Dogmatik nicht nur ein Novum, sondern bedeutete zugleich eine Lösung der Frage, welche Funktion der Gotteslehre innerhalb der Theologie als praktischer Wissenschaft zukommen kann. Daß hier eine Schwierigkeit liegt, machte sich bereits in der Entwicklung von Philipp Melanchthons theologischen Loci bemerkbar. Doch erst durch die Definition und analytische Rekonstruktion der Theologie als praktischer Wissenschaft wurde sie als Konstruktionsproblem der Theologie bewußt. a) Das praktische Ziel der Gotteslehre Als Georg Calixt als erster lutherischer Theologe die christliche Lehre im analytischen Schema darzustellen versuchte 3 , verortete er im Unterschied zu den späteren Entwürfen die Gotteslehre innerhalb der Subjektbestimmung der Theologie. Er rechtfertigte diese Stellung damit, daß vom Menschen als Subjekt der Theologie nur angemessen gesprochen werden könne, wenn dieser als das von Gott als seinem Schöpfer abhängige Geschöpf bestimmt werde. 4 In der vorangehenden Entfaltung der Zielbestimmung handelte er dagegen ausschließlich vom absoluten, höchsten und letzten Ziel des Menschen, nämlich der Unsterblichkeit, der Auferstehung und dem ewigen Heil. 5 Durch die somit ganz am Lebensziel des Menschen orientierte Dar2

ID 11,1,1, 249: "UT fine theologiae ordiamur, Deus ipse, qua essentiam & attributa, qua personas, nobis considerandus venit. Cum enim is solus summum hominis bonum sit, cuius possessio, seu fruitio, uti loqui solent, aliquem beatum reddere potest; eum ut cognitum prius habeamus, par est, quam de felicitate, a communione cum eo speranda, certi fieri queamus." Auch Pfaff nimmt die Bestimmung Gottes als des summum bonum im Eingangsparagraphen auf, doch ohne die Erkenntnis desselben, "in quo salutem beatitudinemque & felicitatem veram aeternamque nobis invenire contingat", als das spezifische Interesse der Gotteslehre zu benennen, vgl. Institutiones 1,1,1, 112: "Agedum, cum haec plane excellentia sint scituque necessaria atque omnia ENTISUMMO OPTlMOque vel maxime congrua, talia 8i , quae Christina religio omnino SUPREMO NUMINI adscribat, per singula rerum capita brevibus eamus amplissimumque argumentum nuci, si fieri possit, includamus." Es geht Pfaff zwar wie Buddeus darum, die Wahrheit der christlichen Religion anhand ihres absoluten Gottesgedankens zu demonstrieren. Aber der Begriff des summum bonum erscheint bei ihm einseitig als Inbegriff der höchsten Vollkommenheit, und nicht ausdrücklich auch als Grund menschlicher Glückseligkeit.

3 4

Vgl. hierzu das zweite Kapitel dieser Arbeit, außerdem Weber, Einfluß, 29. Calixt, Epitome, 137-149. Die Begründung für die Stellung der Gotteslehre findet sich ebd. 137, Z.15-34. Siehe Calixt, Epitome, 133-136.

5

278

Stellung war zwar der Bestimmung der Theologie als praktischer Wissenschaft konsequent entsprochen. D o c h zog Calixt mit der Stellung der Gotteslehre die Kritik der Lutheraner 6 , insbesondere Abraham Calovs auf sich. Denn dieser hielt es für "unpassend, daß das Weltziel vor der Gotteslehre zur Verhandlung komme, überhaupt die letzten Dinge in limine theologiae erledigt würden, wie daß von Gott nur sub notione principii hominis ceu subiecti theologiae gehandelt werde." 7 U m diesem Vorwurf zu entgehen und gleichzeitig das analytische Schema einzuhalten, griff Christoph Scheibler 8 1618 die bereits durch Thomas von Aquin vorgenommene Unterscheidung zwischen der objektiv als Ziel angestrebten Sache einerseits und dem formalen Vollzug der Annahme derselben andererseits 9 auf, um so innerhalb der Zielbestimmung der Theologie zuerst von Gott als dem objektiven Ziel des Menschen und dann von der durch die Annahme des höchsten Gutes vermittelten Glückseligkeit als dem formalen Ziel sprechen zu können. 1 0 Die damit gefundene Möglichkeit, die Gotteslehre in den analytisch-praktischen Aufbau der Dogmatik zu integrieren, wurde in der altprotestantischen Dogmatik sodann bereitwillig aufgenommen. 1 1 D o c h obwohl mit der Unterscheidung zwischen objektivem und formalem Ziel der Theologie im analytischen Schema ein O r t für die Gotteslehre gefunden war, konnte das eigentliche Problem der Funktionsbestimmung 6 7 8

9

Vgl. Inge Mager, in: Calixt, Werke in Auswahl Bd. 2, 46. Mager notiert ebd. A.73, daß nur L. Crocius Calixt gefolgt sei. Siehe auch Weber, Einfluß, 30ff. Weber, Einfluß, 32. Vgl. Christoph Scheibler, Metaphysica, 1,20,57, 219: "Finis est formalis vel objectivus. Objectivus est, qui possidetur ab agente, foramlis est actio, qua iste possidetur. Finis objectibus hominis est Deus. Formalis est, cognoscere Deum." Die Distinktion erscheint in der Disputation "de causis in specie" innerhalb der Bestimmung der causa finalis. Siehe zum Beispiel Calov, Systema 11,1: 'De Cognitione, Nominibus, Natura & Attributis DEI', 17: "Observat autem Thomas ... finem dupliciter dici: seil, cujus Sc quo, id est, ipsam rem, in qua ratio boni invenitur, & usum sive adeptionem illius rei: a deoq; docet Deum esse ultimum finem hominis, quantum ad ipsam rem, & omnium aliarum rerum: Consecutionem autem ultimi finis esse beatitudinem hominis sitam infruitioneDei."

10

Bei König wird das objektive Ziel als finis cui, das formale Ziel hingegen als finis cuius gedeutet, wobei Ratschow, Dogmatik 2, 15 diese Verbindung der Distinktion zwischen formalem und objektivem Ziel mit der - nicht identischen - Unterscheidung von finis cuius und finis cui als charakteristisch für König erklärt. Dabei sei besonders auffallend, "daß König gegen die schulmäßige Distinktion Gott und seine Erkenntnis (!) unter den finis obiectivus zusammenfaßt. Das bedeutet, daß die cognitio dei nicht als bloßes Mittel verstanden ist, Gott zu erreichen, sondern zur Sache selbst gehört."

11

Siehe zum Beispiel Quenstedt, Systema 1,14,1, 789: "Egimus hactenus de Fine Theologiae Objective, qui Deus est. Sequitur jam Finis formalis, qui est Dei fruitio, & glorificatio." Vgl. auch Schmid, Compendium Ρ 1,4, 10. Schmid gliedert den ersten Teil aufgrund der Unterscheidung des objektiven und formalen Ziels in zwei Sektionen ein (1,1, 44ff. und 1,2, 98ff.). Siehe außerdem Hollaz, Examen 1,7,1, 664: "Finis formalis Theologiae est adeptio summi boni estque Operatio quaedam animae rationalis circa DEUM, eaque perfecta, qua bonitatis ipsius ita redditur partieeps, ut eadem plenissime satietur. Vocatur alias beatitudo & vita aeterna."

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der Gotteslehre innerhalb der analytisch praktischen Theologie nicht als gelöst gelten. Denn soll die Theologie als praktische Wissenschaft allein das praktische Wissen darüber, wie der sündige Mensch Heil erlangen kann, rekonstruieren, dann stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit, die spekulativen Lehrstücke von der Dreieinigkeit Gottes, der Schöpfung und der Inkarnation systematisch zu behandeln. U m dagegen allein die heilsnotwendigen Themen der heiligen Lehre zu verhandeln und darin unausdrücklich bereits den - später durch die analytische Methode festgeschriebenen - praktischen Charakter der christlichen Lehre zu betonen, hatte der junge Melanchthon die spekulativen Themenbestände der Trinitätslehre und Christologie aus seinen Loci communes von 1521 verbannt 1 2 und dort allein über Sünde, Gesetz und Gnade 13 gesprochen. Später hielt Melanchthon allerdings selbst die Reintegration der Gotteslehre in die Loci der christlichen Lehre für unerläßlich. Denn da Gott dem ersten Gebot zufolge vom Menschen erkannt und verehrt werden wolle, die Gewißheit der Erkenntnis Gottes nach dem Fall jedoch fehle, sei es des Menschen erste Pflicht, die wahre Lehre von Gott zu erlernen. 14 Diese Einsicht in die Notwendigkeit der Gotteslehre war maßgeblich für die dargestellte Verortung der Gotteslehre in der analytischen Dogmatik bei Calixt und seinen Wittenberger Kritikern. Durch die Einführung der Unterscheidung zwischen objektivem und formalem Ziel der Theologie war aber die Bedeutung der Gotteslehre für den Glauben nicht nur nicht geklärt, sondern eine dem reformatorischen Denken fremde Verobjektivierung des Glaubenszieles angebahnt. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung läßt sich Buddeus' Verzicht auf diese Distinktion 1 5 nicht einfach als Abwurf unnötigen Ballasts verste12

Vgl. Melanchthon, Loci 1521, StA 11,1, 20f.: "Proinde non est, cur multum operae ponamus in locis illis supremis de deo, de unitate, de trinitate dei, de mysterio creationis, de modo incarnationis. Quaeso te, quid assecuti sunt iam tot seculis scholastici theologistae, cum in his locis solis versarentur? ... Paulus in epistola, quam Romanis dicavit, cum doctrinae christianae compendium conscribent, num de mysteriis trinitatis, de modo incarnationis, de creatione activa et craetione passiva philosopabatur?" Stattdessen empfiehlt Melanchthon, aaO., 19: "Mysteria divinitatis rectius adoraverimus quam vestigaverimus". 13 Siehe Melanchthon, StA I I / l , 21: "Certe de lege, peccato, gratia, e quibus locis solis Christi cognitio pendet." Durch diese Erkenntnis definiert sich der Christ: "peccati vim, legem, gratiam, qui ignorarit, non video quomodo christianum vocem. Nam ex his proprie Christus cognoscitur, siquidem hoc est Christum cognoscere beneficia eius cognoscere, non, quod isti docent, eius naturas, modos incarnationis contueri." (aaO., 20) 14 Siehe Melanchthon, Loci praecipui theologici 1559, in: StA 11,1, 172f.: "Ideo conditum est genus humanuni ac deinceps ideo redemptum est, ut sit imago et templum Dei Deum celebrans. Vult enim Deus agnosci et celebrari, et fulsisset illustris et firma notitia Dei in mentibus hominum, si natura hominum mansisset integra; ... Sit igitur prima et summa cura hominis veram de Deo doctrinam discere, sicut et primum praeceptum hoc officium praecipue postulat." 15

280

Buddeus referiert diese Unterscheidung nur noch distanziert in einer Anmerkung ID 11,1,1, 249: "Finem huncce obiectivum vocare solent, quemadmodum ipsa beatitudo formalis finis nomine venit."

hen. M a n k a n n darin v i e l m e h r eine W i r k u n g der A u s r i c h t u n g der G o t t e s lehre

auf

die E r k e n n t n i s

Gottes

als

des h ö c h s t e n

Gutes

des

Menschen

e r b l i c k e n . D e n n als p r a k t i s c h e W i s s e n s c h a f t h a t die T h e o l o g i e n a c h B u d d e u s d i e A u f g a b e , G o t t als G r u n d d e r in d e r G e m e i n s c h a f t m i t G o t t

erhofften

Glückseligkeit zu vergewissern.16 Die Distinktion zwischen objektiver und formaler

Bestimmung

des G l a u b e n s z i e l s

ist d a m i t

nicht

nur

überflüssig,

s o n d e r n k o n t r a p r o d u k t i v , w e i l sie d e n E i n d r u c k e r w e c k t , als k ö n n e

man

G o t t objektiv e r k e n n e n , o h n e darin zugleich Glückseligkeit zu erlangen. In dieser E i n s i c h t folgte Buddeus der K o n z e p t i o n v o n Musäus, der den Gottesg e d a n k e n d u r c h d e n B e g r i f f des h ö c h s t e n G u t e s 1 7 a u s l e g t e u n d als das Z i e l menschlichen Glückseligkeitsstrebens18

zum T h e m a der natürlichen19

und

16

ID 11,1,1, 249: " U T fine theologiae ordiamur, Deus ipse, qua essentiam & attributa, qua personas, nobis considerandus venit. Cum enim is solus summum hominis bonum sit, cuius possessio, seu fruitio, uti loqui solent, aliquem beatum reddere potest; eum ut cognitum prius habeamus, par est, quam de felicitate, a communione cum eo speranda, certi fieri queamus." Diese neue Ausrichtung der Gotteslehre bei Buddeus hat auch Ratschow, Dogmatik 2, 57 A.18 notiert. Vgl. dagegen die Einführung in die Gotteslehre bei Hollaz, Examen 1,1,1, 290: "Agitur hic de DEO ut fine objectivo Theologiae ... Nomine DEI intelligitur Ens primum, quod a se & caeterorum causa est; quodque omnia conservat & gubernat." Hier wird die Einsicht in die Notwendigkeit der Gotteslehre nicht expliziert. In wieder anderer Weise eröffnet Schmid die Gotteslehre in seinem Compendium 1,1,1,1, 44 weder mit einer Funktionsbestimmung des Lehrstücks, noch mit einer Wesensbestimmung Gottes wie Hollaz, sondern direkt mit der Erörterung der Existenz Gottes. Ahnlich verhält es sich bei Calov und Quenstedt, die direkt mit der notitia Dei naturalis beginnen. Auch Baier zeigt noch keinen Ansatz zu einer funktionalen Bestimmung der Gotteslehre. Er rekurriert zuerst auf die Bedeutung des Namens Gottes, Compendium, 1,1,1, 113: "DEI nomine vulgo intelligimus ens omnium excellentissimum, quo nihil melius esse vel cogitari potest: vel, ens primum, quod a se et caeterorum entium omnium causa est, atque omnia conservat et gubernat."

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Die Rede von Gott als dem höchsten Gut des Menschen ist von Musäus wohl erstmalig in der altprotestantischen Theologie als Thema der Gotteslehre bestimmt worden. In der mittelalterlichen Theologie hat schon Thomas von Aquin in Summa Theologiae I, q5 und bes. q6 an zentraler Stelle Gott als summum bonum beschrieben. Dahinter steht der schöpfungstheologische Gedanke, daß Gott als Ursache der an seinen Vollkommenheiten partizipierenden Schöpfung selbst als das alle Vollkommenheiten in sich vereinigende höchste Gut bestimmt werden muß. Buddeus sieht darin die absolute Bedeutung der bonitas Gottes, die Gott und den Geschöpfen gemeinsam ist, ID 11,1,14, 282f. und A . l : "Deus modo eminentissimo bonus est, idque tum absolute, & in se, dum omnia ea, quae enti perfectissimo conveniunt, in eo deprehendere licet. ... In eo quidem nonnulli bonitatis metaphysicae, absolute spectatae, notionem constituunt, ut bonum dicatur, in quo omnia, quae rei alicuius essentiae conveniunt, deprehendere licet. Atque hoc etiam sensu de rebus creatis omnibus dicitur, quod fuerint valde bonae, Gen. 1,31. dum unaquaeque essentiam atque naturam sibi convenientem habebat. Nec revera dissentiunt, qui bonitatis, hoc modo spectatae, notionem, in ipsa essentiae, qua res quaelibet gaudet, praestantia, pulchritudine, atque excellentia, constituunt. Deum autem hoc modo summe bonum, seu optimum dicendum, res ipsa docet." Er unterscheidet davon die relative Bedeutung der Güte Gottes "quoad nos, dum in eo, seu summo nostro bono, omnia, quae nos beatos reddere possunt, invenimus" (ebd.).

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Vgl. Musäus, Introductio 1,2,1, 23: "Theologiam Naturalem accipimus heic pro habitu, circa Deum, ut hominis finem ultimum & bonum summum occupato, quo non tantum de Dei essentia & perfectionibus essentialibus, sed δί de mediis consequendae in eo beatitudinis, in quantum quidem ductu luminis naturae cognosci possunt, agitur." Siehe dazu Introductio 1,2,6, 30: "Finis vero, cujus gratiä Theologia Naturalis est, & ad quem omnia, quae tradit, 281

der offenbarten Theologie 20 erklärte. Auf diese Weise erschien schon bei Musäus die objektive Bestimmung Gottes als des höchsten Gutes des Menschen ausdrücklich als der Grund der formalen Bestimmung zur Glückseligkeit. 21 Musäus leistete darin einen entscheidenden Beitrag zur Uberwindung der von Hans Emil Weber und Jörg Baur kritisierten Ontologisierung der orthodoxen Dogmatik. Denn der Begriff des summum bonum wurde bei ulitmo refert, hominis beatitudo & bonum summum est." Das allen Menschen eigentümliche Streben nach Glückseligkeit deutet Musäus, Introductio 1,2,21, 55 A . l als konfuse Gotteserkenntnis: "Quod enim confusa quaedam Dei notitia sub ratione communi beatitudinis & boni summi natura nobis insita sit, evincit ejus, sie concepti, appetitus, natura omnium mentibus insitus, Nemo enim est, qui non velit esse beatus." Vgl. zur Unterscheidung zwischen distinkter und konfuser Gotteserkenntnis außerdem Introductio 1,2,20, 54. Das Glückseligkeitsstreben richtet sich faktisch auf Gott als das höchste Gut, Introductio 1,2,21, 55 A . l : "Cujus autem appetitus voluntati natura insitus est, ejus notitiam quandam etiam intellectui natura insitam esse necesse est: cum voluntas non feratur, nisi in cognitum. ... Volunt autem earn sub communi ratione beatitudinis, sive boni summi. Ergo sub eadem etiam ejus notitiam natura omnis habent." Musäus beruft sich hierbei auf Thomas von Aquin, Summa Theologiae I, q2, al, und q5, a8. 19 Musäus rekonstruiert das natürliche Wissen von Gott in der natürlichen Theologie als einer gegenüber der offenbarten Theologie selbständigen praktischen Wissenschaft (Introductio, 1,2,4, 28: "Est autem Theologia Naturalis scientia practica"). Denn der Habitus, "quo ad Dei agnitionem & cultum quae pertinent, duetu luminis naturae docemus" (Introductio 1,2,3, 27), sei vom religiösen Habitus der aktuell vollzogenen Erkenntnis und Verehrung Gottes zu unterscheiden (Introductio 1,2,2, 26). Die natürliche Theologie erbringe eine Demonstrationsleistung, indem sie einerseits "a priori ex prineipiis primis, immediatis, notioribus, & prioribus, Sc quae conclusionis causam continent, suas infert conclusiones, causamque cur res sit, ostendit", andererseits "a posteriori & ex effectu probat rem esse" (1,2,3, 27 und A.2). 20 Nach Introductio 1,3,8, 129 wird in der offenbarten Theologie die Bestimmung Gottes als des höchsten Gutes mit der Bestimmung der unendlichen Vollkommenheit Gottes verbunden: "Theologiae finis cujus, isque objectivus, est Deus inifinite perfectus & summe bonus." Das formale Ziel der operatio animae circa Deum besteht intermedie im Glauben und in der Liebe zu Gott und wird ultimativ in der intuitiven Erkenntnis und ungeteilten Liebe Gottes erreicht (vgl. Introductio 1,3,9, 129 und 1,3,11.12, 13Off.). Der Erkenntnis bzw. dem Glauben entspricht dabei die Tätigkeit des poti, der Liebe dagegen die Tätigkeit des frui. In der offenbarten Theologie unterscheidet Musäus vor der Distinktion von objektivem und formalem Ziel (Introductio 1,5,8, 129) zwischen finis internus und finis externus der Theologie (Introductio 1,3,5, 127). "Internum constituunt actus cognoscendi, ad quos circa objectum suum eliciendos intellectum elevat & facilitat" (Introductio 1,3,6, 127). Weil aber die Theologie all das lehre, damit die sündigen Menschen mit Gott durch den Glauben an Christus versöhnt werden, als Versöhnte heilig leben und so Gott bereits in diesem Leben, im ewigen Leben aber dann auf vollkommene Weise genießen können, habe die Theologie in dieser Lehre ihr externes Ziel (Introductio 1,3,7, 128). Darin, daß Musäus diese Unterscheidung zwischen internem und externem Ziel für die natürliche Theologie nicht trifft, wird ein Unterschied hinsichtlich des praktischen Nutzens deutlich. Die natürliche Theologie ist zwar "ultimo" (Introductio 1,2,6, 30) auf die Glückseligkeit des Menschen bezogen, aber doch nur vermittelt und indirekt. Dagegen nimmt die offenbarte Theologie internen und externen Bezug auf das praktische Ziel der Theologie insgesamt. 21 Siehe Musäus, aaO., 1,2,7, 33: "Beatitudo igitur sive bonum hominis summum includit in suo concepto duo: Unum, eam rem, in qua hominis bonum perfectum & summum consistit. Alterum ejus adeptionem &C fruitionem. Illa Theologiae Naturalis finis objectivus, haec ejusdem formalis finis dici potest." So kann dann gesagt werden, daß das objektive Ziel der Theologie Gott (Introductio 11,8, 34) und das formale Ziel die Glückseligkeit des Menschen ist (Introductio 11,9, 34).

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ihm nicht einfach ontologisch "als Ziel des Strebens alles Endlichen" gedacht, sondern als der Grund der Religion. Drohte in der Gotteslehre der Hochorthodoxie "die schöpferische Ursprünglichkeit Gottes" verdeckt zu werden 22 , so war mit diesem Ansatz ein Weg bereitet, die Verobjektivierung des Glaubensinhaltes in der Rekonstruktion der Unmittelbarkeit der Glaubenseinsicht aufzuheben. Musäus verfiel dabei nicht in das dem reformatorischen Denken in der Tat fremde "Gottesverständnis der Eros-Spekulation" 23 . Seine Einleitung in die Theologie ist vielmehr in ihrer gesamten Anlage und Durchführung an dem Aufweis der Konstitution des Glaubens allein durch die aus der Schrift erkennbare Offenbarung Gottes als des höchsten Gutes des Menschen interessiert. Dementsprechend kann das religiöse Verhältnis des Menschen zu Gott als dem Grund seiner Glückseligkeit nicht als spekulativ begründet gelten. Die hier nachgezeichnete Entwicklung läßt sich als Prozeß der protestantischen Besinnung auf die Funktion der Gotteslehre verstehen. Da Gottesund Trinitätslehre ursprünglich nicht zu den im Zuge der reformatorischen Reformulierung des katholischen Glaubens strittigen Themen gehörten, ist es verständlich, daß diese Besinnung erst mit dem Versuch der Gestaltung der evangelischen Theologie als Wissenschaft einsetzte. Dabei zeigten sich stärker als in anderen Topoi die Grenzen der Aussagekapazität, die der altprotestantischen Theologie durch die analytische Methode und die substanzmetaphysische Terminologie gesetzt waren und die die Jenaer Theologie zu überwinden suchte, indem sie den christlichen Gottesgedanken deutlicher als Grund und Ziel der Religiosität des Menschen auslegte. b) Zum Schriftgrund der Lehre von Gott als dem höchsten Gut des Menschen Mit der Bestimmung Gottes als des summum bonum hominis ist zwar der Gegensatz zwischen der kontemplativen Funktion der Gotteslehre und dem praktischen Charakter der Theologie aufgehoben. Aber dies geschieht bei Buddeus durch einen spekulativ besetzten Ausdruck, der in der Schrift nicht anzutreffen ist. Buddeus ist sich der aus der exegetischen Sachlage heraus möglichen Einwände bewußt und liefert daher zu Beginn seiner Gotteslehre eine vorläufige biblische Legitimation für die Rede von Gott als dem höchsten Gut des Menschen. Sie sei in dem Gebot, Gott von ganzem Herzen zu lieben (Dtn 6,5 und Mt 22,37) impliziert 24 , und zwar insofern, als die hier 22 Diese Gefahr sieht Baur bei den hochorthodoxen Systemen gegeben, vgl. Salus, 73. 23 So Baur, Salus, 73. 24 In ID 11,1,1, 249 Α.3 argumentiert Buddeus zunächst philosophisch für die Rede von Gott als summum bonum hominis, stellt dann aber fest: "Scriptura vero id quam luculentissime confirmat. N o n aliam enim ob caussam Deum ex toto corde, toto animo, tota mente diligere iubemur, Deut. VI,5. Matth. XXII, 37. quam, quoniam is summum hominum bonum est.

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geforderte höchste Form der Liebe nur in Beziehung auf das höchste Gut bzw. das für den Menschen in höchstem Maße Erstrebenswerte möglich sei. Das Gebot der Gottesliebe erfährt bei Buddeus somit - wie auch schon in seiner praktischen Philosophie und in der Moraltheologie - eine platonisierende Interpretation 25 , deren Berechtigung es in der Gotteslehre allererst nachzuweisen gilt. Nur wenn die Bestimmung Gottes als des höchsten Gutes des Menschen sich als abstrakte Bestimmung der in der Schrift enthaltenen geoffenbarten Gotteserkenntnis ausweist, kann auch das erste Gebot so verstanden werden, daß Gott als das höchste Gut des Menschen verehrt werden will. Die Aufgabe ist in hohem Maße komplex. Denn es geht nicht einfach darum zu zeigen, daß der unter Absehung von der Offenbarung formulierbare und in diesem Sinne philosophische Begriff des höchsten Gutes strukturell in der Wesensoffenbarung Gottes, um deren Rekonstruktion sich die Trinitätslehre bemüht, wiederzuerkennen ist. Es muß auch gezeigt werden, daß und inwiefern der philosophische Begriff hinter dem aus der Offenbarung erkennbaren Wesensbegriff zurückbleibt. Erst im Horizont der entsprechenden Argumentation läßt sich verstehen, daß das erste Gebot selbst bereits ein Ausdruck der Güte Gottes ist, weil es das einzig wahre Gottesverhältnis und darin auch die Einsicht in die Notwendigkeit der Verehrung Gottes erschließt, während unabhängig von der Offenbarung die Notwendigkeit der Verehrung Gottes nur in negativer Weise unter der Behauptung, keines der im Universum erkennbaren Güter vermöge wahrhaft selig zu machen, demonstriert werden kann. 2 6 c) Zur Funktion der Onomatologie Als Ausgangspunkt für die Lehre von den Wesenseigenschaften Gottes wählt Buddeus der lutherischen Tradition folgend die Onomatologie, also die Lehre von den göttlichen Namen. 2 7 In der Onomatologie selbst erblickt er jedoch einen anderen Sinn als die Wittenberger Theologen Calov, König und Quenstedt. Diese nahmen die Onomatologie als Ausgangspunkt für die EntSummum enim bonum summum requiret amorem." Er führt außerdem Ps 73,25.26; Klgl 3,24.25; Gen 15,1; Ps 18,2 an. 25 Buddeus teilt mit der von ihm hochgeschätzten platonischen Philosophie "die große ethischreligiöse Bedeutung der coniunctio-Idee", wie Werner Kümmel, unio, 35ff., bes. 41 vermerkt hat. 26 ID 11,1,1, 249 A.3: "Si quis enim, quid bonum, praesertim relate spectatum, sit? consideret, omniumque bonorum, quae illi se offerunt, instituta comparatione, quod ad summum bonum requiratur, rite colligat; statim deprehendet, nihil esse in hocce universo, in quod summi boni notio quadret, quodve revera illum beatum reddere queat, praeter solum Deum." Siehe auch Μ 1,1/4,85, 157. Vgl. ähnlich Musäus, Introductio 1,2,21, 55 A . l . Als Voraussetzung der Glückseligkeit nennt Buddeus in der praktischen Philosophie EPP 1,4,20, 133 die Fähigkeit des höchsten Gutes, "ut vitam hominis nobilissimam, rationalem scilicet, conservet et perficiet ... ut mentem hominis quietam atque tranquillam reddat". 27 ID 11,1,2-4, 250ff.

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faltung der offenbarten Gotteserkenntnis und behandelten sie daher im Anschluß an die als insuffizient ausgewiesene 2 8 natürliche Gotteserkenntnis. 2 9 Buddeus beschäftigt sich dagegen mit der Onomatologie direkt im Anschluß an die Formulierung der Aufgabe der Gotteslehre und also noch vor der Frage nach einem natürlichen Wissen um die Existenz Gottes. 3 0 Unter Berufung auf das biblische Zeugnis 3 1 , auf Laktanz und Augustin 3 2 behauptet er, in allen Sprachen werde mit dem Gottesnamen ein unendlich vollkommenes Wesen bezeichnet, welches zugleich als Urheber und Herrscher über alle Dinge gelte. 3 3 In den Gottesnamen der verschiedenen Sprachen und Völker werde damit zwar immer schon eine bestimmte Aussage über das Wesen Gottes gemacht, doch würden sie durch die hebräischen und griechischen Gottesnamen der Schrift insofern überboten, als diese alle Wesensmomente des allgemeinen Gottesbegriffs zum Ausdruck brächten. Während nämlich der Jahwename das notwendig existierende unabhängige Wesen Gottes benenne 3 4 und in 'Elohim' die Mehrzahl personaler Relationen in dem einen göttlichen Wesen anklinge 3 5 , werde durch das griechische 'theos' das unendlich supreme Wesen Gottes in allgemeinem Sinne bezeich-

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So zum Beispiel Calov, Systema 11,1/1, 55. Zur Entwicklung der Gotteslehre vor Calov siehe Ratschow, Dogmatik 2, 61 ff., bes. 62. Ratschow vermerkt aaO., 55 A.14, daß die Ausführungen über die natürliche Gotteserkenntnis nicht das Sein Gottes, sondern nur die Faktizität eines natürlichen Wissens von Gott darlegen sollen. Vgl. Calov, Systema 11,2/1, 107, bes. 114 und Quenstedt, Systema 1,7/1, 385-391. Den Nutzen der Onomatologie bestimmt Calov, Systema 11,2/2, 129f. darin, "ut e verbo Dei reddamur immoti certi DEUM ESSE, & e nominibus ipsum agnoscamus, applicatione nominum, quis sit, discamus; quo illinc atheismus, hinc Deorum falsorum conceptus evitetur: Practicus est, ut revelatam Dei notitiam summo in pretio habeamus, debitoq; modo scrutemur; simul vero caveamus ne factis ipsis Deum abnegemus, aut nomen ejus prophanemus; quin semper observetur animo nostro Deus ceu finis ultimus, ad quem contendimus, ut ejus nomen celebremus, in eoq; unice voluptatem ac beatitudinem summam quaeramus." Auch Johann Gerhard hat in der Gotteslehre die Onomatologie (Loci 11,1-3, 243-266) vor der Frage "an sit Deus" (Loci 11,4, 266-284) behandelt. In bemerkenswerter Ausführlichkeit untersucht er die biblischen Gottesnamen zuerst etymologisch (11,1, 243ff.), dann im Hinblick auf Homonymität (11,2, 245ff.) und Synonymität (11,3, 249ff.). Buddeus beruft sich ID 11,2,2, 250f. A.2 insbesondere auf 1. Kor 8,5, wo Paulus eine allgemeine Bedeutung des Wortes voraussetze, wenn er denen, die fälschlicherweise Götter genannt werden, "unum, eumque verum, proprie sie dictum Deum, opponit". Buddeus zitiert in ID 11,2,2, 250 Α. 1 aus Augustin, De doctrina christiana Buch I,VI. ID 11,2,2, 250: "Deum autem quando dieimus, intelligimus eo nomine ens infinite perfectum, quod ceterorum omnium, extra se, auetor, & dominus sit. Haec enim communis illa notio est, quam omnes homines, quisque sua lingua, expnmunt, quotiescumque de Deo loquuntur. Unde sua sponte sequitur, Dei nomine, si proprie aeeipiatur, non tam dignitatem, aut potentiam, quam ipsam eius naturam ac essentiam significari." ID 11,1,3, 25 Iff. Im Einklang mit damaligen exegetischen Erkenntnissen leitet Buddeus die Bezeichnung Jahwe aus dem Verb hajah ab. Daher bezeichne 'Jahwe' den, "qui est ο ων ενς, scilicet a se ipso; seu, qui suam essentiam ac exsistentiam alii non debeat, quin potiusque utramque per se necessario habeat, simulque adeo caussa eorum omnium sit, quae sunt, sive exsistunt" (252). Darin seien "reliquas simul Numinis perfectiones" impliziert (253), insonders "summa potentia" und vollkommene Freiheit (254). Vgl. ID 11,2,3, 251 und A.3, 258-262.

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net; der Ausdruck 'kyrios' betone dagegen die Autorität und Macht Gottes als Urheber und Herrscher über die Welt. 3 6 Im Unterschied zu den Wittenbergern weitet Buddeus diese biblischen Gottesnamen allerdings nicht als unmittelbaren Ausdruck der Offenbarung Gottes. D e n n angesichts der Tatsache, daß in allen Völkern von Gott geredet werde, können die Gottesnamen nach Buddeus zunächst nur als Indiz für die Universalität der natürlichen Gotteserkenntnis gelten. Gewißheit über das wahre Wesen Gottes ist daher aus der Onomatologie nicht zu beziehen. Sie hat lediglich zu zeigen, daß die verschiedenen biblischen Gottesnamen den bereits im Religionskapitel ausgelegten allgemeinen Begriff vom Wesen Gottes vollständig bezeichnen. Auf dieser Basis erst erhebt sich für Buddeus die Frage nach den Gründen für die Gewißheit der Existenz Gottes. 3 7 D e r Ansatz der Gotteslehre bei der Onomatologie ist aber insofern von großer Bedeutung, als damit der natürliche Gottesbegriff, den die Eigenschaftslehre näher bestimmt, aus der Schrift und nicht aus einer eingeborenen Idee bezogen wird.

2. Die Gewißheit der Existenz Gottes V o n der natürlichen Gotteserkenntnis war bereits in der Rekonstruktion des Begriffs der natürlichen Religion im letzten Kapitel ausführlich die Rede. W e n n Buddeus dieses T h e m a in der Gotteslehre noch einmal aufnimmt, so geschieht dies nicht mehr zum Nachweis der Allgemeinheit und der eigentümlichen Struktur eines natürlichen Wissens von Gott, sondern unter der Frage, wodurch die Gewißheit der Existenz Gottes als notwendiges Moment des Glaubens an G o t t 3 8 konstituiert ist. Entsprechend legt Buddeus die aus dem Abhängigkeitsbewußtsein demonstrierte unmittelbare Evidenz des Gottesgedankens 3 9 in der Gotteslehre als Hinweis auf die Existenz Gottes als des Schöpfers aus. Voraussetzung dieser These ist allerdings die tatsächlich gegebene Allgemeinheit des Gottesgedankens. Sie wird durch die empirische Beobachtung belegt, daß kein V o l k ausfindig zu machen sei, welches nicht eine Gottheit verehre. 4 0 Dieses Faktum der universalen natürlichen Gottes36 37

I D 11,1,4, 262. Zuerst zeigt Buddeus I D 11,1,5.6, 263-273 die Gründe, die die Vernunft zur Uberzeugung von der Existenz Gottes führen. Daran anschließend stellt er I D 11,1,7.8, 273-275 die durch die Offenbarung Gottes vermittelte Uberzeugung des Glaubens von der Existenz Gottes dar.

