176 82 34MB
German Pages 108 [111] Year 1990
ISSN 0044-3409 • Z. Psychol. • Leipzig . 197 (1989) 4 • S. 341-444
ZEITSCHRIFT FÜR
PSYCHOLOGIE mit Zeitschrift fur angewandte Psychologie
Schriftleitung F r i e d h a r t K l i x ( B e r l i n ) • W i n f r i e d H a c k e r ( D r e s d e n ) • E l k e v a n der Meer (Berlin) Redaktion:
Unter
Jürgen Mehl (Berlin) • Friedrich Kukla (Berlin)
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von
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VEB
JOHANN
AMBROSIUS
BARTH
LEIPZIG
Inhalt Schmidt, H . - D . ; Maaß, F. (Berlin). Soziobiologischc Ideen bei Arthur Schopenhauer
341
Schindler, R. (Berlin). Wissenserwerb und -nutzung in der Mensch-Rechner-Interaktion: Experimentelle Untersuchungen zur Gestaltung von Benutzerschulungen. Mit 14 Abb
351
Junghanns, Gisa; Ullsperger, P. (Berlin). The P300 amplitude of the event-related brain potential indicates changes within a frame-of-reference. With 7 fig
387
Gundlach, W.; Schmuck, P. (Berlin). Zu Komponenten der Komplexitätsreduktion bei technischen Entwurfsprozessen. Mit 11 Abb
395
Neumann, 0 . (Bielefeld). On the origins and status of the concept of automatic processing
411
Buchbesprechungen
. . .
385, 410, 429
Beiträge zum Sonderschulwesen und zur Rehabilitatiofispädagogik Begründet von R. Dahlmann f . Herausgegeben von K.-P. Becker, Berlin Band 39
Freude am Sprechenlernen Übungsbeispiele für Lehrer, Erzieher und Eltern V o n W E R N E R SCHMIEDER u n t e r M i t a r b e i t v o n CH. SCHMIEDER, Meißen.
2., überarbeitete Auflage. 1989. 123 Seiten, 14,5 cmX21,5cm Broschur, DDR 9,30 M, Ausland 15,-DM Bestellnummer: 534 680 6 / Beitr. S. Sch. 39 Schmieder I S B N 3-333-00385-6 / I S S N 0138-1725 D a s B ü c h l e i n e n l l i ä l l zahlreiche in der P r a x i s b e w ä h r t e Ü b u n g s b e i s p i e l e z u r K o r r e k t u r u n d Verhinderung von
Sprachfehlern
bei K i n d e r n . Der e r s t e Teil des B u c h e s
wiegend m i t d e m S t o t t e r n , der zweite m i t d e m hingewiesen.
Ferner werden
auch
sich vor-
von L a u t e n und
LauLver-
Stammeln.
Auf w i s s e n s c h a f t l i c h e r G r u n d l a g e w i r d auf die r i c h t i g e B i l d u n g bindungen
befaßt
allgemeine
R a t s c h l ä g e z u m U m g a n g m i t ge-
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ZEITSCHRIFT
FÜR
PSYCHOLOGIE
Band 197, 1989 mit Zeitschrift für angewandte Psychologie Z. Psychol. 197 (1989) 3 4 1 - 3 5 0
Heft 4 Band 103 V E B J , A . B a r t h , Leipzig
Aus der Sektion Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin
Soziobiologische Ideen bei Arthur Schopenhauer 1 Von H.-D. Schmidt und F. U. Maaß Eine neue wissenschaftliche Theorie steht zunächst immer im Kreuzfeuer kritischer Überprüfungen, die auf eine am gegenwärtigen Erkenntnisstand gemessene theoretische und/ oder empirische Bestätigung bzw. Widerlegung hinauslaufen. Irgendwann aber löst sie — im Sinne einer erweiterten Uberprüfung — auch die Suche nach möglichen historischen Wurzeln des als Novum vorgestellten Ansatzes aus. Der Nachweis von Beziehungen zwischen Vor- und Nachgedachtem, also der Beleg ideengeschichtlicher Kontinuität, tangiert nicht nur das Prioritätsproblem. Er läßt sich auch als Mittel der Gewinnung einer besseren Einsicht in das Wesen von Konzeptionen und Theorien nutzen. Für die Verstärkung ihrer Wirkungsdynamik oder aber für ihre Problematisierung (bis hin zu ihrer endgültigen Negierung) kann das folgenreich sein. Die Frage nach historischen Quellen stellt sich auch für die Soziobiologie. Ihr Beitrag für die Weiterentwicklung der Evolutionstheorie und Verhaltensbiologie wird allgemein als neuartig und wegbereitend, von vielen aber auch als provozierend angesehen, dies vor allem in Hinsicht auf Probleme des Menschenbildes (vgl. dazu u. a. Tobach, 1982; Tembrock, 1982; Geißler/Hörz, 1988). Diese sind ihrerseits in besonderem Maße geeignet, den „historischen Blick" zu schärfen. Wir wollen im folgenden versuchen, die historischen Wurzeln der Soziobiologie in einem naturphilosophischen Terrain bloßzulegen, das