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German Pages 265 Year 2000
ALEXANDER WALTER
Vom statischen zum dynamischen Naturschutz
Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Mi c h a e I Klo e p fe r, Berlin
Band 102
Vom statischen zum dynamischen Naturschutz Möglichkeiten und Mißverständnisse der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung
Von
Alexander Walter
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Walter, Alexander:
Vom statischen zum dynamischen Naturschutz: Möglichkeiten und Mißverständnisse der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung I von Alexander Walter. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 102) Zugl.: Konstanz, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10046-8
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany
© 2000 Duncker &
ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-10046-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8
"Natur und Landschaft sind im besiedelten und unbesiedelten Bereich so zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln, daß ... (sie) als Lebensgrundlage des Menschen und als Voraussetzung für seine Erholung in Natur und Landschaft nachhaltig gesichert sind." § 1 BNatSchG
Inhaltsübersicht Einleitung
15
A. Das Grundproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
15
B. Der neuartige Ansatz der Eingriffsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
16
C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
19
Erster Teil
Die EingritTsregelung im Steuerungssystem zur Allokation knapper Güter
22
A. Steuerungskonzepte zur Allokation knapper Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 22
B. Die ökologische "Verträglichkeit" der Steuerungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . .. 38 C. Zwischenergebnis - Rechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 50 D. Die Systematik des § 8 BNatSchG zwischen globaler Mengensteuerung und öffentlichem Interesse. ........................................... 58 Zweiter Teil
Die EingritTsregelung zwischen Bauleitplanung und Naturschutzplanung A. Die Integration der Eingriffsregelung in die Bauleitplanung. . . . . . . . . . . . . ..
74 74
B. Die Konkurrenz der Eingriffsregelung mit den klassischen naturschutzrechtlichen Schutzregimen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 85 C. Exkurs: Statischer Naturschutz und gemeindliche Planungshoheit . . . . . . . . .. 107 Dritter Teil
Die materielle Seite der EingritTsregelung Die Ausstrahlung der statischen Naturschutzkonzeption auf die Interpretation der einzelnen Elemente
137
A. Vermeidbarkeit..................................................... . 138 B. Ausgleichbarkeit. ...................... , ............................. 146
8
Inhaltsübersicht
Vierter Teil
Die Weiterentwicklung der Eingriffsregelung Vom faktischen zum normativen Eingriff
200
A. Eingriffe in Sekundärbiotope - Die Problematik des Eingriffsbegriffs . . . . . . 200 B. Die Fortentwicklung der Eingriffsregelung - Der normative Eingriff ....... 213 C. Schluß ............................................................ . 223
Zusammenfassung
226
Anhang
237
Literaturverzeichnis
249
Stichwortverzeichnis
260
Inhaltsverzeichnis Einleitung
15
A. Das Grundproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
15
B. Der neuartige Ansatz der Eingriffsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
16
C. Gang der Untersuchung. . ... ... . .. .. .... .... ..... .. . . . .. . .. . . . ..... ..
19
Erster Teil
Die EingritTsregelung im Steuerungssystem zur Allokation knapper Güter A. Steuerungskonzepte zur Allokation knapper Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Ursachen der Fehlallokation der Umweltgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. II. Staatliche Steuerungsmöglichkeiten - Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Die statische Naturschutzkonzeption durch einzelfallbezogene konservierende Festsetzungen und Zielvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die Struktur klassischer Naturschutzinstrumente ................. 2. Die Steuerung bauplanungsrechtlicher Festsetzungen durch Ziel vorgaben des Naturschutz- und Baurechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. IV. Die dynamische Naturschutzkonzeption durch abstrakte Kapazitätsfestsetzung der ökologischen Ressource ............................... 1. Grundsätze.................................................. 2. Formale Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
22 22 22 24 28 28 29 33 33 34
B. Die ökologische "Verträglichkeit" der Steuerungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . .. 38 I. Konzepte und Ideologien des herkömmlichen, "statischen" Naturschutzes.. . ... . . . . ..... . ... ... . . .. ...... . ... ..... .. . . ... .. . . . . . . . .. .. 38 II. Der Funktionszusammenhang zwischen Kultur, Wirtschaft und Natur Zur Notwendigkeit eines Umdenkens im Naturschutzrecht ...... .. . . .. 41 III. Der "Landschaftsverbrauch" in Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 48 C. Zwischenergebnis - Rechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 50 1. Prinzipielle Grenzen von Schutzgebietsausweisungen ................ 50 II. Bedeutungsverlust baurechtlicher Ziel vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 55 D. Die Systematik des § 8 BNatSchG zwischen globaler Mengensteuerung und öffentlichem Interesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die einzelnen Elemente der Eingriffsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Eingriff..................................................... 2. Vermeidbarkeitl Ausgleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
58 58 58 60
10
Inhaltsverzeichnis 3. Abwägung................................................... 4. Weitergehende Vorschriften nach Landesrecht - Ersatzmaßnahmen und Ausgleichsabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. H. Die Elemente der Eingriffsregelung im System der Steuerungsmodelle . l. Vermeidungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Ausgleichsgebot. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Ersatzmaßnahmel Ausgleichsabgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Auswirkungen auf die Investitionsentscheidungen? . . . . . . . . . . .. b) Rechtliche Konsequenzen der systematischen Stellung. .. . .. ... aa) Klageart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Festsetzung der Höhe der (Natural-)Leistungspflicht .. .. .. 4. Ergebnis....................................................
62 64 67 67 67 68 68 70 70 71 73
Zweiter Teil Die EingrifTsregelung zwischen Bauleitplanung und Naturschutzplanung A. Die Integration der Eingriffsregelung in die Bauleitplanung. . . . . . . . . . . . . .. 1. Das Problem - Die verfahrensrechtliche Grundstruktur der Eingriffsre-
74 74
gelung. ... . . ... . .. . . ....... ...... ... ... ... . .. .... . . .. . ... . ... . .. 74 H. Die zwei Schritte des Gesetzgebers zur Integration der Eingriffsregelung in die Bauleitplanung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 75 III. Die Änderungen des Regelungsinhaltes der Eingriffsregelung durch die Integration in die Bauleitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 78 B. Die Konkurrenz der Eingriffsregelung mit den klassischen naturschutzrecht-
lichen Schutzregimen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Innenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. l. Biotoptypschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Schutzgebietsausweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. H. Bebauungsplanbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. l. § 8a I BNatSchG vs. Schutzgebietsausweisung. . . . .... ... . .... . .. a) Erlaß der Schutzgebietsverordnung nach Inkrafttreten des Bebauungsplans. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Erlaß der Schutzgebietsverordnung vor Inkrafttreten des Bebauungsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. § 8a I BNatSchG vs. Biotoptypschutz. .... ...... . . ... ... . . . .. . .. a) Biotopbildung nach Erlaß eines Bebauungsplanes . . . . . . . . . . . .. b) Exkurs: Besonderheiten der Rechtslage in Baden-Württemberg . c) Biotopbildung vor Erlaß eines Bebauungsplanes .............. d) Exkurs: Besonderheiten der Rechtslage in Baden-Württemberg . IH. Außenbereich ................................................... IV. Ergebnis........................................................
85 87 87 93 95 95 95 97 99 99 102 103 105 106 106
Inhaltsverzeichnis
11
c. Exkurs: Statischer Naturschutz und gemeindliche Planungshoheit . . . . . . . . .. 107 I.
Selbstverwaltung und naturschutzrechtliche Schutzgebietsausweisungen 1. Problemstellung.............................................. 2. Voraussetzungen für die Befreiung von den Festsetzungen in Landschaftsschutzgebieten - Vergleich mit den Zulassungsvoraussetzungen der Eingriffsrege1ung .................................... . a) § 31 I la BNatSchG: ,,Nicht beabsichtigte Härte" und "Vereinbarkeit mit den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege" ............................................ b) § 31 I Nr. 2 BNatSchG: "Überwiegende Gründe des Gemeinwohls" ................................................... c) Anmerkungen zur Begrenzung der Befreiungsmöglichkeit auf "Einzelfälle" und "nicht beabsichtigte Härte" ................. 3. Die Rechtfertigung von Schutzgebietsausweisungen .............. 4. Ergebnis/Vereinbarkeit mit Art. 28 GG ......................... 11. Selbstverwaltung und Biotoptypschutz.............................. 111. Ausblick........................................................
109 109 109 110 113 115 118 125 127 131
Dritter Teil
Die materielle Seite der Eingriffsregelung Die Ausstrahlung der statischen Naturschutzkonzeption auf die Interpretation der einzelnen Elemente
137
A. Vermeidbarkeit...................................................... 138 I. Vermeidbarkeit als generelle Bedarfsprüfung ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 138 11. Die Vermeidbarkeitsprüfung als Teil der Abwägung ................. 142 B. Ausgleichbarkeit. .................................................... I. Einführung und Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Grundlagen - Rationalitätsbedingungen von (naturschutzrechtlichen) "Wertungen" ........................................... 2. Fallbeispiel: Naturschutzrechtliche Wertungen in der Praxis der juristischen Abwägung ............... ; . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Die Ausgleichbarkeit ökologischer Eingriffe ........................ 1. Die Ersatzmaßnahme als Grenze der Ausgleichbarkeit ............ 2. Ausgleichbarkeit als "Illusion"? - Das Dogma der Unersetzbarkeit der ökologischen Ressource Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Eine dynamische Interpretation................................. 4. Anmerkungen zum Problem der rationalen Bewertung ökologischer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Die Ausgleichbarkeit optischer Eingriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Freie Interpretation - Das Landschaftsbild als Ergebnis einer Abwägung ................................................... 2. Die Maßstäbe für die "Beeinträchtigung des Landschaftsbildes" in Rechtsprechung und Literatur im Überblick .................... .
146 146 146 149 156 156 161 166 172 174 175 178
12
Inhaltsverzeichnis a) Formale Kriterien - Der Urteiler und sein Standort. . . . . . . . . . .. aa) Der Urteiler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Der Standort ......................................... cc) Ergebnis............................................. b) Materielle Kriterien - Das "Wesen" der Landschaft - Schloß Neuschwanstein als Beeinträchtigung des Landschaftsbildes . . .. 3. Die Ausg1eichbarkeit ......................................... 4. Die Folgen - Die Inpflichtnahme des Vorhabenträgers zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Ausweg - Der "Verunstaltungsbegriff' als Maßstab ........... IV. Zwischenbemerkung .............................................
178 178 181 182 183 188 192 194 198
Vierter Teil Die Weiterentwicklung der Eingriffsregelung Vom faktischen zum normativen Eingriff
200
A. Eingriffe in Sekundärbiotope - Die Problematik des Eingriffsbegriffs . . . . . . I. Beispiele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Wiederaufnahme einer Nutzung nach 15 Jahren Brache ....... 2. Die Beseitigung eines ungenehmigten Fischteiches. . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Ambivalenz von Fischteichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Strukturelle Probleme des Eingriffsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Gleichrangigkeit optischer und ökologischer Eingriffe. . . . . . . . . 2. Die Asymmetrie von Sekundärbiotopen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die reale Definition des Eingriffs als Einbruchstelle des statischen Naturschutzkonzeptes in die Eingriffsregelung ................... III. Folgen - Rechtsverluste und ein kontraproduktives Anreizsystem ...... 1. Der Zwang zur Aufrechterhaltung unrentabler, naturferner Nutzungen ......................................................... 2. Rechtsverlust als ubiquitäres Strukturprinzip des statischen Naturschutzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. "Rechtsverlust" in der Bauleitplanung .......................... 4. Die einzelfallbezogene Inpflichtnahme Privater zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben als Strukturprinzip des statischen Naturschutzes und ihre Problematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
200 200 200 202 202 203 203 204
B. Die Fortentwicklung der Eingriffsregelung - Der normative Eingriff. ...... I. Die abstrakte Naturschutzpflichtigkeit .............................. 11. Voraussetzungen und Folgen ...................................... 1. Die Festsetzung allgemeiner ökologischer Standards .............. 2. Die Verkehrsflihigkeit überobligationsmäßig produzierter ökologischer Funktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Offenlegung von Subventionen .............................
213 213 216 216
205 206 206 207 209
209
220 222
C. Schluß ............................................................ . 223
Inhaltsverzeichnis
13
Zusammenfassung
226
Anhang
237
I. Übersicht über Schutzgebietsausweisungen in Deutschland ................ 237 2. Literaturliste zur Eingriffsregelung (Auszug) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 3. Flußdiagramm der (einfachen) Eingriffsregelung ......................... 248
Literaturverzeichnis
249
Stichwortverzeichnis
260
Einleitung A. Das Grundproblem Ursache aller naturschutzrechtlichen Probleme sind Interessenkollisionen. Dabei stehen sich unterschiedliche oder gleichgerichtete, aber sich gegenseitig beeinträchtigende oder gar ausschließende Interessen an der Nutzung natürlicher Ressourcen gegenüber. Interessen, die untereinander verträglich sind, die also zugleich befriedigt werden können, werfen dagegen keine Verteilungskonflikte und damit keine naturschutzrechtlichen Probleme auf. Insofern besteht dort auch kein Regelungsbedarf. Gegenstand des Naturschutzrechtes ist somit immer ein Verteilungsproblem. Wer darf wieviel der Ware "Umweltassimilationskapazität'" nutzen? Alle naturschutzrechtlichen Normen ordnen und verteilen die Nutzungsrechte an einer ökologischen Ressource. Die Arbeit untersucht vor diesem Hintergrund das theoretische Verteilungskonzept und die praktische Umsetzung der durch das BNatSchG 1976 erstmalig eingefügten Eingriffsregelung und ihre Integration in das vorhandene naturschutzrechtliche Steuerungssystem. Rechtlich problematisch ist dabei insbesondere die durch die Eingriffsregelung bezweckte Verhaltenslenkung von Grundrechtsträgern, also insbes. der Eigentümer, aber auch von Selbstverwaltungskörperschaften. Die Untersuchung bezieht daher auch die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der unterschiedlichen verhaltenslenkenden naturschutzrechtlichen Instrumente mit ein. Gegenstand dieser Arbeit ist nicht nur das Gesetz, d. h. die geltende Fassung der Eingriffsregelung in den §§ 8, 8a BNatSchG und - nach der Einbindung der Eingriffsregelung in das BauGB - die §§ 1 V Nr. 7; la 11 Nr. 2, III; 5 IIa; 9 la; 11 I Nr. 2; 135a; 200a BauGB 2, sondern auch die Regelungsmaterie. Das Gesetz ändert sich und wird sich wieder ändern, 3 die Malunat, Die Vermarktung der Umwelt, NuR 1984, 1. Daneben wird noch in § 24 I 1 Nr. 1 BauGB (Vorkaufsrecht), §§ 55,57, 59, 61 BauGB (Umlegung), §§ 147, 148, 154, 156, 169 BauGB (städtebauliches Sanierungs- und Entwicklungsrecht), § 246 BauGB (Länderausnahmeklausel) auf die Eingriffsregelung Bezug genommen (vgl. die Darstellung bei Battis/Krautzberger/ Löhr, Die Neuregelungen des Baugesetzbuches zum 1.1.1998, NVwZ 1997, 1145, 1147). 3 Vgl. etwa den Entwurf der Bundesregierung zur Reform des BNatSchG, BT Drs. 13/6441 v. 05.12.1996 oder den Entwurf der Unabhängigen SachverständigenI
2
16
Einleitung
Probleme und die theoretischen Lösungsmöglichkeiten jedoch bleiben gleich. Die Arbeit schließt mit einer Anregung für eine Fortentwicklung der Eingriffsregelung in der Zukunft.
B. Der neuartige Ansatz der EingrifTsregelung Nach der sog. Eingriffsregelung des § 8 Bundesnaturschutzgesetz sind vermeidbare Eingriffe in Natur und Landschaft zu unterlassen (§ 8 II I, 1. Hs. BNatSchG). Unvermeidbare Eingriffe müssen ausgeglichen werden (§ 8 II I, 2. Hs. BNatSchG). Ist ein Ausgleich nicht möglich, ist der Eingriff grundsätzlich zu untersagen. Nur ausnahmsweise, bei überwiegendem öffentlichem Interesse, können unausgleichbare Eingriffe zugelassen werden (§ 8 III BNatSchG). Die Länder können für diesen Fall weitergehende Vorschriften, insbesondere über Ersatzrnaßnahmen und Ausgleichsabgaben, erlassen (§ 8 IX BNatSchG). Mit dieser Regelung sollte der Natur- und Landschaftsschutz auf alle Flächen in Deutschland ausgedehnt werden. 4 Vorher galten naturschutzrechtliche Anforderungen grundsätzlich nur in räumlich begrenzten Schutzgebietsausweisungen. Innerhalb dieser Flächen setzten die Schutzgebietsverordnungen i. d. R. ein absolutes Veränderungsverbot für die einmal ausgeübte NutzungS mit entsprechend weitreichenden Einschränkungen für die Eigentümer fest. Insofern war das Naturschutzrecht statisch. 6 Nicht der Erhalt einer naturschutzrechtlich relevanten Funktion, sondern der Erhalt einer bestehenden Fläche stand im Vordergrund. Die dem zugrundeliegende Naturschutzidee wurde daher auch als "Reservatdenken" bezeichnet. Es leuchtet ein, daß diese Naturschutzidee nicht geeignet war, einen flächendeckenden Naturschutz zu verwirklichen. Abgesehen davon, daß die Ausdehnung der Veränderungsverbote auf alle Flächen gegen das Überkommission zum Umweltgesetzbuch, § 260ff., ferner die Änderungsvorschläge zur Integration der Eingriffsregelung in das BauGB bei Schink, Reform des Bundesnaturschutzrechts und Baurechtskompromisses, in: Schlacke (Hrsg.), Neue Konzepte im Umweltrecht, 1996, S. BI ff. 4 Vgl. Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, BTDrs. 7/5251 zur Entwurfsregelung, S. 4: "flächendeckender Mindestschutz". S Als Nutzungen werden alle Verwendungsmöglichkeiten einer Ressource (vgl. etwa Gablers Wirtschaftslexikon, 13. A., 1992), also, in Bezug auf die Bodennutzung, ,jedes Verwenden einer Fläche für einen bestimmten Zweck" (OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1995,556,557) bezeichnet. 6 Sinnfällig hierfür zwei Formulierungen des OVG Lüneburg (NuR 1982, 112): (1) ,.zweck der UnterschutzsteIlung [hier: Landschaftsschutzgebiet] ist es, die Landschaft in ihrer vorgefundenen Eigentümlichkeit ... zu erhalten". (2) ,,Die Kammer ist der Auffassung, daß sich außerhalb von Schutzgebieten Veränderungen der Landschaft nicht grundsätzlich verbieten lassen."
B. Der neuartige Ansatz der Eingriffsregelung
17
maßverbot verstoßen würde, wäre Deutschland ein Landschaftsmuseum geworden. Der Preis für die Erfassung aller Flächen war also die Preisgabe dieses Reservatdenkens und die Verankerung neuer Strukturprinzipien im Naturschutzrecht. Um alle Flächen erfassen zu können, mußte der Natur- und Landschaftsschutz flexibel werden. Durch die Eingriffsregelung wird die Idee, einzelne Flächen absolut zu schützen, zugunsten eines funktionsbezogenen Schutzes aufgegeben. 7 Veränderungen in der Nutzung der Flächen sind nicht mehr, wie innerhalb von Schutzgebieten, grundsätzlich ver.boten. Die Eingriffsregelung setzt, im Gegenteil, für ihre Anwendung die Zulässigkeit einer Nutzungsänderung geradezu voraus. Durch die Kompensationspflicht der Eingriffsregelung wird sichergestellt, daß insgesamt der Status quo der ökologischen und optischen Funktionen erhalten bleibt. Geschützt wird also nicht mehr die konkrete Nutzung des einzelnen Grundstücks als solche, sondern nur noch seine Funktion in dem betroffenen Landschaftsraum. Diese kann auch durch eine Kompensationsmaßnahme auf einem anderen Grundstück, also eine ökologische Aufwertung an anderer Stelle, wahrgenommen werden. Die Verteilung der Ressource "Boden" auf die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten nach naturschutzrechtlichen Gesichtspunkten8 erfolgt in diesem Modell nicht mehr durch staatliche Zuweisung mittels Schutzgebietsausweisung, sondern durch Nutzungswahl des Eigentümers, der durch die Mengenvorgabe "Erhaltung des funktionalen Status quo" begrenzt wird. Zur Illustration ein kurzes Beispiel: Innerhalb eines Landschaftsraumes hat ein Eigentümer zwei Grundstücke, einen ökologisch wertlosen Acker und eine ökologisch wertvolle Wiese. Die Aufteilung dieser Nutzungen ist historisch zufallig entstanden. Infolge der Änderung wirtschaftlicher Daten ist weder die Nutzung der Fläche als Acker noch als Wiese wirtschaftlich sinnvoll. Liegen die Grundstücke innerhalb einer Schutzgebietsausweisung, etwa eines Landschaftsschutzgebietes, so wird ihre historisch zufallig entstandene Nutzung durch das absolute Veränderungsverbot9 fortgeschrieben. Erfolgt Naturschutz dagegen über die Eingriffsregelung, wird nur die Summe der ökologischen Funktionen geschützt. Der Eigentümer kann z.B. 7 A. A. Schink, Naturschutz und Landschaftspflegerecht in Nordrhein-Westfalen, 1989, Rn 264, der eine in diesem Sinne verstandene dynamische Interpretation mit der Behauptung zurückweist, es sei Sinn der Eingriffsregelung, "Natur- und Landschaft auch außerhalb der besonderen naturschutzrechtlichen Verfahren ... einem konservierenden Schutz zu unterwerfen ... ". 8 Andere Verteilungsgesichtspunkte bleiben für die Untersuchung weitgehend ausgeklammert. Der Arbeit liegt insofern ein ceteris paribus Ansatz zu Grunde. 9 Vgl. VGH BW, NuR 1995, 83, 84: ,,Dabei ist es ... grundsätzlich unerheblich, ob die Nutzungsänderung dem Schutzzweck der Naturschutzgebietsverordnung schädlich ist, denn sie will in erster Linie den bestehenden Zustand bewahren." 2 Waller
18
Einleitung
auf dem Acker einen Modellflugzeugplatz 10 und auf der Wiese eine Weihnachtsbaumkultur 11 anlegen. Ein evtl. dabei entstehendes ökologisches Defizit könnte durch Anlegung eines Biotops, etwa einer Hecke oder eines Tümpels 12 ausgeglichen werden. Entscheidend für die naturschutzrechtliche Zulässigkeit einer Nutzung ist nicht die Art der Nutzung, sondern die verbleibende ökologische Funktion. Die Unterschiede der beiden Verfahren liegen auf der Hand. Bei der Anwendung klassischer naturschutzrechtlicher Instrumente erfolgt die Allokation 13 der Flächen durch die Naturschutzbehörden, bei der Eingriffsregelung durch die beteiligten Eigentümer bzw. die bauleitplanungsberechtigte Gemeinde. Nutzungsänderungen sind im statischen und flächenbezogenen, dem Reservatdenken verpflichteten Naturschutz grundsätzlich untersagt. Im dynamischen, funktionsbezogenen Naturschutz sind sie dagegen grundsätzlich erlaubt und nur abstrakten Regeln unterworfen. Dabei sind unterschiedliche Nutzungen gleichwertig, wenn sie gleichwertige ökologische und optische Funktionen erfüllen. Aufgrund dieses fast revolutionären Ansatzes ist die 1976 in das Bundesnaturschutzgesetz als Rahmenvorschrift eingefügte und in der Folgezeit von allen Bundesländern in ihren jeweiligen Naturschutzgesetzen umgesetzte Eingriffsregelung von vielen als die wichtigste Regelung des Naturschutzrechtes angesehen worden. 14 Mit ihr wurde der Abschied vom traditionellen Reservatdenken gefeiert l5 . Die Norm werde das "Verursacherprinzip" in das Naturschutzrecht implementieren 16 und durch "Internalisierung der externen 10 Vgl. zu den Voraussetzungen OVG Lüneburg, Urt. v. 16.02.1995, NVWZ-RR 1995,556. 11 Zur Frage, ob das Anlegen einer Weihnachtsbaumkultur einen Eingriff darstellt, vgl. OVG Münster, Urt. v. 04.06.1993, NVwZ-RR 1994,645. 12 Vgl. Nr. 2.3. der Anlage zu § 24 a I NatSchG BW. 13 Allokation ist die Verteilung der verfügbaren (knappen) Ressourcen auf alternative Verwendungsmöglichkeiten (vgl. Felderer/Homburg, Makroökonomik und neue Makroökonomik, S. 18), im Falle des Naturschutzes also die Verwendung der verfügbaren Bodenfläche auf unterschiedliche natur- und landschaftsprägende Nutzungen (Wald, Acker, Freizeitpark, Bauplatz, Golfplatz, Steinbruch, Straße, Fischteich, Brachland, Streuobstwiese usw). 14 Vgl. Louis, Bundesnaturschutzgesetz, Komm., 1994, S. 165: "bedeutsamste Neuerung des Bundesnaturschutzgesetzes gegenüber dem Reichsnaturschutzgesetz"; ähnlich Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht 1995, S. 151 : ,.herausragende Bedeutung", m. w. N.; Gassner, Zur Verwirklichung des Integritätsinteresses in der naturschutzrechtlichen EingriffsregeIung, NuR 1988, 67ff.: "Kernstück des modemen Naturschutzrechtes" . 15 Gassner, Eingriffe in Natur und Landschaft - ihre Regelung und ihr Ausgleich nach § 8 BNatSchG, NuR 1984, 81. 16 BT-Drs. 7/886, S. 26; 7/3879, S. 17; 7/5251, S. 4; vgl. Burmeister, Der Schutz von Natur und Landschaft vor Zerstörung, 1988, S. 10.
c. Gang der Untersuchung
19
Kosten,,17 zu einer umweltgerechteren Nutzung ökologischer und optischer Funktionen der Landschaft führen.
C. Gang der Untersuchung Diese Arbeit untersucht, ob sich diese Erwartungen an die Eingriffsregelung erfüllt haben, ob mit der Einführung der Regelung der erwartete Paradigmawechsel des naturschutzrechtlichen Steuerungskonzeptes stattgefunden hat. Anlaß zu dieser Fragestellung geben Entscheidungen, die die neue Konzeption, die Ersetzung des um seiner selbst willen betriebenen Flächenschutzes durch den Schutz der optischen und ökologischen Funktion der Landschaft, weitgehend ignorierten. So hat z. B. das OVG Lüneburg 18 entschieden, die Erwägung, "daß ein Golfplatz ökologisch und optisch positiver zu bewerten ist als die intensive landwirtschaftliche Nutzung" sei unzulässig. Nach Ansicht des VG Minden 19 ist eine ökologische Aufwertung des Bodens unzulässig, weil die Schädigung eines typischen Landschaftsprofils auch nicht dadurch ausgeglichen werde, daß im Rahmen der Rekultivierung die vorhandene Fauna und Flora bereichert werde. Die vorgesehenen Anpflanzungen wertvoller Baumarten schafften keinen Ausgleich für die im Laufe der Zeit gewachsene Landschaft, derer besonderer Reiz gerade in der Kargheit des Bodens und der Pflanzenwelt begründet liege. Das OVG Koblenz2o hat zur Frage, ob ein Eingriff in Natur und Landschaft durch die Anlage von Fischteichen auf einer Wiese nach § 8 BNatSchG bzw. § 5 11 LPflG RP ausgleichbar und damit zulässig ist, ausgeführt: eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes könne nur dann als ausgeglichen angesehen werden, wenn der Eingriff optisch nicht mehr wahrnehmbar sei. Es scheine ausgeschlossen, die Wasserfläche - etwa durch Bepflanzung der Ufer - dem Blick der das Bachtal durchwandernden Erholungssuchenden zu entziehen. Selbst wenn dies gelänge, würde eine Aufforstung des Grundstücks ihrerseits wieder einen unzulässigen Eingriff darstellen. Auch nach Auffassung des VGH Baden Württemberg 21 stellt - unabhängig von der ökologischen und optischen Funktionalität - die (ökologisch an sich 17 Der Begriff der "externen Kosten" bezeichnet negative Drittwirkungen der Nutzung (Produktion oder Konsum) von Gütern, die nicht als Kosten in die Kalkulation der Produzenten oder Konsumenten eingehen. Es sind also negative Auswirkungen eines Handeins auf Dritte, die dem handelnden Subjekt nicht zugerechnet werden. "Internalisierung" bedeutet demzufolge die Zurechnung dieser Drittwirkungen auf den "Verursacher" (vgl. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S. 85 ff.). 18 NuR 1989, 45. 19 NuR, 1984, 80. 20 NuR 1981,29, 30. 21 NuR 1995,464 = VBlBW 1995,435.