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I D 11,1,5, 263: "Credenti autem in Deum ante omnia necessarium est, certa animi persuasione tenere, ens eiusmodi perfectissimum, quod Deum vocamus, exsistere". Vgl. I D 11,1,5, 266 A.2. I D 11,1,5, 266-268 Α.3: "Nullam namque fuisse umquam gentem, tarn barbarem atque immanem, quae non N u m e n aliquod admiserit, illudque colendum censuerit, etiam ethnici scriptores agnoverunt. ... Sumamus itaque, quod ... nullam omnino exstitisse umquam, aut exstare gentem, quae non Deum, etsi subinde sub conceptu valde erroneo, admiserit, atque

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erkenntnis läßt sich nach Buddeus wiederum nicht allein durch äußerliche Einwirkungen wie Erziehung oder institutionelle Verordnung erklären 41 , sondern vor allem aus der Struktur der Seele. Denn für die Seele ist, wie im letzten Kapitel gezeigt worden ist, der Gottesgedanke durch das Abhängigkeitsbewußtsein unmittelbar evident. Da sich das Bewußtsein der Abhängigkeit jedoch reflexiv auch auf die seelische Verfaßtheit selbst bezieht, kann die Faktizität dieses Bewußtseins, in welchem die unmittelbare Uberzeugung von der Existenz Gottes eingeschlossen ist, nicht als Produkt der Seele ausgelegt werden. Somit erscheint es Buddeus plausibel, Gott als Urheber der im Abhängigkeitsbewußtsein gesetzten Disposition der Gotteserkenntnis und mithin als Schöpfer dieser seelischen Verfaßtheit anzunehmen. 42 Doch fungiert diese Überlegung in der Argumentation von Buddeus nicht als Beweis für die Existenz des Schöpfers, sondern als Ausweis der Angewiesenheit des Menschen auf Offenbarung. Unabhängig von der Offenbarung kann es für ihn mithin keine gewisse Uberzeugung von der Existenz Gottes geben. Den von Descartes reformulierten ontologischen Gottesbeweis lehnt Buddeus in seiner Dogmatik wie bereits in den Atheismusthesen ausdrücklich ab und folgt darin dem Interesse von Musäus, der sich wahrscheinlich als erster Lutheraner mit der cartesischen Argumentation für die Existenz Gottes umfassender auseinandergesetzt hat. In der reformierten Tradition, die schon geographisch leichteren Zugang zum Cartesianismus hatte, diesem aber auch in vieler Hinsicht mental näher stand, begann diese Auseinandersetzung sehr viel früher. 43 coluerit: sua sponte tum inde sequetur, a Deo ipso hanc notitiam illis insitam, atque omnium cordibus inscriptam fuisse. Cum enim moribus, institutis legibus ritibus, maximopere gentes a se invicem differant; in eo tarnen, quod Numen aliquod sit, idque cultu debito prosequendum esse, omnes conveniant; non alia profecto eius rei caussa adferri, aut excogitari potest." Buddeus beruft sich dafür vor allem auf antike Philosophen, u.a. auf Plutarch. In den Atheismusthesen TAS 5,1, 365 findet sich die Widerlegung der These Pierre Bayles, daß "integras gentes atheismo infectas fuisse". Auf Bayles Einwand, daß es noch viele unbekannte Völker geben könne, antwortet Buddeus TAS 5,1, 368: "consensum etiam gentis integrae urgeri non posse, nisi de singulorum hominum, qui gentem constituunt, sententia constet; adeoque ad universalem gentium omnium consensum provocari non posse ... Praeterquam vero, quod nondum constet, an gentes quaedam adhuc nondum cognitae extent, si vel maxime hoc concedamus illae tarn exiguum orbis tenebunt spatium, ut cum toto orbe, qui nobis innotuit, comparatae, minime in censum veniant. Multo minus de eorum atheismo suspicio nobis onri debet, cum ex reliquarum, recentiore aetate detectarum gentium exemplo eas, si quae adhuc tales sunt, religionis Numinisque non carere sensu, iudicare, pronum sit." 41 Vgl. ID 11,1,5, A.3, 268 und TAS 5,1, 366f. 42 ID 11,1,5, 263: "Idque [nämlich die feste Uberzeugung, daß ein ens perfectissimum existiert; Vf.] ipsa quidem natura omnes evidentissime docet ... Et ad naturam quidem quod attinet, hanc exsistentiae suae cognitionem creator rerum omnium humanae menti tarn alte infixit, ut, qui data velut opera sibi ipsi vim non inferunt, non possint non veritati huic, quam primum eam intelligunt, adsensum praebere. Quod & quilibet ex eorum, quae in se ipso experitur, facilique negotio deprehendere potest, consideratione cognoscit". 43 Vgl. dazu den Aufsatz von Ernst Bizer, Die reformierte Orthodoxie und der Cartesianismus, in: ZThK 55/1958, 306-372.

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a) Die Kritik an Descartes' Konzept der eingeborenen Idee Gottes Im Rahmen seiner Einführung in die natürliche Theologie wendete sich Musäus vor allem gegen den Ausgangspunkt des ontologischen Beweises von Descartes, nämlich das Konzept der eingeborenen Idee Gottes. 44 Sein gegen Descartes gerichtetes Verständnis der natürlich eingeborenen Gotteserkenntnis, das bereits im letzten Kapitel dargestellt worden ist, ging aus von der These, daß der menschliche Intellekt kein vollkommenes Erkenntnisprinzip sei 45 . Auf dieser Basis bestritt er die Möglichkeit der Gotteserkenntnis aus der bloßen Vernunft 46 und zielte damit letztlich auf die Demonstration der Notwendigkeit einer Selbstbekundung Gottes als Bedingung der Möglichkeit jedweder Art der Gotteserkenntnis. U m Descartes' Konzept der eingeborenen Idee Gottes zu widerlegen, versuchte Musäus zunächst zu zeigen, daß dessen Begriff der eingeborenen Idee nicht stimmig sei. Descartes habe die Idee als Erkenntnisakt oder Bewußtseinsmodus definiert, wobei nur die Unterschiedenheit des im Intel-

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Musäus behandelt den ontologischen Gottesbeweis von Descartes unter der Frage: "Qua ratione vero natura horainum mentibus insita sit notitia de existentia Dei", vgl. Musäus, Introductio 1,2,23, 60-75. Die entscheidenden Passagen sind auch zitiert bei Ratschow, Dogmatik 2, 36-38 A.7. Musäus, Introductio 1,2,23, A. 1,5, 67: "Quod ut recte intelligas, sciendum est, intellectum per se praecise, citra concursum objecti, spectatum, esse principium cognoscendi incompletum, non magis ad unum, quam ad alium quemvis actum cognoscendi eliciendum determinatum, nec posse per se solum ullius rei cognitionem elicere." Die Freiheit des endlichen Intellekts meint nach Musäus also nicht die Selbstbestimmung zur Erkenntnis, weil der Intellekt abhängig ist von der Determination durch eine species impressa, vgl. Introductio 1,2,23, 68 A. 1,5: "Intellectus enim cum ex se indeterminatus & ad quemvis actum indifferens sit, respondet analogia & proportione causae universale species objecti impressa autem, cum intellectum ad certam speciem actus cognitionis determinet, respondet analogia & proportione causae secundae & particular!.". Gegen Descartes' Argument, daß G o t t in seiner materielosen reinen Geistigkeit nicht vermittels Sinneserfahrung erkannt werden könne (vgl. Med. 111,41, 57; referiert in Introductio 1,2,23, 72f.), verteidigt Musäus (Introductio 1,2,23, 69 A. 1,9) sein Konzept natürlich erworbener Gotteserkenntnis folgendermaßen: "Quamvis enim Deus per se sub nullum sensum cadat, neque etiam aliquam sui speciem propriam per se immediate hominis intellectui imprimat, ejus effectus tarnen, qui ipsius essentiae & perfectionum essentialium signa sunt, cadunt sub sensus, St transmittunt sui species ad intellectum possibilem interventu sensuum & phantasmatum. Quemadmodum autem effectus Dei sensibiles in notitiam Dei nos deducunt ... ita & intellectus noster per species effectuum sensibilium, a Deo productorum, interventu sensuum & phantasmatum ad se transmissas, determinatur ad actus cognoscendi eliciendos, qui Deum ejusque perfectiones essentiales repraesentant, mediante discursu tarnen & per consequentiam. In omni enim discursu species impressae determinant intellectum proxime ad cognitionem praemissarum; remote autem & mediante cognitione praemissarum ad cognitionem conclusionis. Potest ergo haberi idea sive cognitio Dei, licet ejus species propria intellectui nec innata, nec sensuum interventu impressa sit, imo licet ejus species propria in intellectu nulla detur. Ad hanc enim animo concipiendam sufficere possunt species rerum creatarum, uti dictum."

lekt

jeweils

Repräsentierten

zu

verschiedenen

Ideen

führe47.

Doch

da

E r k e n n t n i s a k t e n i c h t als A k t e e i n g e b o r e n s e i e n 4 8 , h a b e D e s c a r t e s d i e I d e e G o t t e s n u r i m B l i c k a u f i h r e n o b j e k t i v e n G e h a l t als e i n g e b o r e n b e s t i m m e n k ö n n e n 4 9 . D a m i t sei e i n e d e m a k t u e l l e n E r k e n n t n i s a k t des I n t e l l e k t e s v o r g ä n g i g e G e g e b e n h e i t des G o t t e s g e d a n k e n s i m I n t e l l e k t b e h a u p t e t , die w e d e r Descartes n o c h seine Schüler adäquat begründet h ä t t e n . 5 0 Descartes

habe

z w a r g e g e n e n t s p r e c h e n d e E i n w ä n d e i m m e r w i e d e r b e t e u e r t , die I d e e G o t t e s sei in

der

gleichen

Weise

wie

alle a n d e r e n

im

Intellekt

repräsentierten

I n h a l t e o b j e k t i v i m I n t e l l e k t g e g e b e n 5 1 , d o c h o h n e das v o n d e r E r k e n n t n i s t ä t i g k e i t u n a b h ä n g i g e u n d in d i e s e m S i n n e o b j e k t i v e Sein d e r s e l b e n i m Intell e k t d a r z u l e g e n . 5 2 M u s ä u s selbst hielt e b e n d i e s e n N a c h w e i s des o b j e k t i v e n , 47

Vgl. Introductio 1,2,23, 61 A. 1,1 unter Bezug auf Descartes, Prinzipien 1,18, 6: "Ideae vocem Cartesius accipit, non pro causa exemplari interna, sive pro forma, intellectu concepta, quam imitatur effectus ex intentione agentis, ut alias usu recepto accipi solet, sed simpliciter pro rei notione sive conceptu. Cum vero facile intelligeret, notiones sive conceptus rerum non nasci nobiscum: sunt enim actus cognoscendi, qui ab intellectu, per species impressas adjuto Sc determinato, efficienter producuntur; commentus est in idea duplex, realiter distinctum, esse. Unum cognitionis sive cogitationis; alterum objectivum sive rei repraesentatae." Vgl. dazu Meditatio III,5, 65; 111,20, 42.

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Siehe Introductio 1,2,23, 61f. A. 1,2: "Innatam ergo volunt hominis menti ideam Dei, non quoad eße cognitionis sive cogitationis: agnoscunt enim, ut dictum, actus cognoscendi omnes elici ab intellectu, non autem nasci nobiscum; sed quoad esse objectivum sive vicarium, in quantum scilicet est imago Dei, vicem ejus in intellectu gerens, cumque repraesentans." Musäus sieht diese Folgerung, daß die Idee Gottes gewissermaßen als imago Dei dem Menschen als Voraussetzung der aktuellen Gotteserkenntnis eingeboren ist, bei Florentius Schuyl in dessen Rede über die Wahrheit der Wissenschaft und der Kunst offen ausgesprochen. Descartes selbst habe sie in den Prinzipien (1,22, 8) ausgedrückt. Siehe dazu Musäus, Introductio 1,2,23, 62: "Ubi primo ponit ideam Dei, nobis ingenitam, nostro actu cognoscendi priorem; deinde conversionem intellectus nostri ad illam, & tertio denique cognitionem ipsam perfectionum divinarum, per imaginem impressam repraesentatarum." An besagter Stelle ist bei Descartes jedoch gerade nicht von der Existenz Gottes als Moment der eingeborenen Idee Gottes die Rede, sondern nur von den typischen Explikationen der Vollkommenheit Gottes.

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Siehe Introductio 1,2,23, 61f.: "Quamobrem etiam Cartesius ideam innatam maluit definire per rem cogitatam, quatenus habet esse quoddam objectivum in intellectu, quam per notionem sive conceptum rei, sicut in Dissert, de Method in Not. Margin. p.m.22." 50 Introductio 1,2,23, 63 A. 1,3: "Verum esse illud objectivum, sive vicarium, quod praeter actum cognoscendi idea in hominis intellectu importet, quodque objectum extra intellectum existens, repraesentat, purum putum commentum est, quod hue usque nec Cartesius nec diseipuli ejus explicare, nedum aliquo fundamento idoneo probare potuerunt." 51 Musäus, Introductio 1,2,23, 63f. 52 Vgl. Musäus, Introductio 1,2,23, 63 A. 1,3: "Non enim de idea, an sit aut esse possit extra intellectum? hic quaeritur, sed de esse objective rerum, quae per ideas, in intellectu existentes, repraesentantur, an sit entitas realis in intellectu, ab actu cognoscendi distineta? an verö a solo actu cognoscendi, cujus objecta sunt, & quem terminant, objective in intellectu esse dicantur per denominationem mere extrinsecam? Hic Rhodus! hic saltandum! Si quid aliud, quam actum cognoscendi, idea importet, ratione cujus res objective in intellectu esse dicantur, exponendum hic erat, quidnam illud sit? quae ejus entitas? unde nobis innotescat? Quorum nihil Cartesius explicare potuit, sed sumit tanquam concessum, ideam includere in suo conceptu entitatem quandam realem, cum ab actu cognoscendi, tum ab ipsis rebus cognitis distinetam, per quam res denominatione intrinseca objective in intellectu esse dicantur. Quae est aperta petitio ejus, quod in prineipio est."

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vom Erkenntnisakt unabhängigen Seins einer Idee im Intellekt für unmöglich und bestimmte daher die eingeborene Gotteserkenntnis nicht mehr als Idee. Seine Kritik an Descartes ist jedoch nicht als gänzliche Widerlegung der cartesischen Argumentation zu werten, sondern eher als konstruktiver Beitrag zur Näherbestimmung der eingeborenen Gottesidee zu würdigen. Das eigentliche Fundament der Cartesischen Rede von der eingeborenen Idee Gottes erblickte Musäus zurecht in dem in der dritten Meditation entwickelten Argument für die Objektivität der Idee Gottes. 53 Denn dort hatte Descartes die Idee des unendlich vollkommenen Seienden, die er mit dem Gottesgedanken identifizierte, als die der bewußten Erkenntnis des Endlichen zugrundeliegende Idee bestimmt. Der Gottesgedanke erscheint in seiner Argumentation somit als Bedingung der Erkenntnis der endlichen Unvollkommenheit und damit des endlichen Seins überhaupt. 54 Denn wie "sollte ich es sonst auch verstehen, daß ich zweifle, daß ich etwas wünsche, d.i. daß mir etwas mangelt und ich nicht ganz vollkommen bin, wenn gar keine Idee eines vollkommeneren Wesens in mir wäre, durch dessen Vergleichung ich meine Mangelhaftigkeit erkenne?" 55 Eben diese Idee des vollkommensten und unendlichen Wesens kann nach Descartes weder als durch den Verstand, noch durch die Sinne hervorgebracht aufgefaßt werden. 56 Dieser Überlegung begegnete Musäus mit zwei Einwänden. 57 Zum einen machte er wie bereits andere Descartes-Gegner geltend, daß die Idee des 53

Introductio 1,2,23, A . 1,11, 71: " H o c videtur esse praecipuum Cartesianorum fundamentum, quo nixi ideam Dei mentibus hominum ingenitam statuunt: cui tarnen nihil solidi, roboris nihil subest." Vgl. außerdem die prägnante Zusammenfassung der Argumentation von Descartes in Introductio 1,2,23, A. 1,10, 70f.: "Summa redit hue: Quicunque in se habet ideam entis finiti & imperfecti, is habet in se prius, si non tempore, tarnen natura ideam entis infiniti & perfecti. Atqui qui habet in se ideam sui ipsius, is habet in se ideam entis finiti & imperfecti. Ergo qui habet in se ideam sui ipsius, is habet in se prius, si non tempore, ordine naturae tarnen ideam entis infiniti & perfecti, h.e. Dei. Ergo idea Dei non acquiritur demum per species alienas, & a rebus creatis intellectui impressas, sed ordine naturae omni idea rei creatae prior, adeoque intellectui ingenita est."

54

Siehe Descartes, Meditationen 111,28, 48ff. Vgl. dazu Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 127. Musäus bezieht sich auf diesen Gedanken Introductio 1,2,23, 70f. A.10. Descartes, Meditationen 111,28, 49, zitiert nach P h B 27, 37. A b Meditationen 111,26, 48ff. geht es Descartes darum zu zeigen, daß die Idee Gottes "etwas ist, das nicht aus mir selbst hervorgehen konnte." (PhB 27, 36) In 111,41, 57 (PhB 27, 42) zieht er dann die Folgerung, daß die Idee Gottes "mir eingeboren" sein muß, da sie weder als "aus den Sinnen geschöpft" noch als "ausgedacht" bestimmt werden konnte. Die Argumentation gegen Descartes' Bestimmung der Idee des Unendlichen als für die Erkenntnis des Endlichen vorausgesetzte eingeborene Idee Gottes, in der er zugleich seine eigene Auffassung, daß der Gottesgedanke durch die Wahrnehmung der Schöpfung vermittelt ist, darlegt, findet sich in Introductio 1,2,23, 69-75 A.8-13. Aus R o m 1,20 folgen Musäus Introductio 1,2,23, 71 A . l l : "Ergo idea entis Infiniti potest haberi ex rebus creatis Sc finitis cognitis ... N o n ergo simpliciter necessarium est, ut ideam entis finiti, si non tempore, ordine naturae tarnen, idea entis infiniti in hominis intellectu praecedat, potestque ordine inverso ab illa ad hanc fieri progressus. Q u o d ad confirmationem propositionis majoris dicitur, ens finitum & imperfectum importare defectus quosdam perfectionis, verum est. Q u i n verum & illud est, defectus perfectionis, qui in hoc, illo ente finito dantur, non posse

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Unendlichen nicht als eingeborene bestimmt werden müsse, da sie auch im Vergleich endlicher Erscheinungen gebildet werden könne. 5 8 Dieser später auch von Buddeus wiederholte Einwand trifft für sich genommen Descartes nicht. D e n n gerade angesichts der Tatsache, daß die Idee des Unendlichen erst durch die Wahrnehmung des Endlichen ausdrücklich formulierbar wird - und das hatte Descartes in den Meditationen gar nicht bestritten 5 9 -, muß für die Erklärung der Fähigkeit zur Bestimmung des Endlichen als Endliches der Gegenbegriff des Unendlichen als Bedingung benannt werden 6 0 . Ist der cognosci, nisi instituta comparatione cum aliquo ente perfection, in quo perfectiones illae, quarum defectum hoc, illud ens finitum importat, aliquo modo contineantur. Quod autem ens illud perfectius, cujus comparatione entium finitorum imperfectiones cognoscuntur, Deum esse, ejusque ideam entium finitorum ideas omnes, minimum ordine naturae, propterea praecedere orporteat, hoc est, quod negamus." 58 Introductio 1,2,23, A. 1,11, 71f.: "Dantur enim entibus creatis & finitis gradus perfectionum, & possunt lllorum defectus ex comparatione entium creatorum inter se cognosci: ... ex comparatione bruti cum homine cognosco, in bruto non esse perfectionem facultatis ratiocinandi, quae in homine est, & proinde brutum esse imperfectius homine. Si porro in semetipsum homo descendat, potest facile suas imperfectiones cognoscere, licet ad perfectiones entis infiniti, Dei scilicet, intellectu non recurrat. v.g. Facultatem cognoscendi in se non esse modis omnibus perfectam, cognoscere potest, ex comparatione ipsorum actuum cognoscendi inter se & cum objectis. Quaedam enim cognoscit intellectus evidenter & absque formidine oppositi: alia cognoscit obscure & cum formidine oppositi, quaedam plane non cognoscit, Cognitio autem evidens perfectior est inevidente & obscura, & utraque perfectior est ignorantia, & proinde facultas cognoscendi, quae non omnia cognoscibilia cognoscit ... finita & imperfecta est. Sic Sc potentiam operandi in se non esse modis omnibus perfectam, cognoscere potest homo ex rebus productis, quarum multae dantur, quae sua potentia producere non potest. ... Qui autem sua potentia operandi non potest producere omnia, quae produci possunt, & per causas alias producuntur, ejus potentia finita & imperfecta est." 59 Nach Rod, Geschichte der Philosophie VII, 56 hat Descartes den Gottesgedanken vielmehr als potentiell eingeboren verstanden. Dies wird von Descartes aber wohl deshalb nicht besonders hervorgehoben, weil es ihm in den Meditationen gar nicht um die Frage geht, wie die eingeborene Idee Gottes zum Bewußtsein gebracht wird. Buddeus scheint in der praktischen Philosophie allerdings noch davon ausgegangen zu sein, daß bei Descartes die Gottesidee nicht durch äußere Einflüsse zu Bewußtsein gelange, vgl. EPT VI,3,6, 360: "Verum licet id facile concedam, omnes homines serio secum agentes, vehementissimam propensionem ad assentiendum huic veritati, Dens est, in se deprehendere, licet, etiam ... modo ipsi velint, sentire in se atque percipere possint vim, efficaciam, bonitatem Numinis, clarissime eos convincentem: dubito tarnen, an ista idea, quam vult Cartesius, quaeve in intellectu consistit, necessario, nulla accedente institutione, omnium mentibus insideat." In der Dogmatik findet sich diese Kritik nicht mehr. 60 Descartes äußert sich hierzu in Meditatio 111,28 (PhB 27, 37): "Ich darf auch nicht vermeinen, ich erfaßte das Unendliche nicht durch eine wahrhafte Idee, sondern nur durch die Verneinung des Endlichen ... Denn ganz im Gegenteil sehe ich offenbar ein, daß mehr Realität in der unendlichen Substanz, als in der endlichen ist, und daß demnach der Begriff des Unendlichen dem des Endlichen, d.i. der Gottes dem meiner selbst in gewisser Weise vorhergeht. Wie sollte ich es sonst auch verstehen, daß ich zweifle, daß ich etwas wünsche, d.i. daß mir etwas mangelt und ich nicht ganz vollkommen bin, wenn gar keine Idee eines vollkommeneren Wesens in mir wäre, durch dessen Vergleichung ich meine Mangelhaftigkeit erkenne?" Der Begriff der Unendlichkeit müßte allerdings als transzendentale Bedingung und nicht mehr als Idee qualifiziert werden, um das Mißverständnis zu vermeiden, als sei der der Erkenntnis des Endlichen vorhergehende Begriff der Unendlichkeit immer schon aktuell im Intellekt gegeben.

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Begriff des Unendlichen aber als Bedingung der Erkenntnis des Endlichen zu qualifizieren, so läßt er sich nicht gleichzeitig als ausgedacht behaupten. Ebensowenig läßt er sich aber auf Sinneswahrnehmung zurückführen. Also kann der Begriff des Unendlichen weder in der reinen Verstandestätigkeit, noch in den Sinnen seine Ursache haben, sondern muß beidem vorangehen. D a Musäus in seiner Besprechung der cartesischen Argumentation schließlich selbst zugegeben hat, daß sich die Erkenntnis des Endlichen als Endliches im Vergleich mit dem Unendlichen vollzieht 61 , kann sein Einwand gegen das Argument der dritten Meditation hier als abgetan gelten. Angesichts der Tatsache, daß Buddeus in seiner Bestimmung der natürlichen Religion die Evidenz des Gottesgedankens auf das Abhängigkeitsbewußtsein zurückführt, hätte er diesen soeben beschriebenen Kritikpunkt von Musäus nicht wiederholen dürfen. Denn obwohl er die Ausbildung der natürlichen Gotteserkenntnis wie Musäus als durch Welt- und Selbstwahrnehmung vermittelt bestimmt, erklärt er doch die Fähigkeit zur Erkenntnis der Abhängigkeit als dem Intellekt eingeborene Voraussetzung, ohne die dem Individuum die Annahme der Existenz Gottes nicht notwendig erschiene. Für das Bewußtsein der Abhängigkeit ist jedoch Descartes' Idee der Unendlichkeit insofern vorausgesetzt, als das Abhängigkeitsbewußtsein faktisch ein Bewußtsein der in der menschlichen Unvollkommenheit manifesten Unterschiedenheit von Gott ist und damit die Idee der Unendlichkeit impliziert. Der zweite von Musäus gegen Descartes vorgebrachte Einwand ist dagegen theologisch unabweisbar: "Daß jenes vollkommenere Seiende, durch das die Unvollkommenheiten der endlichen Seienden erkannt werden, Gott ist, das ist es, was wir bestreiten." 62 Indem Descartes in seiner Argumentation die eingeborene Idee Gottes mit dem Begriff des Unendlichen gleichsetzte, unterbot er den natürlichen Gottesbegriff. Dieser impliziert zwar notwendig die Bestimmung der Unendlichkeit. Doch mit dem natürlichen Gottesbegriff wird nicht nur die Idee des Unendlichen als Bedingung der Erkenntnis, sondern der Grund allen Daseins und aller Daseinsvollzüge thematisiert, der Grund, von dem die geschöpfliche Wirklichkeit im Ganzen abhängig ist. 63 61

Siehe Introductio 1,2,23, A . 1,11, 71: " Q u i n v e r u m & illud est, defectus perfectionis, qui in hoc, illo ente finito dantur, n o n p o s s e cognosci, nisi instituta c o m p a r a t i o n e c u m aliquo ente perfection, in q u o perfectiones illae, q u a r u m defectum hoc, illud ens finitum importat, aliq u o m o d o contineantur." D e n gleichen G r u n d s a t z findet m a n in der Gotteslehre bei Buddeus I D 11,1,40, 334: "Infinitatis autem ista consideratio, quid h o m o sibi tribuere debeat, si c u m D e o c o m p a r e t u r , q u a m rectissime nos condocebit."

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S o M u s ä u s , Introductio 1,2,23, A . 1,11, 71: " Q u o d autem ens illud perfectius, cujus comparatione entium f i n i t o r u m imperfectiones cognoscuntur, D e u m esse, ... hoc est, q u o d negam u s . " ( U b e r s e t z u n g des Zitats im H a u p t t e x t s t a m m t v o n Vf.) Z u r V e r b i n d u n g des natürlichen Gottesgedankens mit der Providenzerwartung vgl. M u s ä u s , Introductio 1,2,23, 76 Α. II: " E x p e r i u n t u r enim in se homines Viatores o m n e s , q u o d D e u m non aliter concipiant aut concipere possint, q u a m in ordine ad res creatas, ut Ens p r i m u m , q u o d ä se & c a e t e r o r u m entium o m n i u m causa est, & o m n i a conservat ac gubernat, vel ut

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292

In der Idee G o t t e s artikuliert sich m i t h i n das Bewußtsein der H i n o r d n u n g der geschaffenen D i n g e auf G o t t , welches zugleich Voraussetzung der Religion ist. Diese v o n Musäus v o r g e b r a c h t e Überlegung läßt auch Buddeus das ontologische A r g u m e n t Descartes' ablehnen. D e n n beschreibt der Gottesged a n k e n i c h t n u r die Bedingung der M ö g l i c h k e i t v o n Erkenntnis, s o n d e r n w i r d G o t t als G r u n d der P r o v i d e n z e r w a r t u n g u n d als Ziel der religiösen V e r e h r u n g aufgefaßt, so ist der Begriff G o t t e s als des unendlich v o l l k o m m e nen W e s e n s insuffizient. Stattdessen m u ß er als Bedingung der M ö g l i c h k e i t d e r G l ü c k s e l i g k e i t des M e n s c h e n und m i t h i n als das höchste G u t des M e n s c h e n gedacht w e r d e n . 6 4 Dieses theologische A n l i e g e n w i r d jedoch m i t d e m cartesischen Beweis nicht erreicht. O b w o h l Descartes - nach Buddeus' U r t e i l in seinen A t h e i s m u s t h e s e n - w e g e n seines Bemühens u m eine sichere E r k e n n t n i s G o t t e s nicht des A t h e i s m u s zu bezichtigen sei 6 5 , habe e r d o c h m i t seiner P o s i t i o n d e m A t h e i s m u s V o r s c h u b geleistet 6 6 . Buddeus sieht darin, daß Descartes die G o t t e s g e w i ß h e i t nicht m e h r auf eine Erfahrung des p r o v i d e n t i e l l e n W i r k e n s , s o n d e r n auf eine Vergewisserung des D e n k e n s z u r ü c k f ü h r t e , i m p l i z i t der N o t w e n d i g k e i t der O f f e n b a r u n g G o t t e s und der Religion als d e r einzig w a h r e n F o r m des Gottesverhältnisses w i d e r s p r o c h e n . D i e gleiche Ü b e r l e g u n g ist f ü r i h n der A n l a ß , in einem v o n d e m Hallischen T h e o l o g e n J o a c h i m Lange zunächst n u r privat geforderten, dann aber 1 7 2 4

ens omnium excellentissimum, quo nihil melius esse vel cogitari potest. Neque etiam Scripturae Deum aliter nobis describunt & cognoscendum exhibent." Musäus macht dies geltend gegen diejenigen modernen Theologen, die meinen, dem Intellekt sei eine gewisse species impressa eingeboren, die sowohl die Existenz Gottes als auch göttliche Attribute beinhalte und als notitia habitualis die entsprechende Erkenntnis hervorbringe. Die Konsequenz wäre hiernach, daß alle Menschen in gleicher Weise ein Wissen um die Existenz Gottes und die göttlichen Attribute ausbilden müßten, was der Erfahrung widerspreche: "si natura species Dei propria omnium intellectui inesset, necesse esset, ut eum in omnibus homimbus ad quidditativum & proprium Dei conceptum eliciendum determinaret. Sed consequens est contra experientiam" (ebd.). 64 Das gilt für Buddeus nicht nur theologisch, sondern auch philosophisch, vgl. EPT VI,3,4, 359. Dem Begriff Gottes korrespondiert nach EPT VI,3,3, 358 die "in mente nostra intima facultas, quo percipimus, et velut gustamus, quae bona sunt." 65 So auch Samuel Werenfels, Judicium de argumento Cartesii pro existentia Dei petitio ab ejus idea, in: Opuscula II, 211: "Nam cum hoc sit fundamentum totius Philosophiae Cartesianae, Deus verax existit, qui me in iis, quae clare & distincte perdpio-, non falliv. Cartesius Atheismum docendo, totam Philosophiam suam subruisset. Quare, sive solida sint ejus argumenta, sive non sint, dubitari nequit, ilium bona fide Existentiam Dei iis demonstrare voluisse." 66 Vgl. TAS 1,25, 147.152-156. Buddeus verteidigt Descartes hier zwar gegen den Atheismusverdacht (154: "Ego quidem ob istam dubitationem, etsi revera ineptam, cum atheis adscribere nolim"), kritisiert aber dennoch den allgemeinen Skeptizismus, durch den in der ersten und zweiten Meditation Descartes' der Zweifel an der Existenz Gottes motiviert sei. Denn dieser methodische Zweifel löse die unmittelbare Gewißheit der Abhängigkeit von Gott als dem Schöpfer auf. Siehe ebd.: "Peccavit, dum eiusmodi rationibus rerum omnium certitudinem convellere annisus est, quae non possunt non ad scepticismum ducere, cuiusmodi illud est, nescire nos, annon ita a Deo facti simus, ut semper fallamur". Zum näheren Verständnis der Gefahr des cartesischen Skeptizismus empfiehlt Buddeus (ebd. 155) zwei Dissertationen von Jakob Wilhelm Feuerlein. 293

veröffentlichten Gutachten die langjährig gehegten "Bedencken gegen die Wolffianische Philosophie" zu artikulieren.67 b) Die Widerlegung des ontologischen Arguments In der Uberzeugung, das ontologische Argument könne zur Bestreitung der Religion und zum Atheismus führen, hält Buddeus eine philosophische Widerlegung desselben für notwendig. Unter den ihm bekannten Auseinandersetzungen mit Descartes erscheint ihm dabei die Kritik von Petrus Daniel Huet und vor allem von Samuel Werenfels, in dem Karl Barth einen "Artgenossen"68 von Buddeus gesehen hat, überzeugend. Entsprechend versucht er in seiner Dogmatik, unter Rekurs auf diese Positionen den ontologischen Gottesbeweis, wie ihn Descartes in den Prinzipien der Philosophie und in der dritten Meditation vorgetragen hatte69, zu widerlegen70, indem er wie schon Werenfels 71 zwei Argumente, ein aposteriorisches und ein apriorisches, isoliert. Aposteriorisch nennt er Descartes' Überlegung, daß der Verstand die Idee Gottes als des vollkommenen Wesens einer von ihm selbst unterschiedenen, alle Vollkommenheiten formaliter besitzenden Ursache 67 Buddeus schreibt zu Beginn des Gutachtens (Bedencken, Iff.): "Nachdem von mir verlanget worden meine Gedancken von denen Wolffianischen Principiis und Lehr-Sätzen zu eröffnen, so habe mich dessen um so viel weniger entbrechen können, ie grösseres Aufsehen dieselbe bisanhero gemacht, und ie nöthiger es ist denen Consequentien, die daraus bereits entstanden, oder noch entstehen möchten, vorzubeugen. Ich habe dieselbe vom Anfang, so bald sie kund geworden, oft und reifflich erwogen und befunden, daß sie allerdings höchstschädlich und gefährlich, und so beschaffen, daß dadurch dem Atheismo Thür und Thor geöffnet wird." Siehe zu den Umständen der Entstehung des Gutachtens Stolzenburg, 287; vgl. zu dem von Buddeus gegen Wolff erhobenen und von letzterem auch so rezipierten Vorwurf, den Atheismus zu unterstützen, Dieter Henrich, Gottesbeweis, 61f. Die Feststellung von Stolzenburg, 288, Buddeus habe sich - wie auch das 1725 veröffentlichte und von Buddeus mitunterschriebene Gutachten der Jenenser theologischen und philosophischen Fakultät - vor allem an der "Rationalisierung des Christentums" und dem seinem Eklektizismus-Programm entgegengesetzten Dogmatismus der cartesischen und wolffianischen Ontotheologie gestört, enthält keine Auskunft über die inhaltlichen Gründe, die Buddeus zur Kritik dieser Richtung führten. Das Hauptproblem war sicherlich kein methodisches, sondern lag in der Bestimmung des Gottesgedankens. 68 Barth, Protestantische Theologie, 123f. 69 Vgl. die Zusammenfassung des von Descartes in der dritten und fünften Meditation, in den Prinzipien der Philosophie und schon in seinem Discours de la methode vorgetragenen ontologischen Gottesbeweises bei Henrich, Gottesbeweis, 10-22 sowie Röhls, Theologie und Metaphysik, 197-199. 70 ID 11,1,5, 265-266. Vgl. schon EPT VI,3,5-8, 359-361. Siehe bes. die Einführung zur Auseinandersetzung mit Descartes ebd. VI,3,5, 359f.: "Patet autem, quod multum sententia nostra differat a sententia Renati Cartesii, ex idea quadam innata existentiam Numinis demonstrare annitentis. Etenim omnes homines habere in se ideam, autumat, entis infinitis perfectionibus praediti. Haec idea, ita pergit, opera intellectus produci non potuit, quia intellectus nec in ipsa mente hominis, nec extra earn, in obiectis, quae nobis observantur, quicquam deprehendit, ex quo ideam istam perfectissimi entis, quae menti eius insidet, formare potuerit. Ergo a Deo ipso hanc ideam nobis impressam esse, concludit." 71 Siehe Werenfels, Judicium, 212.

