214 19 43MB
German Pages 180 [169] Year 1977
Band 184 (1976)
Heft 4
Zeitschrift für Psychologie mit Zeitschrift für angewandte Psychologie
Schriftleitung Friedhart Klix, Berlin • Hans-Dieter Schmidt, Berlin • Hubert Sydow, Berlin Redaktion:
Jürgen Mehl, Berlin • Friedrich Kukla, Berlin
Unter Mitwirkung
von
G. Clauß, Leipzig H. Düker, Marburg H.-J. Eysenck, London P. Fraisse, Paris J . J . Gibson, Ithaca, N. Y . W. Hacker, Dresden H . Hiebsch, Jena A. Kossakowski, Berlin D. Koväc, Bratislava
A. N. Leontjew, Moskau B. F. Lomow, Moskau A. R. Luria, Moskau D. A. Oschanin, Moskau J . Piaget, Genf H. D. Rosier, Rostock W. P. Sintschenko, Moskau W. Straub, Dresden D. Wendt, Hamburg
Z. Psychol.
E V P 12,50 M je Heft
JOHANN AMBROSIUS
BARTH
LEIPZIG
INHALT RÖSLER,
I I . - D . , II. ENGEL, G. HAENSCH, A. IIAIDUK, A . H E R B S T ,
H.JASTER,
D. LOEBE,
D. ROETHER und CH. THAUT (Rostock). Entwicklung und Rückbildung psychischer Störungen —Nachuntersuchung an geistig Behinderten. Mit 2 Abbildungen 485 TEICHMANN H . , B . IIEIDER u n d U . KLEINPETER ( R o s t o c k ) . R i s i k o - u n d K o n t r o l l k i n d e r
im Längsschnittvergleich (3. Lebensjahr). Mit 8 Abbildungen FRÜHAUF, K. (Berlin-Buch). Ergebnisse psychologischer Längsschnittuntersuchungen bei Kindern mit a k t i v e m Ilydrozephalus nach Shunt-Operation im ersten Lebensjahr. Mit 3 Abbildungen SPRUNG, L., und C. WENZEL (Berlin). Begriffsanaloge Klassifikationsprozesse bei schizophrenen Denkstörungen. Experimentalpsychologische Untersuchungen von Komponenten der l l y p o t h e s e n b i l d u n g und - p r ü f u n g bei Schizophrenen und Normalen. Mit 2 Abbildungen BREHME, M., N. BOTH und K. WEISE (Leipzig). Analyse von physiologischen und Leistungsp a r a m e t e r n bei psychiatrischen Patienten im Krankheitsverlau f. Mit 7 Abbildungen RICHTER-HEINRICH,
Ii.,
U. KNUST,
M.
LORI u n d
IT. S P R U N G ( B e r l i n - B u c h ) .
Zur
495 505
518 530
Blut-
druckkontrolle durch Biofeedback bei arteriellen essentiellen Hypertonikern. Mit 7 Abbildungen PLCKENHAIN, L. (Leipzig). Die Bedeutung innerer Riickkopplungskrcise für den Lernvorgang (gezeigt am Beispiel des motorischen Lernens). Mit 8 Abbildungen
538 551
B E Y E R , L., L . PICKENHAIN u n d IL SCHUMANN ( L e i p z i g ) . Die A n w e n d u n g d e r F r c q u c n z -
analyse des EEG zur Charakterisierung unterschiedlicher psvcliopliysischer Zustände. Mit 5 Abbildungen 502 ROTH, N., B. GUHLMANN und M. GIRBARDT (Leipzig). Relation zwischen Leistung und Aktivierung unter dem Einfluß innerer und äußerer Faktoren. Mit 7 Abbildungen . . 570 SCMIDT, K.-II. (Berün-Buch). Zum Ausgangswertproblem bei der Bestimmung der R e a k t i v i t ä t verschiedener Probandengruppen in psychophysiologischen Untersuchungen. Mit 4 Abbildungen ' 584 HÜMMERS, W . (Kiel). Zur Validität der Portfolio-Thcorie im Entscheidungsverlialten von Schulkindern. Mit 2 Abbildungen G04 Buchbesprechungen 619 Bandtitelei und Namenregister I—XII
Manuskripte chologie
für 0 r i g i nalabha
der Humboldt-
Universität,
nd lu ngen
und R e f e r a t e werden
DDR — 102 Berlin,
Oranienburger
an Dr. J. Meld. Straße
18, erbeten.
Seidion
Psy-
Für d icse Zeit
Schrift werden grundsätzlich nur Arbeiten angenommen, die vorher weder im Inland noch im Ausland veröffentlicht worden sind. Das Manuskript ist satzfertig einzusenden, damit das Lesen der Korrektur bei Zeitmangel von der Redaktion v e r a n l a ß t werden kann. J e d e Abhandlung ist mit einer kurzen Zusammenfassung in 3facher Anfertigung für die Ubersetzung in russischer und englischer Sprache abzuschließen. Mit der Annahme des Manuskriptes und seiner Veröffentlichung geht das alleinige Recht der Vervielfältigung, Verbreitung und Übersetzung auf den Verlag über. Von Originalarhciten
liefert der Verlag an Stelle eines Honorars 50 Sonderdrucke. Buchbe-
sprechungen werden n n h t vergütet, dafür wird das Besprechungsexemplar Eigentum des Referenten. Der Bezugspreis stellungen
beträgt für den Band mit 4 Heften 50, —M zuzüglich Postgebühren.
Be-
nehmen e n t g e g e n : Der gesamte Buch- und Zeitschriftcnhandcl. Die Lieferung erfolgt
bis zur Abbestellung, die nur für das Ende eines Bandes ausgesprochen werden kann. Adresse
des Verlages:
J o h a n n Ambrosius Barth, D D R — 7 0 1 Leipzig, Salomonstr. 18b, Postfach 109,
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ZEITSCHRIFT FÜR P S Y C H O L O G I E Band 184,1976
Heft 4
mit Zeitschrift f ü r angewandte Psychologie
Aus der A b t e i l u n g für P s y c h i a t r i e ( D i r e k t o r : Prof. Dr. sc. der A b t e i l u n g für K i n d e r i i e u r o p s y c h i a t r i c ( D i r e k t o r : Prof. Dr. und dem Lehrstuhl für Klinische Psychologie (Prof. Dr. sc. der N e r v e n k l i n i k der W i l h e l m - P i e c k - U n i v e r s i t ä t
Band 92
med. A. HERBST), sc. m e d . G. GÖLLNITZ) n a t . H.-D. RÖSLER) Rostock
Entwicklung und Rückbildung psychischer Störungen — Nachuntersuchung an geistig Behinderten 1 V o n H . - D . R Ö S L E R , H . ENGEL, G . HAENSCH, A . HAIDTJK, A . H E R B S T , H . J A S T E R , D . LOEBE, D . ROETHER u n d C h . THATJT Mit 2 A b b i l d u n g e n
Längsschnittuntersuchungen der gestörten geistigen Entwicklung haben zu einem Wandel in der theoretischen Bestimmung der geistigen Behinderung geführt, die nicht mehr als in jedem Fall irreversibler Defekt, sondern als veränderlicher Entwicklungsrückstand aufzufassen ist. Mit wiederholten Intelligenzprüfungen konnte nachgewiesen werden, daß es keinen während des ganzen Lebens konstant bleibenden Grad der Intelligenzminderung gibt, sondern daß dieser bis zum Alter von etwa 16 Jahren noch zu- und danach wieder abnimmt. Das schlägt sich dann in epidemiologischen Erhebungen als zahlenmäßige Zunahme geistig Behinderter bis etwa zum Ende der obligatorischen Schulzeit und als Verringerung im Erwachsenenalter nieder. Die Abhängigkeit von der Lern- und Berufstätigkeit ist dabei offensichtlich. Während nun diese Entwicklung der geistigen Behinderung im Kindes- und J u gendalter durch viele und repräsentative Untersuchungen belegt ist (vgl. R Ö S L E R [14, 15]), liegen für ihre Rückbildung im Erwachsenenalter nur wenige Beweise aus Katamnesen an kleinen Endgruppen vor [3, 4, 7, 10, 13, 16]. Hiernach erreicht etwa jeder fünfte Debile später Leistungen, die einem normalen Intelligenzniveau entsprechen, und die Mehrzahl der Nachuntersuchten zeigt Besserungstendenzen innerhalb des Pietardierungsbereiches. Ihr Ausmaß korreliert mit der vom Individuum erreichten sozialen Eingliederung, läßt sich aber aus den verschiedenen Daten der Erstuntersuchung nicht vorhersagen. Das jedoch wäre von großem Interesse für die Rehabilitation geistig Behinderter. Wir planten deshalb Nachuntersuchungen an einer klinisch voruntersuchten Gruppe von geistig leicht behinderten Kindern bekannter Ätiologie mit dem Ziel, 1
Die Untersuchungen w u r d e n i m R a h m e n des medizinischen Forschungsprojektes „ D e f e k t i v e s
Kind" durchgeführt. 32
Z. Psychologie 184-4
486
Z. Psychol. Bd. 184 (1976) H. 4