offenbar bislang noch nicht erkundet wurde (auch nicht von Wickler, 1979, der sich für die „vorwilsonsche" Soziobiologie interessiert hat). Das soll in drei Schritten geschehen: Zunächst arbeiten wir die tragenden Grundideen soziobiologischen Denkens heraus, dann dokumentieren wir analoge Gedanken im Werk Schopenhauers, und schließlich wird es darum gehen, aus dieser Beziehung Konsequenzen abzuleiten. I. Wilson (1980) definiert die Soziobiologie als Lehre von der „systematischen Erforschung der biologischen Grundlagen aller Formen des Sozialverhaltens bei jeglichen Arten von Organismen einschließlich des Menschen . . . Das eigentlich Neue an der Soziobiologie ist . . . zu zeigen, wie soziale Gruppen sich durch Evolution an die Umwelt anpassen" (S.21f.). In der Literatur lassen sich drei Komponenten soziobiologischer Theoriebildung ausmachen (vgl. dazu u. a. Lundberg, in Tembrock, 1982; Snowdon, 1983): i Erweiterte F a s s u n g eines Referats auf der Konferenz „Biopsychosoziale Einheit Mensch" des interdisziplinären Forschungsprojekts gleichen N a m e n s der H u m b o l d t - U n i v e r s i t ä t Berlin, 2 5 . - 2 7 . 1. 1989 in Berlin. 23 Z. Psychol. 197-4
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1. Die genetische Theorie des Sozialverhaltens (Hamilton 1964). — Verstand Darwin unter Eignung nur die Vermehrungsratc des Individuums, so erfährt der Eignungsbegriff jetzt eine folgenreiche Erweiterung. Die Soziobiologie faßt ihn als Reproduktionsrate einzelner Merkmale bzw. der ihnen zugrundeliegenden Gene. Diese Gene bilden die Elementareinheit, den eigentlichen Angriffspunkt der natürlichen Selektion. Darwins „Eignung" (fitness) erweitert sich dabei zur „Gesamteignung" (inclusive fitness), die nicht nur die Nachkommenzahl der Individuen berücksichtigt, sondern zusätzlich die Anreicherung des Genpools mit individuellen Genen, also damit auch sämtliche eignungsfördernden Einflüsse der Individuen auf ihre Verwandten. Der Haupttrend der Evolution besteht in der Gesamteignungs-Maximierung, dem „Genegoismus" im Sinne von Dawkins (1978). Ein Mittel dieser Maximierung ist die Verwandtenauslese (kin selection; Maynard Smith, 1964). Da die Zahl genieinsamer Gene bei nahen Verwandten größer ist als bei fernen Verwandten bzw. Nichtverwandten, lohnt sich Hilfeleistung zwischen Individuen um so mehr, je enger sie miteinander verwandt sind. So kommt, es in der Evolution zwangsläufig zur Verwandten-Kooperation, zur differentiellen Reproduktion von Verwandtschaftsgruppen. Damit wird auch die Evolution bioaltruistischen Verhaltens (im Sinne von Foerster/Kirschke, 1984) genetisch begründbar: Hilfeleistung ist dann adaptiv, wenn der Eignungszuwachs für den Hilfeempfänger größer ist, als der Eignungsverlust des Helfers, dividiert durch den Verwandtschaftsgrad beider Individuen. Rioaltruismus ist also, vom Standpunkt der Genmaximierungstendenz aus gesehen, indirekter Bioegoismus. 2. Mit der spieltheoretischen Modellierung antagonistischer Konflikte liefert Maynard Smith (1974) ein zweites grundlegendes Prinzip soziobiologischen Denkens. E r zeigt, daß sich in der Evolution verschiedene Strategien von Individuen einer Art herausbilden können, welche die Optimierung der Gesamteignung in Konkurrenzsituationen garantieren. E s stellt sich in der jeweiligen Population ein Mischungsverhältnis von Vorgehensweisen der Konfliktlösung ein. Hier handelt es sich um die sog. evolutiv stabile Strategie ( E S S ) . Wenn sie von der Mehrheit der Individuen eingehalten wird, kann sie von keiner anderen Vorgehensweise übertroffen werden. 