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verdanken müsse. 7 2 Dieses aposteriorische Argument ist identisch mit dem kausalen Argument, welches Descartes selbst als seinen Hauptbeweis ansah. Werenfels ließ es als tragfähig gelten. 7 3 Denn sein Versuch der Widerlegung des apriorischen Arguments basiert selbst auf der Annahme, daß die Idee Gottes ein Effekt im Intellekt ist, der nicht als durch den Intellekt hervorgebracht gedacht werden kann. 7 4 Gegen dieses kausale Argument wendet sich Buddeus mit der schon von Musäus her bekannten Überlegung, daß die Möglichkeit, die Idee eines unendlich vollkommenen Wesens durch Negation oder Uberbietung der wahrnehmbaren Unvollkommenheiten fiktional zu bilden, nicht geleugnet werden könne und daß darum das kausale Argument nicht zwingend sei. 7 5 Jede Idee und also auch die Idee des Unendlichen sei vielmehr formal gesehen ein A k t des endlichen Verstandes. Selbst wenn der Begriff des Unendlichen als Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis von Endlichem bestimmt werde, stehe er weiterhin formal unter der Bedingung des Gedachtwerdens. M a n gelange auf diesem Wege daher nicht dazu, die Existenz eines unendlichen Wesens außerhalb des Intellekts nachzuweisen. Buddeus scheint sich jedoch darüber im Klaren gewesen zu sein, daß mit dieser Kritik der ontologische Beweis nicht endgültig zu widerlegen ist.

72

ID 11,1,5, 265: "Duo nimirum CARTESIUS argumenta ab idea Dei, ad probandam eius existentiam, petit, alterum α priori, alterum α posteriori. Hoc, sive argumentum a posteriori, hue redit: mentem ideam Dei non habere a se ipsa, sed a caussa, quae formaliter possideat omnes perfectiones, quas idea contineat obiective, hoc est, quae revera ea habeat, quae idea ista tantum repraesentat." Vgl. Meditatio 111,27, 49. Descartes erschließt die notwendige Existenz Gottes hier mit der Begründung: "wenngleich die Idee der Substanz in mir ist, eben darum weil ich selbst eine Substanz bin, so wäre es doch nicht die Idee der unendlichen Substanz, da ich endlich bin, wenn sie nicht von irgendeiner Substanz herrührte, die in Wahrheit unendlich ist" (PhB 27, 37). 73 Vgl. das von Werenfels geäußerte Urteil: "esse aliquod huic argumento robur" und die Aussage im Anschluß an die ausführliche Widerlegung des apriorischen Arguments Judicium, 225: "Tales vero effectus, qui Dei Existentiam arguunt, in nobis & extra nos, credo esse innumeros. N u m inter hos referenda quoque sit Idea Dei·, num ilia Deum solum pro caussa habere possit, nunc non disputo. Sed suum, uti ab initio dixi, alteri huic Cartesii argumenta robur relinquo." 74 Vgl. zur Abhängigkeit des ontologischen Arguments vom kausalen Argument in der fünften Meditation Henrich, Gottesbeweis, 20 und Röhls, Theologie und Metaphysik, 207. 75 Siehe ID 11,1,5, 265: "Ad prius enim quod attinet, per ideam nihil aliud intelligi potest, quam actus mentis, quo obiectum aliquod exhibetur, atque repraesentatur. Unde sua sponte sequitur, licet obiectum res infinita & summe perfecta sit, tarnen ipsam ideam finitam esse, atque imperfectam: infinitum enim obiectum ab intellectu finito non nisi imperfecte & inadaequate concipi potest. Nihil itaque obstat, quo minus mens nostra ideam rei infinitae ac summe perfectae a se ipsa, per fictionem scilicet quamdam, dum omnium rerum, quas novit, perfectiones eminentissima quadam ratione in unum aliquod ens confert, habeat; nec necesse profecto est, ut caussa quaedam infinitae potentiae ac perfectionis ad earn producendam requiratur, cum eadem ratione, qua reliquae ideae finitae produeuntur, & haec produci queat." Die klassischen Wege zur Ermittlung einer Wesensbestimmung Gottes (via causalitatis, eminentiae, negationis) demonstrieren diese Möglichkeit der Ausbildung des Gottesgedankens.

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Sonst hätte e r nicht W e r e n f e l s ' W i d e r l e g u n g des apriorischen hinzugezogen.

Arguments

D e r S c h w e r p u n k t seiner A r g u m e n t a t i o n liegt daher eindeutig auf der Bestreitung des z w e i t e n , als apriorisch qualifizierten A r g u m e n t s v o n Descartes, daß das, w a s ich k l a r u n d deutlich als z u r Idee v o n einer Sache gehörend w a h r n e h m e , auch w a h r h a f t zu dieser Sache gehören müsse. 7 6 Buddeus teilt z w a r Descartes' A u f f a s s u n g , daß der Begriff des ens perfectissimum als ens necessarium zu d e n k e n sei. 7 7 M ö g l i c h e r w e i s e hatte ihn d a v o n Samuel C l a r k e s ' G e d a n k e überzeugt, daß das u n v e r ä n d e r l i c h v o n Ewigkeit h e r u n d unabhängig v o n jeder anderen U r s a c h e Existierende d u r c h sich selbst u n d also n o t w e n d i g existiere. 7 8 D o c h m i t W e r e n f e l s urteilt er dann, aus der N o t w e n d i g k e i t , das ens perfectissimum existierend zu denken, k ö n n e nicht auf die Existenz G o t t e s geschlossen w e r d e n . 7 9 E r beruft sich m i t h i n auf die W e r e n f e l s s c h e K r i t i k am ontologischen A r g u m e n t , w o n a c h eine n u r i m G e m ü t vorgestellte W e s e n h e i t auch n u r als in der V o r s t e l l u n g existierend zu beweisen sei 8 0 , da m a n w e g e n des Unterschiedes z w i s c h e n vorgestellter u n d realer Existenz 8 1 nicht v o n der vorgestellten Existenz auf die reale Existenz

76 ID 11,1,5, 265: "Illud autem, seu argumentum a priori, ita se habet: quidquid ad rem, cuius ideam in mente habeo, pertinere, clare & distincte percipio, id ad rem istam revera pertinet; exsistentiam autem, ad rem infinitam Sc summe perfectam, Deum scilicet, cuius ideam in mente habeo, pertinere, clare & distincte percipio; ergo ad rem infinitam & summe perfectam, Deum scilicet, cuius ideam in mente habeo, pertinet exsistentia." Vgl. Descartes, Meditationen 111,30; V,6 (PhB 27, 38.54f.). 77 ID 11,1,5, 266: "Etsi enim ideam rei cuiusdam perfectissimae mente concipere nequeam, nisi simul necessariam illi tribuam exsistentiam; inde tarnen nondum sequitur, ens eiusmodi perfectissimum revera exsistere." Henrich, Gottesbeweis, 14-16 rekonstruiert, wie Descartes durch Auslegung des Begriffs des ens perfectissimum als des höchst mächtigen Wesens hat zeigen können, daß die Vollkommenheit des Daseins notwendig im Gottesbegriff eingeschlossen ist. Indem Descartes die Gottesidee auf diese Weise als klare und deutliche gedacht habe, habe er sie auch als notwendige und in diesem Sinne wahre Idee ausgewiesen und damit das Anselmische Argument entscheidend erweitert (vgl. aaO., 14.18). Buddeus gelangt dagegen in der theoretischen Philosophie ähnlich wie Leibniz in der Monadologie auf kosmologischem Wege zur Aussage der notwendigen Existenz Gottes, vgl. EPT VI,4,3, 368: "ut paucis delibemus ea, quae supremo Numini cum rebus omnibus communia esse videntur, primo merito hue refertur ipsa existentia. In Deo tarnen haec existentia necessaria est, cum reliquorum entium haec sit conditio, ut etiam non existere queant." So auch Pfaff, Institutiones 1,1,1, 112. 78 Er referiert diese dritte Proposition aus Samuel Clarkes' Demonstrationes TAS 5,3, 378f. und knüpft daran das Urteil: "Evidenter, hoc demonstrat, simulque ostendit, ideam Dei existentiam per se includere, ita tarnen, ut idea haec non tantum in mente existat, sed per obiectum extra nos constitutum, producatur". 79 Dies war ein gängiger Einwand der Descartes-Kritiker, vgl. hierzu Röhls, Theologie und Metaphysik, 199ff. Siehe auch Buddeus, EPT VI,3,8. 80 Siehe zu Werenfels die Rekonstruktion von Henrich, Gottesbeweis, 90-97. 81 Siehe Judicium, 224f.: "Haec quilibet clarissime pereipiet, si modo attente consideret, existentiam repraesentativam, sive sit necessaria sive contingens, non minus ab Existentia reali differe, quam Essentia repraesentativa ab Essentia reali". 296

außerhalb des Verstandes schließen könne. 82 Ob Buddeus im ontologischen Argument bereits die von Werenfels erkannte Schwierigkeit, daß die Existenzaussage formal vom endlichen Intellekt abhängig bleibt 83 , gesehen hat, ist nicht auszumachen. Auch kann hier die Werenfelssche Kritik am cartesischen Argument nicht diskutiert werden. Auffallend ist in diesem Zusammenhang aber auf jeden Fall, daß die Jenaer Theologen im Gefolge von Musäus an die Stelle der pragmatologischen Bestimmung Gottes als essentia spiritualis infmita die Bestimmung Gottes als des unabhängigen Geistes setzen 84 und damit faktisch die formale Unabhängigkeit Gottes als Geist vom endlichen Geist betonen, die sie bei Descartes gefährdet sehen. c) Kosmologische Vergewisserung der natürlichen Gotteserkenntnis Wie im letzten Abschnitt gezeigt worden ist, läßt sich nach Buddeus die im Bewußtsein der Abhängigkeit entwickelte Annahme der Existenz Gottes weder in kausalem Sinne aus der Faktizität des Gottesgedankens, noch ontologisch aus dem Gottesgedanken als solchem beweisen. Die Vergewisserung der natürlichen Gotteserkenntnis durch die akkurate Rekonstruktion des in der Schöpfungserfahrung erworbenen Wissens 85 um die Existenz Gottes wird von ihm im Einklang mit der altprotestantischen Dogmatik hingegen für möglich gehalten. In der Jenaer Theologie war es schon seit Johann Gerhard üblich, die erworbene Gotteserkenntnis nicht nur aus Schriftaussagen86, sondern unter anderem auch durch die fünf Wege des Thomas von Aquin zu demonstrieren. 87 In der Aufnahme dieser Tradition bemüht sich Buddeus um eine systematische Zusammenfassung der Argumente der natürlich 82 ID 11,1,5, 266: "Certe, si exsistit, necessario exsistit: idque ex ista idea recte colligitur. Quod vero exsistat, aliis adhuc comprobandum est rationibus." Vgl. Werenfels, Judicium, 224. Henrich bestimmt diese Überlegung als einen von drei gegen die Ontotheologie erhobenen und möglichen Einwänden (vgl. Gottesbeweis, 74) und zeigt, daß Huet und Werenfels sowie schon Thomas von Aquin diesen Kritikpunkt vertreten haben (vgl. aaO., 74.83ff.90ff.). 83 Vgl. Henrich, Gottesbeweis, 91. 84 So Baier, Compendium 1,1,6, 118: "Essentia Dei ita describi potest: Deus est ens spirituale a se subsistens; vel brevius: Deus est Spiritus independens." Vgl. Buddeus ID Π,1,9, 275. 85 Vgl. die traditionelle Bestimmung der erworbenen Gotteserkenntnis bei König: "Aquisita [sc. notitia Dei naturalis; Vf.] est habitus aliqualis dei cognitionis, accurata rerum creatarum contemplatione, vi discursus naturalis, comparatus, Rom 1,18." (Zitiert nach Ratschow, Dogmatik 2, 30.) 86 So in der Wittenberger Theologie, vgl. Calov, Systema 11,1, 31-35 und Quenstedt, Systema 1,6/1,11,367. 87 So schon Johann Gerhard, Loci 11,4,58.61, 267ff., der die fünf Wege zur Erkenntnis der Existenz Gottes von Thomas von Aquin übernimmt; ebenso Musäus, Introductio 1,2,26, 82f. Baier, Compendium 1,1,4, 116b verweist nur auf Musäus, ohne die Gottesbeweise selbst darzustellen. Buddeus erklärt die Einbeziehung dieser Gottesbeweise für durch die Schrift legitimiert, vgl. ID 11,1,6, 269: "Methodum vero hancce, ex rerum creatarum consideratione cognoscendi creatorem, scriptura sacra itidem calculo suo comprobat, lob XII,7,8,9. psalm. XIX,2,3,4,5. Rom.1,20." Vgl. zu den Gottesbeweisen in der altlutherischen Tradition auch Schmid, $ 16, 84f.

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erworbenen Gotteserkenntnis, indem er sie in drei Klassen, nämlich die metaphysischen, die physischen und die historischen Argumente aufteilt. 88 Metaphysisch sind die Argumente, die von den allgemeinen Bestimmungen der endlichen Dinge, also ihrer Bewegtheit und ihrem von einer fremden Ursache dependenten und daher kontingenten Sein auf einen ersten Beweger als notwendig existierender erster Ursache schließen. 89 Dabei verteidigt Buddeus das Argument aus der Bewegung unter Berufung auf Ausführungen von Samuel Clarke 90 gegen die von John Toland 91 erhobene Behauptung, wonach es Substanzen gebe, die durch sich selbst bewegt würden, so daß demzufolge das aristotelische Prinzip, daß alles Bewegte von etwas anderem bewegt werde, nicht zum Schluß auf einen ersten unbewegten Beweger berechtige. Diese Behauptung Tolands impliziere entweder die absurde Annahme, die Materie könne als Ursprung ihrer Bewegung nicht ruhen; oder man müsse die Fähigkeit der Selbstbewegung einer anderen Ursache zuschreiben. Da man als Ursache der Bewegung aber eine nichtmaterielle Ursache angeben müsse, gelange man so doch wieder zur Annahme des ersten Bewegers. 92 Neben den metaphysischen Argumenten nennt Buddeus die Klasse der physiko-teleologischen Argumente 93 , die von der Ordnung, Disposition und Ausrichtung des Universums 94 und insbesondere dem Ursprung des Menschen sowie seiner körperlichen 95 und seelischen96 Verfaßtheit 97 auf die 88 Siehe ID 11,1,6, 269-273. 89 ID 11,1,6, 270 A.2. Vgl. ausführlicher TAS 5,3, 373-379. 90 Siehe Samuel Clarke, Demonstratio existentiae atque attributorum Dei adversus Hobbesium & Spinozam potissimum, 1705. Buddeus faßt die grundlegenden Propositionen von Clarke TAS 5,3, 378f. zusammen. 91 Die Behauptung Tolands, die Bewegung sei ein "conatum ad motionem, materiae omni essentialem", hält Buddeus bei ihm für "infeliciter, quamve insipienter" entwickelt und mithin für nicht überzeugend, vgl. TAS 5,3, 376. 92 So TAS 5,3, A . l , 347. Buddeus entgegnet: "Etsi enim substantiae quaedam, etiam corporeae, dentur, quae se ipsas moveant, aut movere videantur, dispiciendum tarnen, num hicce motus, aut facultas se movendi, a materia, aut alio quodam principio sit?" Wird die Fähigkeit, sich zu bewegen, auf ein anderes, von der Materie unterschiedenes Prinzip zurückgeführt, so könne dieses nur als "primus motor" gedacht werden. Dagegen sei es ein Ausdruck von Ignoranz zu behaupten, die Bewegung gehöre essentiell zur Materie. Dies widerspreche nicht nur "notioni materiae, quae omnium mentibus insidet", sondern es folge vor allem daraus, "materiam semper moveri, nec posse unquam quiescere, adeoque ad corpora varia producenda vel constituenda prorsus esse ineptam". Daher habe Clarke mit Recht den Atheisten, die die Materie als sich notwendig bewegend bestimmen, einen Widerspruch in ihrer Argumentation vorgeworfen. 93 Diese Bezeichnung findet sich zwar so nicht bei Buddeus, er nennt aber die physikalische Beschaffenheit der Welt und die aus der Harmonie derselben ablesbare teleologische Struktur in einer Klasse, vgl. ID 11,1,6, 270 A.3 und die Einteilung TAS 5,2, 372; 5,4.5.6, 380ff. 94 Siehe ID 11,1,6, 269, und A.3, 270f. 95 Vgl. dazu TAS 5,6, 412ff. 96 Vgl. TAS 5,7, 419ff. 97 ID 11,1,6, 271 A.3: "Nec hominum hie praetermittenda origo; tum ipsius humani generis, tum singulorum individuorum intuitu spectata. Utraque enim ita comparata est, ut, nisi

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Existenz eines unendlich mächtigen und weisen Urhebers schließen lassen. 98 Aus den physiko-teleologischen Argumenten entwickelt er später die Grundbestimmungen des theistischen Gottesbegriffs und damit das Gerüst für die Lehre von Gottes Eigenschaften." Die physiko-teleologischen Argumente werden dabei insofern durch die Klasse der historischen Argumente gestützt, als diese unter Beziehung auf die geschichtlichen Urkunden über Königreiche und Staaten, Völker und Nationen, Künste und Wissenschaften sowohl für einen Ursprung, wie auch für eine zielgerichtete Weiterentwicklung der Kulturgeschichte sprechen 100 - eine optimistische Geschichtssicht, die in der Enzyklopädie von Buddeus nicht nur die Deutung der Säkulargeschichtsschreibung, sondern insbesondere auch der Kirchengeschichtsschreibung prägt. In dem beharrlichen Festhalten an den kosmologischen, teleologischen und historischen Argumenten manifestiert sich noch einmal Buddeus' Ablehnung der cartesischen Position. Descartes hatte, um Gewißheit der Existenz Gottes zu erlangen, die Wahrheit der aus der sinnlichen Wahrnehmung gewonnenen Begriffe bzw. Ideen dem methodischen Zweifel unterzogen. Dagegen argumentierten die Jenaer Theologen im Gefolge von Musäus nicht nur für die Bindung der natürlichen Gotteserkenntnis an die Sinneswahrnehmung, man berief sich auch auf Gewährsmänner wie Samuel Clarke, der den kosmologischen Beweis als die einzige Möglichkeit ansah, einen klaren Begriff von Gott zu entwickeln. 1 0 1 Die später von G.W.F. Hegel markierte Schwierigkeit, daß die kosmologischen Beweise durch ihren Ausgang vom Endlichen dem Gedanken Gottes formal nicht zu entsprechen vermögen 1 0 2 , erkannte man noch nicht. Ebensowenig war man sich darüber

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creatoris rerum omnium potentia, sapientiaque admittatur, de neutra dici aliquid possit, quod non absonum sit, & plane ineptissimum." Vgl. T A S 5,8, 343ff. I D 11,1,6, 270 A.3: "Idemque etiam intelligetur, si quis speciatim solem, lunam, ceteraque corpora caelestia, eorumdemque m o t u m , & in motu ordinem, constantiam, harmoniam, omniumque ad certos fines & effectus conspirationem, attention perlustrare animo operae pretium duxerit." Aus der Beschaffenheit der Welt und des Menschen schließt Buddeus I D 11,1,6, 271 A.3 genauerhin, daß 1.) dies alles nicht zufällig existiere, weil sich das nicht mit der konstanten Ordnung der Welt vertrage, daß 2.) es ein notwendig existierendes Wesen geben müsse, das mit höchster Macht und Weisheit begabt sei und alles so konstituiert, geordnet und disponiert habe, daß 3.) dieses Wesen auch selbst mit Intelligenz, Willen und höchster Freiheit begabt sein müsse; da 4.) ja schon den Menschen Intellekt, Willen und Handlungsfreiheit (!) zukomme, müsse all dies bei Gott, der die Ursache von allem ist, in hervorragendster Weise gegeben sein, und so folge, daß 5.) dieses vollkommene und absolut freie Wesen nicht selbst die Welt sein könne, sondern von dieser gänzlich unterschieden sein müsse.

100 Siehe I D 11,1,6, 272, A . l . 101 So Henrich, Gottesbeweis, 90. 102 Vgl. dazu Hegel, Philosophie der Religion I, P h B 59, 207ff.; bes.209f.: "Die Unangemessenheit ... erscheint besonders in dem ersten Gange, den wir Erhebung zu G o t t nannten, so daß, wenn wir ihn in der F o r m des Beweises fassen, wir das Verhältnis haben, daß das Endliche die Grundlage sei, aus der das Sein Gottes bewiesen wird. Das Sein Gottes erscheint in diesem Zusammenhang als Folge, als abhängig vom Sein des Endlichen. Das ist das Schiefe,

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im Klaren, daß diese Beweise, indem sie auf das Sein der notwendig existierenden Ursache schließen wollen, den ontologischen Beweis schon voraussetzen, wie dies Immanuel Kant gezeigt hat. 103 Die lutherische Theologie läßt sich jedoch gegen die spätere Kritik an den Gottesbeweisen insofern in Schutz nehmen, als sie weder behauptete, mit dem Gottesbegriff der natürlichen Argumente bereits den adäquaten Wesensbegriff gefunden zu haben, noch auch glaubte, daß die Überzeugungskraft der kosmologischen Argumente allein auf ihrer Schlüssigkeit beruhe. Es ging ihr vielmehr darum, die in der Schrift ausgesagte Möglichkeit einer von der Offenbarung in Christus unabhängigen Erkenntnis Gottes als reale Erkenntnis darzustellen und auszuweisen. 104 Obwohl Buddeus die oben dargestellten Argumente der natürlich erworbenen Gotteserkenntnis in systematisierter Form vorträgt, mißt er ihnen doch nicht mehr, sondern eher geringere argumentative Bedeutung zu als viele seiner Vorgänger. 105 Denn sein eigentliches Interesse gilt nicht der Demonstration der Existenz Gottes, sondern der Demonstration des natürlichen Wissens von Gott, um so der menschlichen Vernunft ihre Bezogenheit auf den Gottesgedanken zu vergegenwärtigen. Die Argumente der akkurat daß dieser Fortgang, den wir Beweisen nennen, dem unangemessen ist, was wir uns unter Gott vorstellen, daß dieser nämlich gerade das nicht Abgeleitete, das schlechthin an und für sich Seiende ist." 103 Siehe Kant, Kritik der reinen Vernunft Β 631ff., bes.658. 104 Ratschow hat in der dogmatischen Studie 'Gott existiert' den Existenzbegriff der lutherischen Schulmetaphysik als theophoren Begriff interpretiert, in welchem "nicht die Frage von Sein oder Nichtsein" heraufbeschworen, sondern "sehr bescheiden aber ebenso konkret von des Existierenden de facto in der Welt Sein" geredet werde (77). Im Zuge dessen wird von Ratschow die "Zusammenordnung von 'naturhafter Gotteserkenntnis' und 'geoffenbarter Gotteserkenntnis"' in der altlutherischen Metaphysik "als Zuordnung und Distinktion von Essenz und Existenz" aufgefaßt (40), was nach Walter Spam "in gar keiner Weise akzeptabel" ist, weil schon in der Metaphsik "die Frage: quid sit Deusi bestimmt genug beantwortet" werde und außerdem "die offenbarte Gotteserkenntnis ein Existenzurteil" einschließe (vgl. Spam, Wiederkehr, 160, fünfter Kritikpunkt). Die Frage nach dem Verhältnis von natürlicher und geoffenbarter Gotteserkenntnis in der altprotestantischen Tradition kann hier nicht näher diskutiert werden. Immerhin läßt sich aber im Blick auf diese Debatte festhalten, daß Buddeus in seinem Rekurs auf die Argumente der natürlichen Gotteserkenntnis die Frage nach dem Sein oder Nichtsein für entscheidbar gehalten und damit essentielle Bestimmungen verbunden hat. Obwohl in der unmittelbaren oder rudimentären natürlichen Gotteserkenntnis die Existenz Gottes bereits vorausgesetzt werde, kann diese unmittelbare Gewißheit nach Buddeus doch argumentativ rekonstruiert und so eine ausdrückliche Erkenntnis dieser Erfahrung erreicht werden. Dabei stiften aber die Argumente der natürlichen Gotteserkenntnis als solche noch keine hinreichende Gewißheit hinsichtlich der Existenz Gottes, weil sie die Providenzhoffnung und die damit verbundene Wesensbestimmung Gottes nicht verifizieren. Die Frage nach der Zuordnung und Distinktion von Essenz und Existenz Gottes stellt sich mithin jeweils innerhalb der natürlichen und der geoffenbarten Gotteserkenntnis. 105 Die natürliche Gotteserkenntnis wird innerhalb der Gotteslehre in nur zwei Paragraphen verhandelt, I D 11,1,5.6, 263ff. Davon beschäftigt sich nur einer mit der akkuraten Explikation der erworbenen Gotteserkenntnis durch die kosmologischen Gottesbeweise. Vgl. dagegen die ausführliche Behandlung bei Calov, Systema 11,1, 25-107.

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erworbenen Gotteserkenntnis dienen sonach als Ausweis der Fähigkeit, den Begriff Gottes aus der Wahrnehmung der Welt zu entwickeln und die Notwendigkeit seiner Existenz zu erkennen. Vermutlich hätte Descartes dieser Funktionsbestimmung nicht widersprochen.

3. Die Abhängigkeit der Gottesgewißheit von der Erfahrung der Providern Die dargestellte Funktion der für die natürliche Gotteserkenntnis vorgebrachten Argumente wird vollends deutlich aus dem Kriterium, welches Buddeus in anderem Zusammenhang als ausschlaggebend für den Beweis der Existenz Gottes bestimmt: nur dann könne die Existenz Gottes als bewiesen gelten, wenn zugleich bewiesen werde, daß Gott als ein in höchstem Maße frei handelndes Wesen zu denken sei. 106 Schon unter diesem Gesichtspunkt kann Buddeus die metaphysischen, physiko-teleologischen und historischen Argumente nicht als adäquate Existenzbeweise ansehen. U m so fragwürdiger muß ihm allerdings der ontologische Beweis Descartes' erscheinen, weil dort die Rede vom Handeln Gottes in der Welt gar nicht in den Blick kommt. Dagegen hält Buddeus - wie aus seinem Bedenken gegen die Wölfische Philosophie hervorgeht - die Vorstellung vom providenten Handeln Gottes für eine unabdingbare Voraussetzung der Religion. Die allgemeine Bestimmung des göttlichen Handelns ist das Thema der Lehre von der Providenz, die nach der Darstellung des Schöpfungsaktes im zweiten Teil der Schöpfungslehre behandelt wird. Die Schöpfungslehre wird dabei dem in der Versöhnungslehre beschriebenen Bundeshandeln Gottes deshalb dogmatisch vorgeschaltet, weil die Darstellung des Schöpfungsaktes die Freiheit des göttlichen Handelns festschreibt, während die Lehre von der Providenz das universale Wirken Gottes in der Welt zur Geltung bringt. a) Die Schöpfung aus dem Nichts als Voraussetzung der Rede von Gottes freiem Handeln in der Welt Das übergreifende Thema der Schöpfungslehre ist für Buddeus die Manifestation der Güte, Macht und Weisheit Gottes im Reich der Natur 1 0 7 , wie sie sich in der Hinordnung aller Dinge auf den Menschen widerspiegelt. Während Descartes unter Verweis auf die Begrenztheit naturwissenschaftli106 Siehe I D 11,1,27, 3 0 6 A . 2 : " O m n i a itaque argumenta, quae, D e u m esse, p r o b a n t , si rem recte aestimaveris, aut nihil probant, aut id simul probant, e u m esse agens longe liberrimus." 107 Vgl. die Einleitung in die Schöpfungslehre I D 11,2,1, 451: "iNter opera, quibus Deus hominibus sese manifestavit, totus statim se nobis offert mundus, creatoris sui & potentiam, & sapientiam arguens, Rom.1,20." Vgl. 11,2,18, 502: "Atque ita finem, quem Deus sibi proposuerat, obtinuit, gloriae scilicet suae, h o c est, bonitatis, sapientiae, ac potentiae manifestation e m " . So auch Baier, C o m p e n d i u m 1,2,23, 170 und Quenstedt, Systema 1 , 1 0 / 1 , 1 6 , 594.

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eher Betrachtungsmöglichkeiten die Erkennbarkeit solcher Hinordnung der gesamten geschöpflichen Welt auf den Menschen bestritten habe 108 , hält zwar Buddeus im Sinne der Schöpfungsaussage daran fest, daß prinzipiell die Hinordnung aus den Dingen selbst erkannt werden könne. 109 Dennoch verfolgt er in der Schöpfungslehre nicht das Ziel, die Güte und Zweckmäßigkeit des Geschaffenen an diesem selbst zu erweisen, weil diese Erkenntnis ihrerseits vermittelt ist durch die Erkenntnis des providentiellen Handelns Gottes, in dem der Schöpfungsakt kontinuierlich fortgesetzt wird. Der eigentliche Schwerpunkt der Schöpfungslehre von Buddeus liegt daher auf der Lehre von der Providenz. Das Interesse der vorangehenden Darstellung des Schöpfungsaktes besteht vor allem darin, den Schöpfungsakt als freien, durch keinen Sachzwang bedingten Akt zu bestimmen und ihn somit im Sinne der biblischen Rede von der Schöpfung aus dem Nichts zu interpretieren. 110 A n der Verteidigung dieses Glaubenssatzes hängt in der Konzeption von Buddeus schon deswegen großes Gewicht, weil er zur theologischen Explikation des Bewußtseins schlechthinniger Abhängigkeit von Gott notwendig hinzugehört. 111 Die der Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts entgegengesetzte These der Ewigkeit der Welt 112 wird einerseits unter Berufung auf die Ursprungshaftigkeit aller geschichtlichen Erscheinungen 113 , sodann durch die Kritik der darin vorausgesetzten Ewigkeit der Materie 114 abgelehnt. Die Behauptung der Ewigkeit der Materie, die Buddeus auch bei Descartes findet, würde die notwendige Existenz der Materie implizieren. Diese könne jedoch nicht gedacht werden, weil die der Materie eigentümlichen und sie vom Geist 108 Statt einer Begründung dieser These findet sich aber nur die Vermutung, Descartes habe die Erkennbarkeit der Hinordnung nicht aus sachlichen Gründen verneint, ID 11,2,18, 502 A . l : "RENATUS equidem CARTESIUS, ut illud philosophiae systema, quod animo conceperat, eo facilius aliis persuaderet, hominis caussa omnia condita esse negavit." Die Föderaltheologen Johannes Braun (in seiner 'Doctrina foederum') und Christopher Wittich (in seiner 'Theologia pacifica') seien Descartes' Auffassung gefolgt. 109 ID 11,2,18, 502 A . l : " Q u e m a d m o d u m autem Deus omnia ad certum usum condidit, ita, ut eo rectius sapientiam, bonitatem & potentiam eius in omnibus rebus creatis intelligamus, nostrarum est partium, fines istos speciales, ob quos res quaelibet condita est, diligenter investigare. Nec ferenda profecto RENATI CARTESII sententia, qua istam finium considerationem ex naturalium rerum scientia proscriptam cupit". 110 Siehe zur creatio ex nihilo ID 11,2,3, 457. 111 ID 11,2,58, 606f.: "Ex eo, quod Deus omnia creavit atque conservat, sua sporne Imperium fluit, quod ei in homines pariter ac spiritus, seu rationis usu pollentes, competit. C u m enim &C quod sint, Sc quod vivant, non minus, ac omnia, quae habent, Dei unice benignitati imputent, adeoque ab eo plane pendeant". 112 Siehe ID 11,2,1, 451. 113 ID 11,2,1, 452 A . l . 114 ID 11,2,2, 453: "Immo, nec materiam ex qua mundus hicce adspectabilis ortus est, aeternam esse, sed initium habuisse, & ipsa ratio nos condocet, & luculentius adhuc scriptura testatur. Initium autem aliter habere non potuit, quam per creationem. ... Materiam autem, ex qua mundus ortus est, non semper exstitisse, adeoque aeternam non esse, ipsa quoque omnes condocet ratio, si modo ad eam attendere velint."

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unterscheidenden Eigenschaften der Ausdehnung, Teilbarkeit und Bewegbarkeit nicht zur Bestimmung der absoluten Vollkommenheit führen. Ohne diese Bestimmung aber sei notwendige Existenz nicht aussagbar.115 Dieses Argument ließe sich nur durch den - von Buddeus allerdings für undurchführbar gehaltenen - Beweis entkräften, daß die Materie zwar ewig, aber nicht notwendig existiert. 116 Kann die Annahme der Ewigkeit der "Welt mithin nicht überzeugend begründet werden, so muß der A k t der Schöpfung in einem zweiten Schritt auch formal als freier A k t bestimmt werden. Unter diesem Gesichtspunkt lehnt Buddeus zunächst die Vorstellung der Emanation ab. Im Begriff der Emanation werde nämlich vorausgesetzt, daß das Hervorgehende seinem Wesen nach dasselbe ist wie das Prinzip, aus dem es hervorgeht. Wollte man also die Welt als Emanation Gottes beschreiben, so müßte man Gott Materie zuschreiben. Damit würde jedoch die Unterschiedenheit zwischen Gott und Welt aufgehoben, so daß die spinozistischen Konsequenzen nicht mehr zu vermeiden wären. 1 1 7 Ebenso verbiete sich eine mechanistische Deutung des Schöpfungsaktes durch die Naturgesetze, wie sie Descartes zumindest teilweise angestrebt hatte. 118 Gegen beide Erklärungsmodelle des Schöpfungsaktes betont Buddeus den geheimnisvollen und unergründlichen Charakter desselben, der sich in der biblischen Rede von der Schöpfung durch das Wort ausgedrückt finde 1 1 9 und der in Entsprechung zum Schöpfungsbericht konsequent auch für jedes einzelne der Schöpfungswerke festgehalten werden müsse. Man könne das Sechstagewerk daher nicht wie die Cartesia-

115 ID 11,2,2, 453f. A.I.: "Materiam autem, ex qua mundus ortus est, non semper exstitisse, adeoque aeternam non esse, ipsa quoque omnes condocet ratio ... Primo namque manifestum est, ad essentiam materiae non pertinere exsistentiam necessariam. Nec enim in eius conceptu quidquam deprehenditur, quod earn inferat. Nulla quoque prorsus adferri ratio potest, cur ea, quae nunc exsistit, semper exsistere debuerit, aut cur non exsistere nequeat." Hier wird also die Kontingenz der Materie vorausgesetzt und das metaphysische Argument negativ angewendet. Buddeus fährt fort: "Praeterea, si omnes materiae proprietates, extensionem, divisibilitatem, facultatem recipiendi motum, consideres, nihil, quod exsistentiam necessariam inferat, in iis deprehendes. Neque tantum ex conceptu materiae necessaria exsistentia non sequitur, sed ... eidem vel maxime repugnat. Exsistentia enim necessaria uti summa perfectio est, ita non potest non attributum esse entis omnium perfectissimi." 116 ID 11,2,2, 454: "Nec est, quod regeras, si vel maxime materia non exsistat necessario, sufficere tarnen, quod semper exstiterit. Quodsi autem hoc negem, unde probabis?" Weniger schlüssig erscheinen die weiteren Widerlegungsversuche: mit der Ewigkeit der Materie müsse man entweder die bereits historisch ausgeschlossene Ewigkeit der Welt behaupten oder einen überzeugenden Grund dafür angeben, weshalb die Welt im Unterschied zur Materie zu einem bestimmten Zeitpunkt entstanden sein sollte. Dennoch zieht Buddeus ID 11,2,3, 457 den Schluß: "Cum autem quaedam res omnino non fuerint, ut materia, & spiritus; quaedam non id fuerint, quod postea factae sunt; omnes quidem ex nihilo factae sunt, sed hae mediate, illae immediate." Die Endlichkeit des Geistes wird allerdings erst in der Engellehre thematisiert. 117 ID 11,2,7, 462 A . l . 118 ID 11,2,8, 463ff. 119 Siehe dazu ID 11,2,6, 459f.