ihre geistige Entwicklung bis ins Erwachsenenalter zu verfolgen und die hierbei wirksamen Bedingungen zu erfassen, um aus der Analyse spontaner Prozesse Hinweise für deren aktive Beeinflussung zu erhalten. Methoden Es wurden alle 222 ehemaligen Patienten der Abteilung für Kinderneuropsychiatrie der Universitäts-Nervenklinik Rostock, die in den Jahren von 1958 bis 1969 unter der Diagnose Debilität nach frühkindlicher Hirnschädigung aus verschiedenen Einweisungsgründen behandelt worden waren, im zweiten Halbjahr 1972 zu einer ambulanten Nachuntersuchung in die Abteilung für Psychiatrie der gleichen Klinik Tabelle I. Untersuchungsgruppe Anzahl (n) 71 Alter (Jahre) 1. Untersuchung 2. Untersuchung Intervall
(47 Männer, 24 Frauen) X
V
10,7 20,2
4 bis 18 17 bis 30
9,6
3 bis 14
Einweisungsgründe (°/0) Feststellung der Bildungs- und Schulfähigkeit Anfallsleiden, neurologische Erkrankung Kindliche Fehlhaltungen Erziehungsschwierigkeiten Sprachstörungen Forensische Fragestellung Kinderfehler
40 27 15 10 4 3 1 100
bestellt. Die 71 erschienenen Erwachsenen wiesen die in Tabelle I aufgeführte Zusammensetzung nach Geschlecht, Alter und Einweisungsgründen auf. Von ihnen werden hier 36 medizinische, soziale und psychologische Merkmale der stationären Erstuntersuchung und 30 Merkmale der ambulanten Nachuntersuchung ausgewertet.Die vergleichbaren psychologischen Variablen bestehen neben Schätzwerten des Verhaltens und der Sprache in Meßwerten der Motorik und Intelligenz. Da in der Erstuntersuchung verschiedene Intelligenzprüfverfahren benutzt worden waren (eine in der Klinik früher gebräuchliche Aufgabenreihe, Entwicklungstests nach BÜHLERHETZER, der HA WIK), die alle mit dem HAWIE-Ergebnis der Nachuntersuchung zu vergleichen waren, mußte eine Klassifikation in 5 Intelligenzgrade entsprechend den IQ-Stufen unteir 60, 60 bis 69, 70 bis 79, 80 bis 89 und ab 90 vorgenommen werden. Wir beschränken uns im folgenden auf den Vergleich dieser Intelligenz werte der Vor- und Nachuntersuchung und auf die Korrelation der dabei festgestellten Änderungen mit sämtlichen anderen medizinischen, sozialen und psychologischen Variablen.
H.-D. RÖSLER U. a., Entwicklung und Rückbildung psychischer Störungen
487
Ergebnisse Die Gesamtgruppe der 71 nachuntersuchten Erwachsenen zeigt im Vergleich zur Voruntersuchung im Kindesalter eine zum Normalen hin verschobene Häufigkeit über die 5 Intelligenzgrade. Die beiden Verteilungen der Abbildung 1 unterscheiden sich bei Prüfung auf Homogenität mit der Formel von BRANDT-SNEDECOR auf dem 0,1%-Niveau signifikant voneinand er. Diese Inhomogenität bleibt auch bei Beschrän-
A b b . 1. Verteilungskurven der Intelligenzgrade (Gesamtgruppe, « = 71)
kung auf die mit dem direkt vergleichbaren WECHSLER-Test untersuchten 23 Personen erhalten (Abb. 2). Hier unterscheiden sich jedoch nur die Verteilungskurven des Gesamttests (1%) bzw. des Handlungsteils (5%) signifikant voneinander, während die des Verbalteils nicht als unterschiedlich angesehen werden können. Die Veränderungsrichtung wird auch aus dem Vergleich der mittleren Intelligenzgrade in Tabelle II sichtbar: Besserung der Gesamtgruppe, besonders aber der nach WECHSLER untersuchten Teilgruppe, wobei die anfängliche Diskrepanz zwischen besseren verbalen und schlechteren praktischen Denkleistungen ausgeglichen wird. Hieran sind besonders die Untertests Allgemeines Verständnis und Gemeinsamkeitenfinden sowie der Mosaiktest und das Figurenlegen beteiligt, in der Tendenz aber alle Untertests des Handlungs- und nur drei des Verbalteils (Tab. III). Insgesamt ist bei 11 Personen eine Verschlechterung ihres Intelligenzgrades nach der 5stufigen Einteilung festzustellen, 15 Personen blieben in der gleichen Kategorie, und 45 überschritten sie um einen oder mehrere Grade. Dabei erreichten 23 einen IQ über 90, d. h . : ein Drittel der seinerzeit nach pädagogischem, neuropsychiatrischem und psychologischem Urteil debilen kindlichen Patienten, die alle Lern- und Verhaltensstörungen boten, zeigt im Erwachsenenalter normale Intelligenzleistungen. Nun könnte eine solche Intelligenzverbesserung durch Auslesewirkungen nur bei den zur Nachuntersuchung erschienenen 71, nicht aber bei den übrigen 151 ehemaligen Patienten der Gesamtgruppe eingetreten sein. Doch selbst unter der rigorosen 32-
488
Z. Psychol. B d . 184 (1976) II. 4
*
x 1 Untersuchung
0
° 2. Untersuchung
Abb. 2. Ycrtcilnngskurvca der Intelligcnzgradc ( U A W I K - I I A W I E - T e i l g r u p p e , n — 23)
Tabelle II. Minierer Inlelligenzgrad (Z), 1. uud 2. Untersuchung Untersuchung Prüfverfahren
71
1. Klinikbogen , Bühlor-llelzer. 1 I A W I K 2. HA W I E Gesamt-IQ
71 71
1. IIA W I K 2. 1IA W I E
23 23 Gesaml-IQ Verbal-IQ Handlungs-IQ
1
2
P Wilcoxon
74
83
0,1%
77 85 79
90 90 91
1 % 11. s. 1
%
489
H . - D . RÖSLER U. a., E n t w i c k l u n g und R ü c k b i l d u n g psychischer S t ö r u n g e n Tabelle I I I . Häufigkeitsänderung der Leistungen in den H A W I K - H A W I E - A u f gaben von der 1. und 2. Untersuchung ( T e s t von MCNEMAR) Aufgabe
Chi 2
Allgemeines Wissen
0
1). s.
Allgemeines Verständnis
7,4
Rechnerisches Denken
0,7
1% 11. s.
G emeinsamkeitenfinden
5,4
Zahlennachsprechen
3,6
An derun gsrichtung
P
Verbesserung Verbesserung
5% sympt.
Verbesserung
Zahlen-Symbol-Test
3,8
sympt.
Verbesserung
Bildergänzen
3,8
sympt.
Verbesserung Verbesserung
Bilderordnen
3,6
sympt.
Mosaiktest
7,4
Figurenlegen
1%
4,5
Verbesserung Verbesserung
5%
Annahme des Glcichbleibens dieser 151 Ypn bliebe der Prozentsatz von gebesserten Personen (45/222 = 2 0 % ) noch signifikant von 0 verschieden und — in I Q - P u n k t e n ausgedrückt — ein Anstieg von 73 auf 75 bestehen, der infolge nun größerer Probandenzahl noch auf dem 1 % - N i v e a u signifikant wäre. Man darf also in jedem Fall mit einem mehr oder minder großen Intelligenzanstieg der ganzen Ausgangsgruppe nach dem Kindesalter rechnen. U n t e r welchen Bedingungen hat sich nun eine solche Entwicklung vollzogen? Zur Prüfung dieser Frage unterteilten wir die 71 Personen auf Grund der Änderung des Intelligenzgrades in 3 etwa gleich große Gruppen, die nach weiteren Kriterien
T a b e l l e I V . Ausgangs-IQ und Alter bei unterschiedlicher Änderung des Intelligenzgrades von der 1. zur 2. Untersuchung Verschlechterung
Verbesserung
Verbesserung
und Gleichbleiben
um 1 Grad
um 2 Grade
u = 26
n = 25
n = 20
1. U n t e r s u c h u n g A l t e r (x)
74,5
74,1
73,5
1. U n t e r s u c h u n g
9,8
11,0
11,5
19,5
20,5
20,9
9,7
9,5
9,4
p
'
I Q (x)
Alter (x) 2. Untersuchung I n t e r v a l l {£) 1. bis 2. Untersuchung
verglichen wurden. Die Änderung des Intelligenzgrades zeigt nach Tabelle I V keine nachweisbare Abhängigkeit vom Ausgangs-IQ, vom Aufnahme- bzw. Nachuntersuchungsalter und der Dauer zwischen beiden Untersuchungen. Sie zeigt jedoch (Tab. V) einen deutlichen Zusammenhang mit 2 Variablen der Voruntersuchung: bei geringer Störung des P E G und der Motorik ist die Besserungstendenz am deut-
490
Z. Psychol. Bd. 184 (1976) H. 4 Tabelle V. Änderung des Intelligenzgrades im Zusammenhang mit anderen Variablen der Untersuchungen (1) und (2) Variable
C Korr.