3. Die Kosten-Nutzen-Kalkulation (Trivers, 1972) bildet eine weitere Säule soziobiologischen Denkens. Jedes Individuum ist demnach bestrebt, mit maximalem Nutzen und minimalem Kostenaufwand seine Gene an die nächste Generation weiterzugeben. Am Beispiel des Eltern-Jungtier-Konflikts, den Trivers (ebenda) beschreibt, läßt sich dieses Ökonomieprinzip illustrieren: J e d e r Aufwand der Eltern für ein Jungtier geht zu Lasten existierender oder potentieller Nachkommen. Die Eltern müssen ihre Aufwendungen optimal verteilen, um im Verhältnis zum Aufwand eine maximale Eignung der Nachkommen zu erzielen. So muß die Mutter z. B . ein Jungtier rechtzeitig entwöhnen, um ein Neugeborenes ausreichend pflegen und ernähren zu können. Andererseits liegt es im Interesse, des älteren Jungtiers, noch länger gesäugt zu werden, da es dadurch seine Eignung zu steigern vermag. Neben diesem Entwöhnungskonflikt (vgl. dazu auch Barash, 1980, S. 197 ff.) gibt es einen weiteren Interessengegensatz, der ein verhaltensökonomisches Kalkül fordert: der Konflikt zwischen den Geschlechtern. E r ist in unserem Zusammenhang (d. h. mit Bezug auf Schopenhauer) besonders wichtig. Die Soziobiologen sehen die Geschlechter als Partner
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in einer widersprüchlichen Allianz, in der jeder versucht, den eigenen Erfolg bei der Weitergabe seiner Gene zu maximieren. Andererseits arbeiten beide zusammen, weil sie ihre Gene zu je 50 % über dieselben Nachkommen verbreiten. Da aber beide Geschlechter mit ungleichen Voraussetzungen in die Konkurrenz um Eignungsmaximierung eintreten, erwachsen daraus verschiedene Interessen, verschiedene Strategien des Verhaltens. Der grundlegende Unterschied besteht in der Größe der produzierten Keimzellen. Männchen produzieren unter geringem Aufwand eine große Anzahl kleiner Samenzellen, Weibchen dagegen investieren apriori mehr, da sie wenige, relativ große Eizellen erzeugen. Dieser Unterschied zeitigt Konsequenzen von großer Tragweite. Männchen steigern ihre Gesamteignung besonders stark, wenn sie mit vielen Weibchen kopulieren. Da nun alle Männchen dazu tendieren, kommt es zur „intrasexuellen Selektion" zwischen ihnen. Im Konkurrenzkampf setzen sich die kräftigen, aggressiven und gesunden durch. Außerdem achten Männchen darauf, mit gesunden Weibchen zu kopulieren, da so die Wahrscheinlichkeit gesunder Nachkommen zunimmt. Infolge der „epigamen Selektion" differenziert sich die Attraktivität der einzelnen Geschlechter: Bestimmte Individuen werden vom anderen Geschlecht bei der Fortpflanzung präferierl; typisch männliche bzw. weibliche Formen werden bei der Partnerwahl bevorzugt, da diese mit Gesundheit korreliert sind. Welche Verhaltensweisen sind nun für Weibchen besonders a d a p t i v ? Da sie ungleich mehr Kosten in die Fortpflanzung investieren müssen, ist für sie die richtige Partncnvahl viel entscheidender als beim Männchen. Adaptiv sind Strategien der Zurückhaltung, des langen Prüfens, um den besten, d. h. den kräftigsten und gesündesten Partner zu gewinnen. Sie wählen bevorzugt Männchen, die lange um sie geworben, also schon viel Zeit und K r a f t aufgewendet haben. Diese Tiere sind wegen ihrer hohen Kosteninvestitionen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nach der Paarung noch partnerverbunden und hilfsbereit. Auch die Wahl des Fortpflanzungszeitraums ist eine strategische Entscheidung, die den Prinzipien der Gesamteignungsmaximierung folgt. Da Fortpflanzung allemal physiologischen Streß und Mortalitätsrisiken einschließt, liegt der Paarungszeitpuukt dort, wo die Individuen sowohl ausgereift als auch hinreichend widerstandsfähig sind. Würde die Fortpflanzungsperiode in Richtung auf ein höheres Alter ausgedehnt werden, müßte sich die Wahrscheinlichkeit von genetischen Schäden erhöhen und das Kosten-Nutzen-Verhältnis ungünstig gestalten. Diese drei Grundprinzipien soziobiologischen Denkens, die hier nur grob skizziert werden konnten, sind zunächst aus der Analyse des Verhaltens ausgewählter Tierarten gewonnen worden. Sehr schnell aber k a m es zu breitflächigen Generalisierungen, die auch menschliches Verhalten einschlössen (vgl. dazu MacDonald, 1988). Diese Übertragung kann — wie im Falle der reduktionistischen Auffassung von Lumsden, Wilson (1984) — darauf abzielen, Menschen lediglich „als zeitweilige Träger der Gene" zu betrachten, „die durch sie vermehrt und verbreitet werden", was darauf hinausläuft, daß „alle Eigenschaften der Individuen potentielle Instrumente für die Ausbreitung der Erbanlagen (sind), welche diese Eigenschaften bestimmen" (S. 49 f.). Als Beispiel sei hier die soziobiologische E r klärung eines Phänomens genannt, das wir in einigen matriarchalischen Sozialorganisationen vorfinden: des sog. Avunkulats (vgl. dazu Wickler/Seibt, 1984. S. 153 f.). In solchen Kulturen übernimmt der Mutterbruder die Vaterrolle und hilft der Mutter bei der 23-