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ner Witsius, Braun und Wittich durch die Naturgesetze mechanistisch erklären 120 , weil darin notwendig eine zeitliche Hervorbringung der einzelnen Werke 1 2 1 impliziert sei. Dagegen sei in der Schrift kein Unterschied zwischen der in einem Moment erschaffenen Materie und den anderen Schöpfungswerken benannt, so daß man die einzelnen Tagewerke jeweils als in einem Moment durch das Wort hervorgebrachte zu denken habe. 122 Nur so werde der Aussage entsprochen, daß alle Werke der Schöpfung gleichermaßen ex nihilo geschaffen seien. Denn obwohl die Schöpfung derjenigen Werke, für die Geist und Materie vorausgesetzt sind, als mittelbare Werke bestimmt werden müßten, seien diese doch ebenso unerklärbar wie die Hervorbringung des Geistes und der Materie. 123 Hinter dieser hartnäckigen Ablehnung naturgesetzlicher Erklärung des Schöpfungsvorgangs verbirgt sich bei Buddeus nicht etwa ein fundamentalistischer Biblizismus, sondern die Überlegung, daß die einzelnen Schöpfungsakte nur dann stringent als Schöpfungsakte Gottes verstanden werden können, wenn sie allein auf den freien Willen Gottes zurückgehen. Darin erkennt Buddeus den Sinn der Rede von der Schöpfung durch das Wort. Entsprechend muß er die naturgesetzliche Erklärung der einzelnen, durch geschöpfliche Vermittlung geschaffenen Werke wegen der Freiheit Gottes ausschließen. Denn der Wille Gottes sei als in vollkommener Weise frei und mithin nicht nur frei von Zwang, sondern ebenso frei von Notwendigkeit zu denken. Der in den einzelnen Schöpfungswerken manifeste Schöpfungswille Gottes könne daher nicht an die Naturgesetze gebunden und als durch diese bedingt begriffen werden. Die Naturgesetze seien in ihrer Funktion für die Erhaltung und Lenkung der Welt 124 vielmehr selbst auf das weise Handeln des Schöpfers zurückzuführen. 120 Zur Position von Witsius, Braun und Wittich siehe ID 11,2,9, Α.2, 466: "nonnullis quidem, ex eorura maxime numero, quibus Cartesiana philosophandi ratio placuit, adserentibus, singulis operibus a Deo integros destinatos dies; non alium utique in finem, quam ut in universi huius productione aliquid motus legibus darent." Denn das, was "ex materia praeexistente condita sunt", sei so beschaffen, "ut non aliter, quam intercedente motu, fieri potuerint; uti exsiccatio terrae, confluxus aquarum in unum locum, & quae eiusdem sunt generis." 121 ID 11,2,9, 466 A.2: "Motus autem cum in momento, quod vocant, mathematico, exclusa omni successione, fieri nequeat, etiam, quae eo modo producta sunt, in momento temporis creari non potuisse." 122 So ID 11,2,9, 465: "Ad singula autem singulorum dierum opera quod attinet, quamvis non desint, qui ea, quae ex materia, primo die iam producta, adeoque per motum quemdam facta sunt, temporis quodam intervallo, sed unius diei spatium non excedente, creata fuisse, existimant; scripturae tarnen verbis, & ipsius creationis indoli convenientius est, si haec quoque aeque ac primi diei, singulis diebus in unico temporis momento producta adseramus." Seine eigene Position sieht Buddeus bei Melchior Leidecker vertreten. 123 Vgl. ID 11,2,3, 457. So wird die "Differenz zwischen unmittelbarer und mittelbarer Schöpfung" durch die "Erklärung, daß auch die durch geschöpfliche Vermittlung erschaffenen Geschöpfe ex nihilo geschaffen wurden", relativiert, wie Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 2, 92 A.176 vermerkt. 124 Die Naturgesetze gelten als Ausdruck der providentiellen Erhaltung, ID 11,2,44, 558 A.3: "De regno quidem naturae hoc notum satis est, Deum certas leges constituisse, secundum

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b) Providenz als Handeln Gottes Gottes Güte, Macht und Weisheit manifestieren sich nach altprotestantischer Uberzeugung nicht nur in der Schöpfung, sondern ebenso in der Erhaltung und der weisen Regierung der Welt. 1 2 5 Diese Manifestation Gottes in seinem Handeln ist der G r u n d der Verehrung Gottes. So bedarf die Schöpfungslehre einer Fortführung durch das Lehrstück von der Providenz. 1 2 6 Diesem fällt die wichtige Aufgabe zu, Gott als den in seiner Schöpfung Handelnden zu beschreiben und damit zugleich den Bezug zwischen Versöhnungshandeln und Schöpfungshandeln zu demonstrieren. 1 2 7 Gegen Descartes beharrt Buddeus daher in seinem Verständnis der Providenz auf der aktiven Mitwirkung Gottes in der Welt und entfaltet die Lehre von der Providenz im Einklang mit der altprotestantischen Tradition als Erhaltung, Mitwirkung und Regierung der Welt. 1 2 8 Auf diese Weise wird

quas omnis motus, omnesque operationes rerum creatarum eveniant. In quibus eo magis divina sapientia elucescit, quo pauciores, quove simpliciores sunt, sufficientes tarnen, ut omnia per eas fiant, quae totius huius universi, singularumque rerum creatarum conservatio, & quarumdam propagatio, requirit." Vgl. dazu auch die Ausführungen in der theoretischen Philosophie E P T V,6,5, 301. 125 I D 11,2,40, 548: " N o n tantum per creationem, sed & per rerum creatarum conservationem, sapientissimamque gubernationem, Deus & bonitatem, & potentiam, & sapientiam sum in regno naturae manifestat. Q u a e quidem Numinis opera cum eius providentiam arguant, de ea ut itidem agamus res ipsa postulat." Vgl. zur traditionellen Bestimmung der Providenz Baier, Compendium 1,5,1, 213: "Bonitatis divinae post creationem manifestissimum argumentum est Providentia divina." Siehe auch Hollaz, Examen 1,6,1, 614: "Providentia dinvina est actio DEI unitrini externa, qua Is juxta praescientiam intellectus sui infallibilem, & benignum voluntatis decretum creaturas omnes potentissime cooperatur, & omnia sapientissime gubernat ad nominis sui gloriam, & hominum, inprimis piorum, utilitatem." Die biblischen Belege führt Buddeus ID 11,2,43, A.2, 554f. an und differenziert die Providenz ID 11,2,40, 548 A . l in äußere und innere Akte: "Per conservationem & gubernationem, qua voce etiam concursum Numinis complectimur, actus externos providentiae intelligimus, ut Providentia ipsa actus internos, seu immanentes, uti mox dicemus, denotat. Patet hinc, quo sensu conservationem & gubernationem opera Dei vocemus, & , quod providentiam ipsam arguant, dicamus; simulque ordinis, quam hic innuimus, ratio inde constat." 126 Die Rede von der Providenz kann nach ID 11,2,43, 552 A . l wegen der Allmacht und Güte Gottes nicht bestritten werden: "Si enim Deus nullam huius universi curam gereret, inde hoc contingeret, quod aut non vellet, aut non posset hoc facere. Si enim & vellet, & posset, certe curam gereret. Eum hoc non posse, nemo dixerit, cum Deus perfectus omni ex parte non esset, nisi omnia posset, Nec, quod non velit, dici potest, cum hoc cum summa eius pugnaret bonitate. Bonitatis autem divinae erat, non tantum creare mundum, sed conservare atque dirigere, ut omnia certo ordine ad finem a creatore constitutum, deducantur." Das Problem des Lehrstücks entsteht für Buddeus erst an der Frage, ob und in welcher Weise die Providenz als aktive Mitwirkung Gottes im Weltgeschehen aufzufassen ist. 127 ID 11,2,44, 556: "Utroque haec regnum gratiae non minus, quam regnum naturae considerare docet, ita in utroque Deus certum agendi modum, ordinemque, eumque ut simplicissimum, ita & sapientiae divinae convenientissimum observat; secundum quem quidquid contingit, id absque Providentia divina contingere, dici nequit." 128 Siehe ID 11,2,46, 561 u. A . l : "Triplex etiam hicce effectus, ex obiecti, circa quod Providentia divina versatur, diversitate quodammodo resultat." Quenstedt, Systema 1,13/1,13, 760

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zugleich die in der Abhängigkeit von Gott implizierte Unvollkommenheit der geschöpflichen Welt konkret bestimmt.129 Denn diese bedürfe, um an ihr Ziel zu gelangen, unterschiedlicher Grade der Mitwirkung Gottes. 130 Dabei setze schon das bloße Dasein der Geschöpfe deren permanente Erhaltung durch Gott voraus. 131 Und sofern bestimmte Geschöpfe über die Fähigkeit verfügten, sich selbst zu bewegen, sei dies der aktiven Mitwirkung Gottes im Weltgeschehen zu verdanken. 132 Eine angemessene Entfaltung dieser Vorstellung einer göttlichen Mitwirkung in der Bewegung der Geschöpfe ist nach Buddeus weder im Cartesianismus noch im Okkasionalismus erreicht worden. Descartes hatte wegen der Unveränderlichkeit Gottes 133 die Bewegung der Geschöpfe durch die Bewegungsgesetze als unmittelbare oder sekundäre Ursache der Bewegung erklärt. Gott wäre als Urheber der Bewegung demnach zwar die primäre und universale, aber zugleich nur die mittelbare Ursache der Bewegung.134 bestimmt Erhaltung, Mitwirkung und Regierung als Formen der Providenz. Zur reformierten Tradition siehe Heppe/Bizer, 199-204. 129 Die daraus resultierende Angewiesenheit auf aktive Mitwirkung Gottes zeige sich nämlich in der Bewegung der Himmelskörper ebenso wie in der universalen geschichtlichen und individuellen Entwicklung der Menschen (ID 11,2,43, 552 A.l) und gelte vor allem auch für die Kirche (ID 11,2,43, 553f. A.l). Die Demonstration des göttlichen Handelns in der Kirche ist dabei für Buddeus die spezifische Aufgabe der Kirchengeschichte. 130 ID 11,2,43, 550: "non minus tarnen & ex rerum creatarum indigentia, evidenter colligitur." Dies führt er dann aaO., 551 A.l so aus: "Quod si dicas, Deum equidem & velle, & posse conservare mundum, sed hunc conservatione ac gubernatione non indigere, cum omnia in eo statu, in quo in creatione constituta erant, permaneant, & secundum ordinem semel a Deo sancitum, procedant; id quidem infirmitatem, inäigentiamque rerum creatarum in memoriam nobis revocat, quae novum simul pro Numinis Providentia adserenda, argumen-

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tum suppeditat." Siehe zur Bestimmung der Erhaltung ID 11,2,47, 562f.: "Conservari res omnes a Deo, certum est, etsi modus nobis non satis sit cognitus. Diversa tarnen ratione, tum intuitu spiritum, tum intuitu corporum, & quidem tam eorum, quae semper permanent, ut caelum, quam eorum, quae intereunt equidem, sed propagantur, hoc intelligendum esse, res ipsa docet." ID 11,2,43, 551 A.l: "Ut enim res creatae nihil, ut exsisterent, conferre potuerunt, ita non magis se ipsas conservare possunt. Non minoris utique potentiae est conservare, & continuare exsistentiam, quam eamdem producere atque largiri. Quodsi autem res creatae se ipsas conservare non possunt, neque ordinem, secundum quem omnia eveniunt, constituere; sequitur, a Deo ista omnia profluere, quippe cuius potentia tantum ad hoc sufficit." Siehe zur Bestimmung der Erhaltung ID 11,2,47, 562f.: "Conservari res omnes a Deo, certum est, etsi modus nobis non satis sit cognitus. Diversa tarnen ratione, tum intuitu spiritum, tum intuitu corporum, Sc quidem tam eorum, quae semper permanent, ut caelum, quam eorum, quae intereunt equidem, sed propagantur, hoc intelligendum esse, res ipsa docet." ID 11,2,48, 563: "Concursus Dei in iis rebus creatis adseritur, quae Si ipsae facultate se movendi gaudent." Vgl. dazu Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 2, 66. Buddeus bezieht sich ID 11,2,48, 564 auf Descartes' Prinzipien der Philosophie 11,36. Der Gedanke dort laufe darauf hinaus, "Deum cum ipsa materia motum simul atque quietem in principio creasse, eumque per concursum suum ordinarium tantumdem motus & quietes in ea tota, quantum tunc creavit, conservare." Auf diese Weise sei die Bewegung ein Modus der Materie. "Deum itaque caussam motus universalem seu primariam vocat; pro secundaria autem, seu particulari, leges illas motus habet, a Deo ipso constitutas, seu potius, ex eius immutabilitate, uti liquitur, fluentes."

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In diesem Konzept sieht Buddeus jedoch die Lehre von der aktiven Mitwirkung Gottes faktisch bestritten, weil alle Bewegungen auf die Naturgesetze zurückgeführt würden. 1 3 5 In der Tat dachte Descartes zwar eine Selbstbewegung der Geschöpfe, aber so, daß diese mechanistisch determiniert und eine unmittelbare Mitwirkung Gottes ausgeschlossen ist, weil die Geschöpfe der Mitwirkung nicht bedürfen. Damit ist aber für Buddeus die Existenz Gottes wenn nicht ausdrücklich, so doch implizit geleugnet. 136 Als vollends verfehlt erachtet er daher die theologische Interpretation, die Claude Pajon dem cartesischen Konzept zuteil werden ließ. Pajon bezeichnete die von Gott geschaffene Welt als Maschine, die durch die vorzügliche Fähigkeit der Selbstbewegung aller ihrer Teile sich ohne unmittelbare Mitwirkung Gottes zu ihrem Ziel bewegen könne und eben darin die Ehre ihres Schöpfers offenbare. 137 Die fatalen Konsequenzen für die Versöhnungslehre liegen auf der Hand. U m diese von vorneherein auszuschalten und darin zugleich dem Atheismus zu wehren, lehrt Buddeus gegen die Cartesianer die Mitwirkung Gottes in der Bewegung der Geschöpfe als unmittelbare Mitwirkung. 138 Das entsprechende Verständnis der Mitwirkung Gottes im Weltgeschehen muß Buddeus jedoch sofort von der okkasionalistischen Deutung abheben, mit der ehemalige Descartes-Schüler den Gedanken der universalen göttlichen Mitwirkung gegen den Cartesianismus zu retten versuchten, indem sie die Geschöpfe als Gelegenheitsursachen der göttlichen Mitwirkung bestimmten und Gott als einzige und ausschließliche Ursache derselben erklärten. Schon Ludovicus de la Forge habe die menschlichen Gedanken auf die göttliche Mitwirkung zurückgeführt. 139 Von Malebranche sei dann ausdrücklich festgestellt worden, daß nur Gott wahrhaft als Ursache bestimmt werden könne 1 4 0 und daß daher selbst der menschliche Intellekt keine aktive, sondern eine rein passive Potenz sei, der weder Ideen noch Willensbestimmungen hervorbringe. Diese Erklärung der Mitwirkung als 135 ID 11,2,48, 563f.: " Q u e m [sc. concursus Dei; Vf.], qui ita explicant, quod Deus in prima creatione rebus eiusmodi vim operandi concesserit, revera eum negant. ... Q u a e si admittantur, Deum ad actiones caussarum secundarum plane non concurrere, manifestum est; cum motus omnes particulares tantum a legibus illis motus, in natura constitutis, dependeant." 136 Entsprechend heißt es im 'Bedencken' gegen Wolff, 7: "So ist es ja auch offenbahr genug, daß diejenigen dem Atheismo nicht weit enfernet seyn, welche die Providence Gottes in Zweiffei ziehen, aufs wenigste fället per negationem providentiae divinae aller Gottes-Dienst und alle Religion weg: Denn warum sollte ich einen solchen GOTT anbeten und ihm dienen, der nichts von mir weiß, der auch weder das Böse bestrafft, noch das Gute belohnet". 137 Siehe zur Position von Claude Pajon (1626-85) ID 11,2,48, 564f. A . l . 138 Dies ist in der Bestimmung der Geschöpfe als sekundärer Ursachen ihrer Bewegungen und Handlungen impliziert, vgl. ID 11,2,48, 563: "Rectius itaque sentiunt, qui Numinis, ad omnes rerum creatarum motus, atque actiones, concursum statuunt, ut tarnen res creatas ipsas, seu caussas secundas, vi, qua pollent, agendi, atque aliquid efficiendi, non privent." 139 Vgl. ID 11,2,48, 566 A . l . Sein Wissen über de la Forge bezieht Buddeus aus dem Werk von Jakob Gusset, De caussarum primae & secundarum reali operatione. 140 Siehe das von Buddeus ID 11,2,48, 566 A . l aus 'De inquirenda veritate' zitierte Prinzip von Malebranche: "non esse ullam caussam, quae vera sit caussa, praeter unam, scilicet Deum."

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Alleinwirksamkeit Gottes nötigte jedoch dazu, auch den Unglauben als unmittelbare Wirkung Gottes zu deuten. 141 Daher habe der Theologe Johann Christopher Sturm, der ansonsten der Auffassung Malebranches folgte, die Bestimmung des Intellekts als einer rein passiven Potenz nicht übernehmen können. 142 Gegen die Konsequenzen des Okkasionalismus muß nach Buddeus in der Lehre von der göttlichen Mitwirkung die Möglichkeit der Selbstbewegung der Geschöpfe behauptet werden. Daher sei von Leibniz nicht zu unrecht festgestellt worden, daß der Materie die Fähigkeit zur Bewegung nicht schlechterdings abgesprochen werden könne. Sein Satz, die Materie sei keine reine Potenz, sondern verfüge über eine aktive Kraft 1 4 3 , habe allerdings in seiner Auslegungsbedürftigkeit heftige Diskussionen ausgelöst. In essentiellem Sinne, so betont Buddeus, könne der Materie keine aktive Kraft der Selbstbewegung zugeschrieben werden. Denn das sei nicht mit dem Begriff der Materie vereinbar 144 und führe außerdem direkt in den Atheismus. 145 Die Fähigkeit selbsttätiger Bewegung sei vielmehr die Eigentümlichkeit des Geistes. 146 Der Satz von Leibniz sei aber insofern richtig, als zwar nicht der Materie als solcher, wohl aber bestimmten Körpern eine von Gott gewährte Disposition zur Selbstbewegung eigne. 147 Die Fähigkeit der Selbstbewegung an der Stelle des endlichen Geistes darzustellen, ist in der Konzeption von Buddeus die spezifische Aufgabe der Engellehre. Diese Fähigkeit des Geistes dürfe jedoch nicht wie bei Descartes auf das reine Denken beschränkt werden. 148 Die Engel als die vollkomme141 ID 11,2,48, 568 A . l : "Si enim Deus solus omnia immediate efficit, nullum erit peccatum, nullumque flagitium, quod non Deus immediate, & quidem solus, perpetret. ... Ergo non homo est, qui cogitat, sed Deus in homine, aut per hominem; & quando cogitationes impiae, impurae, blasphemae in homine exsistunt, has non homo, sed Deus ipse, & quidem immediate, ac solus producit." 142 Vgl. die Darstellung von Buddeus ID 11,2,48, 567f. A . l . 143 ID 11,2,48, 569 A . l . 144 ID 11,2,48, 570 A . l : "de materia quidem in se spectata dici nullo modo potest, quod vi quadam activa gaudeat, cum notioni materiae hoc prorsus repugnet". 145 "Nihil enim temere gratius contingere atheis potest, quam si concedatur, motum materiae essentialem esse, aut ab ea separari non posse" (ID 11,2,48, 569 A . l ) . 146 ID 11,2,48, 569: "Nimirum, ut meam paucis explicem sententiam, primo quidem aliam spirituum, aliam materiae, adeoque & corporum in se spectatorum hie rationem esse, observandum est. Spiritibus potentia quaedam agendi, immo & corpora movendi, denegari non potest, cum hoc notioni verae & genuinae spiritus nulla ratione repugnet, iuxta ea, quae supra de spiritibus disputavimus." Siehe dazu ausführlich die Engellehre, die die Fähigkeit der Selbstbewegung für den endlichen Geist zur Darstellung bringt, ID 11,2,19-39, 503-548. 147 Vgl. ID 11,2,48, 569: "Quae [sc. Leibniz' Rede von der vis activa materiae; Vf.] tarnen itidem, non nisi caute admodum aeeipienda esse, prudens harum rerum existimator facile perspiciet. ... Ad corpora quod attinet, de materia quidem in se spectata dici nullo modo potest, quod vi quaedam activa gaudeat, cum notioni materiae hoc prorsus repugnet; prout tarnen in certis corporibus concessit, ut adeo corpora ista per vim sibi propriam, sed a Dei concessione derivandam, agant, & in numerum caussarum, proprie sie dictarum, recte referantur." 148 Vgl. ID 11,2,20, 506: "Nec felicius tarnen ipse CARTESIUS rem expedivit, essentiam spiritus in cogitatione constituens, seu spiritum per cogitationem definiens." 308

nen endlichen Geister zeichneten sich vielmehr durch Intellekt und Willen aus. 1 4 9 Durch die Bestimmung des Willens als Vermögen des Geistes sieht Buddeus dabei den Dualismus zwischen res cogitans und res extenso, zumindest prinzipiell aufgehoben. Denn der Wille sei das Vermögen, Tätigkeiten hervorzubringen und so in Körpern zu handeln. Die aus den Selbstbewegungen des endlichen Geistes resultierenden Ideen, Willensbestimmungen und Handlungen, dürften ihrerseits jedoch nicht als Substanzen definiert werden. Denn die Selbsttätigkeit des geschaffenen Geistes vollziehe sich nicht wie die Schöpfung voraussetzungslos. 1 5 0 Die in besonderer Weise auf diese Selbsttätigkeit der vernunftbegabten Wesen bezogene Aussage der speziellen Mitwirkung Gottes ist in der Konzeption von Buddeus die Voraussetzung für die Explikation der Lehre von der providentiellen Regierung der Welt. Denn während sich die göttliche Erhaltung auf das gesamte geschöpfliche Dasein richte und die Mitwirkung alle körperlichen und seelischen Bewegungen der Geschöpfe betreffe, gelte die Regierung Gottes ausschließlich den Handlungen der vernunftbegabten Wesen. 1 5 1 Mit der Gubernationslehre verbindet Buddeus also nicht die Frage, wie die Welt insgesamt an ihr Ziel gelangt. Diese Frage ist für ihn durch die Lehre von der Erhaltung und Mitwirkung bereits beantwortet. Es bleibt zu klären, in welcher Weise die Hinführung des Menschen auf sein ihm bestimmtes Ziel dem Handeln Gottes zu verdanken ist. Das entsprechende Handeln Gottes erfolgt nach Buddeus einerseits vermittelt durch natürliche Vernunft oder durch Offenbarung, andererseits unmittelbar durch Instinkte 1 5 2 und Impulse 1 5 3 und bewirkt den Beginn des frommen

149 Siehe die Definition der Engel ID 11,2,20, 505: "Quid spiritus sit, non aliter, quam ex proprietatibus, & operationibus eius, quae in scriptura sacra commemorantur, intelligitur. Has vero si iunctim sumamus, dici potest, spiritus nomine nobis venire substantiam materiae expertem, intellectu & voluntate, itemque potentia quadam agendi in corpora, & hinc varias operationes edendi, praeditam." 150 "Sunt enim ideae istae atque volitiones, aeque ac omnes motus, non substantiae, sed modi, seu, ut alias loqui solent, accidentia, quorum productio pro creatione quadam haberi nequit." (ID 11,2,48, 570 A . l ) 151 Siehe dagegen die Definition der gubernatio bei Hollaz, Examen 1,6,19, 656f.: "Gubernatio DEI est Actus providentiae divinae, quo DEUS secundum consilium voluntatis suae omnes res creatas, earumque vires, actiones & passiones liberrime ordinat, moderatur & diriget ad propositos fines gloriam Creatoris, hujus universi bonum, Sc hominum in primis piorum salutem." Vgl. auch aaO., 1,6,21, 658, wo Hollaz eine allgemeine, auf den ganzen Erdkreis ausgerichtete Regierung Gottes von einer speziell die Kirche leitenden unterscheidet. 152 Instinkte sind nach Buddeus' Definition in ID 11,2,48, 572 Α.2 unmittelbare Eingebungen, "quorum caussam cognitam atque perspectam non habemus" und die man auch nicht auf Anhieb für göttlich halten könne. "Possunt etiam subinde caussae naturales subesse, quae nobis cognitae non sunt; in quibus tarnen simul peculiaris quaedam Numinis directio aliquando accedere potest." 153 ID 11,2,49, 571: "Gubernatio est actionum omnium, humanarum praecipue, ad certum finem, eumque ex intentione Dei semper bonum, directio. Dirigit autem Deus actiones hominum plerumque mediate, per lumen rationis & revelationis, itemque per obiecta varia,

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Lebensvollzuges 154 . In Bekehrung und Wiedergeburt ist Gott nicht nur mitwirkend, sondern alleinwirksam. 155 Die Fortsetzung des frommen Lebensvollzuges in der Erneuerung muß dagegen wieder nur durch Mitwirkung bestimmt sein, da sonst die Neukonstitution des Individuums durch das gubernatorische Handeln in Frage gestellt wäre. 156 In der hier skizzierten Lehre von der Providenz unternimmt Buddeus also den Versuch, das freie Handeln Gottes in der Schöpfung so zu denken, daß es einerseits der völligen Abhängigkeit der Geschöpfe in ihrem Dasein und im Erreichen ihrer Vollkommenheit gerecht wird, ohne doch die relative Selbständigkeit der Geschöpfe auszuschließen. 157 Dieses Handeln Gottes, durch das die geschaffene Welt erhalten und regiert wird, gilt Buddeus als Bedingung der gewissen Erkenntnis der Existenz Gottes. 158 c) Die Erkenntnis der Providenz Gottes Aus der Erkenntnis der Abhängigkeit der Geschöpfe in ihrem Dasein, in ihrer Bewegung und körperlichen Beschaffenheit legt sich für Buddeus die Annahme einer ersten Ursache nahe, die in den metaphysischen und physischen Argumenten ihren Ausdruck findet. Von der Existenz Gottes kann man sich dadurch jedoch nicht endgültig überzeugen, weil eine solche erste Ursache ebensowenig wie die Idee der Unendlichkeit den Namen Gottes verdient. Dieser impliziert nach den onomatologischen Erwägungen von Buddeus vielmehr, daß Gott als unabhängiger Grund der geschaffenen Welt dieselbe auch regiert. Die Notwendigkeit einer entsprechenden Mitwirkung Gottes im Weltgang sieht er jedoch bei Descartes bestritten. Die gegen Descartes gerichtete Verteidigung der Providenz begründet Buddeus dabei zwar nicht durch einen Beweis der Angewiesenheit der Geschöpfe auf Gottes providentielle Mitwirkung und Regierung. Er geht aber davon aus, daß die Notwendigkeit einer gubernatorischen Vollendung der geschöpflichen Welt nachträglich aus der Abhängigkeit der Geschöpfe demonstriert werden kann. Wäre dies nicht möglich und hätte Pierre Bayle also darin Recht, daß unter Absehung von der Offenbarung keine Gründe für die

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quae illis o f f e r u n t u r , aliarumque caussarum c o n c u r s u m ; interdum & immediate, ac praeter o r d i n e m , per certos instinctus atque i m p u l s u s " . I D 11,2,50, 573; 11,2,51, 574. I D 11,2,51, A . l , 574f.: "In ipso enim conversionis actu c u m h o m o nihil, D e u s o m n i a agat, soli q u o q u e D e o , quae fiunt, tribuenda sunt." Siehe I D 11,2,51, 574f. Buddeus betont I D 11,2,48, 571 ausdrücklich, daß G o t t "liberrime, ad rerum creatarum m o t u s atque actiones concurrere." I D 11,1,7, 273f.: " Q u a e natura & ratio de exsistentia Dei docet, ea fides seu certissima, & extra o m n e m dubitationem posita, adsumit". Dieser Satz fällt direkt im Anschluß an die beiden Paragraphen, in denen Buddeus die natürliche Gotteserkenntnis und auch die Position v o n Descartes behandelt hat.

Notwendigkeit der Providenz angegeben werden könnten, hätte man in manichäischer Weise Vernunft und Offenbarung als zwei voneinander unabhängige Prinzipien nicht nur der Erkenntnis, sondern auch des Seins anzunehmen. 1 5 9 D e n n ließe G o t t sein Handeln nicht durch die Vernunft auch in der N a t u r erkennen, müßte man entweder daraus folgern, daß Gott nicht von allen vernunftbegabten Wesen erkannt werden wolle, oder daß er nicht in der N a t u r handele. Beide Folgerungen sind jedoch für Buddeus unvereinbar mit der Erkenntnis Gottes aus der Offenbarung. Damit ist in der Tat ein starkes Argument gegen Bayles These gewonnen. Buddeus stimmt jedoch mit ihm insoweit überein, als er selbst die Gewißheit der Notwendigkeit der Providenz aus der Offenbarung bezieht. 1 6 0 Denn da sich erst in der Bekehrung das Wesen der Sünde und damit die schlechthinnige Unfähigkeit erschließt, die im Mittler offenbarte Bestimmung der Gottebenbildlichkeit aus sich selbst zu erreichen, kann auch erst der Wiedergeborene die Notwendigkeit und die Realität der Providenz in vollem Maße erkennen. 1 6 1 Daß diese sich nicht nur auf die Erlösung, sondern auf das ganze Dasein und auf alles, das sich bewegt, erstrecken muß, das weiß der Intellekt, weil er Gott nicht anders als höchst vollkommen und unendlich denken kann. D o c h auch das Vermögen des Intellekts ist in der Lehre von der Mitwirkung als ein solches bestimmt, welches ohne Gott nicht selbsttätig wird.

159 Siehe die Kritik an Bayle ID 11,2,44, 556 A . l : "Quin, non aliter quemquam, qui solo rationis lumine utitur, hinc se expedire posse, quam ut absurdissimam Manichaeorum hypothesin, de duplici principio independente, admittat." 160 Das ist der Sinn des Satzes ID 11,2,44, 555f.: " Q u a e hic occurrunt dubia, etsi ratio ipsa diluere queat, longe tarnen plenius & evidentius hoc facit divina revelatio, in scriptura sacra nobis exhibita." Im Zuge der Auseinandersetzung mit Bayles Behauptung, man könne keine vernünftigen Gründe für die Providenz angeben, gesteht Buddeus daher zu, daß "ex rationis lumine solo difficultates istae tolli non possent". Doch das sei kein hinreichender Grund dafür, "rem ipsam, seu dari providentiam divinam, in dubium vocare". Denn: "Longe enim est iniquissimum, ob dubium aliquod, unde nos expedire non possumus, statim veritatem quamdam manifestissimam reiicere, aut admittere nolle. Praeterea, ipsi rationi longe est convenientius, imbecillitatem eius, limitesque angustos, sincere agnoscere, quam ideo, quod dubiis quibusdam circa rem manifestam non prorsus satisfacere queamus, aliquid admittere, quod ipsius rationis iudicio non potest non longe absurdissimum censeri, qualis est illa Manichaeorum, de duplici principio independente, hypothesis." 161 Siehe ID 11,1,7, 274 Α.2: "Deinde secum expendens, quae in conversione, (loquimur namque de homine vera fide praedito) illuminatione, voluntatis ad quaevis bona flexione, expertus est, Sc in quotidiana renovatione revera experitur, non potest non ex ista gratiae divinae intima perceptione ita persuaderi, ut stolidissimus mortalium esset, si vel minimae dubitationi locum relinquere vellet. Et hac ratione opera divina in regno gratiae non minus luculenter Numinis exsistentiam confirmant, quam opera Dei in regno naturae: licet ilia non aeque ab omnibus percipiantur ac agnoscantur, quam haec. Certe, quae ipsi experimur, & sentimus, omnem dubitationem prorsus excludant."

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4. Gott als unabhängiger Geist Die Rede vom Handeln Gottes in der Welt, die die unabdingbare Voraussetzung für die Lehre von der Providenz ist, kann nicht selbstverständlich als Moment des natürlichen Gottesbegriffs behauptet werden. Descartes zum Beispiel sah in ihr einen Widerspruch zu der der Vernunft inhärenten Wesensbestimmung Gottes als ens perfectissimum und ens necessarium. Daher entsteht für die theologische Gotteslehre die Aufgabe, die innere Verbindung beider Aussagen von Gott zu demonstrieren, indem sie den Bezug Gottes zur Welt als Moment des natürlichen Gottesbegriffs auslegt und also das ens perfectissimum als summum bonum bestimmt. Dies ist bei Buddeus die spezifische Aufgabe der Eigenschaftslehre. Diese geht zwar von den biblischen Gottesnamen aus, beschreibt aber das göttliche Wesen aus dem Vergleich mit der Schöpfungserfahrung durch eine Vielheit von Eigenschaften. Buddeus betont daher wie alle altprotestantischen Dogmatiker, daß die Eigenschaftslehre das unendliche Wesen Gottes nur inadäquat zu erfassen vermag. 162 Dem Projektionsverdacht kann sie für sich genommen nicht entgehen. Sie ist dennoch unerläßlich, weil sie durch die Bestimmung Gottes als des höchsten Gutes des Menschen die Notwendigkeit der geoffenbarten Gotteserkenntnis demonstriert. 163

162 Die Explikation der Bestimmung des immanenten Wesens Gottes als essentia spiritualis infinita durch die Eigenschaftslehre fassen Calov (vgl. Calov, Systema 1,3, 177 und bes. 1,4, 221), König, Quenstedt (vgl. Systema 1,8,2.3, 408f.), aber auch noch Baier (Compendium 1,1,5, 117, a.b) und Hollaz als sekundär bzw. inadäquat auf. Vgl. exemplarisch König, Theologia 1,33.37.38: "Consideratio essentiae divinae absoluta expeditur contemplatione conceptus quidditativi absoluti, et eorum, quae istum in ordine ad nostrum concipiendi modum sequuntur. ... Ea, quae essentiam dei quoad nostram concipiendi modum consequuntur, sunt praedicata ilia, quae attributa alias dici solent. ... Sunt haec attributa conceptus essentiae divinae inadaequati ex parte rei ipsam essentiam involventes, eandemque intrinsice denominantes" (zitiert nach Ratschow, Dogmatik 2, 59). Siehe auch Hollaz, Examen 1,1,19, 331, obs.2: "Essentia alias dicitur primus rei conceptus, quo nullus est prior, sed qui radix est caeterorum conceptuum. Sic v. gr. DEUS primo concipitur esse Ens independens. Attributa DEI vocantur conceptus secundi, quia primum DEI conceptum per se consequuntur, & ex eo ultro quasi fluunt. Appellantur etiam conceptus inadaequati; quia totam Essentiam DEI ob infinitam Ejus perfectionem non exprimunt, sed aliquid DEI exponunt." So dann auch Buddeus ID 11,1,10, 277: "Quae ut recte procedat, observandum, quod & res ipsa docet, attributa haecce non re ipsa, sed nostra saltem concipiendi modo, tum ab se invicem, tum ab ipsa essentia divina differe." 163 Das mit der Eigenschaftslehre verbundene Interesse der altprotestantischen Dogmatiker erblickt Ratschow, Dogmatik 2, 63, darin, "das Wesen Gottes trotz der zäh festgehaltenen Erkenntnis der Kundmachung Gottes als erkennbar zu erhalten." In der Tat ist die Beschreibung des göttlichen Wesens durch die Eigenschaften eine notwendige Voraussetzung der Verehrung und Anbetung Gottes. F ü r Buddeus besteht dabei allerdings die Notwendigkeit, die Insuffizienz des natürlichen Gottesbegriffs zu betonen.