P i» %
0,61 0,60 0,59 0,54 0,54 0,54 0,48 0,48 0,45 0,43 0,42 0,38
5 5 1 1 1 5 1 1 5 5 5 5
PEG (1) Motorik (1) Mitglied v o n Organisationen (2) Anzahl der Arbeitsstellen (2) lierufsabschluß (2) Schulabschluß (2) Einkommen (2) Verhalten (2) Anzahl der Partner (2) Straffälligkeit (2) Anzahl der Kinder (2) Wohnverhältnisse (2)
lichsten. Eine leichte Ilirnschädigung ist hiernach offenbar besser zu kompensieren als eine schwere. Von weiteren 10 Variablen der Nachuntersuchung ist hingegen eher ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis zur Intelligenzänderung anzunehmen, denn der Schul- und Berufsabschluß, das höhere Einkommen, die größere Zahl der Arbeitsstellen und die Mitgliedschaft in Massenorganisationen können sowohl Folge einer günstigen Intelligenzentwicklung sein als diese auch gefördert haben. Familiengründung und selbständige Wohnverhältnisse werden erst von den intelligenteren erreicht und begünstigen diese wiederum. Daß sie auch öfter strafTabellc VI. Iläuligkeilsändcrung korrespondierender Variabler von der 1. zur 2. Untersuchung (Test von MCNEMAK) Variable
Chi*
Bettreinheit Körperlicher C esaint ei ndiuck EEG Spätere Erkrankungen Anfälle Verhallen Einschulung/Schulabschlu ß
12,8 5,8 13,4 10,7 5,3 22,5 5,5
P i" "o 0,1 5 0.1 1 5 0,1 5
Ander u ngsrich tun Verbesserung Verbesserung Verbesserung Verbesserung Verbesserung Verbesserung Verschlechterung
fällig wurden, kann möglicherweise ein negativer Effekt ihrer größeren Aktivität sein. Besondere Bedeutung für die Intelligenzänderung muß das vornehmlich nach der sozialen Angepaßtheit und dem Handlungsantrieb eingeschätzte Verhalten haben. Denn unter den übrigen korrespondierenden Variablen der 1. und 2. Untersuchung, die neben der Intelligenz eine Veränderung zeigen (Tab. VI), ist auch das Verhalten mit einer hochsignifikanten Besserung ausgewiesen, die von diesen 7 Änderungen als einzige auch mit der Intelligenzänderung signifikant korreliert. Es besteht ein
H.-D. RÖSLER U. a., E n t w i c k l u n g u n d R ü c k b i l d u n g psychischer S t ö r u n g e n
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gleichsinniger Zusammenhang zwischen Intelligenzänderung und Verhaltensänderung, ohne daß man sagen kann, welche Änderung die primäre ist.
Diskussion Unsere Ergebnisse stimmen mit denen der uns bekannten Nachuntersuchungen an ehemaligen Hilfsschülern in der Rückbildungstendenz der geistigen Behinderung überein. Dieser kognitive Leistungsanstieg zum Erwachsenenalter ist kein bloßer Testwiederholungseffekt, denn nach einer differenzierten Auswertung von C L A R K E und C L A R K E [ 5 ] nimmt er mit der Länge des Intervalls zwischen Vor- und Nachuntersuchung zu. Er kann auch nicht nur auf Unzulänglichkeiten der Intelligenzmessung mit unterschiedlichen Verfahren im Kindes- und Erwachsenenalter zurückgeführt werden, wenn der Anstieg bei Debilen von mehreren Untersuchern in verschiedenen Prüfverfahren festgestellt wird, bei Kontrollgruppen normaler Kinder aber sowohl das Sinken des mittleren IQ bis zur Adoleszenz [9] wie auch sein Steigen danach [I] ausbleiben. Ebensowenig darf man den bemerkenswerten Anteil von normal intelligenten Erwachsenen in den liaohu ntersuchten Gruppen übersehen und ihn als Fehldiagnosen der Kiiiderneuropsyehialer im Sinne einer „Pseudodebilität" durch Milieuschädigung abtun, denn dieses Aufholen von einem Fünftel bis Drittel geistig leicht Behinderter zeigt sich auch unter Beschränkung auf hirngeschädigte Debile. Es muß sich hierbei also um eine echte nachholende Entwicklung geistig Behinderter handeln, die sich im Erwachsenenalter noch weiterverfolgen läßt [6, 8] und dabei ebenfalls besonders im Handlungsteil des WECHSLER-Prüfsystems erscheint [3, 12], Sie ist prinzipiell auch über den biologischen Wachstumsabschluß hinaus möglich, weil die intellektuelle Entwicklung ein Lernvorgang ist, bei dem die durch Erb-, Hirn- oder Milieuschäden Behinderten zunehmend zurückbleiben müssen, solange die Entwicklungsnormen mit dem gesellschaftlich organisierten Lernzuwachs der Normalen in ihrer Schulzeit schnell ansteigen, und bei dem sie aufholen können, wenn der normale Lernzuwachs im Erwachsenenalter geringer wird. Dieses Aufholen ist abhängig von dem Grad der frühkindlichen Hirnschädigung, der Angepaßtheit des sozialen Verhaltens während der Entwicklungsjahre und dein Niveau der späteren Tätigkeit. Von besonderer prognostischer Bedeutung ist sicher der größere Intelligenzzuwachs im praktischen Denkhandeln von gelernten gegenüber ungelernten Arbeitern und bei berufstätigen im Vergleich zu berufslosen geistig Behinderten gleichen Ausgangsniveaus ( M U N D Y 1 9 5 5 ) . Denn wenn er sich spontan in der Berufstätigkeit des Erwachsenen herausbildet, muß er schon unter der pädagogisch gelenkten Tätigkeit des Kindes und Jugendlichen zu fördern sein. Wie B R Ö S E [2] in seinen Unterrichtsversuchen gezeigt hat, kommt es vor allem darauf an, im Hilfsschulunterricht die Selbsttätigkeit des Schülers von dem manuellen Bereich auf den der geistigen Operationen auszudehnen, um den hierin Behinderten zu aktivieren. So muß der Intelli-
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Z. Psychol. Bd. 184 (1976) H. 4
genztiefstand kein unabdingbares F a t u m mehr bleiben, sondern die medizinischen, sozialen und pädagogischen Rehabilitationsmaßnahmen gewinnen i m m e r mehr an Bedeutung f ü r den Verlauf dieser psychischen S t ö r u n g . Zusammenfassung 71 von 222 ehemaligen kindlichen Patienten (£ = 10,7 Jahre) mit der Diagnose Debilität nach frühkindlicher Hirnschädigung konnten als Erwachsene (¿ = 20,2 Jahre) von Ärzten und Psychologen nachuntersucht werden, wovon hier die Ergebnisse der wiederholten Intelligenzprüfung ausgewertet sind. Die Nachuntersuchung der mit verschiedenen Verfahren im Kindesalter voruntersuchten Probanden erfolgte mit dem IIA WIE; die Vpn wurden deshalb nach der 1. und 2. Prüfung nur in 5 Intelligenzgrade entsprechend den IQ-Stufen unter 60, 60 bis 69, 70 bis 79, 80 bis 89 und ab 90 klassifiziert. Von der 1. zur 2. Untersuchung zeigten 11 Vpn eine Verschlechterung ihrer Intelligenzleistung um einen Klassifizierungsgrad, 15 ein Gleichbleiben und 45 eine Verbesserung, davon 20 um mehr als ein Grad. 23 der ehemals Debilen haben einen IQ über 90, d. h. ein normales Intelligenzniveau, erreicht. Der mittlere Intelligenzgrad ist sowohl in der Gesamtgruppe als auch in einer Teilgruppe der beide Male mit dem WECHSLER-Verfahren überprüften Vpn signifikant angestiegen, was sich besonders im praktischen Denkhandeln und weniger im sprachlich-logischen Denken zeigt. Bei Aufteilung der Gesamtgruppe in 3 Anderungsgruppen ergeben sich keine Unterschiede hinsichtlich der Ausgangsintelligenz, des Ausgangsalters und des Zeilintervalls zwischen 1. und 2. Untersuchung. Dagegen lassen sich signifikante Zusammenhänge zwischen IQ-Änderung und Schädigungsgrad, Verhalten, Schulabschluß und der beruflichen, familiären und sozialen Eingliederung in die Gesellschaft feststellen. Sie sind in unterschiedlichem Maße als Ursache, Folge und Wechselwirkung einer weiteren geistigen Entwicklung Oligophrener im Erwachsenenalter zu interpretieren. Summary Seventy-one of a total 222 former patients of tender age (x= 10.7 years), who had been diagnosed as being moron as a result of early-childhood bruin injury, were reexamined, as adults (£ = 20.2 years), by physicians and psychologists, the results of repeated tests of mental capacity being presented in this paper. Reexamination of subjects, who at the age of childhood had been examined by various methods, was by means of the HAW1E test; consequently, only five degrees of intelligence corresponding to the 1Q levels under 60, from 60 to 69, from 70 to 79, from 80 to 89, and over 90 were used for the classification of subjects after the completion of the first and second tests. Eleven subjects showed a reduction of mental capacity by one degree of classification, 15 showed no change in capacity, and 45 an improvement of mental capacity between the first and second examination. In the latter group, 20 subjects showed an improvement by more than one degree of classification. Twenty-tlirce of the former morons were found to have reached an IQ above 90, i. e., a normal level of intelligence. The average level of intelligence was observed to have significantly increased in the total group as well as in a subgroup of subjects tested each time by the use of Wechsler's method, and this is reflected especially in practical thought and action and, to a lesser extent, in logical thinking. Division ol the total group into three subgroups showing variations of one kind or another did not reveal any significant differences in respect of the initial level of intelligence, initial age, and time interval between the first and second examinations. However, there did exist significant relationships between the variation in intelligence quotient and degree of injury, behavior, school-
H.-D. RÖSLER U. a., Entwicklung und Rückbildung psychischer Störungen
493
leaving age und the occupational, familial, and social integration into socicty. They m a y be interpreted as reflecting, to a different degree, the causes, conscqucnccs, and reciprocal effects of further mental development of oligophrenic adults.