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Einleitung
wertvolle 22) Anpflanzung von Bäumen einen Eingriff in Form einer erheblichen Beeinträchtigung des Landschaftsbildes dar, der unausgleichbar sei und deshalb die Nutzungsänderung unzulässig mache. In all diesen Fällen wird - aus unterschiedlichen Gründen - eine Nutzungsänderung untersagt, obwohl sie nicht zu einer objektiven Reduzierung der Funktionen der Landschaft führt. Veränderungen werden weiterhin allein deswegen nicht zugelassen, weil sie Veränderungen sind. Statt eine Nutzungsentscheidung des Eigentümers zwischen ökologisch und optisch gleichwertigen Nutzungen zuzulassen, halten diese Urteile und die ihnen vorausgehenden Behördenentscheidungen an dem Konzept der statischen Festschreibung der vorhandenen Nutzung fest. Angesichts derartiger Entscheidungen erfordert die Frage, inwieweit der dynamisch-funktionsbezogene Naturschutz den statisch-flächenbezogenen ersetzt hat bzw. ersetzen kann, zunächst eine eingehende Darstellung der methodischen Unterschiede der jeweiligen Naturschutzkonzepte. Vor dem Hintergrund des zu steuernden Sachverhalts (ökologische Bodennutzung) sollen im ersten Teil die Vorteile der dynamischen Steuerung durch die Eingriffsregelung gegenüber den herkömmlichen, überwiegend statischen naturschutzrechtlichen Instrumenten im einzelnen sichtbar gemacht werden. Mit der Kenntnis der Strategie des dynamischen Naturschutzes kann die gesetzliche Ausgestaltung der Eingriffsregelung darauf überprüft werden, wie weit sie prinzipiell den erwarteten Paradigmawechsel zu leisten vermag. Die einzelnen Elemente der Regelung werden analysiert und in die unterschiedlichen Steuerungsmodelle eingereiht. Im Anschluß daran wird im 2. Teil die Einbindung der Eingriffsregelung in das vorhandene Planungs- und Zulassungssystem und ihre Implikationen insbesondere für die gemeindliche Planungshoheit dargestellt. Gegenstand des 3. Teils ist dann die Interpretation derjenigen Regelungselemente durch Rechtsprechung und Literatur, die das Konzept des dynamischen Naturschutzes umsetzen, also die Entscheidung über Nutzungsänderungen nur mittelbar ü' ~r die Mengenvorgabe steuern. Im vierten Teil wird dann ausgehend von den Besonderheiten bei Sekundärbiotopen die Frage gestellt, welches Anreizsystem durch die heutige Ausgestaltung der Eingriffsregelung geschaffen wird. Nutzt etwa ein Eigentümer sein Grundstück intensiv als landwirtschaftliche Fläche und läßt er diese Nutzung - etwa wegen gesunkener Marktpreise - 5 Jahre ruhen, so 22 Vgl. z. B. die "Biotoptypenwertliste" in: Landesregierung von NRW (Hrsg.), Bewertung von Natur und Landschaft, 1996, S. 16, wonach auch ein standortfremder Wald eine mehr als doppelt so hohe Werigkeit besitzt wie Acker. Nach dem Bielefelder Richtlinienmodell können 300 qm Wald sogar 1000 qm Acker ersetzen (vgl.: Das Bielefelder Richtlinienmodell durchkreuzt das organisierte Vollzugsdefizit im Naturschutzrecht, in: Kommunale Briefe für Ökologie, Nr. 7, 1990, S. 7).
C. Gang der Untersuchung
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wird sich durch die Nutzungsaufgabe eine höhere ökologische Wertigkeit einstellen. Die Wiederaufnahme der landwirtschaftlichen Nutzung nach dieser Zeit stellt sich dann im Prinzip als ausgieichspflichtiger Eingriff in Natur und Landschaft dar. Durch die Nutzungsunterbrechung gehen also innegehabte Nutzungs- bzw. Eigentumsrechte unter. Das ist nicht allein eine theoretische Deklination der Rechtsfolgen der Eingriffsregelung. So entwässerte ein Landwirt jahrelang eine Fläche durch ein Drainagesystem, um sie landwirtschaftlich nutzen zu können. Das Drainagesystem wurde defekt und der Eigentümer hat den Fehler nicht sofort behoben. Nach 3 Jahren wollte der Landwirt die Nutzung auf dem Grundstück, auf dem sich mittlerweile ein Tümpel gebildet hatte, wieder aufnehmen und reparierte die defekte Drainage. Wegen dieses "Eingriffs" verurteilte ihn das OVG Schleswig23 zur Flutung des Grundstücks, da er durch die Reparatur der Drainage unzulässigerweise ein Biotop zerstört habe. Hätte der Eigentümer das Grundstück (ökonomisch wie auch ökologisch unsinnig) auch in der Zeit als landwirtschaftliche Nutzfläche bewirtschaftet, in der er keinen Bedarf hatte, wäre ihm der Rechtsverlust erspart worden. Ähnlich erging es einem Eigentümer eines im Innenbereich gelegenen Grundstücks, das grundsätzlich nach § 34 BauGB bebaubar war. Der Eigentümer ließ sich mit dem Baubeginn solange Zeit, bis sich auf seinem Grundstück ein Biotop gebildet hatte, das seine ursprünglichen Baurechte dann vemichtete.24 Nach dem Aufdecken der strukturellen Ursachen für diese rechtsvernichtenden bzw. umweltvernichtenden Folgen endet die Arbeit mit einem Vorschlag zur Fortentwicklung der Eingriffsregelung, mit dem diese Konsequenzen vermieden werden und skizziert die Voraussetzungen und Folgen dieses Vorschlags.
OVG Schleswig v. 11.4.1996, Az.: 1 M 75/95, NuR 1997,256. Vgl. BVerwG 4. Senat, v. 21.12.1994, ZfBR 1995, 102 = RdL 1995, 65-66 = ZUR 1995, 103 = BauR 1995, 229 = DÖV 1995, 382 = DVBI. 1995, 532 = BBauBI 1995,475-476 = UPR 1995, 230 = ZUR 1995, 153 = NVwZ 1995, 601602 = NuR 1995, 248 = AgrarR 1995, 270 = BWGZ 1995, 594; OVG Lüneburg, NuR 1995,470. 23 24
Erster Teil
Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem zur Allokation knapper Güter A. Steuerungskonzepte zur Allokation knapper Güter I. Ursachen der Fehlallokation der Umweltgüter Die in der Einführung holzschnittartig dargestellten grundsätzlichen Unterschiede zwischen flächen- und funktionsbezogener Steuerung naturschutzrechtlich relevanter Grundstücksnutzungen sollen im folgenden näher ausgeführt werden. Die Rationalität einer freien Gesellschaft beruht auf der unmittelbaren Verknüpfung von Kompetenz und Haftung. Die Individuen können Einwirkungen von außen auf ihren Rechtskreis grundsätzlich untersagen (§ 903 BGB) oder zumindest Schadensersatz verlangen (Ausschlußprinzipi). Dem steht die Haftung bei der Ausübung der eigenen Rechte gegenüber, d. h., die Individuen dürfen ihrerseits nicht in den Rechtskreis von Dritten eingreifen und haften gegebenenfalls dafür. Die Nutzung fremder Ressourcen setzt demzufolge grundsätzlich den einvernehmlichen Erwerb voraus. Für diesen Erwerb muß der einzelne seine Präferenzen an der Nutzung dieses Gutes durch die Angabe seiner Zahlungsbereitschaft offenlegen. Der Berechtigte wird diese Nutzung nur veräußern, wenn der Preis mindestens seinem eigenen Nutzen an dem Gut entspricht. Damit wird eine effektive Verteilung der Ressourcen gewährleistet? Die ökologische und optische Qualität der Landschaft ist demgegenüber eine Eigenschaft eines Grundstücks, bei der, anders als z. B. die Eigenschaft, Bauland oder Ackerfläche zu sein, das Ausschlußprinzip rechtlich keine Anwendung findet, d. h., von der Nutzung dieser Eigenschaft darf grundSätzlich niemand ausgeschlossen werden. 3 Der freie Zugang zur Natur I Im Regelfall ist die Nutzung eines Gutes rechtlich einem Individuum eindeutig zugeordnet, weIches andere von der Nutzung ausschließen kann (Ausschlußprinzip); vgl. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 88. 2 Zum ganzen siehe Behrens (Fn. 1), insbes. S. 113 ff. 3 In der Literatur wird das Problem auch als "Kollektivgüterproblem" bezeichnet (vgl. Wicke, Umweltökonomie, 1993, S. 41 ff.; Meyer, Gebühren für die Nutzung
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ist gesetzlich4 festgeschrieben. Damit ist diese Eigenschaft ein sog. "öffentliches Gut". Es gehört allen oder - was das gleiche ist - niemand. Der einzelne muß bei der Nutzung dieses Gutes seine Präferenzen nicht offenlegen. Zugleich weist dieses Gut nur eine beschränkte Kapazität auf, ist also ein "knappes Gut". Die Herstellung dieses Gutes verursacht ferner Kosten (Opportunitätskosten), nämlich den Verzicht des Eigentümers auf die Ausübung von Nutzungen, die ökologisch weniger verträglich sind. Das Dilemma ist offensichtlich. Wenn das Gut niemand offen, d. h. mit Angabe seiner Zahlungsbereitschaft, nachfragt und die Herstellung Geld kostet, wird sich niemand finden, der die Produktion oder den Erhalt freiwillig übernimmt. Das Problem verschärft sich mit zunehmendem technischen Fortschritt dramatisch. Als Nebenfolge technischer Restriktionen wurde früher auch mit einer nutzenmaximierenden privaten Verwendung des Bodens zugleich eine ökologisch und optisch gemeinwohlverträgliche Umwelt produziert. Aus dieser Zeit stammt etwa noch die Vorschrift, wonach die Landwirtschaft in der Regel den Zielen des Naturschutzrechtes diene (§ 1 III BNatSchG). Die Herstellung des öffentlichen Gutes verursachte also keine zusätzlichen privaten Kosten. Je weiter heute diese technischen Restriktionen wegfallen, desto mehr wird diese Nebenfolge die Ausnahme; eine nutzenmaximierende landwirtschaftliche Verwendung wird heute regelmäßig das Schutzgut "Natur- und Landschaft" beeinträchtigen. Anders formuliert. Die Herstellung bzw. Erhaltung des öffentlichen Gutes "Natur- und Landschaft" wird für den einzelnen mit zunehmenden technischen Möglichkeiten immer teuerer. Bei dem dargestellten institutionellen Arrangement handelt ein Eigentümer gegen seine eigenen Interessen, also irrational, wenn er die seinen Präferenzen entsprechende und heute technisch mögliche Nutzung unterlassen würde, um die optische und ökologische Qualität der Landschaft zu erhalten oder wiederherzustellen. 5 Die Kosten hierfür würde der Eigentümer alleine tragen, während den Nutzen daraus alle ziehen könnten. 6 Es von Umweltressourcen, 1995, S. 20ff., m.w.N; Cansier, Umweltökonomie, 1993, S. 21 f.). 4 Vgl. § 27 BNatSchG; Art. 141 III 1 BayVerf. 5 Dies gilt immer dann, wenn die präferenzgemäße Nutzung nachteilig für die Umwelt ist. Dies wird hier unterstellt, da es sonst kein zu lösendes Verteilungsproblem gibt. 6 In der Literatur (vgl. Posner, Utilitarianism, Economics, and Legal Theory, J.Leg.Stud. 8 (1979) 103, 119, zit. nach Behrens (Fn. 1), S. 116) wird, um die Problematik des öffentlichen (freien) Gutes zu veranschaulichen, das Beispiel einer Kuhweide gewählt, die allen gehört, so daß niemand die Nutzung durch einen anderen begrenzen oder ausschließen kann. Jeder kann beliebig viele Kühe weiden lassen. In dieser Situation wird für jeden einzelnen der Nutzen, eine weitere Kuh auf
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1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
ist einleuchtend, daß sich in diesem Fall eine Umweltqualität einstellt, die nicht den Präferenzen der Individuen entspricht. Die fehlende Artikulation der Präferenzen für eine qualitativ höherwertige Umwelt hat - wie bei allen freien Gütern - eine übermäßige Nutzung und suboptimale Investitionen zur Folge. 7 Kosten und Nutzen von Individuen und Gesellschaft fallen auseinander. Individuelle Rationalität führt zu sozialer Irrationalität in Gestalt von Verschwendung. 8 Die Umwelt ist in dieser Situation, die der Realität nicht gänzlich fern liegt, nicht so schlecht, weil die Individuen eine so schlechte Umwelt haben wollen. Es besteht eine offensichtliche Inkongruenz zwischen den individuellen Präferenzen und der Qualität bzw. dem Umfang der Versorgung mit Umweltgütern. 9 Diese Diskrepanz legitimiert und verpflichtet den Staat zum Handeln. Dies ist alles bereits vielfach analysiert und beschrieben worden. Über die Ursachen der gesellschaftlich unerwünschten Allokation der Umwelt besteht weithin Einigkeit.
ß. Staatliche Steuerungsmöglichkeiten - Überblick Wie kann nun der Staat die fehlende Nachfrage ersetzen?lO Wir haben gesehen, daß die Nichtberücksichtigung der individuellen Präferenzen für eine ökologisch wie optisch wertvolle Landschaft ihre Ursache in der Nichtgeltung des Ausschlußprinzips hat. Der Staat könnte das Recht auf freien Zugang zur Natur aufheben und so den Eigentümer rechtlich in die Lage versetzen, für das Betreten seines Grundstückes und die Nutzung des Erholungswertes einen Preis zu verlangen. Der einzelne müßte dann offenlegen, wieviel ihm die Erholung in einer "unberührten" Natur wert ist. Seine Präferenzen würden die Menge an wertvoller Landschaft determinieren. Es würde theoretisch soviel Natur produziert, wie Nachfrage danach besteht. Doch begegnet dieser Weg vielen Bedenken. So wird allein die Überwachung des Betretungsverbots Kosten verursachen, die höher sind als die möglichen Gewinne. Die Einzäunung aller Grundstücke würde deren die Weide zu schicken, höher erscheinen, als die Kosten in Gestalt der Verminderung des Grasvorrates, die nur anteilig auf ihn entfallen und für ihn daher kaum spürbar sind. In gleicher Weise wird niemand etwas in die Sicherung der künftigen Nutzung der Weide investieren. Die Kosten, etwa für die Düngung der Weide, wird jedem einzelnen höher erscheinen als der Nutzen, der nur anteilig auf ihn fallt, während die Kosten vollständig bei ihm verbleiben. 7 Ausführlich zu den Dilemmata öffentlicher Güter wie dem Free-rider-(Trittbrettfahrer-)Problem und dem "GefangenendiJemma" Weimann, Umweltökonomik, 1990. 8 Behrens(Fn. 1),S. 117. 9 Sieben, Ökonomische Theorie der Umwelt, 1978, S. 8ff. 10 Vgl. dazu auch die ausführliche Monographie von Koenig, Christian, Die öffentlich-rechtliche Verteilungslenkung, 1994.
A. Steuerungskonzepte zur Allokation knapper Güter
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Erholungswert gerade zerstören. Die erforderliche Einigung der Eigentümer über eine gemeinsame Nutzung als Erholungslandschaft würde ebenfalls prohibitive Kosten verursachen. Darüber hinaus gibt es auch wertvolle Flächen, die sich nicht zur Erholung eignen, die aber trotzdem ökologisch wertvoll sind, etwa übelriechende Tümpel, Moorgebiete u. a. Für diese Flächen würde sich keine Nachfrage einstellen. M.a.W.: Die objektiven ökologischen Notwendigkeiten entsprechen nicht der in einem solchen Fall nachgefragten Umweltqualität. Das Ausschlußprinzip versagt also spätestens bei denjenigen ökologischen Mindestanforderungen, die sich unabhängig von der Zahlungsbereitschaft des Publikums ergeben. 11 Ökologische Standards müssen daher grundsätzlich extrinsisch, also von außen, in ein Modell eingeführt werden. Im übrigen ist der freie Zugang zu Natur und Landschaft ein Wert an sich, der durch Einführung eines Preises vernichtet würde. Unter diesen Umständen erscheint es ausgeschlossen, das Problem durch Einführung einer direkten Nachfrage nach Umwelt derjenigen Individuen, die zueinander nicht in Konsumrivalität stehen, also eine nicht verbrauchende (naturverträgliche) Nutzung der ökologischen Ressourcen nachfragen, zu lösen. Die Berücksichtigung der individuellen Präferenzen an einer wertvollen Landschaft kann danach sinnvoll allein durch den Staat sichergestellt werden. Staatliche Regelungen müssen die fehlende individuelle Nachfrage sowohl nach Herstellung solcher Landschaften wie nach Verzicht auf Vernichtung solcher Landschaften ersetzen. 12 Staatliche Regelungen unterscheiden sich von privaten Arrangements durch ihren Zwangscharakter. Primäres Handlungsinstrument sind unmittelbare, bedingte oder unbedingte Gebote und Verbote, die private Handlungsmöglichkeiten begrenzen. 13 In Frage steht daher, wie der Staat mit diesen Mitteln die Nachfrage nach wertvoller Landschaft ersetzen kann. Das Eigentümliche an der begrenzten Verfügbarkeit von Ressourcen ist der Umstand, daß der Ressourcenverbrauch, d. h. die Freiheitsbetätigung eines einzelnen, grundsätzlich keine negativen Auswirkungen auf die Allgemeinheit hat. Ein einzelnes Kraftfahrzeug mehr auf der Straße, eine ein11 Vgl. Bonus, Vergleich von Abgaben und Zertifikaten, FS Hansmeyer, 1994, S. 287, 292ff. 12 Das Naturschutzrecht regelt weitgehend nur den "Verzicht" auf die Vernichtung wertvoller Landschaftsteile, dagegen wird die Herstellung solcher Elemente kaum erfaßt. 13 In diesem Sinne wird z. B. die Nachfrage nach öffentlicher Sicherheit, einem Standardbeispiel für ein öffentliches Gut, für das sich aus strukturellen Gründen keine präferenzadäquate Nachfrage artikulieren und durchsetzen kann, durch die Gebote des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts sowie die Durchsetzung dieser Gebote durch hoheitliche Gewalt substituiert.
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zelne Nutzungsänderung auf einem Grundstück ist in seiner sozialen Auswirkung irrelevant. Die Umwelt zeichnet sich also durch eine gewisse "Eingriffselastizität" aus. Erst in der Summe der Einwirkungen entstehen negative externe Kosten wie Luftverschmutzung oder Landschaftszerstörung. Dies unterscheidet diese Handlungen von den "Normalfällen" sozialwidrigen Verhaltens. Dort führt bereits die einzelne Handlung zu einem konkreten zurechenbaren Schaden. Dieses Verhalten kann durch die unbedingten unmittelbaren Gebote und Verbote des Gefahrenabwehrrechts rechts staatlich gesteuert werden. Fehlt indes der einzelnen Handlung isoliert betrachtet eine solche Schädlichkeit, so ist die Einstufung als Störer, mit der Folge des generellen Verbots der Handlung, problematisch. Das Verbot gegen den einzelnen ist im Prinzip weder geeignet noch erforderlich, da ein Verbot gegen ihn alleine keine Auswirkung hat und bei einem Verbot allen anderen gegenüber es auf sein Verhalten nicht ankommt. 14 Zweckmäßiger als ein generelles Verbot des einzelnen Beitrags ist daher die staatliche Festsetzung einer Kapazität, die genutzt werden kann und die Verteilung dieser Kapazität unter den Individuen. Damit wird dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung getragen und der Ressourcenverbrauch auf das politisch erwünschte Ausmaß begrenzt. Nach diesem Grundprinzip funktionieren auch die meisten umweltschutzrechtlichen Regelungen. Allerdings ist mit dieser Erkenntnis noch nicht viel gewonnen. Denn die Festsetzung und Verteilung der verfügbaren Ressource eröffnet vielfältige, sich gegenseitig ausschließende Gestaltungsmöglichkeiten (vgl. Schema S. 27). Hier haben die in der Einführung dargestellten Unterschiede zwischen statischem und dynamischem Schutzkonzept ihre Wurzeln. Bedeutsam ist vor allem die Frage, ob die Festsetzung der Ressource mit der Verteilung zusammenfällt, oder ob Festsetzung und Verteilung zwei unterschiedliche Vorgänge sind. Bei einer unmittelbaren individuellen Steuerung jedes einzelnen Vorhabens oder jedes einzelnen Grundstücks bleibt für eine Trennung zwischen Ressourcenfestsetzung und Verteilung kein Raum mehr. Wird die verfügbare Ressource dagegen abstrakt, also unabhängig von einem konkreten Vorhaben oder einem konkreten Grundstück festgelegt, 14 Am Beispiel einer überlasteten Autobahn können diese Zusammenhänge illustriert werden: Der Stau ist eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, da er die Möglichkeit einer widmungsgemäßen Nutzung aufhebt. Jeder Autofahrer im Stau ist an diesem Stau beteiligt. Eine "Verbotslösung" (Verbot der Benutzung der Straße für alle) würde die Störung zweifelsohne beseitigen, würde aber zur Verschwendung der Ressource Straße führen. Sie ist auch nicht erforderlich, da jeder einzelne unter der Voraussetzung, daß sich die anderen an das Verbot halten, die Straße nutzen könnte, ohne daß der Eintritt der verbotsbegründenden Staugefahr möglich ist. Hält sich andererseits niemand an das Verbot, so verhindert auch die Befolgung des Verbotes durch Einzelne nicht die Entstehung des Staus.
A. Steuerungskonzepte zur Allokation knapper Güter
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kann in einem weiteren Schritt die Ressource nach allgemeinen Regeln verteilt werden. Die abstrakte Festsetzung der verfügbaren Ressource kann als fixe Grenze, aber auch als politische Zielvorgabe festgeschrieben werden. Im ersten Fall ist dann eine Verteilung entweder über den Markt l5 mittels eines "Auktionators" oder eine Verteilung durch den Staat, etwa nach Kriterien Steuerungsmodelle zur Regelung der Übernutzung einer Ressource infolge Kumulation einzelner Nutzungen
Staat (Hierarchie) Die Verteilung flillt mit der Festsetzung der Kapazität durch den Staat zusammen. Keine verfügbare freie Verteilungsmasse nach Festsetzung der Kapazität
Markt
Markt
Verteilung der Ressource über den Markt. Preissteuerung durch Vorgabe eines (politischen) Preises; Menge wird vom Markt bestimmt
Verteilung der Ressource über den Markt. Mengensteuerung durch Vorgabe einer (politisch festgesetzten) Menge; Preis wird vom Markt bestimmt
Staat (Hierarchie) Verteilung durch den Staat nach Kriterien wie Priorität, Bedürftigkeit, öffentlichem Interesse u.a.
15 Dieser Ansatz geht zurück auf Coase, The problem of Social Cost, Journal of Law & Economics 3 (1960); dt. Übersetzung in: Assmann/Kirchner/Schanze (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Rechts, 1978, S. 146; vgl. zu den Möglichkeiten der abstrakten Steuerung durch Mengenbegrenzung Maier-Rigaud, Umweltpolitik mit Mengen und Märkten, 1994.
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1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
wie Priorität, öffentlichem Interesse oder "Bedürftigkeit" möglich. Im zweiten Fall setzt der Staat einen künstlichen Preis für die umweltbeeinträchtigende Handlung fest, um die Nachfrage auf das gewünschte (politisch festgesetzte) Niveau zu senken. 16
In. Die statische Naturschutzkonzeption durch einzelfallbezogene konservierende Festsetzungen und Zielvorgaben
1. Die Struktur klassischer Naturschutzinstrumente
Kennzeichen des traditionellen Naturschutzkonzeptes ist der Schutz einzelner Flächen und Biotope. Fast alle Instrumente des Naturschutzrechtes zum Schutz von Natur- und Landschaft führen zu einem unmittelbaren absoluten Veränderungsverbot 17 auf den von ihnen betroffenen Flächen. Dies gilt insbesondere auch für die flächenmäßig bedeutsamsten 18 Instrumente, die Ausweisung als Landschaftsschutzgebiet (§ 15 BNatSchG) und den unmittelbaren gesetzlichen Schutz von Biotoptypen (§ 20c BNatSchG). Der punktuelle Ansatz bedingt, daß die "Naturschutzpflichtigkeit" - also die zu erzielende bzw. zur individuellen Nutzung freigegebene Kapazität der ökologischen Ressource - nicht abstrakt, d. h. für alle Grundstücke grundsätzlich gleich, festgelegt wird, sondern jeweils an die vorgefundene konkrete Grundstückssituation angepaßt wird. Es gibt kein Gesamtkonzept, die Festsetzung der Ressource und die Verteilung fallen immer zusammen. 19 Die Vorteile dieser individuellen Kapazitätsfestsetzung bestehen darin, daß die Behörde alle Faktoren berücksichtigen und jeweils individuell abwägen kann. Dabei können sich die Maßstäbe und Anordnungen der Behörde mit jeder Vogel- oder Froschart ändern. Der individuell zurechtgeschnittene Handlungsrahmen kann für jedes Grundstück anders aussehen, wobei der Art und der Anzahl grundstücksbezogener Faktoren, die die Zuteilung beeinflussen, keine systemimmanenten Grenzen gesetzt sind. Jedes Grundstück ist anders. Von der bisherigen Grundstücksnutzung über die Wirtschaftlichkeit der beabsichtigten Nutzungsänderung, der "sozialen Nützlichkeit" des Vorhabens bis zur Finanzkraft des Eigentümers ist grund16 "Vater" dieses Modells zur Internalisierung externer Kosten ist Pigou, The Economics of We1fare, 1920; zum Unterschied zwischen Preis und Mengensteuerung vgl. Bonus, Vergleich von Abgaben und Zertifikaten, FS Hansmeyer, 1994, S. 287ff. 17 Schink, Wertvolle Biotope ohne gesetzlichen Schutz, VerwArch 86 (1995), 398,407. 18 Siehe dazu die Tabellen im Anhang 1, S. 237ff. 19 Siehe das Schema S. 27.
A. Steuerungskonzepte zur Allokation knapper Güter
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sätzlich alles berücksichtigungsfähig. Die punktuellen Beschränkungen sind prinzipiell unvorhersehbar. Trotz der diesem Steuerungssystem dadurch inhärenten Tendenz zur Willkür hat es sich im Umweltrecht durchweg behaupten können. Der Grund hierfür beruht zum einen auf der "Faszination des Unmittelbaren,,2o, die durch die Möglichkeit des direkten Zugriffs ausgelöst wird. Zum anderen ist die Vorherrschaft einzelsteuernder Maßnahmen auch deshalb ungebrochen, weil sie für die Umsetzung der bis heute vorherrschenden Leitidee des Naturschutzrechtes, der Konservierung vorhandener Nutzungsstrukturen21 , prädestiniert ist. Die zulässige Nutzung der Ressourcen "Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts" und "Landschaftsbild" kann mit diesen Instrumenten für jedes einzelne Grundstück regelmäßig auf die bislang ausgeübte Nutzungsart festgelegt werden. Jede andere Nutzung kann - gemäß der Leitidee "Konservierung" - auch dann untersagt werden. wenn die Nutzungsänderung ökologisch nicht schädlich ist. 22 Im Ergebnis wird also durch die herkömmlichen Steuerungsinstrumente die individuell zulässige Umweltnutzung durch zufällig entstandene Eigenschaften begrenzt und in einer von der Behörde gesteuerten Abwägung auf die in der Vergangenheit ausgeübte Nutzung festgelegt. 23 2. Die Steuerung bauplanungsrechtlicher Festsetzungen durch Zielvorgaben des Naturschutz- und Baurechts
Doch nicht nur Schutzgebietsausweisungen verfolgen das Ziel der Strukturkonservierung. Im Vorfeld des förmlichen Gebietsschutzes wirken Zielvorgaben des Naturschutz- und des Baurechts, die in ähnlicher Weise die Bewahrung des Status quo landschaftlicher Nutzungen anstreben. Die dabei auftretenden Widersprüche sollen ausführlicher dargestellt werden, da sie deutlich die Grenzen der Strukturkonservierung der Umwelt in einer nichtstationären Wirtschaft aufzeigen. Eine nicht stationäre Wirtschaft ist auf Wachstum und Entwicklung angewiesen, will sie im Wettbewerb bestehen. Diese Entwicklung erfordert flächen. Da nahezu alle Flächen in Deutschland in irgendeiner Form wirt20
Maier-Rigaud (Fn. 15), S. 22.
Vgl. S. 17, Fn. 9. VGH BW, NuR 95, 83, 84: "Dabei ist es ... grundsätzlich unerheblich, ob die Nutzungsänderung dem Schutzzweck der Naturschutzgebietsverordnung schädlich ist, denn sie will in erster Linie den bestehenden Zustand bewahren." 23 In der Literatur wird für dieses Steuerungsmodell zu Recht das Bild eines "systemlosen Interventionalismus" gezeichnet, bei dem die gesamte Komplexität der ökologischen Herausforderung auf die Genehmigungsverfahren für einzelne Anlagen fokussiert wird und der geradewegs in einen ökologischen Interventionsstaat führt (vgl. Maier-Rigaud (Fn. 15), S. 22, 31). 21
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I. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
schaftlich genutzt werden, bedeutet dieser Flächenbedarf die Notwendigkeit, bestehende Nutzungen gegenüber "besseren" Nutzungen aufzugeben. Anhand der Zielvorgaben soll untersucht werden, nach welchen Kriterien die für die Entwicklung der Wirtschaft erforderlichen Flächen realisiert werden sollen. Nach § 2 Nr. 2 Satz 1 BNatSchG sind unbebaute Bereiche als Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, die Nutzung der Naturgüter und für die Erholung in Natur und Landschaft insgesamt und auch im einzelnen in für ihre Funktionsfähigkeit genügender Größe zu erhalten. Im Bauplanungsrecht entsprechen dieser Zielvorgabe die §§ 1 V Satz 3, la I BauGB 24 , wonach mit Grund und Boden sparsam und schonend umgegangen werden soll und landwirtschaftlich oder als Wald genutzte Flächen25 (damit ist der sog. Außenbereich nahezu vollständig erfaßt) nur im notwendigen Umfang für andere Nutzungsarten in Anspruch genommen werden sollen.26 Das gleiche besagt für den Einzelfall § 35 V BauGB mit seinem "Gebot größtmöglicher Schonung des Außenbereichs· m . Nach der Logik dieser Bestimmungen hat die innerörtliche Entwicklung Vorrang vor der Ausweisung neuer Baugebiete. 28 Die vorhandene Aufteilung von Innenbereich und Außenbereich soll beibehalten werden. Nutzungsänderungen im Außenbereich darf die Gemeinde nur in "notwendigem Umfang" planen. 24 Diese Vorschriften entsprechen der früheren "Bodenschutzklausel" des § 1 V Satz 3 und 4 BauGB a. F. 25 Daneben gilt dieses Gebot auch für Wohnflächen. Übrig bleiben Naturschutzflächen, Verkehrs- Gewerbe- und Industrieflächen. Für diese Flächen gilt das Gebot also nicht, daß sie nur in notwendigem Umfang für andere Zwecke genutzt werden sollen. Sie dürfen also auch ohne daß dies zur Zielerreichung erforderlich wäre, für eine andere Nutzungen in Anspruch genommen werden!(?) - Daß dies nicht Ziel der Regelung sein kann, da überflüssige Maßnahmen bei Grundrechtsbetroffenheit gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, ansonsten wohl gegen das Abwägungsgebot verstoßen, dürfte einleuchten. An dieser Vorschrift zeigt sich, mit welcher Umweltlyrik der Umweltschutz die Gesetzte belastet, ohne inhaltlich Maßstäbe geben zu können. Daran können auch die gequälten Erklärungs- und Deutungsversuche nichts ändern. Die Aussage, die Vorschrift statuiere eine "besondere Begründungspflicht" (so z. B. Krautzberger, B/K/L, § 1 Rn 86) zeigt letztlich, daß es gerade nicht um inhaltliche Vorgaben, sondern um gut gemeinte Gesetzesprosa geht. (s. auch Fn. 26). 26 "Sollen" bedeutet, daß in exzeptionellen Fällen Ausnahmen vom Grundsatz möglich sind (WolffIBachofiStober. Verwaltungsrecht I, 1994, § 31 Rn 34). In außergewöhnlichen Fallgestaltungen dürfen also nicht erforderliche Maßnahmen getroffen werden ("notwendig" läßt sich mit "erforderlich" übersetzen.). Welche außergewöhnlichen Umstände aber eine nicht erforderliche, also zur Zielerreichung überflüssige Maßnahme rechtfertigen können, bleibt im Dunkel. 27 BVerwGE 68,311,315. 28 So auch Krautzberger, B/K/L, Komm BauGB, § la, Rn. 10 (deutlicher noch in der Vorauflage, § 1 Rn. 85) Roesch, Baurechtsprobleme aus Sicht der Länder, in: Driehaus/Birk (Hrsg.), Baurecht-Aktuell, 1993, S. 179, 182.