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Aufzucht ihrer Kinder. Wie ist das zu deuten? — In Anbetracht der Unsicherheit der Vaterschaft (nur die Kindesmutter ist eindeutig bestimmbar) und der engen Verwandtschaft zwischen der Mutter, ihrem Bruder und den Kindern ist es — vom Prinzip der Gesamt eignungsmaximierung her gesehen — für den Bruder vernünftig, die Mutter zu unterstützen, weil deren Kinder 1/4 seiner Gene in sich tragen. Da die anderen Männer der Gemeinschaft ihren Verwandtschaftsgrad bezüglich der Kinder nicht kennen, wäre es für sie ein Eignungsverlust, fremde, nichtverwandte Kinder zu betreuen und zu versorgen. Unter dem Blickwinkel dieses Erklärungsmodells wären Fragestellungen der folgenden A r t (und empirische Untersuchungen, um sie zu beantworten) denkbar und sind auch bereits in der Forscliungspraxis a u f f i n d b a r (vgl. dazu die Beiträge im Teil III — „Die Soziobiologie der Eltern-Kind-Interaktionen" — in MacDonald, 1 9 8 8 ) : Ist der ,Fürsorgeaufwand' gegenüber Kindern größer als gegenüber Enkeln? W o r a u s resultieren die Entscheidungskonflikte kinderloser Ehepartner in Hinsicht auf eine Adoption? W i e ist die historisch belegbare Neigung zu erklären, hohe gesellschaftliche Machtbefugnisse und Privijegien durch die Installierung eines Erbfolgerechts an Kinder und Kindeskinder weiterzugeben?
II. Die im Abschnitt I skizzierten soziobiologischen Denkweisen lassen sich gleichsam als Sonden einsetzen, um"bei Schopenhauer analoge Ideen ausfindig zu machen. Soweit wir sehen, treten sie im zweiten Band seines Hauptwerkes, der die zwischen 1840 und 1843 verfaßten „Ergänzungen zum ersten Buch" enthält, am deutlichsten zutage, und zwar im Kapitel 44 über die „Metaphysik der Geschlechtsliebe" (SW, Bd. 3, S. 607 ff. 2 ). Die dort geäußerten Hauptgedanken Schopenhauers lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen : 1. Die Geschlechtsliebe des Menschen wurzelt im Gattungs-Geschlechtstrieb, sie ist „individualisierter" Geschlechtstrieb (der Gattung) und muß als „stärkste aller Triebfedern" angesehen werden (S. 0L0). 2. „Endzweck aller Liebeshändel" ist „die Zusammensetzung der nächsten Generation'". Ihr Sein ist durch den „Geschlechtstrieb überhaupt", ihr Wesen „durch die individuelle Auswahl bei seiner Befriedigung" bedingt. „Dies ist der Schlüssel des Problems" (S. 611). Die Geschlechtsliebe ist als individualisierter „Wille zum Leben" ein „Stratagem" (d. h. eine List) der Natur: ihr geht es letztlich um die „Erzeugung eines Individuums von bestimmter Beschaffenheit" (S. 612). 3. Als Beleg dafür dürfte die gerichtete Selektion solcher Partnereigenschaften gelten, die vor allem eine biologische Bedeutung für die erfolgreiche Fortpflanzung besitzen. Sie schlagen sich in einem Kind nieder, das die Gattung würdig und angemessen repräsentiert. Dazu gehören u. a. „Gesundheit, Kraft und Schönheit, folglich auch . . . Jugend" (S. 615), gebunden an bestimmte bevorzugte Altersstufen (z. B. 18—28 Jahre alte Frauen im besten Zeugungsalter), ferner zahlreiche „absolute" körperliche und psychische Einzelmerkmale (z. B. bei Frauen „eine gewisse Fülle des Fleisches" und ein „voller weiblicher Busen", bei Männern Stärke und Mut), aber auch „relative" Merkmale, sie im Zusammenhang mit der Tendenz einer zweckmäßigen Ergänzung und der Kompensation eigener Mängel. Eine W i r zitieren hier und im folgenden (mit dem Kürzel S W ) aus: A r t h u r Schopenhauer, Sämtliche Werke. Nach der ersten, v o n J . Frauenstädt besorgten Gesamtausgabe neu bearbeitet und herausgegeben v o n A. Hübscher. Leipzig: F. A. Brockhaus 1937. Die Orthographie wurde den heute geltenden Regeln angepaßt.