Pe3ioMe y
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H A W I E , HcrttiTyeMHe ii03T0My nocjie 1 h 2 npoBepun KJiaccnifiHUMpoBa.Tnicb c00TBeTCTBeHH0 CTyneHHM HX noKa3aTeJieit HHTejuieKTa TOJILKO B 5 CTeneHeü HHTejuieKTa: MeHbine 60, OT 60 flo 69, 70 no 79, 80 ho 89 h CBurne 90. n p H BTopoM HccneHOBaHHH 11 HcrruTycMbix ILOKASAJIH yxyflmeHHe CBoeü HHTejineKTyaJibHOft CIIOCO6HOCTH H a 1 CTeneHb KJIACCHCFIHUBPOBAHJIH, 1 5 KOCTOHIICTBO H 4 5 y j i y m i e m i e 3TOH CNOCOßHO-
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Literatur 1. Anochin, P. K . : Das funktionelle System als Grundlage der physiologischen Architektur des Verhaltensaktes. J e n a 1967. 2. B e r l y n e , D. E . : Motivational problems raised by exploratory and epistemic behavior. I n : S . Koch (ed.), Psychology: A study of a science, Vol. 5 , S . 2 8 4 - 3 6 4 . New York 1 9 6 3 . 38
Z. Psychologie 184-4
582
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44. 45.
Anschrift des Verfassers: O A Dr. med. NORBERT ROTH, Dipl.-Psych. BRIGITTE GUHLMANN und Dr. Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung der Karl-Marx-Universität DDR - 701 Leipzig, Härtelstr. 16/18
38'
MARIANNE GIEBAEDT
A u s der A k a d e m i e der Wissenschaften der D D R , Zentralinstitut für Herz- u n d K r e i s l a u f - R e g u l a t i o n s f o r s c h u n g , Berlin-Buch ( D i r e k t o r : Prof. Dr. med. R . BAUMANN)
Zum Ausgangswertproblem bei der Bestimmung der Reaktivität verschiedener Probandengruppen in psychophysiologischen Untersuchungen 1 V o n K . - H . SCHMIDT Mit 4 Abbildungen
1. Verlaufsanalytische Methodik in der Psychophysiologie Psychophysiologische Untersuchungen sind durch eine prozeßorientierte Methodik gekennzeichnet, wobei diese Methodik durch die Simultanerfassung physiologischer und psychologischer Variabler gekennzeichnet ist. FAHRENBERG [13] unterscheidet statische und dynamische Untersuchungsmethoden und betont die Bedeutung dynamischer Untersuchungsniethoden für die Psychologie. Paradigma dieser dynamischen psychophysiologischen Untersuchungsmethoden sind Belastungs- oder Stressexperimente, in denen Zustandsänderungen physiologischer und psychologischer Funktionen erzeugt werden sollen. Im Mittelpunkt steht dabei die Beziehungsanalyse bestimmter Ausgangswerte vor Stimulation und der durch Stimulation hervorgerufenen Reaktions- oder Verlaufswerte. Diese Beziehungsanalyse wird allgemein als Verlan fsanalyse bezeichnet [15]. Das methodische Vorgehen in der Verlaufsanalysc setzt eine dem jeweiligen Stimulus entsprechende Veränderung der Ausgangswerte voraus. Das bedeutet, daß die Variabilität der Ausgangs- und Verlaufs werte Ausdruck einer methodisch gezielten Bedingungsvariation ist. Damit ist auch das Ziel der psychophysiologischen Verlaufsanalysc gekennzeichnet, das in der Erfassung der intraindividuellen Variabilität besteht. Mit intraindividueller Variabilität ist dabei die Veränderung der Ausgangswerte auf Stimulation gemeint. Mit anderen Worten stellt sich hier das Problem der Reaktivität der Individuen bezüglich der erfaßten physiologischen Funktionen. Der verlaufsanalytische Ansatz impliziert ein biometrisches Problem, das die Beurteilung der intraindividuellen Reaktivität erschwert. Wenn z. B . die Reaktion eines Individuums auf einen Stress-Stimulus beurteilt werden soll, so ist die Gültig1
Herrn Prof. Dr. rer. n a l . liabil. II. J . LANDER d a n k t der Verfasser für zahlreiche Hinweise u n d
wertvolle Anregungeil.
K . - H . SCHMIDT, A u s g a n g s w e r t p r o b l e m bei der B e s t i m m u n g der R e a k t i v i t ä t
585
keit des Urteils sehr wesentlich vom benutzten Maß der individuellen Reaktivität abhängig. Es wird also ein biasfreies Maß zur Beurteilung der Reaktivität gesucht. Diese Fragestellung ist dabei nicht spezifisch für psychologische Untersuchungen, sondern hat darüber hinaus noch allgemeinere Bedeutung. Das Problem des Vergleichs zweier Messungen zu verschiedenen Zeitpunkten stellt sich u. a. auch in der klinischen Therapie, z. B . bei der Beurteilung des Erfolgs von Kurbehandlungen, und in der Psychotherapie, wo es mit dem Begriff der „Veränderungsmessung" verk n ü p f t ist (vgl. z. B . BASTINE [2]). B e r e i t s 1924 h a t t e n THORNDIKE und THOMSON
im Zusammenhang mit Intelligenzuntersuchungen auf den Problemkreis der Verlaufsanalyse aufmerksam gemacht (vgl. GARSIDE [16]). In aller Schärfe wurde die Problematik dann 1931 von WILDER in die wissenschaftliche Diskussion gebracht. 2. Das Ausgangswertgesetz
WILDERS
WILDER [42, 43] veröffentlichte das nach ihm benannte Ausgangswertgesetz parallel in zwei Zeitschriften. E r war von den Ergebnissen pharmakologischer Experimente ausgegangen und kam zu der folgenden allgemeineren Formulierung: „ J e stärker die Erregung der vegetativen Nerven, der Tätigkcitsgrad des vegetativen Organs, desto geringer ist ceteris paribus ihre Erregbarkeit für fördernde, desto stärker ihre Ansprechbarkeit für hemmende Reize. Erreicht der Erregungs-, der Aktionszustand im Moment vor der Reizung gewisse höhere Grade, so wird die Reaktion — wahrscheinlich infolge des Bestehens antagonistischer Systeme — paradox" (WILDER [42], S. 1890). WILDER h a l t e die R e a k t i o n des Kreislaufs ( P a r a m e t e r waren Pulsfrequenz und B l u t d r u c k ) auf s u b k u t a n e A t r o p i n - , Adrenalin- und P i l o c a r p i n - I n j e k t i o n e n u n t e r s u c h t u n d k a m zu der
Fest-
stellung, „ d a ß es n i c h t nur bei der üblichen P r ü f n n g s n r l , sondern auch u n t e r ganz besonders strengg e f a ß t e n Yersuclisbedingungen beim Menschen eine k o n s t a n t e , individuell c h a r a k t e r i s t i s c h e R e a k t i o n auf A t r o p i n , Adrenalin und Pilocarpin n i c h t gibt. . . . Gleichgültig ob es sich u m P i l o c a r p i n , A t r o p i n oder Adrenalin, ob es sich u m Puls oder B l u t d r u c k h a n d e l t e , e r g a b sich z u n ä c h s t , daß überall in e t w a 75"/Q der Versuche die steigende K u r v e desto flacher, die sinkende desto tiefer war, j e h ö h e r der Ausgangswert ( VW) von Puls und B l u t d r u c k w a r und vice v e r s a , so daß also bei h o h e m A W die tiefen S e n k u n g e n und die flachen Anstiege, bei tiefem A W die steilen Anstiege und die f l a c h e n S e n k u n g e n weitaus ü b e r w i e g e n " (WILDER [42], S. 1889). WILDER bezeichnete dieses Ausgangswertgesetz als ein bisher u n b e a c h t e t e s biologisches Gesetz und m a ß i h m eine weitreichende B e d e u t u n g sowohl für die F o r s c h u n g als auch für die klinische P r a x i s bei. Zur A u s w e r t u n g seiner V e r s u c h e b e n u t z t WILDER [42, 44, 4 5 ] die s o g e n a n n t e n Kxirvenflächen. I n einem K o o r d i n a t e n s y s t e m , auf dessen Abszisse die Zeit und dessen Ordinate die u n t e r s u c h t e V a r i a b l e aufgetragen werden, s t e l l t er seine E r g e b n i s s e dar. V o m A u s g a n g s w e r l w i r d parallel zur Abszisse und durch den E n d p u n k t ( E r g e b n i s der l e t z l e n Messung) parallel zur O r d i n a t e jeweils eine G e r a d e gezogen. Die einzelnen M e ß p u n k t e werden m i t e i n a n d e r v e r b u n d e n . Die auf diese W e i s e e n t s t a n d e n e F l ä c h e b e z e i c h n e t WILDER als K u r v e n f l ä c h c . E r h e b t sich die K u r v e über d e n A u s g a n g s w e r t , so ist sie positiv, s i n k t sie u n t e r den Ausgangswert, wird sie als n e g a t i v bezeichnet. Diese K u r v e n f l ä c h e n s e t z t WILDER in B e z i e h u n g zum Ausgangswert und erhält die in seinem G e s e t z formulierte A b h ä n g i g k e i t der R e a k t i o n e n v o m Ausgangswert.