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Dabei soll eine Inanspruchnahme nicht erforderlich sein, wenn die Ziel erreichung auch durch eine Binnenentwicklung möglich ist. Nach dieser Zielvorgabe, die zumindest auch von naturschutzrechtlichen Erwägungen geprägt ist, sind die Flächen also vorrangig im Innenbereich zu gewinnen. Dies impliziert unter naturschutzrechtlichen Gesichtspunkten zugleich, daß innerstädtische Freiflächen grundsätzlich weniger wertvoll als Außenbereichsflächen sind. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß der Außenbereich "Natur" ist und bleiben sollte, während der Innenbereich grundsätzlich ökologisch wertlos ist und dementsprechend verdichtet werden kann. Leitbild ist ein stationärer Zustand von Natur im Außenbereich und wirtschaftlicher Betätigung im Innenbereich. Eine Überprüfung der diesem System zugrundeliegenden Prämissen zeigt, daß die Trennung Innenbereich = Nichtnatur, Außenbereich = Natur fragwürdig ist. Der überwiegende Teil der Außenbereichsflächen wird landwirtschaftlich genutzt. 29 Die Grundsatzentscheidung, diese Nutzungsform prinzipiell für wertvoller zu halten als die Nutzung einer Fläche als Baulücke, also als Vorrat für zukünftigen Bedarf (für zukünftige Generationen), oder die Nutzung als Park oder Garten nimmt keine Rücksicht auf das jeweilige ökologische Niveau der betroffenen Bereiche. Die Zuweisung wäre nur dann eine ökologische Entscheidung, wenn freie Innenbereichsflächen regelmäßig ökologisch weniger wertvoll als Außenbereichsflächen wären. Erste Zweifel an einer solchen These werden bereits genährt durch den Umstand, daß freie Innenbereichsflächen bereits aufgrund ihrer Seltenheit wertvoll sind. Bei genauerer Analyse ist die Prämisse, Außenbereichsflächen seien regelmäßig ökologisch wertvoller als Innenbereichsflächen, nicht mehr aufrechtzuerhalten. Über die Hälfte des Außenbereichs wird landwirtschaftlich genutzt. Landwirtschaftlich genutzte Flächen sind regelmäßig ökologisch erheblich wertloser als unversiegelte Innenbereichsflächen. 3D Die Vorstellung einer stationären Natur, die auf die freie Landschaft begrenzt ist, bzw. dort grundSätzlich besonders wertvoll ist, ist also korrekturbedürftig. Zutreffend wird darauf hingewiesen, daß beispielsweise die artenreichste Vogelpopulation nicht in naturnahen Waldgebieten, sondern in Großstädten zu finden ist?) Zum Schutz der ökologischen Qualität der Umwelt ist das Ziel der Bodenschutzklausel 32 , den Außenbereich um seiner selbst willen zu erhalten, nur sehr begrenzt wirksam. In allen Zu Einzelheiten der heutigen Verteilung der Bodennutzung siehe unten, S. 48. Dazu unten S. 38 ff. 31 Vgl. MaxeinerlMiersch, Öko-Optimismus, 1997, S. 194ff. 32 Andere Funktionen der Bodenschutzklausel, wie die Vermeidung von hohen Erschließungskosten, sollen in dieser Darstellung, die allein ökologische Wirkungen untersucht, ausgeblendet werden. 29
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I. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
Fällen, in denen statt eines Außenbereichsackers eine innerstädtische Brachfläche, ein verwilderter Garten o.ä. versiegelt wird, führt der Vorrang der Innenbereichsverdichtung zu einer unnötigen Vernichtung ökologischer Ressourcen. Genau dieser Erkenntnis entspricht die der eben dargestellten Zielvorgabe diametral entgegengesetzte Zielvorgabe, die sich auf Nutzungsänderungen freier Innenbereichsflächen bezieht. Das Ziel, Nutzungsänderungen so weit als möglich zu unterlassen, beschränkt sich nämlich nicht nur auf den Außenbereich. Der Gesetzgeber hat in § 2 Nr. 2 Satz 2 BNatSchG angeordnet, daß im "besiedelten Bereich" "Teile von Natur und Landschaft, auch begrünte Flächen und deren Bestände, in besonderem Maße zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln" sind. Wenn die Natur im Innenbereich also in besonderem Maße zu schützen ist, muß es auch Natur geben, die nur "gewöhnlich" zu schützen ist. Die Hervorhebung wäre sonst rechtlich sinnlos. Da alle "natürlichen" Flächen des Innenbereichs durch § 2 Nr. 2 Satz 2 BNatSchG abgedeckt sind, kommen hierfür nur die Flächen des Außenbereiches in Betracht. Freilich sollen diese ebenfalls möglichst wenig verändert werden. Die in der baurechtlichen Literatur aus der "Bodenschutzklausel" allgemein gezogene Schlußfolgerung, daß die innerstädtische Entwicklung Vorrang vor der Ausweisung neuer Baugebiete haben soll, entspricht damit vielleicht doch nicht den naturschutzrechtlichen Vorgaben. Der Gesetzesanwender muß darüber nachdenken, welche Formulierung den stärkeren Schutz gewährt. Ist es die Formulierung, daß landwirtschaftlich oder als Wald genutzte Flächen "nur im notwendigen Umfang für andere Nutzungsarten in Anspruch genommen werden sollen" oder doch eher der "Schutz in besonderem Maße", der Innenbereichsflächen zugute kommt? Eine Handlungsanweisung in einer konkreten Entscheidungssituation zwischen Innenbereichsverdichtung und Außenbereichsbeplanung kann diesem bunten Gemisch an Zielvorgaben wohl nicht entnommen werden, ohne die Grenzen redlicher Interpretation zu durchbrechen. Ursache dieses Dilemmas ist die Tatsache, daß die Zielvorgaben jeweils dem Status quo die größere Legitimation gegenüber Veränderungen einräumen. Wenn aber sowohl der Status quo im Innenbereich als auch der Status quo im Außenbereich unangetastet bleiben soll, ergeben sich für eine nicht stationäre Wirtschaft erhebliche Widersprüche und Probleme. Im Ergebnis heben sich die Zielvorgaben entweder gegenseitig auf oder blockieren jede Entwicklung. Eine Steuerung im Hinblick auf eine effektive Nutzung der Umweltressource in einer nicht stationären Gesellschaft können diese Zielvorgaben nicht leisten. Ebenso wie Schutzgebietsausweisungen haben sie, weil ihr Ziel einzig die Bewahrung des Status quo ist, kein Konzept zur Steuerung einer sich fortentwickelnden Gesellschaft.
A. Steuerungskonzepte zur Allokation knapper Güter
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IV. Die dynamische Naturschutzkonzeption durch abstrakte Kapazitätsfestsetzung der ökologischen Ressource 1. Grundsätze
Jede gesellschaftliche Fortentwicklung setzt Freiräume voraus. Diese bedingen Wahlmöglichkeiten, also das Bestehen rechtmäßiger Handlungsalternativen. In Bezug auf die Bodennutzung bedeutet dies die Möglichkeit, ausgeübte Nutzungen aufzugeben und andere Nutzungen zu verwirklichen. Schon aus diesem Grunde erscheint es angemessen, alternative Steuerungsmodelle zur bisher im Naturschutzrecht vorwiegend praktizierten Reduzierung der Bodennutzungsalternativen auf die zufällig ausgeübte Grundstücksnutzung zu suchen. Um Handlungsalternativen offenzuhalten, darf die zulässige Nutzung nicht im Einzelfall konkret, sondern muß generell abstrakt festgesetzt werden. Dies erfordert eine Loslösung vom einzelnen Grundstück und die Festsetzung auf den Raum bezogener Standards (regionale Ökobilanz). Diese ermöglichen dann, verschiedene Nutzungsalternativen innerhalb dieses Rahmens zu realisieren. Die dem Modell der konkreten Einzelzuweisung diametral entgegengesetzte Steuerung besteht also in der Festlegung eines Handlungsrahmens für die Summe aller Nutzungen und der abstrakten 33 Aufteilung der zur Verfügung stehenden Ressource. Nach diesem Verteilungsmodell wird beispielsweise bei der Vergabe von Taxikonzessionen verfahren (§ 13 Abs. 4 PersBefG). Für ein bestimmtes Gebiet wird jeweils die Höchstzahl der Taxikonzessionen festgesetzt, die die Verkehrsinteressen nicht beeinträchtigen. Es wird nicht bei jedem neuen Konzessionsantrag abgewogen, ob das individuelle Interesse des Taxifahrers das Verkehrsinteresse überwiegt. Anschließend erfolgt in einem davon getrennten Verfahren die Verteilung der politisch festgesetzten Konzessionen. Diese Verteilung der Konzessionen erfolgt nicht über den Markt (mittels einer Ausgabe fungibler Zertifikate, bzw. einer Versteigerung der Lizenzen), sondern durch den Staat. Kriterium ist dabei das Prioritätsprinzip. 34 Ebenso vorstellbar ist aber auch eine Verteilung der Lizenzen auf dem Markt. Durch die Nachfrage wird für die festgesetzte Menge der Preis bestimmt. Diese Methode hat den Vorteil, daß die Ressource von dem D. h. eine Aufteilung mit offenem Ergebnis. Weitere Beispiele für die Anwendung der unterschiedlichen Steuerungsmodelle bei Koenig, Die öffentlich-rechtliche Verteilungslenkung, 1994, S. 99ff.; Kloepferl Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: Gethmann/Kloepfer/Reinert, Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47, 49f. 33
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1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
genutzt wird, der bereit ist, den höchsten Preis dafür zu bezahlen, der m. a. W. den größten Nutzen daraus ziehen kann. Die Vorteile marktlicher Allokation wie der Nutzung verstreuten Wissens durch dezentrale Entscheidung können genutzt werden. Eine andere Variante zur Nutzung der Marktkräfte bei der Verteilung knapper Ressourcen liegt in der Festsetzung von Preisen für die Ressource (Pigou'sche3s Abgabe). Diese sind so festzusetzen, daß die Nachfrage auf die vorhandene Kapazität reduziert wird. 36 Ein Gesamthandlungsrahmen wird damit nur politisch, nicht rechtlich vorgegeben. Da die Preiselastizitäe 7 nicht bekannt ist, muß der "richtige" Preis, d. h. derjenige, der die Konsumenten auf das gewünschte Verhalten lenkt, in einem Prozeß von trial und error ermittelt werden. Nach diesem Prinzip funktionieren etwa die in der öffentlichen Diskussion zur Zeit populären Ökosteuern. Die Verteilung über den Markt entspricht einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, weil formal jeder einen Anspruch darauf hat, zu jedem von ihm selbst gewählten Zeitpunkt die Ressource "Umweltassimilationskapazität" zu nutzen. Die "Zuteilung" der vorhandenen Ressource trifft der Markt "blind" als Folge der geäußerten individuellen Präferenzen der autonomen Bürger. Die Gesamtsteuerung ergibt sich ausschließlich aus der Budgetrestriktion des einzelnen, ohne daß der Staat in die Freiheit der Mittelverwendung eingreifen müßte. Der gesetzte Rahmen in Gestalt einer lokalen Belastungsobergrenze verhindert, daß die privaten Entscheidungen der Individuen sich zu unerwünschten Nachteilen für die Umwelt kumulieren. Wie dieser Prozeß im Naturschutzrecht durch die Eingriffsregelung umgesetzt werden kann, soll die folgende formale Darstellung anschaulich machen. 2. Formale Darstellung
Die Eingriffsregelung entspricht in ihrer Grundidee der dargestellten marktlichen Mengensteuerung. Sie trifft weder bestimmte Präferenzen für Nutzungen in bestimmten Bereichen wie die dargestellten Zielvorgaben noch bezweckt sie ein generelles Verbot von Nutzungsänderungen. Die Ein3S Pigou, The Economics of Welfare, London, 1920. Pigou wollte die realen externen Kosten durch Abgaben internalisieren. Es stellte sich aber bald heraus, daß deren Ermittlung unmöglich ist. 36 Sog. "Standard-Preis-Ansatz" von Baumol/Oates, The Use of Standards and Prices for Protection of the Enviroment, in: Swedish Journal of Economics, Nr. 73, 1971, S. 42ff. Er baut auf Pigou auf, folgt aber der Erkenntnis, daß wegen der Unmöglichkeit der Ermittlung der externen Kosten die gewünschte Umweltqualität und damit der Preis politisch festzusetzen ist. 37 Der Rückgang der Nachfrage bei Erhöhung des Preises um eine Einheit.
A. Steuerungskonzepte zur Allokation knapper Güter
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griffsregelung lenkt Eingriffe auf ökologisch möglichst sinnvolle Areale, verzichtet dabei jedoch, im Unterschied zu Schutzgebietsausweisungen, auf eine konkrete Flächenzuweisung. Sie entspricht der Mengensteuerung, indem sie global die Menge der verfügbaren ökologischen Ressource "Umweltassimilationsfähigkeit" festsetzt. Durch das Gebot, jeden Eingriff grundsätzlich zu kompensieren, wird die zur Verfügung stehende Menge an ökologischer Ressource definiert. Verfügbar ist nur die Umweltassimilationsfähigkeit, die neu produziert werden kann. Die bereits vorhandene wird aus dem Markt genommen, sie steht der individuellen Nutzung nicht zur Verfügung. Damit wird eine Marktsituation simuliert. Aus individueller Sicht werden Eingriffe grundsätzlich möglich, weil die Frage der gleichwertigen Ersetzbarkeit von ökologisch wertvollen Flächen in Deutschland, wo über 95 % aller Flächen bereits durch den Menschen überformt wurden, allein eine Frage der finanziellen Möglichkeiten ist. 38 Es gibt also keine individuellen Nutzungszuweisungen für Flächen, sondern nur eine abstrakte Verteilungsregel. In der Literatur wird dies gern mit dem Schlagwort des "Verursacherprinzips,,39 bezeichnet. Diese Verteilungsregel determiniert die Entscheidung des Eigentümers sowohl hinsichtlich der Frage des "Ob" eines Eingriffs als auch hinsichtlich des "Wie" eines Eingriffs. Die Frage des "Ob" entscheidet sich danach, ob ein Vorhaben die Kosten der (Wieder-)Herstellung der ökologischen Ressource trägt; die Frage des "Wie" entscheidet sich danach, welche von zwei ökologisch gleichwertigen Maßnahmen kostengünstiger ist. Ein diffuses Abwägen entfällt. Damit steht der Kompensationsgedanke der Eingriffsregelung in diametralem Gegensatz zu den Ausweisungen eines Schutzgebietes. Dort weist die zuständige Naturschutzbehörde den einzelnen Flächen ihre jeweilige ökologische Funktion zu. Bei der Eingriffsregelung dagegen bestimmt der Eigentümer, bzw. bei der Bauleitplanung die Gemeinde die ökologische Funktion des jeweiligen Grundstücks innerhalb der vorgegebenen Mengenrestriktion. Für den Eigentümer40 verändern sich dadurch die Rahmenbedingungen für seine Investitionstätigkeit. Investitionen sind teuerer geworden, da bisher mit dem Eigentum verbundene Nutzungsrechte extra erworben werden müssen. Die Frage stellt sich, wann ein Eigentümer unter diesen Bedingungen auf ökologische Funktionen zugreifen wird. 38 Dazu und zur abweichenden Literatur und Rechtsprechung, die bereits marginale Veränderungen mit dem Etikett "unausgleichbar" versieht, unten, S. 146ff. 39 Zur Unschärfe des Begriffs: Adams, Das Verursacherprinzip als Leerformel, JZ
1989, 787.
40 Das gleiche gilt für die Bauleitplanung der Gemeinde. Für diese werden die mit der Planungshoheit verbundenen Gestaltungsrechte durch die Eingriffsregelung verteuert.
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1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
Allgemein gilt, daß eine Investition getätigt wird, wenn der erwartete Nutzen41 die aufzuwendenden Kosten übersteigt. Daher gilt42 :
Weiter gilt, daß die Kosten der Investition die Summe aus den Kosten für die Maßnahme selbst und den Kosten für die Kompensation der in Anspruch genommenen ökologischen Funktion ist.
Ein Eingriff wird also nur stattfinden, wenn der private Nutzen die Kosten der Kompensation für die in Anspruch genommene ökologische Funktion übersteigt. Die "Kosten" (Verlust an Nutzungsmöglichkeiten der ökologischen Ressource) der Allgemeinheit bei Wegfall einer ökologischen Funktion werden nach oben begrenzt durch die Kosten der (Wieder-) Herstellung der Funktion bzw. die Kosten der Herstellung eines Äquivalentes. Damit kann dieser 41 Der Begriff des "Nutzens" wird in dieser Arbeit gemäß der gängigen Terminologie rein subjektiv bestimmt. Nutzen ist das Maß an Bedürfnisbefriedigung. Nutzenmaximierung bedeutet: Orientierung an Bedürfnissen, die gegeneinander abgewogen und bewertet werden, also in eine Präferenzordnung gebracht werden. Rationales Handeln bedeutet daher die Ausrichtung des eigenen Handeins an dem Grad des jeweiligen Nutzens einer Handlungsalternative gemäß der eigenen Präferenzordnung (vgl. Behrens (Fn. 1), S. 33). Rationales Handeln bezieht sich damit nur auf die Maßnahmen zur Zielerreichung, hinsichtlich der individuellen Ziele sagt es dagegen nichts aus. Rationales Handeln und Nutzenoptimierung implizieren deshalb nicht den Maßstab des selbstsüchtigen Egozentrikers [in diese Richtung aber Fezer, Homo Constitutionis - Über das Verhältnis von Wirtschaft und Verfassung, JuS 1991, 889; ders., Aspekte einer Rechtskritik an der economic analysis of law und am property rights approach, JZ 1986, 817, insbes. 822f. (wie hier Dtt/Schäfer in ihrer Erwiderung auf Fezer in: Die ökonomische Analyse des Rechts - Irrweg oder Chance wissenschaftlicher Rechtserkenntnis?, JZ 1988, 213); vgl. zu diesem Streit auch Häberle, Vielfalt der property rights und der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff, in: Neumann (Hrsg.), Ansprüche, Eigentums- und Verfügungsrechte, 1983,
S.63].
Altruistische Menschen werden die größte Bedürfnisbefriedigung dann empfinden, wenn sie mit ihrem Handeln die Bedürfnisse der Gruppe befriedigen. Vgl. dazu Margolis (Selfishness, Altruism and Rationality, 1991), der die These aufstellt, daß Individuen zwei Arten von Nutzenfunktionen haben, solche, die mit selbstsüchtigen Präferenzen arbeiten und solche, die mit gruppenorientierten Präferenzen arbeiten, wobei je nach Umgebung ein Wechsel möglich sein soll. 42 NI = Nutzen der Investition; K = Gesamtkosten der Investition; KI = Kosten der Investition ohne Eingriffsregelung; Ko = Kosten für die Kompensation der in Anspruch genommenen ökologischen Funktion; NA = Nutzen der Allgemeinheit an der in Anspruch genommenen ökologischen Funktion.
A. Steuerungskonzepte zur Allokation knapper Güter
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Wert auch für die positive Bestimmung des Nutzens verwendet werden. Dann gilt: NA=K
daraus folgt: Nr >NA
Eine private Investition wird also nur durchgeführt, wenn der private Nutzen größer ist als der Nutzen der Allgemeinheit an der ökologischen Funktion. Damit wird gewährleistet, daß private Investitionen keine externen Effekte aufweisen, die gesamt betrachtet zu einem Nutzenrückgang führen. Die Idee der Eingriffsregelung führt also dazu, daß der Gesamtnutzen nach einem Eingriff in Natur und Landschaft stets größer ist als vor dem Eingriff. Das gleiche gilt selbstverständlich auch für eine öffentliche Investition wie den Bau neuer Straßen oder Schienenwege. Die Kollisionsregel erreicht also ihr Ziel. Die Auswirkungen auf die Verteilung der Grundstücksnutzungen soll an einem einfachen Modell eines Eigentümers, der zwei Grundstücke, A und B, besitzt aufgezeigt werden. Voraussetzung für eine Investition auf Grundstück A, die ökologische Funktionen "verbraucht", ist, daß der Nutzen der Investition größer ist als der durch die Kompensation bedingte Verlust an privater Nutzung auf Grundstück B. M.a.W.: Eine Investition kann nur getätigt werden, wenn sie rentabler ist als die Nutzung auf Grundstück B, die eingestellt werden muß. Denn die Nutzenminderung an Grundstück B sind Kosten (Ko) der Investition auf Grundstück A. Dem Modell liegt also die (realistische) Annahme zugrunde, daß eine negative Korrelation zwischen privatem Nutzen und ökologischer Wertigkeit besteht.43 Aufbauend auf den zuvor verwandten Formeln gilt für diesen Fall44 : Nr = NAp - NAa (privater Nutzenzuwachs am Grundstück A) K ö = NBa - NBp (privater Nutzenverlust am Grundstück B ) K = (NBa - NBp ) + Kr
Da Nr>K, gilt: NAp-NAa>NBa-NBp
Die Summe des privaten Nutzens an den Grundstücken A und B ist demnach nach der Investition größer als vorher. Die Verteilung der Nutzungen auf die Grundstücke ist also effizienter geworden, ohne daß der Staat die Investitionsentscheidungen des Eigentümers konkret steuern müßte. Die 43 Wenn beide Funktionen positiv korreliert sind, so gibt es kein Verteilungsproblem, das gelöst werden müßte. 44 NAp = privater Nutzen am Grundstück A nach dem Eingriff (Investition); NAa = privater Nutzen am Grundstück A vor dem Eingriff (Investition); NBa = privater Nutzen am Grundstück B vor dem Eingriff (Investition); N Bp = privater Nutzen am Grundstück B nach dem Eingriff (Investition).
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1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
Eingriffsregelung sorgt selbst für eine effizientere Allokation der Nutzungen an Grundstücken. Obwohl für einen Investor die Frage, ob er ökologische Funktion verbraucht, nach der Eingriffsregelung allein eine Frage des ökonomischen Kalküls, der privaten Nutzenoptimierung ist, führt sie zu einer gesamtwirtschaftlichen Optimierung der Grundstücksnutzungen. Voraussetzung für das Funktionieren ist also ein freier Austausch der Grundstücksfunktionen, der sich allein an ökonomischer Rationalität orientiert. Die Faszination dieses Verteilungsmodells, das im wesentlichen ohne subjektive Wertentscheidungen auskommt und ein objektives Verfahren für die naturschutzrechtliche Zulässigkeit von Nutzungsänderungen aufstellt, rechtfertigt also die hochgestellten Erwartungen an die Eingriffsregelung. In der Tat bedeutet dieses Allokationsmodell den "Abschied vom traditionellen Reservatdenken,,4!i, bei dem Naturschutz flächen- und nicht funktionsbezogen betrieben wurde. Die Eingriffsregelung setzt Nutzungsänderungen geradezu voraus und verhindert sie nicht.
B. Die ökologische "Verträglichkeit" der Steuerungskonzepte I. Konzepte und Ideologien des herkömmlichen, "statischen" Naturschutzes Die bisherigen Ausführungen haben ergeben, daß sowohl die Preis- wie auch die Mengensteuerung den Verzicht auf den unmittelbaren staatlichen Zugriff voraussetzen. Damit ist auch das mit dem Direktzugriff praktizierte Konzept der Konservierung der vorhandenen ökologischen Strukturen um ihrer selbst willen nicht mehr zu verwirklichen. Das neue Konzept birgt das Risiko der Veränderung. Damit ist zwar die mittelbare Steuerung der Dynamik der menschlichen Gesellschaft angemessen;46 ausschlaggebend für die Frage, wie weit das neue Konzept das alte ersetzen kann, ist aber vor allem die Frage nach der ökologischen Wirksamkeit, d. h. nach den Anforderungen, die die Natur an den Menschen stellt, um ihrerseits die Anforderungen des Menschen an die Natur befriedigen zu können. Sind Natur und Landschaft zur Erfüllung dieser Funktionen grundsätzlich auf eine Konservierung alter Strukturen angewiesen, ist die Natur also statisch, so kann sie nur mit dem bislang verfolgten statischen Konzept hinreichend geschützt werden. Ist die Natur dagegen anpassungsfahig und wan4S Gassner, Eingriffe in Natur und Landschaft - ihre Regelung und ihr Ausgleich nach § 8 BNatSchG, NuR 1984, 81. 46 Nach Maier-Rigaud (Fn. 15), S. 16, der sich mit dem Immissionsschutzrecht auseinandersetzt, paßt die einzelanlagenbezogene Auflagenpolitik konzeptionell nur zu einer stationären oder quasi-stationären Wirtschaft.
B. Die ökologische ..Verträglichkeit" der Steuerungskonzepte
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delbar, so ist ein Schutz gleichennaßen oder sogar besser mit einem dynamischen Konzept möglich. Die Antwort auf diese Frage hängt ab von der Sichtweise der Relation Natur - Mensch. Um die lahrhundertwende kam das Ideal vom "natürlichen Gleichgewicht" auf, in dem Lebewesen und Umwelt in vollendeter Harmonie leben, die nur der zivilisatorisch "entartete" Mensch stört. 47 Das Aufkommen dieser Ideologie von der Harmonie der Natur und dem "Störenfried Mensch" stand in Wechselwirkung mit politisch- weltanschaulichen Konzepten. Die Lehre impliziert die Ablehnung der Zivilisation mit der damit verbundenen Loslösung des Menschen von der nachhaltigen Selbstorganisation der Natur. Die Heimatschutzbewegung, die früher die Naturschutzinteressen bündelte, war demzufolge "antikapitalistisch, nationalistisch (... ), dazu technik-, industrie- und großstadtfeindlich"48. Hinzu kam während des Dritten Reiches eine ideologische Überhöhung dieses Konzepts durch die Blut- und Bodenromantik des Nationalsozialismus. Die Gefährdung der Natur durch die Industriegesellschaft wurde über den Gedanken der Symbiose von Volk und urtümlicher Landschaft mit der Gefährdung des Deutschtums und seiner nationalen Kraft gleichgesetzt. 49 Zugleich stellte der im Recht allumfassend geltende Grundsatz "Gemeinnutz geht vor Eigennutz,,50 den Eigentümer vollständig in den Dienst des Volkes,51 so daß es bei der Konzeption des Naturschutzes auf seine Interessen nicht ankam. Ergebnis dieses Ideologiegemischs waren 1936 die Regelungen des Reichsnaturschutzgesetzes, die in ihren wesentlichen Grundzügen in das BNatSchG übernommen wurden. Einzelne Flächen werden jeweils vor Eingriffen des Eigentümers individuell geschützt und ein bestehendes Ökosystem - u. U. auch künstlich (museal) - aufrechterhalten. Hinzu kommt eine "Glorifizierung des Bauernstandes", die ihren Ursprung in dem Ziel der Autarkie bei der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln hatte und die heute noch in der naturschutzrechtlichen Privilegierung 52 landwirtschaftlicher Nutzungsfonnen zum Ausdruck kommt. Die ursprüngliche Verwurzelung konservierender Naturschutzkonzepte in politischer Ideologie statt in nachweisbaren ökologischen Notwendigkeiten 47 Zu Einzelheiten vgl. ReichholJ, Leben und Überleben in der Natur, 1988, S. 14 ff. 48 Vgl. dazu und zum folgenden: Hofmann, Natur und Naturschutz im Spiegel des Verfassungsrechts, JZ 1988, 265, 271. 49 Nachweise bei Hofmann (Fn. 48), JZ 1988,265, 271 in Fn. 91. so Vgl. Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1973, S.76ff. SI Der Eigentümer wurde verglichen mit einem ..Verwalter" für das Volk; vgl. Eichler, Wandlungen des Eigentumsbegriffs in der deutschen Rechtsauffassung und Gesetzgebung, 1938, S. 225. 52 So z. B. §§ 1 III, 8 VII BNatSchG.