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a) Zum Verfahren der Eigenschaftslehre Auf der Basis der Onomatologie erhebt Buddeus in seiner Gotteslehre zunächst pragmatologisch 164 einen allgemeinen Begriff vom Wesen Gottes, wählt aber statt der älteren lutherischen Bestimmung Gottes als essentia spiritualis infinita165 mit Baier und Hollaz die Bestimmung Gottes als spiritus independens bzw. unabhängiger Geist 166 . Während die Wittenberger Theologen durch die in dem Konzept der essentia spiritualis infinita enthaltene Bestimmung der Unendlichkeit die Unterschiedenheit Gottes von der Welt und Gottes Unabhängigkeit vom endlichen Geist hinreichend betont fanden 167 , sieht sich Buddeus - vermutlich infolge der kritischen Reaktion auf den Cartesianismus bei Musäus - genötigt, die Unabhängigkeit Gottes vom endlichen Geist durch die Bestimmung als spiritus independens pragmatologisch ausdrücklich hervorzuheben. Auf die Nennung des Prädikates der Unendlichkeit kann Buddeus hingegen verzichten, da dieses in keiner Weise strittig war. Die gegenüber der älteren Bezeichnung Gottes als essentia spiritualis zugespitzte Rede von Gott als Geist richtet sich dabei gezielt gegen Spinozas Definition Gottes als Substanz. Im Rahmen der Eigenschaftslehre führt Buddeus dieses Konzept des unabhängigen Geistes als den Inbegriff der göttlichen Eigenschaften ein, die im weiteren Verlauf des Lehrstücks entwickelt werden. 168 Darin weicht er von der altprotestantischen Tradition nicht unwesentlich ab. Denn diese unterschied deutlich zwischen Eigenschaftslehre und allgemeiner Wesensbestimmung Gottes, indem sie den auf der Basis der Onomatologie formulierten allgemeinen Wesensbegriff im Unterschied zu der inadäquaten Beschreibung der Eigenschaften für einen adäquaten Begriff vom Wesen Gottes hielt. Die Beschreibung Gottes durch Eigenschaften wurde dabei als inadäquat

164 Siehe zum traditionellen Verhältnis von Onomatologie und Pragmatologie Calov, Systema 11,2/1, 114ff. und 11,3, 176-191 sowie Quenstedt, Systema 1,8/1, 408ff. König sieht die Aufgabe der Pragmatologie darin, daß sie "tum essentiam dei, tum varia eiusdem opera, quantum hoc equidem loco opus est, considerat" (zitiert nach Ratschow, Dogmatik 2, 45). 165 Calov, Systema 11,3, 177; 11,4, 223. Quenstedt, Systema 1,8/1,2, 408. Auch Ratschow, Dogmatik 2, 70 beobachtet, daß "von der Mitte des 17. Jahrhunderts an" neben der inßnitas zunehmend die independentia auftaucht, ohne allerdings dieses Phänomen zu erklären. 166 Vgl. z.B. Hollaz, Examen 1,1,14, 323 und Baier, Compendium 1,1,6, 118: "Essentia Dei ita describi potest: Deus est ens spirituale a se subsistens vel brevius: Deus est spiritus independens." 167 Vgl. Calov, Systema 1,3, 177 und Quenstedt, Systema 1,8,2, 408: "Nam essentiae nomen commune est Deo & creaturis, quanquam Deo principaliter & independenter conveniat, creaturis secundario Sc per dependentiam. ... Conceptum vero proprium exprimit praedicatum Infiniti, hoc ipso enim distinguitur Deus, utpote Spiritus infinitus, ab angelis & animabus hominum, ceu spiritibus finitis, hacque infinitate sua Deus omnes essentiae terminos respuit..." 168 ID 11,1,9, 275: "Summatim ergo si complecti velimus, quae perfectionum seu attributorum divinorum consideratio nobis suppeditat, dici potest, quod Deus sit spiritus independens."

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eingestuft, weil die Vielheit der Eigenschaften der Simplizität des göttlichen Wesens nicht entspricht. 169 Dagegen bestimmt Buddeus nicht nur die Eigenschaftsbeschreibung als inadäquat, sondern gibt auch den aus den Namen Gottes abgeleiteten Wesensbegriff Gottes nicht als adäquaten Begriff aus. Denn die Gottesnamen sind nach seiner Uberzeugung selbst Ausdruck eines menschlichen und insofern inadäquaten Begriffs von Gott. Ob dieser dem Wesen Gottes entspricht, kann der Intellekt in seiner prinzipiellen Unfähigkeit zur Erkenntnis des immanenten göttlichen Wesens aus sich selbst heraus nicht beurteilen. 170 Es geht Buddeus daher zuerst darum, den Begriff Gottes als des unabhängigen Geistes in der Eigenschaftslehre als Inbegriff der biblischen Eigenschaften auszuweisen. Im Zuge der Einsicht, daß das Wesen Gottes vom menschlichen Intellekt nicht an sich erkannt werden könne, wurden in der altprotestantischen Dogmatik die Eigenschaften Gottes zwar einhellig aus dem Vergleich mit der Schöpfung entwickelt. Die Strukturierung derselben fiel dabei jedoch unterschiedlich aus. Calov, König, Quenstedt und Hollaz wählten als vorrangiges Kriterium der Darstellung die aus der Betrachtung des göttlichen Wesens resultierende Unterscheidung in immanente und operative171 Eigenschaften. Dagegen bevorzugten andere wie zum Beispiel Schmid und Baier die durch die Erkenntniswege bedingte Einteilung in negative und positive172 Eigenschaften Gottes. Auch wenn der Wahl des Einteilungsschemas dabei nicht viel Bedeutung beigemessen worden zu sein scheint, kann doch von einer willkürlichen Entscheidung keine Rede sein. In der Wahl des Einteilungsschemas manifestieren sich vielmehr unterschiedliche Interessenlagen. Das zweite Schema der Einteilung in positive und negative Eigenschaften, das die Frage nach der natürlichen Erkennbarkeit des göttlichen Wesens aus der Schöpfung in den Vordergrund rückt und daher die Erkenntniswege zum Einteilungskriterium erhebt, bringt zur Geltung, daß die Eigenschaftslehre insgesamt als Konzeption des Verstandes anzusehen ist. Die Einteilung in immanente und operative Eigenschaften setzt hingegen diese Erkenntnismöglichkeit als selbstverständlich voraus und ist stattdessen an der Eintei169 Wegen der Simplizität Gottes konnten die Eigenschaften Gottes auch nicht als Akzidenzien eingestuft werden, so zum Beispiel Hollaz, Examen 1,1,20, 332. 170 ID 11,1,9, 276 A . l : " C u m enim ipsam Dei essentiam, ut antea diximus, non cognoscamus, ea quoque, in se spectata, describi, aut definiri nequit." Siehe auch ID 11,1,8, 275. 171 Siehe König, Theologia, 1,39: "Horum (attributorum) duo sunt genera: Quaedam enim essentiam divinam describunt absolute et in sese, citra respectum ad operationem; quaedam vero eam describunt respective" (zitiert nach Ratschow, Dogmatik 2, 59). Vgl. ebenso Calov, Systema 11,4, 221ff. und Quenstedt, Systema 1,8,1,4, 409, der die Einteilung nach negativen und positiven Eigenschaften als Alternative erwähnt, aaO., 1,8,1,5, 409, sich dann aber nach dem Schema der absoluten/immanenten und respektiven/operativen Eigenschaften richtet, vgl. 1,8,1,7-21 und 22-37. Siehe auch Hollaz, Examen 1,1,23-36 und 37-47. 172 Vgl. Schmid, Compendium 1,1,3, 47; Baier, Compendium 1,1,7, 119f. Die negativen Eigenschaften bestimmen das göttliche Wesen via negationis, die positiven dagegen via eminentiae.

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lung der Eigenschaften als solcher interessiert. Dabei fällt auf, daß in aller Regel der absoluten Bestimmung Gottes als essentia spiritualis infinita die Einteilung der Eigenschaften in immanente und operative folgt, während die Rede von Gott als unabhängigem Geist mit der Einteilung der Eigenschaften in negative und positive verbunden wird. Nur Hollaz macht hier eine Ausnahme. Buddeus knüpft in seiner Eigenschaftslehre an die Unterscheidung der göttlichen Eigenschaften in negative und positive an, korrigiert diese Einteilung jedoch, weil die negativen Eigenschaften selbst in solche, die geschöpfliche Unvollkommenheiten für Gott negieren, und in solche, die Gott gänzlich von der geschaffenen Welt abheben, zu unterscheiden seien.173 Daher sei es besser, die positiven Eigenschaften und diejenigen negativen Eigenschaften Gottes, die geschöpfliche Eigenschaften überbieten, als Explikation der Einheit des göttlichen Wesens bzw. des göttlichen Geistes aufzunehmen, diejenigen negativen Eigenschaften hingegen, die Gott von seiner Welt unterscheiden, als Explikation der Independenz Gottes zu deuten. 174 Da nun unter den Eigenschaften der ersten Gruppe, die den Begriff des Geistes explizieren, manche nur den geistigen, aber nicht allen Kreaturen zukommen, ergibt sich bei Buddeus ein dreistufiger Gedankengang der Eigenschaftslehre. Die Erhabenheit Gottes wird zuerst durch die Eigenschaften expliziert, die sich auch in der Welt finden und die somit Gott und Welt gemeinsam sind. Im zweiten Schritt werden die Eigenschaften genannt, die Gott und den endlichen Geistern gemeinsam sind. Erst unter dieser Voraussetzung kann in einem dritten Schritt der wesentliche Unterschied Gottes zur Welt bestimmt werden. 175 Buddeus war bereits in der Gotteslehre seiner theoretischen Philosophie von 1703 so vorgegangen, hatte dort aber die Eigenschaften zum Teil noch anders eingeordnet. 176 Der Fortschritt in der dogmatischen Fassung liegt vor allem darin, daß Gott hier als unabhängiger Geist bestimmt und dieser Begriff als Inbegriff der Eigenschaften Gottes zur Geltung gebracht wird. 173 I D 11,1,11, 279: "Solent vulgo attributa Dei in negativa & positiva dividi. C u m autem negativa n o n sint unius generis, siquidem quaedam convenientiam quamdam cum rebus creatis inferant, & imperfectionem saltern removeant, alia autem eiusmodi quid connotent, quo plane a rebus creatis Deus distinguatur". 174 I D 11,1,11, 279 und A.2. Vgl. auch ID 11,1,9, 275f.: "Summatim ergo si complecti velimus, quae perfectionum seu attributorum divinorum consideratio nobis suppeditat, dici potest, quod Deus sit spiritus independens. Ea enim, quae cum rebus creatis, speciatim spiritibus, ceu praestantissimis rerum creatarum o m n i u m , ei sunt communia, sed ita, ut m o d o longe eminentiori ei conveniant, voce spiritus; reliqua autem, quae eum infinitis modis rebus creatis superiorem demonstrant, voce independens comprehenduntur." 175 I D 11,1,12, 279: " N i m i r u m , cum quaedam attributa, non tantum spiritibus, sed & rebus omnibus, quae exsistunt, sint communia; Sc ea Deo eminentissima quadam ratione, cum remotione o m n i u m imperfectionum convenire, non est, quod dubitemus." 176 Vgl. E P T VI,4,2, 367; VI,4,8, 370f.; VI,4,19, 376. Auch sind die in den drei G r u p p e n genannten Eigenschaften nicht durchweg identisch mit den in der Dogmatik genannten.

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Dabei erscheint der von Buddeus in der dogmatischen Eigenschaftslehre entwickelte Gedankengang zur Erkenntnis Gottes aus seinen Eigenschaften insgesamt als Erhebung von den allgemeinen und besonderen Perfektionen Gottes zum Begriff Gottes als des unabhängigen Geistes. b) Die Eigenschaftslehre als Erhebung zum Gottesgedanken In seiner Wesensbeschreibung Gottes aus dem Vergleich mit den in der Schöpfung erkennbaren Vollkommenheiten Gottes geht Buddeus aus von dem Einssein bzw. der Einheit als der Bestimmung, die auf alle Geschöpfe gleichermaßen zutrifft, insofern sie sich voneinander unterscheiden und mithin für sich selbst betrachtet eins sind. 177 Im Blick auf Gott als das ens perfectissimum könne das Prädikat der Einheit dabei nicht nur im spezifischen Sinne, sondern müsse vielmehr zugleich im numerischen Sinn gelten. 178 Dieses Verständnis der vollkommenen Einheit, durch die sich Gott von den Geschöpfen unterscheidet, setzen Baier und Buddeus der Deutung der Einheit Gottes bei Spinoza entgegen.179 Die zweite allgemeine Bestimmung aller Geschöpfe, die Buddeus als positive Eigenschaft des göttlichen Wesens angibt, ist die aus seinen diversen Vollkommenheiten resultierende Güte. Dabei ist das Prädikat der Güte Gott als dem Inbegriff aller Vollkommenheiten allerdings nicht nur in absolutem Sinne zuzuschreiben; Gott ist nach Buddeus vielmehr auch in relativem Sinne als eminent gut zu bestimmen, da er in seiner Güte den Geschöpfen zu ihrem Ziel und mithin zur ihrer Glückseligkeit verhilft. 180 Durch die entsprechende Auslegung der Güte Gottes, die die geschöpfliche Güte in doppeltem Sinne überbietet, wird dem Begriff des ens perfectissimum bei Buddeus faktisch eine andere Auslegung zuteil als bei Descartes. Gott als das ens perfectissimum wird nämlich bei Buddeus nicht nur in seiner Absolutheit, sondern auch in relativer Hinsicht als vollkommen bzw. in höchstem Maße gut bestimmt, weil er die Vollkommenheit der Geschöpfe begründet und ermöglicht. Würde man hingegen auf die Prädikation der Güte im relativen Sinne verzichten, so hätte dies zur Folge, daß die Güte Gottes als durch die Unvollkommenheit der Kreatur beschränkt gedacht werden müßte, was der Unendlichkeit Gottes widerspräche. 177 ID 11,1,13, 280: "Cum enim quodlibet ens unum sit, eo quidem sensu, quod in plura alia eiusdem naturae entia dividi nequeat; Deus insuper ita unus, vel potius unicus est, ut plures nullo modo esse queant." 178 ID 11,1,13, 280 A.2: "Ipsa entis perfectissimi notio, quae in idea Dei, quam primum vocem hanc audimus, se nobis offert, pluralitati Deorum ita repugnat, ut haec sine manifesta adseri nequeat contradictione." In der gleichen Weise unterscheidet Baier einen absoluten und einen exklusiven Sinn der Einheit Gottes, siehe Compendium 1,1,8, 120. 179 "Nec enim sufficit, unum adserere Deum, sed simul eum a mundo, seu rebus creatis, rite distinguere oportet" (ID 11,1,12, 281 A.2). 180 ID 11,1,14, 282f.

316

A u s d e r a b s o l u t e n u n d r e l a t i v e n G ü t e folgt f ü r B u d d e u s s c h l i e ß l i c h als d r i t t e B e s t i m m u n g die W a h r h e i t G o t t e s . 1 8 1 I n a n t i p i e t i s t i s c h e r S p i t z e e x p l i ziert er dabei die in der geschöpflichen W i r k l i c h k e i t e r k e n n b a r e

Wahrheit

aus d e m G e g e n s a t z z u m b l o ß e n S c h e i n , d e r z u m Beispiel d a g e g e b e n sei, w o wahres

Christsein

in der ä u ß e r e n E r s c h e i n u n g

gesucht und darin

gerade

grundsätzlich verfehlt werde. D e n n wahres Christsein verdanke sich d e m B e w u ß t s e i n , d a ß d i e W a h r h e i t in C h r i s t u s i s t 1 8 2 , u n d k ö n n e d a h e r n i c h t a u f die ä u ß e r e

Demonstration

der F r ö m m i g k e i t

abzielen.183

Dabei

treffe

in

U b e r b i e t u n g d e r g e s c h ö p f l i c h e n W a h r h e i t a u f G o t t in s e i n e r v o l l k o m m e n e n G ü t e d e r m e t a p h y s i s c h e W a h r h e i t s b e g r i f f z u , w o n a c h e t w a s als w a h r gelte, w e i l es w a h r h a f t das sei, als w a s es b e h a u p t e t w e r d e . 1 8 4 Sind

mit

den

-

in

Entsprechung

zum

platonischen

Gottesgedanken

b e n a n n t e n - P r ä d i k a t e n d e r E i n h e i t , G ü t e u n d W a h r h e i t G o t t e s die G r u n d b e s t i m m u n g e n g ö t t l i c h e r E r h a b e n h e i t g e g e n ü b e r a l l e m g e s c h ö p f l i c h e n Sein a n g e g e b e n 1 8 5 , s o m u ß B u d d e u s a u f d e r n ä c h s t e n Stufe d e r B e s c h r e i b u n g des g ö t t l i c h e n W e s e n s aus s e i n e n E i g e n s c h a f t e n die V o l l k o m m e n h e i t G o t t e s als Geist gegenüber den nicht geistigen G e s c h ö p f e n aussagen.186 Als stimmung

des

Geistes

im

Unterschied

zur

Materie

nennt

Grundbe-

Buddeus

hier

z u e r s t d i e S i m p l i z i t ä t des G e i s t e s . D i e s e sei i m B e g r i f f G o t t e s in h ö c h s t e r 181 Calov nennt hingegen die Wahrheit, die er durch die Unveränderlichkeit expliziert, vor der Güte, vgl. Systema 11,5-7. So erscheint die Wahrheit Gottes nicht primär als Selbstentsprechung Gottes in seiner Güte. 182 Siehe ID 11,1,15, 284: "Et ita quoque Deus verus est, ... essentia Deo debita gaudens ... Quo ipso 8t nos admonemur, ut tales revera simus, quales videri cupimus, omnemque fucum & fictionem sedulo fugiamus, cum & in Christo sit αλήθεια, Eph.IV,21 conf. & apocal.XXII,15." 183 Vgl. ID 11,1,15, Α.3, 285: "verus christianus non est, qui saltern talis videtur, quemadmodum nec vera cognitio, aut vera fides, aut vera virtus dici potest, nisi & cognitio, & fides, & virtus revera talis sit, qualis esse debebat. Qui ergo sapit, hoc vel maxime sibi datum credit, ne inani specie aut umbra, aut se ipsum, aut alios quoque homines fallat." 184 ID 11,1,15, 284: "Et ita ... Deus verus est, ... essentia Deo debita gaudens". Vgl. dazu die Erläuterung in A . l : "Hanc namque veritatis metaphysicae, de qua hie nobis sermo est, notionem constituere solent. Eodem redit, quod alii dicunt, veritatem (metaphysicam) esse, qua quid revera id est, quod esse dicitur. Qua quidem ratione, ut quodlibet ens revera exsistens, verum est, ita multo magis, Si eminentissimo quidem modo, Deum verum dicendum, sua sponte intelligitur. Immo Platonici, ut Deum solum ens, solumque bonum, ita & solum verum dicendum esse, censebant, reliquae autem omnia umbras saltern, & imitamenta veritatis esse." 185 Vgl. zu Platon ID 11,1,15, 284. Calov, Systema 11,5-7, 278ff. hat ebenfalls Einheit bzw. Einfachheit, Wahrheit bzw. Unveränderlichkeit und Güte bzw. Heiligkeit Gottes als Eigenschaften erster Ordnung bestimmt. Er setzt aber die allgemeinen Eigenschaften der Vollkommenheit, Majestät und Glückseligkeit in 11,4, 221ff. voraus. Buddeus dagegen bestimmt diese Eigenschaften als Zusammenfassung der Erhebung zum Begriff Gottes als des unabhängigen Geistes. 186 Calov behandelt dagegen als Eigenschaften zweiter Ordnung die Unermeßlichkeit und Ewigkeit Gottes, durch die die Unendlichkeit Gottes prädiziert wird, vgl. Systema 11,8, 379. Erst im Anschluß daran wird dann mit den Eigenschaften der dritten Ordnung das geistige Wesen Gottes durch Unsterblichkeit, Leben, Intellekt und Wille beschrieben (Systema 11,9, 433). 317

Form gegeben, da dieser nicht nur die materielle Zusammensetzung, sondern auch die begrifflichen Distinktionen zwischen Essenz und Existenz, Substanz und Attribut sowie Akt und Potenz übersteige. 187 Aus der Simplizität oder Einfachheit resultieren dann nach Buddeus als weitere natürliche Eigenschaften des Geistes seine Unveränderlichkeit und Unsterblichkeit. 188 Die Unveränderlichkeit des göttlichen Geistes habe dabei darum als absolute zu gelten, weil sie im Unterschied zum endlichen Geist nicht nur auf das göttliche Erkennen, sondern auch auf den göttlichen Willen bezogen werden müsse. 189 Das Prädikat der Unsterblichkeit gebühre Gott insofern in besonderer Weise 190 , als er in 1. Tim 6,16 als das Prinzip des Lebens beschrieben werde. 191 Da mit den Prädikaten der Einfachheit, Unveränderlichkeit und Unsterblichkeit nunmehr der wesentliche Unterschied Gottes zu den nicht geistigen Geschöpfen prädiziert ist, kann Buddeus im nächsten Schritt die positive Bestimmung der höchsten Vollkommenheit Gottes als Geist entwickeln. Sein Gedankengang geht dabei aus von der Lebendigkeit des Geistes 192 und mündet in den theistischen Gottesbegriff. Denn im Einklang mit der altprotestantischen Tradition führt Buddeus die geistigen Lebensvollzüge, in denen sich die Lebendigkeit des Geistes manifestiert, auf Intellekt und Willen zurück. 193 Obwohl der theistische Gottesbegriff auf diese Weise faktisch als Voraussetzung der Rede vom Handeln Gottes in der 187 ID 11,1,17, 286. Die Simplizität Gottes übertrifft die der endlichen Geister darin, daß es in Gott keinen Unterschied zwischen Essenz und Existenz, Substanz und Akzidenz und Akt und Potenz gibt (siehe ebd. A.l). 188 Siehe dazu ID 11,1,18, 287. 189 Die in der Prädestinationslehre eingesetzte Unterscheidung des göttlichen Willens in vorangehenden und nachfolgenden stehe hierzu nicht in Widerspruch, da sie nicht als Willensänderung zu verstehen sei. "Voluntatem Dei immutabilem esse, hic innuitur. Nec obstat, quod voluntatem divinam aliam faciamus antecedentem, consequentem aliara, uti deinceps dicetur. Id enira obiecti saltem mutationem indicat, ex qua nulla in ipsa voluntate divina sequitur mutatio" (ID 11,1,18, 288 A.2). 190 ID 11,1,18, 287. 191 Vgl. ID 11,1,18, 287 und ID 11,1,19, 288: "Generatim autem considerata [sc. vita; Vf.], vel principium operationum vitalium, vel operationes vitales ipsas denotat. Utroque modo de Deo recte dicitur, sed ita, ut operationes vitales de ipso principio testentur; idque iterum eminentissima quadam ratione, cum ipse fons sit omnis vitae, res autem creatae vitam non a se ipsis, sed tantum a Deo habeant; ... Hoc vero tum demum nobis proderit, si Deum revera ut vivum agnoscamus, ab eoque solo, seu fonte, omnem vitam, naturalem pariter ac spiritualem exspectemus". 192 Gott ist in seiner Geistigkeit nicht nur lebendig, sondern er ist als das Prinzip des Lebens das Leben schlechthin und mithin Ursache aller natürlichen und geistigen Lebensvollzüge. Dennoch interessiert der Begriff des Lebens in der Eigenschaftslehre nur in spezifischem Sinne als Bezeichnung des Ursprungs der geistigen Lebensvollzüge. Buddeus rechtfertigt diese Einengung des Gebrauchs ID 11,1,19, 288 A.l durch die Behauptung, daß die "vita, quae & intellectualis dicitur", im Unterschied zum Leben der Pflanzen und Tiere "longe nobilissima" sei. 193 ID 11,1,20, 289: "Operationes vitales spirituum ex intellectu illorum atque voluntate maxime agnoscuntur." Vgl. zur altprotestantischen Tradition zum Beispiel Calov, Systema 11,9, 437 sowie Quenstedt, Systema 1,8,24, 416. 318

Schöpfungslehre erscheint, ist er doch nicht zur Erklärung der Rede v o m Handeln Gottes gebildet. E r verdankt sich vielmehr der spezifischen Struktur der natürlichen Gotteserkenntnis, die die Erhabenheit und Vollkommenheit des göttlichen Wesens nur in Uberbietung der geschöpflichen Vollkommenheit zu bestimmen vermag. Die Inadäquanz dieses Konzepts v o m göttlichen Geist wird von Buddeus besonders nachdrücklich betont, ohne daß allerdings damit den Mißverständnissen und Problemen 1 9 4 , die der theistische Gottesbegriff auf sich ziehen mußte und denen er bis heute ausgesetzt ist, hinreichend entgegengewirkt würde. Im Zuge seiner Beschreibung der Vollkommenheit Gottes als Geist benennt Buddeus als das erste Prädikat die Allwissenheit, in der Gott von Ewigkeit her nicht nur sich selbst, sondern auch alles außerhalb seiner selbst adäquat erkenne. 1 9 5 Die Allwissenheit schließe mithin das Vorherwissen 1 9 6 nicht nur der im Ursachzusammenhang notwendigen, sondern ebenso aller kontingenten Ereignisse ein 1 9 7 , und vollziehe sich - anders als die menschliche Erkenntnis, die an die Ausbildung von Ideen gebunden sei - in einem einzigen A k t der Intuition. 1 9 8 In der Allwissenheit ist für Buddeus ferner die Vollkommenheit der göttlichen Weisheit als der Fähigkeit der Unterscheidung zwischen Gut und Böse 1 9 9 begründet, die wiederum für die absolute Freiheit des göttlichen Willens vorausgesetzt ist. 2 0 0 Der Wille Gottes müsse außerdem allmächtig gedacht werden, insofern Gott im Unterschied zum endlichen Geist in uneingeschränkter Weise das realisieren könne 2 0 1 , wozu 194 Schon Spinozas' Gegenentwurf zur theistischen Gotteslehre und das von Leibniz formulierte Theodizeeproblem setzen den theistischen Gottesbegriff als die zentrale Aussage der christlichen Lehre von Gott in jeweils unterschiedlicher Weise voraus. 195 ID 11,1,20, 290: "Nimirum Deus ab omni aeternitate non tantum se ipsum, sed res quoque extra se, omnesque actiones, & suas, & alienas, adcurate, secundum cuiusque rei aut actionis naturam, & indolem cognoscit". 196 Vgl. die ausführliche Erklärung der Präszienz in Abgrenzung von Ciceros Verständnis der Vorhersagen von heidnischen Orakeln ID 11,1,22, A.1.2, 292-295. 197 ID 11,1,22, 291. Das Interesse richtet sich dabei auf die Verbindung der Allwissenheit Gottes und der menschlichen Willensfreiheit. Buddeus hält unter diesem Gesichtspunkt die von Petrus Fonseca geprägte Lehre vom sogenannten mittleren Wissen für ein notwendiges Moment der Explikation des göttlichen Vorherwissens, vgl. ID 11,1,22, 295f. A.3 und E P T VI,4,15, 374. 198 ID 11,1,23, 299: "Α modo scientiae divinae si omnem removeamus imperfectionem, fieri aliter nequit, quam ut uno, eodemque simplicissimo actu, omnia intueatur. Cum enim homines per ideas aliquid cognoscunt, id quidem necesse est, quoniam nulla alia ratio est, obiecta quam plurima, quae mens ipsa non attingit, illi ut praesentia sistendi: quibus adeo Deus, utpote cui omnia intime praesentia sunt, non indiget. Successio porro idearum, vim mentis suis limitibus circumscriptam, arguit, Deoque adeo plane est indigna: quod multo magis de idearum, tum in iudiciis, tum ratiociniis, comparatione dicendum." 199 ID 11,1,25, 301. 200 ID 11,1,27, 303. 201 Vgl. die Erläuterung der Allmacht ID 11,1,29, 313: "Cum nostra voluntate coniuncta est potentia quaedam, quod volumus, efficiendi, sed limitata valde, atque circumscripta: Deus autem, quidquid possibile est, & cum summa eius perfectione non pugnat, efficere etiam potest: recteque adeo omnipotens dicitur, Matth. XIX,26. Luc. 1,37. II. Cor. VI,18."

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er sich in seinem Willen bestimme 202 . Anders als der menschliche Wille sei der göttliche Wille auch nicht durch Affekte bestimmt. 203 Daher können die Eigenschaften des Willens, die Buddeus als moralische Eigenschaften von den bisher genannten physischen Eigenschaften des Geistes unterscheidet, in vollkommener Weise von Gott prädiziert werden. Im Rekurs auf die in den Evangelien festgehaltene Verkündigung Jesu und in Entsprechung zur augustinisch-reformatorischen Tradition 204 bestimmt Buddeus schließlich die Liebe als den Inbegriff aller moralischen Qualitäten Gottes als Geist. 205 Die in der Gotteslehre üblicherweise genannten moralischen Prädikate der Heiligkeit 206 , Gerechtigkeit 207 , Wahrhaftigkeit 208 , Gnade, Güte und Barmherzigkeit 209 interpretiert er sonach als Modifikationen der Liebe, die aus der Diversität dessen resultierten, auf das sich die Liebe als das Streben nach dem Guten 210 jeweils beziehe. 211 Im Unterschied zur menschlichen Liebe müsse sich aber die Liebe Gottes zuerst auf ihn selbst als das höchst Vollkommene richten. Darin sieht Buddeus die Heiligkeit Gottes begründet 212 , die in ihrer Unveränderlichkeit gerecht und wahrhaft ist und die ihre äußerste Spitze in der Überwindung des Gegensatzes der Sünde durch Gnade, Güte und Barmherzigkeit erreiche 213 . So explizieren in der Konzeption von Buddeus die Modifikationen der göttlichen Liebe die Liebe Gottes solchermaßen, daß der menschliche Intellekt über sie hinaus keine größere zu denken vermag. 202 203 204 205

206 207 208 209 210

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Zur Selbstbestimmung des Willens siehe ID 11,1,28, 306. ID 11,1,32, 321f. Siehe den Verweis auf Luther ID 11,1,34, A.3, 324. ID 11,1,33, 322. Vgl. ID 11,1,34, 323: "Summa omnium virtutum, quae in hominibus aut angelis conspiciuntur, aeque ac summa ipsius legis, consistit in amore·, Matth.XXII,37,39. Pari ratione & de Deo, sed remota iterum omni imperfectione, dici potest, virtutum omnium summam amorem eius complecti." ID 11,1,36, 325. ID 11,1,37,326. ID 11,1,38,330. ID 11,1,39, 331f. Vgl. die Definition der Liebe durch die "constanti ad bonum propensio", welche zugleich die allgemeine Definition der Tugend ist, ID 11,2,34, 323. Der Ausdruck 'amor' kann daher für Buddeus keinen Affekt bezeichnen. ID 11,1,35, 324: "Reliquae, quae Deo tribuuntur, virtutes, si rem adcurate ponderes, nihil aliud sunt, quam amoris istius purissimi, sanctissimique velut quaedam modificationes, quae pro obiectorum diversitate diversas quoque sortiuntur denominationes." Vgl. auch ID 11,1,34, A.1,323. ID 11,1,35, 324: "Intelligendum hoc est de amore, quo Deus se ipsum modo longe perfectissimo, & res etiam a se creatas, ordine, quem res ipsa postulat, observato, amat. Superiorem enim quem amet, non habet: quo ipso ingens, quod inter eius, & hominum aut angelorum amorem intercedit, discrimen innotescit." Daraus folgt für Buddeus ID 11,1,36, 325: "Nimirum, quando Deus se ipsum amore purissimo amare concipitur, ut simul ab omni imperfectione remotus, secretus, se paratus censeatur, amor ille vocatur sanctitas." ID 11,1,39, 331: "Intuitu rerum creatarum, speciatim hominum, & quidem lapsorum, si amor hicce divinus consideretur, subinde non tantum in scriptura sacra celebratur, sed magnitudo eius ita extollitur, ut vim omnem fere humani intellectus superet".