STEINSCHNEIDER und LIPTON [36] fassen die Beziehung zwischen Ausgangswert und Verlaufswert als ein „semiquantitatives Gesetz" auf; es ist keine spezifische
Z. Psychol. Bd. 184 (1976) H. 4
586
m a t h e m a t i s c h e F u n k t i o n n a c h w e i s b a r , die sich auf das A u s g a n g s n i v e a u u n d die n a c h f o l g e n d e R e a k t i o n bezieht. Es ist a u c h keine A n n a h m e d a r ü b e r möglich. Die A u t o r e n betonen, d a ß nicht der A u s g a n g s w e r t allein b e s t i m m e n d ist f ü r die Größe der R e a k t i o n auf einen Reiz, n u r d a ß dieser dabei eine w i c h t i g e Rolle spielt. F ü r WILDER [42, 45] selbst ist das A u s g a n g s n i v e a u ebenfalls nicht die alleinige Variable, die das Yersuchsgeschehen b e s t i m m t , doch sei dieser F a k t o r der p r a k t i s c h wichtigste. Alle Versuche, das WiLDERsche Gesetz biologisch zu interpretieren, sind auf ein Homöoslase-Vrinzip zurückführbar, auch wenn dies die jeweiligen A u t o r e n nicht immer ausdrücklich betonen. Entsprechende A n s ä t z e wurden z. B. von SELBACH [35] und von WILDER [46, 47] vorgelegt. Eine Ubersicht über die wichtigsten Theorien, in deren Rahmen eine biologische Deutung des WlLDERschen Gesetzes möglich ist, gibt WILDER [46] in seiner Monographie. 3. Biometrische Probleme des Ausgangswertgesetzes 3.1. Auswertungsparameter W ä h r e n d WILDER seine Versuche ursprünglich mit Hilfe der sogenannten K u r v e n f l ä c h e n a u s g e w e r t e t h a t t e , setzte sich in der nachfolgenden L i t e r a t u r die Methode der Regressionsstatistik in der B e h a n d l u n g der A u s g a n g s w e r t p r o b l e m a t i k durch. Dabei ist a n z u m e r k e n , daß keine völlige K l a r h e i t d a r ü b e r besteht, ob dies die gee i g n e t s t e Methode darstellt, sie ist lediglich die a m h ä u f i g s t e n a n g e w a n d t e (vgl. BLOCK u n d BRIDGER [ 7 ] ) .
In die regressions- bzw. k o r r e l a t i o n s s t a l i s t i s e h e A n a l y s e n gehen die folgenden V a r i a b l e n ein: der individuelle A u s g a n g s w e r t vor B e l a s t u n g oder S t i m u l a t i o n , der mit bezeichnet w i r d ; der Verlaufswert n a c h S t i m u l a t i o n , der m i t V, symbolisiert wird, und der R e a k t i o n s w e r t D{. Diese R e a k t i o n s g r ö ß e ist die Differenz zwischen Verlaufs- und A u s g a n g s w e r t (D{= Y{ — X,-). Es gibt nun verschiedene Möglichkeiten, die Beziehung zwischen Ausgangs- und ^ erlaufs- oder R e a k t i o n s w e r t regressionsbzw. korrelalionsstatistisch zu erfassen. GARSIDE [16] und CHURCHILL [9] b e t r a c h t e n die Regression von D auf X und zeigen, daß sich die Korrelation von ] ) und X ergibt als _ rDX ~
S Y ' rx i 2 2 1 sx + s s
sx x
" s Yrx Y
Zwischen den Regressionskoeffizienten besteht folgende Beziehung (vgl. GARSIDE [i6}):bDX = bYX-L Auf dieser Beziehung aufbauend haben FAHRENBERG und MYRTEK [15] und FAHRENBERG [13] die Fälle angeführt, für die das WiLDERsche Gesetz zutrifft (vgl. auch BENJAMIN [6]). Sowohl der Verlaufswert Y als auch der R e a k t i o n s w e r t D w e r d e n hier in die Bet r a c h t u n g einbezogen; GARSIDE [16] h a t t e gezeigt, daß die Regressionskoeffizienten
K.-H. SCHMIDT, Ausgangswertproblem bei der Bestimmung der R e a k t i v i t ä t
587
bYX und bDX ineinander überführt werden können. In der Literatur ist aber die Verwendung der Reaktionswerte (D) umstritten. F ü r eine Verwendung dieser Reaktionswerte sprechen sich RLOCK und BRIDGER [ 7 ] , HEATH u n d OKEN [ 1 7 , 1 8 ] s o w i e OKEN u n d HEATH [ 2 9 ] a u s . D i e A u t o r e n f ü h r e n
dabei folgende Begründung a n : Für die Frage, ob das Ausgangswertgesetz durch die empirisch gewonnenen Daten bestätigt wird oder nicht, sind nur die Reaktionsgrößen relevant, nicht die Verlaufswerte. WILDER selbst bezieht sich ebenfalls auf die Differenzen zwischen Ausgangs- und Verlaufswerten (vgl. BLOCK und BRIDGER [7], WILDER [46]), auch wenn er einen anderen Auswertungsmodus wählt. OKEN und HEATH [29] betonen, daß aus der Korrelation von Prä- und Poststimulus-Werten nicht eindeutig auf die Beziehung Ausgangswert-Reaktionswert geschlossen werden k a n n ( v g l . a u c h FAHRENBERG u n d MYRTEK [ 1 5 ] ) .
Eine andere Auffassung vertreten dagegen LACEY [25] sowie LACEY und LACEY [26]. Sie bestehen auf einer ausschließlichen Verwendung der Verlaufswerte ( Y ) . Ihre Auffassung begründen die Autoren mit zwei Einwänden gegen die Anwendung der Reaktionswerte (D): 1. Die Verwendung von Reaktionswerleu (D) bedeutet Redundanz. Haben alle Probanden dasselbe Ausgangsniveau, erhält man keine zusätzliche Information durch die Berechnung der Reaktionswerte (D), die \ erlaufswerte ( Y ) genügen allein zur Beurteilung der Versuchswirkung. Dies — nämlich gleiche Ausgangswerte für alle Probanden — dürfte in der Praxis allerdings k a u m der Fall sein. Mit der Regressionstechnik soll gerade versucht werden, diese Schwierigkeit zu umgehen. Da der Reaktionswert (D) eine abgeleitete Größe aus Ausgangswert und Verlaufswert darstellt ( V — X), ist die Regression der Verlaufswerte auf die Ausgangswerte (bYx) ausreichend zur Beurteilung des Ausgangswerteffektes, die Berechnung der Reaktionswerte (D) und der Regression der Reaktionsgrößen auf die Ausgangswerte (b DX ) bedeutet Redundanz, bringt also keine neue Information. 2. Der zweite Einwand betrifft die „Unechtheit" der Korrelation von Ausgangswert und Reaktionswer t. Es wurde bereits oben gezeigt, daß die Reaktionsgröße (D) als Differenz von Verlaufs- und Ausgangswert {Y—X) selbst wieder vom Ausgangswert abhängig ist. STEINSCHNEIDER u n d
LIPTON [ 3 6 ] v e r t r e t e n e i n e n S t a n d p u n k t ,
den m a n
als
Kompromiß zwischen beiden Richtungen bezeichnen könnte. Sie diskutieren die Argumente, die gegen eine Verwendung der Reaktionswerte ins Feld geführt werden und bezeichnen sie als gegenstandslos. Sie berufen sich auf die „grundlegende Ähnlichkeit" der Reaktions- und Verlaufswerte (vgl. auch BRIDGER und REISER [8]) und kommen zu der Auffassung, daß dieselben Schlußfolgerungen bezüglich des Ausgangswertproblems sowohl aus der Verwendung der Reaktionswerte als auch aus der Anwendung der Verlaufswerte gezogen werden können — vorausgesetzt, die geeigneten statistischen Methoden kommen zur Anwendung. „Wir sind somit gezwungen, auf der Grundlage solcher Überlegungen wie ,theoretische Folgerungen', ,heuristischer W e r t ' und den mehr oder weniger begrenzten Zielen der spezifischen
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588
Untersuchung eine E n t s c h e i d u n g zu t r e f f e n " (STEINSCHNEIDER und LIPTON [36], S . 4 5 0 ; v o m Verfasser übersetzt, K . - H . S . ) . Dieser Vorschlag orientiert also darauf, die Auswahl der Variablen für die s t a t i stische Analyse von der Zielstellung der Untersuchung abhängig zu m a c h e n .