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1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
rechtfertigt die In- Frage- Stellung der diesem Konzept zugrundeliegenden Prämisse einer statischen Natur, die durch Eingriffe des Menschen negativ verändert wird. Die Begründungen, die maßgeblich zur Entwicklung des statischen Naturschutzkonzeptes beigetragen haben, sind überholt. Das konservierende Konzept blieb dagegen fast unangetastet. Heute wird es gerechtfertigt mit der undifferenziert vorgetragenen Behauptung von der "unumstrittenen Erkenntnis, daß sich der Zustand von Natur und Landschaft [durch menschliche Eingriffe] laufend verschlechtert,,53. Jedes Verschwinden einer Art aus einer Landschaft wird mit der Larmoyanz eines Epimetheus betrauert. Da jede Veränderung der Nutzung zwingend eine Veränderung der Zusammensetzung der Fauna und Flora mit sich bringt, die auch das Verschwinden einer Art zur Folge haben kann, wird jede Nutzungsänderung als "Verschlechterung" qualifiziert. Es müsse alles so bleiben wie es ist. Hinzu kommt, daß Umweltschützer generell gern mit Katastrophenszenarien54 arbeiten, um ihre Anliegen durchzusetzen. Es sei in diesem Zusammenhang etwa an die Vorhersage zu Beginn der 80er Jahre erinnert, wonach der Deutsche Wald binnen 10 Jahren abgestorben sein sollte oder an die dramatisierenden Berichte vom Robbensterben in der Nordsee 1988.55 Die damit verbundene "Emotionalisierung"56 des gesamten Umwelt- und Naturschutzrechtes sowie die Fixierung der Naturschützer auf "Raritäten,,57, die von Nutzungsänderungen besonders bedroht sind, erheben die Diskussion um das' richtige Naturschutzkonzept auf eine moralische Dimension, wo sie einer rationalen Diskussion weitgehend entzogen wurde. 58 Dazu gehört auch die Verniedlichung der Natur, nachdem die modeme Technik das Bedrohungspotential der Natur weitgehend entschärft hat. Mit den Schlagworten vom "Frieden des Menschen mit der Natur", der "Aussöhnung" und der "Gerechtigkeit gegenüber der Natur" wird die alte "Blut- und BodenRomantik" in einem neuzeitlichen Gewand präsentiert. 59 Erst in jüngerer 53 Eissing/Louis, Rechtliche und fachliche Anforderungen an die Bewertung von Eingriffen, NuR, 1996, 485, 486, unter Hinweis auf Schink (Fn. 17), VerwArch 1995, 398, 399, der sich wiederum auf das Umweltbundesamt bezieht. 54 Vgl. Eissing/Louis, NuR 1996, 485, 486, die von einer "dramatischen Verschlechterung" und "weiterschreitenden Zerstörung unserer Umwelt" sprechen. 55 Heute gibt es in der Nordsee mehr Robben als vor der Seuche; das öffentliche Bewußtsein hat dies jedoch nicht registriert. 56 Symptomatisch hierfür ist etwa die Verankerung der Tierschutzes im Bürgerlichen Gesetzbuch durch § 90 a BGB, die nicht mehr als eine "gefühlige Deklamation ohne wirklichen rechtlichen Inhalt" (Heinrichs in Palandt, § 90a Rn. 1) ist. 57 Davon zeugt die starke Stellung der sog. roten Listen bei der Bewertung der Landschaft. 58 Zu diesem Problem ausführlich Bonus, Wirtschaftliches Interesse und Ideologie im Umweltschutz, in: Rationale Wirtschaftspolitik in komplexen Gesellschaften, 1985, S. 359, 370.
B. Die ökologische "Verträglichkeit" der Steuerungskonzepte
41
Zeit findet ein allmählicher Wandel hinsichtlich der Wahrnehmung ökologischer Zusammenhänge statt. 11. Der Funktionszusammenhang zwischen Kultur, Wirtschaft und Natur - Zur Notwendigkeit eines Umdenkens im Naturschutzrecht Zum Verständnis der Anforderungen der Natur für eine "menschengerechte Umwelt" ist es notwendig, die Bedingungen, unter denen diese Umwelt entstanden ist, etwas näher zu beleuchten. Die ursprüngliche Landschaft in Deutschland war eine für den Menschen in hohem Maße lebensfeindliche Umgebung. In ihr hätten ohne menschliche Eingriffe nur einige hunderttausend, vielleicht auch eine Millionen Menschen überleben können. Jedenfalls wäre diese Landschaft als Lebensgrundlage für die heute 80 Millionen Menschen absolut ungeeignet. Der Mensch mußte, seit Anbeginn der Besiedelung dieses Lebensraumes bis heute, Natur und Landschaft seinen Bedürfnissen anpassen. Daher ist heute Natur in Deutschland zu über 95 % Kulturlandschaft. Diese Arbeit hat diese 95 % Kulturlandschaft zum Gegenstand. Die Flächen, wie z. B. das Wattenmeer oder das hochalpine Gebirge, die noch nicht dem kulturellen Einfluß unterliegen, sind von den Überlegungen dieser Arbeit ausgenommen. Für diese Flächen ist der unmittelbare staatliche Zugriff durch absolute Veränderungsverbote auch weiterhin ein angemessenes Regelungskonzept. Für alle anderen Flächen gilt dagegen, daß die gesamte sozio-kulturelle Evolution des Menschen bis heute darauf beruht, daß die Gesellschaft dadurch, daß sie sich irreversibel über die nachhaltige Selbstorganisation der Natur hinweggesetzt hat, nicht mehr auf ihre Umwelt reagieren muß 60. Die Landwirtschaft beginnt mit der Vernichtung von allem, was vorher wuchs. "Schon im Neolithikum lebt der Mensch in einer künstlichen Umwelt. Keine höhere Kultur, die die Natur unberührt ließe, die nicht rodete, die Erde aufriß, terrassierte, in ihrer Qualität veränderte, Steine brach, Wasser umlenkte und verschmutzte, nach Bodenschätzen wühlte, die nicht verhüttete, verbrannte, verbrauchte, und Müll produzierte,,61. Jede Epoche hat sich ihre eigene Kulturlandschaft mit eigenen ökologischen Gegebenheiten geschaffen. Die Natur in Deutschland steht in einem unmittelbaren "kulturellen Funktionszusammenhang" . Die überwiegende Zahl an Tieren und Pflanzenarten ist bei uns heute nur deswegen heimisch, weil menschliche Natur sie begünstigt hat. 62 So gibt es etwa in den meisten 59 Im Recht finden sich diese Gedanken etwa bei Bosselmann, Die Natur im Umweltrecht, NuR 1987, 1--6 60 Luhmann, Ökologische Kommunikation, 1990, S. 42. 61 Hofmann (Fn. 48), JZ 1988,265.
1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
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Teilen Europas heute so gut wie keine Vogelart mehr in "natürlicher" Verbreitung und Häufigkeit. Wo welche Vögel leben, bestimmt in erster Linie der Mensch. 63 Ändert der Mensch die Nutzungsformen, ändert er zwangsläufig die ökologische Ausstattung der Landschaft. Die Geschichte der Kulturlandschaft zeigt, daß es immer wieder neue "Initialen" für die Entstehung von Landschafts strukturen gegeben hat, ohne die die Landschaft heute sowohl in ökologischer wie auch in optischer Hinsicht anders strukturiert wäre. Das Anlegen von Äckern, Bahndämmen, Parks und sogar von Müllhalden führte stets zur Neu-Einbürgerung weiterer Tier- und Pflanzenarten, also zur Vergrößerung der Vielfalt. Selbst der Bau von Kanälen und Eisenbahntrassen, die Anlage von großen Häfen und Bahnhöfen kann neue ökologische Impulse geben 64 . Die neuen Trassen werden zu Wanderbahnen für Pflanzen, die sich entlang der Kanäle und Bahnlinien ausbreiten können. "Besonders zahlreiche neue Pflanzenarten, die sogenannten Neophyten, kamen dadurch nach Mitteleuropa, daß sie am Ladegut gehaftet hatten, das in Häfen und Güterbahnhöfen umgeschlagen wurde. Dort gibt es ein besonders buntes Mosaik von Pflanzenstandorten; viele dieser Anlagen sind für ihren Reichtum an Pflanzen bekannt. Zahlreiche Disteln, Brennessein, Kanadische Goldrute, Rainfarn und Großes Springkraut wachsen auf nährstoffreichen Plätzen, Gräser sprießen zwischen den Gleisen hervor, wo ein steppenähnliches Lokalklima herrscht. Viele dieser Pflanzen waren zuvor in Mitteleuropa nicht oder nur selten vorgekommen. An Mauern wuchsen nun Mauerpfeffer, Farne und Moose. Fetthenne und Mauerpfeffer überzogen die steinigen Standorte weiter Schotterflächen.,,65 Auch die Starkstrommasten des 20. Jhs. haben eine ökologische Funktion. Bei einer Biotopkartierung bayerischer Starkstromtrassen stellte sich heraus, daß sich unter den Masten viele "Schlüsselarten des Naturschutzes", wie Steppenanemone, Frauenschuh und Fliegenragwurz angesiedelt haben. Die Fachleute kamen sogar zu dem Schluß, daß auch der Erhalt der letzten großen Kreuzotterbestände Strom- und Gastrassen zu verdanken seien. Auch sei das Überleben des Fischadlers zumindest auch darauf zurückzuführen, daß dieser in den Masten eine sichere Brutmöglichkeit finden konnte. 66 Man kann sogar noch weiter gehen. Fast alle Landschaftstypen, die im Naturschutzrecht besonderen Schutz genießen, sind durch intensive Bewirtschaftung entstanden: Streuobstwiesen, Heiden, Almen, Tümpel. Sie werden, wenn sie einige Zeit bestehen, sogar als "landschaftstypisch" 62 63
Küster, Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa, 1996, S. 370. Bericht über eine Studie über Artenvielfalt von A. Hoch, SZ v. 23.7.1996,
S.36. 64 Küster (Fn. 62), S. 310. 65 Küster (Fn. 62), S. 310. 66 MaxeinerlMiersch (Fn. 31), S. 192.
B. Die ökologische "Verträglichkeit" der Steuerungskonzepte
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bezeichnet, obwohl die Landschaft, also die Natur von sich aus sie niemals hervorgebracht hätte. 67 Inzwischen werden sogar ausgediente Bahntrassen als ,,historische Kulturlandschaftselemente" einem absoluten naturschutzrechtlichen Veränderungsverbot unterstellt68 , deren Neuanlage naturschutzrechtlich einen hohen Ausgleichsbedarf erfordern würde. Angesichts dieses Befunds muß die These von einer Natur, die möglichst wenig verändert werden sollte, revidiert werden.69 Die Vorstellung eines natürlichen statischen Gleichgewichtes, von Lebewesen und Umwelt in vollendeter Harmonie, die einzig und allein vom "bösen" Menschen gestört wird, ist zu idealistisch. Dies wurde immer deutlicher, je tiefer die Forschung in die Zusammenhänge eindrang. Das Zusammenwirken der Organismen mit ihrer Umwelt verläuft ganz anders: Alle Lebewesen nutzen die Natur! Sie entnehmen ihr Stoffe, setzen sie um und bauen daraus körpereigene Substanzen auf. Was sie nicht brauchen können, geben sie ab. Die Natur stellt die Bühne dar, auf der das Spiel des Lebens abläuft. Die Spieler werden beständig ausgetauscht und erneuert. 99 % aller bisher existierenden Arten sind bereits wieder ausgestorben. 7o "Das Spiel paßt sich den Veränderungen auf der Bühne an und es verändert selbst die Bühne des Lebens. Die Organismen sind die Spieler. Sie versuchen, und das seit Anbeginn, von der Natur unabhängig zu werden und sich ihre Welt selbst zu gestalten. Sie greifen in den Naturhaushalt ein und bestimmen, wie dieser abläuft. Derartige Eingriffe sind keine neue Erfindung des Menschen, sondern bilden ein Urprinzip des Lebens.,,71 Ökologische Systeme sind, mit einem Wort, dynamisch. Ihr Verhalten ist gegenüber Störgrößen nicht deterministisch und damit einer exakten Prognose nicht zugänglich. Sie sind offene Systeme. Eingriffe des Menschen sind daher nicht von vorneherein nachteilig, sondern können auch von ökologischen Nutzen sein. 72 67 Nach einer dpa-Meldung von Lauer, in Südkurier Konstanz v. 20.08.1997, S. 11, werden "die landschaftstypischen Wacholderheiden" auf der Alb bedroht (!) durch Bäume und Büsche". Diese "landschaftstypischen" Wacholderheiden sind entstanden durch starke Beweidung seit dem Mittelalter. Zur Pflege und künstlichen Aufrechterhaltung dieser Weiden werden jährlich Millionen investiert, um sie vor der natürlichen Sukzession zu schützen. - Es kann der Tag abgewartet werden, an dem der Golfsport außer Mode gerät und die "Verbuschung" der ersten Golfplätze beklagt werden wird, die dann "landschaftstypisch" geworden sind. 68 Vgl. Anordnung zur einstweiligen Sicherstellung von Abschnitten einer ehemaligen Bahnlinie des LRA Wunsiedel v. 01.04.1998, Gz.: 43-173/02. 69 Dazu und zum Folgenden Reichholj, Leben und Überleben in der Natur, 1988, S. 14,34.; ferner ders., Der schöpferische Impuls, 1992. 70 Reichholf 1988 (Fn. 69), S. 34. 71 Reichholf 1988 (Fn. 69), S. 14. 72 Dreißigacker, Ökologische Folgenbewertung als umfassendes Instrument sinnvoller Umweltvorsorge, in: Dreißigacker/Bückmann, Ökologische Folgenbewertung, 1991, S. 156.
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1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
Der permanente Wandel ist ein Grundprinzip der Natur und die Grundlage der Evolution: "Wäre die Natur nicht zu schnellem Wandel fähig, gäbe es kein Leben auf der Erde. Veränderungen des Klimas und Naturkatastrophen haben Pflanzen und Tiere immer wieder zu neuen Anpassungen gezwungen. Gäbe es wirklich ein Gleichgewicht der Natur, müßten die Organismen bei jedem Wandel ihrer gewohnten Umwelt absterben - der Naturhaushalt wäre längst zusammengebrochen. Weiterentwicklung erfolgt aus Ungleichgewicht. Eine ausgewogene Balance bedeutet Stagnation. Evolution braucht jedoch Unausgewogenheit, braucht Dynamik, um voranzuschreiten und neue Lösungsstrategien hervorzubringen. Dauerhaft ist in der Ökologie nur der Wechsel.,,73 Die Erkenntnisse der Funktionszusammenhänge zwischen Natur und Kultur haben Küster zu der Einsicht geführt, daß wir, wenn wir den Gang der Geschichte der Kulturlandschaft überblicken, keinen Grund haben, "die Anlage von Golfplätzen oder den Bau des Transrapid zu bekämpfen; es ist heute noch nicht abzusehen, welche Lebensräume dadurch entstehen werden,,74. Diese Dynamik der Natur fordert ihren Preis. In gleicher Weise wie mit der Neuaufnahme von Nutzungsformen neue Lebensräume entstehen und besiedelt werden, verschwinden mit der Aufgabe alter (bäuerlicher) Nutzungsformen Gewächse auch wieder, die erst durch den Menschen und seine Wirtschafts weise in Mitteleuropa heimisch geworden waren, so etwa die Getreideunkräuter flachgründiger, der Sonne ausgesetzter Äcker oder die Orchideen der Magerrasen.75 Auch wenn man ehemals genutzte Landschaften sich selbst überläßt, also jede weitere Nutzung durch den Menschen unterbindet, tritt ein Wandel für Fauna und Flora ein. Denn es laufen dann natürliche Sukzessionen ab: Jeder See wird irgendwann verlanden76 , und jede offenen Heide wird irgendwann zum Wald. 77 Die Tier- und PflanMaxeiner/Miersch (Fn. 31), S. 323. Küster (Fn. 62), S. 371. 15 Nach dem Bericht 3/91 des Umweltbundesamtes (vgJ. Hampicke u. a., Kosten und Wertschätzung des Arten- und Biotopschutzes, S. 133) ist etwa die wichtigste Ursache der Gefährdung von Magerrasen die Nutzungsaufgabe (Brachfallen). 16 VgJ. den Bericht von L Fisch über die 6. Chiemsee Konferenz in Bemau, SZ v. 28.11.1996, die sich mit den Möglichkeiten auseinandersetzte, diesen natürlichen Veriandungsprozeß (künstlich) zu bremsen, um die "Natur" zu erhalten. 11 VgJ. dazu den Sachverhalt in der Entscheidung des Niedersächsisches Finanzgerichts v. 02.08.1994, Az.: I 342/90 in EFG 1994, 847-848: "Die Pflege und Erhaltung der Heidelandschaft erfordert verschiedenartige Maßnahmen, die der Kl. in Absprache mit der zuständigen Bezirksregierung durchführt. Besonders bedeutsam sind: Pflege und Erhaltung der Heideflächen. Um die Heideflächen zu erhalten, muß die Heide ständig kurz gehalten werden. Störende (!) Laub- und Nadelbäume und Gräser dürfen nicht aufkommen, da sie die Ausschlagfähigkeit und Blühbereit13
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B. Die ökologische "Verträglichkeit" der Steuerungskonzepte
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zenarten, über die die Sukzession hinweggeht, haben das Nachsehen; sie sterben aus. Die meisten Orchideen, Enziane und Silberdisteln würden in Deutschland aussterben, Störche, Schwalben und Sperlinge sich zurückziehen, weil sie in die natürlichen Lebensgemeinschaften Mitteleuropas, die Wälder, nicht hineingehören. 7s Das Naturschutzrecht registriert diesen Wandel, der z. T mit einer dramatischen Dezimierung der früheren Arten einhergeht, in zahllosen Florenund Faunenwerken in den "Roten Listen". Nimmt man diese dann als Richtschnur für den Natur- und Landschaftsschutz, werden die vom Menschen künstlich, durch Bewirtschaftung geschaffenen Landschaften auch dann erhalten, wenn sich ihre ursprüngliche Funktion längst überholt hat. Sie werden dann nicht nur vor dem Menschen, sondern auch vor der herannahenden Natur geschützt.79 Welche Ausmaße das Festhalten an überkommenen Landschaftsformen hat, mag das Beispiel "Lüneburger Heide" verdeutlichen. Diese Landschaft ist durch "Raubbau an den Wäldern zugunsten der Lüneburger Sudpfannen schon im Spätmittelalter entstanden"so und dann durch eine heute unrentable Bewirtschaftungsform weiter verfestigt worden. Sie verdankt ihre Existenz also einer Bewirtschaftungsform, die in keiner Weise mit heute bestehenden naturschutzrechtlichen Anforderungen vereinbar wäre. Gäbe es diese Landschaft nicht, wäre ihre "Herstellung" verboten! Diese Landschaft ist in hohem Maße künstlich und kann sich daher nicht selbst regulieren. Um sie dennoch aufrechtzuerhalten, werden regelmäßig zahlreiche Birken gefällt. Es geht sogar so weit, daß zum Schutz dieser ökonomisch überholten Landschaftsform aus naturschutzrechtlichem Anlaß Herbizide (!) eingesetzt wurdenSI, um den Status quo zu erhalten. Allgemein beschreibt KüsterS2 die Schwierigkeiten, mit denen der statische Schutz der dynamischen Natur konfrontiert wird und an denen er immer wieder scheitern muß: ,,Nutzt man die Lebensräume bedrohter Tier- und Pflanzenarten nicht genau wie bisher weiter, verschwinden die bedrohten Lebewesen dennoch: Birken machen sich auf Heiden breit, später Eichen und Buchen. Mäht man bisher beweidete Heideflächen, verhindert man die Verbuschung; aber es werden dann alle Pflanzen gestutzt und nicht nur die, die das grasende Vieh sich selektiv herausgegriffen hat. Die auf den Viehweiden stehengebliebenen und daher häufiger gewordeschaft beeinträchtigen würden. Daher ist die Heide entweder auf mechanischem Wege zu mähen oder durch Heidschnucken zu beweiden. Andernfalls wäre sie innerhalb kurzer Zeit zerstört." 78 Küster (Fn. 62), S. 370. 79 Vgl. Fn. 77. 80 Vgl. Schubert, Der Wald: wirtschaftliche Grundlage der Stadt, in: Herrmann/ Amold (Hrsg.), Mensch und Umwelt im Mittelalter, 1987, S. 257, 262. 81 Vgl. Jäger, Einführung in die Umweltgeschichte, 1994, S. 224. 82 Küster (Fn. 62), S. 369, 370.
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1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
nen Arten wie Orchideen, Enzian und Silberdistel werden bei Mahd genauso geschnitten wie die ehemals vom Vieh gefressenen Pflanzen; die unter Naturschutz stehenden Gewächse extensiv genutzter Viehweiden werden durch Pflegemahd seltener. Stellt man eine Streuobstwiese unter Naturschutz, schneidet aber die Apfelbäume und das Gras darunter nicht mehr, verändert sich das Landschaftsbild ebenfalls. Alle Pflegepläne für Naturschutzgebiete rufen eine Wandlung der Tier- und Pflanzenwelt hervor, wenn sie nicht zur genauen Beibehaltung der historisch überkommenen Nutzung führen; strenggenommen müßten Heideflächen sogar von Zeit zu Zeit umgebrochen und mit Buchweizen bestellt, ja sogar abgebrannt werden, was das deutsche Naturschutzgesetz verbietet."
Diese Beispiele zeigen eindrucksvoll die Grenzen der herkömmlichen, auf Konservierung ausgelegten Naturschutzidee. Sie mag für eng begrenzte Lebensräume sinnvoll sein. Für einen flächendeckenden Naturschutz ist sie schlichtweg unbrauchbar. Sie wird weder dem Wesen der Natur noch den Anforderungen einer auf Wachstum und Veränderung ausgerichteten Gesellschaft gerecht. Es wird daher Zeit, daß wir uns von der statischen Betrachtungsweise lösen und die Dynamik der Natur in das rechtliche Schutzkonzept integrieren. Wir sollten erkennen, daß der Erhalt der "natürlich" gewachsenen Landschaftsstrukturen nicht nur gegenüber Eingriffen des Menschen, sondern auch gegen natürlich ablaufende Sukzessionen zu synthetischen Landschaften führt, die nicht mehr in einem "natürlichen" Wirtschaftszusammenhang stehen. Der Erhalt gerade dieser Kulturlandschaft außerhalb des historischen Zusammenhangs führt geradewegs in eine museale Kunstlandschaft. Das von der kleinbäuerlichen Kulturlandschaft vergangener Jahrhunderte geprägte Naturverständnis entspricht nicht mehr dem heutigen Wissen um ökologische Zusammenhänge. Diese Landschaft ist nicht die menschengerechte Landschaft schlechthin, sondern nur eine historische Variante menschengeprägter Landschaft unter vielen. 83 Das Festhalten am statischen Schutzkonzept, das notwendig immer hinter den Erwartungen zurückbleibt, da sich die Natur nur mit großem Aufwand auf einen Zustand fixieren läßt, birgt in sich die Gefahr, über der Erkenntnis des Unerreichbaren das Erreichbare aus den Augen zu verlieren. Eine (zentrale) Planung der Landschaft und die Festschreibung des Ist-Zustandes verkennt, daß Natur- und Landschaft heute nur das Ergebnis menschlichen HandeIns, nicht aber das Resultat eines menschlichen Entwurfs ist. 84 Die heutige Verteilung der Bodennutzung basiert überwiegend auf Zufällen, wie 83 Vgl. Küster (Fn. 62), S. 330: ..Die aus unterschiedlicher Sicht - der Wissenschaft wie der ,Blut-und-Boden'-Romantik - glorifizierte Blütephase des ländlichen Lebens, die ..gute alte Zeit", war nicht mehr als eine Episode in der Landschaftsgeschichte." 84 Dieser Vergleich ist angelehnt an die Beschreibung der Gesellschaft von F. A. von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. I, Regeln und Ordnung, 1980, S.74.
B. Die ökologische "Verträglichkeit" der Steuerungskonzepte
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technischen oder finanziellen Möglichkeiten zur Nutzbarmachung von Flächen in der Vergangenheit. Sie wird beeinflußt vom Bedarf an wirtschaftlich, insbesondere landwirtschaftlich nutzbarer Fläche und nicht von der Überlegung, bei welchen Flächen eine ökologische Funktion besonders sinnvoll erscheint. Die heute existenten ökologischen und optischen Landschaftsressourcen wurden mithin überwiegend nicht zu diesem Zweck vom Menschen geschaffen, sie sind unabhängig vom regionalen Bedarf entstanden. Sie sind Folge einer über Jahrtausende ungeplanten landschaftlichen Nutzung und Besiedelung in der Vergangenheit. Natur- und Landschaftsformen sind heute so komplex, weil sie ursprünglich nicht zentral geplant worden sind. Sie sind hervorgegangen aus Nutzungsentscheidungen voneinander unabhängiger Eigentümer und ungeplanten, "natürlichen" Sukzessionen. Es ist daher paradox und das Ergebnis eines völligen Mißverständnisses dieser Umstände, wenn man behauptet, daß Landschaft bewußt beplant und konserviert werden müßte, weil sie so komplex geworden ist. 85 Die Geschäftsgrundlage dieser komplexen Systeme heißt: Endgültige Voraussagen sind nicht möglich. Oder umgekehrt: Wären sie möglich, gäbe es dieses System nicht. Die Planung der Natur wird also nicht zu einem Mehr an Vielfalt, sondern zu einem Mehr an Irrtümern führen, die immer neue Eingriffe zur Erhaltung der "natürlichen" Landschaft erforderlich machen,86 Woher sollen wir auch die Kenntnis nehmen, wie Natur sein soll, um diese Vorstellung dann auch gegen die Natur durchzusetzen?
Siehe Fn. 84. Ein klassisches Beispiel für den Versuch, synthetische Natur herzustellen, habe ich der SZ v. 16.6.1997 entnommen. Im Rahmen von Bauarbeiten für ein Neubaugebiet sollen "seltene und damit wertvolle" Heideflächen aus sogenanntem Kalkmagerrasen zerstört werden. Um diesen Verlust auszugleichen, ist vorgesehen, in dem Baugebiet auf einer Fläche in der Größe von I, 5 Hektar eine zehn Zentimeter dikke Heide-Bodenschicht abzutragen. "Die Schicht wird auf einer bisher landwirtschaftlich genutzten Fläche nur halb so dick auf drei Hektar aufgebracht; zuvor muß der Oberboden entfernt werden. Auf weiteren drei Hektar der insgesamt 16 Hektar Ausgleichsfläche wird der Oberboden abgeschoben und im Herbst mit Heublumen bedeckt, während 10 Hektar Ackerfläche brachliegen bleiben. Bis sich auf dem Areal wieder eine Magerrasenfläche entwickelt, wie sie heute auf der Fläche des vorgesehenen Neubaugebiets existiert, wird viel Zeit ins Land gehen (nach Meinung von Experten mindestens 50 Jahre). Eingriffe werden dabei immer wieder nötig sein: Vereinzelte Mahd, das Entfernen von aufwachsenden Bäumen und Sträuchern sowie die regelmäßige Beweidung des Gebietes sollen dafür sorgen, daß dort wieder eine Vegetation entsteht, wie sie für nährstoffarme Böden typisch ist." Allein für die Anlage der Naturfläche werden dabei rund 700.000 Mark aufgewandt. 85
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1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
ßI. Der "Landschaftsverbrauch" in Zahlen
Der daraus abgeleiteten Erkenntnis, daß die "Modernisierung", die weitere Anpassung der Landschaft an die geänderten Anforderungen des Menschen möglich ist, wird oft entgegengehalten, daß der Landschaftsverbrauch schon heute unvertretbar hoch sei. Die zivilisatorischen Einflüsse auf die Natur müßten generell zurückgedrängt werden. Wenn man den heutigen Flächenverbrauch in Deutschland betrachtet, so findet man folgende Zahlen: 54 % der Fläche wird landwirtschaftlich genutzt, 30% forstwirtschaftlich. 87 Für sonstige Nutzungen bleiben also 16% der Gesamtfläche übrig. Weiter sind davon ca. 3 Prozentpunkte ökologisch wertvolle, wirtschaftlich weitgehend unbenutzte Flächen. Die jetzt noch verbleibende Fläche muß ausreichen für Freizeit, Wohnen und Arbeiten. Mit Wohngebäuden ist gerade einmal 1 % der Fläche in Deutschland versiegelt88 • Einschließlich Hausgärten sind es ca. 5 % genutzter Bodenfläche. Den Rest teilen sich Verkehr und Industrie, wobei auch hier Freiflächen bereits einbezogen sind. 89 Diese Zahlen erstaunen angesichts der Zielsetzungen des Naturschutzes, der überwiegend nicht den Landschaftsverbrauch durch die Landwirtschaft begrenzt, sondern den durch nichtlandwirtschaftliche Nutzung wie Gebäude, Straßen, Freizeitanlagen wie Golfplätze, Campingplätze, private Fischteiche, Wochenendnutzung oder Freizeitparks. Gesetzlichen Ausdruck findet dies nicht nur in §§ 1 V Satz 3, la I BauGB, sondern auch in den Zielsetzungen der Schutzgebietsausweisungen, die den landwirtschaftlichen Charakter90 - auch gegen ökologisch wertvollere Nutzungen91 - ausdrücklich schützen (vgl. §§ 13 11, 15 11 BNatSchG). Angesichts der heutigen Ver87 Vgl. Schink, Wertvolle Biotope ohne gesetzlichen Schutz, VerwAreh 1995, 398,400; Czybulka, Eigentum an Natur, NuR 1988, 214. 88 R. Schneider, Bauen im Außenbereich, Siedlung und Eigenheim 1996, S. 38. 89 Ähnliche Zahlen auch bei Schink (Fn. 87), VerwAreh 1995, 398, 399: 10% Siedlungsfläche und 2% Verkehrsfläche (daneben 3% Biotope, 85% Land- und Forstwirtschaft). 90 Bis auf vemachlässigbare Ausnahmen wird der Charakter des Außenbereichs in einem Land, in dem 85 % der Fläche durch landwirtschaftliche Nutzung überformt ist - zumindest auch - durch diese land- und forstwirtschaftliehe Nutzung geprägt. 91 Vgl. OVG Lüneburg, NuR 1989, 46: die Erwägung, daß ein Golfplatz ökologisch und optisch positiver zu bewerten sei als die intensive landwirtschaftliche Nutzung, verbiete sich, da die LandschaftsschutzVO vor dem Eindringen landschaftsfremder Elemente schützen will; ebenso VGR BW, NuR 1995, 83, 84: "Dabei ist es ... grundsätzlich unerheblich, ob die Nutzungsänderung dem Schutzzweck der Naturschutzgebietsverordnung schädlich ist, denn sie will in erster Linie den bestehenden Zustand bewahren."