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solchermaßen ausgerichtete „Auswahl des anderen Individuums zur Geschlechtsbefriedigung" (S. 617) wird im Falle der „leidenschaftlichen Liebe" (im Gegensatz zur Vernunftehe > S. 625) instinktiv reguliert, also dem „Sinn der G a t t u n g " folgend (S. 616). Die Konsequenzen dieser Auswahl schlagen sich in der Vererbung von Eigenschaften nieder, wobei sich auch „Gesetze der Bastarderzeugung" (S. 614) durchsetzen. 4. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, von der männlichen „Unbeständigkeit" der Partnerbindung, also der Neigung zum Partnerwechsel — dies im Gegensatz zur Frau — Kenntnis zu nehmen. Wo liegen die Ursachen für diese Geschlechtsdifferenzen? Schopenhauer gibt die folgende Antwort: „Dies ist eine Folge des Zwecks der Natur, welche auf Erhaltung und daher auf möglichst starke Vermehrung der Gattung gerichtet ist. Der Mann nämlich kann, bequem, über hundert Kinder im J a h r zeugen, wenn ihm ebenso viele Weiber zu Gebote stehn; das Weib hingegen könnte, mit noch so vielen Männern, doch nur ein Kind im J a h r (von Zwillingsgeburten abgesehen) zur Welt bringen. Daher sieht er sich stets nach anderen Weibern um; sie hingegen hängt fest dem einen a n : denn die Natur treibt sie, instinktmäßig und ohne Reflexion, sich den Ernährer und Beschützer der künftigen B r u t zu erhalten" (S. 621). Das heißt nun auch: Ehebruch ist beim Manne natürlich, bei der Frau jedoch „naturwidrig", „unverzeihlich" (ebenda). 5. Die bislang gekennzeichneten Verhaltenstendenzen verweisen auf „egoistische Zwecke" des Individuums, die einzigen, „auf welche man mit Sicherheit rechnen k a n n " (S. 616). D e n n : Die auf einen bestimmten, ausgewählten Partner gerichtete Liebe „ist . . . ein unmittelbares Unterpfand der Unzerstörbarkeit des Kerns unseres Wesens und seines Fortbestandes in der G a t t u n g . " Fortleben der Gattung bedeutet nicht das "künftige Dasein uns ähnlicher", sondern „uns identischer Wesen" (S. 6 4 2 ; Hervorhebungen von uns, H.-D. S . u. F . U . M . ) . 6. Die überall auf der Welt und in allen historischen Epochen auffindbare Homosexualit ä t weist darauf hin, „daß sie irgendwie aus der menschlichen Natur selbst hervorgeht" (S. 645). Sie ist wiederum ein listiges Mittel der Natur, um „unglücklichen Zeugungen vorzubeugen." Dafür sprechen z. B . die päderastischen Neigungen vorwiegend älterer Männer (als Vorbeugung gegen die biologisch schädliche Kindererzeugung dieser Alten), aber auch die homosexuellen Ambitionen von Jugendlichen, die nur über eine „unreife Zeugungskraft" verfügen (S. 650). Soweit Schopenhauer. — Daß es sich hier um eine Vorwegnahme soziobiologischer Denkweisen handelt, dürfte klar sein, ohne zusätzliche Detailvergleiche. Inhaltlich gesehen, handelt es sich insofern um eine unbestreitbar biologistische Erklärung menschlicher Erotik und Sexualität, als von dem falschen Primat der generativen Funktion ausgegangen wird. Außerdem ist eine Tendenz der Abwertung der Frau unverkennbar. Sie ist strekkenweise so aufdringlich, daß es schwerfällt, den T e x t affektfrei zu lesen. (Er wird in dieser Hinsicht nur noch von dem Parerga/Paralipomena-Kapitel „Uber die Weiber" in den Schatten gestellt; S W , B d . 6) I I I . Wir wollen uns abschließend den Schlußfolgerungen aus den offensichtlichen Parallelen Schopenhauerschen und soziobiologischen Denkens zuwenden. Dafür ist es unerläßlich, sowohl die Philosophie Schopenhauers als auch die Theorie, Methodologie und Philosophie der Soziobiologen als vollständige, mehr oder minder geschlossene Denksy-
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steme miteinzubeziehen. Sonst ist eine Integration der Yrergleichsbefunde nicht zu bewerkstelligen. Folgende Konsequenzen erscheinen uns als zwingend : 1. Schopenhauer ist kein konsequent evolutionärer Denker. Denn das Werden versteht er — im teleologischen Sinne — primär als Erhaltung oder Wiederherstellung des Gegebenen, unter Umständen als plötzliche Entstehung von Neuem (z. B. durch „generatio in utero heterogeneo"; S W , Bd. 6, S. 162 f. 3 ), nicht aber als Entwicklung in „allmählichen verwischten Ubergängen" (ebenda). Und dennoch ist er ein geistiger Vorläufer der Soziobiologie. Seine Beschreibung und Erklärung von Sein und Werden mit Hilfe des Urtriebs „Wille" korrespondiert mit dem Versuch der Soziobiologie, auf der Grundlage des Prinzips der Eignungsmaximierung eine „einheitliche Theorie des Lebendigen" (Koslowski, 1984, S. 93) zu formulieren. Das geschieht in beiden Fällen durch die Identifizierung con Strategien, die Erhaltung oder Veränderung herbeiführen, und von genetischen Mechanismen, die Kontinuität oder Entwicklung über Generationen hinweg „fortschreiben". Bei Schopenhauer heißt es verallgemeinernd: „Überhaupt bedeutet Natur das ohne Vermittlung des Intellekts Wirkende, Treibende, Schaffende" (SW, Bd. 3, S. 304). Die Suche nach strategischen Prinzipien organismischer Werdens- und Wandlungsprozesse halten wir lür ein positives Merkmal beider Denkweisen. 