3.2. Zur biometrischen Kritik am Ausgangswertgesetz Neben den biologischen D e u t u n g e n des WlLDERschen Gesetzes spielen biometrische P r o b l e m e eine Rolle, die einen A u s g a n g s w e r t - E f f e k t (im S i n n e des WILDERschen Gesetzes) verursachen können. Diese P r o b l e m e bilden den A u s g a n g s p u n k t für eine grundlegende K r i t i k am Ausgangswertgesetz, wie sie besonders in den in der L i t e r a t u r i m m e r wieder zitierten und schon fast „klassisch" zu nennenden Arbeiten zum Ausdruck k o m m t . In der ersten kritischen A r b e i t haben PROPPE und BERTRAM [31] zum Ausgangswertgesetz Stellung g e n o m m e n . Nach einer sehr gründlichen m a t h e m a t i s c h e n Analyse k o m m e n die A u t o r e n zu dem S c h l u ß , daß das Gesetz WILDERS ein statistisches A r t e f a k t darstellt. Als anschaulichen Beweis führen sie ein Würfelbeispiel an. Mit zwei Würfeln gewinnen sie 3 6 W e r l e p a a r e , die W ü r f e sind u n a b h ä n g i g voneinander. Die
( ¿ = 1 , 2 , . . . , 6) sind die W e r t e des ersten und yi ( i = i , 2, . . . , 6) die des
zweiten Würfels. D a s heißt, die Meßwertpaare empirischer Untersuchungen werden durch Zufallswerte ersetzt. Diese zufällig gewonnenen „ M e ß w e r t r e i h e n " sind voneinander unabhängig, zwischen ihnen b e s t e h t eine Null-Korrelation. Die A u t o r e n bilden nun die Differenzwerte
aus den W e r t e p a a r e n
(z^—yi—Xj), berechnen
Regression von zk auf Xf und erhalten einen Korrelationskoeffizienten rzx=
die
—0,707.
Aus ihrer Beweisführung leiten die Verfasser den S c h l u ß ab, daß die Verwendung von Differenzwerten bei selbst völlig voneinander unabhängigen Verteilungen dazu führt, daß K o r r e l a t i o n e n mit einem relativ hohen G r a d von S t r a m m h e i t (die sich zudem statistisch sichern lassen) in die Verteilungen hineintransformiert werden. B e reits VAN DER BIJL [38] h a t t e diese Methode zur Verwendung von Differenzen zur K o r r e l a t i o n s b e r e c h n u n g als eine „Fehlerquelle in der wissenschaftlichen statistischen F o r s c h u n g " beschrieben. E r wies n a c h , „daß es zwischen a und (a — b) einen großen Korrelationskoeffizienten geben m u ß , auch wenn — oder besser: gerade wenn — der Korrelationskoeffizient zwischen a und 6 = 0 ist ( r h o o 6 = 0 ) " (VAN DER BIJL [38], S. 2 0 7 ) . JESSEL [22] v e r t r i t t daher die Auffassung, daß es sich im F a l l e des WlLDERschen Gesetzes nicht um ein biologisches Gesetz, sondern um ein Gesetz aus dem G e b i e t der K o m b i n a t o r i k handelt. LACEY [25] sowie LACEY und LACEY [26] geben die folgenden Beziehungen an (vgl. auch CHURCHILL [9, 1 0 ] ) : 1. F a l l s 4 = « y und die K o r r e l a t i o n / ' x y = 0 , so ergibt sich für rXD— 2. F a l l s s\ls\^rXY,
so ergibt sich eine n e g a t i v e K o r r e l a t i o n
3. Falls s \ / s \ < r X Y , so ergibt sich eine positive Korrelation
—0,707.
rXD. rXD.
Diese Beziehungen veranlassen LACEY [25] sowie LACEY und LACEY [26], von
K . - H . SCHMIDT, A u s g a n g s w e r t p r o b l e m bei der B e s t i m m u n g der R e a k t i v i t ä t
589
einer „unechten Korrelation rXD" zu sprechen und die Verwendung der Differenzwerte (D) zu vermeiden. IIUNGERLAND und WALTHER [20] führen ein Lotteriebeispiel an, gewinnen „Meßw e r t p a a r e " mit Hilfe statistischer Zufallszahlen und kommen zu denselben Schlußfolgerungen wie PROPPE und BERTRAM [31]. Ein ähnliches Vorgehen wählen auch POLAK und KNOBLOCH [30]. Sie kommen nach ihren statistischen Überlegungen zu der folgenden — von allen Autoren a m radikalsten formulierten — Schlußfolgerung: „ D i e WlLDERsche Formulierung ist nichts anderes, als eine auf Willkür beruhende f o r m a l - m a t h e m a t i s c h e U m f o r m u n g des empirischen Satzes. . . . D a s Ausgangswertgesetz von WILDER führt eine Scheinexistenz, es ist ein Scheingesetz" (POLAK und KNOBLOCH [30], S . 4 7 9 .
Die hier aufgeführten Autoren beschränken sich in ihren Betrachtungen an Zufallsmodellen auf den Fall b Y X = 0, d. h. auf jenen Fall, in dem eine Null-Korrelation von Ausgangs- und Verlaufswert vorliegt FAHRENBERG und MYRTEK [15] betonen jedoch, daß das aufgezeigte biometrische Problem auch für die Fälle bYX,-) Vf und die Schiefe durch Sch;=iPi
1-lP,. (1 -Pi)
'
Ein anderer Ansatz zur Schätzung des erlebten Risikos folgt aus den Arbeiten von SLOVIC [13] sowie SLOVIC und L I C H T E N S T E I N [14] in denen eine Alternative als multidimensionaler Reiz aufgefaßt wird. Die unmittelbar wahrnehmbaren Eigenschaften, wie Gewinnwahrscheinlichkeit oder Verlustbetrag, und nicht die „Momente" der Alternativen, wie Varianz und Schiefe, sind zu verwenden, um das erlebte Risiko abzuschätzen. Dazu erwiesen sich besonders Verlustwahrscheinlichkeit und Verlustbetrag als geeignet. Zu dieser Kontroverse soll in diesem Zusammenhang kein Beitrag geleistet werden. Bei Schulkindern erscheint es aber sinnvoll, die expliziten Eigenschaften der Alternativen als die das Risiko determinierenden Variablen aufzufassen. Sie sind der Anschauung zugänglich und es muß nicht vorausgesetzt werden, daß mehrere explizite Eigenschaften integriert werden. Dies müßte bei Kindern auf Grund der Ergebnisse zur kognitiven Entwicklung für unwahrscheinlich gehalten werden. Daher bauen die folgenden Überlegungen auf der Determiniertheit des erlebten Risikos durch die Verlustwahrscheinlichkeit auf. E s bleibt der Diskussion überlassen, die möglichen Verfälschungen auf Grund dieser Voraussetzungen zu prüfen. Da bei genauer Betrachtung zwei Theorien überprüft werden, die Portfolio-Theorie und eine Theorie des Risikos bei Gewinn-Alternativen, wird bei einem negativen Ergebnis des Überprüfungsvcrsuchs die Ursache dafür in beiden Theorien zu suchen sein. Darauf weist auch COOMBS [2] hin. 2. Methode der Untersuchung 2.1. Überprülungslogik Die Überprüfung der P T erfolgt in zwei Schritten. Als erstes werden die Vpn auf Grund einer Teilmenge von gegebenen Entscheidungssituationen in verschiedene Gruppen klassifiziert. Dadurch wird eine Schätzung der Ausprägung des Idealen Risikos jeder Vp angestrebt. Die Klassifikation erfolgt auf Grund des Wahlverhaltens in Situationen mit Alternativen gleichen EWs. Dann erfolgt die Überprüfung von aus der P T abgeleiteten Hypothesen über das Verhalten in anderen, speziell zu diesem Zweck aufgebauten Entscheidungssituationen mit Alternativen ungleichen EWs.