B. Die ökologische "Verträglichkeit" der Steuerungskonzepte
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teilung der Bodennutzung ist dies aus ökologischen Gründen wenig überzeugend. Auch die gegen weitere Änderungen der Bodennutzung angeführten Zahlen, wonach bundesweit täglich 90 ha land- und forstwirtschaftliche Fläche in Siedlungs-, Industrie- und Verkehrsareale umgewandelt würden 92 , können die Behauptung, es werde bereits zuviel Fläche "verbraucht", nicht wirklich begründen. Absolute Zahlen sind für sich alleine grundsätzlich wenig aussagekräftig. 93 Schon bei einer pro Kopf Berechnung des Flächenverbrauchs relativiert sich die Bedrohlichkeit dieser Zahlen. Auf der Fläche der Bundesrepublik Deutschland leben etwa 81.000.000 Menschen. 90 ha (900.000 qm) bedeuten pro Kopf und Tag gerade einmal 111 cm 2 , also eine Fläche von 10xil cm. Im Jahr sind dies etwa 4 m2 , die pro Kopf überwiegend der landwirtschaftlichen Nutzung für Siedlungs- und Verkehrsfläche entzogen werden. Dies erscheint im Hinblick auf die Tatsache, daß bisher weit über die Hälfte der Fläche Deutschlands als landwirtschaftliche Fläche der Existenzsicherung von weniger als 4% der Bevölkerung zur Verfügung stehen, während der Rest der Bevölkerung gerade einmal 12 % der Fläche wirtschaftlich nutzen darf, keine unverträgliche Umschichtung. Auch ein Vergleich des heutigen Verbrauchs mit der Gesamtfläche Deutschlands relativiert die absoluten Zahlen. Zur Zeit werden jährlich weniger als 111000 der Fläche Deutschlands, mit abnehmender Tendenz, "verbraucht". Völlig in sich zusammen fällt die "Bedrohung,,94, wenn dem Landverbrauch durch Siedlung der "Landgewinn" durch Aufgabe landwirtschaftlicher Nutzung gegenübergestellt wird. So sind bis heute durch Stillegungsprogramme bereits 2 Mio. ha landwirtschaftliche Fläche stillgelegt worden 95 • Agrarexperten schätzen, daß in den nächsten 30 Jahren bis zu 7 Millionen ha landwirtschaftlicher Fläche stillgelegt werden. 96 Dies sind 92 Vgl. Difu - Medieninformation v. 15.5.1996, "Flächen sparen, Verkehr reduzieren", http://www.difu.de/presse/; noch 1984 waren es allein für die alte Bundesrepublik 120 ha, vgl. Adam/Grohe, Ökologie und Stadtplanung, 1984, S. 31. 93 Da hilft es auch nichts, wenn, um die Zahl zu illustrieren und um sie besonders bedrohlich erscheinen zu lassen, sie noch mit dem Hinweis versehen wird, dies entspreche über 100 Fußballplätzen (vgl. den Bericht über die Forderungen der Enquetekommission des Bundestages zum Schutz der Menschen und der Umwelt in: Die Welt v. 9.4.1997, S. 7; bei einer FeIdgröße von 120 m x 68 m sind es ziemlich genau 110 Fußballplätze). Dies entspricht etwa 40.000 Fußballplätzen im Jahr. Auf der Fläche Deutschlands ließen sich theoretisch jedoch über 40.000.000 Fußballplätze anlegen, so daß insgesamt nur I Promille der verfügbaren Fläche neu genutzt wird (vgl. zu dieser Illustrierung auch Fn. 97). 94 Zur verzerrten Risikowahrnehmung insbesondere auch im Umweltrecht vgl. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 23 m. zahlr. w. Nachw.; ferner Becker, Risiko ist ein Konstrukt. Wahrnehmungen zur Risikowahrnehmung, 1993. 95 Schneider (Fn. 88), S. 38.
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1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
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über 200.000 ha/Jahr. 97 Dem gegenüber stehen nur ca. 33.000 ha/Jahr Flächenverbrauch durch Siedlungs- und Verkehrsflächen. Etwa 1/3 der Fläche Deutschlands wird von Wald bedeckt. Pro Jahr kommen im Durchschnitt 540 qkm hinzu, hauptsächlich, weil landwirtschaftliche Flächen in Forst umgewandelt werden. 98 Im Durchschnitt "verbraucht" der Waldzuwachs in Deutschland also mehr Fläche pro Jahr als der Siedlungszuwachs. 99 Werden Flächenverbrauch durch Wald und Siedlung addiert und dem Flächengewinn durch Aufgabe landwirtschaftlicher Nutzung gegenübergestellt, so ergibt sich ein überraschendes Ergebnis: In Deutschland wird mittelfristig etwa doppelt soviel Fläche frei, wie neu genutzt wird. Daneben ist bei dieser Entwicklung zu berücksichtigen, daß im selben Zeitraum die Zahl der Einwohner in Deutschland deutlich zurückgehen wird 100 und damit auch der Siedlungs druck abreißt. Zusammen mit der Erkenntnis der Dynamik der Natur zeigen diese Zahlen, daß es ökologisch nicht erforderlich ist, Natur- und Landschaftsschutz vorwiegend konservierend zu betreiben. Die tatsächlichen Gegebenheiten lassen einen dynamischen Schutz aus ökologischer Sicht nicht nur zu, sie erfordern ihn regelrecht.
c.
Zwischenergebnis - Rechtliche Konsequenzen
I. Prinzipielle Grenzen von Schutzgebietsausweisungen Nach den bisherigen Ausführungen kann den insbesondere von Naturschutzverbänden geforderten und in einzelnen Ländern praktizierten umfangreichen Schutzgebietsausweisungen 101 nur mit Vorbehalten begegnet 96 MaxeinerlMiersch, (Fn. 31), S. 199, dies sind etwa 1/3 der heute bewirtschafteten Fläche. Derzeit geben jedes Jahr 3-3,5% der landwirtschaftlichen Betriebe auf. Dies sind bei einem heutigen Stand von insgesamt ca. 530.000 Betrieben etwa 15.000 pro Jahr. 97 Die stillgelegte Fläche entspricht, bezogen auf die Umrechnung in Fußballplätze (vgl. Fn. 117), fast 250.000 im Jahr bzw. 650 Fußballplätzen pro Tag. 98 MaxeinerlMiersch (Fn. 31), S. 218; in Westeuropa gedeiht heute (trotz Waldsterbens) 30% mehr Wald als vor 50 Jahren. 99 54.000 ha gegenüber 33.000 ha. 100 Ohne Wanderungsbewegungen wird die Bevölkerungszahl in Deutschland bei etwa gleichbleibender Geburtenrate in den nächsten 30 Jahren um etwa 15 Mio. zurückgehen. 101 Vgl. die Übersicht über die Landschaftsschutzgebiete im Anhang 1, Tabelle 2: Landschaftsschutzgebiete in der Bundesrepublik Deutschland, S. 238. So sind in Hessen bereits 53, 6% der Landesfläche als Landschaftsschutzgebiet festgesetzt und weitere 5, 1% einstweilig sichergestellt. Auch in Nordrhein-Westfalen ist fast die Hälfte des Landesgebiets im Geltungsbereich eines Landschaftsschutzgebietes.
c. Zwischenergebnis - Rechtliche Konsequenzen
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werden. Veränderungen in der Nutzung der Natur und Landschaft sind nicht bereits deshalb schädlich, weil sie zu anderen ökologischen Gegebenheiten führen. Die derzeitige Landschaftsnutzung ist eine vergängliche Episode der Landschaftsgeschichte, die nicht apriori eine höhere Legitimation besitzt als eine andere Nutzung. Auch die Nutzung des Außen bereichs für weitere, nichtlandwirtschaftliche Nutzungen kann nicht apriori als Verstoß gegen die Ziele des Landschafts- und Naturschutzes angesehen werden. Die großflächige Ausweisung von Schutzgebieten (§§ 13 ff. BNatSchG), die als "absolute Nutzungsänderungsverbote,,102 das Recht, Nutzungen zu ändern, total entziehen, ist grundsätzlich schon aus naturschutzfachlichen Gründen problematisch. Als dynamisches Gebilde widersetzt sich die Natur allen Bestrebungen, sie zu konservieren oder zu planen. Die Bewahrung einer Naturlandschaft, deren kultureller und technischer Hintergrund weggefallen ist, führt zudem zu einer künstlichen, da dem wirtschaftlichen Funktionszusammenhang enthobenen Landschaft. Daraus leiten sich rechtliche Bedenken gegen den konservierenden Schutz der Natur ab. Für den Eigentümer ist die Frage, ob sein Grundstück in den Geltungsbereich einer SchutzgebietsVO einbezogen wird, existentiell. Das gleiche gilt für eine Gemeinde, die das einmal von einem Schutzgebiet erfaBte Gebiet städteplanerisch nicht mehr entwickeln kann. 103 Ob ein Grundstück von Schutzgebietsausweisungen betroffen wird, hängt von Zufälligkeiten ab. Der Gesetzgeber trifft keine Aussage darüber, welcher Flächenanteil eines Landes unter Schutz gestellt werden sollte, auf welcher Gesamtfläche also zukünftig Nutzungsänderungen untersagt werden sollen. Da die Tatbestandsvoraussetzungen für die Ausweisung eines Landschaftsschutzgebietes so weit gefaßt sind, daß wohl der weitaus größte Teil der Fläche Deutschlands erfaßt werden könnte 104 , scheint ein umfassender Flächenschutz über die hoheitlich-obrigkeitliche Ausweisung von Schutzgebieten prinzipiell möglich. 105 Schink (Fn. 87), VerwArch 1995,398,407. Vgl. dazu unten S. 109ff. 104 Vgl. mit eindrucksvollen Belegen aus der Rechtsprechung Leisner, Eigentumsschutz - im Naturschutzrecht eine Ausnahme?, DÖV 1991, 781, 783: "Naturund Landschaftsschutzrecht sind, im Bundesbereich wie in den Ländern, in einem ,Recht der Generalklauseln' geregelt, das in seinen kombinierten Allgemeinaussagen eine Entsprechung kaum irgendwo im öffentlichen Recht findet. (... ) Jede Landschaft, ja jedes Grundstück hat seine ,besondere Eigenart'. Was soll hier ein Betroffener auch nur annähernd noch vorhersehen, worauf soll er sich einstellen können? Es gibt kein Grundstück in Deutschland, das sich nicht mit einer dieser Begründungen unter Naturschutz stellen ließe (... )" 105 Vgl. Fn. 101. 102 103
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In dieser Situation stellt sich die Frage nach der verbleibenden Grenze der potentiellen Anwendbarkeit bewahrender Naturschutzinstrumente. Äußerste Grenze staatlichen Handeins bildet das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Ein staatliches Instrument muß geeignet und erforderlich sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. I06 Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe muß die Grenze der Zumutbarkeit für die Adressaten des Verbots gewahrt sein. 107 Die Maßnahme darf sie mithin nicht übermäßig belasten (Übermaß verbot oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne).108 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzt staatliche Eingriffe in Freiheit und Eigentum also dadurch, daß es eine Zweck-Mittel-Relation herstellt und bewertet. Dies setzt aber voraus, daß Zweck und Mittel verschieden sind. Wenn im Naturschutz die Aufrechterhaltung des Status quo regelmäßig keine höhere ökologische Legitimation hat als eine Veränderung, dann werden die Nutzungsänderungsverbote der Schutzgebietsausweisungen zum Selbstzweck. Unabhängig von ökologischen Größen wird der bestehende Zustand erhalten l09 • Das Mittel (Veränderungsverbot) ist zugleich der Zweck (Erhalt der ausgeübten (i. d. R. überkommenen landwirtschaftlichen) Nutzung). Der freiheitssichernde Gedanke des Übermaßverbots kollabiert. 110 Das OVG Münster lll hat in diesem Sinne eine Baumschutz satzung noch für nichtig erklärt, deren Zweck der Erhalt der Bäume war. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß die Identität von Mittel und Zweck keine zuverlässige Rechtsanwendung hinsichtlich der in den Ausnahme- und Befreiungsvorschriften enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe wie "öffentliches Interesse" oder ,,zumutbarkeit" erlaube. Das Vorsorgeprinzip mit seiner Vermeidung um der Vermeidung willen hat also eine offene rechtsstaatliche Flanke, es ist ein "offenes Prinzip ohne Rechtsgrenzen,,112. Die Adressaten der Nutzungsänderungsverbote, also in erster Linie die betroffenen Eigentümer und Gemeinden, sind im Bereich der "Vorsorge" im Naturschutzrecht dem Rechtsregime der Schutzgebietsausweisungen grundsätzlich wehrlos ausgeliefert. Das VerhältnismäßigkeitsBVerfGE 30, 292, 316; 63, 88, 115; 67,157, 173, 176; 90,145,173. BVerfGE30, 292, 316; 67,157,178; 81,70,92; 90,145,173. 108 BVerfGE 48, 396,402; 83, 1, 19. 109 Siehe Fn. 91. 110 Vgl. Kloepfer, Droht der autoritäre ökologische Staat, in: Universitas, Zeitschrift für interdisziplinäre Wissenschaft 1993, S. 236, 243. 111 NVwZ 1986,494; Das BVerwG sah in der fehlenden Präzisierung der Zweckbestimmung hingegen kein Problem. Der Schutzzweck einer Baumschutzsatzung sei mit "Bestandserhaltung der Bäume" hinreichend präzisiert (BVerwG, NuR 1989, 179 = DVBI. 1989,377). 112 Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bd. 2, 1993, S. 11,29. 106
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C. Zwischenergebnis - Rechtliche Konsequenzen
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prinzip in seiner klassischen Funktion kann schon aus systemimmanenten Gründen kein zuverlässiges Regulativ bilden. Auch in der Literatur wird eingeräumt, daß der Versuch, den Vorsorgegedanken durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu begrenzen, bis heute nicht zu "griffigen Maßstäben"l13 geführt habe. Da das Vorsorgeprinzip das "Offenhalten von Optionen,,114 impliziert, lassen sich solche operationalisierbaren Maßstäbe aus diesem Prinzip auch nicht entwickeln. Schon aus Rechtsgründen erscheint es daher geboten, die Anwendung des Funktionsprinzip der Vorsorge (Vermeidung um der Vermeidung, Bewahrung um der Bewahrung willen) selbst zu begrenzen. Der Bereich ,,staatlichen Ermessens, um nicht zu sagen staatlicher Willkür" wird nämlich exponentiell ausgeweitet, wenn man über den Bereich der klassischen Gefahrenabwehr hinaus Maßnahmen fordert, die Emissionen oder Landschaftsveränderungen verbieten, ohne daß konkrete Gefahren für die Umwelt nachzuweisen sind. 115 Ein konsequent durchgesetztes Risikominimierungsgebot führt zuletzt auch zum Erliegen aller menschlichen Aktivitäten und des menschlichen Fortschritts, denn der Mensch kann nicht leben, ohne seine Umwelt zu verändern und dadurch Risiken einzugehen. 116 Das Vorsorgeprinzip führt also, wird es in seiner Anwendung nicht wesentlich begrenzt, zu einem völligen Innovationsverbot. Dies zeigt anschaulich die in der juristischen Literatur l17 aus dem Vorsorgeprinzip abgeleitete Forderung, daß Innovationen nur dann zugelassen werden dürften, "wenn dadurch der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verbessert, zumindest nicht verschlechtert werde." Der Gesetzgeber hätte nach diesem Maßstab etwa die Ersetzung der Uhrfeder durch quecksilberhaltige Batterien oder die Einführung von Bierdosen verhindern könnenYs Nun ist ein Maßstab noch nicht deshalb angemessen, weil er bei einigen Beispielen ein nachvollziehbares Ergebnis hervorbringt. Was die konsequente Anwendung dieser dem Vorsorgeprinzip entsprechenden Meßlatte wirklich bedeutet, zeigt ein Blick auf weniger "exotische" Bespiele. Auch die Eisenbahn, die Dampfmaschine, der Elektromotor, die Glühbirne usw. haben "den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nicht verbessert", sie waren gegenüber der Umwelt nicht einmal neutral (man denke an Schmidt-Aßmann (Fn. 112), S. 29. BVerwG 69, 37, 43. 115 Freiherr von Lersner, Nichtanthroeozentrische Erweiterung des UmweJtrechts, in: Nida-Rümelin/v. d. Pforten (Hrsg.) Okologische Ethik und Rechtstheorie, 1995, S. 191, 196. 116 Freiherr von Lersner (Fn. 115), S. 196; vgl. auch Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 27: "Die wissenschaftlich technischen Neuerungen sind ohne die Inkaufnahme von Risiken kaum denkbar.... ,Risiko ist die Bugwelle des Fortschri tts .... 117 Vgl. Berg, Über den Umweltstaat, FS Stern, S. 421, 437. 118 So Berg, (Fn. 117), FS Stern, S. 421, 437. 113
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die Auswirkungen des künstlichen Lichts auf Insekten, auf die Landschaftsverschandelung durch Strommasten und die Luftverschmutzung durch die Dampfmaschine). An diesen Beispielen zeigt sich auch, daß hier die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips (bei dessen Anwendung zudem berücksichtigt werden solle, daß wir bereits einen hohen Standard haben l19 , also, m.a. W., alle zukünftigen Innovationen weitgehend überflüssig sein werden) alleine nicht weiter hilft. Die langfristigen Auswirkungen von Innovationen sind immer unbekannt und können deshalb mit einer beliebigen Größe in Ansatz gebracht werden. So bereitet es keine Mühe, die genannten Innovationen wegen deren völlig unbekannten Auswirkungen im Sinne des Vorsorgeprinzips zu verbieten. Eine rationale, vorhersehbare Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Bereich der "Umweltvorsorge" ist, wie dargelegt, ausgeschlossen. Technischer, wirtschaftlicher und kultureller Fortschritt implizieren Veränderungen. Veränderungen implizieren Risiko. Fortschritt ohne Risiko ist daher ein Widerspruch in sich, die erhobene Forderung nach risikofreier Weiterentwicklung der Gesellschaft eine unerfüllbare Utopie. Doch der Schluß, es sei am besten, wenn zumindest der Status quo erhalten bliebe, ist nicht minder problematisch. Es gibt kein schlüssiges Indiz für die Annahme, daß die langfristigen Risiken der heutigen Gesellschaft besser beherrschbar seien als die Risiken einer weiterentwickelten Gesellschaft. 120 Vor der Verwendung der Kohle als Brennstoff waren die Wälder Europas nahezu verschwunden. Bei Beginn des Kohlebergbaus war aber nicht abzusehen und wurde auch nicht beabsichtigt, daß diese Innovation langfristig zum Überleben der Wälder beitragen würde, weil sie das Holz als Brennstoff in Mitteleuropa weitgehend ersetzen konnte. Kurzfristig überwogen die Umweltnachteile. Die Verbrennung erzeugt in großem Umfang Staub und Kohlendioxid, die Gewinnung der Kohle zerstört die Landschaft. Unter den vom Vorsorgeprinzip getragenen Zulassungsvoraussetzungen wäre die Innovation Kohle verboten worden. Der große rechtliche Vorteil der Globalsteuerung und damit auch des auf ihr basierenden dynamischen Naturschutzkonzeptes besteht also in der Minimierung der Anwendung des hoheitlich-obrigkeitlichen einzelfallbezogenen und systemimmanent zur Willkür und zur Negierung der Freiheit l2l neigenden Vorsorgeprinzips mit der Erhaltung der Landschaft um der Erhaltung willen. Das im Grundgesetz angelegte Regel-Ausnahmeverhältnis So explizit Berg (Fn. 117), FS Stern, S. 421, 437. Vgl. Steinberg (Fn. 116), S. 27: "Die sicherste und effektivste Form der Risikoreduzierung stellt die wirtschaftliche Entwicklung dar ... " 121 Vgl. Kloepfer (Fn. 110), Unversitas 1993, S. 236, 243: Der Satz ,,keine Freiheit ohne Risiko" findet im Vorsorgeprinzip tendentiell seine seine Umkehrung: "Ohne Risiko keine Freiheit." 119
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c.
Zwischenergebnis - Rechtliche Konsequenzen
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zwischen grundsätzlicher Freiheit und ausnahms weiser Einschränkung bleibt erhalten. Der Eigentümer wird in seinen Möglichkeiten nur relativ, nicht aber absolut beschränkt. 11. Bedeutungsverlust baurechtlicher Ziel vorgaben
Doch nicht nur für den einzelnen ergeben sich durch das Konzept der Globalsteuerung Vorteile. Auch hinsichtlich der gemeindlichen Bauleitplanung ergeben sich große Rationalitätsgewinne, was etwa im Hinblick auf die Planungshoheit der Gemeinden von Bedeutung ist. Die Kosten- bzw. Mengensteuerung überwindet die dargestellte Paralyse in den Zielvorgaben zwischen der Anforderung, daß landwirtschaftlich oder als Wald genutzte Flächen (Außenbereich) "nur im notwendigen Umfang für andere Nutzungsarten in Anspruch genommen werden sollen" einerseits und dem "Schutz in besonderem Maße", für Innenbereichsflächen andererseits. Das diffuse Abwägen zwischen diesen beiden Zielen entfallt, da Anknüpfungspunkt der Entscheidung nicht die konkrete baurechtliehe Lage im Innenoder Außenbereich, sondern die reale ökologische Wertigkeit ist. Welche Auswirkungen dies konkret hat, soll am Beispiel des "Grundsatzes der größtmöglichen Außenbereichsschonung" im Überblick dargestellt werden. Dieser baurechtliehe Grundsatz verliert durch die Einführung der Globalsteuerung in die Bauleitplanung mit der Implementierung der Eingriffsregelung dramatisch an Bedeutung. Nach § 8a I BNatSchG ist über Eingriffe in Natur und Landschaft, die auf Grund der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen oder von Satzungen nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des BauGB zu erwarten sind, nach den Vorschriften des BauGB zu entscheiden. Dort wiederum wird in § la 11 Nr. 2 BauGB auf die Eingriffsregelung des § 8 BNatSchG verwiesen. Dessen Anforderungen sind in der Abwägung zu berücksichtigen. Im Kern bedeutet diese Verweisungskeue, daß die durch die Bauleitplanung indizierten Eingriffe in Natur und Landschaft grundsätzlich kompensiert werden müssen. 122 Kompensationsmaßnahmen verbrauchen Flächen. Daran führt kein Weg vorbei. Welche Konsequenzen dies hat, sei an folgender Entscheidungssituation dargestellt. Eine Gemeinde will Flächen zur Befriedigung der Wohnraum122 Materiell hat sich gegenüber der alten Regelung des § 8a BNatSchG, nach der in der Bauleitplanung über die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege unter entsprechender Anwendung des § 8 Abs. 2 Satz 1 und der Vorschriften über Ersatzmaßnahmen im Sinne des § 8 Abs. 9 nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs und des Maßnahmengesetzes zum Baugesetzbuch in der Abwägung nach § 1 des Baugesetzbuchs zu entscheiden war, nichts wesentliches geändert. Zu weiteren Einzelheiten vgl. unten, S. 75: "Die zwei Schritte des Gesetzgebers zur Integration der Eingriffsregelung in die Bauleitplanung."
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1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
bedürfnisse der Bevölkerung (§ 1 V 2 Nr. 2 BauGB) bereitstellen. Sie hat dabei die Wahl zwischen Innenbereichsverdichtung und Neuausweisung von Außenbereichsflächen. Wählt sie gemäß dem "Grundsatz der größtmöglichen Außenbereichsschonung" die Innenbereichsverdichtung unabhängig von der ökologischen Wertigkeit der in Anspruch zu nehmenden Innenbereichsflächen, so kommen erhebliche Ausgleichspflichten auf die Planung zu. Da durch die Innenbereichsverdichtung diejenigen Flächen des Innenbereichs, die noch einer ökologischen Aufwertung zugänglich gewesen wären, für die Bebauung in Anspruch genommen werden, können diese Ausgleichsflächen nur im Außenbereich ausgewiesen werden. Damit wird einerseits das naturschutzrechtliche Ziel verfehlt, Ausgleichsflächen in unmittelbarer Nachbarschaft zum Eingriff festzusetzen. Doch auch das Ziel des § 1 V S. 3 BauGB, landwirtschaftliche Flächen nur in notwendigem Umfang für eine andere Nutzung in Anspruch zu nehmen, bleibt letztlich unerfüllt. Im Außenbereich stehen im wesentlichen nur landwirtschaftlich genutzte Flächen als Ausgleichsflächen zur Verfügung. Die Nutzung als Ausgleichsfläche wiederum läßt i. d. R. eine ökonomisch sinnvolle landwirtschaftliche Nutzung nicht zu. Hinzu kommt noch ein weiteres. Zwar kann die Gemeinde die Kosten für die erstmalige Herstellung der Ausgleichsflächen auf die Eigentümer derjenigen Grundstücke umlegen, die dadurch die Bebaubarkeit erlangen (§ 8a IV BNatSchG alt, § 135a 11, III BauGB 1998). Wie oben bereits erläutert, reicht eine Herstellung nach heutigem Naturverständnis nicht aus. Ausgleichsflächen benötigen regelmäßige Pflegemaßnahmen. Die laufenden Kosten können die Gemeinden aber nicht mehr auf die Eigentümer abwälzen. 123 Damit können mitunter (erhebliche) langfristige Folgekosten entstehen. Nimmt man dagegen die Eingriffsregelung als Maßstab ökologischer Optimierung l24 , so richtet sich die Inanspruchnahme der Flächen nach den dadurch verursachten ökologischen Schäden und den damit korrespondierenden Kosten der Ausgleichsmaßnahmen. Da freie Innenbereichsflächen, wie bereits erwähnt, ein hohes ökologisches Potential haben können, folglich deren Vernichtung zu hohen ökologischen Beeinträchtigungen führen kann, wird eine Inanspruchnahme von (intensiv) landwirtschaftlich genutzten Außenbereichsflächen aus naturschutzrechtlichen Gründen regelmäßig vorzugswürdig sein. Dabei können, da eine locker bebaute Siedlung ein höheres ökologisches Potential aufweist als Acker oder intensiv bewirtschaftete Wiesen, durch einen entsprechend großen Grundstückszuschnitt als Ausgleichsflächen für die Versiegelung direkt die begünstigten Grundstücke herangezogen werden. Es müssen also keine weiteren Grundstücke 123 Zu dieser Problematik vgl. Bartholomäi, Die überschätzte Kostenerstattung nach § 8a BNatSchG, NVwZ 1996, 852. 124 Unter Annahme einer städteplanerischen Ceteris-paribus-Klausel.
c.
Zwischenergebnis - Rechtliche Konsequenzen
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separat als Ausgleichsfläche in Anspruch genommen werden. Durch entsprechende Pflanzgebote (einheimische Bäume und Sträucher) in den Bebauungsplänen (§ 9 I Nr. 25 BauGB) kann sichergestellt werden, daß das Ausgleichsziel erreicht wird. Weiter liegen bei diesem procedere die Kosten für die Pflege der Ausgleichsflächen beim jeweiligen Grundstückseigentümer. So wird außerdem die Forderung nach räumlicher Nähe der Ausgleichsfläche zum Eingriff realisiert. 125 Bei dieser Lösung wird tendenziell die klassische und sich in den Zielvorgaben widerspiegelnde Trennung zwischen Innenbereich und Außenbereich, bei der dem Außenbereich die Funktion Landwirtschaft/Natur, dem Innenbereich die Funktion Wohnen/Arbeiten zugeordnet wird, durchbroehen. Angesichts der dargestellten Verteilung der Landschaft auf die verschiedenen Nutzungsformen und dem geringen Anteil, den insbesondere die Wohnnutzung davon einnimmt, kann daraus allerdings kein Argument gegen einen Vorrang der Globalsteuerung vor der durch die Bodenschutzklausel formulierten Zielsetzung gewonnen werden. Im übrigen entspricht sie dem technischen und gesellschaftlichen Trend, die Trennung zwischen Wohnen und Arbeit dadurch zu überwinden, daß nicht wie bisher Menschen, sondern Daten transportiert werden. Um Mißverständnisse zu vermeiden ist an dieser Stelle nochmals zu betonen, daß die städtebaulichen Leitlinien neben dem Naturschutz in dieser Untersuchung ausgeblendet werden. Ihr liegt eine städteplanerische ceteris paribus Klausel zugrunde. Untersucht werden nur ökologische Einflußfaktoren, alle anderen Einflußfaktoren auf die städtebauliche Planung bleiben unangetastet. Die Ergebnisse dieses Teils schließen nicht aus, daß andere Einflußfaktoren die ökologische Komponente überlagern und so im Einzelfall zu einem ganz anderen Ergebnis führen. 126 Diese Beschränkung rechtfertigt sich daraus, daß mit einem bestimmten Mittel (hier der Eingriffsregelung in der Bauleitplanung) grundsätzlich immer nur ein bestimmten Ziels (hier: Optimierung des Naturschutzes und der Landschaftspflege 12.5 Die dargelegten Konsequenzen einer rationalen ökologischen Steuerung werden von den Verfechtem der alten baurechtlichen Grundsätze und Ziele abgelehnt. So schreibt etwa Krautzberger, § 8a Bundesnaturschutzgesetz - Der gesetzgeberische Wille und die naturschutzrechtliche Eingriffs- und Ausgleichsregelung de lege ferenda, BWGZ 1996,790, 791: "Die Regelung [gemeint ist § 8a BNatSchG] kann - wird sie in einem bestimmten Sinne strikt angewendet - zu einer städtebaulich und ökologisch unerwünschten "Vergrößerung" der Baugebiete führen". Er selbst macht allerdings keinen Vorschlag, wie durch "nicht strikte" Anwendung der Gegensatz zwischen Kompensationspflicht einerseits und möglichst geringem Aächenverbrauch andererseits aufgelöst werden soll. 126 Man muß sich dabei allerdings in klaren sein, daß die Zurückstellung der Anforderungen der Eingriffsregelung eine versteckte Subvention des vorrangigen Ziels zu Lasten der Umwelt ist.