In einem letzten Schritt ist die Vollkommenheit Gottes als Geist im Vergleich mit dem endlichen Geist durch die Bestimmung der Independenz214 festzuhalten. Denn nur unter der Bedingung der Independenz des Geistes kann die im Ausgang vom endlichen Geist projizierte geistige Vollkommenheit Gottes als absolute behauptet werden. Die Independenz des absoluten Geistes bestimmt Buddeus wie die Wittenberger Theologie zuerst durch die Unendlichkeit 215 , verstanden zunächst als Negation der Begrenztheit geschöpflicher Vollkommenheit. 216 Gegen Sozinianer und Arminianer betont Buddeus außerdem, daß die Bestimmung der Unendlichkeit nicht nur als Negation der dem menschlichen Intellekt erkennbaren Unvollkommenheit 217 , sondern als die alle menschliche Vorstellungskraft übersteigende Unbegrenztheit gedacht werden müsse. Daher treffe Hobbes' Behauptung, im Begriff der Unendlichkeit erfasse die Seele nur ihre eigene Unvollkommenheit, ohne daß deshalb etwas seinem Wesen nach Unendliches in uns wäre, nicht zu. Denn obwohl die Unendlichkeit Gottes vom endlichen Intellekt nicht durchgängig bestimmbar und mithin nicht vollständig erkennbar sei, müsse doch das Unendliche als unbegrenzt gedacht werden. Der Begriff der Unendlichkeit enthalte mithin nicht nur die Bestimmung der Negation des Unvollkommenen, sondern zugleich die Bestimmung der Unbegrenztheit der Vollkommenheit. Darin sei er mehr als nur ein endlicher Begriff der Seele von ihr selbst.218 214 ID 11,1,40, 333f.: "Superest altera attributorum divinorum classis, quae ex conceptu independence fluunt, Deumque supra omnes res creatas quam longissime positum, demonstrant." 215 Die notio inßnitatis ist nach Buddeus in der notio independentiae impliziert, weil Gott in seiner Aseität nicht nur unabhängig von Ursachen sein müsse, sondern auch von Grenzen jeder Art. Daraus folge, daß die Unabhängigkeit der Unendlichkeit nicht vorangehe, siehe ID 11,1,40, 334 u. A.3. 216 Siehe ID 11,1,40, 334: "Rebus enim creatis hoc proprium est, quod certos essentiae suae, atque perfectionum terminos seu limites habeant; quibus cum Deus destituatur, infmitus recte dicitur; conf. & psalm.CXLV,3. it. CXLVII,5. Id enim non tantum ratione caussae, sed δί ratione finium, seu limitum, quibus essentia aliqua circumscribitur, est intelligendum, cum Deus ab his non magis quam ab illa dependeat." Siehe auch ebd. A.2: "Loquimur hic de infinitate essentiae, ex qua infinitas etiam attributorum, seu perfectionum divinarum, sua sporne fluit; quemadmodum, vice versa, ex attributorum infinitate probatur, ipsam essentiam divinam esse infinitam." 217 Vgl. ID 11,1,40, 334 A.2: "Neque eo tantum sensu Deus infinitus est, quod nullos, quibus circumscribatur, habeat terminos, sed etiam, quod nullis terminis sivi limitibus circumscribi queat." Dies sei in der traditionellen Bestimmung der Unendlichkeit Gottes, wonach er "non tantum privative, sed &C negative infinitum esse", bereits enthalten. "Denique, non tantum ratione nostri Deus infinitus est, eo quod essentiam, atque attributa eius mente nostra comprehendere nequeamus, sed quod revera essentia eius, omnes omnino limites atque terminos respuat." 218 Buddeus bezieht sich in seiner Auseinandersetzung mit Hobbes auf de cive, C.15, p.14. und entgegnet ihm ID 11,140, 334 A.2: "Verum, etsi rem infinitam plene concipere nequeamus, aliquid tarnen de ea concipimus; & licet vox infinitum aliquid neget de Deo, simul tarnen summam illi tribuit perfectionem, neque id significat, nescire nos, an & ubi terminetur? sed potius, certo 8t clare nos scire, nullis eum, qua essentiam, qua reliquas perfectiones, circumscribi posse limitibus."

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Eingelöst w i r d diese Behauptung v o n Buddeus zunächst in der Auslegung der U n e n d l i c h k e i t d u r c h die B e s t i m m u n g der A l l g e g e n w a r t G o t t e s als des unabhängigen Geistes. A u s d e r U n e n d l i c h k e i t folge n ä m l i c h - da das göttliche W e s e n nicht r ä u m l i c h begrenzt gedacht w e r d e n k ö n n e - die U n e r m e ß l i c h k e i t 2 1 9 , die in Beziehung auf die G e s c h ö p f e die A l l g e g e n w a r t impliziere 2 2 0 . D i e A l l g e g e n w a r t G o t t e s d ü r f e als Folge der U n e r m e ß l i c h k e i t dabei j e d o c h nicht auf die A l l m a c h t G o t t e s b z w . auf sein providentielles H a n d e l n reduziert w e r d e n , s o n d e r n sei als substantielle A n w e s e n h e i t G o t t e s bei allen G e s c h ö p f e n 2 2 1 zu d e n k e n . 2 2 2 Dieser Begriff der A l l g e g e n w a r t verbietet es Buddeus w i e s c h o n J o h a n n G e r h a r d 2 2 3 , die v o n Justus F e u e r b o r n aufgestellte u n d n o c h v o n H o l l a z in m o d i f i z i e r t e r W e i s e v e r t r e t e n e 2 2 4 These einer besonderen A n w e s e n h e i t des göttlichen W e s e n s bei den Seelen der F r o m m e n zu u n t e r s t ü t z e n . D e n n u n t e r der Voraussetzung der A l l g e g e n w a r t als substantieller A n w e s e n h e i t m u ß G o t t als allen G e s c h ö p f e n gleichermaßen gegenwärtig gedacht w e r d e n . 2 2 5 219 ID 11,1,41, 335: "Sequitur inde, quod Deus nullis quoque locorum terminis circumscribi atque includi possit, adeoque sit immensus, seu ille, qui caelum & terram implet, lerem. XXIII,24. conf. 8C Ephes. 1,23. Immensitas autem haecce intuitu rerum creatarum, quibus Deus praesens est, spectata, omnipraesentia dicitur; psalm. CXXXIX, 7. seq." 220 "Nihil itaque aliud est omnipraesentia Dei, quam ipsa eius immensitas, cum relatione ad res creatas, quibus praesens est." Daraus folgt, daß Gott vor der Schöpfung nicht im aktuellen Sinne als omnipräsent gedacht werden kann, ID 11,1,41, A.2, 336. 221 "Denique & hoc ex immensitate Dei fluit, eum rebus creatis omnibus praesentem esse" (ID 11,1,41, 335f. A.l). 222 ID 11,1,41, 336 A.2. Gegen die Beschränkung der Allgegenwart auf die göttliche Macht und Providenz habe Philipp Limborch zurecht darauf hingewiesen, "si de potentia atque scientia Dei hoc concedatur, de ipsa eius essentia negari non posse, cum scientia atque potentia neutiquam diversum quid sit ab ipsa essentia, neque potentia Dei alicubi concipi possit, quin & ibi essentia Dei concipiatur". Vgl. Limborch, Theologia christiana 11,6,3, 58. 223 Vgl. Gerhard, Loci 11,8,183.184, 327f. zum Begriff der Allgegenwart und Loci 11,8,188, 329f. zur Frage, "an specialis ilia Dei in sanctis habitatio et propinquitas praeter specialem operationem gratiosam etiam ipsius essentiae specialem approximationem inferat." Gerhard bestreitet nicht, daß Gott in den Glaubenden anders tätig ist als in denen, die nicht glauben, aber er führt dies nicht auf einen unterschiedlichen Grad der Anwesenheit, sondern auf die Providenz zurück. 224 Hollaz zählte im Unterschied zu Buddeus die Allgegenwart Gottes zu den operativen Eigenschaften Gottes, durch die Gottes Fähigkeit bezeichnet werde, nicht nur durch die propinquitas substantiae, sondern auch durch operatio efficax allen Geschöpfen präsent zu sein. Er differenzierte die Allgegenwart ferner in eine allgemeine, durch die Gott allen Geschöpfen präsent sei, in eine besondere, durch die er den Glaubenden in diesem und den Engeln und Seligen im ewigen Leben gegenwärtig sei, und in eine einzelne und hypostatische, durch die die ganze Fülle der Gottheit Christus einwohne. Dabei ist die allgemeine Gegenwart Gottes Voraussetzung seiner gnädigen Gegenwart; beide Formen begründen die hypostatische Gegenwart Gottes, siehe Hollaz, Examen 1,1,47, 391f. obs.l und 2. 225 ID 11,1,41, 338 A.2: "Contra, qui secus sentiunt, illud maxime urgent, quod omnipraesentia, in se spectata, ipsa Dei sit immensitas, qua rebus creatis omnibus intime praesens est. Quae quidem adessentia cum ita comparata sit, ut non recipiat magis & minus, dici etiam non posse, quibusdam Dei essentiam propius adesse, quam aliis." Nach Joh 14,23 wohne Gott zwar in den Herzen der Heiligen, aber diese Aussage sei nicht auf die göttliche Allgegenwart, sondern auf die operationes divinae gratiae zu beziehen. ID 11,1,41, 337 A.2: "Hinc &c, quando 322

Da die Unbegrenztheit Gottes schließlich auch als zeitliche Unbegrenztheit gedacht werden müsse, läßt Buddeus dem Prädikat der Allgegenwart das Prädikat der Ewigkeit folgen. Unter Voraussetzung der Allgegenwart Gottes bei allen Geschöpfen könne die Ewigkeit Gottes aber nicht durch den reinen Gegensatz zur Zeit begriffen werden. Es handele sich vielmehr um die nicht durch Anfang und Ende begrenzte permanente Dauerhaftigkeit, die jedoch im Unterschied zur geschöpflichen Dauer keiner Abfolge und keinem Wechsel unterliege, wie Buddeus unter Berufung auf die platonische und neuplatonische Tradition geltend macht. 226 Denn während Gottes Handeln nach außen nicht ohne Abfolge vorgestellt werden könne, müsse das sukzessive Moment im Blick auf das immanente Handeln Gottes ausgeschlossen werden. 227 Die durch die bisher genannten Eigenschaften erreichte Bestimmung des göttlichen Wesens als spiritus independens faßt Buddeus am Schluß seiner Eigenschaftslehre in dem Prädikat der aus der absoluten Vollkommenheit Gottes resultierenden höchsten Glückseligkeit Gottes zusammen. 228 Im dreistufigen Schema der Eigenschaftslehre ist Gott also als unabhängiger Geist so bestimmt worden, daß er als der Grund der Einheit, Güte und Wahrheit aller Geschöpfe die nicht geistigen Geschöpfe durch seine Einfachheit, seine Unveränderlichkeit und seine Unsterblichkeit und den endlichen Geist durch die Vollkommenheit seines Erkennens und Wollens übersteigt und in seiner Unendlichkeit, Unbegrenztheit und Ewigkeit von der geschöpflichen Welt unabhängig ist. Der so gewonnene Begriff Gottes expliziert zum einen die Voraussetzung der Vorstellung von der universalen providentiellen Erhaltung und Mitwirkung Gottes in der Welt und bezeichnet darin zugleich den Gegenstand der Anbetung. Zum anderen soll mit der Eigenschaftslehre jedoch auf die Insuffizienz der natürlichen Gotteserkenntnis hingewiesen werden. Denn in formaler Hinsicht ist der Begriff Gottes als unabhängiger Geist durch seine Bindung an die Vielheit der Eigenschaften Deus in cordibus sanctorum habitare, cum iis uniri, & specialiori adeo ratione quadam ad eos accedere dicitur, ut loan. XIV, 23. id non de nova essentiae divinae accessione, aut adproximatione, uti loqui solent, cum iam ceteroquin Deus rebus creatis omnibus, adeoque piis pariter ac impiis hominibus, sua essentia intime praesens sit, sed de operationibus gratiae divinae intelligendum esse, praestantissimi ecclesiae nostrae theologi adserunt." 226 ID 11,1,42, 338f. A.2: "Duo itaque ad aeternitatem, prouti Deo tribuitur, requiruntur: alteram, quod nec initium nec finem habeat, immo, habere nequeat; alteram, quod omnis successionis, hinc & mutationis Sc vicissitudinis sit expers." Buddeus rekurriert auf die bei Dionysius Petavius in seiner dogmatischen Theologie (1,3,4, 138) gesammelten Zeugnisse von Piaton, Proklos und Plotin, in denen er seinen Gedanken einer permanenten Duration ohne innere zeitliche Abfolge unterstützt findet. 227 ID 11,1,42, 340 A.2: "Omnem autem dum ab aeternitate Dei removemus successionem, id de duratione Dei, in se spectata, intelligimus. Intuitu enim reram creataram si consideretur, nihil obstat, quo minus per voces, successionem quamdam denotantes ... Actiones enim externae, ut creatio mundi, quin incipere ac desinere possint, adeoque successionem quamdam admittant, nullum prorsus est dubium". 228 ID 11,1,43,341 u. 342 A.l.

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inadäquat. U n d seine inhaltliche Insuffizienz zeichnet sich darin ab, daß die Glückseligkeit Gottes zwar in absolutem Sinne als aus der unendlichen Vollkommenheit folgend, aber nicht in relativem Sinne bestimmt werden kann, weil sich in der Eigenschaftslehre keine Erkenntnis darüber erreichen läßt, inwiefern Gott der Grund der Glückseligkeit des Menschen ist. c) Zur Kritik an Spinozas Verständnis der Freiheit Gottes D a Buddeus mit seiner Konzeption der Eigenschaftslehre die Bestimmung Gottes als des unabhängigen Geistes entwickelt, könnte diese zwar als Gegenentwurf zur spinozistischen Gotteslehre insgesamt gelesen werden. Sie wendet sich jedoch speziell gegen das in Spinozas Gleichsetzung Gottes mit der Natur implizierte Verständnis der Freiheit Gottes, weil dieses nach der Uberzeugung von Buddeus de facto zu einer Leugnung Gottes führt. 229 Da nämlich Spinoza Freiheit nur durch den Gegensatz zum Zwang bestimmt 2 3 0 und daher den frei genannt habe, der völlig unabhängig von jedem Zwang durch sich selbst existiere, sei er zu der Auffassung gelangt, daß die Freiheit Gottes nicht im freien Beschluß, sondern in der freien Notwendigkeit bestehe. Diesen Begriff der Freiheit hält Buddeus für unvollständig, weil darin das Moment der Indifferenzfreiheit nicht einbezogen sei. Schon in der Moraltheologie hatte Buddeus die einseitige Definition der Freiheit als Abwesenheit von äußeren Zwängen, die er unter anderem bei dem Jenaer Theologen Friedemann Bechmann antraf, abgelehnt und in Ubereinstimmung mit Samuel Pufendorf den Gedanken der Indifferenzfreiheit unterstützt. Denn die Abwesenheit von Zwang sei zwar die Voraussetzung freien Handelns, aber sie sei keine ausreichende Bestimmung des freien Willens, der den vernunftbegabten Wesen im Unterschied zu einfacheren Lebewesen zugeschrieben werde. 231 Der freie Wille der vernünftigen Wesen, welcher als die Fähigkeit der Selbstbestimmung verstanden werde, setze vielmehr eine gewisse Indifferenz hinsichtlich der entgegengesetzten Wahlmöglichkeiten voraus. 2 3 2 Daher sei die Indifferenzfreiheit als Fähigkeit der Selbstbestim229 Siehe zur Auseinandersetzung mit Spinoza ID 11,1,27, 304f. A . l . Vgl. außerdem die Darstellung der Position Spinozas in T A S 1,26, 163ff. sowie die 'Dissertatio de Spinozismo ante Spinozam'. Zum Freiheitsbegriff Spinozas siehe Spaemann, H W P 2, 1972, 1190. 230 So mit Bezug auf Epist. 62, p.584, vgl. ID 11,1,27, 304ff. 231 Vgl. Μ 1,1/4,11, 110: "In eo ergo consensus est, ad libertatem requiri externorum impedimentorum absentiam. Rursus tarnen nec id negari potest, bruta libere non agere, etsi per externum principium ad unum agendi modum determinentur. Ad libertatem itaque amplius quid requiritur: scilicet indifferentia ad opposita, aut si mavis, vis quaedam seipsum ad certum agendi modum determinandi. Rursus tarnen 8c id manifestum, eos, qui seipsos ad certum agendi m o d u m determinant, non carere libertate: qua proprie illi demum privantur, qui a principio alieno, sive in eodem subiecto, sive extra illud existente, ad certum agendi modum determinantur." 232 Siehe ID 11,1,42, 305 A . l ; vgl. Μ 1,1/4,11, 110. Siehe ebenso die Definition der Freiheit in der Urstandslehre ID 111,1,5, 707 A . l : "Libertatem intelligo, non tantum a coactione, quia

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mung notwendig auch in der Beschreibung der Vollkommenheit des göttlichen Willens zu thematisieren. 2 3 3 In der Gotteslehre von Buddeus erfährt der Begriff der Indifferenzfreiheit dabei jedoch eine spezifische Auslegung. Denn unter der Voraussetzung der vollkommenen Güte Gottes betont Buddeus im Einvernehmen mit der altprotestantischen Theologie 2 3 4 , G o t t könne nicht nicht wollen, was seiner höchsten Vollkommenheit entspreche. 2 3 5 Die Freiheit Gottes sei nämlich gerade darin vollkommen, daß er sich, ohne äußerer Notwendigkeit zu unterliegen, für das Gute entscheide. Daher sei die Indifferenzfreiheit des Willens nicht als Gleichheit des Willens im Blick auf die verschiedenen Möglichkeiten 2 3 6 zu denken, sondern beinhalte die Neigung zum Guten 2 3 7 und sei darin auf die Erkenntnistätigkeit und die Urteilskraft des Verstandes angewiesen. So erscheint bei Buddeus wie bei Leibniz 2 3 8 die Weisheit als die

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voluntas hominis numquam cogi potest, sed etiam a necessitate, siquidem nec per internum, nec per externum principium, sive ad bonum solum, sive ad malum adstringeretur". Die vollkommene Freiheit des Menschen wird hier also nicht nur wie bei Gott in den Gegensatz zur äußeren, sondern auch zur inneren Notwendigkeit gesetzt. ID 11,1,28, 306f.: "libertatis huius ea vis est, & efficacia, ut divina voluntate se ipsam determinare queat, num agere hoc, an intermittere velit; ut vel ex ipsa mundi creatione patet. Nec obstat, quod Deus cuncta certo quodam ordine agat. Uti enim huncce ordinem agendi sapienter quidem, sed tarnen liberrime, sibi ipsi constituit, ita eidem neutiquam se prorsus adligavit, ut numquam ab eodem discedere queat; id quod in regno naturae vel ex miraculis constat." Vgl. zum Beispiel Quenstedt, Systema 1,8/1,28, 418, der die freie Selbstbestimmung des göttlichen Willens auf das, was Gott außerhalb seiner selbst wollen kann, bezieht: "Praecipuum voluntatis attributum libertas est, sed haec voluntati Divinae convenit ad extra; Omnia enim alia extra se Deus vult libere, ita ut possint etiam non velle. Pertinet itaque libertas ad voluntatem Dei non simpliciter, sed qua fertur ad alia extra se. Voluntas vero Dei de seipso, ad intra, naturalis, est Deo Sc simpliciter necessaria, qua Deus se & proprietates suas prorsus necessario vult non libere, ita ut non possit non velle aut aliter atque aliter velle, quod non derogat vel omnipotentiae vel beatitudini divinae, sed perfectionem & immutabilitatem Dei arguit." ID 11,1,28, 306: "In iis equidem, quae ad Deum ipsum spectant, non potest non ea velle, quae ispius summae perfectioni conveniunt; secus enim si res se haberet, non esset perfectissimus." Siehe hierzu ID 111,1,5, 707: "Ea enim indifferentia, quae aequilibrii vocatur, hic removenda est". In diesem Sinne ist auch die Willensfreiheit des Menschen im Urständ bestimmt worden. Bezöge man in einer die Aussagen von Buddeus weiterführenden Interpretation seines Freiheitsverständnisses das Moment der Indifferenz nicht mehr nur auf die Wahlmöglichkeiten, sondern auf den Willen selbst, so würde folgen, daß der göttliche Wille darin frei ist, daß er im Verhältnis zu seinem Wesen nicht indifferent ist, sondern sich zum Guten bestimmt hat und darum in seinem Verhältnis nach außen das Gute selbstbestimmt wählen kann. Hingegen wäre der menschliche Wille im Zustand der Sünde darum unfrei, weil er in umgekehrter Weise hinsichtlich seiner selbst indifferent und daher in seinem Verhältnis zu anderem von diesem bestimmbar ist. So ließe sich im Einklang mit dem Interesse der Sündenlehre die Indifferenz als Bestimmung menschlicher Willensfreiheit angeben, ohne doch als notwendige Voraussetzung freier Selbstbestimmung des Willens zu gelten.

238 Vgl. zum Verständnis der Freiheit bei Leibniz Rod, Geschichte VIII, 99. Leibniz hat zwar die Bestimmung der Freiheit als Indifferenz abgelehnt, sah aber wie Buddeus die mit der Weisheit verbundene Einsicht in das Gute als notwendige Bedingung der Freiheit an.

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notwendige Bedingung der adäquaten Realisierung des guten Willens. O b Buddeus die Indifferenzfreiheit wirklich als Selbstbestimmung des Willens auszulegen vermocht hat, kann hier zwar nicht diskutiert werden. Deutlich ist aber jedenfalls, daß es ihm gegen Spinoza um die Verteidigung eines Freiheitsverständnisses geht, welches die Selbstbestimmung des Willens an die Vernunft rückbindet, ohne dies als innere Determination des Willens zu denken. 239 Auf die wahre Konstitution dieser Fähigkeit, die der Mensch in seiner natürlichen Selbstwahrnehmung immer schon für sich in Anspruch nimmt 240 , zielt faktisch die Offenbarung Gottes, indem sie die Restitution der Gottebenbildlichkeit als im Einklang mit dem göttlichen Willen sich vollziehende Selbstbestimmung des Menschen begründet 241 . In der Auseinandersetzung mit Spinozas Deutung der Freiheit Gottes richtet sich darum die Bestimmung Gottes als Geist zugleich auf die Verteidigung der Denkmöglichkeit menschlicher Freiheit. d) Das Theodizeeproblem als Folge des theistischen Gottesbegriffs? Der gegen Spinoza verteidigte Begriff der Freiheit Gottes ist in der Konzeption von Buddeus eng mit dem theistischen Gottesbegriff verbunden. In dieser Verbindung bildet er gleichzeitig die Voraussetzung für die Erörterung des Theodizeeproblems bei Leibniz. Denn angesichts der vollkommenen Güte Gottes, seiner vollkommenen Weisheit und der allmächtigen Freiheit seines Willens stellt sich für Leibniz die Frage, wie Gott das Übel in der Welt zulassen kann. Angesichts dieser auf die christliche Lehre von Gottes Wesen und Eigenschaften bezogenen Fragestellung ist es auffallend, daß Buddeus die ihm von Leibniz her bekannte Theodizeeproblematik weder in der Lehre von Gottes Wesen und Eigenschaften, noch in der Lehre vom Schöpfungswerk Gottes diskutiert. Abgesehen von der - mit der bundestheologischen Deutung der Versöhnung faktisch unternommenen - konzeptionellen Reaktion auf das Theodizeeproblem findet sich eine explizite Auseinandersetzung mit dem Theodizeeproblem bei Buddeus nur in der Lehre von der Providenz. Denn im Zusammenhang der Lehre von der Mitwirkung Gottes in allen physischen und geistigen Bewegungen läßt sich die Frage 239 ID 11,1,27, 306 Α.2: "Et sane, si voluntatis libertate destitueretur, & interna quadam necessitate ad unicum agendi modum determinatus esset, intellectus llli parum prodesset, nulla quoque illi tribui posset sapientia, cum illud eligat, hoc fugiat; quinimmo, nulla Dei prae lapide aut bruto esset praerogativa, adeoque revera nullus esset Deus." 240 Buddeus führt hier der Struktur nach wieder das gleiche Argument wie bei der notitia Dei naturalis insita ID 11,1,27, 306 A.2: "Luculentissime autem ex ipsa hominis consideratione idem evincitur. Cum enim quilibet intime sibi conscius sit, si modo rite ad se ipsum attendat, se libertate quadam gaudere, nec ad unicum tantum agendi modum determinatum esse; sequitur, eo magis earn Deo tribuendam, quo praestantior eius, excellentiorque, prae rebus creatis omnibus, est natura." 241 Siehe zum Beispiel ID 111,2,35, 888.

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nach dem Ursprung des physischen und moralischen Übels, welches im Leiden und in der Sünde 242 erfahren wird, theologisch nicht mehr umgehen. In seiner Antwort bemüht sich Buddeus dabei um eine Interpretation des Übels, die eine Verursachung des Übels durch Gott konsequent ausschließt, ohne doch in Widerspruch zur Lehre von der universalen Mitwirkung Gottes in der Welt zu treten. Den Gedanken göttlicher Verursachung des physischen Übels versucht er auszuschließen, indem er wahrhafte Übel von solchen Phänomenen unterscheidet, die zu unrecht als Übel wahrgenommen werden 243 oder die nur in ihrer vorläufigen Wirkung, jedoch nicht hinsichtlich ihrer Zielbestimmung als Übel gelten können. 244 Wahre Übel seien dagegen solche, die nicht nur hinsichtlich ihrer Wirkung, sondern an sich selbst betrachtet Übel sind. Diese seien jedoch immer eine Folge des moralischen Übels 245 , welches wiederum als geistiger Vollzug betrachtet in keiner Weise unter der Mitwirkung Gottes geschehen könne. Denn die Rede von einer Mitwirkung Gottes in den Gedanken des Gottlosen wäre widersprüchlich. Die Sünde müsse vielmehr der Willensfreiheit des Menschen zugeschrieben werden. 246 Entsprechend habe man Gottes Mitwirkung bei den schlechten Handlungen nur auf die physische Bewegung beschränkt zu denken, die als solche indifferent

242 ID 11,2,44, 559 A . l . Vgl. Leibniz, Theodizee 1,21, 241; 111,251, 17. 243 Wegen der möglichen Fehleinschätzung bestimmter Phänomene als scheinbarer physischer Übel hält Buddeus die Beantwortung der damals erörterten Frage, ob es mehr Gutes als Schlechtes in dieser Welt gebe, für nicht nur sinnlos, sondern zugleich unmöglich. Leibniz hatte dagegen in der Einsicht, daß man vieler Güter erst dann gewahr werde, wenn sie einem fehlen, die Behauptung gewagt, "daß sogar in diesem Leben die Güter überwiegen, daß das uns Angenehme das Unangenehme übersteigt", und sah sich in dieser Uberzeugung durch eine ähnliche Äußerung von Descartes bestätigt, vgl. Leibniz, Theodizee 111,251, 15f. 244 Ähnlich wie Leibniz weiß auch Buddeus die meisten als Übel eingestuften Phänomene so zu interpretieren, daß in ihnen ein Schimmer der göttlichen Providenz erkennbar wird. ID 11,2,44, 556: "Multa denique mala nobis videntur, adeoque cum Providentia divina pugnare, quae rectius considerata, bona sunt, & providentiam vel maxime comprobant." So seien weder die Gifte, noch die Krankheiten noch auch staatliche Ordnungen eindeutig als Übel bestimmbar. Denn die Gifte seien als Teil der Schöpfung an sich betrachtet nicht als Übel zu bestimmen; auch könnten Krankheiten nicht als Übel gelten, da bestimmte "morborum genera ad sanitatem hominum conservandum sunt comparata, adeoque minime mala" (ID 11,2,44, 559 A . l ) . Durch staatliche Ordnungen verursachte Übel hingegen seien meist falsch wahrgenommen. "Imaginationis etiam, quod non negandum, in fingendis atque exaggerandis malis, ac calamitatibus, quibus se adfligi homines putant, mira est foecunditas." (ID 11,2,44, 559 A . l ) 245 ID 11,2,44, 560 A . l : "plurima tarnen adhuc remanere, quae in se spectata, revera mala sunt, hoc est, homines miseros reddunt, negari nequit. Sed cum ista mala physica ex moralibus, seu hominum peccatis, oriantur, facile iterum intelligitur, non Deo, sed hominibus ipsis eorum originem tribuendam, cunctaque ad primum peccati in orbem introitum redire". Siehe auch ID 11,2,51,574. 246 Siehe ID 11,2,44, 555f. und 559 A . l : "Hoc de malis physicis est intelligendum. Ad mala enim moralia quod attinet, uti semper mala sunt, ita eorum origo non a Deo, sed ab ipsis hominibus, &, qui hos astutia sua in praeceps dedit, infernali genio, est repetenda." 247 Vgl. ID 11,2,51, 575 A.2.

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In dieser Analyse reduziert Buddeus das Problem des der Güte, Allmacht und Gerechtigkeit Gottes zuwiderlaufenden Übels also faktisch auf das moralische Übel. Denn das physische Übel wird nur insofern als wahrhaftes Übel angesehen, als es durch den Menschen verschuldet und also auf eine moralisches Übel zurückführbar ist. In der Faktizität des moralischen Übels besteht somit das eigentliche Problem für die Theodizee. 248 Da die Sünde weder auf mangelndes gubernatorisches Handeln Gottes, noch auf die Natur des Menschen zurückgeführt werden könne 249 , ist für Buddeus eine Erklärung des moralischen Übels nur im Rekurs auf die Willensfreiheit des Menschen möglich. Durch diese Deutung der Übel ist das Theodizeeproblem zwar nicht gelöst. Bemerkenswert an Buddeus 1 Umgang mit dem Theodizeeproblem ist jedoch, daß er es nicht unter der Voraussetzung und im Zusammenhang des theistischen Gottesbegriffs thematisiert. Während Leibniz die Zulassung des Übels auf die vernünftig begründete Willensentscheidung Gottes für die beste aller möglichen Welten zurückführte, lehnt Buddeus es ab, das Problem unter diesem Gesichtspunkt zu diskutieren 250 . Darin zeigt sich, daß er das Problem im Rekurs auf den theistischen Gottesbegriff nicht für lösbar hält.

5. Gott in seiner

Offenbarung

Während die Eigenschaftslehre nach Buddeus nur eine inadäquate und insuffiziente Erkenntnis des göttlichen Wesens formulieren kann, führt die ausschließlich durch die Offenbarung Gottes in seinem Gnadenbund begründete Gotteserkenntnis, die im zweiten Teil der Gotteslehre behandelt wird 2 5 1 , zur adäquaten Wesenserkenntnis Gottes. 252 Anders als die Witten248 Siehe den eindrucksvollen Kommentar zu Leibniz' Theodizee ID 111,2,35, 890: "Parum etiam, ni fallor, ad rem facit, quod vir ille doctus de ingenti numero creaturarum felicium in stellis fixis, & magnis illis supra stellarum regionem spatiis, supponit. Esto enim, haec ita se habere, non posset tarnen Deus ab iniustitiae culpa absolvi, si vel unica creatura, sola voluntate creatoris, misera esset." 249 Wenn überhaupt von einer Zulassung des moralischen Übels geredet werden kann, dann nur unter dem Gesichtspunkt der weisen Regierung Gottes ID 11,2,51, 577 A.2: "Scripturae, ad quae provocavit, dicta, nihil aliud, quam permissionem, non exclusa sapientissima directione, indicare, antea ostendimus." 250 Obwohl Buddeus ID 111,2,35, 890 die Argumentation von Leibniz gegen Bayle ausdrücklich lobt, meldet er vorsichtig Bedenken an: "Quae G.G. LEBNITIUS eidem opposuit, satis quidem ingeniosa sunt. Nescio tarnen, an omnes probaturi sint, quod adserit, mundum, in quo malum nec morale, nec naturale est, non aeque perfectum esse, quam in quo utrumque deprehenditur." In 'De origine mali contra recentiorum quorundam hypotheses modesta assertio' von 1712 kritisiert er dagegen die Auffassung von Leibniz deshalb, weil dieser den Ursprung des Bösen "in ipsis veritatibus aeternis, in intellectu divino independenter a voluntate exsistentibus" gesehen habe, vgl. Miscellanea sacra III, 171. Siehe dazu Frank, Geschichte, Teil 2, 383. 251 Vgl. ID 11,1,45, 346ff.

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berger Theologen, die bereits die Lehre von Gottes Wesen und Eigenschaften als Teil der offenbarten Gotteserkenntnis eingestuft und die Trinitätslehre als die personale Beschreibung des göttlichen Wesens von der absoluten Betrachtung der Gotteslehre abgehoben hatten 2 5 3 , werden dagegen bei Buddeus Eigenschaftslehre und Trinitätslehre hinsichtlich des jeweiligen Erkenntnisgrundes unterschieden. 2 5 4 Für die Eigenschaftslehre setzt er den unter den Bedingungen des Werkbundes von der Vernunft erkennbaren Gottesbegriff voraus. D i e Trinitätslehre basiert hingegen auf der Wesensoffenbarung Gottes im Gnadenbund. Denn in der im Neuen Testament bezeugten Konstitution des Gnadenbundes habe sich Gott als derjenige offenbart, der in ein und demselben Wesen Vater, Sohn und Heiliger Geist ist. D a die Aneignung des göttlichen Gnadenbundes sich nach Buddeus nur durch die vollständige Erkenntnis Gottes vollziehen kann, zur vollständigen Gotteserkenntnis aber die Erkenntnis der Dreieinigkeit Gottes gehört 2 5 5 , muß die Dreieinigkeit Gottes als G r u n d der offenbarten Religion bestimmt werden. 2 5 6 In der Uberzeugung, daß das Eigentümliche der offenbarten gegenüber der natürlichen Gotteserkenntnis in der Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Geist zu sehen sei, behandelt Buddeus im Unterschied zur breiten altpro-

252 ID 1,1,33, 61 Α.2: " N e m o autem eum, qui solus verus Deus est, recte agnoscit, nisi qui eum ita agnoscit, prout se revelavit, adeoque, prout in una eademque essentia est pater, filius, & spiritus sanctus". Vgl. ID 11,1,44, 343: "Haec autem, aliquid adhuc addit, quod rationi ignotum prorsus atque occultum est, ens illud perfectissimum, quod Deum vocamus, esse patrem, filium, atque spiritum sanctum, eumque adeo, qui non adorat Deum, ut patrem, filium, atque spiritum sanctum, non verum, sed falsum adorare Deum". 253 Man unterschied gewöhnlich die Trinitätslehre als die relative Betrachtungsweise des göttlichen Wesens von der absoluten Betrachtungsweise der Gotteslehre, vgl. König, Theologia 1,75: "Consideravimus hactenus essentiam dei absolute, h.e. citra respectum ad tres personas. Sequitur nun consideratio relativa ad intra, quae circa illam ipsam essentiam divinam, quatenus ad tres distinctas personas refertur, occupatur" (zitiert nach Ratschow, Dogmatik 2, 82); siehe auch Quenstedt, Systema 1,8, 408ff. und 1,9, 456ff. Die Adjektive 'absolut' und 'relativ' werden bei König beide zur Kennzeichnung der essentia verwendet, so Ratschow, Dogmatik 2, 84. Dabei meint 'relativ' aber nicht, "daß die consideratio dei relativa den Erkenntnisakt quoad nos beinhaltet", sondern 'relativ' ist hier gleichbedeutend mit 'personal'. 254 Buddeus stellt zwar wie schon Baier, Compendium 1,1,28, 141 ff. die Trinitätslehre ohne Einschnitt zur Lehre von Gottes Wesen und Eigenschaften dar, während Calov, Quenstedt und Hollaz sie jeweils in einem eigenen Kapitel behandelten (vgl. exemplarisch Hollaz, Examen 1,2, 401ff.). Doch dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Unterschied zwischen beiden Lehrstücken bei Buddeus tiefer angesetzt ist als zuvor. So auch schon in Schmids Compendium 1,1,6, 60. Baier hingegen markiert den Wechsel des Erkenntnisprinzips zwischen Gottes- und Trinitätslehre nicht, vgl. Compendium 1,1,5, 117f. und 1,1,28, 14 lf. 255 Vgl. ID 11,1,1, 249 und A.2. 256 ID 11,1,45, 346: "Cumque mysterium hocce ad fundamentum religionis revelatae spectet, sine quo & foedus gratiae, per quod tantum hominibus post lapsum via ad salutem patet, sibi non constat..."