608
Z. Psychol. B d . 184 (1976) H. 4
2.2. Bestimmung des idealen Risikos Das I R läßt sich auf zwei Arten grob klassifizieren: Lage-Wähler: Das I R bildet sich bei Lage-Wählern in Abhängigkeit von der Zusammenstellung der Alternativen als ein situationsspezifisches Adaptationsniveau der Risiken der einzelnen Alternativen der Situation aus, d. h. ihr totales Risiko liegt immer bei der Alternative mit relativ mittlerer Gewinnwahrscheinlichkeit und relativ mittlerem Gewinnwert. b) Stabil-Wähler: Das I R der Stabil-Wähler ist eine Personenkonstante und relativ unabhängig von den Alternativen der Entscheidungssituationen. Es lassen sich drei Fälle unterscheiden. Risiko-Wähler — Das I R liegt nahe der Gewinnwahrscheinlichkeit i ^ O . O . — P = .o-Wähler: Das I R liegt in der Nähe der Gewinnwahrscheinlichkeit P-.5. — Sicher-Wähler: Das I R liegt bei der Gewinnwahrscheinlichkcit P—1.0. Wir unterscheiden im folgenden 3 Risikotypen ( I R - T Y P E N ) : Risiko-Wähler, P = . 5 - W ä h l e r und Sicher-Wähler. Zur Bestimmung des I R werden Entscheidungssituationen mit gleichen Erwartungswerten verwandt, (vgl. Tab. II Abfolge 1—3) — deren größte Gewinnwahrscheinlichkeit kleiner oder gleich / ) = . 5 ist (AlphaSituationen) — die eine ungefähre mittlere Gewinnwahrscheinlichkeit von P=.5 haben (BetaSituationen) — deren niedrigste Gewinnwahrscheinlichkeit größer oder gleich P . = ':> ist (GammaSituationen). Wir sprechen im folgenden von den Wahrscheinlichkeitstypen: Alpha, Beta und Gamma. Die Diagnose des Risikotyps erfolgt auf folgender Basis: — Von den Lage-Wählern müßten Alpha-Situationen ebenso wie Beta-Situationen und Gamma-Situationen mit Wahl der mittleren Alternative L entschieden werden. — Von Risiko-Wählern alle Situationen mit W-Wahlen entschieden werden. — Von P= ,5-Wählern müßten Alpha-Situationen mit S-Wahlen, Beta-Situationen mit L-Wahlen und Gamma-Situationen mit W-Wahlen entschieden werden. — Von Sicher-Wählern müßten alle Situationen mit S-Wahlen bearbeitet werden. a)
1
Auf die B e t r a c h t u n g intraindividucllcr Variation im I R während einer \ ersuclisdurchfiihrung
wird verzichtet. Eine intraindividuelle Variation scheint dadurch einschränkbar, daß zwischen den Entscheidungen der Vp kein „Ziehen" erfolgt, sondern die Ausspielung des Gewinns erst an das Gesamt der Entscheidungen anschließend erfolgt.
W. HOMMBRS, Zur Validität der Portfolio-Theorie
609
2.3. Abgeleitete Aussagen f ü r spezifische Situationen
Das Aufbauprinzip der Entscheidungssituationen, für die Erwartungen an die Wahlverteilung der verschiedenen Risikotypen abgeleitet werden, orientiert sich an dem Ziel, durch Variation der Steigung des Graphen einer Situation gleichsinnige und entgegengesetzte Wirkung der (R-IR)-Minimierungs- und EW-Maximierungstendenz zu ermöglichen. Wir unterscheiden zwischen zwei Steigungstypen (negativ vs. positiv) und zwei Steilheitsgraden (relativ steil vs. relativ flach) der Uberprüfungssituationen. Bei zusätzlicher Variation der Wahrscheinlichkeitstypen der Situationen ergeben sich 12 Überprüfungssituationen. Diese sind in der Reihenfolge ihrer Verwendung bei der Gewinnung von Daten in der Tabelle II aufgelistet. Der EW der Alternative W ist stets 18. Außerdem ist der Abstand der EWc der Alternativen weitgehend gleichgehalten. Dies geschah zu dem Zweck, daß die EWMaximierungstendenz auf alle Situationen gleichen Einfluß haben soll und darum Veränderungen in der Wahlverteilung zu Lasten der (R-IR)-Minimierungstendenz gehen. J e nach Lage des IR zu jeweils 4 Situationen lassen sich auf Grund der mehr oder weniger großen Parallelität der Steigung des Graphen mit der Steigung der Indifferenzkurvenschar an dieser Stelle der Ordinate R Vorhersagen über die Ausprägung der Modalwerte der Wahl Verteilungen und die Relation der Wahlhäufigkeiten bei nichtmodalen Alternativen ableiten. Durch die 3 Lagen der 4 Situationen eines Wahrscheinlichkeits-Typs zum IR bei den P= ,5-Wählern der Abbildung 2 sind für alle abgeleiteten Aussagen die typischen Schaubilder gegeben. Im Prinzip gibt es 3 Stellungen des IR zu einer ViererGruppe von Situationen: — Das IR liegt unterhalb oder bei der höchsten Gewinnwahrscheinlichkeit. Die entspricht der Lage A der Abbildung 2 und gilt außer für die />= ,5-Wähler bei dieser Situationengruppe bei allen Situationsgruppen der Sicher-Wähler. — Das IR verläuft durch die Graphen der Situationen eines Wahrscheinlichkeitstyps. Dies entspricht der Lage B der Abbildung 2 und gilt nur für die Beta-Situationen der P = .5-Wähler. — Das IR liegt oberhalb oder bei der niedrigsten Gewinnwahrscheinlichkeit. Dies entspricht der Lage C der Abbildung 2 und gilt außer für P = ,5-Wählern bei Gamma-Situationen auch für alle Situationsgruppen der Risiko-Wähler. Es wurden Aussagen über die folgenden Sachverhalte bei den Wahlverteilungen aus der Portfolio-Theoric abgeleitet: — Lage des Modalwerts: Der Modalwert der Wahlverteilung muß bei der Alternative einer Situation liegen, die dem IR am nächsten ist. — Veränderung der mittleren Modalwerthäufigkeit der vier Situationen eines Wahrscheinlichkeitstyps: Bei zunehmender Distanz des IR muß die mittlere Modalwerthäufigkeit wegen
610
Z. Psychol. Bd. 184 (1976) H. 4
Tabelle II. Die 15 Entscheidungssituationen der Bedingung A. P;: Gewinnwahrscheinlichkeit der Alternative i; V{: Gewinnwert der Alternative i in DM; A, B, G: Wahrschcinlichkeitstyp (Alpha, Beta und Gamma); po, ne: Steigungstyp (positiv und negativ); fl, st: Steilheitsgrad (flach und steil) Typ
Pt Stg.
Vi
P2
V2
P3
V3
Abfolge
Wahr.
1
B
-
-
.4
45
.6
30
.8
23
2
A
-
-
.1
180
.3
60
.5
36
3
G
-
-
.5
36
.7
26
.9
20
4
G
po
fl
.5
36
.6
25
.7
17
5
A
ne
st
.1
180
.3
70
.5
48
6
A
ne
fl
.1
180
.2
105
.3
80
7
B
ne
St.
.4
45
.6
35
.8
30
8
G
ne
fl
.5
36
.6
35
.7
34
9
G
po
st
.5
36
.7
21
.9
13
10
B
po
fl
.4
45
.5
30
.6
20
11
B
po
st
.4
45
.6
25
.8
15
12
A
po
fl
.1
180
.2
74
.3
39
13
B
ne
fl
.4
45
.5
42
.6
40
14
A
po
st
.1
180
.3
50
.5
24
15
G
ne
st
.5
36
.7
30
.9
27
Stl.
geringerer Übereinstimmung der Steigung des Graphen mit der Indifferenzkurve zunehmen. — Relation der Modalwerte innerhalb einer Situationsgruppe zwischen einer positiv steigenden und einer negativ steigenden Situation: Bei sich unterstützender Wirkung der Tendenzen muß die Modalwerthäufigkeit größer sein als bei konkurrierender Wirkung der Tendenzen. — Relation der nichtmodalen Wahlhäufigkeiten innerhalb einer Situationsgruppe zwischen einer positiv und einer negativ steigenden Situation: Bei sich unterstützender Wirkung der Tendenzen muß das Ausmaß, mit der die mittlere Alternative relativ zur Alternative, die vom IR weiter entfernt ist, gewählt wird, größer sein als bei konkurrierender Wirkung der Tendenzen. Bei Lage B der P— .5-Wähler gilt für die flachsteigenden Situationen diese Aussage für die Alternativen W und S entsprechend. — Relation der nichtmodalen Wahlhäufigkeiten innerhalb der Situationen, auf die die Tendenzen sich unterstützend einwirken:
611
W . HÜMMERS, Zur Validität der Portfolio-Theorie
w
A s .