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1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
in der Bauleitplanung) erreicht werden kann. Für die weiteren Ziele der Bauleitplanung stehen andere Mittel und andere Abwägungsfaktoren zur Verfügung. Die vorangegangenen Überlegungen haben überwiegend positive Ergebnisse hinsichtlich der Einsatzmöglichkeiten einer Globalsteuerung im Naturschutzrecht gebracht. Es ist nun im folgenden zu untersuchen, in welchem Umfang der Gesetzgeber die dynamische Steuerung mit der Eingriffsregelung eingeführt hat.
D. Die Systematik des § 8 BNatSchG zwischen globaler Mengensteuerung und öffentlichem Interesse I. Die einzelnen Elemente der EingrifTsregelung
Das Normengeflecht der Eingriffsregelung gehört zu den kompliziertesten Vorschriften des Naturschutzrechtes. Zum Verständnis der Norm sollen daher zunächst die gesetzliche Systematik dargestellt und die einzelnen Elemente der Eingriffsregelung in das im vorigen Kapitel dargestellte Verteilungsmodell eingeordnet werden. Die Eingriffsregelung des § 8 BNatSchG ist 4stufig konzipiert 127 • (1) Liegt ein für die Eingriffsregelung relevanter Eingriff (§ 8 I BNatSchG) vor? (2) Ist der Eingriff vermeidbar (§ 8 11 1 BNatSchG)? In diesem Fall muß er unterlassen werden. (3) Ist er nicht vermeidbar, ist er dann ausgleichbar (§ 8 11 1, 4 BNatSchG)? Ausgleichbare Eingriffe müssen ausgeglichen werden. (4) Ist er Eingriff nicht ausgleichbar, überwiegt in einer Abwägung das öffentliche Interesse an der Maßnahme gegenüber den entgegenstehenden Belange des Natur- und Landschaftsschutzes (§ 8 III BNatSchG)? Wenn ja, ist der Eingriff zulässig; es können Ersatzrnaßnahmen bzw. Ausgleichsabgaben (§ 8 IX BNatSchG) verlangt werden. Überwiegen die öffentlichen Interessen nicht, ist der Eingriff unzulässig. 1. Eingriff
Der Schlüsselbegriff der Eingriffsregelung ist der "Eingriff'. Er wird definiert in § 8 I BNatSchG. Eingriffe sind danach "Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen, die die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich oder nachhaltig beeinträchtigen können". Dem Eingriffsbegriff ist danach eine gewisse Eingriffsintensität immanent. Nicht jede Veränderung von Natur und Landschaft führt zu einem Eingriff. 127
Vgl. dazu Anhang 3: Flußdiagramm auf S. 248.
D. Die Systematik des § 8 BNatSchG
59
Diese Definition wird durch verschiedene (Nichteingriffs-)Fiktionen weiter modifiziert. So wird die "im Sinne dieses Gesetzes ordnungsgemäße land-, forst- und fischerei wirtschaftliche Bodennutzung nicht als Eingriff angesehen (§ 8 VII BNatSchG). Eine Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen, die die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich oder nachhaltig beeinträchtigen kann, ist also dann kein Eingriff, wenn sie durch "ordnungsgemäße" landwirtschaftliche Nutzung erfolgt. 128 Nach § 8 VIII S. 1 BNatSchG können die Länder dieser Nichteingriffsfiktion durch das Aufstellen sog. "Negativlisten" weitere hinzufügen. Sie können bestimmen, daß Nutzungen, "die im Regelfall nicht zu einer erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes führen", nie als Eingriffe anzusehen sind, also auch dann nicht, wenn sie im Einzelfall doch zu einem (tatsächlichen) Eingriff führen. 129 Im Gegenzug können die Länder durch den Erlaß sog. "Postivlisten" aber auch bestimmen, daß Veränderungen bestimmter Art als Eingriffe gelten, wenn diese regelmäßig die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes oder das Landschaftsbild erheblich oder nachhaltig beeinträchtigen können (§ 8 VIII S. 2 BNatSchG). Diese Vorhaben werden also auch dann als ausgleichspflichtige Eingriffe angesehen, wenn sie im Einzelfall keine erhebliche Beeinträchtigung auslösen. 130 128 Vgl. dazu aber die Behauptung des BVerwG (BVerwGE 85, 348, 354) daß die Fonnulierung "ist nicht als Eingriff anzusehen" - zumindest in § 8 VIII BNatSchG -, nur eine "widerlegliche Vennutung" aufstellt (dazu Fn. 130). 129 Der Baurechtskompromiß (lnvestitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz v. 22.04.1993, (BGBL I S. 466)) hatte 1993 zunächst weitere Nichteingriffsfiktionen gebracht. Die wichtigste fand sich in § 8a VI BNatSchG. Danach galten Vorhaben "innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile, die nach § 34 BauGB zulässig sind", nicht als Eingriffe. Nach § 8 b 11 Nr. 1 BNatSchG konnte diese Fiktion allerdings von den Ländern wieder aufgehoben werden. Nach dieser Vorschrift konnten die Länder bestimmen, daß "erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes durch Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Orts teile nach § 34 des Baugesetzbuchs (... ) durch Geldleistungen auszugleichen sind". Eine bis 30.4.1998 zeitlich befristete Möglichkeit für die Länder zur Bestimmung einer Nichteingriffsfiktion bot § 8 b I 1 Nr. 2 BNatSchG für Vorhaben in Gebieten von Bebauungsplänen und während der Planaufstellung sowie im Geltungsbereich einer Satzung nach § 4 Abs. 2a und § 7 des Maßnahmengesetzes zum Baugesetzbuch. Mit der Neuregelung der Eingriffsregelung in der Bauleitplanung durch das BauROG (BGBL I 1997, S. 2081 v. 28. August 1997) hat der Gesetzgeber diese Fiktionen bereits 1998 wieder beseitigt. Nach § 8a 11 1 BNatSchG ist die Eingriffsregelung auf Vorhaben im beplanten und unbeplanten Innenbereich nicht mehr anzuwenden. Eine Öffnung für davon abweichende Ländervorschriften ist daneben nicht vorgesehen.
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I. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
Bereits der Eingriffsbegriff macht deutlich, daß der Gesetzgeber keine umfassende Regelung des Ressourcenverbrauchs im Natur- und Landschaftsschutz getroffen hat. Insbesondere die Privilegierung der landwirtschaftlichen Eingriffe bereits im Tatbestand der Norm führt zu einer systemwidrigen Sonderstellung, da die heute ausgeübte intensive landwirtschaftliche Nutzung den Naturhaushalt mehr belastet und zur Gefährdung von mehr Arten führt als die von der Eingriffsregelung erfaßten Maßnahmen. Hinzu kommt, daß diese Privilegierung - da die landwirtschaftliche Nutzung die heute noch weitaus verbreitetste Nutzung ist - auf eine Bewahrung vorgefundener Nutzungen und eine Zurücksetzung neuer Nutzungsformen zielt. Damit wird bereits im Tatbestand ein statisches Element eingeführt. 2. VermeidbarkeitlAusgleichbarkeit
Liegt ein Eingriff vor, gilt folgendes: (1) Vermeidbare Eingriffe sind zu unterlassen (§ 8 11, 1. Alt. BNatSchG). Für die Frage, wann ein Eingriff vermeidbar ist, gibt das Gesetz keinen weiteren Hinweis. Es bleibt also der Rechtsprechung überlassen, diesen Begriff rechtlich einzugrenzen, denn es erscheint klar, daß eine tatsächliche Vermeidbarkeit nicht gemeint sein kann. Schließlich kann jeder konkrete Eingriff dadurch vermieden werden, daß er unterlassen oder an anderer Stelle ausgeführt wird.
(2) Unvermeidbare Eingriffe sind auszugleichen (§ 8 11, 2. Alt. BNatSchG). 130 Trotz des eindeutigen Wortlautes "gilt als Eingriff" bzw. "sind nicht als Eingriffe anzusehen" herrscht Streit darüber, ob § 8 VIII BNatSchG die Länder wirklich zum Erlaß einer Fiktion bzw. einer unwiderleglichen Vermutung ermächtigt (dafür etwa Burmeister, Der Schutz von Natur und Landschaft vor Zerstörung, S. 28 m. w. N.; Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 18 Rn. 55; Schink, Naturschutz und Landschaftspflegerecht Nordrhein-Westfalen, 1989, Rn. 266). Die Gegenansicht verneint hier eine eigene Regelungskompetenz der Länder. Die tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen rahmenrechtlich gemäß § 8 Abs. 2 Satz 4 BNatSchG ein Eingriff in Natur und Landschaft als ausgeglichen anzusehen ist, seien für die ausfüllende Landesgesetzgebung verbindlich. Danach ermächtige § 8 VIII die Länder nur zu einer "vereinfachenden Handhabung" der Eingriffsrege1ung, also letztlich nur zum Erlaß von "widerleglichen Vermutungen" (so etwa BVerwGE 85, 348, 354f.; Gassner, G/B-K/S-R, BNatSchG, § 8, Rn. 11) mit der Wirkung von Verwaltungsvorschriften. Das BVerwG hat diese Frage en passant entschieden, ohne sich mit dem seiner Ansicht entgegenstehenden Wortlaut der Norm auseinanderzusetzen. Legt man die Interpretation des BVerwG der wortgleichen Landwirtschaftsklausei des § 8 VII BNatSchG ("ist nicht als Eingriff anzusehen") zugrunde, so wäre auch diese Nichteingriffsfiktion nur eine widerlegliehe Vermutung. Eine Interpretation, die bislang niemand vorgeschlagen hat.
D. Die Systematik des § 8 BNatSchG
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a) Diese Ausgleichspflicht gilt allerdings nach dem Gesetzeswortlaut nur, wenn der Ausgleich "zur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege erforderlich ist". Zu diesen Zielen gehören nach § 1 I Nr. 1 BNatSchG die nachhaltige Sicherung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes und nach § 1 I Nr. 4 BNatSchG die nachhaltige Sicherung der Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur- und Landschaft. Nach der Definition des Eingriffs in § 8 I BNatSchG ist ein Eingriff die erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes, also gerade der Güter, die nach § 1 BNatSchG nachhaltig gesichert werden sollen. Ein Eingriff setzt also definitorisch eine naturschutzrechtliche Zielbeeinträchtigung voraus. Ein Eingriff, der den Zielen des Natur- und Landschaftsschutzes nicht widerspricht und folglich nicht ausgeglichen werden muß, ist daher gar nicht denkbar. Insofern ist § 8 11 2. Alt., 2. Hs. BNatSchG überflüssig. Liegt erst einmal ein Eingriff vor, besteht die Ausgleichspflicht grundsätzlich. Diese Ausgleichspflicht ist nach der Legaldefinition des § 8 11 4 BNatSchG erfüllt, wenn nach der Beendigung des Eingriffs keine erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigung des Naturhaushalts zurückbleibt und das Landschaftsbild landschaftsgerecht wiederhergestellt oder neu gestaltet ist. b) Die Rechtsfolge der Ausgleichbarkeit eines Eingriffs ist im Gesetz unklar geregelt. In § 8 III BNatSchG heißt es: "Der Eingriff ist zu untersagen, wenn die Beeinträchtigungen nicht zu vermeiden oder nicht im erforderlichen Maße auszugleichen sind und die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der Abwägung ...vorgehen". Bei Beachtung dieses an sich eindeutigen Wortlautes stehen auch unvermeidbare, aber ausgleichbare Eingriffe unter dem Abwägungsvorbehalt. Der Gesetzgeber hat "oder", nicht "und" formuliert. 131 Folgt man ihm in diesem Terminus, dann gibt freilich die filigrane Unterscheidung zwischen Ausgleichs- (§ 8 11 BNatSchG) und Ersatzmaßnahmen (§ 8 IX BNatSchG) bzw. zwischen ausgleichbaren und nicht ausgleichbaren Eingriffen keinen erkennbaren Sinn. Beide Eingriffe wären nur zulässig, wenn bei der Abwägung aller Anforderungen die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Range nicht vorgehen (§ 8 III BNatSchG). Dazu allerdings hätte es der komplizierten Regelung des § 8 BNatSchG nicht bedurft, die strukturell nicht von der Prüfungsreihenfolge "Vermeidung - Abwägung - Ausgleich - Ersatz", sondern von "Vermeidung - Ausgleich - Abwägung - Ersatz" ausgeht. Die Zäsur zwischen zulässigen und grundSätzlich unzulässigen Vorhaben verläuft dort, wo eine Ausgleichbarkeit nicht möglich ist und nicht schon dort, 131 Zu den unterschiedlichen Deutungsversuchen vgl. Burmeister, Der Schutz von Natur und Landschaft vor Zerstörung, S. 22.
1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
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wo eine Vermeidung nicht möglich ist. Folglich ist das "oder" wie "und" zu lesen. 132 Der Ausgleich eines Eingriffs macht ein Vorhaben zulässig, ohne daß es auf das Ergebnis einer Abwägung ankäme. 133 Dagegen sind unausgleichbare Vorhaben grundsätzlich unzulässig. Die Frage, ob ein durch ein Vorhaben bewirkter Eingriff ausgleichbar ist, ist daher die Schlüsselfrage der Eingriffsregelung. 134 3. Abwägung
Ein unvermeidbarer und unausgleichbarer Eingriff ist zu untersagen, wenn bei der Abwägung aller Anforderungen die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Range vorgehen (§ 8 III BNatSchG). Sind dagegen die mit dem Eingriff verfolgten Belange größer als die des Naturschutzes und der Landschaftspflege, so ist das Vorhaben naturschutzrechtlich wieder zulässigPS Die Kriterien für diese Abwägung selbst sind im Gesetz nicht geregelt. So bleibt offen, ob private Belange in die Abwägung einfließen. Nach Ansicht des VGH München 136 werden in diese Abwägung nur öffentlichIm Ergebnis ebenso Rurmeister (Fn. 131). Ein völlig anderes Konzept verfolgt etwa der Entwurf des Umweltgesetzbuches (UGB-KomE) der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim BMU. Nach § 261 I dieses Entwurfes unterliegen auch ausgleichsfahige Eingriffe der naturschutzrechtlichen Abwägung im Einzelfall. Ausgleichs- und Ersatzrnaßnahmen sind daher nicht durch eine Abwägung getrennt, sondern werden hintereinandergeschaltet (§ 262). Mit der vorgeschalteten Abwägung in jedem Einzelfall wird hier das Konzept der abstrakten Steuerung wieder aufgegeben und ein weiterer Schritt in Richtung Interventionsstaat getan. 134 A.A. Gaentzsch, Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung, NuR 1986, 89, 96, der keine Notwendigkeit zur Beantwortung der Frage, ob eine bestimmte Maßnahme noch Ausgleich im Sinne des § 8 11 BNatSchG oder schon Ersatz im Sinne des § 8 IX sei, sieht. Allerdings stehen seine Ausführungen im Zusammenhang mit planfestgestellten Vorhaben, denen er wohl eine grundsätzliche Vorrangigkeit im Rahmen von § 8 III BNatSchG einräumen möchte. 135 Eine scheinbare Ausnahme besteht in Baden-Württemberg. Der Gesetzgeber räumt bei der Zulassung unausgleichbarer aber vorrangiger Vorhaben ein Ermessen ein. Unausgleichbare Eingriffe "können" zugelassen werden, wenn "überwiegende öffentliche Belange ... dies erfordern" (§ 11 III NatSchG BW). Eine Fallgestaltung, bei der ein Vorhaben untersagt werden kann, das aufgrund überwiegender öffentlicher Belange (also Belange, die den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege vorgehen) gefordert wird, also nicht nur wünschenswert ist, ist freilich kaum vorstellbar. In den meisten anderen Bundesländern wurde die bundesgesetzliche Vorgabe übernommen, wonach ein unausgleichbares Vorhaben nur dann verboten werden kann, wenn bei der Abwägung aller Anforderungen die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Range vorgehen (§ 8 III BNatSchG; vg1. Art. 6a I, III Bay NatSchG; § 11 NatSchG Ns, § 4 V LG NW). 132 133
D. Die Systematik des § 8 BNatSchG
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rechtliche, keine privaten (Eigentums-)belange eingestellt. 137 Das BVerwG hat diese Frage offengelassen, die Zulässigkeit der Berücksichtigung privater Interessen aber grundsätzlich nicht verneint 138 • Die Literatur ist gespalten. 139 Ungeklärt ist auch, nach welchem Maßstab die unterschiedlichen Belange bewertet und gewichtet werden sollen. Soll die Abwägung auch mögliche Ersatzrnaßnahmen berücksichtigen?14o Wer kann den Wert eines Biotops im Verhältnis etwa zu einem Freizeitpark, einer Straße oder einem Badesee rational, d. h. mit einer vollständigen, transitiven und reflexiven Präferenzskala bemessen? Gleichwohl verlangt § 8 BNatSchG bei unausgleichbaren Eingriffen eine solche rechtliche Bewertung für die Zulassung von Vorhaben. Die daraus notwendig entstehenden Möglichkeiten zeigt eine Entscheidung des VGH BW 141 , der eine Planfeststellung für eine stadtferne Trasse einer Straße mit der Begründung aufgehoben hat, die Interessen der Wohnbevölkerung seien - entgegen der Ansicht der Planung - in der Abwägung nach § 11 III BW NatSchG nicht vorrangig gegenüber den (unausgleichbaren) Eingriffen in die Natur. Das Gericht nimmt eine grundsätzliche Gleichrangigkeit von Naturschutzinteressen und den Interessen der Wohnbevölkerung an. Dies wird auch in der Begründung deutlich, in der das Gericht ausführt, es müsse geprüft werden, ob der Lärm nicht durch Lärmschutzwände erträglich gemacht werden könne. Dabei geht das Gericht nicht auf die Tatsache ein, daß es neben dem Lärm beispielsweise in Form der Abgase noch andere Nachteile gibt, die es sinnvoll erscheinen lassen, Fernstraßen in die freie Landschaft zu verlagern. Wird erst einmal die Gleichrangigkeit der Interessen der Wohnbevölkerung und von Natur- und Landschaft postuliert, so entscheidet die unterschiedliche Schutzbedürftigkeit über den Ort von Immissionen. An dieser NVwZ-RR 1991,461. Diese Rechtsprechung steht im Gegensatz zur Rechtsprechung zu der Frage, ob bei der Abwägung im Rahmen einer naturschutzrechtlichen Verordnung private Belangen zu berücksichtigen sind. Nach Ansicht des VGH BW, (NuR 1996,92,93; unter Hinweis auf VGH BW, NuR 1984, 149) "unterliegt es keinem Zweifel, daß das naturschutzrechtliche Abwägungsgebot über den Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen hinaus sich auch auf die betroffenen privaten Belange, insbesondere die Eigentümerinteressen erstreckt." 138 BVerwG NVwZ 1991, 364, 368. 139 Für eine Einbeziehung etwa Kuschnerus, NVwZ 1996,235,241; Gassner, GI B-K/S-R, BNatSchG, § 8, Rn 46; jeweils mit w. N. Gegen eine Einbeziehung etwa Paetow, Die gerichtliche Überprüfbarkeit der Entscheidung über die Zulassung von Eingriffen in Natur und Landschaft, NuR 1986, 147; Cybulka, Die Eingriffsregelung im Naturschutzgesetz Baden-Württembergs, VBIBW 1991,85. 140 Dazu sogleich unten unter "Festsetzung weitergehender Maßnahmen". 141 NVwZ-RR 1989,349. 136 137
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1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
Stelle droht aber die Wohnbevölkerung die Abwägung zu verlieren. Denn bereits in einem Landschaftsschutzgebiet sollen an den Schutz der Ruhe der Natur wesentlich (!) höhere Anforderungen zu stellen sein als in einem reinen Wohngebiet. 142 Nach diesen Maßstäben sind dann unvermeidbare Lärmimmissionen eher der Wohnbevölkerung als der freien Landschaft zuzumuten. Ein solches Ergebnis ist aber mit der den Menschen in den Mittelpunkt stellenden Verfassung nur schwer zu vereinbaren. Auch die Abwägung im Rahmen der Eingriffsregelung muß daher von dem Grundsatz ausgehen, daß die Sozialverträglichkeit von Maßnahmen vorrangig vor deren Umwelt- und Naturverträglichkeit ist. 143 Insgesamt aber ist diese Abwägung das Einfallstor der Willkür in die Eingriffsregelung. Darauf wird noch zurückzukommen sein. 4. Weitergehende Vorschriften nach Landesrecht Ersatzmaßnahmen und Ausgleichsabgaben
Ist ein Eingriff zwar nicht ausgleichbar, aber vorrangig, ist er zulässig (Umkehrschluß aus § 8 III BNatSchG). Bei diesen Eingriffen sind jetzt wieder die Länder am Zug. Sie können weitergehende Vorschriften, insbesondere über Ersatzrnaßnahmen der Verursacher erlassen (§ 8 IX BNatSchG). Die meisten Länder haben von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht. Einige Länder haben sowohl Ersatzrnaßnahmen als auch Ausgleichsabgaben im Katalog. 144 Bei der Festsetzung dieser Maßnahmen gilt es, die Systematik der vorrangigen Eingriffe zu beachten. Diese Eingriffe sind per definitionem "wichtiger" als der Bestand der Landschaft. Nach dem eindeutigen Wortlaut, der Systematik der Norm und der herrschenden Meinung 14S muß dieses "Übergewicht" bereits vorhanden sein, bevor Maßnahmen nach § 8 IX BNatSchG in Betracht gezogen werden. Mögliche Ersatzrnaßnahmen verringern damit nicht die entgegenstehenden Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege. 146 Die Abwägung findet alleine zwischen den VG Schleswig, NuR 1980, 40. So bereits Ronellenfitsch, Rechts- und Verwaltungsaspekte der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung, NuR 1986, 284, 286. 144 So z.B. Baden-Württemberg, § 11 Abs. 4 und Abs. 5 NatSchG. 145 Vgl. Gassner, G/B-K/S-R, BNatSchG, 1996, § 8, Rn. 47; Schink (Pn. 130), Rn. 302ff. m. w.N. Kuchler, Die Rechtsfolgen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung, NuR 1991, 465, 472; Berkemann, Rechtliche Instrumente gegenüber Eingriffen in Natur und Landschaft (§ 8 BNatSchG), NuR 1993,97, 104f.; VGH München, NuR 1996, 203, 204; vgl. auch BVerwG, NVwZ 1998, 504; a. A. soweit ersichtlich nur Ronellenfitsch (Pn. 143), NuR 1986, 284, 288 und jetzt wohl auch Jannasch, Ausgleich und Ersatz nach den Naturschutzgesetzen, VBIBW 1998, 1,4. 142 143
D. Die Systematik des § 8 BNatSchG
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Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege und den durch das "nackte" Vorhaben ausgelösten erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigung der Leistungsfabigkeit des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes statt. Ergibt sich hierbei, daß der "Nutzen" des Vorhabens den Anforderungen an Natur- und Landschaft vorgeht, so ist es bereits aus diesem Grunde zuzulassen. Das Vorhaben ist bereits ohne eine Kompensation insgesamt positiv. Die Auferlegung von Ersatzmaßnahmen und Ausgleichsabgaben darf daher nicht dazu führen, daß das Vorhaben insgesamt wegen der Kosten der Ersatzmaßnahmen unterbleibt. Kompensationsmaßnahmen nach § 8 IX BNatSchG müssen stets so bemessen sein, daß der Vorhabenträger das Vorhaben trotz der Kosten für die Kompensationsmaßnahmen durchführt. "Erwirtschaftet" die Maßnahme nur ihre eigenen Kosten, nicht aber weitere Kosten für Kompensationsmaßnahmen, ist die Auferlegung von Kompensationsmaßnahmen unzulässig, weil sie die Investitionsentscheidung des Vorhaben trägers ändert. Dieser wird bei einer solchen zusätzlichen Kostenbelastung auf das Vorhaben verzichten müssen, will er sich nicht selbst schädigen. Eine Anknüpfung der Ersatzmaßnahme bzw. Ausgleichsabgabe an die Eingriffshöhe oder den Flächenverbrauch ist daher systemwidrig und verkennt die Implikationen der Zulassung eines unausgleichbaren Vorhabens. Ein solches Vorhaben kann, wie dargestellt, nur zugelassen werden, wenn in der Abwägung sein Nutzen den von ihm verursachten Schaden überwiegt, es also trotz der Naturzerstörung insgesamt dem Gemeinwohl dient. Damit ist aber zugleich ausgeschlossen, daß die Genehmigungsbehörde die Zulassung des vorrangigen Vorhabens von der Erfüllung naturschutzrechtlicher Anforderungen abhängig macht, die potentiell geeignet sind, das gesamte Vorhaben in Frage zu stellen. Davon abgesehen ist eine Festsetzung von "weitergehenden Maßnahmen" unabhängig von der Rentabilität der Maßnahme auch aufgrund der gesetzlichen Systematik zweifelhaft. Bei der Auferlegung sonstiger Kompensationsmaßnahmen besteht ein Ermessen des Landesgesetzgebers sowohl hinsichtlich des "Ob" als auch hinsichtlich des "Wie". Er kann also unausgleichbare Eingriffe auch völlig ohne reale oder finanzielle Kompensation genehmigen. Die prinzipielle Vorrangigkeit der Maßnahme ist dagegen einheitlich durch Bundesgesetz geregelt. Der Landesgesetzgeber ist daher bei der Entscheidung über "weitergehende Maßnahmen" an die bundesrechtlich vorgegebene Vorrangigkeit der Maßnahme gebunden. Indes werden diese Zusammenhänge weitgehend ignoriert. So gilt etwa nach der Ausgleichsabgabenverordnung des Landes Baden-Württemberg 147 146
5 Walter
Vgl. die Nachweise in Fn. 145.
1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
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als Maßstab zur Berechnung der Ausgleichsabgabe ein Flächenmaßstab, der über die Rentabilität der Investition nichts aussagt. Nach diesem Maßstab festgesetzte Ersatzrnaßnahmen können das Projekt, das für das Gemeinwohl wertvoller als die dadurch verursachten Schäden in der Natur sind, aus naturschutzrechtlichen Gründen verhindern. Der einzige denkmögliche Ausweg aus dem dargelegten Widerspruch zwischen der Feststellung der Vorrangigkeit des Vorhabens und der Auferlegung rentabilitätsunabhängiger Zusatzinvestitionen für Ersatzrnaßnahmen bzw. weiterer Abgaben besteht in der Annahme, daß vorrangige Vorhaben grundsätzlich unabhängig von den Kosten realisiert werden. Dies ist, rationales Handeln vorausgesetzt, zum einen dann der Fall, wenn der Nutzen des Vorhabens stets höher als die zusätzlichen Kosten ist, das Vorhaben also einen unbegrenzten Nutzen 148 erwarten läßt. Zum anderen spielen die Kosten dann keine Rolle, wenn eine Budgetrestriktion des Vorhabenträgers nicht besteht, er also "unendlich reich" ist. Beide Annahmen treffen selbst bei staatlichen Maßnahmen wie dem Bau neuer Straßen und Schienenwegen nicht (mehr) zu. Eine dritte Möglichkeit besteht in der Aufgabe des Axioms des rationalen Verhaltens, also in der Annahme, daß sich der Vorhabenträger bewußt selbst schädigen wird. Auch diese Annahme ist problematisch. Die Systemwidrigkeit der heutigen Praxis bei der Festsetzung weitergehender Maßnahmen ist damit offenkundig. Gegen dieses Ergebnis kann auch nicht eingewandt werden, daß das BNatSchG die Systematik der Vorrangigkeit selbst nicht einhält. Ein Vorhaben, das vorrangig, also per definitionem wertvoller als der durch den Eingriff verursachte Schaden ist, bei dem aber ein Ausgleich möglich ist, ist nicht privilegiert in dem Sinne, daß die Festsetzung von Kompensationsmaßnahmen fakultativ ist. Der Eingriff muß also stets kompensiert werden, unabhängig davon, ob sich die Kosten für die Ersatzrnaßnahmen tragen. Ein solches Vorhaben wird also nicht realisiert werden, wenn sich die Kosten des Eingriffs nicht rechnen, weil die Ausgleichsrnaßnahmen nicht mit dem Nutzen der Maßnahme finanziert werden können. In einem solchen Fall verhindert das Gesetz die Erhöhung des öffentlichen Nutzens und führt so unbestreitbar zu Nettowohlfabrtsverlusten. Bei vorrangigen Eingriffen wird folglich der nicht- ausgleichbare gegenüber dem ausgleichbaren privilegiert. Ob der Bundesgesetzgeber zu dieser Privilegierung berechtigt ist, ist zweifelhaft. 149 Sicher ist aber jedenfalls, Vgl. den ausführlichen Überblick bei Bunneister (Fn. 131), S. 138. Dies bedeutet, daß das Vorhaben unbegrenzt allen anderen Ausgabealtemativen, für die das Geld dann nicht mehr zur Verfügung steht, vorrangig ist. 149 Die Klärung der Frage, ob hierin ein Verstoß gegen Art. 3 GG liegt, kann diese Arbeit nicht leisten. Die Fragestellung verdeutlicht aber, wie unsystematisch die Regelungen des Naturschutzrechtes sind. 147
148
D. Die Systematik des § 8 BNatSchG
67
daß die Differenzierung zwischen vorrangigen ausgleichbaren und vorrangigen unausgleichbaren Vorhaben keine Rechtfertigung dafür liefern kann, die Wertung (vorrangiges Vorhaben) über die Festsetzung von Ersatzmaßnahmen und Ausgleichsabgaben zu überspielen.