2. Schopenhauer und viele Soziobiologen stimmen auch in folgender Hinsicht überein: Tier und Mensch seien gleichermaßen einer dominierenden genetischen Verhaltensdetermination unterworfen. Mit dieser Aussage werden diejenigen qualitativen Unterschiede verwischt, welche aus dem humanspezifischen Umschlag der biotischen in die gesellschaftliche Lebenssicherung (im Sinne von Holzkamp-Osterkamp, 1975) erwachsen. Dieser Umschlag ist eine Folge der Arbeitstätigkeit und ihrer Vergegenständlichungen in Gestalt von Kulturgütern. E r erzeugt, wie wir wissen, neuartige, nunmehr hochgradig kultur- und lernabhängige Lebensweisen, Verhaltenspotenzen und auch Entwicklungsmodi. Die folgende Ubersicht (aus Schmidt, 1982, S. 13) soll das an Hand von Beispielen verdeutlichen: Humanspezifische — — — — —
Lebensweisen
Humanspezifische
Verhaltenspotenzen
soziale/gesellschaftliche Lebenssicherung ökonomisch vermittelte Sozialbeziehungen Kontrolle/Verwertung der Natur Kompensation individueller Fähigkeitsmärigel Individualentwicklung als Aneignung/Er-
— Verfügbarkeit über 3 Informationsspeicher: Gene, Individualgedächtnis, Kultur — Bauplanverstärkung (z. B. durch Werkzeuge) — universelle kognitiv-verbale Repräsentation von Information
zeugung von Kulturgütern (Sozialisation)
— omnipotente Iiifornialionscrzrugung und "Verdichtung — prospektive Orientierung tive als Planungsbasis)
(Zukunftsperspek-
— soziozentrische Molivnlionsquollcn und Moralnormen Aus dieser Übersicht läßt sich ableiten, daß die jüngere Humanevolution als Sozialisation abläuft. Auf dem Niveau der Sozialisation wird eine sehr komplexe, individuell erworbene Eignung relevanl: Die Handlungstüchtigkeit (oder Aktionskompetenz) des Individuums, die an Gütemaßstäben der Bewährung 3
Diesen Hinweis verdanke ich Prof. Rolf Löther (briefl. Mitteilung v o m 22. 2. 1989, nach dem Lesen
der Erstfassung des Manuskripts). Löther schreibt außerdem: „Übrigens hat Franz Mehring in 'Neulamarckismüs und mechanischer Materialismus' (in: Philosophische Aufsätze, Berlin 1961, S. 234ff.) gezeigt, daß der Psycholamarckismus von Schopenhauer gespeist i s t . "
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347.
in gesellschaftlichen Anforderung^- und Gestaltungsfeldern gemessen wird ( S c h m i d t , 1 9 8 6 , S. 27). Der biologische R e p r o d u k t i o n s e r f o l g (als i n k l u s i v e Fitness) ist — w e n n ü b e r h a u p t — lediglich ein u n t e r geordnetes E l e m e n t dieser A k t i o n s k o m p e t e n z .
Woher stammt nun die Übereinstimmung in puncto genetischer Verhaltensdetermination? — Die Soziobiologen haben nicht Schopenhauersche Hypothesen auf dem Niveau moderner Forschung getestet; denn sie zitieren ihn gar nicht. Aber es gibt eine erste Gemeinsamkeit. und zwar die (explizite oder implizite) Inanspruchnahme eines Konzepts der instinktiven Verhaltensorganisation — bei Schopenhauer natürlich in Gestalt einer sehr unreifen Vorstellung. Und es gibt einen von Schopenhauer und den Soziobiologen gleichermaßen beanspruchten archaischen Antriebsfaktor „Egoismus", der alle Lebewesen beherrschen soll, um in und mit einer Welt von Konkurrenten fertig zu werden. Dieser AnIriebsfaktor ist ein invariantes Menschenbild-Moment, das früh- und spätbürgerliches Denken — von Macchiavelli. Benlham, Hobbes, Adam Smith, Malthus über Schopenhauer bis hinein in philosophische Reflexionen der Soziobiologen — auszeichnet. Auch diese Gemeinsamkeit, die sich durch die Berufung auf die gleichen „Vordenker" belegen läßt, vermag die genannten Parallelen zwischen Schopenhauerschem und soziobiologischem Denken zu erklären. Sie ist auch Grundlage d a f ü r , d a ß einige bürgerliche Ökonomen der G e g e n w a r t nach soziobiologischen A r g u m e n t e n suchen, u m die kapitalistische M a r k t w i r t s c h a f t „bioökonomisch" zu bewerten — n ä m l i c h als „einzigartige e v o l u t i o n ä r e E r r u n g e n s c h a f t der Spezies Mensch" (Hirshleifer, 1 9 8 4 , S. 77). Derselbe A u t o r s c h r e i b t : „Die drei sozialen H a u p t p r i n z i p i e n — V o r h e r r s c h a f t , Teilen m i t der G e m e i n s c h a f t u n d p r i v a t e R e c h t e (an E i g e n t u m ; H.-D. S. u. F. U. M.) — haben sich i n n e r h a l b der N a t u r e n t w i c k e l t , ein jedes als eine A n p a s s u n g an einen besonderen T y p einer sozialen Nische" (ebenda, S. 84). Eine solche E x p l i kation h a t zweifellos eine f r a g w ü r d i g e apologetische F u n k t i o n und v e r d ä c h t i g t apriori ö k o n o m i s c h e S y s t e m e als „ u n n a t ü r l i c h " .