R(p=.2)
/ A X
X X
\
R(p-A)
/ :
\
. A *
W
x ! \x ' / C \\ ^ \ X X
R(p-.B)
\x
\\ \
IR
*
R(p-S)
72
75
_L 18
_L 21 24-
vz
L 12
75
J_ IS
21
24 f
Abb. 2. 3 Lagen von 3-Gewinn-Alternativen-Situationen relativ zum idealen Risiko von P = .5Wählern. Dargestellt sind für jeden Wahrscheinlichkeitstyp 4 3-Alternativen-Situationen mit einer gemeinsamen Alternative in einem Koordinatenkreuz mit E W und R als Achsen. E s gilt: R(Pw)>R(Pl)>R(Ps), da P w ^ P L ^ P s
Die Häufigkeit der zum I R näheren Alternative muß größer sein als die Häufigkeit der entfernteren Alternative. Diese Aussagen sind an den drei relativen Lagen von I R zu den 4 Situationen eines Wahrscheinlichkeitstyps in der Abbildung 2 nachvollziehbar. Die vollständige Liste der für die IR-Typen spezifischen Aussagen ist in der Tabelle V aufgeführt. 2.4. Darstellung der Datenerhebung E s wurden 176 Schulkinder (10- und 12jährige Sonderschüler und 10jährige Grundschüler) untersucht. Alle Kinder hatten 7 Tage vorher Gelegenheit, Vorerfahrung in derselben Aufgabe (N = 131) oder in 16 ähnlichen Entscheidungssituationen zu sammeln. Die Untersuchung wurde in Klassengruppen durchgeführt. Für die „ B e s t e n " waren einige Preise ausgesetzt. Die Ausspielung der Gewinne erfolgte im Anschluß an die 15 Entscheidungen. Sonst glich die Datenerhebung den in HÜMMERS [6] mitgeteilten Bedingungen. 3. Ergebnisse 3.1. Diagnose des idealen Risikos Grundlage der Datenauswertung bildeten die 15 Wahlen der Vpn in den Kategorien W, L und S. Die Wahlen in den ersten drei Situationen dienten der Diagnose des I R - T y p s . E s gibt 27 Kombinationen der Kategorien W, L und S in drei Situa-
612
Z. Psychol. B d . 184 (1976) H. 4
tionen. Bei strikter Erfüllung der Definitionskriterien eines IR-Typs können 5 davon zur Einordnung einer Vp in einen IR-Typ benutzt werden. Die erste Spalte der Tabelle III gibt eine Übersicht über die Häufigkeit der Zuordnung bei strikter Erfüllung der Definitionskriterien. Bei Annahme einer Gleichverteilung der Wahlen über die 27 Möglichkeiten in den ersten 3 Entscheidungen ergibt sich eine hochsignifikante Bevorzugung der Wahlen, die eindeutig IR-Typen zugeordnet -werden können. Der IR-Tvp Lage-Wähler kam selten vor. Tabelle III. Häufigkeiten von I R - T y p e n auf Grund der 3 ersten Entscheidungen Ideales ^ erhalten in den drei ersten Situationen
IR-Typ
Anzahl von Y p n mit dreimaliger Übereinstimmung 37 23 4 28
\\ W \Y
Risiko Sicher Lage P = .5
sss
L L L L S W oder W S W
Anzahl von Ypn mit zweimaliger Libereinstimmung 80 43 24 28
133.7 1
Chidf
25.2 1
Tabelle IV. Häufigkeitsverteilungen der drei endgültigen I R - T y p e n in den 12 Ü b e r p r ü f u n g s Situationen
IR-Typ Steigung Steilheit Abfolge Wahlkatcgorie \y RisikoWähler P = .5Wählcr SicherWähler
L \y L \Y L S
Situationen-Typ Alpha po po ne ne fl fl st st 12 14 5 6 51 16 13 15 10 27 8 3 32
49 16 16 10 19 23 8 6 29
49 16 15 12 13 27 9 6 28
31 32 17 8 11 33 1 9 33
Beta po po fl st 11 10
ne st 7
ne fl 13
po fl 4
52 21 7 17 27 8 8 9 26
53 9 18 24 17 11 4 6 33
46 18 16 10 28 14 3 7 33
62 8 10 38 12 2 5 19 28
55 12 13 22 18 10 7 7 29
Gamma po ne st st 9 15 63 13 4 32 17 3 7 7 29
55 10 15 30 13 9 9 4 30
ne fl 8 54 10 16 24 19 9 10 5 28
Fordert man für die Zuordnung einer Yp zu einem IR-Typ nur die zweimalige Erfüllung des Kriterium-Verhaltens, dann ergibt sich die zweite Reihe der Anzahlen in Tabelle III. Beim IR-Typ / ) = .5-Wähler wurde darauf verzichtet, da dann fast alle Ypn, die nicht stabiles Yerhalten in den drei ersten Situationen zeigen und die „reinen" Risiko-Wähler in diese Gruppe kommen. 6 Ypn mit der Wrahlreihenfolge (WSW) wurden doppelt klassifiziert. 7 Vpn waren nicht klassifizierbar. Die Häufigkeit dieser Klassifikation weicht von der Gleichverteilung der 27 möglichen Verhaltenskombinationen hochsignifikant ab.
W. HOMMERS, Zur Validität der Portfolio-Theorie
613
Eine weitere Überprüfung der Berechtigung der 4 I R - T y p e n ermöglicht die vergleichende Betrachtung der Wahlverteilungen in den weiteren 12 Entscheidungen. E s sind hohe Unterschiede zu erwarten. Zwischen den Lage-Wählern und den P = . 5 - W ä h l e r n zeigten sich aber weitgehende Ubereinstimmungen der Wahlverteilungen, so daß auf eine Unterscheidung dieser Gruppen verzichtet wurde. Auf Grund der besonderen L a g e der Modalwerte in den Verteilungen erschien die Bezeichnung P = .5-Wähler angemessen. In Tabelle IV sind die Wahlverteilungen dieser 3 IR-Typen aufgeführt. 3.2. Überprüfung der abgeleiteten Aussagen Die Überprüfung der Erwartungen auf Grund der P T an die spezifische F o r m der Verteilungen ergab überwiegend Befunde, die für die Gültigkeit der P T sprechen. Eine Absicherung gegen eine zufällige Bestätigung erschien problematisch, da eine Gewichtung der Befunde unter den verschiedenen Hypothesen notwendig wäre. D a die einzelnen Vorhersagen unseres Erachtens unabhängig voneinander sind, würde eine Gewichtung einer Zelle der Tabelle V mit 1 am besten einer Überhöhung der Anzahl der Beobachtungen, die in den Signifikanztest eingehen, vorbeugen. Damit wäre ein konservativer Test der Abweichung von zufälliger Bestätigung der P T möglich, wenn man Gleichverteilung von positiven und negativen Befunden an nimmt. E s ergaben sich 12,58 vs 2,42 Zellen zugunsten der P T (Abweichung von der Gleichverteilung: Chi-'= 6,67; d f = l ; 1%). 4. Diskussion 4.1. Gültigkeit der Portfolio-Theorie Als Ergebnis der Auswertung der Daten von 176 Vpn kann formuliert werden: 1. Bei Schulkindern lassen sich unter Voraussetzung der Gültigkeit der P T und der Schätzung des Risikos von Gewinn-Alternativen durch die Verlustwahrscheinlichkeit 3 Gruppen mit unterschiedlicher Ausprägung des idealen Risikos unterscheiden. 2. Diese Unterscheidung führt zu validen Verhaltensvorhersagen, die aus der P T bei Annahme der spezifischen Risikoschätzmethode abgeleitet wurden, für andere Entscheidungssituationen derselben Art. Damit erscheint sowohl die P T als auch die Risiko-Theorie bei Gewinn-Alternativen bestätigt. Wir wenden uns der Frage zu, ob bei Verwendung der Varianz einer Alternative als Schätzung des Risikos die P T weniger bestätigt erschienen wäre. D a die Richtung der Steigungen der Situationsgraphen bei Benutzung der Varianz nicht geändert worden wäre und die abgeleiteten Aussagen relativ unpräzises Niveau hatten, kann diese F r a g e verneint werden. Bei der Situation 8 würde sich zwar die Ordnung der Risiken der Alternativen ändern, es ergibt sich aber keine Auswirkung auf die überprüften Aussagen. Eine Entscheidung über die hier benutzte Risiko-Theorie 40
Z. Psychologie 184-4
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Z. Psychol. Bd. 184 (1976) H. 4 >
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