11. Die Elemente der Eingriffsregelung im System der Steuerungsmodelle Für die weitere Untersuchung ist nun entscheidend, welche Grundelemente der Eingriffsregelung dem beschriebenen abstrakten Verteilungsmodell entsprechen. Es kommt also darauf an, daß dem Betroffenen alternative Nutzungsmöglichkeiten offen bleiben, zugleich aber auch ein Anreiz zur Vermeidung des Verbrauchs bzw. zur Produktion von Umweltassimilationskapazität geschaffen wird. 1. Vermeidungsgebot
Das Vermeidungsgebot ist ein absolutes Veränderungsverbot ohne Wahlmöglichkeit des Vorhabenträgers. Dieser hat nicht das Recht, vermeidbare Eingriffe auszuführen, auch wenn er sie vollständig kompensiert. Selbst bei dem Angebot einer Überkompensation bleibt ein solcher Eingriff unzulässig. Damit ist dieses Gebot für die weitere Untersuchung nur insoweit von Interesse, als die Unvermeidbarkeit notwendige Bedingung für die Möglichkeit einer Kompensation ist. 2. Ausgleichsgebot
Das Ausgleichsgebot bei ausgleichbaren Eingriffen war Ausgangspunkt der Untersuchung. Es stellt die Erhaltung des mengenmäßigen Status quo an ökologischer und optischer Landschaftsfunktion sicher. Die für Eingriffe zur Verfügung stehende Menge an Landschaft wird auf null reduziert. Wer einen Eingriff tätigt, muß die Landschaft, die er dabei "verbraucht", zusätzlich schaffen oder schaffen lassen. Kann er das nicht, ist nach der Systematik der Eingriff grundsätzlich unzulässig. Die Verkleinerung der vorhandenen Ressource ist grundsätzlich tabu. Damit wird das Prinzip der abstrakten Globalsteuerung umgesetzt. 150 Alternative Nutzungsmöglichkeiten bleiben grundSätzlich zulässig, ihre Ausübung hängt ab von den individuellen Präferenzen der Betroffenen.
130
Vgl. oben, S. 34.
1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
68
3. ErsatzmaßnahmelAusgleichsabgabe a) Auswirkungen auf die Investitionsentscheidungen? Schwieriger ist die Systematisierung der Ausgleichsabgabe bzw. der Ersatzmaßnahme. Ob sie eine abstrakte steuernde Wirkung entfalten, hängt davon ab, ob der Vorhabenträger die Durchführung oder Ausführung seines Vorhabens auch von den Kosten dieser Maßnahmen abhängig machen soll. Nur dann trifft der Vorhabenträger innerhalb der gesetzten Rahmenbedingungen über das "Ob" oder "Wie" des Vorhabens eine eigene Entscheidung, nur dann kann von einer Lenkungsfunktion gesprochen werden. 151 Nach einer Auffassung aus der Literatur sollen Ersatzmaßnahmel Ausgleichsabgabe Lenkungsfunktion haben. Die Abgabe solle - zumindest auch - den Verursacher dazu veranlassen, Eingriffe in qualitativ nicht kompensierbare Bereiche zu unterlassen. 152 Diese Auffassung widerspricht jedoch den oben 153 ausgeführten Implikationen der Wertung "vorrangig". Mit dieser Beurteilung hat die Behörde bereits vor Erhebung dieses "Preises" über die Zulässigkeit des Vorhabens in seiner konkreten Ausführung entschieden. Die Behörde hat darüber hinaus auch entschieden, daß das Vorhaben "sozial wertvoll" ist, daß es also nicht nur realisiert werden darf, in der Wertung "vorrangig" ist zugleich enthalten, daß es realisiert werden soll. Für eine Lenkungsfunktion der weitergehenden Maßnahmen bleibt damit kein Raum mehr. Hinsichtlich der Frage des "Ob" tritt an die Stelle der abstrakten Verteilungsregel wieder die konkrete behördliche Einzelzulassung wie bei der herkömmlichen Steuerung. Um die These von der Steuerungswirkung der "weitergehenden Maßnahmen" zu retten, wird bisweilen argumentiert, daß die Regelung im Sinne einer Preissteuerung dazu führe, daß ein vorrangiges Vorhaben wegen der 151 Im Gegensatz zur Ausgleichsmaßnahme läge bei der Ersatzmaßnahmel Ausgleichsabgabe eine Preissteuerung, keine Mengensteuerung vor. Die für Eingriffe zur Verfügung stehende Menge an ökologischer Ressource wird nicht (wie bei der Ausgleichspflicht) mit der Folge abstrakt festgelegt, daß sich ein Preis rur die Neuanlage ökologischer Ressource bildet. Vielmehr wird von der Behörde in Form einer Abgabe oder, was wirtschaftlich dem gleichsteht, in Form einer Naturalleistung (Ersatzmaßnahme) ein Preis für den Eingriff erhoben. 152 Burmeister (Fn. 131), S. 25; ähnlich auch Banlsperger, Die Straße im Recht des Umweltschutzes, in: Dokumentation zur wissenschaftlichen Fachtagung 1979 der Gesellschaft für Umweltrecht e.V., S. 28, 67, der die Ausgleichsabgabe als "bt:sondere Internalisierungsregel" ansieht, die dem Zweck diene, "in Gestalt eines bewerteten Knappheitspreises einen Anreiz zur Vermeidung der Umweltbelastung zu schaffen". 153
Vgl. S. 64.
D. Die Systematik des § 8 BNatSchG
69
Kosten von Ersatzmaßnahmen oder Abgaben in einer anderen, genauso effektiven aber umweltschonenderen Variante ausgeführt werde. Das Vorhaben werde also zwar nicht als ganzes, wohl aber in der Art und Weise der Ausführung durch die weitergehenden Maßnahmen beeinflußt. Bei genauerer Analyse ist diese Lenkung aber ebenfalls strukturell ausgeschlossen. Dies soll anband des Eingriffs durch den Neubau einer Autobahn dargestellt werden. Der Eingriff durch eine zweispurig ausgebaute Autobahn sei vorrangig vor den dadurch unausgleichbar beeinträchtigten Belangen von Natur und Landschaft. Weiter seien verkehrstechnisch bis zu 6 Spuren sinnvoll. Wird nun die Entscheidung, mit wie viele Spuren, also "in welcher Art und Weise" die Straße gebaut wird - zumindest auch - beeinflußt von der Tatsache, daß für jede Spur zusätzliche Kosten durch Ersatzmaßnahmenl Ausgleichsabgaben anfallen? Der Entscheidung über die Anzahl der Spuren ist jeweils eine Vorrangentscheidung vorgeschaltet. Auch die dritte, die vierte, die fünfte und die sechste Spur ist nur genehmigungsfähig, solange sie jeweils vorrangig gegenüber den Belangen von Natur und Landschaft ist. Die Entscheidung, ob etwa die dritte Spur noch vorrangig ist, ist in einer Abwägung nach § 8 III BNatSchG zwischen dem zusätzlichen Nutzen der dritten Spur gegenüber der zweiten Spur und den dadurch verursachten zusätzlichen Umweltbeeinträchtigungen zu treffen. Ergibt sich, daß die dritte Spur vorrangig gegenüber den Belangen von Natur und Landschaft ist, so wäre es inkonsequent, wegen der Kosten für Natur und Landschaft auf diese Spur zu verzichten. Dies gilt natürlich auch für alle weiteren Spuren. Solange die durch sie befriedigten Belange den Belangen von Natur und Landschaft vorgehen, solange darf die Auferlegung von Ausgleichsabgaben/Ersatzmaßnahmen nicht zu einer anderen Variante mit weniger Spuren führen. Wird etwa bei der sechsten Spur der Punkt erreicht, an dem der zusätzliche Nutzen dieser Spur nicht mehr vorrangig gegenüber den durch diese Spur verursachten Beeinträchtigungen der Belange von Natur und Landschaft ist, so ist diese Spur bereits nicht mehr genehmigungsfähig. Die Frage, ob wegen der Kosten der Ausgleichsabgaben/Ersatzmaßnahmen auf diese Variante verzichtet wird, stellt sich nicht mehr. Es ist also kein Fall denkbar, in der ein Vorhaben wegen der Auferlegung von Ausgleichsabgaben/Ersatzmaßnahmen nicht in der als vorrangig ausgewiesenen Variante gebaut werden soll. Dies gilt uneingeschränkt. Die Frage der Vorrangigkeit unterschiedlich natur- und landschaftsbeeinträchtigender Varianten wird durch die jeweiligen Grenznutzen und Grenzkosten determiniert. Es gibt stets einen Punkt, an dem die zusätzliche Umweltbelastung einen Wert erreicht, der größer ist als der durch die zusätzliche Umweltbelastung erzeugte öffentliche Nutzen. Denn mit zunehmender
I. Teil: Die EingriffsregeJung im Steuerungssystem
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Umweltbelastung wird der Grenznutzen der jeweils umweltschädlicheren Variante immer geringer werden. 154 Die weitergehenden Maßnahmen haben also nach der gesetzlichen Systematik keinerlei gewollten Steuerungseffekt. Das Ergebnis ist auch intuitiv einleuchtend. Bei einer Abwägungsentscheidung nach § 8 m BNatSchG steuert die Behörde die Nutzung des ökologischen Potentials des Grundstücks. Bei ausgleichbaren Eingriffen steuern Effizienzerwägungen des Eigentümers oder der Planungsträger die Nutzung des ökologischen Potentials des Grundstücks. Hat die Behörde (zugunsten des Vorhabenträgers) entschieden, daß das beantragte Vorhaben auch gegen die Belange von Natur- und Landschaft projektiert werden soll, so ist für eine weitere Entscheidung des Eigentümers I Planungsträgers kein Raum mehr. Die Behörde hat über die Nutzung in Bezug auf die ökologischen Belange abschließend entschieden. 155 Es wird also auch hier deutlich, daß rechtssystematisch die Frage der Ausgleichbarkeit eines Eingriffes im Zentrum der Eingriffsregelung steht. b) Rechtliche Konsequenzen der systematischen Stellung aa) Klageart
In der Konsequenz dieses systematischen Unterschieds zwischen Ausgleichsmaßnahme und Ersatzmaßnahmel Ausgleichsabgabe ist ein vorrangiges, unausgleichbares Vorhaben grundsätzlich zulässig, bei ausgleichbaren Eingriffen ist erst der Ausgleich konstitutiv für die Zulässigkeit. Die Anordnung einer Ausgleichsmaßnahme entspricht daher in der Tenninologie des allgemeinen Verwaltungsrechtes einer Bedingung, die Anordnung einer Ersatzmaßnahme einer Auflage. Im verwaltungsgerichtIichen Verfahren kann damit die Ersatzmaßnahme bzw. die Ausgleichsabgabe isoliert angefochten werden i56 , während die Ausgleichsmaßnahme grundsätzlich nur mit einer Verpflichtungsklage angegriffen werden kann.
IS4 Abwandlung des ersten Gossenschen Gesetzes, nach dem der Grenznutzen eines Gutes mit steigender Konsumtion abnimmt. ISS Dies ist einer der zentralen Kritikpunkte am Entwurf des Umweltgesetzbuches (UGB-KomE) der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim BMU. Nach § 261 I dieses Entwurfes unterliegen auch ausgleichsflihige Eingriffe der naturschutzrechtlichen Abwägung im Einzelfall. Damit fällt zwingend die abstrakte kostenorientierte Steuerung über Ort, Art und Umfang von Eingriffen und Ersatzrnaßnahmen weg. IS6 SO auch VG Karlsruhe, NuR 1983,74; a.A. HessVGH, UPR 94,314.
D. Die Systematik des § 8 BNatSchG
71
bb) Festsetzung der Höhe der (Natural-)Leistungspflicht
Die Genehmigung einer bestimmten Nutzung trotz unausgleichbaren Eingriffs erfolgt nach einer Abwägung im Einzelfall, trägt also Züge einer staatlichen Zwangsbewirtschaftung. Erst nach dieser Abwägungsentscheidung über die Zulassung des Vorhabens setzt der Staat einen "Preis" in Form einer Abgabe oder einer Ersatzmaßnahme fest. Dieses Verfahren wirft die Frage auf, wie dieser "Preis" ermittelt werden soll. Es wurde bereits nachgewiesen, daß er nicht zur Verhinderung oder Änderung des Vorhabens führen darf. 157 Die Preisfestsetzung darf daher systematisch nicht an ertragsunabhängige Maßstäbe anknüpfen. Daraus folgt, daß der Preis nicht der Internalisierung der externer Kosten des Vorhabens und der Umsetzung des "Verursacherprinzips" dienen und nicht als Pigousche Abgabe l58 erhoben werden kann. Diese setzen nämlich voraus, daß für das Gut (die zum Eingriff zur Verfügung gestellte Natur) ein Preis festgesetzt wird, der sich allein an den sozialen Kosten der Maßnahme bzw. der gewünschten Umweltqualität orientiert, folglich vom einzelnen Vorhabenträger und dessen Zahlungsbereitschaft unabhängig ist und der den Verursacher vor die Entscheidung stellt, ob sein Nutzen die sozialen Kosten übersteigt. Wie bereits dargestellt, fehlt es gerade an dieser autonomen, allein durch Nutzenerwägungen gesteuerten Investitionsentscheidung. Das Vorhaben soll "auf jeden Fall" durchgeführt werden. Die an sich gebotene Anknüpfung des Preises an die Zahlungsbereitschaft gestaltet sich schwierig. § 8 BNatSchG gibt dort, wo eine Ersatzmaßnahmel Ausgleichsabgabe in Betracht kommt, gerade keinen Anspruch auf Nutzung der Landschaft. Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens wird weder das private Interesse noch die Zahlungsbereitschaft des Vorhabenträgers berücksichtigt. Entscheidend ist allein die Abwägung öffentlicher Interessen. Wenn aber die Vorhabengenehmigung unabhängig der von der Zahlungsbereitschaft des Vorhabenträgers für die Inanspruchnahme der Umwelt erteilt wird, wird diese nicht offengelegt; sie kann im Genehmigungsverfahren nicht ermittelt werden. Wenn die Höhe der Abgabe nicht am Nutzen (Wert) des Eingriffs für den Vorhabenträger anknüpfen kann und eine Ableitung aus den ökologischen Kosten des Eingriffs systematisch unzulässig ist, scheiden zur Festsetzung der Höhe der Ausgleichsabgabe (bzw. des Umfangs der Ersatzmaßnahme) die herkömmlichen Preisbildungssysteme aus. Übrig bleiben allein unspezifische Gerechtigkeitsvorstellungen der Behörde, die zwangsläufig an ihre Stelle treten müssen. 157 158
Vgl. oben, S. 64f. Vgl. oben, S. 34.
72
1. Teil: Die Eingriffsregelung im Steuerungssystem
Dieses allein aus der Nonnstruktur abgeleitete Ergebnis wird bestätigt durch die Entscheidung des BVerwG zur Ausgleichsabgabe. Danach diene die Abgabe (für die Ersatzmaßnahme als Äquivalent der Geldleistung kann nichts anderes gelten) nicht der Abgeltung einer von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellten Natur. 159 Sie sei kein Preis für eine Ware, der mit Leistung/Gegenleistung zu berechnen wäre. Die Abgabe diene vielmehr der "Wiedergutmachung" 160. Grund der Abgabe und der Ersatzleistungen seien Gerechtigkeitserwägungen. 161 Mit den weitergehenden Maßnahmen soll die oben 162 festgestellte Ungleichbehandlung von vorrangigen ausgleichbaren und vorrangigen unausgleichbaren Eingriffen abgemildert werden 163, um dem Verdikt einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung l64 zu entgehen. Maßstab der Höhe ist also ein nicht weiter zu spezifizierendes "Gerechtigkeitsgefühl". Mit rationaler Methodik hat diese Preisfindung nicht mehr viel zu tun. Ist es "gerecht", etwa für die optische Beeinträchtigung durch die Errichtung eines Tunnes als "Ersatz" die Umwandlung mehrerer Hektar schlagreifen, ökologisch minderwertigen Nadelwald in ökologisch höherwertigen Laubwald durch Einschlag und Neuanpflanzung zu verlangen?165 In dieser Arbeit, die sich mit dem dynamischen Teil der Ausgleichsregelung befaßt, kann auf diese Problematik nur hingewiesen werden. Sie zeigt aber m. E. deutlich, daß die Eingriffsregelung in ihren Folgen nur dann rechtlich beherrschbar bleibt, wenn die Anwendung der direktsteuemden Elemente die Ausnahme bleibt. Weder die vorgeschaltete Abwägung noch die Auferlegung von Ersatzmaßnahmen/ Ausgleichsabgaben ist mit rationaler, widerspruchsfreier und nachvollziehbarer Methodik zu bewältigen. In 159 Mit diesem Argument wird die Einordnung als Vorzugslast, also als Betrag oder Gebühr abgelehnt. 160 Vgl. BVerwGE 74, 308, 309 (Begriff des Oberbundesanwaltes). 161 Damit wird eine Preisfunktion i. S. eines Knappheitssignals ausgeschlossen. Knappheitspreise lassen sich mit der Kategorie gerecht/ungerecht nicht erfassen (vgl. von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 2, Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit, 1981, insbes. S. lOUf.). 162 S.66. 163 Ebenso die Begründung zum Regierungsentwurf des Art. 6a BayNatSchG, (LT-Drs. 9/10375), zitiert nach Engelhardt/Brenner, Naturschutzrecht in Bayern, § 6a Rn. 12: "Ohne Pflicht zur Ersatzleistung würde der Verursacher eines schwerwiegenden Eingriffs mit nicht ausgleichbaren Beeinträchtigungen bevorzugt werden gegenüber dem Verursacher eines kleinen Eingriffs mit evtl. sehr kostenträchtigen Ausgleichsmöglichkeiten. " 164 Vgl. Pielow, Verursacherhaftung nach dem Bundesnaturschutzgesetz, NuR 1979, 15, 17: "Unausgewogenheit der ganzen Eingriffsregelung". 165 Beispiel entnommen aus Kuschnerus, Der landschaftspflegerische Begleitplan nach § 8 Abs. 4 BNatSchG, DVBl. 1986, 75, 76; das Beispiel verdeutlicht, daß der Versuch, Preise aus Gerechtigkeitsvorstellungen abzuleiten, scheitern muß.
D. Die Systematik des § 8 BNatSchG
73
beiden Elementen steckt notwendig ein Stück "Irrationalität". Als Ausnahmefall mag der "Gerechtigkeitsausgleich" noch hinzunehmen sein. Wird er zur Regel, werden rechtsstaatliehe Grenzen überschritten. 4. Ergebnis
Für die Systematik der Eingriffsregelung bedeutet die Zwischenschaltung einer behördlichen Abwägungsentscheidung also im Ergebnis folgendes: Eine Steuerung des Landschaftsverbrauchs durch eine globale Mengenvorgabe findet nur bei ausgleichbaren Eingriffen statt. Entgegen einer verbreiteten Ansicht treten die "weitergehenden Maßnahmen" nach der gesetzlichen Systematik nicht an die Stelle der Ausgleichsmaßnahmen. Sie lösen beim Vorhabenträger keinen Entscheidungsprozeß über den Art und die Umfang des Eingriffs aus. Das vielbeschworene "Verursacherprinzip" determiniert also nur einen Teil der Gesamtregelung. Der Rest unterliegt diffusen Gerechtigkeitserwägungen und behördlicher Abwägung, die auf den traditionellen statischen Naturschutz zurückführen.
Zweiter Teil
Die Eingriffsregelung zwischen Bauleitplanung und Naturschutzplanung A. Die Integration der Eingriffsregelung in die Bauleitplanung I. Das Problem - Die verfahrensrechtliche Grundstruktur der EingritTsregelung Die Eingriffsregelung steht im Regelsystem über naturschutzrechtlich relevante Vorhaben nicht alleine. Sie ist eingebettet in eine Vielzahl von Verfahren und Planungen, in denen über die Zulässigkeit von Eingriffen entschieden wird. Ihre Wirksamkeit entfaltet sie daher erst im Zusammenspiel mit den naturschutzrechtlich relevanten Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie den sonstigen naturschutzrechtlichen Schutzregimen. Die Eingriffsregelung wird im "Grundfall" durch das sog. Huckepackverfahren 1 mit dem behördlichen Verfahren verbunden. Voraussetzung für die Anwendung der Eingriffsregelung ist also, daß für den Eingriff in anderen Rechtsvorschriften eine behördliche Bewilligung, Erlaubnis, Genehmigung, Zustimmung, Planfeststellung, sonstige Entscheidung oder eine Anzeige an eine Behörde vorgeschrieben ist (§ 8 11 S. 2 BNatSchG). Gibt es kein behördliches Verfahren, ist § 8 BNatSchG nicht anwendbar. Dies stellt aber inzwischen einen vemachlässigbaren Sonderfall dar. Im Bereich der Fachplanung werden die skizzierten Anforderungen der Eingriffsregelung zusätzlich durch die Pflicht zur Aufstellung und Realisierung eines landespflegerischen Begleitplanes nach § 8 IV BNatSchG umgesetzt. In der Bauleitplanung gab es dagegen bis 1993 ein weitgehend beziehungsloses Nebeneinander von Eingriffsregelung und Bauleitplanung bzw. Planverwirklichung. Die Eingriffsregelung fand trotz verschiedener Anregungen aus der Literatu~ kaum Eingang in die Bauleitplanung. 3 Die Aufstellung eines Bauleitplanes selbst ist noch kein Eingriff, da er die zum EinZu Einzelheiten vgl. Gassner, G/B-K/S-R, BNatSchG, § 8, Rn. 14. Vgl. Kuchler, Naturschutzrechtliche Eingriffsregelung und Bauplanungsrecht, 1989; Koch, Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung in der Bauleitplanung und im Baugenehmigungsverfahren, 1992. 1
2
A. Die Integration der Eingriffsregelung in die Bauleitplanung
75
griff führenden Vorhaben nur vorbereitet, nicht aber selbst genehmigt. Somit fehlte es schon am Tatbestand der Eingriffsregelung.4 Daneben haben bereits interne Anforderungen des Bauplanungsrechts (v gl. § 1 V Nr. 7 BauGB 1986 bzw. § 1 VI BBauG) prinzipiell sichergestellt, daß bei der Planung baulicher Anlagen die Belange des Naturschutzes berücksichtigt werden. Sind in der Planung die Belange des Naturschutzes aber bereits berücksichtigt, so gibt es keinen Anlaß, die Eingriffsregelung bei der Einzelfallzulassung bauplanungsrechtlich zulässiger Vorhaben innerhalb von Bebauungsplänen anzuwenden. Nach der Rechtsprechung des BVerwG5 ist eine landesrechtliche Regelung, also auch die jeweilige landesrechtliche Umsetzung der Eingriffsregelung, die über § 30 I BauGB hinausreichende bodenrechtliche Anforderungen an die Bebaubarkeit stellt, sogar unzulässig. Außerdem fürchtete man eigentumsrechtliche Komplikationen wenn ein nach § 30 BauGB prinzipiell bebau bares Grundstück durch Kompensationspflichten belastet würde. 6 Im Ergebnis war also die Eingriffsregelung weder bei der Aufstellung noch beim Vollzug eines Bebauungsplanes anwendbar. 11. Die zwei Schritte des Gesetzgebers zur Integration der EingritTsregelung in die Bauleitplanung Der Gesetzgeber hat inzwischen zwei Anläufe unternommen, um diesen Zustand zu beenden. 1993 erfolgte durch das Investitionserleichterungsund Wohnbaulandgesetz7 erstmals die Integration der Eingriffsregelung in die Bauleitplanung. Dabei wurde § 8 BNatSchG um die §§ 8a-Sc BNatSchG ergänzt. Die Eingriffsregelung wurde auf die Planungsebene überführt. Nach § 8a I 1 BNatSchG war "über die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Bauleitplan unter entsprechender Anwendung des § 8 Abs. 2 Satz 18 und der Vorschriften über Ersatzmaßnahmen 3 Vg!. etwa OVG Rheinland-Pfalz, v. 22.01.1992, Az.: 10 C 10428/91, BauR 1992, 365-368 = NuR 1992, 290-292 = DVBI 1992, 1110 = BayVBI 1992, 600601 = NVwZ 1992, 1000-1002 = UPR 1992,453-454 = NJW 1993, 154 = InfUR 1992, 242 = BRS 54 Nr. 4. 4 Vg!. etwa Dolde, Bebauungsplan und naturschutzrechtliche Eingriffsregelung, in: Driehaus/Birk (Hrsg.), Baurecht-Aktuell, 1993, S. 195, 199 m. w. N. 5 Vg!. BVerwGE 55, 272, 2. LS: "Die BBauG 196011976 §§ 30ff. hindern den Landesgesetzgeber, diesen Vorschriften noch weitere einschränkende bodenrechtliche Regelungen hinzuzufügen." 6 Vg!. Koch/Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 1995, S.168. 7 Sog. "Baurechtskompromiß" (G. v. 22.04.1993, (BGB!. I S. 466». 8 § 8 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG: "Der Verursacher eines Eingriffs ist zu verpflichten, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen sowie unvermeidbare Beeinträchtigungen innerhalb einer zu bestimmenden Frist durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen, soweit es
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2. Teil: Die Eingriffsregelung
im Sinne des § 8 Abs. 99 nach den Vorschriften des Baugesetzbuches und des Maßnahmengesetzes zum Baugesetzbuch in der Abwägung nach § 1 des Baugesetzbuches zu entscheiden", wenn auf Grund der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten sind. Schon diese Formulierung des Gesetzgebers bereitet Unbehagen. Es verwundert daher nicht, daß sich nach dieser Änderung eine Flut von Berichten, Tagungen und Veröffentlichungen zu diesen Normen ausbreitete, die kaum mehr zu überblicken war. 1O Der Gesetzgeber hat mit seiner Regelung mehr Probleme geschaffen als er gelöst hat. Umstritten waren insbesondere die Zulässigkeit räumlich getrennter Bebauungspläne zur Realisierung von Kompensationsmaßnahmen und die Frage, mit welchem Geltungsanspruch die Anforderungen der Eingriffsregelung in die Bauleitplanung einzustellen waren. Daneben wurde diskutiert über die Darstellungsmöglichkeiten von Kompensationsmaßnahmen nach § 9 I Nr. 20 BauGB, die Rechtslage bei der Überplanung von Innenbereichsflächen sowie das Verhältnis von bauplanerischer (§ 1 VI BauGB) und naturschutzrechtlicher (§ 8 III BNatSchG) Abwägung. 11 Beeinflußt von den fast leidenschaftlich geführten Kontroversen in der Literatur hat der Gesetzgeber dann 1998 einen zweiten Anlauf unternommen und die Integration der Eingriffsregelung in die Bauleitplanung neu gestaltet. Dabei hat er die Eingriffsregelung teilweise in das BauGB überführt. Nach § la 11 Nr. 2 BauGB ist "in der Abwägung" "die Vermeidung und der Ausgleich der zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft (Eingriffsregelung nach dem Bundesnaturschutzgesetz)" zu berücksichtigen. Das BauGB verweist also für bauleitplanungsindizierte Eingriffe auf das BNatSchG. In § 8a BNatSchG wird für diese Eingriffe wiederum auf die Vorschriften des BauGB verwiesen: "Sind auf Grund der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen oder von Satzungen nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des BauGB Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten, ist über die Vermeidung, den Ausgleich und den Ersatz nach den Vorschriften des BauGB zu entscheiden." Verbindet man die Verweisungen, so kommt man zu einer Verweisungskette, die ihren Ausgangszur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege erforderlich ist." 9 § 8 Abs. 9 BNatSchG: ,,Die Länder können zu den Absätzen 2 und 3 weitergehende Vorschriften erlassen, insbesondere über Ersatzmaßnahmen der Verursacher bei nicht ausgleichbaren aber vorrangigen Eingriffen." 10 Vgl. den Auszug im Anhang, S. 240ff. 11 Eine Übersicht über die unterschiedlichen Problembereiche und den Streitstand gibt Steinfort, Die Umsetzung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung, VerwArch 86 (1995), 107 ff., 117 f.
A. Die Integration der Eingriffsregelung in die Bauleitplanung
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punkt in § 8a BNatSchG nimmt. Dort wird der Anwendungsbereich des § 8 BNatSchG für den Bereich der Bauleitplanung und der Plan verwirklichung konkretisiert. So ist zunächst die Eingriffsregelung nach § 8a 11 BNatSchG auf Vorhaben in Gebieten mit Bebauungsplänen nach § 30 des Baugesetzbuchs, während der Planaufstellung nach § 33 des Baugesetzbuchs und im Innenbereich nach § 34 des Baugesetzbuchs nicht anzuwenden. Für das Bauleitplanungsverfahren verweist § 8a I BNatSchG für den materiellen Regelungsbereich der Eingriffsregelung, also für Vermeidung, Ausgleich und Ersatz auf das BauGB. Damit gilt § 8 BNatSchG, der durch die Reform nicht geändert wurde, nur nach Maßgabe des BauGB. Zwar verweist § la III Nr. 2 BauGB wieder zurück auf § 8 BNatSchG, macht jedoch eine wesentliche Einschränkung. Die Vorschrift verweist nur auf Vermeidung und Ausgleich, nicht jedoch auf mögliche Ersatzrnaßnahmen. Für den Bereich der planerischen Kompensation von Eingriffen wird die Unterscheidung zwischen Ausgleichs- und Ersatzrnaßnahmen ausdrücklich aufgehoben. Das wird bestätigt durch den neu eingeführten § 200 a BauGB, wonach Ersatzrnaßnahmen nach Landesrecht für die Bauleitplanung Ausgleichsmaßnahmen sind. Eine weitere Einschränkung besteht für Planungen, die bestehende "Eingriffsrechte" lediglich bestätigen oder konkretisieren bzw. bestehenden Eingriffen eine planerische Grundlage verschaffen. In diesen Fällen, das betrifft insbesondere die Überplanung eines Innenbereiches, ist nach § 1a III S. 4 BauGB ein Ausgleich "nicht erforderlich". In Bezug auf den planerischen Ausgleich wurde weiter klargestellt, daß Ausgleichsrnaßnahmen in einem anderen Bebauungsplan als dem, der die zu erwartenden Eingriffe festsetzt, geplant werden können (§ 9 la BauGB). Sie können auch an einem anderen Ort als dem Eingriff festgesetzt werden. Ein unmittelbarer räumlicher oder funktionaler Zusammenhang zwischen Eingriff und Ausgleich wird also nicht mehr verlangt (§§ la III 2; 9 la; 200a BauGB).12
12 Zu den weiteren Neuerungen, die sich insbesondere auf die Festsetzung und Zuordnung von Kompensationsflächen bereits auf der Ebene des Flächennutzungsplanes (§ 5 Ha BauGB) und die Kostenerstattung für von der Gemeinde durchgeführte Maßnahmen beziehen (§ 135 aff. BauGB) vgl. etwa Luers, Der Bedeutungszuwachs für die Flächennutzungsplanung durch das Bau- und Raumordnungsgesetz 1998, UPR 1997, 348-353; BT-Drs. 13/6392, S. 36f., 63f.