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testantischen Tradition 257 die Dreiheit der göttlichen Personen vor der Einheit des göttlichen Wesens. 258 Das biblische Zeugnis vom Wesen Gottes gewinnt dabei die Priorität vor der dogmatischen Terminologie. 259 Um dementsprechend die Lehre vom dreieinigen Wesen Gottes aus der Schrift zu entwickeln, interpretiert Buddeus in der damals üblichen Weise zwar zuerst bestimmte alttestamentliche Aussagen als Hinweise auf die Dreieinigkeit Gottes. 260 Als evident gelten ihm jedoch erst die neutestamentlichen Stellen, in denen Gott in seiner Einheit als Vater, Sohn und Geist beschrieben werde. 261 Aus den entsprechenden Schriftstellen (Mt 3,16.17; 28,19; Joh 14,16.23; 1. Kor 12,3; 2. Kor 13,13; A p k 1,4.5; 1. Petr 1,2.3; 1. Joh 5,7 262 ) rekonstruiert Buddeus die Erkenntnis des dreieinigen göttlichen Wesens in drei Schritten. 263 In einem ersten Schritt weist er darauf hin, daß die Schrift eindeutig die reale Unterschiedenheit des Vaters und des Sohnes sowie die reale Unterschiedenheit beider vom Geist lehre. Dies ergebe sich aus den 257 Die Trinitätslehre endet dort gewöhnlich mit der Einzelbeschreibung der trinitarischen Personen. Vgl. Hollaz, Examen 1,2,19-30, 432ff.: De Deo Patre; 1,2,31-41, 438ff.: De Deo Filio; 1,2,42-52, 473ff.: De Spiritu Sancto. Siehe auch Quenstedt, Systema 1,9/1,22-32.33-53.54-64, 471ff.475ff.486ff. 258 So auch Baier, Compendium 1,1,28, 141 ff. und Schmid, Compendium 1,1,6, 60. 259 Dies war in der altprotestantischen Theologie nicht selbstverständlich, wie zum Beispiel ein Blick in Hollaz' Examen lehrt. Hier wird vom Mysterium der heiligen Dreieinigkeit zuerst im Rekurs auf die kirchliche Trinitätslehre gesprochen. Nach der ohne jeden Schriftbeleg zusammengefaßten Lehre von der Dreieinigkeit (Examen 1,2,1, 401) erläutert Hollaz ausführlich die Terminologie der kirchlichen Trinitätslehre (Examen 1,2,3, 402ff.). In Examen 1,2,4-12 erklärt Hollaz dann die Begrifflichkeit des trinitarischen Dogmas, die, wiewohl sie nicht wörtlich in der Schrift zu finden sei, doch aus ihr abgeleitet werden könne (so Examen 1,2,2, 401). Erst unter der Voraussetzung der terminologischen Klärung geht es Hollaz um das biblische Zeugnis für die Dreieinigkeit Gottes (Examen 1,2,13-18, 410ff.). Diese Konzentration auf die Explikation der dogmatischen Formeln ist ein Ergebnis der verstärkten Bemühung um die Wissenschaftlichkeit der Theologie, wie sie sich vor allem in der Einführung der analytischen Methode abzeichnet. Der Locus de Trinitate von Johann Gerhard ist dagegen noch streng von Schriftaussagen her entwickelt. 260 261 262 263

ID 11,1,45, 347ff., bes. 351-353. ID 11,1,46, 353. Vgl. ID 11,1,46, 353-363. Vgl. ID 11,1,47, 363f.: "Ut vero eo rectius cuncta sibi constent, omneque eximatur dubium, observandum, scripturam sacram diserte & luculenter docere: I) patrem a filio, filium a patre, & ab utroque spiritum sanctum realiter differe, ut alius sit pater, alius filius, alius spiritus sanctus; II) non solum patrem, sed etiam filium, & spiritum sanctum, esse verum & aeternum Deum; III) nec tamen tres esse Deos, sed Deum unum." Vgl. zur Begründung des Verfahrens ID 11,1,47, 364 A . l : "Ut enim specialis trinitatis in una essentia divina demonstratio recte sibi constet, tria haecce evincenda sunt. Rem ipsam autem hic spectamus, prout in scriptura sacra exstat, & ad eius ductum planissime, simplicissime proponi potest. De terminis enim ecclesiasticis, quibus dogma hocce efferri solet, deinceps, postquam res ipsa extra controversiam posita fuerit". Siehe dagegen die Entwicklung des Gedankengangs bei Hollaz, Examen 1,2,1, 401: "Augustissimum venerandae Trinitatis Mysterium modo simplicissimo & pianissimo Idiotis traditurus ostendat (1) quod DEUS sit unus. (2) Quod unus DEUS sit Pater, Filius & Spiritus Sanctus. (3) Quod alius sit Pater, alius Filius, alius Spiritus Sanctus. (4) Quod Pater in aeternitate generet Filium, Filius ab aeterno a Patre sit genitus, Spiritus Sanctus a Patre & Filio procedat."

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N a m e n u n d aus d e n u n t e r s c h i e d l i c h e n A k t e n , d i e d e n P e r s o n e n z u g e s c h r i e ben w ü r d e n . 2 6 4 In e i n e m zweiten Schritt versucht Buddeus zu zeigen, daß nach der Schrift nicht nur der V a t e r 2 6 5 , sondern auch der S o h n 2 6 6 u n d der Heilige G e i s t 2 6 7 w a h r h a f t u n d ewig G o t t seien. I m dritten Schritt

demon-

s t r i e r t e r s c h l i e ß l i c h , d a ß die S c h r i f t V a t e r , S o h n u n d G e i s t n i c h t als d r e i G ö t t e r , s o n d e r n als d e n e i n e n G o t t b e s c h r e i b e . 2 6 8 D i e E r k e n n t n i s v o n V a t e r , S o h n u n d Geist rekonstruiert Buddeus dabei aus d e m

in der

Schrift

berichteten

Handeln

Gottes

in seinem

Gnaden-

b u n d . 2 6 9 D e n n aus d e r R e a l i s i e r u n g des G n a d e n b u n d e s lasse s i c h n a c h 2 . K o r 5 , 1 9 d e r V a t e r als d e r j e n i g e e r k e n n e n , d e r d i e W e l t in C h r i s t u s m i t s i c h v e r söhnt,

während

der Sohn

nach

1.

Tim

2,5

durch

seine

Mittlertätigkeit

b e s t i m m t sei u n d d e r G e i s t i n 2 . K o r 1 , 2 2 als das A n g e l d e r s c h e i n e ,

durch

d e n die G l a u b e n d e n d e r G n a d e G o t t e s g e w i ß w ü r d e n . 2 7 0 E r s t i m A n s c h l u ß a n diese R e k o n s t r u k t i o n des S c h r i f t z e u g n i s s e s , d i e d i e D r e i h e i t d e r E i n h e i t des g ö t t l i c h e n W e s e n s d a r s t e l l t , r e k a p i t u l i e r t B u d d e u s das t r i n i t a r i s c h e D o g m a . D i e B e s t i m m u n g des e i n e n W e s e n s in d e n d r e i P e r 264 Siehe ID 11,1,48,364. 265 Vgl. ID 11,1,49, 366f. A . l . 266 Die Gottheit des Sohnes sei in den dem Sohn in der Schrift beigelegten Namen, sodann in der Zeugung des Sohnes durch den Vater und schließlich vor allem in den Eigenschaften und Werken des Sohnes manifest. Außerdem komme dem Sohn nach der Schrift die gleiche Verehrung zu wie dem Vater, ID 11,1,49, 367-374. Zu den Werken des Sohnes innerhalb des regnum naturae gehört für Buddeus zuerst die Schöpfung, insofern der Sohn nach Joh 1,3; Kol 1,16; Rom 11,36; Hebr 1,2 u.ö. Schöpfungsmittler ist, was nach Kol 1,16.17 und Hebr I,3 auch die Beteiligung an der Erhaltung einschließe. Der Bestätigung der Gottheit des Sohnes dienen nach Buddeus schließlich auch die Wunder und die besondere Tugend und Autorität, durch die er seinen Ruhm und seine Ähnlichkeit mit dem Vater kundgetan habe, ID 11,1,49, 371 A.2. Zum Werk des Sohnes innerhalb des regnum gratiae vgl. ID Π,1,49, 372. 267 ID Π,1,49, 366.378-381. Zu den Eigenschaften, die dem Geist zukommen, gehört vor allem die omniscientia. Die Werke, die seine Gottheit bezeugen, sind im regnum naturae Schöpfung und Erhaltung, im regnum gratiae die illuminatio, regeneratio, sanctificatio, spiritualium collatio, ecclesiae constitutio, die Verkündigung durch Mose und die Propheten, die invocatio, aäprecatio, die Taufe auf seinen Namen und die verschiedenen Geistesgaben, die der Heilige Geist verleiht. 268 ID 11,1,50, 381: "Nec tarnen inde colligere licet, non unum, sed tres esse Deos, cum eadem haecce scriptura, quae tarn clare docet, & patrem, & filium & spiritum sanctum esse Deum, non minus luculenter & constanter adserat, unum tantum esse Deum." 269 Während Pufendorf aus dem Gnadenbund nur Schloß, daß das göttliche Wesen mehr als eine Person in sich befasse, beharrt Buddeus unter Berufung auf die entsprechenden Schriftaussagen entschieden darauf, daß "ipsa quoque trinitatis personarum ex hocce foedere elucescit", siehe ID IV,1,5, 917A.2. 270 ID IV,1,5, 917: "lam ad ipsum foedus gratiae quod attinet, primo in eo considerandae veniunt partes contrahentes, Deus scilicet, atque homines. Et Deus quidem hic ita spectandus, prout sapientiam, iustitiam, cumprimis autem bonitatem & misericordiam suam, modo longe eminentissimo, manifestavit. Sed & ipsae trinitatis sacrosanctae personae diversa ratione hic in censum veniunt: pater quidem, prout mundum in Christo sibi reconciliat; II.Cor.V,19. filius, prout unicus ille μεσίτης est, inter Deum & homines; / . T i m . I I , s p i r i t u s sanctus, prouti est αρραβων seu pignus illud, quo credentes de gratia atque favore Numinis certiores redduntur, lI.Cor.I,22. Unde simul patet, foedus hocce sine notitia mysterii trinitatis, sibi non constare." 331

sonen oder Hypostasen erscheint dabei jedoch nicht mehr als Hauptthema seiner Trinitätslehre, sondern fungiert lediglich als Zusammenfassung der in der Schrift eröffneten Erkenntnis des göttlichen Wesens 271 , welche geeignet sei, Fehlauffassungen auszumachen und abzuwehren. 272 Unter Berufung auf die von Nikolaus Hunnius entwickelte Lehre von den Fundamentalartikeln betont Buddeus daher, die Formel des trinitarischen Dogmas sei als solche kein heilsnotwendiger Glaubenssatz 273 , und befaßt sich mit der geschichtlichen Entwicklung und Deutung des altkirchlichen Dogmas nur noch in einer Anmerkung. 2 7 4 Erst in diesem Kontext wird auch der Personbegriff eingeführt. 275 Während Buddeus die Dreiheit von Vater, Sohn und Geist, wie oben gezeigt wurde, aus den biblischen Namen und Werken konkret bestimmt, kann er die Einheit Gottes zwar unter Berufung auf die durchgängige Rede von dem einen Gott in der Schrift geltend machen, aber nicht erklären. Denn die Versuche, die Einheit des göttlichen Wesens in Analogie zur Einheit der Seelenvermögen oder des menschlichen Intellekts zu denken, lehnt er entschieden als unsachgemäße Projektionen ab. 276 Auch den Gedanken der Perichorese führt er nicht zur Erklärung der Einheit des göttlichen Wesens in den drei Personen an. 277 Da Buddeus allerdings die altpro271 ID 11,1,51, 382: "Ut, quae scriptura sacra hac de re docet, breviter efferentur, & erroribus omnibus, qui facili irrepere negotio possunt, obviam iretur, placuit veteri ecclesiae, voces, essentia ac persona adhibere, usuque adeo receptum, ut tres in una essentia divina personae adserantur. Quem quidem merito retinemus loquendi modura, cum, si rem ipsam spectes, illud ipsum, quod scriptura sacra docet, rotunde, & sine ambagibus, insinuet, nec ulla praegnans ratio adferri queat, cur sit reiiciendus." 272 Vgl. ID 11,1,51, 382 und 391 A.2. 273 Der Häresievorwurf dürfe daher unter keinen Umständen nur aufgrund von terminologischen Differenzen erhoben werden, ID 11,1,50, 391: "Multo itaque minus existimandum, ad salutem prorsus necessarium esse, ut aliquis hasce voces profiteatur. Plurimi inter eruditos etiam sunt, qui illarum significationem ignorant; tantum abest, ut ab hominibus plebeiis, rudibusque litterarum, hoc exigi queat. His ergo, si rem ipsam teneant, salutem nemo denegabit." Buddeus bezieht sich dabei auf Nikolaus Hunnius, Epitome credendorum, c.4,88. 274 ID 11,1,51, 382-390 A . l . Baier hielt es aber im Unterschied zu Buddeus noch für nötig, die Terminologie der altkirchlichen Trinitätslehre im Haupttext seines Kompendiums zu erörtern, vgl. Compendium 1,1,33-34, 149. 275 ID 11,1,51, 382. Vgl. bes. die Analyse des lateinischen Personbegriffs ID 11,1,51, 389. Der Personbegriff könne materialiter zur Bezeichnung einer einzelnen, in sich vollständigen Substanz verwendet werden oder wie in der Trinitätslehre abstraktiv zur Beschreibung dessen, "quod sit naturae individuae, intellectualis ac incommunicabilis subsistentia, vel subsistendi ratio." Siehe ähnlich Hollaz, Examen 1,2,6.7, 404ff. 276 Vgl. ID 11,1,44, 343 A . l seine Kritik an den Versuchen derer, die "ex sola ratione, tres esse in divinitate υποστάσεις, demonstrari posse, existimarunt; argumento praecipue a mente humana desumto; in qua, cum praeter ipsam essentiam duae sint facultates, intellectus & voluntas, quae modo longe eminentiori Deo conveniant, concludunt inde, ex mentis nostrae consideratione cognosci posse, in Dei quoque essentia una tres esse υποστάσεις." Hierzu zählt Buddeus Bartholomäus Keckermann, Philipp Mornäus, Richard von St. Viktor und Duns Scotus. 277 So aber Hollaz, Examen 1,2,12, 409.

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testantische Bestimmung der immanenten Trinität durch die personalen Akte, Eigentümlichkeiten und Begriffe als Näherbestimmung der realen Unterschiedenheit der Personen aufnimmt278, deutet er unabsichtlich schließlich doch ein mögliches Verständnis der Einheit der Personen in ihrer Unterschiedenheit an. Im Bemühen um ein Verständnis der immanenten Trinität wurden in der altprotestantischen Trinitätslehre nämlich die personalen Akte der opera ad intra - also die Zeugung des Sohnes durch den Vater 279 und die Hauchung des Geistes durch Vater und Sohn 280 - hinsichtlich ihres Vollzuges als aktive Kommunikation des göttlichen Wesens bestimmt281. Aus den personalen Akten ergaben sich die realen Ursprungsrelationen der Vaterschaft, der Sohnschaft und des Hervorgangs bzw. der Hauchung des Heiligen Geistes.282 Anhand der personalen Akte und der Ursprungsrelationen konnten sodann die personalen Proprietäten als begriffliche Bestimmung der einzelnen Personen gefaßt werden. Denn der Vater unterscheidet sich nach diesem Verständnis vom Sohn und vom Geist durch seine Ungeborenheit; der Sohn unterscheidet sich durch sein passives Gezeugtsein vom Vater einerseits, durch die aktive Hauchung des Geistes vom Geist andererseits, und der Geist ist durch seinen passiven Hervorgang sowohl vom Vater als auch vom Sohn unterschieden.283 Versucht man diese Überlegungen für die Frage nach der Einheit des göttlichen Wesens in der immanenten Trinität auszuwerten, so könnten die Ursprungsrelationen als Grund der Einheit thematisiert werden. Problematisch wäre eine solche Deutung allerdings insofern, als die Vorstellung der immanent trinitarischen Ursprungsrelationen dem Verdacht des Subordinatianismus nicht zu entgehen vermag - eine Gefahr, die in der altprotestanti278 ID 11,1,52, 392: "Ad discrimen, quod inter personas divinas intercedit, paullo distinctius, quantum fieri potest, explicandum, observare solent, actus, proprietates, & notiones personales." Vgl. auch Baier, Compendium 1,1,37-43, 151-154. 279 Siehe hierzu ID 11,1,52, A . l , 393-395. 280 ID 11,1,52, A . l , 395-401, wo die Auseinandersetzung um das filioque kurz referiert wird. 281 Vgl. ID 11,1,52, 392 A . l : "Actus ... personales dicuntur, quia personam aliquam divinam pro termino habent, simul & personae cuiusdam, sive quarumdam proprii sunt. Ipsa autem illorum ratio in essentiae divinae consistit communicatione. Unde simul patet, duos tantum eiusmodi actus personales esse posse, generationem & spirationem, active acceptam, cum duae tantum sint personae, quibuscum essentia divina communicatur, filius, atque spiritus sanctus. Conveniunt isti actus in eo, quod uterque essentiae divinae quamdam communicationem denotet, uterque etiam aeternus sit, hoc est, nec initium habeat, nec finem." Siehe auch Hollaz, Examen 1,2,11, 407ff. 282 Vgl. ID 11,1,52, 392, A.2, 401. Siehe ebenso Quenstedt, Systema 1,9/1,16, 468 Nota 3 und Hollaz, Examen 1,2,9, 406. 283 ID 11,1,52, 392. und A.3, 401f. Im Text des Paragraphen nennt Buddeus als personale Notionen nur die innascihilitas und die spiratio activa, in der Anmerkung wird jedoch der Sohn nicht nur durch die spiratio activa vom Geist unterschieden, sondern durch die generatio passiva auch vom Vater. Die Eigentümlichkeit des Geistes wird entsprechend durch die Notion der spiratio passiva betont. Vgl. ähnlich Hollaz, Examen 1,2,10, 407.

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sehen Dogmatik nicht gesehen wurde. Da die mit den Ursprungsrelationen verbundenen immanent trinitarischen Bestimmungen der Personen außerdem nicht der Beschreibung des göttlichen Wesens entsprechen, wie sie Buddeus zu Beginn seiner Trinitätslehre aus der biblischen Besinnung auf das gemeinsame Wirken des Vaters, des Sohnes und des Geistes in der Aufrichtung des Gnadenbundes gewonnen hat, bleibt die Aufnahme der altprotestantischen Lehre von der immanenten Trinität in seiner Konzeption insgesamt unbefriedigend. Mit der Frage, inwiefern der Gott, der sich im Bundeswirken des Vaters, des Sohnes und des Geistes offenbart, als der eine Gott zu denken ist, scheint für Buddeus darum die Grenze theologischer Einsicht in den Grund der Versöhnung und des Glaubens erreicht zu sein. In Entsprechung zur Einsicht in die Abhängigkeit religiöser und theologischer Erkenntnis von der Offenbarung Gottes lasse sich eine tiefere Erkenntnis des göttlichen Wesens nur eschatologisch erhoffen. Denn erst im Eschaton werde der endliche Intellekt in seiner Erkenntnis nicht mehr an die Ausbildung endlicher Ideen 284 gebunden sein, sondern könne Gott intuitiv 285 erkennen und auf diese Weise mit Gott eins sein 286 . Die eschatologische unio cum Deo, die nach der Uberzeugung von Werner Kümmel das ethische Zentralprinzip der Theologie von Buddeus bildet 287 , wird durch die Offenbarungserkenntnis bereits als vorläufige unio im Glauben konstituiert, die ihrerseits auf die ethische Erneuerung des Menschen zielt. Die ethische Realisierung der unio durch die verschiedenen

284 Buddeus unterscheidet zwei verschiedene Modi der Verstandeserkenntnis, nämlich die unmittelbare und die durch Ideen vermittelte. Letztere vollziehe sich als Abstraktion von wahrnehmbaren Wirkungen. Die unmittelbare Erkenntnis hingegen, die das Wesen einer Sache nicht abstraktiv in einer Idee, sondern unmittelbar im Individuum erfasse, sei entweder sensitiv, wenn sie sich auf körperliche Substanzen beziehe, oder rein intellektuell, sofern geistige Individualität unmittelbar erkannt werde. Die zuletzt genannte F o r m der Erkenntnis gebe es in diesem Leben allerdings nicht, vgl. hierzu I D 11,2,4, A . l , 615: " C u m enim credibile non sit, unum spiritum alteram in individuo non cognoscere; non aliter, quam eiusmodi cognitione intuitiva intellectuali (quam sensitivae hie opponimus) hoc fieri potest: etsi fatendum sit, nemini mortalium indolem istius cognitionis exploratam esse, cum nemo eam in hac vita expertus sit, aut experiatur. C u m vero in altera vita futuri simus ισανχελλοι, verosimile admodum videtur, quod tum & homines ista cognitione intuitiva non tantum angelos, sed & D e u m ipsum sint cognituri." 285 I D 11,3,4, 614: "Unde [1. K o r 13,12 und l . J o h 3,2; Vf.] colligere licet, sine interventu idearam, quas effectus suppeditant, adeoque immediate Deum nos cognituros; quam quidem cognitionem intuitivam vocare solent". 286 I D 11,3,2, 611: " Q u a m p r i m u m h o m o per veram fidem, quae cognitionem sufficientem includit, cum D e o unitur, communio etiam haecce cum eo, seu beatitudo, initium capit, I.Ioan.1,3." Vgl. I D 11,3,3, 612: "Atque haecce beatitudo, qua credentes in Christum iam in hacce vita fruuntur, post m o r t e m non tantum continuabitur, sed augebitur etiam atque consummabitur." 287 Werner Kümmel, Die unio cum Deo als ethisches Zentralprinzip im Luthertum, insbesondere bei Baier und Buddeus, Inaugural-Dissertation, Greifswald 1927.

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Aspekte der Liebe 2 8 8 steht für Buddeus dabei unter der Bedingung der Erkenntnis Gottes als des höchsten Gutes des Menschen, wie sie sich in der Mittlertätigkeit Christi erschließt. D a sich im Gnadenbund des Vaters, des Sohnes und des Geistes der eine Gott als der Grund der Glückseligkeit des Menschen offenbart 2 8 9 , stuft Buddeus zwar nicht die Formel des trinitarischen Dogmas, wohl aber den Glaubensartikel von der Dreieinigkeit Gottes als fundamentalen Glaubenssatz 2 9 0 erster Ordnung ein. E r ist dabei jedoch dem Artikel von Christus nachgeordnet 2 9 1 , weil sich erst in der Erniedrigung und Erhöhung Christi als des Mittlers die Erkenntnis dessen, über den hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, erschließt.

6.

Zusammenfassung

Mit der im letzten Abschnitt dargestellten trinitarischen Wesensbestimmung Gottes ist das Ziel der Gotteslehre und damit zugleich das Ziel der dogmatischen Theologie, nämlich die Erkenntnis Gottes als des höchsten Gutes des Menschen erreicht. D e n n in der Erkenntnis der Dreieinigkeit Gottes erschließt sich dem Glauben, der nach dem Grund seiner selbst fragt, der Grund und damit die tiefste Einsicht in die Versöhnung. Auch auf dieser letzten Stufe theologischer Erkenntnis verläßt Buddeus den Boden der Schrift nicht. D e n n die Bestimmung des göttlichen Wesens hebt in seiner Konzeption bei dem in der Schrift beschriebenen Bundeswirken Gottes als Vater, Sohn und Geist an und thematisiert das trinitarische Dogma nur als Aussageregelung, die ein Abgleiten in den Tritheismus oder in den Modalismus ausschließen soll. Jeder Versuch, die Dreieinigkeit begrifflich zu denken, wird von Buddeus dabei entschieden abgelehnt. Auf diese Weise kann die Einheit des göttlichen Wesens im Rekurs auf den monotheistischen 288 Vgl. dazu Kümmel, unio, 46. 289 Ausdrücklich spricht Buddeus davon, daß sich G o t t selbst als dreieinig offenbart, I D 1,1,33, 61 A.2: " N e m o autem eum, qui solus verus Deus est, recte agnoscit, nisi qui eum ita agnoscit, prout se revelavit, adeoque, prout in una eademque essentia est pater, filius, & spiritus sanctus; quemadmodum & nemo Iesum Christum recte agnoscit, nisi qui simul intelligit, eum & verum hominem aeque ac verum Deum esse. N e m o itaque etiam sine eiusmodi notitia vitam aeternam consequi potest." 290 Vgl. I D 11,1,45, 346f. und I D 1,1,33, 60f., bes. A.2, 61. So auch Quenstedt, Systema 1,9,1,4, 457, der zwar nicht die Formel als solche, wohl aber das Mysterium der Trinität als Fundamentalartikel erster Ordnung bestimmt, der "non tantum negari, sed etiam ignorari quovis sine salutis dispendio nequeat" (Systema 1,9/1,4, 457). 291 Buddeus unterscheidet I D 1,1,33, 60 die primären Glaubensartikel in solche, "qui salva fide & salute non solum non negari, sed nec ignorari possunt", so daß die "res significata ad ipsam fundamenti realis constitutionem pertineat", und solche, die "arcte cum fundamento connexi sint, ut ab eo separari nequeant", und bestimmt ebd., A.2 das Geheimnis der Trinität und den universalen Gnadenwillen Gottes als Glaubensartikel der zweiten Gruppe.

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Gottesbegriff der Schrift nur behauptet, aber nicht mehr vernünftig demonstriert werden. In der Formulierung der Trinitätslehre geht es Buddeus mithin nicht um die Denkbarkeit der Drei-Einigkeit Gottes, sondern um den ausschließlich am Schriftzeugnis orientierten Aufweis, daß Gott selbst in seinem Wesen der ist, als der er sich in seinem Gnadenbund erweist. Der Gnadenbund verdankt sich dabei dem gemeinschaftlichen Wirken des Vaters, des Sohnes und des Geistes, in welchem der Vater das Scheitern des Werkbundes voraussehend den Gnadenbund gemeinschaftlich mit dem Sohn beschließt, während der Sohn in der freiwilligen Annahme der Sendung den Bund zwischen sich und dem Vater durch seine Mittlertätigkeit offenbart und der Geist durch sein Zeugnis die Aneignung der Versöhnung vermittelt. Indem allerdings dem Geist in der Konzeption von Buddeus keine Funktion im immanent trinitarischen Beschluß des Bundes zugeschrieben wird, erscheint er im Unterschied zu Vater und Sohn als unterbestimmt. Buddeus hätte den Geist allenfalls noch in Analogie zur trinitarischen Konzeption von Augustin als 'vinculum pacti' benennen können. Dafür fehlt jedoch nicht nur das Schriftzeugnis; es wäre damit auch noch keine der Bestimmtheit von Vater und Sohn gleichkommende Aussage erreicht. So erscheint in der Trinitätstheologie von Buddeus ein Ungleichgewicht zwischen der ökonomisch trinitarischen Bedeutung des Geistes im Kontext der Rechtfertigung und seiner immanent trinitarischen Bestimmung - ein Ungleichgewicht, das innerhalb des bundestheologischen Denkens selbst wohl nicht aufgehoben werden kann. Dennoch ist der Ansatz, unter dem Buddeus die Trinitätslehre entwickelt, zu würdigen. Indem er bei der Bestimmung der realen Unterschiedenheit von Vater, Sohn und Geist aus den in der Schrift bezeugten Namen und Werken einsetzt und die Formulierung des trinitarischen Dogmas als Zusammenfassung anführt, ist ein wichtiger Schritt über die altprotestantische Präsentation der Trinitätslehre hinaus gemacht, der die Neubesinnung auf die Funktion und Gestalt der Trinitätslehre eröffnet. Angesichts der in der Trinitätslehre formulierten Wesenserkenntnis Gottes in seinem Offenbarungshandeln stellt sich schließlich rückblickend die Frage nach der Funktion der Eigenschaftslehre für die Gotteslehre. Diese entwickelte den Gottesgedanken in seiner Einheit und Unterschiedenheit zur Bestimmung der Welt und erreichte damit eine Differenzierung der in den Gottesnamen artikulierten Wesenserkenntnis Gottes als Herr über die Welt. Zwar muß die Eigenschaftslehre als uneigentliche Beschreibung des göttlichen Wesens gelten. Doch indem Buddeus im Einvernehmen mit der altprotestantischen Theologie der Entfaltung der Trinitätslehre die Beschreibung Gottes in seinen Eigenschaften voranstellt, bringt er zum Ausdruck, daß der natürliche Gottesbegriff durch die Offenbarung Gottes nicht etwa 336

widerlegt, sondern vielmehr in der adäquaten Erkenntnis seines Wesens aus dem Bundeswirken aufgehoben ist, so daß das göttliche Wesen in Vater, Sohn und Geist durch diese Eigenschaften beschrieben werden kann. Ist aber in dem durch den Mittler offenbarten Gnadenbund Gott in seiner Dreieinigkeit als das höchste Gut des Menschen zu erkennen und zeigt sich in diesem Geschehen nicht nur die wahre Allmacht und Allgegenwart Gottes, sondern auch seine vollkommene Gerechtigkeit, Weisheit und Liebe, so kann Gott aufgrund dieser Erkenntnis auch in seinen Eigenschaften wahrhaft verehrt werden.

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Rückblick Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war die altprotestantische Theologie durch die rationalistischen bzw. offenbarungskritischen Positionen und durch den Pietismus vor eine doppelte Aufgabe gestellt. Auf der einen Seite galt es, gegen Spinozismus, Deismus und Naturalismus die Notwendigkeit von Religion und Offenbarung zu begründen und die Schrift als exklusive Offenbarungsquelle zu verteidigen. Auf der anderen Seite konnte eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Pietismus nicht durch starres Festhalten an der schulphilosophischen Terminologie und der analytischen Lehrweise, sondern nur unter der Voraussetzung einer Reflexion auf die wissenschaftliche Methodik und auch auf das Subjekt des Theologen geführt werden. In dieser Situation ermöglicht Johann Franz Buddeus den Übergang zur neueren evangelischen Theologie, indem er die altprotestantische Orthodoxie nicht mit einem bestimmten positionellen Interesse von außen kritisiert, wie dies auf unterschiedliche Weise im Pietismus, im Deismus und in der rationalistischen Philosophie geschah. Sein Neuansatz liegt vielmehr in der Bestimmung der Dogmatik als theologischer Disziplin. Denn an die Stelle der altprotestantischen Organisation der Theologie durch die analytische und kausale Methode setzt Buddeus das Programm der systematischen Reflexion auf die Versöhnung als den zentralen Inhalt des Glaubens und überwindet dadurch den scholastischen Charakter des Altprotestantismus. Dem Anliegen der altprotestantischen Theologie, die reformatorische Einsicht in die Glaubensgerechtigkeit für das Christentum zu bewahren, wird damit auf eine ihrer Sache selbst angemessenere Weise Rechnung getragen. Denn ist die in der Schrift thematische Versöhnung des Menschen mit Gott im Glauben das in sich klare und suffiziente Fundament des Glaubens, dann kann die Theologie diesem Thema in formaler Hinsicht nur gerecht werden, wenn sie sich ihre Vorgehensweise aus dieser Struktur ihres Themas selbst vorgeben läßt. Sofern die Dogmatik der Bestimmung von Buddeus zufolge das Fundament des Glaubens kohärent und vollständig entfaltet, entspricht sie der Einsicht in die Klarheit und Suffizienz der in Christus offenbarten Versöhnung, wie sie im Evangelium des Gnadenbundes bezeugt ist. Darin vermag sie dann auch die Autorität der Schrift als Erkenntnisgrund der Theologie zu demonstrieren. Bei der Rekonstruktion der materialen Dogmatik von Buddeus hat sich gezeigt, daß die Veränderungen, die Buddeus an der Darstellung der altlutherischen Themenbestände vornimmt, aus dem Anliegen zu erklären sind, die 338

universale Geltung der Versöhnung dogmatisch zu bewähren. Dieses Interesse läßt sich nicht nur in der bundestheologischen Konzeption der Versöhnung, sondern ebenso in der Darstellung der Heilsprinzipien durch die Christologie und die Lehre vom Glauben feststellen. Da für die universale Geltung der Versöhnung allein im Glauben vorausgesetzt ist, daß Christus durch seine Person und sein Werk als der Mittler zwischen Gott und Mensch erkannt zu werden vermag, entwickelt Buddeus die Christologie konsequent als Mittlerchristologie. In Aufnahme der altprotestantischen Amterlehre demonstriert er dabei nicht nur die universale Mittlertätigkeit Christi als Prophet, Priester und König. Im Rückgriff auf die klassisch lutherische Lehre von der Idiomenkommunikation wird in der Lehre von der Person des Mittlers vor allem der in der Inkarnation begründete unendliche Wert der Erlösung reflektiert. Obwohl die Lehre von der Idiomenkommunikation in ihrer Bindung an die Substanzmetaphysik mit den daraus resultierenden logischen Problemen zu ringen hat, kann sie doch in der Gestalt, in der sie bei Buddeus vorgetragen wird, als Versuch gewürdigt werden, die Kommunikation zwischen göttlicher und menschlicher Natur des Erlösers so zu denken, daß er sich in seiner Person als der wahre Mittler zwischen Gott und Mensch verstehen läßt. Indem Buddeus schließlich im Unterschied zur älteren lutherischen Christologie die Erkenntnis der Person des Mittlers deutlicher auf den Vollzug der Mittlertätigkeit in Erniedrigung und Erhöhung zurückführt und damit den Lebensvollzug des Erlösers in seiner Bedeutung für die Versöhnung stärker in den Vordergrund rückt, gibt er bereits die Richtung der weiteren Entwicklung der Christologie an, wie sie sich in der Neologie und im Neuprotestantismus vollzieht, wenn auch teilweise unter Vernachlässigung der für Buddeus selbst zentralen Präexistenz- und Inkarnationsaussage. Die in der Mittlerchristologie dargelegte Suffizienz des Erkenntnisgrundes der Versöhnung wird sodann in der Lehre von der Heilsaneignung bewährt. Denn hier bestimmt Buddeus den Glaubensakt als die durch die Versöhnung Christi eröffnete Form der Heilsaneignung, in der das Bewußtsein neu konstituiert und die Versöhnung durch das Wissen um die Rechtfertigung Gottes individuell angeeignet wird. Wegweisend ist dabei zum einen, daß Buddeus an die Jenaer Theologie anknüpfend die individuelle Heilsaneignung als Wiedergeburt, Rechtfertigung und Heiligung expliziert und damit die altprotestantische Lehre von der Heilsordnung systematisiert. Zum anderen besteht ein wichtiger Forschritt darin, daß er die Rechtfertigung als Sündenvergebung und Adoption in die Gotteskindschaft deutet und rein deklaratorisch auf den Glauben bezieht, weil nur im Glauben um die Uberwindung der Sünde durch die versöhnende Gerechtigkeit Gottes und um die Aufnahme in die Gotteskindschaft gewußt werden kann, wie sie der Heilige Geist den Glaubenden bezeugt. 339

Dieses Verständnis der durch Christus begründeten und im Glauben erschlossenen Versöhnung wird in der Konzeption von Buddeus durch die bundestheologische Interpretation entscheidend vertieft. Während die Deutung des Urstandes durch die Lehre vom Werkbund den Bund Gottes mit dem Menschen als die ursprüngliche Beziehung zwischen Gott und Mensch festschreibt und dabei aus dem Scheitern des Werkbundes zugleich die Notwendigkeit der Versöhnung erklärt, demonstriert die heilsgeschichtliche Deutung des im Protevangelium verheißenen und in Christus vollzogenen Gnadenbundes die universale Geltung des göttlichen Versöhnungswillens und darin die vollkommene Gerechtigkeit Gottes. Im Zuge dieser Einsicht kann Buddeus von Prädestination bzw. Erwählung darum nur noch unter Voraussetzung der individuellen Zueignung des Gnadenbundes in den Sakramenten sprechen, in der zugleich die Kirche als Gemeinschaft der wahrhaft Glaubenden konstituiert wird. Seine Ekklesiologie konzentriert sich demgemäß auf den Begriff der wahren unsichtbaren Kirche. Aus der dogmatischen Aufgabe, die Universalität der Versöhnung systematisch zu entfalten, ergibt sich für Buddeus schließlich die Notwendigkeit, die konstitutive Bedeutung der in Christus offenbarten Versöhnung gegen atheistische und naturalistische Positionen zu verteidigen. Er leistet dies mit der Konzeption des Begriffs der natürlichen Religion und dessen Rückbindung an einen allgemeinen Religionsbegriff, durch den die Notwendigkeit der Religion, also der Gotteserkenntnis und der Gottesverehrung, aus dem Bewußtsein der schlechthinnigen Abhängigkeit demonstriert wird. Mit dem Verweis auf die Abhängigkeitserkenntnis gewinnt Buddeus dabei ein Argument, welches die Bezogenheit des Menschen auf Gott und die Verehrung Gottes als den einzig denkbaren Grund menschlichen Heils unter Absehung von der konkreten Offenbarung Gottes in seinem Gnadenbund zu behaupten und zu explizieren erlaubt, obwohl die vollständige Bestimmtheit der Abhängigkeit des Menschen von Gott allererst aus der Offenbarung des Gnadenbundes in Christus erkannt werden kann. U m mit der Notwendigkeit der Religion im Sinne von Gotteserkenntnis und Gottesverehrung auch die Wahrheit der christlichen Religion demonstrieren zu können, bedient sich Buddeus des Begriffs der natürlichen Religion. Dieser enthält die theoretischen und praktischen Notionen, denen eine Religion nicht widersprechen kann, ohne in den Atheismus oder in die Superstition abzugleiten. Man mißversteht Status und Funktion dieses Begriffs der natürlichen Religion bei Buddeus jedoch, wenn man ihn als ein von der offenbarten Religion unabhängiges Substrat menschlicher Vernunfterkenntnis einstuft. Daß sich die christliche Religion, auch wenn sie den Begriff der natürlichen Religion entwirft und sich an ihm mißt, der Offenbarung Gottes und nicht etwa einer Erfindung des Menschen verdankt, läßt sich nach Buddeus nämlich positiv aus der - im Gang der Dogma340

tik rekonstruierten - Suffizienz und der universalen Geltung der in ihr vermittelten Heilsbotschaft erkennen. In Entsprechung dazu verbindet Buddeus mit der Gottes- und Trinitätslehre das Interesse, Gott als Grund des in Christus offenbarten, universal gültigen Gnadenbundes und darin als das höchste Gut des Menschen zu bestimmen. Denn indem Gott sich in seinem Gnadenbund als derjenige offenbart, der die Versöhnung beschließt, begründet und vermittelt, erweist er sich selbst als der Grund menschlicher Glückseligkeit, wie sie in der eschatologischen Gemeinschaft des Menschen mit Gott zur Vollendung kommt. Dabei rückt Buddeus das biblische Zeugnis ganz in den Vordergrund seiner Dartsellung der Trinitätslehre und rekapituliert die traditionellen Bestimmungen des trinitarischen Dogmas - im Unterschied zu den Bestimmungen der lutherischen Christologie, die er konstruktiv aufnimmt nur distanziert. Gerade auch in diesem Sachverhalt zeigt sich, daß Buddeus das an der Versöhnung als der Sache der Schrift orientierte Programm der Dogmatik in seinem dogmatischen Entwurf selbst bewährt. Daraus wird verständlich, weshalb sich nicht nur seine theologische Enzyklopädie, sondern vor allem auch seine Dogmatik viele Jahrzehnte lang als Standardwerk etablieren und entscheidend zum Ubergang in die neuere evangelische Theologie beitragen konnte. Während das Programm der Dogmatik von Buddeus die Schranken der sogenannten altprotestantischen Orthodoxie in formaler Hinsicht überwindet, ermöglicht der von ihm konzipierte Religionsbegriff die materiale Auseinandersetzung mit den offenbarungskritischen Positionen der Frühaufklärung. In diesem Sinne läßt sich die Theologie von Buddeus als Ubergangstheologie verstehen und würdigen.