andersartige
3. Erst in neuerer Zeit sind (als Folge von Einwänden, die letztlich auf den Vorwurf des Biologismus hinauslaufen) einige Soziobiologen mehr als früher geneigt, kulturbedingte und lernabhängige, in diesem Sinne genuin menschliche Eigenarten des Sozialverhaltens zu akzeptieren. Manche argumentieren auf der Ebene von Jonas (1979), wenn sie nichtreziprokes Handeln des auf ethischer Basis verantwortungsfähigen und zukunftsorientierten Menschen für wesentlich halten. Ferner unterscheiden sie schärfer als zuvor genetisch streng kontrollierte Verhaltensweisen (wie im Falle AAM-gesteuei'ter Erbkoordinationen) und genetisch aktivierte Verhaltenstendenzen. Letztere schließen lernbedingte Flexibilität und volitive Entscheidungsfähigkeit ein. Diese Unterscheidung ist oft verbunden mit einer bew'ußteren Reflexion des Homologie- Analogie-Dilemmas: Übertragungen auf den Menschen werden zunächst strikt als Analogien gehandhabt — als Hypothesenquelle für einen danach zu liefernden Homologiebeweis. Damit ist der Weg geebnet für oine solidere Aufdeckung der phylogenetischen Basis menschlichen Sozialverhaltens. Diese Grundintention halten wir — das sei hier unmißverständlich und klar gesagt — mit den Soziobiologen für außerordentlich bedeutsam. Ihre Fruchtbarkeit muß heutzutage nicht mehr bewiesen werden, wenn man z. B. an ein Werk wie Hassensteins „Verhaltensbiologie des Kindes" (1987) denkt. Damit ist auch der Weg geebnet für eine offenere, undogmatische Diskussion der Herausbildung menschlicher Ethik. Sie wird beispielsweise von Ruse und Wilson (1988) geführt.
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Z. Psycho!. 197 (1989) 4
Freilich sind einige der in diesem K o n t e x t vorgebrachten Argumente, die sich u. a. aus dem Konzept der „Gen-Kultur-Koevolution" herleiten, widersprüchlich und anfechtbar (Foerster, 1988). Uns scheint: Es gelingt den Soziobiologen nach wie vor nur sehr unvollkommen, die phylo- und vor allem anthropogenetisch fundamentale Herausbildung von Explorations-, Lern- und Arbeitsfähigkeiten in ihre Modelle einzuordnen (Snowdon, 1983, S . 73, spricht von einer „Reintroduktion nativistischen Denkens"). Wer mit soziobiologischen Absichten nach den biotischen Grundlagen menschlichen Sozialverhaltens fragt, muß — so meinen wir — diese phylogenetisch entstandenen Prädispositionen plastischen und flexiblen Verhaltens als gleichberechtigte Modellelemente berücksichtigen. Verglichen mit der „klassischen" Ethologie und ihrem jüngsten Derivat, der „evolutionären Erkenntnistheorie", ist hier ein beträchtliches Defizit zu verzeichnen. 4. Bei der Beschäftigung mit Schopenhauer ist uns aufgefallen, wie wenig die in der Vergangenheit betriebene, historisch-materialistisch orientierte Schopenhauer-Forschung (z. B . von Lukács, 1954; Bloch, 1985; E l m , 1984) hilfreich ist, wenn man sich einem naturwissenschaftlich und naturphilosophisch zentrierten Veigleichsproblem wie dem unsrigen stellt. E s ist offensichtlich: das eingeschränkte Interesse nur für den Irrationalisten, den Kulturpessimisten, den antidemokratisch-reaktionären Bourgeois Schopenhauer führt zu fragwürdigen Sichtverengungen. Wir sollten zur Kenntnis nehmen, daß Schopenhauer „ein sowohl mystischer wie auch . . . mit Naturwissenschaft genährter Geist" war, wie Thomas Mann es ausgedrückt hat (1965, S. 303). Hinweise in der neueren Literatur auf Schopenhauer als „Kenner des Fortgangs der Naturwissenschaften" (Schölzel, 1988, 5 . 138), auf „viele naturwissenschaftliche Intressen" Schopenhauers, auf seine Metaphysik des Willens als „Versuch, eine philosophische Deutung der Welt . . . zu ermöglichen, die auch das schnell anwachsende naturwissenschaftliche Wissen berücksichtigt . . . " (Fromm, 1988, S . 