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2. Teil: Die Eingriffsregelung
In. Die Änderungen des Regelungsinhaltes der EingrifTsregelung durch die Integration in die Bauleitplanung Mit dem Wegfall der Unterscheidung zwischen Ausgleich einerseits und Ersatz andererseits wird das vorgestellte vierstufige Prüfungsschema Eingriff - Vermeidbarkeitl Ausgleichbarkeit - Abwägung/Vorrangigkeit - Ersatzmaßnahmen modifiziert. Gibt es keine "Ersatzmaßnahmen" mehr, entfällt auch die den Ersatzmaßnahmen vorangehende Abwägung über die Vorrangigkeit eines Vorhabens nach § 8 III BNatSchG. § la 11 Nr. 2 BauGB verweist folgerichtig auch nicht auf die Abwägung nach § 8 III BNatSchG. Die Frage nach dem Verhältnis der bauplanerischen zu naturschutzrechtlichen Abwägung stellt sich damit nicht mehr, weil die naturschutzrechtliche Abwägung für die Bauleitplanung ausgeschlossen ist. 13 Mit dieser Änderung in Zusammenhang steht die erhebliche Erweiterung der Ausgleichsmöglichkeiten. Ausgleichsmaßnahmen müssen nicht (mehr) unmittelbar funktional, räumlich und zeitlich auf den Eingriff bezogen sein. Dies folgt zum einen aus der Tatsache, daß nunmehr auch Ersatzmaßnahmen nach Landesrecht, also Maßnahmen, die nur einen sehr lockeren Bezug zur Qualität des Eingriffs haben, als Mittel des planerischen Ausgleichs festgeschrieben wurden (§ 200a BauGB). Ob als planerischer Ausgleich also Ausgleichs- oder (landesrechtliche) Ersatzmaßnahmen 14 festgesetzt werden, ist keine Frage mehr der naturschutzrechtlichen Priorität, sondern eine Frage der städtebaulichen Gegebenheiten und der jeweiligen Kosten. Beide Ausgleichsarten sind apriori gleichrangig. Die Erweiterung planerischer Ausgleichsmöglichkeiten zeigt sich weiter in der Möglichkeit, Ausgleich und Ersatz in unterschiedlichen Bebauungsplänen zu regeln (§ 9 la 1 BauGB), also Ausgleichsflächen zu schaffen und den jeweiligen Grundstücken zuzuordnen, bevor die konkreten Eingriffe feststehen (§ 9 la 2; 135a 11 2 BauGB). Damit wurde die Idee eines Öko- Kontos1 5 gesetzlich umgesetzt. Darüber hinaus können diese Ausgleichsflächen bereits im Flächennutzungsplan vorbereitet werden (§ 5 IIa BauGB). Diese Möglichkeiten werden ergänzt durch den ausdrücklichen Hinweis in § 11 I Nr. 2 BauGB, daß notwendige Kompensationsflächen und -maßnahmen auch durch städtebaulichen Vertrag realisiert werden können. Damit wird es möglich, Eingriffs- und Ersatzflächen auch zwischen verschiedenen Städten zu tauschen. Die Neuregelung hat damit im Prinzip die nach der alten Regelung strittige Frage nach der Zulässigkeit räumlich zweigeteilter Bebauungspläne 13 Ebenso Louis, Das Verhältnis zwischen Baurecht und Naturschutzrecht unter Berücksichtigung der Neuregelung durch das BauROG, NuR 1998, 1134, 1139. 14 Zu den Abgrenzungen siehe unten, S. 156ff. IS Vgl. Mitschang, Bauleitplanung, Eingriffsregelung und "Öko-Konto", ZffiR 95,240.
A. Die Integration der Eingriffsrege1ung in die Bauleitplanung
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überholt. 16 Diese Konstruktion war nach altem Recht zur Bereitstellung von Ausgleichsflächen außerhalb des Bebauungsplangebietes erforderlich, da die Kosten nur solcher Ausgleichsrnaßnahmen auf den Eigentümer abgewälzt werden konnten, die im gleichen Bebauungsplan wie die Eingriffe festgesetzt wurden (§ 8a I S. 2 u. 4, III S. 2, IV BNatSchG). Zwar hat sich in den Beratungen zur Neuregelung das Konzept des räumlich zweigeteilten Bebauungsplans nicht durchgesetzt. 17 Die räumliche Entzerrung von Eingriff und Kompensation wird aber durch die Zulässigkeit zweier verschiedener Bebauungspläne für den Eingriff einerseits und die Kompensation andererseits ermöglicht. In einer neuen Entscheidung hat das BVerwG 18 aber auch den Bebauungsplan mit getrennten Geltungsbereichen grundsätzlich für zulässig erklärt. Die Gemeinden haben also zukünftig bei der Bereitstellung von außerhalb des Eingriffsgebiets liegenden Kompensationsflächen grundsätzlich die Wahl zwischen zwei Bebauungsplänen einerseits und einem Bebauungsplan mit räumlich zweigeteilten Geltungsbereich andererseits. 19 Mit diesen Möglichkeiten ausgestattet wird ein planerischer Ausgleich in Zukunft rechtlich wohl immer möglich sein. 2o 16 Louis, Zum Ausgleich eines planbedingten Eingriffs im Sinne des BNatSchG § 8a Abs. 1 durch Maßnahmen außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des Be-
bauungsplans, NuR 1997, 449, sieht trotz der Möglichkeit, Ausgleichsrnaßnahmen und Ersatzrnaßnahmen auch dann Eingriffsflächen zuzuordnen, wenn diese in unterschiedlichen Bebauungsplänen festgesetzt sind (BauGB § 9 Ia), noch Bedarf an der Rechtsfigur des zweigeteilten Bebauungsplanes. Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung sei in die Abwägung nach BauGB § 1 Abs. 6 einzustellen. Ein zweigeteilter Bebauungsplan biete den Gemeinden in dieser Hinsicht höhere Rechtssicherheit als gesonderte Eingriffs- und Ausgleichspläne. Bei getrennten Bebauungsplänen bestünden keine Erfahrungen, wie eine einheitliche Abwägung durchzuführen sei bzw. wie sich das Schicksal solcher Pläne bei einer Normenkontrolle gestalte. 17 Vgl. die Forderung der Fraktion der SPD (BT-Drs. 1317589, S. 12) und des Bundesrates (BT-Drs. 13/6392, S. 127), diese Rechtsfigur ausdrücklich im Gesetz festzuschreiben. Die Gegner einer solchen Regelung haben argumentiert, daß dies dem planerischen Leitbild des BauGB, städtebauliche Sachverhalte in einem Plan mit einheitlichen Plangebiet zu regeln, widersprechen würde mit der Folge, daß auch in anderen Konstellationen Bebauungspläne in mehrere Teilbereiche aufgespalten würden (BT-Drs. 13/6392, S. 142). 18 BVerwG, E. v. vom 09.05.1997, Az.: 4 N 1/96, NVwZ 1997, 1216-1218 = ZffiR 1997, 258-261 = DVBl 1997, 1121-1123 = NuR 1997, 446-449 = DÖV 1997,829-831 = UPR 1997, 411~13. 19 Zu weiteren Einzelheiten sowie den Abwägungsproblemen und den möglichen Fehlerfolgen bei der Verknüpfung zweier rechtlich selbständiger Bebauungspläne vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, Die Neuregelungen des Baugesetzbuches zum 1.1.1998, NVwZ 1997, 1145, 1153f. 20 So herrschte bei der Erörterung des Entwurfs zur Neuregelung des Baurechtskompromisses durch Prof. Krautzberger Einigkeit darüber, daß es durch die aufgezeigten Kompensationsmöglichkeiten praktisch (immer) zu einer Vollkompensation
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2. Teil: Die Eingriffsregelung
Daraus ergibt sich als Anforderung der Eingriffsregelung für die Bauleitplanung, daß sie im Rahmen von §§ la 11 Nr. 2; 8a BNatSchG zunächst alle erwarteten Eingriffe addieren muß. Diesem Gesamteingriff sind Kompensationsmaßnahmen, die praktisch im gesamten betroffenen "Landschaftsraum" rekrutiert werden können, in gleicher Höhe gegenüberzustellen. Wird also etwa auf einer Fläche von 10 ha der ökologische Wert auf einer Skala von 0-5 von 4 auf 2 reduziert, so kann dieser Verlust von 20 Einheiten etwa dadurch ausgeglichen werden, daß auf einer Fläche von 20 ha der ökologische Wert von 2 auf 3 angehoben wird?l Diese Kompensation ist die Anforderung des Naturschutzes an die Bauleitplanung, die in der Abwägung zu berücksichtigen ist. Problematisch ist nun, mit welchem Gewicht diese Anforderung der Eingriffsregelung in die bauplanerische Abwägung nach § 1 VI BauGB einzustellen ist. In Literatur und Rechtsprechung haben sich dazu drei unterschiedliche Gewichtungskategorien herausgebildet. Zur ersten gehören sog. Planungsleitsätze. Diese sind dadurch gekennzeichnet, daß sie einen absoluten Geltungsvorrang besitzen, sie also unter keinen Umständen in der Abwägung überwunden werden können. 22 In der zweiten Gruppe stehen die sog. Optimierungsgebote. 23 Diese zeichnen sich dadurch aus, daß sie in die Abwägung mit einem eigenen besonderen Gewicht einzustellen sind, daß ihnen also ein relativer Vorrang eingeräumt wird. 24 Zur Überwindung dieser kommen werde. (vgl. Ecker, Bericht aus dem Workshop "Bau- und Naturschutzrecht", in: Schlacke (Hrsg.), Neue Konzepte im Umweltrecht, 1996, S. 183, 184. 21 Zu den an dieser Stelle noch nicht relevanten Einzelheiten s. unten, S. 156ff. 22 Das BVerwG hat z. B. in seiner "Sachsendammentscheidung" in dem Vermeidungsgebot und im Ausgleichsgebot der Eingriffsregelung rur die Planfeststellung einen Planungsleitsatz gesehen (BVerwG E. v. 30.10.1992, Az.: 4 A 4/92, DVBI 1993, 167-168 = UPR 1993, 62-65 = BayVBI 1993, 218 = NuR 1993, 125-131 = D6v 1993, 440 = NVwZ 1993, 565-572 = ZUR 1993, 173-174); vgl. ferner zur Struktur und Bedeutung von Planungsleitsätzen und Optimierungsgeboten BVerwG, Urteil vom 22. März 1985 - 4 C 73.82 - BVerwGE 71, 163, 164. 23 Vgl. BVerwG, E. v. 21.08.1990, Az.: 4 B 104/90, RdL 1990, 268-269 = DVBI 1990, 1185 = NVwZ 1991, 69-70 = UPR 1991, 102-103 = NuR 1991, 7576; Dort hat das BVerwG die Anforderungen der Eingriffsregelung für die Planfeststellung noch als Optimierungsgebote bezeichnet. 24 H. M., v~.l. Brohm, Baurecht, § 13, Rn. 6 m. w.N.; a.A. etwa Hoppe in: Hoppe/Grotefels, Offentliches Baurecht, § 7, Rn. 78: "Optimierungsgebote haben eine Auswirkung auf die Gewichtung von Belangen, wenngleich sie keinen Gewichtungsvorrang regeln." Hoppe unterscheidet also zwischen relativen Vorrangregeln und Optimierungsgeboten. Dabei stehen die relativen Vorrangregeln irgendwo zwischen Planungsleitsätzen und Optimierungsgeboten. Zu den Optimierungsgeboten schreibt er weiter: ,,Auch wenn das Optimierungsgebot erst in der Ausgleichsphase seine steuernde Kraft ausübt, nimmt es in der Gewichtungsphase eine bestimmte Position ein. Ein zu optimierender Belang ist wie ein sonstiger Belang zu gewichten, d. h.,
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Belange in der Abwägung bedarf es also einer besonderen Begründung. Daneben gibt es noch die einfachen Abwägungsbelange, die nur mit einfachem Gewicht in die Bauleitplanung eingestellt werden. Welche Kategorie nun im Einzelfall vorliegt, soll sich aus einer Auslegung des Wortlauts und des Sinnzusammenhangs ergeben. So sprächen etwa die Formulierungen "möglichst weitgehend", "soll besonders Rechnung getragen werden", aber auch "nachhaltige Sicherung" sowie eine besondere Hervorhebung, etwa durch eine doppelte Erwähnung 25 für ein Optimierungsgebot. Ein zwingend formulierter Rechtssatz, wie etwa die Anpassungspflicht nach § I IV BauGB 26 , ist dagegen Kennzeichen eines Planungsleitsatzes. Fehlen diese Merkmale, liegt ein einfacher abwägungserheblicher Belang vor. Nach der Formulierung des Gesetzgebers im Baurechtskompromiß 1993 in § 8a BNatSchG war "in der Abwägung" über die Belange des Naturschutzes zu entscheiden. Eine Ansicht der Literatu~7 zog daraus den Schluß, daß mit dieser Formulierung nur der verfahrensrechtliche Ort der Einbindung der Eingriffsregelung in die Bauleitplanung, nicht jedoch der materielle Gehalt festgeschrieben wurde. Denn "in der Abwägung" seien sein objektives Gewicht ist festzustellen. Der Belang tritt mit diesem Gewicht in die Ausgleichsphase ein, dieses Gewicht ist entscheidend dafür, wie weit ein Belang überhaupt optimiert werden darf, denn eine Optimierung darf nicht über den Rahmen des objektiven Gewichts des zu optimierenden Belangs hinausgehen." Diese Ausführungen sind bereits aus formalen Gründen nicht nachvollziehbar. Hoppe beschreibt zwei Schritte der Abwägung: Die "Gewichtung" eines Belangs und die anschließende "Aufreihung" , also die Einordnung nach dem jeweiligen Gewicht. Wertungen ist hier nur der erste Schritt zugänglich, die Bestimmung des Gewichts eines Belanges. Die nachfolgende "Ausgleichsphase" wird vollständig determiniert von der vorausgegangenen Zuordnung der Wertigkeit. In der "Ausgleichsphase" ist eine Optimierung nicht mehr möglich, ohne zugleich dort das Gewicht einzelner Belange zu verändern. Da aber die Belange dort bereits mit ihrem "objektiven Gewicht" eingestellt worden sind, widerspricht eine nachträgliche Veränderung dieses Gewichts den selbst formulierten Regeln. 2S Etwa bei der alten Bodenschutzklausel des § I V 3 BauGB; vgl. insgesamt dazu Brohm, Baurecht, § 13, Rn. 9f. 26 Vgl. BVerwG, E. v. 20.08.1992, Az.: 4 NB 20/91, BVerwGE 90, 329: "Anpassen" im Sinne des § 1 Abs. 4 BauGB bedeutet, daß die Ziele der Raumordnung und Landesplanung in der Bauleitplanung je nach dem Grad ihrer Aussageschärfe konkretisierungsfahig sind, nicht aber im Wege der Abwägung nach § 1 Abs. 6 BauGB überwunden werden können. 27 Z. B. Peine, Bedeutung des § 8a I I BNatSchG für die Bauleitplanung, in: Ramsauer (Hrsg.), Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung, S. 39, 44ff.; Gassner, Naturschutzrechtliche Eingriffsregelung im Bauleitplanungsrecht, NuR 1993, 252; Blume, Das Verhältnis von Baurecht und Naturschutzrecht nach dem Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz, NVwZ 1993, 941, 942; Berkemann, Die Festsetzung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sowie die Zuordnung zu bestimmten Flächen (§ 8a Abs. 1 Sätze 2, 4 BNatSchG), in: Ramsauer (Hrsg.), Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung, S. 65, 82 ff. 6 Waller
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auch Planungsleitsätze und abwägungsfeste Grundrechtspositionen zu berücksichtigen, so daß der Wortlaut keinen Anknüpfungspunkt liefern könne. Der materielle Gehalt könne sich daher nur aus der materiellen Qualität der Eingriffsregelung selbst ergeben. Für diese habe aber das BVerwG in der Sachsendammentscheidung28 entschieden, daß sie eine zwingende Regelung im Sinne eines Planungsleitsatzes sei. Hätte der Gesetzgeber etwas anderes gewollt, hätte er "durch Abwägung" formulieren müssen. Im übrigen wird darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber mit der Einbindung der Eingriffsregelung in die Bauleitplanung lediglich eine verfahrensmäßige Verschränkung beabsichtigte, er jedoch das in § 8 BNatSchG bestehende Schutzniveau nicht absenken wollte. 29 Diese Auffassung ist allerdings weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung auf breitere Zustimmung gestoßen. In der Literatur30 wurde zur alten Rechtslage wohl überwiegend die Meinung vertreten, daß die Formulierung "in der Abwägung" nicht nur formell, sondern auch materiell zu verstehen war. Die Eingriffsregelung sei ein Planungsgrundsatz wie jeder andere auch. Eine "vermittelnde" Meinung stimmte dem grundsätzlich zu, nahm aber die doppelte Erwähnung der Belange des Natur- und Landschaftsschutzes in § 1 V Nr. 7 BauGB und in § 8 a I BNatSchG zum Anlaß, ein Gewichtungsprivileg im Sinne eines Optimierungsgebotes anzunehmen. 31 In der gerichtlichen Praxis setzte sich die Auffassung durch, daß § 8a BNatSchG das materielle Entscheidungsprogramm der bauplanerischen Abwägung, welches die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege nicht bevorzugt, nicht verändert habe. 32 Die Rechtsprechung hält sogar einen Bebauungsplan für nichtig, wenn die planaufstellende Gemeinde der Auffassung war, die Eingriffsregelung umfassend anwenden 28 DVBI 1993, 167-168 = UPR 1993, 62-65 = BayVBI 1993, 218 = NuR 1993, 125-131 = DÖV 1993,440 = NVwZ 1993,565-572 =ZUR 1993, 173-174. 29 Vgl. etwa Blume (Fn. 27). 30 Mitschang, Planungspraktische Anforderungen an die gemeindliche Bauleitplanung zur Bewältigung der Eingriffs- und Ausgleichsproblematik nach den neuen §§ 8a bis c BNatSchG, ZfBR 1993, 259; wers, Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz, LKV 1993, 185, Löhr, Der geteilte Himmel über Städtebauern und Naturschützern: Nochmals zum Bebauungsplan mit geteiltem Geltungsbereich, LKV 1994, 324; Krautzberger, Das Investitionserleichterungs- und WohnbaulandG: Zu den Änderungen im Städtebau- und Raumordnungsrecht; NVwZ 1993,523; Runkel, Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung in der Bauleitplanung, NVwZ 1993, 1136. 31 So etwa W. Müller, Die Eingriffsregelung des § 8 BNatSchG als elementarer Grundsatz städtebaulicher Planung, NVwZ 1994, 850; Brohm, Öffentliches Baurecht, 1. A., 1996, § 13 Rn. 12 m. w. Nachweisen über den Meinungsstand; anders jetzt 2. A. 1999, § 13 Rn. 12 (einfacher Abwägungsbelang). 32 OVG Münster, DVBI. 1996, 58, 59f. mit zahlr. Hinweisen auf die Literatur.
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zu müssen?3 Nach Ansicht des VGH BW bestehe die Bedeutung der Vorschrift lediglich darin, die Berücksichtigung der Belange von Natur und Landschaft nach § 1 V Nr. 7 BauGB zu strukturieren und zu konkretisieren 34 , so daß ein eigenständiger materieller Gehalt der Eingriffsregelung in der Bauleitplanung nicht mehr zum Tragen kommt. Ähnlich hat auch das BVerwG in einer jüngst ergangenen Entscheidung judiziert. Danach erfahre das allgemeine bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot in § 8a I I BNatSchG nur eine "spezifisch fachrechtliche Anreicherung".35 Die "abwägende" Struktur werde nicht verändert. Diese bleibe dadurch gekennzeichnet, daß das Gewicht der von der Planung berührten und in sie einzustellenden Belange jeweils in der konkreten Planungssituation zu ermitteln sei. Es sei danach falsch oder zumindest mißverständlich, § 8a I 1 BNatSchG als ein Optimierungsgebot zu bezeichnen. 36 Zugleich wird in diesem Urteil aber auch betont, daß die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege wegen der Eingriffsregelung "herausgehobene Bedeutung,,37 hätten und sie mit "erheblichen Gewicht,,38 bzw. "erhöhtem inneren Gewicht,,39 in der Abwägung zu Buche schlagen würden. Eine Zurückstellung der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege käme folglich nur zugunsten entsprechend gewichtiger anderer Belange in Betracht. Dies bedürfe besonderer Rechtfertigung. Die Gemeinde müsse die Belange, die sie für vorzugswürdig hält, präzise benennen. Das BVerwG ordnet der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung also die Rechtsfolgen der Optimierungsgebote zu (erhöhtes Gewicht, besondere Begründungspflicht bei einer Zurückstellung), ohne sie als solche schon bezeichnen zu wollen. Neben Planungsleitsätzen, Optimierungsgeboten und einfachen Abwägungsbelangen scheint also das BVerwG mit der Eingriffsregelung ein weitere Kategorie der Abwägungsrelevanz einführen zu wollen. 4o Der Gesetzgeber41 wollte mit der Neuregelung 1998 diese Frage endgültig im Sinne eines einfachen Abwägungsbelanges klären. Allerdings hat er die Anregung aus der Literatur, zur KlarsteIlung "durch Abwägung" zu forOVG Münster, DVBl. 1996, 58. VGH BW, VBlBW 1996,341 m. W.N. 35 BVerwG, E. v. 31.01.1997, Az.: 4 NB 27/96, DVBl. 1997, 1112, 1113 = NVwZ 1997, 1213-1215 = BBauBl 1997, 595-597 = UPR 1997, 403-406 = BauR 1997, 794-798 = VBlBW 1997, 376-379 = ZffiR 1997, 316-319 = NuR 1997, 543-545. 36 BVerwG (Fn. 35), DVBl. 1997, 1112, 1113. 37 BVerwG (Fn. 35), DVBl. 1997, 1112, 1113. 38 BVerwG (Fn. 35), DVBl. 1997, 1112, 1114. 39 BVerwG (Fn. 35), DVBl. 1997, 1112, 1114. 40 Diese Kategorie liegt irgendwo zwischen einfachem Abwägungsbelang und Optimierungsgebot (vgl. dazu auch Fn. 24). 41 BT-Drs. 13/6392, S. 42. 33
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mulieren, nicht übernommen. Vielmehr behält er die mißverständliche Formulierung bei, wonach, "in der Abwägung" die Kompensationsanforderungen zu berücksichtigen seien (§ la 11 BauGB). Daneben fügte er allerdings in § 1 V Nr. 7 BauGB noch eine sog. Öffnungsklausel ein, die die in § la BauGB aufgezählten umwelt- und naturschutzrechtlichen Belange, also auch die Eingriffsregelung, ausdrücklich einreiht in die baugesetzlichen Planungsleitlinien des § 1 V BauGB, deren Gewicht als nur einfacher abwägungserheblicher Belang anerkannt ist. 42 Damit ist auch gesetzlich eindeutig klargestellt, daß jedenfalls ein Planungsleitsatz nicht vorliegt. Weiter muß - ausgehend von der einheitlichen Linie der Rechtsprechung - zumindest für die Neuregelung davon ausgegangen werden, daß die Eingriffsregelung auch kein Optimierungsgebot ist, sondern nur als einfacher Belang in die Abwägung einzustellen ist. 43 Jede andere Interpretation würde den gesetzgeberischen Willen, für den es jetzt auch im Gesetz eine Verankerung in Gestalt der Öffnungsklausel (§ 1 VI Nr. 7) gibt, ignorieren. Im Ergebnis führt die Eingriffsregelung nicht zu einer Veränderung des bauplanerischen Abwägungsprogrammes, sie dient dort allein der Strukturierung der Belange des Naturschutzes. 44 Mit den Änderungen, die die Eingriffsregelung in der Bauleitplanung erfahren hat, wurde also einerseits die problematische naturschutzrechtliche Abwägung abgeschafft. Die fragliche Rechtsfigur des "Gerechtigkeitsausgleichs" existiert dort nicht. Durch die Erweiterung der Ausgleichsmöglichkeiten wird der Gedanke des· dynamischen Naturschutzes in weiten Teilen umgesetzt. Aus dem Blickwinkel der Eingriffsregelung wird naturschutzrechtlich für die planende Gemeinde alles machbar. Vgl. Brohm, Öffentliches Baurecht, § 13, Rn. 4. Im Ergebnis ebenso Krautzberger, Ziele und Zwecke der Neuregelungen des Städtebaurechts zum 1.1.1998, WiVerf 1997, 243, 247; Krautzberger/Battis/Löhr, Die Neuregelungen des Baugesetzbuchs zum 1.1.1998, NVwZ 1997, 1145, 1148 und Stüer, Städtebaurecht 1998, DVBl. 1997, 1201, 1203, wonach den Anforderungen der Eingriffsregelung kein absoluter oder relativer Vorrang zukomme, sondern sie "abwägungsdirigiert" seien "in dem Sinne, daß sie aus der Sicht der planenden Gemeinde durch andere überwiegende Belange überwunden werden können." 44 Zieht man die Dogmatik zu Optimierungsgeboten heran, so ist das Ergebnis auch nach der neuen Rechtslage nicht mehr so eindeutig. In § la I BauGB wird der schonende Umgang mit Grund und Boden angeordnet und die Versiegelung auf das notwendige Maß begrenzt. Das Vermeidungsgebot der Eingriffsregelung, auf das in § la 11 BauGB verwiesen wird, ordnet genau das gleiche an. Vermeidung heißt im Prinzip Begrenzung auf das zur Verwirklichung zwingend erforderliche Maß. Diese doppelte Erwähnung spräche dafür, innerhalb der Eingriffsregelung nochmals zwischen Vermeidungs- und Ausgleichsgebotzu differenzieren und das Vermeidungsgebot als Optimierungsgebot anzusehen. Indes widerspricht eine solche Trennung der grundsätzlichen Gleichwertigkeit von Vermeidungsmaßnahmen und Ausgleichsmaßnahmen. Daneben führte sie zu kaum mehr darstellbaren Differenzierungen in der Abwägung. 42
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B. Die Konkurrenz der Eingriffsregelung mit den Schutzregimen
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Die Möglichkeiten zum Verzicht auf eine ausführbare Ausgleichsmaßnahrne, die die Einbindung der Eingriffsregelung in die Abwägung mit sich bringt, bedeuten dagegen ein Stück völligen Naturschutzverzichts im Bauplanungsrecht gegenüber dem Fachplanungsrecht und anderen Zulassungsverfahren, in denen die Anforderungen der Eingriffsregelung, wie dargestellt, als Planungsleitsätze gelten. Verfahrensrechtlich wird so der materiellrechtlich weitgehend umgesetzte dynamische Naturschutz wieder in Frage gestellt. Welche weiteren Folgen damit verbunden sind, zeigt das nächste Kapitel.
B. Die Konkurrenz der Eingriffsregelung mit den klassischen naturschutzrechtlichen Schutzregimen Bei Kollisionen der Eingriffsregelung mit den flächenmäßig relevanten klassisch-statischen naturschutzrechtlichen Schutzregimen wie Landschaftsschutzgebieten nach § 15 BNatSchG45 und gesetzlich geschützten Biotopen nach § 20c BNatSchG erweist sich, wie weit der Paradigmenwechsel im Naturschutzrecht reicht. Die Lösung dieser Kollisionen gehört daher zu den zentralen Fragen im Umgang mit der Eingriffsregelung. Dabei sind zwei unterschiedlich relevante Bereiche zu unterscheiden. Zum einen das Gebiet, in dem § 8 BNatSchG "allein" mit dem Anforderungsregime des statischen Naturschutzes konkurriert und zum anderen der Bereich, in dem die Eingriffsregelung in Verbund mit baurechtlichen Regelungen gegen den statischen Naturschutz steht. Durch die Integration der Eingriffsregelung in das Baurecht hat der letztgenannte Bereich eine neue Bedeutung enthalten. Es geht dort nicht mehr nur um die Konkurrenz unterschiedlicher naturschutzrechtlicher Schutzkonzepte. Durch die Übernahme der Anforderungen der Eingriffsregelung in das Baurecht werden diese Anforderungen Bestandteil des Bauplanungsrechtes. 46 Die Eingriffsregelung hat die "Fronten gewechselt". Die Kollisionen werden dadurch zu Kollisionen zwischen bauplanungsrechtlicher Naturschutzkonzeption und der klassischen statischen Konzeption. Während der klassische Naturschutz auf die Fixierung der alten Nutzungen zielt, dient das Bauplanungsrecht der Zulassung von neuen Nutzungen. Es kommt also, um es plakativer zu fassen, zu einem Widerstreit zwischen dem herkömmlichen statischen Naturschutzrecht mit seinen absoluten Nutzungsänderungsverboten und dem flexibleren dynamischen Bauplanungsrecht mit seinen Nutzungsänderungserlaubnissen. Vgl. Tabelle 2 im Anhang 1 auf S. 238. Dies wird durch die Teilintegration der §§ 8a-