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353

Personenregister

Althaus, P. 19,20,49,198,210 Aner, Κ. 227 Anselm von Canterbury 121,176,194, 197,233 Augustin 285 Bacon, F. 54 Baier, J.W. 15,21,32,63,64,67,77,93,99, 101,122,134,145,154,156,157,160,166, 212,218,219,229,237,313,314,316 Barth, K. 17,46,198,228,235,261,294 Baumgarten, S.J. 106,188f. Baur, F.Chr. 106 Baur, J. 11,71,107,131,134,136,140,155, 157,159,161,163,173,227,282,283 Bayle, P. 2^7,310,311 Bechmann, F. 324 Birkner, H.-J. 267 Bizer, E. 287 Braun, H. 304 Calixt, G. 36,39,57,58,59,60,61,64,67, 80,278,279,280 Calov, A. 36,58,60,188,24.5,246,264,379, 284,314 Calvin, J. 91 Clarke, S. 296,298,299 Coccejus, J. 175,207 Descartes, R. 17,83,164,239,253f.,277, 287,288-297,299,301-303,305-308,310, 312,316 Dorner, I.A. 227 Du Pin, L.E. 55 Ebeling, G. 236 Elze, M. 62 Erasmus von Rotterdam 19 Feil, E. 229 Feuerborn, J. 322 Flacius, M.I. 144 Frank, Fr. H.R. 12 Gaß, W. 80 Gerhard, J. 19,36,61,67,93,254,285,297, 322 Gese, H. 191 354

Grimm, W. 39 Grotius, H. 189,190 Hägglund, B. 19,20,23,25,32 Hegel, G.W.F. 299 Henrich, D. 185,294,295,296,299 Herbert von Cherbury 17,232ff.,254, 257 Hirsch, E. 13,16,217,220,223,224,227 Hobbes, Th. 20,M,151,321 Hofius, O. 191 Hollaz, M.D. 32,36,59,60,95,134,136, 144,158,167,209,212,217,218,219,229, 230,313,314,315,322 Hornig, G. 19 Huber, S. 205 Huet, P.D. 294 Hummel, G. 38 Hunn, N. 75,77,332 Hyperius, A. 35 Jäger, J.W. 56,89,775,208 Janowski, B. 192 Jerusalem, J.F.W. 227 Jüngel, E. 168 Kant, I. 259,300 Keckermann, B. 80 Keller-Hüschemenger, M. 63,64,75,77 König, J.F. 27,36,58,60,61,67,279, 284,314 Kümmel, W.G. 284,334 Laktanz 285 Lamothe, C.G. 20 Leibniz, G.W. 16,83,164,168,169,170, 174,183ff.,199,201,202,224,252,273f., 296,308,325,326,327,328 Limborch, Ph. 322 Locke, J. 247,267 Luthardt, Chr.E. 42 Luther, M. 19,24,54,72,78,123,735,158, 161,165,167,168,236,258 Maastricht, P. van 136,203f. Mahlmann, Th. 90 Malebranche, N. 307,308

Melanchthon, Ph. 54,57,78,737,176, 206,278,280 Menken, G. 198 Mentzer, B. 80 Moltmann, J. 207 Mosheim, J.L. von 13,59,98 Musäus, J. 15,17,21,22,23,27,63,67,68, 134,744,155,156,157,160,166,228, 231ff.,237,244ff.,251,253ff.,257f.,259, 281,282,283,287,288-297,299,313 Obst, Η. 163 Pajon, C. 307 Pannenberg, W. 34,132,165,185,227 Pfaff, Chr.M. 12,32,36,35,50,56,65,90, 101,102,107,108,110,111,120,209, 217,229,260,263,265,272f.,27S Preus, R.D. 36,49,54,64,72,75 Pufendorf, S. 89,757,179,219,324,337 Quenstedt, J. A. 27,59,61,64,67,143,156, 158,159,161,203,209,211,212,217,218, 219,244ff.,253f.,271f.,284,314 Ratschow, C.H. 68,227,231,300,.312,313 Reinhard, J. 16,76 Ritschl, A. 148,188 Ritschl, O. 34 Rössler, D. 227,242 Röhls, J. 294,295,296 Scheibler, Chr. 48,279 Schleiermacher, F. 77,16,35,53,134,228, 235,242,243,248f.,250,254,259,262 Schloemann, M. 77 Schmid, J.A. 56,314 Schwarz, R. 97

Seeberg, R. 194f. Semler, J.S. 77 Sozinus, F. 189 Spalding, J.J. 227 Sparn, W. 11,90,95,96,98,300 Spener, Ph.J. 37 Spinoza, B. de 20,117,118,271,313,316, 324,326 Stange, C. 237 Stolzenburg, A.F. 12,39,42 Sturm, J.Chr. 83 Tholuck, A.G. 73 Thomas von Aquin 254,279,281,282, 297 Thomasius, G. 106 Thumm, Th. 707,107 Tindal, Matthew 266 Toland, J. 298 Troeltsch, E. 77,107 Wagner, F. 227 Walch, J.G. 65,707,706,707,188 Wallmann, J. 39 Weber, H.E. 84,149,160,172,282 Weigel, E. 83 Wenz, G. 87,176,188,195 Werenfels, S. 293,294-297 Wilckens, U. 191 Witsius, H. 89,706,137,775,208,272,304 Wittich, Chr. 304 Wolff, Chr. 13,83 Wundt, M. 27 Zöckler, O. 38

355

Sachregister

Abendmahl 214 -sthematik 106 Aberglaube 229,269 Abhängigkeit 241,243,248ff. ,252,287, 297,306,310 -sbewußtsein 16,236ff.,243ff.,247,302 - Gefühl schlechthinniger 242,243ff., 248 Affekt(e) 139,141 - natürliche 139,249 - spirituelle 139,249 Akkommodation 25 -stheorie 20 Akzidenz, akzidentiell 143,251 altprotestantisch 7i,42,51,63f.,80,126f., 305,312,332ff. Altprotestantismus 338 appetitus sensitivus 141,168 Arminianer 25,188,321 Atheismus 16,188,227,229,230,250f., 261,274,293,307 Atheismusthesen 229,230,247,250,287, 293 Auferstehung 178,179 Bekehrung 88,135,144-154,157,161,166, 173,310 - intransitiv 144f. - transitiv 144 Berufung 209,211 - externe 209 - indirekte 209 Beschneidung 210 Bund 81,197,211,225 -esgedanke 175 - Alter 81,130 -Neuer 81 Bundestheologie, s. Föderaltheologie Buße 145,161 Cartesianer 307 Cartesianismus 306f.,313 Christentum 270

356

Christologie 15,89ff.,172 - abstrakte Natur 98ff.,124 - Amterlehre, dreifaches Amt 88f.,92, 127,130, - Anhypostasie 95 - communicatio naturarum 99,104,130 - communio naturarum 95,97,100,103, 108,114,116,119,121 - concretum naturae 95,98,124 - concretum personae 95 - Einwohnung 96 - Idiomenkommunikation/communicatio idiomatum 85,90,97-106,108, 116ff.,130f. - Kenosis-Krypsis-Streit 106-108 - Lehre von der Person 88,93,94-105 - Mittlerbegriff 88f. - Perichorese 95f.,99f.,103 - personale Propositionen 95,97f. 102 - Ständelehre 88,92f.,131,173 - unio personalis 94,96 - unitio personalis 94,116 - Zwei-Naturen-Lehre 89,93,132 als Mittlerchristologie 15,124,172,225 Deismus 12,132,188,227 Dogmatik 34ff.,60-62,85f.,208 - altprotestantische 52,148,168,217, 278f.,297,314,334 - Aufgabe 66-80 - Begriff 14,34ff.,53-66 - katechetisches Interesse 56-62 - Notwendigkeit 77-80 - Objektivität 77-80,86 als positive Theologie 54-56 als systematische Theologie 49,54,6266 als System 65 als theologische Disziplin 14,15,35ff., 39-45 Einheit mit Gott/unio cum Deo 257, 334 Eklektik, eklektisch 13

Ekklesiologie 16,176,217ff. Engel 308,309 Engellehre 303,308 Enzyklopädie, enzyklopädisch, Enzyklopädik 15,50f. der theologischen Disziplinen 35ff. Erkenntnis 69,71,140,143,173,213 -frage 17 -vermögen 136 - intuitive 143 Erleuchtung 139-141 Erwählung 211,225 -sgewißheit 212ff. -slehre 203,216 Eschatologie 169,217 Eschaton 334 Evangelium 87,133,145-154,173f.,209, 221,234,257,271 Exegese 37,48-50 Föderalmethode 81 Föderaltheologie/Föderalismus 12,15, 89,175,177,187,207ff.,225,228 Freiheit 168-171 - Indifferenz 170f., 180,324 - Wahlfreiheit 170 des endlichen Intellekts 255 des göttlichen Handelns 301 Gottes 324-326 von der Sünde 168 zu guten Werken 168 Frömmigkeit 165 Fundament des Glaubens 74-77 - reales 74-77,87,173 - dogmatisches 74-77,84,87 Fundamentalartikel, s. Glaubensartikel -lehre 85,98 Gebot, Gebote 177 Geist 18 - endlicher 309 - inneres Zeugnis des Geistes 163f.,174, 213,225,273 Gerechtigkeit 143,155 - Imputation 156,159,162 außerhalb in Christus 155f.,165 Christi 156,158f.,161f. Geschichte 16,46 Gesetz 145-154,200,237f.,257 -positives 177,186,224 - secundus usus 148

Gewissen 150f.,153,162,117 Gießener Theologen 106f. Glaube 15,87f.,125f.,133,136-145,157, 159,163,166,168,173,188,212,268,286, 334 -nsakt 88 - Anfechtung 71,105,139,163,165,173 - assensus/Zustimmung, allgemeine und spezielle 71,55,136,138,139,173 - cognitio/Erkenntnis 71,55,125,136, 173 des Theologen 70f.,79 - expliziter 07,161,209 - fiducia/Vertrauen 71,55,125,136-139, 141,165,173f. - historischer 138 - impliziter 137 - lebendiger 139 - notitia explicita 137,139 - toter 138 - w a h r e r 138,139 - Ziel 84 als Wirkung des Geistes 139,166 und Liebe 137 Glaubensanalogie 71-79 Glaubensartikel/Glaubenssätze 62,63, 66,73-77,85 - heilsnotwendige 62,63,93,98,332,335 Gnadenbund 15-17,81,85,89,147,175ff., 187ff.,197,202ff.,207ff.,224ff.,228,264, 271,277,328f.,335 - Notwendigkeit 176ff. als Aufhebung/Abrogation des Werkbundes 175f. Gott 200,276ff. -esname(n) 18,310,314 - Allgegenwart 112,13lf.,322 - Alleinwirksamkeit 140,145,168,174, 308 - Allmacht 13lf.,207 - Allwissenheit 319 - Barmherzigkeit 320 - E h r e 126,176,195 - Eigenschaften 18,316ff. - Einfachheit/Simplizität 317f. - eingeborene Idee 17,253,288-294 - Einheit 316 - Ewigkeit 323 - Gerechtigkeit 176,189,194ff.,199f„ 225,320 357

- Gewißheit der Existenz 17,277,286301,301ff. - Glückseligkeit 323f. - Gnade 164 - Güte 199,316,320,325f. - Heiligkeit 189,194ff.,239,320 - Herrlichkeit 120 - Independenz 321 - Leidenslosigkeit 103 - Liebe 195f.,225,320 - Unsichtbarkeit 127,199 - Unsterblichkeit 318 - Unveränderlichkeit 103,131,306,318 - Vorherwissen 319 - Wahrhaftigkeit 195,320 - Wahrheit 317 -Weisheit 239,319,325f. - W e s e n 18,285,312 - Wille 325 - Zorn 105,126,195,225 als der Heilige Geist 116,133 als erste Ursache 240,298 als Geist 317f. als Grund der Glückseligkeit des Menschen 233,276ff.,293,324,335 als höchstes Gut 17f.,147f.,200, 257 als Sohn 133,198 als summum bonum hominis 181, 276ff.,283ff.,293,337 als unabhängiger Geist 18,297,312328 als Vater 18,116,133,162,164,194, 197ff.,225 Gottebenbildlichkeit 125-127,135,142, 143,144,146ff.,166,169,171,177-183, 201,211,224,238,251,311,326 als Entwicklungsfähigkeit 181 Gottesbegriff - ens necessarium 296 - ens perfectissimum 239,296,312,316 - ens supremum 239,240f.,247-249,252 - essentia spiritualis infinita 297,313, 315 - natürlicher 277 - spiritus independens 297,313,323 - summum bonum 312 - theistischer 318f.,326-328 Gottesbeweis(e) 277 - fünf Wege 254 358

- historische 298f.,301 - kosmologische 185,297tt.,300 - metaphysische 298,301 - ontologischer 1 7 , 2 8 7 - 2 9 4 , 2 9 4 297,300f. - physische bzw. physiko-teleologische 298,301 Gotteserkenntnis 248,250,266,269 - Disposition 245 - eingeborene 244ff.,253f. - erworbene 245,247,254 - natürliche 230,244ff.,255,285ff.,290,292,297301,319,323,328f. - offenbarte 284f.,312 Gottesgedanke 17,281,283,286-290, 292f.,297,300,316f.,336 Gotteslehre 17,239,276ff.,312 - Eigenschaftslehre 277,312-324,329,336 - Onomatologie 284-286,313 - Ziel 278 Gottesverehrung, s. Kultus Heidentum, heidnisch 260,265,267ff., 272 Heil 17,133ff. -sgeschichte 210 -sgewißheit 154,161,163,173f. -slehre 134 -smittel 136,233 -sordnung 133,212 Heiligung 15,134,143,166-171,173 durch gute Werke 167f. Hoffnung 115,118,767 Illusion 164f. Indifferentismus 251 Intellekt 139,140,168,213,233,254,307 - Insuffizienz 255 Intuition des Universums 254 Islam 270,272 Jenaer Theologie/Schule/Tradition 17, 67,157,172,212,235,297,299,324 Jesus Christus 90f. - Allgegenwart 101,106,108,lllf.,119, 124 - Allmacht 101,108f£., 119,124,130 - Allwissenheit 101,108,119,121,124 - Auferstehung 116-118 - Auferweckung 116,118 - Christustitel 90f.

- Erhöhung 93,112,114-121,124,132,173, 225 - Erniedrigung 92-94,105-114,124,127, 130-132,173,191,225 -Fürbitte 92,126f.,133,158 - Gehorsam, aktiv und passiv 92,108, 111,113,121-126,158,194 - Himmelfahrt 118 -Höllenfahrt 115f.,118 - Inkarnation 88,93,94,106,114,124, 130f„ 182,198,270 - Jesusname 90f., 131 - Kreuzestod 105,193 - Leben Jesu 108f. -Leiden 104f.,107,113,190 - Liebe 106 - Präexistenz 131 - Sitzen zur Rechten Gottes 118f. - Sterben 190 - Sündlosigkeit 125 -Verdienst 121,124f.,173 - Werk Christi 89 -Wiederbelebung 116,118 - W u n d e r 110 als König 91,110,127,129 als Menschensohn 105 als Mittler 87,89,127,173 als Person 89f. als Priester 88,91ff.,121,127 als Prophet 91,121,127f. als Sohn Gottes 18,197 Judentum 265f.,270,272 Jurisprudenz, kirchliche 37,45f. Kirche 217ff. - notae ecclesiae 223 - repräsentative 217ff. - sichtbare 129,220,222 - synthetische 218 - unsichtbare 220,225 - wahre 220,222,225 als Gemeinschaft der wahrhaft Glaubenden 218,225 als Reich Christi 129 Kirchengeschichte 37,46f.,223 Kirchenregiment, landesherrliches 45,219f. Kultus 248,250,263,265f.,269 - innerer und äußerer 167,179,238 - Notwendigkeit 230,260

Leben, ewiges 81 Leiden 327 Liebe 284 Literarhistorie, literarhistorisch 37 Majestätseigenschaften der göttlichen Natur lOOff. - anenergetische lOOf. - energetische 101 Materie 302f.,308,317 Mensch 115,177,2-« - geschöpfliche Bestimmung 147 - wahres Menschsein 115 als Subjekt der Theologie 175,278 als vernunftbegabtes Wesen 177 Menschheitsgeschichte 208,211,225 Messias 268 Messiashoffnung 120,130 Messiasverheißung 210 Methode 80ff. - analytische 61,64f.,67,80-85,740, 235,276,278-283 - kausale 82,134 - synthetische 83 - systematische 62,64,76,80-85 Monade 184-186 Moralgesetz 237 Moraltheologie 37,39-43,141,154,167, 284,324 Mose 267,268 Mosereligion 268f.,270 Naturalismus 251,274 Naturgesetz(e) 150,152,237,304,307 Naturrecht 150 Neologen/Neologie 20,89 Neuprotestantismus, neuprotestantisch 11,12

Offenbarung 17,68,71,79,115,132,197, 225f.,232,236,254,264,269ff.,277, 283f.,293,311,328ff. Offenbarungsgeschichte 207ff. Okkasionalismus, okkasionalistisch 306-308 Orthodoxie 70 Orthodoxie, altprotestantische 11,12, 13f., 19,67,70,79,172,176,188,210, 338,341 Passahlamm 214 Patristik 37,46,208 Pelagianismus 204

359

Philosophie - aristotelische 8If. - eklektische 213 - Instrumental- 14,69,740 - praktische 14,52,140, .769,284 - theoretische U,52,136,UQ,164,241, 296,315 Pietismus, pietistisch 12,70,154,165, 188,217 Polemik 37,47 Polytheismus 260 Prädestination 203ff. -sangst 165 -sdekret 211 -slehre 16,82,176,203,207ff.,212,216,225 - doppelte 204,206 - infralapsarische 203,207 - sublapsarische 204f. - supralapsarische 203,205 Prolegomena 16,229 Protevangelium 187,210,265 Providenz, provident 18,46,103,213, 238f.,260„270,277,301ff.,305-311,326 als Erhaltung 238,240,305f.,309 als aktive Mitwirkung/concursus 18, 103,135,305-310,327 als Regierung der Welt 209,238,240, 305,309f. Rationalismus 12,17 Rechtfertigung 15,57,134,154-167,173 -slehre 154-166,172f. -surteil 88,155 - deklaratorische 155f.,166 - forensische 155,166 als Adoption in die Gotteskindschaft 162f.,165f.,173f. als Akt Gottes 156 Religion 17,227ff.,252,293 -sbegriff 16,226,227,231,236ff.,249 - christliche 266f.,269-273 - natürliche 14,170,227f.,236ff.,244, 250f. ,255,259-262,263-270,273f. - negative Kriterien 260,265 - Notwendigkeit 16,70,242,269 - offenbarte 16,170,259,261ff.,267 - positive Kriterien 263ff. - praktische Notionen 259f.,262 - theoretische Notionen 259,262,265 - Vernunftreligion 227 - wahre 46,256,260,262,265 360

- Wahrheit der christlichen 70,117,259, 261,264,269,275 der Patriarchen 265f. der Protoplasten, primordiale 265ff. des Mose 268ff. Religionsgeschichte, religionsgeschichtlich 268,271 Religiosität 249ff. Restaurationsschema 140 Sakramente 16,140,212ff.,221f.,225 als Zeichen der Erwählung 213 Satisfaktion 25,87f.,92,98,12Iff., 158, 176,189,194,199,200,225 -stheorie 175,176,188,194 -svorstellung 16 Schöpfung -sabsicht 142,177 -sakt 301 -sbericht 303 -slehre 18,103,135,277,301f.,305 -smittler 126 -sziel 142 - Sechstagewerk 303f. aus dem Nichts 301-304 durch das Wort 303f. Schrift 19ff.,69,71,77-79,222,283,300 -lehre 15,16,19-33 -prinzip 254 -sinn 24f.,78 - Affektionen 15,26-32 - Alter 26 - Autorität 15,77,86,138,227 - Effizienz 29 - Eigenschaften 15 - Kanon 31 - Klarheit, Perspikuität 30,48,78 - Suffizienz, Vollkommenheit 15,30 - Verbalinspiration 15,19f.,21-26,227 - Wahrheit 15 Schuld 153,762,171,193 -bewußtsein 153 - An-/Zurechenbarkeit 153,792,193 Schulmetaphysik 27 Schulphilosophie, schulphilosophisch 83,121 Seele 136,139,142,779,287 -nlehre 164,213 -ntätigkeiten 141,168 -nvermögen 171

- Neukonstitution 136 - Vorstellungskraft 141,168 Selbstbeobachtung 1 6 4 , 2 / 3 , 2 4 0 , 2 4 8 , 2 5 0 Skeptizismus 251 Sozinianer 2 5 , 1 3 2 , 1 6 0 , 1 8 8 , 1 9 0 f „ 199, 225,266,321 Spinozismus, spinozistisch 12,227 Stellvertretung, stellvertretend 104f., 706,122,125,158f.,189ff. - exklusive 19 lf. - inklusive 19lf. Strafe 106,199 substantiell 143 Substanz 144 -metaphysik 144,182,251 -ontologie, substanzontologisch 15 Sühne 190 -tod Christi 189ff.,225 Sünde 87,122,125,135,142,145,162,166, 171,173,176,186,190,194,211,224,232, 234,271,311,327 -nfall Adams 144,176,182,224 -nlehre 142,148,7J0,169f.,176,181,224 -nschuld 125,189,190 -nstrafe 189 -nvergebung 106,122f„ 126,146,158,166, 173,188f.,225 - aktuelle/Aktualsünde 149,150,153,193 - Erkenntnis 146,257 - habituelle/Habitualsünde 149,150,153, 171,m - Möglichkeit 177ff.,183f. - Radikalität 147 - Universalität 85,146,148,193 - Ursache 146 - Zulassung 187 als Erbsünde 148,171,176,775,224 als Übertretung des Gesetzes 149,150 Symbolik 37,43-45 Synergismus 104,143 Taufe 173,214ff. -Kindertaufe 135,211,214 Theodizeeproblem 16,170,176,183-187, 199,201,326-328 Theologie 51,71 -Studium 5 lf. - akademische 57f. - akroamatische 56-58,61 - altprotestantische 11,15,34,98,121,176, 283,325,336,338

-

Aufgabe 278ff. didaktische 54-60,62 exoterische 56f. katechetische 56-58,62,65 kirchliche 57-59 natürliche 68,23lf.,234-236,258,281, 282, - offenbarte 62,68,231,282 - positive 54-60 - scholastische 54f.,58,60 - systematische 56f.,60,64,82 - thetische 54ff.,64 - Ziel, objektives und formales 51-53, 279ff. als praktische Wissenschaft 52f., 61,80f.,231,277f.,280f. als Weisheit 67 als Wissenschaft 67ff. Theologiegeschichte 13 T o d 116f. - Christi 193ff. - geistlicher 135,142,145f.,178f. - natürlicher 149,178f. - zeitlicher 178 als Trennung von Leib und Seele 116 Tradition, altprotestantische 17,35,37, 72,84,142f., 168-170,305,313,318 Trinität/Dreieinigkeit 8 1 , 1 6 l f . , 181,197, 277,328-335 -slehre 17f., 198,276,328-335 - D o g m a 330-332 - Dreiheit der trinitarischen Personen 134ff.,330ff. - Einheit der trinitarischen Personen 330,332 - immanente 333f. - ökonomische 336 - opera ad intra 333 - Ursprungsrelationen 333 - Wesenseinheit 143f. Tübinger Theologen 106f.,110,120,124, 198 Übel IG,183,326 - metaphysisches 184,199 - moralisches 183f.,327f. -physisches 184,327 Übergangstheologie 11-14,53,341 Unendliches 291 - Begriff 29 lf. - I d e e 291,295,310 361

Unendlichkeit 32 If. Ungehorsam 177 Unfreiheit des Willens 170,206 Unglaube 116,161,170f.,205f.,216,308 unio mystica 171 Universalität der Berufung 209f. der Erlösungsbedürftigkeit 203 der Geltung des Kreuzestodes 122f., 146,149,202 der Gnade 85,176,201,212,226 der Sünde 85,146 der Versöhnung 16,275 des göttlichen Heilswillens 200ff. Urständ 16,230 -slehre 16,127,142,148,169,171,176ff 200f.,211,224,251 Verdienst 123,160 - Christi 133,139,141 Verehrung Gottes, s. Kultus Vergewisserung 163-165,173 Verherrlichung 118f.,120 Vernunft 17,77,139,149,177,186,232, 236,248,261,270 -natur 142 -prinzipien 185f.,252

362

-wissen 236 - Insuffizienz der menschlichen 233 Versöhnung 15,85,87ff.,124,133,165, 172,196fi,225 - Aneignung 87f. Verwerfung 205,216 Vollkommenheit, sittliche 16 Wahrheit 69,80 -sbegriff 67-71 Weisheit 141,143,169,180f. - im Urständ begrenzt 180f., 184,224 Welt 16f„ 129,302 Werkbund 16,81,175,177f.,180,186f„ 200,207,224ff.,329,336 - Notwendigkeit 201 Wiedergeburt 15,88,134f.,139,141-144, 157,159-162,166,173,178,211,238, 251,310 Wille 137,139,141,168f.,171 -nsfreiheit 169f. Wissenschaft 67-71 - praktische 67,80-85 Wittenberger Theologie/Tradition 17, 26,67,284,286,313,321,328f. Wort 135,140,166,172,206,22 lf.

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka. Eine Auswahl:

78 Reinhold Flogaus Theosis Eine Untersuchung der Theologie des Gregorios Palamas und der Aussagen Martin Luthers über die Vergöttlichung des Menschen als Beitrag zum ökumenischen Gespräch. 1996. Ca. 464 Seiten, gebunden.ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 8 6 - 1

69 Michael Basse Certitudo spei Thomas von Aquins Begründung der Hoffnungsgewißheit und ihre Rezeption bis zum Konzil von Trient als ein Beitrag zur Verhältnisbestimmung von Eschatologie und Rechtfertigungslehre. 1993. 261 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 6 - 4

76 Karsten Lehmkühler Kultus und Theologie Dogmatik und Exegese in der religionsgeschichtlichen Schule. 1996. 327 Seiten, kart. ISBN 3-525-56283-7

68 Matthias Zeindler Gott und das Schöne Studien zur Theologie der Schönheit. 1993. 452 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 5 - 6

75 Armin Wenz Das Wort Gottes - Gericht und Rettung Untersuchungen zur Autorität der Heiligen Schrift in Bekenntnis und Lehre der Kirche. 1996. 343 Seiten, kart. ISBN 3-525-56282-9 74 Barbara Schwahn Der ökumenische Arbeitskreis Evangelischer und Katholischer Theologen von 1946 bis 1975 1995. 427 Seiten, kart. ISBN 3-525-56281-0 73 Berthold Köber Sündlosigkeit und Menschsein Jesu Christi Ihr Verständnis und ihr Zusammenhang mit der Zweinaturenlehre in der protestantischen Theologie der Gegenwart. 1995. 225 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 8 0 - 2 72 Heinrich Assel Der andere Aufbruch Die Lutherrenaissance - Ursprünge, Aporien und Wege: Karl Holl, Emanuel Hirsch, Rudolf Hermann (1910-1935). 1994. 528 Seiten, geb. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 9 - 9

67 Jochen Eber Einheit der Kirche als dogmatisches Problem bei Edmund Schlink 1993. 301 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 4 - 8 66 Notger Slenczka Realpräsenz und Ontologie Untersuchung der ontologischen Grundlagen der Transsignifikationslehre. 1993. 602 Seiten, kart. ISBN 3-525-56273-X 65 Werner Thiede Auferstehung der Toten - Hoffnung ohne Attraktivität? Grundstrukturen christlicher Heilserwartung und ihre verkannte religionspädagogische Relevanz. 1991. XII, 437 Seiten, kart. ISBN 3-525-56272-1 64 Gottfried Martens Die Rechtfertigung des Sünders Rettungshandeln Gottes oder historisches Interpretament? Grundentscheidungen lutherischer Theologie und Kirche bei der Behandlung des Themas "Rechtfertigung" im ökumenischen Kontext. 1992. 428 Seiten, kart. ISBN 3-525-56271-3

71 Andreas Grünschloß Religionswissenschaft als Welt-Theologie Wilfred Cantwell Smiths interreligiöse Hermeneutik. 1994. 360 Seiten mit 6 Abb., kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 8 - 0 70 Stefan Streiff "Novis Unguis loqui." Martin Luthers Disputation über Johannes 1,14 "verbum caro factum est" aus dem Jahr 1539. 1993. 251 Seiten, kart. ISBN 3-525-56277-2

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Vandenhoeck Ruprecht

Studien zu Versöhnung und Rechtfertigung

Martin Schloemann

Gottfried Martens

Siegmund Jacob Baumgarten System und Geschichte in der Theologie des Übergangs zum Neuprotestantismus. (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 26). 1974. 302 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-55131-2 Diese Arbeit zeigt den Theologen Siegmund Jacob Baumgarten (1706-1757) als scharfsinnigen Dogmatiker und Lehrer. Der auf die „Vereinigung mit Gott" hin definierte Theologiebegriff steht im Zentrum seines gesamten Denkens.

Die Rechtfertigung des Sünders Rettungshandeln Gottes oder historisches Interpretament?

Gottfried Hornig

Die Anfänge der historischkritischen Theologie Johann Salomo Semlers Schriftverständnis und seine Stellung zu Luther. (Forschungen zur systematischen Theologie und Religionsphilosophie, 8). 1961. 287 Seiten, broschiert. ISBN 3-525-56209-8 Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ist insofern bedeutsam, als sich in ihr die Wende vom Altprotestantismus zum Neuprotestantismus vollzieht. Durch die Ausbildung der historisch-kritischen Theologie hat Johann Salomo Semler einen wichtigen Anteil an dieser folgenreichen Entwicklung gehabt.

Grundentscheidungen lutherischer Theologie und Kirche bei der Behandlung des Themas „Rechtfertigung" im ökumenischen Kontext. (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 35). 1992. 428 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-56271-3 Wie tragfähig ist die Einigung in der Frage der Rechtfertigung, die in verschiedenen zwischenkirchlichen Dokumenten der letzten Jahre behauptet wird, und auf welchen Grundentscheidungen beruht dieser Konsens? Der Verfasser macht deutlich, daß eine Verständigung über die Rechtfertigung so lange zu kurz greifen muß, wie sie sich darauf beschränkt, eine Vereinbarkeit von theologischen Positionen vergangener Zeiten und von theologischen Interpretationen der Gegenwart aufzuweisen, statt von der Wirklichkeit der Rechtfertigung als gottesdienstlichem Geschehen auszugehen.

Klaus Bümlein Mündige und schuldige Welt Überlegungen zum christlichen Verständnis von Schuld und Mündigkeit im Gespräch mit Paul Tillich und Karl Rahner. (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 30). 1974. 155 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-56233-0 Die Arbeit fragt nach der Bedeutung von „Sünde", dem schuldhaften Abstand des Menschen von seinem letzten Ursprung und Auftrag, für den christlichen Glauben.

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Vandenhoeck &L Ruprecht