127, 129) — diese Hinweise sollten sich aus Nebenbei-Anmerkungen in zentrale Fragestellungen verwandeln. Auch von unseren Erfahrungen her müssen wir Fromm zustimmen, wenn er schreibt: „Eine umfassende, gründliche und aus heutiger Sicht geführte kritische Analyse zu Leben und Werk von Arthur Schopenhauer durch die marxistisch-leninistische Philosophie steht noch aus" (ebenda, S. 135). Eine solche — nicht nur philosophische! — Analyse dürfte uns eine Vielzahl neuer Erkenntnisse und Einsichten vermitteln. Viele davon sind für die Geschichte der Naturphilosophie, der Biologie und der Physiologie von erheblicher Bedeutung. Das trifft auch für die Geschichte der Psychologie zu. Schopenhauer gilt zu Recht als ein Vorläufer psychoanalytischen Denkens (was bereits Thomas Mann in seinen Freud-Essays deutlich gemacht h a t ) ; sein „Willens"-Konzept verweist auf die für spätere Persönlichkeilslheorien fundamentale dynamische Antriebskomponente individuellen Handelns. Aber auch ein Satz wie der folgende ist beachtenswert: „. . . das Gedächtnis ist kein Behältnis zum Aufbewahren, sondern bloß eine Übungsfähigkeit der Geisteskräfte; daher der Kopf alle seine Kenntnisse stets nur potentia, nicht actu besitzt . . ." (SWr, Bd. 6, S. 642). Ist dieser Satz nicht eine Vorwegnähme dessen, was wir heute innerhalb der kognitiven Psychologie als aktivkonstruktives Moment von Gedächtnis und Wissen besonders hervorheben?
Schmidt/Maaß, Soziobiologische Ideen
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Zusammenfassung Ausgehend von den tragenden Grundideen soziobiologischen Denkens, wird am Beispiel von Schopenhauers „Metaphysik der Geschlechtsliebe" nachgewiesen, daß dieser Philosoph als Vorläufer der Soziobiologie zu gelten hat. Aus dieser Tatsache werden Schlußfolgerungen abgeleitet: Die Suche nach strategischen Prinzipien organismischer Werdens- und Wandlungsprozesse als Positivum beider naturphilosophischer Bemühungen — die Annahme einer dominierenden genetischen Verhaltensdetcrmination auch des Menschen als Auswirkung eines typisch bürgerlichen Menschenbild-Moments, das Schopenhauer mit den Soziobiologen verbindet — die Notwendigkeit, biotische Prädispositionen plastischen, flexiblen Verhaltens als gleichberechtigte Elemente soziobiologischer Modelle zu berücksichtigen — das Erfordernis, die naturwissenschaftlichen und -philosophischen Ideen Schopenhauers mehr als bisher für die Gewinnung wissenschaftshistorischer Erkenntnisse (auch in Hinsicht auf die Psychologie) zu nutzen.
Summary Starting from the basic ideas of sociobiology we prove that Schopenhauer, in his "Metaphysics of S e x u a l L o v e " , has to pass for a precursor of sociobiological thinking. Several consequences of this parallel are discussed: The quest for strategic principles of organismic growth and evolution as a positive characteristic of both approaches — the hypothesis of a dominant genetic determination of human behaviour as an outcome of a typical bourgeois view of mankind connecting Schopenhauer and sociobiologists — the necessity of taking into consideration biological predispositions of flexible (learned) behaviour as elements of sociobiological models enjoying the same rights as genetical ones — the utility of Schopenhauei's natural philosophy for the purpose of complementing historical knowledge of many disciplines (also psychology). Pe3H»Me Hcxoah H3 aflopoBofi OCHOBHOÜ HfleH coiiHoSnoJioriiHecKoro nojcxoaa, Ha npwuepe paßoTbi IIIoneHxayepa «MeTaopMaijnn o6ocHOBi>roaiOT npiiHijnn «bottom u p » . OflHaKo BTO He 03HaqaeT, HTO cjiesyeT iioJiHocTbw oTKaaaTi.CH OT IIOHHTHH aBTOMaTHiecKoö nepepaCoTKM HH$opMaiiHH. Bojiee 3$$eKTHBHi>IM MOH\6T CI>ITI> noaxoji, npn KOTopoM pa3Jiimne Mew^y aBTOMaTHqecKoö h neanTOMaTimecKOit nepepaSoTKOfi iiii